Stadt, Bürgertum und Staat im 19. Jahrhundert: Selbstverwaltung, Partizipation und Repräsentation in Berlin und Preußen 1806 bis 1918 [1 ed.] 9783428505623, 9783428105625

In dieser ebenso umfangreichen wie durch ihre weitgefächerten Fragestellungen bestechenden Studie untersucht der Verfass

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Stadt, Bürgertum und Staat im 19. Jahrhundert: Selbstverwaltung, Partizipation und Repräsentation in Berlin und Preußen 1806 bis 1918 [1 ed.]
 9783428505623, 9783428105625

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BERTHOLD GRZYVVATZ

Stadt, Bürgertum und Staat im 19. Jahrhundert

Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte Herausgegeben im Auftrag der Preußischen Historischen Kommission, Berlin von Prof. Dr. Johannes Kunisch

Band 23

Stadt, Bürgertum und Staat im 19 . Jahrhundert Selbstverwaltung, Partizipation und Repräsentation in Berlin und Preußen 1806 bis 1918

Von Berthold Grzywatz

Duncker & Humblot . Berlin

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Die Habilitationsschrift wurde von der Stiftung der deutschen Städte, Gemeinden und Kreise zur Förderung der Kommunalwissenschaften als herausragende Arbeit auf dem Gebiet der Kommunalwissenschaften prämiert.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0943-8629 ISBN 3-428-10562-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 §

Meiner Frau Ursula E. Großpietsch-Grzywatz

Vorwort Glücklich, wer noch hoffen kann, aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen, erklärt der an seinem intellektuellen Dasein verzweifelnde Faust seinem Famulus Wagner. Selbst Gelehrter, doch der Wissenschaft voller Skepsis, der Sprache und den Worten voller Mißtrauen gegenübertretend, negiert Faust den Erkenntnisfortschritt. Die Erforschung des Zeitgeistes sieht er als bloße Selbstbespiegelung, allenfalls für pragmatische Maximen gut, die den Bezug zum wirklichen Leben verfehlt haben. Die im Bild des dienenden Assistenten verkörperte Wissenschaft mag sich der Enge des eigenen Gesichtsfeldes und der Endlichkeit des Forschens, das oft auf halbem Wege ein Ende findet, bewußt sein, dennoch ist es nicht das sich ohne Maß entfaltende Erkennenwollen, sondern die ihrer Bedingtheit verpflichtete Wissensaneignung, die dem Erkenntnisfortschritt, fernab selbstenthebender Maßlosigkeit, Ziel gibt. Weniger Grenzüberschreitung als Grenzprozeß zwischen individuellem Drang und kommunikativer Bindung an den interaktiven Diskurs, entwickelt sich Wissenschaft immer noch in der Enge beschränkter Räume, doch im Dialog Weite gewinnend, verläßt sie den Zirkel etablierter Gedankenfabriken, solange nicht findige Meister den Geist dressieren und die Vernunft einschnüren. In diesem Sinne ist diese Arbeit vielfältigen Anregungen, wohlmeinender Begleitung und kritischem Zuspruch verpflichtet. Peter Steinbach und Jürgen Kocka sei an dieser Stelle für ihre helfenden Kommentare und ihren freundlichen Rat ebenso gedankt wie Karl Heinrich Kaufhold und Ilja Mieck, die daneben diese Arbeit als Gutachter mit kritischen Anmerkungen begleiteten. Auch Wolfgang Hofmann bin ich für wichtige Hinweise verbunden. Dank gebührt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die meine Forschungen überhaupt erst ermöglichte und auch die Drucklegung meiner Habilitationsschrift absicherte. Johannes Kunisch und dem Verlag Duncker & Humblot danke ich für die freundliche Aufnahme und Drucklegung in den Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der zahlreichen Archive und Bibliotheken, die mir den Weg zu den umfänglichen Quellen- und Literaturbeständen ebneten, sei ein herzliches Dankeschön ausgesprochen. Nicht zuletzt danke ich Harald Engler für manche offene Anteilnahme und freundschaftliche Aufmunterung.

VIII

Vorwort

Daß mir bei allem kritischen Bestreben nicht "um Kopf und Busen bang" wurde und ich mich nicht in "grillenhaften Stunden" verlor, verdanke ich meiner Frau, die mir stets hilfreich im "Meer des Irrtums" den Weg wies. Berlin, April 2003

Berthold Grzywatz

Inhaltsverzeichnis Einleitung

Erkenntnisinteresse, Fragestellungen, Begriffe, Methode und Quellen Erstes Kapitel

Repräsentation und Partizipation als Instrumente staatlicher Erneuerung in Preußen

45

1. Staatskrise und modernisierende Verwaltungsreorganisation . . . . . . . . . . . . . .. 45 2. Staatliche Integration durch politische Teilhabe und ökonomische Liberalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

58

3. Das korporative Prinzip gesellschaftlicher Partizipation und Repräsentation.

67

4. Die Revolution als politischer Gegenpol und Antrieb der Reform .........

82

Zweites Kapitel

Das Kommunalrecht im Reformprozeß Ziele und historische Wirkungen

88

1. Die historische Rezeption der preußischen Städtereform . . . . . . . . . . . . . . . . ..

88

2. Selbstverwaltung in theoriegeschichtlicher Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . ..

96

3. Die staatliche Bindung der Residenz Berlin im 18. Jahrhundert und der kommunalrechtliche Bruch städtischer Abhängigkeit vom Staat ........... 112 4. Der kommunale Wirkungskreis und die Teilnahme der Gemeinde an der staatlichen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 5. Das Verhältnis der Kommunalkörperschaften und die reformierte Staatsaufsicht ............................................................... 135 6. Die korporative Struktur der städtischen Bürgergesellschaft. .............. 147 7. Kommunalwahlrecht und Bürgergemeinde .............................. 158 8. Staatliche Gemeindeaufgaben und kommunale Zuständigkeiten - die örtliche Polizeiverwaltung ............................................... 167 9. Die Wahlrechtsfrage in der Verfassungs- und Gemeinderechtsdiskussion der Reform- und Nachreformära .......................................... 188

x

Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel

Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit und im Vormärz 217 1. Die Konkurrenz von Kommunal- und Gewerberecht ..................... 217

2. Stadtbürgerliche Allianz gegen die gewerbliche Freizügigkeit. . . . . . . . . . . . . 228 3. Mittelstandsorientierte Ordnungspolitik der Kommunalkörperschaften ...... 239 4. Die abgelehnte Öffnung zur freien Einwohnergemeinde . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 5. Die Gewerbebesteuerung als Regulierungsinstrument .................... 257 6. Der kommunale Sozialkonservativismus und die Allgemeine Gewerbeordnung ............................................................... 265 7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums . . . . . . . . . . . . 279

Viertes Kapitel

Kommunales Beamtentum und bürgerschaftliche Selbsttätigkeit unter der Permanenz städtischer Finanznot in der Nachreformära

297

1. Vom Comite administratif zur reformierten Kommunalverwaltung ......... 297

2. Die fehlende finanzielle Absicherung der Städtereform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Die staatliche Steuergesetzgebung und die Gemeindefinanzen ............. 318 4. Die Kommunalbesteuerung und die Ordnung der städtischen Finanzwirtschaft als Gemeindekonflikt .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 5. Überblick zum Aufbau der städtischen Verwaltungsorganisation ........... 368 6. Staatsaufsicht, kommunale Kompetenzkonflikte und die Novellierung des Städterechts ......................................................... 373 7. Öffentlichkeit und politisches Gemeindeleben ........................... 408

Fünftes Kapitel

Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation unter der ersten preußischen Städteordnung

418

1. Wahlbewußtsein, Wahlverhalten, Wahlergebnisse und Wahlrecht. ......... 418

2. Politische Partizipation in der Gemeinde: die soziale Schichtung der stadtbürgerlichen Vertretungen ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 3. Wahlsystem und Stimmenwert - die Gestaltung der Kommunalwahlkreise .. 462

Inhaltsverzeichnis

XI

Sechstes Kapitel Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

475

1. Kommunalkörperschaften, Stadtbürgertum und Gemeinderecht in der Revolution .............................................................. 475 2. Kommunalamt und Nationalrepräsentation .............................. 493 3. Der umstrittene politische Kompromiß mit der Monarchie und die Sicherung stadtbürgerlicher Herrschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 4. Die gescheiterte grundrechtliche Garantie der Selbstverwaltung und das Klassen wahlrecht - die Gemeindeverfassung der konstitutionellen Monarchie. . . . 541 5. Der erfolgreiche Widerstand gegen das einheitliche Kommunalrecht ....... 570 6. Staatliche Kommunalaufsicht und städtische Autonomiebedürfnisse - das Scheitern der Gemeinderechtsnovellierung .............................. 583 7. Ortspolizei und Selbstverwaltung - der Fortbestand des staatlichen Wirkungskreises in der Kommune . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 Siebtes Kapitel Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche unter dem nachrevolutionären Städterecht

626

1. Dreiklassensystem oder gleiches Wahlrecht mit Steuerzensus - die Reform

der Städteverfassung und das Kommunalwahlrecht in der Reaktionzeit . . . . . 626

2. Die kommunale Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens in der "liberalen Ära" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 3. Wirkungen des Wahlsystems und die Sozialstruktur der Gemeindevertretungen ................................................................ 684 4. Wählerlisten und normative Wahlrechtsbeschränkungen .................. 715 5. Wahlbeteiligung und Partizipationstheorem ............................. 732 Achtes Kapitel Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

745

1. Kommunalisierung der Polizei - Versuche zur Ablösung staatlicher Gemeindeaufgaben ..................................................... 745 2. Die politische Instrumentalisierung des staatlichen Bestätigungsrechts für die leitenden Kommunalbeamten ...................................... 778 3. Die Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention 799 4. Städtischer Widerstand gegen das Recht des Staates zur Auflösung der Gemeindevertretungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 5. Die Entwicklung der Kommunalwahlbezirke .................... . ....... 850

XII

Inhaltsverzeichnis Neuntes Kapitel

Städte bürgertum, kommunale Parteien und das Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

864

1. Die gescheiterte Wahlrechtsliberalisierung nach der Reichsgründung. . . . . .. 864

2. Die preußische Steuerreform, der städtische Linksliberalismus und das Klassenwahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 881 3. Versuch einer antiplutokratischen Korrektur - die Novellierung des Wahlverfahrens von 1893 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 892 4. Die Zuspitzung der kommunalen Wahlrechtseinschränkungen und ihr Einfluß auf die Wahlrechtsreform bis zur lahrhundertwende . . . . . . . . . . . . . . . .. 907 5. Die Stabilisierung des Dreiklassenwahlrechts in den Gemeinden nach 1900 - Abteilungsrestituierung und politische Desintegration . . . . . . . . . . . .. 925 6. Sozialdemokratische Reforminitiativen zum Kommunalwahlrecht

943

Zehntes Kapitel

Die politische Unterrepräsentation der Großstadt - kommunale Bemühungen zur Reform des Landtagswahlrechts und zur Revision der Wahlkreiseinteilung in Preußen

957

1. Das preußische Wahl system und die Unterprivilegierung der Großstadt. . .. 957

2. Der Widerstand der Gemeindekörperschaften gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910 ........................................................... 1005 3. Das verweigerte kommunale Petitionsrecht - städtische Wahlrechtsinitiativen und die Schranke der Gemeindeangelegenheiten ..................... 1031 4. Die Stadtgemeinden und die Wahlrechtsfrage im Ersten Weltkrieg ......... 1037 5. Modemisierung zwischen Beharren und Fortschritt - Wahlrecht und Wahlkreise vor dem deutschen Zusammenbruch ............................. 1061 6. Epilog ...................................... . ....................... 1077 Schluß

Kommunale Selbstverwaltung und politische Teilhabe in der Gemeinde als Faktoren politischer Modernisierung in Preußen

1085

Statistischer Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1112 Quellen- und Literaturverzeichnis ......................................... 1190 Personenregister ........................................................ 1273 Ortsregister. ............................................................ 1286 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1290

Verzeichnis der Tabellen im Statistischen Anhang Tabelle la Tabelle Ib Tabelle lc Tabelle 2 Tabelle 3 Tabelle 4 Tabelle 5 Tabelle 6 Tabelle 7 Tabelle 8 Tabelle 9 Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16 Tabelle 17 Tabelle 18 Tabelle 19 Tabelle 20

Einnahmen und Ausgaben der Berliner Armenverwaltung 1808 Einnahmen und Ausgaben der Berliner Armenpflege 1831-1850 Die Gesamtkosten des Armenwesens und der öffentlichen Krankenpflege in Berlin 1861-1910/11 Wahlberechtigung und Wahlbeteiligung bei den Stadtverordnetenwahlen in Berlin 1809-1913 Bürger und Bürgergemeinde in Berlin 1809-1907 Die Schichtung der Wähler nach Einkommens- und Berufsgruppen bei der Berliner Kommunalwahl von 1831 Wahlbeteiligung nach Berufsgruppen bzw. der Stellung im Beruf bei der Berliner Kommunalwahl von 1831 Die Berliner Stadtverordneten nach Berufsgruppen bzw. der Stellung im Beruf 1809-1849 Die Berliner Stadtverordneten nach der Stellung im Beruf bzw. Berufsgruppen 1850-1914 Kommunale Wahlberechtigung unter den einzelnen Städteordnungen in Berlin 1828-1883 Die Anteile der Wählerklassen an der Summe der Wahlberechtigten in Berlin 1850-1883 Stimmberechtigte und Wahlbeteiligung nach Wählerklassen bei den Berliner Stadtverordnetenwahlen 1854-1913 Die Verteilung der kommunalen Ehrenämter Berlins nach Einkommensgruppen im Jahre 1860 Ergebnis der Ergänzungswahl zur Berliner Stadtverordneten-Versammlung im Jahre 1868 Die Zahl der eingetragenen Gemeindewähler, die Abteilungsgrenzen und durchschnittlichen Steuersätze in Berlin 1889-1910 Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Berlin 1849-1913 Wahl beteiligung bei den Reichstagswahlen in Berlin 1871-1912 Kosten der Ortspolizeiverwaltung sowie des Feuerlösch- und Nachtwachtwesens in Berlin 1861-1892/93 Städtische Kosten der staatlichen Ortspolizeiverwaltung in Berlin 1893-1916/17 Wahlberechtigte und Bevölkerung nach Wählerabteilungen in Berlin 1850-1878 Zu- und Abnahme der Wahlberechtigten nach Wählerabteilungen sowie das jährliche Bevölkerungswachstum Berlins 1854-1878 Die Bevölkerung der Berliner Kommunalwahlbezirke in den Jahren 1864, 1871 und 1875

XIV

Tabelle 21 Tabelle 22 Tabelle 23 Tabelle 24 Tabelle 25 Tabelle 26 Tabelle 27 Tabelle 28 Tabelle 29 Tabelle 30

Tabelle 31 Tabelle 32 Tabelle 33 Tabelle 34 Tabelle 35 Tabelle 36 Tabelle 37 Tabelle 38 Tabelle 39 Tabelle 40 Tabelle 41 Tabelle 42 Tabelle 43

Verzeichnis der Tabellen im Statistischen Anhang Die durchschnittliche Zahl der Wahlberechtigten in einzelnen Berliner Kommunalwahlbezirken 1854-1868 Einwohner und Wahlberechtigte in ausgesuchten Berliner Wahlbezirken im Jahre 1878 Wahlberechtigte nach Wahlbezirken und Wählerabteilungen in Berlin 1876 und die Mandatsverteilung nach der Wahlbezirksreform von 1880 Stadtverordnetenmandate und ortsanwesende Bevölkerung nach Wahlbezirken in Berlin 1881 Wahlberechtigte und Stadtverordnetenmandate nach Kommunalwahlbezirken und Wählerabteilungen in Berlin 1882 (vor der Reform der Wahlbezirkseinteilung) Tableau der neuen Einteilung der Berliner Kommunalwahlbezirke 1882 Einwohner und Stadtverordnetenmandate in deutschen Großstädten 1902-1909 Abteilungsbildung in ausgesuchten Landtagswahlbezirken Preußens 1888 und 1892 Der Einfluß der Einkommensteuerveranlagung nach dem Gesetz vom 24. Juni 1891 auf die Abgrenzung der Wählerabteilungen bei den Stadtverordnetenwahlen in Berlin 1891/92 Urwählerabteilungen auf staatssteuerlicher Grundlage im zweiten Berliner Landtagswahlkreis 1888, 1891 und 1892 nach den Verfahrensvorschlägen der Beratungskommission des preußischen Abgeordnetenhauses Die Wählerabteilungen in preußischen Stadt- und Landgemeinden 1891, 1893 und 1895/96 Die Wählerabteilungen in preußischen Stadt- und Landgemeinden 1891 und 1896/97 Wählerabteilungen in preußischen Stadt- und Landgemeinden nach verschiedenen Wahlverfahren Landtagswahlbezirke Berlins und des Umlandes 1860 Abgeordnete und Einwohner nach Regierungsbezirken In Preußen 1858, 1863 und 1895 Die projektierte Wahlkreisumwandlung für Berlin und den Regierungsbezirk Potsdam im Jahre 1868 Die Berliner Landtagswahlbezirke nach der Reform von 1906 Neue Landtagswahlbezirke in Preußen nach der Reform von 1906 Die Vertretung der Wahlkreise Berlins, der Provinz Brandenburg sowie der preußischen Provinzen nach der Wahlbezirksrevision von 1906 Großstädtische Wahlkreise mit Mandatsgewinnen nach der Regierungsvorlage zur Reform des preußischen Landtagswahlrechts im Jahre 1917 Großstädtische Wahlkreise mit mindestens 250000 Einwohner pro Abgeordnetenmandat im Jahre 1913 Großstädtische Wahlkreise mit Verhältniswahlrecht nach den Beschlüssen des Preußischen Herrenhauses (Antrag Wermuth/Johansen) Mandatsgewinne großstädtischer Wahlkreise nach den Beschlüssen der Kommission des Herrenhauses im Jahre 1918

Abkürzungsverzeichnis A.a.O. AB AbänderGO ABIKunnReg ABIRegBln ABIRegPdm ABIRegPdmuStBln Abs. AfK AfS AGVS AInstr AIPAH AIPHH ALR Anm. AöR APSV AS AStVVersCh AVO BAChVB Bd. BerGemKom BI. BLHA BlnBO CBIBln DS DVBI Ebd.

Am angegebenen Ort Ausführungsbestimmung Denkschrift von Westphalen, betreffend die Gesetzentwürfe wegen Änderung der Gemeindeordnung vom 11. März 1850 Amtsblatt der Königlichen Kunnärkischen Regierung Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Berlin Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Potsdam Amtsblatt der königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin Absatz Archiv für Kommunalwissenschaften Archiv für Sozialgeschichte Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik Ausführungsinstruktion Anlagen zu den stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten Anlagen zu den stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Herrenhauses Allgemeines Landrecht Anmerkung Archiv für öffentliches Recht Annalen der Preußischen innem Staats-Verwaltung Aktenstück Akten der Stadtverordneten-Versammlung in Charlottenburg Ausführungsverordnung Bezirksamt Charlottenburg - Verwaltungsbücherei Band Bericht der Gemeindekommission bzw. der Kommission für das Gemeindewesen Blatt Brandenburgisches Landeshauptarchiv Berliner Bauordnung Communal-Blatt für die Haupt- und Residenzstadt Berlin Drucksache Deutsches Verwaltungsblatt Ebenda

XVI Entw Erg.-H. Erg.bd. f. FBPG ff. GBIStBln GemKom GemKomPAH GesEntw GesEntwBGO 1851 GesEntwFor 1860

GG GO 1850 GODemEntw GORegEntw GORhPr 1845 GRMagBln 1834 GS GStAPK GuG HBdkWuP HBKVVRPr HWBdKW HZ IMS i. Verb. m. InstrReg 1808 InstrStMag 1835 IWK JBL

Abkürzungsverzeichnis Entwurf Ergänzungsheft Ergänzungsband folgend Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte fortlaufend folgend Gemeindeblatt der Stadt Berlin Gemeindekommission Gemeindekommission des Preußischen Abgeordnetenhauses Gesetzentwurf Gesetzentwurf, betreffend die Beibehaltung der GemeindeOrdnung vom 1l. März 1850 als Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Monarchie, 24. November 1851 Gesetzentwurf Forckenbeck, betreffend einige Abänderungen der Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853, und Aufhebung des Gesetzes vom 25. Februar 1856, 1860 Grundgesetz Gemeinde-Ordnung für den Preußischen Staat vom 11. März 1850 Gemeindeordnungsentwurf der demokratischen Linken vom 10. August 1848 Regierungsentwurf für die Gemeindeordnung Gemeindeordnung für die Rheinprovinz vom 23. April 1845 Regulativ über das Geschäfts-Verfahren für den Magistrat in Berlin vom 14. Juli 1834 Gesetzessammlung für die Königlichen Preußischen Staaten/ Preußische Gesetzsammlung Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin Geschichte und Gesellschaft Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis Handbuch des kommunalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in Preußen Handwörterbuch der Kommunalwissenschaften Historische Zeitschrift Informationen zur modemen Stadtgeschichte in Verbindung mit Geschäfts-Instruktion für die Regierungen in sämmtlichen Provinzen vom 26. Dezember 1808 Instruktion für die Stadtmagistrate vom 25. Mai 1835 Inemationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte

Abkürzungsverzeichnis JfW JGMOD JGVV JVGB KO KomBer KomEntwNatVers LAB LGO 1891 LGORW 1841 Lit. LP LVG 1883 MBliV MVGB Minlnstr Nr. OPrVerfUrk OrgLVG 1880 PAH PEK PHH PrGewO 1845 PJ PolRegl 1810 PolRegl 1822 PrOtribE PrOVGE PrVerfUrk PrVerwBl PVG 1850 PVG 1931 PrWoBI PZK Rep. RGBI 2 Grzywatz

XVII

Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche Der Bär von Berlin. Jahrbuch des Vereins für die Geschichte Berlins Kreisordnung Kommissionsbericht Kommissionsentwurf der Nationalversammlung für die preußische Verfassungsurkunde Landesarchiv Berlin Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie vom 2. Juli 1891 Landgemeinde-Ordnung für die Provinz Westfalen vom 31. Oktober 1841 Litera Legislaturperiode Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung vom 30. Juli 1883 Ministerialblatt für die gesamte innere Verwaltung Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins Ministerialinstruktion Nummer Oktroyierte Verfassungsurkunde für den preußischen Staat Gesetz über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung vom 26. Juli 1880 Preußisches Abgeordnetenhaus Erste Kammer des preußischen Landtages Preußisches Herrenhaus Allgemeine Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845 Preußische Jahrbücher Polizeireglement der Residenz Berlin vom 5. Januar 1810 Reglement für das Berliner Polizeipräsidium vom 18. September 1822 Entscheidungen des Königlichen Geheimen Obertribunals Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Verfassungsurkunde für den preußischen Staat Preußisches Verwaltungsblatt Gesetz über die Polizei-Verwaltung vom 11. März 1850 Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. Juni 1931 Preußisches Wochenblatt Zweite Kammer des preußischen Landtages Repositur Reichsgesetzblatt

XVIII S. s. SDSAH SDSEK Sess. Sh. SJbdSt SJStBln SJStCh SMH Sp. StBBln StBCh

StBEK

StBNV StBPAH StBPHH StBZK

StGemGBln StO 1808

StO 1831 StO 1853 StOEntw 1852 StOEntw 1861

Abkürzungsverzeichnis Seite siehe Sammlung sämmtlicher Drucksachen des Hauses der Abgeordneten Sammlung der Drucksachen der Ersten Kammer Session Sonderheft Statistisches Jahrbuch Deutscher Städte Statistisches Jahrbuch der Stadt Berlin Statistisches Jahrbuch der Stadt Charlottenburg Sozialistische Monatshefte Spalte Stenographische Berichte über die öffentlichen Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin Amtliche Berichte über die Verhandlungen der Charlottenburger Stadtverordneten-Versammlung in den öffentlichen Sitzungen nach stenographischer Aufnahme Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch das Allerhöchste Patent/durch die Allerhöchste Verordnung einberufenen Kammern. Berlin. Erste Kammer Stenographische Berichte über die Verhandlungen der Versammlung zur Vereinbarung der Preußischen Staatsverfassung Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Herrenhauses Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch das Allerhöchste Patent/durch die Allerhöchste Verordnung einberufenen Kammern. Berlin. Zweite Kammer Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin vom 27. April 1920 Ordnung für sämmtliche Städte der Preußischen Monarchie mit dazu gehöriger Instruktion, Behuf der Geschäftsführung der Stadtverordneten bei ihren ordnungsgemäßen Versammlungen, vom 19. November 1808 Revidierte Städte-Ordnung für die Preußische Monarchie vom 17. März 1831 Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853 Entwurf einer Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, 29. November 1852 Entwurf einer Revidierten Städte-Ordnung für die Preußische Monarchie nach den Beschlüssen der Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses vom 22. April 1861

Abkürzungsverzeichnis StOEntw 1862

XIX

Entwurf einer Städte-Ordnung für den Umfang der Monarchie mit Ausschluß der Hohenzollernschen Lande vom 3. Februar 1862 StOEntw 1876 Entwurf einer Städteordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 9. März 1876 StOEntwBrünVin 1852 Städteordnungs-Entwurf der liberalen Fraktion von Brünneck/von Vincke vom 24. Januar 1852 Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin StVVersBln StVVersCh Stadtverordneten-Versammlung zu Charlottenburg Schriften des Vereins für Socialpolitik SVfS SVGB Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins T. Teil Tit. Titel u. und VerfGRVorl Entwurf eines Verfassungsgesetzes für den Preußischen Staat, 20. Mai 1848 (Regierungsvorlage) VerwAreh Verwaltungsarchiv VerwBBln Bericht über die Gemeinde-Verwaltung der Stadt Berlin VerwBCh Bericht über die Verwaltung und den Stand der GemeindeAngelegenheiten des Stadtkreises/der Stadt Charlottenburg VerwBPPmBln Verwaltungsbericht des Königlichen Polizei-Präsidiums von Berlin Vgl. Vergleiche VHKB Einzel-/Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin VSWG Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte VStBln Vorlagen für die Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin VStCh Vorlagen für die Stadtverordneten-Versammlung zu Charlottenburg W AbtGes 1900 Gesetz, betreffend die Bildung der Wählerabtheilungen bei den Gemeindewahlen vom 30. Juni 1900 WBdSVR Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts WRegl 1861 Reglement zur Verordnung vom 30. Mai 1849 über die Ausführung der Wahlen zum Hause der Abgeordneten vom 4. Oktober 1861 WRegl1870 Reglement zu der Verordnung vom 30. Mai 1849 und dem Gesetze vom 11. März 1869 über die Ausführung der Wahlen zum Hause der Abgeordneten vom 10. Juli 1870 WRegl1893 Reglement über die Ausführung der Wahlen zum Hause der Abgeordneten für den Umfang der Monarchie mit Ausnahme der Hohenzollernschen Lande vom 18. September 1893 Gesetzentwurf, betreffend Änderung des Wahlverfahrens WVerfG 1892 vom 24. Dezember 1892 2*

xx WVO 1849 ZfG ZfHS ZG 1876 ZG 1883 Ziff. ZPSB ZPGL ZVGB

Abkürzungsverzeichnis Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten der Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849 Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft Gesetz, betreffend die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden im Geltungsbereiche der Provinzialordnung vom 29. Juni 1875. Vom 26. Juli 1876 Gesetz über die Zuständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbehörden vom I. August 1883 Ziffer Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Berlins

Einleitung

Erkenntnisinteresse, Fragestellungen, Begriffe, Methode und Quellen 1.

Die Frage nach dem Verhältnis von Stadt, Bürgertum und Staat verweist auf den Zusammenhang lokaler Herrschaft und Verwaltung. Das 19. Jahrhundert hat in den Gemeinden einen Typus der körperschaftlichen Verwaltung geschaffen, welche die Gegenwart gemeinhin als kommunale Selbstverwaltung apostrophiert. Als unverzichtbarer Teil der Organisation des demokratischen Rechtsstaates ist sie zwar nicht grundrechtlich normiert, aber institutionell garantiert. Die Existenz der Gemeinde als organisatorische Einheit im Staatsaufbau wird rechtlich ebenso gewährleistet wie dieser Anspruch Schutz und Sicherung findet. Gegen eine Verletzung des Selbstverwaltungsrechts ist die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde eröffnet. Gleichwohl besitzt die einzelne Gemeinde kein unantastbares Existenzrecht, sie bleibt nur institutionell, nicht individuell geschützt. I Das Grundgesetz der Bundesrepublik stellt wesentliche Grundmerkmale der kommunalen Selbstverwaltung durch ausdrückliche Normierung fest, indem für den Umfang des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts das Universalitäts- und Eigenverantwortlichkeitsprinzip entwickelt wird. Die Weimarer Reichsverfassung hatte die Selbstverwaltung der Gemeinden und Gemeindeverbände zum Bestandteil der Grundrechte erklärt, ihren Rechtsgehalt freilich insofern eingeschränkt, als sie lediglich "innerhalb der Schranken der Gesetze" wirksam werden konnte. Obwohl die rechtliche I Zusammenfassend kann von einer institutionellen Rechtssubjektsgarantie der Gemeinden, einer objektiven Rechtsinstitutionsgarantie der gemeindlichen Selbstverwaltung und einer subjektiven Rechtsstellungsgarantie zugunsten der Kommunen gesprochen werden. Reinhard Hendler, Selbstverwaltung als Ordnungsprinzip. Zur politischen Willensbildung und Entscheidung im demokratischen Verfassungsstaat der Industriegesellschaft, Köln u. a. 1984. Wemer Weber, Staats- und Selbstverwaltung in der Gegenwart (= Göttinger rechtswissenschaftliehe Studien, H. 9), 2Göttingen 1967. Kritisch gegen den Begriff der institutionellen Garantie Franz-Ludwig Knemeyer, Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Selbstverwaltungsrechts der Gemeinden und Landkreise, in: Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft. Festgabe zum 70. Geburtstag von Georg Christoph Unruh, hrsg. von A. von Mutius (= Schriftenreihe des Lorenz-von-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften Kiel, Bd. 4), Heidelberg 1983, S. 209-226, hier besonders S. 211-213.

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Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung nicht ohne gesetzliche Grundlage erfolgen durfte und behördliche Eingriffe in das Selbstverwaltungsrecht eine gesetzliche Ermächtigung erforderten, hatte es den Anschein, als wären der Bestand und die weitere Gestaltung der Selbstverwaltung unter die Dispositionsfähigkeit des Landesgesetzgebers gestellt. Erst die Lehre, daß durch Verfassungsnormen bestimmten Einrichtungen ein besonderer Schutz zu gewähren war, die ihre wesentliche Umgestaltung oder die Beseitigung ihrer strukturgebenden Merkmale verhinderte, erfaßte die Stellung der Selbstverwaltung im Gebäude der Weimarer Verfassung und sah sie einer Norm verbunden, die eine institutionelle Garantie enthielt? Die Weimarer Republik hatte die Selbstverwaltung über den Rahmen landesrechtlicher Regelungen hinaus im Reichsrecht festgelegt. Die Versuche, das Gemeinderecht auf nationaler Ebene zu vereinheitlichen, scheiterten indessen allesamt. Nur auf Länderebene kam es zu Gesamtrevisionen der Gemeindeordnungen, die allerdings nur die süd- und mitteldeutschen Länder erfaßten, während Preußen von den Neuordnungen ausgenommen war. 3 In Preußen erhielt sich ebenso die überlieferte Rechtszersplitterung der kommunalen Selbstverwaltung wie die ältere Gemeindegesetzgebung. Sie war überwiegend im ersten Jahrzehnt der Nachrevolutionsperiode entstanden und blieb mit Ausnahme ihrer politischen Regelungen ohne wesentliche Änderungen bis in neuerer Zeit in Kraft. Die preußische Städteordnung von 1853, die der Liberalismus in polemischer Absicht nach dem ministeriellen Hauptvertreter der Reaktionszeit als "Westphälische Städteordnung" bezeichnete, überlebte selbst die Novemberrevolution. Erst zu Beginn der dreißiger Jahre, nach fast achtzigjähriger Geltungsdauer, wurde sie zunächst durch die Krisenverordnungen eingeschränkt und wenig später Mitte Dezember 1933 durch das Preußische Gemeindeverfassungsgesetz sowie das gleichzeitig erlassene Gemeindefinanzgesetz abgelöst. Die neue Kommunalordnung war keineswegs ein genuines Werk des NS-Regimes, sondern vielmehr "ein technisch auf der bisherigen Gesetzgebung aufbauendes, von staatsautoritärem Geist geprägtes und von der Ministerialbürokratie 2 Carl Schmitt, Verfassungslehre, München-Leipzig 1928, S. 170 ff. Dazu auch Fritz Stier-Somlo, Das Grundrecht der kommunalen Selbstverwaltung unter besonderer Berücksichtigung des Eingemeindungsrechts, in: AöR, 56. Jg. (1929), S. 1-93. 3 Zur Geschichte der kommunalen Selbstverwaltung in der Weimarer Republik vgl. Otto Gönnenwein, Gemeinderecht, Tübingen 1963, S. 17-22. Hans Herzfeld, Demokratie und Selbstverwaltung in der Weimarer Epoche (= Schriftenreihe des Vereins zur Pflege kommunalwissenschaftlicher Aufgaben e. V., Berlin, Bd. 2), Stuttgart 1957. Dieter Rebentisch, Die Selbstverwaltung in der Weimarer Zeit, in: HBdkWuP, hrsg. von G. Püttner, Bd. 1, Grundlagen, 2Berlin u.a. 1982, S. 86-100. Kurt G.A. Jeserich, Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, Das Reich der Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, hrsg. von dems./H.Pohl/G.-Ch. von Unruh, Stuttgart 1985, S. 488-524.

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getragenes politisches Konzept",4 das man durch nicht unerhebliche Zugeständnisse an das NS-Regime abzusichern gesucht hatte. Die im 19. Jahrhundert von der kommunalen Selbstverwaltung vorgezeichneten Bahnen strahlten demnach bis in die jüngere Vergangenheit aus, und dies nicht nur in Form einer Kontinuitätslinie, die Gemeindeautonomie gegen staatliche Ansprüche behauptete sowie das Verhältnis von Staat und Gemeinde in einem Dualismus sah, sondern auch in der Funktion örtlicher Verwaltungstätigkeit, Aufgaben und unterschiedliche Wirkungskreise zu konzentrieren und im Interesse gesellschaftlicher Subsistenzbedürfnisse auszuführen. In der Demokratie hat sich, trotz der rechtlich aufrecht erhaltenen Unterscheidung zwischen eigenem und übertragenem Wirkungskreis, die Auffassung durchgesetzt, daß die Gemeinde zunächst der ausschließliche und eigentliche Träger der öffentlichen Verwaltung ist. Die Verschränkung von freiwilligen Aufgaben der Gemeinden, gesetzlichen Pflichtaufgaben, gesetzlich verbindlichen temporären Hilfsleistungen und jenen Auftragsangelegenheiten, welche die kommunale Selbstverwaltung regelmäßig für den Staat und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts erledigt, hat zu einer Art Mischverwaltung geführt, die es kaum mehr erlaubt, von einem praktischen Nebeneinander der verschiedenen Wirkungskreise auszugehen. 5 Die weithin anerkannte Theorie von der Allzuständigkeit der Gemeinden verfestigt zunehmend ihr Eingehen in die Staatsverwaltung, in dessen Folge Gemeindeexekutive und Staatsaufsicht zu Ungunsten sowohl der Teilhabe bürgerschaftlicher Vertretungen als auch der kommunalen Eigeninitiative näher zusammenrücken. Die verfassungsrechtliche Diskussion sah in diesem Prozeß die Tendenz eines materiellen Entörtlichungsprozesses traditioneller Gemeindeaufgaben oder einer Auflösung der örtlichen Gemeinschaft durch funktionsgesellschaftliche Lebensformen angelegt, die zu einem Plädoyer für eine Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltung herausforderten. 6 Der Prozeß 4 Horst Matzerath, Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung (= Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften e. V., Bd. 29), Stuttgart u.a. 1970, S. 125. Siehe auch Albert von Mutius, Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 227-264. 5 Thomas Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1973, S. 46-59. 6 Joachim Burmeister, Verfassungstheoretische Neukonzeption der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie (= Studien zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre, Bd. 19), München 1977. Siehe auch die Thesen und Beiträge zur Gewährleistung des Handlungs- und Entfaltungsspielraums der kommunalen Selbstverwaltung auf dem 53. Deutschen Juristentag. Verhandlungen des 53. Deutschen Juristentages, Berlin 1980, hrsg. von der ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, 2 Bde., München 1980. Hier insbesondere das Referat von Raimund Wimmer, Stellung der Kommunen im Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit, a. a. 0., Bd. 2,

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einer anhaltenden Erosion des eigenverantwortlich wahrgenommenen kommunalen Wirkungskreises muß nicht nur rechtsdogmatisch, sondern auch politisch zu einer inhaltlich aktualisierten Definition der kommunalen Selbstverwaltung führen, welche einerseits den Bereich selbständigen Gemeindehandelns neu absteckt, andererseits die Gemeindeaufgaben unter den Bedingungen bürgerschaftlicher Teilhabe transparent macht. Welche Lösungsansätze in dieser Hinsicht angestrebt oder gefunden werden, ist für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie von untergeordneter Bedeutung. Wichtig erscheint indessen die Einsicht, daß die kommunale Selbstverwaltung, wie das Bundesverfassungsgericht überspitzend verdeutlicht hat, nicht auf "Immunitätsprivilegien im Stile mittelalterlicher Städte,,7 beruht, sie vielmehr gesetzlicher Einwirkung zugänglich ist. Die konkrete Erscheinungsform moderner Selbstverwaltung - das läßt sich schon an der gliederungssystematischen Zuordnung zum staatsorganisatorisehen Abschnitt des Grundgesetzes ablesen - verbindet darüber hinaus das eigenverantwortliche gemeindliche Verwaltungshandeln mit staatlicher Zuständigkeit, ohne daß die staatlichen Befugnisse und Funktionen, wie dies etwa in den Generalklausein der Gemeindeordnungen der Fall ist, endgültig festgelegt werden. 8 Trotz ihrer rechtlich garantierten Eigenständigkeit bleibt die Gemeinde dem Staat nachgeordnet. Sie schließt weniger "Lücken im Dienststellennetz der staatseigenen Verwaltung",9 als daß sie "vielmehr als sein verlängerter Arm"l0 auftritt. Obgleich die Gemeinde als Grundlage des Staates in der Demokratie anerkannt, der Gegensatz von Staat und Kommune aufgehoben ist, empirisch zudem kaum ein qualitativer Unterschied zwischen staatlichen und kommunalen Funktionen auszumachen ist, wird die zeitgenössische politisch-rechtliche Reflexion, durch den Begriff der Gemeindefreiheit geprägt, der die Kommunen unabhängig von den Institutionen des Staates sieht, Staatsverwaltung und gemeindliche Selbstverwaltung einander gegenüberstellt. Die historische Forschung, die sich sowohl der Konstituierungsphase der kommunalen Selbstverwaltung als auch ihrer Blütezeit im langen 19. Jahrhundert ausführlich gewidmet hat, lieferte zu dieser Entwicklung einen nicht unwesentlichen Beitrag. Heinz Laufer erläutert in seiner Einführung in die N 27-58 und das Gutachten von Mutius, Sind weitere rechtliche Maßnahmen zu empfehlen, um den notwendigen Handlungsspielraum der kommunalen Selbstverwaltung zu gewähren?, a.a.O., Bd. I, E 5-230. 7 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 23, Tübingen 1968, S. 327373, hier besonders S. 365 f. 8 Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1964, S. 760 ff. 9 Arnold Köttgen, Wesen und Rechtsform der Gemeinden und Gemeindeverbände, in: HBdkWuP, Bd. I, hrsg. von H. Peters, Berlin 1956, S. 216. 10 Ellwein, Regierungssystem, S. 47.

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demokratische Ordnung, daß nur "die freie, von den Institutionen der Zentralgemeinschaft und der Gliedgemeinschaften unabhängige, die demokratisch geordnete und organisierte Gemeinde die freiheitliche Demokratie"!! ermöglicht. Gleichzeitig charakterisiert er aber die Gemeinde als "kleinste politische Teileinheit", ohne daß der damit erklärte Widerspruch thematisiert wird. Als Teileinheit stellt die Gemeinde zwangsläufig ein Subsystem dar, das allemal vom übergreifenden System, in diesem Fall der Staat, geprägt wird. Georg Christoph von Unruh, der sich in zahlreichen rechtshistorischen Untersuchungen mit der Entwicklung des Gemeinderechts auseinandergesetzt hat, charakterisiert in der Neuauflage des Handbuchs der kommunalen Wissenschaft und Praxis die kommunale Verwaltung bzw. die lokale Verantwortung des Bürgers zwar als eine Funktion der Staatsgewalt - Selbstverwaltung in der Zielsetzung der preußischen Reformer soll folglich die Entstehung "kommunaler Republiken" verhindern -, aber er interpretiert die Selbstverwaltung als "politische(n) Entfaltungsbereich der Gesellschaft".!2 Die Ursache für die Trennung von Staat und Gesellschaft macht von Unruh in der abgebrochenen Konstituierung aus, die nach seiner Ansicht mit der Städteordnung begann. Als die Märzrevolution die Verfassungsgebung nachholte, war bereits "eine Kluft zwischen dem sich als Gesellschaft verstehenden Bürgertum und dem Staat entstanden, die lediglich Kompromißlösungen gestattete, ohne sich um Institutionen zur Integration zu bemühen". Da der Staat bürgerliche Freiheit in Grenzen hielt, brachte er die bürgerschaftliche Gesellschaft in einen Gegensatz zum Staat, während der auf das kommunale Wirken beschränkte Bürger nach "Gemeindefreiheit", d.h. nach einer umfassenden Unabhängigkeit der kommunalen Körperschaften vom Staat verlangte. Abgesehen von der Frage, ob der Erlaß einer Kommunalordnung dem Beginn einer Konstituierung des monarchisch-bürokratischen Staates gleichgesetzt werden kann, wirft Unruhs widersprüchliche Analyse mehr Fragen auf, als daß sie Antworten liefert. Wieso ließ es der Staat zu, daß die Kommunen zu einem Ort staatlich-bürgerlicher Entfremdung avancierten, wenn es ihm erwiesenermaßen mit der Etablierung der körperschaftlichen Verwaltung in der Gemeinde nicht um die Beförderung einer staatsunabhängigen Institution ging? Unruhs Bürgertum ist mehr Objekt staatlicher Strategien, denn agierendes Subjekt. Das mag vor der Frage schützen, wieso das Bürgertum die willkürlich abgebrochene Konstituierung hinnimmt, sie erst nach einem Zeitraum von vierzig Jahren, zumal in einer Revolution, den II Heinz Laufer, Die demokratische Ordnung. Eine Einführung, 2Stuttgart 1970, S. 147. 12 Unruh, Ursprung und Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung im frühkonstitutionellen Zeitalter, in: HBdkWuP, Bd. 1, S. 57-70, hier besonders, S. 63.

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Abschluß findet. War ausgerechnet die Kluft zwischen Staat und Gesellschaft für die in der Revolution gefundene politische Kompromißlösung verantwortlich, der in der Krisensituation der Märztage begründete Ruf nach Gemeindefreiheit und Selbstverwaltung diesem Gegensatz verpflichtet oder war er nicht vielmehr das Ergebnis eines Arrangements des Bürgertums mit der Monarchie? In dieser Hinsicht ist der Frage nachzugehen, ob die Gemeindefreiheit oder mit anderen Worten: die im 19. Jahrhundert geschaffene Form der kommunalen Selbstverwaltung sich zu einer Bremse politischer Modernisierung entwickelte. Die konkreten politischen Inhalte der Gemeindefreiheit werden zu hinterfragen sein. Wenn die kommunale Selbstverwaltung Bestandteil eines demokratisierungsfeindlichen Kompromisses war, hatte sie einen eminent politischen Charakter, da sie, wie schon Theodor Eschenburg festgestellt hatte,13 auf die Wahrung bürgerlichen Interessen durch Teilhabe an der Verwaltung, vor allem im eigenen Wirkungsmilieu der Gemeinde, und daneben der Ausgrenzung der nichtbürgerlichen Schichten diente. Möglicherweise beruhen die Auseinandersetzungen um die kommunale Selbstverwaltung nicht auf einem staatlich-gesellschaftlichen Gegensatz, sondern stellen die permanente kritische Aktualisierung eines Ausgleichs dar, in dem die Pole der Gemeindeangelegenheiten und der Staatsaufsicht sowohl unter dem Druck der zunehmenden Regulierungsbedürfnisse der sich industrialisierenden Gesellschaft als auch der Politisierung sämtlicher Bereiche des öffentlichen Lebens fortwährend neu zu bestimmen sind. Vor dem Hintergrund der ausbleibenden Demokratisierung Preußens könnte sich die kommunale Selbstverwaltung also zu einem Absorptionsfeld politischer Initiativen entfaltet haben, die in einer anderen Grundkonstellation der gesellschaftlichen Modernisierung hätten fruchtbar gemacht werden können. Diesem Gedanken steht freilich die Auffassung gegenüber, daß die von den preußischen Reformern intendierte Mitwirkung am Staat eine engere Verbindung von Staat und Gesellschaft in Gang setzte, mit der ein "Grundgedanke der Demokratie" aufgegriffen wurde. "Wer den Bürger aktivieren und als Glied der Gemeinschaft integrieren, wer den Gegensatz zwischen Obrigkeit und Untertan abbauen und den Gemeinsinn beleben will", heißt es bei Werner Frotscher in einer resümierenden Analyse der preußischen Kommunalreform und ihren Wirkungen, "der leistet demokratischen Wertvorstellungen Vorschub".14 Die Selbstverwaltungsidee, die Frotscher, wie allgemein üblich in der rechtshistorischen Literatur, mit dem Freiherm vom 13 Theodor Eschenburg, Mythos und Wirklichkeit der kommunalen Selbstverwaltung, in: Ders., Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, Kritische Betrachtungen 1961 bis 1965, München 1966, S. 12~147. 14 Wemer Frotscher, Selbstverwaltung und Demokratie, in: Selbstverwaltung, S. 127-147, hier insbesondere S. 128 f. u. 135 f.

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Stein in Verbindung bringt, steht in einer engen inneren Beziehung zum Demokratieprinzip. In der kommunalen Selbstverwaltung wird Demokratie außerhalb des Prinzips der Volkssouveränität in einer von unten nach oben willensbildenden Gemeinschaft wirksam. 15 Die Entwicklung der Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert bestätigt die These von der historischen Verbindung zwischen Demokratie und Selbstverwaltung, indem der Liberalismus sich dieser Idee bemächtigte, "nicht um politische Mitsprache im Staat zu erreichen, sondern um seine Freiheitssphäre gegenüber dem Staat auszudehnen". Der Dualismus von Staat und Gesellschaft reproduziert sich in der Entgegensetzung von Staats- und Selbstverwaltung. Während die Staatsverwaltung einen freiheitsfeindlichen, auf der strikten Anerkennung des Monarchieprinzips beruhenden Obrigkeitsstaat repräsentierte, so Frotscher, verkörperte die Selbstverwaltung die "demokratischen Tugenden" bürgerschaftlicher Teilhabe und Mitverantwortung im politischen Bereich. Frotscher kommt im Ergebnis also zu einem ähnlichen Gesamturteil wie von Unruh, der im übrigen auch in der Gemeinde das Demokratieprinzip vertreten sieht. 16 Unruh sieht die Selbstverwaltung jedoch eher als Ersatz für die fehlende Konstituierung des Staates, während Frotscher sie als eigenständigen bürgerlichen Freiheitsraum interpretiert. Folglich ist Selbstverwaltung ihrem Wesen nach weder demokratisch noch antidemokratisch. Die rechts- und begriffsgeschichtlichen sowie staatstheoretischen Erörterungen Frotschers abstrahieren von der Qualität der politischen Ordnung der Gemeinden. Sie übersehen zudem, daß nicht jede politische Teilnahme und Mitwirkung am Staat schon demokratisch sein muß. Hier kommt es sowohl auf deren Reichweite und inhaltliche Struktur, auf die Eröffnung von Handlungs- und Entscheidungsebenen als auch auf das Verhältnis zu den übrigen wesentlichen Prinzipien der Demokratie an. Teilhabe kann ein bloßes Funkti on selerne nt der Machtverteilung sein, dem Ausdruck örtlicher und regionaler Interessen oder der Geltendmachung lokaler Besonderheiten dienen. Mitwirkung kann durch Effizienzbedürfnisse des Staates motiviert sein, die sie zu einem Bestandteil administrativer Reorganisation machen. 15 Vgl. auch Hans Peters, Demokratie, in: Staatslexikon, hrsg. von der GörresGesellschaft, Bd. 2, 6Freiburg/Br. 1958, Sp. 560-594, besonders Sp. 578 ff. 16 Günter Püttner, Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung, in: HBdkWuP, Bd. 2, S. 5 f., der in seiner Kritik an von Unruh auf den undemokratischen Charakter der Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert verweist, sie lediglich als administrative Dezentralisation und in gewissem Rahmen als gesellschaftliche Partizipation begreift, kommt unter Hinweis auf die zunehmende Einflußnahme der Sozialdemokratie in der Kommune nach der Jahrhundertwende indessen zu dem Urteil, daß die bürgerschaftliche Selbstverwaltung "doch als eine dem demokratischen Gedanken entgegenkommende und den demokratischen Staat vorbereitende Institution" anzusehen ist. Kritisch dagegen Herzfeld, Demokratie, S. II ff.

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Die Untersuchung wird daher, ausgehend von einer Auseinandersetzung mit dem Selbstverwaltungsbegriff, der Frage nach den Zielsetzungen der preußischen Kommunalreform nachgehen müssen. Zielte die in einem Bruch mit dem autoritären Stadtregiment des Absolutismus vollzogene Neuordnung der städtischen Gemeinde auf eine politische Reform, der es in erster Linie um die Konstituierung bürgerschaftlicher Vertretungen und die Herstellung stadtbürgerlicher Gleichheit ging, so daß sich die Kommune zu einem Element der Demokratie bzw. zukünftiger Demokratisierung entwikkein konnte,17 oder war die Kommunalreform Teil einer staatlichen Modernisierungsinitiative, die unter der Perspektive staatlicher Integration um die Konstituierung moderner Staatlichkeit bemüht war? Die Staatsbildung verlangte die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, die Zurückdrängung partikularer Kräfte, die über ständische und korporative Eigenrechte verfügten, daneben aber auch die Einlösung bürgerlicher Partizipationsansprüche. 18 Ein solches Reformkonzept zielte auf eine Überwindung des Dualismus von Staat und Gesellschaft ab, verband die Staatsbildung mit der Entstehung einer Staatsbürgergesellschaft. Die Kommunalreform erscheint nicht mehr als der bahnbrechende Akt, als welchen sie der politische Liberalismus in der Revolutionsperiode und in der frühen Zeit des Konstitutionalismus stilisiert. Sie kann ebensowenig als eine herausragende Einzelmaßnahme interpretiert werden, wie Otto Gierke noch vor dem Ersten Weltkrieg meinte, welche "die Zurückverlegung des Staates in das Volk, die Wandlung des amtlichen Staates in den genossenschaftlichen Staat"19 bewirkte. Die frühe preußische Kommunalgesetzgebung stellt sich dann viel17 Franz Mayer, Selbstverwaltung und demokratischer Staat, in: Demokratie und Verwaltung (= Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 50), Berlin 1972, S. 327340. So im Ergebnis auch Reinhart Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung 1791 bis 1848, München 1989, S. 562. Kritisch zum unhistorischen Verständnis kommunaler Selbstverwaltung Klaus Lange, Die Entwicklung des kommunalen Selbstverwaltungsgedankens und seine Bedeutung in der Gegenwart, in: Im Dienst an Recht und Staat. Festschrift für Werner Weber zum 70. Geburtstag, hrsg. von H. Schneider! V. Götz, Berlin 1974, S. 851 f. 18 Eine Deutung der preußischen Reformperiode, die vom politikwissenschaftlichen Ansatz staatsbildender Modernisierung ausgeht bei Paul Nolte, Staats bildung als Gesellschaftsreform. Politische Reformen in Preußen und den süddeutschen Staaten 1800-1820. Frankfurt!M.-New York 1990. Das Scheitern der Reformen sieht Nolte durch die Zuspitzung der Verfassungsfrage auf die Gewährung einer Nationalrepräsentation programmiert. Dazu auch Barbara Vogel, Verwaltung und Verfassung als Gegenstand staatlicher Reformstrategie, in: Gemeingeist und Bürgersinn. Die preußischen Reformen, hrsg. von B. Sösemann (= Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N.F. Beih. 2), Berlin 1993, S. 25-40. 19 Otto Gierke, Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin, in: JGVV, Bd. 36 (1912), H. 1, S. 369-378.

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mehr als integrales Element staats bildender Reform dar, die zwar ein gewisses Maß an staatsbürgerlicher Gleichheit auf den Weg brachte, deren politische Bedeutung freilich hinter der Wirkung einer gelungenen Einbindung der Stadtgemeinden in den Staat zurücktrat. Im Ergebnis waren die Städte nicht Inseln der "Selbstbestimmung,,20 im bürokratisch-monarchischen Staat, sondern Stützpunkte der Staatshoheit in einem Gebilde vielfältig differierender lokaler Herrschaftsgewalten.

2. Die Studie soll aufzeigen, daß der Impuls zur Kommunalreform seinen Ursprung in der Forderung nach "Wirksamkeit der Staatsverwaltung,,21 in den Gemeinden fand, wie es später offen im Gendarmerieedikt angesprochen wurde, das den bemerkenswerten, aber gescheiterten Versuch beinhaltete, die Staatsintegration durch eine Vereinheitlichung der Gemeindeverfassung voranzutreiben. Die Reform der Städteverwaltung fiel auf fruchtbaren Boden, weil sie einerseits nur mit einer geringen Opposition zu rechnen hatte - schließlich verzichtete der Staat auf seine patrimonialen Rechte -, andererseits waren trotz des kommunalen Verlusts der Gerichtsbarkeit und Polizei keine hartnäckigen Auseinandersetzungen abzusehen, da schon die Städteverfassung des 18. Jahrhunderts mit der Konzentration der örtlichen polizeilichen und justitiellen Funktionen beim Staat vorangeschritten war. 22 In dieser Hinsicht muß allerdings die Sonderstellung Berlins und somit die Probleme einer Verallgemeinerung berücksichtigt werden, da die preußische Hauptstadt durch ihre residenzialen und zentralörtlichen Aufgaben einem früheren und nachhaltigeren Zugriff des Staates ausgesetzt war. Durch die Hervorhebung des staatsintegrativen Impetus der Kommunalreform will die vorliegende Untersuchung nicht die rechtliche und politische Bedeutung der Konstituierung der eigenverantwortlichen körperschaftlichen Verwaltung in den Städten herunterspielen, sie jedoch aus einer traditionell einseitigen Bewertung entlassen. Die historische Forschung hält sich in der Regel zwar lange mit Interpretationsanstrengungen über die Einordnung der Reform auf, hebt die Verstaatlichung von Justiz und Polizei als rechtlichpolitischen Einschnitt hervor, der Analyse der konkreten Folgen und Wirkungen der Kommunalgesetzgebung sowie der sie begleitenden gemeindlich wirksamen Gewerbe- und Steuergesetzgebung geht sie aber aus dem Koselleck, Preußen, S. 565. Präambel zum Edikt wegen Errichtung der Gendarmerie 30. Juli 1812. GS 1812, S. 141 f. 22 Berthold Grzywatz, Residenziale Kommunaladministration im Zeitalter des Absolutismus. Die Konstituierung staatlich-städtischer Integration am Beispiel Berlins, in: ZfG, 46. Jg. (1998), H. 5, S. 406-431. 20

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Wege. Zu den Desideraten der politik- und sozialwissenschaftlich orientierten Historiographie gehört daher sowohl die Realität der kommunalen Selbstverwaltung Preußens in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens folglich werden die Urteile über die Umsetzung der Kommunalreform wie jene über ihren eigentlichen Charakter - noch immer durch ältere, häufig am Beispiel kleinerer Städte entwickelte Ergebnisse bestimmt23 -, als auch die Untersuchung der Konkretisierung der Rechtsnormen in der laufenden Verwaltungspraxis. Welche Aufgaben der Begriff der Gemeindeangelegenheiten im praktischen Verwaltungshandeln umschließt, bleibt ebenso ungeklärt, wie die faktische Reichweite staatlichen Einflusses in der Gemeinde. Im allgemeinen wird die staatliche Bindung der Kommunen - was vor allem für die ältere Forschung zutrifft - entweder überhaupt nicht wahrgenommen 24 bzw. als bürokratische Belastung des "kommunalen Konstitutionalismus,,25 abgehandelt oder man beläßt es in der neueren Forschung bei der bloßen Feststellung?6 Mitunter begnügt sich die Forschung mit dem Zurückgreifen auf den Polizeibegriff der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung des wilhelminischen Preußens. 27 Thomas Ellwein hat über die kommunale Selbstverwaltung der Bundesrepublik einmal geäußert, sie sei, auch wenn man nur ein eingeschränktes Demokratieverständnis zu Grunde legt, "demokratisch ein nullum,,?8 Diese 23 Ähnlich festgestellt bei Ilja Mieck, Preußen von 1807 bis 1850. Reformen, Restauration und Revolution, in: Handbuch der Preußischen Geschichte. Bd. 2, Das 19. Jahrhundert und große Themen der Geschichte Preußens, hrsg. von O. Büsch, Berlin-New York 1992, S. 109. Vgl. auch die bibliographischen Übersichten bei Sösemann, Die preußischen Reformen. Eine Bibliographie (1976-1992), in: Gemeingeist, S. 304 f. und bei Walter DemeI, Vom aufgeklärten Reformstaat zum bürokratischen Staatsabsolutismus (= Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 23), München 1993, S. 148 f., der den Schwerpunkt jedoch auf die Gesamtbewertung der Reform legt. 24 Siehe beispielsweise Hans Joachim Schoeps, Preußen. Geschichte eines Staates, 6 Berlin 1967, S. 122. 25 Heinrich Heffter, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert. Geschichte der Ideen und Institutionen, 2Stuttgart 1966, S. 95 f. 26 Christian Engeli/Wolfgang Haus, Quellen zum modemen Gemeindeverfassungsrecht in Deutschland (= Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Bd. 45), Stuttgart u. a. 1975, S. 102. 27 Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur defensiven Modemisierung der Reformära 17001815, München 1987, S. 460. 28 Ellwein, Kontrolle der Bürokratie oder Kontrolle durch die Bürokratie?, in: Probleme der Demokratie heute (= Politische Vierteljahresschriften, Sh.2), Opladen 1971, S. 170-179. Zitat, S. 175. Ellweins Einschätzung wird von Lange, Entwicklung, S. 851 f., bestätigt. Nach Lange kann die kommunale Selbstverwaltung nur begrenzt Gemeinsinn, Freiheit und demokratische Qualität als Attribute beanspruchen. Eine freiheitssichernde Funktion der Gemeinden setzt einerseits ein Eigenge-

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pomtlerte Sicht stützte sich nicht auf staatstheoretische oder verfassungsrechtliche Deduktionen, sondern ging von der Empirie kommunalen Verwaltungshandelns, der faktischen Machtverteilung zwischen der bürgerschaftlich gewählten Vertretungskörperschaft und dem lokalen Verwaltungsapparat aus. In gleicher Weise muß die historische Reflexion in den empirischen Verhältnissen der Gemeinden ihren Ausgang nehmen, nicht um das möglicherweise zutreffende Urteil Ellweins unkritisch zu bestätigen, aber um die Funktion und den politischen Charakter der Gemeindeverwaltung im 19. Jahrhundert näher zu bestimmen. Es gilt ihre Aufgabenstruktur, die Reichweite des übertragenen Wirkungskreises, die durch gesetzliche Regelungen abgesteckten Handlungsspielräume sowie die eröffneten Formen der Mitwirkung durch Wahlen und Mitarbeit, durch Öffentlichkeit, Information und Anhörung auszuloten. Wenn die preußischen Kommunalordnungen, von den späteren ideologischen Überlagerungen des Liberalismus befreit, als staatsbildende Reformmaßnahmen zu verstehen sind, fällt auf das Verhältnis von Staat und Bürger bzw. Staat und Gemeinde ein anderes Licht. Der von Unruh beklagte Mangel integrativer Institutionen, der sich vor allem in der Krisensituation der vierziger Jahre bemerkbar machte, entsprach zumindest in den unter die Städteordnungen fallenden Gemeinden nicht der politisch-administrativen Realität. Die Praxis kommunaler Selbstverwaltung entwickelte eine enge staatlich-kommunale Verflechtung, die sowohl in der Gemeindebürokratie als auch im Stadtbürgertum eine wirksame Stütze fand, ohne daß eine einseitige Instrumentalisierung der Kommunen durch den Staat stattfand. Wie die Verwaltungsreform den Weg der "verordneten Partizipation",29 einer von oben eingeführten Teilhabe auf örtlicher Ebene beschritt, deren Motivierung sowohl in allgemeinen politisch administrativen Bedürfnissen des Staates als auch in den Erfordernissen des gemeindlichen Subsystems zu suchen war, erschöpften sich die Absichten der Reformbürokratie nicht in der technokratischen Erwägung, die darniederliegende Kommunaladminiwicht der Kommunen, andererseits eine gewisse Breite der Interessenwahmehmung der Kommunen voraus, die real nicht gegeben ist. Gemeinsinnfördernde bürgerschaftliche Partizipation verlangt wiederum nach einem Eigengewicht der Gemeinden, das ebenfalls nicht vorhanden ist. A. a. 0., S. 866 ff. 29 Wilfried Nelles/Henning von Vieregge, Partizipationsforschung - wozu und wohin?, in: Partizipation-Demokratisierung-Mitbestimmung. Problemstellung und Literatur in Politik, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft. - Eine Einführung, hrsg. für die Studiengruppe Partizipationsforschung, Bonn von U. von Alemann (= Studienbücher zur Sozialwissenschaft, Bd. 19), Opladen 1975, S. 279. Vgl. auch die im Vergleich paradigmatischer Argumentationen zum Zusammenhang von Demokratiebegriff, Ursachen und Wirkungen von Partizipationsforderungen entwickelte pluralistisch-integrative Argumentation bei Alemann, Partizipation, Demokratisierung, Mitbestimmung - Zur Problematik eines Gegenstandes, in: A. a. 0., S. 27 ff.

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stration zu reorgamsleren. Sie setzte bewußt auf die Sozialisationswirkungen der angeordneten Teilhabe, um langfristig die Kontinuität verantwortlichen und selbsttätigen HandeIns in den Städten zu wahren. Dabei müssen die Konfliktlinien zwischen dem eigenverantwortlichen Handeln des kommunalen Bürgertums und den staatlichen Anforderungen nachgegangen werden. Entwickelten sich durch die Dynamik stadtbürgerlichen Wirkens Brüche, die den Rahmen der integrativen Funktion der Selbstverwaltung sprengten? War gemeindliches Handeln mehr als ein staatlich provoziertes Steuerungsinstrument, das als Bestandteil staatlicher Problemlösungsstrategien die Beweglichkeit und Effizienz des politisch-administrativen Systems erhöhte? Die Antworten müssen Aussagen über die Integrationsqualität der Kommunalordnungen, über ihren Beitrag zum Bestand des politischen Systems treffen. Der bürokratisch-monarchische Staat, selbst wenn er alle Möglichkeiten eines ausgeklügelten Polizeisystems nutzte und mit einem nur schwach entwickelten politischen Bewußtsein der Bevölkerungsschichten rechnete, konnte über einen längeren Zeitraum kaum ohne Mechanismen politischer Integration auskommen, zumal wenn seine modernisierende Initiative eine Revolutionierung der Gesellschaft abwenden und den Übergang in eine dem Zeitgeist verpflichtete bürgerliche Verfaßtheit bewirken sollte. War die kommunale Ordnung in dieser Hinsicht ein funktionales Instrument, wenngleich sich am Ende ihrer Geltungsdauer eine Revolution entzündete? Der Diskurs über den integrativen Charakter der Selbstverwaltung ist zugleich eine Auseinandersetzung über ihre möglicherweise transzendierende Kraft. Reinhart Koselleck hat die Selbstverwaltung und das Stadtbürgerrecht als "Hort der Freiheit" im monarchisch-bürokratischen Staat charakterisiert. Das Städterecht war seiner Ansicht nach republikanischer, wenn nicht demokratischer Natur. Die Selbstverwaltung wurde zum "so nicht gedachten" Kern der bürgerlichen Verfassungsbewegung. In den Stadtverordneten-Versammlungen sieht Koselleck organisatorische Plattformen, von denen aus das Bürgertum seine Forderungen weit geschlossener vortragen konnte als durch die Landtage. 3o Allein durch die Selbstverwaltung fand das städtische Bürgertum die Möglichkeit, den eigenen Forderungen wie der politisch-sozialen Krise der vierziger Jahre einen Ausdruck zu geben, während die Bürger in den Kommunalvertretungen ein repräsentatives und gesetzliches Podium fanden. Der preußische Staat, so das resümierende Urteil Kosellecks, hatte sich mit den Regeln der städtischen Selbstverwaltung seinen eigenen Konstitutionalismus erzogen, die Schule zur Selbstverwaltung in eine Vorschule gesamtstaatlichen Verfassungsdenkens umgewandelt. 30 Vgl. hierzu Koselleck, Preußen, S. 583-585. Im Ergebnis auch Heffter, Selbstverwaltung, S. 212 f.

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Kosellecks Analyse geht konzeptionell von einer klaren Trennung von Staat und Gemeinde aus, die jedem das seine zuwies: die Stadt dem Bürger, das allgemeine Wohl dem Staat. Die Polizei betrachtet er einerseits als bevormundende Bedrohung der Städtefreiheit, andererseits als staatliches Interventionsinstrument zur Durchsetzung politischer Innovationen. 31 Insofern verband sich mit der preußischen Städteordnung eine politikwirksame "Elastizität". Die Erklärung wirft neue Fragen auf, da keine Klarheit darüber geschaffen wird, wie sich trotz der zur Verfügung stehenden Steuerungspotentiale des Staates gerade im Schoße der Selbstverwaltung die politische Krise der Monarchie artikulieren kann. Bei Koselleck zeigt sich die Problematik, Selbstverwaltung als Freiheitsrecht zu definieren, in seiner ganzen Breite, wenn er das Nebeneinander verschiedener Städteordnungen in Preußen interpretiert. Es liegt in der Logik des Freiheitsrechts, die Gemeindegesetze unterschiedlichen Stufen von Demokratie- oder Republikgehalt zuzuordnen und diese wiederum in Abhängigkeit von der politisch-sozialen Struktur des Geltungsgebiets zu sehen. 32 D. h. mit zunehmender Verbürgerlichung bzw. Industrialisierung der Gesellschaft wachsen die Aufsichtsbedürfnisse des monarchischen Staates, folglich muß die demokratische Qualität einer Kommunalordnung im staatlichen Interesse abnehmen. Der freiheitliche Charakter des Kommunalrechts nimmt bei Koselleck in Analogie zur differierenden sozialökonomischen Entwicklung von Osten nach Westen im gleichen Maße ab wie die staatlichen Aufsichtskompetenzen zunehmen. Die Mechanik derartiger Erklärungen verdeutlicht die Grenze sozialwissenschaftlicher Betrachtung, wenn die politisch-rechtlichen Strukturen eines Systems und ihre Entwicklung in den Blick geraten. Vor dem Hintergrund der hier angesprochenen Probleme versagt diese Zugriffsweise ebenso hinsichtlich der späteren Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung wie ihrer Verortung in der vormärzlichen Politik. Die Politisierung der vormärzlichen Stadtgesellschaft dürfte zu einem nicht unerheblichen Maße außerhalb der Enge der Kommunaladministrationen stattgefunden haben. Davon zeugen die vielfältigen Formen bürgerlicher Selbstorganisation, die nach Koselleck zwar die neue Gesellschaft, aber eben auf Grund ihrer Mannigfaltigkeit kein repräsentatives Organ bilden konnten. Den politischen Antrieb fand diese Bewegung im uneingelösten Verfassungsversprechen der preußischen Monarchie und damit in der enttäuschten Hoffnung des Bürgertums, an der Gesetzgebung und an der Steuerbewilligung teilnehmen zu können. Die Kommunalorgane konnten sich zugegebenermaßen nicht der Politisierung entziehen. 31 32

A. a. 0., S. 566. A. a. 0., S. 582.

3 Grzywatz

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Es ist aber die Frage, ob die Kommunalkörperschaften, unabhängig von den politischen Ambitionen einzelner Stadtverordneter, auf Grund ihrer Stellung als "Ortsobrigkeit" bzw. als bürgerschaftliche Repräsentation gezwungen waren, sich der gesellschaftlichen Politisierung zu stellen, da sie andernfalls Einfluß und Kompetenz verloren hätten. Die Rolle der Selbstverwaltung in der Revolution wird sich daran ablesen lassen, wie sie ihr eigenes Selbstverständnis reflektiert. Stellte sie beispielsweise ihre eigene Legitimität in Frage, da sie auf der Basis eines korporativen Wahlrechts gewählt war, mithin keine Vertretung der Stadtbevölkerung darstellte? Suchte die Selbstverwaltung, soweit die politische Verfassung der Kommunen unmittelbar betroffen war, stadtbürgerliche in staatsbürgerliche Teilhabe umzumünzen und damit eine Erweiterung der Partizipationschancen in der Gemeinde den Weg zu bereiten? Die Beantwortung dieser Fragen wird auf die Ausgangsthese über den demokratisierungsfeindlichen Charakter der kommunalen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert zurückführen.

3. Die staats zentrierte Forschungsperspektive trägt vermutlich die Verantwortung dafür, daß sich bis in die neueste Zeit das Urteil von der fachlichen Unzulänglichkeit der kommunalen Selbstverwaltung in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens erhalten hat. Das städtische Bürgertum war angeblich durch die unerwartete Freiheit überfordert, verständnislos, gleichgültig, ohne Gemeinwohlorientierung und insbesondere nicht in der Lage, eine geordnete Kommunaladministration zu entwickeln, so daß vielerorts staatliche Nachhilfe unumgänglich war. 33 Resümiert man den staatszentrierten Blick auf die kommunale Selbstverwaltung, ist also mit einiger Überraschung festzustellen, daß die preußische Städteordnung den Gemeinden die Freiheit brachte, diese Freiheit nicht gewollt war, trotzdem wurde sie wirk33 Heffter, Selbstverwaltung, S. 96 f. Koselleck, Preußen, S. 565 f. u. 568 f. Mieck, Die verschlungenen Wege der Städtereform in Preußen (1806-1856), in: Gemeingeist, S. 72 f. Von den älteren Urteilen, die alle in der Tradition liberalbürgerlicher Selbstvergewisserung am Ende des Kaiserreichs stehen, seien genannt Paul Clauswitz, Die Städteordnung von 1808 und die Stadt Berlin. Festschrift zur 100jährigen Gedenkfeier der Einführung der Städteordnung, Berlin 1908, S. 104 f. u. 142 f. Wilhelm Gundiaeh, Geschichte der Stadt Charlottenburg, Bd. 1, Darstellung, Berlin 1905, S. 296 ff. Heinrich Wendt, Die Steinsehe Städteordnung in Breslau. Denkschrift der Stadt Breslau zur Jahrhundertfeier der Selbstverwaltung, T. I, Darstellung, T. 2, Quellen, Breslau 1909, S. 70 ff. Johannes Ziekursch, Das Ergebnis der friderizianischen Städteverwaltung und die Städteordnung Steins, am Beispiel der schlesischen Städte dargestellt, Jena 1908, S. 148 ff. Zur Problematik der älteren öffentlichen Auftragsforschung vgl. Grzywatz, Geschichtsforschung aus öffentlicher Hand. Zu den Aufgaben einer örtlichen Stadtgeschichtsschreibung im Metropolenumfeld, in: Stadtgeschichte als Kulturarbeit. Beiträge zur Geschichtspraxis in Berlin-Ost und -West, hrsg. von dems.u.a., Berlin 1991, S. 49-75.

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sam, machte die Stadtverwaltungen zu Gerüsten einer Art von staatsbürgerlicher Gesellschaft und die Städte überhaupt zu Hochburgen des liberalen Konstitutionalismus sowie bürgerlichen Selbstbewußtseins. Obwohl das Bürgertum dazu keinen Grund hatte, war es doch bis in die vierziger Jahre hinein nicht fähig, seine eigenen Angelegenheiten eigenverantwortlich zu erledigen. Der Staat aber, der alles andere als eine Revolutionierung der Gesellschaft wollte, hat dieser Entwicklung nichtsdestotrotz Vorschub geleistet, indem er die Grundlagen im Kommunalrecht schuf. Warum er auf ungewollte Veränderungen nicht reagierte und einen Gegenkurs steuerte, verbleibt ebenso im Ungewissen wie die Aufklärung der Ursachen einer im kommunalen Handeln begründeten Politisierung des Stadtbürgertums. Der staatszentrierte Forschungsansatz vernachlässigt, so paradox es klingen mag, gerade die staatlichen Reformmotive?4 Aus den Äußerungen der Reformer ist der desolate Zustand der preußischen Städteverwaltung im Spätabsolutismus weithin bekannt. Die steuerrätliche Administration hatte vor allem zu einer völligen Unübersichtlichkeit des kommunalen Steuer-, Finanz- und Kassenwesens geführt, ordentliche Stadthaushalte waren eher die Ausnahme 34a. Die gemeindliche Selbstverwaltung übernahm kein geordnetes Kommunalwesen. Ihre Etablierung stellte auch keinen bloßen Wechsel in den Verwaltungsspitzen dar, es mußte vielmehr ein weitgehend neues Verwaltungssystem aufgebaut werden, das zwar an ältere Formen bürgerlicher Beteiligung wie das Deputierten- und Stadtverordnetenamt und die abhängige Magistratsverwaltung anknüpfen,35 aber 34 Die verwaltungsorganisatorische Dimension der Reform gerät in der Forschung häufig zugunsten der Rezeption der geistig-politischen Grundlagen des Reformwerks in den Hintergrund. Die mangelhafte Einbindung der politisch-pädagogischen Zielsetzungen in den konkreten administrativen Reformprozeß dürfte aber in den meisten Fällen Ursache für Mißdeutungen sein, genannt sei hier an erster Stelle die Überschätzung des Selbstverwaltungsgedankens. Vgl. etwa Hendler, Selbstverwaltung, S. 14 f. 34. Einzelne Hinweise finden sich neuerdings bei Nicolas Rügge, Im Dienst von Stadt und Staat. Der Rat der Stadt Herford und die preußische Zentral verwaltung im 18. Jahrhundert (= Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 15), Göttingen 2000, S. 265 ff.; ihre allgemeine Bewertung wird jedoch durch den prosopographischen Ansatz der Arbeit erschwert. 35 Zu Recht wird die von Franz Steinbach und Erich Becker - Geschichtliche Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, Bonn 1932, S. 72 ff.; an Steinbach/Becker anknüpfend, Fritz Voigt, Die Selbstverwaltung als Rechtsbegriff und juristische Erscheinung (= Leipziger rechtswissenschaftliche Studien, H. 110), Leipzig 1938, S. 28 ff. - vertretene These über den "grundsätzlichen Zusammenhang der Gemeindeverfassung des 19. Jahrhunderts mit dem der älteren deutschen Rechtsentwicklung", soweit sie eine Verbindung zur altdeutschen Städtefreiheit herstellt, in ihrer Allgemeinheit kritisiert. Vgl. Ernst Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. 1, Allgemeiner Teil, IOMünchen 1973, S. 471 f. Hendler, Selbstverwaltung, S. 15. Trotzdem sollte diese Kritik die verschiedenen Formen lokaler Selbsttätigkeit in ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Kommunal3*

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nicht auf eine eingeübte, institutionell durchgeformte Praxis bürgerschaftlicher Verwaltung zurückgreifen konnte. Zudem gerät die Städteordnung in ihrem Charakter als Gemeindegesetz, das die Verhältnisse der neuen Selbstverwaltung umfassend regeln sollte, mitunter aus dem Blickfeld. Es wird zwar häufig auf Schwierigkeiten bei der Ausführung und auf Kritik an der Kommunalordnung hingewiesen,36 die demokratieorientierte Steinrezeption sieht im Städtegesetz gar eine "extreme Lösung", die Änderungen, Einschränkungen und Verbesserungen notwendig machte,37 hierbei handelt es sich aber um Verallgemeinerungen, die aus der Sicht der späteren Gesetzesrevision vorgenommen werden. Es fehlt dagegen an einer kritischen Interverfassung und -organisation nicht außer Acht lassen. Eine größere Vielfalt lokaler Studien könnte helfen, auf diesem Gebiet zu differenzierteren Einsichten zu gelangen. Franklin Kopitzschs Forderung nach einer genaueren Untersuchung der preußischen Rechts- und Verwaltungswirklichkeit wartet nach wie vor auf seine Einlösung. Vgl. ders., Die Sozialgeschichte der deutschen Aufklärung als Forschungsaufgabe, in: Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland, hrsg. von dems., München 1976, S. 54. Für eine solche Forschungsperspektive ist der Hinweis Gerd Heinrichs, Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, Frankfurt/M.-BerlinWien 1981, S. 314, zu beachten, das Bürgertum wäre bereits unter dem Reformabsolutismus des 18. Jahrhunderts "zu Kräften und zu Selbstbewußtsein" gekommen. Wichtige Anregungen für die Entwicklung des schichtenspezifisch differenzierten Verhältnisses vom monarchisch gesinnten treuen Untertan zum selbstbewußt politisch handelnden Staatsbürger finden sich auch bei Wolfgang Neugebauer, Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Ständen zum Konstitutionalismus, Stuttgart 1992. Vgl. auch das von Brigitte Meier entwickelte Projekt zur kommunalen Selbstverwaltung in Preußen, das sich insbesondere bemüht, die Politisierun~. des preußischen Stadtbürgertums für die Zeit vor 1840 nachzuweisen. Siehe Der Ubergang zur kommunalen Selbstverwaltung in den brandenburgischen Städten. Vom getreuen Untertan seiner Majestät zum aufgeklärten Liberalen, in: IMS, Jg. 1995, H. 2, S. 39 ff. Nunmehr zusammengefaßt, wenngleich mit dem Akzent, die kommunalstädtische Ebene als "Übungsfeld" des politischen Frühliberalismus zu bestätigen, dies., Das brandenburgische Stadtbürgertum als Mitgestalter der Modeme. Die kommunale Selbstverwaltung und die politische Kultur des Gemeindeliberalismus (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 44), Berlin 2001. In komparativer Hinsicht B. Meier/H. Schultz, Die Wiederkehr des Stadtbürgers. Städtereform im europäischen Vergleich 1750-1850, Berlin 1994. Die aus dem Sonderforschungsbereich der Universität Bielefeld zur Sozialgeschichte des neuzeitlichen Bürgertums hervorgegangene Studie von Hans-Walter Schmuhl, Die Herren der Stadt. Bürgerliche Eliten und städtische Selbstverwaltung in Nümberg und Braunschweig vom 18. Jahrhundert bis 1918, Gießen 1998, verfolgt mit einem prosopographischen Ansatz eher sozialgeschichtliche Ziele, indem die Sozialformationen und Beziehungsnetze städtischer Führungsgruppen im Zusammenhang des bürgerlichen Klassenbildungsprozesses untersucht werden. 36 Engeli/Haus, Quellen, S. 102 f. Unruh, Die Veränderungen der Preußischen Staatsverfassung durch Sozial- und Verwaltungsreformen, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S. 461. 37 August Krebsbach, Die Preußische Städteordnung von 1808 (= Neue Schriften des Deutschen Städtetages, H. 1), Stuttgart-Köln 1957, S. 37 ff.

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pretation der preußischen Kommunalgesetzgebung, welche in den konkreten Problemen der kommunalen Verwaltungspraxis ihren Ausgang nimmt. Immerhin wird aus der Sicht der Novellierung des Kommunalgesetzes deutlich, daß die erste Städteordnung durch unzureichende Kompetenzregelungen innerstädtische Konflikte wenn nicht provozierte, so doch grundsätzlich nicht ausschloß, und die staatliche Kommunalaufsicht einer dringenden Konkretisierung bedurfte. Die Frage, durch welche praktischen Anlässe, Motive und Ziele die innerstädtischen Auseinandersetzungen ausgelöst wurden, welche Bedeutung sie für die innerörtlichen Macht- und Herrschaftsverhältnisse einnahmen und welche Auswirkungen die politische Tendenz dieser Konflikte auf die staatlichen Zielsetzungen hatte, insbesondere im Hinblick auf die Integrationsfunktion der Kommunalordnung, findet bislang in der Forschung wenig Niederschlag. Bei Reinhart Koselleck findet sich der bemerkenswerte Hinweis, daß die Gewerbefreiheit den anfänglichen Elan der Selbstverwaltung entscheidend bremste. 38 Die konsequente Reforrnierung der preußischen Gewerbeverfassung, die dem Bürger rigoros "Selbständigkeit" abverlangte, stellte die städtischen Erwerbsschichten und die Gemeindeverwaltungen vor erhebliche Probleme. Die sozialen und ökonomischen Folgen der Gewerbefreiheit forderten zu ebenso kritischen wie oppositionellen Haltungen gegenüber dem wirtschaftspolitischen Kurs der Ministerialbürokratie heraus, während die Selbstverwaltung sich einerseits mit administrativen und finanziellen Belastungen, andererseits mit Fraktionierungen des Stadtbürgertums konfrontiert sah, welche bis in die Kommunalkörperschaften hineinwirkten. Die Städteordnung hatte unter anderem die Aufgabe, die innere Organisation der Gemeindeverwaltung festzulegen. Sie gab jedoch weder über den Umfang der Kommunalangelegenheiten abschließend Auskunft noch traf sie hinreichend effiziente Regelungen zur Abgrenzung der Aufsichts-, Kontroll- und exekutiven Funktionen in der Selbstverwaltung. 39 Der Aufbau der kommunalen Verwaltungsorganisation muß als eine genuine Leistung des Stadtbürgertums betrachtet werden. Sie findet ihre konsequente Fortsetzung in der kommunalen Leistungsverwaltung des späteren 19. Jahrhunderts 38 Koselleck, Preußen, S. 587. Vgl. auch Ziekursch, Städteordnung, S. 195. Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die Reformpolitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810-1825) (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 57), Göttingen 1983, S. 165 f., die allerdings den rechtlichen Status der Schutzverwandten und damit das Verhältnis von Bürgern und Schutzverwandten falsch einschätzt. 39 Die Forschung begnügt sich in dieser Hinsicht häufig nur mit dem Hinweis auf Gesetzeslücken. Vgl, Mieck, Wege, S. 70. Engeli/Haus, Quellen, S. 103. Heffter, Selbstverwaltung, S. 213, der die Deklarationen zur Städteordnung im übrigen als Versuche der Ministerialbürokratie interpretiert, den recht weit gesteckten Raum bürgerlicher Freiheit wieder einzuengen.

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allerdings weniger im Wege kommunaler Autonomie als in funktionaler Verknüpfung mit dem Staat. Am Beispiel des kommunalen Finanz- und Kassenwesens sollen die Schwierigkeiten bei der Entwicklung eines transparenten Haushaltswesens in den Städten gezeigt werden, die ein Exempel sowohl für die praktische Kanalisierung der innergemeindlichen Kompetenzverteilung als auch der Leistungsfähigkeit der Selbstverwaltung in ihrer funktionalen Differenzierung zwischen ausführenden und kontrollierenden Aufgaben, zwischen bürgerschaftlicher Teilhabe und Professionalisierung sind. Im Ergebnis produziert gerade der Aufbau einer leistungsfähigen Kommunalverwaltung bürgerliches Selbstbewußtsein. Die faktische Verwirklichung eigenverantwortlichen Kommunalhandelns konstituiert eigentlich erst die Selbstverwaltung und verleiht ihr eine Eigendynamik, die den Umfang der Gemeindeangelegenheiten in einem ständigen Auf und Ab kommunaler Ansprüche hinterfragt. Durch den Politisierungsschub, den das Gemeindewesen infolge der Märzrevolution und der Konstitutionalisierung erfuhr, wurde der Umfang der Kommunalangelegenheiten selbst zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Die Gemeinde des Konstitutionalismus politisierte die Definition des örtlichen Wirkungskreises, kulminierend im radikalliberalen Verlangen nach Entstaatlichung des Städtewesens. Zugleich wurde die Gemeinde zunehmend zum Objekt parteipolitischer Einflußnahme, da sie den Ausgangspunkt landes- und später auch reichspolitischer Mobilisierung bildete. Soweit Berlin Forschungsgegenstand ist, muß die besondere Situation der Landeshauptstadt berücksichtigt werden. Die Einführung der körperschaftlichen Gemeindeverwaltung war hier mit einer Kommunalisierung kostenträchtiger Verwaltungsaufgaben verbunden. Die Übernahme vormals staatlich regulierter örtlicher Aufgaben betraf in Berlin vor allem die Armenfürsorge, die zunächst allerdings nur formell, nicht aber faktisch als kommunale Pflicht übernommen wurde, da weiterhin erhebliche staatliche Zuschüsse in den Etat des städtischen Armenwesens flossen. Das allgemeine Bevölkerungswachsturn und die im Gefolge der Gewerbefreiheit und Freizügigkeit ausgelöste erhöhte Zuwanderung führte zu einer außerordentlichen Steigerung der armenpflegerischen Gemeindeaufwendungen, auf die das Stadtbürgertum im Verein mit den Kommunalkörperschaften mit einer restriktiven Niederlassungs- und Steuerpolitik reagierte. Gleichzeitig führte der auf die veränderten Gewerbe- und Sozialverhältnisse reagierende politisch-theoretische Diskurs zu sozialkonservativen Ordnungsvorstellungen, deren Einfluß sich bei der Überarbeitung der Gewerbeordnung bemerkbar machte. 4o Die 40 Ein zusammenfassender Überblick zur Gewerbepolitik bei Karl Heinrich Kaufhold, Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert (bis zum Erlaß der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund 1869) und ihre Spiegelung in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland, in: Gemeingeist, S. 137-160.

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Darstellung wird den Polen der Kommunaldebatte besondere Aufmerksamkeit schenken, die unterschiedlichen Zielsetzungen deutlich machen und insbesondere die Reaktion der Selbstverwaltungsorgane auf die Bandbreite der eher retardierenden Konzeptionen im Stadtbürgertum aufzeigen. Es ist eine besondere Frage, welche strukturelle Aufgabe die Kommunalkörperschaften in den innergemeindlichen Konflikten ausübten. War es mit der spezifischen Form kommunaler Verwaltungsorganisation letztlich gelungen, den im politischen Alltag erforderlichen Ausgleich zwischen den Fraktionierungen des Stadtbürgertums zu institutionalisieren? Leistete die Selbstverwaltung bei ihren vermittelnden Versuchen, die Rigorosität des gewerbepolitischen Wandels abzumildern und für eine vorsichtigere Modernisierung zu werben, nicht eine wichtigen Beitrag zur inneren Stabilität des politischen Systems? Wenn sich gemeindliches Handeln zunehmend als genuines Ordnungselement erwies, mußte der kommunalen Ordnung eine wichtige Stellung in gesellschaftlichen Krisensituationen eingeräumt werden. Diese Annahme führt auf die Frage zur Rolle der Selbstverwaltung in der Märzrevolution zurück. Die Darstellung wird sich dem Problem zuwenden, mit welchen Mitteln die Gemeindeverwaltung auf die soziale Seite der Märzkrise reagierte und welche politischen Instrumente sie entwickelte, den sozialen Ursachen der gewaltsamen Entladung einer zugespitzten frühindustriellen Wirtschaftskrise entgegenzusteuern und auf diese Weise ihre Position als unentbehrliches Element staatlicher Integration zu unterstreichen. 41 Die Selbstverwaltung wäre somit nicht revolutionäre Plattform, sondern ausgleichendes Forum gemäßigter Modernisierung. Das traf nicht zuletzt auf die Gemeindeverwaltung selbst zu: Sie beugte sich dem Wunsch nach Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen und Intensivierung der bürgerschaftlichen Teilhabe, indem man dem Stadtbürgertum einen größeren Einblick in die Abläufe kommunaler Meinungsbildung gewährte. Zum Verhältnis von Gewerbeverfassung, struktureller Wirtschaftskrise und Revolutionsentwicklung, Jürgen Bergmann, Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800, Frankfurt/M. 1988. Handwerker und Arbeiter 1848/49 (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für modeme Sozialgeschichte, Bd. 42), Stuttgart 1986, S. 85 ff. u. 173 ff. Friedrich Lenger, Sozialgeschichte der deutschen Handwerker seit 1800, Frankfurt/M. 1988, S. 68 ff. Sozialkonservatives, gegen die marktwirtschaftliehe Selbstregulierung gerichtetes Denken im Stadtbürgertum zeigt Philipp Sarasin am Beispiel der Stadt Basel in seiner Studie Stadt der Bürger. Bürgerliche Macht und städtische Gesellschaft. Basel 184~1914, 2Göttingen 1997, hier insbesondere S. 265 ff. 41 In der neuen Revolutionsstudie von Rüdiger Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik- und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997, S. 437 ff., werden integrative Maßnahmen der Selbstverwaltung wie Arbeitsbeschaffungsprogramme zu einseitig als Revolutionsprophylaxe und Pazifizierungsanstrengung beurteilt. Kritisch zu Hachtmanns Einschätzung Grzywatz, Zur Bewertung der Revolution von 1848/49, in: AfK, 37. Jg. (1998), HBd. 2, S. 364-371.

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Die im kommunalen Diskurs zur Gewerbeverfassung festgestellte Fraktionierung des Stadtbürgertums führt zur Frage nach den sozialen Trägem der Selbstverwaltung. Welche Schichten des Stadtbürgertums dominierten die Kommunalvertretungen der vormärzlichen Stadtgesellschaft und des konstitutionellen Preußen?42 Welchen Wandlungen unterlag die soziale Zusammensetzung der hauptstädtischen Stadtverordneten-Versammlung im Prozeß der Stadtentwicklung? Waren diese Veränderungen die Folgen eines strukturellen gesellschaftlichen Wandels, der in einem ursächlichen Zusammenhang mit den sozialen Konsequenzen der Industrialisierung standen, oder waren hierbei auch politisch-rechtliche Normsetzungen von Bedeutung? Die preußische Städteordnung machte das Gewerbe- und Besitzbürgertum obligatorisch zu den tragenden Schichten des kommunalen Verwaltungshandeins, indem sie, ausgehend von einem statischen, eigentumsorientierten Begriff der Ansässigkeit,43 die besitzbürgerlichen Schichten sowohl zum Erwerb des Bürgerrechts als auch zur Übernahme von Gemeindeämtern verpflichtete. Die übrigen Gruppen und Schichten der städtischen Bevölkerung waren vom Erwerb des Bürgerrechts nicht ausgeschlossen. Unter der Voraussetzung, daß der kommunalrechtlich vorgeschriebene Zensus erfüllt wurde, konnte jedes ortsansässige Mitglied der Stadtgemeinde den Bürgerstatus erwerben und vom kommunalen Wahlrecht Gebrauch machen. Die Städteordnung spaltete die städtische Gesellschaft, wie die neuere historische Forschung wiederholt behauptet,44 prinzipiell nicht in politisch geschiedene Klassen. Im Gegensatz zu den gewerbe- und besitz bürgerlichen Schichten bestand für die übrigen Stadtbewohner, die in Beziehung auf das Gemeindeverhältnis zu Schutzverwandten erklärt wurden, nur nicht die Pflicht zur bürgerschaftlichen Teilhabe, während sie dem Zwang, an den kommunalen Diensten und Ämtern mitzuwirken, lediglich eingeschränkt unterlagen. Den Staatsbeamten, Rechtsanwälten und Notaren blieb der Zugang zu den leitenden Positionen in den Kommunalverwaltungen ausdrücklich verwehrt, das passive Wahlrecht war ihnen indessen zumindest formell nicht genommen. 42 Hierzu neuerdings Manfred A. Pahlmann, Anfänge des städtischen Parlamentarismus in Deutschland. Die Wahlen zur Berliner Stadtverordnetenversammlung unter der Preußischen Städteordnung von 1808, Berlin 1997. Auf Grund methodologischer Schwächen und analytischer Kurzschlüssigkeit ist diese Studie problematisch. Darauf wird zurückzukommen sein. 43 Zum verfassungstheoretischen Hintergrund Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert. Zeitgebundene Fragestellungen und Leitbilder, Berlin 1961. 44 Vgl. beispielsweise Koselleck, Preußen, S. 572 f., der von einer "künstlichen Ausschließung der geistlichen Honoratioren" spricht. Ebenso Wehlers Annahme von einem politisch-sozialen Dreiklassenmodell in der preußischen Gemeinde, siehe GeseIlschaftsgeschichte, Bd. I, S. 459 f. Vgl. auch Hachtmann, Berlin 1848, S. 589.

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Konterkarierte das Theorem vom angesessenen Bürger als Keimzelle eigenverantwortlichen Handeins in der Gemeinde etwa die integrative Funktion der Kommunalordnung und überschätzte die Ministerialbürokratie in Beziehung auf die nicht zum Besitzbürgertum zählenden Schichten nicht die Wirkungsträchtigkeit der Gemeinsinnbildung in der Kommune? Hier muß die Untersuchung nach Impulsen fragen, die von der Selbstverwaltung ausgingen, um ihre eigene soziale Grundlage zu verbreitern. Gab es vor allem im Vormärz Bestrebungen das bildungsbürgerliche Potential der Selbstverwaltung nutzbar zu machen, zumal Effizienzbedürfnisse ein ursprüngliches Element der Verwaltungsreorganisation bildeten. Wenn es derartige Versuche gegeben hatte, wird zu prüfen sein, inwieweit von dem Bemühen einer sozialen Ausdehnung der Selbstverwaltung Anstöße ausgingen, die Partizipationschancen in der Gemeinde zu verallgemeinern. 45 War die stadtbürgerliche Gemeinde eine tendenziell offene Gesellschaft, die politisch auf eine zunehmend erweiterte Reproduktion angelegt war und die Partizipation als "Ausweitungen politischer Artikulation und Beteiligung,,46 begriff, oder zeigte sich schon in der vormärzlichen Gesellschaft ein politischer Immobilismus des liberalen Stadtbürgertums, der sich Weiterungen politischer Teilhabe verweigerte? Im Hinblick auf das Wahlverhalten des Stadtbürgertums ist analytisch zu ergründen, ob die Sozialstruktur des politisch partizipierenden Teils der Stadtgesellschaft in den Kommunalvertretungen abgebildet wurde oder ob es keine geschlossenen schichtenspezifischen Entscheidungen gab, die Wähler beispielsweise jenen Gruppen des Stadtbürgertums ihre Stimme gaben, die sie auf Grund ihrer Wohlhabenheit für ebenso fähig und kompetent wie geeignet zur Ausübung kommunaler Ämter hielten. 4. Das nachrevolutionäre Kommunalrecht setzte in den östlichen Provinzen Preußens endgültig die Einwohnergemeinde durch, verband die politische Teilhabe in der Gemeinde jedoch mit einem Wahlrechtsmodell, das zwar 45 Allgemein zum Verhältnis von städtischem Liberalismus und Kommunalwahlrecht James 1. Sheehan, Der deutsche Liberalismus. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg 1770-1914, München 1983, S. 268 f. Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1988, S. 208 f. Zur Herausbildung des Kommunalliberalismus vgl. E. Fehrenbach, Die Entstehung des "Gemeindeliberalismus", in: Verwaltung und Politik in Städten Miueleuropas. Beiträge zur Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in altständischer Zeit, hrsg. von W. Ehbrecht, Köln-Weimar-Wien 1994, S. 255-270. 46 Peter Steinbach, Probleme politischer Partizipation im Modemisierungsprozeß, in: Ders. Tit., hrsg. von dems. (= Geschichte und Theorie der Politik, Bd. 5), StuUgart 1982, S. 7-19.

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generell VOn der Allgemeinheit des Wahlrechts ausging, aber die konkrete Wahrnehmung der politischen Rechte nach der Steuerleistung qualifizierte. Die gleichzeitige Erschwerung des Zugangs zum Wahlrecht durch eine Erhöhung des Zensus wurde weitgehend als zeitgemäße, den ökonomischen Realitäten angepaßte Korrektur des älteren Wahlrechtszensus der ersten Städteordnung verstanden. Die Darstellung wird sich der Frage stellen müssen, ob sich die politischen Leitlinien des Stadtbürgertums lediglich auf eine solche Korrektur beschränkten, es mithin in den Gemeinden im wesentlichen um die Erhaltung des politischen Status quo ging oder ob die Wahlrechtsfrage von Beginn an durch die Rezeption älterer Partizipationsmodelle beeinflußt war, die in viel rigoroserer Form mit sozialen Beschränkungen der politischen Teilhabe verbunden waren. Es ist hierbei ebenso an die Wahlrechtskonzepte der preußischen Ministerialbürokratie für die gescheiterte Nationalrepräsentation wie an das Wahlrecht zu den Provinzialständen zu denken, welches das passive Wahlrecht nach der Größe und Ertragsfähigkeit des Grundbesitzes und Gewerbebetriebs sowie nach den Steuerleistungen abstufte, während das aktive Wahlrecht in den westlichen Provinzen und im Großherzogturn Posen den mit Grundeigentum ansässigen Bürgern und Gewerbetreibenden, in den übrigen östlichen Provinzen dagegen den Mitgliedern der Gemeindevertretungen verliehen wurde. Darüber hinaus wäre zu berücksichtigen, inwieweit das schon etliche Jahre vor der Märzrevolution in den westlichen Kommunalordnungen, insbesondere in der Gemeindeordnung für die Rheinprovinz entwickelte Klassenwahlrecht Einfluß gewann47 oder machte das Stadtbürgertum der östlichen Provinzen Preußens die durch das Kommunalrecht tradierten Beteiligungsformen zur Richtschnur des HandeIns? Favorisierte es mithin ein Zensuswahlrecht mit einer gemäßigten, wenn auch deutlichen sozialen Grenze zu den städtischen Unterschichten? Die erste preußische Städteordnung hätte mithin in der Situation der Märzkrise, aber vor allem in der unmittelbaren Nachrevolutionszeit, die durch die Entscheidung für ein Klas47 Zur Gemeinderechtsentwicklung in den westlichen Provinzen Ruth Meyer zum Gottesberge, Die geschichtlichen Grundlagen der westfälischen Landgemeindeordnung vom Jahre 1841, Jur. Diss., Bonn 1943. Alfred Hartlieb von Wallthor, Die landschaftliche Selbstverwaltung Westfalens in ihrer Entwicklung seit dem 18. Jahrhundert, T. 1, Bis zur Berufung des Vereinigten Landtags (1847) (= Veröffentlichungen des Provinzialinstituts für Westfälische Landes- und Volkskunde, R. 1, H. 14), Münster 1965. Rüdiger Schütz, Preußen und die Rheinlande. Studien zur preußischen Integrationspolitik im Vormärz, Wiesbaden 1979. Engeli/Haus, Quellen, S. 257 ff. u. 281 ff. Zur Regierungs- und Verwaltungsorganisation Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsformen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Köln 1970, S. 47 ff. Zur Entwicklung der Wahlrechtsauffassungen Heinz Boberach, Wahlrechtsfragen im Vormärz. Die Wahlrechtsanschauung im Rheinland 1815-1849 und die Entstehung des Dreiklassenwahlrechts, Düsseldorf 1959.

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senwahlrecht zum Landtag eine partizipationsgeschichtliche Zäsur markierte, die Funktion eines politischen Korrektivs angenommen. Teile des Stadtbürgertums, die fortgeschritten liberal dachten, verwiesen auf die seit vier Jahrzehnten in den Gemeinden gelebte Beteiligungsform und ihre langjährig politische Stabilität garantierende Bedeutung. Vor dem Hintergrund der Revolution, der Bedrohung der bürgerlichen Eigentumsordnung, der erzwungenen Einlösung des Verfassungs versprechens und dem politischen Komprorniß mit der Monarchie verfehlten derartige Verweise ihre Wirkung, zumal der Klassencharakter des älteren Gemeindewahlrechts nicht generell von der Hand zu weisen war. Die Darstellung wird bei den Auseinandersetzungen um die zukünftige Form des Kommunalwahlrechts auch die Frage nach der Fraktionierung des Stadtbürgertums stellen. Ergab sich aus der langjährigen Wahlrechtspraxis der Städteordnung, insbesondere nachdem die Stadt sich weitgehend dem Liberalismus geöffnet, die Gewerbefreiheit breitere Akzeptanz gefunden hatte, eine relativ geschlossene Auffassung zum Wahlrecht in Gemeinde und Staat oder fand das Stadtbürgertum vor dem Hintergrund der erfahrenen revolutionären Bedrohung nicht mehr zu einem Komprorniß, der sich auf den gelebten Kommunalismus bezog? Wurde demzufolge das Klassenwahlrecht auch vom Stadtbürgertum der östlichen Provinzen und der Landeshauptstadt Berlin als Plattform bürgerschaftlicher Teilhabe mehr oder weniger bereitwillig angenommen?48 Die Untersuchung wird in dieser Hinsicht auf die Landtagsdebatten eingehen, die Positionen der liberalen, das städtische Bürgertum repräsentierenden Fraktionen darlegen und die Haltung der Kommunalbürokratie herausarbeiten. Die eingehende Analyse der bürgerlichen Partizipationsvorstellungen in der Revolutionsperiode führt zu einem neueren Forschungsansatz, der sich, soweit es um die örtliche Verfaßtheit bürgerlich-kommunalen Lebens geht, der staats zentrierten Perspektive als unfruchtbar entledigt und das städtische, im wesentlichen die frühliberale Gesellschaft des deutschen Vormärzes prägende Bürgertum zum Gegenstand gemacht hat. Dieser, maßgeblich von Lothar Gall entwickelte Ansatz49 fragt unter dem apostrophierenden Leitmotiv 48 Zur Oktroyierung des Dreiklassenwahlrechts Günther Grünthai, Das preußische Dreiklassenwahlrecht. Ein Beitrag zur Genesis und Funktion des Wahlrechtsoktrois vom Mai 1849, in: HZ, Bd. 226 (1978), S. 17-66. Allgemein zur Entwicklung der liberalen Wahlrechtsauffassungen im konstitutionellen Preußen Walter GageI, Die Wahlrechtsfrage in der Geschichte der deutschen liberalen Parteien 1848-1918, Düsseldorf 1918. 49 Lothar Gall, Vom alten zum neuen Bürgertum. Die mitteleuropäische Stadt im Umbruch 1780-1820, in: Ders. Tit., hrsg. von dems. (= Stadt und Bürgertum, Bd. 3), München 1991, S. 1-18. Ders., Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft, in: Ders. Tit., hrsg. von dems. (= HZ, Beih., Bd. 16), München 1993, S. 1-12.

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"Stadt und Bürgertum" nach der Rolle des städtischen, im überlieferten rechtlich korporativen Sinn verstandenen Bürgertums bei der Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Galls Forschungen, in deren Umfeld zwischenzeitlich zahlreiche neuere, an konkreten Beispielen verschiedener Städte erarbeitete Studien zur Bürgertumsgeschichte vorgelegt worden sind,5o beschränken sich zwar weitgehend auf das süd- und südwestdeutsche Stadtbürgertum, sie sind indessen auch für die preußische Geschichte fruchtbar zu machen. Die Produktivität des Ansatzes liegt unzweifelhaft in der Abwendung von der staatlich geprägten, zeitlich zudem stärker eingegrenzten Reformperiode des frühen 19. Jahrhunderts und in der Hinwendung zum Konzept eines breiter angelegten Übergangs zur "modernen Welt". Die Konzentration des Blicks auf die staatliche Reformtätigkeit erfaßt die Stadt und das Bürgertum, wie hier bereits kritisch angemerkt wurde, zudem nur als Objekte der Staatspolitik. Gall wendet sich gegen die These, die städtische Gesellschaft des Spätabsolutismus wäre durch Stillstand und Beharrung geprägt und stellt demgegenüber eine gesteigerte Dynamik fest, die ihr Fundament im städtischen Bürgertum besitzt. Der Blick von oben, vom Staat her hat GaB zufolge der Gesellschaftsgeschichte die Sicht für die reale Situation verstellt: Der ökonomische, soziale und politische Wandel ging viel stärker von den Städten selbst und "den in ihnen auch bisher schon etablierten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kräften,,51 aus. Das erfolgreiche städtische Wirtschaftsbürgertum lieferte aus eigener Kraft und mit antibürokratischer Frontstellung den maßgeblichen Beitrag zur Herausbildung des lokalen und schließlich auch nationalen Liberalismus, der Reformstaat verbesserte nur die äußeren Rahmenbedingungen. 52 Gall bleibt unterdessen nicht bei der Analyse der Veränderungsprozesse, ihrer Grundlagen, Antriebskräfte und Konfliktlinien stehen, sondern macht den stadtbürgerlich dominierten lebensweltlichen Kosmos Stadt zum Ausgangspunkt einer Gesellschaftsutopie, die als "klassenlose Bürgergesellschaft" im Frühliberalismus an konkreter Kraft gewinnen soll. Korporative und soziale Schranken wurden danach überwunden, innerstädtische und 50 Eine umfassende, nach verschiedenen Zeitperioden gestaffelte Literaturübersicht in Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. von L. Gall (= HZ, Sh. Bd. 17), München 1997. Eine thematisch eher zufällige, vorwiegend auf den Bürgertumsbegriff fokussierte Übersicht zur Geschichte des Bürgertums bietet die Aufsatzsammlung Wege zur Geschichte des Bürgertums. Vierzehn Beiträge, hrsg. von K. Tenfelde/H.-U. Wehler, Göttingen 1994. 51 Gall, Vom alten zum neuen Bürgertum, S. 10. 52 A.a.O., S. 9. Vgl. auch Dieter Heim, Die bürgerlich-liberale Bewegung in Baden 1800-1880, in: Liberalismus und Region. Zur Geschichte des Liberalismus im 19. Jahrhundert, hrsg. von L. GalllD. Langewiesche, München 1995, S. 19-39, hier vor allem 20 ff.

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innerbürgerliche Hierarchien aufgebrochen, die soziale Mobilität zwischen den städtischen Bevölkerungsschichten erhöht, der ständisch-korporative und rechtliche Bürgerbegriff Schritt für Schritt angebaut, mithin ein dynamischer gesellschaftlicher Wandel ausgelöst, der seinen Kristallisationskern in einem neuen klassenübergreifenden, sozialintegrativen Bürgerbegriff erlangt. Die politische Dynamik des Bürgerbegriffs überwölbte die wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede im städtischen Bürgertum, machte sie weniger fühlbar und verhinderte zugleich, daß sich die älteren städtischen Eliten in ein ständisch akzentuiertes Einheitsbewußtsein zurückzogen und die Vorbehalte der mittel- und kleinbürgerlichen Schichten gegen den ökonomischen Wandel nicht zum Ressentiment ausarteten. Das Theorem vom sozialintegrativen Bürgerbegriff und von der klassenlosen Bürgergesellschaft geht auf ältere Überlegungen Galls zurück,53 die nunmehr insofern variiert werden, als der bürgerliche Liberalismus nicht mehr ein vorindustrielles Phänomen darstellte. Das Stadtbürgertum wird also nicht mehr in einer deutlichen Opposition gegen die Errichtung der kapitalistischen Industriegesellschaft gesehen, es tritt vielmehr als Modernisierungsmotor auf, vor allen Dingen in jenen Städten, die als Handels- und frühindustrielle Zentren von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dynamik des Wandels am vehementesten erfaßt wurden. Hatte Gall früher das Problem, den nach der Märzrevolution deutlicher erkennbaren klassenideologischen Charakter der liberalen Idee in sein Interpretationsmuster einzufügen, ist es heute die politische Modernisierungsreserviertheit des Liberalismus im konstitutionellen System, die nicht recht ins Bild passen will. Da die Tatsache der privilegierten Bürgergemeinde als Grundlage stadtbürgerlicher Herrschaft nicht zu leugnen, die Kontinuität antiegalitären Wahlrechtsdenkens bis zum Ende des Kaiserreichs offensichtlich ist, verfällt Gall auf den Ausweg, einerseits die Bedeutung des Wahlrechts als Indikator politischer Partizipation herunterzuspielen bzw. durch die verschiedenen Formen bürgerlicher Selbstorganisation zu relativieren, andererseits die Frage politischer Herrschaft in der Stadt - allerdings in zurückhaltend fragender Reflexion - an die sachorientierten Aufgaben und Problemfelder in der Gemeinde anzubinden und mit einem Funktionswandel zu verknüpfen, der die Stadt zu einer Agentur des Dienstleistungs- und Daseinsvorsorgestaates macht. Die Gemeinde milderte den gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß sozialstaatlich ab, richtete sich dabei in ihrem Leistungsange53 Gall, Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft". Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: Liberalismus, hrsg. von dems., Köln 1976, S. 162-186. Zur Kritik an Gall siehe Wolfgang J. Mommsen, Der deutsche Liberalismus zwischen "klassen loser Bürgergesellschaft" und "organisiertem Kapitalismus". Zu einigen neueren Liberalismusinterpretationen, in: GuG, 4. Jg. (1978), S. 77-90, besonders S. 79 f.

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bot an die gesamte Staatsbürgergesellschaft, so daß die Trennung von Bürger- und Einwohnergemeinde aus der Gesellschafts- in die Herrschaftsverfassung zurückschrumpfte, indem sie nur noch der Abschottung gegen die Sozialdemokratie diente. 54 Die durch machtpolitische Gründe verursachte restriktive Wahlrechtspolitik des liberalen Stadtbürgertums ist zwar in ihrer Antimodernität und in ihrem antidemokratischen Impetus nicht zu übersehen,55 die Beharrung wird aber durch die sozialstaatlichen Aufgaben überwölbt, wenn nicht gar, wie bei Karl Heinrich Pohl zu lesen ist, durch die Sachorientiertheit kommunalen Handeins überlagert. Die Sachlichkeit kommunaler Politik strahlte demnach auf die Einstellung der Liberalen zum Wahlrecht ab, formte das Bild des interessenunabhängigen "Kommunalpatrioten" und stellte durch das Ideal, eine "vorpolitische" Selbstverwaltung zu verwirklichen, die Verbindung zur vormärzlichen Maxime der klassenlosen Bürgergesellschaft her. 56 Die Schwäche des bürgertumsgeschichtlichen Ansatzes beruht offensichtlich darin, daß er die Gemeinde als Aktionsraum des bürgerlichen Liberalismus isoliert und damit das Politikfeld "Stadt" als Ort sozial differenzierter Interessenbildung nicht im Zusammenhang mit dem kommunalen Verwaltungshandeln wahrnimmt. Die Stadt- und Bürgertumsgeschichte sollte deshalb durch politikwissenschaftliche Fragestellungen erweitert werden. Auf diese Weise wäre die Gefahr des bürgertumsgeschichtlichen Ansatzes gebannt, die Stadt als ein politisches Subsystem auszumachen, das sich ausschließlich durch eine regulative Idee organisiert. Der Blick könnte auf die Formen örtlicher Interessen- und Meinungsbildung, die entwickelten Instrumente der Konfliktlösung und des Interessenausgleichs, den Aufbau von Entscheidungsstrukturen oder die Probleme kommunalpolitischer Entwicklungsplanung, weiterhin auf das Verhältnis von Verwaltung und politischen Parteien, von Gemeindebürokratie, örtlichen Politik- und Interessengruppen, den Einfluß 54 GaU, Stadt und Bürgertum, S. 8, mit Bezug auf Langewiesche, "Staat" und "Kommune". Zum Wandel der Staatsaufgaben in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: HZ, Bd. 248 (1989), S. 621-635, hier insbesondere S. 633 f. Kritisch dagegen schon Helmut Böhme, Frankfurt und Hamburg. Des Deutschen Reiches Silber- und Goldloch und die AUerenglischte Stadt des Kontinents, Frankfurt/M. 1968, u. a. S. 113 ff. u. 122 ff. 55 Zusammenfassend Langewiesche, Liberalismus, S. 206 f. 56 Karl Heinrich Pohl, Kommunen, kommunale Wahlen und kommunale Wahlrechtspolitik: Zur Bedeutung der Wahlrechtsfrage für die Kommunen und den deutschen Liberalismus, in: Modemisierung und Region im wilhelminischen Deutschland. Wahlen, Wahlrecht und Politische Kultur, hrsg. von S. Lässig/K.H. Pohl/J. RetaUack, Bielefeld 1995, S. 89-126, hier S. 112 ff. Wiederholt in ders., Liberalismus und Bürgertum 1880-1918, in: Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung in Mitteleuropa seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. von L. GaU (= HZ, Sh. Bd. 17), München 1997, S. 231-291, insbesondere S. 274 ff., indessen mit einer stärkeren Betonung der restriktiven Wahirechtspolitik des liberalen Stadtbürgertums.

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von Unternehmen und Verbänden auf Projekte kommunalen Handeins sowie die unterschiedlichen oder gemeinsamen Ziele staatlicher und kommunaler Politik, die Entwicklung der Institutionen, der Verteilung der Kompetenzen, die Prozesse der Entscheidungsfindung und ihrer institutionellen Regelung im sachorientierten Dialog zwischen Staat und Gemeinde gerichtet werden. Langewiesche reproduziert im übrigen den staatlich-kommunalen Gegensatz im örtlichen Verwaltungshandeln, den es in der staatlichen Organisation Preußens nicht gegeben hat. Die enge Verbindung von Staat und Gemeinde war auch für das konstitutionelle Zeitalter Preußens fundamental. In gewisser Weise intensivierte sich die gegenseitige Verknüpfung gerade in der Blütezeit der kommunalen Leistungsverwaltung, da die innergemeindlichen Steuerungs- und Ausgleichsmechanismen nicht immer ausreichten, jedes einzelne Stadtentwicklungsprojekt im Wege eigenverantwortlichen Handelns auszuführen. Dieses Problem machte sich weniger in kleineren und mittleren Städten bemerkbar - wenngleich es auch hier zur täglichen Verwaltungspraxis gehörte - als in verdichteten urbanen Räumen, die zudem noch durch rechtliche Strukturen politisch gespalten waren. 57 Vereinfacht gesagt: Die Kommune muß auch als dezentralisierte Verwaltungseinheit staatlicher Organisation und damit die kommunale Lebenswelt nicht nur als Dominium stadtbürgerlichen Wirkens, sondern als ein komplexes Konglomerat gesellschaftlicher, politisch-sozialer und administrativer Ansprüche, Interessen und Ziele beobachtet werden. Ohne Frage gab es Reibungspunkte zwischen Staat und Gemeinde, die freilich nicht aus einem prinzipiellen Gegensatz resultierten, sondern systemimmanent waren. 58 Die Darstellung wird sich detailliert den Schnittstellen zwischen staatlichen Eingriffsansprüchen und kommunalen Autonomiebedürfnissen zuwenden. Es kann dabei nicht nur darum gehen, Kompe57 Für den Großraum Berlin vgl. Grzywatz, Der Staat und die Metropole Berlin. Zur Entwicklung staatlicher Funktionen in einer urbanen Region des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, 1996, S. 209-244. Ders., Metropolitane Infrastuktur und staatliche Intervention im Kaiserreich. Städtische Investitionen, polizeiliche Gemeindeanstalten und der Ausgleich des Gemeindepartikularismus beim Aufbau kommunaler Vorsorgeleistungen in den westlichen Vororten Berlins, in: Investitionen der Städte im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von K.H. Kaufhold (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, A/42), Köln-WeimarWien 1997, S. 181-248. 58 Zum Verhältnis von Staat und Gemeinde siehe die unterschiedlichen Wertungen bei Reiner Koch, Staat oder Gemeinde? Zu einem politischen Zielkonflikt in der bürgerlichen Bewegung des 19. Jahrhunderts, in: HZ, Bd. 236 (1983), S. 73-96 und Grzywatz, Staat und Gemeinde im 19. Jahrhundert. Zum Verhältnis von kommunaler Selbstverwaltung und staatlichen Gemeindeaufgaben in Preußen, in: AfK, 34. Jg. (1995), HBd. 1, S. 30-54.

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tenzkonflikte zu beschreiben, sondern der analytische Diskurs soll den Ursachen von Kommunalisierungsbedürfnissen und staatlichen Vorbehalten gegen eine Ausdehnung der Gemeindeaufgaben nachgehen. Es darf indessen nicht nur die funktional-administrative Seite des staatlich-kommunalen Verhältnisses in den Blick genommen werden. Es geht nicht minder um die Offenlegung der politischen Dimension der Konflikte von Staat und Gemeinde. Hier ist ebenso der Bereich der bestätigungs- und aufsichtsrechtlichen Zuständigkeiten wie die Definition des Umfangs der Gemeindeangelegenheiten angesprochen. Die Studie soll die politische Fundierung administrativer Konflikte oder ihre von den jeweiligen Akteuren erst ausgelöste Politisierung deutlich machen. So wird die Darstellung versuchen, einerseits die staatliche Instrumentalisierung administrativer Kompetenzen für die Regierungspolitik, andererseits Anstrengungen der Städte aufzeigen, den Bereich der Gemeindeangelegenheiten zu politisieren und die Kommunen zu politischen Foren zu machen, von denen aus, etwa in der Wahlrechtsfrage oder beim Problem einer bevölkerungsadäquaten Repräsentation der Städte im preußischen Landtag, die Teilnahme an der staatspolitischen Diskussion erzwungen wird.

5. Auf die Ausgleichsfunktion des Staates muß gesondert hingewiesen werden. Sie war rechtlich in staatlichen Aufsichtskompetenzen angelegt. Für die politische Geschichte Berlins erhielt diese Funktion eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in einem Gemeindekonflikt, der sowohl ein bezeichnendes Schlaglicht auf die restriktive Teilhabepolitik des Kommunalliberalismus wirft als auch die Kontinuität illiberalen Partizipationsdenkens im Stadtbürgertum vom Vormärz bis in das Kaiserreich hinein aufzeigt. 59 Es geht um die Form innergemeindlicher Teilhabe, d.h. den konkreten Umgang mit den von der Kommunalordnung eröffneten Mitwirkungschancen. Die Untersuchung wird eingehend darlegen, daß der Liberalismus in Berlin die Kommunalvertretung in bewußter Weise zur eigenen politischen Machtsphäre ausbaute und gegenüber politischen Gegnern abschirmte. 6o 59 Abweichend von der hier vertretenen Position mit dem Versuch, die Reformansätze in einzelnen deutschen Staaten stärker hervorzuheben, Simone Lässig, Wahlrechtsreformen in den deutschen Einzelstaaten. Indikatoren für Modernisierungstendenzen und Reformfähigkeit im Kaiserreich?, in: Modemisierung, S. 127-169. Noch deutlicher relativierend Pohl, Kommunen, S. 123, der es für falsch hält, die Restriktivität des kommunalen Wahlrechts am deutschen Reichstagswahlrecht und dem heutigen Demokratieverständnis zu messen. Wenn Pohl zwischen den "demokratisehen" deutschen Kommunen und der Kommunalverfassung anderer westeuropäischer Staaten unterscheidet, indem er hier den Mangel an kommunalen Entscheidungsmöglichkeiten ausmacht, vermischt er die Ebenen der staatlichen Verwaltungsorganisation und der Partizipationsrechte.

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In diesem Prozeß wurden auch die kommunalen Ämter politisiert, indem vornehmlich Kandidaten, die als Mitglieder des liberalen Lagers ausgewiesen waren oder als nahestehende Sympathisanten empfunden wurden, nicht nur in die exekutiven Spitzen der Kommunalverwaltung, sondern auch in jene Stellen gewählt wurden, welche, wie die Deputationen, vom Kommunalrecht als eigentliche Bereiche bürgerschaftlicher Mitwirkung vorgesehen waren. Die Studie soll verdeutlichen, daß der großstädtische Linksliberalismus im Interesse des Machterhalts nicht bereit war, für eine ausgeglichene Verteilung der Teilhabechancen in der Gemeinde zu sorgen. Ein Interesse, das sich selbst gegen das eigene bürgerliche Rekrutierungsfeld richten konnte. In diesem Zusammenhang ist es angebracht, nach den Wirkungen der mit dem Industrialisierungsprozeß einherschreitenden Veränderung der "Sozialstruktur" der Kommunalvertretung auf die Wahlrechts- und Kommunalpolitik überhaupt zu fragen. Zunächst müssen in einem sozialstrukturellen Längsschnitt die schichtenspezifischen Veränderungen60a gegenüber der vormärzlichen Versammlungen untersucht und das Erkenntnisinteresse auf die Problematik gerichtet werden, inwieweit sich die bereits in den vierziger Jahren abzeichnenden Tendenzen - etwa das Wachstum bildungsbürgerlicher Vertretung in der Stadtverordneten-Versammlung - verfestigten und zu wessen Lasten sich diese Entwicklung vollzog. Die Untersuchung muß die möglicherweise aus der veränderten sozialen Zusammensetzung resultierenden politisch-sozialen Spannungen aufzeigen, die sich in unterschiedlichen kommunalen Zielsetzungen niederschlagen, oder nachweisen, daß die Selbstverwaltung ein durch bürgerliche Interessen und Werte dominiertes Handeln produzierte, das sich gegenüber Veränderungen der Sozialstruktur der Kommunalvertretungen konsistent zeigte. Das Ungleichgewicht des kommunalen Stimmrechts, das, trotz wiederholter Forderungen kommunaler Vereine, über Jahrzehnte hinweg aufrechterhalten wurde, konnte erst durch staatlichen Eingriff beseitigt werden, indem eine Revision der kommunalen Wahlkreiseinteilung angeordnet wurde. Die 60 Zur Janusköpfigkeit liberaler Kommunalpolitik, ihrer sozial disziplinierenden und sozial ausgrenzenden Funktion Lenger, Bürgertum und Stadtverwaltung in rheinischen Großstädten des 19. Jahrhunderts. Zu einem vernachlässigten Aspekt bürgerlicher Herrschaft, in: Stadt und Bürgertum, S. 162. Jürgen Reulecke, Stadtbürgertum und bürgerliche Sozialreform im 19. Jahrhundert in Preußen, in: Stadt und Bürgertum, S. 189. 60. Dazu an den Beispielen Nürnbergs und Braunschweigs instruktiv auch Schmuhl, Herren der Stadt, S. 152 ff., 261 ff., 392 ff., 461 ff. u. 498 ff. Wichtige Hinweise mit Blick auf das Beispiel der Stadt Breslau auch bei Manfred Hettling, Politische Bürgerlichkeit. Der Bürger zwischen Individualität und Vergesellschaftung in Deutschland und der Schweiz von 1860 bis 1918 (= Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. 13), Göttingen 1999, S. 89 ff. 4 Grzywatz

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Darstellung folgt dieser Entwicklung insoweit, als das Problem der Wahlkreiseinteilung systematisch den Konflikten zwischen Staat und Gemeinde zugeordnet wird. Wenn, wie bereits angedeutet, das ungleiche Gewicht des Stimmrechts, nicht durch ein indifferentes Verhalten des Stadtbürgertums gestützt wurde, bleibt die Frage offen, welche sonstigen Reaktionen die wahlberechtigten Bürger auf die differierende Zuteilung von Wahlrechten an den Tag legten. Ging die verzögerte Wahlkreisreform mit einer Abnahme der Partizipationsbereitschaft einher? Blieben eventuell die Wähler der dritten Klasse, deren Stimmgewicht bereits durch das Wahlsystem minimalisiert und durch die Wahlkreiseinteilung mit einem weiteren Substanzverlust verbunden war, den Kommunalwahlen fern und sank folglich die Beteiligung an den Kommunalwahlen im proportionalen Verhältnis zum Wachstum der Stimmrechtsdisproportionalitäten? Die Wahlkreisreform gibt über den politischen Charakter der Kommunalwahlen Auskunft. Von "unpolitischen" Gemeindewahlen kann zumindest im konstitutionellen Preußen nicht mehr die Rede sein. Es wird zu untersuchen sein, ob die Politisierung der Stadtverordnetenwahlen Einfluß auf die normativen Wahlrechtsbeschränkungen ausübte und ob sich die restriktiven Haltungen unter dem Druck politischer Konkurrenz verschärften. War der Liberalismus in der Konfrontation mit der Sozialdemokratie beispielsweise noch zu einer liberalen Auslegung der Armenunterstützungsklauseln bereit oder bemühte er im Verein mit der Kommunalbürokratie die Verwaltungsrechtsprechung, um die Barrieren politisch-sozialer Ausgrenzung nicht zu verwässern? Die Darstellung wird es sich zur Aufgabe machen, sowohl den politischen Charakter der Gemeindewahlen als auch die in der Politisierung kommunaler Wahlentscheidungen entwickelte Wahlkultur61 offenzulegen. Durch die kommunale Perspektive soll, wie schon bei Pohl angedeutet wird,62 ein anderes als das bisher bekannte Gesicht des Liberalismus erkennbar gemacht werden. Die Neigung des Liberalismus, politisch ausgrenzend zu agieren, könnte eine multipolare Wahlkultur in den Städten hintertrieben und die Tendenz zur Monopolisierung der politischen Macht gefördert haben. Das Klassenwahlrecht mit seiner sozialen Zuspitzung der Teilhabe kam dem liberalen Verlangen nach politischer Geschlossenheit entgegen, so daß zu analysieren ist, inwieweit die oberen Wählerklassen dem politischen Wettbewerb entzogen und allein die Wahlen in der dritten Wählerabteilung zum 61 Zum Begriff der Wahlkultur Thomas Kühne, Dreiklassenwahlrecht und Wahlkultur in Preußen 1867-1914. Landtagswahlen zwischen korporativer Tradition und politischem Massenmarkt (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 99), Düsseldorf 1994, S. 30 ff. Vgl. auch Karl Rohe, Politische Kultur und ihre Analyse. Probleme und Perspektiven der politischen Kulturforschung, in: HZ, Bd. 250 (1990), S. 321-346. 62 Pohl, Liberalismus, S. 281.

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Feld kommunal politischer Auseinandersetzungen wurden, während sich durch den Eintritt der Sozialdemokratie in die Kommunalpolitik langfristig der Hang durchsetzte, die dritte Wählerklasse zu monopolisieren und folglich die Gemeinde durch eine bipolare Konfliktstruktur geprägt wurde. Die Kommunalwahlen gewannen im Kaiserreich, wie die vorliegende Arbeit nachweisen will, allgemein an politischer Bedeutung, da man sie immer häufiger in einem engen Zusammenhang mit den Land- und Reichstagswahlen sah62a • Dienten sie der Mobilisierung der angestammten Wählerschichten der Parteien, insbesondere des Liberalismus? Gewannen sie zunehmend Gewicht als Testfeld für die landes- und reichsweiten Umengänge? Der großstädtische Linksliberalismus büßte viel an politischer Glaubwürdigkeit ein, weil er in den Kommunen eine restriktive Wahlrechtspolitik verfolgte und sich im preußischen Landtag jeder Reform des Kommunalwahlrechts entgegenstemmte. Die Untersuchung bemüht sich um den Nachweis, daß die Stellung zur Wahlrechtsfrage entscheidend durch die kommunalpolitische Machtbasis des Liberalismus beeinflußt wurde. Die unentschlossene Haltung, sich für das allgemeine und gleiche Wahlrecht in Preußen einzusetzen, resultierte möglicherweise aus der Furcht vor den kommunalrechtlichen Folgen. Bestimmte dieses politische Kalkül auch den Kurs des liberalen Stadtbürgertums während der Wahlrechtsdebatten63 620 Die Politisierung der kommunalen Selbstverwaltung sowie die Verfestigung und Bürokratisierung des Parteienwesens in der Gemeinde verlegt Ursula Bartelsheim in ihrer Arbeit über Frankfurt am Main in das Jahr 1848. Siehe Bürgersinn und Parteiinteresse. Kommunalpolitik in Frankfurt am Main 1848-1914, Frankfurt/ M.-New York 1997. 63 Trotz einer inzwischen kaum noch zu überschauenden Fülle von Arbeiten zur historischen Wahlforschung, zur historisch-politischen Wahlanalyse und Wahlsoziologie (einen immer noch instruktiven Überblick zu den Ergebnissen, Problemen und Perspektiven der Wahlforschung gibt der von Otto Büsch herausgegebene Tagungsband Wählerbewegung in der Europäischen Geschichte. Ergebnisse einer Konferenz [= VHKB, Bd. 25], Berlin 1980) gibt es, vor allem für Preußen, nur vereinzelte Untersuchungen zum Kommunalwahlrecht, und zwar sowohl im Hinblick auf die Entwicklung der Wahlrechtsfrage als auch empirische Untersuchungen über lokale Wahlverläufe, obwohl das Problem einer regional- oder auch lokal spezifischen Differenzierung des politischen und sozialen Bewußtseins längst thematisiert ist. Vgl. Peter Steinbach, Regionale Parteigeschichte, historische Wahlforschung und modeme Landesgeschichte. Bemerkungen zu einigen Neuerscheinungen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Bd. 26 (1976), S. 200 ff. Wemer Conze, Politische Willensbildung im Deutschen Kaiserreich als Forschungsaufgabe historischer Wah1soziologie, in: Vom Staat des Ancien Regime zum modemen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder zum 70. Geburtstag, hrsg. von H. Berding u. a., München-Wien 1978, S. 331 ff. Handbücher, wie das von Bemhard Voge1IDieter Noh1en/Rainer-01af Schultze, Wahlen in Deutschland. Theorie-Geschichte-Dokumente 1848-1970, Berlin-New York 1971 oder das von Gerhard A. Ritter und Merith Niehuss bearbeitete Wahlgeschichtliche Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreichs 1871-1918, München 1980, widmen dem älteren Kommunalwahlrecht 4*

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der neunziger Jahre? Orientierte sich der Linksliberalismus lediglich am politischen Status quo der Vorreformzeit, d.h. an den Verhältnissen der Periode vor Verabschiedung der preußischen Steuerreformgesetze? War diese keine Aufmerksamkeit. Gemeinde und Kreis erscheinen in der Wahlforschung überwiegend als Örtlichkeit politischer Wahlen, während das Gemeindewahlrecht als Determinante politischer Willens bildung und Faktor der politischen Sozialisation häufig ausgeblendet bleibt. Immerhin haben die lokal und regional ausgerichteten Wahl studien die Forschung um die "mikroökologische" Perspektive bereichert und mitunter kommunale Bezüge in die wahlhistorischen Fragestellungen eingebracht. Neben der Studie Raimund Waibels, Frühliberalismus und Gemeindewahlen in Württemberg (1817-1855). Das Beispiel Stuttgart (= Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg, Reihe B, Bd. 125), Stuttgart 1992, seien hier die Arbeit von Gerhard Laß, Die Entwicklung des Gemeindewahlrechts in Preußen und seine Einwirkung auf das Schleswig-Holsteinische Kommunalwahlrecht 1867-1914, Jur. Diss., Kiel 1953, die leider nur zusammenfassende Betrachtung von Gertrud Jung, Das schleswig-holsteinische Kommunalwahlrecht 1867-1914, in: Historisch-politische Streiflichter. Geschichtliche Beiträge zur Gegenwart, hrsg. von K. Jürgensen/R. Hansen, Neumünster 1971, S. 76-81 und die Studie von Ingrid Dunger, Wilhelmshaven 1870-1914. Staats-, Kommunal- und Parteipolitik im Jadegebiet zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg, Wilhelmshaven 1962. In diesem Zusammenhang müssen auch die historischen Analysen zur Wahlrechtsentwicklung in den freien Städten bzw. Stadtstaaten genannt werden. Vg!. dazu Hartrnut Fuchs, Privilegien oder Gleichheit. Die Entwicklung des Wahlrechts in der freien und Hansestadt Lübeck 1875-1920, Phi!. Diss., Kiel 1971, Hans Wilhelm Eckardt, Privilegien und Parlament. Die Auseinandersetzungen um das allgemeine und gleiche Wahlrecht in Hamburg, Hamburg 1980 sowie Frank-Michael Wiegand, Die Notabeln. Untersuchungen zur Geschichte des Wahlrechts und der gewählten Bürgerschaft in Hamburg 1859-1919, Hamburg 1987. Unter den wenigen Arbeiten die sich diesem Forschungsfeld für Preußen zuwenden sei zu allererst Helmuth Croon, Die gesellschaftlichen Auswirkungen des Gemeindewahlrechts in den Gemeinden und Kreisen des Rheinlandes und Westfalens im 19. Jahrhundert, Köln-Opladen 1960 genannt, daneben verdient Wolfgang Hofmanns instruktive Studie Die Bielefelder Stadtverordneten. Ein Beitrag zu bürgerlicher Selbstverwaltung und sozialen Wandel 1850-1914, Lübeck-Hamburg 1964 sowie der Aufsatz von Brian Ladd, Die Anfänge der Parteipolitik in der Düsseldorfer Stadtvertretung 1870-1914, in: Düsseldorfer Jahrbuch, Bd. 61 (1988), S. 243257 Erwähnung. Systematisierend der von Herbert Kühr herausgegebene Sammelband Vom Milieu zur Volkspartei. Funktionen und Wandlungen der Parteien im kommunalen und regionalen Bereich, Königstein/Ts. 1979. Bereits 1918 erschien [Henricus] Haltenhoffs Überblick zu Die deutschen Städtegesetzgebungen und das Gemeindewahlrecht. Die wichtigsten geltenden Bestimmungen über das städtische Wahlrecht, Berlin 1918. Wichtige Aspekte zur Entwicklung des preußischen Kommunalwahlrechts hellt Carl Webers Schrift über die Geschichte der rheinischen Gemeindeordnung vom 23. Juli 1845 auf, Jur. Diss., Bonn 1924. Allgemein James Retallack, Wahl- und Wahlrechtskämpfe im regionalen Vergleich. Bericht über einen Workshop in der Historischen Kommission zu Berlin am 10. und 11. Juni 1994, in: IWK, 31. Jg. (1995), H.1, S. 58 ff. Erweitert in ders., Politische Kultur, Wahlkultur, Regionalgeschichte. Methodologische Überlegungen am Beispiel Sachsens und des Reiches, in: Modemisierung, S. 15-38. Mit Blick auf den großstädtischen Liberalismus in Preußen jetzt Hettling, Politische Bürgerlichkeit, S. 181 ff.

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Haltung aus zögerlichem Opportunismus, taktischem Kalkül und Modernisierungsfurcht ein Grund für den politischen Immobilismus des Liberalismus und damit im Grunde genommen auch für das politische System Preußens,64 da die Sozialdemokratie als modernisierender Impulsgeber politisch stigmatisiert wurde? Kam es nicht von ungefähr, daß die liberalen Wahlrechtsinitiativen sich vornehmlich auf die Reform der Landtagswahlkreise erstreckte, deren Einteilung das Recht der Städte auf eine angemessene Repräsentation in der preußischen Landesvertretung eklatant mißachtete?65 Die Staatsregierung nutzte die Wahlkreiseinteilung bewußt als manipulatives Instrument gegen die antigouvernementalen Parteien, dessen Aufgabe man selbst noch zu einem Zeitpunkt zu vermeiden suchte, als das in politischer Agonie erstarrte Preußen den Weg für eine Demokratisierung des Wahlrechts freigemacht hatte. Mit seiner Forderung nach einer gerechteren Repräsentation der Großstädte, insbesondere Berlins, geriet der Liberalismus in das Fahrwasser des antisozialistischen Ressentiments. Die Varianten einer Reform des Wahlkreis- wie Wahlrechtssystems überhaupt wurden von der Regierung stets auf ihre "sozialistische Wirkung" hin überprüft, d.h. man machte ihre Realisierung von der Höhe der zu erwartenden Zunahme sozialdemokratischer Mandate abhängig. Gelang es dem Liberalismus, vor allem aber den Berliner Linksliberalen, unter Annäherung an die Sozialdemokratie und Inkaufnahme von Mandatsverlusten sich aus dieser politischen Klammer zu befreien, oder verharrten die Liberalen im Widerspruch zwischen der praktizierten Illiberalität in der Gemeinde und der geforderten Liberalität im Staat? Im Schlußkapitel wird dann in einem resümierenden Diskurs der Frage nach der Funktion kommunaler Selbstver64 Zur kontroversen Diskussion über die Entwicklungsfähigkeit des monarchischen Konstitutionalismus im Kaiserreich Emst-Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, Bismarck und das Reich, Stuttgart u. a. 1988. Ders., Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte, in: Modeme deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1918), hrsg. von E.W. Böckenförde (= Neue wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 51), 2 Köln 1981, S. 171-207. Dagegen Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: A.a.O., S. 146--170. Zur Beurteilung der Parlamentarisierungs- und Demokratisierungschancen auch Steinbach, Politische Kultur. Politische Wertvorstellungen zwischen ständischer Gesellschaft und Modeme, in: Ploetz. Das deutsche Kaiserreich 1867171 bis 1918. Bilanz einer Epoche, hrsg. von D. Langewiesche, Freiburg/Br.-Würzburg 1984, S. 197-214. Zur sozialmoralischen Fragmentierung der Gesellschaft M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Die deutschen Parteien vor 1918, hrsg. von G.A. Ritter, Köln 1973, S. 56--80, besonders S. 64 ff. 65 Dazu Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 460 ff.

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waltung und der von ihr eröffneten Form der Partizipation als Faktoren politischer Modernisierung in Preußen nachgegangen. 6. Die weitgefächerten Fragestellungen der Untersuchung sind durch den Versuch begründet, das komplexe Verhältnis zwischen der Stadt als örtlich begrenztem Raum der Artikulation, Wahrnehmung und Repräsentation bürgerschaftlicher Interessen, der Begründung und Entwicklung teilnehmenden Gestaltens und Wirkens, kurzum: als allgemeines Kontinuum politischen und administrativen HandeIns, dem Bürgertum als tragender Schicht der kommunalen Selbstverwaltung, Adressat staatlichen Gestaltungswillens, als kreativen Akteur eigenverantwortlichen Administrierens und Inhaber der politischen Macht in der Gemeinde sowie dem Staat als Zentrum der Verwaltung, als koordinierende, aufsichtführende und intervenierende Instanz, aber auch als durch gouvernementale Interessen gesteuerte Agentur der Monarchie in einem historischen Längsschnitt aufzuzeigen. Neben der Herausarbeitung der entwicklungsbedingten Differenzen kommunaler Ordnung im bürokratischen und konstitutionellen Staat soll den Konstanten bürgerschaftlicher Organisation in der Gemeinde besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Mit den ordnenden, stabilisierenden und integrativen Funktionen der Selbstverwaltung ist nicht nur verwaltungsorganisatorisch, sondern auch partizipationsgeschichtlich ein Moment konservativen Beharrens entwickelt. Die Selbstverwaltung stellt bei allen verwaltungsrechtlichen und politisch-sozialen Unterschieden ein verbindendes Element zwischen dem Spätabsolutismus und dem Konstitutionalismus her. Nicht zufällig wird diese Verbindung durch die Kontinuität eines sozial ausgrenzenden Teilhabemodells geprägt, dessen Wirksamkeit sich in der entfalteten Industriegesellschaft erst noch verdeutlichen sollte. Der Klassencharakter des liberalen Modells entschleiert sich nach der Märzrevolution, gleichzeitig stellt der kommunale "Konstitutionalismus" die Tragfähigkeit seines antirevolutionären Impetus unter Beweis, wie in Abwandlung einer These von Wolfgang Mommsen anzumerken ist. 66 66 Wolfgang J. Mommsen, Liberalismus, S. 83. Wichtig erscheint mir der Gedanke Mommsens, daß der frühe Liberalismus als eine gegen die Willkür des Obrigkeitsstaats gerichtete Verfassungsbewegung - Mommsen verweist nachdrücklich auf die frühen Wahlrechtsdiskussionen - seine Stoßkraft erst durch die realen gesellschaftlichen Interessen seiner tragenden Schichten erhielt. Im Ergebnis ähnlich Jürgen Kocka, Kommentar, Sektion 4, Das städtische Bürgertum und der Staat, in: Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modemen Gesellschaft (= HZ, Beih., Bd. 16), hrsg. von L. Gall, München 1993, S. 417-422, hier S. 420 f.

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Die kommunale Selbstverwaltung soll weder enthistorisiert noch zu einem überzeitlichen Modell erhoben werden, indes die Kontinuität ihrer antidemokratischen, vom bürgerlichen Liberalismus getragenen Funktion im monarchischen Staat ist evident. Durch diese Erkenntnisperspektive soll auch nicht die Vielfalt liberalen Denkens, ebensowenig das individuelle Überschreiten restriktiver Teilhabevorstellungen angezweifelt, aber eine Antwort auf die Frage gesucht werden, warum die Kommunen im 19. Jahrhundert sich als geradezu unerschütterliche Bollwerke gegen jede politische Modernisierung behaupten, ohne daß die Gründe ausschließlich außerhalb der kommunalen Ordnung im politischen Immobilismus des Gesamtsystems, der sozialmoralischen Fragmentierung oder im Gegensatz von Staat und Gemeinde in der Monarchie gesucht werden. Im besonderen will diese Arbeit zur Schließung eines allgemein beklagten Forschungsrückstands beitragen, der. für die Geschichte des deutschen Liberalismus, vor allem im Hinblick auf die kommunale Ebene vermerkt wird, und in Verbindung mit der Bürgertumsforschung für Preußen besonders auffällig ist. 67 Die verfassungs-, verwaltungs-, politik- und sozial geschichtliche Ausrichtung dieser Studie verwehrt sich einem Stadtbegriff, der die Stadt als relativ überschaubare, in sich abgeschlossene Einheit versteht. 68 Die Orientierung auf übergreifende Probleme wie das der Partizipation, der Verwaltungsorganisation und des Verhältnisses von Stadt und Staat in der administrativen Ordnung der bürokratischen Monarchie wie des Konstitutionalismus nötigen, die Gemeinde als Teil der Gesamtgesellschaft aufzufassen. 69 So wie die Stadt als Ort der Selbstverwaltung, staatsrechtlich gesehen, nicht in der Autonomie des Lokalen aufgeht, sondern eine spezifische Form administrativer Dezentralisation darstellt, mithin immer integrativer Bestandteil des rechtlich-politischen Kontinuums Staat bleibt, löst sich das Spezifikum der Örtlichkeit auf, wenn 67 Detailliert für das Kaiserreich Pohl, Liberalismus, S. 286 u. 289. Weniger deutlich Hellmut Seier, Liberalismus und Bürgertum in Mitteleuropa 1850-1880. Forschung und Literatur seit 1970, in: Bürgerlich-liberale Bewegung, S. 216 ff. 68 Vgl. Jürgen Reulecke, Moderne Stadtgeschichtsforschung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Moderne Stadtgeschichtsforschung in Europa, USA und Japan, hrsg. von Ch. Engeli/H. Matzerath (= Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Bd. 78), Stuttgart u. a. 1989, S. 28. 69 Vgl. dazu Philipp Abrams, Towns and Economic Growth: Some Theories and Problems, in: Towns in Societies. Essays in Economic History and Historical Sociology, hrsg. von Ph. Abrams/E.A. Wrigley, Cambridge 1978, S. 9 ff. W. Köllmanns Spezifikation der Örtlichkeit als "Differenzierungen innerhalb der allgemeinen Prozesse" versucht im Grunde genommen zwischen lokaler Individualität und allgemeinem Bezug zu vermitteln, unterliegt aber durch das Hervorheben des "Charakter(s) des Unverwechselbaren" der Gefahr, die Örtlichkeit in der Vereinzelung zu zerfasern. Vgl. ders., Die Bedeutung der Regionalgeschichte im Rahmen struktur- und sozialgeschichtlicher Konzeptionen, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 15 (1975), S. 45 ff.

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gesamtgesellschaftliche Prozesse in das Blickfeld genommen werden, da der Ort nicht mehr als Tiegel strukturwandelnden Geschehens erscheint, sondern als geschlossenes Ganzes, wenn auch durch parteiliche und interessenbezogene Differenzierungen überlagert, Teil des politisch-gesellschaftlichen Diskurses ist. Gleichwohl verliert die Stadt als eigener Ort nicht ihre besondere Physiognomie, schließlich bringt sie ein spezifisches, auf Einfluß und Gestaltung abzielendes Gruppenbewußtsein zum Ausdruck. Insofern will diese Studie sowohl einen allgemeinen Beitrag zur neueren Verfassungs-, Verwaltungs- und Gesellschaftsgeschichte Deutschlands leisten als auch der weiteren Erforschung der politisch-sozialen Geschichte Berlins dienen. Die grenzüberschreitende Verknüpfung von Geschichts-, Politik- und Rechtswissenschaft sowie Soziologie soll der perspektivenreichen Betrachtungsweise der Arbeit einen konstruktiven erkenntnisfördernden Rahmen geben. Sie ist dafür verantwortlich, daß sich die Darstellung nicht in einem inhaltlich geschlossenen Kontinuum entfaltet, das der tradierten zeitlichen Periodisierung folgt, sondern das sich die beispielhafte Schwerpunktsetzung, die detaillierte Zuspitzung und die geraffte Konzentration mit Brüchen und Vereinfachungen ablöst, allerdings bemüht, das leitende, an den thematischen Polen Selbstverwaltung, Teilhabe und Repräsentation orientierte Erkenntnisinteresse nicht aus den Augen zu verlieren. Für die Problernrorientierung der Arbeit sind die entwicklungs- und strukturgeschichtlich bedingten Konflikte und Konfliktlinien wichtig, die paradigmatisch auf strukturgebende Motivierungen kommunalen Handeins, auf konsensuales und dissensuales Verhalten oder Abgrenzungsstrategien des Stadtbürgertums hinweisen. Für die vormärzliche Stadtgesellschaft zeichnet die Gewerbefreiheit eine wesentliche Konfliktlinie, die sowohl die innere Verfassung der Gemeinden als auch wichtige kommunal politische Entscheidungen berührt, wenn nur an das Bürgerrecht, die städtische Steuerpolitik und an das Problem einer proportionalen Verteilung der Lasten und Rechte in der Gemeinde gedacht wird. In der postrevolutionären Stadt entwickelt sich die Wahlrechtsfrage zum zentralen Konflikt kommunalen Selbstverständnisses, während die Definition des gemeindlichen Wirkungskreises sowie die Abgrenzung zwischen den staatlichen und kommunalen Gemeindefunktionen eine zeitlich durchgehende Konfliktlinie markieren, der epochal das Problem der Konstitutionalisierung bzw. der bürgerlichen Teilnahme am Staat sowie der Konflikt um die gerechte Repräsentation der Stadt im Staat gegenüberstehen. Die Darstellung soll es sich allerdings zur Pflicht machen, dem gesellschaftshistorischen Prozeß nicht in rigoroser Abstraktion nachzuspüren, sondern die Analyse der strukturellen Veränderungen und Kontinuitätslinien zu ihren personellen Trägem in Verbindung setzen, nach der Wahrnehmung der Betroffenen fragen, um auf diesem Wege ebenso anschaulich wie lebendig zu bleiben.

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Die Entstehung der modemen Selbstverwaltung in Deutschland wird im allgemeinen mit der Reformperiode des absolutistischen Staates in Verbindung gebracht und als Element betrachtet, das den betont autoritären Etatismus absolutistischer Herrschaft sowie ihre Neigung, sämtliche Lebensbereiche unter staatliche Vormundschaft zu stellen, zu überwinden hilft. Die Gemeinde besitzt für die Entwicklungsgeschichte der modemen Selbstverwaltung entscheidendes Gewicht, da sich hier die Hauptform der Selbstverwaltung in einem vergleichsweise frühen historischen Stadium herausbildet und von ihr Impulse für andere Selbstverwaltungsbereiche ausgehen. 7o Gleichwohl lag den im monarchisch-bürokratischen Staat geschaffenen institutionellen Grundlagen der Selbstverwaltung weder eine konsistente staatsorganisatorische Selbstverwaltungsidee zugrunde noch war die Neugestaltung der Verwaltungs strukturen im kommunalen Bereich Ausdruck eines theoretisch ausgeformten Ordnungsprinzips. Die institutionsrechtlichen Neuerungen des frühen 19. Jahrhunderts ließen sich nicht einmal mit dem Selbstverwaltungsbegriff in Verbindung bringen, da ihm in den staatlichen Reforminitiativen keine selbständige Bedeutung zukam und er erst Ende der vormärzlichen Periode an Bedeutung gewann. 71 Wenn in den einführenden Darlegungen bislang von kommunaler Selbstverwaltung die Rede war, dann bezieht sich dieser Begriff, vom allgemeinen politischen und verwaltungsrechtlichen Gegenwartsverständnis ausgehend, zunächst generell auf die Mitwirkung des Staatsbürgers bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, im spezifisch rechtlichen Sinn auf die eigenverantwortliche Ausübung öffentlicher Verwaltungsaufgaben durch örtliche Körperschaften des öffentlichen Rechts. 72 Diese Funktion der Gemeinde wird schon in der Präambel der preußischen Städteordnung von 1808 deutlich gemacht. Danach ist es das Ziel der kommunalrechtlichen Reform, eine wirksame Teilnahme der Bürgerschaft an der Verwaltung des Gemeinwesens zu eröffnen und sowohl die Bürgergemeinde in der Stadt als auch die tätige, auf Gemeinsinnbildung angelegte "Einwirkung" der Bürgerschaft auf die örtliche Verwaltung gesetzlich zu konstituieren. 73 Wenn auch die zeitgenössische Theorie die neugestaltete öffentlich-rechtliche Institution zunächst eher als modernisierte Rekonstruktion oder als Reorganisation älterer Einrichtungen denn als Entwicklungsbeginn staatsorganisatorischer Forsthoff, Lehrbuch, S. 471 f. Zur Entstehungs- und Begriffsgeschichte Voigt, Selbstverwaltung, S. 123 ff. Heffter, Selbstverwaltung, S. 49 ff. u. 264 ff. Siehe auch Eberhard Ramin, Die Geschichte der Selbstverwaltungsidee seit dem Freiherrn vom Stein, Jur. Diss., Münster 1972. 72 Walter Rudolf, Verwaltungsorganisation, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, hrsg. von H.-U. Erichsen/W. Martens, 8 Berlin 1988, S. 617-671, hier S. 666. 73 Präambel, StO 1808. GS 1806-1810, S. 324. 70

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Neubildung verstand, soll nicht der mit der Reform verbundene Umbruch in Frage gestellt werden. Die Studie schenkt der theoriegeschichtlichen Entwicklung des Selbstverwaltungsbegriffs im Zusammenhang mit der Rezeption der Städtereform besondere Aufmerksamkeit. Der in dieser Arbeit entwickelte Begriff der Teilhabe oder die synonym verwandte Kategorie der Partizipation bezieht sich in allgemeiner Form auf Teilnahme und Beteiligung, Einflußnahme und Mitwirkung der Bürger am Bestand und der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. 74 Politische Teilhabe schließt jegliche Form direkter und indirekter politischer Artikulation, Einflußnahme, und Mitwirkung ein, dabei nicht nur in der individuellen Perspektive subjektiven Vermögens, sondern auch im Wege gemeinschaftlich fordernden Begehrens gegenüber den durch das politische System determinierten Partizipationschancen. Die verordnete Teilhabe, in Preußen einmal auf den Weg gebracht, schuf ein lokales Kontinuum von Beteiligungskonflikten, das die Formen der Mitwirkung dynamisierte und zur politischen Partizipation hinüberführte. Die politisierte Teilhabe äußert sich als intentionales Handeln, als bewußte Absicht auf den politischen Willensbildungsprozeß einzuwirken, die Möglichkeiten zur Wahrnehmung von Partizipationschancen zu eröffnen oder auszuweiten und weiterhin die Mitwirkung an Entscheidungen über die Prioritäten und die Verwirklichung gesellschaftlicher Ziel- und Ordnungsvorstellungen oder den Umfang und die Verteilung staatlicher wie kommunaler Leistungen durchzusetzen. 75 Die historische Auseinandersetzung mit Partizipationsformen und ihrer Entwicklung kann sich dabei nicht in der quantitativen Wahrnehmung eines Mehr an Teilhabe, in welcher Form auch immer, erschöpfen, sondern muß auch die retardierenden Momente berücksichtigen, die der Verallgemeinerung von Partizipation entgegenwirken, in der regressiven Haltung aber, bestimmte Formen der Mitwirkung und Einflußnahme zu erhalten suchen. Partizipationsforschung beschränkt sich deshalb nicht auf Wahlbeteiligungsforschung, auf die Beobachtung quantitativer Faktoren und ihrer Einordnung in qualitativ zu bestimmende Stellenwerte bzw. langfristige historische Entwicklungen, wenngleich das Wahlrecht ein zentraler Forschungsgegenstand bleibt. 76 Vgl. Alemann, Partizipation, S. 16 ff. Michael J. Buse/Wilfried Nelles, Fonnen und Bedingungen der Partizipation im politisch/administrativen Bereich, in: Partizipation, S. 41 ff. 76 Vgl. Alemann, Partizipation, S. 14 ff. Wenngleich um Diversifikation des Partizipationsbegriffs bemüht, sieht Peter Steinbach, Modemisierungstheorie und politische Beteiligung - Zur Analyse politischer Partizipation im langfristigen Wandel, in: Arbeit, Mobilität, Partizipation, Protest. Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von J. Bergmann u.a., Opladen 1986, S. 51 ff., die politische Partizipation dennoch im wesentlichen als eine Frage des Wahlrechts an. 74 75

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Bürgerschaftliche Vertretung bezeichnet eine Fonn der Repräsentation, die auf regelmäßigen Wahlen eines örtlich begrenzten Wahlkörpers beruht. Die zum Handeln für die Bürgerschaft berufenen Vertreter verkörpern im Rahmen ihrer Befugnisse die Bürgerschaft und treten als eigentliche Träger der Willensbildung und Teilhabe an der Herrschaft auf. 77 Bürgerschaftliche Vertretung bezieht sich hier weder im Sinne einer demokratischen Verfassung auf ein durch freie Wahlen, politische Gleichheit und ungehinderte Meinungsbildung gründendes Repräsentationssystems noch wird mit diesem Begriff eine rechtspositivistische Auffassung von "Gemeindevertretung" reproduziert, die sowohl die Stadtverordneten-Versammlungen als auch die Magistrate als Vertretungsorgane ansieht. 78 Thematisiert werden in der Darstellung die Brüche zwischen Repräsentiertem und Repräsentanten - sei es nun im Hinblick auf die innergemeindliche Teilhabe oder hinsichtlich der Vertretung der Städte im Staat. Zu den umstrittenen und widersprüchlichen Kategorien der historischen Sozialwissenschaft gehört der Bürgertumsbegriff?9 Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts wird, bei aller Differenzierung, als eine sowohl objektiv wie subjektiv einheitliche soziale Fonnation mit einem spezifischen Wertebewußtsein angesehen, deren Einheitlichkeit sich erst im Gegensatz zu anderen Klassen herausbildet und gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einen Zerfallsprozeß gerät. 80 Ungeachtet der klassenrelevanten Faktoren wird Bürger77 Zur Wort- und Begriffsgeschichte, Hasso Hoffmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (= Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 22), Berlin 1974, S. 286 ff. Zum Verhältnis von Demokratie und Repräsentation Gerhard Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, Berlin 1966. Die ältere Diskussion resümierend Krüger, Staatslehre, S. 232 ff. Neuerdings, Wolfgang Mantl, Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modemen Staatsformenlehre (= Forschungen aus Staat und Recht, Bd. 29), Wien-New York 1975. Einleitend Heinz Rausch, Vorwort, in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, hrsg. von dems. (= Wege der Forschung, Bd. 184), Darmstadt 1968, S. VII-XVII. 78 August Wilhelm Jebens, Die Stadtverordneten. Ein Führer durch das bestehende Recht, zunächst durch die Preußische Städteordnung für die östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853, Berlin 1899, S. 8 ff., 129 u. 271. 79 Zum Begriff Manfred Riede!, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hrsg. von O. Brunner/R. Koselleck/W. Conze, Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 672-725. Utz Haltern, Bürgerliche Gesellschaft - Theorie und Geschichte, in: Neue Politische Literatur, Bd. 19 (1974), S. 472--488; Bd. 20 (1975), S. 45-59. Ders., Die bürgerliche Gesellschaft, Darmstadt 1985. Lepsius, Zur Soziologie des Bürgertums, in: Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, hrsg. von J. Kocka, Bd. 1, Göttingen 1987, S. 79-100. Kritisch dazu Hettling, Politische Bürgerlichkeit, S. 11 ff. Zur manipulativen Funktionalisierung des Bürgertumsbegriffs in totalitären Herrschaftssystemen siehe Maria Roswitha Panzer, Bürgerlichkeit. Fehldeutungen des Bürgerbegriffs in der politischen Modeme, München 1989.

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turn daneben als ein Phänomen betrachtet, das sich als Kultur konstituiert, die ihre Einheit in der Abgrenzung gegen nichtbürgerliche Schichten und im Prozeß der Verbürgerlichung der Gesellschaft gewinnt. Der Aufstieg der bürgerlichen Kultur zur prägenden und sozialstrukturierenden Formation fällt dabei mit den sozialen und ökonomischen Veränderungen der Industriegesellschaft zusammen. 81 Die sozial wissenschaftlich orientierte Gesellschaftsgeschichte, ebenso auf Generalisierung wie Differenzierung angelegt, unterscheidet zwischen fortschrittsfeindlichem, im kommunalen Honoratiorenturn repräsentierten Stadtbürgertum und den zukunfts orientierten Bürgerlichen, jene aus Bildungsbürgern, Manufakturen-, Protofabriken und Banken betreibenden Unternehmern zusammengesetzte Aufsteigerschicht. 82 Jürgen Kocka differenziert zwischen Stadtbürgern, Bildungsbürgern und Bourgeoisie, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein heterogenes Konglomerat sozialer Kategorien darstellen, im System ständischer Repräsentation und in der städtischen Lebensweise freilich einen gemeinsamen Status finden. 83 Strukturwandel und Modernisierung, der langsame Übergang zur Klassengesellschaft führen zu einer Verengung des Bürgertumsbegriffs auf die Besitz- und Bildungsschichten. Der Stadtbürger bzw. jene Schichten, die den Kern der frühneuzeitlichen ständischen Kategorie "Stadtbürger" ausmachen, Handwerksmeister, kleine Kaufleute etc., sinken zum Kleinbürgertum, zum "alten Mittelstand" ab, vom eigentlichen Bürgertum abgegrenzt, werden sie an den Rand des Bedeutungsfeldes "Bürger" gedrängt. Gegenüber den industriellen Unternehmern, den Großkaufleuten und Bankiers (Bourgeoisie), die durch ihre sozialökonomische Stellung als Klasse eingrenzbar sind und eine gesellschaftliche "Realität" bilden, erscheint das Bildungsbürgertum 84 als ein überaus heterogenes Phänomen, das Zweifel an seiner Wirklichkeit aufkom80 Hans Mommsen, Die Auflösung des Bürgertums seit dem späten 19. Jahrhunderts, in: Bürger und Bürgerlichkeit, S. 288-315. 81 Thomas Nipperdey, Kommentar: "Bürgerlich" als Kultur, in: A. a. 0., S. 143148. Dazu auch Herrnann Bausinger, Bürgerlichkeit und Kultur, in: A.a.O., S. 121142. 82 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 204. Zur Kritik Gall, Vom alten zum neuen Bürgertum, S. 1 ff. 83 Kocka, Bürgertum und Bürgerlichkeit als Problem der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: Bürger und Bürgerlichkeit, S. 2163. Ders., Bürgertum und bürgerliche Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Europäische Entwicklung und deutsche Eigenarten, in: Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, hrsg. von dems., Bd. 1, München 1988, S. 11-76. 84 Zum Begriff und Bedeutungsinhalt, Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, T. 1, Bildungssystem und Professionalisierung in internationalen Vergleichen, hrsg. von W. Conze/J. Kocka, Stuttgart 1985; T. 3, Lebensführung und ständische Vergesellschaftung, hrsg. von M. R. Lepsius, Stuttgart 1992. Ulrich Engelhardt, "Bildungsbürgertum". Begriffs- und Dogmengeschichte eines Etiketts, Stuttgart 1986.

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men läßt und folglich zu der Frage führt, ob der Begriff nicht eine analytische Konstruktion der Historiographie ist. Die bürgertums- und stadtgeschichtliche Forschung sieht sich gegenüber derart weitgefächerten Definitionen in der Verlegenheit, operationalisierbare Kategorien zu entwickeln. Von den Fragestellungen der vorliegenden Arbeit bietet es sich an, den rechtlich fixierten Begriff des "Stadtbürgers" zum Ausgangspunkt zu nehmen. Diese Kategorie verblaßt ja keineswegs im 19. Jahrhundert, sondern existiert als örtlich-rechtlicher Begriff neben sozialen Zuordnungen und stellt gleichsam eine politische Klammer der bürgerrechtlich fundierten Stadtgesellschaft dar. Die sich unter dem Stadtbürgerbegriff entfaltende soziale Realität und die mit ihr verbundenen Herrschaftsstrukturen werden im Verlauf der Arbeit dort thematisiert, wo es um das Wahlverhalten, die Besetzung von kommunalen Ämtern und die Sozialstruktur der Kommunalvertretungen geht. Wenn sich diese Studie die Landes- und Reichshauptstadt Berlin zum Gegenstand genommen hat - ein großstädtisches Zentrum also, das sich im fortgeschrittenen Industrialisierungsprozeß zu einer urbanen Region ausweitet und als politisch differenzierte Siedlungsagglomeration mit einer Reihe von groß- und mittelstädtischen Gemeinden verbunden ist -, dann auf Grund dieses, zunächst einmal als quantitatives Phänomen in Erscheinung tretenden Charakters. Durch seine Größe, seine politisch-wirtschaftliche und zentralörtlich-residenziale Bedeutung grenzt sich Berlin schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts von anderen Städten der Monarchie ab. Im Verlauf des Industrialisierungsprozesses gewinnt diese "Sonderstellung" der Stadt an Gewicht, so daß sie als politisch-administratives wie sozialökonomisches Konglomerat kaum mehr mit anderen Städten Preußens oder des Reichs zu vergleichen ist. Die Wirtschaftskraft und der Bevölkerungsumfang sorgen dafür, daß Berlin auch über provinziale Maße hinauswächst. Diese Entwicklung nimmt Berlin gegenüber anderen Städten jeden repräsentativen Charakter, nichtsdestotrotz liegt in ihrer außergewöhnlichen Stellung ein beispielgebendes Moment, da hier soziale und politische Konflikte eher wirkungsträchtiger und härter zum Austrag kommen, der Strukturwandel des 19. Jahrhunderts mit seinen demographischen und sozialpolitischen Folgen intensiver spürbar wird und die Schnittstellen zwischen Gemeinde und Staat sich in größerer Sensibilität und Zielgerichtetheit bemerkbar machen. Zudem entwickelt sich Berlin zu einem Zentrum des Liberalismus und der Sozialdemokratie, so daß die politische Differenzierung der städtisch-industriellen Gesellschaft und ihre politischen Konfliktlinien im Verhältnis von Staat und Gemeinde sich hier konzentriert beobachten lassen. Das antiliberale, später anti sozialistische Ressentiment der Staatsregierung weitete sich infolge der mit der Industrialisierung einhergehenden Bevölkerungsverschiebung zu einem scharfen wahlrechtspolitischen Gegensatz aus.

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Den Städten wurde eine bevölkerungsadäquate Repräsentation im Staat verweigert und die Wahlkreiseinteilung, wie es in Berlin nur allzu offensichtlich war, als manipulatives Instrument eingesetzt, um nivellierende Wirkungen des individuellen Wahlrechts zu kompensieren. Als Gemeinde mit provinzialem Charakter muß Berlin als bedeutsames Experimentierfeld der kommunalen Selbstverwaltung angesehen werden, das durch die seit Einführung der Städteordnung vorhandene staatliche Polizeiverwaltung eine besondere Note erhält. Der stadtgeschichtliche Ansatz dieser Studie kann seine partikulare Tendenz daher schon vom Objekt her relativieren. Das soll durch den Versuch, örtliches Handeins in seiner Ausstrahlung auf die allgemeine politische Entwicklung zu analysieren, aber auch durch die Geltendmachung städtischer Positionen auf staatlicher Ebene verstärkt werden. Inwieweit die Einordnung der Selbstverwaltung als politisch antimodernes Element in der konstitutionellen Monarchie über die politik- und rechtswissenschaftliche Reflexion hinaus durch die kommunale Praxis zu bestätigen sein wird, muß allerdings, ehe die vorgelegten Erkenntnisse eine Generalisierung erlauben, durch weitere ähnlich angelegte Studien bestätigt werden. Modernisierung,85 das sei hier abschließend zu den methodisch-begrifflichen Anmerkungen gesagt, geht nicht von einem normativ auf die Gegenwart ausgerichteten, nur dichotomisch zwischen alt und neu unterscheidenden Modell aus, sondern von einem Transformationsprozeß, der sich in räumlicher, zeitlicher und sektoraler Differenzierung, partieller Fortschrittlichkeit, Gegenläufigkeiten und Widersprüchlichkeiten einschließend, entwickelt. Modernisierung ist freilich kein teleologisches Entfaltungskontinuum, folglich können widerstrebende Elemente Beharrungstendenzen freisetzen, der Transformationsprozeß selbst teilbar werden, so wie sich in der Selbstverwaltung Modernität und Antimodernität vereinen.

7. Die Einleitung soll nicht geschlossen werden, ohne einen Blick auf die Quellengrundlage dieser Arbeit geworfen zu haben. Die von der preußischen Reformbürokratie in die Praxis entlassene Kommunalverwaltung Berlins verfügte noch nicht über das hohe Maß an kommunikativen Mitteln der späteren Gemeindeadministration, um die Öffentlichkeit mit einer Vielzahl von Verwaltungsübersichten, Berichten, statistischen Erhebungen 85 Dazu al1gemein Steinbach, Modemisierungstheorie, S. 36 ff. Lepsius, Soziologische Theoreme über die Sozialstruktur der "Modeme" und die "Modemisierung", in: Studien zum Beginn der modemen Welt, hrsg. von R. Kosel1eck, Stuttgart 1977, S. 10 ff.

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und Einzeluntersuchungen über die kommunale Wirklichkeit sowie die Arbeit der Gemeindeverwaltung zu informieren. An eine derartige Intensität öffentlicher Selbstdarstellung und amtlicher Informationsangebote war in den Reformjahren, trotz aller Teilhabevisionen, wohl auch nicht gedacht. Der historischen Forschung steht somit für die vormärzliche Periode nur wenig veröffentlichtes Material der kommunalen Selbstverwaltung Berlins zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Entwicklungslinien, die Probleme und Zielsetzungen der Gemeindeadministration und des Stadtbürgertums, zumindest in Umrissen, nachgezeichnet werden könnten, so daß der aktenmäßigen Überlieferung für diese Epoche eine entscheidende Bedeutung zukommt. Die amtliche Überlieferung der Kommunalentwicklung ändert sich im Grunde genommen erst nach der Reichsgründung oder genauer gesagt: Ende der siebziger Jahre, als man sich entschloß, nach Sachgebieten gegliederte Verwaltungs berichte in fünfjährigen Perioden herauszugeben. Diese Berichte informieren auf unterschiedlichem Niveau über die Stadtverordnetenwahlen, die Stellung der Gemeinde im Staat, die Konflikte mit der Kommunalaufsicht etc. Zur gleichen Zeit erschienen erstmalig regelmäßige stenographische Berichte über die Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung und auch die Vorlagen für die Verhandlungen der Kommunalvertretung wurden nunmehr kontinuierlich in gedruckter Form herausgegeben. Mit den Berichten und Vorlagen verfügen wir über eine wichtige Quelle zur Stadtentwicklungsgeschichte, aber auch zur politischen Geschichte Berlins, da die Positionen und Haltungen der Stadtverordnetenfraktionen, etwa in der Wahlrechtsfrage, hier in breiter Form einsichtig werden. Neben den kommunalen Publikationen sind für die vorliegende Studie die Verhandlungen des preußischen Landtags und der provinzialständischen Vertretungen von erheblichem Wert, da insbesondere in den Verhandlungen des Abgeordnetenhauses mit großer Offenheit die Zielsetzungen der Parteien dargelegt werden, so daß sowohl die sachlichen als auch die politischen Standpunkte, Haltungen und Werte der konkurrierenden Parteien deutlich werden. Meiner Auffassung nach werden die parlamentarischen Berichte von der historischen Forschung als "tendenziöse" Quelle häufig überschätzt und folglich ihre Bedeutung nicht erschöpfend wahrgenommen. Das gilt nicht zuletzt auch für die publizierten Vorlagen, in denen häufiger die Vorgeschichte, Entwicklung und Bedeutung eines Gesetzesvorhabens in ihren politischen und sozialen Wirkungen erläutert wird. Ähnlich wie die parlamentarischen Quellen bilden die regierungs- und kommunal amtlichen Publikationen, Gesetzessammlungen, Ministerial- und Verordnungsblätter, Die Zusammenstellungen der Ministerialreskripte und Gerichtsurteile eine schier unerschöpfliche Fundgrube für die Verwaltungs-, Rechts- und politische Geschichte, aber auch für die Sozialhistorie. Im Hin-

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blick auf die "Verfassungs wirklichkeit" der Kommunalordnung sind diese Quellen insofern von nicht zu unterschätzender Bedeutung, als das Städterecht von der historiographischen Forschung überwiegend in seiner ursprünglichen Fassung, weniger in seiner praktischen Ausführung wahrgenommen wird. Die amtlichen Quellen können durch theoretische und biographische Veröffentlichungen von Ministerialbeamten, Kommunalpolitikern oder sonstigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ergänzt werden. Auf diese Weise lassen sich insbesondere für die Zeit des Vormärzes Lücken der amtlichen Überlieferung schließen, ansonsten bilden diese Quellen ein wichtiges Korrektiv ihrer Wertungen. Weiteres gedrucktes Material liegt in Form von Zeitungen vor. Für die Epoche der Märzrevolution sind sie unentbehrlich, da hier nicht nur über die Ereignisse und Entwicklungen, sondern mit aufklärendem, politisierendem und mobilisierendem Duktus die Positionen des Stadtbürgertums und der übrigen städtischen Schichten, ihre Fraktionierungen, aber auch individuelle Haltungen deutlich werden. Nicht weniger unentbehrlich sind die Zeitungen für die Kommunalwahlen, da sie in der konstitutionellen Zeit regelmäßig über Wahlversammlungen, Wahlentscheidungen, über politische Stimmungen, Konflikte und Absprachen sowie über lokale Auseinandersetzungen berichten. Über die zahlreichen gedruckten Quellen hinaus liegen der Untersuchung eine größere Reihe von Verwaltungsakten zugrunde, deren Umfang durch die weitergefächerte Fragestellung der Arbeit begründet ist. Die Akten der Ministerial- und Regionalbürokratie erschließen insbesondere die Motivierungen der Regierungspolitik in den Fragen der Wahlrechtsreform, der Wahlkreisrevision zu den Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus oder der Novellierung des Kommunalrechts. Sie berichten über die Konflikte zwischen Staat und Gemeinde - beispielsweise bei der Frage der Kommunalisierung staatlicher Ortsfunktionen -, sie verdeutlichen abweichende kommunale Positionen, nehmen teilweise die öffentlichen Debatten auf und zeigen die Wege der Konfrontation, des Ausgleichs oder Scheiterns bei wichtigen gesellschaftspolitischen Reformvorhaben. Durch die kommunalen Akten werden städtische Positionen zu allgemeinen politischen Fragen entfaltet - erwähnt sei nur die Kommunalrechtsreform -, innergemeindliche Konflikte offengelegt, aber auch die Besonderheiten örtlicher Entwicklung nachgezeichnet, was insbesondere für die Kommunalwahlen, die Reform der Kommunalwahlkreise und die Handhabung der normativen Wahlrechtsbeschränkungen zutrifft.

Erstes Kapitel

Repräsentation und Partizipation als Instrumente staatlicher Erneuerung in Preußen 1. Staatskrise und modernisierende Verwaltungsreorganisation Die städtische Gesellschaft Preußens erschien vor dem Hintergrund der als epochal charakterisierten Reform des kommunalen Verfassungsrechts zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts als ein durch staatliche Vormundschaft, ausufernde Reglementierung und Kontrolle in Unmündigkeit und Eigennutz versunkenes Gemeinwesen, das jeden Antrieb verloren hatte, Aufgaben des Gemeinwohls wie der unmittelbaren Gemeinschaft wahrzunehmen. In ihrem Reformeifer wurde die Ministerialbürokratie nicht müde, auf den herrschenden "Geist der Einseitigkeit, des Zwiespalts und Eigennutzes" in den Städten hinzuweisen. I Das zeitgenössische Urteil scheint durch die Tatsache gestützt zu werden, daß Zeugnisse, die etwa den Willen des Berliner Stadtbürgertums zu einer verfassungsmäßigen Teilnahme an der Verwaltung bekundeten, nicht bekannt geworden sind. Die ältere, noch heute nicht entbehrliche Stadthistoriographie 2 zeichnet das Bild einer Bürgerschaft, die daran gewöhnt war, dem Landesherrn die Sorge für die Hauptund Residenzstadt zu überlassen. Monarch und Bürokratie kümmerten sich neben der Zuwanderung und der Wirtschaftsförderung um die Lebensmittel- und Heizmaterialversorgung, aber auch um die Wohlfahrtseinrichtungen und die allgemeine Verschönerung der Stadt. So begegnet uns in der historischen Schilderung ein Bürgertum, das der Übernahme von Gemeindeangelegenheiten völlig "entwöhnt" war,3 das keine Vertrautheit mit den Formen und Inhalten politischer Selbständigkeit zeigte und zudem wenig zwischen kommunalen und eigenen Interessen zu unterscheiden wußte. 4 I Vorschläge zur Organisierung der Munizipalverfassungen. Denkschrift des Geheimen Kriegsrats und Polizeidirektors Johann Gottfried Frey. Undat. (vor dem 17. Juli 1808), in: Heinrich Scheel/Doris Schmidt, Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, Bd. 2 (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften des Instituts für Geschichte, R. 1: Allgemeine und deutsche Geschichte, Bd. 31/B), Berlin 1967, S. 657 f. 2 Nach wie vor grundlegend Clauswitz, Städteordnung. 3 A.a.O., S. 101 f. Vgl. auch Ziekursch, Städteordnung, S. 137 ff.; Wendt, Städteordnung, T. I, S. 78 ff.; T. 2, S. 279 f.

5 Grzywatz

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

Gleichwohl trug diese Bürokratie keine Bedenken, selbst unter dem Eindruck der bedrohten Staatlichkeit, mit einer Reform voranzuschreiten, die der Bürgerschaft in den Gemeinden die Teilnahme an den Kommunalangelegenheiten sicherte und ihr die von seiten des Staates usurpierten Rechte in der Hoffnung wiedergab, daß die Mitwirkung an den öffentlichen Geschäften sowohl das allgemeine Interesse am Gemeinwohl wecken als auch die Effizienz der Lokalverwaltung verbessern konnte, in der Verbindung von Mitwirkung und Auftrag aber die Stadt intensiver an den Staat fesseln sollte. Woher nahm der Staat das Vertrauen in die Reformfähigkeit der Städteverwaltung, in die Lernfähigkeit eines im Grunde genommen - wollte man dem historischen Urteil Glauben schenken - unmündigen Bürgertums? Die langwierige Suche nach einer differenzierten Antwort auf diese Frage erübrigt sich, sobald die Bedrängnis der äußeren Verhältnisse, der Zusammenbruch des preußischen Staates bedacht werden. Nur eine Radikalkur der Verfassung konnte in dieser Situation "dem Staat wieder neues Leben geben und ihm solches erhalten".5 Es war keine Zeit zu verlieren. Anstelle des landrechtlich legalisierten Pluralismus der Stände und Provinzen mußte der Einheitsstaat treten, der die Kräfte der Einzelnen zu einem einheitlichen Zweck vereinigte und mithin, wie der Geheime Oberfinanzrat von Altenstein betonte, die Nation im Staat konstituierte, jenseits der Partikularität privilegierter Rechte. 6 Der Herrscherwechsel, kurze Zeit vor der lahrhundertwende, hatte bereits Bewegung in den administrativen Immobilismus des Staates gebracht. Friedrich Wilhelm III. setzte Kommissionen ein, die Vorschläge zur Reform des Militär- und Finanzwesens prüften und ausarbeiteten, Reorganisationsmaßnahmen für die Provinzialbehörden wurden eingeleitet, entsprechende Pläne für die zentrale Staatsadministration entworfen und auf den Domänen die Bauernbefreiung durchgeführt. 7 Das Bewußtsein eines notwendig in 4 Clauswitz, Städteordnung, S. 91 f.; Waldemar von Grumbkow, Die Geschichte der Kommunalaufsicht in Preußen, (T. 1), Neubrandenburg 1921, S. 25 ff.; Ernst Meier, Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg, 2. Aufl., hrsg. mit Anmerkungen und einer Einleitung von F. Thimme, MünchenBerlin 1912, S. 36 ff. 5 Denkschrift des Ministers Freiherr von Hardenberg "Über die Reorganisation des Preußischen Staats, verfaßt auf höchsten Befehl Sr. Majestät des Königs" vom 12. September 1807, in: Georg Winter, Die Reorganisation des Preußischen Staates unter Stein und Hardenberg, T. I, Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform, Leipzig 1931, S. 320. 6 Denkschrift des Geheimen Oberfinanzrat von Altenstein "Über die Leitung des Preußischen Staates", 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 393. 7 Allgemein zur preußischen Geschichte um 1800 Kurt von Raumer/Manfred Botzenhart, Deutschland um 1800: Krise und Neugestaltung. Von 1789 bis 1815 (= Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 3/la), Wiesbaden 1980. Henri Brunschwig, Gesellschaft und Romantik in Preußen im 18. Jahrhundert. Die Krise des

1. Staatskrise und modernisierende Verwaltungsreorganisation

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Gang gesetzten Wandels resümierte Minister Struensee 1799 schon in der Vorstellung einer gesellschaftspolitischen Alternative zur französischen Revolution. "Die heilsame Revolution", erklärte er dem französischen Geschäftsträger, "die Ihr von unten nach oben gemacht habt, wird sich in Preußen langsam von oben nach unten vollziehen. Der König ist Demokrat auf seine Weise: Er arbeitet unablässig an der Beschränkung der Adelsprivilegien und wird darin den Plan Josephs 11. verfolgen, nur mit langsamen Mitteln. In wenig Jahren wird es in Preußen keine privilegierte Klasse mehr geben".8 Allein es fehlte letztendlich an jenem "starken Defizit", das aus der dringenden Not des Tages zur Reform zwang. 9 Es fehlte an jener Entschiedenheit des Reformwillens, der den Konzepten die politische Tat folgen ließ. So scheiterte die Heranziehung des Adels zur Grundsteuer, die Aufhebung des Zunftzwangs, die Beseitigung der steuerpolitischen Trennung von Stadt und Land, nicht minder die Befreiung der Privatbauern und nicht zuletzt die Ablösung der Kabinettsregierung durch ein modernes, nach Ressorts aufgeteiltes Staatsministerium. Es entstand jener "merkwürdig suspendierte Zustand der Unsicherheit und der Irritation",10 in dem die Kritik preußischen Staates am Ende des 18. Jahrhunderts und die Entstehung der romantischen Mentalität, Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1975. Hanna Schissler, Preußische Agrargesellschaft im Wandel. Wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Transformationsprozesse von 1763 bis 1847, Göttingen 1978. Otto Büsch, Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713-1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft. 2Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1981. Otto Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, Berlin 1915, S. 402 ff. Zum Verhältnis der berufsständischen Gliederung des Landrechts und der sich entwickelnden bürgerlichen Gesellschaft Reinhart Koselleck, Preußen, S. 78 ff. Die Reformbemühungen vor 1806 werden besonders behandelt bei Hintze, Preußische Reformbestrebungen vor 1806, in: Ders., Regierung und Verwaltung. Gesammelte Abhandlungen zur Staats-, Rechts- und Sozialgeschichte Preußens, Bd. 3, hrsg. u. eingel. von G. Oestreich, 2Göttingen 1967, S. 504-529. Siehe auch Rudolf Vierhaus, Heinrich von Kleist und die Krise des Preußischen Staates um 1800, in: Ders., Deutschland im 18. Jahrhundert. Politische Verfassung, soziales Gefüge, geistige Bewegungen, Göttingen 1987, S. 220 ff. 8 Zit. nach Hintze, Reformbestrebungen, S. 506. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang nicht die Frage nach der tatsächlichen Reichweite der Reformabsichten, die Hintze kritisch stellt, sondern die Existenz eines Problembewußtseins notwendiger gesellschaftlicher Reform, das der zeitpolitischen Reflexion verpflichtet ist. Die bereits in der Vorreformzeit ausgebildete Einsicht, daß der Staatserhalt wie die Stärkung der zentralen Staatsrnacht mit Notwendigkeit die Ersetzung der traditionellen durch neue, effizientere Strukturen erforderte, ohne daß auf partikulare Interessen Rücksicht genommen wurde, betont auch Deme!, Reformstaat, S. 59 f. 9 So mit Blick auf die Reform des preußischen Steuersystems Rolf Grabower, Preußens Steuern vor und nach den Befreiungskriegen, Berlin 1932, S. 78. Nipperdey spricht zu Recht vom "factum brutum" des Zusammenbruchs, der trotz aller Kontinuitäten am Anfang der Reformen stand. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, 6München 1993, S. 33. 10 Vierhaus, Krise, S. 223. 5*

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

eines Stein unter den Bedingungen der äußeren Bedrängnis die Gefahr für den Verlust der Unabhängigkeit oder gar für eine Auflösung des Staates sehen wollte. II Erst der von den äußeren Ereignissen ausgehende Reformdruck forderte die Ablösung der absolutistisch regierten Ständegesellschaft heraus. Auch das naturrechtlich fundierte Modell eines vertraglichen Verhältnisses zwischen Regent und Untertanen hatte seine Wirkungskraft eingebüßt. Der aufgeklärte Spätabsolutismus band zwar den Monarchen durch den "bürgerlichen Vertrag" an die Gesetze und "die Zwecke der bürgerlichen Gesellschaft",12 womit die Gewähr für den Einzelnen ausgesprochen war, weder in der Ausbildung und Anwendung seiner Fähigkeiten und Kräfte noch im Gebrauch seiner angeborenen und erworbenen Güter beschränkt zu werden. Niemand durfte das Individuum hindern, "seine Glückseligkeit nach seiner eigenen besten Einsicht und Überzeugung zu befördern",13 solange nicht die allgemeine Sicherheit und die allgemeinen Gesetze gestört oder gefährdet waren. Die Staatsrechtslehre der Spätaufklärung ging aber noch von der "uneingeschränkten Monarchie,,14 als bestmögliche aller Regierungsformen aus. Das auf "gegenseitiger Einwilligung,,15 begründete Verhältnis zwischen Regent und Untertan mündete dabei im Ideal der Interessenharmonie und folglich waren die politischen Mitwirkungsrechte der Bürger nur dazu angetan, zwischen Monarch und Volk eine "Mittelmacht,,16 zu konstituieren, die durch Teilnahme an der Regierung eine gegenüber anderen Gesellschaftsschichten privilegierte Stellung einnahm. Die Reformbürokratie lehnte eine patriarchalische Regierungsform als unzeitgemäß ab. Die "Repräsentanten des wahren Zeitgeistes" forderten, wie Altenstein bemerkte, die "Umänderung aller derjenigen Verfassungen, in welchen der Mensch nicht als solcher geachtet, sondern als Sache anderer Menschen im Staate betrachtet" wurde. 17 Im preußischen Staat war 11 Stein, Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerialkonferenz, 26.127. April 1806; Nachschrift vom 10. Mai 1806, in: Walter Hubatsch/Peter G. Thielen, Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd. 2,1, Stuttgart 1959, S. 214. Vgl. dazu Gerhard Ritter, Stein. Eine politische Biographie, 4Stuttgart 1981, S. 151 ff. 12 Carl Gottlieb Svarez, Grundsätze des Natur- und Allgemeinen Staatsrechts, in: Hermann Conrad/Gerd Kleinheyer, Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (= Wissenschaftliche Abhandlungen für Forschung des Landes NordrheinWestfalen, Bd. 10), Köln-Opladen 1960, S. 463. Zur Problematik des Begriffs "aufgeklärter Absolutismus" vgl. Demei, Reformstaat, S. 61 ff. 13 Svarez, Grundsätze, in: Conrad/Kleinheyer, Vorträge, S. 468. 14 Svarez, Über die Regierungsformen, in: A. a. 0., S. 475. 15 Svarez, Grundsätze, a. a. 0., S. 463. 16 S varez, Regierungsformen, a. a. 0., S. 475. 17 Denkschrift Altenstein, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 391.

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nach Ansicht der Reformer alles beim alten geblieben. Das politische System hatte die Separierung der Gesellschaft in unterschiedlich privilegierte Schichten und Unfreie einerseits bestehen lassen, so daß sich die Stände gerade aus der Isoliertheit ihrer gesellschaftlichen Stellung heraus gegen den Staat wandten, andererseits hatte der Staat versucht, sich über standesrechtliche Beschränkungen hinwegzusetzen, wodurch sich die Differenzen noch verschärften. Die Stände hatten nicht aufgegeben, ihre Existenz gegen Angriffe des Staates zu verteidigen. "Es blieb daher", so das resümierende Urteil Altensteins, "bei allen alten Resten der Barbarei, Zwangsrechten, welche die natürliche Freiheit ohne Nutzen für den Staat beschränkten, mangelhafter Polizei, Justizverfassung, Lähmung der Gewerbe und dadurch des Handels".18 Offensichtlich beeinflußte der Reformwille das Urteil über die hergebrachten Zustände gesellschaftlicher und staatlicher Existenz. Die langfristig angelegte, evolutionäre Reformfähigkeit des preußischen Staates, selbst wenn sie einer realen Grundlage nicht entbehrte, hatte angesichts des staatlichen Zusammenbruchs ihre politische Berechtigung verloren. Der Zeitgeist oder, wie Altenstein formulierte, "die Summe der Fortschritte der Menschheit,d9 verlangte, die Fesseln der bestehenden Verfassung zu lösen und eine "monarchisch nach Gesetzen regierte Staatsbürgergesellschaft,,2o einzurichten. Reformgewißheit stellte sich mithin aus der Kenntnis der bereits in der Gesellschaft angelegten Kräfte ein, die nur durch Befreiung aus ihren beschränkten Verhältnissen zur Entfaltung gebracht werden mußten. Das imperiale Frankreich wies in dieser Hinsicht vorbildhaft den Weg. Die Fessel der überkommenen Verfassung wirkte sich indessen nicht nur auf den allgemeinen Zustand des Staates nachteilig aus, sondern, da die Grundverfassung des Staates zugleich das Gesetz für die ganze Staatsverwaltung bildete, auch auf die innere Verwaltungsorganisation des preußischen Staates, die nicht darauf angelegt war, einen Zusammenhang zwischen der Administration und der Nation im Wege der politischen Teilnahme herzustellen?1 Die preußische Staatsverwaltung war, wie der Geheime Kriegsrat Frey anmerkte, durch das ebenso absurde wie initiativfeindliche "Prinzip des Mißtrauens"22 in ihrer Wirkungsträchtigkeit erheblich eingeschränkt.

A. a. 0., S. 393. A. a. 0., S. 389. 20 Koselleck, Preußen, S. 154. 21 Altenstein, Denkschrift, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 389 u.404. 22 Frey, Organisierung der Munizipalverfassungen (vor dem 17. Juli 1808), in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, S. 657 f. 18

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Der konservative Staatstheoretiker August Wilhelm Rehberg, der Stein in seiner Göttinger Studienzeit nahestand und mit ihm die ebenso aristokratisch-ständische wie organisch-historische Auffassung vom Staat teilte,23 sah die Entwicklung der preußischen Staatsverwaltung durch drei Hauptrnißstände belastet: Sie wollte alles wissen, auch was sie nicht zu wissen brauchte und nicht wissen konnte, sie wollte alles zentralisieren und sie übertrieb das Formelle. Allwissenheitsanspruch, Zentralismus und übersteigerter Formalismus zeitigten, so Rehberg, eine "unersättliche Herrschsucht der höheren Staatsbeamten, die keinen auch noch so geringen Grad unabhängiger Tätigkeit gestatte(te)n,,?4 Die Disfunktionalität des hierarchischbürokratischen Systems ging nach Rehberg soweit, daß ehrgeizige Beamte sich bemühen mußten, ihren Vorgesetzten etwas vorzulügen, um gute Zwecke zu befördern, während diese sich gern vorlügen ließen, um nicht wesentlichere Vorteile aufzuopfern. 25 Rehberg sah die Lösung der Probleme nicht in der Entwicklung perfektionistischer Programme,26 sondern in der Reduktion der Komplexität der Verwaltung, in ihrer Vereinfachung durch Reprivatisierung und in der Förderung eines praktischen problemorientierten Reformismus, der von einem verantwortungsbewußten, zu flexiblem und generalisierendem Denken befähigten Beamtenturn getragen wurde. Regulative Politik fand dort ihre Grenzen, wo Einzelentscheidungen gefordert waren. Daher kam es für die Verwaltung darauf an, "Menschen in Lagen und Verhältnisse zu setzen, ... Eigenschaften ... für die großen Zwecke des öffentlichen Lebens,,27 ausbilden zu können. Rehberg wollte einen freien Spielraum der Tätigkeit für das gemeine Beste. Eine Zielsetzung, die ihn gleichermaßen mit Stein verband wie die Abneigung gegen die bürokratische Administration. Als Reformer teilte Stein die Auffassung von der Selbstbeschränkung des Staates auf das Notwendige. Scharf kritisierte er "den Formenkram und Dienstmechanismus in den Kollegien". Stein ging indessen über Rehberg 23

Volker Müller, Staatstätigkeit in den Staatstheorien des 19. Jahrhunderts

(= Studien zur Sozialwissenschaft, Bd. 108), Opladen 1991, S. 242. Dieter Schwab,

Die Selbstverwaltungsidee des Freiherrn von Stein und ihre geistigen Grundlagen (= Gießener Beiträge zur Rechtswissenschaft, Bd. 3), FrankfurtIM 1971, S. 99 ff. Überholt, insbesondere hinsichtlich des Rehbergschen Einflusses auf Steins Vorstellungen zur kommunal-bürgerschaftlichen Verwaltung Erich Weniger, Rehberg und Stein, in: Niedersächsisches Jahrbuch, Bd. 2 (1925), S. 1-121. Siehe dazu auch Hubatsch, Die Stein-Hardenbergschen Reformen (Erträge der Forschung, Bd. 65), Darmstadt 1977, S. 116. 24 August Wilhelm Rehberg, Über die Staatsverwaltung deutscher Länder und die Dienerschaft des Regenten, Hannover 1807, S. 26 ff. u. 37 f. 25 Rehberg, S. 63. 26 So auch Stein. Vgl. Schwab, Selbstverwaltungsidee, S. 101. 27 Rehberg, Staatsverwaltung, S. 47.

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hinaus, indem er die Öffentlichkeit in das Verwaltungshandeln einbeziehen wollte. Die Teilnahme einzelner Bürger an der Verwaltung, die aus dem "praktischen Leben" kamen, sollte anstelle des bürokratischen Leerlaufs für einen "lebendige(n), fortstrebende(n) und schaffende(n) Geist und ein(en) aus der Fülle der Natur genommene(n) Reichtum von Ansichten und Gefühlen" sorgen. 28 Durch die Mitwirkung an den öffentlichen Geschäften konnte die bürgerliche Gesellschaft ihre Kräfte und ihr Vermögen zu gemeinnützigen Zwecken entfalten. 29 Stein setzte seine Hoffnungen auf das freie Handeln der Bürger, auf die im "freien Spiel der Kräfte" aus eigener Dynamik sich entfaltende Nation. Die Teilnahme der Öffentlichkeit oder der öffentlichen Meinung, wie Stein zu sagen pflegte, bildete die Voraussetzung einer wirksamen Staatstätigkeit. Herrschaft ohne Verbindung zwischen Staat und Nation war schlechterdings kontraproduktiv. Wurde auf eine "zweckmäßige Teilnahme und Einwirkung auf die Administration,,3o verzichtet, mußte sich in der Gesellschaft Gleichgültigkeit gegenüber dem Gemeinwohl oder gar Widerwillen gegen die Verwaltung einstellen, so daß diese immer mehr von der Nation getrennt wurde. Aus dem allgemeinen Mitwirkungsgebot folgte für die praktische Gesetzgebung, daß die Regierung ebenso von der Ausführbarkeit der Gesetze wie von der Zustimmung der Öffentlichkeit überzeugt sein mußte. 31 Die gewählten Repräsentanten der Stände begriff Stein über ihre partizipativen Funktionen hinaus als Organe der öffentlichen Meinungsbildung. Zweckmäßig gebildete Stände, mithin auch die gewählten Vertreter der Bürgerschaften in den Städten, erlaubten es dem Staat, "ein gut gebildetes Organ der öffentlichen Meinung zu erhalten", welche die Staatsadministration bislang nur "aus Äußerungen einzelner Männer oder einzelner Gesellschaften bislang vergeblich zu erraten bemüht,,32 war. Die Teilnahme der Nation 28 Stein, Denkschrift über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden in der Preußischen Monarchie, Nassau, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 202. 29 Vgl. Stein an Merckel, 16. Januar 1810, in: Hubatsch, Stein, Bd. 3, S. 256. Zum Begriff der öffentlichen Meinung bei Stein siehe Ruth Flad, Der Begriff der öffentlichen Meinung bei Stein, Arndt und Humboldt. Berlin-Leipzig 1929, S. 7 ff. Schwab, Selbstverwaltungsidee, S. 118 ff. Das systematische Moment der öffentlichen Meinung im Denken Steins negiert Hubatsch. Er sieht Öffentlichkeit bei Stein allein unter praktischen politischen Gesichtspunkten. Reformen, S. 187. 30Immediatbericht Steins, 23. November 1807, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S. 505. 31 Stein an Sack, 11. September 1802, in: Hubatsch/Botzenhart, Stein, Bd. 1, S. 565. Nipperdeys Annahme, Geschichte 1800-1866, S. 35, daß die Teilhabe im Zusammenhang mit der Verfassungsbewegung "mehr Ergebnis als Instrument der Modernisierung sein" sollte, übersieht den organisations zentrierten Aspekt der Mitwirkung. 32 Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 199.

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oder die Berücksichtigung der Öffentlichkeit stand bei Stein demnach in einer engen Verbindung mit der Verwaltungsorganisation, in beiden Fällen handelte es sich um funktionale Momente angestrebter Verwaltungseffektivierung und damit um Bestandteile einer organisationszentrierten Reformkonzeption. Im einzelnen erstreckte sich die Reorganisation der öffentlichen Verwaltung auf eine allgemeine Konzentration der Kräfte und Kostenersparnis, die zweckmäßigere Verteilung und Gliederung der Geschäfte nach Hauptverwaltungszweigen, die Vereinfachung des Kassenwesens, das hieß insbesondere die Zusammenziehung vieler Hauptkassen in einer Generalkasse - ein Problem, das uns beim Ausbau der bürgerschaftlichen Kommunalverwaltung wieder begegnen wird - sowie ferner auf die Verbesserung des Informations- und Kenntnisstandes in der Verwaltung durch die Beiordnung wissenschaftlicher und technischer Deputationen. 33 Stein sprach die administrative Funktionalisierung der ständischen Mitwirkung selbst an, wenn er erklärte, daß das Volk durch die Repräsentanten "inniger an die Administration gekettet,,34 wurde oder daß man sämtliche gebildeten Klassen "durch Überzeugung, Teilnahme und Mitwirkung bei den Nationalangelegenheiten an den Staat knüpfen,,35 mußte. Die aus einem dezidierten Antibürokratismus entwickelten Beteiligungsformen zielten nicht auf die unabhängige Mitwirkung an legislativen Aufgaben ab, sie beinhalteten daher auch nicht einen ersten Schritt zur institutionellen Verkörperung der Volkssouveränität, sondern die Teilhabe an der Verwaltung sollte eine enge Kooperation zwischen Staat und Gesellschaft begründen. Aus dem gleichgültigen Gegenüber sollte eine Verknüpfung, "aus der einseitigen Verwaltung des polizeilichen Anstaltsstaates ein lebendiges Konvivium obrigkeitlicher und freier Tätigkeit,,36 werden. Als praktische Zielsetzung stand dabei die Verbesserung der Staatsverwaltung zweifellos im Vor33 Stein, Immediatbericht, 23. November 1807, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S. 502 ff. 34 A. a. 0., S. 505. Die Differenz, die Obenaus, Anfänge, S. 35, hier zur Altensteinsehen Konzeption sehen will, beruht auf einem Irrtum. Die Fesselung der Repräsentationen an die Verwaltung ist sowohl bei Stein als auch bei Altenstein ausgebildet. Vgl. weiter unten. 35 Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 199. 36 Schwab, Selbstverwaltungsidee, S. 115. Vgl. auch Müller, Staatstätigkeit, S. 242. Zum Verhältnis von Reformbürokratie und Liberalismus unter ausführlicher Hervorhebung des staatlichen Entwicklungsdirigismus als entscheidender Bruchstelle Elisabeth Fehrenbach, Bürgertum und Liberalismus. Die Umbruchsperiode 1770-1815, in: Bürgertum und bürgerlich-liberale Bewegung, S. 45 ff. Barbara Vogel, Beamtenliberalismus in der Napoleonischen Ära, in: Liberalismus im 19. Jahrhundert, hrsg. von D. Langewiesche, Frankfurt/M. 1988, S. 45-63, hebt hingegen neben fiskalischen und ökonomischen Zweckmäßigkeitserwägungen, Sachzwängen und defensiven Methoden der Herrschaftssicherung das an einem "neuen GeseIlschaftsmodell" orientierte Handeln jüngerer Reformbürokraten hervor, das auf

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dergrund, aber nicht mehr ausschließlich, denn im Gegensatz zur Konzeption des spätabsolutistischen Glückseligkeitsstaates ging Stein nicht mehr von einer Identität des staatlichen und öffentlichen Raums aus. So sehr Stein auch die Partizipation als zentrales Strukturelement des politischen Systems hervorhob, in seiner Befangenheit gegenüber der bürokratischen Verwaltung übersah er indessen die "zukunftsweisende Bedeutung,,37 der bürokratischen Organisation von Herrschaft. Die Verbindung von Staat und Nation setzte nach Stein keineswegs solche Repräsentationen voraus, die auf allen Ebenen des Staates einberufen wurden; ebenso wenig war es notwendig, die Staatstätigkeit zentralisierend auf sämtliche Gegenstände und Bereiche des Verwaltungshandelns zu erstrecken. Die Eigentümlichkeiten der einzelnen Gemeinden, Kreise und Provinzen mußten seitens der Staatsverwaltung respektiert werden, nicht zuletzt, weil sie Bereiche ständischer Mitwirkung waren. Steins Kritik am bürokratischen Zentralismus Preußens äußerte sich in der Restaurationszeit in harten Urteilen, da er unter der Wirkung der von ihm kritisierten Gewerbefreiheit den Zerfall der stadtbürgerlichen Gesellschaft "durch den allgemeinen Egoism" sowie den Verlust jeden Gemeingeistes kommen sah. Unter dem Einfluß einer in alles ein- und durchgreifenden Regierung, die sich lediglich auf eine eigentums- und interessenlose, buchgelehrte oder empirische, gutbesoldete Beamtenhierarchie gründete, mußte der Gemeinsinn im ganzen Staat wie in den regionalen und lokalen Organen verlorengehen. Das "ökonomisch-technologisch-populierende System" Preußens, urteilte Stein, "durch eine zentralisierende, regierungs süchtige Bürokratie angewandt, frißt sich selbst auf wie Saturn seine Kinder. Wir sind übervölkert, leben überfabriziert, überproduziert, sind überfüttert und haben mit Buchstaben und Tinte die Beamten entmenscht, die Verwalteten entgeistet und alles in toten Mechanism aufgelöst,,?8 Steins Vorbehalte gegen die Bürokratie und den Zentralismus der Staatstätigkeit waren auch eine Reaktion auf den Verlust korporativer Bindungen in den unteren Verwaltungseinheiten, die gerade in der Mitverwaltung für das Gesamtinteresse wirksam werden sollten. Mit Blick auf die Städteordnung wies Stein darauf hin, daß sich allein durch "die vielfach erprobten Nachteile des Zentralismus" die Notwendigkeit ergeben hätte, die Kommunal- und Bezirksangelegenheiten "der Autoein Regierungssystem mit politischer Teilhabe auf kommunaler und staatlicher Ebene abzielte. 37 Nolte, Staatsbildung, S. 30. 38 Stein an Kunth, 8. November 1821, m: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 6, S. 408 f. Zitat, S. 409.

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nomie ... der Gemeinde- und Bezirkseingesessenen zu überlassen,,39 und nur eine Oberaufsicht von Seiten des Staates auszuüben. Wollten sich die staatlichen Zentralbehörden nicht mit einer unübersehbaren Masse von Geschäften überladen, mußten sie sich des unmittelbaren Eingriffs in örtliche Einzelangelegenheiten enthalten, ansonsten mußte neben der destabilisierenden Wirkung einer mangelhaften Gemeinsinnbildung mit einer erheblichen Zunahme der Verwaltungskosten gerechnet werden. Die Ablösung der spätabsolutistischen Städteverwaltung, die in den Händen staatlicher Steuerräte und der sich selbst erneuernden Magistrate lag, stellte mithin einen genuinen Bestandteil der modernisierenden administrativen Gesamtreform des preußischen Staates dar. 4o Das wurde später auch in der Diskussion um die Revision der Städteordnung betont. So bemerkte der Potsdamer Regierungsrat Wehnert, daß der Wirkungskreis staatlicher Gemeindeaufgaben, die Polizeiverwaltung, die Militär- und Aushebungssachen und die Erhebung der direkten Staatsabgaben, nur deshalb im Wege des Auftrags auf die Städte übertragen wurden, "um nicht eine chaotische Vervielfältigung der Verwaltungsbehörden und Zersplitterung ihrer Geschäfte entstehen zu lassen".41 Die von Stein projektierte Verbindung zwischen Staat und Nation sollte "auf eine dem Ganzen wohltätige Weise" hergestellt werden, was immer auch das Ziel der Gemeinsinnbildung durch Teilnahme und Wirksamkeit "bei den Unterbehörden, den Kammern und den unter solchen stehenden Behörden als bei den oberen Behörden" einschloß. Bei den Zentralbehörden wollte Stein die Mitwirkung auf die Gesetzkommission beschränken,42 die unter Aufsicht des Geheimen Staatsrats für die Prüfung aller neuen Gesetzesvorschläge zuständig sein sollte. 43 Die weitgehende Isolierung der Zentralbehörden von der ständischen Mitwirkung begründete Stein durch differierende Kompetenzanforderungen. Die Teilhabe an der Zentralverwaltung setzte wissenschaftliche Bildung und "einen durch längeres Dienstverhältnis geübten Blick" voraus, während bei den nachgeordneten Behörden 39 Stein, Denkschrift über die Städteordnung, September 1826, in: Hubatschi Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 31 f. 40 So auch Kurt von Raumer, Deutschland um 1800 - Krise und Neugestaltung 1789-1815, in: Handbuch der Deutschen Geschichte, hrsg. von L. Just, Bd. 311, Wiesbaden 1980, S. 391 ff.; ders., Zur Beurteilung der preußischen Refonn, in: GWU, 18, 1967, S. 333. Mieck, Die verschlungenen Wege der Städterefonn in Preußen (1806--1856), in: Gemeingeist und Bürgersinn. Die preußischen Refonnen, hrsg. von B. Sösemann (= Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, N. F. Beih. 2), Berlin 1993, S. 53. 41 Gottlieb Johann Moritz Wehnert, Über die Refonn der preußischen Städteordnung, Potsdam 1828, S. 35 f. 42 Stein, Immediatbericht, 23. November 1807, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S. 505. 43 Stein, Plan zu einer neuen Organisation der Geschäftspflege im preußischen Staat (Oberbehörden), November 1807, in: A. a. 0., S. 532.

I. Staatskrise und modernisierende Verwaltungsreorganisation

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eine genauere Kenntnis der individuellen Lokal-, Sach- und Personalverhältnisse gefordert war. Die Partizipation wurde also in einer überaus engen Beziehung zum Verwaltungshandeln und zur Modernisierung der Verwaltung gesehen, deren Effizienzanforderungen zu einem nicht unerheblichen Teil durch die Nutzung gesellschaftlicher Wissens- und Bildungsressourcen entsprochen werden sollte. Der Verwaltungspragmatismus Steins zeigt sich noch deutlicher, wenn seine Vorstellungen zur Umsetzung des im lokalen und regionalen Bereich angesiedelten partizipatorischen Moments berücksichtigt werden. Allein durch die gründlichere und intensivere Informierung der Zentralbehörden, die zwangsläufig mit der Teilnahme ständischer Repräsentanten auf der unteren Ebene der staatlichen Organisation verbunden war, wollte Stein die Allgemeinheit der Partizipation im Staat garantiert sehen. Die Wirkung dieser Teilhabe, legte Stein dar, "erstreckt sich aber, wenn auch bei den höheren Behörden und Departements keine Repräsentanten beigezogen werden, bis zu solchen, da alle Data, welche diese Departements von den Unterbehärden erhalten, gründlicher und passender aus der Fülle des Lebens geschöpft sind und die Ausführung aller hiernach entworfenen Pläne zweckmäßig, leicht, mit allgemeiner Teilnahme und kräftig erfolgt".44 Deutlicher konnte die Dominanz organisatorischer Zielvorstellungen innerhalb des Reformkonzepts kaum ausgesprochen werden. Soweit durch die Gesetzkommission eine Mitwirkung von ständischen Repräsentanten bei den obersten Staatsbehärden vorgesehen war, dachte Stein nicht an eine allgemeine Vertretung, die eventuell sogar aus Wahlen hervorgingen, sondern an eine unmittelbare Ernennung der Mitglieder durch den Monarchen. Wie sehr dabei der Vertretungs- durch den Kompetenzgedanken überlagert wurde, zeigte Steins Forderung, daß zu den Voraussetzungen einer Mitgliedschaft in der Gesetzkommission die "vollständige Bildung als Staatsmann und der Besitz der hierzu erforderlichen allgemeinen staatswirtschaftlichen, wissenschaftlichen Kenntnisse,,45 gehörten. Der Besitz bloßen Rechts- oder kameralistischen Wissens reichte nach Stein nicht aus. Die "Belebung des Gemeingeistes und des Bürgersinns",46 welche die ältere Forschung als Kern von Steins "Reformgesinnung" und Ausdruck eines "echt politischen Ethos,,47 herausstellt und auch in neueren Arbeiten, ins be44 Stein, Immediatbericht, 23. November 1807, in: Hubatsch/Thie1en, Stein, Bd. 2,2, S. 505 f. 45 Stein, Organisation der Geschäftspflege (Oberbehörden), November 1807, in: A. a. 0., S. 532. 46 Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 202. 47 Ritter, Stein, S. 185. Nicht minder fragwürdig wie Ritters Urteil ist Nipperdeys These vom "neuen Menschen" als ideen- und moral politisches Reformziel. Für Nipperdey ist dieser neue Mensch Voraussetzung wie Ziel der Reform. Sie ging in so-

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sondere im Hinblick auf die Städteordnung, als wichtigeres Reformmoment hervorgehoben wird,48 stand bei Stein demnach in einer unlösbaren Verbindung mit der Verwaltungsreorganisation. Erziehungsprogrammatik und Verbesserung des Gemeinwesens bildeten, wie Schwab zu Recht betont, "unscheidbare Elemente",49 aber die politisch-moralische Erziehung stellte gegenüber der Verwaltungsreform kein gleichgewichtiges Moment dar. Jene berühmte Passage der Nassauer Denkschrift, die Ritter zur Stützung seiner Erziehungsthese heranzieht, räumt der Gemeinsinnbildung zwar im Hinblick auf die Kommunalordnung gegenüber der Ersparnis von Verwaltungskosten Priorität ein, setzt diese jedoch mit organisatorischen Effizienzbedürfnissen gleich: So soll die Teilnahme der ständischen Bürgerschafts-Deputierten auf regionaler und kommunaler Ebene "die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte", die Heranziehung "der zerstreut liegenden Kenntnisse" sowie den "Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen und denen der Staatsbehörden"5o sichern, der indessen, wie wir gesehen haben, administrativ-funktional motiviert war. Partizipation und Repräsentation gehörten, soviel ist bis hierher festzuhalten, zu den Bestandteilen bürokratischer Reform. Bürokratisch insofern, als fern über eine institutionelle Refonn hinaus und erwies sich im "allgemeinsten Sinne" als eine erziehende Refonn. Wie Ritter verabsolutiert Nipperdey das Moment der Gemeinsinnbildung, indem er es von den funktionalen verwaltungsorganisatorischen Zielsetzungen Steins isoliert. Vgl. Geschichte 1800-1866, S. 34. Auf den Verwaltungspragmatismus Steins weist schon Hubatsch, Refonnen, S. 59, eindringlich hin. Zur Stein-Forschung siehe auch Fehrenbach, Vom Ancien Regime zum Wiener Kongreß (= Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 12), MünchenWien 1993, S. 194 ff. 48 Mieck, Preußen, S. 22. Jürgen Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt/M. 1985, S. 16. Pahlmann, Anfänge, S. 21. 49 Schwab, Selbstverwaltungsidee, S. 112. Schwab betont, daß die moralphilosophische Komponente bei Stein nicht in eine künstliche Isolierung gebracht werden dürfe. Dieser Gefahr entgeht er aber selbst nicht, indem er der Erziehungsprogrammatik im Gesamtzusammenhang seiner Untersuchung eine dominierende Stellung einräumt. 50 Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 202. Die partielle Übereinstimmung bürokratischer Refonnpolitik mit "der emanzipatorischen Tendenz der beginnenden bürgerlichen Bewegung" sieht dagegen Karl-Georg Faber, Strukturprobleme des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert, in: Der Staat, 14, 1975, S. 212. Ähnlich auch Langewiesche, Spätaufklärung und Frühliberalismus in Deutschland, in: " ... aus der anmuthigen Gelehrsamkeit". Tübinger Studien zum 18. Jahrhundert, Festschrift Dietrich Geyer, hrsg. von E. Möller, Tübingen 1988, S. 67-80, indem er in der sozialen Erweiterung des Einzugsfeldes der bürokratischen Eliten, die letztlich mit einer Annäherung an die Lebensverhältnisse städtischer Bürger einherging, eine bedeutsame Veränderung gegenüber dem Aufklärungszeitalter sieht. Deutlicher hervorgehoben das Moment der Stabilisierung bürokratischer Herrschaftspositionen und der Verbesserung administrativer Effizienz der absolutistisch erstarrten Bürokratie als Refonnantrieb bei Fehrenbach, Bürgertum, S. 49.

1. Staatskrise und modernisierende Verwaltungsreorganisation

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die Träger der Reform im ministerialen Beamtentum zu finden waren. 51 Die strukturellen Ursachen für Teilhabe- und Vertretungsformen waren durch das intensivierte Bedürfnis gesellschaftlicher Integration, dem Verlangen nach einer breiter angelegten Legitimation staatlichen Handeins und dem Erfordernis höherer Verwaltungseffizienz begründet. 52 Gesellschaftliche oder nationale Integration war angesichts der Krise des preußischen Staates eine Existenzfrage. Die Spaltung von Staat und Gesellschaft mußte überwunden werden. Stein suchte die Lösung in der Teilnahme der Öffentlichkeit, Altenstein und Hardenberg, worauf noch zurückzukommen sein wird, darüber hinaus in der Überwindung partikularer Interessen, das hieß der Beseitigung ständischer Egoismen. Gemeinsam war ihnen indessen die Einsicht, daß der 51 Auf die grundsätzliche Rolle der preußischen Bürokratie im Reformprozeß, ihren Zwiespalt zwischen Herrschafts- und Allgemeininteresse, ihre Fraktionierung und deren Bedeutung für den Reformprozeß kann hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu grundsätzlich Hans Rosenberg, Bureaucracy, Aristocracy and Autocracy. The Prussian Experience, 1660-1815, Cambridge/Mass. 1958. Koselleck, Preußen, S. 217 ff. Obenaus, Anfänge, S. 88 ff., 202 ff., 233 ff. u. 516 ff. Barbara Vogel, Allgemeine Gewerbefreiheit. Die ReformpoJitik des preußischen Staatskanzlers Hardenberg (1810-1820) (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 57), Göttingen 1983, S. 48 ff.; dies., Beamtenkonservativismus. Sozial- und verfassungsgeschichtliche Voraussetzungen der Parteien in Preußen im frühen 19. Jahrhundert, in: Deutscher Konservativismus im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von D. Stegmann/B.-J. Wendt/P.-C. Witt, Bonn 1983, S. 1-3l. Marion W. Gray, Schroetter, Schön, and Society. Aristocratic Liberalism versus Middle-Class LiberaJism in Prussia, 1808, in: Central European History, 6, 1973, S. 60-82. M. Botzenhart, Reform, Restauration, Krise, Frankfurt/M. 1985. Aus marxistisch-leninistischer Sicht Helmut Bleiber, Staat und bürgerliche Umwälzung in Preußen. Zum Charakter des Staates in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Preußische Reformen 18071820, hrsg. von B. Vogel, Königstein/Ts. 1980, S. 66-85. Zur Kritik Jürgen Kocka, Preußischer Staat und Modernisierung im Vormärz. Marxistisch-leninistische Interpretationen und ihre Probleme, in: A. a. 0., S. 49-65. Insgesamt zusammenfassend Demei, Reformstaat, S. 113 ff. 52 Als weiteres wichtiges Moment tritt noch der gestiegene Finanzbedarf des Staates hinzu. Dieses Problem wird in den Reformvorstellungen Steins indessen nicht im Zusammenhang von Partizipation und Repräsentation reflektiert. Sein Plan zur Einführung der Einkommensteuer sah lediglich vor, aus mehr oder weniger technischen Gründen das Erhebungsgeschäft auf dem Land und in den Städten durch Kommissionen ausführen zu lassen, an denen neben dem Landrat bzw. dem jeweiligen Magistratsmitglied Kreisdeputierte, weitere Deputierte der übrigen freien Gutsbesitzer und Bürgerschaftsdeputierte teilnehmen sollten. Stein, Immediatbericht, 26. September 1806, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,1, S. 282. Vgl. dazu Grabower, Steuern, Berlin 1932, S. 197 ff. Hermann Loening, Johann Gottfried Hoffmann, Halle 1914, S. 18. Ritter, Stein, S. 164 u. 322 f. Mit Einschränkungen Ernst von Meier, Französische Einflüsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens im 19. Jahrhundert, Bd. 2, Leipzig 1908, S. 385 ff. Zu Altenstein in diesem Zusammenhang siehe weiter unten.

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

Staat nicht mehr allein die Sorge für das Gesamtinteresse tragen konnte, sondern der Unterstützung durch die Öffentlichkeit bedurfte. 53 Die Legitimation staatlichen Handeins mußte auf Grund der intensivierten und erweiterten Staatstätigkeit von der Kenntnisnahme gesellschaftlicher Bedürfnisse ausgehen. Vor allem die Gesetzgebung, die sich vom "Ordnungsfaktor in bestehenden Rechtszuständen zum Gestaltungsmittel für neue Rechtszustände,,54 wandelte, verlangte in zunehmenden Maße die Berücksichtigung der öffentlichen Meinung. Als Gegenstand laufender Staatstätigkeit erfaßte die Gesetzgebung immer mehr sämtliche Rechtsgebiete. Das Recht wurde "positiviert", es bestand nunmehr aus Rechtsnormen, "die durch Entscheidung in Geltung gesetzt worden" waren und "demgemäß durch Entscheidung wieder außer Kraft gesetzt werden,,55 konnten. Damit der Staat diese Entscheidungen treffen konnte, waren konsensstiftende Verfahren notwendig. Die Einschaltung von Repräsentationen garantierte die Berücksichtigung gesellschaftlicher Wünsche und Bedürfnisse, sie schufen Sicherheit und legitimierten auf diesem Wege die Gesetzgebung. Mit der Legitimation hing das Gebot höherer Verwaltungseffizienz eng zusammen. Es ging dabei nicht nur um Kostenersparnisse, sondern in erster Linie um die Relativierung bürokratischen Verwaltungshandelns durch administrative Dezentralisation und die Ausschöpfung der in der Bevölkerung vorhandenen Ressourcen an praktischen und wissenschaftlichen Kenntnissen. Die Effektivierung der Staatstätigkeit ließ sich am wirkungsvollsten durch Teilnahme realisieren, sie sorgte für ein "lebendiges" Verwaltungshandeln, da einerseits die Zentralbehörden permanent qualifizierte, am Bedürfnis orientierte Impulse von den nachgeordneten Organen empfingen und sie andererseits von einem Teil regionaler und lokaler Aufgaben entlastet wurden. 2. Staatliche Integration durch politische Teilhabe und ökonomische Liberalität

Es bleibt zu fragen, welche Beteiligungsformen die Bürokratie vor Augen hatte und wer, sozial gesehen, die eigentlichen Träger der Teilhabe sein sollten. Stein favorisierte zwei nebeneinander bestehende Formen der Partizipation und Repräsentation: die unmittelbare Mitwirkung an der VerVgl. dazu auch Obenaus, Anfänge, S. 32 f. Reinhard Renger, Landesherr und Landstände im Hochstift Osnabrück in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Institutionengeschichte des Ständestaates im 17. und 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 19), Göttingen 1968, S. 117. 55 Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren (= Soziologische Texte, Bd. 66), 2 Neuwied 1975, S. 141. 53

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2. Staatliche Integration durch politische Teilhabe

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waltung und selbständige Ständekörperschaften. Die ständischen Repräsentanten bei den Kriegs- und Domänenkammern sollten nach Stein als Deputierte der Provinziallandtage auf deren Vorschlag vom Monarchen ausgewählt werden. Als "Mitglieder" der Kammerkollegien war ihnen die Bearbeitung der engeren Provinzialangelegenheiten zu übergeben. Ihre Amtsperiode sollte nicht länger als sechs Jahre währen, ohne daß eine Wiederwahl ausgeschlossen war. Die tradierten ständischen Ausschüsse, die bislang zwischen den Landtagen die Handlungsfähigkeit der Stände garantiert hatten und insbesondere mit der Kontrolle der landschaftlichen Rechnungen sowie mit der Verwaltung der landschaftlichen Kassen beauftragt waren, wurden durch die beigeordneten Kammerdeputierten ersetzt. Stein zog diese Mitwirkungsform "der Übertragung gewisser Geschäftszweige an ein besonderes landschaftliches Kollegium vor, weil auf diese Art die zwischen verschiedenen konkurrierenden Behörden notwendigen Reibungen vermieden, Eintracht und gemeinschaftlicher Geist erhalten,,56 wurden. Soweit die Provinzialangelegenheiten Teil gesamtstaatlicher Belange waren, wie etwa die Verwaltung des öffentlichen Einkommens, die Militärsachen oder die oberste Polizeiaufsicht, dachte Stein nicht mehr an die Mitwirkung der Deputierten. Diese Aufgaben sollten weiterhin von den Räten der Kammerkollegien bearbeitet werden, die vom Monarchen ohne jede Teilnahme der Landstände ernannt wurden. Steins Verwaltungspragmatismus überlagerte auch hier das Partizipationsmoment. Die ständischen Deputierten sah er zwar als gewählte Vertreter der Stände, aber in erster Linie blieben sie Mitglieder der Landeskollegien. Sie durften in dieser Funktion in keinem unmittelbaren Austausch mit den Repräsentanten' der Stände in den Kreisen und Bezirken treten. 57 Auf den Plenarberatungen der Kammern sollte den Deputierten "ein vollständiges Votum" zustehen. Es war indessen nicht vorgesehen, ihnen ein spezielles Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 201. Altenstein/Stein (Konzept/Korrekturen), Unterbehörden für die spezielle Leitung der Geschäfte in den Provinzen. Anlage zum Immediatbericht Steins, 26./27. Dezember 1807, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. I, S. 264. Den Gegensatz, den Obenaus, Anfänge, S. 35; Verwaltung und ständische Repräsentation in den Reformen des Freiherrn vom Stein, in: JGMO, Bd. 18 (1969), S. 142, zwischen Stein und Altenstein konstruiert, trifft für die ständische Mitwirkung in den Kammerkollegien nicht zu. Die Teilnahme an der Administration wird auch bei Stein von verwaltungspragmatischen Zielvorstellungen dominiert. Siehe hierzu auch Ritter, Stein, S. 194. Einen detaillierten Überblick zur Entwicklung der ständischen Vertretung in den deutschen Einzelstaaten des Vormärzes gibt Peter Michael Ehrle, Volksvertretung im Vormärz. Studien zur Zusammensetzung, Wahl und Funktion der deutschen Landtage im Spannungsfeld zwischen monarchischem Prinzip und ständischer Repräsentation, 2 Teile (= Europäische Hochschulschriften, R. 3, Bd. 127), Frankfurt/M.-Bem-Cirencester 1979. 56 57

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

Departement zu übergeben. Sie fungierten lediglich als "Koreferenten" der Departementsräte, vor allem bei der Bearbeitung der Provinzialangelegenheiten, in deren Bereich sie mit der Ausführung einzelner Gegenstände beauftragt werden konnten. In diesem Fall agierten die Repräsentanten "ganz in der Kategorie der Räte,,58 oder arbeiteten mit ihnen zusammen. Als stimmberechtigte Mitglieder der Landeskollegien übten die Deputierten also exekutive Funktionen aus, so daß zwar von Mitwirkung, aber kaum von Repräsentation gesprochen werden konnte, da die Vertreter das von ihnen Repräsentierte nicht mehr im administrativ gebundenen Handeln in Erscheinung treten ließen. 59 Altenstein hatte die Problematik des verwaltungsgebundenen Handeins der Repräsentanten und die dadurch bedingte Lösung ihrer Beziehung zu den Repräsentierten gesehen. Er wollte den Repräsentanten das Recht einräumen, im Falle von Zweifeln bei Ausführungsangelegenheiten Anfragen bei den höheren Behörden verlangen zu können. Dieses Einspruchsrecht wurde jedoch durch die Anordnung relativiert, daß sich die Repräsentanten, welche sich stets in der Minderheit befanden, dem Mehrheitsbeschluß der Kammerräte unterwerfen mußten und sie im übrigen an den Sitzungen der Abteilungen bzw. des Plenums nur gutachtlich und mit beratender Stimme teilnahmen. 6o Hardenberg nahm in dieser Hinsicht eine abweichende Position ein, da er die Repräsentanten mit den Räten gleichstellen wollte. 61 Altenstein beabsichtigte weiterhin, die Repräsentanten in Zusammenhang mit ihren Wählern zu bringen, aber nicht im Sinne einer prozeßhaften Bindung zwischen Repräsentanten und Repräsentierten, sondern im Interesse einer instruierenden Einflußnahme. Die Repräsentanten der Kreis- und Bezirksbehörden sollten, soweit es die einzelnen Belange erforderten, "nach den Beschlüssen des Kollegiums zur Mitwirkung,,62 angeleitet werden. Altenstein dehnte folglich die Exekutivfunktionen der Deputierten und ihre Bindung an die Verwaltung noch weiter aus. 58 Altenstein/Stein, Unterbehörden, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. I, S. 264. 59 Vgl. hierzu Heinz Rausch, Repräsentation. Wort, Begriff, Kategorie, Prozeß, Theorie, in: Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation. Beiträge des Symposiums der Bayrischen Akademie der Wissenschaften und der International Commission for Representative and Parliamentary Institutions auf Schloß Reisensburg vom 20. bis 25. April 1975, hrsg. von K. Bosl, Berlin 1977, S. 88. 60 Altenstein/Stein, Unterbehörden, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 1, S. 264, Anm. 28, gestrichener Text des Konzeptes. Altenstein, Denkschrift, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 541. 61 Hardenberg, Denkschrift, 12. September 1807, in: A. a. 0., S. 318 u. 360. 62 Altenstein/Stein, Unterbehärden, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 1, S. 264, Anm. 33, gestrichener Text.

2. Staatliche Integration durch politische Teilhabe

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Die antiständische Reformkonzeption Altensteins entwickelte die Integration der Nation ganz im Zeichen einer Teilnahme an der Staatsadministration, die von unten nach oben auf allen Ebenen erfolgen sollte. In den Gemeinden waren die Vertreter zu wählen, die der administrierenden Kreisbehörde beigeordnet wurden. Die Abgeordneten des Kreises wählten wiederum die Vertreter bei den Provinzialbehörden und diejenigen, welche den Ministerialbehörden beitreten sollten. Eine Wahl nach Ständen lehnten Altenstein wie Hardenberg ab, da sich auf diese Weise nur der "Kastengeist" fortsetzen würde. Die Gewählten vertraten nicht die "Sachen ihrer Wähler", vielmehr "deren Anteil an der ganzen Staatsverwaltung". Hardenberg faßte diese Vorstellung im Begriff der "Amalgamierung der Repräsentanten mit den einzelnen Verwaltungsbehörden,,63 zusammen. Die Vertreter durften daher weder einen eigenen konstitutiven Körper bilden noch durch Wählerinstruktionen gebunden, sondern mußten mit "bloße(r) Vollmacht,,64 ausgestattet werden. Repräsentation bezog sich nicht auf das "Stehen und Handeln für andere",65 sie beinhaltete die Wahrnehmung eines Anteils, der genuiner Bestandteil des Staates war. Mitwirkung ging mithin in der konkreten Staatstätigkeit auf, Repräsentation in der Einordnung in die Verwaltung. Eine wesentliche Funktion der Repräsentanten bestand eben darin, auf die öffentliche Meinung zu Gunsten der Administration Einfluß zu nehmen und durch die Verwaltungs behörden für eine bessere Erledigung der "Kommunitätsangelegenheiten" seitens des Staates zu sorgen. Gleichzeitig erhielten die Abgeordneten Gelegenheit, sich genauer von den "Ideen der Administration" unterrichten zu lassen. Die Frage, ob die Gewählten eigene politische Aktivitäten entwickeln sollten, behandelte Altenstein eher beiläufig. Nur "nötigenfalls wollte er ihnen die Möglichkeit einräumen, "mit und neben der besoldeten Behörde" die Stimme zu erheben. 66 Insgesamt sah Altenstein in dem von ihm entwickelten Konzept repräsentativer Teilhabe "eine Art Nationalrepräsentation" verwirklicht. Hardenberg 63 Altenstein/Hardenberg, Denkschriften, lU12. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 405 u. 318. Vgl. dazu auch Hans Hausherr, Hardenbergs Reforrndenkschrift Riga 1807, in: HZ, 157, 1938, S. 285. 64 Altenstein, Denkschrift, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S.405. 65 Wolfgang Mantl, Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen Staatsforrnenlehre (= Forschungen aus Staat und Recht, Bd. 29), Wien-New York 1975, S. 68. 66 Altenstein, Denkschrift, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 405. Obenaus, Verwaltung und Repräsentation, S. 143, der von der Einschränkung des "nötigenfalls" absieht, glaubt, daß Altenstein in jedem Fall an eine selbständige politische Aktivität der Repräsentanten gedacht hatte, da diese jedoch administrationszentriert war, konnte es sich nur um eine sehr beschränkte Eigenständigkeit handeln. 6 Grzywatz

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

stimmte diesem Modell insofern zu, als es die monarchische Verfassung nicht anrührte und die politische Wirksamkeit der Repräsentanten durch die administrative Bindung praktisch neutralisierte. Die Repräsentation gewährte dem Staat mithin allen Nutzen administrativer Effektivierung, verschonte ihn unterdessen von den Nachteilen "gefährlicher Nationalversammlungen". Die propagierte Radikalkur der Verfassung war im wesentlichen Verwaltungsreform, als Verwaltungsreform aber immer auch schon Verfassungspolitik. Weder die politische Freiheit des Staatsbürgers noch seine Vertretung in einer repräsentativen Körperschaft, erst recht nicht in einer parlamentarischen Versammlung mit legislativer Mitwirkung gehörten zu den zentralen Aspekten der Reformvorstellungen. Derartige Zielsetzungen hätten das politische System, die monarchische Verfassung des preußischen Staates in Frage gestellt, diese war indessen nicht zur Disposition gestellt. Nur in einem besonderen Fall trat die Nationalrepräsentation bei Altenstein aus ihrer organisationszentrierten Rolle heraus bzw. wurde sie überhaupt als eigenständige politische Erscheinung wahrgenommen, nämlich dann, wenn bei der Beanspruchung des Staatskredits "die Bürgschaft der Nation" erforderlich war. Eine Aufgabe, die stellvertretend nur ein Repräsentationsorgan übernehmen konnte und deshalb durch eine Nationalrepräsentation erfolgen mußte, die nach Altenstein "zu dem Ende wenigstens vorläufig zu konstituieren wäre".67 In welcher Form hier an eine Volksvertretung gedacht war, unter welchen Bedingungen sie sich begründen und in welchem Verhältnis sie zu jenen Repräsentationsorganen stehen sollte, die der Staatsadministration beigeordnet waren, führte Altenstein nicht näher aus. Auch aus diesem Grund darf mit einiger Berechtigung der Schluß gezogen werden, daß die Frage einer zeitgemäßen Volksrepräsentation sowohl der unmittelbaren Aktualität entbehrte als auch hinter den Problemen der gesellschaftlichen Verfassung und der organisationszentrierten Verbindung von Staat und Nation zurücktrat. Politisch wollten die Reformer durch die Verwaltungsreform revolutionsfördernde Momente innerhalb der Gesellschaft absorbieren. Diese Momente umschrieb Hardenberg als "das Elende und Schwache", als "veraltete Vorurteile und Gebrechen", und meinte damit, "die natürliche Freiheit und Gleichheit der Staatsbürger nicht mehr (zu) beschränken, als es die Stufe ihrer Kultur und ihr eigenes Wohl erforder(t)en". Die Monarchie wurde, wie Hardenberg erklärte, mit "demokratische(n) Grundsätzen" verbunden. 68 Ziel der auf gesetzlicher Grundlage zu vollziehenden Reform sollte eine 67 Altenstein/Hardenberg, Denkschriften, 11./12. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 318,404 u. 487. Siehe auch Obenaus, Anfänge, S. 35 f. 68 Hardenberg, Denkschrift, 12. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 305 f. u. 313.

2. Staatliche Integration durch politische Teilhabe

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geregelte Freiheit sein - Hardenberg sprach von der wahren, im gebildeten gesellschaftlichen Zustande möglichen Freiheit -, die politische Stabilität und gesellschaftliche Integration garantierte. Die Konzeption der bürokratischen Reformer vereinigte gesellschaftliche Liberalität mit einem starken Staatsinterventionismus. Eine Nähe zu Adam Smith wie dem Kantschen Kritizismus war nur allzu deutlich. Smith war ja kein doktrinärer Advokat des Laissez-faire, sondern trat für eine "situative Steuerung" des Staates ein. 69 Zu seinen Aufgaben gehörte neben der Landesverteidigung und dem Justizwesen der Aufbau solcher öffentlichen Einrichtungen, die trotz ihrer Gemeinnützlichkeit nicht gewinnbringend hergestellt werden konnten. Smith dachte hier an Anlagen zur Erleichterung von Handel und Verkehr, wie etwa die verkehrstechnische Infrastruktur, oder auch an Bildungsanstalten. 7o Kant, dessen in der 1797 erschienenen "Metaphysik der Sitten,,71 entwickelte Staatsphilosophie mit ihrer Forderung nach einem repräsentativen Verfassungssystem wohl einen kaum zu überschätzenden Einfluß auf die preußischen Reformer ausgeübt hatte,72 befürwortete zwar auch die gesellschaftliche Selbststeuerung, beschränkte diese aber auf den ökonomischen Bereich, während die Wahrung des Rechtszustands dem Staat oblag. Solange die Staatstätigkeit der Durchsetzung und Wahrung des Rechts diente, hatte sie nach Kant "praktisch unbeschränkte Vollmachten".73 Kant war sich darüber hinaus bewußt, daß die gesellschaftliche Eigeninitiative nicht nur die intendierten positiven Wirkun69 Vgl. Jacob Viner, Adam Smith and Laissez-faire, in: Journal of Political Economy, Bd. 35 (1927), S. 198-232, hier, S. 231. Eberhard Wille/Martin Gläser, Staatsaufgaben bei Adam Smith - eine Würdigung unter Allokationsaspekten, in: Ordo. Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, 28, 1977, S. 34-77, hier, S. 67. T.D. Campbell/L.S. Ross, The Utilitarianism of Adam Smith's Policy Advice, in: Journal of the History of Ideas, 42, 1981, S. 73-92, hier S. 88. Klaus Gretschmann, Steuerungsprobleme der Staatswirtschaft, Berlin 1981, S.47. 70 Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen. Aus dem Englischen übertragen und mit einer Würdigung von H.C. Recktenwald, München 1974, S. 612 ff. 71 Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, T. 2 der Rechtslehre, Das öffentliche Recht, in: Ders., Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, Bd. 2, hrsg. von W. Weischeidel (= Werke, Bd. 8), Frankfurt/M. 1968. Neudruck der von W. WeischeideI hrsg. Werkausgabe, Wiesbaden 1956, S. 427-499. Zu Kant vgl. F. Meyer, Über Kants Stellung zu Nation und Staat, in: HZ, 133, 1926, S. 197 ff. J. Müller, Kantisches Staatsdenken und der preußische Staat, Kitzingen 1954. W. Wagner, Die preußischen Reformer und die zeitgenössische Philosophie, Köln 1956, S. 13 ff. Richard Saage, Eigentum, Staat und Gesellschaft bei Immanuel Kant, Stuttgart 1973, S. 83 ff. u. 118 ff. Hubatsch, Der Reichsfreiherr vom Stein und Immanuel Kant, Troisdorf 1973. 72 Zum Einfluß Kants auf die Reformbürokratie siehe auch Heffter, Selbstverwaltung, S. 86 f. 6*

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l. Kap.: Repräsentation und Partizipation

gen zeitigte, wodurch eine "gute Organisation des Staats,,74 gerechtfertigt war. Um privates und öffentliches Wohl in Einklang zu bringen, konnte es sogar erforderlich sein, daß der Staat aus seiner Rolle als Hüter des Rechts heraustreten mußte. Hardenberg und Altenstein gingen über die hier abgesteckten Grenzen staatlicher Wirksamkeit hinaus. Durch die autoritative wie planmäßige Steuerungstätigkeit einer überschaubaren Funktionselite sollten die erforderlichen Veränderungen im Staat vorgenommen werden. Hardenberg erklärte, "mit starker Hand die nötigen Maßregeln" ausführen zu wollen, wobei die Leitung nur wenigen einsichtsvollen Männern anzuvertrauen war. Und immer wieder war von einer Staatstätigkeit nach "vollständigen, richtigen Plänen" die Rede, davon, daß man "bei einem stetigen richtigen Überblick planmäßig und zusammenhängend,,75 verfuhr. Entwurf und Ausführung des Plans76 beruhten nicht auf einer genuinen Schöpfung der Staatsadministration, sondern in deren kreativer Kenntnisnahme des "wahren Geist(es) der Zeit". Die Regierung mußte die bestehenden Verfassungsverhältnisse vor dem Hintergrund des Weltzustandes prüfen und ihrer Einsicht oblag es, die Kräfte des Fortschritts auszumachen und in einem "leitenden Prinzip" niederzulegen. Dieses bildete die Grundlage für jene "weisen Gesetze eines monarchischen Staates", welche das bestehende "schädliche System" abzulösen halfen oder richtiger noch: den "gänzliche(n) Mangel an System" in der inneren Verfassung des Staates beseitigten. Leitmotiv und Plan waren zwar in Freiheit gewählt, aber, da sie dem Zeitgeist folgten, "eigentlich das Resultat der Notwendigkeit".77 Umgestaltendes Handeln folgte also der Einsicht in geschichtliche Notwendigkeit und insofern gründete sich Reformpolitik zwingend auf vernünftige Grundsätze. 78 73 Erich Angermann, Robert von Mohl (1799-1875). Leben und Werk eines altliberalen Staatsgelehrten, Neuwied 1962, S. 110. 74 Kant, Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik, hrsg. von K. Vorländer, Leipzig 1913, S. 145 f. 75 Hardenberg, Denkschrift, 1l. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 320, 331 u. 336. 76 Siehe die ständige Wiederholung des Planbegriffs bei Altenstein, Denkschrift, 1l. September 1807, a.a.O., S. 390,412,414,460 u. 514. 77 Altenstein/Hardenberg, Denkschriften, 11.112. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 313, 369, 390 u. 392. 78 Zur Kontinuität aufklärerischen Denkens innerhalb der Reformbürokratie vgl. Vierhaus, Aufklärung und Reformzeit. Kontinuitäten und Neuansätze in der deutschen Politik des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts, in: Ders., Deutschland im 18. Jahrhundert, S. 254 ff. Vierhaus verabsolutiert indessen wiederholt die "Erneuerung politischer Moral" als Voraussetzung der Reformen. Moralischer Wandel war der Reformbürokratie unter dem Gesichtspunkt partizipativen Handeins konkreter Reformbestandteil. Er konnte nicht, wie Vierhaus meint, als "die eigentliche und entscheidende Revolution" (S. 257) betrachtet werden. Vierhaus neigt im übri-

2. Staatliche Integration durch politische Teilhabe

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Entwicklungspolitisch forderte die Erneuerung und künftige Existenz preußischer Staatlichkeit die Errichtung einer freien Wirtschaftsgesellschaft, welche die reglementierende merkantilistische Gewerbeverfassung hinter sich ließ und zugleich die Entwicklung zum modemen Steuerstaat in Gang setzte. 79 Gesamtwirtschaftliches Wachstum und die Modernisierung des Wirtschafts systems standen dabei in einem engen Zusammenhang mit der Aufhebung sozialer Privilegien und der Herstellung von Rechtsgleichheit. Ökonomische Entfaltung und Freisetzung der individuellen Kräfte wurden als zentrale Zielsetzungen auch in die Geschäftsinstruktion für die Regierungen aufgenommen. Die Dezember-Verordnung von 1808 verpflichtete die Provinzialregierungen das "allgemeine Wohl" zu befördern, indem jedem Staatsbürger Gelegenheit gegeben wurde, "seine Fähigkeiten und Kräfte in moralischer sowohl, als physischer Hinsicht auszubilden".8o Niemand sollte innerhalb der gesetzlichen Grenzen "in dem Genuß seines Eigentums, seiner bürgerlichen Gerechtsame und Freiheit" eingeschränkt werden. Einschränkungen waren dabei der Ziel perspektive des Gemeinwohls verpflichtet. Der Staat hatte die Aufgabe und gab sie als besonderen Auftrag an die Regierungen weiter, alle "obwaltende(n) Hindernisse", welche den einzelnen Bürger in der "möglichst freie(n) Entwicklung und Anwendung seiner Anlagen, Fähigkeiten und Kräfte" einschränkten, auf legale Weise zu beseitigen. 81 Nach diesem Grundsatz und der umfassenden Gewerbefreiheit, "sowohl in Absicht der Erzeugung und Verfeinerung, als des Vertriebs und des Absatzes der Produkte", mußten die Regierungen allein die "allgemeine Wohlfahrt,,82 befördern. In aller Eindeutigkeit wurde in der Geschäfts-Instruktion für die Regierungen das Bild einer liberalen Wirtschaftspolitik entworfen, welches das Wachstum von Industrie, Gewerbefleiß und Wohlstand von der Unbegen dazu, die in der Rezeption der französischen Revolution angeblich zu Tage tretende "Prädisposition" der Deutschen als eine "Revolution des Geistes" zu ontologisieren. Hardenberg sprach zwar den Gedanken von "der Veredelung des Menschen" aus, aber dabei handelte es sich nicht um ein eigenständiges Ziel politisch-gesellschaftlicher Veränderung, sondern um ein funktionales und somit Teilelement staatlicher Erneuerung. 79 Vogel, Gewerbefreiheit, S. 41 u. 136 f. Alexander von Witzleben, Staatsfinanznot und sozialer Wandel. Eine finanzsoziologische Analyse der preußischen Reformzeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts (= Studien zur modemen Geschichte, Bd. 32), Stuttgart 1985, S. 86 ff. Auf den sozialökonomischen Gehalt der Reformen weisen insbesondere auch Nipperdey, Geschichte 1800-1866, S. 34 u. 49 ff.; Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 403 ff. u. Raumer, Beurteilung, S. 344 f. hin. 80 § 3, Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- u. Finanz-Behörden, 26. Dezember 1808. GS 1806-1810, S. 466. 81 § 34, InstrReg, 1808. GS 1806-1810, S. 490. 82 § 50, Abs. 1, InstrReg, 1808. A.a.O., S. 494.

1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

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schränktheit der Produktion, der Leichtigkeit des Verkehrs und der Freiheit des äußeren und inneren Handels abhängig machte. 83 Im besten Smithschen Sinne hoffte der Staat durch Freiheit in Gewerbe und Handel die Konkurrenz der Produzenten zu beflügeln und in der Folge die Konsumenten "am sichersten gegen Theuerung und übermäßige Preissteigerung,,84 zu schützen. Gleichzeitig sollte dem Verarmen durch "mehrere Gewerbsfreiheit" vorgebeugt sowie die Beschäftigung überhaupt befördert werden. Armenpflege war, wie Hardenberg und Altenstein übereinstimmend feststellten, "Kommunitätssache". Den Gemeinden mußten lediglich "die gehörigen Rechte und Verpflichtungen erhalten" werden, damit die Versorgung der Armen besser als bisher geregelt wurde. 85 Für die Landeshauptstadt Berlin sollte diese Zielvorstellung weitreichende Konsequenzen haben, da sich hier die Armenpflege in staatlicher Hand befand. In einer Situation akuter staatlicher Finanznot war die gesellschaftliche Liberalisierung auch ein Gebot fiskalischen Interesses. Der Krieg, die Kriegsschulden und Kontributionen sowie die Halbierung des Staatsgebiets führten, zumal durch den allgemeinen Zustand des Landes und des Militärs umfangreiche außergewöhnliche Belastungen verkraftet werden mußten, zu § 50, Abs. 2, InstrReg, 1808. A. a. 0., S. 495. § 50, Abs. 6, InstrReg, 1808. Ebd. 85 Hardenbergl Altenstein, Denkschriften, 11./12. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 306 u. 449. Kant ging in seinen rechtsphilosophischen Reflexionen davon aus, daß die gesellschaftliche Eigeninitiative die Verpflichtung der Bürger einschloß, ihre Armen selbst zu versorgen. Der Wohlstand des Ganzen war nach Kant nur das Mittel, das Recht des Bürgers zu sichern und sie dadurch in den Stand zu setzen, "sich selbst auf alle Weise glücklich zu machen". Reflexion zur Rechtsphilosophie, in: Kant's gesammelte Schriften, Bd. 19, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin-Leipzig 1934, S. 560 u. 578. Der Staat war allenfalls subsidiär oder, wie Kant bemerkt, indirekt verpflichtet, das heißt "als Übernehmer der Pflicht des Volkes" berechtigt, Mittel zur Fürsorge der Armen zu erheben, "weil ihre Existenz zugleich als Akt der Unterwerfung unter den Schutz und die zu ihrem Dasein nötige Vorsorge des gemeinen Wesens" war. Kant, Metaphysik der Sitten, S. 446. Aus diesem Grund war es letztlich nicht entscheidend, ob der Staat oder der Bürger für die Armenlasten aufkam, denn wenn der Staat die Fürsorge übernahm, war auch der Bürger beteiligt. Kant, Reflexion zur Rechtsphilosophie, S. 578. Zur Geschichte der Armut und Armenpflege im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert fehlen bislang ausführlichere neuere Untersuchungen, die dem ge.~enwärtigen sozialgeschichtlichen und sozialpolitischen Erkenntnisstand genügen. Uberblicke und Problemskizzen bei Christoph Sachße/Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Vom Spätmittelalter bis zum Ersten Weltkrieg, Stuttgart u. a. 1980, S. 99 ff. Rudolf Endres, Das Armenproblem im Zeitalter des Absolutismus, in: Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland, hrsg. von F. Kopitzsch, München 1976, S. 220 ff. Ute Frevert, Krankheit als politisches Problem 1770-1880. Soziale Unterschichten in Preußen zwischen medizinischer Polizei und staatlicher Sozialversicherung (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 62), Göttingen 1984, S. 86 ff. 83

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3. Das korporative Prinzip von Partizipation und Repräsentation

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einer grundlegenden Schwächung der Staatsfinanzen, der nur noch mit einer Änderung des "Fehlerhafte(n) und nicht mehr Passende(n) in der bisherigen Verfassung" beizukommen war. Auf der Grundlage "größere(r) Gleichheit der Besteuerung" mußten neue Steuerquellen erschlossen und insgesamt die Staatseinkünfte gesteigert werden. 86 Gleichwohl erschöpften sich die Reformmaßnahmen weder in Steuergesetzen noch war die Gewerbefreiheit als "Kompensation" für neue belastende Steuern zu betrachten. 87 Finanz-, Steuer-, Sozial-, Wirtschafts-, Rechts-, Verwaltungs- und Organisationsmaßnahmen sollten sich zu einer umfassenden Staatsreform verdichten,88 welche die Effizienz der Staatstätigkeit steigerte, die Leistungsfähigkeit der Administration verbesserte und durch die Verbindung mit der Öffentlichkeit ein gesellschaftlich gestütztes Regierungshandeln ermöglichte, das sich durch die Aufgabe örtlicher Funktionen entlastete, zugleich aber durch die partizipative Tätigkeit der Bürger in seiner Wirksamkeit potenzierte. 89 3. Das korporative Prinzip gesellschaftlicher Partizipation und Repräsentation

Wenn wir uns der aufgeworfenen Frage zuwenden, welche soziale Basis der Partizipation gegeben werden sollte, so ist den Steinschen Plänen zu entnehmen, daß "zweckmäßig gebildete Stände" nicht eine "auf kümmerlichen und schwachen Fundamenten beruhende Herrschaft weniger Gutsbesitzer" beinhalten durften. Die Mitwirkung an der Verwaltung der Kommunitäten war "sämtlichen Besitzern eines bedeutenden Eigentums jeder Art" zu öffnen, allein schon aus dem Grund, "damit sie alle mit gleichen Verpflichtungen und Befugnissen an den Staat gebunden,,9o waren. Das Ziel der staatlichen Integration verlangte nach einer breiteren sozialen Grundlage, 86 A. a. 0., S. 313, 315 u. 338 ff. V gl. dazu auch Takeo Ohnishi, Die Preußische Steuerreform nach dem Wiener Kongreß, in: Preußische Reformen 1807-1820, S. 267 ff. Herbert Obenaus, Finanzkrise und Verfassungsgebung. Zu den sozialen Bedingungen des frühen deutschen Konstitutionalismus, in: A. a. 0., S. 248 f. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 73 ff. u. 97 ff. 87 Vgl. dagegen Ernst Klein, Von der Reform zur Restauration. Finanzpolitik und Reformgesetzgebung des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg (= VHKB, Bd. 16), Berlin 1965. Siehe dazu Karl H. Kaufhold, Die preußische Gewerbepolitik im 19. Jahrhundert (bis zum Erlaß der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund 1869) und ihre Spiegelung in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik Deutschland, in: Gemeingeist und Bürgersinn, S. 148 f. 88 So auch Vierhaus, Aufklärung, S. 256 in Abgrenzung gegen Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsformen, S. 276 ff. 89 Die beiden zuletzt genannten Momente werden von den Kontinuitätstheoretikern mitunter vernachlässigt. Siehe, Vierhaus, Aufklärung, S. 256. 90 Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 199 f.

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

die durch eine Beschränkung auf den Adel nicht verwirklicht werden konnte. Stein hatte keine Bedenken, für eine Aufhebung des armen Adels zu plädieren. Partizipation war grundsätzlich von der Verfügung über Eigentum 91 abhängig, das führte Aristokratie, Stadtbürgertum und freie Bauern zusammen. Die Mitwirkung der Stände beinhaltete nicht eine Aktualisierung ihrer früheren herrschaftlichen, politisch konkurrierenden Stellung,92 sondern eine Teilhabe, die auf einer Einbindung in den konsolidierten monarchischen Staat beruhte. Der Ständebegriff des Reformzeitalters folgte dem Allgemeinen Landrecht, das die Stände sozial als Personen definierte, denen "vermöge ihrer Geburt, Bestimmung oder Hauptbeschäftigung gleiche Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft beigelegt,,93 waren. Die dem Staat unterworfene "bürgerliche Gesellschaft" war noch nicht die allgemeine egalitäre Staatsbürgergesellschaft, sie blieb in sich ständisch-korporativ differenziert,94 aber die Stände hatten ihren Herrschaftscharakter verloren. Sie wurden nurmehr als eine soziale Schicht von rechtlich gleichgestellten Persönlichkeiten begriffen. Wenn die Reformbürokratie allerdings davon ausging, daß die "legitime Gewaltsamkeit" beim Staat konzentriert und nicht mehr durch konkurrierende Ansprüche der Stände bedroht war, muß jedoch auf die politische und soziale Realität in den ländlichen Gebieten Preußens aufmerksam gemacht werden, wo die meisten politischen Rechte noch in den Händen des landansässigen Adels lagen. 95 Und obgleich die ständischen Vertretungen 91 Zur Bedeutung des Eigentums in der Verfassungstheorie des frühen 19. Jahrhunderts, insbesondere als Voraussetzung für Selbständigkeit, Unabhängigkeit und politische Teilhabe vgl. Böckenförde, Forschung, S. 37, 86 u. 94; ebenso der von Vierhaus herausgegebene Aufsatzband Eigentum und Verfassung. Zur Eigentumsdiskussion im ausgehenden 18. Jahrhundert, Göttingen 1972. 92 Vgl. dazu vor allem die Studien Otto Brunners, Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte, in: Ders., Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, S. 7-33. Ders., Land und Herrschaft, 5Wien 1965. Ders., Die Freiheitsrechte in der altständischen Gesellschaft, in: Ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2Göttingen 1968, S. 187-198. 93 § 6, T. 1, Tit. 1, ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 1, S. 17. 94 Vgl. § 2, T. 1, Tit. 1, ALR. Ebd. 95 Zu den Grenzen des preußischen Absolutismus vgl. Peter Baumgart, Zur Geschichte der kurmärkischen Stände im 17. und 18. Jahrhundert, in: Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. von D. Gerhard (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Institus für Geschichte, Bd. 27), 2Göttingen 1974, S. 131-161. Neugebauer, Zur neueren Deutung der preußischen Verwaltung im 17. und 18. Jahrhundert. Eine Studie in vergleichender Sicht, in: JGMO, Bd. 26 (1977), S. 86--128. Klaus Vetter, Die Stände im absolutistischen Preußen. Ein Beitrag zur Absolutismus-Diskussion, in: ZfG, 24. Jg. (1976), S. 1290--1306. Ders., Kurmärkischer Adel und Preußische Reformen (= Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam, Bd. 15), Weimar 1979. Günter Birtsch, Der preußische Hochabsolutismus und

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des Adels in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt waren, so hatte man ihn doch keineswegs vollständig entmachtet. Das Rittergut war der staatlichen Gewalt als Herrschaftsbezirk noch weitgehend entzogen und die Landräte bildeten trotz ihres halbstaatlichen Charakters primär Vertreter der ökonomischen und politischen Interessen der Gutsbesitzer. 96 War die Konzentration der Herrschaftsgewalt beim Monarchen bzw. beim Staat noch nicht soweit fortgeschritten, wie es gemeinhin von den Reformern angenommen wurde, erschien es problematisch, wenn die Repräsentation als Bestandteil der Verwaltungsreform aufgefaßt wurde, da die "Beteiligung der Nation" von der Entmachtung der autonomen politischen Rechte partikularer Gruppen absah. Insofern die Gewaltmonopolisierung eine Voraussetzung für staatsbürgerliche statt ständische Repräsentation war, bedeutete ein entsprechender Verzicht, wie Paul Nolte dargelegt hat,97 gesellschaftspolitisch traditionale Formen der Repräsentation zu begünstigen. Die Reformbürokratie ging sogar noch einen Schritt weiter, indem sie bewußt ein Wahlrecht und besondere Wahlverfahren entwickelte, denen ständische Kriterien zu Grunde lagen und daher die Postulate des freien, instruktionsungebundenen Mandats und der überständischen Gesamtverantwortung konterkarierten. Stein lehnte sowohl die formale Rechtsgleichheit als auch die politische Gleichheit der Individuen ab. Die Nation sah er folglich nicht als Summe die Stände, in: Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Ergebnisse einer internationalen Fachtagung, hrsg. von P. Baumgart/J. Schmädeke (= VHKB, Bd. 66), Berlin-New York 1983, S. 389-408. Allgemein schon bei Oestreich, Strukturporbleme des europäischen Absolutismus, in: VSWG, Bd. 55 (1968), S. 327-347. Raumer, Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit, in: HZ, Bd. 183 (1957), S. 55-96. 96 Zur Entwicklung der Kreisverfassung und des Landratsamts vg!. Meier, Reform, S. 98 ff. u. 108 ff. Hintze, Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahrhundert, Bd. 6,1, Einleitende Darstellung der Behördenorganisation und allgemeinen Verwaltung in Preußen zum Regierungsantritt Friedrichs 11. (= AB, Bd. 6), Berlin 1901, S. 256-273; ders., Die Wurzeln der Kreisverfassung in den Ländern des nordöstlichen Deutschland, in: Ders., Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungs geschichte, Bd. 1, hrsg. von G. Oestreich, 2Göttingen 1962, S. 186-215; ders., Staatenbildung und Kommunalverwaltung, in: A.a.O., S. 216-241; ders., Der Ursprung des Landratsamts in der Mark Brandenburg, in: Ders., Regierung und Verwaltung, S. 164203. P. Steffens, Die Entwicklung des Landratsamtes in den Preußischen Staaten bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Phi!. Diss., Berlin 1914. F. Gelpke, Die geschichtliche Entwicklung des Landrathsamtes der preußischen Monarchie unter besonderer Berücksichtigung der Provinzen Brandenburg, Pommern und Sachsen, Berlin 1902. Zur gutsherrlichen Patrimonialverwaltung siehe den Forschungsüberblick bei Hartmut Harnisch, Die Gutsherrschaft. Forschungsgeschichte, Entwicklungszusammenhänge und Strukturelemente, in: Jahrbuch für die Geschichte des Feudalismus, Bd. 9 (1985), S. 189-240. 97 Nolte, Staatsbildung, S. 45.

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der Einwohner eines Staatsgebiets, sondern als Gemeinschaft der durch Eigentum zur Politikfähigkeit qualifizierten Gruppen der Gesellschaft. Die Bindung der politischen Rechte an das Eigentum beruhte auf der Vorstellung, daß Besitz Unabhängigkeit und Selbständigkeit, zugleich aber auch Bindung und Gemeinwohlorientiertheit begründete, da das Einzelinteresse an seinem Bestand immer nach staatlicher Stabilität verlangte, das singuläre Interesse an seiner Vermehrung indessen dem generellen Interesse an einer Förderung des öffentlichen Wohls immanent war. "Reichtum", erklärte Stein, "vereinigt das eigene Wohl des Grundbesitzers mit dem allgemeinen". Die Masse der Eigentümer nehmen, wie Stein betonte, "an dem ganzen Vorrat der Ideen und Gefühle, die einer Nation gehören, einen überwiegenden Anteil; alle Einrichtungen des Staates wirken unmittelbar auf ihren eigenen Zustand, und die Erhaltung desselben bindet sie an Ruhe, Ordnung und Gesetzlichkeit".98 Der Eigentümer wird also auf geradezu natürliche Weise an das Staatsinteresse gekettet. Das Prinzip, das nur der Eigentümer die politischen Rechte der Repräsentation und der Mitwirkung an der Administration ausüben könne, wurde auch später von Stein nicht aufgegeben. Für das Kommunalwahlrecht Preußens sollte es bis zum Ende des Kaiserreichs konstitutive Bedeutung haben. Entscheidend blieb immer das Eigentum, nicht die Herkunft. Trug das Eigentum "eine bedeutende, schuldenfreie Rente,,99 ein, gehörte der Besitzer zum Kreis der Wahlfähigen für die Kreis- und Landtage, da die finanzielle Lage und Erziehung vermuten ließen, daß der Betreffende einen tätigen Anteil am öffentlichen Wohl nehmen würde. Die Teilnahme der Eigentümerschichten an den höheren Kommunalverbänden sollte allerdings nur unter Wahrung der ständischen Unterschiede erfolgen. So sollten die adligen Gutsbesitzer auf den Kreistagen als gesonderter Stand auftreten, neben ihnen die von den städtischen und bäuerlichen Kommunitäten gewählten Deputierten. An die Repräsentation der städtischen Bürgerschaften dachte Stein zunächst nur am Rande. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen zur Kommunalverfassung stand die bürokratische Kritik: der Nachteil besoldeter und permanenter Kollegien in den Städten. Stein wollte mit dem Kooptationsrecht der Stadtmagistrate brechen, sie sollten zukünftig von der "mit Häusern und Eigentum angesessenen Bürgerschaft" gewählt werden. Die Amtsperioden der Magistrate waren auf sechs Jahre zu befristen und die einzelnen Ämter 98 Stein, Beurteilung des Rehdiger'schen Entwurfs über Reichsstände, 8. September 1808, in: Hubatsch/Peter G. Thielen, Stein, Bd. 5, S. 853 f. Vgl. dazu Schwab, Selbstverwaltungsidee, S. 132 ff. Ritter, Stein, Stuttgart 1981, S. 193 f. 99 Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 200. Im Konzept war ursprünglich eine Summe genannt, danach sollte die untere Grenze für die WahWihigkeit bei einer jährlichen Rente von 300 Reichstalern liegen.

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ohne Besoldung auszuüben. Nur in den großen, über 3000 Einwohner zählenden Städten sollten besoldete Stadtdirektoren berufen werden, die der Staat auf der Grundlage einer kommunalen, aus drei Kandidaten bestehenden Vorschlagliste ernannte. Stadtverordnete oder Bürgerschaftsdeputierte sah Stein nur als Beigeordnete des Magistrats vor, welche zu "außerordentlichen Deliberationen"loo wie die Rechnungsabnahme oder die Vererbpachtung von Grundstücken hinzugezogen werden mußten. Das repräsentative Element, das in der späteren Städteordnung eine so herausragende Rolle einnahm, war in der Nassauer Denkschrift Steins, die insbesondere von der älteren Forschung als Kern eines "neuen Prinzips städtischer Verwaltung", als Keimzelle des "Selbstverwaltungsprogramms"IOI angesehen wird, für den Kommunalbereich noch gar nicht ausgebildet. Diese Feststellung ist insofern wichtig, als in der historischen Literatur stillschweigend von einem Selbstverwaltungsbegriff ausgegangen wird, der in der Selbstverwaltung die politische Idee freiheitsverwirklichender staatsbürgerlicher Mitgestaltung und Mitverantwortung realisiert sieht. Stein geht es auch auf Gemeindeebene nicht um Durchsetzung von "Freiheit", schon gar nicht im Sinne der Eröffnung eines staatsfreien Raums. Ziel seiner Reformintentionen bleibt, wie erläutert wurde, die Realisierung staatlicher Integration. Im Bereich der Kommunitäten war die teilnehmende Tätigkeit hierzu nur ein Mittel, dessen Praktizierung eben um so berechtigter war, als die bürokratische Handhabung der Administration ihre Effizienz und Funktionalität grundsätzlich zu ersticken drohte. Stein wollte also die Magistrate bzw. die Kandidaten für das Amt des Stadtdirektors direkt von der Bürgerschaft wählen lassen; in welcher Weise aber die Stadtverordneten berufen werden sollten, darüber entwickelte er keine nähere Vorstellung. Sein Partizipationsmodell schränkte, so viel war deutlich erkennbar, den Kreis der Wahlberechtigten in den Städten erheblich ein. Die Fixierung auf die durch Eigentum qualifizierte Selbständigkeit schloß das Bildungsbürgertum im weitesten Sinne von der projektierten Mitwirkung in den Kommunitäten aus. Großen Teilen des Beamtenturns sprach Stein sowohl die Fähigkeit als auch das Interesse ab, an der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft mitzuwirken. "Der größeren Zahl der öffentlichen Beamten, z. B. den unteren Hebungsbeamten, den unteren Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 199. Ritter, Stein. S. 188. Ritters Urteil spart, wie viele auf ihn folgende Einschätzungen, eine Auseinandersetzung mit dem Selbstverwaltungsbegriff aus. Wenn er bemerkt, daß Steins Vorschläge zur Reform der Kommunalverwaltung "das erste Programm moderner Selbstverwaltung" (S. 186) darstellen, wäre vor dem Hintergrund monarchisch-bürokratischer Staatlichkeit eine genauere begriffliche Klärung vonnöten gewesen, zumal Selbstverwaltung auch im konstitutionellen und demokratischen Staat auf unterschiedliche Inhalte verweist. 100 101

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Militärpersonen", unterstrich Stein, "fehlt es an Bildung, Selbständigkeit, Bekanntschaft mit den Bedürfnissen der bürgerlichen Gesellschaft, Interesse an ihrer Erhaltung, Sittlichkeit, und sie werden die verständigen Handwerker, die mittlere Klasse der Grundeigentümer in keiner Hinsicht ersetzen". 102 Eine zwiespältige Haltung nahm Stein gegenüber dem höheren Bildungsbürgertum ein. Auf der einen Seite hielt er die Gelehrten zu sehr vom wirklichen Geschäftsleben entfernt, "um etwas Nützliches zu leisten", 103 auf der anderen Seite wollte er sie in der Nationalrepräsentation vertreten sehen und überhaupt die Repräsentation im Reichstag "auf Geisteskraft und Eigentum jeder Art" gründen. Stein bestand allerdings auf einer strengen Differenzierung der Gelehrten: Das Wahlrecht der "oberen Klassen der gelehrten Institute" sollte gegen Mehrheiten der "unteren Klassen", den kleinstädtischen gelehrten Schulen, den einzelnen Gelehrten und den Geistlichen, abgesichert werden. Der "mindergebildete Teil" des Gelehrtenstandes durfte "nicht einen überwiegenden, den Wissenschaften und dem Staat nachteiligen Einfluß erhalten" und folglich waren die Wahlbefugnisse nach Stein so einzurichten, daß die "wirklichen Gelehrten ein Übergewicht über das Heer der gewöhnlichen hommes de lettres"I04 erhielten. Neben den Literaten hatte Stein auch gegenüber den Juristen starke Vorbehalte. Das Eigentum sollte hier als Schranke dienen, um den "Advokaten, Pamphletisten und Schreiern" den Weg in die Nationalrepräsentation zu versperren. Stein reflektierte wohl Erfahrungen der französischen Revolution, wenn er ihnen unterstellte, nicht die Interessen des sie wählenden Standes zu kennen und "alles ihrer Eitelkeit und ihrer Neuerungssucht,,105 zu opfern. Steins auf einer Ständetrias von Adel, Bauer und Bürger beruhendes Gesellschaftsmodell sah das eigentlich dynamische Element zunächst im bür102 Stein, Beurteilung Rehdiger, Entwurf über Reichsstände, 8. September 1808, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S. 854. 103 Stein, Denkschrift über den Entwurf einer Repräsentation von Rehdiger, 7. November 1808, in: A.a.O., S. 921. Vgl. hierzu auch Schwab, Selbstverwaltungsidee, S. 136. Obenaus, Anfänge, S. 38 f. Rehdiger, der ursprünglich vom Grundeigentum als Repräsentationsberechtigung absehen und "öffentliches Zutrauen" bzw. Notabilität zum Kriterium machen wollte, hatte in seinem überarbeiteten Entwurf auf die Einwände Steins hin sämtliche Eigentümergruppen berücksichtigt: neben dem Großgrundbesitz (Adel), das zerstückelte Eigentum (Bauern) und das Mobilareigentum (Handel, Gewerbe). Diese Gruppen sollten durch Vertretungen der Städte und der Geistestätigkeit ergänzt werden. Auf diese Weise sah Stein die Vollständigkeit der Repräsentation gewährleistet. Zugleich gab sie dem Eigentum "das notwendige Übergewicht", damit die Verfassung Stetigkeit erhielt und sie gegen die Veränderlichkeit der menschlichen Ansichten und Meinungen gesichert war. 104 Stein, Denkschrift, 7. November 1808, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S.923. 105 A. a. 0., S. 922.

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gerlichen "Mittelstand", \06 insbesondere im Hinblick auf die künftige politische Lage des besetzten Preußens. Der reiche Adel war in Steins Einschätzung nur auf den Genuß seines Eigentums aus, der arme Adel dachte an Stellen und Auskommen, die öffentlichen Beamten waren vom "Mietlingsgeist" erfüllt, der Handel strebte nur die Wiederherstellung des freien Verkehrs an. Allein im Bauerntum und im Mittelstand, mit dem Stein wohl das gewerbliche Handwerk meinte, zeigte sich patriotische Gesinnung und insofern konnten an diese Schichten positive Erwartungen geknüpft werden, was den Staat zu ihrer unbedingten Förderung veranlassen sollte. \07 Um den reichen Adel aus seiner "Trägheit und Genußliebe" zu reißen, mußte er nach Steins Auffassung zur politischen Tätigkeit angehalten werden. In seiner Kritik am Plan Rehdigers zur Nationalrepräsentation schlug er deshalb vor, aus dem reichen Adel ein Oberhaus zu bilden, in dem auch andere, durch Verdienste und Ansehen ausgezeichnete Staatsbürger aufgenommen werden sollten. \08 In seiner späteren Stellungnahme zur badischen Verfassung charakterisierte Stein dann den Geschlechts- und Güteradel bzw. die Vereinigung der angesehenen Grundeigentümer als Stütze der Monarchie, die dem Regenten Schutz bot "gegen den neu emden Unternehmungsgeist des Mittelstandes, der nach Befriedigung seiner Eitelkeit strebtee) durch Herabwürdigung der oberen Stände, und gegen die Habsucht des Pöbels, dem (es) nach dem Vermögen der Reichen gelüstetee)". \09 Steins Antipathie galt hier dem Wirtschafts bürgertum, das durch die Gewerbefreiheit, zu deren erklärten Gegnern Stein gehörte, zur tragenden Schicht des ökonomischen Fortschritts avanziert war. Die abhängig Beschäftigten bildeten im Denken Steins ein gemeinsinnfeindliches Element, ihre Teilnahme an der Administration wirkte dem Moment der Integration geradezu kontraproduktiv entgegen. So sollte sich die Gemeinde "aus tüchtigen, angesessenen Mitgliedern" bilden, darin erblickte Stein die Voraussetzung einer lebendigen Mitwirkung an den Kommunalangelegenheiten, die indessen in ihr Gegenteil verkehrt werden konnte, wenn man den Tagelöhner dem Eigentümer gleichsetzte und den Gemeinden den 106 Der Mittelstand als Begriff und Entwicklungsfaktor gesellschaftlichen Fortschritts wird noch Gegenstand ausführlicherer Erörterungen sein. 107 Stein an Gentz, 29. Juli 1809; an Scheffner, 6. August 1809, in: Hubatsch, Stein, Bd. 3, S. 162 u. 164. lOS Stein, Beurteilung, 8. September 1808; Denkschrift, 7. November 1808, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S. 853 u. 921. Siehe auch Obenaus, Anfänge, S.40. 109 Stein, Denkschrift über die Herrenbank, 10./12. Februar 1816, in: HubatschI Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 466. Zur Auffassung Steins über die Stellung des Adels im Staat vgl. Erich Botzenhart, Adelsideal und Adelsreform beim Freiherrn vom Stein, in: Westfälisches Adelsblatt, 5. Jg. (1928), S. 210-241. Siehe auch Hubatsch, Reformen, S. 225 f.

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"Landstreicher" als Mitglied aufdrängte. Durch "das Eindringen von Gesindel" in die Gemeindeadministration entstand, wie Stein bemerkte, "statt Gemeingeist Abneigung gegen alle Teilnahme an Gemeindeangelegenheiten und jeder unter(zog) sich ihnen nur zwangsweise und mit Widerwillen".110 Steins Eigentümergesellschaft war demnach durch eine soziale Barriere charakterisiert, welche die politikfähigen Schichten nach unten hin abgrenzten. Die soziale Dynamik einer auf Gewerbefreiheit gründenden Gesellschaft nahm das Steinsche Denken ebensowenig wahr wie die Widersprüchlichkeit einer Reformkonzeption, deren wesentliches Ziel in der staatlichen und gesellschaftlichen Integration lag, dessen ungeachtet aber erhebliche Teile der Bevölkerung von der integrierenden Mitwirkung ausnahm. Der Eigentümer war, so das Steinsche Denkmuster, an das Land, in dem sich sein Eigentum befand, gebunden. Er war sittlich integer, da unabhängiger, er hatte ein natürliches Interesse an den Staatsangelegenheiten, da der Zustand des Landes sein eigenes Wohl unmittelbar berührte. Der abhängig Beschäftigte, von dem Stein stets in verächtlichem Ton als "Tagelöhnergesindel", als "großen Haufen" oder "Masse rohen Pöbels" sprach, war auf Grund seiner Stellung nicht in der Lage, "öffentliche Lasten zu tragen". Die Teilnahme "des Schlechteren" mußte somit zu einer "Entwürdigung des Bürgerstandes"lll führen. Die Auffassung, daß politische Mündigkeit oder Stimm- und Wahlfähigkeit an den Besitz von Eigentum gebunden sei, stand in den politischen Lehren des 18. Jahrhunderts unter dem Bann einer persönlichkeitsrechtlichen Verankerung des Eigentums. Nach Kant gehörten zu den "unabtrennlichen Attributen" des Staatsbürgers neben gesetzlicher Freiheit und bürgerlicher Gleichheit die bürgerliche Selbständigkeit, was nichts anderes beinhaltete, als "seine Existenz und Erhaltung nicht der Willkür eines anderen im Volke, sondern seinen eigenen Rechten und Kräften, als Glied des gemeinen Wesens verdanken zu können".ll2 Die Qualifikation zum Staatsbürger machte die Stimmfahigkeit aus, zu deren Voraussetzung Selbständigkeit gehörte. Der stimmfähige Bürger wollte nicht bloß Teil, sondern auch Glied, das hieß aus eigenem Antrieb in Gemeinschaft mit anderen handeln110 Stein, Denkschrift über die Teilnahme der Provinzialstände an der allgemeinen und Provinzialgesetzgebung und an der Provinzialverwaltung, 13. Februar 1818, in: Hubatsch/Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 719. Wortwörtlich auch in der Denkschrift über die Gemeindeverfassung im Herzogtum Nassau vom 1. März 1818, in: A. a. 0., S. 728 f. Bezeichnend ist in bei den Denkschriften Steins strikte Ablehnung öffentlicher Beamter in der Kommunalverwaltung. III Stein, Denkschrift über die Städteordnung, September 1826, in: HubatschI Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 43 f. 112 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 432.

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der Teil des Gemeinwesens sein. Kant unterschied daher zwischen aktiven und passiven Staatsbürgern. Die abhängig Beschäftigten waren lediglich "Handlager des gemeinen Wesens" und mithin passive Staatsbürger, "weil sie von anderen Individuen befehligt oder beschützt werden" mußten und folglich keine bürgerliche Selbständigkeit besaßen. Die Abhängigkeit vom Willen anderer stand nach Kant nicht der Freiheit und Gleichheit sämtlicher Staatsbürger "als Menschen" entgegen, die zusammen ein Volk ausmachten. Dieses Volk konnte ein Staat werden und in eine bürgerliche Verfassung eintreten, aber zum Recht der Stimmgebung und damit nicht nur ,,staatsgenosse", sondern auch Staatsbürger zu sein, qualifizierten sich nicht alle Individuen mit gleichem Recht. "Denn daraus, daß sie fordern können", urteilte Kant, "von allen anderen nach Gesetzen der natürlichen Freiheit und Gleichheit als passive Teile des Staats behandelt zu werden, folgt nicht das Recht, auch als aktive Glieder des Staats selbst zu behandeln, zu organisieren oder zu Einführung gewisser Gesetze mitzuwirken".113 Selbständigkeit, Unabhängigkeit oder, wie Stein im Hinblick auf die städtischen Repräsentanten konkretisiert, die "mit Häusern und Eigentum angesessene Bürgerschaft,,114 gehörten auch im Allgemeinen Landrecht zur Voraussetzung des Bürgerstands. Der Erwerb des Bürgerrechts war im Landrecht an die "hinlängliche Fähigkeit" zum Betrieb eines städtischen Gewerbes gebunden, zugleich schloß das Bürgerrecht überhaupt erst die Befugnis ein, bürgerliche Gewerbe in einer Stadt zu betreiben. 115 Die Städteordnung knüpfte an diese Rechtstradition des Landrechts an, sowohl hinsichtlich der Besitz- und Gewerbequalifikation als auch der Unterscheidung der Stadtbevölkerung nach Bürgern, Schutzverwandten und Eximierten. Die Bindung des Wahlrechts an Grundeigentum und Steuerleistung sowie seine Abhängigkeit von den Ständen als natürliche oder gesetzliche Gemeinschaften innerhalb des Staates entsprach den Forderungen der historisch-organischen Wahlrechtstheorie, welche die politische Partizipation nicht als individuelles, sondern gruppenspezifisches Recht auffaßte und folglich den Ständen politischen Einfluß nach ihrer Bedeutung für das Ganze einräumte. Das Wahlrecht war mithin ebenso ungleich wie durch Besitz- und steuermäßige Qualifizierung beschränkt. 116 Die von Kant geforA.a.O., S. 433 f. Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 199. 115 §§ 17, 18, T. 2, Tit. 8 ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 3, S. 398. 116 Vgl. Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 5 ff. Schütz, Rheinlande, S. 186. Einen Überblick zu den Voraussetzungen des aktiven und passiven Wahlrechts in den deutschen Einzelstaaten des Vonnärzes gibt Ehrle, Volksvertretung, T. 2, S. 495 ff. u. 554 ff. 1i3

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derte Unabhängigkeit und Selbständigkeit als Voraussetzung der politischen Bürgerrechte beruhte nicht mehr auf einer ständischen Differenzierung, vielmehr folgte sie der Wahlrechtstheorie des Rationalismus, die von der naturrechtlichen Gleichheit der Individuen ausging, sich aber vor deren politischer Konsequenz, dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht, verwahrte. Nach rationalistischer Auffassung mußte die Teilnahme der Abhängigen zwangsläufig die vernünftige Leitung des Staates in Frage stellen, da die Gefahr bestand, daß sich die Besitzlosen dem Willen ihrer Brotgeber unterordneten oder sich von dem Wunsch leiten ließen, ihre Lage auf Kosten fremden Eigentums zu verbessern, selbst wenn der Staat darüber zerstört wurde. 117 Aus diesen Gründen kannte die rationalistische Wahlrechtstheorie eine durch unterschiedliche Zensus bestimmungen geregelte Einschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts. Das zensitäre System, das die politischen Rechte auf die Eigentümer mobilen und immobilen Besitzes einengte und das Wahlrecht mit bestimmten Steuerquoten verknüpfte, war schon in Anlehnung an Sieyes in die französische Verfassung von 1791 aufgenommen worden. Danach blieb den "Lohndienern" und dem "Bedientenstand" ausdrücklich das Aktivbürgerrecht versagt. Der politische Liberalismus, der in Benjamin Constant seinen maßgeblichen Theoretiker fand,118 hielt an der natürlichen Ungleichheit von Eigentum und Talenten fest und wandte sich entschieden gegen jede sozialrevolutionäre Interpretation des Gleichheitsprinzips. Wenn die bürgerlich-liberale Bewegung einerseits bestrebt war, Ungleichheiten in der Gesellschaft abzubauen, die freie Entfaltung der Kräfte zu fördern, die Menschen- und Bürgerrechte zu verwirklichen und den Bürgern die Teilhabe am politischen Leben zu eröffnen, so beharrte sie andererseits auf der bürgerlichen Eigentumsordnung als Grundlage der politischen Partizipation und setzte sich damit ungebrochen für ein eigentum- und einkommengebundenes Wahlrecht ein. 1l9 Die preußischen Städte sollten sich im weiteren 117 Siehe dazu A. Tecklenburg, Die Entwicklung des Wahlrechts in Frankreich seit 1789, Tübingen 1911. Meier, Einflüsse, Bd. 1, S. 41. Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 9. Allgemein H. Kläy, Zensuswahlrecht und Gleichheitsprinzip. Eine Untersuchung auf Grund der französischen Verfassungen des Jahres 1791, Bem 1956. 118 Zu Constant siehe Lothar Gall, Benjamin Constant. Seine politische Ideenwelt und der deutsche Vormärz, Wiesbaden 1963. 119 A.a.O., S. 124 ff. u. 132 ff. Siehe auch ders., Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft". Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: Liberalismus, hrsg. von dems., Köln 1976, S. 168 ff. Das im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung über Altensteins Grundzüge einer ständischen Verfassung in den Oberpräsidialbezirken Koblenz und Köln auch von amtlicher Seite egalitär-demokratische Wahlrechtsvorstellungen entwickelt wurden, zeigten die Stellungnahmen des Koblenzer Regierungsrat John im August 1817. Siehe dazu Schütz, Rheinlande, S. 184 ff. Vgl. auch weiter unten; zum Verhältnis von Liberalis-

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Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer Bastion dieser eigentumsorientierten Partizipationsvorstellung entwickeln. Wie Freiherr vom Stein dachte auch Altenstein daran, das Wahlrecht zu den Kommunalvertretungen von bestimmten Qualifikationen wie Grundeigentum, Gewerbe oder Vermögen abhängig zu machen. 120 Im Gegensatz zum ständischen Charakter der von Stein erwogenen Repräsentationen strebten ebenso Altenstein wie Hardenberg eine Stärkung der zentralen staatlichen Macht gegenüber den korporativen und patrimonialen Herrschaftsträgern an, was, wie bereits erwähnt, eine Wahl nach Ständen prinzipiell nicht zuließ. Die angestrebte, auf Rechts- und Besteuerungsgleichheit basierende Staatsbürgergesellschaft verlangte nach Formen der Partizipation und Repräsentation jenseits ständischer Bindungen. Wer die Träger der Nationalrepräsentation nun im einzelnen sein sollten und auf welche Weise sie zu wählen waren, darüber schwiegen sich die großen, im September 1807 verfaßten Denkschriften aus. Kammerpräsident von Auerswald schlug im Mai 1808 für den jährlichen Generallandtag Ostpreußens ein Wahlrecht vor, daß die Stimm- und Wahlfahigkeit auf diejenigen Personen erstreckte, die in landschaftlichen Kreditsachen auf den Kreistagen erscheinen durften, das hieß die kreiseingesessenen Gutsbesitzer. In den Städten sollten erst Wahlmänner und von diesen dann die städtischen Landtagsdeputierten gewählt werden. Das aktive und passive Wahlrecht wollte Auerswald nicht nur allen Bürgern, sondern auch sämtlichen Gewerbetreibenden geben, auch wenn sie keine Bürger waren. Daneben sollten die im Polizei bezirk einer Stadt Ansässigen stimm- und wahlfähig sein, ohne daß sie den Bürgerstatus oder den Betrieb eines Gewerbes nachweisen mußten. Eine Beschränkung der Stimmberechtigung auf das Bürgerrecht oder den Besitz von Grundstücken hielt Auerswald für bedenklich, da andernfalls Personen von bedeutendem Einfluß von der Repräsentation ausgeschlossen wurden. 121 Im übrigen sprach sich Auerswald gemus, Verfassungsgebung und korporativen Ordnungsvorstellungen der Berliner Kommunalbürokratie vgl. Kap. 3, Unterabschnitt 7. 120 Altenstein, Denkschrift, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S.546. 121 Auerswald, Plan zur Organisierung eines jährlichen Generallandtages für Ostpreußen und Litauen, 20. Mai 1808, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 575 f. Vgl. dazu Neugebauer, Politischer Wandel, S. 209 f. M.W. Gray, Government by Property Owners. Prussian Plans for Constitutional Reform on the County, Provincial, and National Levels in 1808, in: Journal of Modem History, On-Demand Supplement, Bd. 48 (1976), S. 86 ff.; dies., Prussia in Transition. Society and Politics under the Stein Reform Ministry of 1808, Philadelphia 1986, S. 110 f. M. Botzenhart, Verfassungsproblematik und Ständepolitik in der preußischen Reformzeit, in: Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen, hrsg. von P. Baumgart, Berlin 1983, S. 438 f. 7 Grzywatz

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

gen die Bildung einer besonderen oberen Kammer aus, weil eine solche Form der Vertretung nur der einseitigen Interessenartikulation diente. Theodor von Schön sprach sechs Monate später in dem von ihm verfaßten "Politischen Testament" Steins jedem aktiven Staatsbürger, "er besitze 100 Hufen oder eine, er treibe Landwirtschaft oder Fabrikation oder Handel, er habe ein bürgerliches Gewerbe oder sei durch geistige Bande an den Staat geknüpft", 122 das Recht zur Repräsentation zu. Altenstein wiederholte im Juni 1809 seine Vorbehalte gegen ständische Wahlen und verlangte nach "Repräsentanten des Landes, des Allgemeinen", die fähig und willens waren, sich im Interesse des Staatswohls über die Standesinteressen hinwegzusetzen. Zur Qualifikation sollte nicht der Besitz "eines vollen Grundeigenturns", sondern nur ein solcher Besitz erforderlich sein, der ein Interesse an dem Grundeigentum sicherstellte. Diese Regelung war für die Repräsentanten bei der ostpreußischen Regierung vorgesehen, während die Wahlfähigkeit zum Landtag Ansässigkeit oder den Besitz des Bürgerrechts im jeweiligen vertretenen Kreis bzw. in der vertretenen Stadt voraussetzte. 123 Staatsrat Koehler sprach sich ebenfalls gegen ständische Wahlen aus. Das passive Wahlrecht stand seiner Ansicht nach jedem Staatsbürger zu, mithin jeder Person, die in ihrer Gemeinde stimm- und wahl fähig war. Diese Ausdehnung des Wahlrechts folgte nach Koehler aus der prinzipiellen Gleichheit aller Staatsbürger. Dem Staat mußte daran gelegen sein, den einzelnen Repräsentationsebenen entsprechend eine mehr oder weniger starke Vertretung der Intelligenz vorzufinden. Da die preußische Nation noch nicht darin geübt war, ihre eigenen Interessen und den Grad der Qualifikation, die ein Individuum als Repräsentant besitzen mußte, adäquat einzuschätzen, hielt Koehler es anfänglich für notwendig, "den Wahlen durch vorgezeichnete Schranken bestimmt diejenige Richtung zu geben, welche sie wahrscheinlich bei mehrerer Übung ganz von selbst nehmen würde".124 Unter allen äußeren und von verschiedenen allgemeinen Bestimmungen abgeleiteten Zeichen der Verstandesbildung erwies sich nach Koehler die Wohlhabenheit als zuverlässigstes Kriterium, folglich band er die Wahlfähigkeit zu den einzelnen Repräsentationen an unterschiedliche Einkommensstufen. Das 122 Sogen. Politisches Testament Steins, 24. November 1808, in: ScheellSchmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 1138. 123 Immediatbericht Altenstein/Graf zu Dohna, 16. Juni 1809, in: Scheel/ Schmidt, Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altenstein/Dohna (= Deutsche Akademie der Wissenschaften, Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I, Allgemeine und Deutsche Geschichte, Bd. 54), Berlin 1986, S. 322 ff. 124 Koehler, Aufsatz zu zwei Gesetzentwürfen über das ländliche Kommunalwesen und die Repräsentativverfassung, 27. September 1809, in: ScheellSchmidt, Stein zu Hardenberg, S. 438.

3. Das korporative Prinzip von Partizipation und Repräsentation

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passive Wahlrecht zur Kreisversammlung verlangte ein Einkommen von 500 Reichstalern, während für die Wahl in die Provinzial- oder Reichsversammlung ein Einkommen von 1000 Reichstalern nachgewiesen werden mußte. Neben dem Einkommen war das aktive und passive Wahlrecht noch an das Erfordernis der Angesessenheit gebunden. Diese Voraussetzung schloß die Staatsbeamten, Geistlichen und Lehrer von der aktiven Teilnahme an den Repräsentationen aus. Koehler sah darin keinen gravierenden Nachteil, da diese Bildungsschichten nicht zu den Bürgern, sondern zu den Schutzverwandten zählten. Dagegen wandte sich der Staatsrat gegen den Versuch, das Stimmrecht und die Wahlfahigkeit vom Besitz "einer gewissen Hufenzahl" abhängig zu machen. Der Wert des Bodens war dazu einerseits viel zu schwankend und ungleich, andererseits bestand die Gefahr, daß die Repräsentationsidee überhaupt geHillfdet wurde, indem man den Eindruck erweckte, daß das Wahlrecht in den Hufen selbst ruhte oder auf ihnen haftete. Darüber hinaus kam es in einem solchen Fall zum ungewollten Ausschluß gebildeter und wohlhabender Personen, die trotz eines bedeutenden Vermögens nur einen geringen Besitz erworben hatten. Die einzelnen Pläne, Denkschriften und Gutachten zur Durchsetzung moderner Repräsentationsprinzipien wurden indessen nicht in entsprechenden Gesetzesvorhaben konkretisiert. Die in den Jahren 1808 bis 1810 aktivierten Landtagsversammlungen, wie etwa der erwähnte ostpreußische Generallandtag, bildeten keine Repräsentationen der Nation, da ihnen das stadtbürgerliche Element völlig fehlte. Bei dem Generallandtag handelte es sich um eine ritterschaftliehe Kreditgenossenschaft, der durch die Aufnahme der Domänen, der Köllmischen Güter und der mit vollem Eigentum versehenen bürgerlichen Landgüter, soweit sie einen Wert von mindestens 500 Reichstalern erreichten, eine breitere Basis gegeben wurde. 125 Hardenberg machte sich im Sommer 1810 zwar von der Vorstellung einer Amalgamierung von Nation und Administration frei, indem er nunmehr feststellte, daß diese streng voneinander zu trennen waren, aber die von ihm favorisierte antikorporative Repräsentation wurde weder mit der im Februar 1811 einberufenen Notabelnversammlung noch durch die im April 1812 zusammentretende Interimistische Nationalrepräsentation realisiert. Wie bereits Altenstein 1807 ausgeführt hatte, wollte auch Hardenberg die Teilnahme an der Repräsentation grundSätzlich von "Besitz, Einsicht und Sitten" abhängig machen. 126 Unter den vom Monarchen berufenen Nota125 Vgl. dazu Meier, Einflüsse, Bd. 2, S. 367 ff. M.W. Gray, Der ostpreußische Landtag des Jahres 1808 und das Reformministerium Stein. Eine Fallstudie politischer Modernisation, in: JGMO, Bd. 26 (1977), S. 129 ff. 126 Vgl. Alfred Stern, Die preußische Verfassungsfrage 1807-1815, in: Ders., Abhandlungen und Aktenstücke zur Geschichte der preußischen Reformzeit 18071815, Leipzig 1885, S. 167 f. Wilhelm Steffens, Hardenberg und die ständische Op-

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I. Kap.: Repräsentation und Partizipation

beln dominierten die Rittergutsbesitzer, welche die Versammlung als Ausgangspunkt für die Einberufung altständischer Landtage nutzen wollten. 127 Die großen Städte delegierten jeweils einen Vertreter, die kleinen Grundbesitzer und Bauern wurden durch Beamte der unteren Verwaltungsebene repräsentiert. 128 Auch die Interimististische Nationalrepräsentation wurde vom Grundbesitz beherrscht: Er stellte mit 18 Vertretern fast die Hälfte der Repräsentanten. Die Städte beriefen 12 bzw. 13 Vertreter, wobei die Großstädte Berlin, Breslau, Königsberg und später noch Stettin einen Sonderstatus genossen, indem sie unmittelbar je einen Vertreter in die Nationalrepräsentation entsenden konnten. Die Bauern wurden schließlich durch neun Abgeordnete repräsentiert. 129 Im Unterschied zur Notabelnversammlung bestand die Nationalrepräsentation aus gewählten Vertretern. Bedingung für die Wahlberechtigung und die Wählbarkeit war der Nachweis von Grundeigentum. Die Wahlen erfolgten auf indirekte Weise durch eine Art Wahlmännersystem. Die Rittergutsbesitzer wählten unter Vorsitz des Landrats auf den Kreistagen jeweils zwei Vertreter, die bevollmächtigt wurden, in den entsprechenden Provinzialversammlungen je zwei ritterschaftliche Repräsentanten der einzelnen Provinzen durch Wahl zu bestimmen. Städte, die unmittelbar unter der Regierung standen, entsandten direkt einen Vertreter zur städtischen Provinzialversammlung, die übrigen Städte wählten nach der Städteordnung einen Deputierten für eine unter dem Vorsitz des zuständigen Landrats stehende städtische Kreisversammlung, die einen Kreisdeputierten zur Provinzialversammlung entsandte. In analoger Weise bestimmten die Vertreter eines jeden Dorfes die bäuerlichen Kreisdeputierten, welche wiederum auf der Provinzialversammlung ihren jeweiligen Repräsentanten wählten. Die Dorfvertreter kamen in der Regel aus dem Kreis der Schulzen und Geschworenen, doch konnten die Gemeinden auch andere Mitglieder entsenden, wenn diese mindestens eine Magdeburgische Hufe Land besaßen. Wie die Notabelnversammlung sollte die Nationalrepräsentation nur beratend wirken und die öffentliche Meinung für Maßnahmen der Staatsregierung gewinnen. Da die Nationalrepräsentation nur konsultative Aufgaben position 1810111, Leipzig 1907, S. 8. Paul Haake, König Friedrich Wilhelm III. und die preußische Verfassungsfrage, in: FBPG, Bd. 28 (1915), S. 195. Nolte, Staatsbildung, S. 89 f. 127 Zur Notabelnversammlung vgl. Steffens, Hardenberg, S. 53 ff. Ernst Walter Zeeden, Hardenberg und der Gedanke einer Volksvertretung in Preußen 1807-1812 (= Historische Studien, H. 365), Berlin 1940, S. 98 ff. Obenaus, Anfänge, S. 63 ff. 128 Steffens, Hardenberg, S. 18 f. 129 Vetter, Kurmärkischer Adel, S. 55. Zur Haltung der Städteverteter, insbesondere der Berliner Repräsentanten, in den Versammlungen und zu ihrer Auffassung über die Aufgaben der Landesvertretung vgl. unten Kap. 4, Unterabschnitt 3.

3. Das korporative Prinzip von Partizipation und Repräsentation

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erfüllte, sah die Mehrheit des Adels in der nationalen Vertretungskörperschaft eine politische Entmündigung. Nur eine Minderheit der Adligen betrachtete eine Repräsentativverfassung als unumkehrbare Notwendigkeit, gerade im Hinblick auf die staatliche Integration und die Vermeidung revolutionärer Bestrebungen. Mit einer auf konsultative Aufgaben beschränkte Mitwirkung wollte sich indessen auch dieser Teil des Adels nicht zufriedengeben. Er verlangte, ähnlich wie die städtischen Repräsentanten, politische Partizipationsrechte, die sich vor allem auf die Teilhabe an der Gesetzgebung erstreckten. 130 Die Mehrheit des Adels verharrte jedoch in Opposition gegen eine gesamtstaatliche Vertretungskörperschaft und plädierte für eine provinzialständische Verfassung. Hardenbergs "zweckmäßig eingerichtete Repräsentation" genügte seinem eigenen Ziel einer antiständischen Nationalversammlung nicht. Das Wahlverfahren orientierte sich noch an einem korporativen Gesellschaftsmodell und suchte insbesondere den Adel als soziale Basis des monarchisch-bürokratischen Staates zu erhalten. Ansätze zu einem modemen Repräsentativsystem, das ungeachtet der Bevorzugung der höheren Einkommen, die Vertretungskörperschaft nach dem Bevölkerungsmaßstab organisierte, wie es schon Staatsrat Koehler vorgeschlagen hatte, 13l insbesondere aber in der Städteordnung praktisch ausgebildet war,132 fehlten Hardenbergs frühen Repräsentationsprojekten. Urteile, die in den provisorischen Zentralrepräsentationen den Ausgangspunkt einer ständisch ungebundenen Volksvertretung sehen wollen, müssen daher relativiert werden. 133 Die vorläufigen Landesvertretungen dienten dem Staatskanzler vornehmlich zur Absicherung seiner Politik, in erster Linie der Finanz- und Steuerreformen. Selbst die von Hardenberg beabsichtigte Einflußnahme auf die öffentliche Meinung scheiterte letzten Endes, da es nicht gelang, die Publikation der Verhandlungen oder der Verhandlungsergebnisse durchzusetzen. 134 130 Über die ungeklärte staatsrechtliche Stellung der Interimistischen Nationalrepräsentation, das Geschäftsverfahren und die Einsetzung eines staatlichen Kommissars als Präsident der Versammlung vgl. Stern, Verfassungsfrage, S. 178 f. Obenaus, Anfänge, S. 69 ff. Vetter, Kurmärkischer Adel, S. 57 ff. I3I Koehler, Gesetzentwürfe, 27. September 1809, in: Scheel/Schmidt, Stein zu Hardenberg, S. 437 f. Koehler schlug vor, zur Reichsversammlung pro 100000 Einwohner ein Mandat zu erteilen, für die Mandate der Provinzial- und Kreisversammlungen sollte der Maßstab bei 9000 bzw. 3000 Einwohnern liegen. 132 § 70, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 333. 133 Diese Tendenz zeigt sich auch bei Nolte, Staatsbildung, S. 93 ff., der ansonsten die Hardenbergsche Politik durchaus kritisch behandelt. 134 Zeeden, Hardenberg, S. 161. Obenaus, Anfänge, S. 73 f. Nolte, Staatsbildung, S. 90 f. Zur Frage der preußischen Verfassungspolitik und dem Scheitern der Konstitutionalisierung nach wie vor wichtig Koselleck, Preußen, S. 163 ff. u. 319 f. Zur Kritik vgl. Nolte, Staatsbildung, S. 82 ff.; hier insbesondere wichtig die These von

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

4. Die Revolution als politischer Gegenpol und Antrieb der Reform Die Verordnung zur verbesserten Einrichtung der Provinzial-, Polizeiund Finanzbehörden ging im Dezember 1808 noch vom Modell einer direkten Verbindung der Administration mit der Nation aus. Die dabei verfolgten inhaltlichen Ziele griffen weitgehend die von Altenstein entwickelten Vorstellungen auf. Grundsätzlich mußte dieses Modell an der Überschneidung von exekutiven und legislativen Funktionen scheitern, praktisch-politisch an der Herabwürdigung der ständischen Repräsentanten zu bloßen Offizianten, denen sowohl eine Beziehung zu ihren Wählern als auch zur konkreten Verwaltungstätigkeit fehlte. 135 Typisch war, daß die Verordnung den integrierenden Charakter des Vertretungsinstituts in der erklärten Absicht verdeutlichte, die ständischen Repräsentanten sollten sich selbst "von der Rechtlichkeit und Ordnung der öffentlichen Staatsverwaltung" näher überzeugen und "diese Überzeugung in der Nation" gleichfalls wecken wie befestigen. 136 Diese Aufgabe wies indirekt auf das eigentliche staatspolitische Ziel des Reformwerks hin, das alle Elemente der Reorganisation einte, nämlich "mit Ordnung die Wiedergeburt bewirke(n)", auch wenn die Reformen gegenüber der tradierten Verfassung eine Revolutionierung der inneren Verhältnisse des Staates beinhalteten. Diese "Revolution im guten Sinne" sollte demnach "mit Ordnung vollzogen" und in diesem Prozeß "sogleich Ordnung hergestellt" werden. "In der Idee, daß ein Gegenstand der Staatsverwaltung so und nicht anders werden solle", erklärte Altenstein, "liegt auch das Gesetz für das, wie es zum Werden gebracht werden könne, ist die Idee ganz klar gefaßt".l3? Aus der analytischen Durchdringung des "Weltzustandes" und der Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnis in einer notwendig leitenden Idee ergab sich die Möglichkeit geordneter Veränderung und insofern ein Wandel, der schon von seinem Ansatz her als Reformprozeß zu verstehen war.

"den selbstgewählten Bedingungen des Primats der Repräsentation" in der Verfassungsfrage. 135 Zur Bestellung der Repräsentanten und zur Abgrenzung ihrer Kompetenzen vgl. die §§ 19-22 der Einrichtungs-Verordnung, 1808. GS 1806--1810, S. 469 f. Zur innerbürokratischen Diskussion um die Verordnung und ihre gescheiterte Ausführung in Ostpreußen siehe Obenaus, Verwaltung, S. 146 ff. 136 § 18, Einrichtungs-Verordnung, 1808. GS 1806--1810, S. 469. 137 Denkschriften Hardenberg/Altenstein, 11.112. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 306, 371, 390 u. 513. Vgl. Hausherr, Hardenberg. Eine politische Biographie, T. 3, Die Stunde Hardenbergs, 2 Köln-Graz 1965, S. 233 f. Peter G. Thielen, Karl August von Hardenberg 1750--1822. Eine Biographie, Köln-Berlin 1967, S. 207.

4. Die Revolution als politischer Gegenpol

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Der wiederholte Gebrauch des Revolutionsbegriffs 138 seitens der Reformer, selbst im Hinblick auf die von ihnen angestrebte staatliche Umgestaltung, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Revolution gerade den politischen Gegenpol ihrer Bemühungen darstellte. Die Revolution drohte, wenn der veraltete Staat zögerte, "sich selbst zu revolutionieren". Notfalls mußte er "zu seinem eigenen Besten gezwungen werden",139 dem entwicklungsgeschichtlich fundierten Leitmotiv staatlicher Erneuerung zu folgen. Erhaltung mußte immer der vorrangigste Zweck aller politischen Maßregeln bleiben, betonte Wilhelm von Humboldt. Da innerhalb der Staatsbürokratie die Neigung vorherrschte, "rein theoretische Grundsätze" zu entwickeln, bildete sie die eigentliche Agentur gesellschaftlichen und politischen Fortschritts. Wenn sich in neueren Zeiten oft das Gegenteil gezeigt hatte und "von der Volksbehörde" gewaltsame Neuerungen ausgegangen waren, merkte von Humboldt mit Blick auf die französische Revolution an, so lag dies an drängenden Mißbräuchen oder eben daran, "daß die Volksbehörden nicht so gewählt oder so gestellt waren, daß das eigentliche bürgerliche Interesse der verschiedenen Gemeinseiten der Staatsbewohner in ihnen ihr wahrhaftes Organ fand".140 Der am Rechtsprinzip orientierte Kant betrachtete jede bisweilen wohl nötige Veränderung einer fehlerhaften Staatsverfassung als reformerische Aufgabe des staatlichen Souveräns. Sie konnte nicht durch das Volk und mithin nicht durch eine Revolution ausgeführt werden, denn gegen das gesetzgebende Oberhaupt des Staates konnte es keinen rechtmäßigen Widerstand des Volkes geben, da "nur durch Unterwerfung unter seinen allgemein-gesetzgebenden Willen,,141 ein rechtlicher Zustand möglich war. 138 Allgemein zum Revolutionsbegriff und -verständnis Koselleck, Revolution, Rebellion, Aufruhr, Bürgerkrieg, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 5, S. 653788. 139 Denkschrift, Altenstein, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 371. 140 Wilhelm von Humboldt, Denkschrift über Preußens ständische Verfassung, 4. Februar 1819, in: Ders., Politische Denkschriften, Bd. 3, hrsg. von B. Gebhardt, (= Gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 12), Berlin 1903, S. 234. 141 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 439. Für Kant war Widerstand gegen die höchste Gesetzgebung immer gesetzwidrig. Um zum Widerstand befugt zu sein, mußte ein öffentliches Gesetz vorhanden sein, daß den Widerstand erlaubte. Die oberste Gesetzgebung hätte folglich eine Bestimmung enthalten müssen, nicht die oberste zu sein, und das Volk als Untertan "in einem und demselben Urteile zum Souverän über den zu machen, dem es untertänig" war. Hierin sah Kant einen unauflösbaren Widerspruch. Das Volk hatte daher die Pflicht, "selbst den für unerträglich ausgegebenen Mißbrauch der obersten Gewalt dennoch zu ertragen". Kant erkannte indessen die freiwillige Abdankung des Souveräns als Notrecht an und sah in der durch eine Revolution begründeten Verfassung eine verbindliche neue Ord-

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

Wenn man die dauernde Friedensstiftung als Ziel allen staatlichen Seins anerkannte, mußte dessen Verfassung "nicht revolutionsmäßig, ... durch gewaltsame Umstürzung einer bisher fehlerhaften ... , sondern durch allmähliche Reform nach festen Grundsätzen" durchgeführt werden, nur dann konnte sie, so Kant, "in kontinuierlicher Annäherung zum höchsten politischen Gut, zum ewigen Frieden, hinleiten".142 Die historisch-politische Reflexion der Reformer war nicht von der Erfahrung der französischen Revolution zu trennen. Sie sahen die von ihr ausgehenden Veränderungen aber nicht mehr vor dem Hintergrund jakobinischer Herrschaft, vielmehr interpretierten sie den Umsturz im Zusammenhang mit der Rationalität des napoleonischen Systems. 143 Der gewaltsame Umbruch erschien den Reformern deutlicher als Ergebnis eines veränderungsunwilligen "Festhalten am Alten", während sie an der von der Revolution ausgelösten Zerrüttung der Staatsverhältnisse eher die Freisetzung des Fortschritts hervorhoben. Die Herrschaft Napoleons bewies, daß Veränderungen unter Anerkennung der Fortschrittskräfte "nicht bloß mit Gewalt, sondern auch mit Ordnung,d44 vor sich gehen konnten. Die Reform zeigte sich nunmehr als evolutionärer Weg notwendigen und erstrebenswerten Handeins. Sie stellte sich sowohl als positive Alternative zur Revolution, als auch als wirksames Mittel ihrer Verhinderung dar. Dem konkreten Reformprozeß ging immer Erkenntnis voraus, so daß die Staatstätigkeit durch Einsicht fundiert war. Dadurch wurde ebenso die Möglichkeit einer vernunftgemäßen Reformpolitik wie die Gewähr öffentlicher Zustimmung erschlossen, deren integrierende, mithin politisch stabilisierende Kraft durch Partizipation und Gemeinsinnbildung ergänzt wurde. Der Pronung, die durch die Unrechtmäßigkeit ihres Beginnens nicht in Frage gestellt werden durfte. Metaphysik der Sitten, S. 440 u. 442. 142 A.a.O., S. 479. 143 Nipperdey umschreibt diese Situation äußerst treffend mit dem Axiom: "Am Anfang war Napoleon". Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 11. Zum deutschen Verhältnis zur französischen Revolution vgl. auch Karl Otmar Freiherr von Aretin, Deutschland und die Französische Revolution, in: Revolution und Konservatives Beharren. Das alte Reich und die Französische Revolution, hrsg. von dems./K. Härter (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Beih. 32), Mainz 1990, S. 9-20. Vierhaus, Die Revolution als Gegenstand der geistigen Auseinandersetzung in Deutschland 1789-1830, in: Revolution und Gegenrevolution 1789-1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutschland, hrsg. von R. Dufraisse (= Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 19), München 1991, S. 251-262. Deutschland und die Französische Revolution. Achtzehn Beiträge, hrsg. von J. Voss (= Beih. der Francia, 12), München 1983. Siehe auch Roger Dufraisse, Einleitung zu Revolution und Gegenrevolution, S. VII ff. Dort weitere ausführliche Literaturhinweise. 144 Hardenberg/ Altenstein, Denkschriften, 11.1 12. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 305 u. 390 f.

4. Die Revolution als politischer Gegenpol

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zeß refonnerischer staatlicher Erneuerung kann daher nicht dem Revolutionsbegriff subsumiert werden, auch nicht in der sublimierten Fonn einer bürokratischen oder Revolution von oben. 145 Bei den Refonnen handelte es sich um eine autonome, Monarch und Teile der Bürokratie einschließende, weitausgreifende Reorganisation des Staates. Eine vorhergehende Meinungsbildung in der Gesellschaft oder ihre Teilnahme an den Entscheidungen fand nicht statt. Die gesellschaftliche und politische Umgestaltung, Staatsintegration und Nationsbildung zielten auf die Konstituierung eines modernisierten Staates ab. Das schloß die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols, d.h. die Konzentration der Machtmittel und Herrschaftsrechte beim Staat und der Staatsregierung, die Zurückdrängung ständischer und korporativer Eigenrechte sowie die Gewährung von staatsbürgerlicher Teilhabe ein. Unübersehbar war, daß die Refonner zu dieser Zeit nicht daran dachten, die Reformziele in einem "Staats grundgesetz" zusammenzufassen. 146 Obwohl durch eine Verfassungsgebung die angestrebte staatliche Integration eine sichere Grundlage erhalten hätte, fonnte sie sich im Denken der Refonner erst später zu einer konzeptionellen Vorstellung. Doch auch dann war die Verfassungspolitik nicht vom Etatismus der Reformbürokratie zu trennen: Die Dominanz der Repräsentationsfrage resultierte aus ihrer Verknüpfung mit der administrativ-organisatorischen Lösung der Integrationsbedürfnisse des Staates und seinem, über die bloße Wahrung politischer Stabilität hinausgehenden Ziel der Systemerhaltung. Das Verfassungsproblem blieb, auch nachdem ihm um 1815 mehr Gewicht beigemessen wurde, der Repräsentationsfrage untergeordnet, einer möglichen, weil ebenso notwendigen bürokratischen Oktroyierung der Konstitution entsprach dann wohl die gesamtgesellschaftliche Situation nicht mehr. Bei der Bestandsaufnahme der politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse fiel es den Refonnern nicht schwer, die Zwänge und Hindernisse, die beschränkenden Regelungen, Privilegien und Vorrechte in der Gesellschaft sowie ihre soziale Grundlage auszumachen. Die möglichen Wirkungen des in Gang gesetzten Refonnprozesses ließen sich demgegenüber nur schwerlich abschätzen. Einsicht und Teilhabe reichten nicht aus, wenn die ökonomischen und sozialen Folgen des Wandels zu Belastungen führten, welche die in "Freiheit und Gleichheit" entlassenen Bürger nicht hinzunehmen bereit waren. Dahlmann resümierte im Vonnärz seine Forschungen zur Französi145 Der Revolutionsbegriff findet allerdings nach wie vor in der Forschung Verwendung vgl. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 17. Mieck, Reformen, S. 21. Obenaus, Anfänge, S. 11. Relativierend neuerdings Vogel, Verwaltung und Verfassung als Gegenstand staatlicher Reformstrategie, in: Gemeingeist und Bürgersinn, S. 31. 146 Vgl. dazu Nolte, Staatsbildung, S. 79 ff.

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1. Kap.: Repräsentation und Partizipation

schen Revolution in der Fonnel: Freiheit konnte es nur in der Ordnung geben. 147 Das Berliner Stadtbürgertum sollte diese Auffassung mit unterschiedlicher politischer Reichweite zum Leitmotiv einer Epoche machen, die den Kommunen wesentliche Lasten der Refonn aufbürdete. Die Auflösung der korporativen Bindungen und die Begründung gewerblicher Freiheit mochte als Voraussetzung einer produktiven Entfesselung der gesellschaftlichen Kräfte noch hingenommen werden, der Mangel an Steuerungsmechanismen, die auch das administrative Handeln der Kommunen einschlossen, hingegen nicht. Partizipation konkretisierte sich in der Gemeinde ja nicht in administrativer Teilhabe, sondern in der Konstituierung bürgerschaftlicher Verwaltung und Delegierung staatlicher Aufgaben. Die Kommunalrefonn vermittelte den Stadtgemeinden nur in eingeschränktem Maße administrative Anknüpfungspunkte. Sie stellte sich nicht als bloßer Austausch von Verwaltungsspitzen dar, vielmehr verlangte der Wandel den Aufbau eines neuen Verwaltungskörpers, der durch die Begrenztheit seines Wirkungskreises und die Vielgestaltigkeit seiner Aufgaben in seinen Wirkungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt war. In einer Stadt wie Berlin, die als administratives und ökonomisches Zentrum von der Mobilität der neuen Erwerbsgesellschaft und damit den sozialen wie finanziellen Folgen der Refonn besonders betroffen war, verursachte dieses Defizit ein erhebliches Maß an konservativem Beharrungsvennögen. Das durch die Konflikte um die praktische Umsetzung der Gewerbe- und Kommunalrefonn begründete retardierende Moment wurde durch eine Art "strukturellen Konservativismus" ergänzt, der die Stadt, zumindest was die Kommunalbürokratie und das partizipierende Bürgertum anging, zu einem wesentlichen Element der Erhaltung des politischen Status quo in Staat und Gesellschaft machte. Das auf Regierungsebene kläglich gescheiterte Modell, Administration und Nation zu verbinden, konnte unterdessen in der Kommunalverfassung erfolgreich konkretisiert werden. Durch die Verflechtung von bürgerschaftlicher und staatlicher Verwaltung wurde die Stadt materiell im Schnittpunkt zwischen Staat und Nation situiert. Unter dieser Bedingung konnte das politische Kalkül, durch Teilnahme Integration zu schaffen, verwirklicht werden. Wilhelm von Humboldt sah in der ständischen Repräsentation "das Prinzip der Erhaltung" genuin angelegt, da es immer schwerfiel, "daß das sich kreuzende Interesse der Einzelnen über eine Veränderung zum Schluß,,148 147 Friedrich eh. Dahlmann, Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik, Leipzig 1845, S. 199. Vgl. dazu auch M. Botzenhart, Das Bild der Französischen Revolution in der liberalen Geschichtsschreibung des deutschen Vormärz, in: Revolution und Gegenrevolution, S. 180 ff.

4. Die Revolution als politischer Gegenpol

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kam. Erhaltung schloß jedoch innere Dynamik nicht aus, beispielsweise im Prozeß der Ausgestaltung von Kompetenzen. Die Städte sollten von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, insbesondere wenn es darum ging, den Bereich der Gemeindeangelegenheiten festzulegen. Mitwirkung an öffentlichen Aufgaben konstituierte Selbstbewußtsein, Kompetenz und die Befähigung zur öffentlichen Verantwortung, mithin eine Disposition, aus der das Stadtbürgertum Ansprüche auf die Definition der kommunalen Zuständigkeiten erheben sollte. Das reformierte Städterecht zeichnete "den jetzt unmündigen Kommunen", wie der Königsberger Polizeidirektor Frey in seinem Entwurf zur Munizipalverfassung meinte, den Weg vor, "auf welchen sie zur Mündigkeit gelangen" konnten, ohne daß sich die Ministerialbürokratie um ihre Einwilligung kümmerte. Mündigkeit, selbst in ihrem Verständnis als "Pflicht zur Teilnahme am Leben der Gemeinschaft,,149 hatte der absolutistische Staat den Städten bislang ohne zwingenden Grund vorenthalten. Erst die gesamtgesellschaftliche Krise veranlaßte ihn, das System der Bevormundung einzuschränken. 15o Nach diesem Schritt konnte sich praktisch Mündigkeit einstellen, und zwar im Verhältnis der Teile zum Ganzen und umgekehrt.

148 Humboldt, Preußens ständische Verfassung, 4. Februar 1819, in: Ders., Politische Denkschriften, Bd. 3, S. 234. 149 Theodor Winkler, Johann Gottfried Frey und die Entstehung der Preußischen Selbstverwaltung (= Einzelschriften des kommunalwissenschaftlichen Instituts an der Universität Berlin, Bd. 3), Stuttgart-Berlin 1936, S. 128. 150 Vgl. in dieser Hinsicht Frey, Organisierung der Munizipalverfassungen (vor dem 17. Juli 1808), in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 657.

Zweites Kapitel

Das Kommunalrecht im Reformprozeß Ziele und historische Wirkungen 1. Die historische Rezeption der preußischen Städtereform

Die Bedeutung der preußischen Städterefonn erhellt sich allein vor dem Hintergrund der Refonnziele: einerseits die staatliche und gesellschaftliche Integration zu sichern, andererseits der Staatstätigkeit eine größere Effizienz und Legitimation zu geben. Diese Ziele, die sich in ihrer Allgemeinheit nicht nur auf die Städte, sondern auch auf die Landgemeinden erstrecken mußten, ließen sich in diesem größeren Teil des Landes nicht realisieren. Die Landgemeinden, selbständigen Gutsbezirke und Kreise der östlichen Provinzen Preußens wurden vom landsässigen Adel dominiert, der an seinen sozialen und politischen Privilegien, wie die Ausübung der Gerichtsbarkeit und der Polizeigewalt, festhielt. I Die Landräte vereinten zwar zentralstaatliche und ständische Funktionen, stammten aber aus dem kreiseingesessenen Adel und blieben primär dessen Interessen verbunden. Nachdem das Oktoberedikt die freie Verkäuflichkeit des Gutsbesitzes durchgesetzt hatte und die an den Grundbesitz gebundenen politischen Verfügungsrechte dem freien Erwerb unterlagen, war eine ländliche Kommunalrefonn notwendig geworden. Doch es mangelte der Ministerialbürokratie an Entschlossenheit, eine radikale Adelsrefonn durchzusetzen, die zu den Voraussetzungen einer Veränderung der Herrschaftsverhältnisse auf dem platten Land gehörten. Das Ende Juli 1812 erlassene Gendannerieedikt 2 wollte dem Adel zwar nicht den Status einer mit besonderen Privilegien ausgestatteten Schicht nehmen, aber ihn doch wenigstens im Bereich der Herrschaftsausübung mit den übrigen Staatsbürgern gleichstellen. Die patrimonialen und korporativen Herrschaftsrechte des Adels sollten aufgehoben 1 Zur ländlichen Kommunalrefonn vgl. Meier, Refonn, S. 330 ff. Friedrich Keil, Die Landgemeinde in den östlichen Provinzen und die Versuche, eine Landgemeindeordnung zu schaffen, Leipzig 1890, S. 76 ff. Neuerdings resümierend Nolte, Staatsbildung, S. 62 ff. 2 Edikt wegen Errichtung der Gendannerie, 30. Juli 1812. GS 1812, S. 141-160. Zur adligen Opposition vgl. Vetter, Adel, S. 94 ff. Siehe auch Bemd von MünchowPohl, Untersuchungen zur Bewußtseinslage in Preußen 1809-1812 (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Bd. 87), Göttingen 1987, S. 309 ff.

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und im Staat konzentriert, gleichzeitig die Verbindung von Administration und Repräsentation durch gewählte Deputierte bei den Kreisdirektorien sichergestellt werden. Das Scheitern des Edikts bedeutete, wie Koselleck resümierte, vorerst das "verwaltungspolitische Versickern der Staatsmacht auf dem Lande".3 Die partikularen Mächte obsiegten, verhinderten die Integration und Partizipation und auf diese Weise auch eine politische Modernisierung des ländlichen Raums. In den Städten waren die Reformer nicht mit sozialen und politischen Barrieren konfrontiert. Die Reform fiel, wenngleich sie nicht überall begeistert aufgenommen wurde, auf fruchtbaren Boden. Der außerordentliche Ausbau der städtischen Leistungsverwaltung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat frühzeitig zu einer Verklärung ihrer Bedeutung beigetragen. Wenn hier Integration, Effizienz und Legitimation als die entscheidenden Antriebsmomente ihrer Begründung angesehen werden, wobei die bürgerschaftliche Partizipation gleichsam das Bindemittel darstellte, so kann jene ältere Forschungsrichtung außer Betracht bleiben, die dezidiert gegen die zeitliche Zäsur der Kommunalreform auftritt und die Städteordnung in einen "grundsätzlichen organschaftlichen Zusammenhang ... mit der älteren deutschen Rechtsentwicklung,,4 stellt. Franz Steinbach und Erich Becker, die in dieser Hinsicht wohl an erster Stelle genannt werden müssen, sahen ihre Untersuchungen als Vorarbeiten zu einer "genetischen Geschichte von Recht und Verfassung". Sie fragen in diesem Zusammenhang nach der Herkunft der "konstruktiven Teile" in der Organisation der kommunalen Selbstverwaltung. Die in der Kontinuitätsthese aufgenommene "wesenhafte" Verbindung des Alten und Neuen rekurriert auf einen entwicklungsgeschichtlichen Ansatz, der verfassungstheoretisch motivierte Axiome, wie den von Hugo Preuß behaupteten grundsätzlichen Zusammenhang zwischen der modemen Selbstverwaltung und der mittelalterlichen Stadtautonomie, als unhistorische Konstruktionen ablehnt. 5 In Anlehnung an die älteren Studien Schmollers6 konstatieren Steinbachl Becker, daß die Entwicklung der Kommunalverfassung im 18. Jahrhundert Koselleck, Preußen, S. 209. Steinbach/Becker, Grundlagen, S. 11. Becker, Gemeindliche Selbstverwaltung, T. 1, Grundzüge der gemeindlichen Verfassungsgeschichte, Berlin 1941, S. 131 ff.; ders., Entwicklung der deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände im Hinblick auf die Gegenwart, in: HBdkWuP, Bd. 1, Kommunalverfassung, hrsg. von H. Peters, Berlin u. a. 1956, S. 77. 5 A.a.O., S. 79 f. 6 Gustav Schmoller, Das Städtewesen unter Friedrich Wilhelm 1., in: ZPGL, 8. Jg. (1871), S. 521-569; 10. Jg. (1873), S. 275-333 u. 537-589; 11. Jg. (1874), S. 513582. Ders., Deutsches Städtewesen in älterer Zeit (= Bonner staatswissenschaftliche Untersuchungen, H. 5), Bonn 1922. Neudruck Aalen 1964, S. 231 ff. 3

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

"notwendige Voraussetzungen" schafft und insofern der Städtereform des 19. Jahrhunderts den Boden bereitet? Nun ist es keine Frage, wie in der eingangs gestellten Frage nach dem Grund für das staatliche Vertrauen in die Reformfahigkeit der Städteverwaltung schon angedeutet, daß der Absolutismus die bürgerschaftliehe Verwaltung keineswegs gänzlich auflöste, sondern daß, ohne hier jetzt auf Einzelheiten des Städtewesens im absolutistischen Staat einzugehen, nach wie vor wesentliche Teile der Kommunalaufgaben von städtischen Magistraten wahrgenommen wurden. Doch daraus kann nicht der Schluß gezogen werden, daß die Kommunalordnung des Absolutismus praktisch schon im Keime eine auf Partizipation und Integration abzielende Kommunalverwaltung enthält. Die Kritik an der bürokratischen Verkrustung des absolutistischen Staates wie die geforderte Inanspruchnahme oder Freisetzung gesellschaftlicher Wissensressourcen hätte in diesem Fall nicht in dem Maße, wie es die preußischen Reformer darstellen, einen administrativen Wandel erfordert. Die Stadt des Absolutismus ist in umfassender Weise staatlicher Einwirkung ausgesetzt, der Staat führt nicht nur Aufsicht, sondern hat durch die Steuerräte selbst lokale Organe gebildet. Die Kommunen sind somit unmittelbarer Teil der Staatsadministration, ohne daß es einen gesetzlich garantierten Bereich bürgerschaftlicher Mitverwaltung gibt. Die entschiedenste Gegenposition zu Steinbach/Becker bzw. der eigentliche Adressat ihrer Kritik ist jene, im politischen Sinne liberale Staatsrechtslehre, welche in Hugo Preuß ihren profiliertesten Vertreter gefunden hat. Preuß' verfassungs- und rechtshistorische Arbeiten stützen sich zwar auf die Forschungen von Schmoller, Ernst Meier und Max Lehmann, 8 aber er kommt auf Grund seiner bewußten Frontstellung gegen den "Positivismus" und seiner Neigung, politische Gegensätze der Gegenwart in die Vergangenheit zu projizieren, zu ganz anderen Ergebnissen. Das trifft vor allen Dingen auf die Beurteilung der Stadtentwicklung im Zeitalter des Absolutismus zu. Die sich in dieser Epoche durchsetzende Tendenz des Staates, bürgerliche Selbsttätigkeit rigoros zu beschränken, markiert für Preuß den Gegensatz zur Kommunalreform von 1808. Dieser Gegensatz, mithin das Heraustreten aus dem System bevormundender Staatsaufsicht und verweigerter Selbsttätigkeit, hebt Preuß bewußt als radikalen Bruch hervor, da die primäre historische Bedeutung einer Epoche in der Dialektik von Altem und 7 Steinbach/Becker, Grundlagen, S. 76. So auch E. Botzenhart, Die Entwicklung der preußischen Stadtverfassungen im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Kommunalwissenschaft, 2. Jg. (1935), S. 142 ff. und im Anschluß, Hubatsch, Reformen, S. 148. Neuerdings auch Gisela Metteie, Verwalten und Regieren oder Selbstverwalten und Selbstregieren?, in: Stadt und Bürgertum, hrsg. von L. GaU, S. 347. 8 Max Lehmann, Freiherr vom Stein, 3 Bde., Leipzig 1902-1905.

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Neuem liegt. "Schließlich wird der vulgäre Irrtum", begründet Preuß seine Verfahrensweise, "der in jeder historischen Phase ein absolut Neues, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit sieht, der realen Wirkung der Dinge vielleicht näher kommen, als die gelehrte Kritik, die scharfsinnig in Ludwig XIV. den Vorläufer Robespierres oder in Friedrich Wilhelm I. den Herold des Freiherrn vom Stein aufweist und folgerichtig den Leidenschaften der Umwälzungskämpfe mit der vornehm kühlen Frage gegenübersteht: wozu der Lärm?,,9 Geschichtliche Erkenntnis fällt demnach bei Preuß in einen engen Konnex politischer Wahrnehmungen. Preuß stand mit seiner Auffassung nicht allein. Schon Ludwig von Rönne hatte die Auffassung vertreten, daß die preußische Städteordnung eine "Magna Charta der Municipalfreiheit"lo darstellte und die Kommunalverfassung sich "ohne Rücksicht auf das positiv Gegebene", an der "Norm" des Repräsentativsystems orientierte, in dessen Sinn "den Kommunen ein demokratischer Charakter gegeben" und "demgemäß die Kommunal-Obrigkeit möglichst zu einem Organ der Bürgerschaft"ll gemacht wurde. Nach Paul Schön wurde die Selbstverwaltung der Städte im absolutistischen Staat völlig negiert, "aus freien kommunalen Gebilden waren staatliche Verwaltungsbezirke" geworden, während das reformierte Kommunalrecht die Städte als selbständige Gemeinwesen anerkannte und sie mit einem Schlage "aus dem Zustande völliger Willenslosigkeit in den völliger Selbständigkeit und Unbeschränktheit versetzt(e)".12 9 Hugo Preuß, Das städtische Amtsrecht in Preußen, Berlin 1902, S. 32 f. Ders., Die Entwicklung des deutschen Städtewesens, Bd. 1, Entwicklungsgeschichte der deutschen Städteverfassung, Leipzig 1906. Neudruck Aalen 1965, S. 124 ff. Zu Preuß selbst Theodor Heuss, Einleitung zu Hugo Preuß, Staat, Recht und Freiheit, Tübingen 1926. Neudruck Hildesheim 1965. Günther Gillessen, Hugo Preuß. Studien zur Ideen- und Verfassungsgeschichte der Weimarer Republik, Phil. Diss., Freiburg/Br. 1955. Siegfried Grassmann, Hugo Preuß und die deutsche Selbstverwaltung (= Historische Studien, H. 394), Lübeck-Hamburg 1965. Der von Preuß kritisierte Schmoller hatte um die Jahrhundertwende, das sei hier nur am Rande vermerkt, gegen eine Professur von Preuß an der Berliner Universität intrigiert. Vgl. Gillessen, Preuß, S. 70. Zu Beginn der Weimarer Republik schreckte Schmoller selbst vor antisemitischen Ausbrüchen nicht zurück, siehe Schmoller, Walter Rathenau und Hugo Preuß, München 1922. 10 Ludwig von Rönne/Heinrich Simon, Die Preußischen Städte-Ordnungen vom 19. November 1808 und vom 17. März 1831, mit ihren Ergänzungen und Erläuterungen durch Gesetzgebung und Wissenschaft (= Die Verfassung und Verwaltung des Preußischen Staates, Bd. 1,1), Breslau 1843, S. IV. Rönne, Die Gemeinde-Ordnung und die Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Ordnung für den Preußischen Staat, nebst dem Gesetze über die Polizeiverwaltung, Brandenburg 1850, S. VIII. 11 Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 14. 12 Paul Schön, Die Organisation der städtischen Verwaltung in Preußen, in: AGVS, Jg. 1891, S. 780; ders., Das Recht der Kommunalverbände in Preußen, Leipzig 1897, S. 20. Schön folgen unter anderen Fritz Stier-Somlo, Das Städterecht,

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Refonnprozeß

Johannes Ziekursch sah im Magistrat der Vorreformzeit "nur das unterste Organ der Staatsverwaltung, das vom König, vom Provinzialminister und den Kammern durch die Steuerräte die Befehle erhielt und in jeder Beziehung gegängelt wurde".13 Friedrich Giese beurteilte die Reform als "radikale Änderung des bis dahin geltenden preußischen Städterechts", welche die Stadtgemeinden zu "selbständigen kommunalen Verbänden" erhob, ihnen "die Freiheit der Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten" eröffnete und "an die Stelle der staatlichen Verwaltungsorgane ... eigene städtische Behörden" treten ließ. 14 Die jüngere Forschung knüpft an diese Einschätzungen nahezu bruchlos an. Georg-Christoph von Unruh spricht von der "epochalen Bedeutung" der Städteordnung für die Selbstverwaltung 15 und bringt sie in unmittelbare Verbindung mit der im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgelegten institutionellen Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung. 16 Schnabel, Forsthoff, Heffter und Brill identifizieren die preußische Städteordnung mit der Entstehung der modemen Selbstverwaltung. 17 Grimm behauptet, die Städteordnung habe die kommunale Selbstverwaltung wiederhergestellt. 18 Nach Hendler markiert sie einen "geschichtlichen Neubeginn in der administrativen Staatsorganisation" und stellt insofern ein "Reformin: Handbuch des kommunalen Verfassungs- und Verwaltungsrechts in Preußen, Bd. I, Das Verfassungsrecht in Preußen, hrsg. von dems., Oldenburg 1919, S. 29; ders., Handbuch des kommunalen Verfassungsrechts in Preußen, 2Mannheim-BerlinLeipzig 1928, S. 7. Albert Hensel, Kommunalrecht und Kommunalpolitik in Deutschland, Breslau 1929, S. 13 f. I3 Johannes Ziekursch, Das Ergebnis der friderizianischen Städteverwaitung und die Städteordnung Steins, am Beispiel der schlesischen Städte dargestellt, Jena 1908, S. 111. 14 Friedrich Giese, Preußische Rechtsgeschichte. Übersicht über die Rechtsentwicklung der Preußischen Monarchie und ihrer Landesteile. Ein Lehrbuch für Studierende, Berlin-Leipzig 1920, S. 113. Siehe auch Erich Petersilie, Entstehung und Bedeutung der Preußischen Städteordnung, Leipzig 1908, S. 113 f. 15 Unruh, Ursprung und Entwicklung, in: HBdkWuP, hrsg. von G. Püttner, Bd. 1, Die Grundlagen, Berlin-Heidelberg-New York 1981, S. 59. 16 Unruh, Veränderungen, S. 416. Siehe auch Krebsbach, Städteordnung, S. 22 u. 37 ff. 17 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 2, Monarchie und Volkssouveränität, 2Freiburg 1949, S. 149. Schnabel sieht schon durch die Nassauer Denkschrift Steins "zum ersten Male wieder die Idee der Selbstverwaltung in die deutsche Geschichte getragen". A.a.O., S. 147. Forsthoff, Lehrbuch, S. 471 f. Hennann Louis BrilI, Studien zur Entstehung und Entwicklung der deutschen Selbstverwaltung, Jena 1928, S. 41. Heffter, Selbstverwaltung, S. 11. Zur Kritik an der Kontinuitätsthese von Steinbach/Becker siehe ebd. S. 69 ff. 18 Dieter Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte 1776-1866. Vom Beginn des modemen Verfassungsstaats bis zur Auflösung des Deutschen Bundes, Frankfurt/M. 1988, S. 91.

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werk von historischem Rang" dar, "als sie mit der autoritär-obrigkeitlichen Tradition der öffentlichen Verwaltung des Absolutismus rigoros bricht".l9 Für Hardtwig ist sie mit einem "grundsätzlichen Neuanfang des Selbstverwaltungsgedankens,,2o verbunden. Koselleck sieht im Bürgerrecht der Städteordnung ein "demokratisches Element beschlossen,,?l Durch das reformierte Kommunalrecht gewinnen die urbanen Gemeinden ihre "Selbstbestimmung",22 so daß sich aus der "Schule der Selbstverwaltung eine Vorschule gesamtstaatlichen Verfassungsdenkens,,23 entwickeln konnte. Im Anschluß an den Selbstverwaltungsgedanken und das Axiom von der "Erneuerung städtischer Freiheiten" beobachtet Pahlmann einen "vom Staat unabhängige(n), eigene(n) Verwaltungskörper,24 während nach Reulecke dem Bürgertum mit der Stadt "ein vom Staat wenig gegängeltes Experimentierfeld zugebilligt,,25 wurde. Auch die marxistisch-leninistische Historiographie hebt die epochemachende Wirkung der Städteordnung hervor. Für Karl-Heinz Börner bedeutet sie "der entscheidende Schritt zur Schaffung bürgerlicher Verhältnisse in den Städten", ihre Ausführung "mußte im Bürgertum wesentlich zum Bewußtwerden seiner Stellung in einem vom lunkertum beherrschten Staat beitragen".26 Zurückhaltendere Gesamturteile oder selektierende Wahrnehmungen sehen mit der Städteordnung "so etwas wie Demokratie" verbunden,27 sprechen von der "Demokratisierung der Stadtverwaltung" durch das reformierte Kommunalrecht 28 oder sie wollen ihre Bedeutung für die Durchsetzung des Repräsentativsystems erkennen. 29 Die lokal- und regionalgeHendler, Selbstverwaltung, S. 14. Wolfgang Hardtwig, Großstadt und Bürgerlichkeit in der politischen Ordnung des Kaiserreichs, in: Stadt und Bürgertum, hrsg. von Gall, München 1990, S. 23. 21 Koselleck, Preußen, S. 562. 22 A.a.O., S. 565. 23 A. a. 0., S. 585. 24 Pahlmann, Wahlen, S. 21 u. 29. 25 Reulecke, Urbanisierung, S. 17. 26 Karl-Heinz Bömer, Beginn der bürgerlichen Umwälzung in Ber!in. Einführung der preußischen Städteordnung, in: Jahrbuch für Geschichte, Bd. 35 (1987), S. 171. Ähnlich auch Günter Vogler/K. Vetter, Preußen. Von den Anfängen bis zur Reichsgründung (= Kleine Bibliothek 192), 6 Berlin 1979, S. 152 f. Helmut Bock, Kar! Freiherr vom und zum Stein. Soziale und nationale Ziele seines preußischen Reformministeriums zur Zeit des napoleonischen Hegemonialsystems, in: Preußische Reformen - Wirkungen und Grenzen. Aus Anlaß des 150. Todestages des Freiherm vom und zum Stein (= Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, Gesellschaftswissenschaften, 1982, Nr. IIG), Ber!in 1982, S. 28 f. 27 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866, S. 38. 28 Ritter, Stein, S. 266. 29 Preuß, Städtewesen, S. 237. Siegfried A. Kaehler, Das Wahlrecht in Wilhelm von Humboldts Entwurf einer ständischen Verfassung für Preußen, in: Zeitschrift für 19

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

schichtlich orientierte historiographische Forschung nimmt die Zurückhaltung des Stadtbürgertums gegenüber dem reformierten Kommunalrecht zum Anlaß, deren Bedeutung in ihrer "Fernwirkung auf weite Zeiträume,,3o auszumachen. Diese Interpretation berührt sich wiederum mit jenen Auffassungen, welche die Gemeinsinnbildung als zentrales Moment der Städteordnung hervorheben. So sieht Hendler ihre Bedeutung weniger in "den konkreten organisationsrechtlichen Lösungen als vielmehr auf dem zu Grunde liegenden geistig-politischen Konzept,,?l Schwab betrachtet die "Erziehungsidee auf ethischer Grundlage" als den "Kern des Reformprogramms",32 das einem Staatsverständnis folgt, in dem die moralische Verbesserung des Menschen die höchste Aufgabe bildet. Gegenüber den nationalpädagogischen und rechtlich-politischen Aspekten der Städteordnungsrezeption existiert ein weiterer Reflexionsstrang, in dessen Umfeld man sich einerseits um eine Relativierung der historischen Bedeutung des Kommunalrechts bemüht, andererseits stärker seine administrativen Implikationen herauszuarbeiten sucht. Schon Rönne sieht das reformierte Städterecht allgemein in einem engen Zusammenhang mit der "Wohlfahrt des Staates",33 von Unruh kann nicht umhin, die Städteordnung auch als Bestandteil einer "Verbesserung der Staatsverfassung"34 hervorzuheben und Nipperdey erläutert, daß die Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten letzten Endes den Staat stärken sollten. 35 Wehler, dem es vor allem um eine politische Einordnung des reformierten Kommunalrechts geht, bringt die Städteordnung mit dem reformabsolutistischen "Weg zum Einheitsstaat"36 in Verbindung, der dem Stadtbürgertum zwar "ein Stück bürgerlicher Mitverantwortung" eröffnete, zugleich aber dem Staat zentrale Zuständigkeitsbereiche aus dem früheren städtischen Kompetenzfeld herausschnitt. 37 Wehler schließt unmittelbar an Heffters Forschungen an, der ausführt, daß die Städteordnung ein "hohes Maß von liberaler, ja demokratischer Neugestaltung" brachte, es der Reformbürokratie indessen ferngelegen Politik, 17. Jg. (1917), S. 195-240. Obenaus, Anfänge, S. 47. Hardtwig, Großstadt, S.23. 30 Berthold Schulze, Die Einführung der Städteordnung in Berlin und der Mark 1808/09, in: JbL, Bd. 10 (1959), S. 14. Ihm folgt Mieck, Städtereform, S. 73. Siehe auch Ziekursch, Städteverwaltung, S. 170 f. 31 Hendler, Selbstverwaltung, S. 14. Siehe auch Reulecke, Urbanisierung, S. 16. 32 Schwab, Selbstverwaltungsidee, S. 28. 33 Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 31. 34 Unruh, Veränderungen, S. 406. 35 Nipperdey, Geschichte 1800-1866, S. 38. 36 Wehler, GeseUschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 176. 37 A.a.O., Bd. 1, S. 460.

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hatte, aus den Städten "Staaten im Staate zu machen nach Art der mittelalterlichen Autonomie,,?8 Die ,,städtefreiheit" sollte sich in die modeme Staatseinheit einfügen, was wesentlich den Entzug von kommunalen "Hoheitsrechten", vor allem die Ausübung der Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt, erforderte. 39 In diesem Zusammenhang muß unterdessen gleich angemerkt werden, daß die Berliner Kommunalverwaltung seit der Reorganisation von 1742 nicht mehr die Polizeigewalt in der Stadt ausübte, während das Rathäusliche Reglement von 1747 das Amt des Stadtpräsidenten und des Polizeidirektors in einer Behörde vereinigte und diese als ein dem Generaldirektorium direkt unterstelltes Organ sowohl die Leitung der Kommunaladministration ausübte als auch ihre Aufsicht übernahm. 4o Grumbkow begreift die Städteordnung als administrative Dezentralisation,41 Schieder interpretiert das reformierte Gemeinderecht als "Modell für die Übernahme staatlicher Funktionen durch die kommunalen Verwaltungen".42 Für Krabbe besteht die Essenz der Städteordnung nicht in der Gemeindefreiheit, sondern in der Teilnahme des Stadtbürgertums am Staat,43 Hardtwig zufolge ordnet das Kommunalrecht die städtischen Administrationen den allgemeinen Staatszwecken unter und macht sie zu untersten Einheiten der Staatsverwaltung. 44 Die von der Bürgertumsforschung inspmerte Stadtgeschichtsforschung spricht in Anlehnung an die Kontinuitätsthese von "Reformen des Neoabsolutismus" , welche "mehr ein Bruch städtischer Selbstorganisation als des stadtbürgerlichen Bewußtseins" waren. Nach Metteies Überzeugung faßten die städtischen Bürger die Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten als "etwas Selbstverständliches" auf, es gehörte konstitutiv zu ihrem "Bürgersein".45 In gewisser Weise wird hier das von Preuß entwickelte genossenHeffter, Selbstverwaltung, S. 95. A. a. 0., S. 96. Dieser grundlegende Aspekt wird im Projekt "Stadt und Bürgertum im Übergang" nicht wahrgenommen. Vgl. Metteie, Regieren und Verwalten, S.346. 40 Vgl. Hintze, Behördenorganisation, S. 364 f. Kurt Schrader, Die Verwaltung Berlins von der Residenzstadt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm bis zur Reichshauptstadt. Unter besonderer Berücksichtigung der Stellung der Städteverwaltung zu den oberen preußischen Staatsbehörden und mit einem Abriß der Behördengeschichte der Berliner Regierung, Berlin 1963, Bd. 1, S. 74 ff. Neuerdings auch Grzywatz, Residenziale Kommunaladministration, S. 406 ff. 41 Grumbkow, Kommunalaufsicht, S. 18. 42 Theodor Schieder, Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich (= Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 15), 7München 1982, S. 2l. 43 Wolfgang R. Krabbe, Die deutsche Stadt im 19. und 20. Jahrhundert. Eine Einführung, Göttingen 1989, S. 14. 44 Hardtwig, Großstadt und Bürgerlichkeit, S. 23. 45 Metteie, Verwalten und Regieren, S. 346 f. 38 39

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

schaftstheoretische Sozialmodell aktualisiert, um prinzipiell städtisches Eigenleben und städtische Selbständigkeit im Absolutismus nachzuweisen. Der isolierte Blick auf das Stadtbürgertum vernachlässigt jedoch die Probleme der Staatsbildung und die in dieser Hinsicht angestrebte Kommunalreform. 46 Unsicherheiten des historischen Urteils bei der rechtlichen Einschätzung der preußischen Kommunalreform sind also auch noch in der gegenwärtigen Forschung unübersehbar. 2. Selbstverwaltung in theoriegeschichtlicher Perspektive

Es wird deutlich, daß die administrationszentrierten Urteile der neueren Stadt- und Gesellschaftsgeschichte sich auffallend den Positionen der rechtspositivistischen Staats- und Verwaltungsrechtslehre des ausgehenden 19. Jahrhunderts annähern. Diese war bis in die siebziger Jahre hinein durch Rudolf von Gneist, der sich zeitweilig auch als Gemeinderepräsentant in Berlin betätigte, und seinem in Form der obrigkeitlichen Selbstverwaltung entwickelten Modell einer "organischen Verbindung" von Staat und Gesellschaft maßgeblich beeinflußt. 47 Die obrigkeitliche Selbstverwaltung beruhte auf dem persönlichen ehrenamtlichen Dienst des Einzelnen bei der Ausführung des Staats willens, den Gneist als administrativen und jurisdiktionellen Vollzug von Staatsgesetzen versteht. 48 Sie stellt ein Teilsystem der ausführenden Staatsgewalt dar, welches das auf dem besoldeten Berufsbeamtentum basierende bürokratische Amtssystem ergänzt und sich praktisch als ein zwischen Parlament und Staatsverwaltung angesiedelter "Zwischenbau" darstellt. 49 Zu den Gegenständen der obrigkeitlichen Selbstverwaltung erklärte Gneist die staatlichen 46 Wichtig ist jedoch der Hinweis auf die realen Handlungsmöglichkeiten innerhalb der Kommunalordnungen, d.h. die Untersuchung der Verfassungsrealität bzw. des konkreten Wirkungsbereichs stadtbürgerlicher Politik. Die Gallsche Schule gerät hierbei, zumindest was die preußischen Kommunalverhältnisse angeht, aber in die Gefahr, das Verhältnis von Staat und Gemeinde in ihrer Konfliktträchtigkeit zu verabsolutieren. Vgl. a. a. 0., S. 347 f. 47 Vgl. dazu Voigt, Selbstverwaltung, S. 148 ff. Heffter, Selbstverwaltung, S. 372 ff. Eberhard Ramin, Die Geschichte der Selbstverwaltungsidee seit dem Freiherrn vom Stein, Jur. Diss., Münster 1972, S. 116 ff. Hans Jürgen Bieback, Die öffentliche Körperschaft. Ihre Entstehung, die Entwicklung ihres Begriffs und die Lehre vom Staat und den innerstaatlichen Verbänden in der Epoche des Konstitutionalismus in Deutschland (= Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 286), Berlin 1976, S. 267 ff. Hendler, Selbstverwaltung, S. 57 ff. 48 Rudolf von Gneist, Die preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungs-Staates, Berlin 1870, S. 8 ff. 49 Gneist, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg - Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen, Berlin 1869, S. V, 90 u. 95.

2. Selbstverwaltung in theoriegeschichtlicher Perspektive

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Funktionen der inneren Landesverwaltung, soweit sie sich zur Wahrnehmung im Nachbarverband eigneten, wie etwa die Verwaltung des kommunalen Stammvermögens. Gegen verselbständigte Verwaltungseinheiten, in denen die bürgerschaftliche Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben in relativer Unabhängigkeit vom Staat vollzogen wurde, wandte sich Gneist mit dem Hinweis, daß sie zur Wiederbelebung altständischer Ordnungsvorstellungen und damit ebenso zu einer Aufspaltung der gesetzgebenden Gewalt in "partikuläre Autonomien" wie zu einer Gefährdung der "politische(n) Einheit des Willens der Nation" führen könnten. 5o Den gewählten Vertretungskörperschaften auf kommunaler und regionaler Verwaltungsebene stand Gneist skeptisch gegenüber, da sich die Partizipation durch die Übertragung der Beschlüsse auf besoldete Berufsbeamte im Wahlakt erschöpfte und im übrigen ein unübersichtliches Kompetenz- und Verantwortungsgefüge entstehen ließ. 51 Nur im Bereich der wirtschaftlichen Geschäfte der Lokalverwaltung, der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, unterstützte er das Wahl prinzip, erkannte Gneist in den Gemeindevertretungen die Repräsentation der Steuerzahler an, die sich in der Kontrolle des Stadthaushalts, der Feststellung des Etats, der Bewilligung von Einzelausgaben und der Normierung der wirtschaftlichen Grundsätze bei der Verwaltung des Steuervermögens konkretisierte. 52 Ein Wahlsystem, erläuterte Gneist, war "nur ergänzend zur Controlle der ökonomischen Seite der Localverwaltung anwendbar".53 Das aktive Wahlrecht wollte Gneist indessen auf jene Staatsbürger beschränken, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Übernahme vOn Ehrenämtern verpflichtet waren. 54 Politische Rechte begreift Gneist als öffentliche Pflichten zum persönlichen Dienst für das staatliche Gemeinwesen, insofern bedeutete der Zensus eine Begrenzung der Pflicht zur öffentlichen Teilnahme. Gegen Gneists Selbstverwaltungskonzept55 führte Paul Laband Mitte der siebziger Jahre an, daß Selbstverwaltung keinen Zwischenbau zwischen Staat und Gesellschaft beinhaltete, da die bürgerliche Gesellschaft weder Rechtssubjekt, noch Objekt vOn Recht noch ein rechtlich bestimmtes Verhältnis darstellte. 56 Folglich konnte Selbstverwaltung auch kein RechtsbeA.a.O., S. 121. A. a. 0., S. 55 f.; ders., Kreisordnung, S. 69. 52 A.a.O., S. 19. 53 Gneist, Verwaltung, S. 98. 54 Gneist, Kreisordnung, S. 71 ff. Zu Gneists Verhältnis zum gewählten Parlament auf nationaler Ebene siehe Hendler, Selbstverwaltung, S. 61 f. 55 Zur Nachfolge der Gneistschen Selbstverwaltungskonzeption bei Otto von Sarwey, Edgar Loening, Conrad Bornhak, Georg Mayer und Ernst von Meier, der sich allerdings vom Prinzip staatlich ernannter Ehrenbeamter distanzierte und die Wahl zur Grundlage der Selbstverwaltung erklärte, vgl. a. a. 0., S. 113 ff. 50 51

2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

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griff sein. Selbstverwaltung erwies sich nach Laband als "Zwischenbau zwischen Staat und Untertan"; sie bezog sich auf ein öffentlich-rechtliches Subjekt, das in der Stellung zwischen Staat und Individuen von jenem zur Durchführung seiner Aufgaben verwandt wurde. Dabei konnten die Zwischenglieder monarchisch oder, wie im Falle der Kommunen, korporativ organisiert sein. "Anstatt daß der Staat seine obrigkeitlichen Herrschaftsrechte direct durchführt", legte Laband seine Auffassung dar, "überträgt er die Durchführung an Personen, die ihm zwar unterworfen sind, die aber ihm gegenüber eine besondere öffentliche Rechtssphäre, eine begrifflich verschiedene Existenz haben. Selbstverwaltung beruht auf der Selbstbeschränkung des Staates hinsichtlich der Durchführung seiner Aufgaben und der Geltendmachung seiner obrigkeitlichen Herrschaftsrechte auf die Aufstellung der dafür maßgebenden Normen und auf Controlle ihrer Befolgung, während die Handhabung dieser Normen selbst Zwischengliedern übertragen wird".57 Selbstverwaltung war mithin jene Form obrigkeitlicher Verwaltung, die nicht durch Behörden oder Beamten des Staates bzw. nicht durch den Staat selbst, sondern durch ihm zwar untergeordnete, aber innerhalb ihres Wirkungskreises selbständige Korporationen ausgeführt wurde. 58 Heinrich Rosin systematisierte die von Laband entwickelte juristische Selbstverwaltungslehre, indem er die Gneistsche Ehrenamtsdoktrin in den Bereich des Politischen verwies und begrifflich zwischen Selbstverwaltung im juristischen Sinne, die er als körperschaftliche Selbstverwaltung einstufte, und Selbstverwaltung im politischen Sinne unterschied, die er als bürgerliche Selbstverwaltung qualifizierte. 59 Staatsrechtlich bedeutete Selbstverwaltung "die Anerkennung eines nicht souveränen politischen Gemeinwesens durch das souveräne als verwaltende Rechtspersönlichkeit".6o Solche als Selbstverwaltungskörper agierenden politischen Gemeinwesen sah Rosin sowohl in den Gemeinden und den überörtlichen innerstaatlichen Territorialverbänden als auch in den Einzelstaaten des Bundesstaates und den patrimonialen Gutsbezirken. Später subsumierte er ihnen noch die öffentlichen Genossenschaften. 61 Der juristische Selbstverwaltungsbegriff hatte einen streng formalen Charakter, da er sich lediglich auf das Verhältnis zweier politischer Gemeinwesen bezog, d.h. des Selbstverwaltungskör56 Siehe Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, TübingenLeipzig 1876, S. 95 ff. u. 101 f. Vgl. dazu Voigt, Selbstverwaltung, S. 163 f. Heffter, Selbstverwaltung, S. 740 f. Hendler, Selbstverwaltung, S. 110 ff. 57 Laband, Staatsrecht, Bd. 1, S. 101.

58

A. a. 0., S. 104.

Heinrich Rosin; Souveränität, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung, in: AGVS, 16. Jg. (1883), S. 305 f. u. 319 f. 59 60

A. a. 0., S. 309.

Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft. Eine verwaltungsrechtliche Monographie, Freiburg 1886, S. 55 ff. 61

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pers zu der ihm übergeordneten souveränen Gewalt, während die administrative Organisation des Selbstverwaltungskörpers ohne Beachtung blieb. Bürgerliche Selbstverwaltung oder Selbstverwaltung im politische Sinne lag dann vor, wenn im monarchischen Staat eine Verwaltungsorganisation entwickelt war, die bei der Bildung der Behörden das genossenschaftliche neben dem herrschaftlichen Element des Staates zum Ausdruck gelangen ließ bzw. eine verfassungsmäßige Beteiligung des Staatsbürgers stattfand. Eine derartige verfassungsmäßige Teilnahme im über- oder untergeordneten Gemeinwesen war immer dann vorhanden, wenn öffentliche Verwaltungsaufgaben durch bürgerschaftlich gewählte Personen erledigt wurden. Selbstverwaltung im politischen Sinne berührte demnach "die genossenschaftliche Bildung der Verwaltungsbehörden" und mithin "die Art der Organisation der Verwaltung,,62 innerhalb eines Gemeinwesens. Sie war Staats- oder Gemeindeverwaltung, je nachdem, ob sie sich auf ein staatliches oder kommunales Gemeinwesen bezog. Der einzelne Staatsbürger verwaltete weder eigene Angelegenheiten noch führte er sie mit eigenen Mitteln aus, sondern er administrierte lediglich Angelegenheiten des Staates oder der Gemeinde mit deren Machtmitteln. Selbstverwaltung im juristischen Sinne bezieht sich hingegen, um das nochmals zu verdeutlichen, auf das Handeln einer selbständigen Rechtspersönlichkeit, deren Verwaltungsbefugnisse zwar von außen beschränkt sein können, aber stets eigene Angelegenheiten mit eigenen Mitteln verwalten. Rosins begrifflich-systematische Ausformung der juristischen Selbstverwaltungslehre erwies sich als außerordentlich zukunftsträchtig, indem sie nicht nur bis in die Gegenwart von der Rechts- und Staatswissenschaft gepflegt wurde, sondern auch indem sich die Tendenz durchsetzte, nicht im Ehrenamt, sondern in den kommunalen Körperschaften das Wesen der Selbstverwaltung zu sehen. 63 Die korporative Selbstverwaltungslehre setzte sich in der Folgezeit weitgehend durch, wobei begriffliche Erweiterungen nicht ausblieben. 64 Rosin, Souveränität, S. 314. Heffter, Selbstverwaltung, S. 742. 64 Zu ihren Vertretern müssen gezählt werden Hermann Schulze, Das Preußische Staatsrecht auf der Grundlage des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Leipzig 1877, Bd. 1, 2 Leipzig 1888. Oscar Gluth, Die Lehre von der Selbstverwaltung im Lichte formaler Begriffsbestimmung, Leipzig-Wien-Prag 1887. Albert Haenel, Deutsches Staatsrecht, Bd. 1, Die Grundlagen des deutschen Staates und die Reichsgewalt, Leipzig 1892. Hermann Blodig, Die Selbstverwaltung als Rechtsbegriff. Eine verwaltungsrechtliche Monographie, Wien-Leipzig 1894. Julius Hatschek, Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Bedeutung (= Staats- und völkerrechtliche Abhandlungen), Leipzig 1898. Vgl. dazu Voigt, Selbstverwaltung, S. 167 ff. Peters, Grenzen, S. 9 ff. Ramin, Geschichte, S. 152 f. Hendler, Selbstverwaltung, S. 118 ff. Bieback, Körperschaft, S. 417 ff. 62 63

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Georg Jellinek etwa, für den das juristische Wesen der Selbstverwaltung "in der Beziehung der Kompetenz eines subjizierten Verbandes zur staatlichen Kompetenz" bestand und der Selbstverwaltung von diesem Verständnis ausgehend als "jene Verwaltung der Verbände, vornehmlich der Gemeinde" definierte, "welche staatliches Imperium als ein dem Verband zustehendes Recht zur Erfüllung der Verbandszwecke in Übereinstimmung mit den Gesetzen und unter der Kontrolle des Staates ausüb(ten)",65 verknüpfte den juristischen Selbstverwaltungsbegriff mit seiner Dezentralisationslehre. Jellinek unterschied danach administrative Dezentralisation, die auf dem Provinzialsystem beruhte und neben der Verwaltung selbst Gesetzgebung und Rechtsprechung einschließen konnte,66 von der Dezentralisation durch Selbstverwaltung, wie sie in den Gemeinden ausgebildet war, welche kein ursprüngliches, sondern nur vom Staat abgeleitetes Herrschaftsrecht besaßen, vermöge dessen sie aber im eigenen wie im Staatsinteresse einen Anspruch auf Herrschaftsausübung hatten, soweit sie nicht der Staat seiner Verwaltungsorganisation integrierte und sie kraft der vom Staat auferlegten Verpflichtung staatliche Funktionen übernahmen. 67 Die Bildung eines eigenständigen politischen Selbstverwaltungsbegriffs durch den Rechtspositivismus trug zu einer weitgehenden Formalisierung des juristischen Selbstverwaltungsbegriffs bei, die sich bis in die neueste Verwaltungsrechtslehre fortsetzt. Ein prägnantes Beispiel hierzu lieferte Ernst Forsthoff, der bei der Begriffsbildung ausschließlich von der äußeren Organisationsform ausging und Selbstverwaltung schlicht als "Wahrnehmung an sich staatlicher Aufgaben durch Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts,,68 definierte. Der Selbstverwaltungsbegriff war nicht mehr mit den zur Mitwirkung berufenen Staatsbürgern, sondern nur noch mit dem rechtsfähigen Verband verbunden. Das Moment politischer Teilhabe hielt Forsthoff für entbehrlich, hatte sich doch überhaupt die genossenschaftliche Komponente in den rechtsfähigen Verwaltungseinheiten im Laufe der Zeit abgeschwächt. "In der Tat ist nicht recht einzusehen", erläuterte Forsthoff, "warum es noch auf die körperschaftliche Struktur ankommen soll, nachdem der Selbstverwaltungsbegriff an den selbständigen Träger angeschlossen ist".69 Konsequent gab Forsthoff den politischen Selbstverwaltungsbegriff auf und ersetzte ihn durch den Begriff der ehrenamtlichen Tätigkeit. Die im Laufe des 19. Jahrhunderts mit dem Selbstverwaltungsbegriff verbundene Idee staatsbürgerlicher Teilhabe am Georg Jellinek, System der öffentlichen Rechte, 2 Tübingen 1905, S. 291. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Nachdruck des 5. Neudrucks (1928) der 3. Aufl. (1913), Kronberg/Ts. 1976, S. 633 ff. 67 A. a. 0., S. 637 ff. 68 Forsthoff, Lehrbuch, S. 478. 69 Ebd. 65

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administrativen Geschehen wurde einfach abgekoppelt, die seit über einhundert Jahren geführte Selbstverwaltungsdiskussion kulminierte praktisch, wie Hendler bemerkt, in einer Selbstverwaltungslehre ohne Selbstverwaltung. 7o Die von Forsthoff auf die Spitze getriebene Formalisierung wurde nicht unwidersprochen hingenommen. 71 Das partizipative Moment des Selbstverwaltungsbegriffs sollte in einer materialen Selbstverwaltungskonzeption aktualisiert werden, wie etwa in dem von Jürgen Salzwedel geprägten Begriff der "gesellschaftlichen Selbstverwaltung".72 Salzwedel kennzeichnete sie als "eigenverantwortliche Verwaltung einer öffentliche Aufgabe entweder durch organschaftlich zusammengefaßte, fachlich besonders qualifizierte Persönlichkeiten oder durch körperschaftlich zusammengefaßte gewählte Repräsentanten der Betroffenen oder durch eigenverantwortliche Verwaltung eigener öffentlicher Aufgaben durch körperschaftlich organisierte Solidargemeinschaften der Betroffenen, wie beispielsweise bei den Gemeinden. Selbstverwaltung betraf dabei stets die Wahrnehmung von Angelegenheiten, die der Gesetzgeber vom Aufgabenbereich der Staatsverwaltung abgetrennt hatte. Bei der gesellschaftlichen Selbstverwaltung handelte es sich einerseits um die Überweisung von eigenen Angelegenheiten des Selbstverwaltungskörpers, die dieser im eigenen Interesse wahrnahm - Salzwedel sprach in diesem Fall von "Selbstregierung nach den für die eigenen Angelegenheiten selbst aufgestellten Leitbilder und Richtlinien" _,73 andererseits um die Erteilung eines positiven Verwaltungsauftrags mit bestimmten politischen Leitbildern, mithin um mittelbare Staatsverwaltung, die Salzwedel als "heteronom gelenkte Besorgung staatlicher Aufgaben" charakterisiert. 74 Auf die Diskussion um den Selbstverwaltungsbegriff wirkte sich der Umstand prägend aus, daß das Grundgesetz der Bundesrepublik die politische Idee der Selbstverwaltung aufgenommen hatte. Im Gegensatz zur Staatsrechtslehre der Weimarer Demokratie, die nach anfänglicher Wertschätzung des Selbstverwaltungsprinzips zunehmend von einem antagonistischen Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung ausging,75 betonte die westliche Nachkriegsdemokratie deren Affinität, sah sie die SelbstverwaltungsmaHendler, Selbstverwaltung, S. 274. Vgl. die Kritik am Forsthoffschen Selbstverwaltungsbegriff durch Ulrich K. Preuß, Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, Stuttgart 1969, S. 201 f. 72 Jürgen Salzwedel, Staatsaufsicht in der Verwaltung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, 22. Jg. (1965), S. 206 ff. 70 71

A.a.O., S. 227. A. a. 0., S. 226 f. Zum Begriff der mittelbaren Staatsverwaltung und seine Verknüpfung mit der Selbstverwaltung siehe Forsthoff, Lehrbuch, S. 478. Zur Kritik Gönnenwein, Gemeinderecht, Tübingen 1963, S. 60 ff. Peters, Die Verwaltung als eigenständige Staatsgewalt, Krefeld 1965, S. 25 f. Huber, Selbstverwaltung der Wirtschaft, Stuttgart 1958, S. 40 f. Dagegen kritisch resümierend in der Nachfolge Forsthoffs Hendler, Selbstverwaltung, S. 295 ff. 73 74

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xime im demokratischen Prinzip verwurzelt. 76 In diesem Zusammenhang kam den Gemeinden eine besondere Bedeutung zu. Sie wurden als "Urzelle der Demokratie,,77 eingestuft, einzelne Gemeindeordnungen wiederholten die bereits in der preußischen Reformzeit vor einem anderen politisch-gesellschaftlichen Hintergrund entwickelte Formel, daß die Gemeinden die Grundlage des Staates, des nunmehr demokratischen Staates wären. 78 Derartige Formulierungen enthielten indessen keine näheren staatstheoretischen Aussagen über das konkrete Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung. Sie bemühten sich nicht, die historische oder gegenwärtige Berechtigung derartiger Attribute nachzuweisen79 und sie ignorierten, daß schon der konstitutionelle, monarchische Rechtsstaat mit dem Anspruch aufgetreten war, "derjenige Staat zu sein, in dem die Selbstverwaltung am besten gedeihen,,8o konnte. Das Grundgesetz enthält zwar im Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung eine nähere inhaltliche Präzisierung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts, indem das "Recht auf Selbstverwaltung" die Gewährleistung eröffnet, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln",81 aber nichtsdestoweniger erhält die Selbstverwaltung damit einen grundrechtlichen Charakter, sondern wiederum nur eine institutionelle Garantie. Anerkannt ist die Gemeinde als Bestandteil im organisatorischen Staatsaufbau, ebenso wird die gemeindliche Selbstverwaltung überhaupt und der Rechtsschutz gegen Verletzungen des im Grundgesetz festgelegten Gewährleistungsgehalts der Selbstverwaltung garantiert. Gleichwohl bedeutet die institutionelle Garantie kein unantastbares Existenzrecht jeder Gemeinde. Sie ist eben nur institutionell, nicht aber auch individuell geschützt. 82 75 A. a. 0., S. 167 ff. Zur institutionellen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung durch die Weimarer Reichsverfassung vgl. ebd. S. 136 ff. 76 Ingo von Münch, Verwaltung und Verwaltungsrecht im demokratischen und sozialen Rechtsstaat, in: Allgemeines Verwaltungsrecht, hrsg. von H.-V. Erichsenl W. Martens, 8Berlin 1988, S. 40 f. 77 Gönnenwein, Gemeinderecht, S. 65. 78 Siehe die Eingangsparagraphen der Gemeindeordnungen von Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Vgl. auch Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 2München 1984, S. 406 u. 626. 79 Vgl. auch die Kritik von Lange, Entwicklung, S. 852. 80 Hatschek, Das Wesen der Selbstverwaltung, in: Wörterbuch des Deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, hrsg. von M. Fleischmann, Bd. 3, 2Tübingen 1911, S. 421. Walter Bogs, Die Sozialversicherung in der Weimarer Demokratie (= Vierteljahresschrift für Sozialrecht, Beih. 2), München 1981, S. 56, vertritt dagegen die Auffassung, daß "die Demokratie die der genossenschaftlichen Selbstverwaltung gemäße Staatsform ist". 81 Art. 28, Abs. 2 GG.

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Mit der Überweisung "aller Angelegenheiten des örtlichen Wirkungskreises" (Universalitätsprinzip) ist den Gemeinden ein lokalpolitisches Mandat überwiesen, das sie von der Vormundschaft des Staates ausnimmt (Eigenverantwortlichkeitsprinzip ).83 Universalität und Eigenverantwortlichkeit erfahren indessen durch den im Grundgesetz ausgesprochenen Gesetzesvorbehalt eine wesentliche Einschränkung, da er dem Gesetzgeber die Befugnis erteilt, sowohl dem gemeindlichen Kompetenzbereich einzelne Angelegenheiten innerhalb bestimmter Grenzen zu entziehen als auch die Eigenverantwortlichkeit der Kommunen bei der Aufgabenerfüllung einschränkend zu regeln. 84 Mit den grundgesetzlichen Bestimmungen zur kommunalen Selbstverwaltung ist noch nicht die Frage nach der prinzipiellen Einstellung der demokratischen Ordnung des Grundgesetzes zur politischen Idee der Selbstverwaltung beantwortet. Der Zusammenhang zwischen Demokratie und Selbstverwaltung kann nicht unreflektiert aus der geschichtlichen Entwicklung vorausgesetzt,85 ihre Beziehung kann ebensowenig aus der möglicherweise demokratischen Binnenstruktur der Selbstverwaltungseinheiten abgeleitet werden,86 die man insbesondere für den kommunalen Bereich geltend macht und, wie wir gesehen haben, von der Historiographie mitunter schon für die preußische Städteordnung von 1808 in Anspruch genommen wird. Die Selbstverwaltung kann weiterhin nicht unter dem Gesichtspunkt bürgerschaftlicher Partizipation zwangsläufig als demokratisches Phänomen angesehen werden, da sich einerseits politische Partizipation in einer zentralisierten repräsentativen Demokratie auf die Wahl der staatlichen Parlamente beschränkt, der in jeder Selbstverwaltungseinheit zum Ausdruck kommende Partikularwillen auf differierenden Partizipationschancen beruht und die politische Teilhabe andererseits immer dann undemokratisch ist, wenn sie Hierzu Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 409 f. Hendler, Selbstverwaltung, S. 195 f. 84 Vgl. Stern, Staatsrecht, Bd. 1, S. 415. Willi Blümel, Wesens gehalt und Schranken der kommunalen Selbstverwaltung, in: Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft. Festgabe zum 70. Geburtstag von Georg Christoph von Unruh, hrsg. von A. von Mutius (= Schriftenreihe des Lorenz-von-Stein-Instituts für Verwaltungswissenschaften Kiel, Bd. 4), Heidelberg 1983, S. 270 u. 299 f. Albert von Mutius, Örtliche Aufgabenerfüllung, in: A. a. 0., S. 250. Ausführlich dazu, insbesondere zur Kollision von Eigenverantwortlichkeitsprinzip und Wesensgehaltsgarantie, auch Hendler, Selbstverwaltung, S. 197 ff. 85 So kritisch Peter Pernthaler, Die verfassungsrechtlichen Schranken der Selbstverwaltung in Österreich, Wien 1967, S. 35. Vgl. auch Püttner, Verhältnis, S. 3. 86 Siehe Becker, Kommunale Selbstverwaltung, in: Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, hrsg. von K. A. Betterrnann/H.C. Nipperdey, Bd. 4,2, Berlin 1962, S. 687 f. Peters, Zentralisation und Dezentralisation, zugleich ein Beitrag zur Kommunalpolitik im Rahmen der Staats- und Verwaltungslehre, Berlin 1928, S. 26 ff. 82 83

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gegen das Egalitätsprinzip verstößt, was uneingeschränkt für die Gemeindeordnungen des 19. Jahrhunderts gilt. Staatstheoretisch geht es um die Frage, wie sich das Demokratieprinzip zu dem Umstand verhält, daß bestimmte öffentliche Aufgaben im Rahmen des Staates nicht vom gesamten Staatsvolk bzw. den von ihr bestellten Organen, sondern nur von einzelnen Teilen entschieden werden. In der gegenwärtigen Staatsrechtslehre hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß der Selbstverwaltungsgedanke ebenso wie das förderative Prinzip den in den Grundrechten und der Rechtsschutzmaxime angelegten Minderheitenschutz ergänzt und gleichzeitig dem Betroffenenschutz dient, da die in der administrativen Eigenständigkeit wahrzunehmenden öffentlichen Angelegenheiten nur einen bestimmten Personenkreis der Bevölkerung betreffen. 87 Die Selbstverwaltung berührt demnach in einer durch das Egalitätsprinzip strukturierten Gesellschaft das Problem der politischen Gleichheit, denn die Institutionalisierung von Selbstverwaltungseinheiten eröffnet differierende Formen der Einflußnahme auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Insofern stellt der Selbstverwaltungsgedanke, wie Gerhard Leibholz bemerkt, "eine Art Gegengewicht oder Korrektiv ... zum radikal-egalitären Demokratismus,,88 dar. Dieser in der Selbstverwaltung angelegte Zug, Partizipation unter dem Gesichtspunkt der Betroffenheit zu verteilen, trifft prinzipiell auch die kommunale Selbstverwaltung. Für die preußische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts ist das allerdings von untergeordneter Bedeutung, da sie allenfalls eine "proportionale" oder "relative" Gleichheit kannte, welche die politische Mitwirkung oder den Ausschluß von der Teilhabe von den Kriterien des Eigentums, Besitzes oder der Bildung abhängig machte. 89 Das Demokratieprinzip weist der Selbstverwaltung Grenzen, da es die unbeschränkte Errichtung von Selbstverwaltungseinheiten und ihre beliebige Ausstattung mit Rechten verbietet. Im Mittelpunkt der freiheitlichdemokratisch verfaßten Gesellschaft steht der auf Volkswahl beruhende politische Willens bildungs- und Entscheidungsprozeß, die parlamentarische Verantwortlichkeit der Regierung sowie die Weisungsabhängigkeit des bürokratisch-hierarchischen Behördenapparates. Öffentliche Angelegenheiten von wesentlichem Gewicht für die Allgemeinheit können daher nicht durch irgendeine Form der Selbstverwaltung wahrgenommen werden. 9o Ansonsten Hendler, Selbstverwaltung, S. 307 ff. G. Leibholz, Das Prinzip der Selbstverwaltung und der Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz, in: Deutsches Verwaltungsblatt, Jg. 1973, S. 715. 89 Vgl. Leibholz, Strukturprobleme der modemen Demokratie, 3 Frankfurt/M. 1967, S. 148 f. 90 Hendler, Selbstverwaltung, S. 317 f. Siehe auch Rüdiger Breuer, Selbstverwaltung und Mitverwaltung Beteiligter im Widerstreit verfassungsrechtlicher Postulate, in: Die Verwaltung, 10. Jg. (1977), S. 7 ff. 87 88

2. Selbstverwaltung in theoriegeschichtlicher Perspektive

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ist die Selbstverwaltung in der Demokratie, wie es Georg lellinek schon um die lahrhundertwende als allgemeines Prinzip staatlicher Gliederung erkannt hat, ein Instrument der adminitrativen Dezentralisation, der "Pluralisierung hoheitlicher Entscheidungsträger".91 Sie zeichnet sich durch Integrationsfähigkeit aus, indem sie den Bürger näher an den Staat heranführt. Sie eröffnet Möglichkeiten zum verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichen Angelegenheiten, stärkt das Interesse für öffentliche Belange und das staatsbürgerliche Selbstbewußtsein und übt insoweit eine pädagogische Funktion aus, die sich schon die preußische Reformbürokratie von der "Teilnahme am Staat" erhoffte. Schließlich kann sie disziplinarisch wirken, wenn sie starke partikulare Interessen, beispielsweise im berufsständischen Bereich, absorbiert. Die Frage, ob durch Selbstverwaltung oder bürgerschaftliche Teilhabe, Effizienzgewinne zu erzielen sind, ist heute, ganz im Gegensatz zum antibürokratischen Denken Steins, umstritten, da durch die Vermehrung administrativer Hoheitsträger ein erhöhter Koordinationsbedarf erzeugt wird, der Effizienzeinbußen nach sich ziehen kann. Die Selbstverwaltungsinstitutionen wirken durch ihre Tätigkeit aber auch staatsentlastend, was schon der preußischen Ministerialbürokratie ein wesentliches Motiv zur Kommunalreform lieferte. Da die Selbstverwaltung indessen das staatliche Partizipationsangebot wesentlich mitbestimmt, mithin Fragen der Freiheitlichkeit, der Integrationsfähigkeit und Legitimität des Staates berührt, kann sie nicht allein mit Kategorien administrativ-technischer Effizienz erfaßt werden. Der Versuch, die historiographischen Interpretationsansätze zu den Zielen und Wirkungen der Städteordnung durch einen kritischen, bis in die Gegenwart geführten Abriß der Selbstverwaltungsdiskussion zu hinterfragen, erscheint angesichts des von Otto Brunner erhobenen methodologischen Postulats einer quellenbezogenen Begriffssprache 92 nicht unproblematisch, trotz alledem muß sie vor dem Hintergrund der Kontinuitätsdiskussion und der ebenso vielfaltigen wie unterschiedlichen Wertungen, die nicht selten Hendler, Selbstverwaltung, S. 347. Otto Brunner, Land und Herrschaft, S. 163 f. Die Historiographie kann im Interesse präzisierter Erkenntnis, solange sie sich einem vordergründigen Ausleihen von Theorien und Modellen verweigert, nicht auf die Anwendung gegenwartsbezogener Theorien aus dem Bereich der systematischen Sozialwissenschaften, der Politik- und Rechtswissenschaft verzichten. Vgl. dazu Kocka, Gegenwartsbezogene Theorien in der Geschichtswissenschaft, in: Theorien in der Praxis des Historikers. Forschungsbeispiele und ihre Diskussion, hrsg. von dems. (= GuG, SH 3), Göttingen 1977, S. 178-188, hier besonders S. 182 ff. Im übrigen dient die quellennahe Begriffssprache, wie Wolfgang Mager erläutert, auch als Instrument impliziter Theoriebildung. Siehe den Diskussionsbeitrag Magers zu Winfried Schulzes Referat über "Theoretische Probleme bei der Untersuchung vorrevolutionärer Gesellschaften, in: A. a. 0., S. 76 f. 91

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auf gegenwarts bezogenen politischen Maßstäben beruhen, durchaus als sinnvoll und klärend angesehen werden. Dies sei noch an einem weiteren Beispiel verdeutlicht. Wenn Dieter Rebentisch von der prinzipiellen Wesensgleichheit der Gebietskörperschaften Reich, Länder und Gemeinden ausgeht und wenn Krabbe bei seiner Bestimmung des gemeindlichen Wirkungskreises auf Grund des Allzuständigkeitsprinzips von der prinzipiellen Wesensgleichheit von Staat und Gemeinden spricht und die Frage der Aufgabenverteilung lediglich auf ein Zweckmäßigkeitsproblem reduziert,93 folgen sie im wesentlichen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, der von Hugo Preuß entwickelten Wesensgleichheitslehre,94 die sich weder in der staatsrechtlichen Diskussion des Kaiserreichs noch der Weimarer Republik noch der Bundesrepublik hat durchsetzen können. Preuß, wie Gneist langjähriger Stadtverordneter in Berlin und zeitweilig auch unbesoldeter Stadtrat, erkennt eine ursprüngliche Herrschaftsgewalt der Gemeinden an und kommt daher notwendig zu einer generellen Gleichartigkeit von Staat und Gemeinden, d. h. sie haben wie alle anderen Gebietskörperschaften einerseits grundsätzlich gleiche Rechte, Pflichten und Funktionen, andererseits besitzt der Staat kein Recht, das einen spezifisch anderen Ursprung hätte als jedes Recht, das auch der kleinste Gemeindeverband besitzt. Preußs Angriffen gegen die Lehre vom Hoheits- und Rechtsetzungsmonopol des Staates liegt wiederum eine politische Wertung zu Grunde, die in der Gemeinde eine eigenständige, modeme genossenschaftliche Legitimationsform öffentlicher Herrschaft verwirklicht sieht, welche der konstitutionell-monarchischen Legitimation überlegen ist. 95 Preuß geht von einem genossenschaftlichen Sozialmodell aus, in dem der Staat nur das im nationalen Rahmen höchste Glied im Stufenbau der organisch miteinander verbundenen Verbände ist. Die Gemeinde als ursprünglicher sozialer Lebensverband ist dem Staat vorgegeben, so daß die staatliche Willensmacht diesen Bereich nur im Recht anerkennen kann, wie auch die Gleichstellung der Gemeinde, rechts staatlichen Prinzipien folgend, durch 93 Rebentisch, Weimarer Zeit, in: HBdkWuP, Bd. 1, S. 8. Krabbe, Stadt, S. 35 f. Krabbe sieht allerdings ebenfalls durch die Anerkennung der Gemeinden als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften seitens der Weimarer Reichsverfassung "eine Analogie zu den beiden anderen Gebietskörperschaften" hergestellt. Die Preußsche Wesensgleichheitslehre begreift er als ein Mittel "das Problem der Antinomie von Staat und Gesellschaft" zu lösen. A. a. 0., S. 20. 94 Preuß, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörperschaften, Berlin 1889, S. 224 ff. u. 261 ff. Vgl. dazu Grassmann, Preuß, S. 18 f. Eingehend und differenziert zu Preuß, Peters, Grenzen, S. 41 u. 56 ff. Bieback, Körperschaft, S. 446 ff. Ramin, Geschichte, S. 173 ff. Daneben auch Voigt, Selbstverwaltung, S. 174 ff. Heffter, Selbstverwaltung, S. 751 ff. u. Hendler, Selbstverwaltung, S. 129. 95 Bieback, Körperschaft, S. 448.

2. Selbstverwaltung in theoriegeschichtlicher Perspektive

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Rechtsnormen genau zu umschreiben ist. 96 Die vom Rechtspositivismus beeinflußte, am juristischen Selbstverwaltungsbegriff festhaltende Staats- und Verwaltungsrechtslehre hält demgegenüber allgemein daran fest, daß die Gemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft nur eine vom Staat abgeleitete Herrschaftsgewalt besitzt, mithin ohne ursprüngliche öffentliche Gewalt ist und folglich kann auch nicht von einer naturrechtlich begründeten vorstaatlichen Selbstverwaltung die Rede sein. 97 Es liegt in der Konsequenz dieser Auffassung, daß auch der sogenannte eigene Wirkungskreis staatlich abgeleitet ist. 98 Gleichwohl kann aus dem Prinzip abgeleiteter Herrschaftsgewalt nicht der Schluß gezogen werden, daß die Gemeinde lediglich einen staatlichen Verwaltungsbezirk darstellt, vielmehr nimmt sie als öffentlich-rechtliche Körperschaft innerhalb eines bestimmten Gebietes "sämtliche innerhalb dieses Gebietes zu erledigenden öffentlichen Aufgaben, die von keiner anderen Stelle erfüllt werden, entsprechend ihren Kräften,,99 wahr. Die Gemeinde hat das Recht auf Selbstverwaltung, die Einwohner sind als ihr regelmäßiger Bestandteil anerkannt, sie besitzt Hoheitsgewalt innerhalb ihres Gebietes und kann sich auf die Universalität ihres Wirkungskreises berufen, soweit dieser die aus dem örtlichen Bedürfnis entspringenden Aufgaben berührt. Das Universalitätsprinzip und die Allzuständigkeitsmaxime, die im wesentlichen von der preußischen Verwaltungsrechtsprechung in den siebziger Jahren entwickelt wurde, kann, wie noch ausführlich dargelegt wird, nicht für das Kommunalrecht der Reformzeit in Anspruch genommen werden. Die politische Geschichtsschreibung bzw. das Staats- und Verwaltungsrecht des Vormärzes sah die Gemeinde einem "doppelten Leben" verpflichtet: Sie erfüllte ebenso Staatszwecke wie sie sich kommunalen Aufgaben widmete. lOo Nach Dahlmann gehörte zu jeder Gemeinde "eine gewisse Preuß, Gemeinde, S. 165 u. 213 f. Neben der bereits weiter oben angegebenen Literatur siehe lellinek, Staatslehre, S. 637 ff. Stier-Somlo, Städterecht, S. 18. Peters, Grenzen, S. 31 ff. u. 54 f. Eberhard Laux, Kommunale Selbstverwaltung als politisches Prinzip. Wege der Diskussion, in: Selbstverwaltung im Staat der Industriegesellschaft, S. 54. 98 Peters, Grenzen, S. 60. Zur Kritik an der positivistischen Rechtsdogmatik und ihrem etatistischen Grundzug Bieback, Körperschaft, S. 410 ff., zusammenfassend hier S. 422. Bieback unterstreicht an anderer Stelle aber auch, daß die Gemeinde ihre Funktion und ihren Freiheitsraum vom Staat "zugewiesen erhält". A. a. 0., S. 187. 99 Peters, Grenzen, S. 54. Diese Definition wird auch von Krabbe, Stadt, S. 35, übernommen. 100 Dahlmann, Die Politik, auf den Grund und das Maß der gegebenen Zuständen zurückgeführt, 2Leipzig 1847. Neudruck Berlin 1924, mit einer Einleitung von Otto Westphal (= Klassiker der Politik, Bd. 12), S. 201. 96 97

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Summe gemeinsamer Zwecke", Gemeindeangelegenheiten, die sich auf ein gewisses Gebiet beziehen. Gleichzeitig war die Gemeinde in dem, "was sie ist und hat", vom Staat anerkannt. 101 Insofern besaß die Gemeinde den Charakter einer Korporation, gegen deren Fortbestand kein Beschluß "der Einzelnen" möglich erschien. Der Staat garantierte die Existenz der Gemeinde, sorgte daneben aber dafür, daß "die schwer errungene Einheit der höchsten Gewalten nicht zum Besten der wiederherzustellenden Gemeinden rückgängig gemacht werden" konnte. Der Staat bewahrte das, wie Dahlmann erläuterte, was ihm gebührte. 102 Dahlmanns Staatsbegriff folgt noch der aristotelesschen Tradition. Der Staat ist noch autark, hat noch sein Gewicht in sich selber und kennt nur eine Differenz nach außen, zu den anderen Staaten, nicht aber nach innen, zur Gesellschaft. Der Staat ist Dahlmann eine "ursprüngliche Ordnung, ein notwendiger Zustand, ein Vermögen der Menschheit", Staat und Gesellschaft bilden also ein untrennbare Einheit. "Man kann nicht Volk ohne Staat sein", erklärte Dahlmann. 103 Eine "gute Verfassung" zielte auf den Ausgleich von Königtum und Volk, auf das "organische" Miteinander, worin auch die Freiheit der bürgerlichen Gesellschaft wurzelte, nicht aber in der Freiheit der Individuen innerhalb dieser Gesellschaft. 104 Die Einheit der politischen Ordnung wie die Einbindung der Gemeinde in die staatliche Verwaltung, Gesetzgebung und Aufsicht war weder von konservativer noch von liberaler Seite umstritten. 105 Selbst süddeutsche Liberale wie Carl von Rotteck sahen erst in der staatlichen Oberaufsicht die notwendige Sicherheit, um die Selbstbestimmung der Gemeindebürger rechtfertigen zu können. 106 Durch die Übertragung staatlicher Aufgaben und Befugnisse wurden die Gemeinden weitgehend in den Staat integriert. Zu Dahlmann vgl. auch unten Kap. 3, Unterabschnitt 3. Dahlmann, Politik, S. 203. 103 A. a. 0., S. 53. 104 A. a. 0., S. 57. Zur Staatsauffassung Dahlmanns vgl. Manfred Riede!, Einleitung zur neuen Ausgabe von Friedrich Christoph Dahlmann, Die Politik, auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, Frankfurt/M. 1968, S. 27 ff. Grundsätzlich auch ders., Der Staatsbegriff der deutschen Geschichtsschreibung in seinem Verhältnis zur klassisch-politischen Philosophie, in: Der Staat, Bd. 2 (1963), S. 42 ff. Zu Dahlmann auch Daniela Lülfing, Friedrich Christoph Dahlmann - sein Beitrag zur Entwicklung der bürgerlich-liberalen Ideologie im 19. Jahrhundert, 1829-1860, Diss. Phil A, Berlin 1985. 105 Allerdings wird auch die vormärzliche Gemeinderechtsdiskussion durch die Auseinandersetzung über das historische Verhältnis von Staat und Gemeinde bzw. die Ursprünglichkeit kommunaler Selbständigkeit beeinflußt. Vgl. dazu unten. 106 Carl von Rotteck, Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie, Bd. 2, T. 2, Altenburg 1828, S. 90 f. Ders., Lehrbuch des Vemunftrechts und der Staatswissenschaften, Bd. 3, Stuttgart 1834, S. 479 f. Art. Gemeindeverfassung, in: Ders./Karl Th. Welcker, Das Staatslexikon, Bd. 5, Altona 1847, S. 501 f. Siehe dazu Brill, 101

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2. Selbstverwaltung in theoriegeschichtlicher Perspektive

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Sie konnten partiell sogar zu einer Staatsbehörde werden, während die Gemeindeexekutive eine DoppelsteIlung als Staats- und Kommunalorgan erhielt. 107 Nach einem integrationistischen Staatsverständnis war es die Aufgabe des Staates, die Gesellschaft und ihre Korporationen mit seiner Verfassung und Verwaltung zu durchdringen und sie damit in einer höheren Einheit zu vereinigen. Die Gemeinde wurde danach stärker in ihrer funktionalen Stellung innerhalb des Staatsaufbaus gesehen. 108 Innerhalb der preußischen Bürokratie war das Verhältnis von Staat und Gemeinde nur in seinem funktionalem Verhältnis umstritten. Die in der vormärzlichen Gemeinderechtsdiskussion engagierten Regierungsräte Streckfuß und Wehnert, die selbstredend das monarchische Prinzip anerkannten, gingen davon aus, daß die Selbständigkeit der Kommunen bei der Verwaltung ihres inneren Haushalts dem allgemeinen Staatsinteresse entsprach. Wehnert hielt den Staat unterdessen für einen "lebendigen Körper", in dem sich alle Glieder in Übereinstimmung bewegen mußten. "Das Festhalten der systematischen Übersicht der ganzen Staats-Maschine", bemerkte Wehnert, "erfordert parallele Gesichts- und Richtpunkte für alle Theile der Gesetzgebung".109 Daraus folgte für Wehnert die allgemeine Notwendigkeit, das Staatsinteresse stets gegen partikulare städtische Interessen durchzusetzen. Der Staat war verpflichtet, den Gebrauch städtischer Freiheiten nie in Mißbrauch ausarten zu lassen und den generellen Staatszweck gegenüber den Gemeinden zur Geltung zu bringen. Hieran schloß Wehnert die Forderung nach einer Verstärkung der Staatsaufsicht an. Den Grund für das Vorherrschen eines sich vereinzelnden Stadtinteresses vermutete Wehnert in der Existenz eines egoistischen "Civismus", welcher die Dominanz der "niederen Classen" in den Städten entsprang. Das Kommunalrecht mußte daher von "demokratischen Auswüchsen,,11O befreit werden, die Wehnert vor allem im Wahlverfahren begründet sah. Studien, S. 122 ff. Grundsätzlich zur Staatslehre des Vormärzes und der Stellung des Staates Bieback, Körperschaft, S. 139 ff.; zu Rotteck, insbesondere S. 150 f. 107 Rotteck, Vemunftrecht, Bd. 3, S. 424 u. 474; Staatsrecht, Bd. 2, T. 2, S. 37 f.; Staatslexikon, Bd. 5, S. 482. Karl H.L. Poelitz, Staatswissenschaftliehe Vorlesungen für die gebildeten Stände in constitutionellen Staaten, Bd. I, Leipzig 1831, S. 237 u. 241 f. Heinrich G. Reichard, Historisch-Politische Ansichten und Untersuchungen betreffend die Frage von der praktischen Ausbildung der städtischen Verfassungen in Deutschland. Zum Behuf der vaterländischen Gesetzgebung zusammengestellt, Leipzig 1830, S. 231, 330 ff., 393 u. 418. Dahlmann, Politik, S. 216 f. 108 Karl-Salomo Zachariä, Vierzig Bücher vom Staate, Bd. 3, 2Göttingen 1866, S. 244 ff.; Bd. 6, Göttingen 1867, S. 122 f. Poelitz, Vorlesungen, Bd. I, S. 218 ff. u. 455 ff. 109 Wehnert, Städteordnung, S. 5 f. 110 A.a.O., S. 9. Vgl. auch Raumer, Städteordnung, S. 253 u. 272 f. Die vormärzliehe Staatsrechtslehre betonte den vorherrschenden Einfluß der Gemeindebürgerschaften auf die Kommunalorgane. Hierin demokratische Prinzipien oder demokrati9 Grzywatz

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Der liberale Streckfuß warnte, obwohl er insbesondere die Gemeindeexekutive lediglich als eine "Einrichtung zur Verwaltung der einer Monarchie angehörigen Städte" III betrachtete, hingegen vor dem neuerlichen Aufleben staatlicher Bevormundung, I 12 die leicht den durch selbständige Kommunalverwaltungen erzielten Effizienzgewinn wieder zunichte machen konnte. 113 Streckfuß' Staatsideal lag in der Harmonie zwischen den Staatseinrichtungen und dem intellektuellen und materiellen Zustand des Volkes. 114 Die Eintracht der Elemente des Staates bestand nur, wenn diese sich innerhalb der gesetzlichen Schranken frei entwickelten, ohne darin gestört zu werden oder andere zu stören. Es gehörten nach Streckfuß zu den Aufgaben des Staates, diesen Entwicklungsprozeß zu beobachten und entsprechend die Schranken zu bestimmen, welche "zur Erhaltung der allgemeinen, nur in der Ordnung gedeihenden Freiheit, der Freiheit des Einzelnen gesetzt werden müssen".115 Folglich unterlag auch die Gemeindeverfassung dem Vorbehalt gesetzlicher Regulierung. Wenn Streckfuß von den Gemeinden und ihrer Verwaltung sprach, war keineswegs von "Selbstverwaltung" die Rede. Streckfuß sah die Gemeinde der Reform- und Nachreformzeit stets im Gegensatz zur Kommunalverfassung des 18. Jahrhunderts: Die Städteordnung brachte den Kommunen eine "selbständige, freie Bewegung".116 Sie war als "freisinnige Municipal-Verfassung,,117 konzipiert, welche die Städte mit einem Sprung von der "Regierungsvormundschaft,,118 befreite und in den "Zustand der größten Selbständigkeit und Freiheit,,119 versetzte. Stein bemerkte lediglich, daß die Städte "möglichst frei und selbständig" verwaltet werden sollten. 120 Frey sche Legitimationsprinzipien zu sehen, wie Bieback, Körperschaft, S. 182 f., erörtert, ist problematisch. Das wird noch deutlicher, wenn er angesichts der Zensusregelungen in den Gemeindeordnungen von einem "modifizierte(n) System der Legitimation" spricht. Wehnerts "demokratische Auswüchse" sind nicht staatstheoretisch, sondern ausschließlich politisch-funktionell begründet und zielen insgesamt auf eine stärkere Inanspruchnahme der "besseren und einsichtsvolleren" Bürger für Gemeindebelange ab. 111 Streckfuß, Städteordnung, S. 90. 112 A. a. 0., S. 22 ff. 113 A.a.O., S. 26. 114 Streckfuß, Städteordnungen, S. 10. Zu Streckfuß vgl. auch unten Kap. 3. 115 A. a. 0., S. 11. 116 A.a.O., S. 13. So auch Wehnert, Städteordnung, S. 1 f. 117 Streckfuß, Städteordnungen, S. 17. 118 A.a.O., S. 23. 119 A.a.O., S. 14. 120 Anweisung Steins zum Kabinettsdekret an die Ältesten der Königsberger Bürgerschaft, 25. Juli 1808, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S. 794. Denkschrift über die Gemeindeverfassung im Herzogtum Nassau, 1. März 1818, in: HubatschI Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 728.

2. Selbstverwaltung in theoriegeschichtlicher Perspektive

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bezog sich auf die "innere Regierung" der Städte, wenn er von der Kommunalreform redete. 121 Reichard zitierte in seinen historisch-politischen Ansichten zwar den Artikel 5 der Frankfurter Constitutions-Ergänzungsakte von 1816, der ein der Gesamtheit der Bürgerschaft zustehendes Hoheitsund Selbstverwaltungsrecht kannte,122 bezeichnete die von einer "freisinnigen" Städteordnung entwickelte Form kommunaler Administration jedoch als "selbsttätige Mitverwaltung" der Bürgerschaften. Daneben redete er von der "Selbständigkeit" der Gemeinden und ihrem Anteil an der Stadtverwaltung. 123 Raumer sprach vom "selbständigen Dasein" der Gemeinden,124 Savigny von ihrer "Selbständigkeit", 125 Kriminalrat Brand von der städtischen "Selbstregierung".126 Dem Rathenower Justizrat Wiese zufolge eröffnete das reformierte Kommunalrecht den Städten die Möglichkeit, "alle ihre Angelegenheiten selbst zu verwalten".127 Wehnert erklärte schließlich die "Selbstverwaltung,,128 zur Grundidee der Städteordnung. Damit wird deutlich, daß die Reform des Städterechts die Kommunen auch im zeitgenössischen Verständnis aus dem Status staatlicher Verwaltungsbezirke entließ. Sie wurden vom Staat wieder mit der Eigenschaft einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft und eigenen Rechten ausgestattet. 129 Hierin liegt zu einem wesentlichen Teil der Bruch mit der Kommunalverfassung des 18. Jahrhunderts begründet, auch wenn, wie Botzenhart verdeutlicht,130 Formen bürgerschaftlicher Mitverwaltung und ein eigener Kompetenzbereich der Kommunalorgane selbst im Absolutismus fortbestanden hatten. Die Ausübung administrativer Aufgaben in der Gemeinde durch örtliche Organe kann jedoch nicht als Erhalt eines beträchtlichen Teils der städti121 Frey, Organisierung der Munizipalverfassungen (vor dem 17. Juli 1808), in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 661. 122 Der Begriff Selbstverwaltung hat in der Ergänzungsakte den Sinn einer der Gesamtheit der Bürger zugebilligten Möglichkeit zur Übernahme "vermögensrechtlicher Aufgaben zu eigenem Rechte". Voigt, Selbstverwaltung, S. 129 ff. Zu Frankfurt insbesondere Ralf Roth, Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modemen Bürgergesellschaft 1760-1914 (= Stadt und Bürgertum, Bd. 7), München 1996, S. 229 ff. 123 Reichard, Ansichten, S. V, 170, 180, 230 u. 357. 124 Raumer, Städteordnung, S. 251. 125 Friedrich Karl von Savigny, Die preußische Städteordnung, in: Ders., Vermischte Schriften, Bd. 5, Berlin 1850, S. 184. 126 Brand, Plan über die künftige nähere Verbindung der Königsberger Bürgerschaft mit dem Magistrat in bezug auf ihre Verfassung, 24. August 1808, in: ScheellSchmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 786. 127 Wiese, Städteordnung, S. 7. 128 Wehnert, Städteordnung, S. III. 129 Peters, Grenzen, S. 54 u. 60. 130 Botzenhart, Stadtverfassungen, S. 142 ff. 9*

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Refonnprozeß

schen Selbstverwaltung charakterisiert werden,13I denn die urbanen Gemeinden waren keine Selbstverwaltungskörperschaften. Die staatliche Durchdringung der Kommunaladministration erfolgte im Absolutismus "ganz in patrimonialer Manier,,132 und ließ das politisch-soziale Gefüge der Städte weitgehend unangetastet. Der Wirkungskreis der Kommunalorgane blieb indessen durch die Wahrnehmung der örtlichen Polizeiverwaltung und der Gerichtsbarkeit außerordentlich umfangreich.

3. Die staatliche Bindung der Residenz Berlin im 18. Jahrhundert und der kommunalrechtliche Bruch städtischer Abhängigkeit vom Staat In der Residenz Berlin war bereits 1726, wie übrigens auch in den Städten Königsberg und Stettin, mit der Einrichtung des Stadtpräsidentenamtes 133 die Leitung der Kommunaladministration einem staatlichen Beamten übergeben und damit eine direkte formelle Verzahnung zwischen staatlicher und städtischer Verwaltung vollzogen worden. Der Stadtpräsident fungierte zugleich als Vorsitzender der am Ort befindlichen Kriegs- und Domänenkammer und daneben als Steuerrat (Commissarius loci) der Stadt, wodurch er als Beauftragter des Königs für die Erhebung der Staatssteuern am Ort verantwortlich war. Die steuerrätlichen Funktionen schlossen darüber hinaus ebenso die Kontrolle der kommunalen Etats wie die allgemeine Förderung des Gewerbes und der städtischen Wirtschaft ein,134 zum eigentlichen Schwerpunkt der steuerrätlichen Tätigkeit wurde aber die Leitung und Beaufsichtigung der städtischen Polizei. So ders., a.a.O., S. 150. Nolte, Staatsbildung, S. 59. I33 Der erste, seit dem 9. Mai 1726 nachweisbare Stadtpräsident war Simon Victor Hünicke. Am 23. März 1723 trat er als Geheimer Finanz-, Kriegs- und Domänenrat in das Generaldirektorium ein und wurde zugleich als Kammerdirektor beim 2. Departement der kunnärkischen Kriegs- und Domänenkammer bestellt. 1725 wurde er zum Präsidenen der Kammer ernannt. Hünicke starb am 1. November 1733. Als sein Nachfolger wurde 1735 Heinrich Adam von Neuendorff ernannt. Vgl. Behördenorganisation, Bd. 5,1, Akten vom 3. Januar 1730 bis Ende Dezember 1735 (= AB, Bd. 5), Berlin 1910, S. 576. Ausführlich zur Berliner Kommunaladministration im Absolutismus und zum Rathäuslichen Reglement Grzywatz, Residenziale Kommunaladministration, S. 414 ff. 134 Vgl. Hintze, Behördenorganisation, S. 154, 240, 250 ff. u. 364 f. Nach Hintze trat die für die preußische Verwaltung des 18. Jahrhunderts charakteristische Verbindung des fiskalischen und volkswirtschaftlichen Moments in keinem anderen Amt als dem des Steuerrats so deutlich und greifbar zu Tage, denn derselbe Beamte, der für die Steuereinkünfte verantwortlich war, hatte auch für die Mittel zur Förderung des Wohlstandes zu sorgen. 131

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3. Die staatliche Bindung der Residenz Berlin im 18. Jahrhundert

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Durch die Verwaltungsreform hatte der absolutistische Staat die Gemeindeverwaltung fest in den staatlichen Behördenaufbau integriert. Allerdings unterlagen die Polizeiangelegenheiten in der Stadt Berlin, wenn auch unter beständiger Leitung und Aufsicht königlicher Behörden, der Hoheit des Magistrats, dessen Kompetenz konkurrierte jedoch mit der des für die Garnison zuständigen Gouverneurs. 135 Bis 1742 übte der militärische Gouverneur neben den Belangen der Sicherheit mit Hilfe einer königlichen Kommission die Baupolizei aus und verwaltete die Straßenreinigung, das Feuerlöschund Brunnenwesen sowie die Straßenbeleuchtung. 136 Der Magistrat war zwar nicht die untergebene Behörde des Gouverneurs, aber dort, wo der Gouverneur an der Verwaltung städtischer Angelegenheiten teilnahm, verlor der Magistrat seine eigentlichen Befugnisse, denn die kommunalen Behörden führten nur noch gouvernementale Anordnungen aus. Die Konkurrenz von Gouvernement und Magistrat bzw. die unzureichende obrigkeitliche Gewalt des Magistrats war eine wesentliche Ursache für die mangelhafte Verwaltung der städtischen Polizei. 137 Zudem standen dem Magistrat als ausführende Behörde in den eximierten Bezirken und Häusern der Stadt keine polizeilichen Befugnisse zu, ebensowenig in den eigenen Stadtgebieten, sobald es sich um Militär- bzw. eximierte Personen, insbesondere der französischen Bevölkerung, handelte. Erst im Juli 1735 konnte eine halbwegs einheitliche Polizeigewalt in Berlin konstituiert werden, indem die persönlichen Vorrechte einzelner Einwohnergruppen aufgehoben und sämtliche Schichten der unteren, vom Magistrat ausgeübten Polizeigewalt gegenüber gleichgestellt wurden. 138 Die Effizienz der Gemeindeverwaltung litt zu dieser Zeit unter unzureichenden Kompetenzregelungen, auf die der Magistrat eigeninitiativ mit einer Neuverteilung der Geschäftsbereiche reagierte. Zu Beginn der vierziger Jahre kam es zu einer umfassenden Regelung der Zuständigkeiten im Bereich des örtlichen Wirkungskreises, welche die staatliche Durchdringung der städtischen Verwaltung noch erweiterte. Durch die Neuordnung des Polizeiwesens wurde Anfang 1742 das Amt des Stadt135 Vgl. Walter Obenaus, Die Entwicklung der preußischen Sicherheitspolizei bis zum Ende der Reaktionszeit, Berlin 1940, S. 29 f. 136 Vgl. Clauswitz, Städteordnung, S. 22 f.; ders., Zur Geschichte Berlins, in: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Berlin, im Auftrage des Magistrats der Stadt Berlin, bearb. von R. Borrmann, Berlin 1893, S. 74. 137 Vgl. Obenaus, Entwicklung, S. 29. Falsch in dieser Hinsicht der staatszentrierte Blick Botzenharts, Stadtverfassungen, S. 147, der die Unfähigkeit der Magistratsverwaltungen, den Aufgaben der städtischen Polizei gerecht zu werden, für die Reorganisation der Polizei- und Kommunalverwaltung verantwortlich macht. 138 V gl. Albert Ballhom, Das Polizeipräsidium zu Berlin. Eine geschichtliche Darstellung, Berlin 1852, S. 88. Edict, betreffend unterschiedene Punkte von Policey-Wesen, 1. Juli 1735. Mylius, CCM, T. 5, 1. Abt., Sp. 129-134.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

präsidenten mit dem Polizeidirektorium gekoppelt, das Polizei-Departement des Magistrats ging in die Verwaltung des Polizeidirektors über. 139 In seiner neuen Stellung behielt der Polizeidirektor "seinen Rang, Sitz und Stimme" im Berliner Magistrat,140 ihm oblag allein die Entscheidung in polizeilichen Angelegenheiten. Polizeiliche Veranlassungen des Magistrats waren von der Zustimmung des Polizeidirektors abhängig, während das städtische Kollegium seine Anordnungen auf polizeilichem Gebiet ohne jede Möglichkeit des Einspruchs ausführen mußte. 141 Damit entfiel jede Rechenschaftspflicht des Polizeidirektors gegenüber dem Magistrat. Er berichtete, soweit er eine Notwendigkeit sah, direkt an das Generaldirektorium. 142 Mit der neuen Organisation wurde die städtische Polizei auch aus der militärischen Bevormundung befreit. Eingriffe des Militär-Gouvernements in die Polizeiverwaltung wurden untersagt, zugleich aber angeordnet, daß das Gouvernement dem Polizeidirektor zu assistieren hatte. 143 Durch die Reorganisation hatte man das Polizei departement vollständig aus der regulären städtischen Verwaltung herausgelöst, es war tatsächlich schon staatliche Behörde. Der leitende Polizeibeamte führte sein Amt bürokratisch aus, er allein trug gegenüber dem Generaldirektorium und dem König die Verantwortung. Der Magistrat der Stadt sank jedoch, da dem Polizei direktor die Leitung des städtischen Kollegiums anvertraut war und er zugleich kommunale Aufsichtsinstanz war, zu einer nachgeordneten lokalen Verwaltungsbehörde herab. Was unter städtischer Polizei zu verstehen war, hatte das Rathäusliche Reglement detailliert festgelegt: Zum allgemeinen Geschäftsbereich des Magistrats bemerkte das Reglement zunächst, daß dieser "die Administration, Respicir- und Verwaltung in Justiz-, Polizei-, Kirchen-, Schul-, Hospital- und alle übrigen Sachen, so wie derselbe solche bis hero gehabt und insofern darunter durch spezielle Verfassung wie bei dem Polizei-Wesen nichts geändert worden, noch fernerhin ungeschmälert verbleiben".l44 In den bestätigten Wirkungsbereich des kommunalen staatlichen Dirigenten 139 §§ 1 u. 2, Instruktion für den Polizeidirektor, Dekret vom 20. Februar 1742. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin A, Nr. 356, BI. 7 f. 140 § 2, InstrPolBln 1742. A. a. 0., BI. 8. 141 §§ 4 bis 6, InstrPolBln 1742. A. a. 0., BI. 8 f. Bomhak, Geschichte, Bd. 2, S. 147 u. 149, bewertet das Verhältnis von Magistrats- und staatlicher Polizeiverwaltung nach Erlaß des Rathäuslichen Reglements von 1747 als Wiedereinfügen der Polizeiadministration in den Geschäftskreis des Magistrats. Die Verknüpfung der Ämter des Polizeidirektors und des Stadtpräsidenten sieht Bomhak unter den Formen der unterschiedlichen Beschlußfassung und der Ausführungskompetenz des Polizeidirektors. Eine Auffassung, die nicht haltbar ist, da sie den Charakter des staatlichen Einflusses auf die Kommunalverwaltung verkennt. 142 § 9, InstrPolBln 1742. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin A, Nr. 356, BI. 10. 143 § 10, InstrPolBln 1742. Ebd.

3. Die staatliche Bindung der Residenz Berlin im 18. Jahrhundert

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fielen somit das gesamte Marktwesen, die Kontrolle der Maße, Gewichte und Münzen sowie die Preisüberwachung. Die Versorgung der Stadt mit Nahrungs- und Lebensmitteln, Heiz- und Futtermaterialien, die Überwachung der Bevorratung sowie die Steuererhebung auf Fleisch-, Brot-, Bier und Holz lag vollständig in den Händen des Polizei-Departements. Die Ausübung der Sicherheits-, Fremden-, Gesundheits-, Sitten- und Gewerbepolizei fiel ferner ebenso in seine Kompetenz wie die Aufsicht über das Gesinde-, Fuhr- und Bettelwesen sowie die Einhaltung der Sonntagsruhe. Daneben waren dem Polizeidirektor das Nachtwachtwesen, die öffentliche Beleuchtung, die Straßenpflasterung und -reinigung und schließlich die Aufsicht über das Aussetzen der Steine an den Kanälen zur Verwaltung übergeben. 145 Die gesamte Stadtentwicklung, insbesondere der Ausbau der städtischen Infrastruktur und das Bauwesen, die Fürsorge und Wohlfahrtspflege sowie die hygienischen und Sicherheitsbelange lagen schließlich im absolutistischen Staat in den Händen der staatlichen Verwaltung. Das Gebiet der staatlichen Administration war Mitte des 18. Jahrhunderts in der preußischen Haupt- und Residenzstadt so umfassend und erschöpfend, daß beim Magistrat nur solche Aufgabengebiete ressortierten, die sich auf einen engen Kreis innerer, mithin nicht polizeirechtlich definierter Kommunalangelegenheiten beschränkten. Die Kompetenz des Magistrats erstreckte sich auf die Verwaltung des Kämmereivermögens und der Kämmereieinnahmen, die Unterhaltung der städtischen Gebäude, die Aufsicht über die gewerblichen Korporationen, die Patronatsgeschäfte beim überwiegenden Teil der Berliner Kirchen sowie der städtischen mittleren und höheren Schulen und auf das Vormundschaftswesen als Rest der ihm früher obliegenden Rechtspflege. 146 Während der Berliner Magistrat schon um die Jahrhundertmitte ohne Polizeihoheit ausgestattet war und selbst nur bescheidene Mitwirkungsmöglichkeiten in polizeilichen Angelegenheiten besaß, blieb seine hoheitliche 144 § 5, Tit. 1 RathRegIBln 1747, in: Wilhelm Altmann, Ausgewählte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, T. 1, 15.-18. Jahrhundert, 2 Berlin 1914. S. 374. Siehe dazu Grzywatz, Residenziale Kommunaladministration, S. 421 ff. 145 § 2, Tit. 4 RathReglBln 1747, in: A. a. 0., S. 381. §§ 19 bis 23 u. 25 bis 35, InstrPolBln 1742. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin A, Nr. 356, BI. 14 f. u. 16-20. Bei den Straßensachen existierte eine Mitverwaltung des Gouvernements, während man für die Bauangelegenheiten auf landesherrliche Anordnung eine besondere staatliche Kommission eingesetzt hatte, der in dieser Beziehung sowohl das Polizeidirektorium und Gouvernement als auch der Magistrat untergeordnet war. Vgl. Behördenorganisation (= AB, Bd. 6,2), S. 333, 335 f. u. 392. 146 Vgl. dazu im einzelnen Tit. 3, RathReg1Bln 1747, in: Altmann, Urkunden, S. 375 ff.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Stellung im Bereich der Gerichtsbarkeit zunächst erhalten. In die Zuständigkeit des kommunalen Justizdepartements, zu dessen Verwaltung zwei Bürgermeister, die Syndizi als Protokollanten und drei Ratmänner bestellt waren,147 fielen alle Grenz-, Abschoß- und Abzugssachen, das Kirchen-, Schul- und Hospitalwesen, die Justizangelegenheiten der Kämmereidörfer und -heiden, die Bau-, Depositen- und Vormundschafts- sowie alle Zunftsund Gewerksangelegenheiten,148 die Aufsicht über sämtliche Registraturen, schließlich alle die Stadtgerichte betreffenden Angelegenheiten und Prozeßsachen, soweit eine Zuständigkeit des Magistrats bestand. 149 Die zu Beginn der siebziger Jahre erlassene Gerichtsordnung 150 beschränkte dann die Selbständigkeit der städtischen Gerichtsbarkeit, indem das Stadtgericht einen vom König ernannten Direktor erhielt, zu dessen Bestellung weder ein städtisches Wahl- noch Vorschlagsrecht eingeräumt war. 151 Die Oberaufsicht über das Stadtgerichtskollegium führte nunmehr ausschließlich der geschäftsführende, allein dem Justizministerium verantwortliche Dirigent. Er wachte selbständig über die Einhaltung der Gerichtsordnung, leitete die gesamte Geschäftstätigkeit und übte die Disziplinargewalt aus. Die Instruktionen über die Einrichtungen des städtischen Gerichtswesens erhielt der Stadtgerichtsdirektor ausschließlich vom zuständigen Ministerium oder dem Landesherrn selbst, ohne daß dem Magistrat ein Mitspracherecht zugebilligt war. 152 Die konkurrierende Gerichtsbarkeit mit dem Magistrat in Zivilprozessen war nunmehr auf solche Fälle eingeschränkt, deren Streitwert über tausend Taler lag. Die Prozeßführung wurde in solchen Fällen auch vom Stadtgericht ausgeübt. Erst nachdem seine Entscheidung ergangen war, stand es den klagenden Parteien frei, eine Entscheidung des Magistrats einzuholen. 153 Nach einer vom König angeordneten Untersuchung des Stadtgerichts, deren Anlaß Mutmaßungen über die übermäßigen Belastungen der Bürgerschaft durch Sporteln und Gerichtskosten waren, wurde 1780 die konkurrierende Rechtsprechung in Zivilsachen zugunsten des Stadtgerichts aufgehoben. 154 147 § I, Abs. 2, Tit. 4 RathReglBln 1747, in: Altmann, Urkunden, S. 380. Vgl. Grzywatz, Residenziale Kommunaladministration, S. 425 ff. 148 Die Handhabung der Zunfts- und Gewerkssachen erfolgte nach den Richtlinien des § 11, Tit. 3 RathRegIBln 1747, in: A.a.O., S. 377 f. 149 § I, Abs. I, Tit. 4 RathReglBln 1747, in: A.a.O., S. 380. 150 Gerichts-Ordnung, nebst revidierter Sportel-Ordnung für die Stadtgerichte der Königlichen Haupt- und Residenzstädte Berlin, auch erneuerte Taxe für die Advokaten vom 5. April 1770. NCCM, Bd. 4, Jg. 1770, Berlin 1771, Sp. 6721-6780. 151 § 3, Tit. I GerOrdBln 1770. A. a. 0., Sp. 6723. 152 § 4, Tit. 1 u. §§ 2 bis 6, Tit. 2 GerOrdBin 1770. A. a. 0., Sp. 6724 u. 6733 f. 153 § 11, Tit. I, GerOrdBln 1770. A.a.O., Sp. 6732. Vgl. Loening, Verwaltung, S.524. 154 Clauswitz, Städteordnung, S. 26. Ders., Geschichte Berlins, S. 87.

3. Die staatliche Bindung der Residenz Berlin im 18. Jahrhundert

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Gegen Ende des 18. Jahrhunderts griffen die staatlichen Behörden, die kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer, das Generaldirektorium und selbst der Monarch immer stärker in die inneren Angelegenheiten der Stadt ein. Nachdem insbesondere die kurmärkische Kammer im Laufe der Jahre stärkeren Einfluß auf die städtische Verwaltung genommen hatte, dehnte sie ihr Aufsichtsrecht auf geringfügige Einzelheiten aus und verfügte vielfach selbst an Stelle des Magistrats. 155 Vor allem der städtische Haushalt wurde mehr und mehr zur Domäne der staatlichen Provinzialbehörde. Die kurmärkische Kammer prüfte die geringsten Ausgaben auf ihre Angemessenheit hin, behielt sich selbst bei Vermietungen die Zustimmung vor. Sie behandelte die Kämmereikasse wie eine staatliche, indem sie ohne weiteres Zahlungen auf die städtische Kasse anwies. Schon 1766 hatte man die Kontrolle des Kämmereietats der Oberrechnungskammer übertragen. Damit stand ein dem Generaldirektorium unterstelltes Organ, das eigentlich zur Kontrolle der Provinzialverwaltungen eingesetzt war, die Befugnis zu, den Etat, insbesondere aber die Kämmerei- und Servisrechnungen zur Prüfung einzusehen. 156 Die residenziale Verwaltungsorganisation war mehr oder weniger umfassend durch den absolutistischen Staat vereinnahmt, die örtlichen Hoheitsaufgaben durch den Staat monopolisiert. Die Städteordnung knüpfte an diese Entwicklung an und machte die Inkorporierung der Polizei und Justiz als Teile der legitimen Gewalt des Staates zur gesetzlichen Regel. Die gesetzlichen Reformwerke am Ende des 18. Jahrhunderts nahmen durchaus den Gedanken politischer Mitwirkung der Bürgerschaft an den Kommunalangelegenheiten auf. Hervorzuheben ist der Entwurf zum Allgemeinen Gesetzbuch, der Bürgerversammlungen vorsah oder an bereits bestehende repräsentative Vertretungen anknüpfte, die bei wichtigen Beratungen hinzugezogen bzw. an Verhandlungen des Magistrats teilnehmen sollten. 157 Das Allgemeine Landrecht schränkte zwar die Teilnahme der bürgerschaftlichen Repräsentanten auf einen begrenzten Kreis von Gegenständen, insbesondere die Rechnungslegung der Kämmerei, die Befugnis zur Kontrolle des Magistrats bei der Verwaltung der Stadtgüter sowie bei der Einziehung und Verwendung der Einkünfte ein, schließlich machte es Veräußerungen, Verpachtungen oder Schuldaufnahmen von der Zustimmung der Repräsentanten abhängig. 158 In diesen Fällen war jedoch nicht nur ihre 155 A. a. 0., S. 85. Ob damit der Magistrat indessen des selbständigen Handeins entwöhnt wurde, wie Clauswitz meint, bedürfte einer ausführlicheren empirischen Überprüfung. 156 Instruktion für die Oberrechenkammer vom 10. März 1744 und die begleitende Ordre vom gleichen Datum, Behördenorganisation (= AB, Bd. 6,2), S. 711 ff., insbesondere S. 714. Vgl. auch Theodor Hertel, Die Preußische Ober-Rechnungskammer (Rechnungshof des Deutschen Reichs), ihre Geschichte, Errichtung und Befugnisse, Berlin 1884, S. 25 ff. Bomhak, Geschichte, Bd. 2, S. 123 f. 157 Vgl. Meier, Reform, S. 66 ff.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Einwilligung, sondern auch die Rücksprache mit "den verschiedenen Klassen der Bürgerschaft" bindend vorgeschrieben. 159 Diesen Standpunkt machte sich auch die kurmärkische Kammer bei den zu Beginn des 19. Jahrhunderts aufgenommenen Verhandlungen über die Provinzialrechte zu eigen. Die Kammer lehnte es ab, die Stadtverordneten als Vertretung der Bürgerschaft anzuerkennen, da die Bürgerschaft bei ihrer Wahl nur geringfügige Mitwirkungsrechte inne hatte, folglich auch nicht angenommen werden konnte, die Stadtverordneten wären mit bürgerschaftlichen Vollmachten ausgestattet. Aus diesem Grund konnten die Magistrate bei Entscheidungen über die Einführung neuer kommunaler Lasten oder die Aufgabe nutzbarer Rechte sich nicht allein auf eine Zustimmung der Stadtverordneten beschränken, sie waren vielmehr, zumindest bei erheblichen Angelegenheiten, auf die Zuziehung der Bürgerschaft angewiesen, in welcher Form das auch immer geregelt wurde. 160 Übersehen werden darf in diesem Zusammenhang nicht, daß das Städtewachstum, 161 die Zunahme der Manufaktur- und Fabrikproduktion 162 sowie §§ 146 f. u. 153, T. 2, Tit. 8, ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 3, S. 412 ff. §§ 110--112 i. Verb. m. § 154, T. 2, Tit. 8, ALR. A.a.O., S. 408 f. u. 414. Zur Städteverfassung des Landrechts vgl. Schön, Organisation, S. 736 ff.; ders., Recht, S. 21 ff. 160 Meier, Reform, S. 68 f. Über die Ansätze städtischer Selbstverwaltung in ostpreußischen Städten vor der Verwaltungsreform vgl. Hans Rothfels, Ost- und Westpreußen zur Zeit der Reform und Erhebung, in: Ders., Bismarck, der Osten und das Reich, Stuttgart 1960, S. 233 ff. Neugebauer, Politischer Wandel, S. 126 ff. Neugebauers, in Anlehnung an die Forschungen Gerd Heinrichs (siehe Staatsaufsicht und Stadtfreiheit in Brandenburg-Preußen unter dem Absolutismus 1660--1806, in: Die Städte Mitteleuropas im 17. und 18. Jahrhundert, hrsg. von W. Rasch, Linz 1981, S. 155-172) aufgenommene Kritik an Preuß bzw. Heffter und ihrem Bild eines im Absolutismus "gleichgeschalteten preußischen Städtewesen, das erst mit der Städteordnung (wieder) zu kommunaler Selbständigkeit und Selbstverwaltung erwacht sei", ist zwar insofern richtig, als sie nach einer empirisch abgesicherten Beschreibung der Formen bürgerschaftlicher Verwaltung fragt, sie vernachlässigt aber den Bruch, der mit der Reform des Kommunalrechts vollzogen wird. 161 Zur Bevölkerungsentwicklung Berlins vgl. Friedrich W.A. Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg, Bd. 2, Berlin 1805. Kritisch durchgesehene und verbesserte Neuausgabe, hrsg. von O. Büsch/G. Heinrich (= VHKB, Bd. 22, Neudrucke, Bd. 2), Berlin 1968 S. 158 f. Zur Korrektur der Bratringsehen Zahlen, vgl. Richard Böckh, Die Bevölkerungs-, Gewerbe- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1875 in der Stadt Berlin, H. 1, Berlin 1878, S. 30. Karin Weimann, Bevölkerungsentwicklung und Frühindustrialisierung in Berlin 1800--1850, in: Untersuchungen zur Geschichte der frühen Industrialisierung vornehmlich im Wirtschaftsraum Berlin/Brandenburg (= VHKB, Bd. 6), hrsg. von O. Büsch, Berlin 1971, S. 161 ff. Helga Schultz, Berlin 1650--1800. Sozialgeschichte einer Residenz. 2Berlin 1992, S. 296 u. 321. Siehe auch Heinzpeter Thümmler, Berlins Stadtgebiet und Einwohner im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, in: JfW, 198711, S. 9 f. u. 20. 158

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3. Die staatliche Bindung der Residenz Berlin im 18. Jahrhundert

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die Auswirkungen einer anhaltenden Binnenwanderung nicht ohne Folgen bleiben konnten. Die laufenden Aufgaben im Bereich des Markt- und Taxwesens, der Feuer- und Bauvisitationen nahmen zu und dürften häufig nur durch die Inanspruchnahme der Bürgerschaft zu bewältigen gewesen sein. Problemfelder städtischer Administration, wie etwa die sich zuspitzende Armenfürsorge, stellte vermehrte Anforderungen an die Kommunalverwaltungen und erforderten, etliche Jahre vor der Einführung der Städteordnung, eine größere Teilnahme der Bürgerschaft. Eine solche Form bürgerschaftlicher Partizipation, welche, wie es sich im Falle der Berliner Armenverwaltung deutlich zeigte, von der staatlichen Administration aus Sach- und Handlungszwängen heraus angeregt und gefördert wurde, verweist auf eine, schon vor der Reformzeit vorhandene kommunale Verwaltungskompetenz. 163 Das Allgemeine Landrecht, selbst wenn es kein neues Recht schuf, sondern nur das bestehende wiedergab und zudem nur subsidiäre Bedeutung besaß, reagierte gewissermaßen auf diese Situation, indem es das Gemeinderecht für die gesamte preußische Monarchie ebenso ordnete wie vereinheitlichte und den Umfang der Kommunalverwaltung festlegte. l64 Hier wären indes genauere Untersuchungen erforderlich. Die Neigung der älteren rechts- und verwaltungsgeschichtlichen Forschung aus den verfassungsrechtlich eingeschränkten bürgerschaftlichen Mitwirkungsrechten auf den schlechten Zustand, gar den Verfall kommunaler Einrichtungen, wie etwa beim Schul- und Armenwesen, zu schließen,165 bedarf vermutlich der Kor162 Zur Entwicklung der Berliner Produktions- und Beschäftigungsverhältnisse an der Wende zum 19. Jahrhundert vgl. Friedrich Nicolai, Beschreibung der Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlichen Merkwürdigkeiten und der umliegenden Gegend, Bd. 2, 3 Berlin 1786. Neudruck Berlin 1967, S. 560. Bratring, Beschreibung, Bd. I, S. 132-138. Hugo Rachel, Das Berliner Wirtschaftsleben im Zeitalter des Frühkapitalismus (= Berlinische Bücher, Bd. 3), Berlin 1931, S. 250. Beiträge zur Geschichte des Berliner Handels- und Gewerbefleißes aus der ältesten Zeit bis auf unsere Tage. Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens der Korporation der Berliner Kaufmannschaft am 2. März 1870, Berlin 1860, S. 45 ff. Hintze, Die preußische Seidenindurstrie im 18. Jahrhundert und ihre Begründung durch Friedrich den Großen (= AB, Seidenindustrie, Bd. 3), Berlin 1892, S. 315 ff. 163 Zur Armenverwaltung siehe die Anmerkungen unten im Kap. 4. Grundsätzlich zur Ineffizienz der administrierenden Staatsbehörden in Berlin Loening, Die Verwaltung der Stadt Berlin, in: PJ, Bd. 55 (1885), H. 5, S. 538. Siehe auch Gundlach, Friedrich Wilhelm I. und die Bestellung der städtischen Beamten (= Bausteine zur preußischen Geschichte, N.F., Bd. I), Jena 1906, S. 84 f. 164 Vgl. §§ 86 ff., T. 2, Tit. 8, ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 3, S. 406 ff. Dazu Meier, Reform, S. 64 ff. u. 431 ff. Schön, Organisation, S. 738 ff. 165 So Meier, Reform, S. 74. Vgl. auch die Anmerkung von F. Thieme, a. a. 0., S. 445. Wenig hilfreich sind in diesem Zusammenhang die neuerdings von Gall herausgegebenen Untersuchungen zur "mitteleuropäische(n) Stadt im Umbruch", da einerseits Preußen bei den hier behandelten fünfzehn deutschen Städten weitgehend

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

rektur und der detaillierten empirischen Aufarbeitung. 166 Wendt berichtet zwar über den schlechten Zustand der Breslauer Armenpflege, doch ist es die Bürgschaft, die durch Spenden und Stiftungen zum Ausbau der bestehenden Institute und zur Einrichtung privater Anstalten beiträgt. Neben den aus der inneren Befindlichkeit der Städte resultierenden Reformimpulsen müssen die Ansätze zur Reform der Staatsverwaltung, vor allem die Bemühungen um eine Reorgnisation der Provinzial- und Bezirksverwaltungen, auch als ein wichtiger Schritt zur Neuordnung der Kommunaladministrationen gesehen werden. Als Hardenberg 1792 mit der Organisation der an Preußen abgetretenen Fürstentümer Ansbach und Bayreuth ging, wurde das Amt des Steuerrats, begünstigt durch die in Franken vorhandene steuerliche Gleichbehandlung von Stadt und Land, nicht mehr eingeführt. Bei der Neueinrichtung von Kreisen und Amtsbezirken übernahm der Landrat die früheren Funktionen des Steuerrats. Da der Landrat nicht gleichzeitig die Interessen der größeren Städte vertreten konnte, wurden diese von der Kreisverwaltung abgelöst und direkt der Kammer unterstellt. 167 In Neuostpreußen hob man 1797 ebenfalls das Amt des Steuerrats auf und übertrug dem Landrat die Aufsicht über Stadt und Land. 168 In den ausgeschlossen wird, andererseits die Studien als sozial geschichtlich orientierte städtevergleichende Bürgertumsforschung angelegt sind, die Verwaltungs- und Organisationsprobleme nur am Rande streifen, während der grundsätzliche stadt- und bürgertumszentrierte Blick kaum geeignet ist, die innovative Modemisierungstätigkeit des preußischen Staates zu erschließen. Vgl. beispielsweise Hans-Wemer Hahn, Aufbruchsversuche und Krise. Die Stadt Wetzlar zwischen reichsstädtischen Reformdebatten und wirtschaftlichem Niedergang 1789-1815, in: Vom alten zum neuen Bürgertum, S. 290 ff. Vgl. auch die Berichte zur Sektion IV, Das städtische Bürgertum und der Staat, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 339 ff. Dazu der ebenso kritische wie instruktive Kommentar von J. Kocka, a. a. 0., S. 417 ff. Als Forschungsperspektive bleibt indessen der Gedanke GaUs wichtig, daß das Reformzeitalter in einen längeren "Übergang zur modemen Welt" eingebettet ist, der auch von innerstädtischen Impulsen geprägt wird. 166 Überhaupt zeigte sich in Breslau als Folge der Institutionalisierung des bürgerschaftlichen Elements eine ständige Tendenz zur Ausweitung der Gemeindekompetenzen. So gelang es, die Teilnahme an der Überwachung der Bauausführungen durchzusetzen und bei der Beratung über die Reform des Polizeiwesens mitzuwirken. Vgl. Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 38 f. u. 48 f. Zur bürgerschaftlichen Armenverwaltung und zu den Forderungen einer verantwortlichen Beteiligung der Bürgerschaft am Gemeinwesen in Königsberg, insbesondere durch den Entwurf des Kriminalrats und Konsulenten der Großbürgerzünfte Friedrich Brand im Dezember 1807 vgl. Winkler, Frey, S. 67 u. 88 ff. Georg-Christoph von Unruh, Der Kreis. Ursprung und Ordnung einer kommunalen Körperschaft, Köln-Berlin 1965, S. 74. Siehe auch Rothfels, Ost- und Westpreußen, S. 242 f. 167 Vgl. Fritz Hartung, Hardenberg und die preußische Verwaltung in AnsbachBayreuth von 1792-1806, Tübingen 1906, S. 16 ff.

3. Die staatliche Bindung der Residenz Berlin im 18. Jahrhundert

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durch den Reichsdeputationshauptschluß erworbenen Gebieten Preußens wurde in ähnlicher Weise verfahren, auch hier entließ man die größeren Städte aus den Kreisen und unterstellte sie den Kammern, in denen sie ein Stadtdirektor vertrat. 169 Von diesen organisatorischen Maßnahmen führte ein direkter Weg zur späteren Einführung der Stadtkreise für die größeren Städte. Die Kreisfreiheit der größeren Städte setzte, ungeachtet der staatlich-administrativen Zielsetzungen der Kreisverfassung, Formen selbständiger Verwaltung voraus. 170 Der genehmigte, aber nicht mehr ausgeführte Organisationsplan des Provinzialministers Friedrich Leopold von Schroetter suchte im März 1806 das in Neuostpreußen praktizierte Bezirksverwaltungsmodell auf die vier altpreußischen Departements auszudehnen und gleichzeitig die Stellung des Landrats zu stärken. Vor dem Hintergrund dieser Reformansätze ist der Gedanke Otto Hintzes zu verstehen, die Verwaltungsreform, insbesondere auch der Kommunaladministration, wäre nicht eine eruptive Leistung weniger Jahre, sondern stände am Ende eines längerfristigen Prozesses. 171 Diese Ansätze kamen aber, wie eingangs bemerkt, nicht über Halbheiten hinaus. Erst das Reformgesetz des Jahres 1808 veränderte den überkommenen Anspruch des Staates an die Gemeinden und rief die körperschaftlich begründete Kommunalverwaltung ins Leben. Die Kontinuität städtischer Abhängigkeit vom Staat wurde durchbrochen, ohne daß die Städte aus der staatlichen Bindung in eine völlige Autonomie entlassen wurden. Der Bruch mit der traditionalen Stadtverfassung machte den modernisierenden Charakter der Städteordnung aus. 172 Der Verzicht auf staatliche Kompetenzen, auf eine patrimoniale Staatskontrolle und die Gewährung kommunaler Zuständigkeiten, die sich zunächst vor allem in der Autonomie des gemeindlichen Finanz- und Steuerwesens wie der Verwaltung des städtischen Vermögens ausdrückten,173 konstituierte eine bis dahin im zeitgenössischen Recht nicht entwickelten Bereich städtischer "Selbständigkeit".174 Im Eingangsparagraphen der StädVgl. Bornhak, Geschichte, Bd. 2, S. 293 f. A. a. 0., S. 296 ff. Siehe auch B. Schulze, Die Reform der Verwaltungsbezirke in Brandenburg und Pommern 1809-1818 (= Einzelschriften der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, Bd. 3), Berlin 1931, S. 12 f. 170 Zur Entwicklung der Kreisverfassung vgl. Unruh, Der Kreis, S. 75 ff. 171 Hintze, Reformbestrebungen, S. 508. 172 Miecks Einschätzung der Städteordnung als "konservatives Gesetz" (Städtereform, S. 54 u. 70) greift zu kurz, wenn der bewahrende Charakter der Ordnung allein auf das sich im Bürger- und Wahlrecht konkretisierende innerstädtische Partizipationsmoment bezogen wird, da auf diese Weise die politisch-rechtliche Bedeutung der gewonnenen körperschaftlichen Selbständigkeit unberücksichtigt bleibt. 173 § 184, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 352 f. 168 169

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

teordnung wird hinsichtlich des zukünftigen Verhältnisses von Staat und Gemeinden angemerkt, daß sich die oberste Staatsaufsicht auf die Kommunen überhaupt, ihre Verfassung und ihr Vermögen erstreckt, "insoweit nicht in der gegenwärtigen Ordnung auf eine Theilnahme an der Verwaltung ausdrücklich Verzicht geleistet ist".175 Erst durch die Aufgabe staatlicher Zuständigkeiten oder, wie im Falle der einzelnen Grundherren unterstehenden Mediatstädte, durch die Auflösung patrimonialer Verhältnisse 176 erwächst kommunale Eigenständigkeit, die in ihrer integrierenden Funktion eine innere Notwendigkeit der staatlichen Reorganisation war. Die Kommunalreform beinhaltete die bürgerschaftliehe Partizipation in praktischer Wirksamkeit für die Verwaltung. Der kommunalen Ebene kam, wie die Reformbürokratie immer wieder unterstrich, als Bereich der Einübung integrativer Tätigkeiten besondere Bedeutung zu. 177 Mag die Städteordnung vor dem Hintergrund der bedrückten kommunalen Verwaltungsstrukturen des Absolutismus als ein "Freiheitsgeschenk,,178 charakterisiert werden, sie wurde nicht um ihrer selbst willen eingeführt, insbesondere nicht, "weil man dem Gedanken eines ursprünglichen Rechts der Gemeinden auf Selbstverwaltung Anerkennung verschaffen wollte",179 sondern weil zum einen beabsichtigt war, die schwache gesellschaftliche Basis des alten Staates zu erweitern,180 zum anderen die tätige, Gemeinsinn erregende Teilnahme der Bürger an der Verwaltung zu entwickeln. 181 Partizipation setzte bestimmte Formen der Selbständigkeit, des Ausgleichs und der Vereinigung voraus, die in den Städten nur auf der Grundlage einer "selbständigere(n) und bessere(n) Verfassung,,182 geschaffen werden konnte.

Das sieht auch Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 460. § 1, Tit. 1, StO 1808. GS 1806-1810, S. 324. 176 §§ 7 u. 8, Tit. 2, StO 1808. A. a. 0., S. 325. Wenn den Gutsherren untersagt wurde, fernerhin über mittelbare Städte Rechte und Befugnisse auszuüben, die der Städteordnung zuwider liefen, so bedeutete das nicht die Aufhebung sämtlicher patrimonialen Rechte. Es fiel die Patrimonialgerichtsbarkeit, doch andere patrimonialen Privilegien, wie das Kirchen- und Schulpatronat, blieben den Gutsherren erhalten. Vgl. Ziekursch, Ergebnis, S. 147. 177 So auch Dehmel, Reformstaat, S. 44 u. 60 f. Fehrenbach, Verfassungs- und sozialpolitische Reformen in Deutschland unter dem Einfluß des napoleonischen Frankreich, in: Deutschland zwischen Reform und Revolution. hrsg. von H. Berding/H.-P. Ullmann, Königstein/Ts. 1981, S. 80 f. Nipperdey, Geschichte 18001866, S. 35. Krabbe, Stadt, S. 14. 178 Heffter, Selbstverwaltung, S. 96. Ritter, Stein, S. 266 f. Unruh, Veränderungen, S. 416 f. 179 Peters, Grenzen, S. 43. 180 Bornhak, Geschichte, Bd. 3, Bis zur neuesten Verwaltungsreform, Berlin 1886, S. 27. 181 Einleitung zur Städteordnung von 1808. GS 1806-1810, S. 324. 174

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4. Der kommunale Wirkungskreis

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4. Der kommunale Wirkungskreis und die Teilnahme der Gemeinde an der staatlichen Verwaltung

Wenn in der zeitgenösssischen staatsrechtlichen Diskussion von den "städtischen Angelegenheiten" die Rede war, wurde in weitgehender Übereinstimmung nur von ihrem inneren Haushalt l83 gesprochen. Auch Freiherr vom Stein bezog sich, wenn er nicht über die national pädagogischen Aufgaben der Kommunalverwaltung, sondern über das konkrete Administrieren der Kommunen nachdachte, auf die Verwaltung des Gemeindevermögens oder er setzte die Gemeindeangelegenheiten in Beziehung zum Kommunalvermögen. 184 Die Denkschrift über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden nannte im Juni 1807 un182 Ebd. Vgl. Menger, Entwicklung und Selbstverwaltung im Verfassungsstaat der Neuzeit, in: Selbstverwaltung, S. 26. Der bereits in der älteren historischen Forschung ständig wiederholte Topos der Gemeinsinnförderung als Wesenskern der Kommunalreform (vgl. etwa Clauswitz, Städteordnung, S. 62; Meier, Reform, S. 121 f; Becker, Selbstverwaltung, S. 171 f und neuerdings neben vielen anderen Reulecke, Urbanisierung, S. 34) hat vermutlich dazu beigetragen, insofern eine personalisierende Sicht auf die Wirkungen der Städteordnung im Vormärz zu werfen, als die Probleme und Schwierigkeiten ihrer Ausführung nicht auf Unzulänglichkeiten des Reformwerks, sondern auf die mangelnde Kompetenz des mit der Kommunaladministration überforderten Städtebürgertums zurückgeführt wurde. In diesem Sinne etwa Mieck, Preußen, S. 28; Ibbeken, Preußen, S. 282 ff.; Engeli/Haus, Quellen, S. 103; Koselleck, Preußen, S. 565 ff. oder Unruh, Veränderungen, S. 419. Größere Aufschlüsse über die Bedeutung der Kommunalreform für die Stadtentwicklung im Preußen der östlichen Provinzen können sicherlich von lokal- und regionalspezifischen Arbeiten erwartet werden, welche die Kommunalgesetzgebung im Zusammenhang mit den strukturellen Problemen der Kommunen wie beispielsweise die Überschuldung, die wachsenden finanziellen Belastungen, die im Gefolge neuer Mobilität entstehenden sozialen Probleme oder die notwendige Reorganisation der Kommunaladministrationen analysieren. Siehe dazu unten Kap. 4, insbesondere die Unterabschnitte 4 und 6. 183 Wehnert, Städteordnung, S. III, 2, 4 u. 24. Streckfuß, Städteordnung, S. 13 u. 22. Perschke, Praktische Bemerkungen über die Schrift: Preußische Städte-Ordnung, von Herrn Prof. von Raumer und über die Beleuchtung dieser Schrift, von Herrn Geh. O. R. R. Streckfuß, Mannheim 1828, S. 5, 16, 21 u. 22 f; ders., Versuch einer Metakritik der Kritik der Herrn von Raumer, Streckfuß, Horn, Wehnert und Thiel über die Preußische Städte-Ordnung als ein Commentar zu dem Gesetze, Leipzig 1829, S. 89 ff Wiese, Städteordnung, S. 7. Karl Friedrich Horn, Sendschreiben an den Herrn Bürgermeister Perschke in Landeshut, veranlaßt durch dessen Metakritik der Kritiken über die preußische Städteordnung. Eine kritische Antwort, Königsberg 1829, S. 29. Dahlmann, Politik, S. 203. 184 Offiziöser Zeitungsartikel zur Progammatik der Verwaltungsreform, veröffentlicht in der Königsberger Zeitung, Ausgabe vom 29. September und in der Hamburger Korrespondenz, Ausgabe vom 5. Oktober 1808, in: Hubatsch/Thielen, Stein, Bd. 2,2, S. 877. Immediatbericht Stein/Schroetter, 9. November 1808, in: A. a. 0., S. 930 f. Stein, Denkschrift über die Gemeindeverfassung im Herzogtum Nassau, I. März 1818, in: Hubatsch/Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 728 u. 730.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

ter denjenigen Angelegenheiten, "die den Magistraten und Dorfgerichten unter Aufsicht der Provinzialkollegien übertragen werden" sollten, an erster Stelle die Verwaltung des Gemeindevermögens sowie der dem öffentlichen Unterricht und der Wohltätigkeit dienenden Anstalten, daneben sah Stein die Verwaltung gewisser Zweige der niederen Gerichtsbarkeit und die örtliche Polizei als übertragene Geschäftskreise VOr. 185 Das reformierte Kommunalrecht ging also deutlich über den frühen Entwurf Steins zur Kommunalverfassung hinaus, indem es einerseits die städtische Vermögensverwaltung der Gemeindehoheit unterstellte, andererseits durch die Partizipation der Bürgerschaft und die dominante Stellung ihrer Repräsentanten in der Kommunaladministration der "bürgerlichen Freiheit" größere Geltung verschaffte. Der Städteordnungsentwurf des Kriminalrats Brand erklärte zu den vornehmlichen Rechten der Gemeinden, "über ihr Vermögen unter der Leitung selbstgewählter Obrigkeiten zu verfügen".186 Diese Verfügung sollte sich sowohl auf das Bürger- und Kämmereivermögen als auch auf die öffentlichen Gemeindeanstalten erstrecken, die davon bestritten werden mußten. Kammerpräsident Freiherr Friedrich Ludwig von Vincke sah in der Notwendigkeit einer besseren Wahrnehmung der kommunalen Interessen, die er wiederum auf die Vermögensverwaltung bezog, ein tragendes Motiv für die Reform der "Unterbehörden" des Staates. 187 Wenn Frey die Rückgabe der vom Staat "usurpierten Rechte" verlangte, dachte er zunächst daran, den Städten die Verwendung ihres Vermögens wieder "selbst zu überlassen".188 Streckfuß betrachtete die staatliche Einflußnahme auf die städtischen Haushalte als eine Beschränkung der bürgerlichen Freiheit. "Obgleich jedes Mitglied der Bürgerschaft bezahlen mußte", führte er aus, "wenn der Ertrag der Nutzungen des der Stadt eigenthümlichen Vermögens nicht ausreichte, so hatte sie doch auf dessen Verwaltung keinen, oder doch nur einen sehr untergeordneten Einfluß, und mußte das Unzweckmäßigste dulden, wenn es befohlen war. Alles dies mußte der Bürger sehen und ertragen, mußte somit Andere willkührlich auf sein eigenes persönliches Verhältniß zurückwirken lassen, und fühlte sich dadurch mit gutem Grunde im Genusse seiner bürgerlichen Freiheit beschränkt".189 Die durch die Städteordnung begründete Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 199 f. Brand, Plan über die künftige nähere Verbindung der Königsberger Bürgerschaft mit dem Magistrat in bezug auf ihre Verfassung, 24. August 1808, in: ScheellSchmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 786. 187 Vincke, Denkschrift über die Organisation der Unterbehörden - IV. Für die Kommunalverwaltung, (3. August 1808), in: A.a.O., S. 718 u. 720. 188 Frey, Munizipalverfassungen (vor dem 17. Juli 1808), in: A.a.O., Bd. 2, S.659. 185

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4. Der kommunale Wirkungskreis

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haushalts- und vermögensrechtliche "Selbständigkeit" wurde demnach in einer engen Verbindung mit den Staatsbürgerrechten gesehen, sie konkretisierte oder erweiterte gar ein Stück bürgerlicher Freiheit. Polizeidirektor Frey beklagte, daß die Kämmereien mit Pensionen für Staatsdiener belastet worden waren, die nie mit den Städten, denen sie angehörten, in Verbindung gestanden hatten. Nicht minder hatte der Staat die Gemeinden zu Leistungen herangezogen, denen es häufig an einer rechtlichen Verpflichtung mangelte. Zum Geschäftskreis der kommunalen Vermögensverwaltung rechnete Frey neben den eigentlichen Kämmereiangelegenheiten auch das Hypotheken-, PupiIIen-, Deposital- und Tabellenwesen sowie sämtliche Vormundschaftssachen, die völlig unzulänglich von den Stadtrichtern als Nebengeschäft betrieben wurden. 190 Vincke hielt die steuerrätliche Verwaltung auf der unteren Ebene der staatlichen Organisation für völlig unzulänglich, da weder die Land- noch die Steuerräte von den Kommunen für eine "unvernünftige, nachlässige Verwaltung" verantwortlich gemacht werden konnten. Selbst die Tätigkeit der Kammern charakterisierte er als "höchst elend".191 Sie beschränkte sich offenbar vorwiegend auf eine reine Zahlenkontrolle, während die übrigen Geschäfte meistens zurückgestellt wurden. Diese Form einer ineffizienten Geschäftstätigkeit lag nach Vincke "in der Natur der Sache" begründet, da beispielsweise bei der kurmärkischen Kammer ein einzelner Rat neben bedeutenden Domänen- und Generaldepartements "einige zwanzig Städte" zu verwalten hatte. Wenn sich die städtischen Finanzen in einer "bedauernswerte(n) Lage" befanden, so Vinckes Resümee, dann lag es an der spezifischen Form staatlicher Vormundschaft, die auch die Magistrate jeder Verantwortlichkeit gegenüber den Gemeinden enthob und deren Teilnahme in der Regel ausschloß. Ein Blick auf die haushalts- und steuerpolitische Situation Berlins zu Beginn des 19. Jahrhunderts verdeutlicht, wie sehr dem Staat daran gelegen sein mußte, durch die Begründung eines selbständigen kommunalen Wirkungskreises und die Erschließung städtischer Einnahmenquellen eine Effektivierung der Gemeindeadministrationen und eine Entlastung des Staatshaushalts zu bewerkstelligen. Von einem eigentlichen städtischen Haushalt konnte weder im ausgehenden 18. noch frühen 19. Jahrhundert gesprochen werden. Der Magistrat stellte lediglich einen Haushaltsplan für die Kämmerei auf, der im Jahr 1806/07 Einnahmen von rund 55300 Taler in Rechnung Streckfuß, Städteordnung, S. 22. Frey, Munizipalverfassungen (vor dem 17. Juli 1808), in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 659 f. 191 Vincke, Denkschrift, Unterbehörden - Kommunalverwaltung, 3. August 1808, in: A.a.O., Bd. 3, S. 718. 189

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10 Grzywatz

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

stellte. 192 Die laufenden Einnahmen setzten sich aus den bereits erwähnten Einlagegeldern, den Erträgen aus Verpachtungen der Kämmereigrundstücke sowie weiteren Gebühren und Erträgen aus nutzbaren Rechten zusammen. Der Summe der Kämmereiausgaben in Höhe von 53000 Talern, von denen allein 24000 Taler auf Besoldungen entfielen, standen staatliche Kosten für die Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt im Umfang von etwa 251000 Talern gegenüber. 193 Die staatliche Verwaltungs tätigkeit war in gewisser Weise durch das vorhandene Steuersystem begründet, da nur der Staat die Einwohnerschaft besteuern durfte, dem Magistrat hingegen eine Steuererhebung für städtische Zwecke nicht gestattet war. Die wichtigste Steuer bestand in der Akzise auf Lebensmittel und einer Reihe von Kaufmannswaren, welche die Gesamtheit der Einwohner traf. Die dem Magistrat zu entrichtenden Abgaben für eingeführte Biere und Weine konnten nicht als eigentliche Steuer bezeichnet werden, zumal sie nur einen Bruchteil der staatlichen Ausgaben für die Stadt ausmachten. 194

192 Etwa 12500 Taler wurden als Bestand aus dem vorhergehenden Kassenjahr übernommen und 6000 Taler entfielen auf königliche Kolonistengelder. Vgl. Clauswitz, Städteordnung, S. 30. Eine Aufstellung über die Kämmereietats von 17071713 sowie für die Dekaden 1730-1800 findet sich bei Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. I, S. 115. Vgl. auch Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung, Bd. 2, S. 176. 193 Es handelt sich hierbei nur um die annähernd festzustellenden staatlichen Ausgaben für städtische Zwecke. Die staatlichen Aufwendungen für die Unterhaltung und Pflasterung der Straßen sind beispielsweise nicht zu ermitteln. Innerhalb der Stadtbefestigung unterhielt das Gouvernement die Straßen beständig aus Mitteln der Akzisekasse. Zur Unterhaltung der Straßen außerhalb der Stadtmauer war das Gouvernement nach einem Urteil des Kammergerichts vom 22. Juli 1722 nicht verpflichtet, gleichwohl sorgte die Militärverwaltung für die Instandhaltung dieser Verkehrswege. Die Wegebaulast richtete sich in der Mark Brandenburg nicht nach gesetzlichen Bestimmungen, sondern nach Observanzen. Die für die Gemeinden bindende Observanz, die ihnen die Wegebaulast im allgemeinen auferlegte, wurde später durch das "Edikt vom 18. April 1792 über die Verbindlichkeit der Untertanen in der Kurmark in Ansehung des Chausseebaus, wie sie deshalb zu entschädigen sind, und was sonst dabei beobachtet werden soll" gesetzlich bestätigt. Vgl. Berliner Gemeinderecht, hrsg. vom Magistrat, Bd. 8, Tietbauverwaltung, hrsg. von Magistrat, 2Berlin 1914, S. 42. Da die Straßen Berlins faktisch lange Zeit durch die Staatsbehörden unterhalten wurden, behaupteten die städtischen Körperschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch VeIjährung eine Befreiung von der Unterhaltungspflicht erworben zu haben. Ein Streit, der erst durch die Kabinettsordre vom 31. Dezember 1838 und das von Friedrich Wilhelm III. am sei ben Tage genehmigte Regulativ über die Straßenunterhaltung, durch das die Verpflichtung der Stadt festgestellt wurde, beendet wurde. Ausführlicher zu den finanziellen Ausgleichsverhandlungen der Stadt Berlin mit dem Staat unten Kap. 4, Unterabschnitt 4. 194 Im Rechnungsjahr 1806/07 betrug die Einnahme des Magistrats aus dem Einlagegeld für Bier und Wein gerade 6300 Taler. Vgl. Clauswitz, Städteordnung, S.30.

4. Der kommunale Wirkungskreis

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Die Ausgaben der königlichen Armenverwaltung betrugen im Jahre 1804/05 etwa 62877 Taler. Die Einnahmen aus königlichen Kassen und Fonds sowie eigenem Vermögen beliefen sich auf 26370 Taler, 18000 kamen aus der Lotteriekasse und weitere 18507 Taler wurden durch Kollekten, Kaufkontrakte, Vermächtnisse und freiwillige Beiträge aufgebracht. Im Jahre 1806 bewilligte der König weitere 13 396 Taler, von denen allein 12000 zur Unterstützung der Krankenpflege vorgesehen waren, während die restliche Summe für Besoldungen in Anspruch genommen werden konnte. 195 Für die Charite, den Hebammenunterricht und das Schutzblattern-Institut in Berlin gab der Staat 2360 Taler her. 2303 Taler wurde für die Verwaltung der Medizinalanstalten in der Kurmark und für Besoldungen des Kollegio Medico Sanitatis und Chirurgico bereitgestellt. 196 Das Berliner Schulwesen erhielt im Jahre 1804/05 allein aus der Generaldomänenkasse Zuschüsse in Höhe von 5831 Taler, 1565 Taler wurden für das französische Gymnasium und Stipendien aufgebracht, 7200 Taler für die Berliner Geistlichen und schließlich 3252 Taler für die Hospitäler der Stadt. 197 Die Kosten der Straßenreinigung machten 6740 Taler aus, sie wurden aus der Generalkriegskasse bestritten. Die Straßenbeleuchtung erforderte nach den Angaben der Erleuchtungskasse für das Jahr 1804 zirka 53000 Taler;198 die Polizeikosten beliefen sich auf 21215 Taler, von denen 6748 Taler aus königlichen Kassen kamen. Aus der Kämmerei- und anderen städtischen Kassen wurden 1804/05 insgesamt 5744 Taler überwiesen, während man die übrigen Kosten durch Pacht- und Strafgelder sowie Gebühren ausglich. 199 Der staatliche Zu schuß zum Berliner Servisetat erreichte die Summe von 62264 Talern,2oo weitere 21822 Taler gab der Staat für die in Berlin stationierten Artillerie- und Pioniertruppen.2° 1 Die staatlichen Einnahmen durch die Akzise betrugen im Etatjahr 1804/ 05 rund 1195500 Taler,202 womit das Steueraufkommen Berlins fast ein 195 Vgl. Magnus Friedrich von Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg, ihr Zustand und ihre Verwaltung unmittelbar vor dem Ausbruch des französischen Krieges im Oktober 1806, von einem ehemaligen höheren Staatsbeamten, Leipzig 1847, S. 253 f. 196 A. a. 0., S. 136. Zur Entwicklung der Medizinalverfassung vgl. Ragnhild Münch, Gesundheitswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Das Berliner Beispiel, Berlin 1995, S. 35 ff; dies., Zur Berufsstruktur des Berliner Gesundheitswesens am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Berlin-Forschungen, Bd. 1, hrsg. von W. Ribbe (= VHKB, Bd. 54), Berlin 1986, S. 198 ff. 197 Vgl. Bassewitz, Kurmark 1806, S. 297 ff. 198 Vgl. Clauswitz, Städteordnung, S. 32 f. 199 Vgl. Bassewitz, Kurmark 1806, S. 257 f. u. 297. 200 A. a. 0., S. 298. 201 A. a. 0., S. 297. 202 A. a. 0., S. 220. Die Zahl schließt nur die Einnahmen aus Akzisegefälle ein, weitere 16516 Taler wurden aus Berliner Zollgefällen eingenommen, so daß nach

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Drittel der reinen Geldeinnahme des Staates aus der Kurmark Brandenburg ausmachte, die im genannten Etatsjahr abgerundet 3948000 Taler betrug. 203 Die staatlichen Einnahmen aus der städtischen Akzise hatten sich vom Ausgang des 17. Jahrhunderts bis zum Jahre 1742 von 85000 auf 319000 Taler gesteigert, für das Jahr 1787 wurde eine Summe von zirka 915000 und zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits 1215000 Taler erreicht?04 Wenn schon die Höhe der Berliner Akzise das staatliche Aufkommen für die städtischen Wohlfahrtseinrichtungen sowie die kommunalen Sicherheits- und Versorgungsaufgaben rechtfertigte, so lag doch in der Abhängigkeit der Stadt von staatlichen Zuschüssen ein erheblicher Unsicherheitsfaktor für die Entwicklung der Stadtgemeinde. Da die Staatsverwaltung keine dem Bedürfnis der städtischen Einrichtungen entsprechenden Voranschläge aufstellte, vielmehr für das Armenwesen, die Pflasterung, Reinigung, Beleuchtung etc. nur die jeweils verfügbaren Mittel verwandte, unterlagen die öffentlichen Anstalten Berlins einer ungeregelten Wirtschaftsführung, die letztlich für auftretende Mängel bei den Vorsorgeleistungen verantwortlich waren?05 Die finanzielle Ungeregeltheit der staatlichen Kommunalverwaltung und damit auch der Stadtentwicklung wollte die Reformbürokratie nicht länger dulden. Man sah wohl auch, daß ein sich seiner bürgerlichen Freiheit bewußt werdendes Stadtbürgertum nur allzuleicht aus dem hohen kommunalen Steueraufkommen Forderungen für vermehrte Aufwendungen zum Ausbau der städtischen Einrichtungen hätte ableiten können. Durch die finanziellen Kriegsfolgen wurden die Kommunalhaushalte wie die Bürgervermögen außerordentlich belastet. Das Land litt allgemein unter der wirtschaftlichen Inanspruchnahme durch die französische Besatzung, die Kursverluste der preußischen Scheidemünze und der Tresorscheine schufen weitere Belastungen?06 Die Stadt Berlin hatte bis zum Abzug der französischen Besatzungstruppen an Kosten für Lieferungen zum Unterhalt der Armee, an Verwaltungskosten und Kontributionen einschließlich der Geldwert- und Kursverluste für Staatspapiere etwa 6,919 Millionen Taler aufzubringen, die von der gesamten Einwohnerschaft zu tragenden EinquarAbzug der Verwaltungskosten dem Staat Einnahmen von etwa 1212000 Taler aus der Stadt Berlin zugeführt wurden. 203 Bassewitz, Kurmark 1806, S. 297. 204 Die zuletzt genannte Zahl für das Jahr 1801. Alle Angaben nach Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 1, S. 71. Vgl. auch Ouo Wiedfeldt, Statistische Studien zur Entwicklungsgeschichte der Berliner Industrie von 1720 bis 1890 (= Staats- und sozialwissenschaftliche Studien, Bd. 16,2), Leipzig 1898, S. 53. 205 Vgl. Clauswitz, Städteordnung S. 34. 206 Vgl. dazu Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg im Zusammenhange mit den Schicksalen des Gesamtstaates Preußen während der Zeit vom 22. Oktober 1806 bis zum Ende des Jahres 1808, von einem ehemaligen höheren Staatsbeamten, Leipzig 1852, Bd. 2, S. 127 ff.

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tierungen machten nochmals 8,631 Millionen Taler aus.z°7 Ende Dezember 1808 lag auf der Landeshauptstadt eine Schuldenlast von fast 5 Millionen Talern, deren Hauptteil, etwa 3 Millionen, in fünfprozentigen Stadtobligationen bestand. Außerdem waren für Teile der Wechsel und Schuldverschreibungen die doppelte Summe des Wertes in Stadtobligationen in Pfand gegeben, so daß bei Zahlungsverzug oder ausbleibender Prolongation eine neue Schuld in Höhe dieser Obligationen, etwa 1,31 Millionen Taler, hinzukam. 208 Die hohe Verschuldung ließ sich mit der alten Gemeindeverfassung nicht mehr handhaben. Die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden war nur zu erhöhen, wenn einerseits alle beschränkenden Regelungen der Gewerbetätigkeit, andererseits die Zersplitterung der Einwohnerschaft und die begrenzte Kompetenz des Magistrats als Ortsobrigkeit aufgehoben wurde. Der Magistrat konnte nur diejenigen Einwohner besteuern, denen er als kommunale Administration übergeordnet war. Nur an die eigentliche Bürgerschaft konnte er Forderungen stellen, die eximierte Bevölkerung stand dagegen außerhalb seines Einflußbereiches. Von den 155706 Einwohnern, die Berlin ohne die Militärpersonen zählte, gehörten nur 12862 zur Bürgerschaft, d. h. nicht mehr als 8,2 Prozent. Selbst wenn nach dem Bratringschen Aufnahmen von einem Bevölkerungsanteil der unter und über zehnjährigen Kinder von knapp zwei Fünftein ausgegangen wird, erhöhte sich der der Ortsobrigkeit unterstehende Teil der Einwohnerschaft lediglich auf 13,8 Prozent. 209 Bei diesen Verhältnissen konnte kaum davon gesprochen werden, daß der städtische Magistrat als Administration einer Stadtgemeinde fungierte, von einer kommunalen Körperschaft, einer Gemeinde, die wirklich den Stadtbezirk beherrschte, war nicht auszugehen. So drängten auch finanzpolitische Motive zur Kommunalreform. 210 Die Neuordnung des Städtewesens setzte eine völlige Umwälzung der städti207 Bassewitz, Kunnark 1806-1808, Bd. 1, S. 289, 293 u. 302; Bd. 2, S. 271 ff. Vorstellung des Comite administratif und der Kommission der 58 zu Berlin an Kaiser Napoleon, 17. Juli 1807, in: Hennann Granier, Berichte aus der Berliner Franzosenzeit 1807-1809. Nach den Akten des Berliner Geheimen Staatsarchivs (= Publikationen aus den königlich preußischen Staatsarchiven, Bd. 88), Berlin 1917, S. 5. Max ArendtiEberhard Faden/Otto-Friedrich Gandert, Geschichte der Stadt Berlin. Festschrift zur 700-Jahr-Feier der Reichshauptstadt, Berlin 1937, S. 301 f. Mieck, Von der Refonnzeit zur Revolution (1806-1847), in: Geschichte Berlins, Bd. 1, Von der Frühgeschichte bis zur Industrialisierung, hrsg. von W. Ribbe, München 1987, S. 407-441, insbesondere S. 428 ff. 208 Clauswitz, Städteordnung, S. 51 f. 209 Böckh, Bevölkerungsaufnahme 1875, H. 1, Berlin 1878, S. 7 u. 24 f. Der Bevölkerungszustand Berlins im Jahre 1804, in: Neue berlinische Monatszeitschrift, Bd. 13 (1805), S. 173 ff. Die hier angegebenen Zahlen zeigen Abweichungen von Bratring, Statistisch-topographische Beschreibung, Bd. 2, S. 159.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

schen Haushalte in Gang, deren Bewältigung den Kommunen erhebliche finanzielle und organisatorische Leistungen abverlangen sollte. Angesichts der Finanzmisere Berlins stellte Oberpräsident Sack fest, daß die Hauptstadt "in der verlegensten Lage ist, worin sich eine Stadt befinden kann"? 11 Früher verwandte der Staat jährlich große Summen auf die Entwicklung der Stadt, die jetzt mittelbar von ihr gefordert wurden. Auf Grund der städtischen Schulden und des Mangels an einem hinreichendem produktiven Vermögen war Berlin kaum in der Lage, die nach der Städteordnung geforderten Haushaltsmittel aufzubringen. "Selbst die angestrengtesten Bemühungen werden kaum vermögen", resümierte der Oberpräsident, "sobald es nöthig ist den Finanz-Zustand der Sta(dt) Berlin zu regulieren"?12 Es verwunderte daher nicht, daß sich Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit unter der Bevölkerung breitmachte. 213 Daß die Wahmehmung des eigenen Geschäftskreises sich innerhalb der Gemeinden auf die Vermögensverwaltung bezog, wurde auch daran deutlich, daß die Städtereform allgemein den Gemeinden die Ausübung der Gerichtsbarkeit sowie der Polizei verwaltung entzog und beim Staat monopolisierte. Vor allem sollten den Kommunen nicht die polizeilichen Funktionen kraft eines besonderen Gesetzes überlassen werden, da sie einen unveräußerlichen Teil der staatlichen Gewalt darstellten. 214 Die Reformbürokratie wollte die Polizei unterdessen von der Ausführung der "Polizeirnaßregeln" bzw. von der Verwaltung der polizeilich angeordneten "Anstalten und Leistungen" entlasten, indem sie den Magistraten in Verbindung mit den Repräsentanten der Bürgerschaft übergeben wurden?15 Polizeianordnungen, etwa bei der Verwaltung der Armen-, Schul-, Reinlichkeits- und Gesund210 Vgl. Ziekursch, Ergebnis, S. 190 f. Witzleben, Staatsfinanznot, Stuttgart 1985, S. 119 ff. Nolte, Staatsbildung, S. 57 f. 211 Sack an Minister des Innem Graf Dohna, 29. August 1809, in: Granier, Berichte, S. 510. 212 A. a. 0., S. 511. Zur Lösung der städtischen Finanzprobleme siehe unten Kap. 4. 213 Im Widerspruch zu Sacks Einschätzung der Stimmungslage in der Hauptstadt steht die Bemerkung des Polizeipräsidenten Gruner, der sie zur gleichen Zeit als "vortrefflich" charakterisierte. Gruner an Graf Dohna, 26. August 1809, in: Granier, Berichte, S. 510. Eine der Einschätzung Sacks ähnliche Beobachtung für die schlesischen Städte bei Ziekursch, Ergebnis, S. 190. 214 Siehe Gierke, Städteordnung, S. 374. Heffter, Selbstverwaltung, S. 96. Harald Schinkel, Polizei und Stadtverfassung im frühen 19. Jahrhundert. Eine historischkritische Interpretation der preußischen Städteordnung von 1808, in: Der Staat, Bd. 3 (1964), S. 330 f. Hans-Hermann Dehmel, Übertragener Wirkungskreis, Auftragsangelegenheiten und Pflichtaufgaben nach Weisung, Berlin 1970, S. 33 f. Im Grundsätzlichen auch Preuß, Entwicklung, S. 248 ff. 215 Schroetter an Frey, 3. August 1808, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 703 f. Frey an Schroetter, 29. August 1808, in: A.a.O., S. 801.

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heitspolizei, wird man, erläuterte Freiherr von Schroetter, "ohne Nachteil für die Sache meistens den Repräsentanten der Bürgerschaft überlassen können, die eine solche am besten bewirken werden, weil die ganze Kommune bei den mehrsten Polizeianstalten hauptsächlich interessiert ist, den Repräsentanten und Bürgern die Mängel am ersten bekannt werden und jene das Vertrauen verdienen, daß sie zum Besten des Ganzen die Stadt mit der größten Aufmerksamkeit und möglichsten Kostensparung für die gute Ausführung sorgen werden".216 Schroetter hoffte durch die Teilnahme der Bürgerschaften die Kosten der städtischen Administration auf Dauer vermindern zu können. Durch die unter Aufsicht des Magistrats zu vollziehende Mitwirkung der Bürgerschaft an der Polizeiverwaltung217 wurde den Gemeinden eine Teilhabe an der Staatsverwaltung eröffnet. Eine Teilhabe, die um so berechtigter war, als die Gemeinden die Kosten für die einzelnen Anstalten selbst aufbringen mußten. Es war daher nur ein Gebot der Gerechtigkeit, wie Freiherr von Vincke anmerkte, "den Untertanen den Grad von bürgerlicher Freiheit durch bestimmten gesetzlichen Anteil an der Staatsverwaltung einzuräumen, welchen sie ohne Nachteil des Ganzen zu ihrem eigenen wesentlichen Vorteil genießen mögen, welcher sie allererst eigentlich zu Staatsbürgern erheben kann".218 Die kommunale Mitwirkung an den örtlichen wohlfahrts polizeilichen Anstalten schuf, wie Bieback richtig feststellt,219 einen besonderen polizeilichen Aufgabenbereich der Gemeinden, der zwischen der staatlichen Auftragsverwaltung und der eigenen Kommunaladministration einzuordnen war. Die vorgeschriebene Partizipation in Deputationen und Kommissionen ließ sowohl die Repräsentanten als auch die Stadtbürger selbst an der ausführenden Verwaltung teilnehmen. Während die Städteordnung demnach auf dem Gebiet der Finanz- und Vermögens verwaltung eine selbständige Gemeindeadministration einrichtete, waren die Kommunen bei der ErlediSchroetter an Frey, 3. August 1808, in: A. a. 0., S. 704. Die Teilnahme an der Polizeiverwaltung bzw. an der Verwaltung der Polizeianstalten unterlag der Administration durch Deputationen und Kommissionen, die der Aufsicht und Kontrolle des Magistrats unterstanden. Vgl. § 178, Lit. f u. § 179, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 348 ff. Siehe dazu auch weiter unten. 218 Vincke, Denkschrift, Unterbehörden - Kommunalverwaltung, 3. August 1808, in: ScheellSchmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 720. 219 Bieback, Körperschaft, S. 90. Bieback unterläßt es indessen, die besonderen Polizeiaufgaben der Gemeinden als eine Form der Teilnahme an der Staatsadministration zu qualifizieren. Das sieht hingegen Schinkel, Polizei, S. 316 f. u. 332 f., richtig, dem Bieback zu Unrecht unterstellt, er übersehe die Sonderstellung dieser Polizeiaufgaben und erblicke in ihrer kommunalen Zuweisung allein Kompetenzregelungen zwischen den Organen der Gemeinden. Vgl. auch Grzywatz, Staat und Gemeinde, S. 33 f. 216 217

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

gung der besonderen Polizeiaufgaben an die allgemeinen Regelungen des Staates gebunden. Schroetter verlangte bei der Zuweisung dieses Geschäftskreises nur, daß der Magistrat "überall Disponent in den Polizeianordnungen" blieb und die Ausführung kontrollierte. Darüber hinaus mußten diejenigen "Branchen der Polizei" und die jeweiligen Grenzen festgelegt werden, bis zu denen der Staat die Bürgerschaften durch ihre Repräsentanten an der Polizeiverwaltung wie der Beurteilung der Polizeimaßregeln teilnehmen ließ und inwieweit ihnen deren Ausführung "ganz oder unter Modalitäten" überlassen werden konnte. 22o Frey teilte die Auffassung Schroetters weitgehend. Nur an der "Polizeiaufsicht" durften die städtischen Bürgerschaften durch ihre Repräsentanten nicht teilhaben und ebensowenig konnten die Magistrate in dieser Hinsicht Disponent der Anordnungen sein, während es unbedenklich erschien, den Gemeinden die Administration der besonderen Polizeianstalten unter Mitwirkung der Bürgerschaften zuzuweisen. Frey lehnte es nur ab, die Gemeinderepräsentationen als solche auch zu einer Verwaltungsbehörde zu machen. Die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten wie der besonderen Polizeianstalten sollten prinzipiell bei der Magistratur ressortieren, den Bürgerschaften hingegen überhaupt die Mitwirkung eingeräumt werden, sowohl durch gewählte Mitglieder der Repräsentationen als auch der Bürgerschaft selbst. 221 Diesem Prinzip folgte schließlich das Kommunalrecht. Um das komplexe Verhältnis zwischen Polizeiaufsicht und besonderen Polizeifunktionen der Gemeinden zu verdeutlichen, sei auf eine Erläuterung von Streckfuß hingewiesen. Danach oblag den Gemeinden beispielsweise die Pflicht, erklärte er, das städtische Schulwesen zu unterhalten, insbesondere den Armenkindern den erforderlichen Unterricht zu ermöglichen. Darüber, ob die Gemeinde diese Verbindlichkeit zu erfüllen hatte, konnte den Stadtverordneten-Versammlungen ebensowenig eine entscheidende Stimme zustehen wie darüber, ob sie ihre Straßen pflastern, ihre Feuerlöschanstalten unterhalten, die Vagabunden aufgreifen oder andere polizeiliche Verbindlichkeiten erfüllen mußten. Nicht minder fiel die Entscheidung der Frage, ob durch das, was bereits geschehen, den Verbindlichkeiten Genüge getan war, in städtische Kompetenz. Denn es lag in der Natur der Sache, so Streckfuß, daß der Verpflichtete nicht diejenige Behörde war, die darüber entschied, ob eine Verpflich220 Schroetter an Frey, 3. August 1808, in: ScheellSchmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 704. 221 Frey an Schroetter, 29. August 1808, in: A. a. 0., S. 802. Zur Entstehungsgeschichte der Polizeiregelungen siehe Clauswitz, Städteordnung, S. 78 ff., 85, 87 ff. u. 92. Winkler, Frey, S. 132 f.

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tung zu erfüllen oder ob sie bereits hinreichend ausgeführt war?22 Die Entscheidung stand allein den staatlichen Behörden zu, welche damit die Magistrate als ihre örtlichen Organe beauftragten oder die vor Ort errichteten staatlichen Ortspolizei behörden. Innerhalb der Reformbürokratie herrschte große Zuversicht, daß die Bürgerschaften "guten Polizei anstalten" die größte Aufmerksamkeit und auch die nötige Rücksicht auf Kostenersparnis bei der Ausführung entgegenbrachten, da einerseits die staatliche Polizeiaufsicht garantiert war, andererseits durch die bürgerschaftliche Partizipation die Autorität der Polizeigewalt gestärkt wurde und nicht zuletzt die Interessen der Bürgerschaft berührt waren. 223 Dieser Optimismus sollte sich jedoch als verfehlt erweisen. In den Städten bestand keineswegs eine quasi naturgegebene Neigung, aus Rücksichten auf das Gemeinwohl kommunale Investitionen vorzunehmen. Der staatlichen Intervention wurde hier im Zuge der Urbanisierung ein weiter und wichtiger Tätigkeitsbereich zugewiesen. 224 Es entsprach dem Reformziel einer selbständigen kommunalen Vermögensverwaltung und der städtischen Pflicht, die Mittel für die angeordneten Polizeianstalten aufzubringen, daß die Gemeindereform zunächst den Kommunen ein von staatlicher Genehmigung befreites Besteuerungsrecht einräumte. Es geschah nicht, wie Heffter etwa meint,225 weil die Ministerialbürokratie die künftigen Möglichkeiten steuerlicher Autonomie gar nicht erkannte. Ordnungspolitische Gesichtspunkte haben die Staatsregierung zu Beginn der zwanziger Jahre veranlaßt, die kommunale Schuldenaufnahme und die Besteuerung von der staatlichen Genehmigung abhängig zu machen. Mit der Verabschiedung der Revidierten Städteordnung wurde der Versuch einer allgemeinen gesetzlichen Regelung unternommen, die nach der Konstitutionalisierung des preußischen Staates auch im Geltungsgebiet der östlichen Städteordnung durchgesetzt wurde. 226

222 Streckfuß, Städteordnung, S. 84. Siehe auch Frey über die Wirksamkeit der Polizei in bezug auf die unter der Administration des Magistrats stehenden Polizeianstalten, 18. September 1808, mit weiteren Beispielen, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 855 ff. 223 Vgl. Vincke, Unterbehörden - Kommunalverwaltung, 3. August 1808, in: A.a.O., S. 718. Stein an Schroetter, 25. August 1808, a.a.O., S. 793. Geheimer Oberfinanzrat von Auerswald, Entwurf eines Plans zur Organisation der Kriegs- und Domänenkammern, (9. September 1808), a.a.O., S. 810 ff. 224 Siehe dazu auch die Anmerkungen in Kap. 4, Unterabschnitt 6. Grundsätzlich zu diesem Problem, am Berliner Beispiel erläutert, Grzywatz, Der Staat und die Metropole, S. 209 ff.; ders., Metropolitane Infrastuktur, S. 181 ff. 225 Heffter, Selbstverwaltung, S. 96. Vgl. ebenso Ritter, Stein, S. 264. 226 Vgl. schon § 45, Tit. 2 u. § 107, Tit. 3, GO 1850. GS 1850, S. 225 u. 239.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Mit der Übertragung eines staatlichen Wirkungskreises und der Partizipation an der Staatsverwaltung begründete das reformierte Kommunalrecht eine relativ starke Einbindung der Gemeinden in den Staat. 227 Das Verhältnis von Staat und Gemeinden war so geregelt, daß die Gemeinden unter Gewährung von Selbstverwaltungsrechten in den angestrebten Einheitsstaat integriert wurden. In der vormärzlichen Kommunalrechtsdiskussion war das Verhältnis von Magistrat und Stadtverordneten für jenen Geschäftsbereich, der nicht mit dem inneren Haushalt der Gemeinden in Verbindung stand, sondern aus der Verpflichtung resultierte, bestimmte Verbindlichkeiten gegen den Staat und dritte Personen nach vorhandenen Gesetzen und Verordnungen einzulösen,228 allerdings nicht unumstritten. Zu diesem Bereich gehörten, wie schon angemerkt, das Schulwesen, die Armenfürsorge und sozialen Arbeitseinrichtungen, Servis- und Einquartierungssachen, Wege- und Straßenunterhaltung, Feuersozietäten und Feuerlöschanstalten oder die Abgaben zu den Kreis- und Provinzialverbänden. Konservativ geneigte Kritiker der Städteordnung monierten, daß die Stadtverordneten diese "nicht als reine Communal-Angelegenheiten zu betrachtenden Verwaltungsgeschäfte,,229 ebenfalls kontrollierten, indem die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel an ihre Entscheidung gebunden war. Der Staat konnte sich nach ihrer Ansicht bei Bildungs-, Wohlfahrtsund Sicherheitseinrichtungen, die auf allgemeinen Bedürfnissen beruhten, nicht von der Zustimmung einzelner Kommunen abhängig machen. In den Gemeinden mußte zumindest für ein Gleichgewicht der politischen Macht gesorgt werden, damit die Magistrate nicht nur im Falle gesetzwidriger Ge227 So auch Nolte, Staatsbildung, S. 59. Autoren wie Ritter und Heffter, deren Interpretation der Städteordnung vornehmlich vom Selbstverwaltungsgedanken geprägt ist und die Selbstverwaltung weitgehend als Unabhängigkeit vom Staat verstehen - Ritter spricht in diesem Zusammenhang von "Selbstverwaltung in höherem Sinne" -, wird der tragende integrative Aspekt der Kommunalreform nicht genügend Beachtung geschenkt, was sie vor erhebliche Erkenntnisprobleme stellt. So beklagen sie den Verlust älterer städtischer Hoheitsrechte sowie den Einfluß der Polizei auf die Stadtentwicklung und wundem sich, daß die Reformer nicht bemerkt haben, wie durch deren Funktionen die Kommunalverwaltungen von neuem der Gefahr bürokratischer Bevormundung ausgesetzt wurden. Ritter, Stein, S. 262; Heffter, Selbstverwaltung, S. 96. Von der Unkenntnis neuer Gefahren kann indessen keine Rede sein. Das Reformziel hieß, wenn man es etwas verkürzt zusammenfassen will, Selbständigkeit und Teilnahme an der Staatsverwaltung unter Wahrung der staatlichen Hoheitsrechte. Dafür mußte eine praktikable Organisationsform gesucht werden: Die Reformer fanden sie einerseits in der Definition eines eigenständigen und übertragenen Wirkungskreises der Kommunen, andererseits in der personalen Verknüpfung von staatlicher und gemeindlicher örtlicher Verwaltungstätigkeit im Magistrat sowie den Beschlußrechten der Gemeinderepräsentationen. Zum Polizeibegriff der Städteordnung ausführlich weiter unten. 228 Wehnert, Städteordnung, S. 24 f. Streckfuß, Städteordnung, S. 83 f. 229 Wehnert, Städteordnung, S. 25.

5. Das Verhältnis der Kommunalkörperschaften

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meindebeschlüsse, sondern auch im Falle "schädlicher", d.h. dem Gemeinwohl zuwider laufender Entscheidungen der Stadtverordneten-Versammlungen ihre Zustimmung versagen und notfalls die Regierungen als "schiedsrichterliche Behörde(n)" eine Einigung herbeiführen konnten. 23o Obwohl die vorgeschlagenen Regierungseingriffe grundsätzlich weder die Autonomie noch den freien Spielraum der Städte einschränken sollten und eher als Ausgleichsfunktion gedacht waren,231 rührten derartige Regierungsentscheidungen nach liberaler Auffassung an der "wesentlichsten Grundlage" des Kommunalrechts, nämlich der Unabhängigkeit des städtischen Haushalts?32 Regierungseingriffe unterlagen zudem der Gefahr der Administrationsferne, sie konnten leicht auf ungenauen Orts- und Personenkenntnissen beruhen und damit einen Fehler des früheren Kommunalsystems wiederholen. Für die liberale Kritik hatte die Frage der Zuständigkeiten im Falle der kommunalen Verbindlichkeiten gegenüber dem Staat schon die Städteordnung geregelt. Die Gemeinden waren gezwungen, die ihnen gesetzlich obliegenden Pflichten zur "Erhaltung der öffentlichen Sicherheit, Wohlfahrt und Ordnung,,233 zu erfüllen. Die Entscheidung hierüber lag ausschließlich beim Staat, der zur Ausführung einzelner Bedürfnisse in den Magistraten über ein örtliches Organ234 verfügte, daß eine Gemeinderepräsentation unter Umständen auch gegen ihren Willen zur Erfüllung eines allgemeinen Bedürfnisses anhalten oder die Ausführung gar selbst vornehmen konnte. 235 Der Magistrat war mithin kein willenloses Organ, als "Beauftragter der Staatsgewalt,,236 sorgte er im kommunalen Bereich für die Inangriffnahme und Erledigung gesetzlicher Verbindlichkeiten der Gemeinde. 5. Das Verhältnis der Kommunalkörperschaften und die reformierte Staatsaufsicht

Bei der Regelung des Verhältnisses von Staat und Gemeinde einerseits, von Gemeinderepräsentation und Magistrat andererseits mußten die integrativen Zielsetzungen des Kommunalrechts eine entscheidende Rolle spielen. Ebenso wie beim kommunalen Selbstbesteuerungsrecht oder bei der kommunalen Schuldenpolitik konnte es dem Staat im Falle der gesetzlichen 230 231 232 233 234 235 236

A a. 0., S. 26 ff. A a. 0., S. 28. Streckfuß, Städteordnung, S. 92. A a. 0., S. 83. Dazu ausführlich weiter unten. Streckfuß, Städteordnung, S. 84 ff. Aa.O., S. 85.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Verpflichtungen der Städte nicht gleichgültig sein, ob das Kommunalrecht möglicherweise einem örtlichen Partikularismus Vorschub leistete. Die Städteordnung stellte zwar die Verwaltungen der Deputationen und Kommissionen unter die Aufsicht und Kontrolle des Magistrats, er mußte die von den Stadtverordneten gewählten Mitglieder bestätigen,237 aber die Gemeindevertretung konnte wiederum die Geschäftsführung des Magistrats durch eigene Deputationen untersuchen lassen und im übrigen machte sie gerade die deputative Verwaltung zu einem zentralen Element der bürgerschaftlichen Partizipation,238 indem jene Gemeindeangelegenheiten, die mit "Administration verbunden" waren, den sich vorwiegend aus Stadtverordneten und Bürgern zusammensetzenden Deputationen und Kommissionen übergeben wurden. 239 Der Magistrat hatte die Möglichkeit, die Einführung neuer Gemeindeeinrichtungen und -anstalten zu beantragen, entsprechende Vorschläge der Stadtverordneten waren von seiner Zustimmung abhängig oder er war zumindest zur Prüfung verpflichtet,240 aber im wesentlichen blieb der Magistrat, soweit die eigentlichen Gemeindeangelegenheiten berührt waren, eine ausführende Behörde?41 Das veranlaßte die Gemeinderepräsentationen im vollen Bewußtsein ihres "Budgetrechts" mitunter, "alles ohne Ausnahme in der Stadt lediglich nach ihrem Gutdünken leiten,,242 zu wollen. Wenn überhaupt von einer Gewaltenteilung 243 zwischen der Gemeinderepräsentation und der Ortsobrigkeit gesprochen werden konnte, dann im Be§ 175, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 347. § 183, Lit. f u. § 175, Tit. 8, StO 1808. Ebd. u. S. 352. 239 § 175, Tit. 8, StO 1808. A.a.O., S. 347. Bieback, Körperschaft, S. 87, irrt, wenn er die Deputationen nur der allgemeinen Aufsicht der Magistrate unterworfen sieht, sie ansonsten aber als "völlig frei entscheidende, selbständige Organe der Stadt" einschätzt. Die jeweiligen Magistratsmitglieder führten den Vorsitz in den Deputationen, ihre Stimme entschied bei Stimmengleichheit. Die Magistrate konnten jederzeit eine Erhöhung der Zahl der Bürgerschaftsmitglieder verlangen, sie allein durften an die Staatsbehörden berichten und hafteten diesen gegenüber als "Kontrolleur" der Deputationen subsidiarisch für den ordentlichen Geschäftsbetrieb und die Befolgung der gesetzlichen Vorschriften. Vgl. §§ 176, 177, 185 u. 187, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1808, S. 347 f. u. 353. 240 §§ 170--173, Tit. 8, StO 1808. A.a.O., S. 347. 241 Vgl. Rumpf, Vergleichung, S. 288. Eduard Sand, Die Abgrenzung der Befugnisse des Magistrats und der Stadtverordneten nach der Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853, Staatswiss. Diss., Tübingen - Berlin 1913, S. 11. Anny Kratzer, Die Entstehung und Bedeutung der Städteordnung von 1853, PhiI.Diss., Berlin 1930, S. 10 f. 242 Streckfuß, Städteordnungen, S. 42. Zum Verhältnis von Magistrat und Stadtverordneten siehe auch die Gemeinderechtsdiskussion der späten zwanziger Jahre; vgl. unten Kap. 4. 243 Dieser Begriff findet sich noch bei Koselleck, Preußen, S. 565. Richtig dagegen von Unruh, der die Einheit der Gemeindegewalt als grundlegendes Prinzip der 237 238

5. Das Verhältnis der Kommunalkörperschaften

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reich der Haushalts- und Steuerpolitik. Auf die Feststellung der Kosten für die Polizei- und Justizverwaltung hatten die Städte überhaupt keinen Einfluß, sie lag ausschließlich in der staatlichen Kompetenz. Die in kommunaler Regie verbleibenden "Gemeingeldbedürfnisse" stellte allein der Magistrat zusammen. Er schlug mit Rücksicht auf die Kämmereietats und Rechnungsabschlüsse die Art der Deckung vor, während die Stadtverordneten über die Notwendigkeit und die Höhe der beantragten Mittel sowie die Verteilung der Lasten unter die Bürger und Schutzverwandten entschieden. Der Magistrat mußte indessen prüfen, ob der Beschluß der Gemeinderepräsentation "Gefahr für das Gemeinwesen oder die Erreichung der Staatszwecke" befürchten ließ. 244 Wenn es zu keiner Einigung mit der Gemeinderepräsentation kam, stand dem Magistrat der Rekurs an die Oberlandes behörde offen. Die Potsdamer Regierung stellte Ende Dezember 1811 nachdrücklich fest, daß die Magistrate die Entscheidungen der Stadtverordneten, ehe sie Gültigkeit erlangten, zu bestätigen und folglich auch zu prüfen hatten. Das Besteuerungsrecht der Gemeindevertreter bezog sich nur auf die bei der Steuererhebung anzulegenden Grundsätze. Sie durften sich weder in irgendeinen Teil der Ausführung, etwa bei der Anlage der Steuerrollen, noch in die "wirkliche Darstellung der Mittel" einmischen. 245 Nach staatlicher Auffassung gestattete die Städteordnung darüber hinaus nur, die erforderlichen Haushaltsmittel durch eine direkte Besteuerung der Stadteinwohner aufzubringen. Indirekte Abgaben, wie Brücken-, Tor- und Weg zölle, Handelsoder Konsumtionsabgaben durften nicht erhoben werden, da sie teils in das staatliche Steuersystem eingriffen, teils die Lasten von der Stadtgemeinde auf andere abwälzten, die keine Verbindlichkeiten gegenüber der Kommune hatten. 246 Die spätere Deklaration zur Städteordnung schränkte das Besteuerungsrecht der Gemeinderepräsentation auf die Festlegung der Grundsätze ein, nach denen die Beiträge der Einwohner erhoben werden sollten. Die Repartition der Abgaben nach diesen Grundsätzen gehörte als Ausführungssache allein zur Kompetenz der Magistrate?47 Städteordnung betont. Aus diesem Grund war der Magistrat nur "abhängiges Vollzugsorgan", während seine selbständige Exekutivgewalt sich auf den Bereich des übertragenen staatlichen Wirkungskreises bezog. Veränderungen, S. 417. 244 § 184, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1808, S. 352 f. Zur Entstehung dieses Paragraphen und der Arbeit des Geheimen Kriegsrats WiIckens am Entwurf der Städteordnung Clauswitz, Städteordnung, S. 68 f., 85 u. 90. Meier, Reform, S. 270 f., 275, 473 u. 480 f. Ritter, Stein, S. 263 f. 245 Verfügung der Regierung zu Potsdam, 28. Dezember 1811. Rumpf, Städteordnung, S. 162 f. Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 546 f. 246 Verfügung der Regierung zu Gumbinnen, 5. März 1821. APSV, Bd. 5 (1821), S. 88 f. Siehe dazu Streckfuß, Städteordnung, S. 115 f.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Langfristig mußte die Stellung der kommunalen Exekutive ebenso gestärkt und insbesondere eine präzise Unterscheidung zwischen der doppelten Eigenschaft des Magistrats als Verwalter der städtischen Gemeindeangelegenheiten und als örtliches Organ der Staatsgewalt getroffen werden,248 wie die Autonomie der Städte im Falle der kommunalen Steuer- und Finanzpolitik zu beschränken war. Die Städteordnung von 1808 führte also bereits die bis ins 20. Jahrhundert aufrechterhaltene Unterscheidung zwischen dem eigenen und übertragenen Wirkungskreis der Gemeinden ein,249 erkannte damit aber nicht einen von "Natur" aus gegebenen Bereich städtischer Autonomie an, der vielleicht gar auf einem partiellen Antagonismus von Staat und Kommune ruhte, sondern suchte nur eine funktionale Abgrenzung der administrativen Aufgabengebiete vorzunehmen. Die Einbindung der Kommune in den Staat fand auch einen direkten organisatorischen Ausdruck, indem das Stadtoberhaupt, mithin der Magistrat, zugleich Gemeindevorstand und Organ der örtlichen Staatsverwaltung war. Diese Konstruktion machte es nicht schwer, wie Altenstein vortrug,250 dem Städtebürgertum die unbeschränkte Verwaltung ihres Gemeinwesens zu übergeben, sie von bisheriger Vormundschaft zu befreien und gleichsam für mündig zu erklären, die Einwirkung des Staates aber auf die "bloße Aufsicht" zu beschränken. Eine Aufsicht, die sich mit der Prüfung begnügte, ob nichts gegen die Zwecke des Staates vorgenommen und die bestehenden Gesetze befolgt wurden. Der Staat erfüllte seine Aufsichtspflichten gegenüber den Städten durch allgemeine Kenntnisnahme über den Zustand des Gemeinwesens, die Bestätigung der ersten Magistratspersonen sowie die Entscheidung von Streitigkeiten innerhalb der Bürgerschaft. 251 Bei der Schlußberatung der Städteordnung war man allerdings einstimmig zu der Überzeugung gekommen, eine "Oberaufsicht des Staates" ausdrücklich vorzubehalten, deren Ausübung durch Rechnungseinsicht über das Gemeindevermögen, Verfügung über Beschwerden, Bestätigung neuer Statuten und Genehmigung der Magistratswahlen zu vollziehen war. Diese Aufsichtsbefugnisse wurden in den Eingangstitel der Städteordnung aufgenommen, verbunden mit einem allgemeinen Aufsichtsvorbehalt des Staates. Durch den Vorbehalt wurde die Geschäftsführung des Magistrats, d. h. jene auf den inneren Haushalt der Gemeinden bezogenen Tätigkeiten, der staatlichen Kontrolle unterworfen, 247 Deklaration zu § 184, Kabinets-Ordre vom 4. Juli 1832 die die Städte-Ordnung vom 19. November 1808 ergänzenden und erläuternden Bestimmungen betreffend. GS 1832, S. 190. 248 A.a.O., S. 4l. 249 Schön, Recht, S. 200. Meier, Reform, S. 316. 250 Ebd.; ders., Einflüsse, Bd. 2, S. 505. Grumbkow, Kommunalaufsicht, S. 25 f. 251 Meier, Reform, S. 316.

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sei es nun, daß diese von der Provinzialpolizeibehörde, dem zuständigen Departementsrat oder von jeder anderen dazu angewiesenen Behörde mit dem Recht auf Auskunft und Berichterstattung ausgeübt wurde. 252 Die Wirkungsmächtigkeit der Aufsicht zeigte sich besonders deutlich in der Abhängigkeit des kommunalen Satzungsrechts von der Prüfung und Genehmigung durch die Landesbehörde. 253 Selbst wenn die Gemeinden im allgemeinen vom Recht der Statutenfestsetzung wenig Gebrauch machten,254 offenbarte die Satzungsregelung, daß die Städte ihr Recht allein durch staatliche Verleihung empfingen, denn nur der Staat war befugt, das Statut zur allgemeinen Norm für die Zukunft zu erklären oder aufzuheben. Die Prüfung der Landesbehörde bezog sich zunächst darauf, ob die zur Aufnahme in das Orts statut bestimmten "Privilegien und Konzessionen" den Bestimmungen der Städteordnung widersprachen oder nicht. Weiterhin war zu beurteilen, ob die hinsichtlich der Verteilung der Gewerbe unter die Bürger und Schutzverwandten getroffene Entscheidung für die Gemeinde vorteilhaft war oder nicht, d. h. die Prüfung wurde nicht unter dem Gesichtspunkt von Recht und Zweck des Staates vorgenommen, sondern unter dem eudämonistischen des Gemeindewohls, womit das freie Ermessen der Staatsbehörde den Ausschlag gab?55 Die Abänderungen bestehender Einrichtungen im Gemeinwesen, waren, einerlei, ob sie von der kommunalen Exekutive oder der Gemeindevertretung beantragt wurden, von der Ortspolizeiverwaltung auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfen, wenn die beabsichtige Neuerung bestehende Gesetze, Verfassungen oder höheren Orts genehmigte Einrichtungen veränderte. Soweit die staatliche Ortsbehörde autorisiert war, konnte sie, nachdem die Entscheidung der Provinzialpolizeibehörde eingeholt war, ihre Zustimmung erteilen. Anträge, die sich auf bereits begründete Gemeindeeinrichtungen bezogen, bedurften lediglich der Prüfung und Bestätigung seitens des Magistrats, vorausgesetzt sie hatten der Stadtverordneten-Versammlung zur Begutachtung vorgelegen und standen dem Staat, den Gesetzen und Privatrechten nicht entgegen. Trat dieser Fall ein, war unter begleitenden Begutachten des Magistrats die Entscheidung der staatlichen Behörden erforderlich. 256 Die rechtsetzende Statutenaufstellung hatte man also auch in diesem Fall nicht ausschließlich dem Gemeindewillen überlassen. Späterhin 252 253 254

§ 189, Abs. 3, Tit. 8, StO 1808. A.a.O., S. 354. § 51, Tit. 4, StO 1808. A.a.O., S. 330. Orumbkow, Kommunalaufsicht, S. 34.

A. a. 0., S. 36. §§ 170 bis 172, Tit. 8, StO 1808. OS 1806-1810, S. 347. Zum Aufsichtsrecht der Revidierten Städteordnung vgl. den Unterabschnitt zur Novellierung des Kommunalrechts im Kap. 4, Unterabschnitt 6. 255

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

sollte das Satzungsrecht der Städte zu einer Rechtsquelle von großer Tragweite werden. Ein wichtiger und nicht selten umstrittener Bestandteil der staatlichen Aufsicht war das Bestätigungsrecht. Sämtliche, von der Gemeindevertretung gewählten Magistratsmitglieder mußten von der Provinzialbehörde bestätigt werden. 257 Daß es sich hierbei nicht um eine formelle Kontrolle des Wahlverfahrens handelte, sondern um eine Prüfung der Kandidaten, für die allein das freie Ermessen der Staatsbehörde maßgebend war, wurde durch die Bestimmung begründet, "nur geachtete, rechtliche, einsichtsvolle und geschäftskundige Männer,,258 zum Magistratsamt zuzulassen. Es war nicht zu erwarten, daß die Urteile über das Vorhandensein dieser Eigenschaften stets miteinander korrespondierten und die Regierung sich einer Politisierung ihres Aufsichtsrechtes enthielt. Letztendlich nahm der Staat für sich die Entscheidung darüber in Anspruch, ob die Gewählten ein gemeindeund staatsgemäßes Handeln gewährleisteten oder nicht. Dem Staat stand sogar ein "indirektes Zwangsrecht,,259 zu, indem mit der Verweigerung der Bestätigung die Wiederholung der Wahl erforderlich wurde. Noch entschiedener machte sich der staatliche Einfluß in der für die großen Städte, also für die Gemeinden mit über 10000 Einwohnern,26o getroffenen Sonderbestimmung bemerkbar, daß für den Posten des Oberbürgermeisters drei Kandidaten von der Stadtverordneten-Versammlung präsentiert werden mußten, von denen einer durch landesherrliche Bestätigung zum Oberbürgermeister ernannt wurde?61 Bei der Wahl der Magistratsmitglieder war die Gemeindevertretung immerhin noch das ausschließlich handelnde Organ, bei der Bestellung des Stadtoberhaupts ging der aktive Part auf den Staat über, die Gemeinde traf durch die Präsentation der Kandidaten nur eine Vorbereitung für das Handeln des Staats. Diese Eingriffsmöglichkeit lag durchaus in der Logik des durch die Städteordnung begründeten Verhältnisses von Staat und Kommune, denn einerseits fungierte der Oberbürgermeister, soweit nicht eine selbständige staatliche Polizeiverwaltung in einer Stadt eingerichtet worden war, als Vorsitzender der Ortspolizeibehörde und agierte in dieser Funktion § 152, Tit. 7, StO 1808. A.a.O., S. 343. § 148, Tit. 7, StO 1808. Ebd. 259 Grumbkow, Kommunalaufsicht, S. 38. 260 § 10, Tit. 2, StO 1808. GS 1806-1810, S. 325. 261 § 153, Tit. 7, StO 1808. A.a.O., S. 344. Bieback, Körperschaft, S. 87 f., läßt das landesherrliche Wahlrecht unberücksichtigt. Er greift zu kurz, wenn er die Staatsaufsicht im wesentlichen auf die "strikte Rechtsaufsicht" sowie die Zustimmung zu den Magistratswahlen, die Entscheidung über Beschwerden der Bürger und Genehmigung einiger Grundstücksgeschäfte beschränkt wissen will. Siehe hierzu auch Unruh, Veränderungen, S. 417. 257 258

5. Das Verhältnis der Kommunalkörperschaften

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als dem Staat untergeordneter Beamter, andererseits behielt sich der Staat vor, die Ausübung der Polizei dem kollegialisch organisierten Magistrat "vermöge Auftrags" zu übertragen und ihn in dieser Funktion als Staatsbehörde zu betrachten. 262 In bei den Fällen mußte den quasi vorgesetzten Staatsbehörden daran gelegen sein, sich der Träger der staatlichen Auftragsverwaltung überhaupt zu versichern und insbesondere auf ihre Qualifizierung zu achten. Die Städteordnung von 1808 schuf demnach auch in personeller Hinsicht ein enges Verhältnis zwischen Staat und Kommunen. Dieses Verhältnis war grundlegend und stand keineswegs im Gegensatz zu den späteren gesetzlichen Regelungen, auch wenn sie im einzelnen eine Ausdehnung der staatlichen Aufsichtsrechte enthielten. Die in der Forschung stets von neuem hervorgehobene Liberalität des älteren Städterechts ist wohl zu einem nicht unerheblichen Teil ebenso ein Ergebnis seiner politischen Rezeptionsgeschichte als auch des glücklichen Umstandes, daß die frühe Periode der modernen Gemeindeselbstverwaltung in eine Zeit geruhsamer Urbanität fiel, fernab der Komplexität verdichteter Sozialräume. Die Notwendigkeit staatlicher Aufsicht war, wie noch zu verdeutlichen sein wird, durch innergemeindliche Konflikte, so gering ihre Anlässe auch immer gewesen sein mögen, begründet, insofern erwies sich ihre Korrelatfunktion. Wie die rechtliche Zugehörigkeit zum Staat in dessen Mitwirkung bei der Etablierung des Selbstverwaltungskörpers zum Ausdruck kam, setzte die staatliche Aufsichtsgewalt den als handlungsfähiges Rechtsobjekt geordneten Selbstverwaltungskörper voraus. 263 Der Staat machte ihn zum Gegenstand seiner eigenen Verwaltungstätigkeit im Interesse von "richtiger Arbeit" und "gutem Zustand", wie es die Verwaltungsrechtslehre des späten 19. Jahrhunderts formulierte. 264 Die Aufsicht konnte den Weg des "obrigkeitlichen Rechtsspruchs", der "vorbehaltenen Mitwirkung" oder des "stellvertretenden Handeins" nehmen?65 Handelte der Staat anstelle der Selbstverwaltungskörperschaften, nahm die Aufsicht die Form einer Zwangsmaßregel an. Eine Form, die eben nicht erst durch die Revidierte Städteordnung, sondern bereits durch die nachträglichen Ergänzungen zur Städteordnung von 1808 eingeführt wurde. Das Recht der Regierung, bei der beharrlichen Präsentation von "unqualifizierten Subjekten" auf Kosten der Kommune einen kommissari§ 166, Tit. 8, StO 1808. A.a.O., S. 346. Vgl. Otta Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 2 (= Systematisches Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft, 6. Abt., Bd. 2), Leipzig 1896, S. 411; 2München-Leipzig 1917, S. 713 ff. 264 A.a.O., S. 713. 265 A.a.O., S. 716 ff. 262 263

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

sehen Verwalter einzusetzen, stellte eine rechtlich begründete Zwangsanwendung dar. Eine Regelung, die in die Revidierte Städteordnung Eingang fand?66 Die Anwendung von Zwangsmittel gegen einzelne Beamte, selbst die Anordnung polizeilichen Einschreitens bei bürgerschaftlichen "Parteiungen" gehörten zum vormärzlichen Verwaltungsalltag. 267 Mit der Konstituierung eines selbständigen Wirkungskreises der Gemeinden hatte die Aufsicht jedoch den Charakter eines "rein subjektiven staatlichen Rechts" verloren. Die Staatsaufsicht beinhaltete ein "objektiv normiertes" Recht des Staates, das durch den rechtlich garantierten eigenen Wirkungskreis der Gemeinden begrenzt wurde und den Kommunen, wie Grumbkow bemerkt, ein "Gegenrecht" lieferte. 268 Die Kommunalreform brach also mit der "altstaatlichen Oberaufsicht",269 wenngleich sich in der präventiven staatlichen Mitwirkung bei der Bestellung der leitenden Gemeindebeamten und im freien Ermessen der Staatsbehörde bei der Entscheidung innerer Angelegenheiten der Gemeinden Relikte des absolutistischen Staates erhalten hatten.

In zahlreichen Erlassen machte das Staatsministerium immer wieder deutlich, daß der Tenor der Städteordnung verlangte, die Selbständigkeit der Kommunen zu berücksichtigen. Aufsichtsrechtliche Eingriffe in den eigenen Wirkungskreis der Kommunen sollten daher zunächst "vermittelnde" sein. Die Staatsbehörden waren verpflichtet, wie Innenminister von Brenn später ausführte, "von der Voraussetzung auszugehen, daß die städtischen Behörden, wenn sie von der vorgesetzten Staatsbehörde in irgend einer Sache auf einen, dem öffentlichen Besten drohenden Nachtheil aufmerksam gemacht werden, von selbst das Nöthige vorkehren werden, um diesem Nachtheile vorzubeugen".27o Staatliche Interventionen im Bereich der Gemeindeangelegenheiten, beispielsweise auf dem Gebiet der kommunalen Finanzen, unterlagen dadurch aber nicht einer allgemeinen gesetzlichen Barriere?7l § 93, Abs. 2, Tit. 7, StO 1831. GS 1831, S. 23. Vg1. beispielsweise die Verfügungen des Ministers des Innern an die Stadtverordneten-Versammlung in Charlottenburg sowie die Regierungsbehörden in Berlin und Potsdam vom 5. Juni 1820. GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757, Nr. 2, Bd. 1, BI. 87. 268 Grumbkow, Kommunalaufsicht, S. 44. 269 A. a. 0., S. 29 ff. 270 Ministerialreskript vom 20. März 1831. Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 108. 271 In dieser Hinsicht ist Grumbkow nicht zu folgen, der an der Städteordnung den Mangel unzureichender staatlicher Repressivmaßnahmen kritisiert. Kommunalaufsicht, S. 32 f. u. 44 f. Zum Beweis führt Grumbkow das Brennsehe Reskript vom 20. März 1831 an, zitiert es aber nur soweit, wie es seiner Auffassung fehlender Zwangsrechte dienlich ist. Mit dem Reskript bestätigt der Innenminister unter Hinweis auf § 184 der Städteordnung den Regierungsbehörden ausdrücklich die 266

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5. Das Verhältnis der Kommunalkörperschaften

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Wie weit der staatliche Einfluß auf die personelle Besetzung der Magistrate ging, unterstrich ein nur wenige Jahre nach Verabschiedung der Städteordnung Mitte Juli 1811 erlassenes Ministerialreskript. Wenn die Gemeinderepräsentationen "unqualifizierte Subjekte" als Magistratsmitglieder bzw. Oberbürgermeister wählten oder präsentierten und die Bestätigung seitens des Staates versagt wurde, schrieb das Kommunalrecht zunächst grundsätzlich eine Wiederholung der Wahl vor. 272 Beharrten die Gemeinderepräsentationen indessen auf die Bestätigung einer Wahl oder weigerten sie sich, eine Neuwahl vorzunehmen, konnte der Staat das Wahlrecht für den betreffenden Fall suspendieren. Das Wahlrecht der Gemeindevertreter ging dann auf die Magistrate über. Dieses Verfahren galt nach einer nur wenig später verfügten ministeriellen Weisung auch für die innergemeindlichen Bezirksvorsteherwahlen. 273 Sollten zufälligerweise bei den Magistratswahlen zwei Kandidaten mit Stimmengleichheit gewählt werden, so stand es den Regierungen, vorausgesetzt der Magistrat präsentierte beide Bewerber, auf Grund ihres Bestätigungsrechtes frei, denjenigen Kandidaten auszuwählen, dessen Eignung sie am höchsten einschätzten oder sie konnten andernfalls eine neue Wahl veranlassen. 274 Bei den Regierungen herrschte in der Folgezeit Bedenken, ob sie die Suspension des Wahlrechts nach eigenem Ermessen handhaben durften. Die Ministerialbehörden erklärten daraufhin, daß die Regierungen, trotz wiederholter Präsentationen unqualifizierter Bewerber, nicht autorisiert waren, selbständig die Stadtverordneten von ihrem Wahlrecht zu entbinden, da sich eine solche Maßnahme "gesetzlich nicht hinreichend begründen" ließ. Die Ausführung des Reskripts vom Juli 1811 setzte im allgemeinen eine landesherrliche Ermächtigung voraus. Wenn allerdings durch anhaltend erfolglose Wahlen Vakanzen einzelner Stadtratsstellen verlängert wurden, konnten die Regierungen im Interesse der öffentlichen Ordnung die betreffenden Stellen nach eigenem Gutdünken kommissarisch verwalten lassen und die notwendigen Kosten, selbst gegen den Willen einer Gemeinderepräsentation, den bereitstehenden städtischen Mitteln entnehmen. 275 Die Reskripte vom August 1820 und Februar 1823 wurde im Jahre 1832 ausdrücklich als Deklarationen zur Städteordnung landesherrlich sanktioniert. 276 Die staatliche Befugnis zur Suspension des städtischen Wahlrechts dürfte durch die VerabMöglichkeit eines direkten Eingriffs in die Kommunalverwaltung bei einer verfehlten kommunalen Finanzpolitik, wenn Erinnerungen fruchtlos geblieben waren. Zum Verhältnis von kommunaler Finanzpolitik und Staatsaufsicht siehe auch weiter unten. 272 § 154, Tit. 7, StO 1808. A. a. 0., S. 344. 273 Ministerialreskripte vom 17. Juli 1811 u. 22. März 1812. Rumpf, Städteordnung, S. 118. 274 Ministerialreskript vom 11. August 1820. A.a.O., S. 119. 275 Reskript vom 7. Februar 1823. A.a.O., S. 118. 11*

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

schiedung der Ergänzungen und Erläuterungen seine Erledigung gefunden haben, da nur reglementarische Verfügungen des Staatsministeriums, die lediglich Zweifel der nachgeordneten Behörden in einzelnen Fällen beseitigen sollten, nicht in die erlassene Sammlung aufgenommen wurden. 277 Das gab den Gemeinderepräsentationen einen Teil ihrer ursprunglichen Rechte bei den Magistratswahlen zuruck, dessenungeachtet verfügten die Regierungen durch die Möglichkeit der kommissarischen Verwaltung bei wiederholter Präsentation unqualifizierter Kandidaten fernerhin über weitreichende Eingriffsrechte. Ein besonderes Problem der staatlichen Aufsicht ergab sich durch die kommunale Finanzpolitik, die, wie dargelegt, den eigentlichen Kernbereich der Gemeindeangelegenheiten ausmachte. Es ging dabei weniger um den Mißbrauch der kommunalen Finanzhoheit, wie sie von Kritikern der Städteordnung anhand von gelegentlich beobachteten Verkäufen von Gemeindeeigentum und der anschließenden Verteilung der Gelder unter den Bürgerschaften moniert wurde,278 als um den Einfluß der Kommunalfinanzen auf die staatliche Steuer- und Finanzpolitik, auch im Hinblick auf die Verschuldung der Gemeinden. Dem Staat mußte deshalb nicht nur daran gelegen sein, daß die Städte die Kosten für die Polizei- und Justizverwaltung sowie die Gemeingeldbedürfnisse überhaupt aufbrachten, sondern er mußte auch darauf sehen, daß die städtischen Lasten in einem angemessenen Verhältnis zur kommunalen Leistungsfahigkeit erhoben wurden und sich die kommunale Schuldenpolitik insoweit und nicht zuletzt mit Rücksicht auf zukünftige Generationen in Grenzen hielt. Die Städteordnung von 1808 kannte zwar noch nicht die Form der staatlich angeordneten Zwangsetatisierung, die mit der späteren Gemeindeordnung eingeführt wurde,279 aber gegen die Weigerung einer Stadtverordneten-Versammlung, "dasjenige aufzubringen, was nach einer vom Magistrat aufgestellten, von der Regierung gepruften und bestätigten Nachweisung zur Erhaltung des städtischen Haushalts erforderlich" war, wurde dem Staat 276 Deklaration zum § 152, Lit. b u. zum § 154, StO 1808, Kabinetts-Ordre vom 4. Juli 1832. GS 1832, S. 188. 277 A.a.O., S. 181. Die Kommentare zur Städteordnung nahmen jedoch weiterhin die älteren Reskripte aus den Jahren 1811 und 1812 auf. Siehe Rumpf, Vergleichung, S. 127. 278 So etwa Raumer, Städteordnung, S. 277 u. Wehnert, Städteordnung, S. 31 ff. Dagegen Streckfuß, Städteordnung, S. 100 f., der solche Mißbräuche schon durch die Städteordnung als Gesetzwidrigkeit qualifiziert sah, da sie bestimmt, daß das zu gemeinsamen städtischen Zwecken bestimmte Vermögen "dem gemäß und zum Besten der Stadt verwandt werde". § 52, Tit. 5, StO 1808. GS 1806-1808, S. 330. Verwendungen des Kommunalvermögens für Einzelne schloß die Städteordnung demnach vollständig aus. 279 § 141, Tit. 6, GO 1850. GS 1850, S. 247.

5. Das Verhältnis der Kommunalkörperschaften

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eine rechtliche Handhabe eingeräumt, indem er den Stadtverordnetenvorsteher und die Mitglieder der Versammlung "durch alle Grade der Exekution zur Erfüllung dieser Verpflichtung" anhalten konnte. 28o Es war der Regierung demnach in diesem Fall möglich, gegen die Gemeindevertretung aufsichtsrechtliche Zwangsmittel einzusetzen. Praktisch ließ sich eine solche Maßregelung allerdings, wenn überhaupt, nur unter größten Schwierigkeiten durchsetzten. Die spätere Städtegesetzgebung hat dann auch an ihre Stelle die stellvertretende "Einschreibung,,281 gesetzt. Die Disposition der städtischen Körperschaften über das Gemeindevermögen war insofern eingeschränkt, als die Veräußerung von städtischem Grundbesitz "nur in Fällen der Notwendigkeit und Nützlichkeit" ohne weitere Anfrage bei der Staatsregierung im Wege der öffentlichen Versteigerung vorgenommen werden konnte. 282 Allein die unbestimmten Begriffe der Notwendigkeit und Nützlichkeit boten, wenn auch die Gründe der Veräußerung bekanntgegeben werden mußten, keine wirksame Schranke für Verkäufe, die um so dringender war, als einerseits die Möglichkeit bestand, Bürgervermögen an die augenblicklichen Nutznießer zu verteilen, andererseits sich die Gemeinden womöglich anschickten, Kämmereivermögen als Bürgervermögen zu deklarieren und der Verteilung preiszugeben. 283 Gegen die unbeschränkte Autonomie der Kommunen auf dem Gebiet der Finanzverwaltung führte die Staatsregierung eine fortwährend in Kraft gebliebene Bestimmung der Allgemeinen Gerichtsordnung ins Feld. Danach wurden gerichtliche Exekutionen gegen Stadtgemeinden, sobald ein wirtschaftlicher Ruin zu verhindern war, von Verhandlungen mit den Regierungen abhängig gemacht und im Falle einer nicht zustande gekommenen Einigung, die Exekution bis zum Bescheid des Iustizministers ausgesetzt. 284 Das Allgemeine Landrecht stellte überdies das Vermögen der Kommunen unter die Oberaufsicht des Staates. Er war berechtigt, dessen ordentliche Verwaltung ebenso zu kontrollieren wie die Schuldenaufnahme von seiner Genehmigung abhängig zu machen. 285 280 Ministerialreskript vom 13. Dezember 1809. Rumpf, Vergleichung, S. 101. Bestätigt durch die Deklaration zum § 109, StO 1808, Kabinetts-Ordre vom 4. Juli 1832. GS 1832, S. 185. 281 Mayer, Verwaltungsrecht, Bd. 2, S. 727. 282 § 189, Abs. 2, Ziff. I u. 2, Tit. 8, StO 1808. A. a. 0., S. 354. 283 Meier, Reform, S. 318. 284 § 45, Anhang zu § 153, Tit. 24, 2. Abschnitt, Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, T. 1, Prozeßordnung, Ausgabe Berlin 1842. (Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Berlin 1816) S. 385. 285 §§ 149-151, T. 2, Tit. 8 ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 3, S. 413. Vgl. Ministerialreskript vom 20. März 1831. APSV, Bd. 15 (1831), S. 102 f. Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 108 f. Rumpf, Vergleichung, S. 2 f.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Obwohl der Verweis auf die landrechtlichen Bestimmungen nicht unproblematisch war, da mit dem Erlaß der Städteordnung ausdrücklich dem Kommunalrecht entgegenstehende Regelungen aufgehoben wurden,286 sah das Innenministerium hier einen direkten Bezug zu den kommunalrechtlichen Bestimmungen gegeben, da bei solchen von den Gemeinderepräsentationen beschlossenen Steuern, die eine "Gefahr für das Gemeinwesen" darstellten, die Regierungsbehörden zum Eingriff, das hieß konkret zum Verbot der Steuern, berechtigt wie verpflichtet waren. Mochte durch die einzelnen Bestimmungen auch kein aktuelles Recht zur Genehmigung von kommunalen Finanzoperationen begründet werden, ein Einwirkungsrecht der Regierungen auf die städtische Finanzverwaltung setzten sie allemal voraus. 287 Die Gemeinden verfügten, wie das Innenministerium darlegte, auch im Hinblick auf ihre Schuldenpolitik Selbständigkeit, diese konnte indessen nicht eine unkontrollierte Vermehrung der städtischen Schulden rechtfertigen. Die Regierungen waren insofern verpflichtet, "einem solchen Beginnen direkt entgegen zu treten".288 Das Abgabengesetz von 1820289 beschränkte die steuerliche Autonomie der Kommunen dann definitiv. Die Erhöhung der Klassen-, Mahl- und Schlachtsteuer wurde von der Genehmigung der Regierung abhängig gemacht, während "andere Auflagen und Aufschläge" für die Gemeindebedürfnisse überhaupt nur noch dann erhoben werden konnten, wenn sie bereits bestanden und das Bedürfnis fortdauerte oder wenn sie durch die Verfassung und landesherrliche Bewilligung garantiert waren. In allen Fällen durften die Auflagen und Aufschläge nicht den allgemeinen Steuergesetzen sowie der "Freiheit des inneren Verkehrs" entgegenstehen?90 Hierin lag der eigentliche Grund für das Erfordernis staatlicher Beaufsichtigung im Steuerwesen. Die gesetzliche Regelung der Staatsaufsicht im Bereich der kommunalen Steuern und Abgaben bedurfte, wenn dieses Recht überhaupt finanzwirtschaftlieh wirksam sein sollte, der Ergänzung durch eine generelle Aufsicht der Regierungsbehörden über die Kommunalfinanzen.

Einleitung, Abs. 3, StO 1808. GS 1806-1808, S. 324. So auch Meier, Reform, S. 320. 288 Ministerialreskript vom 20. März 1831. APSV, Bd. 15 (1831), S. 102 f. Vgl. auch das Ministerialreskript vom 14. Dezember 1831. APSV, Bd. 15 (1831), S. 775. Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 108 f. Rumpf, Vergleichung, S. 3. 289 Gesetz über die Einrichtung des Abgabenwesens vom 30. Mai 1820. GS 1820, S. 134-139. In der Beilage ein Verzeichnis der 132 Städte, in denen die Mahl- und Schlachtsteuer erhoben wurde, darunter Berlin. Vgl. dazu auch earl Dieterici, Zur Geschichte der Steuer-Reform in Preußen von 1810 bis 1820. ArchivStudien, Berlin 1875. Neudruck Glashütten/T. 1972, S. 103 ff. u. 225 ff. 290 § 13, Abgabengesetz, 1820. GS 1820, S. 137 f. Aufgenommen in die Deklaration zu § 56, StO 1808, Kabinetts-Ordre vom 4. Juli 1832. GS 1832, S. 184. 286 287

6. Die korporative Struktur der städtischen Bürgergesellschaft

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Freiherr vom Stein hielt es deshalb zur Sicherung des Wohlstands der Gemeinden für unerläßlich, "daß zur Veräußerung ihres Eigenthums und zur Eingehung der Schulden die Einwilligung des Magistrats und der Staatsbehörden erforderlich sei,,?91 Selbst Wilhelm von Humboldt, ansonsten eher ein Verfechter städtischer Selbständigkeit, empfahl die Veräußerung von Gemeindegütern an die staatliche Genehmigung zu knüpfen sowie die Schuldaufnahme zur Ablösung von Verbindlichkeiten oder zur Bedarfsdeckung zu verbieten. Anleihen waren nur zur Finanzierung "nützlicher Anlagen" zu gestatten und mit sicheren Kapitalfonds für Zins und Tilgung zu versehen. 292 Eine Auffassung, die bald zum leitenden Prinzip bei der Regelung des Kommunalkredits werden sollte. 293 Nach der Revidierten Städteordnung war das Verfahren bei der Kommunalsteuererhebung einer besonderen Instruktion vorbehalten, die im einzelnen festlegen sollte, zu welchen Landessteuern Kommunalzuschläge zulässig waren und inwieweit zu deren Veranlagung die staatliche Genehmigung eingeholt werden mußte. Lag den Kommunalsteuern ein anderer Verteilungsmaßstab als den Staats steuern zu Grunde, bedurfte es bei allen bereits bestehenden oder erst einzuführenden Aufschlägen der ministeriellen Genehmigung, es sei denn, eine entsprechende Erlaubnis war bereits nach Erlaß des Abgabengesetzes bestätigt worden. 294 Diese Bestimmung beseitigte nicht "die Freiheit der Gemeinden in Steuerangelegenheiten",295 sondern diente der Sicherung des städtischen Haushalts sowie dem Schutz der Bürgerschaft vor zu hohen Steuerlasten. Die spätere Städteverfassung behielt die aufsichtsrechtlichen Regelungen im Haushalts- und Steuerwesen grundsätzlich bei, lockerte jedoch die Aufsichtsbestimmungen in einzelnen Fällen, so daß beispielsweise der Grundstückserwerb nicht mehr von der Genehmigung der Regierung abhängig gemacht wurde. 296

6. Die korporative Struktur der städtischen Bürgergesellschaft Die mit der Städteordnung bewirkte Übergabe der "ungeteilte(n) Verwaltung,,297 an die Gemeinden hob die Zersplitterung der Bürgerschaft nach Groß- und Kleinbürger, nach Stand, Geburt und Religion auf. Die Stadtge291 Siehe Steins an Schuckmann gerichtete Bemerkungen zur Städte- und Landgemeindeordnung, 15. März 1829, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 540. 292 Humboldt, Denkschrift über ständische Verfassungen, Oktober 1819, S. 415. 293 Vgl. Grzywatz, Städtisches Finanzwesen, S. 44 ff. 294 § 122, Tit. 8, StO 1831. GS 1831, S. 29 f. 295 Grumbkow, Kommunalaufsicht, S. 62. 296 Vgl. § 120, Tit. 8, StO 1831. GS 1831, S. 29. § 45, Tit. 2, Abschnitt 3 u. § 108, Tit. 3, Abschnitt 3, GO 1850. GS 1850, S. 225. § 50, Tit. 4, StO 1853. GS 1853, S. 278.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

meinde war der "Inbegriff sämtlicher Bürger".298 Stadtrecht und Umfang der Kommunen beschränkte sich nicht auf das eigentliche Weichbild, sondern schloß die Vorstädte ein. Zum städtischen Polizei- und Gemeindebezirk gehörten daher "alle Einwohner und sämmtliche Grundstücke der Stadt und der Vorstädte".299 Der Stadtbegriff der Städteordnung erfuhr demnach sowohl eine rechtlich personenbezogene als auch eine räumlich territoriale Definition. Der Inbegriff sämtlicher Bürger bezog sich auf die Bürgerschaft als solche, d.h. auf "alle diejenigen, welche in der Bürgerrolle eingetragen stehen".300 Das Bürgerrecht verband sich wiederum mit einer ökonomischräumlichen Dimension, indem es in der Befugnis bestand, "städtische Gewerbe zu treiben und Grundstücke im städtischen Polizeibezirk zu besitzen".301 Diese Bestimmungen gaben in Berlin Anlaß, die unübersichtlichen und strittigen öffentlich-rechtlichen Verhältnisse auf der ehemaligen Berliner Feldmark zu klären und das der neuen Kommunalverwaltung zu unterstellende Gebiet endgültig festzulegen. 302 Die bürgerliche Gleichheit wurde ausdrücklich garantiert. Es gab nur noch ein Bürgerrecht, die Unterteilung der Bürgerschaft in mehrere Ordnungen hob die Städteordnung völlig auf. 303 In Berlin durfte die französische Kolonie nicht mehr ein besonderes Bürgerrecht erteilen. 304 Keinem Unbescholtenen konnte, wie schon das Allgemeine Landrecht festgelegt hatte,305 das Bürgerrecht verweigert werden. Zuwiderlaufende Observanzen wurden 297 Immediatbericht Stein/Schroetter, 9. November 1808, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 990. 298 § 46, Tit. 5, StO 1808. GS 1806-1810, S. 330. 299 §§ 3, 4, Tit. 2, StO 1808. A. a. 0., S. 325. 300 § 46, Tit. 5, StO 1808. A. a. 0., S. 330. 301 § 15, Tit. 3, StO 1808. A. a. 0., S. 326. 302 Die von E. Kaeber (Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Stein'schen Städteordnung, in: Ders., Beiträge zur Berliner Geschichte. Ausgewählte Aufsätze, bearb., von W., Vogel [ = VHKB, Bd. 14], Berlin 1964, S. 234 ff.) geführte Polemik gegen die Auffassung von P. Clauswitz (Die Pläne von Berlin und die Entwicklung des Weichbildes, Berlin 1906, S. 96), daß mit der Städteordnung "tiefschneidende Veränderungen" für die Umgrenzung des bislang durch die Feldmark gebildeten Stadtgebiets einhergingen, entbehrt der eigentlichen Grundlage, denn, abgesehen von einzelnen Abgrenzungsfragen, herrscht kein Zweifel darüber, daß die Berliner Jurisdiktion ins Umland reichte und die Städteordnung, darin lag die tiefgreifende Folge, eine klare rechtlich-administrative Festlegung der Stadtgrenzen forderte. Eine solche Regelung lag im Interesse aller beteiligten Kommunalkörperschaften, da die Grenzziehung in engem Zusammenhang mit dem Umfang der Kommunallasten stand. Zum Verhältnis von städtischem Weichbild und Kommunalwahlbezirken vgl. unten Kap. 5. 303 § 16, Tit. 3, StO 1808, GS 1806-1810, S. 326. 304 Kabinetts-Ordre, betreffend die künftige Verfassung der französischen Kolonie vom 30. Oktober 1809. GS 1806-1810, S. 602. 305 § 17, Tit. 8, T. 2, ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 3, S. 398.

6. Die korporative Struktur der städtischen Bürgergesellschaft

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nicht mehr geduldet. 306 Die Städteordnung band das Bürgerrecht zwar noch an den Wohnsitz und machte es von der Wahrnehmung "aller Lasten und Pflichten" abhängig, so daß bei einem vorübergehenden Orts wechsel ein Stellvertreter gestellt werden mußte, doch konnte bei einer Wohnsitzverlegung in eine andere Stadt auf Antrag um den Erhalt des bisherigen Bürgerrechts nachgesucht werden. 307 Die häusliche Niederlassung in der Stadt, mithin die örtliche Wohnsitznahme im rechtlichen Sinne, und ein unbescholtener Lebenswandel berechtigten unverheiratete Frauen zum Erwerb des Bürgerrechts. Auch verheiratete Frauen, obgleich sie in der Regel durch ihre Männer vertreten wurden, waren nicht grundsätzlich vom Bürgerrecht ausgeschlossen. Überhaupt wurden "Vorzüge der Bürgerkinder" und "besondere Arten von Verpflichtungen der Unverheirateten etc." völlig aufgehoben. Kantonisten, Soldaten, Minderjährige, Juden und Mennonisten konnten das Bürgerrecht beantragen, vorausgesetzt sie erfüllten die erforderlichen Bedingungen. Beim Erwerb von Grundeigentum sowie bei der Ausübung einzelner Gewerbetätigkeiten waren sie jedoch weiterhin den noch bestehenden landes- und ortsgesetzlichen Einschränkungen unterworfen. 308 Minderjährige konnten allerdings nur nach vorheriger Volljährigkeitserklärung in die Bürgerrolle eingetragen werden. Damit wurde ihnen auch das kommunale Stimmrecht zugewiesen. 309 Unverheiratete Frauen, die im Besitz von Grundeigentum waren oder einer Gewerbetätigkeit nachgingen, hatten die Pflicht, das Bürgerrecht zu beantragen, während Ehefrauen nicht unter diese Regelung fielen. Betrieben Frauen ein Gewerbe, das vor der Einführung der Städteordnung bürgerrechtspflichtig war, mußten sie, wenn die Gewerbetätigkeit selbständig ausgeübt wurde, weiterhin von den Magistraten zum Bürgerrechtserwerb angehalten werden. Selbst Frauen von Nichtbürgern waren durch Grundeigentum und Gewerbetätigkeit aufgefordert, den Bürgerstatus zu erwerben?lO Das Bürgerrecht wurde ausschließlich vom Magistrat erteilt, der, ohne daß er generell daran gebunden war, 306 Reskript des Ministerium des Innern, 15. Juli 1825, in: APSV, Bd. 9 (1825), S. 664. Das Ministerium wies auf den § 49 der Städteordnung hin, nachdem alle die Städteordnung widersprechenden Verfassungen durch diese selbst aufgehoben waren. 307 §§ 36 bis 38, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1810, S. 328. 308 §§ 18 u. 19, Tit. 3, StO 1808. A.a.O., S. 326. Dazu die Ministerialerlasse vom 19. Mai und 21. August 1809, Rumpf, Städteordnung, S. 11 f. Zum Begriff des häuslichen Niederlassens siehe die §§ 9-12, Tit. 2, Allgemeine Gerichtsordnung, Bd. 1, S. 21. Vgl. auch Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 126 f. 309 Rumpf, Städteordnung, S. 15. 310 Ministerialerlaß vom 15. Mai 1809. A.a.O., S. 12. Reskript vom 5. Juli 1828, in: APSV, Bd. 12 (1828), S. 1035 f. Deklaration zum § 18, StO 1808, Lit. a, Kabinetts-Ordre vom 4. Juli 1832. GS 1832, S. 182.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

ein Gutachten der Gemeinderepräsentation einholte. Nur im Fall emer vorliegenden Kriminaluntersuchung, der Verurteilung zu einer geringeren Strafe bzw. einer nur vorläufigen Aussetzung oder wenn die Stadtverordneten motivierte "gesetzliche Einwendungen" machten, mußte die kommunale Exekutive auf Antrag der Stadtverordneten das Bürgerrecht versagen?11 Der korporative Charakter des Bürgerrechts ergab sich aus seinen privatrechtlichen Wirkungen, da mit ihm die Erlaubnis zum Gewerbebetrieb und Grundbesitz verbunden war. Hieraus folgte auch die Verpflichtung bisheriger Gewerbetreibender und Grundbesitzer, die ohne Bürgerrecht geblieben waren, sich um die Aufnahme in die Bürgerrolle zu bemühen, andernfalls mußten sie ihr Gewerbe aufgeben oder ihren Grundbesitz veräußern?12 Der Verlust des Bürgerrechts zog zwangsläufig die gleichen Konsequenzen nach sich. Die städtischen Korporationen, die Zünfte und Gilden, verloren ihre Funktionen als Wahlkörperschaften, gewählt wurde nunmehr nach örtlichen Bezirken. Städte mit mehr als 800 Einwohnern sollten "nach Maßgabe ihres Umfangs" in Bezirke aufgeteilt werden, die in großen Städten mit über 10000 Einwohnern nicht mehr als 1500 und nicht weniger als 1000 Personen aufnehmen durften?13 Im Sinne des modemen Repräsentativsystems waren die Stadtverordneten nicht an irgendeinen "Wählerauftrag" oder eine Wählerinstruktion gebunden, sie vertraten die Bürgerschaft als Ganzes und entschieden nach "ihre(r) Überzeugung und ihre(r) Ansicht vom gemeinen Besten der Stadt".314 Freiherr vom Stein stellte das Hauptmoment der Gemeindeverfassung, "eine tüchtige, religiös-sittliche, arbeitsame und arbeitsfahige Bürgerschaft", in einen engen Zusammenhang mit dem Bürgerrecht. Die Vorschriften zur Erteilung des Bürgerrechts erklärte er geradezu zum "Grundstein des ganzen Gebäudes der Städteordnung".315 Die Fähigkeit eines Stadtbewohners zum Bürger sah Stein konform zur Städteordnung in Abhängigkeit von "dem Besitz eines gewissen Vermögens, von der Gewerbefahigkeit und Sittlichkeit". Die Sittlichkeit des Bürgers erhielt in dieser Trias besonderes Gewicht, denn allein von der Sittlichkeit des Einzelnen, seinem Vermögen, öffentliche Lasten zu tragen, hing die "Tüchtigkeit zu einem würdigen Ge311 § 24 i. Verb. m. § 21, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1808, S. 327. Dazu das Ministerialreskript vom 20. Juni 1820. Rumpf, Städteordnung, S. 11. 312 §§ 15, 23, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1810, S. 326 f. Diese Fassung des Bürgerrechts ist ebenso wie das an Grundbesitz und Gewerbe gebundene Wahlrecht bereits in Freys "Vorschlägen zur Organisierung der Munizipalverfassungen" entwikkelt. Vgl. Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 662 f. 313 § 11, Tit. 2, StO 1808. GS 1806-1808, S. 325. 314 § 110, Abs. 2, Tit. 6, Abschnitt 2, StO 1808. A. a. 0., S. 338. 315 Stein, Denkschrift über die Städteordnung, September 1826, in: Hubatschi Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 43.

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meindemann" ab. Mochte die Städteordnung einerseits das städtische Bürgertum zu einem in sich gleichberechtigten Stand des Staates machen, mit welchem zur Gleichheit der Bürger die Gleichheit der Bürgergemeinden trat, so sanktionierte sie andererseits ihre korporative Struktur, indem sie weiterhin zwischen Bürgern, Eximierten und Schutzbefohlenen unterschied. Bürgerliche Gleichheit bezog sich in den Kommunen auf eine wirtschaftlich relativ homogene Interessengemeinschaft: "es war die Gleichheit aller Hausbesitzer und selbständig Gewerbetreibenden".316 Das Bürgerrecht schuf also nur eine begrenzte bürgerliche Gleichheit derjenigen, die ein das Bürgerrecht gesetzlich begründendes Gewerbe betrieben oder über Grundeigentum verfügten. Die übrigen Stadtbewohner, welche gleichfalls zu den kommunalen Lasten herangezogen wurden und der Autorität der städtischen Körperschaften unterlagen, waren, solange sie den Status des "Schutzverwandten" innehatten, weder berechtigt, eine Gewerbetätigkeit aufzunehmen noch Grund- und Hausbesitz zu erwerben?17 An der politisch-sozialen Gestaltung der Stadtgemeinde konnten die Schutzverwandten hingegen partizipieren, denn die "rechts staatliche" Garantie318 des Bürgerrechts eröffnete grundSätzlich auch ihnen den Zugang zur politischen Mitwirkung in der Gemeinde. Wehlers Modell eines politischen Dreiklassenmodells in den Städten der östlichen Provinzen Preußens, das die Stadtbevölkerung nach dem exklusiven Kreis der eximierten Staatsbürger, der bevorrechteten Minderheit der Stadtbürger und der politisch rechtlosen Mehrheit differenziert,319 trifft demnach nicht den Kern der kommunalrechtlich festgelegten Partizipationschancen in der Gemeinde. Der Schutzverwandtenstatus war aber auch nicht, wie Sobania behauptet, ein "Übergangsschritt" oder eine "Vorbereitungsstufe in das bürgerliche Dasein".32o Das Bürgerrecht basierte auf Ansässigkeit, Grundbesitz und Gewerbetätigkeit. Im Falle der Grundeigentümer und Gewerbetreibenden hatte es, ohne jede soziale Spezifizierung, einen Zwangscharakter, im Falle der sich vorwiegend aus groß- und bildungsbürgerlichen wie proletarischen Schichten rekrutierenden Schutzverwandten machte die Kommunalordnung hingegen nur ein Partizipationsangebot. Die Zensusbestimmungen des KommuKoselleck, Preußen, S. 572. §§ 41 bis 44, Tit. 4, StO 1808. GS 1806-1810, S. 329. 318 Schnabel, Geschichte, Bd. 2, S. 153. 319 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 459. 320 Michael Sobania, Rechtliche Konstituierungsfaktoren des Bürgertums, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 138. Diese Argumentation läßt deutlich den stadtzentrierten Blick erkennen, mit dem die Ursachen und Zielsetzungen der Kommunalrechtsrefrom und der staatlichen Reorganisation in Preußen kaum erschlossen werden können. 316 317

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

nalrechts boten jedoch lediglich dem Bildungsbürgertum, den Eignern mobilen Kapitals und Pensionären konkrete Teilhabechancen, die indessen zur Beantragung des Bürgerrechts nicht verpflichtet waren, während jeder Eigentümer eines noch so geringen Grundbesitzes, wollte er diesen nicht verlieren, zur Annahme des Bürgerrechts gezwungen war. 321 Um wenigstens den bildungsbürgerlichen Schichten, insbesondere den Staatsbeamten, Geistlichen, Schullehrern oder Ärzten eine Möglichkeit zum Bürgerrechtserwerb zu bieten, sah die Städteordnung vor, ihnen die sonst nicht gestattete Ablehnung eines angetragenen städtischen Amtes zu erlauben. 322 Grundsätzlich sanktionierte das Städterecht demnach nicht, wie Koselleck meint,323 eine Kluft zwischen dem bildungsbürgerlich situierten Staats- und dem Stadtbürger, der als Kaufmann oder Handwerker sein Auskommen suchte. Die Städteordnung eröffnet, bemerkte der ehemalige Königsberger Stadtrat Horn, "für das Bürgerwerden eine breite Concurrenz, jeder der in der Stadt im gesetzlichen Sinne seinen Wohnsitz aufschlägt, kann das Bürgerrecht erlangen". Probleme ergaben sich für die angestrebte Effektivierung der Städteadministration nur dadurch, "daß die Verpflichtung dazu ... nicht ausgedehnt genug" war. 324 Außerdem wurde durch Ministerialreskript schon in der ersten lahreshälfte 1810 festgestellt, daß mit Grundstücken angesessene "Officianten" unter Androhung der Veräußerung zum Erwerb des Bürgerrechts verpflichtet waren. Das galt prinzipiell auch für den Fall, wo der Grundbesitz auf den bisherigen Freiheiten lag. Dadurch verlängerte sich lediglich die Antragsfrist bis zu dem Zeitpunkt, wo die Stadtgemeinde die "Real-Immunität" durch Ankauf erworben hatte. Diese Gruppe der Offizianten war von den allgemeinen Bürgerpflichten nicht ausgenommen, sie genossen nur wie alle übrigen öffentlich Bediensteten das Vorrecht, für die persönlich zu leistenden Dienste in der Stadt einen Stellvertreter bestellen zu können. 325 Allein von den Ämtern des Stadtverordnetenvorstehers einschließlich des Stellvertreters waren "wirkliche Staatsdiener und prak321 Vgl. dazu Streckfuß, Städteordnung, S. 37 f. Horn, Bemerkungen, S. 10 f. Obenaus, Anfänge, S. 47. Unter partizipationstheoretischen Gesichtspunkten stellt nicht nur der Zensus, sondern auch der differierende Zwangscharakter des Bürgerrechts ein Problem dar. Das wird bei Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 459, zuwenig beachtet. Selbst in der kommunalrechtlichen Debatte des Vormärz traten in dieser Hinsicht mitunter Mißverständnisse auf. Siehe etwa bei Raumer, Städteordnung, S. 256 f. Wenn man Wehlers Versuch eines dreistufigen politischen Modells folgen will, wäre zwischen Bürgerrechtspflichtigen, Bürgerrechtsfähigen und Bürgerrechtsunfähigen zu unterscheiden. Wichtig erscheint mir für die Beurteilung der politischen Realität in den Städten, darin ist Wehler zu folgen, die prinzipielle Differenz zwischen Partizipierenden und politisch Rechtlosen. Zur Stellung der Staatsbeamten im Kommunalrecht siehe weiter unten. 322 § 200, Tit. 9, StO 1808. GS 1806-1808, S. 355. 323 Koselleck, Preußen, S. 572. 324 Horn, Bemerkungen, S. 11.

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tizierende Justizkommissare" ausgeschlossen?26 Durch Ministerialreskript wurde dieser Vorbehalt auf die Tätigkeit des Protokollführers ausgedehnt, gleichzeitig der Kreis der angesprochenen Berufe um die Geistlichen und Schullehrer erweitert. 327 Nach einer Entscheidung Hardenbergs vom 28. Januar 1813 konnten Justizkomissare, Ärzte und Chirurgen überhaupt nur dann zum Erwerb des Bürgerrechts gezwungen werden, wenn sie im Besitz eines bürgerlichen Grundeigentums waren. Übten Chirurgen allerdings gleichzeitig die Tätigkeit eines Barbiers oder Baders aus und waren diese Berufe vor der Einführung des Gewerbesteueredikts von 1810 bürgerrechtspflichtig, mußten sie auch weiterhin das Bürgerrecht beantragen. 328 Das Märzreskript von 1809 stellte aber auch nachdrücklich fest, daß Staatsbeamte und Justizkommissarien wie Geistliche im Besitz des passiven Wahlrechts waren und mithin zu Mitgliedern der Gemeindevertretungen gewählt werden konnten. 329 Ein weiteres Ministerialreskript bezog 1817 Hebammen und Tierärzte, die kein Grundbesitz in einer Stadt besaßen, in die Ausnahmeregelung ein. Die Eigentümer von "Bänken und Buden" oder solche, die über "Apotheken und dergleichen Gerechtigkeiten" verfügten, waren im übrigen nicht den Hausbesitzern gleichzustellen und daher, falls ihr Gewerbe es nicht verlangte, von der Verpflichtung zur Bürgerrechtsannahme ausgenommen. Nach erlangtem Bürgerrecht gehörten sie zur Klasse der unangesessenen Bürger und mußten als solche behandelt werden. 33o Wenn es zunächst nicht gelang Kapitaleigner, Rentiers und insbesondere Bildungsbürger zu einem größeren Engagement in den Städten zu bewegen, dann waren hierfür auch steuerrechtliche Privilegien verantwortlich. Die Städteordnung verpflichtete die Schutzverwandten prinzipiell, "nach Maßgabe ihres Gewerbes und ihrer Vermögensumstände" zu den Kommunallasten beizutragen, und zwar in einem "angemessenen Verhältnis zu den Bürgern". Sie unterlagen auch den Bestimmungen über die Unzulässigkeit persönlicher Befreiungen, durften indessen zu den persönlichen Diensten, wie insbesondere auch die öffentlichen Beamten, nur in dringenden Notfallen herangezogen werden. 331 325 Ministerialreskripte vom 2. März und 28. April 1810. Rumpf, Städteordnung, S. 18 f. Siehe dazu § 31, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1808, S. 328. 326 § 116, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1808, S. 339. 327 Ministerialreskripte vom 14. März u. 30. Dezember 1809. Rumpf, Städteordnung, S. 76. Vgl. dazu im Zusammenhang mit der Reform des Kommunalrechts in den westlichen Provinzen auch weiter unten. 328 Verfügung der Potsdamer Regierung, 10. Mai 1813. Rumpf, Städteordnung, S. 19. 329 A. a. 0., S. 76. 330 Reskript vom 19. Mai 1809. Rumpf, Städteordnung, S. 18.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Unklar blieb, was das Kommunalrecht unter dem Begriff der "Angemessenheit" verstand. Die Staatsregierung sah sich daher schon im Dezember 1809 gezwungen, durch eine Deklaration zur Städteordnung eine genauere Definition aufzustellen und bei dieser Gelegenheit auch die Beiträge der unmittelbar angestellten Staatsbeamten näher festzulegen. Danach war jeder Schutzverwandte zu allen städtischen Lasten und Pflichten sowie zu den öffentlichen Anstalten mit zwei Dritteln des Satzes eines Bürgers heranzuziehen. Die Gehälter der Staatsbeamten, einerlei ob sie zu den Bürgern oder Schutzverwandten gehörten, durften nicht in die Einschätzungen einbezogen werden. Die Beamten mußten vielmehr einen festen und gleichmäßigen Beitrag zu den Kommunallasten ihres Wohnortes entrichten, der unter Einschluß des bisherigen Gehaltsservises nach Einkommensgruppen prozentual gestaffelt wurde. Bei Gehältern unter 250 Reichstaler wurde die Kommunalabgabe auf 1 Prozent, bei Gehältern von 250 bis 500 Reichstaler auf 1,5 Prozent und bei darüber liegenden Gehältern auf 2 Prozent des jeweiligen Gehaltes festgelegt. 332 Bei der Erhebung waren die Gemeinden stets an das tatsächliche aktuelle Bedürfnis gebunden. Hinsichtlich ihres sonstigen Vermögens wurden die Beamten wie die übrigen Bürger und Schutzverwandten behandelt. Die Kommunalabgabe war von den staatlichen Kassen zu erheben und direkt an die Kommunalverwaltungen abzuführen. Bei der Berechnung der Gehälter mußte das Gesamteinkommen zu Grunde gelegt werden, d. h. neben dem eigentlichen Gehalt auch sämtliche Nebeneinkünfte?33 Von der Begünstigung der Schutzverwandten und Beamten waren nur die außerordentlichen Kriegssteuern und -schulden ausgenommen. Erst durch Regierungserlaß wurden die Staatsbeamten von besonderen Beiträgen zu den städtischen Kriegsschulden befreit, zu den allgemeinen Provinzialkriegsschulden mußten sie hingegen weiterhin Abgaben leisten. 334 In die Kommunalabgabenregelung für die Beamten schloß man sowohl Geistliche und Lehrer als auch die staatlichen Zivil- und Militärpensionäre ein, soweit die Pensionsgelder zu berücksichtigen waren. Mitglieder der Stadtgerichte und Polizeibeamten rechnete die Ministerialbürokratie dem Kreis der wirk331 §§ 44 u. 45, Tit. 4 i. Verb. m. §§ 32 u. 33, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1808, S. 328 f. 332 Deklaration vom 1l. Dezember 1809. Rumpf, Städteordnung, S. 31 f. Bezeichnenderweise wird diese Deklaration von Koselleck, Preußen, S. 573, ebensowenig erwähnt wie die zahlreichen späteren Erläuterungen zum § 44, Tit. 4 der Städteordnung. 333 Reskript vom 4. April und gemeinsamer Ministerialerlaß vom 26. August 1810. Rumpf, Städteordnung, S. 32. 334 Lit. c, Deklaration vom 11. Dezember 1809, bestätigt durch Erlaß der Potsdamer Regierung vom 10. März 1812. Zu den Beamtenregelungen siehe auch den Erlaß vom 30. Juli 1811. Aa.O., S. 32 f.

6. Die korporative Struktur der städtischen Bürgergesellschaft

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lichen, vom Staat besoldeten Beamten zu, "auf Justitiare, Doktoren und Justizkommissare" durften die Bestimmungen indessen nicht angewandt werden. 335 In den zwanziger Jahren gingen verschiedene Gemeinden dazu über, mit ausdrücklicher Genehmigung des Staatsministeriums auch die Gemeindebeamten in die Begünstigungsregelungen einzubeziehen. 336 Die kommunalsteuerliche Bevorzugung der Beamten begründete das Innenministerium offiziell einerseits mit der in der Regel geringen Höhe der Staatsbesoldungen, andererseits durch die Unmöglichkeit, diese "durch Industrie" zu mehren. Die Verteilung der Kommunalsteuern nach einem größeren oder geringeren Verhältnis stellte insofern nach Ministerialauffassung "keineswegs eine unzulässige Befreiung" dar, "sondern nur eine richtigere, der Städte-Ordnung vollkommen gemäße Vertheilung der öffentlichen Lasten nach der wirklichen Steuerkraft der Contribuenten".337 Selbst wenn man dieser Argumentation folgt, muß doch festgehalten werden, daß die kommunalsteuerlichen Privilegien eine Schranke für die politische Partizipation in der Gemeinde darstellten, zumal den Beamten, solange sie im Status des Schutzverwandten verblieben, nicht nur allgemein weniger Steuer zahlten, sondern auch noch unter die Zwei-Drittel-Regelung der Deklaration von 1809 fielen, womit sie stets unter dem Satz der bürgerlichen Abgaben blieben. 338 Steuerlich privilegiert waren jedoch nur die Einkünfte durch Gehalt. Sobald ein Beamter über weitere "steuerliche Objekte" verfügte, unterlag er, soweit er Bürger war, den steuerlichen Regelsätzen. Wenn in einer Stadt allerdings nur geringe direkte Kommunalabgaben erhoben wurden, konnte es leicht vorkommen, daß die Staatsbeamten mit ihrer festen Gehaltsquotisierung höhere Abgaben als die übrigen Stadtbewohner leisteten. Wurde zu335 Reskript vom 4. April 1810 und Erlaß der Potsdamer Regierung vom 16. November 1812. A. a. 0., S. 32 ff. Zur steuerlichen Behandlung der Geistlichen und Schullehrer siehe auch den gemeinsamen Ministerialerlaß vom 28. Februar 1817. Danach waren beide Berufsgruppen selbst von der Konsumtionssteuer befreit. Die zunächst von ihnen zu leistenden Beträge mußten ihnen aus der Konsumtionssteuerkasse zurückerstattet werden. APSV, Bd. 1 (1817), H. I, S. 138 f. 336 Ministerialerlasse vom 3. September 1824 u. 3. August 1825. Rumpf, Städteordnung, S. 49 f. Auch durch diese Entwicklung wird die These Kosellecks von der Kluft zwischen Staats- und Stadtbürger relativiert. Koselleck bezieht sich im übrigen weitgehend nur auf das die Deklaration von 1809 aufhebende Gesetz vom 11. Juli 1822. 337 Ministerialerlaß vom 3. August 1825. A. a. 0., S. 50. Dieser Erlaß bezieht sich schon auf die Quotisierung der Beamtenabgaben nach dem Gesetz vom 11. Juli 1822, in seiner grundSätzlichen Sicht des Beamtenprivilegs hat es jedoch auch für die frühere Zeit Geltung. 338 Vgl. das Publikandum der Regierung zu Königsberg vom 25. Januar 1824 und den Erlaß der Regierung zu Marienwerder vom 11. September 1824, bestätigt durch Ministerialerlaß vom 30. Juni 1825. Rumpf, Städteordnung, S. 42 ff. u. 55.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Refonnprozeß

dem in einer Stadt keine Einkommensteuer entrichtet und verfügten Beamte neben ihrem Gehalt über weitere steuerliche Objekte, wurden sie mitunter doppelt besteuert, denn die Gemeinden waren im allgemeinen zu der Praxis übergegangen, die durch die Deklaration von 1809 festgelegten Steuersätze generell von den Beamten einzufordern, selbst wenn sie von den übrigen Stadtbewohnern nur geringere Beiträge verlangten. 339 Auf diese Situation reagierte die Staatsregierung mit dem Gesetz vom Juli 1822, das die Deklaration von 1809 aufhob und die Diensteinkommen der Beamten überhaupt nur dann der Kommunalveranlagung unterwarf, wenn die Gemeindeabgaben der übrigen Stadtbewohner in Form einer allgemeinen Einkommensteuer erhoben wurden. In diesem Fall wurde das Diensteinkommen zukünftig wie Bürgereinkommen behandelt, jedoch nur die Hälfte zur Quotisierung gebracht. Ein Beamtengehalt von 1000 Reichstalern war also wie ein bürgerliches Einkommen von 500 Reichstalern zu behandeln. Gleichzeitig blieb die Quotenregelung der Deklaration von 1809 in Kraft, so daß die Höhe der Beamtenbeiträge zu den Gemeindebedürfnissen nicht 1 bis 2 Prozent des jeweiligen gesamten Diensteinkommens übersteigen durfte. 340 Die Staatssteuern und -lasten waren von dieser Regelung weiterhin ausgenommen, die Gemeindebeiträge zu den Provinzialeinrichtungen sowie zu den Provinzial- und Kreisschulden indessen nicht. Nur unmittelbare Staatsbeamte fielen unter das Gesetz, städtische Beamte, kommunale Polizeibeamte, Beamte der landschaftlichen Kassen und Sozietäten, Justizkommissare, Notare, Justitiare, Ärzte oder Künstler kamen nicht in den Genuß der Beamtenprivilegien?41 Es wurde jedoch bereits erwähnt, daß die Städte verschiedentlich ihre Beamten in diese Regelungen einbezogen. Die aus Staatskassen bezahlten Pensionen und Erziehungsgelder für Waisen unter 250 Reichstalern wurden neben den Diensteinkommen der Militärpersonen, Geistlichen und Schullehrer von allen direkten Beiträgen zu den Gemeindelasten befreit. 342 Die Vermögen und sonstigen Einkünfte der Beamten fielen dagegen weiterhin unter die Kommunalveranlagung, und, was noch weitaus wichtiger war, von den indirekten Gemeindeabgaben nahm die neue Regelung niemanden mehr aus. Die Staatsbeamten durften ihre indirekten Abgaben auch nicht bei den direkten Beiträgen aus den Diensteinkommen in Verrechnung bringen. 343 In den größeren Städten der Monarchie bildete die Mahl- und Ministerialerlaß vom 27. Mai 1823 u. 22. September 1824. Aa.O., S. 45 ff. §§ 1-3, Gesetz, die Heranziehung der Staatsdiener zu den Gemeindelasten betreffend, vom 11. Juli 1822. GS 1822, S. 184 f. 341 § 8, Staatsdienergesetz. Aa.O., S. 185. 342 § 10, Staatsdienergesetz. A a. 0., S. 186. 339 340

6. Die korporative Struktur der städtischen Bürgergesellschaft

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Schlachtsteuer, die auf alle Getreidearten, Hülsenfrüchte und Körner sowie auf Fleisch erhoben wurde, bald die wesentlichste Einnahmequelle, an der die Kommunen nicht zuletzt deshalb großen Gefallen fanden, weil sie die städtischen Bedürfnisse in erheblich größerem Umfang als die Klassensteuer befriedigte. Die kommunalen Zuschlagsrechte lagen bei der Mahlund Schlachtsteuer mit einer Höhe von 50 Prozent fast doppelt so hoch wie bei der Klassensteuer, wo der Erhebungssatz nur bis 26,6 Prozent reichte, zudem war durch die Mahl- und Schlachtsteuer ein höheres Pro-Kopf-Einkommen zu erzielen?44 Zu den 132 Städten, in denen 1820 die Mahl- und Schlachtsteuer eingeführt wurde, gehörten alle größeren Städte der östlichen Provinzen, darunter auch Berlin?45 In allen anderen Städten, in denen 1820 die Klassensteuer eingeführt bzw. diese nicht durch die Mahl- und Schlachtsteuer ersetzt wurde, beinhaltete das kommunalsteuerliche Beamtenprivileg keine Steuerbefreiung. Die Staatsbeamten mußten zur Klassensteuer veranlagt werden, wobei in diesem Fall erneut die Quotenregelung der Deklaration von 1809 zum Zuge kam, so daß die Staatsbeamten wie die Schutzverwandten überhaupt mit niedrigeren Abgaben belastet wurden. 346 Da in Berlin die Kommunallasten zu einem erheblichen Teil durch indirekte Steuern aufgebracht wurden, kamen hier wie in anderen Städten die steuerrechtlichen Privilegien der Staatsbeamten und Schutzverwandten nicht umfassend zur Wirkung. 347 Allein bei der Mietsteuer machte sich die Beamtenbegünstigung bemerkbar, während zur Haussteuer, da sie eine Grundsteuer darstellte und lediglich Hausbesitzer traf, auch die Staatsbeamten veranlagt wurden. In diesem Fall wurde nur das allgemeine Schutzverwandtenvorrecht wirksam, die steuerliche Quote machte mithin nur zwei Drittel der Bürgerabgaben aus. Allgemein läßt sich demnach feststellen, daß durch die kommunalsteuerrechtliche Begünstigung der Schutzverwandten und Beamten die prinzipiell eröffnete Möglichkeit zur Teilhabe an der kommunalen Verwaltung hintertrieben werden konnte, das Beamtenprivileg indessen keine grundsätzliche Barriere zwischen Staats- und Stadtbürger errichtete, zum al in den größeren Städten der Monarchie das kommunale Steueraufkommen zu einem erheblichen Teil durch indirekte Abgaben aufgebracht wurde, von denen die Staatsbeamten und Schutzverwandten nicht ausgenommen waren. 343 §§ 7 u. 12, Staatsdienergesetz. A.a.O., S. 185 f. Auch dieser wichtige Aspekt wird bei Koselleck außer Acht gelassen. 344 Vgl. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 222 f. Siehe dazu im Zusammenhang mit der Entwicklung der städtischen Verwaltungsorganisation ausführlich unten Kap. 4. 345 Vgl. die Beilage B zum Abgabengesetz, 7. August 1820. OS 1820, S. 138 f. 346 Ministerialerlaß vom 13. Oktober 1823 u. Publikandum der Königsberger Regierung vom 25. Januar 1824. Rumpf, Städteordnung, S. 41 f. 347 Zum zahlenmäßigen Verhältnis der einzelnen kommunalen Besteurungsarten in Berlin nach 1830 vgl. Bericht über die Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1829 bis incl. 1839, Berlin 1842, S. VII ff.

12 Grzywatz

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

7. Kommunalwahlrecht und Bürgergemeinde Vom Bürgerrecht war das Wahlrecht zu den Gemeinderepräsentationen zu unterscheiden. Grundsätzlich übten nur die mit dem Bürgerrecht ausgestatteten Stadtbewohner, mithin die Haus- und Grundbesitzer, auch das Kommunalwahlrecht aus. Soweit nichtansässige Bürger einbezogen waren, regelten indessen Zensusbestimmungen den Zugang zur politischen Teilnahme in der Gemeinde. In großen Städten mit mehr als 10000 Einwohnern blieb Bürgern mit einem reinen Jahreseinkommen unter 200 Reichstalern, in kleinen und mittleren Städte solchen mit Einkünften unter 150 Reichstalern die politische Gleichberechtigung ebenso versagt wie den Frauen. Personen, die mit Zuchthaus über drei Jahre verurteilt waren, durften weder wählen noch das Bürgerrecht gewinnen. Selbst Einwohnern, die nur eine geringe Strafe abbüßen mußten, in eine Kriminaluntersuchung verwickelt, in Konkurs geraten oder unter Kuratel gesetzt waren, konnten nicht mehr am politischen Leben der Gemeinde teilnehmen. 348 Geringfügig Bestrafte, vorläufig Losgesagte oder zu einer Kriminaluntersuchung herangezogene Bürger konnten zudem nur mit Einwilligung der Gemeinderepräsentation erneut am Wahlrecht teilnehmen. 349 Wer als Stadtbürger über das aktive Wahlrecht verfügte, besaß auch das passive. 35o Mit dem Zensus in Höhe von 200 Reichstalern, der gewerblichen und besitzrechtlichen Bindung der Teilhabe sowie der Ablösung korporativer Wahlkörper waren in der Städteordnung weitgehend die Vorschläge Freys aufgenommen worden. Der unter den Ältesten der Königsberger Kaufmannschaft firmierende erste Entwurf von Friedrich Brand hatte die städtische Bürgerschaft noch in drei Ordnungen nach Kaufmannschaft, Mälzenbräuern und Gewerken gegliedert und diese nach den drei Stadtbezirken in Korporationen organisiert?51 Die Wahl der Repräsentanten sollte durch die einzelnen Korporationen erfolgen, während Brand die Anzahl der Mandate nach 348 § 74, Lit. a, Tit. 6 i. Verb. m. §§ 20-22, Tit. 3, StO 1808. GS 1808, S. 326 f. u.333. 349 § 75, Tit. 6, StO 1808. A. a. 0., S. 333 f. 350 § 84, Tit. 6, StO 1808. A. a. 0., S. 335. 351 Tit. 2-6, Entwurf zu einer neuen Verfassung der Königsberger Bürgerschaft, 15. Juli 1808, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 653 ff. Dazu die ImmediatvorsteUung der Ältesten der Königsberger Bürgerschaft vom gleichen Tage, a. a. 0., S. 650 ff. Vgl. Gertrud Nicolaus, Die Einführung der Städteordnung vom 19. November 1808 in Königsberg in Preußen, Phil. Diss., Königsberg 1931, Minden 1931, S. 24 ff. Zu Brand siehe auch Erich Joachim, Zur Vorgeschichte der preußischen Städteordnung vom 19. November 1808, in: HZ, Bd. 68 (1892), S. 8489. Zur Ordnung der Kaufmannschaft gehörten im einzelnen Kaufleute, Seeschiffsreeder, Buchhändler, Apotheker, Unternehmer von Fabriken, die gleichzeitig mit ihren Fabrikaten Handel trieben und die mit Grundstücken angesessenen Makler. Zu den Mälzenbräuern zählten die Eigentümer der mit Braurechten versehenen Häuser,

7. Kommunalwahlrecht und Bürgergemeinde

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dem "Verhältnis der Personenzahl und der Größe des Beitrages der Wählenden zu den Kommunallasten,,352 verteilen wollte. Brands Entwurf kann somit als frühes Beispiel eines steuerlich begründeten Klassenwahlrechts angesehen werden. Von den empfohlenen 102 Mandaten waren 42 der Kaufmannschaft, 24 den Mälzenbräuern und 36 den drei Korporationen der Gewerke vorbehalten. Diese Sitzverteilung war innerhalb der Königsberger Bürgerschaft umstritten. Die Vertreter der Gewerke sahen sich gegenüber den aus Mälzenbräuern und Kaufmannschaft zusammengesetzten Großzünften unterrepräsentiert. Sie verlangten eine gleichberechtigte Vertretung in der Repräsentation, das hieß mit den eingeforderten 51 Mandaten dachten sie auch an eine völlige Aufhebung des Unterschieds zwischen Groß- und Kleinbürgern. Die Mälzenbräuer setzten sich hingegen für eine gleiche Verteilung der Mandate auf alle drei Bürgerordnungen ein. 353 Zu einer Einigung kam es indessen nicht. Erst in seinem Entwurf gab Brand das korporative Wahlrecht auf. Die Bürgerrepräsentanten wurden nicht mehr nach Zünften und Korporationen gewählt, das Wahlrecht sollte jedoch nur den angesessenen Grundeigentümern und jenen Kaufleuten zustehen, die, ohne über Grundbesitz zu verfügen, einen Verlag innehatten und damit Handel führten. 354 Eine solche Regelung hätte zu einer politischen Dominanz des Grundeigentums in den Städten geführt, die von der Ministerialbürokratie abgelehnt wurde. Vincke stand den Vorstellungen Freys wesentlich näher. Er plädierte ebenso wie der Königsberger Polizeidirektor für ein Zensuswahlrecht, dem er einen jährlichen Grund- und Haussteuerbetrag von 10 Reichstalern zu Grunde legen wollte. Das setzte eine reine Geldeinnahme von 80 Reichstalern und ein Grundvermögen von 2000 Reichstalern voraus. Alternativ schlug er einen jährlichen Personalsteuerbetrag von 5 Reichstalern, ein schuldenfreies Eigentum von 2000 oder ein Kapitalvermögen von 4000 Reichstalern vor. 355 Sämtliche Vorschläge Vinckes hätten das Kommunalwahlrecht schärfer begrenzt, als es die Reformbürokratie in ihrer integrativen und national pädagogischen Zielsetzung für angebracht hielt. So einigte man sich auf einen Zensus von 200 Reichstalern, wodurch nach allgemeizu den Gewerken die Künstler, Professionisten und "die ohne ein bürgerliches Gewerbe angenommenen Bürger". A. a. 0., S. 654. 352 A. a. 0., S. 652. Siehe Nicolaus, Einführung, S. 30. 353 Immediatvorstellung der Ältesten, 15. Juli 1808, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 652. Nicolaus, Einführung, S. 32, übersieht, daß die geforderte Aufhebung der Differenzierung nach Groß- und Kleinbürgern mit einer entsprechenden Mandatsverteilung verbunden war. 354 Tit. 2, Entwurf Brand, 24. August 1808, in: Scheel!Schmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 786. Nicolaus, Einführung, S. 39. 355 Vincke, Unterbehörden - Kommunalverwaltung, 3. August 1808, in: Scheel! Schmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 720. 12*

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

ner Auffassung hinreichend dafür gesorgt war, daß "den unzuverlässigen Leuten" der Weg zum Bürgerrecht nicht allzu leicht eröffnet wurde. 356 Die Städteordnung beabsichtigte, wie Minister Graf zu Dohna der Königsberger Bürgerschaft mitteilte,357 eine möglichst allgemeine Teilnahme der Bürger an der Verwaltung des Gemeinwesens herbeizuführen, nur aus diesem Grund war das Recht auf Teilhabe auf die verhältnismäßig geringe Summe von 200 Reichstalern festgesetzt worden. Welche Auswirkungen der Zensus auf eine Großstadt vom Umfang Berlins hatte, zeigte sich schon bei der ersten Wahl zur Stadtverordneten-Versammlung nach Einführung der neuen Städteordnung, der Anteil der Wahlberechtigten an der Zivilbevölkerung lag bei 5,8 Prozent. 358 Nur wenig mehr als neuntausend Personen machten die politikfähige Bürgerschaft der Stadt aus. Das bedeutete im Hinblick auf die Kommunalverfassung des Absolutismus keine wesentliche Veränderung, im Hinblick auf die pädagogisch-politische Zielsetzung der reformierten Kommunalverfassung muß jedoch von einer konterkarierenden Wirkung des kommunalen Wahlrechts gesprochen werden, das gerade das Bildungsbürgertum als stimulierenden Faktor der Gemeindetätigkeit grob vernachlässigte. Zudem wurde das Wahlrecht sozial noch weiter verengt, indem die Städteordnung, vom Prinzip der geschlossenen Bezirkswahl ausgehend, für die Zusammensetzung der Gemeinderepräsentation eine Hausbesitzerquote festlegte. 359 Anstelle der Wahlen nach "Ordnungen, Zünften und Korporationen" ordnete das Kommunalrecht Bezirkswahlen an und schrieb die Verteilung der Mandate auf die Wahlbezirke nach dem Verhältnis der jeweilig vorhandenen stimmfähigen Bürger vor. Das aktive und passive Wahlrecht konnte indessen nur bezirksweise ausgeübt werden. Die Bewerbung eines Bürgers um ein Stadtverordnetenmandat mußte in dem Stadtbezirk erfolgen, in dem er als wahl- bzw. stimmfähiger Bürger registriert war?60 Das passive Wahlrecht erlitt dabei durch die Hausbesitzerklausel eine erhebliche Einschränkung, da von den Gemeindevertretern jedes Bezirks "wenigstens zwei Drittel" Hauseigentümer sein mußten. War schon ein Ausgleich der Quote zwischen den einzelnen Wahlbezirken nicht möglich, so stellte das Innen356 Bemerkungen des Geheimen Rats Morgenbesser zum Entwurf Freys, 31. Juli 1808, in: A.a.O., Bd. 2, S. 699 f. 357 Nicolaus, Einführung, S. 47. 358 Vgl. Tab. 2 im Stat. Anhang. Siehe auch Pahlmann, Anfänge, S. 122. In der älteren Forschung lag die Quote der Wahlberechtigten etwas höher, sie schwankte zwischen 6,9 und 7,5 Prozent. Konrad Kettig, Berlin im 19. und 20. Jahrhundert, in: Heimatchronik Berlin, Köln 1962, S. 537; Gerhard Kutzsch, Verwaltung und Selbstverwaltung in Berlin unter der ersten Städteordnung, in: JbL, Bd. 13 (1962), S. 28. Mieck, Reformzeit, S. 444. 359 § 85, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 335. 360 §§ 72 f. u. 84, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 333 u. 335.

7. Kommunalwahlrecht und Bürgergemeinde

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ministerium darüber hinaus fest, daß auch zwischen den gewählten Mandatsträgern und ihren Stellvertretern keine Verrechnung stattfinden durfte. Fehlte folglich in einem Wahlgang die erforderliche Anzahl von Hausbesitzern, mußten zunächst neue Wahlvorschläge gemacht und ein neuer Wahlgang vorgenommen werden. Wenn die Stimmenverhältnisse dann immer noch nicht die erforderliche Hausbesitzerquote erbracht hatten, war nach der Rangfolge der abgegebenen Stimmen "von den übrigen mit Stimmenmehrheit verzeichneten Kandidaten" die vorgeschriebene Zahl der Hauseigentümer zu bestimmen. 361 Nach der Dominanz des Hausbesitzes in den preußischen Gemeinden, welche im übrigen durch das spätere Kommunalrecht relativiert, aber nicht revidiert wurde, konnte mithin eine weitere Differenzierung der städtischen Gesellschaft und der bürgerlichen Mitwirkungsrechte ausgemacht werden, denn neben der Einwohner- und Bürgergemeinde gab es praktisch noch eine "Hausbesitzergemeinde".362 Die politische Mitwirkung in der Gemeinde war demnach ein exklusives Recht einer kleinen Minderheit, die innerhalb der stadtbürgerlichen Gesellschaft des Vormärzes eine relativ hohe Kontinuität bewahrte. So nahm zwar die Zahl der Bürger bis zur Märzrevolution ständig zu, wenn auch nicht ganz so rasch wie die Bevölkerung überhaupt, aber die Bürgerquote der hauptstädtischen Einwohnerschaft stagnierte bis 1840 bei 5,8 Prozent. Erst in den folgenden Jahren erhöhte sich der Anteil leicht auf sechs und erreichte dann im Revolutionsjahr einen Stand von 6,5 Prozent. 363 Unter dem nachrevolutionären Kommunalrecht öffneten sich die Grenzen der Bürgergemeinden, an deren Stelle die Einwohnergemeinde trat, gleichzeitig wandelte sich das Bürgerrecht zu einem ausschließlich politischen Recht. Der Anteil der zur Teilhabe in der Gemeinde Aufgerufenen nahm nunmehr kontinuierlich bis knapp auf ein Fünftel der Stadtbevölkerung am Vorabend des Ersten Weltkrieges zu. Das Verhältnis der Bürger bzw. Wahlrechtsinhaber zur Gesamteinwohnerzahl ist jedoch, soweit es um die konkrete Entwicklung der politischen Mitwirkung in der Gemeinde geht, wenig aussagekräftig, da in dieser Relation sowohl Teilhabeunfahige wie -ausgeschlossene, vornehmlich unmündige Kinder, Frauen und abhängig Beschäftigte, einbezogen sind. Im Hinblick 361 §§ 85, 97 u. 99 f., Tit. 6, StO 1808. A. a. 0., S. 335 u. 336 f. Ministerialreskript vom 19. Mai 1809. Rumpf, Städteordnung, S. 84. 362 Alfred Baron, Der Haus- und Grundbesitzer in Preußens Städten einst und jetzt unter Berücksichtigung von Steins Städteordnung (= Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle/S., Bd. 65), Jena 1911, S. 3. 363 Berechnet nach Ernst Bruch, Gesetz und Praxis der Gemeindewahlen, besonders in Berlin, Berlin 1869, S. 98 u. 111-113. VerwBBln 1829-1839, S. III f. SJStBln, 34. Jg. (1915-1919), S. 3 f.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

auf die politische Dimension des Geschlechterverhältnisses und des Klassencharakters der vormärzlichen Stadtgesellschaft, insbesondere der Ausgrenzung der unterbürgerlichen Schichten, hat der Quotient dennoch als Merkmal, wenn auch unzweifelhaft als sehr grobes, Bedeutung. 364 Betrachtet man die Gruppe der Partizipierenden in der Gemeinde, d.h. die männlichen, durch Besitz oder ein Einkommen über 200 Reichstaler ausgezeichneten Bürger, lag der Anteil der politikfähigen Bürger bzw. derjenigen, die von ihrer Partizipationsmöglichkeit Gebrauch machten, zwischen 1809 und 1848 durchschnittlich bei 11,6 Prozent. Während der Geltungsdauer der Gemeindeordnung sank die Quote der wahlberechtigten Männer an der männlichen Gesamtbevölkerung unter zehn Prozent. Nach dem Erlaß der Städteordnung von 1853 übertraf der Anteil der politisch Partizipierenden rasch die entsprechenden Ziffern des vormärzlichen Zeitalters. In der zweite Hälfte der siebziger Jahre war die Dreißig-Prozent-Grenze, am Vorabend des Ersten Weltkrieges die Marke von knapp zwei FünfteIn erreicht. 365 Die im Jahrhundertverlauf beobachtete Relation stellt jedoch nur einen Annäherungswert dar, weil das Bild durch die der männlichen Bevölkerung subsumierten unmündigen Kinder und Jugendlichen beeinflußt wird. Für die Jahre zwischen 1837 und 1849 liefert das überkommene statistische Material geschlechts- und altersspezifisch differenzierte Angaben zur Bevölkerungsentwicklung Berlins. Der durchschnittliche Bevölkerungsanteil der Altersklassen bis 25 bzw. 24 Jahre 366 liegt bei 53 Prozent. Wenn der Berechnungszeitraum bis in die siebziger Jahre hinein ausgedehnt wird, sinkt dieser Wert leicht auf 50,5 Prozent. 367 Unter Berücksichtigung dieser Altersquoten ergibt sich unter der männlichen Bevölkerung Berlins im Vormärz eine wahlrechtlieh definierte Partizipationsrate, die zwischen 23,5 und 26,6 bzw. zwischen 22,3 und 25,3 Prozent schwankte. Im Jahr der Einführung der Städteordnung erreichte die Rate einen Stand von 24,7 oder 23,3 Prozent, während sie im Revolutionsjahr 1848 leicht auf 26,6 bzw. 25,3 Prozent zugenommen hatte. Die Zahlen bestätigen die beobachtete relative Geschlossenheit der politischen Teilhabe in der vormärzlichen Stadtgemeinde. Unter der Gemeindeordnung geht der Anteil der Politikfahigen an der männlichen Bevölkerung Berlins auf unter ein Fünftel (18,8 bzw. 364 Vgl. dazu auch Kocka, Kommentar, S. 420. Kaufhold, Kommentar, Sektion 1, Sozialstruktur der städtischen Bevölkerung und des städtischen Bürgertums, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 116 f. 365 Vgl. Tab. 2 im Stat. Anhang. 366 Die Altersklassen werden bis 1843 durch die Gruppen der 16-20 und 2025jährigen abgeschlossen, anschließend wird diese Einteilung durch die Gruppen der 16-19 sowie 19-24jährigen ersetzt. Vgl. Böckh, Bevölkerungsaufnahme 1875, H. 1, S. 26-28. 367 Mittelwerte berechnet nach ebd. unter Berücksichtigung der bei Böckh ermittelten Bevölkerungsziffem.

7. Kommunal wahlrecht und Bürgergemeinde

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19,6 %) zurück, um dann nach Einführung der Städteordnung von 1853 erneut zuzunehmen. 1856 waren fast ein Drittel (30,2 bzw. 31,3 %)368 der männlichen Einwohner der Landeshauptstadt wahlberechtigt. Nach der Novellierung des Klassen- und Einkommensteuergesetzes in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, die mit einer Halbierung der nachzuweisenden Klassensteuerbeträge auf zwei Reichstaler verbunden war, machte die Partizipationsrate ab 1876 einen kräftigen Sprung auf die Marke von fast drei Fünfteln (57,5 bzw. 59,6 %). Zu Beginn der neunziger Jahre sorgte eine weitere Reduzierung der zum Kommunalwahlrecht berechtigenden Steuersätze für ein weiteres Wachstum der Zahl der politisch Partizipierenden in der Gemeinde, deren Anteil an der männlichen Bevölkerung 1893 etwa drei Viertel (72,5 bzw. 75,1 %) ausmachte. Mit diesem Wert war der Höchststand der Partizipationsrate schon fast erreicht. In der Stadt realisierte sich also auf Grund des wirtschaftlichen Wachstums und der wahlrechtlichen Weiterungen eine geschlechtsspezifisch orientierte Staatsbürgergesellschaft. 369

Die quantitative Erweiterung des Zugangs zum Bürger- und Wahlrecht in der Gemeinde beinhaltete unterdessen kein qualitatives Wachstum der politischen Teilhabe, da die steuerliche Entlastung der unteren Einkommensschichten durch die preußische Steuerreform politisch einen plutokratischen Effekt auslöste, indem die Grenzen zwischen den einzelnen Wählerabteilungen verschoben wurden, insbesondere aber die Wähler der dritten Klasse erheblich zunahmen. Der Gesetzgeber reagierte auf diese Situation unter anderem mit einer Änderung des Wahlverfahrens, die in den Gemeinden die Bezirksdrittelung, d. h. die Abteilungsbildung auf der Grundlage der einzelnen Wahlbezirke anstelle der gesamten Stadt als einheitlichem Wahlkörper ermöglichte. Daher kam es auf Grund der differierenden Sozial- und Einkommensstrukturen in den einzelnen Stadtbezirken zu einer Erweiterung der politischen Teilhabe der städtischen Unter- und Mittelschichten, ohne daß das Dreiklassensystem und seine ungleiche Verteilung des Gewichts eröffneter Einflußchancen prinzipiell abgelöst wurde?70 Da das Bürgerrecht der preußischen Städteordnung keine grundsätzliche Trennung zwischen Bürgern und Schutzverwandten kannte, diese lediglich nicht der bindenden Verpflichtung zum Bürgerwerden unterwarf, und selbst die Befreiung von den Kommunallasten, wie wir gesehen haben, nur relativen Charakter hatte, gab es partizipationsgeschichtlich gesehen keine unverrückbar feststehenden Grenzen zwischen den beiden rechtlich fixierten 368 Der Mittelwert für den Bevölkerungsanteil der Altersklassen bis 24 Jahre lag in der Nachrevolutionsära bei 48,7 Prozent; dieser Wert wurde jeweils mit dem über den gesamten Zeitraum ermittelten Wert von 50,5 Prozent kombiniert. Vgl. dazu Tab. 2 im Stat. Anhang. 369 Vgl. Kaufhold, Kommentar, S. 118. 370 Dazu ausführlicher im Kap. 9, Unterabschnitt 3.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Gruppen der städtischen Gesellschaft. Die vom rechtlichen Status in der Gemeinde ausgehende Bürgertumsforschung muß demnach nicht zu einem von vornherein verengten Blickwinkel führen, wie Kocka meint. 37 ) Als politisch-rechtliche Kategorie eignet sich der Bürgerrechtsbegriff jedoch nicht für schichten- und gruppenspezifische Untersuchungen. Nicht etwa, weil auf diese Weise das Bürgerrecht in seiner vergesellschaftenden Kraft überschätzt werden würde,372 sondern weil das Bürgerrecht schon in seiner reformzeitlichen Fassung ganz wesentlich unter politisch-funktionalem Aspekt konstituiert wurde. Der Bürgerrechtsbegriff eröffnet in erster Linie eine partizipationsgeschichtliche Perspektive, während die sozial wissenschaftlich orientierte Bürgertumsforschung in ihrem Bemühen über schichten- und gruppenspezifische Ordnungen, Abgrenzungen und Entwicklungen zu einer genaueren Definition und qualitativen Einschätzung des Bürgertums zu kommen, auf das Fruchtbarmachen solcher Faktoren angewiesen ist, die in der empirischen Sozialforschung unter den Begriffen sozialer Status und Sozialprestige zusammengefaßt werden. 373 Durch die Differenzierung von Bürgerrecht und Bürgergemeinde versucht das von Lothar Gall initiierte Projekt "Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modemen Gesellschaft" zu einer neuen quantitativen Bestimmung der Partizipation in der vormärzlichen Stadtgesellschaft zu kommen. Gleichzeitig wendet man sich gegen die These eines kontinuierlichen Emanzipationsprozesses von der Bürger- zur Einwohnergemeinde und glaubt auf Grund der erarbeiteten empirischen Ergebnisse feststellen zu können, daß mit der Reformierung der Gemeindeverfassung und der Einführung des zensusgebundenen Bürgerrechts zu Beginn des 19. Jahrhunderts, eine gegenläufige Bewegung einsetzt. Der Umfang der Bürgergemeinde reduziert sich in erheblichem Maße, gleichzeitig nimmt die "Partizipationsrate" ab. 374 Das Verfahren des Frankfurter Projektes ist in mehrfacher Hinsicht problematisch, sowohl durch die Kombination von Begriffen, die schwerlich in 371 Vgl. die Zusammenfassung der Diskussion zur Sektion I, Sozialstruktur der städtischen Bevölkerung und des städtischen Bürgertums, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 122. 312 So Kocka, ebd. 373 Vgl. den Hinweis Kockas auf die Bielefelder Forschungsgruppe und ihrem Bemühen Bürgertum über solche Faktoren wie Kultur, Lebensführung und Konnubium zu erfassen. Ebd. Zur generellen Problematik von historischen Schichtungsanalysen vgl. Kap. 5, Unterabschnitt 2. 374 Vgl. Dirk Reuter, Der Bürgeranteil und seine Bedeutung, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 79 ff. Ders./R. Roth/Th. Weichei, Zusammenfassung, Sektion I, Sozialstruktur der städtischen Bevölkerung und des städtischen Bürgertums, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 108 f. Roth, Stadt und Bürgertum, S. 72 ff.

7. Kommunalwahlrecht und Bürgergemeinde

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eine komplementäre Beziehung zu bringen sind, und die unkritische Verabsolutierung zeitgenössischer Denkmuster als auch durch den fragwürdigen Vergleich überaus unterschiedlicher Kommunalrechtsordnungen und die Nichtberücksichtigung verfassungsrechtlicher Umbrüche, welche die Stellung der Gemeinde in der staatlichen Ordnung neu definieren. Bei dem Versuch, die Einschränkung stadtbürgerlicher Mitwirkung durch die preußische Kommunalrechtsreform nachzuweisen, unterlaufen Dirk Reuter,375 wenn es um die Beurteilung der rechtlichen und politischen Wirkungen der Reform geht, zunächst schlichte Fehler. So war das Bürgerrecht der Städteordnung von 1808 zunächst nicht auf das kommunale Wahlrecht reduziert, mit der Kommunalreform wurde auch nicht ein kombiniertes Zensus- und Klassenwahlrecht eingeführt. Soweit sich dieses Urteil auf die Nachrevolutionsära bezieht, bleibt festzuhalten, daß sich selbst unter dem Dreiklassenwahlrecht die politische Partizipation ausweitet, da dieses tendenziell einen allgemeinen Charakter hat. Damit kein Mißverständnis entsteht: Zweifellos werden durch das Klassen wahlrecht die Partizipationschancen in der Gemeinde äußerst ungerecht verteilt, es schließt jedoch, insbesondere nach den Wahlrechtsnovellierungen des späten 19. Jahrhunderts immer größere Teile der Stadtbevölkerung in die politische Teilhabe ein. Die politischen Konsequenzen dieses Prozesses sind überaus unterschiedlicher Natur, da die Abhängigkeit des Wahlrechts von der Einkommens- und Steuerstruktur in den preußischen Städten differierende Wirkungen hat. Es erscheint daher kaum möglich, das "System des genossenschaftlichen Herrschaftsverbands der Hausväter,,376 mit der klassenwahlrechtlich geprägten Einwohnergemeinde zu vergleichen. Soweit Vergleiche in Longitudinaluntersuchungen angestellt werden sollen, bedürfen sie allgemeiner Parameter, welche den ordnenden Zugriff ermöglichen. Die politische Partizipation wäre grundsätzlich schon eine solche Größe. Sie bezieht sich als allgemeine Kategorie sozialen Handeins auf zweckgerichtetes Agieren, welches durch eine Einflußnahme auf den politischen Entscheidungsprozeß die Verwirklichung von Interessen und die Befriedigung von Bedürfnissen anstrebt. In der Gemeinde oder auf der Ebene lokaler Politik bezeichnet politische Partizipation, folgt man der Begrifflichkeit der politischen Soziologie, jede Art von Versuch der Teilhabe und Einflußnahme an dem durch die staatlichen Institutionen und den Bestand der öffentlichen Aufgaben ausgewiesenen politisch-administrativen Bereich und umfaßt insbesondere auch die Mitwirkung der Bürger an der Entfaltung öffentlicher Aufgaben. 377 Reuter, Bürgeranteil, S. 81. Frank Möller, Die lokale Einheit der bürgerlichen Bewegung bis 1848, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 393. 375

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Die gegenwartsbezogene Sozialwissenschaft nimmt bei ihren partIzIpationssoziologischen Untersuchungen vornehmlich die entwickelte Industriegesellschaft in den Blick, fragt nach den struktur- und akteurbezogenen Determinanten politischer Mitwirkung, den konstitutionellen Rahmenbedingungen, und analysiert schließlich die verfaßten und nicht verfaßten, die direkten und indirekten Formen der Beteiligung auf den unterschiedlichen Ebenen des politischen Systems. 378 In diesem komplexen Untersuchungsfeld stellt der Wahlakt bzw. das Wahlrecht nur eine, wenngleich entscheidende, Form der Beteiligung an der politischen Willensbildung dar, welche der formalen Legitimation des politisch-administrativen Aktionssystems der Gesellschaft dient und unter funktionalen Aspekten sowohl für die Auswahl und Bestellung von politischen Funktionseliten als auch für die Auswahl und Legitimation von politischen Handlungsprogrammen steht. Die Untersuchung politischer Partizipation in vordemokratischen Gesellschaften müßte sich analog der Frage nach Teilhabe, Einflußnahme und Mitbestimmung auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems stellen. Bezieht sich die Analyse auf den lokalen Bereich und beschränkt sie sich auf die Form des Wahlaktes, ist es notwendig, sich auf die politischen Voraussetzungen, d.h. die Verteilung des aktiven und passiven Wahlrechts zu beziehen. Die reale Partizipationsquote kann daher in den Gemeinden nur im Verhältnis von Bürgerschaft, männlicher Bevölkerung und Gesamteinwohnerschaft ermittelt werden. Es kann nicht angehen, daß man sich auf Grund der Schwierigkeiten der statistischen Überlieferung den "selbständigen Haushaltsvorständen,,379 zuwendet und diese mit dem Faktor der jeweilig durchschnittlichen Haushaltsgröße in den Gemeinden multipliziert, um zu einer möglichst exakten Bestimmung der Partizipationsrate zu kommen. Zwar entgeht man auf diese Weise dem Vorwurf an die jüngere Stadtgeschichtsschreibung, sie komme durch die Relation von Bürger und Einwohnerschaft zu einem völlig schiefen Bild des Umfangs politischer Teilhabe in der Gemeinde,38o aber man liegt, soweit vom Partizipationsbegriff ausgegangen wird, den ideologischen Prämissen der zeitgenössischen Wahlrechts theorie auf. Solange das Forschungsbestreben auf das Messen von wahlrechtsorientierten Partizipationsraten abzielt, darf nur der allgemeine Zugang zur poli377 Buse/NeIles, Formen und Bedingungen der Partizipation, in: Partizipation-Demokratisierung, S. 41 f. NeIles, Strukturbezogene Determinanten politischer Partizipation, in: A. a. 0., S. 62 f. 378 Buse, Beteiligung woran und wozu? Zur Abgrenzung von Bereich und Begriffen, in: Partizipation-Demokratisierung, S. 47 ff. Ders./Nelles, Überblick über die Formen der politischen Beteiligung, in: A. a. 0., S. 79 ff. 379 Reuter, Bürgeranteil, S. 77. 380 Die Angriffe richten sich vornehmlich gegen Krabbe, Stadt, S. 49. Vgl. Reuter, Bürgeranteil, S. 75 f. Roth, Stadt und Bürgertum, S. 71.

8. Staatliche Gemeindeaufgaben und kommunale Zuständigkeiten

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tischen Mitwirkung in der Gemeinde beobachtet werden, d.h. in Bezug auf die erwachsene männliche Gesamtbevölkerung. Daß Frauen, Gesinde und Gesellen von der politischen Einflußnahme ausgeschlossen waren, politische Partizipation an die selbständige Haushaltsführung gebunden blieb, entsprang einem zeitgenössischen Vorurteil, das nun keineswegs unkritisch in partizipationsgeschichtliche Längsschnittuntersuchungen eingeführt werden sollte?81 Wie bereits ausgeführt wurde, ging die rationalistische Wahlrechtstheorie zwar von der naturrechtlichen Gleichheit der Individuen aus, verweigerte sich aber der politischen Konsequenz des Gleichheitsprinzips, um die Herrschaft der bürgerlichen Eigentumsordnung nicht zu gefährden. 382 Aus der Perspektive staatlicher Reformpolitik wurde, um das preußische Beispiel hervorzuheben, eine bewußte machtpolitische Ausgrenzung des als gemeinsinnfeindlich eingestuften Elements der abhängig Beschäftigten vorgenommen. Der Bürgeranteil ist mithin ein Indikator für die gesellschaftliche Reichweite einer vordemokratischen korporativen Politikform, nicht aber für das Maß der Partizipation in einem körperschaftlich organisierten Gemeinwesen. 8. Staatliche Gemeindeaufgaben und kommunale Zuständigkeiten die örtliche Polizeiverwaltung

Das reformierte Kommunalrecht Preußens stellte in seinem Bemühen, auf der Grundlage selbsttätiger Teilnahme die innere Einheit der Kommunen zu konstituieren, den bemerkenswerten Versuch dar, das Verhältnis von Staat und Gemeinde, von Selbstverwaltung und Staatsaufgaben im Gemeindeleben perspektivisch zu lösen. Da sich die Überwindung der Partikularinteressen, die Konzentration der Kommunalverwaltung wie die allgemeine Belebung des Gemeinsinns in den Vorstellungen der Reformbürokratie gleichsam als Funktion partizipierender Selbsttätigkeit erwies, bezog sich die Diktion der preußischen Kommunalverfassung folgerichtig weit wesentlicher auf die Formen und Regelungen der Teilnahme, als daß sie detaillierte Bestimmungen über den kommunalen Wirkungskreis und die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Kommunal- und Staatsorgane schuf. Die Nahtstellen zwischen Gemeinde und Staat wurden in den Instituten der Genehmigung, Bestätigung, Aufsicht und Polizei sichtbar, während sich der Wirkungskreis der Gemeinden ebenso durch den Vorbehalt des Gesetzes und die Kompetenz weiterer Gemeindeverbände wie durch die Leistungsfähig381 So insbesondere Reuter, Bürgeranteil, S. 77. 382 Siehe dazu auch Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus. Ein Beitrag zum Verhältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung, in: Ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 2Darmstadt 1970, S. 66 ff. Vgl. oben Kap. 1, Unterabschnitt 3.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

keit der abgabepflichtigen Bürger und die alleinige Zuständigkeit für das jeweilige Gemeindegebiet bestimmte. War die Regelung von Wahl und Bestätigung städtischer Amtsträger "gewissermaßen das monarchisch-staatliche Bindeglied einer kommunalen Personalpolitik",383 so äußerte sich im Verlust der Polizei und folglich in den polizeilichen Genehmigungsvorbehalten städtischer Verwaltungspolitik eine weitreichende Einengung des prinzipiellen Wirkungskreises der Städte. 384 Die Städteordnung erklärte die Polizei zu einem grundsätzlichen Hoheitsrecht des Staates. Soweit die Gemeindebehörden mit der Ausübung der Ortspolizei betraut wurden, handelten sie in seinem Namen und Auftrag. Der mit der Polizeiverwaltung beauftragte Magistrat stand in dieser Hinsicht in keiner, wie auch immer gearteten Verbindung zur kommunalen Administration. Er agierte ausschließlich "als Behörde des Staates" und war damit integraler Bestandteil des staatlichen Polizeiorganismus. 385 Dieses Prinzip gab das preußische Verwaltungsrecht im 19. Jahrhundert nicht mehr auf. Alle Polizei, auch die sich im gemeindlichen Wirkungskreis vollziehende Ortspolizei blieb ein ausschließliches Recht des Staates. Die Kommunen verkörperten zunächst nur einen wirtschaftlichen Verband, während die Gemeindeverwaltung "eine selbständige, von der Regierung möglichst unabhängig zu gestaltende Vermögens- und Anstaltsverwaltung,,386 darstellte. Das politische Denken der Nachreformära bestätigte diese Auffassung. Mit Blick auf den "inneren Haushalt" der Städte konnte im älteren Gemeinderecht nicht, wie es später das Verwaltungsrecht des Kaiserreichs postulierte, von einer umfassenden Wirksamkeit der Gemeindetätigkeit die Rede sein. Die teilnehmende Selbsttätigkeit der Kommunen erschloß diesen, wie Streckfuß bemerkte, nur "die Selbständigkeit ihrer inneren Verwaltung".387 Die Kommunalordnung traf keine einschränkende Bestimmung über den Umfang und die Kompetenzen der Polizeiverwaltung. Sie stellte vielmehr fest, daß die Polizei "hauptsächlich für die Sicherheit und das Wohl der städtischen Einwohner thätig" war, was sowohl die Übernahme der allgeSchinkel, Polizei, S. 316. So schon ausdrücklich Rosin, Souveränität, S. 319. Allerdings ist Rosins Unterscheidung von Staat und Gemeinde nach dem Merkmal der Souveränität überholt. Vgl. dazu Peters, Grenzen, S. 57 f. 385 § 166, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 346. 386 Stier-Somlo, Städterecht, S. 11. Vgl. auch Kar! Lamp, Das Problem der städtischen Selbstverwaltung nach österreichischem und preußischem Recht, Leipzig 1905, S. 38 f. Meier, Das Verwaltungsrecht, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaften in systematischer Bearbeitung, hrsg. von 1. Kohler, Bd. 2, 6 Berlin-Leipzig 1904, S. 642 ff. 387 Streckfuß, Städteordnung, S. 13. 383 384

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meinen polizeilichen Verwaltungskosten als jener besonderen Lasten für einzelne Anstalten, die auf Grund polizeilicher Disposition gefordert wurden, durch die Kommunen rechtfertigte. 388 Mit dieser Regelung war dem Staat eine weitreichende Einwirkung auf die Etablierung und Entwicklung kommunaler Anstalten gegeben, die in der weiteren Kommunalgesetzgebung des 19. Jahrhunderts fortbestand. Die Gemeinden konnten mithin im Verein von Orts- und Landespolizei gezwungen werden, selbst gegen den Willen der Stadtverordneten die erforderlichen Mittel für staatlich angeordnete Anstalten bereitzustellen?89 Die vorsorgende Tätigkeit der Polizei wurde nur - vornehmlich zum Schutz der kommunalen Finanzverhältnisse im Staatsinteresse - an die "unzweifelhafte Notwendigkeit" kostspieliger Polizeianstalten gebunden, so daß Verfügungen stets vom "Unerläßlichen" auszugehen hatten. 39o Das verordnete Prinzip des leistungskongruenten Eingriffs hob aber nicht den Ausschluß kommunaler Mitwirkung auf, den Gutachten der Gemeinden über die Herstellung öffentlicher Anstalten wurde keine entscheidende Kraft beigelegt, ein Umstand, der sich selbst unter dem verstärken Verwaltungsrechtsschutz des späteren Konstitutionalismus nicht änderte. Der Polizeibegriff der Städteordnung und damit auch die präzisere Definition der Gemeindeangelegenheiten391 ist bis in die neuere historiographische Forschung hinein umstritten. Unterschiedliche Auffassungen über den allgemeinen Umfang der Polizei im 19. Jahrhundert stehen hier neben Fehlurteilen über den Charakter der Polizei im reformierten Städterecht. Während Hubatsch etwa richtig darlegt, daß die Städte "im polizeilichen Bereich zur untersten Stufe der staatlichen Verwaltungshierarchie" gehörten,392 sieht Nipperdey in der Überweisung der Polizeigeschäfte an die Städte als Auftragsangelegenheiten eine Art "Rückübertragung", die Bestandteil der neubegründeten kommunalen Autonomie ist. 393 Nipperdey kann zu einem solchen Fehlurteil nur kommen, weil er die grundsätzliche Verbindung von Staat und Gemeinde durch die Kommunalreform ebenso übersieht wie er die Auftragsangelegenheiten als Objekt integrationistischer Politik außer Acht läßt. Im Zeitalter des Liberalismus, so Nipperdeys Erläuterungen zum Polizeibegriff, hat sich die Wohlfahrtssorge als Zweck der Polizei verflüchtigt, der Zusammenhang zwischen Polizei und innerer Verwaltung aufgelöst. 394 Auch wenn Nipperdey hier auf die Zeit nach 1866 § 167, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 346. Vgl. Karl Friedrichs, Das Polizeigesetz, Berlin 1911, S. 64 f. Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 502 f. 390 Savigny, Städteordnung, S. 217 f. 391 Zum Begriff der Gemeindeangelegenheiten vgl. auch Kap. 10, Unterabschnitt 3. 392 Hubatsch, Reformen, S. 156. 393 Nipperdey, Geschichte 1800-1866, S. 39. 388

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anspielt, trifft diese Einschätzung nur bedingt zu. Wohlfahrtspolizeiliche Regelungen bleiben unter dem Leitmotiv des Gemeinwohls selbst im Kaiserreich an der Tagesordnung. Nipperdey sieht diese Entwicklung indessen selbst, indem er, seine allgemeine These relativierend, auf die "ausreichenden Zwangsbefugnisse" der Polizei und die vorhandenen Generalklauseln hinweist. Wehler erklärt apodiktisch, unter Polizei wurde bei der Kommunalreform "der modeme Begriff im Sinne der , Gefahrenabwehr' verstanden".395 Davon kann schlichtweg keine Rede sein. Ein solches Urteil beruht auf einer Konstruktion, mit der die spätere Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts in die Zeit der preußischen Reformen projiziert wird. Krabbe folgt ebenso unkritisch der preußischen Verwaltungsrechtsprechung und erklärt den Polizei begriff des Allgemeinen Landrechts als erstmaligen Versuch, die polizeilichen Funktionen auf die Gefahrenabwehr und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzuschränken. Eine modeme Konnotation also, deren Durchsetzung noch Jahrzehnte dauern sollte. 396 Die Städteordnung beschränkte die Polizei indessen weder auf die Gefahrenabwehr noch nahm sie eine Abgrenzung des polizeilichen und gemeindlichen Wirkungskreises vor. Die Städteverfassung ruhte vielmehr auf dem Gedanken von der Herrschaft des Staats, aus der sich die Monopolisierung der Polizei ableitete. Für die nähere Bestimmung der polizeilichen Kompetenz auf kommunaler Ebene erhielten die nur wenige Wochen nach der Städteordnung erlassene Einrichtungsverordnung für die Provinzial-, Polizei- und Finanz-Behörden sowie die gleichzeitig herausgegebene Geschäftsinstruktion für die Regierungen herausragende Bedeutung. Mit dem Auftrag zur "Fürsorge wegen des Gemeinwohls (der) Untertanen" in negativer und positiver Hinsicht war nicht nur die Gefahrenabwehr sowie die Erhaltung von Ruhe und Ordnung, sondern auch die Förderung des Allgemeinwohls als polizeiliche Auf394 Ders., Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 2, Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, S. 125. 395 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, S. 460. 396 Krabbe, Stadt, S. 39. Erstaunlich, daß Krabbe als Beleg seiner These Schinkels Polizei studie anführt, die nun gerade das Gegenteil beweist. Der profilierteste Vertreter einer engen sicherheitspolizeilichen Auslegung des landrechtlichen Polizeibegriffs ist von Unruh, vgl. Veränderungen, S. 426; Die Kodifizierung des Polizeibegriffs in § 10 11 17 ALR als Grundlage der geltenden polizeilichen Generalklausel, in: Deutsche Verwaltungspraxis, 32. Jg. (1981), S. 239-241. Unruh steht allerdings in einer längeren Tradition liberaler Rechtsinterpretation, siehe Bornhak, Geschichte, Bd. 3, S. 20 f. Lehmann, Stein, Bd. 2, S. 470 f. Lamp, Problem, S. 18. Schnabel, Geschichte, Bd. 2, S. 148 f. BrilI, Studien, S. 48 u. 69. Krebsbach, Städteordnung, S. 30. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. I, 2Stuttgart 1967, S. 175 f. und in Anschluß an von Unruh auch Rüfner, Die Verwaltungstätigkeit unter Restauration und Konstitution, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S.470.

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gabe bezeichnet. Die Geschäfte der Regierungen wurden in vier Hauptbereiche unterteilt, die Deputation für das Polizeiwesen, den Kultus und öffentlichen Unterricht, das Finanz- und Kassenwesen sowie das Militärwesen, was die Kongruenz von Polizei und anderer Verwaltungstätigkeit unterstrich. 397 Die in der Regierungsinstruktion detailliert umrissenen Zuständigkeiten der Landespolizeibehörden sparten kaum einen Bereich der inneren Verwaltung aus. Im einzelnen wurde ihr zur "Oberaufsicht und Fürsorge" die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung, die Land-Armenanstalten, Hospitäler und das Armenwesen, die Medizinal- und Gesundheitsangelegenheiten, die öffentliche Kommunikation, Strom-, Deich-, Brükken- und Hafenbauten, Gewerbe-, Fabriken-, Handels-, Schiffahrts-, Gewerks- und Innungssachen sowie alle Landeskulturangelegenheiten übertragen. 398 Mit Recht war insofern davon auszugehen, daß der Sicherheit und Wohlfahrt verbindende Polizeibegriff, vor allem aber die staatliche Wohlfahrtskompetenz durch die Reformgesetzgebung "mit noch nicht dagewesener Konsequenz,,399 realisiert wurde. Der obrigkeitliche Charakter der Polizei erfuhr dabei durch die Beschneidung des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen polizeiliche Maßregeln und Verfügungen noch eine nachdrückliche Stärkung. Als Grundsatz aller Ansichten, Operationen und Vorschläge der Regierungen galt, "niemanden in dem Genuß seines Eigentums, seiner bürgerlichen Gerechtsame und Freiheit, solange er in den gesetzlichen Grenzen bleibt, weiter einzuschränken, als es zur Beförderung des allgemeinen Wohls nötig ist".4oo Zugleich richtete sich die Wirksamkeit der Regierungen bei der Ausübung der Polizeigewalt "nicht bloß auf Abwendung von Gefahren und Nachteilen und Erhaltung dessen, was schon da ist, sondern auch auf die Mehrung und Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt,,.401 Der Auftrag zur Wohlfahrtsförderung und zur Entwicklung der allgemeinen Rahmenbedingungen für die freie individuelle Betätigung bezog sich zwar zunächst auf die Grundsätze einer weitgehend von staatlichen Eingriffen freien Handels- und Gewerbepolitik, aber gleichzeitig wurde damit zum Ausdruck gebracht, daß die Freiheit des Wirtschaftsablaufes mit der staatlichen Verpflichtung zur Gestaltung der Wirtschaftsform im allgemeinen, d. h. im Sinne einer wohlfahrtsfördernden Einflußnahme, einherging. § 26, Einrichtungsverordnung 1808. GS 180~181O, S. 471. §§ 2 u. 3, InstrReg, 1808. Aa.O., S. 483 f. Vgl. auch §§ 5 u. 7, Einrichtungsverordnung 1808. A a. 0., S. 466. 399 Peter Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre. Die Entwicklung des Polizeibegriffes durch die Rechts- und Staatswissenschaften des 18. Jahrhunderts (= Göttinger Rechtswissenschaftliche Studien, 124), Göttingen 1983, S. 317. 400 § 34, InstrReg, 1808. GS 180~181O, S. 490. 401 § 50, InstrReg, 1808. Aa.O., S. 494. 397 398

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Die Verwaltungsgerichtsbarkeit des späteren 19. Jahrhunderts beschränkte in der Tat den ortspolizeilichen Wirkungskreis auf die Sicherheits- und Ordnungsfunktionen und schloß die allgemeinen wohlfahrtspflegerischen Aufgaben von jedem begrenzenden Eingriff in die kommunalen Angelegenheiten aus. Die rechtliche Grundlage wurde in einer Bestimmung des Allgemeinen Landrechts gefunden, welche das Amt der Polizei scheinbar auf die "nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung" sowie die "Abwendung der dem Publikum oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren,,402 reduzierte. Entgegen der späteren verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung muß daran festgehalten werden, daß der § 10, T. 11, Tit. 17 entsprechend seiner systematischen Stellung im Allgemeinen Landrecht allein der Abgrenzung der polizeilichen von der ordentlichen, und zwar primär der Kriminalgerichtsbarkeit, diente. 403 Der landrechtliche Begriff der Polizei oder der Umfang der Staatsaufgaben blieb von dieser Bestimmung unberührt. Der Auftrag des Gesetzgebers, die geltenden Gesetze zu sammeln, zu systematisieren und, unter Respektierung wohl erworbener Rechte, auf dem Boden der aktuellen preußischen Verfassung vorsichtig zu reformieren, hätte überhaupt nicht mit irgendeiner Einschränkung der Polizeigewalt und folglich mit einem massiven Eingriff in die Kompetenzen des Generaldirektoriums wie die Ressortverfassung vereinbart werden können. So wie sich der Staatszweck im Allgemeinen Landrecht nicht in der Herstellung des Rechtsschutzes und der Sicherheit des bürgerlichen Lebens erschöpfte, bewahrte das Gesetz der Polizei umfassende wohlfahrtspflegerische Funktionen. 404 Karl Gottlieb Svarez hatte diese Zielsetzung schon in seinen Kronprinzenvorträgen erläutert, wenn er im Polizeirecht des Staates die Befugnis wie Verpflichtung eingebunden sah, "die dem Fortgange und Gedeihen gewisser Gewerbe und Nahrungszweige im ganzen sich entgegenstellenden Hindernisse aus dem Wege zu räumen" sowie "Anstalten zu treffen, wo§ 10, T. 2, Tit. 17 ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 4, S. 315. Vgl. Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 123 ff.; ders., Der Begriff der Polizei und der Umfang des polizeilichen Verfügungs- und Verordnungsrechts in Preußen (Sonderdruck aus dem Verwaltungsarchiv), Berlin 1895, S. 40 ff. Im Hinblick auf die Definition der Polizei in der Städteordnung folgte Rosin, angesichts eines die ganze innere Verwaltung der Gemeinden umfassenden älteren Polizeibegriffs der Meierschen Auffassung, daß die ortspolizeilichen Aufgaben sich ausschließlich auf die Sicherheits- und Ordnungsfunktionen bezogen. Begriff der Polizei, S. 98 f. Ernst von Meier leitete die nach seiner Auffassung im Gemeinderecht vorgenommene Übertragung wohlfahrtspolizeilicher Aufgaben an die Kommunen aus der mit der Städteordnung herbeigeführten finanziellen Selbständigkeit der Stadtgemeinden ab. Preu, Polizeibegriff, S. 291 ff. 404 Rosin, Begriff der Polizei, S. 28 ff. Schinkel, Polizei, S. 223 ff. Kleinheyer, Staat und Bürger im Recht, Bonn 1959, S. 114 f. Preu, Polizeibegriff, S. 281 ff. Bieback, Körperschaft, S. 53 u. 89 f. Grzywatz, Staat und Gemeinde, S. 37 f. 402 403

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durch den Bürgern des Staats der Unterricht von ihren Pflichten und ein nicht bloß notdürftiger, sondern auch bequemer und froher Lebensgenuß erleichtert" werde. 405 Die Gefahr, die der bürgerlichen Freiheit aus wohlfahrtsfördernden Maßnahmen drohte, wurde durch die Hierarchie der auf Sicherheit und Wohlfahrt abzielenden Gesetze relativiert, der Staat war nach Svarez gleichsam verpflichtet, zwischen "Freiheit" und "Fürsorge" ein "richtiges Mittel,,406 zu finden. "Zu Einschränkungen", präzisierte Svarez das Verhältnis der polizeilichen Funktionen, "welche zur Abwendung gemeiner Störungen und Gefahren abzielen, hat der Staat ein stärkeres Recht als zu solchen, wodurch bloß der Wohlstand, die Bequemlichkeit, die Schönheit oder andere dergleichen Nebenvorteile für das Ganze befördert werden sollen".407 Und mit Blick auf die rechtliche Konkretion des polizeilichen Wirkungskreises fügte er hinzu: "So haben Polizei gesetze, welche dahin abzielen, Verbrechen zu verhüten, allgemeinschädliche Folgen der Naturgegebenheiten abzuwenden, dem Lande die ersten Bedürfnisse des Lebens zu verschaffen oder zu erhalten, einen stärkeren Grund der Verbindlichkeit in sich, als diejenigen, welche bloß dahin abzielen, den Flor dieser oder jener Fabrik zu befördern, den Handel mit Waren des bloßen Luxus zu begünstigen, die Verschönerung einer Stadt oder Gegend ins Werk zu richten,,.408 Das Allgemeine Landrecht widmete sich demnach dem Verhältnis von Sicherheit und Wohlfahrt in Form von Vor- und Nachrangigkeit, keineswegs aber im Wege von Existenz und Ausschluß. Durch die Polizei wurde nach Freys Auffassung in erster Linie eine Aufsicht begründet, die "ihre Aufmerksamkeit und Tätigkeit sowohl auf die Entdeckung jeder den Staatsbürgern drohenden Gefahr als auch auf die Erfüllung aller zur Abwendung und Hemmung derselben erforderlichen Leistungen richtet(e),,.409 In dieser Hinsicht übte die Polizei ein Zwangsrecht aus, die Gemeinden zur Errichtung solcher Anstalten und Leistungen zu nötigen, die erforderlich waren, "um teils widerrechtliche Handlungen physisch unmöglich zu machen, teils alles zu beseitigen, was der Erreichung des Staatszwecks auch nur entfernt hinderlich" sein konnte. 410 Die Polizei sollte nicht an der Verwaltung dieser Anstalten teilnehmen, dagegen über ihre Nutzung gebieten und mit Nachdruck dafür sorgen, daß sie "in voll405 Svarez, Vorträge über Recht und Staat, S. 38 u. 489. Vgl. auch Kleinheyer, Staat und Bürger, S. 115 ff. 406 Svarez, Vorträge über Staat und Recht, S. 643. 407 A.a.O., S. 487. 408 A. a. 0., S. 487 f. 409 Bemerkungen Freys zu seinen Vorschlägen für die Organisierung der Polizei und ihr Verhältnis zur Stadtkommune. Schreiben an Freiherr von Schroetter vom 29. August 1808, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 801. 410 Ebd. 13 Grzywatz

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ständiger Zweckmäßigkeit" eingerichtet wurden. Frey legte den Schwerpunkt der polizeilichen Kompetenzen mithin in den sicherheits- und ordnungspolitischen Bereich. Bei der Etablierung staatlicher Polizei direktionen übergab man den lokalen Staatsbehörden dann auch nicht die Ausübung der gesamten Polizeiverwaltung, sondern wies den Städten einzelne Gegenstände zur eigenverantwortlichen Bearbeitung zu. Die Städteordnung schuf insoweit die Grundlage für eine kommunale Beteiligung im polizeilichen Wirkungskreis, als sie einerseits auf schon bestehende und noch zu erlassende Vorschriften zur Verwaltung der Polizei verwies, andererseits für einzelne Angelegenheiten eine Beteiligung des Magistrats oder die eigenverantwortliche Erledigung unter Teilnahme der Bürgerschaft eröffnete. Örtliche Differenzen über Teilnahme und Eigenverantwortlichkeit waren durch den Vorbehalt des Staates bedingt, eigene Polizeidirektionen in den Stadtgemeinden einzurichten. 411 Diese Einschränkung der Selbstverwaltung traf die größeren und zentralen Provinzialstädte, allen voran die Landeshauptstadt. Indem die Einrichtungsverordnung für die Provinzialbehörden die polizeilichen Funktionen in negative und positive Fürsorge für das Gemeindewohl teilte und die Gefahrenabwehr mit der Sorge um "die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung" umschrieb,412 wurde deutlich, daß die für das Allgemeine Landrecht und die vernunftrechtliche Theorie charakteristische Unterscheidung zwischen privaten und staatlichen Rechten hier entfiel. Öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung schloß nun die gesamte Rechtsordnung ein, auch insoweit sie dem Schutz einzelner diente. 413 Die sicherheitspolizei lichen Funktionen beschränkten sich nicht mehr allein auf kriminalpolizeiliehe Aufgaben, sondern erstreckten sich auch auf die Abwehr von Schädigungen, die aus der Natur herrührten oder gesellschaftlich vermittelt waren. 414 Straßenbeleuchtung und -reinigung, Be- und Entwässerung, Pflasterungen, Bauaufsicht, Gesundheitsanstalten oder die Konzessionserteilung nach Gewerbeanträgen, Beschwerden der Innungen und Zünfte über Pfuscherei oder die Zensur nichtpolitischer Publizistik gehörten zu den "die öffentliche Sicherheit und Ordnung betreffende(n) Gegenstände(n)".415 Obgleich mit der Freisetzung von Eigentum, Handel und Gewerbe in der Reformära keine Beschränkung von Staat und 411 § 166, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 346. Zu den einzelnen Gebieten der besonderen Polizeiaufgaben der Gemeinden siehe oben. 412 § 2, Einrichtungsverordnung 1808. GS 1806-1810, S. 465 f. 413 Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 310 f. 414 Vgl. A.a.O., S. 319 f. 415 § 11, Ziff. 19, Königsberger Polizeireglement vom 1. April 1809, in: Peter lG. Hoffmann, Repertorium der Preußisch-Brandenburgischen Landesgesetze, T. 3, Züllichau 1813, S. 150. Zur Entwicklung des Bedeutungsinhaltes der Begriffe vgl.

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Polizei auf den Sicherheitszweck erfolgte, kündigte sich gleichwohl im Prinzip eine Verengung des polizeilichen Wirkungskreises an, denn die proklamierte Wirtschaftsfreiheit forderte eine Reduktion der polizeilichen Reglementierung, ihre Beschränkung auf das Notwendige zur Beförderung des allgemeinen Wohls. Nur "politische Gründe" oder allenfalls "Bedürfnisse des Augenblicks" sollten, wie es in der Regierungsinstruktion hieß,416 zukünftig den Eingriff der Polizeigewalt rechtfertigen. Das Verhältnis der Selbstverwaltung zum Amt der Polizei bestand in einer, je nach besonderer Materie variierenden Beteiligung der städtischen Behörden. Dabei unterlagen die Beauftragten der staatlichen Lokalverwaltung, die Stadtmagistrate oder später die Bürgermeister,417 wenn sie auch polizeiliche Funktionen wahrnahmen, nur einer beschränkten rechtlichen Kontrolle. 418 Sie verfügten somit prinzipiell über weitreichende, der Gemeindevertretung entzogene Gestaltungsmöglichkeiten, deren Nutzung, insbesondere im Falle neuer Gemeindelasten, Konflikte mit den Stadtverordneten provozieren konnten, da diese vorrangig die Interessen des Besitzbürgertums vertraten. Eine äquivalente Machtposition war der Gemeindevertretung mit dem Etat- und Kontrollrecht nur bedingt gegeben, weil zum einen die kommunalen Zuständigkeiten im älteren Städterecht noch eine beschränkte Natur besaßen, zum anderen eine restriktive Ausgabenpolitik schnell den Bürgerschaftsinteressen an einer investiven Kommunaltätigkeit zuwiderlaufen mochte. Den städtischen Körperschaften mußte in Angelegenheiten staatlich beeinflußter Gemeindetätigkeit, die sich gerade im Bereich der bereits erwähnten gemeindlichen Polizeianstalten ebenso innovativ wie modernisierend auswirken sollte, an einer vermittelnden Haltung gelegen sein, denn obgleich die Feststellung der öffentlichen Geldbedürfnisse in die Kompetenz der Gemeindevertretung fiel, blieb deren Entscheidung an die Magistratsvorgaben gebunden. Im Falle einer fehlenden Verständigung, einer Gefährdung des Gemeinwesens oder der Staats zwecke war der kommunalen Exekutive nie der Rekurs an die obere Landesbehörde versperrt. 419 Das spätere Gemeinderecht stärkte dann zwar die Etatbefugnisse der StadtverordnePeter Winter, Der Polizeibegriff im preußischen öffentlichen Recht von 1808-1914, Jur. Diss., Erlangen 1977, S. 93 ff. u. 132 ff. 416 § 50 i. Verb. m. § 34, InstrReg, 1808. GS 1806-1810, S. 490 u. 494 ff. 417 Vgl. § 109, Tit. 7, StO 1831. GS 1831, S. 26. § 62, Ziff. 1,1, Tit. 5, StO 1853. GS 1853, S. 283. 418 Vgl. §§ 38 u. 40, Einrichtungsverordnung 1808. GS 1806-1810, S. 473 f. §§ 1 u. 2, Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtsweges in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842. GS 1842, S. 192. Siehe dazu auch Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen. Ein Beitrag zur preußischen Rechts- und Verfassungsgeschichte, Halle/S. 1914, S. 133 ff. 419 § 184, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 352 f. 13*

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ten, es hielt dabei aber an der überkommenen Auffassung fest, daß die Feststellung des Haushalts nicht ein ausschließliches und selbständiges Recht der Stadtverordneten darstellte. 42o Kriegsrat Frey sah den Erfolg der "Polizei-Agens des Staates" in Abhängigkeit davon, daß alle, insbesondere aber die größeren Städte des Landes "in eine polizeiliche Verbindung gesetzt und die Maßregeln zur Erreichung der Polizeizwecke zur Einheit geführt werden".421 Diesen Gedanken machte die Ministerialbürokratie zu einer grundlegenden Maxime der Reorganisation der inneren Staatsverwaltung. Staatsminister Graf zu Dohna berichtete schon im Juni 1810, daß nicht nur in Berlin und den Provinzialhauptstädten Königsberg, Stettin und Breslau, sondern auch in bedeutenden Mittelstädten wie Memel und Elbing, Potsdam, Frankfurt/Oder, Brandenburg und Landsberg, Stargard, Kolberg, Anklam, Demmin und Stolp sowie Brieg-Neiße, Schweidnitz, Kosel, Liegnitz, Hirschberg und Glogau besondere, von der Kommunalverwaltung getrennte Polizeibehörden eingerichtet worden waren. 422 Während die organisatorische Verknüpfung der größeren Städte zu den äußeren Voraussetzungen einer Vereinheitlichung der Polizeiverwaltung gehörte, war deren Einrichtung in Berlin eng mit der politischen Funktion der Stadt verbunden. Als Haupt- und Residenzstadt wie administratives Zentrum des preußischen Staates blieb Berlin, ähnlich anderen europäischen Hauptstädten, an unmittelbare staatliche Interessen gebunden. In der preußischen Metropole drückte sich das nicht zuletzt in der direkten Unterstellung der Polizeiverwaltung unter das Ministerium des Innern aus. 423 Organisatorisch sollte die hauptstädtische Polizeiverwaltung bald landes- und ortspolizeiliehe Funktionen in sich vereinigen, seine räumliche Kompetenz hingegen das Weichbild der Stadt überschreiten. Durch die Kabinetts-Ordre vom 25. März 1809 wurde der bisherige Kommissar für die Einführung der Städteordnung in Berlin, Justus Gruner, von Friedrich Wilhelm III. zum Polizeipräsidenten der Landeshauptstadt ernannt. Gruners Vorschläge zur Reorganisation der Polizeiverwaltung, die sich sowohl an der Polizei organisation in Frankreich, Bayern, Baden und Württemberg als auch, im Hinblick auf die Einrichtung und Abstimmung 420 § 66, Tit. 8 i. Verb. m. § 36, Tit. 4, StO 1853. OS 1853, S. 285 u. 275. Vgl. dazu Jebens, Stadtverordnete, S. 184 ff. Ottomar Oertel, Die Städte-Ordnun~ für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853, Liegnitz 1900, S. 541 f. 421 Schreiben Freys an Minister von Schroetter vom 29. August 1808, in: Scheel! Schmidt, Reformministerium, Bd. 3, S. 801. 422 Bericht von Dohnas an Staatskanzler Freiherr von Hardenberg vom 16. Juni 1810, in: A.a.O., S. 1172. 423 Vgl. Ziff. 6,4, Publikandum, betreffend die veränderte Verfassung der obersten Staatsbehörden der Preußischen Monarchie, in Beziehung auf die innere Landes- und Finanzverwaltung, 16. Dezember 1808. OS 1806-1810, S. 364.

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der Geschäftsbüros, an der inneren Organisation der Königsberger Polizeiverwaltung orientierten,424 wurden im Ministerium des Innern aufgenommen und bei der Redaktion des am 5. Januar 1810 erlassenen Polizeireglements für Berlin berücksichtigt. 425 Mit dem neuen Reglement wurde das bislang in Berlin bestehende Polizeidirektorium aufgelöst sowie die Gültigkeit der Reglements von 1742, 1787 und 1795, soweit sie nicht "Polizeigesetze" betrafen, aufgehoben und der neue Polizeipräsident, unabhängig von den Kompetenzen des Gouvernements und des Justizamtes Mühlenhof, als alleinverantwortlicher Leiter der Verwaltung mit "umfassender Autorität" eingesetzt. 426 Das dem Ministerium des Innern unterstellte Polizeipräsidium war ebenso Landes- wie Ortspolizeibehörde. Die Aufgabe der Ortspolizei war darauf gerichtet, die Gemeininteressen der örtlichen Gemeinschaften im Staate zu befriedigen, ihre Funktionen gehörten damit nicht unmittelbar zu den Gemeininteressen des Gesamtstaates. Die Aufgaben der Landespolizei zielten hingegen auf die Förderung der staatlichen Gemeininteressen über die örtliche Beschränkung hinaus. 427 Die Handhabung der Ortspolizei oblag prinzipiell den örtlichen Polizeiorganen, die der Landespolizei im allgemeinen den höheren, einem größeren Bezirk vorstehenden Landesbehörden. Die Ortspolizei war freilich Organ der Landespolizei für die Ausführung "landespolizeilicher Angelegenheiten in ihrer örtlichen Erscheinung" ,428 424 Vgl. Bericht Gruners an Minister Graf zu Dohna vom 15. Juli 1809. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin A, Tit. 28, Nr. 361/1, BI. 125-134, insbesondere BI. 125 f. Das Königsberger Reglement vom I. April 1809 wurde mit seinen Bestimmungen zum organisatorischen Aufbau der Polizei verwaltung sowie zum Wirkungs- und Geschäftskreis der Ortspolizei durch das Ministerialreskript vom 28. Juli 1810 auch in anderen Städten mit staatlichem Polizeidirektorium zur "vorläufigen Norm" erhoben. Hoffmann, Repertorium, T. 3, S. 69. Vollständiger Abdruck des Königsberger Reglements a.a.O., S. 146--152. Die Formulierung Preus, daß mit dem Ministerialre skript das Königsberger Polizeireglement "auf alle Städte mit besonderem Polizeidirektorium erstreckt" wurde, geht zu weit. Vgl. Preu, Polizeibegriff, S. 320. In der Zweckbestimmung und der Absteckung des Geschäftskreises der Ortspolizei stimmen das Königsberger und das spätere Berliner Reglement weitgehend überein. Vgl. auch Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 136; Bd. 2, S. 227 f. 425 Eine Abschrift des bestätigten Reglements findet sich in den Akten des Polizeipräsidiums. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin A, Tit. 28, Nr. 361/2, BI. 80-89. Der erste Entwurf des Reglements und seine verbesserte Fassung, a.a.O., Nr. 361/1, BI. 62 ff. u. 110 ff. 426 Einleitung sowie die §§ 3 u. 10-12, PolRegl 1810. A.a.O., Nr. 361/1, BI. 80 f. u. 84 f. 427 Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 161. Vgl. auch Rönne, Staatsrecht, Bd. 1,1, S. 551 f. Die preußische Gesetzgebung setzt den Gegensatz von Orts- und Landespolizei voraus, ohne ihn zu definieren. Vgl. beispielsweise die §§ 14 u. 34 f., Einrichtungsverordnung 1808. GS 1806-1810, S. 468 u. 472 f. 428 Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 164.

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während die Landespolizeibehörden häufig ortspolizeiliehe Aufgaben ausübten. Das galt insbesondere für diejenigen Angelegenheiten. die übereinstimmende interkommunale Regelungen für mehrere oder alle Ortspolizeibezirke des landespolizeilichen Zuständigkeitsbereichs berührten. In dieser Hinsicht mußte neben dem materiellen noch ein formeller Gegensatz zwischen Orts- und Landespolizei berücksichtigt werden, denn die örtlichen Funktionen der Landespolizei besaßen nur ihrem Ursprung nach landespolizeilichen Charakter,429 inhaltlich berührten sie nicht "das unmittelbare, einheitliche Gemeininteresse des Staates".430 Die Bearbeitung der Landes- und Ortspolizei sachen wurden in der inneren Organisation des Berliner Polizeipräsidiums grundsätzlich getrennt. Die landespolizeilichen Gegenstände bearbeitete das allgemeine Geschäftsbüro. Zu den Generalia der Abteilung gehörten etwa die Etats-, Kassen-, Rechnungs-, Anstellungs-, Disziplinar-, Gesinde-, Armen- und ludensachen sowie die Leitung und Aufsicht der Beamten, schließlich die Angelegenheiten der Gewerbe-, Feuer-, Bau- und Medizinalpolizei. 431 Neben dem Generalgeschäftsbüro gab es drei weitere Abteilungen: Das Polizeiamt, das die Untersuchungen durchführte und alle "Polizeikontraventionen" entschied; das Fremdenbüro zur Beaufsichtigung der sich im Geschäftsbezirk der Berliner Polizei aufhaltenden Fremden und das Sicherheitsbüro, das mit der Registrierung und Kontrolle sämtlicher Einwohner sowie ihrer Gewerbe und Verhältnisse, soweit sie die öffentliche Sicherheit tangierten, beauftragt war. 432 Da man die bisherige kollegialische Leitung der Polizeiverwaltung mit der Reorganisation vollständig abgeschafft hatte, waren die Büros allein dem Polizeipräsidenten verantwortlich. Das Fremden- wie Sicherheitsbüro unterstanden dem Verwaltungsdirigenten unmittelbar, was im Zusammenhang mit seinen kriminalpolizeilichen Funktionen gesehen werden muß. 433 429 Vielfach erkennt die verwaltungsrechtliche Literatur des späten 19. Jahrhunderts nur die durch die Verschiedenheit der Behörden und ihres räumlichen Wirkungskreises begründete Differenz zwischen Orts- und Landespolizei an. VgI. Georg Meyer, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, T. 1, bearb. von F. Dochow,4München-Leipzig 1913, S. 9. 430 Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 164. 431 § 14, Lit. a, PolRegl 1810, BLHA, Pr.Br. Rep. 30, BIn A, Tit. 28, Nr. 361/2, Bl. 85. Vgl. auch Willy Feigell, Die Entwicklung des Königlichen Polizeipräsidiums zu Berlin in der Zeit von 1809 bis 1909, Berlin 0.1. (1909), S. 7. Geschichte und Organisation des Polizeipräsidiums, in: Dritter Verwaltungsbericht des Königlichen Polizei-Präsidiums von Berlin für die Jahre 1891 bis 1900, Berlin 1902, S. 814. Rudolf Knaack, Die Polizeiverwaltung in Berlin seit der Neuordnung von 1742 bis zur Aufhebung der Regierung im Jahre 1822. Abschlußarbeit für den 3. Lehrgang des Instituts für Archivwissenschaft, (Potsdam) 1955 (Ms.), S. 20. 432 § 14, Lit. b-d, PoIRegI 1810. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, BIn A, Tit. 28, Nr. 361/ 2, BI. 85.

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Zweck der Polizeiverwaltung war es, innerhalb ihres Wirkungskreises "Allem vorzubeugen und Alles zu entfernen, was dem ... Publikum und einzelnen Mitglieder desselben Gefahr oder Nachteil bringen,,434 konnte. Die Polizei wurde angewiesen, sowohl über "die Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung" als auch über solche "öffentliche Anstalten" zu wachen, durch die "das allgemeine Wohl befördert und erhöht,,435 wurde. Polizei im Sinne des Berliner Reglements schloß demnach ebenso sicherheitswahrende wie wohlfahrtspflegende Aufgaben ein, wie es bereits die Dezember-Verordnung von 1808 hinsichtlich der Landespolizeibehörden pointiert zum Ausdruck gebracht hatte. Da sich der Umfang des Geschäftskreises der Berliner Polizeiverwaltung allein durch den im Eingangsparagraphen des Reglements definierten Zweck bestimmte,436 ergab sich zwangsläufig eine Einschränkung des polizeilichen Aufgabenkreises, indem die Jurisdiktion teilweise auf die ordentlichen Gerichte überging. Die "Injuriensachen von nichteximierten Personen auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie Lohn- und Entschädigungsforderungen aus Gesindedienstverträgen wurden der Ziviljustiz überwiesen, während Verstöße gegen die Bordellvorschriften, kleinere Diebstähle und Hehlereien, die nur einer "polizeimäßigen" Strafe unterlagen, Übervorteilungen bei Maßen und Gewichten, schließlich aber alle Polizeiverstöße, "deren faktische Ausmittlung eine förmliche mit Aufnahme von Beweisen verbundene Instruktion" erforderten oder bei denen die Strafe gar nicht bestimmt oder deren Anwendung zweifelhaft erschien, zukünftig die Kriminaljustiz aburteilte. 437 Gleichzeitig erstreckten sich die Gegenstände der allgemeinen "Sicherheit und Ordnung,,438 auf einen derartig breit angelegten Kreis staatlicher Zuständigkeit in den Kommunen, daß der Selbstverwaltung nur noch eine beschränkte Kompetenz verblieb. Im einzelnen bezog sich der Geschäftskreis der Polizeiverwaltung auf die Untersuchung und Bestrafung solcher Gesindeangelegenheiten wie die Abwerbung, unzureichende Dienstverträge, überhöhtes Mietgeld, Verweigern des Dienstantritts, Dienstvergehen, Überschreitungen des herrschaftlichen Züchtigungsrechts, Erzwingen der Fortsetzung des Dienstvertrages oder Verweigerung des Entlassungsscheins. 439 Die Erteilung von Gewerbekonzessionen und die Gewerbeaufsicht, die Kon433 Auf diese wichtigen Funktionen des Berliner Polizeipräsidenten kann hier nicht eingegangen werden, vgl. dazu Obenaus, Entwicklung, S. 68 ff. 434 § 1, PolRegl 1810. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin A, Tit. 28, Nr. 36112, BI. 80. 435 Ebd. 436 § 4, Abs. 1, PolRegl 1810. A.a.O., BI. 81. 437 § 4, Lit. a-b, PolRegl 1810. Ebd. 438 § 11, Ziff. 19, PolRegl 1809, in: Hoffmann, Repertorium, T. 3, S. 150. 439 § 5, Ziff. 9, PolRegl 1810. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin A, Tit. 28, Nr. 36112, BI. 82 f.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

trolle der Maße und Gewichte, die Straßenbeleuchtung und -reinigung, die Nachtwachtanstalten, die Beaufsichtigung der Brunnen und Wasserleitungen fielen ebenso in die Zuständigkeit der staatlichen Polizeiverwaltung wie das Feuerlöschwesen, die Straßenpflasterung, die Aufsicht über die Beschaffenheit der Brücken, die Gesundheitsanstalten, die Bauaufsicht, die Straßenbettelei, die Fremden und "unregelmäßigen Wirtschaften", die Beschwerden der Zünfte und Innungen gegen Pfuscher, die Ordnung des Theaterbetriebs, die Zensur der nichtpolitischen Artikel Berliner Zeitungen und sonstiger Druckschriften, die Abwendung und Ahndung von Hausfriedensstörungen, Schlägereien und Glücksspielen sowie die "allgemeine Aufsicht auf alle sonstigen die allgemeine Sicherheit und Ordnung betreffenden Gegenstände".44o Das Kommunalrecht des monarchisch-bürokratischen Staates ging also von umfassenden Polizeibefugnissen aus. Der Ortspolizei war ein weites Gebiet wohlfahrtspflegerischer Maßnahmen überantwortet, die im heutigen Rechtsverständnis als ordnungsbehördliche Maßnahmen charakterisiert und vom institutionell begründeten Polizeibegriff, der sich nur noch auf den Polizeivollzugsdienst bezieht, getrennt werden. Bei der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Polizeiverwaltung einerseits sowie dem Magistrat und den gemischten Deputationen andererseits kollidierte das Polizeireglement mit jenen Vorschriften der Städteordnung, die für erhebliche Teile der von der Polizeiadministration übernommenen Kommunalaufgaben die Geschäftsverwaltung durch gemeindliche Deputationen und Kommissionen vorsah. Das Polizeireglement berücksichtigte diese Bestimmungen nur insoweit, als durch sie die Mitwirkung der Polizeibehörde in den Deputationen geregelt wurde, d. h. eigentlich nur für die Verwaltung des Armenwesens, der Sicherungsanstalten und der Sanitätspolizei. Nach dem Reglement diente die Teilnahme der Polizei an den Deputationen allein der Verkürzung des Verwaltungsverfahrens und der vollständigen Kenntnisnahme polizeilicher Ausführungsanordnungen. Magistrat und Polizei waren zwar völlig voneinander getrennte Administrationen, aber gegenüber den Forderungen der staatlichen Behörde, die sich auf polizeiliche Anstalten bezogen, war die kommunale Exekutive zur pünktlichen Erledigung wie zur Beseitigung etwaiger Nachlässigkeiten einzelner Deputationen verpflichtet. 441 Unzulängliche oder unzweckmäßige Ausführungsanordnungen seitens einzelner Deputationen im Bereich teilnehmender Polizeiadministration konnten vom Polizeipräsidenten untersagt werden. Maßregeln, die einzelne Polizeianstalten betrafen, durfte der Magistrat lediglich mit Zustimmung der örtlichen Staatsbehörde ausführen lassen. So konnte 440 441

§ 5, Lit. a-u, PolRegl 1810. Aa.O., BI. 81 ff. § 25, PolRegl 1810. A a. 0., BI. 88.

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die kommunale Exekutive Gewerbekonzessionen nur mit Einwilligung des Polizeipräsidenten erteilen. 442 Kam es innerhalb einer Deputation zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedern der städtischen Körperschaften und dem Vertreter der Ortspolizei behörde, wurde dieser auf die Mitwirkung des Magistrats bei der Konfliktlösung verwiesen. Im Fall anhaltender Erfolglosigkeit stand dem Polizeipräsidenten die Beschwerde bei der kurmärkischen Regierung offen. Unberührt von den Streitigkeiten mit der Kommune konnte die Polizeibehörde, sofern sich durch Verzögerungen nachteilige Folgen ergaben, die Einrichtung der Polizeianstalt auf städtische Kosten vornehmen lassen. Allerdings mußte der Polizeipräsident die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit seiner Verfügungen gegen Reklamationen des Magistrats vor dem Ministerium des Innern vertreten. 443 Es war also nicht nur die Komplexität der polizeilichen Zuständigkeiten, die man in anderen Städten, in denen die Polizei nach Einschätzung des Innenministeriums ebenso wichtig und der Aufgabenkreis des Kommunalwesens nicht weniger umfangreich erschien, keineswegs eingeschränkter ausgelegt hatte,444 sondern auch die vorenthaltene Partizipation der Gemeindeorgane, welche das besondere Verhältnis zwischen Kommune und Staat in Berlin ausmachte. Im Gegensatz zu anderen Stadtmagistraten versuchte die Berliner Kommunalverwaltung nicht, Teilnahmemöglichkeiten des Magistrats im Bereich der polizeilichen Funktionen durch ein Geschäftsregulativ selbst in der Hoffnung festzulegen, hierfür später die Zustimmung des Ministeriums zu finden. In Breslau genehmigte beispielsweise der Magistrat im April 1809 ein vom Obersyndikus der Stadt entworfenes Geschäftsreglement für die kommunale Exekutive,445 in dem insbesondere die Zuständigkeiten der Deputationen festgelegt wurden. Unter anderem sollte eine Sicherungs- und Sanitätspolizeideputation eingerichtet werden, in deren Kompetenz das Feuerlöschwesen, der Nachtwachtdienst, die Straßenbeleuchtung und -reinigung, die Sanitätseinrichtungen, die öffentlichen Brunnen und Wasserleitungen sowie das Adjustieramt fielen. 446 Ebd. Ebd. 444 Vgl. § 11, Ziff. 1-18, PolRegl 1809, in: Hoffmann, Repertorium, T. 3, S. 149 f. Zum polizeilichen Kompetenzbereich in Breslau vgl. auch §§ 6 bis 25, Instruction für die Polizeikommißärs der Haupt- und Residenzstadt Breslau vom 3. Juli 1809, in: Wendt, Städteordnung, Bd. 2, S. 230 ff. 445 Entwurf des Geschäftsreglements für den zukünftigen Magistrat der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Breslau vom 19. April 1809, in: A.a.O., S. 160182. 446 Vgl. Tit. VI-VIII u. XI, Geschäftsreglement, Magistrat Breslau, 1809. A.a.O., S. 173 ff. u. 178. 442

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Die mit der Aufsicht dieser Verwaltungszweige betraute Polizeiadministration war als konkurrierende Behörde zur Teilnahme an den Deputationen durch den Polizeipräsidenten oder einen deputierten Polizeirat berechtigt. Bei auftretenden Differenzen mußte eine Einigung zwischen dem Polizeipräsidenten und dem Magistratskollegium, ansonsten die Entscheidung der jeweilig vorgesetzten Behörde gesucht werden. 447 Die Kommunalverwaltung der schlesischen Provinzialhauptstadt war demnach den aufsichtsrechtlichen und anordnenden Kompetenzen der Polizei unterworfen, ohne daß sie von der ausführenden Verwaltung ausgeschlossen war. In Berlin wurden vergleichbare Deputationen gar nicht erst ins Leben gerufen. Eine partizipierende Mitwirkung der Bürgerschaft in den genannten Bereichen fand zunächst nicht statt. Die städtischen Körperschaften Berlins unterließen, wenngleich sie grundsätzlich die unmittelbare Teilnahme der Bürgerschaft an allen, durch die Städteordnung eröffneten Zweige der Gemeindeverwaltung anstrebten,448 entsprechende Initiativen, da die Kommunalisierung sämtlicher Sicherungsanstalten mit hohen Kosten verbunden war und die staatlichen Zuschüsse zwangsläufig mit der Zeit fortfallen mußten. Nachdem in der zweiten Maihälfte 1821 die Auflösung des Regierungsbezirks Berlin verfügt worden war, wurde das Polizeipräsidium im wesentlichen in der vor 1816 bestehenden Form wiederhergestellt. Gleichzeitig fielen der staatlichen Polizeiverwaltung weitere Kompetenzen ZU. 449 Unter unmittelbarer Leitung der Ministerien überwies man dem Polizeipräsidium im bisherigen inneren Verwaltungsbezirk aus dem Ministerium des Innern die Landeshoheits-, Verfassungs-, Huldigungs-, Abfahrts- und Abschoß-Sachen, Auswanderungsangelegenheiten, die Publikation der Gesetze und Verordnungen, Amtsblatt-Sachen, Sammlung statistischer Nachrichten, landwirtschaftliche, Landeskultur- und Vorflutsangelegenheiten, die gesamte Sicherheits-, Feuer- und Baupolizei, das Nachtwacht-, Staßenbeleuchtungsund -reinigungswesen, die Paßpolizei, die Auslieferung fremder Untertanen, die polizeiliche Aufsicht gegen Verletzung der Zensurvorschriften, die Boden-Sachen, die Verwaltung derjenigen Armenunterstützungen, die nicht von der Kommune ausgingen, die Gendarmerie, die Juden-Sachen und "allen ihm ferner aufzutragende, hierher gehörende Gegenstände"; aus dem Ministerium für die geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, die Medizinalpolizei, die Verwaltung der Charite, des Kranken- und Irrenhauses sowie der Tierarzneischule und schließlich aus dem Ministe§§ 17 u. 18, PoIRegI 1809, in: Hoffmann, Repertorium, T. 3, S. 152. Vgl. Die Stadtverordneten, 1817, S. 4. 449 Vgl. §§ 6 bis 12, Polizeireglement für das Polizei-Präsidium der Residenz Berlin vom 18. September 1822. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin C, Tit. 28, Nr. 733, BI. 29 ff. Teilabdruck des Reglements mit den bis zur lahrhundertwende ergehenden Ergänzungen in: VerwBPPmBln 1891-1900, S. 854-882. 447 448

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rium für Handel und Gewerbe die Gewerbepolizei und alle sonstigen Gewerbeangelegenheiten, soweit sie sicherheits- und medizinal polizeiliche Interessen berührten. 45o Eine weitere wichtige Neuerung der Verwaltungsreorganisation war die Abgabe der Berliner Militär- und Bausachen an die Königliche Militär- und Baukommission, die in direkter Anbindung an die Ministerien tätig wurde. Aus dem Geschäftsbereich der Kommission muß vor allem die Verwaltung und Unterhaltung der öffentlichen fiskalischen Straßen, Plätze und Brücken in Berlin hervorgehoben werden, die erst infolge des Dotationsgesetzes vom 8. Juli 1875 451 und dem sich anschließenden Staatsvertrag vom 31. Dezember 1875452 gegen Zahlung einer vom Staat übernommenen Rente in das Eigentum und die Administration der Stadt Berlin übergingen. Die staatliche Kommission hatte weiterhin die Aufsicht über die öffentlichen Gewässer erhalten. Nachdem sie 1826 zur vorgesetzten Behörde der Berliner Domänenverwaltung bestellt war, unterlag ihr auch die Aufsicht über die Erhebung grundherrlich-fiskalischer Revenuen wie etwa die Einnahmen aus der Nutzung der öffentlichen Gewässer. In dieser Funktion nahm die Ministerialkommission später an den Verhandlungen über die Projektierung der Vorortkanalisation teil. Das Polizeireglement vom September 1822, das in seinen wesentlichen Regelungen dem Statut von 1810 folgte, stellte detailliert den komplexen Bereich der dem Berliner Polizeipräsidium zustehenden Verwaltungstätigkeiten fest 453 und übertrug ihm zugleich die ausführenden Ortspolizeigeschäfte im Gebiet der ehemaligen Berliner Polizeiintendantur sowie des Charlottenburger Polizeibüros. Gleichzeitig wurden dem Präsidium die im weiteren Umland der Hauptstadt mit Sicherheitsaufgaben betrauten Berliner Polizeibeamten unterstellt. Die Aufsicht über den Berliner Magistrat und die Verwaltung der Kommunalangelegenheiten wurde nunmehr direkt den einzelnen Ministerien überwiesen, das galt insbesondere für das Armenwesen, die Feuersozietäts-, Judenschulden-, die nichtgewerblichen Korporations- sowie die Gewerbesachen, soweit sie nicht Sicherheits- wie medizinalpolizeiliche Belange berührten. Damit fiel die Zwischeninstanz einer ABlRegPdm, Jg. 1822, Stück 4, S. 14 f. Gesetz, betreffend die Ausführung der §§ 5 u. 6. des Gesetzes vom 30. April 1873 wegen der Dotation der Provinzial- und Kreisverbände vom 8. Juli 1875. GS 1875, S. 497-508. Vgl. den Allerhöchsten Erlaß betreffend den Übergang der fiskalischen Straßen- und Brücken-, -bau- und Unterhaltungslast, sowie der örtlichen Straßen-Baupolizei an die Stadtgemeinde Berlin vom 28. Dezember 1875. ABlRegPdmuStBln, Jg. 1876, Stück 2, S. 8. 452 Abdruck in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 8, S. 54-58. 453 Vgl. §§ 6 bis 12, PolRegl 1822. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Tit. 28, Nr. 733, BI. 29-37. 450 451

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Provinzialregierung fort, nur die "fortdauernde instruktionsmäßige Einwirkung des Oberpräsidenten" blieb bestehen. 454 Die Stadt Berlin begrüßte diese Regelung, da sie hoffte, die während des Bestehens des Regierungsbezirks Berlin begonnene Kommunalisierung einzelner Verwaltungsaufgaben weiterführen zu können. Die Ministerialbürokratie hatte sich von der Absicht leiten lassen, durch die Unterordnung des Berliner Magistrats unter die unmittelbare Aufsicht der Ministerien eine günstige Einwirkung auf den "Geist der Stadtbehörden" zu erreichen. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Die städtischen Körperschaften ignorierten die Zielsetzung des Staatsministeriums und forderten weitere organisatorische Maßregeln zusehends dadurch heraus, daß sie im Falle der Zuständigkeit verschiedener Staatsbehörden diese gegeneinander auszuspielen suchten. In seinem Bestreben, für die Stadt genehme Entscheidungen der Aufsichtsbehörden herbeizuführen, schreckte der Magistrat nach den Erfahrungen des Innenministeriums selbst vor falschen Angaben nicht zurück. Generell gingen die Absichten der Stadtbehörden nach Auffassung des Ministeriums dahin, sich ihren Verpflichtungen zu entziehen oder diese auf die Staatskasse abzuwälzen, gleichzeitig jedoch die Rechte der Kommune zu vermehren. 455 Aus diesem Grund bemühte sich der Berliner Magistrat auch, die strenge Kontrolle durch die Ministerialinstanz, insbesondere im Hinblick auf das defizitäre städtische Haushaltswesen,456 loszuwerden. Diese Situation veranlaßte die Staatsbehörden, der Hauptstadt nicht länger eine Sonderstellung gegenüber den anderen Städten des Landes zu gewähren, zumal die enge Berührung des Magistrats mit den Ministerien nicht seiner Stellung entsprach. Gegen die Ansicht des Oberpräsidenten von Bassewitz, der in der neuen Regelung nur eine Erweiterung des Instanzenzuges sehen wollte, wurde die Berliner Kommunalverwaltung im August 1828 unter Exemtion des Oberpräsidenten der Bezirksregierung zu Potsdam unterstellt. 457 Die Militärkommission, die Ministerialbaukommission und das Polizeipräsidium verblieben jedoch in unmittelbarer Anbindung an das Innenministerium, so daß diese Behörden befugt waren, die zu ihrem Wirkungskreis gehörigen Verfügungen direkt an den Magistrat zu richten, während der Kommunalverwaltung der nicht durch eine Zwischeninstanz vermittelte Rekurs beim Ministerium offenstand. 458 Um der zustän454 Bekanntmachung des Oberpräsidenten von Heydebreck, 28. Dezember 1821. ABIRegPdm, Jg. 1822, Stück 4, S. 14. 455 Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 2, S. 94 f. 456 Siehe dazu Kap. 4, Unterabschnitt 4. 457 V gl. die Bekanntmachung des Oberpräsidenten von Bassewitz vom 31. Oktober 1828. ABIRegPdmuStBln, Jg. 1828, Stück 44, S. 237-239. 458 Ziff. 7, Oberpräsidial-Bekanntmachung, 31. Oktober 1828. A.a.O., S. 238.

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digen Bezirksregierung aber den Überblick über die Entwicklung des Stadthaushalts jederzeit zu erhalten, mußten das Polizeipräsidium wie die Ministerialbaukommission Geldforderungen für polizeiliche Zwecke oder bauliche Anstalten über die Potsdamer Regionalbehörde abwickeln. Nur im Hinblick auf die Gewerbesteuerangelegenheiten blieb die Kommune direkt einer Ministerialinstanz untergeordnet. Der Berliner Magistrat erkannte zurecht in der neuen Verwaltungsorganisation eine Degradierung der Stadt und war demzufolge in den nächsten Jahren bestrebt, die direkte Unterstellung der hauptstädtischen Kommunalverwaltung unter das Innenministerium wiederherzustellen. Bemühungen, denen der Erfolg versagt blieb. Erst durch die Neuordnung der Provinzialverhältnisse Mitte der siebziger Jahre erhielt Berlin eine dem vormaligen Regierungsbezirk vergleichbare Sonderstellung zurück. 459 Im Vormärz hatte sich innerhalb der Staatsbürokratie schon die Auffassung verbreitet, daß staatliche Eingriffe in die Kommunalverwaltungen nicht "die zugestandene Freiheit" antasten sollten. Interventionen mußten, wie Savigny verdeutlichte, auf einem "allgemeine(n) Vertrauen zu offener und redlicher Absicht" gründen, erst dann ließen sich über solche Mittel wie "Rat und Belehrung, Beifall und Tadel, Unterstützung der Bessern und Einsichtsvollem" Korrekturen städtischer Administration vornehmen, die der höheren Geschäftskenntnis der Regierungsbehörden entspringen konnten oder auch durch die "Entfremdung der Stadtverwaltung von dem allgemeinen Staatsinteresse" veranlaßt waren. 460 Da das Stadt und Staat verbindende Vertrauen konstitutiv für eine freie Städteverfassung und damit für eine im Interesse des monarchischen Staates wie der Freiheit anzustrebende Dezentralisation der Verwaltung 461 war, ließ sich seine Verletzung, so die Auffassung Savignys, durch kein noch so gut gemeintes Verfahren rechtfertigen. Die Staatsbehörden durften namentlich weder der kommunalen Verwaltungsfreiheit insgeheim entgegenarbeiten noch innergemeindliche Konflikte zur Ausdehnung des eigenen Einflusses nutzen. Genauso verbot es sich, bei Auseinandersetzungen über staatliche und kommunale Ansprüche, den städtischen Körperschaften die Verteidigung des Kommunalinteresses zum Vorwurf zu machen und sie bei anderer Gelegenheit dafür büßen zu lassen. 462 Die Eingriffs- und Lenkungsfunktionen sollten sich auf eine allgemeine Aufsicht über die Kommunalverwaltung beschränken, der Magistrat durfte 459 Vgl. § 2, Provinzial ordnung vom 29. Juni 1875. GS 1875, S. 335. Vgl. auch § 1, Tit. 1, OrgLVG 1880. GS 1880. S. 291; §§ 42 u. 43, Tit. 2, Abschnitt 4,

LVG 1883. GS 1883, S. 205 f. 460 Savigny, Städteordnung, S. 217. 461 A a. 0., S. 209. 462 Aa.O., S. 217.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

mithin als Ortsobrigkeit und dem Staat untergeordnete Behörde nicht zum "willenlose(n) Organ,,463 degradiert werden. Der kommunalen Exekutive mußte, so die Auffassung des langjährig mit der Kommunalaufsicht vertrauten Karl Streckfuß, ein bindendes Mitwirkungsrecht bei der Feststellung dessen, was nötig war, eingeräumt werden, nicht minder bei den Verhandlungen über die Erfüllung von Verbindlichkeiten und deren konkrete Ausführung. Es hing vornehmlich vom rechten Willen oder der Geschicklichkeit der Orts obrigkeit ab, ob die verordnete Befriedigung eines Bedürfnisses zum bleibenden Vorteil der Kommune und unter möglichster Schonung ihrer Mittel in Angriff genommen wurde. 464 Im übrigen mußten sich die Aufgabenbereiche der Polizei und der Kommunalverwaltung parallel zum Wachstum der Stadt erweitern, ihre Vielfältigkeit wie organisatorische und personelle Verdichtung war gleichsam eine Funktion der Stadtentwicklung. Die öffentliche Verwaltung entwickelte sich im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts, unabhängig von der konkreten Trägerschaft der Administration, mit der fortschreitenden Industrialisierung und Urbanisierung, der Auflösung tradierter Sozialbindungen sowie der zunehmenden Komplexität sozialökonomischer Differenzierung und Diversifikation der Lebensverhältnisse mehr und mehr als daseinsvorsorgende, leistende Verwaltung. In dieser Ausbildung war sie einerseits "Vorsorge für den Gemeinbedarf der Gesellschaft", mithin eine administrative Vorkehrung, die der Förderung und Sicherung des Gesamtdaseins zugute kam, andererseits war sie "unmittelbare Vorsorge für den Bedarf des Einzelnen durch Sicherungs- und Förderungsmaßnahmen zur Deckung eines konkreten individuellen Mangels".465 Die Ermächtigung des Staates zur fürsorgenden Steuerung erwuchs, wie Lorenz von Stein darlegte, aus der im kapitalistischen Industrialismus strukturell angelegten Polarisierung der Klassenbewegungen. Sie nötigten die Verwaltung "die Herstellung der Bedingungen der persönlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, welche der Einzelne sich nicht selber zu verschaffen vermag, ... zu bilden und zu entwikkeln",466 ohne daß die sozialstaatliche Ermächtigung einen wohlfahrtsstaatlichen bevormundenden Zwang individuellen Wohlseins begründete, denn die Benutzung der vom Staat geschaffenen Einrichtungen blieben der "freien selbständigen Tat" des Einzelnen vorbehalten. Die daseinsvorsorgende Verpflichtung der Verwaltung folgte nicht mehr der Scheidung des Staatsorganismus in staatliche Administration und Streckfuß, Städteordnung, S. 85. Ebd. Ders., Städteordnungen, S. 44. 465 Huber, Vorsorge für das Dasein. Ein Grundbegriff der Staatslehre Hegels und Lorenz von Steins, in: Ders., Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 320. 466 Lorenz von Stein, Die Verwaltungslehre, T. 2, Stuttgart 1866, S. 59. 463

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8. Staatliche Gemeindeaufgaben und kommunale Zuständigkeiten

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Selbstverwaltung, ihre Aufgaben waren vielmehr, wenn man der Verwaltungslehre Steins folgt, "im Wesentlichen gleich", da die sich entfaltende Industriegesellschaft eine Vereinheitlichung der Aufgaben in Gang setzte, die Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft mithin allgemeinen Charakter annahmen. 467 Das Objekt der Selbstverwaltung war kein einzelnes Interesse und keine einzelne Aufgabe des Staates mehr, sondern die "Gesamtheit aller Staatsaufgaben", soweit diese überhaupt zur örtlichen Begrenzung fähig waren. 468 Aus der Selbständigkeit der Kommunalverwaltung ergab sich, so Stein, ein struktureller Konflikt mit der Staatsadministration, der sich sowohl auf die Besonderheit der örtlichen Interessen bezog, welche die Gemeinden gegen ihre Unterwerfung unter die Staatsgewalt vertraten, als auch auf das eigene selbständige Recht gegenüber der Kompetenz der Staatsorgane erstreckte. 469 Obgleich Steins Ansicht einer späteren Zeit entstammte, die beschriebene Konfliktsituation war am Vorabend der Revolution von stupender Aktualität. Die Kommunalkörperschaften und das Stadtbürgertum waren in den Märztagen sowohl an einer Ausweitung der kommunalen Kompetenzen im Bereich der Polizeiangeiegenheiten470 als auch an einer Aufhebung der Stellung des Magistrats bzw. des Bürgermeisters als "Hilfsbeamter der staatlichen Verwaltung471 interessiert. Die örtliche Polizeiadministration sollte zum Bestandteil der Selbstverwaltung gemacht und damit, Ders., Handbuch der Verwaltungslehre, T. 1, 3Stuttgart 1888, S. 65 u. 67. Ders., Verwaltungslehre, T. I, Abt. 2, 2Stuttgart 1869, S. 128. Selbstverwaltung schloß nach Stein immer Autonomie ein und damit das Recht der Selbstverwaltungskörperschaften "mit ihrem organischen Willen selbsttätig als Organ der vollziehenden Gewalt zu funktionieren". Als Verwaltungsorgan oblag der Selbstverwaltung ebenso wie der Regierung die Verpflichtung, allgemeine Interessen wahrzunehmen, ja diese der Regierung selbst zu entziehen. Die Qualität der Selbstverwaltung maß sich bei Stein am Umfang der Wahrung allgemeiner Interessen, das hieß auch des Entzugs dieser Interessen von der Regierung bzw. der Staatsverwaltung. Dieser Selbstverwaltungsbegriff war ebensowenig mit dem preußischen Gemeinderecht zu vereinbaren wie der Gedanke, daß die Selbstverwaltung eine dem Staat "gleichartige Macht" darstellte. A.a.O., S. 71 f.; ders., Handbuch der Verwaltungslehre, T. 1, S. 69. Zur Kritik Steins am preußischen Gemeindewesen, insbesondere der 1850 eingeführten Landgemeindeverfassung und der Ortspolizeiverwaltung siehe Dirk Blasius, Lorenz von Stein als Geschichtsdenker, in: Lorenz von Stein. Geschichts- und gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven (= Erträge der Forschung, Bd. 69), Darmstadt 1977, S. 67 ff. Ders., Zeitbezug und Zeitkritik in Lorenz von Steins Verwaltungslehre, in: Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein, hrsg. u. eingel. von R. Schnur, Berlin 1978, S. 429 ff. 469 Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, T. I, S. 73 f. 470 Vgl. § 59, Abschnitt 5, Entwurf einer Gemeinde-Ordnung für den Preußischen Staat. Überreicht von dem Magistrat der Haupt- und Residenzstadt Berlin. Im September 1849, Berlin 1849, S. 21. 471 Petition der Kommunalbehörden zu Berlin wegen Beibehaltung der StädteOrdnung vom 19. November 1808, Berlin 1849, S. 7. 467 468

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

wie die Berliner Kommunalbehörden erläuterten, daß "Prinzip der Selbstregierung" in der Gemeinde gestärkt werden. 9. Die Wahlrechtsfrage in der Verfassungs- und Gemeinderechtsdiskussion der Reform- und Nachreformära

Zur Beurteilung der allgemeinen Bedeutung der politischen Partizipation auf kommunaler Ebene, insbesondere im Hinblick auf den Reformgedanken, die Mitwirkung in der Gemeinde zum Ausgangspunkt einer nationalen Repräsentation zu machen, soll dieser Abschnitt mit einer Skizzierung der späteren Verfassungsdiskussion der Ära Hardenberg, der Stellungnahmen Steins zu den Verfassungen der süddeutschen Staaten und der Einflüsse der Verfassungspläne auf die Kommunalrechtsentwicklung abgeschlossen werden. Dabei kann es nicht die Aufgabe dieser Arbeit sein, die veränderten politischen Rahmenbedingungen, die verfassungspolitischen Zielsetzungen und ihre Realisierungschancen detailliert darzustellen. 472 Es ist aber zu untersuchen, welche Beteiligungsformen in den Verfassungsentwürfen eröffnet werden, mithin auf die Gestaltung des Wahlrechts einzugehen. Dabei muß der Frage nachgegangen werden, ob die in den Städten entwickelte Form politischer Mitwirkung Einfluß auf die Teilhabeangebote der diskutierten Verfassungskonzeptionen gewann. Daneben sind die wahlrechtlichen Regelungen sowohl der Provinzialständegesetzgebung als auch der Kommunalordnungsentwürfe für die westlichen Provinzen zu berücksichtigen, bei deren Diskussion die Ministerialbürokratie einerseits mit dem aus dem französischen Munizipalrecht herrührenden Gleichheitsprinzip eines allgemeinen Staatsbürgertums sowie dem Anspruch auf eine für Stadt und Land einheitliche Gemeindeordnung konfrontiert wurde, andererseits sich aber die Konzeption eines kommunalen Klassenwahlrechts herausbildete, das bis zum revolutionären Sturz des Kaiserreichs die politische Teilhabeform in der Gemeinde festlegen sollte. 472 Zu den verfassungspolitischen Ansätzen und Bestrebungen der preußischen Reformzeit siehe neben Koselleck auch Willy Real, Die deutsche Verfassungsfrage am Ausgang der napoleonischen Herrschaft bis zum Beginn des Wiener Kongresses, Phi\. Diss., Münster 1935. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 290 ff. Eberhard Büssem, Die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die endgültige Stabilisierung der restaurativen Politik im Deutschen Bund nach dem Wiener Kongreß von 1814/15, Hildesheim 1974, S. 201 ff. Von den älteren Arbeiten neben der bereits genannten Studie von Stern immer noch wichtig Treitschke, Der erste Verfassungskampf in Preußen, in: PJ, Bd. 29 (1872), S. 313-360 u. 409-473, und Paul Haake, König Friedrich Wilhelm III. und die preußische Verfassungsfrage, in: FBPG, Bd. 26 (1913), S. 523-573; Bd. 28 (1915), S. 175-220; Bd. 29 (1916), S. 305-369; Bd. 30 (1918), S. 317-365; Bd. 32, (1920), S. 109-180.

9. Die Wahlrechtsfrage

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Steins Verfassungsmodell einer "durch Stände beschränkten Monarchie"473 stand in scharfem Gegensatz zum Prinzip der Volkssouveränität, der aus der korporativen Bindung entlassenen individuellen politischen Entscheidungsfreiheit und der politischen Gleichberechtigung. Das in der Wiener Bundesakte gegebene Versprechen "landständischer Verfassungen" interpretierte Stein nicht im Sinne einer zeitgemäßen Volksrepräsentation und einer konstitutionellen repräsentativen Verfassung, sondern im Sinne einer altständischen Repräsentation, die zudem den mediatisierten Fürsten und der Reichsritterschaft die sozialen wie wirtschaftlichen Vorrechte sichern und ihnen besondere politische Privilegien einräumen sollte. 474 An den Verfassungsentwürfen der süd- und südwestdeutschen Staaten, insbesondere aber Badens, kritisierte Stein die Tendenz der Nivellierung und Demokratisierung, das unhistorische "Durcheinandermischen" der Stände",475 das sich ebenso im Einkammersystem wie in liberalen Wahlrechtsbestimmungen äußerte. Die badische Verfassung knüpfte das Wahlrecht nur an die Eigenschaft des Bürgers. Es war weder die ständische Bindung noch der Grundbesitz als Wahlrechtsvoraussetzung vorgesehen. Das passive Wahlrecht wurde lediglich durch einen Zensus beschränkt. Eine derartige bürgerlichliberale Fassung des Wahlrechts lehnte Stein ab. Auch in den Auseinandersetzungen um die württembergische Verfassung opponierte Stein gegen den Gedanken der Volkssouveränität und das von den Bürgerrechtlern verfolgte Ziel einer monarchischen Republik, obgleich er das monarchische Prinzip, den Gedanken der Staatseinheit und deren Repräsentation durch den Monarchen gegenüber altständischen Ansprüchen auf gleichberechtigte Verhandlung mit dem Landesherm und der Regierung verteidigte. 476 Die den Steinschen Vorstellungen am weitesten entsprechende nassauische Verfassung basierte auf einer starken wahlrechtlichen Bevorzugung von Eigentum und Steuerleistung. Deputiertenkammer und Herrenbank waren deutlich von einander geschieden, das kam insbesondere in getrennten Abstimmungsverfahren zum Ausdruck. In der Ständeversammlung konnte, mit Ausnahme der Steuerfragen, kein Beschluß gegen die Stimmen der Standesherren bzw. des auf der Herrenbank vertretenen Adels gefällt 473 Gembruch, Freiherr vom Stein im Zeitalter der Restauration (= Schriften der wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt/M., Geisteswiss. Reihe, Nr. 2), Wiesbaden 1960, S. 27. 474 A. a. 0., S. 20. Grundsätzlich zur Interpretation des Art. 13 der Bundesakte, Hermann Reuss, Zur Geschichte der Repräsentativverfassung in Deutschland, in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, hrsg. von H. Rausch (= Wege der Forschung, Bd. 184), Darmstadt 1968, S. 6 ff. 475 Stein, Denkschrift über die Herrenbank, 10./ 12. Februar 1816, in: Hubatsch/ Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 465. Vgl. auch Gembruch, Stein, S. 22. Schnabel, Geschichte, Bd. 2, S. 85 f. 476 Gembruch, Stein, S. 25 f. 14 Grzywatz

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

werden. Nur die Vertretung des minderen Adels und die Korrektur seiner zahlenmäßigen Schwäche gegenüber der Deputiertenbank hatte Stein in der Anfang September 1814 unterzeichneten Verfassung nicht durchsetzen können. 477 Die 22 Mitglieder der Deputiertenversammlung setzen sich aus zwei Vertretern der lutherischen und reformierten sowie einem Vertreter der katholischen Geistlichkeit, einem Vertreter der höheren Lehranstalten, drei Deputierten der Gewerbetreibenden und schließlich 15 Abgeordneten jener Landeigentümer zusammen, die eine Steuer von mindestens sieben Talern im Quartal entrichteten. Da das passive Wahlrecht der Landeigentümer einen jährlichen Grundsteuerbetrag von mindestens 84 Talern voraussetzte, war für eine klare politische Dominanz des größeren Grundbesitzes gesorgt. Die Masse der kleineren Bauern wurde auf Grund des hohen Zensus vollkommen von der politischen Mitwirkung ausgeschlossen, während das Gewerbe durch Unterrepräsentation keine politische Konkurrenz darstellte. Nach dem Bericht des Koblenzer Regierungsrat lohn hätten die Wahlmodalitäten der nassauischen Verfassung in den rechtsrheinischen Gebieten, soweit sie zur Grundlage einer provinzialständischen Repräsentation gemacht wurden, die Wahlfreiheit praktisch aufgehoben, da in den verschiedenen Kreisen nur vereinzelte Grundbesitzer den erforderlichen Steuerbetrag aufbrachten. lohn hielt sich unterdessen nicht mit einer Detailkritik am Wahlrechtssystem auf, sondern lehnte ebenso die ausschließliche Bindung des passiven Wahlrechts an das Grundeigentum wie dessen politische Privilegierung ab. Der Regierungsrat zielte auf die im alt- und neu ständischen Denken befangene historisch-organische Wahlrechtstheorie, wenn er erklärte: "Es scheint aber überhaupt ganz inadäquat, die Wahlfähigkeit zu Deputierten in den Provinz- und Reichs-Versammlungen ganz allein an den Besitz von Grundeigentum, somit auf meistens von den Eltern ererbten Reichtum binden, und somit alle diejenigen ausschließen zu wollen, welche die Vorsehung gerade nicht mit Glücks-Gütern oder mit liegenden Gründen gesegnet hat".478 Die politischen Partizipationsrechte der Bürger sollten nach lohn nicht von bestimmten Besitzverhältnissen abhängig gemacht werden, vielmehr galt es, analog zum weitgehend erreichten Abbau der Standesunterschiede und der damit geschaffenen Gleichheit, sämtlichen Einwohnern die Teilhabe in gleichem Umfang zu ermöglichen.

477 A. a. 0., S. 29 f. Zur Kritik Steins am Nassauischen Verfassungsentwurf siehe dessen Denkschrift über die ständische Verfassung im Herzogtum Nassau vom 25. August 1814, in: Hubatsch/Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 124 ff. Zum Wahlrecht in den südwestdeutschen Staaten allgemein, Kar1 Rohe, Wahlen, S. 30 ff. Ehrle, Volksvertretung, T. 2, S. 495 ff. 478 Bericht lohn, 30. August 1817. Siehe Schütz, Rheinlande, S. 184 ff., das Zitat, S. 186.

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Mit der konsequenten politischen Umsetzung des politischen Gleichheitsprinzips ließ John nicht nur die im Ständisch-korporativen beharrende Reformbürokratie hinter sich, sondern er ging auch über die rationalistische Wahlrechtstheorie hinaus. So schlug er zwar vor, die Standesherren mit erblichen Virilstimmen auszustatten und den beiden Kirchen eigene Vertreter in der aus einer Kammer bestehenden Provinzialständeversammlung auszustatten, aber ihnen stand eine Mehrheit von Deputierten gegenüber, die von allen Bürgern nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht gewählt werden sollten. Nur hinsichtlich der Nationalrepräsentation schränkte John seine egalitär-demokratischen Vorschläge ein, da er nicht für ein direktes Wahl verfahren, sondern auf der Linie des Verfassungsversprechens für eine indirekte Wahl der gesamtstaatlichen Vertretungskörperschaft aus den Provinzialständen plädierte. Die Mitwirkung der von Stein geprägten nassauischen Ständeversammlung beschränkte sich im wesentlichen auf die Gesetzgebung und Besteuerung, ansonsten blieb die gesamte Staatsgewalt im Monarchen vereinigt. Seine Regierungsrechte wurden ebenso unbeschränkt anerkannt wie ihm das Recht zustand, die Ständeversammlung aufzulösen. Bei allen strittigen Fragen nahm der Monarch gegenüber den Ständen die Stellung eines entscheidenden Schiedsrichters ein. Den Einfluß des Adels wollte Stein, dem Beispiel des im Mai 1818 erlassenen bayrischen Staatsgrundgesetzes folgend, grundsätzlich noch dadurch stärken, daß ihm neben der Vertretung in der Ersten Kammer, dem sogenannten Reichsrat, noch eine besondere Repräsentation in der Zweiten Kammer eingeräumt wurde. War der Adel nur mit Kuriatstimmen im Oberhaus vertreten, drohte ihm nach Steins Ansicht die Isolation. Er verlor jeden Einfluß auf die Deputiertenkammer und konnte gegebenenfalls von den politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden. 479 Durch die Repräsentation des Adels in der Zweiten Kammer war die Opposition des großen Grundbesitzes gesichert, wenn es zu einer Situation geschlossener Aktionen der Deputierten gegen die Rechte des Adels kommen sollte. Das Wahlverfahren der bayrischen Verfassung sah ein kompliziertes Wahlmännersystem vor, das die Wahlkörper in Abstufungen verkleinerte und damit die Zahl der Wähler erheblich einschränkte. Ähnlich wie Wilhelm von Humboldt trat Stein dagegen für ein direktes Wahlverfahren ein, da er andernfalls sowohl die Wahlfreiheit als auch das Interesse "des Volkes" an der Wahl seiner Abgeordneten bedroht sah. Der Gefahr einer Politisierung des Wahlakts durch zu häufige Wahlversammlungen wollte Stein dadurch begegnen, daß die Wahlberechtigung einfach an einen höheren Steuersatz geknüpft wurde. 48o Ebenso wie Stein bis zuletzt an der ständischen Bindung der ge479 Stein an eh. Schlosser, 19. Juni 1818, in: Hubatsch/Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 800 f. 14*

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

wählten Deputierten festhielt, gab er nicht die Vorstellung auf, das Wahlrecht und die Wahlfähigkeit "an eine gewisse Größe von Eigentum" zu knüpfen. Die politische Gleichheit sämtlicher Gemeindemitglieder stand dem tradierten Herkommen entgegen, den Begüterten einen "vorzüglichen Anteil am Stimmrecht,,481 einzuräumen. Politisch sorgte die Stellung des Adels für Stabilität. Er sicherte die "Stetigkeit" der Verfassung und garantierte insgesamt für eine konservative Grundhaltung in der Repräsentation. Hardenbergs Verfassungspläne nahmen im Sommer 1812 einen neuen Anlauf, als auf seine Veranlassung hin der Kommissar der Interimistischen Nationalrepräsentation, Friedrich Graf zu Hardenberg, der die Staatsräte Hippel und Scharnweber als Koreferenten hinzuzog, mit der Ausarbeitung des Entwurfs für eine zukünftige Nationalrepräsentation beauftragt wurde. 482 Der daraufhin entworfene Plan entwickelte die Grundlinien einer Konstitution, in denen an einem korporativen Wahlverfahren festgehalten und gleichzeitig die Zensusbestimmungen verschärft wurden. Die vorgeschlagene indirekte Wahl der Repräsentanten durch eine Wahlmännerversammlung ging von dem im Gendarmerieedikt festgelegten Wahlverfahren zu den kollegialen Kreisadministrationen aus. Im einzelnen gehörte zu jeder Kreisverwaltung der Kreisdirektor, der amtierende Stadtrichter der zugehörigen Kreisstadt und sechs gewählte Gemeindedeputierte. Diese wurden durch eine Wahlmännerversammlung berufen, auf der die Städte, Gutsbesitzer und Landgemeinden mit der gleichen Anzahl von Vertretern repräsentiert waren. Die Stadtverordneten jeder städtischen Gemeinde wählten für jeweils 500 Einwohner einen Wahlmann, während jede Landgemeinde durch die "Bauernwirthe" jeweilig einen Wahlmann aufstellte. Insgesamt durfte die Zahl der bäuerlichen und gutsherrlichen Wahlmänner nicht die der städtischen übersteigen. Die in getrennten Wahlen berufenen Wahlmänner konnten jeweils nur einen, der Kreisdirektor hingegen drei Kandidaten zur Wahl vorschlagen. Die Wahlfähigkeit war an keine Voraussetzungen gebunden. Über jeden vorgeschlagenen Kandidaten mußte einzel nd durch "Ballottement" abgestimmt werden. Als gewählt galten die sechs Kandidaten, welche die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt hatten. Von den Deputierten sollten jeweils zwei für die Städte, die Rittergutsbesitzer und den Bauernstand "gerechnet" werden. 483 Praktisch schloß das Wahlverfahren nicht aus, daß städtische Deputierte aus dem Kreis der übrigen ständischen Kandidaten kamen und umgekehrt. 480 A.a.O., S. 801. Vgl. auch Wilhelm Isenburg, Das Staatsdenken des Freiherrn vom Stein, Bonn 1968, S. 148. 481 Stein, Denkschrift über die Gemeindeverfassung im Herzogtum Nassau, 1. März 1818, in: Hubatsch/Botzenhart, Stein, Bd. 5, S. 730. 482 Vgl. dazu Stern, Verfassungsfrage, S. 192 ff. Obenaus, Anfänge, S. 76 f. 483 §§ 12-16, Abschnitt 1, Gendarmerieedikt 1812. GS 1812, S. 145 f.

9. Die Wahlrechtsfrage

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Das von Altenstein und Hardenberg abgelehnte Prinzip ständischer Wahlen, soweit hierunter nicht nur die Bindung an Wählerinstruktionen, sondern auch die ständische Separierung der Wahlkörper gemeint war, gab das Gendarmerieedikt nicht grundsätzlich auf. Das aktive Wahlrecht blieb vom Nachweis eines bestimmten Besitzes und Einkommens abhängig. Es fehlte indessen an einer weiteren Zuspitzung der Zensusregelungen. Der gutsherrliche und bäuerliche Besitz bestellte seine Wahlmänner jedoch in einem direkten Wahlverfahren, während die städtischen Bürgerschaften überhaupt vom Wahlverfahren ausgeschlossen wurden. Der Repräsentationsplan für die zukünftige Nationalvertretung sah nun vor, daß die nach dem Wahlverfahren des Gendarmerieedikts berufenen Wahlmännerversammlungen für jeden Stand einen Vertreter wählten, der in einen engeren Wahlausschuß geschickt wurde, um die Nationalrepräsentanten zu wählen. Die engeren Wahlausschüsse traten am Sitz der Regierungen zusammen und wählten, nach Ständen getrennt, in geheimer Abstimmung jeweils zwei Vertreter der Gutsbesitzer und jeweils einen Vertreter der Städter und Bauern. Die nach dem Gendarmerieedikt den Kreisen als gleichgestellte Korporationen gegenübertretenden größeren Städte484 der Monarchie sollten ebenfalls einen eigenen Repräsentanten wählen. Die Nationalrepräsentation setzte sich somit aus 43 Abgeordneten zusammen: 18 Gutsbesitzern, 16 Städtern und 9 Bauern. Die Vertretung der Stadtgemeinden hatte sich damit gegenüber der Interimistischen Nationalrepräsentation leicht verbessert. Das korporative Wahlverfahren konnte nach Ansicht des Staatskommissars dadurch aufgelockert werden, daß Städter und Bauern, da sie nunmehr gleichartige Interessen hatten, die Abgeordneten nicht mehr aus ihrer Mitte wählten. Den Bauern sollte es lediglich verboten sein, einen Advokaten zu wählen. Sie waren zur Wahl eines Grundbesitzers verpflichtet. Die Wahlfähigkeit wurde gegenüber den Bestimmungen der Kommunalordnung wesentlich schärfer an den Grundbesitz gebunden. Das passive Wahlrecht eines Gutsbesitzers verlangte ein Grundeigentum im Werte von mindestens 20000 Reichstalern, Städter und Bauern benötigten einen Besitz von mindestens 2000 Talern. Beamte sollten nur dann wahlfähig sein, wenn sie ihr Amt niederlegten.485 Folgt man dem Urteil von Obenaus und Nolte, demzufolge sowohl die Interimistische Nationalrepräsentation als auch der von Graf Hardenberg, Hippel und Schamweber entworfene Repräsentationsplan Modellcharakter für die Reichsvertretung hatte bzw. die Vorstellungen der liberalen Ministerialbürokratie widerspiegelte, muß davon ausgegangen 484 Es handelte sich um die Städte Berlin, Breslau, Königsberg, Stettin, Elbing, Potsdam und Frankfurt. § 1, Abschnitt 1, Gendarmerieedikt 1812. A.a.O., S. 143. 485 Stern, Verfassungsfrage, S. 193 ff. Obenaus, Anfänge, S. 76. Bei Obenaus auch der Plan des Notabeln von Byern für eine General-Repräsentation, dessen Grundzüge von der Hardenbergschen Kommission aufgenommen wurden.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

werden, daß die soziale Basis der "Volksrepräsentation" ebenso schmal ausfiel, wie es nicht gelang, im Wahlverfahren den Partikularismus der Stände aufzuheben. Wenn es das erklärte politische Ziel der liberalen Reformbürokratie war, den Einfluß der partikularen Mächte in der Gesellschaft und im Staat zurückzudrängen, dann war das projektierte Wahlrecht wie das Wahlverfahren allemal dazu angetan, die nach wie vor ständisch gegliederte Gesellschaft des preußischen Ostens in ihrer bestehenden Struktur zu stabilisieren. Statt eine gesellschaftspolitische Egalisierung einzuleiten, reproduzierten die Reformer die ständische Struktur der Gesellschaft und leisteten damit, ob gewollt oder ungewollt sei dahin gestellt, dem ständischen Regionalismus Vorschub. Der im September 1807 so kühn beschworene Zeitgeist beflügelte die Zielsetzungen der Reformer schon nach den ersten rudimentären Erfahrungen "parlamentarischer" Partizipation nicht mehr. Es muß mit einiger Berechtigung angenommen werden, daß sich die Reformbürokratie letztlich nicht über die Konsequenzen einer Teilung der Macht im Klaren war. Das "Prinzip" der Hardenbergschen Innenpolitik, der Gesellschafts- und Verwaltungsreform Priorität vor der Verfassungsreform zu geben, resultierte aus der Furcht, die Repräsentation könnte in die Staatssphäre eingreifen und insbesondere im Bereich des Finanz- und Steuerwesens Druck auf den Staat ausüben. Die provisorischen Nationalrepräsentationen waren denn auch nicht bewußt gestaltete Vorstufen eines einzuführenden Repräsentativsystems, sondern sie waren "als manipulierbare Instrumente zur Unterstützung und Absicherung der vom Staat geplanten Reformen gedacht".486 Nach dem Sieg über Frankreich war die politische Stabilität Preußens anscheinend hinreichend gesichert. Es bestand nicht mehr jener Druck, der im Angesicht der Niederlage mit Notwendigkeit zur Erneuerung von Staat und Gesellschaft drängte. Die politische Neuordnung nach 1814 stand zunehmend im Zeichen einer restaurativen Tendenz, einer schon bald bewußt geschürten Revolutionsangst, die keinen Raum mehr ließ für das Projekt einer Volksrepräsentation, sondern sich auf die Idee der "Provinzialstände im rein monarchischen Sinne" versteifte. 487 Den politisch-instrumentellen Zielsetzungen der Ministerialbürokratie entsprechend wurden die Kompetenzen der projektierten Nationalrepräsentation sehr beschränkt gehalten. Einerseits sollte der vom Monarchen ernannte Präsident der Reichsvertretung weitreichende Geschäftsbefugnisse ausüben, unter anderem war bei Stimmengleichheit sein Votum ausschlaggebend, andererseits sollte die Repräsentation nur jährlich 486 Obenaus, Anfänge, S. 83. Siehe auch ebd. S. 90 f. Vgl. Koselleck, Preußen, S. 192 f. 487 Siehe den Karlsbader Vortrag Mettemichs vom 25. Juli 1819. Vgl. dazu Büssem, Karlsbader Beschlüsse, S. 266.

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tagen, während ansonsten ein aus 18 Mitgliedern bestehender engerer Ausschuß die laufenden Geschäfte übernahm. Hardenberg, der sich und seine Mitarbeiter wiederholt des "Jakobinismus"-Vorwurfs ausgesetzt sah,488 hielt, vorsichtig taktierend, am Ziel der Nationalrepräsentation und einer liberalen Verfassungsurkunde fest. Die von Zerboni di Sposetti im März 1815 vorgelegte Denkschrift entwarf erstmals einen Verfassungsplan, der von einer geschriebenen Konstitution einschließlich eines Bürgerrechtskatalogs ausging. 489 Zerboni durchbrach das Prinzip ständischer Wahlen, indem er das aktive Wahlrecht ohne jeden Unterschied an ein Grundeigentum band, aus dem "jährlich 500 Thaler Revenüen" erwirtschaftet wurden. Gegen ein allgemeines Wahlrecht sprach nach Zerboni ebenso der Umstand, daß dann die Stimmen "zu leicht käuflich werden dürften", wie die Erfahrung, "daß sich der Verstand immer im umgekehrten Verhältnis gegen die Menge" befand. 49o Das passive Wahlrecht beruhte dagegen nicht auf einer Zensusregelung. Jeder Staatsbürger, sofern er über 30 Jahre alt, kein öffentlicher Beamter und weder einer Kriminaluntersuchung noch einem Konkurs bzw. einer gerichtlichen Vermögensverwaltung ausgesetzt war, sollte wahlfähig sein. Die Nationalrepräsentanten waren indessen nicht in einem direkten Wahlverfahren, sondern indirekt durch die Deputierten der Provinziallandtage zu wählen. Die direkt gewählten Provinzialvertreter wollte Zerboni nach einem Bevölkerungsschlüssel von 50000 Einwohnern pro Mandat wählen lassen, während für die Landesvertretung 200000 Einwohner pro Mandat vorgesehen waren. Staatsrat Hoffmann äußerte sich in einem Gutachten491 kritisch zur Zensusregelung, da er auf diese Weise das Stadtbürgertum der kleinen und mittleren Städte nicht in der Provinzial- und Landesrepräsentation vertreten sah, waren doch in diesen Gemeinden nur wenige Häuser vorhanden, welche die vorgesehenen Mieten einbrachten. Obwohl Hoffmann generell dem Zensus zustimmte, glaubte er sich daher doch für eine nach Stadt und Land sowie Provinzen geschiedene Regelung aussprechen zu müssen. In ähnlicher Weise plädierte Hoffmann gegen einen durchgängigen Bevölkerungsschlüssel für die Provinziallandtagswahlen, da er die einwohnerschwachen Landesteile benachteiligen mußte. Er schlug vor, die Landtagsmandate analog 488 Vgl. a. a. 0., S. 266 f. Zur Kontinuität der Verfassungspläne Hardenbergs und ihre Behandlung in der wissenschaftlichen Literatur vgl. ebd. S. 202 ff. Siehe auch Nolte, Staatsbildung, S. 96 ff. Obenaus, Anfänge, S. 95 ff. 489 Denkschrift über eine Verfassung für Preußen vom 6. März 1815. Abdruck in: Franz Rühl, Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlaß von F.A. Stägemann, Bd. 2, Leipzig 1900, S. 38-45. Vgl. dazu Obenaus, Anfange, S. 79 ff. 490 Rühl, Briefe, Bd. 2, S. 43. 491 Gutachten vom 13. März 1815. Abdruck in: A.a.O., S. 45-48.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

zur Zahl der Kreise zu verteilen und die kreisfreien Großstädte auch mit einem Mandat zu bedenken, während auf die Landeshauptstadt drei Mandate entfallen sollten. Zerboni hatte sich mit seinem Entwurf am weitesten vom Modell ständischer Wahlen und im Grunde genommen, zumindest für die Provinziallandtage, dem liberaleren Wahlrechtsmodus der östlichen Kommunalverfassung angenähert. 492 Die Erweiterung der sozialen Basis der Provinzialvertretungen und der Nationalrepräsentation war trotz des vorgesehenen Zensus, zumal im "Reichstag" mit einfacher Mehrheit abgestimmt werden sollte, zu radikal. Der Entwurf entsprach zuwenig dem Bild "landständischer Verfassungen", als daß er die Grundlage für eine verfassungspolitische Initiative hätte abgeben können. Nicht zuletzt deshalb lehnte wohl auch Staatsrat Stägemann eine Stellungnahme ab. Eine Konstitution im Sinne Zerbonis hielt er für Preußen schlichtweg "verderblich".493 Die von Hardenberg im Vorfeld der "Teplitzer Punktation" entwickelten Verfassungsvorstellungen kehren zum Prinzip ständischer Wahlen zurück. 494 Zunächst ging Hardenberg davon aus, daß eine ständische Verfassung "freie Eigentümer in allen Ständen" voraussetzte. Sie mußte auf einer "zweckmäßigen Kommunalordnung" basieren, die Lösung der Verfassungsfrage blieb also bei Hardenberg mit dem Abschluß der Wirtschafts- und Gesellschaftssowie der Verwaltungsreform verknüpft. Die allgemeine Landtags-Versammlung sollte in Anlehnung an die süddeutschen Verfassungen aus zwei Kammern bestehen, Aus einer Art Herrenhaus, in dem die volljährigen Prinzen des königlichen Hauses, die Häupter der standesherrlichen Familien, gewählte Vertreter der provinziallandtagsfähigen Gutsbesitzer, Vertreter des geistlichen Standes und der Universitäten sowie vom Monarchen besonders ernannte Personen berufen wurden. Die Repräsentanten der zweiten Kammer setzten sich aus den Vertretern der Städte, die einen eigenen Kreis bildeten und den von den Provinziallandtagen gewählten Deputierten zusammen. Die Landesvertretung ging mithin aus einer indirekten Wabl hervor; die Vertretungen der Provinzen wurden dabei ständisch separiert. 492 Rühls Urteil, Briefe, Bd. 2, S. XVII, Zerbonis Wahlrecht stehe unter dem Einfluß "feudaler Anwandlungen" ist vor dem Hintergrund der vorangegangenen und später folgenden Entwürfe nicht haltbar. 493 A.a.O., S. 48. 494 Hardenberg an Friedrich Wilhelm III., 3. Mai 1819. Abdruck in: Stern, Geschichte, Bd. 1, Berlin 1894, S. 649-653. Haake, Verfassungsfrage, in: FBPG, Bd. 30 (1918), S. 344 u. 347. Vgl. dazu auch Büssem, Karlsbader Beschlüsse, S. 225 ff. Nolte, Staatsbildung, S. 101 f. Büssem wie Nolte widmen dem Wahlrecht und Wahlverfahren nur am Rande Aufmerksamkeit. Bei ihnen steht die allgemeine Frage der Konstitutionalisierung im Mittelpunkt. Detaillierter dazu Obenaus, Anfänge, S. 101 ff. Eine Übersicht zur Rechtfertigung des Zensuswahlrechts bei Ehrle, Volksvertretung, T. 2, S. 693 ff.

9. Die Wahlrechtsfrage

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Ohne vorhergehende Wahl sollten die jeweiligen Standesherren und die größeren kreisfreien Städte auf dem Provinziallandtag vertreten sein, während die übrigen Repräsentanten aus Wahlen der Kreisversammlungen hervorgingen, also die Abgeordneten der Ritterguts- und Gutsbesitzer, der kleineren Kreisstädte, der Kirchspiele, der Synoden und ähnlichen kirchlichen Körperschaften, der Gymnasien und Schulen. Hardenberg ließ es offen, ob nach Ständen oder Köpfen abgestimmt werden sollte, gab indessen der ständischen Abstimmung den Vorzug. Nur für die Landesvertretung sah er einen auf dem Individualstimmrecht beruhenden Abstimmungsmodus vor. Bei Stimmengleichheit gab allerdings die Stimme des Kammerpräsidenten den Ausschlag, der vom Monarchen, nachdem die Landesvertretung drei Kandidaten gewählt hatte, ernannt wurde. Eine Analogie zur Wahl der Bürgermeister im Kommunalrecht ist hier nicht zu übersehen. Ließ Hardenberg bei den Wahlen zur Landesvertretung ein ständisches Abstimmungsverfahren noch offen, so wollte er die Deputierten der Kreisversammlungen ohne Einschränkung nach Ständen wählen lassen. Jeder Stand wählte demnach aus seiner Mitte eine noch näher zu bestimmende Anzahl von Vertretern. Allein die Besitzer von Rittergütern sollten unabhängig von der Rechtsqualität des jeweiligen Besitzes mit einer eigenen Stimme auf dem Kreistag vertreten sein. 495 Das persönliche Stimmrecht sollte indessen von einer noch festzulegenden Größe des Grundeigentums abhängig sein. 496 In seinen "Ideen zu einer landständischen Verfassung in Preußen", die Hardenberg in Teplitz dem Fürsten Metternich und in revidierter Form der von Friedrich Wilhelm III. einberufenen Verfassungskommission vorlegte,497 war die ständische Gliederung, die Bevorzugung des Grundeigentums, die von unten nach oben aufsteigende Folge von Wahlkörperschaften und das indirekte Wahl verfahren beibehalten. Die Wahlfähigkeit in den Landkirchspielen war nun dezidiert an den Grundbesitz gebunden, während für die Städte eine ähnliche Bestimmung fehlte. Es muß jedoch, obwohl Hardenberg das nicht ausdrücklich erwähnte, davon ausgegangen werden, daß in den kreisfreien Städten die Stadtverordneten-Versammlungen als 495 Wie man angesichts des vorgesehenen Wahl- und Abstimmungsverfahrens von "Scheinkompromissen" mit der altständischen Partei sprechen kann, wird bei Büssem, Karlsbader Beschlüsse, S. 226, nicht näher aufgeklärt. In~~esamt zur Einschätzung der Hardenbergschen Verfassungspläne als "geeignete Ubergangslösung für die nächsten zwei Jahrzehnte" siehe Haake, Verfassungsfrage, in: FBPG, Bd. 32 (1920), S. 129. 496 Zu ungenau Obenaus, Anfange, S. 101, der aus dem persönlichen Stimmrecht auf das Kriterium einer bestimmten Besitzgröße für die Kreisstandschaft schließt. Hardenberg sprach eindeutig vom "Grund-Eigenthum, welches eine gewisse zu bestimmende Größe hat". Stern, Geschichte, Bd. 1, S. 650. 497 Abdruck der revidierten Fassung bei Treitschke, Geschichte, Bd. 2, S. 637 f. Vgl. dazu Obenaus, Anfänge, S. 106 f.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Wahlkörper für die Provinzialdeputierten wahlen fungierten und folglich die in der Kommunalordnung festgelegten Wahlrechtsbestimmungen zum Zuge kamen. D.h. die an den Haus- und Grundbesitz bzw. das Jahreseinkommen gebundenen Zensusregelungen schränkten hier das Wahlrecht ein. In den kreiszugehörigen Städten mußte die Wahl nach den für die Landkirchspiele vorgeschlagenen Voraussetzungen erfolgen. 498 Die Übermacht der Ritterund sonstigen Gutsbesitzer hatte Hardenberg gegenüber dem Maientwurf nicht unerheblich eingeschränkt, da sie nicht mehr als geborene Mitglieder der Kreisversammlungen auftreten sollten, sondern ebenfalls Deputierte aus ihrer Mitte wählen mußten. Nur die Standesherren konnten noch auf den Kreis- und Provinziallandtagen für sich ein persönliches Stimmrecht in Anspruch nehmen. Während die Deputiertenwahlen streng nach Ständen gegliedert waren, machte Hardenberg keine Anmerkungen zum Abstimmungsverfahren auf den Kreis- und Provinzialversammlungen, so daß völlig offen blieb, ob nach Ständen oder Köpfen zu entscheiden war. Statt dessen enthielten die "Ideen" eine Bestimmung zur Verteilung der Mandate auf den Provinziallandtagen. Die Zahl der Mandate der Gutsbesitzer, Kleinstädte und Landkirchspiele sollte im Verhältnis zu den Sitzen der Standesherren, geistlichen Würdenträger, Universitäten und der großen Städte "abgemessen und zweckmäßig reguliert" werden. Hardenberg dachte also durchaus daran, wie schon Klein bemerkt hat, das Übergewicht des Adels zu sichern. 499 Offen ließ Hardenberg nunmehr allerdings, ob die Nationalrepräsentation aus einer oder zwei Kammern bestehen sollte. In jedem Fall wollte er die Zahl der Deputierten des Allgemeinen Landtags "in möglichst geringer Zahl" bestimmen lassen. Hardenberg sah hierin die Voraussetzung eines effizienten Geschäftsgangs. Im Grunde genommen machte er aber mit dieser Entscheidung ein politisches Zugeständnis an das in Teplitz bestätigte "monarchische Prinzip", das allgemein auf eine verminderte Bedeutung der Reichstände abzielte. 5OO Hardenberg vertrat, und das verband ihn durchaus mit Stein oder auch Wilhelm von Humboldt, kein Repräsentativsystem, das "die Gesamtmasse des Volkes darzustellen berufen" war. Er votierte, entgegen den frühen politischen Integrationszielsetzungen, durchgängig für ein ständisches Wahlsystem, das zwar nicht ausdrücklich den Adel bevorzugte, aber durch die Besitzklausel und die Mandatsverteilung, das Standesherrenprivileg und Zweikammersystem den Gutsbesitz bzw. Adel begünstigte. Das vorgesehene 498 Unrichtig Obenaus, Anfänge, S. 107, der die Unterscheidung zwischen kleineren und größeren Städten nicht aufnimmt. 499 Klein, Reform, S. 197. Dagegen Obenaus, Anfänge, S. 109. 500 Dazu a. a. 0., S., 107 f., insbesondere aber Büssem, Karlsbader Beschlüsse, S. 380 ff.

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indirekte Wahl verfahren unterstützte die anvisierte soziale Basis der Partizipation, indem es in einem bei den Gemeinden ansetzenden Stufungssystem von Repräsentationen die Wahlkörper ständig verkleinerte und sonach den mit persönlichem Stimmrecht ausgestatteten Ständen und den zahlenmäßig unterlegenen Ständegruppen prinzipiell einen größeren politischen Einfluß einräumte. Direkte Wahlen fanden ausschließlich auf kommunaler Ebene statt. Praktisch blieb die politische Teilnahme der "Bürger" auf die Städte beschränkt, da eine dem Städterecht analoge Kommunalverfassung für die Landgemeinden völlig fehlte, aber auch eine Kreisordnung zu diesem Zeitpunkt noch in weiter Feme lag,SOI so daß die in enger Verbindung mit der Kommunalordnung gesehenen Verfassungspläne Hardenbergs, selbst wenn sie breite Zustimmung gefunden hätten, von ihren organisatorisch-rechtlichen Voraussetzungen her gar nicht zu realisieren waren. Auf dem Lande war der Versuch gescheitert, die Adligen zu Staatsbürgern zu machen. Die Herrschaftsrechte des Adels bestanden fort, die Gutsbezirke waren nicht in die Landgemeinden einbezogen, die staatliche Integration durch eine neue Gebietseinteilung, die Aufhebung des provinziellen Sonderstatus und die Vereinheitlichung des Kommunalrechts nicht vorangetrieben worden. Da es nicht gelungen war, die Kommunalreform abzuschließen,so2 insbesondere die Neufassung des ländlichen Gemeinderechts mit einer radikalen Adelsreform zu verknüpfen,s03 mußten sich die Bemühungen der Reformbürokratie um gesellschaftliche Partizipation nicht allein unter dem Druck der Restauration im Deutschen Bund und der allgemeinen Revolutionsabwehr an den bestehenden Machtverhältnissen orientieren. Es verwunderte daher nicht, wie wenig bei Hardenberg Versuche erkennbar waren, die politische Mitwirkung im Staat auf eine größere soziale Grundlage zu stellen und damit zumindest tendenziell die Entwicklung zu einer Staatsbürgergesellschaft zu einem integrativen wie administrativ vereinheitlichten Staatswesen in Preußen freizumachen. In den Städten, wo es dem Staat nicht schwer gefallen war, auf seine patrimonialen Rechte zu verzichten, förderte die gemäßigte Zensusregelung des Kommunalwahlrechts zwar eine breitere mittelständisch orientierte Par501 Zur ländlichen Kommunalrefonn vgl. Meier, Refonn, S. 330 ff. Keil, Landgemeinde, S. 76 ff. Die älteren Forschungsergebnisse resümierend Nolte, Staatsbildung, S. 62 ff. Zur Kreisordnungsrefonn siehe ebenfalls Meier, Refonn, S. 353 ff. Unruh, Die Kreisordnungsentwürfe des Freiherrn vom Stein und seiner Mitarbeiter 1808-1810-1820, in: Westfälische Forschungen, Bd. 21 (1968), S. 5 ff. 502 Ein Abschluß der Kommunalrefonn wäre allein durch die Einbeziehung der Landgemeinden erreicht worden. Deshalb kann insgesamt nicht von einer gelungenen Kommunalrefonn in Preußen gesprochen werden, wie es noch bei Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 98, zu lesen ist. Richtig dagegen Nolte, Staatsbildung, S. 75 ff. 503 A.a.O., S. 65.

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tizipation, aber auch hier stießen die Mitwirkungsmöglichkeiten auf erhebliche soziale Barrieren, blieb die ständische Verfaßtheit der Kommunen in Form der Stadtbürgergemeinde erhalten. Die von Hardenberg projektierte ständische Gliederung der Repräsentation wie die Form ständischer Partizipation wurde von der Verfassungskommission 504 begrüßt. Wilhelm von Humboldt unterschied zwischen dem landbesitzenden Adel und den "übrigen Landbesitzern aller Art". Er hielt eine gesonderte Standschaft des Adels für notwendig, nicht zuletzt um zu verhindern, daß der Adel in Verknüpfung mit anderen Besitzern größerer Landgüter seines "ganzen politischen Charakters" entledigt wurde, was nach Humboldt einer Auflösung gleichgekommen wäre. Der Adel mußte als gesonderte Korporation bestehen bleiben und damit ein Gegengewicht zum "Geldreichtum und Beamtenansehen, das hieß gegen den Aufstieg bürgerlicher Schichten bilden. 505 Die Mandatsverteilung auf den Kreistagen sollte Humboldt zufolge nicht nach dem Prinzip ständischer Gleichheit vorgenommen werden, der "im Kreise mit Eigentum vorherrschende(n) Masse" war vielmehr die politische Dominanz zu sichern. Eine solche Regelung mußte sich insbesondere in Kreisen mit mehr oder weniger großen Städten zu Ungunsten des Stadtbürgertums auswirken. Im übrigen sah Humboldt die Kreistage nicht als Vertretungskörperschaften, sondern als eine "zweite Stufe der Gemeindeverwaltung" an. Die Kreisdeputierten konnten daher durch die bereits bestellten Gemeindevorstände, d. h. die Rittergutsbesitzer, Magistrate und Bauernvorstände, gewählt werden. Die eigentlichen Repräsentationen bildeten die Provinzialversammlungen und der Allgemeine Landtag, welche Humboldt in deutlicher Abgrenzung gegen die nach französischem Vorbild "auf bloßer Zahl und Vermögensverhältnissen ruhende(n) Volksrepräsentationen" auf der Grundlage "organisch gebildeter Stände" konstituieren wollte. Entschiedener als Hardenberg räumte Humboldt dem Grundbesitz eine dominante Stellung in den Vertretungskörperschaften ein. So wollte er neben den Erbständen, den Vertretern des landbesitzenden Adels und der Städte unter den Deputierten der übrigen Landbesitzer eine ausreichende Zahl weniger bemittelter Bauern repräsentiert sehen. Der Ausschluß der Bauern durch einen entsprechend hohen Steuersatz hatte, so Humboldt, den Nachteil, "daß die Wahlen auf eine Mittelklasse von Individuen fielen, welche ohne zu der Intelligenz wahrer Bil504 Zur Konstituierung und Zusammensetzung der Kommission siehe Obenaus, Anfänge, S. 105 f. Haake, König, in: FBPG, Bd. 30, S. 353 ff. 505 Siehe Humboldts Denkschriften über Preußens ständische Verfassung vom 4. Februar 1819 und vom Oktober 1819, in: Humboldt, Politische Denkschriften, S. 262 f. u. 439 f. Vgl. auch Obenaus, Anfänge, S. 109 f. Zur engen Verbindung zwischen Stein und Humboldt, die bei der Abfassung der Februarschrift bestand, Kaehler, Wahlrecht, S. 391. Gembruch, Stein, S. 109 f.

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dung zu gelangen, sich von dem schlichten, aber gesunden Verstande des Landvolks entfernt hätten".506 Humboldts Einschätzung wurde offensichtlich von Ressentiments sowohl gegenüber dem Stadtbürgertum als auch dem bürgerlichen Grundbesitz getragen. Er sah die Notwendigkeit, bei den Wahlen die kleinen Städte mit dem platten Land zu verbinden, doch er schlug eine solche Lösung nur unter Bedenken vor, da die Geschlossenheit jeder Stadt, das enge Nebeneinanderwohnen und das gesellige Leben nicht ohne Einfluß auf das politische Verhalten bleiben konnten. Landbauer und Städter waren schon durch die äußere Lebensform grundsätzlich gesonderte Stände. Aus dieser unterschiedlichen Art - "wie der Boden des Staats bewohnt" wurde - rührten ursächlich sämtliche moralischen, rechtlichen und politischen Differenzen her. 507 Es war daher auch keinem Zweifel unterworfen, daß die großen Städte für sich wählten und eigene Deputierte in die Repräsentationen entsandten. Die Verteilung der Mandate zu den Provinzialversammlungen und in Analogie zum Landtag sollten "nach einem angemessenen Verhältnis" vorgenommen werden. Mit dieser Formulierung umschrieb Humboldt wohl die bereits für die Kreistage festgelegte Vormacht des Grundbesitzes. Die Verfassungskommission kehrte zu dem von Hardenberg ursprünglich bevorzugten Zweikammersystem zurück. Aufgrund der zahlenmäßigen Schwäche des wohlhabenden Adels in Preußen gab es indes unterschiedliche Auffassungen über die Besetzung der "erblichen Kammer". Als Ausnahme von der erblichen Standschaft wollte Humboldt in der ersten Kammer angesichts ihres unmittelbaren politischen Einflusses nur die Würdenträger der katholischen und evangelischen Kirche und die vom König auf Lebenszeit ernannten Mitglieder zulassen. Da den Schulen und Universitäten keine der Geistlichkeit verwandte politische Bedeutung einzuräumen war, sprachen nach Humboldt, mit Ausnahme der mit liegenden Gütern versehenen Hochschulen, keine besonderen Gründe für ihre Vertretung. 508 Sollten ihnen dennoch einige Sitze in der ersten Kammer eingeräumt werden, war darin nur eine besondere Huldigung zu sehen. Eine deutlich abweichende Position nahm Humboldt in der Frage des Wahlverfahrens ein. Das System der indirekten Wahl und der abgestuften Wahlkörper lehnte er ab. Solange die Wahlfähigkeit und das Wahlrecht an Bedingungen geknüpft waren, schienen ihm Abstufungen wenig sinnvoll, da sie nicht geeignet waren, das Interesse der Nation an der Verfassung wachzuhalten. Darüber hinaus boten sie keine Gewähr, "ein eigentliches Band" zwischen Wähler und Gewählten herzustellen. Für die Wahl nach 506 507 508

Humboldt, Zur ständischen Verfassung, S. 444. A.a.O., S. 437. A. a. 0., S. 437 f. u. 451.

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abgestuften Wahlkörpern sprachen Humboldt zufolge lediglich zwei Gründe: einerseits häufige Wahlversammlungen zu vermeiden, andererseits das Bemühen der Regierung, die Wahlen nach ihren Absichten zu lenken. Die Einflußnahme auf die Wahlen betrachtete Humboldt, selbst wenn es der Regierung nur darum ging, Intrigen der Bewerber zu verhindern, als völlig verfehlt. Die erwarteten Resultate konnten nur allzu leicht in ihr Gegenteil umschlagen, zudem mußte der nun einmal vorhandenen "Parteigeist" als notwendiges Übel hingenommen werden. Staatliche Eingriffe hatten in dieser Hinsicht eher verstärkende Wirkung. Die Furcht vor zu zahlreichen Wählerversammlungen, vor einer breiteren Polarisierung der Öffentlichkeit, sah Humboldt durch die Wahlrechtsbeschränkungen hinreichend relativiert. Auf Grund der vorgeschriebenen Steuersätze hing der Umfang der Wahlversammlungen im allgemeinen vom Wohlstand der Provinzen ab. Durch Wählerregister, Wahleinladungen und Stimmeinschreibungen konnten nach Humboldts Ansicht zu häufige Wahlversammlungen vermieden werden. Mit "tumultarischen Auftritten" war nicht von seiten der Wähler, sondern höchstens der Nichtwähler zu rechnen. 509 Selbst seinem eigenen Vermittlungs vorschlag, anstelle der Direktwahl wenigstens zu bestimmen, daß die Wahlmänner die Deputationen aus ihrer Mitte wählten, hielt Humboldt für bedenklich. Die Spaltung der Nation in verschiedene Teile, Einseitigkeit und korporatives Bewußtsein wären die Folgen. So mußte sich der "Munizipalgeist" in den Provinzialversammlungen bemerkbar machen - kommunales politisches Bewußtsein wurde mithin ebenso als partikular wie örtlich interessenorientiert wahrgenommen -, während die Nationalrepräsentation dem provinzialen Vorurteil ausgesetzt war. Die Abgeordneten des Allgemeinen Landtags drohten zu Organen der Provinzialstände herabzusinken, so daß die Deputierten als "Advokaten der Provinz" weder ihre Meinung noch die öffentliche ihrer Provinz in der Nationalrepräsentation verbreiten könnten und folglich kein Forum existent wäre, auf dem die "vernünftige Stimme der Nation" zu vernehmen war. Der Landtag bestände in diesem Fall, so Humboldt, aus schroff geschiedenen, starr nebeneinander stehenden Massen, unfähig seine Funktion als allgemeines Korrektiv der Partikularverbände zu erfüllen. 510 Humboldts Bemühungen, zwischen allgemeinem und partikularem Interesse zu vermitteln, kollidierten zwangsläufig mit der befürworteten ständischen Grundstruktur der Repräsentation, die in sämtlichen Vertretungskörperschaften aufgenommen wurde. Trotz der äußerlichen Gegnerschaft zu Hardenberg511 stimmte Humboldt inhaltlich mit dem Staatskanzler in der 509 A. a. 0., S. 445 f. Zur Bedeutung des direkten Wahlrechts bei Humboldt vgl. Kaehler, Wahlrecht, S,223 ff. Siehe auch Obenaus, Anfänge, S. 111. 510 Humboldt, Zur ständischen Verfassung, S. 452 f. 511 Vgl. Büssem, Karlsbader Beschlüsse, S. 454 ff.

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Verfassungsfrage weitgehend überein. Vor allem die Vorstellung von einer ständischen Vertretungskörperschaft erwies sich als grundlegende Gemeinsamkeit, die durch die Differenzen über das Wahl verfahren kaum gestört wurden, zumal Humboldt die Zielsetzung Hardenbergs, durch das Wahlverfahren nicht zu einer Politisierung der Öffentlichkeit beizutragen, im wesentlichen teilte. Humboldts stärkere Betonung des Grundeigentums bei der Wahlrechtsqualifikation hätte, wäre es zu abschließenden Verfassungsberatungen gekommen, nur untergeordnete Bedeutung gehabt. Die Weigerung, eigenständige Aktivitäten der Repräsentation, vor allem bei der Gesetzesinitiative anzuerkennen, stellte eine weitere Gemeinsamkeit dar. Sowohl Humboldt als auch Hardenberg dachten lediglich daran, dem Landtag die Entscheidungskompetenz bei der Gesetzgebung und der Steuerbewilligung einzuräumen. 512 Die schließlich von jener oppositionellen Allianz aus Adel, Teilen der Bürokratie, des Hofes und der auswärtigen Diplomatie durchgesetzte provinzialständische Verfassung ging noch nicht einmal soweit. Da die provinzialen Vertretungen nur beratende Kompetenzen ausübten und zudem über ihren regionalen Wirkungskreis nicht hinausreichten, wurde die monarchische Gewalt nicht eingeschränkt. Mit dem Provinzialständegesetz513 hatte sich 1823 Monarchie und Adel erneut in einem Bündnis zusammengefunden, das in der Reformzeit nur vorübergehend aufgebrochen war, und eine ständische Ordnung stabilisiert, die sich gegenüber der tradierten älteren Ständegesellschaft auf eine modifizierte soziale Basis aus Gutsbesitzern, Stadtbürgern und Bauern stützte. Zwar verloren die altständischen Korporationen ihre staatsrechtliche Position und die preußische Monarchie damit einen Teil ihrer partikularistischen Struktur, die Fortentwicklung zum Einheitsstaat war also weiter geebnet, die Ritterschaft verlor auch ihre grundsätzliche Bindung an den Geburtsadel, so daß sich der Gutsbesitz zu einer "reine(n) Aristokratie des beliebig übertragenen Bodeneigentums,,514 formierte, aber der nach wie vor vom Adel dominierte Gutsbesitz 515 stand 512 Hierzu ausführlich Obenaus, Anfänge, S. 113 ff. Vgl. auch Ehrle, Volksvertretung, T. 1, S. 204 ff. 513 Allgemeines Gesetz wegen Anordnung der Provinzial stände vom 5. Juni 1823. GS 1823, S. 129 f. Zu den Verfassungsverhandlungen siehe Werner J. Stephan, Die Entstehung der Provinzialstände in Preußen 1823. Mit besonderer Beziehung auf die Provinz Brandenburg, Phil. Diss., Berlin 1914. Vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 310 ff. 514 Rosenberg, Die Pseudodemokratisierung der Rittergutsbesitzerklasse, in: Moderne deutsche Sozialgeschichte, hrsg. von H.-V. Wehler (= Neue wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 10), Köln 1966, S. 292. Zum Kompromißcharakter des Provinzialständegesetzes, insbesondere im Hinblick auf die Kritik am Verlust altständischer Rechte, Obenaus, Anfänge, S. 202 ff. 515 Rosenberg, Pseudodemokratisierung, S. 298 ff. Vgl. dazu auch Koselleck, Preußen, S. 81 ff. Für die Provinz Westfalen Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770-

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weiterhin in einer Interessenverbindung mit dem Staat, der diese Allianz durch die fortgesetzte Gewährung politischer Vorrechte stützte. Vorbedingung der Stand schaft war im Provinzialständegesetz wiederum das Grundeigentum, das Leitmotiv politischer Partizipation einer ganzen Epoche. Im Gegensatz zu den frühen Reformplänen der Ministerialbürokratie diente der Eigentumsbegriff nicht mehr konzeptionell dem antiständischen Wandel, der gegen die partikularen Kräfte in der Gesellschaft gerichteten Konsolidierung des Staates und seiner Konstitutionalisierung, sondern der Durchsetzung des auf der Präponderanz des Gutsbesitzes ruhenden monarchischen Prinzips. Da der Boden, wie Friedrich von Ancillon bemerkte, die feste Grundlage des Staates bildete, war die politische Bevorzugung des großen Grundeigentums nur allzu gerechtfertigt. Durch die ausschließlich ökonomische Fundierung des Gutsbesitzes konnte die restaurative Bürokratie gar auf die prinzipielle gesellschaftliche Offenheit des ländlichen Großgrundbesitzes verweisen. 516 Anstelle einer paritätischen Besetzung wurde dem Gutsbesitz die Hälfte der Mandate in den Provinzialversammlungen gesichert. Zusätzliche Viril- und Kollektivstimmen verstärkten die Stellung der Ritterschaft in den östlichen Provinzen, weitere Virilstimmen erhielt der Fürsten- und Herrenstand in Schlesien, Sachsen und den bei den westlichen Provinzen. 517 Die andere Hälfte der Mandate teilten sich die Städte und Landgemeinden im Verhältnis 2: 1. Neben der ungleichen Verteilung der Mandate auf die einzelnen Stände verhinderten differierende Einwohnerquoten eine gleichmäßige Repräsentation der Bevölkerung. Die ursprüngliche Absicht, rechnerisch auf 25000 Einwohner je einen Abgeordneten zu verteilen, wurde nur in Schlesien und in der Rheinprovinz ausgeführt, in den übrigen Provinzen lag die Relation wesentlich niedriger zwischen 1:19635 in Brandenburg und 1:15205 in Pommern. Innerhalb der Stände und zwischen den einzelnen Repräsentationen zeigten sich noch gravierendere Unterschiede. So entfielen 1823 auf einen städtischen Abgeordneten in Westfalen 16000, in Brandenburg dagegen 37000 Einwohner; auf ein Landgemeindemandat kamen in Westfalen 41 000, in Schlesien rund 115000 Einwohner. 518 Ähnliche bevölkerungsmäßige Disproportionalitäten politischer Teilhabe werden auch das konstitutionelle Preußen belasten, in dem vor allem die Städte durch erheblich voneinander differierende Bevöl1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 35), Göttingen 1979, S. 191 ff. 516 Obenaus, Anfänge, S. 156 f. u. 160 f. 517 Vgl. die Übersicht zur Mandatsverteilung in den einzelnen Provinzen bei Obenaus, Anfänge, S. 187 u. 208. 518 Dazu ausführlich Hans Kott, Die preußischen Provinziallandtage von 1823, ihre Entstehung, ihr Inhalt mit besonderer Berücksichtigung des Wahlrechts und seiner Voraussetzungen und ihre Zusammensetzung in statistischer Darstellung, Jur. Diss., Würzburg 1930, insbesondere Tab. la, 6 u. 8.

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kerungsquoten von einer Ungleichheit des Stimmenwertes und damit der Repräsentation betroffen sein werden. 519 Das vorgeschriebene Wahlverfahren folgte gewissermaßen der politischen Differenzierung, indem die Rittergutsbesitzer direkt in den Kreisverbänden ihre Abgeordneten wählten, während für die Städte und Landgemeinden eine indirekte Wahl durch Wahlmänner vorgesehen war. Größere Städte nahmen gegenüber anderen Stadtgemeinden eine bevorzugte Stellung ein, da hier die Wahl körperschaft mit der Gemeindevertretung identisch war und die Kommunen zumindest mit einem eigenen Mandat ausgestattet wurden. Zentrale Städte wie Berlin, Breslau, Danzig oder Königsberg durften jeweils drei Abgeordnete wählen. 52o Die Mandatsverteilung mochte wohl einfache Mehrheiten gegen die Ritterschaft möglich machen, schloß indessen Zweidrittelmehrheiten aus, so daß dem Gutsbesitz "eine Art institutionalisiertes Veto"521 beigelegt und die politische Dominanz der Ritterschaft, wenngleich nur provinziell, gesichert war. In den Landgemeinden wählten die einzelnen Dörfer jeweils einen Wahlmann, der als sogenannter Ortswähler mit den Besitzern der zu keiner Gemeinde gehörenden kleineren Gütern bezirksweise zur Wahl des "Bezirkswählers" schritt. Die versammelten Bezirkswähler bildeten das Gremium für die Wahl der Landtagsabgeordneten. In den beiden westlichen Provinzen entfiel die Stufe der Ortswahl, da die Bürgermeisterei- bzw. die Amtsversammlungen gleich die Wahl der Bezirkswähler vornahmen. Die Ausübung des aktiven Wahlrechts erfolgte in den meisten Provinzen nach den hergebrachten Grundsätzen für Dorfangelegenheiten, die Partizipation war mithin nicht an eine bestimmte Größe des ländlichen Kleinbesitzes gebunden. Das passive Wahlrecht setzte dagegen festgelegte Mindestgrößen bzw. bestimmte Grundsteuerleistungen voraus, die zwischen 20 und 25 Reichstaler schwankten. War der Grundbesitz mit einem Gewerbebetrieb verbunden, begründete ein Steuersatz von jeweils 20 Reichstalern an Grund- und Gewerbesteuer die Wählbarkeit. 522 Diese Steuerregelungen wurden vor allem in der Rheinprovinz und Westfalen wirksam. Die starke Zäsur zwischen aktivem Vgl. unten Kap. 10. Zum Wahlverfahren vgl. die speziellen provinzialständischen Gesetze für das Königreich Preußen, die Mark Brandenburg, das Markgrafenturn Niederlausitz, das Herzogtum Pommern und das Fürstentum Rügen vom I. Juli 1823, GS 1823, S. 130 ff., sowie für das Herzogtum Schlesien, die Grafschaft Glatz, das preußische Markgrafenturn Oberlausitz, das Großherzogturn Posen, die Provinzen Sachsen, Westfalen und Rheinland vom 24. März 1824. GS 1824, S. 62 ff., 108 ff. u. 141 ff. Zusammengefaßt bei Karl Friedrich Rauer, Die ständische Gesetzgebung der Preußischen Staaten, Bd. 1-2, Berlin 1845. 521 Koselleck, Preußen, S. 555. 522 Zu den allgemeinen persönlichen Voraussetzungen des Wahlrechts wie Alter, Unbescholtenheit etc. sowie den Ausschluß der jüdischen Rittergutsbesitzer und 519

520

15 Grzywatz

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und passivem Wahlrecht gab es im Stand der Ritterschaft nicht. Der Kreis der Wahlberechtigten und der Wählbaren war praktisch identisch. Allerdings mußte man den Besitz eines Rittergutes für eine Zeit von mindestens zehn Jahren ohne Unterbrechung nachweisen. Mit dieser Zeitklausel sollte eine Barriere gegen das spekulative Grundeigentum, insbesondere aber gegen Grundbesitzkäufe des Bürgertums gezogen werden, das mit seinem schnell wachsenden Kapital durchaus in der Lage war, stärker in die Gutswirtschaft einzudringen. 523 Schnelle Wechsel des standesberechtigten Grundbesitzes hätten möglicherweise unkontrollierte Einflüsse auf die Zusammensetzung der Stände hervorgerufen. Das wäre aber der politischen Tendenz der Ständegesetzgebung zuwider gelaufen und mußte daher durch ein Instrument wie die Zeitklausel verhindert werden. Der Charakter eines Ritterguts wurde im übrigen einerseits historisch-rechtlich, andererseits durch Mindestgröße, Ertragsgrenzen oder Mindeststeuerleistungen festgelegt. 524 In den Städten wurde das Prinzip des Grundeigentums insofern durchbroehen, als die Konprinzenkommission das Gewerbe zum "eigentlichen" Wesensmerkmal der Stadt erklärte und man den Besitz städtischen Grundeigentums in Verbindung mit der Gewerbeausübung zur Grundlage der Wahlrechtsqualifikation machte. Es bereitete keine Schwierigkeit, die durch das bestehende Städterecht begründete Vertretungsweise der gewählten Form provinzialständischer Repräsentation einzuordnen. Die StadtverordnetenVersammlungen fungierten als Wahlkörperschaften für die städtischen Landtagsabgeordneten. Mit dieser Regelung durchbrach man zwar ein weiteres Mal die Geschlossenheit des Eigentumsprinzip, aber das war eine vernachlässigbare Abweichung, da die Städteordnung für die Vertretung jedes städtischen Wahlbezirks ein Haus- und Grundbesitzeranteil von zwei Dritteln verlangte. 525 Das ebenfalls an Grundbesitz und Gewerbe gebundene passive Wahlrecht erforderte für die Qualifizierung bestimmte MindestStadtverordneten vom Wahlrecht vgl. Obenaus, Anfänge, S. 172 u. 178 f. Unter Einbeziehung der übrigen deutschen Staaten Ehrle, Volksvertretung, T. 2, S. 541 ff. 523 A. a. 0., S. 173 f. Für Humboldt stand das Geldkapital durch seine Beweglichkeit in einem fundamentalen Gegensatz zum Eigentumsprinzip sowie in seiner politisch-moralischen Überhöhung zur "Sittlichkeit und vaterländische(n) Anhänglichkeit". Humboldt lehnte es aus diesem Grund als Maßstab politischer Rechte ab, auch wenn man es in den Städten akzeptieren mußte. Siehe zur ständischen Verfassung, S. 411. 524 Vgl. dazu Obenaus, Anfänge, S. 165 ff. 525 Rauer, Gesetzgebung, Bd. 2, S. 235. In den Landesteilen ohne "eigentliche" städtische Kommunalverfassung stellte man, nachdem die Übertragung der östlichen Städteordnung schon im Ansatz scheiterte, das aktive Wahlrecht aller am Ort wohnhaften Grundbesitzer sicher, die entweder gewählte Magistratspersonen waren oder ein bürgerliches Gewerbe betrieben. Siehe die entsprechenden Regelungen in den provinziellen Ausführungsgesetzen zum Provinzialständegesetz GS 1824, S. 11 u. 13 (Rheinprovinz), S. 12 (Posen) u. S. 12 f. (Sachsen).

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werte, die nach der Größe der Gemeinden gestaffelt waren. In den Großstädten (über 10000 Einwohner) der Provinz Brandenburg wurde dieser Zensus auf den Mindestwert von 10000 Reichstalern festgelegt, in den mittleren Städten mit über 3500 Einwohnern senkte man den Zensus auf 4000 Reichstaler ab, während in den Kleinstädten mit weniger als 3500 Einwohnern noch ein Mindestwert von 2000 Reichstalern nachgewiesen werden mußte. 526 Für die Provinz Westfalen wurde eine abweichende Regelung getroffen. Die Wählbarkeit setzte eine bestimmte grund- und gewerbesteuerliche oder nur grundsteuerliche Leistung voraus. 527 Gegenüber dem in der älteren Städteordnung festgelegten Wahlrecht bedeutete dieser Zensus eine radikale Beschränkung der Teilhabe, zumal durch die gleichzeitige Bindung des passiven Wahlrechts an Grundbesitz und Gewerbebetrieb der Kreis der Wählbaren an sich schon eingeschränkt war. Darüber hinaus schloß die Regierung noch im einzelnen Teile des Bildungsbürgertums wie lustizkommissare, Notare, Ärzte, Gelehrte und Künstler von der Wählbarkeit aus, indem man sie schlichtweg nicht "zu der eigentlichen bürgerliches Gewerbe betreibenden Klasse der städtischen Einwohner" rechnete und sie daher auch nicht als kommunale Repräsentanten in Frage kamen. 528 Eine derart entschiedene Ausgrenzung von weiten Teilen des Bildungsbürgertums kannte das Kommunalrecht nicht, doch gab es, wie schon dargelegt wurde, prinzipiell auch in der Städteordnung bildungsbürgerliche Partizipationsvorbehalte. Die speziellen Einschränkungen der Mitwirkungschancen ergänzten gewissermaßen die im Gemeinderecht konstituierte "ständisch" korporierte Struktur der Stadtbürgergemeinde. Wenn in sämtlichen preußischen Verfassungsplänen stets von neuem die besondere Rolle der Kommunalordnung für die ständische Konstitution hervorgehoben wurde, dann muß diese politische Zuordnung sowohl im organisatorischen Sinn als Verknüpfung von Staat und Gesellschaft verstanden werden, die sich von den Städten bis hin zu den Kreisen auch in einer Durchdringung von repräsentativen und administrativen Elementen niederschlug, wie es in Altensteins kommunalrechtlichen "Grundideen,,,529 aber auch in Humboldts Entwürfen dargelegt war, als auch im politisch-partizipativen Sinn einer vornehmlich auf dem Grund526 V gl. Art. 4 der Verordnung für Brandenburg vom 17. August 1825. Siehe Rauer, Gesetzgebung, Bd. 1, S. 49. Dazu Kott, Provinziallandtage, S. 60 f. 527 Vgl. Art. 7 der Verordnung für Westfalen vom 13. Juli 1827. Rauer, Gesetzgebung, Bd. 1, S. 225 f. 528 Ministerialerlaß an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, 10. November 1823. Siehe Rauer, Gesetzgebung, Bd. 2, S. 181 f. Vgl. auch den Art. 3 der Verordnung für Preußen vom 17. März 1828. A.a.O., Bd. 1, S. 18. In Westfalen wurden auch Geistliche, Apotheker und Rentner vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen. Dazu Jakob Roebers, Die Errichtung der westfälischen Provinzialstände und der erste westfälische Provinziallandtag, Münster 1915, S. 35.

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eigentum beruhenden Teilhabe. Die ständische Schranke war in den realisierten bzw. projektierten Vertretungskörperschaften nur insoweit überwunden, als die Repräsentanten zu Vertretern der Gesamtgemeinde, der Provinz oder der Nation bestellt waren. Sie übten mithin ein freies Mandat aus und waren an keinen Wählerauftrag gebunden. Das Prinzip des freien Mandats bildete gewissermaßen ein Korrektiv zum Grundsatz ständischer Wahlen. Die von Hardenberg vorgesehenen Wahlkörper zur Nationalrepräsentation sollten die Vertreter nur innerhalb ihrer Stände wählen. 53o Humboldt sah für die Provinzial versammlungen und den Allgemeinen Landtag ein streng nach Ständen geschlossenes Wahlverfahren vor,53l und auch Altensteins gemeinderechtliche Grundideen orientierten sich stärker am Modell einer ständischen bzw. berufs ständischen Wahl, worin sich deutlich die Absicht offenbarte, das Kommunalrecht stärker an die im Zuge der Verfassungsdiskussion entwickelten Repräsentationsvorstellungen anzulehnen. Der von Innenminister Schuckmann den rheinisch-westfälischen Provinzialbehörden Anfang Oktober 1816 vorgelegte Städteordnungsentwurf war noch dem Partizipationsprinzip der Kommunalordnung von 1808 gefolgt und hatte den Kreis der Mitwirkungsberechtigten sogar noch erweitert. Die generelle Unterscheidung zwischen Bürgern und Schutzverwandten wurde zwar beibehalten, der Status der Eximierten aber aufgehoben. Neben den Hausbesitzern sollte nunmehr auch Staatsdienern, Personen mit "Staats-, Hof- oder akademischer Würde" sowie allen Predigern und Lehrern an öffentlichen Schulen das Bürgerrecht gesetzlich zugestanden werden. Das zum Bürgerrecht qualifizierende Mindesteinkommen wurde unterdessen auf 300 Reichstaler angehoben, während Handwerksgesellen, Tagelöhner, Arbeiter und Frauen definitiv von der politischen Teilhabe ausgeschlossen 529 Die bereits erwähnten "Grundideen für eine Kommunal-Ordnung" von Altenstein standen 1818 in einem engen Zusammenhang mit den Bemühungen der preußischen Regierung das Kommunalrecht der westlichen Provinzen auf eine neue, an der östlichen preußischen Städteverfassung orientierte Basis zu stellen. Vgl. dazu L. Buhl, Die Gemeindeverfassung der östlichen Provinzen des preußischen Staates und der Rheinprovinz, Leipzig 1846, S. 59 ff. Weber, Geschichte, S. 25 ff. Adolf Norf, Die Entstehung und Entwicklung der rheinischen Bürgermeistereiverfassung, Jur. Diss., Bonn 1924, S. 11 ff. Heinrich Franz, Maire und Bürgermeister. Ein rechtsvergleichender Beitrag zum ehemals rheinischen und französischen und zum geltenden deutschen Gemeindeverfassungsrecht, Jur. Diss., Marburg 1932, S. 3 ff. R. Rörig, Idee und Entwicklung der rheinischen Bürgermeistereiverfassung, Jur. Diss., Mainz 1956. Faber, Die kommunale Selbstverwaltung in der Rheinprovinz im 19. Jahrhundert, in: Rheinische Vierteljahrsblätter, Bd. 30 (1965), S. 132-151. Schütz, Rheinlande, S. 87 ff. Zu den Verhandlungen des rheinischen Provinziallandtages vgl. auch G. Croon, Der rheinische Provinziallandtag bis zum Jahre 1874, Düsseldorf 1918, S. 127 ff. 530 Hardenberg, Ideen zu einer landständischen Verfassung, in: Treitschke, Geschichte, Bd. 2, S. 638., 531 Humboldt, Zur ständischen Verfassung, S. 434.

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werden sollten. 532 Die Erweiterung der Bürgerrechtspflichtigkeit auf die Staatsbeamten, Geistlichen, Professoren, Schullehrer, Ärzte und Justizkommissarien wurde 1820, ohne sich indessen der Forderung eines höheren Zensus anzuschließen, auch von der unter der Leitung Frieses 533 eingesetzten Kommission vorgeschlagen, welche im Rahmen der Hardenbergschen Verfassungspläne mit der Ausarbeitung der Kommunal- und Kreisordnungen beauftragt war. 534 Die von Schuckmann erwogene Differenzierung, Erweiterung und gleichzeitige Beschränkung des Bürgerrechts fand in den östlichen Provinzen keinen Widerspruch, da sie sich mit den Bestrebungen des Stadtbürgertums und der Kommunalbürokratie deckte, einerseits die Mitwirkungsrechte in der Gemeinde sozial schärfer nach unten abzugrenzen, andererseits das Bildungsbürgertum generell in die Gemeindeverwaltung einzubinden. Die späteren Proteste der Berliner Kommunalkörperschaften gegen das Dreiklassenwahlrecht, das sei hier vorweggenommen, richteten sich nicht gegen die Ausgrenzung eines großen Teils der Stadtbevölkerung von der politischen Mitwirkung in der Gemeinde, sondern lediglich gegen die Verletzung des Gleichheitsprinzips innerhalb des Stadtbürgertums. Der Gemeindeordnungsentwurf535 der städtischen Behörden Berlins behielt ebenso die Grundbesitzerklausel bei wie er einem höheren, zeitlich angepaßten Zensus für das aktive Gemeindewahlrecht forderte. In den westlichen Landesteilen Preußens standen begrenzte politische Teilhaberechte in der Tradition einer Munizipalverfassung, die unter dem streng bürokratisch-zentralistischen französischen Verwaltungssystem eingerichtet worden war. 536 Einen eigenständigen Bereich kommunaler AngeleWeber, Gemeindeordnung, S. 11 ff. Schütz, Rheinlande, S. 96 ff. Friese hatte als Staatssekretär des Staatsrats die Stellung eines Schriftführers inne, daneben amtierte er zu dieser Zeit noch als Präsident der Preußischen Bank. Vgl. Franz Schlarmann, Die Einflußnahme des Preußischen Staatsrates auf die Gemeindegesetzgebung im 19. Jahrhundert, Jur. Diss. Göttingen 1935, S. 4. Obenaus, Anfänge, S. 128. 534 Treitschke, Geschichte, Bd. 3, S. 109. Schlarmann, Einflußnahme, S. 11. Heffter, Selbstverwaltung, S. 213. Obenaus, Anfänge, S. 131 f. Siehe dazu auch unten Kap. 4. 535 Entwurf einer Gemeinde-Ordnung für den Preußischen Staat. Überreicht von dem Magistrat der Haupt- und Residenzstadt Berlin. Im September 1849, Berlin 1849. Vgl. dazu unten Kap. 6, Unterabschnitt 2. 536 Zur französischen Munizipalverfassung des rheinisch-westfälischen Raums Georg Rolef, Die rheinische Landgemeindeverfassung seit der französischen Zeit, Berlin-Leipzig 1912/13, S. 15 ff. Max Bär, Die Behördenverfassung der Rheinprovinz seit 1815 (= Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde Bd. 35), Bann 1919. Neudruck Meisenheim 1965, S. 45 ff. Die Rheinprovinz. Hundert Jahre preußischer Herrschaft am Rhein, hrsg. von J. Hansen, Bd. 1, Bann 1917, S. 1-56 u. 115 ff. Heinz-K. Junk, Zum Städtewesen im Großherzogtum Berg 532 533

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

genheiten, die ausschließlich den Gemeinden zur Administration vorbehalten waren, kannte dieses System nicht. Die Gemeinden fungierten durchweg als untere staatliche Verwaltungs bezirke, in denen eine bürgerschaftliche Mitwirkung nur in Form eines mit beratender Funktion ausgestatteten Gemeinderats zugelassen war. Dieser Rat galt als kommunales Repräsentationsorgan. Seine Mitglieder wurden in Gemeinden unter 5000 Einwohner vom zuständigen Präfekten ernannt, nur in größeren Kommunen gingen sie aus Wahlen bzw. Vorschlägen der Kantonalversammlungen hervor, auf deren Grundlage die Regierungen schließlich die Gemeinderäte ernannten. Im Unterschied zu den preußischen Städteordnungen kannte das französische Kommunalrecht weder im Hinblick auf die Stadt- und Landgemeinden noch auf die Einwohner- und Bürgerschaften einen Rechtsunterschied. Die Munizipalordnung beruhte auf dem Gleichheitsprinzip und ging von einer Staatsbürgergesellschaft aus. Es gab also keine Städte mehr, die im gesetzlichen Sinn privilegierte Korporationen mit besonderem Bürgerrecht darstellten. Die Propagierung des Gleichheitsprinzips und die Beseitigung der Standesunterschiede beinhaltete praktische, aber keinen Gewinn an bürgerlicher Teilhabe in der Gemeinde. So setzte sich zwar die Wahlkörperschaft aus sämtlichen ansässigen Bürgern eines Kantons zusammen, die Wahlfähigkeit beschränkte sich aber auf den eng begrenzten Kreis der Höchstbesteuerten einer Kommune, so daß die Gemeinderäte einen überaus starken plutokratischen Charakter erhielten. Politische Partizipation in der Kommune französischen Rechts begründete auf der Basis von Eigentum und Einkommen den exklusiven Kreis einer neuen privilegierten Bürgerschicht. 537

(1806--1813), in: Städteordnungen des 19. Jahrhunderts. Beiträge zur Kommunalgeschichte Mittel- und Westeuropas, hrsg. von H. Naunin (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, R.A, Bd. 19), Köln-Wien 1984, S. 88 ff. Max Braubach/Eduard Schulte, Die politische Neugliederung Westfalens 1795-1815, in: Der Raum Westfalen, hrsg. von H. Aubin u. a., Bd. 2, Untersuchungen zu seiner Geschichte und Kultur, T. 2, Berlin 1934. Allgemein zum französischen Kommunalrecht, H. Berthelemy, Les institutions municipales de la France. Leur evolution au cours du XIX e siede, in: Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte, Bd. 7, England-Frankreich-Nordamerika (= Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 123), Leipzig 1908, S. 153-227. Meier, Das Verwaltungsrecht, in: Enzyklopädie der Rechtswissenschaften in systematischer Bearbeitung, hrsg. von J. Kohler, Bd. 2, 6 Berlin-Leipzig 1904, S. 722729. H. Knothe, Die Gemeindegesetzgebung der französischen Revolution, Jur. Diss. Erlangen, Boma-Leipzig 1910. A. London, Die Selbstverwaltung in Frankreich, in: Zeitschrift für Politik, 7 (1914), S. 184-242. A. Thomas, Französiche Gemeindeverfassung, in: HWBdKW, hrsg. von J. Brix u.a., Bd. 2, Jena 1922, S. 6773. Ch. Petit-Dutailles, Les communes francaises. Caracteres et evolution des origines au XVIIIe siede, Paris 1970. 537 Zu den Wahlrechtsanschauungen im Rheinland nach 1815 vgl. Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 11 ff.

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Das von Hardenberg 1807 angesprochene Reformziel der möglichsten Freiheit und Gleichheit sowie die im Gendarmerieedikt vergeblich gegen die konkurrierende Macht des Adels angestrebte bürokratische Organisation der höheren Kommunalverwaltung hätte im rheinisch-westfälischen Gemeinderecht indessen einen wirkungsvollen Ansatzpunkt finden können, die staatliche Integration voranzutreiben und der durch die Reform der Gewerbeverfassung herausgebildeten freien Wirtschaftsgesellschaft ein politisches Pendant zu geben. Eine solche Möglichkeit wurde von der Ministerialbürokratie nicht einmal in Ansätzen in Erwägung gezogen. Sie favorisierte stets die östliche Städteordnung mit ihrer Mischung aus staatsintegrativen und eigenverantwortlichen Elementen als kommunalrechtliches Modell. Die Ministerialinstanzen arbeiteten hartnäckig auf eine allmähliche Angleichung des rheinischen Gemeinderechts an die preußische Rechtsordnung hin, wenngleich die westlichen Provinzialbehörden zu Gunsten einer staats zentrierten Reorganisationsplanung für eine kommunalpolitische Grundsatzentscheidung eintraten, die dem effizienteren, bürokratisch gestalteten Verwaltungssystem des Westens den Vorzug gab. 538 Die Staatsregierung hielt deshalb unbeirrt am Konzept der Stadtbürgergesellschaft und am Stadtbegriff, mithin der rechtlichen Trennung von Stadt und Land fest 539 und ließ in die Auseinandersetzung um die künftige Kommunalordnung noch weitere korporative Elemente einfließen. Nach Altensteins Grundideen sollten die Repräsentanten der Bürgerschaft "in einem gewissen Verhältnis zu den innerlich verschiedenen Klassen der Einwohner" gewählt werden. Als Klassen bezeichnete Altenstein Handwerker, Fabrikanten, Kaufleute, Künstler und Gelehrte. Das berufsständisch gegliederte Wahlverfahren koppelte Altenstein mit einem an die Höhe der Steuerquote orientierten Zensus, der zum aktiven Wahlrecht berechtigte. 54o Ob die nach berufsständischen Abstufungen erfolgende und damit weitgehend interessengebundene Wahl der Kommunalrepräsentanten erlaubt hätte, die Gemeindevertretung über das Abbild eines berufsständisch ausgerichteten Interessenpluralismus hinaus im Sinne eines übergreifenden Gemeinwillens tätig werden zu lassen, muß, trotz des von Altenstein vertretenen Prinzips des freien Mandats, bezweifelt werden. Auch in den "Grundzügen für eine ständische Verfassung in den Oberpräsidialbezirken Koblenz und Köln" entwarf Altenstein eine nach ständischen Kriterien zusammengesetzte Repräsentation. Nach einer vierstufigen Klassifizierung sollten Großgrundbesitz, Geistlichkeit und Gelehrte, Bürger und Vgl. Schütz, Rheinlande, S. 99 f., 103 ff. u. 109 f. Zur Frage einer einheitlichen Kommunalordnung für die Städte der Gesamtmonarchie vgl. unten die Erörterungen zur Novellierung des Städterechts im Kap. 4, Unterabschnitt 6. 540 Schütz, Rheinlande, S. 142. Weber, Gemeindeordnung, S. 31 f. 538

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Bauern die Provinzial vertreter wählen. Der Provinziallandtag setzte sich folglich aus vier "Klassen" zusammen: den Repräsentanten des Großgrundbesitzes einschließlich einiger dem Adel vorbehaltenen Vertreter, den Repräsentanten der hohen evangelischen und katholischen Geistlichkeit sowie eines Deputierten aus dem Universitätsbereich, den Abgeordneten bestimmter Städte und den Deputierten der kleinen Grundbesitzer oder Bauern aus den Orts vorständen der Landgemeinden, die von ihnen selbst nach Kreisen und dann nach Regierungsbezirken gewählt werden sollten. 54 ! Der ständische Charakter der Wahlen wurde noch dadurch verstärkt, daß jeder Stand seine eigenen Vertreter wählte bzw. delegierte und für den Provinziallandtag eine Kurieneinteilung in "vier verschiedene Klassen oder Korporationen" vorgesehen war. Dieser von Hardenberg unterstützte Entwurf aktualisierte altständische Vertretungsformen, auch wenn die soziale Zusammensetzung der Stände dem zeitgenössischen Gesellschaftskolorit angepaßt war. Das ständisch fundierte Vertretungsprinzip stand wiederum in Widerspruch zum Zensussystem der Städteordnung, aber, wie wir wiederholt gesehen haben, im Geltungsgebiet des östlichen Kommunalrechts waren ständische Elemente durch die allgemeine korporative Konstituierung der städtischen Gesellschaft, durch das Hausbesitzerprivileg hinsichtlich des passiven Wahlrechts und durch das Prinzip der geschlossenen Bezirkswahl erhalten geblieben. Die Städteordnung von 1831 verschärfte die Hausbesitzerklausel, indem der Mindestwert des Grundeigentums in Abhängigkeit von der Stadtgröße und der Zensus des passiven Wahlrechts erhöht wurde. Gleichzeitig senkte der Gesetzgeber jedoch die Hausbesitzerquote für die Kommunalvertretungen auf 50 Prozent. 542 Das städtische Kommunalrecht des preußischen Konstitutionalismus löste das Hausbesitzerprivileg aus der Bindung an ein Mindesteinkommen bzw. einen Mindestwert des vorhandenen Grundeigentums. Nach der Städteordnung von 1853 verlieh der Besitz eines Wohnhauses jedem städtischen Einwohner das Bürger- und Wahlrecht in der Gemeinde, ohne daß sich der Eigentümer über die sonst vorgeschriebenen Steuer- und Einkommensbeträge qualifizieren mußte. 543 Das nachrevolutionäre Klassenwahlrecht verstärkte die politische Bevorzugung des Haus- und Grundeigentums, da es die Anrechnung von sämtlichen direkten Steuern vorsah und folglich die zusätzlich zu entrichtenden Grundsteuern häufig für die Einstufung in eine Vgl. Schütz, Rheinlande, S. 226. § 15, Lit. a, Tit. 3 u. § 56, Tit. 6, StO 1831. GS 1831, S. 12 u. 17. Zu den wahlrechtlichen Regelungen der Revidierten Städteordnung vgl. unten Kap. 4, Unterabschnitt 6. Im Hinblick auf die Konkurrenz von Bürger- und Gewerberecht siehe auch Kap. 3, Unterabschnitt 1. 543 § 4, Ziff. 4, Abs. 1, Tit. 1, GO 1850. GS 1850, S. 214 f. sowie § 5, Ziff. 4, Lit. d, Tit. 1, StO 1853. GS 1853, S. 264 f. 541

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höhere Wählerabteilung sorgte. 544 Die im älteren Kommunalrecht als ständische Relikte praktizierten Prinzipien der geschlossenen Bezirkswahl wie der bezirksgebundenen Hausbesitzerquote wurden im konstitutionellen Preußen nicht mehr aufrechterhalten, statt dessen wurde in den Wählerabteilungen für sich gewählt. Der Anteil der Hauseigentümer orientierte sich bezirksunabhängig an der Gesamtzahl der Stadtverordneten, das passive Wahlrecht unterlag nicht mehr der Bindung an den Wohn- und Wahlbezirk der Wahlberechtigten, sondern der individuellen Entscheidung der Mandatsbewerber und Wähler. 545 Das reformzeitliche Kommunalrecht ging noch von einer statischen Anschauung der Stadtgesellschaft aus, der sich im Bürger- und Wahlrecht nahtlos ständische Elemente einfügten. In ihrer korporativen Struktur kam die östliche Städteordnung einem Gesellschaftsmodell entgegen, dessen "vernünftige Rangordnung" (Hardenberg) zwar nicht mehr auf einer eigenberechtigten Herrschaft altständischer Korporationen beruhte, aber an der Vorstellung einer in sich differenzierten, ständisch-korporativen Gesellschaft festhielt. Friedrich von Raumer, der zeitweilige Mitarbeiter Hardenbergs546 und spätere Staatswissenschaftler und Historiker in Breslau wie Berlin, verteidigte die Städteordnung gegenüber dem französischen Munizipalrecht als positives Gegenmodell, da dieses im wesentlichen auf der Alleinherrschaft der Präfekten sowie Unterpräfekten beruhte und notwendig Beamten produzierte, die "muthlos nach oben und tyrannisch nach unten" administrierten, jenes hingegen ebenso "wahre Freiheit" und Unabhängigkeit garantierte wie es durch republikanische, genossenschaftliche, kollegialische Elemente und das "demokratische Prinzip" geprägt war. 547 Die zentralistische und bürokratische Staatsorganisation Frankreichs verweigerte bürgerliche Freiheit, die Raumer als größere Selbständigkeit der einzelnen Korporationen vom Staat verstand. Das Verhältnis von republikanisch-demokratischer Verfaßtheit und politischer Partizipation reflektierte von Raumer im direkten Vergleich der Wahl- und Beteiligungsformen in bei den Staaten. Das französische Zensuswahlrecht ermöglichte nur einem geringen Teil der Bevölkerung die politische Mitwirkung, in Preußen hatten sich dagegen vielfältige Beteiligungsformen in "Landschaften, Städten und Gemeinen" herausgebildet. Raumer verklärte, gelinde gesagt, die preußischen Verfassungs verhältnisse. Er verschweigt sowohl die gescheiterte Konstituierung der Monarchie Baron, Haus- und Grundbesitzerprivileg, S. 19. §§ 12, 13, Abs. 6 u. 14, Tit. 2, StO 1853. GS 1853, S. 267 f. Vgl. Oertel, Die Städte-Ordnung vom 30. Mai 1853 und die Verwaltungs-Reform-Gesetze für die Preußische Monarchie mit Ergänzungen und Erläuterungen, Bd. 1, Liegnitz 1883, S. 81 ff. Zur Wahlrechtsdiskussion der Revolutions- und Nachrevolutionszeit siehe im Kap. 6 die Unterabschnitte 1, 3 u. 4. 546 Vgl. Thielen, Hardenberg, S. 249 ff. 547 Raumer, Städteordnung, S. 249 ff. 544 545

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

als auch die fehlgeschlagenen Pläne zur Nationalrepräsentation. Hardenbergs Ziel, "demokratische Grundsätze" auf evolutionärem Weg mit der monarchischen Regierungsform zu verschmelzen, war schon vom Ansatz her zum Scheitern verurteilt und in der Konkretisierung der Teilhabeformen gar nicht demokratisierenden Zielsetzungen immanent. Im Westen Preußens, wo man sich über Jahrzehnte gegen den Bruch mit der Rechtsgleichheit und dem allgemeinen Staatsbürgertum der französischen Kommunalverfassung wehrte, stand man dem Städterecht der östlichen Provinzen, bei aller Anerkennung seiner liberaleren Ordnung, kritisch gegenüber. Der Düsseldorfer Regierungsrat von Ulmenstein machte die Verteidiger der Städteordnung auf deren fragmentarischen Charakter aufmerksam, da sie ein eigenes Stadtbürgertum beibehalten hatte, statt ein einheitliches Staatsbürgertum zu schaffen. Durch die rechtliche Stellung der Städte sah Ulmenstein eine "Aristokratie im Staate" begründet, während das Bürgerrecht einen gesellschaftspolitischen Anachronismus darstellte. "Die Zeiten sind vorüber", urteilte Ulmenstein, "in welchen das Bürgerrecht irgend eine besondere, vorzugsweise Bedeutung hatte und will man Particular- oder Local-Bürgerrechte neben dem Staatsbürgerrechte, so bilde man sie nach gleichen Grundsätzen in den Städten und auf dem platten Lande. Man hüte sich doch, Schatten als wirkliche Wesen zu behandeln!,,548 Damit hatte Ulmenstein die gesellschaftlichen und politischen Grenzen der Städteordnung klar umrissen. Ihr Erfolg lag im wesentlichen im Verwaltungsorganisatorischen, im durchgesetzten Prinzip der "Selbstverwaltung im Staat", während sie gesellschaftspolitisch den Grundstein für eine bis 1918 währende Periode stadtbürgerlicher Dominanz in den urbanen Kommunen legte. In der Diskussion um die Kommunalverfassung der westlichen Provinzen zeigte sich, daß Teile der Provinzial behörden sowohl gegen eine uneingeschränkte Gewerbefreiheit opponierten als auch die Gewerbetätigkeit mit dem Bürgerrecht verknüpfen wollten. Ähnliche Bestrebungen gab es auch in den östlichen Provinzen. Unter den Großstädten sollte Berlin eine zentrale Rolle bei dem Bemühen spielen, die freie Gewerbeausübung über das Bürgerrecht und gewerblich-korporative Bindungen der kommunalpolitischen Steuerung zu unterwerfen. Ende Januar 1818 hatte die Regierung des Bezirks Münster den Entwurf zu einer neuen Gemeindeordnung vorgelegt, der das französische Verwaltungssystem und die preußische Städteordnung mit dem Ziel verknüpfen wollte, der "weitläufigen Bevormundung der Gemeinden ein Ende zu machen" und eine dem "gegenwärtigen, gesell548 H.C. Freiherr von Ulmenstein, Die preußische Städteordnung und die französische Kommunalordnung, Berlin 1829, S. 25, 77 u. 80 f. Detailliert zu den Urteilen der rheinischen Provinzialbürokratie über die östliche Städteordnung Schütz, Rheinlande, S. 95, 98 ff., 104 f. 107 f. u. 120 f. Siehe auch Nolte, Staatsbildung, S. 75 f.

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schaftlichen Zustande angemessene" Kommunalordnung zu begründen. 549 Bürgerrechtspflichtig sollten nach dem Regierungsentwurf neben den Grundbesitzern und -pächtern auch die zur Gewerbesteuer veranlagten Gewerbetreibenden sein, so daß ein weiter Bereich der gewerblichen Tätigkeit zum Privileg der Gemeindebürger geworden wäre. Der Kölner Oberpräsident Graf von Solms befürwortete im Mai 1818 eine schrittweise Rückführung der Gewerbe in die Städte und wollte zu diesem Zweck die Gewerbefreiheit einschränken. Nach Solms hatte die Freizügigkeit zu einem allgemeinen Zerfall des Handwerks sowie zu einem ruinösen Wettbewerb geführt, der erhebliche soziale Spannungen nach sich zog. Wenn, wie in Altensteins kommunalrechtlichen Grundideen vorgesehen, die Handwerker als eigene "Klasse" in der Gemeinderepräsentation vertreten sein sollten, mußte Solms zufolge das stadtansässige Meisterturn gegenüber dem ebenso mobilen wie ungebundenen Gesellenturn politisch bevorzugt werden. Ein Ziel, das er durch eine Einengung der Gewerbefreiheit zu erreichen hoffte. 55o Dabei war die Gewerbefreiheit sowie die Aufhebung der Zwangs- und Bannrechte schon unter französischer Herrschaft in den ehemals kaiserlich französischen Gebieten des linken Rheinufers, im Königreich Westfalen, Großherzogturn Berg und in den zum hanseatischen Departement gehörenden Landesteilen durchgesetzt worden.

In diesen Territorien wurden bezeichnenderweise auch keine ernsthaften Klagen über die Gewerbefreiheit laut und ebensowenig Entschädigungsansprüche erhoben. Selbst die Provinzialstände beschränkten sich bei der späteren Begutachtung der Entwürfe zur Allgemeinen Gewerbeordnung auf den Wunsch, freiwillige Korporationen errichten zu können. 55! Nur in den Gebieten des Herzogtum Westfalen, der Wittgensteinschen Grafschaften, der Ämter Burbach und Neuenkirchen sowie in einigen Teilen des linksrheinischen Gebiets von Kleve und Berg hatte die alte Zunftverfassung fortbestanden. Hier waren die Zwangs- und Bannrechte ebenso erhalten geblieben wie in den ehemals nassauischen Landesteilen auf dem rechten Rheinufer, im Regierungsbezirk Koblenz, in der Stadt Wetzlar und ihrem Gebiet sowie in den ehemals großherzoglich hessischen Landesteilen. Die Staatsregierung stellte sich unterdessen konsequent jedem Versuch entgegen, Bürgerrecht und Gewerbetätigkeit zu verbinden, da eine solche 549 Zu den Einzelheiten des Entwurfs vgl. Weber, Gemeindeordnung, S. 21 ff. Schütz, Rheinlande, S. 130 ff. Allgemein zur Entwicklung des westfälischen Kommunalrechts Meyer zum Gottesberge, Grundlagen. 550 Schütz, Rheinlande, S. 143 f. 551 Vgl. Hugo Roehl, Beiträge zur preußischen Handwerkerpolitik vom Allgemeinen Landrecht bis zur Allgemeinen Gewerbeordnung von 1845 (= Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, Bd. 17,4), Leipzig 1900, S. 182 f., 213 f. u. 223f.

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2. Kap.: Das Kommunalrecht im Reformprozeß

Beschränkung der Gewerbefreiheit letztlich zu wirtschaftlich nachteiligen Folgen für die Städte und damit auch für den Staat führen mußte. Das Bürgerrecht sollte, wie Innenminister von Schuckmann in seiner Entgegnung auf den Gemeindeordnungsentwurf der Regierung zu Münster darlegte, nur eine politische Bedeutung beigemessen werden. Zudem gehörte die freie Ausübung eines Gewerbes gesetzlich zu den "allgemeinen Befugnissen" der Staatsbewohner, so daß es rechtlich nicht vertretbar erschien, diese Freiheit durch eine Kommunalordnung wieder einzuschränken. 552 Nach Schuckmann hatte sich die Unhaltbarkeit der im § 15 der Städteordnung aufgenommenen Bindung des Gewerbes an das Bürgerrecht durch die "übereinstimmendsten Erfahrungen" herausgestellt. Die Städteordnung bedurfte in dieser Hinsicht einer dringenden Modifizierung, doch der diskutierten Entkoppelung von Bürgerrecht und Gewerbetätigkeit setzten zahlreiche Städte von Beginn an entschiedenen Widerstand entgegen.

552 An der uneingeschränkten Priorität des staatbürgerlichen Rechts der freien Gewerbetätigkeit vor kommunalrechtlichen Schranken ließ Schuckmann keinen Zweifel: "Wie hart erscheint es" fragte er, "einem Mitgliede des Staatsverbands, welches aus irgendeinem Grunde nicht für fähig gehalten wird, in der Gemeinde-Genossenschaft aufgenommen zu werden, dadurch zugleich die Befugnis des Gewerbebetriebes, wovon es den Unterhalt für sich und die Seinigen entnehmen muß, abzusprechen? Diese Absprechung ist in ihren Wirkungen fast der Landesverweisung gleich zu achten. Und wofür soll der Schutzgenosse sich allen Gemeinde-Abgaben und Lasten, gleich den Gemeinde-Genossen unterwerfen, wenn er nicht einmal der in den natürlichsten Rechten jedes Staatsbürgers begründeten Befugnis teilhaftig sein soll, ein ihn nährendes Gewerbe auszuüben?" Zit. nach Schütz, Rheinlande, S. 139.

Drittes Kapitel

Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit und im Vormärz 1. Die Konkurrenz von Kommunal- und Gewerberecht

Der strenge lokalkorporative Charakter des Bürgerrechts erfuhr schon 1809 eine erhebliche Ausweitung, indem die Erlaubnis zum gleichzeitigen Erwerb des Bürgerrechts an mehreren Orten erteilt wurde. 1 Das Gewerbepolizeigesetz bestimmte 1811, daß die einmal gezahlten Bürgerrechtsgelder zum kostenlosen Wechsel in andere Städte gleicher Ordnung berechtigten, lediglich bei einem Umzug in Städte höherer Ordnung mußte ein Aufschlaggeld nachgezahlt werden? Die Gewerbefreiheit erzwang ein "gesamtstaatliches Bürgerrecht",3 das jede örtliche Beschränkung aufhob und dieses nur noch an den Stand der Städte als solche band. Nachdem die Geschäftsinstruktion für die Regierungen Ende Dezember 1808 gleichsam ein vollständiges Programm der Gewerbe- und Handelsfreiheit entfaltet hatte, war die Tür zu einer liberalen Wirtschaftsverfassung in Preußen weit geöffnet. Als "gesamtwirtschaftliche Entwicklungspolitik" sollte die Gewerbefreiheit über den Rahmen handwerklicher Arbeit hinausreichen, indem sie in ihrer Wirkung umfassend auf Produktion und Beschäftigung, auf Wirtschaftswachstum und bürgerliche Emanzipation Einfluß nahm. 4 Der Liberalisierung des Handwerks wurde in diesem Konzept 1 § 22, Zirkular-Verfügung der königlichen Regierung zu Oppeln an sämtliche Landratsämter und Magistrate betreffend das Bürgerrecht in den Städten, in: APSV, Bd. 6 (1822), S. 692. Unter Hinweis auf das Ministerialreskript vom 18. Februar 1809 erläuterte die Regierung, daß das Bürgerrecht an mehreren Orten zugleich erworben werden konnte, vorausgesetzt der betreffende Bürger bestellte an dem von ihm nicht ständig bewohnten Ort einen Stellvertreter, an dem man sich in seiner Abwesenheit "wegen aller Lasten und Pflichten" halten konnte. 2 Ziff. 1, Gewerbepolizeigesetz 1811. GS 1811, S. 263. 3 Kaselleck, Preußen, S. 563. 4 Vgl. hierzu die instruktiven Arbeiten von B. Vogel, Die "allgemeine Gewerbefreiheit" als bürokratische Modemisierungsstrategie in Preußen, in: Industrielle Gesellschaft und politisches System. Festschrift für Fritz Fischer zum 70. Geburtstag, hrsg. von D. Stegmann u. a. (= Schriftenreihe des Forschungsinstituts der FriedrichEbert-Stiftung, Bd. 137), Bann 1978, S. 59 ff. und Staatliche Gewerbereform und Handwerk in Preußen, in: Handwerker in der Industrialisierung, hrsg. von U. Engel-

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

eine zentrale Rolle eingeräumt, 5 galt es doch, das in seinem tradierten Ordnungsgefüge begründete Prinzip der Zuweisung durch das Prinzip der individuellen Leistung zu ersetzen und überhaupt die zünftig-handwerkliche Lebensform aufzulösen. Tatsächlich gelang es, wenn auch nicht branchenunspezifisch,6 die älteren Formen handwerklicher Lebens- und Berufsgestaltung zu ersetzen und die überkommene Polyfunktionalität des Handwerks abzuschaffen. Wirtschaftlich sollte sich das Berliner Handwerk proportional zum Bevölkerungswachstum entwickeln, ohne allerdings sämtliche Handwerkszweige zu erfassen. In einer Vielzahl von Handwerken machte sich recht bald eine generelle Verschlechterung der ökonomischen Lage bemerkbar, die vor allen Dingen die Kleinmeister in weniger kapitalintensiven Branchen traC Das gutsituierte wie bedrohte Handwerk erwies sich in dieser Situation aus unterschiedlichen Gründen als politisch retardierendes Moment. "Möglichste Gewerbefreiheit" wurde Ende des Jahres 1808 zur Richtlinie der staatlichen Politik. 8 Die Gewerbegesetzgebung trat in der Folgezeit in eine mehr oder weniger scharfe Konkurrenz zum Kommunalrecht, das zwar den Zugang zum Bürgerrecht erleichterte, aber am korporativen Charakter der stadtbürgerlichen Gesellschaft festhielt. Die Städteordnung rührte nicht an der Verfassung der zünftigen Gewerbe. Sie sollte solange fortbestehen, bis der Staat die bestehenden Einrichtungen änderte. Die freie Gewerbeausübung war in den Städten nur in jenen Gewerben möglich, die nicht zünftigen oder innungsmäßigen Einschränkungen unterlagen. 9 Die Liberalisierung der Rechtsverhältnisse kündigte im Oktober 1810 das Finanzedikt an: Der Staat versprach die "völlige Gewerbefreiheit" gegen Entrichtung einer mäßigen Patentsteuer, die Vereinfachung des Zollwesens sowie die Aufhebung der Bann- und Zwangsgerechtigkeiten. 1O Das nur wenige Tage später folgende Gewerbesteueredikt machte die Gewerbefreiheit zum neuen "Staatsverwaltungsgrundsatz".' , Das staatliche Verwaltungshandeln sollte zukünfhardt (= Industrielle Welt 37), Stuttgart 1984, S. 184 ff. Dazu die kritischen Erläuterungen von Kaufhold, Gewerbepolitik, S. 146 f. 5 Kaufhold, Gewerbefreiheit und gewerbliche Entwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte, Bd. 118 (1982), S. 73 ff. 6 Bergmann, Das Berliner Handwerk in den Frühphasen der Industrialisierung (= VHKB, Bd. 11), Berlin 1973, S. 131 ff. 7 A.a.O., S. 319. 8 Kurt von Rohrscheidt, Vom Zunftzwange zur Gewerbefreiheit, Berlin 1898, S. 412 ff. Roehl, Handwerkerpolitik, S. 90 ff. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 167. 9 § 34, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1810, S. 328. IO Edikt über die Finanzen des Staates und die neuen Einrichtungen wegen der Abgaben vom 27. Oktober 1810. GS 1811, S. 25-31. Zitat, S. 26. Zur Entstehungsgeschichte Roehl, Handwerkerpolitik, S. 88 ff. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 172 ff. 11 A.a.O., S. 179.

1. Die Konkurrenz von Kommunal- und Gewerberecht

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tig die freie wirtschaftliche Entfaltung des Individuums zum Maßstab nehmen, bestehende institutionelle wie gesetzliche Hindernisse abbauen und neue Gesetze nach diesem Grundsatz ausrichten. Das Edikt verkündete die volle Freiheit bei der Wahl und Ausübung eines Gewerbes sowie bei der gewerblichen Niederlassung, ein Widerspruchsrecht bestehender Korporationen bestand nicht. 12 Die zünftige Arbeitsteilung wurde aufgehoben, so daß der Gewerbeschein nicht nur zur Tätigkeit in einem speziellen Einzelgewerbe berechtigte, sondern in sämtlichen, zu einer Gewerbegattung gehörenden Branchen. 13 Die Voraussetzungen für den selbständigen Gewerbebetrieb beschränkten sich im allgemeinen auf das Erreichen der Volljährigkeit und die Vorlage eines polizeilichen Attests über einen unbescholtenen Lebenswandel. 14 Behördliche Qualifikationsnachweise waren lediglich für 34 Berufe vorgesehen, bei denen es zum großen Teil nicht um die berufliche Befähigung, sondern um die Wahrung ordnungspolizeilicher Interessen ging. Handwerker waren von dieser Regelung nur in wenigen Fällen betroffen, vornehmlich handelte es sich um Maurer, Mühlenbaumeister, Schornsteinfeger, Schiffs- und Zimmerleute. 15 An diesem Punkt sollte sich die Kritik des städtischen Handwerks wie der Kommunalrepräsentationen entzünden. Das Problem der Berufsqualifikation hatte die steuerlich motivierte Gewerbegesetzgebung ignoriert; die städtische Kritik agierte jedoch nicht nur in dieser Richtung, sondern begann die Qualifizierungsfrage im Zusammenhang mit dem Bürgerrecht auch gegen die Niederlassungsfreiheit zu instrumentalisieren. Für die kommunalen Körperschaften Berlins blieb im übrigen das Verhältnis zwischen Bürgerrecht und Gewerbefreiheit ungeklärt. Die Städteordnung hatte das Bürgerrecht mit wenigen Ausnahmen zur Vorbedingung des Gewerbebetriebs gemacht. Magistrat und Stadtverordnete sahen keinen Grund, nicht an den kommunalrechtlichen Regelungen festzuhalten und forderten deshalb, in Berlin fernerhin das Bürgerrecht zur Voraussetzung des Gewerbebetriebs zu machen. Die kurmärkische Regierung wies dieses Anliegen indessen mit Hinweis aus das Gewerbesteueredikt ab. 16 Die Bindung des Bürgerrechts an den Grundbesitz konnte zur Folge haben, daß ein Stadtbewohner mit Kapitalvermögen, selbst wenn seine Ein12 §§ 1, 16 u. 17, Edikt über die Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer vom 2. November 1810. GS 1811, S. 79 u. 82 f. 13 § 9, Abs. 2, Gewerbesteueredikt 1810. A. a. 0., S. 81. 14 § 19, Abs. 1, Gewerbesteueredikt 1810. A.a.O., S. 83. 15 § 21, Gewerbesteueredikt 1810. A.a.O., S. 83 ff. 16 Roehl, Handwerkerpolitik, S. 112. In Breslau wurde nach Protesten der Kommunalbehörden durch Anordnung der Bezirksregierung vom 22. Februar 1811 bekanntgegeben, daß der Gewerbebetrieb nach wie vor vom Erwerb des Bürgerrechts abhängig war. Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 181 f.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

künfte auch noch so hoch waren, nach Belieben im Status des Schutzverwandten verbleiben konnte, solange er nicht Grundeigentum in der Gemeinde erwarb. 17 Die Eigentümer von "Bänken und Buden" wurden nicht den Hausbesitzern gleichgestellt, so daß sie insofern nicht zum Erwerb des Bürgerrechts verpflichtet waren, als das ausgeübte Gewerbe nicht an sich schon dessen Beantragung verlangte. 18 Die Deklaration der Städteordnung von 1832 dehnte diese Verordnung auf sämtliche Eigentümer solcher Parzellen aus, die nicht mit Wohnhäusern bebaut waren. 19 Die Höhe der Bürgerrechtsgelder sollte entsprechend den in der Kommunalgesetzgebung vorgesehenen Städteklassen eine "allgemeine Einförmigkeit" erhalten. In großen Städten war ein Betrag von zehn, in mittleren und kleineren Städten ein Bürgerrechtsgeld in Höhe von sechs bzw. drei Reichstalern vorgesehen?O Neben diesen allgemeinen Gebühren konnte die Kommunalverwaltung noch für die Aufnahmeverhandlung und die notwendigen Ausfertigungen die bislang üblichen Sporteln einziehen. Der Berliner Magistrat war demnach befugt, als Bürgerrechtsgeld einen Betrag von zehn Reichstalern zu erheben. 21 Nach einem Bericht des Oberpräsidenten Sack wurde der Zuzug nach Berlin im November 1809 noch immer durch zu hohe Bürgerrechtsgelder behindert. Der Magistrat verlangte für den Erwerb des Bürgerrechts weiterhin eine Zahlung von 200 Reichstalern an die Generalinvalidenkasse. "Man glaubte bisher", erläuterte Sack, "daß diese Abgabe so ganz gegen den Geist der jetzigen Administration 17 Vgl. das Ministerialreskript an den Königsberger Magistrat vom 13. September 1822, in: APSV, Bd. 6 (1822), S. 699. 18 Ministerialreskript vom 19. Mai 1809. Rumpf, Städteordnung, S. 18. Zu dieser Gruppe von Eigentümern werden bei Rumpf die Besitzer von Apotheken oder ähnlichen Gerechtigkeiten gezählt. Sie gehörten daher nach Erwerb des Bürgerrechts zu den unangesessenen Bürgern, d.h. zur Wahrnehmung der politischen Rechte in der Gemeinde mußten sie ein reines Einkommen von über 200 Reichstaler nachweisen (§ 74, Tit. 6, StO 1808). In der Zirkularverfügung der Oppelner Regierung vom 30. Mai 1822 wurde diese Bestimmung nicht mehr aufgenommen. APSV, Bd. 6 (1822), S.690. 19 Zum § 15, Lit. a der die Städteordnung ergänzenden und erläuternden Bestimmungen vom 14. Juli 1832. GS 1832, S. 182. 20 Ministerialreskript vom 25. Juni 1809. Vgl. Rumpf, Städteordnung, S. 6. Vgl. auch ders., Die preußische Städteordnung vom 19. November 1808 nebst der revidierten Städteordnung 'und eine Vergleichung beider, 6 Berlin 1834, S. 8. Als Großstädte klassifizierte die Städteordnung Gemeinden mit über 10000 Einwohnern (ausschließlich Militärangehörige), während der Status einer mittleren Stadt mit einer Einwohnerzahl von über 3500 Einwohnern erreicht wurde. § 10, Tit. 2, StO 1808. GS 1806-1810, S. 325. Eine Zusammenstellung der bis zum Frühjahr 1822 ergangenen Bestimmungen zum Bürgerrecht in der Zirkularverfügung der Oppelner Bezirksregierung an die Landratsämter und Magistrate vom 30. Mai 1822, in: APSV, Bd. 6 (1822), S. 684-697. 21 GStAPK, Rep. 77, Tit. 227a, Nr. 34, BI. 1-3.

1. Die Konkurrenz von Kommunal- und Gewerberecht

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sein würde, daß es unmöglich sei, sie beizubehalten. Und doch sehen die Leute das Gegenteil".22 Innenminister Dohna plädierte im August 1810 für eine generelle Aufhebung des Bürgerrechtsgeldes, traf mit dieser Forderung indessen nicht auf die ungeteilte Zustimmung der Ministerialbürokratie. Fürst Wittgenstein, als Staatsrat im Innenministerium mit der Verwaltung der höheren und Sicherheitspolizei beauftragt?3 forderte in einem Mitte Juni 1812 vorgelegten Gutachten im Interesse der Gutsobrigkeiten, die Abwanderung der Landbewohner in die Stadt mit einer Gebühr zu belegen. Die Freizügigkeit führte zusehends zu einer Dorfflucht, ohne daß die Fortziehenden ihre Dienste ablösten. 24 Ende Dezember 1814 verlangte eine Deputation der Berliner Stadtverordneten-Versammlung, unterstützt vom Magistrat, das Bürgerrechtsgeld auf fünfzig Reichstaler zu erhöhen. Das Innenministerium genehmigte jedoch, dem Beispiel für Königsberg und Breslau folgend, nur eine Anhebung auf 25 Reichstaler. 25 1816 hielt es der Berliner Magistrat für durchaus gerechtfertigt, von Nicht-Berlinern die Zahlung eines Bürgerrechtsgeldes in Höhe von 100 Reichstalern zu verlangen. Derartige Behinderungen der Freizügigkeit ließ die Ministerialbürokratie freilich nicht zu. Es blieb bei dem genehmigten Betrag von 25 Reichstalern, zu dem noch Gebühren von über drei Reichstalern und im Falle von Kaufleuten, Juwelieren, Apothekern oder Buchhändlern von über fünf Reichstalern hinzutraten?6 Verschiedene Ministerialreskripte erleichterten zudem den Eintritt in den Bürgerstand. So durfte von Schutzverwandten, die bei der Einführung der Städteordnung das Bürgerrecht gewinnen wollten, nur der niedrigste, bisher übliche Kostensatz verlangt werden. 27 Stadtbewohner, die nach dem älteren Kommunalrecht nicht bürgerrechtspflichtig waren, sollten, wenn sie auf Grund der Regelungen der neuen Städteordnung den Erwerb nachholten, von sämtlichen Kosten befreit werden. Selbst in dem Fall, wo schon vor Erlaß der Städteordnung eine Bürgerrechtspflichtigkeit bestand, durften die Stadtmagistrate nur 22 Bericht an Innenminister Graf Dohna, 7. November 1809. In: Granier, Berichte, S. 544. VgI. auch Koselleck, Reform, S. 563. Börner, Umwälzung, S. 195. Koselleck bringt irrtümlicherweise schon das Ministerialreskript vom 25. Juni 1809 mit einem besonderen Berliner Bürgerrechtsgeld in Höhe von 25 Reichstalern in Verbindung. 23 VgI. Hans Branig, Fürst Wittgenstein. Ein preußischer Staatsmann der Restaurationszeit (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 17), Köln-Wien 1981, S. 67 ff. 24 Gutachten Wittgensteins, I!. Juni 1812. GStAPK, Rep. 74 J,V, Gen. Nr. 1, BI. 57. 25 GStAPK, Rep. 77, Tit. 227a, Nr. 34, BI. 22 f., 25 f. u. 28. 26 Rumpf, Gemeinnützige Nachrichten für die Einwohner Berlins. Anhang zu Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Berlin auf das Jahr 1835, Berlin 1835, S. 7. 27 Ministerialreskript, 13. Februar 1809. Rumpf, Städteordnung, S. 7. 16 Grzywatz

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

den niedrigsten Kostensatz erheben?8 Später folgende Verordnungen erleichterten insbesondere ehemaligen Soldaten und Invaliden den Zugang zum Bürgerrecht. 29 Die Zulassungsgebühren zum Bürgerrecht behinderten weder die freie Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt noch den Zuzug von Arbeitskräften in die Städte. 3o Sie erwiesen sich jedoch als ein von der Ministerialbürokratie akzeptiertes Instrument der Kommunalverwaltung zur repressiven Korrektur der Gewerbefreiheit. 31 Eine Konkurrenz zur Stadtverwaltung ergab sich hierbei aus dem Umstand, daß die Gewerbekonzessionierung den staatlichen Stellen übergeben war. Bezirksregierung oder Polizei verwaltung hatten auf diese Weise die Möglichkeit, kommunalen Gewerbebehinderungen entgegenzutreten. Auf die städtische Kritik an der im Gewerbesteueredikt ungeregelten Bürgerrechtsfrage bestimmte das Gewerbepolizeigesetz im September 1811 ausdrücklich, daß die Lösung des Gewerbescheins nichts an der Verpflichtung änderte, das Bürgerrecht zu erwerben, der Gemeinde als Mitglied beizutreten und an den Kommunallasten teilzunehmen. Gewerbe, die nach den allgemeinen Gesetzen oder nach örtlichen Statuten nur Bürgern oder Gemeindemitgliedern vorbehalten waren, konnten auch bei Vorlage des Gewerbescheins nur nach Erwerb des Bürgerrechts betrieben werden. 32 Damit wurden die Beschränkungen, welche die Städteordnung der Ausübung bürgerlicher Gewerbe auferlegte, erneut sanktioniert. Das Kommunalrecht gab der Gemeindevertretung weiterhin im Fall des Verlusts der bürgerlichen Ehrenrechte, der strafrechtlichen Verurteilung Ministerialreskript, 2. Januar 1809. A. a. 0., S. 7 f. Vgl. die Ministerialreskripte vom 2. Januar 1815 und 27. Juni 1817 sowie die Kabinetts-Ordres vom 20. März 1816 und 22. September 1819. A.a.O., S. 8 ff. 30 Die Nutzlosigkeit der Bürgerrechtsgelder zur Regulierung des Zuzugs hatte sich schon vor der Einführung der Städteordnung bestätigt. Tendenziell waren die Gelder der Zuwanderung wohlhabender Personen hinderlich, ohne daß der Zuzug von Armen gebremst wurde. Koselleck, Preußen, S. 563. 31 Vogel, Gewerbefreiheit, S. 167 u. 191. Anders Roehl, der von einem regelmäßigen Eingreifen Hardenbergs zu Gunsten der Gewerbefreiheit spricht. Roehl, Handwerkerpolitik, S. 138 f. Es kann aber keine Rede davon sein, wie Wehler meint (Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 177), daß die Kommunalbürokratie über das erteilte, verwehrte oder entzogene Bürgerrecht "eine Vetogewalt gegenüber der generellen Gewerbefreiheit" ausübte, da die Städteordnung es grundsätzlich nicht zuließ, angesessenen, gewerbetreibenden Stadtbewohnem das Bürgerrecht zu verwehren. Vgl. § 17 i. Verb. m. § 23, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1810, S. 326 f. 32 Ziff. 1, Gewerbepolizeigesetz, 1811. GS 1811, S. 253. Vgl. earl Apetz, Die geschichtliche Entwicklung der Einwohnergemeinde in Preußen, Jur. Diss., Leipzig 1931, S. 26. Bei Barbara Vogel, Gewerbefreiheit, S. 165 ff. wird der Zusammenhang zwischen Gewerbefreiheit und Bürgerrecht leider nicht systematisch entfaltet. Sie geht daher auch nicht näher auf die Bürgerrechtsrege1ungen des Gewerbepolizeigesetzes ein. 28 29

1. Die Konkurrenz von Kommunal- und Gewerberecht

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auch wenn es sich um eine geringere Strafe handelte - und der Eröffnung einer Kriminaluntersuchung die Möglichkeit, indirekt auf die Gewerbefreiheit durch den Entzug des Bürgerrechts Einfluß zu nehmen,33 was durch das Gewerbepolizeigesetz ebenfalls bestätigt wurde. 34 Da das Recht zum Gewerbebetrieb und Grundbesitz an das Bürgerrecht gebunden war, konnte in den genannten Fällen der Gewerbeschein entzogen sowie vorhandener Grund und Boden öffentlich versteigert werden. Die Städte legten diese Regelungen sehr streng aus, so daß sich die Ministerialbürokratie gezwungen sah, die privatrechtlichen Wirkungen des Bürgerrechts durch landesherrliche Verfügung im August 1822 aufheben zu lassen. Der Ausschluß vom Bürgerrecht hatte zukünftig nur noch den Verlust der politischen Rechte zur Folge, mithin des aktiven und passiven Wahlrechts sowie des Mitwirkungsrechts bei bürgerschaftlichen Beratungen. 35 Im April 1823 wurde diese Regelung auch auf das erst nachgesuchte Bürgerrecht ausgedehnt. 36 Die Verpflichtung jedes Gewerbetreibenden oder Grundbesitzers zum Erwerb des Bürgerrechts bestand weiterhin, einen Einfluß auf den Gewerbebetrieb oder Grundbesitz selbst besaß dieses Gebot indessen nicht mehr. Die Deklarationen zur Städteordnung oder "Zwischengesetze", wie sie Savigny später vor dem Hintergrund des revidierten Kommunalrechts nannte,37 begründete die Trennung des Bürgerrechts von der Gewerbetätigkeit und dem Grundbesitz. Die Freizügigkeit stellte vor allem die Fürsorge leistenden Einrichtungen Berlins vor Probleme, denn bei jährlichen Zuwanderungen von etwa viertausend Personen nach 1817 38 mußte mit einem erheblichen Anteil bedürftiger Personen gerechnet werden, die den Armenhaushalt der Stadt belasteten. Die Reformbürokratie, insbesondere das Gewerbedepartement, verkannte nicht die wirtschaftlichen Schwierigkeiten einzelner Gewerbezweige, was aber nicht Anlaß sein konnte, grundsätzlich die liberale Wirtschaftspolitik aufzugeben, von der man sich eine ökonomische Modemisierung versprach, zumal "die reaktionäre Grundhaltung der Bevölkerung in Fragen der Wirtschaftsverfassung,,39 nur allzu bekannt war. §§ 21 u. 39, Tit. 3, StO 1808. GS 1806--1810, S. 327 u. 329. Ziff. 2, Gewerbepolizeigesetz, 1811. GS 1811, S. 263. 35 Auszug aus der Allerhöchsten Order vom 25. August 1822, die Beschränkung der §§ 21 u. 39 der Städteordnung betreffend vom 25. August 1822. GS 1822, S. 206 f. 36 Deklaration vom 6. April 1823. Rumpf, Städteordnung, S. 28. 37 Savigny, Städteordnung, S. 183-221. 38 Zwischen 1817 und 1828 nahm die Berliner Bevölkerung im Jahresdurchschnitt um 3890 Personen zu. In den Jahren von 1809 bis 1817 lag die durchschnittliche jährliche Bevölkerungszunahme bei 4691 Personen. Während dieser Zeit gab es jedoch größere jährliche Schwankungen und in einzelnen Jahren auch eine negative Bevölkerungsentwicklung. Zahlen berechnet nach SJStBln, 34. Jg. (1915119), S. 3. 33

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Die Eingaben der kommunalen Exekutive sowie der Gemeindevertretung Berlins gegen die Gewerbefreiheit entsprangen in den Jahren 1816/17 nicht allgemeinen wirtschaftspolitischen Erwägungen über die Wirkungen und Ziele der staatlichen Gewerbepolitik, sondern resultierten einerseits aus haushaltspolitischen Überlegungen, andererseits aus der Befangenheit im althergebrachten System der ständischen Reglementierung der Gewerbeausübung. Nach Auffassung des Magistrats begünstigte das Zunftwesen geordnete Ausbildungsverhältnisse, die mit Selbstverständlichkeit den qualifizierten Talenten zum Aufstieg verhalfen. Die freie Konkurrenz mochte man nicht als regulierendes Prinzip anerkennen, sie konnte nur rücksichtslosen Wettbewerb hervorrufen, die vorhandenen Gewerbestrukturen durchlöchern, Teile des Handwerks der Verarmung preisgeben und zum Aufbau unsicherer Existenzen beitragen, die, ohne eine solide Ausbildung und finanzielle Grundlage zu besitzen, nur von der Gunst der konjunkturellen Lage profitierten und mit ihrem Umschwung rasch zur Aufgabe gezwungen waren. Der Konkurrenzkampf führte zwangsläufig, so die Auffassung des Berliner Magistrats, zu einer weiteren Belastung des städtischen Haushalts, denn für die Unterstützung der verarmten Zunfthandwerker wie der insolventen "Emporkömmlinge" mußte die Stadt aufkommen. 40 Die kommunale Exekutive Berlins bemängelte jedoch nicht nur die sozialen und finanziellen Folgen der Gewerbefreiheit, sondern sah ihre Wirkungen politisch-moralisch in einem engen Zusammenhang mit der Städteordnung. Das auf Bürgersinn und Gemeingeistförderung abzielende Kommunalrecht wurde, wie es der Berliner Stadtrat Otto Theodor Risch in der Rückschau formulierte, durch die Gewerbefreiheit geradezu neutralisiert. 39 Zit. nach Vogel, Gewerbefreiheit, die sich hier auf die wirtschaftlichen Analysen des preußischen Gewerbedepartements bezieht. Miecks im Anschluß an Treue entwickelte Beobachtung des Kuriosums eines doppelten Gegensatzes zwischen reaktionärer Staatspolitik und liberaler Bevölkerung sowie zwischen liberaler Wirtschaftspolitik des Staates und reaktionären Wirtschaftsvorstellungen der Bevölkerung bedarf, zumindest wenn Berlin und sein Bürgertum berücksichtigt wird, wohl dahingehend der Korrektur, daß von politischer Liberalität der Bevölkerung in dieser allgemeinen Form wohl kaum gesprochen werden kann. Ilja Mieck, Preußische Gewerbepolitik in Berlin 1806-1844. Staatshilfe und Privatinitiative zwischen Merkantilismus und Liberalismus (= VHKB, Bd. 20), Berlin 1965, S. 207. Wilhelm Treue, Wirtschaftszustände und Wirtschaftspolitik in Preußen 1815-1825 (= Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beih. 31), Stuttgart 1937, S. 5. 40 Klein, Reform, S. 117 ff. Mieck, Gewerbepolitik, S. 207 ff. Siehe auch Roehl, Handwerkerpolitik, S. 167 ff. Allgemein zum Verhältnis von uneingeschränkter Gewerbefreiheit und Frühliberalismus Reiner Koch, "Industriesystem" oder "bürgerliche Gesellschaft"? Der frühe deutsche Liberalismus und das Laisser-faire-Prinzip, in: GWU, 24. Jg. (1978), S. 605-628. Zum Versuch des Frühliberalismus, einen sozialverträglichen Weg zwischen völliger Zunftfreiheit und Zunftzwang zu finden auch Langewiesche, Frühliberalismus und Bürgertum 1815-1849, in: Bürgertum, S. 121 f.

1. Die Konkurrenz von Kommunal- und Gewerberecht

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Ungeachtet ihres entwicklungsfördernden Einflusses auf die Gewerbetätigkeit untergrub die Konkurrenz die Bürgertugenden, zumal gleichzeitig die Assoziationen und Verbindungen der Gewerbetreibenden ihre tradierten Funktionen zu verlieren drohten. 41 In der Freiheit der Berufsausübung trat der Gewerbetreibende der Gesamtheit gleichsam als Einzelwesen gegenüber, verlor er seine Bindung an den "Gesamt-Organismus" gesellschaftlicher Reproduktion. In der Verallgemeinerung der Freiheit mußte sich zwangsläufig "die Nation in eine große, wogende Masse auflösen".42 Der Verlust an Ordnung, der Mangel an bindenden Gehorsam, die Ignoranz gegenüber der Fürsorgepflicht für die heranwachsende Generation förderten in der Gesellschaft "einen Geist der Unruhe", anstatt die "Moralisierung" als höchstes Ziel menschlicher Existenz voranzutreiben. Sollte sich "die Freiheit als ein Zustand der Wohlfahrt bewähren", so war diese "notwendig und unumgänglich" zu regeln. 43 Nur durch die Ordnung in der Freiheit konnte die "selbständige Tendenz der allgemeinen Gewerbefreiheit" aufgehoben werden, welche die bürgerliche Gesellschaft ge spaltet und ihre Glieder in gewisse Gegensätze gebracht hatte. Die geordnete Freiheit sah Risch durch das Fruchtbarrnachen korporativer Bindungen gewährleistet. Gewerbliche Korporationen förderten "die zur Erhaltung des Staates so unentbehrliche Unterordnung des Einzelwillens unter den der Gesamtheit", nährten bei jedem Bürger die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Tätigkeit im allgemeinen Interesse und begründeten daher "feste und dauernde Verbindungen".44 Die Städteordnung konnte nach Auffassung des Berliner Stadtrats den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit nur erreichen, wenn es gelang, eine dauernde Verbindung der Gewerbetätigkeit mit den Kommunalverhältnissen auf korporativem Wege zu schaffen. Der auf seinen inneren Bestand bedachte Staat beruhte, so Risch, weit mehr 41 Otto Theodor Risch, Die Allgemeine Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845 und deren praktische Ausführung, namentlich mit Rücksicht auf die Innungs-Verhältnisse Berlins, Berlin 1846, S. 15; ders., Zünfte, Gewerbefreiheit, gewerbliche Vereine im Allgemeinen betrachtet und vergleichsweise zusammengestellt, Berlin 1843, S. 29 f. Risch gehörte dem Berliner Magistrat seit 1840 als besoldetes Mitglied an und war zunächst insbesondere mit den Bau-, Forst- und Ökonomiesachen betraut. Über zwei Jahrzehnte war Risch an leitender Stelle in der städtischen Baudeputation tätig, daneben leitete er zeitweilig die städtischen Deputationen für Park-, Garten- und Baumanlagen, für Straßenbefestigungen (Granitbahnbelegung), Straßendurchbrüche und Straßenreinigung. Risch dürfte damit für die Berliner Stadtentwicklung eine wichtige und zentrale Rolle gespielt haben. 1872 schied er aus dem Magistrat aus und wurde anschließend zum Stadtältesten ernannt. 42 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 16; Zünfte, S. 79. 43 A.a.O., S. 29, 81 u. 88 f. 44 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 14, 16 u. 18.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

auf vermögenden, wohlgeordneten Gemeinden und Korporationen als auf dem vereinzelt wirkenden Staatsbürger und Gewerbetreibenden. Zweckmäßige Kommunalordnungen sicherten die "wohlgegründete Verfassung", indem die Bürgerschaft "zum gesetzmäßigen Organ ihres Gemeinwesens" berufen wurde. Partizipation belebte den Gemeinsinn, bekämpfte den Eigennutz und gewährte in der Unterordnung des Einzelnen die Beförderung des Gemeinen. "Was aber geregelte Kommunen für den Staat", resümierte Risch diesen Gedanken, "das sind wiederum Korporationen, kleine geregelte Verbindungen mehrerer Bürger in den Städten für die Stadtverwaltung und für den Staat zugleich. Solche korporativen Verbindungen wissen nicht minder, den bürgerlichen Sinn für Ordnung und Recht und Gehorsam zu beleben und zu begründen".45 Selbst wenn jede Korporation einen Staat im Staate bildete, war dessen Zusammenhalt dadurch nicht gefährdet, sondern gestützt, da sich neben dem allgemeinen Interesse der Staatsbürger in den korporativen Gliederungen genuin gesonderte Interessen artikulieren konnten. Die theoretischen Erörterungen von Risch faßten, wenn sie auch einer späteren Zeit angehörten, gleichwohl die Haltung der kommunalen Bürokratie und eines sicherlich nicht geringen Teils der Bürgerschaft in der Frage des Verhältnisses von Kommunal- und Gewerberecht sowie dessen Bedeutung für die Verfassung von Staat und Gesellschaft zusammen. Die Aktualisierung ständischer Ordnungsbilder war ebenso wie die Aufgabe eines individualistischen Freiheitsbegriffs, der in seiner Ordnungsorientiertheit geradezu den später von Wilhelm Heinrich Riehl geprägten Begriff der "organisierten Freiheit" vorwegnahm,46 als eine konservative Wende gegen den Wirtschaftsliberalismus und die von ihm ausgelöste Dekorporierung der Gesellschaft zu betrachten. Konservativ hieß im Klima initiierter Modernisierung der Gesellschaft Wahrung des Bestehenden, bei deren Fortschreiten indessen Aktualisierung verlorener Werte. Der Rückgriff auf vorbürgerliche Orientierungsbilder war insofern restaurativ, als er die Autonomie der Partikularinteressen gegen die Einheit des Staates zu rechtfertigen und die lokalen wie korporativen Bindungen gegen die Organisationsformen einer sich zunehmend arbeitsteilig strukturierenden Gesellschaft zu verteidigen suchte. Man mußte sich zwar mit der Existenz neuer gewerblicher Vereine abfinden, aber da die Zünfte und Innungen sich auch in der Industrialisierung behaupten konnten, war anstelle einer unpro45 Risch, Zünfte, S. 76. Vgl. auch die resümierenden Bemerkungen zum sozialkonservativen Politik- und Gesellschaftsverständnis Rischs am Schluß des 7. Unterabschnitts dieses Kapitels. 46 Zu Riehls antirationalistischem, ständisch geprägten Gesellschaftsbild vgl. Eckart Pankoke, Sociale Bewegung - Sociale Frage - Sociale Politik. Grundfragen der deutschen "Sozialwissenschaft" im 19. Jahrhundert (= Schriftenreihe des Arbeitskreises für modeme Sozialgeschichte, Bd. 12), Stuttgart 1970, S. 115 ff.

1. Die Konkurrenz von Kommunal- und Gewerberecht

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duktiven Rivalität, der älteren, höhere Moralität und Sittlichkeit garantierenden Fonn der Korporation durch Refonn Priorität einzuräumen. 47 Die Belebung korporativer Bindungen war unterdessen nicht Ausgangspunkt einer ökonomisch-politischen Restauration, da die Gewerbefreiheit als solche nicht mehr in Frage gestellt und die Zwangs- und Bannrechte der vonnaligen Zunftverfassung als Hemmnis der gewerblichen Entwicklung abgelehnt wurde. Gesellschaftliche Gleichheit war tendenziell am wirkungsvollsten durch die Sicherung individueller Entfaltung garantiert. Der Fortbestand individueller Vorrechte und Begünstigungen wie Privilegien und Monopole behinderte nach Risch die Entwicklung des Nationalwohlstands, weshalb der Staat für die Freiheit der Personen, der Sachen und der Arbeit zu sorgen hatte. Ebenso mußte der Staat selbst daran gehindert werden, Monopole für sich in Anspruch zu nehmen oder sich an der Gewerbetätigkeit zu beteiligen. Nur die Unbeschränktheit der Gewerbefreiheit war zu verurteilen, da sie dem "allgemeinen Besten" widersprach. 48 Rischs Bemühen um einen Ausgleich zwischen Gewerbefreiheit und korporativer Organisation beinhaltete im Grunde genommen ein Konzept konservativer Sozialpolitik, das mit staatlichen Mitteln den durch die Gewerbefreiheit ausgelösten Strukturwandel in sichere Bahnen lenken sollte. Durch Förderung der beruflichen Bildung und gesetzliche Regulierungen sollte für eine hinreichende Qualifikation der Gewerbetreibenden sowie die erforderliche Kapitalausstattung der Betriebe gesorgt werden. Die korporative Organisation des mittelständischen Handwerks mußte darüber hinaus helfen, durch Leumunds- und Ausbildungsvorschriften sowie Qualifikationsnachweise "die Überfüllung der Gewerbe" zu beseitigen und damit dem Handwerk neben der industriellen Fabrikation eine sichere Existenz zu ennögliehen. Die Gemeinden sollten die Stabilität der Gewerbeverhältnisse unterstützen, indem ihnen gesetzlich das Geburts- und Heimatrecht als Instrument zur Regulierung der Gewerbetätigkeit überlassen wurde. 49 Die Notwendigkeit des Bürgerrechtserwerb bot den Kommunen dann auch die Möglichkeit, auf die Existenzgründungen Einfluß zu nehmen und die Gemeinden durch Bürgerrechtsgelder und Kautionen gegen einen weiteren Anstieg der Annenkosten abzusichern. 47 Risch, Zünfte, S. 83 ff. u. 108 f. Zur Entwicklung des Berliner Zunft- und Innungswesens nach Einführung der Gewerbefreiheit vgl. Jürgen Bergmann, Das Berliner Handwerk in den Frühphasen der Industrialisierung (= VHKB, Bd. 11), Berlin 1973, S. 35 ff. 48 Risch, Zünfte, S. 15 u. 24. Ders., Das Königliche Preußische SeehandlungsInstitut und dessen Eingriffe in die bürgerlichen Gewerbe, Berlin 1844, S. 27. Zur Auseinandersetzung Rischs mit der Seehandlung vgl. Wolfgang Radtke, Die preußische Seehandlung zwischen Staat und Wirtschaft in der Frühphase der Industrialisierung (= VHKB, Bd. 30), Berlin 1981, S. 304 ff. 49 Risch, Zünfte, S. 26 f., 31 f. u. 36 f.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

2. Stadtbürgerliche Allianz gegen die gewerbliche Freizügigkeit Das aus der praktischen Erfahrung gewonnene Programm sozialer Regulierung der Gewerbefreiheit sollte zumindest teilweise in der späteren Allgemeinen Gewerbeordnung Anerkennung finden. Die Versuche, das Bürgerrecht als allgemeines Instrument zur Regelung der städtischen Gewerbeverhältnisse zu nutzen, scheiterte indessen am staatlichen Widerstand. Rischs grundsätzliche Anerkennung der Gewerbefreiheit war in der Reformzeit noch weit davon entfernt, Akzeptanz im Berliner Stadtbürgertum zu finden. Im Gegenteil, von der preußischen Hauptstadt ging ein "Sturmlauf gegen Hardenbergs Gewerbegesetze,,50 aus, der im wesentlichen durch Konkurrenzängste geprägt war, seien sie nun örtlich durch die Aufhebung des Unterschieds zwischen Stadt und Land oder durch die Auflösung der branchenmäßigen Spezifizierung der handwerklichen Gewerbetätigkeit veranlaßt. 5l Die durch die merkantilistische Schutzzollpolitik des 18. Jahrhunderts geprägten Fabrikanten und Unternehmer wehrten sich gegen Importerleichterungen wie jeden Versuch, das Prohibitivsystem aufzuweichen oder gar gänzlich abzuschaffen. 52 Den schärfsten Protest gegen die Gewerbegesetzgebung löste die Ablösung der Realgerechtigkeiten aus, obwohl das Gewerbesteueredikt für die in den Hypothekenbüchern eingetragenen Gerechtigkeiten eine Entschädigung in Aussicht gestellt hatte. 53 Trotz dieser gesetzlichen Ankündigung glaubte sich der Staat zunächst nicht zur Entschädigung verpflichtet, da die Inhaber der Gewerbegerechtigkeiten bislang Privilegien zu Lasten der Konsumenten und möglicher Konkurrenten genossen hatten. Schließlich mußten hohe Entschädigungszahlungen die Zielsetzungen der Gewerbereform konterkarieren, insbesondere aber die Eröffnung konkurrierender Gewerbebetriebe in bisher geschlossenen Gewerbe- und Handwerkszweigen verhindern. 54 Die Furcht bisheriger Gewerbeprivilegierter, keine Entschädigung zu erhalten, war in den Städten wie den ländlichen Gemeinden weit verbreitet. Für die Gewerbetreibenden in Stadt und Land stellten die Realberechtigungen in der Vergangenheit das einzige Mittel der Kreditbeschaffung dar. In den Städten war in vielen Fällen der Gewerbebetrieb vom Besitz einer Bankgerechtigkeit abhängig gewesen. Da die Gewerbefreiheit die Ausübung 50 Roehl, Beiträge, S. 168. Zu den Protesten der Städte vgl. auch Rohrscheidt, Gewerbefreiheit, S. 406 ff. Ziekursch, Städteverwaltung, S. 193 ff. Klein, Reform, S. 197 f. Hans-Jürgen Belke, Die preußische Regierung zu Königsberg 1808-1850 (= Studien zur Geschichte Preußens, Bd. 26), Köln-Berlin 1976, S. 109 f. 51 Roehl, Beiträge, S. 136 f. 52 Mieck, Gewerbepolitik, S. 212 f. 53 § 17, Gewerbesteueredikt 1810. GS 1810, S. 83. 54 Vgl. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 18l.

2. Stadtbürgerliche Allianz gegen die gewerbliche Freizügigkeit

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eines Handwerks nicht länger von der Verpflichtung zum Erwerb einer solchen Gerechtigkeit abhängig machte, verloren diese ihren Kapitalwert. 55 Auf dem Land empfand man die Aufhebung der Mahl-, Getränkezwangsund Bannrechte sowie der sonstigen Zwangs-, Vertrags- und Zinspflichtverhältnisse als einen ebenso tiefen wie unberechtigten Eingriff in das Privateigentum, der sich auf die landschaftliche Kreditgewährung nachteilig auswirken mußte. 56 Das Staatsministerium versprach angesichts der massiven Kritik eine umgehende gesetzliche Regelung der Entschädigungsfrage. Als indes der Plan bekannt wurde, die Realgerechtigkeiten durch deren Verzinsung seitens neu ansiedelnder Gewerbetreibender abzulösen, erhoben die Städte schärfsten Protest. Nach dem vorgeschlagenen Entschädigungsgrundsatz sollten Gewerbetreibende in solchen Fällen, wo örtlich für eine beantragte Gewerbetätigkeit Gerechtigkeiten bestanden, nur dann einen Gewerbeschein erhalten, wenn sie eine solche käuflich erwarben oder, im Falle fehlender Verkaufsangebote, verzinsten. Mit den angesammelten Zinsbeträgen mußten die Gerechtigkeiten dann allmählich abgelöst werden, bis ein Gewerbe endgültig frei war. Gerechtigkeiten, deren Wert hingegen unter fünfzig Reichstaler lag, wollte die Ministerialbürokratie ohne weitere Entschädigung ablösen. In Berlin machte sich der städtische Protest gegen die Regierungspläne in stürmischen Versammlungen Luft, in denen man die Verpflichtung gewahrt wissen wollte, die Gewerbetätigkeit an den Gewinn des Bürgerrechts zu binden. Das städtische Bürgertum versuchte demnach, die in der Kommunalverfassung aufgerichtete Schranke der Gewerbefreiheit gegen die späteren liberalen gesetzlichen Regelungen zu behaupten. Deputierte der Berliner Kaufmannschaft und zahlreiche einzelne Gewerbetreibende erklärten öffentlich, nicht eher Gewerbescheine lösen zu wollen, bis die Regierung zu einer akzeptablen Regelung über die Entschädigung der Realrechte gekommen wäre. Die Ältesten der Reichskrämerinnung forderten ihre Berliner Mitglieder auf, vor der Bekanntgabe der Entschädigungsgrundsätze keine Gewerbesteuer mehr zu entrichten. 57 Staatskanzler Hardenberg verwarnte daraufhin ebenso die Ältesten wie er den Berliner Magistrat zurechtwies, weil die Kommunalbehörden den Protesten nicht entschieden genug entgegengetreten waren. Die kommunale Exekutive der preußischen Hauptstadt stand indessen auf Seiten der Unzufriedenen. In Berlin gab es wie in anderen Städten eine oppositionelle Allianz aus Magistrat und Stadtverordneten gegen die GeRoehl, Beiträge, S. 115 f. Steffens, Hardenberg, S. 150. A.a.O., S. 151 ff. Roehl, Beiträge, S. 116 f. u. 123 ff. Zur Entschädigung der gewerblichen Realrechte des platten Landes ebd. S. 144 ff. 57 Roehl, Beiträge, S. 119 f. 55

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

werbefreiheit. Die Gemeindevertretung bildete gleichsam ein Forum des städtischen Unwillens, denn die Städteordnung hatte nicht nur die politische Partizipation der wohlhabenden Schichten in der Gemeinde abgesichert, sondern gleichzeitig die Mitwirkungsrechte nach unten wesentlich erweitert, indem das Handwerk und der Kleinhandel in die Gemeindevertretungen einrückten. 58 Handwerksmeister, Destillateure, Brauer, Branntweinbrenner, Kleinhändler und Kaufleute nutzten die ihnen eröffneten Teilhabechancen gegen den, wie Barbara Vogel bemerkt, revolutionären, weil rechtsbrechenden Zug der Reformgesetzgebung. 59 Privilegienverluste, Konkurrenzängste, Entschädigungsforderungen und Bedenken gegen die Ablösung korporativer Bindungen, die im Hinblick auf die Zünfte auch ein Gutteil sozialer Sicherheit beinhalteten, mobilisierte das gerade erst mit politischen Mitwirkungsrechten ausgestattete Stadtbürgertum gegen die gewerbliche Modernisierung. Den rechtlichen Hebel für das retardierende Verhalten der kommunalpolitischen Einflußgruppen lieferte die Städteordnung, die der städtischen Bevölkerung ja nicht allgemeine Partizipationschancen eröffnete. In ihrer Hausbesitz und Gewerbe bevorzugenden Fundierung dokumentierte das Kommunalrecht ein "gesellschaftspolitisches Programm",60 das nicht nur die politische Teilhabe auf eine mehr oder weniger begrenzte Schicht des städtischen Bürgertums monopolisierte, sondern die Städte strukturell im Zustand korporativer Verfaßtheit beließ. Durch die partielle, d.h. durch eine fehlende Bürgerrechtspflicht begründete, politische Ausgrenzung des Bildungsbürgertums oder, wie Koselleck es formuliert, den Schnitt zwischen Staats- und Stadtbürgertum,61 wurden die Städte bzw. die partizipierenden städtischen Schichten noch intensiver als wirtschaftliche Interessensgenossenschaft exponiert. Die Opposition der städtischen Körperschaften und des sie politisch tragenden Städtebürgertums gegen die Gewerbereform scheint auf den ersten Blick die These Wehlers 62 vom Stadtbürgertum als "Bollwerk des Traditionalismus" gegen Galls Befund einer gesteigerten, alte korporative und soziale Schranken überwindende Dynamik der bürgerlichen Lebenswelt63 zu 58 Zur sozialen Zusammensetzung der Gemeindevertretungen vgl. unten Kap. 5, Unterabschnitt 2. 59 Vogel, Gewerbefreiheit, S. 18l. 60 Obenaus, Anfänge, S. 49. 61 Koselleck, Preußen, S. 575. 62 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 177. Vgl. auch Jürgen Kocka, Bürgertum und Bürgerlichkeit als Problem der deutschen Geschichte vom späten 18. zum frühen 20. Jahrhundert, in: Bürger und Bürgerlichkeit im 19. Jahrhundert, hrsg. von dems., Göttingen 1987, S. 22 f. 63 Gall, Vom alten zum neuen Bürgertum, S. 7 f.

2. Stadtbürgerliche Allianz gegen die gewerbliche Freizügigkeit

231

bestätigen. Im Affront gegen den erklärten Wirtschaftsliberalismus der Ministerialbürokratie schienen sich eher defensive Grundhaltungen, soziale Abkapse1ung und Innovationsfeindlichkeit64 als neues Bürgerbewußtsein, die Idee der zukünftigen "klassenlosen Bürgergesellschaft,,65 und sozialökonomischer Modernisierungswille zu zeigen. Ungeachtet der definitorischen Schwierigkeiten hinsichtlich des Bürgertumsbegriffs und der problematischen Differenzierung zwischen Honoratioren, Mittel- und Kleinbürgertum auf der einen, Bürgerliche, Bourgeoisie und Bürgertum auf der anderen Seite, auf welche bei der Untersuchung der Stadtverordnetenwahlen nochmals zurückzukommen sein wird, muß die Stellung der städtischen Gesellschaft und ihrer politisch-rechtlich privilegierten Schichten zum Reformprozeß im konkreten Zusammenhang mit den Problemen des Wandels und seinen Wirkungen gesehen werden. Die idealtypische Durchdringung des politisch-gesellschaftlichen Gebildes "Stadt,,66 wie die analytische Aufschließung der inneren Struktur des Stadtbürgertums, seiner Reproduktionsbedürfnisse und Handlungsmaximen, seiner Antriebskräfte und Konfliktlinien, seiner Erwartungshaltungen und Äußerungen, sollte nicht auf der Grundlage stereotyper, aus der Gegenwart abgeleiteter Erkenntnismuster vorgenommen werden. Generalisierbare und Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. I, S. 191. Gall, Bürgertum, S. 10. 66 Problematisch ist Galls Versuch einer Städtetypologie, welche die Städte nach ihren Hauptmerkmalen in sechs Typen unterteilt: Handels- und Gewerbestadt, frühindustrielle Gewerbestadt, Industriestadt, Residenz- und Verwaltungs stadt, Universitätsstadt sowie Städte von relativer Rückständigkeit. Gall versäumt es, genaue Kriterien für die Zuordnung und Abgrenzung zu entwickeln. Mehr phänomenologisch beschreibend, registriert er Differenzen in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur, in der politischen und ökonomischen Entwicklung, im gesellschaftlichen und politischen Selbstverständnis der Bürger, in der Rechtsstellung und Verfassung der Städte, ohne daß Wege aufgezeigt werden, wie aus der Beobachtung unterschiedlicher Entwicklungsformen operationalisierbare Parameter für die Typisierung gewonnen werden können. Vgl. Gall, Bürgertum, S. 4 f.; ebenso in der Einleitung zu Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modemen Gesellschaft (= HZ, Beih., Bd. 16), hrsg. von L. Gall, München 1993, S. 3 f. Dort auch die richtige Kritik an der Städtetypologie von Paul Nolte und insbesondere Carola Lipp, a. a. 0., S. 120. Allgemein zu den Typologien und Klassifikationssystemen von Städten, insbesondere den kulturhistorischen Stadttypen und funktionellen Stadtklassifikationen vgl. Elisabeth Lichtenberger, Stadtgeographie, Bd. I, Begriffe, Konzepte, Modelle, Prozesse, 2Stuttgart 1991, S. 38 ff. Vgl. auch die ältere Zusammenfassung von Rene König, Die Gemeinde im Blickfeld der Soziologie, in: HBdkWuP, Bd. I, S. 34 ff. Von der älteren ökonomisch-funktionellen Städtetypologie immer noch wichtig Wemer Sombart, Der modeme Kapitalismus, Bd. 3,1, München-Leipzig 1927. Neudruck München 1987, S. 399 ff. Zur Typologisierung der Berliner Verwaltungsbezirke im Zeitalter der Hochindustrialisierung vgl. Grzywatz, Arbeit und Bevölkerung im Berlin der Weimarer Zeit. Eine historisch-statistische Untersuchung (= VHKB, Bd. 63), Berlin 1988, S. 116 ff. 64 65

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

übergreifende Tendenzen werden stets, soweit nicht ein teleologischer Volontarismus das Erkenntnisinteresse vorantreibt, aus der Eigenheit des historischen Prozesses zu gewinnen sein. Damit sind aber auch die Bedingungen und Entwicklungspotentiale retardierender und antizipatorischer Tendenzen, das Spannungsverhältnis zwischen Beharren und Fortschreiten im Zusammenhang geschichtlich formulierter Zielsetzungen zu erschließen. Vor diesem Hintergrund erweisen sich im übrigen die methodisch-theoretische Differenz oder gar die analytische Konkurrenz zwischen dem Blick von oben bzw. unten nur als unterschiedliche, in der Summe indessen sich ergänzende perspektivische Paradigmen. Der preußische Reformprozeß mag durchaus mit Hilfe des dichotomischen Begriffspaares Fortschritt und Reaktion untersucht werden, solange man jedoch das Ziel einer evolutionären gesellschaftlich-politischen Modernisierung nicht als "Phraseologie" abtut,67 müssen die auf den ersten Blick der einen oder der anderen Richtung subsumierbaren Motivierungen und Handlungen der gesellschaftlichen Schichten und Eliten in ihrem Verhältnis zu anderen, nicht weniger bedeutsamen, mitunter proklamierten Faktoren des Wandels reflektiert werden. Angesichts der unmittelbaren bürgerlichen Lebenswelt ist hierbei ebenso an gesellschaftliche Stabilität und Integration wie an die Notwendigkeit bestimmter Formen sozialer Sicherheit und die finanzielle Absicherung des Reformprozesses, nicht zuletzt im Hinblick auf die Neuordnung des Verhältnisses zwischen staatlicher und kommunaler Administration zu denken. Die mit der Gewerbefreiheit verbundene Aufhebung des Zunftzwangs erschütterte beispielsweise nicht nur die Stellung der Zunftmitglieder, was wiederum Restitutionsforderungen auslöste, sondern gleichzeitig stellte sich das Problem, die Berufsqualifikation zukünftig abzusichern und allgemein verbindliche Ausbildungsvorschriften zu erlassen. Es mußte demnach sowohl dafür gesorgt werden, daß einerseits die Berufsqualifikation nicht als Instrument gegen die Niederlassungsfreiheit genutzt wurde, andererseits hingegen ein institutioneller Rahmen geschaffen werden, um eine qualifizierte Lehrlingsausbildung zu garantieren, die möglichst mit einem gewerblich-wissenschaftlichen Unterricht auf Gewerbe- bzw. polytechnischen Schulen zu verbinden war. 68 Gewiß spielten in diesem Zusammenhang auch Klagen des städtischen Handwerks eine Rolle, die im Zuge der Unbeschränktheit der Lehrlingsannahme Schwierigkeiten hatten, Gehilfen zu finden, oder die überhaupt nicht 67 So K. von Raumer im Hinblick auf Hardenbergs konzeptionelle Zielsetzungen. Vgl. ders., Zur Beurteilung der preußischen Reformen, in: GWU, 18. Jg. (1967), S.339. 68 Vgl. dazu Risch, Zünfte, S. 52 f.

2. Stadtbürgerliche Allianz gegen die gewerbliche Freizügigkeit

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mit der ungewohnten Konkurrenzsituation zurecht kamen. Die Ministerialbürokratie konnte keineswegs darauf vertrauen, wie es anfangs in ihren Reihen durchaus verbreitete Meinung war, daß die an einer bestimmten Gewerbetätigkeit Interessierten, sich schon selbst die erforderlichen Kenntnisse aneignen würden. 69 Langfristig mußte die Berufsausbildung in geordnete Bahnen gelenkt werden, wie es mit den Gewerbeordnungen nach 1845 Schritt für Schritt realisiert und durch die Begründung der Gewerbeschulen wie die Eröffnung des Berliner Gewerbeinstituts Anfang November 1821 unterstützt wurde. 7o Und im übrigen half die Gewerbegesetzgebung ebenso die tradierten Schutz- und Abwehrfunktionen der Zünfte zu mobilisieren wie sie zu ihrer Sanierung beitrug, indem die eröffnete berufliche Mobilität die überfüllten Korporationen entlastete. Ohne Frage bedurften auch die finanziellen Folgen der Zunftauflösung einer Regelung. Zwar war der Staat in diesem Fall grundsätzlich verpflichtet,71 die Verbindlichkeiten der aufgelösten Zünfte zu übernehmen, aber bei der unübersichtlichen Lage ihrer Vermögensverhältnisse war nicht abzusehen, ob nicht auch die Kommunalkassen in der einen oder anderen Weise beansprucht wurden. Gegen weitere finanzielle Belastungen des städtischen Haushalts konnten und wollten sich die städtischen Körperschaften nicht hergeben. Bei der Reform des Kommunalrechts war das Moment der Staatsfinanzierung ja ein wichtiger Impulsgeber. Die Lasten der den Städten übertragenen Gemeindeangelegenheiten wurden auf die Kommunalhaushalte abgewälzt, daneben mußten die Gemeinden die nicht unerheblichen Kosten der Polizei- und Justizverwaltung übernehmen. Nach verbreiterter städtischer Ansicht war die Verstaatlichung der kommunalen Gerichtsbarkeit und der Ortspolizeiverwaltung mit einer Übernahme der entsprechenden Verbindlichkeiten und der zukünftigen Kosten zu koppeln. 72 Eine Neuordnung der staatlichen Finanzen, die eine Entlastung der städtischen Etats einschloß, war bei der Einführung der Gewerbefreiheit indessen noch nicht absehbar. Erst 1820 sollte das Gesetz über die EinrichVogel, Gewerbefreiheit, S. 180. Siehe Hans Joachim Straube, Die Gewerbeförderung in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit besonderer Berücksichtigung der Regierungsmaßnahmen, Diss., Berlin 1933, S. 11 ff. Mieck, Gewerbepolitik, S. 38 ff. Peter Lundgren, Techniker in Preußen während der frühen Industrialisierung. Ausbildung und Berufsfeld einer entstehenden sozialen Gruppe, Berlin 1975, S. 24 ff.; ders., Die Berufsausbildung des technischen Beamten und des Wirtschaftsbürgers, in: Preußische Reformen, S. 231 ff. 71 § 201, T. 2, Tit. 7 ALR. Ausgabe Berlin 1825, Bd. 3, S. 326. 72 Vgl. dazu auch Oskar Eggert, Stände und Staat in Pommern im Anfang des 19. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe 5: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, H. 8), Köln-Graz 1964, S. 304 f. 69

70

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

tung des Abgabenwesens den Städten eine geregelte Erleichterung verschaffen?3 Da die Stadt Berlin in einem Augenblick, wo sie bereits hochverschuldet war, mit weiteren nicht unerheblichen finanziellen Anforderungen konfrontiert wurde, mochte es verständlich sein, wenn das städtische Bürgertum auf die Gefährdung des Handwerks durch die freie ländliche Konkurrenz mit einer mehr oder weniger aggressiven Abwehrhaltung reagierte. Erstaunlich blieb unterdessen, wie nachhaltig und anhaltend sich der kommunale Widerstand gestaltete. Die Intensität des retardierenden Moments läßt erkennen, daß es nicht allein um haushaltspolitische Vorbehalte und ebensowenig um eine ausschließlich interessenorientierte Bestandswahrung ging, welche zudem die enge Kooperation zwischen der Kommunalbürokratie, der handwerklichen Gewerbetätigkeit und dem schutzgewohnten Fabrikantenturn offenlegte. Vielmehr war selbst in einem Zentrum des Widerstands, wie es Berlin darstellte, der Versuch einer gestaltenden Einflußnahme auf die Handhabung der Gewerbefreiheit zu beobachten, der es nicht um die rückwärtsgewandte Verteidigung des Status quo, sondern um eine Verbindung zwischen dem Alten und Neuen ging und damit um eine Lösung der auch von der Ministerialbürokratie zu diesem Zeitpunkt noch ungelösten Frage des Verhältnisses von Gewerbefreiheit, geordneter Berufsqualifizierung und Ausbildungsförderung. 74 Allerdings kann keine Rede davon sein, daß das Stadtbürgertum sich geschlossen einer differenzierten Reaktion auf die Folgen der Gewerbefreiheit befleißigte. Neben der kurzsichtigen, konkurrenzabwehrenden Interessenartikulation einzelner Gewerke und Handwerksmeister sowie den Forderungen Berliner Fabrikanten nach Importbeschränkungen im Handel mit solchen Ländern, die nicht dem Reziprozitätssystem Genüge leisteten,75 fielen Äußerungen im Kreis der Kommunalkörperschaften, welche eher einem restaurativen Duktus folgten, oder die sich, unter Anerkennung der Gewerbefreiheit, um eine vermittelnde Position bemühten. Diese unterschiedlichen Haltungen lassen sich deutlich an den Denkschriften einzelner Berliner Ausführlicher dazu im nächsten Abschnitt. So auch Ernst Allmenröder, Das politische Leben in den brandenburgischen Provinziallandtagen unter Friedrich Wilhelm I1I., Phi!. Diss., Frankfurt/M. 1922, S. 16. Siehe auch Vogel, Gewerbefreiheit, S. 182 f. Das bereits vorgestellte Konzept des Berliner Stadtrats Risch, die Grewerbefreiheit durch korporative Bindungen zu beschränken, ging davon aus, daß der Innungs- oder Zunftbeitritt allein ..ein Akt freiwilliger Entschließung" sein konnte, die Beschränkung indessen in der Verpflichtung bestand, Befähigungsnachweise und Ausbildungszeiten bindend vorzuschreiben, und insofern ..den leichtfertigen Unternehmen eine gesetzmäßige Schranke entgegen(zu)setzen". Risch, Zünfte, S. 33 u. 68 f. 75 Zur Opposition der Berliner Industrie gegen die staatliche Freihandelspolitik vg!. Mieck, Gewerbepolitik, S. 213 ff. 73

74

2. Stadtbürgerliche Allianz gegen die gewerbliche Freizügigkeit

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Stadträte ablesen: So liegt Stadtrat Dracke mit seiner Denkschrift über die Nachteile der Gewerbefreiheit eher im Banne der konservativen Kritik eines von der Marwitz, der durch die Liberalisierung der Gewerbetätigkeit "noch größere Schrankenlosigkeit und größere Freiheit zum Bösen eröffnet,,76 sah, da an die Stelle der alten Unterordnung und des Gehorsams, die Freiheit, die Gleichheit und der Hochmut getreten"77 war, während Stadtrat Knoblauch in seiner Kritik nicht den Boden der Gewerbefreiheit verließ, sondern sie durch die Konstituierung einer geordneten Berufsausbildung und die Einführung von Befähigungsnachweisen zu ergänzen suchte. 78 Die gesetzlich fehlenden Regelungen über die Lehr- und Gesellenverhältnisse suchte die Ministerialbürokratie zunächst durch das Gewerbepolizeiedikt auszugleichen. Grundsätzlich erfolgte die Gewerbescheinvergabe und das Recht zur Ausbildung von Lehrlingen bzw. die Beschäftigung von Gesellen unabhängig von der Zunftzugehörigkeit. Die Ordnung der Lehr- und Gesellenverhältnisse überließ das Gesetz der freien Vereinbarung oder der örtlichen Gewohnheit. An Stelle der alten Lehrbriefe und Kundschaften durften Lehrlingen und Gesellen, die ihr Ausbildungs- bzw. Arbeitsverhältnis beendeten, vom Lehrherrn oder Meister Leistungs- und Führungszeugnisse verlangen, die indessen von der Ortspolizei verwaltung in vorgeschriebener Form beglaubigt werden mußten. 79 Auf diese Weise hofften die Ministerialbehörden, den Schikanen zünftiger Meister den Boden entzogen zu haben, welche diese den Unzünftigen auf Grund fehlender Regelungen zur Lehrlings- und Gesellenbeschäftigung bereitet hatten. 8o Der Austritt der Zünftigen aus den Innungen mußte durch schriftlichen Antrag beim jeweiligen Vorstand erfolgen. Mit diesem Schritt erlosch allerdings nicht die Mithaftung für die vorhandenen Verbindlichkeiten der be76 Von den Ursachen der überhandnehmenden Verbrechen. Mit einer Schilderung des Kulturzustandes der Mark Brandenburg, Dezember 1836, in: Friedrich Meusel, Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Ein märkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege, Bd. 2,2, Berlin 1913, S. 453. 77 A. a. 0., S. 454. Vgl. auch die Marwitzschen Anmerkungen zur dritten Rede Hardenbergs vor den Konvozierten vom 7. September 1811, a.a.O., S. 118. 78 Vgl. Richard Knoblauch, 175 Jahre Knoblauchsches Haus. Aus Tagebüchern und Akten des Familienarchivs, in: ZVGB, 53. Jg. (1936), S. 123. Treitschkes Charakterisierung Knoblauchs (Deutsche Geschichte, Bd. 3, S. 376) als "ständischer Wortführer" der Berliner Stadtverordneten und sein Versuch, den Stadtrat in eine Reihe mit der altständischen Opposition um von der Marwitz zu stellen, ist sicherlich überzogen und geht an Knoblauchs klarem Verständnis über die notwendige Verknüpfung von Gewerbefreiheit und Ausbildungsreform vorbei. Siehe auch Allmenröder, Leben, S. 16. 79 Ziff. 6-8 u. 10-11, Gesetz über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe, in Bezug auf das Edikt vom 2. November 1810, wegen Einführung einer allgemeinen Gewerbesteuer, vom 7. September 1811. GS 1811, S. 264. 80 Roehl, Beiträge, S. 130.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

treffenden Zunft. Durch einfachen Mehrheitsbeschluß der Meister konnte eine Verbindung aufgelöst werden, vorausgesetzt der Stadtmagistrat hatte nach der Bekanntgabe dieser Absicht nicht eine fehlende Regelung zu den Verbindlichkeiten der Korporation festgestellt. Das Zunftvermögen war in jedem Fall für die Tilgung der gemeinsamen Schulden zu verwenden. Ein eventuell verbliebenes Restvermögen betrachtete das Gesetz als freies Vermögen der Mitglieder, das, soweit keine Realgerechtigkeiten vorlagen, zu gleichen Teilen aufzuteilen war. Bei vorliegenden Realgerechtigkeiten verfiel das Restvermögen dem Ablösungsfond. 81 Die Landespolizeibehörde war zur jederzeitigen Aufhebung einer Zunft berechtigt. Sie hatte indessen auch das Recht, zu gemeinnützigen Zwecken "alle Gewerbetreibenden gewisser Art" zu einer Korporation zu vereinigen. 82 Nach den Untersuchungen Roehls kann für die Zeit bis 1825 keine Anwendung des staatlichen Rechts zur Aufhebung oder Errichtung von Innungen festgestellt werden. Eine Ausnahme stellten nur die Korporationen der Kaufmannschaften in den größeren Städten dar, deren Vereinigungen zwischen 1820 und 1825 aufgelöst wurden. Den Anfang machte man in Berlin, 1821 folgte Stettin und in den sich anschließenden Jahren Danzig, Memel, Tilsit, Königsberg, Elbing und Magdeburg. Im Anschluß an die Auflösungsverfügungen wurden dann jeweilig Zwangsvereinigungen ins Leben gerufen, die auf der Grundlage verordneter Statuten sämtliche Personen mit kaufmännischen Rechten organisierten. 83 Streitigkeiten über die Grenzen der Gewerbekonzessionen übergab das Gesetz ebenfalls den Polizeibehörden zur Entscheidung. Die Basis der Gewerbeberechtigung bildete zukünftig allein der Inhalt der Gewerbescheine. Die unproduktive Differenzierung der Gewerbetätigkeiten, welche insbesondere die technische Entwicklung in einzelnen Produktionszweigen behinderte, sollte damit ebenso ein Ende finden wie die vormals zahllosen Handwerkerprozesse. 84 Auf das von den Städten so heftig kritisierte Fehlen einer hinreichenden Entschädigung für die Ablösung der Realgerechtigkeiten reagierte das Gewerbepolizeigesetz mit der Anordnung eines Schätzungsverfahrens. Danach wurden die Stadtverordneten verpflichtet, den Preis jedes abzulösenden Rechts unter dem Stichtag des 1. November 1810 zu taxieren. Die Magistrate mußten diese Einschätzungen begutachten und anschließend der zuständigen Bezirksregierung zur Bestätigung vorlegen. Gegen den bestätigten Schätzwert war in der Regel keine Beschwerde mehr zulässig. 85 Die Schät81

266. 82

83 84 85

Ziff. 19, 24-27 u. 39, Lit. a, Gewerbepolizeigesetz 1811. GS 1811, S. 264Ziff. 29 u. 31, a. a. 0., S. 265. Roehl, Beiträge, S. 131. Ziff. 57 u. 58, Gewerbepolizeigesetz 1811. GS 1811, S. 269. Ziff. 34-36, a. a. 0., S. 266.

2. Stadtbürgerliche Allianz gegen die gewerbliche Freizügigkeit

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zungen sollten sich nur auf den eigentlichen Wert der Berechtigungen beziehen, das Grundeigentum samt seiner Ausstattung war davon ausgeschlossen. Neben dem auf diese Weise ermittelten Wert wurden die auf der Gerechtigkeit haftenden Gefälle und Abgaben, soweit sie in die Hypothekenbücher eingetragen waren, mit 4,5 Prozent kapitalisiert, als entschädigungsberechtigt angesehen. Der festgestellte Gesamtwert sollte vom I. Dezember 1810 bis zur erfolgten Ablösung mit 4,5 Prozent verzinst werden. Sämtliche Personen, die ein entsprechendes Gewerbe im Polizei bezirk ihrer Stadt betrieben, mußten vom genannten Stichtag bis zur endgültigen Ablösung neben der staatlichen Gewerbesteuer jährlich 6 Prozent des Gesamtwerts der für ihre Gewerbe in der jeweiligen Stadt vorhandenen Gerechtigkeiten aufbringen. Von diesen Aufwendungen wurden 1,5 Prozent in einen Ablösungsfonds angesammelt, während die übrigen 4,5 Prozent zur Verzinsung der nicht abgelösten Berechtigungen verwandt wurden. Nicht die sogenannten Freimeister, welche man eigentlich als die Gewinner der Gewerbefreiheit ansehen mußte und folglich auch in erster Linie zur Aufbringung der Entschädigungen hätte heranziehen können, trugen die Ablösungslasten, sondern die Gesamtheit der Gewerbetreibenden. Die Berechtigten mußten demnach sowohl zur Finanzierung ihrer eigenen Ablösung als auch zur Finanzierung der nicht mehr ausgeübten Berechtigungen beitragen. 86 Über die Höhe der Beiträge der einzelnen Gewerbetreibenden zur Ablösung und Verzinsung der Gewerbegerechtigkeiten sollten sich die Betroffenen selbst einigen. Wenn eine Einigung nicht zustande kam, waren die Magistrate zum Eingreifen verpflichtet, indem sie die Beiträge nach Maßgabe der von den Gewerbetreibenden zu entrichtenden Gewerbesteuer umlegten. Die Entschädigungsbestimmungen erwiesen sich in der Praxis als schwer handhabbar: Sie gingen teilweise von falschen Prämissen aus, entsprachen nicht den verschiedenen Modalitäten in den Städten und im übrigen war das Verfahren überhaupt zu kompliziert gestaltet, so daß die angestrebte Ausführung häufig auf Irrtümern beruhte. Die zugesagte Verzinsung der ermittelten Gerechtigkeitswerte verursachte zudem bis zur völligen Ablösung enorme Kosten. 87 Außerdem blieb die erwartete konstruktive Mitarbeit der städtischen Körperschaften aus. Magistrate und Gemeindevertretungen verhielten sich mitunter obstruktiv, da sie mit Hilfe der Entschädigungsfrage die Gewerbefreiheit insgesamt zu behindern gedachten. 88 86 Ziff. 38 u. 39, Lit. b, a.a.O., S. 266 f. Vgl. Klein, Refonn, S. 112. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 209. 87 Zur Höhe der Entschädigungsansprüche in einzelnen Städten vgl. beispielsweise Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 178 f. 88 Vogel, Gewerbefreiheit, S. 207. 17 Grzywatz

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Die Großzügigkeit, mit der das Gewerbepolizeigesetz die Entschädigungsfrage löste, ist entgegen Barbara Vogels Auffassung nicht auf unklare Vorstellungen über die innerstädtischen Verhältnisse zurückzuführen. Schließlich unterlag die Gewerbeentwicklung einer laufenden Beobachtung und anhand der Berliner Verhältnisse waren sicherlich auch unmittelbare Eindrücke zu gewinnen. Was die Ministerialbürokratie aber nicht absehen konnte, und hierin ist Vogel zu folgen,89 waren die Wirkungen der staatlich postulierten Gewerbefreiheit. Die Hoffnungen auf modernisierende Impulse, auf einen schnellen Entwicklungsschub durch den entfesselten Gewerbefleiß trogen. Es sollte noch einer längeren Durststrecke bedürfen, ehe Preußen nach einer durch den proklamierten Freihandel ausgelösten tiefen Krise der Wirtschaft staatlicherseits das "Leitbild der gärtnerischen Pflege eines Wachstums,,90 entwickelte und mit Hilfe des allgemeinen Gewerbeförderungssystems Mitte der dreißiger Jahre auf der Grundlage eines einheitlichen Binnenmarktes den Anschluß an die westeuropäische Industrie gewann. 91 In den unmittelbar auf die Gewerbegesetzgebung folgenden Jahren stellte sich keine rasche Zunahme der Freimeister ein. Sie konnten daher auch nicht als die erwarteten Gewinner der Gewerbefreiheit einen wesentlichen Beitrag zur Regelung der Entschädigung leisten. In den Städten existierten vornehmlich exklusive Gewerbeberechtigungen in handwerksorientierten Branchen, die wenig wachstumsorientiert waren. Große Entschädigungsbeiträge waren hier nicht zu erwarten, so daß entweder auf eine staatliche Ablösung zurückgegriffen oder den Städten eine Möglichkeit eröffnet werden mußte, über zusätzliche Steuern die Ablösegelder aufzubringen. 92 Doch vorerst gelang es den Ministerialinstanzen nicht, sich auf ein praktikables Lösungsmodell zu einigen, wodurch die Klagen des Stadtbürgertums über die Gewerbefreiheit neue Nahrung erhielten.

A. a. 0., S. 208. Erich Egner im Geleitwort zu Ulrich Peter Ritter, Die Rolle des Staates in den Frühstadien der Industrialisierung. Die preußische Industrieförderung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (== Volkswirtschaftliche Studien, H. 60), Berlin 1961, 89

90

S.6.

Hierzu im einzelnen Mieck, Gewerbepolitik, S. 43 ff. u. 225 ff. Eine solche Lösung in Höhe der von ihnen gezahlten Gewerbesteuern strebte Staatsrat Johann Gottfried Hoffmann für die komplizierten Entschädigungsverhältnisse Breslaus an. Der Ausbruch der Befreiungskriege verhinderte jedoch die Ausführung. Das Stadtbürgertum war mit dem Ablösungsplan jedoch nicht voll zufrieden, da keine staatlichen Hilfen vorgesehen waren, Ausgleichsabgaben jener Gewerbetreibenden fehlten, die in ein an Gerechtigkeiten geknüpftes Gewerbe neu eintraten, und eine Belastung der Landhandwerker auch nicht vorgesehen war. Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 186 ff. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 209. 91

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3. Mittelstandsorientierte Ordnungspolitik der Kommunalkörperschaften

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3. Mittelstandsorientierte Ordnungspolitik der Kommunalkörperschaften

Der wirtschaftliche und soziale Konservativismus seitens eines Teils der Kommunalbürokratie und des Berliner Stadtbürgertums, der durchaus im Widerspruch zur bescheidenen Liberalität der Städteordnung stand, wurde durch eine Denkschrift des hauptstädtischen Stadtrates Christoph Karl Dracke93 unterstrichen. Im April 1818 verfaßt, wurde sie am 4. August 1819 dem Minister für ständische und Kommunal-Angelegenheiten Wilhelm von Humboldt vorgelegt. 94 Dracke erklärte den Wunsch nach der Rückkehr zu einer "gesetzlich beschränkten" Gewerbeverfassung durch die Qualitäten des preußischen "Nationalcharakters", die sich nun einmal in der "Liebe zu alten Gewohnheiten" ausdrückten. Vor dem düsteren Bild einer seit Einführung der Gewerbefreiheit äußersten Lockerung der bürgerlichen wie allgemeinen Verhältnisse, in deren Folge sich die Moralität der Menschen nicht nur verschlechtert, sondern sich die kommunalen Armenlasten auch durch leichtsinnige Gewerbegründungen außerordentlich vermehrt hatten,95 zeich93 Dracke, der von 1783 bis 1785 in Halle die Rechte studiert und anschließend bis 1787 als vereideter Protokollführer beim Gesamtgericht Marwede gearbeitet hatte, trat im Juli 1787 als Auskultator in die Kommunalverwaltung Berlins ein, wurde im April des folgenden Jahres als Referendar und 1791 bei der Vormundschafts-Deputation des Magistrats mit 100 Talern Gehalt verpflichtet. Im selben Jahr erfolgte seine Wahl zum Stadtrat und die Amtseinführung. Durch die Kabinetts-Ordre vom 28. Oktober 1805 wurde er zum Mitglied der Königlichen ServisKommission ernannt. Nach Einführung der Städteordnung gehörte er zu den wiedergewählten Mitgliedern des Magistrats, 1821 wurde Dracke abermals auf zwölf Jahre zum Stadtrat gewählt, ohne daß er diese Dienstperiode bis zum Ende erlebte. Dracke starb am 31. Juni 1831. Vgl. Ernst Berner, Denkschrift des Berliner Stadtraths Dracke über die Nachtheile der Gewerbefreiheit aus dem Jahre 1818, in: SVGB, H. 31, Berlin 1894, S. 170. 94 A.a.O., S. 171-180. 95 Den Zusammenhang zwischen Gewerbefreiheit und Abnahme der Moralität glaubte Dracke durch die Zunahme der Inhaftierungen nachweisen zu können. Im Jahre 1805 lag die jährliche Aufnahme der Stadtvogtei bei 3837 Fällen, 1817 hatte sich diese Zahl auf 6732 Fälle erhöht. Die Gründe für das Anwachsen der Kriminalität dürften jedoch weit komplexerer Natur sein. Die Zahl der unterstützten Armen hatte im gleichen Zeitraum von 4099 auf 5000, die der Waisenkinder von 978 auf 1462 zugenommen. Die Ausgaben des Armendirektoriums waren allein in den zwei Jahren von 1815 bis 1817 von 66950 auf 97663 Taler angestiegen. E. Berner, Denkschrift, S. 177. Diese Kostensteigerungen konnten nicht den Folgen der Gewerbefreiheit allein zur Last gelegt werden, von wesentlicherer Bedeutung waren die allgemeinen Nachkriegsverhältnisse, insbesondere aber Berlins Funktion als Gamisonsstadt. Vgl. dazu Die öffentliche Armenpflege in Berlin. Mit besonderer Beziehung auf die vier Verwaltungs-Jahre 1822 bis 1825, dargestellt von der Armen-Direktion, Berlin 1828, S. 227 ff. 17'

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

nete der Berliner Stadtrat ein ideales Bild der zünftigen Gewerbeeinrichtung. "Die Erfahrung lehrt allen denen", führte Dracke aus, "die vermöge ihrer Verhältnisse das Thun und Treiben und das bürgerliche Leben und den Verkehr genau zu beobachten Gelegenheit hatten, daß vor Einführung der Gewerbefreiheit die Existenz eines Jeden, der Erwerb und die Erhaltung der Familien sicherer begründet war, mehr innerer Wohlstand überall herrschte, bessere, strengere Sitten und Betragen zwischen Brotherrn und Diener, zwischen Lehrherrn und Lernenden walteten, unbedingter die Befehle der vollziehenden Gewalt befolgt und allgemeiner und größer die Achtung gegen- und untereinander war".96 Offensichtlich bewegten das kommunale Beamtentum und mit ihm Teile des Bürgertums Irritationen und Unsicherheiten über eine wirtschaftliche Reform, die unzweifelhaft als einschneidender Umbruch empfunden wurde. Die Auflösung der korporativen Bindungen, die sozialen und ökonomischen Unwägbarkeiten, der Aufstieg neuer sozialer Gruppen und Schichten riefen Gefühle der Haltlosigkeit hervor, die, wie auch aus anderen Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs bekannt ist, im Verein mit den Schwierigkeiten langfristiger Orientierung nach der Rückkehr der erst aufgehobenen Sozialbindungen rufen lassen. "Wer dem Volke das Gefühl seiner Stärke giebt, ohne dasselbe in dem nämlichen Augenblick mit der Einsicht begaben zu können, die ihm Mäßigung empfiehlt, wird diese Stärke bald in Wuth ausbrechen sehen", warnte Stadtrat Dracke. 97 Da Preußens Bürger im Gewerbebetriebe nicht frei sein wollen,98 konnte sich das durch die neue Wirtschaftsverfassung geschaffene "System der Gleichheit" nur in "eine(r) größere(n) Leichtigkeit, sich zu hassen",99 verwirklichen. Die Gewerbefreiheit hatte, was Dracke nicht direkt ausspricht, erhebliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Gemeindeparlaments, da sie zwangsläufig zur Ausdehnung des Bürgerrechts führte und durch die Aufnahme kleinerer gewerblicher Existenzen die politischen Zielsetzungen der Städteordnung zu erschüttern drohte. Hierauf wird gleich zurückzukommen sein. Dem Vorwurf, mit der Beschränkung der Gewerbefreiheit die Freiheit der Menschen einzuengen, begegnete Dracke mit dem Hinweis, daß nur der Mensch frei sei, "der unter dem Schutze einer weisen Regierung und den Gesetzen des Staates sicher ist für Eingriffe in sein Eigenthum, der sicher ist, die Früchte des Erlernten bei fleiß und Ordnung ungestört zu genießen, wo nur in geregelter Form Gleichheit erreicht wird". 100 Die Rückgewinnung eines "sicheren Gewerbes" stellte sich Dracke so vor, daß der Status Bemer, Denkschrift, S. 172. Aa.O., S. 17l. 98 A a. 0., S. 173. 99 A a. 0., S. 176. )00 Aa.O., S. 176 f. 96

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3. Mittelstandsorientierte Ordnungspolitik der Kommunalkörperschaften

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der Gewerbetreibenden, die vor dem Zeitpunkt der Wiederautbebung der Gewerbefreiheit ihre Tätigkeit aufgenommen hatten, erhalten bleiben sollte, lediglich die Meistergelder waren nachzuzahlen. Für diejenigen, die unter der neuen Gewerbeverfassung mit einer handwerksmäßigen Beschäftigung beginnen wollten, traten erneut die alten Gewerksvorschriften mit Lehre, Prüfungen und obligatorischer Gewerksaufnahme in Kraft. Gewerbe, die keinen Ausbildungsvorschriften unterlagen, sollten nur noch auf Grund einer erteilten Konzession ausgeübt werden können. 101 Gleichzeitig gedachte Dracke der Erhebung der alten Gewerksgebühren für Geburts- und Lehrbriefe und Gesellenkundschaften wieder aufzunehmen, wodurch der Stadtkasse nicht unerhebliche Gelder zugeführt wurden, die vor allem der Armenpflege zugute kamen, während man den Staat auf diese Weise von seinen Ausgleichszahlungen an die Charite entlastete. Dracke sah einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den geregelten Einnahmen des Staates aus der Steuererhebung und der Restitution der älteren Gewerbeverfassung. "So wie jeder Untertan", bemerkte der Berliner Stadtrat mit Blick auf die fiskalischen Folgen der Gewerbeverfassung, "so ist auch der Gewerbetreibende verpflichtet, die vom Staat geforderten Abgaben willig zu leisten und zur Befriedigung der vermehrten Bedürfnisse des Staates beizutragen. Er muß, kann und wird alle an ihn gemachten Anforderungen um so leichter erfüllen, um so bereitwilliger leisten, wenn die frühere sich seit Jahrhunderten zum Besten der Gewerbetreibenden bewährte Verfassung geläutert, den Zeiten anpassend hergestellt und die Gewerbe in geregelten Formen mit Sicherheit des Gewerbes getrieben werden können. Der Staat kann alsdann nicht nur auf sicheren Eingang der Gewerbesteuer rechnen, sondern solche nach Bedürfnis erhöhen und früher gehabte, gewohnte und gern geleistete Abgaben wieder einführen und auf richtigen Eingang bauen".102 Die Reformbürokratie ließ sich weder durch die negative Schilderung der städtischen Gewerbe- und Sozial verhältnisse noch durch die in Aussicht gestellten höheren Steuereinnahmen beeindrukken. Selbst die Forderungen einzelner Fabrikanten, welche, veranlaßt durch konjunkturelle Beeinträchtigungen ihrer Unternehmenstätigkeit, die Rückkehr zur merkantilistischen Gewerbeförderung verlangten, konnten die Ministerialbehörden nicht zum Einlenken bewegen. 103 Hardenberg machte den Berliner Magistrat zu Recht darauf aufmerksam, daß die von ihm beobachteten Erscheinungen der ansteigenden Immoralität und der steigenden Armenlasten vornehmlich auf die Kriegsfolgen zurückgeführt werden mußten. Im übrigen würden "geschickte und fleißige Hand101 102 103

A.a.O., S. 181. A. a. 0., S. 178 f. Vgl. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 217 f.

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werker" auch in einem sich verschärfenden Konkurrenzkampf zu bestehen wissen, auch stand es ihnen frei, neue zeitgemäße Vereinigungen zu gründen. 104 Das Gewerbepolizeigesetz hatte ja in der Tat die Möglichkeit zur Umgestaltung der alten Zünfte offen gelassen, indem aus "gemeinnützlichen" Rücksichten landespolizeilich die korporative Vereinigung von "Gewerbetreibenden gewisser Art" genehmigt werden konnte. In diesem Fall bestand eine Beitrittsverpflichtung sämtlicher Gewerbetreibenden der betreffenden Branche. 105 Die Kommunen hatten diese "Pforte zum Handeln und Wirken", wie Stadtrat Risch später bemerkte, indessen kaum beachtet. Städtische Deputierte schlugen im Januar 1819 gegenüber Regierungsvertretern vor, die gewerbliche Niederlassung in der Stadt an die Voraussetzung einer Einzahlung bei der Sparkasse in bestimmter Höhe abhängig zu machen, wenn schon nicht an eine Aussetzung der Gewerbefreiheit und ein Zuzugsverbot "armer Familien" zu denken war. Das Staatskanzleramt ging auf diese Vorstellungen der Berliner Gemeindevertreter nicht ein und lehnte schon jede mittelbare Beschränkung der Gewerbefreiheit ab. Die kommunale Kritik an der Gewerbefreiheit erhielt zu Beginn der zwanziger Jahre, nachdem sich mit der Einsetzung der Kronprinzenkommission zur Ausarbeitung der Provinzialständegesetze endgültig die restaurative Wende in Preußen durchsetzte,106 unerwartete Hilfe von höchster staatlicher Seite. Die Ende Oktober 1821 einberufene Kommission sprach sich gegen die Gewerbefreiheit aus und plädierte für die Wiedererrichtung von Zünften. Da die Machtverhältnisse und die politische Tendenz in den seit 1824 konstituierten Provinzialständen ein solches Vorhaben zu begünstigen schienen, konnten sich die Kommunalkörperschaften Berlins berechtigte Hoffnung auf eine Beseitigung der freien Konkurrenz machen. Auf dem ersten brandenburgischen Landtag wiederholte der Berliner Stadtrat earl Knoblauch,107 unterstützt durch einen Antrag der Gemeinderepräsentation, die Vgl. Klein, Reform, S. 119. § 31, Gewerbepolizeigesetz 1811. GS 1811, S. 265. 106 Obenaus, Anfänge, S. 151 ff. 107 Carl F. Knoblauch (1793-1859) war Seidenfabrikant. Er gehörte dem brandenburgischen Provinziallandtag seit 1824 an und nahm insbesondere an den Beratungen zur Revision der Gewerbe- und Städteordnung teil. Knoblauch wurde später zum Geheimen Finanzrat ernannt, während die städtischen Körperschaften Berlins ihn zum Stadtältesten machten. Peter Graf von Itzenplitz-Kunersdorf, der Vater des späteren preußischen Handelsministers, Heinrich Graf von Itzenplitz, brachte Knoblauch mit Freiherr vom Stein in Verbindung und machte diesem auch die Entwürfe Knoblauchs zur Gewerbe- und Städteordnung zugänglich. Vgl. Hubatsch/Walithor, Stein, Bd. 6, S. 865 u. 928; Bd. 7, S. 94 u. 111. Neben Knoblauch wurde Berlin noch durch den Apotheker David Emilius Heinrich Koblank und Stadtrat Heinrich Andreas de Cuvry auf dem Provinziallandtag vertreten. Koblank erhielt 1825 erstmals ein Stadtverordnetenmandat. Er wurde in den Jahren 1828, 1831 und 1834 wiedergewählt. Zwischen 1836 und 1862 gehörte er dem Berliner Magistrat als 104 105

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kommunalen Bedenken gegen eine fast schrankenlose Gewerbefreiheit und deren negative Einflüsse auf die einheimische Gewerbetätigkeit. Knoblauch zielte zwar nicht auf eine völlige Abkehr von der bisherigen Gewerbepolitik ab, dachte aber daran, die Grundsätze der Gewerbefreiheit mit demjenigen zu verbinden, was sich in der alten Zunftverfassung als nützlich bewährt hatte, um daraus eine neue, dem Bedürfnis der Zeit angemessene Gewerbeordnung zu gestalten. 108 Zukünftig wollte Knoblauch die Gewerbekonzessionen von einer Berufsprüfung abhängig machen und die Gewerbetreibenden zur korporativen Vereinigung verpflichten. Die Korporationen waren nach der "Gleichartigkeit der Gewerbe" zu bilden, Unterabteilungen nach der "Eigentümlichkeit der Handwerke", aus denen sie sich zusammensetzten. Die Abnahme der Berufsprüfungen wollte er den Korporationen übergeben. Während in den Städten die Gewerbetätigkeit durch die Berufsqualifizierung weder grundsätzlich noch beim Übergang von einem zum anderen Gewerbe beschränkt werden sollte, forderte Knoblauch für die ländlichen Gemeinden, die Gewerbeerlaubnis von einer Bedarfsprüfung abhängig zu machen und den Kleinhandel einzuschränken. Diese Revision verletzte nach Knoblauchs Ansicht weder erworbene Rechte noch berührte sie die nicht zunftmäßig erlernte Gewerbetätigkeit. Die frühere kleinliche Abgrenzung zwischen verwandten Gewerben blieb ebenso aufgehoben wie die Praxis, zu den Gewerken nur eine begrenzte Mitgliederzahl zuzulassen. Darüber hinaus waren die Gewerke nicht mehr vom Besitz einer Realgerechtigkeit abhängig. 109 Die Berliner Vorschläge fanden auf dem Landtag in sämtlichen vertretenen Ständen die Mehrheit. Nur eine Minderheit widersprach der konservativen Auffassung, die Einführung der Gewerbefreiheit mit dem Verlust von Unterordnung und Gehorsam gleichzusetzen. 1 10 Der Entwurf einer allgemeinen Gewerbeordnung sollte nach Beschluß des Provinziallandtages auf folgenden Grundsätzen beruhen: Stadtrat an. Rumpf, Landtags-Verhandlungen der Provinzial-Stände in der Preußischen Monarchie. 8. Folge, Berlin 1832, S. 86 u. 203. Pahlmann, Anfänge, S. 160, 235, 241, 246 u. 252. Das aktive und passive Wahlrecht zur ständischen Provinzialrepräsentation war an Gewerbe und Grundbesitz sowie die Ausübung eines leitenden Kommunalamts gebunden. Ein Prinzip, das nur im Bereich der Städteordnung durchbrochen wurde, da hier die Stadtverordneten-Versammlungen als Wahlkörper fungierten. Vgl. dazu Obenaus, Anfänge, S. 167 ff. 108 Zum Protokoll des Landtags vom 8. Dezember 1824 vgl. Allmenröder, Leben, S. 18. Rumpf, Die Gesetze wegen Anordnung der Provinzialstände in der Preußischen Monarchie. 1. Folge, Berlin 1826, S. 33 f. Siehe dazu auch Obenaus, Anfänge, S. 217. Koselleck, Preußen, S. 595. 109 Allmenröder, Leben, S. 34, Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 22 f. 110 Obenaus, Anfänge, S. 218.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

1. Niemand sollte eine selbständige Gewerbetätigkeit ohne Nachweis der erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten ausüben.

2. Es waren Korporationen nach der Gleichheit der Gewerbe zu bilden, zu denen eine Beitrittsverpflichtung bestand. 3. Der Kleinhandel, insbesondere der Verkaufshandel, sollte beschränkt werden. II I Die Staatsregierung reagierte auf die zahlreichen Klagen über die "Gewerbeanarchie" mit der im Landtagsabschied vom 17. August 1825 erklärten Absicht, schnelle gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen und schon dem nächsten Landtag den Entwurf eines Gewerbepolizeigesetzes vorzulegen. 112 Die Vorarbeiten hatte eine interministerielle Kommission bereits im Juli 1823 aufgenommen. Die Arbeiten zogen sich unterdessen bis in die erste Hälfte der dreißiger Jahre hin. Zwischenzeitlich forderten die Landtage wiederholt zur Revision der Gewerbefreiheit auf und insbesondere die Berliner Abgeordneten mahnten die in Aussicht gestellten gesetzgeberischen Maßnahmen an. Die Berliner Gemeinderepräsentation erhielt auch von anderer Seite Unterstützung. So schloß sich Freiherr vom Stein nachdrücklich den Vorstellungen Knoblauchs an. Die vorgeschlagene Form korporativer Vereinigung in den Städten nannte er, sobald die Mißbräuche zünftiger Bindung beseitigt waren, "nützlich zur Lehre, zur Zucht und Gehorsam, zur Bürgerehre".ll3 In seiner Denkschrift zum Entwurf eines "zweckmäßigen Gewerbepolizei-Gesetzes"ll4 anerkannte Stein im Gefolge der Physiokraten und der Smithschen Nationalökonomie zwar die Bedeutung der Gewerbefreiheit für die Entwicklung des auf individueller Initiative beruhenden Nationalreichtums, aber ungeachtet ihrer staatswirtschaftlichen Wirkungen mußten die nachteiligen sittlichen Folgen der uneingeschränkten Gewerbefreiheit durch entsprechende Anordnungen ausgeglichen werden. Unter "möglichster Berücksichtigung der natürlichen Freiheit und des Fortschreiten des Kunstfleißes" sollte der Staat vor allem der Verarmung der Gewerbetreibenden und ihrer sittlichen Herabwürdigung zuvorkommen. In seinen praktischen Vorschlägen folgte Stein den Vorstellungen Knoblauchs: Qualifikationsnachweise und gewerbliche Verbindungen ohne Mitgliedszwang und Beitrittsbeschränkungen sollten der handwerklichen Tätigkeit zu Grunde gelegt, gleichzeitig das Ausbildungs- und Prüfungswesen verbessert werden. Der zweite brandenburgische Provinziallandtag wies 1827 auf den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Städte- und Gewerbeordnung hin. Da 111 112 113 114

Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 22. A.a.O., S. 22 f. Hubatsch-Wallthor, Stein, Bd. 6, S. 865. Steins Denkschrift datiert vom 2. Januar 1826, in: A. a. 0., S. 923-930.

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einzelne Bestimmungen der Städteordnung "ihre wahre eigentliche Begründung erst in einer neuen angemessenen Gewerbeordnung" finden konnten, mußte die Revision der Gemeindeverfassung zunächst unvollständig bleiben.l\S Zwei Jahre später klagten die Provinzialstände erneut über die weiter zunehmende Zahl der Gewerbetreibenden, die ohne hinreichende Qualifikation "nur nach dem leicht zu erlangenden selbständigen Leben" griffen, schließlich der Verarmung anheimfielen und dadurch zu einer weiteren Belastung der Gemeindehaushalte beitrugen. Die Aussichtslosigkeit dieser Existenzen gefährdete die soziale Integrität der Kommunen, indem sie Täuschungen über schlechte Waren beförderten und zu einer Gefährdung der Sitten wie der Kindererziehung beitrugen. I 16 Die Berliner Kommunaladministration legte der Ministerialbürokratie daraufhin einen eigenen Gesetzentwurf vor, der noch restriktivere Beschränkungen verlangte, als sie in den Landtagsvorschlägen aufgenommen worden waren. 117 Neben dem Zwang zum Ablegen einer Prüfung und dem Innungsbeitritt sollten, trotz der ausdrücklichen Versicherung, daß der Zunftzwang aufzuheben war, beispielsweise die Arbeiten im Tischlergewerbe wieder an die Deklarationen des 18. Jahrhunderts gebunden werden. Lehrlinge und Gesellen mußten den Nachweis einer bestandenen Prüfung erbringen, während die Aufnahme branchenfremder Gesellen in das Tischlergewerbe von der Einstellung eines entsprechenden, bereits zum Meister geprüften Gesellen abhängig gemacht wurde. 118 Gegen derart weitgehende restaurative Forderungen erhob sich in der Öffentlichkeit Widerspruch. Die Besserung der konjunkturellen Verhältnisse und der wachsende Wohlstand, insbesondere nach Gründung des Zollvereins, mochte dazu beigetragen haben, die Front der Gegner zu verringern. I 19 Wenngleich das Stadtbürgertum die Wirtschaftsverhältnisse als durchaus befriedigend empfand,120 so schätzten die Handwerksgesellen und Arbeiter die Lage anders ein. Als es im Gefolge der Julirevolution Mitte September 1830 aus Anlaß einer willkürlichen Polizeiaktion zu einem mehrtägigen Aufruhr in Berlin kam, beklagten sie die modeme Massenfabrikation der maschinellen Webereien, die das Weberhandwerk zu Grunde richten würden. In ihrer Hilflosigkeit gegenüber dem Wandel der Gewerbeverhältnisse wurde unter den Gesellen der Ruf laut, "die Maschinerien in England" zu zerstören, welche für den Zustrom billiger Massenprodukte nach Preußen Rumpf, Verhandlungen, 4. Folge, S. 3 f. A. a. 0., 7. Folge, S. 28. Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 23. ll7 Obenaus, Anfänge, S. 487. 118 A.a.O., S. 24. Vgl. auch Mieck, Gewerbepolitik, S. 210 f. 119 Koselleck, Preußen, S. 597. Friedrich-Wilhelm Henning, Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, Paderbom 1973, S. 78. 120 Knoblauch, 175 Jahre, S. 47. 115

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verantwortlich gemacht wurden. Überhaupt sollte die Aufstellung neuer Maschinen verboten werden. 121 Die Handwerker waren unterdessen nicht nur mit den Folgen der fortschreitenden Industrialisierung unzufrieden, sondern kritisierten auch die ungerechte Kommunalbesteuerung. Eine drückende Belastung sah man vor allem in der Mietsteuer, deren Aufhebung die Handwerksgesellen ebenso forderten wie die der eher unbedeutenden Hundesteuer. 122 Unter die Klagen über drückende Steuern und Fabrikenkonkurrenz mischten sich indes auch Stimmen, welche die Abschaffung der absoluten Monarchie forderten. 123 Die Rufe nach der Konstitutionalisierung und der versprochenen, aber bislang versagten Nationalrepräsentation blieben jedoch vereinzelt. Preußen wurde nicht von der Verfassungsbewegung der kleineren nord- und mitteldeutschen Staaten erfaßt, trotzdem war die Zufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen keineswegs so ungetrübt, "wie man aus der allgemeinen Stille wohl schließen mochte",124 was die konservative Zeitreflexion sehr wohl wahrnahm. 125 Der im linksrheinischen Stadtbürgertum angesessene David Hansemann vermittelte dem preußischen Monarchen in einer "Denkschrift über Preußens Lage und Politik im Dezember 1830" das Bild einer durch Vermögen und Bildung seiner selbst bewußt gewordenen Klasse, die schon auf Grund ihrer Steuerkraft zum staatstragenden Element avanzierte. Den Städten kam nach Hansemann durch das in ihnen vereinigte Wissen eine weitaus größere Bedeutung als dem Land zu. Kaufleute und Fabrikanten, die im Kriegsfall oder bei bürgerlichen Unruhen alles zu verlieren hatten, boten der Monarchie eine zumindest ähnlich starke Stütze wie der Grundadel. Da sich jede vernünftige Regierung auf die Mehrheit des Vermögens und der Bildung gründen sollte und die Mehrheitsherrschaft sich bereits durch den Beamtenstaat zu verwirklichen begann, forderte Hansemann, dem BürgerVgl. dazu Mieck, Reformzeit, S. 528. Knoblauch, 175 Jahre, S. 49. Ebd. Vgl. auch Treitschke, Geschichte, Bd. 4, S. 179 f. Zur Kommunalbesteuerung ausführlich im nächsten Abschnitt. 123 Knoblauch, 175 Jahre, S. 49. Mieck, Reformzeit, S. 527 f. Karl übermann, Die Volksbewegung in Berlin in den Jahren 1830-1832, in: Berliner Heimat, 4 (1956), H. 3, S. 13. 124 Treitschke, Geschichte, Bd. 4, S. 188. Treitschke folgend Nipperdey, Geschichte 1800-1866, S. 375, ohne jedoch die bei Treitschke entwickelten Momente politischer Kritik aufzunehmen. 125 Hartwig Brandt, Die Julirevolution (1830) und die Rezeption der "principes de 1789" in Deutschland, in: Revolution und Gegenrevolution 1789-1830. Zur geistigen Auseinandersetzung in Frankreich und Deutschland, hrsg. von R. Dufraisse (= Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 19), München 1991, S. 232. Der von Brandt behauptete tiefe Einschnitt, den die Julirevolution politisch darstellte, darf indessen für Preußen bezweifelt werden. 121

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turn eine politische Vertretung in einem Zweikammersystem zu geben. Das System sollte sich aus der von den Höchstbesteuerten gewählten Repräsentation und dem aus den Majoratsbesitzern und Vertrauensmännern der Krone zusammengesetzten Oberhaus bestehen. 126 Hansemann, obwohl eher an der Rolle des großbürgerlichen Unternehmertums orientiert, nahm hier Gedanken vorweg, die Dahlmann nur wenige Jahre später systematisch in seiner "Politik" entwickeln sollte. Das sich in den Städten konstituierende Bürgertum, Treitschke nennt es in Anlehnung an die zeitgenössische Diskussion treffend "neuer Mittelstand",127 bildete den Kern der Bevölkerung. Diesen, wie Dahlmann es formuliert, stets an Gleichartigkeit wachsenden Kern, hatte jede Regierung vornehmlich zu beachten, da in ihm gegenwärtig der Schwerpunkt des Staates ruhte. 128 Stadtrat Risch nahm diese Vorstellung Dahlmanns auf. Ein Staat, der durch seinen von unten nach oben gegliederten Aufbau politisch zweckmäßig eingerichtet war, konnte nach Risch nur dann von Dauer sein, wenn sich dessen Verfassung hauptsächlich auf den Mittelstand gründete. Er bildete den größten Teil des Volkes und mußte bei fortschreitender Kultur "immer vernünftiger" werden. Als ausgleichende Kraft verdiente der sich vorwiegend auf dem Bürgertum gründende Mittelstand "die meiste Beachtung" der Staatsgewalt, da er weder wie der wohlhabende Adel zu "ehrgeizigen Entwürfen" noch wie die Armut zu politischen Umwälzungen neigte. Der Staat konnte sich folglich, ohne daß die allgemeine Wohlfahrt darunter litt, auf den bürgerlichen Mittelstand stützen, und jede Regierung sollte, so Risch, nichts unterlassen, um ihn vorzugsweise zu fördern und auf diese Weise "eine wohl begründete Verfassung" zu erhalten. 129 Der Begriff des Mittelstands umriß weder bei Dahlmann noch bei Risch ein empirisch begründetes, fest umrissenes Sozial- und Klassenprofil. Die Annahme wachsender Gleichartigkeit stimmte auch keineswegs mit der 126 Abdruck des Memorandums von Hansemann bei Joseph Hansen, Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung, 1830-1850, Bd. I, 1830-1845, Essen 1919. Neudruck Osnabrück 1967, Bd. 1. Vgl. dazu Treitschke, Geschichte, Bd. 4, S. 187 f. 127 A.a.O., S. 188. Siehe auch Nipperdey, Geschichte 1800-1866, S. 387. Brandt, Julirevolution, S. 230. Der Begriff ist nicht mit jenem späteren der entfalteten Industriegesellschaft zu verwechseln, der in Abgrenzung gegen die Arbeiterklasse die untere Angestellten- und Beamtenschicht als "neuen Mittelstand" (Büro-, Kontor- und Verkaufspersonal, Techniker, Postbeamte etc.) vom Kleinbürgertum als "alten Mittelstand" (Handwerksmeister, Gastwirte, Berufe des Kleinhandels etc) abhebt. Vgl. dazu Kocka, Bürgertum, S. 31 f. Grundlegend ders., Die Angestellten in der deutschen Geschichte 1850-1980. Vom Privatbeamten zum angestellten Arbeitnehmer, Göttingen 1981. 128 Dahlmann, Politik, S. 200. 129 Risch, Zünfte, S. 75.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

Realität der sich entwickelnden Industriegesellschaft überein, aber in der allgemeinen gesellschaftlichen Einordnung entsprach die Wahrnehmung des Stadtbürgertums den politisch-sozialen Gegebenheiten des Vormärzes. Noch bei Riehl bestand das sich im herrschaftsfreien Raum der Gesellschaft entwickelnde Bürgertum aus der Summe der wirtschaftlich Unabhängigen und Tätigen, einerlei, ob das Unternehmerrisiko auf mobilem Kapital beruhte oder sich in akademische bzw. technische Bildung übersetztem Kapital offenbarte.!30 Der Berliner Stadtverordnete Daniel Alexander Benda entwarf im Vormärz ein Schichtungsbild, nach dem sich die gesamte Gesellschaft dichotomisch in Eigentümer und Nichteigentümer aufspaltete. Die Nichteigentümer waren Sache, sogar Eigentum der Eigentümer und von deren "zustimmende(r) Gnade" abhängig, selbst Eigentum zu gewinnen. Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Dichotomie unterteilte Benda die Gewerbetreibenden seiner Zeit in "Reiche und Geschäftsmänner" sowie die ,,Klassen des Mittel- und ärmeren Standes".!3! Bei Risch wurde der Bürgertumsund Mittelstandsbegriff indessen in einen deutlichen Zusammenhang mit der ökonomischen Lage der im Handwerk fundierten selbständigen Gewerbetätigkeit gestellt. Mittelstand bezeichnete bei ihm nicht mehr eine allgemeine schichtenunspezifische Klassenlage, sondern zielte tatsächlich auf das gegen die städtische "Geldaristokratrie", "Handelsnobilität" sowie das industrielle Großunternehmertum 132 opponierende mittelständische Handwerk, dessen Selbständigkeit in angemessener Weise zu schützen war.!33 130 Wilhelm Heinrich Riehl, Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Sozialpolitik, Bd. 2, Die bürgerliche Gesellschaft, 2Stuttgart-Tübingen 1854, S. 200 ff. (Gekürzte Neuausgabe Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1976). Dazu insbesondere Henning, Bürgertum, S. 15 ff., 34 f. u. 90 ff. Als selbständige Veröffentlichung entstand Riehls Werk schon 1851. Das Beamtenturn grenzte Riehl scharf vom Bürgertum ab, da es als Schicht von der Staatsgewalt geschaffen wurde. Nach Henning führt diese Separierung zu einer Vernachlässigung der sozialen Zusammenhänge zwischen beiden Gruppen und, soweit die Bildung, wie etwa bei Bluntschli, zum allgemeinen Schichtungsmerkmal erhoben wird, zu einem widersprüchlichen Bürgertumsbegriff. A. a. 0., S. 26 f. u. 35 f. Zur Bedeutung des Mittelstandsbegriffs in der Wahlrechtsreforrndiskussion gegen Ende des 19. Jahrhunderts vgl. Kap. 9, Unterabschnitt 5. 131 Daniel Alexander Benda, Robert Peel's Finanzsystem oder Ueber die Vorzüge der Einkommensteuer im Gegensatze zu Staats-Anleihen und Zinsreduktion, Berlin 1842, S. 87 u. 103. Näheres zu Benda im nächsten Abschnitt. 132 Siehe auch Benda, Die Zettelbank, in: Berlinische Nachrichten, NT. 18, Ausgabe vom 22. November 1846. C.F. Schildknecht, Vorschläge, S. 8. L.I. Levinstein, Ein Beitrag zu den finanziellen Fragen der Gegenwart, Berlin 1847, S. 5. Zur Schichtung des gewerblichen Unternehmertums Berlins und dessen Einordnung als Mittelstand vgl. Hartrnut Kaelble, Berliner Unternehmer während der frühen Industrialisierung. Herkunft, sozialer Status und politischer Einfluß (= VHKB, Bd. 40), Berlin-New York 1972, S. 172 ff. Zum Begriff der Geldaristokratie a.a.O., S. 146 f.

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Die städtisch-bürgerliche Gesellschaft wurde von Risch, obwohl er sich bewußt war, daß er sich nicht auf "das ganze Bürgertum,,134 bezog, noch nicht als die offene Gesellschaft des entfalteten Industrialismus wahrgenommen, in der das Stadtbürgertum, ungeachtet seiner schichtenspezifischen Differenzierung, als kulturelle Seinsweise definiert wurde,135 die ihre äußere Form in der Stadt fand, während ihre Administrierung in der erklärten Allgemeinheit ihrer Aufgaben zumindest dem Anspruch nach einer vordergründig schichtengebundenen Kommunalpolitik entrückt war. Die im Vormärz angestrebte Verbindung von Kommune und Gewerbe, die einerseits von einem auf beiden Seiten mehr oder weniger ausgeprägten Wirtschaftsliberalismus, andererseits von dem Bemühen der Kommunalbürokratie beeinfIußt war, den Widerstand gegen die Gewerbefreiheit durch deren Regulierung einzuschränken, bewegte sich noch in den Bahnen familiär inspirierter Ordnungsmuster 136 und jenem politisch-pädagogischen Leitbild des älteren Kommunalrechts, nach dem von der Vorbildhaftigkeit korporativer Partizipation eine generelle Belebung des kommunalpolitischen Lebens erhofft wurdeY7 Rischs Ordnungsmodell schloß einen Gegensatz von Kommunalbeamtenturn und Bürgertum aus. Die enge Verknüpfung zwischen der Kommunalordnung und der angestrebten korporativen Bindung des gewerblichen Lebens als konstitutive Momente staatlicher Stabilität brachte diese beiden Gruppen in einen engen politisch-sozialen Zusammenhang, auf dessen Grundlage gemeinsame Werthaltungen und Verhaltensweisen ein festes Band gemeinsamer Schichtenzugehörigkeit entstehen ließen. Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit und grundsätzliche Leistungsbereitschaft, verbunden mit Gemeinsinn, Respektierung des Allgemeininteresses, Gehorsam, Zucht, Ordnung und Ruhe I38 stellten beidseitig akzeptierte Werte dar, die 133 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 77. Nach 1848 spielte im Schichtungsbild des gewerblichen Unternehmertums die Binnendifferenzierung keine tragende Rolle mehr, an deren Stelle trat die Dichotomie von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Vgl. Kaelble, Unternehmer, S. 176 ff. 134 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 77. Risch plädierte im übrigen dafür, auch für die Industrie "eine vollkommene Rechtsordnung" zu schaffen. A. a. 0., S. 75. l35 Vgl. dazu Kockas Versuch, den Problemen bei der Definition des Bürgertums durch kulturelle Deutungsmuster zu begegnen. Bürgertum und Bürgerlichkeit, S. 43 ff. 136 Vgl. auch Wolfgang Kaschuba, Zwischen Deutscher Nation und Deutscher Provinz. Politische Horizonte und soziale Milieus im frühen Liberalismus, in: Liberalismus im 19. Jahrhundert, S. 91 f. 137 Siehe auch die Bemerkung von Risch: "Durch Innungen sollen auch die Kommunen ein frisches Leben gewinnen, und die neue Gewerbe-Ordnung wird, wenn sie lebendig ins Leben tritt, sofort auch eine Belebung der Städteordnung begründen". Gewerbe-Ordnung, S. 79. 138 Siehe a. a. 0., S. 77 ff. u. 83.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Refonnzeit

dem Kommunalbeamtenturn und dem Bürgertum ein Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit verliehen. 139 Die staatstragende Rolle des Mittelstands hatte schon im süddeutschen Liberalismus Niederschlag gefunden. Karl von Rotteck erklärte zu Beginn der dreißiger Jahre in seiner "Schutzrede für die Zunftverfassung" vor der Ersten Kammer der badischen Ständeversammlung, daß ein ökonomisch gesichertes Handwerk dem Staat die sichere Grundlage eines unabhängigen Verlangens nach gesetzlicher Freiheit bot und gegen gewaltmäßige Umwälzungen eine "instinktmäßige Abneigung" zeigte. Die Vernichtung der Zünfte mußte zum "Kampf aller gegen alle" führen, dem nur mit einer Reglementierung des Prinzips der Gewerbefreiheit begegnet werden konnte. 140 Das Stadtbürgertum akzeptierte wohl die Gewerbefreiheit, war sich auch darüber einig, daß Zunftbeschränkungen der Vergangenheit angehörten, dennoch betonte man die sozialordnenden Funktionen der Korporationen und versuchte, ihnen eine zeitgemäße Form zu geben. Es ging aber um mehr als einen Ausgleich zwischen Gewerbefreiheit und korporativer Bindung. Die Wahrnehmung des Mittelstands als stabilisierende Kraft und die aus dieser Sicht begründete Notwendigkeit seiner Absicherung, welche auch den Staat in die Pflicht nahm, qualifizierte das Stadtbürgertum als staatstragend. Man behauptete nicht die Identität von Volk und Bürgertum, ließ sich nicht durch den Gegensatz von Individuum und Staat, von Freiheit und Staat leiten und lehnte im übrigen aber das Mißtrauen gegen den Staat ab. 141 Man muß sich fragen, ob die vom Kommunalrecht geschaffenen Partizipationsformen und die mit ihnen einhergehenden Bindungen der Städte an den Staat, die im Bereich der Orts139 Es dürfte wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß dieses Bewußtsein von Gemeinsamkeit in erster Linie die kommunalen Eliten und das Stadtbürgertum verband. 140 Hans-Peter Franck, Zunftwesen und Gewerbefreiheit. Zeitschriftenstimmen zur Frage der Gewerbeverfassung im Deutschland der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Wirtschafts- u. sozialwiss. Diss., Hamburg 1971, S. 138. Vgl. auch HansUlrich Thamer, Emanzipation und Tradition. Zur Ideen- und Sozialgeschichte von Liberalismus und Handwerk in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Liberalismus in der Gesellschaft des deutschen Vonnärz, hrsg. von W. Schieder (= Geschichte und Gesellschaft, Sonderh. 9), Göttingen 1983, S. 59. Karl Schib, Die staatsrechtlichen Grundlagen der Politik von Rottecks. Ein Beitrag zur Geschichte des Liberalismus, Mulhouse 1927, S. 52 f. Sheehan, Liberalismus und Gesellschaft in Deutschland 1815-1848, in: Liberalismus, hrsg. von Gall, S. 217. 141 Die Überlagerung des Emanzipationsstrebens durch Revolutionsfurcht und Existenzbedrängnis, ausgelöst durch die proletarisierten kleinbürgerlichen Schichten, betont auch Brandt, Julirevolution, S. 232. Zur Rezeption der französischen Revolution in den vierziger Jahren Hanna Kobylinski, Französische Revolution als Problem in Deutschland 1840 bis 1848, Berlin 1933. Zu Berlin, Hachtmann, Berlin 1848, S. 111 ff.

3. Mittelstandsorientierte Ordnungspolitik der Kommunalkörperschaften

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polizeiadministration auch das bürgerschaftliche Ehrenamt berührten, nicht im Bürgertum die Tendenz begründeten, sich einerseits auf das Gegebene zu beschränken, andererseits das Aufgebene, die politischen Forderungen an die Gegenwart, aus dem Boden praktischer Erfahrung zu gewinnen. Das schloß die Anerkennung des Staates als "ursprüngliche Ordnung"142 ein, die keine Gegensätzlichkeit zur Gesellschaft kannte. Als "geeinigte Persönlichkeit" hatte der Staat für den Ausgleich und für die Aufhebung der Gegensätze zwischen Königtum, Adel und Bürgertum zu sorgen. Diese Wendung bedeutete kein anspruchsloses Arrangement mit den gegebenen politischen Verhältnissen. Die bürgerliche Emanzipation, insbesondere aber die Konstitutionalisierung des monarchisch-bürokratischen Staates, wurde als Zielsetzung nicht aufgegeben. Insofern sollte das von Karl Streckfuß noch in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre abgegebene Urteil, die preußischen Zustände wären durch sich selbst und ihren inneren Zusammenhang vollkommen gesichert,143 nicht mehr zutreffen. Der bürgerliche Mittelstand suchte nicht die politische Aktion. Er war bestrebt, wie Dahlmann hervorhob, "schützende Einrichtungen" zu konstituieren, die sowohl seine Existenz als auch seine "Freiheitsentwicklung"l44 garantierten. Die in der "geordneten Freiheit" entfaltete Verfassung bedurfte indessen, um auf einen Gedanken von Risch zurückzukommen, der Gemeindeordnung, da sie über die Gemeinsinnbildung und politisch-administrative Teilnahme hinaus die Orientierung am praktischen Lebensbedürfnis, an einer erfahrungsgesättigten Politik förderte, die ebenso staatstragend wie antirevolutionär war. 145 Auch Streckfuß, der langjährige Kommunaldepartementsrat im Innenministerium, zeigte sich von der politisch stabilisierenden Funktion des Kommunalrechts fest überzeugt. Die wirksame Teilnahme der Bürgerschaften, die Wahl der Magistrate durch die Gemeinderepräsentationen oder die staatliche Rücksichtnahme auf die Kommunalbedürfnisse, all diese Prinzipien des preußischen Kommunalrechts sorgten für die Stabilität eines "in der Ordnung gedeihender Freiheit,,146 entfalteten gesellschaftlichen und politischen Lebens. So war es für Streckfuß kein Zufall, daß die im Gefolge der Julirevolution in den mitteldeutschen Staaten ausgelösten Unruhen an den preußischen Grenzen Halt gemacht und sich nicht einmal im Regierungsbe142 Dahlmann, Politik, S. 53. Vgl. dazu auch Nipperdey, Geschichte 1800-1866, S.386. 143 Treitschke, Geschichte, Bd. 4, S. 542. 144 Dahlmann, Politik, S. 200. 145 Risch, Zünfte, S. 80 f. Deutlicher als hier ausgeführt, entwickelte Risch die politisch stabilisierende Rolle der Kommunalverfassung im Zusammenhang mit der Belebung korporativer Bindungen in der Gemeinde. 146 Streckfuß, Städteordnungen, S. 11.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

zirk Merseburg bemerkbar gemacht hatten. Die Städteordnung war hier zwar 1830 noch nicht eingeführt, aber in der Verwaltungs praxis war die Regionalbürokratie bereits in ihrem Sinne verfahren. 147 4. Die abgelehnte Öffnung zur freien Einwohnergemeinde

So sehr sich auch in den Städten politische Emanzipationsbedürfnisse des Bürgertums zu Beginn der dreißiger Jahre ankündigten, die bestehende Kommunalverfassung wurde von diesem Moment nicht erfaßt. Ereignisse wie die französische Julirevolution vermochten schon gar nicht katalytische Wirkungen in den Gemeinden zu initiieren, etwa im Hinblick auf eine Erweiterung der Formen partizipativen Handeins oder auf eine allgemeine Verbreiterung der sozialen Basis des stadtbürgerlichen Regiments. Die Stadt sollte als Refugium des korporativen Bürgertums erhalten bleiben, eine Öffnung zur freien Einwohnergemeinde war ebenso unerwünscht wie die Liberalisierung des Bürgerrechts. Die Revidierte Städteordnung von 1831 löste jedoch die geschlossene Bürgergemeinde des älteren Kommunalrechts auf und setzte an deren Stelle die "Einwohnergemeinde in einer auf die wirtschaftlichen Gemeinderechte beschränkten Form".148 Das Recht, bürgerliche Gewerbe zu treiben und städtische Grundstücke zu erwerben, sollte nicht mehr vom Bürgerrecht abhängen. Das novellierte Kommunalrecht hielt zwar an der Differenzierung zwischen Bürgern und Schutzverwandten fest,149 da die wirtschaftlichen Rechte indessen aus dem Bürgerrecht herausgelöst wurden, unterschieden sie sich fortan nur noch durch das Recht zur Teilnahme an der Gemeindeverwaltung. 150 War der Inhalt der Gemeindemitgliedschaft bis auf die politische Partizipation in der Kommune gleichartig gestaltet, gab es keinen hinreichenden Grund mehr, die Schutzverwandten fernerhin von der rechtli147 Streckfuß, Große oder kleine Städte, S. 14 ff. Die stabilisierende Funktion kommunaler Partizipation betont auch Hettling, Bürgertum und Revolution 1848 ein Widerspruch, in: Bürger in der Gesellschaft der Neuzeit. Wirtschaft-Politik-Kultur, hrsg. von H.-J. Puhle (= Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte, Bd. I), Göttingen 1991, S. 215 ff. Bei der Untermauerung seiner These von der "unbürgerlichen" Revolution 1848 ignoriert Hettling freilich die jahrzehntelange Praxis bürgerschaftlicher Verwaltung in den preußischen Gemeinden, die er schließlich selbst als bürgerliche Machtausübung begreift. Der staatspolitische Konservativismus des Stadtbürgertums ist nicht zu bestreiten. Er ist allerdings nicht von "liberalen" Momenten zu trennen, die auf eine Verallgemeinerung der Teilhabe, d.h. die Konstitutionaliserung des monarchischen Staates drängten, insbesondere aber die Kommunen unter dem Ziel der Selbstverwaltung stärker in ihrer Eigenständigkeit zu begründen suchten. 148 Apetz, Einwohnergemeinde, S. 13. 149 § 10, Tit. 2, StO 1831. GS 1831, S. 12. 150 §§ 26 u. 27, Tit. 4, StO 1831. A.a.O., S. 14.

4. Die abgelehnte Öffnung zur freien Einwohnergemeinde

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chen Zugehörigkeit zur Stadtgemeinde auszuschließen. Das revidierte Städterecht zog folglich die Konsequenz und bestimmte, daß die Stadtgemeinde zukünftig aus sämtlichen Einwohnern des Stadtbezirks, das hieß aus Bürgern und Schutzverwandten, bestand. Einzige Voraussetzung der Einwohnerschaft blieb die Wohnsitznahme. 151 Stadtbürgertum und kommunale Bürokratie sahen sich mit einer gesetzlichen Regelung konfrontiert, die ihre jahrelangen Bemühungen vereitelte, durch das Bürgerrecht die Niederlassung und die Gewerbetätigkeit zu regeln. Im Staatsministerium hatte Handelsminister Graf von Bülow zu Recht kritisiert, daß die Gewerbefreiheit in der Öffentlichkeit nur von jenen Interessengruppen vertreten wurde, die mit dem Fabriken- und Manufakturwesen sowie dem Großhandel verbunden waren. In diesen Bereichen gewerblicher Tätigkeit wurde der Gedanke der Gewerbefreiheit, unabhängig von der örtlichen Lage, praktisch umgesetzt, während im Handwerk und insbesondere in den einzelnen zünftigen Branchen die Gewerbefreiheit nicht wirklich realisiert war. Man hatte zwar den gesetzlichen Zunftzwang aufgelöst, so daß zünftige und unzünftige Gewerbe nebeneinander bestanden, die zünftige Gewerbetätigkeit hatte aber die Oberhand behalten. Sie behauptete sich ohne den Schutz des Staates und selbst ihre Mißbräuche bestanden fort. Schuld an diesem Zustand, so das Bülowsche Resümee, war die gesetzliche Inkonsequenz des Staates. Die Regierung hätte die liberalen Grundsätze ausgesprochen, an ihrer konsequenten Ausführung jedoch nicht festgehalten. 152 Dieses in seiner Allgemeinheit sicherlich überpointierte Urteil war im Hinblick auf die Kommunalverfassung nicht ohne Berechtigung. Die Städteordnung von 1808 mochte die Verhältnisse des Stadtregiments, die politische Mitwirkung in den Gemeinden zufriedenstellend regeln, der enge Zusammenhang zwischen Bürger- und Gewerberecht hatte hingegen keine genügende Berücksichtigung gefunden, insbesondere nicht hinsichtlich der Gewerbefreiheit. Die Revidierte Städteordnung half diesem Mangel ab. Sie entsprach dem ökonomischen Liberalismus des Staates 153 und öff§ 28, Tit. 5 i. V. m. § 14, Tit. 3 u. § 24, Tit. 4, StO 1831. A. a. 0., S. 12 u. 14. Roehl, Handwerkerpolitik, S. 191 f. Zu Bülows Lösungsvorschlag einer provinzialorientierten Gesetzgebung mit vorhergehender Ordnung der kommunalen Verhältnisse vgl. ebd. S. 193 f. 153 Apetz, Einwohnergemeinde, S. 30. Stier-Somlo, Der verwaltungsgerichtliche Schutz des Bürger- und Einwohnerrechts in Preußen, in: Verwaltungsarchiv, Bd. 12 (1904), S. 368 f., übersieht diesen wichtigen Aspekt. Er spricht noch allgemein davon, daß das Recht zum Grunderwerb und Gewerbebetrieb in der Gemeinde wie ehedem mit dem Bürgerrecht zusammenhing. Ebenso Pahlmann, Anfänge, S. 25 f. Pahlmann erklärt im übrigen (S. 69), daß das Bürgerrecht nicht mehr die Voraussetzung für den Gewerbebetrieb und den Grundbesitz bildete. In dieser Allgemeinheit ist das nicht zutreffend, denn das höhere Grundeigentum und der ertragreichere Gewerbebetrieb blieben verpflichtend an das Bürgerrecht gebunden. Zu den Einzel151

152

18 Grzywatz

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

nete die Gewerbetätigkeit uneingeschränkt für die Stadtbevölkerung. Erst bei einem bedeutenden Umfang der gewerblichen Tätigkeit schrieb das reformierte Städterecht den Erwerb des Bürgerrechts zwingend vor. 154 Damit kam die Ministerialbürokratie den Wünschen des Stadtbürgertums nach einer sozialen Begrenzung des Bürgerrechts entgegen, wie sie die kommunale Forderung berücksichtigte, das Bildungsbürgertum und die Rentiers stärker auf die Möglichkeit der politischen Partizipation in der Gemeinde hinzuweisen. Die verschärfte soziale Barriere für die Teilhabe sollte indessen auch in dieser Hinsicht wirksam werden, denn es wurden von den Stadteinwohnern, die ihr Einkommen nicht aus einer Gewerbetätigkeit bezogen, nur jene ausdrücklich angesprochen, die über lahreseinkünfte in Höhe von mindestens 400 bis 1200 Reichstalern verfügten. Eine Verpflichtung zum Bürgerrechtserwerb bestand für diese Schichten der städtischen Gesellschaft allerdings auch weiterhin nicht. 155 Bei der Auseinandersetzung mit dem revidierten Städterecht mußte Berlin als Stadtgemeinde zwischen der ungewünschten Umsetzung des ökonomischen Liberalismus und der geforderten Beschränkung der politischen Partizipation abwägen. Hinter dieser Entscheidung traten andere rechtliche Fragen, wie etwa die Verstärkung der staatlichen Aufsicht, in ihrer gemeindlichen Bedeutung zurück. Es war keine Frage, daß der kommunale Finanznotstand und die gewerblichen Reglementierungsbedürfnisse gegen eine Gewerbeliberalisierung sprachen und die Städte sich daher gegen die Einführung des revidierten Städterechts wandten. Im Staatsrat und Staatsministerium hatte man durchaus Verständnis für die Schwierigkeiten der gewerblichen Umbruchssituation in den Städten und in mancherlei Hinsicht auch für eine Neuordnung des Korporationswesens, 156 wenngleich der Grundgedanke der Gewerbefreiheit auch von seiten des Monarchen nicht zur Disposition stand,157 so daß eine Rücksichtnahme gegenüber den Kommunen angebracht erschien und ihnen die Einführung der Revidierten Städteordnung zur Wahl gestellt wurde. Die Regierungsbürokratie ging im übrigen nicht soweit, der Forderung Raumers nachzugeben, den Genossenschaften durch die Vertretung in den Gemeinderepräsentationen ein politisches Recht einzuräumen. 158 Sie erkannte aber an, daß modernisierte Gewerbekorporationen sowohl Mißbräuheiten des revidierten Kommunalrechts, auch im Hinblick auf die wahlrechtlichen Regelungen, vgl. unten Kap. 4, Unterabschnitt 6. 154 § 15, Lit. b, Tit. 3, StO 1831. GS 1831, S. 12. Dazu auch Roehl, Handwerkerpolitik, S. 208. 155 § 16, Tit. 3, StO 1831. GS 1831, S. 13. 156 Roehl, Handwerkerpolitik, S. 193. 157 A.a.O., S. 190 u. 197. 158 Raumer, Städteordnung, S. 264 ff. Streckfuß, Städteordnung, S. 64.

4. Die abgelehnte Öffnung zur freien Einwohnergemeinde

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ehe der Gewerbefreiheit verhindern als auch auf die "Vervollkommnung der Gewerbe", die "Zuverlässigkeit des Betriebs" und auf die "Sittlichkeit der Gewerbegenossen" vorteilhaft Einfluß nehmen konnten. Indessen war die gesetzliche Existenz derartiger Gewerbekorporationen abzuwarten, während über ihre innere Organisation und ihr Verhältnis zur Gesellschaft wie zur Stadtgemeinde erst nach mehrjährigen Erfahrungen abschließend geurteilt werden sollte. Die in einzelnen Großstädten begründeten kaufmännischen Korporationen gaben noch keine Gewähr für den Erfolg einer Maßregel, durch die das Gewerbe in weitestem Umfang in ein Korporationssystem eingeordnet wurde. Die hinlänglich bekannten Zunftrnißbräuche der Vergangenheit mußten in jedem Fall Anlaß genug sein, mit möglichster Vorsicht vorzugehen. 159 Gegenüber der liberalen Organisation der Gewerbefreiheit unterlag der Handel, soweit er den Besitz der kaufmännischen Rechte einschloß, der korporativen Bindung. In dieser Hinsicht waren die Kaufleute und Handeltreibenden zum Eintritt in die Korporation der 1820 gegründeten Berliner Kaufmannschaft verpflichtet. Nur jene Handeltreibende, die den Besitz der Kaufmannsrechte entbehren zu können glaubten, waren vom Beitrittszwang ausgenommen. 160 Die Mitgliedschaft eröffnete wichtige Vorrechte. So konnten beispielsweise nur Mitglieder Wechsel diskontieren lassen. Die Korporation hatte erheblichen Einfluß auf den Geschäftsverkehr, da sie eine wichtige wirtschaftliche Kontrolle ausübte und regelwidriges Verhalten im Bereich des Wirtschafts- und Strafrechts ahndete. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung erwiesen sich auch steuerliche Vorteile, welche die Korporation für den einkommensstarken Handel gegen die Zulassung von einkommensschwächeren Kleinhändlern zu sichern wußte. 161 Die preußische Staatsverwaltung hatte der Korporation der Kaufmannschaft bereits in den zwanziger Jahren ein Mitspracherecht in handels- und kreditpolitischen Entscheidungsprozessen eingeräumt, ließ sie jedoch an Gewerbe- und sozialrechtliche Fragen nicht teilnehmen, obwohl sich ein Teil des Ältestengremiums schon zu dieser Zeit aus Industriellen zusammensetzte. 162 Die Wahrung des staatlichen Gesamtinteresses wurde nach ihrem 159 A. a. 0., S. 64 f. Gegenüber der abwägenden Haltung von Streckfuß erschien dem Königsberger Geheimen Regierungsrat Horn die Bildung von Korporationen gerade noch für gewerbliche Zwecke vertretbar, ansonsten sah er im scharfen Gegensatz zu Raumer durch korporative Bindungen eher Standes- als Gemeininteressen gefördert. Horn, Bemerkungen, S. 23 f. Ähnlich der Landeshuter Bürgermeister Perschke, Metakritik, S. 42 ff. und die anonym erschienene Schrift Praktische Bemerkungen, S. 36 f. 160 §§ 2 u. 3, Tit. 1, Statut für die Kaufmannschaft zu Berlin vom 2. März 1820. GS 1820, S. 46 f. Abdruck in: Die Korporation der Kaufmannschaft von Berlin. Festschrift zum hundertjährigen Jubiläum am 2. März 1920, Berlin 1920, S. 619 ff. 161 Vgl. dazu Kaelble, Unternehmer, S. 199 ff. 18*

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Refonnzeit

tradierten Selbstverständnis allein von der Staatsbürokratie in Anspruch genommen. Die gewerblichen Korporationen vertraten nur Partikularinteressen und galten daher nicht einmal als Vertretung der örtlichen Gemeininteressen, welche die Kommunalkörperschaften für sich beanspruchten. Die gewerblichen Korporationen und selbst die lokal korporierte Bürgergemeinde standen durch ihre Interessenorientiertheit in einem mehr oder weniger offensichtlichen Widerspruch zu den allgemeinen Bedürfnissen, die in dem gesetzlich zu regelnden Verhältnis zwischen gewerblicher Freiheit und Organisierung der Gewerbetreibenden nicht verloren gehen durfte. 163 Solange die Staatsregierung nicht zu einem abschließenden Urteil über die Ordnung der Gewerbefreiheit und die Rolle der Korporationen gekommen war, lag es im Interesse der Stadtgemeinden, am älteren Kommunalrecht festzuhalten, da das Bürgerrecht und nicht zuletzt die Bürgerrechtsgelder noch immer als Instrumente der Beschränkung der Gewerbefreiheit zu nutzen waren. Es konnte keine Rede davon sein, daß der Staat sich durch die geplante Verschärfung des Aufsichtsrechtes der liberalen Öffentlichkeit gegenüber in Bedrängnis befand und daher nicht wagte, die Revidierte Städteordnung als gesamtstaatliches Kommunalrecht einzuführen. 164 Bei aller Belebung des konstitutionellen Denkens im Bürgertum und dem Gewicht restaurativer Kräfte in der Staatsbürokratie war der preußische Staat durch die Julirevolution nicht unter einen solchen Druck geraten, daß er in einem "einzigartige(n) Vorgang" Gesetze zur Wahl stellte. 165 Es ist A. a. 0., S. 255 ff. A. a. 0., S. 264. Mitte der vierziger Jahre, insbesondere nach Einrichtung des Handelsamtes, änderte sich das Verhältnis des Staates zur Koporation der Kaufmannschaft, die nun als Interessenorganisation häufiger im gewerbe- und sozialpolitischen Bereich gutachtlich gehört wurde, unter anderem bei der Beratung der Gewerbegesetznovelle, allerdings ohne daß die Staatsbürokratie ihre am Gesamtinteresse orientierte Entscheidungsautonomie aufgab. 164 So Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte, Berlin 1903, S. 383. Kritiklos übernommen bei Engeli/Haus, Quellen, S. 181 f. 165 Koselleck, Preußen, S. 576. Ihm schließt sich Wehler an, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 177. Koselleck sieht indessen deutlich, daß die Städte den wirtschaftlichen Liberalismus des Staates nicht teilten, sie wirtschaftspolitisch den Idealen der Vergangenheit nachhingen, die das revidierte Städterecht gerade beseitigen wollte. Preußen, S. 577 f. Siehe auch Heffter, Selbstverwaltung, S. 218. Doch auch in dieser Hinsicht muß das Urteil differenziert werden. Zu dieser Zeit ging die Kritik an der "Gewerbewillkür" (siehe Wiese, Städteordnung, S. 62 f.) nicht mehr mit einer prinzipiellen Ablehnung der Gewerbefreiheit einher. Es ging nur noch, wenn auch mit aller Nachhaltigkeit, um deren Ordnung oder, wie Horn es fonnulierte, um die Bewährung ihrer allseitig wohltuenden Erfolge. Horn, Bemerkungen, S. 27. Überzogen und unausgewogen das Urteil von Preuß, Städtewesen, S. 317 f., der die Entwicklung zur Einwohnergemeinde und die Beschränkung des Bürgerrechts auf die partizipativen Funktionen unter "kleine technische Verbesserungen", "indifferent" und "nicht allzu erhebliche Verschlechterungen" subsumiert, denen andere 162

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5. Die Gewerbebesteuerung als Regulierungsinstrument

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auch nicht einzusehen, warum der Staat, insbesondere nach der Erfahrung des refonnzeitlichen Wandels, prinzipiell nicht in der Lage sein sollte, gegen den Willen der Städte eine neue Kommunalordnung einzuführen. 166 Der Staat sah sich vielmehr vor die Entscheidung gestellt, die Integration des Gesamtstaates durch ein einheitliches oder provinzial orientiertes Kommunalrecht voranzutreiben. Dem gemeinsinnfördemden Gedanken der bürgerschaftlichen Partizipation entsprach um den Preis staatlicher Vereinheitlichung eher eine provinziale Lösung. Das galt genauso für die Zielsetzung, den Kommunalbereich als Objekt staatlicher Integrationspolitik zu nutzen. 167 5. Die Gewerbebesteuerung als Regulierungsinstrument

Die im Januar 1835 schließlich vorliegenden Entwürfe der Staatsregierung für ein allgemeines Gewerbepolizeigesetz und eine Entschädigungsordnung rührten nicht an der Gewerbefreiheit. Das Gesetz sah lediglich die Bildung von gewerblichen Korporationen vor, soweit sich eine Anzahl von mindestens 24 Gewerbetreibenden dafür aussprachen und insgesamt durch die korporative Bindung Vorteile zu erwarten waren. Ein Ausschließlichkeitsanspruch sollte den Korporationen hingegen nicht beigelegt werden. Als die im Staatsministerium verabschiedeten Entwürfe 1837 den ProvinzialIandtagen vorgelegt wurden, waren die Stände von ihrer ursprünglichen Forderung nach einer restriktiven Abkehr von der Gewerbefreiheit soweit abgerückt, daß sie den Vorlagen im allgemeinen zustimmten. Hinhaltende Einwände kamen nur von seiten der brandenburgischen Stände. Der sechste Provinziallandtag wiederholte, da er "die technische Ausbildung und sittliche Erziehung der Lehrlinge" durch die zugelassenen gewerblichen Vereine nicht gesichert sah, seinen früheren Antrag, sämtliche Gewerbetreibende in Korporationen zu vereinigen. Da die den Korporationen beigelegten Ehren- und Aufsichtsrechte nach Auffassung des Landtags den freiwilligen Beitritt der Gewerbetreibenden nicht sicherstellten, wollte er das Ausbildungsrecht in jenen Gemeinden, in denen sich bereits gewerbwichtigere Veränderungen gegenüberstanden, die "eine überaus starke Rückwärtsentwicklung zu Gunsten polizeistaatlicher Bevormundung" enthielten. 166 So Gisela Metteie, Verwalten und Regieren oder Selbstverwalten und Selbstregieren?, in: Stadt und Bürgertum im Übergang, S. 355. 167 Vgl. dazu im Hinblick auf das Kommunalrecht der westlichen Provinzen. Schütz, Preußen und die Rheinlande, S. 84 ff. Zu den kommunalrechtlichen Beratungen des Staatsrats Schlarmann, Einflußnahme, S. 12 ff. Siehe auch Hans Schneider, Der preußische Staatsrat 1817-1918. Ein Beitrag zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte Preußens, München 1952, S. 161 ff. Auf die Frage des einheitlichen oder provinzialspezifischen Kommunalrechts wird noch einmal im Kap. 4 zurückzukommen sein.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

liehe Vereine gebildet hatten, den Mitgliedern dieser Vereine zugestehen. Die materiellen Vorteile der Lehrlingsausbildung sollten den Vereinsbeitritt fördern. Die Kontrolle der Gewerbeausübung wollten die brandenburgischen Stände den Gemeindebehörden übergeben, so daß die Prüfungen über die Zulässigkeit eines Gewerbebetriebs ausschließlich in den Händen der Stadtverwaltungen bzw. der Gutsobrigkeiten lag. 168 Gegenüber liberaleren Vorstellungen zur Gewerbeordnung, wie sie etwa vom rheinischen Landtag vertreten wurden,169 hielten die Vertreter der preußischen Metropole an ihren restriktiven Forderungen fest. Neben der unmittelbaren Ordnung der Gewerbefreiheit durch Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften dachten die Berliner Stadtverordneten weiterhin, das Bürgerrecht für die Reglementierung der Niederlassungs- und Gewerbefreiheit zu instrumentalisieren. Das Innenministerium hatte Anfang September 1826 den Versuch einzelner Stadtgemeinden unterdrückt, "leichtsinnige Ansiedlungen" durch die Verdoppelung der Bürgerrechtsgelder zu verhindern. Unsichere Existenzgründungen stellten nach Ansicht des Ministeriums eine Ausnahme dar, die durch Erhöhungen der Bürgerrechtsgelder nicht zu beseitigen wären. Der erschwerte Zugang zum Bürgerrecht hätte indessen eine kontraproduktive Wirkung auf die Entwicklung der Gewerbetätigkeit, da weniger bemittelte Personen, die womöglich sogar arm waren, aber durch ihre "Betriebsamkeit" die Anlage zu künftigem Wohlstand mitbrachten, von der Niederlassung abgehalten wurden. Die kurzzeitigen Mehreinnahmen der Kämmerei- und Armenkassen standen nach staatlicher Ansicht in keinem ausgewogenen Verhältnis zu den nachteiligen Folgen der eingeschränkten Niederlassungsfreiheit. 17o Die unteren für das Bürgerrecht qualifizierten Schichten waren nach Auffassung des Ministerialbeamten Streckfuß kaum in der Lage, am Gemeindeleben teilzunehmen. Einkommen von 150 bis 200 Reichstalern erlaubten keine gesicherte Existenz, sondern nötigten zu einem Leben, das von der Sorge um den nächsten Tag bestimmt war. Hohe Bürgerrechtsgelder schmälerten das erforderliche Betriebskapital, zwangen mitunter zu einer unvollständigen Einrichtung des Gewerbebetriebs und waren in einzelnen Fällen dafür verantwortlich, daß bei eingetretener Krankheit Teile der Ausstattung wieder verkauft werden mußten. Beim Erwerb von Grundeigentum traten ähnliche Schwierigkeiten auf. Es schien der Ministerialbürokratie deshalb eher ratsam, die unteren Schichten des Stadtbürgertums von der VerpflichRisch, Gewerbe-Ordnung, S. 27. Obenaus, Anfange, S. 489. Dazu Rumpf/Nitschke, Verhandlungen, 15. Folge, S. 8 ff. u. 307 ff. Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 27 f. Roehl, Handwerkerpolitik, S. 227. Koselleck, Preußen, S. 598. Obenaus, Anfänge, S. 489. 170 Verfügung des Innenministeriums vom 2. September 1826. Abdruck in: Rumpf, Städteordnung, S. 7. 168 169

5. Die Gewerbebesteuerung als Regulierungsinstrument

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tung zum Erwerb des Bürgerrechts auszunehmen, wie es in der Revidierten Städteordnung bereits geschehen war. 171 Ungeachtet der staatlichen Bedenken sprach sich die Berliner Stadtverordneten-Versammlung 1837 erneut dahingehend aus, das Bürgerrechtsgeld um zwanzig auf fünfzig Reichstaler zu erhöhen. Jede Ermäßigung sollte ebenso wie jede Möglichkeit zur Ratenzahlung fortfallen. Gleichzeitig wollten die Gemeindevertreter sämtliche Jungbürger verpflichten, bei ihrem Eintritt in die Bürgerschaft eine Kaution von 200 Reichstalern auf zehn Jahre zu hinterlegen, aus der im Verarmungsfall die Mittel für eine erste "notdürftige" Unterstützung entnommen werden sollten. Die Kaution konnte durch Bürgschaft oder durch Zahlung eines mit drei Prozent zu verzinsenden Kapitals bestellt werden. Die Gemeindevertretung hielt jede Milde bei der Bürgerrechtsbewilligung für unangebracht, was sie auch hinsichtlich der Gewerbebesteuerung unterstrich. Jeder selbständige Gewerbebetrieb, ohne Rücksicht auf Gehilfen, Lehrlinge und Stühle mußte zur Gewerbesteuer herangezogen werden und den Erwerb des Bürgerrechts bedingen. l72 Die Stadtverordneten monierten damit jene gesetzliche Regelung, die Handwerker von der Gewerbebesteuerung ausnahm, wenn sie einerseits nur auf Lohn oder Bestellung arbeiteten, ohne ein offenes Lager mit fertigen Waren zu unterhalten, und andererseits das Gewerbe nur selbst oder mit einem Gesellen und Lehrling ausübten. 173 Auch Weber und Wirker waren, soweit sie ihr Gewerbe nur als Nebenbeschäftigung oder mit nicht mehr als zwei Webstühlen betrieben, von der Gewerbesteuer befreit. 174 Streckfuß, Städteordnung, S. 48 ff. Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 54 f. 173 § 12, Lit. a, Gewerbesteuergesetz 1820. GS 1820, S. 149. 174 § 13, Gewerbesteuergesetz 1820. Ebd. Zu ungenau die Feststellung bei Mieck, Reformzeit, S. 550, daß "alle selbständig arbeitenden Handwerksmeister gewerbesteuerpflichtig" waren und sie lediglich "wegen Armut" von der Steuer befreit werden konnten. Peter Kriedte, Eine Stadt am seidenen Faden. Haushalt, Hausindustrie und soziale Bewegung in Krefeld in der Mitte des 19. Jahrhunderts (= Veröffentlichungen des Max-Plancks-Instituts für Geschichte, Bd. 97), Göttingen 1991, S. 270 ff., berichtet, daß sich in Krefeld Webermeister mit mehr als zwei Stühlen nach 1820 gegen die Versuche der Kommunal- und Staatsbehörden, sie zur Gewerbesteuer anzuhalten, zeitweilig erfolgreich wehrten. Die örtliche Handelskammer plädierte für die Steuerbefreiung, da sie die Meister als Lohnweber einstufte und nicht das Fabrikensystem durch eine stärkere Selbständigkeit der Meister in Frage gestellt sehen wollte. Nachdem die Kabinetts-Ordre vom 3. Mai 1829 die Steuerpflichtigkeit von Webern und Wirkern aufhob, sofern sie nur ihre eigengefertigten Waren verkauften, umgingen einige Meister die Besteuerung, indem sie den dritten Stuhl abschafften. Erst 1835, nachdem das Finanzministerium den Webern mit drei Stühlen den niedrigsten Gewerbesteuersatz zugebilligt hatte, wurde die regelmäßige Besteuerung durchgesetzt. 17l

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Nach Auffassung der Berliner Gemeindevertretung war die Ertragfähigkeit eines Gewerbebetriebs nicht immer von der Zahl der beschäftigten Gesellen abhängig. Der steuerfreie Handwerker produzierte kostengünstiger, zudem war er nicht durch die Zins lasten eines Verlagskapitals und die Kosten der Lagerhaltung beansprucht, während der auf einem freien Absatz mit mehreren Beschäftigten eingerichtete Handwerker durch Steuern und Zinsen, Lagerkosten und Bürgerrechtsgelder belastet wurde, was sich zwangsläufig in höheren Gestehungskosten niederschlagen mußte. Die Stadtverordneten plädierten daher für eine Besteuerung sämtlicher Gewerbetreibender, zumal die Konkurrenz der Handwerkergruppen zu einem ruinösen Preisverfall führen könnte, an dessen Ende eine Subsistenzgefahrdung des kleinen Handwerks und steigende kommunale Armenlasten drohten. 175 Die zeitgenössische Kritik folgte der Auffassung der Berliner Kommunalkörperschaften nicht unbedingt. So erklärte Bruno Hildebrand in seinen Ausführungen zum vormärzlichen Gewerbewesen, daß ein Handwerker in der Regel erst mit zwei Gesellen und einem Lehrling in der Lage war, einen geringen Wohlstand zu begründen. Einen ohne jeden Gehilfen arbeitenden Meister sah er nur als eine besondere Art von Tagelöhner an. 176 Im gleichen Sinne hatte die Staatsratskommission bei der Beratung des Gewerbesteuergesetzes die Ansicht vertreten, daß der Betrieb des Tuchmachergewerbes auf mehr als zwei Stühlen nur von wohlhabenden Familien aufgenommen werden konnte. 177 Die kommunale Forderung hätte zu einer außerordentlichen Verschärfung der Gewerbesteuer zu Lasten der ökonomisch schwächeren Handwerkergruppen geführt, zumal die Gewerbesteuerung die weniger leistungsfähigen Gewerbetreibenden grundsätzlich nicht unerheblich belastete. Die nach dem Gewerbesteuergesetz festgelegten Mittelsätze mußten prinzipiell von jedem selbständigen Gewerbetreibenden aufgebracht werden. Nur für den Fall, daß die Steuer das Leistungsvermögen einzelner Handwerksmeister überstieg, sah das Gesetz Mindestsätze vor. Der Steuerausfall durch 175 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 56 ff. Im Berliner Magistrat wurde diese Auffassung auch noch in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre vertreten. 176 Bruno Hildebrand, Nationalökonomie der Gegenwart und Zukunft, Frankfurt/ M. 1848, S. 143. 177 Grabower, Preußens Steuern, S. 559. Bergmann, Berliner Handwerk, S. 204, erkennt die von Risch entwickelte Argumentation, obwohl er dessen Schrift nicht zur Kenntnis nimmt, prinzipiell an. Er kommt im Anschluß an die Arbeiten von Kautbold, Das Handwerk der Stadt Hildesheim im 18. Jahrhundert, Göttingen 1968, S. 59, und Wolfgang Köllmann, Bevölkerung und Arbeitskräftepotential in Deutschland 1815-1865. Ein Beitrag zur Analyse der Problematik des Pauperismus, in: Jahrbuch 1968, hrsg. vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen Landesamt für Forschung, S. 230, aber auch zu der Auffassung, daß in der überwiegenden Zahl aller Fälle die Gleichsetzung der gewerbesteuerbefreiten Kleinmeister mit "bedürftigen proletaroiden Kleinexistenzen" zutraf.

5. Die Gewerbebesteuerung als Regulierungsinstrument

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Rückstufungen mußte durch zusätzliche, das hieß über die Mittelsätze hinausgehende Leistungen der besser situierten Handwerker ausgeglichen werden. 178 In Berlin lag die "Handwerkssteuer" bei einem jährlichen Mittelsatz von 8 Reichstalern, der niedrigste Satz belief sich dagegen nur auf 4 Reichstaler. 179 Die Berliner Kommunalkörperschaften leiteten die Notwendigkeit, die Handwerksbesteuerung auszudehnen, stets aus dem großen Anteil der Steuerbefreiungen in einzelnen Gewerben ab. Risch führte beispielsweise an, daß im Jahre 1845 von 2028 selbständigen Tischlern nur 666 die Gewerbesteuer entrichteten, mithin weniger als ein Drittel. Von 1035 Seidenwirkern zahlten nur 130 Gewerbesteuern, das waren nicht einmal dreizehn Prozent der Gewerbetreibenden. 180 Im Jahre 1829 waren 27,2 Prozent der selbständigen Handwerker Berlins gewerbesteuerpflichtig, bis 1834 sank dieser Anteil auf 22,9 Prozent, 1840 und 1845 hatte sich die Quote der Steuerpflichtigen wieder auf 24,8 bzw. 25,7, Prozent erholt. Zwischen 1829 und 1850 wurden durchschnittlich nur 23,2 Prozent der selbständigen Handwerker zur Gewerbesteuer herangezogen. Dieser Mittelwert war allerdings durch den konjunkturellen Einbruch im Gefolge der Revolutionszeit beeinflußt. Ließ man die Ergebnisse der Jahre 1848 bis 1850 weg, lag der Anteil der Steuerpflichtigen bei annähernd einem Viertel (24,9%).181

178 Ziff. 8 u. 9, Beilage B, Gewerbesteuergesetz 1820. GS 1820, S. 157. Dazu Grabower, Preußens Steuern, S. 559 f. Kritischer Witzleben, Staatsfinanznot, S. 224, der allerdings das Verfahren der Niedrigsätze nicht beachtet. 179 Ziff. 12, Lit H, Beilage B, Gewerbesteuergesetz 1820. GS 1820, S. 160. 180 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 59. Ein Nachweis der jährlichen Steuersätze der Seidenwirker und Tischler für die Jahre 1826 und 1846 in den Anlagen Bund C. A. a. 0., S. 228 f. Wiederabdruck bei Bergmann, Berliner Handwerk, S. 330 ff. Zu den Ergebnissen der Gewerbebesteuerung in Berlin siehe VerwBBln 1829-1839, S. 20 ff.; 1841-1850, S. 82 ff. Die Kommunalverwaltung erhob die Gewerbesteuer nur bis zum Jahre 1835 im Auftrag des Staates, danach übernahm die staatliche Verwaltung die Erhebung. Die Gemeindeadministration hatte stets geklagt, daß die staatlichen Ausgleichszahlungen nie zur Deckung der Verwaltungskosten ausreichten und die Stadt durchschnittlich im Jahr 2000 Reichstaler zuschießen mußte. VerwBBln 1829-1839, S. V. 181 Alle Zahlen berechnet nach VerwBBln 1829-1839, S. 19 ff.; 1840-1850, S. 81 ff. Vgl. auch die Aufstellung bei Bergmann, Berliner Handwerk, S. 203. Die bei Mieck, Reformzeit, S. 551, aufgeführten Zahlen folgen den Gewerbesteuerangaben von J. P. Kux, Berlin. Eine aus zuverlässigen Quellen geschöpfte Charakteristik und Statistik dieser Residenz und ihrer Umgebung, nebst einer ausführlichen Abhandlung über das Berliner Armenwesen, Berlin 1842, S. 325 ff., für das Jahr 1841. Die Zahl der steuerpflichtigen Handwerker lag danach mit 5278 gegenüber den Magistratsangaben (4653) etwas höher, während die Gesamtzahl der selbständigen Handwerker mit 19276 niedriger lag (Magistrat: 19985). Die Quote der Gewerbesteuerpflichtigen erreicht folglich bei Mieck mit 27,4 Prozent ein entsprechend höheres Niveau.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Der durchschnittlich von den Gewerbesteuerpflichtigen gezahlte Betrag lag 1841 bei 10,5 Reichstalern. Dabei gab es beträchtliche branchenspezifische Schwankungen. In einzelnen Berufen des Nahrungs- und Brauhandwerks wurden durchschnittliche Steuerbeträge zwischen 58 und 26 Reichstaler entrichtet, in Berufen des Textil- und Galanteriegewerbes unterschritt die jährliche Steuerleistung mitunter die Grenze von einem Reichstaler. 182 Diese Differenzen, insbesondere aber den niedrigen Prozentsatz an Steuerpflichtigen, nahm die zeitgenössische Sozialkritik zum Anlaß, von einer Proletarisierung des Handwerks zu sprechen. Selbst der Bürgerstand bot nicht mehr die Gewähr gegen eine soziale Deklassierung. 183 Als besonders von der Verarmung bedrohte Berufe wurden die Tischler, Seiden wirker, Schneider und Schuhmacher hervorgehoben, die in der Tat, was die neuere Forschung bestätigt,184 in einer proletaroiden kleingewerblichen Existenz lebten. Diese Handwerksbranchen, die in den zeitgenössischen Stellungnahmen nicht ohne politische Absichten herausgestellt wurden, waren im wesentlichen von der Übersetzung bedroht. Die geringeren fachlichen Anforderungen, vor allem der nur niedrige erforderliche Kapitalaufwand, machte diese Berufe zu den bevorzugten Gewerbebereichen selbständiger handwerklicher Etablierung. 185 Die Übersetzung dieser Gewerbe diente der Berliner Kommunalverwaltung als empirische Grundlage ihrer Kritik an der 182 Alle Zahlen nach Kux, Berlin, S. 120 ff. Wiederabdruck des Zahlenwerks bei Bergmann, Berliner Handwerk, S. 325 ff. 183 Friedrich Saß, Berlin in seiner neuesten Zeit und Entwicklung 1846, Berlin 1846. Neu hrsg. und mit einem Nachwort versehen von D. Heikamp, Berlin 1983, S. 155 f. Zur Sozial- und Erwerbsstruktur Berlins zwischen 1840 bis 1849 siehe Richard Böckh, Die Bevölkerungs-, Gewerbe- und Wohnungsaufnahme vom I. Dezember 1875 in der Stadt Berlin, H. 4, Berlin 1880, S. 6-13. Zusammengefaßt bei Hachtmann, Berlin 1848, S. 70 ff. 184 Bergmann, Berliner Handwerk, S. 211 ff. u. 230 ff. 185 A. a. 0., S. 247 ff. Siehe auch Friedrich Lütge, Deutsche Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Ein Überblick, 3Berlin u. a. 1966, S. 450. Nach den bei Risch für das Jahr 1845 ermittelten Zahlen für die berufs zugehörigen Meister und Gesellen kamen im Schneiderhandwerk auf 3785 zünftige und unzünftige Meister (Innungsmitglieder: 509) 2600 Gesellen und 230 Lehrlinge. Auf jeden einzelnen Betrieb entfielen demnach durchschnittlich nur 1,5 Gesellen, folglich mußte von einem Großteil kleinstbetrieblicher Unternehmungen ausgegangen werden. Bei den Schuhmachern lag die durchschnittliche Gesellenzahl mit 1,6 nur unwesentlich höher, bei den Tischlern hingegen mit 0,96 deutlich niedriger. Vgl. Risch, Gewerbe-Ordnung, Anlage G, S. 265 ff. Wiederabdruck schon bei Saß, Berlin, S. 152 f. Nach Saß, Mieck, Reformzeit, S. 548 ff. Zieht man die Zahlen der Zunftanfrage des Berliner Magistrats aus dem Jahre 1827 zum Vergleich heran, entfielen auf 465 zünftige Schneidermeister 497 Gesellen. 375 Meister arbeiteten alleine bzw. mit einem Gesellen, die Quote der gewerbesteuerfreien Meister lag somit bei 80,7 Prozent. Bei den Schuhmachern erreichte der Anteil 77,7, bei den zünftigen Tischlermeistern 71,3 Prozent. Berechnet nach der Aufstellung bei Bergmann, Berliner Handwerk, S.222.

5. Die Gewerbebesteuerung als Regulierungsinstrument

263

Gewerbefreiheit. Die Gemeindebehörden monierten darüber hinaus das Verfahren der staatlichen Behörden, Gesellen zu beschäftigen, ohne daß sie zur Gewerbesteuer veranlagt und zum Gewinn des Bürgerrechts angehalten wurden. 186 Nach kommunaler Auffassung verlangte die Gewerbefreiheit zwar die freie Konkurrenz, aber unter gleichen Bedingungen. Es sollte jedem Gewerbetreibenden, bemerkte Stadtrat Risch, "der durch sein Wohnungsrecht und seine Dispositionsfähigkeit eine sittliche Bürgschaft" zum Geschäftsverkehr gewährte, die Teilnahme an der Konkurrenz freistehen, sofern keine Bevorzugung oder Begünstigung vorlag. Es mußten mithin die Bedingungen erfüllt werden, die jedem Staatsbürger und jedem Mitglied der Stadtgemeinde abverlangt wurden, nämlich das Bürgerrecht zu erwerben und Gewerbesteuer in dem Verhältnis zu zahlen, wie es der Umfang des einzelnen Geschäftes zuließ. 187 Interessant war, daß der sich in Berlin vom reformfreudigen Liberalen zum Sozialisten wandelnde Friedrich Saß 188 einen zentralen Gedanken Rischs aufnahm, indem er in der Gewerbefreiheit nicht den Kern für eine vollendete Freiheit liegen sah. Die Arbeits- und Gewerbeverhältnisse Berlins drängten nach einer notwendigen Organisation der Arbeit, da die Gewerbefreiheit sie auflöste und der Macht des Kapitals unterstellte. Nach Saß fand das Stadtbürgertum in der Gewerbefreiheit nicht nur die Mittel, sich in Bourgeoisie und Proletariat aufzuspalten, sondern auch das Bürgerrecht gering zu schätzen. Er nahm an, daß das Bürgerrechtsgeld von den ärmsten Schuster- und Schneidergesellen aufgebracht werden konnte und sich daher inhaltlich nur noch als "ein Anspruch auf Almosenempfang" darstellte. 189 Hier ging die auf die pauperisierenden Wirkungen der freien Konkurrenz und der Frühindustrialisierung fixierte Kritik an der Realität des handwerklichen und bürgerlichen Lebensverhältnisse Berlins vorbei. Das Bürgerrechtsgeld von dreißig Reichstalern war weder von den handwerklichen Kleinmeistern noch den verheirateten Gesellen einfach aufzubringen. Die Bemühungen der Kommunalbürokratie, das Bürgerrecht zur Voraussetzung des Gewerbebetriebs zu machen, gingen ja gerade von der Möglichkeit aus, das Bürgerrechtsgeld als Ordnungsinstrument zu nutzen. Die am Beispiel der Gewerbebesteuerung beobachtete Proletarisierung des Handwerks unterstrich die finanziellen Nöte der Kleinmeister. Erst vor dem Hintergrund der bedrängten Subsistenzverhältnisse des kleinen Handwerks versprachen die Vorschläge der Kommunalkörperschaften zur Lösung der 186 187 188 189

Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 59 f. A. a. 0., S. 60. Vgl. Detlef Heikamp, Nachwort zu Saß, Berlin, S. 210. Saß, Berlin, S. 155 f.

264

3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

Übersetzung des Handwerks und der Senkung der steigenden Armenlasten hinreichenden Erfolg zu haben. Saß übersah ebenso wie es die Kritik der Gemeindebürokratie unterließ, die Anzeichen zunehmender Prosperität in einzelnen Handwerkszweigen, wie etwa im Bau- und Nahrungsmittelgewerbe, zu erwähnen. Selbst in den ökonomisch bedrohten und schlecht situierten Handwerken wie die der Schneider, Schuhmacher und Tischler gab es einen Kern äußerst wohlhabender und krisenfester Meister. 190 In den zwanziger und dreißiger Jahren nahm in einer Reihe von Handwerkszweigen die Zahl der gewerbesteuerpflichtigen Meister nicht unerheblich zu, ein sicheres Anzeichen für die Verbesserung ihrer allgemeinen wirtschaftlichen Situation. Die relativ gute ökonomische Situierung verschiedener Handwerksberufe wie einzelner Gewerbetreibender eröffnete dem Handwerk überhaupt erst im Berliner Vormärz eine nicht unwesentliche Teilhabe in der Kommunalpolitik, ohne daß diese Partizipation seinen Mitgliedern soziale Aufstiegschancen verlieh. 191 Kritischen Zeitgenossen wie Saß wußten keinen Ausweg aus dem Prinzip der freien Konkurrenz und seinen ökonomisch-sozialen Folgen. Von seiner Wirkungsmächtigkeit überzeugt, hofften sie auf eine Lösung durch die Geschichte. l92 Der in der Praxis kommunaler Verwaltungs tätigkeit agierende Stadtrat Risch war zur Realisierung von Lösungen verpflichtet, so daß nur regulierende Eingriffe in die Individualität gewerblicher Arbeit übrigblieben. Der Staat hielt statt dessen an der Entfaltung der freiheitlichen Erwerbsgesellschaft fest. Wie im Falle der erhöhten Bürgerrechtsgelder mußte die Ausdehnung der Steuerpflichtigkeit die Entwicklung der Gewerbefreiheit behindern und insbesondere die Initiative von kapitalschwachen, zur Selbständigkeit drängenden Gewerbetreibenden einschränken. Die kommunalen Organe durften in dieser Hinsicht nicht mit einem Entgegenkommen des Staates rechnen, entsprechende Petitionen der Provinziallandtage waren, obwohl der Landtagsabschied der brandenburgischen Stände noch Ende Oktober 1827 "eine zweckmäßiger eingerichtete Besteuerung der Handwerker" versprach, seit 1824 ohne Folgen geblieben. 193 Wie fundamental die Berliner Kommunalpolitik mit den Reglementierungswünschen in die immer wieder beschworene "Gewerbefülle" eingreifen wollte, zeigten ihre Vorstellungen über die Aufbringung der Bürgerrechtsgelder. Stadtverordnete wie Magistrat fanden es völlig unbedenklich, daß unbemittelte Gesellen zwischen ihrem 18. und 28. Lebensjahr durch wöchentliche Ersparnisse "von nur wenigen Silbergroschen" die erforder190 191 192 193

Vgl. Bergmann, Berliner Handwerk, S. 231 ff. Vgl. Kaelble, Berliner Unternehmer, S. 30 ff. Saß, Berlin, S. 158. Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 57.

6. Der kommunale Sozialkonservativismus

265

liehe Summe für den Eintritt in den Bürgerstand aufbrachten. Die lange Phase des Sparens zwang praktisch zu einer sittlichen Lebensweise, welche dem Gesellen keine Gelegenheit bot, "auf eine ihn physisch und moralisch verderbende Weise seinen Verdienst zu vergeuden". 194 Der Zwang zur Sparsamkeit mußte letztlich "eine andere und bessere Lebensrichtung im Gesellenstande" herbeiführen und damit für die fernere Zukunft "ein nicht zu berechnender Einfluß auf die Meisterschaften selbst gewonnen werden".195 Das sittliche Opfer führte den Bürgerstand zu neuer Ehrenhaftigkeit und belebte dessen Gesinnung gleichzeitig mit neuer Ehrsamkeit. Der nicht zum sittlichen Lebenswandel fähige Geselle würde dagegen zwangsläufig vom selbständigen Gewerbebetrieb abgehalten werden und sein Recht verwirken, Mitglied einer Korporation zu werden, da er selbst nicht in der Lage war, deren Zwecke zu erfüllen, während die gewerbliche Verbindung für ihn nur Pflichten zu leisten hätte. Das Stadtbürgertum suchte den sozialen Folgen der Gewerbefreiheit bzw. ihren praktischen Auswirkungen auf den Sozialetat des Kommunalhaushalts durch die Belebung vorbürgerlicher Gemeinschaftsbindungen zu begegnen. Das kollektive Ehrprinzip ersetzte die individuelle Ehrenhaftigkeit. In Berlin als großer Stadt mit zentralen wie zentralörtlichen Funktionen offenbarte sich der gesellschaftliche Wandel in radikalerer Form als in anderen Gemeinden. Zuwanderung und steigende Armenlasten als Folgen gewerblicher Freiheit und Freizügigkeit forderten hier eher und intensiver zur Mobilisierung städtischer Lösungen heraus. Die Stadt verschloß sich nicht unbedingt dem Neuen, wie die Förderung des Schulwesens und des polytechnischen Unterrichts zeigte, aber vom Staat mit einem Gutteil der Folgekosten der Kommunalreform alleingelassen, besann man sich, trotz erheblicher Zuschußzahlungen, auf die sozialkonservative Regulierung der Gewerbeverhältnisse. Eine allgemeine soziale Absicherung des Wandels gab es nicht, die wirtschaftliche Prosperität stellte sich nicht so rasch wie erwartet ein und die Bereitschaft, durch eine gerechtere und sozial ausgeglichenere Einkommensbesteuerung für höhere Kommunaleinkünfte zu sorgen, war im Stadtbürgertum gewiß nicht vorhanden. 6. Der kommunale Sozialkonservativismus und die Allgemeine Gewerbeordnung Die Regulierungsversuche, die man angesichts des nach wie vor verbreiteten handwerklichen Ressentiments gegen die Gewerbefreiheit durchaus nicht als undifferenziert fortschrittsfeindlich bezeichnen konnte, gingen in194 195

A.a.O., S. 55. A. a. 0., S. 56.

266

3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

des weit über die Notwendigkeit hinaus, eine innere Ordnung der Gewerbeverhältnisse herzustellen. 196 Die Erneuerung korporativer Lebensführung und Bindung entsprach nicht dem durch die Gewerbefreiheit in Gang gesetzten modemen Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, daß die Vereinzelung der Person und ihres Seins zum Prinzip erhob. Für das Verständnis kommunalen Handeins darf indessen der von den Berliner Gemeindekörperschaften immer wieder betonte Zusammenhang zwischen Kommunalund Gewerbeverfassung nicht außer Acht gelassen werden. Die im Kommunalrecht entwickelte Form beschränkter bürgerschaftlicher Partizipation korporierte die städtische Gesellschaft über das Bürger- bzw. Wahlrecht, und zwar unabhängig von der daneben existenten Separierung des Staatsbeamtenturns. Das Kommunalrecht kontrastierte die Liberalität der Erwerbsgesellschaft. Politisch-perspektivisch stellte es "an sich" eine Bastion gegen die Egalisierung der bürgerlichen Gesellschaft dar. Der städtebürgerliche Liberalismus suchte in der Gemeinde nicht einen Ausweg aus der unzureichenden Teilnahme an der gesamtstaatlichen Herrschaftsausübung, sondern nutzte von Beginn an die von der Reformgesetzgebung eröffnete und letztlich durch die entfaltete Gewerbetätigkeit gesicherte Einflußsphäre, deren Kontinuität politisch die Abgrenzung nach unten erforderlich machte. 197 Den Preis, den man hierfür bezahlen sollte, lag in der Finanzierung der kommunalen Daseinsvorsorge. Im Vormärz war diese Weiche noch nicht endgültig gestellt, Soziallasten wurden noch als notwendiges Korrelat der Herrschaftssicherung begriffen, daher die Bemühungen der Berliner Stadtverordneten wie der Kommunalbürokratie, die Lasten der Gewerbefreiheit den Gewerbetreibenden möglichst selbst aufzubürden, und durch korporative Regulierungen die Ansiedlungen bzw. Existenzgründungen zu kanali196 Hier bestätigt sich demnach das von Gall beobachtete soziale und wirtschaftliche Erwartungsmodell des vorrnärzlich mittelständisch geprägten Bürgertums, dem eine ebenso sozialkonservative wie antiindustrielle Tendenz zu Grunde lag. Vgl. Gall, Liberalismus und "bürgerliche Gesellschaft". Zu Charakter und Entwicklung der liberalen Bewegung in Deutschland, in: Liberalismus, S. 162-186. Die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen des handwerklichen Mittelstands resultierten allerdings nicht nur aus der Erfahrung vorindustrieller Lebens- und Arbeitsverhältnisse, sondern sie waren ein nicht minder bedeutender Reflex aktueller Erfahrungen. Vgl. auch Thamer, Emanzipation, S. 71 f. 197 Kaschuba, Politische Horizonte, S. 103 ff., sieht mit Blick auf die südwestdeutschen Verhältnisse die Entwicklung eines "bürgerlichen Klassenprogramms", das dem Kammerparlamentarismus und Wahlrecht, dem lokalen Bürgerrecht und der kommunalen Selbstverwaltung einen "sozialen Numerus clausus" unterlegt, erst durch die Revolutionserfahrung begründet. Im vormärzlichen Bürgertum Berlins kommt die Entwicklung von Gleichheitsvorstellungen, von bildungsbürgerlichen Ausnahmen abgesehen, erst gar nicht zum Zuge. Gegenüber der "Vision eines Bürgerstaates" übt man zielbewußt politisch-soziale Distanz.

6. Der kommunale Sozialkonservativismus

267

sieren. 198 Die Hartnäckigkeit des Staates in der Frage der gewerblichen Liberalität machte die Regulierungsabsichten der Städte jedoch zunichte. Zehnjährige Antrittszeiten zum Bürgerrecht waren ebenso unrealistisch und kontraproduktiv wie die Hinterlegung hoher Kautionen für die Absicherung des eventuell eintretenden Unterstützungsfalls. In letzterer Hinsicht hatten die Berliner Kommunalbehörden im übrigen selbst eingesehen, daß hier schon die Ausführung auf erhebliche Schwierigkeiten stieß. 199 Im Jahre 1840 legten die Berliner Stadtverordneten, nachdem die Gewerbegesetze im Oktober des vorangegangenen Jahres dem Staatsrat zur Beratung zugeleitet worden waren, in einem an den Monarchen gerichteten Memorandum ihre Bedenken gegen die Regierungsentwürfe dar. Stadtrat Risch bezeichnete diese Denkschrift als dasjenige Dokument, welches wohl unstrittig den "wichtigsten Einfluß" auf die Gestaltung der Allgemeinen Gewerbeordnung genommen hatte. 2oo Wie dem im einzelnen auch sei, die Berliner Gemeinderepräsentation monierte am Ministerialentwurf das Fehlen zweier für die "lebendige Wirksamkeit" der Gewerbeordnung wesentliche Bedingungen: die allgemeine Verpflichtung eines Befähigungsnachweises zum Gewerbebetrieb und die durch den Beitrittszwang verbürgte Sicherheit für die Bildung jener Vereine, deren Existenz der Regierungsentwurf selbst zur Voraussetzung geordneter Gewerbeverhältnisse gemacht hatte?OI Da die Gemeindevertretung nicht mit einer allgemeinen Umkehr in der staatlichen Gewerbepolitik rechnen konnte, mithin nicht zu erwarten war, daß insbesondere der allgemeine Beitrittszwang zu den Korporationen genehmigt werden würde, hatte sie ein Alternativkonzept entwickelt. Danach wollte man sich weitgehend auf die kommunalen Regulierungsbedürfnisse im Lehrlings- und Prüfungs wesen und die Förderung gewerblicher Korporationen unter bürgerrechtlicher Bindung beschränken. Das Recht auf Lehrlingsausbildung sollte nur solchen Gewerbetreibenden zugestanden werden, 198 Nipperdeys Überlegungen zur Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und insbesondere zu der in ihrer Konstituierung entfalteten sozialen Mobilität (Geschichte 1800-1866, S. 262 ff.) berücksichtigen zu wenig den Sozialkonservativismus des Stadtbürgertums, während Wehler (Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 175 f.) mit dem Defensivbegriff präziser die politische Haltung im Bürgertum umreißt, mit der Konstruktion eines Gegensatzes zwischen der "unitarisch-zentralstaatliche(n) Gesetzgebung", "welche die Ungleichheit zwischen Vollbürgern, Bei- oder Hintersassen und rechtlosen Unterschichten im Prinzip durch die Stadtgemeinde gleichberechtigter Staatsbürger-Einwohner ersetzen wollte", und den in defensiver Reaktion verharrenden Städten schießt er indessen über das Ziel hinaus, denn die preußische Ministerialbürokratie dachte keinesfalls daran, die korporative Natur des Kommunalrechts aufzugeben. 199 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 55. 200 A. a. 0., S. 28. Roehl, Handwerkerpolitik, S. 229, hält diese Einschätzung für "übertrieben". Bei Roehl auch weitere kommunale Petitionen, a. a. 0., S. 230 f. 201 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 28 f.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

die einen technischen Befähigungsnachweis vorlegen konnten und sich durch ihr Verhalten nicht als unwürdig erwiesen hatten. Das Verhältnis zwischen Meister und Lehrling mußte von der Obrigkeit angemessen überwacht werden. Vor dem Eintritt des Lehrlings in den Gesellenstand war "eine Prüfung der technischen Geschicklichkeit" abzulegen und ein amtliches Zeugnis über das Verhalten auszufertigen. Da die Vereinigung der Gewerbetreibenden in Genossenschaften gefördert werden sollte, mußte unter Mitwirkung der Kommunalbehörden für eine Umarbeitung der Statuten sämtlicher noch bestehenden Verbindungen gesorgt werden. Für die Bildung neuer gewerblicher Vereine war insoweit zu sorgen, als das Einverständnis der betreffenden Mitglieder eines Gewerbes und der Kommunalbehörden vorlag?02 Als Voraussetzungen einer Vereinsmitgliedschaft verlangten die Berliner Stadtverordneten den Nachweis der Unbescholtenheit und der fachlichen Fähigkeit sowie den Gewinn des Bürgerrechts mit sämtlichen Ehrenrechten. Die städtischen Forderungen fanden, nachdem Friedrich Wilhelm IV. ihre Berücksichtigung in der ersten Dezemberwoche 1840 versprochen hatte, fast uneingeschränkt Eingang in die knapp vier Jahre später erlassene Allgemeine Gewerbeordnung. 203 Die Kommunalkörperschaften hatten richtig erkannt, daß eine Umkehr in der staatlichen Gewerbepolitik nicht durchsetzbar, Korrekturen hingegen möglich waren. Die in einem Komprorniß mündenden langjährigen Auseinandersetzungen konnten sie gleichwohl befriedigen, denn ihnen lag nur daran, wie Risch betonte, "polizeiliche Ordnung und Regel,,204 in die Verhältnisse der Gewerbetreibenden, Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge zu bringen. Diese Ziel wurde nicht auf direktem Wege, etwa durch die Restituierung längst überholter Zwangsrechte, sondern in indirekter Form durch Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften sowie Qualifikationsnachweise erreicht, ohne daß diese durch ihre Allgemeinheit erneut eine Schranke für die Gewerbefreiheit darstellten. Der Staat hatte überdies dem Drängen der Kommunen nachgegeben, ihnen im Hinblick auf die Innungen, die Beschäftigungs- und Ausbildungsverhältnisse, aber auch das Prüfungswesen Aufsichtsrechte einzuräumen?05 Diese Befugnisse übergab die Gewerbeordnung in den Städten "der Kommunalbehörde", auf dem Lande der "Ortspolizei-Obrigkeit". A. a. 0., S. 29 f. Allgemeine Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845. GS 1845, S. 41-78. Zur generellen Einordnung der Gewerbeordnung die übereinstimmenden Urteile von Roehl, Handwerkerpolitik, S. 271; Obenaus, Anfänge, S. 490; Koselleck, Preußen, S. 597 f. u. Mieck, Gewerbepolitik, S. 211. 204 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 32. Zu den Staatsratsverhandlungen, insbesondere die Berücksichtigung der Berliner Forderungen Roehl, Handwerkerpolitik, S. 235 ff. 205 Vgl. dazu auch Hendler, Selbstverwaltung, S. 99. 202

203

6. Der kommunale Sozialkonservativismus

269

Die gewerberechtlichen Zuständigkeiten unterlagen demnach allein dem Magistrat als Ortsobrigkeit, eine Mitwirkung der Gemeinderepräsentationen, insbesondere in aufsichtsrechtlicher Hinsicht, war nicht vorgesehen. Verwaltungsrechtlich fand eine Kommunalisierung ortspolizeilicher, mithin staatlicher Funktionen statt. 206 In Städten ohne königliche Polizeiverwaltung, zu denen Berlin bekanntlich nicht gehörte, wurde die AufgabensteIlung der Magistrate noch dadurch intensiviert, daß die Gewerbeordnung die kommunalen gewerberechtlichen Kompetenzen insofern durch staatliche Aufgaben ergänzte, als die Bürgermeister bzw. Magistrate Prüfungsund Aufsichtsrechte bei der Konzessionserteilung ausübten. 207 Die kommunale Einflußnahme auf die handwerkliche Gewerbeorganisation wurde durch die den Städten eingeräumten ortstatutarischen Rechte weiter ausgedehnt. Regelungen durch Ortsstatut schlossen allerdings die Mitwirkung der Gemeindevertretung ein. Nur auf Grund eines "Gemeindebeschlusses", d.h. einer gemeinsamen Entschließung VOn Magistrat und Stadtverordneten, konnten sämtliche Vorschriften der Gewerbeordnung zu den Innungen sowie den Ausbildungs- und Beschäftigungsverhältnissen ortsstatutarisch abgeändert werden?08 Die betroffenen Gewerbetreibenden bzw. bestehende Innungen verfügten in diesem Fall nur über ein Anhörungsrecht. Lediglich wenn durch ein entsprechendes Statut "die Verfassung" einer bestehenden Innung abgeändert werden sollte, war deren Zustimmung erforderlich. Die Erweiterung der kommunalen Zuständigkeit wurde von Stadtrat Risch außerordentlich begrüßt. Er sah durch diese Regelung die Möglichkeit, die örtlichen Bedürfnisse jeder einzelnen Stadt stärker zu berücksichtigen. Die Städteverwaltungen konnten auf diese Weise die Entwicklung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse, sowohl in gewerblicher als auch "sittlicher" Beziehung, beeinflussen. Die Ministerialbürokratie hatte mit einer anhaltenden restriktiven Haltung der Kommunen in der Frage der Gewerbefreiheit gerechnet, sich der Rückkehr zu autoritären Ordnungsvorstellungen jedoch verschlossen, obwohl in den Beratungen des Staatsrats Disziplinierungsfragen, nicht zuletzt in politischer Hinsicht, eine große Rolle gespielt hatten. 209 Trotz allen restaurativen Drucks waren wirtschafts- und sozialpolitisch vertretbare Lösungen gefragt. Die Gewährung kommunaler Zuständigkeiten im Gewerberecht konnte freilich zur Förderung korporativer Tendenzen beitragen,210 nicht nur auf Grund des Sozialkonservativismus

Vgl. dazu Rönne, Staatsrecht, Bd. 4, S. 95 f. Vgl. § 22, Tit. 2, PrGewO 1845. OS 1845, S. 45. 208 § 168, Tit. 9, PrGewO 1845. OS 1845, S. 73. 209 Roehl, Handwerkerpolitik, S. 236. Koselleck, Preußen, S. 598 f. Obenaus, Anfänge, S. 490 f. 210 Roehl, Handwerkerpolitik, S. 239. 206 207

19 Grzywatz

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Refonnzeit

der Kommunalbürokratie, sondern auch wegen des direkten politischen Einflusses des gewerblichen Mittelstands in den Gemeindevertretungen,zll Die Gewerbeordnung gab den lange umstrittenen Weg subsidiärer Geltung auf, ließ mithin etwaigen provinziellen Sonderrechten keinen Spielraum. Das Gesetz ging grundsätzlich von der Gewerbefreiheit aus und beseitigte alle noch vorhandenen Beschränkungen des freien Gewerbebetriebs. Das betraf die ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, sämtliche Berechtigungen zur Erteilung gewerblicher Konzessionen, die Beschränkung einzelner Gewerbe auf die Städte und im wesentlichen auch die Zwangs- und Bannrechte. Die individuellen Voraussetzungen der Gewerbetätigkeit beschränkte das Gesetz auf die Dispositionsfähigkeit und den festen Wohnsitz,212 nur ausnahmsweise war der Nachweis fachlicher Qualifikation gefordert. Die Eröffnung eines Gewerbebetriebs erforderte keine Erlaubnis, es bestand nur eine Anzeigepflicht. 213 Eine polizeiliche Genehmigung war nur bei solchen Gewerbetätigkeiten erforderlich, von deren betrieblichen Anlagen Gefahren und Belästigungen ausgingen oder die durch unkundige Betriebsführung bzw. Unzuverlässigkeit des Unternehmers das Gemeinwohl oder das Erreichen allgemeiner polizeilicher Zwecke gefährdete,z14 Der Ausgleich zwischen dem unangefochtenen Prinzip gewerblicher Freiheit und dem kommunalen wie handwerklichen Interesse an korporativer Bindung wurde durch die freiwillige Bildung von Innungen gesucht, ohne daß ein direkter Beitrittszwang entwickelt war. Indirekt bestand der Zwang zum Innungsbeitritt dadurch, daß entsprechend den Berliner Vorschlägen das Recht zur Lehrlingsausbildung von einem durch Prüfung erbrachten Befähigungsnachweis abhängig gemacht wurde. Die persönlichen Voraussetzungen zum Gewerbebetrieb waren in diesem Fall weiter ausgedehnt, indem Unbescholtenheit verlangt wurde und der Gewerbetreibende weder in einer Kriminaluntersuchung noch in einem Konkursverfahren verwickelt sein durfte. Die Gewerbeordnung legte die prüfungspflichtigen Handwerks211 Vgl. dazu Sheehan, Liberalismus und Gesellschaft, S. 218. Noch im Jahresbericht des Stadtverordneten-Vorstehers Johann Friedrich Desselmann für 1841 findet sich die Äußerung, daß die Gewerbefreiheit "mit den innersten Prinzipien des bürgerlichen Verkehrs nicht vereinbar sei und Tausende Familien schon dadurch dem sicheren Elend entgegengegangen seien". Zit. nach Clauswitz, Städteordnung, S. 209. Desselmann war Posamentienneister und 1822 zum ersten Mal in die Gemeindevertretung gewählt worden. Er gehörte der Stadtverordneten-Versammlung ohne Unterbrechung bis 1844 an. Das Amt des Stadtverordneten-Vorstehers bekleidete er seit 1828. A. a. 0., S. IX. Pahlmann, Anfänge, S. 241, 246, 252, 258, 264, 270 u. 315. 212 § 14, Tit. 2, PrGewO 1845. GS 1845, S. 44. Vgl. dazu Rüfner, Verwaltungstätigkeit, S. 477. 213 § 22, Tit. 2, PrGewO 1845. GS 1845, S. 45. 214 §§ 26 ff., Tit. 2, PrGewO 1845. A.a.O., S. 46 ff.

6. Der kommunale Sozialkonservativismus

271

berufe namentlich fest, wobei es den Regierungsbehörden überlassen blieb, deren Umfang "nach Maßgabe der örtlichen Verhältnisse" zu erweitern oder zu reduzieren?I5 Die älteren, noch gesetzlich bestehenden Innungen sollten unter Revision ihrer Statuten fortbestehen, doch ebenso wie im Fall neu gebildeter Innungen durften sie weder besondere Vorrechte für die Mitglieder begründen noch durften ihnen ausschließliche Gewerbeberechtigungen beigelegt werden. Keine Innung konnte für geschlossen erklärt, ebenso wenig durfte den Innungsmitgliedern hinsichtlich der Gewerbetätigkeit ausschließliche materielle Vorteile eingeräumt werden?I6 Die Innungen bestanden nur noch als freie privatrechtliche Vereinigungen fort,217 die handwerkliche Berufsinteressen bzw. die gewerblichen Interessen des selbständigen Handwerks pflegten und förderten. Innerhalb ihres Mitgliederkreises sollten sie die Aufnahme, Ausbildung und das Betragen der Lehrlinge, Gesellen und Gehilfen beaufsichtigen, die gemeinsamen Spar- und sozialen Unterstützungskassen verwalten sowie die Fürsorge zugunsten der Witwen und Waisen übernehmen. 218 Die Innungskassen leisteten nach Auffassung des Berliner Magistrats einen wichtigen Beitrag zur Entlastung des Kommunaletats. 219 1845 bestanden in Berlin 60 Gesellenkranken- und -sterbekassen, die 30052 Reichstaler an Kranken- und Sterbegeld auszahlten und insgsamt 8107 Unterstützungsfälle bearbeiteten. Die Barbestände der Kassen betrugen am Jahresende etwa 28500 Reichstaler. 22o Die Innungsstatuten bedurften der ministeriellen Bestätigung, nach deren Erteilung erhielten die Innungen die Rechte einer Korporation, das hieß die Rechtsfähigkeit. 22I 215

§§ 126 f. u. 131 f., Tit. 7 i.V.m. § 108. Tit. 6, PrGewO 1845. Aa.O., S. 61 f.

u. 65 f.

216 §§ 94 u. 96--98, Tit. 6, PrGewO 1845. A a. 0., S. 58 f. Eine Ausnahme gab es weiterhin im Bereich der kaufmännischen Rechte, deren Erwerb bedingte den Beitritt zur kaufmännischen Korporation. 217 Vgl. dazu Eduard Otto, Das deutsche Handwerk in seiner kulturgeschichtlichen Entwicklung, 5Leipzig-Berlin 1920, S. 93 f. Johannes Keucher, Geschichtliche Entwicklung und gegenwärtiger Stand des Kammer-Systems, Jur. Diss., Halle 1931, S. 94. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 206 ff.; Bd. 4, S. 997 f. 218 § 103, Tit. 6, PrGewO 1845. GS 1845, S. 60. Zur konkreten Entwicklung der Innungsfunktionen im frühen 19. Jahrhundert siehe Bergmann, Berliner Handwerk, S. 46 ff. Durch die Beaufsichtigung der Lehrlingsausbildung wurden den Innungen allerdings eine hoheitliche Funktion zugewiesen, die sie faktisch zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts machte. Vgl. dazu Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 1012. Kaufhold, Gewerbepolitik, S. 150. 219 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 199. 220 Vgl. die nach Berufen spezifizierte Aufstellung bei Risch, Gewerbe-Ordnung, Anlage H, S. 268 ff. 221 §§ 101, Abs. 2 u. 105, Tit. 6, PrGewO 1845. GS 1845, S. 60 f. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 1012. 19*

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Die kommun al behördliche Aufsicht und Einflußnahme bezog sich, soweit sie noch nicht angesprochen wurde, im einzelnen auf die Entscheidung über die Zulassung zur Innung, wenn die im Gesetz festgelegten Voraussetzungen einer ordentlichen Aufnahme im Wege standen, bzw. über den Ausschluß aus der Korporation, insbesondere wenn einzelne Handlungen oder die Lebensweise eines Mitglieds hierzu Anlaß gaben?22 Die Vorberatungen zur Einrichtung einer neuen Innung standen unter Leitung der Stadtmagistrate, während bei den ständigen Beratungen der Innungen stets ein Mitglied der kommunalen Exekutive zugegen sein mußte, um die Gesetzmäßigkeit der Beschlüsse zu überwachen. Das durch Beschlüsse einer Innung zu ordnende Etat-, Kassen- und Rechnungswesen unterstand der gemeindlichen Aufsicht, der Entzug des Stimm- oder Teilnahmerechts an der Innungsverwaltung bedurfte der Zustimmung der Kommunalbehörde. Die von den Mitgliedern gewählten Innungsvorsteher mußten kommunal behördlich bestätigt werden. 223 Abweichungen von den Innungsstatuten oder von der Gewerbeordnung waren an die Zustimmung der Gemeindeverwaltung gebunden, während innerverbandliehe Streitigkeiten über die Aufnahme oder den Ausschluß von Mitgliedern ebenfalls den Stadtmagistraten zur Entscheidung vorgelegt werden mußten. Solche Streitigkeiten, die das Beschäftigungsoder Lehrlingsverhältnis betrafen, entschied, wenn es sich um ein Mitglied der Korporation handelte, der Innungsvorsteher unter Vorsitz eines Magistratsmitglieds, in allen anderen Fällen war die Entscheidung der Ortspolizeibehörde einzuholen?24 Parallel zu den Aufsichtsrechten der Kommunen im Innungswesen hatte man ihnen im gleichen inhaltlichen Umfang die Kompetenzen bei der Lehrlingsausbildung übergeben. 225 Die für die Innungsaufnahme und das Recht zur Lehrlingsausbildung erforderlichen Prüfungen sollten durch Orts- und Distriktsprüfungsbehörden vorgenommen werden, die von den Regierungen nach Vorschlägen der Kommunalverwaltungen zu besetzen waren. Bei der Kandidatensuche hatten die Gemeindebehörden vornehmlich die Mitglieder der Innungen zu berücksichtigen. Ein Mitglied der Kommunalbehörde führte den Vorsitz im Prüfungsgremium. Die Prüfung von nicht innungsangehörigen Lehrlingen oblag der Gemeindebehörde unter Zuziehung von Sachverständigen, ansonsten wurden diese von den Innungen vorgenommen. Bei der Prüfung von selbständigen Innungsmitgliedern mußte der von der Kommunalbehörde bestellte Vorsitzende die Leitung übernehmen. 226 103, 107 u. 117, Abs. 1, Tit. 6, PrGewO 1845. GS 1845, S. 60 f. u. 63. 105, 112 f. u. 119, Abs. 2, Tit. 6, PrGewO 1845. A.a.O., S. 61 ff. 224 120, 122, Tit. 6 u. 137, Abs. 2, Tit. 7, PrGewO 1845. A.a.O., S. 64 u. 67. 225 127, Ziff. 3, 128, 130, 133, 137, Abs. 2, Ziff. 1 u. 147, Abs. 2, Tit. 8, PrGewO 1845. A.a.O., S. 65 ff. 222 223

§§ §§ §§ §§

6. Der kommunale Sozialkonservativismus

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Trotz der vom Gesetz eröffneten kommunalen Einflußnahme auf die Organisation der Gewerbetätigkeit, welche die Eigenverwaltung der Innungen deutlich beschränkte - erst die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869 sollte das Innungsleben zumindest teilweise von der Kommunalaufsicht befreien227 -, herrschte in Berlin Unzufriedenheit über die aufsichtsrechtlichen Kompetenzen des Magistrats und die als ungenügend angesehene Einbindung des Bürgerrechts in die Gewerbeordnung. Prinzipiell war die Gewerbetätigkeit nicht vom Erwerb des Bürgerrechts abhängig gemacht worden. Eine entsprechende Verpflichtung bestand nach der Gewerbeordnung nur dort, wo der Bürgerrechtserwerb durch die bestehende städtische Verfassung begründet war. Doch selbst wenn die Kommunaladministration im Falle einer Weigerung die Vollstreckung anordnete, durfte diese nicht bis zum Verbot des Gewerbebetriebs gehen. 228 In Berlin waren beim Erlaß der Gewerbeordnung insgesamt 371 Berufe, vom Wund-, Zahn- und Tierarzt bis zum Zwimmacher, mit der Verpflichtung zum Bürgerrecht belegt. 229 Es waren ebenso akademische wie kaufmännische und handwerkliche Berufe betroffen. Die Gemeindekörperschaften hielten eine solche Regelung, mochte sie im Einzelfall noch so weit gehen, für nicht ausreichend, da sie, wie dargelegt, von der Notwendigkeit der prinzipiellen Verknüpfung des Bürgerrechts und der Gewerbetätigkeit absah. Das Berliner Handwerk erblickte in der Konkurrenz von Bürger- und Gewerberecht, das hieß in jenen vermeintlich zweideutigen Bestimmungen der Gewerbeordnung, die einerseits generell ihre Trennung veranlaßten, andererseits die Gewerbeausübung in einzelnen Fällen an die Bürgerrechtspflichtigkeit band, eine widersprüchliche Gesetzesregelung, bei der sich Ausnahme und Regel mit gleichem Recht gegenüberstanden. Im Handwerk hielt man am Begriff der "Standesehre" fest und forderte weiterhin deren Belebung, indem die Gerwerbebefugnis dem Bürgerrecht nachgeordnet und mithin die Gewerbetätigkeit dessen Besitz einschließlich der Ehrenrechte voraussetzen sollte. 23o Die Einlösung dieser Forderung hätte faktisch eine Wiederherstellung der kommunalen Rechtsverhältnisse bedeutet, wie sie vor dem Jahr 1822 bestanden hatten. Viele Gewerbetreibende, insbesondere 226 §§ 162, Tit. 8 u. 157, Abs. 2-4, Tit. 7, PrGewO 1845. A.a.O., S. 71 f. Zur Bildung und Besetzung der nach Berufen und Berufsgattungen differenzierten Prüfungsgremien vgl. Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 200 ff. 227 Vgl. Rönne, Staatsrecht, Bd. 3, S. 495. Der aufsichtsrechtliche Einfluß der Kommunalverwaltung wurde in dem vom Berliner Magistrat nach dem Erlaß der Gewerbeordnung von 1845 entworfenen allgemeinen Normalstatut für sämtliche Berliner Innungen noch deutlicher herausgestellt. Abdruck des Statuts mit Erläuterungen bei Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 83 ff. 228 § 20, Tit. 2, PrGewO 1845. GS 1845, S. 45. 229 Risch, Gewerbe-Ordnung, Anlage A, S. 219 ff. 230 Roehl, Handwerkerpolitik, S. 229.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

ein Teil der Schutzverwandten, vielfach aber auch Landhandwerker, hätten zukünftig von der Gewerbetätigkeit ausgeschlossen werden müssen. Das lag weder im Interesse der staatlichen Gewerbepolitik noch der sozialen Stabilität. Das Staatsministerium hätte daneben den 1831 eingeschlagenen Weg zur Durchsetzung der Einwohnergemeinde im preußischen Kommunalrecht verlassen müssen, der jedoch in der Kommunalgesetzgebung konsequent beibehalten worden war. Die westfälische Landgemeindeordnung dehnte das Prinzip der Einwohnergemeinde Ende Oktober 1841 auf die ländlichen Kommunalbezirke aus, jedenfalls soweit die wirtschaftlichen Rechte der Gemeindemitgliedschaft betroffen waren?3l Am Tag der Bekanntgabe der Landgemeindeordnung wurde der Grundsatz der Einwohnergemeinde eher beiläufig erstmals auf die politischen Gemeinderechte ausgedehnt. In einer Verordnung zur Kommunalverfassung derjenigen westfälischen Städte, in denen bislang die Städteordnung nicht eingeführt war, wurde für Gemeinden unter 2500 Einwohnern weder die Aufnahme in das Bürgerrecht vorgeschrieben noch leitete sich das Bürgerrecht aus dem Umstand des Hausund Grundbesitzes ab. 232 Allein die Wohnsitznahme im Stadtgebiet begründete den Bürgerrechtserwerb unter der Bedingung, daß die sonst üblichen Voraussetzungen (Alter, Unbescholtenheit) erfüllt waren. Die im Juli 1845, also nur fünf Monate nach Erlaß der Gewerbeordnung in Kraft getretene rheinische Gemeindeordnung setzte die Einwohnergemeinde im Gesamtbereich eines Provinzialgesetzes durch, wenngleich die politische Einwohnergemeinde wie in Westfalen weiterhin in Verbindung mit der Bürger- und Grundbesitzergemeinde stand?33 Das hieß, auch hier war die Gemeindemitgliedschaft ohne Dazwischentreten einer Aufnahme durch bloße Wohnsitznahme garantiert, während die politischen Teilnahmerechte durch Hausbesitz und Zensus mehr oder weniger eingeschränkt blieben. Die mit der Gewerbeordnung verbundene Entschädigungsfrage hatte zwischenzeitlich jede Brisanz verloren. Stadtrat Risch erwähnte sie nur noch in Zusammenhang mit den Verhältnissen in den seit 1815 neu oder wieder erworbenen Gebieten. 234 Die Einstellung des Handwerks zur bürgerrechtli231 Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen vom 3l. Oktober 184l. GS 1841, S. 297-322. Vgl. dazu Apetz, Einwohnergemeinde, S. 34 ff. 232 Verordnung über die Einrichtung der Gemeindeverfassung in denjenigen Städten der Provinz Westfalen, in welchen die Städteordnung bisher nicht eingeführt ist, vom 3l. Oktober 184l. GS 1841, S. 322-324. 233 Rheinische Gemeindeordnung vom 23. Juli 1845. GS 1845, S. 523-554. Vgl. dazu Apetz, Einwohnergemeinde, S. 41 ff. 234 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 34. Siehe das Entschädigungsgesetz zur allgemeinen Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845. GS 1845, S. 79-82. Vgl. dazu Roehl, Handwerkerpolitik, S. 264 ff.

6. Der kommunale Sozialkonservativismus

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chen Absicherung der Gewerbefreiheit fand inzwischen nicht mehr die ungeteilte Zustimmung des Berliner Stadtbürgertums. Ein Teil des großindustriellen Unternehmertums, daß vom Handwerk bzw. gewerblichen Mittelstand mitunter als "Spekulantenturn" abqualifiziert235 und in seiner vermeintlichen Tendenz bekämpft wurde, die Handwerker zu unselbständigen Arbeitern herabzudrücken, vertrat in den vierziger Jahren einen dezidierten wirtschaftlichen Liberalismus. Diese Industriellen wehrten sich ebenso gegen die "künstlichen Gebäude der Gewerbe-Ordnungen,,236 wie gegen die Beteiligung des Handwerks an wirtschaftspolitischen Entscheidungen und das Prüfungsmonopol der Innungen. Solche Äußerungen, auch wenn sie hier teilweise einer etwas späteren Zeit entnommen sind, profilierten Interessensdifferenzen zwischen Handwerk und Industrie. Die in den vierziger Jahren zunehmend spürbarer zu Tage tretende Handwerkskrise resultierte in erheblichem Umfang aus einem strukturellen Wandel der handwerklichen Produktion. Rationalisierung und Bedarfsverschiebungen, Spezialisierung und Nachfrageveränderungen, Lagerproduktion und Ausweitung des Handels mit Handwerkswaren verschärften die innerhandwerkliche Konkurrenz?37 Das "zentrale Geschehen,,238 für die Entwicklung des Handwerks äußerte sich jedoch in der Industrialisierung. Die industrielle Produktion erfaßte zwar bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht sämtliche Bereiche der handwerklichen Gewerbetätigkeit, aber in textilund metallverarbeitenden Handwerkszweigen machte sich die Konkurrenz des Fabriksystems nur zu deutlich bemerkbar. Kommunalpolitisch dominierte im Vormärz das mittelständische Gewerbe. 239 Es hatte seinen Einfluß in der Gemeinderepräsentation zur Mobilisierung gegen die Gewerbefreiheit effizient zu nutzen gewußt und in der Kommunalbürokratie einen durch haushaltspolitische Motive bewegten Mitstreiter gefunden. Die Gewerbeordnung erneuerte gleichsam das Bündnis zwischen Handwerk und Kommunaladministration, indem die Gemeindeverwaltung wichtige aufsichtsrechtliche Funktionen bei der Gewerbeorganisation übernahm. Dieses Bündnis dürfte das Beharrungsvermögen sozialkonservativer Ordnungsvorstellungen in den Kommunalkörperschaften verstärkt haben. Ein politischer Wandel oder zumindest eine stärkere Differenzierung der politischen Meinungsbildung war gemeindeintem nur von einer veränderten sozialen Zusammensetzung der Gemeinderepräsentation zu erwarten. Kaelble, Berliner Unternehmer, S. 138 ff. u. 244 ff. Siehe dazu Leonor Reichenheim, Das preußische Handels-Ministerium und die Gewerbefreiheit, Berlin 1860, S. 14. Vgl. Kaelble, Berliner Unternehmer, S. 247. 237 Bergmann, Berliner Handwerk, S. 184 ff. Treue, Wirtschafts- und Technikgeschichte Preußens (= VHKB, Bd. 56), Berlin-New York 1984, S. 316 ff. 238 Bergmann, Berliner Handwerk, S. 314. 239 Vgl. Kaelble, Berliner Unternehmer, S. 177. 235

236

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

Die kommunalpolitische Einflußnahme des Handwerks wurde durch die im älteren Kommunalrecht angelegte starke Stellung der Gemeindevertretung begünstigt. Das 1834 erlassene Geschäftsregulativ für den Berliner Magistrat240 hatte die Stellung des Magistrats in der Gemeindeverwaltung, insbesondere hinsichtlich der Aufsichtsrechte des Magistratsdirigenten über die Deputationen und Kommissionen, gestärkt, das Verhältnis von Magistrat und Stadtverordneten war dadurch indessen nur mittelbar berührt. Die Gemeindevertretung konnte selbstredend nicht in die unmittelbare Verwaltungstätigkeit eingreifen, da den Stadtverordneten jedoch die Kontrolle über die gesamte städtische Verwaltung übergeben war und der Magistrat gleichsam nur "ein Exekutivorgan der Stadtverordneten-Versammlung,,241 darstellte, bereitete es den Repräsentanten keine Schwierigkeiten, die Gewerbefreiheit stetig zu einem Gegenstand kommunaler Beratung zu machen. Nun gehörten Gewerbesachen generell, wie das Innenministerium noch im April 1835 festgestellt hatte,242 nicht zu den Kommunalangelegenheiten, sondern sie fielen in die Zuständigkeit der Ortspolizei. In dieser Hinsicht hielt der Berliner Magistrat daher den Umfang der kommunalisierten gewerbepolizeilichen Funktionen für ebenso unzureichend wie das materielle Prüfungsrecht der Gemeinde. Die kommunale Exekutive konnte lediglich die Gewerbeanmeldungen entgegennehmen, während die Ortspolizeiverwaltung die Voraussetzungen zum Gewerbebetrieb prüfte. Durch die Separierung der ortspolizeilichen Kompetenzen von der Kommunalverwaltung und die Einrichtung einer staatlich administrierten Ortspolizeiverwaltung sah sich die Kommunalverwaltung erneut in ihrer "Selbständigkeit" beschränkt und, wie Risch räsonnierte, gegenüber kleinen und mittleren Städten in ihrem Wirkungskreis wesentlich eingeengt. Risch verwies auf die fachliche Kompetenz der Berliner Kommunaladministration, die es wohl zuließ, städtische Interessen in allgemeineren Zusammenhängen zu reflektieren. Zudem lag das Bildungsniveau der Berliner Kommunalbeamten nicht unter dem anderer Städte, denen auf Grund der ortspolizeilichen Zuständigkeit auch das von der Gewerbeordnung vorgesehene Genehmigungsverfahren zur Ausführung übergeben war. 243 240 Regulativ über das Geschäftsverfahren für den Magistrat in Berlin vom 14./ 18. Juli 1834, in: APSV, Bd. 18 (1834), S. 756-781. Ausführlicher dazu in Kap. 4. 241 Hans Herrnann Meissner, Grundsätze der Steinschen Städteordnung vom 19. November 1808 und deren Entwicklung in den späteren preußischen Gemeindeverfassungsgesetzen, Jur. Diss., Greifswald 1913, S. 66. 242 Resolution des Innenministeriums vom 22. April 1835. APSV, Bd. 19 (1835), S.434. 243 Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 72 f. Von den gewerbepolizeilichen Funktionen war die sogenannte Gewerkspolizei zu unterscheiden. Sie bezog sich auf die Beaufsichtigung sämtlicher Gewerksangelegenheiten und unterstand seit Einführung der Städteordnung dem Magistrat. Diese im Februar 1840 von der Ministerialbürokratie

6. Der kommunale Sozialkonservativismus

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Auf den grundsätzlichen Konflikt zwischen Stadt und Staat über die Aufteilung und den Umfang der ortspolizeilichen Kompetenzen wurde schon ausführlich hingewiesen, hier bleibt nur anzumerken, daß der Berliner Magistrat bezeichnenderweise die Übertragung ortspolizeilicher Funktionen mit einem Mehr an Selbständigkeit gleichsetzte. Eine solche Interpretation widersprach aber im Grunde genommen dem geltenden Kommunalrecht, das eben nicht an der Staatlichkeit der Polizei rüttelte und diese nur als übertragenen Aufgabenkreis an die Gemeinden überwies. Die örtliche Polizei verwaltung beinhaltete folglich, auch wenn sie von einem Gemeindebeamten ausgeübt wurde, nicht administrative Selbständigkeit. Derartige städtische Auffassungen veranlaßten die Ministerialbürokratie allemal, bei der Erweiterung kommunaler Kompetenzen im Polizeibereich mit Zurückhaltung zu agieren.

Im Entwurf zum allgemeinen Gewerbepolizeigesetz hatte man 1837 allerdings die Bestimmung aufgenommen, daß in der Regel die Gemeindeverwaltung die Zulässigkeit des angemeldeten Gewerbes prüfen und sie darüber hinaus feststellen sollte, ob die Gewerbetätigkeit vom Nachweis eines Zeugnisses abhängig war. Der brandenburgische Provinziallandtag hatte ebenfalls gefordert, die Prüfung und Zulässigkeit eines angemeldeten Gewerbebetriebs zumindest in jenen Städten, in denen die Gewerbeordnung eingeführt war, den Kommunalbehörden zu überlassen. Die Berliner Gemeindekörperschaften wollten den Einfluß der Regierung auf "gewisse Kontroll-Maßregeln" eingeschränkt sehen. In Fällen von erheblicher Bedeutung sollte die Ablehnung eines Gewerbes nicht ohne städtische Stellungnahme vorgenommen werden. Da die Gewerbetätigkeit nach Gemeindeauffassung vornehmlich kommunale Interessen berührte, mußte insbesondere gewährleistet sein, daß die Gemeinde diejenigen Gewerbetreibenden kontrollierte, die zum Erwerb des Bürgerrechts verpflichtet oder die zum Innungsbeitritt bereit waren. Der Berliner Magistrat beharrte auf eine in eigener Regie geführte Ausübung der gewerbepolizeilichen Funktionen. Eine Forderung, die Stadtrat Risch grundsätzlich in den Zusammenhang mit dem Wunsch nach einer "freiere(n) Durchführung des Kommunalwesens,,244 stellte. Ein deutliches Zeichen, wie stark sich Kommunalbürokratie und Stadtbürgertum in den vierziger Jahren der Bedeutung kommunaler Verwaltung bewußt waren und wie dieses Bewußtsein sich in fordernden Ansprübestätigte Zuständigkeit wurde durch die Gewerbeordnung nicht berührt (§ 189 PrGewO). Die im § 136 der Gewerbeordnung ausgesprochene Kompetenz der Ortspolizeibehörde bei der Aufsicht der Beschäftigungsverhälnisse hinsichtlich der Rücksichtnahme auf "Gesundheit und Sittlichkeit" sowie der Kontrolle des Schulbesuchs bezog sich nach kommunaler Auffassung nur auf die allgemeine Sittenpolizei. Vgl. a.a.O., S. 88 ff. 244 A. a. 0., S. 72.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

chen auf Kompetenzregelungen niederschlug, die aus gemeindlicher Sicht den örtlichen Verhältnissen entsprachen. Nach Risch verpflichte die Stellung der Kommunen im staatlichen Verwaltungsaufbau dazu, ihnen allein die entsprechenden Beschlüsse über Anträge zum Gewerbebetrieb zu übergeben. Die Kenntnis der örtlichen Verhältnisse wie der Kommunalbedürfnisse ließen vorurteilsfreie, kompetente Urteile erwarten, so daß sich selbst das in der Öffentlichkeit heftig kritisierte Versagen des Rechtswegs im Falle einer verweigerten Gewerbeausübung 245 nicht als Nachteil erwies, solange gegen den Kommunalbescheid die "Berufung auf eine höhere Entscheidung" vorbehalten blieb. Risch idealisierte zweifelsohne die kommunalbehördlichen Entscheidungsstrukturen. Der behördliche Wechsel im Bereich der gewerbepolizeilichen Kompetenzen stellte prinzipiell kein Ausgleich gegenüber dem verwehrten Verwaltungsrechtsschutz dar. Entscheidend war, daß der Bürger gegen den Beschluß der ausführenden Behörde nicht den Rechtsweg suchen konnte. Die Gewerbeordnung setzte schließlich den vom Gewerbepolizeigesetz eingeschlagenen Weg fort. Im Jahre 1811 war gesetzlich festgelegt worden, daß die individuelle Gewerbeberechtigung nach dem Gewerbeschein beurteilt wurde. Zweifel über die Grenzen der Gewerbeberechtigung wurden allein von der Polizei entschieden?46 Gegen die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf die Gemeindebehörden sprach der in diesem Fall zum Tragen kommende Interessenskonflikt zwischen der Förderung bzw. den Ansprüchen allgemeiner Gewerbefreiheit und den Regulierungsbedürfnissen der Städte bzw. des in der Stadtverordneten-Versammlung vertretenen Gewerbes. In BerIin, dessen Kommunalorgane sich über Jahrzehnte als Gegner der Gewerbefreiheit profiliert hatten, war dieser mögliche Interessenskonflikt besonders virulent, zumal von seiten des Magistrats zu erfahren war, daß einzelne Regelungen der Gewerbeordnung gegen deren eigentliche Zielsetzung verstießen und die Gesetzesinterpretation sich daher aus Gründen der Billigkeit den Erfordernissen des wiederbelebten Innungswesens anpassen sollte. So gab Stadtrat Risch offen zu, die vom handwerklichen Gewerbe geforderte Möglichkeit der Beitrittsverweigerung nicht mit der Gewerbeordnung zu vereinbaren war. Der Schutz des Innungswesens forderte nach 245 § 25, Tit. 2, PrGewO 1845. GS 1845, S. 45. Das Gesetz über die Zulässigkeit des Rechtswegs in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen vom 11. Mai 1842 (GS 1842, S. 192-194) hatte die Eröffnung des Rechtswegs gegenüber den Verwaltungsbehörden fast völlig aufgehoben und nur noch in wenigen Ausnahmefällen einen vom Ermessen der Verwaltungsbehörden unabhängigen Rechtsschutz zugelassen. Vgl. dazu, Loening, Gerichte, S. 177 ff. Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz, S. 157 f. 246 Ziff. 57 u. 58, Gewerbepolizeigesetz 1811. GS 1811, S. 1269. Dazu Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz, S. 155.

7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

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städtischer Auffassung, daß den Korporationen sowohl das Recht eingeräumt wurde, in einzelnen Fällen die Innungsaufnahme zu verwehren, als auch im Falle zuziehender Landmeister auf Grund der unterschiedlichen technischen Anforderungen in Stadt und Land eine nochmalige Prüfung zu verlangen. Risch hielt eine solche Gesetzesinterpretation durchaus für gerechtfertigt, wenn man Wesen, Zweck und Absicht der Gewerbeordnung berücksichtigte. 247 Es verwunderte nicht, daß der Berliner Stadtrat den neunten Titel der Gewerbeordnung als den wichtigsten Teil des Gesetzes ansah, da er den Gestaltungsraum der Kommunen definierte. Die Gewerbeordnung war nicht als in sich abschließendes Gesetz geschaffen, sie regelte bestehende Verhältnisse nicht endgültig, sondern gab, so Risch, "der Fortentwicklung und Vollendung freien Spielraum",z48 Insofern drückte gerade die Möglichkeit orts statutarischer Regelungen den Kompromißcharakter der Gewerbeordnung aus. 7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

Die ordnungsrechtlichen Zugeständnisse schufen, wie die Märzrevolution zeigen sollte, nur oberflächlich einen Ausgleich. Sie sprachen zudem eher die Ordnungsbedürfnisse der Kommunalbürokratie an, als daß sie die radikaleren Forderungen des Handwerks befriedigten. Alles in allem bildete das Kommunalbeamtenturn, die Gemeinderepräsentation und das mittelständische Gewerbe im Vormärz dennoch eine sozialkonservative Allianz, die ihre politische Grundlage im Bürgerrecht fand und keineswegs gegen den Staat überhaupt oder die Staatsbürokratie als solche gerichtet war. Die Gemeinderepräsentation bildete ein Forum des korporierten gewerblichen Mittelstands: Hier konnte gegen die Gewerbefreiheit und gegen die Industrialisierung Front gemacht, Forderungen zum Ausschluß unqualifizierter Konkurrenz, zur Beschränkung des Maschineneinsatzes, zum Schutz vor auswärtigen Konkurrenten, zur Zwangsmitgliedschaft in den Innungen oder zum obligatorischen Bürgerrechtserwerb erhoben und diskutiert werden. Auch das industrielle Unternehmertum akzeptierte, wie die Forschungen Kaelbles zeigen, die Herrschaft der Staatsbürokratie. Bis in die vierziger Jahre hinein kam es zu keiner grundsätzlichen Kritik am System bürokratischer Entscheidung. Erst dann forderte man, wie die Ältesten der kaufmännischen Korporation Berlins es stellvertretend für das Unternehmertum aussprachen, die "wahre Würdigung des Handels", was indessen nichts anderes als die Teilnahme an der Entscheidung über das Gesamtinteresse, nicht aber 247 248

Risch, Gewerbe-Ordnung, S. 119 ff. A. a. 0., S. 208.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

das Ziel beinhaltete, den bürgerlichen Staat durchzusetzen?49 Auf die Berliner Revolutionsereignisse im März 1848 sollte das Unternehmertum zurückhaltend, jedoch deutlich mit dem Ruf reagieren, die geschwächte Autorität der Behörden wiederherzustellen. 250 Das sich in der Forderung nach größerer kommunaler Selbständigkeit konkretisierende radikalisierte, staatspolitisch indessen gemäßigte Bewußtsein des Stadtbürgertums stand im Zeichen einer sich bereits angebahnten stärkeren sozialen Differenzierung der Gemeinderepräsentation. Nach 1840 erwarben verstärkt Angehörige bildungsbürgerlicher Schichten Stadtverordnetenmandate: selbständige Akademiker wie Ärzte und Apotheker, höhere Beamte mit akademischer Bildung und Buchhändler wie Verleger, die einerseits zum gewerblichen Mittelstand gehörten, aber nicht selten aus akademischen Berufen kamen, über eine entsprechende Ausbildung verfügten oder einfach Literatur- und Philosophiebeflissene waren, die das Verlagswesen auf Grund seines intellektuellen oder gar politischen Charakters zum Erwerbszweig wählten. 251 Gleichwohl vertrat die Gemeinderepräsentation und der von ihr gewählte Magistrat eine Kommunalpolitik, die im Einklang mit den Interessen des Besitzbürgertums stand. 252 Wenn das Stadtbürgerrecht nach Koselleck einen "Hort der Freiheit" bot und die Gemeinderepräsentationen angeblich den "Kern der bürgerlichen Verfassungsbewegung" darstellten,253 dann muß zunächst festgehalten werden, daß diese Freiheit sozial wie rechtlich eine sehr beschränkte war, da sie einerseits einem relativ kleinen Kreis politisch Privilegierter vorbehalten blieb, andererseits jeder verfassungsrechtlichen wie institutionellen Garantie entbehrte. Die Verwirklichung eines unmittelbaren Rechtsschutzes der Gemeindeverwaltung und ihre deutlichere Abgrenzung gegen staatliche Eingriffe gehörte denn auch in Berlin zu einem zentralen Bereich des Konstitutionalisierungsgedankens. Insgesamt kamen jedoch aus der Berliner Kommunalvertretung nur gemäßigte Impulse zur Verfassungsgebung, das radikalere Bildungsbürgertum konnte die Kommunalkörperschaften zu keinem Zeitpunkt majorisieren. Bürgerliche Radikalität, die demokratischen oder selbst sozialistischen Vorstellungen aufgeschlossen war, artikulierte Kaelble, Berliner Unternehmertum, S. 237 ff. Vgl. Hachtmann, Konservative Beharrung, S. 110. 251 Dazu mit besonderem Blick auf die Berliner Juden Jersch-Wenzel, Jüdische Bürger, S. 60 f. Die Zunahme des bildungsbürgerlichen Elements wird bei Pahlmann, Anfänge, S. 151 ff., auf Grund einer unzulänglichen Schichtungsdifferenzierung nicht wahrgenommen. Unkritisch im Anschluß an Pahlmann auch Hachtmann, Berlin 1848, S. 302 f. Detaillierter dazu unten im Kap. 5. 252 Kaeber, Berlin 1848, Zur Hundertjahrfeier im Auftrage des Magistrats von Groß-Berlin dargestellt, Berlin 1948, S. 14. 253 Koselleck, Preußen, S. 583. 249 250

7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

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sich außerhalb des kommunalen Machtzentrums in der publizistischen Öffentlichkeit 254 oder in den politischen Vereinen, in denen Teile des selbständigen Bildungsbürgertums führende Positionen einnahmen. 255 Angesichts der sozialkonservativen Ordnungsvorstellungen und des gemäßigten Konstitutionalismus der Kommunalkörperschaften erscheint das Urteil Kosellecks, die Schule zur Selbstverwaltung wäre eine "Vorschule gesamtstaatlichen Verfassungsdenkens" bzw. seine Ansicht, daß sich der preußische Staat "mit den Regeln städtischer Selbstverwaltung seinen eigenen Konstitutionalismus erzogen" hätte,256 für das Beispiel der preußischen Landeshauptstadt nur bedingt zutreffend. Kommunale Partizipation entwikkelte keine wirklich transformierende Kraft. Selbst dort, wo bürgerliches Selbstbewußtsein sich im vehement vorgetragenen Anspruch auf Selbstverwaltung äußerte, reichte dieser Anspruch politisch nur wenig über das bestehende Recht hinaus, da es hierbei vornehmlich um eine Definition des Bereichs der Kommunalangelegenheiten ging, ohne den korporativen Charakter der Selbstverwaltung zu tangieren. Vor dem Hintergrund der Restaurationszeit mag die Forderung nach größerer kommunaler Eigenständigkeit, nicht zuletzt aber das in der Revolution erhobene Verlangen nach ihrer verfassungsmäßigen Absicherung, als Ausdruck eines radikalen Liberalismus erscheinen, nichtsdestotrotz blieb er politisch beschränkt, da er kein gesamtstaatliches Pendant beanspruchte. Der Verfassungsgedanke des kommunalpolitisch tonangebenden Stadtbürgertum Berlins erschöpfte sich in der Forderung einer allenfalls konstitutionalisierten Monarchie?57 Der im Juni 1848 von Berliner Privatgelehrten 254 Kaeber, Vormärzlicher Liberalismus in Berlin, in: Ders., Beiträge, S. 146 ff. Ders., Berlin 1848, S. 15 ff. 255 Hachtmann, Berlin 1848, S. 272 ff. u. 605 ff. Ders., Konservative Beharrung, S. 107 f. Ob es sich bei dem selbständigen Bildungsbürgertum um, wie Hachtmann meint, eine Art "akademisches Proletariat" handelte, bedürfte allerdings der näheren Begründung. Zur gesellschaftlichen und kulturellen Funktion des Vereins in Abgrenzung gegen die ständisch gebundene Korporation siehe Nipperdey, Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Geschichtswissenschaft und Vereinswesen im 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte historischer Forschung in Deutschland (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 1), Göttingen 1972, S. 1-44. Hardtwig, Strukturmerkmale und Entwicklungstendenzen des Vereinswesens in Deutschland 1789-1848, in: Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutschland, hrsg. von O. Dann (= HZ, Beih., Bd. 9), München 1984, S. 11-50. 256 Koselleck, Preußen, S. 585. Dieses Urteil findet sich mit Blick auf das provinzialständische Wirken der Städte schon bei Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 293, und Petersilie, Entstehung, S. 119. 257 In Berlin hielt sich selbst der links stehende Politische Klub nach den Märzereignissen des Jahres 1848 zunächst nicht mit der Frage der Staatsform auf. Allgemeines Programm war die "Verbreitung und Durchführung des demokratischen Prin-

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

wie Julius August Collmann, Heinrich Bemhard Oppenheim und Rudolf Virchow initiierte, im wesentlichen bildungsbürgerlich fundierte "Republikanische Klub" huldigte zwar einem offenen Republikanismus, er stellte aber nur eine Randerscheinung dar, ohne jeden Einfluß auf die Mehrheit des Stadtbürgertums. 258 Im Grunde genommen zeichnete sich in dem kommunal orientierten Verlangen nach Selbstverwaltung schon die spätere Isoliertheit des städtischen Liberalismus ab, der um der Absicherung seiner

zips", womit gemeint war, dem Volk seine Souveränität und das "Recht der Selbstherrschaft" bis in die kleinsten Verhältnisse, bis in die Städteverfassung und Landgemeindeordnung hinein durch eine Verfassung zu sichern. Diese Forderung beinhaltete noch nicht eine geschlossene Forderung für die demokratische Republik. Es muß sogar bezweifelt werden, ob zu diesem Zeitpunkt, wie Hachtmann annimmt, an die "politische Demokratie auf allen Ebenen" gedacht war, weil die Frage eines "demokratischen" Wahlrechts durchaus umstritten war. Vgl. Hachtmann, Berlin 1848, S. 274 f. u. 293 ff. Differenziert Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus in der Revolutionszeit 1848-1850 (= Handbuch der Geschichte des deutschen Parlamentarismus), Düsseldorf 1977, S. 132 ff. Erst mit dem Mitte Juni in Frankfurt tagenden ersten Kongreß der Demokraten Deutschlands verallgemeinerte sich das Bekenntnis zur demokratischen Republik, das sich auch in dem vom Politischen zum Demokratischen Klub gewandelten Verein in Berlin Bahn brach. Zu den Beschlüssen und Ergebnissen der Demokratenkongresse in Frankfurt und Berlin (26.-30. Oktober) vgl. Gustav Lüders, Die demokratische Bewegung in Berlin im Oktober 1848, Berlin-Leipzig 1909, S. 84 ff., 135 ff. u. 152 ff. Gerhard Becker, Das Protokoll des ersten Demokratenkongresses vom Juni 1848, in: Jahrbuch für Geschichte, Bd. 8 (1973), S. 379 ff.; ders., Die Beschlüsse des zweiten Demokratenkongresses 1848, in: ZfG, 21. Jg. (1973), S. 328 ff. Joachim Paschen, Demokratische Vereine und preußischer Staat. Entwicklung und Unterdrückung der demokratischen Bewegung während der Revolution von 1848/49, München 1977, S. 53 ff. u. 96 ff. In Bezug auf Berlin auch Hachtmann, Berlin 1848, S. 642 u. 726 ff. Der demokratische Klub repräsentierte indessen weder die Mehrheit noch überhaupt das Berliner Stadtbürgertum. Seine soziale Basis fand er in den städtischen Unterschichten, insbesondere in Arbeiterkreisen, während die Führungspositionen durch jüngere bürgerliche Intellektuelle besetzt wurden. Vgl. A. Streckfuß, Die Organisation der Volkspartei in Berlin, Berlin 1849, S. 3 f. Hachtmann, Berlin 1848, S. 621 ff. Zur meinungsbildenden Rolle der bürgerlichen Intellektuellen in anderen Regionen und Städten Deutschlands siehe Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von 1848/ 49, Frankfurt/M. 1985, S. 104. Michael Wettengel, Die Revolution von 1848/49 im Rhein-Main-Raum. Politische Vereine und Revolutionsalltag im Großherzogturn Hessen, Herzogtum Nassau und der freien Stadt Frankfurt, Wiesbaden 1989, S. 197 ff. u. 209 f. Marcel Seyppel, Die demokratische Gesellschaft in Köln 1848/ 49. Städtische Gesellschaft und Parteienentstehung während der bürgerlichen Revolution, Köln 1992, S. 135 ff. Zur Resonanz der demokratischen Vereine in den Unterschichten größerer wie industrieller Städte vgl. Seyppel, Gesellschaft, S. 149 u. 236 f. Rolf Weber, Die Revolution in Sachsen 1848/49. Entwicklung und Analyse ihrer Antriebskräfte, Berlin 1972, S. 80. Wolfgang Häusler, Von der Massenarmut zur Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848, München 1979, S. 208. 258 Vgl. Hachtmann, Berlin 1848, S. 626 f.

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eigenen Machtsphäre willen seine mögliche gesellschaftspolitische Relevanz selbst relativierte. Nun haben wir hier immer das Beispiel Berlins vor Augen. Koselleck gründet sein Urteil, soweit er den Wirkungsbereich des östlichen Kommunalrechts in seine Analyse einbezieht vorwiegend auf die Verhältnisse Breslaus. Hier besaß der Liberalismus eine ältere und breitere Grundlage. Schon im März 1841 hatten die Kommunalkörperschaften Breslaus dem schlesischen Provinziallandtag unter Berufung auf das Verfassungsversprechen Friedrich Wilhelms III. den Antrag vorgelegt, die Bitte um Konstituierung von Reichsständen zu wiederholen. Der amtierende Monarch sah darin eine Auflehnung der Stadt gegen den landesherrlichen Willen und verlangte eine förmliche Abbitte der städtischen Behörden, was diese Friedrich Wilhelm IV. standhaft verweigerten. 259 1842 wählten die Breslauer Stadtverordneten einen staatlichen Beamten, den Königsberger Regierungsrat Julius Hermann Pinder zum Oberbürgermeister, der als ausgesprochen liberal galt. Pinder teilte zwar wie Risch die in der Reformzeit begründete Auffassung, daß die Teilnahme des einzelnen "an der Gesamtheit" durch die Kommunen gesichert wurde und diese dadurch eine entsprechende Bedeutung für den Aufbau des Staates gewannen. Er blieb aber nicht beim Modell "dezentralisierter Partizipation" stehen, das in der Vergangenheit gegen die Konstitutionalisierung instrumentalisiert wurde, sondern verband die kommunale Verwaltung mit dem "Prinzip der Freiheit". Unter diesem politischen Leitmotiv hob Pinder den eigenständigen Einfluß des städtischen Repräsentativsystems auf die staatliche Entwicklung hervor. "Wie der Geist der Staatsregierung einwirkt auf den Gang der Communalverwaltung", bemerkte Pinder im Juni 1847,260 "so wirkt diese in einem ausgebildeten Repräsentativsystem wiederum zurück auf die Entwicklung des Staatslebens". Pinder trennte das Kommunalamt nicht von seiner eigenen politischen Haltung, so daß es ihm nicht schwerfiel, gegenüber dem Staat nicht nur die eigentlichen städtischen Interessen, sondern auch politische Forderungen des liberalen Stadtbürgertums zu vertreten?61 259 Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 292. Ders., Breslau im Streite um die preußische Verfassungsfrage, 1841, in: Zeitschrift des Vereins für die Geschichte Schlesiens, Bd. 42 (1908), S. 240-267. Siehe auch, Julius Stein, Geschichte der Stadt Breslau im neunzehnten Jahrhundert, Breslau 1884, S. 161 ff. Zu Königsberg vgl. Ferdinand Falkson, Die liberale Bewegung in Königsberg 1840-1848, Breslau 1888, S. 145 ff. 260 Pinder an den Breslauer Magistrat über die bei der Neuwahl eines besoldeten Stadtrats zu berücksichtigenden Erfordernisse, 22. Juni 1847, in: Wendt, Städteordnung, Bd. 2, S. 506. 261 A. a. 0., Bd. 1, S. 308. Skizzenhaft zum schlesischen Liberalismus Baumgart, Schlesien als preußische Provinz zwischen Annexion, Reform und Revolution (1741-1848), in: Verwaltungsgeschichte Ostdeutschlands, S. 873 ff.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Refonnzeit

Verglich man Pinder mit seinem Berliner Amtskollegen, so konnte der Gegensatz nicht größer sein. Nur vordergründig einte sie die vormalige Tätigkeit im Staatsdienst. Krausnick war durch und durch königstreu. Als Ministerialbeamter hatte er eine besondere Beziehung zum restaurativen Justizminister von Kamptz entwickelt, deren Einfluß er zeitlebens nicht ablegte. 262 Noch in dem Augenblick, wo in Berlin angesichts der Nachrichten über die Pariser Februarrevolution das "Constitutionsfieber" ausbrach, wie Krausnick abschätzig urteilte, war er überzeugt davon, daß in Preußen bessere Zustände als in anderen Staaten herrschten und man daher mit Zuversicht einer "ferneren, gedeihlichen, auf gesetzlichem Wege fortschreitenden Entwicklung" entgegen sehen konnte. 263 Einen gewissen Gegenpol zu Krausnick und der insgesamt konservativen Ausrichtung des Magistrats bildete der 1844 zum Bürgermeister gewählte, vormalige Direktor der Anhaltischen Eisenbahn, Franz Naunyn, 264 der energisch für den Verfassungsstaat eintrat, und der junge Hermann Duncker, der 1845 einen besoldeten Stadtratsposten annahm und schon Anfang März den Magistrat mit dem Antrag einer liberalen Adresse an den Monarchen überraschen sollte.

In Breslau entwarf Oberbürgermeister Pinder 1845 einen neuen Antrag an den Provinziallandtag, der die grundsätzliche Forderung nach einer Volksvertretung wiederholte. In Anbetracht der ablehnenden Haltung des Staates verlangten die Kommunalkörperschaften zumindest die ständischen Ausschüsse zu "einer wirksamen Vertretung der Gesamtinteressen" auszugestalten?65 Gleichzeitig forderte man Pressefreiheit, die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und öffentliche Gerichtsverfahren, die Beschleunigung der Gesetzesrevision und die Erweiterung des Petitionsrechts der Landtage, indem die Annahme der Petitionen nicht mehr von einer Zweidrittelmehrheit abhängig gemacht werden sollte, sowie die Konstituierung einer gemeindlichen Kirchenvertretung. 266 Wetzei, Krausnick, S. 10 ff. A. a. 0., S. 40. 264 Zu Naunyn vgl. Kutzsch, Berlins Bürgenneister 1808-1933. Die "Zweiten" Männer, der Stadt, in: JVGB, Bd. 25 (1976), S. 11 ff. Zur Zeit des Vereinigten Landtags fanden in Naunyns Wohnung vom 7. bis 9. April 1847 zeitweilig Verhandlungen zwischen liberalen Abgeordneten Ostpreußens und den Spitzen des rheinischen Liberalismus statt, was sicherlich auf Naunyns Bekanntschaft mit altpreußischen Liberalen wie dem Grafen von Brünneck herrührte. Von den "Idealen der Radikalen" war Naunyn, wie Dora Meyer zutreffend feststellt, weiter entfernt, als er vor der Revolution ahnte. Vgl. Meyer, Das öffentliche Leben, S. 27. Zum Verlauf der Debatten Hansen, Gustav von Mevissen. Ein rheinisches Lebensbild, 2 Bde., Berlin 1906, hier Bd. 1, S. 452 f. 265 Zu ähnlichen Forderungen der ostpreußischen Städte vgl. Neugebauer, Politischer Wandel, S. 468 f. 266 Abdruck der Anträge vom 7./8. Februar, in: Wendt, Städteordnung, Bd. 2, S. 491 ff. Dazu auch Bd. 1, S. 321. 262 263

7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

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An dieser Stelle kann nun nicht weiter auf die Entwicklung der Verfassungsbewegung in Breslau eingegangen werden, unerwähnt bleiben soll indessen nicht der Versuch des Stadtbürgertums, eine größere Öffentlichkeit in politischen Fragen herzustellen. Diese Zielsetzung erschöpfte sich nicht nur in Anträgen zur Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen, sondern wurde auch durch die Abhaltung allgemeiner öffentlicher Zusammenkünfte umgesetzt, die politische Erörterungen zum Gegenstand hatten und prompt mit einem polizeilichen Verbot belegt wurden. Nachdem die städtischen Behörden vergeblich gegen diese Anordnung protestiert hatten, reagierten sie Ende 1845 mit der Begründung eines geselligen Vereins, der allen Mitgliedern der Kommunalkörperschaften und der städtischen Ehrenämter sowie sämtlichen Bürgern und den Schutzverwandten offenstand. Der unter dem Namen "städtische Ressource" firmierende Verein sollte ebenso helfen, die durch das Bürgerrecht bedingte politische Differenzierung der Stadtbevölkerung abzubauen, wie ein Forum für politische Aussprachen zu schaffen, was die staatliche Regionalbürokratie mit einem neuerlichen Verbot religiöser und politischer Erörterungen zu verhindern suchte. 267 Koselleck sieht die Vereins gründung durch die Absicht des liberalen Bürgertums motiviert, die Grenzen nach unten hin zu lockern, nicht zuletzt, um politischen Einfluß zu gewinnen?68 Hier muß widersprochen werden. Eine Erweiterung der Partizipationschancen in der Gemeinde gehörte nicht zu den Zielsetzungen des Breslauer Bürgertums. Man plädierte, wie die späteren Stellungnahmen zur Gemeindeordnung offenlegen, für die Einführung der Einwohnergemeinde und die Abschaffung des Grundbesitzerprivilegs, ohne an eine Öffnung der Wahlrechtsgrenzen zu denken. Im Gegenteil, die städtischen Körperschaften begrüßten das Dreiklassensystem der Gemeindeordnung als "eine gewisse zeitgemäße Erweiterung" des kommunalen Wahlrechtssystems, weil dieses System jedem Einwohner die Beteiligung am Kommunalwesen "nach Maßgabe seiner Steuerfähigkeit" eröffnete, während Zensusregelungen eher einen Teil der Gemeindemitglieder vom Wahlrecht ausschlossen. Die Gemeindebehörden sprachen sich daher gegen die Koppelung des Dreiklassensystems mit einer Zensusregelung aus, insbesondere wenn der Zensus gleichzeitig deutlich erhöht wurde. 269 Von einer konkreten Erweiterung der politischen Partizipation in der Gemeinde war hingegen nicht die Rede, wie übrigens auch in Berlin jede Liberalisierung des Gemeindewahlrechts von den städtischen Behörden abgelehnt wurde. Die Rolle der Gemeindeadministration als kommunale Ordnungsmacht wurde auch bei der Gründung des Berliner Handwerkervereins deutlich. Stein, Breslau, S. 213. Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 322 f. Koselleck, Preußen, S. 584. 269 Petition der städtischen Behörden Breslaus an die Zweite Kammer vom 31. Dezember 1849, in: Wendt, Städteordnung, Bd. 2, S. 532 ff. 267

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Seit Mitte der dreißiger Jahre hatte sich die kommunale Exekutive Berlins bemüht, den Handwerksgesellen eine höhere Allgemeinbildung zu vermitteln. Diese Absicht scheiterte zunächst am Widerstand der Meister. Erst Mitte April 1844 gelang die Gründung durch den besoldeten Stadtrat und Syndikus Hedemann, der zugleich als erster Präsident des Vereins fungierte. Der Verein beabsichtigte zwar, die Bildungsbestrebungen der Gesellen tatkräftig zu fördern, war aber von vornherein als ein Instrument zur Disziplinierung des in Unruhe geratenen Handwerks konzipiert. 27o Jede politische Tätigkeit war dem Verein untersagt, satzungsgemäß sollte den Gesellen lediglich Gelegenheit zur gegenseitigen Annäherung und Freundschaft gegeben werden. Die bildungspolitischen Ziele focussierten sowohl auf Wissensvermittlung wie sittliche Erbauung. Stadtrat Hedemann, den die Statuten mit geradezu diktatorischen Vollmachten ausstatteten, berichtete regelmäßig an die staatlichen Sicherheitsbehörden über die interne Entwicklung des Vereins. Doch trotz der strengen staatlichen Kontrolle bildete sich im Handwerkerverein eine radikale Opposition heran. Diese Entwicklung war im wesentlichen auf den Einfluß bildungsbürgerlicher Dozenten zurückzuführen, die wie der ehemalige evangelische Theologe Julius Berends demokratischen Ideen aufgeschlossen waren. 271 Die Politisierung des Handwerkervereins versuchte Oberpräsident von Meding bereits Ende 1845 zu stoppen, indem er von Stadtrat Hedemann verlangte, den Bestrebungen der liberalen Partei stärker entgegenzuwirken, insbesondere aber die Auseinandersetzung mit kirchlichen und politischen Fragen zu verhindern. Berends und weitere neun Angeklagte mußten den Verein verlassen, der im Frühjahr 1846 scheinbar zu politischer Neutralität und zur Ausführung seines im obrigkeitlichen Sinne angelegten Bildungsauftrags zurückgekehrt war. Daß sich geheime Verbindungen zwischen dem Handwerkerverein und der Berliner Organisation des "Bundes der Gerechten" entwickelten, die dem Berliner Polizeipräsidium das Eingeständnis entlockten, der Handwerkerverein wäre eine förmliche "Revolutionsschmiede" gewesen,272 hatte 270 Dazu Dieter Bergmann, Die Berliner Arbeiterschaft in Vormärz und Revolution 1830-1850, in: Untersuchungen, S. 473 ff. 271 Zur Politisierung insbesondere Hachtmann, Berlin 1848, S. 100 ff., der allerdings auf die gesellschaftspolitisch intendierte integrative Funktion des Vereins nicht eingeht, während er die bewußtseinsbildende Rolle des Vereins überhöht. Zu Berends, Wetzel, Julius Berends (1817-1891). Ein Kämpfer für Demokratie und soziale Gerechtigkeit, in: JVGB, Bd. 25 (1976), S. 41 ff. Zur Tätigkeit von Berends in der Preußischen Nationalversammlung auch Hachtmann, a. a. 0., S. 61 ff. Hinsichtlich der späteren Arbeit von Berends in der Arbeiterverbrüderung vgl. die Hinweise bei Frolinde BaIser, Sozial-Demokratie 1848/49-1863. Die erste Arbeiterorganisation "Allgemeine Arbeiterverbrüderung" nach der Revolution (= Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für modeme Sozialgeschichte, Bd. 2), Stuttgart 1962, Bd. 1, S. 83,165 u. 275; Bd. 2, S. 642 f.

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nichts mit den Intentionen des Berliner Magistrats gemeinsam, sondern resultierte aus der allgemeinen Politisierung der Arbeiterklasse. Es fehlte innerhalb des kommunalen Bildungsbürgertums nicht an der Einsicht, den vormärzlichen Pauperismus als eine soziale Folge der Gewerbefreiheit zu begreifen, deren Beseitigung sich der gemäßigte Kommunalliberalismus teils durch staatliche Intervention, teils durch die vereinsmäßig geförderte Selbsthilfe der Betroffenen erhoffte. Durch Spargesellschaften, Spar- und Prämienkassen, durch Wohnungsbau und Volksküchen wollte der 1844 unter Teilnahme einzelner Mitglieder der städtischen Behörden wie Stadtrat Duncker, Stadtverordneter Runge oder auch Stadtältester Knoblauch gegründete "Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen" mittelbar zur Minderung der Armut beitragen. Ein sozialreformerisches Konzept, das sich in den sechziger Jahren in den Gewerkvereinen niederschlagen, auf Grund seiner starken Betonung der Interessensidentität von Arbeitern und Unternehmern indes nur geringe Resonanz bei den Lohnabhängigen finden sollte. Die vormärzliche Kritik charakterisierte die Tätigkeit des Zentralvereins abschätzig als Beschäftigung "mit sekundären und geselligen Gelegenheitsursachen der Armut,,??3 Im vormärzlichen Vereinsleben Berlins spielte die im Oktober und November 1846 durch Heinrich Runge und andere Mitglieder des linksliberalen Bürgertums gegründete "Bürgergesellschaft" eine bemerkenswerte Rolle. Sie versuchte sich als öffentliches Diskussionsforum zu etablieren und die Probleme der Kommunalverwaltung einem größeren Publikum nahezubringen, indem unter anderem der Finanzabschluß des Stadthaushalts erörtert wurde. Als sich Anfang 1847 das Interesse für die soziale Frage Bahn brach und die Gesellschaft sich zusehends zu einer bürgerlichen Interessensorganisation zu entwickeln begann, blieb die Reglementierung durch das Polizeipräsidium nicht aus. Daraufhin traten ähnlich wie in Breslau einzelne Magistratsmitglieder und Stadtverordnete ostentativ dem Verein mit der Absicht bei, die Bestätigung als "Verein zur Förderung des Bürger- und Gemeinsinns" zu erhalten??4 Im Frühjahr 1847 traf man sich zu offenen Bürgerversammlungen, bei denen erneut kommunalpolitische Fragen im Mittelpunkt standen. 272 Bergmann, Berliner Arbeiterschaft, S. 476. Siehe auch Gerhard Ziese, Über die Anfänge der Arbeiterbewegung in Berlin. Neue Quellen zur Geschichte des Bundes der Gerechten in Deutschland, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, 7. Jg. (1965), Sonderheft, S. 144 ff. Kurt Wernicke, Kommunisten und politische Aktivisten in der Berliner Arbeiterbewegung vor, während und nach der Revolution 1848/49, in: Aa.O., 10. Jg. (1968), H. 2, S. 298-344. 273 Saß, Berlin, S. 108. Ausführlich Reulecke, Sozialer Frieden durch soziale Reform. Der Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen in der Frühindustrialisierung (= Düsseldorfer Schriften zur neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 6), Wuppertal 1983, S. 45 ff u. 143 ff. Kaelble, Berliner Unternehmer, S. 220 ff. 20*

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Bürgermeister Naunyn, die Kaufleute Holfelder und Nobiling, von denen der erstere langjähriges Mitglied der Gemeinderepräsentation war, während der andere 1847 zum unbesoldeten Stadtrat gewählt wurde, sowie der Jurist, Journalist und nachmalige Stadtrat Woeninger gehörten im April 1847 zu den Mitbegründern des Berliner Freihandelsvereins, dessen Initiator John Smith-Prince zu den maßgeblichen Theoretikern des Freihandelssystems in Deutschland gehörte. Die öffentliche Wirksamkeit wirtschaftsliberaler Vorstellungen blieb jedoch gering. Der Verein, der nie den Charakter einer Honoratiorenvereinigung ablegen konnte, gewann keinen meinungs bildenden Einfluß in der Landeshauptstadt. 275 Ökonomische Fragen standen im Vordergrund der Vereinstätigkeit. Die politische Liberalisierung spielte, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. So machte Heinrich Bettziech aus der von Friedrich Wilhelm Held begründeten liberaldemokratischen Monatsschrift "Helds Volksvertreter" im Frühjahr 1848 ein Journal des Freihandelsvereins, welches das gesellschaftliche Leben vorwiegend volkswirtschaftlich begriff und die Lösung sozialer Probleme allein vom freien Handel und Gewerbe erwartete. 276 Woeninger, der im März 1848 zu den Führern der bürgerlich-konstitutionellen Oppositions bewegung gehörte und erst nach der Revolution in den Berliner Magistrat eintrat, hatte 1843 mit dem "Staat" die erste liberale Monatsschrift Berlins gegründet. Gemäßigt liberal, räumte das Blatt gleichfalls handelspolitischen Fragen den größten Raum ein, obwohl es in seinem Selbstverständnis dem bildungsbürgerlich bewegten Zeitgeist folgte und "die Lethargie öffentlicher Interessen in möglichst allgemeine Teilnahme und Beweglichkeit umgestalten" wollte?77 Über das Bild eines "lebendigen 274 Ludovica Scarpa, Gemeinwohl und lokale Macht. Honoratioren und Armenwesen in der Berliner Luisenstadt im 19. Jahrhundert (= VHKB, Bd. 77), München u. a. 1995, S. 87, berichtet, daß bei der Begründung der Bürgergesellschaft überhaupt die "städtische Ressource" Breslaus Pate gestanden hätte. Vgl. auch Kochhann, Mitteilungen 1839-1848, S. 55 f. Meyer, Das öffentliche Leben, S. 40 f. Reulecke, Sozialer Friede, S. 185. Hachtmann, Berlin 1848, S. 95 f. 275 Vgl. Meyer, Das öffentliche Leben, S. 44 f. Kaelble, Berliner Unternehmer, S. 189 u. 218 f. Siehe auch Pierre Aycoberry, Freihandelsbewegungen in Deutschland und Frankreich in den 1840er und 1850er Jahren, in: Liberalismus im 19. Jahrhundert. Allgemein dazu auch Theodore S. Hamerow, Restoration, Revolution, Reaction. Economics and Politics in Gerrnany, 1815-1871, Princetown 1958. Richard Tilly, Popular Disorders in Nineteeth-Century Gerrnany: A Preliminary Survey, in: Journal of Social History, 4. Jg. (1970), Nr. 1, S. 1-40. 276 Kaeber, Vorrnärzlicher Liberalismus, S. 158. Zu Bettziech siehe seinen unter dem Pseudonym H. Beta veröffentlichten "Freihandels-Katechismus", Berlin 1847. Zu Held und seiner Stellung in der Märzrevolution vgl. Hachtmann, Berlin 1848, S. 229 f. u. 333 f. 277 Kaeber, Vorrnärzlicher Liberalismus, S. 151 f. Vgl. auch ders., "Der Staat". Eine vorrnärzliche Berliner Monatsschrift, in: MVGB, 37. Jg. (1920), S. 12-17. Zu Woeninger, Hachtmann, Berlin 1848, S. 141 f., 181 f. u. 970.

7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

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Staates" mit Zensurfreiheit, Öffentlichkeit aller richterlichen wie politischen Verhandlungen und Selbstverwaltung kamen die politischen Forderungen der Monatsschrift nicht hinaus. Bezeichnend für die politische Stellung des durch die Kommunalkörperschaften repräsentierten Stadtbürgertums war ihre Mitgliedschaft in einzelnen politischen Vereinen, die sich während der Revolutionszeit etablierten. Die Kommunalbürokratie und der gewerbliche Mittelstand, insbesondere Handwerksmeister, Fabrikanten und Kaufleute, aber auch Teile des Bildungsbürgertums fanden sich in solchen Organisationen zusammen, deren politische Zielsetzungen weitgehend konservativ bestimmt waren. Der "Patriotische Verein", eine rechte Abspaltung des Konstitutionellen Klubs, sowie der "Preußen-Verein" gaben sich schon im Namen ein politisches Programm: ,,(F)ür constitutionelles Königthum" warben die bürgerlichen Honoratioren und sahen den Zweck der Vereinsbildung darin, "republikanischen wie absolutistischen Bestrebungen dreist und entschieden entgegen zu treten".278 Die weiteren politischen Forderungen dieser Vereine werden noch bei der Behandlung der Revolutionszeit aufgegriffen werden. Das Bekenntnis zur konstitutionellen Monarchie war innerhalb der Berliner Kommunalkörperschaften schon im Vormärz verbreitet, wie durch das Beispiel Rischs verbürgt ist. In seinen Reflexionen zur korporativen Verfassung bemerkte er, daß die Freiheit des Gewissens, der Meinungen, der Presse, des Handels, des Eigentums und darüber hinaus die Gleichheit des Gesetzes, wenn die Zeit rief, "ohne chaotische Verwirrung der Bestandteile" nur ein Staat gewähren konnte, in dem alle Kräfte in einer Hand konzentriert waren. Die Monarchie mußte "schon an sich als dauerhaft und einfach angesehen" werden, die geistig-moralische Erziehung des Fürsten wie die Kultur des Volkes boten daneben "die beste Gewähr der Verfassung".279 Wo die Verfassungsgebung unumstößlich war, erforderte ihre Dauerhaftigkeit eine "historische Grundlage". Die Verfassung mußte sich nach Risch aus der Vergangenheit entwickelt und in all ihren Bestandteilen eine feste Stütze haben. Das Neue entströmte gleichsam den gewachsenen politischen Strukturen, mithin dem Hintergrund ständischer Partizipation und der korporativ konstituierten Gemeindeverbände, und aktualisierte sie vor den Erfordernissen der Zeit. 280 278 Wolff, Revolutionschronik, Bd. 2, S. 575. Vgl. dazu Hachtmann, Konservative Beharrung, S. 106 f.; ders., Berlin 1848, S. 286 ff. Wolfgang Schwentker, Konservative Vereine und Revolution in Preußen 1848/49. Die Konstituierung des Konservativismus als Partei (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien, Bd. 85), Düsseldorf 1988. 279 Risch, Zünfte, S. 73. 280 Auf die Bedeutung des historisch Gewachsenen als Grundlage der Konstitutionalisierung bei Dahlmann weist GaU, Liberalismus, S. 171, hin.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Refonnzeit

Für die konkreten Verhältnisse seiner Gegenwart forderte Risch, nicht eher eine gesamtstaatliche Verfassung zu geben, oder, wie er sich bildhaft ausdrückte, nicht erst das Dach herzustellen, bevor nicht für die unteren Ebenen der staatlichen Organisation gesorgt war. 281 Wenn in umgekehrter Reihenfolge verfahren wurde, schuf man nach Risch nur einen Staat, der Unruhen und notwendigerweise häufigen Unruhen ausgesetzt war. Am Vorabend der Märzrevolution setzte der Berliner Stadtrat weiterhin auf das politische Konzept der preußischen Reformzeit. Der Staat wurde in einem von unten nach oben gegliederten Aufbau begriffen und folglich mußten der gesamtstaatlichen Verfassung zeitgemäße Gemeindeverfassungen vorangehen?82 Bei Risch hieß das, auch für die Institutionalisierung des korporativen Elements und entsprechend für eine Aktualisierung der Kreis- und Provinzialverfasssungen zu sorgen. Die Korporationen dienten der Stabilität der Monarchie und schützten das Bürgertum, wie Risch in Anspielung auf die französische Revolution erläuterte, vor der Tyrannei, Willkür und Despotie, da von ihnen jederzeit Gegenwirkungen ausgehen konnten. 283 Gleichzeitig bildeten sie ein Gegengewicht zur Gefahr des "Zuviel-Regierens", wenn der Staat sich über die Wohlfahrtspflege hinaus seinem höchsten Zweck, der Moralität, widmete. 284 In einem organisch begriffenen Aufbau des Staates, wo jedes Glied zu einer Stütze der Verfassung wurde und deren Beständigkeit garantierte,285 wo die korporative "Privat-Wirksamkeit" die staatlichen Ziele förderte,286 war die Stabilität der Verfassungsverhältnisse nicht in Frage gestellt. Das machte die Monarchie zur zweckmäßigsten Staatsform, um die Freiheit des Eigentums und des Gewerbes zu sichern, obwohl Risch eingestand, daß die höchsten Staatszwecke unter jeder Form zu realisieren waren, solange der Einzelne vor fremder Willkür geschützt und ihm ein "durch Gesetz verbürgter Genuß eines ausgedehnten Privatrechts,,287 gewährt wurde. Rischs Gedanken verbinden, wie hier zusammenfassend festgestellt werden kann, Wirtschaftsfreiheit und Konstitutionalisierung im Modell eines Risch, Zünfte, S. 74. Auch hier wird deutlich, das Risch die Gemeinde nicht als "Baufonn der Gesellschaft" versteht, wie dies im früh liberalen Denken eines Rotteck der Fall war, sondern in der Gemeinde ein staatliches Ordnungselement sah. Zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft bei Rotteck vgl. Sheehan, Liberalismus, S. 54 f. Siehe auch Gall, Liberalismus, S. 170. Zu den politischen Theorien des süddeutschen Vonnärzliberalismus Rainer Schöttle, Politische Theorien des süddeutschen Liberalismus im Vonnärz. Studien zu Rotteck, Welcker, Pfizer, Murhard. Phil. Diss., Hamburg 1992. 283 Risch, Zünfte, S. 71 f. 284 A. a. 0., S. 89 f. 285 A. a. 0., S. 74. 286 A. a. 0., S. 90. 287 A. a. 0., S. 72. 281

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7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

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sozialkonservativen Liberalismus,288 dessen politische Zielvorstellungen im wesentlichen auf gesellschaftliche Stabilität abzielten, die sozialen Wirkungen der befreiten Erwerbsverhältnisse also zu kanalisieren hofften. 289 Das Bollwerk gegen den "Geist der Unruhe" sollte sich auf vier Säulen gründen: den Staat überhaupt, die Kommunalordnungen und Korporationen sowie die Selbsthilfe des Einzelnen. Der Staat hatte für den gesetzlichen Rahmen geordneter, mittelstandsfördernder Gewerbeverhältnisse und damit für eine Dämpfung des uneingeschränkten Wettbewerbs zu sorgen. Gleichzeitig mußte er das rechtliche Gerüst der Kommunalordnungen abstecken und die Korporation als Organisationsform gesellschaftlichen Lebens institutionalisieren. Seine Eingriffe in die gesellschaftlichen Verhältnisse durften dabei nicht so weit gehen, daß die Initiative des Einzelnen, seine Fähigkeit zur Selbsthilfe wohlfahrtspflegerisch ihrer konstitutiven Bedeutung für die industrielle Entwicklung enthoben wurde. Der Staat durfte sich selbst nicht von der Freiheit des Gewerbes ausnehmen, indem er Regalien und Monopole aufrechterhielt. 29o Die Lokalverbände waren, örtlich wie regional, entscheidende Bausteine geordneter Staatlichkeit. Sie vermittelten das staatliche Gesamtinteresse durch Partizipation und Gemeinsinnbildung, gaben aber zugleich dem Partikularinteresse Raum, dessen Anerkennung wiederum dem Staatserhalt diente. Wie im Verhältnis von Staat und Kommunen trafen sich im Verhältnis von Gemeinde und Korporationen wieder das Allgemeine und Besondere. Da die geregelte korporative Verbindung Bürgerlichkeit förderte (Recht, Ordnung, Gehorsam), diente sie über die Wahrnehmung ihrer unmittelbaren Interessen hinaus dem Gemeinsinn, während sie dem Einzelnen die Freiheit als bürgerliche, d.h. als unterordnende Teilnahme am Gemeinwesen vermittelte. Der Einzelne war indessen verpflichtet, in der gesicherten Freiheit Mündigkeit zu erwerben, mithin seine Fähigkeiten zu entwikkeIn, ihre egoistische Tendenz aber in der freiwilligen Bindung zu überwinden. 291 288 Vgl. auch Fabers Anmerkungen zum liberal-konservativen Denken Dah1manns, in dem sich ein ständischer Liberalismus mit englischen Verfassungsvorstellungen verknüpft. Faber, Politisches Denken in der Restaurationszeit, in: Deutschland zwischen Reform und Revolution., hrsg. von H. Berding/H.-P. Ullmann, Königstein/Ts. 1981, S. 270 f. 289 In diesem Zusammenhang muß wohl auch der in der ersten Hälfte der vierziger Jahre unternommene Versuch Rischs gesehen werden, einen Gesellenverein zünftiger Bauhandwerker zu gründen. Die stark eingeschränkte berufsspezifische Organisierung des Vereins und die christliche Ausrichtung beschnitten seine Erfolgsaussichten und Wirkungen indessen von vornherein. Siehe dazu auch Hachtmann, Berlin 1848, S. 99 f. 290 Vgl. Rischs Kritik am § 6 der Gewerbeordnung. Gewerbe-Ordnung, S. 36 f. 291 Siehe hierzu Risch, Zünfte, S. 78 f.

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

Bei dem von Risch betonten Bezug auf Geschichte, auf gewachsene Sozialbindung war es nur schwer vorstellbar, daß diese bürgerliche Lebenswelt offen für Brüche war. Sie unterlag einem evolutionären Rhythmus, dessen wichtigstes Ziel es war, Wohlfahrt und Sittlichkeit in Harmonie zu gewinnen 292 und jede Auflösung der Nation in egoistische Vielfalt sowie jede gewaltsame Umwälzung zu verhindern. Die egalisierende Tendenz der Gewerbefreiheit mußte durch das Bürgerrecht abgefangen werden, das ebenso als Ordnungs- wie Moralisierungsinstrument genutzt werden sollte. Das Berliner Stadtbürgertum ging nicht vom Ideal einer klassenlosen Bürgergesellschaft aus, wie Gall sie für den vormärzlichen Liberalismus Südwestdeutschlands postuliert,293 man sah vielmehr die ungleichmäßige Verteilung des Wohlstands als unvermeidlich an?94 Gefahr erwuchs der Gesellschaft aus dieser Ungleichheit nur, wenn sie zu groß wurde. Das Mittel gegen die destabilisierende Wirkung der Ungleichheit lag in der Entwicklung der "natürlichen Kräfte, Anlagen und Fähigkeiten" des Individuums und der Beseitigung aller "unweise(n) Begünstigungen an Einzelne".295 "Der Zweck des Staates erfordert es", betonte Risch, "jedes Einzelnen Existenz und Rechte zu sichern und alle Hindernisse und Störungen zu beseitigen, welche durch Verfolgung beliebiger auf eigene Wohlfahrt sich beziehender Zwecke entgegentreten könnten".296 DaA.a.O., S. 89. GaU, Liberalismus, S. 172. Zur Kritik an Gall vgl. Wolfgang J. Mommsen, Der deutsche Liberalismus zwischen "klassen loser Bürgergesellschaft" und "organisiertem Kapitalismus". Zu einigen neueren Liberalismusinterpretationen, in: GuG, 4. Jg. (1978), S. 77-90. Eine detaillierte Darlegung der Kontroverse bei Hartwig Brandt, Zu einigen Liberalismusdeutungen der siebziger und achtziger Jahre, in: GuG, 17. Jg. (1991), S. 512-530. 294 Risch, Zünfte, S. 14 f. Wichtig erscheint mir der Hinweis von Heinz-Gerhard Haupt und Friedrich Lenger, Liberalismus und Handwerk in Frankreich und Deutschland um die Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Liberalismus, S. 306, auf das Spannungsverhältnis von der sozialen Realität und der Utopie einer klassenlosen Bürgergesellschaft. In dieser Hinsicht wären weitere empirische Untersuchungen erforderlich, insbesondere größerer Stadtgemeinden mit zentralörtlichen Funktionen, und dabei der Frage nachzugehen, ob die von Gall behauptete Degenerierung liberaler Gesellschaftsvorstellungen zur bürgerlichen Klassenideologie an den Durchbruch des Industrialismus gebunden ist oder ob erstens die gesellschaftliche Eigentumsordnung des Liberalismus in ihrer realen Struktur nicht sui generis Klassencharakter trägt und ob zweitens die von Helmut Sedatis, Liberalismus und Handwerk in Südwestdeutschland. Wirtschafts- und Gesellschaftskonzeptionen des Liberalismus und die Krise des Handwerks im 19. Jahrhundert (= Geschichte und Theorie der Politik, Rh.A, Bd. 4), Stuttgart 1979, herausgearbeitete Eigentumstheorie einer einfachen Marktgesellschaft mit einer auf die Sicherung des Einkommens abzielende, korporativ organisierte Handwerkswirtschaft der Wirklichkeit des sozialen Innenraums der StadtgeseUschaft entsprach. 295 Risch, Zünfte, S. 15. 296 A.a.O., S. 22. 292 293

7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

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her mußten Beschränkungen der Gewerbefreiheit, die den Bürger in seinem Bestreben behinderten, durch wirtschaftliche Tätigkeit Güter zu erwerben, beseitigt werden. Aus diesem Grund, aber eben auch nur aus diesem Grund, durfte die Gewerbefreiheit nicht beschränkt werden, ansonsten unterlag sie den Erfordernissen gesellschaftspolitischer Regulierung. Die Kommunalordnung führte nicht zur Revolution, indem der Staat zu Gunsten eines eigentätigen Bürgertums wesentliche Teile seiner Verwaltungskompetenzen aufgab, wie Koselleck meint. 297 Warum sollte der Staat ohne innenpolitische Bedrängnis seine Machtfülle reduzieren, wenn er nicht von der Gewißheit ausging, daß die Delegation von Kompetenzen Gemeinsinn und damit produktive Stabilität begründete, oder hatte das Reformkonzept der Ministerialbürokratie, durch Partizipation tragfähige Impulse der Integration zu schaffen, tatsächlich sein Ziel verfehlt? Dagegen sprachen die im Berliner Stadtbürgertum entwickelten verfassungspolitischen Vorstellungen. Die Konstitutionalisierung war nur eine Frage der politischen Reform, die nicht am Dualismus von Monarch und Parlament rütteln wollte und deren Verwirklichung ohne die Sicherheit staatlicher Stabilität gar nicht vorstellbar war. Das im Vormärz entwickelte Leitmotiv, stets zwischen Freiheit und Ordnung einen Ausgleich zu finden, blieb als grundlegendes Moment reformerischer Initiative in der Revolutionszeit erhalten. Welche Probleme sollte es der Frankfurter Nationalversammlung bereiten, den Grundsatz der Staatsbürgerschaft zu konkretisieren, der mit den Prinzipien der kommunalen Selbstverwaltung und des Bürgerrechts kollidierte. Der Stadtverordnete Moritz Veit, der als Berliner Vertreter in das Frankfurter Parlament gewählt worden war, rekapitulierte die Auffassungen zur Gewerbefreiheit im Dezember 1848 in dem bereits von Risch formulierten Spannungsverhältnis, wenn er eine Wirtschaftsordnung forderte, "welche die Ausschließlichkeit des Privilegs ebenso vermeiden sollte wie die ungezügelte Anarchie des laisser-faire,,?98 Und erneut setzte sich in dieser Frage der Vorrang der kommunalen Ordnung vor den Individualrechten des einzelnen Bürgers durch: die Freizügigkeit wurde dem Bedürfnis des kommunalen Ordnungseingriffs subsumiert. 299 Die preußische Städteordnung von 1808 war nicht das "gesetzlich geschaffene Ferment politischer Gärung"?OO Dieses Ferment mußte im uneinKoselleck, Staat und Gesellschaft, S. 100. Zu den Verhandlungen über die Gewerbefreiheit siehe Franz Wigard, Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Deutschen constituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt, Bd. 7, Frankfurt/M. 1849, S. 5422 f. 299 Vgl. dazu Sheehan, Liberalismus, S. 65 u. 79 ff. P.H. Noyes, Organizations and Revolution. Working-Class Associations in the German Revolutions of 18481849, Princetown 1966, S. 238 ff. u. 328 ff. 297

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reformzeit

gelösten Verfassungsversprechen und in der Unfähigkeit des preußischen Staates, den Reformprozeß zu Ende zu führen, gesucht werden. Die Städteordnung hatte ihre Integrationskraft bewiesen, indem die Mitwirkung in der Gemeinde politische Verantwortung konstituierte und damit eine staatliche Bindung herstellte, die sich mäßigend auf die politischen Forderungen der kommunalen Eliten und der sozialen Träger der Gemeindekörperschaften auswirkte. Die bürgerschaftliche Mitwirkung und Administration war nur insofern Gärungselement, als sie bürgerliches Selbstbewußtsein produzierte und durch die sich in der kommunalen Tätigkeit bestätigende Kompetenz des Bürgertums die Forderung nach politischer Mitbestimmung im Staat wachhielt. Zudem fehlte es nicht an konkreter Unzufriedenheit: Die staatliche Bevormundung der Kommunalverwaltung, die Beschränktheit des gemeindlichen Wirkungskreises sowie die Einschränkung der politischen Meinungsbildung wurde nicht nur in Berlin als Mangel empfunden. Diese Gegenstände städtischer Kritik konkretisierten materielle Teilziele der geforderten konstitutionellen Regierungsform. Die Revolution verstärkte, darüber dürfen die erste Begeisterung für die Märzerrungenschaften und die programmatische Radikalität bildungsbürgerlicher Schichten nicht hinwegtäuschen, die bürgerliche Distanz zu einem gewaltsamen Umbruch von Staat und Gesellschaft. Die in einer Umbruchssituation zu Tage tretende soziale Heterogenität der sich unvermeidlich artikulierenden Kräfte, barg die Gefahr in sich, einen politischen Wandel herbeizuführen, der die politische Machtposition des mittelständischen Bürgertums selbst zu erschüttern drohte. In gewisser Weise hatte die Revolution katalytische Wirkung auf einen Klärungsprozeß im liberaldemokratischen Denken, der in sozialer Hinsicht endgültig den Glauben an die integrative Kraft mittelständischer Dominierung der Gesellschaft ablöste. Anstelle dieses Denkmusters setzte sich das Bewußtsein einer klassenantagonistischen Spaltung der Gesellschaft durch, deren soziale Sprengkraft durch das schon im Vormärz ausgebildete politische Arrangement mit dem Staat und der Bürokratie relativiert werden sollte?OI Das Bild vom Klassenantagonismus entblößte das ursprüngliche preußische Reformkonzept für immer. Integrationspolitik war nicht mehr So Koselleck, Staat und Gesellschaft, S. 100. In diesem Sinne auch Sheehan, Liberalismus, S. 130 f. u. 138 f. sowie ders., Liberalismus und Gesellschaft, S. 223. Zur liberalen Revolutionssicht siehe auch Michael Neumüller, Liberalismus und Revolution. Das Problem der Revolution in der deutschen liberalen Geschichtsschreibung des neunzehnten Jahrhunderts, Düsseldorf 1973, S. 119 ff. In diesem Zusammenhang sind auch die Anmerkungen von Schieder zur Wahlrechtsdebatte der Frankfurter Nationalversammlung zu berücksichtigen, die noch ganz im Banne der Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis von Staat und Gesellschaft stehen. Schieder, Krise, in: Ders., Staat und Gesellschaft, S. 67 ff. 300 301

7. Das Gemeinderecht und die Politisierung des Stadtbürgertums

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eine Frage partizipativer, sondern sozialer Politik. Die im Vormärz entwikkelten sozialreformerischen Ansätze, die auch als Ausfluß der staatlicherseits verordneten Kommunalisierung der sozialen Fürsorge gesehen werden müssen, münden schließlich in den Gemeinden in einem Netz vorsorgender Sozialrnaßnahmen, ohne daß diese eine materiell wie politisch befriedigende Regelung herbeiführen. Einmal mehr war der Eingriff des Staates zwingend, der das Problem sozialer Sicherheit für die abhängigen Arbeitnehmerschichten in allgemeiner Form versicherungsrechtlich zu lösen suchte. Nach der konkreten Revolutionserfahrung stellte das preußische Stadtbürgertum die politische Vormachtstellung des Staates nicht mehr in Frage. Der Staat war ein notwendiges Bollwerk gegen soziale Unruhen, folglich durfte diese Funktion nicht durch Zweifel an der staatlichen Autorität untergraben werden. Selbst in der Zeit des Verfassungskonflikts, um noch einmal etwas weiter auszugreifen, ging es dem liberalen Bürgertum nicht um eine Parlamentarisierung, um eine Teilung der Macht durch das Recht, die Regierung zu kontrollieren, sondern nur um die Wahrung des verfassungsrechtlichen Status quo. D.h. um rechtsstaatliche Garantien, die Sicherung der Budgetbefugnisse und des Rechts, im Parlament die Auffassungen der Nation vorzutragen. Die Klagen der fünfziger Jahre über Eingriffe in bürgerliche Freiheiten, über erneute bürokratische Bevormundungen seitens der Staatsverwaltung 302 richteten sich auf die Wahrung der gewonnenen politischen Mitwirkungsrechte, wie sie im Kommunalrecht insofern beispielhaft gegeben waren, als die Städteordnungen das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf Selbstverwaltung und der Notwendigkeit einer Verknüpfung mit der Staatsgewalt konkretisierten. Wie das Bürgertum in der Stadt staatliche Aufgaben im Wege übertragener Kompetenzen wahrnahm, suchte es im Staat die Kooperation mit der Bürokratie in der Religions- und Bildungspolitik, in der Wirtschaftspolitik zur Wahrung eigener Positionen. 30 3 Und selbst in der Wahlrechtsfrage, 304 die uns hier besonders interessiert, geriet man, nachdem sich die Bürgerschaften mit dem vermeintlichen kommunalrechtlichen Bruch des Gleichheitsprinzips abgefunden hatten, nur dort in Vgl. dazu Sheehan, Liberalismus, S. BI. A.a.O., S. 133 f. 304 Zur Wahlrechtsdiskussion des preußischen Liberalismus nach 1850 vgl. a.a.O., S. 118 f. u. 126 ff. Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 18 ff. Allgemein zum preußischen Wahlrechtssystem der Revolutions- und Nachrevolutionsära Günther Grünthai, Parlamentarismus in Preußen 1848/49-1857/58. Preußischer Konstitutionalismus - Parlament und Regierung in der Reaktionsära, Düsseldorf 1982, S. 27 ff. u. 66 ff. Botzenhart, Deutscher Parlamentarismus, S. 132 ff. u. 552 ff. Zu den Wahlrechtsmodellen des 19. Jahrhunderts, Thomas Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 383 ff. 302 303

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3. Kap.: Bürgerrecht und Gewerbefreiheit in der Reforrnzeit

Opposition zum preußischen Staat, wo dieser in der Verbindung mit dem in Adel und Bürokratie fundierten Konservativismus die Repräsentation des Stadtbürgertums unverhältnismäßig einschränkte. Auf Gemeindeebene hatte die jahrzehntelange Auseinandersetzung um die Gewerbefreiheit sowie die Bedeutung des Bürgerrechts für die kommunale Verfaßtheit und der schließlich in der Gewerbeordnung erreichte Kompromiß die Stellung der Städte gegenüber der Staatsbürokratie gestärkt. Praktisch hatte das beharrliche Ringen der Berliner Kommunalkörperschaften, die staatliche Gesetzgebung vor dem Hintergrund ihrer sozialen Wirkungen zu revidieren, den Staat gezwungen, den politisch gestaltenden Einfluß der Städte anzuerkennen und ihren politischen Zielsetzungen Raum zu geben. Insofern erwuchs, was ja durchaus gewollt war, aus der kommunalen eine gesamtstaatliche Partizipation. Städtische Kompetenz hatte sich im Konflikt gleichsam im Außenverhältnis zum Staat behauptet. Nunmehr muß gefragt werden, ob es der Stadt und ihren Körperschaften auch gelang im Innenverhältnis, d.h. beim Aufbau der bürgerschaftlichen Verwaltung, die man beim Erlaß der Städteordnung ja nicht als geschlossenes, effizientes System übernahm, Kompetenz zu entwickeln und wie sich in diesem Prozeß das Verhältnis zum Staat und das Verhältnis der Träger der Gemeindeverwaltung zueinander entwickelten.

Viertes Kapitel

Kommunales Beamtentum und bürgerschaftliche Selbsttätigkeit unter der Permanenz städtischer Finanznot in der Nachreformära 1. Vom Comite administratif zur reformierten Kommunalverwaltung

Mit dem Zusammenbruch des preußischen Staates ergab sich für die Verwaltung Berlins eine völlig neue Situation. In der zweiten Oktoberhälfte 1806 existierten die überkommenen administrativen Strukturen nicht mehr. Die Leitung sämtlicher Verwaltungsgeschäfte fiel nunmehr dem Polizeidirektor zu, dem ein Mitglied des Generaldirektoriums, der Geheime Finanzrat von Brese, zur Seite gestellt wurde. Auf diese Weise mochte die Handlungsfähigkeit des Polizeidirigenten, der an die Weisungen des Generaldirektoriums gebunden war, Genüge getan sein, eine funktionierende Verwaltung war damit noch nicht geschaffen. Nun war der Polizeidirektor in seiner Stellung als Stadtpräsident zugleich der Dirigent der Kommunalverwaltung, so daß es nahe lag, mit Hilfe einzelner, in Berlin verbliebenen Ministerialbeamten einen neuen Magistrat zu bilden, der die bislang von verschiedenen staatlichen Behörden und der Magistratsverwaltung ausgeübten administrativen Funktionen in sich vereinigte. Die neue Kommunaladministration bildete neun Departements. An der Spitze stand das Generalbüro mit dem Stadtpräsidenten Büsching, dann folgten das Petitions-, Einquartierungs-, Verpflegungs-, Requisitions-, Polizei-, das Kassen- und Rechnungsbüro, die Medizinalverwaltung und schließlich das Armen- und Schuldirektorium. 1 Die Büroleiter waren überwiegend ehemalige Staatsbeamte, neben Büsching hatten nur zwei Stadträte des bisherigen Magistrats leitende Funktionen übernommen. Durch den Geschäftsplan vereinigte der Magistrat fast sämtliche kommunalen Aufgaben, ausgeschlossen blieben das Steuerwesen, die Regalien, die Domänenverwaltung und das Berliner Brennholzkontor, das weiterhin beim Generaldirektorium und der kurmärkischen Kammer ressortierte. Eine Kabinetts-Ordre favorisierte den Minister von Angern als einzigen in Berlin verbliebenen "dirigierenden Staatsminister", sich der ZivilangeleI

Bassewitz, Kunnark 1806-1808, Bd. 1, S. 96 u. 101.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

genheiten "nach beste(m) Wissen und Gewissen" anzunehmen. Insbesondere sollte von Angern sich um die Lebensmittelversorgung, unter Aufforderung an die Kommandanten von Spandau und Magdeburg, kümmern? Von Angern sorgte dafür, daß die Kommunalverwaltung, in welcher bislang eigentliche Verwaltungspraktiker fehlten, durch Mitglieder des Generaldirektoriums und der kurmärkischen Kammer ergänzt wurde. Die Bürgerschaft fand bei diesen Ergänzungen keine Berücksichtigung, allerdings war die Verwaltung auf die Mitarbeit der Stadtverordneten angewiesen, was vor allem für die Einquartierungs-, Verpflegungs- und Requisitionsangelegenheiten zutraf. 3 Zu den vordringlichsten Aufgaben des Magistrats gehörten die Besorgung von neuen Geldmitteln, die nur als Vorschüsse von der Bürgerschaft zu gewinnen waren, sowie die Einquartierung und die Lebensmittelzufuhr. Nach der Besetzung der Hauptstadt und dem Einzug Napoleons wurde das Generaldirektorium als oberste Aufsichtsbehörde abgelöst und das Land in Departements eingeteilt, das erste bildete Berlin mit den Provinzen Mittelmark, Prignitz, Altmark und Uckermark. Für Berlin und die Kurmark wurden ein Intendant und ein Gouverneur ernannt, die dem Generalintendanten der französischen Truppen Daru und dem Kronschatzmeister Esteve als "Generaladministrator der Finanzen und Domänen in den eroberten Gebieten" untergeordnet waren. Die bisherigen Verwaltungsbehörden und Beamten blieben nach Anordnung der Besatzungsbehörden im Amt, sie unterstanden jedoch, insbesondere im Hinblick auf die Einkünfte, kaiserlichen Intendanten und Kommissaren. Für das Departement Berlin war demnach die kurmärkische Kammer als preußische Behörde zuständig, während in der Provinz alle Steuerräte, Landräte, Magistrate etc. weiterhin ihre Funktionen ausübten. 4 Durch kaiserlichen Befehl erhielt die Stadt Berlin eine neue Verwaltung. Zunächst war eine "Generalverwaltungsbehörde" mit 60 Delegierten aus dem Kreis der 2000 wohlhabendsten Bürger der Stadt zu wählen. Diese Vertretung sollte aus ihrer Mitte sieben Mitglieder eines engeren Verwaltungsrats wählen, der als Comite administratif die laufende Verwaltung übernahm und sich in allen wichtigen Angelegenheiten mit der Generalverwaltungsbehörde beriet. Der engere Verwaltungsrat unterlag der kaiserlichen Bestätigung und wurde damit zwangsläufig der Aufsicht der kurmärkischen Kammer entzogen, womit Berlin für die Zeit der französischen Besatzung außerhalb des überlieferten provinziellen Verwaltungsaufbaus stand. Die Gerichtsbarkeit war von den Anordnungen nicht betroffen, sie bestand vielmehr in der bisherigen Form fort. 2

3 4

Kabinetts-Ordre, 21. Oktober 1806, in: Winter, Reorganisation, S. 69. Clauswitz, Städteordnung, S. 39. Bassewitz, Kurmark 1806-1808, Bd. I, S. 108 ff.

I. Vom Comite administratif zur reformierten Kommunalverwaltung

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Nachdem die angeordnete Wahl am 30. Oktober stattgefunden hatte, konnte sich der engere Verwaltungsrat konstituieren. Der Buchhändler de la Garde, der Teppichfabrikant Hotho, die Maurermeister Zelter und Mayer sowie die Kaufleute Beringuier, Nitze und Vi beau waren in dieses Gremium gewählt worden. 5 Die Mitglieder und Unterbeamten des alten Magistrats hatte man verpflichtet, das Comite administratif zu unterstützen, während diesem die Inanspruchnahme der bisherigen Magistratsmitglieder und Staatsbeamten freigestellt wurde. Nach der kaiserlichen Anordnung war zwar die Auflösung des alten Magistrats befohlen, jedoch nicht das Kompetenzverhältnis zwischen Generalverwaltungsbüro und Comite administratif geregelt. Die französische Intendantur erklärte auf entsprechende Anfragen, daß die eigentliche Verwaltungsverantwortung dem Comite zufallen, während die Delegiertenversammlung als beratendes Gremium die Arbeit des engeren Verwaltungsrates unterstützen sollte. Ausdrücklich wurde hervorgehoben, das Comite möge sich der Mitarbeit der bisherigen Magistratsbeamten bedienen. Eine Forderung, die auch von den neu gewählten bürgerschaftlichen Vertretern des Verwaltungsrats zur Bedingung ihrer Amtsübernahme erhoben wurde. 6 Anstelle einer wirklichen Auflösung wurde nur eine oberflächliche Reorganisation des bisherigen Magistrats vorgenommen, welche die bestehenden Geschäftsbereiche weitgehend unberührt ließ. Es wurden sieben Büros gebildet. Die Ressortgliederung unterschied sich von der vorhergehenden nur dadurch, daß man das Medizinalbüro nicht mehr beibehielt und das Polizeiressort direkt dem französischen Intendanten unterstellte. Alle verbliebenen sieben Büros7 wurden mit Ausnahme des Petitions- und Meldebüros von Staatsbeamten geleitet. Jedem einzelnen Büro wurde ein Mitglied des Verwaltungsrats zugeordnet, welches das Ressort nach außen vertrat, praktisch aber nicht an der Verwaltung teilnahm. Den Vorsitz im Comite übergab man offiziell einem der gewählten Bürgerschaftsvertreter, der zeichnungsverpflichtet war. Die Leitung der Geschäftsführung lag in Händen des Geheimen Finanzrats und späteren Oberpräsidenten Johann August Sack, während Minister von Angern, auch nachdem die französischen Behörden seine weitere Teilnahme an der Kommunalverwaltung untersagt hatten, als Ratgeber im Hintergrund von Bedeutung blieb, "ohne den in wichtigen Sachen keine Entscheidung getroffen wurde".8 Im "Memoire über die Geschäftsführung des Ministers von Angern" wurde berichtet, daß er neben dem Comite administratif ein städti5 A. a. 0., S. 97 (Schreibweisen korrigiert nach dem zeitgenössischen Berliner Wohnungsanzeiger). 6 Clauswitz, Städteordnung, S. 43. 7 Generalbüro, Einquartierungen, Verpflegung, Requisitionen, Kassen- und Rechnungswesen, Schul- und Armenwesen, Petitions- und Meldewesen. 8 Clauswitz, Städteordnung, S. 45.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

sches Direktorium gebildet hatte, das aus Sack und seinem Stellvertreter, dem Stadtgerichtsdirektor von Schlechtendahl, bestand. 9 Das am 20. November 1806 herausgegebene Reglement, das von Angern unter Mitarbeit Sacks verfaßt hatte, zentrierte den Geschäftsgang auf den Leiter des Generalbüros bzw. seinen Stellvertreter. Das hieß alle Eingänge wurden zunächst Sack vorgelegt, der die Verteilung der Geschäfte und ihre Ressortzugehörigkeit bestimmte. Durch den Kanzleidirektor des Generalbüros gelangten die einzelnen Sachen an die zuständigen Abteilungen, deren Büroleiter für die Ausführung und deren Aufsicht verantwortlich waren. IO Die Generalverwaltungsbehörde erlangte für die laufende Administration keine Bedeutung, sie wurde nicht einmal mehr zusammengerufen. Einzelne Mitglieder nahmen Aufgaben bei der Requirierung, Einquartierung oder ähnlichen Geschäften wahr, sie erhielten dadurch eine ähnliche Funktion wie die Stadtverordneten. Das Comite administratif, dem ja sämtliche Mitglieder und Beamten des alten Magistrats angehörten, überließ diesem die früheren Aufgaben, insbesondere die Gewerkssachen, die Patronatsangelegenheiten und sämtliche Belange der Kämmerei wie etwa die Verpachtungen, und beschäftigte sich selbst vorwiegend mit der Unterhaltung der Besatzungsmacht sowie der überaus schwierigen Finanzierung der Kontributionen, die sich in Berlin unter Berücksichtigung der hohen Einquartierungskosten als außergewöhnliche Belastung der Gemeinde erwies. 11 Bis in den Juni des Jahres 1809 war das Comite, das sich seit Februar 1809 "Stadtverwaltungsbehörde" nannte, als kommunale Administration tätig. Seine Aufgaben bestanden in den letzten Monaten vorwiegend nur noch in der Schuldenwirtschaft, während die eigentliche Stadtverwaltung sich beim früheren Magistrat konzentrierte, der sich nach dem Abzug der Besatzungsmacht vom Corni te administratif abgesondert hatte. Kommunale Aufsichtsbehörde wurde anstelle des aufgelösten Generaldirektoriums und seiner Provinzialdepartements das neu geschaffene Oberpräsidium und die in ihrer alten Stellung erhalten gebliebene kurmärkische Kammer. 12 Zur Bedeutung des Comite administratif wurde häufiger in der Forschung hervorgehoben, daß die Besatzungsbehörden mit dieser Vertretungskörperschaft "Formen einer Selbstverwaltung" demonstrierten,13 oder es wurde auf "die erste seit Jahrhunderten wieder vom Volke ... gewählte Stadtver9 Auszug aus dem Immediatbericht und "Memoire über die Geschäftsführung des Ministers von Angern zu Berlin während der französischen Okkupation", 4. August 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 255. 10 Bassewitz, Kurmark 1806-1808, Bd. 1, S. 98 f. II ZU den Kosten der Armeebedürfnisse und Kontributionen für Berlin vgl. Bassewitz, Kurmark 1806-1808, Bd. 1, S. 289, 293, 302; Bd. 2, S. 271 ff. 12 Clauswitz, Städteordnung, S. 96.

1. Vom Comite administratif zur reformierten Kommunalverwaltung

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waltung" oder "die erste gewählte Volksvertretung" überhaupt hingewiesen, die sich mit der Generalverwaltungsbehörde konstituierte. 14 Solche Urteile überschätzen die Wirkung der neuen Verwaltungsbehörden und übersehen, daß man es bei diesen Körperschaften, ungeachtet ihrer personellen Zusammensetzung, mit einem Instrument der Besatzungsbehörden zu tun hatte, eingerichtet, um Land und Stadt rücksichtslos auszupressen. 15 Schon gar nicht gingen von den neuen Körperschaften Impulse zu Reformvorstellungen aus, wenngleich die Erfahrung bürgerlicher Gleichheit, die Aufhebung der eximierten Stände und Stadtbezirke und die Einrichtung einer aus wohlhabenden Einwohnern bestehenden Bürgergarde, welche Polizei- und Sicherheitsaufgaben übernahm, nicht ohne Eindruck geblieben sein mag. Rudimentäre Formen bürgerschaftlicher Partizipation hatten sich, wie das Beispiel des bürgerlichen Deputiertenamtes in der Armenpflege zeigte,16 schon in den vorangegangenen Jahrzehnten an konkreten Gemeindeaufga\3 Berthold Schulze, 200 Jahre staatlicher Verwaltungsbezirk Berlin, in: JBLG, Bd. 3 (1952), S. 2. 14 Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 2, S. 7 f. lS Bassewitz, Kurmark 1806-1808, Bd. 1, S. 103. H. Granier, Berichte, S. 20. Vg!. auch Mieck, Reformzeit, S. 438 ff. 16 Hier muß vor allem an die Reorganisation der Berliner Armenverwaltung gedacht werden, deren Plan bereits im Jahre 1803 dem staatlichen Armendirektorium vorlag. Danach war eine weitgehende Dezentralisation der Armenfürsorge unter Beteiligung bürgerschaftlicher Deputierter vorgesehen. Konzept des Plans, die Instruktion für die Armenväter sowie der im Mai 1806 genehmigte Ausführungsplan in LAB, StA Rep. 03-01, Nr. 149, 327 u. 328. Eine umfassende Darstellung zur Geschichte der Berliner Armenpflege im 18. und 19. Jahrhundert fehlt bis heute. Eine Übersicht zur staatlichen und kommunalen Armenpflege in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts findet sich bei Wolfgang Radtke, Armut in Berlin. Die sozialpolitischen Ansätze Christi an von Rothers und der Königlichen Seehandlung im vormärzlichen Preußen, Berlin 1993, S. 35 ff. Die Studie von Arno Pokiser, Die Funktion der städtischen Armendirektion des Berliner Magistrats in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Ein Beitrag zur Berliner Sozialgeschichte, Phi!. Diss. Berlin 1987 ist auf Grund ihres dogmatischen Ökonomismus wenig brauchbar. Speziellere Untersuchungen finden sich bei Luduvica Scarpa, Das Übergewicht des niedrigen Bürgerstands. Von der Honoratiorenverwaltung zur hauptamtlichen "Fürsorge" im Armenwesen, in: AfK, 32. Jg. (1993), S. 245-262 und neuerdings ihre bereits genannte Studies zu Gemeinwohl und lokale Macht. Diese ansprechende Arbeit Scarpas gewinnt ihren Stellenwert für die historiograph isehe Forschung durch den Versuch, das Verhältnis zwischen der zentralen Ebene der Kommunalverwaltung und der dezentralisierten Mitwirkung des Honoratiorenturns in den Stadtbezirken am Beispiel der Armenpflege darzustellen und das Armenwesen als Parameter innergesellschaftlicher Machtkämpfe zu untersuchen. Weiterhin Helga Schultz, Aus der Geschichte des Berliner Waisenhauses (des Großen Friedrich-Hospitals) im 18. Jahrhundert, in: Berliner Geschichte. Dokumente, Beiträge, Informationen, Berlin 1984, H. 5. Als leicht zugängliche Quelle nach wie vor wichtig: Die öffentliche Armenpflege in Berlin. Mit besonderer Beziehung auf die vier Verwaltungs-Jahre 1822 bis 1825 dargestellt von der Armen-Direction, Berlin 1828.

21 Grzywatz

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

ben entwickelt. Diese administrativen Erfahrungen begrundeten Vorformen bürgerschaftliehe Kompetenz und eine sachlich fundierte stärkere Einflußnahme auf den Verwaltungsablauf. Es ist aus diesem Grund der Bemerkung von Clauswitz' zu widersprechen, die Bürgerschaft zeigte kein Verlangen, in größerem Maße an der Verwaltung teilzunehmen. 17 Clauswitz geht vermutlich von der Vorstellung einer konzeptionell begrundeten Partizipationsforderung aus, die es, da muß ihm zugestimmt werden, nicht gab. Er übersieht aber die konkrete Einbindung einzelner Einwohnerschichten in die tägliche Verwaltungspraxis und ihre Eigendynamik. Der Berliner Magistrat stand dem partizipatorischen Stadtverordnetenamt nach Erlaß der Städteordnung sehr kritisch gegenüber. In einer Denkschrift an den Oberpräsidenten Sack 18 zweifelte der Magistrat im Februar 1809 an, ob die Mitwirkung des bürgerlichen Elements in der Kommunalverwaltung überhaupt dem Gemeinwohl zugute kam. Die alte lokale Elite befürchtete eher Behinderungen der Verwaltung, sowohl durch die Unerfahrenheit der gewählten Repräsentanten als auch durch Gleichgültigkeit und Egoismus. Für sie war die Trennung der Stadtobrigkeit von der Bürgerschaft "eine natürliche Folge" der Einführung des Zunftzwanges im 18. Jahrhundert gewesen, demzufolge die Aufsicht des Magistrats über den wesentlichsten Teil der Bürgerschaft begrundet worden war. Die unzureichende Mitarbeit der berufenen Bürger im Comite administratif waren dem Magistrat ebenso Beweis für die mangelnde Geschäftsfähigkeit ehrenamtlicher Mitarbeiter wie die vielfältigen Erfahrungen der Steuerräte über die Unzulänglichkeiten bürgerschaftlicher Administration in kleineren Ortschaften. Clauswitz, Städteordnung, S. 99. Pro Memoria vom 16. Februar 1809. Die Magistratsakte mit den Denkschriften des Magistrats bzw. der Magistratsmitglieder (nach der alten Registratur Städteordnung A, Nr. 1) ist im Landesarchiv Berlin nicht mehr erhalten. Im Bericht des Oberpräsidenten von Sack an das Ministerium des Innern findet sich jedoch eine Abschrift der Denkschrift vom 16. Februar 1809. GStAPK, Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. I, BI. 4 ff. Vgl. Clauswitz, Städteordnung, S. 97 ff. Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 2, S. 23. Daß der am 8. Mai 1809 landesherrlich bestätigte Oberbürgermeister Gerlach nicht zu den erklärten Gegnern des neuen Kommunalrechts gehörte, weist Jürgen von Gerlach in seiner biographischen Arbeit über Leopold von Gerlach. Leben und Gestalt des ersten Oberbürgermeisters von Berlin und vormaligen kurmärkischen Kammerpräsidenten, Berlin 1987, S. 107 f., nach. Die ältere Literatur, etwa Felix Escher, Berlin und sein Umland. Zur Genese der Berliner Stadtlandschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts (= VHKB, Bd. 47), Berlin 1985, S. 139 u. 144, beruft sich allein auf jene Passage in einem Brief des Grafen Dohna an Ludwig Vincke, in welcher dieser berichtet, daß sich die kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer, der Gerlach als Regierungspräsident angehörte, "auf eine fanatische Weise im Insurrektionszustand gegen die Einführung der neuen Städteordnung gestellt" hat. Abdruck bei Schoeps, Neue Quellen zur Geschichte Preußens im 19. Jahrhundert, Berlin 1968, S. 87. Das Urteil Dohnas kann indessen nicht durch eigene Stellungnahmen Gerlachs erhärtet werden. 17

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1. Vom Comite administratif zur reformierten Kommunalverwaltung

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Wenn es allein darum ging, den Gemeinsinn durch eine größere Selbständigkeit der Bürgerschaft in der Verwaltung zu heben, genügte nach Auffassung des Magistrats eine Modifikation des bestehenden Städterechts. Es mußte davon ausgegangen werden, daß ein gewählter Magistrat das Vertrauen der Bürgerschaft besaß. Eine größere Selbständigkeit der Kommune könnte schließlich auch durch eine Annahme des Bürgerrechts seitens der vorhandenen Stadtobrigkeit erlangt werden. Auf keinen Fall durfte der Staat den Begriff der Selbständigkeit dahin ausdehnen, daß die Bürgerschaft Unabhängigkeit von den Gesetzen und der Staatsaufsicht über das Gemeinwesen anstrebte. Schon durch die Stadtverordnetenwahlen konnten solche Personen in die städtischen Körperschaften einziehen, welche die Unwissenheit und Unerfahrenheit der weniger gebildeten Bürger für ihre privaten Interessen ausnutzten, wie man das bei den Wahlen in den Innungen oft genug erlebt hätte. Hier sprach das Mißtrauen der alten kommunalen Bürokratie, die, zwar mit den kommunalen Problemen bestens vertraut, sich zuerst aber als Obrigkeit, und die eigene administrative Tätigkeit als Bestandteil der staatlichen Verwaltung begriff. Zudem waren die Magistratsmitglieder vielfach selbst Staatsbeamte oder langjährig in staatlichen Diensten beschäftigt gewesen. Ein Verwaltungsfachmann wie Stadtpräsident Büsching konnte sicherlich nicht von seinen Erfahrungen als staatlicher Steuerrat absehen. Bemerkenswert war, daß das antibürgerliche Ressentiment der überkommenen Stadtobrigkeit inhaltlich die Vorbehalte der Regionalbürokratie vorwegnahm, wie sie der Bericht des städtischen Departementsrat der Bezirksregierung verdeutlichte. Gänzlich unberücksichtigt ließ der Magistrat die langjährige Teilnahme der Bürgerschaft an solchen Verwaltungsbereichen wie die Armenpflege, was wohl daran lag, daß dieses Gebiet städtischer Administration dem Magistrat selbst entzogen war. 19 Der politische ebenso wie der bereits zuvor beobachtete soziale Konservativismus des kommunalen Beamtentums durfte nicht mit der Stellung des städtischen Bürgertums zum Reformwerk gleichgesetzt werden. Die auf die kommunalen Spitzen ausgerichtete Überlieferung stützt diese Ansicht nur allzu leicht. Neben den Bedenken gegen eine bürgerschaftlieh selbständige Verwaltung, die selbstverständlich - hier erwiesen sich die Befürchtungen des Magistrats als gänzlich unbegründet -, nicht mit städtischer Autonomie gleichzusetzen war, machte die Stadtobrigkeit auf die aus den hauhaltspolitischen Anforderungen der Städteordnung erwachsenden Schwierigkeiten aufmerksam. Überhaupt kann davon ausgegangen werden, daß die Kosten der zukünftigen Kommunalverwaltung den Haupteinwand gegen das neue Ge19 Die Stadtverordneten zu Berlin an ihre Mitbürger über die Verwaltung ihrer Communal-Angelegenheiten, o. O. (Berlin) 1817, S. 3 f.

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

meinderecht begründeten?O Das wurde auch von der Regierungsbürokratie so gesehen. "Die Städte-Ordnung würde", berichtete Oberpräsident Sack, "so wie die ganze Einrichtung des bürgerlichen Lebens, welche sie hervorbringt, mit weit mehr Beyfall aufgenommen werden, wenn nicht überall der Zweifel die Bürger ängstigte: wie es möglich sey die Gelder zu den öffentlichen Ausgaben, für Brücken, Erleuchtung u.s.w., die übrigen Lasten ungerechnet, aufzubringen".21 Sack wußte, daß es um die Berliner Stadtkasse "sehr schwach" bestellt war. Er hatte Bürgerversammlungen zur Kenntnis nehmen müssen, in denen verschuldete Hauseigentümer und Gewerbetreibende verlangten, "alle Abgaben auf die Capitalisten fallen" zu lassen, während die Mieterträge den Eigentümern in vollem Umfang erhalten bleiben sollten. 22 Solche Forderungen, die Sack angesichts des geltenden Rechts als "unsinniges Zeug" abtat, brachten die vom Stadtbürgertum empfundenen Ängste gegen "die gefahrvollen Folgen der Städteordnung,,23 zum Ausdruck, die im wesentlichen wirtschaftlicher und finanzieller Not entsprangen und im übrigen von der Sorge begleitet wurden, daß die für die Übernahme eines kommunalen Ehrenamts erforderliche Abkömmlichkeit die Sicherung der eigenen Existenz behindern könnte. Die Ministerialbürokratie sah sich daher veranlaßt, den Stadtbürgertum Mut und Selbstvertrauen zuzusprechen.

In einer vom Innenministerium veranlaßten Presseerklärung zur Funktion der Städteordnung wurden die Bürger ermahnt, nicht zu befürchten, die ihnen übertragenen Ämter des Bezirksvorstehers, Stadtverordneten oder Magistratsmitglieds würden ihnen Zeit entziehen, die der eigenen Gewerbetätigkeit hätte zugute kommen müssen. Die Bürger sollten "das Vertrauen auf ihre eigene Kraft" wiedergewinnen und, so die Erklärung, sich durch die Einsicht ermutigen lassen: "Wer des Gehens lange entwöhnt ist, taumelt bei den ersten Schritten, aber er kann nur Kraft und Übung gewinnen durch wiederholte Versuche,,?4 Solche Ermunterungen verfehlten angesichts der Atmosphäre allgemeiner Unsicherheit ihre Wirkung. Sie halfen wenig, die So auch Gerlach, Leben, S. 108 f. Jersch-Wenzel, Jüdische Bürger, S. 31 f. Immediat-Zeitungsbericht vom 22. April 1809, in: Granier, Berichte, S. 406. 22 Sack an Innenminister Graf Dohna, 15. April 1809, in: A.a.O., S. 400. 23 So Polizeipräsident Gruner an Graf Dohna, vermutlich 15. April 1809. A.a.O., S. 403. Gruner hielt die Versammlungen im Gegensatz zum Oberpräsidenten nicht für verbotswidrig und, solange Ruhe und Ordnung gewährleistet waren, auch für ungefährlich. Gruner rechnete bei einer Gemeindevertretung von 102 Stadtverordneten überhaupt mit häufigeren Bürgerversammlungen, die schon aus Gründen der Meinungsbildung notwendig wären. Pahlmann, Anfänge, S. 47, gibt die Stellungnahme Gruners falsch wieder, indem er ihm die Absicht einer polizeilichen Bekanntmachung wegen unbefugter Zusammenkunft unterstellt. Lediglich Sack verlangte diese Bekanntmachung, ließ sich jedoch durch Gruner eines Besseren belehren. 20

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Skepsis und das Mißtrauen gegenüber der neuen Kommunalordnung abzubauen oder die Kritik an den Kosten der bürgerschaftlichen Mitverwaltung zu relativieren. Bisher hatte die Landeshauptstadt mit großzügigen staatlichen Finanzhilfen für die einzelnen Kommunalhaushalte rechnen können, nun sollte die Stadt die Mittel für die Justizpflege, die Armenanstalten, für die Erleuchtung, die Nachtwachen, die Reinigung der Gassen, die Unterhaltung der Brücken, Straßen und Dämme, die Schulanstalten, die Gehälter und Pensionen der Beamten sowie die Polizeikosten selbst aufbringen. Forderungen, die beim Magistrat äußerste Bedenken hervorriefen. In der Tat sollten die finanziellen Folgewirkungen der reformierten Kommunaladministration Probleme aufwerfen, die nur mit staatlichen Hilfeleistungen zu bewältigen waren. Nach einer Berechnung des Stadtkämmerers F.H. Oeding vom März 1809 erforderte der zukünftige Stadthaushalt einen jährlichen Zuschuß von 292000 Reichstalern. 25 Wenn daneben noch der Schuldendienst, die Pensionen für nicht wieder anzustellende Magistratsmitglieder und die Verwaltungskosten der neuen Gemeindeadministration berücksichtigt wurden, mußte das Stadtbürgertum, nachdem die staatlichen Zuschüsse zu den ein24 Aus welchem Gesichtspunkte muß die neue Städteordnung betrachtet werden? Beilage zur Vossischen Zeitung, Ausgabe vom 11. Februar 1809. 25 Clauswitz, Städteordnung, S. 112, und Justus von Gruner, Die Stadtausgaben Berlins im Jahre 1809, in: MVGB, 6. Jg. (1889), S. 108 ff., verwechseln den Gesamtzuschuß mit der Gesamtausgabe des Kommunaletats. Bei der angegebenen Summe handelte es sich jedoch nur um den Zuschuß, den die Stadt möglicherweise im Jahr aufbringen mußte, um sowohl die Bedürfnisse der Gemeindekassen als auch die der kommunalisierten staatlichen Kassen, die zum größten Teil über eigene Einnahmen verfügten und auch künftig behielten, zu decken. Über die tatsächlich zu erwartenden Gesamtausgaben, das heißt den städtischen Finanzbedarf überhaupt sind keine gesicherten Quellen vorhanden. Vgl. Otto Latendorf, Die Entwicklung der städtischen Kassenorganisation Berlins von der Einführung der Städteordnung bis zur Gründung der Stadthauptkasse. Ein Beitrag zur Geschichte und Lehre vom städtischen Haushaltswesen (= Einzelschriften der Historischen Kommisssion für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, 4), Berlin 1931, S. 16. Wenig informativ ist Kaeber, Die Epochen der Finanzpolitik Berlins 1808-1914, in: Ders., Beiträge zur Berliner Geschichte, S. 190 ff., der sich erst gar nicht auf die Probleme des städtischen Finanz- und Kassenwesens einläßt. Sein Versuch, die städtische Finanzpolitik bis 1838 als eine geschlossene Periode der Schuldenwirtschaft zu charakterisieren, ist zudem mehr als fraglich, da er von den Problemen, einen ordentlichen Stadthaushalt zu konstituieren, absieht. Gewiß spielen die Kommunalschulden und der 1838 erfolgte finanzielle Ausgleich für das städtische Finanzwesen eine erhebliche Rolle, kommunalpolitisch bleibt aber die laufende Haushaltsfinanzierung vor dem Hintergrund vermehrter Kommunalaufgaben sowie die verwaltungsorganisatorische Vereinheitlichung des Finanz- und Kassenwesens von entscheidenderer Bedeutung. In dieser Hinsicht markiert die Einrichtung der städtischen Zentralkasse zum 1. Januar 1836 den wichtigeren finanzpolitischen Einschnitt.

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zeInen Kassen fortgefallen waren, gegenüber den vormaligen Verhältnissen mit einer außerordentlichen Steigerung der Kommunalausgaben rechnen?6 Die Städteordnung enthielt keinerlei Bestimmungen über die formelle Ordnung des kommunalen Finanzwesens. Den städtischen Körperschaften stellte sich somit die Frage, ob infolge der gestiegenen Aufgabenlast eine stärkere Zentralisation des Finanz- und Kassenwesens zu veranlassen war oder ob man es bei dem bisherigen dezentralen Aufbau der städtischen Finanzverwaltung belassen sollte. Vor dem Zusammenbruch des preußischen Staates hatte es weder einen einheitlichen Stadthaushaltsplan noch eine zentralisierte Kassenorganisation gegeben. Neben der eigentlichen Hauptkasse der Stadt, der Kämmereikasse, bestand die Kämmerei-Forstkasse für die Verwaltung der kommunalen Forsten und die Magistrats-Salarienkasse für das Justizdepartement der kommunalen Exekutive. Darüber hinaus existierten verschiedene Kassen des Stadtgerichts, weiterhin die Stadtvogteikasse beim Kriminaldepartement des Stadtgerichts, an die Zuschüsse aus der Kämmereikasse abgeführt werden mußten, und die Depositenkasse des Magistrats. Einzelne Stiftungs- und Schulkassen sowie die Feuersozietätskasse wurden vom Magistrat nur verwaltet, sie hatten mit dem eigentlichen Stadthaushalt nichts zu tun. 27 Eine Abrechnung der einzelnen Institute mit der Kämmereikasse fand ebensowenig statt wie die Überweisung ihrer Überschüsse. Wenn die Stadt trotz der fehlenden "fiskalischen Kasseneinheit,,28 über eine verhältnismäßig übersichtliche Kassenorganisation verfügte, dann lag das allein am geringen Umfang der Gemeindeangelegenheiten. Die Erweiterung der kommunalen Zuständigkeiten während der Besatzungszeit führte im Oktober 1806 zur Einrichtung einer neuen Stadtkasse, 26 Die von Clauswitz und auch von Latendorf zum Vergleich herangezogenen vormaligen Ausgaben der Kämmereikasse eignen sich nicht, um die Kostensteigerung der reformierten Kommunalverwaltung zu verdeutlichen. Das Kassenwesen Berlins blieb vor und nach der Städtereform bis in die dreißiger Jahre hinein dezentralisiert. Es gab daher für die einzelnen Kommunalbedürfnisse eigene Kassenverwaltungen, die neben ihren eigenen Einnahmen, soweit erforderlich, Zuschüsse erhielten. Die dezentrale Struktur des Kassenwesens macht jeden detaillierten Einblick in die städtischen Finanzverhältnisse äußerst schwierig. Nach den Normen des 1809 geltenden Etats beliefen sich die jährlichen Kämmereiausgaben zwischen 1797 und 1803 auf rund 40000 Taler, für die Jahre 1808 und 1809 machten die tatsächlich geleisteten Ausgaben der Kämmerei lediglich 31 100 Taler aus. Zum Vergleich sei die Kämmereiausgabe des Jahres 1832 herangezogen, die nach einer vom Magistrat aufgestellten Gesamtübersicht des Kommunaletats eine Höhe von rund 123700 Talern erreichte, während sich die Gesamtausgabe der Stadt auf I 003 700 Reichstaler belief. Vgl. Resultate der über den Communal-Haushalt stattgefundenen commissarischen Erörterungen, Berlin 1832. Teilabdruck auch bei Rumpf, Gemeinnützige Nachrichten, S. 8-10. 27 Vgl. dazu Latendorf, Kassenorganisation, S. 17 ff. 28 A.a.O., S. 21.

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der späteren Stadtschuldentilgungskasse. Dieser Kasse wurden sämtliche aus der Besatzungszeit herrührenden Aufgaben anvertraut, sie leistete aber zeitweilig, obwohl sie eine völlig eigenständige Administration unterhielt, Zuschüsse an die Kämmerei- und Stadtvogteikasse. In den Jahren 1808/09 wurde die weiterbestehende Kasse mit der Erhebung der Hauseigentümerund Mieterabgaben sowie der zeitweilig eingeführten Steuer auf Handwerksgesellen und Fabrik- bzw. Manufakturarbeiter beauftragt, aus deren Einnahmen man überwiegend die Mittel für den Schuldendienst bereitzustellen hoffte. Die Stadtgerichtskassen und die Magistrats-Salarienkasse, aus der ein Teil der Besoldungen der städtischen Justizbeamten bestritten wurde, löste der Magistrat nach der Aufhebung der kommunalen Gerichtsbarkeit auf, ansonsten bestanden die älteren Haupt- und Nebenkassen unverändert fort?9 Von der Möglichkeit, die Kämmereikasse zur städtischen Zentralkasse umzugestalten, machten die Kommunalkörperschaften keinen Gebrauch. Es gab daher keine städtische Kassenzentrale, an die einerseits die erwirtschafteten Überschüsse abgeführt wurden und die andererseits den einzelnen Kassen die notwendigen Zuschüsse überwies, soweit deren eigene Einkünfte nicht zur Deckung der Ausgaben ausreichten. Durch die Fortführung des dezentralen Aufbaus der kommunalen Finanz- und Kassenorganisation fehlte es in den ersten Jahrzehnten nach Einführung der Städteordnung nicht nur an einer einheitlichen Kassenorganisation sondern auch an einem zusammenhängenden Etat- und Rechnungswesen. Mit dem zunehmenden Wachstum der Gemeindeangelegenheiten sollte dieser Verwaltungsaufbau zu einer derartigen Unübersichtlichkeit führen, welche es unmöglich machte, den finanziellen Status der Stadt einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Die Stadtverordneten-Versammlung konnte auf diese Weise nicht mehr eine ihrer wesentlichen Kontrollfunktionen wahrnehmen, was zu einem schwerwiegenden Konflikt zwischen den Kommunalkörperschaften führte. Erst durch staatliche Intervention sollte ein Ausgleich gefunden und zugleich der entscheidende Anstoß zur Reorganisation des kommunalen Finanz- und Kassenwesens gegeben werden. Das staatliche Reformwerk fand demnach keine innergemeindliche Fortsetzung. Die Energien der Stadtbehörden wurden völlig von dem Finanznotstand der Gemeinde und dem Zwang zur Erschließung dauerhafter Finanzquellen absorbiert.

29 A. a. 0., S. 23 ff. Die Ablösung des städtischen Justizwesens zog sich teilweise bis in das Jahr 1811 hin, was durch das Beispiel der Salarienkasse belegt wird, deren Einnahmen noch in den Kämmereirechnungen für 1810 und 1811 ausgewiesen sind.

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

2. Die fehlende finanzielle Absicherung der Städtereform Da das Comite administratif bzw. die Stadtverwaltungsbehörde erst im Juli 1809 die Verwaltung an den neuen Magistrat übergab, wurden die ersten Pläne zur Finanzierung der Kommunalbedürfnisse und der Schuldentilgung noch unter der alten Behörde entwickelt. Nach einem im Oktober 1808 vorgelegten Entwurf sollte ein Kommunalzuschlag zu den Akziseund Zollabgaben der Stadt jährlich zusätzliche Einnahmen in Höhe von 350000 Reichstalern erbringen. Nur die Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln und Wirtschaftsgütern aus dem Umland sowie die Rohstoffe für die Fabriken und den Durchgangsverkehr wollte man von der neuen Abgabe ausnehmen. Durch die gleichzeitige Erhebung der Haus- und Mietsteuer hoffte die Stadtverwaltungsbehörde die notwendige Deckung des Kommunaletats herbeiführen zu können. Eine Stadtanleihe über 1 Million Reichstaler sollte der Kommune sofortige Barmittel zur Verfügung stellen. Trotz der Unterstützung durch die Ministerialbürokratie lehnte der Monarch den städtischen Plan ab. Friedrich Wilhelm III. fürchtete, die Steuererhöhungen könnten zu einer Verringerung der Staatseinnahmen führen und somit die Verpflichtungen gegenüber Frankreich gefährden. Zudem konnte die Hausund Mietsteuer der Stadtbevölkerung nicht als dauernde Belastung zugemutet werden. Der Landesherr riet zu einer Stadtanleihe und schlug darüber hinaus vor, anstelle der Erhöhung der indirekten Besteuerung die wohlhabenderen Schichten der Stadt mit einer Einkommensteuer zu belegen?O Die Aufnahme einer Stadtschuld in Frankfurt am Main kam nicht zustande, trotzdem lehnten die Kommunalorgane die Erhebung einer Einkommensteuer ab. Die Besteuerung des Einkommens traf sowohl auf den Widerstand des Adels als auch des Stadtbürgertums. Einerseits war man grundsätzlich nicht bereit, die Lasten des Gemeinwesens nach seinem Vermögen zu tragen und verlangte Mitbestimmung bei der Aufstellung der Steuerpläne, andererseits stand man dieser Abgabenart wegen des mit ihr verbundenen Eindringens in die persönliche Sphäre ablehnend gegenüber. 3l Die Stadtverwaltungsbehörde behalf sich in Berlin mit der weiteren Veranlagung der Stadtbevölkerung zur Haus- und Mietsteuer, daneben gab sie weitere Stadtobligationen heraus. Nach Abschluß des französisch-preußischen Kriegsschuldvertrages wurde die Stadt Anfang September durch die Verpflichtung zur Übernahme von Festungskosten überrascht, die den städti30 Kabinets-Ordre vom 16. Dezember 1808. Vgl. Clauswitz, Städteordnung, S. 128. Zur Situation des Staatshaushalts vgl. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 144 ff. 31 Vgl. dazu a. a. 0., S. 106 f. u. 114 ff. Zur Bedeutung und Einordnung der am 23. Februar 1808 in Ostpreußen eingeführten Einkommensteuer siehe auch Lehmann, Der Ursprung der preußischen Einkommensteuer, in: PJ, Bd. 103 (1901), S. 26 ff. Grabower, Steuern, S. 244 f. u. 247 ff.

2. Die fehlende finanzielle Absicherong der Städtereform

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schen Haushalt mit weiteren 80000 Reichstalern belasteten. Einen neuen Antrag des Oberpräsidenten Sack auf Erhöhung der Akzise lehnte das Staatsministerium im April 1809 ab. Seitens des Monarchen wurde lediglich eine befristete monatliche Beihilfe des Staates in Höhe von 6000 Reichstalern genehmigt, die wohl eher symbolischen Charakter hatte?2 Als die hauptstädtischen Stadtverordneten und der Magistrat im Juli 1809 die Finanzverwaltung der Stadt offiziell übernahmen, hatten sich die Kommunalkörperschaften bereits seit ihrer Konstituierung im März mit den Finanzkalamitäten Berlins beschäftigt. Ende August lag endlich ein Beschluß der Kommunalbehörden vor, der als Lösung eine Erhöhung der indirekten Besteuerung anvisierte. Eine weitere Belastung der Hauseigentümer und Mieter hatten die kommunalen Körperschaften ebenso abgelehnt wie die Möglichkeit, Einkommen-, Vermögens- oder Luxussteuern zu erheben. Oberpräsident Sack erkannte zwar die Vorlage des Plans an, monierte jedoch die allgemeine Apathie der kommunalen Exekutive, in deren Folge die Gemeindevertretung sich bei der Lösung der wichtigsten kommunalen Fragen weitgehend allein überlassen blieb?3 Polizeipräsident Gruner urteilte härter, indem er zu beobachten glaubte, daß keine wesentlichen Anstrengungen zur Regulierung des Stadtschuldenwesens und zur Bereitstellung der notwendigen Haushaltsmittel unternommen wurden. "Von Gerlach's Ruhe ist merkwürdig", berichtete Gruner, "bleibt sie sich gleich, so weiß ich nicht, was draus werden würde, wenn nicht, wie ich hoffe, Herr . .. Sack impulsirt". 34 Am Ende der ersten Oktoberwoche korrigierte Sack seinen früheren Bericht auch hinsichtlich der Stadtverordneten: Während die Stadt sich nicht in der Lage zeigte, eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen, war die Arbeit der Stadtverordneten nach dem Urteil des Oberpräsidenten beim Entwerfen von Finanzplänen stehengeblieben. Im Augenblick wurden weder Geldmittel beschafft noch den nachteiligen Folgen der defizitären Haushaltslage vorgebeugt. 35 Tatsache war, daß die Stadt am 1. Oktober einen Teil der Hamburger Wechselschuld in Höhe von 635000 Reichstalern zurückzahlen mußte. Die als Gläubiger fungierenden Berliner Bankiers verfügten, wie erwähnt, neben den Schuldscheinen noch über 1,2 Millionen Reichstaler in Stadtobligationen als Pfand. Eine im Juni ausgeschriebene sechsprozentige Stadtanleihe hatte keinen großen Erfolg gebracht, bis zum Rückzahlungstermin kamen lediglich 30000 Reichstaler ein. Im Hinblick auf die Einlösung ihrer Schuldscheine war die Gemeinde zahlungsunfähig. Die Gläubiger sahen 32 33 34

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Bömer, Beginn, S. 192. Clauswitz, Städteordnung, S. 129. Sack an Graf Dohna, 29. August 1809, in: Granier, Berichte, S. 511. Groner an Graf Dohna, 26. August 1809, in: A.a.O., S. 509. Sack an Graf Dohna, 7. Oktober 1809. A. a. 0., S. 538.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

zwar zunächst davon ab, die verpfändeten Stadtobligationen an den Markt zu bringen, da nicht nur eine fernere Gefährdung des Berliner Kredits, sondern auch Kursstürze zu befürchten waren, sie begannen aber mit Erfolg, die Zwangsvollstreckung gegen einzelne Berliner Bankiers und Kaufleute einzuklagen, über die sich die Gläubiger durch Ausgabe kleinerer Wechsel abgesichert hatten. Da der eigentliche Schuldner indessen die Stadtbehörde war, vermittelte das lustizministerium bei der Aussetzung der Zwangsvollstreckungen, während Oberpräsident Sack einen Zahlungsaufschub aushandelte. 36 Die städtischen Körperschaften wußten nunmehr keinen anderen Rat, als den von Oberbürgermeister Gerlach gewiesenen Weg einzuschlagen. In mehreren Eingaben bat die Stadt zwischen August und November um staatliche Hilfe. Die bisherigen Zuschüsse der Staatskasse sollten weitergezahlt und im übrigen ein Teil der Zinsen der bei den Geldinstituten und Staatskassen belegten Kapitalien auf die Gläubiger angewiesen werden. 37 Daneben verlangten die städtischen Körperschaften, die Kommunallasten entsprechend den in der Städteordnung angelegten Kompetenzverhältnissen zu regeln. Damit sprachen die Kommunalbehörden ein Problem an, daß die Gemeinden durchgehend bis zum Ende des Kaiserreichs beschäftigen sollte. Da das Gerichtswesen und die Polizei durch die Kommunalreform "verstaatlicht" worden waren, konnte nicht verlangt werden, daß ihre Unterhaltung der Stadt zur Last fiel. Wenn der Staat an der kommunalen Kostenpflichtigkeit festhielt, mußte der Gemeinde nach Ansicht der städtischen Körperschaften zumindest eine Einflußnahme auf den Etat der örtlichen Polizei- und lustizverwaltung eingeräumt werden. Die Ministerialbürokratie war in dieser Frage prinzipiell nicht zum Einlenken bereit. Sie sah sich jedoch veranlaßt, da Berlin "durch die Kriegs-Drangsale und Kosten vor allen anderen Städten ... am längsten und fühlbarsten betroffen, sowie überhaupt rüksichtlich aller Verhältniße am tiefsten erschüttert und heruntergebracht" war,38 die Übernahme der Polizeikosten auf den staatlichen Etat zu befürworten. Bis zur Kommunalreform betrugen die jährlichen Ausgaben für die örtliche Polizeiverwaltung in Berlin 20000 Reichstaler. Von dieser Summe entfielen rund 6800 Reichstaler auf den Staatshaushalt, während die städtische Kämmerei einen Beitrag von rund 3700 Reichstalern leistete. Die restliche Clauswitz, Städteordnung, S. 130. 37 Gemeinsamer Immediatbericht von Altenstein und Graf Dohna, 22. November 1809, in: Granier, Berichte, S. 558. Siehe auch Bömer, Beginn, S. 192. 38Immediatbericht von Altenstein u. Graf Dohna, 10. Oktober 1809, in: Granier, Berichte, S. 540. 36

2. Die fehlende finanzielle Absicherung der Städtereform

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Summe wurden durch Einkünfte aus Gebühren, Strafgeldern und Gewerbebeiträgen gedeckt. 39 Das neue Kommunalrecht erweiterte den Wirkungskreis der Polizeiverwaltung, was zu einer bedeutenden Steigerung der Personalkosten führte, zumal die örtlichen Staatsbehörden nicht mehr mit kostengünstigen Nebenbeschäftigungen von Magistratsbeamten rechnen konnten und folglich die unzureichenden Besoldungen erhöht werden mußten. Altenstein und Graf Dohna rechneten zukünftig mit einem Finanzbedarf von 51 800 Reichstalern, davon waren 11 700 durch Einnahmen gedeckt, so daß die Stadt noch zirka 40 100 Reichstaler hätte aufbringen müssen. Friedrich Wilhelm III. genehmigte daraufhin, nicht zuletzt, weil er sich überzeugen ließ, daß andere Städte auf Grund der besonderen Verhältnisse Berlins nicht auf diese Entscheidung "exemplificiren" konnten, die vorläufige Übernahme der anfallenden Kosten durch die Staatskasse abzüglich des um die Gewerbebeiträge erhöhten bisherigen Kommunalbeitrages, was jährlich rund 6300 Reichstaler ausmachte. 4o Die staatliche Übernahme der Polizeikosten brachte eine partielle Entlastung des Kommunalhaushalts, ohne daß der städtische Etat durch diese Erleichterung einer geordneten Regulierung entgegenging. Die Ministerialbürokratie machte den städtischen Körperschaften zum Vorwurf, daß sie nicht unverzüglich mit der Einführung einer Einkommensteuer begonnen hätten, die allein die Bewältigung der Zinslasten und die allmähliche Amortisation der Stadtschulden sicherstellen konnte. Anstatt das den städtischen Körperschaften vorliegende ostpreußische Steuerreglement nach den bereits gemachten Erfahrung zu modifizieren, hatten sich die Stadtverordneten nach Ansicht der Regierung monatelang mit nutzlosen Beratungen über andere Finanzierungspläne beschäftigt. 41 Die Stadt erhob weiterhin lediglich die seit 1807 eingeführte Haus- und Mietsteuer sowie die Lager- und Gesellensteuer. Ab November 1809 wurde dann die von den Stadtverordneten beschlossene allgemeine Konsumtionsabgabe eingeführt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Ministerialbürokratie bereits Oberpräsident Sack als staatlichen Kommissar mit der Leitung des SchulA. a. 0., S. 539. Kabinets-Ordre vom 14. Oktober 1809. A.a.O., S. 541. 41 Immediatbericht von Altenstein u. Graf Dohna, 22. November 1809. A. a. 0., S. 558. GStAPK, Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 1, BI. 100 ff. Zur Beratung des ostpreußischen Steuerreglements unter Einschluß der ministeriellen Erfahrungsberichte auf den Provinziallandtagen und zur Entstehung des Einkommensteuerentwurfs der kurrnärkischen Stände sowie zu den Zielsetzungen der staatlichen, die Adelsprivilegien zurückdrängenden Steuerreformpolitik vgl. Otto Schönbeck, Der kurrnärkische Landtag vom Frühjahr 1809, in: FBPG, Bd. 20 (1907), S. 66 ff. Ders., Die Einkommensteuer unter den Nachfolgern Steins. Ein Beitrag zur Geschichte des Ministeriums Altenstein-Dohna, in: FBPG, Bd. 25 (1913), S. 121 ff. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 108 ff. 39

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

den tilgungs wesens in Berlin beauftragt. Doch auch unter der Leitung Sacks ließ sich die Gemeindevertretung nicht zu einem entschlossenen Handeln bewegen. Da große Teile des Stadtbürgertums unter den vielfältigen Belastungen zu leiden hatten und beinahe jedes vierte Haus unter der Kuratel der Gerichte oder privater Gläubiger stand, konnte man sich weder zu weiteren Steuererhöhungen noch zur Einführung neuer Steuern entschließen. Neben der außerordentlich hohen Kriegsschuld trug vor allem die aus der Kommunalisierung der Armenpflege resultierenden Kosten zu einer weiteren Verschärfung des städtischen Haushaltsdefizits bei. Im Hinblick auf die Finanzierung der Armenpflege ging die Städteordnung davon aus, daß die Armendirektion "in den vorhandenen Anstalten und in der Wohltätigkeit der Stadteinwohner" die erforderlichen Mittel zu ihren Zwecken fand. 42 Es wurde also prinzipiell gefordert, die Kosten der Armenpflege weiterhin durch Spenden sowie Erträge und Einnahmen der Armenverwaltung zu finanzieren. Erst wenn auf diese Weise, die pflegerischen Ziele, "die Abstellung der Straßenbettelei und die Erhaltung der ganz hilflosen Einwohner", nicht zu erreichen waren, ergab sich eine Verpflichtung der Stadtverordneten zur Bewilligung entsprechender Mittel. Die Armendirektion war im Gegensatz zu anderen Deputationen ausdrücklich von der Einrichtung eines besonderen, die Verwaltung bindenden Etats ausgenommen. 43 Diese Regelung erschwerte die Kontrolle der Verwaltung, kollidierte insbesondere aber mit dem Etatrecht der Stadtverordneten,44 so daß Konflikte über den Armenhaushalt vorhersehbar waren. Im Falle einer vollständigen Übernahme der bislang staatlich administrierten Armenverwaltung hätte der Berliner Magistrat nicht nur die Kosten für die Unterhaltung und den Betrieb der geschlossenen öffentlichen Anstalten, die Charite, das Arbeits- und Waisenhaus sowie das Armenschulwesen, sondern auch die Schulden der Armenverwaltung aus den zurückliegenden Jahren übernehmen müssen. Die bislang aus staatlichen Mitteln finanzierten Fürsorge- und Krankenpflegeeinrichtungen hatten im Jahre 1806 nicht weniger als 165000 Reichstaler beansprucht. 45 Der Schuldenstand der Berliner Armenkasse belief sich Ende Februar 1809 auf etwa 157000 Reichstaler,46 während die laufenden Kosten der Armenpflege noch einmal rund 41700 Reichstaler ausmachten. 47 Diese Summe entsprach nicht den wirklichen Bedürfnissen der Armenverwaltung. § 185, Lit. c, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 353. § 186, Lit. a, Tit. 8, StO 1808. Ebd. 44 § 109, Tit. 6, StO 1808. A. a. 0., S. 338. 45 Bassewitz, Die Kurmark Brandenburg im Zusammenhang mit den Schicksalen des Gesamtstaates Preußen währed der Jahre 1809 und 1810. Aus dem Nachlaß, hrsg. von K. von Reinhard, Leipzig 1860, S. 533 f. 46 A. a. 0., S. 522 ff. 42

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Die Staatskrise nach 1806 hatte zu einer radikalen Reduzierung der Sozialkosten gezwungen, in deren Folge man die Armut immer mehr als einen unaufuebbaren Bestandteil des großstädtischen Lebens ansah. 48 Zwischen den Rechnungsjahren 1799/1800 und 1804/05 hatte das Berliner Armendirektorium allein für die Kosten der Armenfürsorge im Jahresdurchschnitt noch rund 83500 Reichstaler Courant und 400 Reichstaler in Gold aufbringen können. 49 Da mit Einführung der Städteordnung jede Möglichkeit beendet war, sich der Kommunalpflichtigkeit der Armenpflege zu entziehen, mußten die städtischen Körperschaften Berlins schon mittelfristig, d.h. ohne jede Berücksichtigung der Folgen gewerberechtlicher Neuerungen, mit einem Anstieg der Pflegekosten auf das Vorkriegsniveau rechnen. Wurden die Kosten für die übrigen Fürsorgeeinrichtungen einbezogen, kam auf den städtischen Haushalt eine jährliche Belastung in Höhe von etwa 220000 Reichstalern ZU,50 der allerdings die nicht unerheblichen Einnahmen aus den Kapitalien der Armeninstitute, der Schenkungen und Bürgersammlungen gegenüberstanden. Bei einer ungehinderten Freizügigkeit ohne Bürgerrechtsschranken rechneten die Kommunalbehörden mit einem weiteren Anstieg der Armenpflegekosten, so daß diese schließlich hinter dem städtischen Schuldendienst den gewichtigsten Ausgabeposten des Kommunalhaushalts darstellen würVgI. Bassewitz, Kurmark 1806 bis 1808, Bd. 2, S. 427 ff. VgI. die Bekanntmachung des Armendirektoriums vom 9. Juli 1806. Berlin oder der Preußische Hausfreund, Nr. 36, Ausgabe vom 2. August 1806, S. 190. 49 LAB, ST A Rep. 03-0 I, Nr. 328, BI. 39-43. Die Zahl bezieht sich nur auf die Ausgaben der Hauptarmenkasse einschließlich der Zuschüsse zu den Kassen der einzelnen Pflege-, Arbeits- und Schuleinrichtungen. Die Aufwendungen der Nebenkassen sind hier ebensowenig aufgeführt wie die Ausgaben für die Charite (Armenkrankenpflege). Werden die über die Nebenkassen abgerechneten Ausgaben einschließlich der Armenaufwendungen der Stiftungskasse in die Gesamtrechnung einbezogen, so lagen die Kosten für die städtische Armenpflege bei etwa 249000 Reichstaler. Die sich selbst tragende Bäckereikasse, die sämtliche Armeninstitute mit Brot versorgte, ist hierbei nicht berücksichtigt worden. 50 Auf Grund der lückenhaften Überlieferung sind für die unmittelbaren Jahre nach Einführung der Städteordnung keine Zahlen verfügbar. Die hier abgerundete Kostensumme bezieht sich auf das Jahr 1822. Sie ist insofern eine gute Richtschnur für die städtischerseits erwarteten Ausgaben als sie die Verhältnisse unmittelbar nach Übernahme der Armenpflege durch die Stadt widerspiegelt. VgI. Die öffentliche Armenpflege, S. 216 ff. u. 294 ff. Die bei Clauswitz, Städteordnung, S. 120, für die Jahre der Einführung der Städteordnung angegebene Zahl von 206000 Reichstalern kommt der genannten Summe recht nahe, vermutlich ist sie noch von den Kürzungen der Besatzungszeit beeinflußt. Für das Jahr 1822 gibt Clauswitz, Städteordnung, S. 122, die Gesamtkosten des Berliner Armenwesens mit 224000 Reichstaler an. Eine Zahl, die in zweierlei Hinsicht falsch ist: Einerseits handelt es sich exakt um die aufgerundete Summe der Einnahmen der Armenverwaltung, so daß hier vermutlich eine Verwechslung vorliegt, andererseits entgeht Clauswitz, daß sich die genannte Summe nur auf die Jahresabrechnung der Hauptarmenkasse bezieht. 47

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den. Doch nicht nur die Kommunalisierung der Armenpflege auch die Übernahme des bisher durch staatliche Zuschüsse betriebenen Beleuchtungs-, Nachtwacht- und Feuersicherheitswesens sowie der Straßenreinigung und -pflasterung führte zu einer Zunahme der finanziellen Belastung der Stadt. Die Gemeindekörperschaften weigerten sich daher trotz der dringenden Regulierungsbedürfnisse, ebenso die Armenpflege in städtische Regie zu übernehmen wie sie die Fortzahlung der staatlichen Zuschüsse zu den einzelnen Kommunalaufgaben verlangten. Nach den Ende 1808 vorgenommenen Berechnungen des Corni te administratif waren die jährlichen Ausgaben Berlins einschließlich Zinszahlungen und Amortisationen auf 580000 Reichstaler zu veranschlagen, aus Steuereinnahmen konnte die Stadt jedoch nur mit einer Deckung von 350000 Talern rechnen. 51 Berlin konnte seinen Verpflichtungen, wie Oberbürgermeister von Gerlach in seinem Immediatschreiben Mitte Mai 1809 darlegte, nur durch "billige Anträge auf Erleichterung,,52 nachkommen, d. h. durch staatliche Hilfen. Innenminister Graf Dohna hatte der Armendirektion schon bei der Einführung der Städteordnung eröffnet, daß die Berliner Armenangelegenheiten künftig nach den kommunalrechtlichen Bestimmungen zu regulieren waren. Er beauftragte Oberpräsident Sack, die Übernahme der Armenverwaltung durch die Stadtgemeinde Berlin im Wege einer gütlichen Einigung zwischen dem Armendirektorium und den Gemeindebehörden anzubahnen. 53 Die mehrmonatigen Verhandlungen endeten Anfang Dezember 1809 in einem Komprorniß. Danach war zur "angemessene(n) Einrichtung" des Berliner Armenwesens nach den allgemeinen Vorschriften der Städteordnung eine sechsmonatige Übergangslösung vorgesehen. Anschließend sollte ausgewählten Mitgliedern der Kommunalverwaltung einerseits die Möglichkeit eröffnet werden, sich mit den Geschäften und der Verfassung der Berliner Armenadministration vertraut zu machen, andererseits wollte man ihnen Gelegenheit geben, in Zusammenarbeit mit dem bisherigen staatlichen Armendirektorium einen Plan zur förmlichen Organisation des städtischen Armenwesens auszuarbeiten. 54 Da von den städtischen Behörden in der Folgezeit keine entscheidenden Impulse zur endgültigen "Kommunalisierung" der Armenpflege ausgingen, wurde aus der Zwischenlösung eine Dauereinrichtung, die bis zum Mai 1819 bestehen sollte. Derweil konnte die Stadt mit der laufenden Fortzahlung der staatlichen Zuschüsse zur Armenpflege rechnen,55 die im Jahre 1818 rund 162000 Reichstaler ausmachten. 56 Vgl. Bassewitz, Kurmark 1806 bis 1808, Bd. 2, S. 275. Börner, Beginn, S. 191. Schreiben Oerlachs über die Annahme seiner Wahl zum Oberbürgermeister, 16. Mai 1809, in: Oranier, Berichte, S. 449. 53 Vgl. Bassewitz, Kurmark 1809 u. 1810, S. 527. 54 Bekanntmachung des Armendirektoriums vom 3. Januar 1810. Abgedruckt in: A. a. 0., S. 528 f. 51

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2. Die fehlende finanzielle Absicherung der Städtereform

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Die umfangreichen staatlichen Beihilfen zum Kommunalhaushalt führten freilich ebensowenig zu einer Bilanzierung des städtischen Etats wie sie eine kontinuierliche Schulden amortisation in die Wege leiten halfen. Es fehlte insbesondere an einer greifbaren Lösung, wie die Mittel für die Hamburger Wechselschuld aufzubringen waren. Über die ausbleibenden kommunalen Vorschläge verlor das Staatsministerium die Geduld. In der mangelnden Energie des Magistrats und dem sorglosen Verhalten der Stadtverordneten sahen Altenstein und Graf Dohna, wie vordem Oberpräsident Sack, die eigentlichen Ursachen für die weitere Verschlechterung des städtischen Schuldenstands. 57 Auf Grund der momentan herrschenden Lage, erwiderte Oberbürgermeister Gerlach Ende Dezember 1809, müsse man annehmen, der Gesetzgeber habe mit der Städteordnung "das Verderben der Städte zur Absicht gehabt".58 Da von den Kommunalbehörden keine weiteren Vorschläge gemacht wurden, griff die Ministerialbürokratie zum "revolutionären Hilfsmittel,,59 einer Zwangsanleihe, um das notwendige Kapital für die Wechselschuld aufzubringen. Nur die wohlhabendsten Bürger sollten an dem Zwangsdarlehen beteiligt werden. Die Bereitschaft des Stadtbürgertums zur vorschußweisen Zahlung hielt sich jedoch in Grenzen, bis Mitte Mai 1810 beliefen sich die Einzahlungen lediglich auf 38 000 Reichstaler. 60 55 Zu den finanziellen Wirkungen der späteren Kommunalisierung siehe weiter unten. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Entwicklung ist die unkommentierte Übernahme der von Clauswitz angegebenen Kostensumme für die Aufwendungen der Berliner Armenpflege bei Witzleben, Staatsfinanznot, S. 120 f., nicht nur problematisch, sondern sie wirft, zumindest für den Fall des von Witzleben hervorgehobenen Berliner Beispiels, auch ein falsches Licht auf die Entwicklung, da die Armenverwaltung vorerst noch nicht zum Gegenstand der Gemeindeangelegenheiten wurde und die Stadt selbst nach der Kommunalisierung noch eine Zeitlang mit staatlichen Beihilfen rechnen konnte. Im Ganzen zu ungenau und im wesentlichen nur bemüht, die finanziellen Folgewirkungen der Städtereform als Beweismittel gegen eine beabsichtigte, praktisch aber wenig erfolgreiche städtebürgerliche Gemeinsinnbildung ins Feld zu führen, Ibbeken, Preußen, S. 285 f. 56 Im wesentlichen handelte es sich um Zuwendungen für die Hauptarmenkasse, für das Neue Hospital, das Waisen- und Arbeitshaus sowie die Charite. In der angegebenen Summe sind weitere Geldbewilligungen für staatliche Naturalleistungen im Wert von zirka 2900 Reichstalern sowie ein auf die Generalstaatskasse angewiesener Fonds für den Roggenankauf in Höhe von 27200 Reichstalern nicht enthalten. Vgl. Bassewitz, Kurrnark 1809 u. 1810, S. 533 f. Der finanzielle Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Kommunalisierung der Armenverwaltung tritt bei Dietrich, Verfassung, S. 218, zu sehr in den Hintergrund. Richtig dagegen, unter besonderer Berücksichtigung der Krankenpflege Münch, Krankenversorgung, S. 208 ff. 57 Immediatbericht von Altenstein u. Graf Dohna, 22. November 1809, in: Granier: Berichte, S. 558. 58 GStAPK, Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 1, BI. 101. 59 Immediatbericht von Altenstein u. Graf Dohna, 22. November 1809, in: Granier, Berichte, S. 559.

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

Die Ministerialbürokratie reagierte Mitte Dezember 1809 mit weiteren drakonischen Mitteln auf die allgemein zögerliche Haltung der Gemeindevertretungen und Stadtmagistrate, das Kommunalsteuersystem zu reorganisieren. Durch Ministerialreskript wurden generell Exekutivmaßregeln gegen säumige Stadtverordneten-Versammlungen angedroht. Sollten Stadtverordnete, sobald ihnen entsprechende Anträge der Magistrate vorlagen, nicht ihrer Aufgabe nachkommen, die Mittelbeschaffung sicherzustellen, durften die Gemeindevorstände ersatzweise weder zur Anleihen- oder Kreditaufnahme noch zur Erhebung von Einwohnerbeiträgen schreiten. Vielmehr mußten die Gemeinderepräsentanten "durch alle Grade der Exekution", das hieß unter Einschluß ihres eigenen Vermögens, zur Pflichterfüllung angehalten werden. "Der Zweck eines solchen Verfahrens", verdeutlichte das Reskript, "beschränkt sich immer darauf, die zur Deckung des öffentlichen Geldbedürfnisses, nach dem genau zu prüfenden magistratualischen Nachweis, erforderlichen Summen aus dem Privat-Vermögen der Mitglieder nachlässiger Stadtverordneten( -Versammlungen) beizutreiben".61 Der Tenor der Verfügung zielte sicherlich eher auf eine erzieherische Wirkung ab, als daß tatsächlich vorgesehen war, staatlicherseits die exekutivische Eintreibung von kommunalen Haushaltsmitteln zu veranlassen. In Berlin hatten die Ministerialinstanzen, obwohl der Magistrat selbst vor einer Militärexekution nicht zurückschrecken wollte,62 die gewaltsame Durchsetzung der Einzahlungen verboten und selbst die Zwangsanleihe als ein "bedenkliches Hilfsmittel,,63 eingestuft. Gegenüber den vielfältigen Vorwürfen langsamen und ineffizienten Handelns der Gemeinderepräsentation mußte sich die Staatsregierung selbst vor60 Clauswitz, Städteordnung, S. 130. Die Ermittlung der über ein ausreichendes Kapitalvermögen verfügenden Bürger bereitete dem Magistrat einige Schwierigkeiten, da keine Unterlagen für eine Veranlagung existierten. Es dauerte daher einige Wochen, bis eine Kommission aus Magistratsmitgliedern, Stadtverordneten, Bankiers und wohlhabenden Beamten 995 Personen ermittelt hatten, die ein Kapitalvermögen von mindestens 12500 Reichstalern besaßen und je nach ihrem Vermögen zu Beiträgen von 250 bis 1000 Reichstalern verpflichtet werden konnten. Vgl. Gerlach, Leben, S. 120 f. Zu dem sich zwischenzeitlich entspannenden Kompetenzkonflikt zwischen dem Magistratsdirigenten und dem Oberpräsidium wegen des eingeforderten städtischen Rechts auf Rechnungsrevision der vormaligen Stadtverwaltungsbehörde siehe a. a. 0., S. 122 ff. 61 Ministerialreskript vom 13. Dezember 1809. Rumpf, Städteordnung, S. 89 f. 62 Gerlach, Leben, S. 121. Der bei Gerlach angeführte Plan Wittgensteins hing nicht unmittelbar mit der Berliner Zwangsanleihe, sondern allgemein mit der Ablösung der dem preußischen Staat auferlegten Kontributionen Frankreichs zusammen. Vgl. Branig, Fürst Wittgenstein, S. 47 f. Klein, Reform, S. 15 ff. Siehe auch Hausherr, Hardenberg, T. 3, S. 27 f. 63 Immediatbericht von Altenstein u. Graf Dohna, 3. Dezember 1809, in: Granier, Berichte, S. 559.

2. Die fehlende finanzielle Absicherung der Städterefonn

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werfen lassen, nicht energisch genug die Ordnung des kommunalen Finanzwesens in Angriff genommen zu haben. Die Vorschläge der Stadtverordneten zur Erhebung einer indirekten Steuer hatte der Magistrat der kurmärkischen Regierung schon im September 1809 vorgelegt. Nachdem der Regierungssitz Ende des Jahres wieder nach Berlin verlegt worden war, hatten die Stadtverordneten Finanzminister Altenstein die finanzielle Lage der Kommune dargelegt und in einer dem Ministerium überreichten Denkschrift Ende Januar nochmals für ihren Steuerplan plädiert, ohne daß die anschließend anberaumten Verhandlungen zu einem konkreten Ergebnis führten. Daraufhin wandten sich die städtischen Körperschaften in der zweiten Maihälfte an den Monarchen. Der aktuelle Schuldenstand Berlins lag nunmehr bei 7,367 Millionen Reichstalern, von denen 1,764 Millionen unverzinsliche Vorschüsse waren. Die monatlichen Zinsen machten 21600, die Verwaltungskosten 5700 Reichstaler aus, denen nur Einnahmen in Höhe von 9000 Talern gegenüberstanden. Es ergab sich mithin ein Defizit von zirka 18300 Reichstalern. Daneben war aber seit drei Monaten der staatliche Zuschuß von 6000 Talern zu den Festungsverpflegungskosten weggefallen, so daß die Stadt monatlich allein weitere 9300 Reichstaler für diese kommunale Verpflichtung aufbringen mußte. 64 Mit dem Wechsel im Finanzministerium - nach dem Rücktritt Altensteins übernahm Hardenberg dessen Ressort - schien sich im Juni eine Wende anzubahnen. Hardenberg bewirkte einen weiteren viermonatigen Zahlungsaufschub für die Hamburger Wechselschuld, veranlaßte, die dringendsten Wechselschulden aus Staatsmitteln vorschußweise zu decken, und beauftragte den Berliner Magistrat, nochmals eine Zusammenstellung der Stadtschulden sowie der kommunalen Einnahmen und Ausgaben einzureichen. Der am 12. Oktober vorgelegte Etatentwurf bestätigte weitgehend den bereits im Mai berechneten Schuldenstand, während die jährlichen Ausgaben, unter Einschluß der Armenkosten, der Servisleistungen65 und Festungsgelder auf 890000 Reichstaler festgesetzt wurden. Nach Abzug der Kommunaleinkünfte verblieb ein Defizit des Stadthaushalts von 506000 Reichstalern. 66 Das am 27. Oktober erlassene Finanzedikt, das mit seinem Eingriff in den Verfügungsrechtsbestand des Adels das eigentliche "revolutionäre Novum in der preußischen Gesetzgebung,,67 darstellte und den wohl stärksten Clauswitz, Städteordnung, S. 131. Das Servis-Regulativ, nach dessen Nonnen die Servis- und Einquartierungsangelegenheiten auf Grund der kommunalrechtlichen Bestimmungen in städtische Verwaltung übergehen sollten, wurde Mitte März 1810 erlassen. Siehe Allgemeines Regulativ über das Servis- und Einquartierungswesen vom 17. März 1810. GS 1806-1810, S. 649-659. 66 Clauswitz, Städteordnung, S. 131 f. 64 65

22 Grzywatz

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

Widerstand gegen die gesamten Reformpläne der Ministerialbürokratie hervorrief, kündigte auch die Einsetzung einer Generalkommission zur Regulierung der Provinzial- und Kommunalkriegsschulden an. Die Entscheidung der Kommission mußte zwangsläufig die Finanzlage der preußischen Hauptstadt berücksichtigen, so daß die Staatsregierung die abschließende Ordnung des Berliner Finanzwesens noch einmal aufschob. Zwischenzeitlich erhielt die Stadt zur Entlastung bare Vorschüsse aus der Staatskasse. In der ersten Februarhälfte 1811 traten auf Veranlassung Hardenbergs die Staatsräte Stägemann und Sack mit Oberbürgermeister von Gerlach zu einer Konferenz zusammen, um den Kommunaletat einer erneuten Überprüfung zu unterziehen. Bei der Beratung ging man nunmehr davon aus, daß die Straßenreinigungskosten sowie die Mittel für das Armen- und Serviswesen zunächst weiterhin vom Staat getragen wurden. Der vormals berechnete jährliche Fehlbetrag des Stadthaushalts sank dadurch auf 316000 Reichstaler. Zur Deckung des Defizits sollte, so der Beschluß der Konferenz, der Magistrat einen neuen Finanzierungsplan vorlegen, der eine Erhöhung der indirekten Steuern, insbesondere auf Fleisch und Brot, die Anhebung der Gewerbesteuer und die Einführung von Luxussteuern vorsah. 68

3. Die staatliche Steuergesetzgebung und die Gemeindefinanzen Die angekündigte Generalkommission wurde in Form einer Notabelnversammlung einberufen, die als korrektive und vermittelnde provisorische Nationalrepräsentation fungieren sollte. Am 23. Februar 1811 nahm die Versammlung ihre Beratungen in Berlin auf. Wie die später folgende "Interimistische Nationalrepräsentation,,69 war sie vom adligen Großgrundbesitz dominiert. Von den 64 einberufenen Notabeln repräsentierten nur 13 Vertreter städtische Interessen. Die großen Städte Berlin, Stettin, Königsberg und Breslau schickten jeweils einen Delegierten in die Versammlung, während 67 Witzleben, Staatsfinanznot, S. 150. Siehe auch Hausherr, Hardenberg, T. 3, S. 249 ff. 68 Clauswitz, Städteordnung, S. 132. Gerlach, Leben, S. 131. Gunther Hildebrand, Leopold von Gerlach, in: Stadtoberhäupter. Biographien Berliner Bürgermeister im 19. und 20. Jahrhundert (= Berlinische Lebensbilder, Bd. 7), hrsg. von W. Ribbe, Berlin 1992, S. 47. Die biographische Arbeit Hildebrandts ist insbesondere für den wichtigen Zeitabschnitt der ersten Jahre nach der Kommunalreform äußerst lückenhaft und weit davon entfernt, einen analytischen Einblick in die Kommunalprobleme der Nachreformzeit sowie die Aktivitäten und Haltungen des Berliner Magistrats bzw. seines Dirigenten von Gerlach zu geben. 69 Zur allgemeinen Einordnung ihrer Tätigkeiten, insbesondere im Hinblick auf die Steuer- und Finanzgesetzgebung sowie die Regulierung der Kriegsschulden vgl. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 170. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 125 f.

3. Die staatliche Steuergesetzgebung und die Gemeindefinanzen

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die kleinen Städte neun Vertreter entsandten. Durch die nachträgliche Nominierung Hardenbergs waren noch Berlins Oberbürgermeister von Gerlach und zwei Justizräte als Notabeln berufen worden?O Unter Einschluß Gerlachs, den die Städtevertreter zu ihrem Präsidenten wählten,71 kamen nur vier der vierzehn städtischen Notabeln aus gewerblich-kaufmännischen Berufen, während die übrigen Vertreter der Kommunalbürokratie, den Gemeinderepräsentationen bzw. dem juristisch gebildeten Bürgertum entstammten. Diese Zusammensetzung veranlaßt Barbara Vogel zu dem Schluß, das politische Bewußtsein des bürgerlichen Elements wäre "weitgehend eine Angelegenheit des akademisch gebildeten Bürgertums", Gewerbe und Kaufmannschaft hätten dagegen "keinen Partizipationsanspruch" erhoben. 72 Ein solches Urteil überschätzt die Zusammensetzung der Repräsentationen als Ausdruck schichtenspezifischen Partizipationswillens. Selbst wenn unberücksichtigt bleibt, daß die Notabeln nach vertraulichen Sondierungen bei den Provinzialregierungen vom Monarchen berufen wurden, läßt sich aus der Dominanz des kommunalen Beamtenturns bzw. des Bildungsbürgertums nicht auf differierendes Partizipationsverhalten schließen, da die staatlicherseits vorgenommene Auswahl auf dem Vorurteil beruhte, daß die Träger der höchsten Kommunalämter am ehesten die Städte repräsentierten. Schließlich wurden die Stadtmagistrate von der Städteordnung ebenso als Kompetenz voraussetzende Ortsobrigkeit wie als ausführende Verwaltungsbehörde eingesetzt. Die berufenen Stadtverordnetenvorsteher konnten indessen nicht als Vertreter der Kommunalbürokratie eingestuft werden, da sie die Gemeindevertretungen und damit allgemein das bürgerschaftliche Element repräsentierten. Letztlich erforderte die Teilnahme an der Gesetzgebungsarbeit ein bestimmtes Maß an sachlichen Kenntnissen, so daß es nicht ausbleiben konnte, daß die Regierungsbürokratie diesem Moment, unabhängig vom Gedanken "zweckmäßiger Repräsentation", besondere Beachtung schenkte. In der Instruktion Hardenbergs zur Wahl der Interimistischen Nationalrepräsentation hieß es folgerichtig auch, die Regierungspräsidenten sollten dafür sorgen, daß nur "unbescholtene, einsichtsvolle, mit gehöriger Kenntnis ihrer Provinz ausgerüstete, ... , vorurteilsfreie Männer" zu Nationalrepräsentanten 70 Steffens, Hardenberg, S. 53. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 123 f. Bei Obenaus, Anfänge, S. 63, werden die Städterepräsentanten nicht als besondere Gruppe hervorgehoben. Gerlach, Leben, S. 135, gibt, obwohl er Steffens folgt, die Zusammensetzung der Notabeln nicht richtig wieder. 71 Bericht des Stadtrats Lange an den Magistrat und die Stadtverordneten Breslaus über die "Nationalrepräsentation" vom 4. Juli 1812, in: Wendt, Städteordnung, Bd. 2, S. 325. Gerlach, Leben, S. 135. 72 Vogel, Gewerbefreiheit, S. 124. 22*

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zu wählen waren, die, der Intention integrativer Reformtätigkeit folgend, "dem königlichen Hause und Vaterlande notorisch treu ergeben" waren. 73 Es ist das Urteil des Ministerialbeamten Hippel erhalten, im dem er einräumte, daß die Berliner "Repräsentanten nicht sind, was sie sein sollen".74 Mit dieser Bemerkung spielte er jedoch nur auf die gesellschaftliche Basis der Kommunalrepräsentanten an, ohne damit eine weitergehende Einschätzung über schichtenspezifisches Partizipationsverlangen abzugeben. Im übrigen nahm die Ministerialbürokratie in der Tätigkeit der Städterepräsentanten einen "Oppositionsgeist" wahr, der über die Interessenartikulation einzelner sozialer Gruppen hinaus auf eine Konstitutionalisierung der preußischen Monarchie drängte. Der Elbinger Stadtrat Friedrich Theodor Poselger monierte die begrenzte Bedeutung einer beratenden Kompetenz. Er forderte, der Nation und ihren Repräsentanten nicht nur das Recht einzuräumen, dem Monarchen Beschwerden vorzutragen und auf Abstellung zu dringen, sondern ihnen neben der Beratung auch die Befugnis zu eröffnen, über die Gesetze zu entscheiden. 75 Berlins Oberbürgermeister Gerlach, sonst eher ein Kritiker des Reformprozesses, sprach sich in der Notabelnversammlung für die Konstituierung einer Nationalrepräsentation aus und erachtete im übrigen die Beteiligung der Repräsentanten an der Gesetzgebung für richtig. 76 Gerlach war grundSätzlich kein Vertreter konstitutioneller Gedanken. Durchaus ständisch orientiert, sah er die Nationalrepräsentation eher als Gegengewicht unkontrollierter Staatsgewalt. 77 Er hielt die Mitwirkung der Repräsentanten an der Gesetzgebung, soweit Regelungen von erheblichem unmittelbarem Einfluß auf das Leben aller Staatsbürger oder ganzer Klassen zur Beratung anstanden, schon allein deshalb für notwendig, weil andernfalls "das Versprechen, mit ihnen über wichtige Landesangelegenheiten zu Rathe zu gehen, von gar keiner Bedeutung seyn soll(te)".78 73 A. a. 0., S. 129.; zur Zusammensetzung der Interrimistischen Nationalrepräsentation ebenda, S. 130. Obenaus, Anfänge, S. 68 f. Siehe auch oben Kap. 2. Zur Frage der Kompetenz der Repräsentanten vgl. schon die vom Geheimen Kriegsrat Kunth im April 1808 verfaßten "Gedanken über die Teilnahme unbesoldeter Staatsbürger an der öffentlichen Verwaltung, in: Scheel/Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 499 ff. 74 Stern, Verfassungsfrage, S. 196 f. 75 A.a.O., S. 189. Vgl. auch Zeeden, Hardenberg, S. 129. Hier sei indessen nochmals auf den engen Zusammenhang zwischen Staatsfinanznot, Stabilisierung des Staatskredits und der Einberufung einer Nationalrepräsentation erinnert. Siehe auch Obenaus, Anfänge, S. 79. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 166. 76 Gerlach, Leben, S. 155. 77 A.a.O., S. 145. 78 Zit. nach a. a. 0., S. 143.

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Die Stellung der Städtevertreter als Gegengewicht zu den ständisch orientierten Teilen der Staatsbürokratie verdeutlichte Stadtrat Lange, wenn er an die städtischen Körperschaften Breslaus berichtete: "Ein Theil der höheren Staatsbeamten sieht uns nehmlich gern, weil er von uns wenigstens in der Zukunft eine wohlthätige Einwürkung in die Staatsadministration hoft. Dem anderen Theile sind wir ein Greuel, weil er diese Einwürkung besonders in die von ihm beliebte Verwaltungsart fürchtet".79 Das Stadtbürgertum war sich durchaus bewußt, daß sich in einem monarchischen Staat von einer Repräsentation "keine absoluten Vortheile" erwarten ließen. Doch zumindest "in negativer Beziehung" und insbesondere bei der Regulation wie dem Ausgleich des Kriegsschuldenwesens konnte die Repräsentation von Nutzen sein, indem die Interessen der Kommunen wahrgenommen wurden. 8o Es war daher auch keine Frage, daß die Gemeindevertretungen an der Delegierung ihrer Vertreter in die Nationalrepräsentation festhielten. Obwohl die Städte nach dem Urteil von Steffens der staatlichen Finanzund Steuerreform weit weniger ablehnend gegenübertraten als der Adel und insgesamt eine größere Verständigungsbereitschaft zeigten,81 herrschte unter dem Städtebürgertum weiterhin Einigkeit, die Einkommensteuer als inquisitorisch und Beeinträchtigung des persönlichen Kredits abzulehnen. 82 Die kommunalen Vorbehalte hingen mit der Befürchtung zusammen, die Reform könnte eventuell auch zu einer Besteuerung der Kämmereivermögen führen. Die Städtevertreter setzten sich aus diesem Grund dafür ein, die Vermögen der Kämmereien ähnlich denen der milden Stiftungen Steuerfreiheit zu gewähren. Diese Bemühungen waren erfolgreich. 83 Das Anfang Dezember 1811 erlassene Klassensteueredikt84 fand erwartungsgemäß seitens der Gemeinden keine Unterstützung. Diese Haltung wurde durch die Absicht des Gesetzgebers, die Einkommenbesteuerung unter Teilnahme der kommunalen Selbstverwaltung zu vollziehen, indem lokale Klassifikationskommissionen aus steuerpflichtigen Bürgern bzw. Stadtverordneten unter Leitung eines Magistratsmitglieds die Registrierung der Steuerpflichtigen und ihrer steuerlichen Einstufung vornehmen sollten, keineswegs geändert. 85 Vor allem die Kaufmannschaften befürchteten, durch 79 Wendt, Städteordnung, Bd. 2, S. 325. Langes Bericht ist auch im Hinblick auf die Einschätzung der Mitarbeit der Städtevertreter in der Nationalrepräsentation instruktiv. 80 A. a. 0., S. 326. 81 Steffens, Hardenberg, S. 35. Steffens folgt Obenaus, Anfänge, S. 66. 82 Karl Marnroth, Geschichte der Preußischen Staats-Besteuerung im 19. Jahrhundert, T. 1 (1806-1816), Leipzig 1890, S. 611. 83 Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 326. 84 Edikt über die Erhebung einer Klassensteuer vom 6. Dezember 1811. GS 1811. S. 361-368.

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die Einschätzung ihre Aktiva und Passiva aufdecken zu müssen und infolgedessen ihren Kredit zu verlieren, während einzelne Gemeindevertretungen durch das Selbsteinschätzungsprinzip die soziale Harmonie gestört sehen wollten. Der Berliner Magistrat hielt das ganze Gesetz, insbesondere die zehnstufige Klasseneinteilung für zu kompliziert. Da das vorgeschriebene Erhebungsverfahren die Verwaltungskosten in die Höhe trieb, bat der Magistrat von der Entbindung der Aufgabe. Solange dies nicht möglich war, sollte der Staat wenigstens die Einzugskosten übernehmen. 86 Das Staatskanzleramt reagierte auf die Einwände lediglich insoweit, als die Regierungen nur in Ausnahmefällen Einsicht in die Handelsbücher nehmen sollten. 87 Die Beschwerden rissen unterdessen nicht ab, insbesondere die Klagen darüber, daß viele Besserverdienende in den untersten Einkommensklassen geführt wurden. 88 Diese Umstände wirkten sich nachteilig auf die Zahlungsmoral aus, so daß die Steuererträge weit hinter den Erwartungen zurückblieben. Erst das im Mai 1812 erlassene Vermögens- und Einkommensteueredikt sollte dem Staat, bei allem Widerstand, größere Einkünfte bescheren. Die gesellschaftliche Resistenz gegen die Einkommensteuer hatte wohl auch die Kommunalkörperschaften mit einem Mißerfolg rechnen lassen, sie hielten jedenfalls beharrlich an einer Erhöhung der indirekten Besteuerung als Lösung für die Bilanzierung des Stadthaushalts fest. Im April 1811 gab Hardenberg endlich nach und verfügte zum 1. Juni eine Übertragsakzise zu Gunsten der Stadt Berlin. 89 Außerdem stellte er staatliche Vorschüsse in Aussicht, damit die Kommune die am 1. Dezember 1812 fälligen Zinsen der Stadtobligationen begleichen konnte. Durch das Einkommensteueredikt wurde die Stadt von den Lasten der Festungsverpflegung befreit,90 so daß sich eine Entspannung der städtischen Finanzsituation anzukündigen schien. Die Aussicht auf Normalisierung sollte indes nur von kurzer Dauer sein. Die Lasten der erneuten französischen Besetzung sowie die Rüstungsund Kriegsleistungen zwischen 1812 und 1814 verlangten der Stadtbevölke85 Vgl. § 10, Klassensteueredikt 1811. A. a. 0., S. 364. Die städtischen Kommissionen mußten, wie üblicherweise im Kommunalrecht vorgesehen, unter Leitung eines Magistratsmitgliedes stehen. Siehe § 176, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 347 f. 86 Marnroth, Staatsbesteuerung, S. 609. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 169. Vogel, Gewerbefreiheit, S. 127. 87 Marnroth, Staatbesteuerung, S. 610. 88 A. a. 0., S. 622. 89 Der Zuschlag zur Akzise betrug 3 Groschen auf den Reichstaler, vgl. Clauswitz, Städteordnung, S. 132. 90 Falsch hier Dietrich, Verfassung, S. 220, der von der Genehmigung einer städtischen Klassensteuer spricht.

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rung erneut große Opfer ab, während der Kommunalhaushalt durch weitere Steuererhöhungen und die Einführung neuer Abgaben stabilisiert werden mußte. Durch die Kabinetts-Ordre vom 31. März 1813 bewilligte die Staatsregierung einen kommunalen Anteil an der Schlacht- und Mahlakzise sowie an den Einnahmen aus der Braumalzsteuer. Damit hatte man der Stadt erhebliche Einkünfte gesichert, die ein Mehrfaches der Kämmereieinnahmen ausmachten. Eine Mieterabgabe und die zeitweilige Wiedereinführung der Handwerksgesellen- wie Gehilfenabgabe komplettierten die finanziellen Maßnahmen. Auf diese Weise war die Stadtverwaltung in die Lage gesetzt, die erhöhten finanziellen Anforderungen ohne neue Schuldenaufnahme zu bewältigen. 91 Die Zeit der größten haushaltspolitischen Not und der bürgerschaftlichen Belastungen schien ihrem Ende entgegenzugehen. Nunmehr war allseits auf eine weitere Ordnung der Kommunalverhältnisse und eine ebenso regelmäßige wie stärkere Beteiligung der Gemeinderepräsentation und des Stadtbürgertums an den Kommunalgeschäften und den Gemeindewahlen zu hoffen. In den ersten Jahren nach Einführung der Städteordnung nahmen die Stadtverordneten in einer Weise an den administrativen Aufgaben teil, insbesondere den Einquartierungs- und Landwehrangelegenheiten sowie den Requisitionen, daß in der Gemeindevertretung häufiger keine beschlußfähige Mehrheit vorhanden war. Auf einen Antrag Büschings über die Zulassung der Stadtverordneten-Stellvertreter zu den Sitzungen92 mußte erst von Schuckmann auf die durch die Städteordnung gegebene Möglichkeit der Delegation von Verwaltungsaufgaben aufmerksam machen. Nachdem der Minister die Hinzuziehung der Stellvertreter als mit der Städteordnung unvereinbar dargestellt hatte, wies er auf die Möglichkeit einer Aufgabenteilung hin. In der Stadtverordnenten-Versammlung sollten nur die Hauptgegenstände der Verwaltung behandelt werden, welche durch die Städteordnung schlechterdings für das Forum der Gemeindeverwaltung vorgesehen waren. Die Beratung und der Beschluß über minderwichtige Angelegenheiten, "worüber der Magistrat ihre Erklärung einzuziehen für nötig hält", konnten die Stadtverordneten an eine zu ernennende Deputation übergeben. 93 Über die festgestellten Mängel kontinuierlicher Arbeitstätigkeit der Stadtverordneten hinaus sollte jedoch nicht vergessen werden, daß die stadtbürgerlichen Repräsentanten ihre partizipatorischen Aufgaben schon aus hausClauswitz, Städteordnung, S. 137 f. Schreiben von Bürgermeister Büsching an die Kurmärkische Regierung, 24. August 1813. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3167, BI. 234 f. 93 Verfügung von Schuckmanns an die Kurmärkische Regierung, 17. September 1813. Aa.O., BI. 239 f. Schuckmann bezieht sich hier auf den § 124, Tit. 6, Abschnitt 2, StO 1808. OS 1806-1810, S. 340. 91

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haltspolitischen Erwägungen generell ernst nahmen. Die Verschuldung der Gemeinde war den Stadtverordneten Anlaß genug, auf eine strikte Haushaltsdisziplin zu achten. Auf die städtischen Etats sollte nach ihrer Ansicht nur die Ausgaben übernommen werden, die unmittelbar zu den städtischen Bedürfnissen unter der Direktion des Magistrats notwendig waren. Bereits im Februar 1811 verlangte die Gemeinderepräsentation vom Magistrat die Aufstellung eines geordneten Etats für sämtliche Geschäftszweige der Kommunalverwaltung, da sich nur auf diesem Wege der tatsächliche Finanzbedarf der Stadt feststellen ließ. 94 Von dieser Forderung war es im Grunde genommen nur noch ein kurzer Weg bis zum Gedanken eines zusammenfassenden Stadthaushalts, auf diesen sollte der Magistrat die Stadtverordneten dennoch Jahre warten lassen. Eine Gesamtübersicht der städtischen Einnahmen und Ausgaben war aber auch für die Ermittlung des realen Defizits der Stadt notwendig. Nur unter dieser Voraussetzung konnte gegebenenfalls versucht werden, staatliche Zuschüsse wirkungsvoll einzufordern. Im übrigen dachte die Berliner Kommunalrepräsentation nicht daran, sich vorschnell mit den Folgewirkungen der Städtereform abzufinden. Man wollte ebenso an einer abschließenden Regelung der finanziellen Kosten der Kommunalisierung einzelner Verwaltungsaufgaben wie an dem Verlangen festhalten, daß der Staat hierzu einen erheblichen Beitrag leistete. An einer kritischen Rezeption der Städteordnung und Kritik des begrenzten Umfangs der Gemeindeangelegenheiten fehlte es unterdessen in den Reihen der Stadtverordneten nicht. Die Kommunalrepräsentation forderte, vor allem die Polizei, das Bürgerwacht- und Armenwesen in eine selbständige Verwaltung von Magistrat und Gemeindevertretung übergehen zu lassen. 95 "Bei diesen Geschäften", bemerkten die städtischen Repräsentanten, "hat daher die Stadtverordneten-Versammlung sich bis jetzt nur darauf beschränken können, ihre Bemühungen dahin zu richten, daß die Städteordnung zur Ausführung komme, und daß bis dahin die Verwaltung derselben möglichst aus dem Gesichtspunkte geschehe, welcher nach ihrer Ansicht dem allgemeinen Besten der hiesigen Einwohner ersprießlich sey".96 Hierin dürfte ein sicherer Hinweis auf die Impulse liegen, die der Stadtverwaltung aus dem Kreis der bürgerschaftlichen Repräsentanten zuflossen. Die Bürgerschaft wurde mithin, anders als von der alten Obrigkeit vermutet, durchaus zum gestaltenden Träger der Verwaltung. Der Städtedepartementsrat der Potsdamer Regierung sollte später anläßlieh einer vom Ministerium des Innern angeordneten Revision der Berliner Kommunalverwaltung über die fachliche Kompetenz der Berliner Stadtver94 95 96

Vgl. Latendorf, Kassenorganisation, S. 35. Die Stadtverordneten, 1817, S. 3 f. A. a. 0., S. 4.

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ordneten kein positives Urteil fällen. Er bescheinigte der Mehrheit zwar guten Willen und Kenntnis der lokalen Verhältnisse, vennißte aber die entsprechende Geschäftsbildung, "um die Bedürfnisse der Verwaltung und die Mittel sie zu verbessern, mit Klarheit zu übersehen". "Sie fühlt zwar häufig", erläuterte Haeckel, "wo die Mängel und Lücken sind, die Dolmetscher ihrer dunklen Vorstellungen fehlen aber, welche ihr das Wesentliche klar auseinandersetzen und dadurch den Trieb erwecken, mit Sicherheit die Mittel zur Erhebung jener Mängel zu bewilligen".97 Dieses Urteil wog schwer, da es von einem mit den städtischen Verhältnissen vertrauten Beamten einer Regionalbehörde kam. Es stand indessen zu sehr im Banne eines aktuellen Konflikts innerhalb der Berliner Kommunalverwaltung, als daß es eine abwägende Beurteilung der Fähigkeiten der Stadtverordneten vornahm und eine gerechte Einschätzung ihrer Tätigkeit wiedergab. Die vom Staat genehmigte Kommunalakzise versetzte Berlin in die Lage, regelmäßige Zinszahlungen zu leisten und die Amortisation der rückständigen Zinsen und Kapitalschulden in Gang zu bringen. Ende Oktober 1814 überreichte der Magistrat dem Ministerium des Innern einen Amortisationsplan, der eine endgültige Schuldentilgung innerhalb eines Zeitraums von dreißig Jahren vorsah. 98 Am 1. Januar 1817 betrug die Stadtschuld noch rund 4,243 Millionen Reichstaler,99 für deren Verzinsung jährlich rund 180000 Taler aufgebracht werden mußten. 1OO Zur weiteren Steigerung der kommunalen Einkünfte schlug die Gemeinderepräsentation zum wiederholten Mal vor, die Abgaben und indirekten Steuern zu erhöhen. So wollte sie die Einlagegefälle auf eingeführte alkoholische Getränke anheben und Gegenstände des gehobenen Bedarfs wie Zucker und Kaffee besteuern, Waagegelder erheben sowie die Auktionswaren und das eingeführte Brennholz mit Abgaben belegen. Die Staatsbehörden hielten jedoch unverändert an der Einführung einer direkten Steuer fest. Nach Auffassung der Gemeindevertretung bestanden durch die Servisleistungen sowie die Haus- und Mietsteuer bereits bedeutende direkte Abgaben, die nicht ohne weiteres erhöht werden konnten. Gegen die direkte Besteuerung machten die Stadtverordneten fernerhin Erhebungsprobleme und die zu erwartenden Administrationskosten geltend, nicht zuletzt aber die Schwierigkeit, einen geeigneten Verteilungsmaßstab zu finden. 101

97 Bericht des Städtedepartementsrat der Potsdamer Regierung, Regierungsrat Haecke1, 15. Mai 1834. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 14. 98 Die Stadtverordneten, 1817, S. 10. 99 A. a. 0., S. 12. 100 Die Stadtverordneten, 1819, S. 7. IOI A. a. 0., S. 15 ff.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

Nun muß zur Servisverwaltung angemerkt werden, daß der Magistrat und die Stadtverordneten an dieser Aufgabe zwar teilnahmen, es handelte sich bei diesem Geschäftszweig in den ersten Jahren nach der Kommunalreform aber noch nicht um eine Gemeindeangelegenheit. Die Serviskommssion bestand als Einrichtung der staatlichen Verwaltung fort, deren eigentliche Geschäfte von Staatsbeamten erledigt wurden. Die Stadt bezog aus dem gesamten Servis- und Einquartierungswesen keine Einnahmen und machte ebenso wenig irgendwelche Aufwendungen für seine Verwaltung. Sämtliche Kosten, die der Staat nicht selbst übernahm, mußten von den Einwohnern, d. h. nicht nur von den Stadtbürgern, direkt aufgebracht werden. Aus den Einnahmen der staatlichen Serviskasse wurden sämtliche Administrationskosten beglichen. Mit dem Erlaß des Servis-Regulativs im März 1810 erfolgte noch keine unmittelbare Kommunalisierung des Serviswesens, wie es die Städteordnung vorschrieb. Erst ab April 1817 übernahm die Stadt die Servisangelegenheiten und integrierte damit auch die Serviskasse in die kommunale Kassenorganisation. 102 Die Servisverwaltung zog die Haus- und Mietsteuer ein und bezog aus staatlichen Kassen, soweit die festgesetzte Servisquote überstiegen wurde, Abschlagszahlungen auf die verausgabten Mehrleistungen, die sie für die Provinzial-Serviskasse vorschußweise auslegte. Da die Serviskasse zur Bewältigung ihrer Aufgaben einzelne Spezialkassen einrichtete,103 nahm die Zersplitterung der kommunalen Kassenorganisation weiter zu. Nach der Konstituierung der städtischen Servisadministration wurden die kommunalen Finanzen ohne Berücksichtigung der zahlreichen Unterkassen durch drei selbständige Hauptkassen geregelt. Die Kämmereikasse hatte bis zu diesem Zeitpunkt, ohne definitiv als Zentralkasse zu fungieren, zentrale Funktionen übernommen, indem sie die erforderlichen Zuschüsse an die einzelnen Unterkassen zahlte, obgleich die Haupteinnahmen des Stadthaushalts aus der Kommunalakzise nicht ihr, sondern der Stadtkasse zuflossen. Durch die finanzwirtschaftlichen Folgen der Steuergesetzgebung von 1820 sollte sich die Serviskasse zur wichtigsten Hauptkasse der Gemeindeadministration entwickeln, deren Dispositionsquantum den kommunalen Organen ein Jahrzehnt lang als Maßstab für den finanziellen Status der Stadt diente. 102 Die Darstellung folgt hier den Forschungen Latendorfs, der auf Grund einer detaillierten Analyse der Jahresrechnungen der Servisverwaltung zu dem Schluß einer späteren Kommunalisierung des Serviswesens kommt. Vgl. ders., Kassenorganisation, S. 41 ff. Bei Clauswitz, Städteordnung, S. 124, und Loening, Verwaltung, S. 543, findet sich hingegen noch die Ansicht, daß das Servis- und Einquartierungswesen mit dem Erlaß des allgemeinen Regulativs in kommunale Verwaltung überging. Lediglich während der zweijährigen Wirksamkeit des Comite administratif gehörte der Servis bereits zu den Obliegenheiten der Gemeindeadministration. 103 Latendorf, Kassenorganisation, S. 46 ff.

3. Die staatliche Steuergesetzgebung und die Gemeindefinanzen

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Im Mai 1818 wurde Berlin mit dem Zoll- und Verbrauchssteuergesetz lO4 konfrontiert, das in seinem handelsfreiheitlichen Tenor die Besteuerung ausländischer Waren reduzierte und alle noch bestehenden Inlandsabgaben, d.h. alle Staats-, Kommunal- und Privatbinnenzölle, aufhob. 105 Berlin verlor daraufhin sämtliche Einkünfte aus den Einlagegeldern und mußte sich auf eine erhebliche Reduzierung der Einnahmen aus der Kommunalakzise einstellen. 106 Die städtischen Körperschaften sahen sich veranlaßt, das Staatsministerium zur Sicherung des städtischen Schuldentilgungsfonds um "anderweitig zu treffende Einrichtungen" zu bitten. Der Kommunalverwaltung wurde durch Bescheid im November versichert, daß die bevorstehende Steuergesetzgebung den Gemeinden hinreichende Mittel zur Deckung der Kommunalbedürfnisse und zur allmählichen Ablösung der Verbindlichkeiten sichern würde. 107 Und in der Tat führte das Abgabengesetz Ende Mai 1820 in den größeren Städten die Mahl- und Schlachtsteuer ein,108 auf welche die Gemeinden einen Zuschlag von 50 Prozent erheben durften. Anders als die gleichzeitig eingeführte Klassensteuer repräsentierte die Konsumsteuer nicht einmal in Ansätzen das Prinzip der Leistungsfähigkeit, doch ungeachtet ihrer regressiven Wirkung fand sie schon bald kommunalen Zuspruch, da sie auf Grund der höheren Zuschlagsrechte die städtischen Bedürfnisse in größerem Umfang alimentierte. 109 Weitere Einkünfte durfte die Stadt aus dem Zuschlag zur Braumalzsteuer erhoffen, die für die Städte mit ehemaliger Akziseverfassung vorgesehen war. IIO Die von Berlin aufzubringenden Servisleistungen wurden durch das Abgabengesetz auf eine bestimmte Summe als Servisquote festgelegt. 111 Dadurch sanken die Ausgaben für das Serviswesen nach 1822 um mehr als 104 Gesetz über die Zoll- und Verbrauchs-Steuern von ausländischen Waaren und über den Verkehr zwischen den Provinzen des Staats vom 26. Mai 1818. GS 1818, S. 65-69. Zur Einordnung des Gesetzes, insbesondere seines fiskalischen Hintergrunds, vgl. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 207 f. Ohnishi, Zolltarifpolitik, S. 228 f. 105 § 17, Zoll- und Verbrauchssteuergesetz, 1818. GS 1818, S. 68. 106 Die Stadtverordneten, 1819, S. 9. Clauswitz, Städteordnung, S. 140. 107 Die Stadtverordneten, 1819, S. 10. 108 § 8 u. Beilage B zu § 8 des Gesetzes wegen Einrichtung des Abgabenwesens vom 30. Mai 1820. GS 1820, S. 136 u. 139. Zur Beratung der Steuergesetze im Staatsrat vgl. C. Dieterici, Steuerreform, S. 303 ff. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 216 ff. 109 Der Kommunalzuschlag zur Klassensteuer lag lediglich bei 26,6 Prozent. Hinsichtlich der ökonomischen und sozialen Wirkungen der Klassensteuer vgl. KoseIleck, Preußen, S. 532 ff. Witzleben, Staatsfinanznot, S. 220 ff. 110 Verordnung wegen veränderter Einrichtungen der Steuergesetze vom 26. Mai 1818, und vom heutigen Tage, 8. Februar 1819. GS 1819, S. 118-121. Dazu die Tarifbestimmungen, a.a.O., S. 122-124. Vgl. auch ABiRegBln, 4. Jg. (1820), S. 116 f.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

die Hälfte, während die übrigen Einnahmen kommunalen Zwecken zugeführt werden konnten. Die Haus- und Mietsteuer wandelte sich auf diese Weise von einer ursprünglich staatlichen Auflage zu einer städtischen Steuer für allgemeine Verwaltungszwecke. Sie erlaubte den Kommunalkörperschaften, wenn auch in engen Grenzen, städtische Finanzpolitik zu betreiben. Entsprechend ihrer erweiterten Funktion firmierte die Serviskasse zukünftig als Haus- und Mietsteuerkasse. Bevor sich das neue Steuersystem indessen positiv auf den Kommunalhaushalt, insbesondere die Kasse der Stadtschuldenverwaltung, auswirkte, traten zunächst im Sommer 1820 erneute Zahlungsschwierigkeiten auf. Berlin konnte weder die Mittel für die Schuldentilgung noch für die laufenden Zinszahlungen aufbringen. Die entbehrlichen Überschüsse aus der Hausund Mietsteuerkasse reichten zur Deckung der Verbindlichkeiten nicht aus, so daß die Staatsverwaltung mit einem rückzahlbaren Zuschuß in Höhe von rund 56000 Reichstalern aushelfen mußte. Im Jahre 1821 lag die Stadtschuld einschließlich der rückständigen Schulden immer noch bei 3,967 Millionen Reichstalern. 112 Im Zuge der Reorganisation des staatlichen Finanz- und Steuerwesens rechneten die städtischen Körperschaften mit einer weiteren Haushaltsentlastung, da das Abgabengesetz vorsah, mit Beginn des folgenden Jahres die Stadtgemeinden sowohl von den Beiträgen zur Unterhaltung der Justizbehörden als auch der vom Staate außerhalb der Magistrate eingerichteten Polizeibehörden zu entbinden. Nur die von den Justiz- und Polizeiorganen genutzten Geschäftslokale mußten in deren "ungestörten Besitz" verbleiben. 113 Die Staatsbehörden deklarierten diese gesetzliche Bestimmung dahingehend, daß der Staat die Besoldungskosten der Behörden sowie die Kosten zu ihrem unmittelbaren Geschäftsbetrieb, unter anderem für Heizung, 111 Die Quote betrug 131 400 Reichstaler. Die Überschüsse aus der Haus- und Mietsteuer lagen 1820 schon bei 83000 Reichstalern. Vgl. Die Stadtverordneten, 1822, S. 28 f. u. 86. Bei den vor 1820 erzielten Überschüssen der Serviskasse, die teilweise an die Kämmerei- und Stadtkasse abgeführt wurden, handelte es sich eigentlich um Vorschußzahlungen, da der Staat seinen Anspruch auf sämtliche Einnahmen aus der Haus- und Mietsteuer geltend machte. Die Steuermittel waren nach seiner Auffassung nur für militärische Zwecke vorgesehen. Bis zum Erlaß des Abgabengesetzes behielt die Staatsverwaltung soviel zurück, als sie an Überschüssen bei der Haus- und Mietsteuerkasse voraussetzte. Vgl. Latendorf, Kassenorganisation, S.50. 112 Die Stadtverordneten, 1822, S. 22 f. Die städtische Finanzverwaltung hatte zu diesem Zeitpunkt vier kommunale Kassen eingerichtet: die eigentliche Kämmerei, die bisher aus der Akzise gespeiste Stadtschuldentilgungskasse, die Haus- und Mietsteuerkasse, die ursprünglich für die Anforderungen des Militärwesens dienen sollte, sowie die Hauptarmenkasse, deren Mittel durch übernommene Fonds und staatliche Zuschüsse gedeckt wurden. 113 Vgl. VerwBBln 1861-1876, H. 1, S. 63.

3. Die staatliche Steuergesetzgebung und die Gemeindefinanzen

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Beleuchtung und Bürobedürfnisse, übernahm. Alle übrigen allgemeinen wie besonderen Verpflichtungen oblagen dagegen in bisheriger Form den Kommunen. 114 Gleichzeitig nahm die hauptstädtische Kommunalverwaltung für sich das Recht in Anspruch, weitere staatliche Zuschüsse für einzelne Gemeindeangelegenheiten zu erhalten. Im einzelnen handelte es sich um Beiträge zur Armenadministration, zur Bettelpolizei sowie zur Verwaltung des Nachtwacht-, Straßenerleuchtungs- und -reinigungswesens. Darüber hinaus beanspruchte die Stadt die Einnahmen aus Polizeistrafgeldern, während sie es ablehnte, die Kosten zur Anlage und Unterhaltung des Straßenpflasters innerhalb der Weichbildgrenzen zu übernehmen. Im Jahre 1770 hatte es bereits einen Rechtsstreit zwischen der Kommune und dem königlichen Fiskus über die städtische Verpflichtung zur Anlage und Unterhaltung des Straßenpflasters gegeben, der am 2. Juli 1770 durch Entscheidung des Kammergerichts insoweit zugunsten der Stadt Berlin entschieden wurde, als die städtische Verbindlichkeit nur für Straßen außerhalb der Landwehr Berlin bestätigt wurde. 115 Ein im Jahre 1820 erneut vom Fiskus angestrengter Prozeß, der die Stadt nicht nur zur Übernahme der Anlage- und Unterhaltungskosten, sondern auch zur Rückerstattung der seit 1773 vom Staat aufgewandten Mittel verurteilen sollte, wurde 1826 durch Endurteil des Geheimen Obertribunals im Sinne der städtischen Verwaltung entschieden, die staatlichen Ansprüche somit als unbegründet zurückgewiesen. Nach Erkenntnis der Gerichte waren die Leistungen des Fiskus privatrechtlicher Natur, so daß die Regelungen der Städteordnung nicht zum Zuge kamen, von den Rückerstattungsansprüchen des Staates war die Kommune aber durch Verjährung befreit. Als jedoch zu Beginn der dreißiger Jahre die Friedrich-Wilhelmstadt angelegt wurde, versuchte der Fiskus mit Erfolg die Kostenverpflichtung Berlins gerichtlich durchzusetzen. Die im August 1832 gefällte Entscheidung des Obertribunals zwang die Stadtgemeinde, den Einwohneranteil der Anlageund Unterhaltungskosten des Straßenpflasters von sämtlichen seit dem 16. September 1820 innerhalb der Landwehr Berlin eingerichteten Straßen zu übernehmen. 1 16 Den Entlastungen im Bereich der örtlichen Polizeiverwaltung wurden durch neue Kosten aufgehoben, die aus der bereits angesprochenen Kommunalisierung der Armenverwaltung resultierten. Anfang Mai 1819 übernahm die Stadt Berlin sämtliche Armenanstalten sowie die vorhandenen 114 Vgl. Deklaration zu §§ 167 u. 184, StO 1808. Kabinets-Ordre vom 4. Juli 1832. GS 1832, S. 189 f. IIS Vgl. VerwBBln 1829-1839, S. XIV. 116 A. a. 0., S. XV.

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

Vermögenswerte und Einkünfte. Nur die Charite wurde von der Übertragung ausgenommen. Als ein für "allgemeinere Zwecke" bestimmtes Institut unterstellte man sie der unmittelbaren Aufsicht der Berliner Regierung. Für die laufende Verwaltung mußte die Regierung einen Kommissar aus ihrer Mitte bestellen. Die Höhe der staatlichen Zuschüsse für die Unterhaltung der Charite wurden auf maximal 75000 Reichstaler festgelegt, vorläufig belief sich der Zuschuß auf 18390 Taler. 117 Die städtische Armenkasse erhielt für das laufende Geschäftsjahr noch einen Zuschuß von 98863 Reichstalern, mit Beginn des folgenden Jahres wurde der jährliche Staatszuschuß auf 75000 Taler reduziert. Die Staatsregierung hielt einen höheren staatlichen Beitrag schon deshalb nicht für angebracht, weil die ganz auf Staatskosten unterhaltene Charite vornehmlich von der Stadtgemeinde genutzt wurde. Die bisherigen Naturalleistungen, die Neujahrsgelder und sonstigen aus landesherrlichen Kassen gewährten Beiträge wurden eingestellt, nur einzelne Armenanstalten konnten weiterhin mit staatlichen Zuwendungen rechnen. 118 Der Allerhöchste Erlaß vom Mai 1819 hatte den Kommunalbehörden jeden rechtlichen Anspruch auf die Fortdauer der bisherigen, aus Staatskassen geleisteten Zuschüsse abgesprochen. Auch aus den bewilligten Mitteln konnte die Stadt keinen bleibenden Anspruch ableiten. Der Antrag des Berliner Magistrats, die Zuschüsse und deren Steigerung nach Maßgabe der bis zum Jahre 1806 geleisteten Beihilfen festzustellen und deren Erhöhung an die vermehrten Baulasten anzupassen, lehnte Friedrich Wilhelm III. ebenso ab wie die von den Kommunalbehörden geforderte Nachzahlung der seit jener Zeit einbehaltenen Zuschüsse." 9 Demgegenüber war der König bereit, die bisher als Vorschüsse ergangenen Zahlungen und Naturalleistungen niederzuschlagen. Die nunmehr bewilligten jährlichen Zuschüsse sollten zwar mit Rücksicht auf die Ortsarmen der Stadtgemeinde nicht kurzfristig entzogen werden, es blieb aber der landesherrlichen Entschließung vorbehalten, nach der Regulierung der Berliner Finanzverhältnisse über die weitere Gewährung der Beihilfen oder ihren Ersatz durch städtische Eigenmittel zu entscheiden. Langfristig mußten die Kommunalbehörden mit einer ausschließlich städtischen Finanzierung der Armenverwaltung rechnen. Es 117 Allerhöchster Erlaß vom 3. Mai 1819. Abdruck in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 13, S. 7 f. Das Problem der Finanzierung der Armenkrankenpflege wird bei R. Münch, Gesundheitswesen, S. 159 f., weitgehend vernachlässigt. Die Charite ist auch nicht, wie Münch meint, ein Beispiel für die Beschränkung der Selbstverwaltung, da es sich hierbei um ein staatliches Institut handelte, das mit der Verwaltungsreform nicht generell zur Disposition stand. Im Grunde genommen schlug hier die bevorzugte Stellung der Landeshauptstadt, ihr Profitieren von staatlichen Einrichtungen, auf die kommunale Selbstverwaltung zurück. 118 Berliner Gemeinderecht, Bd. 13, S. 9 f. 119 A.a.O., S. 10.

3. Die staatliche Steuergesetzgebung und die Gemeindefinanzen

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verstand sich von selbst, lautete das haushaltspolitische Resümee Friedrich Wilhelms III., daß die Stadtgemeinde "sowohl jetzt als künftig für den anderweitig nicht gedeckten Bedarf der Ortsannenpflege und der ihr zu diesem Behuf übergebenen Anstalten selbst aufkommen und dazu ungesäumt die nötigen Einleitungen dergestalt treffen muß".120 Nach dem Septembererlaß mußte auch dem letzten Mitglied der städtischen Körperschaften deutlich geworden sein, daß die aus der Städteordnung resultierenden finanziellen Verpflichtungen der Kommune nur noch zeitlich begrenzt umgangen werden konnten. Trotzdem weigerte sich die Kommunalverwaltung hartnäckig, die alleinige finanzielle Zuständigkeit der Stadt anzuerkennen. Die Gemeindekörperschaften begründeten ihre Haltung mit der besonderen Lage der preußischen Hauptstadt. So waren nicht ohne staatliche Einwirkung Tausende von Seiden-, Baumwoll- und Leinwebern nach Berlin gezogen, die später durch die konjunkturelle Entwicklung erwerbslos geworden waren. Die Gewerbefreiheit führte zu leichtfertigen Existenzgründungen, die häufig im Konkurs und in der Flucht der Familienväter endeten, so daß die zurückgebliebenen Familienangehörigen VOn der örtlichen Armenpflege versorgt werden mußten. Als bedeutender Gamisonsstandort war Berlin mit einer überdurchschnittlich hohen Zahl von unehelichen Kindern konfrontiert. Ein Teil der entlassenen Soldaten verblieb überdies in der Metropole, wo sie, ohne handwerkliche Ausbildung, als Tagelöhner ihre älteren Kollegen aus den Stellungen verdrängten, für die nur der Gang zur Armenkommission blieb. Einen Teil der Kriegsteilnehmer, die für ihre Verdienste mit dem freien Bürgerrecht geehrt wurden, waren nicht im Stande, sich selbständig zu ernähren. Außerdem mußte die Hauptstadt mit den Kosten einer hohen Zuwanderung fertig werden, die jedem regulierenden Eingriff seitens der Kommunalbehörden entzogen war. Der Provinzialstatus der Stadt bürdete der Gemeinde weitere Kosten auf, da sie auch für die sogenannten Provinzialarmen aufzukommen hatte. 121 Immerhin schloß der Armenetat 1822 bei Einnahmen von zirka 224000 Reichstalern noch mit einem Überschuß von 4300 Talern ab,122 in den kommenden Jahren sollten die Zuschüsse aus den kommunalen Kassen erheblich ansteigen. 123 Die kommunale Reorganisierung der Armenpflege erwies sich als überaus schwierig. Die Verbindung mit der privaten Wohltätigkeit bereitete auf Grund unterschiedlicher Administrationsprinzipien erhebliche Probleme. Ebd. Öffentliche Armenpflege, S. 227 ff. 122 A.a.O., S. 314 ff. l23 Vgl. zur Entwicklung der Berliner Armenkosten im 19. Jahrhundert die Tab. la-lc im Stat. Anhang. 120 121

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

Immerhin gelang es dem Armendirektorium, den Austausch eines Mitteilungsnachweises über die an Einzelne abgegebenen Unterstützungsleistungen in die Wege zu leiten. 124 Ziel der kommunalen Organisationsanstrengungen war es, einen "Geschäfts-Mechanismus" zu etablieren, der es sowohl der allgemeinen Verwaltung als auch den Kommissionen möglich machte, ohne Zersplitterung in Einzelheiten und unter Beachtung der allgemeinen Verwaltungsgrundsätze eine effektive Armenpflege aufzubauen. 125 Es bot sich deshalb an, zunächst Erfahrungen zu sammeln. Zu diesem Zweck wurden 1821 die ersten vier Armenkommissionen eingerichtet. Überraschenderweise war die Bereitschaft zur Mitarbeit in der Öffentlichkeit nicht besonders ausgreifend, es fehlte, wenn auch nicht überall, "der erforderliche Gemeinsinn".126 So konnte erst im Juni des folgenden Jahres die nächsten vier Kommissionen etabliert werden, bis 1824 bestanden in der inneren Stadt 55 Kommissionen. Im Jahre 1826 wurden Armenkommissionen in der Oranienburger und Rosenthaler Vorstadt eingeführt, wo es besonders schwer war, qualifizierte Persönlichkeiten zu finden, zumal die Armendirektion es sich zum Prinzip gemacht hatte, jede Kommission mit wenigstens einem "gebildeten Geschäftsmann" zu besetzen. 127 Das Fehlen einer geordneten Geschäftsinstruktion verzögerte den Verwaltungsaufbau, da die kurzfristig gesammelten Erfahrungen in immer neue Geschäftsanweisungen einmündeten. Die Revision der Unterstützungsempfänger, zu deren Zweck für jeden Armen ein Verhörbogen eingerichtet werden mußte, verhinderte darüber hinaus die rasche Verfestigung des organisatorischen Gefüges, da die Kommissionsmitglieder noch nicht über genügende administrative Praxis verfügten, häufig über mangelhafte Berichte belehrt werden mußten, schließlich aber zeitraubende Einzelfallprüfungen notwendig waren. 128 Daß die eigentliche Ausführung der Armenpflege dezentralisiert in den Kommissionsbezirken vollzogen wurde, führte zu einer weiteren Belastung der Aufbauphase. Die Direktion versuchte den mangelVgl. Öffentliche Armenpflege, S. 18 ff. A. a. 0., S. 4. 126 A. a. 0., S. 5. 127 A. a. 0., S. 5 u. 7 f. Vgl. dazu Scarpa, Gemeinwohl, S. 28 ff. Scarpa weist zu Recht darauf hin, daß in der Form der Verwaltung des Armenwesens Traditionen der korporierten Gesellschaft aufrechterhalten werden. Die Kommunalisierung der Armenpflege durch die Reformgesetzgebung und ihre haushaltspolitischen Auswirkungen auf die Städteverwaltung, insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, werden von ihr indessen nur am Rande behandelt, während sie die spätere "Verstaatlichung" der Armenfürsorge differenziert in einem Konflikt zwischen staatlicher und kommunaler Kompetenz, zwischen Kommunalliberalismus und staatstragenden Konservativismus angelegt sieht. Vgl. die Einführung, S. 4 ff. und insbesondere zur staatlichen Sozialgesetzgebung, S. 266 ff. 128 A. a. 0., S. 6. 124 125

3. Die staatliche Steuergesetzgebung und die Gemeindefinanzen

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haften Infonnationsfluß und die Kontrollmechanismen dadurch zu verbessern, daß die Direktionsdeputierten an den Monatskonferenzen der Kommissionen teilnahmen. Daneben wurde eine Zentralkonferenz einberufen, auf der allgemeine Probleme der Annenpflege und ihrer Organisation zur Diskussion standen. 129 Erst mit der Anfang Oktober 1826 publizierten Armenordnung für die Stadtgemeinde Berlin l30 wurde eine effizientere Fürsorge etabliert, welche im wesentlichen auf dem bürgerschaftlichen Ehrenamt ruhte und welche die Annenpflege nicht nur schlechthin als ein zentrales Moment der Teilhabe an der Kommunaladministration postulierte, sondern der Mitwirkung des Stadtbürgertums auch eine konkrete Fonn gab. l3l Erfuhr der Umfang der Gemeindeangelegenheiten durch die Kommunalisierung der Annenpflege die bedeutendste Ausweitung seit Einführung der Städteordnung, so wurde gleichzeitig die städtische Finanz- und Kassenorganisation in beträchtlichem Maß erweitert. Die einzelnen Anneninstitute erforderten eine selbständige Verwaltung, mit der viele spezielle Nachweise und Abrechnungen verbunden waren, und daher auch eigenständige Anstaltskassen notwendig gemacht hatten. Daneben fungierte die Hauptarmenkasse als zentrale Stelle der Annendirektion. Ihr Haushalt war als Gesamtetat der Annenverwaltung angelegt. Er enthielt, mit Ausnahme eines Teils der Annenschulkosten, sämtliche Einnahmen und Ausgaben der offenen Armenpflege, darüber hinaus sämtliche Zuschüsse, die von den Kassen der geschlossenen Annenpflege und der Annenschulklasse benötigt wurden. Zur Verwaltung derjenigen Kapitalien, die als letztwillige Verfügungen oder Geschenke der Annendirektion für bestimmte Zwecke überwiesen waren, hatte man fernerhin eine Stiftungs kasse eingerichtet. Für die Finanzierung des Elementarunterrichts jener Kinder, deren Eltern das Schulgeld bzw. die Lehnnittel nicht selbst aufbringen vennochten, existierte noch die Annenund Freischulkasse. Ihre Mittel wurden einerseits durch Überweisungen der Hauptannenkasse gedeckt, andererseits durch die Schulgeldanweisungen der Annenkommissionen. 132 Nach der Übernahme der Servisangelegenheiten hatte sich die städtische Kassenorganisation bereits um zehn weitere Kassen vennehrt. Nach 1813 traten zu den Spezialkassen der Kämmerei die InvalidenunterstützungsA. a. 0., S. 11 f. Armenordnung für die Residenz Berlin vom 3. Oktober 1826. Abdruck in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 13, S. 14-30. 131 Zur Entwicklung der privaten Wohltätigkeit auf vereinsrechtlicher Grundlage vgl. Eduard Lisco, Das wohlthätige Berlin. Geschichtlich-statistische Nachrichten über die Wohlthätigkeits-Übung Berlins, Berlin 1846. Siehe dazu Münch, Krankenversorgung, S. 214. l32 Öffentliche Armenpflege, S. 69 ff. 129

130

23 Grzywatz

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

kasse, verschiedene Unterstützungsfonds sowie einzelne Kassen für die Kämmereidörfer und den sonstigen bewirtschafteten Umlandbesitz der Stadt hinzu. Die Kommunalisierung der Armenverwaltung vermehrte die Anzahl der kommunalen Kassen um weitere neun. 1824/25 wurden mit der Gewerbe schul- und der Vorstädtischen Erleuchtungskasse zwei Spezialkassen der Haus- und Mietsteuerkasse eröffnet. 133 Zu diesem Zeitpunkt war die Stadtverordneten-Versammlung endgültig entschlossen, der weiteren Zersplitterung des städtischen Finanz- und Kassenwesens Einhalt zu gebieten.

4. Die Kommunalbesteuerung und die Ordnung der städtischen Finanzwirtschaft als Gemeindekonflikt Nachdem die Staatsverwaltung der Stadt im Sommer 1820 aus der momentanen Zahlungsverlegenheit geholfen hatte, zeigte das neue Kommunalsteuersystem Wirkung. Aus den Gemeindezuschlägen zur Mahl-, Schlachtund Braumalzsteuer flossen der Stadt durchschnittlich im Jahr 240000 Reichstaler zu, so daß die städtischen Zinszahlungen zukünftig sichergestellt waren. 134 Zwischenzeitlich war der Kurs der Stadtobligationen angestiegen, Ende 1821 standen sie al pari, folglich erhielten die kommunalen Schuldner durch den Kauf ihrer Scheine wenigstens den vollen Betrag der geliehenen Summe. Die städtische Sparkasse hatte zu dieser Entwicklung beigetragen, indem sie ihre Gelder vorwiegend in Stadtobligationen anlegte. 135 Für die städtische Finanzplanung war es jedoch wichtig, eine allgemeine Übersicht der Kommunalbedürfnisse und der kommunalen Geldmittel zu erhalten. Der erst 1824 zum Stadtverordneten-Stellvertreter gewählte Kaufmann earl Heinrich Glaeser erläuterte dem Magistrat, daß die Gemeinderepräsentation zwar die Etats der einzelnen Verwaltungszweige beriet, ihre Entscheidungen aber fragwürdig blieben, da "die Übersicht des Ganzen" Latendorf, Kassenorganisation, S. 58 ff. Vgl. dazu auch J.E.Th. Janke, Blicke in die Städteordnung und in's städtische Gemeinwesen, nach einigen für die Zeitschrift eingegangenen Abhandlungen, in: Abhandlungen über einige der wichtigsten Teile der Preußischen Städte-Ordnung, l. Jg. (1833), H. 3, S. 20. In der Abhandlung Jankes werden die vom Magistrat publizierten statistischen Übersichten zum Bevölkerungswachstum Berlins in den Jahren 1815 bis 1828 und die Entwicklung der kommunalen Einnahmen und Ausgaben für den Zeitraum von 1805 bis 1828 und für die Jahre 1829 und 1830 eingehend kritisch referiert. Abdruck der ersten Übersicht bei Johann Friedrich Geist! Klaus Kürvers, Das Berliner Mietshaus 1740-1862. Eine dokumentarische Geschichte der "von Wülcknitzschen Familienhäuser" vor dem Hamburger Tor, der Proletarisierung des Berliner Nordens und der Stadt im Übergang von der Residenz zur Metropole, München 1980, S. 125-145. 135 Die Stadtverordneten, 1822, S. 24 f. 133 134

4. Die Kommunalbesteuerung

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fehlte. Glaeser forderte die Vorlage eines allgemeinen Budgets, eines Generaletats aller Einnahmen und Ausgaben vor Beginn und einen Generalabschluß nach Ablauf eines jeden Jahres. Die Stadtverordneten-Versammlung folgte den Vorstellungen Glaesers insoweit, als sie vom Kämmerer verlangte, "eine allgemeine und zuverlässige Übersicht des Stadthaushalts für 1826" aufzustellen. 136 Die kommunale Exekutive hatte Schwierigkeiten, sich von dem tradierten Verfahren des früheren Stadtregiments zu lösen und jedes Kommunalinstitut mit einer besonderen Kasse auszustatten. 137 Sie legte der Gemeinderepräsentation nur eine Aufstellung der Gesamteinnahmen und -ausgaben der fünf städtischen Hauptkassen vor, ohne die einzelnen Etats organisch in einem Stadthaushaltsplan zusammenzufassen. Die bei den einzelnen Kassen, insbesondere der Hauptarmenkasse anfallenden Defizite konnte nach Vorstellung des Magistrats aus der Haus- und Mietsteuerkasse ausgeglichen werden. Insgesamt schlossen die Kassen mit einem Überschuß von 3000 Reichstalern ab. Obwohl die Magistratsvorlage nicht der Forderung nach einer Übersicht des Stadthaushalts entsprach, da vor allem die Einnahmen der geschlossenen Armenanstalten sowie diejenigen der Kommunalwirtschaftskassen 138 nicht eingestellt waren und ein Nachweis der außerordentlichen Ausgaben überhaupt fehlte, gaben sich die Stadtverordneten mit der Übersicht zunächst zufrieden. Sie bemerkten allerdings, daß die geringen disponiblen Fonds der Stadt kaum für zu erwartende Kommunalinvestitionen ausreichten und da eine Erhöhung der Abgabenlast vermieden werden sollte, war der Magistrat aufgefordert, die Beleihung des städtischen Grundbesitzes zu beraten. 139 Die in den folgenden beiden Jahren vorgelegten Finanzübersichten schlossen mit geringen Defiziten ab. Die Aufstellungen informierten unterdessen nur über die Verwendung der Haus- und Mietsteuer einschließlich der Zuschüsse an die übrigen kommunalen Hauptkassen. Da weiterhin ein wirklicher Stadthaushalt fehlte, der entweder als Bruttoetat alle Einnahmen und Ausgaben umfaßte oder als Nettoetat wenigstens die Überschüsse bzw. 136 Vgl. Latendorf, Kassenorganisation, S. 65 ff. Die Darstellung des städtischen Finanz- und Etatwesens bei Karl Steffen, Das Berliner Stadtverfassungsrecht. Seine Entwicklung bis zur Gegenwart und die geschichtlichen Grundlagen, Berlin 1936, S. 165 ff., ist, auch vom Standpunkt einer allgemeinen historischen Schilderung, völlig unzulänglich und kann, da sie nicht einmal auf die kommunalrechtlichen Grundlagen eingeht, heute kaum noch für die Berlin-Forschung herangezogen werden. I37 So die spätere Einschätzung des Magistrats. VerwBBln, 1861-1876, T. 3, S.212. 138 Es handelte sich unter anderem um die Kalksteinbruch- und Gippsbruchkasse, die Forst- und die Weddingkasse. 139 Latendorf, Kassenorganisation, S. 67. 23*

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

die Forderungen der einzelnen Kassen zusammenstellte, blieben die tatsächlichen Abschlüsse des Stadthaushalts ungeklärt. 140 Sie sind heute für die historische Forschung um so weniger eruierbar, als die Überlieferung der städtischen Finanz- und Kassenverwaltung äußerst lückenhaft ist. Im Juni 1829 gelang es den Gemeindekörperschaften, die Zustimmung der Regierung zu einem systematischen Tilgungsplan für die Stadtschulden zu erhalten. Danach wurde ihre endgültige Ablösung auf dreißig Jahre festgelegt, während die Zinsen der Stadtobligationen auf 4, später auf 3,5 Prozent herabgesetzt wurden. Die Einkünfte aus den Zuschlägen zu den Verbrauchssteuern durfte die Stadtverwaltung zunächst nur zur Schuldentilgung verwenden. Mit der Überwachung des Tilgungsplans wurde die Potsdamer Bezirksregierung beauftragt. 141 Dieser hartnäckig errungene Erfolg der Stadt wurde nur durch den Voranschlag des Stadtkämmerers Falckenberg 142 getrübt, der für das laufende Jahr einen Fehlbetrag der Haus- und Mietsteuerkasse in Höhe von 30400 Talern prognostizierte. Das tatsächliche Defizit lag indes noch höher. Allein die Armenverwaltung benötigte einen Zuschuß von 103400 Reichstalern, zu dessen Deckung aus der Haus- und Mietsteuerkasse nur 70000 Taler zur Verfügung standen. Der Magistrat schlug vor, das Defizit durch die Ausgabe von Stadtobligationen zu decken, die aus den Einnahmen neuer Steuern wieder eingelöst werden sollten. Zur künftigen Absicherung des Armenpflegehaushalts hielt die kommunale Exekutive im übrigen die Erhebung neuer Steuern für unumgänglich. Die 1829 veröffentlichte statistische Bilanz des Magistrats zeigte, daß die Stadtentwicklung während der Kriegs- und Besatzungszeit zum Erliegen gekommen war. Zahlreiche wohlhabende Familien hatten die Stadt verlassen, Häuser und Wohnungen standen leer, die Bautätigkeit ruhte insgesamt. Die Hauseigentümer waren verschuldet, auf Grund der außerordentlichen Einquartierungen hatten sie häufig ihre Häuser dem Verfall preisgegeben. Die Immobilienpreise wie die Mieten hatten einen lange nicht gekannten Tiefstand erreicht. Eine Wende trat erst 1815 ein. Der Friede belebte erwar140 Die statistischen Übersichten des Magistrats zu den kommunalen Einnahmen und Ausgaben für die Jahre 1805 bis 1828 sowie für die Jahre 1829 und 1830 geben nur über die Verwendung der Haus- und Mietsteuer Auskunft. Grundsätzlich zur finanzhistorischen Überlieferung Berlins Latendorf, Kassenorganisation, S. 12 f. u. 67 f. 141 Clauswitz, Städteordnung, S. 141. Vgl. auch Janke, Über die Unzweckmäßigkeit der Haus- und Miethssteuer in Berlin, in: Abhandlungen über einige der wichtigsten Teile der Preußischen Städte-Ordnung, 1. Jg. (1833), H. 1, S. 20. 142 Falckenberg, aus dem staatlichen Kassendienst hervorgegangen und ehemaliger Rendant der Berliner Stadtkasse hatte 1822 den seit 1791 amtierenden Kämmerer Oeding an der Spitze der kommunalen Finanzverwaltung abgelöst. Falckenberg wurde für zwei sechsjährige Amtsperioden wiedergewählt. Eine kurze Charakterisierung bei Latendorf, Kassenorganisation, S. 30.

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tungsgemäß die Baukonjunktur, die bald steigende Nachfrage kurbelte die Mietpreisentwicklung an. Im Jahre 1815 zählte Berlin 6463 Häuser, dreizehn Jahre später hatte sich ihre Zahl auf 7300 erhöht, was einem Wachstum von rund dreizehn Prozent entsprach. Die hohe Zuwanderung stärkte nicht nur die Neubautätigkeit, sondern förderte auch die Reparatur- und Ausbauarbeiten. Die Grundstücke wurden durch Aufstockungen und Errichtung von Nebengebäuden einer verdichteten Bebauung zugeführt. In der Folge stieg der Mietwert des Hauseigentums - d. h. die Mieterträge unter Einschluß der abgeschätzten, vom Eigner selbst genutzten Wohnräume - beträchtlich an. Die Zahl der Häuser mit einem Mietwert von 100 bis 200 Reichstalern nahm von 1451 auf 915 ab, während sich die Zahl der Häuser mit Mietwerten von 500 bis 1000 bzw. von 1000 bis 4600 Reichstalern sich um 1040 bzw. 877 auf 1995 und 1231 vermehrt hatte. Die Wohnungsziffer erhöhte sich im Zeitraum von 1815 bis 1828 um 27,7 Prozent von 40588 auf 51817 Einheiten. Zugleich hatte sich die Zahl der Wohnungen mit Mieten unter 30 Reichstaler um die Hälfte reduziert, die Mieten über 50 Reichstaler und mehr hatten dagegen auffallend zugenommen. 143 Die Stadt konnte demnach mit steigenden Erträgen aus der Haus- und Mietsteuer rechnen. Und in der Tat war das Wachstum der Einkünfte beträchtlich: Trotz einer Absenkung der Mietsteuer von 8113 auf 6213 Prozent nahmen die Einnahmen von 228380 (1815) auf 366420 Reichstaler (1828) zu. Die durchschnittliche direkte Steuerbelastung der besteuerten Berliner Familien hatte sich von 3 Reichstalern und 18 Silbergroschen auf 6 Reichstaler und 15 Silbergroschen fast verdoppelt. 144 Die Kommunaladministration zeigte sich dennoch nicht mit der Steuerentwicklung zufrieden, da die Zahl der Ausgesteuerten überdurchschnittlich angewachsen war. Von den 1828 in Berlin lebenden 49935 Familien wurden nur 37848 zu den Kommunalabgaben veranlagt. Rund ein Viertel der Familien (12087) unterlag der Steuerfreiheit. 3531 Familien waren gesetzlich von der Gemeindesteuer befreit. Dazu gehörten vor allem die zur Miete wohnenden Militärpersonen, die städtischen Geistlichen, die öffentlichen Schullehrer sowie die privaten Elementarschullehrer. Die verbleibenden 8556 Familien fielen unter die Armutsgrenze. Es handelte sich vornehmlich um Familien, die weniger als 30 Reichstaler Miete entrichteten. Daneben hatten die Stadtbehörden 1828 ein Viertel der Familien, die in Wohnungen mit Mieten zwischen 30 und 50 Reichstaler lebten, von der Kommunalsteuer befreit.

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Janke, Haus- und Miethssteuer, S. 4 ff. A.a.O., S. 17 f.

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Gesetzlich waren zwar nur Almosenempfanger nicht mietsteuerpflichtig, 145 die Stadtbehörden befreiten aber auch solche Familien von der direkten Kommunalbesteuerung, die keine Armenunterstützung erhielten, durch die Abgabenerhebung indessen in ihrer Existenz gefährdet waren. Im Jahre 1815 hatte es in Berlin nur 2122 ausgesteuerte Familien gegeben. Von den zwischen dem Kriegsende und dem Jahr 1828 vermehrten Haushalten entrichteten nur 421 Kommunalsteuern, 9243 Familien erhielten entweder Armenunterstützung oder waren vom Magistrat ausgesteuert worden. 146 Ein für die Kommunalkörperschaften ebenso "auffälliges wie trauriges Mißverhältnis", das nicht ohne finanzielle Folgen blieb. "Das Finanz-Interesse der Kommune gewinnt daher nicht bei dieser Volksvermehrung" , stellte der Magistrat fest, "die Bedürfnisse für Schulen, für Armenpflege, für Krankenhäuser, Waisenhäuser, Arbeitshäuser sind nur größer geworden; der Gesammtertrag der Kommunalsteuer hat aber nicht in demselben Verhältniß zugenommen". 147 Von der Haus- und Mietsteuer mußte, wie erwähnt, eine feststehende Servisquote in Höhe von rund 131400 Reichstalern an die Militärverwaltung gezahlt, für weitere Einquartierungslasten jährlich noch einmal 15000 Taler aufgebracht werden. Der Zuschuß aus der direkten Steuer zur Unterhaltung des Armenwesens betrug 1828 zirka 95000 Taler einschließlich 13000 Taler für das Armenschulwesen. Insgesamt erforderte die Armenfürsorge einen Betrag von etwa 372000 Reichstalern, das hieß seit Kriegsende hatten sich die Armenkosten um 63,7 Prozent vermehrt. 148 Sie übertrafen in ihrem Wachstum die Entwicklung der städtischen Gesamtausgaben um mehr als das doppelte. Im Jahre 1815 lagen die Kommunalausgaben bei 518200 Reichstalern, 1828 erreichten sie die Summe von 682500 Talern, das entsprach einem relativen Kostenanstieg von 31,7 Prozent. Im Jahre 1805 hatten die Ausgaben der Stadt dagegen noch bei 164400 Reichstalern gelegen. 149 Bei diesen Verhältnissen mochte weder die Bürgerschaft noch die Kommunaladministration von städtischem Wohlstand sprechen. Auch in Regierungskreisen wurde anerkannt, daß in manchen gewerbereichen Provinzialstädten die Güterquellen ergiebiger als in Berlin flossen, der Wohlstand allgemeiner verbreitet und die Arbeiterklasse weniger mit der Not zu kämpfen hatte. 150 Daß diese Situation 145 Vgl. Abschnitt IV, Ziff. 3, Lit.e, Verordnung über die Servis-Einrichtung der Haupt- und Residenzstadt Berlin vom 26. Januar 1815. GS 1815, S. 4. 146 Janke, Haus- und Miethssteuer, S. 12 u. 14 ff. Die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der Aussteuerung wurden bereits im Zusammenhamg mit der Gewerbefreiheit erörtert. Vgl. oben Kap. 3. 147 A. a. 0., S. 16 f. 148 A. a. 0., S. 19. 149 A. a. 0., S. 20. Zur Erinnerung sei hier nochmals angemerkt, daß es sich bei diesen Zahlen nicht um die tatsächlichen Gesamtausgaben der Stadt handelte, sondern nur um die Ausgaben und Zuschußleistungen der kommunalen Hauptkassen.

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soziale Spannungen barg, zu deren Entladung es nur eines äußeren Anlasses bedurfte, haben wir im Zusammenhang mit den im Gefolge der Julirevolution ausgebrochenen Straßenunruhen erfahren. Als der Magistrat die Öffentlichkeit mit der Notwendigkeit konfrontierte, zur Deckung der Mehrbedürfnisse des Stadthaushalts die Prozentsätze der Haus- und Mietsteuer heraufzusetzen,151 war die Ablehnung einhellig. Die Gemeinderepräsentanten verlangten nunmehr vor jeder weiteren Erörterung des Haushaltsdefizits "eine klare Übersicht von dem wahren Bedürfnisse und den Forderungen des Magistrats".152 Die Reaktion der Stadtverordneten war durchaus berechtigt, da jede finanzielle Mehrbelastung des Stadtbürgertums durch den städtischen Haushalt begründet sein mußte. Diese Begründung fehlte aber so lange, wie die Etatlücken nicht durch eine Übersicht der tatsächlichen Gesamteinnahmen und -ausgaben der Stadt nachgewiesen waren. Die Motive für die Haltung der Gemeinderepräsentanten sollten nicht vorschnell in Eigeninteressen der Stadtverordneten gesucht werden, da nach dem geltenden Kommunalrecht bekanntlich zwei Drittel der Bürgerrepräsentanten Hauseigentümer sein mußten. Zwar hatten auch die kommunalen Vertreter kein Interesse an Steuererhöhungen, zumal wenn deren Berechtigung noch offen lag, aber eine weitere Anhebung der Haus- und Mietsteuer hätte allgemein zu einer weiteren Belastung des Hauseigentums geführt, obwohl es schon überproportional an der Aufbringung der Kommunalmittel beteiligt war. Die Berliner Haussteuer war mit einem Hebesatz von 3,5 Prozent des Bruttoertrags eines Hauses allerdings nicht übermäßig hoch bemessen. Leerstehende Wohnungen und unbebaute Grundstücke kamen nicht zur Anrechnung. Die Abhängigkeit der Steuer von der Miethöhe, der zufälligen Vermietung oder vom Leerstand machte sie nach Auffassung der Öffentlichkeit zu einer "prinzipienlosen Steuer", deren "Unrecht" zudem in einer ungleichen Verteilung öffentlicher Leistungen lag. 153 Die Haussteuer stellte eine Kommunalabgabe zur Deckung der Einquartierungsbedürfnisse dar, sie leistete demnach einen der Allgemeinheit zugute kommenden Beitrag zur "äußeren und inneren Sicherheit des Staates", der indessen nur die Hauseigentümer in Anspruch nahm und beispielsweise die Schicht der wohlhabenden Mieter nicht berücksichtigte. 150 A. a. 0., S. 2. Zu Beginn der dreißiger Jahre, als der Konflikt um das Defizit des Gemeindehaushalts seinem Höhepunkt entgegenging, schätzte das Innenministerium die wirtschaftliche Leistungskraft der Landeshauptstadt insgesamt positiver ein. Vgl. unten den Abschnitt "Staatsaufsicht, kommunale Kompetenzkonflikte und die Novellierung des Städterechts". 151 A.a.O., S. 59. 152 Latendorf, Kassenorganisation, S. 69. 153 Janke, Haus- und Miethssteuer, S. 51.

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Die Mietsteuer erhob die Kommune auf die aus der Vermietung von Gebäuden und Räumen erwirtschafteten Miete, unabhängig davon, ob sie gewerblichen oder Wohnzwecken dienten. Sie erfaßte nicht nur die Mieter, sondern auch die Eigentümer, soweit sie Teile der im Eigenbesitz befindlichen Gebäude selbst bewohnten oder nutzten. Als Genuß- und Aufwandssteuer nahm die Mietsteuer weder Rücksicht auf die zusätzliche Gewerbebesteuerung noch unterschied sie die Gewerbetreibenden nach Mietern und Eigentümern. Der einheitliche Hebesatz führte zu einer unsozialen Verteilung der Belastungen. Besonders betroffen waren unbemitteltere Schichten, wenn diese sich gewerblich reproduzierten und aus diesem Grund auf die Anmietung größerer Räume angewiesen waren. Mietsteigerungen führten zwangsläufig zu höheren steuerlichen Abgaben. Die Teuerung der Wohnungen wurde mithin ebenso Ursache höherer Kommunaleinkünfte wie finanziell verschärfter Lebensumstände der Stadteinwohner. Das Handwerk oder kinderreiche Familien traf die Mietsteuer am nachhaltigsten, aber auch der Hauseigentümer wurde überdurchschnittlich herangezogen, da er bereits durch die Haussteuer und die Naturaleinquartierung belastet war. 154 Als kommunale Abgabe war die Haus- und Mietsteuer indessen vom Stadtbürgertum selbst gewählt worden. Das Servis-Reglement von 1810 überließ es den Stadtgemeinden, die Autbringung des Servisbeitrags zu regeln. Es war den Gemeinderepräsentationen freigestellt, die "bisherigen Servisanlagen" fortzuführen oder andere Verteilungsgrundsätze zu beschließen. 155 Ebenso überließ es das Abgabengesetz von 1820 den Gemeinden, im Hinblick auf die Servisleistungen bei den Ministerialbehörden den örtlichen Verhältnissen angemessene Abänderungen zu beantragen. 156 Die Kommunalkörperschaften hatten jedoch, wie dargestellt, 1815 die Erhebung der Haus- und Mietsteuer durchgesetzt und sie mit der Zeit, daran kann kein Zweifel bestehen, unter Duldung der Ministerialbürokratie zu einer allgemeinen direkten Kommunalsteuer gemacht. Obwohl die Ortsbehörden nach öffentlicher Auffassung keine Veranlassung hatten, eine Besteuerungsart zu wählen, die "allen Prinzipien" zuwiderlief,157 sprachen sie sich gegen eine Einkommensteuer aus, die, unter Berücksichtigung einer angemessenen Klassifikation der Einwohner nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen, zu einer ausgeglicheneren Verteilung der Kommunallasten geführt hätte. 154 Weniger kritisch die Begründung der Haus- und Mietsteuer bei Johann Gottfried Hoffmann, Die Lehre von den Steuern mit besonderer Berücksichtigung auf den preußischen Staat, Berlin 1840, S. 233 ff. 155 Abschnitt V, Ziff. 37, Servis-Regulativ vom 17. März 1810. GS 1806-1810, S.655. 156 § 6, Abs. 2, Abgabengesetz 1820. GS 1820, S. 135. 157 Janke, Haus- und Miethssteuer, S. 56.

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Wie notwendig eine Aufstellung über den gesamten Kommunalbedarf, die disponiblen Fonds und sonstigen verfügbaren Mittel nicht nur zur Einführung eines ordentlichen Stadthaushalts, sondern auch zur Wahrnehmung der Kontrollfunktionen der Gemeinderepräsentation war, bestätigte der Berliner Magistrat indirekt selbst. In seinen statistischen Übersichten teilte er nämlich mit, daß aus den seit 1817 anfallenden Mitteln der Haus- und Mietsteuer nach Abzug der gewöhnlichen Ausgaben bedeutende Summen zur allgemeinen Disposition und zu außerordentlichen Ausgaben vorhanden waren. Diese Überschüsse, die über mehrere Jahre hinweg in unterschiedlicher Höhe anfielen, verwandte der Magistrat zu verschiedenen "notwendigen und nützlichen Ausgaben", insbesondere zur Finanzierung der Schulmittel. I58 Derartige Verlautbarungen ließen vermuten, daß die Anerkennung eines erhöhten Kommunalbedarfs bzw. eines Defizits der städtischen Kassen schon auf Grund der notwendigen Kassenrevisionen längere Verhandlungen in Anspruch nehmen würden, deren Ausgang ungewiß blieb. Dabei war es keine Frage, daß die zwischenzeitlich von der Stadtverordneten-Versammlung betriebene Grunderwerbspolitik, vor allem der Ankauf innerstädtischer Grundstücke für den Schulhausbau, 159 die Kommunallasten vermehrt hatten. Die Fehlbeträge des Jahres 1829 wollten die Stadtverordneten, solange ein Generalabschluß von seiten des Magistrats nicht vorlag, durch die Inanspruchnahme von verschiedenen Fonds ausgleichen, die der Rücklagenbildung oder besonderen Kommunalzwecken dienten. Der verbleibende Rest der ungedeckten Ausgaben sollte durch ein Darlehen bei der Sparkasse gedeckt werden, zu dessen Sicherheit die Ausgabe von Stadtobligationen vorgesehen war. Da der Magistrat zukünftig aber jährliche Mehrausgaben in Höhe von bis zu 45000 Reichstalern erwartete, beharrte er auf der Erschließung neuer Steuerquellen. Die kommunale Exekutive gab sich schließlich mit der Einführung einer Brennmaterialien- und Lustbarkeitssteuer zufrieden, drohte indessen im Falle ihrer Ablehnung, bei der Bezirksregierung die Erhöhung der Haus- und Mietsteuer bis auf die Höhe des vormaligen Satzes, das hieß auf 8 1/3 Prozent, zu beantragen. Auf die Rekursandrohung reagierten die Stadtverordneten mit der Zustimmung zur Lustbarkeitssteuer. Sie forderten den Magistrat daneben auf, einen landesherrlichen Zuschuß von 20000 Reichstalern für die Armenverwaltung zu beantragen und die Genehmigung zur Ausgabe unverzinslicher Stadtkassenscheine in Höhe von einer halben Million Mark einzuholen. Auf die entsprechenden Vorstellungen des Magistrats, der nicht versäumt hatte, 158 Statistische Übersicht von der gestiegenen Bevölkerung der Haupt- und Residenzstadt Berlin in den Jahren 1815 bis 1828 und der Communal-Einnahmen und -Ausgaben derselben in den Jahren 1805 bis 1828, Berlin 1829, S. 42. 159 Vgl. die Übersicht im VerwBBln 1829-1839, S. XVIII und die Beilage E.

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auf die drohende Insolvenz der Stadt in den nächsten Monaten hinzuweisen,160 reagierte die Potsdamer Regierung im März 1830 mit einer ablehnenden Antwort. Die Regionalbehörde schlug erneut die Einführung einer geregelten Einkommensteuer vor und regte im übrigen an, das momentane Defizit durch die Erhebung der Brennholzsteuer und die Herabsetzung des Zinsfußes der Stadtobligationen auf 3 1/3 Prozent auszugleichen. Die Stadtverordneten opponierten unterdessen ungerührt gegen die Einführung neuer Steuern, einerlei welchen Rahmen sie im einzelnen haben mochten. Im April konfrontierten sie den Magistrat zum wiederholten Mal mit der Forderung nach der Vorlage eines Generalabschlusses sämtlicher städtischer Kassen, der die Einnahmen und Ausgaben für das Etatjahr 1829 vollständig bilanzierte. Die Kassenübersichten des Magistrats bemängelte die Gemeinderepräsentation ob ihrer Lückenhaftigkeit. Da die Stadtverordneten die Lage der städtischen Finanzen nicht klar und ungebunden übersehen konnten, ließ sich die Einführung neuer Abgaben nach ihrer Auffassung nicht mit der notwendigen Deutlichkeit vor der Bürgerschaft rechtfertigen. Der Magistrat sah in diesen Ausführungen eine schlichte Leugnung des von ihm behaupteten Haushaltsdefizits. Da die Stadtverordneten an ihrer Auffassung festhielten und nur bereit waren, bis zur Vorlage eines Generalabschlusses die zeitweilige Verwendung der Schuldentilgungsquote für etwaige Mehrausgaben zu bewilligen, machte der Magistrat von seinem in der Kommunalordnung festgelegten Rekursrecht Gebrauch 161 und beantragte bei der Bezirksregierung die Einführung der Brennmaterialiensteuer, die Heraufsetzung der Haus- und Mietsteuer auf 8 1/3 Prozent sowie die vorläufige Verwendung der Schuldentilgungsmiuel für die laufenden Kommunalbedürfnisse. Die Gemeinderepräsentation hatte sich nicht einmal durch den Hinweis des Magistrats beeindrucken lassen, daß gemeinsame Vorschläge der Gemeindekörperschaften noch am ehesten die Genehmigung der Staatsbehör160 Der Magistrat stellte die Lage insgesamt bedrohlicher dar, als sie wirklich war, denn durch die vorhandenen Mittel einzelner Fonds konnten die dringendsten Ausgaben, insbesondere der Hauptarmenkasse, durchaus noch gedeckt werden. Stadtkämmerer Falckenberg berechnete im April 1830 das Defizit für 1829 auf rund 61400 Reichstaler. Diese Summe wurde durch den späteren Verwaltungsbericht des Magistrats, soweit die Kassenbestände sowie die Darlehen, Vorschüsse und Vermögensaufzehrungen gegeneinander aufgerechnet wurden, bestätigt. VerwBBln 18291840, S. 25-36. Dazu insgesamt wie zu den Verhandlungen zwischen den Kommunalkörperschaften Latendorf, Kassenorganisation, S. 70 ff. 161 § 184, Abs. 3, Tit. 8, StO 1808. GS 1806--1810, S. 352 f. Zu den rechtlichen Konsequenzen fehlender Etatmitte1 vgl. weiter unten Unterabschnitt 6, da die Etatauseinandersetzungen zu Beginn der dreißiger Jahre mit schwerwiegenden Zuständigkeitskonflikten zwischen den Kommunalkörperschaften einhergingen, die eine staatliche Intervention herausforderten.

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den finden würden und nur auf diese Weise die Einführung oder Erhöhung einer direkten Steuer vermieden werden könnte. 162 Die Entscheidung zwischen der direkten oder indirekten Besteuerung war für die Stadtverordneten vor dem Hintergrund unerheblich, daß sie grundsätzlich die Kommunalgesetzgebung und damit den Staat für den kommunalen Finanznotstand verantwortlich machten. Nach Einführung der Städteordnung waren der Stadt einerseits erhebliche Finanzquellen entzogen worden, andererseits hatte der Staat der Gemeinde in erheblichem Umfang neue Leistungen auferlegt. Das kommunale Defizit war mithin nach bürgerschaftlicher Auffassung, da es letztlich vom Staat verschuldet war, durch staatliche Zuschüsse zu beseitigen. 163 Das Innen- und Finanzministerium, im Mai 1830 durch die Potsdamer Regierung über den Berliner Kommunalkonflikt informiert, bestätigte in seiner Entscheidung auf den Rekurs der kommunalen Exekutive die Auffassung der Gemeinderepräsentation. Das Defizit des Stadthaushalts ging aus den Aufstellungen des Magistrats nicht hervor, deshalb sollte er die Haushaltslücke anhand der Etats und der Rechnungsextrakte der letzten drei Jahre nachweisen. Gleichzeitig wurde der Magistrat in der zweiten Dezemberhälfte aufgefordert, den Stadthaushalt zukünftig in einer etatmäßigen Übersicht aufzustellen, die alle einzelnen Teile und Kassen einschloß. 164 Nachdem die Lösung des Konflikts durch die Berufung eines Staatskommissars vorangetrieben worden war, über dessen Tätigkeit noch an anderer Stelle zu berichten sein wird, und für die Jahre 1832/33 Defizite von 65000 bzw. 99800 Reichstalern sowie für die Folgejahre Fehlbeträge von jeweils 113 500 Talern festgestellt worden waren, verfügte Innenminister von Brenn am 11. Dezember 1832 neben dem Aufstellen eines Hauptetats und Führen einer Hauptrechnung auch mit der Einführung einer Hauptkasse voranzuschreiten. 165 Da die Gemeindevertretung sich nach wie vor weigerte, Steuererhöhungen zuzustimmen, hatte Friedrich Wilhelm III. der zeitweiligen Inanspruchnahme des Amortisationsfonds zugestimmt. Nach einer von den Kommunalkörperschaften für den Jahresabschluß 1830 gemeinsam vorgenommenen Kassenübersicht ergab sich nach Abzug der Vorschüsse für die Hauptarmen- und die Stadtvogteikasse ein Bestand von rund 74700 Reichstalern. 166 Die Stadtverordneten konnten sich demnach in ihrer AnLatendorf, Kassenorganisation, S. 75. A. a. 0., S. 83 f. 164 A. a. 0., S. 76 f. 165 Das niedrigere Defizit für 1832 wurde durch den eingesetzten Staatskommissar ermittelt. Dabei waren allerdings die laufenden Kosten zur Bekämpfung der Cholera nicht berücksichtigt. Die übrigen jährlichen Fehlbeträge stammten aus den Aufstellungen des Magistrats. Vgl. Latendorf, Kassenorganisation, S. 82. 166 A. a. 0., S. 88. 162 163

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sicht bestätigt sehen, daß vor der Erklärung eines Defizits eine Übersicht über die Abschlüsse sämtlicher Kassen der Kommunalverwaltung vorliegen mußte. Über die Höhe des zu erwartenden Kommunaldefizits kam es zu keiner Einigung. Zwar verständigten sich die Vertreter der Kommunalkörperschaften während der Verhandlungen mit dem Kommissar des Innenministeriums, Oberregierungsrat Streckfuß, auf eine Summe von 80800 Talern, die im Einvernehmen zwischen dem Staatsbeaufttragten und der Gemeinderepräsentation anschließend für die Etatjahre 1831/32 auf die Summe von 63000 Reichstalern reduziert wurde. 167 Im Verlaufe der weiteren Verhandlungen kamen Stadtverordnete und Magistrat aber wiederum zu unterschiedlichen Ergebnissen. Der auf ministerielle Anordnung veröffentlichte Hauptetat des Stadthaushalts bestätigte zunächst die vom Magistrat ermittelte Deckungslücke von 99800 Reichstalern. Die im April 1833 vom Kalkulatur-Vorsteher Kuntzmann zusammengestellte Übersicht ergab ein Defizit von rund 227000 Reichstalern,168 im August gab die Stadtverordneten-Versammlung eine Deckungslücke von 155300 Talern bekannt, während der Magistrat für den Haushalt 1833 einen Fehlbetrag von 188000 Reichstalern annahm. 169 Auffallend waren in jedem Fall die nunmehr wesentlich höher festgelegten Defizite, was aller Wahrscheinlichkeit nach auf die bevorstehenden Ausgleichsverhandlungen der Stadt mit den Staatsbehörden zurückgeführt werden mußte. Von der Darstellung einer defizitären Haushaltslage erhoffte man sich eine günstigere Ausgangsposition, vor allem in Hinblick auf die seitens der Stadt geforderten staatlichen Zuschüsse zur Armenfürsorge. 170 Der Magistrat hatte die kommunalen Zuschüsse zur Hauptarmenkasse für den Zeitraum von 1820 bis 1832 nochmals berechnen lassen, um die kontinuierliche Steigerung der Armenkosten zu verdeutlichen. Der städtische Zuschuß hatte seit der Kommunalisierung deutlich von 104 100 auf 193600 Reichstaler zugenommenPI Bei der anhaltenden Zuwanderung war nicht mit einem Ende der Kostensteigerungen zu rechnen, während der Einsparung von Verwaltungskosten in einer solchen Situation deutliche Grenzen gesetzt waren. Daß die Vorgehensweise der Kommunalkörperschaften nicht ohne Eindruck blieb, bewies zumindest die Stellungnahme des Städtedepartementsrat Haekkel, der dem Innenministerium ganz im Sinne des Stadtbürgertums berich167 168 169 170

S.85.

A.a.O., S. 79 f. Aufstellung vom 19. April 1833. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3185. Vgl. Rumpf, Gemeinnützige Nachrichten, S. 8 ff. So auch Clauswitz, Städteordnung, S. 188. Latendorf, Kassenorganisation,

171 Gedruckte Aufstellung der Hauptarmenkasse vom 19. April 1833. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3185.

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tete, daß unabhängig von einer kostendämpfenden Verwaltungsreorganisation die Ausgaben für die Armenpflege weiter ansteigen würden und damit auch zukünftig neue Steuererhöhungen notwendig wären, wenn nicht gleichzeitig durch verbesserte Armengesetze, eine Gewerbeordnung und ein besonderes Ortstatut die Zuwanderung armer Bevölkerungsschichten eingeschränkt werden würde. 172 Die Gesetzgebung ging jedoch einen anderen Weg. Die Gewerbeordnung rüttelte nicht, wie gezeigt wurde, an der Gewerbefreiheit, auch wenn sie im allgemeinen das Innungswesen zu beleben suchte. Die Armenpflegegesetzgebung, die Ende November 1829 durch die Gesetzesvorlage des Innenministeriums "wegen der Verpflichtung der Kommunen etc., neuanziehende Personen aufzunehmen, und wegen ihrer Befugniß, dergleichen Aufnahme zu verweigern" sowie "wegen Verpflichtung zur Armenpflege,,173 auf den Weg gebracht wurde und die 1842/43 durch die Gesetze über den Unterstützungswohnsitz l74 bzw. die Armenpflegeverpflichtung 175 und das Gesetz über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen 176 eine erste abschließende Regelung fand, eröffnete den preußischen Staatsbürgern eine nahezu uneingeschränkte Niederlassungsfreiheit. Das Widerspruchsrecht der Gemeinden wurde auf ein Minimum beschränkt und gleichzeitig veranlaßt, daß die kommunale Fürsorgepflicht auf die leichteste Weise eintrat. Die Gesetzgebung hatte in ihrer grundsätzlichen Verbindung von Freizügigkeit und kommunaler Verpflichtung zur Armenversorgung nur wenig Rücksicht auf die korporativen Interessen der Gemeinden genommen. Allen Einwürfen der Städte gegen die gemeindliche Verbindlichkeit der Armenpflege sowie deren Verknüpfung mit dem Begriff des Domizils begegnete das Staatsministerium mit dem Hinweis, daß es nicht Ziel der Gesetzgebung sein konnte, durch Niederlassungsbeschränkungen die Zahl der Armen 172 Bericht vom 15. Mai 1834. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 39 f. 173 Vgl. dazu Schinkel, Armenpflege und Freizügigkeit in der preußischen Gesetzgebung vom Jahre 1842, in: VSWG, Bd. 50 (1963), S. 460 f. 174 Gesetz über die Aufnahme neu anziehender Personen vom 31. Dezember 1842. GS 1843, S. 5-7. 175 Gesetz über die Verpflichtung zur Armenpflege vom 31. Dezember 1842. GS 1843, S. 8-14. Zur Entstehungsgeschichte der Armengesetzgebung vgl. Theodor von Flottweil, Das Freizügigkeitsgesetz, seine wahren Väter und Freunde, in: PJ, Bd. 56 (1877), S. 602 ff. SchinkeI, Armenpflege, S. 459 ff. Zur Verwaltungspraxis Flottweil, Armenrecht und Armenpolizei. Zur Verständigung über die Elementarbegriffe der Preußischen Armengesetzgebung. Aus der täglichen Praxis, Leipzig 1866. Ein übersichtlicher Abriß bei Sachße/Tennstedt, Armenfürsorge, S. 199 ff. 176 Gesetz über die Bestrafung der Landstreicher, Bettler und Arbeitsscheuen vom 6. Januar 1843, S. 19-20.

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und damit auch die öffentlichen Lasten zu vermehren. Gegenüber dem kommunalen Argument, die Verarmten könnten doch an die Provinzialanstalten verwiesen werden, machte die Ministerialbürokratie Kostensteigerungen geltend, da diese großen Anstalten in keinem Fall günstiger als die kommunalen Einrichtungen zu unterhalten waren. Was auf den ersten Blick für die Gemeinden "liberal" erschien, mußte am Ende doch zu höheren Beiträgen der Kommunen führen. 177 Im übrigen stellte das Staatsministerium fest, daß die Gemeinden, unabhängig von ihrer historischen Entwicklung, dem Staate gegenüber keine originären Körperschaften darstellten. Sie waren vielmehr "als zum erleichterten Vollzug der Gesetze organisierte Unterabtheilungen des Staatsgebiets und der Staatsangehörigen anzusehen". 178 Gegenüber dem früheren Zustand, der "durch den ganzen Geist der neueren Gesetzgebung ... abolirt,,179 war, konnten die Gemeinden dem Staate nicht mehr "einen Teil seines Gebiets, eine Abtheilung seiner Angehörigen gleichsam schließen oder unzugänglich machen".180 Die Erwartung der Städte, die Höhe ihrer Armenpflegekosten durch Aufenthaltsbeschränkungen und Zuzugsverbote zu regulieren, hatte sich demnach nicht erfüllt. Der Gesetzgeber erwog nur jene "Nützlichkeits-Rücksichten", die es den Gemeinden mitunter erlauben sollten, den Aufenthalt gesetzlich zu versagen, ansonsten übertrug er ihnen die staatliche Last der Armenpflege in Form eines die Rechte der Kommunen nicht beeinträchtigenden "Repartitions-Modus", der sich "durch die größere Leichtigkeit zweckmäßiger Unterstützung und Pflege, durch die größere Wohl feilheit derselben, und durch allgemeine Annahme und Billigkeit" 181 empfahl. Das staatliche Mißtrauen gegen ein mangelndes Gemeinwohlbewußtsein der Städte und eine durch korporative Interessen geleitete Kommunalpolitik war überaus nachhaltig. "Es sei sehr irrig zu glauben", erläuterte das Staatsministerium, "Ankömmlinge, die sich am Orte würden ernähren können, würden auch immer mit offenen Armen aufgenommen werden, umgekehrt Egoismus und Vorurtheil würde jedem entgegentreten. In jeder kleinen Stadt besteht die Ortsbehörde aus Gewerbetreibenden oder ist von ihnen abhängig und in ihrem Interesse befangen; es giebt aber fast kein Gewerk, welches sich nicht überzählig besetzt glaubt; keines wird je zugeben, daß es Schinkel, Annenpflege, S. 466. Kabinetts-Ordre vom 18. Februar 1838 mit den Gesetzentwürfen über die Verpflichtung der Kommunen zur Aufnahme neuanziehender Personen und wegen der Verpflichtung zur Annenpflege. GStAPK, Rep. 80, Drucksachen Nr. 286 c) d), S.lO. 179 A. a. 0., S. 11. 180 A. a. 0., S. 10. 181 A. a. 0., S. 24. Dazu auch Schinkel, Annenpflege, S. 469 f. 177 178

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das Publikum nicht völlig befriedige, jeder neuer Konkurrent ist ihm zuviel und also ein Gräul ... Mit einem Worte: in den Händen der Ortsbehörden würde das gemeinsame Wohl oder Interesse meist unfehlbar dem augenblicklichen Individual-Interesse aufgeopfert und die bloße Abhängigkeit der Niederlassung von deren Urteil über einen relativ so höchst schwierigen Beweis würde für alle Personen, die kein Vermögen besitzen, gar oft zu einem fast absoluten Verbot des Wohnungswechsels werden".182 Die 1829 in die Wege geleitete Armengesetzgebung forderte mehr und ging weiter, wie Harald Schinkel bemerkt,183 als Kommunalpolitiker und bürgerliche Reformer, die im umgrenzten städtischen Gemeinwesen Macht besaßen, zuzugestehen bereit waren. Nur über die Normierung des Aufenthalts und des Lebenswandels war den Kommunalverwaltungen eine insgesamt wenig weitreichende Beschränkung ihrer Unterstützungspflicht eingeräumt worden. Im Zusammenhang mit der staatlichen Gesetzgebung muß auch das Scheitern der Berliner Kommunaladministration bei der von Städtedepartementsrat Haeckel vorgeschlagenen Abfassung eines Ortsstatuts gesehen werden. Das Interesse der Kommunalkörperschaften am Erlaß eines Statuts richtete sich überwiegend auf das Interesse an einer Erweiterung des Bürgerrechts. Der Magistrat beauftragte zwar im Winter 1836 den vormaligen Stadtsyndikus Metzing mit der Abfassung eines Städtestatuts. Er scheiterte aber an dieser Aufgabe, nicht zuletzt auf Grund der Anforderung, "alle besonderen Rechte und die von den allgemeinen und Provinzial-Gesetzen abweichenden Lokalgesetze und Oberservanzen,,184 der Residenz einzuarbeiten. Die Defizite der Armenverwaltung, insbesondere in der Cholerazeit seit 1831, sowie die Mittel für den Ausbau des Schulwesens brachte die Stadt schließlich durch kurzfristige Darlehen auf. 185 Durch die erhöhten Mittelforderungen der Armenverwaltung sah sich der Magistrat unterdessen veranlaßt, eine Revision der städtischen Armenpflege vorzunehmen. Die Untersuchung ergab, daß die Administration kostensteigernde Disfunktionalitäten aufwies, die ursächlich mit ihrer im Kommunalrecht angelegten ehrenamtlichen Ausrichtung zusammenhingen. Es ging vor allem um das Problem, die dezentralisierte Mitwirkung der Bürgerschaft einheitlichen Regelungen zu unterwerfen. Der Magistrat stellte nämlich fest, daß die Armenkommissionen in überaus unterschiedlicher Weise Unterstützungsleistungen festlegten. 182 Kabinetts-Ordre vom 18. Februar 1838. GStAPK, Rep. 80, Drucksachen Nr. 286 c) d), S. 31. 183 Schinkel, Armenpflege, S. 478. Ähnlich Sachße/Tennstedt, Armenfürsorge, S. 200 ff. 184 Schreiben des Magistrats an die Regierung zu Potsdam, 1. Mai 1835. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 61. 185 VerwBBln 1829-1839, S. XV f.

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Bei den Auszahlungen ließen sich deutlich zwei Gruppen voneinander trennen. Während ein Teil der Armenkommissionen durchschnittlich 16 bis 20 Reichstaler an den einzelnen Unterstützungsempfänger auszahlte, lagen die Leistungen bei einem anderen Teil mit 26 bis 35 Reichstalern fast doppelt so hoch. 186 Die Armendirektion reagierte auf diese Verhältnisse im November 1832 mit der Maßnahme, den Armenkommissionen entsprechend der in den jeweiligen Bezirken zu erwartenden Anzahl von Unterstützungsempfängern ein geringeres Budget unter dem Vorbehalt des wirklichen Bedürfnisses anzuweisen. In der Folge fielen in einzelnen Armenkommissionsbezirken die jährlichen Unterstützungssätze von 26 bis 35 auf durchschnittlich 23 Reichstaler. Auf diese Weise sparte der Haushalt der Armendirektion 1833 nicht weniger als 17300 Reichstaler ein, die Summe der Armenunterstützungen war gegenüber dem Vorjahr von 177300 auf 160000 Reichstaler 187 zurückgegangen. Mit dem direktorialen Eingriff war jedoch das grundsätzliche Problem nicht gelöst, die Kompetenzen der dezentralisierten Kommissionen neu festzulegen. Die Beratungen des Magistrats und der Armendirektion konzentrierten sich, ohne zunächst zu einer definitiven Antwort zu kommen, auf die Frage, ob den einzelnen Armenkommissionen im Haushaltsinteresse nur ein festes Etatsquantum überwiesen werden sollte, das sie bei ihren Ausgaben nicht überschreiten durften. Es war jedoch fraglich, ob sich durch dieses Verfahren überhaupt eine größere Haushaltsdisziplin durchsetzen ließ, da die Zahl der Leistungsempfänger nicht exakt vorauszuberechnen war. Die Kommunalkörperschaften hatten sich aber in jedem Fall von der Notwendigkeit einer stärkeren Verwaltungskontrolle überzeugt. Bei der dezentralen Struktur der Armenverwaltung ließ sich eine effiziente Kontrolle allerdings nur unter Mitwirkung einzelner Armenkommissionsvorsteher, d.h. des partizipierenden bürgerschaftlichen Elements, realisieren. 188 186 Bericht Haeckel, 15. Mai 1834. BLHA, Pr.Br., Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 36. Vgl. auch Monats-Blatt der Armen-Direktion, Jg. 1833, S. 69 ff. 187 Die Summe enthält die Armen- und Krankenunterstützungen sowie die Ausgaben für das Armenschulwesen. A.a.O., Jg. 1834, H. 4, S. 34 f. Zu den Kosten der kommunalen Armenfürsorge in den dreißiger Jahren vgl. auch Tab. lb im Stat. Anhang. Auf die Reorganisation der Armenverwaltung zu Beginn der dreißiger Jahre geht Scarpa nicht ein. Ihr Urteil, "die Armenkommissionen waren ziemlich frei in der Handhabung ihrer Hilfeleistungen und in ihren Entscheidungsbefugnissen" (Gemeinwohl, S. 33), ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend, haushaltspolitische Erfordernisse erwiesen sich als steter Antrieb kontrollierender Eingriffe der Kommunaladministration. 188 Bericht Haeckel, 15. Mai 1834. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 37. Zum Aufbau der dezentralisierten Armenpflege siehe auch Öffentliche Armenpflege, S. 31 ff.

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Für eine weitere finanzielle Konsolidierung des Stadthaushalts sorgten die Mehreinnahmen aus der Mahlsteuer. Bislang waren der Landeshauptstadt erhebliche Einkünfte aus dieser Konsumtionssteuer entgangen, da in den Vororten bzw. Nachbarstädten Berlins ein um die Hälfte geringerer Kommunalzuschlag erhoben und die Mühlenfabrikate bei der Einfuhr in Berlin nicht nachversteuert werden durften. 189 Diesem Verhältnis, das im Vorort Charlottenburg direkt zum Aufbau einer Mühlenindustrie beigetragen hatte, wurde durch Kabinetts-Ordre im Oktober 1824 ein Ende bereitet, indem das Erhebungsprinzip der Mahlsteuer geändert wurde. 190 Fortan durften Weizen- und Roggenmehl in Mengen von über einem Zentner nicht mehr steuerfrei von einer mahlsteuerpflichtigen Stadt in die andere versandt werden, die Besteuerung mußte vielmehr am Konsumtionsort erfolgen. Das neue Erhebungsverfahren brachte Berlin in den ersten Jahren durchschnittlich zusätzliche Einnahmen in Höhe von 53500 Reichstalern. Am 1. Dezember 1839 wurden dann die Stücks ätze der Schlachtsteuer erhöht, was nochmals zu einer Steigerung der Einkünfte aus den Verbrauchssteuern führte. 191 Die Mitte der dreißiger Jahre unter dem Einfluß der Handelserleichterungen des Zollvereins beflügelte Industrialisierung l92 machte sich in Berlin in einer erneuten starken Belebung der Zuwanderung 193 und Bautätigkeit 194 bemerkbar. Diese Entwicklung brachte dem Kommunalhaushalt erhöhte Erträge aus der Haus- und Mietsteuer, die sich nach 1830 durchschnittlich im Jahr auf einen reinen Mehrertrag von über 10500 Reichstalern beliefen. Da die erzielten Einnahmen über dem im Verhältnis zur Bevölkerungszunahme erwarteten Soll lagen, waren die vermehrten Steuereinkünfte ein deutliches Indiz für den gewachsenen "Wohlstand" in der Stadt, denn sowohl die Zahl der größeren Mietquartiere als auch die Mietwerte 189 Vgl. dazu Gundiaeh, Geschichte, Bd. 1, S. 329. Grundsätzlich zum Verhältnis von Metropole und Vorort Grzywatz, Stadt, Verstädterung und Vorortbildung. Zur sozialräumlichen Entwicklung Berlins im 19. Jahrhundert, in: Die alte Stadt. Vierteljahresschrift für Stadtgeschichte, Stadtsoziologie und Denkmalpflege, 24. Jg. (1997), H. 3, S. 185-221. 190 Kabinetts-Ordre vom 24. Oktober 1832. GS 1832, S. 226 f. Dazu auch den Bericht Haeckels an das Ministerium des Innem vom 26. Oktober 1832. GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757b, Nr. 4, Bd. I. 191 VerwBBln 1829-1839, S. IX f. Die veröffentlichten Zahlen des Magistrats geben nur die Nettoerträge an. Das trifft auch für die weiter unten genannten Einkünfte aus der Haus- und Mietsteuer zu. 192 Allgemein dazu Henning, Industrialisierung, S. 113 ff. Für Berlin resümierend Mieck, Reformzeit, S. 572 f. 193 Zum jährlichen Wachstum der männlichen Zivilbevölkerung Berlins nach 1831 vgl. Tab. 2 im Stat. Anhang. Ausführlicher dazu Mieck, Reformzeit, S. 478 ff. Zum Sozialbild der Zuwanderung siehe den zeitgenössischen Bericht von Saß, Berlin, S. 149 ff. 194 Vgl. Mieck, Reformzeit, S. 494 ff.

24 Grzywatz

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mußten deutlich zugenommen haben. 195 Zusätzliche Einnahmen wollte die Stadt durch die Veräußerung von Grundstücken erschließen, die nicht mehr für ihren Bedarf erforderlich waren. 196 Wenngleich die Steuerentwicklung die kommunale Finanzsituation zum Besseren wandelte, dachten die Kommunalkörperschaften nicht daran, ihre vermeintlichen Ansprüche aus Kriegsleistungen aufzugeben. Bevor sich die Ministerialbürokratie jedoch auf Ausgleichsverhandlungen einließ, wartete sie erst einmal die angeordnete Reorganisation des städtischen Finanz- und Kassenwesens ab. Nach den Vorschlägen des Innen- und Finanzministeriums sollte ein Stadthaushaltsplan nach den Normen eines Regierungshauptkassenetats angelegt und gleichzeitig eine städtische Hauptkasse eingerichtet werden. Mitte der dreißiger Jahre unterhielt die Kommunalverwaltung insgesamt 36 Kassen, ohne daß diese über ein Zentralinstitut in ein geordnetes Verhältnis zueinander gebracht waren. Ein System konnte man in dieser Organisation, wie Latendorf bemerkt, nicht entdecken. Die Kassenorganisation war das Ergebnis einer "ruckweise erfolgten Erweiterung des Aufgabenkreises der Hauptstadt". 197 Mitte September 1835 verfügte Oberbürgermeister Krausnick die Bildung einer Magistratskommission, die über die Einrichtung einer Zentralkasse und Hauptbuchhalterei beraten sollte. Im Dezember 1836 legte der Magistrat nach dem Entwurf des Stadtkämmerers Falckenberg endlich einen Organisationsplan vor, der teilweise mehrere Kassen zusammenlegte und zum ersten Mal seit Einführung der Städteordnung mit der Kämmereizentralkasse der gesamten kommunalen Kassenorganisation eine zentrale Einrichtung gab. Hatte vorher ein systemloses Nebeneinander von Zuschuß- und Überschußzahlungen bestanden, so war nunmehr mit der Zentralkasse ein Sammelbecken geschaffen, das sämtliche Überschüsse aufnahm und die erforderlichen Zuschüsse an die betreffenden Verwaltungszweige abführte. Der Zentralkassenetat umfaßte erstmalig fast den gesamten Stadthaushalt. 198 Obwohl auf Grund der neuen Organisation eine bessere Einsicht in die wirklichen Kommunalbedürfnisse ermöglicht wurde, konnte die Reform nur der Ausgangspunkt weiterer Vereinfachungs- und Zentralisierungsmaßnahmen sein. Der Etat der Kämmereizentralkasse blieb ein Nettoetat. Er 195 VerwBBln 1829-1839, S. VIII. Diese Beobachtung schließt die sozialen Implikationen der Industrialisierung und Bevölkerungsbewegung nicht ein, der Blick bleibt hier ausschließlich auf das kommunalfiskalische Interesse gerichtet. 196 A. a. 0., S. XI u. XXI. 197 Latendorf, Kassenorganisation, S. 91. Bei Latendorf auch zwei Übersichten über die bestehenden Kommunalkassen, a. a. 0., S. 87-90. 198 A. a. 0., S. 96. Der detaillierte Aufbau der neuen Kassenorganisation ebd. S. 94 f.

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enthielt nicht die Bruttoziffern des Stadtbudgets und die voraussichtlichen Ergebnisse aller städtischen Verwaltungszweige, sondern nur einen Teil, wenn auch den größten, des Stadthaushalts. Vor allem die für die Erhebung der Mahl-, Schlacht- und Braumalzsteuer zuständige Stadtkasse war nicht mit dem Zentralinstitut verbunden. Auf Grund der Nettorechnung blieben zudem die eigenen Einnahmen und Ausgaben der einzelnen kommunalen Geschäftszweige unberücksichtigt. Ein wesentlicher Teil der ministerialen Forderung, durch den Etat die Ergebnisse sämtlicher Kassenverwaltungen zu erfassen, hatte damit noch nicht seine Realisierung gefunden. Es verwunderte daher nicht, daß die Stadtverordneten-Versammlung schon aus diesem Grund dem Versuch des Magistrats widersprach, mit dem vorgelegten Organisationsplan den Kommunaletat für einen fünfjährigen Zeitraum (1836-1840) festzustellen. Ende Juni 1836 genehmigte die Gemeinderepräsentation den StadthaushaIt für 1836 und erklärte das Etatjahr zum Probejahr für die neue Kassenorganisation, dessen Resultate abgewartet werden sollten. Die Mißstände des vom Berliner Magistrat zu verantwortenden Finanzwesens waren kein Einzelfall in der preußischen Kommunalverwaltung der Reform- und Nachreformära. Eine Zersplitterung und Uneinheitlichkeit des Kassen- und Rechnungswesens, verworrene Etats und die Unmöglichkeit, einen genauen Überblick über die städtischen Finanzen zu erhalten, hatte man in mehreren Gemeinden beobachtet. Stets waren es die Gemeindevertretungen, welche die kommunalen Exekutiven zu Umgestaltungen des Kassen- und Rechnungswesens aufforderten und notfalls den Eingriff der Ministerial- und Regierungsbehörden, unter Umständen auch den Rücktritt des Magistratsdirigenten, erzwangen. 199 Wenngleich die neuere Stadt- und Verwaltungsgeschichte der inneren kommunalen Verwaltungsorganisation im 19. Jahrhundert und insbesondere der Entwicklung des städtischen Finanzwesens unter partizipativen Aspekten bislang wenig oder gar keine Aufmerksamkeit geschenkt hat, mithin in dieser Hinsicht keine systematisierbaren Erkenntnisse vorliegen, so läßt sich die Evidenz bürgerschaftlicher Intervention auf Grund der älteren Einzelstudien und der hier dargelegten 199 Vgl. Otto Tschirch, Geschichte der Chur- und Hauptstadt Brandenburg an der Havel. Festschrift zur Tausendjahrfeier der Stadt, Bd. 2, Brandenburg 1929, S. 222 u. 257. Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 272 ff. R. Jecht, Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Stadt Görlitz im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, Görlitz 1916, S. 108. Wilhelm Horn, Erfurts Stadtverfassung und Stadtwirtschaft in ihrer Entwicklung bis zur Gegenwart. Ein Beispiel zur Verfassungsgeschichte und Sozialpolitik der Deutschen Städte (= Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen des Staatswirtschaftlichen Seminars zu Halle a.d. Saale, Bd. 45), Jena 1904, S. 34 u. 154. Moritz Jaffe, Die Stadt Posen unter preußischer Herrschaft. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Ostens. Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte, Bd. 3,2 (= SVfS, Bd. 119,2), Leipzig 1909, S. 129 f.

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Berliner Entwicklung nicht von der Hand weisen. Die Schwierigkeiten der Stadtmagistrate sind ebenso offensichtlich wie die aufsichtsrechtlich begründete regulierende Tätigkeit des Staates?OO Ein weiteres Indiz für diese These findet sich in der Reaktion einzelner Bezirksregierungen. So stellte die Breslauer Bezirksregierung im September 1833 fest, daß die von den Staatsbehörden angestrebte Verbesserung des kommunalen Hauhaltswesens, dessen Ziele sich einerseits auf Kostensenkungen im Wege der Verwaltungsvereinfachung, andererseits auf die kontinuierliche Tilgung der städtischen Schulden richteten, durch die aus einem früheren Zeitalter herrührende Zerlegung des gemeindlichen Finanzwesens erschwert wurde. Anstelle der separat geführten Kassenverwaltungen, die weitläufige Kassenrevisionen erforderten, die Städte häufig mit "eingebildeten Verlegenheiten" konfrontierte und die für die "unrichtigen Ansichten" über die Leistungsfähigkeit der Städte verantwortlich waren, verlangte die Breslauer Regionalbürokratie von sämtlichen schlesischen Kommunen, nach dem 1. Januar 1834 die vereinzelten Gemeindekassen in einer Stadthauptkasse zu zentralisieren. Die Leitung dieser Kasse sollte jeweils den Stadtkämmerern übergeben werden, welche dadurch die ihnen in der Städteordnung zugewiesene Stellung als oberste Stadtkassenbeamten überhaupt erst wahrnehmen konnten?OI Der gleichzeitig aufzustellende Stadthauptetat mußte alle Einnahmen und Ausgaben des Gemeinwesens enthalten. Wenn Spezialetats unumgänglich waren, sollten deren Ergebnisse in den Hauptetat aufgenommen werden. Analog war die Rechnungs- und Kassenbuchführung zu vereinheitlichen. Soweit in größeren Städten für einzelne Kassenfonds besondere Buchhaltungen erforderlich waren, sollten diese bei einzelnen Beamten konzentriert werden. Der Stadtkämmerer mußte in diesem Fall das Hauptjournal, die einzelnen Buchhalter hingegen die verschiedenen Manuale führen, welche für die städtischen Fonds eingerichtet worden waren?02 Bei den monatlich vorzunehmenden Kassenrevisionen waren auf diese Weise nur die Abschlüsse der Hauptjournale und Manuale sowie die Geldbestände zu prüfen, daneben die Kassenbücher sowie das Soll- und tatsächliche Aufkommen miteinander zu vergleichen. Ausstehende Restzahlungen konnten leicht eruiert und gegebenenfalls "mit allem verfassungsmäßigem Nachdrucke,,203 eingetrieben werden. Die Bezirksregierung ordnete ausdrücklich an, die 200 Daß der Staat dabei auch die kommunalrechtlich festgelegten Kontrollbefugnisse der Gemeindevertretungen sicherte, wird auch im Zusammenhang mit den kommunalen Kompetenzkonflikten gezeigt werden. Vgl. weiter unten. 201 Zirkularverfügung vom 24. September 1833. APSV, Bd. 17 (1833), H. 3, S. 680 f. 202 A. a. 0., S. 682 f. 203 A. a. 0., S. 684.

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Kassenrevisionen besonderen Deputationen unter Vorsitz der Bürgermeister zu übergeben. Die Potsdamer Regierung monierte kurze Zeit nach der Bildung der städtischen Zentralkasse in Berlin, daß selbst in kleineren Städten häufig für einzelne Verwaltungszweige Nebenkassen mit besonderen Etats und spezieller Rechnungslegung existierten und dadurch die Hauhaltsübersicht verloren gehen würde. Die Regierung verfügte, die gesamte Verwaltung der kleineren Städte in der Kämmereikasse zu konzentrieren und für diese nur einen Etat wie eine Rechnung anzulegen. Wo der Umfang einzelner Verwaltungsgeschäfte in größeren Städten die Einrichtung von Nebenkassen sinnvoll erscheinen ließ, sollte diese "ausnahmsweise" zugelassen werden. 204 Doch wie bereits im Zirkularreskript der Breslauer Regierung dargelegt, forderte auch die Potsdamer Regionalbehörde in einem solchen Fall, daß die Verwaltungsresultate der Nebenkassen durch die Hauptsummen im Etat und in der Rechnung der städtischen Zentralkasse ausgewiesen waren. Die Reorganisation der Berliner Finanzverwaltung ging der Bezirksregierung nicht weit genug. Sie ordnete daher im Januar und Februar 1837 eine weitere Vereinfachung des Kassenwesens an. Die Regierung empfahl, den größten Teil der bestehenden Sonderkassen mit der Zentralkämmereikasse zu vereinigen. Den Fortbestand einer Kämmereispezialkasse sowie einer besonderen Stadtschulden-, Vorspann-, Gesindesteuer-, Hundesteuer- und Armenschulkasse hielt die Regierung für überflüssig. Der Berliner Magistrat weigerte sich jedoch, der Aufforderung zu einer weiteren Zentralisierung nachzukommen. Die kommunale Exekutive glaubte der wichtigsten ministeriellen Forderung Genüge getan zu haben, indem der Etat der Zentralkasse eine Hauptübersicht über sämtliche kommunale Einnahmen und Ausgaben erlaubte. Ansonsten verhinderte nach Auffassung des Magistrats der Umfang und die Vielfältigkeit einzelner Verwaltungsgeschäfte eine weitere Kassenkonzentration. Diese Auffassung wurde nicht einhellig im Magistrat vertreten. So hielt Bürgermeister Rehfeldt die Einrichtung einer Stadthauptkasse ebenso für möglich wie eine weitere Reduzierung der Nebenkassen. Die Mehrheit des Magistrats stellte sich jedoch hinter den Kämmerer Falckenberg, dem Hauptopponenten einer weiteren Modemisierung, die nach seiner Ansicht auf die Einführung der kaufmännischen Buchführung in der kommunalen Finanzverwaltung hinauslief. Eine solche Rechnungsund Finanzorganisation betrachtete Falckenberg für die Verhältnisse der Kommunaladministration als undurchführbar. 205 Die Stadtverordneten-Versammlung, die zwischenzeitlich eine Kommission zur Vorberatung der Finanzfragen und der Verbesserung des städti204 205

Zirkularverfügung vom 5. März 1836. APSV, Bd. 20 (1836), H. 4, S. 921 f. Dazu Latendorf, Kassenorganisation, S. 104 ff.

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sehen Haushaltswesens gebildet hatte, forderte dessenungeachtet vom Magistrat die Einrichtung eines Hauptbuches, aus dem, "wie beim Kaufmann", der Zustand sämtlicher Geschäftszweige wie der Einzelverwaltungen zu ersehen war. Damit war nicht unbedingt an die Einführung der kaufmännischen Buchführung gedacht, sondern es ging, auf welchem Wege auch immer, prinzipiell um die weitere Realisierung einer größeren Einfachheit und Übersichtlichkeit des Kommunalhaushalts. Die Stadtverordneten verlangten weiterhin die Aufstellung eines Generaletats für den gesamten Stadthaushalt und die Umwandlung der Kämmereizentralkasse in eine Stadthauptkasse, der es als einziger von allen städtischen Kassen erlaubt sein sollte, Bestände zu unterhalten, während die Nebenkassen solche, soweit überhaupt erforderlich, nur als Vorschüsse der Hauptkasse führen sollten. Der Gemeindevertretung erschien es unerträglich, wie es einer ihrer Wortführer in diesem Konflikt, der Rentier Daniel Alexander Benda,206 darlegte, daß das öf206 Benda (1786-1876) war Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlins und ehemaliger Mitinhaber der Lederwarenfirma Gebr. Benda. Im Juni 1835 wurde er zum Stadtverordneten gewählt, 1838 erfolgte seine Wiederwahl, 1841 schied er aus der Gemeindevertretung aus. Vgl. die Verzeichnisse der gewählten Stadtverordneten von 1835 und 1838. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 135, BI. 169 ff u. 335 ff. Zu Bendas Werdegang und seine politische Tätigkeit falsche und widersprüchliche, zum Teil auf Verwechslung mit Siegfried Alexander Benda beruhende Angaben bei Mieck, Reformzeit, S. 493; 1ersch-Wenzel, Jüdische Bürger, S. 54, 56 u. 217; Dora Meyer, Leben, S. 31 und Hachtmann, Berlin 1848, S. 933. Darauf kann hier nicht im einzelnen eingegangen werden. Angemerkt sei, daß Benda 1843 zum unbesoldeten Stadtrat gewählt wurde, im Jahre 1845 aber bereits wieder aus diesem Amt ausgeschieden sein muß, da der Adreßkalender für 1846 wie für die folgenden Jahre keine amtlichen Funktionen Bendas in der Kommunalverwaltung ausweist. Die Behauptung Jersch-Wenzels, Jüdische Bürger, S. 57, Benda wäre Ende 1848 aus politischen Gründen nicht wieder in sein Amt eingesetzt worden, entbehrt somit jeder Grundlage. Die Zeitgenossen Bendas urteilten sehr unterschiedlich über seine Persönlichkeit und seine politische Tätigkeit. Adolf Streckfuß (Berlin im 19. Jahrhundert, T. 3, Berlin 1868, S. 168) charakterisierte Benda als einen "sehr geachtete(n) und bekannte(n) Mann". Der magistratsorientierte Heinrich Eduard Kochhann, Mitteilungen aus den Jahren 1839-1848. Aus den Tagebüchern, hrsg. von A. Kochhann, Bd. 3, Berlin 1906, S. 5, urteilte unfreundlich: "Ein kleiner, langhaariger Israelit, zeigt sich nicht ohne Bildung, aber als Kleinigkeitskrämer voll sonderbarer oft lächerlicher Regungen, als Schwätzer sondergleichen". Adolf Wolff (Revolutionschronik, Bd. 2, S. 280 f.) sah in Benda einen politischen Opportunisten, der mit blumigen Worten vom Sturz des Polizeistaats reden konnte, die Konstituierung einer Republik aber gleichzeitig für "Wahnsinn" hielt. Benda, der dem vormärzlichen Liberalismus nahestand, gehörte nach seiner anfänglichen Begeisterung der Märzereignisse in jedem Fall zu jenen Kritikern der Revolution, die den Staat aufforderten, eine weitere Radikalisierung zu verhindern. Vgl. Bendas Aufrufe gegen die "inneren Feinde" und seine "Catilina-Artikel" vom 23./24. sowie 28./29. März und vom 13. April 1848. Siehe Wolff, Revolutionschronik, Bd. 1, S. 283 u. 380 f.; Bd. 2, S. 4 f. Vgl. auch Hachtmann, Berliner Juden und die Revolution von 1848, in: Jüdische Geschichte in Berlin. Essays und Studien, hrsg. von R. Rürup, Berlin 1995, S. 79.

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fentliche Gemeinwesen nicht ebenso übersichtlich wie ein kaufmännisches Unternehmen Rechenschaft über seine Einnahmen und Ausgaben ablegte. Die Tendenz der Kommunalgesetzgebung ging jedenfalls dahin, auch dem einfachsten Bürger, ohne daß er sein eigenes Geschäft vernachlässigte, die Kontrolle der Stadtverwaltung zu ermöglichen. 207 Benda sprach hier einen Kerngedanken des reformierten Kommunalrechts an. Schon im Juni 1807 hatte vom Stein praxisnahe, die Öffentlichkeit einbeziehende Etat- und Rechnungsverhandlungen propagiert. 20B Was er im Hinblick auf die staatliche Finanzverwaltung kritisierte, daß die Vielfalt der Kassen sowie die separierte Rechnungsführung allgemein zu einer Komplikation des Geschäftsgangs führte, die Verwaltungskosten in die Höhe trieb, die Kassenbestände vermehrte und die Übersicht über den Vermögens zustand des Staates erschwerte,209 dürfte uneingeschränkt auch für eine durch Kassenvielfalt charakterisierte Kommunalverwaltung gelten. Die Städteordnung rezipierte diesen Gedanken, indem der Gemeindevertretung nicht nur die Kontrolle des städtischen Finanzwesens zu übergeben war, sondern auch die Rechnungsabnahme unter öffentlicher Anteilnahme der Bürgerschaft vollzogen werden sollte?lO Das Innenministerium hat die Kontrollbefugnisse der Gemeinderepräsentation überwiegend weit ausgelegt. Den Versuchen des Berliner Magistrats, die durch eine Stadtverordnetenkommission vorgenommene Rechnungsrevision als "einen Akt der Ausführung" zu untersagen, gab die Ministerialbürokratie nicht nach?l1 Es ging sicherlich zu weit, hinter der schleppenden Behandlung der Finanzverwaltungsreform durch den Magistrat eine bewußte Taktik zu vermuten, um "künstlich" geschaffene Bedürfnisse befriedigen zu können,z12 aber der Widerstand der kommunalen Exekutive gegen eine weitere Reform der Kassenorganisation behinderte in jedem Fall die Konsensbildung in den Kommunalkörperschaften. Das Innenministerium versuchte dem Magistrat begreiflich zu machen, daß er sich einerseits wesentlich wirkungsvoller das öffentliche Vertrauen sichern und andererseits die Verwaltung erleichtern würde, wenn er von allen weiteren Versuchen Abstand nähme, "die Stadtverordneten in keiner Handlung der ihnen gesetzlich zustehenden Kontrolle zu beschränken".213 Latendorf, Kassenorganisation, S. 108. Vgl. Stein, Denkschrift über die zweckmäßige Bildung der obersten und Provinzial-, Finanz- und Polizeibehörden, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 200. Dazu Unruh, Veränderungen, S. 423 f. Winkler, Frey, S. 119 f. 209 Stein, Denkschrift, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 196. 210 Vgl. § 183, Lit. d, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 351 f. 211 Resolution des Innenministeriums an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg vom 23. November 1835. APSV, Bd. 19 (1835), S. 104 f. 212 Latendorf, Kassenorganisation, S. 107. 207 208

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Außerordentliche Kassenrevisionen 214 oder Einsichtnahmen in das von den Magistraten eingeschlagene Verfahren bei der Vorrevision 215 lagen noch im Bereich der rechtlich gesicherten Kontrollfunktionen. Erst wenn die Gemeinderepräsentationen in die laufende Verwaltung eingriffen, überschritten sie ihre Kompetenzen. Trotz der ministeriellen Aufforderung sollte der Berliner Magistrat die Verständigung mit den Stadtverordneten über die endgültige Form der kommunalen Finanzorganisation noch einige Jahre in die Länge ziehen. Nachdem mit der Einrichtung der Kämmereizentralkasse in der Tat eine erste Vereinheitlichung der städtischen Finanzorganisation erreicht, das jährliche Ergebnis der Berliner Finanzwirtschaft durch die Rechnungen der Zentral kasse schneller ermittelbar und die gesamte Gelddisposition der Stadt leichter zu übersehen war, konnte die Kommunaladministration daran gehen, den bislang aufgeschobenen finanziellen Ausgleich mit dem Staat zum Abschluß zu bringen. Der für das Jahr 1836 genehmigte Etat der Kämmereizentralkasse hatte noch ein Defizit von etwa 112000 Reichstalern aufgewiesen. Einnahmen von 434000 Talern standen Ausgaben von 546000 Talern gegenüber,216 zusätzliche Einkünfte konnten der Stadt also nur gelegen kommen. Die Gemeindebehörden hofften namhafte Forderungen infolge der Kriegslasten gegenüber dem Staat geltend machen zu können. Aus Vorschüssen für Beamte und Truppen, für die Unterhaltung königlicher Gebäude, insbesondere des Nationaltheaters, sowie entbehrten staatlichen Zuschüssen und Mehrerträgen aus Akzisezuschlägen, schließlich aber aus den Ansprüchen für die Verpflegung feindlicher Truppen und die der Stadt zwischen 1819 und 1836 entzogenen Einlagegefälle und Bierziese glaubten die städtischen Körperschaften, Forderungen von rund 2,126 Millionen Reichstalern ableiten zu können. Der Magistrat forderte weiterhin, da ihm eine staatliche Beihilfe zur Abtragung der Kriegsschulden zugesichert worden war, die zur Bezahlung der französischen Kriegskontributionen bar aufgenommene Anleihe in Höhe von zirka 1,2 Millionen Reichstalern auf staatliche Kassen zu übernehmen,z17 213 Resolution des Innenministeriums, 23. November 1835. APSV, Bd. 19 (1835), S. 1015. 214 A. a. 0., S. 1014. Da die außerordentlichen Kassenrevisionen prinzipiell Bestandteil der Kontrollbefugnisse der Stadtverordneten waren, kann deren Ausführung nicht als Eingriff in die laufende Verwaltung eingestuft werden. So indessen Schön, Organisation, S. 703. Vgl. auch Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 543 f. 215 Resolution des Innenministerium an den Magistrat zu Halle a. d. Saale und die Königliche Regierung zu Merseburg vom 14. September 1835. APSV, Bd. 19 (1835), S. 752. 216 Latendorf, Kassenorganisation, S. 93. 217 VerwBBln 1829-1839, S. XII. Sachlich nicht richtig ist die Darstellung bei Clauswitz, Städteordnung, S. 160.

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Die Staatsverwaltung machte ihrerseits Gegenforderungen in Höhe von 1,311 Millionen Reichstalern geltend - für bezahlte Schulden der Stadt, Vorschüsse zur Zinszahlung von Stadtobligationen, eingelöste Stadtschuldscheine, unverzinsliche Vorschüsse, nicht abgelieferte Kantonfreiheitsgelder, rückständige Stempelgebühren auf Stadtobligationen, für die Einrichtung eines Vonnundschaftsgerichts sowie für jene Bestände der staatlichen Kassen, die von der Besatzungsmacht für die von der Stadt ausgeschriebene Kriegskontribution beansprucht wurde. Von den städtischen Forderungen wurden staatlicherseits ausschließlich der liquidierten Einlagegefälle und Bierziese nur 600000 Reichstaler anerkannt, die Einnahmeverluste der Stadt durch die vorenthaltenen Einlagegefälle und Bierziese machte nochmals etwa 187000 Taler aus. Nach mehrfachen Verhandlungen der im Frühjahr 1837 einberufenen Ausgleichskommission, die sich aus je drei Mitgliedern der städtischen Körperschaften und den von der Staatsregierung abgeordneten Kommissar Regierungsrat Wallach zusammensetzte,2l8 erkannte die Stadtgemeinde die Forderung des Staates nahezu uneingeschränkt an. Sie konnte lediglich durchsetzen, die von der Staatsverwaltung festgestellte Höhe der städtischen Gegenforderungen unter Einschluß der Einlagegefälle und Bierziese auf rund 700000 Reichstaler heraufzusetzen, so daß eine Stadtschuld in Höhe von etwa 600000 Reichstalern offen blieb?19 Durch die Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1838 wurde der Stadt Berlin die staatliche Restforderung als staatlicher Beitrag zu der von ihr gezahlten Kriegskontribution erlassen. Der städtische Anspruch auf höhere Beihilfen zur Tilgung der Kriegsanleihe wies die Kabinetts-Ordre ab. 22o Die der Stadt infolge des Ediktes vom 26. Mai 1818 entzogenen Einlagegefälle und Bierziese, für die sich die Kommunalverwaltung durch Entscheidung des Obertribunals vom 17. November 1834 einen Entschädigungsanspruch erstritten hatte,221 glich der Staat mit weiteren 100000 Reichstalern aus, welche zur außerordentlichen Tilgung von Stadtschulden verwandt werden mußten. Daneben erhielt die Stadt für die Folgezeit eine jährliche Entschädigung von rund 10500 Reichstalern. 222 Zugleich geneh218 Der Magistrat war in der Ausgleichskommission durch Oberbürgenneister Krausnick, Stadtkämmerer Falckenberg und Stadtsyndikus Moewes, die Gemeindevertretung durch die Stadtverordneten Klenze, Krebs und Laspeyres vertreten. Vgl. das Verhandlungsprotokoll vom 31. Juli 1837. Abdruck in: AIPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 2, AS Nr. 14, Anlage 9a, S. 977-979. 219 Vgl. VerwBBln 1829-1839, S. XII. 220 Abdruck der Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1831, in: A.a.O., S. 55-59. Teilweise Wiederabdruck in: AIPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 2, AS Nr. 14, Anlage 9b, S. 979 f. 221 Vgl. Clauswitz, Städteordnung, S. 160 f. 222 Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1838, in: VerwBBln 1829-1839, S. 56.

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migten die Staatsbehörden, daß die Stadt die Überschüsse aus der Kommunalakzise, d.h. der Mahl-, Schlacht- und Braumalzsteuer, die ihr nach Ausführung des am 24. Juni 1829 festgestellten Amortisationsplans der Stadtschulden verblieben, für andere Kommunalbedürfnisse verwenden durfte. 223 Die beim Polizeipräsidenten anfallenden Strafgelder wurden auch fernerhin, soweit sie nicht gesetzlich dem Fiskus oder anderen Kassen zufielen, der Berliner Stadtkasse überwiesen. Ausdrücklich ausgenommen von den Überweisungen waren Disziplinar- und Ordnungsstrafen sowie die in Charlottenburg oder überhaupt außerhalb des Berliner Kommunalbezirks und der Kämmereidörfer erhobenen polizeilichen Geldstrafen. 224 Die Stadtgemeinde erkannte nunmehr offiziell die Armenpflege als kommunale Angelegenheit an, worauf noch zurückzukommen sein wird. Als Ausgleich erhielt sie, "immer nur aus Rücksichten der Gnade", einen jährlichen Zuschuß von 55000 Reichstalern, konnte aber nicht hoffen, daß sich dieser staatliche Beitrag zur städtischen Armenpflege auf Grund steigenden Bevölkerungswachstums erhöhte. Ein solches Verfahren würde, wie die Kabinetts-Ordre feststellte, "den Forderungen der Gerechtigkeit widersprechen ... , wenn die übrigen Gemeinen der Monarchie zu den Kosten der Armenpflege der Stadt Berlin beitragen sollten, zumal in anderen Städten aus der Communalkasse viele Lasten bestritten werden müssen, welche Berlin gar nicht oder nur in geringerem Maße zu tragen hat".225 Darüber hinaus verzichtete die Staatskasse auf die Einnahmen aus der Pacht für das Leichenfuhrwesen und stellte die Mittel zur Errichtung von Leichenhäusern sowie zur Begleichung der Grabplatz- und kirchlichen Begräbnisgebühren für ärmere Einwohner zur Verfügung. 226 Die Bettelpolizei, die nach der Kabinetts-Ordre vom 3. Mai 1819 als Bestandteil der Armenpflege auf die Kommunalverwaltung übergegangen war, wurde auf Wunsch der städtischen Körperschaften vom 1. Januar 1839 ab von der staatlichen Ortspolizeiverwaltung übernommen. Mit der Übertragung wurde die Stadt zu einem jährlichen Zuschuß verpflichtet, der für die nächsten zehn Jahre auf 3000 Reichstaler festgesetzt wurde?27 Der Antrag des Magistrats auf Steuererstattung aus den in der Stadtvogtei und den Armeninstituten verbrauchten mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Gegenständen wurde abgelehnt, da diese eine gesetzliche Ausnahmeregelung erfordern würde und daher als nicht zulässig angesehen wurde. Ebensowenig hielt die Staatsverwaltung die kommunale Forderung für gerechtfertigt, die A a. 0., S. 55. Bestimmungen über die der Stadt zu überweisenden Polizeistrafgelder. Anhang zur Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1838. Aa.O., S. 58. 225 A a. 0., S. 56. 226 Aa.O., S. 57. 227 Ebd. 223

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Befreiung der servisberechtigten Militärpersonen, Geistlichen und Schullehrer von der Kommunalsteuer aufzuheben?28 Durch die Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember fanden auch die Streitigkeiten über die Kosten der Nachtwacht-, Erleuchtungs- und Straßenreinigungsangelegenheiten, vor allem aber, was an dieser Stelle von besonderem Interesse ist, die administrativen Zuständigkeiten für diese Geschäftsbereiche eine abschließende Regelung. Durch die Kabinetts-Ordre vom 8. August 1833 war bereits der Grundsatz ausgesprochen worden, daß das Nachtwachtwesen sowie die Straßenerleuchtung und -reinigung zu jenen Instituten gehörten, für welche die Kommune aus eigenen Mitteln sorgen mußte, auch wenn die Verwaltung durch die staatliche Polizei geführt wurde. Die vom Staat gewährten Zuschüsse erfolgten "nur aus Billigkeitsgründen und mit Rücksicht auf die, in Berlin als Residenz obwaltenden Verhältnisse,,?29 Der Kommune stand demnach weder überhaupt ein Recht zu, bestimmte Zuschüsse zu fordern, noch war ihr der Rechtsweg über eine dem Fiskus obliegende Verbindlichkeit eröffnet. Der vereinigten Nachtwacht-, Erleuchtungs- und Straßenreinigungskasse oblagen nach übereinstimmender Auffassung der kommunalen und staatlichen Behörden die Kosten für die Ausführung des Nachtwachtwesens im engeren Polizeibezirk, für die Anschaffung und Erhaltung der Feuerlöschgeräte und Rettungsanstalten sowie die Besoldung des Personals, für die Kosten der Straßenbeleuchtung innerhalb der Ringmauern und die Geschäfte der Straßenreinigung. Soweit Erleuchtungskosten für außerhalb der Ringmauern gelegene Vorstädte anfielen, gingen sie unstrittig zu Lasten der Stadtgemeinde. Während der Verhandlungen vom 31. Juli 1837 erkannte die Kommune ihre Verpflichtung zur Kostenübernahme nur hinsichtlich der Nachtwachtund Erleuchtungsanstalten im Grundsatz an, was ihr um so leichter fiel, als sie darauf hoffen durfte, auch in Zukunft mit einem festen staatlichen Zuschuß rechnen zu können, da seitens der Ministerialbürokratie signalisiert worden war, daß die residenziale Bedeutung Berlins über das polizeiliche Bedürfnis hinausgehende Leistungen erforderte. Die Vertreter Berlins drangen darauf, den fernerhin in Aussicht gestellten Zu schuß ein für allemal in bestimmter Höhe festzustellen. Die Übernahme des Straßenreinigungswesens wies die Kommunalverwaltung hingegen ab. Nach dem geltenden Gemeinderecht waren die Hauseigentümer für die Entsorgung des Straßenschmutzes verantwortlich. Die Verbindlichkeit, zu deren Erfüllung allein die Straßenreinigungskasse unterhalEbd. Verhandlungsprotokoll vom 31. Juli 1837. AIPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 2, AS Nr. 14, Anlage 9a, S. 977. 228

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ten wurde, traf infolgedessen auch den Fiskus. Dieser Auffassung widersprach Staatskommissar Wallach, da die Straßenreinigungsanstalt nach dem von den Kommunalbehörden anerkannten Nachweis nicht nur die Areale vor den königlichen Gebäuden, sondern auch vor Kommunalgebäuden, Kirchen und sonstigen öffentlichen Plätzen und Promenaden entsorgte und daneben weitere, unzweifelhaft der Kommune obliegende Lasten bestritt. Zugleich machte Wallach deutlich, daß der staatliche Zu schuß zu den Kommunalinstituten in erster Linie der Reinigungskasse und nur der jeweilige Rest der Nachtwacht- und Straßenerleuchtungskasse zugute kommen sollte?30 Oberbürgermeister Krausnick und die übrigen städtischen Deputierten akzeptierten nach dieser Erklärung die kommunale Verpflichtung sowie die Höhe des bislang überwiesenen Staatszuschusses in Höhe von 33000 Taler, baten aber von kostspieligen, über das eigentliche Bedürfnis hinausgehende Erweiterungen des Straßenreinigungswesens abzusehen und deren Ausführungen, wenn sie unumgänglich waren, von der vorherigen Befragung der Kommunalbehörden abhängig zu machen. Die rückständigen Zahlungen der Stadtgemeinde in Höhe von zirka 57500 Reichstalern empfahlen die kommunalen Vertreter niederzuschlagen, da sie als Beiträge zur vereinigten Nachtwachtkasse doch nur an die Kommune zurückfallen würden. Die Staatsregierung stimmte diesem Kompromiß zu. Die Stadt erhielt folglich bis auf weiteres den festen jährlichen Zuschuß in Höhe von 33000 Reichstalern, während bei Änderungen oder neuen Einrichtungen der Anstalten, die nur unter Überschreitung des Etats ausgeführt werden konnten, die städtischen Behörden mit ihrem Gutachten vorher zu hören waren. Widersprach die Kommune den projektierten Einrichtungen, mußte das Polizeipräsidium die Genehmigung der ihm zunächst vorgesetzten Dienstbehörde einholen, deren Entscheidung die Gemeinde zur Ausführung verpflichtete, vorbehaltlich des Rekurses an die höheren Verwaltungsinstanzen?3} Solange aber eine Überschreitung des festgestellten Etats nicht erforderlich wurde, administrierte das Polizeipräsidium selbständig und ohne Rücksprache mit den städtischen Körperschaften. Die Polizeiverwaltung konnte jede beliebige Änderung der bestehenden Anstalten treffen und jede für zweckmäßig erachtete neue Einrichtung einführen sowie die notwendigen Verträge abschließen. 232 Die Kommunalbehörden versuchten anschließend nochmals, die Abtrennung der Straßenreinigungskasse und gleichzeitig die Zuständigkeit des A. a. 0., S. 978. A.a.O., S. 979. Vgl. auch die Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1838. VerwBBln 1829-1839, S. 56. 232 Verhandlungsprotokoll vom 31. Juli 1837. AlPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 2, AS Nr. 14, Anlage 9a, S. 979. 230 231

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Polizeipräsidiums als alleinigem Amtsinhaber ohne jede Mitwirkung und ohne jeden finanziellen Zu schuß der Stadtgemeinde durchzusetzen. Dieser Versuch scheiterte aber ebenso wie der Vorschlag der städtischen Körperschaften, die Verwaltung der Nachtwacht- und Straßenerleuchtungsangelegenheiten einer aus Mitgliedern der Kommunal- und Ortspolizeibehörde gemischten Kommission zu übertragen. 233 Wenngleich die Kabinetts-Ordre nicht alle Wünsche der Stadt Berlin erfüllte, waren die Kommunalbehörden mit dem geschlossenen Komprorniß nicht unzufrieden, da er der Gemeinde nicht nur Forderungen erließ, sondern auch für regelmäßige Staatszuschüsse sorgte. Umstritten blieben aber weiterhin die Lasten der Justizverwaltung. Der Berliner Magistrat war der Ansicht, daß die Besoldungen der für die Gefängnisse erforderlichen Beamten, ebenso die Kosten für die Unterhaltung der Strafanstalten und Gefangenen wie der mit Arbeitshaus bestraften Personen und die bei Insolvenz zu erstattenden Kriminalurteilsgebühren allein zu Lasten des Staates gingen. 234 Nachdem die Staatsregierung diese Ansprüche von sich gewiesen hatte, kam es zu Verhandlungen über die Ablösung der Jurisdiktionslasten, die schließlich Mitte Dezember 1843 in einem zweiten Vertrags werk zwischen dem Fiskus und der Stadtgemeinde ihren Abschluß fanden. Die Stadt Berlin wurde "von allen ihr gesetzlich und verfassungsmäßig noch obliegenden Verpflichtungen und Lasten der Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit" ab dem 1. Januar 1844 befreit. 235 Als Ausgleich hatte die Stadt einen jährlichen Kanon zu zahlen, der für das Jahr 1844 auf 33400 Reichstaler festgelegt wurde und im dreijährigen Turnus an die Bevölkerungsziffer anzupassen war. Die Einnahmen aus der Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit fielen ebenso unwiderruflich an den Staat wie die bisher der Polizei verwaltung von seiten der Kommune zur Verfügung gestellten Geschäfts- und Wohnungslokale für das Polizeipräsidium sowie das Kriminal- und Stadtgericht. 236 Damit schienen Mitte der vierziger Jahre die aus der Städteordnung folgenden Rechtsverhältnisse über die Kosten der Polizei- und Justizverwaltung definitiv geregelt. Der Magistrat war mit dem endgültigen Verlust seiner früheren Polizei- und Justizhoheit zwar nicht von sämtlichen Lasten befreit worden, hatte diese aber in zähen Auseinandersetzungen auf ein "erträgliches Maß" reduzieren können. Der Stadthaushalt war gegen die Ansprüche der staatlichen Verwaltung gesichert und insbesondere die Gefahr beseitigt, daß später erforderlich werdende Neubauten für die Justiz- und 233 234 235 236

Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1838. VerwBBln 1829-1839, S. 56. VerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 64. Ebd. VerwBBln 1841-1850, S. 25.

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Polizei verwaltung auf Kosten der Stadt ausgeführt werden mußten. Die Leistungen für die Justizverwaltung waren an das Bevölkerungswachstum gebunden, folglich auch an das zunehmende Steueraufkommen und mithin haushaltspolitisch kalkulierbar. Dieser "relativ befriedigende Zustand,,237 hielt aber nur bis zum Ende des Jahrzehnts an. Das im März 1850 erlassene Polizeiverwaltungsgesetz brachte den Städten mit einer staatlichen Ortspolizeiverwaltung wie überhaupt sämtlichen Gemeinden erhebliche neue Belastungen. Im Frühjahr 1839 erreichten die Auseinandersetzungen der Kommunalkörperschaften über die weitere Zentralisation der städtischen Finanz- und Kassenorganisation einen neuen Höhepunkt, der gegen Jahresende mit der maßgeblich von Benda verhinderten Wiederwahl des Stadtkämmerers Falckenberg 238 und dem Einflußverlust Bendas in der Stadtverordnetenkommission endete. 239 Am 16. Dezember nahm die Gemeindevertretung die von der Kommission ausgearbeiteten Vorschläge zur Organisation der städtischen Haushaltsführung und des Kassenwesens an. Sie sollten die Grundlage der künftigen Reform bilden. Als maßgebliche Grundsätze für die weitere Umgestaltung des Kassen- und Rechnungswesens verlangten die Stadtverordneten einerseits, einen einzigen Hauptetat für den gesamten Stadthaushalt aufzustellen, der zudem die Grundlage der Kassen- und Buchführung bilden und sämtliche Bruttoeinnahmen und -ausgaben nach den Sätzen der Spezialetats enthalten sollte. Aus der Etatordnung folgte zwangsläufig, daß andererseits nur eine kommunale Hauptkasse einzurichten war. Darüber hinaus forderte die Gemeindevertretung, für die Gehälter und Pensionen einen speziellen Etat zu konstituieren, der, mit Ausnahme der Lehrerpensionen, sämtliche anfallenden An- und Auszahlungen anwies. 24o Der Magistrat hatte sich zwar im August zu einer erneuten Prüfung des kommunalen Kassen- und Rechnungswesens bereit erklärt und hatte der Konstituierung einer gemischten Deputation unter gewissen Vorbehalten zugestimmt, er zeigte sich aber dennoch durch die umfassenden Vorschläge der Stadtverordneten überrascht. Mit dem Hinweis auf die in der Städteordnung ausgesprochene Kompetenzregelung 241 versuchte die kommunale ExeVerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 65. Fa1ckenberg, der nach drei Amtsperioden im 68. Lebensjahr stand, wurde 1840 durch den neuen Kämmerer B. Ulrici abgelöst. 239 Formell hatte der Stadtverordnete Johann F.W. Güßfeldt in der Stadtverordnetenkommission den Vorsitz. Nachdem Benda nicht länger Wortführer der Stadtverordnetenopposition in der Finanz- und Kassenorganisationsfrage war, übernahm der erst 1839 ins Stadtverordnetenamt gewählte Rechnungsrat Ernst Christian Philipp Ebert die materielle Leitung der Beratungen. Latendorf, Kassenorganisation, S. 108 f. Zu den Wahlperioden der genannten Stadtverordneten Pahlmann, Anfänge, S. 257, 263 u. 269. 240 Latendorf, Kassenorganisation, S. 110. 237

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kutive 1840, gemeinschaftliche Verhandlungen der Kommunalkörperschaften zu verhindern. Daneben weigerte sich der Magistrat, eine ständige Rechnungsdeputation zu begründen, die nach den Willen der Gemeindevertretung künftig mit der Vorprüfung der Etats und Rechnungen beauftragt werden sollte. Erst im folgenden Jahr gab der Magistrat dem beharrlichen Drängen der Gemeinderepräsentation nach. Die gemischte Deputation nahm ihre Beratungen auf und legte Ende des Jahres einen Plan zur neuen Organisation des städtischen Haushalts- und Kassenwesens vor. Der Plan folgte im wesentlichen den Vorstellungen der Stadtverordneten, lediglich von der Einrichtung einer Hauptbuchhalterei war abgesehen worden. Mit Beginn des Jahres 1843 war das Prinzip der fiskalischen Kasseneinheit durchgeführt, zugleich wurde eine organisatorische Trennung zwischen jenen Kassen, die Kommunalvermögen verwalteten, und jenen, deren Verwaltungsobjekt nicht einen Teil des Kommunalvermögens bildete, vorgenommen. Das betraf vor allem die Stiftungskapitalien, die nunmehr einer zentralen Stiftungskasse zugeführt wurden. Die unter kommunaler Garantie stehenden Kassen wie die Spar- und Feuersozietätskasse behielten, da sie den Stadthaushalt nicht tangierten, ihre Selbständigkeit. Die Gemeindeadministration verfügte weiterhin über eine Reihe von Spezialkassen, diese fungierten unterdessen nur noch als Teil der neuen Stadthauptkasse. Vierteljährlich mußten die Spezialkassen ihre Verwaltungsresultate durch entsprechende Abschlüsse an die Stadthauptkasse mitteilen. Daneben hatte man die Zentralisation der Kassen weiter fortgeführt, indem eine Reihe von Kasseneinrichtungen aufgelöst wurden. 242 Im Dezember 1843 setzte die Gemeindevertretung durch, die eine besondere Last des Kommunalhaushalts ausmachenden Pensionen von den Spezialetats abzusetzen und unter einem einzigen Titel im Hauptetat zusammenzufassen. Nachdem die Stadtverordneten darauf hingewiesen hatten, 241 Nach § 178, Lit. f, Tit. 8, StO 1808 (GS 1806--1810, S. 348) gehörte in dieser Hinsicht nur die Kontrolle der öffentlichen Kassen, die Einforderung und Prüfung der Etats, das Rechnungswesen und die Bestimmung der zu den städtischen Bedürfnissen erforderlichen Bürgerschaftsbeiträge zu den allein zu betreibenden Geschäften des Magistrats. 242 Latendorf, Kassenorganisation, S. 113 f. Bei Wetzei, Heinrich Wilhelm Krausnick und die Berliner Kommunalpolitik 1834 bis 1862, in: " ... taub für die Stimme der Zeit. Zwischen Königstreue und Bürgerinteressen: Berlins Oberbürgermeister H.W. Krausnick von 1834 bis 1862 (= Ausstellungskataloge des Landesarehivs Berlin, Bd. 4), Berlin 1985, S. 24, wird die Reform des Kassen- und Rechnungswesens als Ergebnis der ersten Initiativen des 1834 in das Oberbürgermeisteramt gewählten Heinrich Wilhelm Krausnick und des Magistrats dargestellt, was der tatsächlichen Entwicklung nicht entspricht. Krausnick war gewiß eher als sein Vorgänger von Bärensprung geneigt, den Ausgleich mit den Stadtverordneten zu suchen, die treibende Kraft bei der Reorganisation des Haushalts- und Kassenwesens stellte jedoch die Gemeindevertretung dar.

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daß sie nach dem geltenden Kommunalrecht verpflichtet wären, auf die Nachteile einer vom Magistrat getroffenen Regelung aufmerksam zu machen,243 sah der Magistrat von der Konkurrenz seiner Zuständigkeit ab und stimmte der Aufspaltung der Personal- und Pensionsetats zu. Die von den Stadtverordneten durchgesetzte Rechnungsdeputation, welche zukünftig die Revision der Jahresrechnungen vornahm, ehe sie der Gemeindevertretung zur Genehmigung vorgelegt wurden, arbeitete bis in das Jahr 1851 hinein als gemischte Deputation. Anschließend fungierte sie nur noch als Einrichtung der Stadtverordneten-Versammlung. Erst 1875 trat an ihre Stelle der Ausschuß für Rechnungssachen. 244 Der erste, von den Stadtverordneten im Mai 1843 genehmigte Etat der Stadthauptkasse umfaßte zwölf Titel, die in Einnahme und Ausgabe korrespondierten und folglich den Haushalt der einzelnen Verwaltungszweige genau darstellten. Nach dem rechnungsmäßigen Ergebnis des ersten Etatjahres betrugen die Einnahmen rund 1469000 Reichstaler, die Ausgaben dagegen 1376000 Taler. Das neue Rechnungsjahr konnte dementsprechend mit einem Überschuß von etwa 93000 Reichstalern beginnen. Die Haupteinkünfte der Stadt wurden durch Steuern aufgebracht, die über 900000 Reichstaler ausmachten. Erst mit weitem Abstand folgte an zweiter Stelle die Einnahmen der Arrnenverwaltung mit über 150000 Talern?45 Die Ausgaben der Stadt wurden durch das Armenwesen dominiert, zu dessen Unterhaltung mußten 1843 über 400000 Reichstaler aufgebracht werden. Weniger als die Hälfte dieser Summe entfiel auf die städtischen Schulden, an dritter Stelle folgten die Ausgaben für die Schul- und Arrnenschulverwaltung mit 162000 Reichstalern. Für die Servis- und Militärangelegenheiten sowie die Polizei- und Gerichtsverwaltung mußten 159000 bzw. 132000 Taler verausgabt werden, wobei die Aufwendungen für das Polizei- und Gerichtswesen, daran sei nochmals erinnert, bis auf die Kosten der von der Stadt besorgten Beleuchtung der Vorstädte, in kommunalen Zahlungen an den Staat bestanden. Wenn nach Abschluß der Reorganisation des kommunalen Haushaltswesens die städtischen Kassen eine organische Einheit bildeten und die Übersichtlichkeit des Kommunaletats garantiert war, so realisierte sich damit nicht nur eine zweckmäßige Modernisierung eines zentralen Bereichs der Stadtverwaltung, sondern damit wurde überhaupt erst die "verfassungsmäßige Finanzwirtschaft,,246 hergestellt. Der Motor dieses Prozesses war nicht die kommunale Bürokratie, die in der stadthistoriographischen Forschung Siehe § 183, Lit. a, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1810, S. 351. VerwBBln 1861-1876, T. 3, S. 224. 245 Die Zusammenstellung der Finanzabschlüsse des Stadthaushalts in: VerwBBln 1841-1850, S. 93-161. 246 Latendorf, Kassenorganisation, S. 114. 243

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häufig als Kompetenz- und Stabilitätsfaktor in der Umbruchszeit preußischer Kommunalorganisation dargestellt wird. Ihre, gelegentlich bis zur Obstruktion reichende Zurückhaltung bei der inneren Ausgestaltung der Städtereform wurde ebenso durch Zuständigkeitsansprüche wie Machtbewußtsein angetrieben. Sie behinderte, ob gewollt oder ungewollt, die Konstituierung der Gemeinderepräsentation als beschließendes und kontrollierendes Organ der Kommunaladministration. Der tatsächliche Zustand der Berliner Verwaltungsverhältnisse ließ es lange Zeit nicht zu, daß die Bürgerschaft bzw. ihre Vertretung eine ihrer wesentlichsten im Kommunalrecht festgelegten Funktionen in effizienter Weise wahrnehmen konnte. In der Zeit größter finanzieller Bedrängnis mochte das noch hingenommen werden, weil die Sicherheit der Kommunalfinanzen überhaupt im Vordergrund des administrativen Handeins stand. Spätestens Ende der zwanziger Jahre war das administrative Mißmanagement, besonders vor dem Hintergrund wachsender kommunaler Aufgaben, nicht länger hinnehmbar. Die Gemeindevertretung drängte nun auf eine rasche Ordnung des städtischen Haushaltswesens, um einerseits ihre kommunalrechtlich eröffnete Stellung in der konkreten Verwaltungspraxis der Gemeinde einzunehmen, und um andererseits durch die Ausübung ihrer Funktionen nachhaltigen Einfluß auf die Stadtentwicklungspolitik nehmen zu können. Zu dieser Einflußnahme war die Gemeindevertretung schon durch ihre Verpflichtung aufgefordert, für das Aufbringen der Kommunalbedürfnisse zu sorgen, denn die Leistungen der Bürgerschaft waren nicht von interessenspezifischen Erwartungshaltungen gegenüber den Zielsetzungen der Gemeindepolitik zu trennen. Gewiß waren die Bemühungen der Stadtverordneten durch Gruppenegoismen geprägt. Die Widerstände gegen die direkte Besteuerung, vor allem die Einführung der Einkommensteuer, und gegen die Gewerbefreiheit legen davon beredt Zeugnis ab. Doch die sich über ein Jahrzehnt hinziehenden Auseinandersetzungen über die Reform des zu dieser Zeit wesentlichsten Teils der Kommunalverwaltung waren nicht durch steuerpolitische Motive begründet. Im bewußten Willen zur Wahrung und effizienten Ausübung elementarer Kontroll- und Beschlußrechte manifestierte sich ein Moment kommunaler Partizipation, das von einem neuen, durchaus politischen Selbstbewußtsein der Bürgerschaft kündete. Die materiellen Inhalte der Reorganisation, ihre Umsetzung wie ihre Auswirkungen auf die Wahrnehmung partizipativer Rechte war allerdings nicht ausschließlich Ergebnis kommunaler Anstrengung. Es bedurfte intensiver Eingriffe des Staats, um den Weg innerstädtischer Reform zu beschreiten. Es handelte sich dabei nicht um einen Einzelfall, wie schon aus der Vielzahl der Verfügungen zu allen Bereichen der Kommunaladministration deutlich wird, vielmehr, wie auf eine Frage von Karl Heinrich Kaufhold zu ant25 Grzywatz

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worten ist,247 um eine konstitutiv im Kommunalrecht angelegte aufsichtsrechtliche Regulierungstätigkeit. Im Laufe des 19. Jahrhunderts sollte sie sich, ungeachtet der Zeiten politischer Repression gegen den Kommunalliberalismus, sowohl bei der Entscheidung von Kompetenzkonflikten, als auch bei der Abwägung öffentlicher und "privater" Interessen ebenso modernisierend wie ausgleichend bemerkbar machen. Nach den hier dargelegten Problemen beim Aufbau einer der Kommunalreform von 1808 angepaßten Verwaltungsorganisation, welche mithin in ihrer Struktur der "verfassungsmäßigen Ordnung" des Städterechts entsprach, kann wohl davon ausgegangen werden, daß die vor allem in der älteren stadtgeschichtlichen Forschung anzutreffende These von der Inkompetenz der Gemeindevertreter und Bürgerdeputierten248 für eine Stadt von der Größe Berlins, aber sicherlich auch für andere Großstädte, nicht zutraf. 249 Wenn seitens des Berliner Magistrats wiederholt festgestellt wurde, es fehle an kompetenten Kommissionsvorstehern, 250 so war dies nicht ein Ausdruck Vgl. die Einführung von K.H. Kaufbold zu Investionen, S. XXIII. Die Ergebnisse der älteren Forschung faßt Ibbeken, Preußen, S. 281 ff., zusammen. Seine hieraus folgenden Zweifel an der katalytischen Wirkung der Kommunalreform im Hinblick auf die bewußte Partizipation des Bürgertums bzw. der Entwicklung administrativer Kompetenz sind nicht zuletzt deshalb in Frage zu stellen, weil er weder von einer quellenkritischen Bestandsaufnahme der älteren Forschungsergebnisse noch von einer analytischen Aufschlüsselung ihrer Fragestellungen ausgeht. In der neueren rechts- und stadtgeschichtlichen Forschung hat insbesondere Heffter das Vorurteil von dem "jeder Selbsttätigkeit entwöhnten Bürgertum" geprägt. Selbstverwaltung, S. 96. Eine unkritische Wiederholung noch neuerdings bei Pahlmann, Anfänge, S. 46. Neuere Forschungsansätze, welche die Kommunalreform wie bei Gall in den Zusammenhang einer längeren Periode gesellschaftlichen Umbruchs stellen, nimmt Pahlmann nicht zur Kenntnis. Vorsichtiger urteilt von Unruh, Veränderungen, S. 461, indem er unverbindlich "mancherlei Mißverständnisse und Schwierigkeiten" ausmacht, welche die Revision des Kommunalrechts veranlassen. Auch Mieck, Städtereform, S. 71 ff., stützt sich vor allem auf die ältere bürokratieorientierte Literatur und unterliegt damit der Tendenz einerseits von den Einführungsschwierigkeiten auf den politischen Zustand des Stadtbürgertums zu schließen und das politische Bewußtwerden des Bürgertums weit in den Vormärz hinein zu verlegen, andererseits wird das Problem, die von der Kommunalreform ausgelöste Notwendigkeit innerstädtischer Reform überhaupt nicht in den Blick genommen. 249 Auch die bei Koselleck, Preußen, S. 568 f., angeführten Beispiele ungeordneter Stadtverwaltungen in kleinen Agrarstädten oder überhaupt in Kleinstädten, wo teilweise des Lesens und Schreibens Unkundige zu Stadtverordneten gewählt wurden, reichen zu einer gesicherten Beurteilung der Umsetzung und Wirkung der preußischen Städteordnung nicht aus. Koselleck bezieht sich im übrigen nur auf die Ergebnisse von Ziekursch und einen Bericht des Regierungsrats Benda über die Wirkung der Kommunalreform im Regierungsbezirk Oppeln von 1823. 250 Kochhann, Zeitbilder aus den Jahren 1830-40 mit Rückblicken auf die vorangegangenen Jahrzehnte. Aus den Tagebüchern, Bd. 2, Berlin 1906, S. 11. Zur Berufsstruktur der Mitglieder der Armenkommissionen in der Luisenstadt siehe 247 248

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beobachteter bürgerschaftlicher Unbeholfenheit oder mangelnden Partizipationswillens, der aus der weiterhin lebendigen Vorstellung eines patriarchalischen Stadtregiments resultierte,251 sondern ein kritischer Vorbehalt gegen die Beschränktheit des Kommunalrechts bzw. der von ihm eröffneten spezifischen Teilhabechancen. Der Berliner Magistrat hatte frühzeitig auf die nachteiligen Folgen, die sich durch die mangelhafte Einbindung der bürgerlichen Intelligenz in die Kommunalverwaltung ergaben, aufmerksam gemacht. Sein Bemühen um eine Revision des Bürgerrechts ging dabei in Einklang mit den Stadtverordneten gleichfalls in diese Richtung. Departementsrat Haeckel begriff die Verpflichtung der Schutzverwandten zum Bürgerrecht und ihre stärkere Teilnahme an den Gemeindewahlen als notwendige Voraussetzung einer Effektivierung und qualitativen Verbesserung der städtischen Administration. Nach einer statistischen Aufstellung vom April 1830 lebten 4051 Zivilbeamte und 831 Rentiers in der Landeshauptstadt, von denen nur 319 Staatsbeamte mit Grundstücksbesitz waren, das hieß den Status des Bürgers innehatten. Das Bedürfnis, diese bürgerliche Elite in ihrer Gesamtheit an der Verwaltung teilnehmen zu lassen, war nach dem Bericht Haeckels so groß, "daß man ausnahmsweise und gegen die Bestimmungen der Städteordnung auch diesen Nicht-Bürgern Bürgerämter übertragen hat(te)".252 Es konnte Scarpa, Gemeinwohl, S. 358. Die Aussagekraft des bei Scarpa entwickelten Soziogramms leidet allerdings unter einem groben Schichtungsraster, das nur nach Händlern, Handwerkern, Hausbesitzern, Industriellen, Kaufleuten und Beamten differenziert. 251 So Kutzsch, Verwaltung, S. 27. Das Urteil von Kutzsch, die Stadtverordneten hätten auf Grund ihrer "Unkenntnis vieler Materien" und ihrer "Unerfahrenheit in Verwaltungsdingen" ein "Bedürfnis nach Anlehnung" entwickelt, entbehrt jeden empirischen Nachweises. Die von Kutzsch hervorgehobene Kompetenz der Kommunalbürokratie, insbesondere der professionellen Magistratsmitglieder wird durch die dargelegte Entwicklung des Berliner Haushaltswesens mehr als in Frage gestellt. Ähnlich wie Kutzsch auch Andreas Kaiser, Im Spannungsfeld zwischen städtischer Selbstverwaltung und staatlichem Zugriff. Die Stadt Berlin in den ersten Jahren ihrer Selbstverwaltung, in: Paris und Berlin in der Restaurationszeit (1815-1830). Soziokulturelle und ökonomische Strukturen im Vergleich, hrsg. von l. Mieck, Sigmaringen 1996, S. 71. Kaisers Einschätzung ist im übrigen kaum Ernst zu nehmen, da er das angeblich fehlende Engagement der Stadtverordneten in den Zusammenhang von nachlassender Teilnahme der Gemeinderepräsentanten an den Sitzungen der Kommunalvertretung und der "allgemeinen Schwächung der demokratischen Bewegung nach 1815", dem geistig-politischen Klima der Restaurationszeit sowie den im Kommunalrecht angelegten Erschwernissen "städtisch-parlamentarischen Lebens" stellt, ohne daß eine Vermittlung dieser Problemkreise mit den konkreten Inhalten und Fragen der Kommunalpolitik und -verwaltung hergestellt wird. Vor dem Hintergrund der kommunalen Verwaltungspraxis wäre zum Beispiel nach den Inhalten und der Funktion der staatlichen Aufsicht zu fragen und ihre Entwicklung zu beurteilen. Von welcher "demokratischen Bewegung" bei Kaiser die Rede ist, bleibt zudem völlig offen. Im Berliner Stadtbürgertum wird man sie jedenfalls vergeblich suchen. 25*

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

somit davon ausgegangen werden, daß zumindest Teile der Regierungsbürokratie die praktische, wenn auch nicht rechtlich wirksame Einschränkung der Mitwirkungsmöglichkeiten durch den einseitigen Pflichtcharakter des korporativen Bürgerrechts als ein, bisweilen bedeutendes, Hindernis für die Stadtentwicklung ansahen.

5. Überblick zum Aufbau der städtischen Verwaltungsorganisation Wenn der Aufbau der kommunalen Verwaltungsorganisation näher in den Blick genommen wird, ist festzuhalten, daß sich schon gegen Ende des ersten Jahrzehnts nach Einführung der Städteordnung eine differenzierte Kommunaladministration konstituiert hatte, die ganz wesentlich durch die Mitwirkung des Stadtbürgertums getragen wurde. Neben der Verwaltung der Kämmerei und der Schuldentilgungskasse sowie der Administration der Armen-, Schul- und Vorspannangelegenheiten waren fünf Deputationen und eine Kommission eingerichtet worden. Ihre Aufgaben erstreckten sich auf die Erhebung der Gewerbesteuer, die Invalidenunterstützung sowie die Bearbeitung der Forst- und Ökonomie-, Servis- und Einquartierungs-, der Stadtvogtei- und Militärgeschäfte?S3 Der vom Städtedepartementsrat Haeckel im Mai 1834 vorgelegte Bericht zur Geschäftsrevision der Berliner Kommunaiverwaitung 2S4 registrierte neben einer Kommission bereits elf Deputationen und zwei gesonderte Hauptkassenadministrationen: die Stadtkasse und die Kämmerei, über deren zentralisierende Funktion berichtet wurde. Unter den Deputationen wies die Armendirektion den umfangreichsten Personalbestand auf. Von ihren inzwischen 36 Mitgliedern gehörten unter Einschluß des Bürgermeisters zehn dem Magistrat und neun der Gemeinderepräsentation an. Neben zwei Armenkommissionsvorstehern und einem Mitglied des Polizeipräsidiums waren vierzehn Bürgerdeputierte in das Kollegium aufgenommen worden?SS Die Verwaltung der Armenkasse fiel ausschließlich in die Kompetenz der Direktion. Nach der Armen- bildete die Servisdeputation die umfangreichste Spezial verwaltung, die sich aus 22 Mitgliedern zusammensetzte. Außer dem Magistratsdirigenten, dem Stadtsyndikus und einem besoldeten Stadtrat 252 BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 15. Dort auch die Zahlenangaben zu den Rentiers und Beamten sowie deren Rechtsstatus auf Grund vorhandenen Grundstücksbesitzes. Zum Verhältnis von Bürgerrecht und Schutzverwandten im Kommunalrecht vgl. oben Kap. 2, Unterabschnitt 6. 253 Die Stadtverordneten, 1822, S. 6 f. 254 Bericht Haeckels an das Innenministerium, 15. Mai 1834. GStAPK, Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 20, Bd. 1, BI. 122 ff. Ebenfals in BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 7 ff. Einzelne Anlagen zum Bericht auch in Nr. 3185. 255 GStAPK, Rep. 77, Tit. 227 A, Nr. 20, Bd. 1, BI. 196 f.

5. Aufbau der städtischen Verwaltungsorganisation

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bestand die Deputation vornehmlich aus ehrenamtlichen Mitgliedern, teilweise Stadtverordneten, in der Mehrzahl jedoch Bürgerdeputierten. Die Arbeit der Deputation wurde durch etwa 30 Servisverordnete unterstützt, die unmittelbar für die Unterbringung der Truppen und die Regelung von Beschwerden zuständig waren. Zu den administrativen Hauptaufgaben der Servisdeputation gehörte die Erhebung der direkten Kommunalsteuern. Aus diesem Grund war ihr auch die Verwaltung der Haus- und Mietsteuerkasse übergeben worden. 256 Von den älteren Einrichtungen bestand die Invalidenunterstützungskommission, die Stadtvogtei, Vorspann- und Gewerbesteuerdeputation fort. Während letztere mit dem Einzug der Gewerbesteuern beauftragt war, hatten die Kommunalkörperschaften die Ökonomiedeputation zur Entlastung des Magistrats begründet, sowohl hinsichtlich der Verwaltung der Kämmereidörfer und der Aufsicht über die Stadtforsten als auch in Beziehung auf die Wahrnehmung der gutsobrigkeitliche Rechte der Stadt in den Kämmereidörfern. 257 In enger Verbindung zur Ökonomiedeputation stand die später eingerichtete Baudeputation, die zunächst nur die kommunalen Grundstücke und Gebäude verwaltete, zu deren Unterhaltung die Gemeinde vollständig oder teilweise die Mittel aufbrachte. Darüber hinaus war die Baudeputation für die Bauten in den Kämmereidörfern verantwortlich, sie wirkte bei Feuersozietätsangelegenheiten mit und wurde daneben mit der Verwaltung solcher Grundstücke beauftragt, die mit den Patronatsrechten des Magistrats in Verbindung standen. 258 Weitere nach 1828 eingerichtete Deputationen beschäftigten sich nunmehr mit den Gewerks-, Feuersozietäts-, Gesindebelohnungs- und Unterstützungssachen, der Hundesteuer und der Trottoireinrichtung. Für die Verwaltung der Ratswaage hatte man ein selbständiges Kuratorium eingesetzt, während die schon 1818 gegründete Sparkasse eine besondere Administration erhielt. 259 Die zwischenzeitlich gebildete Schuldeputation setzte sich unter dem Vorsitz des 1826 berufenen Stadtschulrats aus acht Magistratsmitgliedern, drei Superintendenten, acht Stadtverordneten und sechs Deputierten der Bürgerschaft zusammen. 260 Erst 1834 hatte der Magistrat die Gewerbedepu256 A. a. 0., BI. 148 ff. Zur Vorgeschichte der Servisdeputation vgl. Schrader, Verwaltung Berlins, T. 2, S. 18 ff. 25? Die Stadtverordneten, 1819, S. 18 ff.; 1822, S. 101 ff. Bei Schrader, Verwaltung Berlins, T. 2, S. 179, wird das Konstituierungsdatum der Ökonomiedeputation fälschlicherweise in das Jahr 1833 verlegt. Zur Entwicklung der städtischen Grundbesitzentwicklung vgl. Escher, Berlin, S. 40 ff., 57 ff., 87 ff., 157 ff. u. 178 ff. 258 VerwBBln 1829-1839, S. XIX ff. u. 61 f. 259 A. a. 0., S. XL ff. 260 Keuig, Berlin, S. 369. Dietrich, Von der Residenzstadt zur Weltstadt. Berlin vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgrundung, in: Das Hauptstadtproblem in der deutschen Geschichte. Festgabe zum 90. Geburtstag von Friedrich

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

tation ins Leben gerufen. Sie entlastete die kommunale Exekutive VOn der Bearbeitung der Gewerks- und Bürgerrechtssachen?61 Bis zum Vorabend der Märzrevolution erfuhr die städtische Verwaltungsorganisation nochmals eine Erweiterung. 1847 gliederte sich die Kommunaladministration in zwei Kommissionen und acht Deputationen, Unter denen die Deputation für das städtischen Erleuchtungswesen hervorgehoben werden muß. Neun Kuratorien leiteten verschiedene Stiftungs- und Unterstützungseinrichtungen, drei weitere Kuratorien beaufsichtigten die Anstalten der geschlossenen Arrnenpflege, während für die städtischen Kassen und die städtische Waage insgesamt fünf Kuratorien zuständig waren. 262 An sämtlichen Einrichtungen hatten weiterhin sowohl die Gemeinderepräsentanten als auch Bürgerdeputierte regen Anteil. Der Magistrat, dem 1834 vierzehn besoldete und fünfzehn unbesoldete Mitglieder angehörten - bis 1847 trat noch ein weiterer unbesoldeter Stadtrat hinzu -, konnte im Vormärz sowohl mit einer konstruktiven Mitarbeit der Kommunalvertretung rechnen als auch VOn einer umfangreichen Teilnahme des Stadtbürgertums ausgehen. Nur auf diesem Wege war es letztlich möglich, eine dem städtischen Gegebenheiten angepaßte Administration aufzubauen, deren Geschäftsgang, das bestätigte auch der Revisor der Bezirksregierung, nicht nur in formeller Hinsicht "gut geordnet" und als solcher nicht fehlerhaft gewesen war. 263 Zuständigkeitskonflikte zwischen den Kommunalkörperschaften, auf die noch zurückzukommen sein wird, waren weniger durch Inkompetenz und Eigensinn der Stadtverordneten und Bürgerdeputierten als durch die Kommunalgesetzgebung selbst veranlaßt. Es gehörte daher zu den Aufgaben des Gesetzgebers, notfalls durch eine Novellierung des Städterechts für geordnete Zuständigkeiten und ein effizientes Verhältnis zwischen den exekutiven und kontrollierenden Funktionen in der Gemeinde zu sorgen. Für die Entwicklung der hauptstädtischen Verwaltung war es auch im Hinblick auf die allgemeine Förderung administrativer Kompetenz von Bedeutung, daß der Kommunalhaushalt Unter den sozialen Wirkungen der Steuer- und Gewerbegesetzgebung ständig überfordert war und, ungeachtet der hohen Stadtschulden, mit häufigen Defiziten zu kämpfen hatte. Deshalb Meinecke (= Jahrbuch für die Geschichte des deutschen Ostens, Bd. 1), Tübingen 1952, S. 117. 261 GStAPK, Rep. 77, Tit. 227 A, Nr. 20, Bd. 1, BI. 133 ff. 262 Adreß-Kalender 1847, S. 305-341. 263 Bericht Haeckel, 15. Mai 1834. BLHA, Br.Pr. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 9. Auch dieses Gesamturteil dürfte die oben erwähnte Einschätzung Haeckels über die fachliche Kompetenz der Gemeindevertreter relativieren. Den hauptsächlichen Kritikpunkt notwendiger materieller Verbesserungen der Verwaltungsorganisation bildete die Armenverwaltung.

5. Aufbau der städtischen Verwaltungsorganisation

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hoffte eine größere Stadt wie Berlin, die mit dem anhaltenden Druck einer starken Bevölkerungsbewegung konfrontiert war, bis in die vierziger Jahre hinein auf gesetzliche Initiativen des Staates, welche zu einer spürbaren Entlastung des Kommunalhaushalts führten. Die Reformperspektive einer erfolgreichen Gemeinsinnbildung kann nicht mit dem Hinweis auf gelegentliche Klagen über mangelnde Teilnahme an den Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung 264 oder wiederholte Schwierigkeiten, Kandidaten für einzelne Bürgerämter zu finden, bewiesen werden?65 Bürgersinn konkretisiert sich vielmehr, unabhängig von den alltäglichen Behinderungen des Geschäftsbetriebs, im gesetzlichen Ziel einer funktionalen Kommunalverwaltung unter bürgerschaftlicher Mitwirkung. Dieser Aufgabe war das Berliner Stadtbürgertum, wie die vom Innenministerium angeordnete Revision bestätigte, überraschend schnell nachgekommen. Dabei konnte dieses Verdienst nicht allein dem kommunalen Berufsbeamtenturn zugeschrieben werden. Eine Trennung zwischen Magistratsverwaltung und Ehrenamt oder eine Dominanz professionalisierter Gemeindeadministration, wie sie sich im Kaiserreich durchsetzte, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch nicht zu beobachten. Während dieser Zeit blieb die bürgerschaftliche Mitwirkung in Deputationen und Kommissionen sowie bei der Besetzung der dezentralisierten Organe von fundamentaler Bedeutung für die Kommunalverwaltung. Im übrigen behielt die bürgerschaftliche Partizipation, die konkrete Mitwirkung des Stadtbürgertums am administrativen Geschehen, auch noch im späteren 19. Jahrhundert konstitutive Bedeutung für die Gemeindeverwaltung. Zu einer allgemeineren Beurteilung des Verhältnisses von administrativer Struktur und Kompetenz bedürfte es indessen weiterer detaillierter verwaltungssoziologischer und -geschichtlicher Untersuchungen, die im Bereich 264 Vg1. beispielsweise den Bericht des Stadtverordneten-Vorstehers Humbert vom 14. Mai 1816, in dem moniert wird, daß 19 Stadtverordnete "durch ihr seltenes Erscheinen" bei den Sitzungen der Gemeindevertretung wenig Gemeinsinn an den Tag gelegt hätten. LAB, StA Rep. 00-02/l, Nr. 3, BI. 77. Näheres dazu in Kap. 5, Unterabschnitt 1. 265 So insbesondere Clauswitz, Städteordnung, S. 142 und im Anschluß an ihn Kettig, Berlin, S. 370 f. u. Dietrich, Verfassung, S. 222. Vg1. auch Kutzsch, Verwaltung, S. 27. Das Urteil von Clauswitz ist sicherlich nur vor dem Hintergrund der Erfolge der kommunalen Leistungsverwaltung im Kaiserreich wie einer vornehmlich "staatlichen Perspektive" des Reformprozesses zu verstehen. Im übrigen ist der Berliner Stadtarchivar recht großzügig im Umgang mit den Quellen, denn allgemeine Urteile wie die von ihm festgestellte geringe Neigung zur Teilnahme an der Selbstverwaltung bedürften einer inhaltlichen wie zeitlichen Präzisierung. Auch Kettigs Urteil, Gemeinsinn, S. 14, einer nur geringen Teilnahme der Stadtverordneten am politischen Leben "in den ersten Jahrzehnten" des Bestehens der Städteordnung beruht eher auf einem tradierten Vorurteil als auf den Ergebnissen historisch-politischer Analytik.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

der Kommunalgeschichte, zumindest für die Periode des frühen 19. Jahrhunderts, vor allem in komparativer Hinsicht noch weitgehend fehlen. Die Kommunalreform, soviel ist jedenfalls gewiß, ging davon aus, Verwaltungseffizienz auch durch das Fruchtbarmachen bürgerschaftlicher Kenntnisse zu schaffen. 266 Sie waren mithin Bestandteil eines partizipativen Modells, das auf die billigere und bessere Produktion öffentlicher Güter abzielte. Der mit den Verhältnissen einer Großstadt vertraute Polizeidirektor Frey setzte bei der Kommunalreform als Selbstverständlichkeit voraus, daß durch die Bürgerschaftswahlen "Verfassungs- und Rechtskundige" in die Kommunalrepräsentationen einzogen. Er hielt es aus diesem Grund für nicht erforderlich, den Repräsentanten zur Beratung Syndizi und Konsulenten beizuordnen?67 Altenstein bemerkte gar, daß man wegen der Qualifikation der Repräsentanten nicht zu ängstlich sein dürfte. War die Verwaltung der Kommunitätssachen erst einmal in Gang gesetzt, so würden sich die erforderlichen Kenntnisse "immer mehr verbreiten" und das Interesse der Wählenden schon selbst dafür sorgen, daß genügend qualifizierte Repräsentanten gewählt wurden?68 Natürlich handelte es sich bei diesen Einschätzungen um Projektionen, die in Erwartung einer Verallgemeinerung von administrativen Kenntnissen sicherlich unrealistisch waren, aber hinsichtlich des Wahlverhaltens, d.h. der Wahl geeigneter Persönlichkeiten, enthielten sie eine zutreffende Prognose. Ein Indiz dafür, daß das bürgerschaftliehe Ehrenamt unter normalen Umständen kompetenzbildend wirkte, dürfte, wie das Beispiel der Stadtverordnetenmandate noch zeigen wird, auch im Umstand der, wenngleich vom Gesetzgeber nicht geplanten, längeren Amtsperioden in einzelnen Bürgerämtern zu finden sein. Während der öffentlichen Debatte über die Revision der Städteordnung war von mehreren Seiten die Effektivierung der Kommunalverwaltungen durch die bürgerschaftliehe Teilnahme bestätigt worden?69 Es fehlte nicht an Hinweisen, daß die Regierungen der Vorreformzeit, wie insbesondere Streckfuß anmerkte, die Kommunalhaushalte nicht geordnet administriert hatten. Erst den stadtbürgerlichen Verwaltungen gelang es, die Gemeindefinanzen zu regulieren sowie die Etats und den Schuldendienst zu ordnen. 27o 266 Vgl. Stein, Denkschrift über die zweckmäßige Bildung der obersten und der Provinzial- Finanz- und Polizei-Behörden, Juni 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 197. 267 Frey, Vorschläge zur Organisierung der Munizipalverfassung, in: Scheel! Schmidt, Reformministerium, Bd. 2, S. 666. 268 Altenstein, Denkschrift über die Leitung des preußischen Staates, 11. September 1807, in: Winter, Reorganisation, S. 405. 269 Streckfuß, Große oder kleine Städte, S. 6 ff. Horn, Sendschreiben, S. 28. Wiese, Städteordnung, S. 23. 270 Streckfuß, Städteordnungen, S. 19; Städte, S. 13 f.

6. Staatsaufsicht

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Solche Urteile sahen über viele Schwierigkeiten hinweg, doch bei aller Voreingenommenheit für das stadtbürgerliche Regiment wurden sie den Leistungen der Städte verwaltung durchaus gerecht. Schließlich nahm die Staatsbürokratie das Stadtbürgertum als mitgestaltende Kraft ebenso in seiner Kompetenz wie Entwicklungsfähigkeit wahr, was sich nirgendwo deutlicher zeigte, als bei der dargelegten Teilnahme der korporativen Verbindungen an der Gesetzgebung. 6. Staatsaufsicht, kommunale Kompetenzkonflikte und die Novellierung des Städterechts Die Erfahrung häufigerer Konflikte zwischen der Gemeindevertretung und der kommunalen Exekutive, die Schwierigkeiten der Magistratskollegien bei der Handhabung ihrer Aufsichts- und Disziplinarbefugnisse lieferte einen entscheidenden Beweggrund für die Staatsregierung, sowohl im allgemeinen einer Revision der Städteordnung zuzustimmen als auch im einzelnen das Verhältnis von Stadtverordneten und Magistrat neu zu regeln. Vor allem sollte die Stellung der Exekutive gestärkt und gleichzeitig die Aufsichtsbefugnisse des Staates verallgemeinert werden, indem sie generell auf die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Kommunalverwaltung bezogen wurden. Die Aufsichts- und Vermittlungsfunktion des Staates war nicht nur im Hinblick auf "Beschwerden einzelner Bürger oder ganzer Abteilungen über das Gemeinwesen",271 sondern auch bei der notwendigen Regelung von Kompetenzkonflikten eine wichtige Stütze für die praktische Umsetzung des Gemeindeverfassungsrechts. Das Urteil von Hugo Preuß, die Revision der Städteordnung wäre ein "Kompromiß zwischen feudaler und bürokratischer Reaktion", mithin eine "Rückwärtsrevidierung,,272, ist allein seinem in der Tradition Gierkes stehenden Selbstverwaltungsbegriff verpflichtet, der unter Selbstverwaltung "die organisatorische Rechtsform für die Mitwirkung von Organen" bei der Verwaltung versteht, "die von dem obersten Regierungsorgan unabhängig sind".273 271 Grumbkow sieht in diesem Beschwerderecht ein unterstützendes Moment der staatlichen Aufsichtstätigkeit, welche in ihrer Verpflichtung, die von bürgerschaftlicher Seite aufgezeigten Mißstände zur Prüfung und Entscheidung zu bringen, ein "Vorläufer der späteren Verwaltungsgerichtsbarkeit" ist. Kommunalaufsicht, S. 40 f. Zur generellen Funktion der Staatsaufsicht siehe auch oben Kap. 2. 272 Preuß, Entwicklung, S. 315 u. 319. Zur allgemeinen politischen Einordnung des revidierten Kommunalrechts, insbesondere unter Berücksichtigung der Konkurrenz von Bürger- und Gewerberecht vgl. oben Kap. 3. 273 Preuß, Amtsrecht, S. 123. Vgl. auch Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1, Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft, Berlin 1868, S. 744 ff.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

Die verfassungsrechtliche und politische Bewertung des Revisionwerks dominiert, in Ermangelung empirischer Studien über die Verwaltungswirklichkeit in den preußischen Städten des frühen 19. Jahrhunderts, auch die neuere Forschung. 274 Mieck spricht im Anschluß an Clauswitz von einer "Einschränkung der bürgerlichen Rechte",275 Hardtwig verbindet das revidierte Kommunalrecht mit einem Zurückdrängen der "konstitutionellen Züge der Städteordnung" und einer Verstärkung der Elemente staatlicher Kontrolle und Bevormundung. 276 Mit dem Erlaß der Revidierten Städteordnung beginnt nach Hardtwig eine bürokratisch-obrigkeitstaatliche Tendenz", die sich in der Städteordnung von 1853 fortsetzt. Erstaunlich ist, daß sich solche Urteile nicht mit den konkreten Zielsetzungen des Gesetzgebers auseinandersetzen und bei einer summarischen Aufzählung angeblich restaurativer Bestimmungen verbleiben. Was die vielfach in der Literatur wiederholten Schwierigkeiten bei der Ausführung der Städteordnung277 beinhalteten und welche Konsequenzen sie für die konkrete Verwaltungspraxis nach sich ziehen mußten, bleibt weitestgehend der Spekulation überlassen. So werden die veränderten Zensusregelungen unkommentiert neben die Neuerungen der Staatsaufsicht und der innergemeindlichen Kompetenzverhältnisse gestellt. Am Beginn der Einschätzungen steht das oben hinlänglich beschriebene, vom liberalen Verständnis geprägte Bild der Stadt als Ort bürgerlicher Freiheit und ein Begriff kommunalen Verwaltens, der diese als Selbstverwaltung zum Bestandteil der allgemeinen bürgerlich-liberalen Emanzipationsbewegung macht. 278 Die Stadt wird auf diese Weise in einer prinzipiellen Konfliktlinie mit dem Staat gesehen. In der Perspektive des konstruierten Gegensatzes nehmen sich dann selbst kompetenzrechtliche Neuregelungen wie jede Präzisierung der Staatsaufsicht als obrigkeits staatlich motiviert aus. 274 Vgl. Heffter, Selbstverwaltung, S. 214 f. Schieder, Deutscher Bund, S. 20. Engeli/Haus, Quellen, S. 180 f. Anders dagegen Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, S. 177, der die Revidierte Städteordnung unter dem Gesichtspunkt der Sozialbeziehungen und Gewerbeverhältnisse als "Kompromißgesetz" einstuft. Wehler formt unterdessen die nicht bindende Pflicht der Schutzverwandten, das Bürgerrecht zu erwerben, zum Moment des Ausschlusses von der Teilnahme an der Selbstverwaltung, was in dieser verabsolutierten Sichtweise nicht zutrifft. Der eher verwaltungspraktisch orientierte von Unruh schätzt die Revidierte Städteordnung unter Berücksichtigung der funktionalen Mängeln des älteren Kommunalrechts "durchaus als eine Verbesserung des ursprünglichen Gesetzes" ein und bezieht sich dabei im wesentlichen auf die verbesserten Kompetenzregelungen, Veränderungen, S. 419 u. 461. Ebenso schon früher Schön, Organisation, S. 781; ders., Recht, S. 28. Siehe auch BrilI, Studien, S. 67. 275 Mieck, Städtereform, S. 76. 276 Hardtwig, Großstadt, S. 52. 277 Engeli/Haus, Quellen, S. 103. Koselleck, Preußen, S. 568 f. 278 So unter anderem Hardtwig, Großstadt, S. 53 f.

6. Staatsaufsicht

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Nun enthält die Revidierte Städteordnung mit der Erneuerung des Patrimonialrechts über die Verwaltung der Mediatstädte zweifelsohne ein ständisch-restauratives Element - Bornhak deutet diese Bestimmung als die einzig wesentliche Veränderung und zugleich den einzigen Rückschritt gegenüber der Städteordnung von 1808 279 - , die Beziehung der Stadt zum Staat als "organisches Einordnungsverhältnis,,28o wird aber mit der älteren Städteverfassung schon ebenso begründet, wie diese ein weitreichendes Aufsichtsrecht des Staates konstituiert, das ein "notwendige(s), Korrelat zur Selbstverwaltung,,281 darstellt. Selbstverwaltung und Staatsaufsicht sind keine Gegensätze, vielmehr ergänzen sie einander im Interesse der öffentlichen Aufgaben. Die Städteordnung von 1808 hatte sich darauf beschränkt, bei der allgemeinen Normierung des Aufsichtsrechts nur die hauptsächlichsten staatlichen Aufsichtsbefugnisse aufzuzählen, demgegenüber definierte die Revidierte Städteordnung die sich aus dem Wesen und Ziel der Staatsaufsicht ergebenen Aufgaben der Aufsichtsbehörden. Der Begriff der Staatsaufsicht erstreckte sich hiernach auf die Befugnis, "dafür zu sorgen, daß die Verwaltung fortwährend in dem vorgeschriebenen Gange bleibe und angezeigte Störungen beseitigt werden,,?82 Das Preußische Oberverwaltungsgericht schloß sich später dieser Definition der Kommunalaufsicht ausdrücklich an?83 Nicht die Einschränkung der Selbstverwaltung, die obrigkeitliche Reglementierung der Gemeindeorgane war das Ziel der Staatsaufsicht, sondern die Funktionen des Selbstverwaltungskörper im Einklang mit der übrigen Verwaltung im öffentlichen Interesse zu garantieren. Die Revision des Städterechts beinhaltete deshalb nicht eine "Wiederherstellung altstaatlicher Bevormundung",284 sondern die definitive Präzisierung der Staatsaufsicht, die vor dem Hintergrund kommunaler Verwaltungsprobleme und -schwierigkeiten notwendig geworden war. Daß der Staat sich etwa die aufsichtsrechtliche Genehmigung der Kommunalbesteuerung oder der städtischen Kreditaufnahme vorbehielt,285 entsprach allgemein finanz- und volkswirtschaftBomhak, Geschichte, Bd. 3, S. 32. Becker, Entwicklung, S. 83. 281 Peters, Grenzen, S. 216. 282 Vgl. § 139, Lit. b, Tit. 11, StO 1831. GS 1831, S. 33. 283 Vgl. PrOVGE, Bd. 25, BerHn 1894, S. 49; Bd. 28, BerHn 1896, S. 95. Im Endurteil vom 28. Mai 1895 (1. Senat) heißt es: "Für den Umfang dieser Befugnisse (der Aufsichtsbefugnisse des Staates - d. Verf.) sind die Grundsätze der Revidierten Städteordnung vom 17. März 1831 auch jetzt noch im allgemeinen als maßgebend anerkannt". PrOVG Bd. 35, Berlin 1900, S. 118; Bd. 54, BerHn 1910, S. 471 f. Peters, Grenzen, S. 223; Bill (William Amold) Drews, Grundzüge einer Verwaltungsreform. Amtliche Ausgabe, BerHn 1919, S. 63 f. 284 Grumbkow, Kommunalaufsicht, S. 67. Vgl. auch Meier, Reform, S. 471. 279

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

lichen Regulierungsbedürfnissen. Langfristig konnte die Staatsbürokratie, woran im übrigen auch nicht in der Reformära gedacht war, nicht auf die Einflußnahme im Bereich der kommunalen Finanzverhältnisse verzichten. Die Demokratie sollte der Kommunalverwaltung in dieser Hinsicht viel rigorosere Grenzen setzen. Im Vormärz war allerdings noch nicht das materielle Rechtsstaatsprinzip verwirklicht. Den Bürgern und Kommunen war noch nicht die Klage im Verwaltungsstreitverfahren gegen Beanstandungen und Beschlüsse der Aufsichtsbehörden eröffnet worden. Darüber darf jedoch nicht vergessen werden, daß es bereits im 18. wie im frühen 19. Jahrhundert einen hinreichenden Verwaltungsrechtsschutz gab, der mit der ersten Dezember-Verordnung von 1808 den Rechtsweg gegen Verfügungen der Regierungen im weiten Umfang eröffnete und selbst die Anfechtungsklage gegen die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsverfügung nicht ausschloß. Allerdings machten sich im weiteren Verlauf des frühen 19. Jahrhunderts Bestrebungen bemerkbar, die Zulassung des Rechtswegs durch die Praxis der Ministerialreskripte einzuschränken. 286 Die Revidierte Städteordnung ließ den Rechtsweg gegen die Entscheidung der Regierung dann zu, wenn die Klage "auf einem speziellen privatrechtlichen Titel" begründet war. Über allgemeine Verwaltungsgrundsätze und deren Anwendung durfte die Gerichtsbarkeit nicht befinden. 287 Das Städterecht traf hier eine Unterscheidung zwischen dem privatrechtlichen Anspruch aus Verwaltungsmaßregeln und dem "hoheitlichen" Verwaltungsakt, gegen den eine gerichtliche Erkenntnis nicht stattfand. Die Verwaltungsgrundsätze waren Bestandteile des staatlichen Hoheitsrechts, das, wie die berühmte Kabinetts-Ordre vom Dezember 1831 schon bald darlegen sollte,288 nicht der gerichtlichen Prüfung, etwa im Hinblick auf Entschädigungsansprüche, unterlag. 289 Die Revision der Städteordnung gehörte nicht vorrangig zum Programm der Restauration. Der Kronprinzenkommission erschien eine Novellierung der bestehenden Städteordnung nicht notwendig, da sich ihrer Ansicht nach Vgl. §§ 120-122, Tit. 8, StO 1831, GS 1831, S. 29 f. Vgl. Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz, S. 62 ff. u. 119 ff. Vgl. auch die §§ 38 bis 41, Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanz-Behörden vom 26. Dezember 1808. GS 1806-1810. S. 473 ff. 287 § 139, Lit. e, Tit. 11, StO 1831. GS 1831, S. 33. 288 Allerhöchste Kabinettsorder, betreffend die genauere Beobachtung der Grenzen zwischen landeshoheitlichen und fiskalischen Rechtsverhältnissen vom 4. Dezember 1831. GS 1831, S. 255-258. 289 Vgl. Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz, S. 175 ff.; Gerhard Anschütz, Der Ersatzanspruch aus Vermögensbeschädigungen durch rechtmäßige Handhabung der Staatsgewalt, in: VerwArch, Bd. 5 (1897), S. 71. 285

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6. Staatsaufsicht

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das ältere Kommunalrecht schlechthin bewährt hatte. "Es ist zwar nicht zu leugnen", wurde resümierend zur politischen Wirkung der Städteordnung bemerkt, "daß ursprünglich auch zu viel demokratisches Prinzip in dieselbe gelegt worden. Indessen übergab sie doch die Verwaltung nur den Vorstehern der eigentlichen Bürgerschaft, und da die Regierung bei der Ausführung die monarchische Gewalt festgehalten hat, so ist in der Tat das Gemeindewesen der Städte, ... , der Regierung gebührend untergeordnet".29o Die Zustimmung zur Städteordnung war jedoch verhalten, so daß die in den ersten Provinziallandtagen geäußerten Revisionswünsche, insbesondere wenn sie ständischen Prinzipien verpflichtet waren, auf Zustimmung trafen. Forderungen nach einer Verschärfung der Zensusregelungen für das Bürgerbzw. Wahlrecht in den Gemeinden wurden von den preußischen Städten selbst erhoben. Auf dem ersten brandenburgischen Provinziallandtag vertrat die Mehrheit der Kommunalvertreter die Auffassung, daß sich der niedrige Zensus der Städteordnung vor allem in den kleineren Städten als Barriere für den Eintritt befähigterer Bürger in die Gemeinderepräsentationen erwies. Es wurde vorgeschlagen, den Zensus für das aktive und passive Wahlrecht in Analogie zur Stadtgröße auf 300 bis 600 Reichstaler heraufzusetzen. 291 Die Berliner Abgeordneten lehnten neben den Vertretern Brandenburgs und Frankfurts eine solche Verschärfung der Wahlrechtsschranken im November 1824 ab?92 Auf dem zweiten Provinziallandtag im Frühjahr 1827 wiederholten die Städte ihre Forderung, blieben mit den vorgeschlagenen Grenzen des Zensus jedoch hinter den Vorstellungen der Staatsregierung zurück. Die Haltung der Vertreter Berlins in der neuerlichen Behandlung der Zensusfrage ist nicht mehr zu ermitteln, da die Landtagsprotokolle nicht überliefert sind. Allmenröders Vermutung, daß das Zugeständnis des Landtags, es in den größeren Städten gegenüber dem allgemeinen Beschluß bei der bestehenden Zahl der Stadtverordnetenmandate zu belassen, wäre ein deutlicher Hinweis auf die unveränderte Haltung der großstädtischen Kommunalrepräsentanten ist mehr als zweifelhaft, da der Berliner Magistrat, der auf dem Landtag durch die Stadträte Knoblauch und de Cuvry direkt vertreten war, sich nunmehr prinzipiell für eine Erhöhung des Zensus einsetzte. Vor allem Knoblauch hatte sich schon 1825 gegenüber Freiherr vom Stein nicht nur für eine Verminderung der Stadtverordnetenmandate in kleineren Städten und die Aufstellung von Kandidatenlisten durch die Magistrate, sondern auch für eine Erhöhung des zum Stimmrecht erforderlichen Vermögens ausgesprochen. 293 290 291 292

Zit. nach Obenaus, Anfänge, S. 144. Rumpf, Verhandlungen 1824, S. 35. Allmenröder, Leben, S. 1l. Obenaus, Anfänge, S. 215.

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

Von der Potsdamer Regierung war 1823 ein Landgemeindeentwurf vorgelegt worden, der zwischen Wahlberechtigten mit voller Stimme und jenen mit einer Sechstelstimme unterschied. Das verminderte Stimmrecht sollten die "Bündner und Häusler" erhalten, für die in den Gemeindevertretungen jeweilig nur ein Drittel der Mandate vorgesehen war. Nur wenig später setzte sich in der Diskussion um das Wahlrecht der rheinischen Gemeindeordnung sowohl auf Seiten der Regierung als auch des Stadtbürgertums die Vorstellung eines an Besitz, Einkommen und Steuerleistung orientierten ungleichen Stimmrechts durch. Der Einfluß auf die allgemeine Stadtentwicklung sollte sich nach den Leistungen für die Allgemeinheit richten, die Höchstbesteuerten dementsprechend ein größeres Gewicht in den Kommunalvertretungen erhalten. Es lagen ebenso Entwürfe für ein ungleiches Klassenwahlrecht wie für verschärfte Zensusregelungen vor, wie sie besonders von dem zu diesem Zeitpunkt als Aachener Stadtrat amtierenden David Hansemann vorgelegt wurden. 294 Der sächsische Provinziallandtag verlangte 1825 in einer Stellungnahme über die Einführung der Städteordnung eine "vorsichtige Festsetzung" der Wählerschaft bzw. des aktiven und passiven Wahlrechts. Die Bürgerschaft sollte nach stimm- und wahlfähigen Bürgern sowie Wahlmännern getrennt, mithin auch das direkte Wahlverfahren der Städteordnung aufgegeben werden. 295 In der Provinz Preußen wurden die Forderungen des Landtags in einer Denkschrift des Danziger Oberbürgermeisters von Weikhmann zusammengefaßt. Die Abgeordneten plädierten dafür, die Partizipation der weniger Wohlhabenden in der Gemeinde zu Gunsten des vermögenden Stadtbürgertums einzuschränken. Der preußische Landtag opponierte jedoch gegen die Höhe des im Regierungsentwurf festgelegten Zensus. Zum aktiven Wahlrecht sollte je nach Stadtgröße ein Grundeigentum im Wert von 300 bis 600 oder ein selbständiges reines Einkommen in Höhe von 200 bis 400 Reichstalern ausreichen. Da der Landtag die Zahl der wahlfähigen Bürger nicht zu sehr beschränkt sehen wollte, votierte er im Hinblick auf das passive Wahlrecht für den Nachweis eines Grundbesitzes, dessen Wert nach 293 Allmenröder, Leben, S. 11 u. 13. Rumpf, Verhandlungen, 4. Folge, S. 65 f. Vgl. Steins Denkschrift über die Städteordnung, September 1826, in: HubatschI Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 43 f. u. 46. Der Hinweis auf die Übereinstimmung Steins mit Knoblauch in dem Brief an Itzenplitz vom 2. September 1825 sowie der Hinweis auf die nach Steins Ansicht zu berücksichtigenden Anträge Knoblauchs in dem Brief an Rochow vom 28. November 1825, in: A.a.O., Bd. 6, S. 888 u. 914. Siehe hierzu auch Gembruch, Stein, S. 175 ff. 294 Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 53 ff. 295 Vgl. Wehnert, Reform, S. 11. G . Segler, Der erste Provinziallandtag der Provinz Sachsen im Jahre 1825, Diss., HalleIS. 1931, S. 33 f. Zur Kritik Steins an den Vorschlägen des Provinziallandtags vgl. sein Gutachten vom Märzl April 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 6, S. 972 ff.

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Abzug der Schulden zwischen 500 in kleinen und 2000 Reichstalern in großen Städten liegen sollte. Soweit kein Grundbesitz vorhanden war, qualifizierte ersatzweise ein reines Einkommen von 300 bis 600 Talern zur Wählbarkeit?96 Gleichzeitig wollte man den Kreis der Bürgerrechtspflichtigen auf die Berufe der Intelligenz ausdehnen. Um den Zensus nicht zu einer Schranke für das Bildungsbürgertum bzw. die "höhere Intelligenz" zu machen, wollte der Landtag ein Sechstel der Stadtverordneten mandate für solche Gewerbetreibenden, Gelehrten und Staatsbeamten reservieren, die wenigstens 6 Jahre Bürger gewesen waren, einen unbescholtenen Lebenswandel geführt und sich durch "Einsicht oder Theilnahme in städtische Angelegenheiten" ausgezeichnet hatten?97 Die Forderung nach einer stärkeren Teilnahme der Bildungsberufe war 1820 schon von der Friesekommission aufgenommen worden,298 zwischenzeitlich gehörte sie zu den allgemeinen kommunalrechtlichen Modifikationswünschen der Kommunalbürokratie. Freiherr vom Stein, seit Einführung der Städteordnung um eine verbesserte Wahl der Gemeindevertretungen bemüht, trat in ähnlicher Weise dafür ein, den Einfluß der bildungsbürgerlichen Intelligenz auf die öffentlichen Geschäfte zu fördern und ihr deshalb eine angemessene Stellung im Gemeindeleben einzuräumen. Stein schlug vor, in den mittleren Städten die Justizkommissare, sonstige königliche Beamte, Ärzte und Rentiers in einer Klasse zu vereinigen und aus ihrer Mitte einen zu bestimmenden Teil der Stadtverordneten und Magistratsmitglieder wählen zu lassen. In den großen Städten wollte er die Mitglieder der höheren Justizbehörden und der Lehranstalten, ebenso die Ärzte und Staatspensionäre der oberen Klassen zur Wahl vereinigen und ihnen das Recht zur Ernennung eines verhältnismäßigen Teils von Stadtverordneten und Magistratsmitgliedern einräumen. 299 Mit seinem Verlangen nach einer stärkeren kommunalen Vertretung der Intelligenz dachte Stein aber nicht an eine Aufgabe seines ursprünglichen Verständnisses politischer Partizipation in der Gemeinde. Die vornehmlich dem Haus- und Grundeigentum sowie Gewerbe gebührende Teilhabe sollte lediglich, um den Vertretungen fachliche Kompetenz zu sichern, durch ein "Verein von Notabeln" ergänzt werden, wie Stein gegenüber Stadtrat Knoblauch hervorhob. 300 Ähnlich dem Plan des preußischen Provinziallandtages forderte Stein ein festes Quantum an bildungsbürgerlichen Mandaten, das zwischen ein SechRumpf, Verhandlungen, 4. Folge, S. 116. Belke, Regierung, S. 101. Rumpf, Verhandlungen, 4. Folge, S. 117. 298 Vgl. oben Kap. 2, Unterabschnitt 9. 299 Stein an Schuckmann, 15. März 1829, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 542. Vgl. Schlarmann, Einflußnahme, S. 23. 300 Stein an Knoblauch, 19. März 1829, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 553. Siehe auch den Brief an Hüffer vom 16. März 1829, in: Aa.O., S. 546. 296 297

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stel bis ein Viertel der Sitze einer Gemeindevertretung umfassen durfte, so daß der überwiegende Einfluß des "materiellen Eigentum(s),,301 in den Städten nicht gefährdet war. Bei der Festlegung des Zensus für das aktive Wahlrecht schloß sich Stein den Vorschlägen des brandenburgischen Provinziallandtages an, während er für das passive Wahlrecht höhere Sätze forderte. In kleineren Städten unter 3500 Einwohnern sollte ein Einkommen von 400 Talern zur Wählbarkeit berechtigen, in den Städten bis 10000 Einwohner wollte Stein den Zensus auf 600 Reichstaler erhöhen und in den Kommunen mit einer noch höheren Stadtbevölkerung auf den Mindestsatz von 1000 Talern heraufsetzen?02 In der vormärzlichen Gemeinderechtsdiskussion herrschte somit zwar keine einhellige Meinung über die Höhe des zum aktiven und passiven Wahlrecht berechtigenden Zensus, aber es bestand ein weitgehender Konsens über die zu niedrigen Regelungen der Städteordnung sowie über eine fehlende Bestimmung, welche den verschuldeten Grundbesitz vom Wahlrecht ausschloß?03 Im allgemeinen ließ sich das favorisierte Wahlprinzip mit den Worten Wehnerts dahingehend zusammenfassen, daß diejenige "Wahlform" als die beste anzusehen war, "welche, ohne eine gehässige Aristokratie zu schaffen, der durch Wohlhabenheit und Bildung ausgezeichneten Classe eine bestimmte und dauernde Stelle in der Stadtverordneten-Versammlung sichert(e),,?04 Auf welchem Wege dieses Ziel im einzelnen erreicht werden konnte, darüber gingen die Meinungen freilich auseinander. Stein hatte bei aller Fürsprache für eine an Besitz, Vermögen und Einkommen orientierte Teilhabe in der Gemeinde stets die "Sittlichkeit" als wesentliche Voraussetzung der politischen Mitwirkung in der Gemeinde hervorgehoben. 305 Wilhelm von Humboldt kritisierte das Prinzip, Besitz und Einkommen gleichsam zu Synonymen für Einsicht, Klugheit und Teilnahmebereitschaft zu machen, schon 1819 als "das leerste und hohlste in Rücksicht auf Sittlichkeit und vaterländische Anhänglichkeit".306 In seiner Kritik zum Entwurf der Revidierten Städteordnung gab er gegenüber der Auffassung, daß die Güte der Stadtverordnetenwahl besser geWährleistet 301 Stein an Schuckmann, 15. März 1829, in: A.a.O., S. 542. Vgl. auch Gembruch, Stein, S. 185. 302 Stein, Denkschrift, Städteordnung, September 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 40 f. 303 Vgl. auch Streckfuß, Städteordnung, S. 49. Raumer, Städteordnung, S. 260. 304 Wehnert, Reform, S. 14. Vgl. auch Savigny, Städteordnung, S. 196. 305 Vgl. Stein, Denkschrift, Städteordnung, September 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 43. Zum Begriff der Sittlichkeit im Zusammenhang mit dem Bürger-, Wahl- und Gewerberecht siehe auch oben Kap. 2, Unterabschnitt 6 u. Kap. 3, Unterabschnitt 1. 306 Humboldt, Politische Denkschriften, Bd. 3, S. 411.

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wäre, wenn aus einer gebildeteren Klasse und einer, deren eigenes Wohl bedeutender mit dem allgemeinen Wohlstand zusammenhing, gewählt werden würde, zu bedenken, daß die Wahl Einzelne traf und der Vermögenssatz zwar bei der Masse, aber nicht immer bei jeder Persönlichkeit auf Güte der Gesinnung und Grad der Bildung schließen ließ. 30? Da sich gerade bei den vermögenden Bürgern, die Tendenz einstellte, "sich nicht gebührenden Einfluß anzumaßen",308 sollte das passive Wahlrecht der stimmberechtigten Bürger möglichst nicht beschränkt werden. Wenn man eine Beschränkung für notwendig hielt, plädierte von Humboldt für einen nicht zu hohen Satz, da auf jeden Fall vermieden werden sollte, jene "sehr achtbare Klasse von Bürgern" auszuschließen, die "gerade viel Bürgersinn und Eifer für das Gemeinwohl,,309 besaß. Selbst die rückblickende liberalkonservative Kritik der fünfziger Jahre betrachtete den in Aussicht genommenen Ausschluß stimmfähiger Bürger von der Wählbarkeit "als das Produkt einer wenig anstehenden Ängstlichkeit der Wählerschaft".31O War man sich indessen darüber einig, "die geistigen und die durch Beruf und Verhältnisse geeigneten" Kräfte, zu einer Beteiligung an den Gemeindeangelegenheiten zu bewegen oder wenigstens ihren Ausschluß zu verhindern und die "unstete, bewegliche, besitzlose Masse,,311 von der Kommunalverwaltung fernzuhalten, da ihre Unselbständigkeit weder die Partizipation am Kommunalgeschehen noch einen mittelbaren Einfluß auf den Staat rechtfertigte, kam man nicht umhin, praktisch handhabbare Abgrenzungskriterien zu entwickeln. Normative sittliche Maßstäbe, so berechtigt sie prinzipiell sein mochten, ließen sich nicht in einfache, überprüfbare Wertmaßstäbe umsetzen. Besitz und Einkommen boten da mehr oder weniger sichere Möglichkeiten der Einordnung, zumal man von dem Grundgedanken ausging, daß die Gleichgültigkeit gegen das Gemeindewohl mit abnehmendem Einkommen zunahm. Daß die Scheidungslinie der politischen Berechtigung stets ein Moment der Willkürlichkeit in sich barg, wurde von den Befürwortern des Zensusrechts nicht bestritten. Es mußte billigend in Kauf genommen werden. 312 Auch Wilhelm von Humboldt erkannte die Notwendigkeit an, einen geringsten und höchsten Vermögens satz allgemein für das kommunale Wahlrecht festzulegen?13 Seiner generellen Ansicht zufolge plädierte er für einen mo307 Humboldt, Über die in Absicht der Städteordnung zu nehmenden Maßregeln, Januar 1831, in: Ders., Politische Schriften, Bd. 3,2, S. 536. 308 Ebd. 309 Ebd. 310 Die neue Städte-Ordnung, in: Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen, 2. Jg. (1853), Nr. 53, S. 367. 311 A. a. 0., S. 365. 312 A.a.O., Nr. 47, S. 320. 26 Grzywatz

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deraten Zensus. Für die Wahlberechtigung sollte die untere und obere Einkommensgrenze von 200 bis 400 Reichstalern nicht überschritten werden. Beim passiven Wahlrecht hielt von Humboldt einen Höchstsatz von 800 Talern gerade noch für akzeptabel. 314 Friedrich VOn Raumer, der mit Stadtrat Knoblauch intensive Gespräche über die Revision der Städteordnung führte,315 wandte sich gegen eine "bloß materialistische Ansicht des öffentlichen Lebens,,?16 Er verlangte für die Wahlrechtsqualifikation neben dem Gewerbebetrieb und Grundbesitz auch die Berücksichtigung anderer Verhältnisse und Eigenschaften wie Sitten, Tätigkeit, Kenntnisse, Vermögen, Steuern oder die Dauer des Aufenthalts. Wenn bildungsbürgerliche Schichten oder jene Gruppen der städtischen Bevölkerung, die ihr Vermögen nicht aus Grundbesitz oder Gewerbeeinkommen bezogen, verstärkt zur Mitbestimmung in der Gemeinde herangezogen werden sollten, war nach von Raumer insbesondere die Bewertung des Grundeigentums einzuschränken. Er wollte beispielsweise einen Grundbesitz im Kapitalwert von 800 Reichstalern nicht einer jährlichen Einnahme VOn 400 Talern aus anderen Quellen, wie etwa Zinsen aus Staatsschuldscheinen, gleichsetzen. 317 Das Staatsministerium zeigte sich VOn der Diskussion um die Bewertung der Einkommensquellen wenig beeindruckt, man hielt allgemein am Vermögen als Maßstab für den Wahlrechtszensus fest. Der vorgelegte Entwurf zur novellierten Städteordnung votierte für einen Zensus, der den Zugang zum Bürger- bzw. Wahlrecht je nach Stadtgröße auf ein Grundeigentum von 300 bis 800 Reichstalern oder ein Gewerbeeinkommen von 200 bis 400 Talern festlegte. Im Staatsrat wurde der Höchstsatz beim Gewerbeeinkommen auf 600 Reichstaler angehoben, während der Mindestsatz beim Grundeigentum auf höchstens 800 Taler festgesetzt wurde. Durch diese Erhöhung des Zensus wollte der Staatsrat in Zukunft verhindert sehen, daß Personen aus den ärmeren und weniger gebildeten Schichten der Stadtbevölkerung den Bürgerstatus oder gar Stadtverordnetenmandate erwarben. Die Revidierte Städteordnung hatte nun wohl den verschwommenen Bürgerbegriff des überkommenen Kommunalrechts aufgegeben und den Kreis der Bürger scharf auf die Zahl der stimmfähigen Stadtbewohner beschränkt, da das Gesetz jedoch nur die oberen und unteren Grenzen des aktiven und passiven Wahlrechts festschrieb, die gen aue Festlegung hingegen statutarischen Bestimmungen der einzelnen Gemeinde überließ,318 wurde die Erteilung der Wahlbefugnis und die Wahlfähigkeit manipulativen Einflüssen ausgesetzt. Vgl. Humboldt, Absicht der Städteordnung, S. 532. A.a.O., S. 532 u. 536. 315 Knoblauch, 175 Jahre, S. 128. 316 Raumer, Städteordnung, S. 257. m A. a. 0., S. 259 f. 313

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Die Kommunalbürokratie und das Stadtbürgertum hatten praktisch hinreichende Möglichkeiten, die Ortsstatute als soziale Barrieren der politischen Mitwirkung in der Gemeinde zu nutzen. Die von der Städteordnung vorgesehenen Höchst- und Mindestgrenzen für das aktive und passive Wahlrecht stufte die spätere Kritik im allgemeinen für die großen Städte als zu niedrig, für die kleinen Städte als zu hoch ein, während man im Hinblick auf die nicht aus Gewerbe und Grundbesitz stammenden Einkommen generell von einer überdurchschnittlich angesetzten Grenze sprach, so daß eine erhebliche Anzahl geeigneter Einwohner von der Teilnahme an der Gemeindeverwaltung ausgeschlossen wurde?19 Diesen radikalen Einschnitt in das bestehende Wahlrecht lehnten die Gemeinden in den östlichen Provinzen überwiegend ab, obwohl die städtischen Körperschaften grundsätzlich eine Wahlrechts beschränkung für erforderlich hielten. Der für jede Kommune anzuordnende Zensus sollte nach Ansicht der Staatsregierung, sobald die Kommunalkörperschaften gehört worden waren, durch Regierungsverfügung erfolgen. Das Plenum des Staatsrats entschied sich jedoch für eine ortsstatutarische Regelung?20 Die Ministerialbürokratie sah es gegenüber dem älteren Kommunalrecht als Fortschritt an, daß durch die Statute die Möglichkeit bestand, das Wahl- wie das Städterecht überhaupt auf die Bedürfnisse und Verhältnisse des einzelnen Ortes abzustimmen?21 Liberale Beamte wie Streckfuß wollten, nachdem durch Gesetz die Mindest- und Höchstsätze des Zensus festgelegt waren, die genauere Bestimmung dem Beschluß der städtischen Körperschaften überlassen. Die Ortsstatute wollte er lediglich durch die Regierungen bestätigt wissen, während deren Abänderung von der Genehmigung der Regionalbehörden abhängig sein sollte. 322 Die revidierte Kommunalordnung räumte den Gemeinden jedoch nur ein Vorschlags-, Beratungs- und Begutachtungsrecht ein, den Erlaß machte sie ansonsten von den begleitenden Stellungnahmen der Regierungen und Oberpräsidenten sowie der Bestätigung des Innenministers abhängig. Soweit ein Ortsstatut Abweichungen vom Gesetz enthielt, die auf Grund der Eigentümlichkeit einzelner Städte "ausnahmsweise" erlaubt waren, wurde dessen Erlaß von der landesherrlichen Bestätigung abhängig gemacht. 323 318

17.

Vgl. § 15, Abs. 2, § 16, Tit. 3 u. § 56, Tit. 6, StO 1831. GS 1831, S. 12 f. u.

Die neue Städte-Ordnung, S. 367. Schlarmann, Einflußnahme, S. 15. 321 Vgl. Humboldt, Absicht der Städteordnung, S. 531 f. Savigny, Städteordnung, S. 189 f. 322 Streckfuß, Städteordnung, S. 50 ff. 323 Vgl. §§ 1-4, Tit. 1, StO 1831. GS 1831, S. 10 f. Zur inhaltlichen Gestaltung der Ortsstatute siehe die Ministerialreskripte vom 29. Juni 1833, 16. August 1834 u. 6. Januar 1838, in: APSV, Bd. 17 (1833), H. 2, S. 98; Bd. 18 (1834), H. 4, S. 90; 319 320

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Durch das Statutarrecht enthielt die novellierte Städteordnung mithin ein immanentes Element, das einem einheitlichen Kommunalrecht in Preußen zuwiderlief. 324 Die Staatsregierung hatte sich schon unter der Kanzlerschaft Hardenbergs gegen eine allgemeine Kommunalordnung für den Gesamtstaat ausgesprochen. Nachdem im Jahre 1814 das Bedürfnis zur Deklaration der Städteordnung zum ersten Mal eindringlicher zur Sprache gebracht und man zugleich die Frage der Kommunalverfassung in den neu- und wiedergewonnenen Gebieten aufgeworfen hatte, war das Staatsministerium zwar der Meinung, daß theoretisch eher einer einheitlichen Kommunalordnung als einem nach Stadt und Land differenzierenden Gemeinderecht der Vorzug zu geben war. Das Kommunalrecht hätte dann nur noch die für nötig befundenen Sonderregelungen für Stadt- und Landgemeinden aufnehmen müssen. Praktisch sprach sich das Staatsministerium aber in Übereinstimmung mit Innenminister Schuckmann für ein nach Stadt- und Landgemeinden unterscheidendes Kommunalrecht aus, da ein allgemeines Gesetz notwendig einen höheren Grad an Abstraktion verlangte, während seine Anwendung durch Männer, von denen man "größtenteils nur gesunden Verstand und Elementarbildung" forderte, ein möglichst konkretes Gesetz erforderlich machte. Fernerhin wollte die Ministerialbürokratie jeden Eindruck vermeiden, durch die allgemeine Kommunalordnung wäre die Gleichstellung von Stadt- und Dorfbewohnern beabsichtigt. 325 Im Verlaufe der weiteren Gesetzgebungsarbeit stand dann selbst die Frage eines einheitlichen Städterechts zur Disposition. Nachdem die Beratungen, die eine Entscheidung über die Notwendigkeit einer Deklaration des älteren Städterechts sowie über die Fragen verlangten, ob in den alten Provinzen eine Deklaration, in den neuen Landesteilen ein vollständiges Gesetz oder in sämtlichen Gebieten ein neue Städteordnung eingeführt werden sollte, im Sommer 1827 zu Gunsten einer einheitlichen Kommunalordnung beantwortet worden war,326 erhoben sich recht bald im Staatsministerium rechtliche Bedenken gegen die Aufhebung überkommener Rechte. Die Bd. 22 (1838), H. 1, S. 113. Hinsichtlich der Mediatstädte das Reskript vom 17. Juni 1837, in: A.a.O., Bd. 21 (1837), H. 2, S. 115. Abdruck der Reskripte bei Rönne/Simon, Städteordnungen, S. 60~11. Vgl. dazu Schön, Organisation, S. 782 f. 324 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 176, irrt, wenn er mit der Revidierten Städteordnung den Versuch verbindet, ein einheitliches städtisches Kommunalrecht in Preußen zu schaffen. Allgemein dagegen richtig Mieck, Städtereform, S. 76. Die von Clauswitz übernommene Begründung, die Staatsregierung hätte aus Rücksicht auf die alten Provinzen, welche die Städteordnung trotz ihrer Mängel "lieb gewonnen hätten", den Gedanken an ein einheitliches Kommunalrecht aufgegeben, verschleiert allerdings eher die eigentlichen Beweggründe der Staatsregierung. 325 Rönne/Simon, Städteordnungen, S. 32. Schön, Organisation, S. 781. SchIarmann, Einflußnahme, S. 11. 326 Rönne/Simon, Städteordnungen, S. 34 f.

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bis dahin gelobte statutarrechtlich fundierte Flexibilität des revidierten Städterechts sah Staatsminister von Brenn nun vornehmlich in ihrer differenzierenden Wirkung, der gegenüber das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Städteordnungen kaum als Nachteil bezeichnet werden konnte, zumal das ältere Städterecht in seinem Geltungsbereich für politische Stabilität gesorgt hatte. Wenn auch der Wunsch verbreitet war, durch Wahlrechtsbeschränkungen den wohlhabenderen und gebildeteren Teilen des Stadtbürgertums einen größeren Einfluß in den Gemeindevertretungen zu sichern, schien dieses Anliegen nicht die Aufhebung erworbener Rechte zu rechtfertigen, die zweifelsohne mit der Erhöhung des Zensus für das aktive und passive Wahlrecht verbunden war?27 Ein Nachteil für den Staat ergab sich durch ein provinziell differenziertes Städterecht kaum, da beide Städteordnungen, so Brenn, im Hinblick auf die Beziehungen der Stadtgemeinden zum Staat einerseits "auf denselben staatsrechtlichen Grundlagen,,328 beruhten und andererseits ihre wesentlichsten Bestimmungen übereinstimmten. Mit Rücksichtnahme auf die tradierten Rechte des Stadtbürgertums traf das Staatsministerium eine politische Entscheidung, die von der hauptstädtischen Kommunalbürokratie nicht geteilt wurde. Die Berliner Stadtbehörden waren zwar nicht an einer Übernahme der Revidierten Städteordnung interessiert,329 doch gab es angestrengte Bemühungen das Wahlrecht zu ändern. Im Juli 1832 schlug der Magistrat den Stadtverordneten eine Reihe von Modifikationen zum Wahlrecht vor. Zunächst sollte die Wahlberechtigung all jenen Bürgern entzogen werden, die seitens der öffentlichen Armenpflege eine Unterstützung erhielten oder dieselbe früher empfangen, jedoch nicht zurückerstattet hatten. Für den Magistrat eine Selbstverständlichkeit, die keine Meinungsverschiedenheiten hervorrufen dürfte. 33o Bürger, die zur Zeit der Bürgerrollen-Revision wegen ihrer Bedürftigkeit mit der Haus- und Mietsteuer wenigstens ein Jahr lang im Rückstand geblieben waren, sollten daneben ebenso vom Bürgerrecht "befreit" werden, wie diejenigen, bei denen die Ermittlung von Zahlungsmodalitäten notwendig waren oder die ihre Verbindlichkeiten noch nicht erfüllt hatten. Zur Begründung führte der Magistrat die Stadtverordnetenwahl von 1831 an, an der 221 Personen teilgenommen hatten, die entweder ganz von der Mietsteuer befreit waren oder denen man die Steuer gestundet hatte. Diese Zahl, immerhin 7,6 Prozent der Wahl beteiligten, 331 war nach A. a. 0., S. 35 ff. A. a. 0., S. 36. 329 Clauswitz, Städteordnung, S. 147. 330 Vorschläge des Magistrats von Berlin an die Stadtverordneten-Versammlung, die Stadtverordneten-Wahlen betreffend, Berlin 1832, S. 1 f. 331 Insgesamt waren 4536 Bürger zur Wahl berufen worden, darunter waren 325 Personen mit Mietsteurerlässen oder -stundungen bzw. Ermittlung von Zahlungsmo327 328

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Ansicht der Kommunalbürokratie beträchtlich und konnte von "entscheidendem Einfluß" auf das Wahlergebnis sein, da zu den einzelnen Wahlversammlungen häufig unter hundert, im allgemeinen aber nicht weit über hundert Personen erschienen. Zudem gab es in einzelnen Wahlbezirken mehr steuerfreie als zur Steuer verpflichtete Bürger. Es konnte vorkommen, daß in einem solchen Bezirk jemand zum Stadtverordneten vorgeschlagen wurde, der als Armendeputierter, als Armenkommissions- oder Bezirksvorsteher oder als bisheriger städtischer Repräsentant "eine gerechte und heilsame Strenge gegen die betreffenden Personen bei Ermittlung ihrer Vermögens-Verhältnisse geübt,,332 und unberechtigte Ansprüche zurückgewiesen hatte, auf Grund dieses Verhaltens, das ihn für die Kommune besonders empfahl, von den betroffenen Schichten gerade nicht gewählt wurde. Die gleichen Gründe sprachen gegen die Zulassung der in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Bürger. In diesem Fall wollte der Magistrat aber auch ein Zeichen setzen, indem durch die Verweigerung eines bürgerlichen Ehrenrechtes, der Mißbrauch der Gewerbefreiheit moralisch verurteilt wurde. Die Stadtbehörden hatten nämlich beobachtet, daß die in Zahlungsverzug geratenen Bürger einen Gewerbeschein auf irgendein Handwerk einholten, um einen Rechtsanspruch auf das Verfahren der Zahlungsmodalitäten erheben zu können. Die Verweigerung des Wahlrechtes für Personen, die in einem Dienstbotenverhältnis standen, lag für den Magistrat wiederum in "der Natur der Sache" begründet, obgleich er eingestehen mußte, daß eine beträchtliche Anzahl solcher Personen in Nebengeschäften ein reines Einkommen von über 200 Reichstalern erwarben, also den Zensus überschritten, der zum Erwerb des Bürgerrechts nach der Städteordnung von 1808 berechtigte. Damit berührte der Magistrat den wesentlichsten Punkt seiner Vorschläge zur Wahlrechtsreform. Er gedachte, den Zensus auf 400 Reichstaler zu verdoppeln. Ohne auf Bestimmungen der Revidierten Städteordnung Bezug nehmen zu wollen, erklärte die kommunale Exekutive selbst 400 Reichstaler als "einen nur geringen Satz" für die Verhältnisse der Landeshauptstadt. Seiner Auffassung nach dürfte wohl nur der kleinste bürgerliche Hausstand mit einer geringeren Summe auskommen. Aus der Neuregelung sollten in keinem Fall Mißhelligkeiten erwachsen. "Ehrenwerten Männern" gedachte man auf Grund ihrer bedrängten Lage nicht das bislang ausgeübte Wahlrecht zu entziehen, hiergegen gewährte außerdem die Städteordnung hinreichenden Schutz. 333 dalitäten, mithin 7,2 Prozent. Von den berufenen Bürgern beteiligten sich 2903 an der Wahl. Vgl. die Übersichten in den Anlagen zu den Vorschlägen des Magistrats. Siehe auch BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 83 f. 332 Vorschläge des Magistrats, S. 4. 333 Vgl. § 77, Tit. 5, StO 1808. GS 1806-1810, S. 334.

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Zum Zeitpunkt der Einführung der Städteordnung von 1808 lag nach Darstellung des Magistrats in dem niedrigen Einkommenssatz keine Gefahr, da bei den Gewerbetreibenden, welche den Stamm der städtischen Bürgerschaft ausmachten, die Gewinnung des Meister- und Bürgerrechts einander wechselseitig bedingten, das hieß, es war eine "bessere Gewähr für die Qualifikation eines Bürgers" vorhanden, als sich dies durch die Feststellung eines Geldzensus erreichen ließ. 334 Bis zum Erlaß einer Gewerbeordnung sah der Magistrat keine andere Möglichkeit als die Erhöhung des Zensus, um "wenigstens eine gewisse Zahl der großen Menge von der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte auszuschließen, deren leichtsinniges Etablissement für die Commune zu einer immer drückenderen Last,,335 wurde. Die kommunale Exekutive wurde demnach von ähnlichen Zielsetzungen bewegt wie die Ministerialbürokratie und der Staatsrat. Trotz der geplanten Verdoppelung des geltenden Zensus muß die Forderung des Magistrats noch als moderat eingestuft werden, da die kommunale Exekutive weder die im revidierten Kommunalrecht vorgenommene Trennung zwischen aktivem und passivem Wahlrecht nachvollziehen noch der rigorosen Beschränkung der Wählbarkeit folgen wollte. Die Bemühungen der Gemeindebürokratie zu einer stärkeren Inanspruchnahme der wohlhabenderen Bürger336 für die Kommunalangelegenheiten wurden von der Stadtverordneten-Versammlung, wie der Magistrat selbst berichtete,337 unterstützt. In Übereinstimmung mit den Vorschlägen des Regierungskommissars Haeckel hielt es der Magistrat für notwendig, die verstärkte Wahl des wohlhabenden Stadtbürgertums durch eine Änderung der Verfahrensregelungen abzusichern. Entweder mußte dafür gesorgt werden, daß die sich in größerer Zahl einfindenden vermögenderen Bürger nicht von den übrigen Teilen der Wahlberechtigten überstimmt oder daß, wenn zu kleine Wahlversammlungen zu befürchten waren, mehrere Wahlbezirke zusammengelegt wurden. Der Magistrat wies in diesem Zusammenhang auf die neuen Regelungen der Revidierten Städteordnung hin, nach denen die Stadtverordnetenwahl fernerhin "nicht mehr unbedingt" an Bezirksgrenzen gebunden werden mußte. Bei der Größe der Stadt Berlin war es nicht zu vermeiden, daß der in einem Stadtbezirk bekannte qualifizierte Stadtverordnete bei einem Wohnungswechsel auf eine unbekannte Umgebung traf, die seiner Wiederwahl hinderlich war?38 V gl. Vorschläge des Magistrats, S. 7 f. A. a. 0., S. 8. 336 Vgl. dazu auch die als Anlage zur Magistratsschrift herausgegebene Aufstellung über die nach dem durchschnittlichen Wohnungsmietwert berechnete "Wohlhabenheit" der Wahlbeteiligten. 337 Vgl. Vorschläge des Magistrats, S. 8. 338 A. a. 0., S. 10. 334 335

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Friedrich von Raumer, der den Mangel an korporativer Bindung des Einzelnen mit der "Nähe zu Anarchie und Revolution" gleichsetzte,339 hatte für die Ergänzung der Bezirkswahlen durch Kuriatstimmen plädiert, die er für die "wichtigsten Gewerke" wie Schullehrer, Geistliche oder Universitäten einführen wollte. 34o Stein hielt im Anschluß an die Vorstellungen Niebuhrs 341 das Wählen nach Klassen und nach identischen Beziehungen vor allem in größeren Städten für die bessere Form als die Bezirkswahlen. 342 Die Revidierte Städteordnung überließ es der ortsstatutarischen Regelung, ob nach Bezirken, Klassen oder nach beiden Einteilungsarten gewählt wurde,343 ging jedoch davon aus, daß eine korporative Wahlform nur in solchen Städten eingeführt werden sollte, in denen der Bevölkerungsumfang keine gemeinschaftlichen Wahlversammlungen des Stadtbürgertums zuließ. Der Berliner Magistrat drang darüber hinaus auf eine Herabsetzung des Hausbesitzeranteils auf 50 Prozent. Er wollte fernerhin ausschließen, daß bei einer Gemeindewahl unter Umständen die vorgeschriebene Zweidrittelquote nicht zu erreichen war und sich somit der Zwang ergab, das seit einigen Jahren aufgegebene Verfahren, jedem Wahlbezirk vorzuschreiben, ob der zu Wählende ein Eigentümer oder Mieter sein könne, wieder anzuwenden. Ein solches Verfahren stand dem angestrebten Ziel entgegen, möglichst die qualifiziertesten Leute in die Stadtverordneten-Versammlung zu bringen. Das Ministerium des Innern befürwortete die Vorschläge der Berliner Kommunalbürokratie, riet aber von ihrer gegenwärtigen Umsetzung ab. Erst sollte sich die durch den aktuellen Kompetenzkonflikt der städtischen Körperschaften ausgelöste Unruhe legen, dann konnte nach Ansicht des Innenministers immer noch der Versuch gemacht werden, die Bestimmungen der Städteordnung wegen der Zulassung zum Bürgerrecht, der Erteilung dieses Rechts nach dem Muster der Revidierten Städteordnung an die Schutzverwandten sowie die Abänderung der Zahl der Stadtverordnetenmandate und die Wahlform, selbst über die Regelungen der Städteordnung hinaus, zu ändern. 344 Raumer, Städteordnung, S. 262. A. a. 0., S. 270. 341 Barthold Georg Niebuhrs Denkschrift über die Städteordnung in: Ders., Politische Schriften, hrsg. von G. Küntzel, Frankfurt/M. 1923, S. 311 ff. 342 Steins Bemerkungen zu Niebuhrs Denkschrift über die Städteordnung vom 17. Oktober 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 71. Siehe dazu Meier, Reform, S. 297. Schön, Organisation, S. 785. Gembruch, Stein, S. 182. Kritisch gegen die korporative Wahlform Horn, Bemerkungen, S. 17 ff. 343 Vgl. §§ 50-53, Tit. 6, StO 1831. GS 1831, S. 17. 344 Verfügung an die Regierung zu Potsdam, 7. Juli 1834. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 51. 339 340

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Daß es nicht zu einem entsprechenden Antrag der Kommunalkörperschaften kam, lag an der opponierenden Haltung der hauptstädtischen Gemeindevertretung in der Frage der Wahlrechts beschränkung. 345 Obwohl die ältere Städteordnung prinzipiell das Bürger- und Wahlrecht an einen Zensus band, mithin ein Instrument politischer Ausgrenzung war, sah das Stadtbürgertum durch dessen gemäßigte Höhe Ende der zwanziger Jahre, wie es auch in den gemeinderechtlichen Auseinandersetzungen der Revolutionszeit deutlich werden sollte,346 weitgehend die "gesetzliche Gleichheit" ausgesprochen. 347 Auch wenn dieses Urteil durch ein korporatives Bewußtsein von Bürgerlichkeit beeinflußt war, so ist doch bemerkenswert, daß der Differenzierung politischer Teilhabe, soweit sie die sozial mehr oder weniger exklusive städtische Bürgergesellschaft betraf, Vorbehalte entgegengebracht wurden. 348 Deutlich wurden diese Vorbehalte auch in der Reaktion auf den von Regierungsbeamten entwickelten Plan eines Klassenwahlsystems, das ausdrücklich gegen die ständisch orientierten Vorstellungen der Provinziallandtage mit ihrem Ausschluß der ärmeren Bevölkerungsschichten gerichtet war. Der Potsdamer Regierungsrat Wehnert regte öffentlich an, um "der Bildung und Intelligenz einen Sitz in den Repräsentationen zu sichern, zugleich aber dem Interesse der Ärmeren gleiche Berücksichtigung zu verschaffen", der "natürlichen Einteilung der Bürger nach Vermögensverhältnissen und Bildungsstufen,,349 in eine niedere, mittlere und höhere Bürgerklasse zu folgen und sie zur Grundlage der Gemeindevertretungen zu machen. Der Klassifikationsmaßstab ließ sich Wehnert zufolge relativ einfach durch die Abgaben zur Klassensteuer oder in solchen Städten, in denen diese Steuer nicht eingeführt war, durch eine allgemeine Einschätzung Vgl. Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 2, S. 196. Vgl. unten den Abschnitt über die Gemeindeverfassung der konstitutionellen Monarchie in Kap. 6. 347 Vgl. Horn, Sendschreiben, S. 14. 348 Als ehemaliger Königsberger Bürgermeister teilte Horn zwar nicht von Raumers politische Vorbehalte gegen die "Oligarchie des Geldes" in den Gemeinden, aber auf Grund seiner praktischen Erfahrungen als Kommunalbeamter wußte er, daß Einkommen und Vermögen als Maßstab kommunalpolitischer Kompetenz schon auf Grund der Abneigung der Bürger problematisch war, ihre finanziellen Verhältnisse offenzulegen, und daher häufig der Wille vorherrschte, sich eher "stillschweigend zur gegenseitigen Nachsicht" über diesen Punkt zu einigen. Nichtsdestotrotz hielt Horn wie Raumer eine Verschärfung des passiven Wahlrechts für notwendig. Er wollte die Einschränkung jedoch eher durch formalisierte Regelungen des selbständigen Angesessenseins wie den dreijährigen Wohnsitz und den Nachweis des ausnahmslosen Beitrags zu den städtischen Lasten und Abgaben, des unbescholtenen Lebenswandels und Nichtempfangs von Armenunterstützung abhängig machen. Vgl. Bemerkungen, S. 16 f. Zu Horn siehe auch Belke, Regierung, S. 102. 349 Wehnert, Reform, S. 15. 345

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des reinen Einkommens finden. Die Stimm- und Wahlfähigkeit richtete sich folglich nach dem Höchst- und Mindestbetrag der Einkünfte aus Grundeigentum, Gewerbe und Kapitalvermögen der jeweiligen Bürgerklasse. Das Hausbesitzerprivileg wollte Wehnert gänzlich aufgeben, da zumindest in kleineren und mittleren Städten die überwiegende Zahl der Gewerbetreibenden auch Hausbesitzer waren. Die Klassifikationsgrenzen sollten hingegen in Analogie zur Stadtgröße gesetzlich festgelegt werden. Als untere Einkommensgrenze für die höhere Bürgerklasse schlug Wehnert in den Groß-, Mittel- und Kleinstädten 1000 bis 600 Reichstaler vor, als obere Einkommensgrenze der unteren Klasse 500 bis 300 Reichstaler, während der zwischen diesen Grenzen liegende Satz der mittleren Bürgerklasse reserviert werden sollte. Jede Bürgerklasse stellte ein Drittel der Kommunalvertreter, so daß "die Repräsentation den Lasten und Interessen jeder Klasse" entsprach. 35o Auf diese Weise war die Minderheit der wohlhabenderen Bürgerschichten entsprechend ihrem Ansehen und ihrer Bildung in den Stadtverordneten-Versammlungen vertreten, das weniger wohlhabende Stadtbürgertum in der Mehrzahl zwar zurückgesetzt und damit in seinem Vertretungsanspruch beschränkt, aber nicht gänzlich aus den Kommunalrepräsentationen ausgeschlossen. "Eine vorsichtige Festsetzung des Wahlprinzips beruht nicht darauf', erläuterte Wehnert, "daß eine Classe die übrigen verdrängt, sondern daß alle Bürger-Classen mit Gleichgewicht vertreten werden, daß alle Interessen des repräsentirten Verbandes Gelegenheit erhalten sich auszusprechen und geltend zu machen. Nur auf diesem Wege ist Vielseitigkeit in der Berathung, und Unparteilichkeit in den Beschlüssen zu erwarten, wird bei der Vertheilung der öffentlichen Lasten den Forderungen der Gerechtigkeit genügt werden; wird das einseitige Vorherrschen einzelner Wortführer in der Versammlung beschränkt, und Parteihäuptern die Leitung erschwert".351 Wehnerts WahlmodelI stellt also ein frühes Dreiklassensystem dar, das zwar auf der politischen Ungleichheit der verschiedenen stadtbürgerlichen Einkommensschichten beruhte, aber noch nicht die oligarchische Struktur des späteren, am Steueraufkommen orientierten Dreiklassenwahlrechts vorwegnahm, da die Mandate, unabhängig vom Einkommen, nach festen Quoten auf die einzelnen Klassen verteilt wurden. Nach diesem System wäre die untere Bürgerklasse, zumal sie durch eine erhebliche Erhöhung des Zensus sozial nach unten abgegrenzt wurde, in einem Umfang in den Gemeinderepräsentationen vertreten worden, wie es im nachrevolutionären Klassenwahlsystem nie realisiert werden sollte. Der Plan Wehnerts stieß indessen, obwohl ihn Kommunalbeamte wie Bürger350 351

A.a.O., S. 17. A. a. 0., S. 15.

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meister Perschke als Korrektur des "demokratischen Prinzips" begrüßten,352 auf Ablehnung, weil die Absicht, die "Fähigkeit zur Repräsentation" an das Einkommen zu binden, einerseits nicht mit der "Würde der Bürger-Repräsentation", mit dem "höchsten Ehrenrechte des Bürgerthums", andererseits nicht mit dem von der Städteordnung nun einmal definitiv eröffneten Teilhaberechten zu vereinbaren war. 353 Nicht die Idee der "klassenlosen Bürgergesellschaft", die den ökonomischen Wandel als Motor politischer Gleichheit sehen will, wie Gall hervorhebt,354 und auch nicht die schichtenübergreifende gemeinsame Front des Stadtbürgertums gegen den Staat355 bestimmen demnach die wahlrechtliche Opposition des großstädtischen Stadtbürgertums,356 sondern sowohl das Bewußtsein der Exklusivität städtischer Bürgerlichkeit als auch das selbstbewußte Einklagen der vom Staat eröffneten politischen Teilhaberechte in der Gemeinde. Die Wahlrechtsfrage war in der Kommunalrechtsdiskussion ein wichtiger, doch keineswegs der zentrale Gegenstand. Für die weitere Entwicklung der Städteadministration wie die konkrete Verwaltungspraxis hatte das rechtlich nicht hinreichend geklärte Verhältnis der Gemeindekörperschaften eine tragende Bedeutung. In Berlin führten nicht nur die mangelhaften Bestimmungen der ersten Städteordnung über das Verhältnis der Stadtverordneten zum Magistrat, sondern auch ihre Unbestimmtheiten im Hinblick auf die Kompetenzverhältnisse innerhalb der kommunalen Exekutive zu schweren Auseinandersetzungen. Dabei waren die Anspruchshaltungen der beteiligten Kommunalbeamten nicht ohne Wirkung auf den Gang der Entwicklung. Gegenstände von vergleichsweise geringer Bedeutung führten zu harten machtpolitischen Konflikten, die in der Landeshauptstadt den Magistrat nicht ausnahmen. Wenn hierbei der persönliche Einfluß der Akteure nicht unterschätzt werden sollte, von wesentlicherer Bedeutung erwiesen sich die Mängel des Kommunalrechts bei der Regelung der innergemeindlichen Kompetenzverhältnisse und das Versäumnis des Staates, die städtischen Körperschaften nicht nur zur Entwicklung von Geschäftsregulativen anzuhalten, sondern deren Ausführung auch frühzeitig durchzusetzen. Das Unvermögen der Staatsregierung, zum erforderlichen Zeitpunkt einer DeklaraPerschke, Metakritik, S. 32. Horn, Sendschreiben, S. 13 f. 354 GaU, Vom alten zum neuen Bürgertum, S. 10 f. 355 Diese sieht Gall ebenfalls im Vormärz eröffnet, vgl. ders., Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modemen Gesellschaft, in: Ders. Tit. (= HZ, Beih., Bd. 16), hrsg. von dems., München 1993, S. 10. 356 Es sollte an dieser Stelle nicht vergessen werden, daß die auf den ProvinzialIandtagen geforderten Wahlrechtsverschärfungen weitgehend von den kommunalen Vertretern, insbesondere der kleinen und mittleren Städte erhoben wurden. Vgl. weiter oben in diesem Unterabschnitt. 352 353

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ti on oder Novellierung der Städteordnung näherzutreten, trug nur noch zu einer Verschärfung der Situation bei. In der Regel hielten sich die Gemeindevertreter, wie Wehnert kritisch resümierte, als beschließende Gewalt "für die unumschränkten Herren" der Gemeindeangelegenheiten, denen der Magistrat nur als eine dienstbare exekutive Behörde erschien?57 Die Berliner Stadtverordneten hatten, berichtet Adolf Streckfuß, das ihnen nach der Städteordnung zustehende Kontrollrecht auf die gesamte Geschäftsführung des Magistrats ausgedehnt und sogar die Amtsführung innerhalb des Magistrats beobachtet. Zu diesem Zweck forderten sie von Zeit zu Zeit vom Magistrat Berichte über die Verteilung der Geschäfte unter den einzelnen Magistratsmitgliedern ein. 358 Auf solche Darstellungen städtischer Verwaltungsrealität reagierten einzelne Provinziallandtage mit der Absicht, den Magistraten eine "würdigere und selbständigere Stellung" zu geben oder die Stellung der besoldeten Mitglieder der kommunalen Exekutive zu stärken, indem man ihnen eine lebenslange Anstellung anbot. 359 Insgesamt muß das Bild unumschränkter Stadtverordnetenherrschaft jedoch als überzogen kritisiert werden. Schon durch den rechtlich festgelegten besonderen Geschäftsbereich des Magistrats, insbesondere aber durch das Aufsichts- und Kontrollrecht der kommunalen Exekutive über die Geschäftsführung der Deputationen und Kommissionen, denen die Angelegenheiten fortdauernder Administration in der Gemeinde übergeben waren, verfügte der Magistrat über eine starke Stellung in der Gemeinde. Fernerhin darf die Stellung des Magistrats als Ortspolizeibehörde, über deren Funktion ausführlich berichtet wurde,36o nicht außer Acht gelassen werden: Durch den übertragenen Aufgabenkreis war die Gemeindevertretung in einem wesentlichen Bereich der örtlichen Verwaltungsfunktionen von der administrativen Mitwirkung ausgeschlossen. Freiherr vom Stein wies gegenüber der Kritik an einer zu starken Abhängigkeit der kommunale Exekutive von den Stadtverordneten auf die kommunalrechtliche Definition des Magistrats als Vorsteher der Stadt hin, dessen Befehlen die Gemeinde unterworfen war. 361 Diese Bestimmung war seiner Ansicht nach "sehr deutlich und ausreichend". Es konnte also weder darum gehen, dem Magistrat mehr Herrschaft einzuräumen, noch ihm eine größere Unabhängigkeit zu geben. Wehnert, Reform, S. 21. Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 562. 359 Rumpf, Verhandlungen 1826, S. 36; 2. Folge, S. 66. Stein, Denkschrift über die Städteordnung, September 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 39. Wehnert, Reform, S. 11. 360 Vgl. oben im Kap. 2 den Abschnitt über die staatlichen Gemeindeaufgaben. 361 Stein bezieht sich hier auf § 47, Tit. 5, StO 1808. GS 1806--1810, S. 330. 357

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Der Magistrat machte nicht die Stadtgemeinde aus, diese stand vielmehr für sich selbst. Die Gemeinde wurde durch die Stadtverordneten vertreten, sie waren deren gewählte Repräsentanten?62 Im übrigen bestätigte die achtzehnjährige Erfahrung mit der Städteordnung, wie Stein in Kenntnis der Stellungnahmen der Kommunalvertreter Berlins, Brandenburgs und Frankfurts auf dem ersten kurmärkischen Provinziallandtag anmerkte, nicht ein nachteiliges Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Kommunalkörperschaften?63 Notwendig erschien daher nur, rechtlich den Mangel eines "unbestimmten Verhältnisses" zwischen den Gemeindebehörden zu beseitigen und damit zugleich den das Verwaltungshandeln behindernden "schroffen Gegensatz" zwischen Magistrat und Stadtverordneten abzubauen. 364 Bei der Gemeinderechtsrevision ging es also in dieser Hinsicht weniger um eine Neuordnung der kommunalen Machtverhältnisse als um eine an administrativen Bedürfnissen orientierte effizientere Gestaltung der behördlichen Beziehungen.

In den meisten Gutachten zum Städteordnungsentwurf richteten sich die Stellungnahmen der Provinziallandtage auf eine präzisere Fassung der Kompetenzverhältnisse sowie auf eine Verbesserung des Geschäftsverkehrs zwischen den Kommunalkörperschaften. So schlug der brandenburgische Landtag zur Vermeidung der häufig "aus Mißverständnissen entstehenden Streitigkeiten" vor, daß der Magistrat seine Vorstellungen gegebenenfalls durch ein abgeordnetes Mitglied in der Gemeindevertretung vortragen sollte. Darüber hinaus wollte man das gegenseitige Verhältnis der Kommunalkörperschaften, insbesondere aber das Verfahren näher bestimmen, in welchen Fällen die Beschlüsse des Magistrats bzw. der Kommunalrepräsentation zum Zuge kommen sollten. 365 Regierungsrat Wehnert wünschte, Gemeindevertretung und Magistrat zu koordinierten Kollegien zu machen, die sich gegenseitig bedurften und unterstützten. Wichtige Gemeindeangelegenheiten wollte er von der Zustimmung bei der Behörden abhängig machen. 366 Stein schlug vor, dem Magistrat die Möglichkeit zu bieten, seine Anträge in der Gemeindevertretung 362 Stein, Bemerkungen zu dem Gutachten des Sächsischen Provinziallandtages über die Einführung der Städteordnung, März/April 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 6, S. 973 f. Siehe auch Streckfuß, Städteordnung, S. 72. 363 Stein, Bemerkungen, in: A. a. 0., S. 974. Allmenröder, Leben, S. 11. 364 Vgl. Stein an Itzenplitz, 8. Mai 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 6, S. 984; Denkschrift über die Städteordnung, September 1826, in: A a. 0., Bd. 7, S. 40; Bemerkungen Steins über den Entwurf der Städteordnung für Sachsen, 19. April 1827, in: A.a.O., S. 189; Stein an Schuckmann, 15. März 1829, in: Aa.O., S.539. 365 Rumpf, Verhandlungen 1826, S. 36. Vgl. auch die Entschließungen der pommerschen Ständeversammlung, a. a. 0., 2. Folge, S. 66. 366 Wehnert, Reform, S. 22 f.

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erläutern zu können. Durch Vorträge oder Diskussionsteilnahme oder gar durch Mitstimmen einzelner Magistratsdeputierter hoffte Stein ebenso den Einfluß des Magistrats zu stärken wie die Koordination zwischen den Kommunalkörperschaften zu verbessern. 367 Eine gemeinsame Beschlußnahme in wichtigen Kommunalangelegenheiten hielt auch er für erforderlich. War über die Einführung eines neuen Statuts oder dessen Abänderung, über Steuern, bedeutende Kommunalanlagen, Anleihen, Veräußerungen oder Erwerbungen zu entscheiden, durfte dies nur auf der Grundlage eines gemeinsamen Beschlusses geschehen. 3~8 Eine alleinige Verantwortung der Gemeindevertretung war vor allem für den Bereich der Kommunalfinanzen abzulehnen, da es nach Stein nicht anging, möglicherweise "das Schicksal zukünftiger Geschlechter von der Raschheit, der Übereilung, dem Leichtsinn einer vielleicht durch selbstsüchtige Bewegungsgründe verleiteten Versammlung der Stadtverordneten abhängig zu machen".369 Friedrich von Raumer, der es als einen wesentlichen Mangel der Gemeinderechtsdiskussion ansah, die Kommunalkörperschaften als gegensätzliche Behörden zu betrachten,370 wollte ihnen bei Gegenständen des geteilten Wirkungskreises jeweilig ein Vetorecht einräumen. 371 Sollte der Fall eintreten, daß es auf Grund eines Einspruchs zu keiner Einigung kam, mußte die Ausführung einer geplanten Maßnahme eben unterbleiben. Von Raumer rechtfertigte seine Ansicht mit dem Hinweis auf die Gepflogenheiten des Gesetzgebungsverfahrens in Zweikammersystemen. Blieb hier eine Einigung zwischen den berufenen Kammern aus, trat ein Gesetz nicht in Kraft, was nach von Raumer durchaus Sinn machte, da es besser war, ein Gesetz erst später, dann aber auf der Grundlage von Einsicht zu verabschieden, als es unverstanden und übereilt zu erlassen?72 Die Kritik hielt von Raumer zu Recht vor, daß er gesetzgebende Gewalt und gewöhnliche Verwaltung verwechselte. "Die ganze sogenannte gesetzgebende Gewalt, welche die Städteordnung den Stadtverordneten verleiht", bemerkte Streckfuß, "besteht ja in nichts als in der Befugniß, über die in 367 Bemerkungen Steins zu dem Gutachten des Sächsischen Provinziallandtags über die Einführung der Städteordnung, März/April 1826, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 6, S. 974. Stein an Itzenplitz, 8. Mai 1826, in: A.a.O., S. 984. Wie schwierig es im einzelnen war, das Nebeneinander von Magistrat und Gemeinderepräsentation aufzubrechen, zeigte sich in den vierziger Jahren auch bei den Bemühungen, die Öffentlichkeit der Stadtverordnetensitzungen durchzusetzen. Vgl. dazu weiter unten. 368 Stein, Bemerkungen über den Entwurf der Städteordnung für Sachsen, 29. April 1827, in: Hubatsch/Wallthor, Stein, Bd. 7, S. 190. 369 Stein an Schuckmann, in: A a. 0., S. 540. 370 Raumer, Städteordnung, S. 276. 371 A a. 0., S. 275. 372 Aa.O., S. 279.

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der Verwaltung auszuführenden Maaßregeln Entschließung zu fassen".373 Die laufende Verwaltung konnte nicht durch gegenseitige Vetos blockiert werden, da andernfalls die kommunale Ordnung gefährdet war. Streckfuß wandte sich gegen die Versuche, den Stadtverordneten die Entscheidung "in allen Angelegenheiten des inneren Gemeindehaushalts und der Vermögensverwaltung" zu nehmen, da die von ihnen repräsentierte Bürgerschaft Eigentümerin des kommunalen Vermögens war und ihr allgemeines Interesse sich daher auf eine nutzbringende Haushaltspolitik richtet. Das Handeln der Gemeinderepräsentationen war, wie ja auch der Berliner Konflikt über den Kommunaletat deutlich gezeigt hatte, immer auf "die Wahl der zweckmäßigsten Mittel,,374 in der Haushaltspolitik angelegt, während die Berücksichtigung der Gesetzmäßigkeit bei der Ausführung allein den Magistraten oblag. Staatsregierung und Staatsrat teilten die Auffassung von Streckfuß und bekräftigten in der Revidierten Städteordnung die Kompetenz der Stadtverordneten in allen Angelegenheiten des inneren Haushalts der Städte. Bei der Feststellung des vom Magistrat zu entwerfenden Haushaltsplans, bei Ankauf, Verpachtung, Verpfändung und Verwaltung von Kommunalgrundstücken, bei der Prozeßführung, beim Abschluß von Vergleichen und Verträgen oder außerordentlichen Geldbewilligungen fällten die Gemeindevertretungen weiterhin verbindliche Beschlüsse. 375 Das novellierte Städterecht räumte mit den Unklarheiten der älteren Kommunalordnung auf und grenzte die Zuständigkeit der städtischen Behörden genauer ab. Es wurde grundsätzlich zwischen Angelegenheiten differenziert, die entweder der Magistrat bzw. die Gemeinderepräsentation allein entschied oder von einer gemeinsamen Beschlußnahme der Kommunalkörperschaften abhingen, welche wiederum in speziellen Fällen der Regierungsgenehmigung bedurfte. 376 Der Konfliktfall zwischen den Kommunalkörperschaften trat ein, sobald ein Stadtverordnetenbeschluß nach Ansicht der kommunalen Exekutive "dem Gemeinwohle nachteilig" war. Scheiterten die Einigungsbemühungen der Kommunalkörperschaften, entschied die zuständige Regierung über den Widerspruch des Magistrats. Die Aufsichtsbehörde war dabei angehalten, zunächst durch kommissarische Verhandlungen den Versuch eines kommunalen Konsenses zu unternehmen. Erst nach dem nochmaligen Scheitern der Einigung fällte die Regierung auf der Grundlage der abgegebenen Gutachten eine Entscheidung. 377 Streckfuß, der an der haushaltspolitischen Unabhängigkeit der Kommunen gegenüber den Staatsbehörden festhielt, wollte Streckfuß, Städteordnung, S. 95. A. a. 0., S. 77. 375 § 114, Tit. 8, StO 1831. GS 1831, S. 27 f. 376 § 110, Tit. 8, StO 1831. A.a.O., S. 27. Zu den bereits genannten genehmigungspflichtigen Gegenständen vgl. ebd. §§ 117-123. 373

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die endgültige Entscheidung einer unter Regierungsaufsicht zu vollziehenden Abstimmung der Kommunalkörperschaften überlassen. 378 Eine Referenz an die kommunale Eigenständigkeit, die von Raumer als "unorganische Mischerei,,379 verwarf. Statt dessen setzte er sich für eine Konfliktlösung durch kommunale Obmänner ein, fand mit diesem Vorschlag jedoch keine Mehrheit im Staatsrat. Allgemein wurde die von der Staatsregierung erklärte Notwendigkeit anerkannt, den Rekurs an die Regierung wie die Möglichkeit eines dritten Weges offenzulassen. Das revidierte Städterecht hatte auf diese Weise eine Regelung für kommunale Auseinandersetzungen gefunden, die zumindest prinzipiell eine raschere Entscheidung von Kommunalkonflikten zuließ. Die Lösung wurde jedoch mit einem Eingriff in die Gemeindeangelegenheiten erkauft. Wie im Falle der wahlrechtlichen Neuerungen beinhaltete die Ausweitung der staatlichen Aufsichtskompetenzen eine Beschränkung der in der Reformzeit verliehenen Rechte, welche die Vorbehalte der Staatsregierung gegen die Einführung des novellierten Städterechts nur verstärken konnte. Es mußte, wie Innenminister von Brenn folgerte, künftig auf eine mit größerer Sicherheit gewonnene Erkenntnis über den Erfolg der Revidierten Städteordnung gehofft werden, um ihrer Einführung in den Gebieten der älteren Kommunalordnung den Boden zu bereiten. 38o Der nachweisliche Mangel an ordentlichen Regelungen zur Beilegung handlungshemmender Kommunalkonflikte, der vor allem unter Berücksichtigung der Gemeinwohlinteressen an Bedeutung gewann, bestand durch den vorläufigen Verzicht auf die Einführung des novellierten Städterechts indessen fort. Die Deklarationen zur älteren Kommunalordnung hatten zwar eine Stärkung der staatlichen Aufsicht und der Stellung des Magistratsdirigenten gebracht - es sei nur an die Möglichkeit zur Abordnung eines Staatskommissars, die vom Gutachten der Gemeindevertretung unabhängige, der Gefahrenabwehr dienende Weisungsbefugnis des Bürgermeisters bei "polizeilichen Veranstaltungen"381 oder an den staatlichen Genehmigungsvorbehalt bei kommunalen Veräußerungen von Grundeigentum erinnert382 -, aber ein vergleichbares rationales Verfahren zur Lösung von Gemeindekonflikten bot das ältere Städterecht auch in den Deklarationen nicht an. 377 § 115, Tit. 8, StO 1831. A.a.O., S. 28. Siehe auch Schlarmann, Einflußnahme, S. 33 ff. 378 Streckfuß, Städteordnung, S. 104. 379 Raumer, Städteordnung, S. 278. 380 Rönne/Simon, Städteordnungen, S. 37. Floda, Geschichte, S. 21. 381 Deklaration zu § 183a, StO 1808. GS 1832, S. 190. 382 Siehe das Ministerialreskript vom 17. Juli 1817, das nicht in die Deklaration aufgenommen wurde, nichtsdestotrotz in Geltung blieb, da die Deklaration feststellte, daß nicht aufgenommene gesetzliche Vorschriften solange in Kraft blieben, bis ihre Aufhebung ausdrücklich bekannt gemacht wurde. GS 1832, S. 191.

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Das in der Kabinetts-Ordre von 1832 bestätigte gegenseItIge Konsultationsrecht der Gemeindekörperschaften konnte hierfür keinen Ausgleich bieten. 383 Dieser Mangel wurde später auch von den Verteidigern der ersten Städteordnung als überaus nachteilig anerkannt. Karl Streckfuß, der 1828 den Dissens der Kommunalbehörden im Interesse städtischer Selbständigkeit noch einer gemeindeinternen Entscheidung vorbehalten und nur den Einspruch des Magistrats gegen einen Stadtverordnetenbeschluß der Regierungsentscheidung überlassen wollte, trat zu Beginn der vierziger Jahre für das in der Revidierten Städteordnung entwickelte Verfahren ein, das er nunmehr ohne Umschweife als Fortschritt gegenüber der älteren Kommunalordnung bezeichnete. 384 Wie außerordentlich notwendig ein geregeltes Konfliktverfahren war, bewiesen die oben näher dargestellten Berliner Auseinandersetzungen über die Probleme des Gemeindehaushalts. Der Berliner Magistrat wußte sich im Januar 1831, nachdem er sein eigenes Unvermögen zur Aufstellung eines vollständigen Haushaltsplans eingestanden hatte und es ihm dadurch auch an einer ausreichenden Begründung für die geforderte Erhöhung der städtischen Einnahmen fehlte, nicht in anderer Weise zu helfen, als bei der zuständigen Bezirksregierung um die Ernennung eines Staatskommissars zu bitten, der "die Etats und Rechnungen" vor Ort prüfen sollte. 385 Die Städteordnung half bei den erforderlichen Regelungen zum kommunalen Haushalt nicht weiter, da sie weder zwingend die Aufstellung eines Haushaltsplans vorschrieb noch Vorschriften darüber enthielt, für welchen Zeitraum der Kämmereietat und sonstige städtische Etats aufzustellen seien. 386 Der Städtedepartementsrat der Potsdamer Regierung orientierte sich zunächst in Berlin über die Lage des Stadthaushalts und erwirkte anschließend die Einberufung einer Konferenz, an der neben Vertretern der Kommunalkörperschaften Streckfuß als Kommissar des Innenministeriums und Regierungsrat Haeckel als Delegierter der Potsdamer Regierung teilnahmen. Die Konferenz brachte zwar eine erste Annäherung der städtischen Organe, die aber rasch an der nach wie vor umstrittenen Frage über die Höhe des Haushaltsdefizits zerbrach. Daraufhin verfügte der Innenminister am 9. NoDeklaration zu § 113, StO 1808. A.a.O., S. 186. Streckfuß, Städteordnungen, S. 44 f. 385 Latendorf, Entwicklung, S. 78. 386 Im § 183, Lit. a, Tit. 8 ist nur von der Kontrolle sämtlicher "Kämmerei- und städtische(r) Kassen- auch Nutzungs- und Verbesserungsetats, nebst Etatsüberschreitungen" seitens der Stadtverordneten die Rede. Im § 184, Abs. 2 heißt es weiter, daß der Magistrat "mit Rücksicht auf die Kämmereietats und Rechnungsverhältnisse" die Art der Deckung der öffentlichen Geldbedürfnisse vorschlägt, während die Stadtverordneten die Entscheidung fällen. GS 1806-1810, S. 351 f. Rönne/Simon, Städteordnungen, S. 679 f. 383

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vember die kommissarische Aufstellung einer Übersicht des Aktiv- und Passivstandes sowie eines allgemeinen Etats. Eine klare und überzeugende Übersicht zur Lage des Berliner Stadthaushalts fehlte nach ministerialer Auffassung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt, "weil es an einem den ganzen Haushalt umfassenden Etat und einer demselben entsprechenden Rechnung gefehlt hat, die verschiedenen Zweige der Verwaltung vielmehr nach besonderen, unter sich in keinem formellen Zusammenhang stehenden Etats und Rechnungen behandelt worden sind".387 Der Geheime Finanzrat Seiffert stellte bis zum Dezember 1832 den ersten vollständigen, alle Zweige des Stadthaushalts umfassenden Nettoetat auf. 388 Zugleich regte er die Einrichtung einer städtischen Haupt- und Zentralkasse an. Der Anstoß zur Modernisierung der hauptstädtischen Finanzund Kassenorganisation ging demnach nicht nur von der Initiative der Gemeinderepräsentation, sondern zu einem nicht unwesentlichen Teil auch von der staatlichen Einflußnahme aus. Der Magistrat mußte sich, als er die Arbeiten Seifferts im Juni 1832 kritisierte, den Verweis gefallen lassen, daß die bislang eingereichten Übersichten zu den einzelnen, unabhängig nebeneinander bestehenden Kassen nicht als Etat anzusehen waren, den die kommunale Exekutive schon längst hätte aufstellen müssen. Erst durch das Fehlen eines ordentlichen Etats war es in Berlin überhaupt zum Ausbruch des Kommunalkonflikts gekommen. Das Innenministerium appellierte im Dezember an die durch die Städteordnung verliehene kommunale Selbständigkeit. Berlin hatte nach Ansicht des Ministeriums mehr als andere Großstädte staatliche Hilfe bei der Regulierung des Stadthaushalts in Anspruch genommen. Als gewerbereiche und wohlhabende Stadt sollte Berlin nach ministerialer Meinung allein mit der Deckung des Defizits fertig werden?89 Der Magistrat wurde nochmals aufgefordert, die kommunalen Kassengeschäfte mit Hilfe eines Hauptetats zu konzentrieren, während das Innenministerium von der StadtverordnetenVersammlung eine rasche Entscheidung über die Anerkennung eines Defizits und gegebenenfalls über seine Höhe, über die notwendigen Deckungsmittel sowie über die Frage forderte, wie das künftige Etat- und Rechnungswesen einzurichten sei. Der Magistrat brachte seine Enttäuschung über die ergangene Ministerialverfügung in einem weiteren Antrag zur Entsendung eines Staatskommis387 Ministerialverfügung vom 9. November 1831. Zit. n. Latendorf, Kassenorganisation, S. 80 f. 388 Siehe dazu die bereits oben genannte Schrift Resultate der über den Communal-Haushalt stattgefundenen commissarischen Erörterungen, Berlin 1832. 389 Latendorf, Kassenorganisation, S. 82 f. Vgl. jedoch das weiter oben angeführte Regierungsurteil aus dem Jahre 1828, das die wirtschaftliche Leistungskraft Berlins weniger günstig einschätzte.

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sars zum Ausdruck, der nach einer Überprüfung der Aufstellungen Seifferts bzw. der kommunalen Exekutive das "wahre" Haushaltsdefizit feststellen sollte. Während der Berliner Magistrat sich ministerialen Spott gefallen lassen mußte, vermied die Gemeindevertretung eine ähnliche Peinlichkeit. Sie ging zielbewußt an eine Prüfung der Resultate Seifferts und ließ durch eine Deputation einen Hauptetat aufstellen, die Ergebnisse der kommissarischen Untersuchung begutachten und die staatliche Kritik an der kommunalen Finanz- und Haushaltspolitik kommentieren. Der Gemeinderepräsentation ging es weniger um eine Auseinandersetzung mit dem Magistrat, wenngleich sie nicht von den gerügten Mängeln des Berliner Finanzwesens absah, als um eine Kritik an der staatlichen Kommunalpolitik. Sie listete die Einnahmeverluste auf, welche die Stadt nach Einführung der Städteordnung durch staatliche Maßnahmen verkraften mußte, führte die vom Staat geforderten neuen Kommunalleistungen an und legte die seit Übernahme des Armenwesens geleisteten Zuschüsse dar. Das Haushaltsdefizit war, so die einhellige Meinung der Stadtverordneten, eine Folge der staatlichen Gesetzgebung, die Einnahmeverluste und vermehrten kommunalen Ausgaben folglich unvermeidlich. 39o Die Zielsetzung dieser Kritik ließ sich, wie bereits erläutert wurde, nicht übersehen. Da die eigentliche Ursache der kommunalen Finanzsituation ein Resultat staatlicher Politik war, mußte der Staat für die Beseitigung des Defizits aufkommen. Mit dieser, keineswegs überzeugenden Maxime gingen die Stadtverordneten in die Auseinandersetzung mit dem Staat über die gegenseitigen Forderungen aus der Kriegsperiode 1806/07, über die an anderer Stelle berichtet wurde. In jedem Fall hatte die Kommunalvertretung selbstbewußt von den ihr rechtlich zustehenden Kontrollbefugnissen Gebrauch gemacht und sich auch nicht durch das Faktum einer staatskommissarischen Untersuchung beeindrucken lassen. Rechtlich reagierte das Staatsministerium auf den Berliner Kommunalkonflikt in zweierlei Hinsicht: Einerseits wurde durch die Deklaration zum § 154 der Städteordnung die kommissarische Verwaltung eines Magistratsamts im älteren Städterecht verankert391 und die Pflicht der Gemeinderepräsentation bestätigt, für die Deckung der vom Magistrat zur Erhaltung des Stadthaushalts aufgestellten und von der zuständigen Regierung genehmigten Mittel zu sorgen,392 andererseits legte man im novellierten Städterecht definitiv fest, daß der Magistrat die Aufstellung des "Haushalts-Etats" zur Beschlußnahme der Gemeindevertretung veranlaßte. Der Etat mußte in A. a. 0., S. 85 ff. OS 1832, S. 188. Die kommissarische Verwaltung wurde in der Kommunalordnung allerdings mit den Regelungen zur Wahl bzw. Repräsentation unqualifizierter Bewerber für ein Stadtratsamt verbunden. 392 Deklaration zu § 109, StO 1808. OS 1832, S. 185. 390 391

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jeder Stadt vor Jahresbeginn festgesetzt werden, während die Rechnungsprüfung rasch nach Jahresende zu erfolgen hatte. Über die Art der Einrichtung des Etats, des Rechnungs- und Kassenwesens entschieden die Regierungen durch Instruktion. 393 Es wurde, wie zu hoffen ist, hinreichend deutlich gemacht, daß der Konflikt der Berliner Kommunalkörperschaften zu einem wesentlichen Teil durch mangelhafte Regelungen der kommunalen Verwaltungsordnung verursacht war. Das Städterecht hatte aber auch die Kompetenzverhältnisse innerhalb des Magistrats keineswegs erschöpfend geregelt. Das sollte in Berlin deutlich werden, als im Dezember 1832 Friedrich Wilhelm Leopold von Bärensprung zum Oberbürgermeister gewählt wurde. Das neue Stadtoberhaupt war entschlossen, die von seinem Vorgänger völlig aufgegebene Direktorialgewalt wieder geltend zu machen?94 Bärensprung, der dem Magistrat bereits seit 1814 als Bürgermeister angehörte, hatte noch, angeregt durch die unbestimmten Vorschriften der Städteordnung, während der Amtszeit seines Vorgängers Büsching, das Geschäftsverfahren beim Magistrat sowie die Stellung des zweiten Bürgermeisters und des Magistratskollegiums zum Stadtoberhaupt, mit dem Magistratsdirigenten in einer Art Privatabkommen zu regeln gewußt. 395 Als der neue Oberbürgermeister nach der Vorveröffentlichung einer vom Magistrat beauftragten Denkschrift über das städtische Armenwesen, die fälschlicherweise den Vorwurf des willkürlichen Staatseingriffs in städtische Rechte erhob, die Korrekturabzüge, da eine entsprechende Aufforderung des Berliner Polizeipräsidiums vorlag, vom Magistratskollegium einforderte und den zweiten Bürgermeister Ludwig Wilhelm Rehfeldt anwies, die Denkschrift zu überarbeiten, hielt man Bärensprung entgegen, daß er keine Disziplinargewalt über die Magistratsmitglieder besaß und nur über ein geringes Maß von Präsidialrechten verfügte. Bärensprung enthob im Anschluß an diese Auseinandersetzung Stadtrat Georg Reimer, einem der Wortführer der opponierenden Magistratsmitglieder, seines Amtes als Mitglied der Armendirektion, teilte ihm ein anderes Dezernat zu und berichtete anschließend über die strittige Frage der Präsidialgewalt an die Bezirksregierung. Die Regionalbehörde sah die Dezernatszuweisung im Einklang mit den Befugnissen des Stadtoberhaupts, war sich jedoch über die Ausdehnung der Präsidialbefugnisse im Unklaren und erbat aus diesem Grund eine Stellungnahme des Ministeriums des Innern. Wie im zurückliegenden Streit der § 114 i. Verb. m. § 124, Tit. 8, StO 1831. GS 1831, S. 27 u. 30. Vgl. hierzu Hildebrandt, Friedrich von Bärensprung, in: Stadtoberhäupter, S. 76. Vgl. auch Kochhann, Zeitbilder, S. 11 ff. Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 2, S. 121 f. 395 Clauswitz, Städteordnung, S. 152. 393

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Berliner Kommunalorgane reagierte das Ministerium in einem Erlaß vom 10. Mai 1833 zurückhaltend, indem es einerseits den Entzug der Mitgliedschaft Reimers in der Armendirektion nicht beanstandete, andererseits auf den Inhalt der Städteordnung verwies und lediglich hinsichtlich der Präsidialbefugnisse des Oberbürgermeisters bemerkte, daß das Städterecht nicht die Stellung eines eigentlichen Vorgesetzen des Magistrats begründete. 396 Das Magistratskollegium sah sich durch diese Äußerung bestätigt und derartig gestärkt, daß man, nachdem die Bezirksregierung die kommunale Exekutive Ende Mai zur Ausarbeitung eines Geschäftsreglements, in dem die Befugnisse des Oberbürgermeisters statutenmäßig festgelegt wurden, aufgefordert hatte, Bärensprung von diesen Beratungen ausschloß. Ein Schritt, der auf keinen Fall mit seiner durch die Städteordnung definierten Stellung als Magistratsdirigent zu vereinbaren war. Die Städteordnung ging zwar vom Kollegialitätsprinzip aus, räumte dem Bürgermeister aber eine herausgehobene Stellung ein, die explizit auf die Kontrolle und Revision der Verwaltungsdeputationen und -kommissionen bezogen war. 397 Eine Verfügung der Oppelner Bezirksregierung erklärte im Juni 1823, daß der Bürgermeister den "gesamten Geschäftsgang des Magistratskollegiums" leitete. Die Magistratsdirigenten waren vor allem für eine effiziente Arbeit der Deputationen verantwortlich wie das Deputationswesen überhaupt eine Domäne der Bürgermeister bildete?98 Während die Regierungen etwaigen Zweifeln der Bürgermeister begegnen und diese nachdrücklich auffordern wollten, mehr Initiative bei der Einrichtung der Deputationsverwaltungen zu zeigen, sprachen die Mitglieder des Berliner Magistrats dem Oberbürgermeister jede leitende Funktion, jegliche "Präsidialbefugnisse,,399 ab. In einem weiteren Streitfall, in dem der Oberbürgermeister einen Beschluß des Kollegiums über einen allmählichen Abbau der zweischläfrigen Bettstellen für einquartierte Soldaten in ein sofortiges Verbot umwandelte, reagierte das Magistratskollegium im Juni mit dem Ausschluß des Stadtoberhaupts von den Sitzungen der Servis- und Einquartierungsdeputation. Die im Spätsommer fertiggestellte überarbeitete Fassung der Denkschrift über das Armenwesen, die zwar insgesamt moderater gehalten war, aber prinzipiell ihre Frontstellung gegen den Staat und die Vernachlässigung seiner überlieferten Verpflichtung zur Unterhaltung des Berliner Armenwesens beibehielt, erreichte den Monarchen ohne die Unterschrift des Stadtoberhaupts. Auf die Nachfrage des Landesherm erklärte das MagistratskolleA. a. 0., S. 153 f. § 178, Abs. 2, StO 1808. GS 1806-1810, S. 348. 398 Regierungsverfügung vom 19. Juni 1823, in: APSV, Bd. 7 (1823), S. 39l. Vgl. Rumpf, Vergleichung, S. 160 ff. 399 Knoblauch, 175 Jahre, S. 23. 396 397

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

gium die fehlende Mitzeichnung des Oberbürgenneisters mit den Spannungen in der kommunalen Exekutive und dem Vertrauensverlust Bärensprungs, der zu einer vollständigen Trennung des Kollegiums vom Oberbürgenneister geführt hätte. Es mag sein, daß der Oberbürgenneister über "Beziehungen zu hochkonservativen Hofkreisen" verfügte400 oder durch seine Unfähigkeit zum kollegialen Dialog eine Annäherung behinderte,401 für die Entscheidung des Kompetenzkonfliktes in der kommunalen Exekutive Berlins konnte das nicht entscheidend sein. Es bedurfte, bei grundsätzlicher Anerkennung des durch die Städteordnung begründeten Kollegialitätsprinzips einer Klärung der Präsidialbefugnisse des Stadtoberhaupts, welche die Städteordnung allenfalls andeutete, nicht aber im einzelnen regelte. In einem Gespräch mit dem Ende Juni 1832 aus dem Magistrat ausgeschiedenen Knoblauch suchte Bärensprung nach einem Komprorniß, um bei der Ernennung der Deputationen einerseits Präsidialwillkür zu venneiden, andererseits die Gewähr für eine hinreichende Geschäftsführung zu erhalten. Bärensprung vertrat im Einklang mit Knoblauch die Meinung, daß der Magistratsdirigent aus der intimen Kenntnis der Arbeit der Stadträte am meisten geeignet sei, diese ihrer Befähigung entsprechend den einzelnen Deputationen zuzuordnen. Auf den Vorschlag Knoblauchs, die fehlenden gesetzlichen Bestimmungen durch ein internes Verfahren zu ersetzen, bei dem der Magistrat, sobald er von einer Präsidialentscheidung offiziell in Kenntnis gesetzt war, das Recht zur Erörterung erhielt und im Falle des Widerspruchs einen Regierungsbescheid erzwingen konnte, fand bei Bärensprung keine große Gegenliebe. 402 "Beide Teile verharren fest auf ihr vermeintliches Recht", notierte Knoblauch unter dem 30. März 1833 in sein Tagebuch, "auf der einen Seite keine Spur von Milde, welche durch gefällige Fonnen den Streit erst gar nicht aufkommen läßt, auf der anderen Seite das halsstarrige Bestehen auf einseitig konsequente Auslegung allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen. Wenn die wohlwollende Verständigung, welche die Städteordnung voraussetzt, nicht in Erfüllung geht, so bleibt freilich nichts als das strenge Beamtenverhältnis übrig", schloß der ehemalige Stadtrat seine Eintragung. 403 Es war nicht zuletzt die anti bürokratische Tendenz der Städteordnung von 1808, die für den gänzlichen Mangel näherer Kompetenz- und Zuständigkeitsregelungen verantwortlich gemacht werden mußte. Die revidierte Kommunalordnung beseitigte die Unbestimmtheiten zumindest insoweit, als 400

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Hildebrandt, Bärensprung, S. 78 f. Knoblauch, 175 Jahre, S. 24. A. a. 0., S. 23. A. a. 0., S. 23 f.

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sie ebenso die dirigierende Position des Stadtoberhaupts hervorhob wie sie dessen Präsidialbefugnisse näher erläuterte. Der Bürgermeister erhielt die ausschlaggebende Stimme im Magistratskollegium. Er führte die Aufsicht und leitete den gesamten Geschäftsgang der Kommunalverwaltung. Er war befugt, gesetzwidrige oder gemeinschädliche Beschlüsse der Stadtverordneten zu suspendieren. Er achtete auf die Erfüllung der vom Magistrat wahrzunehmenden Verpflichtungen als Staatsbehörde, handelte eigenständig bei akuter Gefahr und übte die Disziplinargewalt gegenüber den Gemeindebeamten wie den Magistratsmitgliedern aus. 404 Mit diesen Regelungen hatte die novellierte Kommunalordnung den Bürgermeistern unzweifelhaft eine dominante Position in der kommunalen Exekutive eingeräumt. Im Geltungsgebiet des älteren Kommunalrechts konnte man nicht auf diese Regelungen zurückgreifen. Die Städteordnung von 1808 wies insofern auf eine mögliche Lösung des Problems hin, als sie "mit Rücksicht auf die speziellen Verhältnisse des Orts" für alle Städte den Erlaß besonderer Geschäftsreglements vorschrieb. 405 Durch Kabinetts-Ordre wurde denn auch angeordnet, daß sowohl ein Regulativ für die Verteilung der Geschäfte zwischen Magistrat und Gemeindevertretung als auch für die Ordnung der Kompetenzverhältnisse innerhalb des Magistrats ausgearbeitet werden sollte. Der Entwurf eines allgemeinen Geschäftsregulativs für die Beziehungen zwischen Stadtverordneten und Magistrat wurde dem Ministerium des Innern übertragen. Es kam nie zustande, das Verhältnis beider Körperschaften mußte folglich der weiteren Revision der Städteordnung vorbehalten bleiben. Das Regulativ für den Magistrat wurde der Potsdamer Regierung zur Ausarbeitung überwiesen, nicht ohne den Hinweis, daß bei seiner Feststellung die Mitwirkung der Gemeindevertretung ausgeschlossen war. Der eigens für die Erklärung der Kabinetts-Ordre als königlicher Kommissar abgeordnete Ministerialdirektor Koehler erläuterte dem Berliner Magistrat, daß Friedrich Wilhelm III. im Gegensatz zur Verfügung des Ministers des Innern den Oberbürgermeister durchaus in der Stellung eines Dirigenten und Vorgesetzten sah, da ansonsten, wie es sich eben in Berlin herausgestellt hatte, die Disziplin und Ordnung in der städtischen Verwaltung leiden mußte. 406 Der Landesherr griff nicht zufallig auf die Regelungen der Revi404 §§ 106 u. 108, Lit. a-e, Tit. 7, StO 1831. GS 1831, S. 25 f. Vgl. Schlarmann, Einflußnahme, S. 31. Janetzki, Unterschiede, S. 38. Die auf den Magistrat bezogenen veränderten Kompetenzregelungen finden in der älteren und neueren Forschung ansonsten wenig Beachtung. Vgl. Schön, Organisation, S. 783. Ders., Recht, S. 37. Meissner, Grundsätze, S. 57 ff. Puhlmann, Umbildung, S. 40 ff. Mieck, Städtereform, S. 76. Engeli/Haus, Quellen, S. 182, erwähnen zwar die "Instruktion für die Stadtmagistrate", gehen aber nicht auf die Stärkung der BürgermeistersteIlung in der Revidierten Städteordnung ein. 405 § 190, Tit. 8, StO 1808. GS 1806--1810, S. 354.

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dierten Städteordnung zurück. So wurde den städtischen Körperschaften Berlins eröffnet, daß dem Oberbürgermeister die Leitung des gesamten Geschäftsgangs sowie die unbestimmte Disziplinargewalt gebührte. Bärensprung rückte wieder, was sich von selbst verstand, in seine Stellung als Mitglied der Servisdeputation ein. Der landesherrliche Appell, die Konflikte zu bereinigen, fruchtete insgesamt wenig. Die Fronten innerhalb des Magistrats blieben verhärtet. Bürgermeister Rehfeldt, der führende Kopf der Opposition, war entschlossen, die Auseinandersetzung mit Bärensprung "bis auf das Äußerste" fortzusetzen. 407 Die opponierende Magistratsmehrheit beteiligte, nachdem von der zuständigen Bezirksregierung die Aufforderung ergangen war, einen als Material dienenden Reglementsentwurf auszuarbeiten, gegen den Widerspruch des Oberbürgermeisters demonstrativ die Gemeindevertretung an den Verhandlungen. Für die Staatsregierung stand außer Frage, daß dem Oberbürgermeister in seiner Kritik an der Verwaltungs praxis des Magistratskollegiums weitgehend beizupflichten war und seine Stellung gestärkt werden mußte, indes machte ihn die Verwicklung in den Konflikt selbst untragbar, so daß der Minister des Innern schließlich bereitwillig seinen mit der Stadtverordneten-Versammlung ausgehandelten Rücktritt befürwortete. 408 Bärensprung blieb noch bis zum September 1834 im Amt, erst dann konnte der als kommissarischer Leiter bestellte Potsdamer Regierungsrat Sellenthin bis zur Neuwahl des Oberbürgermeisters an seine Stelle treten. Das Geschäftsregulativ für den Magistrat wurde am 14. Juli 1834 von der Regierung in Potsdam erlassen und vier Tage später vom Minister des Innern bestätigt.409 Dieses Regulativ war von weittragender Bedeutung, da es nicht den Charakter einer lokalen Instruktion behielt, sondern mit nur wenigen Abweichungen, die Besonderheiten Berlins verpflichtet waren, im Frühjahr 1835 als Instruktion für die Stadtmagistrate für sämtliche östlichen Provinzen erlassen wurde. 410 Durch das Geschäftsregulativ bzw. die Magistratsinstruktion wurde die Städteordnung von 1808, was in der neueren Forschung weitgehend übersehen wird,411 in einem überaus wichtigen Punkt des Kommunalrechts nicht nur dem Tenor der Revidierten StädteordClauswitz, Städteordnung, S. 155 f. Knoblauch, 175 Jahre, S. 24. 408 Hildebrandt, Bärensprung, S. 80. 409 Regulativ über das Geschäfts-Verfahren für den Magistrat in Berlin, 14. Juli 1834. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 1385, BI. 3-9. Abdruck in: APSV, Bd. 18 (1834), H. 3, S. 756--781. 410 Instruktion für die Stadt-Magisträte in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Preußen, Schlesien, Posen und Sachsen vom 25. Mai 1835. Abdruck in: APSV, Bd. 19 (1835), H. 3, S. 733-750. Durch das Zirkularreskript des Ministeriums des Innern vom 23. Januar 1836 wurden die Oberpräsidenten zur Publikation der Geschäftsinstruktion autorisiert. 406 407

6. Staatsaufsicht

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nung angepaßt, sondern sie präzisierte darüber hinausgehend auch die Kompetenzverhältnisse innerhalb der kommunalen Exekutive. Die Verteilung der Zuständigkeiten in den Magistraten war ab Mitte der dreißiger Jahre nicht weiter von jenen Unbestimmtheiten des Kollegialitätsprinzips geprägt, wie sie in der ersten Kommunalordnung entwickelt worden waren. Sie wurden durch ein auf die Präsidialbefugnisse des Bürgermeisters konzentriertes Geschäftsverfahren abgelöst, das daneben auch die Aufgabenbereiche der wichtigsten Stadträte definierte und die Kompetenzen in den Deputationen und Kommissionen regelte. Die Instruktion für die Stadtmagistrate behielt für die innere Stadtverfassung, von einzelnen Neuerungen abgesehen, bis in die Weimarer Republik hinein Geltung. Materiell wurde ihre Gültigkeit in späteren Jahren häufiger angefochten, da sie Bestimmungen über den internen Geschäftsgang der städtischen Verwaltung in Gemeindeangelegenheiten enthielt, wodurch das in den §§ 9 u. 11 der Städteordnung von 1853 gewährleistete Recht auf Selbstverwaltung und Autonomie verletzt wurde. Diese Auffassung konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da insbesondere anerkannt wurde, daß ihre Bestimmungen, abgesehen von den Widersprüchen zur Städteordnung, weitgehend den praktischen Bedürfnissen der Kommunalverwaltung entsprachen. 412 Das Geschäftsreglement rüttelte nicht am Kollegialitätsprinzip, bestätigte aber die Präsidialstellung des Oberbürgermeisters. 413 Als Magistratsdirigent war der Oberbürgermeister der unmittelbare Vorgesetzte der Magistratsmitglieder und der Unterbeamten des Magistrat sowie der mittelbare Vorgesetzte aller übrigen Kommunalbeamten. Stadträte und Beamte unterstanden der Weisungsbefugnis des Oberbürgermeisters in den ihm zugeordneten Ressorts, ihre eigenen Geschäftsbereiche unterlagen der Auskunftspflicht. 414 Zum Ressort des Berliner Stadtoberhaupts gehörten die Leitung des formellen Geschäftsgangs im Magistratskollegium, die Anordnungskompetenz zum Fortgang und zur Kontrolle des Geschäftsganges und die Verteilung der Geschäfte. Der Oberbürgermeister ernannte die Magistratsmitglieder in 411 Eine Ausnahme machen Engeli/Haus, Quellen, S. 182, die auf die einschneidende und fortwirkende Bedeutung der Instruktion, insbesondere im Hinblick auf die Präzisierung der Stellung des Magistratsdirigenten, hinweisen. Ein kurzer Hinweis auch bei von Unruh, Veränderungen, S. 461. 412 Vgl. Jebens, Die Instruktion für die Stadt-Magisträte vom 25. Mai 1835 nach neuestern Recht, in: PrVerwBl, 22. Jg. (1901), Nr. 19, S. 233 f. Oertel, Städte-Ordnung, 6. Aufl, S. 420 f., 7. Aufl., bearb. von A Oehler, Liegnitz 1931, S. 420 f. Grzywatz, Städtisches Finanzwesen, S. 4 ff. 413 § 2, GRMagBln, 1834. APSV, Bd. 18 (1834), S. 758; § 4, InstrStMag. Aa.O., Bd. 19 (1835), S. 735. 414 § 18, Abs. 1 u. 2, GRMagBln, 1834. A a. 0., S. 765 f.; § 20, Abs. 1, InstrStMag, 1835. Aa.O., S. 741.

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4. Kap.: Kommunales Beamtentum

den ständigen und vorübergehenden Deputationen und Kommissionen ebenso, wie er sie abberufen konnte. Ihm war die Sorge für die äußere Ordnung des Geschäftsverkehrs aufgetragen, gleichzeitig war er gehalten, auf eine vollständige Erörterung der Gegenstände zu achten, Verzögerungen zu verhindern, die Einheit der Verwaltung zu beobachten und die gesetzlich garantierte Mitwirkung der Gemeindevertretung zu beachten. 415 Die Revisionsgeschäfte verlangten vom Magistratsdirigenten die Wahrung einer zweckentsprechenden Verwaltung sämtlicher Kommunalanstalten. Administrative Mängel, soweit sie im Geschäftsgang selbst begründet waren, hatte er unter Zuziehung der betreffenden Beamten selbst zu korrigieren, hatten sie materielle Ursachen, waren sie bei den zuständigen Deputationen oder im Magistratskollegium selbst zur Sprache zu bringen. Darüber hinaus oblag dem Oberbürgermeister die Revision der Geschäftsführung sämtlicher Deputationen und Kommissionen, wozu seine zeitweilige Teilnahme an den Sitzungen gefordert wurde. In solchen Fällen war er befugt, den Vorsitz zu übernehmen, mitzustimmen und anzuordnen, welche Sachen vorgetragen werden sollten. Die Aufsicht und die Leitung der Deputationen unterlagen jedoch dem gesamten Magistratskollegium, das in allen Fällen, wo nach den Vorschriften der Städteordnung ihre Erklärung oder Zustimmung erforderlich war, Abweichungen von den angenommenen Verwaltungs grundsätzen oder bestehenden Einrichtungen vorlagen, die Berichterstattung an vorgesetzte Behörden erforderlich war, die Beteiligung mehrerer Deputationen stattfand und keine Einigung erzielt werden konnte oder die Anstellungs-, Besoldungs- sowie Disziplinarangelegenheiten unbesoldeter Unterbeamter berührt wurden, gehört werden mußte. 416 Das Berliner Regulativ enthielt gegenüber der späteren Instruktion insofern eine Besonderheit, als es bei der Armendirektion, der Servisdeputation, der Deputation für die königliche Gewerbesteuer und der Schuldeputation bei der bis dahin bestehenden Observanz blieb, wonach die Deputationen in den zu ihrem Ressort gehörenden Spezialien unmittelbar berichten konnten, während in Generalien dem Magistrat die Berichte vorgelegt werden mußten. 417 Sämtliche städtische Kassen, das Rechnungswesen, das Kämmereidepositorium und die Kassen der dem Magistrat beigeordneten Institute unterstanden der Oberaufsicht des dirigierenden Bürgermeisters. Er war ebenso ermächtigt, außergewöhnliche Kassenrevisionen anzuordnen, wie er verpflich415 § 18, Abs. 3, Ziff. 1-4, GRMagBln, 1834. Aa.O., S. 768 f.; § 20, Abs. 2, Ziff. 1-4, Abs. 1, InstrStMag, 1835. Aa.O., S. 741 f. 416 § 25, Abs. 1 u. 2, Lit. a-f, GRMagBln, 1834. Aa.O., S. 777 ff.; § 26, Abs. 1 u. 2, Lit. a-f, InstrStMag, 1835. A a. 0., S. 747 f. 417 § 25, Abs. 2, Lit. c, Abs. 2, GRMagBln, 1834. Aa.O., S. 778.

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tet war, monatliche und jährliche Revisionen vorzunehmen. 418 Daß der Magistrat und die Stadt ihren Verpflichtungen gegenüber dem Staat und seinen Behörden gebührend nachkamen, gehörte ausschließlich zu den Obliegenheiten des Stadtoberhaupts. Magistratsbeschlüsse, die gegen Gesetze und Verordnungen oder gegen Verfügungen der Staatsbehörden verstießen, konnte der Oberbürgermeister bis zur Entscheidung durch die vorgesetzten Behörden suspendieren. Der Magistratsdirigent war zur Superrevision sämtlicher Dekrete und Konzepte aufgefordert, sie beschränkte sich jedoch allein auf die Änderung der Form und Fassung. Hielt der Oberbürgermeister die Fassung für unrichtig oder war er mit dem materiellen Inhalt nicht einverstanden, hatte er die Verfügung dem zuständigen Dezernenten mit seinen Bemerkungen zurückzugeben. Fand eine Einigung, auch nach Prüfung der Sache durch einen vom Oberbürgermeister ernannten Kodezernenten, nicht statt, mußte die Angelegenheit zur Beschlußfassung im Magistratskollegium vorgetragen werden. An dessen Beschluß war der Oberbürgermeister gebunden, es sei denn, es handelte sich dabei um einen Verstoß gegen bestehendes Recht. 419 Die Disziplinargewalt lag ausschließlich in den Händen des Stadtoberhaupts, ebenso die Bearbeitung der Beschwerden über einzelne Magistratsmitglieder. Erst im Falle ausbleibenden Erfolgs seiner disziplinarischen Anordnungen traf die Regierung nach erfolgter Anzeige des Oberbürgermeisters Entscheidung. 42o Beschwerden über den Berliner Oberbürgermeister gehörten "nie" zum Ressort des Magistratskollegium, sondern fielen allein in die Zuständigkeit der vorgesetzten Behörde, das hieß zunächst, soweit nicht Polizeiangelegenheiten betroffen waren, der Regierung zu Potsdam. 421 Neben den Angelegenheiten des Oberbürgermeisters widmete sich das Geschäftsregulativ den Zuständigkeiten des zweiten Bürgermeisters, des Kämmerers und Syndikus' sowie des Stadtschulrates, der in der Instruktion für die Stadtmagistrate nicht mehr gesondert aufgenommen wurde. 422 Durch das Geschäftsregulativ war die Autorität des Stadtoberhaupts außerordentlich gestärkt worden, Ausschließungen oder Kompetenzbeschränkungen, wie sie das Berliner Magistratskollegium geübt hatte, waren zu418 § 18, Abs. 3, Ziff. 4-6, GRMagB1n, 1834. Aa.O., S. 769 f.; § 20, Abs. 2, Ziff. 4, Abs. 2--6, InstrStMag, 1835. A a. 0., S. 742 f. 419 § 13, GRMagB1n, 1834. Aa.O., S. 764; § 14, InstrStMag, 1835. Aa.O., S.739. 420 § 18, Abs. 3, Ziff. 7, 8 u. 10, GRMagBln, 1834. Aa.O., S. 770 ff.; § 20, Abs. 2, Ziff. 7, 8 u. 1O,InstrStMag, 1835. Aa.O., S. 743 f. 421 § 18, Abs. 3, Ziff. 11, GRMagBln, 1834. Aa.O., S. 772; § 20, Abs. 2, Ziff. 11, InstrStMag, 1835. A.a.O., S. 744. 422 §§ 19 bis 23, GRMagB1n, 1834. Aa.O., S. 772 ff.; §§ 21 bis 24, InstrStMag, 1835. A.a.O., S. 745 ff. Vgl. Grzywatz, Städtisches Finanzwesen, S. 6 f.

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

künftig nicht mehr möglich. Der Erfolg des Regulativ lag einerseits in der Aufrechterhaltung des Kollegialitätsprinzips, trotz seiner herausgehobenen Präsidialstellung blieb der Oberbürgermeister primus inter pares, unterstanden die wichtigen Deputationen der Kompetenz des Magistratskollegiums, andererseits in der erschöpfenden Regelung der Zuständigkeitsverhältnisse. Dem Kollegium war nunmehr ein gestärkter Dirigent gegenübergestellt, was der Verwaltungseffizienz nur dienlich sein konnte. Die mit dem Fortschritt in der praktischen Verwaltungsorganisation einhergehende Stärkung der kommunalen Bürokratie423 bildete eine unerläßliche Voraussetzung für die vielfaltigen und zunehmend an Komplexität gewinnenden Aufgaben, die im Zuge der sich ausbreitenden industriellen Revolution auf die kommunalen Verwaltungsapparate zukommen sollten. 7. Öffentlichkeit und politisches Gemeindeleben Sollte es ein Zufall sein, daß mit der abschließenden Ordnung des Kommunalhaushalts sowie des Kassen- und Rechnungswesens die Gemeindeverwaltung in Berlin einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung nahm? In den vierziger Jahren wagten sich die Kommunalkörperschaften zum ersten Mal an die Errichtung eines gewerblichen Kommunalunternehmens und damit an die Übernahme freiwilliger Gemeindeaufgaben. Die Planungen zum Bau einer städtischen Gasanstalt wurden 1844 mit der staatlichen Genehmigung abgeschlossen. Mit einer Kommunalinvestition von 1,5 Millionen Reichstalern sollte der Grundstein für die später so bedeutenden Wirtschaftsbetriebe Berlins gelegt werden. 424 Wenn die Stadt in einer Zeit industriellen Wandels weiterhin mit der Zuwanderung proletarischer Schichten und steigenden Armenkosten belastet war, mußte die investive Tätigkeit der Kommunalkörperschaften um so nachhaltiger als Zeichen einer grundsätzlichen kommunalpolitischen Kursänderung angesehen werden. 425 423 Diesen Aspekt hebt auch Heffter, Selbstverwaltung, S. 217 f., hervor. Nach seiner Ansicht mußte das korporative und ehrenamtliche Element in der Kommunalordnung zurückgedrängt werden, wenn es den Städten gelingen sollte, die zwangsläufig wachsenden Gemeindeaufgaben zu bewältigen. 424 Vgl. Amold Rudnitzky, Die Berliner städtische Gaswirtschaft, Staatswiss. Diss., Berlin 1933, S. 23 ff. Zum staatlichen Einfluß auf die kommunale Infrastrukturpolitik siehe Grzywatz, Der Staat und die Metropole, S. 223 f. 425 Die Interpretation des Stadthaushalts von 1847 bei Dora Meyer, Das öffentliche Leben, S. 38 f., die unter Berücksichtigung der Schuldenaufnahme eine insgesamt ungünstige Finanzlage der Stadt feststellt, trifft im Grunde genommen nicht den Kern der neuen Entwicklung, da mit der langfristig angelegten Investition realistische Gewinnerwartungen verbunden waren. Zum Kommunalhaushalt von 1847 vgl. VerwBBln 1841-1850, Anlage D sowie die Geschäftsübersicht der Stadtverordneten-Versammlung pro 1847-1848, Berlin 1848.

7. Öffentlichkeit und politisches Gemeindeleben

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Die Stabilisierung der Kommunalfinanzen und die Überwindung der langanhaltenden städtischen Finanznot hat sicherlich auf seine Weise zur Formung bürgerlichen Selbstbewußtseins beigetragen, das sich insbesondere in einem neuen Verhältnis zur kommunalen Öffentlichkeit äußerte. Die Abgeschlossenheit gemeindlicher Beratung sah eine stadtbürgerliche Schicht wie die Kaufmannschaft, die traditionell zu den tragenden Elementen der Gemeinderepräsentation gehörte, nicht länger im Einklang mit den partizipativen Forderungen des Kommunalrechts. Schon im Mai 1809 hatte der Herausgeber des Berlinischen Wochenblatts Friedrich Wadzeck die Gemeindevertretung um die Mitteilung ihrer Beschlüsse zur Veröffentlichung gebeten, ohne mit diesem Wunsch Gehör zu finden. Die Öffentlichkeit kommunalbehördlicher Verhandlungen entsprach nicht dem Zeitgeist und es verwunderte daher nicht, wenn die Stadtverordneten dem Herausgeber antworteten, sie könnten ebensowenig nützlich als nötig finden, jeden Beschluß ihrer Beratungen dem Publikum mitzuteilen. 426 Im Oktober 1819 bestätigte das Innenministerium die Befugnis der Gemeinderepräsentationen, ihre Beschlüsse drucken zu lassen, ohne daß dieses Recht auf solche Entscheidungen beschränkt war, die bereits die Zustimmung des Magistrats erhalten hatten. 427 Da diese Verordnung vermeintlich Mißverständnisse hervorrief, erläuterte das Innenministerium die Publikationsbefugnis der Stadtverordneten zwei Jahre später dahingehend, daß die gedruckten Beschlüsse der Kommunalvertretungen Gutachten darstellen mußten. Die kommunale Öffentlichkeit sollte auf diese Weise über die Gründe der Beschlußnahme in solchen Angelegenheiten informiert werden, die eine "mehrseitige Ansicht" zuließen. Die Veröffentlichung solcher Gutachten bedurfte weder einer Genehmigung des Magistrats noch mußte eine Bestätigung des Stadtverordnetenbeschlusses vorliegen. 428 Die Ministerialbürokratie bezog sich damit erstaunlicherweise nur auf Ziff. 40 der Geschäftsinstruktion für die Stadtverordneten und ließ die aus Ziff. 14 resultierende Befugnis zur Publikation von Aufsätzen über einzelne Beratungsgegenstände unerwähnt. 429 Das Innenministerium stellte sogar fest, daß der Gemeinderepräsentation die "bloß historische Anzeige" gefaßter Beschlüsse nicht zustand. Die Publikation unausgeführter Beschlüsse mußte, so das Ministerium, die Öffentlichkeit nur irritieren. Bei ausgeführten Beschlüssen kam es hingegen auf die Mitteilung der Resultate an, so daß die Bekanntmachung einen Teil der Ausführung bildete und folglich dem Magistrat oblag. Kettig, Gemeinsinn, S. 13. A. Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 604. Reskript vom 14. Oktober 1819. APSV, Bd. 3 (1819), S. 928 f. 428 Reskript vom 3. November 1821. A.a.O., Bd. 5 (1821), S. 897 429 Vgl. Ziff. 12-14 u. 40, Instruktion behufs der Geschäftsführung der Stadtverordneten bei ihren ordnungsmäßigen Versammlungen vom 19. November 1808. GS 1806-1808, S. 358 f. Siehe auch Obenaus, Anfänge, S. 50. 426 427

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

Im übrigen sollten sich die Kommunalkörperschaften über die "historisch" zu veröffentlichenden Gegenstände einigen. 43o Das Innenministerium beschränkte demnach die Publikationsrechte der Gemeinderepräsentationen, da sie in der Stadtverordneteninstruktion unzweifelhaft weiter gefaßt waren. 1822 stellte der Berliner Kaufmann und spätere zeitweilige Stadtverordnetenvorsteher Friedrich Wilhelm Junge 431 den Antrag, die wahlberechtigten Bürger an den Sitzungen der städtischen Vertretung teilnehmen zu lassen. Die Mehrheit der Repräsentanten lehnten den Antrag und den Vorschlag einer entsprechenden Petitionierung bei den Ministerialbehörden ab. 1826 stieß die Initiative des im Innenministerium beschäftigten Geheimen Oberfinanzrats Semmler, ein kommunales Wochenblatt kostenlos redaktionell zu betreuen, nicht auf die Zustimmung des Magistrats. Der kommunalen Exekutive waren die jährlichen Kosten von 500 Reichstalern für einen anzustellenden Kanzlisten zu hoch. Außerdem fürchtete der Magistrat, daß durch die regelmäßige Publizierung der Verhandlungsergebnisse der Kommunalkörperschaften möglicherweise die öffentliche Kritik herausgefordert und die Gemeindebehörden in unnötige Auseinandersetzungen verwickelt werden könnten. 432 Der Mitte Oktober 1828 dem Landesherm vorgelegte Ministerialentwurf einer revidierten Städteordnung übernahm in der ebenfalls neugefaßten Geschäftsinstruktion die im älteren Kommunalrecht begründeten Publikationsrechte der Stadtverordneten. Die Abteilungen des Staatsrats äußerten jedoch während der Beratungen Bedenken, daß unbeschränkte Veröffentlichungen zu Mißbräuchen führen könnten. Sie setzten durch, die seit zwanzig Jahren geltenden selbständigen Rechte der Stadtverordneten zukünftig sowohl hinsichtlich der Aufsätze über Beratungsgegenstände als auch der Verwaltungsgutachten von der Genehmigung des Magistrats abhängig zu machen. 433 Diese konservative Regelung war in der Öffentlichkeit umstritten. Savigny plädierte aus grundsätzlichen Erwägungen für die Öffentlichkeit der Stadtverordnetensitzungen, soweit sie die Bürgerschaften betrafen. Er Reskript vom 3. November 1821. APSV, Bd. 5 (1821), S. 897 f. Junge wurde 1817 in die Gemeindevertretung gewählt und in den Jahren 1820 bzw. 1823 wiedergewählt. 1832 konnte Junge nochmals ein Stadtverordnetenmandat gewinnen, das Mandat aber nicht mehr antreten. Er wurde noch im Jahre 1832 durch den Stellvertreter Karl August Ferdinand Haeck ersetzt. Vgl. Verzeichnis der gewählten Stadtverordneten, LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 185, BI. 35 ff.; Nr. 29, BI. 21 ff.; Nr. 4, BI. 51 ff. 432 Kettig, Gemeinsinn, S. 13 f. Zu ähnlichen Bestrebungen in schlesischen Städten, Floda, Geschichte, S. 60 ff. Wendt, Städteordnung, Bd. I, S. 298 ff. 433 Vgl. §§ 13 u. 41, Instruktion behufs der Geschäftsführung der Stadtverordneten vom 17. März 1831. GS 1831, S. 34 u. 37. Zu den Beratungen des Staatsrats, Schlarmann, Einflußnahme, S. 45. 430 431

7. Öffentlichkeit und politisches Gemeindeleben

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sah die Gefahr, daß die Geschlossenheit der Gemeinderepräsentation einer kleinlichen Kommunalpolitik Vorschub leistete, die durch eine angemessene Publizität der Gemeindeverhandlungen und der öffentlichen Beurteilung der städtischen Geschäfte relativiert werden konnte. Den ungehinderten Zugang zu den Stadtverordneten-Versammlungen sollte neben den Bürgern auch dem nicht zum Erwerb des Bürgerrechts verpflichteten Bildungsbürgertum gewährt werden, so daß, wie Savigny 1832 hoffte, die öffentliche Meinungsbildung intensiviert wurde und damit die Kommunalwahlen zukünftig auf der Basis gründlicher Sachkenntnis vollzogen werden konnten. 434 Eine ähnliche Wirkung war von einer Publikation der Stadtverordnetenverhandlungen zu erwarten. Auch 1832 blieb die Forderung nach einer größeren Öffentlichkeit noch ohne allgemeinen kommunalen Anklang. Erst zu Beginn der vierziger Jahre wollte sich die Gemeinderepräsentation nicht mehr mit dem Nachweis und der Auslage der Verhandlungsgegenstände, der Veröffentlichung wichtiger Beratungsangelegenheiten in Form von Aufsätzen in der Tagespresse oder mit der Publikation von Verwaltungsgutachten zufrieden geben. 1842 sah sich die Gemeindevertretung durch den Antrag des Stadtverordneten und Apothekers Jacob Abraham Bernard435 veranlaßt, einen Stadtverordnetenausschuß zu konstituieren, der darüber beraten sollte, in welcher Weise eine größere Teilnahme der Bürgerschaft an den Gemeindeangelegenheiten herbeizuführen und ob dieses Ziel durch die Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen zu erreichen war. Nach ausgiebiger Beratung empfahl die Kommission, die Zulassung von Zuhörern zu den Gemeindeversammlungen abzulehnen, ohne daß dieser Antrag von der Kommunalvertretung angenommen wurde. In der ersten Februarhälfte 1843 entschied man sich dann, die allgemeine Öffentlichkeit der Sitzungen nicht zu beantragen, die Zulassung der stimmfähigen Bürger hingegen zu befürworten. Der Magistrat opponierte indessen weiter gegen eine größere Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen. Er ließ sich von dieser Auffassung auch in gemeinsamen Beratungen mit den Gemeinderepräsentanten nicht abbringen. 436 Savigny, Städteordnung, S. 219 f. Bemard wurde 1830 erstmalig in die Gemeindevertretung gewählt. 1833 konnte er sein Mandat verteidigen, schied jedoch nach Ablauf der Wahlperiode aus der Stadtverordneten-Versammlung aus. Erst bei der Stadtverordnetenwahl von 1842 konnte er das Mandat in seinem angestammten Wahlbezirk zuTÜckgewinnen. Verzeichnis der Gewählten für 1830 und 1833. LAB, StA Rep. 00-02/1, NT. 91, BI. 165 ff. u. 172 ff.; Nr. 135, BI. 75 ff. u. 83 ff. Für die Wahl von 1842 und die folgende Wiederwahl vg1. die Bekanntmachungen der Spenerschen Zeitung, NT. 211, Ausgabe vom 10. September 1842, und NT. 228, Ausgabe vom 30. September 1845. 436 Auch in anderen Städten hatten sich die Magistrate zunächst den Anträgen aus der Bürgerschaft bzw. den Gemeindevertretungen auf Öffentlichkeit der Ver434 435

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

Im August 1843 forderte Daniel Alexander Benda, der schon in seinem "Bürgerkatechismus" für eine stärkere Teilnahme der Bürgerschaft an munizipalen Ereignissen eingetreten war,437 in einem engagierten Zeitungsartikel die Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen. 438 Weiteren Auseinandersetzungen griff im September die Bezirksregierung mit einer Verfügung vor, anstelle öffentlicher Sitzungen zunächst die periodische Bekanntmachung der Verhandlungsprotokolle vorzunehmen. Zur gleichen Zeit trat der achte brandenburgische Provinziallandtag auf Antrag der Stadt Potsdam im selben Sinne für die Publikation der Sitzungsprotokolle ein. Die allgemeine Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen stand im Landtag nicht zur Diskussion, selbst die Entscheidung über die Zulassung der Wahlberechtigten hielt er sich offen. 439 Die Mitte April durch Kabinetts-Ordre gestattete Herausgabe fortlaufender periodischer Berichte über die Wirksamkeit der städtischen Behörden und ihrer Vertreter440 befriedigte die Gemeindevertretung nicht, da das Gesetz die Mitarbeit des Magistrats zwingend vorschrieb. Die mit der Abfassung der Berichte beauftragte Stadtverordnetenkommission sollte unter dem Vorsitz eines Magistratsmitglieds tagen. Überdies war dem Magistrat die Prüfung und Drucklegung der Berichte vorbehalten, was die Stadtverordneten gemeinhin als Kompetenzverlust betrachteten. 441 Zur fortlaufenden Veröffentlichung waren nur solche Gegenstände der Gemeindeverwaltung vorgesehen, über die auch ein Beschluß des Magistrats vorlag. 442 Die Kommunalberichte fielen unter die Zensurpflicht. Der Mißbrauch des Publikationsrechts konnte gegebenenfalls mit einem bis auf drei Jahre ausgedehnten Entzug der Druckerlaubnis geahndet werden. 443 Die Vermutung einzelner Stadtverordneter, daß die Kabinetts-Ordre zukünftig auch die Publikation der zur Beratung bestimmten Deliberanda und Gutachten über die Verwaltung von der Genehmigung des Magistrats absammlungen widersetzt. Vgl. Wendt, Städteordnung, Bd. I, S. 299. In Breslau einigten sich die Kommunalkörperschaften allerdings schon 1842 darauf, Zuhörer zu den Verhandlungen der Gemeindevertreter zuzulassen. Der schlesische Provinziallandtag unterstützte die Forderung, die Ministerialbürokratie hielt dessenungeachtet nur eine allgemeine gesetzliche Regelung für möglich. Sie lehnte daher die von einzelnen Städten beantragten Abänderungen des geltenden Kommunalrechts ab. Wendt, Städteordnung, Bd. I, S. 300; Bd. 2, S. 475 ff. Obenaus, Anfänge, S. 569 f. 437 D.A. Benda, Katechismus für wahlberechtigte Bürger Preussens, Berlin 1843. 438 Spenersche Zeitung, Nr. 203, Ausgabe vom 28. August 1843. 439 Clauswitz, Städteordnung, S. 202. 440 Kabinetts-Ordre vom 19. April 1844, die Veröffentlichung über die Wirksamkeit der städtischen Behörden und Vertreter betreffend. GS 1844, S. 101 f. 441 Vgl. dazu Wendt, Städteordnung, Bd. I, S. 301; Bd. 2, S. 496. 442 Kabinetts-Ordre vom 19. April 1844. GS 1844, S. 101. 443 A. a. 0., S. 102.

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hängig machte, erwies sich indessen als falsch. Innenminister Graf von Arnim bestätigte in dieser Hinsicht die Regelungen der Städteordnung von 1808 und unterstrich im übrigen, daß die Gegenstände, welche die Gemeinden in gesetzlicher Weise veröffentlichen konnten, nicht beschränkt, sondern vermehrt worden waren. 444 Die Berliner Gemeinderepräsentation konnte in dieser Liberalisierung der kommunalen Publikationstätigkeit keinen wesentlichen Fortschritt sehen, denn sie hatte ja schon seit 1817 wiederholt Jahresberichte herausgegeben, damit aber nicht jene politische Wirkung erzielt, die man sich nunmehr von der Öffentlichkeit der Stadtverordnetensitzungen versprach. Das Stadtbürgertum sah zudem durch die Herausgabe vereinzelter Jahresberichte nicht die Forderung der Städteordnung erfüllt, regelmäßig Rechnungsextrakte und Verwaltungsübersichten zu publizieren. 445 1845 wandte sich die Berliner Gemeindevertretung mit der Öffentlichkeitsfrage selbst an den Provinziallandtag. Als sie auch hier, obwohl man nur die bedingte Öffentlichkeit beantragt hatte, abschlägig beschieden wurde, beschlossen die Stadtverordneten, dem Bedürfnis nach größerer Publizität ihrer Verhandlungen durch die Bekanntgabe der Beratungsgegenstände in der Tagespresse nachzukommen. 446 Erstmalig zeigte die kommunale Exekutive Entgegenkommen. Sie unterstützte den Antrag der Stadtverordneten, machte ihre endgültige Zustimmung jedoch von der Bedingung abhängig, Vertreter des Magistrats zu den öffentlichen Sitzungen der Gemeindevertretung zuzulassen. 44? Die Stadtverordneten interpretierten diese Forderung als den erneuten Versuch, in ihre Rechte einzugreifen und lehnten eine entsprechende Magistratsvorlage Mitte Juli 1846 ab. Die Gemeinderepräsentation fürchtete allgemein, daß der Magistrat nicht zuletzt auf Grund seiner detaillierteren Aktenkenntnis einen zu großen Einfluß unter den Stadtverordneten gewinnen und insbesondere das Abstimmungsverhalten beeinflussen könnte. Möglicherweise verloren die Gemeindevertreter dadurch das Vertrauen der Bürgerschaft, während der Magistrat zu ihrem eigentlichen Ansprechpartner avancierte. 448 Die Befürchtungen der Kommunalrepräsentation waren nicht nur unbegründet, da ihre im Kommunalrecht definierte Stellung durch die Zulassung des Magistrats zu den Sitzungen keineswegs tangiert wurde, sondern sie entsprachen auch nicht mehr den Anforderungen des städtischen Geschäftsbetriebs. Bei der Vielfältigkeit der Gemeindeangelegenheiten 444 Zirkularverfügung an sämtliche Oberpräsidenten, mit Ausnahme der Rheinprovinz, vom 25. Juni 1844. MBliV, 5. Jg. (1844), S. 165 f. 445 Heinrich Runge, Mein Glaubensbekenntnis, 2 Berlin 1844, S. 10 f. 446 Pahlmann, Anfänge, S. 128. 44? Clauswitz, Städteordnung, S. 203. 448 Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 605. 28 Grzywatz

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

brachte der ausschließlich schriftliche Verkehr zwischen den Kommunalkörperschaften eine unnötige Erschwernis der Verwaltungstätigkeit mit sich, die durch die "Öffentlichkeit der Verwaltung" erheblich eingeschränkt werden konnte. Schließlich verlangte selbst die Städteordnung, jede Korrespondenz "zwischen den Deputationen und Kommissionen mit dem Magistratskollegium" möglichst zu vermeiden bzw. abzukürzen. 449 Das kritisch politisierte Stadtbürgertum sah in dem Versäumnis, rechtzeitig für eine Realisierung des bereits im Kommunalrecht angelegten Prinzips der Öffentlichkeit zu sorgen, den entscheidenden Grund für ein Versagen der Städteordnung in der Frage der Gemeinsinnbildung. "Die Städte-Ordnung mußte ihren Zweck verfehlen", bemerkte Heinrich Runge, "weil sie Gemeinsinn erregen wollte, dieser aber ohne gemeinsames und öffentliches Leben unmöglich ist".45o Politisch mußte Runge zugestimmt werden, wenngleich er in der Politisierungseuphorie Mitte der vierziger Jahre das Ideal einer gegen Individual- und Gruppeninteressen gerichteten gemeinsinnbildenden Kommunalpolitik unrealistisch überhöhte. Die Stadt entwickelte sich zusehends zu einem sozial und ökonomisch äußerst diffizilen Interessenkonglomerat, dem sich die Kommunalkörperschaften nicht entziehen konnten. Das kommunale Berufsbeamtenturn mußte sich insbesondere darauf einstellen, daß die Gemeinderepräsentationen in Gruppen und Fraktionen zerfielen, die Stadtentwicklung mithin von Kompromissen und Vereinbarungen mit den jeweiligen politischen Mehrheiten in der Gemeindevertretung abhängig wurde. Nachdem die Einigung mit dem Magistrat gescheitert war, reichten die Stadtverordneten im Februar 1847 ein Immediatgesuch ein, in dem sie die beschränkte Öffentlichkeit ihrer Sitzungen beantragten und ausdrücklich die Anwesenheit von Magistratsvertretern zurückwiesen. Eine Antwort erhielt die Gemeindevertretung nicht. Zwischenzeitlich bahnte sich unterdessen eine allgemeine Lösung der Frage an. Als in der ersten Aprilhälfte der Vereinigte Landtag in Berlin zusammentrat, lagen ihm sechs kommunale Petitionen zur Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen vor. Der Landtag trat der städtischen Forderung mit großer Mehrheit bei. 451 Im Landtagsabschied vom 23. Juli lenkten die Staatsbehörden endlich ein. Sie genehmigten den Kommunen die lang erhoffte Öffentlichkeit. Allerdings nicht in Form einer Ergänzung zur Städteordnung, die bindende Wirkung für sämtliche Städte gehabt hätte, sondern als Einzelfallregelung § 187, Abs. 1, Tit. 8, StO 1808. GS 1806-1808, S. 353. Runge, Glaubensbekenntnis, S. 9. 451 Obenaus, Anfange, S. 696. Vgl. den Beschluß der Sitzung des Vereinigten Landtags vom 20. Mai 1847, in: Eduard Bleich, Verhandlungen des Ersten Vereinigten Landtags Bd. 3, Berlin 1847. Neudruck Vaduz/Liechtenstein 1977, S. 91l. 449 450

7. Öffentlichkeit und politisches Gemeindeleben

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mit landesherrlichem Widerrufsrecht. Zur Genehmigung der allgemeinen Öffentlichkeit der Stadtverordneten-Versammlungen mußte ein gemeinsamer Antrag der Kommunalkörperschaften sowie der Nachweis einer geordneten Vertretung des Magistrats auf den Sitzungen vorliegen. Konnte überdies auf ein geeignetes Geschäftslokal verwiesen werden, stand der Genehmigung öffentlicher Stadtverordnetensitzungen nichts mehr im Wege. Städte, welche die Genehmigung des Monarchen "mißbrauchten", mußten mit ihrem Widerruf rechnen. 452 Die Berliner Gemeindevertretung war nunmehr gezwungen, ihren Widerstand gegen die Zulassung von Magistratsvertretern aufzugeben. Nachdem man sich mit dem Magistrat geeinigt und auch davon Abstand genommen hatte, nur den stimmberechtigten Bürgern den Zutritt zu den Stadtverordneten-Versammlungen zu gestatten, konnte der Bezirksregierung ein entsprechender Antrag vorgelegt werden. Am 11. Oktober lag schließlich die Genehmigung der Regierungsbehörde vor, fünf Wochen später, am Jahrestag der ersten preußischen Städteordnung wurde in Anwesenheit des Oberpräsidenten von Meding die erste öffentliche Versammlung der Berliner Stadtverordneten eröffnet. Die patriotischen Reden und die übliche Huldigung des Landesherrn durften in diesem Augenblick nicht darüber hinweg täuschen, daß sich hier zwar kein radikales Stadtbürgertum versammelte, was sich unter anderem in den maßvollen Anträgen an den Vereinigten Landtag manifestierte, aber es handelte sich um ein Bürgertum, daß in der Vergewisserung des eigenen gesellschaftlich-politischen Standorts nicht nur zu einem, auf wechselseitiger Anerkennung ruhenden Ausgleich zwischen den Kommunalkörperschaften fand, sondern in der Erfahrung kommunalen Aufschwungs auch gegen den seit vier Jahrzehnten gegebenen rechtlichen Rahmen der bürgerschaftlichen Verwaltung aufbegehrte. Anstelle des im Kommunalrecht formulierten Besorgens sämtlicher Gemeindeangelegenheiten, der politischen Unverbindlichkeit des Teilnehmens trat in den letzten Jahren des Vormärzes ein neuer Begriff, der den Willen nach größerer Selbständigkeit im Bereich stadtbürgerlicher Gestaltung bekundete: Selbstverwaltung wurde zu einem politischen Leitmotiv gegen eine staatliche Verwaltungspraxis, welche, wie Heinrich Runge es formulierte, die Aufsicht in eine Bevormundung umgewandelt hatte. 453 Die Radikalität, mit der eine jüngere Stadtverordnetengeneration auf das bisherige Stadtregiment zurückblickte, war Ausdruck der politischen Ziel452 Kabinetts-Ordre vom 23. Juli 1847, die Öffentlichkeit der Sitzungen der Stadtverordneten betreffend. GS 1847, S. 282. 453 Runge, Glaubensbekenntnis, S. 7. Zur politishen Atmosphäre Berlins in den vierziger Jahren vgl. auch Hachtmann, Berlin 1848, S. 87 ff., zur Politisierung der Gemeinderepräsentation insbesondere S. 107 ff. 28*

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4. Kap.: Kommunales Beamtenturn

setzung einer neuen "selbständigen, öffentlichen und [auf] vernünftigen Principien sich stützenden Verwaltung".454 Für die bisherige Kommunalverwaltung bzw. die Gemeindevertretung blieben nur negative Charakterisierungen übrig: Erschlaffung, Lässigkeit, Teilnahmslosigkeit, Egoismus, mangelnder Gemeinsinn und Unterordnung gegenüber dem Staat. 455 Solche Einschätzungen waren wohl durch momentane politische Motivierungen beeinflußt, so daß es sich verbietet, von ihnen auf die Entwicklung und den Zustand der gesetzlich geregelten bürgerschaftlichen Partizipation zu schließen. 456 Nichtsdestotrotz dokumentieren sie ein neues politisches Selbstbewußtsein und eine veränderte Wahrnehmung der Mitwirkungschancen in der Gemeinde. Bezeichnenderweise lehnte Runge Wahlen ab, bei denen nur das Ansehen der Bewerber entschied. Er forderte Wahlen auf der Grundlage von politischen Programmen, nach denen die Wähler eine Entscheidung fällen sollten. 457 Die allgemeine Politisierung gab der Gemeinderepräsentation den Mut zu weiteren, auch über den kommunalen Rahmen hinausgehenden Forderungen. Ende Dezember 1846 verlangten die Stadtverordneten "Preßfreiheit", die vollständige Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen, die Errichtung eines selbständigen Handelsministeriums, Anfang Januar 1847 die Judenemanzipation. 458 Die politischen Verhältnisse der späten vierziger Jahre hatten ihre Zielpunkte schon im Februar 1841 in den berühmten "Vier Fragen" eines Ostpreußen gefunden. Der Königsberger Linksliberale Johann Jacoby klagte in seiner verbreiteten Flugschrift das unabweisbare Recht des preußischen Volkes auf eine Konstitutionalisierung des monarchischen Staates ein. Deren Realisierung unter Umständen auch gegen den Willen der Krone durchzusetzen, war das Volk um so mehr berechtigt, als die Monarchie seit dem Mai 1815 das Versprechen auf eine Volksrepräsentation wiederholt gegeben hatte. 459 Der Akt des Versprechens war Jacoby Synonym politischer MünRunge, Glaubensbekenntnis, S. 14. A. a. 0., S. 9. 456 Diesem Fehler liegen Meyer, Das öffentliche Leben, S. 28 ff. u. Pahlmann, Anfänge, S. 127 f. auf. 457 Vg!. Scarpa, Gemeinwohl, S. 85. 458 Hachtmann, Berlin 1848, S. 107 f. Zum Handelsministerium Rönne, Staatsrecht, Bd. 3,1, S. 110 ff. Olaf Wirth, Das preußische Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten. Ein Beitrag zu seiner Entstehungsgeschichte, Jur. Diss., München 1962, S. 79 ff. 459 Vg!. Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen. Preußens Provinzialständen gewidmet, Mannheim 1841, in: Johann Jacoby, Gesammelte Schriften und Reden, Bd. 1, 2 Hamburg 1877, S. 116-147. Siehe dazu Peter Schuppan, Johann Jacoby und seine politische Wirksamkeit innerhalb der bürgerlich-demokratischen Bewegung des Vormärz (1830-1846), Phi!. Diss., Berlin 1963, S. 80 ff. Edmund 454 455

7. Öffentlichkeit und politisches Gemeindeleben

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digsprechung,460 die bereits in einer liberalen, "der Bürger Selbständigkeit" achtenden Kommunalordnung Ausdruck gefunden hatte. Gleichwohl weigerte sich Jacoby, die "vielgerühmte preußische Städteordnung als Gegengewicht des selbständigen Volksbewußtseins gegen Ministerwillkür, geschweige als ein Surrogat constitutioneller Vertretung gelten zu lassen".461 Die "gesetzmäßige Teilnahme der selbständigen Bürger am Staat"462 sollte die herrschende "Scheinvertretung,,463 ersetzen, wie Jacoby die bestehenden Repräsentationsformen auf Kommunal-, Kreis- und Provinzialebene charakterisierte, und damit die Staatsbürger aus ihrer verfassungsmäßigen Rechtlosigkeit entlassen. Der Ruf nach Konstitutionalisierung, nach größerer Selbständigkeit des Bürgers wie der kommunalen Verwaltung schloß, wie bei den Auseinandersetzungen um die Gewerbeordnung deutlich wurde, selbst die Kommunalbürokratie ein. Das radikalisierte, politisch indessen gemäßigte Bewußtsein des Stadtbürgertums war dabei, worauf noch zurückzukommen sein wird, in gewisser Weise Ausdruck einer veränderten sozialen Zusammensetzung der Gemeinderepräsentation: Bildungsbürgerliche Schichten nahmen in den vierziger Jahren einen größeren Anteil am Kommunalgeschehen. Das Bürgertum scheute sich nicht mehr, selbst oppositionelle Politiker wie Julius Berends oder earl Nauwerck, die mit den Staatsbehörden in Konflikt geraten waren, in die Gemeinderepräsentation zu wählen.

Silberner, Johann Jacoby, Politiker und Mensch, Bonn-Bad Godesberg 1976, S. 79 ff. Zu den öffentlichen Reaktionen auf die Broschüre siehe den Briefwechsel des Liberalen. Johann Jacoby, Briefwechsel 1816-1849, hrsg. u. erläutert von E. Silberner, Hannover 1974, S. 110 ff. 460 Jacoby, Meine Rechtfertigung wider die gegen mich erhobene Anschuldigung des Hochverrats, der Majestätsbeleidigung und des frechen, unerbietigen Tadels der Landesgesetze, in: Schriften, Bd. 1, S. 150. 461 Jacoby, Vier Fragen, in: a.a.O., S. 123. 462 A.a.O., S. 116. 463 A. a. 0., S. 118.

Fünftes Kapitel

Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation unter der ersten preußischen Städteordnung 1. Wahlbewußtsein, Wahlverhalten, Wahlergebnisse und Wahlrecht Als Innenminister Graf Dohna Ende Dezember 1808 Oberpräsident Sack beauftragte, die "verbesserten Verfassungen des Gemeinwesens der Städte" in den Provinzen Kurmark, Neumark und Pommern zum 1. April 1809 oder im Falle der größeren Städte möglichst schon bis zum 1. März auszuführen, wies er gleichzeitig auf eine Reihe von vorbereitenden Maßnahmen hin, die der Etablierung der körperschaftlichen Kommunalverwaltung vorausgehen mußten. Die bürgerrechtspflichtigen Stadtbewohner waren zum Erwerb des Bürgerrechts aufzufordern, anschließend die Bürgerrollen anzufertigen, die Städte in Wahlbezirke einzuteilen und parallel die Zahl der Stadtverordnetenmandate festzulegen. Nach Beendigung dieser Arbeiten konnte die Wahl der Gemeinderepräsentationen angesetzt werden und nach erfolgter Wahlprüfung durch die Magistrate die Wahl der neuen kommunalen Exekutiven, der Deputations- und Kommissionsmitglieder sowie der Bezirksvorsteher vorgenommen werden. l Sack wußte zu berichten, daß das Berliner Stadtbürgertum der Kommunalreform mit engagierter Anteilnahme entgegensah. "Der Bürger erwartet(e) von der neuen Verfassung viel und mehr Gutes", erläuterte er dem Monarchen, "als es der Stand der Eximirten thut und daher greift er mit Ungeduld nach der Veränderung"? Der zügigen Ausführung der Stadtverordnetenwahlen standen jedoch einige Schwierigkeiten im Wege. Da der Magistrat während der Besatzungszeit keine Erhebungen über den Kreis der Hauseigentümer und Gewerbetreibenden in der Stadt vorgenommen hatte, bedurfte es eines erheblichen Aufwands, um die stimmberechtigten Bürger zu ermitteln und in der Bürgerrolle aufzulisten. In nicht wenigen Fällen waren bereits ausgestellte Bürgerbriefe abhanden gekommen oder war das Datum der Ausgabe verloren gegangen. Zudem enthielt die Städteordnung keine näheren Regelungen darüber, wie der vorgeschriebene ZenMinisterialverfügung vom 30. Dezember 1808. Immediat-Zeitungsbericht Sacks vom 21. Februar 1809, in: Granier, Berichte, S.362. I

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1. Wahlbewußtsein, Wahlverhalten und Wahlrecht

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sus zu ennitteln war. Die Annahme des Kommunalrechts, daß in der Regel die Kenntnis der prüfenden Stadtverordneten bzw., soweit es sich um die erste Kommunalwahl handelte, des Magistrats und der Bürgerschaftsvertreter über das "geordnete reine Einkommen" des einzelnen Bürgers ausreichte,3 war nicht dazu angetan, ein rationales, von willkürlichen Einschätzungen befreites Prüfungs verfahren in Gang zu setzen. Eine gewisse Unklarheit herrschte auch über den Status der Juden unter der neuen Gemeindeordnung. Zwar bestimmte das Kommunalrecht, "Stand, Geburt, Religion und überhaupt persönliche Verhältnisse,,4 wären ohne Einfluß auf den Gewinn des Bürgerrechts, trotzdem einigte sich Oberpräsident Sack mit dem zur Einführung der Städteordnung eingesetzten Kammerdirektor Gruner zunächst darauf, das Bürgerrecht nur den 40 konzessionierten jüdischen Grundstückseigentümern zu gewähren. Eine Entscheidung, die mit den landesgesetzlich fortwirkenden Beschränkungen für die Juden begründet wurde. 5 Ende Februar verwies das Innenministerium jedoch auf die politische Gleichberechtigung der Juden in den Kommunen. Sie waren nicht nur wie alle anderen, betonte das Ministerium, zum Bürgerrechtserwerb berechtigt, sondern auch, soweit sie die Bedingungen der Städteordnung erfüllten (§ 23), bürgerrechtspflichtig. Die Städteordnung nahm als Gesetz allerdings nur auf die kommunalen, nicht aber auf die staatsbürgerlichen Verhältnisse der Stadtbewohner Bezug. Folglich partizipierten die Juden nach dem Erlangen des Bürgerstatus nur insofern an den bürgerlichen Rechten, als es "die Beschränkungen ihres staatsbürgerlichen Verhältnisses" erlaubten. 6 Das Bürgerrecht modifizierte folglich weder die staatsbürgerlichen Beschränkungen der Juden noch hob es diese auf. Es lag nur in der Konsequenz der in den Gemeinden eröffneten politischen Teilhabe, daß die Juden ebenso Stadtverordnete wie Magistratsmitglieder werden konnten, was durch Ministerialreskript Mitte März ausdrücklich bestätigt wurde. 7 Nach den ministeriellen Erklärungen mußte der Oberpräsident dem Protest der Berliner Juden gegen die nur eingeschränkt gewährte Mitwirkung in der Gemeinde nachgeben und die jüdischen Hausbesitzer allgemein zum Erwerb des Bürgerrechts verpflichten. Den übrigen Schutzjuden wurde die Möglichkeit zur Annahme des Bürgerstatus freigestellt. 8 § 76, Tit. 6, StO 1808. OS 1806-1810, S. 334. § 19, Tit. 3, StO 1808. A.a.O., S. 326. 5 Bömer, Beginn, S. 178 f. 6 Ministerialreskript vom 28. Februar 1809, in: Rumpf, Städteordnung, S. 15. Dieses Reskript wird weder bei Börner noch bei lersch-Wenzel erwähnt. Pahlmann, Anfange, S. 40, geht auf die Anordnung ein, verwechselt das Reskript aber offensichtlich mit dem späteren vom 14. März. 7 Ministerialreskript vom 14. März 1809, in: Rönne/Simon, Städteordnungen, S. 363. Vgl. lersch-Wenzel, Jüdische Bürger, S. 12 u. 32 f. 3

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

Während das Berliner Judentum bewußt zum Bürgerrecht strebte9 und dessen Erwerb als Schritt zur staatsbürgerlichen Rechtsgleichheit begriff, wandten sich die Angehörigen der französischen Kolonie Berlins im Januar und März sowohl gegen die Aufhebung ihrer Sonderrechte als auch gegen die Bürgerrechtspflicht. Friedrich Wilhelm III. appellierte in seiner Antwort an die Einsicht, daß individuelle Rechte, die nicht mehr mit dem reformierten Kommunalsystem zu vereinbaren waren, zu Gunsten der "Teilnahme am Ganzen" aufgegeben werden mußten. 1O Mitte November erging, nachdem das Staatsministerium mit der Prüfung der Verfassungen der französischen Kolonie beauftragt worden war, eine definitiv abschlägige Antwort. Die ehemaligen Kolonieangehörigen mußten sich sämtlichen Bestimmungen der Städteordnung unterwerfen, bis 1810 wurden die besonderen Einrichtungen für die französischen Gemeinden in der Regierung und Verwaltung aufgehoben.!! Nach der im Frühjahr 1809 erstellten Bevölkerungsliste wurde für die preußische Landeshauptstadt eine Bevölkerungsziffer von 138869 Personen ermittelt. i2 Die Bevölkerungsziffer dürfte sich auf das Stadtgebiet innerhalb der Ringmauern beziehen. Da das Kommunalrecht vorschrieb, daß die in großen Städten einzurichtenden Kommunalwahlbezirke nicht mehr als 1500 Personen einschließen sollten, \3 wurde Berlin in 102 Bezirke eingeteilt. i4 Durchschnittlich umfaßte die Bevölkerung eines jeden Wahlbezirks dem8 Börner, Beginn, S. 177. Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 2, S. 25 f. Zu der zahlenmäßig nur geringen Teilnahme der Berliner Juden an der Kommunalverwaltung, auch nach dem Erlaß des Emanzipationsedikts von 1812, vgl. Jersch-Wenzel, Jüdische Bürger, S. 45 f. Pahlmann, Anfänge, S. 168 ff. 9 In der ersten Aprilhälfte erwarben 275 Juden das Berliner Bürgerrecht. Vgl. Jacob Jacobson, Die Judenbürgerbücher der Stadt Berlin 1809-1851, Berlin 1962, S. 55 ff. Siehe auch Pahlmann, Anfänge, S. 169. 10 Granier, Berichte, S. 487. Edouard Muret, Geschichte der französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Gemeinde, Berlin 1885, S. 73. Börner, Beginn, S. 178. 11 Granier, Berichte, S. 550 f. Muret, Geschichte, S. 74. Börner, Beginn, S. 178 f. Zu den Angehörigen der französischen Kolonie in der Berliner Gemeinderepräsentation Pahlmann, Anfänge, S. 165 ff. 12 Die Bevölkerungsziffer dürfte sich nur auf das Stadtgebiet innerhalb der Ringmauern beziehen. Vgl. Böckh, Bevölkerungsaufnahme, 1890, H. 1, Berlin 1893, S. XIII. Zur Definition des Stadtgebiets auf der Grundlage der kommunalrechtlichen Bestimmungen vgl. den Unterabschnitt 3. 13 § 11, Tit. 2, StO 1808. GS 1806-1810, S. 325. 14 Vgl. das Verhandlungsprotokoll der von den Kommunalkörperschaften eingesetzten Deputation vom 14. Oktober 1842. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239. In dieser Hinsicht muß Börners Urteil, Oberpräsident Sack hätte seine Zustimmung gegeben, nicht von der kommunalrechtlich vorgeschriebenen Einwohnerzahl für die Stadt- bzw. Wahlbezirke, sondern von der "Zahl der Wohnhäuser" auszugehen, korrigiert werden. Vgl. Börner, Beginn, S. 176 f.

1. Wahlbewußtsein, Wahlverhalten und Wahlrecht

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nach rund 1361 Einwohner. Durch die vorgenommene Bezirkseinteilung konnte es jedoch zu einem Konflikt zwischen der festgelegten jährlichen Wahlbeteiligung der "stimmfähigen Bürger der Stadt,d5 und den Stellvertreterwah1en kommen, die nur für ein Drittel der Stadtverordnetenmandate vorzunehmen waren. 16 Wenn die Wahl der Stellvertreter aus praktischen Erwägungen beispielsweise auf eine entsprechende Anzahl von Wahlbezirken begrenzt wurde, mußte das zwangsläufig zu einer Einschränkung des Wahlrechts der Gemeindebürgerschaft führen. Der vom Magistrat beauftragte Kommissar, der Geheime Rat Koels, schlug deshalb am 14. März Gruner vor, jeweils drei Bezirke zur Wahl zusammenzufassen. Die Wahlversammlungen sollten drei Stadtverordnete und einen Stellvertreter wählen, jedoch so, daß auf jeden Wahlbezirk ein Gemeindevertreter entfiel. Gruner stimmte dem vorgeschlagenen Verfahren zu, mußte dem Magistrat auf Anordnung des Innenministers indessen am 29. März mitteilen, daß die Stellvertreter analog zu den im Januar festgelegten Regelungen für Königsberg jedesmal nur von einem Drittel der Bezirke zu wählen waren. Folglich mußte in jedem Wahlbezirk für sich gewählt und zusätzlich noch in einem Drittel der Kommunalwahlbezirke die vorgeschriebene Anzahl Stellvertreter bestellt werden. Die Auswahl dieser Bezirke wurde der kommunalen Exekutive überlassen. 17 Das vom Innenminister vorgeschriebene Wahlverfahren wurde in den folgenden Jahrzehnten beibehalten. Erst Ende der dreißiger Jahre sollte das Stadtbürgertum im Zuge der Kritik am Prinzip der jährlichen, auf ein Drittel der Stimmberechtigten beschränkten Ergänzungswahlen an den § 87 StO erinnern, um Gesamtwählerversammlungen und damit eine Erweiterung der Teilhabe am Kommunalgeschehen zu erzwingen. Mitte April waren die Vorbereitungen zur ersten Kommunalwahl in Berlin so weit abgeschlossen, daß zwischen dem 18. und 22. des Monats die Wahl der Stadtverordneten bezirksweise durchgeführt werden konnte. In der preußischen Landeshauptstadt wurden nunmehr 102 Stadtverordnete und 34 Stellvertreter gewählt. 18 Die Gemeindevertretung verfügte somit über die höchste Anzahl von Mandaten, die nach der Kommunalordnung für die größeren Städte vorgesehen war. 19 Gewählt wurde in geheimer und freier Wahl durch Ballotage. Aus der Wahlversammlung konnten mit kur§ 87, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 335. § 71, Tit. 6, StO 1808. A. a. 0., S. 333. 17 Protokoll der Sitzung einer gemischten Deputation der Kommunalkörperschaften zur Beratung des kommunalen Wahlverfahrens vom 14. Oktober 1842. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239. 18 Zum Wahlverlauf im einzelnen vgl. Bömer, Beginn, S. 181 f. Pahlmann, Anfänge, S. 51 f. Zu den Kommunalwahlbezirken siehe weiter unten. 19 Vgl. § 70, Tit. 6. StO 1808. GS 1806-1810, S. 333. 15

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

zer Begründung Kandidaten vorgeschlagen werden, die der Reihe nach in einer Bewerberliste verzeichnet wurden. Über jeden Kandidaten war einzeln abzustimmen. Die Wahlentscheidung fiel durch einfache Mehrheitswahl, d.h. von denjenigen Bürgern, die man in die Kandidatenliste aufgenommen hatte, wurden zunächst jene bestätigt, welche die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen konnten. Bei Stimmengleichheit zweier Kandidaten war nicht die Entscheidung in einer Stichwahl vorgesehen, sondern die Stimme des Wahlkommissars gab den Ausschlag über die Bestätigung eines Bewerbers in der Kandidatenliste. 20 Die Mehrheitswahl wurde indessen durch die Hausbesitzerklausel relativiert, da im Falle einer zu geringen Quote von Hausbesitzern die Mandate vorerst nach der Rangfolge der abgegebenen Stimmen auf die erforderliche Anzahl von Hauseigentümern zu verteilen waren?l Es konnte mithin vorkommen, daß Kandidaten mit höherem Stimmenanteil ihr Mandat an Hausbesitzer verloren, die weniger Stimmen auf sich vereinigt hatten. Wenn für einzelne, mit Stimmenmehrheit verzeichnete Kandidaten die gleiche Stimmenzahl abgegeben worden war, fiel immer den mit einem Grundstück angesessenen Bürgern das umworbene Mandat zu. Nur in Zweifelsfällen war eine Entscheidung durch Los vorgesehen?2 Die in der Städteordnung vorgeschriebene bezirks gebundene Hausbesitzerquote bezog sich stets, wie schon früher festgestellt wurde,23 auf die Gesamtzahl der Stadtverordnetenmandate und war nicht mit überzähligen Hauseigentümermandaten unter den gewählten Stadtverordneten zu verrechnen. Zum Stellvertreter war nach der Kommunalordnung derjenige gewählt, welcher nach dem obsiegenden Mandatsinhaber die meisten Stimmen auf sich vereinigt hatte. Es gab kein getrenntes Wahlverfahren für die Stadtverordneten- und Stellvertretermandate. Diese Regelung sollte bald die Kritik der Kommunalkörperschaften herausfordern, da nach ihrer Auffassung die Wahl der Stellvertreter mehr vom Zufallsprinzip als vom Wählerwillen abhing. Bei der ersten Kommunalwahl unter dem neuen Städterecht wurde in den Wahlversammlungen häufig eine relativ hohe Anzahl von Kandidaten vorgeschlagen. In einzelnen Wahlbezirken konkurrierten sich bis zu acht Bewerber um ein Stadtverordnetenmandat. 24 Zukünftig sorgten die Prinzipien der jährlichen Ersatz- und der geschlossenen Bezirkswahl und nicht zuletzt Vgl. §§ 93-95, Tit. 6, StO 1808. A.a.O., S. 336. Vgl. § 99, Tit. 6, StO 1808. A.a.O., S. 337. Siehe dazu die Umstände der Wahlanfechtung bei der Stadtverordnetenwahl von 1849 im Kap. 6, Unterabschnitt 3. 22 § 101, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 337. 23 Vgl. oben den Abschnitt über Kommunalwahlrecht und Bürgergemeinde in Kap. 2. 24 Pahlmann, Anfange, S. 56. 20

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die eingeschränkte Öffentlichkeit der Stadtverordnetentätigkeit für eine hohe Kontinuität unter den Mandatsträgern. Bei dem überwiegenden Teil der Kommunalwahlen lag der Anteil der Wiedergewählten bei über 50 Prozent. Nur in einzelnen Jahren wie 1811, 1816, 1821, 1824 und 1836 wurde weniger als die Hälfte der amtierenden Gemeindevertreter wiedergewählt. 25 Zwischen 1810 und 1819 lag die durchschnittliche jährliche Wiederwahlquote bei 53,5 Prozent, in allen folgenden Dekaden lag die Ziffer zum Teil beträchtlich höher. Während sie in den zwanziger Jahren sich nur knapp auf 55 Prozent erhöht hatte, erreichte sie in den dreißiger Jahren einen Stand von 61,5 Prozent, um anschließend auf den Wert von 54,2 Prozent zurückzufallen. Die Wiederwahlquote der vierziger Jahre war wesentlich durch die Wahlergebnisse der Revolutionsjahre beeinflußt. 1848 wurden von den Stadtverordneten der sich selbst auflösenden Gemeinderepräsentation nur 33,2 Prozent wiedergewählt. 26 Damit war allerdings noch nicht der tiefste Stand der ersten Jahrhunderthälfte erreicht, 1849 sank die Wiederwahlquote noch weiter auf 32,4 Prozent. Mit diesem Niveau lag sie deutlich unter der Marke des Jahres 1821, in dem immerhin noch 41,2 Prozent der Stadtverordneten in ihren Mandaten bestätigt wurden. Unter Abzug der Revolutionszeit erreichte die Wiederwahlquote in den vierziger Jahre allerdings durchschnittlich 59,6 Prozent, sie lag immer noch deutlich über dem Wert für die gesamte Periode von 1809 bis 1849, der sich auf einer Höhe von 56,1 Prozent einpendelte. Die höchsten Wiederwahlquoten gab es im übrigen in den dreißiger Jahren: 1832, 1833 und 1839 wurden bei den Ergänzungswahlen fast drei Viertel der ausgeschiedenen Gemeindevertreter erneut zu Stadtverordneten berufen. Mehrmalige Wahlperioden waren für die Vertreter der städtischen Bürgerschaft also keine Seltenheit. Im Beobachtungszeitraum gab es zwei vollständige Neuwahlen und 38 Ergänzungswahlen, insgesamt wurden mithin 1496 Mandate vergeben, die auf insgesamt 741 Stadtverordnete verteilt wurden. Rein rechnerisch blieb jeder Gemeindevertreter zwei Wahlperioden im Amt. Tatsächlich lagen die Amtszeiten einzelner Stadtverordneter wesentlich höher. Drei- bis fünfmalige Wiederwahlen waren nicht selten, ein kleiner Kreis von Gemeindevertretern wurde nicht weniger als acht- bis 25 Alle Zahlen, auch im folgenden, berechnet nach: LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 47, BI. 3 f., 19 f., 129 ff., 143 ff.; Nr. 68, BI. 17 f., 78 f., 157 f., 219 f.; Nr. 3, 42 ff., 118af.; Nr. 185, BI. 35 f., 68 ff., 80 f., 161 f.; Nr. 29, BI. 21 f., 89; Nr. 4, BI. 13,64, 121 ff.; Nr. 60, BI. 2 f., 91 f., 170 f.; Nr. 91, BI. 45, 55 f., 114, 120 f., 165 f., 172 f., 193 f., 201 f.; Nr. 135, BI. 11 f., 18, 79 f., 83 f., 123 f., 169 f., 205, 210 f., 267 f., 289 ff.; Nr. 37, BI. 36 ff., 78 ff., 201 ff.; Nr. 131 u. 212. Spenersche Zeitung, Nr. 211 vom 10. September 1842; Nr. 224 vom 25. September 1843; Nr. 212 vom 10. September 1844; Nr. 228 vom 30. September 1845. 26 Zur Wahl von 1848 siehe unten Kap. 6, Unterabschnitt 1.

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zwölfmal in seinem Amt bestätigt. 27 Der Kaufmann Johann August Laspeyres, der zur französischen Gemeinde gehörte, wurde zwölfmal in seinem Amt bestätigt, der Bäckermeister Johann Andreas Fasquel brachte es nach seiner Erstwahl im Jahre 1816 auf elf Wiederwahlen. Mit Amtszeiten von über 30 Jahren bildeten Laspeyres und Fasquel die Spitze kontinuierlicher Stadtverordnetentätigkeit. Die in der Städteordnung festgeschriebene Verbindung zwischen dem Bürgerrecht und der Pflicht zur Übernahme von Kommunalämtern förderte sicherlich die personelle Kontinuität in den Gemeinderepräsentationen, war aber nicht allein für die langjährigen Amtszeiten in den Gemeindevertretungen verantwortlich, denn wie im Zusammenhang mit der Anfechtung einer Bezirkswahl im Jahre 1849 noch zu beobachten sein wird,28 war es durchaus üblich, die Ablehnung einer Wahl schon bei der Aufstellung der Kandidatenlisten stillschweigend hinzunehmen. In der zeitlichen Häufung von Wiederwahlen eine politische Tendenz anzunehmen, wie es Pahlmann für die Periode der dreißiger Jahre annimmt,29 scheint mehr als zweifelhaft. Einerseits sprechen die durchgängig hohen Wiederwahlquoten dagegen, andererseits zeigen die überdurchschnittlich hohen Quoten eine erhebliche zeitliche Streuung. Der Gesetzgeber verfolgte mit dem Prinzip der jährlichen Ersatzwahl ja einen antibürokratischen Effekt: die Mitarbeit in der Gemeinde sollte möglichst großen Teilen des Stadtbürgertums eröffnet, die Verwaltungstätigkeit durch den fortdauernden Wechsel belebt und eine bürokratische Verkrustung der Kommunalverwaltungen verhindert werden. Diese Tendenz unterstreicht die Städteordnung nachdrücklich, indem sie die Amtspflichtigkeit der Stadtbürger zur Übernahme solcher Kommunalämter wie Stadtverordneter, Bezirksvorsteher oder Magistratsmitglied in Abhängigkeit von der Größe der Städte für eine bestimmte Zeit aussetzte. Wer demnach das Amt eines Stadtverordneten drei Jahre lang ausgeübt hatte, konnte in großen Städten erst nach sechs, in mittleren nach vier und in kleineren Orten nach zwei Jahren zur Annahme einer Neuwahl gezwungen werden. 3o Selbstverständlich entwickelte das Kommunalrecht durch diese Bestimmung ebenso einen gewissen Schutz des Individualinteresses, nicht übermäßig zu Kommunalämtern genötigt zu werden,3l wie in der zeitlichen Stufung der Befreiung eine Rücksichtnahme auf die Notwendigkeit lag, in den verschiedenen Städteklassen ausreichend qualifizierte Amtsträ27 Die Liste der Stadtverordneten mit Angaben über ihre Wahljahre ist jetzt bei Pahlmann, Anfänge, S. 314 ff. leicht zugänglich. 28 Vgl. dazu unten Kap. 6, Unterabschnitt 3. 29 Pahlmann, Anfänge, S. 147. 30 § 198, Tit. 9, StO 1808. GS 1806-1810, S. 355. 31 Vgl. dazu das Ministerialreskript vom 19. Februar 1822, in: Rumpf, Städteordnung, S. 182.

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ger zu finden. Gleichzeitig war mit der jährlichen Erneuerung eines Teils der Gemeinderepräsentanten aber die Absicht verbunden, die Tätigkeit der Stadtverordneten-Versammlungen zu beleben. "Hat die Bürgerschaft in den Wahlen Mißgriffe begangen, und hat sich dadurch eine Majorität gebildet, deren Meinung nicht den öffentlichen Beifall verdient", so die politische Zielsetzung der Ministerialbürokratie, "ist der Bürgerschaft bei den jährlichen Wahlen die Gelegenheit gegeben, durch den Eintritt bewährter Männer der besseren Minorität das Übergewicht zu verschaffen".32 Der produktive Wechsel in der Zusammensetzung der Gemeindevertretungen ist wohl weitgehend Wunsch geblieben. Die hohen Wiederwahlquoten bestätigen, daß sich in den Kommunalvertretungen über längere Wahlperioden hinweg ein fester Stamm von Gemeinderepräsentanten bildete, der aus gleichsam "professionellen" Kommunalpolitikern bestand. Die mit dem Ziel antibürokratischen Wechsels nur schwer zu vereinbarende Entwicklung dürfte in vielfacher Hinsicht die Gewähr für die Bewältigung der administrativen Probleme der neuen körperschaftlichen Selbstverwaltung gegeben haben, so daß es nicht verwunderte, wenn in den Debatten zur Revision der Städteordnung das Ersatzwahlprinzip nicht zur Diskussion stand. 33 In der Phase zunehmender Politisierung des Gemeindelebens in den vierziger Jahren wurde die Ausbildung einer nur durch geringe personelle Mobilität ausgezeichneten Kommunalrepräsentation als Isolierung von der Bürgerschaft begriffen. Die Stadtverordneten-Versammlung, so die Kritik, fand keine Stütze mehr in der Masse der Bürger. Radikale Liberale wie Heinrich Runge plädierten daher, wenn auch ohne Erfolg, für die jährliche Neuwahl der gesamten Gemeindevertretung. 34 Runge hielt sich nicht lange mit einer genauen Auslegung des Kommunalrechts auf. Er sah die seinen politischen Zielsetzungen entsprechende Neuwahl schlicht in der Städteordnung verankert. So konnte er den städtischen Behörden Berlins, wenn auch völlig zu Unrecht, vorwerfen, sie riefen entgegen den Willen des Gesetzgebers die Wahlversammlungen nur alle drei Jahre zusammen. In der öffentlichen Debatte um die wahlrechtlichen Bestimmungen wurde die "freisinnige Tendenz" des Gesetzes ins Feld geführt, um nachzuweisen, daß es nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen hätte, bei den jährlichen Ergänzungswahlen eine Wiederwahl amtierender oder früherer Stadtverordneten zuzulassen, um neue Ansichten in die Verwaltung zu bringen, einem "gleichförmigen einschläfernden Fortgang" der städtischen Administration entgegenzuwirken und auch ein "zu genaues persönliches Bekanntwerden" der Gemeinderepräsentanten zu verhindern. Gegen die als "ge32 33 34

Streckfuß, Städteordnung, S. 62. Vgl. Rönne/Simon, Städteordnungen, S. 39. Schlannann, Einfluß, S. 26 f. Runge, Glaubensbekenntnis, S. 4 f.

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setzwidrig" bezeichneten häufigen Wiederwahlen einzelner Stadtverordneter wurde in der Öffentlichkeit jedoch deutlich gemacht, daß in der Bestätigung eines Stadtverordneten in seinem Amt ein besonderer Vertrauensbeweis der Bürgerschaft zum Ausdruck kam und der Gesetzgeber im Interesse der Verwaltungseffizienz einen Ausgleich zwischen dem Vertrauen auf die Erfahrung und der Erneuerung durch kontinuierlichen Wechsel gesucht habe. 35 Durch die Einberufung des Vereinigten Landtags gewannen die Kommunalwahlen in der Öffentlichkeit unmittelbar an Bedeutung, da einzelne Gemeinderepräsentanten als Vertreter in die Kammer gewählt werden konnten. Städtisches und allgemeines politisches Wohl wurden auf diese Weise miteinander verknüpft, worauf das Stadtbürgertum mit der Forderung nach öffentlichen politischen Erklärungen der Mandatsbewerber reagierte. 36 Die Kandidaten sollten Stellungnahmen zu den wichtigsten Zeitfragen abgeben und darlegen, in welcher Weise sie zu deren Lösung beitragen wollten. Diese Forderungen ließen sich kaum mit dem herkömmlichen Rahmen der Kommunalwahlen vereinbaren, insbesondere der zeremoniellen Verknüpfung mit einem Gottesdienst und die Durchführung der Wahlen in den Kirchen. Die Wahlbeteiligung lag bei der ersten Berliner Stadtverordnetenwahl im Jahre 1809 mit 79,4 Prozent außerordentlich hoch?7 Sie bestätigte Sacks Beobachtung von den hohen Erwartungen, die das Stadtbürgertum an die Veränderung der Kommunalverhältnisse stellte. Es war zu erwarten, daß bei den Ergänzungswahlen die Wahl beteiligung insgesamt niedriger ausfiel. Leider verfügen wir nicht über statistisches Material zu den Wahlen zwischen 1810 und 1816, so daß keine genauere Aussage über die Wahlbeteiligung im Jahre 1817 gemacht werden kann, die mit 44,8 Prozent den niedrigsten Stand in der ersten Jahrhunderthälfte auswies. 38 Mit der Wahl von Vossische Zeitung, Nr. 142, Ausgabe vom 22. Juni 1847. Friedrich Wilhelm Haesslein, Zur Stadtverordneten-Wahl des MohrenstraßenBezirks No. 39, in: Vossische Zeitung, Nr. 134, Ausgabe vom 12. Juni 1847, 1. Beilage. Siehe auch Runge, Glaubensbekenntnis, S. 6. 37 Zur Wahlbeteiligung vgl. Tab. 2 im Stat. Anhang. 38 Pahlmanns Urteil, Anfange, S. 122, die Wahlbeteiligung gehe bis 1817 kontinuierlich zurück, ist unhaltbar, da er für den Zeitraum bis 1816 kein statistisches Material nachweisen kann. Die von ihm gesehene kausale Beziehung zwischen Strafandrohungen bei unentschuldigter Nichtteilnahme an den Wahlen und einem Ansteigen der Wahlbeteiligungsquote im Jahre 1819 ist auch aus diesem Grunde zweifelhaft. Falsch ist die unter Berufung des bei Pahlmann verarbeiteten Zahlenmaterials entwickelte These Hachtmanns, Berlin 1848, S. 107, die seit 1830 "allmählich steigende Wahlbeteiligung" wäre ein Ausdruck "wachsender Politisierung". Hachtmann unterschlägt, daß es kurzzeitig zwischen 1830 und 1832 zu einer sprunghaften Steigerung der Wahl beteiligung von 61 auf knapp 70 Prozent kommt und die Beteiligungsquote anschließend auf diesem hohen Niveau verharrt. Wenn 35

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1819 nahm die Wahlbeteiligung sprunghaft zu, mit Ausnahme der Jahre 1821 und 1825 lag sie durchweg bei über sechzig Prozent, zwischen 1832 und 1848 schwankte sie sogar um den Wert von siebzig Prozent. Eine durchschnittliche Beteiligungsquote in Höhe von 64,7 Prozent für den vierzigjährigen Geltungszeitraum der ersten preußischen Städteordnung weist auf eine allgemein hohe politische Mobilisierung des Stadtbürgertums hin, die in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre deutlich anzog.

Die Wahl von 1848, die zweite vollständige Neuwahl nach Einführung der Städteordnung, setzte zumindest in beteiligungs politischer Hinsicht keine Akzente mehr und auch die durch eine heftige Agitation gekennzeichnete Ersatzwahl von 1849 führte nicht zu einer überdurchschnittlichen Mobilisierung der Wähler. 1848 verharrte die Wahlbeteiligung auf dem hohen Niveau der dreißiger und vierziger Jahre, 1849 sank sie mit 61,1 Prozent auf den Stand der zwanziger Jahre zurück. Die Revolutionsereignisse forderten also nicht, wie Pahlmann behauptet,39 kurzzeitig das wahlpolitische Engagement des Stadtbürgertums heraus. Es hatte sich vielmehr schon vorher auf einem hohen Niveau stabilisiert. Die Wahl des Jahres 1849 war sicherlich durch Resignation, politische Enttäuschung und Politikmüdigkeit beeinflußt. Es handelte sich dabei jedoch nur um eine vorübergehende Erscheinung, denn die Wahl von 1850, die schon unter den wahlrechtlichen Bestimmungen der neuen Gemeindeordnung erfolgte, führte in ihrem Richtungscharakter40 nochmals zu einer hohen Beteiligungsrate, die mit 76,3 Prozent nahe an das Ergebnis von 1809 heranreichte. Anschließend sorgte das Dreiklassenwahlrecht für eine allgemeine Beschränkung der Wahlbeteiligung, die vornehmlich auf der Wahlenthaltung der politisch dequalifizierten Wähler mit niedrigem Steueraufkommen beruhte. Trotz der durchschnittlich hohen Wahlbeteiligung unter der ersten Städteordnung wurden in einzelnen Jahren in der Berliner Gemeindevertretung Stimmen laut, die eine mangelnde Wahl beteiligung beklagten. Schon im Mai 1810 stellte der Wahlbericht von Jean Paul Humbert fest, daß sich in einigen Bezirken weniger als die Hälfte der Stimmberechtigten zur Wahl eingefunden hatte. 41 Die Kommunalrepräsentation fürchtete insofern nachteilige Folgen für die Effizienz der Stadtverwaltung, als "nicht brauchbare" also die Wahlbeteiligung ein Indikator für Politisierung ist, dann befand sich das Berliner Stadtbürgertum seit der Julirevolution in einem Zustand politischer Sensibilisierung. 39 Pahlmann, Anfänge, S. 125. Für einzelne Jahre ergeben sich Abweichungen zwischen den in Tab. 2 (siehe Stat. Anhang) angeführten absoluten und relativen Wahlbeteiligungsziffem und Pahlmanns Ergebnissen, vgl. a. a. 0., S. 123, die jedoch ohne Auswirkungen auf den allgemeinen Trend der Wahlbeteiligung sind. 40 Zur Wahl von 1850 vgl. unten Kap. 6, Unterabschnitt 2. 41 Bericht vom 14. Mai 1810. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 47, BI. 122.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

oder inkompetente Mitglieder des Stadtbürgertums zu Gemeindevertretern gewählt werden könnten. Allgemein war jedoch kaum von einer Kausalität zwischen der mangelnden Wahlbeteiligung und der möglichen Wahl unfahiger Kommunalvertreter auszugehen. Die Schwierigkeit, fachlich qualifizierte Repräsentanten für die Stadtverordneten-Versammlungen zu gewinnen, lag, wie gezeigt wurde, eher in der korporativen Struktur des Bürgerrechts und seiner Differenzierung zwischen Bürgern und Schutzverwandten begründet,42 als daß sie in der unterschiedlich hohen Wahlbeteiligung eine Begründung fand. Die Kritik an einer mangelnden Wahlbeteiligung, insbesondere am unentschuldigten Fehlen, muß im wesentlichen als ein Ausfluß der politisch-pädagogischen Seite des Kommunalrechts gesehen werden. Partizipation beruhte nicht auf der freiwilligen Teilnahme am kommunalpolitischen Geschehen, sondern war verordnete Pflicht, deren Vernachlässigung unter den Verlust der gemeindlichen Mitwirkungsrechte gestellt war. Die Stadtverordneten waren ja ausdrücklich aufgefordert, die Teilnahme an den Wahlen zu beobachten und gegebenenfalls nach wiederholtem Versäumnis einer Wahl mit dem Ausschluß von der Teilnahme an der öffentlichen Verwaltung zu reagieren. Diese Maßnahme konnte jedoch nur im Falle der "auf eine gesetzliche Art" unterbliebenen Entschuldigung vorgenommen werden. 43 Die auf den Bürgersinn rekurrierenden Kreise der Gemeindevertretung erschien diese Regelung völlig unzulänglich. So plädierte der Bericht Humberts für die Androhung von Geldstrafen, für persönliches Erscheinen der Bürger beim Magistrat, um sich zu rechtfertigen, oder er empfahl die Ungültigkeitserklärung einer Wahl, wenn nicht wenigstens zwei Drittel der Bürger ihre Stimme abgegeben haUen. 44 Die vorgeschlagenen Einzelrnaßnahmen waren in keinem Fall durch das Kommunalrecht, das die Wahlpflicht insgesamt "liberaler" handhabte, abgedeckt, indem es grundsätzlich ein entschuldigtes Fehlen akzeptierte. Nachdem bei der Wahl von 1814,45 insbesondere aber im Jahre 1817 die niedrige Wahlbeteiligung moniert wurde,46 entschloß sich der Magistrat im August 1818 unentschuldigtes Nichtwählen mit einer Ordnungsstrafe zu ahnden. 47 Diese Maßnahme war nicht nur gesetzwidrig,48 sondern stand auch mit einem Reskript des Innenministers in Widerspruch, in dem der Vgl. dazu oben Kap. 2, Unterabschnitt 6. Vgl. § 93, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 336. Pahlmann, Anfänge, S. 135, sieht diese Regelung irrtümlicherweise im § 89 aufgenommen. 44 Bericht vom 14. Mai 1810. LAB; StA Rep. 00-0211, Nr. 47, BI. 122. 45 Wahlbericht vom 16. Juli 1814. A.a.O., Nr. 68, BI. 210. 46 Wahlbericht Humberts vom 3. Juli 1817. A.a.O., Nr. 185, BI. 19 f. 47 Schreiben Oberbürgermeister Büschings an die Stadtverordneten-Versammlung vom 29. Juli 1817. A.a.O., Rep. 01-02, Nr. 2580, BI. 4. 42

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Breslauer Regierung erst am 18. August deutlich gemacht worden war, daß das im § 83 der Städteordnung begründete Strafrecht der Gemeindevertreter keineswegs die Verpflichtung einschloß, in allen Fällen von diesem Recht Gebrauch zu machen. Soweit das Kommunalrecht die Entwicklung bürgerschaftlichen Gemeinsinns intendierte, war dieses Ziel nicht durch "gehässige Zwangsmittel", vielmehr nur "durch die Äußerung eines lebendigen Vertrauens in den guten Willen der Bürger und in ihre Empfänglichkeit für alle zum gemeinen Besten gereichenden Institutionen zu erreichen".49 Selbst wenn das in die Bürgerschaft gesetzte Vertrauen nicht immer erfüllt wurde und darüber hinaus anerkannt werden mußte, daß die Strafvorschriften der Städteordnung nicht ausreichten, der verweigerten Mitwirkung in der Gemeindeverwaltung entgegenzutreten, versagte das bestehende Recht nach Ansicht des Ministeriums die Anwendung schärferer Strafmaßnahmen. Ein politischer Effekt konnte von den Strafandrohungen kaum ausgehen, denn das unentschuldigte Nichtwählen betraf nur eine kleine Minderheit des Stadtbürgertums. 5o Das Gros der Nichtwähler machte von seinem Recht Gebrauch, der Kommunalwahl aus berechtigten Gründen fernbleiben zu können. In diesen Fällen war es den Kommunalkörperschaften kaum möglich, eine mutwillige Vernachlässigung der Wahlpflicht nachzuweisen. Der Magistrat hielt freilich, wie er 1834 in einer Stellungnahme gegenüber der Bezirksregierung darlegte, an seiner Überzeugung von der Wirksamkeit der Geldstrafen fest. Die kommunale Exekutive sah in dieser Maßregel ein effektiveres Mittel, die stimmfähigen Bürger zur Teilnahme an den Wahlen zu zwingen, als in der Androhung des Stimrnrechtsverlusts51 und hoffte daher auf eine allgemeine Einführung der Geldstrafe. Die Bezirksregierung, die im Beschwerdeverfahren eines Berliner Schneidermeisters die angeordnete Geldstrafe als gesetzwidrig aufhob,52 sah keine Möglichkeit dem Wunsch des Magistrats nachzukommen, da eine Änderung der Strafregelungen nicht durch eine Deklaration zur Städteordnung, sondern nur im Rahmen einer weiteren Novellierung des Kommunalrechts vorgenommen werden konnte. Innenminister von Rochow machte Anfang September 1838 erneut deutlich, daß die gewünschte stärkere Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte in der Gemeinde nur auf dem Weg einer überzeugenden Gemeinsinnbildung herbeizuführen 48 Vgl. das Ministerialreskript vom 18. August 1818. in: APSV, Bd. 2 (1818). S. 748. Abdruck des Reskripts auch bei Rumpf, Städteordnung. S. 83. 49 A.a.O .• S. 82 f. 50 1819 wurden 39 Personen mit einem Reichstaler Geldstrafe belegt. während es im folgenden Jahr 14 Bürger waren. LAB, StA Rep. 01-02. Nr. 260l. 51 BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3169, BI. 146. 52 Regierungsverfügung vom 28. Januar 1834. A.a.O., BI. 122. Zu den Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens vg1. Pahlmann, Anfänge. S. 141 ff. 29 Grzywatz

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war. Die Androhung von repressiven Mitteln durch die Magistrate stand letztlich auch im Widerspruch zu der gesetzlich verliehenen "würdigen Stellung" der Gemeinderepräsentation. 53 Das Festhalten an der amtlichen Autorität des Magistrats mußte mit einer, auch in formeller Hinsicht gepflegten Respektierung der Stadtverordneten-Versammlung einhergehen, ebenso wenig durften die Rechte der Gemeinderepräsentation durch den Magistrat eingeschränkt werden. Innenminister von Rochow hielt also auch noch am Ende der dreißiger Jahre an der politisch-pädagogischen Funktion des Kommunalrechts fest, zumindest wenn es um das Verhältnis der Kommunalbürokratie zum Stadtbürgertum ging. Ungeachtet der Regierungs- und Ministerialverfügungen beharrte der Berliner Magistrat auf seinem repressiven Kurs gegenüber dem Wahlverhalten der Bürgergemeinde. Die Hartnäckigkeit der kommunalen Exekutive war zweifelsohne auch durch das Bemühen veranlaßt, die wohlhabenden bürgerlichen Schichten stärker zur Teilnahme an den Kommunalwahlen zu bewegen. 54 Im Zusammenhang mit der Wahl von 1831 hatte der Magistrat festgestellt, daß die Gruppe der Nichtwähler durchschnittlich wohlhabender war als die der Wählenden. Die Klassifizierung der Stimmberechtigten wurde auf der Grundlage der Wohnungsmietwerte vorgenommen. Danach repräsentierten die wählenden Eigentümer und Mieter einen durchschnittlichen Wert von rund 122,2 Reichstaler, die Nichtwählenden dagegen von 159 Taler. 55 Unter den erfaßten 49 Berufsgruppen konnten insgesamt nur 19 ermittelt werden, bei denen die Wähler höhere Mietwerte repräsentierten als die Nichtwähler, ansonsten gestaltete sich das Verhältnis in umgekehrter Weise. Der vom Magistrat ermittelte Differenzwert war durch die Ergebnisse in einzelnen Berufsgruppen beeinflußt, die zahlenmäßig nur eine untergeordnete Rolle spielten. Betrachtete man nur die zwölf wichtigsten Berufsgruppen, die fast drei Viertel (74,9 %) der Stimmberechtigten ausmachten,56 reduzierte sich der Differenzwert auf 18,2 Reichstaler: die Wähler repräsentierten einen durchschnittlichen Mietwert von 134,4 Reichstaler, die Nichtwähler von 152,6 Taler. Dabei war die Relation in den einzelnen Handwerksberufen mit Ausnahme der Bäcker und selbst bei den Viktualienhändlern und Gastwirten weitgehend ausgeglichen, bei den Berufsgruppen 53 Ministerialreskript vom 6. September 1838, in: APSV, Bd. 22 (1838), S. 677 f. Die verschiedenen Ministerialreskripte zur Wahlbeteiligung werden von Pahlmann nicht zur Kenntnis genommen. 54 Vgl. den gedruckten Bericht des Magistrats an die Stadtverordneten-Versammlung vom 13. Juli 1832. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 81 (S. 8). 55 Alle Zahlen nach a. a. 0., BI. 83. 56 Es handelte sich der Reihe nach um folgende Gruppen: Kaufleute und Kleinhändler, Schneider, Schuhmacher, Viktualienhändler, Bier- und Brandweinschänker, Holzarbeiter einschließlich Drechsler, Stuhlarbeiter, Metallarbeiter aller Art, Rentiers, Fabrikanten aller Art, Gastwirte, Beamte und Bäcker.

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der Kaufleute, Fabrikanten, Rentiers und Beamten lagen die ermittelten Werte dagegen mitunter beachtlich über dem Durchschnittswert. 57 Die statistischen Ermittlungen des Magistrats sind für eine wahlanalytische Betrachtung auch insofern von Bedeutung, als sie eine der wenigen Möglichkeiten bieten, Aufschlüsse über die berufsspezifische Wahlbeteiligung zu erhalten. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, daß sich das Zahlenmaterial nur auf ein einzelnes Wahljahr und eine Ersatzwahl in 34 Kommunalwahlbezirken bezieht. Der Aussagewert kann also nur begrenzt sein. Wenn trotzdem nicht auf eine Verarbeitung der Materialien verzichtet werden soll, dann auch vor dem Hintergrund der hohen personellen Kontinuität bei den Stadtverordnetenwahlen, die 1831 immerhin bei 55,9 Prozent lag. Bei einer erneuten Beschränkung auf die zwölf wichtigsten Berufsgruppen wird deutlich, daß die Handwerksberufe sich durch eine überdurchschnittlich hohe Wahlbeteiligung ~uszeichneten. Während die Gruppe der Nichtwähler durchschnittlich 35,6 Prozent ausmachte, erreichte ihr Anteil bei den handwerklichen Berufen im allgemeinen nur 28,3 Prozent. Die Wahlbeteiligung schwankte zwischen 75,3 Prozent bei den Schneiderberufen und 66,8 Prozent bei den Metallarbeitern aller Art. Vergleichbare Beteiligungsquoten waren nur noch bei den Viktualienhändlern und bei den Gastwirten zu beobachten: hier machte die Gruppe der Nichtwähler 25,7 bzw. 32,4 Prozent der Stimmberechtigten aus. 58 Die bedeutendste Wählergruppe überhaupt, die Kaufleute und Kleinhändler - sie stellte immerhin 15 Prozent der Wähler -, teilte sich fast exakt in zwei gleichstarke Gruppen, die sich an der Kommunalwahl beteiligten bzw. ihr fernblieben. 50,4 Prozent Nichtwähler, diese Quote wurde nur noch von den Beamten übertroffen, von denen rund zwei Drittel sich der Wahl enthielten. 57 Genannt sei hier nur das Beispiel der Fabrikanten. Während die Wählenden einen Durchschnittsmietwert von 114,4 Reichstaler repräsentierten, erreichte er bei den Nichtwählern 180,8 Taler. 58 Vgl. dazu Tab. 5 im Stat. Anhang. Die Analyse der berufsspezifischen Wahlbeteiligung bei Pahlmann, Anfänge, S. 133, entbehrt wiederum jeder Systematik, weil er die Beteiligungsraten nicht in Beziehung zur zahlenmäßigen Bedeutung der einzelnen Berufsgruppen setzt. So stellt er beispielsweise eine hohe Wahlbeteiligung bei folgenden Berufen fest: Tabakspinner (100 %), Ackerbürger (88 %), Apotheker (87 %) und Gärtner (78 %). Bei dieser willkürlichen Aneinanderreihung handelt es sich mit Ausnahme der Gärtner um zahlenmäßig völlig untergeordnete Berufsgruppen. So nehmen an der Kommunalwahl überhaupt nur 2 Tabakspinner teil, von den 8 stimmberechtigten Ackerbürgern erschienen 7 zur Wahl, während von 15 zur Wahl aufgerufenen Apothekern 13 von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten. Bei der Beobachtung überdurchschnittlich niedriger Wahlbeteiligung verfahrt Pahlmann in analoger Weise: ohne jede weitere Zuordnung reiht er Spitzenwerte willkürlich aneinander, ohne weiter kommentierend auf das Wahlverhalten der quantitativ wichtigeren Berufsgruppen einzugehen. 29*

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

Von den stimmberechtigten Rentiers nahmen 48,3 Prozent nicht an der Wahl teil, während die Nichtwählerquote der Fabrikanten mit 39,3 Prozent noch deutlich über dem entsprechenden Wert der Handwerksberufe lag, aber bereits die allgemeine Nichtwählerquote der Kommunalwahl unterschritt. Fabrikanten, Rentiers und Beamte machten zusammen insgesamt 11,2 Prozent der berufenen Wähler aus, so daß die Kommunalkörperschaften tatsächlich allen Grund hatten, das mangelnde Engagement bildungsbürgerlicher wie ökonomisch unabhängiger Schichten zu beklagen. Vor jeder Kommunalwahl machte der Magistrat durch öffentliche Maueranschläge auf die Wahlpflicht der Stadtbürger aufmerksam und appellierte stets an die Ausübung dieses "Ehrenrechts". 59 1846 wurde den zum dritten Mal unentschuldigt fehlenden Bürgern das kommunale Wahlrecht auf sechs Jahre entzogen. 60 Der Magistrat wurde gleichzeitig erneut von der Gemeinderepräsentation aufgefordert, die Befugnis zur Festsetzung der Geldstrafen schon bei ein- oder zweimaliger unentschuldigter Verletzung der Wahlpflicht zu beantragen. 61 Trotz einer Wahlbeteiligung von 69,7 Prozent schloß sich der Magistrat dem Stadtverordnetenbeschluß an. Er wollte gegenüber einer nach wie vor unbefriedigenden Wahlbeteiligung "mit einiger Strenge" verfahren, da "selbst angesehene" Bürger sich in der Wahlenthaltung übten und zudem die hohe innerstädtische Mobilität die Kontrolle des Wahlverhaltens erschwerte. 62 Die Potsdamer Regierung berichtete über den kommunalen Antrag Mitte November an das Ministerium des Innern, wurde jedoch abschlägig beschieden. Innenminister Ernst von Bodelschwingh erinnerte in seiner Verfügung daran, daß die Androhung finanzieller Nachteile nicht dem Zweck des Kommunalrechts entsprach. Diese Auffassung hatte sich nach dem Erlaß der Städteordnung durchgesetzt und ihren Niederschlag in der Tatsache gefunden, daß die Regelung des älteren Städterechts, die Ablehnung öffentlicher Stadtämter unter die Möglichkeit höherer Besteuerung zu stellen, nicht 59 Das Beispiel einer solchen Aufforderung aus dem Jahre 1845 in LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2549. Zum Entzug des Stimmrechts siehe auch die Anfrage des Magistrats von Görlitz vom 10. Juli und die Antwort des Berliner Magistrats vom 22. Juli 1847. Ebenso die Verfügung des Magistrats zum Stimmrechtsverlust vom 23. November 1847. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2590, BI. 31 f u. 43 f. 60 Pahlmann, Anfänge, S. 144, sieht darin eine gewisse Entschärfung der Strafe, daß von der Möglichkeit einer höheren Besteuerung nach § 202 StO 1808 abgesehen wurde. Hier wird übersehen, daß der § 202 sich auf solche öffentlichen Stadtämter bezieht, die mit den ausführenden Aufgaben der Gemeindeverwaltung verbunden sind. Die unentschuldigte Wahlenthaltung fällt also nicht unter die Strafandrohung höherer Kommunalbesteuerung. 61 Spenersche Zeitung, Nr. 180, Ausgabe vom 5. August 1846. 62 Bericht des Magistrats an die Bezirksregierung, 30. September 1846. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3171, BI. 50 ff.

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in die Revidierte Städteordnung übernommen worden war. 63 Die beharrliche Weigerung, unbesoldete Stadtämter zu übernehmen oder Mandate als Stadtverordneter anzutreten, zog lediglich unter dem Vorbehalt der Regierungsgenehmigung den Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts nach sich. 64 Die wiederholte unentschuldigte Vernachlässigung der Wahlpflicht befugte die Gemeinderepräsentation eben nur, den Betreffenden das Stimmrecht und die Teilnahme an der öffentlichen Verwaltung endgültig oder "auf gewisse Zeit" zu entziehen. 65 Die städtische Öffentlichkeit schloß sich grundsätzlich der ministeriellen Auffassung an. Man sah in den Strafverfügungen kein geeignetes Mittel, die Wahlbeteiligung des Stadtbürgertums zu verbessern. Die Entziehung des Wahlrechts schien lediglich dann gerechtfertigt, wenn sich im Sinne der Kommunalordnung in einem mehrfachen Versäumnis der Stadtverordntenwahl ohne Entschuldigungsgrund eine Mißachtung der bürgerlichen Ehrenrechte manifestierte. 66 Während der Revolutionszeit wurde Ende April 1848 in der Stadtverordneten-Versammlung der Antrag gestellt, das in einzelnen Fällen auf Zeit entzogene Wahlrecht "in Anbetracht des neuen politischen Zustandes ohne Weiteres wiederzubilligen,,67, ohne daß sich hierfür eine Mehrheit fand. Die Stadtverordneten hielten es schlichtweg für unangemessen, ein Recht zu erteilen, das weder früher genutzt noch aktuell zurückgefordert wurde. Eine sofortige Gewährung des Wahlrechts sollte nur dann erfolgen, wenn ein entsprechender individueller Antrag beim Magistrat oder bei der Kommunalvertretung vorlag. 68 Das nachrevolutionäre Kommunalrecht nahm, das sei hier vorweggenommen, von der Wahlpflicht endgültig Abschied. Unter Strafe gestellt wurde fernerhin nur die unentschuldigte Weigerung, ein unbesoldetes Amt in der Gemeindeverwaltung oder -vertretung zu übernehmen. Die Gemeindeord63 Verfügung von Bodelschwingh, 13. Dezember 1846. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2590, BI. 5. 64 § 132, Tit. 9, StO 1831. OS 1831, S. 32. Die Revidierte Städteordnung sah für die Wahlrechtsverlusterklärung keine zeitliche Frist vor, sie überließ es vielmehr den Stadtbehärden, einen dauernden oder einen auf Zeit begrenzten Verlust auszusprechen. 65 § 68, Tit. 5, StO 1831. OS 1831, S. 19. 66 Spenersche Zeitung, Nr. 27, Ausgabe vom 3. Februar 1847. Pahlmann, Anfange, S. 145, entstellt die Stellungnahme der Spenerschen Zeitung, indem er nur deren Zustimmung zu Strafandrohungen für ein wiederholtes unentschuldigtes Nichtwählen erwähnt und die grundsätzliche Ablehnung von Strafverfügungen unterschlägt. Außerdem übersieht Pahlmann, daß die Zeitung im Problemaufriß in weiten Teilen aus der Verfügung von Rochows vom 6. September 1838 zitiert. 67 Schreiben der Kommunalvertretung an den Magistrat, 29. April 1848. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2590, BI. 61. 68 Spenersche Zeitung, Nr. 102, Ausgabe vom 30. April 1848.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

nung von 1850 führte die Gründe, die zur Ablehnung oder vorzeitigen Niederlegung eines solchen Amtes berechtigten, im einzelnen auf und überließ es einem von der Aufsichtsbehörde zu bestätigenden Beschluß der Kommunalrepräsentation, die Bürgerrechte für eine Dauer von drei bis sechs Jahre auszusetzen. 69 Die Städteordnung von 1853 übernahm diese Regelungen und ergänzte sie, da beide Kammern des Landtags den Verlust des Bürgerrechts nicht für ausreichend hielten,1° in Anlehnung an die ältere Kommunalordnung durch die Androhung höherer Kommunallasten. 71 Solange der Ausschluß vom Kommunalwahlrecht andauerte, konnte die Gemeinderepräsentation die Kommunalsteuern der betreffenden Bürger um ein Achtel bis ein Viertel erhöhen. Die Revolutionszeit entließ also das Stadtbürgertum aus der Fessel verordneter Teilhabe an den Kommunalwahlen. Das Wahlrecht wurde gleichsam individualisiert, indem der Gesetzgeber seine Wahrnehmung der persönlichen Entscheidung überantwortete. Die gemeinsinnbildende Kollektivität des Wahlakts gehörte nicht länger zum Kanon kommunalrechtlicher Leitbilder. Der Stadtbürger war politisch für mündig erklärt worden. Ein Schritt, der um so leichter fiel, als das nachrevolutionäre Wahlsystem den ökonomischen Kommunaleliten die Macht in den Gemeinden sicherte. Örtlich spezifizierte Wahlbeteiligungsquoten sind für Berlin nur für die Jahre 1828 bis 1830 überliefert. 72 Die quantitative Verteilung der Stimmberechtigten auf die Berliner Stadtviertel korrelierte keineswegs mit der Bevölkerungsziffer der einzelnen Bezirke, da sich hier der Einfluß der Sozialstruktur bemerkbar machte. Im Jahre 1830 lebte fast ein Viertel (24,7 %) der Stimmberechtigten in der bevölkerungsreichen Friedrichstadt, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ihren zentralen Teilen von einem Zentrum der Manufakturarbeiter zu einem gehobenen Wohnviertel wandelte. 73 Kaufleute und Fabrikanten dominierten den Bezirk, aber auch ein beträchtlicher Anteil des Adels, der Hofbediensteten, des Beamten- und Bildungsbürgertums hatte sich hier niedergelassen. Der Einfluß des Handwerks und der Fabrikanten sorgte dafür, daß die Wahlbeteiligung mit 63,3 Prozent noch über dem Durchschnitt lag. 74 In anderen durch Handwerksund Unternehmerberufe, daneben durch die Schichten kleiner Gewerbetrei§ 137, Tit. 5, GO 1850. GS 1850, S. 246. Hübner, Städteordnung, S. 285 f. 71 § 74, Tit. 9, StO 1853. GS 1853, S. 287. 72 Vgl. Pahlmann, Anfänge, S. 129. 73 Zur sozialräumlichen Entwicklung Berlins im 19. Jahrhundert vgl. Schultz, Berlin, S. 304 ff. Heinrich J. Schwippe/Christian Zeidler, Die Dimensionen der sozia1räumlichen Differenzierung in Berlin und Hamburg im Industrialisierungsprozeß des 19. Jahrhunderts, in: Städtewachstum und innerstädtische Strukturveränderungen. Probleme des Urbanisierungsprozesses im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von H. Matzerath, Stuttgart 1984, S. 221 ff. Grzywatz, Stadt, S. 195 ff. 69

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bender und Gastwirte, sozial beherrschten Stadtbezirken wie der Luisenstadt, der Spandauer- und Stralauer Vorstadt und der Königsstadt, die insgesamt 36,3 Prozent der Stimmberechtigten beherbergten, schwankte die Wahlbeteiligung zwischen 63,5 Prozent in der Spandauer und 68,9 Prozent in der Stralauer Vorstadt. Beide Ortsteile waren zugleich bevorzugte Wohngebiete der Arbeiterbevölkerung. Im inneren Stadtgebiet, in Berlin, Alt- und Neukölln,75 erreichte die Wahlbeteiligung, mit Ausnahme Neuköllns, längst nicht den Berliner Durchschnittswert. Im eigentlichen Stadtkern lebten 33,8 Prozent der wahlberechtigten Stadtbürger: nach wie vor ein nicht unerheblicher Anteil von Handwerksmeistern, zahlreiche Kleingewerbetreibende, insbesondere aber Kaufleute und Unternehmer sowie ein Teil der Beamtenschaft. Die stärkere Vertretung der kaufmännischen und Beamtenberufe dürfte dafür verantwortlich sein, daß die Wahlbeteiligung in Altkölln nicht einmal 50 Prozent erreichte und in Berlin sowie Friedrichswerder mit Werten zwischen 59,2 bzw. 55,1 Prozent ebenfalls noch deutlich unter der durchschnittlichen Beteiligungsquote in Berlin blieb. In Neukölln nahm 63 Prozent des ansässigen Stadtbürgertums an der Kommunalwahl von 1830 teil, in der vornehmen Dorotheenstadt, die sich zum ausgesuchten Wohnort des Adels, der Beamten und des Bildungsbürgertums entwickelte und gerade einmal 5,1 Prozent der Wähler Quartier bot, erreichte die Wahlbeteiligung mit 64,4 Prozent ein deutlich höheres Niveau. Dieser Wert mochte bei dem höheren Bevölkerungsanteil der Beamten überraschen, ansonsten waren die örtlich ermittelten Beteiligungsquoten mehr oder weniger ein Abbild der berufsspezifischen Teilnahme an den Kommunalwahlen. Wie im Fall der Wahlpflichtsverletzungen versuchten die Kommunalkörperschaften das einheitliche Wahlverfahren für die Stadtverordneten und deren Stellvertreter im Wege eines Antrags auf deklaratorische Anordnung abzuändern. Die Städteordnung sah eine gemeinsame Wahl der Stadtverordneten und der Stellvertreter in einem Wahlgang vor. Die Zahl der abgegebenen Stimmen entschied über den Erwerb eines Mandats oder dessen Stellvertretung. 76 Dieses Verfahren führte nach Auffassung der Kommunal74 Alle folgenden Zahlen berechnet nach LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 91, BI. 43 f., 116 f. u. 165. 75 Der innere Berliner Stadtbezirk Neuköln ist nicht mit dem Berliner Vorort Neukölln zu verwechseln. Neukölln, ursprünglich Rixdorf, schied im Jahre 1898 aus dem Kreis Teltow aus und bildete einen eigenen Stadtkreis. Im Jahre 1912 nahm die Stadt, die nach dem Ergebnis der Volkszählung von 1910 nicht weniger als 237298 Einwohner zählte, offiziell den Namen Neukölln an. Zur Bevölkerungsentwicklung siehe Grzywatz, Stadt, S. 213. Zum Ausscheiden aus dem Kreis Teltow und den Auseinandersetzungsverträgen vgI. Adolf Hannemann, Der Kreis Teltow, seine Geschichte, seine Verwaltung, seine Entwicklung und seine Einrichtungen, Neubabelsberg 1931, S. 17 ff.

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körperschaften zu eher zufälligen Resultaten, so daß mit Duldung des Magistrats seit Einführung der Städteordnung in einzelnen Wahlbezirken immer wieder getrennte Wahlen für die Stellvertreter durchgeführt worden waren. 77 Nach der Kommunalwahl von 1818 wollten die Gemeindebehörden diesen rechtswidrigen Zustand beenden und beantragten daher einvernehmlich in einem Bericht an die Bezirksregierung eine entsprechende kommunalrechtliche Änderung. Die Regionalbürokratie unterstützte eine deklaratorische Anordnung zum § 98 der Städteordnung mit der Begründung, daß die sich aus dem Stimmenverhältnis ergebende Stellvertreterwahl einer Ernennung gleichkäme. 78 Das eigentliche Problem der Stellvertreterwahlen war weniger eine verfahrenstechnische als eine politische Frage, da das Kommunalrecht den Kreis der zu wählenden Stellvertreter auf ein Drittel der Stadtverordnetenmandate beschränkte. 79 Folglich konnte es vorkommen, daß der durch die Bezirksgebundenheit begründete korporative Charakter der Gemeindewahlen tangiert wurde. Möglicherweise rückte ein Stellvertreter, der in einem sozial schwächeren Bezirk mit großer Stimmenmehrheit gewählt worden war, in das Stadtverordnetenamt eines sozial höherrangigen Kommunalwahlbezirks ein. Es konnte mithin zu einer Verschiebung der politischen Einflußverhältnisse in der Kommunalvertretung kommen. Die Gemeindebürokratie sprach diese Befürchtung nicht offen aus, sondern argumentierte mit der Notwendigkeit genauer Kenntnis der örtlichen Verhältnisse und der unterschiedlichen Qualifizierung der Stadtbürger. Mit anderen Worten: Ein gewählter Vertreter aus dem inneren Stadtgebiet war schon auf Grund seines sozialen Status in höherem Maße zum Gemeinderepräsentanten qualifiziert als der in einer Vorstadt gewählte Stadtverordnete. 8o Es war daher nur folgerichtig, daß die Gemeindekörperschaften nicht nur für getrennte Wahlverfahren, sondern auch für die Aufstellung von Stellvertretern für jeden einzelnen Wahlbezirk eintraten. Das Innenministerium sah jedoch keinen Anlaß, auf Grund des kritisierten Wahlverfahrens der geplanten Novellierung der Städteordnung vorzugreifen. Im übrigen verwies man auf das allgemeine kommunal politische Mandat der Stadtverordneten, die zumindest §§ 96 u. 98, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 336 f. Vgl. die Berichte der Stadtverordneten-Versammlung an den Magistrat vom 9. und 16. Juli 1818. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 185, BI. 67 u. 71, sowie die Berichte des Magistrats an die Gemeindevertretung vom 16. August, a. a. 0., BI. 91, und an die Bezirksregierung vom 23. September 1818, BLHA, Pr. Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3171, BI. 15. 78 Regierungsbericht vom 28. Dezember 1818. GStAPK, Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 2, BI. 106 ff. Vgl. dazu Pahlmann, Anfänge, S. 80 ff. 79 Vgl. § 71, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 333. 80 Vgl. das Schreiben des Magistrats an Staatskanzler Hardenberg vom 31. Dezember 1818. GStAPK, Pr.Br. Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 2, BI. 113 ff. 76

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dem rechtlichen Anspruch nach nicht einen einzelnen Stadtbezirk, sondern die gesamte Kommune repräsentieren sollten. 81 Auch ein zweiter Antrag des Magistrats wurde im Oktober 1820 mit dem Hinweis auf die zu erwartende Revidierung der Städteordnung nicht zur Entscheidung gebracht. Im übrigen spielte das Einrücken von Stellvertretern in Stadtverordnetenmandate während der gesamten Geltungsdauer der Städteordnung, wie die Aufstellungen Pahlmanns zeigen,82 eine völlig nebenrangi ge Rolle bei der Bestellung der Gemeinderepräsentanten. Im Herbst 1826 versuchte der Magistrat, das Innenministerium für einen Beschluß zu gewinnen, nach dem das Eintreten der Stellvertreter nicht nach der absoluten, sondern nur nach der relativen Stimmenmehrheit erfolgen sollte. Die Kommunalbürokratie sah in dieser Verfahrensänderung ein probates Mittel, eine überproportionale Ergänzung der Kommunalrepräsentation durch Stellvertreter aus jenen Bezirken zu verhindern, deren Wahlversammlungen im allgemeinen zahlreicher besucht waren und deren Kandidaten folglich der abgegebenen Stimmenzahl nach vor denen der weniger bevölkerten inneren Stadtbezirke rangierten. Das Innenministerium lehnte diesen Vorschlag, wie die vorhergehenden Anträge zum Wahlverfahren, ab. 83 Nachdem durch die Revidierte Städteordnung ein getrenntes Wahlverfahren für die Stadtverordneten und deren Stellvertreter eingeführt worden war,84 versuchte der Magistrat das Wahlverfahren in einer innergemeindlichen Regelung zu modifizieren. Diese Änderung wurde nunmehr durch die Beschränkung der Wahlfreiheit begründet, die sich aus dem Mehrheitswahlprinzip und der im § 95 der Städteordnung vorgeschriebenen Regelung ergab, daß Mandatsbewerber, welche die Stimmenmehrheit gegen sich hatten, gänzlich aus der Kandidatenliste gestrichen wurden, mithin für das weitere Wahlverfahren nicht mehr zur Verfügung standen. 85 Magistrat und Stadtverordnete einigten sich darauf, daß für die gemeinsame Wahl der Gemeinderepräsentanten und ihrer Stellvertreter mindestens zwei Kandidaten vorgeschlagen werden mußten. Erhielt einer der Bewerber die 8\ Vgl. den Bericht des Magistrats an die Stadtverordneten-Versammlung vom 30. Juni 1819. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239, BI. 56 ff. Die Ansicht Pahlmanns, Anfänge, S. 84, die nicht zustande gekommene Abänderung der Städteordnung hänge mit der häufigen Abwesenheit Hardenbergs und seinem zunehmenden Einflußverlust zusammen, verkennt die untergeordnete Bedeutung des Berliner Antrags. 82 Pahlmann, Anfange, S. 197 ff. 83 Vgl. die Berichte des Magistrats an die Gemeindevertretung vom 27. September und 17. November 1826. LAB StA Rep. 00-0211, Nr. 60, BI. 114 u. 119. 84 §§ 71 u. 72, StO 183l. GS 1831, S. 19 f. 85 Antrag des Magistrats an die Stadtverordneten-Versammlung vom 14. Juni 1834. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1239, BI. 228 f. Die Verhandlungen der dreißiger Jahre werden bei Pah1mann nicht erwähnt. Vgl. ders., Anfänge, S. 85.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

absolute Stimmenmehrheit, war er zum Stadtverordneten gewählt. Lag eine Stimmenmehrheit mehrerer Kandidaten vor, war derjenige gewählt, der die meisten Stimmen auf sich vereinigte, während der nach ihm rangierende Bewerber zum Stellvertreter bestimmt wurde. Bei Stimmengleichheit mehrerer Kandidaten wurde nach § 101 der Städteordnung verfahren, d.h. die mit einem Grundstück angesessenen Bürger erhielten den Vorzug. Wenn indessen nur ein Mandatsbewerber die Stimmenmehrheit auf sich vereinigte und folglich nur ein Stadtverordneter gewählt war, sollte die Wahlversammlung neue Vorschläge für die Wahl des Stellvertreters unterbreiten. Dabei durften die bei der ersten Wahl vorgeschlagenen Kandidaten erneut auf die Liste gebracht werden, da andernfalls diese Kandidaten "gegen die Absicht des Gesetzes und gegen den Wunsch der Wählenden auch nicht Stellvertreter werden könnten".86 Mit diesen Regelungen glaubten die Gemeindebehörden einerseits der Städteordnung von 1808 "möglichst" treu geblieben zu sein, andererseits das Kommunalgesetz in der notwendigen Weise präzisiert zu haben. 87 Die Wahlkommissare für die Kommunalwahl von 1835 wurden in der zweiten Maihälfte im Sinne der Vereinbarung instruiert. Auf längere Sicht waren die Kommunalkörperschaften mit dem innergemeindlichen Komprorniß allerdings nicht zufrieden. Mitte der vierziger Jahre unternahm der Magistrat deshalb einen weiteren Anlauf, das Innenministerium für eine Deklaration der Städteordnung zu gewinnen, die eine endgültige Trennung der Wahlverfahren vorschrieb. Die Ministerialbürokratie verweigerte indes weiterhin seine Zustimmung und begründete diesen Schritt mit der nur wenig realistischen Einschätzung, daß stets die geeignetsten und qualifiziertesten Bürger die meisten Stimmen auf sich vereinigen und in die Position eines Gemeinderepräsentanten bzw. Stellvertreters gewählt werden würden. Einen wirklichen Mangel des Kommunalgesetzes wollte das Ministerium in dieser Hinsicht nicht anerkennen. Nach ministerieller Auffassung sprach dagegen schon die Tatsache, daß Anträge auf Änderungen des Wahlverfahrens aus anderen Städten nicht vorlagen. 88 Der Magistrat sollte die Wähler, so die Aufforderung des Ministeriums, in angemessener Weise auf ihre Pflichten bei den Kommunalwahlen aufmerksam machen, insbesondere die Bürger auf die zugegebenermaßen nachteiligen Folgen des Wahlverfahrens hinweisen. Eine weitere Verfügung von Bodelschwinghs bestätigte diese Auffassung Anfang Januar 1847. 89 86 Magistratsbeschluß vom 21. Mai 1835. A.a.O., BI. 241. VgI. dazu auch das Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten-Versammlung vom 19. Juni 1834. A. a. 0., BI. 230. 87 Magistratsantrag vom 14. Juni 1834. A. a. 0., BI. 229. 88 Ministerialverfügung vom 25. März 1846. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3171, BI. 48.

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Die Bemühungen des Magistrats wie der Gemeindevertretung zur Änderung des Wahlverfahrens zeigten deutlich, wie sehr die Kommunalkörperschaften an der Wahrung des politischen Status quo und an der traditionellen Verteilung der politischen Macht in der Stadt festhielten. Bei der rasch fortschreitenden Politisierung des Kommunalgeschehens in der vorrevolutionären Zeit mußte diese Beharrungstendenz im Zusammenklang mit der geringen personellen Mobilität der Gemeindevertretung zu einer Isolierung der Kommunalkörperschaften vom Stadtbürgertum führen. Als der Stadtverordnete Benda im Sommer 1838 während einer Versammlung der stimmfähigen Bürger des vierten Kommunalwahlbezirks (Garnisonkirchhof) eine Wahlrede hielt, mit der er sich zur Wiederwahl als Stadtverordneter empfehlen wollte, wurde er umgehend vom Magistrat gerügt. Eine Politisierung der Wahlversammlungen oder freie Wählerversammlungen im Vorfeld der Gemeindewahlen lag nicht im Interesse der Kommunalbürokratie. Das Städterecht gab dem Magistrat in diesem Fall eine hinreichende Handhabe, um Stellungnahmen der Mandatsbewerber auf Wahlversammlungen zu verhindern. Die Städteordnung ließ nur kurze Bemerkungen zu einem vorgeschlagenen Kandidaten zu 90 und erlaubte eigene Äußerungen eines Kandidaten zur Wahl überhaupt nur dann, wenn es, da die erforderliche Kandidatenzahl nicht erreicht worden war, zu einem Eigenvorschlag kam. 91 In dieser Situation konnte es einem Bürger oder bisherigen Stadtverordneten nicht verwehrt werden, sich zu seinem Vorschlag zu äußern. Die Meinungsbildung über mögliche Gemeindevertreter mußte demnach außerhalb der Wahlversammlungen stattfinden. Da es zu diesem Zeitpunkt jedoch nur eine beschränkte kommunale Öffentlichkeit gab, die sich weitgehend in gelegentlichen Auslagen und Publikationen der Kommunalvertretung und des Magistrats erschöpfte,92 waren dem Stadtbürgertum nur wenige Möglichkeiten gegeben, sich einen detaillierten Überblick über die Tätigkeit eines Stadtverordneten zu beschaffen, der möglicherweise seine Wiederwahl begründen konnte. Die Argumentation des Magistrats, die engagierte Arbeit für das Stadtwohl sei die beste Wiederwahlempfehlung,93 ging am eigentlichen Problem vorbei, denn das bestand in einer völlig ungenügenden Wählerbindung der Kommunalrepräsentanten. Noch schwieriger gestaltete sich die Situation, 89 Verfügung vom 7. Januar 1847. GStAPK, Rep. 77. Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 4, BI. 152 ff. Dazu auch Pahlmann, Anfänge, S. 87. 90 § 93, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 336. 91 § 97, Tit. 6, StO 1808. A.a.O., S. 336 f. 92 Vgl. dazu oben Kap. 4, Unterabschnitt 7. 93 Magistratserklärung an die Stadtverordneten-Versammlung vom 27. Juli 1838. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

wenn Erstbewerber in den Wahlversammlungen vorgeschlagen wurden. Der völlige Mangel an Befragungsmöglichkeiten verwies die Wähler auf das Hörensagen oder auf die zufällige Kenntnis der Qualifikation des Kandidaten. Die Appelle des Magistrats an das Selbstbewußtsein und die Bescheidenheit der Gemeindevertreter fruchteten wenig, da die bürgerliche Öffentlichkeit nicht länger auf einen größeren Einblick in die konkreten Abläufe des Kommunalgeschehens verzichten wollte. Wahlreden von Kandidaten oder sich wieder bewerbenden Stadtverordneten häuften sich, so daß sich der Magistrat wiederholt zu Anmahnungen veranlaßt sah. Die Kommunalbürokratie verfolgte hierbei auch ureigene Interessen, denn sie wollte sich nicht mit dem Umstand abfinden, daß, wie im Falle Bendas, öffentlich Kritik an der Arbeit der Kommunalkörperschaften geübt wurde. 94 Die zunehmend als politischer Mangel empfundene Trennung von Bürgerschaft und Kommunalrepräsentation war auch der Grund für den Angriff Bendas auf die Gesetzmäßigkeit des seit dreißig Jahren in Berlin geübten Wahlverfahrens. In mehreren Veröffentlichungen in der Spenerschen Zeitung und in einer Eingabe an die Potsdamer Bezirksregierung berief sich Benda auf den § 87 der Städteordnung, um für die jährlichen Kommunalwahlen Versammlungen von sämtlichen stimmfähigen Bürgern zu fordern. 95 Dem Beispiel anderer Großstädte wie Frankfurt/Oder, Breslau oder auch Königsberg folgend, sollte auch in Berlin die Gesamtwählerschaft zu den jeweiligen Ergänzungswahlen eingeladen werden. Bereits für die 1842 anstehende Gemeindewahl verlangte Benda die Einberufung der Gesamtwählerschaft und da Berlin in 102 Kommunalwahlbezirke aufgeteilt war, mußten jeweils die Wahlbürger drei beieinander liegender Bezirke zu einer Wahlversammlung zusammengerufen werden. 96 Es war für Benda keine Frage, daß die im Zusammenhang mit dem Kommunalrecht immer wieder beschworene Gemeinsinnbildung am ehesten durch das von ihm als gesetzmäßig erkannte Wahl verfahren zu erreichen war. Der Berliner Magistrat war vom Angriff Bendas so überrascht, daß er in einer ersten Stellungnahme gegenüber der Bezirksregierung zugab, der in Berlin praktizierte Wahl modus entspräche eigentlich nicht dem Geist und Sinn der Städteordnung. Die analog zum Modus der Ergänzungswahlen vorMagistratsbescheid an Benda vom 27. Juli 1835. A. a. O. Die entscheidende Passage des § 87 lautet: "In jedem Jahr versammeln sich die stimmfähigen Gemeindeglieder der Stadt in einem für jeden Ort ein für allemal zu bestimmenden Monat zur Wahl der Stadtverordneten". GS 1806-1810, S. 335. 96 Eingabe Bendas an die Potsdamer Regierung vom 16. April 1841. A.a.O., BI. 264 f. Die von Benda ausgelöste Auseinandersetzung um das kommunale Wahlverfahren findet bei Pahlmann wiederum keine Erwähnung, was um so bedenklicher ist, als die Verfahrensdebatte in eine erste breite Diskussion über die Struktur der Berliner Kommunalwahlbezirke mündet. 94 95

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genommene Drittelung der Wählerschaft rechtfertigte der Magistrat mit dem Umfang der Wahlberechtigten. Bei etwa 20000 Wählern mußte mit Wahlversammlungen gerechnet werden, die 500 bis 600 Bürger umfaßten. Es lagen mithin zahlenmäßige Verhältnisse vor, die nach Auffassung des Magistrats nur unter Schwierigkeiten wirksame Wahlakte zuließen. 97 Nach dieser ersten überstürzten Reaktion beauftragte der Magistrat den Stadtsyndikus Moewes und den besoldeten Stadtrat Crüsemann mit einer gutachtlichen Stellungnahme. Die Voten der Gutachter kamen in der zweiten Novemberhälfte übereinstimmend zu dem Schluß, daß von einem rechtswidrigen Wahl verfahren nicht die Rede sein konnte, die Bezirksgebundenheit der Wahlen vielmehr eine Drittelung der Wählerschaft begründete. 98 In ihrem anschließenden Bericht glaubte die kommunale Exekutive die Gesetzmäßigkeit des Wahlverfahrens schon aus seiner zeitlichen Dauer ableiten zu können. Die seit 33 Jahren geübte Praxis machte das Vorliegen eines ungesetzlichen Modus unwahrscheinlich, selbst wenn die Einwohnerverhältnisse der Landeshauptstadt den Anlaß zu dringenden Verfahrensmodifikationen geben mochten. Den nicht sonderlich versteckten Hinweis auf eine mögliche Verletzung der Aufsichtspflicht der Regional- und Ministerialbürokratie verstärkte der Magistrat noch mit der Erwähnung des Reskripts vom 19. Januar 1809, mit dem das seither in Berlin geübte Wahlverfahren im ostpreußischen Königsberg begründet worden war. 99 Der Magistrat wollte nicht ausschließen, daß es in der Absicht des Gesetzgebers gelegen habe, alljährliche Wahlversammlungen sämtlicher Stimmberechtigten einzuberufen, und mithin nur unter Berücksichtigung der abweichenden Bevölkerungsverhältnisse der Großstädte Ausnahmeregelungen getroffen worden waren. Ebenso gab der Magistrat zu, daß die höhere innerstädtische Mobilität in Berlin häufiger die Ausübung des Wahlrechts über Jahre hinweg verhinderte. Trotzdem stand nach Meinung des Magistrats das in der Landeshauptstadt durchgeführte Wahlverfahren mit seiner bei den jährlichen Ergänzungswahlen vorgenommenen Beschränkung der Wahlversammlungen auf ein Drittel der Stimmberechtigten mit dem Kommunalrecht im Einklang. 97 Bericht des Magistrats vom 18. Mai 1841. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1239, BI. 265. 98 Das Gutachten Moewes' vom 22. November und das von Crüsemann vom 26. November 1841 a.a.O., BI. 260-263. 99 Vgl. hierzu den Bericht des Magistrats an die Bezirksregierung vom 21. Dezember 1841. A. a. 0., BI. 266-271. Der Magistratsbericht bestätigt Schraders These, daß der Innenminister entgegen der Auffassung von Clauswitz schon im Januar 1809 die Einteilung der Stadt in 102 Stadtbezirke genehmigte. Vgl. Schrader, Verwaltung Berlins, Bd. 2, S. 26. Siehe dazu auch die Ministerialverfügung vom 6. April 1809. GStAPK, Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 1, BI. 17. Zu Clauswitz, Städteordnung, S. 103.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

Die Städteordnung schrieb nicht zwingend vor, daß "alle" Wähler zu den jährlichen Ergänzungswahlen einzuberufen waren. Der § 87 StO sprach, wie der Magistrat entgegen dem Wortlaut des Gesetzes annahm, nur von den "stimmfähigen Bürgern", ohne daß er ausdrücklich die Gesamtwählerschaft erwähnte. Mit den jährlichen Wahlversammlungen waren der Ansicht des Magistrats zufolge nur "die stimmfähigen Bürger der zur Wahl kommenden Bezirke" gemeint. Der enge Zusammenhang des § 87 StO mit den übrigen Bestimmungen zum Wahl verfahren, 100 insbesondere das Prinzip der bezirksgebundenen Wahl, rechtfertigte die Drittelung der Wählerschaft nach der Anzahl der Wahlbezirke. An dieser Auffassung hielt der Magistrat fest, ohne daß ein Widerspruch von seiten der Ministerialbürokratie einging. In der seit über drei Jahrzehnten unveränderten Einteilung der Kommunalwahl lag allerdings, wie der Magistrat unumwunden eingestand, eine erhebliche Beeinträchtigung des Wahlrechts. 101 Darauf wird zurückzukommen sein. Oberbürgermeister Krausnick legte am 29. November in einer Denkschrift zum Wahlverfahren dar, daß die Kommunalverwaltung auf Grund der Größe einzelner städtischer Administrationsbezirke schon seit einer Reihe von Jahren dazu übergegangen war, in solchen örtlichen Bereichen der Gemeinde selbständige Unterabteilungen zu bilden, so daß es tatsächlich schon mehr als 102 Stadtbezirke gab. 102 Krausnick hielt es durchaus für möglich im Interesse einer jährlichen Wahrnehmung des Wahlrechts zu einer Organisation von 34 Kommunalwahlbezirken überzugehen. Dieses Eingeständnis verband er mit einem Angriff auf die bestehende Zensusregelung des Städterechts, indem er wahlorganisatorische Gründe für eine Verschärfung der Wahlrechtsqualifikation anführte. Der Oberbürgermeister stellte den bereits in den dreißiger Jahren entwickelten Vorschlag, den Wahlzensus auf 400 Reichstaler anzuheben,103 erneut zur Diskussion. Er gab zu erwägen, ob das aktive Wahlrecht nicht von einer Mietsteuer abhängig gemacht werden sollte, die auf einer jährlichen Wohnungsmiete von mindestens 100 Reichstalern beruhte, oder ob ein Wahlmännersystem einzuführen war, nach dem in jedem Wahlbezirk jeweilig zehn Stimmberechtigte einen Wahlmann wählten. Bei einer zukünftigen Konstituierung von 34 Kommunalwahlbezirken gab es dann übersichtliche Wahlversammlungen mit höchstens 60 Personen. Die hierzu erforderlichen Modifikationen der Städteordnung wollte Krausnick in das Ortsstatut aufnehmen lassen, dessen Zustandekommen schon in den dreißiger Jahren gescheitert war. 100 Der Magistrat führt hier ausdrücklich die §§ 11, 72, 81, 86, 88 u. 110 der Städteordnung von 1808 an. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239, BI. 268. 101 Siehe das Schreiben des Magistrats an die Stadtverordneten-Versammlung vom 17. Juni 1842. A.a.O. 102 Denkschrift Krausnicks vom 29. November 1842. A.a.O. 103 VgI. dazu oben Kap. 3, Unterabschnitt 6.

1. Wahlbewußtsein, Wahlverhalten und Wahlrecht

443

Die Gemeindevertretung ließ keinen Zweifel daran, daß der in Berlin praktizierte Wahlmodus einer dringenden Veränderung bedurfte. Doch bereits beim Zusammentreten einer besonderen Deputation, die mit der Vorberatung beauftragt war, machte die Stadtverordneten-Versammlung deutlich, hierbei stände allein die Bezirkseinteilung zur Diskussion, während die Einführung neuer Zensusregelungen oder eines Wahlmännersystems eine Abänderung des geltenden Kommunalgesetzes voraussetzte und daher nicht Gegenstand von innergemeindlichen Verhandlungen sein konnte. I04 Trotz dieses nur allzu berechtigten Einwandes der Stadtverordneten legte Krausnick Mitte Oktober für die gemeinschaftlichen Beratungen der Kommunalkörperschaften Materialien vor, in denen mit der projektierten alljährlichen Ausübung des Kommunalwahlrechts gleichzeitig eine Wahlrechtsbeschränkung vorgeschlagen wurde. Der Oberbürgermeister griff auf die Erhebungen der Jahre 1831 bis 1833 zurück, um plausibel zu machen, daß ein Zensus von 200 Reichstalern nicht mehr den gegenwärtigen Verhältnissen Berlins entsprach, das Wahlrecht entgegen der ursprünglichen Absicht der Städteordnung inzwischen sozial zu weit nach unten Ausdehnung gefunden hätte. 105 Für die Wahlperiode 1831/33 waren nach Krausnicks Angaben bei insgesamt 14273 Stimmberechtigten 969 Wähler vorhanden, die in Zahlungsmodalitäten geraten waren oder denen aus sozialen Gründen die Mietsteuer erlassen worden war. Für die Jahre 1832 und 1833 hatte der Magistrat 1333 bzw. 1089 Gewerbetreibende ermittelt, welche auf Grund des geringen Umfangs ihrer Geschäftstätigkeit von der Gewerbesteuer befreit worden waren. Rechnete man diese Zahlen auf das Jahr 1831 hoch, mußte für die genannte Wahlperiode eine Anzahl von 4500 bis 4700 Wahlberechtigten angenommen werden, die "in nur untergeordneten Vermögensverhältnissen" lebten. Krausnick griff bei seinen Überlegungen, das mochte naheliegend sein, auf die Zensusvorschriften der Revidierten Städteordnung zurück. Für die Verhältnisse der Landeshauptstadt kamen nach Krausnicks Ansicht nur die Höchstsätze des novellierten Kommunalrechts in Frage, d.h. für das aktive Wahlrecht war ein Grundeigentum von 2000 Reichstalern bzw. ein jährliches Einkommen von 600 Reichstalern anzusetzen. Für die Ermittlung der Einkünfte wäre unter Berücksichtigung der Kapitalverzinsung und der Rücklagen für Reparaturkosten ein Mietertrag von mindestens 100 Reichstalern und ebenfalls, da die Mietkosten in Berlin etwa ein Fünftel des Einkommens ausmachten, eine jährliche Mietzahlung in gleicher Höhe anzusetzen. Für die Wahlperiode 1840/42 wurden in Berlin 4396 stimmberechtigte Grundeigentümer festgestellt, von denen 4138 Mieterträge über 100 Reichs104 Beschluß der Gemeindevertretung vom 7. Juli und Bericht des Stadtverordneten-Vorstehers Desselmann vom 14. Juli 1842. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239. 105 Vgl. hierzu den Bericht Krausnicks vom 12. Oktober 1842. A.a.O.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

taler nachweisen konnten. Die Zahl der Berliner Mietbürger lag bei 17573, von denen lediglich 8531 eine über 100 Reichstaler hinausgehende Jahresrniete entrichteten. Nach dem Steuerkataster der Servisdeputation waren 1841 in Berlin 63551 Wohnungen vermietet, von denen 47781, also 75,2 Prozent, mit einem Mietzins unter 100 Reichstalern gehandelt wurden. Nach Krausnicks Überlegungen wären von den 19792 wahlberechtigten Berliner Bürgern zukünftig nur noch 8531 zur Wahl aufgerufen worden. Das waren wenig mehr als zwei Fünftel (43,1 %) der bis dahin Stimmberechtigten. Der durch Grundeigentum und Einkommen stimmrechtsqualifizierten Gruppe der Stadtbürger wollte Krausnick, unabhängig vom Einkommen, nur noch den Kreis der unbesoldeten Kommunalbeamten hinzufügen, der seinen Bemerkungen zufolge etwa 200 Personen ausmachte. Das Berliner Stadtoberhaupt hätte mit diesem Plan einerseits die seit langem von der Kommunalbürokratie angestrebte Beschränkung des Kommunalwahlrechts durchgesetzt, andererseits durch die zahlen mäßige Reduzierung organisatorisch so kleine Wahlversammlungen durchgesetzt, daß zu den kommenden Gemeindewahlen ohne weiteres die Gesamtwählerschaft einberufen werden konnte.

In der gemeinsamen Verhandlung der Magistratsvertreter und der abgeordneten Delegierten der Stadtverordneten-Versammlung fand sich am 14. Oktober keine Mehrheit für die von Krausnick zusammengefaßten Vorschläge der kommunalen Exekutive. Der Magistrat war durch den Oberbürgermeister und die Stadträte de Cuvry, Conrad, Baerwald und Schauer vertreten, die Gemeinderepräsentation durch den Stadtverordnetenvorsteher Desselmann und weitere neun Stadtverordnete, neben den altgedienten Kommunalvertretern Johann Laspeyres und Carl Ludwig Krebs überwiegend Repräsentanten, die erst gegen Ende der dreißiger Jahre in die Berliner Kommunalvertretung gewählt worden waren. 106 Die Deputation riet, soweit die Städteordnung "keinen Unterschied in den einzelnen Vermögensverhältnissen der einzelnen Bürger gemacht" hatte, es bei den gegebenen kommunalrechtlichen Bestimmungen zu belassen. Intelligenz, reifere Erfahrung, Selbständigkeit, gedankliche Unabhängigkeit und die Fähigkeit, "seine aus der bürgerlichen Erfahrung geschöpften Ansichten klar zu entwickeln", hingen nach Auffassung der Deputationsmajorität nicht von der größeren oder geringeren Wohlhabenheit ab. Der von der kommunalen Exekutive immer wieder als zu niedrig angesehene Wahlzensus von 200 Reichstalern für die nicht angesessenen Bürger, der nicht mit den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Landeshauptstadt 106 Im einzelnen handelte es sich um earl Duncker, Ernst Ebert, Friedrich Hoffmann, earl Friedrich Müller, Wilhe1m SchauB, earl Seeger und Johann Steinmeyer. Siehe dazu wie im folgenden das Verhandlungsprotokoll vom 14. Oktober 1842. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239.

1. Wahlbewußtsein, Wahlverhalten und Wahlrecht

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korrespondierte, konnte, so die mehrheitliche Meinung, selbst wenn Zahlungsmodalitäten oder Gewerbesteuerbefreiungen vorlagen, nicht den Maßstab für die "Befähigung und Würdigkeit" zum Gemeindevertreter abgeben. Eine Änderung des Wahlzensus war überhaupt nur angebracht, wenn "sehr gewichtige Gründe" vorlagen, etwa eine "effektive Gefahr" oder eine "wirkliche Schädlichkeit" durch die vorhandene Ausdehnung des Wahlrechts nachgewiesen werden konnte. Dieser Nachweis war bislang nicht erbracht worden. Das von der Kommunalbürokratie vorgebrachte Argument, die zahlenmäßige Stärke der weniger bemittelten Stadtbürger hielte die wohlhabenden Stimmberechtigten von den Wahlen zurück und gäbe ihnen daher einen entscheidenden Einfluß auf den Wahlausgang, maß man keine Bedeutung bei, da die Städteordnung nun einmal entsprechende Partizipationschancen eröffnet hatte. In einem Separatvotum erklärte der Handwerksmeister Krebs,107 wie wenig die Wahlenthaltung wohlhabender Stadtbürger auf Grund der sozialen Struktur der Wählerschaft mit dem Amt eines Gemeindevertreters zu vereinbaren war. Lag einem gutsituierten Bürger an einem Stadtverordnetenmandat, sollte er sich mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln um die Stimmen der Wähler bemühen. Nach Krebs war das Wählerverhalten schon durch die unterschiedliche Sozialstruktur der Kommunalwahlbezirke beeinflußt. Die sozial schwächeren Wählerschichten würden überwiegend den Mandatsbewerbern aus ihrer Mitte den Vorzug geben, da sie von ihnen eine angemessenere Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und einen "haushälterischen" Umgang mit den Kommunalmitteln erwarteten, die zum überwiegenden Teil von "der gewerbetreibenden, weniger bemittelten Klasse der Einwohner" aufgebracht wurden. Einigkeit bestand zwischen der Gemeindevertretung und der Kommunalbürokratie nur darin, daß diejenigen Stadtbürger, die aus Armenfonds laufende Unterstützung erhielten oder die wegen ihrer sozialen Lage von der Mietsteuer befreit wurden, nicht länger das Kommunalwahlrecht ausüben sollten. Das konstitutionelle Kommunalrecht griff diesen Gedanken später auf. Ansonsten sah die Mehrheit der gemischten Deputation in dem Wahlzensus von 200 Reichstalern keineswegs einen zu geringen Einkommensbetrag, da er sich nicht auf die Bruttoeinkünfte eines Bürgers, sondern auf die ihm jeweilig für den persönlichen Haushalt verbleibenden Mittel bezog. Obwohl die Stadtverordneten sich weiterhin resistent gegen eine Aufweichung der Teilhabechancen der Städteordnung zeigten, unternahm der Magistrat Ende November einen weiteren Versuch, die Gemeindevertretung für eine stärkere Beschränkung des aktiven Wahlrechts zu gewinnen. Von der 107 Randbemerkung von Krebs zum Verhandlungsprotokoll vom 14. Oktober 1842. A.a.O. 30 Grzywatz

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

Idee eines indirekten Wahlverfahrens hatte man zwar endgültig Abschied genommen, weil die kommunale Exekutive überzeugt worden war, daß die unmittelbare Ausübung des Wahlrechts am ehesten zur Gemeinsinnförderung beitrug, aber an der Forderung nach einer Erhöhung des Wahlzensus hielt der Magistrat fest. 108 Gegenüber ihren vorhergehenden Vorschlägen wollte die Gemeindebürokratie nunmehr das Wahlrecht der Grundeigentümer nicht mehr einschränken und den Zensus nur noch auf ein Einkommen von 400 Reichstalern heraufsetzen. Das entsprach einer jährlichen Mietzahlung von über 60 Talern. Stadtbürger mit einem niedrigeren Einkommen befanden sich nach Magistratsansicht in einer abhängigen Lage, die es ihnen nicht gestattete, sich ohne Befangenheit und Vorurteil klar zu machen, "welche Kräfte eine geregelte Communal-Verwaltung erfordert". Auf Grund ihrer finanziellen Situation waren sie weder geeignete Vertreter ihrer Mitbürger noch in den Stand versetzt, die Interessen der Gesamtheit zu beraten und zu beurteilen. Die Erhöhung des Wahlzensus versuchte die Kommunalbürokratie den Stadtverordneten als kommunalrechtliche Modifikation plausibel zu machen, die nicht eine Abänderung des bestehenden Gesetzes beinhaltete, sondern nur dessen Zurückführen auf den "ursprünglichen Zustand". Die Gemeindevertretung wies jedoch, ohne näher auf die neuerlichen Vorschläge des Magistrats einzugehen, auf die Mehrheitsentscheidung der gemischten Deputation vom 14. Oktober hin. 109 Die Diskussion um die Wahlrechtsqualifikation hatte damit vorläufig ihr Ende gefunden, sie sollte unter anderen Umständen erst in der Revolutionszeit wieder aufgenommen werden. Vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden stärkeren Politisierung der städtischen Öffentlichkeit war die Behauptung der durch die Kommunalreform tradierten Bürgergemeinde politisch sicherlich das weitaus tragendere Integrationskonzept. Der Konflikt um die wahlrechtlichen Bestimmungen der Revidierten Städteordnung hatte ja bereits gezeigt, daß die mehr oder weniger willkürliche Heraufsetzung des Wahlzensus als schwerwiegender Eingriff in die gesetzlich eröffneten Teilhaberechte begriffen wurde, der nicht widerstandslos vom Stadtbürgertum hingenommen worden wäre und unter Umständen zu einer Radikalisierung der politisch Ausgegrenzten geführt hätte. Die Möglichkeit einer derartigen Entwicklung sollte während der Revolutionszeit selbst dem Konservativismus der beamteten Kommunalbürokratie nicht verborgen bleiben, so daß sie im Einklang mit !O8 Dazu das von Oberbürgermeister Krausnick, Bürgermeister Baerwald und Stadtrat Koblank unterzeichnete Schreiben an die Stadtverordneten-Versammlung vom 29. November 1842. A.a.O. 109 Schreiben der Stadtverordneten Desselmann und Seeger vom 29. Dezember 1842 und daneben der Beschluß der Gemeindevertretung vom 29. Dezember 1843. A.a.O.

1. Wahlbewußtsein, Wahlverhalten und Wahlrecht

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der Gemeindevertretung gegen das staatlich favorisierte Klassenwahlrecht opponierte. Nachdem die Frage einer Aktualisierung des Wahlzensus abgewehrt war, konnte sich die Gemeindevertretung mit weniger weitreichenden Gegenständen des Wahlverfahrens auseinandersetzen, insbesondere mit dem Problem der Zulassung von Wahlberechtigten während der Ballotage, der sorgfaltigeren Revision der Bürgerrollen und der Aufstellung von Wählerlisten sowie mit der systematischeren bezirklichen Verteilung der Stellvertreterwahlen. Im Januar 1844 stellten die Stadtverordneten kritisch fest, daß seit Jahren nur die äußeren Stadtbezirke auf dem linken Spreeufer berücksichtigt worden waren. Der Magistrat wurde daher erneut aufgefordert, den Stellvertreterwahlen ein Verfahren zu Grunde zu legen, das zukünftig eine systematische Abfolge der Bezirke garantierte und ein Übergehen einzelner Bezirke vermied. 110 Nachdem der Magistrat für die Kommunalwahl von 1844 eine gesonderte Auswahl von inneren Stadtbezirken für die Stellvertreterwahlen traf, III legte er im Frühjahr 1845 einen Plan vor, der die Wahlbezirke für die nächste dreijährige Wahlperiode festlegte. ll2 Die Stadtverordneten erkannten den Plan "in seinen Prinzipien" als Fortschritt an, wenngleich weiterhin Unklarheit über "die Art und Weise der Einberufung der Stellvertreter" herrschte. l13 In der Stadtverordnetendeputation, die zur Vorberatung der Magistratsvorschläge gebildet worden war, saß mit dem bereits erwähnten Heinrich Runge 1l4 ein neuer, junger Typ von Gemeindevertreter, der die Nähe zum Bürger suchte, selbstbewußt auf die eigene Verantwortlichkeit und Kompetenz verwies und die Kommunalwahl als politischen Akt ansah, dem ebenso öffentliche Auseinandersetzungen wie von beiden Seiten gesuchte Gespräche zwischen Wählern und Mandatsbewerbern vorausgehen mußten. War der Einzug einer neuen Generation von Kommunalpolitikern in die Gemeinderepräsentation nur Ausdruck einer allgemeinen Politisierung des Stadtbürgertums oder hatte sich im Verlaufe eines solchen Prozesses auch die soziale Struktur der Kommunalvertretung gewandelt?

lIO Schreiben der Gemeindevertretung vom 25. Januar 1844. A.a.O. Zur Aufstellung der Wählerlisten vgl. auch Pahlmann, Anfänge, S. 107. 111 Verfügung des Magistrats vom 19. März 1844. LAB, StA Rep. 00-02/1,

Nr. 1239.

112 Einteilung der "Stadtverordneten-Stellvertreter-Wahlbezirke" vom 16. Mai 1845. A.a.O. 113 Protokoll der vorberatenden Stadtverordnetendeputation vom 26. Mai und Protokollauszug der Stadtverordnetensitzung vom 29. Mai 1845. A. a. O. 114 Zu Runge siehe auch oben Kap. 4, Unterabschnitt 7.

30'

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

2. Politische Partizipation in der Gemeinde: die soziale Schichtung der stadtbürgerlichen Vertretungen

Wie bereits festgestellt wurde, ist mit dem Bürgerrechtsbegriff eine partizipationsgeschichtliehe Perspektive verbunden, ohne daß diese mit schichten- oder gruppenspezifischen Ordnungen zusammenfällt. 115 Gleichwohl gilt es, der sozialen Entfaltung bürgerschaftlicher Teilhabe und damit auch ihrer schichtspezifischen Orientierung in den Gemeinderepräsentationen nachzugehen. Die theoriegeleitete Analyse sieht sich in diesem Bemühen allerdings mit einer Reihe von Schwierigkeiten konfrontiert, die sowohl begrifflicher als auch empirischer Natur sind. Die Geschichtswissenschaft kann weder auf einen allgemein anerkannten Schichtbegriff noch auf umfassende Quellenunterlagen zurückgreifen, die für die frühe Zeit des 19. Jahrhunderts eine abschließende Ordnung der objektiven und subjektiven Soziallagen in der Gesellschaft zulassen. Wenn unter Schichten "sich durch das ganze soziale System hindurchziehende, klar voneinander abzugrenzende und aufgrund der Wertung des jeweils betrachteten Merkmals als über- oder untereinander, als höher oder tiefer empfundene Gruppierungen von Mitgliedern eines sozialen Systems bezeichnet werden,,116 oder "eine Vielfalt von Personen" zu verstehen ist, "die irgendein erkennbares Merkmal gemeinsam besitzen und als Träger dieses Merkmals in gewisser Hinsicht ähnliche Lebenschancen, Interessen und Haltungen, vielleicht auch ähnliche Verhaltensweisen aufweisen, durch die sie sich von Mitgliedern anderer Schichten unterscheiden",I17 dann werfen diese Definitionen eher Vgl. oben Kap. 2, Unterabschnitt 7. Kar! Martin Bolte, Einige Anmerkungen zur Problematik der Analyse von "Schichtungen" in sozialen Systemen, in: Soziale Schichtung und soziale Mobilität, hrsg. von D.V. Glass/R. König, (= Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sh. 5), 50pladen 1974, S. 43. 117 Kocka, Theorien in der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte. Vorschläge zur historischen Schichtungsanalyse, in: GuG, 1. Jg. (1975), S. 37. Kritisch zum Schichtungsbegriff, zur Schichtzuordnung und Statusbestimmung Renate Mayntz, Stichwort "Schichtung", in: Wörterbuch der Soziologie, hrsg. von W. Bernsdorf, 'Stuttgart 1969, S. 989 f. Mayntz definiert soziale Schicht als "eine größere Bevölkerungsgruppe, die sich gemeinsam in einer durch objektive Faktoren bestimmten und für ihre Lebenschancen und Lebensweise entscheidenden Lage befinden und die überdies gegen andere Bevölkerungsgruppen so abgegrenzt ist, daß sich ein Übereinander der einzelnen Schichten ergibt". Vgl. Soziale Schichtung und sozialer Wandel in einer Industriegemeinde. Eine soziologische Untersuchung der Stadt Euskirchen, Stuttgart 1958, S. 81. Siehe auch Erhard R. Wiehn, Soziale Schichtung, in: Ders./Karl Ulrich Mayer, Soziale Schichtung und Mobilität. Eine kritische Einführung, München 1975, S. 39 ff. Ernst M. Wallner/Margret Funke-Schmitt-Rink, Soziale Schichtung und soziale Mobilität (= Soziologie der Gegenwart, 6), Heidelberg 1980, S. 18 f. Mit kritischem Blick auf die Perspektivenerweiterung durch die Ungleichheitsforschung Rainer Geißler, Die pluralisierte Schichtstruktur der modemen 115

116

2. Politische Partizipation in der Gemeinde

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weitere Problem auf, als daß sie operationalisierbare Parameter für eine historische Schichtungsanalyse zur Verfügung stellen. Die in den Definitionen ausgesprochene Beliebigkeit von Merkrnalsgleicheit deutet nicht zuletzt auf die Schwierigkeit hin, ein an objektiven Kriterien entwickeltes, von willkürlichen Abgrenzungen befreites Schichtungsmodell aufzustellen. Die gegenwartsbezogene Sozialwissenschaft I 18 beschreibt die "objektive" Soziallage der einzelnen Individuen einer Gesellschaft durch die Begriffe sozialer Status und Sozialprestige. Mit dem sozialen Status ist eine vertikale Gliederung der Gesellschaft verbunden, indem den Individuen relevante soziale Positionen, mitunter auch die im Prestige ausgedrückte soziale Wertschätzung dieser Positionen, zugeordnet werden. Das Sozialprestige, das grundSätzlich zum Messen von sozialem Status herangezogen wird, bezeichnet den in der Sozialstruktur begründeten Geltungsanspruch des Individuums, mithin einen "von den herrschenden kulturellen Leitbildern bestimmte(n) subjektive(n) Reflex auf objektive Tatbestände".ll9 Die Prestigewerte der einzelnen Statuskomponenten unterliegen der empirischen Ermittlung oder der Festsetzung seitens des Forschers. In der Gegenwartsgesellschaft gelten gemeinhin Beruf, Einkommen und Bildung als Merkmale für die Verteilung von Prestige. 120 Auch Machtzuteilungen oder WeiGesellschaft: zur aktuellen Bedeutung des Schichtbe~riffs, in: Soziale Schichtung und Lebenschancen in Deutschland, hrsg. von dems., Stuttgart 1994, S. 7 ff. Kritisch dazu auch Bernhard Schäfers, Gesellschaftlicher Wandel in Deutschland. Ein Studienbuch zur Sozialstruktur und Sozialgeschichte, 6Stuttgart 1995, S. 237 ff. Zur Statusbestimmung Mayntz, Begriff und empirische Erfassung des sozialen Status in der heutigen Soziologie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 10. J g. (1958), S. 58 ff. Zum Verhältnis von Schichtung und Mobilität siehe Bolte, Vertikale Mobilität, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung, hrsg. von R. König, Bd. 2, Stuttgart 1969, S. 1 ff. 118 Zur Übernahme des sozialwissenschaftlich fundierten Schichtbegriffs in der Historiographie vgl. den instruktiven, wenngleich auf mittelalterliche Gesellschaftssysteme bezogenen Aufsatz von Michael Mitterauer, Probleme der Stratifikation in mittelalterlichen Gesellschaftssystemen, in: Theorien; S. 13 ff., und die anschließende Diskussion, die deutlich macht, daß die Vorbehalte der Geschichtswissenschaft gegen die Angemessenheit des Schichtbegriffs für die Analyse von Gesellschaftssystemen auch auf die gegenwartsbezogene Beobachtung der Industriegesellschaft zurückwirken müssen. A. a. 0., S. 44 ff. Kritisch zu Mitterauer und seiner quellenbezogenen Kritik des Schichtbegriffs Jürgen Ellermayer, "Schichtung" und "Sozialstruktur" in spätmiUelalterlichen Städten. Zur Verwendbarkeit sozial wissenschaftlicher Kategorien in historischer Forschung, in: GuG, 6. Jg. (1980), S. 125 ff. Zur Notwendigkeit einer adäquaten Typologie von Schichtungssystemen für die verschiedenen Formen von Industrie- und Agrargesellschaften vgl. Thomas B. Bottomore, Soziale Schichtung, in: Soziale Schichtung und Mobilität (= Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 5), 2Stuttgart 1976, S. 18 ff. 119 Mayntz, Schichtung, S. 990. 120 Friedrich Fürstenberg, Die Sozialstruktur der Bundesrepublik Deutschland. Ein soziologischer Überblick, 40pladen 1975, S. 119 f.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

sungsbefugnisse werden von der Sozialwissenschaft als Schichtungsfaktoren genannt. 121 Da es jedoch keine allgemein gültige soziale Rangordnung gibt und in den einzelnen Sozialbereichen einer Gesellschaft unterschiedliche Maßstäbe Gültigkeit besitzen, ist das Erfassen des sozialen Status und des Sozialprestiges mit deutlichen Unsicherheiten belastet. Zudem differenzieren sich die mehr oder weniger willkürlich abgegrenzten Schichten noch durch subjektive Faktoren wie Lebensstil, Einstellungen und Bewußtsein. Der Umfang persönlicher Vollmachten oder Machtzuweisungen ist darüber hinaus, wie Fürstenberg kritisch anmerkt, nicht global, sondern nur im jeweiligen sozialen Wirkungszusammenhang zu ermitteln. 122 Das Schichtungskonzept wird ungebrochen als Lieferant sozialstruktureller Erklärungsvariablen genutzt, in der sozialwissenschaftlichen Forschung stagnierte es aber schon in den siebziger Jahren. Anschließend wurde es durch die Perspektivenvielfalt der Ungleichheits forschung verdrängt. Man kritisierte den Schichtbegriff mit seiner, an vertikalen Dimensionen orientierten Definition sozialer Ungleichheit als zu eng, zu grob, zu abstrakt, zu statisch und ethnozentrisch, während sein theoretischer Erklärungswert nunmehr allgemein als gering eingeschätzt wurde. 123 Auslöser dieser Kritik war die Differenzierung und Pluralisierung der Lebensbedingungen, Soziallagen, der Milieus, Lebensstile und politischen Konfliktlinien in der entfalteten Wohlstandsgesellschaft. Die Bildungsexplosion, der Ausbau der Sozialleistungen, der Bedeutungsgewinn der Freizeit und des Konsums führten zu einem "Individualisierungsschub", 124 auf den die Forschung mit einem Perspektivenwechsel reagierte. Zunächst nahm sie die soziale Ungleichheit, dann die soziale Vielfalt in den Blick der Analyse sozialer Gesellschaftsstrukturen. Bolte sprach von der "pluraldifferenzierte(n) Wohlstandsgesellschaft",125 deren soziale Verfaßtheit durch die Untersuchung von Milieus, Subkulturen und Lebensstilen erschlossen werden sollte. 126

121 Melvin M. Tumin, Schichtung und Mobilität, München 1968, S. 29. Seymour M. Lipset/H.L. Zetterberg, Theorie der sozialen Mobilität, in: Klassenbildung und Sozialschichtung, hrsg. von B. Seidel/So Jenkner, Darmstadt 1968, S. 338 ff. Geißler, Politische Ungleichheit: Soziale Schichtung und Teilnahme an Herrschaft, in: Schichtung und Lebenschancen, S. 74 ff. 122 Fürstenberg, Sozialstruktur, S. 120. 123 Geißler, Schichtstruktur, S. 12 f. 124 Dazu Ulrich Beck, Jenseits von Klasse und Stand?, in: Soziale Ungleichheiten, hrsg. von R. Kreckel, Göttingen 1983, S. 35-74. 125 Boite, Soziale Ungleichheit in der Bundesrepublik Deutschland im historischen Vergleich, in: Lebenslagen - Lebensläufe - Lebensstile, hrsg. von P.A. Berger/So Hradil, Göttingen 1990, S. 44. 126 Peter A. Berger/Stefan Hradil, Die Modemisierung sozialer Ungleichheit und die neuen Konturen ihrer Erforschung, in: Lebenslagen, S. 3-26.

2. Politische Partizipation in der Gemeinde

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Erst als deutlich wurde, daß die Ungleichheits forschung in eine gesellschaftspolitisch "unverbindliche Vielfaltsforschung,,127 umzukippen drohte, gewann die Schichtungstheorie und damit die Sicht vertikaler Profilierung der Gesellschaft, die traditionell mit den Zuweisungskriterien Beruf und Bildung zusammenhängt, erneut an Bedeutung, wenngleich vor dem Hintergrund einer dynamischen, stärker pluralisierten Schichtungskonzeption. 128 Dieser Diskussionsprozeß der soziologischen Forschung sollte insofern auf die historische Schichtungsforschung einwirken, als er auch hier zu einer Dynamisierung des Schichtbegriffs beiträgt. Die differenzierenden Merkmale wären hierbei im Interesse einer Perspektivenerweiterung im historischen Kontext zu entwickeln, wie es zumindest im Ansatz schon bei Mitterauer angedeutet wurde. Versuche, wie die von Hachtmann vorgenommene globale Schichtung der Berliner Bevölkerung in den vierziger Jahren,129 müssen schon deshalb als verfehlt angesehen werden, weil sie Begriffe mit unterschiedlicher kategorialer Reichweite verbinden und in völlig willkürlicher Weise soziale Abgrenzungen vornehmen. Hachtmann unterscheidet zwischen drei sozialen Großgruppen, dem Bürgertum, den Mittel- und Unterschichten. Die Gleichsetzung von Bürgertum und Oberschicht wie die Abgrenzung der Ober- und Mittelschichten wird nicht auf Grund "objektiver" Faktoren vorgenommen. Die Vereinigung von Wirtschaftsbürgertum (Industrielle, Großkaufleute und Bankiers), höheren Staats- und Kommunalbeamten, Bildungsbürgern (freie Berufe, Ärzte, Lehrer, Geistliche etc.), reichen Rentiers und Pensionären, Studenten, Journalisten, Literaten und Schauspieler als Bürgertum hätte ebenso - um ein weiteres Beispiel zu nennen - wie die Einstufung der proletaroiden Selbständigen, d.h. des nach qualifizierten und unqualifizierten Arbeitskräften getrennten Proletariats sowie des Subproletariats als Unterschichten, anhand nachvollziehbarer Prestigefaktoren vorgenommen werden müssen. Hachtmann bemüht sich ja, wodurch die vorhergehende Forderung unterstrichen wird, um eine diffizile Zerlegung der Sozialstruktur der Berliner Bevölkerung, schließlich erklärt er das von ihm entwickelte "soziale Schichtungsmodell" zu einem "wesentlichen Orientierungsrahmen,,130 seiner Studie über die Berliner Märzrevolution. Problematisch ist im Falle Hachtmanns auch der Umgang mit dem von ihm herangezogenen statistischen Quellenmaterial. Es handelt sich um eine Gewerbestatistik, die nicht auf einer einheitlichen Klassifikation von Beruf, Gewerbe und Arbeitsstellung beruht, sondern um ein Vergleichswerk, das 127 128 129 130

Geißler, Schichtstruktur, S. 15. Dazu der Problemaufriß bei Geißler, Schichtstruktur, S. 19 ff. Hachtmann, Berlin 1848, S. 71. A. a. 0., S. 70.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

die Hauptergebnisse der "verschiedenen Aufnahmen über das im Gewerbe thätige Personal und die sonstigen Berufsclassen" im Zeitraum von 1801 bis 1871 zusammenstellt.!3! Dieses Material wurde zwar für einen langfristigen Vergleich aufbereitet, zugleich aber deutlich gemacht, daß sowohl unterschiedliche Klassifikationen der Gewerbezweige und Berufsarten als auch differierende Erhebungsziele eine vergleichende Betrachtung nur unter "großer Vorsicht,,!32 zulassen. Ausgangspunkt der Zusammenstellung Böckhs ist die Ordnung der Reichsgewerbetabelle von 1871, der die übrigen Gewerbeaufnahmen angepaßt werden mußten, so daß Mischungen von Berufs- und Gewerbeklassen, Abgrenzungsprobleme und unterschiedliche Erhebungsformen, aber auch Aufzeichnungslücken eine in weiten Teilen nur scheinbare Kongruenz der Statistiken entstehen lassen, die nur deshalb in Kauf genommen wurde, "um den Umfang des von der amtlichen Statistik bei den einzelnen Zählungen gesammelten Materials vollständig zur Anschauung zu bringen".!33 Wie Hachtmann auf der Grundlage eines derartigen Materials zu einer vertikalen Differenzierung der Berufsgruppen und ihrer quantitativen Abgrenzung kommt, ist nicht nachvollziehbar. Selbst bei einer idealtypisch orientierten Schichtungsstruktur, die von einem bestimmten vertikalen Schichtungsbild ausgeht, muß die quantitative Erfassung der Schichten, wenn diese nicht schon aus der allgemeinen Klassifikation hervorgeht, durch genauere Merkmale bzw. Prestigefaktoren vorgenommen werden. Die Gewerbestatistik unterscheidet nicht, um das Problem zu verdeutlichen, zwischen reichen und armen Rentiers oder zwischen gut- und sch1echtersituierten Handwerksmeistern, sondern nur zwischen Rentiers und gewerbespezifisch geordneten Handwerksmeistern. Hachtmann hat die Schwierigkeiten der Quantifizierung durch Schätzungen umgangen, doch auch in diesem Fall läßt er jede Begründung der entwickelten Maßstäbe vermissen. 134 Nun geht es bei den in dieser Studie anstehenden Überlegungen nicht um die Entwicklung eines globalen Schichtungsmodells der frühindustriellen Gesellschaft, eben so wenig soll die schichtenspezifische Differenzierung ei131 Böckh, Die Bevölkerungs-, Gewerbe- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1875 in der Stadt Berlin, Abt. 4, Die Ergebnisse der Zählkarten der Selbstthätigen und der Gewerbefragebogen, H. 3/4, Berlin 1880, S. 6-13. I32

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A. a. 0., S. 4. A.a.O., S. 16.

134 Pahlmann, Anfänge, S. 151 ff., verbleibt bei seinen Erläuterungen zur sozialen Zusammensetzung der Berliner Gemeindevertretung im Rahmen einer deskriptiven Darlegung der Entwicklungslinien der von den Stadtverordneten repräsentierten Berufe, ohne daß er zu einer qualitativen Einschätzung der beobachteten Veränderungen kommt. Vgl. dazu meine Besprechung der Pahlmannschen Arbeit, in: AfK, 37. Jg. (1998), S. 159 f.

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ner städtischen Bevölkerung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Untersuchungs gegenstand gemacht werden, sondern lediglich mit Hilfe des Schichtbegriffs der Frage nach der Entwicklung und dem Wandel der sozialen Zusammensetzung städtischer Vertretungen nachgegangen und die Frage des Zusammenhangs mit der Formung administrativer Kompetenz, des politischen Konfliktverhaltens, der Verteilung politischer Weisungsbefugnisse sowie der Wahrnehmung von Teilhabechancen gestellt werden. Da nur ein Bezug zur städtischen Repräsentation herzustellen ist, erledigen sich einzelne Probleme einer allgemeinen Schichtungsanalyse von vornherein, so die Frage der sozialen wie politischen Reichweite der hausväterlich konstituierten Hausgemeinschaften, die Frage nach dem konkreten Wirkungsbereich des Bürgerrechts oder der Stellung der einzelnen Mitglieder innerhalb der hierarchisch strukturierten Familienverbände. 135 Einem mehrdimensionalen Schichtungsmodell kommunaler Repräsentationen, das in der Lage wäre, die Komplexität sozialer Lebenslagen abzubilden, stehen allerdings erhebliche Quellenprobleme gegenüber. Die überlieferten Kommunalakten geben kaum Aufschlüsse über die soziale Herkunft, die erworbene Schulqualifikation 136 und absolvierten Befähigungsnachweise der Stadtverordneten. Diese lassen sich, wenn überhaupt, nur mit einem größeren Aufwand ermitteln, der den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Das Einkommen ist in einer Gesellschaft, die noch nicht durch Lohn- und Gehaltsempfänger dominiert wird - abgesehen von der Willkürlichkeit der Grenzziehung zwischen den Schichten -, nicht auf einfachem Wege zu ermitteln. Nicht nur, weil neben dem möglicherweise vorhandenen Einkommen grundsätzlich die Vermögens- und Besitzverhältnisse zu berücksichtigen wären, sondern auch, weil sich erhebliche Schwierigkeiten auftun, die allgemeinen Einkommens- und Vermögens verhältnisse annähernd festzustellen. Im Kapitel über "Bürgerrecht und Gewerbefreiheit" wurde ja eingehend erläutert, wie es selbst der zeitgenössischen Kommunalbürokratie schwerfiel, in dieser Hinsicht den Status der Stadteinwohner zu bestimmen. Nicht umsonst drängten die Kommunalkörperschaften immer wieder darauf, die Mietsteuerkataster zur Grundlage für die Bürgerrechtsqualifikation zu machen. Doch auch in diesem Fall hätte es sich, wie die Gemeindebürokratie ohne weiteres zugab, nur um eine Feststellung des Einkommensstatus gehandelt, die ungenau und keineswegs mit den tatsächlichen Vermögens verhältnissen gleichzusetzen war. 135 Im Zusammenhang mit der Stratifikation von Beruf auch Mitterauer, Probleme, S. 24 ff. 136 Zum Strukturwandel des preußischen Schulwesens im Zeitalter der Industrialisierung vgl. Detlef K. Müller, Sozialstruktur und Schulsystem. Aspekte zum Strukturwandel des Schulwesens im 19. Jahrhundert (= Studien zum Wandel von Gesellschaft und Bildung im 19. Jahrhundert, Bd. 7), Göttingen 1977.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

Der stadtbürgerliche Widerstand gegen die Einführung der Einkommensteuer resultierte bekanntlich zu einem nicht unerheblichen Teil aus der Scheu, das verfügbare Einkommen und Vermögen offenlegen zu müssen. Diese Situation schloß nicht aus, daß der Magistrat im Einzelfall durchaus Wege fand, präzisere Ermittlungen über das Einkommen von Teilen der Stadtbevölkerung anzustellen, wie das Beispiel der geplanten Zwangsanleihe von 1809 zeigte, doch allgemein fehlte es ebenso an präzisen Methoden wie Möglichkeiten der erschöpfenden Einkommensermittlung. Es bleibt somit als prestigebildender Faktor nur noch der Beruf und damit ein von der Sozialwissenschaft zu Recht bekämpftes eindimensionales Schichtungsmodell übrig. Der Prestigefaktor "Beruf' ist zudem kein präzises Einordnungsmerkmal, da die allgemeinen Berufsbezeichnungen häufig ohne Verbindung mit einem konkreten Leistungssystem sind und die einzelnen Berufsbezeichnungen nicht für alle Berufsträger eine vergleichbare Wirklichkeit kennzeichnen. 137 Die Berufsklassifizierungen des späteren 19. Jahrhunderts sind auf Grund der komplexen Arbeitsteilung, der Spezialisierung und dem Anwachsen der Berufspositionen in der Industriegesellschaft nur eingeschränkt in der Lage, die Struktur der Berufswelt sowie die Abgrenzung der mit den Berufen verbundenen Positionen in präziser Weise deutlich zu machen. 138 Die Schichtungsanalyse frühindustrieller Gesellschaften wird hingegen mit dem Problem einer hinreichenden Differenzierung der Berufe konfrontiert. Unter den einzelnen Berufsbezeichnungen werden häufig verschiedene Tätigkeiten subsumiert, die jeweils mit einem unterschiedlichen Status und Prestige verbunden sind. Kaelble macht diese Problematik am Beispiel des Berliner Unternehmertums deutlich. Die frühindustrielle Gesellschaft kannte noch keinen Begriff, der den industriellen Unternehmern eine gemeinsame Funktion in der Wirtschaft zuschrieb. Steuer- und handelsrechtlich wurden sie den Kaufleuten zugeordnet, da ihre Betriebe den gleichen gewerberechtlichen Normen unterworfen waren. 139 Gleichwohl verstanden sich die Berliner Industriellen auf Grund der differierenden wirtschaftlichen Verhaltensregeln nicht als Kaufleute, sondern, wie es im übrigen auch unter den Ältesten der Berliner Kaufmannschaft und innerhalb der preußischen Staatsverwaltung üblich war, als Handels- und Gewerbe- oder Handels- und Fabrikantenstand. Unter dem Diktum des Gewerbeliberalismus und der Annahme uneingeschränkter Aufstiegsmobilität wurden diese Begriffe indessen bis zum BeFürstenberg, Sozialstruktur, S. 119 f. Vgl. Hansjürgen Daheim, Berufssoziologie, in: Ders. u. a., Beruf-Industrie-Sozialer Wandel in unterentwickelten Ländern (= Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 8), 2Stuttgart 1977, S. 26 ff. 139 Kaelble, Unternehmer, S. 126 ff. 137 138

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ginn der vierziger Jahre nicht sozial differenziert. Der Handels- und Gewerbestand erfaßte begrifflich sowohl Großkaufleute, Industrielle und Bankiers als auch einzelne Handwerksberufe. Anhand der Mitgliederlisten des Vereins zur Förderung des Gewerbefleißes konnte Kaelble feststellen, daß sich jeder handwerklich ausgebildete Unternehmer noch Mitte der dreißiger Jahre unter seinem ursprünglichen handwerklichen Beruf einstufte. Erst in den vierziger Jahren begannen sich, funktional unterscheidende Begriffe für die unternehmerische Tätigkeit durchzusetzen. Die industrielle Unternehmerrolle wurde stärker hervorgehoben, der Fabrik- vom Handwerksbetrieb, der Fabrikant vom Handwerker getrennt. Die 1843 publizierte Preußische National-Encyclopädie unterschied, wenngleich die Handwerker im täglichen Sprachgebrauch noch als Fabrikanten bezeichnet wurden, zwischen Unternehmern und Handwerkern, die einzelnd für eigene Rechnung produzierten. 140 Erst am Vorabend der Märzrevolution hatte sich also unter den Berliner Unternehmern ein Bewußtsein für die eigene soziale Gruppe durchgesetzt, das sich begrifflich in der abgrenzenden Bezeichnung des Fabrikanten, des industriellen Unternehmers oder Arbeitgebers manifestierte. Eine Schichtungsanalyse der Berliner Kommunalrepräsentation, die vom Merkmal des Berufs ausgeht und zudem auf Selbsteinschätzungen basiert, muß dennoch mit nicht unerheblichen Zuordnungsschwierigkeiten rechnen und sich darüber im klaren sein, daß die mangelnde Abgrenzbarkeit einzelner Berufsfelder nur einen annähernden Einblick in die soziale Zusammensetzung der Gemeinderepräsentation zuläßt und selbst die deskriptive Beschreibung der Abfolge beruflicher Vertretung in der StadtverordnetenVersammlung durch funktional nur unzureichend unterschiedene Berufsbezeichnungen erschwert wird. Dies kritisch vorausgesetzt, soll der Versuch gemacht werden, eine durch die Dominanz von Beruf und Einkommen profilierte Schichtung der Berliner Gemeindevertretungen unter der ersten preußischen Städteordnung zu entwickeln. Die Bewertung des Einkommens bezieht sich dabei auf die Ermittlung der Wohnungsmietwerte des Magistrats im Jahre 1831, die, insbesondere bei der Beurteilung des Handwerks, durch die Ergebnisse der Gewerbesteuertabelle aus dem Jahre 1841 ergänzt werden. 141 Für die Zuordnung der einzelnen Berufe war ein Wohnungsmietwert von über 100 Reichstaler als Schichtungsgrenze entscheidend, da der Berliner Magistrat diesen Wert als untere Grenze für eine ökonomisch selbständige Existenz ansah. Grundsätzlich werden nur die Mietwerte der Wahlbeteiligten berücksichtigt. Wenn der durchschnittliche Mietwert in einer Berufsgruppe indes140 Art. "Fabriken und Manufakturen", in: Die Preußische National-Encyclopädie, Bd. 1, Berlin 1843, S. 455. 141 Die Aufstellung der Wohnungsmietwerte in BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 83. Die Gewerbesteuertabelle nach J. P. Kux, Berlin, S. 120--123.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

sen unter 100 Reichstaler lag, werden zur Überprüfung die entsprechenden Werte der Nichtwähler herangezogen. Unterschreitet der durchschnittliche Mietwert nach diesem Verfahren immer noch die Grenze von 100 Reichstaler, bleibt es bei einer Zuordnung zu den unteren Berufsschichten, wenn nach der Gewerbesteuertabelle ein niedriger Prozentsatz steuerpflichtiger Gewerbetreibender und ein niedriger bis mittlerer Durchschnittssteuersatz von unter acht Reichstaler in der Berufsgruppe vorliegt. 142 Wohnungsmietwerte zwischen 100 und 200 bzw. über 200 Reichstaler qualifizieren die mittleren und höheren Einkommensgruppen. Da es nicht um ein Schichtungsbild der städtischen Gesamtgesellschaft, sondern nur um den Ausschnitt des kommunalrechtlich definierten Stadtbürgertums bzw. jener Teile der Schutz verwandten geht, die durch Grundeigentum zum Erwerb des Bürgerrechts verpflichtet waren oder sich zur freiwilligen Annahme entschlossen hatten, wird von einer allgemeineren vertikalen Differenzierung abgesehen. Die Stadtverordneten werden dreizehn Berufsgruppen zugeordnet, die wiederum in drei, vertikal geschichteten Hauptgruppen zusammengefaßt sind. In der ersten Gruppe rangieren neben den Bankiers, den Fabrikanten, Fabrikbesitzern und Kaufleuten noch die Hoteliers, Gastwirte und Destillateure, welche auf Grund ihrer überdurchschnittlichen Vermögensverhältnisse VOn den mittleren Einkommensgruppen abzugrenzen waren. Neben diesen "oberschicht-orientierten" Berufsgruppen des Wirtschaftsbürgertums treten noch die akademisch gebildeten Freiberufler und die höheren Beamten, also Ärzte, Professoren, Lehrer, Künstler, Assessoren und Räte. Einer zweiten Hauptgruppe waren neben dem gut- und bessersituierten Handwerk die Materialwaren-, Kommissions- und sonstigen Händler sowie die Rentner und Pensionäre zu subsumieren. Die Buchhändler und Buchdruckereibesitzer, die eine Art "Intellektuellenschicht" mit deutlicher Nähe zum gehobenen Bildungsbürgertum darstellten, ergänzten die mittlere Schicht des in der Stadtverordneten-Versammlung vertretenen Stadtbürgertums. Einkommensmäßig lag das Druck- und Verlagsgewerbe an der Spitze der zweiten Hauptgruppe. Eine dritte, an der unteren Skala dieses Schichtungsmodells einzuordnende Gruppe bilden die Berufe des schlechtsituierten Handwerks mit Wohnungsmietwerten unter 100 Reichstaler wie beispielsweise die Tischler, Posamentierer, Seidenwirker oder Schneider. Mittlere Beamte wie Inspektoren oder Amtmänner gehören dieser Gruppe daneben ebenso an wie Ackerbürger und Gärtner oder die Handwerksgesellen. Da die innerstädtische Diskussion über die berufliche Zusammensetzung der Gemeindevertretung wesentlich durch die Diskussion über eine stärkere 142 Die Einordnung folgt hier der Aufstellung Bergmanns, in: Berliner Handwerk, S. 207 ff.

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Beteiligung der Intelligenz bzw. des Bildungsbürgertums beeinflußt ist, soll die Gruppe der freiberuflich Tätigen und der höheren Beamten nochmals in acht Berufsgruppen unterteilt werden. Im einzelnen unterscheidet das Schichtungsbild zwischen höheren Beamten, leitenden Angestellten, Professoren und Privatdozenten, Rechtsanwälten, Notaren und Syndici, Schriftstellern und Künstlern, zwischen Apothekern und Ärzten sowie Schuldirektoren und Lehrern. Unter Berücksichtigung der auf Grundlage der Mietwerte ermittelten Einkommensverhältnisse nahm der Apothekerberuf eine dominante Stellung unter den bildungsbürgerlichen Berufen ein. Die damit insgesamt erschlossenen Berufsgruppen und ihre Gliederung in vertikal geordneten Schichten beruhen im einzelnen nicht auf homogenen Soziallagen. Das wird besonders an der stark vertretenen Gruppe der Kaufleute oder der Fabrikanten deutlich, da einerseits das kleinere Gewerbe, andererseits das industrielle Unternehmertum nicht genügend abgegrenzt werden kann. Trotzdem können mit dem Schichtungsbild richtige und sinnvolle Aussagen über die Entwicklung der in der Kommunalrepräsentation vertretenen Berufe des Stadtbürgertums getroffen werden oder, wie Kocka in einer theoriebezogenen Reflexion der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte verdeutlicht, eine am Idealtypus entwickelte Partialerkenntnis. 143 Die weitere Differenzierung der bildungsbürgerlichen Berufe läßt zudem Aufschlüsse über die Entwicklung dieses Elements in der Berliner Kommunalvertretung zu. Die erste gewählte Stadtverordneten-Versammlung Berlins wurde 1809 durch die Gruppe der sozial höherrangigen Berufe dominiert: über die Hälfte der Kommunalvertreter gehörten dem Wirtschafts- oder Bildungsbürgertum an, das hier nicht mit den Spitzen der Regierungs- und Ministerialbürokratie oder des kaufmännischen Unternehmertums gleichgesetzt werden darf. l44 Erst mit deutlichem Abstand folgten die Repräsentanten der mittleren Gruppe. Handwerk, Gastronomie, Druckgewerbe und Handel stellten nur wenig mehr als ein Viertel (26,5 %) der Stadtverordneten. Werden die Wahlen von 1809 und 1848 im unmittelbaren Vergleich betrachtet, läßt sich eine deutliche Steigerung des Anteils der handwerklichen Berufe von 27,5 auf 34,4 Prozent beobachten. Diese Entwicklung war nicht Ausdruck einer allgemeinen Mobilisierung des Handwerks in der Märzrevolution, sondern Kocka, Vorschläge, S. 18 f. Vgl. Tab. 6 im Stat. Anhang. Angaben über die soziale Zusammensetzung der ersten Kommunalvertretungen der bei den anderen östlichen Großstädte Preußens, Breslau und Königsberg, bei Wendt, Städteordnung, Bd. 1, S. 103; Bd. 2, S. 136 u. 188-193. Wenig ergiebig die Angaben zu Königsberg bei Nicolaus, Einführung, S. 62. Vgl. auch Hofmann, Preußische Stadtverordnetenversammlungen als Repräsentativorgane, in: Die deutsche Stadt im Industriezeitalter. Beiträge zur modemen deutschen Stadtgeschichte, hrsg. von J. Reulecke, Wuppertal 1978, S. 40. Bei Hofmann findet sich jedoch keine weitere soziale Aufschlüsselung des Materials. 143

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

mußte auf das besondere Engagement des Buch- und Druckgewerbes bei den Stadtverordnetenwahlen von 1848 zurückgeführt werden. Die Quote gutsituierter Handwerksmeister in der Gemeindevertretung stagnierte sogar bei 16,7 Prozent. Die schlechtersituierten Handwerksmeister, die mittleren Beamten, Ackerbürger und Gärtner spielten dagegen als Kommunalrepräsentanten eine völlig untergeordnete Rolle, die sich, wenn man die Wahlen von 1848 zum Vergleich heranzieht, noch weiter verringerte. Im gesamten Beobachtungszeitraum lag die Quote gewählter Vertreter dieser Gruppe gerade einmal bei zehn Prozent. 145 Der niedrige Wahlzensus, dessen Ausgrenzungsfunktion von der Kommunalbürokratie immer wieder hinterfragt wurde, schien also gegenüber den einkommensschwachen Berufsgruppen durchaus Wirkung zu zeigen. Mit einigem Erstaunen muß festgestellt werden, daß sich am Vertretungsverhältnis der Berufsgruppen bis zur Märzrevolution wenig änderte. Während die untere zu Gunsten der mittleren Berufsgruppe an Einfluß in der Gemeindevertretung verlor, hielt sich der Anteil der oberschicht-orientierten Berufe mit durchschnittlich 56,6 Prozent gleichmäßig auf einem hohen Niveau. Die erste vollständige Neuwahl der Kommunalvertretung nach Einführung der Städteordnung zeigte unterdessen im ersten Revolutionsjahr eine größere Abweichung von der allgemeinen Entwicklung, die auf eine sich langfristig anbahnende Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Gemeindevertretung hindeutete. Es ging weniger um eine allgemeine Stärkung der mittleren Berufsgruppe als um das stärkere Eindringen der Bildungsberufe in die Stadtverordneten-Versammlung. Einerseits erhöhte sich bei dieser Wahl die Zahl der freiberuflich Tätigen und höheren Beamten, andererseits stieg die Repräsentation der Bildungsberufe durch eine sprunghafte Zunahme gewählter Mitglieder aus dem Buch- und Druckgewerbe an. Die Vertretungsquoten der Kaufleute, Fabrikanten, aber auch der gut- und bessersituierten Handwerksmeister stagnierte dagegen, wenngleich sie im langfristigen Trend, mit Ausnahme der Kaufleute, noch leicht gegenüber der Wahl von 1809 zunahmen. Zum Vergleich und zur weiteren Beurteilung der Ergebnisse soll die zeitlich etwa in der Mitte zwischen den beiden Gesamtwahlen liegende Ersatzwahl von 1831 herangezogen werden. Vergleichsobjekt ist dabei nicht die Berufsstruktur der gewählten Vertretung, sondern die der zur Wahl erschienenen Stimmberechtigten. Die Schichtung wird darüber hinaus nicht 145 Im Gegensatz zu den Untersuchungen Pahlmanns, Anfänge, S. 163, wurden in das hier entwickelte Schichtungsbild auch einige Handwerksgesellen aufgenommen. Den Anlaß gaben Selbsteinschätzungen von einzelnen Stadtverordneten, die nicht eindeutig auf eine selbständige Existenz als Meister hinwiesen. Es könnte sich in diesen Fällen um "proletaroide" Kleinexistenzen handeln, die keine wesentliche Differenz zum Status eines Gesellen beinhalten.

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nach dem entwickelten Berufsgruppenmodell, sondern nach den Wohnungsmietwerten vorgenommen, welche die einzelnen Berufe repräsentieren. Auf diese Weise ist einerseits ein näherer Einblick in die tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Berufsgruppen zu gewinnen - dessen relativer Charakter auf Grund der zeitlichen Beschränkung auf ein einzelnes Wahljahr allerdings nicht vergessen werden darf -, andererseits wird es möglich sein, eine weitere Auskunft über das Wahlverhalten zu gewinnen, indem das Problem des Wer-wählt-wen näher umrissen werden kann. D. h. die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der Schichtzugehörigkeit und dem Wahlverhalten gab oder, um mit den Worten des Stadtverordneten Krebs zu sprechen, ob eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Wahlbewußtsein des Einzelnen und den aus seiner sozialen Lage resultierenden politischen Bedürfnissen bestand, wird hier möglicherweise eine Antwort finden. Unter dem Vorbehalt der mangelnden Differenziertheit einzelner Berufsgruppen ergibt die nach den Wohnungsmietwerten erfolgende Einkommensschichtung ein von der Berufsstruktur abweichendes Gliederungsbild. Entscheidend ist, daß die eigentliche Masse der Wähler von den unteren Einkommensschichten gestellt wird. Die Berufsgruppen mit Mietwerten bis 100 Reichstaler machten 1831 nicht weniger als 48,2 Prozent der Wähler aus, die Berufe mit höherem Einkommen gerade einmal 16,5 Prozent, während auf die mittlere Einkommensgruppe noch ein gutes Drittel der zur Wahl erschienenen Stimmberechtigten (35,3 %) entfiel. 146 Unter den höherrangigen Einkommensgruppen rangierten die Brauer, die ansonsten beruflich den Fabrikanten zugeordnet werden, und die Apotheker an oberster Stelle, gefolgt von den Gastwirten und den Destillateuren, erst an fünfter Stelle fanden sich die Kaufleute ein. Die Fabrikanten waren nach solchen gutsituierten Handwerksberufen wie den Bäckern, Kürschnern oder Buchdruckern und auch nach den Beamten erst im Mittelfeld der Berufsgruppe mit Mietwerten zwischen 100 und 200 Reichstaler anzutreffen. Es ist daher zu vermuten, daß es sich bei dieser Berufsgruppe noch vornehmlich um handarbeitsorientierte Fabrikanten handelt, während eigentliche Industrielle, soweit sie zu dieser Wahl aufgerufen worden waren, sich vermutlich traditionell unter der Selbstbezeichnung "Kaufmann" einstuften. 147 Im übrigen darf der Erhebungszeitpunkt nicht übersehen werden, da man Anfang der dreißiger Jahre noch am Beginn der Industrialisierung stand, die industriellen Unternehmer mithin noch eine kleine Schicht innerhalb des Wirtschaftsbürgertums bildeten. Noch Mitte der vierziger Jahre stellten die Industriellen erst ein gutes Drittel der Mitglieder in der Korporation der Berliner Vgl. Tab. 4 im Stat. Anhang. Vgl. dazu auch die Aufstellung über den Anteil der Industriellen unter den Berliner Kaufleuten nach 1830 bei Kaelble, Unternehmer, S. 131. 146 147

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

Kaufmannschaft, dem halbstaatlichen Vertretungsorgan der Bankiers, Großkaufleute und Industriellen. 148 Der soziale Aufstieg der industriellen Unternehmer innerhalb des hauptstädtischen Wirtschaftsbürgertums sollte noch auf sich warten lassen. Bis in die siebziger Jahre hinein bildeten die Bankiers und Großkaufleute die unternehmerische Elite, die ebenso wie die führenden Industriellen wenig Interesse für die Berliner Kommunalpolitik aufbrachten. Zwischen 1809 und 1849 wurden mit Salomon Veit und Friedrich Martin Magnus lediglich zwei Bankiers in die Berliner Stadtverordneten-Versammlung gewählt. 149 Während Veit nach 1809 insgesamt viermal wiedergewählt wurde, schied Magnus, der zu den bedeutendsten Berliner Bankiers gehörte und in den fünfziger Jahren nobilitiert wurde,150 nach seiner 1848 erfolgten Wahl schon zwei Jahre später, bei der Neuwahl der gesamten Gemeindevertretung unter dem Klassenwahlrecht der Gemeindeordnung, wieder aus dem Amt als Stadtverordneter aus. An seine Stelle trat der weniger bedeutende Bankier Ebeling. 151 Einzelne der führenden Industriellen Berlins, die Mitte der dreißiger Jahre erst am Anfang ihrer unternehmerischen Karriere standen, sollten Ende der fünfziger und während der sechziger Jahre als Rentiers in verschiedenen Kommunalämtern tätig werden. 152 Zur Schicht der Handwerksberufe mit niedrigem Einkommen gehörten 1831 neben den Tischlern, Schneidern, den Buchbindern, Barbieren und Schuhmachern auch die Steinarbeiter, Maurer und Zimmerleute. Unter Berücksichtigung der zur Überprüfung herangezogenen Mietwerte der Nichtwähler 153 und der Gewerbesteuertabelle von 1841 müssen diese Berufsgruppen jedoch dem bessersituierten Handwerk zugerechnet werden. Die durchschnittlichen Wohnungsmietwerte schwankten beim Steinbearbeitungs- und Zimmerhandwerk zwischen 108 und 130 Reichstaler, nur die Maurer verA. a. 0., S. 130. Siehe auch Hachtmann, Beharrung, S. 104 u. 124. Im Stadtverordnetenverzeichnis Pahlmanns, Anfange, S. 297, wird Meyer Magnus noch als Bankier angeführt, der aber Mitglied einer bekannten Berliner Familie von Seidenwarenfabrikanten ist. Magnus wurde 1858 in das Ältestenkollegium der Kaufmannschaftskorporation gewählt, dem er bis in die achtziger Jahre, kurzzeitig auch als Präsident, angehörte. In der Stöcker-Ära verbinden sich in seiner Person die Ämter des Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlins und eines unbesoldeten Stadtrats in der Kommunalverwaltung. Vgl. Kaelble, Unternehmer, S. 57. Hachtmann, Berliner Juden, S. 63 u. 79. 150 Zu Magnus vgl. Kaelb1e, Unternehmer, S. 152 f., 156, 162, 165 u. 168. 151 Vgl. das Verzeichnis der Gewählten in der Vossischen Zeitung, Ausgabe vom 11. September 1850 und das Verzeichnis der Gemeinderatsmitglieder in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 202. 152 Kaelble, Unternehmer, S. 152 f. Vgl. auch Kap. 7, Unterabschnitt 4. 153 Vgl. die Übersicht der Wohnungsmietwerte der zur Wahl aufgerufenen Wähler Berlins im Jahre 1831. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 83. 148 149

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blieben mit 97 Reichstaler unter der Zuordnungs grenze. Aufgrund des in der Gewerbesteuerstatistik ermittelten hohen Prozentsatzes steuerpflichtiger Meister und der durchschnittlichen Pro-Kopf-Steuerleistungen I54 müssen sie indessen zur Gruppe des gutsituierten Handwerks gezählt werden. Angesichts des hohen Wähleranteils der Handwerksberufe mit niedrigem Einkommen ist demnach festzustellen, daß die unteren Berufsschichten keineswegs in überwiegendem Maße Mitgliedern ihrer eigenen Schicht den Vorzug gaben, sondern ihre Vertreter im Kreis der bessersituierten Handwerker und nicht zuletzt der oberschicht-orientierten Berufsgruppen suchten, auch wenn diese, wie etwa die Beamten und Ärzte, nicht zu den Spitzenverdienern unter den sozial höher einzustufenden Berufen gehörten. Von der allgemeinen Einkommensstruktur her gesehen waren die vormärzlichen Kommunalvertretungen Berlins im weitesten Sinne "mittelständisch" ausgerichtet, jedoch mit einer ausgeprägten Dominanz der wirtschaftlich besser gestellten Schichten. 155 Das beobachtete Wahlverhalten der Berufsschichten läßt die von der Regierungs- und Kommunalbürokratie entwickelte Kritik am Kommunalwahlrecht in einem anderen Licht erscheinen. Wenn sich Städtedepartementsrat Haeckel im Mai 1834 über die wahlrechtlichen Regelungen der Städteordnung beklagt, welche angeblich nicht mit der sozialen Heterogenität einer Großstadt zu vereinbaren waren, fällt der überaus vordergründige Bezug auf die soziale Zusammensetzung der Wählerschaft auf. Die Sozialstruktur der Wähler wird einerseits für die Zusammensetzung der Kommunalvertretungen, andererseits für das Wahlverhalten bzw. die überdurchschnittliche Wahlverweigerung der besser gestellten Schichten des Stadtbürgertums verantwortlich gemacht. "Dieses Ausbleiben der gebildeten Klasse", unterstrich Haeckel, "zeigt sich an vielen Orten und hat darin seinen Grund, daß sie sich theils scheuen, in die schlechtzusammengesetzte StadtverordnetenVersammlung zu treten, theils voraussehen, daß man sie, weil sie die Minorität bilden, und die Wahl ohne Beschränkung der Majorität überlassen ist, übergehen wird".156 Erstaunlich, mit welcher Ignoranz der Regierungskommissar von einer Beurteilung des bildungsbürgerlichen Wahlverhaltens absieht und wie wenig Mühe er darauf verwendet, die konkreten Wahlentscheidungen zu berücksichtigen. Aus der Sozialstruktur der Wählerschaft konnte nicht auf das Wahlverhalten oder gar auf die soziale Zusammensetzung der Kommunalvertretungen geschlossen werden. Im Gegenteil, die vorliegende Untersuchung zeigt, daß das vormärzliche Stadtbürgertum kein sozial geschlossenes StimmverBergmann, Berliner Handwerk, S. 207. Hierzu auch Pahlmann, Anfänge, S. 163 f. 156 Bericht Haeckel, 15. Mai 1834. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 16 f. 154 155

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

halten an den Tag legte, sondern eher geneigt war, dem bessersituierten Bürger seine Stimme zu geben. Die apologetische Einschätzung des bildungs- und wirtschaftsbürgerlichen Wahlverhaltens dürfte ein weiteres deutliches Indiz für die politische Instrumentalisierung des Gemeinsinnbegriffs sein, der häufig nur dort als kritische Maxime politischen Verhaltens gefordert war, wo er aktuelle politische Zielsetzungen konzeptionell stützte. Haeckels Vorschläge einer stärkeren Korporierung des Kommunalwahlrechts, indem er den führenden Schichten des Stadtbürgertums Mandatskontingente zukommen lassen wollte, trafen das eigentliche Problem nicht. Es ging vornehmlich sowohl um eine stärkere Integration der wohlhabenderen und gebildeteren Schichten in die Kommunalpolitik als auch um die Entwicklung partizipativen Verhaltens, dessen Durchsetzung den Abbau kommunalrechtlich begründeter Steuervorteile erforderte. Gewiß hatten die Kommunal- und Regierungsbehörden recht, wenn sie in den Kommunalvertretungen langfristig das Bedürfnis reifen sahen, "wissenschaftlich in der Verwaltung und in der Kenntnis der Gesetze ausgebildete Männer in ihrer Mitte,,157 aufzunehmen, die Durchsetzung korporativer Wahlformen war dadurch nicht zu rechtfertigen. Der ideologische Charakter der Minoritätsthese wird auch in einem anderen Zusammenhang deutlich, auf den in den vierziger Jahren von kritischen Kommunalpolitikern hingewiesen wurde. Das kommunale Wahlrecht hatte in Berlin den Gleichheitsstatus zu diesem Zeitpunkt bereits verloren, da die Kluft zwischen Mandat und Vertretungsquote infolge der Bevölkerungsentwicklung stetig gewachsen war. Diese Entwicklung traf weniger die Stadtbezirke wohlhabender Schichten als jene schnell wachsenden äußeren Stadtviertel, die der sozial schwächeren Bevölkerung Quartier boten. 3. Wahlsystem und Stimmenwert die Gestaltung der Kommunalwahlkreise

Das Wahlsystem der Städteordnung beruhte auf der Mehrheitswahl, Kriterium für die Wahlentscheidung war die relative Stimmenmehrheit. Die Zielvorstellung des Gesetzgebers richtete sich also nicht auf die proportionale Abbildung der Stimmen in Mandaten, sondern bestand in einem auf Integration, Willens bildung und Funktionalität abzielenden System, das in den Städten eine stabile, auf Mehrheitsbildung beruhende politische Führung erlaubte. 158 Wesentliches Gestaltungselement des Wahlsystems ist der Wahlkreis. Er kann sogar zu einem systemstrukturellen Faktor gemacht A.a.O., BI. 18. Vogel/Nohlen/Schulze, Wahlen, S. 26 ff. Zur historischen Entwicklung des Mehrheitswahlsystems schon Gierke, Über die Geschichte des Majoritätsprinzips, in: Schmollers Jahrbuch, N.F., Bd. 39 (1915), S. 565 ff. 157

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3. Wahlsystem und Stimmenwert

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werden, wenn man unter ihm die Größe versteht, welche die abgegebenen Stimmen der Wahlberechtigten zur Grundlage der Mandatszuteilung macht, ohne die Stimmen in anderen Wahlgebieten zu berücksichtigen. 159 Wahlsystematisch erweist sich sowohl der Wahlkreistyp als auch die Wahlkreiseinteilung von Bedeutung. Der Typus hat Einfluß auf die Proportionalität von Mandaten und Stimmen, die Einteilung auf den Inhalt der Repräsentation. Gezielte Wahlkreisgeometrie bietet ebenso die Möglichkeit zu manipulativen Wahleingriffen wie die Vernachlässigung eines auf Gleichheit angelegten Repräsentationsschlüssels mit Notwendigkeit zu Verschiebungen des Stimmengewichts führt. Das öffentliche Einklagen gerechter Repräsentation kann in diesem Fall Ausdruck der Politisierung und des Bewußtwerdens vernachlässigter Partizipationschancen und Einflußmöglichkeiten sein. Das Kommunalrecht legte die Zahl der Mandate nach der Größe der Städte fest: in kleinen, mittleren und größeren Kommunen waren zwischen 24 bis 36, 36 bis 60 und 60 bis 102 Mandate zu vergeben. Die konkrete Festlegung der Mandate oblag unter Zuziehung des Bürgerschaftsvorstehers dem Magistrat. Bei ihrer Entscheidung war der kommunalen Exekutive lediglich aufgegeben, sich "nach dem Bedürfnis des Orts" zu richten. 160 Die Städteordnung führte ein direktes, geheimes, allgemeines und gleiches Männerwahlrecht ein. Die Gleichheit der durch den Zensus eingeschränkten Wahlberechtigung sicherte der Gesetzgeber dadurch, daß er vorschrieb, die Anzahl der Mandate "nach dem Verhältniß der darin vorhandenen stimmfähigen Bürger" auf die Wahlbezirke zu verteilen. 161 Der Magistrat war demnach verpflichtet, bei der Untergliederung des Wahlgebiets auf ein kongruentes Verhältnis von Mandaten und stimmberechtigter Bevölkerung zu achten. Im Kommunalgesetz war zwar wörtlich ausgeführt, daß die Festlegung der Mandatszahl "behufs der ersten Wahl" vorzunehmen war, aber aus dem entwickelten Wahl prinzip ergab sich zwangsläufig die Verpflichtung, im Falle veränderter Bevölkerungs- bzw. Wahlberechtigtenverhältnisse eine anderweite Verteilung der Mandate vorzunehmen. Das Staatsministerium ließ an dieser Auslegung keinen Zweifel. Bereits im Mai 1809 erläuterten die Ministerialbehörden, da das im § 72 StO aufgestellte Prinzip nicht nur für die erste Einrichtung der StadtverordVogel/Nohlen/Schulze, Wahlen, S. 37. § 70, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 333. Für Kommunen mit weniger als 200 stimmfahigen Bürgern wurde die Zahl der Mandate durch Deklaration auf 9 bis 18 festgelegt. Gemeinden dieser Größenordnung, die bereits die in der Städteordnung vorgeschriebene Zahl der Mandate eingerichtet hatten, durften diese zunächst beibehalten und mußten für die Reduktion bei Ausscheiden einzelner Kandidaten oder ähnlichen Vorgängen sorgen. Kabinets-Ordre vom 10. Juni und Ministerialreskript vom 23. August 1809, in: Rumpf, Städteordnung, S. 74. 161 § 72, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 333. 159

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

netenwahlen galt, mußte die Verteilung der Mandate geändert werden, sobald das Verhältnis der stimmfähigen Bürger in den einzelnen Wahlbezirken "bedeutende Veränderungen" erfahren hatte. 162 Versuche der noch amtierenden Kommunalbürokratie, die Verteilung aus Effizienzbedürfnissen der Verwaltung zu verhindern, untersagte das Innenministerium. Wenn in einem Kommunalwahlbezirk eine große Anzahl von Bürgern vorhanden war, diese indessen vorwiegend aus kleineren Grundstücksbesitzern und ärmeren Einwohnern bestand, und in anderen Bezirken zwar von einer geringeren Zahl von Stimmberechtigten, aber insgesamt von einer wohlhabenderen und daher nach Auffassung der Magistrate für die Übernahme eines Stadtverordnetenamtes geeigneter erscheinenden Wählerschaft auszugehen war, durfte solchen Wahlbezirken nicht eine höhere Anzahl von Mandaten zugewiesen werden. Die antibürokratische Tendenz der Städteordnung verpflichtete zu einer Besetzung der Kommunalämter aus der Bürgerschaft überhaupt und nicht aus der Gemeindevertretung heraus. Die Einrichtung von Stadt- bzw. Wahlbezirken verlangte eine klare Definition der Reichweite des städtischen Weichbilds. Nach der Städteordnung bezog sich der Bürgerrechtsanspruch auf sämtliche im "städtischen Polizeibezirk" liegenden Grundstücke. 163 Gleichzeitig legte das Kommunalrecht fest, daß alle Einwohner und Grundstücke einer Stadt und ihrer Vorstädte den städtischen Polizei- und Gemeindebezirk bildeten. l64 Das Stadtgebiet Berlins beschränkte sich folglich nicht auf den von den Ringmauern umschlossenen Raum, sondern bezog weite Teile des Umlandes ein, die ohnehin in erheblichen Teilen zum städtischen Besitz gehörten. Da aber nicht sämtliche Grundstücke im städtischen Hypothekenbuch eingetragen waren und zudem Uneinigkeit über die juristische und administrative Zugehörigkeit der verschiedenen städtischen Gebiete herrschte, so daß die Einwohner des außerhalb der Berliner Ringmauern gelegenen Territoriums ihre Abgaben teilweise an die Stadt, teilweise an die Kreiskassen Teltow und Niederbarnim entrichteten, boten die kommunalrechtlichen Bestimmungen keinen abschließenden Anhalt für die Festlegung des hauptstädtischen Weichbildes. Der vorgeschriebene Maßstab des städtischen Polizei bezirks hätte unter Umständen Gebiete einbezogen, die nicht mehr im Bereich des Berliner Stadtrechts lagen und die schon bald, wie im Innenministerium geplant, mit Charlottenburg auch eine eigenständige Stadt des Umlandes erfassen sollten. Im Oberpräsidium wurde erwogen, entweder das Stadtrecht auf sämtliche im städtischen Hypothekenbuch aufgeführten Grundstücke auszudehnen und 162 163 164

Ministeria1reskript vom 19. Mai 1809, in: Rumpf, Städteordnung, S. 75. § 15, Tit. 3, StO 1808. GS 1806-1810, S. 326. § 4, Tit. 2, StO 1808. GS 1806-1810, S. 325.

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deren Besitzer zum Erwerb des Bürgerrechts anzuhalten oder das Stadtgebiet nur auf den Bereich innerhalb der Ringmauern zu beziehen und die Bewohner der anerkannt städtischen Grundstücke außerhalb der Ringmauern nur als Schutzverwandte aufzunehmen. Oberpräsident Sack entschied in der zweiten Märzhälfte 1809, nicht zuletzt, um die Einführung der Städteordnung zu beschleunigen, zu Gunsten der zweiten Lösung. Obwohl der Oberpräsident seine Verfügung nur als "Interimistikum" erklärte, war sie ebenso willkürlich wie sie gegen das Kommunalrecht verstieß. Das Staatsministerium hatte sich in ähnlich gelagerten Fällen stets gegen ein solches Verfahren ausgesprochen. 165 Gegen die Einschränkung der Teilnahme am Bürgerrecht im Bereich unzweifelhaft städtischer Gebiete ließ der Einspruch des Magistrats nicht lange auf sich warten. Unter Hinweis auf § 15 StO verlangte die kommunale Exekutive im April 1810 eine Korrektur, die sämtliche, unmittelbar der Stadt gehörenden Feldmarken einbezog. Da es keine Frage war, daß der Berliner Anspruch zu Recht bestand, ordnete die Regionalbürokratie im Juni Verhandlungen der städtischen Behörden mit den zuständigen Landräten der Umlandkreise an. 166 Eine definitive Festlegung der Berliner Stadtgrenzen sollte allerdings noch bis in die dreißiger Jahre auf sich warten lassen. In Analogie zu den Städtegrößenklassen der mittleren und kleineren bzw. größeren Städte mußte die Bevölkerung des von den Ringmauern umschlossenen Stadtgebiets in Bezirke zwischen 1000 und 1500 Einwohnern eingeteilt werden. Die Auseinandersetzungen um die geographischen Grenzen Berlins konnten darauf insofern nur untergeordnete Bedeutung haben, als sich die Bevölkerung innerhalb dieses Gebiets konzentrierte. 167 Da der Be165 Bericht Gruners an Oberpräsident Sack vom 15. März und Verfügung Sacks vom 20. März 1809. GStAPK, Rep. 83C, VI, Nr. 1007, BI. 17 ff. Bericht der kurmärkischen Regierung an Sack vom 25. Mai und Bericht Sacks an den Minister des Innern vom 3. Juni 1810. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3167, BI. 154 f. u. 172 f. 166 Berichte des Berliner Magistrats vom 27. April und 21. September 1810. Regierungsverfügung vom 13. Juni 1810. A.a.O., BI. 153, 174 f. u. 205. Vgl. auch die Erörterung der Weichbildfrage im Zusammenhang mit der Diskussion des im Kommunalrecht festgelegten Stadt- und Bürgerbegriffs oben im Kap. 2, Unterabschnitt 6. 167 Bevölkerungsziffern für das Gebiet außerhalb der Ringmauern liegen für das Jahr der Einführung der Städteordnung und die nachfolgenden Jahre nicht vor. Erst für das Jahr 1822 ist eine entsprechende Einwohnerzahl ermittelt, die bei 7708 Personen liegt. Bratring gibt für das Jahr 1803 eine vorstädtische Bevölkerungsziffer von 3854 Personen an, die sich allerdings nur auf den Stadtteil Neu-Voigtland, d. h. die nachmalige Rosenthaler und Oranienburger Vorstadt bezieht. Wird die Bevölkerungszunahme der Vorstädte anhand der relativen Wachstumsziffer des inneren Stadtgebiets zwischen 1809 und 1822 berechnet, dürfte die Einwohnerzahl der Vorstädte im Jahre 1809 etwa bei 5900 Personen gelegen haben. Auf die Vorstädte wä-

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völkerungsschlüssel eine rein administrative Größe, d.h. unabhängig vom Verhältnis der stimmberechtigten Bürger war, die Mandate aber nach dem Verhältnis der Wahlberechtigten auf die Stadtbezirke zu verteilen waren, mußte es selbst bei dem aktuellen jährlichen Bevölkerungswachstum Berlins zu einem Konflikt zwischen der administrativen Vorgabe der Städteordnung und dem Prinzip der Mandatsverteilung kommen. Der Optimismus der Ministerialbürokratie, das Wachstum der stimmfähigen Bürger würde nicht in dem Maße zunehmen, daß die Verteilung der Mandate "alle Jahre" verändert werden müßte,168 war einerseits im Hinblick auf die Bevölkerungsentwicklung der preußischen Landeshauptstadt verfehlt, andererseits ging er am eigentlichen Problem vorbei. Bezieht man sich wegen der ungeklärten Weichbildfrage nur auf das Stadtgebiet innerhalb der Ringmauern, war im Jahre 1822, für das wiederum eine sich auf das Berliner Gemeindegebiet beziehende Erhebung vorliegt,169 eine durchschnittliche stadtbezirkliche Bevölkerungsdichte von 1783 Personen erreicht. Den Vorschriften des Kommunalgesetzes zufolge hätte die Anzahl der Stadtbezirke auf 120 erhöht werden müssen, bis zum Jahre 1840 hätte die Zahl nach diesem Verfahren bis auf die Höhe von 215 Bezirken zugenommen. Ein Verwaltungsaufwand, der sich einerseits durch nichts rechtfertigen ließ, andererseits praktisch kaum zu realisieren war. Mit dem Bevölkerungswachstum hätte sich zwangsläufig aber auch der Kreis der Stadtbürger vergrößert, jedoch keineswegs im gleichen Tempo wie die Einwohnerschaft. Disproportionalitäten zwischen der Mandatsverteilung und den Wahlberechtigtenziffern hinkten vermutlich der Bevölkerungsentwicklung hinterher. War der Zeitpunkt disproportionaler Verhältnisse indessen einmal erreicht, mußten die Kommunalwahlbezirke neu definiert werden. Da der Bevölkerungsschlüssel hier eine Grenze setzte, blieb nichts anderes als die Zusammenlegung von Bezirken übrig. Ob das rechtlich auf Grund der Verknüpfung der §§ 11 und 72 der Städteordnung überhaupt zulässig war, hätte in jedem Fall einer ministeriellen Prüfung bedurft. Schon zwei Jahre nach Einführung des neuen Kommunalgesetzes mußten sich die Gemeindekörperschaften diesem Problem bei der Klärung der Wahlrechtsfrage in der Oranienburger und Rosenthaler Vorstadt stellen. Die Vorstädte gehörten eindeutig zur Stadt, ohne daß für die hier ansässigen Bürger Kommunalwahlbezirke eingerichtet worden waren. Es handelte sich um ein bevölkerungsreiches, aber von der Sozialstruktur her armes Gemeinren zum Zeitpunkt der Einführung der Städteordnung also vermutlich drei bis vier Mandate entfallen. Zu den Bevölkerungsziffern und den Erhebungsverfahren vgl. Böckh, Bevölkerungsaufnahme, 1875, H. 1, S. 30. Bevölkerungsaufnahme, 1890, H. 1, Berlin 1893, S. XIII. Bevölkerung, 1895, H. 1, S. X u. XII. 168 Ministerialreskript vom 19. Mai 1809, in: Rumpf, Städteordnung, S. 75. 169 Böckh, Bevölkerungsaufnahme, 1890, H. 1, S. XIII.

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degebiet mit knapp viertausend Einwohnern, von denen nur 127 Personen das Bürgerrecht besaßen. Nach Schätzung des Magistrats kamen auf diese Gruppe nur 40 bis 60 Wahlberechtigte. Die kommunale Exekutive schlug vor, die Zahl der Stadtbezirke innerhalb der Ringmauern durch Zusammenlegung auf 100 zu reduzieren und an deren Stelle zwei neue Vorstadtbezirke einzurichten. Angesichts der niedrigen Zahl von Wahlberechtigten gab der Magistrat zu bedenken, ob nicht die Einrichtung eines einzelnen Bezirks ausreichend wäre. Die Stadtverordneten entschieden sich auf Grund der hohen Bevölkerungsdichte jedoch für die Etablierung von zwei Wahlbezirken. 17o Der mit der Vorbereitung des Magistratsbeschlusses beauftragte Stadtbaurat Friedrich Wilhelm Langerhans stellte nüchtern fest, daß die neuen Stadtbezirke nicht dem in der Städteordnung vorgeschriebenen Bevölkerungsschlüssel entsprachen. Überhaupt wurde bei gleicher Verteilung der Stadtbevölkerung auf die 102 Stadtbezirke die kommunalrechtlich vorgeschriebene Grenze von 1500 Einwohnern pro Stadtbezirk überschritten. Diese Regelung der Städteordnung, so das Resümee von Langerhans, war für Berlin nicht ausführbar, erst recht nicht bei dem weiter zu erwartenden Bevölkerungswachstum. 171 Mit dieser Stellungnahme lebte das Stadtbürgertum und die Kommunaladministration bis in die vierziger Jahre hinein, ohne daß es im Zuge der ständig zunehmenden Einwohnerzahl zu einer politischen Auseinandersetzung über die ungleiche Verteilung des Wahlrechts kam. Es kann nur vermutet werden, daß die administrativen und finanziellen Probleme, insbesondere die Haushaltssicherung und die Organisation der Finanzverwaltung, Bürgerschaft und Kommunalbehörden in einem Maße herausforderten, daß der ungleichen Verteilung der Teilhabe wenig Beachtung geschenkt wurde. Trotzdem ist nicht der Eindruck zu beseitigen, daß der einzelne Stadtbürger sich seiner politischen Stellung in der Gemeinde einerseits nicht hinreichend bewußt war und daß andererseits selbst die Kommunalvertretung die Wahlrechtsgleichheit als Partizipationsproblem ignorierte, obwohl es nicht an Appellen fehlte, die Bürgersinn und Teilnahme am Kommunalgeschehen einforderten. Der politische Immobilismus des Stadtverordnetenamts, die hohe personelle Kontinuität in den Kommunalvertretungen und die Dominierung eines 170 Schreiben Humberts an den Magistrat und Stadtverordnetenbeschluß vom 21. März 1811. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3167, BI. 203 u. 220. Die zusammengelegten Innenbezirke bei Pahlmann, Anfänge, S. 193. Die zeitlichen Angaben für die Einrichtung der bei den Außenbezirke sind bei Pahlmann falsch, da in beiden Bezirken schon 1811 Stellvertreter und 1813 Stadtverordnete gewählt wurden. Vgl. Berliner Intelligenz-Blatt, Nr. 125, Ausgabe vom 25. Mai 1811; Nr. 169, Ausgabe vom 16. Juli 1813. 171 Bericht Langerhans vom 13. März 1811. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 47, BI. 197.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

großen Teils der Wahlbezirke durch einzelne einflußreiche Persönlichkeiten bzw. Familien, die partikularistischen Interessen des lokal fundierten Honoratiorentums l72 und das Sozialprestige des kommunalen Ehrenamts verhinderten lange Zeit die Politisierung der Kommunalrepräsentation, den Ersatz des Gemeinsinns durch das politische Programm. Dieser Wandel wurde erst durch jene Generation von Kommunalpolitikern vollzogen, die ihre politischen Erfahrungen nicht im Geflecht des städtisch-bezirklichen Ehrenamts gesammelt hatte, sondern deren politische Sozialisation sich in der literarischen und allgemeinen Öffentlichkeit vollzog. Es nahm nicht wunder, daß der Prototyp des neuen unabhängigen, programmatisch selbständigen Kommunalpolitikers, der bereits mehrfach genannte Heinrich Runge, in seiner Wahlschrift vom Frühjahr 1844 die "ungleiche Ausdehnung" der Berliner Wahlbezirke und damit das Wahlrecht überhaupt kritisierte. Runge monierte die Disproportionalität der Wählerzahlen, die in einzelnen Wahlbezirken um das Dreifache höher lagen als in anderen Stadtgebieten. 173 Der Magistrat hatte zwar große Wahlbezirke in Abteilungen unterteilt, die Verteilung der Mandate indessen nicht geändert. Runge sprach hier die seit Ende der dreißiger Jahre geübte Praxis des Magistrats an, bevölkerungsreiche Wahlbezirke aufzuteilen. Es handelte sich bei den Untergliederungen jedoch nur um eine technisch-administrative Einrichtung, die lediglich der Erleichterung des Wahlgeschäfts diente. Die Wahlabteilungen stellten folglich nur Stimm-, nicht aber Wahlbezirke mit eigenem Mandat dar. 174 Später ging der Magistrat dazu über, die Bezirkseinteilung und -abgrenzung der bevölkerungsreichen Stadtteile zu ändern. So wurden einzelne Bezirke zusammengelegt, um an anderer Stelle neue Bezirke zu schaffen. 175 172 Instruktiv hierzu Scarpa, Gemeinwohl, S. 48 f. Scarpas Urteil, daß das "städtische kleine und mittlere Bürgertum" wenig Verständnis für die Verwaltung hatte und daß diese Haltung einem grundSätzlichen Ressentiment gegen die Administration als Element des monarchischen Staates entsprang, bleibt dem mikrohistorischen Blick städtisch-bezirklicher Existenz verhaftet. Das großstädtische Zentrum des preußischen Staates verlangte eine Verwaltung, die über die Verquickung von örtlichen Sozial bedürfnissen und einem werkorientierten Pietismus hinausgingen. Auch bei Scarpa steht die Kommunalrechtsinterpretation in der Tradition eines vermuteten Gegensatzes von Staat und städtischer Selbstverwaltung, der in der Kommunalreform aber prinzipiell nicht angelegt ist. 173 Runge, Glaubensbekenntnis, S. 5. Scarpas Ansicht, die Kritik an der Wahl bezirkseinteilung wäre im Grunde genommen ein Wahl versprechen , mit dem Runge Protestwähler gewinnen wollte, die an der Verselbständigung eines traditionsreichen Wahlbezirks interessiert waren, übersieht den programmatischen Charakter der Wahlschrift Runges, die zuallererst einen Diskurs über das Verhältnis von kommunalrechtlichem Auftrag und kommunalpolitischem Alltag darstellt. Vgl. Gemeinwohl, S. 85. 174 Allgemein zum Stimmbezirk Vogel/Nohlen/Schulze, Wahlen, S. 40 f.

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Der Anstoß zur Diskussion der Berliner Wahlbezirkseinteilung ging jedoch nicht von Heinrich Runge aus, sondern stand in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der von Daniel Alexander Benda kritisierten Ungesetzlichkeit des Berliner Wahlverfahrens. In seinem Bericht an die Potsdamer Regierung erkannte der Magistrat im Dezember 1841 an, daß die seit 1809 unveränderte Bezirkseinteilung in keiner Weise mehr den Bevölkerungsund Wählerverhältnissen entsprach. Die Disproportionalität des Wahlrechts machte sich vor allen Dingen zwischen den älteren inneren und neueren äußeren Stadtbezirken bemerkbar. So standen einzelnen Wahlbezirken des inneren Stadtgebiets mit nicht einmal 100 Stimmberechtigten äußere, an den Toren und Ringmauern gelegene Bezirke gegenüber, in denen auf Grund der Neubautätigkeit 400 bis 500 Wähler wohnten. Es war dem Magistrat zu diesem Zeitpunkt bewußt, daß die durch die Bezirkseinteilung verursachte Wahlrechtsungleichheit so bald wie möglich aufgehoben werden mußte. 176 Nach den Ergebnissen der Ergänzungswahlen von 1839 bis 1841 entfielen auf die jeweilig ausgelosten 34 Wahlbezirke 5859, 6073 und 6788 Wahlberechtigte, d. h. durchschnittlich kamen auf jeden Bezirk 173, 179 oder 200 Wähler. Bei einer proportionalen Verteilung des Wahlrechts hätte jeder Wahlbezirk durchschnittlich mit 184 Stimmberechtigten besetzt sein müssen. Die konkrete Verteilung der Wähler zeigte wesentlich größere Abweichungen. In den 17 Wahlbezirken Berlins, den 6 Bezirken der Dorotheenstadt und den 27 Bezirken der Friedrichstadt lag die allgemeine Wählerzahl zwischen 160 und 166 Bürgern, in der Königsstadt, dem Spandauer und Stralauer Viertel schwankte die entsprechende Ziffer zwischen 195 und 242 Stimmberechtigten. Die vier Wahlbezirke des Friedrichswerders wiesen durchschnittlich 205 Wähler, die nur in einem Wahlbezirk repräsentierte Friedrich-Wilhelmstadt sogar 460 Wahlberechtigte auf. Es gab einzelne Wahlbezirke in Berlin und in der Friedrichstadt, in denen auf ein Stadtverordnetenmandat nur 78 bis 99 Wähler kamen, während in verschiedenen äußeren Wahlbezirken der Königsstadt und der Spandauer Vorstadt zwischen 358 und 547 Wähler lebten. 177 Bei einer ersten Änderung der Bezirkseinteilung hätten Berlin und die Friedrichstadt mindestens zwei Mandate und die Dorotheenstadt ein Mandat abgeben müssen, während der Friedrich-Wilhelmstadt und der Spandauer Vorstadt jeweils ein Mandat und der Königsstadt mindestens drei neue Mandate zu erteilen waren. Selbst 175 Die örtlichen Einzelheiten der Neueinteilungen und -abgrenzungen bei Pahlmann, Anfange, S. 193 f. 176 Magistratsbericht vom 21. Dezember 1841. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239, BI. 270. m Vgl. den Anhang zum Bericht von Oberbürgermeister Krausnick vom 29. November 1841. A. a. O.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

nach einer solchen Neuverteilung der Mandate wäre es noch zu erheblichen Schwankungen der durchschnittlichen Wählerquote in den Bezirken gekommen, die zwischen 179 und 230 Wahlberechtigten gelegen hätten. Oberbürgermeister Krausnick hielt die Wahlbezirksreform für unaufschiebbar und schlug zu diesem Zweck gemeinsame Beratungen der Kommunalkörperschaften vor. Es dauerte bis Mitte Oktober des nächsten Jahres, ehe die Gemeindebehörden sich darauf einigten, einige kleinere Wahlbezirke mit den Nebenbezirken zusammenzulegen, die großen Wahlbezirken in jeweils selbständige Einheiten aufzuteilen und die Mandatsverteilung entsprechend zu ändern. Die organisatorische Abwicklung der Neueinteilung sah die Kommunalvertretung als Geschäft der ausführenden Behörde und damit als Magistratsangelegenheit an. 178 Es stand somit nicht eine allgemeine Neuaufteilung der hauptstädtischen Kommunalwahlbezirke an, sondern nur bezirksspezifische Korrekturen der Disproportionalitäten. 179 Im Frühjahr 1845 wurde zunächst die Friedrich-Wilhelmstadt in drei Wahlbezirke geteilt, als Ausgleich zwei kleinere Kommunalwahlbezirke im Stadtteil Berlin aufgelöst, indem sie mit anderen Bezirken zusammengelegt wurden. 180 Damit hatten die Kommunalkörperschaften noch nicht einmal dem größten, sondern nur dem zweitgrößten Wahlbezirk der Stadt zwei neue Mandate zugeteilt. Der 97. Stadtbezirk in der Königsstadt (Landsberger Tor) lag mit 547 Wahlberechtigten an der Spitze sämtlicher Wahlbezirke. Er war bislang nur in zwei Stimmbezirke aufgeteilt worden. Erst im April 1846 erhielt dieser Wahlbezirk, nachdem vorher in der Königsstadt zwei Bezirke zusammengelegt worden waren, ein weiteres Stadtverordnetenmandat, indem anstelle des früheren zwei neue Kommunalwahlbezirke konstituiert wurden. 181 Die Korrektur des Jahres 1846 zeigt, daß die Kommunalbehörden mit der Auswahl des größten Wahlbezirks zwar der Logik der Disproportionalitäten folgten, die Mandatsverteilung jedoch diesem Gebot nicht gehorchte. Mit den zusammengelegten königsstädtischen Bezirken waren zwei Stadtviertel ausgesucht worden, die wegen ihrer unterdurchschnittlichen Wählerzahlen keinen Anspruch auf zwei eigenständige Mandate haben konnten, in der Friedrichstadt existierten unterdessen aber 178 Verhandlungsprotokoll der gemischten Stadtverordneten- und Magistratsdeputation vom 14. Oktober und Beschluß der Stadtverordneten-Versammlung vom 29. Dezember 1842. (Datum des Beschlußprotokolls nach der Datierung des Verhandlungsprotokolls geändert). A a. O. 179 Magistratsbescheid vom 5. März 1844. A a. O. 180 Dazu der Stadtverordnetenbeschluß vom 15. April 1844. Aa.O., Nr. 1222. Die örtlichen Einzelheiten, ohne grundsätzliche Erörterung der Wahlbezirksproblematik bei Pahlmann, Anfänge, S. 194 f. 181 Bekanntmachung des Magistrats vom 8. April 1846. LAB; StA Rep. 00-0211, Nr. 1222.

3. Wahlsystem und Stimmenwert

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einzelne Bezirke mit wesentlich weniger Stimmberechtigten. Genannt seien hier nur der Ansbachsche Palaisbezirk (Nr. 54) und der Belle-AlliancePlatz-Bezirk (Nr. 57), die bei der Magistratsaufnahme für die Jahre 1839 bis 1841 gerade einmal 81 bzw. 78 Wähler vorweisen konnten. 182 In beiden Fällen handelte es sich um Stadtteile, in denen eine überdurchschnittlich wohlhabende Bevölkerung lebte. 183 Grenzkorrekturen, Zusammenlegungen und Teilungen von Bezirken waren auf lange Sicht kein Mittel, die Wahlrechtsgleichheit im Berliner Stadtbürgertum wiederherzustellen. Dazu hätte es einer allgemeinen Neueinteilung des Stadtgebiets bedurft, die sowohl der Bevölkerungsentwicklung als auch der Verteilung der Wählerschaft angemessen erschien. Die schleppende Behandlung des Problems in den Kommunalkörperschaften - seit dem Bendaschen Antrag und der ersten Diskussion über die Wahlbezirkseinteilung waren immerhin knapp sechs Jahre vergangen - ließ ahnen, daß die verfestigten kommunalen Machtstrukturen nur schwierig aufzubrechen waren. Spätestens im Juli 1845 erhielt das Wahlbezirksproblem durch Eingemeindungsverhandlungen eine willkommene Wende. Nachdem die Potsdamer Regierung, veranlaßt durch die kommunaladministrativen Folgen der Arrnenpflegegesetzgebung, in der ersten Märzhälfte 1843 umfangreiche Eingemeindungen vorgeschlagen und die Stadt im Sommer 1845 in Verhandlungen mit den Ministerial- und Regionalbehörden erste Gebietsarrondierungen und Anfang 1846 die Koordination verschiedener Eingemeindungsprojekte verlangt hatte,184 war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Berliner Stadtgebiet durch die Eingemeindung verschiedener Gutsherrschaften und staatlicher Territorien erweitert wurde. Obwohl die schwierigen finanziellen Fragen der Weichbilderweiterung eine schnelle Einigung nicht erwarten ließen, gab sie den Kommunalkörperschaften Grund genug, die allgemeine Neuregelung der Wahlbezirkseinteilung in der Landeshauptstadt auszusetzen. Im Protokoll der Anfang Januar 1846 tagenden gemischten Deputation hieß es lapidar, daß es auf Grund der Eingemeindungsverhandlungen ebensowenig zweckmäßig war eine anderweitige Bezirkseinteilung vorzunehmen wie einen Beschluß über das bei der Neueinteilung zu befolgende Prinzip zu fassen. 18S Anstelle einer grundlegenden Revision der Wahlbezirke entschloß man sich, nur in Fällen erledigter Mandate oder abgelaufener Wahlzeiten Änderungen vorzunehmen 182 Siehe den Anhang zum Bericht von Oberbürgermeister Krausnick vom 29. November 1841. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239. 183 Siehe den, wenn auch für eine etwas spätere Zeit, im Vergleich zu anderen Stadtvierteln hohen Dienstbotenfaktor der Friedrichstadt. Siehe Schwabe, Volks beschreibung, S. 28. 184 Vgl. Kaeber, Weichbild, S. 271 f. 185 Verhandlungsprotokoll vom 9. Januar 1846. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

und eine entsprechende Auswahl von aufzulösenden bzw. zu unterteilenden Wahlbezirken vorzunehmen. Nunmehr standen kleinere Bezirke, wie etwa der bereits genannte Belle-Alliance-Bezirk, mit weniger als 100 Wahlberechtigten oder ein Stadtgebiet mit mehreren Wahlbezirken zur Diskussion, das durch einen großen Bezirk wie den Bereich Landsberger Tor dominiert wurde. Vor den Gemeindewahlen der Jahre 1846 bis 1848 führte der Magistrat mehrere Bezirksaufteilungen bzw. -zusammenlegungen kleinerer Bezirke in den inneren Stadtteilen durch,186 die längst fällige allgemeine Wahlbezirksrevision sollte jedoch im wiederholt bekräftigten Einverständnis der Kommunalkörperschaften "bis nach erfolgter Regulierung der Weichbildgrenzen ausgesetzt bleiben". 187 Selbst wenn man einräumen wollte, daß die Revolutionszeit wenig Gelegenheit für die Beratung organisatorischer Fragen ließ, hätte bei der allgemeinen Politisierung gerade erwartet werden können, daß das Problem der Wahlrechtsgleichheit zur Disposition gestellt wurde. So vergingen noch vierzehn Jahre, ehe am 1. Januar 1861 die erste große Eingemeindung von Berliner Umlandgebieten vollzogen wurde und schon aus diesem Grund die Wahlbezirkseinteilung endlich erneut zur Beratung anstand. Zwischenzeitlich erfuhr das Kommunalrecht eine zweimalige, mehr oder weniger grundlegende Änderung. Doch auch diese Umstände konnten nicht die Akzeptanz einer radikalen Verschärfung der Wahlrechtsdisproportionalität rechtfertigen, die nicht nur infolge der Eingemeindung, sondern insbesondere des Bevölkerungswachstums eingetreten war. Bis zum Jahre 1850 nahm die Bevölkerung Berlins auf knapp 420000 Einwohner zu, im folgenden Jahrzehnt war allein im alten Stadtgebiet eine weitere Zunahme von zirka 73000 Einwohner zu verzeichnen. Nach dem Erlaß der Städteordnung von 1853 wurde zwar die alte Kongruenz zwischen Stadt- und Wahlbezirk aufgebrochen und die Stadt lediglich in 34 Kommunalwahlbezirke eingeteilt,188 zudem war nunmehr die Möglichkeit gegeben, die Eingemeindung durch eine Vermehrung der Mandate und folglich auch der Wahlbezirke zu regeln, aber die Ungleichheit des Stimmengewichts durch die Wahlbezirkseinteilung wurde nicht aufgehoben. Das Problem sollte sich weiter verschärfen, wie ein etwas weiter ausholender, zeitlicher Vorgriff verdeutlicht: Im Jahre 1865 entfielen im 14. Berliner Kommunalwahlbezirk auf 5364 Einwohner drei Mandate, im 34. Bezirk hingegen auf 60059 Einwohner dieselbe Mandatszahl. 189 Örtliche Einzelheiten bei Pahlmann, Anfänge, S. 195 f. Protokoll der Stadtverordnetensitzung (Extrakt) vom 15. Oktober 1846. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1239. 188 VerwBBln 1877-1881, T. 1, S. 24. 189 A. Streckfuß, Bericht zur Berliner Wahlbezirkseinteilung, in: Vossische Zeitung, Nr. 72, Ausgabe vom 27. März 1866, S. 8. 186 187

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Dabei hatte sich gerade die kommunale Exekutive nicht der Problematik der Wahlbezirkseinteilung verschlossen. Noch im Dezember 1849 schlug Oberbürgermeister Krausnick der Kommunalvertretung gemeinsame Beratungen über eine Bezirksreform vor und wies auf deren Dringlichkeit hin, da es nicht zu verantworten war, daß in den Berliner Wahlbezirken der Repräsentationsschlüssel zwischen 3000 und 15000 Einwohnern schwankte. 190 Es fehlte auch nicht an Stimmen aus der Bürgerschaft, die eine gerechtere Mandatsverteilung einforderten. Eine Vertretung des in zwei Abteilungen getrennten Frankfurter Torbezirks verlangte beispielsweise im Mai 1848, da in diesem Stadtviertel 488 Wähler ansässig waren, die Zuteilung eines weiteren Stadtverordnetenmandats. 191 Die Kommunalvertretung ging jedoch auf diese Anträge nicht ein. Sie war eher an der Erhaltung des politischen Status quo als an einer Veränderung der örtlichen Machtstrukturen interessiert, die sich zweifellos mit einer Wahlbezirksrevision eingestellt hätte. Diese Haltung widersprach folglich auch nicht der Stadtverordnetenforderung, die tradierten Partizipationschancen im Zuge der Kommunalrechtsreform zu erhalten. Die Politisierung der Gemeindevertretung in den vierziger Jahren und vor allem während der Revolutionszeit ging nicht mit einer forcierten Dynamisierung der Teilhabeangebote einher. Es sollte nicht nur die soziale Beschränkung des Kommunalwahlrechts, sondern auch die überkommene Verteilung des politischen Einflusses in den Stadtbezirken unangetastet bleiben. Die nach der Revolution sich deutlicher in den Kommunalvertretungen abzeichnende Parteienbildung war der Wahlbezirksfrage wenig förderlich. Im Gegenteil, die Ungewißheit der Wahlentscheidung auf der Grundlage einer veränderten Wahlbezirkseinteilung ließ die Kommunalpolitiker auf Distanz zu der Reform gehen. Der Gegensatz zwischen dem in Berlin dominierenden Liberalismus und der konservativ ausgerichteten Staatsregierung diente den Stadtverordneten, wie Streckfuß später feststellen sollte,l92 allemal als politischer Vorwand, es bei der bestehenden Wahlrechtsungleichheit bewenden zu lassen. Der Beharrungswille der Gemeindevertretung brachte den zur Reform verpflichteten Magistrat in eine Zwickmühle. Obwohl er an der Notwendigkeit der Wahlbezirksreform und damit einer gerechteren Repräsentation der Wahlberechtigten bzw. des Stadtbürgertums festhielt, konnte er nicht von den gegebenen politischen Mehrheitsverhältnissen absehen. Die Folge war, daß die zu Beginn der sechziger Jahre vorgenommene Konstituierung neuer Wahlbezirke auf der Grundlage der jeweiligen politischen Majorität in den alten 190 191

192

Magistratsschreiben vom 27. Dezember 1849. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2604. Eingabe vom 20. Mai 1848. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 2590, BI. 69. A. Streckfuß, Bericht, 1. Beilage.

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5. Kap.: Stadtverordnetenwahlen und Gemeinderepräsentation

Bezirken vorgenommen wurde. "Auf das alte Kleid neue Flicken setzen", das war, bemerkte Streckfuß,193 die unfreiwillige Maxime dieser Bemühungen, die Ende der siebziger Jahre in einen fundamentalen Kommunalkonflikt mündeten.

193

A. a. 0., S. 8.

Sechstes Kapitel

Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat 1. Kommunalkörperschaften, Stadtbürgertum

und Gemeinderecht in der Revolution

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts kündigte sich gegen Ende der vierziger Jahre in der preußischen Landeshauptstadt mit der Erkenntnis in die "Unzulänglichkeit des Bestehenden" an, wie Varnhagen von Ense Ende September 1846 in seinen Tagebüchern notierte. 1 Berlin war zwar noch nicht die komplexe Industriemetropole des späteren Kaiserreichs, aber die Entwicklung des Industriekapitalismus mit seinen strukturellen Auswirkungen auf die handwerkliche Produktion, die Bevölkerungsdynamik und Binnenwanderung machte die Hauptstadt unter dem Einfluß einer Agrarkrise und einer ersten konjunkturellen Krise der frühindustriellen Wirtschaft zum Spiegelbild eines gesamtgesellschaftlichen Wandels, der in sämtlichen sozialen Schichten als tiefreichender Bruch empfunden wurde. 2 Der Wandel ging mit einer Politisierung der städtischen Öffentlichkeit einher, die selbst vor der institutionalisierten Stabilität in der Gemeinde, den Kommunalkörperschaften nicht Halt machte.

Karl August Varnhagen von Ense, Tagebücher, Bd. 3, Leipzig 1862, S. 446. Zur gewerblich-industriellen Krise vgl. Reinhard Spree, Die Wachstumszyklen der deutschen Wirtschaft von 1840 bis 1880, mit einem konjunkturstatistischen Anhang, Berlin 1977, S. 322 ff. Spree/Bergmann, Die konjunkturelle Entwicklung der deutschen Wirtschaft 1840-1864, in: Sozialgeschichte heute. Festschrift für Hans Rosenberg zum 70. Geburtstag, hrsg. von H.-V. Wehler, Göttingen 1974, S. 292 ff. Bergmann, Wirtschaftskrise, S. 25 ff. Die Entwicklung der sozialen Lage der Bevölkerung bei Bergmann, Ökonomische Voraussetzungen der Revolution von 1848. Zur Krise von 1845 bis 1848 in Deutschland, in: 200 Jahre amerikanische Revolution und modeme Revolutionsforschung, hrsg. von H.-V. Wehler, Göttingen 1976, S. 254 ff. Karl übermann, Zur Klassenstruktur und sozialen Lage der Bevölkerung in Preußen 1846 bis 1849. Die Einkommensverhältnisse in Gewerbe und Industrie, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1973, T. 2, S. 79 ff. Ders., Wirtschafts- und sozialpolitische Aspekte der Krise von 1845-1847 in Deutschland, insbesondere in Preußen, in: Jahrbuch für Geschichte, 7. Jg. (1972), S. 144 ff. Ders., Zur Klassenstruktur und sozialen Lage der Bevölkerung in Preußen 1846 bis 1849. Die Einkommensverhältnisse in Gewerbe und Industrie, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, 1973, T. 2, S. 79-120. I

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

Die Durchsetzung der Öffentlichkeit der Gemeindeversammlungen war letztlich nur Ausdruck einer politisch bewußteren Wahrnehmung des Zeitgeschehens und der individuellen gesellschaftlichen Befindlichkeit, die sich ebenso in einer hohen Beteiligung an den Stadtverordnetenwahlen,3 der Wertschätzung oppositioneller Politiker in der Gemeinderepräsentation wie in der Entfaltung des allgemeinen Vereins- und Versammlungswesens äußerte. Die politische Situation gewann insofern explosiven Charakter, als das Vertrauen in Staat und Regierung nachweislich erschüttert war, die staatlichen Behörden zunehmend für soziale Not, politische Stagnation, bevormundende Verwaltungspraxis und die Verweigerung von Freiheitsrechten verantwortlich gemacht wurden. Sollte der Staat nicht in seinen Grundfesten untergraben werden, bedurfte es, wie der Berliner Altphilologe August Boeckh bemerkte, eines Umbruchs, der das Vertrauen in die Regierung wiederherstellte. 4 Gegenüber dem politisch rationalen Urteil des Bildungsbürgers war der unter niedrigen Löhnen und hohen Lebenshaltungskosten leidende abhängig Beschäftigte in seiner Beurteilung der gesellschaftspolitischen Lage weniger distanziert: Man lebte in dem Gefühl nichts mehr zu verlieren, aber alles gewinnen zu können. 5 Die Revolution, deren Abwendung den preußischen Reformern den Antrieb zur Modernisierungsinitiative gegeben hatte, erhielt neue Aktualität. Landesherr und Ministerialbürokratie waren indessen nicht zu einer integrativen Politik fähig, die nicht länger von einer Konstitutionalisierung der Monarchie absah. Die Unfähigkeit des Staates zur politischen Modernisierung radikalisierte selbst die gemäßigten Abgeordneten der provinzialständischen Vertretungen. "Wir kamen ganz konservativ hierher", wurde auf dem in der ersten Aprilhälfte 1847 eröffneten Vereinigten Landtag erklärt, "aber man hat uns notgedrungen auf ein anderes Ziel geführt".6 Nach dem Bekanntwerden der Pariser Revolution wurde Ende Februar 1848 nicht nur das Stadtbürgertum, sondern auch die Kommunaladministration von einer Welle politischer Aktivität erfaßt. Anders als die unbewegliche Ministerialbürokratie und der gegen jede innenpolitische Wende opponierende Monarch wurde in den Kommunalkörperschaften die Notwendigkeit politischer Reform erkannt. Anfang März arbeiteten einzelne Stadträte unter der Federführung von Hermann Duncker eine Denkschrift aus, die den Magistrat aufVgl. Tab. 8 im Stat. Anhang u. oben Kap. 5. Max Lenz, Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Ber!in, Bd. 2,2 Auf dem Wege zur deutschen Einheit im Neuen Reich, Halle/S. 1910, S. 178. 5 Vgl. die Petition der Berliner Seidenwirker-Gesellen an den preußischen Minister des Innern und der Finanzen, 2. April 1848. LAB, StA Rep. 16, Nr. 67, BI. 96 ff. 6 Veit Valentin, Geschichte der deutschen Revolution 1848-49, Bd. 1, Berlin 1930, S. 82. 3

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1. Kommunalkörperschaften in der Revolution

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forderte, eine Adresse an den König zu richten, die für die Einberufung der Stände, ein verbessertes Wahlrecht, für Pressefreiheit und Gleichberechtigung aller Bekenntnisse eintrat. 7 Im Falle einer fernerhin verweigerten politischen Liberalisierung befürchteten die Stadträte den Ausbruch einer unkalkulierbaren "Revolution von unten". Zur gleichen Zeit forderte ein Teil der Stadtverordneten die Erweiterung der städtischen Rechte und die Periodizität des Landtags. Die Kommunalkörperschaften nahmen mit diesen moderaten Forderungen nur die im Stadtbürgertum verbreitete Stimmung auf. 8 Oberbürgermeister Krausnick, vorsichtig und gouvernemental zugleich, riet von einem solchen Schritt ab. Die Adresse konnte die ohnehin schwierige Lage des Königs und des Ministeriums nur verschärfen und gleichsam den Beginn eines gesellschaftlichen Umsturzes auslösen. Die Magistratsmehrheit ließ sich überzeugen. Sie lehnte den Antrag am 7. März ebenso ab wie sich die städtischen Körperschaften nur vier Tage später weigerten, die in einer öffentlicher Volksversammlung angenommene Adresse an den Landesherm zu übergeben, 9 die politische Gleichberechtigung, eine allgemeine Volksvertretung, Presse- und Redefreiheit, freies Versammlungs- und Vereinigungsrecht, die Unabhängigkeit des Richterstandes, die Verminderung der Heeresstärke und Volksbewaffnung sowie eine politische Amnestie verlangte. IO Die von der Gemeindevertretung am 11. März verabschiedete Adresse gab sich überaus maßvoller. Sie verlangte die Pressefreiheit, die schleunige Einberufung des Landtags, Geschworenengerichte, die Gleichstellung der religiösen Bekenntnisse und die "Verbrüderung der deutschen Stämme". Wenn an die Vollendung des preußischen Verfassungswerks gedacht wurde, stellte man sich die Entwicklung in der Weise vor, daß "die Stände aus 7 Denkschrift vom 5. März 1848. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2435, BI. 2 ff. Vgl. Wilhelm Angerstein, Die Berliner März-Ereignisse im Jahre 1848. Nebst einem vollständigen Revolutions-Kalender, mit und nach Actenstücken sowie Berichten von Augenzeugen, Berlin 1864, S. 15. Streckfuß, 500 Jahre Berliner Geschichte. Vom Fischerdorf zur Weltstadt. Geschichte und Sage. In gekürzter Darstellung und bis in die neueste Zeit fortgeführt von Leo Fembach, Berlin 1900, S. 623; Clauswitz, Städteordnung, S. 209 f. Hachtmann, Berlin 1848, S. 126. 8 Eine entsprechende Petition der Bürgerschaft war der Gemeindevertretung am 5. März zur Beschlußnahme übergeben worden. Vgl. Hachtmann, Berlin 1848, S. 126. Der auf den Kommunalkörperschaften lastende Reformdruck wird auch in der Studie von Jürgen Engelsann, Die Rolle der Bürgerversammlungen und des "Magdeburger Wochenblattes für Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens" für die Entfaltung der bürgerlich-liberalen Oppositionsbewegung in Magdeburg 1843 bis 1847/48, Phil. Diss. A, Magdeburg 1988, deutlich. 9 Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 623 u. 626 f. 10 Vgl. Adolf Wolff, Berliner Revolutions-Chronik. Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848 nach politischen, socialen und literarischen Beziehungen, Bd. 1, Berlin 1851, S. 17. 32 Grzywatz

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

einer angemesseneren, volkstümlicheren Vertretung" hervorgingen und "ein beschließendes Votum bei einfacher Stimmenmehrheit" erhielten. 11 Die Kommunalkörperschaften hielten sich verpflichtet, jeder politischen Polarisierung vorzubeugen, schließlich war seit den Tagen des Reformzeitalters stets von neuem wiederholt worden, staatliches Wohl stände in einer engen Abhängigkeit von der "Wohlfahrt der Gemeinden".12 Erfolgreich konnte diese Politik indes nur sein, wenn sich die Monarchie zu Konzessionen bereit fand. Friedrich Wilhelm IV. enttäuschte jedoch die Kommunalkörperschaften. Der Monarch dachte nicht an eine Aufgabe des ständischen Wahlrechts und vertröstete die Gemeindebehörden ansonsten auf die für Mitte April vorgesehene Einberufung des Landtags sowie die Inaussichtstellung eines Pressegesetzes. Der hauptstädtischen Öffentlichkeit vermittelte der Magistrat die Antwort des Monarchen als politischen Erfolg, der den Stadtbürgertum allen Anlaß geben mußte, sich jeder Teilnahme an "aufregende(n) Versammlungen" femzuhalten. 13 Anschließend sorgten die Kommunalkörperschaften für die Einrichtung eines kommunalen Ordnungsinstrumentes, indem sie den Vorschlag des Monarchen aufnahmen, Bürgermilizen in der Stadt aufzustellen. 14 Nachdem der Sieg der Revolution in Wien bekannt wurde und mehrere blutige Zusammenstöße zwischen dem Militär und der Stadtbevölkerung den politischen Druck auf die Regierung verstärkt hatte, konnte Bürgermeister Naunyn am 18. März der kommunalen Öffentlichkeit die Zusicherung des Innenministers Bodelschwingh mitteilen, daß ein Pressegesetz sofort erscheinen und der Landtag bereits Anfang April zusammentreten sollte. 15 Die Staatsregierung wollte die Zensur abschaffen und die Meinungsfreiheit grundSätzlich garantieren, während mit der früheren Einberufung des Landtags auch die deutsche Einigung und eine "constitutionelle Verfassung aller deutschen Länder" in Aussicht gestellt werden sollte. Dieses Zugeständnis reichte nach Ansicht der Kommunalkörperschaften nicht mehr aus, um die Radikalisierung der Bürgerschaft zu bremsen. Umgehende Maßnahmen des Staates waren gefordert: Die Pressefreiheit mußte ebenso augenblicklich freigegeben werden wie der Landtag sofort mit dem Auftrag einzuberufen war, die Arbeiten zur Beratung einer Verfassung aufzunehmen. Das Kabi11 Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten-Sachen (Spenersche Zeitung), Ausgabe vom 15. März 1848. 12 Vgl. die Einladung der Gemeindekörperschaften zu einem allgemeinen preußischen Städtetag, 24. Oktober 1848. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2766, BI. 62. 13 Hachtmann, Berlin 1848, S. 140. 14 A.a.O., S. 142 ff. Allgemein dazu Funk, Polizei, S. 44 f. Alf Lüdtke, "Gemeinwohl", Polizei und "Festungspraxis". Staatliche Gewaltsarnkeit und innere Verwaltung in Preußen, 1815-1850, Göttingen 1982, S. 289 f. 15 Protokoll der Stadtverordnetensitzung, 18. März 1848. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 128.

1. Kommunalkörperschaften in der Revolution

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nett sollte zurücktreten und durch ein von der Bevölkerung akzeptiertes Ministerium ersetzt werden. Die Beruhigung der Situation verlangte darüber hinaus, den Abzug der gegen Berlin aufmarschierenden Truppen zu befehlen. Anstelle des Militärs sollte eine bewaffnete Bürgerwehr die Ordnungsfunktionen in der Stadt übemehmen. 16 Der zum Monarchen abgeordneten Deputation der Kommunalbehörden gelang es tatsächlich, Friedrich Wilhelm IV. entsprechende Konzessionen abzuhandeln. Die aus einem überstürzten "Akt der Not gegen eine jäh ansteigende Springflut,,17 gemachten Zugeständnisse stellten indessen nur einen Teil des Stadtbürgertums zufrieden, die große Masse der unter bedrückenden sozialen Verhältnissen leidenden Gesellen- und Arbeiterschaft wollte sich nicht mit den politischen Konzessionen zufrieden geben. Die Berliner Arbeiter und Gesellen waren in erster Linie an einer Verbesserung ihrer Sozial- und Arbeitsverhältnisse interessiert. Lohnerhöhungen, Mindestlöhne, Arbeitszeitverkürzungen oder die Beschränkung der Akkord- und Sonntagsarbeit gehörten ebenso zu ihren Forderungen wie antimodeme Rufe nach Beschränkung der Gewerbefreiheit und Maschinenarbeit oder nach Ausweitung des Innungszwangs, die von den Handwerksmeistem geteilt wurden. 18 Auf diese Zielsetzungen hatten weder die kommunalen noch die staatlichen Behörden eine zeitgemäße Antwort. Die Staatsregierung ordnete lediglich die Konzentration der wirtschaftspolitischen Kompetenzen in dem Mitte April neu gebildeten Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten an, das im wesentlichen Gewerbepolitik betreiben sollte, während die Kommunalbehörden sich dezidierter als im Vormärz zum Wirtschaftsliberalismus bekannten, worauf noch zurückzukommen sein wird. Die ungelösten sozialen Probleme der Industrialisierung, die sich in der Revolution Ausdruck verschafften, paralysierten zu einem gewissen Teil die durchaus als politische Erfolge zu wertenden Konzessionen des monarchischen Regimes und radikalisierten, wenn man einmal von den Wirkungen spontanen Geschehens absieht, die Auseinandersetzungen. Die Rolle der Kommunalkörperschaften war im wesentlichen die einer lokalen Ordnungsrnacht, welche den notwendigen, vom Stadtbürgertum ge16 So auch Felix Rachfahl, Zur Berliner Märzrevolution, in: FBPG, Bd. 17 (1904), S. 203. Siehe auch Hachtmann, Berlin 1848, S. 234 ff., der allerdings einen, wenn auch mit "erheblichen Einschränkungen", Funktionswandel der Bürgerwehr von einem gegen die Revolution gerichteten Ordnungsfaktor zu einer Miliz mit gemäßigt-demokratischem Selbstverständnis beobachten will. Vgl. ebd. S. 586 ff. 17 Friedrich Meinicke, Friedrich Wilhelm IV. und Deutschland, in: HZ, Bd. 89 (1902), S. 41. 18 Hachtmann, Berlin 1848, S. 397 ff. Bergmann, Wirtschaftskrise, S. 174 ff. Zur Petitionsbewegung siehe auch Rüdiger Moldenhauer, Die Petitionen aus der Stadt Berlin an die deutsche Nationalversammlung 1848/49, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, H. 54 (1974), S. 217 f.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

forderten politischen Wandel zur konstitutionellen Monarchie mittrug, ansonsten aber versuchte, ein Weitertreiben der Revolution mit politischen Mitteln zu verhindern. Wenn die Gemeindevertretung in ihrer Juni-Proklamation die Märzrevolution "als Quelle der politischen Wiedergeburt,,19 anerkannte, stand dahinter ein klares Bekenntnis zur Konstitutionalisierung des monarchisch-bürokratischen Staates und zur Etablierung bürgerlicher Freiheiten. Deutlich wurde die Haltung des gemäßigten Kommunalliberalismus in der öffentlichen, an die Gemeindevertretung gerichteten Erklärung Heinrich Lewaids. "Wir sind zufrieden mit dem, was erreicht ist", verdeutlichte der Justizkommissar, "das ist das konstitutionelle Königsthum mit verantwortlichen Ministern, freie Presse, gleiche politische Berechtigung, ohne Unterschied des religiösen Bekenntnisses, Öffentlichkeit im ganzen Staatsleben und Volks-Jury".2o Ein Überschreiten dieses Horizonts setzte man mit Anarchie und Unordnung gleich, zu deren "Steuerung" sich die Stadtbehörden verpflichtet sehen mußten. 21 Die kommunale Selbstverwaltung verweigerte sich einer umfassenden Liberalisierung und Demokratisierung der politischen Ordnung des Staates, ebensowenig zeigte sie die Bereitschaft, die Gemeinde zum Bestandteil eines in dieser Richtung vorangetriebenen Umbruchs zu machen. Eine erste, überaus spektakuläre Reaktion auf den politischen Umschwung war die am 20. März erzwungene Entlassung des Oberbürgermeisters Krausnick, den man gemeinhin als "Mann des Ancien regime,,22 betrachtete. Er sollte erst 1851 in sein Amt zurückkehren, eine Berliner Farce, die Krausnick wohl nicht zu Unrecht als "feierliche Vernichtung der scherbengerichtlichen Urtheile,,23 über seine Person interpretierte. Bei der Amtsenthebung des Magistratsdirigenten handelte es sich nur um eine politischtaktische Entscheidung, die einerseits der radikalen Stimmung in der Bevöl19 Proklamation der Stadtverordneten-Versammlung, 10. Juni 1848. Abgedruckt bei Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, Berlin 1854, S. 181. 20 Vossische Zeitung, Nr. 71, Ausgabe vom 24. März 1848. 21 Proklamation der Stadtverordneten-Versammlung, 10. Juni 1848, in: Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 181. Auf das Abbremsen des Demokratisierungswillens im Politikfeld Gemeinde weist Langewiesche, Die deutsche Revolution von 1848/ 49 und die vorrevolutionäre Gesellschaft, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 31 (1991), S. 352 f., hin, ohne indessen näher auf die Differenzierung des politischen Innenraums der Gemeinde, d.h. die Spannungen zwischen Kommunalbürokratie, Vertretungskörperschaften und politischen Gruppierungen einzugehen. 22 Vgl. Wetzel, Krausnick, S. 59. Über Krausnicks am 4. März einsetzenden Bemühungen bei Minister von Bodelschwingh und Friedrich Wilhelm IV. für konstitutionelle und nationale Reformen vgl. auch Rachfahl, König Friedrich Wilhelm IV. und die Berliner Märzrevolution im Lichte neuer Quellen, in: PJ, Bd. 110 (1902), S. 267 ff. Kaeber, Bodelschwingh und die Berliner Märzrevolution, in: Ders., Beiträge, S. 166 ff. 23 A.a.O., S. 103.

1. Kommunalkörperschaften in der Revolution

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kerung Rechnung trug, andererseits den Willen des kommunalen Establishment zum Ausdruck bringen sollte, entschlossen am Wandel teilzunehmen. Seit dem 19. März trafen sich die Stadtverordneten täglich zu ihren öffentlichen Sitzungen. Erst Mitte April kehrte man zum vormaligen Verfahren zurück, zweimal wöchentlich zu tagen. 24 In der bürgerlichen Öffentlichkeit hoffte man, wie Rudolf Gneist es nur wenig später zusammenfassen sollte, daß infolge der Märzereignisse auch auf kommunalem Gebiete "etwas ganz Neues,,25 entstehen würde. Es regte sich vor allem der Wunsch, die Stadtverordneten auf der Grundlage eines reformierten Kommunalwahlrechts zu wählen, das den Unterschied von Bürgern und Schutzverwandten beseitigte?6 Die Wahl der Bürgermeister und besoldeten Stadträte sollte unter freien Bedingungen erfolgen und namentlich die örtliche Polizei der Stadtgemeinde übergeben werden. 27 Man warb für eine größere Öffentlichkeit der Gemeindetätigkeit und ein verstärktes Interesse an den kommunalen Aufgaben. Die Erinnerung an die Reformperiode zu Beginn des Jahrhunderts wurde wachgerufen und die Grundzüge der Städteordnung von 1808 als Vorbild für die gesamte künftige Gemeindeorganisation hingestellt. 28 Die Idee der Selbstverwaltung, der freien Gemeindeorganisation sollte zum Grundstein einer Verwaltungsreform werden, die nicht nur eine einheitliche Gemeindeordnung für den ganzen Staat und erweiterte Befugnisse für die reorganisierten Kreis- und Provinzverwaltungen schuf, sondern auch eine Reorganisation des Beamtenwesens initiierte. 29 Gneist, der sich bei der nächsten Stadtverordnetenwahl um ein Mandat bewarb, war der Überzeugung, daß nur durch eine "kräftige und mutige Gemeindeverwaltung" der notwendige politische Mittelstand entstehen konnte. Er forderte eine von unten nach oben aufgebaute Verfassung, die mit den Grundrechten und der Gemeindeordnung begann. 3o Der radikale Stadtverordnete Julius Berends, der als Vertreter Berlins in die Preußische Nationalversammlung gewählt wurde, sah in der Kommune die politische Gemeinde, die "in voller Freiheit und Selbständigkeit" die Grundlage des Staates bildete, der sich wiederum "aus der freien Vereinigung und der Verbindung aller Kommunen,,3l aufbaute. 24 Bekanntmachung des Stadtverordnetenvorstehers, 15. April 1848. Vossische Zeitung, Ausgabe vom 17. April 1848. 25 Rudolf Gneist, Berliner Zustände. Politische Skizzen aus der Zeit vom 18. März 1848 bis 18. März 1849, Berlin 1849, S. 3. 26 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 192, Bd. 3, S. 31. 27 A.a.O., Bd. 1, S. 41 u. 454. 28 Kurt Utermann, Der Kampf um die preußische Selbstverwaltung im Jahre 1848 (= Historische Studien, H. 325), Berlin 1937, S. 40. 29 A. a. 0., S. 42 ff. 30 Gneist, Berliner Zustände, S. 3 ff. 31 Julius Berends, Politisches Glaubensbekenntnis, Berlin 1848, S. 6.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

Die Forderungen nach einer neuen politischen Grundlage der Selbstverwaltung ließen in der demokratischen Öffentlichkeit den Wunsch nach einer breiteren Legitimierung der Gemeindevertretung laut werden. Während der Stadtverordnetensitzung am 21. März wurden einzelne radikale Stadtverordnete wie Berends und Mertens aus dem Kreis der Zuhörer aufgefordert, sich für eine gänzliche Auflösung der Gemeindevertretung und die Übergabe der Geschäfte an eine "aus weniger beschränkenden Wahlen hervorgehenden Versammlung,,32 einzusetzen. Mertens stellte daraufhin in einer schwungvollen Rede den entsprechenden Antrag, dem sich die Gemeindevertretung nicht verschloß. Sie erklärte ihr Mandat für erloschen, behielt sich indessen bis zur erfolgten Neuwahl die treuhänderische Verwaltung der Geschäfte vor. Der Magistrat hielt das Einlenken der Stadtverordneten gegenüber den öffentlichen Forderungen für zu weitgehend. Wenngleich ein Teil der Öffentlichkeit den Rücktritt der kommunalen Exekutive erwartete, lehnte es der Magistrat ab, sich dem Schritt der Stadtverordneten anzuschließen. Innerhalb der Stadtgemeinde sollte keinesfalls ein Machtvakuum entstehen. Nur wenige Tage später, am 25. März, stellte Mertens in der Stadtverordneten-Versammlung den Antrag auf einen neuen Wahlmodus. Da eine "möglichste Annäherung aller tätigen Parteien" erreicht werden sollte, schlug Mertens vor, das aktive und passive Wahlrecht jedem "unbescholtenen Bürger" zu verleihen sowie die Wählbarkeit auf die selbständigen Schutzverwandten auszudehnen. Der Kreis der Schutzverwandten sollte eventuell überhaupt enger eingegrenzt werden. Die Wählbarkeit wollte Mertens nicht mehr an den jeweilig zuständigen Wahlbezirk binden, vielmehr sollte das Prinzip der geschlossenen Bezirkswahl aufgehoben werden. Das aktive Wahlrecht war nach diesem Verfahren immer noch stark beschränkt. Zwar fiel der Zensus der Städteordnung von 1808, doch der Gegensatz von Bürgern und Schutzverwandten blieb bestehen?3 Wären die Stadtverordneten dem vorgeschlagenen Wahlmodus gefolgt, hätten sie gegen geltendes Recht verstoßen. Die Gemeindevertretung sah sich somit vor die wichtige Frage gestellt, ob man den Weg der Legalität verlassen und gegebenenfalls die Konfrontation mit den Aufsichtsbehörden austragen sollte, wenn diese sich weigerten, die Stadtverordnetenwahlen anzuerkennen. Diese Frage wollte man nicht in der Öffentlichkeit diskutieren, der Wahlmodus wurde zur Beratung an eine Deputation verwiesen. Gleichzeitig unterbreitete man der Deputation einen entgegengesetzten Antrag aus der Bürgerschaft zur Bearbeitung, der sich für einen Verbleib der Stadtverordneten in ihren Ämtern aussprach. Teile der liberalen Öffentlichkeit betrachteten, wie Justizkommissar Lewald erklärte, die Auflösung der Gemeindevertretung als ein 32 33

Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 1, S. 343. Pahlmann, Anfange, S. 108 f. Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 1, S. 433.

1. Kommunalkörperschaften in der Revolution

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Zeichen der Schwäche. Da das Ziel der Konstitutionalisierung erreicht war, kam es im wesentlichen darauf an, das kommunale Amt "fortan nach den Grundsätzen zu verwalten, welche der neue Zeitgeist erheischt". Die schwierigen Zeitverhältnisse verlangten aber eher, so Lewald, daß die Stadtverordneten ihr Amt beibehielten, als daß die Bürgerschaft "im Momente größter Aufregung zu neuen Wahlen" gezwungen wurde?4 Der Ausschuß, in dem so prominente Liberale wie Berends, Mertens, Nauwerck und Veit vertreten waren, kam schnell überein, daß die Wahlen lediglich den Zweck verfolgten, festzustellen, ob die Gemeinderepräsentation noch das Vertrauen der Bürgerschaft besaß. Dieses Ziel rechtfertigte nicht eine Änderung des Wahlverfahrens?5 Bereits in der Stadtverordnetensitzung vom 30. März legte die Deputation ihr Gutachten vor, daß sich hinter den Auflösungsbeschluß stellte und den Stadtverordneten das Recht zusprach, ihre Mandate niederzulegen, um zu prüfen, ob sie noch in der Wählerschaft verankert waren. Es bestand hingegen keine gesetzliche Berechtigung, den Wahlmodus zu ändern. Aus diesem Grund sollte es die Gemeindevertretung, wie auch der Magistrat gutachtlich beipflichtete, bei der Mandatsniederlegung belassen und die Neuwahlen nach dem Verfahren der Städteordnung beschleunigen. 36 Nicht zufallig regte sich am 7. April gegen den Vorschlag des Magistrats Widerstand, das für die Stadtverordneten-Versammlung gestattete Drittel solcher Vertreter, die ohne Hausbesitz waren, durch die Auslosung der Bezirke zu ermitteln, da auf diese Weise der eigentliche Grund des Auflösungsverfahrens, die bürgerschaftliche Vertrauens bestätigung, verfehlt wurde. Die Stadtverordneten Reimer und Veit beantragten, "den Wählern in sämtlichen Bezirken keinerlei Beschränkung dahin aufzuerlegen, daß in gewissen Bezirken nur Eigenthümer gewählt werden dürften, sondern ihnen überall zu überlassen, auch Miether zu wählen"?? Hinsichtlich des Verhältnisses von Hausbesitzern und Mietern in der neuen Gemeindevertretung sollte erst das Ergebnis der Wahl abgewartet werden. Wenn tatsächlich die vorgeschriebene Hausbesitzerquote nicht erreicht wurde, wollte man gegebenenfalls die Entscheidung der Regierung einholen. Die Mehrheit der Stadtverordneten folgte diesem Antrag und erklärten sich für "eine völlig unbeschränkte Wahl". Vossische Zeitung, Nr. 72, Ausgabe vorn 25. März 1848. Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten, 24. März 1848. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 131. 36 Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten, 30. März 1848. A. a. O. Vgl. auch Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 1, S. 483. 37 Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten, 7. April 1848. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 131. 34 35

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

Während der Sitzung hatte der Magistrat den Stadtverordneten mitgeteilt, daß die Regierung die Selbstauflösung der Gemeindevertretung ebenso wie die Erneuerung der Wahlen in allen Bezirken genehmigt hätte. Hinsichtlich des Wahltermins für die 102 Stadtverordneten und 34 Stellvertreter einigte man sich schließlich auf den 15. bis 20. Mai. 38 Das Festhalten an der verfassungsmäßigen Legalität entsprach den ordnungspolitischen Zielen der städtischen Körperschaften. Legitimität ließ sich nur auf der Grundlage des geltenden Rechts herstellen. Das verlangte schon, was nicht übersehen werden sollte, die politische Konsensbildung innerhalb der Kommunalbehörden. Politisch mochte es ein Fehler sein, die revolutionäre Umbruchssituation nicht für eine schnelle Durchsetzung der Liberalisierung des Gemeinderechts zu nutzen. In dieser Hinsicht setzten die Kommunalkörperschaften jedoch ihre Erwartungen auf die parlamentarischen Beratungen. "Wenn nicht die vollständigste Anarchie beliebt wird", äußerte Heinrich Lewald, der zum Hauptmann der Bürgerwehr gewählt worden war und bei der Neuwahl zur Gemeindevertretung ein Stadtverordnetenmandat gewinnen sollte, mußte der Weg verfassungsgemäßer Gesetzgebung eingehalten werden, selbst wenn man eine zeitgemäße Reform des "verrottete(n) Wahlgesetzes", wie in den Auseinandersetzungen um die Auflösung der Berliner Stadtverordneten-Versammlung deutlich geworden war, allseits im Stadtbürgertum anerkannte. 39 Daß die Wahrung der Legalität nicht mit einer buchstabengetreuen Auslegung der bestehenden Rechtsvorschriften gleichzusetzen war, zeigte das vom Magistrat schon Anfang April an die Bezirksvorsteher der Stadt versandte Zirkular zur Erfassung der Wahlberechtigten. Die kommunale Exekutive schrieb für die Aufstellung der Wählerlisten vor, von der Stimmfähigkeit jedes unbescholtenen Bürgers auszugehen. Der Magistrat nahm an, daß "mit einigen Ausnahmen jeder Bürger das in der Städteordnung vorgeschriebene Einkommen von 200 Thalern" besaß.4o Wahrscheinlich wollte die kommunale Exekutive in der aufgeheizten politischen Atmosphäre einer Auseinandersetzung um die Wählerlisten stillschweigend aus dem Wege gehen. Das angeordnete Verfahren entsprach in jedem Fall nicht den Wahlvorschriften der Städteordnung. Bei den Kommunalwahlen von 1850 kehrte der Magistrat bezeichnenderweise zu einer detaillierten gesetzlichen Prüfung der Wahlberechtigung zurück. 41 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 174 f. Vossische Zeitung, Nr. 71, Ausgabe vom 24. März 1848. 40 Zirkular an die Bezirksvorsteher, 3. April 1848. LAB, Rep. 01-02, Nr. 2600, BI. 28. Pahlmann, der das Magistrats-Zirkular ebenfalls erwähnt, sieht von jeder analytischen Einschätzung ab. Vgl. Anfange, S. 109. 41 Siehe das Zirkular an die Bezirksvorsteher vom 14. März 1850. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2604, BI. 10 f. 38

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Die Profilierung der Gemeindekörperschaften als kommunale Ordnungsmacht ging freilich über die Erwägung von Legitimitätsfragen hinaus. Nach der Konstituierung der Bürgerwehr, die den Intentionen des Magistrats entsprechend sich "nur auf die eigentlichen Bürger und die sonst zuverlässigen Personen, nicht aber auf die ungebundene Masse der besitzlosen, untersten Klassen,,42 erstrecken sollte, wehrten sich die städtischen Behörden gegen Versuche, die Miliz dem kommunalen Einfluß zu entziehen. Magistrat und Stadtverordnete sahen in der Bürgerwehr eine städtische und damit ihrer Kompetenz unterliegende Einrichtung. Diesen Anspruch, den die Kommunalbürokratie sowohl gegen die örtliche Polizeiverwaltung als auch gegen die Führung der Bürgerwehr verteidigte, legte der Magistrat in einem entsprechenden Statut nieder, dem jedoch die staatliche Anerkennung versagt blieb. 43 Als die Bürgerwehr unter der Leitung ihres neuen Kommandanten Otto Rimpler im Sommer 1848 versuchte, gegenüber den städtischen Behörden größere Autonomie zu erhalten, und die Miliz in Konkurrenz zur gewählten Stadtverordneten-Versammlung als allgemeinere Vertretung der Bürgerschaft zu begreifen begann,44 blieb die Truppe dessen ungeachtet ein polizeiliches Ordnungsinstrument der Stadt. 45 Durch das Bürgerwehrgesetz, das Mitte Oktober mit Zweidrittelmehrheit von der Preußischen Nationalversammlung verabschiedet wurde, band man die bürgerliche Miliz, nicht nur Berlins, sondern der preußischen Städte überhaupt, an die Ministerial- und Landesbehörden und machte sie definitiv zu einer kommunalen, der Kompetenz der zuständigen Zivilbehörden unterstellten Polizeitruppe. 46 Neben der Bürgerwehr bildeten die Stadtverordneten Anfang Juni einen Sicherheitsausschuß, der gegen Ende des Monats in eine gemischte "Deputation zur Beratung über die Herstellung der Ordnung 42 Erinnerungen Krausnicks vom 15. Februar 1850, S. 33. LAB, Rep. 200, Acc. 2675, Nr. 28/29. Zur Entstehung der Bürgerwehr auch Carl Philipp Nobiling, Die Berliner Bürgerwehr in den Tagen vom 19. März bis 7. April 1848. Ein unfreiwilliger Beitrag zur Geschichte der Märzereignisse, Berlin 1852. Mit abweichender Darstellung zu Krausnick Karl Haenchen, Aus den Briefen Nobilings an Prittwitz, in: FBPG, Bd. 53 (1941), S. 150. Ansonsten Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 1, S. 242 f. Angerstein, Märzereignisse, S. 58 ff. Hachtmann, Berlin 1848, S. 234 ff. 43 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 185. Hachtmann, Berlin 1848, S. 239. 44 Schreiben Rimplers an den Magistrat vom 14. Juli 1848. LAB, StA Rep. 0102. Nr. 2445, BI. 71 f. 45 Hachtmanns Versuch, Berlin 1848, S. 592 ff., die Bürgerwehr als Gegenrnacht zu den etablierten kommunalen Organen darzustellen, kann schon auf Grund der sozialen Zusammensetzung der Miliz und der kooperativen Stellung der Kommandantur zu den Kommunalbehörden nicht überzeugen. Ähnlich resümierend Langewiesche, Revolution, S. 380 f. Siehe auch schon Streckfuß, Berliner Geschichte, S.689. 46 Zu den Verhandlungen über das Bürgerwehrgesetz siehe PrNV, Bd. 2, S. 704708.

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in Berlin" umgewandelt wurde, ohne daß von ihr die erhoffte Entwicklung von Ordnungsimpulsen ausging. 47 Bei den kommunal beeinflußten Ordnungsinstrumenten handelte es sich indessen nur um temporäre Organe, die selbst im Falle einer Demokratisierung des Staates als konkurrierende Gewalten wieder aufgehoben worden wären. Mit der sich nach dem Zeughaussturm deutlich abzeichnenden Wende der Revolution ging die Ministerialbürokratie an eine rasche Modemisierung der Polizei, insbesondere durch die Aufstellung der nach englischem Vorbild organisierten Exekutivpolizei, der bewaffneten Schutzmannschaft. 48 Nach ihrer Juni-Proklamation sahen sich die Kommunalkörperschaften auch "zur Abhilfe der Not der gewerbetreibenden und arbeitenden Klassen,,49 verpflichtet. Das schloß kommunale Initiativen gegenüber den Staatsbehörden ein, die auf eine Institutionalisierung arbeitsrechtlicher und arbeitsmarktpolitischer Probleme abzielten. Schon Anfang April hatten die Gemeindebehörden den in der Öffentlichkeit kursierenden Gedanken zur Einrichtung eines Arbeitsministeriums aufgenommen und den Magistrat bei Ministerpräsident Camphausen nachfragen lassen, ob das in Aussicht gestellte Gewerbeministerium "auch ein Arbeiter-Ministerium in sich schließen wird, in welchem sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeiter durch Organe vertreten" waren. 50 Eine solche Ausrichtung des Handelsministeriums wurde zwar von der Ministerialbürokratie nicht in Erwägung gezogen, die von den Kommunal- wie Staatsbehörden als notwendig erkannten arbeitsmarktpolitischen Initiativen führten jedoch zur Förderung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Die Berliner Kommunalkörperschaften hatten bereits Ende Mai 1847 damit begonnen, Arbeitslose auf öffentliche Kosten zu Kultur- und Wegearbeiten heranzuziehen. Die zu Jahresbeginn diskutierte Einrichtung eines städtischen Arbeitsnachweises wurde in der ersten Märzhälfte 1848 mit der Eröffnung der Arbeitsnachweisungsanstalt realisiert. 51 Das Kuratorium der 47 Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten, 15. Juni 1848. LAB, StA Rep. 00-02/ 1, Nr. 128. Zur personellen Zusammensetzung, Rep. 01-02, Nr. 2439, BI. 253c253e, 261a u. 290a. 48 Dazu Ballhorn, Polizei-Präsidium, S. 194 ff. Paul Schmidt, Die ersten 50 Jahre der Kgl. Schutzmannschaft zu Berlin. Eine Geschichte des Korps für dessen Angehörige und Freunde, Berlin 1898. Funk, Polizei, S. 61 ff. Hachtmann, Berlin 1848, S. 596 ff. Allgemeiner mit Blick auf die politische Polizei, Wolfram Siemann, "Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung". Die Anfänge der politischen Polizei 1806-1866, Tübingen 1985, S. 340 ff. 49 Proklamation der Stadtverordneten-Versammlung, 10. Juni 1848, in: Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 181. 50 Zit. nach Hachtmann, Berlin 1848, S. 407. 51 Vgl. Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten, 28. Januar u. 13. April 1848. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 119 u. 128. Vossische Zeitung, Ausgabe vom 30. Ja-

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Anstalt, die von der Gemeindevertretung gewählte Deputation zur "Abhülfe der Not der arbeitenden Klassen" und jene weitere, am 9. März gebildete Kommission zur "Beratung über das Wohl der arbeitenden Klassen" waren sich bewußt, daß der hohe Stand der Erwerbslosigkeit wesentlich einschneidendere Initiativen des Staates und der Kommune erforderte. 52 Die Gemeinde versuchte einerseits durch eine repressive Begrenzung des Arbeitsmarktes und der Freizügigkeit die Erwerbslosigkeit zu bekämpfen, so durch die Ausweisung arbeitsloser "fremder" Gesellen. Zu diesem Zweck wurde die strengste Überwachung sämtlicher Schlafstellen durch die Polizei angeordnet53 und unter Zustimmung der städtischen Körperschaften am 21. April durch den Polizeipräsidenten bekannt gegeben, "daß bis auf Weiteres keinem von auswärts eintreffenden, arbeits suchenden fremden Arbeiter der Aufenthalt in Berlin erlaubt werden soll".54 Die Kommunalkörperschaften veranlaßten die Einstellung von gewerblichen Arbeiten in Zucht- und Arbeitshäusern und forderten die Militärbehörden auf, zivile Auftragsarbeiten der beim Militär beschäftigten Handwerker zu verbieten. Andererseits weitete man das kommunale Arbeitsbeschaffungsprogramm aus, versprach eine bessere Verteilung öffentlicher Aufträge und versicherte sich der staatlichen Zusage, im Interesse des Abbaus der Arbeitslosigkeit zusätzliche Erwerbslose aus der Landeshauptstadt bei bereits in Angriff genommenen Straßenund Kanalbauten einzustellen. 55 Die nach dem 25. März als "Deputation zur Beratung über das Wohl der arbeitenden Klassen" fungierende gemischte Kommission betätigte sich darüber hinaus als Schlichtungsorgan bei Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Die Deputation entschloß sich sogar, Arbeiterdeputierte zu einer Besprechung über die Situation der Arbeitslosen in der Landeshauptstadt einzuladen. 56 Der zum Handelsminister bestellte Freiherr von Patow nahm den im Vormärz von den Sozialreformern und einzelnen Kommunalpolitikern entwickelten Gedanken auf, Beratungs- und Schlichtungsinnuar 1848. Berichte über die beim Arbeitsnachweis gemeldeten Erwerbslosen in Vossische Zeitung/Berliner Zeitungshalle, Ausgaben vom 11.116. März 1848. 52 Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten, 9. März 1848. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 128. 53 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 109. 54 A. a. 0., S. 157 u. 309 ff. 55 Sitzungsprotokoll der Stadtverordneten, 16. März 1848. A.a.O. Zu den Beschlüssen der Deputation siehe LAB, StA Rep. 16, Nr. 67, Bd. 5; die Verhandlungsprotokolle ebd. Bd. 1 u. 5. Dazu auch Hachtmann, Berlin 1848, S. 105 ff. u. 324 f. 56 Siehe Reulecke, Sozialer Frieden, S. 167 ff., der darauf hinweist, daß die Arbeit der Kommunalbehörden durch den Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen beeinflußt war. Vgl. auch Stephan Born, Erinnerungen eines Achtundvierzigers, 3 Leipzig 1898, S. 72. Wilhelm Friedensburg, Stephan Born und die Organisationsbestrebungen der Berliner Arbeiterschaft bis zum Berliner Arbeiterkongress (1840-Sept. 1848), Leipzig 1923. Neudruck Glashütten/T. 1973, S. 54 f. u. 86.

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stanzen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse in den Gewerbebetrieben zu schaffen. Nach einer Bekanntmachung vom 8. Mai rief der Handelsminister unter leitender Mitwirkung kommunalbehördlicher Vertreter zur "Bildung von Ausschüssen und Kommissionen für die Erörterung der Verhältnisse zwischen den Gewerbetreibenden und den von ihnen beschäftigten Arbeitern" auf. Die Ausschüsse sollten in gemeinsamen Beratungen ebenso allgemeine Übelstände wie die eigentlichen Differenzen zwischen Arbeit und Kapital feststellen und Vorschläge zu deren Behebung ausarbeiten. Aufklärend war im Interesse des Gemeinwohls auf die Einsicht notwendigen Ausgleichs in den Gewerbe- und Arbeitsverhältnissen hinzuwirken und gegebenenfalls waren Gesetzesvorschläge anzuregen. Da die Vermutung nahe lag, daß sich das Bedürfnis nach einer Gesetzesinitiative "zur zeitgemäßen Umgestaltung gewerblicher Zustände" herausstellte, wurden die Bezirksregierungen aufgefordert, die Tätigkeit der Ausschüsse zu beobachten. 57 Mit der Umsetzung der durch kommunale Erfahrungen gewonnenen sozialreformerischen Vorstellungen in staatliches Handeln zielte die Regierung insgesamt auf eine "Neugestaltung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft".58 Die staatliche Initiative wirkte auf die kommunale und vereinspolitische Tätigkeit zurück, indem lokale Aktivitäten an Schwung und Bedeutung verloren. Die zur Beratung der Arbeits- und Gewerbeverhältnisse eingesetzte Deputation stellte im Sommer 1848 ihre Tätigkeit ein, während der Centralverein sich zukünftig stärker belehrenden und konsultativen Aufgaben widmen wollte. 59 Auf dem Gebiet der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die Hachtmann übertrieben als "eine Art sozialpolitischer Revolutionsprophylaxe,,6o charakterisiert, als arbeitsmarkt- und sozialpolitische Maßnahme aber sicherlich zur Entspannung der politischen Situation beitragen sollten, agierten Staatsund Kommunalbehörden ebenfalls eng zusammen. Das preußische Finanz57 Die Bekanntmachung für den Potsdamer Regierungsbezirk in ABIRegPdmuStBIn, Jg. 1848, Stück 21, S. 196-199. Vgl. dazu auch Margret Tilmann, Der Einfluß des Revolutionsjahres 1848 auf die preußische Gewerbe- und Sozialgesetzgebung, Diss., Berlin 1935, S. 26 ff. Manfred Simon, Handwerk in Krise und Umbruch. Wirtschaftspolitische Forderungen und sozialpolitische Vorstellungen der Handwerksmeister im Revolutionsjahr 1848/49 (= Neue Wirtschaftsgeschichte, Bd. 16), Köln-Wien 1983, S. 177 f. Hans Jürgen Teuteberg, Geschichte der industriellen Mitbestimmung in Deutschland. Ursprung und Entwicklung ihrer Vorläufer im Denken und in der Wirklichkeit des 19. Jahrhunderts (= Soziale Forschung und Praxis, hrsg. von der Sozialforschungsstelle an der Universität Münster in Dortmund, Bd. 20), Tübingen 1961, S. 320 ff. 58 Reu1ecke, Sozialer Friede, S. 169. 59 A. a. 0., S. 169 f. Hachtmann, Berlin 1848, S. 393 f. Zur nur begrenzten Funktionstüchtigkeit der vom Handelsminister landesweit ins Leben gerufenen Lokalund Bezirksausschüsse siehe Simon, Handwerk, S. 178. 60 Hachtmann, Berlin 1848, S. 407, 441 u. 822.

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ministerium bewilligte kurzfristig 200000 Reichstaler für die kommunale Arbeitsbeschaffung. Mit diesen Mitteln konnten bis Ende Oktober 1848 über 2000, einschließlich der staatlichen Maßnahmen insgesamt etwa 8000 Erwerbslose im Rahmen öffentlicher Infrastrukturarbeiten beschäftigt werden. 61 Nach dem Abklingen der Revolution gaben die Kommunalbehörden die arbeitsmarktpolitischen Initiativen wieder auf. Ende 1849 wurden die auf städtische Kosten finanzierten Notstandsarbeiten eingestellt, zum 1. Juni 1850 auch das kommunale Arbeitsnachweisungsbüro geschlossen. Die städtischen Maßnahmen stellten zunächst noch ordnungspolitische Interventionen dar, die allein der wirtschaftlichen Krise und der sich daran anschließenden politischen Konfliktsituation verpflichtet waren. Schlaglichtartig wurde jedoch das Potential kommunaler Sozialpolitik umrissen, das sich später in einem System rationaler Daseinsvorsorge entfalten sollte. Seit der ersten Junihälfte wurde die Berliner Gemeindevertretung von einer gemäßigt liberalen bis konservativen Stadtverordnetenmehrheit beherrscht. "Wir legen", hatte es in der am 28. April veröffentlichten Wahlbekanntmachung des Magistrats geheißen, "das wohlbegründete Zutrauen zu den Bürgern unserer Stadt, daß keiner der zur Ausübung dieses Ehrenrechtes Berufenen derselben ohne die dringendste Veranlassung sich entziehen, vielmehr jeder es für seine nächste Pflicht erachten werde, in der Ausübung dieses Rechts seine gewissenhafte Sorge für das Wohl der Commune und für eine würdige und kräftige Vertretung derselben zu bethätigen".62 In der liberalen Presse war für eine Wahl geworben worden, die "rechtliche, besonnene, zugleich muthige und gemäßigte Männer" in das Stadtverordnetenamt brachte. Man hatte die Hoffnung geäußert, daß sich die Schutzverwandten umgehend zum freiwilligen Erwerb des Bürgerrechts entschließen und damit zu einer wesentlichen Erweiterung der Wählerschaft beitragen würden. "Gewiß muß ein Gesetz binnen kurzer Frist der ... Gleichgültigkeit der Schutzverwandten", wurde zur künftigen Gestaltung des Gemeindewahlrechts bemerkt, "ein Ende machen und sie zwingen unter denselben Bedingungen wie Grundbesitzer und Gewerbetreibende in die Reihen der Bürger einzutreten, gleiche Rechte zu erhalten und gleiche Pflichten zu übernehmen".63 Diese Appelle blieben insofern nicht ungehört, als die Wahl beteiligung eine äußerst rege war - insgesamt erschienen 71,2 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahl _64 und die Wählerentscheidung sich gegen die demokratische Linke richtete. Stadtverordnete wie Berends, NauA. a. 0., S. 441. Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 176. 63 Eingesandtes anonymes Schreiben, Spenersche Zeitung, Nr. 102, Ausgabe vom 30. April 1848. 64 Berechnet nach LAB, StA Rep. 01-02. Nr. 2590. BI. 72; Nr. 2600, BI. 198. Vgl. auch Tab. 8 im Stat. Anhang. 61

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werck, Mertens und Runge wurden nicht wiedergewählt, insgesamt bestätigten die Wähler nur 31 Mandate. 65 Die liberale Öffentlichkeit hielt mit ihrer Enttäuschung nicht hinter dem Berg. "Die tüchtigsten und entschiedensten Kräfte der früheren Versammlung, diejenigen Männer", resümierte die National-Zeitung, "welche dieselbe zu einer politischen Bedeutung zu erheben, stets bemüht waren, ... sind sämmtlich bei den Neuwahlen unterlegen. Ein Beweis, wie sehr die Reaction unter unserer Bürgerschaft um sich greift".66 Wie es Lewald bereits vor der Wahl getan hatte, warf man nun der abgelösten Stadtverordneten-Versammlung vor, daß das Niederlegen der Mandate ein Fehler gewesen war, selbst wenn es darum ging, in schwierigen Zeiten mit einem Beweis "des allgemeinsten Vertrauens" ausgestattet zu sein. Die Gemeinderepräsentanten hätten solange im Amt bleiben müssen, bis den Schutzverwandten durch Gesetz das Bürgerrecht erteilt worden wäre, da deren Teilnahme unzweifelhaft zu einem anderen Wahlergebnis geführt hätte. Unter den obwaltenden Umständen hielt es die National-Zeitung schon für ein Glück, daß wenigstens geschäftskundige, mit dem städtischen Verwaltungswesen vertraute Männer des alten Stadtverordnetenvorstandes wie Kammergerichtsassessor Foumier, Kaufmann Schaeffer oder Amtmann Seidel wiedergewählt worden waren und die neue Versammlung durch Vertreter wie den Staatsrechtslehrer Gneist und den Justizkommissar Lewald wenigstens einige Mitglieder, wenn auch "nicht von politischer Entschiedenheit", so doch von "Fähigkeit und Gewandtheit", gewonnen hatte. Insgesamt positiver urteilte die Vossische Zeitung, die von der Wahl tatkräftiger Individuen und dem Gewinn gehaltvoller Kapazitäten sprach und auch darin den "Segen der Neugestaltung" verwirklicht sah. 67 Am 10. Juni eröffnete der bisherige Stadtverordnetenvorsteher, Friedrich Wilhelm Foumier, die konstituierende Sitzung der neuen Gemeindevertretung. Ihre soziale Zusammensetzung war weiterhin von der Dominanz der Gewerbeschichten geprägt, unter denen die gut- und besser situierten Handwerksmeister mit 16,7 Prozent noch vor den Kaufleuten die führende Stellung einnahmen. Doch inzwischen hatte der Anteil der freiberuflich Tätigen und der Bildungsberufe auf knapp 16 Prozent zugenommen. Rech65 Bericht zur Wahl und zur Wahlprüfung in einzelnen Wahlbezirken LAB, StA Rep. 2600, BI. 165 ff. u. 198 ff. Zu verschiedenen Wahlprotesten und Wiederholungswahlen vgl. Pahlmann, Anfänge, S. 114 ff. Siehe auch Wolff, RevolutionsChronik, Bd. 3, S. 179 f. Clauswitz, Städteordnung, S. 221. Kaeber, Berlin 1848. Zur Hundertjahrfeier im Auftrage des Magistrats von Groß-Berlin dargestellt, Berlin 1948, S. 131 f. Alfred Herrmann, Berliner Demokraten. Ein Buch der Erinnerung an das Jahr 1848, Berlin 1948, S. 154. 66 National-Zeitung, Ausgabe vom 21. Mai 1848. 67 Vossische Zeitung, Nr. 134, Ausgabe vom 10. Juni 1848.

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nete man ihnen die Buchdrucker, Verleger und Buchdruckereibesitzer hinzu, die auf Grund ihrer Herkunft und ihres beruflichen Werdegangs eher zum Bildungsbürgertum gehörten, waren die Angehörigen intellektuell geprägter Berufe mit 27,5 Prozent zur stärksten Gruppe in der Gemeinderepräsentation aufgestiegen. 68 Gegenüber der überdurchschnittlichen Vertretung der bürgerlichen Intelligenz, stagnierte der Anteil der Handwerksmeister in der Stadtverordneten-Versammlung, während er im langfristigen Trend, allerdings nur auf das bessersituierte Handwerk bezogen, leicht zugenommen hatte. 69 Nach der Wahl des Vorstands stellte lustizkommissar Lewald den Antrag, die Revolution als solche anzuerkennen. Mit dieser Anerkennung sollte nicht etwa eine für die zukünftige politische Verfaßtheit der Gemeinde grundlegende Programmatik präjudiziert, sondern die alleinige Autorität der städtischen Körperschaften als Vertretung der Bürgerschaft wiederhergestellt werden. "Die Versammlung müsse sich in einem politischen Glaubensbekenntnis aussprechen, wenn die Commune die Erhaltung der Ruhe und Ordnung auf sich nehmen wolle", appellierte Lewald an die Gemeindevertreter. "Die Stadtverordneten-Versammlung sei ein politischer Körper", fuhr der lustizkommissar fort, "durch sie werde der Wille der Stadt allein ausgesprochen, ein Vorrecht, das sie keinem Club übertragen dürfe".7o Lewald wie der inzwischen als Vertreter des Magistrats anwesende Stadtsyndikus Heinrich Hedemann waren sich darüber im klaren, daß die Kommunalkörperschaften nur über die Anerkennung der Revolution solche Rechte in Anspruch nehmen konnten, die ihnen die Mitwirkung der Bürgerwehr bei der "Erhaltung des Versprochenen" oder bei der Wahrung der öffentlichen Ordnung sicherte. Die Anerkennung der Märzrevolution erhielt aber noch aus einem anderen Grund Bedeutung. Der Magistrat wie die Stadtverordneten wußten nur zu gut, daß sie nach einem Gesetz gewählt waren, das einen großen Teil der Stadtbewohner von der Wahlberechtigung ausschloß. Dieses politische Partizipationsdefizit hoffte man durch die Anerkennung ausgleichen zu können. Sie verpflichtete die städtischen Körperschaften, sich für ein sozial breiter angelegtes Kommunalwahlrecht einzusetzen, machte sie aber gleichzeitig zur eigentlichen Hüterin der Errungenschaften der politischen Revolution. Wie widersprüchlich dieser Anspruch war, zeigte sich dadurch, daß die Kommunalbehörden ihre Legitimität aus der überkommenen Gemeindeverfassung ableiteten. Vgl. Tab. 3 im Stat. Anhang. Dazu ausführlich in Kap. 5, Unterabschnitt 2. Siehe auch Pahlmann, Anfänge, S. 152 f. 70 Vgl. die unter dem 10. Juni publizierte Ansprache der neuen Gemeindevertretung an die Bürgerschaft, in: Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 181 f. 68

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Nach der Städteordnung war die Gemeindevertretung dazu berufen, wie in der programmatischen "Ansprache an unsere Mitbürger" verdeutlicht wurde, "in der Bürgergemeinde einen festen Vereinigungspunkt zu bilden".71 Demgemäß repräsentierten ausschließlich die städtischen Körperschaften den Gesamtwillen der Bürgerschaft in allen Angelegenheiten des bürgerlichen Lebens. Magistrat und Stadtverordnete konnten aber nicht einerseits mit der Revolution die Volkssouveränität anerkennen, andererseits ihre eigene politische Legitimität aus dem Recht des monarchisch-bürokratischen Staates schöpfen. Dieser Widerspruch war nur durch eine politische Entscheidung zu überwinden, die, soweit sie die Revolution als Quelle politischer Erneuerung, damit aber auch das Verlassen der Legalität anerkannte, den städtischen Körperschaften abverlangte, sich für ein den revolutionären Errungenschaften verpflichtetes Verfassungswerk nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Gemeindeebene einzusetzen. 72 Den kommunalen Eliten ging es wie dem Stadtbürgertum um die Erhaltung ihrer exklusiven Machtposition in der Gemeinde. Mit ihrer Wahlentscheidung gegen den radikalen Kommunalliberalismus und demokratische Stadtverordnete hatte die Bürgerschaft ein unmißverständliches Zeichen gesetzt. Hinsichtlich der zukünftigen Verfassung des Landes setzten die städtischen Körperschaften wie der überwiegende Teil des Stadtbürgertums auf die konstitutionelle Monarchie, die Vorstellung einer bürgerlichen Republik war selbst in der aufgelösten Gemeinderepräsentation nur vereinzelt anzutreffen. 73 Die neugewählte Kommunalvertretung erblickte nach den Verlautbarungen der Stadtverordneten in den Errungenschaften der Märzrevolution "die eigentlichen Grundbedingungen der constitutionellen Monarchie und der wahren Volksfreiheit".74 Je freier der Staat aber, "um so strenger muß die Handhabung der Gesetze sein, bemerkten Magistrat und Stadtverordnete75 warnend mit Blick auf die am Vortage gegenüber einzelnen Abgeordneten der preußischen Nationalversammlung und Minister von Arnim 76 aus Enttäuschung über die versagte Anerkennung der Revolution ausgesprochenen Drohungen. Kommunalkörperschaften und liberale Öffentlichkeit fürchteA.a.O., S. 181. Vgl. dazu auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, Der Kampf um Einheit und Freiheit, 1830-1850, 3Stuttgart u. a. 1988, S. 765 f. 73 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 81; Bd. 3, S. 181. 74 Ansprache der Gemeindevertretung an die Bürgerschaft, 10. Juni 1848, in: Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 181. 75 Erklärung der Kommunalkörperschaften vom 10. Juni 1848, in: Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 182. 76 A.a.O., S. 168 ff. Zu den Verhandlungen der preußischen Nationalversammlung über den von Berends gestellten Anerkennungsantrag vgl. StBNV, Bd. 1, S. 156 ff. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 520. Pressereaktion, Berliner Zeitungshalle, Ausgabe vom 14. Juni 1848. 71

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ten, daß Angriffe auf die persönliche Freiheit und Sicherheit der Abgeordneten, die man ebenso als Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung werten konnte, zur Stärkung der Reaktion beitrugen. "Attentate aber auf die persönliche Freiheit der Volksvertreter sind Waffen in den Händen der Reaktion und können zum Bürgerkriege führen", erklärte die NationalZeitung. Bürgerkriege hatten nach Ansicht des liberalen Blattes in den meisten Fällen "die Rückkehr des Absolutismus" zur Folge. 77 Auf die Enttäuschung über das Abstimmungsergebnis, die allgemein von der liberalen Öffentlichkeit geteilt wurde, sollte nur mit politischen Mitteln reagiert werden, d.h. die Wähler mußten gegebenenfalls entscheiden und den von ihnen gewählten Abgeordneten das Vertrauen entziehen. Die politische Funktion der Revolutionsanerkennung wurde in der Öffentlichkeit überaus treffend erkannt. Mit dem Bekenntnis zur Revolution folgten die Stadtverordneten, war in der Vossischen Zeitung zu lesen, eben der politischen Tendenz des Zeitgeschehens und formulierten damit zugleich den Anspruch, über die Wahrung des bürgerlichen und Gemeindeinteresses hinaus "den Fernblick auf die politischen und staatlichen Gestaltungen des Tages" zu richten. 78 Dieser Fernblick richtete sich zuallererst auf die von den Kommunalkörperschaften eingestandenen Mängel des Kommunalwahlrechts, auf dessen Abänderung die Stadtverordneten selbst hinwirken wollten.

2. Kommunalamt und Nationalrepräsentation Den Stadtverordnetenwahlen waren im April und in der ersten Maihälfte die Wahlen zur Deutschen wie Preußischen Nationalversammlung vorausgegangen. Anfang April wurde das königliche Propositionsdekret über die Wahlen zur Nationalrepräsentation in Berlin bekannt. Die Stadtverordneten legten auf Antrag Karl Nauwercks Protest gegen die Wahl der preußischen Abgeordneten durch den Vereinigten Landtag bzw. die als getrennte Wahlkörper fungierenden Provinziallandtage ein. Die Gemeindevertretung wollte nur solche Abgeordnete als "wahre Vertreter des preußischen Volkes" anerkennen, die aus Urwahlen hervorgegangen waren. 79 In der Öffentlichkeit fand die Auffassung der Stadtverordneten weitgehend Zustimmung. Schon in der ersten Aprilwoche hatte man in öffentlichen Versammlungen "direkte Urwahlen" und die Herabsetzung des Wahlalters gefordert. Die von Ministerpräsident Camphausen geplante Ausdehnung des Wahlrechts auf Gesinde und Dienstboten wurde hingegen National-Zeitung, Ausgabe vom 13. Juni 1848. Vossische Zeitung, Nr. 134, Ausgabe vom 10. Juni 1848. 79 Protokoll der Stadtverordneten-Versammlung, 8. April 1848. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 128. 77

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abgelehnt, da man vor allem auf dem Lande Wahlentscheidungen befürchtete, die in Abhängigkeit von den Dienst- und Beschäftigungsverhältnissen erfolgten. 8o Eine Adresse des Politischen Klubs vom 8. April sprach dem Vereinigten Landtag jedes Recht ab, als Repräsentation des preußischen Volkes aufzutretenY Eine gemischte Deputation der Kommunalkörperschaften, in die aus dem Kreis der Gemeindevertretung der Vorsteher Fournier und der Stadtverordnete Nauwerck gewählt wurde, sollte den Protest der Stadt umgehend dem Staatsministerium überbringen. Zugleich wurde der Magistrat aufgefordert, der Entschließung der Gemeindevertretung beizutreten. 82 Die kommunale Exekutive wich dem Anliegen jedoch aus. Man hielt den Zeitpunkt einerseits für verspätet, andererseits glaubte man noch genügend Zeit für einen späteren Protest zu haben, wenn sich herausgestellt hätte, daß die Wahlen durch den Vereinigten Landtag nicht "im Interesse Preußens" ausgefallen wären. Schließlich konnte bei den freisinnigen Prinzipien des Vereinigten Landtags, so der Magistrat noch am 7. April, auf "eine glückliche und befriedigende Wahl von Vertretern,,83 gehofft werden. Die Stadtverordneten-Versammlung hielt jedoch an ihrem Beschluß fest. Nauwerck und Julius Berends warnten, daß die deutsche Nationalversammlung nur aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Vertreter anerkennen würde und sich andernfalls ein Bruch zwischen Preußen und dem übrigen Deutschland auftun könnte. Erst am 8. April entschloß sich der Magistrat, dem Protest der Stadtverordneten beizutreten und Stadtrat Gärtner als Deputierten des Magistrats abzuordnen. Als das Frankfurter Vorparlament sich jedoch für ein unmittelbares Wahlverfahren sowie die Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen ohne Beschränkung durch Zensus, Stand oder religiöses Bekenntnis entschieden hatte,84 machten Friedrich Wilhelm IV. und das Staatsministerium einen Rückzieher. Man verzichtete auf die Abordnung der vom Vereinigten Landtag gewählten Vertreter und setzte für die preußischen Abgeordneten Urwahlen an. Damit fand der Protest der städtischen Körperschaften augenblicklich seine Erledigung. 80 Dazu die Adresse des Volksvereins vom 2. April. Abgedruckt bei übermann, Flugblätter der Revolution. Eine Flugblattsammlung zur Geschichte der Revolution in Deutschland, Berlin 1970, S. 191. Vgl. auch Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 66 ff. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 139 f. 81 Spenersche ZeitungIVossische Zeitung, Ausgaben vom 7./8. April 1848. Siehe übermann, Flugblätter, S. 192 f. Weitere Presseberichte bei Wolff, RevolutionsChronik, Bd. 2, S. 84 ff. 82 A.a.ü., Bd. 2, S. 81. 83 A. a. Ü., S. 82. 84 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 601 f. Ansonsten zu den Wahlrechtsdebatten im Vorparlament und zur Wahlrechtsfrage in Preußen Botzenhart, Parlamentarismus, S. 123 f. u. 132 ff.

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Das Vorparlament hatte in seinen Wahlgrundsätzen allerdings den Einzelstaaten das Recht zugestanden, nach ihren besonderen Verhältnissen auch mittelbare Wahlen anordnen zu können. Das Wahlgesetz zur verfassungs gebenden Versammlung Preußens vom 8. April 85 garantierte zwar ebenso die Allgemeinheit und Gleichheit des Wahlrechts, wie die nur drei Tage später herausgegebene Verordnung über die Wahl der Preußischen Abgeordneten zur Deutschen "Nationalversammlung",86 die zudem noch die Beschränkung des halbjährigen Wohnsitzes aufhob und die Wählbarkeit mit dem Erreichen der Volljährigkeit eintreten ließ, aber hier wie dort wurde ein indirektes Wahl verfahren angeordnet. 87 Die liberale und demokratische Öffentlichkeit der Landeshauptstadt reagierte prompt auf die Regierungsverfügungen. Am 10. April forderte eine Versammlung vor den Zelten unmittelbare Wahlen und plädierte für die Zweckmäßigkeit eines "rein demokratischen Körpers an der Spitze der gesetzgebenden Versammlungen Deutschlands".88 Das während der öffentlichen Zusammenkunft berufene "Volks-Wahlcomite" sollte die Wahl demokratischer Abgeordneter in der Öffentlichkeit fördern und sich im Einvernehmen mit dem Ministerium Camphausen für eine erneute Korrektur des Wahlverfahrens einsetzen. In das aus 35 Mitgliedern bestehende Komitee wählte man die Stadtverordneten Berends, Mertens, Nauwerck und Runge. 89 Allein Runge nahm die Wahl nicht an. Ministerpräsident von Camphausen gab einer Deputation des Volks-Wahlcomites am 13. April zu erkennen, daß die Staatsregierung nur einem indirekten Wahlverfahren zustimmen würde, da andernfalls die Republik drohte. Zudem wäre der Bestand der gegenwärtigen Regierung auf das Engste mit dem erlassenen Wahlrecht verknüpft. 9o Mit dem indirekten System sollte offensichtlich ein "retardierendes Moment,,91 in die politischen Aus85 Wahlgesetz für die zur Vereinbarung der Preußischen Staatsverfassung zu berufenden Versammlung, 8. April 1848. GS 1848, S. 89-91. 86 11. April 1848. GS 1848, S. 94-96. 87 Zum indirekten Wahlverfahren siehe Hans Mähl, Die Überleitung Preußens in das konstitutionelle System durch den Zweiten Vereinigten Landtag (= Historische Bibliothek, Bd. 23), München 1909, S. 105 ff. Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 119 ff. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 136 ff. 88 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 209. 89 A. a. 0., S. 90 f. u. 209 f. 90 Dazu die Erklärung des Berliner Volks-Wahlcomites vom 13. April, abgedruckt in den Berliner Tageszeitungen vom 15. April 1848. Siehe auch Gerhard Schilfert, Sieg und Niederlage des demokratischen Wahlrechts in der deutschen Revolution 1848/49, Berlin 1952, S. 78 f. Jürgen Hofmann, Ludolf Camphausen. Erster bürgerlicher Ministerpräsident in Preußen, in: Männer der Revolution von 1848, Bd. 2, hrsg. von H. Bleiber/W. SchmidtiR. Weber (= Akademie der Wissenschaften der DDR, Schriften des Zentralinstituts für Geschichte, Bd. 75), Berlin 1987, S. 438. Zur Politik des Ministeriums Camphausen-Hansemann vgl. ders., Das Ministerium 33*

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einandersetzungen eingeschaltet werden, mit dem die Erwartung verbunden war, daß in den Urwahlen bürgerliche Honorationen zum Zuge kamen, die gemäßigten Schichten schließlich auch in die Nationalversammlung berufen wurden und damit eine weiter drohende Radikalisierung abgewendet worden wäre. Die noch im Wahlkomitee verbliebenen Stadtverordneten verließen das spontan gebildete Organ, da sie nach der Mitteilung Camphausens weder eine Möglichkeit sahen, die Einführung des direkten Wahlverfahrens kurzfristig durchzusetzen noch bereit waren, der Forderung nach direkten Wahlen durch Demonstrationen Nachdruck zu verleihen. 92 Die Furcht vor neuen gewaltsamen Auseinandersetzungen veranlaßte die Zurückgetretenen zu einem entschiedenen Protest gegen entsprechende Absichten des Volks-Wahlcomites. An einer weiteren Radikalisierung der städtischen Öffentlichkeit war man nicht interessiert. Der Konstitutionelle Klub beruhigte sich mit der Annahme, daß das Wahlgesetz ja nur provisorischen Charakter hätte und vor späteren Wahlen novelliert werden könnte. Die Mehrheit der liberalen Öffentlichkeit erklärte sich gegen die vom Volks-W ahlkomite geplante Wahlrechtsdemonstration. Prinzipiell hielten die Linksliberalen und Demokraten allerdings, wie die Mehrheit des Politischen Klubs, am direkten Wahl verfahren fest. Gegenüber dem Problem des Wahlverfahrens gewann die Wahl geeigneter Kandidaten deutlich an Relevanz. Nach verbreiteter Ansicht war die Lösung der aktuellen wirtschaftsund sozialpolitischen Problemen eng mit der Kandidatenfrage verknüpft. Mitgliedern des Konstitutionellen Klubs gelang es schließlich, auch das "Central-Comite der Arbeiter" zu einem Beschluß gegen die Teilnahme an der für den 20. April vorgesehenen Demonstration zu bewegen. 93 Die Stadtverordneten-Versammlung lehnte am 19. April, völlig auf der Linie des Staatsministeriums liegend, jeden gewaltsamen Protest gegen das Wahlgesetz ab. Friedrich von Raumer hob die Pflicht jeder Behörde hervor, "die gegebenen Gesetze zur Ausführung zu bringen".94 Schauß erklärte dem Staatsministerium sein Vertrauen. Ein Vertrauen, das unversehens verloren gänge, wenn sich die Regierung durch Demonstrationen bestimmen ließ. Der zur gemäßigten demokratischen Linken gehörende Nauwerck Camphausen-Hansemann. Zur Politik der preußischen Bourgeoisie 1848/49, Berlin 1981.

91 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 583. Mähl, Überleitung, S. 185. Anna Caspary, Ludolf Camphausens Leben nach seinem schriftlichen Nachlaß, StuttgartBerlin 1902, S. 201 f. 92 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 212. 93 Vossische Zeitung/Berliner Zeitungshalle vom 21.124. April 1848. Weitere Berichte zu den Einzelheiten der Auseinandersetzungen in der Tagespresse. Vgl. auch Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 230 f. 94 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 224.

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sprach sich wie seine politischen Freunde im Prinzip für direkte Wahlen aus, hielt sie augenblicklich allerdings nicht mehr für ausführbar. Er plädierte sogar für eine Volksadresse, in der die Gemeindevertretung dem Staatsministerium das Vertrauen aussprach. Die Stadtverordneten-Versammlung beschloß, den Protesten einzelner Bezirke freien Lauf zu lassen und lehnte eine Gegendemonstration durch das Zusammenrufen der Gewerke ab. Einstimmig stellten sich die Stadtverordneten hinter die Ausführung des gegebenen Wahlgesetzes. Jede Änderung des Gesetzes sollte der Nationalversammlung als der einzigen gesetzlichen Vertretung vorbehalten bleiben. In Adressen an das Staatsministerium wie an die Berliner Stadtbevölkerung wollte die Gemeindevertretung ihre Stellungnahme noch besonders darlegen. Die Anrede an das Volk verfaßten von Raumer, Nauwerck und Moritz Veit. Sie sprachen die Staatsregierung von jedem Verdacht frei, die "Bahn des Rückschritts" betreten zu haben und das Volk um die "Früchte der errungenen Freiheit" bringen zu wollen, indem die Regierung dem Volk das direkte Wahlrecht vorenthielt. Die Stadtverordneten forderten dazu auf, sich der Überzeugung des Staatsministeriums anzuschließen, daß "für den Anfang indirekte Wahlen als die besten ersch(ie)nen".95 Im sicheren Vertrauen, daß die Nation in Zukunft ihre Gesetze selbst machte, sollte sich die Bürgerschaft auf die Wahl vertrauenswürdiger Vertreter konzentrieren, die dem "wahren Willen des Volkes" nicht widerstrebten. Der Magistrat stellte sich in einer amtlichen Bekanntmachung ebenso entschlossen hinter das Wahlgesetz und schärfte den Gesellschaften der Gewerke wie den einzelnen Vorständen und Meistern ein, sich von jeder Störung der öffentlichen Ordnung und des Stadtfriedens fernzuhalten. Er rechtfertigte das Handeln der Staatsregierung mit der Verfassungsmäßigkeit des Wahlgesetzes, der zwingenden Notwendigkeit, eine Gesetzesrevision auf gesamtstaatlicher Ebene vornehmen zu müssen, und die andernfalls eintretende Verzögerung der Repräsentation Preußens in der deutschen Nationalversammlung. "Die beabsichtigte Petition kann, welche Ansichten man auch über den derselben zugrunde liegenden Gedanken eines directen Wahlsystems haben mag, keinen Erfolg haben, weil das Ministerium das verfassungsmäßig erlassene Wahlgesetz nicht eigenmächtig abändern darf; weil, wenn es eine solche Abänderung vornehmen könnte, die Interessen Preußens und Deutschlands durch die eintretende Unmöglichkeit, das preußische Volk auf dem deutschen Reichstage rechtzeitig vertreten zu lassen, auf das Empfindlichste verletzt werden würden; und weil endlich eine solche Maßregel nur getroffen werden könnte, wenn die Stimme des ganzen Landes darüber gehört wäre und sich dafür entschieden hätte".96 95

Ebd.

96

A. a. 0., S. 226.

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Mancher Demokrat verrnißte sicherlich in den offiziellen Bekanntmachungen der städtischen Körperschaften eine politische Stellungnahme zum direkten Wahlsystem und insbesondere zu der Frage, ob eine Demonstration mit dem Ziel der Petitionsübergabe notwendig die Absicht einschloß, die Regierungsbehörden einzuschüchtern, und daher grundsätzlich gesetzlich nicht zulässig wäre. Doch den Kommunalorganen ging es allein um die Sicherung des Erreichten: darum die Bindung der Freiheit an das Gesetz und die Sicherung zukünftiger Wohlfahrt durch Ordnung. Vor dem vereinten Widerstand der staatlichen und städtischen Behörden sowie dem massiven Einsatz der Bürgerwehr kapitulierten die Radikalen, die geplante Wahlrechtsdemonstration, die gegen ein vom Staatsministerium angeordnetes Verbot des Polizeipräsidenten verstoßen hätte, fand nicht statt. Immerhin fanden sich noch etwa 1500 Menschen auf dem Alexanderplatz ein, denen aber eine ungleich größere Zahl von Bürgerwehrmitgliedern gegenüberstand. Nachdem die Erklärung des Volks-Wahlcomites zur Absage der Demonstration bekannt wurde, löste sich die Versammlung auf. Radikale Demokraten wie Siegerist und Jung sprachen auf einer anschließenden Versammlung vor dem Schönhauser Tor von einem ungesetzlichen Handeln der Regierung und machten den Konstitutionellen Klub und die Bürgerwehr für das Scheitern der Demonstration verantwortlich, indem sie den Beteiligten revolutionäre Absichten unterstellt hätten. "Wenn das Vaterland in Gefahr kommt", rief Jung unter dem Beifall der Versammelten aus, "die durch die Revolution erkämpfte Freiheit zu verlieren, so sind daran die Bürgerwehr und der constitutionelle Club Schuld".97 Die liberale Öffentlichkeit konzentrierte sich nach der Absage an eine demonstrative Auseinandersetzung auf den Wahlkampf. Die Wahlen zu beiden Nationalversammlungen veranlaßten insbesondere die politischen Vereine zu Aktivitäten. Der Konstitutionelle Klub hielt sich nicht lange mit der Entwicklung eines Programms auf. Er agierte als eine Art Wahlverein, der moderate Kandidaten unterstützte, die auf die konstitutionelle Monarchie eingeschworen waren. Nur der Politische Klub versuchte in einem Wahlprogramm seine Grundsatzpositionen zu präzisieren. In der wesentlichen Frage, ob Monarchie oder Republik, kam er indessen zu keiner Entscheidung. Anstelle politischer Programmatik erfolgte nur eine Aneinanderreihung bereits in der Öffentlichkeit kursierender Forderungen. Neben der Sicherung bürgerlicher Grundrechte wie die Garantie der persönlichen, Presse- und Assoziationsfreiheit, der Abschaffung staatsbürgerlicher Vorrechte sowie der Trennung von Staat und Kirche wurde erneut die Forderung nach der Einführung von Geschworenengerichte, die Errichtung eines Arbeitsministeriums und eines direkten Steuersystems erhoben. Mit dem Verlangen nach einer Umbildung des stehenden Heeres zu einer "wahrhaf97

A.a.O., S. 234 f.

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ten Volkswehr" befand sich der Politische Klub im stärksten Gegensatz zu den etablierten Mächten des Staates und dem gemäßigten Liberalismus. 98 Da sich das Interesse der Öffentlichkeit indessen weitgehend auf die Kandidaten richtete, erhielten weniger die Erklärungen der politischen Vereine als die "Glaubensbekenntnisse" der Mandatsbewerber Bedeutung. Die Bürgerschaft suchte in verschiedenen Versammlungen eine Vorauswahl unter den sich präsentierenden Kandidaten für die Frankfurter und Berliner Versammlung zu treffen. Vormärz-Oppositionelle, Kommunalpolitiker und Mitglieder der Gemeindebürokratie sollten im Wahlgeschehen eine einflußreiche Rolle spielen. Berends hatte sich im Verlaufe der Märzereignisse zum entschiedenen Radikaldemokraten entwickelt. Er plädierte für die freie Selbstbestimmung, Selbsttätigkeit und Selbstregierung als Grundlage des neuen, republikanisch verfaßten Staates. Das Königtum sollte nur noch das Volk nach außen repräsentieren und nicht mehr an der Macht teilnehmen. Berends verlangte ferner nach einem direkten Wahlsystem und sah die Lösung der sozialen Frage in Abhängigkeit von der Entscheidung der politischen Probleme. Die Verbesserung der Ausbildung und Erziehung sollte zu einer friedlichen Gestaltung der sozialen Verhältnisse beitragen, dazu war staatlicherseits ein Arbeitsministerium notwendig, das Vertreter des Unternehmertums und der Arbeiterschaft aufnehmen und mit seiner Organisation bis auf die Kreisebene herunterreichen sollte. 99 Karl Nauwerck, wie Berends seit 1847 Stadtverordneter und oppositioneller Politiker, betrachtete dagegen die konstitutionelle Monarchie als die den gegenwärtigen staatlichen Zuständen Deutschlands entsprechende Regierungsform, womit er wohl seine Kompromißbereitschaft mit den Zielsetzungen des gemäßigt liberalen Bürgertums anzeigen wollte. Als moderater Demokrat verfocht Nauwerck einen demokratischen Republikanismus mit einem Zweikammersystem, bestehend aus Volks- und Staatskammer, auf der Grundlage des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts. Die sozialen Verpflichtungen des Staates mußten nach Nauwerck von diesem stärker wahrgenommen werden, insbesondere die öffentlichen Lasten gerechter verteilt werden. Zur Sicherung der sozialen Existenz jedes Einzelnen in der allgemeinen Wohlfahrt gehörte Nauwerck zufolge auch, daß der Staat eine schlankere Statur gewann, mithin sich der "Scharen seiner unnützen bürgerlichen und militärischen Beamten" entledigte. 100 Hermann Duncker, 1845 zum besoldeten Stadtrat gewählt, gehörte zur liberalen Mitte. Er leitete die politische Notwendigkeit "demokratischer 98 A.a.O., S. 221. Ausführlich zu den Programmen der Kandidaten und den Kontroversen um einzelne Mandatsbewerber a. a. 0., S. 254-289 u. 430 ff. 99 A.a.O., S. 261 f., 280 u. 422 f. 100 A.a.O., S. 275, 281 u. 422. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 618.

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Forderungen und Bedürfnisse" direkt aus seiner Magistratstätigkeit ab. Die "feste Begründung demokratischer Institutionen" wollte er im Rahmen der konstitutionellen Monarchie verwirklicht sehen. Duncker gehörte zu den eifrigen Verfechtem einer preußischen Führung in Deutschland, mithin zur liberalen Mehrheit einer kleindeutsch-erb kaiserlichen Lösung der deutschen Frage. 101 Moritz Veit lehnte es ab, ein politisches Glaubensbekenntnis abzulegen. Ihm folgte Friedrich VOn Raumer, der die Darstellung seines politischen Standpunktes mit dem Hinweis verweigerte, daß sich jede Meinung erst durch die Debatte der Nationalversammlung zu einer Überzeugung gestalten mußte. Immerhin ließ seine offen postulierte Maxime, daß es ohne Gesetzlichkeit keine Freiheit und ohne Ordnung keine Wohlfahrt gebe, die Nähe zum gemäßigten preußischen Liberalismus erkennen, der für eine starke Zentralgewalt und eine auf die Legislative beschränkte Volksvertretung eintrat. 102 Baumeister Mertens, der anders als Veit und VOn Raumer nicht in die neue Stadtverordneten-Versammlung gewählt wurde, vertrat einen gemäßigten Konstitutionalismus. Die gesetzgebende Gewalt der Volksrepräsentation wollte er durch ein "dreimaliges Veto" der Krone relativieren. Das Recht der Steuerbewilligung bzw. -verweigerung sollte jedoch allein der Legislative zustehen. "Nur eine zweckmäßige Theilung der Gewalten sichere die Zukunft und bewahre vor blutiger Anarchie", resümierte der durch sein entschiedenes Auftreten bekannte Stadtverordnete sein politisches Bekenntnis. 103 Veits und Raumers Weigerung, eine politische Stellungnahme abzugeben, wurde VOn F.A. Zacharias kritisiert. Die Stadtverordneten waren zwar in der Vergangenheit "bei der gesetzlichsten Schweigsamkeit" gewählt worden, in der Gegenwart wäre aber die Darlegung der politischen Überzeugung nicht überflüssig. Schließlich müßte jeder wissen und aussprechen, wie er dem Lande nützlich sein konnte. Zacharias, den die National-Zeitung durch seine ebenso besonnene wie eifrige Tätigkeit für die "Volksinteressen" hervorhob, verlangte das Recht zur Gesetzesinitiative für die Volksvertreter und das Recht freier Volksversammlungen. Im übrigen forderte er, die Volksschule von der "Fesselung der Geistlichkeit" zu befreien sowie die soziale Lage der Arbeiter durch "organische Gesetze" zu regeln. 104 Der rechtsliberale Revisionsrat Jonas 105 betonte die "Freiheit der Gemeinde" und wollte sich für die bürgerliche "Selbstregierung" in der Ge101 102 103 104

Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 280. A. a. 0., S. 280 u. 282. A. a. 0., S. 284. A. a. 0., S. 283.

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meinde einsetzen. In der Frage der konstitutionellen Monarchie sah er eine politische Polarisierung zwischen denjenigen Kräften, die nur für die Konstitutionalisierung plädierten, um "das alte Wesen festzuhalten", und jenen, welche die konstitutionelle Form nur als "Durchgangspunkt zur Republik" betrachteten. Seiner Auffassung zufolge mußte es zum Bürgerkrieg kommen, wenn beide Tendenzen gegeneinander verfolgt wurden. Jonas sah im "festen, dauernden Königthum" die sicherste Gewähr, daß sich "alle Freiheit" entwickeln konnte. 106 Die Sicherung der Lebensverhältnisse der Arbeiter war nach Jonas zwingend erforderlich. Allerdings sah er die Lösung der Arbeiterfrage nicht in Abhängigkeit von der Verfassungsfrage, sondern von "Leben und Tat". Der Berliner Revisionsrat spielte damit ebenso auf die konjunkturelle Entwicklung, die praktischen Wirkungen der Gewerbeund Sozialpolitik wie auf die Selbsthilfe der Arbeiter an. Das kommunalpolitische und -administrative Element spielte insgesamt für die Vertretung Berlins in den verfassungsgebenden Versammlungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Von den Inhabern kommunaler Ämter, die teilweise auf den Wahlmännerversammlungen als Kandidaten für die Repräsentationen in Berlin und Frankfurt vorgeschlagen wurden, teilweise sich selbst zur Wahl stellten, wählten die Wahlmänner Berends gleich in zwei Bezirken als Vertreter für die Preußische Nationalversammlung und Veit als Stellvertreter. Bei den Ergänzungswahlen siegte Stadtrat Duncker nach drei Wahlgängen gegen Bruno Bauer. Unter den übrigen Berliner Repräsentanten für die preußische Versammlung, Bauer, Grabow, Johann Jacoby, Jonas, Jung, von Kirchmann, Sydow, Waldeck und Zacharias, kam mit dem Prenzlauer Oberbürgermeister Wilhelm Grabow ein weiterer Kandidat direkt aus einem Kommunalamt, während der Berliner Obertribunalsrichter Waldeck langjährig als Stadtverordneter in Hamm tätig gewesen war (1836-1844). Ansonsten dominierten unter den Mandatsträgern die Justiz- und Verwaltungsbeamten. Bauer war wie Jonas Geheimer Revisionsrat, Julius Hermann von Kirchmann kam aus dem Richterdienst. Anfang 1848 wurde er zum ersten Staatsanwalt und im folgenden Juli zum Vizepräsidenten an das Berliner Kriminalgericht berufen. Aufgrund seiner oppositionellen Haltung versetzte man ihn im Herbst als Vizepräsident an das Appellationsgericht in Ratibor. Georg Jung, Präsident und Kandidat des Politischen Klubs in Ber105 Hachtmann verwechselt den für Berlin gewählten Rechnungsrat mit dem Diakon und Mitherausgeber der "Zeitschrift für die unirte evangelische Kirche" Ludwig Jonas, der in Berlin zwar zum Stellvertreter gewählt wurde (1. Wahlbezirk), ein Mandat für die preußische Nationalversammlung aber im Potsdamer Wahlkreis gewann. Vgl. Berlin 1848, S. 305 u. 947 f. Diese Verwechslung auch bei Mann, Biographisches Handbuch, S. 736. Richtig Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 430 u. 433 sowie Botzenhart, Parlamentarismus, S. 539 u. 855. 106 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 282.

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lin, war seit 1841 als Assessor am Landgericht Köln tätig, arbeitete an verschiedenen demokratischen Zeitungen, wie den Deutsch-französischen Jahrbüchern oder der Rheinischen Zeitung mit, ehe er 1846 nach Berlin ging. 107 Mit Zacharias war in der preußischen Landeshauptstadt der einzige Fabrikant zur Nationalversammlung berufen worden. Sydow war Theologe; er hatte zwischen 1836 und 1842 das Hofpredigeramt in Potsdam inne. 1845 begründete er mit Ludwig Jonas, der schon 1833 als dritter Diakon an die St. Nikolaikirche in Berlin berufen worden war, die "Zeitschrift für die unirte evangelische Kirche", mit der sie ein publizistisches Gegengewicht zu der von Ernst Wilhelm von Hengstenberg herausgegebenen Evangelischen Kirchenzeitung bilden wollten. Im Jahre 1846 wurde Sydow als Prediger an die "Neue Kirche" in Berlin berufen. Jacoby, der als Arzt und zeitweiliger Regierungsbeauftragter zur Beobachtung der Cholera in Polen beschäftigt gewesen war, arbeitete seit Beginn der vierziger Jahre als Journalist bei der Königsberger Zeitung und publizierte später auch in anderen Zeitungen und Zeitschriften wie beispielsweise den Deutsch-französischen Jahrbüchern. 108 Die demokratische Linke zeigte wenig Befriedigung über die Wahl, das Ergebnis glich ihrer Auffassung nach einem "Geistesbankrott der Stadt Berlin".109 Die liberale National-Zeitung lobte hingegen die "Freiheitstriebe" der Berliner. Im Wahlergebnis zur Preußischen Nationalversammlung sah sie eine ausgewogene Entscheidung zwischen radikalen und gemäßigten Kräften. Auf seiten der radikalen Partei standen mit Berends, Jung, von Kirchmann, Zacharias und sicherlich auch Jacoby Befürworter des Einkammersystems mit sehr beschränktem oder gar keinem Veto des Königs. Zu Gunsten der gemäßigten, der jetzigen konservativen Richtung, "die vor kurzem noch sehr liberal gewesen wäre", hatten sich solche Abgeordnete durchgesetzt, die für ein moderates Zweikammersystem mit beschränktem königlichen Veto und eine erste Kammer plädierten, die aus der Klasse der Besitzenden bzw. der Zensuspflichtigen gewählt werden sollteYo Von den sechs Berliner Abgeordneten zur Deutschen Nationalversammlung hatten Veit und Nauwerck, der in zwei Wahlbezirken gewählt worden war, seit längerer Zeit ein Mandat in der Gemeinderepräsentation inne, von Raumer sollte erst bei der anstehenden Stadtverordnetenwahl zum Gemein107 Vgl. Mann, Biographisches Handbuch, S. 202, 214 u. 400. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 486. Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 600 f. 108 A. a. 0., Bd. 2, S. 429 ff.; Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 691; Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 411; Mann, Biographisches Handbuch, S. 197. Hachtmann, Berlin 1848, S. 946 ff. u. 966. Zur politischen Bedeutung Jacobys im Vormärz vgl. oben Kap. 4, Unterabschnitt 7. 109 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 435. 110 A. a. 0., S. 437.

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devertreter berufen werden. 111 Ihnen traten mit Oberst Friedrich Stavenhagen, den man in einer Ergänzungswahl anstelle des in zwei Wahlbezirken siegreichen Camphausen gewählt hatte, und Major Teichert zwei Militärs und schließlich mit dem Ministerpräsidenten der höchste Beamte des preußischen Staates gegenüber. 112 Camphausen, der zu den prominenten Liberalen des Vereinigten Landtags gehörte, war Exponent jenes gemäßigt nachgiebigen Liberalismus, der in einer "doppelten Frontstellung gegen Krone und Volk,,113 stand. Der Monarchie sollten konstitutionelle Zugeständnisse abgerungen werden, aber im Wege der Einigung unter Vermeidung von Konflikten. Die Ausnutzung der politischen Krise bzw. der revolutionären Ereignisse für die Zielsetzungen des liberalen Bürgertums kamen für Camphausen nicht in Frage. Die doppelte Wahl des Ministerpräsidenten gab sicherlich Auskunft darüber, wie weit die Kompromißbereitschaft im bürgerlichen Lager ging. Insgesamt muß jedoch auch für die Wabl zur deutschen Nationalversammlung festgestellt werden, daß es im großstädtischen Berlin eine durchaus engere Beziehung zwischen dem Kommunalamt, zu dem hier Magistrats- und Stadtverordneten stellen zusammengezogen sein mögen, und der Nationalrepräsentation gab. Es ist zu vermuten, daß sich in anderen preußischen Großstädten durchaus ähnliche Entwicklungen beobachten ließen. Hier wären detailliertere Untersuchungen sicherlich fruchtbringend. Die Berliner Wahlen waren damit kein Spiegelbild der landesweiten Wablergebnisse. In beiden Nationalversammlungen dominierten die Verwaltungs- und lustizbeamten. Fast drei Fünftel der Mandate entfielen in Berlin und Frankfurt (59,1 bzw. 56,2 %) auf die Gruppe der Staatsbediensteten, überwiegend Beamte im Verwaltungs- und lustizdienst. Nur in Frankfurt spielten neben diesen Berufsgruppen noch die Universitäts- und Schullehrer eine bedeutendere Rolle. Heinrich Best faßt für die Frankfurter Nationalversammlung Verwaltungs- und Kommunalbeamte in einer Berufsgruppe zusammen. Von dem knappen Fünftel der Abgeordneten, die aus Verwaltungsberufen kamen, gehörten 17,7 Prozent zu den Kommunal- und Verwaltungsbeamten. Ministerial- oder Subalternbeamte hatte als Mandatsträger nur untergeordnete Bedeutung. 114 Der hohe Anteil der Beamten deutet auf III Raumer sollte sein Mandat in der Gemeinderepräsentation auf Grund seiner Wahl zum Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung allerdings nicht antreten. 112 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 434. Allgemeine biographische Notizen zu den Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung bei Heinrich Best/Wilhelm Weege, Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, Düsseldorf 1996. 113 Hofmann, Camphausen, S. 435. 114 Vgl. Best, Die Männer von Besitz und Bildung. Struktur und Handeln parlamentarischer Führungsgruppen in Deutschland und Frankreich 1848/49 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 90), Düsseldorf 1990, S. 59. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 160 ff. Louis Rosenbaum, Beruf

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ein politisches Paradox der Märzrevolution hin: in einer "bürgerlichen Revolution, die sich verfassungstechnisch gegen den Vorrang des Beamtenstandes richtete",115 wurden dessen Vertreter zu Protagonisten des konstitutionellen Wandels. Dieser Umstand läßt Best von einem Modemisierungsschub sprechen, der den "Charakter einer durch Volkswahl legitimierten Revolution von oben" gewann, "die sich zwar in neuen institutionellen Formen, aber mit etabliertem Personal vollzog"Y6 Nach den von Valentin, 117 Schwarz,118 Eyck,I 19 Rosenbaum und Schilfert vorgelegten Untersuchungen über die Berufsstruktur der Abgeordneten der deutschen Nationalversammlung werden unter der Gruppe der Verwaltungsbeamten auch jeweils die Bürgermeister, Kommunal- und Korporationsbeamten gesondert aufgeführt, ohne daß explizit erläutert wird, ob die Stadtverordneten dieser Gruppe subsumiert wurden. Zwar gelten die Stadtverordneten gemeinhin nicht als Beamte, da sie in keinem Dienstverhältnis zur Stadt stehen, aber als Mitglieder der Verwaltungsdeputationen befinden sie sich ebenso in einer solchen Stellung wie die Deputationen als öffentliche Behörden gelten. 120 Inwieweit die Gemeindevertretung als Behörde betrachtet werden muß, ist allerdings in der verwaltungsrechtlichen Diskussion umstritten, obgleich die Städteordnung von 1853 an einzelnen Stellen die Stadtverordneten-Versammlung in den Begriff der Stadt- bzw. Gemeindebehörde einbezieht. 121 Der bei Rosenbaum angeführte Begriff "Korporationsbeamte" könnte darauf hindeuten, daß tatsächlich die Stadtverordneten und Herkunft der Abgeordneten zu den deutschen und preußischen Parlamenten 1847 und 1919. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Parlaments, Frankfurt/M. 1923, S. 53. Schilfert, Wahlrecht, S. 402 ff. 115 Koselleck, Preußen, S. 447. 116 Best, Besitz und Bildung, S. 60. Vgl. bei Best darüber hinaus die Tabelle über die hohe Kontinuität der Tätigkeit im Staatsdienst vor der Mandatsübernahme, a. a. 0., S. 66. Siehe in diesem Zusammenhang aber auch die These von der Beamtenschaft als "Ersatzelite", der zufolge der Beamtenanteil zum Maßstab für die "Reife" des politischen Systems und zum Indikator für die Ausdifferenzierung eines eigenständigen legislativen Sektors aus dem administrativ-jurisdiktionellen Bereich wurde. A.a.O., S. 61. Dazu auch Conze, Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vormärz, in: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz, S. 220 ff. u. 243 ff. 117 Valentin, Die erste deutsche Nationalversammlung. Eine geschichtliche Studie über die Frankfurter Paulskirche, München 1919. Zahlen bei Rosenbaum aufgenommen. 118 Max Schwarz, MdR. Biographisches Handbuch der Reichstage, Hannover 1965, S. 8. 119 Frank Eyck, The Frankfurt Parliament 1848-49, London 1968, S. 95. 120 Vgl. Jebens, Stadtverordneten, S. 264. Vgl. PrOVGE, Bd. 25, S. 417 f. 121 §§ 7, Tit. 1 u. 59, Tit. 5, StO 1853. GS 1853, S. 266 u. 282. Vgl. Jebens, Stadtverordneten, S. 11. Entscheidung des Reichsgericht vom 13. März 1885, in: PrVerwBI, 7. Jg. (1885), S. 6.

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zu den kommunalen Verwaltungsbeamten gezählt wurden, denn zweifellos waren sie Mitglieder einer politischen Körperschaft. 122 Trotzdem ist mit Sicherheit anzunehmen, daß die Berufsstatistiken zu den Nationalversammlungen vom gebräuchlichen, wenn auch rechtlich unpräzisen Begriff des "Ehrenbeamten" ausgehen, mithin die Stadtverordneten nicht als Teil der kommunalen Beamtenschaft, sondern unter ihrem "eigentlichen" Beruf erfaßt wurden. Die geringe zahlenmäßige Abweichung zwischen den Statistiken von Rosenbaum und Valentin, der unter den Kommunalbeamten nur Bürgermeister aufführt, unterstreicht diese Annahme hinreichend. Der Anteil der Kommunalbeamten an der Frankfurter Versammlung schwankt in den einzelnen Untersuchungen zwischen 2,2 und 2,4 Prozent. Die preußische Repräsentation hatte dagegen eine ungleich stärkere Vertretung der Kommunalbürokratie: immerhin waren hier 6,8 Prozent der Abgeordneten Bürgermeister oder sonstige Gemeindebeamte. 123 Für Berlin ergaben sich in dieser Hinsicht, wie erwähnt, nur unter Berücksichtigung der Gemeinderepräsentanten höhere Anteilswerte. Bests vergleichende Untersuchung zeigt, daß in der deutschen Nationalrepräsentation die Gruppe der ohne politische Erfahrung berufenen Vertreter außerordentlich hoch war. Fast die Hälfte der Abgeordneten (49,2 %) treten ohne jede vorhergehende Ausübung öffentlicher Funktionen in staatlichen Institutionen oder außerstaatlichen Organisationen in die verfassungsgebende Versammlung ein, in Frankreich waren es weniger als ein Drittel (32,3 %).124 Der Teil der Abgeordneten, der auf Erfahrungen in hohen Staatsämtern, in Parlamenten und Ständeversammlungen auf nationaler, einzelstaatlicher oder provinzieller Ebene verweisen konnte, wich mit jeweils knapp einem Fünftel (21,1 bzw. 21,4 %) in Frankfurt und Paris nicht wesentlich von einander ab. Die Deputierten der Assemblee nationale constituante waren jedoch in weit größerem Umfang bereits in regionalen und lokalen Vertretungskörperschaften tätig gewesen (13,1 bzw. 16,2 %). Hier wirkte sich das seit 1831 bzw. 1833 für die Conseils generaux und Conseils municipaux eingeführte Wahlverfahren aus, das auf allen Ebenen des politischen Systems institutionell gesicherte, wenn auch durch Zensusregelungen sozial verengte Möglichkeiten politischer Mitwirkung gewährte. Von den Frankfurter Abgeordneten kamen nur 2, I bzw. 6,6 Prozent aus regionalen oder lokalen Repräsentationen, d. h. der Mangel einer flächendeckenden kommunalen Selbstverwaltung, wie sie etwa in den ländlichen Gebieten der östlichen Provinzen Preußens fehlte, machte sich negativ bemerkbar. Das Beispiel der Berliner Wahlen zeigt unterdessen, daß in jenen lokalen VerVgl. Jebens, Stadtverordneten, S. 11 u. 264. Schön, Recht, S. 100. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 517. 124 V gl. hierzu wie zu den nachfolgenden Erörterungen Best, Besitz und Bildung, S.170ff. 122 123

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waltungseinheiten, die durch Formen politischer Mitwirkung der Bürgerschaften konstituiert waren, die Selbstverwaltung zu einem nicht unbedeutenden Rekrutierungsfeld parlamentarischer Führungsgruppen avancierte. Bei Best ist festzustellen, daß bereits im vorkonstitutionellen Staat ein "verdichteter Austausch" zwischen den Positionen im Bereich "kompetitiver politischer Beteiligung", mithin zwischen den Mandaten direkter Teilhabe an politischen Entscheidungen im Rahmen von Vertretungskörperschaften, stattfindet. Abgeordnete mit Parlamentserfahrung haben weitaus häufiger als andere Funktionen in ständischen, regionalen oder lokalen Vertretungskörperschaften übernommen. 125 Für die preußische Nationalversammlung, die ja gegenüber dem deutschen Parlament keine äquivalente territoriale Einheit repräsentierte, müßten ähnliche Untersuchungen angestellt und dabei der Frage nach den Wirkungen von Interesse, Sozialisation und Repräsentation nachgegangen werden. In unserem Zusammenhang wäre zu analysieren, ob Erfahrungen im Bereich kommunaler Administration und örtlicher Vertretungskörperschaften sich im Prozeß politisch-gesellschaftlicher Integration niederschlugen, ob sie sich auf Haltungen, Wertsetzungen und Verhaltensweisen der Mandatsträger auswirkten, insbesondere im Hinblick auf das Konfliktverhalten im Verhältnis zum monarchisch-bürokratischen Staat. Folgt man noch einmal Bests historisch-soziologischer Analytik, ist zumindest angezeigt, daß der Eintritt in institutionell definierte Entscheidungspositionen durch die Übernahme von politischen Ämtern und Mandaten auf verschiedenen Systemebenen oder die Übernahme eines hauptberuflichen und besoldeten Staatsamtes im Verlaufe der Karriere eines Abgeordneten eher "konservative" Verhaltensdispositionen förderte. Abgeordnete mit einem entsprechenden politischen Erfahrungshorizont waren im Rechts-Links-Schema demnach häufiger auf dem rechten Flügel plaziert. 126 Wenngleich in der Gesamtanalyse der Erklärungsbeitrag politischer Erfahrungen für das Verhalten der Nationalrepräsentanten nicht hoch einzustufen, die Wirkung der Berufsvariablen eher gering war und die politischen Orientierungen zudem noch durch einen regional fundierten Gegensatz zwischen groß- und kleindeutscher Zielperspektive überlagert wurde,127 scheint sich hier ein bemerkenswerter Zusammenhang mit den Verhaltensdispositionen der Kommunalbürokratie und der Gemeinderepräsentanten aufzutun. Die engere staatliche Bindung der Kommunalbeamten, insbesondere der Magistrate, erklärte sich aus ihrer obrigkeitlichen Stellung, ihrer Verpflichtung zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben in der Gemeinde. Dazu be125 126 127

A. a. 0., S. 188. Dazu die entwickelten Definitionen und Tabellen, S. 178 ff. A.a.O., S. 397 ff. A. a. 0., S. 406, 465 f. u. 470 f.

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durfte es nicht einmal, wie das Berliner Beispiel zeigt, der Übernahme der örtlichen Polizeifunktionen. Von dem Sog dieser Verknüpfung wurden auch die Gemeindevertreter erfaßt, zumal sich ihre Aufgaben nicht nur in Beschluß und Kontrolle erschöpften, sondern auch ausführende Funktionen einschlossen. Diese Positionierung mochte dafür verantwortlich sein, daß die Stadtverordneten in einer so wichtigen Situation, wie sie sich mit der Frage des Wahl verfahrens einstellte, nicht in der Lage waren, sich zum "Ballhausschwur" zusammenzufinden und bis zur Durchsetzung der eigenen Forderungen auszuharren. Die Gemeindevertretung befleißigte sich hingegen eines politischen Realismus, der die konstitutionelle Monarchie als das zeitgemäß mögliche erkannt haben wollte. Bei keinem anderen Stadtverordneten bzw. Kandidaten der Frankfurter Nationalrepräsentation wurde dieser Zwiespalt deutlicher als bei Karl Nauwerck. 128 Auf den Widerspruch zwischen seinem Bekenntnis zur Republik und seinem Eintreten für die Begründung der konstitutionellen Monarchie als Aufgabe der deutschen Nationalversammlung angesprochen, erklärte der Berliner Stadtverordnete: "Wenn er auch der Meinung sei, daß die Republik das Ideal der Regierungsform sei, so würde man doch immer keinem besonnen(en) Manne zutrauen, daß er unreife Producte vertheidigen werde. Er habe aus der Geschichte, aus der Gegenwart die Überzeugung gewonnen, daß Deutschland für eine Republik durchaus noch nicht reif sei; wäre das Gegentheil der Fall, wozu aber noch lange keine Aussicht vorhanden, so würde er dann für die Republik wirken. Man möge ja nicht glauben, daß es eine große Anzahl republikanisch Gesinnter in Preußen gebe; er glaube bestimmt, daß, wenn Preußen jetzt eine Republik würde, eine allgemeine Anarchie eintreten müßte. Er sehe das einzige wahre Heil in einer constitutionellen Monarchie, die sich so lange halten werde, als sie eine Wahrheit bleibt, als sie sich auf demokratischen Prinzipien bewegt, als kein Fürst seine eigene Freiheit mit der Freiheit seines Volkes erkaufen werde".129 Vor dem 18. März, gestand Nauwerck ein, hatte er einen Haß auf Deutschland 128 Grundsätzlich zur Kontroverse um die Staatsform als Moment einer gesellschaftlich-politischen Trennungslinie Langewiesche, Republik, konstitutionelle Monarchie und "Soziale Frage". Grundprobleme der deutschen Revolution von 1848/49, in: Die Deutsche Revolution von 1848/49, hrsg. von dems. (= Wege der Forschung, Bd. 164), Darmstadt 1983, S. 341-361, hier insbesondere S. 350 f. 129 Nach einem Bericht der Berliner Zeitungshalle. Zit. nach Wolff, RevolutionsChronik, Bd. 2, S. 430, ohne die im Text angeführten Hervorhebungen. Zur reformerischen Ausrichtung liberaler und demokratischer Politik vgl. Langewiesche, Europa, S. 168; ders., Republik, S. 359 f., und ihre Verantwortung für das Scheitern der Revolution ders., Revolution, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd. 21 (1981), S. 458-498; Bd. 31 (1991), S. 3364 ff. Schieder, Das Problem der Revolution im 19. Jahrhundert, in: Ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 2Darrn_ stadt 1970, S. 13 ff.

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gehabt, "weil es unwürdig dastand und seiner Bestimmung nicht entsprach", seit dieser Zeit war der Haß aber erloschen. Nauwerck urnriß mit dieser kurzen Bemerkung ein wesentliches Moment der Dramaturgie der Revolution. Dem vormärzlichen Preußen fehlte es längst an einer in sich abgeschlossenen Idee als leitendes Prinzip, in dem Altenstein die Triebkraft des Reformzeitalters verankert sehen wollte. Es fehlte, um mit Hardenberg zu sprechen, an jeder Fähigkeit, "den wahren Geist der Zeit zu erfassen",130 was um so schwerer wog, als der in die restaurative Nachreformära entlassene Staat mit der Hypothek des Verfassungsversprechens belastet war. Die Monarchie wußte die ihr nach der Julirevolution gewährte "Schonfrist"l3l nicht zu nutzen. Die früheren leitenden Ideen schienen sich, wie Wilhelm von Kügelgen diagnostizierte,132 in Auflösung zu befinden, das Bewußtsein einer innerlich erschütterten Ordnung war offensichtlich. In der Epoche des sich entfaltenden Industrialismus gewann ein neues Leitbild an Bedeutung, das der "bürgerlichen Gesellschaft",133 deren politische Form sich, nachdem die prinzipielle Unversöhnlichkeit zwischen Liberalismus und Demokratie, zwischen Bürgertum und Proletariat schon vor dem offenen Ausbruch der Revolution deutlich geworden war, unter dem Eindruck der überraschend schnellen Zugeständnisse der Krone in einem Komprorniß mit dem monarchisch-bürokratischen Staat Bahn brach und der von der Hoffnung auf die evolutionäre Reformfähigkeit des Staates lebte. Dieser Komprorniß gewann indessen keine integrative Kraft, das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, von Bürokratie und Bürgertum fand nicht mehr "zum Wohlklang des aufgeklärten Gemeinwesens" 134 zurück. So ließ sich vor allem die Politisierung der Öffentlichkeit nicht mehr rückgängig machen, staatliches Handeln erforderte zukünftig neue Formen der Legitimierung. 135 Politische Harmonie, soweit davon überhaupt gesprochen werden konnte, stellte sich nur noch im Negativen ein, in der Abgrenzung gegen 130 Hardenberg, Denkschrift, 12. September 1807, in: Winter: Reorganisation, S.305. 131 Rudolf Stadelmann, Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848, 2Darrnstadt 1962, S. 67. Vgl. auch Meinicke, 1848 - Eine Säkularbetrachtung, in: Deutsche Revolution, S. 41 ff. 132 Wilhelm von Kügelgen, Lebenserinnerunen des Alten Mannes in Briefen an seinen Bruder Gerhard, bearb. u. hrsg. von P. S. von Kügelgen/J. Wemer, Leipzig 1923, S. 118. 133 Langewiesche, Europa, S. 175. Ders. auch ausführlich zum europäischen Charakter der Revolution. 134 Stadelmann, Geschichte, S. 191. 135 Langewiesche, Europa, S. 172 f. Otto Vossler, Die Revolution von 1848 in Deutschland, 2Frankfurt/M. 1967, S. 151. Mit Blick auf die öffentliche Daseinsvorsorge Leibholz, Strukturprobleme, S. 304, sowie die Demokratisierung, die Konsti-

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das vom sozialistischen Ideal geprägten Proletariat, das die bürgerliche Gesellschaftsordnung und die individualistischen Freiheitswerte bedrohte. Wie vorschnell der Komprorniß gefaßt war und wie leichtfertig das Vertrauen auf eine evolutionäre Reformpolitik erschien, sollte das Stadtbürgertum schon bei der Gemeinderechtsnovellierung und der Oligarchisierung des Gemeindewahlrechts in einem Klassenwahlsystem bemerken. Gegen den Eingriff in die bürgerliche Gleichheit, obwohl sie weder prinzipiell noch definitiv im Städterecht der östlichen Provinzen durchgesetzt, sondern durch einen Zensus relativiert war, sollte vor allem der Linksliberalismus bis in die sechziger Jahre hinein opponieren, ehe auch er sich angesichts der politischen Implikationen eines demokratisierten Wahlrechts und der sich allmählich abzeichnenden politischen Verselbständigung der Arbeiterbewegung seiner oppositionellen Rolle entledigte und sich mit der Notwendigkeit eines starken Staates abfand, um das in der Gesellschaft vorhandene Unruhepotential in Schach zu halten. 136 Die Absage der Wahlrechtsdemonstration durch die liberale Öffentlichkeit Berlins und die politisch-taktische, wenn auch nicht prinzipielle Akzeptanz des vom Staatsministerium vorgesehenen indirekten Wahlverfahrens wird in der Forschung häufiger als "gravierendes politisches Ereignis" gesehen, daß innerhalb der demokratischen Bewegung "einen Prozeß der Desillusionierung,,137 in Gang setzte. Ob diesem Prozeß schonungsloser Ernüchterung realistische politische Alternativen vorausgegangen waren, die sich in eine handlungsorientierte politische Praxis umsetzen ließen, bedürfte der näheren Betrachtung. Die im wesentlichen im städtischen Proletariat sozial verankerten Demokraten 138 hatten keine hinreichende Basis im Berliner Stadtbürgertum. Wenn Teile der kommunalen Eliten mit den Demokraten und insbesondere ihrem Eintreten für die demokratische Republik sympathisierten, so war die Grenze zwischen gemäßigten Demokraten und Liberalen doch durchaus fließend. 139 Nauwercks Formel von der "constitutionellen Republik,,14o verdeutlichte das Bemühen zum politischen Komprorniß. Eine politische Nietuierung und Durchdringung des "politischen Massenmarktes" Rosenberg, Große Depression und Bismarckzeit 1873-1896, Berlin 1966, S. 121 ff. 136 Dazu insbesondere Sheehan, Liberalismus, S. 170 f., 173 f. u. 185 ff. 137 Hachtmann, Berlin 1848, S. 300. Ähnlich schon Schilfert, Wahlrecht, S. 78. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 139. 138 Hachtmann, Berlin 1848, S. 621 ff. u. 726 ff. 139 Beispielhaft Nadja Stulz-Herrnstadt, Franz Leo Benedict Waldeck. Parlamentarier in der Berliner konstituierenden Versammlung an der Grenze zwischen Liberalismus und Demokratie, in: Männer der Revolution, Bd. 2, S. 334 f. 140 Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 431. Vgl. aber Langewiesche, Republik, S. 358 f. Dort auch weitere Literatur. 34 Grzywatz

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derlage war das Nachgeben in der Wahlrechtsfrage indessen für beide Seiten, da die zu diesem Zeitpunkt noch wirksame Erschütterung des monarchisch-bürokratischen Staates nicht für die Durchsetzung der Reformvorstellungen genutzt wurde und sich allgemein durch die Kompromißbereitschaft die Fähigkeit zum politischen Konflikt gegenüber den tradierten Machtträgern und -gruppen minderte. 141

3. Der umstrittene politische Kompromiß mit der Monarchie und die Sicherung stadtbürgerlicher Herrschaft Die gemäßigte Haltung der neuen Stadtverordnetenmehrheit, die ihre Tätigkeit ausschließlich auf die Gemeindeangelegenheiten beschränkt wissen wollte, ließ sich unschwer an der Reaktion auf den noch am 25. Mai eingebrachten Antrag gegen den Verfassungsentwurf der Regierung ablesen, der in starker Anlehnung an die belgische Verfassung von 1831 von einem gemäßigten Konstitutionalismus ausging. Während die liberale Öffentlichkeit sich darüber empörte, daß der Entwurf an den Selbstverwaltungsproblemen völlig vorüberging,142 namentlich den bisherigen Verwaltungsunterbau mit den Kreis- und Provinzialständen nicht berührte 143 und zu allem Überfluß den alten Beamtenstaat fortbestehen ließ, indem Heer und Beamtenschaft als Hauptstützen des Königtums unangetastet blieben,l44 reagierte die Berliner Gemeindevertretung gegenüber dem Verlangen, die Nationalversammlung aufzufordern, den Entwurf "als ein durchaus reactionäres Machwerk" beiseite zu legen, da er dem Versprechen einer "Verfassung auf breitesten Grundlagen" widersprach, mit Ablehnung. 145 Selbst der jeglicher Radikalität unverdächtige Bürgerwehr-Club kritisierte die fehlende gesetzliche Anerkennung der Bürgerwehr als demokratischen Garant der Verfassung. 146 Rudolf Virchow faßte die liberal-demokratische Kritik in seiner Adresse an den demokratischen Zentral verein dahingehend zusammen, daß die Verfassung das Prinzip der Volkssouveränität und der allgemeinen politischen Gleichberechtigung wahren, das allgemeine Bewaffnungsrecht sichern, GaSiehe hierzu auch Best, Besitz und Bildung, S. 470. V gl. Verfassungs-Gesetz für den Preußischen Staat, Regierungsvorlage vom 20. Mai 1848, abgedruckt in: Gerhard Anschütz, Die Verfassungs-Urkunde für den Preußischen Staat. Vom 31. Januar 1850. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, Bd. 1, Berlin 1912, S. 608-614. 143 Utermann, Selbstverwaltung, S. 61. 144 Vgl. §§ 21 bis 23, VerfGRVorl, 20. Mai 1848. Anschütz, Verfassungs-Urkunde, S. 615 f. Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 3, S. 33. Friedrich Frahm, Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der preußischen Verfassung (vom März 1848 bis zum Januar 1850), in: FBPG, Bd. 41 (1928), S. 258 f. 145 Herrmann, Berliner Demokraten, S. 271. 146 A. a. 0., S. 269 f. 141

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3. Der umstrittene politische Komprorniß mit der Monarchie

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rantien für die sozialen Belange der Arbeiter, die Erziehung und Bildung der Mittellosen geben und jeden Versuch vermeiden sollte, über die Fortgeltung der nicht vom Verfassungswerk berührten Gesetze und Normen die überkommenen politischen Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. 147 Was sich in Berlin praktisch realisierte, daß die kommunalen Eliten ihre exklusive Machtposition in der Gemeinde behaupteten, kündigte sich auch in den Zielsetzungen des Staatsministeriums an. Entgegen der liberalen Kritik an der bürokratischen Form der geplanten Bezirksorganisation oder der zu engen Fassung des Gemeindewahlrechts l48 setzte das Staatsministerium, vornehmlich der das Wirtschaftsbürgertum verkörpernde David Hansemann, auf die Wahrung der bürgerlichen Vormacht in den Kommunen und damit auf ein eng begrenztes Gemeindewahlrecht. 149 Zu diesem Zeitpunkt war jedoch der linksliberale und demokratische Widerstand noch nicht gebrochen. Die von der Nationalversammlung eingesetzte Verfassungskommission, der als Vertreter Berlins der Revisionsrat Jonas, Julius Berends und Obertribunalsrat Waldeck angehörten, ISO legte am 26. Juli einen von radikalen und demokratischen Anschauungen geprägten Verfassungsentwurf l51 vor. Waldeck hatte als Vorsitzender der Verfassungskommission schon in seinem zweiten Wochenbericht am 15. Juni gefordert, "daß alle staatlichen sowohl wie Gemeindeeinrichtungen in Einklang gesetzt werden mit dem großen System, das mit der Revolution zur Geltung gekommen ist".152 Das bedeutete für die Demokraten zuallererst ein Verwaltungsaufbau "von unten" her, die Konstruierung der Gemeinden gehörte somit zu den wichtigsten verfassungspolitischen Aufgaben. Der Verfassungsentwurf überantwortete in seinem neunten Titel die Selbstverwaltung der Gemeinden, der Kreis- und Bezirksverbände gewählten Vertretern. Die Vorsteher der Bezirke sollten von der Staatsregierung ernannt, die der Kreise hingegen von den Gemeinden und die der Kommunen von den Gemeindemitgliedern gewählt werden. 153 Den Gemeinden wurde die "selbständige Verwaltung" ihrer Angelegenheiten überlassen, darüber hinaus die Ortspolizei zugesproA. a. 0., S. 271. Utennann, Selbstverwaltung, S. 89 ff. Vgl. auch Spenersche Zeitung, Ausgabe vom 1. Juli 1848. Vossische Zeitung, Ausgabe vom 30. Juni 1848. 149 Utennann, Selbstverwaltung, S. 91 f. 150 Hernnann, Berliner Demokraten, S. 213. Vgl. auch Johannes Seitz, Enstehung und Entwicklung der preußischen Verfassungsurkunde im Jahre 1848, Phil. Diss., Greifswald 1909, S. 73 ff. 151 KomEntwNatVers, abgedruckt in: Anschütz, Verfassungs-Urkunde, S. 614623. 152 Hernnann, Berliner Demokraten, S. 214. 153 Art. 102, Ziff. 1 u. 2, KomEntwNatVers. Anschütz, Verfassungs-Urkunde, S.622. 147 148

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

chen. Durch Gesetz sollten nur die Fälle bestimmt werden, in denen Beschlüsse der Gemeinden, Kreise und Bezirke einer höheren Vertretung oder der Staatsregierung unterworfen waren. 154 Den gesamten Staat, und damit auch den patrimonialen Osten, wollte man in Gemeinden, Kreise und, an den Provinzen vorbei, in Bezirke einteilen, was sicherlich die Begründung eines bürokratischen Bezirksregiments nach sich gezogen hätte. In der wichtigen Frage des kommunalen Wahlrechts folgte der Kommissionsentwurf zwar nicht der weitgehenden Lösung des Wahlgesetzes vom 8. April, aber er schuf ein allgemeines und gleiches Wahlrecht, das nur durch die nicht näher umschriebene Selbständigkeit, den einjährigen Wohnsitz und das Erfordernis, zu den Gemeindelasten beitragen zu müssen, eingeschränkt wurde. 155 Die Bedeutung der kommunalen Organisation für den Staatsaufbau suchte der Verfassungsentwurf dadurch herauszustellen, daß er den kommunalen Unterbau unmittelbar mit der zentralen politischen Willensbildung in Verbindung brachte. Die Mitglieder der Ersten Kammer sollten nämlich durch die Bezirks- und Gemeindevertreter gewählt werden. 156 Die Wählbarkeit war gleich und allgemein, mithin durch keinerlei Vorrechte der Geburt oder des Besitzes eingeschränkt. 157 Die Erste Kammer wäre auf diese Weise eine Art "Spitzenorganisation der Kreis- und Bezirksvertretungen,,158 geworden. Da der Entwurf der Verfassungskommission die Machtstellung des Monarchen zu Gunsten des Parlaments erheblich einschränkte, warteten Hof und Krone auf eine Situation, in der sich die Nationalversammlung "noch mehr und in solchen Fragen ins Unrecht" setzte, und das Recht des Monarchen, sich "mit Gewalt zu wehren, nicht nur für [ihn], sondern allgemein einleuchtend" war. 159 Sobald die Nationalversammlung ihre eigene Legitimität in Frage gestellt hatte, schien diesem politischen Kalkül zufolge der Zeitpunkt gekommen, die Monarchie gegen die "Tendenzen der Nationalversammlung" zu stärken. 160 Die äußere Wahrung des "Rechtsbodens" dürfte dabei, Art. 102, Ziff. 1 u. Ziff. 2, Abs. 1, KomEntwNatVers. Ebd. Art. 102, Ziff. 4, KomEntwNatVers, Ebd. Vgl. auch Utermann, Selbstverwaltung, S. 94. 156 Art. 64, Tit. 5, KomEntwNatVers. Anschütz, Verfassungs-Urkunde, S. 619. 157 Art. 66, Tit. 5, KomEntwNatVers. Ebd. 158 Frahm, Entwicklungsgeschichte, S. 262. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 731. 159 OUo Fürst von Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, Frankfurt/M.-Berlin 1990, S. 50. 160 Die Frage nach dem Ursprung des Oktroyierungsgedankens, dem Anteil des Monarchen bzw. der Hofkamarilla am Staatsstreichprogramm ist in diesem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung. Siehe Grünthai, Zwischen König, Kabinett und Kamarilla: Der Verfassungsoktroi in Preußen vom 5. Dezember 1848, in: JGMO, Bd. 32 (1983), S. 134 ff. 154 155

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so die weitergehende Erwägung, geeignet sein, die an sich schon zum Komprorniß bereiten gemäßigten Kräfte für die Regierungspolitik zu gewinnen. Ohne Zweifel wurde im Sommer 1848 das Bedürfnis nach der Rückkehr geordneter Verhältnisse, vor allem eines geregelten Wirtschaftsverkehrs, der auch zur Entlastung des städtischen Haushalts beitrug, sowohl im Berliner Stadtbürgertum als auch in den Kommunalkörperschaften unübersehbar. "Die Stadt befindet sich in einem unbehaglichen, Handel und Verkehr lähmenden, einer vollkommenen Verarmung entgegenführenden Zustand", urteilte Bürgermeister Naunyn Mitte September. "Man wähnt sich unsicher und gesetzlos. Verletzungen der Person und des Eigentums, Schmähung und Beschimpfung kommen täglich vor, ohne Bestrafung, weil die Frechheit alles gestattet. Kein Wunder, daß jeder, der sich freimachen kann, den Ort verläßt. Die wohlhabenden Einwohner verschwinden, die Armen und die sogenannten Arbeiter bleiben zurück. Arbeit oder Unterstützung werden in einer Weise gefordert, die auf gesicherte Zustände nicht schließen lassen. Erreichen sie nicht, was sie wollen, so gibt es Exzesse, jeder Mensch kennt die Aufhetzer, nur die Polizei will sie nicht kennen. In der Stadt ist es in letzter Zeit mit Hilfe der Bürgerwehr, Landwehr und Linie möglich gewesen, die Ordnung zu erhalten", stellte Naunyn sichtlich mit Erleichterung fest, "aber von den Arbeitsplätzen außerhalb", so seine anhaltende Befürchtung, "droht die größte Gefahr, weil die Aufwiegler die Revolution predigen".161 Auch Innenminister von Kühlwetter resümierte in der zweiten Augusthälfte, nachdem es im Berliner Vorort Charlottenburg zu einer Mißhandlung von prominenten Demokraten gekommen war und sich der anschließende hauptstädtische Protest nach einer Gegendemonstration in Steinwürfen gegen den Amtssitz des lustizministers und Ministerpräsidenten entlud,162 es ließe sich nicht verhehlen, "daß solche Zustände nicht länger bleiben dürfen, und daß etwas geschehen muß, um andere Verhältnisse herbeizuführen".163 Diese Meinung teilten die städtischen Körperschaften Berlins uneingeschränkt. Der Magistrat, aber auch die Stadtverordneten drängten aus diesem Grund die Preußische Nationalversammlung, die Arbeit an der neuen Verfassung zu beschleunigen. Wo die Beruhigung des ganzen Landes auf dem Spiel stand, hatte die Nationalversammlung nach Auffassung der städtischen Körperschaften keine Berechtigung, sich in fruchtlosen Debatten zu verlieren. Zit. n. Wolff, Revolutions-Chronik, Bd. 2, S. 223. Dazu Gundiaeh, Geschichte, Bd. 1, S. 306 f. Hachtmann, Berlin 1848, S. 691 ff. Allgemein zum Verhältnis des hauptstädtischen Umlands zur Berliner Revolution Manfred Gailus, Straße und Brot. Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer Berücksichtigung Preußens, 1847-1849, Göttingen 1990, S. 454 ff. 163 Bericht von Kühlwetter, 22. August 1848, in: Herrrnann, Berliner Demokraten, S. 429. 161

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Gleichwohl ging die Kritik der Kommunalbehörden an der verfassungsgebenden Versammlung nicht soweit, daß man ihr die Unterstützung gegen Unterdrückungsmaßnahmen des Staatsministeriums aufzukündigen drohte. Vor allem die Stadtverordneten wandten sich gegen die vom Ministerium Brandenburg angeordnete örtliche Verlegung der Nationalversammlung. Gleichzeitig schloß sich die Gemeindevertretung einem Antrag von Gneist an, der die Ablösung des Ministeriums Brandenburg und seine Ersetzung durch eine Regierung forderte, welche durch die Mehrheit der Nationalversammlung gestützt wurde. l64 Diesem Verlangen wollte sich der Magistrat zwar nicht anschließen, da er sich in einer Situation, in der von "einer Gefährdung der verheißenen Freiheiten" nicht gesprochen werden konnte, eher in einer vermittelnden Stellung sah, aber er unterstützte die Forderung nach Aufhebung der Verlegungsordre. 165 In dieser Haltung wurde die kommunale Exekutive durch die Stellungnahme des Präsidiums der Nationalversammlung bestärkt, das allgemein empfahl, nur "versöhnende Schritte" gegenüber dem Monarchen zu unternehmen. 166 Lediglich eine Minderheit im Magistrat wollte sich dem "Reaktionsprogramm" der Monarchie nicht ohne Widerstand unterwerfen: Die unbesoldeten Stadträte Falkenberg und Runge traten am 12. November von ihren Ämtern zurück. Am gleichen Tag richtete der Magistrat einen Aufruf an die Stadtbevölkerung, in dem er zu "ernster Besonnenheit und Mäßigung aufforderte".167 Auf die Anordnung über die Auflösung der Berliner Bürgerwehr reagierte die Gemeindevertretung mit einem Gesuch um Rücknahme oder wenigstens um Verschiebung der Verfügung. Das Handeln der Stadtverordneten war offenkundig durch die Furcht vor gewaltsamen Auseinandersetzungen beeinflUßt. 168 Im gleichen Augenblick, in dem man vom Staatsministerium die Aussetzung der Entwaffnung und Auflösung der Bürgerwehr verlangte, wurden die Einwohner Berlins aufgerufen, jeden aktiven Widerstand aufzugeben, und der mit der Entwaffnung beauftragte General Wrangel gebeten, eine reibungslose, d.h. ohne jedes Blutvergießen ablaufende Durchführung der Ordre sicherzustellen. 169 Die Kommunalkörperschaften erwiesen sich 164 Protokoll der Stadtverordneten-Versammlung, 10. November 1848. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 128. Veröffentlichung der Stadtverordnetenadresse in der Tagespresse. Abdruck bei übermann, Flugblätter, S. 334. 165 LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2435, BI. 135 ff. 166 Spenersche Zeitung, Ausgabe vom 12. November 1848. Streckfuß, Das freie Preußen. Geschichte des Berliner Freiheitskampfes vom 18. März 1848 und seine Folgen, Bd. 2, Berlin 1849, S. 606. 167 Wortlaut in der Tagespresse vom 14. November. Zum Rücktritt der Stadträte siehe die Protokolle der Stadtverordnetensitzungen vom 12. bis 14. November. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 128. Dazu auch die Tagespresse vom 13. November und den folgenden Tagen. 168 Gneist, Berliner Zustände, S. 71.

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einmal mehr als reaktive politische Kraft, deren Aufgabe in der unmittelbaren Entschärfung einer Konfliktsituation lag. Da man beharrlich am Legalitätsprinzip festhielt, selbst wenn die äußeren Umstände dagegen sprachen, verblieb den Gemeindebehörden in ihrer vermittelnden Funktion nur die Rolle einer Ordnungsrnacht, die sich zwangsläufig zum Verfechter staatlicher Politik machte. 170 Das galt in erster Linie für die kommunale Exekutive. Das im Stadtbürgertum verbreitete Bedürfnis nach Ordnung, nach Aufhebung des verfassungspolitischen Provisoriums führte jedoch zu einer langsamen Annäherung zwischen Magistrat und Stadtverordneten-Versammlung, die stärker als die Kommunalbürokratie in die politischen Auseinandersetzungen eingebunden war. Der letzte entscheidende Wendepunkt wurde durch den Steuerverweigerungsbeschluß der Nationalversammlung Mitte November markiert. Indem die Abgeordneten der Staatsregierung das Recht auf Steuererhebung verweigerten, solange sie nicht ihre Beratungen ungestört in Berlin fortsetzen konnten, wollten sie das Ministerium Brandenburg den Wünschen der parlamentarischen Opposition gefügig machen. l7l Die Steuerverweigerung stellte aber den Staat insgesamt in Frage. Mit diesem äußersten Mittel des passiven Widerstands forderte die Majorität der Nationalversammlung nicht nur die konservativen Machteliten des Staates heraus, sondern stellte auch die gemäßigten Reformkräfte vor die Entscheidung. Hatte das Reaktionsprogramm noch ein Bündnis von Liberalismus und Demokratie herstellen können, so aktualisierte die Steuerverweigerung, auch wenn sie nur gegen das Ministerium Brandenburg gerichtet war, die Ängste vor dem sozialen Umsturz und der Errichtung der Republik. l72 Auf diese Weise wurde eine politische Polarisierung in Gang gesetzt, mit der das Bündnis der Gemäßigten auseinanderbrach. Noch bevor die Abgeordneten des preußischen Rumpfparlaments auf ihrer letzten Sitzung die Steuerverweigerung förmlich beschlossen hatten, sprachen sich die Berliner Stadtverordneten auf Antrag Gneists gegen eine solche Maßregel aus. Der dem rechten Zentrum angehörende Stadtrat Duncker erhob gegenüber dem Präsidenten der Nationalversammlung, 169 Protokoll der Stadtverordnetensitzung, 14. November 1848. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 128. 170 Ähnlich zur Rolle der politischen Kommunaleliten, wenn auch vor einem anderen verfassungsrechtlichen Hintergrund, Böhme, Frankfurt und Hamburg, S. 215 ff. 171 Vgl. Huber, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3Stuttgart 1978, S. 478. 172 Grünthal, Kabinett und Kamarilla, S. 171 f. Hans Wegge, Die Stellung der Öffentlichkeit zur oktroyierten Verfassung und die preußische Parteibildung 1848/49 (= Historische Studien, H. 215), Berlin 1932, S. 22 ff.

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seinem Fraktionskollegen von Unruh, schwere Vorwürfe, da dieser den Verweigerungsbeschluß nicht verhindert haue. 173 Deutlicher wurde der Berliner Magistrat in einem öffentlichen Aufruf. Er verurteilte den Beschluß der Nationalversammlung als Kompetenzüberschreitung und Aufruf zur Anarchie. Die städtische Obrigkeit wechselte nun offen zum Regierungslager über. Anstatt "die durch die Erschütterung der obersten Staats-Gewalt wankend gewordene gesetzliche Ordnung zu stärken", warf der Magistrat der Nationalversammlung vor, hatte sie zur Steigerung der "Unordnung" beigetragen. Die Preisgabe der Versammlung und der Regierung an den Einfluß und "Terrorismus" der Demokraten und proletarischen Massen verpflichtete ebenso den Monarchen wie die Staatsregierung, "das Vaterland zu retten".174 Der Magistrat bekannte sich zwar weiterhin zur konstitutionellen Monarchie, aber es war deutlich, daß er der Nationalversammlung weder wohlwollend noch unterstützend gegenüberstand. Mochte Rudolf Gneist vor dem Prinzen von Preußen noch auseinandersetzen, daß die Preußische Nationalversammlung zum Widerstand gegen die Anordnungen des Ministeriums berechtigt wäre, da sie als konstituierende Versammlung einen der Krone gleichberechtigten Faktor darstellte, mit der Verurteilung des Steuerverweigerungsbeschlusses war einerseits die Nationalversammlung weiter in die Isolation geraten, andererseits lag seine kommunalpolitische Wirkung in einer beschleunigten Annäherung von Magistrat und Gemeindevertretung. Die oktroyierte Verfassung 175 wurde, nachdem die parlamentarische Linke zunächst verhindert hatte, die Beschlußfähigkeit der Nationalversammlung herzustellen und anschließend der Monarch einer linken Majorität mit der Auflösungsordre zuvorgekommen war,176 von den Berliner Bürgerschaftsvertretern schon als Ergebnis einer gescheiterten Vereinbarung anerkannt. Das Prinzip der Vereinbarung mit den Volksvertretern konnte gewahrt bleiben, so die im Gegensatz zur Nationalversammlung l77 vertretene Auffassung der Stadtverordnetenmajorität, wenn die neue Verfassung, wie vorgesehen,178 nach dem ersten Zusammentritt der Kammern im Wege 173 Viktor von Unruh, Erinnerungen aus dem Leben von Hans Viktor von Unruh, hrsg. von H. von Poschinger, Berlin 1895, S. 110. 174 Aufruf des Magistrats, 21. November 1848. Abgedruckt in: Vossische Zeitung, Ausgabe vom 22. November 1848. Vgl. Streckfuß, Freies Preußen, Bd. 2, S. 773 ff. 175 OPrVerfUrk, 5. Dezember 1848. GS 1848, S. 375-391. 176 Wegge, Parteibildung, S. 41 ff. Valentin, Revolution, Bd. 2, S. 288 f. GrünthaI, Parlamentarismus, S. 29 ff. Schwentker, Konservative Vereine, S. 234 ff. Paschen, Demokratische Vereine, S. 114 ff. Zur verfassungspolitischen und staatsrechtlichen Bedeutung des Verfassungsoktrois Huber, Verfassungs geschichte, Bd. 2, S. 763 ff. 177 Wegge, Parteibildung, S. 60.

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der Gesetzgebung einer Revision unterzogen wurde. 179 Die gemäßigte Stellungnahme der Berliner Gemeindevertretung war allerdings nur mit einer knappen Mehrheit von 47 zu 44 Stimmen angenommen worden. Der unterlegene Teil der Stadtverordneten weigerte sich unter dem maßgeblichen Einfluß von Gneist, die Rechtsgültigkeit der oktroyierten Verfassung anzuerkennen. Man hielt am Vereinbarungsprinzip fest und war nicht bereit, sich auf den Boden des vorgesehenen Revisionsverfahrens zu stellen. Wenn überhaupt, sollte die oktroyierte Verfassung nur unter dem Vorbehalt einer nachträglichen Ungültigkeitserklärung einzelner Artikel erfolgen. 18o Mit anderen Worten: Man wollte letztlich die Verfassungsfrage auf den Stand vor dem 9. November zurückführen. Die Vorbehalte gegen den einseitigen Souveränitätsakt der Krone waren auch in der liberalen Öffentlichkeit der Hauptstadt nicht zu übersehen. Der Staatsregierung wurde vorgeworfen, den Rechtsboden verlassen und nicht alle Möglichkeiten einer Vereinbarung ausgeschöpft zu haben. 181 Dem linksliberalen Lager bedeutete der Erlaß der wichtigsten Grundgesetze aus "alleiniger Machtvollkommenheit" der Krone ein Rückfall in die absolute Monarchie. 182 Die bis in das gemäßigt liberale Bürgertum hinein reichende Kritik an der Oktroyierung l83 kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine allgemeine Erleichterung über das Ende des provisorischen verfassungspolitischen Zustands zu bemerken war. Diese Haltung wurde durch den Umstand gestützt, daß die Verfassung "durch ihren Freisinn alle Parteien überraschte".184 Das traf insbesondere für das vorgesehene WahlVgl. Einleitung u. Art. 112, üPrVerfUrk, 1848. A.a.ü., S. 375 u. 391. Die vom Landgerichtsrat Ulfert abgefaßte Adresse der Stadtverordneten zur oktroyierten Verfassung, abgedruckt in: Vossische Zeitung, Ausgabe vom 15. Dezember 1848. 180 Gneist, Berliner Zustände, S. 106 ff. Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 718. Clauswitz, Städteordnung, S. 227 f. Wegge Parteibildung, S. 75 f. 181 Spenersche Zeitung, Ausgabe vom 8. Dezember 1848. 182 National-Zeitung, Ausgabe vom 7. Dezember 1848. Siehe auch die Erklärung des Bezirks-Central-Vereins vom 16. Dezember, in: übermann, Flugblätter, S. 361 ff. 183 Grünthai, Parlamentarismus, S. 32 ff. Wegge, Parteibildung, S. 45 ff. Schwentker, Konservative Vereine, S. 237 ff. Paschen, Demokratische Vereine, S. 120. Kritisch dagegen Hachtmann, Berlin 1848, S. 788 f., unter Berücksichtigung von Seyppel, Demokratische Gesellschaft, S. 251 f. Hachtmann versucht mit Hinweis auf die nicht repräsentativen Quellengrundlagen und die Überschätzung regierungsamtlicher Berichte die Wertungen von Wegge, Schwentker und Paschen zu relativieren, ohne daß er selbst zu einem, auf größere empirische Substanz beruhenden Urteil kommt. Zudem geht Hachtmann gar nicht auf die schon bei Wegge berücksichtigten differenzierenden politischen Reaktionen der Öffentlichkeit ein. 184 Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 718. Spenersche Zeitung, Ausgabe vom 8. Dezember 1848. 178

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recht zu. Es war allgemein, gleich und nur durch die Vorbehalte des Lebensalters, des Besitzes der bürgerlichen Ehrenrechte, der Selbständigkeit und der Armenunterstützungsklausel eingeschränkt. Die Kritik des liberalen Besitzbürgertums sollte sich rasch an diesem Punkt entzünden. Politisch mußte man sich jedoch, wie die National-Zeitung schrieb, "der Macht der vollendeten Tatsachen" unterwerfen und "auf dem Boden des Bestehenden" weiterstreben. 185 Linksliberale und Demokraten wollten sich nicht mit Protesten gegen die Oktroyierung aufhalten, da hierfür, wie auch Gneist erkannte, keine politische Basis vorhanden war. Die Verfassung sollte als "Grundlage neuer Verhandlungen" anerkannt werden, um im Wege der Vereinbarung schließlich zu einem Staats grundgesetz zu kommen,186 das die abgelehnten Artikel 105, 108 und 110, mithin das Notverordnungsrecht der Regierung, die Einschränkung des Steuerbewilligungsrechts der Kammern und das Recht der Regierung, im Kriegs- oder Aufruhrfall bestimmte Grundrechte zu suspendieren, nicht mehr enthielt. Diese Zielsetzung forderte zu Aufklärungskampagnen über die Mängel der oktroyierten Verfassung auf. Zugleich waren Linksliberale und Demokraten bemüht, bei den bevorstehenden Kammerwahlen für eine linke Mehrheit zu sorgen. Die Wahlen erfolgten nach einem unterschiedlichen Wahlrecht. Dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht zur Zweiten Kammer stand ein Zensuswahlrecht zur Ersten Kammer gegenüber. Zukünftig sollten, wie der Art. 63 der oktroyierten Verfassung vorsah, die 180 Mitglieder der ersten Kammer durch die Provinzial-, Bezirks- und Kreisvertretungen gewählt werden. Da ihre Einrichtung jedoch noch ausstand, wurde durch ein provisorisches Wahlgesetz l87 festgelegt, daß das aktive Wahlrecht jedem Preußen mit vollendetem 30. Lebensjahr zustand, soweit er mindestens 8 Taler Klassensteuer im Jahr zahlte, Grundbesitz im Wert von 5000 Talern besaß oder über ein jährliches Einkommen von über 500 Talern verfügte. Diese Einschränkung der politischen Gleichberechtigung wurde von der linksliberalen und demokratischen Opposition ebenso bekämpft wie die Selbständigkeitsklausel des aktiven Wahlrechts zur Zweiten Kammer, die man mißtrauisch als Instrument zur Einschränkung des allgemeinen Wahlrechts betrachtete. Und in der Tat war es die Absicht des liberalen Besitzbürgertums, wie der Entwurf Hansemanns zur Definition der Selbständigkeit zeigte, die demokratisierende Tendenz der Verfassung durch eine restriktive, d.h. durch eine an Grundbesitz und Einkommen gebundene Auslegung der Selbständigkeit National-Zeitung, Ausgabe vom 7. Dezember 1848. Wegge, Parteibildung, S. 67 ff. 187 Interimistisches Wahlgesetz für die Erste Kammer, 6. Dezember 1848. GS 1848, S. 395. Auszugsweiser Wiederabdruck bei Huber, Dokumente, Bd. 1, S. 495. 185

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zu relativieren, insbesondere aber die unteren Bevölkerungsschichten von der politischen Partizipation auszuschließen. I88 Wenn die liberale Deutsche Reform fragte, ob es möglich sein würde, mit der oktroyierten Verfassung zukünftig zu regieren, "ob diese Kammern die genügende Garantie für die Zukunft der konstitutionellen Monarchie"189 boten, so deutete sie unmißverständlich an, daß sie eine Beschränkung des Wahlrechts durch einen Zensus für notwendig hielt. In der Berliner Öffentlichkeit stieß die Bevorrechtung der besitzenden Klassen hingegen auf entschiedenen Widerstand. Gneist charakterisierte die Abgeordneten der Ersten Kammer abschätzig als "Fünfhundertthaler Pairs".190 Doch auch in der Landeshauptstadt zeigte sich, daß die Liberalen mit Wahlrechtseinschränkungen sympathisierten, sich aus taktischen Rücksichten indessen mit Revisionswünschen zurückhielten. Die Spenersche Zeitung verwarf beispielsweise den Zensus prinzipiell, da Besitz und Einkommen nur einen sehr unvollkommenen Maßstab der politischen Befähigung abgaben, gleichzeitig gestand das Blatt jedoch ein, der Zensus könnte unter Umständen ein nicht zu vermeidendes Übel sein. l9l Die oppositionellen Linksliberalen und Demokraten der Nationalversammlung schlossen in der ersten Dezemberhälfte ein Wahlbündnis, das seinen organisatorischen Ausdruck in dem "Central-Comite für volksthümliche Wahlen im Preußischen Staate" fand und prominente Oppositionelle der Landeshauptstadt wie Julius Waldeck, Sigismund Stern, Virchow oder Runge zu seinen Mitgliedern zählte. Ungeachtet der politischen Differenzen wollte man eine Stimmenzersplitterung der Opposition verhindern, ihre Kräfte bündeln und durch die Bildung von regionalen wie lokalen Wahlkomitees im Vorfeld der Urwähierversammlungen für die Durchsetzung solcher Kandidaten sorgen, welche das Verfassungsoktroi als ungesetzlichen Akt des Ministeriums Brandenburg verurteilten und sich für das unterbrochene Werk der Vereinbarung mit dem Monarchen einzusetzen bereit waren. 192 Konservative und Rechtsliberale antworteten unter Mitwirkung der Berliner Vereine mit dem Zusammenschluß im "Constitutionellen Central-Wahl188 Wegge, Parteibildung, S. 71 f. u. 85 f. Frahm, Entwicklungsgeschichte, S. 289. ütto Freiherr von Manteuffel, Unter Friedrich Wilhelm IV. Denkwürdigkeiten des Ministers ütto Freiherr von Manteuffel, hrsg. von H. von Poschinger, Bd. I, Berlin 1900, S. 67 ff. 189 Deutsche Reform, Ausgabe vom 6. Dezember 1848. 190 Gneist, Berliner Zustände, S. 138. 191 Spenersche Zeitung, Ausgabe vom 29. Dezember 1848. 192 Vgl. Paschen, Demokratische Vereine, S. 124 f. Wahl aufrufe des Komitees und -programme einzelner liberaldemokratischer Wahlmänner in Auszügen bzw. als Reprint bei übermann, Flugblätter, S. 371 ff.

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comite", das die "verschiedenen Nuancen der monarchisch-constitutionellen Partei" mit dem Ziel vereinigen sollte, diejenigen politischen Kräfte zu bekämpfen, welche die konstitutionelle Monarchie nur als Durchgangsstadium auf dem Weg zur Republik betrachteten. 193 In Berlin fand die "konservativliberale Einheitsfront,,194 auch unter den Handwerkern Einfluß. In Gesprächen mit Vertretern der Handwerkervereine war deutlich geworden, daß das Handwerk die Verfassung wegen ihres Mangels an einer verbindlichen Grundlage für die Konstituierung einer zukünftigen Gewerbeordnung kritisierte. Vom liberaldemokratischen Wahlbündnis erwarteten die Handwerker keine Unterstützung ihrer Interessen, insbesondere nicht im Hinblick auf ihr Verlangen nach der "Assoziation im Handwerkerstand" und der Beschränkung der "unbedingten Gewerbefreiheit".195 Die politische Polarisierung und die engagierte Mobilisierung auf Seiten bei der Wahlbündnisse löste einen bewegten Wahlkampf aus, der entgegen allen Erwartungen nicht mit einem Wahlsieg der vereinigten Linken endete. Die liberal-demokratische Allianz verfehlte landesweit knapp die absolute Mehrheit der Stimmen. l96 Obwohl das tatsächliche Kräfteverhältnis in der Zweiten Kammer noch nicht abzusehen war, konnte auf konservativer Seite zu Recht angenommen werden, daß die "revolutionäre Bewegung" durch die Wahlen gestoppt worden war. 197 Da das Zensuswahlrecht zur Ersten Kammer für eine starke, durch Großgrundbesitz, Bourgeoisie und höherer Verwaltungsbürokratie dominierte liberal-konservative Mehrheit sorgte, stand der Anerkennung der oktroyierten Verfassung nur noch die knappen Mehrheitsverhältnisse in der Zweiten Kammer im Wege, die indessen durch die geschickte parlamentarische Taktik Georg von Vinckes überwunden wurde. Im März erkannten die Kammern die Verfassung "als das zu Recht bestehende Staatsgrundgesetz" 198 an. In Berlin hatte es im Unterschied zu den landesweiten Wahlergebnissen einen überwältigenden Wahlsieg des linken Bündnisses gegeben. Es waren nur die Kandidaten der Liberaldemokraten und des linken Zentrums in die Zweite Kammer gewählt worden. 199 Trotz der massiven Wahlhilfe für das Schwentker, Konservative Vereine, S. 250 ff.; Zitat, S. 251. Wegge, Parteibildung, S. 78. 195 Schwentker, Konservative Vereine, S. 252 f. 196 Zu den Wahlergebnissen vgl. Paschen, Demokratische Vereine, S. 126 f. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 607 f. 197 Victor Aime Huber, Die conservativen Unterscheidungslehren und die Wahlen, in: Neue Preußische Zeitung, Nr. 46, Ausgabe vom 24. Februar 1849, Beilage. 198 So die Formulierung des von der Ersten Kammer angenommenen Antrags. StBEK, 1848/49, S. 92. 199 Neben den bereits in die verfassungsgebende Versammlung gewählten Berends, Jacoby und Waldeck gewannen G. Jung, 1. D. H. Temme, August Heinrich Simon, Adolf Philipps, Robert Reuter, F. Ziegler u. J. K. Rodbertus, der Begründer 193

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liberal-konservative Bündnis seitens der Staats- und Gemeindebürokratie2°O war die Wahl, wie die Vossische Zeitung anmerkte, "so radikal demokratisch,,201 ausgefallen. Der Wahlsieg der Linken konnte nicht ausschließlich als ein durch die Initiativen des liberaldemokratischen Bündnisses ausgelöster politischer Erfolg gewertet werden, da die Stimmabgabe nicht unwesentlich durch das Protestverhalten der städtischen Unterschichten beeinflußt war, die sich bei der geforderten Lösung der sozialen Probleme durch die preußische Innenpolitik im Stich gelassen sahen. Die ,,Protestwahl,,202 ließ sich daher nicht als Spiegelbild der politischen Stimmung im Stadtbürgertum bewerten. Hier herrschte ohne Zweifel das Bedürfnis nach der Rückkehr geordneter Verhältnisse vor. Die polarisierende Atmosphäre des Landtagswahlkampfs wirkte unterdessen nach und beeinflußte auch die anstehenden Stadtverordnetenwahlen, deren Bedeutung jedoch hinter der Vorjahreswahl zurücktrat, da es sich nur um Ergänzungswahlen handelte. In der Stadtverordneten-Versammlung hatte es vor der Wahl eine Auseinandersetzung über die auszulosenden Wahlbezirke gegeben, in denen die Ergänzungswahlen stattfinden sollten. Der Stadtverordnete Heymann beantragte, ungeachtet der Neuwahl von 1848 an den früheren Turnus der Bezirke anzuknüpfen. Nach seiner Auffassung war der Rücktritt der Gemeindevertretung und die anschließende Neuwahl nur aus politischen Rücksichten erfolgt. Da im Grunde genommen "nur die Personen geändert" worden waren, sollte das Recht der betroffenen Bezirke berücksichtigt werden. 203 Der Vorschlag des Stadtverordneten Schiementz, das Problem mit einer weiteren Neuwahl der Gemeindevertretung zu beheben, wurde von den Stadtverordneten schnell beiseite geschoben, während man das Anknüpfen an "vormärzliche Verhältnisse" als einen erneuten Verstoß gegen das bestehende Kommunalrecht ablehnte. Landgerichtsrat Ulfert faßte die Ansicht der Majorität dahingehend zusammen, daß die Gemeinderepräsentation mit der Wahl von 1848 eigentlich den Rechtsboden verlassen hatte. Dieser Schritt war jedoch von der Wählerschaft anerkannt worden. Eine Wiedergewinnung des Rechtsbodens ließ sich nur durch die Akzeptanz der mit der Neuwahl verbundenen kommunalrechtlichen Folgen erreichen. "Ein anderes Mittel", resümierte Ulfert, "aus der Revolution herauszukommen, weiß ich nicht". Die Gemeindevertretung verund Vorsitzende des linken Zentrums, Abgeordnetenmandate in der Landeshauptstadt. 200 Vgl. Hachtmann, Berlin 1848, S. 794 f. 201 Vossiche Zeitung, Ausgabe vom 6. Februar 1849. 202 Hachtmann, Berlin 1848, S. 795. Vgl. auch Paschen, Demokratische Vereine, S. 128. 203 Protokoll der Stadtverordnetensitzung, 24. April 1849. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 212. Auch zum folgenden.

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warf den Antrag Heymanns und nahm die Auslosung der für die Ergänzungswahl fälligen Bezirke auf der Grundlage der durch die Wahl von 1848 geschaffenen Verhältnisse vor. Unter dem Einfluß des aufrecht erhaltenen Belagerungszustands, der repressiven Maßnahmen gegen die demokratischen Vereine 204 und Presseorgane, der mit Zustimmung der Kommunalkörperschaften ausgesetzten Reorganisation der Bürgerwehr, der in einem weiteren Staatsstreich erzwungenen Auflösung der Zweiten Kammer,20s die sich durch die prinzipielle Anerkennung der Reichsverfassung und ihre verfassungspolitische Kritik an der Fortsetzung des Belagerungszustands in einen scharfen Gegensatz zum Staatsministerium gebracht hatte, waren bei der Ergänzungswahl alle Vorteile auf Seiten des politischen Konservativismus. Im März hatte er sich mit der Gründung des "Treubundes für König und Vaterland" eine Massenorganisation geschaffen, die auch in der Landeshauptstadt bis in die fünfziger hinein politisch wie organisatorisch auf breiterer Basis Fuß fassen konnte?06 Vor den für die zweite lunihälfte angesetzten Wahlen forderten die Vorsitzenden der konservativ-konstitutionellen Kreisvereine ihre Mitglieder auf, in den Bezirken das konservative Wählerpotential zu mobilisieren. Gleichzeitig sollte für die Wahl von Kandidaten geworben werden, die "als die wahren und vertrauenswerten Vertreter des Kerns der Berliner Bürgerschaft" erachtet werden konnten. Vor allem wollte man die Wahl von Angehörigen der "konservativen Partei" durchsetzen. 207 Die Vossische Zeitung berichtete, daß zur Stadtverordnetenwahl "in der Stille von beiden politischen Extremen große Anstrengungen gemacht,,208 wurden. Die Wahlentscheidung fiel schließlich zu Gunsten der Konservativen aus. Von den 34 zu vergebenden Mandaten konnten sie 18 erringen, 12 Stadtverordnetenmandate entfielen auf Kandidaten der Demokraten, während vier weitere Gewählte politisch nicht eindeutig festzulegen waren. 209 Wiedergewählt wurden lediglich 11 Stadtverordnete, von den 23 Neugewählten kamen auffallend viele Kandidaten aus dem gewerblichen Mittelstand: Nicht weniger als 20 Gemeindevertreter gehörten kaufmännischen oder gehobenen Handwerksberufen an. 2lO Das konstitutionelle Stadtbürgertum konnte demnach mit dem Ergebnis der Ergänzungswahl zufrieden sein. Die Freude über das gute Abschneiden wurde indessen durch die Tatsache Hachtmann, Berlin 1848, S. 833 ff. Botzenhart, Parlamentarismus, S. 621 ff. 206 Vgl. dazu Schwentker, Konservative Vereine, S. 281 ff. Hubertus Fischer, Der "Treubund für König und Vaterland", in: JGMO, Bd. 24 (1975), S. 60 ff. 207 Spenersche Zeitung, Nr. 144, Ausgabe vom 23. Juni 1849. 208 Vossische Zeitung, Nr. 147, Ausgabe vom 27. Juni 1849. 209 Vossische Zeitung, Nr. 150, Ausgabe vom 30. Juni 1849. 210 Verzeichnis der Gewählten in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 212. 204 205

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elmger "sehr radikale(r) Neuwahlen" getrübt. Die liberale Presse dachte hierbei vor allem an die Mandate von Radikalen wie Friedrich von Kunowsky, Karl Friedrich von Herfort und Friedrich Wilhelm Vogel sowie an die Wahlniederlage gemäßigt liberaler Bürgerschaftsvertreter wie die Verleger Veit und Heymann oder den ehemaligen Kabinettssekretär Friedrich Bock. Der Magistrat hatte der Bedeutung der Wahl in einem Aufruf an die Bezirksvorsteher Ausdruck gegeben, in dem er bei der Vernachlässigung der Wahlpflicht nicht nur die Vorlage von schriftlichen Entschuldigungen, sondern auch eine genaue Angaben von Gründen verlangte, die hinsichtlich ihrer "gesetzlichen Zulässigkeit" einer genaueren Prüfung unterzogen werden sollten,zll Die kommunale Exekutive hoffte auf die Mobilisierung der "wohlhabendsten und gebildesten" Wahlberechtigten. Da dieses Ziel angesichts der Wahl einiger radikaler Oppositioneller nicht erreicht zu sein schien, tröstete sich die Kommunalbürokratie ebenso wie die gemäßigte Öffentlichkeit mit der Hoffnung auf die Wahlen nach der neuen Gemeindeordnung, mit denen "eine bessere Vertretung der Bürger Berlins" zustande kommen mußte. 212 Die Weigerung des Magistrats, die Wahl in einem Stimmbezirk anzuerkennen, in welchem der Zimmermeister Meyer gewählt worden war, führte zu einem Konflikt mit der Gemeindevertretung und der Aufsichtsbehörde. Als Gründe für die Ablehnung der Anerkennung führte der Magistrat an, daß gegen Meyer der Vorwurf der "Majestätsbeleidigung und anderer Verbrechen" erhoben worden war, ohne daß diese Anschuldigungen in einer Untersuchung aufgeklärt wurden. Daneben monierte der Magistrat die Teilnahme von Wählern, die nicht den erforderlichen Zensus nachweisen konnten, das vorzeitige Verlassen des Wahllokals durch eine Reihe von Wählern "ohne gesetzlichen Entschuldigungsgrund" sowie das angeblich erzwungene Abweichen von der Reihenfolge der geschlossenen Kandidatenliste bei der Abstimmung. 213 Die zur Entscheidung angerufene Bezirksregierung folgte zur Überraschung der Kommunalkörperschaften in keinem Fall den vorgebrachten Monita, erklärte die Wahl Meyers aber dennoch für ungültig. Der Magistrat mußte sich zunächst belehren lassen, daß die Anordnung von Neuwahlen bei vorliegenden Ungesetzlichkeiten ohne vorherige Prüfung der Wahlprotokolle durch die Gemeindevertretung nicht durch das geltende Recht gedeckt war. Der Magistrat hatte folglich, wie er selbst zugab, in der Vergan211 Magistratsverfügung vom 11. Juni 1849. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2600, B!. 106. 212 Vossische Zeitung, Nr. 149, Ausgabe vom 29. Juni 1849. 213 Gutachten des Stadtsyndikus Hedemann und Verfügung des Magistrats vom 13. bzw. 21. September 1849. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 212.

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genheit ohne rechtliche Grundlage gehandelt. Die Vorbereitungen zur Wahl waren nach Regierungsansicht ordnungsgemäß erfolgt, Zwangshandlungen gegen die Wahlkommission nicht erwiesen, die Abweichung von der Reihenfolge der Kandidatenliste bei der Abstimmung war möglicherweise nicht im Sinne des geltenden Rechts, in jedem Fall aber durch gegenseitige Verständigung der Wahlversammlung rechtmäßig. Im übrigen lag in dieser Hinsicht eine Rechtslücke vor, da keine näheren gesetzlichen Vorschriften über die Aufstellung der Kandidatenlisten existierten?14 Ungültig war die Wahl indessen durch die Aussetzung der Abstimmung über einen Kandidaten, der seine Wahl abgelehnt hatte und einvernehmlich von der Wahlversammlung nicht mehr berücksichtigt worden war. Das widersprach der in der Städteordnung festgelegten Verpflichtung zur Annahme von Kommunalämtern, die im vorliegenden Fall auch nicht durch das bereits ausgeübte Amt eines Bezirksvorstehers aufgehoben wurde. Aus diesem Grund lag eine Verletzung der im § 94 der Städteordnung vorgeschriebenen Form des Wahlverfahrens vor, die eine Neuwahl erforderlich machte. Die Kommunalkörperschaften gaben sich mit der Regierungsentscheidung nicht zufrieden. Der Magistrat erkannte zwar seine Verpflichtung an, der Gemeinderepräsentation jederzeit die Wahlprotokolle vorlegen zu müssen, hielt aber an seiner Ansicht von der Ungültigkeit der Wahl aufgrund der abgeänderten Kandidatenliste fest und forderte den Innenminister zur Entscheidung auf. 215 Die Stadtverordneten sahen in der Begründung der Ungültigkeits erklärung eine Kompetenzüberschreitung der Regierung, da sie sich eines von keiner Seite geltend gemachten Grundes bediente. Diese Ansicht vertrat die Stadtverordneten-Versammlung jedoch nicht in der Öffentlichkeit. Statt dessen wies sie darauf hin, daß die Ablehnung einer Wahl zum Gemeindevertreter durch einzelne Stadtbürger und die anschließende Aussetzung der Abstimmung bislang bei den Kommunalwahlen ständig vorgekommen waren. Sollte dieses Verfahren als Grund für die Ungültigkeit auf die zurückliegenden Stadtverordnetenwahlen angewandt werden, mußte nach Meinung der Gemeindevertretung die Mehrzahl der Wahlen kassiert werden?16 Entscheidung der Bezirksregierung, 14. November 1849. A.a.O. Mitteilung des Magistrats, 6. Dezember 1849. A. a. O. 216 Bericht der Stadtverordneten-Versammlung, 20. Dezember 1849, korrigiertes Konzept. A. a. O. Pahlmann, Anfänge, S. 99 ff., will in der Auseinandersetzung zwischen den Aufsichtsbehörden und den Kommunalkörperschaften vornehmlich einen "Antagonismus" zwischen Stadtverordneten und Magistrat sowie einen manipulativen Wahleingriff gegen einen mißliebigen Kandidaten sehen. Er beobachtet ein "einmütige(s) Einverständnis" zwischen Regierung und Magistrat, sieht in der "gezeigte(n) Beharrlichkeit" der Stadtverordneten gegen die Behörden den Beweis eines "erstarkte(n) Selbstgefühls der Bürgervertreter" und erklärt, daß es zu einer Ministerialentscheidung nicht mehr kam, da die Neuwahlen bereits nach der Gemein214 215

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Das Innenministerium folgte in seiner Entscheidung den Argumenten der Potsdamer Bezirksregierung insofern, als die Einhaltung der Reihenfolge der Kandidatenliste bei der Abstimmung nicht als wesentliche Bestimmung der Städteordnung anzusehen war. Das Gemeinderecht schrieb eben nur prinzipiell die Aufstellung einer Kandidatenliste vor, ohne weitere Bestimmungen über das Abstimmungsverfahren zu treffen. Der Ministerialbürokratie war im übrigen nicht einsichtig, wie über die Abänderung auf das Abstimmungsverhalten oder das Gesamtresultat der Wahl Einfluß ausgeübt werden sollte. Selbst wenn angenommen wurde, daß durch eine spätere Abstimmung über einen Kandidaten "der Eifer sich bis zur Entfernung von Wählern verringern" konnte, war dieser Umstand nicht entscheidend, da das Kommunalrecht nicht die Anwesenheit einer bestimmten Anzahl von Wählern vorschrieb?17 Demgegenüber war die Aussetzung der Abstimmung über einen vorgeschlagenen Kandidaten als Eingriff in das gesetzlich garantierte individuelle Vorschlagsrecht zu werten. Die Kandidatenliste bildete zudem die Grundlage des Wahlverfahrens, durch ihre Feststellung wurde ein öffentliches Rechtsverhältnis begründet, das der "Privatwillkür" entzogen war, während das Wahlresultat vom Stimmenverhältnis abhängig war, das sämtliche vorgeschlagenen Kandidaten zueinander hatten. Die Abstimmung über alle in die Kandidatenliste aufgenommenen Personen war demnach, wie auch die Gemeindevertretung zur Kenntnis nehmen mußte,218 "ein Essential des Wahlgeschäfts". Die Wahl von 1849 hatte, wie erwähnt, auf Grund ihres Charakters als turnusmäßige Ergänzungswahl nur untergeordnete Bedeutung. Ein Jahr später kam es jedoch auf der Grundlage der neuen Gemeindeordnung zu einer Neuwahl der gesamten Gemeinderepräsentation, die als erste Kommunalwahl nach der Revolution auch den politischen Standort des Stadtbürgerdeordnung von 1850 vorbereitet werden mußten. Diese Darstellung ist nicht nur völlig schief, sondern auch sachlich falsch. Von einer Wahl manipulation kann hier kaum die Rede sein. Sicherlich war Zimmermeister Meyer der Kommunalbürokratie ein mißliebiger Kandidat, aber es handelte sich nur um eine einzelne Wahlanfechtung, die für den Ausgang der Wahl ohne Bedeutung war. Die entscheidenden Gründe für die Auseinandersetzungen ist in den Kompetenzkonflikten zwischen den Kommunalkörperschaften, insbesondere dem Eingriff des Magistrats in wesentliche Aufsichtsrechte der Gemeindevertretung und, damit in engem Zusammenhang stehend, in der Auslegung der wahlrechtlichen Bestimmungen der Städteordnung zu suchen. Die Ministerialanfrage zeigt im übrigen, daß bei den Gemeindebehörden ein nicht unerheblicher Interpretationsbedarf zum Wahlverfahren vorhanden war. In dieser Hinsicht erging, anders als Pahlmann meint, die unten erwähnte Ministerialverfügung. Zur weiteren Kritik an der überaus fragwürdigen Arbeit Pahlmanns vgl. meine bereits genannte Rezension in: AfK, 37. Jg. (1998), S. 156-160. 217 Ministerialverfügung, 22. Februar 1850. A. a. O. 218 Extrakt des Sitzungsprotokolls der Stadtverordneten, 14. März 1850. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 212. 35 Grzywatz

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turns markieren mußte. Die Neuwahl erfolgte nach dem Dreiklassenwahlrecht. Als das Wahlgesetz vom 30. Mai 1849 erlassen wurde,219 welches das vorangegangene Gesetz vom Dezember 1848 und damit das gleiche Wahlrecht zur Zweiten Kammer des Landtages ablöste, fehlte es den Kommunalkörperschaften wie dem Stadtbürgertum an Entschlossenheit, gegen die Einführung des neuen Wahlrechts zu protestieren, obwohl die städtische Bevölkerung mit allgemeiner Unzufriedenheit reagierte. Als aber das Dreiklassenwahlrecht zur Grundlage der Gemeindeordnung gemacht wurde, wandten sich die Gemeindebehörden gegen den Bruch der tradierten Partizipationschancen in der Kommune. Das ungleiche Wahlrecht mit seiner Drittelung der Wahlberechtigten nach der Gesamtsteuersumme schloß nicht nur in den Gemeinden die weniger bzw. unvermögende dritte Klasse von der politischen Teilnahme aus,220 sondern führte auch zu einer völligen Neuordnung der politischen Mitwirkung in der Gemeinde, die von den Kommunalkörperschaften, ungeachtet der Zensusregelungen des älteren Kommunalrechts, als Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip abgelehnt wurde?21 Schon im Vorfeld der Neuwahl kam es zwischen den Kommunalkörperschaften zu Auseinandersetzungen, da der seit der Entlassung Krausnicks ohne Dirigent fungierende Magistrat die Bestellung der Wahlvorstände und Beisitzer nicht einer gemeinsamen Deputation mit den Stadtverordneten überlassen wollte. Ein Teil der Gemeindevertreter befürchtete, daß mit der Bestellung der Beisitzer bereits auf einen konservativen Wahlausgang hingearbeitet wurde. Nachdem der Magistrat durch Ministerialverfügung zur Bestellung der Beisitzer ermächtigt wurde,222 forderte er in einem Aufruf die Bürgerschaft zur Wahl von Kandidaten mit anerkannter "Gesinnungstüchtigkeit" auf, "welche das Vertrauen ihrer gutgesinnten Mitbürger in Wirklichkeit verdienen und entschlossen sind, die ihnen durch die Wahl angewiesene Stellung in der Zeit der Gefahr, auch in ehrenwerther Weise zu behaupten". Die Bedeutung der Wahl war nach Magistratsauffassung einerseits durch den Zeitpunkt gegeben, da die Städte am Rande eines neuen, auf Staat und Nation wesentlichen Einfluß nehmenden Gemeindelebens standen, anderer219 Verordnung über die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849. GS 1849, S. 205-211. 220 Zur Entstehung des Dreiklassenwahlrechts siehe Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 115 ff. Zur Genese des Wahlrechtsoktrois von 1849 vgl. insbesondere Grünthai, Dreiklassenwahlrecht, S. 26, 32 ff. u. 50 ff. Gneist, Die nationale Rechtsidee von den Ständen und das preußische Dreiklassenwahlsystem, Berlin 1894. Neudruck Hildesheim 1962, S. 17 ff. 221 Dazu ausführlich im nächsten Abschnitt. 222 Ministerialerlaß, 21. August 1850. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 202.

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seits durch den Ort der Landeshauptstadt bedingt, "wo", so der Appell des Magistrats, "die gute Ordnung und die allgemeine Sicherheit immer mehr befestigt werden muß, wo die alte treue patriotische Gesinnung sich von Neuem zu bewähren hat, wo überhaupt durch diese die Wunden ganz zu heilen sind, welche die betrübenden Ereignisse der letzten Jahre ins Besondere unserer Stadt geschlagen haben".223 Die Konsolidierung der politischen Verhältnisse war demnach angesagt. Diese konnte sich die kommunale Exekutive nur im Bündnis mit den gemäßigten Kräften des Stadtbürgertums vorstellen, das verlangte schon die als notwendig erachtete Annäherung an die Krone. 224 Die Gemeindebehörden waren, was sich zu Beginn der fünfziger Jahre rasch zeigen sollte, durch den Ausgang der Revolution in einen Zustand initiativloser Zurückhaltung geraten. Sie sollten eine kleinliche Haushaltspolitik betreiben, ohne jeden Sinn für eine zukunftsträchtige Stadtentwicklungspolitik und die entscheidenden Anstöße zur Modernisierung der Stadt dem staatlichen Engagement überlassen. 225 Da die Linksliberalen und Demokraten nicht kampflos das Feld räumen wollten, entfaltete sich im Sommer 1850 eine Wahlagitation, die, wie die Vossische Zeitung berichtete, "alles selbst im Jahre 1848 Dagewesene"226 in den Schatten stellte. Es wurde eine politische Polarisierung ohne jede weitere Nuancierung beobachtet, man unterschied in der Öffentlichkeit nur noch zwischen Demokraten und Konservativen. Die Wahlbeteiligung lag mit 76,3 Prozent deutlich über dem Durchschnitt der vorangegangenen Jahrzehnte?27 In den einzelnen Klassen wurden die Kandidaten mit großen Mehrheiten gewählt. Selbst in der dritten Wählerabteilung entschieden die Wahlberechtigten im allgemeinen mit einer Drei-Viertel-Majorität. Das Stadtbürgertum wollte offenbar ein mehr oder weniger geschlossenes Votum abgeben. Ein Votum, das eindeutig zu Gunsten der Konservativen ausfiel, die auch die dritte Wählerklasse eroberten: 33 von 34 Mandaten entfielen auf ihre Kandidaten. 228 Von den bisherigen Stadtverordneten konnten Bekanntmachung des Magistrats, 30. August 1850. A. a. O. Die Verurteilung der Politik der deutschen Nationalversammlung durch den Magistrat in einer Mitte Mai an den Monarchen gerichteten Adresse und die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an den Grafen Brandenburg im Oktober 1849 sowie an Otto von Manteuffel und General von Wrangel im Februar und September 1850 müssen als entsprechende Gesten der Kommunalkörperschaften gewertet werden. Linksliberale und Demokraten wollten in solchen übertriebenen Gesten nur devotes Verhalten sehen. Vgl. Kochhann, Mitteilungen aus den Jahren 1848-1863, Berlin 1907, S. 17 ff. Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 722, Clauswitz, Städteordnung, S. 228 f. 225 Vgl. Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 729 ff. Grzywatz, Staat, S. 223 ff. 226 Vossische Zeitung, Ausgabe vom 4. September 1850. 227 Vgl. Tab. 2 im Stat. Anhang. 228 Clauswitz, Städteordnung, S. 242 f. 223

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nur knapp ein Drittel ihre Sitze in der Gemeindevertretung behaupten. An der beruflichen Zusammensetzung der neuen Stadtverordneten-Versammlung fiel die überdurchschnittliche Vertretung von höheren Verwaltungsbeamten und Angestellten auf. Erwähnenswert war auch, daß allein sechs ehemalige Magistratsmitglieder in die Gemeindevertretung gewählt worden waren?29 Nach der Konstituierung der neuen Kommunalrepräsentation gehörte die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters zu den vordringlichsten Aufgaben. Drei Kandidaten bewarben sich um das Oberbürgermeisteramt in der Landeshauptstadt: der amtierende Bürgermeister Naunyn, der streng konservative schlesische Landrat von Selchow23o und der gemäßigt liberale Freiherr von Patow, der dem Kabinett Camphausen-Hansemann von April bis Juni 1848 als Handelsminister angehört und anschließend bis zum Dezember 1849 als Oberpräsident der Provinz Brandenburg fungiert hatte. Naunyn wurde als Kandidat nicht Ernst genommen. Die Stadtverordneten zweifelten allgemein an seinem Durchsetzungsvermögen und hielten ihn deshalb für das Amt des Stadtoberhaupts nicht geeignet. Mit Patow hätte Berlin einen erfahrenen Ministerialbeamten als Magistratsdirigenten erhalten, der aber für eine liberale Positionierung des Magistrats gestanden hätte, wodurch dem höchsten Kommunalamt ebenso wie mit der Wahl des konservativen von Selchow eine polarisierende Tendenz unterlegt worden wäre?31 In dieser Situation war es bezeichnend, daß keiner der Kandidaten in den ersten bei den Wahlgängen die absolute Mehrheit erhielt. Es mußte ein Kompromißkandidat gefunden werden, mit dem weder eine eindeutige politische Exponierung noch ein Konflikt mit dem Monarchen zu erwarten war. Die Gemeinderepräsentation erinnerte sich ihres im März 1848 unrühmlich 229 Das Verzeichnis der Gewählten in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 202. Dort auch die entsprechenden Angaben über einzelne Nach- bzw. Ersatzwahlen. Zur beruflichen Schichtung der Stadtverordneten vgl. Tab. 4 im Stat. Anhang. 230 In der neueren Literatur (Wendt, Königstreue, S. 69; ders., Krausnick, S. 103) wird Friedrich Wilhelm Eugen von Selchow neben Krausnick und von Patow als Kandidat für den Posten des Berliner Bürgermeisters angeführt. Der Mitte Juli 1828 geborene von Selchow war 1850 jedoch erst 22 Jahre alt und hatte 1848 das Studium der Rechte in Heidelberg aufgenommen. Erst 1855 wurde von Selchow, der zu Beginn der sechziger Jahre zeitweilig dem Preußischen Abgeordnetenhaus als konservatives Mitglied angehören sollte, zum ständigen Landrat des oberschlesischen Kreises Ratibor berufen werden. Vermutlich handelte es sich bei dem Mitbewerber zum Berliner Bürgermeisteramt um Adolf Albrecht Hugo von Selchow, dem älteren 1810 geborenen Bruder Friedrichs, der 1849 zum Landrat des niederschlesischen Kreises Glogau ernannt worden war. Vgl. Bernd Haunfelder, Biographisches Handbuch für das Preußische Abgeordnetenhaus 1849-1867 (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 5), Düsseldorf 1994, S. 236 f. 231 Vgl. WetzeI, Königstreue, S. 68.

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entlassenen Oberbürgermeisters Krausnick, der zwischenzeitlich zum vortragenden Rat im Handelsministerium ernannt worden war. Krausnick, ebenso politisch indifferent wie königstreu, zugleich ein qualifizierter Verwaltungsbeamter, war für die Krone ein akzeptabler Kandidat, so daß keine Schwierigkeiten mit der vorgeschriebenen landesherrliche Bestätigung zu erwarten waren. Die Gemeinderepräsentation glaubte mit seiner Wahl keinesfalls ein profiliertes politisches Bekenntnis abzulegen. Das taktische Kalkül der Stadtverordneten zielte sowohl auf den Ausgleich mit dem Monarchen als auch auf die Vermeidung jeder politischen Polarisierung. Der politische Kleinmut der Gemeinderepräsentation war freilich unübersehbar. Es verwunderte daher nicht, daß Krausnick, nachdem Patow seine Kandidatur zurückgezogen hatte, Anfang November 1850 nur mit der denkbar geringsten Mehrheit von einer Stimme zum neuen Stadtoberhaupt gewählt wurde?32 Krausnick interpretierte seine Wiederwahl nach außen hin als Überwindung der Revolution. 233 Ob Krausnicks Wiederwahl "gewissermaßen den Abschluß der antirevolutionären Bewegung in Berlin" bildete, wie ein historisches Urteil des 19. Jahrhunderts behauptet,234 oder ob sie "die Revolution ungeschehen machen" sollte, wie neuerdings zu lesen ist,235 muß mit einiger Berechtigung bezweifelt werden. Gewiß standen die Kommunalbürokratie und große Teile des Stadtbürgertums für einen gemäßigten politischen Reformismus, die demokratische Republik gehörte nicht zu ihren politischen Zielen, tatsächlich hätten die etablierten kommunalen Eliten die Radikalisierung der Revolution und die gewaltsamen Auseinandersetzungen gerne ungeschehen gemacht, dies bedeutete aber nicht, daß man sich bedenkenlos der Reaktion anschloß und auf die Restituierung vormärzlicher Verhältnisse abzielte. Bei der Beurteiluhg des Verhaltens, insbesondere der Kommunalbürokratie, darf weder deren politische Bedeutung überschätzt noch deren vermittelnde Stellung zwischen Staat und Gesellschaft übersehen werden. Als Integrationsagenturen waren die Kommunalverwaltungen kaum zum politischen Impulsgeber geeignet. Sie hatten genuin ordnende und stabilisierende Funktionen und waren daher eher ein reaktiver Faktor im politischen Prozeß. In gewisser Weise bewies das Kommunalrecht seine integrierende Kraft in der Revolution, die sich in einer Situation zugespitzter politischer Polarisierung eben auch in der Parteinahme für staatliche Zielsetzungen äußern konnte. Die entscheidenden politischen Anstöße zum Bruch tradierter Mitwirkungsformen, zum Bruch bestehender Machtverhältnisse mußten stets Zur Wahl vgl. Vossische Zeitung, Nr. 259, Ausgabe vom 6. November 1850. Vgl. seine Antrittsrede vom 23. Januar 1851. Abdruck in: Vossische Zeitung, Nr. 20, Ausgabe vom 24. Januar 1851. Siehe auch Wetzei, Königstreue, S. 69. 234 Streckfuß, Berliner Geschichte, S. 725. 235 Hachtmann, Berlin 1848, S. 813. 232

233

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aus der städtischen Öffentlichkeit kommen. Sie konnten allenfalls durch die Gemeinderepräsentation vermittelt werden. Die auch die Kommunalpolitik dominierenden bürgerlichen Schichten hatten sich jedoch, wie schon in den resümierenden Betrachtungen zum Verhältnis von Gewerbefreiheit und Bürgerrecht im Vormärz dargelegt, zum politischen Komprorniß entschlossen. Vor der Bedrohung durch linksradikale Strömungen hatte man sich "den legitimen Gewalten des Obrigkeitstaates,,236 in die Arme geworfen. Mit diesem Schritt wurde, langfristig gesehen, die elitäre Struktur der politischen Mitwirkung, aller späteren sozialreformerischen Dynamik zum Trotz, auf Gemeindeebene konserviert und damit dem Stadtbürgertum der maßgebliche politische Einfluß in seiner unmittelbaren Lebenswelt, auch gegen staatliche Ansprüche, gesichert. Hinter die Konstitutionalisierung der Monarchie gab es indessen kein Zurück mehr. Der gesuchte Ausgleich mit der Krone bedeutete deshalb keineswegs, daß die Kommunalkörperschaften und das Stadtbürgertum nicht mehr zu eigenständigen politischen Positionen fanden. Die Auseinandersetzungen um die Revision des Kommunalrechts und die Stellung der Gemeindebehörden zur Ordnung der Gewerbeverhältnisse bewiesen die Fähigkeit zum politischen Agieren, auch wenn man zunächst in die Defensive geraten war. Die Frage der Gewerbefreiheit und des Bürgerrechts hatte vor dem Hintergrund der sozialen und ökonomischen Probleme der gesellschaftlichen Krise neue Aktualität erhalten. Der Berliner Tischlermeister Kielmannsegge erklärte Anfang Juni 1848 auf der "Ersten Abgeordneten-Versammlung des norddeutschen Handwerker- und Gewerbestandes" in Hamburg: "Die Berliner Rebellion sei bloß eine Folge der Gewerbefreiheit; wenn auch alle Literaten sich die Finger abschreiben möchten, um das Gegentheil zu behaupten, so bleibe er dabei, es gebe keinen anderen Grund: ohne Gewerbefreiheit wäre es nie gelungen, die Berliner von ihrem guten König abwendig zu machen,,?3? Daß die Gewerbepolitik der Staatsregierung, losgelöst von der monarchischen Verantwortung, als Revolutionsursache angesehen wurde, mochte zu diesem Zeitpunkt überraschen, der Zusammenhang zwischen der längst überfalligen Konstitutionalisierung der Monarchie, der sozialen Frage und den "politische(n) Verwicklungen" der Revolution war der zeitpolitischen Reflexion jedoch offensichtlich. Der Berliner Stadtrat Risch sah die Organisation der im weitesten Sinne "arbeitenden Klassen" als eines der drängendsten Zeitprobleme an, dessen Lösung durch das Versäumnis des Staates, eine längst überfallige zeitgemäße Verfassung zu erlassen, entscheidend behindert worden war. Die erwartete Umgestaltung der Gewerbegesetzgebung und damit auch "die Lö236 237

Stadelmann, Geschichte, S. 195. Zit. nach Simon, Handwerk, S. 404.

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sung der socialen Frage" befanden sich aus diesem Grund in einer Situation der Unentschiedenheit, die jedem wirtschaftlichen Optimismus abträglich war. 238 Das Berliner Handwerk, insbesondere aber das Meistertum, reagierte auf die strukturelle Krise der Frühindustrialisierung mit alten Forderungen zur Revision der preußischen Gewerbegesetzgebung. Wie im Vormärz wurde die Gewerbefreiheit zum zentralen Angriffspunkt der Handwerker. Man machte die Gewerbefreiheit für die wirtschaftliche Bedrängnis des Handwerks verantwortlich, die inzwischen als allgemeine Gefährdung des Mittelstands und Gefahr der Proletarisierung ganzer Handwerkszweige in den preußischen Provinzen wahrgenommen wurde, nicht zuletzt auf Grund einer Verabsolutierung des Egalitätsprinzips und der Konkurrenz. Die preußische Refonnzeit war dieser Handwerkerkritik nur Ausgangspunkt der gegenwärtigen Krise: der ungezügelte Wettbewerb mit Ungelernten und Landhandwerk, mit Fabrik und Handel hatte über die Senkung der Produktionskosten zu einem Preisverfall geführt, welcher die städtischen Handwerksbetriebe substantiell gefährdete. 239 Die Handwerkerbewegung erneuerte in dieser Situation ihre Forderung nach Beschränkung der industriellen Produktion, indem aufsichtsrechtliche Genehmigungsvorbehalte für den Gewerbebetrieb, Kapazitäts- und Mengenbeschränkungen, Schranken für die betriebliche Produktionsvielfalt sowie eine stärkere Besteuerung der Industrie auf der Grundlage von Produktionsmengen verlangt wurden. Weiterhin forderten die Handwerksmeister die Verpflichtung der Fabrikanten, Handwerksarbeiten, soweit sie nicht der unmittelbaren Herstellung von Fabrikwaren dienten, Innungsmeistern zu überlassen?40 Neben diesen Schutzforderungen sprach sich das Handwerk ohne nähere Rücksichtnahme auf die Grundrechte der Gleichheit, Freizügigkeit und Berufsfreiheit für eine Beschränkung der Arbeiterexistenzen, des Kleinhandels und des Landhandwerks aus. "Handwerke und technische Gewerbe sollen", hieß es 1849 im Gewerbeordnungsentwurf des in Frankfurt tagenden Handwerker- und Gewerbekongresses, "als ein städtischer Nahrungszweig, in der Regel nur in den Städten betrieben werden. Außerhalb derselben können nur solche Handwerke und Gewerbe, und diese nur in solcher Anzahl zugelassen werden, wie sie das örtliche Bedürfniß und die Berücksichtigung des Absatzes der Fabrikate in feme Gegenden erfordern,,?41 238 Risch, Die Innungen, wie sie sich gestalten müssen. Mit besonderer Berücksichtigung der Verhandlungen des Gewerbe-Congresses zu Frankfurt/M., Berlin 1849, S. 3. 239 Simon, Handwerk, S. 185 ff. u. 199 ff. Bergmann, Wirtschaftskrise, S. 190 ff. Zu Berlin vgl. auch ders., Berliner Handwerk, S. 90 ff.; unter besonderer Berücksichtigung der Revolutionszeit Hachtmann, Berlin 1848, S. 389 ff. 240 Si mon, Handwerk, S. 260 u. 298 f. 241 Entwurf einer allgemeinen Handwerker- und Gewerbe-Ordnung für Deutschland. Beratben und beschlossen von dem deutschen Handwerker- und Gewerbe-Con-

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Über die restriktiven sozioökonomischen Ordnungs vorstellungen hinaus, deren unverhohlener interessenegoistischer Charakter einen deutlichen Mangel an gesellschaftspolitischem Realitätssinn offenbarte, setzte das Handwerk auf eine Verschärfung der wettbewerbsregulierenden Instrumente, vornehmlich der Prüfungs- und Ausbildungsbestimmungen, sowie auf eine Stärkung der korporativen Organisierung des Handwerks. 242 In dieser Hinsicht suchten die Handwerker nicht mehr den frontalen Angriff gegen die Gewerbefreiheit, sondern sie strebten, wie Risch es schon im Vormärz propagiert hatte, den Ausgleich zwischen Gewerbefreiheit und Zunftzwang an, mithin "Gewerbeordnung", um ein Schlagwort des Vormärzes aufzunehmen. Die in Frankfurt versammelten Handwerksmeister wollten jedoch zur Zwangsinnung zurückkehren, den Innungen öffentlich-rechtlichen Charakter geben und auf diesem Wege zugleich die Selbstverwaltung und Interessenvertretung des Handwerks stärken. 243 Als führender Gewerbepolitiker des Berliner Magistrats vertrat Risch deutlicher als im Vormärz das Prinzip der Gewerbefreiheit. Gegen den in Frankfurt vertretenen Protektionismus, ökonomischen Illiberalismus und Zwangscharakter des Innungswesens 244 hielt der Berliner Stadtrat an der vollständigen Freiheit des gewerblichen Betriebs, an der freien Vereinigung der Gewerbetreibenden sowie an der Konkurrenz als Motor der Wirtschaftsentwicklung fest. 245 "Wie kann man es überhaupt nur wagen und wie ist es nur denkbar", fragte Risch, "in freien Staaten einen Zunftzwang, einen Zwang der Personen wieder begründen zu wollen?" Zum Grundsatz einer "wahrhaft freien und volksthümlichen Entwicklung", gehörte seiner Ansicht nach, "daß die Freiheit sich nicht in bestimmten Kreisen abschließe, sondern alle Schichten des öffentlichen Lebens in gleicher Weise durchdringe".246 Soweit die "von dem vernünftigen Rechtsgesetze gezeichneten Grenzen" der Gewerbe- und Handelsfreiheit festzustellen waren, gehörte diese Aufgabe, wie Risch mit deutlicher Spitze gegen den ökonomischen greß zu Frankfurt/M. in den Monaten Juli und August 1848, Frankfurt/M. 1848, S. 445. Siehe dazu Simon, Handwerk, S. 267 ff. u. 310 ff. 242 A.a.O., S. 185 u. 189. 243 A.a.O., S. 189 f., 208 f. u. 212 ff. Bergmann, Wirtschaftskrise, S. 190. 244 Zu regional spezifizierten liberalen Gegenkräften in der Handwerkerbewegung vgl. Simon, Handwerk, S. 190 ff. Bergmann, Wirtschaftskrise, S. 195 ff. Gegen Bergmanns Gesamturteil eines ökonomisch und politisch konservativen Handwerks richtet sich die Lokalstudie von Lenger, Zwischen Kleinbürgertum und Proletariat. Studien zur Sozialgeschichte der Düsseldorfer Handwerker 1816-1878 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 71), Göttingen 1986, insbesondere S. 150 ff. Siehe auch die Studie von Sylvia Schraut, Sozialer Wandel im Industrialisierungsprozeß: Esslingen 1800-1870 (= Esslinger Studien, Bd. 9), Esslingen 1989, S.264. 245 Risch, Innungen, S. 5 ff. 246 A.a.O., S. 7.

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Egoismus des Handwerks bemerkte, nicht zu den Gegenständen der Interessenvertretungen, sondern der gesellschaftlichen Repräsentation. Die Beschränkung der Freiheit mußte in jedem Fall "als nothwendig für höhere Zwecke der Allgemeinheit,,247 bewiesen werden. Die von der Handwerkerbewegung verfolgten Ziele, das materielle Wohl der Allgemeinheit zu fördern und der Massenarmut entgegenzuwirken, waren nach Rischs Ansicht nicht durch Zwangsmaßnahmen zu erreichen, da die Zunftverbindung nur ein Recht auf Erwerb begründen konnte, nicht aber den Erwerb selbst, und die Gewerbefreiheit nicht für den Pauperismus verantwortlich war. Risch sprach seine Überzeugung aus, daß bei der anhaltenden Bevölkerungszunahme nur die Gewerbefreiheit für die Befriedigung der Massenbedürfnisse sorgen und ein Massenverbrauch überhaupt erst sichergestellt werden konnte. Vereinigungszwang und Beschränkung der Gewerbefreiheit, wie etwa durch die Erschwerung der Selbständigkeit, führten nur zu Kosten- und Preissteigerungen, lösten einen Druck auf die Gesellenlöhne aus und verschärften möglicherweise die Proletarisierung des Gesellenstandes in einzelnen Handwerksberufen. 248 Im Berliner Magistrat hatte sich nach den Erfahrungen Rischs insgesamt die Ansicht durchgesetzt, daß die volkswirtschaftliche Entwicklung nicht "durch hemmende Maßregeln, durch negatives Verhalten", sondern nur auf positivem Wege zu fördern war. "Die Schranken, welche der Verwerthung der producirten Fabrikate und der productiven Kräfte entgegen stehen mehr und mehr zu beseitigen", erklärte Risch, "die Entwicklung derselben durch Bildung zu erhöhen, die Gefahren der ungezügelten Konkurrenz durch Assoziationen zu begegnen, die Innungen immer mehr zu sittlichen Gemeinschaften zu erheben, das sind die Wege das Gemeinwohl vor dem Wachsen der Armuth zu schützen, dem Handwerk seine Ehre zu bewahren,,?49 Risch hielt zwar an der Gemeindemitgliedschaft als Voraussetzung der selbständigen Gewerbetätigkeit fest, aber es war nicht mehr von einer restriktiven Handhabung des Bürgerrechts die Rede?50 Im Gegenteil, zumindest ein Teil der Kommunalkörperschaften sah nunmehr in der Aufrechterhaltung der Freizügigkeit eine notwendige Voraussetzung für wirtschaftliche Prosperität und Beschäftigung, so daß Rischs Plädoyer für eine Ausdehnung der Freizügigkeit auf sämtliche deutsche Staaten nicht verwunderte. Die städtischen Körperschaften glaubten nicht länger an dem im Vormärz stets bekräftigten Zusammenhang zwischen der Freizügigkeit und der Steigerung der Armenkosten. Zwar befürworteten Teile des Stadtbürgertums und der Gemeinderepräsentation nach wie vor, die Niederlassung zu er247 248 249 250

A a. 0., Aa.O., A a. 0., Aa.O.,

S. S. S. S.

8. 10-18. 11 f. 20.

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schweren. Überdies forderten die Kommunalkörperschaften in einem gemeinsamen Antrag, durch gesetzliche Regelung die Unterstützungspflicht der Orts armen verbände erst nach dem ersten Jahr der Wohnsitznahme in Kraft treten zu lassen,251 der 1855 in einer Ergänzungsregelung zum Armenpflegegesetz Niederschlag fand 252 und zukünftig die Ortsarmenverbände zu Ungunsten der Herkunftsgemeinden entlastete. In den Gemeindebehörden gab es aber keine Majorität für eine allgemeine Einschränkung oder Erschwerung der Niederlassungsfreiheit mehr. Die Liberalisierung der städtischen Anschauungen waren durch staatlicherseits angeordnete Untersuchungen beeinflußt, die verlangt hatten, den Zusammenhang zwischen der Steigerung der Armenpflegekosten und der Niederlassungsfreiheit nachzuweisen. Dieser Nachweis konnte nicht erbracht werden, vielmehr wurde festgestellt, daß die starke Zunahme des kommunalen Zuschusses zur Armenpflege, "soweit dieselbe nicht in einem ganz richtigen Verhältnisse mit dem gleichzeitigen Wachsthume der Einwohner,,253 stand, überwiegend aus anderen Ursachen resultierte. Aus den Listen der Armendirektion, die seit dem Erlaß des Armenpflegegesetzes Ende 1842 über Personen geführt worden waren, bei denen es zweifelhaft erschien, ob sie nicht früher oder später der kommunalen Armenfürsorge zur Last fielen, war Risch zufolge lediglich zu ermitteln, daß tatsächlich nur ein geringer Teil der Registrierten Unterstützungen erhalten hatte. Untersuchungen des Magistrats ergaben zudem, daß die Armenpflegekosten nach 1840 im Verhältnis zum Bevölkerungswachsturn und der Zahl der Unterstützungsempfänger überproportional gestiegen waren. So hatte sich die Einwohnerzahl zwischen 1841 und 1850 um 29,9 Prozent vermehrt, während die kommunalen Unterstützungsleistungen um 68,1 Prozent zugenommen hatten. Die Zahl der Unterstützungsempfänger erhöhte sich im gleichen Zeitraum um 43 Prozent, die Höhe der verausgabten ordentlichen und außerordentlichen Unterstützungen jedoch um 76,5 Prozent. 254 Die städtischen Behörden zogen aus diesen Ermittlungen den Schluß, daß nicht allein das Bevölkerungswachstum und der Pauperismus, wenn von der akuten Krise des Jahres 1847/48 abgesehen wurde, für die Kostensteigerungen verantwortlich waren, sondern die Gründe "hauptA. a. 0., S. 32. Gesetz zur Ergänzung der Gesetze vom 31. Dezember 1842 über die Verpflichtung zur Armenpflege und die Aufnahme neu anziehender Personen, 21. Mai 1855, GS 1855, S. 311-315. Vgl. dazu Flottwe1l, Armenrecht, S. 72 ff. Sachse/Tennstedt, Geschichte, S. 203 f. Mit Einschränkungen Scarpa, Gemeinwohl, S. 167 f. Zu den Reorganisationsbemühungen in der kommunalen Armenpflege Berlins vgl. Radtke, Armut, S. 58 ff. VerwBBln 1851-1860, S. 51 ff. 253 Risch, Innungen, S. 33. 254 VerwBBln 1841-1850, S. 211. Berücksichtigt sind hier nur die "reinen Almosen". 251

252

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sächlich in dem Wachsen einzelner wiederkehrender Ausgaben,,255 und, wie die Untersuchungen für die fünfziger Jahre zeigen sollten, in der offensichtlichen Schwierigkeit gesucht werden mußten, einmal gewährte Unterstützungsstandards in Zeiten konjunktureller Besserung wieder zu reduzieren sowie für die Durchsetzung einheitlicher Unterstützungsleistungen in einem dezentralisierten Fürsorgesystem zu sorgen. 256 Diese Entwicklung sprach gegen eine Änderung der bestehenden Gesetze, insbesondere auch gegen spezielle Niederlassungsregelungen für Arbeiter, zumal rechtliche Bedenken gegen ein schichtenspezifisches "Ausnahmegesetz" angebracht werden mußten. 257 In Teilen der Berliner Kommunalbürokratie schien sich demzufolge zumindest ansatzweise eine liberalere gewerbepolitische Haltung anzubahnen, die auch gegen den Petitionsdruck der Handwerkerbewegung aufrecht erhalten wurde. Risch sprach der Handwerkerbewegung im übrigen auf Grund ihres korporativen, interessenegoistischen Denkens die Fähigkeit ab, die Gewerbeverhältnisse "in ihren verschiedenen staatswirthschaftlichen Beziehungen zu beurteilen,,?58 Für den Berliner Stadtrat war es keine Frage, daß die Industrialisierung langfristig nicht zu einer Ablösung des Handwerks führen würde. Das Handwerk war unentbehrlich durch seine örtliche Natur, seine Anpassungsfahigkeit an Konsumentenbedürfnisse sowie durch seine Notwendigkeit für Reparatur- und Ausbesserungstätigkeiten. Es gab zwar einen Verdrängungswettbewerb mit der Industrie in einigen Handwerkszweigen, der die "Teilnahme" der Staats- und Kommunalbehörden herausforderte, trotzdem durfte es auf Grund dieses Umstands nicht zu einschränkenden Maßnahmen gegen die industrielle Produktion kommen. 259 Eine fortgeschrittene Gewerbeordnung sollte nach Rischs Meinung auf der Grundlage des Prüfungswesens stärker zwischen Lehrlingen, Gesellen und Meistem trennen. 260 Während die Handwerkerbewegung eine vollständige Autonomie bei der inneren Regelung der Gewerbeverhältnisse anstrebte, neben den Innungen und ihren Vorständen sollten Gewerberäte und -kammern für Ausbildung, Prüfung und Schlichtung eingerichtet werden, VerwBBln 1841-1850, S. 210. VerwBBln 1851-1860, S. 46 u. 49. Die Einzelheiten der Probleme des städtischen Armenhaushalts und der Organisation der Armenverwaltung müssen einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. Verwiesen sei jedoch auf den umfangreichen Bericht des Magistrats im VerwBBln 1851-1860, S. 45-187. 257 Die bei Risch, Innungen, S. 33 f., angeführten niedrigen Zahlen zur Zuwanderung von Arbeiterfamilien stehen allerdings in einem gewissen Widerspruch zu dem Bericht des Berliner Polizeipräsidenten aus dem Jahre 1851. Vgl. dazu Baar, Berliner Industrie, S. 171 ff. 258 Risch, Innungen, S. 15. 259 A.a.O., S. 14. 260 A. a. 0., S. 23 f. 255

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hielt Stadtrat Risch an der schon im Vormärz erhobenen Forderung kommunaler Zuständigkeit bei der allgemeinen Aufsicht über die Gewerbetätigkeit einschließlich der gewerbe- und gewerkspolizeilichen Funktionen fest. 261 In der Krise konnte die Staatsregierung freilich nicht die vom handwerklichen Mittelstand geäußerte Kritik an der Gewerbefreiheit ignorieren. Zugeständnisse waren unumgänglich, die sich schließlich in der Abänderungsverordnung zum bestehenden Gewerberecht niederschlugen. 262 Die Zulassung zur selbständigen Gewerbetätigkeit wurde auf diesem Wege verschärft, die Stellung der Innungen gestärkt, die Industrie- und Handelsinteressen, wenn auch nur geringfügig, beschnitten und dem Wunsch des Handwerks nach stärkerer Autonomie bei der Organisation der Gewerbe- und Arbeitsverhältnisse durch die Mitwirkung in den Gewerberäten nachgegeben?63 Risch sah in den seiner Ansicht nach zu weit gehenden Einschränkungen der Gewerbefreiheit einen Erfolg der Handwerkerbewegung, der jedoch auf innenpolitischen Rücksichten beruhte. "Man sieht es (der) Entstehungsgeschichte der Verordnung an", schrieb er in seiner späteren Übersicht zur preußisch-deutschen Handwerksgesetzgebung, "daß sie wesentlich vom Handwerkerstande ausgegangen ist und daß auch von dieser Seite her selbst bei der letzten Ausarbeitung der Verordnung ein erheblicher Einfluß stattgefunden hat. Die damaligen Zeiten mögen ein solches, von den früheren legislatorischen Wegen abweichendes Verfahren geboten haben, man wird auch kein Urteil darüber fällen wollen, inwieweit politische Konstellationen und Verwicklungen ein solches rasches Handeln notwendig machten, zu der Überzeugung wird man aber bei einer ruhigen Untersuchung der Sache gelangen müssen, daß die Verordnung mit dem Entwicklungsgange der gewerblichen Gesetzgebung in Preußen nicht übereinstimmt, daß der seit 1810 bestehenden Gewerbefreiheit vielfach darin zu nahe getreten worden ist".264 Liberale Gewerbeauffassungen der Kommunalbürokratie, wie sie 261 A. a. 0., S. 26 ff. Zu dem von Risch ausgearbeiteten Normalstatut-Entwurf für die Innungen vgl. a. a. 0., S. 40-67; das in Berlin nach Anhörung der bestehenden Innungen ausgearbeitete Ortsstatut zur Regelung der Arbeitsverhältnisse ebd. S. 6878. 262 Verordnung betreffend die Errichtung von Gewerberäthen und verschiedene Abänderungen der allgemeinen Gewerbe-Ordnung, 9. Februar 1849. GS 1849, S. 93 ff. 263 Vgl. dazu Tilmann, Gewerbe- und Sozialgesetzgebung, S. 35 ff. Simon, Handwerk, S. 178 ff. Bergmann, Berliner Handwerk, S. 73 ff. 264 Risch, Die Handwerks-Gesetzgebung Preußens und der größeren Staaten Deutschlands, Berlin 1861, S. 84. Siehe hierzu auch Kaufhold, Die Auswirkungen der Einschränkung der Gewerbefreiheit in Preußen durch die Verordnung vom 9. Februar 1849 auf das Handwerk, in: Vom Kleingewerbe zur Großindustrie, hrsg. von H. Winkel (= Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Bd. 83), Berlin 1975, S. 165 ff.

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Risch vennittelte, hatten jedoch keinen Bestand vor dem als notwendig erachteten Komprorniß mit dem gewerblichen Mittelstand. Es fehlte den Kommunalbehörden in ihrer Gesamtheit an der nötigen Entschlossenheit, sich durchgängig liberalen Prinzipien in Gewerbe-, Ansiedlungs- und Freizügigkeitsfragen zu öffnen. So folgte die Kommunalbürokratie der Tendenz der Gemeindeordnung von 1850, einerseits an der durch die Armenpflegegesetzgebung eröffneten Möglichkeit zur Erhebung von Einkaufs- und Einzugsgeldern festzuhalten, andererseits die Nutzungsund Mitwirkungsrechte in der Gemeinde von der Zahlung dieser Abgaben abhängig zu machen. Der Gemeindeordnungsentwurf des Berliner Magistrats ging nur nicht soweit, neben dem Mitbenutzungsrecht für die Gemeindeanstalten und dem passiven Wahlrecht auch noch das aktive Stimmrecht einzuschließen. 265 Der Berliner Magistrat schloß sich ebenso der in den Entwürfen zur Gemeindeordnung festgelegten Ablösung der Bürgerrechtsgelder an, wie er die Möglichkeit nutzte, materiell für eine Erhöhung der vonnaligen Abgabe zu sorgen, indem er sich der Unterscheidung zwischen Einkaufs- und Einzugsgeld bediente. In den westlichen Provinzen Preußens waren solche Regelungen schon seit Mitte der vierziger Jahre eingeführt. 266 Nach dem Erlaß der preußischen Gemeindeordnung machte die Stadt Berlin sofort von dem fakultativen Recht Gebrauch, Einzugs- und Hausstandsgelder zu erheben. Jeder Stadtbewohner, der beabsichtigte, einen eigenen Hausstand zu gründen, eine selbständige Gewerbetätigkeit aufzunehmen oder ein städtisches Grundstück zu erwerben, mußte, nach Einkommensgruppen von 200 bis über 1000 Reichstaler gestaffelt, ein Hausstandsgeld zwischen 5 und 60 Taler entrichten. Neuanziehende wurden verpflichtet, "ohne Rücksicht auf ihre Vennögens-Verhältnisse und auf die frühere Heimath", ein Einzugsgeld von 30 Reichstaler zu entrichten, das der Gemeinderat in besonderen Fällen auf die Hälfte reduzieren konnte. 267 Die Summe entsprach exakt dem früheren Bürgerrechtsgeld. Bei der späteren Beratung der Städteordnung für die östlichen Provinzen äußerten sich in beiden Kammern des Landtags kritische Stimmen, welche die doppelten Abgaben nicht mit dem Prinzip der Freizügigkeit für vereinbar hielten. Der Zuzug der änneren Landbevölkerung in die Städte konnte ihrer Ansicht zufolge dadurch ebenso wenig beschränkt werden wie die Ge265 Vgl. § 67, Abs. 2, Berliner Gemeindeordnungsentwurf 1849, S. 24. Siehe dagegen § 46, GO 1850. GS 1850, S. 225 f. 266 Vgl. Gesetz wegen Befugniß der Städte der Provinz Westphalen zur Erhebung von Eintrittsgeldern, 24. Januar 1845. GS 1845, S. 39. § 14, Tit. 2, Rheinische Gemeindeordnung 1845. GS 1845, S. 225. Dazu auch die Ministerialinstruktion vom 15. November 1847. MBliV, 8. Jg. (1847), S. 311. 267 VerwBBln 1851-1860, S. 39 f.

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fahr bestand, daß ärmere Bevölkerungsschichten aus den Städten gedrängt wurden. 268 Die Staatsregierung und die Majorität der Ersten Kammer wollten das Einzugsgeld von "besonderen Vorteilen", welche die Niederlassung in einer Stadt gewährte, abhängig machen. Die Zweite Kammer setzte sich jedoch mit ihrer Auffassung eines allgemeinen Rechts durch. Die in Berlin begründete Praxis diente der Majorität als Vorbild, das Eintritts- und Hausstandsgeld unterschiedslos von jedem Stadtbewohner zu fordern, der einen eigenen Hausstand in der Stadt begründete. Neu anziehende Personen mußten demnach, wenn sie bei der Niederlassung einen eigenen Hausstand begründeten, neben dem Eintritts- auch das Hausstandsgeld entrichten. 269 Da die Ausübung des Bürger- bzw. Kommunalwahlrechts von der Bezahlung der Gebühren abhängig gemacht werden konnte,270 sprachen einige Abgeordnete kritisch von einer Verschärfung der Zensusregelungen, durch die das Stimmrecht in der Gemeinde noch weiter geschmälert wurde. Das Innenministerium begegnete allen Einwänden gegen einen Mißbrauch der zusätzlichen Personenabgaben mit dem Hinweis auf den Genehmigungsvorbehalt der Regierungen. Im übrigen teilte man die Auffassung der Kommunalbürokratie, daß die Städte gegenüber "leichtsinnigen Niederlassungen und dem Andrange des Proletariats, welches sich erfahrungsgemäß vorzüglich den Städten mit guten öffentlichen Anstalten und beträchtlichen Gemeindenutzungen,,271 zuwandte, mit entsprechenden Reglementierungsinstrumenten ausgestattet sein mußten. Bei der Festsetzung der Eintritts- und Hausstandsgelder hatten sich die Städte jedoch unter anderem an die Höhe der bisherigen Bürgerrechtsgelder zu halten, da die Freizügigkeit generell nicht den "allgemeinen Interessen nachtheiligen Beschränkungen" unterliegen sollten. Zu Beginn der sechziger Jahre sah sich der Staat indessen zum Handeln gezwungen, die Einzugsgelder wurden nach Städtegrößenklassen auf 3 bis 268 Bericht Krausnick, Kommissionsberatung, StOEntw, 17. Januar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 2, Nr. 62, S. 35 ff. Vgl. E.A. Hübner, Die Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Monarchie vom 30. Mai 1853 und das Gesetz vom 31. Mai 1853 betreffend die Verfassung der Städte in Neu-Vorpommern und Rügen, nebst Motiven, Ergänzungen und Erläuterungen, Berlin 1854, S. 182 f. 269 StBZK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 2, S. 936 ff. Hübner, Städte-Ordnung, S. 183. 270 Die unterlassene Zahlung der Eintritts- und Hausstandsgelder verhinderte den Erwerb des Bürgerrechts nicht ipso iure, sondern hatte lediglich aufschiebende Wirkung. Vgl. Apetz, Einwohnergemeinde, S. 65. 271 Hübner, Städte-Ordnung, S. 184. Hinsichtlich des Verhältnisses von Einkaufsgeld und Gemeindenutzungen, die nach ministerieller Anordnung die wirkliche Teilnahme als ein entsprechendes Äquivalent voraussetzten, siehe Art. 15 der Ministerialinstruktion vom 20. Juni 1853. MBliV, 14. Jg. (1853), S. 138.

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20 Reichstaler festgelegt. Der Höchstsatz durfte allein in der Landeshauptstadt erhoben werden. 272 Anfang Mai 1867 wurde die Erhebung des Einzugs geldes durch Gesetz endgültig verboten, der Berliner Magistrat nahm daraufhin auch von der Einforderung der Bürgerrechts- bzw. Hausstandsgelder Abstand?73

Die Politik der Selbstverwaltungsorgane Berlins am Ende der Revolutionsperiode wird von der jüngeren Forschung als "freiwillige Unterwerfung,,274 charakterisiert, mit diesem Urteil aber weder den politischen Zielsetzungen noch der konkreten Politik der Kommunalkörperschaften gerecht. Zunächst muß schlicht festgehalten werden, daß die Selbstverwaltungsorgane überhaupt wie auch die Kommunalbürokratie im einzelnen keine politisch homogene Elite darstellten. Die in der Gesellschaft ausgetragenen Konflikte, die sich formierenden Wertsetzungen und politischen Haltungen fanden auch in der Meinungsbildung der Gemeindebehörden ihren Niederschlag. Das BeispielOtto Rischs zeigt, wie sich im Magistrat eine weitsichtigere, über die Gruppenegoismen des bürgerlichen Mittelstands hinausgehende Politik artikulieren konnte. In Ansätzen zeichnete sich schon hier eine Entwicklung ab, die auf eine, in der Praxis langsam wirksam werdende, schärfere funktionale Trennung zwischen Magistrat und Gemeinderepräsentation hinauslief und im weiteren Verlauf des Jahrhunderts zu einer Zurückdrängung der lokalen Macht des Honoratiorentums wie einer umfassenden Stärkung des bürokratischen Elements in der Kommunalverwaltung führte. Dieser Prozeß, der häufig im Begriff der Professionalisierung zusammengefaßt 272 Vgl. § 3, Gesetz betreffend das städtische Einzugs-, Bürgerrechts- und Einkaufsgeld, 14. Mai 1860. GS 1860, S. 237. Siehe auch das Regulativ für Berlin vom 30. Januar 1861. MBliV, 22. Jg. (1861), S. 44. Siehe dazu Ernst von Möller, Preußisches Stadtrecht, Breslau 1864, S. 234 ff. Ludwig Ebert, Der Stadtverordnete im Geltungsbereiche der Städteordnung vom 30. Mai 1853 für die sechs östlichen Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien, Posen und Sachsen. Eine Zusammenstellung der Rechte und Pflichten der Stadtverordneten dargelegt in den sämmtlichen darüber bisher ergangenen gesetzlichen Bestimmungen, Berlin 1883, S. 82 ff. 273 Vgl. Gesetz betreffend die Aufhebung der Einzugsgelder und gleichartigen Communalabgaben, 2. März 1867. GS 1867, S. 361. Siehe G. Stein/F. Marcinowski, Die Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853 und das Gesetz, betreffend die Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein vom 14. April 1869 mit deren Ergänzungen, Waldenburg/Schl. 1873, S. 90 f. Oertel, Städte-Ordnung und Verwaltungs-Refonn-Gesetze, Bd. 1, S. 144 f. Zu Berlin, VerwBBln 1861-1876, H. 1, Berlin 1876, S. 72. Die Einnahmen aus dem Einzugsgeld hatten 1866 in Berlin bei rund 110400 Reichstaler gelegen. 274 Im Anschluß an das zeitgenössische Urteil Kochhanns Hachtmann, Berlin 1848, S. 813.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

wird,275 hat sowohl eine macht- als auch eine sozialpolitische Seite, da nur über eine Verselbständigung der Kommunalbürokratie die erforderlichen integrationsfördernden Verpflichtungen der städtischen Gesellschaft durchgesetzt werden konnten?76 Staatspolitisches Denken war in der Gemeinde der Nachrevolutionsära dennoch keine Selbstverständlichkeit, ihre grundsätzlich nicht aufgegebene korporative Natur wirkte in dieser Hinsicht gleichsam als Barriere. Das wurde in Berlin nicht nur an der ebenso kleinlichen wie unsozialen Handhabung der Einkaufs- und Eintrittsgelder deutlich, sondern manifestierte sich auch, so paradox es klingen mag, in der Ablehnung des im rheinischen Kommunalrecht bereits praktizierten Klassenwahlsystems. Die Berliner Kommunalkörperschaften leisteten lange Widerstand gegen eine Reform des Gemeinderechts, welche die politische Mitwirkung in der Gemeinde einschränkte. Die Städteordnung der preußischen Reformzeit wurde in dieser Situation zu einer liberalen Ordnung stilisiert, die das Gleichheitsprinzip weitgehend verwirklicht hatte, obwohl das nicht generell ihrer rechtlichen Natur entsprach. Eine Reform des Kommunalrechts der östlichen Provinzen war, nachdem die westlichen Provinzen Preußens schon in der ersten Hälfte der vierziger Jahre neue Kommunalordnungen erhalten hatten, unvermeidbar. Es ging bei dieser Reform nicht um eine einfache Novellierung des bestehenden Kommunalrechts, mit der seit langem registrierte Mängel aufgehoben werden sollten, vielmehr knüpfte die Rechtsreform an ein Defizit der preußischen Reformzeit an, indem sie ein einheitliches Gemeinderecht für den gesamten preußischen Staat schaffen wollte. Mit der Vereinheitlichung des Rechts wäre die ausstehende staatliche Egalisierung verwirklicht, insbesondere aber das System der Gutsherrschaft endgültig aufgebrochen worden. 277 Diesem Ziel setzten die patrimonialen Gewalten den entschiedensten Widerstand entgegen. Doch auch in den Städten sollte sich zeigen, daß man nicht bedingungslos für ein einheitliches Gemeinderecht eintrat.

275 Allgemein zur Entwicklung der theoretischen Professionalisierungsdiskussion Dietrich Rüschemeyer, Professionalisierung. Theoretische Probleme für die vergleichende Geschichtsforschung, in: GuG, 6. Jg. (1980), S. 311-325. Überblicke zur Professionalisierung der Kommunalverwaltungen im 19. und 20. Jahrhundert bei Krabbe, Stadt, S. 129 ff. Professionalisierung als Moment der Bürokratisierung betrachtend Hofmann, Aufgaben und Struktur der kommunalen Selbstverwaltung in der Zeit der Hochindustrialisierung, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, S. 613 ff. Instruktiv die Fallanalyse von Krabbe, Kommunalpolitik, S. 175 ff. 276 Ähnlich, wenn auch stärker personalisierend auf die Oberbürgermeister bezogen, Reulecke, Urbanisierung, S. 122 f. 277 Vgl. oben Kap. 2, die Unterabschnitte 1 und insbesondere 9.

4. Die gescheiterte grundrechtliche Garantie der Selbstverwaltung

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4. Die gescheiterte grundrechtliche Garantie der Selbstverwaltung und das Klassenwahlrecht die Gemeindeverfassung der konstitutionellen Monarchie Das liberale Bürgertum hatte in der Umbruchszeit der Märzrevolution an den Selbstverwaltungsgedanken hohe Erwartungen geknüpft. Man hoffte auf eine Stärkung der kommunalen Verwaltungsorganisation zu Gunsten der stadtbürgerlichen Selbstregierung. Zugleich sollten die regionalen Kommunalverbände, die Kreise und Provinzen stärker in die Selbstverwaltung eingebunden werden. 278 Und in der Tat gelang es Mitte Juli 1848 in der Verfassungskommission die institutionelle Garantie der Selbstverwaltung in den Entwurf der künftigen preußischen Verfassung aufzunehmen. Den Gemeinden, Kreisen und Bezirken des Staates wurde die Selbstverwaltung durch gewählte Vertreter zugesichert, den Kommunen insbesondere "die selbständige Verwaltung" ihrer Angelegenheiten und der Ortspolizei zugesprochen. 279 Die Spenersche Zeitung urteilte, daß mit dieser Garantie "der Kern des ganzen Verfassungsentwurfs" umrissen war. Durch die Anordnung der Gemeinde-, Kreis- und Bezirksverbände war allein die "sichere Bürgschaft echter Volksfreiheit", eine effiziente Administration und die "Selbstregierung des Volkes" gewährleistet. 28o Die Nationalversammlung drängte die Regierung zur Vorlage eines neuen Kommunalgesetzes, dessen baldige Eingabe Innenminister von Kühlwetter in der zweiten Augustwoche ankündigte. Es gelang der demokratischen Linken jedoch, dem Ministerium zuvorzukommen und der Nationalversammlung am 10. August durch Waldeck und dem rheinischen Abgeordneten Karl d'Ester einen eigenen Entwurf zu überreichen, der von 54 Repräsentanten unterstützt wurde. Die Linke hoffte, den Beratungen über die Selbstverwaltung anstelle der Regierungsvorlage den liberaldemokratischen "Entwurf eines Gesetzes über eine Verfassung für die Gemeinden, Kreise und Bezirke des preußischen Staates,,281 zu Grunde legen zu können, der die einzelnen Verwaltungsformen in seiner strikten Abwehrhaltung gegen staatliche Machtvollkommenheit weniger aus sachlichen Erwägungen, als aus der eingenommenen prinzipiellen Stellung schöpfte. 282 Einen entsprechenden Antrag d'Esters lehnte die NationalverUtemann, Selbstverwaltung, S. 58 f. A. a. 0., S. 94. Rönne, Kritische Bemerkungen über den Entwurf des Verfassungsgesetzes für den Preußischen Staat, Berlin 1848, S. 28. Susanne Böhr, Die Verfassungsarbeit der preußischen Nationalversammlung (= Europäische Hochschulschriften, R. 3, Bd. 505), Frankfurt/M. u. a. 1992, S. 87 ff. 280 Spenersche Zeitung, Ausgabe vom 15. Juli 1848. Siehe auch Neue Berliner Zeitung, Ausgabe vom 23. Juli 1848. 281 StBNV, Bd. 2, S. 814-825. 282 Utermann, Selbstverwaltung, S. 133. Vgl. auch weiter unten. 278 279

36 Grzywatz

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

sammlung mit knapper Mehrheit ab. Am 15. August folgte der Regierungsentwurf, der sich auf eine ausführlich motivierte Gemeindeordnung beschränkte. 283 Der Präsident übergab den Entwurf den durch Auslosung gebildeten acht Abteilungen der Nationalversammlung zur Beratung. Der Regierungsentwurf zur Kommunalverfassung nahm im Verhältnis von Staat und Gemeinde eine insgesamt liberale Stellung ein, der es um die Durchsetzung und Kräftigung des "Prinzip(s) der Selbständigkeit und Selbstverwaltung der Gemeinden,,284 ging, ohne daß über die Bindung an den Staat hinweggegangen und seine Bedürfnisse vernachlässigt wurden. Wenn die verschiedenen städtischen und ländlichen Gemeindeverfassungen Preußens, die der Entwurf allesamt zu Rate gezogen hatte, nicht miteinander in Einklang zu bringen waren, gab er den Bestimmungen der Städteordnung von 1808 den Vorzug, "weil sie die freisinnigsten und in den meisten und größten Städten des Staates Geltung,,285 besaßen. Nur im Hinblick auf das Wahlverfahren lehnte sich der Entwurf an das belgische Kommunalgesetz von 1830 an. Das passive Gemeindewahlrecht war weder durch Einkommen noch Grundbesitz eingeschränkt. Jeder preußische Staatsbürger konnte, soweit er über 24 Jahre alt und seit einem Jahr Gemeindebürger war, zu allen Gemeindeämtern gewählt werden. 286 Gegenüber der allgemeinen Wählbarkeit blieb die Wahlberechtigung verschiedenen Beschränkungen unterworfen, die je nach Ortsgröße alternativ in gestaffelten Werten für Grundbesitz oder in Einkommenssätzen festgelegt waren. In den Gemeinden mit über 5000 Einwohnern setzte das aktive Wahlrecht entweder einen Grundbesitz im Werte von 500 Talern oder ein reines Einkommen in Höhe von 200 Talern voraus.z87 Dieser Zensus wurde jedoch nicht unerheblich durch die Bestimmung relativiert, daß die Wählerschaft die Hälfte der über 24jährigen männlichen Gemeindebewohner ausmachen sollte. Falls diese Bedingung nicht erfüllt wurde, mußten in entsprechendem Maße die Grundvermögens- und Einkommenssätze herabgesetzt werden. 288 Die Staatsregierung begründete dieses System durch die bereits bei der Reform des älteren Kommunalrechts prinzipiell entwickelte Annahme, daß eine wirklich unabhängige Stellung in der Gemeinde durch Vermögen oder Einkommen begründet wurde, deren Maß sich nach den örtlichen Verhältnissen richtete. "Wer noch keine selbständige Existenz hat", hieß es in den Motiven des Regierungsentwurfs, "wer fremder Unterstützung bedarf oder doch seinen Lebens-Unterhalt dem Willen eines Anderen verdankt, wird 283 284 285 286 287 288

StBNV, Bd. 2, S. 786-796. Motive, GORegEntw, 1848. StBNV, Bd. 2, S. 790. Ebd. § 5, Abschnitt I, GORegEntw, 1848. A. a. 0., S. 786. § 8, Abs. 1, Ziff. 1-3, Abschnitt 1, GORegEntw, 1848. Ebd. § 8, Abs. 3, Abschnitt 1, GORegEntw, 1848. Ebd.

4. Die gescheiterte grundrechtliche Garantie der Selbstverwaltung

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auch noch auf das Recht, die Gemeindevertretung zu wählen, verzichten müssen; denn diese Vertretung soll ein sehr weit gehendes Besteuerungsrecht über die Besitzenden ausüben und das Gemeindevermögen haushälterisch verwalten".289 Da das aktive Wahlrecht aber stets der Hälfte aller über 24 Jahre alten männlichen Einwohner in jeder Gemeinde zustehen sollte, war nach Auffassung der Regierung nicht nur verhindert, daß das Kommunalwahlrecht zu einem Privileg weniger Personen wurde, sondern auch für die Wahrnehmung der Interessen der Besitzlosen hinlänglich gesorgt. 290 Die allgemeine Wählbarkeit der Gemeindemitglieder wie die für sämtliche Einwohner eröffnete Möglichkeit, zu wichtigen Gemeindeangelegenheiten, beispielsweise dem Haushaltsetat, den Rechnungen, Grundstücksankäufen und -veräußerungen, langfristigen Verpachtungen, den Veränderungen im Genuß von Gemeindenutzungen oder der Anlage von kommunalen Straßen nach Offenlegung seitens der städtischen Körperschaften Stellung nehmen zu können, gab den Besitzlosen weitere Mitwirkungsrechte. 291 Die Bindung der Gemeinden an den Staat vermittelte der Entwurf über das Bestätigungs- und Aufsichtsrecht sowie die Genehmigungspflicht einzelner Gemeindebeschlüsse. Die Bürgermeister und Beigeordneten bedurften der Bestätigung durch die Staatsregierung, in Gemeinden unter 10000 Einwohnern war der Bezirkspräsident zuständig, in allen größeren Städten der Landesherr. Wenn dem Bürgermeister die Ortspolizei nicht übertragen war, sollte der Gemeinderat drei Kandidaten wählen, von denen der Landesherr einen zum Stadtoberhaupt ernannte. Als deutliches Zugeständnis an die Selbstverwaltung mußte das Anhörungsrecht des Bezirksausschusses im Falle einer Bestätigungsversagung betrachtet werden. Erst nach zweimaliger Nichtbestätigung stand dem Bezirkspräsidenten bzw. dem Landesherm das Recht zur freien Ernennung des Bürgermeisters ZU. 292 Da die gesamte Beaufsichtigung der Kommunalverwaltung, insbesondere bei der Steuererhebung, der Veräußerung von Grundstücken und Gerechtsamen, der Aufnahme von Anleihen, der Veränderungen im Genuß der Gemeindenutzungen sowie der Etatisierung von Leistungen, die der Gemeinde gesetzlich oblagen,293 dem Bezirksausschuß übergeben war, und damit einer "ge289 Motive, GORegEntw, 1848. Aa.O., S. 791. Allgemein zur zeitgenössichen Beurteilung des liberalen Wahlrechtsmodells und seines zentralen Qualifikationsbegriffs der Selbständigkeit vgl. [Johann Kaspar] Bluntschli, Wahlrecht und Wählbarkeit, in: Ders., Staatwörterbuch, Bd. 3, bearb. u. hrsg. von [Edgar] Loening, Zürich 1872, S. 894 ff. Vgl. auch Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 62 ff. 290 Ebd. 291 § 5, Abschnitt 1 u. §§ 43,44, Abschnitt 4, GORegEntw, 1848. A a. 0., S. 786 u.788. 292 § 28, Abs. 3 u. § 30, Abschnitt 3, GORegEntw, 1848. Aa.O., S. 787. 293 §§ 45, 47, Abs. 2, Abschnitt 4, § 78, Abschnitt 9, GORegEntw, 1848. Aa.O., S. 788 u. 790. 36*

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

wählten, völlig unabhängigen Bezirks-Vertretung", wollte sich die Regierung nicht mit einer geringeren Garantie als dem Vorbehalt der Bestätigung des Gemeindevorstands zufrieden geben. "Dafür, daß das Recht, die Bestätigung zu versagen, nicht ohne die sorgfältigste Erwägung der Verhältnisse ausgeübt werde", suchte der Regierungsentwurf den staatlichen Vorbehalt zu rechtfertigen, "ist indessen den Gemeinden wiederum eine Bürgschaft dadurch gegeben, daß die Versagung nur nach Anhörung jenes Ausschusses erfolgen darf,?94 Eine über das spätere Auflösungsrecht der östlichen Städteordnung hinausgehende Bestimmung übertrug dem Landesherrn das Recht, einen Gemeindevorstand, Gemeinderat oder Samtgemeinderat vorläufig seines Amtes zu entheben und dieses besonderen Kommissarien zu übertragen, während die "schließliche Bestimmung" durch Gesetz erfolgen sollte. 295 Wie in den späteren Städteordnungen sah man das Auflösungsrecht des Monarchen durch das konstitutionelle Prinzip gerechtfertigt. Da jeder Fall zur Kenntnis der Volksvertretung gebracht werden mußte, war den Gemeinden eine Garantie gegeben, daß das Auflösungsrecht "nicht ohne Noth" zur Ausübung kam und das Gemeindeinteresse "gehörig" gewahrt wurde?96 Die Konstruktion eines parlamentarischen Schutzes der Kommunen blieb der liberalen Gesetzgebung der Revolutionsperiode verpflichtet, die späteren Regelungen kehrten zum unbeschränkten staatlichen Auflösungsrecht zurück. Während der Regierungsentwurf in seinen prinzipiellen Entscheidungen nicht weit über das bestehende Städterecht hinausging, bedeutete die Ausdehnung der bürgerlichen Gemeindeverfassung auf den ländlichen Osten "eine revolutionäre Umwälzung,,?97 Das bislang mit den Landgemeinden verbundene Patrimonial wesen, die Grund-, Schutz- und Gutsherrlichkeit sollten nicht in der neuen Gemeindegesetzgebung aufrechterhalten werden, damit aber auch nicht mehr die eigentliche Scheidewand zwischen ländlichen und städtischen Verhältnissen, die nicht in den verschiedenen Wohnund Wirtschaftsformen, sondern in der differierenden Polizei- und Justizverfassung zu suchen war?98 An diesem Punkt setzte die konservative Opposition gegen die spätere Gemeindeordnung an. Der Gesetzentwurf der demokratischen Linken zur Gemeinde-, Kreisund Bezirksverfassung begriff die Selbstverwaltung lediglich als Funktion der Freiheit und damit in ausschließlicher Konfrontation gegen die staatliche Machtausübung. Die Demokraten waren vor allem bestrebt, die Selbst294 295 296 297 298

Motive, GORegEntw, 1848. Aa.O., S. 792. § 80, Abschnitt 19, GORegEntw, 1848. Aa.O., S. 790. Motive, GORegEntw, 1848. Aa.O., S. 793. Utermann, Selbstverwaltung, S. 133. Motive, GORegEntw, 1848. StBNV, Bd. 2, S. 790.

4. Die gescheiterte grundrechtliche Garantie der Selbstverwaltung

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verwaltung der Gemeinden in den eigenen Angelegenheiten vollständig zur Geltung zu bringen. Die Gemeindeordnung sollte den Kommunen nicht nur das Recht sichern, alle Behörden, die zur Beratung und Ausführung ihrer Angelegenheiten berufen waren, selbständig zu wählen, sondern die Gemeindebeschlüsse auch von der Bevormundung durch höhere Behörden, die "kein Ausfluß der Machtvollkommenheit der Gemeindebürger" waren, zu befreien?99 Das Kommunalwahlrecht unterlag keiner Beschränkung, lediglich der halbjährige Aufenthalt in der Gemeinde war gefordert. 300 Die staatliche Aufsicht wurde durch das organisierte "Recht der Bevormundung von unten" ersetzt, indem wichtige Entscheidungen, so bei Veräußerungen von Grundbesitz, Verwendung von Gemeindeüberschüssen, Kapitalaufnahmen, Erhebung neuer Steuern, Straßenanlagen oder bei Streitigkeiten zwischen Bürgermeister und Gemeinderat, allein der Gemeindeversammlung vorbehalten blieben, die aus sämtlichen männlichen Gemeindeeinwohnern bestand. 30l In Gemeinden unter 3000 Einwohnern waren die Versammlungen ungeteilt, in größeren Städten sollten sie nur in technischer Hinsicht in Abteilungen geteilt werden, von denen keine mehr als 3000 und nicht weniger als 1500 Einwohner enthalten sollte?02 In einer Großstadt wie Berlin, die im Jahre 1848 eine mittlere Bevölkerung von etwa 412000 Einwohnern303 aufwies, hätte diese Vorschrift im günstigsten Fall die Konstituierung von 137 Abteilungen verlangt. Ein Organisationsaufwand, der weder finanziell zu rechtfertigen war noch praktische administrative Erfolge zeitigen konnte, zumal die Verfasser des opponierenden Entwurfs die Entscheidungen über die wesentlichsten Fragen und Konflikte der Gemeindepolitik in ein ständiges Ja- oder Nein-Schema pressen wollten?04 Die Gemeindeversammlung entschied nicht nur über sämtliche Kommunalangelegenheiten, gleichzeitig übte sie auch die Aufsicht über die Gemeindeverwaltung aus, die zum puren Ausführungsorgan degradiert wurde. Der Gemeinderat bildete gegenüber der mit umfassenden Entscheidungsund Kontrollbefugnissen ausgestatteten Gemeindeversammlung nur noch eine nachgeordnete Instanz, die über die ihr verbleibenden Kommunalgeschäfte beschloß. Der Rat war der Gemeindeversammlung rechenschaftspflichtig und im allgemeinen aufgefordert, den Gemeindebewohnern und den Mitgliedern höherer Behörden auf Verlangen Mitteilung über seine Beratungen zu machen. Nur für "eine gewisse Zeit" durften geheim gefaßte Beschlüsse der Gemeindeversammlung vorenthalten werden. 305 299 300 301 302 303 304

Motive, GODemEntw, 1848. A. a. 0., S. 824. § 10, Abschnitt 2, GODemEntw, 1848. A.a.O., S. 815. §§ 10 u. 12, Lit. abis f, Abschnitt 2, GODemEntw, 1848. Ebd. § ll, Abschnitt 2, GODemEntw, 1848. Ebd. SJStBln, 32. Jg, (1908111), S. 4. § 17, Abschnitt 2, GODemEntw, 1848. StBNV, Bd. 2, S. 815.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

Neben der vom Gemeinderat eingerichteten Deputation führten der Bürgermeister und die Beigeordneten die eigentliche Verwaltung aus. Hierzu gehörte auch die Administration sämtlicher Zweige der Ortspolizei. "Requisitionen der öffentlichen Macht" waren ebenso wie der Erlaß von Polizeireglements und Verordnungen bei Gefahrenverzug allein dem Bürgermeister überantwortet. In bei den Fällen handelte er gleichsam im Auftrag des Gemeinderats, d.h., die Anordnungen des Stadtoberhaupts mußten während der nächsten Sitzung des Gemeinderats bestätigt werden, ansonsten verloren sie ihre Gültigkeit. 306 Zum Personalressort des Bürgermeisters gehörte die Beaufsichtigung der besoldeten Beamten. Eine Anstellungsbefugnis hatte er jedoch nur im Hinblick auf die mechanische Dienste leistenden Beamten, alle übrigen Gemeindebeamten wurden durch den Gemeinderat gewählt. 307 Die ausgeklügelten Kontrollmechanismen und die differenzierte Verteilung der Kompetenzen sollte gleichsam jede bürokratische Verselbständigung eines Gemeindeorgans verhindern und jederzeit die Souveränität der Gemeindeversammlung absichern helfen. Den Staatsbehörden verblieben im Gemeindebereich nur jene Angelegenheiten, die nicht zur eigentlichen Verwaltung der Gemeinden gehörten, wie die Administration des Militärwesens und der Staatssteuern, der Bau und die Unterhaltung der Staatsstraßen oder die Verwaltung der Staatsdomänen und Forsten. 308 Da der Staat nicht völlig in eine Föderation einzelner Gemeinden zerfallen, auch "dem Interesse der Allgemeinheit des Staates" irgendeine Gelegenheit gegeben werden mußte, "sich geltend zu machen", wollten ihm die Demokraten ein Beschwerderecht gegen Verwaltungsregelungen zubilligen, die gemeingefahrlieh waren oder bestimmten Gesetzen zuwiderliefen. 309 Dadurch daß den Staatsbehörden zur Wahrung dieser Funktion, neben allen Stufen der kommunalen Organisation, der Aufbau einer Staatsanwaltschaft gestattet wurde, die Entscheidung über die staatlichen Beschwerden aber nur "gewählten Behörden", in letzter Instanz der Nationalversammlung, zustand, wurde ein scharfer Gegensatz zwischen den Staatsund den Selbstverwaltungsorganen aufgebaut. Die Staatsanwaltschaft hatte nicht nur über die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Gefährdung des staatlichen Interesses zu wachen, sondern sie war ebenso befugt wie verpflichtet, die im Interesse des Staates notwendig erscheinenden Anträge bei den verschiedenen Kommunalbehörden zu stellen und zu begründen. Zu diesem Zweck konnte der jeweilige Staatsanwalt die Einberufung der zuständigen Gemeinde-, Kreis- und Bezirksbehör305 306 307 308 309

§§ 31, 33, Abs. 2, u. 50, Abschnitt 3, GODemEntw, 1848. A.a.O., S. 816 f. §§ 60 u. 65, Abschnitt 4, GODemEntw, 1848. A.a.O., S. 817. § 59, Abschnitt 4 u. § 52, Abschnitt 3, GODemEntw, 1848. Ebd.

Ebd. A. a. 0., S. 824 f.

4. Die gescheiterte grundrechtliche Garantie der Selbstverwaltung

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den verlangen?lO Die eben erst proklamierte Gemeindefreiheit schlug hier unversehens in eine ausgeprägte Staatsallmacht um, zumal dem Staat umfassende Einsichts-, Prüfungs- und Beschwerderechte eingeräumt wurden. Mochte Julius Berends sich im Namen der Berliner Linken für die "Verwirklichung der Demokratie" in ihrer "wahrhaften Form" einsetzen und sich für die Verabschiedung des demokratischen Entwurfs aussprechen, der nach seiner Ansicht im Gegensatz zur französischen Zentralisation das Prinzip der Selbstverwaltung konsequent realisierte und die besitzlosen Klassen von der kommunalen Partizipation nicht ausschloß,3!! weder die bürgerliche Öffentlichkeit der Metropole noch die städtischen Körperschaften waren bereit, einer Gemeindeordnung zu folgen, die den Besitz als soziale Grundlage des Gemeindewesens aufgab und durch das allgemeine Wahlrecht eine politische Majorität der besitzlosen Klassen provozierte?!2 Selbst das Wahlrecht des Regierungsentwurfs ging der bürgerlichen Öffentlichkeit zu weit. Es gab sogar Versuche an einem Gemeindebürgerrecht festzuhalten, das durch Geburt, Einkauf oder Schenkung erworben wurde, um das Verhältnis zwischen dem Besitzbürgertum und den Besitzlosen zu regulieren? 13 Der Einkommens- und Besitzzensus war seitens der Kommunalbehörden nicht ein zentraler Gegenstand der Kritik. Immerhin erkannte man an, daß er ein gewisses Maß an Willkürlichkeit enthielt und in den einzelnen Städten wie Ortschaften völlig unterschiedliche Wirkungen haben würde. Auf dem Mitte September von der Provinz Preußen einberufenen Städtetag in Elbing entschieden sich deshalb die Kommunalvertreter, nachdem man zunächst in der Frage des Gemeindewahlrechts dem Regierungsentwurf gefolgt war, gegen den Zensus. An seiner Stelle sollte jeder Beitrag zu den direkten Gemeindekosten zum kommunalen Wahlrecht befähigen?!4 Die Mehrheit des Städtetages folgte damit dem Prinzip, daß gleiche Pflichten auch gleiche Rechte bedingten. Die Zensusbefürworter wollten hingegen im Kommunalwahlrecht weniger ein politisches Recht als die gesetzliche Be310 311

312 313

1848.

§§ 183 bis 186, T. 4, GODemEntw, 1848. A.a.O., S. 822. Utermann, Selbstverwaltung, S. 178. Vgl. Vossiche Zeitung, Spenersche Zeitung, Ausgaben vom 24. August 1848. Vgl. Neue Berliner Zeitung, Ausgaben vom 12. Juli, 9. August u. 7. Oktober

314 Adresse und Denkschrift des Städtetages der Provinz Preußen an die hohe National-Versammlung zu Berlin über die der Gemeinde-Ordnung bevorstehenden Reformen, Elbing 1848, S. 5. Die Denkschrift wurde, das soll hier nicht unerwähnt bleiben, von einer Kommission ausgearbeitet, die sich aus den Bürgermeistern Sperling (Königsberg) und Krause (Elbing), den Elbinger Stadträten Flottwell (Deputierter für Bischofswerder), Kohtz und Wegner sowie den Stadtverordneten von Riesen und Simpson (Elbing) zusammensetzte. Siehe die Anlage zur oben genannten Denkschrift.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

fugnis sehen, das Kämmereivennögen zu verwalten und die Stadteinwohner im Interesse der kommunalen Bedürfnisse zu besteuern. 315 Gegen das im Entwurf der demokratischen Linken propagierte allgemeine Wahlrecht bemerkte der Städtetag lediglich, daß dadurch zwar eine konsequente Verwirklichung des demokratischen Prinzips angestrebt wurde, der Durchführung der Gemeindeverwaltung aber, vor allem auf Grund der häufigeren Wahlversammlungen und der dabei nicht auszuschließenden Politisierung der Öffentlichkeit, nicht förderlich sein konnte?16 Eine Minderheit der Städtevertreter plädierte immerhin für die Quotisierungsklausel des Regierungsentwurfs, auch wenn, wie sich nach Berechnungen für einzelne Städte herausstellte, durch diese Bestimmung das Kommunalwahlrecht auf die unteren Schichten der Stadtbevölkerung ausgedehnt wurde. Das beste Mittel gewaltsamen Bewegungen vorzubeugen, bestand nach Ansicht des Justizamtmanns Röpell darin, den "unteren Volksklassen" die politische Mündigkeit im Gemeindeleben zu eröffnen. "Besser sei es", bemerkte der Konitzer Deputierte, "das freiwillig zu geben, was sonst vielleicht auf blutigem Wege genommen werde".317 Die Mehrheit der Deputierten wurde jedoch von der Furcht geleitet, das Proletariat könnte zukünftig am Stadtregiment teilnehmen und lehnte deshalb die Quotisierungsklausel als Inkonsequenz des Wahl verfahrens ab. Wahlberechtigt sollte nur derjenige Stadtbewohner sein, der in den zurückliegenden zwei Jahren kommunalsteuerpflichtig gewesen war. 318 In den östlichen Provinzen machte sich inzwischen, das wurde auf dem Elbinger Städtetag sämtlichen Beobachtern deutlich, eine starke Stimmung für die Erhaltung der Städteordnung von 1808 bemerkbar. Das ältere Kommunalrecht wurde, ohne eine tiefere Kenntnis von den politischen Zielsetzungen der Refonnzeit zu haben,319 als "Palladium der bürgerlichen Freiheit" und Denkmal der "demokratischen Periode Preußens,,320 geradezu em315 A a. 0., S. 3 f. Vgl. auch das Protokoll der 2. Sitzung des Städtetages am 20. September 1848. Vorhanden in: LAB, StA, Rep. 01-02, Nr. 2766, S. 4-12. 316 Adresse, Städtetag der Provinz Preußen, 14. Oktober 1848, S. 14. 317 Protokoll, 3. Sitzung des Städetages, 21. September 1848. LAB, StA Rep. 0102, Nr. 2766, S. 18. Für Königsberg ergab die projektierte Regelung, daß die Hälfte der männlichen, über 24 Jahre alten Bevölkerung zum Kreis der Wahlberechtigten gehören mußte, selbst unter Berücksichtigung der untersten Steuerstufen von 100 bis 200 Reichstaler, ein Wählerdefizit von 4000. Es mußten demnach Stadtbewohner, die nicht kommunalsteuerpflichtig waren, in den Kreis der Wahlberechtigten aufgenommen werden. Für andere Städte wie Elbing, Danzig oder Insterburg war man zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Adresse, Städtetag der Provinz Preußen, 14. Oktober 1848, S. 5. 318 Aa.O., S. 4 f. 319 Utermann, Selbstverwaltung, S. 180. 320 Spenersche Zeitung, Nr. 196, Ausgabe vom 23. August 1848.

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phatisch gepriesen. Die Verklärung der Städteordnung sowie des Freiherrn vom Stein als eigentlichem Begründer der Kommunalrechtsreform setzte demnach schon während der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen der Revolutionszeit ein und nicht, wie neuerdings erläutert wird,321 mit der Selbstverwaltungstheorie des preußischen Konstitutionalismus, als deren profiliertester Vertreter Rudolf von Gneist gilt. Der Städtetag erkannte den Mangel des älteren Gemeinderechts an, die Wählbarkeit auf den engen Kreis des Wahlbezirks zu beschränken und die Kommunalbevölkerung nach Schutzverwandten und Bürgern zu unterscheiden. Das sollte nicht so bleiben. Die Kommunalbürokratie wünschte insbesondere den kollegialen Magistrat mit seinem Beanstandungsrecht beizubehalten. Der Regierungsentwurf gab dem Bürgermeister dagegen eine herausragende Stellung innerhalb des Gemeindevorstands, die in der Städteordnung von 1808 nicht angelegt war, durch die Instruktion für die Stadtmagistrate von 1835 inzwischen aber auch im Gebiet des älteren Städterechts zur Verfassungswirklichkeit gehörte. Das Beanstandungsrecht gegenüber Beschlüssen der Gemeindevertretung blieb allerdings dem Magistratskollegium vorbehalten, wenngleich dieses Kollegialrecht der kommunalen Exekutive durch die Verpflichtung des Magistratsdirigenten darauf zu sehen, daß der Magistrat und die Kommune ihren Verpflichtungen gegen den Staat und dessen Behörden "gebührend" nachkamen, erheblich relativiert wurde. 322 Der Regierungsentwurf zur Gemeindeordnung verlieh das Beanstandungsrecht allein dem Bürgermeister, der die Ausführung gesetzwidriger Beschlüsse der Gemeindevertretung oder solcher, die gegen das allgemeine Interesse verstießen, aussetzen und die sofortige Entscheidung des Bezirksausschusses einholen mußte?23 Die verfassungspolitische Entscheidung zugunsten einer weiteren Stärkung des Magistratsdirigenten, dem schließlich im Gegensatz zum älteren Städterecht auch die gesamte Ortspolizei übertragen werden sollte, trug ebenso wie die Verschärfung der Staatsaufsicht nicht unerheblich dazu bei, daß in den städtischen Körperschaften Berlins wie in den übrigen Großstädten der östlichen Provinzen die Befürworter der weiteren Geltung der Städteordnung von 1808 zunehmend die Oberhand gewannen. Der Berliner Magistrat hatte, sobald die Kommunalbehörden von der Arbeit der Regierung an einer neuen Gemeindeordnung in Kenntnis gesetzt worden waren, eine Kommission gebildet, die einen selbständigen Entwurf für eine neue Städte- und Gemeindeordnung ausarbeiten sollte. Am 25. Juli bat die kommunale Exekutive Innenminister von Kühlwetter, bei der besonScarpa, Gemeinwohl, S. 188. Vgl. § 20, Abs. 2, Ziff. 7, InstrStMag, in: APSV, Bd. 19 (1835), H. 3, S. 743. Über die Rolle Berlins bei der Etablierung der Instruktion vgl. oben Kap. 4. 323 § 77, Abschnitt 9, GORegEntw, 1848. StBNV, Bd. 2, S. 790. 321

322

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deren Wichtigkeit der Gemeindeverfassung noch vor Abschluß der Beratungen Gutachten der großstädtischen Magistrate einzuholen. Das Ministerium lehnte den Vorschlag indessen gegen Ende des Monats ab. 324 Trotzdem setzten die Gemeindebehörden die Arbeit der Kommission nicht aus, die Grundzüge eines Entwurfs waren im August 1848 fertiggestellt. 325 In der zweiten Oktoberhälfte beschlossen die städtischen Körperschaften für den 22. November zu einem allgemeinen preußischen Städtetag nach Berlin einzuladen, um ebenso über den Regierungsentwurf als auch über die "Grundprinzipien einer neuen Gemeindeordnung" zu beraten. 326 Die radikalere liberale Öffentlichkeit der Hauptstadt mißbilligte diese Initiative, da die Aufgabe, ein neues Gemeindegesetz auszuarbeiten, allein der Nationalversammlung oblag. Man erwartete, da eine Stadt und Land verbindende Kommunalordnung in Ansicht genommen war, von den Stadtmagistraten nur einseitige Urteile. Die Aufhebung des Unterschieds zwischen Stadt und Land sahen linksliberale Kreise als wichtigste und notwendigste Reform an, sollte die Staatseinheit konstituiert und "in der Fortbildung der Orts-, zur Kreis- und Bezirksgemeinde eine volksthümliche, übersichtliche und wohlfeilere Verwaltung geschaffen werden",327 deren Begründung man für ebenso wichtig hielt wie die eigentliche Verfassungsgebung. Die gemäßigten Liberalen zweifelten hingegen an der Notwendigkeit eines einheitlichen Kommunalrechts und warnten beflissentlieh vor einer Liberalisierung. Die Stadtentwicklung war in ihren Augen an die Förderung des Grundeigentums und Gewerbes gebunden. "Kann dieses Interesse", wurde in der Vossischen Zeitung gefragt, "nun wohl durch Personen vertreten sein, welche das ihrige gefördert sehen, wenn der Miethzins auf die Hälfte herabsinkt und der Arbeitslohn in das Unendliche steigt?,,328 Für den gemäßigten Kommunalliberalismus bildete die "breite demokratische Grundlage der Städteordnung von 1808" die äußerste Grenze der politischen Teilhabe in der Gemeinde. Die vom Berliner Magistrat vorgeschlagene gemeinsame Konferenz der Städte scheiterte unterdessen, da der Magistrat durch die am 12. November angeordnete Verhängung des Belagerungszustands gezwungen war, die Veranstaltung abzusagen. Die Beratung der Gemeindeordnungsentwürfe kam nicht über die einzelnen Abteilungen der Nationalversammlung hinaus. Mitte September beginnend, dauerte sie bis in den November hinein, ohne daß sich auch nur Kon324 Utennann, Selbstverwaltung, S. 99. Die Antwort des Innenministers vom 29. Juli in LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2766, BI. 3. 325 Vg1. dazu im einzelnen weiter unten. 326 Einladungsschreiben des Berliner Magistrats vom 24. Oktober 1848. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2766, BI. 61 f. 327 Spenersche Zeitung, Nr. 196, Ausgabe vom 24. August 1848. 328 Vossische Zeitung, Nr. 261, Ausgabe vom 7. November 1848.

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turen einer prinzipiellen Entscheidung für die Regelung der gemeindlichen Selbstverwaltung abzeichneten. In der wichtigen Wahlrechtsfrage standen sich die liberale Freiheitsidee und die demokratische Gleichheitsforderung unversöhnlich gegenüber. Der bürgerliche Liberalismus hielt, ausgehend von dem Theorem der im wesentlichen wirtschaftlichen Natur des Gemeindeverbandes, an der Selbständigkeit als Voraussetzung des Gemeindewahlrechts fest. Selbständigkeit, das bedeutete immer soziale Unabhängigkeit, da die Gemeinde eine "Kommunio des Vermögens" war, durften nur "Teilnehmer der Interessen" an der Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten partizipieren. Dieser Auffassung schlossen sich fast sämtliche Abteilungen an. Grundbesitz, selbständiger Gewerbebetrieb, eigener Hausstand und der Beitrag zu den Gemeindelasten sollten gemeinhin zum Kommunalwahlrecht befähigen. 329 In einigen Abteilungen folgte man mehr oder weniger direkt dem Zensus des Regierungsentwurfs. Der Berliner Stadtrat Duncker, der als einer der Referenten der vierten Abteilung 330 maßgeblichen Anteil an der Vorberatung der Entwürfe hatte, sprach sich gegen den Zensus des Regierungsentwurfs aus. Er betrachtete den Beitrag zu den Gemeindelasten als "allein richtiges Prinzip" der Wahlberechtigung. Da aber die uneinheitlichen kommunalen Steuerverhältnisse eine Durchführung dieses Prinzips unmöglich machten, wollte sich Duncker mit der Regelung begnügen, lediglich Dienstboten und Empfänger von Armenunterstützung vom Wahlrecht auszuschließen. 331 Mit dieser Auffassung konnte er sich nicht durchsetzen, die Mehrheit der Abteilung schloß sich wie die dritte Abteilung dem Regierungsentwurf mit der Einschränkung an, daß zwei Drittel der männlichen Einwohner über 24 Jahre wahlberechtigt sein mußten. Mit dieser Regelung wäre es unterdessen auch zu einer erheblichen Ausweitung des kommunalen Wahlrechts in den Gemeinden gekommen. Die Gleichheit der Gemeindeordnung für Stadt und Land, die vor allem als Mittel zur Aufhebung der Patrimonialverhältnisse gewertet wurde, akzeptierte man in allen Abteilungen ohne großen Widerspruch. 332 Im Grunde genommen wurde von einem großen Teil der Kommunen auch das Ziel der Staatsregierung akzeptiert, Gemeinden zu Gesamtgemeinden zu vereinigen, wenn diese ökonomisch nicht in der Lage waren, einzelne Aufgaben, beispielsweise im Bereich des Schul- und Armenwesens, selbständig zu übernehmen. Soweit von derartigen verwaltungsorganisatorischen Maßnahmen hingegen Städte betroffen waren, erhob sich unter Vertretern der Kommunalbürokratie und des städtischen Bürgertums Widerspruch. 329 330 331 332

Utennann, A. a. 0., S. A. a. 0., S. A. a. 0., S.

Selbstverwaltung, S. 143 ff. 138. 144. 139.

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Der Elbinger Städtetag nahm zwar Rücksicht auf das Interesse kleinerer Städte, in Gesamtgemeinden aufgenommen zu werden, und sah in dieser Organisationsform durchaus ein wirksames Instrument, wirtschaftlich schwachen Städten die Mittel zur Beschaffung einer selbständigen Verwaltung zu ermöglichen, aber dessenungeachtet bedeutete die Einbindung in eine Gesamtgemeinde einen Eingriff in wohlerworbene Rechte einer als "separates Gemeinwesen" bestehenden Stadt?33 Eingriffe in die Selbständigkeit der Städte, so die abschließende Forderung des Städtetages, durften nur auf legislatorischem Wege geschehen. In der Regel sollten die Städte selbständige Kommunen bleiben. Der Städtetag argumentierte in deutlicher Abwehrhaltung gegen den Staat und meinte, im Gesetzesvorbehalt einen geeigneten Schutz gegen Akte staatlicher Willkür gefunden zu haben. Staatlicherseits war diese kommunale Organisationsfrage weniger politisch belastet. Es ging allgemein nur um den Aufbau leistungsfähiger Gemeinden, welche in der Lage waren, die Kommunallasten einschließlich der Auftragsangelegenheiten zu tragen. Das mußte letztlich auch im Interesse der Stadtgemeinden liegen. Im Hinblick auf das Verhältnis von Staat und Gemeinden regte sich in allen Abteilungen der Nationalversammlung Widerstand. Die Mehrzahl der Abteilungen strich das staatliche Bestätigungsrecht, ebenso wurde das Auflösungs recht des Königs abgelehnt, während man im Hinblick auf die Ausübung der Ortspolizei zu keiner einheitlichen Entscheidung kam. Einige Abteilungen folgten, obwohl sie die Ortspolizei als Selbstverwaltungsangelegenheit anerkannten, dem Regierungsentwurf. Die anderen unterschieden zwischen höherer, dem Staat vorbehaltenen Polizei und der für die Gemeinden reklamierten Ortspolizei, deren Ausübung durch den Gemeindevorsteher strenger an den Gemeinderat gebunden werden sollte. 334 Nachdem selbst die einzelnen Abteilungen nicht mehr in der Lage waren, ihre Beratungen abzuschließen, kam die am 1. November zusammengerufene Zentralabteilung nicht mehr zum Zuge. Mit der Novemberkrise fand die Behandlung der Gemeindeordnung vorläufig ein Ende. Selbst nach dem gewaltsamen Ende des "verfassungslosen Zustands,,335 sollte noch ein weiteres Jahr vergehen, bis die Plenarberatungen über einen weiteren Regierungsentwurf zur Gemeindeordnung in den Kammern des Landtags beginnen konnten. Die Neuordnung der höheren Kommunalverbände hätte nach dem Entwurf der Verfassungskommission zu einer Auflösung der Provinzialorganisation geführt. Ein Reformziel, das ebenso den Widerspruch des konservati333 334 335

Adresse, Städtetag der Provinz Preußen, 14. Oktober 1848, S. 13 f. Utermann, Selbstverwaltung, S. 152 f. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 2, S. 765.

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ven Grundadels hervorrief, der aus machtpolitischen Gründen an einer Erhaltung der Provinzialstände interessiert war, wie es unter den Gemeindevertretern umstritten war. Auf dem Elbinger Städtetag setzte man sich zunächst energisch für eine Provinzialorganisation ein, da sich die Städte von ihrer dezentralisierenden Wirkung eine bessere Verteilung der ökonomischen Entwicklungschancen erhofften. Nach Auffassung einzelner Städtevertreter drängte das gesamte Wirtschaftsleben ohnehin schon "übermächtig auf Zentralisation in der Hauptstadt hin", die "treibhausartige Vergrößerung" der Metropole hatte in ihrem "krankhaften Übermaß" zur Verarmung der kleineren Orte und zu einem erheblichen Wachstum des Proletariats geführt. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, mußten die Provinzialhauptstädte "als Mittelpunkte des Volkslebens im engeren Sinne" aufrechterhalten und neu belebt werden?36 Erst als eindringlich auf die Gefahren einer staatlichen Zersplitterung infolge der Provinzialorganisation aufmerksam gemacht wurde, entschied sich die Mehrheit der 74 Deputierten aus 57 ost- und westpreußischen Städten gegen die Provinzen. Die Reorganisationspläne Hansemanns mit ihrer Umgestaltung der Bezirksinstanz zur kommunalen Körperschaft und der Ablösung der Provinz als Kommunalverband waren zu Gunsten einer rationalisierten Verwaltungsorganisation gegen den übersteigerten Provinzialismus Preußens gerichtet, der sowohl der einheitlichen Staatsbildung als auch der künftigen Landesvertretung im Wege stand. Im Interesse der Monopolisierung der Staatsgewalt sollten keine starken Provinzialgebilde und Provinzialvertretungen mehr zugelassen werden, die Bezirke dagegen im Sinne einer vereinfachten Verwaltung und gestärkten Regierungsgewalt als einzige Mittelinstanz fortbestehen, während man die Bezirksregierungen bürokratisch umzubilden gedachte, was auf eine Abänderung des kollegialen Systems und eine Stärkung der Regierungsgewalt unter engerer Eingrenzung ihrer Kompetenzen hinauslief?37 Die Durchsetzung des bürokratischen Prinzips und einer einheitlichen staatlichen Verwaltungsorganisation waren in einer Zeit "gärender Verwaltungsvorstellungen,,338 jedoch nicht durchsetzbar. Selbst die Befürworter einer starken Selbstverwaltung auf neuer Grundlage gingen davon aus, daß "echte Selbstverwaltung" Bindungen voraussetzte. Durch die traditionslosen Bezirke waren nach ihrer Ansicht jedoch keine tragfähigen Bindungen herzustellen, so daß es sich anbot, auf die "korporative Kraft" der Provinzen zurückzugreifen. Damit stand aber auch die nach dem Entwurf der Verfassungskommission "zur Constituirung der Ersten Kammer nothwendige Revolutionirung des ganzen Landes,,339 zur Disposition. 336 337 338 339

Uterrnann, Selbstverwaltung, S. 179 f. A.a.O., S. 161 ff. Vgl. auch Heffter, Selbstverwaltung, S. 310 f. Uterrnann, Selbstverwaltung, S. 169. Leopold von Gerlach, Denkwürdigkeiten, Bd. 1, Berlin 1891, S. 256.

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Die oktroyierte Verfassung hielt zwar noch formell an den besonderen Beziehungen des Kommissionsentwurfs zum Selbstverwaltungsaufbau fest, so daß die Erste Kammer weiterhin aus der Wahl der Körperschaften der höheren Kommunalverbände hervorging, doch waren nunmehr einerseits die Provinzial vertreter mit einbezogen, andererseits die Möglichkeit angedeutet, im Rahmen einer Revision der Verfassungsurkunde einen Teil der Mitglieder durch königliche Ernennung in die Kammer eintreten zu lassen bzw. den Oberbürgermeistern sowie den Vertretern der Universitäten, Akademien der Wissenschaften und der Künste einen Sitz einzuräumen. 34o Der Abschnitt über die Kommunalverbände nahm die Provinzen wieder auf und brachte deutlich zum Ausdruck, daß die bestehende Landeseinteilung nicht geändert werden sollte. 341 Das Ernennungsrecht des Staates war nicht mehr auf die Vorsteher der Bezirke beschränkt, sondern schloß nach unten auch die Kreise ein, so daß das bedeutungsvolle Landratsamt der Wahl der Gemeinden entzogen wurde. 342 Die Ortspolizei überließ die oktroyierte Verfassung weiterhin den Gemeinden, forderte jedoch für "den Zeitpunkt und die Bedingungen des Übergangs" gesetzliche Bestimmungen. Darüber hinaus wurde dem Staat die Möglichkeit eröffnet, die polizeilichen Funktionen in Städten mit mehr als 30000 Einwohnern auf staatliche Organe zu übertragen?43 Bestimmungen zum Gemeindewahlrecht fehlten völlig, damit fiel das sehr weitgehende Wahlrecht des Kommissionsentwurfs, während sich gleichzeitig ankündigte, daß das allgemeine und gleiche Wahlrecht einer "Einteilung nach bestimmten Klassen für Stadt und Land" weichen würde?44 Mit der Bestimmung der oktroyierten Verfassung, daß das Staatsgebiet in Provinzen, Bezirke, Kreise und Gemeinden zerfallen, mithin kein Grundstück ohne Gemeindezugehörigkeit sein sollte, war zugleich eine gesetzliche Neuordnung der inneren Gliederung des Staates notwendig geworden. Die Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 wiederholte diesen Auftrag, in dem sie einerseits die allgemeine Durchführung einer korporativen Organisation des Staates von oben nach unten anordnete, andererseits die Selbständigkeit und das Selbstverwaltungsrecht dieser Korporationen, Provinzen, Bezirke, Kreise und Gemeinden, im Hinblick auf ihre inneren und besonderen Angelegenheiten anerkannte. 345 Das Ministerium des Innern überreichte der Ersten Kammer am 2. August 1849 zwei Gesetzentwürfe zur Gemeinde- sowie zur Kreis-, Bezirks340 341 342 343 344 345

Art. Art. Art. Art. Art. Art.

63, Tit. 5, OPrVerfUrk, 1848. OS 1848, S. 383. 104, Abs. I, Tit. 9, OPrVerfUrk, 1848. A. a. 0., S. 389. 104, Ziff. 2, Abs. I, Tit. 9, OPrVerfUrk, 1848. Ebd. 104, Ziff. 3, Tit. 9, OPrVerfUrk, 1848. A.a.O., S. 390. 67, Tit. 5, OPrVerfUrk, 1848. A. a. 0., S. 384. 105, PrVerfUrk, 31. Januar 1850. OS 1850, S. 33.

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und Provinzialordnung. 346 Die Ordnung für die regionalen Korporationen ließ die Kreise und Provinzen in ihrem bisherigen Umfang bestehen und rührte nicht am Status der Bezirke als bloße Gebietseinteilungen für die Verwaltung, so daß nur über die innere Wirksamkeit dieser politischen Verbände Regelungen getroffen werden mußten, auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann?47 Die Gemeindeordnung setzte sich ein ehrgeizigeres Ziel: Neben einer zeitgemäßen Einrichtung der Selbstverwaltung strebte man weiterhin eine Vereinheitlichung des Gemeinderechts an. Fortan sollte nur eine auf gleichen Grundlagen beruhende Gemeindeordnung für den ganzen Staat gelten mit der alleinigen Differenzierung zwischen Stadt und Land nach der Höhe der Einwohnerzahl. 348 Von den 37570 Gemeinden des preußischen Staates hatten nur 982 Städte und 6866 Landgemeinden eine auf gesetzlicher Grundlage bestehende Verwaltungsorganisation, d. h. in etwa vier Fünftel der preußischen Gemeinden entbehrten die Kommunalverhältnisse "eine(r) angemessene(n) Organisation,,?49 Vor allem in den sechs östlichen Provinzen der Monarchie waren durch die Agrargesetzgebung seit 1807 alle früheren Grundlagen der Landgemeinden aufgelöst, die Bestimmungen des Gendarmerieedikts über eine Kommunalordnung, welche das gesamte Kommunalverhältnis der Kreise, Städte und kleinen Gemeinden auf eine allgemeine Grundlage zurückzuführen gedachte, hatte man, wie bereits dargestellt, nicht ausgeführt. Gegenüber den Gegnern des einheitlichen Gemeinderechts, die an den provinziellen Sondergesetzen festhalten wollten, machte die Mehrheit der Ersten Kammer geltend, daß die korporative Organisation des Staates notwendig eine gleichmäßige Grundlage für ihre innere Gestaltung voraussetzte, sie wäre "die wirksamste Schutzwehr gegen eine die Gesellschaft in Atome auflösende, den Staat mit einem toten Mechanismus bedrohende Theorie,,?50 Hier schloß sich die Kammer den Motiven des Regierungsentwurfs an, nach denen man in einem allgemeinen Gemeindegesetz sowohl einen Beitrag zur Stärkung des "Bewußtsein(s) der Zusammengehörigkeit der verschiedenen Teile des Staates" als auch eine Erleichterung für "die Durchführung einfacher und richtiger Grundsätze in anderen Theilen der Gesetzgebung" wie beispielsweise dem Armenwesen, Volks schul unterricht, dem Wegebau, den gewerblichen Verhältnissen oder der Polizeiverwaltung 346 GORegEntw, 2. August 1849. StBEK, Bd. 2, S. 539-545. Motive, S. 549556; Entwurf einer Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung, A. a. 0., S. 545-550. 347 Siehe dazu Unruh, Kreis, S. 119 ff. Heffter, Selbstverwaltung, S. 317 f. 348 Vg!. Marie Peters, Beiträge zu dem Kampf um die preußische Gemeindeordnung vom 11. März 1850, Phi!. Diss., Breslau 1917, S. 29 f. 349 KomBer Binder, Prüfung des Entwurfs einer Gemeinde-Ordnung für den Preußischen Staat, 3. Dezember 1849. StBEK, Bd. 4, S. 1715. 350 Ebd.

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sah?51 Vereinheitlichung und Zusammengehörigkeit waren Säulen staatlicher Organisationsbedürfnisse, sie fanden in der Gemeindeordnung indessen nur eine beschränkte politische Entsprechung. Die Selbstverwaltungsaufgaben der den unmittelbaren Staatsorganen nachgeordneten Korporationen sah man in den Motiven der Regierungsentwürfe durch deren Aufgabe bestimmt, mit Hilfe ihres Eigentums und der vereinten Kräfte ihrer Angehörigen, "diejenigen Bedürfnisse zu befriedigen, die sich einerseits, dem Einzelnen sowie der Familie und den Privatvereinen oder dem kleineren politischen Verbande gegenüber, als gemeinsame darstellen, während sie andererseits, dem größeren Verbande oder dem Staate gegenüber, als besondere erscheinen".352 Die Verwaltung der örtlichen Polizeifunktionen gehörte nicht zu den Selbstverwaltungsaufgaben. Die Verfassungsurkunde räumte den Gemeinden nur noch eine Beteiligung an der Administration ein, die durch Gesetz festgelegt werden sollte. 353 Gleichzeitig bestand die Staatsregierung auf einer Stärkung der Kommunalbürokratie. Der Gemeindevorstand sollte vor allem die Befugnis erhalten, Gemeinderatsbeschlüsse aus Gründen der Gemeinwohlwahrung zu beanstanden, während die Bürgermeister verpflichtet wurden, die Ausführung ungesetzlicher oder das Staatsinteresse verletzender Beschlüsse der Gemeindevertretungen "von Amts wegen" oder auf Weisung der staatlichen Aufsichtsbehörden zu untersagen. 354 Die stadtbürgerliche Öffentlichkeit sah durch diese Regelungen sowohl "das Prinzip der Selbstregierung" in den Kommunen verletzt als auch eine Annäherung an das französische Präfektursystem gegeben, da die in solchen Fällen einzuholende Entscheidung von Regierungsbehörden oder wie im Falle des Bezirksrates von einer durch das Landratsamt staatlich dominierten Behörde getroffen werde mußte. 355 Die politische Teilhabe in der Gemeinde sollte nicht länger durch die korporative Trennung der Stadtbevölkerung in Bürger und Schutzverwandte bestimmt werden. Die Partizipationschancen wurden an die steuerliche Leistungsfähigkeit des Stadtbürgers gebunden und wahlpolitisch schließlich in einem Dreiklassenwahlrecht konkretisiert. In der Frage der Wahlberechtigung ging der Regierungsentwurf von dem Gesichtspunkt aus, daß die politischen Rechte in der Gemeinde ebenso wie die Teilnahme an den materiellen Vorteilen der Kommune der Beitragspflicht entsprechen würde und damit in der Regel jedem zustehen müßten, der zu den Bedürfnissen der Gemeinde beitrug. Die sonstigen Bedingungen der Volljährigkeit und SelbA. a. 0., Bd. 2, S. 550. GORegEntw 1849. StBEK, Bd. 2, S. 549. 353 Vgl. Art. 105, Ziff. 3, Abs. 2, PrVerfUrk, 1850. GS 1850, S. 33. Vgl. dazu weiter unten Kap. 6, Unterabschnitt 7. 354 §§ 53, Ziff. 2 u. 81, GORegEntw 1849. StBEK, Bd. 2, S. 542 u. 544. 355 Spenersche Zeitung, Nr. 270, Ausgabe vom 18. November 1849. 351

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ständigkeit, des einjährigen Aufenthalts in der Gemeinde sowie des Besitzes der staatsbürgerlichen Rechte stellten keine grundsätzlichen Einschränkungen des Wahlrechts dar, sondern beinhalteten vielmehr "nur die unerläßlichen Regeln" für dessen Ausübung. 356 Das Erfordernis des einjährigen Wohnsitzes bedeutete für den Wahlberechtigten nur eine aufschiebende Bedingung, während es für die Gemeinde selbst als Kriterium für die wirkliche Ortszugehörigkeit diente. Da man die Beitragspflicht zu den kommunalen Lasten jedem selbständigen Gemeindebewohner ohne Ausnahme auferlegte, wurde "mit einem Worte das allgemeine Wahlrecht aller selbständigen Einwohner sanktioniert, sobald sie nur durch einjährigen Wohnsitz in eine dauernde Verbindung zu der bestimmten Gemeinde getreten" waren. 357 Hier ergab sich eine bedeutende Abweichung von den Regelungen des bislang geltenden Gemeinderechts, das immer einen gewissen nach Qualität, Wert oder Steuerbetrag näher definierten Grundbesitz oder ein nach Betrag und Steuersatz erkennbares Einkommen zur Bedingung der Wahlberechtigung machte und in den Städten, mit alleiniger Ausnahme der Rheinprovinz, überdies noch zum Kriterium für die Aufnahme in die Bürgerschaft erhob. Während der Kommissionsberatungen gab die Frage, inwieweit man von diesem Grundsatz abweichen sollte, zu langwierigen Auseinandersetzungen Anlaß. Ein Teil der Kommissionsmitglieder riet, in Anerkennung der Selbständigkeit der Gemeinden, die Bestimmungen über die Teilnahme der Einwohner an den politischen Rechten ihrer eigenen Entschließung zu überlassen und nur als allgemeine Regel auszusprechen, daß neben dem Grundbesitz nur die von der Gemeinde ausdrücklich als Mitglieder aufgenommenen Bürger zum Wahlrecht zugelassen waren. Gegen diese Ansicht wurde geltend gemacht, daß die politische Partizipation in der Gemeinde nicht isoliert neben der sonstigen Organisation des Staates stände, vielmehr die Grundlage für die politischen Rechte im Staat bildete, die Zulassung demnach nicht von der willkürlichen Entscheidung der Gemeinde abhängig zu machen, sondern durch allgemeine Grundsätze zu regeln war. Ein weiterer Antrag, der von der Auffassung des Entwurfs ausging, die politische Teilhabe wäre als Äquivalent der Beitragspflicht anzusehen und folglich das uneingeschränkte Wahlrecht von allen zu den Staats- und Kommunalbedürfnissen im Wege der Steuerabgabe beitragenden Einwohner zu beanspruchen war, fand ebenfalls nicht die Mehrheit der Kommission. Die Entscheidung wurde damit begründet, daß das allgemeine Äquivalent sowohl in der Teilnahme an den Gemeindeanstalten bestand als auch im 356 Vgl. § 4, RegEntwGO, 2. August 1849. StBEK, 1848/49, Bd. 2, S. 539. Rönne, Gemeinde-Ordnung, S. 49. Vgl. auch Haltenhoff, Städtegesetzgebungen, S.20. 357 Rönne, Gemeinde-Ordnung, S. 49. 37 Grzywatz

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Schutz der Gemeinde zum Ausdruck kam, für die Befähigung zur Teilnahme an den öffentlichen Gemeindeangelegenheiten mit Recht höhere Leistungen zu fordern. Gegenüber diesem theoretischen Einwand mußte praktisch "eine gewisse Beschränkung des Wahlrechts" unbedingt gefordert werden, da man der besitzlosen Masse nicht ein "unbegrenztes Übergewicht" einräumen wollte, welches "unvermeidlich die Rechte der Besitzenden und die Existenz der Gemeinde selbst gefährden würde,,?58 Die im Regierungsentwurf beabsichtigte Ausdehnung des Wahlrechts war nach Auffassung der Kommission so weitgehend, daß sie einem Umsturz des Bestehenden anstelle der beabsichtigten Fortentwicklung und Vervollkommnung herbeigeführt hätte. Diese Gefahr für die Kontinuität bürgerlicher Vorherrschaft konnte weder durch eine nähere Definition des Selbständigkeitsbegriffes noch durch die projektierte Abwägung der Stimmen nach Klassen vollständig beseitigt werden, so daß man auf den, bereits durch die Erfahrung anderer Staaten bewährten Grundsatz zurückgriff, die Ausübung der politischen Rechte von der Nominierung eines bestimmten Zensus abhängig zu machen. Mit dieser Absicht erklärte sich die Mehrheit der Kommission einverstanden und setzte einen jährlichen direkten Staatssteuerbetrag von zwei Reichstalern als Bedingung für die Ausübung des Gemeindewahlrechts fest. Trotz der ungleichen Steuersysteme in Preußen gab es mit Ausnahme von 90 Städten, in denen die Mahl- und Schlachtsteuer fortbestand, mit der Klassensteuer eine nach gleichen Grundsätzen erhobene Abgabe, so daß ein landesweiter Maßstab zur Verfügung stand. Bei dem veranschlagten Mindestsatz von zwei Reichstalern ging die Kommission von der Erwägung aus, daß dieser Satz in der Regel von jeder Haushaltung entrichtet wurde, mithin nur die Tagelöhner, Lohnarbeiter und das Gesinde, die anstelle der Haushalts- eine Personensteuer abführten, vom Wahlrecht ausgeschlossen blieben. Also jene Einwohnerklassen, denen nach der gängigen Auffassung des Landtages weder eine wirkliche Selbständigkeit noch ein Interesse am Gemeinwesen beizumessen war. 359 Für die mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Gemeinden trat an die Stelle des Steuerzensus ein Einkommensnachweis als Bedingung für die Ausübung des Wahlrechts, der je nach der Größe der Stadt zwischen 200 und 300 Reichstalern schwankte. Mit der Bindung an "jede Besitzart" in den Stadt- und Landgemeinden war, um mit Bornhak zu sprechen, dem beweglichen Kapitalbesitz eine Dominanz gegenüber dem ländlichen Grundbesitz gesichert worden. Gleichzeitig hörte die Gemeinde auf eine "Pflichtgenossenschaft" zu sein, da eine Verpflichtung zur Teilnahme an den Gemeindewahlen nicht mehr bestand. Sie war nur noch eine "Interessensverbindung der Steuerzahler".36o 358 359

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A.a.O., S. 50. A.a.O., S. 51. Bomhak, Geschichte, Bd. 3, S. 233 f.

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Die Gemeindekommission der Zweiten Kammer ergänzte den Plenumsbeschluß der Ersten Kammer, indem die Wahlrechts bedingungen durch die allgemeine Pflicht zur Zahlung der Gemeindeabgaben und den Nachweis des Grundbesitzes in den Städten mit weniger als 1500 Einwohnern ergänzt wurden. Bedenken hatte man gegen den niedrigen Zensus. Einigen Abgeordneten bot er nicht hinreichend Gewähr, eine Majorität der Besitzlosen in den Gemeindeparlamenten zu verhindern. Obwohl die Abgeordnetenmehrheit einer schärferen Graduierung des Wahlrechts zustimmte, gelang es nicht, insbesondere für die größeren Städte, eine Alternative zu den Kriterien der Klassensteuer und des Grundbesitzes zu finden. Man hob zwar die Vorzüge einer organischen Gliederung der Wählerabteilungen nach Berufsgruppen oder Genossenschaften hervor, doch sah man sich nicht imstande, auf der Grundlage dieser Kriterien ein praktikables Stufungsmodell zu entwickeln. Eine weitere Abstufung des Klassensteuersatzes lehnte die Kommission ab, da die Bedingungen, von denen nicht nur das Gemeindewahlrecht, sondern auch die Beteiligung an den "politischen Wahlen" abhing, nicht verschieden normiert sein durften. 361 Alle weiteren Versuche, den Wahlzensus weiter herabzusetzen, scheiterten im Plenum der Zweiten Kammer. Während der Plenarberatungen faßte der Königsberger Bürgermeister Sperling, der zur linken Fraktion der Ersten Kammer gehörte,362 den Widerstand der Städte gegen die Gemeindeordnung zusammen und unterstützte ihre Forderung, die Städteordnung von 1808, wenn nicht beizubehalten, dann doch in einer revidierten Fassung weiter bestehen zu lassen. 363 Von konservativer Seite erhob sich Kritik an der Abhängigkeit des Wahlrechts vom Zensus, hier waren die stärksten Neigungen vorhanden, einer berufsständischen Fundierung des Wahlrechts den Vorzug zu geben. 364 Dagegen fand die Aufhebung des Schutzverwandtenstatus und die Ablösung des hohen direkten Wahlzensus der Städteordnung von 1808 durch einen indirekten, auf die Abgabenleistung rekurrierenden Zustimmung. Dieser Vorzug ging allerdings durch die Einführung des Klassenwahlrechts wieder verloren. 365 Sperling befürchtete als Konsequenz der wahlrechtlichen Ungleichheit das Entstehen einer kommunalen Klassenkonkurrenz, welche die Fortentwicklung des Gemeindelebens behindern könnte. Er prangerte den Verlust bestehender Rechte an, da ein Teil der städtischen Bürger durch die Rönne, Gemeinde-Ordnung, S. 54. Vgl. Batzenhart, Parlamentarismus, S. 460. 363 Vgl. auch die Reden von Graf von Zedlitz-Trützschler und des Berliner Stadtsyndikus Möwes. PEK, 3. Dezember 1849. StBEK, 1848/49, Bd. 4, S. 1720 u. 1724. 364 Rede von Manteuffel. PEK, 3. Dezember 1849. A.a.O., S. 1725. 365 Rede Sperling. PEK, 3. Dezember 1849. A.a.O., S. 1726. 361

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Klassenzuweisung ihr volles Stimmrecht verlieren würde, und sah durch die Klasseneinteilung das Rechtsprinzip des "Gleiche Pflichten - gleiche Rechte" verletzt, denn die gleichberechtigte Teilnahme an der Gemeindeverwaltung ergab sich nicht aus der Höhe der Beitragspflicht, sondern wurde allein durch das Verhältnis der Abgaben zum jeweiligen Vermögen des Bürgers begründet. Diese Auffassung stand im direkten Gegensatz zu den Motiven des Regierungsentwurfs. Hier wurde davon ausgegangen, daß die Höhe des Beitrags zu den Kosten des Gemeindewesens den "Anteil an der Wahl der besteuernden und das Gemeinde-Vermögen verwaltenden Vertretung"366 bestimmte. Zwischen den Ärmsten und Reichsten mußte aber eine Abteilung treten, die diesen "gleichnah" stand. Diese Dreiteilung rechtfertigte sich auch dadurch, "da(ß) sich in der Regel überall drei Hauptschichten der Bevölkerung nach dem Maße des Vermögens unterscheiden".367 Die Kommission der Zweiten Kammer folgte der Regierung und erklärte sich grundsätzlich mit der Einführung des Dreiklassensystems einverstanden. Der nochmalige Versuch, den Einfluß des Grundbesitzes auf die Wahl der Gemeindevertretung zu stärken, indem zwei Wahlkörper gebildet wurden, die aus den wahlberechtigten Grundeigentümern und den übrigen wahlberechtigten Einwohnern bestanden und jeweils zur Hälfte die Mitglieder des Gemeinderats wählen sollten, scheiterte am Widerstand der Kommissionsmehrheit. Die Bedeutung des Grundbesitzes wurde zwar anerkannt, jedoch auf die ähnliche Stellung von Gewerbebetrieb und Kapital, vor allem in den größeren Städten, hingewiesen, die von einer Bevorzugung des Grundbesitzes absehen ließen, zumal die Interessen des Grundeigentums durch das Vertretungsprivileg hinreichend gesichert waren. 368 Die Kommission ergänzte den Regierungsentwurf um analoge Regelungen für die mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Gemeinden. Das Plenum der Ersten Kammer strich den 4. Absatz des § 9, der die Anrechnung der Steuern für auswärtigen Grundbesitz und Gewerbebetrieb bei der Abteilungsbildung verbot. Die Zweite Kammer, die ansonsten die Beschlüsse der 366 StBEK, 1848/49, Bd. 2, S. 552. Vgl. auch den § 9, Tit. 2, Abschnitt 1, RegEntwGO, 2. August 1849. A.a.O., S. 540. 367 A. a. 0., S. 552. Die Auffassung von der "natürlichen und wirklichen sozialen Gliederung" des Volkes wurde bis zum Zeitpunkt der Ablösung des Dreiklassenwahlrechts aufrechterhalten. Zu Beginn der neunziger Jahre begann Georg Evert im Preußischen Statistischen Bureau mit detaillierten Untersuchungen über die Abgrenzung der "drei sozialen Hauptgruppen, den oberen, mittleren und unteren Klassen", die auf Grund aktualisierter Einkommenseinschätzungen nach einem gegenwartsbezogenen Abstufungsmodell unter Berücksichtigung verschiedener Gemeindegrößenklassen klassifiziert werden sollten. Vgl. Evert, Dreigliederung, S. 502. 368 Rönne, Gemeinde-Ordnung, S. 88 f. Vgl. § 12, RegEntwGO, 2. August 1849. StBEK, 1848/49, Bd. 2, S. 540.

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Ersten Kammer zum Dreiklassenwahlrecht unverändert übernahm und die bereits während der Kommissionsberatung keinen Widerstand gegen das neue Wahlsystem signalisiert hatte,369 machte diesen Beschluß wieder rückgängig und ergänzte das Anrechnungsverbot durch die Hausiersteuer. Bedenken hatte es gegen die Heranziehung der Gewerbesteuer gegeben. Man hielt ihrer Berücksichtigung entgegen, daß ihre Höhe oft nicht der übrigen Lebenslage des Besteuerten entsprach und daher einen zweifelhaften Faktor zur Feststellung des Gemeindewahlrechts darstellte. In diesem Fall wurde auf die Verbindung des Gemeindewahlrechts mit dem Wahlrecht zur Zweiten Kammer hingewiesen, die es nicht angemessen erschienen ließ, "durch zu große Beschränkung des Gemeinde-Wahlrechts gleichzeitig das staatsbürgerliche Recht zur Wahl der Landesvertreter übermäßig zu begrenzen,,?70 Die in der Gemeindeordnung von 1850 niedergelegten Grundsätze des kommunalen Wahlrechts flossen ohne wesentliche Einschränkungen in die späteren Städteordnungen ein und blieben bis zum Jahre 1918 ein grundlegender Bestandteil der preußischen Städteordnungen. Das staatliche Recht zur Auflösung der Kommuna1repräsentationen übertrug die Gemeindeordnung dem Minister des Innern. Das Recht auf Amtsenthebung war nicht nur für die Gemeindevertretung, sondern auch für den Gemeindevorstand vorgesehen. Der Minister des Innern konnte für die Zeit der Amtsenthebung besondere Kommissare einsetzen. Die weiteren Bestimmungen sollten durch Gesetz geregelt werden, das jedoch nicht ausgeführt wurde. 37 ! Der Berliner Magistrat leitete noch im September 1849, ohne daß er sich mit der Gemeinderepräsentation verständigt hatte, bei den Kammern des Landtags einen selbständig ausgearbeiteten Gemeindeordnungsentwurf zu, der sich an der früheren Regierungsvorlage wie dem noch geltenden älteren Kommunalrecht orientierte. 372 Der Schritt des Magistrats fand beim gemäßigten Stadtbürgertum dennoch Zustimmung, da die kommunale Exekutive in ihrem Entwurf an den Prinzipien der Städteordnung von 1808 festhielt Rönne, Gemeinde-Ordnung, S. 89 f. A. a. 0., S. 90. 371 § 143, Tit. 6, GO 1850. GS 1850, S. 247. 372 Vgl. das Separatvotum des Stadtrats Jacobson vom 20. November 1849. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2767, BI. 121. Siehe dazu auch Clauswitz, Städteordnung, S. 240. Hachtmanns voluminöse Studie zur Berliner Märzrevolution widmet der Auseinandersetzung um die Gemeindeordnung und dem für die politischen Zielsetzungen des Stadtbürgertums zentralen Selbstverwaltungsgedanken überhaupt keine Aufmerksamkeit. Es findet sich nur eine kurze Bemerkung zur Gemeindeordnung, die in völliger Unkenntnis der Kommunalwahlrechtsdebatte und der Zielsetzungen der Gemeinderechtsreform unter dem Verdikt des "reaktionären" Dreiklassensystems abgetan wird. Dabei gelingt nicht einmal eine präzise politische Einschätzung des Klassenwahlrechts. Siehe Berlin 1848, S. 813 f. 369

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und man die Hoffnung hegte, daß durch eine Annahme des Magistratsentwurfs in den Kammern die Grundlagen der reformzeitlichen Kommunalordnung erhalten blieben, wenn auch in anderer Form. Die Abweichungen des kommunalen Entwurfs vom geltenden Gemeinderecht erschien der gemäßigt liberalen Öffentlichkeit als ein notwendiges Zugeständnis an die Regierungsvorlage, die im übrigen auch bei den Gemäßigten keine Akzeptanz fand. 373 Die zur parlamentarischen Beratung vorliegende Gemeindeordnung entsprach nach Meinung des Magistrats nicht "denjenigen Grundsätzen, welche als oberste Principien in gegenwärtiger Zeit zur Geltung kommen" sollten. Er beabsichtigte daher mit seiner Vorlage, "das monarchisch-constitutionelle Prinzip nicht zu verlassen, vielmehr auch in einer GemeindeOrdnung consequent durchzuführen,,?74 Das aktive Wahlrecht wollte die kommunale Exekutive an einen Zensus binden, der, abhängig von der Stadtgröße, ein "reines Einkommen" von 100 bis 300 Reichstaler im Jahr voraussetzte,375 obgleich die Zensusregelung in der Kommunalbürokratie der östlichen Provinzen weiterhin umstritten war. So hatten sich noch Ende Dezember die Kommunalkörperschaften Danzigs im Sinne des ersten Regierungsentwurfs ausgesprochen, das Kommunalwahlrecht nur vom Beitrag zu den Gemeindesteuern abhängig zu machen. Nur wenn in den Kammern ein Komprorniß mit konservativen Abgeordneten notwendig war, sollte einer Zensusregelung zugestimmt werden, wie sie der Berliner Magistrat vorschlug?76 Der Magistratsentwurf ging vom Prinzip der Einwohnergemeinde aus, hielt aber am Grundbesitzerprivileg der Städteordnung fest?77 Die geschlossene Bezirkswahl hatte man aufgegeben, d.h. die Mitglieder des Gemeinderats konnten in sämtlichen Wahlbezirken aus der ganzen Gemeinde gewählt werden?78 Ebenso wie der Regierungsentwurf hielt der Magistrat an einem Mehrheitswahlsystem nach absoluter Stimmenmehrheit fest. Das geheime Wahlverfahren des noch geltenden Kommunalrechts wollte die Kommunalbürokratie indessen aufgeben, sie plädierte überraschenderweise für eine offene Stimmabgabe. 379 Danach sollte jeder Gemeindewähler durch Namensaufruf aufgefordert werden, diejenigen Perso373 Vossische Zeitung, Nr. 269, Ausgabe vom 17. November 1849. Siehe auch Spenersche Zeitung, Nr. 265, Ausgabe vom 11. November 1848. 374 Einleitung, Magistratsentwurf zur Gemeindeordnung, September 1849, S. III. 375 § 10, Tit. 1, Berliner Magistratsentwurf. A.a.O., S. 3. 376 Der Oberbürgenneister an die Danziger Stadtverordneten-Versammlung, 28. September 1849. LAB, StA Rep. 01-02. Nr. 2766, BI. 68. 377 §§ 3, 10 u. 13, Tit. 1 u. 2, Magistratsentwurf zur Gemeindeordnung, September 1849, S. 2 f. u. 5. 378 § 17, Tit. 2, a.a.O., S. 6 f. 379 §§ 24 u. 25, Tit. 2, a. a. 0., S. 8 f.

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nen zu nennen, denen er seine Stimme geben wollte. Gegenüber der Regierungsvorlage favorisierten die Berliner Vorschläge kürzere, auf drei Jahre angesetzte Wahlperioden und jährliche Ersatzwahlen. 38o Der von der Staatsregierung vorgesehenen Reduzierung der Stadtverordnetenmandate stimmte der Magistrat grundsätzlich ZU?81 Soweit das reformzeitliche Kommunalrecht, bestimmte Berufsgruppen von der Pflicht zur kommunalen Mitwirkung ausnahm, erneuerte der Berliner Gemeindeordnungsentwurf diese Regelungen. Staatsdiener, Geistliche, Schullehrer und andere Beamte des öffentlichen Dienstes sollten ebenso von der Übernahme von Gemeindeämtern befreit werden wie praktische Ärzte, Geburtshelfer und Chirurgen. 382 Sämtliche Bestimmungen des Regierungsentwurfs zur Präzisierung der Staatsaufsicht und zur Stärkung der Aufsichtsrechte des Magistratsdirigenten fehlten im Berliner Entwurf, er beließ es bei den allgemeinen Bestimmungen der älteren Städteordnung. 383 Im Magistrat hatte sich wohl die in der liberalen Öffentlichkeit verbreitete Meinung durchgesetzt, daß das Kommunalrecht des monarchisch-bürokratischen Staates vermeintlich mit einer beschränkten Staatsaufsicht auskam. Die überaus vielfaltige, in zahlreichen Verordnungen und Deklarationen zum Ausdruck kommende intervenierende Tätigkeit der Ministerialund Regierungsbürokratie im Vormärz hätte ihn eines Besseren belehren sollen. Ein Jahr zuvor war in der hauptstädtischen Presse noch diskutiert worden, daß die liberale Kommunalordnung des Jahres 1808 nur in einem "mäßigen Umfang eine Wahrheit geworden war". Das lag aber, so das liberale Urteil, weniger "an der strengen, vormundschaftlichen Staatsverfassung" als an der politischen Teilnahmslosigkeit des Stadtbürgertums und der "mangelnden politischen Reife des Volkes". Wie sollte man sonst erklären, wurde in der Spenerschen Zeitung gefragt, daß der Bürger, da ihm die staatliche Freiheit vorenthalten war, nicht "mit um so größerer Eifersucht die kommunale Freiheit überwacht hätte".384 Der Kommunalliberalismus wollte die Ursache nicht darin sehen, daß die Städteordnung den angenommenen "Freiheitsraum" nur bedingt öffnete, staatliche Integration und körperschaftliche Selbstverwaltung Hand in Hand gingen, die Gemeinde als Ort freien Bürgerwillens mithin generell überschätzt wurde. Der Absicht der Staatsregierung, die Bildung von Gesamtgemeinden zuzulassen, und prinzipiell für Stadt und Land ein einheitliches Kommunalrecht zu konstituieren, widersprach der Berliner Magistrat nicht. Die Zustimmung zu einer wesentlichen Modernisierung der Städteordnung wurde 380 381 382 383 384

§§ 15 u. 20, Tit. 2, a. a. 0., S. 6 u. 7 f. § 8, Tit. 2, a. a. 0., S. 4. § 93, Tit. 5, a. a. 0., S. 31. §§ 99-101, Tit. 6, a.a.O., S. 32 f. Spenersche Zeitung, Nr. 196, Ausgabe vom 23. August 1848.

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indessen nicht von einer grundsätzlichen Überzeugung und noch weniger von der Einsicht in die Notwendigkeit staatlicher Integration getragen. Es verwunderte daher nicht, daß man in der Landeshauptstadt rasch zur tradierten Form des getrennten Kommunalrechts zurückkehrte. Der Berliner Magistrat sah sich mit seiner Initiative, was vielleicht nicht überraschend kam, sowohl unter den Stadtverordneten als in der kommunalen Öffentlichkeit isoliert. Wenn die Städte "überhaupt zu einer Selbstregierung" kommen sollten, schrieb die Spenersche Zeitung, müßten sie an der älteren Städteordnung festhalten. Das Kommunalrecht der Reformzeit bot nicht nur Schutz gegen den "Einfluß des Bureaukratismus", sondern war auch in der Lage, der "beamtlichen Bevormundung" einen Damm entgegen zu setzen. In dieser Zielsetzung war die kommunale Selbstverwaltung dem radikalen Liberalismus der Hauptstadt ein Synonym für die Entwicklung "wahrer Demokratie".385 Die Berliner Gemeindevertretung setzte unter der Leitung von Rudolf Gneist eine Deputation zur Prüfung des Magistratsentwurfs ein, deren Urteil vernichtend ausfiel. Die Stadtverordneten sprachen sich einstimmig für die Beibehaltung der Städteordnung von 1808 aus. Der in die Enge getriebene Magistrat schloß sich daraufhin ohne längeres Zögern der Gemeinderepräsentation an. 386 Der Stadtverordnetenbeschluß war weniger durch das neue Wahlrecht als durch die in der Gemeindeordnung festgeschriebene Stärkung der kommunalen Exekutive gegenüber der Gemeindevertretung, die engere Bindung des Gemeindevorstehers an die Regierung und die mangelhafte Regelung der Geschäftsverfahren, etwa bei der Bildung von Deputationen, beeinflußt. Nur der unbesoldete Stadtrat und Bankier Jacobson sprach sich in einem Separatvotum gegen die Aufrechterhaltung der älteren Kommunalordnung aus. Jacobson kritisierte nicht die "vortrefflich freisinnigen Grundlagen" der Städteordnung, die nach seiner Ansicht maßgeblichen Einfluß auf das bürgerlich-städtische wie staatliche Leben genommen hatten, sondern monierte allgemein, daß das ältere, seit über 40 Jahren geltende Kommunalrecht nicht mehr den Ansprüchen der Gegenwart und "den auf Einheit gerichteten legislatorischen Bestrebungen,,387 entsprach. Die Konstitutionalisierung Spenersche Zeitung, Nr. 270, Ausgabe vom 18. November 1849. Vossische Zeitung, Nr. 269, Ausgabe vom 17. November 1849. Die Stadtverordnetendeputation bestand insgesamt aus siebzehn Mitgliedern, neben Gneist handelte es sich unter anderem um die Kaufleute Christi an Asche, Alexander Elster, die Buchhändler Georg Reimer und Julius Springer, den Hofjuwelier Friedrich Pinckert und Kammergerichtsassessor Karl von Herfort, den Textilmaschinenfabrikanten Carl Spatzier und Privatgelehrten Johann Prince-Smith sowie den Bildhauer und akademischen Künstler Friedrich Holbein. Vgl. Gutachten der Stadtverordneten-Deputation zu Berlin über die neue Gemeindeordnung, Berlin 1849, S. 15. 387 Separatvotum Jacobson, 20. November 1849. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2767, BI. 122. 385

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des preußischen Staates machte die "prinzipielle Einheit für alle Teile der Monarchie,,388 notwendig, folglich war die bisherige Ungleichartigkeit des Kommunalrechts aufzuheben. Die Städteordnung von 1808 begriff Jacobson als vorkonstitutionelles Recht, daß noch zwischen Bürgern und Schutzverwandten unterschied und auf dem Begriff der "Gemeindemitgliedschaft" basierte. An seiner Stelle mußte dem Kommunalrecht zukünftig der Staatsbürgerbegriff zu Grunde gelegt werden, wie es das preußische Wahlgesetz bereits vorsah. 389 Als einen weiteren Mangel der noch geltenden Städteordnung stellte Jacobson die fehlende Möglichkeit heraus, Gesamtgemeinden zu bilden. In einzelnen Provinzen konnten selbst kleinere Städte nicht selbständig bestehen, so daß die verwaltungsorganisatorische Verbindung mit anderen Kommunen, insbesondere unter den Landgemeinden, notwendig war. Die Regelung der Kompetenzverhältnisse zwischen den Kommunalkörperschaften war zudem in der Kommunalordnung von 1808, wie die Gemeindebürokratie nur zu gut wissen mußte, völlig unzulänglich geregelt. Diese ebenso bemerkenswerte wie weitsichtige Kritik blieb in den Berliner Kommunalkörperschaften ohne größere Resonanz. Die Stadtbehörden sahen das ältere Kommunalrecht nur durch einige, mehr formelle Mängel belastet, die ihrer unveränderten Beibehaltung indessen nicht im Wege standen. Mit Vehemenz trat man nun gegen ein für Stadt und Land gemeinsames Kommunalrecht auf. "Eine äußerliche gleichförmige Ordnung" war nach Ansicht der Gemeindekörperschaften "bei der noch vorhandenen großen Verschiedenheit der Interessen und Elemente weder ausführbar noch wünschenswert". Politisch entscheidend blieb die "gleichmäßige Selbständigkeit der Kreisversammlungen", in denen, so die Berliner Kommunalbehörden, "allein der eigentliche Schwerpunkt der Selbstverwaltung liegen" konnte?90 Die im älteren Kommunalrecht aufrecht erhaltene Rechtsungleichheit der Stadteinwohner war nach Ansicht der Gemeindebehörden materiell durch die Gewerbegesetzgebung aufgehoben. Die in der Gemeindeordnung vorgesehene Erweiterung der politischen Teilhabe in der Gemeinde lehnten die Berliner Gemeindebehörden im Gegensatz zum Städtetag der Provinz Preußen rigoros ab. Wenn jedem über 24 Jahre alten, selbständigen Stadtbewohner, der zu den öffentlichen AbgaA.a.O., BI. 124. A. a. 0., BI. 124 f. 390 Petition der Kommunalbehärden zu Berlin wegen Beibehaltung der StädteOrdnung vom 19. November 1808, Berlin 1848, S. 3 f. Die Petition wurde vom Magistrat am 20. November genehmigt und zwei Tage später einstimmig von der Stadtverordneten-Versammlung angenommen. A. a. 0., S. 8. Entwurf der Petition in LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2767, BI. 94-95; endgültiges Konzept, a.a.O., BI. 98108; gedruckte Fassung, a. a. 0., BI. 109-112. 388 389

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ben beigetragen hatte, das aktive Kommunalwahlrecht verliehen wurde, nahm der Kreis der Wahlberechtigten unverkennbar zu. Darauf konnte die Gemeinde "kein besonderes Gewicht legen", denn bislang gehörte in Berlin schon die Hälfte der volljährigen männlichen Einwohner zur Bürgerschaft. Die andere Hälfte der Kommunalbevölkerung setzte sich überwiegend aus Handwerkern und Handlungsgehilfen, "dienenden Klassen" und sonstigen Nichtselbständigen zusammen, denen nach den Zensusregelungen der Städteordnung die politische Mitwirkung in der Gemeinde verwehrt war?91 Die Kommunalkörperschaften zogen daraus den Schluß, daß die eigentlichen Nutznießer der Stimmrechtserweiterung nur jene, "etwa einige Tausend,,392 zählenden wohlhabenden Stadtbewohner wären, die bislang kein Interesse am Erwerb des Bürgerrechts gezeigt hätten. Dieser Schicht des städtischen Bürgertums würde praktisch das Kommunalwahlrecht "wider Willen" aufgedrängt werden, ohne daß die üblichen Bürgerrechtsgelder gezahlt werden mußten, die bisher selbst ärmeren Gewerbetreibenden auferlegt worden waren. Seit Jahrzehnten hatte sich der Magistrat um die stärkere Teilnahme der wohlhabenden Schutzverwandten an der Kommunaladministration bemüht, angesichts der Wahlrechtsregelungen der Staatsregierung war dieses Ziel nun nicht mehr opportun. Die Haltung der Kommunalkörperschaften wird indes nur vor dem Hintergrund des vorgesehenen Klassenwahlrechts verständlich, das die Wahlberechtigung wesentlich verallgemeinerte, gleichzeitig aber den einzelnen Stimmenwert außerordentlich differenzierte und dem Wahlkörper eine stark oligarchische Struktur unterlegte. Berechnungen der Gemeindebehörden zufolge entfielen nach dem neuen Wahl system 700 Höchstbesteuerte auf die erste Klasse, "einige Tausend" wählten in der zweiten Klasse, während die etwa 30000 zählende große Mehrzahl der Wahlberechtigten ihre Stimme in der dritten Klasse abgeben mußten. 393 Das Stimmrecht der zweiten und dritten Wählerklasse verringerte sich demnach auf 114, 1120, 1140 etc. Das entsprach nach Meinung der städtischen Körperschaften nicht "deutschem Petition der Berliner Kommunalbehörden, S. 4 f. Gutachten der Stadtverordneten-Deputation, S. 6. In der gemeinsamen Petition der Kommunalkörperschaften wurde bezeichnenderweise nur noch von einer "verhältnismäßig geringe(n) Zahl wohlhabender Männer" gesprochen. Petition der Berliner Kommunalbehörden, S. 5. 393 Es handelt sich nur um annähernde Überschlagszahlen. Da es in der Argumentation der Kommunalkörperschaften allein auf das Verhältnis der Wahlberechtigung nach dem Klassensystem ankam, ist dieses Verfahren durchaus akzeptabel. Bei den Stadtverordnetenwahlen von 1848 hatte der Magistrat 26741 Wahlberechtigte ermittelt. Vgl. das Wahlprotokoll vom 15. Juni 1848 und die Zusammenstellung der bei den Stadtverordneten- und Stellvertreterwahlen erschienenen Wähler, LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2600, BI. 198; Nr. 2590, BI. 72. Mehr oder weniger abweichende Zahlen bei Pahlmann, Anfänge, S. 123 und bei Bruch, Gesetz, S. 98. Siehe dazu Tab. 8 im Stat. Anhang. 391

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Herkommen". "Wenn das Gesetz den selbständigen ehrenhaften Mann einmal zum Gemeinde-Bürger beruft", hieß es in der Berliner Petition, "so gehört die Gleichheit unter den Bürgern zu den ersten Erfordernissen einer deutschen Stadtgemeinde".394 Wohlgemerkt, es ging hier ausschließlich um die stadtbürgerliche Gleichheit, eine nach wie vor korporativ gefaßte Teilnahme in der Gemeinde, die tendenziell auch durch das Klassenwahlrecht durchbrochen wurde, da die Masse der selbständigen Wähler in der dritten Klasse vertreten war. Im Kaiserreich sollten auf diesem Wege die Sozialdemokraten, begünstigt durch die großstädtische Bevölkerungs- und Einkommensstruktur, in die Kommunalvertretungen einziehen. Wie widersprüchlich die Haltung der Berliner Kommunalkörperschaften war, zeigt auch die im Gemeindeordnungsentwurf des Magistrats vorgeschlagene Verschärfung des Wahlrechtszensus. Die Gemeindevertretung lehnte eine solche Beschränkung der politischen Teilhabe in der Gemeinde ab, da der neue Zensus den Kreis der Wahlberechtigten vermutlich um ein Drittel vermindert hätte. 395 Jede Zensusregelung barg nach Auffassung der Stadtverordneten ein Moment der Willkür in sich. Gerechterweise mußte die Ungleichheit der politischen Mitwirkung in der Gemeinde durch eine Befreiung von den Kommunallasten ausgeglichen werden, was sich in der Praxis indessen nicht realisieren ließ. Im Wahl- und Bürgerrecht der Städteordnung von 1808 glaubten die Kommunalkörperschaften "die einfache Grundlage" gefunden zu haben, welche die politische Teilhabe als Ehrenrecht bestehen ließ und dessen Abhängigkeit "von einem stets willkürlichen reinen Geldrnaßstab" vernachlässigbar reduzierte. 396 Daß durch die fortdauernde Geltung der älteren Kommunalordnung die Differenzierung in Bürger und Schutzverwandte aufrecht erhalten wurde, tangierte die Stadtbehörden ebenso wenig wie der fernerhin bestehende Zwang zum Bürgerrechtserwerb für den Grundbesitz und Gewerbebetrieb. Die praktische Wirkung des Schutzverwandtenstatus traf nur die wohlhabenden Stadtbewohner, denen der Zugang zum Bürgerrecht jederzeit offenstand, während man den Grundeigentümer und Gewerbetreibenden grundsätzlich moralisch für verpflichtet hielt, aktiv am Gemeindeleben teilzunehmen. Sollte diese Verpflichtung nicht anerkannt werden, sahen die Kommunalkörperschaften durchaus ein Recht des Staates zum gesetzlichen Zwang gegeben. 397 394 Petition der Berliner Kommunalbehörden, S. 5. Wörtlich aus dem Gutachten der Stadtverordnetendeputation übernommen. Gutachten, S. 6. 395 Aa.O., S. 7. 396 Aa.O., S. 9. 397 A a. 0., S. 7 f. Petition der Berliner Kommunalbehörden, S. 5 f.

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Den Stimrnrechtszensus der Städteordnung von 1808 wollten die Stadtbehörden als "das einzige Undeutsche, dem französischen Municipalwesen Entsprechende" akzeptieren, als eine "politische Inkonsequenz,,398 also, die aber nicht weiter ins Gewicht fiel, da der Zensus so niedrig ausfiel, daß er in den städtischen Verhältnissen "kaum fühlbar" wurde. 399 Mit dieser Entscheidung vernachlässigten die Kommunalkörperschaften bewußt die einkommensschwächeren Bevölkerungsschichten der Stadt, vom Kreis der wohlhabenden Schutzverwandten einmal abgesehen. Die pathetische Beschwörung des Kommunalliberalismus, "eine deutsche Gemeinde ist eine freie Vereinigung ehrenhafter, selbständiger, gleichberechtigter Männer",4oo klang vor diesem Hintergrund kaum glaubwürdig. Die ausgeprägte Ablehnung eines "fremdartigen bloßen Geldcensus",401 mit dem man angeblich den "nationalen Boden,,402 verließ, konnte angesichts der politischen Widersprüche in der Wahlrechtsfrage ihren ideologischen Charakter nicht verbergen. Insgesamt ließ sich nicht übersehen, daß die in die Defensive geratenen Gemeindekörperschaften versuchten, die Städteordnung von 1808 politisch zu instrumentalisieren. Das ältere Kommunalrecht war ja längst nicht mehr in der Fassung von 1808 gültig, sondern durch zahlreiche Deklarationen und Verordnungen ergänzt, die in vielen Fällen den Einfluß des Staates auf die Gemeinden sowie die Stellung der Kommunalbürokratie stärkte. Eine wie auch immer geartete "Selbstregierung" der Gemeinden begründete die Städteordnung nicht, wie ausführlich dargestellt wurde. 403 Der Versuch des Kommunalliberalismus, das ältere Städterecht für eine Lösung aus staatlicher Bindung zu nutzen, war daher, selbst wenn man ihre weitere Geltung durchgesetzt hätte, von vornherein zum Scheitern verurteilt, zumal sich die Städte einer notwendigen Modernisierung des Kommunalrechts verweigerten. Die Beibehaltung der vormaligen Zensusregelung hätte etwa 5850 bis 6110 Stadtbürgern,404 deren Einkommen zwischen 200 und 300 ReichsGutachten, S. 9. Petition der Berliner Kommunalbehärden, S. 6. 400 Gutachten, S. 9 f. 401 Petition der Berliner Kommunalbehärden, S. 6. 402 Gutachten, S. 10. 403 Die Bezugnahmen auf die preußische Reformzeit waren in diesem Diskussionszusammenhang äußerst oberflächlich. Im allgemeinen ließ man es dabei bewenden, dem Kommunalrecht der Reformzeit einen generellen Einfluß auf die Selbstverwaltung zu unterlegen. Vgl. dazu Utermann, Selbstverwaltung, S. 180. Siehe auch die das anti bürokratischen Denken Steins unterstreichende Quellenedition von Georg Heinrich Pertz, Denkschriften des Ministers Freiherm vom Stein über deutsche Verfassungen, Berlin 1848. 404 Vgl. die Tab. 2 u. 8 im Stat. Anhang. Die Spanne ergibt sich durch die vom Magistrat vorgenommene Korrektur der Wählerziffer von 1850. 398 399

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talern lag, das Wahlrecht in der Gemeinde erhalten. Einen solchen Verlust bürgerschaftlicher Teilhabe bzw. einen solchen Einschnitt in die tradierte Form städtischer Repräsentation wollten die Kommunalkörperschaften nicht hinnehmen. Gegenüber der politischen Besitzstandswahrung waren sie aber gleichzeitig nicht in der Lage, ein geeignetes Mittel für die längst überfällige soziale Erweiterung stadtbürgerlicher Herrschaft zu finden. In schärferer Form als der Magistratsentwurf hielt die Petition der Kommunalbehörden an der Kollegialität des Magistrats "in ihrer reinen Form" fest, d.h. dem Bürgermeister sollte die alleinige Geschäftsführung auch nicht in solchen Situationen obliegen, in denen Gefahr im Verzuge war. Ebensowenig akzeptierte man die Stellung des Magistratsdirigenten als Hilfsbeamter der Polizei und unmittelbarer Staatsbeamter. "Was durch erweiterte Befugnisse des Magistrats und die mehr aktive und bureaukratisehe Stellung des Bürgermeisters in der Gemeinde vielleicht zu gewinnen wäre an Schnelligkeit und Einfachheit der Verwaltung", urteilte die Petition, "das würde andererseits reichlich verloren gehen an der geschmälerten Selbständigkeit der Gemeinderepräsentanten und der Gemeindebeamten aus der Bürgerschaft, und an dem verminderten Interesse für das Gemeinwesen".405 Die Kommunalkörperschaften der östlichen Provinzen standen hiermit in einem direkten Gegensatz zu den Bürgermeistern der Rheinprovinz, die auf den Fortbestand der bürokratischen Formen der westlichen Gemeindeordnung drangen. 406 Die Staatsregierung befand sich insofern in einer schwierigen Situation, als die Vorstellungen zur Kommunalordnung in den einzelnen Landesteilen kaum miteinander vermittelbar waren. Das Ziel einer einheitlichen Gemeindeordnung wurde zudem durch die Bemühungen der Konservativen behindert, für das Kommunalrecht nur gewisse Rahmenbedingungen festzulegen, ansonsten aber nur provinzielle Regelungen zuzulassen. Der extreme Regionalismus der Konservativen hielt ein gemeinsames Gesetz für Stadt und Land nur unter der Voraussetzung einer angemessenen, wenngleich kontrollierten statutarischen Autonomie für denkbar. Ungeachtet der einzelnen Differenzen sahen die Konservativen die Wahlrechtsmodalitäten des Regierungsentwurfs und des Entwurfs der demokratischen Linken grundSätzlich durch das Prinzip "einer nivellierenden abstrakten Freiheitsidee" vereint. Gegenüber "abstrakten Idealen" und "Nivellierungs-Bestreben" forderten die Konservativen, die örtlichen Verhältnisse und Bedürfnisse zu berücksichtigen. 407 Die Gemeindeordnung konnte dieser Auffassung zufolge nur Petition der Berliner Kommunalbehörden, S. 7. Vgl. Utermann, Selbstverwaltung, S. 176. 407 Vgl. Deutsche Reform, Nr. 81, Ausgabe vom 10. Januar 1849. Vgl. auch die Denkschrift des von Bülow-Cummerowschen Vereins, Der ministerielle Entwurf zur Gemeindeordnung, geplÜft von dem permanenten Ausschusse des Vereins zum 405

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einen "allgemeinen Wahlmodus" festlegen, während die konkrete Anwendung der ortsstatutarischen Regelung vorbehalten blieb. Die Staatsregierung sah sich demnach einem allseitigen Druck ausgesetzt, von der individualisierenden Kommunalauffassung des Konservativismus, über die korporativen, im Honoratiorenturn verankerten Ordnungsvorstellungen der Kommunalbürokratie bis hin zu dem egalitären, durch Dezentralisations- und Assoziationsvorstellungen geprägten Denken der demokratischen Linken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Regierung diesem Druck nachgeben mußte. Die Richtung war durch die Regierung schon selbst vorgegeben: Einerseits stand die vom Staat durchgesetzte Einheitlichkeit des Kommunalrechts zur Disposition, andererseits mußte er sich den Forderungen der Städte nach einer Begrenzung des staatlichen Einflusses in den Kommunen und der Abänderung des Kommunalwahlrechts stellen. Die Städte fanden sich in dieser Auseinandersetzung zusehends in einer ungünstigeren Situation, denn das einheitliche Gemeinderecht und die Kommunalisierung der Polizei war in den Kommunen insgesamt nicht unumstritten, während das Klassenwahlrecht nach seiner Einführung für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus kaum noch rückgängig zu machen war. 5. Der erfolgreiche Widerstand gegen das einheitliche Kommunalrecht

Die parlamentarische Kritik an der neuen Gemeindeordnung richtete sich nach ihrer Verabschiedung zunächst weniger gegen das aktuelle Wahlgesetz als gegen die Beschränkung der Selbstverwaltung und die ungenügenden administrativen Regelungen, wie insbesondere den Mangel an hinreichenden Bestimmungen über die Bildung und die Befugnisse der Deputationen. Eine Situation, die in Berlin dazu führte, daß sich die Gemeindekörperschaften weiterhin an die Vorschriften der älteren Städteordnungen hielten, soweit sie nicht in einzelnen Punkten dem neuen Gesetz widersprachen. 408 Der wesentlichste Angriffspunkt und schließlich auch die entscheidende Ursache für die frühzeitige Aufhebung der Gemeindeordnung, namentlich in den östlichen Provinzen, bildete jedoch die Opposition gegen die nunmehr einheitliche Kommunalverfassung für die Stadt- und Landgemeinden. Noch am 3. März 1851 erklärte Innenminister von Westphalen, daß die Einführung der Gemeindeordnung gegenwärtig raschen Fortschritt machte und, trotz aller Bedenken wegen der unzureichenden Berücksichtigung der provinziellen Vielfalt Preußens, nicht daran gedacht sei, die Ausführung Schutze des Eigentums und zur Förderung des Wohlstands aller Volksklassen, Berlin 1848. 408 Clauswitz, Städteordnung, S. 243.

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des Gesetzes aufzuhalten, zumal die Gemeindeordnung soviel Spielraum enthielt, "daß sie, richtig angewendet, zum Heil gereichen wird und kann,,.409 Der ministeriellen Absicht stellte sich am nächsten Tag ein Antrag der konservativen Abgeordneten Carl Friedrich Denzin und Graf von Itzenplitz entgegen, der eine "Umarbeitung" der Gemeindeordnung sowie der Kreis-, Bezirks- und Provinzialordnung "nach den bisherigen Erfahrungen" forderte, insbesondere in den sechs östlichen Provinzen Preußens. 41O Zur Begründung des Antrags wurde auf die unbefriedigende Aufnahme der Gemeindeordnung hingewiesen. In den Städten hatten die Bestimmungen über die veränderte Stellung des Gemeindevorstands zur Gemeindevertretung zu Beschwerden geführt, ebenso die Abhängigkeit des Gemeinderechts vom Steuerzensus, wodurch zahlreiche Hausbesitzer und selbständige Gewerbetreibende ihr angestammtes Recht zu Gunsten solcher Einwohner verloren hatten, denen nur ein untergeordnetes oder nur vorübergehendes Interesse am Gemeindeleben nachgesagt wurde. In den Landgemeinden trat dieser Gegensatz noch schärfer hervor, da hier bislang allein der Hausbesitzer in Gemeindeangelegenheiten mitsprechen durfte und wo man den nicht angesessenen Einwohnern "nur nach Maßgabe eines höheren Census oder nur kuriatim eine Stimme in der Gemeinde einzuräumen" geneigt war. 411 Daneben wurde nicht eine Klasseneinteilung nach der Höhe der Steuerbeiträge, sondern nach den vorhandenen Abstufungen des Grundbesitzes verlangt. Die angeordnete Ausdehnung des Repräsentativsystems selbst auf die kleinste Landgemeinde hatte ebenfalls zu Klagen geführt, da die Gemeindeordnung zwar eine gleichförmige und schematische, aber doch zu komplizierte Einrichtung der Kommunalverwaltung etablierte, welche überhaupt den einfachen Verhältnissen und Gewohnheiten der Landbewohner widerstrebte und ohnehin die provinziellen Eigentümlichkeiten außer Acht ließ. In dieser Hinsicht verlangten die Antragsteller allerdings nur die Änderung einzelner Bestimmungen für die ländlichen Gemeinden. Sie betraf vor allem die Wahl des Gemeinderates, die Abstufung des Gemeindewahlrechts nach dem Zensus und die Vereinigung der Rittergüter mit den Gemeinden bei der Gemeindebezirksbildung. Die mit der Vorberatung des Denzin-Itzenplitzschen Antrags beauftragte Kommission widersprach mehrheitlich der Auffassung, daß bei der kurzen Wirkungszeit noch nicht an eine Änderung der Gemeindeordnung gedacht werden konnte. Noch weniger wollte man Schwierigkeiten bei ihrer Ausfüh409 Rede von Westphalen. PEK, 3. März 1852. StBEK, 2. LP, 1. Sess. 1850/51, Bd. 2, S. 630. 410 A.a.O., Bd. 2, AS Nr. 118, S. 635. Vg!. auch M. Peters, Beiträge, S. 44 ff.; Anny Kratzer, Die Entstehung und Bedeutung der Städteordnung von 1853, Phi!. Diss., Berlin 1930, S. 30 f. 411 StBEK, 2. LP, 1. Sess. 1850/51, Bd. 2, AS Nr. 118, S. 635.

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rung bestätigen, die auf ein Verkennen von "Geist und Sinn" des neuen Gesetzes zurückzuführen waren. Die Kritik an der Gemeindeordnung war eine strukturelle, verband sie doch in ihrer Gleichfönnigkeit Gemeindekörper, deren innere Organisation sich nach den verschiedenen Bedürfnissen der einzelnen Landesteile unterschied. Eine sämtliche Gemeindekategorien berücksichtigende Verfassung konnte nur dann zweckmäßig sein, wenn sie sich darauf beschränkte, "die wenigen allgemeinen Sätze" zusammenzufassen, die sämtlichen Kommunen gemeinsam waren. 412 Diese Auffassung wurde auch im Hinblick auf das Gemeindewahlrecht vertreten: So wie einerseits die Verfassungsurkunde die Teilnahme an den Pflichten und Rechten im Staat nicht nach dem Gleichheitsprinzip, sondern nach dem Dreiklassensystem allgemein verteilte, waren andererseits die Abstufungen des Grundeigentums, insbesondere in den Landgemeinden zu würdigen. 413 Der konservative Grundadei der Ersten Kammer zielte mit Erfolg auf eine Reaktivierung des vorkonstitutionellen Rechts, ohne jedoch, so jedenfalls Graf von Itzenplitz, die Gemeindeordnung als Ganzes aufgeben zu wollen und ohne besonders am Städterecht interessiert zu sein, in dessen Fall sich selbst Konservative die Beibehaltung der Städteordnung von 1808 vorstellen konnten. 414 Die Kritik der Städte an dem in Kraft getretenen Gemeindewahlrecht richtete sich vorwiegend gegen den als zu hoch empfundenen Steuerzensus. Es ging nicht, wie in den Abänderungsanträgen der Kommission fonnuliert war, um die Suche "nach anderen den Eigenthümlichkeiten des städtischen Lebens mehr entsprechenden Kriterien", sondern vielmehr um die Bewahrung des Wahlrechts in den einzelnen Schichten des städtischen Bürgertums. Es hatte sich schnell herausgestellt, daß die neuen Zwangsregelungen einer nicht unbedeutenden Zahl "geringer Hausbesitzer" das Wahlrecht nahm, obwohl diese seit jeher in dessen Besitz waren. Dagegen erhielt eine große Zahl besitzloser Gemeindemitglieder das Wahlrecht, wodurch nach Auffassung der kommunalen Körperschaften "sehr bedenkliche Folgen für den Ausfall der Wahlen" entständen. Die Kommissionsminorität konnte sich nicht mit ihrer Auffassung durchsetzen, daß diese Erscheinungen noch nicht hinreichend durch Erfahrungen bestätigt wären. Zumal eine frühzeitige Änderung der erst in der Ausführung begriffenen Gemeindeordnung Mißtrauen "in die Festigkeit der Gesetzgebung" hervorrufen könnte. Die Majorität erkannte den prinzipiellen 412 August von Meding (Wirklicher Geheimer Rat, in Berlin ansässig, vertritt den vierten Potsdamer Wahlkreis, Ober- und Niederbamim, Angermünde, Templin, Prenzlau), Bericht der Kommission zur Vorbereitung über den Denzin-Itzenplitzsehen Antrag, Abänderungen der Gemeinde-, Kreis-, Bezirks- u. Provinzial-Ordnung betreffend, 14. April 1851, S. 1066-1069, hier insbesondere S. 1067. 413 A. a. 0., S. 1068. 414 Rede Graf von Itzenplitz. PEK, 14. April 1851. A.a.O., S. 1072 f.

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Einwand gegen das Wahlrecht an und bestätigte, daß die Eigentümlichkeiten des städtischen Lebens genügend Rücksicht bei der Regelung des Wahlrechts finden müßten. Auf keinem Fall wurde diesem Aspekt genüge getan, wenn allein der Steuerzensus die Grenze des Wahl- bzw. Bürgerrechts bildete; "nach der uralten Verfassung der Städte" waren der Grundbesitz und der selbständige Gewerbebetrieb als die ursprünglichen Grundlagen der Städte anzusehen. In den letzten Jahren hatte der selbständige Gewerbebetrieb nach Auffassung der Mehrheit die "ihm gebührende höhere politische Bedeutung" zurückgewonnen, indem die Gesetzgebung die Wiederherstellung der korporativen Verbindungen begünstigt hatte, was durch kommunale Initiativen unterstützt wurde. "Das organische Leben", wurde in der Kommission bemerkt, "das sich auf diese Weise in den Gewerbe-Genossenschaften neu zu entwickeln anfange, müsse nothwendig bei der GemeindeGesetzgebung Berücksichtigung finden".415 Wenn die Städteverfassung dem selbständigen Gewerbebetrieb, worunter ein Unternehmen mit mehr als zwei Gehilfen verstanden wurde, und dem Hausbesitz den ihnen zustehenden Anspruch auf das Gemeindewahlrecht einräumte, mußte für die übrigen Klassen der städtischen Einwohnerschaft der Zensus erhöht und dadurch ein größerer Schutz gegen eine Ausdehnung des Wahlrechts auf "allzu unselbständige Personen" gewährt werden. Von einigen Mitgliedern der Kommissionsmehrheit, die ebenfalls den Grundsatz einer organischen Begründung des Wahlrechts vertraten, wurde allerdings kritisch angemerkt, daß in vielen Städten Häuser von so geringem Wert vorhanden wären, daß durch die Zulassung der ärmeren Hausbesitzer ebenfalls unselbständige Existenzen in die Wählerschaft aufgenommen wurden. Im Kommissionsbeschluß legte man schließlich die Bedingungen für den Hausbesitz auf eine jährliche Klassensteuer von zwei Reichstalern bzw. in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Gemeinden auf ein Jahreseinkommen von 150 bis 300 Reichstalern fest. Dem Gewerbetreibenden, der ein bestehendes Gewerbe mit mehr als zwei Gehilfen seit einem Jahr betrieb, sollte ebenfalls das Wahlrecht zustehen, von den übrigen Einwohnern war eine Jahressteuer von mindestens vier Reichstalern oder ein Einkommen von 200 bis 300 Reichstalern gefordert. 416 Gleichzeitig schlug man eine Änderung des § 14 der Gemeindeordnung dahingehend vor, daß die Hälfte der Mitglieder des Gemeinderats zukünftig nicht mehr aus Grund-, sondern Hausbesitzern bestehen sollte. Diesen verschärften Anforderungen für die Ausübung des kommunalen Wahlrechts gedachte die Staatsregierung schon bald zu folgen. 415 Sämtliche Zitate nach den im Abstimmungsverfahren zur Beschlußfassung gestellten Anträge. PEK, 14. April 1851. Aa.O., S. 1089. 416 A a. 0., S. 1090. Für die Landgemeinden wurde eine ähnliche Erhöhung der Steuergrenzen beschlossen. A a. 0., S. 1092.

38 Grzywatz

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Mitte April trat sie den Intentionen des Itzenplitzschen Antrages bei, indem sie sich gleichzeitig die Initiative bei der Abänderung der Gemeindeordnung im Wege der Gesetzgebung vorbehielt. 417 Eine in der zweiten Augusthälfte vorliegende, das Kommissionsmaterial aufnehmende Denkschrift des Innenministeriums418 wurde, obwohl verfassungsmäßig nicht gerechtfertigt, den Provinziallandtagen der sechs östlichen Provinzen zur Begutachtung vorgelegt. Die Denkschrift befaßte sich mit den kritischen Punkten des bestehenden Gemeindeverfassungsrechts wie der Frage gleichartiger Kommunalordnungen in Stadt und Land und fragte im Hinblick auf das hier interessierende Bürger- bzw. Gemeindewahlrecht, ob es angebracht wäre, einerseits die Wartezeit bis zur Erlangung des Bürgerrechts von ein auf drei Jahre zu verlängern, andererseits den Zensus bei vorliegendem Hausbesitz abzuschaffen und den Klassensteuersatz von zwei auf vier Reichstaler zu erhöhen. Weiterhin sollte der Vorschlag der Regierung, die Hälfte der von jeder Abteilung zu wählenden Gemeindevertreter zukünftig nicht mehr ausschließlich aus Grund-, sondern auch aus Hausbesitzern bestehen zu lassen, erwogen werden. Die Provinziallandtage bestätigten prinzipiell das Bedürfnis nach einem unterschiedlichen Verfassungsrecht in Stadt und Land. Der Erhöhung des Klassensteuersatzes wurde zugestimmt, für den Wegfall des Zensus beim Vorhandensein von Hausbesitz traten nur die Provinzen Schlesien, Posen und Sachsen ein, wobei sich der Sächsische Provinziallandtag für eine Gleichberechtigung von Grund- und Hausbesitz aussprach. Gegen die Erwägung, die Wartezeit zum Erwerb des Bürgerrechts zu erhöhen, erhob der Schlesische Provinziallandtag Bedenken. Da er jedoch zwischen Gemeindewahl- und Bürgerrecht grundsätzlich unterschied, das Bürgerrecht als "minderes Recht" ansah, welches zwar Voraussetzung für den Antritt des Wahlrechts, ansonsten aber keinen präzisen Rechtsinhalt erkennen ließ und auch von keiner vorhergehenden Wartezeit abhängig zu machen war, bestand zu der von der Staatsregierung angeschnittenen Frage, die im Sinne der Gemeindeordnung das Bürgerrecht mit dem Wahlrecht gleichsetzte, nur eine begriffliche Differenz. 419 Nach den Stellungnahmen der Provinziallandtage fand von Westphalen seine "Bedenken gegen die unveränderte Beibehaltung der Gemeindeordnung" bestätigt und zugleich die "in den Grund417 Vergleiche die Stellungnahme des Regierungskommissars von Klützow während der Kommissionsberatungen der Ersten Kammer. PEK, 21. März 1851. StBEK, 2. LP, 1. Sess. 1850/51, Bd. 2, S. 1068. Rede von Westphalen. PEK, 14. April 1851. A.a.O., S. 1084. 418 Denkschrift von Westphalen, betreffend die Gesetzentwürfe wegen Abänderung der Gemeinde-Ordnung vom 11. März 1850. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 1, Nr. 5, außerordentliche Beilage 2. 419 Vgl. dazu die Gutachten der Provinziallandtage, die als außerordentliche Beilagen der DS Nr. 5 beigegeben sind.

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zügen aufgestellten Reform-Vorschläge" gebilligt. 42o Das hieß, die Staatsregierung konnte sich, wenn auch auf dem Wege des "kleinen Staatsstreichs",421 hinreichend unterstützt sehen, die einheitliche Gemeindeordnung wieder abzuschaffen, provinziell spezifizierte Landgemeindeordnungen für die östlichen Provinzen herauszugeben, die Gemeindeordnung unter Abänderungen für die Städte des östlichen Landesteils aufrechtzuerhalten und im Westen die besonderen Kommunalverhältnisse zu berücksichtigen. Für Westfalen war folglich eine stadt- und landverbindende Gemeindeordnung vorzulegen, für die Rheinprovinz eine Gemeindeverfassung durch königliche Verordnung zu erlassen, deren Grundsätze mit Zustimmung der Kammern festgestellt werden mußten. 422 Die entsprechenden Gesetzentwürfe und Hauptgrundsätze wurden der Ersten Kammer am 1. Dezember zur Beschlußnahme übergeben. Der Regierungsentwurf zum Beibehaltungsgesetz423 folgte in seinen wahlrechtlichen Bestimmungen dem Kommissionsbeschluß der Ersten Kammer, wenn er den Hausbesitz und den selbständigen Gewerbebetrieb zu den Voraussetzungen des Wahlrechts machte und für den Fall, daß beide Bedingungen nicht vorlagen, einen erhöhten Steuerzensus von vier Reichstalern substituierte.424 Die Einkommensgrenze für die mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städte unter 10000 Einwohner wurde jedoch auf 200 Reichstaler erhöht,425 während der Mindeststeuersatz von zwei Reichstalern für Hausbesitzer gänzlich fortfiel 426 . War man einerseits auf diese Weise den durch die Entwicklung des Städtewesens begründeten Anspruch des Hausbesitzes und Gewerbebetriebs auf Teilnahme an den Wahlen und öffentlichen Geschäften gefolgt, hatte man andererseits "zur Pflege des Heimatgefühls und zur besseren Abwehr der nachteiligen Folgen leichtsinniger und schnell wechselnder Niederlassungen", nicht versäumt, diese Rechte von einem längeren, sprich dreijährigen Wohnsitz, abhängig zu machen. 427 Den für den Hausbesitz vorgeschlagenen Zensus hatte der Minister des Innern nicht berücksichtigt, weil der Hausbesitz "nach der Natur der Sache eine so nahe Beziehung zu den städtischen Interessen" hervorbrachte, Denkschrift von Westphalen, AbänderGO. A. a. 0., S. 31. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, Bismarck und das Reich, 3Stuttgart u. a. 1988, S. 165 f. 422 SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 1, Nr. 5. 423 Gesetzentwurf, betreffend die Beibehaltung der Gemeinde-Ordnung vom 11. März 1850 als Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Monarchie, 24. November 1851. A.a.O., S. 3-6. 424 § 4, Abs. 2, Ziff. 4a-c, GesEntwBGO, 1851. A.a.O., S. 3. 425 § 4, Abs. 3, GesEntwBGO, 1851. A.a.O., S. 4. 426 § 4, Abs. 2, Ziff. 4a, GesEntwBGO, 1851. A. a. 0., S. 3. 427 § 4, Abs. 2, GesEntwBGO, 1851. Ebd. Denkschrift von Westphalen, AbänderGO. A. a. 0., S. 35. 420 421

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schließlich aber das bestehende Dreiklassensystem den Einfluß der ärmeren Hausbesitzer weitgehend beschränkte. Einem möglichen Übergewicht des kleinen Handwerkerstandes sollte durch die Bedingung der Gehilfen begegnet werden. Der Bedeutung des Hausbesitzes wurde mit der Bestimmung, daß mindestens die Hälfte der von jeder Abteilung zu wählenden Gemeindeverordneten aus Hausbesitzern bestehen mußte, weiter Rechnung getragen. 428 Zur Förderung des "auf uralter Auffassung" gestützten Selbstgefühls des Städtebürgertums wurde, der Begriff des "Bürgerrechts" wiederhergestellt. "Dieser Tribut an die Ideologie der ständischen Reaktion", wie die Liberalen schon kurz darauf bemerken sollten,429 erhielt durch eine weitere Bestimmung materielle Bedeutung. Der § 8 der Gemeindeordnung von 1850 wurde dadurch erweitert, daß zu den Gegenständen des Gemeindestatuts zukünftig auch solche Bestimmungen gehören sollten, welche den gewerblichen Korporationen bei der Einteilung der Gemeindewähler sowie bei der Bildung der Wahlversammlungen und der Kommunalvertretung eine angemessene Berücksichtigung einräumten. 43o Diese Spezifizierung des kommunalen Statutarrechts stand im offensichtlichen Gegensatz zu den Regelungen der Gemeindeordnung. Zudem konnte der Eindruck entstehen, wie spätere Kommentatoren der Städteordnung anmerkten, daß die weite Definition der städtischen Autonomie die Bedeutung der Gemeindeordnung als allgemeines Gesetz durchlöcherte. 431 Der Minister des Innem machte indessen deutlich, hier ginge es allein um eine Deklaration des § 8 der Gemeindeordnung, um die Zweifel über die Grenzen der gemeindlichen Satzungsgewalt näher zu bestimmen.432 Die Opposition der Liberalen gegen den Regierungsentwurf konzentrierte sich zuallererst auf die Wiederherstellung von Standesrechten in ländlichen Gemeinden, schloß aber auch das Gemeindewahlrecht ein. Die Altliberalen Magnus von Brünneck und der zeitweise enge Vertraute des Kronprinzen, Karl von Vincke, unterbreiteten der Ersten Kammer, unterstützt von 26 Abgeordneten, darunter zwölf in Berlin Ansässigen, Mitte Januar 1852 einen Zu den §§ 14,20,72 u. 78, GesEntwBGO, 1851. A.a.O., S. 4. Kratzer, Entstehung, S. 37. 430 Zum § 8, GesEntwBGO, 1851. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 1, Nr. 5, S. 5. Die Möglichkeit, die Wähler nach gewerblichen Genossenschaften einzuteilen, findet sich bereits in der Städteordnung von 1831. Vgl. § 52, Tit. 6, StO 1831. GS 1831, S. 17. 431 Vgl. dazu OerteI, Städte-Ordnung, 3. Aufl., S. 165. Hübner, Städte-Ordnung, S. 85. Stier-Somlo, Städterecht, S. 40 f. 432 Denkschrift von Westphalen, AbänderGO. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 1, Nr. 5, S. 35 f. Es ging also um die Präzisierung der im § 8 angeführten allgemeinen Bestimmung der "für die Entwicklung der Eigentümlichkeiten des Städtewesens besonders wichtigen Fälle". 428

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Antrag, der die Staatsregierung aufforderte, die Gesetzentwürfe zurückzuziehen. 433 Durch die im Regierungsentwurf ausgesprochenen Beschränkungen des Gemeindewahlrechts hielten die Liberalen zwar nicht den Artikel 70 der Verfassungsurkunde verletzt, wonach das politische Wahlrecht auf dem Gemeindewahlrecht beruhen sollte, aber dadurch, daß weit mehr als die Hälfte der bislang Wahlberechtigten ihr Recht verloren, sah man den bestehenden verfassungsmäßigen Zustand des Landes in seinen Grundlagen wesentlich erschüttert. Solange das politische auf dem Gemeindewahlrecht gründete, war es nach liberaler Auffassung nicht zulässig, das kommunale Wahlrecht schlechthin nur nach den Bedürfnissen des Gemeindewesens zu regeln, vielmehr waren Beschränkungen nur aus politischen Gründen vorzunehmen, diese ansonsten aber möglichst gering zu halten. Überdies war eines der wichtigsten politischen Rechte durch die Wahlrechtsbedingungen des provinzialorientierten Kommunalrechts in den einzelnen Landesteilen unterschiedlich geregelt. Da über den Steuerzensus und das Dreiklassensystem rechtsverbindliche Gesetze vorlagen, war es zwar nicht mehr an der Zeit hierüber zu beraten, aber die Liberalen hielten daran fest, daß die geplante Beschränkung des Gemeindewahlrechts bzw. die Privilegierung einzelner Wählerschichten den kommunalen Gegebenheiten widersprach. Erfahrungsgemäß verschafften sich "die vorwiegenden Besitz- und Vermögens-Verhältnisse ... stets von selbst Einfluß", sobald nur die sie repräsentierenden Bürger durch praktischen Gemeinsinn das Vertrauen der Einwohnerschaft gewonnen hätten. 434 Die Liberalen gingen also von einem Wählerverhalten aus, daß keine Kongruenz zwischen der sozialen Lage und der Wahlentscheidung zeigte, sondern, wie durch die vorliegenden Untersuchungen bestätigt wird435 , eine Dominanz der höheren Einkommensschichten in den Kommunalvertretungen beförderte, wenn auch die schichten spezifischen Einkommensgrenzen nicht exakt definiert werden konnten. Es war indessen weniger der ins Gespräch gebrachte praktische Gemeinsinn, der das Wählerverhalten beeinflußte, als die realen Wirkungen der Pflicht zur ehrenamtlichen Tätigkeit in der Gemeinde. Das Ehrenamt befand sich einerseits stets in einer allgemeinen Abhängigkeit von der ökonomischen Entwicklung, andererseits übte es in der Verbindung mit dem wirtschaftlichen Status seiner Adressaten eine sozial selektierende Funktion hinsichtlich der kommunalen Teilhabe aus. 433 Siehe den Antrag von Brünneck/von Vincke, 13. Januar 1852. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 2, Nr. 55, S. 1-3. 434 Denkschrift zu dem Antrage wegen Zurückziehung der zufolge Allerhöchster Ermächtigung vom 24. November 1851 eingebrachten Gesetz-Entwürfe der StaatsRegierung in Betreff der Gemeinde-Odnung vom 11. März 1850, 12. Januar 1852. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 2, Beilage zu Nr. 55, S. 21. 435 Vgl. oben Kap. 5, Unterabschnitt 2.

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An diesem Punkt sollten die Gneistschen Vorstellungen436 über das Verhältnis von Teilhabe und Ehrenamt in der Gemeinde ansetzen. Die Einteilung der Wähler nach gewerblichen Korporationen hielten die Liberalen für überholt und insoweit für unpraktisch, als sie die nach Erlaß des novellierten Gewerbegesetzes hervorgetretenen Gegensätze der gewerblichen Interessen noch nachhaltiger in die Verwaltung der politischen Gemeinde hineintragen und somit die Entwicklung der allgemeinen Korporationsinteressen stören würden. Unzeitgemäß war nach liberaler Auffassung auch die Bevorzugung des Hausbesitzes, denn der Besitz eines kleinen Hauses in der Hand eines Tagelöhners, bot weniger Garantie für die Partizipation am Gemeindeleben als das prosperierende Handwerk oder die bevorzugte Stellung solcher Aufseher und Werkführer in den industriellen Gebieten, die ohne Hausbesitz waren. 437 Grundsätzlich ging es den Liberalen um die Aufrechterhaltung des staatseinheitlichen Kommunalrechts. Die Gemeindeordnung von 1850 stellte nach ihrer Ansicht einen Kompromiß zwischen dem aus der inneren Entwicklung des preußischen Staates gebotenen Fortschritt und den auf eine ständische Reaktivierung abzielenden Bestrebungen der Restauration dar. Die Gemeindeordnung war nicht das "plötzliche, unvorbereitete Ergebnis einer revolutionären Bewegung", sondern das Ergebnis eines politischen Vergleichs, dessen Stärke in seiner "Dehnbarkeit" lag, das hieß in dem weiten Spielraum, welche die Gemeindeordnung bei der Ausführung gewährte. Dieser Spielraum, der unter anderem den Gemeindevertretungen die Wahl zwischen den Regelungen für die Gemeinden unter bzw. über 1200 Einwohnern überließ,438 machte es möglich, die Gemeindeordnung in allen Teilen des Landes, auf städtische und ländliche Verhältnisse, anzuwenden. 439 Die resümierende Ansicht der Liberalen, die Städte der östlichen Provinzen hätten "die überwiegendere kooperative Freiheit und Selbständigkeit" nach der Städteordnung von 1808 nur deshalb ohne Widerstand geopfert, weil es darauf ankam, "die Wohltaten einer nach wesentlich gleichen Grundzügen eingerichteten Gemeinde-Verfassung" auch dem platten Lande des Ostens zuzuwenden, entsprach, wie schon das Beispiel Berlins zeigte, wohl der politischen Entwicklung, aber nicht den Zielvorstellungen der östlichen Stadtgemeinden. Das Eintreten der Liberalen für die einheitliche Gemeindeverfassung war jedoch nicht nur einer verfassungspolitischen Leitlinie, sondern auch OpDazu ausführlicher Kap. 7, Unterabschnitt 2. Denkschrift zum Antrag von Brünneck/von Vincke. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 2, Beilage zu Nr. 55, S. 22. 438 Vgl. § 154, Tit. 7, § 9, Tit. 1, GO 1850. GS 1850, S. 250 u. 216. 439 Denkschrift zum Antrag von Brünneck/von Vincke. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 2, Beilage zu Nr. 55, S. 5 f. 436 437

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portunitätserwägungen verpflichtet, welche auf die Zurückdrängung des politischen Einflusses des Konservativismus abzielten. Dies verdeutlichte sich einerseits in ihrer widersprüchlichen Haltung zur Staatsaufsicht und der Satzungsgewalt der Gemeinden - beide Momente wurden von ihnen bekämpft, da sie Handhaben zur politischen Verfestigung der bestehenden Machtverhältnisse boten -, andererseits in ihrer nicht verhehlten Sympathie für die städtische Verfassungsautonomie. Während man sich mit dem bedingungslosen Eintreten für die Gemeindeordnung schützend vor die ländlichen Kommunen stellte, war man hingegen nicht bereit, diese im gleichen Maße als Grundlage für die Städte anzuerkennen. An dieser Stelle soll von einer weiteren Darstellung der parlamentarischen Behandlung des Kommunalwahlrechts abgesehen werden. Sie wird im Zusammenhang mit den weiteren wahlpolitischen Refonnbemühungen auf kommunaler Ebene wieder aufgenommen werden. 44o Die Wahlrechtsfrage bildete zudem zu Beginn der fünfziger Jahre nur einen wichtigen Teil der kommunalgesetzlichen Debatte, sie war nicht der einzige strittige Gegenstand. Der Kommunalliberalismus hoffte insbesondere auf eine großzügigere Gestaltung der Staatsaufsicht. Der Städteordnungsentwurf der Vincke-Fraktion sah denn auch unter anderem vor, das staatliche Recht zur Auflösung der Gemeindevertretungen zu suspendieren.441 Die von der Staatsregierung im November 1851 vorgeschlagenen Abänderungen der Gemeindeordnung hatten das Auflösungsrecht zumindest entschärft, indem sie es auf den Gemeinderat beschränkten und erstmalig eine landesherrliche Verordnung auf Antrag des Staatsministerium zu seiner Voraussetzung machten. 442 Während der Kommissionsberatungen wurde erwogen, ob es überhaupt zweckmäßig war, die Regelungen der Gemeindeordnung aufrechtzuerhalten, und ob nicht die Befugnisse zur Suspendierung der Stadtverordneten im Interesse "eines beschleunigten Geschäftsganges" zwischen den Landräten, Regierungen und höheren Staatsbehörden geteilt werden sollten. In beiden Fällen ließen sich die Kammern jedoch überzeugen, daß die Regierungsvorlage "das Angemessenste" bestimmte. Lediglich "zur Verhütung jeder Willkür und jeder Verzögerung" wurde einstimmig der Zusatz vorgeschlagen, daß die Neuwahl der Stadtverordneten innerhalb von sechs Monaten nach der Auflösung erfolgen mußte. 443 Die Städteordnung von 1853 übernahm die in den Kommissionsberatungen entwickelten Vorschläge, ohne besondere Motive für das Auflösungsrecht darzulegen, das nunmehr auf die Gemeindevertretung beschränkt Vgl. dazu Kap. 7, Unterabschnitt l. Vgl. Hübner, Städte-Ordnung, S. 298. 442 Zu § 143, Beibehaltungsgesetz, 24. November 185l. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 1, Nr. 5, S. 6. 443 KomBerGO, PEK, 16. Februar 1852. A.a.O., Bd. 3, Nr. 101, S. 17. 440

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wurde. 444 Nach einer ergangenen Auflösungsverordnung konnte der Minister des Innem bis zur Einführung der neugewählten Stadtverordneten für die laufenden Geschäfte der Gemeindevertretung Kommissare bestellen.445 Gegen den Magistrat war die außerordentliche Amtsenthebung nicht mehr möglich, es kam nur noch die allgemeine Disziplinargesetzgebung zum Zuge. 446 Doch selbst ein in dieser Form beschränktes Auflösungsrecht beinhaltete ohne Zweifel noch eine "radikale Maßregel,,447 der Aufsichtsinstanzen. Es verwunderte daher um so mehr, daß die Liberalen im Landtag nicht mit größerer Entschiedenheit auf die Suspendierung des staatlichen Auflösungsrechtes gedrängt hatten. 448 Auch das staatliche Recht auf Zwangsetatisierung449 und das Beanstandungsrecht gegen gesetz- und rechtswidrige Beschlüsse der Gemeindevertretungen450 passierte den Landtag ohne größere Auseinandersetzungen. Bei den Beanstandungsregelungen wurde lediglich der Begriff des "Staatsinteresses" aus dem Regierungsentwurf gestrichen und durch den allgemeineren des "Staatswohls" ersetzt. Die Abgeordneten waren der Auffassung, daß der Begriff des Staatsinteresses den des fiskalischen Interesses einschloß, folglich wäre den Stadtgemeinden, wenn ein Stadtverordnetenbeschluß aus fiskalischen Interessen suspendiert wurde, der Rechtsweg gegen den Fiskus verschlossen. Der Begriff des Staatswohls sicherte dagegen die möglichen Rechte der Kommunen gegen den Fiskus,451 gleichwohl verblieb der Aufsichtsbehörde durch die begriffliche Unbestimmtheit des Beanstandungsgrundes ein nahezu unbeschränkter Bereich staatlicher Aufsicht. Im Falle, daß ein Beschluß der kommunalen Exekutive gegen das Staatswohl oder das "Gemein-Interesse" verstieß, gesetz- oder rechtswidrig war, oblag dem Magistratsdirigenten die Pflicht, eine Entscheidung der Regierung einzuholen. 452 Das galt grundsätzlich auch für Beschlüsse der Gemeindevertretung. 453 Das Beanstandungsrecht lag mithin, soweit allein das Gemeindeinteresse berührt war, beim Vorsitzenden des Magistratskollegiums. Die Be444 Oberbürgermeister Krausnick, Bericht der Kommission zur Beratung des Entwurfs einer Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, 17. Januar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess 1852/53, Bd. 2, Nr. 62, S. 49 f.; § 79, Tit. 10, StO 1853. GS 1853, S. 288. Vgl. auch Hübner, Städte-Ordnung, S.297. 445 § 79, Abs. 2, Tit. 10, StO 1853. GS 1853, S. 288. 446 § 80, Tit. 10, StO 1853. A. a. 0., S. 288 f. 447 Stier-Somlo, Städterecht, S. 346. 448 Vgl. Hübner, Städte-Ordnung, S. 298. 449 § 78, Tit. 10, StO 1853. GS 1853, S. 288. 450 § 77, Tit. 10, StO 1853. Ebd. 451 Vgl. Hübner, Städte-Ordnung, S. 203 u. 295. 452 § 57, Abs. 2, Tit. 10, StO 1853. GS 1853, S. 281 f. 453 § 56, Ziff. 2, Tit. 5, StO 1853. GS 1853, S. 280.

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zirksregierung hatte über einen das Gemeindeinteresse verletzenden Beschluß nur dann zu entscheiden, wenn durch "die versagte Zustimmung des Magistrats oder die Beanstandung des von dem Magistrate beabsichtigten Zustimmungs-Beschlusses seitens des Vorsitzenden,,454 die Sache an die Regierung gelangte. Die Kritik der Kammern über die Aufsichtsregelungen konzentrierte sich im wesentlichen auf die unterbliebene Festlegung des Rekursverfahrens. 455 Die Staatsregierung hatte das Fehlen näherer Regelungen über die Zuständigkeit der einzelnen Aufsichtsinstanzen mit der Praxis der älteren Städtegesetze begründet, in denen Bestimmungen über die Aufsichtsinstanzen fehlten. Diese waren vielmehr in besonderen Gesetzen festgelegt worden, wie der Einrichtungsverordnung vom April 1815,456 welche den Landräten die Polizeiaufsicht in kreiszugehörigen Städten eröffnete, ferner die wichtigen Instruktionen vom Oktober 1817 457 und Dezember 1825,458 die den Bezirksregierungen die generelle Aufsichtsbefugnis über das gesamte Kommunalwesen sowie die Korporationen übertrug und sie verpflichtete, auf die Einhaltung der Gesetze und Verordnungen zu achten. 459 Schließlich machte die Instruktion vom Dezember 1825 460 die Oberpräsidenten zur zweiten Aufsichtsinstanz in den Provinzen. Diese entschieden als Vertreter der obersten Staatsbehörden in Kommunalangelegenheiten, ohne daß die Möglichkeit der Berufung beim Minister des Innern aufgehoben wurde. 461 Regierungskommissar von Klützow erläuterte während der Kammerberatung, daß die Städteordnung nicht der geeignete Ort wäre, die verschiedenen Aufsichts- und Rekursinstanzen näher zu präzisieren, zumal sich die Krone in den Anordnungen über die Behördenverfassung "eine freie Stellung" vorbehielt. Im übrigen war den Städten nach Auffassung des 454 Reskript des Ministeriums des Innem vom 23. August 1851 zum § 140 der Gemeindeordnung von 1850. Abdruck bei: Hübner, Städte-Ordnung, S. 295 f. 455 Vgl. § 76, Tit. 10, RegEntw, StO, 29. November 1852. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 1, Nr. 15, S. 24. 456 §§ 36 bis 40, Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-Behörden, 30. April 1815. GS 1815, S. 91 f. Vgl. auch §§ 3 u. 15, A.a.O., S. 86 u. 88. Vgl. Stein/Marcinowski, Städteordnung, S. 159. 457 § 2, Ziff. 5, Instruktion für die Geschäftsführung der Regierungen in den Königlich-Preußischen Staaten, 23. Oktober 1817. GS 1817, S. 249. 458 Lit. D 11,1, Kabinetts-Ordre, 31. Dezember 1825, betreffend die Abänderung in der bisherigen Organisation der Provinzial-Verwaltungsbehörden. GS 1826, S. 7. 459 §§ 7 u. 8, Regierungsinstruktion, 1817. GS 1817, S. 252 f. Vgl. auch den Bescheid des Ministers des Innern, 23. Juni 1873. Abdruck in: Ebert, Stadtverordnete, S.84. 460 § 11, Ziff. 4a, Instruktion für die Oberpräsidenten, 31. Dezember 1825. GS 1826, S. 4. 461 Stein/Marcinowski, Städteordnung, S. 159.

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Staatsministeriums in den einzelnen Bestimmungen des Regierungsentwurfs "die vollste Sicherheit für die Mitwirkung der Regierung bei der Ausübung des Aufsichtsrechts in den wichtigeren Angelegenheiten"462 garantiert. Diese Begründung konnte die Städtevertreter nicht befriedigen. Sie fürchteten, nachdem vor allem in den östlichen Provinzen die Kommunalangelegenheiten unter der Aufsicht der Regierungen gestanden hatten, daß die Landräte nicht nur weiterhin als Kommissare der Bezirksregierungen fungierten, sondern ihnen auch die Entscheidung über Anfragen und Beschwerden in Gemeindesachen übertragen werden könnte. 463 Nur im Hinblick auf die kleineren Städte hatte man keine Bedenken, dem Landrat als Kommissar der Regierung die Beaufsichtigung und Entscheidung in erster Instanz zu übergeben. Allgemein hielten die städtischen Vertreter aber an der Forderung fest, daß die Staatsregierung in der Städteordnung die Instanzenverhältnisse der Aufsichtsbehörden und ihre Befugnisse präzisierte. Ebenso sollten die Fristen für Beschwerden und den Rekurs an die oberen Instanzen festgelegt werden. Da die Instanzenverhältnisse in den einzelnen Provinzen jedoch nicht einheitlich geregelt waren, konnte sich weder die Gemeindekommission noch das Plenum der Ersten Kammer entscheiden, die in erster Instanz aufsichtführenden Behörden im Gesetz näher zu bezeichnen und die Zuständigkeit der Landräte, sei es mit selbständiger, sei es mit nur kommissarischer Aufsichtsführung, zu definieren. 464 Die Zweite Kammer lehnte jeglichen Versuch, den Landräten, die den ländlichen Interessen näher standen und im Konfliktfall vermutlich zu Ungunsten der Städte entschieden, neben der Aufsichtsführung in Polizeiangelegenheiten auch noch die über die Gemeindesachen zu übertragen, kategorisch ab und bestand darauf, definitiv als untere Instanz die Regierungen einzusetzen und in den höheren Instanzen die staatliche Aufsicht durch den Oberpräsidenten bzw. den Innenminister ausüben zu lassen. 465 Diese Regelung wurde schließlich von beiden Häusern des Landtages angenommen. Neben den ungeregelten Instanzenverhältnissen der Kommunalaufsicht hatte nur noch die Wiederherstellung des Bestätigungsrechts im Sinne des älteren Städterechts Widerspruch im Landtag gefunden. Eine Minderheit der Zweiten Kammer sah durch den Umstand, daß allein der Bürgermeister als Verwalter der Ortspolizei vorgesehen war, jeden früheren Grund des Staates aufgehoben, die Qualifikation und Eignung der nicht mit Hoheits462 Rede von Klützow. PEK, 27. Januar 1853. StBEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, S.215. 463 Bericht Krausnick, Kommissionsberatung, StOEntw, 17. Januar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 2, Nr. 62, S. 47. 464 A. a. 0., S. 48 f. 465 StBZK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 2, S. 969 ff.

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aufgaben betrauten Magistratspersonen zu überprüfen. 466 Die Mehrheit beider Häuser des Landtags war sich dagegen einig, daß das Magistratskollegium eine starke obrigkeitliche Stellung haben mußte, deren Autorität unter anderem durch die Bestätigung seitens des Staates begründet wurde. 6. Staatliche Kommunalaufsicht und städtische Autonomiebedürfnisse das Scheitern der Gemeinderechtsnovellierung

Die detaillierten Bestimmungen zur Staatsaufsicht, insbesondere das Auflösungs- und Bestätigungsrecht, wurden in den Gemeinden vielfach als Untergrabung der kommunalen Selbständigkeit gesehen und wie im Fall der Wahlrechtsfrage glaubte man in den allgemeineren Bestimmungen der Städteordnung von 1808 eine größere Garantie der "städtischen Freiheit" zu finden. 467 Die Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses befaßte sich 1859 ausführlich mit dieser Frage und verglich dabei das Aufsichtsrecht der Städteordnungen von 1808, 1831 und 1853 sowie der Gemeindeordnungen von 1850. Zunächst erkannte die Kommission einstimmig ein allgemeines Aufsichtsrecht des Staates über die Kommunen an. So konnte die im Jahre 1808 angeordnete Rechnungsrevision nur den Zweck haben, der Aufsichtsbehörde unter Umständen Gelegenheit zum Einschreiten im Staatsinteresse zu geben. Dabei konnte es nur im Interesse der Städte und des Staates liegen, wenn sich dieses Recht nicht nur auf den Fall der Ausführung von Stadtverordnetenbeschlüssen, sondern auch auf noch unausgeführte Entscheidungen bezog, wie es im § 66 der neuesten Städteordnung vorgesehen war, indem er die Eingabe einer Abschrift des Haushaltsetats an die Regierung verlangte. Einigkeit herrschte weiterhin darüber, daß in der Allgemeinheit der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen der älteren Städteordnung eine größere Beschränkung der Gemeinden lag, als in den detailliert entwickelten Vorschriften des neueren Kommunalrechts, wie sie etwa in der Städteordnung von 1853 aufgenommen worden waren. Das staatliche Beanstandungsrecht gegenüber Beschlüssen der städtischen Körperschaften führte nicht zur Ausdehnung des allgemeinen Aufsichtsrechtes, vielmehr lag "in der Beschränkung des Suspensionsrechtes auf aus466 Bericht Krausnick, Kommissionsberatung, StOEntw, 17. Januar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 2, Nr. 62, S. 30. StBZK, 3. LP, 1. Sess. 1852/ 53, Bd. 2, S. 923 ff. 467 Ludwig Emil Mathis (Bamim), Bericht über die bereits erwähnten Petitionen der Städte Driesen und Elbing. PAH, GemKom, 18. März 1859. StBPAH, 5. LP, 1. Sess. 1859, Bd. 4, Anlagen T. 2, AS Nr. 75, S. 449-551; hier insbesondere S. 551. Dazu der "Entwurf zu einigen Abänderungen der Städte-Ordnung vom Mai 1853, der von den liberalen Abgeordneten Housselle, Schenkel, Lietz und Mettenmayer des Wahlkreises Elbing-Marienburg-Stargard eingereicht wurde. A. a. 0., Anlage C, S. 558-560. Zu Mathis vgl. Kap. 7, Unterabschnitt 2, Anm. 111.

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drücklich genannte Fälle" ein Schutz der städtischen Freiheit, den die Städteordnung von 1808 nicht kannte. 468 Entscheidend blieb nach Ansicht der Gemeindekommission die Bezeichnung der konkreten Fälle, in denen die Suspension gestattet war. Grundsätzlich konnte nichts gegen ein Suspensionsrecht eingewendet werden, das sich in der Ausübung durch den Magistratsdirigenten oder die Bezirksregierung gegen gesetz- und rechtswidrige Beschlüsse der städtischen Körperschaften richtete. Bedenken mußten gegen den Begriff des "Staatswohls" als Suspensionsanlaß erhoben werden, da er "so allgemein, so unbestimmt, für willkürliche Anwendung so zugänglich" war, daß auf diesem Wege ein Eingriff in die Selbständigkeit der Städte befürchtet werden mußte. 469 Diese Auffassung wurde jedoch nur von einem einzelnen Kommissionsmitglied vertreten, die Mehrheit ging von der Möglichkeit das Staatswohl gefährdender Beschlüsse aus und hielt daher den schadenverhütenden Eingriff für notwendig. Zudem handelte es sich bei der Beanstandung nur um die zeitweilige Aufhebung, nicht um eine definitive Entscheidung. Im Falle einer ungerechtfertigten Suspension stand der Gemeinde der Beschwerdeweg offen. Der vereinzelte Mißbrauch konnte grundsätzlich nicht die Notwendigkeit der Suspension in Frage stellen. Wenn der Begriff des Staatswohls in der Städteordnung gestrichen wurde, so die Kommissionsmajorität, konnte die Aufsichtsbehörde, wenn sie in irgendeiner Form das Staatsinteresse verletzt sah, aus dem allgemeinen Aufsichtsrecht, dann nur eben schrankenloser, die Befugnis zur Suspension herleiten. Einwände erhob die Gemeindekommission gegen das Beanstandungsrecht des Magistratsdirigenten, denn dadurch wurde der zuständigen Aufsichtsbehörde die Möglichkeit eröffnet, in die Stadt hineinzuregieren. Das Suspensionsrecht gegenüber Beschlüssen, die das Gemeindewohl verletzten, verließ im Grunde genommen das Prinzip, die kommunale Selbstverwaltung nur da zu beschränken, wo das Staatswohl es erforderte. Hier wurde ein "Gebiet der Bevormundung" eröffnet. Die Städteordnung von 1853 gab dem Magistratsdirigenten nach Kommunalansicht allgemein die Möglichkeit, den städtischen Behörden jeden Beschluß zu entziehen. Eine Befugnis, die um so bedenklicher war, als der Regierungseinfluß durch das Bestätigungsrecht noch gestärkt wurde. Gemeindeangelegenheiten, die das Staatsinteresse nicht berührten, mußten "nach gesunden Prinzipien" ausschließlich in der Gemeinde entschieden werden. Die Kommission trat aus diesem Grund dafür ein, den Begriff des "Gemein-Interesse" in der Städteordnung zu beseitigen. 468 Dieses Moment wird bei Engeli/Haus, Quellen, S. 371, vernachlässigt, die in der Präzisierung der Aufsichtsrechte lediglich "den Stempel reaktionären Mißtrauens gegenüber der Bürgerschaft" erkennen. 469 Bericht Mathis (Barnim). PAH, GemKom, 18. März 1859. StBPAH, 5. LP, 1. Sess. 1859, Bd. 4, Anlagen T. 2, AS Nr. 75, S. 552. Siehe auch zum Folgenden.

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Das Auflösungsrecht hielt man hingegen nicht für zu weitgehend. Es mußte ein Mittel geben, unter Umständen an die Wählerschaft zu appellieren. Dadurch, daß die Auflösung einer Kommunalvertretung an einen Ministerialantrag und eine landesherrliche Verordnung gebunden war, sah die Gemeindekommission einen hinreichenden Schutz der Selbstverwaltung gewährleistet. Der Regierungskommissar hatte zudem mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß von dieser Befugnis "nur in den allerseltensten Fällen Gebrauch gemacht worden sei". Das Bestätigungsrecht der neueren Städteordnung förderte nach Majoritätsauffassung indessen ein "System der Bevormundung". Die Kommission folgte der bereits bei den Kammerberatungen geäußerten Auffassung, daß es keines weiteren Schutzes allgemeiner Interessen bedurfte, da die Polizeiverwaltung nicht mehr dem Magistratskollegium oblag und ohnehin dem ferner der Bestätigung unterliegenden Magistratsdirigenten überall dort, wo das Staatswohl zu bewahren war, weitgehende Eingriffsbefugnisse eingeräumt wurden. Es genügte demnach, die Bestätigung auf den Bürgermeister und die Beigeordneten zu beschränken. Die gegenwärtige "Schrankenlosigkeit" des Bestätigungsrechts sollte durch die Rückkehr zur Bestimmung der Städteordnung von 1808 eingeengt werden, womit nur im Falle "unqualifizierter Personen" die Bestätigung zu versagen war. Die Möglichkeit, bei wiederholtem Versagen der Bestätigung, eine kommissarische Verwaltung anzuordnen, wollte die Gemeindekommission allerdings, entgegen den kommunalen Forderungen, bestehen lassen. Wenn der Wähler nicht gezwungen werden konnte, sich mit der Aufsichtsinstanz auszugleichen, waren schwere kommunale Mißstände oder verzögerte Stellenbesetzungen nicht auszuschließen. 47o Die Gemeindekommission sah keinen Anlaß auf die Regelung der Städteordnung von 1808 zurückzugreifen, die für den Fall der Nichtbestätigung lediglich die Wahlwiederholung vorschrieb. Neben den allgemeinen und mittelbaren Aufsichtsrechten des Staates waren seine speziellen und unmittelbaren Befugnisse, d. h. die Genehmigungspflicht bestimmter Gemeindebeschlüsse, zu berücksichtigen. Unbestritten hielten die petitionierenden Städte Steuern und Abgaben, Veräußerungen von wissenschaftlichen - und Kunstsammlungen wie Archiven, die Erhebung von Einzugs- und Einkaufsgeldern oder die Veränderung der Bewertungsgrundlagen einzelner Gemeindedienste für genehmigungspflichtig. Die Veräußerungen von Grundstücken und Realberechtigungen, die Änderungen im Gebrauch der Gemeindenutzungen oder gar die Aufnahme von Anleihen wollten die Kommunen jedoch nicht der staatlichen Genehmigung unterwerfen. Die Gemeindekommission hielt diese Forderung nur im Hinblick auf den Grundbesitz und die Gemeindenutzungen für berechtigt, da es sich 470

A. a. 0., S. 553.

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hierbei vornehmlich um kommunale Interessen handelte, das Staatsinteresse aber nur entfernt und nur insoweit mittelbar berührt war, als dem Staat daran gelegen sein mußte, daß das Kommunalvermögen der Städte auf einem hohen Niveau erhalten blieb. Anders als Freiherr vom Stein sah die Gemeindekommission in der Notwendigkeit, die Interessen der Kommunen zu wahren, eine ausreichende Gewähr, daß "verständig verfahren" und das nur mittelbar getroffene Staatsinteresse berücksichtigt wurde. Außerdem entschieden die zuständigen Bezirksregierungen, da sie häufig die spezielle Sachlage und die lokalen Umstände nicht kannten, oftmalig nach allgemeinen Grundsätzen, die mitunter dem gegebenen Fall nicht angemessen waren. Die Gemeindekommissionen plädierten in dieser Hinsicht, zu den Vorschriften der Städteordnung von 1808 zurückzukehren. Es genügte die unter Bekanntmachung der Gründe anberaumte öffentliche Versteigerung, um in den nur seltenen Fällen leichtsinniger und pflichtvergessener Veräußerungen seitens der Regierung einzuschreiten. Bei der Schuldenaufnahme war hingegen die Prüfung der Aufsichtsbehörde unerläßlich, da andernfalls die Verschuldung der Städte nicht mehr zu überwachen war, die einen unmittelbaren Einfluß auf die Leistungsfähigkeit der Einwohner und damit auf die allgemeinen Staatsinteressen hatte. Zudem konnte nur durch die Mitwirkung der Aufsichtsbehörde gesichert werden, daß bei den Anleihen für die Tilgung durch Amortisationsfonds und ihre genau zu prüfenden Festsetzungen gesorgt war. Daß in der Städteordnung von 1808 eine entsprechende Aufsichtsregelung gefehlt hatte, hielt man für unerheblich, da das dort eingeräumte allgemeine Oberaufsichtsrecht in der Verwaltungspraxis stets als Berechtigung zum staatlichen Eingriff bei der Schuldenaufnahme ausgelegt worden war. Die Besoldungen der Magistratsmitglieder wollte die Gemeindekommission nicht erneut in die Hände der Selbstverwaltung legen, mochte dies auch mit Blick auf das ältere Kommunalrecht von den Gemeinden gewünscht werden. Wenn in dieser Hinsicht den kommunalen Forderungen nachgegeben wurde, war das Zusammenwirken der städtischen Körperschaften gefährdet, da sich einerseits zwangsläufig ein Über- und Unterordnungsverhältnis und andererseits der Hang, über die Kostenfrage die Qualifikationsanforderung zu vernachlässigen, einstellen würde. Auf einen kritischen Punkt des Aufsichtsrechts machte die Gemeindekommission selbst aufmerksam: die Entscheidungsbefugnis der Regierungen bei fehlenden gemeinsamen Beschlüssen der städtischen Körperschaften. Die Städteordnung von 1853 wahrte in diesem Fall zwar die Rechte der Selbstverwaltung nachhaltiger als ihre unmittelbaren Vorgängerinnen, aber auch sie machte eine ausschließlich städtische Angelegenheit zum Entscheidungsgegenstand staatlicher Instanzen. Die Verwaltungspraxis hatte ge-

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zeigt, daß es gerade die bedeutungsvolleren Angelegenheiten waren, die zu Konflikten in den städtischen Körperschaften führten und häufig, da die Städteordnung die innergemeindliche Verständigung nicht zur Pflicht machte, durch den geradezu gesuchten Beschluß der Regierung entschieden wurden. Die Gemeindekommission hielt es aus diesem Grund für angebracht, abweichend vom älteren Gemeinderecht Regelungen aufzustellen, die eine Einigung der städtischen Körperschaften förderten. 471 Im Anschluß an die Erörterung des Aufsichtsrechts forderte die Gemeindekommission die Staatsregierung generell auf, die Städteordnung "zur Förderung möglichst ausgedehnter Selbstverwaltung der Städte" einer Revision zu unterziehen. Im Zusammenhang mit den Petitionen zum Kommunalwahlrecht trat sie zur "Förderung einer freieren Beteiligung der Bürgerschaft an der Stadtverwaltung,,472 für eine grundlegende Reform ein. Der 1860 unter Federführung des fortschrittlichen Abgeordneten Max von Forckenbeck eingebrachte Gesetzentwurf schränkte das staatliche Aufsichtsrecht im Anschluß an die Vorschläge der Gemeindekommission noch weiter ein, ohne indessen die allgemeine Oberaufsicht des Staates in Frage zu stellen. Das Bestätigungsrecht wurde auf den Bürgermeister und die Beigeordneten beschränkt, die kommissarische Verwaltung im Falle der wiederholten Nichtbestätigung blieb allerdings bestehen. 473 Die freiwillige Veräußerung von Grundstücken und Gerechtsamen sollte in den Städten im Wege der Versteigerung (Lizitation) eröffnet werden, nur der Verkauf aus freier Hand fernerhin der Regierungsgenehmigung unterliegen. 474 Das Beanstandungsrecht des Magistratsdirigenten wollten die liberalen Abgeordneten gänzlich streichen. 475 Es war nach ihrer Auffassung zu dehnbar und forderte vom Magistratsdirigenten eine Verantwortlichkeit, die ihn an "einer unbefangenen und kräftigen Gemeindeverwaltung" hinderte. 476 Die Besoldungskompetenz der Regierungen477 sollte ebenso erhalten bleiben wie das Recht zur Zwangsetatisierung. Zukünftig war in solchen Fällen nur das eine Leistung begründende Gesetz anzugeben. 478 Das staatliche Auflösungsrecht wurde nicht weiter in Frage gestellt, allerdings durch die Bedingung erA a. 0., S. 554. A a. 0., S. 556. 473 Art. 17, GesEntFor, 1860. StBPAH, Anlagen T. 3, 5. LP, 2. Sess. 1860, AS Nr. 178, S. 1295. Forckenbeck vertrat den sechsten Königsberger Wahlkreis. Zu den wahlrechtlichen Regelungen des Gesetzentwurfs vgl. Kap. 7, Unterabschnitt 2. 474 Art. 20 u. 21, GesEntwFor, 1860. StBPAH, Anlagen T. 3, 5. LP, 2. Sess. 1860, AS Nr. 178, S. 1296 f. 475 Art. 24, GesEntwFor, 1860. Aa.O., S. 1296. 476 Motive zum GesEntwFor, 1860. Aa.O., S. 1300. 477 Art. 26, GesEntwFor, 1860. A a. 0., S. 1296. 478 Art. 28, GesEntwFor, 1860. Ebd. 471

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gänzt, daß eine Neuwahl innerhalb von 30 Tagen nach Vollzug der Auflösungsverordnung erfolgen mußte. Die Befugnis zum Entsenden kommissarischer Vertreter wurde dem Staat hingegen genommen. 479 Die Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses folgte dem Forckenbeckschen Entwurf nur insoweit, als er sich auf der Linie ihrer vormaligen Beschlüsse zur Städteordnung befand. Unter keinen Umständen wollte man der Aufhebung des bürgermeisterlichen Suspendierungsrechts zustimmen. Im Gegensatz dazu zeigte sich die Kommission geneigt, den Begriff des Staatswohls aufzugeben und das ihm innewohnende Moment der Willkür anzuerkennen. Die Möglichkeit eines "tendenziösen Mißbrauchs", einer Einengung gewährter Selbstverwaltung war zu groß, hieß es nunmehr, als daß "nicht für alle Zukunft einer Gefahr vorzubeugen war".480 Die Bindung der Auflösungsverordnung an eine Frist von 30 Tagen nahm die Gemeindekommission als Fortschritt an, nicht minder die Aufgabe der kommissarischen Verwaltung, da die Auflösung einer Gemeindevertretung überwiegend durch einen innergemeindlichen Konflikt ausgelöst wurde, dessen Beschwichtigung durch ein längeres Hinausschieben der Neuwahlen ebenso gefährdet war wie sich die kommissarische Verwaltung gegenüber der Funktion einer städtischen Vertretung "abnorm" und "unzweckmäßig" ausnahm. Der schließlich von der Staatsregierung vorgelegte Revisionsentwurf folgte in der Frage des Auflösungsrechts vollständig der Argumentation der Gemeindekommission. Er sprach sogar davon, daß die bislang vorgesehene Einsetzung von Kommissaren "dem autonomischen Rechte der Städte,,481 widersprach. Die Frist für die Ansetzung von Neuwahlen legte die Staatsregierung auf drei Monate fest, während dieser Zeit sollte der Magistrat die Funktionen der suspendierten Stadtverordneten übernehmen, "soweit dies zur Fortführung der laufenden Verwaltungsgeschäfte notwendig" war. Das hieß der Magistrat durfte während des Übertragungszeitraums keine neuen Ausgaben bewilligen. 482 Ansonsten hob der Regierungsentwurf die Bestätigungspflicht für sämtliche Magistratsmitglieder auf, beschränkte diese auf den Bürgermeister sowie die Beigeordneten und hoffte, damit "eine Quelle mancher nach allen Seiten hin unersprießlicher Konflikte zu verstopfen".483 Art. 29, GesEntwFor, 1860. Ebd. Bericht Mathis (Bamim), PAH, GemKom, 16. Mai 1860. A.a.O., AS Nr. 179, S.1304. 481 Motive, RegEntw, Abänderungsgesetz, 28. Januar 1861. StBPHH, Sess. 1861, Bd. 2, Anlagen, Nr. 4, S. 22. 482 § 79 u. Motive zum § 79, RegEntw, Abänderungsgesetz, 28. Januar 1861. A. a. 0., S. 21 f. Zur Behandlung des Auflösungsrechts im Städteordnungsentwurf der siebziger Jahre vgl. die einleitenden Bemerkungen zu Kap. 8, Unterabschnitt 3. 479

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Das Beanstandungsrecht des Magistrats wurde im Sinne der Vorschläge der Gemeindekommission stärker an ein innergemeindliches Einigungsverfahren gebunden, zugleich sollte nicht mehr jeder beanstandete Beschluß der Stadtverordneten-Versammlung zur Entscheidung an die Bezirksregierung gelangen. In allen Fällen, in denen der Magistrat seine Zustimmung versagte, war er weiterhin verpflichtet, die Grunde den Stadtverordneten mitzuteilen. Im Gegensatz zur bestehenden Städteordnung sollte jedoch die Verständigung in einer gemeinsamen Kommissionsberatung obligatorisch werden. Das Ergebnis der Beratung war den städtischen Körperschaften dann zur nochmaligen Beschlußnahme zu unterbreiten. Trat auch jetzt keine Einigung ein, war der Beschluß für nicht zustande gekommen zu erachten. In diesem Fall sollte die Stadtverordneten-Versammlung - wodurch ihre Stellung innerhalb der Gemeinde gestärkt wurde - bei der Regierung den Antrag stellen können, den Magistrat zur Erteilung der Zustimmung anzuweisen. Die Regierung war befugt, vor einer endgültigen Entscheidung nochmals durch die Vermittlung eines Kommissars zu versuchen, eine Verständigung zwischen den städtischen Körperschaften herbeizuführen. 484 Diese Regelung kannte bereits die Revidierte Städteordnung. Allerdings beschränkte der Regierungsentwurf das Beanstandungsrecht des Magistrat nicht auf die gesetz- und rechtswidrigen Beschlüsse. Nach wie vor sollte die kommunale Exekutive zum Widerspruch verpflichtet sein, wenn ein Beschluß der Stadtverordneten das Staatswohl oder das Gemeindeinteresse verletzte. Nur beim Beanstandungsrecht des Magistratsdirigenten gegenüber Beschlüssen des Ratskollegiums folgte die Staatsregierung der ,,Konsequenz des Autonomieprinzips" und wollte bei abweichenden Ansichten des Bürgermeisters über das Gemeindeinteresse nicht mehr "die Einmischung der Regierung" zulassen. 485 Das Ziel der Staatsregierung "der Selbstbestimmung der Kommune durch ihre verfassungsmäßigen Organe freie(n) Raum zu gewähren" und, soweit einzelne Bestimmungen der Städteordnung eine diesem Prinzip entgegenstehende Tendenz erkennen ließen, "eine Garantie gegen den Mißbrauch" zu schaffen,486 wurde von der sechsten Kommission des Herrenhauses anerkannt. Die veränderten Regelungen zum Aufsichtsrecht schätzte man als "wesentliche Verbesserung des Bestehenden,,487 ein. Nur die Beschränkung 483 § 33, Abs. 1 u. Motive zum § 33, RegEntw, Abänderungsgesetz, 28. Januar 1861. A.a.O., S. 20 u. 22. 484 § 56, Nr. 2, RegEntw, Abänderungsgesetz, 28. Januar 1861. A.a.O., S. 20. 485 § 57, Abs. 2 u. Motive zum § 57, RegEntw, Abänderungsgesetz, 28. Januar 1861. A.a.O., S. 20 u. 22. 486 Motive, RegEntw, Abänderungsgesetz, 28. Januar 1861. A. a. 0., S. 21. 487 Oberbürgenneister Karl August Groddeck (Danzig), Bericht, VI. Kommission, PHH, Beratung des Abänderungsgesetzes, 15. Februar 1861. A.a.O., S. 26. 39 Grzywatz

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des staatlichen Bestätigungsrechts wollte die Kommission nicht hinnehmen. Regierungskommissar von Kehler bemerkte während der Beratung, daß das Prinzip der Selbstverwaltung einen wesentlichen Ausdruck in der Wahl der kommunalen Amtsträger fand. Die Beschränkung dieses "natürlichen Rechtes" wäre nur durch höhere Rücksichten des allgemeinen Staatsinteresses zu rechtfertigen, das nur bei der Wahl des Bürgermeisters und der Beigeordneten in Frage kam, da sie als die "eigentlichen Organe" der Staatsregierung auf kommunaler Ebene anzusehen seien. 488 Die Begrenzung des Bestätigungsrechts lag auch insofern im Interesse der Staatsregierung, als ein durch "konkludente Gründe" gerechtfertigtes Versagen der Bestätigung die Aufsichtsbehörden nur zu leicht in den Verdacht "tendenziöser Motive" oder in eine für die Verwaltung "nicht ersprießliche schiefe Stellung" der betreffenden Stadt gegenüber geraten ließ. Nach Ansicht der Kommission gefährdete die Neuregelung jedoch die Gleichstellung der Magistratsmitglieder. Der Magistrat bildete als Ortsobrigkeit ein geschlossenes Ganzes, in dem sich die Mitglieder als kollegialisch verbunden, gleichberechtigt und gleich verpflichtet erachteten. Dieses Verhältnis konnte durch das Übergewicht des Bürgermeisters paralysiert werden. Schließlich, so die Befürchtungen der Kommission, verschaffte das eingeschränkte Bestätigungsrecht den Stadtverordneten-Versammlungen die Möglichkeit, sich Magistratskollegien zu schaffen, die völlig von ihnen abhängig waren. Mit der deutlichen Mehrheit von 9:2 Stimmen lehnte die Kommission den § 33 des Regierungsentwurfs ab. Oberbürgermeister Krausnick, der zwischen den Aufsichtsregelungen der einzelnen Städteordnungen keinen großen Unterschied sehen wollte, auch in der Verwaltungspraxis der Bezirksregierungen keine wesentlichen Wünsche der Kommunen auf Abänderung der Staatsaufsicht begründet sah, schloß sich in der Frage des Bestätigungsrechtes vollständig der Kommissionsmehrheit an. Die ausschließliche Bestätigung des Magistratsdirigenten, erläuterte Berlins Stadtoberhaupt, mußte zu seiner Isolierung im Magistratskollegium führen, ihn gleichsam unter dem Einfluß und in der Abhängigkeit des Staates erscheinen lassen, wodurch jeder Bürgermeister zwangsläufig einen Teil seiner Wirksamkeit und Autorität verlor. 489 Krausnick trat deshalb dafür ein, es entweder bei der bestehenden Regelung der Städteordnung zu belassen oder das Bestätigungsrecht überhaupt aufzugeben. Das Berliner Stadtoberhaupt befand sich mit seiner Auffassung in Übereinstimmung mit der Berliner Kommunalbürokratie, die Gemeindevertretung der Landeshauptstadt vertrat jedoch eine andere Auffassung. Nachdem Magistrat und Stadtverordnete in gemeinsamen Beratungen zu keiner 488 489

A. a. 0., S. 24. Rede Krausnick. PHH, 20. Februar 1861. StBPHH, Sess. 1861, Bd. 1, S. 65.

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einheitlichen Stellungnahme über den Regierungsentwurf gekommen waren, setzte die Kommunalvertretung am 11. Februar eine vornehmlich aus liberalen Repräsentanten zusammengesetzte Redaktionskommission ein, um die Verhandlungsergebnisse in einer Petition an den Landtag zusammenzufassen. 490 Nach dem am 16. Februar vorgelegten Entwurf lehnte die Deputationsmehrheit die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen des geltenden Kommunalrechts grundSätzlich ab. 491 Wie schon im Jahre 1849 forderten die Stadtverordneten die Rückkehr zu den Regelungen des reformzeitlichen Gemeinderechts. 492 Anders als in der Revolutionsperiode gelang es nicht mehr, einen Konsens der Kommunalkörperschaften herzustellen. Selbst innerhalb der Gemeinderepräsentation waren die Deputationsbeschlüsse umstritten. Die Liberalen mußten zugeben, daß die von der Regierung geplanten Änderungen des Aufsichtsrechts den Städten einen größeren Raum zur Selbstbestimmung gaben. Das vorgeschriebene Einigungsverfahren bei umstrittenen Beschlüssen der Gemeindevertretung war vor allem als Fortschritt anzusehen. 493 Trotzdem wollten die Liberalen die den Kommunen gewährte Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten nur als "eine Verheißung" ansehen, solange nicht durch die Aufhebung der besonderen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen deren "mißbräuchliche Handhabung,,494 endgültig verhindert war. Die Kommunalbürokratie und Teile der Gemeindevertretung waren indessen nicht mehr für die Aufsichtsregelungen des vorkonstitutionellen Kommunalrechts zu gewinnen. Görlitz' zweiter Bürgermeister Maximilian Richtsteig hielt im Sinne des Berliner Magistratsdirigenten das staatliche Bestätigungsrecht ebensowenig für aufhebbar wie es auf einzelne Magistratsmitglieder eingeschränkt werden sollte. Er forderte aber, aus dem allgemeinen Bestätigungsrecht, das den Charakter des Willkürlichen trug, im Sinne der Städteordnung von 1808 ein genau definiertes zu machen, in dem die Bestätigung an die 490 Bericht der Redaktionskommission vom 16. Februar 1861 einschließlich einer tabellarischen Zusammenfassung der Beschlüsse der gemischten Deputation (Anlage A) und dem Entwurf einer Petition an den Landtag (Anlage B), LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1362. Zur Zusammensetzung der Redaktionskommission vgl. unten Kap. 7, Unterabschnitt 2. 491 Es handelte sich insbesondere um die §§ 36 u. 76-80, StO 1853. 492 Hier war an die §§ 1-2 u. 189, StO 1808 gedacht. 493 Anlage A des Berichts der Stadtverordnetenkommission vom 16. Februar 1861, S. 4 f.; Petitionsentwurf, S. 9 f., und die vom Stadtverordnetenvorsteher Karl von Lüttig eingereichte Petition, vom 7. März, S. 2. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1362. Zu Lüttig siehe Clauswitz, Städteordnung, S. IX. Friedrich Seydel, Unsere Familie: Gesammeltes und Erlebtes, Halle 1907, (Manuskriptdruck), S. 135. 494 Berliner Stadtverordneten-Petition vom 7. März 1861, S. 2. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1362. 39*

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"Qualifikation und Würde" der gewählten Kandidaten gebunden wurde. 495 Appelle des Potsdamer Oberbürgermeisters Beyer und des Halberstädtischen Stadtoberhaupts von Brünken, die VOn der Mininsterialbürokratie offerierte beschränkte Aufgabe eines staatlichen Vorrechts im Interesse der kommunalen Selbständigkeit zu akzeptieren, zumal die Geschlossenheit des Magistrats schon früher durch das besondere Bestätigungsverfahren für die Stadtoberhäupter nicht bestanden hatte,496 fanden bei der Kammermehrheit keinen Zuspruch. Der überraschte Minister des Innem sah, obgleich er nochmals betonte, daß bei der Bestätigung der unbesoldeten Magistratsmitglieder "wesentliche Interessen des Staates" nicht berührt wurden, keinen Grund, der mehrheitlichen Auffassung der Städte vertreter entgegenzukommen. Immerhin glaubte auch er anerkennen zu müssen, daß der Magistrat nur in seiner Gesamtheit als Träger der obrigkeitlichen Gewalt in der Kommune anzusehen und daß das geplante neue Bestätigungsrecht die einheitliche Stellung der Magistratsmitglieder aufzulösen geeignet war. 497 Während die übrigen von der Staatsregierung erwogenen Beschränkungen des Aufsichtsrechts vom Herrenhaus angenommen wurden, lehnte die Kammer, der Kommissionsempfehlung folgend, das veränderte Bestätigungsrecht mit großer Mehrheit ab. Ein Antrag aus dem Kreise der Oberbürgermeister, die kommunale Selbstverwaltung im Hinblick auf die Veräußerung von Gemeindegrundstücken zu gewähren, mithin die staatliche Genehmigungspflicht aufzuheben,498 konnte nicht durchgesetzt werden. Obwohl selbst von konservativer Seite in der Genehmigungspflicht eine zu weitgehende Bevormundung des Staates gesehen und von staatlicher Seite zugegeben wurde, daß nicht zu billigende Veräußerungen auch mit Genehmigung der Bezirksregierungen vorgekommen waren. 499 Die Staatsregierung wollte jedoch an der Möglichkeit einer Garantie festhalten, daß nicht die Zukunft der Städte auf Kosten der Gegenwart preisgegeben wurde. 5OO Diese Garantie war ihrer Ansicht nach am wirkungsvollsten durch einen Genehmigungsvorbehalt kommunaler Grundstücksveräußerungen gesichert. Die Mehrheit schloß sich dieser Auffassung an. Die Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses stellte, nachdem ihr der abgeänderte Regierungsentwurf zur weiteren Beratung überwiesen wor495 496

85 f.

Rede Richtsteig. PHH, 20. Februar 1861. StBPHH, Sess. 1861, Bd. I, S. 67. Reden Beyer und von Brünken. PHH, 21. Februar 1861. Aa.O., S. 82 ff. u.

Rede Graf von Schwerin. PHH, 21. Februar 1861. Aa.O., S. 89. Verbesserungsantrag, Hasselbach-Zander, 19. Januar 1861. StBPHH, Sess. 1861, Bd. 2, Anlagen, Nr. 4, S. 30. 499 Vgl. die Rede des Oberpräsidenten von Meding. PHH, 21. Februar 1861. A a. 0., Bd. I, S. 94. 500 Siehe Rede Graf von Schwerin. PHH, 21. Februar 1861. Aa.O., S. 93. 497 498

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den war, zunächst fest, daß im Gegensatz zu ihren früheren Vorschlägen die Aufhebung der Suspendierungsbefugnis von Gemeindebeschlüssen, die gegen das Staatswohl verstießen, die Einschränkung des Bestätigungsrechts auf die Qualifikation der Kandidaten, die Beseitigung der kommissarischen Verwaltung des Magistratsdirigentenamtes bei versagter Bestätigung und die Aufhebung der Genehmigungspflicht für Immobilienverkäufe keine Berücksichtigung gefunden hatten, während die Staatsregierung die Beschränkung des Bestätigungsrechtes auf die Bürgermeister und Beigeordneten zwar beschlossen, das Herrenhaus diese Regelung jedoch abgelehnt hatte. 50l Inzwischen ließen sich diese Forderungen nicht mehr im gesamten Umfang durchsetzen. Die Kommission übernahm daher weitgehend die aufsichtsrechtlichen Beschlüsse der Ersten Kammer. Das betraf vor allem die Bestimmungen zur Immobilienveräußerung. Den resignativen Hinweis, daß die vereinzelte mißbräuchliche Handhabung des Gemeindeeigentums nicht den Grundsatz des kommunalen Rechts auf Selbstverwaltung einschränken durfte, wollte Graf von Schwerin nur "in der Theorie" bestätigen. Er gab zu, daß der staatliche Genehmigungsvorbehalt für die größeren Städte "von geringer praktischer Bedeutung" war, in kleineren und mittleren Städte hatte es hingegen wiederholt Grundeigentumsverkäufe gegeben, die im Interesse der Kommunen nicht zu rechtfertigen gewesen waren. Wenn man konsequenterweise die Schuldenaufnahme, so der Minister des Innem, an die Genehmigung der Regierungen band, durfte um so weniger die Veräußerung von Grundeigentum freigegeben werden. 502 Der Zusammenhang zwischen der augenblicklichen Aufnahme von Kapitalien ohne Gegenleistung und dem Verkauf von Eigentum gegen Entgelt wurde zwar in der Kommission bestritten, die Mehrheit entschied jedoch auf die Beibehaltung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen. Die Kammer folgte dem Kommissionsvorschlag ohne weitere Diskussion. 503 Die vom Herrenhaus vorgeschlagene Fassung des Beanstandungsrechts gegenüber Magistratsbeschlüssen hielt die Gemeindekommission aus Gründen der Gleichberechtigung für inoppportun. Soweit eine Übereinkunft in den städtischen Körperschaften nicht zu erzielen war, mußte ein Beschluß eben als nicht zustande gekommen angesehen werden. Das Recht der Kom501 Hermann Duncker, Bericht der Kommission für das Gemeindewesen über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung und Ergänzung der Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. März 1853, sowie über vierzig, auf Abänderung der bestehenden Städteordnungen, 22. April 1861. AIPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, AS Nr. 137, S. 984. 502 A. a. 0., S. 1000. 503 StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 2, S. 1281. Zu privatwirtschaftlich orientierten Veräußerungen von städtischem Grundbesitz durch Berliner Vorortsverwaltungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Gundiaeh, Geschichte, Bd. 1, S. 322 ff. Grzywatz, Städtisches Finanzwesen, S. 43 ff.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

munalvertretung, in einem solchen Fall bei der Regierung den Antrag zu stellen, den Magistrat zur Erteilung der Zustimmung zu verpflichten, gefährdete nach Auffassung der Kommission die Stellung des Magistrats "als ein selbstberechtigtes Organ der Kommune".504 Wenngleich der Magistrat als Behörde der Regierungsaufsicht unterstand, konnte daraus nicht, wie es Regierungskommissar vOn Kehler annahm, in Analogie zum Beschwerderecht des einzelnen Bürgers gegen Magistratsbeschlüsse ein Recht der Gemeinderepräsentation auf Beschwerdeführung abgeleitet werden. Der Magistrat war nicht als ein der disziplinarischen Hierarchie der Behörden integriertes Kollegium zu betrachten. Außerdem wurde nach Auffassung der Kommissionsmajorität das Ziel eines Verständigungsverfahrens zwischen Magistrat und Gemeindevertretung durch das einseitige Antragsrecht der Stadtverordneten gefährdet. "Gäbe man der Stadtverordneten-Versammlung das Recht", führte Stadtrat Duncker aus, "in allen Fällen der Differenz die Entscheidung der Regierung einzuholen, so werde das eine Mal in der Hoffnung, bei der Regierung zu siegen, die Stadtverordneten-Versammlung nicht nachgeben, das andere Mal der Magistrat, auf seinem Widerspruch beharren, es der Stadtverordneten-Versammlung überlassen, ihr Heil bei der Regierung zu suchen, - in dem Vertrauen, daß seine Ansicht bei der Regierung obsiegen werde".505 Die Gemeindekommission empfahl den entsprechenden Passus im Regierungsentwurf zu streichen. Sie glaubte für diese Änderung um so mehr eintreten zu können, als bei lang andauernden Differenzen zwischen den städtischen Körperschaften, die möglicherweise das Kommunalinteresse gefährdeten, die Regierung Kraft ihres allgemeinen Oberaufsichtsrechts immer noch zum Eingreifen befugt war. Im übrigen lehnte es die Kommission weiterhin ab, ein Beanstandungsrecht im Falle einer Verletzung des "Staatswohls" oder des "Gemeindeinteresses" anzuerkennen. Dem vOn der Gemeindekommission angestrebten Prinzip, durch den Zwang zur Einigung die Selbständigkeit der städtischen Behörden zu stärken, pflichtete das Plenum mehrheitlich bei. Das galt auch für das Beanstandungsrecht des Bürgermeisters gegenüber Magistratsbeschlüssen. 506 Im allgemeinen hatte die Gemeindekommission zwar Bedenken gegen die Beanstandungsbefugnis des Stadtoberhaupts, da sie "dem Begriff der kollegialischen Verfassung" widersprach und die Suspendierungspflicht den Magistratsdirigenten "in hohem Maße zum Organ der Regierung" machte. Namentlich in größeren Städten blieb der Bürgermeister, da es bei der Beurteilung von kompetenzüberschreitenden oder gesetzwidrigen Magistratsbeschlüssen weniger um das spielraumgewährende Ge504 KomBer H. Duncker, 22. April 1861. AIPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, AS Nr. 137, S. 1002. 505 506

Ebd.

StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 3, S. 1282.

6. Staatliche Kommunalaufsicht und städtische Autonomiebedürfnisse

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biet der Zweckmäßigkeitsrücksichten als um den eng begrenzten Bereich des positiven Rechts ging, vom Votum der juristisch gebildeten Mitglieder des Magistrats abhängig. Mit Rücksicht auf die Verhältnisse in den kleineren Städten, in denen der Bürgermeister oftmalig das einzige gesetz- und rechtsverständige Mitglied des Magistratskollegiums war, fand man sich dennoch bereit, das Beanstandungsrecht des Magistratsdirigenten aufrechtzuerhalten. Allerdings nur soweit gesetz- oder rechtswidrige Magistratsbeschlüsse vorlagen. 507 Während das Herrenhaus das von der Staatsregierung eingeschränkte Bestätigungsrecht gänzlich verworfen hatte, zögerte die Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses, zum Verfahren der Städteordnung von 1853 zurückzukehren. Auf keinen Fall wollte man die unbesoldeten Magistratsmitglieder weiterhin, wie Stadtrat Duncker unterstrich, der "Zensur der Bezirksbehörde,,508 unterworfen sehen. Da jedoch das Amt des Magistratsdirigenten nicht von dem der Polizeiadministration zu trennen war, die Bürgermeister aber die Befugnis zur Übertragung der Polizeigeschäfte auf andere Magistratsmitglieder wie überhaupt eine Zurückverlegung der Polizeiadministration in den Magistrat wünschten, rechnete die Kommission damit, daß in einem solchen Fall die Regierung auch das Bestätigungsrecht für die besoldeten Magistratsmitglieder beanspruchen würde. Folglich empfahl die Gemeindekommission, den Bezirksregierungen das Bestätigungsrecht für die besoldeten Magistratsmitglieder zu belassen, unabhängig von der Größe der Städte. 509 Die Beschränkung des staatlichen Bestätigungsrechts auf die Qualifikation der Bewerber wurde nunmehr verworfen, da sich die Auffassung durchsetzte, daß die Relativität des Begriffes keine hinreichende Gewähr gegen einen Mißbrauch gab. Im Plenum kam die Kommissionsempfehlung nicht zur Annahme. Max von Forckenbeck beantragte, die unbesoldeten Magistratsmitglieder wieder aus der Bestätigungspflicht herauszunehmen und drang damit bei der Mehrheit der Abgeordneten durch. Das Abgeordnetenhaus kehrte zum ursprünglichen Regierungsentwurf zurück: Bürgermeister und Beigeordnete bedurften in Städten über 10000 Einwohnern der königlichen Bestätigung, in allen anderen Städten kamen die Bezirksregierungen zum Zuge. 510 Regierungskommissar von Kehler hatte in der Gemeindekommission das Bestreben der Staatsregierung unterstrichen, sich nur von solchen Verwal507 KomBer H. Duncker, 22. April 1861. AIPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, AS Nr. 137, S. 1003 508 Rede H. Duncker. PAH, 16. Mai 1861. StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 3, S. 1283. 509 KomBer H. Duncker, 22. April 1861. AlPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, AS Nr. 137, S. 999. 510 StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 3, S. 1283.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

tungsgrundsätzen leiten zu lassen, bei denen das Bestätigungsrecht, auch wenn es die besoldeten Magistratsmitglieder einschloß, nie in einer Weise angewandt wurde, daß darüber berechtigte Beschwerden erhoben werden könnten. Von städtischer Seite wurde anerkannt, daß das Bestätigungsrecht "während einer langen Reihe von Jahren" zu keinen Beschwerden Veranlassung gegeben hatte. Die zahlreichen Gemeindepetitionen über die Autbebung des Bestätigungsrechts wären im Grunde genommen unberechtigt, wenn man jenes Recht nicht unter der Verwaltung des Ministeriums von Flottwell "in einer tendenziösen Weise" ausgeübt hätte. Es widersprach dem Prinzip der Selbstverwaltung, wenn gewählten und überaus qualifizierten Kandidaten die Bestätigung als unbesoldete Stadträte allein auf Grund ihrer politischen Überzeugung versagt wurde und anschließend die vakanten unbesoldeten Ratsstellen durch staatliche Kommissare, denen die Kommunen Diäten bezahlen mußten, verwaltet wurden. 511 Die parlamentarischen Beratungen fanden durch den Verfassungskonflikt und die gegen den formierten, auf eine stärkere Parlamentarisierung der Regierung drängenden Fortschrittsliberalismus angeordnete Auflösung des Abgeordnetenhauses 512 ebenso ein Ende wie die Novellierung der Kommunalordnung überhaupt. Nur wenig später sollte die Staatsregierung das Bestätigungsrecht erneut als Instrument politischer Disziplinierung gegen einen mißliebigen Kommunalliberalismus nutzen. Im Grunde genommen waren die Fragen und Probleme der staatlichen Kommunalaufsicht dennoch kein zentraler Streitpunkt zwischen den Staatsund Gemeindevertretern. Es gab, was die Beratungen in den Häusern des 511 KomBer H. Duncker, 22. April 1861. AIPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, AS Nr. 137, S. 998. Zur politischen Instrumentalisierung des Bestätigungsrechts vgl. Kap. 8, Unterabschnitt 2. 512 Zum Verfassungs- und Heereskonflikt vgl. Nipperdey, Geschichte 1800-1866, S. 752 ff. Hagen Schulze, Preußen 1850 bis 1871. Verfassungsstaat und Reichsgründung, in: Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. 2, S. 327 ff. Eugene N. Anderson, The Social and Political Conflikt in Prussia 1858-1864, Lincoln, Nebraska 1954. Adalbert Hess, Das Parlament das Bismarck widerstrebte. Zur Politik und sozialen Zusammensetzung des Preußischen Abgeordnetenhauses der Konfliktszeit (1862-1866), Köln-Opladen 1964, S. 20 ff. Bömer, Die Krise der preußischen Monarchie von 1858 bis 1862 (= Akademie der Wissenschaften der DDR. Schriften des Zentralinstituts für Geschichte, Bd. 49), Berlin 1976, S. 136 ff., 159 ff., 167 ff. u. 177 ff. Bemerkenswert, wenn auch die ökonomistische Interpretation verabsolutierend Michael Gugel, Industrieller Aufstieg und bürgerliche Herrschaft. Sozioökonomische Interessen und politische Ziele des liberalen Bürgertums in Preußen zur Zeit des Verfassungskonflikts 1857-1867, Köln 1975, insbesondere S. 70 ff., 92 ff. u. 276 ff. Zur Kritik Mommsen, Liberalismus, S. 80 ff. Gall, Der deutsche Liberalismus zwischen Reform und Reichsgründung, in: HZ, Bd. 228 (1970), S. 101 ff. Vor dem Hintergrund einer Gesamtübersicht der neuren Forschungssituation Hellmut Seier, Liberalismus und Bürgertum in Mitteleuropa 1850-1880. Forschung und Literatur seit 1970, in: Bürgertum, S. 160 f.

6. Staatliche Kommunalaufsicht und städtische Autonomiebedürfnisse

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Landtages unterstrichen, Differenzen in Einzelfragen, ohne daß es hierbei zu fundamentalen Auseinandersetzungen kam. Die Kommunen begriffen sich selbst als Bestandteil des Staates und beanspruchten keinesfalls jene "Selbständigkeit und Unabhängigkeit", welche die Städte gleichsam zu "Republiken im Staate" machte. Es war eine anerkannte Selbstverständlichkeit, daß dem Staat das Recht eingeräumt war, gesetz- oder rechtswidrige Beschlüsse der Kommunen zu annullieren, die Kommunen zu zwingen, ihre gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen und gegebenenfalls selbst eine Gemeindevertretung aufzulösen. 5B Gerungen wurde nur im Detail, bei der definitiven Konkretisierung der Aufsicht, die stets um die Pole ungerechtfertigte Bevormundung und notwendige Beaufsichtigung kreiste. Die Initiative der Berliner Liberalen zur Beschränkung der staatlichen Aufsichtsrechte in der Gemeinde formulierte keine politische Alternative. Die Rückkehr zu den aufsichtsrechtlichen Regelungen des vorkonstitutionellen Gemeinderechts richteten sich ja nicht nur gegen die staatliche Einflußnahme in der Kommune, deren Beschränkung im übrigen selbst bei der Übernahme der ursprünglichen, mithin der nicht durch ergänzenden Regelungen veränderten Städteordnung von 1808 fraglich war, sondern auch gegen die starke Stellung der Kommunalbürokratie. Diese profitierte insbesondere bei strittigen Gemeindebeschlüssen von einem rationalen, aufsichtsrechtlich fundierten Einigungsverfahren. Es fehlte den Liberalen offensichtlich an einem klaren Leitbild über die Stellung der Kommunen im Staat, was auch Ausdruck des allgemeinen Mangels an einer eigenen Staatskonzeption war. 514 Deshalb dieses Schwanken zwischen dem Drang nach kommunaler Autonomie und der Anerkennung notwendiger staatlicher Bindung der Gemeinden. Eine halbwegs geklärte Ansicht kommunaler Verfaßtheit gab es nur im Hinblick auf die Definition der Bürgerschaft und der Selbstverwaltungsangelegenheiten. Aus Sicht des Kommunalliberalismus waren daher für das Scheitern der Städterechtsreform die ungeklärten Fragen der inneren politischen Ordnung der Kommunen wesentlich und entscheidend. Das betraf, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung in den Kommunalorganen, zunächst das Gemeindewahlrecht, erst dann das Verhältnis der Kommunalkörperschaften zueinander und schließlich die Ausübung der örtlichen Polizei, die den Gemeinden immer noch solche Aufgaben vorenthielt, die ausschließlich durch örtliche Bedürfnisse definiert waren.

513 V gl. die Rede des Oberbürgermeisters Beyer. PHH, 21. Februar 1861. StBPHH, Sess. 1861, Bd. 1, S. 82. 514 Dazu Hess, Parlament, S. 48 f.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat 7. Ortspolizei und Selbstverwaltung der Fortbestand des staatlichen Wirkungskreises in der Kommune

Preußens oktroyierte Verfassung von 1848 durchbrach das Prinzip der staatlichen Ortspolizei, indem sie die Polizei zur Gemeindesache erklärte. S1S Die Monarchie hatte damit einer wichtigen Forderung der Städte nachgegeben. Auf dem Städtetag der Provinz Preußen zweifelte man die prinzipielle Staatlichkeit der Polizei nicht an, da es zum Amt der Polizei gehörte, allgemein für öffentliche Ruhe und Sicherheit zu sorgen. In dieser Hinsicht waren nicht nur die einzelnen Kommunen, sondern Staat und Gesellschaft überhaupt betroffen. Als Staatsanstalt war die Polizei örtlich indessen eng mit den Kommunalangelegenheiten verflochten, so daß die lokale Trennung von Polizei- und Kommunalverwaltung als "ein störender Eingriff in das Gemeindewesen"S16 zu bewerten war. Für das Votum des Städtetages waren nicht allein administrative und politische Gründe ausschlaggebend, als wesentlich erwiesen sich vielmehr kommunalfiskalische Erwägungen. Wenn die Ortspolizei durch staatliche Behörden ausgeübt wurde, kamen in der Regel hohe Verwaltungskosten auf die Gemeinden zu, weil der Staat nach Ansicht des Städtetages das Polizeiinteresse einseitig, häufig ohne Rücksicht auf die Gemeindefinanzen und -bedürfnisse verfolgte. Dabei nahm der Staat politische Rücksichten, die auf "sehr störende Weise in das Gemeindeleben eingriffen".s17 Der Städtetag spielte mit diesem Hinweis auf das mögliche Spannungsverhältnis von Kommunal- und Gemeinwohlinteresse an. Zur präzisen Definition der örtlichen Polizeiangelegenheiten kamen die Städtevertreter nicht. Sie entschieden jedoch einstimmig, daß die Ausübung der Polizei sich nicht nur auf die Ausführung von landespolizeilichen Verordnungen erstrecken, sondern auch den selbständigen Erlaß und die Vollstreckung von Polizei strafen einschließen sollte. S18 Der Gemeindeordnungsentwurf des Berliner Magistrats erklärte die gesamte Sicherheits-, Ordnungs-, Gesundheits-, Bau-, Feuer-, Gewerbe-, Handels-, Wege-, Strom- und Wasserpolizei zu einem Geschäft des Gemeindevorstands. S19 Dieser umfassende Kommunalisierungsanspruch sollte einerseits nur durch konkurrierende verfassungsrechtliche Bestimmungen 515

Art. 104, Ziff. 3, Tit. 9, OPrVerfUrk 1848. OS 1848, S. 390.

Adresse, Städtetag der Provinz Preußen, 14. Oktober 1848, S. 11. Protokoll der 3. Sitzung des Städtetages, 21. September 1848, S. 21. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2766. 517 Adresse, Städtetag der Provinz Preußen, 14. Oktober 1848, S. 11. 518 Protokoll der 3. Sitzung des Städtetages, 21. September 1848, S. 22. LAB, StA Rep. 01-02, Nr. 2766. 519 § 59, Abschnitt 5, Oemeindeordnungsentwurf des Berliner Magistrats 1849, S.21. 516

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eingeschränkt werden, nach denen einzelnen Staatsorganen Polizeiangelegenheiten übertragen waren, andererseits durch die gesetzliche Bindung der ortspolizeilichen Verordnungen des Gemeindevorstands. Das Gutachten der Stadtverordnetendeputation setzte sich mit den Vorschlägen zur Ortspolizei nicht weiter auseinander. Die Gemeindevertreter stimmten entweder mit der Ansicht des Magistrats überein oder sie waren gezwungen, die Polizeifrage zunächst als nachgeordnetes Problem zu akzeptieren. Diese keineswegs freiwillige Haltung folgte aus der gemeinsamen Forderung der Kommunalkörperschaften, die Städteordnung von 1808 beizubehalten, so daß stillschweigend die älteren polizei rechtlichen Regelungen mit ihrer staatlichen Fundierung der Ortspolizei in Kauf genommen werden mußten. Im Grunde genommen zeigte sich an diesem Punkt eine wesentliche Differenz zwischen der Zielsetzung der Kommunalbürokratie und jener der Bürgerschaftsvertreter. Während für die Kommunalvertretung wie die städtische Öffentlichkeit überhaupt, die Frage der Partizipation, d. h. vornehmlich die wahlrechtlichen Regelungen der Kommunalordnung politische Priorität besaßen und erst danach die Probleme der innergemeindlichen Kompetenzen sowie der Kommunalaufsicht ins Blickfeld rückten, war das an der konkreten Verwaltungspraxis orientierte Gemeindebeamtenturn stärker an einer Definition der Kommunalangelegenheiten interessiert. In der preußischen Nationalversammlung hatte schon der Gesetzentwurf der demokratischen Linken eine umfassende Kommunalisierung der Ortspolizei propagiert. Auch die gesamte Sicherheitspolizei wollten die Demokraten innerhalb eines jeden Gemeindebezirks auf den Bürgermeister übertragen. Die Angelegenheiten der Ortspolizei sollten dem staatlichen Einfluß vollends entzogen, die Polizeiadministration ausschließlich an "die Bestimmungen des Gemeinderats" gebunden werden. 52o Nur wenn die Gegenstände der Polizeiverwaltung über die Örtlichkeit der Gemeinde hinausgingen, trat die Kompetenz höherer Behörden in Wirksamkeit. Mit dem Kreisoder Bezirksdirektor bzw. dem Kreis- oder Bezirksrat stellte der demokratische Entwurf jedoch nicht die Zuständigkeit staatlicher Organe her, sondern diejenige von Kommunalkörperschaften höherer Ordnung. 52l Soweit dem Staat überhaupt eine Einflußmöglichkeit auf der Gemeinde-, Kreis- und Bezirksebene eingeräumt wurde, trat diese in Form des vom Monarchen zu ernennenden "Staatsanwalts" in Erscheinung. Im Widerspruch zur Tendenz des Gesetzentwurfs, den Kommunalkörperschaften eine umfassende Autonomie zu gewährleisten, beabsichtigte man, der Staatsanwaltschaft weitreichende Kontroll- und Mitwirkungsrechte auf Vgl. § 60, T. 1, Abschnitt 4, GODemEntw 1848. StBNV, Bd. 2, S. 817. Vgl. § 113, T. 2, Abschnitt 4 u. § 169, T. 3, Abschnitt 4, GODemEntw 1848. A.a.O., S. 819 u. 821. 520 521

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

allen drei Ebenen der Kommunalverbandsorganisation einzuräumen. 522 Da der für jeweils mehrere Gemeinden zuständige Staatsanwalt, "im Interesse des Staates notwendig erscheinende Anträge"523 bei den Gemeinden-, Kreis- und Bezirksbehörden einbringen und zu diesem Zweck deren Zusammentreten verlangen konnte, eröffnete der demokratische Entwurf dem Staat eine Form der Einflußnahme, die an die Gemeindeverfassung des Absolutismus und seiner Organisation der Steuerräte erinnerte. Der gemäßigt liberale Regierungsentwurf sah vor, den Bürgermeistern die Ausübung der gesamten Ortspolizei einschließlich der sicherheitswahrenden Funktionen zu übertragen, die Orts obrigkeit blieb jedoch "der Leitung der vorgesetzten Polizeibehörde" untergeordnet. Das bestehende Recht des Staates, in den Gemeinden eigene Polizeibehörden einzurichten, sollte nicht suspendiert werden. 524

Im Hinblick auf den Umfang der überwiesenen Polizeigeschäfte folgte der Regierungsentwurf, obgleich im Text nicht sämtliche Zweige der Polizeiverwaltung aufgeführt worden waren, den Bestimmungen der Revidierten Städteordnung, welche den Staatsbehörden die Möglichkeit einräumte, die gesamte Ortspolizei im Wege der Auftragsverwaltung an die Kommunen zu übergeben. Die Städteordnung von 1831 unterschied neben der Einrichtung staatlicher Ortspolizeiadministrationen zwischen verschiedenen Formen der Übertragung. Die Polizei konnte sowohl einem einzelnen Magistratsmitglied zur ausschließlichen und alleinigen Verwaltung, d. h. ohne Konkurrenz des Gemeindekollegiums delegiert, als auch vom Magistrat in seiner Gesamtheit ausgeübt werden. 525 Im Gegensatz zum Regierungsentwurf des Jahres 1848 ließ die Revidierte Städteordnung mithin grundsätzlich die kollegiale Administration der Ortspolizei zu, nur "alle Geschäfte exekutiver Natur" mußten später durch ministerielle Anordnung von der kollegiale Verwaltung getrennt und einem einzelnen Magistratsmitglied mit der "Ermächtigung zur selbständigen Anordnung des polizeilich Nothwendigen" überwiesen werden. 526 Während der Beratung der Gemeindeordnung orientierten sich die einzelnen Abteilungen insofern am vorliegenden Verfassungsentwurf, als sie die Ausübung der Ortspolizei zur Selbstverwaltungsangelegenheit erklärten und den ersten Abschnitt des Regierungsentwurfs über die Grundlagen der Gemeindeverfassung in diesem Sinne ergänzten527 oder die entsprechende §§ 176 ff, T. 4, GODemEntw 1848. A. a. 0., S. 822. § 186, T. 4, GODemEntw 1848. Ebd. 524 § 58, Abschnitt 5, GORegEntw 1848. A. a. 0., S. 789. 525 Rönne/Simon, Städte-Ordnungen, S. 667. 526 Reskript Innenminister von Rochow, 29. April 1839. APSV, Bd. 22 (1838), S. 705 f. 522 523

7. Ortspolizei und Selbstverwaltung

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Regelung aus dem Entwurf der Demokraten übernahmen. 528 Gleichwohl herrschte keine Einigkeit darüber, ob den Gemeinden die Polizei auf Grund eigenen Rechts zukam, oder ob sie ihnen durch staatlichen Auftrag übertragen war. In der sechsten Abteilung, die sich allein dieser grundsätzlichen Frage angenommen hatte, waren die Auffassungen geteilt. Einerseits unterschied man zwischen dem bürokratischen Staat, der für sich allein die Polizei beanspruchte und dem freien Staat, der die Polizei als reine Gemeindesache behandelte, andererseits hielt man die Polizei für einen so wesentlichen Bestandteil der Staatsgewalt, daß ihre Abtrennung überhaupt zu einer Gefährdung des Staats führen mußte. Trotz der Entscheidung, die Ortspolizei zur Selbstverwaltungsangelegenheit zu erklären, stimmte die Mehrheit der Abteilung im Sinne des Regierungsentwurfs und nahm den § 58 der Gemeindeordnung an. Diesem Beispiel folgte die dritte und fünfte Abteilung. 529 In den übrigen Beratungsabteilungen fielen die Entscheidungen anders aus. Während die zweite Abteilung die polizeiliche Tätigkeit des Bürgermeisters lediglich an die "allgemeinen gesetzlichen Stimmungen" binden wollte, unterschied die erste, vierte und achte Abteilung zunächst zwischen Orts- und "höherer" Polizei,530 um auf der Grundlage dieser begrifflichen Differenzierung sowohl besondere staatliche Organe auf lokaler Ebene zuzulassen als auch die im § 58 genannten Geschäftsbereiche der ortspolizeilichen Verwaltung Kraft eigenen Rechts für die Gemeinden in Anspruch zu nehmen. Die vom Gemeindevorsteher zur Publikation vorgesehenen "allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, Ordnungen und Reglements" bedurften nach Beschluß der zweiten und achten Abteilung der Zustimmung des Gemeinderats, so daß sich den Kommunen im Bereich der ortsstatutarischen Anordnungen ein grundlegendes Mitwirkungsrecht erschlossen hätten. Die vierte Abteilung übertrug die landespolizeilichen Tätigkeiten besonderen staatlichen Behörden, die Ortspolizei sollte hingegen dem Bürgermeister und der Oberaufsicht der vorgesetzten Dienstbehörden übergeben werden. Die Grenzen der orts- und landespolizeilichen Zuständigkeiten waren durch Gesetz festzugelegen. 531 Von einer durchschlagenden administrativen Vgl. § 6, Abschnitt 1, GORegEntw 1848. StBNV, Bd. 2, S. 786. § 7, T. 1, Abschnitt 1, GODemEntw erklärte zum Recht jeder Gemeinde, die auf den Gemeinde-Verband sich beziehenden Angelegenheiten zu besorgen, die Ortspolizei im Umfange des Ortes und der Gemarkung auszuüben und ihr Vermögen selbständig zu verwalten". StBNV, Bd. 2, S. 814 f. Siehe dazu Utermann, Selbstverwaltung, S. 152. 529 Vgl. a.a.O., S. 153. 530 Zum Begriff der höheren und niederen Polizei vgl. Rönne, Staatsrecht, Bd. 1, S. 551 f. 531 Utermann, Selbstverwaltung, S. 153. 527 528

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

Umsetzung des fonnulierten verfassungsrechtlichen Anspruchs der Gemeinden auf die Verwaltung der örtlichen Polizei konnte demnach nicht die Rede sein. Immerhin plädierte ein nicht unerheblicher Teil der Nationalversammlung für das Prinzip der kommunalen Ortspolizei und, soweit das polizeiliche Verordnungsrecht betroffen war, für eine "Demokratisierung" der Polizei verwaltung, indem der Erlaß von Verordnungen an die Entscheidung der lokalen Vertretungskörperschaften gebunden wurde. Der radikale Entwurf der demokratischen Linken reproduzierte demgegenüber nicht der Fonn aber dem Inhalt nach das staatliche Recht an der Polizei, indem neben den Kommunalkörperschaften unabhängige, jeder organischen Verbindung mit der Selbstverwaltung entzogene staatliche Organe traten, deren Kompetenz die Gemeindeverbände erneut einer umfassenden Einflußnahme des Staates auslieferten. 532 Unabhängig des Scheiterns der Demokratisierung des monarchisch-bürokratischen Staates und der Konstituierung der Ortspolizei als Selbstverwaltungsangelegenheit erhielt sich fortan die Kommunalisierung der Polizei als Forderung der Gemeinden. Die örtliche Polizeiadministration wurde gleichsam zum Objekt einer pennanenten Kraftprobe zwischen Staat und Kom532 Weder die Tendenz des demokratischen Gemeindeordnungsentwurfs, Selbstverwaltung und Staatsabsolutismus zu verbinden, noch die widersprüchliche Haltung der Nationalversammlung zum Verhältnis von Polizei und Selbstverwaltung bzw. Staat und Gemeinde auf der Ebene örtlicher Administration werden bei Albrecht Funk thematisiert. Vgl. ders., Polizei und Rechtsstaat. Die Entwicklung des staatlichen Gewaltmonopols in Preußen 1848-1918, Frankfurt/M.-New York 1986, S. 56 ff., 332 f. u. Anm. 82. Funks These von der mit Beginn des Reaktionsjahrzehnts einsetzenden "Verstaatlichung der Polizei" ist nicht haltbar, die Polizeigesetzgebung der nachrevolutionären Ära knüpft ungebrochen an das Recht der Reformperiode und des Vormärz an. Die preußische Städteordnung von 1808 begründet das Prinzip der Staatlichkeit der Polizei, die Gesetzgebung des Jahres 1850 stellt, nach dem widersprüchlichen Zwischenspiel der Revolutionszeit, das staatliche Polizeimonopol nur in akzentuierterer Form wieder her. Der staatlichen Bürokratie waren nach 1815 nicht, wie Funk meint, "in ihrem Bemühen, eine staatlich-politische Herrschaft über die Städte zu richten" (A. a. 0., S. 45.), Grenzen gesetzt, im Gegenteil, mit der Konstituierung der Selbstverwaltung wurde den Gemeinden, wie wir gezeigt haben, die örtliche Polizei verwaltung genommen und zum Recht des Staates proklamiert. Funk läßt sich in seiner Analytik zu sehr durch die äußere Organisationsform der Polizei irritieren: Es ging nicht darum, Herrschaft "über" die Kommunalverbände zu etablieren, sondern eine Verbindung von staatlicher und kommunaler Administration in den Gemeinden zu schaffen. Problematisch war lediglich die mangelnde Abgrenzung der Kompetenzen und die beschränkte Zuständigkeit der Gemeinde, die sich äußerlich wohl eher bemerkbar machte, wenn die Polizei in eigenständiger staatlicher Regie verwaltet wurde. Gleichwohl war der die Polizei im Wege des Auftrags ausübende Bürgermeister stets ein mittelbarer Staatsbeamter und in dieser Funktion keineswegs ein kommunaler Amtsträger. Dieses grundlegende Verhältnis darf nicht durch das im Laufe des 19. Jahrhunderts sich verstärkende Bemühen der Städte, die örtliche Polizeiverwaltung überhaupt zu übernehmen bzw. die kommunale Zuständigkeit auszudehnen, überdeckt werden.

7. Ortspolizei und Selbstverwaltung

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munen. Die Verfassung von 1850 restituierte die Staatlichkeit der Polizei und sprach nurmehr von einer gesetzlich näher zu bestimmenden Beteiligung der Gemeinden an ihrer Verwaltung. 533 Als die Staatsregierung im Januar 1850 einen Gesetzentwurf zur Regelung des Verordnungsrechts der Ortspolizeibehörden vorlegte, ließen sich die städtischen Vertreter nicht auf eine Auseinandersetzung über die Frage nach der Abgrenzung der Wohlfahrts- und Sicherheitspolizei ein. Wichtiger war ihnen die Bestimmung der Grenzen zwischen Ortspolizei und Gemeindeautonomie, die Fragen nach dem Träger der Polizeigewalt, der Teilnahme der Gemeinden am Polizeiverordnungsrecht sowie der Einschränkung dieses Rechts durch spezifizierte Tatbestände und, hier einem Partikularinteresse der großen Städte mit staatlicher Polizeiadministration folgend, die Übernahme der Polizeikosten. 534 In keinem Fall konnten die Städte ihre Vorstellungen durchsetzen. Es gelang schon gar nicht, das den Ortspolizeibehörden bislang verschlossene Verordnungsrecht einzuschränken. Sowohl der Versuch, das Verordnungsrecht an die Zustimmung der Gemeindevertretung zu binden, als auch das Bemühen, wenigstens eine Mitwirkung der Gemeinden durch die Zustimmung des Gemeindevorstands zu erreichen, scheiterten. Die ortspolizeilichen Behörden wurden allein zu einer "Beratung mit dem Gemeindevorstand" verpflichtet. 535 Nach der Rechtsprechung des Obertribunals wurde diesem Erfordernis bereits Genüge getan, wenn der Entwurf einer Verordnung dem Magistrat zur Erklärung vorgelegt worden war und die kommunale Exekutive keine Bedenken geäußert hatte. Es bestand keine Verpflichtung der Ortspolizeibehörde, von seiten des Magistrats erhobene Einwände beim Erlaß der Verordnung zu berücksichtigen, da das Polizeiverwaltungsgesetz nicht die Zustimmung des Magistrats forderte. Oblag dem Bürgermeister die Polizeiverwaltung, entfiel zwangsläufig die Beratung mit dem Gemeindevorstand. 536 Ebensowenig konnte die generalklauselhafte Ausdehnung des Verordnungsrechts auf alles, "was im besonderen Interesse der Gemeinden und ihrer Angehörigen geordnet werden muß(te)",537 im Interesse der SelbstverArt. 105, Ziff. 3, Tit. 9, PrVerfUrk 1850. GS 1850, S. 33. StBEK, Bd. 5, S. 2315 ff. 535 A.a.O., S. 2329. Vgl. § 5, Abs. 1, PVG 1850. GS 1850, S. 266. 536 Möller, Stadtrecht, S. 272. Nur bei Gegenständen der landwirtschaftlichen Polizei war die Kompetenz der Ortspolizeibehörde eingeschränkt, da die auf diesem Gebiet erlassenen Verordnungen die Zustimmung der Gemeindevertretung verlangten und unter Vorsitz des örtlichen Polizeidirigenten die Beratung des Entwurfs durch die Stadtverordneten-Versammlung vorschrieb. Vgl. § 7, PVG 1850. GS 1850, S. 266. 537 § 6, Lit. i, PVG 1850. Ebd. 533

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waltung verhindert werden. Die Staatsregierung setzte sich mit der Absicht durch, die ortspolizeilichen Verordnungen nicht durch die Spezifikation ihrer Gegenstände der Gefahr einer mehr oder weniger willkürlichen Beschränkung auszusetzen. An eine Kommunalisierung der Polizei, die verfassungsrechtliche Absicherung der Polizeigewalt als gemeindlichem Grundrecht dachte die Staatsregierung zu keinem Zeitpunkt. 538 Der Regierungsentwurf wie das spätere Gesetz band die mit der Handhabung der örtlichen Polizeiverwaltung betrauten Gemeindebeamten an die Weisungen der Staatsbehörden, die Ausübung polizeilicher Funktionen erfolgte weiterhin nur im Wege des Auftrags. 539 Die ministeriellen Erläuterungen zum Entwurf hoben den Befehls- und Zwangscharakter der ortspolizeilichen Funktionen hervor: Die obrigkeitliche Verwaltung, das Recht zu gebieten und zu zwingen, kam ausschließlich der staatlichen Ortspolizei zu, während die Kommune nach wie vor auf die pflegende Tätigkeit, das hieß die wirtschaftliche Verwaltung verwiesen wurde. Der Umfang des Verordnungsrechts war nicht an die Beschränkung der Polizeigewalt im § 10, T. 11, Tit. 17 ALR gebunden und es konnte entgegen der späteren Ansicht des Preußischen Oberverwaltungsgerichts keine Rede davon sein, daß das Gesetz von 1850 geradezu "zur Erläuterung und näheren Ausführung dieses Paragraphen bestimmt,,540 gewesen wäre. Die Erläuterungen zum Gesetzentwurf nahmen, wie Heinrich Rosin nachwies, das Gesamtgebiet der inneren Verwaltung für die Polizei in Anspruch. 54 ! "Das Gebiet der Polizei ist überhaupt ein fast unbegrenztes", hieß es in den Erläuterungen zum Ortspolizei gesetz, "sie ist der Rest oder das notwendige Komplement der übrigen Zweige der Staatsgewalt. Sie fängt an, wo die Rechtspflege, die Finanz- und Kriegsverwaltung aufhört und umgekehrt. Was die Staatsgesetze und allgemeinen Verordnungen einer höheren Autori538 Erläuterungen zu dem Entwurf eines Gesetzes über die Orts-Polizei, abgedruckt bei: Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S. 307. In den Erläuterungen wurde im übrigen ein Vergleich zum französischen Polizeirecht angestellt und hervorgehoben, das trotz der mannigfachen Staatsumwälzungen niemals von einer selbständigen Verwaltung der Ortspolizei die Rede gewesen wäre. In Frankreich wurde die Gemeinde, so die Erläuterungen, in Bezug auf die Polizei mehr als ein Teil des Staates, denn als selbständiger korporativer Verband betrachtet. Die Grundsätze der französischen Polizeigesetzgebung sah die Staatsregierung als vorbildlich an, wenngleich es ihr nach preußischer Auffassung nicht gelungen war, die Gegenstände der ortspolizeilichen Vorschriften erschöpfend zu umreißen. A. a. 0., S. 308. 539 Rosin, Begriff der Polizei, S. 350 f. 540 Endurteil vom 14. Juni 1882. PrOVGE, Bd. 9, Berlin 1883, S. 374. Vgl. auch StBEK, Bd. 5, S. 2330 f. 541 Der Ansicht Rosins, daß eine Interpretation der landrechtlichen Bestimmung nicht vorliegt, folgte unter anderen Oskar von Arnstedt, Das Preußische Polizeirecht, Bd. 1, Berlin 1905, S. 43 f., und Walter Jellinek, Verwaltungsrecht (= Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaften, Bd. 25), Berlin 1928, S. 121.

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tät ungeregelt gelassen haben, das muß, wenn es nach den besonderen Verhältnissen einer Gemeinde von örtlichem Interesse ist, durch ortspolizeiliche Vorschriften erledigt werden".542 Um jedoch einen Anhalt über die ortspolizeilichen Gegenstände zu geben, wurden in § 6 des Gesetzentwurfs "einige Beispiele" angeführt. Dieser Passus der Erläuterungen dürfte gegen spätere Interpretationen sprechen, nach welchen die im einzelnen angeführten polizeilichen Gegenstände die Grenzen für das Verordnungsrecht abstecken sollten. Die allgemeine Formulierung des "alles andere" bezog sich im Polizeiverwaltungsgesetz nicht auf die näher umrissenen Gebiete polizeilicher Tätigkeit. Sie verdeutlichte vielmehr, daß das Verordnungsrecht sich auch auf andere Aufgabengebiete erstrecken konnte, einschließlich solcher Bereiche, auf denen sich die natürliche Handlungs- und Unterlassungs freiheit des Einzelnen bislang ohne staatliche Beschränkung äußern durfte. 543 Bei den Kammerberatungen wurde die vom Gesetz postulierte Allseitigkeit des Verordnungsrechts deutlich erkannt und die Gefahr der polizeilichen Willkür wie die Beschränkung der Legislative beschworen. "Der Gesetzgebung alles zu nehmen und es in die Hand eines Bürgermeisters zu legen", urteilte der Kölner zur altliberalen Vincke-Fraktion gehörende Oberappellationsgerichtsrat Friedrich von Ammon, "heißt den Polizeistaat im höchsten Maße herstellen".544 Die Kammermehrheit schloß sich jedoch der Auffassung an, daß die Generalklausei eine "notwendige Folge des Versuches" war, im Gesetz einige Spezialgeschäfte anzugeben, die vorzugsweise der Polizei zufielen, ohne daß dadurch die weiterreichende Kompetenz der Polizeiadministration in Frage gestellt wurde. 545 Das Polizeiverwaltungsgesetz folgte damit dem überlieferten weiten Begriff der Polizei und festigte "das Prinzip der staatlichen Ortspolizei", das die Städteordnung von 1808 ausgesprochen und die Revidierte Städteordnung von 1831 bestätigt hatte, gegen "die liberalen Strömungen der Revolutionszeit".546 Die allgemeine Grenze für das Eingreifen der Ortspolizei in die Lebensverhältnisse und Interessen der Bürger bestimmte das Polizeiverwaltungsgesetz dahin, daß die polizeilichen Vorschriften keine Bestimmungen enthalten durften, die mit den Gesetzen oder den Verordnungen einer höheren Instanz im Widerspruch standen. 547 In Preußen galt mithin der Grundsatz 542 Erläuterungen, Gesetz über die Orts-Polizei. Rosin, Polizeiverordnungsrecht, S.312. 543 Vgl. Amstedt, Polizeirecht, Bd. 1, S. 44. Friedrichs, Polizeigesetz, S. 189 f. Winter, Polizeibegriff, S. 27. 544 Rede von Ammon. PEK, 26. Januar 1850. StBEK, Bd. 5, S. 2330. 545 Rede Freiherr von Manteuffel. PEK, 26. Januar 1850. A. a. 0., S. 233l. 546 Rosin, Begriff der Polizei, S. 348; vgl. ders., Polizeiverordnungsrecht, S. 26 f. Winter, Polizeibegriff, S. 26 f. 40 Grzywatz

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einer nicht auf einzelne Befugnisse beschränkten Polizei. Sie nahm alle diejenigen Zuständigkeiten wahr, die ihr nicht durch das Polizeiverwaltungsgesetz oder durch besondere Gesetze entzogen waren. Umgekehrt hatte der Einzelne gegenüber der Polizei nur diejenigen Freiheitsrechte, die ihm in Gesetzen ausdrücklich verliehen waren. 548 Der Grundsatz von der Allgemeinheit der polizeilichen Befugnisse wurde in der Rechtswissenschaft heftig bekämpft. Vor allem wurde auf das im Sinne der bürgerlichen Freiheit zu behandelnde freie gesetzlose Gebiet und auf das Prinzip verwiesen, die Polizei könne keine neuen Lasten schaffen, sondern nur die bestehenden regeln. 549 Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts folgte später insbesondere dem zuletzt genannten Grundsatz, indes ohne ein weitgehendes Eingriffsrecht der Polizei zu leugnen. 55o Für den Kommunalliberalismus stand die Frage der Polizeiverwaltung weiterhin in einem engen Zusammenhang mit dem gesetzlich verankerten Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden. Einzelne Zweige der örtlichen Polizeiadministration wie die Bau-, Markt-, Gewerbe- oder Gesundheitspolizei berührten ständig kommunale Interessen. Daher beinhaltete die verweigerte Anerkennung dieser polizeilich wahrgenommenen Geschäfte als kommunale Aufgaben, wie es in der Berliner Petition des Jahres 1861 hieß, eine wesentliche Beschränkung der "Selbstbestimmung der Gemeinden gerade in ihren eigensten Angelegenheiten".551 Es war keine Frage, daß die örtliche Polizeiadministration substantiell die finanziellen Interessen der Gemeinden berührte, so daß es nach Ansicht der liberalen Stadtverordnetenmajorität um so mehr gerechtfertigt erschien, die genannten Zweige der lokalen Polizei den Gemeinden "wieder zurück(zu)geben". Der Berliner Kommunalliberalismus hielt also an einem ursprünglichen Recht der Kommunen an der Polizei fest. Dieser Auffassung hatte schon die preußische Reformbürokratie widersprochen, deren Zielsetzung, staatliche Integration über administrative Partizipation durchzusetzen, löste sich im preußischen Konstitutionalismus jedoch in einem Spannungsverhältnis zwischen Staat und Gemeinden auf. § 15, PVG 1850. GS 1850, S. 267. Friedrichs, Polizeirecht, in: HBKVVRR, Bd. 2,1, Oldenburg 1916, S. 14. Ders., Polizeigesetz, S. 236. 549 Georg Jellinek, System der öffentlichen Rechte, 2Tübingen 1905, S. 330. PrOVGE, Bd. 8, Berlin 1882, S. 355 ff. 550 Friedrichs, Polizeigesetz, S. 238. 551 Petition der Berliner Kommunalvertretung, 7. März 1861, S. 2. In diesem Punkt der angestrebten Novellierung des Städterechts herrschte zwischen den Kommunalkörperschaften völlige Übereinstimmung. Der Magistrat hatte auch dem Beschluß der Stadtverordnetendeputation zugestimmt, daß kommunalisierte Zweige der Ortspolizei nur auf gesetzlichem Wege wieder aus dem Bereich der Gemeindeangelegenheiten ausgegliedert werden sollten. Anlage A zum Bericht der Redaktionskommission der Berliner Gemeindevertretung vom 16. Februar 1861. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1362. 547 548

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Ein neuerlicher Versuch der Gemeinden, die durch die Erweiterung der Ortspolizeigewalt ins Unerträgliche gesteigerte Spannung zwischen exekutivischen obrigkeitstaatlichen Befugnissen auf der einen, monarchisch-konstitutioneller Verfassung auf der anderen Seite im Wege einer Gesetzesinitiative zu lösen, scheiterte Anfang 1862 mit der Abweisung eines unter der Federführung von August Reichensperger im Abgeordnetenhaus eingebrachten Ergänzungsgesetzes. 552 Wie schon 1850 von Appellationsgerichtspräsident Kisker gefordert,553 verlangte die von Zentrums- und Fortschrittsabgeordneten initiierte Vorlage, sämtliche ortspolizeilichen Verordnungen "nur unter Zustimmung der Gemeinde-Vertretung" zu erlassen. 554 Nur wenn die öffentliche Sicherheit durch Aufruhr und andere unvorhergesehene Ereignisse gefährdet war, sollte die lokale Polizeibehörde zukünftig zum selbständigen Erlaß ortspolizeilicher Verordnungen berechtigt sein. Sie mußten sowohl vom Regierungspräsidenten genehmigt als auch innerhalb von acht Tagen durch die Gemeindevertretung bestätigt werden. 555 Die Gegenstände der ortspolizeilichen Verordnungen wurden detailliert festgelegt. Sie erstreckten sich auf den öffentlichen Verkehr, das Marktund Versammlungswesen, die Fremden- und Beherbergungsangelegenheiten, Bau- und Feuerschutzsachen, die Sorge für Leben und Gesundheit der Einwohner sowie den Schutz gegen gemeinschädliche und gemeingefährliche Handlungen, Unternehmungen wie Ereignisse. 556 Die Antragsteller betrachteten das Verordnungsrecht im wesentlichen als Attribution der gesetzgebenden, nicht aber der exekutiven Gewalt, mithin der Gemeindevertretung und nicht des Magistrats. Die Generalisierung der bereits im § 7 des Polizeiverwaltungsgesetzes geforderten Zustimmung der Gemeindevertretung für Gegenstände der landwirtschaftlichen Polizei sollte nicht nur willkürliche Vorschriften der Gemeindepolizei verhindern, die häufig ohne weiteren Anlaß "die freie Bewegung der Eingesessenen" hemmten, sondern auch dafür sorgen, daß "alle wesentlichen Garantien einer umsichtigen Prüfung des Notwendigen und Nützlichen" durch die Teilnahme der Kommunalrepräsentation gewahrt wurde. 557 Diese Zielsetzung verlangte auch, die exemplifikative Darlegung des polizeilichen Wirkungskreises im Polizeiverwaltungsgesetz zugunsten einer restriktiven Bestim552 Gesetzentwurf betreffend einige Abänderungen und Ergänzungen zum Gesetz vom 11. Mai 1842 über die Zulässigkeit des Rechtswegs in Beziehung auf polizeiliche Verfügungen und des Gesetzes vom 11. März 1850 über die Polizei-Verwaltung. AIPAH, 6. LP, Sess. 1861/62, Bd. 2, AS Nr. 9, S. 34-40. 553 Antrag und Rede Kisker. PEK, 26. Januar 1850. StBEK, Bd. 5, S. 2328. 554 § 7, Entwurf, Abänderungsgesetz 1861/62. AIPAH, 6. LP, Sess. 1861/62, Bd. 2, AS Nr. 9, S. 34. m § 8, Entwurf, Abänderungsgesetz 1861/62. Ebd. 556 § 9, Entwurf, Abänderungsgesetz 1861/62. A. a. 0., S. 34 f. 557 Motive, Entwurf, Abänderungsgesetz 1861/62. A. a. 0., S. 39.

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mung, d.h. einer definitiven Begrenzung der ortspolizeilichen Kompetenz, aufzugeben. 558 Mochte die Einschränkung der Polizeigewalt die Staatsregierung schon herausfordern, die Bestimmung, daß sämtliche auf Grund der älteren Gesetze ergangenen ortspolizeilichen Verordnungen ihre rechtsverbindliche Kraft verlieren sollten, wenn sie nicht innerhalb der Jahresfrist nach Verkündigung des vorliegenden Gesetzes von den Gemeindevertretungen genehmigt und von neuem verkündet wurden, war unannehmbar. Die Abgeordneten begründeten diese Bestimmung im allgemeinen mit dem lokalen wie temporären Charakter von Polizeiverordnungen. Der häufige Wechsel der Gemeindebedürfnisse förderte stets die umgehende Aufhebung oder Modifikation einer Verordnung, im besonderen aber mit dem im zurückliegenden Jahrzehnt "allzuweitgreifende(n) Gebrauch" des Verordnungsrechts. 559 Wie immer im einzelnen die Kritik am mißbräuchlichen Gebrauch des ortspolizeilichen Verordnungsrecht berechtigt war, die Überprüfung sämtlicher Verordnungen auf der Grundlage eines allgemeinen Gesetzes mußte sowohl die Rechtssicherheit in den Gemeinden gefährden, als auch die partikulare Macht der Gemeindevertretungen, die ja nur einen engen Ausschnitt kommunaler Interessen darstellten, in nicht zu rechtfertigender Weise ausdehnen. Neue Bewegung in der Frage der Ortspolizei brachte Ende der sechziger Jahre die Beratung der Städteordnung für die Provinz Schleswig-Holstein, mit der die überkommene Geschlossenheit und Allseitigkeit der polizeilichen Geschäfts- und Funktionsbereiche aufgebrochen wurde. Im Gebiet der Städteordnung oblag es der ministeriellen Befugnis, in Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern die "Sicherheitspolizei", insbesondere die Verfolgung von Kriminal- und Polizeivergehen, einer besonderen Staatsbehörde oder einem besonderen Staatsbeamten zu übertragen. 56o Nur aus dringenden Gründen und unter zeitlicher Begrenzung sollte die staatliche Polizeiverwaltung auch auf andere Zweige der Ortspolizei ausgedehnt werden. Während die Regierungsvorlage zur Städteordnung561 noch von einer Übertragungsbefugnis ausging, welche die gesamte Ortspolizeiverwaltung einschloß, hatte sich im Abgeordnetenhaus die Auffassung durchgesetzt, daß die staatliche Ausübung der Sicherheitspolizei in den Gemeinden bereits die Gesundheits-, Bau-, Gewerbe- und Feuerpolizei ausschließen müßte. 562 A a. 0., S. 40. Motive, Entwurf, Abänderungsgesetz 1861/62. Aa.O., S. 46. 560 § 89 des Gesetzes über die Verfassung und Verwaltung der Städte und Flekken in der Provinz Schleswig-Holstein vom 14. April 1869. GS 1869, S. 615 f. 561 AlPAH, 10. LP, 2. Sess. 1868/69, Bd. 2, AS Nr. 110, S. 842. Vgl. auch § 59 des Entwurfs, A a. 0., S. 837 f. Siehe dazu Jebens, Zur neueren Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei in Städten, in: PrVerwBl, 23. Jg. (1902), S. 627 f. 558

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Während der Plenarberatung hoben der fortschrittliche Abgeordnete Albert Hänel und der nationalliberale Johannes Miquel als Hauptcharakteristikum der städtischen Verwaltung die Verbindung der kommunalen Selbstverwaltung mit der polizeilichen Gewalt in der Gemeinde hervor. Sie betonten, daß sich der Aufgabenbereich der kommunalen Korporation materiell im Verhältnis zur Kompetenz der Ortspolizei definierte und daß sich in der Begrenzung der kommunalen Zuständigkeit ein Faktor offenbarte, der den organischen Zusammenhang der örtlichen Verwaltung zu zerreißen drohte. 563 Soweit das grundsätzliche Verhältnis des Staates zur Ortspolizei betroffen war, hielt das Innenministerium an der Auffassung fest, daß die Polizei in den Städten "dem Prinzip nach zu den Staats-Hoheitsgerechtsamen" gehörte. Übertragungen ortspolizeilicher Befugnisse an die Kommunen waren, wie Regierungskommissar Ribbeck erläuterte, nicht "Ausschluß des Rechts auf städtische Autonomie", sondern dort, wo das Gesetz sie konzedierte, lediglich eine Konzession der Staatsgewalt an die Gemeinden. Einer definitiven Teilung der polizeilichen Befugnisse, etwa in dem Sinne, daß der Staat sich nur auf "die sogenannte Sicherheitspolizei in gewissen Städten" beschränkte, wollte die Staatsregierung nicht zustimmen. 564 "Das Prinzip geht dahin", erklärte Graf zu Eulenburg im Herrenhaus, "daß die Regierung das Recht hat, die Polizei in ihrem ganzen Umfange überall zu handhaben, wo sie es für nötig hält". Wenn die Staatsregierung in der Praxis den Gemeinden "gewisse Zweige der Polizei" überlassen hat, "von denen man annimmt, daß entweder der Staat an ihnen ein unmittelbares Interesse nicht habe, oder daß sie auch von den Städten gut verwaltet werden können", dann war, so der Minister des Innern, mit dem Übertragungsakt nicht intendiert, die Regierung ein für allemal zu hindern, solche Zweige der Polizei in die Hand zu nehmen. Zur Wahrung des öffentlichen Interesses müsse sich der Staat dieses Recht vorbehalten. 565 Der in Preußens zweiter Verwaltungsreformperiode Mitte der siebziger Jahre vorliegende Regierungsentwurf zur Städterechtsreform sprach dem Innenministerium eine ähnliche Übertragungsbefugnis zu, wie sie in die Städteordnung für Schleswig-Holstein aufgenommen worden war, wenngleich 562 StBPAH, 10. LP, 2. Sess. 1868/69, Bd. 2, S. 1482 ff. Vgl. auch das zweite Amendement zum § 89, das während der Beratung der verstärkten Gemeindekommission vorgelegt wurde. AIPAH, 10. LP, 2. Sess. 1868/69, Bd. 3, AS Nr. 211, S. 1200 f. 563 Vgl. die Reden Hänel und Miquel. PAH, 6. Februar 1869. StBPAH, 10. LP, 2. Sess. 1868/69, Bd. 2, S. 1481 f. u. 1483. 564 Rede Geheimer Oberregierungsrat Ribbeck. PAH, 6. Februar 1869. A. a. 0., S. 1484. 565 Rede Graf zu Eulenburg. PHH, 22. Februar 1869. StBPHH, Sess. 1868/69, Bd. I, S. 329.

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mit dem Unterschied, daß das ministerielle Weisungsrecht nur für Städte mit über 25000 Einwohnern und Festungen gelten sollte. 566 Der Sicherheitspolizei wurden definitiv die Bau- und Feuerpolizei, die polizeiliche Aufsicht über gewerbliche Anlagen und über das Versicherungswesen entzogen. Wenn diese Funktionen bislang durch Staatsbehörden ausgeübt wurden, so sollten sie den Stadtgemeinden zukünftig auf Antrag zur eigenen Verwaltung übergeben werden. Das Feuerlöschwesen der Städte Berlin, Charlottenburg und Potsdam wurde von dieser Regelung ausgenommen. In diesen Städten sollte den Staatsbehörden die bau- und feuerpolizeilichen Befugnisse im Interesse der königlichen Schlösser und öffentlichen Dienstgebäude vorbehalten bleiben. In sämtlichen Städten konnte der Magistrat über die Einrichtung von Sanitätsanstalten, öffentlichen Märkten und Transportanstalten beschließen. Bestand hier "zur Verwaltung der Sicherheitspolizei" eine besondere Staatsbehörde, erhielt diese für die genannten Geschäftsbereiche ein Anhörungsrecht gegenüber der Kommunalkörperschaft. Städtevertreter wie Miquel hielten es ebensowenig für möglich, den Begriff der Polizei verwaltung und Polizeigewalt von dem Begriff der obrigkeitlichen Gewalt zu trennen, wie der Begriff der Polizeigewalt von der Kommunaladministration geschieden werden konnte. Die notwendige und praktisch erforderliche Verknüpfung zeigte sich im Gemeindebereich unter anderem bei der Bau-, Straßen- oder Gesundheitspolizei. Auf diesen Gebieten war nicht auszumachen, wo die kommunale Tätigkeit aufhörte und wo die polizeiliche Einwirkung begann. Alle Zweige der Polizeiadministration waren, erläuterte der als Oberbürgermeister von Osnabrück in die Kommunalverwaltung zurückkehrende Miquel, sobald die Sicherheitspolizei ausschied, sowohl dem Begriff der Polizeigewalt als auch dem der Kommunalverwaltung zu subsumieren. 567 Gleichzeitig sah Miquel die Selbständigkeit der Kommunalverwaltung durch die Delegation der Polizeigewalt an den Bürgermeister gefährdet. Als alleinigem Verwalter der Ortspolizei war dem Magistratsdirigenten prak566 Entwurf einer Städteordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 9. März 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S. 636-663. Vgl. insbesondere die Kommissionsbeschlüsse zu § 1l0a und die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses zu § 123. Aa.O., Bd. 3, AS Nr. 222, S. 1422 f. AS Nr. 324, S. 1750. Der ursprüngliche Entwurf der Regierung hatte im § 107 bestimmt, daß das Polizeiverwaltungsgesetz gemäß den im Entwurf entwickelten näheren Vorschriften zur Anwendung kam. § 108 übertrug die örtliche Polizeiverwaltung, soweit sie nicht einer besonderen Staatsbehörde überwiesen war, dem Oberbürgermeister. A a. 0., Bd. 1, AS Nr. 86, S. 646. Die bestätigungsrechtlichen Vorschriften des Städteordnungsentwurfs in Kap. 8, Unterabschnitt 2, die wahlrechtlichen Änderungen in Kap. 9, Unterabschnitt l. 567 Rede MiqueI. PAH, 18. März 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 2, S. 772.

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tisch das Recht und die Möglichkeit gegeben, "Magistrat und Stadtverordnete, sein eigenes Kollegium und die Vertretung der Bürgerschaft, beiseite zu schieben und statt ihrer die Gemeinde zu verwalten".568 Für die städtischen Vertreter kam deshalb nur auf dem Gebiet der Sicherheitspolizei die Einrichtung staatlicher Polizeiverwaltungen in Frage. Sie bestanden darauf, die Ausübung der Polizeigewalt dem kollegialen Exekutivorgan der Kommunen zu überweisen. Lediglich im Hinblick auf die Leitung des exekutiven Polizeipersonals hielt man die alleinige Administration des Bürgermeisters für notwendig. Ansonsten sollte der Magistrat insbesondere über die Organisation des städtischen Polizeidienstes und über die erforderlichen ortspolizeilichen Einrichtungen beschließen. Das Verordnungsrecht war allein von der kommunalen Exekutive wahrzunehmen. Soweit ortspolizeiliche Verordnungen von einer staatlichen Ortspolizeibehörde erlassen wurden, war die Zustimmung des Magistrats erforderlich. Verweigerte dieser sein Plazet, mußte auf Antrag der Bezirksrat, in Stadtkreisen der Provinzialrat zur Entscheidung angerufen werden. 569 Doch ebensowenig wie es bei den Beratungen möglich war, die abweichenden Auffassungen in der Frage des Kommunalwahlrechts zu vereinen, gelang es, die gesetzlichen Anschauungen über die Handhabung der Ortspolizeiverwaltung und die zukünftige Stellung des Bürgermeisters in der Gemeindeadministration einander anzunähern. Nach Auffassung der Staatsregierung stand die Zweckmäßigkeit außer Frage, "die eine oder andere Branche der Polizeiverwaltung" durch die Gemeinden verwalten zu lassen. 57o Die Staatlichkeit der Polizei durfte davon jedoch nicht tangiert werden. Prinzipiell war, unabhängig von der Abgrenzung der polizeilichen Zuständigkeiten und ihrer Trennung nach systematischen Gesichtspunkten, am staatlichen Polizeimonopol festzuhalten. Die kommunale Obrigkeit verlor, bemerkte Graf zu Eulenburg, weder ihren Charakter noch veränderte sich ihre Stellung als unabhängige Behörde, wenn sie die Polizei nicht aus eigener Machtvollkommenheit, sondern im Auftrage des Staates ausübte. Dagegen war die bei der Polizeiadministration zu fordernde Verantwortlichkeit solange gefährdet, wie die Verwaltung eine kollegialische Form innehatte. Schon gar nicht konnte die Staatsregierung akzeptieren, wie es nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses vorgesehen war, den Bürgermeister zu einem Exekutivbeamten, zu einem Rede Miquel. PAH, 29. Mai 1876, A.a.O., Bd. 3, S. 1858. Vgl. §§ 116 bis 119 u. 125, StOEntw 1876 nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, AS Nr. 324, Bd. 3, S. 1748 f. u. 1751. Siehe auch Johannes Krech, KomBer über den Entwurf einer Städteordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen, 13. Mai 1876. A.a.O., AS Nr. 231, S. 1497 ff. 570 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, S. 1859. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1859. 568 569

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bloßen Polizeiinspektor zu machen und ihn dem Magistrat gegenüber in eine völlige Abhängigkeit zu bringen. 57I Die Polizei erforderte weiterhin die Verwaltung eines einzelstehenden Beamten. Die Staatsregierung nahm anschließend auf Grund der fehlenden Aussicht auf Annäherung der Auffassungen davon Abstand, die Einbindung der Städte und ihrer Gemeindeangelegenheiten in das reformierte Verwaltungssystem mit dem Erlaß einer neuen Städteordnung zu koppeln. Dieses Scheitern war nicht nur auf die Differenzen über die Stellung und Ausübung der Polizei in den Gemeinden, sondern auch auf die Versuche der im Herrenhaus repräsentierten Kommunalbürokratie zurückzuführen, die staatlichen Aufsichts- und Bestätigungsrechte sowie die Position des Stadtoberhaupts innerhalb der Kommunaladministration zu stärken. Nach Miquels Ansicht sollte die Ausnahmestellung der Bürgermeister derart exponiert werden, daß ein wirkliches Kollegialverhältnis zwischen dem Dirigenten und dem Magistratskollegium nahezu aufgehoben wurde. 572 Barmeyers Einschätzung, daß die Vorstellungen von Herren- und Abgeordnetenhaus "nicht so weit voneinander entfernt" lagen, so daß, entsprechendes Engagement vorausgesetzt, ein Komprorniß beider Kammern durchaus möglich gewesen wäre,573 wird den Auseinandersetzungen im Landtag nicht gerecht. Die politischen Differenzen waren in den wichtigsten Einzelfragen beträchtlich, insbesondere wurden sie von dem grundlegenden Konflikt über die Stellung der Stadt im Staat überlagert. Zwar herrschte Übereinstimmung, daß es keine vom Staat losgelöste Autonomie der Kommunen geben konnte, aber hinsichtlich der inhaltlichen Konkretisierung der Selbstverwaltung gingen die Auffassungen weit auseinander. Das Abgeordnetenhaus neigte dazu, den Bereich der Gemeindeangelegenheiten möglichst weit zu fassen. Tendenziell war man bemüht, sämtliche administrative Aufgaben in den Kommunen, soweit sie nicht die öffentliche Sicherheit berührten, den Gemeinden zu übergeben. Das Herrenhaus zeigte demgegenüber das Bestreben, staatliche Funktionen in den Gemeinden zu erhalten und bei der kommunalen Exekutive zu konzentrieren, vor allem A.a.O., S. 1857. Vgl. dazu auch Kap. 9, Unterabschnitt l. 573 Vgl. Heide Barmeyer-Hartlieb von Wallthor, Der Entwurf einer Städteordnung für Preußen 1876 im politischen Meinungsstreit, in: Städteordnungen des 19. Jahrhunderts. Beiträge zur Kommunalgeschichte Mittel- und Westeuropas, hrsg. von H. Naunin (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster, R.A., Bd. 19), Köln-Wien 1984, S. 229 ff. Zum Konflikt zwischen Bismarck und Eulenburg über den Städteordnungsentwurf, allerdings in stark überzeichnender personalisierender Sicht, siehe Gerhard Lange, Die Bedeutung des preußischen Innenministers Friedrich Albert Graf zu Eulenburg für die Entwicklung Preußens zum Rechtsstaat (= Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 3), Berlin 1993, S. 72 ff. 571

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aber die Stellung der Bürgermeister und Magistratsdirigenten als staatliche Funktionsträger zu stärken. Darüber hinaus bereitete der ausgeprägte Regionalismus Preußens im Bereich der kommunalen Verwaltungsorganisation der Zielsetzung einer gesamtstaatlichen Städteordnung eine nicht ohne weiteres zu überwindende Barriere. Bei der Beratung des Zuständigkeitsgesetzes bestätigte die Regierung im Jahre 1876 die enge Verknüpfung von Polizei- und Kommunaladministration, um die Auflösung der inneren Abteilungen der Bezirksregierungen und die Konzentration der Kommunalaufsicht beim Regierungspräsidenten zu rechtfertigen. Nun war es wohl zweckmäßig, die Aufsicht über die städtischen Gemeindeangelegenheiten dem Verwalter der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung zu übergeben, da es "praktisch oft unmöglich" war, "zwischen Angelegenheiten rein polizeilicher Natur und solchen von rein communaler Natur eine scharfe Grenzlinie zu ziehen".574 Die Grenze war eben durchaus unbestimmt, polizeiliche und kommunale Interessen zeigten sich oft unauflöslich miteinander verflochten. Kompetenzrechtliche Konsequenzen zugunsten der Selbstverwaltung wollte die Staatsregierung aus dieser Einsicht hingegen nicht ziehen. Sie fand sich nicht einmal bereit, die staatlichen Funktionen im Kommunalbereich auf die Sicherheitspolizei zu beschränken und durch die Aufgabe der überwiegend ordnungspolitisch fundierten Angelegenheiten den von der Kommunalbürokratie angestrebten "organischen Zusammenhang der örtlichen Verwaltung" zu ermöglichen. Das schließlich im Juni 1876 verabschiedete Gesetz ordnete mit den Stadtausschüssen die Einrichtung von Kreisverwaltungsgerichten in den kreisfreien Städten an 575 und ließ die Anfechtung ortspolizeilicher Verfügungen ZU. 576 Damit gab es "eine auf polizeiliche Angelegenheiten beschränkte Generalklausel".577 Neben den Vorschriften zum ordentlichen Verwaltungsstreitverfahren, d.h. die Entscheidung von Streitigkeiten über öffentliche Rechte und Pflichten der Privatpersonen oder Korporationen, traf das Zuständigkeitsgesetz Regelungen über das sogenannte Beschlußverfahren. Dieses war jenen "reine(n) Verwaltungs sachen" vorbehalten, deren Entscheidung innerhalb der von den Gesetzen gesteckten Grenzen nach Ermessen der Behörden lediglich aus Gründen der Zweckmäßigkeit und des öffentlichen Interesses erfolgte. 578 Die Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte bei Beschwerden oder Klagen über ortspolizeiliehe Verfügungen beschränkte sich allerdings auf Rechtsfragen, also auf die Prü574 575 576

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Oertel, Städte-Ordnung und Verwaltungs-Reform-Gesetze, Bd. 2, S. 147. §§ 5 bis 23, Tit. 2, Zuständigkeitsgesetz 1876. GS 1876, S. 298 ff. § 30, Lit. a, b, Zuständigkeitsgesetz 1876. GS 1876, S. 303. Rüfner, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 923. Vgl. Stengel, Organisation, S. 381 ff.

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

fung der Gesetzmäßigkeit der Verordnungen und ihrer tatsächlichen Voraussetzungen. 579 Im Mai und Juni 1880 nutzten der städtische Liberalismus, aber auch der rheinisch-westfäliche Katholizismus die Beratungen zum Gesetz über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung, um massiv für die Teilnahme der Städte am Polizeiverordnungsrecht einzutreten. Die städtischen Körperschaften Berlins hatten in einer relativ gemäßigten Petition verlangt, den Erlaß ortspolizeilicher Verordnungen von der Zustimmung des Gemeindevorstands abhängig zu machen. 58o Dennoch enthielt das Verlangen der Stadt erheblichen Konfliktstoff, da die Eingabe nicht den sicherheitspolizeilichen Bereich ausgrenzte. Das führende Berliner Mitglied der Fortschrittspartei, Eugen Richter, sah keinen Grund, die stets vom Staat allein beanspruchte Sicherheitspolizei von der Partizipation der Stadtgemeinde am Verordnungsrecht auszunehmen, da sich der Begriff der Sicherheitspolizei jeder präzisen Definition entzog und in der Verwaltungspraxis die Tendenz bestand, den gesamten Bereich der Polizeiverordnungen dem Begriff der Sicherheit unterzuordnen. 58! Zudem war das eigentliche Staatsinteresse, wie der fortschrittliche Berliner Stadtsyndikus Zelle zu bedenken gab, bereits durch die allgemeine Gesetzgebung und nicht erst durch das ortspolizeiliche Verordnungsrecht gewahrt. Die Gegenstände der Verordnungen berührten in den seltensten Fällen "ein Staatsinteresse im höheren Sinne", vielmehr handelte es sich bei ihnen überwiegend um kommunale Angelegenheiten, die wirtschaftlicher oder kommunikativer Natur waren. 582 Was war die kommunale Selbstverwaltung überhaupt wert, fragte Richter, wenn den Gemeindeorganen die Mitwirkung bei der "lokalen Gesetzgebung" versagt blieb? "Weiter nichts", so die Eigenantwort des streitbaren Fortschrittlers, "als das Bezahlen für das, was andere bestimmen und die lästige Arbeit in den Kollegien, während ein eigentliches Entscheidungs579 § 30, Abs. 2, Ziff. 1,2, Zuständigkeitsgesetz 1876. GS 1876, S. 303. Vgl. Oertel, Städte-Ordnung und Verwaltungs-Reform-Gesetze, Bd. 2, S. 100 ff. 580 Petition des Magistrats und der Stadtverordneten zu Berlin, betreffend die Gesetzesvorlage über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung vom 14. Mai 1880. Abdruck in: VerwBBln 1877-1881, T. 2, S. 224. 581 Rede Richter. PAH, 1. Juni 1880. StBPAH, 14. LP, 1. Sess. 1879/80, Bd. 3, S.2149. 582 Rede Zelle. PAH, 1. Juni 1880. A.a.O., S. 2142. Zelle gehörte der Berliner Komunalverwaltung seit 1872 als Stadtsyndikus an, Anfang November 1891 wurde er zum stellvertretenden Magistratsdirigenten und nur ein knappes Jahr später zum Oberbürgermeister gewählt. Nach nur sechsjähriger Amtszeit erklärte Zelle im März 1898 aus Altersgründen seinen Rücktritt. Als führendes Mitglied der fortschrittlichen Fraktion und zuletzt der Deutschfreisinnigen Partei hatte er dem preußischen Abgeordnetenhaus fast 20 Jahre (1873-1891) angehört. Zu Zelle siehe Daniei S. Mattem, Robert Zelle, in: Stadtoberhäupter, S. 147-155.

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recht nicht mit dieser Selbstverwaltung verbunden ist".583 Aus dieser Sicht, die keineswegs die Realität des kommunalen Wirkungskreises traf, war es nur konsequent, das Zustimmungsrecht zu den ortspolizeilichen Verordnungen nicht nur für die Gemeindevorstände, sondern auch für die Gemeindevertretungen zu fordern. Der Zentrumspolitiker und spätere Begründer des christlichen Bauernvereins Schlesiens Karl Freiherr von Huene hatte dem Abgeordnetenhaus einen Abänderungsantrag vorgelegt, der die Zustimmung der kommunalen Exekutive für ausreichend erachtete und im Falle von Notständen die Mitwirkung des Gemeindevorstands aussetzen bzw. durch nachträglichen Konsens garantieren wollte. Richter forderte nun in einem Amendement ebenso den Verzicht auf die Notstandsklausel wie die Zustimmung von beiden Gemeindeorganen. Damit wurde ein früherer Antrag des nationalliberalen Abgeordneten Otto Lauenstein wiederaufgenommen. 584 Der langjährige Lüneburger Stadtsyndikus, der noch im laufenden Jahr das Amt des Oberbürgermeisters antreten sollte, zeigte im Gegensatz zu Richter jedoch die Bereitschaft, ein unabhängiges Verordnungsrecht der Ortspolizei bei dringenden Angelegenheiten zu akzeptieren. Die Linie der Regierung vertrat in einem Zusatzantrag der schlesische Konservative August Liebermann, der das kommunale Zustimmungsrecht institutionell auf den Gemeindevorstand und materiell auf sämtliche Polizeigeschäfte begrenzte, die nicht sicherheitswahrende Funktionen beinhalteten. 585 Die konservative Fraktion hielt eine umfassende Mitwirkung der Gemeindevertretung an den ortspolizeilichen Verordnungen praktisch für undurchführbar, sah dadurch auch die Handlungsfahigkeit des Magistratsdirigenten bedroht. Dem von seiten der Städte geäußerten Wunsch, das Gebiet der Sicherheitspolizei allgemein zu beschränken, standen die Konservativen, daran ließ Wilhelm von Heydebrand keinen Zweifel, äußerst reserviert gegenüber. Immerhin willigten sie ein, die Regelungen zum städtischen Verordnungsrecht in das Organisationsgesetz aufzunehmen und damit den Städten ein Korrelat zu den Rechten der Gemeindevertretungen in den Landkreisen zu geben. 586 Zugleich drohte von Heydebrand, daß bei einem Scheitern der Beratungen über diesen Punkt, der gar nicht zur laufenden Debatte gehörte, sondern erst in die Lesung hineingetragen worden war, die konservative Partei keine Schuld treffen würde. Zu den Gegnern einer Anteilnahme der Gemeindevertretung am Verordnungsrecht gehörten auch Rudolf Gneist und Ludwig Windhorst. 587 Rede Richter. PAH, 1. Juni 1880. A.a.O., S. 2151. AIPAH, 14. LP, 1. Sess. 1879/80, Bd. 4, AS Nr. 308, 309 u. 311, S. 3290 f. 585 A. a. 0., AS Nr. 312, S. 3291. 586 Rede von Heydebrand. PAH, 1. Juni 1880. StBPAH, 14. LP, 1. Sess. 1879/ 80, Bd. 3, S. 2140 f. Vgl. dazu § 62, Tit. 2, 4. Abschnitt, KO 1872. GS 1872, S. 677 f. 583

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungs staat

Innenminister Graf ZU Eulenburg sah sich verpflichtet, im Namen der Staatsregierung nochmals darzulegen, daß die Regelung der Ortspolizeiverwaltung wie der Kommunaladministration überhaupt nicht mit einem Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung in Verbindung zu bringen war. Die Behandlung des Verordnungsrechts ließ sich nur rechtfertigen, wenn ein Unrecht, "eine öffentliche Zurücksetzung der Städte" vorlag. 588 Das bestritt Eulenburg vehement. Er verwies darauf, daß die Zustimmung zu Polizeiverordnungen im Gebiet der Kreisordnung nur den "Organen der obrigkeitlichen Selbstverwaltung", dem Provinzial- und Bezirksrat, Kreis- und Amtsausschuß, oblag. Demnach war der Gedanke verwirklicht, nur Kommunen nächsthöherer Ordnung an den Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung teilnehmen zu lassen. Der Innenminister mußte jedoch eingestehen, daß im "praktischen Resultat" in größeren Gemeinden, die einen eigenen Amtsbezirk bildeten, "nicht nur der Gemeindevorsteher, sondern sogar die Gemeindevertretung, wo eine solche nicht bestand, die Gemeindeversammlung, zur Zustimmung berechtigt und verpflichtet war. 589 Eulenburg charakterisierte diese Regelung als "einen Fehler in der Gesetzgebung", aus dem sich indessen kein gleichlautendes Recht der Städte ableiten ließ. Die unterschiedlichen Verhältnisse und Anforderungen an die Polizei in Stadt und Land sprachen eher dafür, den ländlichen Gemeindevorständen bei der Mitwirkung am Verordnungsrecht entgegenzukommen. Mit gleicher Entschiedenheit lehnte Eulenburg den städtischen Mitwirkungsanspruch im Bereich sicherheitspolizeilicher Funktionen ab. "Ich sehe aber keinen anderen Boden der Verständigung über diese Sache, als daß wir dahingelangen, die Sicherheitspolizei freizustellen von der Zustimmung der Gemeindebehörden", bemerkte der Innenminister. 59o Auf dem Gebiet der Sicherheitspolizei sollte die Staatsverwaltung unter allen Umständen freie Hand behalten. Gegenüber dem Fehlen einer präzisen Definition der Sicherheitspolizei, bemerkte Eulenburg, daß die Praxis sich mit dieser Unsicherheit abzufinden wissen werde, wenn sie nur an dem entscheidenden Gesichtspunkt festhielt, daß das Gebiet der Sicherheitspolizei sich sowohl auf die Abwehr einer Verletzung des bestehenden oder auf die WiederherstelA. a. 0., S. 2154 ff. Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 1. Juni 1880. Aa.O., S. 2144. 589 Aa.O., S. 2145. Vgl. dazu § 51, Ziff. 2 u. § 52, Ziff. 2, Tit. 2, 4. Abschnitt, KO 1872. GS 1872, S. 674. Die Auseinandersetzungen um das Verordnungsrecht wie der Einfluß der Kreisordnung und der Organisationsgesetze auf das Verhältnis von Staat und Gemeinde bzw. Polizei und Kommunaladministration finden bei A Funk, obwohl er gerade dem Problem der Verrechtlichung besondere Aufmerksamkeit widmet, weder Erwähnung noch analytische Beachtung. Polizei und Rechtsstaat, S. 178 ff. u. 203 ff. Vgl. dazu Friedrichs, Polizeigesetz, S. 79 u. 220 ff. 590 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 1. Juni 1880. StBPAH, 14. LP, 1. Sess. 1879/ 80, Bd. 3, S. 2146. 587 588

7. Ortspolizei und Selbstverwaltung

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lung des verletzten Rechtszustands bezog. Die Kompromißbereitschaft der Staatsregierung bewegte sich auf der Linie des Zentrumsantrags in Ergänzung durch das konservative Amendement Liebermanns, der mit deutlicher Mehrheit angenommen wurde. Der weitergehende Antrag Richters wurde in namentlicher Abstimmung mit 191:138 Stimmen abgewiesen. Nach Erlaß des Organisationsgesetzes bedurften in den Städten sämtliche Ortspolizeiverordnungen, soweit sie nicht zum Gebiet der Sicherheitspolizei gehörten, der Zustimmung des Gemeindevorstands. 59 ) Waren sicherheitspolizeiliche Gegenstände berührt, blieb es bei der üblichen vorgängigen Beratung mit der Ortsobrigkeit. Wie wenig substantiell die Teilnahme der Selbstverwaltungsorgane am Verordnungsrecht war, zeigt sich an jener Vorschrift des Organisationsgesetzes, mit der die Zustimmung des Gemeindevorstands durch den Beschluß des Bezirksrates bzw. später durch den des Bezirksausschusses 592 ergänzt werden konnte. Noch vor Abschluß der Verwaltungsreformen erging ein Urteil des gerade erst geschaffenen Oberverwaltungsgerichts, das sich mit dem Zweck und der Funktion der Gemeinde sowie dem Umfang ihres Wirkungskreises auseinandersetzte. Im Gegensatz zur neueren verfassungs- und stadtgeschichtlichen Forschung ging das Gericht nicht vom Gemeinderecht des monarchisch-bürokratischen Staates aus - hier wäre vor allen Dingen an die Regelungen der Städteordnung von 1808 über die Rechte der Stadtverordneten zu denken _,593 sondern es bezog sich, der Lehre Georg Beselers 591 Vgl. § 79, OrgG 1880. GS 1880, S. 310 f. § 143, LVG 1883. GS 1883, S.232. 592 An die Spitze des Berliner Bezirksausschusses trat 1884 der Dirigent der Ministerial-, Militär- und Baukommission, weil der Polizeipräsident ebenso als Landes- wie Ortspolizeibehörde fungierte. Da die Laienmitglieder des Bezirksausschusses nur durch ein Kommunalorgan und nicht durch die übergeordnete Provinzial behörde berufen wurden, überwies man dem hauptstädtischen Bezirksverwaltungsgericht nicht die ganze Bandbreite der Streit- und Beschlußsachen, sondern nur Angelegenheiten, die dem Gericht durch Gesetz zustanden, während in den übrigen Fällen der Oberpräsident zur Entscheidung berufen war. Soweit der Polizeipräsident an Stelle des Bezirksausschusses in einzelnen Fällen als Beschlußbehörde bestellt wurde, stand den Betroffenen die Klage beim Bezirksausschuß offen. Vgl. Grünert, Bau- und Finanzdirektion, S. 53 f. 593 V gl. § 108, Tit. 6, Abschnitt 2, StO 1808. Erich Becker leitet aus dieser Vorschrift, die sich zunächst nur der Kompetenz der Gemeindevertretung im Verhältnis zur Ortsobrigkeit widmet, die "All zuständigkeit des gemeindlichen Wirkungskreises" ab, ohne das zeitgenössische Verständnis von den inneren Gemeindeangelegenheiten zu berücksichtigen. Vgl. Becker, Entwicklung, S. 92; ders., Selbstverwaltung, S. 292 f. Der Auffassung Beckers folgt Hofmann, Die Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung von 1848 bis 1918, in: HBdkWuP, Bd. 1, S. 79 f. Problematisch ist auch der Versuch des Oberverwaltungsgerichts aus dem Fehlen eines definitiven, verfassungsrechtlich fixierten Gemeindebegriffs im Umkehrschluß auf die Schrankenlosigkeit des gemeindlichen Wirkungskreises zu schließen. Vgl. Endurteil

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

folgend, auf die historische Entwicklung des Gemeindewesens, auf das überkommene gemeine Recht sowie die Lehre des älteren Privat- und Staatsrechts. Das preußische Recht hatte weder eine Definition des Begriffs der Gemeinde noch ihrer Aufgaben entwickelt, ließ es vielmehr nur bei den "gemeinen Rechten" bewenden. Nach gemeinem deutschen Recht verfolgte die Gemeinde nicht einen mehr oder weniger vereinzelten Zweck. Sie umfaßte, gemäß "ihrer Entstehung und ihrem Wesen", vielmehr einen "allgemeinen Komplex wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Zwecke".594 Hiernach konnte die Gemeinde "Alles in den Bereich ihrer Wirksamkeit ziehen, was die Wohlfahrt des Ganzen, die materiellen Interessen und die geistige Entwicklung der Einzelnen fördert(e)".595 Zu diesem Zweck konnte sie entsprechende gemeinnützige Anstalten einrichten, übernehmen oder unterstützen. Die Grenze der Gemeindeautonomie bildete sowohl das staatliche Aufsichtsrecht, soweit es durch Gemeindeverfassungs- und Spezialgesetze begründet war,596 als auch der ihr selbst innewohnende Zweck. Als vom Staat genehmigte Korporation basierte ihre Existenz auf der Permanenz gemeinnützigen Wirkens in einer begrenzten Gemeinschaft. 597 Die örtliche Bindung ihrer Aufgaben, die Wahrung örtlicher Interessen gehörte infolgedessen zu den unerläßlichen Voraussetzungen der Gemeinde. 598 Die Gemeindeangelegenheiten waren in ihrer lokalen Qualifizierung ohne feste Schranken. Der Mangel einer geregelten Begrenzung des kommunalen Wirkungskreises war nicht dadurch aufzuheben, daß man als Gemeindeangelegenheiten nur solche anerkannte, die das Interesse der Gesamtheit der Bürgerschaft unmittelbar betrafen, und sie von den die Gemeinde nur mittelbar berührenden Interessen trennte, da anderenfalls jede einzelne Kommune unter dem Hinweis auf das unmittelbare Beteiligtsein sowohl am Austragen einer legislatorischen Frage als auch an der Agitation auf dem Gebiet der allgemeinen Politik teilnehmen konnte. 599 Nach dem Wesen des vom 10. März 1886. PrOVGE, Bd. 13, Berlin 1887, S. 106. Die Genese des Gemeinderechts wie der Verwaltungspraxis zeigt, wie dargestellt wurde, daß den Gemeinden mit der Verwaltungsreform des monarchisch-bürokratischen Staates nur ein relativ begrenztes Aufgabengebiet überwiesen wurde. 594 Endurteil vom 30. Juni 1877. PrOVGE, Bd. 2, Berlin 1877, S. 190. Zu Beselers Lehre von der Allgemeinheit der Gemeindeaufgaben vgl. ders., System des gemeinen Deutschen Rechts, Bd. 2, 3. Aufl., Berlin 1873, S. 246. Vgl. auch Georg Ludwig von Maurer, Geschichte der Dorfverfassung in Deutschland, Bd. 1-2, Erlangen 1865-66, insbesondere Bd. 1, §§ 134 bis 145; Bd. 2, §§ 155 f. u. 176 ff. 595 Endurteil vom 26. Juli 1876. PrOVGE, Bd. 12, Berlin 1876, S. 158. 596 Ebd. 597 Endurteil vom 21. September 1886. PrOVGE, Bd. 14, S. 85. 598 A.a.O., S. 87. 599 PrOVGE, Bd. 13, S. 107.

7. Ortspolizei und Selbstverwaltung

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Staates und der Gemeinde durchdrangen sich örtliche und nationale Interessen vielfach oder gingen ohne feste Grenze ineinander über,6°O so daß die Bedingung der Örtlichkeit des Interesses sich stets in der Beziehung und in dem Konflikt zu den Interessen der staatlichen Gesamtheit definierte. Das örtliche Interesse setzte ebenso wenig die Betroffenheit sämtlicher Gemeindemitglieder voraus, wie es die Einrichtung fürsorgender Anstalten ausschloß, deren Teilnehmer vorher nicht bestimmt waren und an denen die Teilnahme nicht erzwungen werden konnte. Die Kommunen hatten das Recht, aus eigener Entschließung ihre öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu erweitern. Eine Befugnis, die für die Betätigung der Kommune auf ihrem eigenen Gebiet, für die Schaffung und Entwicklung von Wohlfahrtseinrichtungen unentbehrlich war. 601 Selbst Angelegenheiten von allgemeiner politischer Bedeutung schieden nicht von vornherein aus dem kommunalen Wirkungskreis aus. Sie konnten, indem sie die örtlichen Interessen in besonderem Maße berührten, zu Bestandteilen der Gemeindeangelegenheiten werden. Nach höchstrichterlicher Auffassung mußten solche Angelegenheiten nicht einer einzelnen Gemeinde ausschließlich "eigentümlich" sein. Es war lediglich zu verlangen, daß es sich um Verhältnisse handelte, die gegenüber der Mehrzahl anderer Gemeinden als besondere erschienen. 602 Nur jene Gegenstände, die, wie namentlich auf dem Gebiet der Staatsverwaltung, ihrer tatsächlichen und rechtlichen Natur nach die Beziehung auf eine einzelne Gemeinde ausschlossen, fielen nicht in den Kreis der Gemeindeangelegenheiten. 603 Gehörten somit zum konkreten Kreis der Kommunalaufgaben eine Vielzahl von Einzelgeschäften, wie die Gesundheitsfürsorge, Schul- und Kircheneinrichtungen, Anstalten für Flur-, Deich-, Landwirtschafts-, Wohnungs-, Hauswirtschafts-, Gewerbe-, Verkehrs-, Handels- und Finanzangelegenheiten, 604 waren die Gemeinden dessenungeachtet nicht der Verbindlichkeit enthoben, der Ortspolizei die zur Erfüllung ihrer Aufgaben unentbehrlichen Anstalten bereitzustellen oder ihr die notwendigen Mittel zur Ausführung der Anstalten zu überweisen. Diese Verpflichtung betraf das Armen- und Wegewesen, insbesondere den Straßenbau, die Straßenreinigung und -beleuchtung, Feuerlösch- und Gefängnisanstalten, die Kanalisation, Seuchenlazarette und Desinfektionsinstitute, das Nachtwachtwesen oder die Fürsorge für Wasserläufe. 605 In den meisten Fällen hatten die Gemeinden die entsprechenden Einrichtungen selbst geschaffen und verwalteA.a.O., S. 109. Endurteil vom 8. März 1890. PrOVGE, Bd. 19, Berlin 1890, S. 178. 602 Ebd.; Endurteil vom 7. März 1902. PrOVGE, Bd. 41, Berlin 1903, S. 38. 603 PrOVGE, Bd. 13, S. 109. 604 Vgl. dazu Oertel, Städteordnung, 3. Aufl., S. 162. PrOVGE, Bd. 2, S. 191; Bd. 12, S. 158 f. 600 601

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

ten sie in kommunaler Regie, sie standen indessen fortwährend "unter dem Schutz und der Aufsicht der Polizei,,.606 Die Kommunen konnten seitens des Staates nicht zum Aufbau solcher gemeinnützigen Anstalten angehalten werden, die weder durch Gemeindeverfassungs- noch durch Spezialgesetze begründet waren. Gas-, Wasserund Elektrizitätswerke, öffentliche Gärten, Lagerhäuser und Markthallen, Verkehrsmittel, Krankenhäuser, höhere und Fachschulen oder Badeanstalten waren zwar der gemeinen Wohlfahrt dienende Veranstaltungen, eine gesetzliche Pflicht der Gemeinden zu ihrer Etablierung wurde durch das Gemeinderecht nicht begründet. Die polizeilichen Befugnisse gegenüber solchen kommunalen Wohlfahrtseinrichtungen waren keine anderen als die gegen beliebige Privatpersonen. Sie waren daher im wesentlichen darauf beschränkt, daß das solchen Veranstaltungen dienende Eigentum der Städte in einem den allgemeinen sicherheits-, bau-, feuer- und sanitätspolizeilichen Anforderungen entsprechenden Zustand erhalten blieb. 607 Die Ausdehnung des kommunalen Aufgabenkreises, die weitreichende Übernahme staatlicher Aufgaben im Bereich der daseins vorsorgenden Verwaltung, nicht zuletzt aber die Vennengung von gemeindlichen und ortspolizeilichen Aufgaben wie ihre rechtlich vorhandene, jedoch tatsächlich schwer zu handhabende Unterscheidung machten es notwendig, die ortspolizeilichen Funktionen des Staats präziser zu umschreiben und den Aufgabenbereich der "Polizei als Verwaltung" näher festzulegen. Im Anschluß an die Rechtsprechung des Obertribunals, das bereits in den sechziger und siebziger Jahren den § 10, T. 11, Tit. 17 ALR als umfassende Definition der Polizei und allgemeine Bestimmung der polizeilichen Aufgaben herangezogen hatte,608 und der ab 1876/77 im amtlichen Auftrag des Innenministeriums herausgebenen Sammlung der neueren Verwaltungsgesetze, die sich zur Umschreibung der Polizeiaufgaben ebenfalls jener landrechtlichen Bestimmung bedienten und in den Vorschriften des Polizeiverwaltungsgesetzes nur noch eine Spezifikation der Gegenstände polizeilicher Fürsorge sahen,609 griff das Oberverwaltungsgericht schon im Juni 1876 auf die genannte landrechtliche Vorschrift zur Feststellung der staatlichen 605 Endurteil vom 7. September 1889. PrOVGE, Bd. 18, Berlin 1890, S. 144 f.; Endurteil vom 27. April 1892. PrOVGE, Bd. 23, Berlin 1893, S. 103. 606 PrOVGE, Bd. 18, S. 145. 607 PrOVGE, Bd. 23, S. 103. 608 Zur Definition der Polizei durch die Rechtsprechung des Obertribunals vgl. Preu, Polizeibegriff und Staatszwecklehre, S. 324 f.; Scupin, Entwicklung, S. 49 f.; Winter, Polizeibegriff, S. 71 ff. 609 Max von Brauchitsch, Die neueren Organisationsgesetze der inneren Verwaltung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen, Bd. 1, Berlin 1876, S. 225 f.

7. Ortspolizei und Selbstverwaltung

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Polizeigewalt zurück. Das Gericht trennte damit die Sicherheitspolizei als staatlichen Aufgabe, die auf die Erhaltung tatsächlich vorhandener Bestände abzielte, von der als fördernde Staatstätigkeit begriffenen Wohlfahrtspflege. Alles polizeiliches Handeln wurde nunmehr zum Handeln der Sicherheitspolizei, ohne daß die polizeilichen Funktionen des Staates auf eine begrenzte Summe bestimmter, genau vorgeschriebener Befugnisse eingeengt war. Polizeiliches Einschreiten rechtfertigte sich überall dort, wo dem Publikum oder einzelnen Mitgliedern desselben Gefahren drohten und die öffentliche Ruhe, Sicherheit und Ordnung bewahrt werden mußte. 6\O Wenngleich sich das Oberverwaltungsgericht um den Nachweis bemühte, daß sowohl das Allgemeine Landrecht als auch die Reformgesetzgebung zu Beginn des 19. Jahrhunderts bereits den auf die Gefahrenabwehr beschränkten Polizeibegriff entwickelt hatte, ließ sich, wie Heinrich Rosin es ausdrückte, die "prätorische Natur seiner Judikatur" nicht übersehen. 611 Und gerade darin kam die praktisch-politische Bedeutung dieser Rechtsprechung zum Ausdruck; sie kompensierte die Mängel der konstitutionellen Polizeigesetzgebung und die Weigerung des preußischen Gesetzgebers sich jeder näheren Bestimmung des materiellen Polizeibegriffs zu stellen. Daß der staatsrechtliche Positivismus auf ein vorkonstitutionelles Gesetz und eine Rechtsregel aus der Zeit des Absolutismus zurückgriff, die im Zusammenhang mit einem die Wohlfahrtsförderung integrierenden Staatszweckverständnis und Polizeibegriff stand, spielte dabei keine Rolle. Entsprechend ihrer formalistischen Auffassung des Gesetzesbegriffs genügte der Rechtsprechung das Vorhandensein wie das Auffinden einer abstrakten gesetzlichen Regelung. 612 Nachdem das Oberverwaltungsgericht einmal mit dem § 10, T. 11, Tit. 17 ALR grundsätzlich den Umfang des allgemein-polizeilichen Wirkungskreises dezidiert umschrieben hatte,613 war auch die generalklauselhafte, Ordnungswahrung und Wohlfahrtspflege einschließende, Festlegung der polizeilichen Aufgaben im Polizeiverwaltungsgesetz nicht länger haltbar. Das Gesetz von 1850 erschien nur noch als zur näheren Umschreibung der landrechtlichen Rechtsregel bestimmte Vorschrift; Ausdrücke und WendunEndurteil vom 9. Januar 1884. PrOVGE, Bd. 11, Berlin 1885, S. 370. Rede Rosin, Verhandlungen des Vereins für Socialpolitik über die berufsmäßige Vorbildung der volkswirtschaftlichen Beamten und über Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte (= Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 125), Leipzig 1908, S. 247. 612 Winter, Polizeibegriff, S. 70 f. Vgl. auch Anschütz, Allgemeine Begriffe und Lehren des Verwaltungsrechts nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, in: PrVerwBl, 22. Jg. (1900101), S. 85. 613 Endurteil vom 10. Juni 1880. PrVerwBl, 1. Jg. (1879/80), S. 401 ff. Endurteil vom 14. Juni 1882 (sog. Kreuzberg-Erkenntnis). PrOVGE, Bd. 9, Berlin 1883, S. 353 ff. 610 611

41 Grzywatz

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gen im Gesetz, die "wegen ihrer Unbestimmtheit" zu Zweifeln Anlaß gaben, mußten in ihrer Bedeutung mit Rücksicht auf die genannte landrechtliche Regel festgestellt werden. 614 Es war nicht zu übersehen, daß die Entscheidungen des Gerichts von einem liberalen Rechtsverständnis getragen wurden, dem es um den Schutz der Eigentumsfreiheit und die Beschränkung der Eingriffe in das Eigentumsrecht ging. Da polizeiliche Verfügungen grundsätzlich entschädigungslos hingenommen werden mußten, hätte die fernere Anerkennung eines weiten Polizei begriffs, der den Bereich der gesamten inneren Verwaltung umfaßte und die Polizei zu einem völlig schrankenlosen Ermessen berechtigte, zu weitreichenden Enteignungen ohne jegliche Entschädigung führen können. 615 Mit dem von allen Wohlfahrtselementen gereinigten Polizeibegriff hatte die Verwaltungsgerichtsbarkeit dem Staat hingegen "die ideologische Basis für ein exzessives Eingreifen in die wirtschaftlichen und sozialen Abläufe,,616 entzogen, am Polizeibefehl entwickelte sich dann die Lehre vom Verwaltungsakt als eines auf den Vollzug von Rechtssätzen beschränkten Handeins. Daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit in geradezu legislatorischer Zielsetzung ebenso den Wirkungskreis der Polizei beschränkt wie den Bereich der kommunalen Selbstverwaltungsangelegenheiten gegenüber dem älteren Gemeinderecht erheblich erweitert hatte, blieb nicht ohne Wirkung auf die Haltung der Staatsregierung. Im März 1889 kritisierte Innenminister Herrfurth noch eine im Abgeordnetenhaus verabschiedete Resolution als "zu positiv", die empfahl, in Stadtgemeinden mit staatlicher Polizeiverwaltung die Baupolizei einschließlich der Straßenbaupolizei, die Gewerbepolizei bzw. einzelne Teile derselben sowie die Schul-, Hafen-, Markt-, Feld-, Jagd- und Forstpolizei den Kommunen "zur eigenen Verwaltung" zu überweisen,617. Auf keinen Fall wollte er von einer im öffentlichen Interesse vorzunehmenden Einzelfallentscheidung absehen. 618 Anfang 1892 nahm die Regierung jedoch die vom Abgeordnetenhaus erwogene Differenzierung der übertragbaren Polizeigeschäfte auf und trat mit der Vorlage eines zweiten Entwurfs zum Polizeikostengesetz einer Teilung der Funktionen von Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei zwischen Staat und Gemeinden näher. 619 Neben den in A. a. 0., S. 374. A. a. 0., S. 360 f. 616 Gröttrup, Leistungsverwaltung. S. 33. Vgl. auch Funk, Polizei und Rechtsstaat, S. 180 ff. 617 AlPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 3, AS Nr. 112, S. 1576. Die mit dem Bericht der Beratungskommission vom 7. März 1889 eingebrachte Resolution wurde am 30. März vom Abgeordnetenhaus angenommen. StBPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 2, S. 1414. 618 AlPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 3, AS Nr. 112, S. 1574. 614 615

7. Ortspolizei und Selbstverwaltung

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der Resolution des Abgeordnetenhauses genannten Zweigen der Ortspolizeiverwaltung wurde auch noch die mit der allgemeinen Kommunaladministration eng zusammenhängende Gesundheitspolizei als übertragbar erachtet. Während der Vorberatungen des Gesetzentwurfs führte Herrfurth aus, daß die Staatsregierung noch über die Empfehlung des Abgeordnetenhauses hinausgegangen wäre, da sie sich nunmehr auf Wunsch der Stadtgemeinden zu einer uneingeschränkten Übertragung der Wohlfahrtspolizei bereit erklären würde. 62o Allerdings stellte die Übertragungsregelung, wie Herrfurth resümierte, nur eine Art "gesetzgeberische(n) Monolog",621 keineswegs aber eine dispositive Bestimmung dar, die dem Staat eine Verpflichtung auferlegte oder den Städten ein einklagbares Recht gab. Die Bereitschaft des Staates, in der Frage der Trägerschaft der Ortspolizeiverwaltung zumindest partiell einzulenken, hatte innere administrative Ursachen. Im Interesse einer Stärkung der Dezentralisation der Verwaltungsorganisation war es durchaus zweckmäßig, den Bereich der Selbstverwaltungsangelegenheiten auszuweiten, da die städtischen Administrationen als des Staates eigenes Selbst eine Vielzahl sozialpolitischer Aufgaben erfüllten, die in seiner Verpflichtung lagen. Der organisatorische Dualismus von Staats- und Selbstverwaltung in den Kommunen wurde dadurch nicht tangiert. Die Gemeindetätigkeit konnte nach den richtungsweisenden Urteilen der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht mehr, soweit nicht Spezialgesetze Abweichendes bestimmten, durch Gegenstände des polizeilichen Zwangs- und Verordnungsrechts eingeschränkt werden, die sich der Pflege der allgemeinen Wohlfahrt widmeten. Allein durch den im § 10, T. 11, Tit. 17 ALR vorgezeichneten Rahmen fand die Selbstverwaltung im Verhältnis zur Ortspoli619 AIPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 2, AS Nr. 8, S. 785-800. In der Begründung des Gesetzes wurde angeführt, daß die Staatsregierung zu der Überzeugung gelangt sei, "daß es ohne Gefährdung öffentlicher Interessen" tunlich sein wird, die Zweige der Wohlfahrtspolizei in den Stadtgemeinden mit königlicher Polizeiverwaltung an die Gemeindeorgane zur eigenen Verwaltung zu übergeben. Es folgte der Hinweis auf die Städteordnung von Schleswig-Holstein mit ihrer organisatorischen Teilung der polizeilichen Funktionen. Für die Gebiete der Bau- und Gesundheitspolizei sowie der Gewerbe- und Marktpolizei bestätigte die Begründung einen engen Zusammenhang mit der allgemeinen Kommunalverwaltung. Abschließend hieß es: "Die Staatsregierung legt daher zu den Stadtverwaltungen das Vertrauen, daß dieselben die örtliche Polizei auf den ihnen zu überweisenden Gebieten mit Verständnis und Energie handhaben, sich auch nicht durch weitgehende Rücksichten finanzieller Natur der Durchführung polizeilich gebotener Maßnahmen entziehen werden". A.a.O., S. 792. 620 Fritz Olzem, Bericht der 11. Kommission zur Vorberatung des Gesetzentwurfs, betreffend die Kosten Königlicher Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden, 25. Februar 1892. A.a.O., AS Nr. 46, S. 1459. 621 Ebd. Vgl. § 6, GesEntw, Polizeikosten 1892, A.a.O., S. 1464. 41*

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6. Kap.: Selbstverwaltung im preußischen Verfassungsstaat

zei eine Grenze. Dessenungeachtet hatte damit das Problem der Zuständigkeitsregelungen sowie die Sicherung der kommunalen Ansprüche, gewisse Polizeizweige in eigene Verwaltung zu nehmen, noch keineswegs Erledigung gefunden. Im Gegenteil, da eine genaue Definition dessen, was die Sicherheitspolizei ausmachte, fehlte, hielt der grundlegende Konflikt über die Verteilung der staatlichen und kommunalen Kompetenzen im Gemeindebereich weiter an. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit war in dieser Auseinandersetzung wenig hilfreich, da sie sich nicht in der Lage sah, eine begriffliche Trennung von Sicherheits- und Wohlfahrtsinteressen zu treffen. Nur zwei Beispiele seien hier erwähnt: Im November 1885 hob das Gericht die polizeiliche Verfügung an eine Gemeinde, die Versorgung der Einwohner mit gesundem Trinkwasser in Angriff zu nehmen, als unzulässigen Akt der Wohlfahrtspflege auf,622 im Januar 1894 bestätigte das Gericht die Rechtmäßigkeit einer Polizeiverordnung, die für das weitere Umland der Reichshauptstadt einschneidende Baubeschränkungen anbefahl, mit dem Hinweis auf die sicherheitspolizeiliehe Pflicht zur Gefahrenabwehr und fürsorgenden Gesundheitspflege. 623 Innenminister Herrfurth bestritt ebensowenig wie seinerzeit Graf zu Eulenburg, die Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei. Er sah ihre Trennung aber, unter Hinweis auf die Städteordnung von Schleswig-Holstein und die Landesverwaltungsgesetze, bereits durch die Gesetzgebung vollzogen. 624 Im Juni 1889 hatte der Minister des Innem die gesetzliche Befugnis erhalten, im Einverständnis mit dem Provinzialrat die orts- und landespolizeiliche Zuständigkeit des Berliner Polizeipräsidenten auf die Kreise Teltow und Niederbamim sowie den Stadtkreis Charlottenburg auszudehnen. In gleicher Weise konnte der Innenminister den Umfang der zu übertragenden Kompetenzen bestimmen. Ausdrücklich ausgeschlossen waren von der Übertragung die Bau-, Gewerbe-, Schul-, Markt-, Feld-, Jagd-, Forst-, Gesinde-, Armen-, Wege-, Wasser-, Fischerei- und Feuerpolizei. 625 Diese beschränkende Regelung wäre kaum mit Zustimmung der Staatsregierung erlassen worden, wenn man die genannten Polizei bereiche nicht sämtlich als außerhalb der Grenzen der Sicherheitspolizei liegend angesehen hätte. Das Innenministerium zählte in einem am 10. März 1898 erlassenen Regulativ über die Einrichtung der königlichen Polizeidirektion in Kiel "insbesondere" zum Aufgabengebiet der Sicherheitspolizei: 1. die Aufrechterhaltung Endurteil vom 28. November 1885. PrOVGE, Bd. 12, S. 382 ff. Endurteil vom 13. Januar 1894. PrOVGE, Bd. 26, Berlin 1894, S. 323 ff. 624 KomBer Olzem, 25. Februar 1892. AIPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 2, AS Nr. 46, S. 1459. 625 § 2, Gesetz, betreffend die Übertragung der polizeilichen Befugnisse in den Kreisen Teltow und Niederbamim, sowie im Stadtkreise Charlottenburg an den Polizeipräsidenten zu Berlin vom 12. Juni 1889. GS 1889, S. 129. 622 623

7. Ortspolizei und Selbstverwaltung

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der öffentlichen Ordnung, Ruhe und Sicherheit auf den öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen sowie an anderen öffentlichen Orten aller Art einschließlich des Nachtwachtdienstes; 2. die Polizei in bezug auf das Paß-, Vereins- und Versammlungswesen; 3. die Fremdenpolizei sowie das polizeiliche Meldewesen über Zu-, Um- und Abzug von Personen; 4. die Kriminalpolizei; 5. die Sittenpolizei; 6. gewisse, auf Grund der Reichsgewerbeordnung (§§ 33 bis 35, 37, 42a, 43, 55 bis 63) auszuübende polizeiliche Funktionen und 7. die Ausstellung der Jagdscheine. 626 Die Bemühungen von Gesetzgebung und Verwaltung, die Begriffe der Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei schärfer voneinander abzugrenzen, blieben insgesamt jedoch ebenso sporadisch wie unsystematisch. Nur im Wege einer Novellierung des Polizeiverwaltungsgesetzes hätte eine definitive Bestimmung der Sicherheitspolizei und damit auch eine regelhafte Abgrenzung des ortspolizeilichen und kommunalen Wirkungskreises vorgenommen werden können. 627 Noch im Jahre 1916 stellte Karl Friedrichs 628 resignierend fest, daß der Begriff der Sicherheitspolizei trotz seiner nicht unerheblichen Bedeutung sowenig feststand, daß sich nicht einmal eine herrschende Meinung gebildet hatte. Die institutionelle Garantie der Selbstverwaltung durch die Verfassung der Weimarer Demokratie sollte ebenso wenig eine umfassende Übertragung der Polizei als Selbstverwaltungsangelegenheit an die Gemeinde vorsehen wie sie einen von staatlicher Seite her unangreifbaren Kern von ursprünglichen Selbstverwaltungsaufgaben festlegte.

lebens, Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei, S. 627 Vgl. Rosin, Begriff der Polizei, S. 116 f. 628 Friedrichs, Polizeirecht, S. 23. Zum Versuch einer definitiven Abgrenzung nach der Enumerationsmethode vgl. lebens, Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei, S. 629. Das Verwaltungsrecht der Weimarer Zeit entschloß sich, um überhaupt eine feste Grundlage für den Begriff der Sicherheitspolizei zu haben, zu der schlichten Definition, daß Sicherheitspolizei alles ist, was nicht Verwaltungspolizei ist und umgekehrt, daß alles Verwaltungspolizei ist, "was nicht unter Sicherheitspolizei im engeren Sinne fällt, und was trotzdem lediglich der Abwehr von Gefahren dient, die dem Publikum oder seinen Mitgliedern drohen". Peters, Grenzen, S. 200 f. Vgl. dazu auch Grzywatz, Staat und Gemeinde, S. 51 f. 626 627

Siebtes Kapitel

Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche unter dem nachrevolutionären Städterecht 1. Dreiklassensystem oder gleiches Wahlrecht mit Steuerzensus die Reform der Städteverfassung und das Kommunalwahlrecht in der Reaktionszeit

Die preußischen Liberalen trafen mit ihrer Kritik am Klassenwahlrecht und seiner weiteren Verschärfung durch den Steuer- bzw. Einkommenzensus die Stimmung im städtischen Bürgertum. Das Wort von der Erschütterung der verfassungsmäßigen Grundlagen des Landes, die durch den teilweisen Verlust des Wahlrechts in den Kommunen ausgelöst wurde, war nicht eine politisch-propagandistische Phrase, sondern entsprach einer bis in die Spitzen der konservativen Gemeindebürokratie hineinreichenden kommunalpolitischen Haltung. I Die durch das ältere Städterecht weitgehend herbeigeführte bürgerliche Gleichheit war gefährdet, hatten die Berliner Stadtverordneten in ihrem Gutachten zur Gemeindeordnung erklärt, wenn die Bürgerschaft durch das Klassenwahlrecht in Groß-, Mittel- und Kleinbürger aufgespalten wurde? Zu Beginn der fünfziger Jahre befand sich der Liberalismus unterdessen politisch in der Defensive, die Front der Befürworter eines landeseinheitlichen Gemeinderechts bröckelte auch in den Städten, 3 so daß es galt, wenigstens den kommunalrechtlichen Status quo in den westlichen Provinzen zu bewahren und für die östliche Teile des Staates ein nach Stadt und Land differenziertes Recht zu unterstützen, daß sich in den Städten weitgehend an der älteren Städteordnung orientierte. Ende Januar 1852 legten Brünneck und Vincke der Ersten Kammer einen von den Berliner Liberalen unterstützten Eventualantrag vor, der für den Fall, daß die Kammer die Forderung auf Zurückziehung der Regierungsvorlagen zum geplanten Erlaß provinzieller Kommunalordnungen ablehnte, die unveränderte Geltung der Gemeindeordnung von 1850 in der Rheinprovinz 1 Antrag von Brünneck/von Vincke, 13. Januar 1852. SDSEK, 2. LP, Sess. 1851/ 52, Bd. 2, Nr. 55, S. 2. Vgl. dazu auch oben Kap. 6, Unterabschnitt 5. 2 Gutachten, Stadtverordnetendeputation, 1849, S. 6. 3 Vgl. die Petition der Kommunalbehörden zu Berlin, 20./22. November 1849, S.4.

1. Dreiklassensystem oder gleiches Wahlrecht mit Steuerzensus

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und Westfalen verlangte, während für die sechs östlichen Provinzen die Annahme der mit dem Antrag eingereichten Entwürfe einer Städte- und Landgemeindeordnung empfohlen wurde. 4 Die Liberalen erkannten nunmehr allgemein die Mißstimmung gegen die Gemeindeordnung in den Landgemeinden der östlichen Provinzen an und versuchten, ihr mit einem liberalen Landgemeindeentwurf zu entsprechen, der weiterhin die Bildung größerer Gemeindeverbände zuließ, für die Städte aber eine Verfassung vorschlug, "die sich möglichst eng an die altbewährte Städte-Ordnung vom 19. November 1808" anschloß. 5 Die Konstruktion der Gemeindeordnung wurde als "zusammengesetzt" abqualifiziert. Hier fehlte es an der "wünschenswerten Faßlichkeit und Gemeinverständlichkeit", hieß es in den Motiven, was die Emanation einer besonderen Städte- und Landgemeindeordnung rechtfertigte, ohne daß damit die auf der Verfassung beruhenden Grundprinzipien der Gemeindeordnung aufgegeben wurden. Eine bloße Wiederherstellung des älteren Kommunalrechts, die unter anderem eine Rückkehr zum Prinzip der Aufteilung der städtischen Gesellschaft in Bürger und Schutzverwandte beinhaltete, sollte es nicht geben. 6 Die negativen Wirkungen der Gemeindeordnung sahen die Liberalen in der bürokratischen Bevormundung, in der Tendenz zur Zentralisation, welche die körperschaftlichen Gemeindeverwaltung vermeintlich in einen Teil der Staatsadministration umwandelte. In der Folge mußten die den Städten gelassenen "freien Formen" zu einem "leeren Scheinwesen herabsinken, das nur dazu dienen wird, die Erinnerung an die alte Unabhängigkeit lebendig zu erhalten".? Es wurde nochmals der liberale Selbstverwaltungsgedanke der Revolutionszeit aktualisiert, der sich das Kommunalrecht der ersten preußischen Reformperiode zum Vehikel seiner eigenen Reformvorstellungen machte. Das Dreiklassenwahlrecht und der Steuerzensus wurden in den Motiven des Entwurfs nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Klassenwahl war ebenso ein Mittel, dem größeren Besitz das ihm gebührende Übergewicht zu sichern, wie der Zensus einen "unschätzbaren Antrieb" darstellte, "sich auf der Höhe bürgerlicher Existenz zu erhalten" und nicht dem Proletariat zu verfallen. 8 Selbst die Verbindung von Klassensystem und Zensus war noch zu rechtfertigen, solange dieser niedrig blieb und weniger einen Zen4 Antrag von Brünneck/von Vincke, 24. Januar 1852. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 2, Nr. 68, S. 1-3. 5 A.a.O., S. 2. 6 Vgl. die Motive zum Entwurf einer Städteordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien, Posen und Sachsen. Anlage zu Nr. 68. A. a. 0., S.19. 7 Ebd. 8 Motive, StOEntwBrünVin, 1852. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 2, Anlage zu Nr. 68, S. 21.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

sus als einen Maßstab für die Existenz der übrigen Erfordernisse der Wählbarkeit, der Selbständigkeit, pünktlichen Steuerzahlung und des Nichternpfangs öffentlicher Armengelder darstellte. Ein solcher Zensus beruhigte zudem noch diejenigen, die einen allzu großen Andrang zum Wahlrecht für bedenklich hielten. Erst ein hoher Zensus mußte nach liberaler Ansicht verworfen werden, weil er "die Entscheidung über die Angelegenheiten der Gemeinde in die Hände einer kleinen Oligarchie von Wählern,,9 legte. Der Entwurf erinnerte daran, daß in Berlin ein Bürgerrechtsgeld von 30 Talern, wie es unter der älteren Städteverfassung verbreitet war, für die mittleren Gewerbetreibenden mit einem Jahreseinkommen von 200 bis 300 Reichstalern schon mit erheblichen Entbehrungen verbunden war, wohingegen kleinere Gewerbetreibende oft während ihres ganzen Lebens nicht mehr in der Lage waren, eine solche Summe zu ersparen. Deshalb kehrte der liberale Städteordnungsentwurf zu einem niedrigen Zensus von zwei Reichstalern in klassensteuerplichtigen Gemeinden bzw. einem unteren Jahreseinkommen von 150 Reichstalern in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Gemeinden unter 10000 Einwohnern und 200 Reichstalern in größeren Städten zurück. Dieser Zensus wurde in sämtlichen Gemeinden durch den Nachweis von Hausbesitz ausgeglichen, \0 ohne daß ein besonderes Hausbesitzerprivileg fundiert wurde. Der hälftige Anteil der Gemeindeverordneten blieb ausschließlich an den Grundbesitz gebunden. ll Auf diese Weise erhielt jene große Zahl von Städtebürgern ihr wohlerworbenes Bürgerrecht zurück, das sie nach Einführung der Gemeindeordnung verloren hatten. Ein Akt, der, wie im Entwurf ausgeführt, nicht nur der Gerechtigkeit, sondern auch der "großsinnigen und versöhnlichen Politik" diente. Die Öffentlichkeit der Wahl hielten die Liberalen für "ein feindseliges Zersetzungsmittel auf nachbarliche, verwandtschaftliche und geschäftliche Verhältnisse". Es war zugleich berufen, auf wirksamste Weise den Ausdruck der öffentlichen Meinung zu verfälschen, indem sie den Wähler sowohl "dem Terrorismus der revolutionären Wortführer" als auch den Behörden die bequemste Handhabe bot, "um eine unerhörte Gesinnungskontrolle zu führen".12 Der mittelständisch orientierte Liberalismus dachte dabei weniger, wie sich bis in die Wahlrechtsdebatten des späten Kaiserreichs zeigen sollte, an die Besitzlosen, deren Kapital in ihrer "unabhängig" einsetzbaren Arbeitskraft und Geschicklichkeit bestand, als an jene Gewerbetreibenden, die vom Geschäftsverkehr, der Konzessionserteilung, der Vergabe öffentlicher Arbeiten etc. abhängig waren. Das schwerfälEbd. Vgl. § 4, StOEntwBrünVin, 1852. A.a.O., S. 6 f. II § 14, StOEntwBrünVin, 1852. A.a.O., S. 8. 12 Motive, StOEntwBrünVin, 1852. A.a.O., S. 22 f. Vgl. den § 23 des Entwurfs,

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A. a. 0., S. 8.

1. Dreiklassensystem oder gleiches Wahlrecht mit Steuerzensus

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lige und zeitraubende Wahlverfahren der Städteordnung von 1808 wollten die Liberalen nicht wieder einführen. Es sollte bei den Anordnungen der Gemeindeordnung bleiben, ergänzt um die in der Tradition der älteren Städteordnung stehenden öffentlichen Vorversammlungen und die Beratungen über die Kandidaten. 13 Moritz Veit, der das Dreiklassensystem als "Notbehelf ... gegen das unglückliche allgemeine Wahlrecht des Jahres 1848" akzeptierte, verteidigte vehement die Bedingung seiner Einführung, nämlich niemandem das Wahlrecht, soweit er in dessen Besitz war, zu nehmen. Der Gesetzgeber hatte eben nur beabsichtigt, dem weniger wohlhabenden Bürger ein verhältnismäßig geringeres, aber immer noch ein Wahlrecht in der dritten Klasse zu belassen. Durch die Verbindung des Dreiklassensystems mit einem relativ hohen Zensus wurde nach Veits Meinung die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers hintertrieben und das Wahlrecht oligarchisiert. "Bedenken Sie", appellierte der Berliner Buchhändler an die Mehrheit der Kammer, "wie die Wählerzahl ohnehin bei einem Steuersatz von vier Reichstalern, zumal in den ärmeren Landestheilen vermindert wird, theilen Sie sie ohnedies noch nach den drei Klassen ab und erwägen Sie, daß die erste Klasse mit der Hälfte der zweiten überhaupt die Majorität hat, und Sie werden zugestehen, daß sehr wenig Wähler übrig bleiben werden, die unmittelbar den Gemeinderath und mittelbar den Magistrat zu wählen haben".14 Die Kommission für die Gemeindeordnung, die sich vorwiegend aus Mitgliedern des Grundadels zusammensetzte und der nur vier in Berlin ansässige Abgeordnete angehörten - unter ihnen der den ersten Berliner Wahlkreis vertretende Stadtrat Seeger -, verwarf den liberalen Antrag auf Rückziehung der Regierungsentwürfe, da die Vorlagen mit den Kommissionsbeschlüssen zur Gemeindeordnung korrespondierten. 15 Nicht viel anders erging es den Gesetzentwürfen der Liberalen: Sie erreichten die Gemeindekommission erst, als diese die Beratung über die Regierungsvorlagen abgeschlossen hatte. Die Kommission sah keinen Anlaß, der Ersten Kammer die Vorlagen der Liberalen unter Verwerfung der Regierungsentwürfe als Grundlage einer neuen Gesetzgebung zu empfehlen. 16 Regierungskommissar von Klützow sprach dem liberalen Entwurf überhaupt den Charakter eines "wahren Städte-Ordnungswesens" ab, da er weder ein Bürgerrecht fundierte noch von solchen Bedingungen zum Erwerb der Gemeinderechts sprach, die den Eigentümlichkeiten des Städtewesens verpflichtet waren. Motive, StOEntwBrün Vin, 1852. A. a. 0., S. 23. Rede Veit. PEK, 25. Februar 1852. StBEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 1, S. 464. Veit vertrat den ersten Trierer Wahlkreis. 15 KomBer für die Gemeinde-Ordnung, 5. Februar 1852. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 2, Nr. 94, S. 6 f. 16 KomBer für die Gemeinde-Ordnung, 20. Februar 1852. A.a.O., Bd. 3, Nr. 119. 13

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

Von Klützow sah auf Grund des vorgeschlagenen geringeren Zensus und der Wiedereinführung der geheimen Wahl sogar "Rückschritte im konservativen Sinne" gegenüber der Gemeindeordnung von 1850 vorliegen. 17 Zurecht entgegnete Veit, daß ein Bürgerrecht, welches im Sinne der Städteordnung von 1808 nur durch zweiseitige Willenserklärung erworben werden konnte, durch den Regierungsentwurf nicht begründet wurde, das Bürgerrecht vielmehr nichts anderes als das Gemeindewahlrecht war. Dem Vorwurf mangelnder konservativer Regelungen hielt der Veit die Destruktivität solcher Bestimmungen entgegen, die es ermöglichten, über die Liste der öffentlichen Abstimmung Material für das System der Konduitenlisten und Personalakten zusammenzutragen. 18 Doch solche Hinweise stießen ebenso ins Leere wie die stets von neuem kritisierte Einschränkung des Wahlrechts. Die Kammer folgte der Empfehlung der Gemeindekommission und ging über die Anträge hinweg zur Tagesordnung über. Es war keine Frage, daß die Gemeindekommission bei der Beratung der Regierungsentwürfe jeden weiteren Versuch, an die liberalen Vorstellungen zum Städterecht anzuknüpfen, abweisen würde. Und so geschah es auch. Prinzipiell folgte die Mehrheit dem Weg der Regierung und entschied sich für eine Spezialgesetzgebung für Stadt und Land. Der Wunsch nach Wiedereinführung der Städteordnung von 1808 wurde nicht schlichtweg ignoriert, vielmehr auf den Umstand hingewiesen, daß die Gemeindeordnung "die wesentlichsten Grundlagen der älteren Städte-Ordnungen" bewahrte. Die Ablösung dieser Gesetze hätte folglich mehr dem Namen als der Sache nach stattgefunden. 19 Diese Sichtweise war, bei allen rechtlichen Differenzen der einzelnen Städteordnungen, durchaus nicht abwegig, denn die Prinzipien kommunaler Selbstverwaltung und innergemeindlicher Kompetenzteilung, eingeschränkter bürgerschaftlicher Partizipation und staatlicher Aufsicht wurden nirgendwo prinzipiell in Frage gestellt. Die Entwicklung und Veränderung des Bestätigungsrechts, der kommunalen Finanzhoheit und des Verhältnisses von Magistrat und Bürgerrepräsentation waren nicht grundlegende Eingriffe in das überkommene Städterecht, sondern zeitgemäße Antworten auf administrative Probleme, deren Kern bereits in der Städteordnung von 1808 angelegt war. Nur unter dem konstruierenden Rückblick der preußischen Demokratisierungsfrage konnte die ältere Städteordnung zu einem herausgehobenen Bezirk in einem Reich versagter Freiheit werden, selbst wenn man berücksichtigt, daß das Hardenbergsehe Reformwerk die Rede von Klützow. PEK, 23. Februar 1852. A.a.O., Bd. 1, S. 413. Rede Veit. PEK, 24. Februar 1852. A.a.O., S. 427. 19 KomBer über die Vorlagen der Königlichen Regierung betreffend GemeindeOrdnung vom 11. März 1850 und betreffend die Beibehaltung der Gemeinde-Ordnung vom 11. März 1850, als Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen, vom 16. Februar 1852. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 3, Nr. 101, S. 4. 17

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1. Dreiklassensystem oder gleiches Wahlrecht mit Steuerzensus

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Städteordnung als Ersatz für die noch ausstehende Nationalrepräsentation begriff. Das Hefftersche Schubladensystem mit seinen Polen "Reaktion" und "Fortschritt" zeigt denn auch nicht grundlos Einordnungsirritationen: die Städteordnung von 1853 wird zur "konservative(n) Revision der liberalen Gemeindeordnung von 1850", einer Revision im Muster der Städteordnung von 1831, die wiederum eine "reaktionäre" Revision der Städteordnung von 1808 war, obwohl diese die Städte, wie Heffter selbst weiß, durch das Institut der Ortspolizei nie aus der bürokratischen Abhängigkeit entlassen hatte. Der Gedanke, daß den Schöpfern der älteren Städteordnung hierbei eine "nicht bewußt gewordene Gefahr,,2o unterlaufen war, hält der Entstehungsgeschichte der kommunalen Verwaltungsreform nicht stand. Wenn aber eine weitgehende Kontinuität des kommunalen Verfassungsrechts gegeben war, dann lag es näher, die als notwendig erachteten Abänderungen des bestehenden Rechts an die Beibehaltung der bereits in einem Großteil der Städte eingeführten Gemeindeordnung zu knüpfen, als durch die Wiedereinführung der älteren Städteordnungen neue Irritationen herbeizuführen. Fast einstimmig folgte die Kommission dieser Sichtweise. Sie lehnte aber die Form einer Novellierung der Gemeindeordnung ab. Da man den Hauptgedanken des Gesetzes, einer einheitlichen Gesetzgebung für Stadt und Land, aufgegeben hatte, empfahl sich eine Neuredaktion des Gesetzes. Eine Anregung, die sich die Regierung sehr schnell zu eigen machte. Am Ende der Kommissionsberatung konnte demzufolge der Kammer ein Vorschlag zur östlichen Städteordnung überreicht werden. 21 In der Frage des Gemeindewahlrechts folgte man dem Vorschlag der Regierung, dem Hausbesitz und Gewerbebetrieb eine politische Position zurückzugeben, die seiner Bedeutung für das städtische Leben entsprach. Die wegen ihres allzu geringen Besitzes real nicht selbständigen Bürger wollte man dagegen von der Teilhabe ausschließen, indem gegen eine zu große Beweglichkeit der städtischen Bevölkerung die "nötige Grenze" gezogen wurde. 22 Der höhere Zensus und die Bedingung des dreijährigen Wohnsitzes wurden daher angenommen. Einen über den Regierungsentwurf hinausgehenden zusätzlichen Zensus für den Hausbesitz in Form einer Klassensteuer von drei Reichstalern, mit dem der Ausschluß unselbständiger Schichten in den kleinen und mittleren klassensteuerpflichtigen Städten gesichert werden sollte, nahm die Kommission indessen nur mit einer Stimme Mehrheit an?3 Heffter, Selbstverwaltung, S. 96, 213 f. u. 331. KomBer für die Gemeinde-Ordnung, 16. Februar 1852. SDSEK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 3, Nr. 101, S. 4. Unter Zustimmung der Regierungsvertreter hatte die Kommission eine Ausdehnung der Städteordnung auf die Provinz Westfalen empfohlen. A. a. 0., S. 5. 22 A. a. 0., S. 8. 20

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

Längere Erörterungen gab es im Hinblick auf das kommunale Satzungsrecht. Es wurde überlegt, ob den Städten nicht eine größere Ausdehnung des jus statuendi zu gewähren sei und zwar insoweit, als diesen unter gewissen Modifikationen das Recht eingeräumt wurde, auch solche Bedingungen in ihre Statuten aufzunehmen, die inhaltliche Änderungen des Kommunalrechts einschlossen. Entsprechende Anträge scheiterten jedoch an der anerkannten Schwierigkeit, definitive Grenzen des Satzungsrechts festzulegen, bei denen die Einheit der allgemeinen Gesetzgebung gewahrt blieb. Die neuerlichen Regelungen zum "wichtigsten Paragraphen der StädteOrdnung", wie Veit die Wahlrechtsbestimmungen einschätzte, blieben in der Ersten Kammer nicht ohne Widerspruch. Am entschiedensten wandte man sich gegen die Bedingung des dreijährigen Wohnsitzes. Der Berliner Abgeordnete monierte, daß das Problem der fluktuierenden Bevölkerung nicht mit dem Wahlrecht in Zusammenhang gebracht werden konnte. Alle Versuche der Städte, betonte Veit, Abänderungen der gesetzlichen Bestimmungen zur Freizügigkeit durchzusetzen, welche allein die Gemeinden vor der "Gefahr der Überflutung" schützen konnten, waren zudem stets von der Staatsregierung abgelehnt worden. 24 Der ehemalige Generalsteuerdirektor Kühne, der nach den Landtagswahlen als Mitglied der linken Fraktion einen Berliner Wahlkreis vertreten sollte, fragte, ob daraus, daß ein Bürger von Berlin nach Charlottenburg zog, dort ein Wohnhaus akquirierte, sich selbständig ernährte und ein bestehendes Gewerbe betrieb, eine gewisse Verdächtigkeit oder Anrüchigkeit gegen ihn entsprang? Wo das Wahlrecht schon an die Selbständigkeit, einen Steuerzensus und den Besitz geknüpft war und wo ferner durch die Schichtung nach den drei Steuerklassen der Anteil der Geringbesteuerten am Wahlrecht noch weiter beschränkt wurde, bestand, so Kühne, nicht die Notwendigkeit eines Remediums gegen die sogenannte fluktuierende Bevölkerung. 25 Auch von konservativer Seite wurden Bedenken gegen die dreijährige Frist erhoben. Nicht zu Unrecht sah man darin etwas "Beengendes". Eine zweischneidige Bestimmung, mit der man die Nachteile, die auf der einen Seite verhütet werden sollten, auf der anderen Seite möglicherweise hervorrief?6 Die Regierung blieb in der Begründung dieser Regelung farblos. Minister von Westphalen wie Kommissar von Klützow erinnerten an den Zusammenhang mit der bestehenden Gesetzgebung über Niederlassung und Armenpflege, die für Ansprüche auf Armenpflege einen dreijährigen Gemeindeaufenthalt voraussetzte. 27 Die Orts angehörigkeit wurde aber, wie der A.a.O., S. 9 f. Rede Veit. PEK, 25. Februar 1852. StBEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 1, S. 463 f. 25 Rede Kühne. PEK, 25. Februar 1852. A. a. 0., S. 465. 26 Rede von Witzleben. PEK, 25. Februar 1852. A.a.O., S. 469. 23

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1. Dreiklassensystem oder gleiches Wahlrecht mit Steuerzensus

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Naumburger Appellationsgerichtspräsident Kisker entgegnete, durch einen einjährigen Aufenthalt definitiv festgestellt, weil die Armenpflegevorschriften nur innerhalb dieser Frist die Rückverweisung eines Bedürftigen an die frühere Wohngemeinde zuließen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatte die Gemeindeordnung von 1850 den einjährigen Wohnsitz zur Bedingung des Gemeindewahlrechts gemacht. 28 Die Möglichkeit der Kommunalbehörden, von der Bedingung des dreijährigen Aufenthalts zu dispensieren, hielt man in Großstädte wie Berlin für völlig unpraktikabel, da bei den umfangreichen Wanderungsbewegungen ein erheblicher Verwaltungsaufwand betrieben werden müßte. Unter diesen Einwänden fiel die projektierte Wohnsitzregelung der Regierung in der Kommissionsberatung, die Kammer beschloß indessen mit 81:57 Stimmen bei der dreijährigen Klausel zu bleiben?9 Veit hatte während der Beratung beklagt, daß es die Regierung versäumt hatte, Ermittlungen über die Wahlrechts beschränkungen anzustellen. Er nahm an, daß das Wahlrecht der Gemeindeordnung gegenüber dem Regierungsentwurf eine ausgedehntere Wahlberechtigung gewährte. Von konservativer Seite hatte sich der Staatssekretär von Manteuffel die Mühe gemacht, für die Städte Naumburg, Merseburg und Wittenberg Zahlen zu ermitteln. Seine Annahme, daß die Gemeindeordnung von 1850 die Zahl der Wahlberechtigten gegenüber der Revidierten Städteordnung von 1831 um 60 Prozent herabgedrückt hätte, die neuen Regelungen in Anlehnung an den Regierungsentwurf diese aber wieder um 80 Prozent erhöhen würde, 30 war wesentlich zu hoch gegriffen. In der Tendenz stimmte die Annahme jedoch, wie sich nach Einführung der Städteordnung von 1853 bestätigen sollte. Für die Konservativen war es ein Widerspruch, Besitz und Gewerbe zu fördern, gleichzeitig aber die Hausbesitzer mit einem Zensus zu belegen. Das "wesentlichste Korrektiv" gegen die Gefahren der Bürgerrechtsvorschriften der alten Städteordnung lag in der Dreiklasseneinteilung der Wahlberechtigten, bemerkte der Magdeburger Oberpräsident von Witzleben. Indem den Hausbesitzern als solchen das Wahlrecht zugesprochen wurde, war die Teilnahme derjenigen Bürger an diesem Recht gesichert, deren Besitzverhältnisse von vornherein erwarten ließen, daß sie ein dauerndes Interesse an den Gemeindeangelegenheiten besaßen. Diese Zielsetzung sollte nach 27 Reden von Westphalen, von Klützow. PEK, 25. u. 26. Februar 1852. A.a.O., S. 466 u. 470. Gemeint war vor allem der § 1, Ziff. 3 des Gesetzes über die Verpflichtung zur Armenpflege vom 31. Dezember 1842. GS 1843, S. 8. 28 Rede Kisker. PEK, 26. Februar 1852. StBEK. 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 1, S. 467. Kisker bezog sich auf den § 5 des Gesetzes über die Aufnahme neuanziehender Personen vom 31. Dezember 1842. GS 1843, S. 6. 29 StBEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 1, S. 474. 30 Rede von Witzleben. PEK, 26. Februar 1852. A.a.O., S. 469.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

konservativer Ansicht grundsätzlich nicht relativiert werden. Ergaben sich im Einzelfall Hinweise auf einen verarmten Hausbesitz, besaß jede betroffene Gemeinde die Möglichkeit, durch statutarische Anordnung notwendige Korrekturen vorzunehmen?! Die Regierung hatte daraufhin durch ihren Kommissar erklären lassen, daß sie nicht dem Kommissionsvorschlag folgen und von einem Steuerzensus für den Hausbesitz absehen würde. Die Kammer folgte ihr mit großer Mehrheit. 32 Zur Bedingung des stehenden Gewerbes mit ein oder zwei Gehilfen, je nachdem, ob es sich um eine Stadt unter oder über 10000 Einwohner handelte, glaubte von Witzle ben Mißverständnisse aus dem Wege räumen zu können, indem er am Beispiel des äußerst wohlhabenden Berliner Uhrmachers Tiede zeigte, daß es nicht darum ging, achtbare Gewerbetreibende, selbst wenn sie ohne Gehilfen arbeiteten, vom Wahlrecht auszuschließen. Der Zensus von vier Reichstalern sollte nicht den selbständigen Handwerksmeister treffen, das galt nach Witz lebens Auffassung ebenso für Künstler, Gelehrte, Beamte und Rentiers. Auf die von Veit erwähnten Betriebsaufseher und Werkmeister ging Witzleben nicht ein. Wohl aber auf jene Schichten, die das eigentliche Ziel der Wahlrechtsbeschränkung waren: "das Proletariat des Kapitals und der Intelligenz, weil wir gerade in dieser Art des Proletariats das schlimmste Proletariat erkennen",33 räsonierte der Oberpräsident, der den dritten Merseburger Wahlkreis vertrat. Deutlicher konnte der Nachhall der Revolutionszeit nicht formuliert werden. Der konservative Bürokrat ließ vor den Augen der Kammermehrheit nochmals das Bild des akademisch gebildeten radikalen Demokraten entstehen, der im Demokratischen Klub Berlins eine meinungs bildende Führungsposition eingenommen und nicht unwesentlichen Einfluß auf die Politisierung der Gesellen und Arbeiter genommen hatte. 34 Diese jüngere Generation von Intellektuellen war auf Grund ihrer lebensgeschichtlichen Stellung noch nicht in die privilegierte Gesellschaft des etablierten Bildungsbürgertums aufgenommen worden. Soweit ihnen der gesellschaftliche Aufstieg verwehrt wurde, hatten sich einzelne Mitglieder dieser Schicht "wegen einer gewissen Gemeinsamkeit des Schicksals", wie der Zeitgenosse Gneist beobachtete,35 politisch den arbeitenden Klassen angenähert. Die Kammermehrheit folgte materiell dem Regierungsentwurf. Sie hatte alle Bedenken zerstreuen können, daß eine Beschränkung des Gemeindewahlrechts in die "politischen" Rechte eingriff. Zwar machte die Verfassungsurkunde die Wahlberechtigung von der "Befähigung zu den Gemeindewahlen,,36 abhän31 32 33 34 35

A. a. 0., S. 468. A. a. 0., S. 474. Rede von Witzleben. PEK, 26. Februar 1852. A. a. 0., S. 468. Vgl. Hachtmann, Berlin 1848, S. 276 f. Gneist, Berliner Zustände, S. 92.

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gig, die Übergangsbestimmungen3 ? garantierten jedoch, daß bis zum Erlaß eines vorgesehenen Wahlgesetzes 38 die Wahlordnung vom 30. Mai 184939 für die Wahlen zur Zweiten Kammer in Kraft blieb. Solange demnach kein neues Wahlgesetz erlassen wurde, konnten aktuelle Beschlüsse keinen Einfluß auf das Wahlrecht zum Abgeordnetenhaus ausüben. Der städtische Liberalismus hatte eine bittere Niederlage erlitten, wozu seine widersprüchliche Haltung nicht wenig beitrug. Resignierend stellte Moritz Veit fest, daß die von ihm favorisierte ältere Städteordnung, die vierzig Jahre lang zur positiven Entwicklung der Gemeinden beigetragen hatte, wegen der fehlenden Aussicht auf Erfolg nicht einem Antrag auf Fortbestand zu Grunde gelegt worden war. 40 Da konnte es wenig helfen, daß ein anderer hauptstädtischer Abgeordneter, der zur Rechten gehörende Kaufmann Wilhelm Ferdinand Schauß,41 die politische Wirkung der älteren Städteordnung hervorhob, der es allein zu danken war, daß die Berliner Kommunalbehörden viel größere Autorität gegenüber "den Aufständen" hatten entwickeln können als die Regierung. "Hätten die Kommunal-Behörden", betonte Schauß, "den Schutz damals Seitens der Regierung gefunden, den sie erwartet haben, der zu meinem Bedauern ihnen aber nicht geleistet worden ist, so würde die Städteordnung womöglich von einem noch größeren Einfluß gewesen sein und ihr heute gewiß kein Vorwurf gemacht werden können".42 Solche Äußerungen waren sich des Beifalls der Linken sicher, von der Regierung wurden sie mit den "Erfahrungen im großen und ganzen" schnell abgetan. Die Zweite Kammer trat, nachdem die Kommissionsverhandlungen nur geringe Abänderungsvorschläge, zum Teil rein redaktioneller Natur, brachten, am 12. Mai in die Beratung des Regierungsentwurfs ein und mußte diese nach nur vier Sitzungen beenden, da die Sitzungsperiode geschlossen wurde. Die hier interessierenden Wahlrechtsregelungen waren allerdings noch erörtert worden. Eine erste Konfrontation mit der Regierung brachte das dreijährige Wohnsitzgebot. Die Bedenken wegen der fluktuierenden Bevölkerung, der mangelnden Qualifikation der Kommunalverwaltungen, der Art. 70, Tit. 5, PrVerfUrk, 1850. GS 1850, S. 27. Art. 115, Tit. 9, PrVerfUrk, 1850. Aa.O., S. 35. 38 Art. 72, Tit. 5, PrVerfUrk, 1850. Aa.O., S. 28. 39 Verordnung über die Ausführung der Wahl zur Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849. GS 1849, S. 205-211. Im Anhang der Verordnung befindet sich das Verzeichnis der in den einzelnen Regierungsbezirken zu wählenden Abgeordneten, danach wählte Berlin 9, der Regierungsbezirk Potsdam 18 Abgeordnete. 40 Rede Veit. PEK, 25. Februar 1852. StBEK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 1, S.464. 41 Zu SchauB vgl. Kaelble, Unternehmer, S. 217 u. 229 f. 42 Rede SchauB. PEK, 26. Februar 1852. Aa.O., S. 471. 36

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

Beachtung städtischer Eigentümlichkeiten und der Beeinträchtigung des Staatswohls fegten die städtischen Vertreter vom Tisch. Der Breslauer Justizrat Heinrich Gräff wies auf die letzten Kommunalwahlen hin, nach denen sich konservative Mehrheiten, insbesondere auch in der Landeshauptstadt, durchgesetzt hatten. Gerade im Falle der preußischen Metropole mußte nach Gräff hervorgehoben werden, daß sich unter den gegen die Gemeindeordnung eingegangenen Petitionen nur eine der Stadt Berlin befand, welche sich nicht auf das Gemeindewahlrecht, sondern nur auf das Besteuerungsrecht für Einkommen aus auswärtigen Grundstücken bezog. Die Steuerverluste der Metropole durch den Immobilien- und Grunderwerb in Vororten wie Charlottenburg waren vermutlich ein viel drängenderes Problem als Fragen der politischen Partizipation. Der als langjähriger Stadtverordneter in Breslau mit den großstädtischen Kommunalproblemen vertraute Justizrat folgerte aus der Berliner Reaktion: "Wenn sich hierauf alle Wünsche der Hauptstadt bei einer die wesentlichste Abänderung der Gemeinde-Ordnung betreffenden Vorlage beziehen, so muß der Gemeinderath auf solche Weise zusammengesetzt sein, daß das Wahlgesetz, aus dem er hervorgegangen ist, keine Besorgnis für das Staatswohl erwecken kann".43 Das im Berliner Bürgertum und insbesondere in der kommunalen Exekutive noch vorhandene korporative Bewußtsein der vorkonstitutionellen Zeit brachte der Berliner Abgeordnete Friedrich Ludwig Keller zum Ausdruck, der den siebten Potsdamer Wahlkreis (Angermünde, Ober- und Niederbarnim) vertrat. Er forderte nicht nur ein Bürgerrecht wiederherzustellen, wie es die Städteordnung von 1808 etabliert hatte, sondern dieses noch zu stärken, indem man das persönliche Recht in ein erbliches verwandelte. Für den Berliner Rechtsprofessor und ehemaligen Chef des eidgenössischen Justizstabes 44 war es eben "ein französich-revolutionärer Gedanke", den Bürgerverband an den bloßen Wohnsitz zu knüpfen. Das Ergebnis konnte nur jene "leere Bürokratie von Gemeinwesen" sein, wie sie durch die Gemeindeordnung von 1850 geschaffen worden war. Dem mußte als "Lebensbedingung eines frischen und erfreulichen Gemeindelebens" der enge persönliche Verband der "natürlichen und dauerhaften Mitglieder der Stadtgemeinde" entgegengesetzt werden. "Überall", meinte Keller zu erkennen, "wo immer deutsche Städteverbände ungehindert von äußeren, theilweise politischen Verhältnissen sich naturgemäß ausbilden konnten, ist das erbliche Bürgerrecht hergebracht. Ich habe die feste Überzeugung, daß es zu den größten Fehlern gehört, in welche die Richtung des Jahres 1848 verfiel, daß man die städtischen Bürgerrechte, anstatt sie zu befestigen, abschaffte, und ich erkenne in dem Vorschlag, den die Kommission und die 43 Rede Gräff. PZK, 14. Mai 1852. StBZK, 2. LP, 2. Sess. 1851152, Bd. 2, S. 1445. 44 Zu Keller vom Steinbock vgl. Haunfelder, Biographisches Handbuch, S. 142.

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Regierung in dem vorliegenden Artikel heute bringen, eine zwar dankenswerth anzunehmende und im höheren Maße vielleicht noch nicht durchzusetzende, aber doch nur höchst unvollkommene Abhülfe gegen die aus jener Abschaffung entstandenen Nachtheile".45 Dieser radikale Korporativismus stellte sicherlich eine Außenseiterposition dar, war aber nur der Rand eines Denkens, das bis in die Partei der Liberalen hinein der am Bürgerrecht orientierten Gemeindeidee verpflichtet war. Der kommunale Korporativismus kam, wenn auch in gemäßigter Form, in einem späteren Antrag des Berliner Oberbürgermeisters Krausnick zum Ausdruck, mit dem er die Berechtigung zur Teilnahme an den Kommunalwahlen und den übrigen Geschäften der Stadtgemeinde durch eine vom Magistrat zu verfertigende und "in geeigneter feierlicher Weise" auszuhändigende Urkunde, dem sogenannten Bürgerbrief, bestätigen lassen wollte. 46 Die Erste Kammer trat dieser Forderung Krausnicks bei, während sie von der Zweiten Kammer nicht direkt verworfen, sondern dem Satzungsrecht der Stadtgemeinden zugewiesen wurde. 47 Krausnick hatte in der Kommission der Ersten Kammer an die im Bürgerstande geschichtlich hergebrachten Formen erinnert und verdeutlicht, daß der Eintritt in das Gemeindewahlrecht sowie die Teilnahme an den städtischen Angelegenheiten sich als ein im bürgerlichen Leben des Einzelnen hervortretender Akt darstellte, dessen Bedeutung und Wichtigkeit "nicht ernst genug vorgeführt werden" konnte und daher "die formale obrigkeitliche Anerkennung des Bürgerrechts" in sich einschloß. 48 An ein erbliches Bürger- bzw. Wahlrecht war indessen selbst in einer Zeit verstärkter politischer Ausgrenzung und realpolitischer Reaktion49 nicht zu denken. Es gelang den konservativen Städtevertretern nur, die privilegierte Stellung des grund- und hausbesitzenden Bürgertums in den Städten dadurch zu untermauern, daß den "Bürgersöhnen" im Falle der Vererbung eines Hauses die Besitzzeit des Erblassers bei der Berechnung der Wohnsitzdauer zugute kommen sollte. 5o Rede Keller. PZK, 14. Mai 1852. A.a.O., S. 1447. Antrag Krausnick, 15. Februar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 3, Nr. 127. 47 V gl. Krausnick, Zweiter KomBer für die Berathung des Entwurfs einer StädteOrdnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, 23. April 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 5, Nr. 342, S. 6. Vgl. auch die Zusammenstellung der abweichenden Beschlüsse der Ersten und Zweiten Kammer zu dem Entwurf einer Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie. A. a. 0., Nr. 343 (Anlage zu Nr. 343), S. 8 f. 48 V gl. Krausnick, KomBer zur Berathung des Entwurfs einer Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, 17. Januar 1853. A.a.O., Bd. 2, Nr. 62, S. 15. Der Regierungsentwurf enthielt keine solche Bestimmung. Vgl. § 5, Entwurf einer Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, 29. November 1852. A.a.O., Bd. 1, Nr. 15, S. 5 f. 49 Langewiesche, Liberalismus, S. 65 f. 45

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42 Grzywatz

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

Das politische Ziel der Staatsregierung war auf eine Beruhigung des öffentlichen Lebens in den Kommunen ausgerichtet. Durch eine Förderung der konservativen Gemeindeschichten, die im örtlich gebundenen Besitz und Gewerbebetrieb zu suchen waren, sollte das Ziel erreicht werden. Die Konzentration der politischen Gemeinderechte im produzierenden und besitzenden Bürgertum beruhte auf einer Ausgrenzungsstrategie, die sich auch gegen Teile des tradierten Stadtbürgertums richten konnte. Damit zielte man insbesondere auf die Handwerker ab, da sie sich, wie Regierungskommissar von Klützow hervorhob, in neuerer Zeit nicht immer als politisch zuverlässig gezeigt hätten. 51 Die Ausgrenzung beinhaltete in positiver Wendung eine Privilegierung, die durch die Wahlrechtsbedingungen mehrfache, sozial differenzierte Sicherungen enthielt und die bereits beträchtliche Zahl der Lohnabhängigen als "amorphe" Masse, als fluktuierendes Etwas an den Rand der politischen Gemeinde schob. Nur wenige Abgeordnete rückten die zwangsläufige Folge einer sozialen Desintegration ins Zentrum der Diskussion. Wenn sie es taten, wie der Potsdamer Altliberale Friedrich von Fock,52 dann richteten sich die kritischen Hinweise auf die Gefahrdung der Homogenität bürgerlicher Rechte und die Möglichkeit einer allgemeinen Unzufriedenheit in den Städten, die durch die Vorenthaltung politischer Rechte ausgelöst werden konnte. Der Gedanke, politische Stabilität auf eine demokratisierende Integration und nicht auf die durch eingeschränkte politische wie soziale Zielsetzungen bestimmte kommunale Politisierung zu gründen, war aber auch diesen Kritikern fremd. Das Konzept der Regierung, Städte und Bürgertum in den monarchisch-konstitutionellen Staat einzubinden, ging jedoch auf - ungeachtet gelegentlicher Auseinandersetzungen um das Bestätigungsrecht und die Staatsaufsicht, die im übrigen nur immanente, keineswegs strukturelle politische Konflikte zeitigten. Das lag einerseits an der Geschlossenheit des Ausgrenzungskonzepts, andererseits an der - zumindest vorläufig - mangelnden Organisation des politischen Willens der unteren Schichten auf kommunaler Ebene. Darüber hinaus erwies sich die Fähigkeit des Bürgertums, ihre Gemeindeprivilegien auch gegen die auf die eigene Schicht zurückwirkenden Absurditäten des Klassenwahlrechts zu verteidigen, als nicht zu unterschätzender Stabilisierungsfaktor. Die innere machtpolitische Polarisierung ließ sich selbst noch in einer Zeit durchsetzen, als die Urbanisie50 Vgl. § 5, Abs. 4, StOEntw, 1852. A.a.O., S. 6. Zu den eifrigsten Verfechtem des Anrechnungsverfahrens der in Erbfolge tretenden Bürgersöhne oder, in negativer Bestimmung, der Verkürzung der dreijährigen Wohnsitzbedingung gehörte während der Plenumsberatung der Zweiten Kammer der Lippstädter Bürgenneister earl Friedrich Schultz (Wahlkreis Amsberg 4, Hamm, Soest, Lippstadt), der dem Zentrum nahestand. Vgl. StBZK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 2, S. 1445 u. 1448 f. 51 Rede von Klützow. PZK, 14. Mai 1852. A.a.O., S. 1448. 52 Rede von Fock. PZK, 14. Mai 1852. A. a. 0., S. 1443.

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rung komplexe Bevölkerungsagglomerate geschaffen hatte, die in sich durch Differenzierungs- und Segregationsprozesse keine geschlossene Sozialstruktur mehr aufwiesen. Kehren wir zur Wahlrechtsdebatte zurück. Der dreijährige Wohnsitz war als Bedingung nicht zu halten, weil er auch unmittelbar das städtische Bürgertum traf. Die Parallele zum Armenrecht, darauf wies der liberale, 1849 aus dem Brandenburger Oberpräsidentenamt ausgeschiedene von Patow hin,53 beruhte auf falschen Voraussetzungen, da die Dreijahresfrist nur für diejenigen Personen Bedeutung hatte, die keinen Wohnsitz erwarben, demnach zur Schicht der "Nichtseßhaften" gehörten. Die Zweite Kammer wandelte die dreijährige Wohnsitzklausel mit einer deutlichen Stimmenmehrheit von 155:114 Stimmen wieder in eine einjährige um. 54 Unter den befürwortenden Stimmen waren auch Vertreter der größeren Städte zu finden. Von den direkten Vertretern Berliner Wahlkreise hatten der zur rechten Fraktion zählende Geheime Oberfinanzrat und Stadtälteste Julius Theodor Gamet (Berlin 3), der langjähriges Mitglied der Berliner Armenverwaltung gewesen war und dem hauptstädtischen Magistrat zwischen 1838 und 1848 als unbesoldeter Stadtrat angehört hatte, sowie die beiden Militärs, der dem Zentrum zuzurechnende Oberst Moritz Karl von Prittwitz und Gaffron (Berlin 3) und der auf der Rechten angesiedelte Generalleutnant von Reyher (Berlin 1), für die Dreijahresfrist gestimmt, ebenso der fraktionslose Abgeordnete des den Berliner Vorort Charlottenburg einschließenden fünften Potsdamer Wahlkreises (Teltow-Beeskow-Storkow), Staats- und Finanzminister Ludwig Karl von Bodelschwingh. Die Bedingung des Hausbesitzes versuchte von Patow, unterstützt von den Berliner Abgeordneten Friedrich Riedel und Professor Karl von Richthofen, durch die bereits in der Gemeindeordnung von 1850 für die kleineren Städte geltende Zusatzbestimmung eines Grundstückswertes von 100 Reichstaler zu ergänzen. Archivrat Friedrich Riedel machte auf die Berliner Verhältnisse aufmerksam, wo in Stadtnähe und in der Feldflur Grundstücke in großem Umfang gewerblichen Einrichtungen wie Gärtnereien, Zimmerplätzen, Mühlgrundstücken oder Bleichen gewidmet waren, ohne daß die Besitzer in allen Fällen zugleich über Hauseigentum verfügten. 55 Zudem hielt Riedel es, was heftig bestritten wurde, für eine aus den Hypothekenbüchern größerer Städte leicht nachweisbare Erfahrung, daß unter sämtlichen Grundstücken, die zum städtischen "Weichbilde" gehörten, keine so häufig ihren Besitzer wechselten als gerade die Wohnhäuser. Sie bildeten nach Riedel "das mobilste Vermögen" der Stadtbewohner und waren Gegenstand Rede von Patow. PZK, 14. Mai 1852. A. a. 0., S. 1447. A.a.O., S. 1449 f. 55 Rede Riedel (Wahlkreis Potsdam 7, Barnim, Angermünde). PZK, 15. Mai 1852. A.a.O., S. 1455. 53

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

einer ausgedehnten Spekulation, wohingegen Gewerbegrundstücke auf Dauer berechnete Anlagen und Einrichtungen erhielten. 56 Innenminister von Westphalen, der durch die Aufhebung der Dreijahresklausel bereits die gesamte politische Konzeption der Staatsregierung gefährdet sah, drohte bei Annahme des Patowschen Amendements die Zustimmung der Regierung zu versagen, da er in diesem Fall den Zugang zum Bürgerrecht nicht unwesentlich erweitert sah. 57 Der Berliner Justizrat Johann Geppert, ein Mitglied der rechten Fraktion, versuchte zu vermitteln, indem er auf die spezielle Wahlrechtsqualifikation des stehenden Gewerbes im Regierungsentwurf verwies. 58 Der Antrag Patows erhielt danach in der ersten Abstimmung eine knappe Mehrheit von zwei Stimmen. Erst bei der umgehend geforderten namentlichen Abstimmung unterlagen die Befürworter der Grundeigentumsklausel mit 132:137 Stimmen. 59 Den Höhepunkt erreichten die parlamentarischen Auseinandersetzungen mit der Diskussion über die Klassensteuerklausel bzw. die Höhe des zum Wahlrecht qualifizierenden Einkommens in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten, zu denen bekanntlich Berlin gehörte. Patow forderte als Sprecher der liberalen Opposition anstelle des geplanten Satzes von vier Reichstaler den Klassensteuersatz der Gemeindeordnung zu setzen, nämlich zwei Reichstaler, und in den mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten unter 10000 Einwohnern nur noch ein Jahreseinkommen von 150 Reichstalern, in jenen mit einer höheren Bevölkerung 200 Reichstaler als Zensus vorzuschreiben. 6o Die absolute Wirkung des Steuerzensus sah von Patow in einer außergewöhnlichen Wahlrechts beschränkung, in deren Folge nur noch etwa fünf Prozent der städtischen Bevölkerung zum Kommunalwahlrecht zugelassen waren. Diese Tendenz wurde von sämtlichen Befürwortern des Patowschen Antrages wiederholt. Riedel sah vor allem das schwächere Bürgertum der kleinen und mittleren Städte betroffen, das immerhin zwei Drittel der Bevölkerung dieser Gemeinden ausmachte. Anders lagen die Verhältnisse in Berlin. Hier verfügte mancher "Tagelöhner" über ein Jahreseinkommen von 300 Reichstalern. Wo jeder Tagelöhner innerhalb der Stadt eine Wohnungsmiete von 40 Reichstalern bezahlen mußte, so die Meinung auf der Linken, konnte eine Familie ihren Lebensunterhalt nur schwerlich mit einem unter 300 Reichstaler liegenden Jahreseinkommen bestreiten. Mithin wurde die Zielsetzung des Regierungsentwurfs, das Proletariat Berlins Aa.O., S. 1456. Rede von Westphalen. PZK, 15. Mai 1852. Ebd. Siehe auch die Rede von Bodelschwinghs, a. a. 0., S. 1457. 58 Rede Geppert. PZK, 15. Mai 1852. Aa.O., S. 1456. 59 Aa.O., S. 1457 f. 60 Aa.O., S. 1470 u. 1472. 56

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und der anderen großen Städte vom Wahlrecht auszuschließen, mit dem geplanten Zensus gar nicht erreicht. 61 Riedel wie von Patow hoben nun einhellig die desintegrierende Wirkung der Wahlrechtsbeschränkungen hervor. "So viele Bürger, wie Sie hier von rechtlicher Betheiligung ausschließen", unterstrich RiedeI, "so viele Gegner verschaffen Sie Ihrer Städteordnung, und der Kampf dieser Gegner Ihrer neuen Einrichtung wird zu sehr mit den Waffen eines gerechten Anspruches geführt werden, als daß eine Form, wie Sie sie hier verschaffen, eine Städteordnung, welche auf dem System der HöhersteIlung von Bevorzugungen und Ausschließungen beruht und wesentlich den Zweck hat, auch das Stadtregiment nur in die Hand eines aristokratischen Ausschusses zu legen - daß eine solche Form sich jenen Anfeindungen gegenüber würde lange in Kraft erhalten können".62 Von Patow kritisierte die doppelte Wirkung von Dreiklassensystem und Steuerzensus. Die politisch "eigentlich gefährliche Masse" glaubte er im Kreise derjenigen Stadtbewohner ausfindig zu machen, die unterhalb des Klassensteuersatzes von zwei Reichstalern blieben. Zu eigenständigem Handeln war diese Masse nicht fähig, dazu bedurfte es der entsprechenden Führung. Die "Anstifter der destruktiven Bewegung" kamen jedoch allemal aus den mehr wohlhabenden Schichten der Bevölkerung. Der kleine Bürger, der Handwerker, der täglich arbeiten mußte und stets etwas zu verlieren hatte, war nach von Patows Erfahrung eine konservative Natur und sollte er doch "ein gefährlicher Bestandteil der Bevölkerung" sein, war es sinnvoller, ihn in einen bestehenden Organismus hineinzuziehen, als ihn isoliert dastehen zu lassen. 63 Eine Radikalisierung des Handwerks war, das hatte die Märzrevolution gezeigt, an eine als existentiell empfundene Krise der eigenen sozialen Lage gebunden. Insofern war der von Patow wiederholte Integrationsgedanke nicht nur ein politisches, sondern auch ein soziales Problem, dessen Lösung sich die industrielle Gesellschaft langfristig nicht verschließen konnte. Der Forderung nach der "Erhaltung wohlerworbener Rechte", die in der Berliner Kommunalvertretung stets von neuem als Voraussetzung politischer Stabilität in der Gemeinde hervorgehoben worden war, trat die konservative Kritik mit dem Hinweis auf eine mangelnde argumentative Stringenz entgegen. Im Grunde genommen war ein Steuerzensus von zwei Reichstalern inkonsequent, da er immer noch eine erhebliche Wahlrechtsbeschränkung beinhaltete, nur das allgemeine Bürgerrecht konnte alle Ausgrenzungen aufheben. 64 Die positiven Wirkungen politischer Integration 61 62

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Rede Riede!. PZK, 15. Mai 1852. A. a. 0., S. 1467.

Ebd.

Rede von Patow. PZK, 15. Mai 1852. A.a.O., S. 1459. Rede von Kleist-Retzow. PZK, 15. Mai 1852. A. a. 0., S. 1461.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

teilte die konservative Kritik nicht, denn, erst einmal mit dem Wahlrecht ausgestattet, werden die besitzlosen und kleinen Existenzen nach ihrer Ansicht neue Mehrheitsverhältnisse schaffen, der sich die Städte unterwerfen mußten. "Sie legalisieren damit die Umwälzung und die Begehrlichkeit jener Klassen", richtete sich der Koblenzer Oberpräsident von Kleist-Retzow aufgeregt an die Liberalen. 65 Forderungen nach dem allgemeinen Wahlrecht standen indessen selbst auf liberaler Seite nicht zur Diskussion. Riedel erklärte, er lege größten Wert auf eine konservative Gesinnung im Bürgertum, wenngleich diese Maxime nicht weiterreichende Wahlrechts beschränkungen rechtfertigen sollte. Minister von Westphalen widersprach den wiederholten Vorwürfen einer weiteren Wahlrechtsverschärfung mit dem Hinweis auf die weitgehend allgemeine Zulassung des Hausbesitzes und Gewerbebetriebs, womit eine "bedeutende Ausdehnung" des Gemeindewahlrechts verbunden war. 66 Von Westphalen sollte damit Recht behalten, belegen konnte er seine Annahme in der Plenumsdebatte nicht. Mit der nur knappen Mehrheit von 140: 130 Stimmen wurde der Antrag für den Steuerzensus von zwei Reichstalern angenommen. 67 Mit einem Patt von 119: 119 Stimmen endete die Abstimmung über die von Patow geforderten niedrigeren Einkommensgrenzen in den mahl- und schlachtsteuerpfichtigen Städten. 68 Sie waren damit abgelehnt. Trotzdem hatte die Staatsregierung eine schwere Niederlage einstekken müssen, die Schließung der Sitzungsperiode bei der Kammern kam ihr da nicht unerwartet zu Hilfe. Auf diese Weise lag die Initiative erneut bei der Ministerialbürokratie. Sie zögerte nicht, von diesem Vorrecht Gebrauch zu machen und eine umfangreiche Neuredaktion der Kommunalgesetzgebung vorzunehmen, zwischenzeitlich aber die Einführung der Gemeindeordnung von 1850 administrativ zu sistieren. 69 Als die Kammern am 29. November erneut zusammentraten, lag ein überarbeiteter Entwurf zur Städteordnung70 vor. Die Wahlrechtsregelungen folgten dem ursprünglichen Regierungsentwurf, nur daß man im Anschluß an die Beratungsergebnisse der Zweiten Ebd. Aa.O., S. 1467. 67 Aa.O., S. 1471. 68 Aa.O., S. 1473. 69 Allerhöchster Erlaß vom 19. Juni 1852, betreffend die Sistirung der Einführung der Gemeinde-Ordnung vom 11. März 1850 und der Bildung der in der Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Ordnung vom 11. März 1850 angeordneten neuen Kreisund Provinzialvertretungen. GS 1850, S. 388. 70 Entwurf einer Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 29. November 1852. SDSEK, 3. LP, I. Sess. 1852/53, Bd. 1, Nr. 15, S. 3-25. 65 66

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Kammer auf eine Erneuerung der Dreijahresfrist verzichtet hatte und es bei der Bedingung des einjährigen Wohnsitzes beließ. 71 Die Erste Kammer zögerte einen Augenblick, die Beratung der neuen Gesetzentwürfe aufzunehmen, da die Gemeindeverfassung einerseits bereits in der vorjährigen Sitzungsperiode behandelt worden war, andererseits die neuen Vorlagen der Staatsregierung nur wenige Abweichungen und neue Bestimmungen gegenüber der von der Ersten Kammer angenommenen Fassung enthielten. Doch es setzte sich rasch die Auffassung durch, daß zwar die Vorprüfung abzukürzen war, indem man an die früheren Beschlußnahmen anknüpfte, ansonsten die Sache, da sich inzwischen eine neue Kammer konstituiert hatte, aber so aufgefaßt werden mußte, als empfing die Kammer die Vorlagen zum ersten Mal und daher eine in alle Einzelheiten gehende Prüfung vorzunehmen war. 72 Von vornherein wurde für die einheitliche Einführung der Städteordnung in allen Städten der östlichen Provinzen plädiert. Das vom "Standpunkt der Staatsregierung" aus "bessere Gesetz" mußte allgemein zur Geltung gebracht werden, weil man sonst in den Fehler von 1831 verfiel, als man die Revidierte Städteordnung gegen das vermeintlich als zeitgemäßer erachtete ältere Kommunalrecht nicht überall einführte. Gegen eine individuelle Provinzialregelung sprach zudem der Umstand, daß eine Reihe von Städten, unter ihnen die Landeshauptstadt, bereits vor Jahren, um die Beibehaltung der Städteordnung von 1808 petitioniert hatten. In diesen Städten plädierte man folglich für ein Gemeinderecht, das die Schutzverwandten nicht selbstverständlich in die Kommunalverwaltung einbezog, während die Gemeindeangelegenheiten unter der Voraussetzung eines an sich nur geringen Wahlzensus weiterhin dem grundbesitzenden und gewerbetreibenden Bürgertum vorbehalten bleiben sollten. Darüber hinaus hielt man im Hinblick auf die innergemeindlichen Kompetenzregelungen sowie das Verhältnis der Kommunen zum Staat an den Bestimmungen des älteren Kommunalrechts und damit an einer wesentlichen Abweichung von der geplanten Neufassung des Städteordnung fest. 73 Den Begriff der Selbständigkeit hatte die Regierung in Analogie zur Gemeindeordnung von 1850 an den eigenen Hausstand und die Vollendung des 25. Lebensjahres gebunden. Die Erste Kammer griff jedoch auf die Bestimmungen der Landgemeindeordnungen zurück und legte das erforderliche Lebensalter auf 24 Jahre fest. 74 Den Klassensteuerzensus von vier 71

§ 5, Abs. I, StOEntw, 1852. A.a.O., S. 5.

n Krausnick, KomBer, StOEntw, 17. Januar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/

53, Bd. 2, Nr. 62, S. 2. 73 A.a.O., S. 4 f. Vgl. auch Hübner, Städte-Ordnung, S. 21 f. 74 Krausnick, KomBer, StOEntw, 17. Januar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1853/ 53, Bd. 2, Nr. 62, S. 13.

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7. Kap.: Partizipations defizite und Wahlrefonnversuche

Reichstalern, der einem Jahreseinkommen von mindestens 1000 Reichstaler entsprach, befürwortete die Erste gegen den Beschluß der Zweiten Kammer, da man glaubte, der Auffassung der Staatsregierung folgen zu müssen und solche kleineren Grundeigentümer und Gewerbetreibende vom Wahlrecht auszuschließen, die auf einen Nebenerwerb durch Tagelohn oder ähnliche Lohnarbeit angewiesen waren. 75 Bei der Feststellung der Einkommenssätze in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten wandte sich die Kammer jedoch gegen das im Entwurf vorgeschlagene Verfahren. In Gemeinden ohne Klassensteuererhebung sollte die Berechnung vielmehr in Analogie zur Ausführungsverordnung für die Kammerwahlen 76 auf der Grundlage der direkten Kommunalsteuern vorgenommen werden. Wenn diese Steuern ebenfalls nicht erhoben wurden, erhielt die Gemeindeverwaltung die Möglichkeit, nach den Grundsätzen der Klassensteuerveranlagung eine ungefähre Einschätzung vorzunehmen. In der Praxis bedeutete das, die Kommunaladministration konnte auf die Einschätzung für die Kammerwahl zurückgreifen. Bei der im Wahlverfahren zum Zuge kommenden Klasseneinteilung sollte in gleicher Weise verfahren werden. 77 Die Kommissionsberatung der Zweiten Kammer brachte gegenüber der Fassung des Regierungsentwurfs keine wesentlichen Veränderungen mehr. Es gab erneut Versuche, die Reduktion des Bürgerrechts auf ein reines Wahlrecht rückgängig zu machen und das Bürgertum als festen korporativen Verband zu rekonstruieren, indem das Bürgerrecht durch Einkauf oder Schenkung erworben wurde und in der Regel bis zur Aufhebung des Wohnsitzes andauerte. 78 Diese Anschauung war jedoch nicht mehr mit den Grundlagen des Kommunalrechts zu vereinbaren und wurde daher von der Kommission als "völlig inkongruent" mit dem vorliegenden Entwurf verworfen. Die von der Zweiten Kammer verabschiedeten Änderungen des Regierungsentwurfs, beispielsweise bei den Bürgerrechtsvoraussetzungen an Stelle des Begriffs "Haus" von "Wohnhaus" zu sprechen,79 oder anstatt vom Betrieb eines stehenden Gewerbes genauer erläuternd von einem "selbständig als Haupterwerbsquelle" geführten Gewerbebetrieb zu reden,80 A. a. 0., S. 14. § 11, Ausführungsverordnung, Abgeordnetenwahl, 30. Mai 1849. GS 1849, S. 206 f. 77 Krausnick, KomBer, StOEntw, 17. Januar 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/ 53, Bd. 2, Nr. 62, S. 14 f. u. 19. Vgl. auch die Gegenüberstellung der Kommissionsbeschlüsse und des Regierungsentwurfs in der Anlage zu Nr. 62. A. a. 0., S. 8 ff. 78 Hübner, Städte-Ordnung, S. 68. 79 Vgl. § 5, Abs. 2, Ziff. 4a. Zusammenstellung der abweichenden Beschlüsse der Ersten und Zweiten Kammer, 23. April 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 5, Nr. 343, S. 7. 80 § 5, Abs. 2, Ziff. 4b. Zusammenstellung der abweichenden Beschlüsse, 23. April 1853. Ebd. 75

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zeigten, daß die Kammern ihre Aufgabe nur noch in der Präzisierung und allenfalls in der Erhöhung der Durchführbarkeit derjenigen Intentionen erblickten, die von der Regierung ausgingen. 81 Den Vorschlag der Ersten Kammer, die Einkommensermittlung in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten durch den Magistrat nach den Grundsätzen der Klassensteuerveranlagung vornehmen zu lassen, wurde in den zweiten Titel des Gesetzes aufgenommen. 82 Die Regierung hatte sich also am Ende durchsetzen und ein Gemeindewahlrecht etablieren können, das die politische Partizipation aller Stadtbewohner durch den Zensus und das Dreiklassensystem in zweifacher Hinsicht einschnürte. Die institutionelle Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung wurde durch die Aufhebung des Artikels 105 der Verfassungsurkunde beseitigt, an ihre Stelle trat lediglich ein allgemeiner Gesetzesvorbehalt, mit dem die Vertretung und Verwaltung der Gemeinden, Kreise und Provinzen der näheren Bestimmung besonderer Gesetze unterlag. 83 Das Satzungsrecht der Gemeinden und insbesondere das Recht, die korporativen Körperschaften der Städte in den Gemeindevertretungen zu berücksichtigen, wurde weder von der Ersten noch der Zweiten Kammer verworfen. 84 Damit war den Kommunen eine besondere gesetzliche Ermächtigung gegeben, abweichend von den allgemeinen Wahlnormen der Städteordnung statutarische Anordnungen zu treffen. 85 Das Ziel der Staatsregierung, die konservativen Elemente der Kommunen zu stärken, sollte durch die Verbindung der Mitglieder gewerblicher Genossenschaften, wie den Innungen, kaufmännischen Verbindungen und Zünften, mit der "Organisation der städtischen Kommunalverhältnisse" gefördert werden. Diese Vorstellung konkretisierten die Ausführungsbestimmungen zur Städteordnung dadurch beispielhaft, daß bei der Einteilung der stimmfahigen Bürger und der Bildung der Wahlversammlungen Handel, Industrie und Handwerk "als die vorwiegenden städtischen Elemente" zu unterscheiden und in Hauptabteilungen nebeneinander zu stellen waren. Innerhalb dieser Abteilungen konnten dann Kaufleute und Handwerker auf der Grundlage der korporativen Verbindungen wählen, etwa dergestalt, daß die Mitglieder einer oder mehrerer verwandter Innungen zusammentraten. Die übrigen stimmfahigen Bürger Kratzer, Entstehung, S. 56. Vgl. Zusammenstellung der abweichenden Beschlüsse, 23. April 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 5, Nr. 343, S. 10 f. 83 Gesetz vom 24. Mai 1853, betreffend die Aufhebung des Artikel 105 der Verfassungs-Urkunde vom 31. Januar 1850. GS 1853, S. 228. Vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 127 f. 84 Vgl. Zusammenstellung der abweichenden Beschlüsse, 23. April 1853. SDSEK, 3. LP, 1. Sess. 1852/53, Bd. 5, Nr. 343, S. 8 f. 8S Vgl. Art. 7, MinInstr, 20. Juni 1853 zur Ausführung der Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853. MBliV, 14. Jg. (1853), S. 139 f. 8\

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

waren infolge dieses Verfahrens nach ihren Berufsverhältnissen entweder den Kaufmannschaften und Gewerken zuzuordnen oder sie mußten, entsprechend den Regelungen des allgemeinen Klassenwahlverfahrens, gesondert in den drei Steuerabteilungen wählen. Ohne das Hausbesitzerprivileg der Städteordnung zu tangieren, galt es, den Korporationen "eine angemessene Berücksichtigung" in der Gemeindevertretung in der Art zu sichern, daß "eine gewisse Anzahl Stellen" in der Stadtverordneten-Versammlung durch die Vorsteher oder einzelne Mitglieder der kaufmännischen oder handwerklichen Verbindungen nach ihrer besonderen Bedeutung zu besetzen waren. 86 In Berlin machte man von der durch statutarische Anordnung festzusetzenden Berücksichtigung der Korporationen keinen Gebrauch. Ein Beschluß des Magistrats vom 6. September 1853 nahm ausdrücklich davon Abstand, die Korporationen bei der Einteilung der wahlberechtigten Bürger sowie der Bildung der Wahlversammlungen und der städtischen Vertretung zu berücksichtigen, weil, wie man in offensichtlich taktischer Absicht verlauten ließ, "vorerst abgewartet werden sollte, in welcher Weise sich der Geist in den Innungen entwickeln werde".87 Und dabei blieb es. Als der nachmalige Königsberger Oberbürgermeister Richard Robert Rive in seinen Memoiren auf die Amtszeit als Breslauer Stadtrat zurückblickte, die kurz vor der Wende des 19. Jahrhunderts begann, sah er die dortige Kommunalrepräsentation "auf der Höhe ihrer Aufgabe", ohne daß ihre oligarchische Struktur in irgendeiner Form kritisch resümiert wurde. Daß dieses ungerechte Wahlsystem sich trotz aller Anfechtungen über Jahrzehnte behauptet hatte, schien geradezu für seine Stabilität zu sprechen. Die rechtliche Deklassierung der politischen Teilhabechancen der mehrheitlich sozial schwächeren Bevölkerungsschichten sah Rive durchaus, kritisierte jedoch gleichzeitig die Vernachlässigung ihrer politischen Pflichten, da dieser Teil der Stadtbevölkerung durch Wahlenthaltung von seinem, wenn auch verkürzten, Wahlrecht keinen Gebrauch machte. Nichtwählen bedeutete für den langjährigen preußischen Kommunalbürokraten auch Preisgabe der politischen Verantwortlichkeit. 88 Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß in Rives Erinnerung anscheinend die politische Ungleichheit, die Ausgrenzungsfunktion des Klassenwahlrechts also, Bedingung der auf "Verantwortungspflicht" und ehrenamtlichen Engagement beruhenden Kompetenz der Kommunaladministration und ihrer praktischen Erfolge war. Wenn Rive Steins Idee von den sich selbst verwaltenden Städten erst in den industrialiA.a.O., S. 140. Bruch, Gemeindewahlen, S. 30. 88 Richard Robert Rive, Lebenserinnerungen eines deutschen Oberbürgermeisters (= Schriftenreihe des Vereins zur Pflege kommunalwissenschaftlicher Aufgaben e. V. Berlin, Bd. 5), Stuttgart 1960, S. 28 ff. 86 87

1. Dreiklassensystem oder gleiches Wahlrecht mit Steuerzensus

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sierten Kommunen des späten 19. Jahrhunderts vollendet sah, dann mochte das hinsichtlich der Begrenzung örtlich-politischer Einflußnahme und der Dominanz von Gewerbe und Grundeigentum noch stimmen, aber die Professionalisierung und Bürokratisierung der Stadtverwaltungen hätte der Reformbeamte Stein ebenso abgelehnt wie er ein Verständnis von lokaler Administration mißbilligt hätte, das mehr dem örtlichen Selbst als der staatlichen Integration verpflichtet war. Das Beispiel Rives zeigt einmal mehr sowohl die bürgerlich-ideologische Verklärung der ersten preußischen Kommunalrechtsreform als auch die vor verschiedenen zeitlichen Hintergründen betriebene politisch-ideologische Instrumentalisierung einer ihrer konkreten Historizität entkleideten Epoche. Gegen Ende des Jahrhunderts diente die Rezeption der Reformzeit der Rechtfertigung einer städtischen Leistungsverwaltung, die sich im Schatten einer rigorosen politischen Ungleichheit entfaltet hatte und deren Erfolge sicherlich nicht allein dem bei Rive idealisierten Bild sachbezogener Kommunaltätigkeit verpflichtet war. In der Reaktionsperiode der fünfziger Jahre wurde die Städteordnung des bürokratisch-absolutistischen Staates als Quelle bürgerlicher Gleichheit in der Gemeinde beschworen, obwohl dieses Recht von der Vorstellung einer korporativen Bürgergemeinde ausging. Wahlrechtlich gesehen, unterschied sich die Situation Ende der neunziger und zu Beginn der fünfziger Jahre erheblich voneinander. Rives Urteil stützte sich auf ein Wahlrecht, das inzwischen fast die Hälfte der erwachsenen männlichen Bevölkerung der Städte ausübte, die nachmärzliche Kritik am Dreiklassenwahlrecht ging von einer Reichweite der Stimmberechtigung aus, die sich auf weniger als ein Fünftel erstreckte. 89 Dieser Wandel der politischen Teilhabe in der Gemeinde hatte zwar keinen strukturellen Charakter, stellte in seinen quantitativen Auswirkungen aber einen erheblichen Einschnitt in den seit Jahrzehnten bestehenden wichtigsten Bestandteil der politischen Mitwirkungsrechte dar. Die Entwicklung hielten Stadtbürgertum und Kommunalkörperschaften nicht nur auf Grund des Eingriffs in wohlerworbene Rechte, sondern auch auf Grund seiner nicht einsehbaren politischen Notwendigkeit für inakzeptabel. Man befürchtete den Verlust politischer Stabilität in den Gemeinden. Archivrat Riedel warf dem Innenminister offen vor, den Kammern ein reaktionäres Gesetz vorgelegt zu haben, und unterstrich seine Kritik noch mit dem Hinweis, daß zwischen Reaktion und Revolution "die allernächste Verwandtschaft" bestand. 9o Die angestrebten konservativen Wahlversammlungen, so das libe89 Zahlen nach den Tab. 2 u. 8 im Stat. Anhang. Der Anteil der unmündigen männlichen Bevölkerung wurde überschlagsmäßig mit einem Viertel angenommen. Vg!. dazu weiter unten Abschnitt 4 des Kapitels. 90 Rede Riede!. PZK, 15. Mai 1852. StBZK, 2. LP, 2. Sess. 1851/52, Bd. 2, S. 1466 f.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

rale Urteil, ließen sich nicht durch eine politisch unmotivierte Ausgrenzung erreichen. In Berlin sollten die Stadtverordneten schon bald feststellen,91 daß die Mißstimmung gegen das Wahlsystem der neuen Städteordnung weit verbreitet war und sich insbesondere in einer Teilnahmslosigkeit gegenüber den Kommunalwahlen dokumentierte. Die Ministerialbürokratie dürfte den bürgerlichen Protest mit Interesse wahrgenommen haben, ohne diese Äußerungen, da sie eine "innere" Angelegenheit der politisch privilegierten Schichten in der Gemeinde waren, als kommunalen Destabilisierungsfaktor einzustufen. Alle Hoffnung der Städte richtete sich in dieser Situation auf die Liberalen, und den von Forckenbeck92 getragenen Abänderungsentwurf zur Städteordnung.

2. Die kommunale Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens in der "liberalen Ära" Die desintegrierende Wirkung des Dreiklassenwahlrechts war bei den Kommunalwahlen in den fünfziger Jahren nicht zu übersehen. Da die Gemeindevertreter direkt von den Mitgliedern der Steuerklassen gewählt wurden, erschienen sie als unmittelbare Repräsentanten dieser Klassen. Durch die soziale Begrenzung des Wahlkörpers nahm das Gemeindewahlrecht den Charakter eines betont ständischen Wahlrechts an, das soziale Gruppen zu politischen machte und damit soziale Interessen in den politischen Bereich hineintrug. 93 Schon zu Beginn des Jahres 1859 beklagten einzelne Städte den politischen Rückschritt der Städteordnung von 1853 insofern, als sie mit dem Dreiklassenwahlrecht hinter die Städteordnung von 1808 zurückfiel und den bereits überwundenen Gegensatz zwischen Groß- und Kleinbürger erneut belebt hatte. Eine Petition Elbinger Stadtverordneter forderte die Rückkehr zum Wahl system der Städteordnung von 1808, ohne daß der bereits mit der Gemeindeordnung 1850 aufgehobene Unterschied zwischen Bürgern und Schutzverwandten wiederhergestellt wurde. Die Mehrheit der Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses erkannte unumwunden an, daß sich das Dreiklassensystem für die Wahlen zu den StadtverordnetenVersammlungen nicht bewährte. Vor allem in den größeren Städten wurden "in ganz mechanischer Weise" Wahlkörper gebildet, deren Glieder in "gar keiner Gemeinschaft des Lebens" zueinander standen. Die Folge war, wie nur zu häufig beobachtet werden konnte, eine Gleichgültigkeit gegenüber 91 Vgl. den Petitionsentwurf der Kommunalvertretung vom 16. Februar 1861. LAB, StA Rep. 00-02/ I, Nr. 1362. 92 Unzulänglich die parteiische Darstellung bei Martin Philippson, Max von Forckenbeck (= Männer der Zeit. Lebensbilder hervorragender Persönlichkeiten der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit, Bd. 6), Dresden 1898, S. 58. 93 Vgl. Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 23.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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dem gesamten Wahlverfahren, die nicht nur den Gemeinsinn behinderte, sondern auch die Möglichkeit von Manipulationen erleichterte. 94 Die Mehrheit der Gemeindekommission schloß sich der Elbinger Petition an und empfahl die Beseitigung des Dreiklassensystems sowie die Rückkehr zum Gemeindewahlrecht der Städteordnung von 1808 mit der Maßgabe, daß die Unterscheidung zwischen Bürgern und Schutzverwandten aufgehoben blieb. 95 Ebenso stimmte die Mehrheit unter Vorsitz des Prenzlauer Bürgermeisters Grabow der Wiedereinführung der geheimen, jedoch schriftlichen Wahl zu. 96 Die Beschlüsse zur Reform des kommunalen Wahlrechts waren Bestandteil eines umfangreicheren Anliegens der Städte, die Selbstverwaltung gegenüber dem Staat zu stärken. Das Abgeordnetenhaus stellte sich hinter diese Forderungen und überwies die Petitionen dem Staatsministerium. In der nächsten Sitzungsperiode legten die Elbinger und Danziger Abgeordneten, die allesamt der Vincke-Fraktion angehörten, unter Führung des späteren Berliner Oberbürgermeisters Max von Forckenbeck dem Landtag einen Gesetzentwurf vor, der für den Geltungsbereich der Städteordnung von 1853 ein neues Kommunalwahlrecht vorsah. Von den Berliner Abgeordneten unterstützten Stadtrat und Syndikus Hermann Duncker sowie Moritz Veit den Gesetzentwurf. 97 Forckenbeck wollte den zum Erwerb des Bürgerrechts erforderlichen Jahresbetrag der Klassensteuer auf drei Reichstaler bzw. das Jahreseinkommen in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten, soweit die Bevölkerungsziffer unter 10000 lag, auf 150 Reichstaler, in Gemeinden mit einer höheren Einwohnerzahl auf 200 Reichstaler herabsetzen. Die Eigenschaft der Selbständigkeit sollte nicht mehr an die Bedingung eines eigenen Hausstandes gebunden sein, sondern schon dann vorliegen, wenn das Verfügungsrecht über das eigene Vermögen vollständig erhalten war. 98 94 Vgl. die Erörterung der Petition der im Auftrag der Elbinger Kommunalrepräsentanten handelnden Abgeordneten des Wahlkreises Elbing-Marienburg-Stargard durch die Kommission für das Gemeindewesen des Abgeordnetenhauses. Bericht, 18. März 1859. StBPAH, 5. LP, 1. Sess. 1859, Bd. 4, Anlagen T. 2, S. 554. 95 Beschluß, PAH, 11. Mai 1859. StBPAH, 5. LP, 1. Sess. 1859, Bd. 2, S. 1079 f. Vgl. auch den BerGemKom, 16. Mai 1860. StBPAH, 5. LP, 2. Sess. 1860, Bd. 5, Anlagen T. 3, AS Nr. 179, S. 1300 f. 96 BerGemKom, 18. März 1859. StBPAH, 5. LP, 1. Sess. 1859, Bd. 4, Anlagen T. 2, S. 555. 97 Gesetzentwurf, betreffend einige Abänderungen der Städte-Ordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853, und die Aufhebung des Gesetzes vom 25. Februar 1856. Antrag von Forckenbeck, Houselle, Lietz, Schenkel, Aßmann, Behrend, von Below und Genossen. StBPAH, 5. LP, 2. Sess. 1860, Bd. 5, AS Nr. 178, S. 1294-1300. 98 Art. 1, GesEntwFor, 1860. A.a.O., S. 1294.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

Die Wiederherstellung des Bürgerrechts für in Konkurs geratene Bürger machte der Gesetzentwurf nur noch von der Gläubigerbefriedigung abhängig, während die Städteordnung in solchen Fällen den Stadtbehörden ein weitgehendes Verleihungsrecht eingeräumt hatte. 99 Die in den §§ 13 bis 15 enthaltenen rechtlichen Bestimmungen der Städteordnung wurden aufgehoben. An Stelle des Dreiklassenwahlrechts sollte ein allgemeines Zensuswahlrecht nach Wahlbezirken treten, das keine Abstufungen kannte und auf den eingangs erwähnten reduzierten Steuers ätzen beruhte. Bereits für Städte mit mehr als 800 Einwohnern war die Bildung von Wahlbezirken vorgesehen, in Städten mit über 10000 Einwohnern sollten auf die Wahlbezirke zwischen 1000 und 5000 Personen entfallen. Bei der Festlegung der Anzahl und Grenzen der Wahlbezirke mußte das Verhältnis der Summe der stimmfähigen Bürger zur Zahl der in den einzelnen Bezirken wohnenden Bürger berücksichtigt werden. Die Wahlbezirkseinteilung bedurfte im Gegensatz zur Städteordnung eines gemeinsamen Beschlusses der städtischen Körperschaften. Bei Stadtgemeinden, die aus mehreren Ortschaften bestanden, sollte nicht mehr die Regierung, sondern Magistrat und Gemeindevertretung selbständig die Anzahl der von jeder Ortschaft zu wählenden Stadtverordneten bestimmen. lOo Die Wahlperiode der Gemeindevertreter verkürzte der Forckenbecksche Entwurf auf drei Jahre, während die Mandatsdauer des regelmäßig zu ergänzenden Drittels der Stadtverordneten auf ein Jahr reduziert wurde. 101 Gegenüber der Städteordnung von 1853 führte der Gesetzentwurf erneut die geheime Wahl ein, schließlich erhöhte er die Zahl der zu wählenden Gemeindevertreter. 102 In den Motiven des Forckenbeckschen Entwurfs wird ausgeführt, daß die Öffentlichkeit der Stimmabgabe und die Beschränkung des Wahlrechts durch das Dreiklassensystem den Zielsetzungen einer Städteverfassung widersprach, welche durch Partizipation Gemeinsinn zu entwickeln beanspruchte. Das Dreiklassenwahlrecht wirkte sich nachteiliger als ein bedeutend erhöhter Zensus aus, indem es die politische Dominanz in den städtischen Vertretungen lediglich zu einem Ausfluß der Wohlhabenheit machte. Das gutsituierte Bürgertum durfte "weder wirklichen Gemeinsinn bethätigen, um sich Einfluß in der Gemeindeverwaltung zu schaffen", wurde in den Motiven bemerkt, "noch nach wirklich gemeinnützigen Grundsätzen 99 Art. 2, GesEntwFor, 1860. Ebd. Vgl. auch § 7, Abs. 4, Tit. 1, StO 1853. GS 1853, S. 266. Bei dieser Bestimmung stützte sich der Forckenbecksche Entwurf auf die Konkursordnung vom 8. Mai 1855, die das Akkordverfahren einführte. Danach wurden Gemeinschuldner, die ihre Gläubiger im Wege der Übereinkunft befriedigten, fast vollständig in allen ihren geschäftlichen Beziehungen rehabilitiert. 100 Art. 5 bis 8, GesEntwFor, 1860. StBPAH, 5. LP, 2. Sess. 1860, Bd. 5, AS Nr. 178, S. 1294. 101 Art. 10, GesEntwFor, 1860. A. a. 0., S. 1294 f. 102 Art. 4 u. 16, Abs. 1, GesEntwFor, 1860. Ebd.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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das Gemeindewesen verwalten, um sich diesen Einfluß zu erhalten". Die Folge des Dreiklassensystems war, wie gerade in den Gemeinden mit Bitterkeit empfunden wurde, ein "nur durch die Interessen des der Zahl nach geringeren wohlhabenden Theils der Gemeinde gestütztes und diesen Interessen einseitig huldigendes Stadtregiment" .103 Wenn auch der Geldwert sich innerhalb der letzten fünfzig Jahre erheblich gemindert hatte, die Wiederherstellung des Zensus der Städteordnung von 1808 war nach liberaler Meinung schon deshalb notwendig, weil der Partizipationswille immer weitere Teile der städtischen Bevölkerung erfaßt hatte. Mit der Herabsetzung des Zensus verband die Forckenbeck-Gruppe die Absicht, den politischen Einfluß des mittelständischen Handwerks insgesamt in den Gemeinden zu erhalten. In den Vorstädten vieler Provinzialstädte existierten häufig kleine und zum Teil noch verschuldete Grundstücke, deren Eigentümer Tagelöhner und Arbeitsleute waren. Diesen Eigentümern gab die Städteordnung von 1853, obwohl ihr geringer Bildungsstand nur ein geringes Interesse für die Gemeindeangelegenheiten aufkommen ließ, durch die Hausbesitzklausel teilweise ein neues Bürgerrecht, während sie dasselbe der Masse der kleinen Handwerker mit einem jährlichen Einkommen unter 200 Reichstaler entzog. Die zu Umecht vom Gemeindeleben ausgeschlossenen Handwerker bildeten ein Gegengewicht zur Masse der Arbeitsleute und Tagelöhner, daher mußte ihnen nach Ansicht Forckenbecks das Bürgerrecht ebenso zurückgegeben werden wie den Selbständigen ohne eigenen Hausstand. Daß die Städteordnung von 1853 "ein vollständiges Rüstzeug zur Vernichtung auch des besten Gemeindewesens" enthielt,I04 das sich nach Auffassung des Entwurfs bereits in den Wahlenthaltungen der zurückliegenden Jahre offenbart hatte und keineswegs durch die Ausweitung des allgemeinen politischen Lebens oder die erhöhte Tätigkeit der politischen Parteien ausgeglichen wurde, zeigte sich besonders in der Öffentlichkeit des Wahlverfahrens. Der wählende Bürger war gezwungen, standen seine Überzeugungen zum Gemeindewohl den Zielsetzungen des Magistrats oder der Nachbarschaft und Kundschaft entgegen, entweder diesen Einflüssen mit Gefahr oder doch wenigstens Nachteilen für seine bürgerliche Stellung zu widerstehen oder zu heucheln. Die durch die öffentliche Form erreichte verschärfte Kontrolle der Stimmabgabe konnte nicht im Interesse einer forcierten Entwicklung des Gemeinsinns liegen. Andere Bestimmungen des revidierten Städterechts, wie die Möglichkeit statutarischer Anordnungen zur Berücksichtigung gewerblicher Genossenschaften bei der Einteilung der stimmfähigen Bürger sowie bei der Bildung der Wahlversammlungen und 103 104

A.a.O., S. 1299. A.a.O., S. 1297.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

der städtischen Vertretungen 105, widersprachen sowohl der bestehenden Gewerbeverfassung als auch dem im älteren Kommunalrecht ausgesprochenen Verbot korporativer Wahlverfahren. 106 Der Gesetzgeber war mit dieser Bestimmung wohl "lediglich einer romantischen Vorliebe für Zustände einer längst und unwiederbringlich vergangenen Zeit,,107 gefolgt. So sehr in dieser Auffassung eine antikorporative Haltung zum Ausdruck kam, ging der Forckenbecksche Entwurf in seiner grundsätzlichen Stellung zum kommunalen Wahlverfahren unterdessen von einem genossenschaftlichen, auf Konsensbildung beruhenden Gemeindeverständnis aus. Der "Objektivierung" des Wahlverfahrens, die das Kommunalrecht, wenngleich nicht ohne politische Absicht, durch seine Reglements zum Wahlmodus, insbesondere durch das Beratungsverbot während des Wahlaktes erzwang, stellten Forckenbeck und seine Mitstreiter die Notwendigkeit gegenüber, "auf freie und zwanglose Art eine Verständigung über Gemeinde-Interessen,,108 herbeizuführen. Der Wahlerfolg durfte nach ihrer Auffassung nicht von einer dem Wahlakt selbst fremden Agitation einzelner oder verschiedener Parteien abhängig gemacht werden, der weniger gemeinnützige als persönliche und Klasseninteressen zu Grunde lagen. Er mußte vielmehr in einer gemeinsam erhaltenden und fördernden Weise, welche die Beratung während der Wahlversammlung ausdrücklich einschloß, herbeigeführt werden. Nur allzu deutlich wurde mit diesen Vorstellungen das liberale Bild eines unpolitischen Gemeindelebens heraufbeschworen, das Agitation als etwas künstliches abqualifizierte, da sie interessenorientiert war. Die Städteordnung von 1853 entsprach in dieser Hinsicht mit ihren Verfahrensregelungen eher den Gegebenheiten einer sich differenzierenden städtischen Gesellschaft, wenn auch die Öffentlichkeit der Wahl und das ungleiche Wahlrecht die Partizipationsmöglichkeiten überhaupt einengten. Bevormundungen des Staates bei der Bildung der Gemeindevertretung lehnte der Gesetzentwurf Forckenbecks grundsätzlich ab. Das betraf in erster Linie die Feststellung der Anzahl der Mandate, die zwar nach dem neueren Kommunalrecht statutarischen Anordnungen der Gemeindekörperschaften überlassen blieb, aber durch den Genehmigungsvorbehalt der Regierung das "freie Gemeindeleben" weiter beschränkte, das an sich schon durch die generelle Festlegung der Zahl der Gemeindevertreter in der Städteordnung von 1853 gefährdet war. Der Forckenbecksche Entwurf griff deshalb auf die Regelungen des älteren Kommunalrechts zurück, nach denen nur die niedrigste und höchste Zahl der Mandate für die verschiedenen 105 106 107 108

§ 11, Ziff. 2, Tit. 1, StO 1853. GS 1853, S. 267. § 73, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 333.

StBPAH, 5. LP, 2. Sess. 1860, Bd. 5, Anlagen T. 3, AS Nr. 178, S. 1298. A.a.O., S. 1299.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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Gemeindegrößenklassen vorgeschrieben waren. Innerhalb dieser Grenzen wollte es der Entwurf jedoch den städtischen Behörden überlassen, die konkrete Zahl der Mandate zu bestimmen. Auf diese Weise beabsichtigte man, einerseits die Selbständigkeit der Gemeinden bei der Bildung des "wichtigsten städtischen Organs" zu bewahren, andererseits der zu großen Teilnahmslosigkeit in den Kommunen vorzubeugen. 109 Wie weit die differierenden Auffassungen über das Bürgerrecht und den Bürgerbegriff in den Städten durch politische Interessen überlagert waren, hatte sich in Berlin nach der Kommunalwahl von 1857 gezeigt. Die Stadtverordneten waren im Spätherbst in einen wochenlangen Streit über die Wahl des Stadtverordnetenvorstehers verwickelt, der sich im wesentlichen um die Frage drehte, welche Repräsentationsfunktionen sich mit diesem Amt verbanden. Unbestritten war, daß dieses Ehrenamt die Fähigkeit zum Präsidieren, Sachkenntnis, Unparteilichkeit und auf Grund der außerordentlichen zeitlichen Belastung auch gewisse materielle Voraussetzungen erforderte. Doch wen repräsentierte der Vorsteher eigentlich? Unter den Stadtverordneten betrachtete die sogenannte Bürgerschaftsfraktion das Amt als "nächste und unmittelbare Vertretung der Bürgerschaft", folglich konnte auch nur ein "Bürger" in das Amt des Stadtverordnetenvorstehers gewählt werden. Die Fraktion wehrte sich daher gegen die ins Gespräch gebrachte Wahl eines "Beamten", durch den sie insbesondere die Unabhängigkeit des Amtes bedroht sah. Gegen diese unzweifelhaft politisch motivierte Auffassung wandte sich vor allem die Kommunalbürokratie. Zurecht betonte der Magistrat, daß der spezifische Begriff des Bürgertums durch die neuere Kommunalgesetzgebung abgeschafft war. Eine wie auch immer geartete Wiederherstellung alter Grenzlinien zwischen einzelnen Teilen des Stadtbürgertums stellte demnach sowohl einen Verstoß gegen bestehendes Recht als auch einen Eingriff in die Rechte der gesetzgebenden Gewalt dar. Das Kommunalrecht kannte keine soziale Differenzierung der Wahlberechtigten - schon gar nicht eine solche zwischen Bürgern und Beamten -, so daß für die Wahl zum Stadtverordnetenvorsteher weder die soziale noch sonstige gesellschaftliche Stellung, sondern allein die Qualifikation der Kandidaten den Ausschlag gab. 1 10 In der Öffentlichkeit wurden als Kandidaten die Liberalen Reimer, Schäffer und earl Ludwig Krebs, die allesamt den gewerblichen Mittelstand repräsentierten, sowie mit dem Geheimen Oberregierungsrat Esse ein den Konservativen nahestehender amtierender Staatsbeamter und mit Ludwig Emil Mathis 111 ein führender Liberalkonservativer genannt, der ebenfalls aus dem höheren Staatsdienst kam. Als profilierter Vertreter der Wochen109

110

Vgl. a.a.O., S. 1298. Vossische Zeitung, Ausgabe vom 6. Januar 1858.

43 Grzywatz

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

blatt-Partei, der zudem erstmalig ein Stadtverordnetenmandat ausübte, konnte Mathis nicht mit einer hinreichenden Unterstützung von sämtlichen Fraktionen rechnen. Der parteilich ungebundene Esse, der als Verwaltungsdirektor der Charite zwar eine staatliche, aber doch eng mit der Landeshauptstadt verbundene Anstalt leitete, hatte dagegen größere Aussicht gewählt zu werden. Esse erhielt, obwohl in der hauptstädtischen Presse auf die Unvereinbarkeit zwischen dem zivilen Charakter des Bürgeramts und dem in militärischem Geist erzogenen Beamtenturn hingewiesen wurde,112 im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Als Stellvertreter setzte sich nach mehreren Wahlgängen mit Handwerksmeister Krebs ein Kompromißkandidat durch, der als langgedienter Kommunalvertreter den maßgebenden Fraktionen der Kommunalvertretung annehmbar erschien. l13 Die Wahl des Stadtverordnetenvorstehers kündigte Anfang Januar 1858 eine erneute Politisierung der Gemeinderepräsentation und der kommunalen Öffentlichkeit an. Sie setzte sich bei der Gemeindewahl im November dieses Jahres mit einer politischen Initiative des Kommunalliberalismus fort, in deren Folge sich in der Stadtverordneten-Versammlung parteipolitische Fraktionen konstituierten. Zukünftig sollte das Verhalten durch den Fraktionszwang bestimmt werden. 114 Die Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses entschloß sich im Frühjahr 1860, den Forckenbeckschen Entwurf nur einer materiellen Erörterung zu unterziehen und von seiner formellen Beratung als einzubringendes Gesetz abzusehen, da "die Initiative bei umfassenderen organischen Gesetzen zweckmäßigerweise nur von der Regierung ausgehen konnte".1l5 Den Anträgen zur Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts und Wiedereinführung 111 Mathis war 1848 in der Position eines Ministerialdirektors im Innenministerium aus dem Staatsdienst ausgeschieden. 1852 erwarb er ein Abgeordnetenmandat im 4. Berliner Wahlkreis, anschließend vertrat er den siebten Potsdamer Wahlkreis (Nieder- und Oberbamim, Angermünde). In den Jahren 1859 bis 1861 gehörte er dem Abgeordnetenhaus als zweiter Vizepräsident an. Mathis war Mitbegründer des in der Ministerialbürokratie und Diplomatie einflußreichen Preußischen Wochenblattes. Bei der Berliner Kommunalwahl von 1857 gewann er ein Stadtverordnetenmandat, das er vor der Ersatzwahl des Jahres 1860 freiwillig niederlegte. Vgl. das Stadtverordnetenverzeichnis von 1857, LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 5; zur Wahl von 1860 CBlBln, 1. Jg. (1860), S. 186. 112 Vossische Zeitung, Ausgabe vom 7. Januar 1858. 113 Sitzungsprotokoll der Kommunalvertretung vom 7. Januar 1858. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 5. 114 Vgl. die Rede des ehemaligen unbesoldeten Stadtrats August Theodor Woeninger vor der Versammlung der vereinigten konservativen Partei am 3. November 1864. Die aus Anlaß der bevorstehenden Kommunalwahlen gehaltene Rede wurden zunächst von der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung abgedruckt und anschließend in der Vossischen Zeitung, Nr. 274, Ausgabe vom 18. November 1864, 2. Beilage, S. 1-6, erneut veröffentlicht.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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der geheimen Wahl folgte die Gemeindekommission entsprechend ihren vorjährigen Beschlüssen. Eine Rückkehr zum niedrigeren Zensus des früheren Städterechts schloß die Kommission aus. Vor dem Hintergrund der großstädtischen Verhältnisse hielt man es nicht für gerechtfertigt, das Gemeindewahlrecht auf solche Personen auszudehnen, die auf Grund eines so geringen Einkommens, wie es der Zensus von 1808 nach dem aktuellen Geldwert darstellte, aller Selbständigkeit entbehrten und durch ihre Lage "den bestimmenden Einflüssen Anderer" ausgesetzt waren. "Wolle man soweit gehen", führte die Gemeindekommission in ihrem Bericht aus, "als nach dem heutigen Geldwerthe der Census des Jahres 1808 das Wahlrecht ausdehnen würde, dann sei in der That nicht abzusehen, weshalb man nicht Allen das Wahlrecht ertheile, welche nicht öffentliche Armenunterstützung erhielten" . Von einem Mitglied der Gemeindekommission wurden die konkreten Bedingungen des Wahlrechts sowohl nach der geltenden wie der älteren Städteordnung verworfen. Es konnte nicht darauf ankommen, so die Minoritätsansicht, den Wahlmodus der Städteordnung von 1808 in seinen äußerlichen Bestimmungen, wohl aber in seinem prinzipiellen Sinn wiederherzustellen. Das Anrecht auf Mitgliedschaft in der Bürgerschaft konnte nur dort beginnen, "wo die Befähigung zur thätigen Mitwirkung in der Sorge für die städtischen Interessen sich im allgemeinen voraussetzen" ließ. 116 Dieser Gedanke verlangte in den größeren Städten, das hieß in jenen über 50000 Einwohner, einen höheren Zensus als 300 Reichstaler. ll7 Die untere Grenze mußte mindestens bei 500 Reichstaler liegen, da bei einem geringeren Einkommen die Unabhängigkeit von der Sorge für das eigene Bedürfnis nur ausnahmsweise vorhanden war. Den vom Bürgerrecht ausgeschlossenen Stadtbewohnem sollte jedoch nicht gänzlich die Möglichkeit der Partizipation genommen werden, vielmehr war ihnen durch gewählte Repräsentanten eine Vertretung bei den städtischen Wahlen zu geben. "Eine solche Anordnung sei beides", so die Minderheitsposition, "konservativer und liberaler als die jetzige Verfassung, jenes, weil sie die unmittelbare Betheiligung an den städtischen Geschäften auf diejenigen beschränke, welche durch ihre Verhältnisse an die städtischen Interessen gebunden seien, dieses, weil sie eine, freilich nur mittelbare Betheiligung bei den Wahlen nach unten weit ausdehne und nicht durch einen willkürlichen Census abschneide". 118 115 BerGemKom, 16. Mai 1860. Referent ist der liberalkonservative Abgeordnete Mathis. StBPAH, 5. LP, 2. Sess. 1860, Bd. 5, Anlagen T. 3, AS Nr. 179, S. 1301. 116 StBPAH, 5. LP, 2. Sess. 1860, Bd. 5, Anlagen T. 3, AS Nr. 179, S. 1302. 117 Vgl. § 5, Ziff. 4d, Tit. 1, StO 1853. GS 1853, S. 265. 118 BerGemKom, 16. Mai 1860. StBPAH, 5. LP, 2. Sess. 1860, Bd. 5, Anlagen T. 3, AS Nr. 197, S. 1302.

43*

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Die Mehrheit der Gemeindekommission hatte gegen diesen Vorschlag erhebliche Bedenken, da auf diese Weise die Verfassung der großen Städte von jener der übrigen Kommunen geschieden und, was noch entscheidender war, die bereits überwundene Trennung von Bürgern und Schutzverwandten, wenn auch in modifizierter Weise, wieder eingeführt wurde. Mithin würde die vorgeschlagene Regelung eine Spaltung der Bürgerschaft nach sich ziehen, die um so bedenklicher war, als man verschiedensten Bürgern einmal eingeräumte Rechte wieder entziehen mußte, was nur "in der unausweichlichsten Not" Berechtigung haben konnte. Mit der gleichen Argumentation hätte man allerdings auch auf eine Wiederherstellung der wahlrechtlichen Regelungen des älteren Kommunalrechts dringen können. Soweit Forckenbeck die Grenzen für die Zahl der Stadtverordneten im Sinne der Städteordnung von 1808 neu festlegen lassen wollte, erhob die Gemeindekommission Widerspruch. Sie sah keinen Anlaß zu einer solchen Änderung, da die Zahl der Stadtverordnetenmandate in der überwiegenden Zahl der Städte eine höhere war als in der Städteordnung von 1853 vorgesehen. Nach Empfehlung der Gemeindekommission wurde der Forckenbecksche Entwurf und weitere Petitionen zur Revision der Städteordnung, die vor allem aus den Kleinstädten der östlichen Provinzen kamen, der Staatsregierung als Material überwiesen. Die Staatsregierung hatte das Bedürfnis nach einer Überarbeitung der Städteordnung von 1853 anerkannt und zunächst im Herrenhaus einen Gesetzentwurf zur "Abänderung und Ergänzung der Städteordnung" vorgelegt. 119 Die Erste Kammer beriet den Gesetzentwurf in der zweiten Februarhälfte 1861 120 und nahm einige, nicht unwesentliche Änderungen vor. Anschließend wurde die Regierungsvorlage der Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses zur Vorberatung überwiesen. Zahlreiche Petitionen waren der Zweiten Kammer übersandt worden. Die kommunalen Eingaben begrüßten geschlossen das Bemühen der Regierung, die Selbstverwaltung zu stärken. Ihre Enttäuschung über einen nur zaghaften staatlichen Reformversuch konnten die Städte jedoch nicht verbergen. Die Berliner Stadtverordneten beklagten die völlige Vernachlässigung der Wahlrechtsfrage als wesentlichen Mangel. In gleicher Weise forderte eine große Anzahl von Gemeindevertretungen die Aufhebung des Dreiklassensystems und die Einführung der geheimen Wahl. I2I Die Staatsregierung hatte 119 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abänderung und Ergänzung der StädteOrdnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853. StBPHH, Sess. 1861, Bd. 2, Anlagen Nr. 4, S. 19-21. 120 StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 1, S. 261. 121 BerGemKom, 22. April 1861, Referent Hennann Duncker. AIPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, AS Nr. 137, S. 984. Insgesamt zog die Gemeindekommission von den eingegangenen Petitionen 43 in Erwägung - 36 aus Städten der östlichen

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in den Motiven des Gesetzentwurfs verdeutlicht, daß aus "prinzipiellen Gründen" am öffentlichen Wahlverfahren festzuhalten war. Ohne nähere Begründung wurde dieser Wahlmodus als ein "wichtiges Moment" auf dem Gebiete des Gemeindelebens bezeichnet. Mängel des Dreiklassensystems gab die Staatsregierung zu, allein, da einerseits ein Wechsel des Wahlsystems "große Unzuträglichkeiten" befürchten ließ, andererseits ein zwingendes Bedürfnis zum Wechseln nicht vorlag und nachteilige Folgen bei der Anwendung des Dreiklassensystems kaum erkennbar waren, mußte von dieser Abänderung abgesehen werden. Für den Aufschub sprach nach Ansicht der Regierung auch die Schwierigkeit, "eine Verständigung über die Grundlagen für ein anderes Wahl system unter den verschiedenen gesetzgebenden Faktoren" zu erreichen. 122 Die Abnahme der Wahlbeteiligung seit Einführung der Städteordnung von 1853 hielt man einesteils nicht für erwiesen, andernteils machte man dafür "andere Gründe" verantwortlich. Berlins Oberbürgermeister Krausnick war kein entschiedener Gegner des Dreiklassensystems. Er sah eine gewisse Berechtigung vorliegen, das auszuübende Wahlrecht von der Steuerlast abhängig zu machen. Das Auseinanderreißen der Bürgerschaft widersprach jedoch dem Interesse der Städte und allein daher mußte an eine Aufhebung des Dreiklassensystems gedacht werden. Mit Entschiedenheit sprach sich Berlins Stadtoberhaupt im Herrenhaus für eine Reform des Wahlverfahrens aus, insbesondere wollte er die gemeinschaftliche Wahl wieder eingeführt wissen, da nur auf diese Weise der Einfluß auf die Wählerschaft gewährleistet war. "Die Anwesenheit der Wohlhabenderen", so Krausnick, "der Intelligenteren, der Einflußreicheren in den Wahlversammlungen ist sehr wichtig, und gerade ihre Anwesenheit kann auf die Wahlversammlung einen so bestimmenden Einfluß ausüben, daß es wohl wünschenswerth wäre, die Wahlen nicht in abgesonderten Kreisen stattfinden zu lassen".123 Mit Krausnick sprach ein Vertreter der konservativen Kommunalbürokratie, dem es weniger um Gleichheit und Partizipation als um die Auswahl der Tüchtigsten ging. Das Gemeindewahlrecht war bei ihm keine politische, sondern eine funktionale Frage, die auf die Sicherung einer kompetenten und effizienten Gemeindeadministration gerichtet war. Der Berliner Oberbürgermeister stand in dieser Hinsicht durchaus auf der Linie des Forckenbeckschen Entwurfs, der aus ähnlichen Motiven für die Wiedereinführung des Wahlverfahrens nach der Städteordnung von 1808 eingetreten war. Wie sich zeigen sollte, gab das Bemühen, den Wahl modus in Abhängigkeit von der jederzeit zu bewahrenden Kompetenz der Gemeindevertretungen zu sehen, letztlich der Staatsregierung ArProvinzen, darunter die Eingabe der Berliner Liberalen, und sieben aus der Rheinprovinz. A. a. 0., S. 1006 f. 122 StBPHH, Sess. 1861, Bd. 2, Anlagen Nr. 4, S. 21. 123 Rede Krausnick. PHH, 20. Februar 1861. StBPHH, Sess. 1861, Bd. 1, S. 65.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

gumente an die Hand, das Wahlrecht der bestehenden Städteordnung aufrechtzuerhalten. Es blieb dem liberalen Görlitzer Bürgermeister Max Richtsteig vorbehalten, eine scharfe Kritik am Versäumnis der Staatsregierung zu üben, dem wiederholten Wunsch der Städte nach einer Revision des Gemeindewahlrechts nicht nachgekommen zu sein. Er lehnte das Dreiklassensystem materiell ab, weil der zu hohe Zensus einen großen Teil der Bürgerschaft von der Teilnahme an den öffentlichen Angelegenheiten ausschloß. Das Klassenwahlrecht spaltete die Bürgerschaft, schuf eine Schranke zwischen Gleichberechtigten und führte zum "alleinige(n) Vorwiegen der Geldaristokratie,,124 in den Städten. Die Öffentlichkeit der Wahl entsprach nicht den wirklichen Lebensumständen, die vielen Bürgern nicht den "Heroismus einer selbständigen Meinung unter dem Drucke äußerer Verhältnisse" gestattete. In seiner formellen Kritik am Wahlverfahren der Städteordnung von 1853 schloß Richtsteig unmittelbar an die Ausführungen Krausnicks an. Er vermißte die Feierlichkeit und Einheitlichkeit des vormaligen Wahlverfahrens der Städteordnung von 1808. Das Bemühen in einer gemeinsamen Wahlversammlung zu einem Resultat zu kommen, so Richtsteig, gab den Wahlberechtigten das Bewußtsein eines gemeinsamen Wirkens "für den großen Zweck der Gemeinde-Angelegenheiten". Die Klassenwahl zerstörte dieses Bewußtsein und nahm den Wahlakt selbst seine eigentliche Bedeutung. Der Berliner und der Görlitzer Oberbürgermeister blieben mit ihren Anliegen im Herrenhaus relativ isoliert. Heinrich Graf von Itzenplitz wetterte gegen die Gleichmacherei, welche die Freiheit tötete und beschwor die Notwendigkeit, den Mut zur öffentlichen Meinungsäußerung in kommunalen Angelegenheiten aufzubringen. 125 Der Magdeburger Oberbürgermeister Karl Hasselbach sprach sich ebenso als Berichterstatter der Gemeindekommission wie persönlich gegen eine Abänderung des Wahlrechts aus, da es bislang nicht gelungen war, "etwas Positiv-Besseres" vorzulegen. Das entsprach zwar nicht ganz den Gegebenheiten der parlamentarischen Verhandlungen, da mit dem Forckenbeckschen Antrag bereits ein formulierter Gesetzentwurf vorgelegen hatte, aber im Hinblick auf die Befürworter der Wahlreform im Herrenhaus traf es durchaus zu. Sowohl Krausnick als auch Richtsteig hatten sich nicht entschließen können, der Kammer ihre Reformwünsche in Form von Amendements zu überreichen. Hasselbach schränkte dann die Wahlrechtsreform auf die Frage ein, ob auf Grund des Wahlsystems der Städteordnung von 1853 weniger intelligente und patriotische Stadtverordnete gewählt worden waren als früher. Da die Oberbürgermeister diese Frage offensichtlich nicht verneinten, gaben sie praktisch zu, daß 124 125

Rede Richtsteig. PHH, 20. Februar 1861. A.a.O., S. 66. Rede Graf von Itzenplitz. PHH, 20. Februar 1861. A.a.O., S. 70.

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gar "kein dringendes Bedürfnis zur Abänderung des Wahlverfahrens" vorlag. 126 Wenn man also, wie Innenminister von Schwerin sichtlich ironisch bemerkte, die Angemessenheit der Wahl vorschriften an den Früchten erkennen wollte, die sie trugen, ließen etwa die nach der bestehenden Städteordnung gewählten Abgeordneten der Landeshauptstadt, denen es wohlweislich weder an Unabhängigkeit noch an Intelligenz fehlte, erst gar nicht den Gedanken an eine Wahlreform aufkommen. 127 In der Sache war die argumentative Parallele zum Riveschen Verständnis, Gemeindepolitik vorrangig als sachbezogene Administration zu begreifen, nicht zu übersehen. Daß die Haltung der Städte zur Wahlrechtsreform nicht einheitlich war, ja selbst in einer einzelnen Gemeinde unterschiedlich ausfallen konnte, zeigten drei aus Breslau an das Abgeordnetenhaus gerichtete Petitionen. Während der Breslauer Magistrat im Prinzip das Dreiklassensystem verwarf, trat er doch einer Petition der Stadtverordneten bei, die das bestehende Wahlrecht verteidigte. Eine weitere, mit 226 Unterschriften Breslauer Bürger versehene Eingabe, verurteilte das ungleiche Wahlrecht und beklagte ähnlich wie die Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses, daß die sozialen Unterschiede des Vermögens in die Gemeindevertretung hineingetragen und die Vermögensklassen in Abhängigkeit von dem Verhältnis zwischen der Mitgliederzahl der einzelnen Klassen und des ihnen durch das Wahlsystem eingeräumten Wahlrechts mehr oder weniger scharf voneinander abgegrenzt wurden. "Schon jetzt", erklärten die Breslauer Bürger, "hat die Abneigung und die Mißstimmung, welche in einem großen Teil unserer Bürgerschaft gegen das Dreiklassensystem unverkennbar herrscht, hierin vornehmlich seinen Grund, und es läßt sich ... unschwer voraussetzen, daß bei längerer Dauer dieses Wahl systems der Gegensatz der Klassen als sozialpolitischer Parteien immer lebendiger zu allgemeinem Bewußtsein und zur praktischen Wirkung bei den Wahlen kommen wird; eine Aussicht, die es gewiß als rathsam erscheinen läßt, beizeiten auf eine Beseitigung der in ihr für den Staat nicht weniger als für die Stadtgemeinden selbst liegenden Gefahr zu denken".128 Wie in anderen Orten fürchtete also auch die Breslauer Bürgerschaft die desintegrierende Wirkung des Vgl. Rede Hasselbach. PHH, 20. Februar 1861. A.a.O., S. 71 Vgl. Rede Graf von Schwerin. PHH, 20. Februar 1861. A.a.O., S. 70. 128 H. Duncker, BerGemKom, 22. April 1861. AIPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, S. 986. Wenn Hettling sich in seiner Studie zur politischen Bürgerlichkeit vornehmlich dem Verhältnis von Bürgertum und Politik widmet, fällt auf, wie weitgehend unberücksichtigt der Partizipationsort "Stadt" bleibt. Zwar wird die Politisierung der Kommunalwahlen für das spätere Kaiserreich bzw. ihre Einbindung in parteipolitische Friktionen erkannt, ansonsten aber das am unpolitischen Gemeinwohlideal orientierte liberale Bild kommunaler Politik reproduziert, ohne dessen Charakter als ideologisches Instrument des Liberalismus zu hinterfragen. Vgl. Hettling, Politische Bürgerlichkeit, S. 182 ff. 126 127

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wah1refonnversuche

Wahlrechts, das Auseinanderreißen der gewachsenen Bezirksgemeinschaften mit ihren gemeinsamen Interessen und persönlichen Berührungen, wie sie beispielsweise in der Organisation der Armenpflege zum Ausdruck kamen. Der Schutz des begüterten und gebildeten Bürgertums sowie der städtischen Verwaltung selbst gegen eine "ausschließliche Herrschaft der Massen" war hinreichend durch den Zensus und die Bedingungen des Hausbesitzes, der Selbständigkeit wie des eigenen Hausstandes gewährleistet. Durch diese Regelungen sahen die Breslauer Bürger nicht nur die unteren besitzlosen Klassen vom Wahlrecht ausgeschlossen, sondern auch einen erheblichen Teil der nicht zum Proletariat gehörenden Stadtbevölkerung. Ähnlich wie in der schlesischen Hauptstadt kam es auch in Berlin zu keiner Einigung zwischen den Kommunalkörperschaften. Die eingesetzte Deputation blieb gerade in der Frage des Kommunalwahlrechts zerstritten, aber auch in der Stadtverordneten-Versammlung selbst gab es eine starke Minorität mit abweichender Meinung. Die Gemeindevertretung setzte nach Abschluß der Beratungen eine Redaktionskommission ein, welche die gemeinsamen Beschlüsse und differierenden Stellungnahmen zusammenfassen sollte. Der Kommission gehörten der Stadtverordnetenvorsteher Karl von Lüttig sowie die Stadtverordneten S. Neumann, Reimer, Virchow und Zacharias an. Mit Georg Reimer und Rudolf Virchow beteiligten sich zwei profilierte Linksliberale - Reimer sollte 1861 nach knapp zehnjähriger Angehörigkeit als Mitglied der Vincke-Fraktion aus der Zweiten Kammer des Landtags ausscheiden, Virchow im nächsten Jahr ein Mandat der Fortschrittspartei im Abgeordnetenhaus übernehmen. Aber auch Zacharias und Neumann gehörten zu jenen modernisierenden Liberalen, die sich um einen dynamischen Stadtausbau und damit um eine Überwindung des kommunalpolitischen Immobilismus der Ära Krausnick bemühten. Zu diesem Zirkel fortschrittlicher Gemeindevertreter war Adalbert Delbrück gestoßen, dem eines der größten Bankhäuser Berlins gehörte und der in den folgenden Jahren den rechten Flügel der Fortschrittspartei unterstützte. 129 Aus der späteren Sicht der Konservativen begann mit den Kommunalwahlen von 1858 bis 1862 eine "Demokratisierung" der Berliner Kommunalvertretung. Die Stadtverordneten-Versammlung geriet in den Sog einer erneuten Politisierung, die die Parteienbildung auf kommunaler Ebene vorantrieb. Innerhalb der kurzen Periode von drei Gemeindewahlen entwickelte sich die Gemeinderepräsentation, wie der ehemalige Stadtrat Woeninger feststellte, zu einer Bastion des liberalen Fortschritts, deren Konsolidierung mit der Bildung einer fortschrittlichen Stadtverordnetenfraktion endete. Die 129 Vgl. A. De1brück, Lebenserinnerungen, 0.0., 0.1., S. 86. Gerd Fesser, Linksliberalismus und Arbeiterbewegung. Die Stellung der deutschen Fortschrittspartei zur Arbeiterbewegung 1861-1866, Berlin 1976, S. 193 f. Kaelb1e, Unternehmer, S. 32, 40 f. u. 63. Scarpa, Gemeinwohl, S. 185 ff.

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Kommunalvertretung wurde, so das konservative Urteil, nicht länger als unpolitisches, am "bürgerlichen Wohl" orientiertes Organ, sondern als politischer Körper betrachtet, der der staatlichen Politik kritisch kontrollierend gegenübertrat. 130 Die über die aktuellen wahltaktischen Erwägungen hinausgehende Beobachtung des Konservativen war im prinzipiellen durchaus richtig, d.h. der kommunale Alltag wurde praktisch nicht länger von der Parteipolitik ausgenommen, was nicht zuletzt auch für den Konservativismus galt. In der kommunalpolitischen Theorie hielt sich indessen das Bild vom unpolitischen Gemeindewesen, das sowohl von den Liberalen als auch den Konservativen mit scheinbar nicht versiegender Energie immer wieder beschworen wurde. Eine wirksame soziale Integrationskraft hätte der Liberalismus nur entwickeln können, wenn er sich vom Modell unpolitischer Kommunaltätigkeit verabschiedet hätte.!3! So offenbarte der Ideologiecharakter dieses Modells ein Defizit an Demokratiefähigkeit, das durch den bewußten Ausschluß der unmittelbaren Erfahrungswelt der Bevölkerung von der gesamtgesellschaftlichen Politisierung desintegrative, die Konsensfahigkeit tangierende Wirkungen erzeugen mußte. Der Berliner Petitionsentwurf befürwortete zum Leidwesen der Linksliberalen eine Verschärfung der Wahlrechtsqualifikation. Erst nach zweijährigem Wohnsitz und durch den Nachweis eines eigenständigen Hausstands sollte die Möglichkeit gegeben sein, das Wahlrecht zu erlangen. Den Zensus von 300 Reichstalern Jahreseinkommen wollte man beibehalten, er sollte jedoch auf der Grundlage der direkten Kommunalsteuern berechnet werden. Diese Änderung des Berechnungsverfahrens hielt auch die liberale Fraktion für notwendig, da die Mehrzahl der Stadtbürger durch die anfallenden hohen Staatssteuerbeträge der oberen Wählerklassen in die dritte Abteilung heruntergedrückt wurde. Dieser Schicht gebührte nach Meinung der Stadtverordnetenmajorität nicht wegen ihrer steuerlichen Leistung, sondern auf Grund ihres kommunalen Engagements "eine ganz andere Stellung" in 130 Rede Woeninger vor der Versammlung der vereinigten konservativen Partei, 3. November 1864. Vossischen Zeitung, Nr. 274, Ausgabe vom 18. November 1864, 2. Beilage, S. I f. 13l Auf die Abgeschlossenheit der bürgerlichen Eigenwelt weist eindringlich Sheehan, Liberalismus, S. 181, hin. Langewiesche sieht ebenfalls den Mangel des Liberalismus, einen gesamtgesellschaftlichen Vertretungsanspruch zu entwickeln. Da er jedoch im Liberalismus allein das Modell einer "milieuübergreifenden Volkspartei" zumindest annähernd verwirklicht wissen will, hält er an der grundsätzlichen Integrationskraft eines aufstiegsoffenen, sozialharmonischen Gesellschaftsbildes des Liberalismus fest. Vgl. Liberalismus, S. 115, 118 f. u. 138. Langewiesche folgt Seier, Liberalismus, S. 178 f, weitgehend, wenngleich er auf die sinkende Erklärungskraft der liberalen Staats- und Wahlrechtstheorie hinweist (a.a.O., S. 181) und die Erschwerung der Partizipation durch die postrevolutionäre Kommunalwahlrechtsreform hervorhebt (a. a. 0., S. 216), die den Wählerwillen durch die "Doppelwaffe" von Klassenwahlrecht und Zensusschranke kanalisiert.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

der Gemeinde. 132 Für die Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts sprach darüber hinaus die niedrige Wahlbeteiligung in der dritten Wählerklasse. In den Jahren von 1854 bis 1860 hatte sie hier nur zwischen 16,9 (1856) und 25,9 Prozent (1860) gelegen. 133 Anstelle des Klassensystems wollte die Kommission die Form des gemeinschaftlichen Wahlverfahrens auf fester Bezirksgrundlage erneuern. Nur das passive Wahlrecht sollte keiner Bindung an den Bezirk unterliegen, während die öffentliche Stimmabgabe durch ein geheimes Verfahren in Form der Ballotage ersetzt werden sollte. Die Differenzen mit dem Magistrat beschränkten sich im allgemeinen auf die Höhe des Wahlzensus und die Form der Bezirkswahl. Die kommunale Exekutive hielt erst einen Wahlzensus von 400 Reichstalern für ausreichend, d.h. die Kommunalbürokratie besann sich auf eine bereits im Vormärz entwickelte Forderung. Daneben plädierte der Magistrat für eine weitergefaßte, das passive Wahlrecht einbeziehende Form der geschlossenen Bezirkswahl. Die in der Kommunalvertretung geäußerte Ansicht, daß Wahlrecht nur denjenigen Bürgern einzuräumen, die gesetzlich zur Übernahme von Kommunalämtern verpflichtet waren, lehnte der Magistrat ausdrücklich ab. 134 Diese unter den Stadtverordneten, insbesondere den jungen Liberalen, umstrittene Formel richtete sich nicht etwa gegen jene Berufsschichten, die kommunalrechtlich von der Verpflichtung zur Übernahme von Kommunalämtern befreit waren oder eine entsprechende Genehmigung vorgesetzter Dienstbehörden benötigten, sondern sie bezog sich auf die allgemeine Vorstellung, daß ökonomische Selbständigkeit an sich zur ehrenamtlichen Tätigkeit verpflichtete. Der Maßstab für die Beurteilung wirtschaftlicher Unabhängigkeit wurde, wie gleich zu zeigen sein wird, aus der Empirie der unbesoldeten Verwaltungsarbeit in der Kommune gewonnen, damit aber letztlich wieder an einen Steuermaßstab gebunden. Während eine "achtbare Minorität" der Stadtverordneten unter der Führung Virchows für den Zensus von 300 Reichstalern als angemessenen Ausdruck ökonomischer Selbständigkeit eintrat - das entsprach einem Jahresrnietwert von 60 Reichstalern _,135 lehnte die von Gneists Ehrenamtsdoktrin beeinflußte Majorität den Einkommenszensus als "grundsätzlich unrichtig" 132 Petitionsentwurf der Redaktionskommission, 16. Februar 1861. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1362, S. 14. 133 A. a. 0., S. 12. Korrigierte Zahlen nach der Magistratsstatistik vgl. Tab. 10 im Stat. Anhang. 134 Beschlußübersicht der Redaktionskommission, 16. Februar 1861. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1362, S. 3. 135 Scarpas Ansicht, Gemeinwohl, S. 189, Virchows Plädoyer für einen Wahlzensus von 300 Reichstalern sei Ausdruck von Modernisierungs- und Demokratisierungsabsichten, kann schon auf Grund der prinzipiellen sozialen Ausgrenzungsfunktion des Zensus nicht gefolgt werden. Ein solcher Schritt wäre nur durch die Verfechtung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts vollzogen worden.

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ab. 136 Die Stellung des Bürgers zur Kommune konnte nur auf seinen Leistungen für das Gemeinwesen beruhen. Nicht aber auf der Bedeutung des Einkommens, das örtlich auf Grund differierender Steuersysteme und zeitlich in der Folge von GeldwertschwankiIngen stets verschieden war. Die Mehrheit erinnerte daran, daß der ursprüngliche Zensus der ersten Städteordnung vornehmlich die Auswahl der Grundeigentümer und selbständigen Gewerbetreibenden veranlassen sollte, deren ökonomische Lage die regelmäßige Übernahme von kommunalen Ehrenämtern erlaubte. In der Pflicht zum Ehrenamt, hieß es unverkennbar im Tenor des Gneistschen Denkens, lag die "eigentlichste Wurzel des Gemeindelebens".137 War deren Erfüllung nicht mehr garantiert, hörte die kommunale Selbstverwaltung als solche zu existieren auf. Überschritt eine Gemeindewählerschaft diese Grenze, verlor sie den Charakter einer selbstverwaltenden Bürgerschaft. Sie wurde ein "zufällig zusammengesetzter, stets wachsender Wahlkörper", der mit seiner Stetigkeit auch die Selbständigkeit verlor. Wie sollte der Kreis der Wahlberechtigten nun aber konkret festgestellt werden? Nach welchem Maßstab sollte die persönliche Pflicht zur Übernahme städtischer Ehrenämter bestimmt werden? Zu diesem Zweck griff die Kommunalvertretung auf eine Statistik der Gemeindebehörden zurück, die das Verhältnis von Einkommens- und Ehrenamtsverteilung innerhalb der Bürgerschaft untersuchte. Als kommunaler Einkommensmaßstab wurde wie bei früheren Untersuchungen der Jahresmietwert zu Grunde gelegt. J38 Im Jahre 1860 gab es in Berlin ohne die Geschworenentätigkeit 1511 Ehrenämter, die zu über vier Fünftel (83,0 %) von Einkommensgruppen ausgeübt wurden, deren Jahresmietwert über 100 Reichstaler lag. Wenn die Mieter einbezogen wurden, die zwar nur einen Wert unter 100 Reichstaler, dafür aber Hauseigentum nachweisen konnten, erhöhte sich der Anteil auf über neun Zehntel (90,9 %). Wie bei der vormärzlichen Zensusdiskussion war demnach der Mietwert von 100 Reichstalern in gewisser Weise als steuermäßiger Maßstab für den Zugang zum kommunalen Ehrenamt anzusehen. Ziehen wir das früher entwickelte dreistufige Schichtungsbild zum Vergleich heran,139 zeigt sich, daß unter Ausschluß der Geschworenen auf die unteren Einkommensschichten 9, I Prozent der Ehrenämter und auf die mittleren mit Mietwerten zwischen 100 und 200 Reichstaler 29,5 Prozent, unter Einbezug der Hauseigentümer mit 136 Gneist und Virchow lieferten sich über die Frage des Wahlzensus bzw. den Bürgerbegriff auch eine öffentliche Polemik. Vgl. CBIBln, 2. Jg. (1861), H. 10, S. 71 ff.; H. 11, S. 82 f. 137 Petition der Berliner Kommunalvertretung vom 7. März 1861. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1362, S. 6. Zu Gneists prinzipieller Auffassung des Ehrenamts siehe unter anderem die Bemerkungen in seiner Arbeit zur Kreisordnung, S. 41 f. u. 49 ff. 138 V gl. zum folgenden Tab. 11 im Stat. Anhang. 139 V gl. Tab. 4 im Stat. Anhang.

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Mietwerten unter 100 Reichstaler insgesamt 36,6 Prozent der unbesoldeten Kommunalämter entfielen. Der Hauptteil der ehrenamtlichen Tätigkeit, nämlich 53,5 Prozent, wurde hingegen von den oberen Einkommensschichten ausgeübt. Kein Stadtbürger mit einem lahresmietwert unter 100 Reichstaler war in das Amt eines unbesoldeten Stadtrats gewählt worden, nur ein einziges Stadtverordnetenmandat wurde von dieser Einkommensgruppe vertreten. Auf die mittleren Einkommensschichten entfielen 19 Mandate, d. h. nicht einmal ein Fünftel der Sitze in der Stadtverordneten-Versammlung, während die Einkommensgruppe mit einem lahresmietwert über 200 Reichstaler nicht weniger als drei Viertel der Sitze einnahm (77,5 % bzw. 79 Sitze). Im Grunde genommen stellte sich die Einkommenspyramide unter den Stadtverordneten noch steiler dar, denn die Bürgerschaftsvertreter mit lahresmietwerten über 500 Reichstaler verfügten mit 43 Mandaten knapp über zwei Fünftel (42,2 %) der Sitze in der Gemeinderepräsentation. Selbstverständlich beruhte diese Statistik auf der grundlegenden Annahme, daß Wahlverhalten und Einkommen in einem kongruenten Verhältnis standen. Das mußte in Wirklichkeit nicht so sein, entsprach aber wohl dem Selbstverständnis einer Gesellschaft, die noch stark einem sozialhierarchischen Bewußtsein verpflichtet war. Die Faktizität der Verteilung war der Stadtverordnetenmajorität jedenfalls Bestätigung genug, im lahresmietwert von 100 Reichstaler eine qualitative Schranke zu sehen, die gleichsam die Pflicht zum kommunalen Ehrenamt festlegte. Da die Feststellung einer solchen Grenze von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abhing vor der Märzrevolution hatte der vergleichbare Wert im lahre 1847 tatsächlich noch bei 80 Reichstaler gelegen 140 -, sprachen sich die Berliner Stadtverordneten gegen eine definitive Bestimmung im Kommunalgesetz aus, vielmehr sollte für jede einzelne Gemeinde anhand der Steuerkataster eine periodische Revision des Wertes "durch gesetzlich geordnete Organe" stattfinden. Ein Verfahrensvorschlag, der auf Grund seines Verwaltungsaufwands wohl kaum Aussicht hatte, Gesetzeskraft zu erlangen. Die Stadtverordnetenmajorität blieb nicht, wie man vielleicht hätte vermuten können, bei einer bloßen Registrierung der einkommensmäßigen Verteilung der städtischen Ehrenämter stehen. Die notwendige Bindung des Stadtbürgers an die örtlichen Gegebenheiten sprach zunächst prinzipiell dafür, anstelle der Grundeigentümer und Gewerbetreibenden die Wahlberechtigung auf die Hauseigentümer und Mieter zu verlagern. Da sich aus der Verpflichtung zur ehrenamtlichen Tätigkeit in der Praxis schon immer eine soziale Separation des Stadtbürgertums ergab, war der Wahlzensus schlechthin überflüssig. Die ehrenamtliche Tätigkeit der unteren Einkom140 Petition der Berliner Kommunalvertretung vom 7. März 1861. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1362, S. 7.

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mensschichten bildete eine Ausnahme, die nicht verhindert, sondern gefördert werden sollte. "Wir würden daher im Sinne der Städteordnung von 1808 und in freisinniger Erweiterung derselben", empfahl die Berliner Petition, "sämmtliche kleineren Miether im Erwerb des Bürgerrechts den gröBern vollkommen gleichstellen, sie aber von einer Verpflichtung dazu freihalten, die sie als Regel nicht tragen können". 141 So viel Vertrauen in die faktische soziale Wirkungsträchtigkeit des Ehrenamts wurde von der bürgerlichen Öffentlichkeit nicht geteilt. Die von Gneist geprägten Erwägungen waren am Ende in zu hohem Maße theoriegeleitet, als daß sie überzeugend für die Konstituierung eines politisch fürsorgerisch fundierten Kommunalwahlrechts geworben hätten. Überdies war nicht zu übersehen, daß der Berliner Vorschlag eine Tendenz zur Demokratisierung in sich barg, denn wer sagte, daß sich die Einkommensgrenze für das kommunalpolitische Engagement im weiteren Verlauf der ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung nicht nach unten verschob oder eines Tages überhaupt einkommensunabhängig wurde, da die Gesamtheit der Stadtbevölkerung von der Möglichkeit der Teilhabe an der Kommunalpolitik und der eigenen Interessenwahrnehmung Gebrauch machen wollte. Eine solche Entwicklung konnte, so die Befürchtungen, nicht ohne Rückwirkungen auf das Landtagswahlrecht und die staatspolitischen Machtverhältnisse bleiben. Die Tendenz der Stadtverordneten, zur geschlossenen Bürgergemeinde des älteren Städterechts zurückzukehren, kam auch darin zum Ausdruck, daß man den Erwerb des Bürgerbriefs obligatorisch machen und dessen Ausstellung auf Lebenszeit vornehmen wollte. Gleichzeitig sollte das Wahlrecht der juristischen Personen und der Höchstbesteuerten mit auswärtigem Wohnsitz fortfallen. Durch derart einseitig am Steueraufkommen orientierte Wahlrechtsklauseln zerstörte das Klassensystem nach Meinung der Stadtverordnetenmajorität nicht minder das "Bewußtsein der engeren Bezirksgemeinschaft,d42 und den persönlichen Zusammenhang der Bezirksbürger. Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß die Berliner Kommunalvertretung die Wiederherstellung des wahl- und bürgerrechtlichen Systems der Städteordnung von 1808 forderte, mit einer, wie die Stadtverordneten meinten, zeitgemäß notwendigen Erweiterung. Eine ausgesprochene Zurückhaltung in der Wahlrechts frage übten die Städte der Rheinprovinz. Hier war man bereit, das Dreiklassensystem zu befürworten, weil es annäherungsweise den Differenzen Rechnung trug, die sich aus der Verschiedenheit des Berufes, der äußeren Lage oder der Bildung ergaben. An eine Aufhebung des Systems war nur zu denken, wenn weiterhin erwartet werden konnte, "daß auch wirklich die absolute Stim141 142

Ebd. Petitionsentwurf der Redaktionskommission, a. a. 0., S. 13.

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men-Mehrheit nur mit solchen Namen sich verknüpfen werde, deren Träger nicht bloß den Wahlsieg einer politischen Partei dokumentieren, sondern die unter allen Umständen auch die Befähigung und den guten Willen haben, vorzugsweise das städtische Interesse im Auge zu behalten. 143 Da die Kommunalwahlen in der Rheinprovinz noch nicht unter dem Druck der Parteipolitik standen, ließ, nach verbreiteter Auffassung der rheinischen Abgeordneten, der Zeitpunkt zur Beseitigung des bestehenden Systems auf sich warten. Dieses Gefühl des "non liquet" in den Gemeindekörperschaften rheinischer Städte führte Berlins Stadtsyndikus Hermann Duncker auf die gegenüber dem Osten des Landes unterschiedliche kommunalrechtliche Entwicklung der westlichen Provinzen zurück. Hier war man durch die Land- bzw. Gemeindeordnungen aus den vierziger Jahren hinreichend mit dem System der Klasseneinteilung der Wähler vertraut,144 während den östlichen Provinzen ein solches Repräsentationssystem völlig fremd war. In Städten wie Berlin blickte man, so der Kommissionsbericht, auf eine vierzigjährige Erfahrung mit einem gleichen Stimmrecht zurück und konnte geltend machen, daß dadurch keineswegs eine "konservative Verwaltung des Gemeindevermögens,,145 verhindert wurde. Je länger die Wahlrechtsdebatte anhielt, desto geringer wurde offensichtlich die praktische Wirkung des Wahlzensus der Städteordnung von 1808 eingeschätzt. Die Majorität der Gemeindekommission schloß sich in der Wahlrechtsfrage nicht den Vorstellungen der Regierung an. Sie wiederholte ihre Forderung nach einer grundlegenden Revision des Gemeindewahlrechts, trotz der Bedenken westfälischer Vertreter gegen eine Aufhebung des Dreiklassensystems. Daher war sie auch nicht bereit, das kommunale Bedürfnis nach einer Gesamtreform des Kommunalrechts durch die Regierungsvorlage befriedigt zu sehen. Einstimmig wurde beschlossen, sich bei der Beratung nicht nur auf die vorgeschlagenen Abänderungen zu beschränken, sondern auch eine weitergehende Revision in Erwägung zu ziehen, die in einer revidierten Städteordnung für den gesamten preußischen Staat münden mußte. 146 Auf die Vorbehalte der Staatsregierung gegen eine mit administrativen Problemen belastete Gesamtreform, der nach ihrer Ansicht nicht erwiesenen nachteiligen Folgen des Dreiklassensystems und der fehlenden Verständigung über ein alternatives Wahlsystem reagierte die Gemeindekommission ablehnend. Die bestehende Städteordnung war ihrer Auffassung nach kein Ebd. VgI. § 41, Tit. 2, Abschnitt 2 u. §§ 54, 55, Tit. 2, Abschnitt 3 der Landgemeinde-Ordnung für die Provinz Westfalen vom 31. Oktober 1841. GS 1841, S. 305 u. 307. § 50, Tit. 2, Abschitt 3 der Gemeindeordnung für die Rheinprovinz vom 23. April 1845. GS 1845, S. 535 f. VgI. dazu Bomhak, Geschichte, Bd. 3, S. 43 u. 46 f. 145 H. Duncker, BerGemKom, 22. April 1861. AIPAH, 5. LP, 3. Sess 1861, Bd. 6, S.986. 146 A. a. 0., S. 988 u. 990. 143

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althergebrachtes System. Die Stadtgemeinden hatten die Städteordnung von 1808 nur zugunsten eines einheitlichen Kommunalrechts für Stadt und Land aufgegeben. Das gemeinsame Recht hatte man letztendlich nicht realisieren können, statt dessen war eine noch größere Zersplitterung des Kommunalrechts eingetreten. Im übrigen kam es nicht darauf an, die Gesetzgebung auf eine augenblickliche Wirkung zu motivieren, sondern die wahrscheinlichen Folgen für die Zukunft ins Auge zu fassen. Wenn erkennbar war, daß die Städteordnung von 1853 überwiegend als "ein Werk einer reaktionären Strömung" aufgefaßt wurde und sich zudem noch eine kommunalpolitische Gleichgültigkeit im Stadtbürgertum verfestigte, während man die Städteordnung von 1808 als "ein Kleinod bürgerlicher Freiheit" und als "ein Ausfluß großer reformatorischer Gedanken" betrachtete, bestand die Aufgabe der Staatsregierung darin, zu den Grundlagen und Grundsätzen des älteren Städterechts zurückzukehren. Das Fehlen einer "völligen Verständigung" über die Grundlage eines neuen Gemeindewahlsystems, hielt die Gemeindekommssion der Ministerialbürokratie vor, durfte in dieser Situation ebensowenig ein Hindernis sein wie es nicht zu den Aufgaben der preußischen Regierung gehörte, ratlos zuzusehen, bis sich alle widerstreitenden Meinungen abklärten. Stadtsyndikus Duncker, der im Plenum als der eigentliche Urheber des Kommissionsberichtes angesehen wurde,147 nutzte die während der Märzrevolution ausgelöste Mythenbildung über die Absichten und Wirkungen der ersten preußischen Städteordnung,148 um die Zielsetzungen des aus der Defensive operierenden Kommunalliberalismus ideologisch zu stützen. Die kommunale Rechtswirklichkeit unter dem älteren Gemeinderecht, nicht zuletzt die lang anhaltende Unzufriedenheit der Kommunalkörperschaften mit der Höhe des Wahlzensus, wurde dabei von den aktuellen politischen Interessen überdeckt. Im Laufe der Plenarberatungen sollten diese Zusammenhänge indessen nicht unbeachtet bleiben. Die Gemeindekommission sprach sich mit 10:4 Stimmen für die Aufhebung des Dreiklassensystems und die Beibehaltung eines besonderen Bürgerrechts aus. 149 Mit der Entscheidung für das Bürgerrecht hielt man an einem korporativen Gemeindeverständnis fest. Diese begründete nach Ansicht der Kommissionsmajorität ein selbständiges genossenschaftliches Verhältnis, bei dem sich das Recht auf Mitgliedschaft mit der Verpflichtung zum gemeinnützigen Wirken verband. Bürgerrecht implizierte demnach weiterhin Bürgerpflicht, die aktive Teilnahme an einer "engeren Genossenschaft", ohne daß die Korporation dadurch in einen Gegensatz zu den An147 Landrat Schwenzner (Breslau) sprach gar vom "Dunckerschen Hauptopus". StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 2, S. 1018. 148 Siehe dazu auch weiter oben u. Kap. 6, Unterabschnitt 4. 149 Zum folgenden siehe AlPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, S. 992 ff.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

sprüchen des Staates geriet, denn die kommunale Tätigkeit bildete die Voraussetzung der "Hingebung für den Staat". Die von den Berliner Stadtverordneten unterstützte Favorisierung eines besonderen städtischen Bürgerrechts hatte restaurativen Charakter, da das neuere Kommunalrecht den speziellen Bürgerstatus aufgehoben hatte. Die Städteordnungen der fünfziger Jahre stellten nur noch Bedingungen für das kommunale Wahlrecht auf und nannten lediglich denjenigen Bürger, der diese Bedingungen erfüllte. Das Bürgerrecht hatte demnach seinen stetigen Charakter und seine Besonderheit verloren. Es gewann eine neue Bedeutung, indem dieses Recht von wechselnden Bedingungen der Wahlrechtsqualifikation abhängig wurde. Die Kommissionsmajorität war sich zwar bewußt, daß die Differenzierung der Gemeindebevölkerung in Bürger und Schutzverwandte nicht wiederhergestellt werden konnte. Die Beibehaltung des individuellen Bürgerrechts bot jedoch die Möglichkeit, das Bewußtsein über die dem Einzelnen in der Gemeinde obliegenden Pflichten zu stärken. Dieses Bewußtsein ließ sich durch eine besondere Verbriefung des Rechts nur noch stärken. Dabei wurde die Erfüllung der Bürgerpflichten nur von jenen Stadtbewohnern erwartet, die "eine gewisse Selbständigkeit" besaßen, nicht aber von Gemeindemitgliedern, die ihre ganze Arbeitskraft an die Sicherung ihrer persönlichen Existenz zu setzen hatten. Nur eine Minderheit vertrat in der Kommission die wegweisende, an der modemen Staatlichkeit orientierte Auffassung, daß das Bürgerrecht durch die bestehende Staatsverfassung überholt war. Danach bildeten die Gemeinden im Sinne der bestehenden Kommunalrechts nur noch "Elementar-Bezirke des Staates". Folglich mußte das städtische Bürgerrecht mit dem Staatsbürgerrecht zusammenfallen. Im konstitutionellen Staat konnten die Städte nicht mehr in der Weise dem Staat gegenübergestellt werden, daß dem städtischen Bürgerrecht "eine besondere Bedeutung" zukam. Diese Auffassung, so die Minderheitsposition, kündigte von "vormodemer" Zeit. Die enge Verbindung von Bürgerrecht und Bürgerpflicht arbeitete die Gemeindekommission im Entwurf einer Revidierten Städteordnung pointiert heraus. Die Verpflichtung zur Übernahme unbesoldeter Kommunalämter band man an das Kriterium der Selbständigkeit und legte als deren Maßstab bestimmte, nach Städtegrößenklassen gestaffelte Einkommensgrenzen fest, die weitgehend den Vorstellungen des Forckenbeckschen Entwurfs folgten. In Städten unter 10000 Einwohner lag die Einkommensgrenze bei 150 Reichstaler, in solchen mit mehr als 50000 Einwohner bei 300 Reichstaler. 150 Damit setzte sich die Mehrheit gegen die Bedenken der westlichen 150 § 6, Entwurf einer Revidierten Städte-Ordnung für die Preußische Monarchie nach den Beschlüssen der Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses. Anlage 1 zum Dunckerschen Kommissionsbericht, 22. April 1861. A.a.O., S. 1008. Zur ursprünglichen Fassung mit den höheren Einkommensgrenzen vgl. a. a. 0., S. 993.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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Provinzen durch, nach deren Ansicht die Bedingung der ökonomischen Selbständigkeit nicht mit derartig niedrigen, an der Städteordnung von 1808 orientierten Einkommensstufen vereinbar war. Im Falle der Aufhebung der Klasseneinteilung und der Herstellung formeller Rechtsgleichheit forderten die westfälischen und rheinischen Vertreter folgerichtig eine Verschärfung der Voraussetzungen des Wahl- bzw. Bürgerrechts. Einzelne Abgeordnete der westlichen Provinzen sahen sich bei einer Aufhebung des Klassenwahlsystems indessen einem Dilemma ausgesetzt: Einerseits wollten sie ein Übergewicht der unbemittelteren Einwohnerschichten in den Gemeinden verhindern, andererseits befürchteten sie die Einführung eines zu hohen Zensus, der für viele Stadtbewohner den Verlust des - allerdings beschränkten - Klassenwahlrechts bedeutete. Nicht nur im preußischen Westen trat man daher in dem Fall für eine Beibehaltung des Dreiklassensystems ein, wo sich herausstellte, daß mit der Beseitigung der Abteilungswahlen eine Einschränkung der Zahl der Wahlberechtigten einherging. 151 Nach den Beschlüssen der Gemeindekommission war das Bürgerrecht, ungeachtet seiner finanziellen Voraussetzungen, zunächst von solchen Einwohnern zu erwerben, die ein unbesoldetes Gemeindeamt mindestens drei Jahre lang verwaltet hatten. 152 Personen, die innerhalb des letzten Jahres Armenunterstützung erhalten hatten oder deren direkte Gemeindeabgaben niedergeschlagen werden mußten, wurden aus der Bürgerliste, die zugleich Wahlliste war, gestrichen. Weiterhin sollte der nur einjährige Aufenthalt am Wohnsitz Voraussetzung für die Ausübung des Wahlrechts sein. Hatte ein Mitglied der Bürgerschaft das ihm übertragene Amt nicht angenommen oder vor Ablauf der Amtsperiode niedergelegt, verlor er das Wahlrecht. 153 Das Hausbesitzerprivileg griff der Kommissionsentwurf nicht an. Die Wahl sollte im übrigen nach Wahlbezirken und in gemeinschaftlicher Wahlversammlung durch verdeckte Stimmabgabe erfolgen. 154 In dieser Hinsicht folgte die Kommission demnach ebenso dem Forckenbeckschen Entwurf wie bei der Festlegung der Wahlperioden der Kommunalvertreter: Im Gegensatz zum geltenden Städterecht sollte deren Dauer nur auf drei Jahre festgelegt werden, während die Ergänzungswahlen im jährlichen Rhythmus stattfinden sollten. 155 Neben den konkreten Differenzen des Wahlverfahrens unterschied sich der Kommissionsentwurf im weiteren dadurch vom bestehenden Städterecht, daß der alleinige Besitz eines Wohnhauses nicht mehr zur Ausübung A. a. 0., S. 994. § 8, Entwurf, Revidierte StO, GemKomPAH. Aa.O., S. 1009. 153 § 15, Abs. 3, Ziff. 1-4, Entwurf, Revidierte StO, GemKomPAH. Aa.O., S. 1010. 154 §§ 14, 16, 23 u. 24, Entwurf, Revidierte StO, GemKomPAH. A. a. 0., S. 1009. 155 § 19, Entwurf, Revidierte StO, GemKomPAH. A a. 0., S. 10 10. 151

152

44 Grzywatz

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

des Wahlrechts befähigte. Den Einwohnern von "sehr geringer Selbständigkeit" sollte damit die Wahlberechtigung genommen werden. Der Gewerbebetrieb allein qualifizierte fernerhin nicht mehr zum Wahlrecht, während der eigene Hausstand nicht länger zu den Bedingungen der Selbständigkeit gehörte. Schließlich ging die Gemeindekommission vom Klassensteuerbeitrag als Norm für das Bürgerrecht ab und setzte an seine Stelle das Einkommen. Die Berliner Petition war in dieser Beziehung noch weitergegangen, da sie die Grenze des zum bürgerlichen Ehrenamt verpflichtenden steuerbaren Besitzes periodisch revidieren lassen wollte. Diesem Vorschlag folgte die Gemeindekommission schon deshalb nicht, weil man an der Vorstellung einer allgemeinen Norm festhielt. ls6 Mit der Rückkehr zum Prinzip der Bezirkswahlen glaubte die Kommission insbesondere für die mittleren und größeren Städte wieder eine stärkere Bindung der politischen Teilhabe an das örtliche Leben geschaffen zu haben. Das Wohlergehen der Kommunen hing ihrer Ansicht nach eher von den unscheinbaren Ämtern der Armendeputierten, der Waisenväter, Schulvorstände oder Bezirksvorsteher als von den Beschlüssen der Kommunalbehörden ab. Durch die vom neueren Städterecht begründeten Abteilungs wahlen verlor nach verbreiteter Auffassung der Stadtgemeinden das nachbarschaftliehe Verhältnis mehr und mehr seinen Einfluß auf die Wahlresultate. ls7 Dieser Verlust bürgerschaftlichen Einflusses zugunsten der kommunalen Exekutive und der politischen Parteien sollte durch die Wiedereinführung der gemeinschaftlichen Bezirkswahlen aufgehoben werden. Während der Anfang Mai beginnenden Generaldiskussion im Abgeordnetenhaus waren sich die städtischen Repräsentanten weitgehend einig, daß die Entscheidung der Wahlrechtsfrage zur "wichtigste(n) Aufgabe" der Vorlage werden würde. ls8 Walter Gagel versteht die folgenden Auseinandersetzungen im Landtag als "prinzipielle Diskussion" über das Dreiklassenwahlrecht. ls9 Er unterliegt mit dieser Meinung jedoch einem grundlegenden Mißverständnis. Schon der Dunckersche Bericht unterscheidet streng zwischen den politischen Wahlen, d.h. den Wahlen zum Abgeordnetenhaus des preußischen Landtags, und den Gemeindewahlen. 16o Die Wiederbelebung der korporativen Elemente der Städteverfassung im Sinne der Städteordnung von 1808 zielte ja gerade darauf ab, die Politisierung der Gemeinde156 H. Duncker, BerGemKom, 22. April 1861. AlPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, S. 995. 157 A. a. 0., S. 997. 158 Rede Fritz von Diederichs (Potsdam). PAH, 2. Mai 1861. StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 2, S. 1024. 159 W. Gagei, Die Wahlrechtsfrage, S. 22, 160 H. Duncker, BerGemKom, 22. April 1861. AlPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 6, S. 988.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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körperschaften und den Einfluß der politischen Parteien bei den Kommunalwahlen zurückzudrängen, dagegen aber das korporative Bewußtsein, die gemeinsame Wahlhandlung auf der Grundlage nachbarschaftlicher Verhältnisse zu fördern. "Wir haben im Gegenteil die Besorgnis geäußert und motiviert", erklärte Stadtrat Duncker, "daß das Dreiklassen-Wahlsystem zu einer sozialen und politischen Feindschaft in der Bürgerschaft führe; daß politische Parteien sich durch die Vorversammlungen der Wahlen bemächtigen, während die Bezirkswahlen den Bürgern zeigen, wer um das städtische Interesse sich bemüht und verdient gemacht habe".161 Georg von Vincke sprach vom Dreiklassensystem als eines "im Bezug auf die Städte nicht richtigen Prinzips" und fuhr dann wenig später fort: "Wir mögen für die Städte festsetzen, was wir wollen, dadurch wird das Wahlrecht für den Staat in keiner Beziehung, weder in Beziehung auf das Dreiklassensystem noch auf den Census für jetzt in irgendetwas geändert".162 Selbst die Demokraten, die für ein allgemeines Wahlrecht eintraten, differenzierten zwischen politischem und Gemeindewahlrecht. 163 Die Ministerialbürokratie konfrontierte den Landtag von vornherein mit der wenig kompromißbereiten Ansicht, die bestehenden wahlrechtlichen Regelungen wären unter den gegenwärtigen Verhältnissen "das möglichst Beste".164 Sowohl der Innenminister als auch Regierungskommissar von Kehler, nahmen eher beobachtend an der Debatte teil, als daß sie sich einer ins Detail gehenden Auseinandersetzung mit den Befürwortern des Kommissionsentwurfs stellten. Unantastbar war für das Staatsministerium die Öffentlichkeit des Wahlverfahrens. In dieser Hinsicht war die Regierung nicht einmal mehr bereit, die früher anerkannten Mängel dieses Prinzips zu bestätigen. Die verweigerte Verständigungsbereitschaft der Ministerialbürokratie richtete sich aber auch offen gegen die politischen Zielsetzungen der Berliner Kommunalkörperschaften. Ironisch bemerkte Graf von Schwerin, man hätte die Untauglichkeit des in der Städteordnung enthaltenen Wahlgesetzes bezweifelt, weil es erstens von dem eigentlichen Repräsentanten der Reaktion, dem vormaligen Minister des Innern Ferdinand von Westphalen, ausgegangen war, weil es zweitens nicht in der Tradition der Städteordnung von 1808 stand und weil sich drittens der Magistrat und die Stadtverordneten von Berlin darüber einig waren, daß es nichts taugte. Der konservative Landrat Eduard Schwenzner unterstrich diese Auffassung, indem er der Kommission kritisch vorhielt, ihr Entwurf hätte eigentlich nur eine Kommune im Auge, nämlich die Landeshauptstadt. Diese konnte aber keines161 Rede S. 1036. 162 Rede 163 Rede 164 Rede 44*

H. Duncker. PAH, 2. Mai 1861. StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 2, von Vincke. PAH, 3. Mai 1861. A.a.O., S. 1046 f. Waldeck. PAH, 2. Mai 1861. A.a.O., S. 1020. Graf von Schwerin. PAH, 2. Mai 1861. A.a.O., S. 1032.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

wegs für die kleinen und mittleren Städte repräsentativ sein. 165 Der Innenminister bezweifelte nicht die ehrliche Absicht der städtischen Körperschaften Berlins, die Verhältnisse der "großen Metropole" richtig in Erwägung zu ziehen, die Staatsregierung mußte demgegenüber aber ebenso die Bedürfnisse der übrigen Städte wie die konträre Position anderer großer Städte des Ostens, beispielsweise Breslaus, oder die der Rheinprovinz und Westfalens berücksichtigen, die auch bei den Beratungen der Ersten Kammer zum Tragen gekommen waren. Einen Rückgriff auf die Städteordnung von 1808 betrachtete Graf von Schwerin, sobald man sich nicht auf den Geist, sondern auf den Buchstaben dieses Kommunalgesetzes bezog, für unzeitgemäß. 166 Gerade im Hinblick auf die Wahlrechtsbestimmungen war die neuere Städteordnung, die sich nach ministerieller Ansicht prinzipiell keineswegs von der Tradition des älteren Rechts abgelöst hatte, den Zeitverhältnissen angemessener verpflichtet. 167 Der Innenminister erinnerte an die ersten Jahre nach Einführung der Kommunalrechtsreform, in denen die Klagen über die mangelhafte Kompetenz der städtischen Verwaltungen nicht abgerissen waren. Das hatte nicht allein an der mangelnden Inanspruchnahme der gebildeteren und wohlhabenderen Einwohnerschichten für die Gemeindetätigkeit gelegen, sondern war auch durch die wahlrechtlichen Bestimmungen der Städteordnung selbst begründet worden. 168 Wenn als Basis für das Gemeindewahlverfahren nicht das allgemeine Stimmrecht erwogen wurde, so der Innenminister resümierend, sondern ein gewisses Verhältnis von Besitz und Steuerleistung den Maßstab für ein abgestuftes Wahlrecht bilden sollte, war das Dreiklassenwahlrecht nicht weniger "rationell" als ein Zensusverfahren. Fürsprecher erhielt das Dreiklassensystem während der Plenarberatung nur von konservativer Seite, wie etwa von den Landräten Schwenzner und Ludwig Delius 169 sowie dem Berliner Justizrat Hermann Wagener. Der Mitbegründer der Kreuz-Zeitung hielt das Klassensystem indessen für verbesserungswürdig. Einen Zensus lehnte er grundsätzlich ab. Nach wie vor favorisierte der politische Konservativismus ein korporatives Wahlrecht. An die Stelle des Zensus sollte, wie Wagener sich ausdrückte, die "Gruppierung der gesellschaftlich politischen Arbeit in den Städten" oder die korporativen Verbindungen treten. l7O Die Abgeordneten städtischer Wahlkreise, einerlei, welcher liberalen Richtung sie angehörten, warfen der Staatsregierung eine selektive Sichtweise vor, die einfach nicht zur Kennt165 166 167 168 169 170

Rede Schwenzner. PAH, 2. u. 16. Mai 1861. A.a.O., S. 1011 u. 1258. Rede Graf von Schwerin. PAH, 3. Mai 1861. Aa.O., S. 1056. Rede Graf von Schwerin. PAH, 2. Mai 1861, Aa.O., S. 1032. Rede Graf von Schwerin. PAH, 3. Mai 1861. Aa.O., S. 1056 f. Aa.O., S. 1019, 1048 u. 1052. Rede Wagener. PAH, 2. Mai 1861. Aa.O., S. 1025.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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nis nehmen wollte, daß die städtischen Petitionen aus den östlichen Provinzen fast einstimmig die Ablösung des Dreiklassensystems mit dem gegenwärtigen Zensus forderten. 171 Uneinigkeit herrschte nur darüber, wie die Liberalen zurecht betonten, was an die Stelle des Dreiklassensystems treten sollte. Rudolf Gneist nutzte die parlamentarische Beratung, um die Position der Berliner Kommunalvertretung noch einmal detailliert darzulegen. Engagiert unterstützte er den Wunsch, "ein Bürgertum im Sinne der Städteordnung von 1808 wiederherzustellen".I72 Er beschwor die Besonderheit des städtischen Ehrenamtes, das schon deshalb eines Schutzes bedurfte, weil sonst die Gefahr bestand, daß sich die Neigung, praktische Verantwortung zu übernehmen, nicht mehr einstellte. Es kam daher nicht darauf an, die Wahllisten auszudehnen, etwa das Wahlrecht auf alle Steuerzahler auszudehnen, sondern es zu beschränken. Aus diesem Grund mußte nach Gneist vor allen Dingen das persönliche Bürgerrecht erneuert werden, einschließlich der Bürgerbriefe und Bürgerrechtsgelder. Die Bedingungen des Bürgerrechts waren auf "Grundeigentum, Hausstand, Steuer, Amt und Amtspflicht" auszurichten, da die Selbständigkeit und insbesondere das Einkommen keinen exakten Maßstab bildeten. Diese Kriterien zeigten sich nicht nur durch eine begriffliche Unbestimmtheit belastet, sondern sie waren im einzelnen auch als relative, vom Städtetypus abhängige Größen einzustufen. Die Gemeindekommission hatte schlichtweg die Bedeutung des Haus- und Grundeigentums für die Selbstverwaltung übersehen. In Berlin, erläuterte Gneist, trugen die Hauseigentümer ein Drittel aller direkten Kommunalabgaben in Form der Haussteuer und der Quoten zur Mietsteuer. Von den rund 1600 unbesoldeten Kommunalbeamten Berlins stellten die Hauseigentümer die größere Hälfte. Ein Verhältnis, das nicht eine Besonderheit Berlins darstellte, sondern sich in sämtlichen Städten mit der Tendenz bemerkbar machte, je kleiner die Stadt, desto umfangreicher nahm durchschnittlich der Hauseigentümer an der kommunalen Administration teil. Folgte man dem Beispiel des Kommissionsentwurfs und begrenzte das Bürgerrecht durch einen Zensus von 150 bis 300 Reichstaler, wurde "das Verhältnis von Lasten und Rechten, von Pflichten und politischer Bedeutung" auf den Kopf gestellt. Für Berlin, rechnete Gneist vor, bedeutete ein Zensus von 300 Reichstaler Einkommen, daß die kleinen Mieter, die über weniger als 500 Reichstaler an jährlichen Einkünften verfügten, doppelt soviel Stimmrecht erhalten würden wie sämtliche Grundeigentümer der Landeshauptstadt, obgleich 171 So Max von Forckenbeck u. Stadtrat Duncker. PAH, 16. Mai 1861. A.a.O., S. 1260 f.; Rede Waldeck, PAH, 16. Mai 1861. A.a.O., S. 1257. 172 Vgl. dazu die Rede Gneists. PAH, 3. Mai 1861. A.a.O., S. 1041-1044. Dort auch die folgenden Zitate.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

diese sechs mal soviel an direkten Steuern und Amtslasten leisteten. Das hieß, jene Schicht des Stadtbürgertums, die neun Zehntel der kommunalen Lasten trug, erhielt kaum die Hälfte der Stimmen. 173 Skeptisch äußerte sich Gneist über eine stärkere Beteiligung der Intelligenz an der Gemeindeadministration. "Was helfen", fragte Gneist, "die sogenannten gebildeten Leute in der Kommune, wenn sie sich noch heute für viel zu gut halten, um unbesoldete Ämter zu übernehmen?" Eine stärkere Partizipation der Intelligenz war nicht durch die Ausweitung der Wahllisten, sondern nur durch die Amtspflicht der in der Regel nach den Ortsverhältnissen betroffenen Bürgerschaftsmitglieder und die Wiederherstellung des persönlichen Bürgerrechts als Ehrenrecht zu erreichen. Im übrigen sah Gneist in der geplanten Zensusregelung des Kommissionsentwurfs eine ernsthafte Rechtsverletzung, indem quer durch die steuerzahlende Bürgerschaft hindurch willkürlich zwischen "vollberechtigten" und "rechtlosen" Bürgern getrennt wurde. Die Unterscheidung der Städteordnung von 1808 zwischen Bürgern und Schutz verwandten war in diesem Sinne nicht rechtsverletzend, da, so Gneist, der Erwerb des Bürgerrechts für den Stadtbürger obligatorisch, für den Schutzverwandten hingegen nur fakultativ war. Solange der Schutzverwandte die Möglichkeit nicht wahrnahm, wurde er bei der Heranziehung zur städtischen Steuer nicht anders behandelt, trat er jedoch das Bürgerrecht an, besaß er dasselbe Recht wie der gezwungene Bürger und mußte dieselben Pflichten auf sich nehmen. Damit war praktisch gewährleistet, daß nur derjenige vom Bürgerrecht Gebrauch machte, "der ein wirkliches Interesse für die Kommune" hatte. Gneists kooperatives Verständnis der Selbstverwaltung ließ schon zu diesem Zeitpunkt ahnen, daß er sich später, nachdem sich das Dreiklassenwahlrecht, wie Graf von Schwerin meinte, durch die Früchte langjähriger Erfahrung behauptet hatte, zu einem entschiedenen Verfechter dieses Systems wandeln würde. Georg von Vincke betrachtete das Dreiklassensystem, da es die sozialen Interessen verschärfte und die Abhängigkeit des individuellen politischen Einflusses vom sozialen Status in geradezu demonstrativer Weise hervorhob, als einen "Katechismus für den praktischen Kommunismus".174 Allein in den wahlrechtlichen Bestimmungen mit der Abteilungswahl und der Öf173 Nach den Ennittlungen der Berliner Steuerverwaltung betrugen die Gesamteinkünfte aus den direkten Kommunalsteuern im Jahre 1860 rund 1,075 Millionen Reichstaler. Die Mieter mit Jahresmietwerten über 100 Reichstaler (insgesamt 29173) brachten davon 540113, die Hauseigentümer 347106 Reichstaler auf (50,2 bzw. 32,3 %). Wenn zu dieser Gruppe noch die Mieter mit exakt 100 Reichstaler Jahresrnietwert hinzugerechnet wurden, erhöhte sich der Gesamtanteil dieser Einkommenschichten an den Kommunalsteuern auf 85 Prozent. Vgl. CBIBln, 1. Jg. (1860), S. 106. Petition der Berliner Kommunalvertretung vom 7. März 1861, Anlage B, S. 15 f. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1362. 174 Rede von Vincke. PAH, 3. Mai 1861. A.a.O., S. 1046 u. 1054 f.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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fentlichkeit der Stimmabgabe sah Vincke die grundlegende Differenz des neueren Kommunalrechts zur älteren Gemeindeverfassung. Der Idealisierung der Städteordnung von 1808 durch Gneist hielt er entgegen, daß bereits mit dem früheren Refonngesetz ein vom Einkommen abhängiger Zensus begründet worden war. Ein fakultatives, vom Einkommen unabhängiges Bürgerrecht gab es eben nicht. Entweder mußte der Stadtbewohner angesessen sein, um das Wahlrecht ausüben und städtische Ämter übernehmen zu können oder er mußte über das vorgeschriebene Einkommen verfügen. Soweit das Bürgerrecht unabhängig vom Einkommen war, berechtigte es nur zum Grunderwerb oder Gewerbebetrieb. 175 Wie Gneist ging es auch Vincke darum, die politische Herrschaft des wohlhabenderen bzw. bodenständigen Bürgertums in den Städten zu sichern oder, positiv gesprochen, das Bürgeramt als Funktion der ökonomischen Selbständigkeit, d. h. als persönliche Unabhängigkeit, Einsichtsfähigkeit und Interessenskontinuität gewährenden Status zu definieren. Die dauerhafte Teilnahme an den Gemeindeangelegenheiten konnte, hierin kam von Vincke dem Abgeordneten Gneist entgegen, auch durch die Berücksichtigung des Besitzes an Grundeigentum garantiert werden. Vincke gab auch zu, daß sich der "Pöbel" in allen Klassen, bis in die höheren Kreise hinauf finden konnte, aber eine gewisse äußere Garantie, daß nicht der "Pöbel" mehrheitlich die Bestimmungen für das Gemeindeleben traf, war eben durch die Kategorie des Zensus gegeben. 176 Die Schwierigkeiten, bei der differenzierten Städtestruktur und den Problemen einer präzisen Einkommensennittlung überhaupt einen einheitlichen Maßstab für den Zensus zu finden, wischte von Vincke mit dem Hinweis beiseite, daß schon die Städteordnung von 1808 den Kommunalkörperschaften das Abschätzungsgeschäft überlassen hatte. l77 Parallel zur Auffassung der Minorität der Gemeindekommission hielt von Vincke an der Notwendigkeit fest, den Zensus für das Bürgerrecht zu erhöhen. In den kleineren Städten unter 10000 Einwohnern sollte der Zensus bei 200 Reichstaler liegen und sich dann, entsprechend den Größenklassen der Städte, jeweils um 50 bis auf 400 Reichstaler für die größeren Städte mit über 50000 Einwohnern steigern. 178 Gegen die numerische Pluralität der vollständig Besitzlosen und Unselbständigen, bemerkte der westfälische Freiherr, war eventuell ein noch höher anzuschlagender Zensus erforderlich. 179 Forckenbeck lehnte sowohl die Zensusvorschläge von Vinckes als auch die der Gemeindekommission in aller Schärfe ab, weil in beiden Fällen ge175 176 177 178

179

A. a. 0., S. 1045. A. a. 0., S. 1055. Vgl. § 76, Abs. I, Tit. 6, Abschnitt I, StO 1808. GS 1806-1810, S. 334. Amendement von Vincke. StBPAH, 5. LP, 3. Sess. 1861, Bd. 2, S. 1062. Rede von Vincke. PAH, 3. Mai 1861. A.a.O., S. 1046.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

genüber den Regelungen der Städteordnung von 1853 ein höheres Zensuswahlrecht geschaffen wurde. Dabei ging es Forckenbeck nicht nur um die Erhöhung der nach Städtegrößenklassen gestaffelten Mindestsätze, sondern auch um den Fortfall des Gewerbekriteriums. Wenn in den kleineren Städten das selbständige Gewerbe mit wenigstens zwei Gehilfen nicht mehr zum Bürgerrecht befähigte, verlor ein Großteil der dortigen Bürgerschaften das Wahlrecht. 180 Da es sich hierbei um die Abänderung eines Wahlrechts drehte, das erst im Jahre 1853 neu bestätigt bzw. geschaffen worden war, konnte man diesem Kriterium nach Forckenbecks Ansicht kaum das Argument einer Geldwertänderung entgegenhalten. Forckenbecks Haltung enttäuschte vor allem die Vertreter Berlins. Der Kommissionsentwurf ging schließlich, wie Stadtrat Duncker feststellte, nur unwesentlich über den von Forckenbeck vorgeschlagenen Zensus für die Städte mit mehr als 10000 Einwohnern hinaus. Wenn an Stelle der von Forckenbeck geforderten 200 etwa 250 bis 300 Reichstaler traten, so berücksichtigte man nur die aktuellen großstädtischen Einkommensverhältnisse. In Berlin gehörten Stadtbewohner mit einem Jahreseinkommen von 200 Reichstalern schon zu den Almosenempfängern. Ging man, wie wiederholt vorgetragen wurde, mit dem Zensus auf dieses Niveau, konnte von einer Begrenzung des Bürgerrechts kaum mehr gesprochen werden. Mithin war "für die Kommune das allgemeine Wahlrecht unbedingt zu proklamieren", betonte Duncker. 181 Gneists Anregung, über die Miete oder die Mietsteuer zu einem objektiven Einschätzungsmaßstab zu kommen, verwarf der Berliner Stadtrat, denn die Miete war nicht weniger relativ als das Einkommen. Trotz des höheren Zensus und der geplanten Aufgabe einzelner Bedingungen der Bürgerrechtsqualifikation hielten auch ehemalige Demokraten wie Waldeck, der zwischenzeitlich bei den Linksliberalen eine neue Heimat gefunden hatte und wie Forckenbeck der von Vincke spöttisch JungLithauen genannten Fraktion angehörte, am Dreiklassenwahlrecht fest. Ihrer Auffassung nach war vorläufig nicht an eine Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu denken. Darüber hinaus bestanden überhaupt Zweifel, ob in der Gemeinde die Wahlrechtsgleichheit angebracht war. 182 Vielen Abgeordneten dürfte es zum Ende der Beratungen wie dem Berliner Liberalen Riedel 183 ergangen sein: Man war nicht unbedingt Anhänger des Dreiklassensystems, hatte auch wie in der preußischen Metropole die nachteiligen Folgen dieses Wahlrechts beobachtet, fürchtete insbesondere die Verschärfung der sozialen Gegensätze und die Zersplitterung des Ge180 181 182 183

Rede Rede Rede Rede

von Forckenbeck. PAH, 3. Mai 1861. A.a.O., S. 1057. Duncker. PAH, 3. Mai 1861. A.a.O., S. 1060. Waldeck. PAH, 2. u. 3. Mai 1861. A.a.O., S. 1020, 1039 f. u. 1059. Riede!. PAH, 3. Mai 1861. A. a. 0., S. 1057 f.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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meinsinns, sah aber in allen vorgebrachten Reformvorschlägen keine befriedigende Alternative. Schon gar nicht zeigte man die Neigung, bestehende Rechte durch einen höheren Zensus zu verkürzen. Am Ende kam man auf das Wahlgesetz der Westphalenschen Städteordnung zurück, besaß sie doch immerhin, wenn auch nur in einem kleinen Bruchteil, wie Waldeck meinte,184 das allgemeine Wahlrecht. Das Abgeordnetenhaus lehnte die Bürgerrechtsregelungen des Kommissionsentwurfs einschließlich der eingegangenen Amendements und nachfolgenden Regelungen mit deutlicher Mehrheit am 3. Mai ab. 185 Damit war der Versuch einer Reform des Gemeindewahlrechts zunächst gescheitert. Den zukünftig praktizierten Weg der Wahlrechtsreform wies der rheinische Katholik und nachmalige Zentrumsabgeordnete August Reichensperger mit seinem später zurückgezogenen Antrag, den Steuerzensus für die dritte Klasse von vier auf zwei Reichstaler zu halbieren und gleichzeitig, zur Relativierung des politischen Übergewichts der ersten Klasse, die höheren Abteilungen durch Zuweisung bestimmter Wähleranteile aus den unteren Klassen zu ergänzen. 186 Reichensperger hoffte auf diese Weise, sowohl dem Vorwurf der Plutokratie als auch der Frage nach dem allgemeinen Stimmrecht zu begegnen. Die Zweite Kammer lehnte diesen Weg vorerst ab, da man vorläufig noch auf eine definitive Ablösung des Dreiklassensystems hoffte und dieses Ziel, zumal hinter den vorgeschlagenen Änderungen politische Absichten standen, nicht durch "zwischenzeitliche Künstelungen" zu erschweren gedachte. I 87 Die Novelle zur Abänderung der Städteordnung wurde nicht in der vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Form Gesetz. Die Staatsregierung ließ zwischenzeitlich gründliche Erhebungen vornehmen sowie Gutachten der Provinzialbehörden und Kommunaladministrationen einholen. 188 Nach deren Auswertung legte sie dem Landtag Anfang Februar 1862 einen neuen Städteordnungsentwurf für die gesamte Monarchie l89 vor. Die vorangegangenen Dezemberwahlen hatten einen überwältigenden Sieg des Liberalismus gebracht. Die aus Protest gegen die Abwartetaktik der Altliberalen gegründete Deutsche Fortschrittspartei stieg zur profiliertesten liberalen Kraft Rede Waldeck. PAH, 2. Mai 1861. Aa.O., S. 1020. A a. 0., S. 1062 f. 186 Rede A Reichensperger. PAH, 16. Mai 1861. Aa.O., Bd. 3, S. 1256. 187 Vgl. die Reden Waldecks und von Vinckes. PAH, 16. Mai 1861. Aa.O., S. 1257 f. 188 Rede Graf von Schwerin. PAH, 5. Februar 1862. StBPAH, 6. LP, 1. Sess. 1862, Bd. 1, S. 68. 189 Städte-Ordnung für den Umfang der Monarchie mit Ausschluß der Hohenzollernschen Lande vom 3. Febuar 1862. AIPAH, 6. LP, 1. Sess. 1862, Bd. 2, AS Nr. 15, S. 90-102. 184 185

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

im Abgeordnetenhaus auf. 190 Wenngleich das liberale Spektrum im neuen Landtag an Gewicht gewonnen hatte, suchte die Fortschrittspartei keineswegs den offenen Konflikt mit der Regierung. Im übrigen verfügte der ministerielle Block aus Altliberalen, Katholiken und Konservativen noch über eine knappe Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Der vom Kabinett Hohenzollem eingebrachte Entwurf stellte den Versuch dar, das preußische Städterecht im Interesse der staatlichen Integration zu vereinheitlichen. Die "in unberechtigter Weise" noch bestehenden Differenzen zwischen den Städteordnungen der verschiedenen Provinzen sollten nach Darstellung des Innenministers ausgeglichen werden. Dem Gemeindewahlsystem kam dabei "wesentlichste" Bedeutung zu. In Übereinstimmung mit der überwiegenden Mehrzahl der eingegangenen Gutachten städtischer Behörden entschied die Staatsregierung, endgültig am bisherigen Wahlrecht festzuhalten und lediglich im Hinblick auf die Ausführung der Wahlen einige Modifikationen vorzunehmen. 191 Selbständigkeit, Hausbesitz, Gewerbebetrieb, Klassensteuerzensus, Abteilungswahl und der einjährige Gemeindewohnsitz blieben nach wie vor im Sinne der östlichen Städteordnung die Säulen des Kommunalwahlrechts. l92 Die Gründe für die Aufrechterhaltung des Klassenwahlsystems dürften zunächst in der allgemeinen Zielsetzung des Entwurfs, der Vereinheitlichung des Kommunalrechts, zu suchen sein, dessen provinzielle Unterschiede nunmehr als "nicht naturgemäße(r) Zustand", als "künstlich geschaffene Verschiedenheit zwischen den Bestandtheilen eines Staates" charakterisiert wurden. Für die Beibehaltung des Klassensystems sprachen im besonderen die wiederholt vorgebrachten politischen Bedenken gegen die Wahlrechtsgleichheit: "den Geringstbesteuerten das seI be Maß von Einfluß 190 Zur Programmatik der Fortschrittspartei vgl. Philippson, Forckenbeck, S. 66 ff. Ludolf Parisius, Leopold Freiherr von Hoverbeck. Ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte, Bd. 1, Berlin 1897, S. 190 ff. Heinrich August Winkler, Preußischer Liberalismus und deutscher Nationalstaat. Studien zur Geschichte der Deutschen Fortschrittspartei 1861-1866 (= Tübinger Studien zur Geschichte und Politik, Bd. 17), Tübingen 1964. Gerhard Eisfeld, Die Entstehung der liberalen Partei in Deutschland 1858-1878. Studie zu den Organisationen und Programmen der Liberalen und Demokraten, Hannover 1969. Hellrnut Seier, Liberalismus und Staat in Deutschland zwischen Revolution und Reichsgründung, in: Wolfgang Klötzer/Rüdiger Moldenhauer/Dieter Rebentisch, Ideen und Strukturen der deutschen Revolution 1848 (= Archiv für Frankfurter Geschichte und Kunst, Bd. 54), Frankfurt/M. 1974, S. 69 ff. Das Partei programm der Fortschrittspartei für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus vom Dezember 1861 in: Deutsche Parteiprogramme (= Deutsches Handbuch der Politik, Bd. 1), hrsg. von W. Mommsen, München 1960, S. 132-135. 191 Rede Graf von Schwerin. PAH, 5. Februar 1862. StBPAH, 6. LP, 1. Sess. 1862, Bd. 1, S. 68 f. 192 Vgl. § 16, Tit. 2, StOEntw, 1862. AIPAH, 6. LP, 1. Sess. 1862, Bd. 2, AS Nr. 15, S. 91.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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auf die Gemeinde-Angelegenheiten wie den Höchstbesteuerten zuzugestehen".193 Mißstände, wie die vielfach beklagte geringe Wahl beteiligung, hoffte die Regierung durch Modifikationen des Wahlverfahrens aufzuheben. Das betraf zuallererst die Einführung der geheimen Stimmabgabe. 194 Die Staatsregierung gestand jetzt ebenso bereitwillig die Möglichkeit der Wahlbeeinflussung ein, wie die Schwierigkeiten einer vollständig selbständigen und unabhängigen Wahlentscheidung im öffentlichen Verfahren. Das Wahlresultat nach öffentlicher Stimmabgabe konnte, hieß es in den Motiven des neuen Regierung sentwurfs , nicht als der unverfälschte Ausdruck der Wählermeinung angesehen werden. 195 Die Wahl selbst sollte durch eine förmlich zu konstituierende Wahlversammlung "uno actu" vollzogen werden. 196 Zugleich gedachte man, Diskussionen und Beschlußnahmen in den Wahlversammlungen zu verbieten. 197 Gegen die Möglichkeit, daß ein Wähler allein ganze zwei Drittel der aufkommenden Steuern entrichtete, in den ersten beiden Abteilungen nicht genügend Wähler vorhanden waren oder ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der Wähler und der zu Wählenden auftrat, sah der Entwurf vor, daß die Wählerzahl überall das Dreifache der Zahl der zu Wählenden betragen mußte und gegebenenfalls die Wählerzahl der Höchstbesteuerten durch Übernahme von Wählern aus der nächstfolgenden Klasse zu ergänzen war. 198 Es handelte sich um moderate Modifikationen, die dem liberalen Stadtbürgertum allesamt nicht weit genug gingen, auch wenn die geplante Aufhebung des öffentlichen Wahlverfahrens in den Städten breite Unterstützung fand. Die Berliner Stadtverordneten machten Anfang März 1862 erneut einen entschlossenen Anlauf, in einer Petition die Aufhebung des Dreiklassenwahlrechts zu verlangen. 199 Ein Erfolg war der Eingabe nicht beschieden. Sie dürfte nicht einmal weitere Beachtung gefunden haben, denn das Abgeordnetenhaus wurde, nachdem die Kammer den Städteordnungsentwurf einer verstärkten Kommission zur Beratung überwiesen hatte, im Konflikt um die Wehrpflicht und den Wehretat schon am 11. März vom König aufgelöst. Wenige Tage nach der Landtagsauflösung entließ der Monarch die liberalen Mitglieder des Staatsministeriums, unter dem neuen Ministerpräsidenten Adolph Prinz zu Hohenlohe-Ingelfingen konstituierte Motive, StOEntw, 1862. A.a.O., S. 104. § 33, Tit. 3, StOEntw, 1862. Aa.O., S. 93. 195 Motive, StOEntw, 1862. A a. 0., S. 104. 196 § 34, Tit. 3, StOEntw, 1862. Aa.O., S. 93. 197 § 35, Abs. I, Tit. 3, StOEntw, 1862. Ebd. 198 § 22, Abs. 6, Tit. 3, StOEntw, 1862. A.a.O., S. 92. 199 Haltenhoff, Städtegesetzgebungen, S. 29. Vgl. auch StBPHH, Sess. 1862, Bd. 1, S. 71. 193

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

sich ein konservatives Übergangskabinett, das dem Machtkonflikt mit dem Parlament nicht gewachsen war und nach nur wenigen Monaten durch das Ministerium Bismarck abgelöst wurde. Das demonstrative Ende der neuen Ära bedeutete auch das Ende der Kommunalrechtsreform. Der Regierungsentwurf zur Städteordnung wurde dem Parlament in den folgenden Sessionen nicht mehr vorgelegt. Die Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung war in den Städten allgemein. Sie betraf nicht nur die verschiedenen Fraktionen des Städtebürgertums, sondern auch jene ökonomisch schlechter gestellten Stadtbewohner, deren Ausschluß vom Kommunalwahlrecht ein wichtiges Antriebsmoment der Novellierung des Städterechts war. Vorläufig fanden die städtischen Unterschichten noch keinen Mut, die Zulassung geringer besteuerter Bürger zur städtischen Verwaltung zu fordern. Erst nach Erlaß des Wahlgesetzes für den Norddeutschen Reichstag schöpfte vor allem die Arbeiterschaft, wie das Beispiel des Breslauer Central-Arbeiter-Comites zeigte, Hoffnung auf einen Modus, der den geringer besteuerten unbescholtenen Bürgern nach Vollendung des 25. Lebensjahrs die Wahl von Repräsentanten in die Gemeindevertretungen, die städtischen Deputationen und Kommissionen erlaubte. 2oo Den Breslauer Arbeitern schenkte man im Februar 1867 noch kein Gehör, ihre Petition wurde schlichtweg als zur Erörterung ungeeignet verworfen. Als jedoch der Berliner Arbeiterverein und weitere Bezirksvereine der Landeshauptstadt im Oktober 1869 eine Petition an das Abgeordnetenhaus richteten, anstelle des Dreiklassensystems zu "allen politischen und kommunalen Wahlen" des preußischen Staates das allgemeine und gleiche Wahlrecht mit geheimer Abstimmung einzuführen,201 unterstützte die Fortschrittspartei diese Forderung mit einem eigenen Antrag. Hermann Becker, der während der Märzrevolution eine führende Rolle innerhalb der rheinischen Vereinsbewegung gespielt hatte und im nächsten Jahr das Amt des Oberbürgermeisters in Dortmund antreten sollte, forderte das Abgeordnetenhaus im Namen der Fraktion und der Berliner Liberalen auf, dem Prinzip des allgemeinen und gleichen Wahlrechts bei der Beratung der bereits vorliegenden Kreisordnung und der für die nächste Zeit zugesagten Gemeinderechtsnovelle "gebührende Geltung" zu verschaffen. Zugleich sollte die Regierung angeregt werden, noch in der laufenden Session einen Gesetzentwurf einzubringen, der das Dreiklassensystem des Landtags durch das Reichstagswahlrecht zum Norddeutschen Bund ersetzte?02 Mit diesem Antrag wollte die Fortschrittspartei verhindern, daß die Abgeordneten auf 200 201 202

Petition, 12. Februar 1867. AIPHH, Sess. 1867/68, AS Nr. 95, S. 335. StBPAH, 10. LP, 3. Sess. 1869/70, Bd. 1, S. 288. AIPAH, 10. LP, 3. Sess. 1869/70, Bd. 1, AS Nr. 63, S. 390.

2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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Empfehlung der Petitionskommission zur Tagesordnung übergingen. Die Empfehlung hatte die Kommission damit begründet, daß zwar Petitionen auf Abänderung des Wahlrechts von einzelnen Vereinen eingegangen wären, im Abgeordnetenhaus aber keine Fraktion die zu den Grundlagen der Verfassung gehörende Wahlrechtsfrage aufgenommen hätte?03 Die Berliner Liberalen hofften mit dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht ein Mittel der Versöhnung, des Ausgleichs und der fortschreitenden politischen Erziehung in der Gesellschaft zu schaffen. Gleichzeitig sollte sich ein Gefühl des Rechts einstellen, das für die verpflichtende Bindung der verschiedenen Schichten des Volkes sorgte?04 Franz Hermann Schulze, der den dritten Berliner Wahlbezirk und als Mitbegründer der Deutschen Genossenschaften und Gewerkvereine eine auf liberalen Prinzipien beruhende Arbeitnehmerpolitik vertrat, erklärte das allgemeine und gleiche Wahlrecht zur Voraussetzung der politischen Rechtsgleichheit, auf deren Grundlage allein gesellschaftliche Stabilität zu garantieren war. Die Wahlrechtsgleichheit stellte eine dringende politische Forderung dar, wie Schulze mahnend an die Abgeordneten appellierte, da andernfalls die Sozialisierung von Staat und Gesellschaft drohte. 205 Die Linksliberalen mußten sich indessen fragen lassen, wenn die Abwehr des Sozialismus und die soziale Integration der Arbeiterschaft nur auf dem Wege politischer Gleichheit herzustellen war, warum der Fortschritt dann dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht im Kommunalbereich nur "gebührende Geltung" verschaffen wollte. Gegen diesen kritischen Einwand des Nationalliberalen Lasker206 beeilte sich der Fortschritt, mit Ausnahme von Rudolf Virchow, zu betonen, daß das allgemeine direkte Wahlrecht Modifikationen und Einschränkungen je nach dem Zwecke der verschiedenen Vertretungen erforderte. 207 Es ging zunächst nur darum, "ein großes Prinzip zum Ausdruck bringen" zu wollen. Es blieb der konkreten Gesetzgebung vorbehalten, "dieses Prinzip in seiner einzelnen Anwendung zu spezialisieren" ?08 Schulze-Delitzsch nannte zwei Bedingungen für das Gemeindewahlrecht: die Gemeindezugehörigkeit und den Beitrag zu den Gemeindelasten. "Dagegen muß ich mich und meine Freunde und die Demokratie überhaupt auf das Entschiedenste verwahren", erregte sich Schulze-Delitzsch, "daß es uns 203 KomBer Jung, 3. November 1869. StBPAH, 10. LP, 3. Sess. 1869/70, Bd. 1, S.288. 204 Rede Virchow. PAH, 3. November 1869. A.a.O., S. 292. 205 Rede Schulze (-De1itzsch). PAH, 3. November 1869. A.a.O., S. 296. 206 Vgl. Rede Lasker. PAH, 3. November 1869. A.a.O., S. 293 f. 207 Rede Becker. PAH, 3. November 1869. A.a.O., S. 295. 208 Rede Schulze (-Delitzsch). PAH, 3. November 1869. Ebd.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

bekomme, Rechte in Anspruch zu nehmen, ohne die ihnen korrespondierenden Pflichten,,.209 Die Bindung des Wahlrechts an den Haus- oder Grundbesitz, wie es auch der erste Eulenburgsche Entwurf zur Kreisordnung für den Kreistag vorsah, lehnte der Fortschritt zwar ab, aber ein Kommunalwahlrecht ohne Beschränkungen, insbesondere ohne Steuerzensus, paßte nicht in die allgemeine Vorstellungswelt des Liberalismus. An eine bedingungslose Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in den Gemeinden dachten daher auch die Berliner Linksliberalen nicht. 210 Das schloß nicht aus, daß zeitweilig einzelne Linksliberale eine weitergehende Wahlrechtsprogrammatik vertraten. Gegenüber den zaghaften, und schon gar nicht überzeugenden Versuchen des Linksliberalismus, die Bedingungen des Dreiklassensystems zu lockern, hielten die Nationalliberalen strikt an ihrer Auffassung vom Kommunalverband als wirtschaftlicher Korporation fest, aus der sich folgerichtig die berechtigte Notwendigkeit eines gestuften Wahlrechts ableiten ließ. Da bedurfte es nicht einmal der groben Vereinfachung eines lang gedienten Kommunalbeamten wie dem Harburger Bürgermeister August Grumbrecht, der die Intelligenz und damit die Unabhängigkeit und Weitsichtigkeit des politischen Urteils zur Frage des Besitzes machte?lI Das Abgeordnetenhaus zeigte kein Interesse an einer intensiven Wahlrechtsdiskussion. Die konservativen Fraktionen griffen erst gar nicht in die Debatte ein. Mit deutlicher Mehrheit nahm die Kammer den Kommissionsantrag an und ging zur Tagesordnung über. Die liberale Wahlrechtstheorie und -praxis war am Ende der sechziger Jahre durch Zielkonflikte belastet, die aus der Unvereinbarkeit wahltaktischer Erwägungen, gesellschafts politischer Zielsetzungen und theoretischer Projektionen resultierten. War man zur Zeit des Verfassungskonflikts noch bereit, sich mit dem Dreiklassenwahlrecht zu arrangieren, da es in der Praxis die politische Präsenz des Liberalismus im Parlament stärkte, zeigten sich in den Jahren vor der Reichsgründung Ansätze einer Sensibilisierung, die vor den politischen Folgen des soziale Unterschiede reproduzierenden Wahl systems warnte. 212 Obwohl die Arbeiterschaft noch keine geschlossene A.a.O., S. 296. Th. Kühnes Urteil (Dreiklassenwahlrecht, S. 395), die Linksliberalen wären 1869 in der Wahlrechtsfrage noch nicht zwischen Stadt- und Landesparlament hinund hergerissen, ist nicht haltbar. Im Hinblick auf das Gemeindewahlrecht läßt sich vielmehr eine restriktive Kontinuitätslinie verfolgen, die ihren theoretischen Ausgang in der Auffassung vom unpolitischen Charakter der Kommune nahm. 211 Rede Grumbrecht. PAH, 3. November 1869. StBPAH, 10. LP, 3. Sess. 1869/ 70, Bd. I, S. 291. 212 Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 71 f., sieht diese Sensibilisierung erst in späterer Zeit angesiedelt, als es "eine proletarische Schicht von politischer Macht" gab. 209

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2. Die Opposition gegen die Politisierung des Gemeindelebens

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politische Macht darstellte und der Einfluß der Fortschrittspartei unter den Arbeitern und Handwerksgesellen keineswegs gebrochen war, erzeugten die ersten organisatorischen Bemühungen der Arbeiterbewegung ebenso wie die publizistische Tätigkeit etwa eines Lassalle 213 politische Wirkung. Zumindest im linksliberalen Lager ahnte man die Gefahren der klassenpolitischen Ausgrenzung der Arbeiterschaft und der Verabsolutierung des mittelständisch orientierten bürgerlichen Staats- und Gesellschaftsverständnisses?14 Die Kritik am klassengebundenen Wahlrecht reichte indessen nicht bis zur Kommune. Sie blieb weiterhin ein entpolitisierter Raum, der in seiner Unmittelbarkeit zur Lebenswelt des Einzelnen eine auf den individuellen Leistungen ruhende Verteilung des Einflusses verlangte. Diese im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts beibehaltene Trennung der örtlichen Ebenen politischer Partizipation markierte einen durch das Kommunalrecht gestützten Widerspruch, der auch durch die liberale Wahlrechts theorie nicht aufgelöst werden konnte. Der politische Ausgleich, die Klassenversöhnung oder die politische Erziehung im Sinne bindender Verpflichtung mußten aber als gesellschaftspolitische Ziele ins Leere laufen, wenn sie nicht alle Bereiche politischer Machtzuweisungen und Einflußmöglichkeiten erfaßten. Es war daher auch kaum vorstellbar, daß die Arbeiterschaft, sobald sie organisatorisch zu einem Machtfaktor geworden war, sich der liberalen Trennung von Staat und Gemeinde unterwerfen und von einer Politisierung des Kommunalgeschehens absehen sollten. Der theoretisch stringenteste Versuch, die Abstufung politischer Rechte nach der sozialen Lage zu begründen, Gneists Ehrenamtsdoktrin, scheiterte letztlich an einem idealistischen Staatsbegriff und der Vernachlässigung der realen Macht der gesellschaftlichen Interessen?15 213 Zu Lassalle vgl. Shlomo Na'aman, Lassalle, Hannover 1970, 550 ff.; zum gleichen Wahlrecht insbesondere S. 586 ff. 214 Auf die klassenbedingten Wirkungschancen liberaler Honoratiorenpolitik macht Werner Greiling aufmerksam. Zum Linksliberalismus in Deutschland zwischen der bürgerlich-demokratischen Revolution und der Gründung liberaler Organisationen 1859/61, in: Politik und Ideologie des bürgerlichen Liberalismus im Revolutionszyklus zwischen 1789 und 1917, hrsg. von S. Schmidt, Jena 1983, S. 39-45. Kühne, Die Liberalen bei den preußischen Landtagswahlen im Kaiserreich. Wahlmanipulation, Lokalismus und Wahlkompromisse, in: Liberalismus und Region. Zur Geschichte des Liberalismus im 19. Jahrhundert, hrsg. von Gall/Langewiesche, München 1995, S. 277-305, weist die manipulativen Einwirkungen von liberalen Stadtverwaltungen, Honoratiorenzirkeln und Unternehmern bei den preußischen Landtagswahlen nach. 215 Im Grundsätzlichen Gneist folgend, jedoch das allgemeine und gleiche Wahlrecht auf der Grundlage eines indirekten Verfahrens favorisierend Constantin Rößler, Studien zur Fortbildung der preußischen Verfassung, 2 Abteilungen, Berlin 1863/64. Zu Gneist auch Heffter, Selbstverwaltung, S. 372 ff. Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 67 ff.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wah1refonnversuche

Wenn der einflußreiche Rechtsliberale den Anteil an der öffentlichen Macht durch den Besitz voraussetzenden Anteil an den öffentlichen Pflichten begründete und die Auflösung der Gesellschaft durch Zuordnung der Schichten nach ihrer Bedeutung für den Staat verhindert wissen wollte, erklärte er die jeweiligen politischen Rechte als Funktion im Rahmen eines Ganzen, dem zu dienen nicht aus persönlichem Nutzen, sondern aus sittlicher Verpflichtung erfolgte. Die Dominanz der sich in ehrenamtlicher Tätigkeit konkretisierenden Pflicht ließ bei Gneist das Wahlrecht als politische Kategorie in den Hintergrund treten. Es verwunderte nicht, daß in Gneists korporativem Gesellschaftsbild das allgemeine und gleiche Wahlrecht keinen Platz fand. Seine Interessenorientierung und individualisierende Wirkung bedrohte den Staatsaufbau. Dabei war die Ausgrenzung der städtischen Unterschichten für die Stabilität des politischen Systems nicht weniger bedrohlich. Das sollte sich in der entfalteten Industriegesellschaft Preußens schon bald zeigen. Angesichts der massenhaft verweigerten Teilhabe im Staat und in den Kommunen sank die Ehrenamtsdoktrin zu einer bedeutungslosen Ideologie herab, die in den Städten nur noch den exklusiven Kreis der bürgerlich-liberalen Honoratioren bewegte. 3. Wirkungen des Wahlsystems und die Sozialstruktur der Gemeindevertretungen

Fassen wir noch einmal zusammen: Allgemeine Voraussetzung des Kommunalwahlrechts war in den östlichen Provinzen des konstitutionellen Preußen der einjährige Aufenthalt in der Gemeinde, die Unabhängigkeit von Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln und die Bezahlung der Gemeindeabgaben. Zu den besonderen Bedingungen gehörte in alternierender Weise die Veranlagung zur klassifizierten Einkommensteuer, ein jährlicher Klassensteuerbetrag von vier Reichstalern, in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Gemeinden trat anstelle des Steuerbetrags ein Einkommensnachweis, der in Städten von über 50000 Einwohnern bei 300 Reichstaler lag. Der Besitz eines Wohnhauses oder der Betrieb eines stehenden Gewerbes als Haupterwerbsquelle, der in Städten mit über 10000 Einwohnern mindestens zwei Gehilfen beschäftigen mußte, eröffnete weiterhin den Weg zur Teilhabe?16 Wie beim Landtagswahlrecht lag ein ungleiches Wahlrecht vor, da eine Drittelung der Wahlberechtigten nach dem Gesamtsteueraufkommen vorgenommen wurde. Die erste Abteilung schloß die Wahlberechtigten mit den höchsten Beiträgen bis zu einem Drittel des Gesamtbetrages ein, während die zweite Klasse bis zur Hälfte des steuerlichen Gesamtaufkommens reichte und die noch verbleibende Hälfte die dritte Klasse ausmachte. Jede Abteilung wählte ein Drittel der Bürgerschaftsvertreter. 217 Im 216

§ 5, Ziff. 1-4, Tit. 1, StO 1853. OS 1853, S. 264 f.

3. Wirkungen des Wahlsystems

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Gegensatz zum Landtagswahlrecht kam in den Gemeinden ein direktes Wahlverfahren zum Zuge, es fiel demnach eine "Sicherung der MinoritätsUnterdrückung durch ihre Verdoppelung,,218 fort. Der Berechnung des Steueraufkommens lag nicht, wie bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus, nur die Summe der Staatssteuern,219 sondern der Betrag sämtlicher direkter Steuern zu Grunde, d.h. der Gemeinde-, Kreis-, Bezirks-, Provinzial- und Staatssteuern. Eine Aufstellung der Wählerlisten nach Urwählerbezirken, die dem Steuerbetrag eines Wählers in den einzelnen Stadtteilen ein ganz verschiedenes Wahlrecht verlieh, kannte das kommunale Wahlrecht weder zum Zeitpunkt der Einführung der Gemeindeordnung noch in späterer Zeit. Die kommunalen Wahlbezirke waren lediglich Einrichtungen zur Vereinfachung des Wahlverfahrens in den einzelnen Wahlabteilungen, ohne daß von der Priorität einer einheitlichen Wählerliste und der in der Hauptliste vorgenommenen Verteilung der Wahlberechtigten auf die drei Wählerklassen abgewichen wurde. D. h. für die einzelnen Wahlbezirke waren keine gesonderten Wählerlisten zu führen, die für sich in drei Abteilungen zerlegt wurden?20 Die Gemeindeordnung von 1850 kannte noch keine selbständigen Wahlbezirke' auch wenn die Gemeinde gegebenenfalls aus mehreren Ortschaften bestand?21 Dagegen wurde der § 14 der Städteordnung von 1853222 dahingehend ausgelegt, daß in dem Augenblick, wo eine Stadtgemeinde aus mehreren Ortschaften bestand, selbständige örtliche Wahlbezirke gebildet werden mußten, welche die gleichen Rechte besaßen wie der Gesamtwahlbezirk und in denen die Drittelung der Abteilungen innerhalb dieser Ortschaften erfolgte. 223 Während die Städteordnung von 1808 eine geheime Wahl vorschrieb, ordnete das konstitutionelle Kommunalrecht ein öffentliches Wahlverfahren mit mündlicher Stimmabgabe an?24 Anstelle einer Hausbesitzerquote von zwei Dritteln in jedem einzelnen Wahlbezirk, wie sie die vormalige Städteordnung forderte, bestimmte das nachrevolutionäre Kommunalgesetz, lediglich die Hälfte der von jeder Abteilung zu wählenden Gemeindeverordneten § 13, Tit. 2, StO 1853. A.a.O., S. 267 f. Ignaz Jastrow, Das Dreiklassensystem. Die preußische Wahlreform vom Standpunkte sozialer Politik, Berlin 1894, S. 103 219 A. a. 0., S. 9. Eine Änderung tritt mit dem Gesetz, betreffend Änderung des Wahlverfahrens vom 26. Juli 1893 ein, siehe insbesondere § 1. GS 1893, S. 103. 220 Oertel, Städte-Ordnung, 3Liegnitz 1900, S. 188 ff. 221 Rönne, Gemeinde-Ordnung, S. 92 f. u. 103 f. 222 § 14, Satz 2, Tit. 2, Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853. GS 1853, S. 268. 223 Oerte!, Städte-Ordnung, 3. Aufl., S. 179. 224 § 25, Abs. 1, Tit. 2, StO 1853. GS 1853, S. 271. 217 218

45 Grzywatz

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

mußten Hausbesitzer sein. Das konnten Eigentümer, Nießbraucher oder solche Personen sein, die über ein erbliches Besitzrecht verfügten. Eine nähere Qualifizierung des Hausbesitzes fand nicht statt. 225 Der höhere Zensus der Gemeindeordnung von 1850, der nicht mit dem selbständigen Gewerbebetrieb und dem Hausbesitz alternierte, hatte eine recht bemerkbare Abnahme der Zahl der Wahlberechtigten zur Folge, wenn auch nicht von einem dramatischen Rückgang gesprochen werden kann. Im Jahre 1848 waren 12,5 Prozent der männlichen Bevölkerung Berlins wahlberechtigt, zwei Jahre später sank dieser Anteil nach Inkrafttreten der Gemeindeordnung unter zehn Prozent (9,7 %). Etwa 6000 Personen hatten das Stimmrecht verloren, das entsprach einer Quote von rund 22 Prozent. Dieses Verhältnis war allerdings durch die Wähleraufnahme des Jahres 1848 beeinflußt, die vom Magistrat aus Opportunitäts gründen nicht mit der sonst üblichen genauen Kontrolle der Wahlrechtsqualifikation vorgenommen wurde. 226 Wenn von der vorrevolutionären Wählerliste ausgegangen wurde, reduzierten sich die Wahlrechts verluste auf einen Kreis von zirka 2000 Personen, das entsprach einer relativen Abnahme von etwa acht Prozent (genau: 7,8 %)?27 Nachdem die Wahlrechtsbeschränkungen durch die Städteordnung von 1853 etwas gelockert worden waren und der Magistrat begann, von einer Einkommenserrnittlung abzusehen und statt dessen die Einteilung der Wählerklassen nach den Ergebnissen der Steuererrnittlung vorzunehmen, machte sich eine deutliche Zunahme der Wahlberechtigten bemerkbar, die vor allem der dritten Wählerklasse zugute kam. 1854 lag der Anteil der Wahlberechtigten an der männlichen Bevölkerung bei 13,8 Prozent. Das Gewicht der Stimmen hatte sich infolge des Klassensystems allerdings erheblich verschoben. In den folgenden Jahrzehnten stieg die Quote mehr oder weniger kontinuierlich an. Das steigende Wachstum der Wahlberechtigtenziffer wurde in den siebziger Jahren durch die Errnäßigung des Steuerzensus und später durch die Einführung des "fingierten Norrnalsteuersatzes" begünstigt,228 so daß selbst links- oder sozialliberale Geister, unter Berücksichtigung der strukturellen Differenzen zum Landtagswahlrecht, eine hinreichende Vertretung der minder begüterten Schichten in den Gemeinden gewährleistet sahen. 229 § 16, Tit. 2, StO 1853. OS 1853, S. 268 f. Vgl. oben Kap. 6, Unterabschnitt 1. 227 Vgl. dazu, auch im folgenden, die Tab. 2 u. 8 im Stat. Anhang. Zur innerstädtischen Diskussion vgl. oben Kap. 6, Unterabschnitt 3. Vergleichszahlen für eine westfälische Stadt, wenn auch lückenhaft für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts bei Hofmann, Bielefelder Stadtverordneten, S. 166 f. 228 Zur Senkung des Oemeindewahlrechtszensus durch die Steuergesetzgebung siehe weiter unten. 225

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3. Wirkungen des Wahlsystems

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Diesem Urteil lag der bereits an anderer Stelle beobachtete Gegensatz von kommunalen und politischen Wahlen zu Grunde. Während der moderne Staat im Verhältnis zu seinen Bürgern das Prinzip von Leistung und Gegenleistung weitgehend aufgegeben hatte, schrieb der Nationalökonom und spätere Charlottenburger Stadtrat Jastrow noch Mitte der neunziger Jahre, nahm dieses im kommunalen Leben mit seinen mannigfachen Übergängen zwischen obrigkeitlicher und genossenschaftlicher Verwaltung noch einen weiten Raum ein. Deshalb wäre der Befürchtung, daß durch das allgemeine und gleiche Kommunalwahlrecht "eine besitzlose Mehrheit ganz ausschließlich auf Kosten einer besitzenden Minderheit willkürlich schalten könnte", eine gewisse Berechtigung für die kommunalen Vertretungen nicht abzusprechen. 23o Der liberale Vorbehalt traf im ausgehenden 19. Jahrhundert schon längst nicht mehr die Realität der Gemeindeverhältnisse, da einerseits die Stadtverordneten-Versammlungen, zumindest in den größeren Städten, weitgehend in politische Fraktionen zerfielen und andererseits Bestrebungen bestanden, die Kosten der Verwaltung durch indirekte Gemeindesteuern stärker auf die minder begüterten Schichten abzuwälzen. Jastrow wußte gleichwohl, daß die Kommunalrepräsentationen im wesentlichen nur Vertretungen der besitzenden Klassen waren, so daß, bei allen Bedenken des Liberalismus gegen ein demokratisches Kommunalwahlrecht, für eine angemessene Repräsentation der "unteren Volksklassen" zu sorgen war. Die mangelnde Vertretung der unteren Schichten rechtfertigte nach Ansicht des Sozialliberalen eine Stärkung der Staatsaufsicht als notwendiges Korrektiv der Selbstverwaltung. 231 Einen Weg in die Zukunft konnte diese Lösung der industriellen Gesellschaft nicht weisen, denn staatliche Fürsorge bildete kein Äquivalent für die vorenthaltene Gleichheit politischer Teilhabe. Die absolute und relative Zunahme der Wahlberechtigten war nicht nur eine Folge von Verfahrensänderungen bei der Steuer- und Einkommensermittlung sowie von Zensussenkungen, sondern sie wurde auch durch den allmählichen Anstieg der Arbeitslöhne beeinflußt, in dessen Folge sich die Zahl der Stimmbürger in der dritten Wählerabteilung vermehrte. 232 Für die Verhältnisse Berlins konnte kaum davon gesprochen werden, daß die Stimmbürger wenig nach Einkommensverhältnissen differenziert und sich bis in die sechziger Jahre hinein insgesamt noch eine soziale Homogenität des Bürgertums zeigte. 233 Darüber hinaus war die sozial zuspitzende WirJastrow, Dreiklassensystem, S. 103. A. a. 0., S. 104. 231 Jastrow, "Sozialliberal". Die Aufgaben des Liberalismus in Preußen, 2 Berlin 1894, S. 104 f. 232 Vgl. Krabbe, Stadt, S. 57. 233 Anders Hofmann, Stadtverordnetenversammlungen, S. 49; Krabbe, Stadt, S.57. 229

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

kung des Dreiklassenwahlrechts nicht zu vergessen. Schon bei der Einführung des Klassensystems zeichnete sich eine relativ scharfe Abgrenzung der Wählerklassen nach den Einkommensverhältnissen ab. Zwischen 1850 und 1854 machte die erste Abteilung weniger als ein Zehntel der Wähler aus, während etwa zwei Drittel der Stimmberechtigten in der dritten Klasse wählten. Nach 1856 nahm die Wahlberechtigtenquote der ersten Wählerabteilung schnell ab, 1862 wählten nur noch fünf Prozent der Wahlberechtigten in der ersten Klasse, nach 1872 wurden der Wert von drei, nach 1880 der von zwei Prozent unterschritten. Im Jahre 1883, als durch landesherrliche Anordnung die Berliner Kommunalvertretung aufgelöst werden sollte, wählten nur noch 1,7 Prozent der Wähler in der ersten Abteilung?34 Im gleichen Zeitraum nahm der relative Anteil der Wahlberechtigten in der zweiten Wählerklasse von 21,4 auf 8,6 Prozent ab, folglich gehörten am Ende dieser Periode fast neun Zehntel der Wahlberechtigten zur dritten Wählerklasse. Während sich die absolute Zahl der Wahlberechtigten erster Klasse zwischen 1850 und 1883 nur etwas mehr als verdoppelte und die Wahlberechtigten der zweiten Abteilung knapp um das Dreifache zunahmen, verzwölffachte sich die Zahl der Wähler in der dritten Klasse. Diese Tendenz war auch an der Entwicklung des Verhältnisses von Wählerabteilungen und männlicher Gesamtbevölkerung Berlins ablesbar. 235 Nachdem sich bei Einführung der Städteordnung von 1853 der Anteil der ersten Wählerklasse kurzfristig auf 1,2 bzw. 1,3 Prozent erhöht hatte, fiel die Quote bis 1883 auf 0,5 Prozent ab. D.h. weniger als ein Prozent der männlichen Bevölkerung verfügte zu diesem Zeitpunkt über ein Drittel der Stadtverordnetenmandate. Der Bevölkerungsanteil der zweiten Wählerklasse sank in ähnlichem Maße. 1883 war mit einer Quote von 2,7 Prozent fast der Stand von 1850 wieder erreicht. Dagegen hatte die Quote der dritten Wählerklasse fast auf drei Zehntel zugenommen (28,5 %). Im späteren Kaiserreich sollte sich diese Entwicklung noch verschärfen. Ähnlich wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Berliner Kommunalwahlen im konstitutionellen Preußen durch einzelne Wahlen entscheidend geprägt. War es vor 1850 die Einführungswahl im Jahre 1809 und die nach der Selbstauflösung der Kommunalvertretung angeordnete Neuwahl im ersten Revolutionsjahr, so stellten nach 1850 die erste Wahl unter der neuen Gemeindeordnung und die nach der staatlichen Auflösungsverfügung im Herbst 1883 angesetzte Wahl der Stadtverordneten-Versammlung wichtige Zäsuren dar. Der Kriegsausbruch im Jahre 1914 ist als weiterer Einschnitt anzusehen, mit dem das politische Leben in den Gemeinden, soweit es die Wahlen zu 234 235

Vgl. Tab. 9 im Stat. Anhang. Vgl. dazu Tab. 8 im Stat. Anhang.

3. Wirkungen des Wahl systems

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den Kommunalvertretungen betraf, praktisch zum Erliegen kam. Zunächst wurde den Stadtgemeinden durch Verordnung des Monarchen Anfang Mai 1915 die Möglichkeit gegeben, von der jährlich vorgeschriebenen Aufstellung der Gemeindewählerliste abzusehen bzw. im Falle einer gesetzmäßigen Berichtigung der Wählerlisten, die zwischenzeitlich eingetretene Minderung der Steuersätze oder der Einkommen außer acht zu lassen. Die Staatsregierung wollte den Kriegsteilnehmern im weitesten Sinne das kommunale Wahlrecht erhalten, um den politischen Konsens in den Gemeinden nicht zu gefährden?36 In der ersten Novemberwoche des nächsten Jahres erging eine weitere Ministerialverfügung, die den Stadt- und Landgemeinden die Befugnis erteilte, durch einen Gemeindebeschluß, der keiner staatlichen Genehmigung bedurfte, die regelmäßigen Ergänzungswahlen für die Dauer des Krieges jährlich zu verschieben. Die Wahlperioden der amtierenden Stadtverordneten verlängerten sich auf diese Weise, während die später nachrückenden Kommunalvertreter kürzere Zeiten hinnehmen sollten. 237 Die Berliner Kommunalkörperschaften machten von dieser Verordnung Gebrauch, so daß in der Reichshauptstadt während der letzten Kriegsjahre keine Kommunal wahl mehr stattfand. Im Jahre 1917 kam die Kommunalvertretung noch zu einem einhelligen Vertagungsbeschluß, im Juni 1918 plädierte die Fraktion der unabhängigen Sozialdemokraten gegen eine Verschiebung der Ergänzungswahlen, die allein die Wähler der dritten Abteilung betrafen. Die Unabhängigen wollten, nachdem es zur Spaltung der Sozialdemokraten gekommen war, die Kommunalwahl als Gelegenheit nutzen, um die Verankerung der beiden sozialdemokratischen Fraktionen in der Bevölkerung festzustellen. 238 Für einen kommunalpolitischen Wahlkampf war die Stadtverordnetenmajorität jedoch nicht zu gewinnen. Mit Einschluß der Mehrheitssozialdemokraten wollte man bis zum Ende des Krieges möglichst einmütig für die Interessen der Stadt sorgen, um, wie das führende Mitglied der fortschrittlichen Volkspartei Oskar Cassel bemerkte, "das Durchhalten der Bevölkerung nach Möglichkeit zu erleichtern".239 Die nächste Berliner Kommunalwahl fand erst nach dem Sturz der Monarchie statt. Die Städteordnung des monarchisch-konstitutionellen Staates sollte 236 Verfügung des Ministers des Innem vom 10. Juli 1915. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 137, BI. 54. Dazu die Magistratsvorlage vom 17. März 1916. VStBln 1916, Nr. 14, S. 176. 237 Vgl. dazu den Regierungsentwurf vom 4. November 1916. AlPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916117, AS Nr. 292, S. 1-3. Die Verordnung, betreffend Verschiebung der regelmäßigen Ergänzungswahlen zu den Gemeindevertretungen vom 4. November 1916. GS 1916, S. 141. Dazu die Ministerialverfügung an die Regierungs- und Oberpräsidenten vom 6. November 1916. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 137, BI. 84. 238 Rede Weyl, 13. Juni 1918. StBBln 1918, S. 228 f. 239 Rede Cassel, 13. Juni 1918. A.a.O., S. 230.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

dann zwar noch in Kraft sein, aber das kommunale Wahlrecht eine demokratische Grundlage erhalten haben. Die hauptstädtischen Kommunalwahlen waren demnach im konstitutionellen Preußen nicht durch Wahlen gerahmt, die jeweilig eine vollständige Ersetzung der amtierenden Stadtverordneten verlangten, sondern einer kompletten Neuwahl zum Zeitpunkt der Einführung der Gemeindeordnung stand lediglich eine staatlicherseits erzwungene Gesamtwahl der Kommunalvertretung gegenüber, die ungefähr in die zeitliche Mitte der konstitutionellen Periode fiel. Ansonsten fanden nur die im zweijährigen Rhythmus fälligen Ergänzungswahlen statt, bei denen jeweils nur ein Drittel der Gemeindevertreter neu gewählt wurde. Der Krieg sorgte dann in partizipativer Hinsicht für eine Art kommunalpolitischer Agonie. Die im Oktober 1883 angeordnete Kommunalwahl erhielt ihre Bedeutung, wahlhistorisch gesehen, sowohl durch die Tatsache, daß sie innerhalb des langen Zeitraums von 1851 bis 1915 die einzige Gesamtwahl der Berliner Kommunalvertretung darstellte, als auch durch die politischen und kommunalrechtlichen Begleitumstände. Diese Wahl wird daher im weiteren Verlauf der Untersuchung in mehrfacher Hinsicht einen besonderen Stellenwert einnehmen. Die Wahl zum neuen Gemeinderat, wie die Stadtverordneten-Versammlung in der kurzlebigen Geltung der Gemeindeordnung hieß, bestätigte den in den Revolutionsjahren beobachteten Trend, daß die Vertreter bildungsbürgerlicher Berufe verstärkt in die Gemeinderepräsentation gewählt wurden. Es kann mit erheblicher Berechtigung davon gesprochen werden, daß sich um die Jahrhundertmitte ein, wenn auch nicht struktureller, so doch tiefgreifender Wandel in der sozialen Zusammensetzung der Stadtverordneten-Versammlung vollzog. Im Jahre 1850 gehörten 23,5 Prozent der gewählten Kommunalvertreter zu den freiberuflich Tätigen sowie zu den höheren Beamten und leitenden Angestellten. Diese Berufsgruppe stieg neben den Kaufleuten zur stärksten Schicht unter den Gemeindevertretern auf. Zwar gab es in den sechziger und siebziger Jahren noch einmal eine leicht rückläufige Entwicklung, aber nach der Wahl von 1883 gehörte die Schicht der Bildungsberufe zur größten Gruppe innerhalb der Kommunalvertretung. Zahlenmäßig näherte sich ihr Anteil an den Stadtverordneten fast dem Wert von einem Drittel an. 240 Im späten Kaiserreich nahm das Bildungsbürgertum folglich jene Stellung ein, die dem Gewerbebürgertum oder genauer: den kaufmännischen Berufsschichten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zukam. Diese Aussage trifft allerdings nur, das muß hier relativierend angemerkt werden, für die direkte Gegenüberstellung der Summe der bildungsbürgerlichen und kaufmännischen Berufe zu. Wird die Gesamtheit der bildungsbürgerliche Berufe 240

Vgl. hierzu und im folgenden Tab. 7 im Stat. Anhang.

3. Wirkungen des Wahlsystems

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vertretenden Stadtverordneten mit jener der besitzbürgerlichen verglichen, zeigt sich auch im Kaiserreich eine politische Dominanz des Gewerbebürgertums in der Kommune?4\ Nach Einführung der Gemeindeordnung stellte das Bildungsbürgertum im Durchschnitt 25,7 Prozent der Stadtverordneten, vor 1850 hatten im allgemeinen nur 9,1 Prozent der Gemeinderepräsentanten dieser Schicht angehört?42 Wenn die Kommunalwahl von 1883 bzw. die Vertretung von 1884 als Ausgangspunkt genommen wird, erhöht sich die durchschnittliche Quote bildungsbürgerlicher Berufe in der Stadtverordneten-Versammlung auf 28,9 Prozent. Die stärkere Vertretung des Bildungsbürgertums in der Kommunalrepräsentation wirkt sich nicht gleichmäßig auf alle Berufsgruppen aus. Die höheren Beamten und die leitenden Angestellten waren in der Stadtverordneten-Versammlung eher unterrepräsentiert. Die Anteile blieben in den Untersuchungsjahren weitgehend unter fünf Prozent. Nur im Jahre 1850 erreichten die höheren Beamten eine Quote von über einem Zehntel (10,8 %). Dieser Wert stellte aber eine Ausnahme dar, die im wesentlichen durch die konservative Mobilisierung bei der ersten nachrevolutionären Kommunalwahl veranlaßt war?43

In den nachfolgenden Jahrzehnten spielten die höheren Beamten in der Kommunalvertretung keine bedeutende Rolle mehr. Einschränkend muß hier jedoch bemerkt werden, daß diese Aussage sich immer auf die aktuell amtierenden Beamten bezieht. Unter den Rentiers und Pensionären war stets ein gewisser Bodensatz ehemals höherer Beamtenberufe vertreten. Zudem gehörte ein Teil der Schuldirektoren und Lehrer sowie die Universitätsprofessoren ihrem rechtlichen Status nach zu den Beamten, so daß die Quote der Beamtenberufe eigentlich höher lag. Doch selbst wenn die genannten Berufsgruppen zusammengefaßt wurden, bildeten die Beamtenberufe nicht die stärkste Gruppe des in der Berliner Kommunalrepräsentation vertretenen Bildungsbürgertums. Der mittlere Anteil erreichte zwischen 1850 und 1914 etwa 8,5 Prozent. Wurden die Ergebnisse der Gesamtwahlen von 1850 und 1883 nicht berücksichtigt, bei denen die Konfrontation der Gemeinde mit dem Staat zu einem verstärkten Engagement der Beamten führte, reduzierte sich die Quote auf 6,8 Prozent. Bei der Wahl von Siehe auch weiter unten. Bei diesem Vergleich muß allerdings berücksichtigt werden, daß bei der Berechnung des Mittelwerts für die Periode von 1809 bis 1849 von der Gesamtzahl der überhaupt gewählten Stadtverordneten ausgegangen wird. Für die Periode von 1850 bis 1914 werden hingegen im zehnjährigen Rhythmus Bestandsaufnahmen der aktuellen Sozialstruktur vorgenommen und diese miteinander verglichen bzw. zur Grundlage der Mittelwertberechnung gemacht. Dieses Verfahren ist weniger genau, gibt aber nichtsdestotrotz wichtige Aufschlüsse über die langfristigen Trends der "Sozia1struktur" der Kommunalvertretung. 243 Vgl. dazu Kap. 6, Unterabschnitt 3. 241

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

1850 erreichte der Anteil dagegen 14,7 und im Jahre 1883 immerhin noch 11,2 Prozent. Die Kommunalrepräsentation war demnach für das Beamtenturn zwar ein nicht zu unterschätzender Bereich politischer Teilhabe auf örtlicher Ebene, aber als soziale Gruppe stellten die Beamten in den Kommunalvertretungen keineswegs einen dominierenden Faktor dar. Im Gegenteil, wie die Diskussion um die Wahl des Stadtverordnetenvorstehers im Jahre 1857 zeigte, gab es im liberalen Stadtbürgertum nicht unerhebliche Ressentiments gegen die Wahl von Beamten in die Gemeinderepräsentation. Es waren die freien Berufe, die das bildungsbürgerliche Element in den Kommunalvertretungen eindeutig dominierten. Während die leitenden Angestellten eine noch unbedeutendere Rolle als die Beamten spielten, war das weite Spektrum freiberuflicher Schichten unter den Stadtverordneten besonders stark repräsentiert. Eine gewisse Kontinuität gab es bei den Ärzten und Apothekern, die auch nach 1850 in der Gruppe der freien Berufe überdurchschnittlich vertreten waren. Spätestens in den achtziger Jahren entwickelten sich die Rechtsanwälte und Notare zu einer nicht minder starken, wenn nicht dominanten Gruppe des Bildungsbürgertums in den Gemeindevertretungen. Im Jahre 1890 saßen 9 Rechtsanwälte und Notare in der Berliner Kommunalvertretung, das waren 7,2 Prozent der Stadtverordneten?44 In den folgenden Jahren hielt sich die Quote annähernd auf diesem Niveau. Die verstärkte Einflußnahme der Rechtsberufe war erst durch die neuere Reichs- und Staatsgesetzgebung ermöglicht worden. Während den Rechtsberufen im Vormärz ein Stadtverordnetenmandat noch weitgehend vorenthalten wurde und auch der Konstitutionalismus in den ersten Jahrzehnten die Annahme einer Wahl zum Stadtverordneten sowohl bei den Staatsbeamten überhaupt als auch bei den Rechtsanwälten und Notaren von der Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörden abhängig machte,245 eröffnete die deutsche Rechtsanwaltsordnung vom l. Juli 1878 246 den Weg in die Kommunalvertretungen, da die Rechtsanwälte definitiv nicht mehr als Staatsbeamte angesehen wurden. Nach Art. 82 des preußischen Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit 247 bedurften die Notare zur Übernahme eines unbesoldeten Amtes in Das Stadtverordnetenverzeichnis von 1890 in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 2. Beschluß des Staatsministeriums vom 2. März 1851. MBliV, 12. Jg. (1851), S. 38. Die fortdauernde Gültigkeit des Ministerialbeschlusses wird von Bornhak, Bedürfen Beamte zur Annahme der Wahl als Stadtverordnete der Genehmigung ihrer vorgesetzten Behörden, in: PrVerwBI, 25. Jg. (1904), S. 301 f, bejaht, in einer Erwiderung von Hugo Preuß, a. a. 0., S. 387 ff, verneint. Stier-Somlo, Bürger- und Einwohnerrecht, S. 462 f, schließt sich Bornhak an. Vgl. dazu auch Oertel, Städteordnung, 6. Aufl., S. 106. 246 RGBI 1878, S. 177 ff 244 245

3. Wirkungen des Wahlsystems

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der Kommunaladministration oder der Gemeindevertretung Ende der neunziger Jahre nicht länger eine aufsichtsbehördliche Genehmigung. Zwar war das passive Wahlrecht der Rechtsanwälte und Notare durch die staatlichen Genehmigungsvorbehalte schon vorher nicht grundsätzlich beschränkt, aber die erforderliche Erlaubnis für die Annahme eines Mandats wirkte sich praktisch lange Zeit als Barriere für die Übernahme von Kommunalämtern aus. Neben den Rechtsanwälten und Notaren zogen mit Beginn der achtziger Jahre auch verstärkt Architekten und Ingenieure, Schriftsteller und Redakteure in die Gemeinderepräsentation ein. Die verstärkte Repräsentanz von publizistischen Berufen war dabei eine Folge des sozialdemokratischen Engagements in der Kommunalpolitik. Bei der Neuwahl von 1883 erreichte der Anteil der freiberuflichen Schichten an den Berliner Stadtverordneten insgesamt einen Umfang von 16 Prozent, bei Kriegsausbruch lag er bei 21 Prozent. Diese Veränderung der Sozialstruktur, die durch den verstärkten Einzug des Bildungsbürgertums in die Kommunalvertretung ausgelöst wurde, war, wie auf konservativer Seite aufmerksam registrierte wurde, zu Beginn der sechziger Jahre mit einer Konsolidierung des liberalen Einflusses in der Gemeinde verbunden. Die mit der Offensive des Liberalismus in die Gemeinderepräsentation einziehenden Stadtverordneten waren, so die mitunter abschätzige Wahrnehmung des kommunalbürokratischen Konservativismus,248 "zum Theil Ärzte ohne übermäßige Praxis, Schriftsteller ohne allzu großen Ruf, vor allem Männer ohne geteilte Erfahrung und Kenntnis im Kommunaldienst, dafür schätzbar als ungetrübter Fortschritt". Die politische Dominanz des Linksliberalismus in der preußischen Landes- und späteren Reichshauptstadt wurde durch die Kontinuität der bildungsbürgerlichen Präsenz in der Kommunalvertretung außerordentlich gestützt. Der Gegensatz zwischen Liberalismus und Konservativismus sorgte in der Gemeinde nicht nur für eine latente politische Spannung, sondern er führte in Zeiten offener Konflikte auch zu einer politisch motivierten Gleichsetzung von Liberalismus und Selbstverwaltung bzw. Konservativismus und staatlicher Orientierung?49 Als in der zweiten Hälfte der achtziger 247 OS 1899, S. 249. Vgl. hierzu Stier-Somlo, Bürger- und Einwohnerrecht, S.463. 248 V gl. die bereits genannte Rede des ehemaligen Stadtrats Woeninger auf der Wahlversammlung der vereinigten konservativen Partei am 3. November 1864. Vossische Zeitung, Nr. 274, Ausgabe vom 18. November 1864, 2. Beilage, S. 1. 249 Helmuth Croon, Das Vordringen der politischen Parteien im Bereich der kommunalen Selbstverwaltung, in: Croon/Hofmann/Unruh, Die kommunale Selbstverwaltung im Zeitalter der Industrialisierung (= Schriftenreihe des Vereins für Kommunalwissenschaften e.V. Berlin, Bd. 33), Stuttgart u.a. 1971, S. 36 f., sieht die Kommunalwahlen in der überwiegenden Zahl der preußischen Städte vor der Jahrhundertwende im allgemeinen noch nicht unter dem Einfluß parteipolitischer Aus-

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

Jahre das liberalkonservative Karte1l 250 versuchte, die Berliner Stadtverordneten-Versammlung zu majorisieren, mobilisierten die Linksliberalen ihre Parteibasis unter dem Leitmotiv, die Aufrechterhaltung und Ausbildung der kommunalen Selbständigkeit ständen mit einem weiteren Vordringen des Kartellblocks auf dem Spiel. Die Erfolge der städtischen Leistungsverwaltung wurden zu einem Synonym linksliberaler Kommunalpolitik erklärt. Die Stadtentwicklung drohte nach freisinniger Auffassung im Falle einer konservativen Majorität in der Gemeinderepräsentation, die zudem nicht ohne Einfluß auf die Zusammensetzung der kommunalen Exekutive sein konnte, zum Stillstand zu kommen. 251 Dabei war die Wahl eines konservativen oder nationalliberalen Kandidaten auch für den kommunalen Linksliberalismus nicht völlig ausgeschlossen, solange er die Garantie zu geben schien, sich im Verhältnis der Kommune zum Staat oder in ihrem Verhältnis zur Schule und Kirche für die "kommunale Freiheit und Selbstverwaltung" zu verbürgen. Die Selbstverwaltung galt als wichtiger Bestandteil partizipativer Rechte, die der Linksliberalismus gegen den Obrigkeitsstaat zumindest erhalten, wenn nicht ausbauen wollte. Diesem Ziel durfte selbst der gehütete Grundsatz der parteipolitischen Neutralität der kommunalen Verwaltung geopfert werden. Politisierung wurde dort, wo die Selbstverwaltung überhaupt auf dem Spiel stand, zur Pflicht. Im Zeichen des politischen Antisemitismus erschienen, nachdem sich die Sozialdemokratie zu Beginn der achtziger Jahre entschlossen hatte, an den Kommunalwahlen teilzunehmen, selbst Bündnisse mit der Arbeiterpartei auf Bezirksebene möglich. Zumindest appellierten die Linksliberalen an die Sozialdemokraten, ihre eigenen aussichtsreichen Kandidaten in den Stichwahlen gegen den Antisemitismus zu unterstützen. Erfolge waren derartigen Appellen des Kommunalliberalismus nicht zwangsläufig beschieden, auch wenn sich prominente Parteivertreter für ein Wahlbündnis einsetzten. Vor der im Dezember 1885 im achten Berliner Kommunalwahlbezirk ansteheneinandersetzungen. Diese Beobachtung trifft, wie auch eroon bemerkt, für Berlin nicht zu. Meines Erachtens müßte aber im Falle der übrigen Städte genauere Untersuchungen zur Entwicklung der Kommunalwahlen angestellt werden. Die älteren Berichte des Vereins für Socialpolitik sind in dieser Hinsicht unzulänglich. Es muß auch berücksichtigt werden, daß das Paradigma von der "unpolitischen" Gemeinde und der Gemeinwohlorientiertheit kommunaler Tätigkeit die wissenschaftliche Wahrnehmung beeinflußt hat. Zur Politisierung der Kommunalwahlen in den siebziger Jahren am Beispiel der Stadt Frankfurt am Main vgl. Roth, Stadt, S. 505 ff. 250 Zu den Wahlbündnissen und der parlamentarischen Blockbildung auf Staatsebene nach 1867 vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 259 ff. 251 Vgl. die Stellungnahmen der liberalen Presse Berlins zu den Ergänzungswahlen von 1885 und 1889 sowie den Ersatzwahlen von 1886. Vossische Zeitung, Nr. 554, Ausgabe vom 27. November 1885; Nr. 129, Ausgabe vom 8. März 1886. Berliner Tageblatt, Nr. 504, 570 u. 587, Ausgaben vom 28. Oktober, 9. u. 11. November 1889.

3. Wirkungen des Wahlsystems

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den Stichwahl warben der Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hasenclever, der die Sozialdemokratie auf eine anpassungswillige Reform- und sozialliberale Bündnispolitik verpflichten wollte, und der freisinnige Landtagsabgeordnete Albert Traeger in verschiedenen Wählerversammlungen gemeinsam für die Unterstützung des liberalen Kandidaten. Die kommunalen Parteivertreter plädierten jedoch für die Stimmenthaltung der Sozialdemokraten. Man sah es auf kommunaler Ebene als vorrangige Aufgabe an, "den liberalen Ring in der Stadtverordneten-Versammlung zu sprengen" ?52 Trotz der gelegentlichen Bündnisversuche war das Verhältnis von Linksliberalismus und Sozialdemokratie im Kommunalbereich durch eine ausgesprochene Distanz der Wählerschaften geprägt, wie sie die historische Wahlforschung überhaupt bei der Entwicklung des Parteiensystems in Deutschland nach der Reichsgründung beobachtet hat. 253 Das politisch-kulturelle Profil der linksliberalen Wählerschaft blieb durch die Präferenz der Nationalliberalen und Freikonservativen als Parteien zweiter Wahl geprägt, während die Sozialdemokraten als politische Zweitoption keine Rolle spielten. Die Linksliberalen bildeten insofern einen integralen Bestandteil des nationalen Lagers,254 obgleich sich die Wahrscheinlichkeit einer konservativen Option erst ab den achtziger Jahren allmählich erhöhte. 255 Dieser politischen Disposition der linksliberalen Wählerschaft konnten sich die Partei eliten kaum entziehen, die Bündnismöglichkeiten des Linksliberalismus 256 blieben daher, unabhängig von allen taktischen Erwägungen, eingeschränkt. Die Sozialdemokraten, die wie die Liberalen durch das urbane Milieu begünstigt wurden, aber entschiedener vom Fortschritt der Industrialisierung und Urbanisierung profitierten,257 wiesen hingegen, wie zeitweilige Bündnisbemühungen in Berlin vielleicht vermuten ließen, keine größere Nähe zu den Linksliberalen als zu den übrigen Parteien des nationalen Lagers auf. 252 Berliner Tageblatt, Nr. 623, Ausgabe vom 8. Dezember 1885. In der Stichwahl siegte schließlich der liberale Kandidat Vortmann. Siehe das Verzeichnis der am 24., 25., 26. November u. 15. Dezember 1885 gewählten Stadtverordneten, in: CBIBln, Jg. 1885, Beilage zu Nr. 52, S. 2 f. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 176, BI. 139. 253 Vgl. Rohe, Wahlen, S. 92 ff. 254 Zur Auskristallisierung eines Drei-Lager-Systems im ersten Jahrzehnt des Kaiserreichs siehe a. a. 0., S. 83 ff. Auf die dichotomische Wahlkultur Preußens weist auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 242 ff., hin. 255 Zur freisinnig-konservativen Annäherung am Beispiel der Provinzen Posen und Westpreußen a. a. 0., S. 288 ff. Zur Positionierung des Linksliberalismus im Zusammenhang mit der Instrumentalisierung des Bestätigungsrechts siehe Kap. 8, Unterabschnitt 2. 256 Näheres zur Typologie der Wahlbündnisse im wilhelminischen Preußen bei Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 225 ff. 257 Rohe, Wahlen, S. 103 f.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

War diese Entwicklung im Reich gewissermaßen Ausdruck der Pluralisierung der Wahlen, verfestigten sich in den preußischen Landtags- und den Berliner Kommunalwahlen dichotomische Konfliktstrukturen und eine Tendenz zur Monopolisierung. Bündnisse zwischen den Linksliberalen und Sozialdemokraten traten, nachdem sich die Arbeiterpartei 1897 auf dem Hamburger Parteitag zur Teilnahme an den Wahlen entschlossen hatte, nicht nennenswert in Erscheinung. Zwar gab die Sozialdemokratie schon zwei Jahre später das in Hamburg ausgesprochene Bündnisverbot auf und sprach sich unter bestimmten Bedingungen für eine Unterstützung der bürgerlichen Parteien aus,258 aber die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Partei sollten dadurch in keiner Weise gefährdet werden. In der Folge dieser strategischen Linie unterstützten die Sozialdemokraten nur vereinzelt linksliberale Kandidaten, insbesondere bei den Wahlen von 1898 und 1913. Zu dauerhaften wahlpolitischen Verbindungen mit den Liberalen kam es indessen nicht. Da der Freisinn es konsequent ablehnte, der Sozialdemokratie den Weg in den Landtag zu ebnen - Eugen Richter propagierte einen ZweiFronten-Kurs gegen Konservativismus und Sozialdemokratie259 -, war bei verschiedenen Wahlen eine sozialdemokratische Unterstützung konservativer Kandidaten zu beobachten, indem die Partei führung zur Stimmenthaltung aufforderte. 26o Erst im Zuge der parteipolitischen Polarisation nach 1909 entschlossen sich die Sozialdemokraten erneut zur gelegentlichen Unterstützung des Linksliberalismus, wenn sich die betroffenen Kandidaten für die Demokratisierung des Dreiklassenwahlrechts aussprachen. Die Öffnung des Fortschritts nach Links brachte der Sozialdemokratie, da die Linksliberalen nicht mehr an der Stichwahl teilnahmen, den Gewinn der drei Mandate im Wahlkreis Nieder- und Oberbarnim?61 Die Annäherungen waren insgesamt gesehen jedoch vereinzelter Natur - trotz der wiederholten publizistischen Bemühungen für ein linksliberales-sozialdemokratisches Bündnis?62 Die Berliner Kommunalwahlen waren noch schärfer als die Landtagswahlen von einer bipolaren Konfliktstruktur und einem dualistischen Par258 Ludwig Elm, Zwischen Fortschritt und Reaktion. Geschichte der Parteien der liberalen Bourgeoisie in Deutschland 1893-1918 (= Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften des Instituts für Geschichte, R. I, Bd. 32), Berlin 1968, S. 58 f. Konstanze Wegner, Theodor Barth und die freisinnige Vereinigung. Studien zur Geschichte des Linksliberalismus im wilhelminischen Deutschland (1893-1910) (= Tübinger Studien zur Geschichte und Politik, Bd. 24), Tübingen 1968, S. III ff. Zu Barth siehe auch Kap. 8, Anm. 400. 259 Vgl. Freisinnige Zeitung, Ausgabe vom 11. Februar 1903. 260 Von diesen "Strafaktionen" waren bei den Landtagswahlen von 1903 und 1908 der Berliner Umlandwahlkreis Teltow-Beeskow-Storkow und der westfälische Bezirk Bielefeld-Halle-Herford betroffen. Im Jahre 1908 trat Breslau hinzu. Siehe Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 282. 261 Siehe dazu Hagen Schulze, Otto Braun oder Preußens demokratische Sendung, Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1977, S. 158 ff.

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teiensystem geprägt. War es vor der Reichsgründung, unabhängig von der Fraktionierung der Lager, der konservativ-liberale Gegensatz, welcher schon Mitte der sechziger Jahre mit einer liberalen Majorisierung der Kommunalvertretung endete, so entwickelte sich ab Mitte der achtziger Jahre zunehmend ein liberal-sozialistischer Dualismus. Der kommunale Konservativismus, der im Zuge der Reform der Berliner Gemeindewahlkreise263 das Vertretungsmonopol des Liberalismus aufbrechen wollte, konnte sich nicht als ständige politische Kraft in Berlin etablieren. 264 Der Angriff der konservativ-antisemitischen Bürgerpartei gegen den Berliner "Fortschrittsring" blieb Episode, von den gewonnenen 13 Mandaten der Konservativen gingen mit einer Ausnahme alle bis zur Kommunalwahl von 1893 in mehreren Schritten wieder verloren. 265 Zudem waren die Konservativen nie in der Lage, in sämtlichen Kommunalwahlkreisen mit eigenen Kandidaten anzutreten. Mitunter gab es Doppel- und Dreifachkandidaturen von einzelnen Bewerbern, wie es anfangs auch von der Sozialdemokratie praktiziert wurde. 266 Ende der neunziger Jahre formierte sich die Bürgerpartei zur parteilosen Bürgervereinigung. Trotz erheblichem Mobilisierungsaufwand - man bot unter anderem den ehemaligen Hofprediger Stoecker als Kandidaten auf gelang der Einbruch in das liberale oder sozialdemokratische Wählerreservoir nicht. 267 Bei der Ergänzungswahl von 1903 mußte sich der noch allein als Vertreter der Konservativen in der Gemeindevertretung verbliebene Fabrikbesitzer Heinrich Pretzel im zweiten Wahlkreis der dritten Wählerklasse (Unter den Linden-Friedrichstadt) einer Stichwahl mit dem liberalen Hotelbesitzer Robert Leis stellen. Die Wahl bewegte die hauptstädtische Öffent262 Dazu von sozialdemokratischer Seite Julius Bruhns, Zu den preußischen Landtagswahlen, in: SMH, 7. Jg. (1903), S. 807-811. Richard Clawer, Wahlrechtskampf und Wahlkampf, in: SMH, 12. Jg. (1908), S. 331-334. 263 Zur Wahlkreisreform der achtziger Jahre und die politischen Auseinandersetzungen um die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung vgl. Kap. 8, Unterabschnitt 3 u. 4. 264 Die Politisierung der Gemeindewahlen war nicht, wie Croon, Parteien, S. 38, etwa meint, eine Folge der sozialen Zusammensetzung der Kommunalvertretungen, sondern vielmehr durch die Versuche von Teilen des städtischen Bürgertums begründet, die politische Monopolisierung der kommunalen Macht zu durchbrechen. 265 Vgl. dazu Vossische Zeitung, Nr. 540, Ausgabe vom 18. November 1891. Berliner Tageblatt, Nr. 638, Ausgabe vom 16. Dezember 1891 sowie die Nr. 578 u. 581, Ausgaben vom 12. u. 14. November 1893. Die Verzeichnisse der gewählten Stadtverordneten für die Jahre 1891 u. 1893 in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 161. 266 Siehe für die Wahl von 1893 den Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 535 u. 537, Ausgaben vom 14. u. 15. November 1893. 267 Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 523, Ausgabe vom 7. November 1899. Berliner Tageblatt, Nr. 568, Ausgabe vom 7. November 1899. Das Verzeichnis der gewählten Stadtverordneten in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 69.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

lichkeit, da die Sozialdemokratie zur Stimmenthaltung aufrief, obwohl sie Pretzel, insbesondere auf Grund seiner Bemühungen, die Zahl der jüdischen Lehrkräfte an den städtischen Schulen zu vermindern, seit Jahren bekämpft hatte. 268 Der Grund für das sozialdemokratische Verhalten lag in einer weiteren Stichwahl, bei der sich der Sozialdemokrat Werner und der Sozialfortschrittler Marggraff gegenüberstanden. Die Arbeiterpartei hoffte auf die Unterstützung ihres Kandidaten. Die Linksliberalen lehnten jedoch ein Entgegenkommen mit der Begründung ab, daß Marggraff von allen Mitgliedern der bürgerlichen Fraktionen den Sozialdemokraten am weitesten entgegenkam. Die Gegenkandidatur war der liberalen Hauptstadtpresse Beweis für die Illusion eines zukünftigen Bündnisses mit der Sozialdemokratie. Die Arbeiterbewegung kannte offensichtlich kein anderes Bündnis mit den bürgerlichen Parteien, so die Vossische Zeitung, als die Verdrängung. 269 Ein Urteil, das angesichts der liberalen Dominanz in der Kommunalvertretung völlig überzogen war. Beide Stichwahlen konnten die Liberalen für sich entscheiden. Mit Pretzel war das konservative Bürgertum endgültig aus der Berliner Kommunalvertretung verdrängt worden. Bei der folgenden Gemeindewahl versuchten die Konservativen vergeblich als Mittelstandspartei in die Kommunalvertretung zurückzukehren. 27o Das anvisierte Rekrutierungsfeld der Konservativen, Staatsbeamte, akademisch gebildete Freiberufler, Handel, Handwerk und Rentiers, war weitgehend durch den Kommunalliberalismus besetzt, so daß alle Versuche, auf diesem Wege politischen Einfluß in der Kommunalpolitik zu gewinnen, zum Scheitern verurteilt waren. Politische Konkurrenzen gab es bei den Kommunalwahlen im wesentlichen nur in der dritten Wählerklasse. Die ersten beiden Wählerabteilungen waren vom Liberalismus monopolisiert. Es gab zwar gelegentliche Kandidaturen der Konservativen in der zweiten Klasse, politisch waren sie indessen bedeutungslos. Wenn es überhaupt zu ernsthaften konkurrierenden Bewerbungen um einzelne Mandate in der ersten und zweiten Wählerklasse kam, handelte es sich vorwiegend um unterschiedliche Kandidaten des liberalen Stadtbürgertums, die den Fraktionen der alten und neuen Linken angehörten. 271 In der ersten Abteilung kam es häufig vor, daß Gegenkandidaten überhaupt fehlten, so daß weniger von einer Wahl als von einer Bestätigung der vorhandenen Mandate ausgegangen werden mußte. 272 Vossische Zeitung, Nr. 584 u. 585, Ausgaben vom 14. u. 15. Dezember 1903. Vossische Zeitung, Nr. 588, Ausgabe vom 16. Dezember 1903. 270 Berliner Tageblatt, Nr. 574, Ausgabe vom 10. November 1905. Das Verzeichnis der 1905 gewählten Stadtverordneten in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 103. 27! Beispielhaft die Wahl von 1903. Siehe Berliner Tageblatt, Nr. 606, Ausgabe vom 29. November 1903. 268 269

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Bei den Berliner Kommunalwahlen fehlten also in erheblichem Maße umstrittene Wahlkreise und folglich gab es nur ein geringes Kandidatenangebot. Die dominierenden Liberalen konnten ihre Kandidaten ohne ernsthafte Anfechtung aufstellen und ihre Position ohne größere Angriffe seitens konkurrierender Parteien befestigen. 273 Die Wahlen in den ersten bei den Wählerabteilungen litten unter einer Stagnation, die eine plurale Konfliktsituation erst gar nicht aufkommen ließ. Der hohe Anteil unumstrittener Wahlkreise führte insofern zu einer Verödung der politischen Kultur. Ernst Bruch hatte diese Entwicklung schon in der Zeit vor 1880 beobachtet und daraus den Schluß gezogen, daß die Differenzen des auszuübenden Wahlrechts bedeutender waren als die Differenzen des wirklich bei einer Wahl ausgeübten Stimrnrechts. 274 Als Beispiel führte er die Ergänzungswahl von 1868 an. 275 In der ersten und dritten Wählerabteilung konnten die gewählten Stadtverordneten durchschnittlich über drei Viertel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen, in der zweiten Abteilung lag der durchschnittlich errungene Stimmenanteil mit 73 Prozent nur unwesentlich niedriger. Ein zweiter Wahlgang wegen des Fehlens der absoluten Mehrheit war überhaupt nur in fünf Kommunalwahlkreisen notwendig, von denen drei auf die erste, die bei den restlichen jeweils auf die zweite und dritte Wählerklasse entfielen. 276 Ein Massenwahlkampf fand überhaupt nur innerhalb der dritten Abteilung statt. Die große Masse der Wähler, das erweiterte Kandidatenangebot und eine größere Anzahl umstrittener Wahlkreise ließ in der Öffentlichkeit den Eindruck entstehen, daß in den Kommunen eigentlich nur die Wahlen in der dritten Abteilung "von politischer Bedeutung,,277 waren. Mit dem zunehmenden Engagement der Sozialdemokraten verfestigte sich indessen auch in der dritten Klasse eine bipolare Konfliktsituation, die nach der Jahrhundertwende in eine Tendenz zur Monopolisierung umschlug, da die Sozialdemokraten sich einen immer größeren Teil der Mandate dieser Abteilung unumstritten sichern konnten. Diese monopol artige Verteilung der politischen Teilhabe sorgte auch für die geringe Fluktuation unter den Mitgliedern der Stadtverordneten-Ver272 Hierzu auch die Wahl von 1903. Berliner Tageblatt, Nr. 608, Ausgabe vom 30. November 1903. 273 Die Neigung zur politischen Einseitigkeit liberaler Formierung in der Kommune hebt Hettling hervor, Von der Hochburg zur Wagenburg. Liberalismus in Breslau, in: Liberalismus und Region, S. 253-276. 274 Bruch, Gemeindewahlen, S. 120. Vgl. auch Hermes, Stadtverordnetenwahlen, S.2. 275 Vgl. Tab. 12 im Stat. Anhang. 276 Bruch, Gemeindewahlen, S. 121. 277 So etwa die Vossische Zeitung, Nr. 540, Ausgabe vom 18. November 1891.

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sammlung. 1881 gehörten über ein Viertel der Gemeindevertreter (25,4 %) dem Kommunalparlament länger als zehn Jahre an, knapp ein Viertel war zwischen fünf bis neun Jahre im Stadtverordnetenamt, nur die Hälfte blickte auf eine vierjährige bzw. darunterliegende Wahlzeit zurück. Dieser Anteil fiel 1881 nur deshalb ungewöhnlich hoch aus, weil staatlicherseits allgemeine Neuwahlen angeordnet waren. 1895 lag der Anteil der seit zehn Jahren und länger berufenen Stadtverordneten bei 34,9, Anfang 1901 bei 32,2 und zu Beginn des Jahres 1906 bei 39,4 Prozent, die Quote der seit vier und weniger Jahren gewählten Gemeindevertreter schwankte in den angegebenen Jahren zwischen 34,4 und 33,6 Prozent. 278 In der Gemeindevertretung gab es demnach weiterhin ein hohes Maß an personaler Kontinuität, dreimalige Wahlperioden waren keine Seltenheit. Trotzdem konnte das hohe Maß an personaler Stetigkeit in der Stadtverordneten-Versammlung nicht als Mangel an politisch-programmatischen Auseinandersetzungen oder politischen Orientierungen bei den Kommunalwahlen interpretiert werden. Die Gemeindewahlen hatten stets einen politischen Charakter, dessen Entfaltung in einer pluralen Politikkultur wurde jedoch durch das Wahlsystem verhindert. Das konservativ-antisemitische Bündnis hatte unter dem Einfluß des christlich-sozialen Reformismus Stoeckers weniger die Arbeiterschaft als den unteren Mittelstand und die freiberuflichen Existenzen angesprochen, Wählerschichten also, die ebenfalls von der Sozialdemokratie umworben wurden. Bei der bereits mehrfach genannten Wahl von 1883 gewannen die Liberalen in der dritten Abteilung 10764 Stimmen, die Bürgerpartei konnte 9794 und die unter der Repression der Sozialistengesetze agierenden Sozialdemokraten immerhin noch 2468 Stimmen für sich verbuchen. 279 Bei den zwei Jahre später anstehenden Ergänzungswahlen waren in der dritten Abteilung jeweils sechs liberale und konservative sowie zwei sozialdemokratische Mandate ausgelost worden. Während die Arbeiterpartei ihre Mandate bei der Wahl behaupten konnte, verlor die konservativ-antisemitische Allianz ein Mandat - der Präsident des Deutschen Antisemitenbundes, Wilhelm Pickenbach, mußte die Berliner Kommunalvertretung verlassen?SO Der Kommunalliberalismus, der in der Öffentlichkeit nicht mit der politischen Freisinnigkeit gleichgesetzt, sondern als eine verbindende Haltung 278 Alle Zahlen berechnet nach: VerwBBln, 1877-1881, T. I, S. 28; 1889-1895, T. I, S. 15; 1895-1900, T. I, S. 11 u. 1901-1905, T. I, S. 11. 279 Vossische Zeitung, Nr. 554, Ausgabe vom 27. November 1885. Ausschnitt auch in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 176. Falsche Zahlen bei Hennes, Stadtverordnetenwahlen, S. 5. In den ersten beiden Abteilungen gingen sämtliche Mandate an die Liberalen. In der ersten Klasse war das Verhältnis von linksliberalen zu konservativen Stimmen 5603: 1294, in der zweiten Klasse 21221 :6733. Zu den politischen Hintergründen der Wahl und die endgültige Mandatsverteilung siehe Kap. 8, Unterabschnitt 3.

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definiert wurde, die von der Selbstverwaltung als oberstem Grundsatz bei der Beurteilung aller städtischen Angelegenheiten ausging,281 hatte bei 19339 abgegebenen Stimmen den Zuspruch von 7870 Wählern erhalten, 6212 Stimmberechtigte wählten die Konservativen, während auf die Sozialdemokratie 5233 Stimmen entfielen. Diese Zahlen deuteten schon an, daß die Gewinne der Arbeiterpartei vor allem zu Lasten der bürgerlichen Konservativen gingen. Wenn die Wähleranteile zum Vergleich herangezogen werden, verdeutlicht sich diese Tendenz. Im Jahre 1883 gewannen die Liberalen 46,8 Prozent der abgegebenen Stimmen, zwei Jahre später waren es noch 40,7 Prozent. Für die Vertreter der Bürgerpartei entschieden sich 1883 genau 42,1 Prozent der Wähler, 1885 ging ihr Stimmen anteil in der dritten Wählerklasse auf 32,1 Prozent zurück. Die Sozialdemokraten konnten dagegen ihren Anteil von 10,6 auf 27,1 Prozent steigern. 282 Das Stimmenverhältnis hatte sich demnach bedeutend zu Gunsten der Arbeiterpartei verschoben, an deren Stimmengewinn war die Bürgerpartei freilich mit einem größeren Anteil als die Liberalen beteiligt. Diese Tendenz sollte sich mit einiger Verzögerung bei den folgenden Wahlen fortsetzen, wobei die Sozialdemokraten zunehmend auch in die Wahlkreise der Liberalen eindrangen. Die Kommunalwahlen von 1887 und 1889 standen zunächst jedoch im Zeichen des konservativ-nationalliberalen Bündnisses. Bereits im Jahre 1884 hatten die Nationalliberalen begonnen, sich auf lokaler Ebene zu organisieren. Nachdem es Ende August 1880 zur Sezession der Linken um Max Forckenbeck und Ludwig Bamberger gekommen war und die Nationalliberalen sich als Mittelpartei fonnierten, die sich offen nach rechts zeigte und weiterhin das Bündnis mit dem Reichskanzler suchte,283 trat in den Kommunen zum ersten Mal die Möglichkeit von Wahlbündnissen zwischen der konservativen Bürgerpartei und einem Teil des städtischen Liberalismus in Aussicht. 284 Bei der Wahl von 1887 konnten die von Baurat Kyllmann geführten Nationalliberalen im Kartell mit den Konservativen freilich weder den Stimmenanteil des Bündnisses noch die Zahl ihrer Sitze in der Stadtverordneten-Versammlung erhöhen. Von den 14 ausgelosten Mandaten der dritten Abteilung waren zehn im Besitz der Linksliberalen, während vier 280 Berliner Tageblatt, Nr. 519 u. 598, Ausgaben vom 13. Oktober u. 25. November 1885. Verzeichnis der gewählten Stadtverordneten in CBlBln, Jg. 1885, Nr. 52, Sonderbeilage, S. 1-3. 281 Vossische Zeitung, Nr. 554, Ausgabe vom 27. November 1885. 282 Ebd.; ohne Berücksichtigung der zersplitterten Stimmen. Die in der Presse veröffentlichen Zahlen weichen leicht vom amtlichen Endergebnis ab, das im CBlBln, Jg. 1885, Nr. 52, Sonderbeilage, S. 1-3 publiziert wurde. Die in der Presse veröffentlichten Zahlen sind jedoch unentbehrlich, da sie allein eine Aufgliederung nach politischen Parteien bieten. 283 Langewiesche, Liberalismus, S. 178. 284 Hermes, Stadtverordnetenwahlen, S. 5 f. 46 Grzywatz

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auf die konservative Bürgerpartei entfielen. Das liberalkonservative Bündnis eroberte zwar zwei neue Wahlkreise, verlor aber gleichzeitig zwei bisher gehaltene Bezirke an die Linksliberalen und einen weiteren Wahlkreis an die Sozialdemokratie, so daß die Wahlen in der dritten Wählerklasse mit dem Verlust eines Mandats endeten. Dieser Verlust konnte noch durch den Gewinn eines Mandats in der ersten Abteilung ausgeglichen werden, das Kyllmann erringen konnte. 285 War der "anti liberalen" Allianz schon bei dieser Wahl kein Erfolg beschieden, so wurde ihr bei der Kommunalwahl von 1899 eine vernichtende Niederlage beigebracht, mit der das Kartell in der Reichshauptstadt zerbrach. Gleichzeitig sollte der Sozialdemokratie, die bei der zurückliegenden Wahl nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, ein weiterer Einbruch in das bürgerliche Lager gelingen. Der Gesamtvorstand des Kartellvereins im ersten und zweiten Reichstagswahlkreis eröffnete den Wahlkampf mit der Aufforderung, die liberalkonservativen Kandidaten bei den Kommunalwahlen zu unterstützen. Die linksliberale Hauptstadtpresse warnte vor einer Rechtsentwicklung in der Kommunalvertretung und rief mit Erfolg zur Geschlossenheit der freisinnigen Wählerschaft auf. Über die Politisierung der Kommunalwahlen wurde in der Öffentlichkeit mit einer gewissen Erregung debattiert, gegenseitige Schuldzuweisungen sollten den jeweiligen politischen Kontrahenten als Gegner eines am Kommunalwohl orientierten Konsenses diskreditieren. Konservative, aber unabhängige Stadtverordnete wie der Geheime Oberregierungsrat Spinola sprachen sich überhaupt gegen Mandatskonkurrenzen aus und traten für eine Bestätigung verdienter Stadtverordneter bei den Wahlen ein. 286 Der Linksliberalismus - in der Öffentlichkeit als Hüter der kommunalen Freiheit und Selbständigkeit, als Partei mit der größten Liberalität und Duldsamkeit hochstilisiert,287 von den Konservativen der "Herrschsucht und des Terrorismus" geziehen _288 hatte wiederum 10 Mandate in der dritten Wählerklasse zu verteidigen, vier Mandate hielten die Konservativen, zwei weitere die Sozialdemokratie. Drei Mandate verlor die Bürgerpartei an die Sozialdemokraten, den vierten Sitz an den Freisinn. Die Linksliberalen mußten insgesamt vier Mandate an die Arbeiterpartei abgeben, so daß der Sozialdemokratie sieben neue Mandate zufielen. Die bisher von der Arbei285 Berliner Tageblatt, Nr. 598 u. 633, Vossische Zeitung, Nr. 551 u. 583, Ausgaben vom 25. November u. 14. Dezember 1887. 286 Vgl. dazu National-Zeitung, Ausgabe vom 18. Oktober 1889. Vossische Zeitung, Nr. 504, Ausgabe vom 28. Oktober 1889. Berliner Tageblatt, Nr. 570, Ausgabe vom 9. November 1889. 287 Berliner Tageblatt, Nr. 587, Ausgabe vom 19. November 1889. 288 Wahlaufruf des konservativen Wahlkomites im 30. Gemeindewahlbezirk. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 2.

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terpartei gehaltenen Wahlkreise 14 und 15 konnten im ersten Wahlgang ohne größere Schwierigkeiten wiedergewonnen werden. Bei den Stichwahlen zwischen sozialdemokratischen und bürgerparteilichen Kandidaten rief der Wahlverein der deutschen Fortschrittspartei im zweiten Reichstagswahlkreis, der durch Rudolf Virchow vertreten wurde, zur Wahl der Sozialdemokraten auf. 289 Das "Fiasko des Kartells" (Berliner Tageblatt) verschärfte sich dadurch, daß von den 28 Mandaten der ersten und zweiten Wählerklasse, auf die sich der Wahlkampf der Freikonservativen und Nationalliberalen konzentriert hatte, kein einziges gewonnen werden konnte. Die Linksliberalen brauchten in keinem Wahlkreis zur Stichwahl antreten. Im besonders umstrittenen fünften Wahlbezirk, den der vom Freisinn zum Nationalliberalismus gewechselte Kommerzienrat Oechelhäuser vertrat, setzte sich der linksliberale Kandidat, der Fabrikant Herrnann Plischka, ohne Schwierigkeiten durch. 29o Die konservative und rechtsliberale Presse machte einerseits den Antisemitismus andererseits die "Zerfahrenheit" des konservativen Lagers für die Wahlschlappe verantwortlich?91 Angesichts des sozialdemokratischen Erfolgs, der auf Grund des beschränkten Stimmrechts auch nach liberaler Auffassung sehr ins Gewicht fiel, wurde die Zersplitterung der bürgerlichen Parteien beklagt und gleichzeitig dem Linksliberalismus der Vorwurf gemacht, ein Wahlbündnis mit den Sozialdemokraten anzustreben. Diesen Vorwurf gaben die Freisinnigen umgehend zurück, denn trotz der Aufrufe des fortschrittlichen Wahlvereins im zweiten Reichstagswahlkreis und des freisinnigen Arbeiter-Vereins im 35. Kommunalwahlbezirk 292 konnte nicht von einer geschlossenen Unterstützung der Sozialdemokratie durch den Kommunalliberalismus die Rede sein, zumal es bei den Stichwahlen Angebote der Bürgerpartei an die Sozialdemokratie gegeben hatte, die dezidiert gegen die Linksliberalen gerichtet waren?93 Die Gewinne der Arbeiterpartei führte die liberale Hauptstadtpresse auf die gelungene Mobilisierung des eigenen Wählerpotentials und einen engagierten Wahlkampf zurück, der die sozialdemokratischen Kandidaten dem eigenen Wähleranhang überzeugend nahe gebracht hatte. Der Zuwachs von rund 3000 Stimmen in elf Kommunalwahlkreisen, in denen die Sozialdemokraten angetreten waren, führte den Kartellparteien das Mobilisierungspotential der Arbeiterpartei vor Augen. Es ließ sich nicht übersehen, daß zukünftige Erfolge der Sozialdemokratie in der Reichshauptstadt nur im Bündnis mit den Linksliberalen zu verhindern waren. 289 290 291 292 293

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Berliner Tageblatt, Nr. 601, Ausgabe vom 26. November 1889. Berliner Tageblatt, Nr. 591 u. 593, Ausgaben vom 21.122. November 1889. Die Post, National-Zeitung, Ausgaben vom 20. November 1889. Berliner Tageblatt, Nr. 626, Ausgabe vom 10. Dezember 1889. Vossische Zeitung, Nr. 582, Ausgabe vom 12. Dezember 1889.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

Unter der Herrschaft des Sozialistengesetzes hatten die Sozialdemokraten insgesamt elf Mandate gewinnen können, bis 1893 folgten sechs weitere Mandate. Nach einer Stagnation bei den Wahlen von 1895 und 1897, die sogar den Verlust eines Wahlkreises brachten, konnten die Sozialdemokraten bei der nächsten Kommunalwahl die Zahl ihrer Sitze in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung auf 22 erhöhen. Bis zum Jahre 1908 gelang es, die Zahl der sozialdemokratischen Mandate auf 33 zu steigern, fünf Jahre später hatte die Arbeiterpartei mit 43 Mandaten die Vertretung der dritten Wählerabteilung in Berlin fast vollständig übernommen?94 Da die Sozialdemokratie eine wesentlich größere Mobilisierungs- und Reproduktionskraft als die bürgerlichen Parteien entwickelte, folglich stärker von den sozialstrukturellen Veränderungen des späten 19. Jahrhunderts profitierte, hielt der Linksliberalismus an der sozialen Verengung der politischen Partizipation in der Gemeinde fest. Die Behauptung des Fortschritts, in den Stadtgemeinden habe die große Masse der Bevölkerung "immerhin Gelegenheiten, sich Gehör zu verschaffen",295 diente nur dem Überdecken der Tendenz zu oligarchischen Machtverhältnissen in den Kommunen. Praktisch handelte es sich um eine affirmative Beschönigung der realen politischen Verhältnisse auf kommunaler Ebene. Es war eine propagandistische, letztlich antidemokratische Abwehr, die allein dem Ziel diente, "die letzten Bastionen des Liberalismus im Deutschen Reich",296 eben die Stadtund Gemeindevertretungen, als liberale Machtposition zu erhalten. Mit der Formierung der politischen Parteien auf kommunaler Ebene war, wie auf linksliberaler Seite aufmerksam registriert wurde,297 nicht nur die Absicht verbunden, die kommunalen Tätigkeiten allgemein zu politisieren, mithin die Gemeinden zum Feld örtlich begründeter parteipolitischer Auseinandersetzungen zu machen, sondern auch die Zielsetzung vermittelt, über die Entwicklung des kommunalen Einflusses die Ausgangspositionen der Parteien für die Landtags- und Reichstagswahlen zu verbessern?98 Dieses über 294 Vgl. Eduard Bernstein, Die Berliner Arbeiterbewegung von 1890 bis 1905, Berlin 1924, S. 213 ff.; Dieter Fricke, Handbuch zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung 1869 bis 1917, Bd. 2, Berlin 1987, S. 474 ff. 295 So der freisinnige Berliner Stadtverordnete Hans Ullstein während der Wah1rechtsdebatte in der Stadtverordneten-Versammlung am 17. Februar 1910. StBBln 1910, S. 65. Ähnlich Preuß, Entwicklung, S. 374 f. 296 Sheehan, Liberalismus, S. 269. Zur Problematik der Selbstverwaltung als Moment der Demokratisierung vgl. oben Kap. 2, Unterabschnitt 2. Ansonsten auch Püttner, Verhältnis, S. 5 f. Herzfeld, Demokratie, S. 11 ff. Eschenburg, Mythos und Wirklichkeit, S. 129 ff. 297 Allgemein Hennes, Stadtverordnetenwahlen, S. 21 298 Als Beispiel seien hier die Kommunalwahlen von 1889 genannt, die von sämtlichen beteiligten Parteien und auch von der Hauptstadtpresse in einem engen Zusammenhang mit den bevorstehenden Reichstagswahlen gebracht wurden. Die Auseinandersetzungen in einzelnen Wahlkreisen, in denen sich führende Persönlich-

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den kommunalen Rahmen hinausweisende politische Ziel gab den Auseinandersetzungen in den Kommunen erst die beobachtete Schärfe. Die Linksliberalen funktionierten die Angriffe auf ihre lokale Machtbasis - davon wurde bereits gesprochen - zu einem Konflikt zwischen der kommunalen Selbstverwaltung und dem monarchischen Obrigkeitsstaat um, der angeblich die "Gemeindefreiheit" ins Visier genommen hatte. Gleichzeitig rechtfertigten sie mit diesem Konflikt die rücksichtslose Ausnutzung ihrer Majoritätsstellung bei der Besetzung der Ausschüsse und Deputationen in der Gemeinde. Mitglieder des liberalkonservativen Bündnisses oder der Bürgerpartei hatten wenig Aussicht, in wichtige Verwaltungskommissionen gewählt zu werden. "Eine Stadtverordneten-Versammlung, die sich selbst und ihre Rechte achtete", so die Rechtfertigung des freisinnigen Reichstagsabgeordneten Otto Hermes, "würde sich selbst ins Gesicht schlagen, wenn sie Vertreter einer Partei, welche bei jeder Gelegenheit bereit ist, gegenüber den Staatsbehörden die Rechte der Selbstverwaltung preiszugeben, mit Verwaltungsämtern betreuen wollte, bei denen es darauf ankommt, die Selbstverwaltung der Stadt Berlin nach jeder Richtung zu wahren".z99 Beispiele für die "Unterwürfigkeit" gegenüber dem Staat machte Hermes in der Opposition der konservativen Fraktion gegen eine Reichstagspetition der städtischen Körperschaften, die zur Ablehnung der Getreidezollerhöhung auffordern sollte, oder in der Unterstützung eines Oberpräsidialerlasses aus, der die von sozialdemokratischer Seite beantragte kommunale Verhandlung über die Erhöhung der Berliner Landtagsmandate untersagte. In beiden Fällen ging es nicht, wie Hermes glauben machen wollte, um die Verteidigung der kommunalen Selbstverwaltung vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen, sondern eben um die Funktionalisierung der Gemeindevertretung für parteipolitische Auseinandersetzungen. Für wichtige Streitfragen der Reichs- und Landespolitik wurden die Kommunalrepräsentationen zunehmend als parteipolitische Foren genutzt. So versuchte man, das rechtlich garantierte Petitionsrecht der Städte politisch einzusetzen, indem durch die Stellungnahme der Gemeinden Druck auf die übergeordneten Repräsentativorgane ausgeübt wurde. Die restriktive Auslegung des kommunalen Petitionsrechtes bzw. des Begriffs der Gemeindeangelegenheiten durch den Kommunalkonservativismus konnte das diffakeiten des Linksliberalismus um ein Stadtverordnetenmandat bemühten, wie etwa Rudolf Virchow im siebten Wahlbezirk der dritten Wählerklasse, wurden geradezu als "Generalprobe" für die Reichstagswahlen eingestuft. Es verwunderte daher nicht, daß der Wahlkampf mit entsprechender Härte geführt und dem Wahlgeschehen erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Berliner Tageblatt, Nr. 588, 591 u. 593, Ausgaben vom 19., 21. u. 22. November; Vossische Zeitung, Nr. 582, Ausgabe vom 12. Dezember 1889. 299 Hermes, Stadtverordnetenwahlen, S. 20 f.

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mierende Urteil der Unterwürfigkeit kaum rechtfertigen. Mochte sich die rechtliche Position der Konservativen, die im übrigen durch die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bestätigt wurde, auf den ersten Blick auch wie eine einseitige Unterstützung der Regierungspolitik ausnehmen. Soweit die inneren Angelegenheiten der Kommunen, insbesondere ökonomische Interessen des Wirtschaftsbürgertums berührt waren, zeigten die liberalen Fraktionen häufig keine Skrupel, das Verhältnis der Gemeinde zum Staat zu politisieren. Staatliche Ordnungseingriffe wurden als politische Angriffe auf die Selbstverwaltung diskreditiert und damit auch der politische Gegner in der Gemeindevertretung, der sich anschickte, eine Anordnung der Regierungsbehörden zu unterstützen. Hermes verunglimpfte die Bereitschaft der konservativen Stadtverordnetenfraktion, kostentreibende feuerpolizeiliche Auflagen bei den städtischen Markthallenbauten sowie den Erlaß der neuen Baupolizeiordnung von 1886 zu akzeptieren, die den Grundbesitz aus heutiger Sicht mit geringfügigen Baubeschränkungen belastete, als Preisgabe der Selbstverwaltung. Die Unterstützung interessenschädigender Anordnungen begründete nach freisinniger Auffassung allemal den Ausschluß konservativer Stadtverordneter von wichtigen Verwaltungsdeputationen?OO Kommunalpolitik beinhaltete demnach ein stark interessenbezogenes Handeln, bei dem, wie die Beispiele von Hermes veranschaulichen, die Interessen des lokalen Wirtschaftbürgertums mitunter zum Synonym der bürgerschaftlichen Selbstverwaltung werden konnten. Wenn der parteipolitische Dualismus zwischen Linksliberalismus und Sozialdemokratie mit einer verstärkten Repräsentanz bildungsbürgerlicher Berufe in der Stadtverordneten-Versammlung verbunden war, so gab es neben den freiberuflichen Schichten, den höheren Beamten und Angestellten eine zweite Berufsgruppe, die gegen Ende der fünfziger Jahre zu einem einflußreichen Faktor unter den Gemeindevertretem wurde: die Rentiers und Pensionäre. Waren sie im Jahre 1850 noch eine unbedeutende Gruppe unter den Stadtverordneten, gehörten sie zu Beginn der sechziger Jahre mit einem Anteil von 18,6 Prozent neben den kaufmännischen und bildungsbürgerlichen Berufen zur stärksten sozialen Gruppe in der Kommunalvertretung. Im 300 Die linksliberale Öffentlichkeit ließ keine Gelegenheit aus, die Bürgerpartei und ihre Nachfolgerinnen als konservativ-antisemitisches Bündnis darzustellen. Nun ist es keine Frage, daß es in den achtziger Jahren eine politisch motivierte Verbindung zwischen dem Konservativismus und dem politischen Antisemitismus gegeben hat. Über die Wirkungen und Möglichkeiten konservativer Kommunalpolitik in Berlin weiß die historisch-politische Forschung indessen ebensowenig zu berichten wie über die politische Entwicklung und Tätigkeit einzelner konservativer Kommunalpolitiker. Ob sämtliche Vertreter der Bürgerpartei in der Berliner StadtverordnetenVersammlung, soweit sie sich nicht eindeutig in dieser Richtung profiliert hatten, dem politischen Antisemitismus zugerechnet werden mußten oder tatsächlich als Antisemiten einzustufen waren, ist nach dem bisherigen Forschungsstand eine offene Frage.

3. Wirkungen des Wahlsystems

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Jahr der Reichsgründung stiegen die Rentiers gar zur quantitativ führenden Berufsschicht unter den Gemeindevertretern aueO I Anschließend erhöhte sich ihr relativer Anteil zwar noch in gewissem Umfang, aber Ende der achtziger Jahre hatte diese Gruppe den Zenit ihrer Repräsentation unter den Stadtverordneten überschritten. Mitte der neunzig er Jahre war wieder der Stand von 1871 erreicht, bis 1914 halbierte sich die Quote der in die Gemeindevertretung gewählten Rentiers auf 11,2 Prozent: Das entsprach nicht einmal mehr ihrem durchschnittlichen Anteil zwischen 1850 und 1914, der bei 16,8 Prozent lag. Ohne Berücksichtigung der Eckjahre gehörte allerdings gut ein Fünftel der Berliner Stadtverordneten zu dieser sozialen Gruppe. Eine berufliche Spezifizierung der Angehörigen dieser Berufsschicht läßt sich anhand des überlieferten Materials nicht ohne weiteres durchführen. Es war zwar üblich, daß die höheren Beamten und Angestellten sich ihrem früher ausgeübten Beruf zuordneten, aber die Stadtverordneten verzeichnisse geben keinen Hinweis auf ein konsequentes Durchhalten dieses Prinzips. 1861 waren fünf ehemalige Beamte und Militärangehörige unter den Rentiers und Pensionären, 1884 wiesen sich zwei Mitglieder dieser Berufsgruppe als pensionierte Beamte bzw. Angestellte aus, zehn Jahre später trat ein weiterer Beamter hinzu. Inwieweit ehemalige Fabrikanten oder Kaufleute als Rentiers in die Stadtverordneten-Versammlung einzogen, müßte anhand von Spezial untersuchungen ermittelt werden. Bekannt ist freilich, daß sich verschiedene prominente Mitglieder des Wirtschaftsbürgertums, wie der Elektroindustrielle J.G. Halske oder der Neusilberfabrikant H.G. Jürst,302 nach dem Verkauf ihrer Unternehmensanteile oder ihrer Fabriken Ende der sechziger bzw. Anfang der siebziger Jahre in der Kommunalpolitik engagierten. Mit einiger Sicherheit darf vermutet werden, daß der überwiegende Teil der Rentiers dem Wirtschafts- und Besitzbürgertum angehörte, und daß auch einzelne wohlhabendere Handwerksmeister - erinnert sei nur an das Beispiel Kochhanns - ihr Pensionärs dasein mit einem gemeindepolitischen Engagement verbanden. Die Lasten des sozialen Wandels in der Berliner Kommunalvertretung trafen vornehmlich das selbständige Handwerk. Während 1850 noch über ein Fünftel der Stadtverordneten aus dem Handwerk kamen, sank diese Quote bis zur Reichsgründung auf ein Zehntel ab. Im Jahre 1904 saßen gerade noch drei Handwerksmeister in der Stadtverordneten-Versammlung. Selbst unter Einschluß der Buchhändler und Buchdruckereibesitzer303 er301 302

131 f.

Vgl. Tab. 7 im Stat. Anhang. Kaelble, Unternehmer, S. 167 f. Kocka, Untemehmensverwaltung, S. 77 u.

303 Zur sozialen Einordnung der Berufe des Buchgewerbes vgl. oben Kap. 5, Unterabschnitt 2.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

reichte diese Berufsgruppe nur einen Anteil von 3,4 Prozent. Die Handwerksberufe, soweit sie einen Teil des gewerblichen Mittelstands bildeten, waren im Zeitalter der Hochindustrialisierung zu einer marginalen Randgruppe in der Gemeinderepräsentation herabgesunken. 304 An dieser Entwicklung ist vielleicht überraschend, daß der größte Rückgang handwerklicher Vertretung in das Jahrzehnt zwischen 1850 und 1861 fiel. Während dieser Zeitphase halbierte sich der Anteil des selbständigen Handwerks an der Zahl der Stadtverordnetenmandate nahezu. Im Zusammenhang der innerstädtischen Diskussion um die Höhe des Wahlrechts zensus wurde gezeigt, daß sich die ehrenamtlichen Kommunaltätigkeiten, insbesondere aber die politischen Ämter des Stadtrats und Stadtverordneten, zu einer Domäne des wohlhabenderen Bürgertums entwickelt hatten. 305 Die fachlichen Anforderungen, die sich mit der zunehmenden Komplexität der Gemeindeadministrationen einstellten und die nicht nur einen höheren Zeitaufwand, sondern vor allem eine stärkere Kontinuität bei der kommunalpolitischen Arbeit verlangten, dürften in der Zeit eines verschärften Verdrängungswettbewerbs dazu beigetragen haben, daß die kleineren Handwerksexistenzen, die im Vormärz noch ihren Platz in der Kommunalvertretung fanden, nicht mehr in die führenden Stellungen der Gemeindeadministration aufsteigen konnten. Das eigentliche Wirtschafts- und Besitzbürgertum wahrte dagegen seine unverändert starke Stellung in der Stadtverordneten-Versammlung. Der stärkere Einfluß bildungs bürgerlicher Berufe machte sich zwar auch auf die Vertretung dieser Schichten bemerkbar, aber insgesamt konnten sie ihre politische Dominanz in der Kommune wahren. 306 Der durchschnittliche Anteil der Fabrikbesitzer und Fabrikanten an den Stadtverordnetenmandaten lag zwischen 1850 und 1914 bei 12,8 Prozent, während die Durchschnittsquote der Kaufleute 21,8 Prozent erreichte. D. h. ein gutes Drittel der Stadtverordnetensitze war den wohlhabenderen Schichten des Stadtbürgertums vorbehalten. Unter Einschluß der Bankiers lag der durchschnittliche Anteil der Wirtschafts- und Besitzbürger an den Berliner Stadtverordneten nach 1850 bei 36,5 Prozent. Im Ablauf der Erhebungsjahre fiel die niedrigste Quote in die Mitte der neunziger Jahre, zu dieser Zeit gehörten nur 30,4 Prozent der Stadtverordneten zum engeren Kreis der wirtschaftsbürgerlichen Berufe, während die höchste Quote mit 39,3 Prozent für das Jahr 1850 ermittelt wurde. In den letzten beiden Vorkriegsjahrzehnten stellten die Bankiers, die 304 Diese Entwicklung resümierend, Seier, Liberalismus, S. 216. Am Beispiel Münchens weist Hardtwig, Großstadt, S. 29 f., diese Tendenz nach. 305 Vgl. oben Unterabschnitt 1 u. Tab. 11 im Stat. Anhang. 306 Siehe aber die obigen Bemerkungen zur Stellung des Besitzbürgertums in der Kommunalvertretung.

3. Wirkungen des Wahlsystems

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Industriellen, Fabrikanten und Kaufleute zwischen 35,4 (1904) und 36,4 Prozent (1914) der hauptstädtischen Kommunalvertreter. Neben dem beobachteten sozialen Wandel, der durch das stärkere Eindringen bildungsbürgerlicher und die Verdrängung handwerklicher Berufe dokumentiert wurde, gab es demnach eine relativ hohe soziale Kontinuität unter den Stadtverordneten, soweit das Besitz- und Wirtschaftsbürgertum betroffen war. Diese Beobachtung steht in einem gewissen Widerspruch zu der von Hugo Preuß entwickelten These, mit dem Eintritt in die "modeme Phase großstädtischer Entwicklung" wäre die bedauerliche Erscheinung aufgetreten, daß die "großbürgerlichen Elemente" sich von der aktiven Teilnahme am kommunalen Leben mehr und mehr zurückzogen. 307 Die neuere Forschung hat die Preußsche These vereinzelt aufgenommen und die Feststellung getroffen, am frühesten - d.h. bereits in den siebziger Jahren hätten sich in Berlin die Spitzen der Industrie, des Bank- und Handelskapitals aus der kommunalen Verwaltung zurückgezogen. 308 Croon erklärt, daß sich nach der Reichsgründung kein Stimmberechtigter der ersten Wählerklasse mehr findet, der sich ehrenamtlich in der Gemeinde betätigt. Hardtwig spricht von der Disjunktion des mittelständischen Gewerbe- und industriellen Groß- bzw. Besitzbürgertums. Unter ausdrücklichem Bezug auf Croon sieht er den Beginn einer solchen Entwicklung in Berlin "am Ende" der siebziger Jahre einsetzen?09 Zur Untermauerung muß eine Bemerkung Gneists aus den sechziger Jahren herhalten, die vor den bedrohlichen Folgen der Trennung von Besitz und Ehrenamt wamt. 310 Preuß hat seine These zeitlich nicht näher spezifiziert. Der genaue Zeitpunkt des Eintritts in die modeme Phase der Groß307 Preuß, Entwicklung, S. 373 f. Dagegen Heinrich Dove, Berlin, in: Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte, Bd. I, Königreich Preußen (= SVfS, Bd. 117), Leipzig 1906, S. 128. 308 Vgl. Croon, Parteien, S. 38 f. Ders., Auswirkungen, S. 38. Für die Städte des Ruhrgebiets auch ders., Bürgertum und Verwaltung in den Städten des Ruhrgebiets im 19. Jarhundert, in: Tradition, 9. Jg. (1964), S. 23-41. Ders., Die Stadtvertretung von Krefeld und Bochum im 19. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Selbstverwaltung der rheinischen und westfälischen Städte, in: Forschungen zu Staat und Verfassung, Festschrift für Fritz Hartung, hrsg. von R. Dietrich/G. Oestreich, Berlin 1958, S. 289-306. Der Verweis Croons auf das Beispiel Breslaus, wo die Patrizierfamilien sich nicht mehr mit Selbstverständlichkeit um eine unbesoldete Stadtratsstelle bemühten, ist im übrigen aus dem Zusammenhang gerissen, da es dem Bericht Glücksmanns über die Breslauer Verwaltungsorganisation zufolge um das Aufbrechen eines Interessenskonfliktes zwischen der örtlichen dominierenden Sozialschicht und der Stadt überhaupt ging. Die Kaufleute und Industriellen bilden auch nach der Jahrhundertwende eine führende Schicht unter den Gemeindevertretern, aber nicht die allein dominierende. V gl. Alfred Glücksmann, Breslau, in: Verfassung, Bd. I, S. 201 u. 206 f. Wenig ergiebig Hettling, Politische Bürgerlichkeit, S. 180 ff. 309 Hardtwig, Großstadt, S. 49.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

stadtentwicklung bleibt demnach offen. Croon läßt ihn allgemein mit dem Jahr 1900 beginnen. Hardtwig, der von der Entwicklung der süddeutschen Staaten ausgeht, sieht die neunziger Jahre als Wendepunkt, da seit dieser Zeit die Expansion und Diversifikation der großen Betriebe einsetzt und die immer wichtiger werdende Verbandstätigkeit die Industriellen veranlaßt, den kommunalen Gremien den Rücken zu kehren. In der großstädtischen Agglomeration Berlins hätte sich demnach zu einer früheren Zeit ein Wandel vollzogen, der bald für die Entwicklung der Großstädte allgemeinen Charakter erhalten sollte. Gegen diese Erkenntnis ist aus der Sicht des Berliner Beispiels Widerspruch anzumelden, aber auch im Hinblick auf die anderen deutschen Großstädte 3l1 scheint sich die behauptete Entwicklung nicht zu bestätigen. Empi310 Gneist, Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen mit besonderer Rücksicht auf Verwaltungsrefonnen und Kreis-Ordnungen in Preußen, Berlin 1869, S. 90 ff u. 104 ff. 311 Die im Verein für Socialpolitik nach der Jahrhundertwende angeregten Untersuchungen über die Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte im Kaiserreich, die heutigen Ansprüchen an sozialwissenschaftliche Methodik nicht mehr genügen, zeigen übereinstimmend, daß sowohl in mittel-, als auch in west- und süddeutschen Städten das Wirtschaftsbürgertum die Gemeindevertretungen dominierte. Fabrikanten und Kaufleute stellten auch nach der Jahrhundertwende die Mehrheit der Stadtverordneten, der Gemeinderats- und Bürgerausschußmitglieder, flankiert von einer größeren Anzahl Kleingewerbetreibender und Rentiers, denen sich häufig eine mehr oder minder starke Gruppe von Freiberuflern und Akademikern gegenüberstellte. In einzelnen Städten, genannt sei hier die rheinische Metropole Köln, gewann das beamtete und freiberufliche Bildungsbürgertum nach 1900 eine den wirtschaftsbürgerlichen Schichten vergleichbare Stellung in den StadtverordnetenVersammlungen, während es in anderen Gemeinden, wie etwa zahlreichen württembergischen Städten, eher unterrepräsentiert war. Die beobachteten Veränderungen in der beruflichen Struktur einzelner Gemeindevertretungen infonnieren häufig eher über den allgemeinen sozialen Wandel der städtischen Gesellschaft, als daß sie Ausdruck einer sozialstruktureIl begründeten politischen Machtverschiebung sind. Vgl. Ernst Walz, Großherzogtum Baden, in: Verfassung, Bd. 4, H. 3, (= SVfS, Bd. 120/ 3), Leipzig 1906, S. 23 u. 35 f; L. Landmann, Die rechtlichen und sozialen Grundlagen, sowie die Verfassung und Verwaltungsaufgaben der Stadt Mannheim, a. a. 0., S. 99 f; Joseph Ehrler, Die rechtlichen und sozialen Grundlagen, sowie die Verfassung und Verwaltungsorganisation der Stadt Freiburg im Breisgau, a. a. 0., S. 168 f Neurdings auch Dieter Hein, Badisches Bürgertum. Soziale Struktur und kommunalpolitische Ziele im 19. Jahrhundert, in: Stadt und Bürgertum, S. 92 ff E. Springer, Königreich Württemberg, in: Verfassung, Bd. 4, H. 2, Königreich Würtemberg, S. 61 ff; Friedrich Morgenstern, Fürth, a.a.O., Bd. 4, H. 4, Königreich Bayern, S. 159 f.; Rudolf Heinze, Dresden, a.a.O., Bd. 4, H. 1, Königreich Sachsen, S. 111 f.; Leo Ludwig-Wolf, Leipzig, a.a.O., S. 143 u. 153 f.; Johannes Hübschmann, Chemnitz, A. a. 0., S. 170; Paul Lüddeckens, Magdeburg, a. a. 0., Bd. 1, Königreich Preußen, S. 164; Heinrich Geffcken, Die Städte der Rheinprovinz mit besonderer Berücksichtigung der Stadt Köln a. Rhein, a. a. 0., S. 270; bestätigt durch die neuere Arbeit von Lenger, Bürgertum, S. 121 ff; Geert Seelig, Hamburg, in: Verfassung, Bd. 4, H. 5, Die Hansestädte, S. 19.

3. Wirkungen des Wahlsystems

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risch fundierte Studien wie Roths Arbeit über das Frankfurter Bürgertum zeigen, daß es unter der städtischen Wirtschaftselite um 1900 zwar einen hohen Anteil an politisch inaktiven Personen gab, aber die urbane Bürgerschaft des 19. Jahrhunderts war insgesamt durch ein Partizipationsmodell gekennzeichnet, das für die engere Kommunalpolitik keine Dominanz des exklusiven Kreises der ökonomischen Oberschicht erkennen ließ. 312 Die Kommunalvertretung war ebensowenig auf die kleine Gruppe wohlhabender Bourgeois beschränkt wie von der hohen Zahl der politisch Inaktiven auf ein generelles Desinteresse des gehobenen Wirtschaftsbürgertums an der Politik gesprochen werden konnte. Für den Bereich des preußischen Dreiklassenwahlrechts muß zudem berücksichtigt werden, daß der Kreis der Wahlberechtigten der ersten Wählerklasse zwar exklusiven Charakter besaß, aber durch das Verfahren der Gemeindedrittelung entstanden insbesondere in den Großstädten keineswegs sozial homogene Wahlkörper. Die unterschiedliche Vermögensstruktur in den Stadtbezirken sorgte für eine, wenn auch in engeren Grenzen, stattfindende soziale Streuung des Wählerkreises. Die zeitweilige verschärfte Plutokratisierung des Kommunalwahlrechts durch die Steuerreform der neunziger Jahre, wurde durch die anschließende Wahlrechtsreform zumindest teilweise wieder aufgehoben. Das vermögende Wirtschaftsbürgertum war demnach nicht stets mit den Stimmberechtigten der ersten Abteilung identisch. Bei der Auseinandersetzung mit Preuß muß wiederum berücksichtigt werden, daß seine historischen Überlegungen durch aktuelle politische Zielsetzungen beeinflußt waren?13 Der Berliner Stadtverordnete ging von einem engen Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Demokratisierung aus. 314 Der urbanen Lebensform wohnte die Selbstverwaltung als immanente Notwendigkeit inne. Sie hatte sich gleichsam von den anti urbanen Mächten des Obrigkeitsstaates emanzipiert, drohte aber an ihren inneren Widersprüchen, den Gegensatz von Besitzenden und Besitzlosen, von Kommunalisierung und privatwirtschaftlicher Unternehmung, zu zerbrechen. Die Folgen, "Störungen der sozialen Atmosphäre" sowie ein Interessengegensatz zwischen Privatkapital und Selbstverwaltung, bedrohten die genossenschaftliche Organisation des Bürgertums, zumal sich nach einem Rückzug der großbürgerlichen Elemente aus der Kommunalpolitik der Anachronis312 Roth, Stadt, S. 589 f. u. 295 ff. In dieser Hinsicht wenig ergiebig Kar! Maly, Die Macht der Honoratioren. Geschichte der Frankfurter Stadtverordneten-Versammlung, Bd. 1, 1867-1900; ders., Das Regiment der Parteien. Geschichte der Frankfurter Stadtverordneten-Versammlung, Bd. 2, 1901-1933 (= Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, Bd. 18/1 ,2), Frankfurt/M. 1992 u. 1995. 313 Zu Preuß vgl. oben Kap. 2, Unterabschnitt 1. 314 Preuß, Städtewesen, S. 376, sprach gar von der Urbanisierung der Staatsverfassung und Staatsverwaltung.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

mus des Überwiegens kleinbürgerlicher Kreise in den großstädtischen Gemeindevertretungen eingestellt hatte. Der "Gegensatz zwischen sozialen Grenznachbarn" schuf nach Preuß, da sie ohnehin im Widerspruch zur "sozialen Gesamtstruktur" der Städte standen, die schärfsten Formen der Auseinandersetzung. Diese schlugen sich unter anderem in dem Versuch nieder, durch Änderungen des kommunalen Wahlrechtssystems sozial heterogene Gruppen auszuschließen. Die Bestandsaufnahme der sozialpolitischen und ökonomischen Gegebenheiten der Großstädte diente Preuß zur Begründung eines munizipalsozialistischen Entwicklungsmodells, das sowohl für die Integration der Arbeiterklasse Raum ließ als auch dem Privatkapital Grenzen setzte bis hin zu einer kommunalen Arbeits- und Arbeiterpolitik. Preuß rekapitulierte das Programm des Sozialfortschritts in seiner besonderen kommunalen Ausprägung,315 ohne sich ernsthaft mit den sozialstrukturellen Veränderungen der kommunalen Vertretungen oder den politischen Motiven der Wahlrechtsentwicklung auseinanderzusetzen. Die Mitte der neunziger Jahre einsetzende parlamentarische Diskussion um die preußische Wahlrechtsreform wurde weder durch die sozialpolitischen Spannungen zwischen den kleinbürgerlichen Gruppen des Stadtbürgertums vorangetrieben, noch gehörte die Verschärfung der sozialen Ausgrenzung nach unten zu ihren Zielen, die möglicherweise durch eine stärkere Repräsentation des Großbürgertums in den Kommunalvertretungen verhindert worden wäre. 316 Die Untersuchung der Sozialstruktur der vormärzlichen Gemeinderepräsentation hat gezeigt, daß in Berlin ein mittelständisch orientiertes, insgesamt aber besser situiertes Gewerbebürgertum in den Stadtverordneten-Versammlungen dominierte, während die Spitzen des Bank- und Handelskapitals nicht zu den kommunalpolitischen Repräsentanten der Stadt gehörten?17 Im konstitutionellen Preußen findet in der Kommunalpolitik ein Verdrängungsprozeß des Handwerks statt, der kontinuierlich voranschreitet. 318 Das Wirtschaftsbürgertum behält unterdessen seine einflußreiche Stellung unter den Stadtverordneten. Ohne daß es zu einer Monopolisierung der kommunalen Herrschaft durch die vermögendsten bürgerlichen Kreise kommt. D.h. in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung saß neben dem mittelständischen Handelsunternehmer auch der zu den Spitzen des Wirtschaftsbürgertums gehörende Fabrikbesitzer oder Bankier. Nimmt man beiWegner, Barth, S. 17 ff. Vgl. dazu Kap. 9, Unterabschnitt 3 u. 4. 3J7 Ähnlich Roth, Stadt, S. 520 ff. Diese Entwicklung wird auch von Preuß, Städtewesen, S. 373, wahrgenommen. 318 Die von Roth, Stadt, S. 592, beobachtete Zunahme der Vertretung von Handwerks berufen in den neunziger Jahren, ist in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung nicht zu beobachten. 315

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3. Wirkungen des Wahl systems

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spielsweise die Kommunalwahl von 1897, gehörten zu den gewählten Stadtverordneten der ersten Wählerklasse mit dem Fabrikbesitzer Liebermann, dem Bankier George und dem ehemaligen Bankdirektor Scheiding Personen, die, wenn sie auch nicht die vermögendsten Teile des Stadtbürgertums repräsentierten, als Vertreter des gehobenen Wirtschaftsbürgertums anzusehen waren. Den gewählten Bankdirektoren Mommsen und Lindau, den Bankiers Nelke und Solmitz sowie den Fabrikanten Lemp und Sachs mußte bei der Ergänzungswahl von 1907 ein ähnlicher Status eingeräumt werden?19 Die soziale Differenzierung der Industriegesellschaft und die steuerpolitischen Lockerungen des Dreiklassenwahlrechts trugen vor allem zu der vom Staat, insbesondere aber von der kommunalen Exekutive geforderten vermehrten Aufnahme akademisch gebildeter und verwaltungserfahrener Bürgerschaftsmitglieder in die Gemeindekörperschaften bei, ohne daß dadurch die Dominanz der örtlichen Wirtschaftsinteressen in den StadtverordnetenVersammlungen gefährdet wurde. 32o Während die starke Vertretung der lokalen wirtschaftlichen Eliten Garant für die Wahrung und Förderung der ökonomischen Eigeninteressen der Städte bzw. des Stadtbürgertums war, sorgte die erweiterte Aufnahme bürgerlicher Intelligenz in die kommunalen Körperschaften vielfach für den Ausgleich der Professionalisierungsbedürfnisse der Stadtverwaltungen. Mit der zunehmenden Komplexität der administrativen Aufgaben, den zunehmenden Rechtsvorschriften und Ausführungsbestimmungen stellten sich höheren fachliche Anforderungen auf den einzelnen Gebieten der Selbst-wie der Auftragsverwaltung ein. 321 Diese 319 Zu den Ergebnissen der Kommunalwahlen von 1897 und 1907 in der ersten Wählerklasse vgl. LAB; StA Rep. 00-02/1, Nr. 110 u. 151. 320 Vgl. dazu auch Krabbe, Kommunalpolitik und Industrialisierung. Die Entfaltung der städtischen Leistungsverwaltung im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Fallstudien zu Dortmund und Münster (= Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Bd. 74), Stuttgart u.a. 1985, S. 147 ff. Daß die verstärkte Repräsentation des Bildungsbürgertums in den Gemeindevertretungen ohne einen Einflußverlust des Wirtschaftsbürgertums einherging, verdeutlicht Lenger, Bürgertum, S. 110 ff., auch am Beispiel der rheinischen Städte. Vgl. auch Reu1ecke, Stadtbürgertum und bürgerliche Sozialreform im 19. Jahrhundert in Preußen, in: Stadt und Bürgertum, S. 183 f. In diesem Zusammenhang ist auch auf die vom Bildungsbürgertum mitgetragene bürgerliche Sozialreform hinzuweisen, deren Motive, wie Reulecke anmerkt, zu einem nicht unwesentlichen Teil in einer politisch und sozial disziplinierenden Funktion begründet lagen. A. a. 0., S. 188 ff. Siehe auch ders., Bildungsbürgertum und Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert, in: Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert, T. 4, Politischer Einfluß und gesellschaftliche Formation, hrsg. von J. Kocka, Stuttgart 1989, S. 133 f. 321 Zur Problematik der kommunalen Aufgabenentwicklung vgl. Gerhard W. Wittkämper, Zur Entstehung und Entwicklung kommunaler Aufgabenfelder im 19. Jahrhundert. Forschungsprobleme zwischen Verwaltungswissenschaft und Kommunalgeschichte, in: Kommunale Leistungsverwaltung und Stadtentwicklung vom

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

Veränderungen blieben nicht ohne Wirkung auf die Sozialstruktur der ehrenamtlichen Positionen im Magistratskollegium. Für eine weitere soziale Zuspitzung des Kommunalwahlrechts sorgte seit Konstituierung der kommunalen Selbstverwaltung die Einschränkung des passiven Wahlrechts durch die Vorrechte des Grund- und Hausbesitzes. Die dem Dreiklassensystem eigene politisch-soziale Wirkung hatte sie allerdings nicht. Das Hausbesitzerprivileg des konstitutionellen Gemeinderechts, also die kommunalrechtliche Bestimmung eines fünfzigprozentigen Hausbesitzeranteils in der Stadtverordneten-Versammlung bzw. jeder Wählerklasse, hatte sich nach verbreiteter Auffassung liberaler Kommunalpolitiker in den urbanen Agglomerationen der Großstädte schon längst überlebt. 322 Im Jahre 1907 gab es in Berlin, um ein Beispiel aus der späteren Zeit des Kaiserreichs zu nehmen, etwa 9200 Hausbesitzer, denen 381040 Wahlberechtigte gegenüberstanden: 1621 in der ersten, 33252 in der zweiten und 346167 in der dritten Wählerabteilung. 323 Die Hausbesitzer machten damit nur knapp über zwei Prozent der Wähler aus. Das Privilegium odiosum, wie der linksliberale Oberbürgermeister Kirschner das politische Vorrecht des Hausbesitzes einmal charakterisierte, ließ vor allen Dingen die Wähler der dritten Abteilung nach Wegen suchen, die gesetzliche Vorschrift der Städteordnung zu umgehen. Sozialdemokratische Mandatsbewerber erwarben beispielsweise "ideelle Anteile" an Hausgrundstücken. Sie erwarben einen geringen Bruchteil (1/500, 11200 etc.) an einer Immobilie, um als Hauseigentümer bzw. Miteigentümer auftreten zu können. Als nach diesem Verfahren bei der Kommunalwahl von 1899 im Berliner Vorort Rixdorf sieben Sozialdemokraten, unter ihnen Emil Wutzky und R. Silberstein, gewählt wurden, anerkannte der Bezirksausschuß auf die erhobene Wahlanfechtung den rechtmäßigen Erwerb an. Nur in einem Fall entschied das Gericht auf einen Scheinvertrag, da die Grundbucheintragung mit dem jederzeitigen Rückkaufrecht verbunden war. 324 Vonnärz bis zur Weimarer Republik, hrsg. von H.H. Blotevogel, (= Städteforschung,

R. A, Bd. 30), Köln-Wien 1990, S. 28 ff.

322 Jastrow, Dreiklassensystem, S. 95 f. Vgl. dazu die im Kap. 9, Unterabschnitt 6 behandelte Debatte um die sozialdemokratische Wahlrechtsinitiative des Jahres 1900. Bei den allgemeinen Neuwahlen zur Stadtverordneten-Versammlung im Jahre 1883 waren beispielsweise 93 der Gewählten Hausbesitzer, 34 in der ersten, 30 in der zweiten und 29 in der dritten Wählerabteilung. VerwBBln, 1882-1888, T. 1, S. 16. 323 StBBln, 34. Jg. (1907), S. 285. Die in den Erläuterungen des sozialdemokratischen Stadtverordneten Hennann Borgmann genannten Zahlen weichen nur unwesentlich von den hier angegebenen, dem SJbdStBln (31. Jg. [1906/07], T. 1, S. 275) entnommenen Wahlberechtigtenziffern in den einzelnen Klassen ab. 324 Volks-Zeitung, Nr. 443, Ausgabe vom 21. September 1900. Berliner Tageblatt, Nr. 482, Berliner Morgenpost, Nr. 222, Ausgaben vom 22. September 1900.

4. Wählerlisten und normative Wahlrechtsbeschränkungen

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Auf die Berufung der Stadtverordneten-Versammlung entschied das Oberverwaltungsgericht in ausgesprochen restriktiver Weise. Der zweite Senat ließ die Frage außer Acht, ob es sich beim Erwerb eines ideellen Grundstücksanteils um einen rechtsverbindlichen oder einen Scheinvertrag handelte, da auf diese Weise in jedem Fall nur ein Miteigentum erworben wurde. Die Städteordnung machte die Qualifikation eines Hausbesitzers jedoch vom ausschließlichen Recht zur Verwaltung eines Grundstücks abhängig, so daß ein ideeller Miteigentümer nicht als wählbarer Hausbesitzer angesehen werden konnte. 325 Die Verleihung des passiven Wahlrechts an die Gruppe der Miteigentümer hätte eine ausdrückliche Regelung im Kommunalrecht erfordert, wie es schon in der rheinischen Landgemeindeordnung oder, unter den neueren Gesetzen, in der 1891 erlassenen Landgemeindeordnung der östlichen Provinzen vorgesehen war. 326 Die Absicht des Gesetzgebers zielte nach Auffassung des Gerichtshofes nur darauf ab, Streitigkeiten über die Ausübung des passiven Wahlrechts zu verhindern, nicht aber einer Mehrheit von Besitzern das Privileg zu verleihen. Die "Peinlichkeit" der gesetzlich garantierten Mehrheit der Hausvertreter, wie Hugo Preuß bemerkte,327 wurde bis zum Ende des Kaiserreichs unverändert aufrecht erhalten. Die Fortexistenz des Privilegs verdeutlichte den politischen Immobilismus Preußens in der Wahlrechtsfrage. Der Gesetzgeber orientierte sich am politischen Status quo, Rechtsprechung und Verwaltung verhielten sich restringiert, während sich der Kommunalliberalismus um seine politische Dominanz bemühte.

4. Wählerlisten und normative Wahlrechtsbeschränkungen Die einschränkende Auslegung der wahlrechtlichen Regelungen der Städteordnung seitens der Kommunalbürokratie, aber auch die Möglichkeiten politischer Einflußnahme waren in den Gemeinden schon im Vorfeld des eigentlichen Wahl geschehens bei der Feststellung der Wählerlisten zu beobachten. Die Grundlage der Gemeindewählerliste bildeten die sogenannten Hauslisten, die bis zum Jahre 1867 durch die Bezirksvorsteher verschickt, eingesammelt und an den Gemeindevorstand überwiesen wurden. Für jedes Haus mußte eine Liste geführt werden. Das Wahlbüro übersandte die Listen mit Straßen- und Hausangaben. Im Falle von neu entstandenen Häusern war der Bezirksvorsteher zum selbständigen Verschicken autorisiert. Eine 325 Entscheidung des PrOVO vom 21. September 1900. Abschrift des Urteils in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 136, BI. 16-19. Vgl. dazu Jebens, Stadtverordnete, S. 29 f. Oertel, Städteordnung, 6. Aufl., S. 101 f. 326 § 35, Abs. 2, Tit. 2, LOORhPr 1845. Engeli/Haus, Quellen, S. 291. § 41, Abs. 2 u. 3, Abschnitt 3, LOO 1891. OS 1891, S. 246. 327 Rede Preuß. StVVBln, 13. Dezember 1900. StBBln 1900, S. 473.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

ausdrückliche Verpflichtung bestand indessen nicht. Nach eigenem Gutdünken konnte der Bezirksvorsteher andere Personen mit dem Verschicken der Listen beauftragen. Die vorbereiteten Hauslisten wurden den Hauseigentümern übergeben, die für die Zirkulation unter den Mietern verantwortlich waren. Nach der späteren Auffassung des Magistrats lag der Mangel dieses Verfahrens "in der zu großen Machtvollkommenheit", die den Bezirksvorstehern und Hauseigentümern eingeräumt wurde. Es schloß überdies von vornherein nicht "die Möglichkeit einer positiven oder negativen Einwirkung der leitenden Persönlichkeiten in politischer Beziehung" aus. 328 Nach 1867 versuchte man sich einer effektiveren Mitarbeit der Hausbesitzer zu versichern, indem diese zur Bescheinigung der Vorlage der Hauslisten bei sämtlichen Mietern verpflichtet wurden. Die Bezirksvorsteher enthob man hingegen von jeder weiteren Mitwirkung. Zunächst übernahmen die Stadtsergeanten, die Boten der Armenkommissionen, das Austragen der Listen, 1868 traten die Billetdiener, d.h. Unterbeamte der Servisdeputation, die mit Steuereinziehungsgeschäften betraut waren, an ihre Stelle. Noch im selben Jahr beauftragte man, da die Servisdeputation sich gegen eine weitere Heranziehung der Billetdiener ausgesprochen hatte, erneut die Stadtsergeanten mit dieser Aufgabe. Anhand der zurückgegebenen Hauslisten stellte dann das Wahl büro die Gemeindewählerliste auf. Die Handhabung der Hauslisten war insofern problematisch, als die Bürgerschaft wenig Neigung zeigte, in den öffentlich zirkulierenden Listen ihre Einkommensverhältnisse darzulegen. Die Wahl büros waren deshalb gezwungen, eine zeitraubende Einschätzung anhand der von der zuständigen Staatsbehörde übersandten Veranlagungsliste zur Einkommensteuer vorzunehmen. In Berlin mußten die Kreis-, Bezirks- und Provinzialabgaben nicht berücksichtigt werden, so daß von den Staatsabgaben die Einkommen- bzw. fingierte Klassensteuer, die Gewerbe- sowie die Grund- oder Gewerbesteuer, von den Kommunalabgaben die Haus- und die Mietsteuer zur Anrechnung in Frage kamen. Für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus war die Klasseneinteilung nur nach Maßgabe der direkten Staatssteuern vorzunehmen. 329 Wurde keine Klassensteuer erhoben, kam die statt dessen erhobene direkte Staatssteuer zum Zuge. Fehlte auch diese, wurde die in der Gemeinde zur Hebung kommende Kommunalsteuer angerechnet. 330 In Berlin führte man 1854 infolge der vielen Klagen der Bürgerschaft über das mit der Einkommensermittlung verbundene Eindringen in die Pri328 Bruch, Gemeindewahlen, S. 8. Die Hauslisten dienten gleichzeitig zur Aufstellung des alljährlichen Geschworenenregisters. 329 § 10, Verordnung über die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer vom 30. Mai 1849. GS 1849, S. 206. 330 § 11, Abs. 1 u. 2, Wahlverordnung, 1849. Ebd.

4. Wählerlisten und normative Wahlrechtsbeschränkungen

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vatverhältnisse durch Magistratsbeschluß die Steuerermittlung ein. Statt der Einkommensabschätzung sollte, so die Anordnung des Magistrats, zukünftig auf der Basis der Mietsteuer nach den Grundsätzen der Klassensteuerveranlagung verfahren werden, indem Personen, die 60 Taler Miete, mithin vier Taler Mietsteuer zahlten, in die Kategorie derer gehörten, welche mit vier Taler Klassensteuer herangezogen wurden. 331 Nur in einzelnen Fällen, wo die Mietsteuer weder im Hinblick auf die geschäftliche noch sonstige Lebensstellung eines Stadtbürgers als entscheidend angesehen werden konnte, nahm der Magistrat eine tatsächliche Einschätzung vor. Das hierbei zur Anwendung kommende Verfahren ging von der Annahme aus, daß die Miete ein Fünftel des Einkommens bildete und folglich eine Steuer von vier Reichstalern, die auf einer Miete von 60 Talern basierte, ein fünf Mal so großes Einkommen, mithin den in der Städteordnung geforderten Zensus von 300 Talern voraussetzte. Die Ermittlung des Wahlzensus ging demnach von einer Fiktion aus, die jedoch nach den Erhebungen des Magistrats den tatsächlichen Verhältnissen entsprach. 332 Auf Grund des besonderen Ministerialreskripts vom 17. Oktober 1863 333 wurde in solchen Gemeinden, in denen man keine Einkommensteuer zahlte, allein die Haus- und Mietsteuer, später nur die zuletzt genannte als direkte Kommunalsteuer genehmigt. Vor der Einführung dieses Verfahrens konnte es also vorkommen, daß Bürger mit niedriger Klassensteuerstufe günstiger gestellt wurden als reichere Einkommensteuerpflichtige, deren Haus- oder Mietsteuer nicht zur Anrechnung kam. Nachdem einzelne Bezirksvereine auf eine Reform der Einschätzung gedrungen hatten,334 schlugen die Stadtverordneten im April 1864 eine direktere Einkommensermittlung vor. Die Mietsteuer gestattete nicht in allen Fällen eine präzise Ermittlung der Wahlberechtigten, während die Kombination der Miete mit den Grundsätzen der Klassensteuerveranlagung einige Unsicherheit bei den Wahlberechtigten hervorgerufen hatte. 335 Innerhalb der kommunalen Exekutive vertrat man die Auffassung, das bisherige Einschätzungsverfahren würde einen Teil der Bürgerschaft von der Ausübung des Wahlrechts ausschließen. 336 331 Bruch, Gemeindewahlen, S. 44. Dazu den Bericht des Magistrats vom 10. Mai 1865. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 26. 332 Siehe auch den Bericht der gemischten Deputation vom 9. Mai 1870. VStBln 1870, DS Nr. 532, S. 3. 333 Das Ministerial-Reskript ist nicht veröffentlicht. Vgl. Bruch, Gemeindewahlen, S. 43. 334 Vgl. Berliner Beobachter, Nr. 6, Ausgabe vom 5. Februar 1865, S. 2. 335 Siehe die Bekanntmachung des Magistrats vom 1. Juli 1864. CBIBln, 5. Jg. (1864), Nr. 28. 336 Schreiben des Magistrats an die Kommunalvertretung vom 21. Januar 1865. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 40. 47 Grzywatz

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wah1refonnversuche

Die Stadtverordneten maßen, wie insbesondere Rudolf Gneist darlegte,337 der Verfahrensänderung keine große Auswirkung auf den Kreis der Wahlberechtigten bei. Die bürgerliche Öffentlichkeit vermutete unterdessen eine erhebliche Reduktion der Wählerzahl, da auf Grund der zahlreichen Untervermietungen der Besitz einer Wohnung von 60 Reichstalern nicht mit der Entrichtung einer Klassensteuer in Höhe von 4 Talern gleichzusetzen war. Ein großer Teil der selbständigen, aber allein arbeitenden Handwerker, der unteren Beamten, der Boten und Tagelöhner bewohnte, soweit sie verheiratet waren, Wohnungen mit einem jährlichen Zins von über 60 Reichstalern, während ihr monatliches Einkommen unter 25 Taler lag. Von den am l. April 1864 in Berlin vorhandenen Wohnungen (rund 124400) fielen 28600 unter die Gruppe mit Mieten zwischen 51 und 75 Reichstaler, so daß bei einer einkommenabhängigen Einschätzung mit einem nicht unerheblichen Rückgang der Wählerziffer zu rechnen war?38 Die Aussicht auf größere Wahlrechtsverluste ließ die Kommunalvertretung von ihrem eigenen Antrag Abstand nehmen. Eine nochmalige Vorlage des Magistrats, der die Vorzüge des eigenständigen Einkommennachweises gegenüber der Klassensteuerfiktion unterstrich,339 lehnten die Stadtverordneten im März 1865 erneut ab. Es blieb folglich bei dem bis dahin bestehenden Verfahren. Die Gemeinderepräsentation hatte sich nicht mit dem Problem einer gesetzeskonformen Auslegung der Wahlrechtsbestimmungen aufgehalten. Sie zeigte wenig Interesse an genaueren statistischen Erhebungen, welche die Wirkungen des geplanten Einschätzungsverfahrens offengelegt hätten. Gneist und sein nationalliberaler Fraktionskollege Viktor von Unruh warnten vor willkürlichen Einschätzungen, mußten sich aber vorhalten lassen, daß der bisherige Einschätzungsmodus eine "vollständige Ungesetzlichkeit und Mangelhaftigkeit des Wahlverhältnisses" hervorrief. 340 Es ging der Kritik nicht nur um den Ausschluß von nicht zensusfähigen WahlBerliner Beobachter, Nr. 6, Ausgabe vom 5. Februar 1865, S. 1. Berliner Beobachter, Nr. 6, Ausgabe vom 5. Februar 1865. Die Annahme einer Halbierung der Wählerschaft war jedoch zu hoch gegriffen. Die in der Presse zum Beweis herangezogenen Relationen zwischen Zivileinwohner und Wahlberechtigten, die in Großstädten wie Breslau und Köln mit 1:20 bzw. 1: 19 doppelt so hoch lagen als in Berlin (1: 10) haben keine Aussagekraft, da die unterschiedlichen Einkommens- und Veranlagungsverhältnisse in den genannten Städten nicht ohne weiteres einen Vergleich zulassen. Der Rückgang der Wahlberechtigtenziffer wird durch eine Aufstellung des Stadtverordneten S. Neumann bestätigt, der für das Jahr 1866 auf etwa 7550 Personen berechnet ist. Vgl. die Notiz zum Referat über die CensusVorlage vom 8. Juni 1870. LAB, StA Rep. 00-021l, Nr. 1240, BI. 160. Die von Neumann ennittelten Zahlen weichen etwas von denen des Berliner Beobachters leicht ab. 339 Schreiben des Magistrats an die Kommunalvertretung vom 25. Februar 1865. LAB, StA Rep. 00-021l, Nr. 1240, BI. 50 f. 340 Berliner Beobachter, Nr. 7, Ausgabe vom 12. Februar 1865. 337 338

4. Wählerlisten und normative Wahlrechtsbeschränkungen

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berechtigten bzw. die Zulassung von Bürgern, deren Einkommen die Bedingungen des Wahlzensus erfüllten, sondern auch um die enge Auslegung des Begriffs "eigener Hausstand", durch den zahlreichen Mietern möblierter Zimmer das kommunale Wahlrecht verweigert wurde. Die exakte alljährliche Feststellung der in der Städteordnung festgelegten positiven und negativen Kriterien des Wahlrechts gestaltete sich im allgemeinen zeitraubend und kompliziert. So verlangte die Prüfung, ob eine Armenunterstützung vorlag oder Gemeindeabgaben offenstanden, von der Kommunaladministration, andere Listen als die nach Billetdiener-Revieren geordnete Liste der Servis- und Einquartierungsdeputation zur Unterstützung heranzuziehen. Um ein Beispiel für den in dieser Hinsicht zu betreibenden Aufwand an Korrekturen zu geben, sei darauf hingewiesen, daß der für die Gemeindewählerliste von 1868 benutzte Steuerrestantennachweis Eintragungen über zirka 20000 Personen enthielt. 341 Schwierigkeiten bereitete die gen aue Definition des Empfangs von Armenunterstützung aus öffentlichen Mitteln. Auf keinen Fall wollte man diesen Empfang mit dem Erlaß der Mietsteuer gleichsetzen, wenngleich ein großer Teil dieser Unterstützung in Form von Mietsteuernachlässen gewährt wurde. Ungeklärt blieb die Frage der Beurteilung von "Extraunterstützungen". Die Angaben zur Wohnungsmiete ließen nicht präzise auf ein unter 300 Taler liegendes Einkommen schließen, da selbst von der Armendirektion unterstützte Bürger durch Untervermietungen höhere Mieten angaben. Einen Ausweg bot hier nur eine weitere Prüfung anhand der Unterstützungslisten der Armendirektion. Durch Ministerialreskript hatte der Minister des Innern 1856 entschieden, daß ein eigener Hausstand im Sinne der Städteordnung von 1853 voraussetzte, sich wirtschaftlich selbständig eingerichtet zu haben, das hieß, dasjenige zu besitzen, "was zur Errichtung einer häuslichen Wirtschaft gehört".342 Für ein Untermietverhältnis bedeutete diese Forderung eine Trennung der eigenen ökonomischen Verhältnisse von denen des Haushaltsvorstandes. 343 Der Berliner Magistrat, der durch die anhaltenden schen Öffentlichkeit gezwungen war, die Frage der schließend zu regeln, stellte in einem Beschluß vom Grundsatz auf, daß derjenige einen eigenen Hausstand

Proteste der städtiSelbständigkeit ab24. März 1865 den besaß, der die freie

Bruch, Gemeindewahlen, S. 24. Ministerialreskripte, 22. März 1856 und 30. Juni 1857 (ungedruckt). Hervorgehoben bei G. Stein/Friedrich Marcinowski, Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie vom 30. Mai 1853 und das Gesetz, betreffend die Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken in der Provinz Schleswig-Holstein vom 14. April 1869 mit deren Ergänzungen, Waldenburg/Schl. 1873, S.30. 343 § 5, Abs. 5, Tit. 1, StO 1853. GS 1853, S. 265. 341

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und ausschließliche Verfügung über einen oder mehrere Wohnräume innehatte. 344 Ein Stadtbewohner, der nur über eine SchlafsteIle in einer Familienwohnung verfügte, war somit vom Kommunalwahlrecht ausgeschlossen, wohingegen der Mieter eines möblierten Zimmers, wenn er die sonstigen Bedingungen des Wahlrechts erfüllte, nicht von seiner Ausübung ausgeschlossen werden konnte. In Frage stellen mußte man dieses Wahlrecht nur, wenn bekannt wurde, daß mehrere Personen in einem solchen Zimmer zusammenwohnten. Grundsätzlich begriff auch die spätere Rechtsprechung unter Selbständigkeit nicht die eigene Haushaltung oder Wirtschaftsführung, sondern in einem weiteren Sinne "die in der Nichtzugehörigkeit zu einer fremden Haushaltung erkennbare wirtschaftliche Unabhängigkeit".345 Das Wahlrecht wohlhabenderer Untermieter konnte jedoch solange nicht zum Zuge kommen, als die Stadtverordneten das auf der Mietsteuer beruhende Einschätzungsverfahren favorisierten. Der Magistrat mußte Mitte der sechziger Jahre offiziell eingestehen, daß die Gemeindewählerlisten "an großer Unzuverlässigkeit" litten. Mit einiger Berechtigung konnte angenommen werden, daß die Zahl der W ahlberechtigten höher lag als nach den Bestimmungen der Städteverfassung vorgesehen, zumal die städtischen Körperschaften über keine hinreichenden Mittel einer Kontrolle der auf Selbsteintragung beruhenden Hauslisten verfügten. 346 Die Unzuverlässigkeit der Hauslisten sowie die hohen Kosten des Wahlverfahrens veranlaßten die kommunale Exekutive schließlich, als gesetzlich beauftragte Behörde die Aufstellung der Gemeindewählerliste nur noch eigenständig vorzunehmen. Solange in Berlin eine Klassen- und Einkommensteuer fehlte, wollte man die Mietsteuerkataster als Grundlage für die Mieter heranziehen sowie die polizeilichen Meldungen für die Chambregarnisten. Ergänzend sollte auf die bereits bestehenden Hilfslisten zurückgegriffen werden. Nach Einführung der Gemeindeeinkommensteuer im Jahre 1870 ergab sich für den Magistrat eine neue Gelegenheit, zu dem 1853 ausgesetzten Prinzip der Einkommensermittlung zurückzukehren. Die kommunale Exekutive hoffte auf eine nachhaltige Erleichterung des Wahlgeschäfts, insbesondere aber auf die Durchsetzung eines "gerechteren AbteilungsbildungsMaßstab(s)" und die Ablösung des ungesetzlichen Einschätzungsverfah344 Vgl. Bruch, Gemeindewahlen, S. 12. Die Auffassung des Magistrats hatte im Jahre 1861 schon ein Beschluß der königlich statistischen Zentralkommission vorweggenommen, nach dem unter Haushaltung nicht nur jede Vereinigung von zwei und mehr Personen, sondern auch Alleinstehende zu verstehen waren, die über eine besondere Wohnung, einerlei ob in direkter oder Untenniete, verfügten und sich selbständig ernährten. ZPSB, 2. Jg. (1861), S. 232. 345 Oertel, Städte-Ordnung, 3. Aufl., S. 150. 346 Bruch, Gemeindewahlen, S. 31.

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rens?47 Der Magistrat wies die Stadtverordneten auf die Unhaltbarkeit der Annahme hin, ein Fünftel des jährlichen Einkommens werde in Berlin regelmäßig für die Miete aufgebracht. Die Mietpreis- und Einkommensentwicklung waren längst nicht mehr kongruent verlaufen. Der stärkere Anstieg der Mieten hatte insbesondere in den unteren Schichten des Stadtbürgertums dazu geführt, daß ein Viertel oder gar ein Drittel der Einkünfte für das Wohnbedürfnis aufgebracht werden mußte. Die Stadtverordneten lehnten dieses Verfahren ab, weil die Steuerermittlung als der prinzipiell übliche Modus in der Städteordnung vorgeschrieben war. 348 Zudem bevorzugte der Modus der Steuerermittlung die Hauseigentümer mit ihrer Gebäude- und Haussteuer außerordentlich. Sie kamen fast ausnahmslos in die höheren Abteilungen, obwohl ihre Einkommensverhältnisse und ihre bürgerliche Stellung im allgemeinen nicht dazu angetan waren. 349 Der Magistrat mochte erklären, daß er prinzipiell nicht daran dachte, das Wahlrecht einzuschränken. Wahlrechtsverluste blieben bei Teilen des stimmberechtigten Stadtbürgertums auf Grund der Einkommensverfahrens unabweisbar, so daß Teile der Kommunalvertretung erneut überaus heftig reagierten. Gneist empörte sich gar, die kommunale Exekutive wolle mit ihrem Verfahren zur Zensusermittlung "ein ganz feudales Prinzip einführen" und einen liberalen Grundsatz der Städteordnung durch statutarische Anordnung beseitigen, was in der Öffentlichkeit mit dem Ausdruck einer "genialen" Opposition ironisiert wurde. 35o Doch auch der Magistrat argumentierte wenig geschickt, wenn er öffentlich erklärte, daß die Stimmrechtsverluste nur solche Bürger treffen würden, die einerseits in sozialer Hinsicht die unterste Stellung einnahmen und andererseits wohl zu den Wahlberechtigten aber nicht zu den "wirklich wählenden Personen" gehörten. 351 Der desintegrative Eingriff in erworbene politische Rechte hatte in der Stadtverordneten-Versammlung selten Anklang gefunden, da nützte es der kommunalen Exekutive wenig, auf den möglichen Gewinn neuer Stimmberechtigter aus dem Kreis der wohlhabenden Untermieter hinzuweisen. Nachdem die Stadtverordneten die Empfehlung der eingesetzten Deputation,352 der Einkommenseinschätzung zuzustimmen, abgelehnt hatten, konfrontierte der Magistrat die Gemeindevertretung mit dem Beschluß, daß bei 347 VerwBBln, 1861-1876, S. 66. VStBln 1870, Nr. Ba, AS Nr. 330 vom 9. April u. AS Nr. 532 vom 20. Mai 1870. Beide Vorlagen auch in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1362 u. 1240. 348 VgJ. § 5, Ziff. 4d, Satz I, Tit. 1, StO 1853. GS 1853, S. 265. 349 Bruch, Gemeindewahlen, S. 37. 350 Deutsche Gemeindezeitung, Jg. 1870, S. 116. Vossische Zeitung, Nr. 132, Ausgabe vom 10. Juni 1870. 351 Verhandlungsprotokoll der gemischten Deputation vom 9. Mai 1870. VStBln 1870, AS Nr. 532.

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der zukünftigen Feststellung der Wählerlisten zunächst jene Bürger berücksichtigt werden sollten, die im Einkommensteuerkataster mit jährlichen Einkünften von mindestens 300 Reichstalern ausgewiesen waren, oder die jährlich wenigstens 80 Taler Miete zahlten. Daneben waren Stadtbewohner zu berücksichtigen, deren Einkommensverhältnisse und finanzielle Leistungsfähigkeit die Veranlagung zu einer Klassensteuer von vier Reichstalern rechtfertigte. Die Absicht des Magistrats erregte die bürgerliche Öffentlichkeit über die Grenzen der Landeshauptstadt hinaus. Sie sprach dem Vorgehen der kommunalen Exekutive eine gesetzliche Grundlage ab, da das Kommunalrecht die Einführung des Einkommensverfahrens von der Zustimmung der "Stadtbehörden", d.h. des Magistrats und der Stadtverordneten, abhängig machte. 353 Die Gemeindebürokratie hatte lediglich die Möglichkeit, anstelle der Mietsteuer von einem fingierten Klassensteuersatz auszugehen. Auf diese Weise kam der Magistrat seinem Ziel, einen Einkommensmodus für die Zensusermittlung einzuführen, allerdings nicht wesentlich näher. Die Annahme des Magistrats, der in der Städteordnung vorgeschriebene Satz von vier Reichstalern wäre den sozialen Verhältnissen Berlins entsprechend einem jährlichen Einkommen von 300 Reichstalern gleichzustellen, stieß sowohl bei der Stadtverordnetenmajorität als auch in der liberalen Öffentlichkeit auf Widerspruch. Die Berliner Gemeindeeinkommensteuer setzte schon bei jährlichen Einkünften von 200 Reichstalern einen Steuersatz von vier Taler an, so daß bei einer Aufhebung der Mahl- und Schlachtsteuer und der Einführung einer wirklichen Klassensteuer mit der Erhebung desselben Betrages für diese Einkommensgruppe gerechnet werden mußte. 354 Die Gemeindevertretung dachte daher nicht an die Aufgabe ihrer am 9. Juni getroffenen Entscheidung. 355 Der fingierte Klassensteuersatz von vier Reichstalern bildete folglich solange die untere Grenze der Wahl352 In der Deputation war seitens des Magistrats Oberbürgenneister Seydel, Stadtsyndikus Duncker sowie die Stadträte Schreiner, Graf von Schwerin-Putzar, Weber, Gilow, Loewe und Gesenius. Zu den 14 Delegierten der Gemeindevertretung gehörten die Stadtverordneten Erich, Reimer, Springer und Friedländer, die den Magistratsantrag unterstützten, sowie neben Gneist die Kommunalrepräsentanten Neumann, Stort, Streckfuß und Tappert, welche gegen das Einkommensverfahren votierten. Vossische Zeitung, Nr. 132, Ausgabe vom 10. Juni 1870. 353 Vgl. § 5, Ziff. 4, Lit. d, Tit. I, StO 1853. GS 1853, S. 265. VStBln 1870, Nr. 645 vom 18. Juni 1870. Vgl. auch das gleichlautende Schreiben des Magistrats an die Kommunalvertretung vom gleichen Tag. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 163. Dazu auch die Vossische Zeitung, Nr. 142, Ausgabe vom 22. Juni 1870. 354 Verhandlungsprotokoll der gemischten Deputation vom 9. Mai 1870. VStBln 1870, AS Nr. 532. 355 Extrakt des Sitzungsprotokolls der Stadtverordneten-Versammlung vom 30. Juni 1870. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 164.

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berechtigung, bis durch das Klassensteuergesetz zum 1. Januar 1874 der Wahlrechtszensus in den Gemeinden auf den Stufen satz von zwei Reichstalern (sechs Mark) gesenkt wurde. 356 Von der gesetzlich erteilten Befugnis, die im § 5 der Städteordnung von 1853 festgelegten Einkommensbeträge, unabhängig vom Fortbestand der Mahl- und Schlachtsteuer, durch Kommunalbeschluß als Bedingung des Gemeindewahlrechts beizubehalten, konnte in Berlin schwerlich Gebrauch gemacht werden. Nur in Städten, welche die Beibehaltungsklausel ortsstatutarisch aufgenommen hatten, galten die höheren Zensusgrenzen auch nach dem Erlaß der steuergesetzlichen Regelungen der achtziger Jahre fort, ansonsten blieb der Wahlrechtszensus von 1873 unverändert in Kraft. 357 Das zu Beginn der neunziger Jahre erlassene Einkommensteuergesetz ersetzte die älteren Zensusbestimmungen, indem das Kommunalwahlrecht an die Bedingung eines jährlichen Klassensteuerbetrages von vier Mark bzw. ein Einkommen von mehr als 660 bis 900 Mark geknüpft wurde?58 Die Möglichkeit, die Einkommensermittlung und die älteren Zensussätze in mahl- und schlachtsteuerpflichtigen Städten beizubehalten, wurde endgültig aufgehoben. 359 Wo das Kommunalrecht grundsätzlich ortstatutarische Regelungen zum Wahlrechtszensus zuließ, konnte dieser nur noch reduziert, nicht aber erhöht werden. Die Grenze von 900 Mark durfte nicht überschritten werden. 356 Vgl. § 9b des Gesetzes wegen Abänderung des Gesetzes vom 1. Mai 1851, betreffend die Einführung einer Klassen- und klassifizierten Einkommensteuer vom 25. Mai 1873. GS 1873, S. 215 f. 357 Vgl. § 4, Gesetz betreffend die Aufhebung der bei den untersten Stufen der Klassensteuer vom 26. März 1883. GS 1883, S. 38. In Städten mit über 10000 Einwohnern, welche die Beibehaltungsklausel zur Verschärfung des Wahlrechtszensus nutzten, mußten Einwohner, deren Einkommen unter 250 Reichstaler bzw. 750 Mark blieb, aus der Wählerliste gestrichen werden. War das Einkommen nicht direkt aus den Klassensteuerrollen zu entnehmen, waren besondere Ennittlungen anzustellen. Siehe Oerte1, Städte-Ordnung u. Verwaltungs-Refonn-Gesetze, Bd. 1, S.70. 358 § 77, Abs. 1, Einkommensteuergesetz, 24. Juni 1891. GS 1891, S. 201. Vgl. dazu auch den § 82, Abs. 1 der Fassung des Einkommensteuergesetzes, 19. Juni 1906 (GS 1906, S. 292). Nach den durch § 38 des Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 1893 (GS 1893, S. 163 f.) abgeänderten § 74 bzw. § 79 des Einkommensteuergesetzes (GS 1891, S. 200; GS 1906, S. 291) waren zu den Beiträgen und Lasten, welche die kommunalen Verbände nach dem Maßstabe der Einkommensteuer aufzubringen hatten, die von dieser Steuer befreiten Personen mit einem Einkommen von 660 bis 900 Mark auf Grund eines fingierten Nonnalsteuersatzes von vier Mark zu berücksichtigen, so daß die Wahlberechtigung nach § 4, Ziff. 4c, Tit. 1 der Städteordnung von 1853 (GS 1853, S. 265) die Heranziehung zur Staatseinkommensteuer oder zu einem fingierten Nonnalsteuersatz von mindestens vier Mark bzw. die Veranlagung mit einem Einkommen von mehr als 660 Mark voraussetzte. Vgl. dazu Oertel, Städte-Ordnung, 6. Aufl., S. 53. 359 § 85, Einkommensteuergesetz, 1891. GS 1891, S. 203 f.

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Von einer begrifflichen Differenz zwischen dem Entrichten der Klassensteuer und der Veranlagung zur staatlichen Einkommensteuer im Kommunairecht 360 war nach der Verwaltungsrechtsprechung abzusehen. Die Begriffe mußten synonym behandelt werden, so daß Personen, die ein Einkommen zwischen 660 und 900 Mark nachweisen konnten, zum Gemeindewahlrecht zuzulassen waren, selbst wenn sie nach der Gemeindesteuerordnung von der Beitragspflicht befreit waren?61 Bei der Abteilungsbildung waren diese Bürger mit einem Steuersatz von 4 Mark zu berücksichtigen. In Berlin herrschte Unklarheit über die Einstufung bei der Konstituierung der Wählerklassen, wenn eine Veranlagung überhaupt nicht stattfand. 362 Stadtsyndikus Zelle ging vom Fortbestand der Regelung des Klassensteuergesetzes von 1883 aus, nach welcher die Einkommensgruppe zwischen 660 und 900 Mark weiterhin zum Steuersatz von vier Mark zu veranlagen war, auch wenn man sie von der Steuerleistung befreite. In der Kommunalbürokratie setzte sich die Auffassung durch, daß mit dem Klassensteuergesetz von 1891 eine fingierte Klassensteuer von drei Mark eingeführt worden war, sobald für die genannten Einkommen keine Gemeindeeinkommensteuer mehr erhoben wurde. Der niedrigere Steuersatz beinhaltete, wie Stadtrat Weise zurecht feststellte, eine Wahlrechtsverschiebung zu Ungunsten der weniger wohlhabenden Wählerschichten. 363 Das Gesetz zur Änderung des Wahlverfahrens bestätigte 1893 die niedrigere Einstufung. Eine liberalere Handhabung der Abteilungsbildung war bei den detaillierten Bestimmungen zur Klasseneinteilung kaum möglich. Die Berliner Kommunalvertretung machte erst gar nicht einen derartigen Versuch. Die Ausführung lag ohnehin allein in den Händen des Magistrats. Wie wenig die Kommunalbürokratie Bereitschaft zeigte, durch eine großzügige Auslegung der Wahlrechtsregelungen die nach unten gerichtete soziale Abgrenzung der politischen Teilhabe in der Gemeinde zu mildem, hatte der Berliner Magistrat auch im Jahre 1885 gezeigt, als er seine im März 1865 getroffene Definition der Selbständigkeit erneuerte. Gewiß war der kommunale Handlungsspielraum durch die immer weiter ausgreifende VerwaItungsrechtspre§ 5, Ziff. 4, Lit. c u. d, Tit. I, StO 1853. GS 1853, S. 265. Oertel, Städte-Ordnung, 6. Aufl., S. 148. Georg Evert, Die Dreiklassenwahl in den preußischen Stadt- und Landgemeinden nach dem Gesetze vom 30. Juni 1900, Berlin 1901, S. 37 ff. 362 Vgl. hierzu die Gutachten des Referenten des städtischen Wahl büros Gettwart vom 18. September u. 31. Dezember 1891 sowie die Voten von Stadtsyndikus Zelle vom 29. September, und den Stadträten Hagen, Krause, Weise, Voigt und Boll vom 24. Oktober, 6., 18. u. 24. November 1891. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 166, BI. 170210. 363 Votum Weise, 18. November 1891. A.a.O., BI. 185. Zur Reform des Wahlverfahrens von 1893 vgl. unten Kap. 9, Unterabschnitt 3. 360 361

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chung eingeengt. Bei der an sich schon eingeschränkten politischen Partizipation der städtischen Unterschichten hätte sich aus Gründen der Liberalität und Integration aber eine verschärfte Auslegung der Gemeindewahlrechtsbedingungen verboten, wie der Berliner Magistrat gegen Ende der neunziger Jahre zeigen sollte. Im Jahre 1885 erklärte der Magistrat, daß die Chambregarnisten nicht an und für sich vom Gemeindewahlrecht auszuschließen wären, sondern daß die Entscheidung von Fall zu Fall getroffen werden mußte. Den SchlafsteIleninhabern, die zum Wählerpotential der Sozialdemokratie gehörten, wollte aber weder der Magistrat noch die Stadtverordneten-Versammlung ein Wahlrecht einräumen. Ein entsprechender Beschluß der Gemeindevertretung erging unter anderem am 6. August 1885. In Übereinstimmung mit den Regelungen der Städteordnung wurde ein großer Teil der Berliner Arbeiter vom Gemeindewahlrecht ausgeschlossen. Das Kommunalrecht enthob die städtischen Körperschaften von jeder weiteren Verpflichtung, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in einer Großstadt näher zu berücksichtigen. 364 Das Oberverwaltungsgericht entschied im Oktober 1886, daß die Nichtzugehörigkeit zu einem fremden Hausstand schon dann vorlag, wenn ein Stadtbewohner eine eigene, wenn auch gemietete und mit gemietetem Mobiliar ausgestattete Wohnung besaß. 365 Die Frage, ob eine gemietete oder mit gemietetem Mobiliar ausgestattete Wohnung nun die Mindestforderung für die Bedingung des eigenen Hausstands war, ließ das Oberverwaltungsgericht weiterhin offen. Bereits die Tatsache des fremden Hausstandes stellte den Status einer vorliegenden Selbständigkeit in Frage. Der Minister des Innern nutzte die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, um den Schlafstelleninhabern in einer Verfügung an die Provinzialbehörden ein für allemal die Wahlberechtigung zu den Kommunalwahlen abzusprechen. 366 Die Provinzialorgane wurden aufgefordert, die Bürgermeister zu einer Berichtigung der Gemeindewählerlisten aufzufordern. Als im Jahre 1899 fünf Handwerker, da sie keine Aufnahme gefunden hatten, Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste erhoben, beschloß 364 Der Versuch Paul Hirschs (Arbeit in der Gemeinde. Die Tätigkeit der Sozialdemokratie in der Berliner Stadtverordnetenversammlung, Berlin 1908, S. 33 f.) die Haltung des Berliner Magistrats und der Gemeindevertretung kommunalrechtlich anzugreifen, ist nur zu verständlich, geht indessen völlig fehl. Die Städteordnung implizierte ein an Besitz, Einkommen und Steuerleistung gebundenes Wahlrecht, das die Selbständigkeit in Fonn eines eigenen Hausstandes einschloß. 365 PrOVGE, Bd. 14, Berlin 1887, S. 174. Vgl. auch Konrad von StudtlO. von Braunbehrens, Preußische Verwaltungsgesetze, Bd. 3, bearb. von Friedrich Freund, 18. Aufl., 7. Bearb., Berlin 1910, S. 32. 366 Verfügung des Ministers des Innern, 13. Juli 1900. MBliV, 61. Jg. (1900), S.209.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

die Berliner Stadtverordneten-Versammlung ihre nachträgliche Aufnahme. Diesen Beschluß fochte der Magistrat durch Klage an und erhielt vor dem Bezirksausschuß Recht. Die Aufnahme in die Wählerliste mußte zurückgenommen werden, weil die Handwerker als Inhaber von SchlafsteIlen über keinen eigenen Hausstand verfügten bzw. durch den Mangel der nicht ausschließlichen Herrschaft über einen Wohnraum nicht das Kriterium der Selbständigkeit als Voraussetzung des Gemeindewahlrechts erfüllten. Im Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht machte die Berliner Gemeindevertretung deutlich, daß es beim Besitz des Bürgerrechts nur auf die "innere Selbständigkeit,,367 ankäme und im übrigen die Bürgerrechtsbestimmungen der Städteordnung nur einzelne Erkennungszeichen der Selbständigkeit enthielten, ohne eine Ausschließlichkeit zu erheben. Dieser Auffassung folgten die Richter nicht. Sie erklärten, daß die im Bürgerrechtsparagraphen der Städteordnung verhängte Selbständigkeit ein "unerläßliche(s) Erfordernis,,368 darstellte. Bei SchlafsteIleninhabern oder -mietern lag, was selbst die Vertreter der Berliner Stadtverordneten zugaben, kein eigener, sondern die Zugehörigkeit zu einem fremden Hausstand vor, mithin auch keine Selbständigkeit. Die Armenunterstützungsklausel der Städteordnung löste ebenfalls langwierige Auseinandersetzungen zwischen den Kommunalkörperschaften aus. Umstritten war, ob die Krankenhausbehandlung auf Kosten der Armendirektion schon zu einem Verlust des Kommunalwahlrechts führen mußte. Die Gemeinderepräsentation vertrat die Ansicht, daß die Aufnahme in ein städtisches Krankenhaus selbst dann nicht als ein Akt der Armenunterstützung anzusehen war, wenn die Zahlung eines Vorschusses nicht sofort erfolgte. Der Magistrat verfügte dagegen 1885, jene Stadtbewohner aus den Wählerlisten zu streichen, die im Laufe des letzten Jahres für sich oder ihre Familienangehörigen Krankenhauspflege in Anspruch genommen hatten, ohne sofort den ganzen Kostenbetrag zu begleichen. Dabei war es gleichgültig, ob die Betreffenden zum Zeitpunkt der Wählerlistenaufstellung den vollen Betrag etwa durch Ratenzahlung schon zurückerstattet hatten. 369 In dieser Praxis der kommunalen Exekutive sah man nicht nur eine schroffe Wahlrechts beschränkung, sondern auch eine ungerechtfertigte soziale Härte. Die Stadtverordneten empörten sich um so mehr, als nach einer Enquete 367 Endurteil des Zweiten Senats vom 18. Mai 1900. PrOVGE, Bd. 37, Berlin 1901, S. 15. 368 A. a.o., S. 16. Die Selbständigkeitsklausel der Städteordnung war wesentlich enger gefaßt als in der Verordnung über die Ausführung der Abgeordnetenwahl zur Zweiten Kammer. Hier wurde unter Selbständigkeit nur die zivilrechtliche Verfügungsfähigkeit verstanden, so daß Hauskinder, Dienstboten und Studenten an den Wahlen zum Abgeordnentenhaus teilnehmen konnten. Vgl. Oertel, Städte-Ordnung, 6. Aufl., S. 56. 369 Vgl. Hirsch, Arbeit, S. 35. Dove, Berlin, S. l21.

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des Deutschen Vereins für Annenpflege und Wohltätigkeit nur etwa 33,3 Prozent der Gemeinden in ähnlichen Fällen mit dem Wahlrechtsentzug reagierten, während 66,7 Prozent im Falle der Gewährung von freier ärztlicher Behandlung, Arzneien und Heilmitteln von einer Aufhebung des Wahlrechts Abstand nahmen. 37o 1887 forderte die sozialdemokratische Fraktion, unterstützt durch einige liberale Abgeordnete wie Rudolf Virchow, den Magistrat auf, die in Krankheitsfällen aus Gemeindemitteln gezahlten Kurkosten nicht als eine die Ausübung des Wahlrechts verhindernde Unterstützung aus öffentlichen Mitteln anzusehen. Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, bei ratenweiser Rückerstattung der verauslagten und gestundeten Kurkosten die Aufnahme in die Wählerliste nicht zu verweigern. Mit 49:34 Stimmen lehnte die Gemeindevertretung den Antrag ab, obwohl sie noch zwei Jahre zuvor beschlossen hatte, die Verpflegung im Krankenhaus, soweit eine Kostenbegleichung im Nachhinein stattfand, nicht als Annenunterstützung einzustufen. In den folgenden Jahren wurden neue Anträge gegen diese Wahlrechtsbeschränkung gestellt. Der Magistrat beharrte jedoch auf seiner ausschließenden Praxis und verschloß sich weiteren Forderungen der Stadtverordneten. Im Mai 1893 präzisierte die kommunale Exekutive ihre Auffassung, indem sie bestimmte, daß in der Regel diejenigen Personen einschließlich der in ihrem Haushalt lebenden, unselbständigen Angehörigen von der Aufnahme in die Wählerliste ausgeschlossen wurden, die in dem einer Kommunalwahl vorangegangenen Jahr auf Kosten der Annendirektion in einem Krankenhaus gepflegt worden waren. Die endgültige Beurteilung darüber, ob bei einer Krankenhausbehandlung ein wirklicher Armenpflegefall vorlag, wollte sich der Magistrat selbst vorbehalten. Die Weisung signalisierte nur scheinbar ein Entgegenkommen des Magistrats. Zugleich war nämlich an die Annendirektion die Verfügung ergangen, bei Krankenaufnahmen zu Lasten der Stadt umgehend das Wahlbüro zu verständigen, um die betreffenden Personen in der Wählerliste zu streichen und für die Wiederaufnahme eine Kostenbegleichung innerhalb von vier Wochen nach der Entlassung zu fordern. Die harte Haltung des Magistrats sollte auch in den folgenden Jahren unverändert fortbestehen. 371 1894 und 1895 versuchte die Stadtverordneten-Versammlung, die kommunale Exekutive wenigstens zu bewegen, eine Stundung oder unpünktliche Zahlung nicht zugleich mit einem Ausschluß vom Wahlrecht zu bestrafen, sondern für die Zahlung eine Jahresfrist einzuräumen?72 Der Magistrat 370 Korrigiertes Verhältnis, falsch bei Hirsch, Arbeit, S. 36. Siehe dazu auch Vossische Zeitung, Nr. 443, Ausgabe vom 21. September 1895. 371 A. a. 0., S. 39. 312 StBBln 1895, S. 75.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

stellte sich indessen auf den Standpunkt, jede Fonn der Annenunterstützung wäre nach der Judikatur der höchsten Gerichtshöfe als Darlehen zu betrachten, unabhängig vom Modus der Rückzahlung. Das hieß die ratenweise Begleichung der Pflegekosten hob nicht den Charakter der Pflegemaßnahme als Annenunterstützung auf. Die Zahlungsfrist von vier Wochen war gerade für jene Stadtbewohner von Bedeutung, die nicht als hilfsbedürftig galten und daher die Gewähr erwarten durften, nicht von der Wählerliste gestrichen zu werden. 373 Der Magistrat sah sich an die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz gebunden. Er ließ sich nicht abhalten, Klage im Verwaltungsstreitverfahren zu erheben, nachdem die Gemeindevertretung mit großer Mehrheit eine Resolution zur jahresfristigen Zahlungsweise angenommen hatte. 374 Die sozialdemokratische Fraktion hoffte zuversichtlich auf die Rechtswidrigkeit 375 der Magistratsansicht und auf anschließende Korrekturen der Gemeindewählerliste. Durch zwei Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts vom 17. März 1897 und 18. Mai 1900 mußten sie sich indessen mit der Erkenntnis abfinden, daß die einem Einwohner oder den von ihm abhängigen Familienmitgliedern auf Rechnung der Annendirektion gewährte Krankenhausbehandlung als Annenunterstützung galt, ungeachtet einer Stundung der Kosten. Eine Annenunterstützung aus öffentlichen Mitteln im Sinne der Städteordnung lag selbst dann vor, wenn die Annenverwaltung einzelne Krankenhäuser ennächtigte, in unabweisbaren Fällen Kranke ohne Überweisung durch die Annendirektion für deren Rechnung aufzunehmen. 376 Die Städteordnung subsumierte unter dem Begriff der Annenunterstützung nicht nur laufende Beihilfen, sondern auch die vereinzelte, außerordentliche Unterstützung, die zur Aufhebung eines vorübergehenden Notstandes gewährt wurde. 377 In keinem Fall war die Unterstützungsleistung ein Kredit. Sie war allenfalls ein Vorschuß in dem Sinne, daß der Unterstützte sie erstatten mußte, sobald er über die dazu erforderlichen Mittel verfügte. Was einmal Annenunterstützung war, konnte seine Natur nicht durch eine sofortige Forderung oder bald erfolgende Erstattung ändern?78 Vgl. Rede Stadtrat Bohm. StVVersBln, 7. März 1895. Ebd. A.a.O., S. 78. 375 Vgl. Rede Paul Singer. StVVersBln, 7. März 1895. A. a. 0., S. 76. 376 Vgl. PrOVGE, Bd. 37, Berlin 1901, S. 14. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgericht vom 17. März 1897 in LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 136, BI. 270 f. u. Nr. 150, BI. 130 f. Das Urteil der Erstinstanz, a. a. 0., BI. 131a ff. 371 A. a. 0., S. 20. Eine gegenteilige Auffassung vertritt Stier-Somlo, Bürger- und Einwohnerrecht, S. 388. Siehe auch Jebens, Bürgerrecht und Bürgerrechtsgeld, in: PrVerwBI, 22. Jg. (1900101), Nr. 4, S. 38 f. 378 PrOVGE, Bd. 37, Berlin 1901, S. 22. 373

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4. Wählerlisten und normative Wahlrechtsbeschränkungen

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Von der "bis aufs äußerste weitgehende(n) Auslegung,,379 der Annenunterstützung seitens der Verwaltungs gerichtsbarkeit waren jährlich etwa 4000 Einwohner Berlins 380 betroffen. Die Bürgerschaftsvertretung glaubte zu wissen, daß die "reaktionäre Neigung des Magistrats,,381 bei der Annenunterstützungsklausel viele hilfsbedürftige Einwohner davon abhielt, die öffentliche Annenpflege in Anspruch zu nehmen, da sie den Verlust ihres Gemeindewahlrechts fürchteten. 382 Wenn schon nicht mit einer schnellen gesetzgeberischen Beseitigung dieser Verhältnisse, wie sie auch der Charlottenburger Oberverwaltungsgerichtsrat Jebens forderte,383 zu rechnen war, sollte doch wenigstens die Kommune für die Aufhebung der ungerechten Wahlrechtsbeschränkungen sorgen, indem sie eine allgemeine unentgeltliche Krankenhausbehandlung einführte. Auf diese Weise wäre es zu einer grundsätzlichen Trennung der Kranken- von der Annenpflege gekommen. 384 Ein Antrag, der weniger auf Grund der fehlenden Krankenhausbetten als seiner hohen Folgekosten385 von der Stadtverordnetenmehrheit abgelehnt wurde. Die Möglichkeit, den Kreis der vom Wahlrecht ausgeschlossenen Kranken durch individuelle Stundungsabkommen, insbesondere mit solchen Personen, die als nicht annenunterstützungsbedürftig anzusehen waren, zu verRede Kaempf. StVVersBln, 28. September 1905. StBBln 1905, S. 337. Rede Arthur Stadthagen. StVVersBln, 28. September 1905. A.a.O., S. 339. Für das Jahr 1900 liegen genaue Zahlen vor: Armenunterstützung einschließlich Krankenhauspflege erhielten insgesamt 11594 Personen, von denen 8732 Unterstützungsempfänger waren, die sich nebenher auch in Krankenhauspflege befanden, während 2862 Personen ausschließlich kommunale Krankenpflege auf Kosten der Stadt in Anspruch nahmen. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 150, BI. 142. Die überwiegende Zahl von Wahlrechtsausschlüssen dürfte allerdings auf Grund nicht geleisteter Gemeindeabgaben veranlaßt worden sein. Auch in dieser Hinsicht gab es Auseinandersetzungen über begriffliche Abgrenzungen, insbesondere über die im Kommunalabgabengesetz entwickelten Gebühren, welche das ältere Städterecht noch gar nicht kannte. Vgl. dazu Oertel, Städte-Ordnung, 6. Aufl., S. 49. 381 Rede A. Stadthagen. StVVersBln, 28. September 1905. StBBln 1905, S. 340. 382 Rede Kaempf. StVVersBln, 21. September 1905. A.a.O., S. 338. 383 Jebens, Armenunterstützung als politische capitis deminutio, in: PrVerwBI, 26. Jg. (1904/05), Nr. 41, S. 748 f. 384 Dove, Berlin, S. 122. 385 Die genauen Folgekosten unentgeltlicher Krankenpflege ließen sich nicht ermitteln. Die Berechnungen Arthur Stadthagens schwankten zwischen 300000 und 1 Million Mark jährlich. Kostensteigerungen waren nach Darstellung des Direktors der Berliner Armenverwaltung Münsterberg auch dadurch zu erwarten, daß Kassenangehörige die unentgeltliche Pflege in Anspruch nahmen oder chronisch Kranke verstärkt nach Berlin zuwanderten. Vgl. die Vorlage des Vorsitzenden der Armendirektion vom 22. Mai 1900, die Ausführungen Stadthagens vom 14. Januar 1901 einschließlich der finanziellen Berechnungen und die Sitzungsprotokolle der Armendirektion vom 11. Februar und 11. März 1901. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 150, BI. 200-204c. 379 380

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

kleinem, erhielt ebenfalls keine Zustimmung. Die freisinnig-bürgerliche Mehrheit unter den Stadtverordneten erachtete nur den Weg der Staatsgesetzgebung für erfolgversprechend. Sie sah ihren eigenen Möglichkeiten dadurch genüge getan, daß sie den Magistrat zu einer gemeinsamen Petition bei den Reichs- und Landesbehörden aufrief, gesetzgeberisch tätig zu werden, um fernerhin nicht mehr einen Wahlrechtsverlust bei den in Form von Krankenhausbehandlung gewährten Armenunterstützungen eintreten zu lassen. Zu einer entsprechenden Äußerung sollte auch der 1906 einzuberufende Preußische Städtetag veranlaßt werden?86 Der Magistrat kam diesem Antrag nach. Es wurde eine gemischte Deputation über die Ausführung der Beschlüsse eingesetzt, ohne daß man einer konkreten Lösung des Problems näherkam. Andere Wege waren möglich, wie das Beispiel des Berliner Vororts Charlottenburg zeigte. Hier fand man eine einfache Lösung des Problems, indem die Krankenhauskosten schlichtweg nicht als Armenunterstützung gebucht wurden. 387 Der Charlottenburger Oberbürgermeister Schustehrus hatte dieses Verfahren angeregt und war mit einer entsprechenden Vorlage an die Gemeindevertretung herangetreten, die keinen Anlaß sah, ihre Zustimmung zu verweigern. War im westlichen Vorort Berlins etwa jene von "Selbstverwaltungsfreiheit und Freisinn,,388 zeugende Haltung der Kommunalkörperschaften zu finden, welche die Sozialdemokraten in der Reichshauptstadt vermißten? Das dürfte wohl kaum der Fall sein, denn die überzogene Reaktion der Berliner Gemeindebehörden bei der Auslegung der Wahlrechtsbeschränkungen waren eine Folge der politischen Konfrontation mit der kontinuierlich größeren Einfluß gewinnenden Sozialdemokratie. Im wohlhabenden Charlottenburg war die Position des Kommunalliberalismus dagegen zu keinem Zeitpunkt gefährdet. 389 Eine großzügige Auslegung der Armenunterstützungsklausel hatte hier keine wesentlichen Auswirkungen auf die Verteilung des Wahlrechts zur Folge. In einem Arbeitervorort wie Neukölln (Rixdorf)39o nutzte die Kommunalbürokratie indessen im Einvernehmen mit den bürgerlichen Liberalen sämtliche Möglichkeiten, das Wahlrecht der städtischen Unterschichten zu be386 Antrag Cassel/Kaempf, 19. September 1905. VStBln 1905, DS Nr. 808, S. 635. Annahme des Antrags, StVVersBln, 28. September 1905. StBBln 1905, S.342. 387 Vgl. Hirsch, Arbeit, S. 49. Vgl. auch die Hinweise bei A. Stadthagen und Kreitling. StVVersBln, 28. September 1905. StBBln 1905, S. 339 f. 388 Vorwärts, Nr. 169, Ausgabe vom 23. Juli 1897. 389 Zur Vertretung der Sozialdemokratie in der Charlottenburger Stadtverordneten-Versammlung vgl. Bernstein, Arbeiterbewegung, S. 224 f. 390 Zum kommunalrechtlichen Status und zur Namensgebung des großstädtischen Vorortes vgl. oben Kapitel 5, Anmerkung 75.

4. Wählerlisten und nonnative Wahlrechtsbeschränkungen

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schränken. Um im südöstlichen Vorort eine sozialdemokratische Mehrheit in der Kommunalvertretung zu verhindern, ließ sich der Magistrat 1912 kurzerhand mit der Begründung in die Wählerliste eintragen, daß die Gemeinde mehr an Staatssteuern entrichtete als die drei höchstbesteuerten Bürger Neuköllns. Die Stadtverordneten strichen den Magistrat nach verschiedenen Einsprüchen wieder aus der Wählerliste. Da die Kommunalbürokratie umgehend eine erneute Eintragung vornahm und die Gemeinderepräsentation wiederum mit einer Streichung reagierte, konnte aus dem Kreis der Bürgerschaft heraus Klage vor dem Bezirksverwaltungsgericht erhoben werden. Die Kläger, die sich der Unterstützung des Magistrats erfreuten, erklärten offen, daß sie mit ihrer Klage beabsichtigten, eine Mehrheit der Sozialdemokraten in der Kommunalvertretung zu verhindern. Obwohl nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts, eine Gemeinde sich nicht selbst veranlagen konnte, stellte der Bezirksausschuß unter Vorsitz des Regierungspräsidenten von Falkenhausen nach aufwendigen Ermittlungen fest, daß in Neukölln eine städtische Steuerleistung erbracht wurde, die nicht nur zu statistischen Zwecken, sondern zu einem wirtschaftlich bedeutenden Ausgleich der Gemeindefonds als rechtmäßige steuerliche Entrichtung erfolgte. 391 Die politische Brisanz des Urteils war nicht zu übersehen. Die liberale Mehrheit der Neuköllner Stadtverordneten-Versammlung lehnte vorsorglich den sozialdemokratischen Antrag auf ein Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht ab. In Berlin nahm man interessiert von dem Urteil Kenntnis und erkundigte sich sogleich, ob tatsächlich eine Steuerveranlagung der Gemeinde stattfand und um welche Steuern es sich im einzelnen handelte. Da vorwiegend Einkünfte aus dem städtischen Grundbesitz und den kommunalen Werken angeführt wurden, schien sich bei den äußerst umfangreichen Gewerbeanlagen und dem großen Grundeigentum der Reichshauptstadt eine ungeahnte Möglichkeit zur Okkupierung des Kommunalwahlrechts zu eröffnen. 392 Daß die Erwägungen der Kommunalbürokratie in dieser Richtung nicht abwegig waren, wurde durch die Empfehlung, zunächst eine höchstrichterliche Entscheidung abzuwarten, eher unterstrichen als relativiert. "Macht geht vor Recht", stellte der sozialdemokratische Stadtverordnete Scholz in der Neuköllner Stadtverordneten-Versammlung enttäuscht fest. Es ging hier freilich um mehr als eine politisch-moralische Frage, denn die Wahlrechtsmanipulationen393 drohten das politische System auf kommunaler Ebene als solches in Frage zu stellen. Sie verdeutlichten 391 Berliner Tageblatt, Berliner Lokal-Anzeiger, Vossische Zeitung, jeweils Nr. 239, Ausgabe vom 12. Mai 1914. Berliner Morgenpost, Nr. 130, Ausgabe vom 13. Mai und Vorwärts, Ausgaben vom gleichen Tag u. vom 27. Juni 1914. 392 Siehe die Randbemerkungen des Vorstehers des städtischen Wahlbüros zum Vorwärts-Artikel vom 13. Mai 1914. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 137, BI. 11.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

die Unfähigkeit zum politischen Ausgleich und damit den Mangel an politischer Entwicklungsfähigkeit. Der Ausbruch des Krieges lenkte von diesem Problem ab, während er gleichzeitig dazu beitrug, der späten Demokratie eine nicht zu unterschätzende Last aufzuerlegen.

5. Wahlbeteiligung und Partizipationstheorem Das Problem einer unzureichenden Verankerung der Gemeindevertretungen in der städtischen Bevölkerung belastete unabhängig von allen Einzelfragen der Wahlrechtsreform die kommunale Verfassung im konstitutionellen Preußen. Von Bedeutung war dabei nicht nur der langsam wachsende Anteil der Stimmberechtigten an der männlichen Bevölkerung, sondern auch die überaus unterschiedliche Wahlbeteiligung in den einzelnen Wählerklassen. Während die Teilnahme an den Kommunalwahlen in den Jahrzehnten nach der Einführung der Städteordnung mit Quoten zwischen sechzig und knapp achtzig Prozent ein reges Engagement des stimmberechtigten Stadtbürgertums erkennen ließ, sank sie nach 1850 auf durchschnittlich 30,4 Prozene 94 herab. Wenn im Jahre 1850 noch 76,3 Prozent der Stimmberechtigten von ihrem Wahlrecht Gebrauch machten, so war dieses Ergebnis auf das durch die Einführung der Gemeindeordnung berührte "Interesse der Bürgerschaft" und die politische Atmosphäre der unmittelbaren Nachrevolutionsära zurückzuführen. Die Wahlrechtsbeschränkungen des Dreiklassensystems zeigten noch keine Wirkung?95 Bei den Wahlen des Jahres 1852 ging die Beteiligung dann jäh auf zwei Fünftel, beim folgenden Wahlgang noch weiter auf weniger als ein Viertel zurück. Dieser Rückgang war sowohl eine Folge des Dreiklassenwahlrechts, das die Masse der Wähler in der dritten Klasse politisch disqualifizierte, als auch durch das System der Ergänzungswahlen begründet, das willkürlich durch Los Wahlkörperschaften bildete und jeweils nur ein Drittel der Stimmberechtigten zur Wahl aufforderte. Die örtliche Berufung verschiedener über die ganze Stadt zerstreuter einzelner Wahlkörper, wie sie in allen folgenden Wahljahren stattfand, führte insgesamt zu einem nachlassenden Interesse der Bürgerschaft an den Stadt393

Siehe in diesem Zusammenhang auch das Wahlrecht der juristischen Personen

(§ 8, StO 1853) und die Versuche der Sozialdemokratie, gegen dessen extensive

Auslegung vorzugehen. So klagten die Sozialdemokraten 1913 gegen die Berliner Vorortgemeinde Lichtenberg, die das Kommunalwahlrecht neben bedeutenden Industrieuntemehmen auch der Stadt Berlin als juristischer Person verliehen hatte. Vgl. Vorwärts, Nr. 290, Ausgabe vom 23. Oktober 1914. 394 Ohne das Ergebnis der Kommunalwahl von 1850. Vgl. dazu Tab. 2 im Stat. Anhang. 395 Siehe auch Bruch, Gemeindewahlen, S. 109.

5. Wahlbeteiligung und Partizipationstheorem

733

verordnetenwahlen. 1850 war die gesamte Bürgerschaft Berlins in die Wahllokale gerufen worden, das sollte in der Zeit des preußischen Konstitutionalismus nur noch 1883 stattfinden, nachdem die staatlich angeordnete Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung Gesamtwahlen erforderlich gemacht hatte. Die "Auflösungswahl" ließ die Wahlbeteiligung auf über 40 Prozent klettern, eine Höhe, die erst nach der Jahrhundertwende wieder erreicht wurde, als die Kommunalwahlen im Zeichen einer allgemeinen Politisierung standen. Ab Mitte der sechziger Jahre konnte in Berlin geradezu von einem regelrechten Ausbleiben der Wählerschaft gesprochen werden. Adolf Streckfuß registrierte 1868, nachdem nur 18,7 Prozent der Wähler ihre Stimme bei der Kommunalwahl abgaben hatten, eine beispiellose Teilnahmslosigkeit, die in einem aummigen Gegensatz zur Bedeutung der aktuellen kommunalpolitischen Projekte stand?96 Der absolute Tiefpunkt der Wahlbeteiligung war jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht, denn bis zur Wahl des Jahres 1876 sank die Teilnahmequote weiter bis auf 11,3 Prozent ab. Erst die Neueinrichtung der Wahlbezirke führte zu einem neuen Aufschwung, der in den folgenden Ergänzungswahlen nicht mehr so stark abfiel wie in den vorangegangenen Wahlzyklen, da nunmehr jeweilig höhere Anteile der Stimmberechtigten zur Kommunalwahl aufgerufen wurden. Die Wahlbeteiligung pendelte sich in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg bei einem Mittelwert von 37,1 Prozent ein. 397 Nach 1900 stieg die Teilnahme an den Kommunalwahlen auf über zwei Fünftel der Stimmberechtigten an, mit einem Durchschnittswert von 40,6 Prozent wurde fast das Niveau der Gesamtwahl von 1883 erreicht. Die Zunahme war vornehmlich auf die Mobilisierung der sozialdemokratischen Wähler in der dritten Klasse zurückzuführen. Wahlrecht und Wahlsystem hatten, nicht zuletzt unter Berücksichtigung der Stimmengewichtung durch die Wahlkreiseinteilung, einen erheblichen Einfluß auf das Wählerverhalten. Eine sich dynamisierend entwickelnde Politisierung ging vom Kommunalwahlrecht auf den ersten Blick kaum aus. Die Beschneidung partizipativer Rechte zeitigte vielmehr demotivierende Folgen. Die Wahlenthaltung nahm demzufolge in Abhängigkeit 396

127.

Bericht Streckfuß, 16. Dezember 1868. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI.

397 Allgemein zum Wahlverhalten im Kaiserreich Rainer-Olaf Schultze, Funktionen von Wahlen und Konstitutionsbedingungen von Wahl verhalten im deutschen Kaiserreich, in: Wählerbewegung in der Europäischen Geschichte. Ergebnisse einer Konferenz, bearb. u. hrsg. von O. Büsch (= VHKB, Bd. 25), Berlin 1980, S. 128 ff. Zum Wahlrechtsbegriff in historischer und systematischer Perspektive sowie zum Dreiklassenwahlrecht und seinen Implikationen vgl. Vogel/Nohlen/Schulze, Wahlen, S. 19 ff. u. 125 ff. GrünthaI, Dreiklassenwahlrecht, S. 54 ff. 48 Grzywatz

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

von der Verschärfung der Wahlrechtsbeschränkungen zu. Erst die parteipolitische Konkurrenz brach diesen Entwicklungszusammenhang auf. Bis in die achtziger Jahre hinein kann man von einer Kongruenz zwischen Wahlbeteiligung und Stimmrechtsgewicht sprechen. Der geringere Stimmwert des Wahlrechts in der dritten Wählerabteilung führte regelmäßig zu den niedrigsten Wahlbeteiligungsquoten in dieser Abteilung. Zwischen 1854 und 1880 schwankte die Teilnahme der Stimmberechtigten der dritten Klasse an den Kommunalwahlen zwischen 25,9 (1860) und 8,1 Prozent (l876178)?98 Der mittlere Wert der Wahlbeteiligung lag in dieser Periode bei 16,5 Prozent, während in der ersten Wählerklasse durchschnittlich über die Hälfte der Wahlberechtigten ihre Stimme abgaben und von den Wählern der zweiten Klasse im allgemeinen 38,4 Prozent der Stimmberechtigten zur Wahl erschienen. Die höchste Wahlbeteiligung in der ersten Wählerklasse fiel mit 69,6 Prozent in das Jahr 1862, die niedrigste mit 41,0 Prozent in das Jahr 1854. Für die zweite Wählerklasse wurde die höchste Beteiligungsquote mit 51,0 Prozent bei der Kommunalwahl von 1860 ermittelt, die niedrigste Rate für die Wahlen von 1856 mit 25,3 Prozent festgestellt. Die Neuwahl der Stadtverordneten führte 1883 eine Wende herbei, indem sich die Wahlbeteiligung der einzelnen Wählerklassen deutlich einander annäherte. Von den privilegierten Wählern der ersten Klasse erschienen bis zum Ausbruch des Krieges regelmäßig noch gut die Hälfte der Stimmberechtigten (51,2 %) zur Wahl, in der zweiten Abteilung waren es 39,6 Prozent, während von den Wählern der dritten Abteilung durchschnittlich 36,6 Prozent von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten. Nach der Jahrhundertwende verschärfte sich diese Entwicklung insofern, als die Wahlbeteiligung in den ersten beiden Abteilungen mehr oder weniger kontinuierlich zurückging, in der dritten Klasse dagegen nahezu stetig wuchs. Die durchschnittlich höchste Teilnahme war zwar mit 45,9 Prozent nach wie vor bei den Wählern der ersten Klasse zu verzeichnen, aber die Quote der dritten Klasse lag mit 41,8 Prozent nur unwesentlich niedriger. Bei der Kommunalwahl von 1911 zog die Wahlbeteiligung in der dritten Abteilung schließlich mit der Quote der ersten Wählerklasse gleich. Bei der folgenden Wahl von 1913 überflügelte sie erstmals die der ersten Abteilung. Während in der ersten Wählerklasse knapp zwei Fünftel der Stimmberechtigten zum Wahlgang schritten, gaben in der dritten Abteilung 44,6 Prozent der Wähler ihre Stimme ab. Die Wahlberechtigten der zweiten Klasse hatten dagegen an Interesse für die Kommunalwahlen verloren: Im Jahre 1901 erschienen noch 42,7 Prozent der Wähler in den Wahlbüros, zwölf Jahre später waren es nur noch 28,0 Prozent der stimmberechtigten Stadtbürger. 398 Vgl. dazu Tab. 10 im Stat. Anhang. Durchschnittswerte berechnet nach den Angaben in der Statistik.

5. Wahlbeteiligung und Partizipationstheorem

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Vergleicht man die Berliner Stadtverordnetenwahlen mit den preußischen Landtagswahlen, fällt die ähnlich niedrigere Wahlbeteiligung nach dem Ende der sechziger Jahre auf, die zwischen 14,5 und 39,7 Prozent (1893/ 1903) schwankte?99 Durchschnittlich lag die Beteiligungsquote zwischen 1867 und 1903 bei 26,1 Prozent, bei den Berliner Kommunalwahlen erreichte sie im gleichen Zeitraum mit 28,0 Prozent nur ein unwesentlich höheres Niveau. Erst die Wahlen von 1908 und 1913, die mehr oder weniger im Zeichen des preußischen Wahlrechtssturms standen, führten zu einer stärkeren Mobilisierung der Wählerschaften, welche die Wahlbeteiligung über die Fünfzig-Prozent-Marke schnellen ließ. Ein ähnlich breites Interesse konnten die Kommunalwahlen nicht erregen. Die Wahlbeteiligung überschritt in den genannten Jahren nur knapp die Höhe von 40 Prozent, ohne daß in diesem Niveau ein besonderes Mobilisierungsmoment zum Ausdruck kam. Eine Beteiligungsquote von über fünfzig Prozent fiel allerdings im Vergleich zu den Reichstagswahlen, die nach dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Mehrheitswahlrecht vollzogen wurden,4oo eher niedrig aus. Zwischen 1871 und 1912 machten durchschnittlich 64,8 Prozent der hauptstädtischen Wähler von ihrem Wahlrecht zum Reichstag Gebrauch. 401 Werden die ersten drei Wahlen der siebziger Jahre außer Acht gelassen, bei denen die Wahlbeteiligung erheblich vom ermittelten Durchschnittswert abwich, erhöhte sich die allgemeine Teilnahmequote auf 73,8 Prozent. Das nachlassende Interesse an den Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus mußte Anfang der neunziger Jahre in der Ablösung der Klasseneinteilung der Urwähler auf Gemeindeebene und in den Absurditäten einer neuen bezirksweisen Aufstellung der Wählerlisten sowie der Abhängigkeit des Wahlrechts von der augenblicklichen Wohnung gesucht werden, wodurch die Ausübung des Wahlrechts an die Sozial- oder genauer die Einkommensstruktur eines Bezirks gebunden wurde. 402 Es konnte also vorkom399 Vgl. dazu Tab. 14 im Stat. Anhang. Durchschnittswerte berechnet nach den Angaben der genannten Statistik. Übersichten zu den Ergebnissen der Reichstagsund Landtagswahlen in Preußen bei Ritter, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, S. 38 ff. u. 140 ff. 400 Zum institutionellen Rahmen des politischen Systems des Kaiserreichs siehe Vogel/Nohlen/ Schultze, Wahlen, S. 95 ff. 401 Vgl. Tab. 15 im Stat. Anhang. Mittelwerte berechnet nach den dort angegebenen Quellen. 402 Vgl. § I, Abs. 2, Gesetz betreffend Änderung des Wahlverfahrens vom 24. Juni 1891. GS 1891, S. 231. Vgl. auch § 4, Gesetz betreffend Änderung des Wahlverfahrens vom 29. Juni 1893. GS 1893, S. 103 f. Allgemein zur Problematik des Nichtwählens, allerdings vorwiegend auf die Reichs- und Bundestagswahlen bezugnehmend, Ralf-Rainer Lavies, Nichtwählen als Kategorie des Wahlverhaltens. Empirische Untersuchung zur Wahlenthaltung in historischer, politischer und stati-

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

men, daß es Wahlkreise gab, in denen in der ersten Klasse nur ein einziger Wahlberechtigter auftrat, in der zweiten Klasse nur wenige einzelne Wähler vorhanden waren und die große Masse der Stimmberechtigten mit einer nach der Steuerleistung überaus differenzierten Leistungsfähigkeit in der dritten Klasse wählte. In Berlin bildeten in einkommensstarken Citybezirken wie etwa dem Urwahlbezirk Nr. 58, der den größten Teil der Voßstraße, einige Häuser der Wilhelmstraße sowie die der rückwärtig anstoßenden Königgrätzerstraße umfaßte, zwei Vertreter des Großhandels und der Großindustrie die erste Klasse, vier weitere Personen aus dieser Erwerbsgruppe und ein Rittergutsbesitzer besetzten die zweite Wählerklasse, während die übrigen Anwohner aus Handel und Industrie, der Reichskanzler, die Mitglieder des Staatsministeriums, die Mitglieder der Ministerialbürokratie und sonstigen Beamten zum größten Teil in der dritten Klasse wählten, wo sie nicht nur mit Vertretern aus Kunst und Wissenschaft oder der Geburtsaristokratie, sondern auch mit der großen Masse der weniger wohlhabenden Schichten zusammentrafen. In Berlin galt, wie Ignaz Jastrow ironisch bemerkte, daß vor dem Dreiklassensystem alle sozialen Unterschiede verschwanden. Die dritte Wählerklasse hatte hier im großen und ganzen die Wählerschaft in sich aufgesogen, vorausgesetzt der Wahlberechtigte wohnte in einem bevorzugten Wohnviertel begüterter Schichten.403 Mußte ein hoher Ministerialbeamter auf Grund seines geringeren Einkommens in einer "unfashionablen Gegend" Berlins Wohnung nehmen, rückte er um dieses geringeren Einkommens willen in die zweite oder gar erste Klasse auf. Das ursprüngliche quasi-ständische Grundprinzip des Klassenwahlrechts wurde auf diese Weise ad absurdum geführt. Die offiziöse Wahlrechtstheorie sah sich daher, wenn auch mit mäßigem Erfolg, genötigt, nach einer neuen Definition für die Abteilungsbildung zu suchen, die weniger der Steuerleistung als der sozialen Stellung verpflichtet war. Durch die Reduktion der anrechenbaren Steuern und Mindestwählerquoten für die privilegierten Wählerklassen beabsichtigte man eine konservative Neuordnung der politischen Partizipation in Preußen vorzunehmen. 404 stischer Sicht (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentariums und der politischen Parteien, Bd. 46), Düsseldorf 1973, S. 21 ff. u. 65 ff. 403 Jastrow, Dreiklassensystem, S. 47 ff. Weitere Beispiele unter ausdrücklichem Hinweis auf die Miquelsche Steuerrefonn in Vossische Zeitung, Nr. 462, Ausgabe vom 3. Oktober 1892. 404 Evert, Die soziale Dreigliederung als Grundlage des Wahlrechts, in: Deutsches Wochenblatt, 5. Jg. (1892), s. 500 ff. Ludwig Herrfurth, Die Wahlrefonn in Preußen, in: Deutsche Revue über das gesammte nationale Leben der Gegenwart, Bd. 18, (1893), H. 2, S. 230 ff. Octavio Freiherr von Zedlitz-Neukirch, Zur Refonn

5. Wahlbeteiligung und Partizipationstheorem

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Wenn die Wahlbeteiligung vor allem im Zusammenhang mit der Auflösung traditioneller Aktionsmuster und Umweltstrukturen Auskunft über die aktive Wahrnehmung von Partizipation gibt und zugleich Ausdruck sozialer Mobilisierung ist,405 dann bestätigen die hohen Teilnahmequoten bei den vormärzlichen Kommunalwahlen - selbstverständlich immer unter der Berücksichtigung, daß es sich um ein eng begrenztes Wahlrecht handelt - die Annahme einer engagierten Mitwirkung der Bürgerschaft am Kommunalgeschehen. Es muß aber berücksichtigt werden, daß die preußische Städteordnung von 1808, obwohl sie die Wahl nach Ordnungen, Zünften und Korporationen untersagte, Bestimmungen enthielt, die nicht nur den Konformitätsdruck steigerten, sondern auch der Tendenz nach ein konsensuales Wahlverhalten herausforderten. Auf der einen Seite bestand eine Wahlpflicht. Wählen war ebenso wie die Teilnahme an der öffentlichen Verwaltung der praktische Beweis des vom Gemeinderecht geforderten Bürgersinns. Auf die Partizipationsverweigerung konnten die Gemeindevertretungen mit Repressionen antworten, die Wahl enthaltung nötigenfalls mit dem Ausschluß vom Wahlrecht bestrafen. Auf der anderen Seite lag schon in der Verpflichtung, sich zur gemeinschaftlichen Wahlversammlung zusammenzufinden, ein Moment zur Beratung über geeignete Kandidaten. Das Recht jedes stimmfähigen Bürgers, in der Wahlversammlung einen Kandidaten vorzuschlagen und den Vorschlag zu begründen, stützte dieses Verfahren. In der Praxis fanden regelmäßig längere Erörterungen über die Eignung der einzelnen Kandidaten statt. Dieses Wahlverfahren wurde erst durch das konstitutionelle Städterecht abgelöst. Die niedrige Wahlbeteiligung bei den Berliner Kommunalwahlen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war im Vergleich zu den Landtagswahlen weder durch ein indirektes Wahlverfahren noch durch die Aufstellung der Wählerlisten nach Stimmbezirken beeinflußt. Die Gemeindewahlberechtigten wählten direkt. Die 1891 eingeführte Steuerdrittelung nach Stimmbezirken kam in den Kommunen nicht zum Zuge. Die Wählerklassen wurden weiterhin für die ganze Gemeinde gebildet. Die geringe Teilnahme an den Wahlen erschien um so erstaunlicher, als ab Mitte der siebziger Jahre konsensuale Wahltraditionen abgelöst und die Kommunalwahlen zusehends politisiert wurden. Die Konkurrenz der lokalen Parteien und Vereinigungen nahm zu. Die kommunalen Körperschaften waren danach einem stärkeren politischen Druck ausgesetzt, eine gerechtere Verteilung der Partizipationschancen, insbesondere durch eine bevölkerungsadäquate Einteilung der Gemeindewahlbezirke, in Gang zu setzen. des preußischen Wahlgesetzes, in: Deutsches Wochenblatt, 5. Jg. (1892), S. 1 ff.; ders., Zur Wahlrechtsfrage, in: A. a. 0., 6. Jg. (1893), S. 14 ff. 405 Schultze, Funktionen von Wahlen, S. 131. Ritter, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, S. 13.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

Die Kommune wurde als politischer Ort in neuer Weise wahrgenommen. Man betrachtete die Stadtgemeinden nicht mehr als Refugium unpolitischer Interessenverwaltung, sondern erkannte ihre Bedeutung als Ort der politischen Willensbildung. In dieser Funktion erhielten die Kommunalwahlen eine allgemeinere politische Bedeutung. In den Parteien setzte sich die Auffassung durch, daß die Einnahme lokaler Machtpositionen von erheblichem Einfluß auf den Ausgang der nationalen Wahlen sein konnte. Gleichzeitig zeigte sich innerhalb der Gemeindevertretungen ein verstärktes Bemühen, an allgemeinen Fragen der Staats- und Landespolitik teilzunehmen. Wenn trotzdem die Beteiligungsraten bei den Kommunalwahlen gering blieben, war dafür das öffentliche Wahlverfahren und Wahlrepressionen, die langen, auf sechs Jahre anberaumten Wahlzeiten und das System der zweijährigen drittel paritätischen Ergänzungswahlen sowie die unterschiedlichen Wahlzyklen in den einzelnen Wählerklassen verantwortlich. 406 Die Neigung zu bipolaren Konfliktstrukturen, einem dualistischen Parteiensystem407 und die plutokratische Wirkung des Steuersystems verstärkten die Tendenz. Schließlich führte die Steuerreform von 1891 zu einer Marginalisierung des politischen Mittelstands und erschütterte zunehmend die Legitimationsprinzipien des Dreiklassensystems. 408 Die Kommunalwahlreform von 1900 entschärfte die plutokratisierende Wirkung des Wahlrechts, ohne daß der wahlpolitische Besitzstand des städtischen Bürgertums in irgendeiner Weise gefährdet wurde. Rückwirkungen der steuerlichen Lockerungen auf die Wahlbeteiligung stellten sich, wie die Zunahme der Teilnahmeraten verrieten, durchaus ein. Doch dürfte die Wählermobilisierung auf Grund der sich im letzten Vorkriegsjahrzehnt allgemein verschärfenden Wahlrechtsauseinandersetzungen von nicht minderem Einfluß gewesen sein. Niedrige Wahl beteiligungen waren dem Dreiklassensystem immanent. Sobald das Wahlrecht annähernd gleich gestaltet und das Wahlverfahren geheim angelegt war, stellten sich zwangsläufig höhere Beteiligungsraten ein. Das zeigten nicht nur die Kommunalwahlergebnisse in Berlin unter dem Wahlrecht der ersten Städteordnung, sondern auch das gleiche Gemeindewahlrecht in Bayern und Württemberg. Bei den bayrischen Gemeindewahlen von 1905 lag die allgemeine Wahlbeteiligung in fünfzig Städten bei 64,4 Prozent, in den fünf Städten mit über 50000 Einwohnern gar bei 406 Zum Zusammenhang von Wahlkreiseinteilung und Wahlzyklen vgl. Kap. 8, Unterabschnitt 3 u. 5. 407 Auf den Mangel pluraler Konfliktsituationen, insbesondere in den ersten beiden Wählerklassen, wird im Kap. 8, Unterabschnitt 5 detailliert eingegangen. 408 Zu den politischen Zielsetzungen der Kommunalwahlrechtsrefonn der neunziger Jahre, den Veränderungen des Wahlverfahrens und der Abteilungsbildung, siehe Kap. 9, Unterabschnitt 3.

5. Wahlbeteiligung und Partizipationstheorem

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82,3 Prozent, in den bei den Großstädten München und Nürnberg bei 76,6 und 83,8 Prozent. 409 Dabei sorgte die vorgeschriebene Zahlung eines hohen Bürgerrechtsgeldes sowohl in Bayern als auch in Württemberg dafür, daß das Kommunalwahlrecht auf einen engen Kreis von Bürgern beschränkt blieb. 41O Obgleich die Teilnahme am politischen Prozeß zuallererst eine Frage des Wahlrechts ist, kann deren Bewertung nicht von der Berücksichtigung solch grundlegender Faktoren wie die Formen der politischen Kommunikation, die Vereins- und Parteienbildung, das Bildungs- und Wirtschaftswachstum oder die Entwicklung der Interessenorientierungen und des Konfliktverhaltens gelöst werden. 411 Gegenüber den Schlußfolgerungen der kulturhistorischen Wahlforschung ist festzuhalten, daß die korporative Praktizierung der Partizipation und das ökonomische Wahlverhalten nicht von den Bedingungen des Wahlrechts und des Wahl systems getrennt werden kann. Das Wahlverhalten ist in gewisser Weise eine Funktion des Wahlsystems, ohne daß damit in abschließender Weise ein Urteil über die politische Partizipation präjudiziert wird, da das Wählen überhaupt nur ein Indikator für Partizipation neben anderen iSt. 412 Auf kommunaler Ebene dürfte die Vereins bildung eine tragende Rolle gespielt haben, insbesondere die zahlreichen Haus- und Grundbesitzervereine, die mitunter kleinräumig nach Stadtteilen organisiert waren. Darüber hinaus war die ehrenamtliche Tätigkeit etwa in der Armen- und Waisenpflege nicht nur ein Reflex dezentralisierender Administrationsbedürfnisse der Verwaltung, sondern auch eine unmittelbare Form der politischen Partizipation. Die Bedeutung des Wahlrechts wie des Wahlsystems zeigt sich, unabhängig von der Problematik des Stimmengewichts, gerade im Nebeneinan409 Alle Zahlen berechnet nach Bruno Stern, Königreich Bayern, in: Die Verfassung, Bd. 4, H. 4 (= SVfS, Bd. 120,4), Leipzig 1906, S. 84 f. Vgl. auch Merith Niehuss, Strategien zur Machterhaltung bürgerlicher Eliten am Beispiel kommunaler Wahlrechtsänderungen im ausgehenden Kaiserreich, in: Politik und Milieu, S. 71. 410 Durchschnittlich lag im Jahre 1905 der Anteil der Wahlberechtigten an der Stadtbevölkerung in den bayrischen Städten bei 5,76 Prozent, in den fünf größten Städten erreichte dieser Anteil 7,21 Prozent. Ohne die Stadt Fürth, die mit einer Wahlberechtigtenquote von 15,06 Prozent die höchste Teilnahmemöglichkeit unter den bayrischen Städten aufwies, lag der Bevölkerungsanteil der Wahlberechtigten in den Städten über 80000 Einwohner nur bei 5,25 Prozent. Alle Zahlen berechnet nach Stern, Königreich Bayern, Bd. 4, S. 85. 411 Vgl. Steinbach, Modernisierungstheorie, S. 41 u. 57 ff.; vgl. auch ders., Deutungsmuster der historischen Modernisierungstheorie für die Analyse westeuropäischer Wahlen, in: Vergleichende europäische Wahlgeschichte. Eine Anthologie. Beiträge zur historischen Wahlforschung vornehmlich West- und Nordeuropas, hrsg. von O. Büsch/P. Steinbach, Berlin 1983, S. 158 ff. 412 Vgl. Lavies, Wählen und Nichtwählen: Partizipation - Partizipationsverweigerung - Partizipationsverhinderung ? In: Wählerbewegung, S. 562.

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

der unterschiedlichen Wahlverhaltens, das eben nicht allein durch das Bemühen, politischen Einfluß zu gewinnen oder die Dominanz feindlicher Sozialmilieus abzuwehren, erklärt werden kann. Bei einem langfristigen Vergleich des Wahlverhaltens bleibt zudem offen, warum selbst in demokratisch verfaßten Gesellschaften divergierende Wahlbeteiligungsraten bei nationalen sowie regionalen und kommunalen Wahlen zu beobachten sind. 413 Niedrigere oder gar sinkende Wahlbeteiligungsraten erscheinen deshalb nicht unbedingt als Ausdruck von Partizipationsdefiziten, zumal unter den Bedingungen des Dreiklassenwahlrechts sowie der unter seiner Wirkung tradierten Muster des Wählerverhaltens. Die historische Wahlforschung hat die auffällige Diskrepanz zwischen Reichs- und Landtagswahlen im wesentlichen auf die Furcht vor wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Repressionen, die protestierende Stimmenthaltung als Reflex des ungleichen Wahlrechts und auf das angeblich geringere Interesse der Wahlberechtigten an landespolitischen Fragen zurückgeführt. Bezieht man dieses Paradigma auf die Kommunalwahlen, muß wohl davon ausgegangen werden, daß die Gemeindepolitik überhaupt nur ein begrenztes politisches Interesse bei den Wählern wachrief. Die allgemeine politische Beteiligung war demnach kommunal sowohl in der Zuteilung von Wahlrechten als auch in der Wahrnehmung von Partizipationschancen äußerst beschränkt. Gegen den Begriff der Partizipation als universelle Kategorie für die politische Entwicklung, mit der nicht nur die Ebene der Eröffnung von Teilnahmechancen, sondern auch die der faktischen Nutzung von Mitsprachemöglichkeiten berührt ist, wird kritisch angemerkt, daß er "der nominativen Sicht des modemen Demokratieverständnisses,,414 verpflichtet sei. Niedrige Wahlbeteiligungsraten bzw. Wahlenthaltung werden aus demokratischer Sicht ungerechtfertigt als Hemmnis politischer Modernisierung abgetan, während das zeitgenössische Bewußtsein sie als Störfaktor des politischen Systems einstuft. 415 Sobald nach den traditionellen Formen des Wählerverhaltens gefragt oder in generalisierender Absicht nach dem "Modell seiner historischen Genese,,416 gesucht wird, rücken Traditionslinien eines ökonomischen Wahlbewußtseins ins Blickfeld, die den Wahlakt unter dem Aspekt 413 Vogel/Nohlen/Schultze, Wahlen, S. 210 f. Lavies, Wählen und Nichtwählen, S. 554 ff. 414 Monika Wölk, Wahlbewußtsein und Wahlerfahrungen zwischen Tradition und Modeme, in: HZ, Bd. 238 (1984), S. 336. Zur gegenwartsbezogenen Diskussion des Partizipationsbegriffs vgl. Wolfgang Adrian, Demokratie als Partizipation. Versuch einer Wert- und Einstellungsanalyse (= Politik und Wähler, Bd. 18), Meisenheiml Glan 1977 und Alemann, Partizipation, S. 21 ff. 415 Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 170 ff. 416 Wölk, Wahlbewußtsein, S. 336.

5. Wahl beteiligung und Partizipationstheorem

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seiner "Kosten-Nutzen-Proportion" sehen. Die Funktion des Parlaments als Steuerbewilligungsgremium war nicht weniger tief im Wählerbewußtsein verankert als die Vorstellung eines lokalistisch definierten imperativen Mandats, daß von der Verfügungsgewalt der Wähler über "ihren" Abgeordneten als Vertreter der ökonomischen Interessen seines Wahlkreises ausging. 417 Finanz- und Besteuerungsfragen vermittelten selbst noch im Kaiserreich zwischen der allgemeinen Ebene der Staatspolitik und dem lebensweltlich geprägten Erfahrungshorizont wie der Interessensperspektive der Wähler. Insbesondere im ländlichen Bereich wurden verfassungs-, kultur- und konfessionspolitische Fragen in solche der lokalen und persönlichen Ökonomie umgewandelt oder zumindest versucht, sie mit wirtschaftlichen und steuerlichen Thematiken zu durchsetzen. 418 Neben der steuer- und finanzpolitischen Ausrichtung der Wahlthemen sowie dem verdeckten imperativen Mandat der Abgeordneten macht die kulturhistorisch orientierte Wahlforschung einen dritten Strang des ökonomischen Wahl bewußtseins aus, nämlich die Wahl beteiligung überhaupt. Das Wahl verfahren des Dreiklassenwahlrechts war mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden. Die Wahl orte erforderten längere Anreisen, so daß die Wahlteilnahme in den städtischen Urwahlbezirken nicht selten einen halben, in ländlichen Gegenden häufig gar einen ganzen Arbeitstag in Anspruch nahm. Selbst in den Vororten Berlins blieben dem Wahlberechtigten nicht längere Anreisen zum Wahl ort erspart. Die Wähler Charlottenburgs mußten, solange die Stadt noch keinen eigenen Wahlkreis bildete, zur Ausübung ihres Wahlrechts nach Teltow oder nach Köpenick reisen. Wichtiger als die unmittelbaren finanziellen Auswirkungen des Wahlaktes erwies sich die spezifische "Form der ökonomischen Wahrnehmung des Stimmrechts".419 Die Höhe der Wahlbeteiligung hing danach von der Knappheit des zu erwartenden Wahlausgangs ab. Je knapper die Wahlberechtigten die Mehrheitsverhältnisse einschätzten, desto mehr sahen sie sich zur Wahlteilnahme veranlaßt, weil sie sich des steigenden Werts ihrer Stimme bewußt waren und die Erfolgsmöglichkeiten ihrer Stimmabgabe hoch einschätzten. 420 Wenn hingegen der Wahlausgang mehr oder weniger vorauszusehen war, wurde das Stimmrecht, und zwar sowohl auf seiten der Wähler als auch der siegreichen wie der unterlegenen Parteien, in seiner Gewichtung maßgeblich reduziert. Die Abschätzbarkeit des Wahlausgangs wurde durch die Funktionsweise des indirekten Wahlsystems begünstigt, da hier nicht die MehrheitsverhältA. a. 0., S. 346. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 174 ff. 419 A.a.O., S. 181. 420 Vgl. Steinbach, Modemisierungstheorie, S. 58 f.; Grundsätzlich Anthony Downs, An Economic Theory of Democracy, New York 1957, S. 260 ff. 417 418

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlreformversuche

nisse auf der Wahlkreis-, sondern auf der Stimmbezirksebene entscheidend waren. In den Urwahlbezirken, die durchschnittlich etwa 250 Wahlberechtigte umfaßten, wählten die einzelnen Abteilungen ihre Wahlmänner mit absoluter Mehrheit selbständig und vollkommen unabhängig voneinander. Im Grunde genommen fiel die Wahlentscheidung durch eine Vielzahl kleiner, im Prinzip selbständiger Elektorate, deren Überschaubarkeit die "pragmatische Wahlenthaltung,,421 förderte. Der freikonservative Octavio Freiherr von Zedlitz-Neukirch beschrieb die korporativen Wirkungen des indirekten Wahlverfahrens und das ökonomische Wahlverhalten in ländlichen Gemeinden während der Wahlrechtsdebatten von 1910 eindringlich und zutreffend, wenn er bemerkte: "Es ist nicht sowohl Gleichgültigkeit als vielmehr der Umstand, daß man bei der indirekten Wahl nur die Stimmen der Wahlmänner, nicht die Stimmen der Wähler zählt, die in ... denjenigen ländlichen Gemeinden, in denen das Wahlergebnis der Urwahlen von vornherein feststeht, wo man sich vorher über die Männer geeinigt hat, die gewählt werden sollen, eine außerordentlich minimale Beteiligung veranlaßt. Die Bauern und Landleute sind praktische Leute; wenn sie wissen, daß drei Mann genügen, um die Leute, die gewählt werden sollen, wirklich zu wählen, gehen nicht 100 oder 120 hin, sondern verfolgen ihre Erwerbsinteressen" .422 Die Wahlenthaltung wies somit nicht auf mangelnde Partizipationsbereitschaft hin, in ihr verband sich vielmehr die Prognostizierbarkeit des Wahlausgangs in überschaubaren Stimmbezirken mit der "Konformität des parochialen Interessenhorizonts" wie dem Überhang konsensualer Wahltraditionen. 423 Die Theorie des ökonomischen Wahlverhaltens ist vornehmlich aus der Beobachtung ländlicher Wahlkreise entwickelt worden. Gleichwohl war auch in den preußischen Städten ein höherer Konsens bei einzelnen Wahlen zu registrieren. Die Stimmenanteile der Wahlmänner lagen selten unter zwei Dritteln,424 während die Wahlbeteiligung insgesamt auf einem niedrigeren durchschnittlichen Niveau verharrte. Im Landesdurchschnitt überschritt sie selbst in den Städten nicht die Grenze von vierzig Prozent, und in einzelnen Wahljahren waren nur geringfügige Unterschiede der Wahlbeteiligungsraten zwischen Stadt und Land zu verzeichnen. 425 421 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 183. Vgl. auch Lavies, Wählen und Nichtwählen, S. 554 ff. 422 Rede von Zedlitz-Neukirch. PAH, 11. Februar 1910. StBPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 2, Sp. 1497. 423 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 183. 424 So jedenfalls bei der Landtagswahl von 1893 und 1908. Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 186. 425 Für die Landtagswahlen von 1893-1913 vgl. a.a.O., S. 167. Ritter, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, S. 142 f.

5. Wahlbeteiligung und Partizipationstheorem

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Politische Gegensätze kamen vor allem in den ländlichen Urwahlbezirken nicht zum Austrag. Die Priorität lokaler und sozialkultureller Gemeinsamkeiten verhinderte, daß parteipolitische oder sozialökonomische Differenzen in den Vordergrund traten. In Berlin konnte noch gegen Ende der sechziger Jahre ein hohes Maß an politischem Konsens bei den Kommunalwahlen festgestellt werden. Die Stadtverordneten wurden durchschnittlich mit drei Viertel der Wählerstimmen gewählt. Parallel zur Dominanz der lokalen Interessen machte sich die Tendenz zur politischen Konformität in einer ausgesprochenen Aversion gegen den politischen Wettbewerb bemerkbar. Die Rivalität politischer Gruppen und Persönlichkeiten, das Aufheizen des politisch-sozialen Klimas durch die Agitation der konkurrierenden Parteien war einem Wahl bewußtsein fremd, daß nicht auf die Herstellung von Mehrheiten, sondern auf den Willen zum Konsens angelegt war, unabhängig vom eigentlichen Wahlakt, der quasi nur noch zur Bestätigung der im Vorfeld der Wahl getroffenen Vereinbarungen herhalten mußte. Konsensuales Wahlverhalten war auch für die politische Teilhabe in den großstädtischen Kommunen charakteristisch. Darauf deutete schon die bis ins 20. Jahrhundert hinein aufrechterhaltene These von der unpolitischen Natur des Gemeindewahlrechts hin. Es handelte sich hierbei nur um einen ideologischen Reflex struktureller Eigenheiten des kommunalen Wahlsystems. In seinem Zuschnitt auf das besitzende Bürgertum, die Seßhaftigkeit, den Hausbesitz und Gewerbebetrieb machte dieses System das lokal orientierte ökonomische Interesse zum tragenden Element der Gemeindepolitik. Damit orientierte es sich überhaupt erst an jenen tragenden Elemente, die in ihrer örtlichen Bindung in der Lage wie gezwungen waren, sowohl politisch-administrativen Einfluß zu nehmen als auch die Gewähr für die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten zu bieten. Die Tragfähigkeit dieses strukturellen Moments wurde in dem Moment aufgeweicht, wo die Fluktuationen der städtischen Bevölkerung die örtlichen Bindungszusammenhänge erschöpften. Die allgemeine Mobilität der urbanen Gesellschaft, insbesondere im metropolitanen Raum, drohte die Existenz von gewachsenen Beziehungen zu einem örtlich eingrenzbaren, durch ökonomische Interessen begründeten politisch-sozialen Bezugssystem, wenn auch nicht aufzulösen, so doch erheblich zu relativieren. Die Geschichte des preußischen Kommunalwahlrechts war daher stets mit dem Bemühen verbunden, die Kontinuität der Interessenbezogenheit politischer Teilhabe zu sichern und zugleich für eine Handhabung des Wahlsystems zu sorgen, welche die historisch gewachsene örtliche Sozialbindung als festes Element der innergemeindlichen Willensbildung bestätigte. Diese Zielsetzung war etwa für die Festsetzung der Kommunalwahlbezirke von ausschlaggebender Bedeutung. Das konsensuale Wahlverhalten stand allerdings in einem ausgesprochenen Spannungsverhältnis zur Bipolarität

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7. Kap.: Partizipationsdefizite und Wahlrefonnversuche

des Parteienverhältnisses in der Gemeinde sowie dem steten Bemühen, die Monopolisierung der Wählerklassen durch eine einzelne Partei oder Bewegung zu verhindern. Das Klassenwahlrecht sorgte so einerseits für ein hohes Maß an Konsensualität, vor allem in den privilegierten Wählerabteilungen, andererseits für einen konfliktreichen Parteiendualismus, der in seiner ausgrenzenden Tendenz nicht dazu geeignet war, in der Gemeinde eine politische Kultur zu fördern, die den Interessenausgleich und die politische Integration zu tragenden Elementen des Systems machte.

Achtes Kapitel

Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus 1. Kommunalisierung der Polizei Versuche zur Ablösung staatlicher Gemeindeaufgaben

Die Berliner Gemeindevertretung hatte es, wie bereits ausgeführt, schon am Ende des ersten Jahrzehnts nach Einführung der Städteordnung als eine ihrer kommunalpolitischen Aufgaben betrachtet, die gemeindliche Zuständigkeit über den durch die Städteordnung und das Polizeireglement bestimmten Rahmen hinaus zu erweitern. Den Hoffnungen der städtischen Körperschaften auf Ausdehnung ihrer Kompetenzen und Mitwirkungsrechte erteilte das Polizeireglement von 1822 jedoch einen empfindlichen Dämpfer. Unmißverständlich bestimmte es, daß dem Berliner Magistrat "zufolge der eigentümlichen Stellung des Polizei-Präsidiums in die Verwaltung der dieser Behörde zugewiesenen polizeilichen Gegenstände und Fonds in keiner Art eine Einmischung oder Kontrolle zustehen" sollte. 1 Der Zwang zur bedingungslosen Übernahme der Kosten für die Polizei- und Justizverwaltung, ohne daß der Stadtgemeinde ein Kontrollrecht eingeräumt war, forderte unentwegt die Kritik der Kommunalkörperschaften heraus. Zu den kommunalen Polizeikosten gehörten die Besoldungen für die Angestellten des Nachtwacht- und Feuerlöschwesens, die den aus der Staatskasse gezahlten Zuschuß bei weitem übertrafen. Mit der Reorganisation der Feuerwehr im Jahre 1851 und ihrem parallel zur Stadtentwicklung vollzogenen Ausbau öffnete sich die Schere zwischen der kommunalen Belastung und dem staatlichen Zu schuß immer weiter. In gleichem Maße wurde die Feuerwehr zum zentralen Kommunalisierungsobjekt der städtischen Körperschaften. Die Gemeinde stellte sich dabei stets auf den Standpunkt, daß die Stadt keine Beamten zu besolden hatte, die nicht in kommunalen, sondern in staatlichen Diensten standen. Als man in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre allgemein zu der Überzeugung gekommen war, die auf dem Prinzip der Bürgerhilfe beruhenden Feuerlöscheinrichtungen einer grundlegenden Reorganisierung zu unterziehen, und es sich absehen ließ, daß diese Maßnahme erhebliche Kommunalmittel erforderte, bemühte sich der Magistrat, I

§ 21, PolReglBln 1822. Abdruck in: VerwBPPmBln 1891-1900, S. 882.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

auf deren Verwendung von vornherein einen wirksamen Einfluß auszuüben. Dabei herrschte in der Gemeindeverwaltung Einigkeit darüber, daß man diesem Ziel nur mit der Übernahme des Feuerlöschwesens näher kam. Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich die Ministerialbürokratie geneigt, der kommunalen Forderung nachzukommen. Der nach späterer Magistrats-Auffassung wohl günstigste Zeitpunkt zur Kommunalisierung des Feuerlöschwesens verstrich ungenutzt. Die Kommunalvertretung konnte sich nicht entschließen, ihren Widerstand gegen die staatliche Forderung aufzugeben, dem auf der Brandstelle erscheinenden Polizeipräsidenten die Befugnis einzuräumen, nach eigenem Ermessen das Kommando zu übernehmen. 2 Ein folgenreicher Fehler, denn das gegenüber den städtischen Körperschaften geforderte kompetenzrechtliche Zugeständnis wäre administrativ ohne große Wirkung geblieben. Die Stadt hatte die Gelegenheit vertan, einen vor allem in haushaltspolitischer Hinsicht wichtigen Bereich kommunaler Tätigkeit zu übernehmen. Bis zum Jahre 1850 profitierten die Kommunen mit staatlicher Polizeiverwaltung von der staatlichen Übernahme der Polizei- und Justizkosten. Sie mußten lediglich die notwendigen Gebäude bereitstellen. Das Polizeiverwaltungsgesetz schuf 1850 eine völlig neue Situation. Künftig wurden die Städte mit staatlicher Ortspolizeiverwaltung nicht mehr von den mittelbaren Polizeikosten befreit. Der Staat brachte weiterhin die Personalkosten auf, während "die Aufwendungen zur Erfüllung materieller Aufgaben,,3 den Gemeinden zur Last fielen. Der Berliner Magistrat hoffte, die finanziell wichtige Streitfrage, welche Behörde die Personalkosten des Nachtwachtund Feuerlöschwesens zu übernehmen hatte, zu seinen Gunsten entscheiden zu können. Die Ministerialbürokratie vertrat jedoch die Auffassung, daß die Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1838 4 "als der Abschluß eines die gesetzlichen Bestimmungen derogierenden Vergleiches" zu betrachten war, der Staat hatte demnach auch fernerhin nur den festgelegten Betrag von 33000 Reichstalern zur Nachtwachtkasse beizusteuern. 5 Die Kommunalkörperschaften ersuchten daraufhin das Innenministerium, die Differenzen durch einen neuen Vergleich auszuräumen, mit dem sich die Stadt bereit erklären wollte, die jährlichen Zahlungen der Polizeiverwaltungskosten durch eine mit wachsender Bevölkerung steigende Rente abzulösen. VerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 82. Friedrichs, Polizeigesetz, S. 60. Vgl. Jebens, Die Polizeikosten in Städten mit Königlicher Polizei verwaltung, in: Ders., Verwaltungsrechtliche Aufsätze in Anlehnung an die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts, Berlin 1899, S. 66 f. 4 Zu den finanziellen Ausgleichsverhandlungen zwischen Stadt und Staat in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre siehe Kap. 4, Unterabschnitt 4. 5 Siehe, auch zum folgenden, VerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 67. 2

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1. Kommunalisierung der Polizei

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Unter der Voraussetzung, daß die städtische Straßenreinigung in staatlicher Verwaltung verblieb, wollte der Magistrat die Rente auf 170 bis 180000 Reichstaler festlegen. Das Innenministerium erklärte eine solche Vergleichsgrundlage im November 1853 für unannehmbar. Der Magistrat suchte nun die richterliche Entscheidung, mit der er zugleich durchsetzen wollte, daß die kommunale Zahlungsverpflichtung nicht durch die bloße Kostenansetzung im Etat des Polizeipräsidiums, sondern durch den Nachweis der wirklich entstandenen Kosten zur Zahlung begründet werden sollte. Der Magistrat verlangte detaillierte Nachweise über die Einnahmen und Ausgaben des Polizeipräsidiums. Er nahm allerdings für sich nicht das Recht in Anspruch, die Notwendigkeit oder Nützlichkeit der zu polizeilichen Zwecken getroffenen Ausgaben einer Prüfung zu unterwerfen. 6 Die Ministerialbürokratie versuchte, die rechtliche Grundlage der städtischen Klage in Zweifel zu ziehen, scheiterte damit aber Mitte April 1855 vor dem Gerichtshof zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten. Das Gericht erklärte den Rechtsweg in der Sache für zulässig, den erhobenen Kompetenzkonflikt hingegen für unbegründet. Nach Auffassung des Berliner Polizeipräsidiums gehörte es nicht zur Kompetenz der Gerichte, über den Zeitpunkt der Rechnungslegung einer staatlichen Behörde zu urteilen. Die Kostenfestsetzung konnte, da es ein Hoheitsrecht einschloß, allein auf administrativem Weg erfolgen. In der Sache selbst hatte nach Ansicht der Polizeiadministration schon die Instruktion für die Oberrechnungskammer eine Entscheidung getroffen. Danach fungierten allein die Generalkontrolle und die Kammer als die höchsten kontrollierenden Behörden des staatlichen Finanzgebarens. Gegenüber dieser Auffassung hob der Gerichtshof hervor, daß die Tätigkeit der Rechnungskammer sich nur auf eine im allgemeinen Staatsinteresse angeordnete Prüfung bezog. Die Rechnungsrevision diente also nur dazu, die Einhaltung der allgemeinen Verwaltungsgrundsätze und gesetzlichen Bestimmungen sowie die ordentliche Rechnungslegung zu kontrollieren. Der Berliner Magistrat forderte aber weder eine im allgemeinen Staatsinteresse angeordnete Überprüfung noch eine Rechungslegung, sondern lediglich die Vorlage von Rechnungen, um auf diese Weise die notwendigen Informationen zur Begründung seiner Ansprüche an den Fiskus zu erhalten. Wenn der Magistrat den Nachweis verlangte, welche im Etat des Polizeipräsidiums verrechneten Kosten durch die Verwaltung der Berliner Ortspolizei entstanden waren, dann war dieses Anliegen insofern begründet, als das Polizeipräsidium neben der hauptstädtischen Ortspolizei, einige Nachbargemeinden verwaltete und gleichzeitig die Stellung einer Landespolizeibehörde einnahm. Generell mußte die Rechnungslegung nicht stets im admini6 Vgl. Erkenntnis des Königlichen Gerichtshofes zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte vom 14. April 1855. Abdruck in: MBliV, 16. Jg. (1855), S. 184.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

strativen Wege erfolgen, da diese Verpflichtung unter Einschluß des Fiskus durch verschiedene privatrechtliche Verhältnisse begründet sein konnte. Daneben unterlagen Streitigkeiten, die als reine Geldfragen aus dem Polizeiverwaltungsgesetz resultierten, in jedem Fall der richterlichen Erkenntnis. Im anschließend wieder eröffneten Prozeßverfahren wurde der Fiskus Anfang Juli 1858 zum jährlichen Nachweis der Einnahmen und Ausgaben der Ortspolizeiverwaltung verpflichtet. Der Berliner Magistrat errang damit aber nur einen Teilerfolg. Zur gleichen Zeit entschied nämlich der Zweite Senat des Obertribunals in letzter Instanz, daß die Kabinetts-Ordre vom 31. Dezember 1838 zwar nicht den Abschluß eines Vergleichs darstellte, die folglich zur Anwendung kommenden Bestimmungen des Polizeiverwaltungsgesetzes aber nicht dahin ausgelegt werden durften, daß die staatlich zu tragenden Besoldungskosten sämtliche bei der Ortspolizeiverwaltung angestellten Personen betrafen. Da die Magistratsklage eine entsprechende Spezifizierung nicht vorgenommen hatte, wurde sie in dieser Frage vom Obertribunal abgewiesen. 7 Die städtischen Körperschaften verhehlten nicht ihre Enttäuschung über die Entscheidung. Ungeachtet der finanziellen Vorteile, die die Stadt aus der Staatlichkeit der Ortspolizei verwaltung zog, war sie weiterhin nicht bereit, für die Kosten eines Verwaltungs zweiges aufzukommen - selbst wenn dieser an sich als kommunale Aufgabe ausgewiesen war - solange der Staat als ausführendes Organ auftrat. Abgesehen davon, daß es bei den Besoldungskosten für das Feuerlösch- und Nachtwachtwesen um erhebliche finanzielle Aufwendungen ging 8 und die Stadt alle rechtlichen Möglichkeiten nutzte, um Lasten auf den Staat abzuwälzen, beinhalteten die Auseinandersetzungen auch einen Partizipationskonflikt. Schon im ausgehenden 18. Jahrhundert hatte das Stadtbürgertum gefordert, in jenen Bereichen der Kommunalverwaltung mitwirken zu können, die auf der Grundlage städtischer Mittel ausgeführt wurden. Allein die residenzialen Funktionen der Stadt wirkten als Teilhabebarriere, die durch die mangelnde Kompromißbereitschaft der Gemeindebürokratie noch verstärkt wurde. Nur wenige Jahre nach dem abschlägigen Urteil des Obertribunals sahen die städtischen Körperschaften Berlins durch einen Anfang April 1861 gefällten Plenarbeschluß des gleichen Gerichts eine neue Chance, die Besoldungsfrage zugunsten der Stadt zu lösen. Das Plenum des Obertribunals hatte entschieden, wenn die Staatsregierung nach § 2 PVG die örtliche Polizeiadministration in einer Gemeinde übernahm, waren unter den besonderen Beamten, für deren Besoldung die Staatsregierung aufkommen mußte, sämtliche Personen zu verstehen, die die Polizei geschäfte ausführten. 9 Anläßlich 7

8 9

VerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 68. Vgl. die Tab. 16 u. 17 im Stat. Anhang. PrOtribE, Bd. 45, Berlin 1861, S. 16 f.

1. Kommunalisierung der Polizei

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der Einrichtung einer staatlichen Polizei direktion in Halle an der Saale hatte ein Teil der Mitglieder des Gerichtshofes die Meinung vertreten, wenn die besonderen Verhältnisse einer Gemeinde die unmittelbare Einwirkung des Staates erforderten und folglich die Ortspolizeiverwaltung staatlichen Beamten übertragen wurde, durften lediglich die aus den besonderen staatlichen Anforderungen entstehenden Mehrkosten dem Fiskus zur Last fallen. Die den betreffenden Ort selbst berührenden Kosten mußten unter Einschluß der Besoldungen von der Kommune getragen werden. IO Die Plenumsmehrheit des Gerichtshofes wandte gegen die Auffassung ein, daß solange eine staatliche Polizei behörde aus mehreren Personen bestand, ihr Charakter sämtlichen Beamten eigen war. Jede Behörde bildete ein organisches Ganzes, deren Mitglieder demzufolge ihre Stellung weder von verschiedenen Gewalten ableiten noch von verschiedenen Gewalten abhängig sein konnten. Mit der Ernennung eines staatlichen Polizeidirektors wurde eine städtische Polizei verwaltung ihres kommunalen Charakters entkleidet und infolgedessen war der Staat für die Besoldung sämtlicher Beamten, die er anstellte oder in seinen Dienst nahm, verantwortlich. 1 1 Nach diesem Beschluß konnte der Berliner Magistrat in der Tat hoffen, die ungeklärte Besoldungsfrage im Bereich der Feuersicherheit prozessual zu seinen Gunsten zur Entscheidung zu bringen. Der Berliner Magistrat konnte unterdessen von einem Beschreiten des Prozess weges absehen, da die Staatsregierung zu Beginn der sechziger Jahre selbst bemüht war, einen Vergleich mit der Stadt zu schließen. Die Verhandlungen scheiterten aber am 15. August 1865 mit der Weigerung von Innenminister Graf zu Eulenburg, die Kommunalisierung des Feuerlöschwesens zu genehmigen. Von dieser Entscheidung hatten die städtischen Körperschaften ihre Zugeständnisse an den Fiskus abhängig gemacht. 12 Danach dauerte es ein knappes Jahrzehnt, bis im Jahre 1874 auf gemeinsamen Wunsch des Finanz- und Innenministers neue Vergleichsverhandlungen aufgenommen wurden, die im Dezember 1879 in einem umfangreichen Vertrags werk ihren Abschluß fanden. Stadtgemeinde und Fiskus verzichteten für die Zeit vor dem l. April 1880 auf alle noch nicht getilgten Ansprüche, welche Berlin einerseits aus dem Vertrag über die Ablösung der Jurisdiktionslasten und den nachfolgenden Gesetzen ableitete, der Fiskus andererseits auf Grund des Polizeiverwaltungsgesetzes geltend machte. 13 In A. a. 0., S. 23. A. a. 0., S. 27 f. 12 VerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 69. Vgl. auch den gemeinsamen Immediatbericht von Eulenburg und Graf von Itzenplitz vom 18. Mai 1872. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1068. 13 § 1, Vertrag zwischen der Stadt Berlin und dem Preußischen Fiskus vom 12./ 28. Dezember 1879 über das Polizeidienstgebäude. Abdruck in: Berliner Gemeinde10

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49 Grzywatz

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

mehreren Prozessen, in denen über das Verhältnis des Jurisdiktionsvertrages von 1843 zu den neueren Gesetzen entschieden wurde, hatte die Stadtgemeinde ihren Anspruch auf die Einnahmen aus polizeilichen Geldbußen durchgesetzt. Sie mußte aber hinnehmen, daß die Erstattung erst nach Abzug der durch die Festsetzung und Vollstreckung der Strafen entstandenen uneinziehbaren Kosten zu erfolgen brauchte. Die Gerichte erkannten die Rechtsbeständigkeit des Jurisdiktionsvertrages an und verurteilten die Stadtgemeinde, jenen Teil der Ablösungsrente, der sich auf die Herstellung und Unterhaltung der Polizeigefängnisse, die Versorgung und Verpflegung der Gefangenen sowie das erforderliche Personal bezog, vom 1. Januar 1865 an unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums neben dem im Vertrag festgelegten Ablösungskanon an den Staat zu entrichten. Die städtischen Körperschaften waren über diese Urteile aufgebracht, da es kaum der Gerechtigkeit entsprechen konnte, die Stadt neben der für die Unterhaltung der Gefängnisse etc. übernommenen Rente auch noch mit den durch diese Rente abgelösten Kosten zu belasten. 14 Da nicht vorauszusehen war, ob diese Antinomie im Prozeßwege beseitigt werden konnte, sah die Stadt im Vergleich mit dem Staat die allein erfolgversprechende Lösung. Der städtische Haushalt war zudem noch durch weitere Forderungen des Fiskus bedroht, die aus der Anmietung fiskalischer Häuser für die Ortspolizei verwaltung herrührten. Die gegebenenfalls einklagbaren Rückstände seit dem Jahre 1851 hätten der Stadt eine weitere, nicht unerhebliche Belastung auferlegt. Darüber hinaus waren die Rechtsverhältnisse der polizeilich genutzten Grundstücke und Gebäude nicht abschließend geregelt. Auch der Fiskus befand sich in einer ungewissen Lage, ob seine in der Vergangenheit begründeten Erstattungsansprüche mit Erfolg vor Gericht eingeklagt werden konnten, so daß sich auch von dieser Seite her zwangsläufig Verständigungsbereitschaft einstellte. Die Stadt einigte sich mit dem Staat vertraglich darauf, für die Zeit nach dem 1. April 1880 die aus älteren Verträgen und Gesetzen resultierenden finanziellen Ansprüche nur noch nach den inzwischen erlassenen oder noch zu erlassenen gesetzlichen Vorschriften zu regeln. 15 Die Stadt überließ der Polizeiverwaltung für alle Zeit die am Molkenmarkt gelegene Stadtvogtei, recht, Bd. 18, 2 Berlin 1915, S. 124. Unter den Gesetzen, die finanzielle Forderungen der Stadtgemeinde begründeten, seien hier das Gesetz vom 14. Mai 1852 genannt (GS 1852, S. 245), das den Anspruch der Stadtgemeinde auf die vom Polizeipräsidium verfügten Geldbußen eröffnete und das Gesetz, betreffend die Einführung einer allgemeinen Gebäudesteuer vom 2l. Mai 1861, mit dessen Inkrafttreten die den Städten zur Übernahme der Kriminalkosten auferlegten Renten außer Hebung gesetzt wurden (§ 2, Ziff. 4). GS 1861, S. 317. 14 VerwBBln 1861-1879, H. 3, S. 69. 15 § 2, Vertrag vom 12.128. Dezember 1879, in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 18, S. 124.

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die der Kämmerei durch Schenkung Friedrich Wilhelms 11. vermacht worden war. Als Kompensation erhielt sie einen in der Nähe gelegenen größeren Grundstückskomplex. Für den Bau des neuen, auf städtische Kosten zu errichtenden Polizeipräsidiums sah der Vertrag kommunale Grundstücke am Alexanderplatz vor, die vormalig das städtische Arbeitshaus, die Irren- und Versorgungsanstalt sowie die Kottwitzsche Armenanstalt beherbergt hatten. Lediglich das auf die Herstellung der Räumlichkeiten der ersten Abteilung des Polizeipräsidiums und der Dienstwohnungen verwandte Kapital sollten der Stadt vom Fiskus in Form von Mietzahlungen erstattet werden, deren Höhe die Servisverordneten festlegen mußten. Das neue Polizeipräsidium wurde später zwischen 1885 und 1890 nach den Plänen des Stadtbaurats Blankenstein erbaut, die Gesamtkosten beliefen sich einschließlich der Mittel für zusätzlich erforderliche Grundstücksflächen auf zirka 6,025 Millionen Mark. 16 Die Staatsregierung hatte während der Vertragsverhandlungen Interesse bekundet, die seit beinahe 30 Jahren anhaltenden Auseinandersetzungen über die Kosten des Feuerlösch- und Nachtwachtwesens in einem Abkommen zu erledigen. Sie wollte die Stadtgemeinde dazu bewegen, die Kosten definitiv auf die Stadtkasse zu übernehmen, die staatliche Verwaltung aber weiter bestehen zu lassen. Da die Stadt entschiedenen Widerspruch erhob, hielt der Vertrag von 1879 ausdrücklich fest, daß die "gegen den Fiskus erhobenen Ansprüche auf Übernahme der personellen Kosten der beim Nachtwacht-, Feuerlösch- und polizeilichen Straßenreinigungswesen angestellten Personen" vom abgeschlossenen Vergleich nicht berührt wurden. 17 Im Zeitraum von 1861 bis zum 1. April 1879 hatten sich die städtischen Lasten für die Feuerlöscheinrichtungen von etwa 278000 auf 1,05 Millionen Mark erhöht. Bei diesem Kostenumfang war es nicht verwunderlich, daß die Stadt hartnäckig an der Auffassung festhielt, die Regelungen des Polizeiverwaltungsgesetzes wären auf das Personal der im staatlichen Feuerwehr- und Nachtwachtwesen angestellten Personen anzuwenden und folglich die Kosten auf die Staatskasse zu übernehmen. Vor Gericht obsiegte jedoch der Staat. Am 31. April 1870 entschied das Obertribunal, daß der Plenarbeschluß des Gerichtshofes vom April 1861 nicht auf das Feuerlöschwesen der Stadt Berlin Anwendung finden würde. Das Polizeiverwaltungsgesetz hatte nur für die nach seinem Inkrafttreten errichteten staatlichen Ortspolizeiverwaltungen Geltung. Am 8. Februar 1872 wies das Gericht die städtischen Ansprüche in letzter Instanz mit der Begründung zurück, daß dem aus dem Polizeiverwaltungsgesetz herzuleitenden AnVgl. VerwBBln 1882-1888, T. 3, S. 64 u. 67. § 9, Vertrag vom 12./28. Dezember 1879, in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 18, S. 127. 16 17

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spruch "ein unter den Parteien errichteter, das Gesetz ausschließender Vertrag" entgegenstand. 18 Zehn Jahre später, es ging immer noch um Kostenerstattungen aus den fünfziger Jahren, kam der Erste Hilfssenat des Reichsgerichts am 19. September 1882 zu dem Schluß, die Sache wäre bereits durch das Erkenntnis des Obertribunals aus dem Jahre 1858 rechtskräftig entschieden. 19 Die "außerordentliche Tragweite des Streites" und die abweichenden Entscheidungen der bisher angerufenen höchsten Instanzen veranlaßten die Stadt erneut, so gering die Erfolgsaussichten auch sein mochten, mit der Entscheidungssuche im Prozeßwege fortzufahren. In der zweiten Maihälfte 1887 beendete der vierte Zivilsenat des Reichsgerichts den seit Jahrzehnten anhaltenden Streit endgültig zugunsten des Staates. Abschließend wurde als rechtmäßig anerkannt, daß die Kommune die Kosten der vom Staat eingerichteten und geleiteten Berufsfeuerwehr zu tragen hatte. 2o Die städtischen Körperschaften hatten zwischenzeitlich selbst nicht mehr mit einer anders lautenden Entscheidung des Reichsgerichts gerechnet. 21 Die Ende der achtziger Jahre von der Staatsregierung angestrebte gesetzliche Neuregelung der Polizeikosten sollte die Stadt freilich noch vor ganz andere finanzielle Probleme stellen. Parallel zu ihren Prozeßanstrengungen hatte die Stadtgemeinde mit Beginn der sechziger Jahre Verhandlungen zur kommunalen Übernahme der Feuerwehr aufgenommen. Vorsorglich vermieden die städtischen Körperschaften ihren früher begangenen Fehler und räumten dem Polizeipräsidenten in einem vom Magistrat entworfenen "Regulativ für die städtische Feuerwehr zu Berlin" nicht nur die Befugnis der Kommandogewalt auf der Brandstelle ein,22 sondern offerierten ihm auch eine Vertretung im projektierten Verwaltungs-Kuratorium der Feuerwehr. Gleichzeitig sollte ihm das Recht zugestanden werden, Musterungen und Revisionen der Mannschaften und Geräte vorzunehmen. Für diesen Fall war der städtische Branddirektor verpflichtet, etwaigen Anordnungen des Polizeipräsidenten Folge zu leisten. 23 Innenminister Graf zu Eulenburg entschied "aus überwiegenden Rücksichten des öffentlichen Interesses" gegen den städtischen Antrag. 1876 versuchte der Magistrat im Zuge der Vergleichsverhandlungen erneut die Kommunalisierung der Feuerwehr zur Sprache zu bringen. Der Innenminister VerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 79 VerwBBln 1877-1881, T. 3, S. 71. 20 Urteil vom 20. Mai 1887. PrVerwBl, 8. Jg. (1886/87), S. 348. 21 VerwBBln 1882-1888, T. 3, S. 69. 22 § 13 des Feuerwehr-Regulativs. Abdruck in: VerwBBln 1861-1876, Anhang zu H. 3, S. 287. 23 § 19, Feuerwehr-Regulativ. A.a.O., S. 288. 18

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wurde aufgefordert, das Feuerwehr-Regulativ einer näheren Prüfung zu unterziehen und dem Magistrat seine Bedenken über dessen Ausführung mitzuteilen. Daneben schlug der Magistrat vor, die wirtschaftliche Verwaltung der Feuerwehr von den Leitungsfunktionen zu trennen. Doch sämtliche Vorschläge waren für die Staatsregierung inakzeptabel, da sie auf einer völligen Übertragung der Feuerwehr an die Stadtgemeinde beruhten. Seitens des Staates war man lediglich bereit, der Einsetzung einer städtischen Deputation zuzustimmen, die bei der Prüfung der wirtschaftlichen Ausgaben mitwirken sollte. Eine Mitwirkung ohne Stimmberechtigung hielt der Magistrat nach den Erfahrungen, die man durch die städtische Teilnahme an der früheren staatlichen Verwaltung des Straßenreinigungswesens gemacht hatte, für effektlos und lehnte sie deshalb ab. 24 Während die Fronten in der Frage der administrativen Leitung der Feuerwehreinrichtungen unverändert verhärtet blieben, zeigte sich auf einem anderen Gebiet der Ortspolizeiverwaltung die deutliche Bereitschaft des Staates, einer Kommunalisierung näherzutreten. Im März 1882 war Arthur Hobrecht zum neuen Oberbürgermeister Berlins gewählt worden. Vor der Annahme seiner Wahl hatte Hobrecht an Unterredungen im Staatsministerium teilgenommen, bei denen die Abtretung verschiedener Rechte des Staates an die Stadtgemeinde Berlin im Mittelpunkt standen. Konkrete Ergebnisse brachten die Verhandlungen nicht, indes hatte sich gegenüber der früheren Auffassung des Handelsministeriums die Ansicht durchgesetzt, daß der Stadt Berlin nicht länger die Verwaltung des Straßenpflasters vorenthalten werden sollte. Das Ministerium ging davon aus, daß die vormalig beobachteten Verzögerungen bei der Ausführung derartiger Infrastrukuraufgaben der Vergangenheit angehörten. Die städtischen Körperschaften waren neuerdings im kommunalen Interesse an einer ebenso effizienten wie vorausschauenden Entwicklung des innerstädtischen Straßenbaus interessiert. Zudem hatten sich die allgemeinen finanziellen Aufwendungen des Staates zwischenzeitlich in einem solchen Maße erweitert, daß ebenso darauf zu dringen war, die staatliche Unterhaltungspflicht abzulösen wie es generell ratsam erschien, die Straßenverwaltung in einer Institution zu zentralisieren?5 Wenn das Staatsministerium 1872 auch noch keine definitive Zusage gab, die Straßenbaupolizei auf die Gemeinde zu übertragen, so wurde Hobrecht doch die Bereitschaft der Staatsregierung zum Abschluß eines entsprechenden Vertrages signalisiert. Beide Seiten waren sich schnell einig, die Ablösung der fiskalischen Straßenbaulast parallel zur Übertragung der Straßenbaupolizei durchzuführen, die Ausübung der polizeilichen Funktionen aber nicht an die Beratung 24 VerwBBln 1861-1876, H. 3, S. 83. 25Immediatbericht von Eulenburg und von Itzenplitz, 18. Mai 1872. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1068.

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und Beschlußfassung von Magistrat und Stadtverordneten-Versammlung zu binden, sondern einem einzelnen Beamten anzuvertrauen. 26 Die Definitionsprobleme hinsichtlich des Begriffs der Straßenbaupolizei versuchte Hobrecht dadurch zu klären, daß er dem Staatsministerium vorschlug, der Kommune sowohl die Aufsicht über die Art und Weise der Straßenbefestigung als auch das gesamte ortspolizeiliehe Dezernat über die Anlegung, Regulierung, Entwässerung und Unterhaltung der Straßen sowie die erstinstanzliehe Bestimmung der Baufluchtlinien zu übergeben. Hobrecht hielt die Kommunalisierung nur unter diesen Voraussetzungen für die Stadt Berlin von Wert, sah sie aber auch als Bedingung einer effektiven Handhabung der Administration. Polizeipräsident von Madai schloß sich der Hobrechtsehen Definition an und plädierte für eine ungeteilte Übertragung der Straßenbaupolizei an die Stadtgemeinde. Darüber hinaus hielt er es für ratsam, das fiskalische Straßeneigentum an die Kommune abzutreten und die Baupolizei zu kommunalisieren. 27 Graf zu Eulenburg übernahm diese Auffassung insoweit, als auch er an einer ungeteilten Übertragung festhielt. Die Abtretung des fiskalischen Eigentums hielt er schon deshalb für sinnvoll, weil auf diesem Wege die Rechtsverhältnisse vereinfacht und weitere Differenzen über die Nutzungsrechte verhindert wurden. Dem Staat sollte allerdings die Verfügung über das Straßenland zu staatlichen Zwecken wie etwa die Anlage von Telegraphenleitungen erhalten bleiben, ebenso der Polizeipräsident nach dem Reglement von 1822 weiterhin als zweite Instanz bei straßenbaupolizeilichen Geschäften fungieren. 28 Die königlichen Prärogative im Hinblick auf die Feststellung des Bebauungsplans der Stadt Berlins, der Prüfung der Baugenehmigungen oder der Straßenbenennung standen durch die geplante Änderung der Organisation der Straßenbaupolizei nicht zur Disposition. Von einer Übertragung der gesamten Baupolizei riet der Innenminister ab. Sie stand nicht in einem derart innigen Zusammenhang mit der Straßenbaupolizei, daß die Vereinigung beider Zweige der Ortspolizei notwendig erschien. Die Hochbaupolizei berührte vor allen Dingen sicherheitspolizeiliehe Interessen, die Straßenbaupolizei eher die wirtschaftlichen Belange der Stadtgemeinde. Nach dem Regulativ vom 31. Dezember 1838 waren die Unternehmer neuer Straßenanlagen zu Landabtretungen an den Fiskus verpflichtet, mit der 26 Vgl. den Protokollauszug vom 11. Oktober und den Bericht Hobrechts über die Ergebnisse der am 9. Oktober im Handelsministerium abgehaltenen Konferenz vom 12. Oktober 1872. Aa.O. 27 Bericht von Madai an Innenminister Graf zu Eulenburg, 21. Oktober 1872. Aa.O. 28 Votum Eulenburgs für Handelsminister Graf von Itzenplitz, 9. November 1872. Aa.O.

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Kommunalisierung des Straßeneigentums erwarb die Stadtgemeinde auch dieses Privileg. Nachdem man sich soweit geeinigt hatte, wurde der Innenminister vom Monarchen zur Aufnahme von Verhandlungen mit dem Berliner Magistrat ermächtigt. Staatsministerium und Kommunalbehörde kamen schließlich überein, die fiskalische Straßen- und Brückenbaulast gegen eine zum zwanzigfachen Betrage ablösbare Rente auf die Stadtgemeinde zu übernehmen. Der Rentenabrechnung wurde derjenige Kostenaufwand zu Grunde gelegt, der in Erfüllung der fiskalischen Baulast durchschnittlich während der Jahre von 1864 bis 1873 verausgabt worden war. 29 Den Vorschlag des Ministeriums, der Regierung für staatliche Bauten allgemein die Verfügung über öffentliche Straßen und Plätze vorzubehalten, wies der Magistrat als unannehmbar zurück. Auf diese Weise wäre sowohl die Eigentumsübertragung als auch die Kommunalisierung der Straßenbaupolizei illusorisch geworden. Statt dessen einigten sich die kommunalen und staatlichen Behörden darauf, die entschädigungslose Überlassung von öffentlichen Straßenland für bestimmte Fälle festzulegen. Das galt insbesondere für den Neubau des Doms, die Museumsbauten wie überhaupt sämtliche Bauten auf dem nördlich des königlichen Schlosses gelegenen Gelände zwischen Spree und Kupfergraben, für die Errichtung von Denkmälern oder die Anlage von Telegraphenleitungen. 30 Die Berliner Gemeindevertretung stimmte dem Vertragswerk am 19. November 1874 grundsätzlich zu. Durch Kabinetts-Ordre wurde die Übernahme der fiskalischen Straßen- und Brückenbaulast und -unterhaltungspflicht sowie die Übertragung der örtlichen Straßenbaupolizei dann am 28. Dezember 1875 genehmigt. Die Kommunalisierung der Straßenbaupolizei erfolgte widerruflich und unter ausdrücklicher Aufrechterhaltung der Rechte des Polizeipräsidiums als Landespolizeibehörde sowie der im Fluchtliniengesetz von 1875 geregelten landesherrlichen Prärogative. 31 Der Vollzug der Übertragung wurde durch Bekanntmachung des Innenministers mit Beginn des folgenden Jahres vollzogen. Durch das Fluchtliniengesetz sahen die städtischen Körperschaften eine Erweiterung der kommunalen Selbstverwaltung im Bereich des Baupla29 Gemeinsames Schreiben des Innen-, Handels- und Finanzministers an den Berliner Magistrat, 16. Februar 1875. A. a. O. 30 Gemeinsamer Bericht des Innen-, Handels- und Finanzministers an Wilhelm 1., 19. Dezember 1875. A.a.O. 31 Abdruck der Kabinetts-Ordre vom 28. Dezember 1875, in: Sammlung der Polizei-Verordnungen und polizeilichen Bekanntmachungen für Berlin, 5. Ausgabe, Bd. 3, Berlin 1910, S. 57. Zu den Vorrechten des Monarchen vgl. die §§ 5, 8 bis 10 u. 18 des Gesetzes betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften vom 2. Juli 1875. GS 1875, S. 562 f. u. 565 f.

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nungsrechts realisiert. Die Festsetzung der Straßen- und Baufluchtlinien oder ganzer Bebauungspläne waren den Gemeinden bzw. den Selbstverwaltungsorganen unter einer eng begrenzten Mitwirkung der Ortspolizeibehörden überwiesen worden. Um so erstaunter war die Kommunalverwaltung Berlins, als der Gemeinde im Mai 1876 durch Ministerialerlaß eröffnet wurde, daß auf Grund der im Fluchtliniengesetz festgelegten königlichen Genehmigungsvorbehalte die Festsetzung oder Abänderung schon bestehender Bebauungspläne in den Städten Berlin, Charlottenburg und Potsdam und deren nächster Umgebung 32 "unter der verfassungsmäßigen Gegenzeichnung der verantwortlichen Ressortminister" zu erfolgen hatte. 33 Nach Auffassung des Magistrats standen die landesherrlichen Genehmigungsvorbehalte in keinem Zusammenhang mit der sonstigen Ordnung des Instanzenzuges im Fluchtliniengesetz. Da weder das Gesetz selbst noch die Motive der Regierungsvorlage noch die Verhandlungen in beiden Häusern des Landtages Gründe über den Zweck dieser Ausnahmebestimmung enthielten, konnte es sich nach kommunaler Auffassung nur um eine selbstverständliche, allgemein bereitwillig anerkannte Rücksichtnahme auf die höchstpersönlichen Neigungen und Wünsche des Monarchen im Hinblick auf die bauliche Fortentwicklung und Umgestaltung der betroffenen Residenzen, nicht aber um den Ausdruck irgendwelcher Forderungen des staatlichen Interesses handeln. Durch die Genehmungsvorbehalte wurde mithin nicht ein Regierungsakt im Sinne der Verfassungsurkunde 34 begründet, sondern nur ein persönliches Recht gewährt. Der Magistrat verwahrte sich gegen die Einschaltung des Berliner Polizeipräsidiums als Zwischeninstanz vor der Entscheidung und Prüfung des zuständigen Ministeriums. Es bestand keine Verpflichtung der Kommunalbehörden, dem Polizeipräsidenten die Planungsunterlagen zur Prüfung vorzulegen. Der Magistrat sah darin eine administrative Mehrbelastung sowie "eine empfindliche Schädigung der behördlichen Stellung der Stadtverwaltung,,?5 Von seiten der Kommune wurde deshalb vorgeschlagen, die Anträge auf landesherrliche Genehmigung direkt an das Handelsministerium zu richten. Innenminister Graf zu Eulenburg hielt an der Auffassung des monarchischen Genehmigungsvorbehalts als Regierungsakt fest. Schon in den Motiven des Fluchtliniengesetzes war, wie Eulenburg zurecht feststellte, den Vgl. § 10, Abs. 2, Fluchtliniengesetz 1875. A. a. 0., S. 563. Ministerialerlaß vom 13. Mai 1876. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1068. 34 Vgl. Art. 44, Tit. 3, PrVerfUrk 1850. GS 1850, S. 23. 35 Bericht des Berliner Magistrats an Handelsminister von Achenbach, 27. Mai 1876. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1068. Vgl. auch Berliner Tageblatt, Nr. 107, Ausgabe vom 7. Mai 1876. 32

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Gemeinden nicht die völlige autonome Entscheidung in der Frage überlassen worden, ob ein Bebauungsplan aufgestellt werden mußte. Wie die mangelnde Übereinstimmung zwischen den Kommunen und den Ortspolizeibehörden über die Modalitäten eines Bebauungsplans durch eine höhere Instanz geregelt wurde, so kamen für die Entscheidung der Frage, ob und in welcher Weise solche Pläne aufzustellen waren, "mannigfache Rücksichten allgemeinerer Natur in Betracht", deren Beachtung von seiten der Gemeindebehörden "der Natur der Sache nach" nicht immer erwartet werden durfte?6 In Berlin hatte sich das Verhältnis der Ortspolizeiverwaltung zu den höheren Instanzen mit der Kommunalisierung der Straßenbaupolizei nicht geändert. Vor allem die Rechte des Polizeipräsidenten als Landespolizeibehörde waren nicht aufgehoben worden. Insofern mußte der Berliner Magistrat akzeptieren, daß in solchen Fällen, wo landesherrliche Genehmigungsvorbehalte berührt waren, die Stadtbehörden durch das Polizeipräsidium an das Handelsministerium berichteten. Nur insoweit das Handelsministerium als Beschwerdeinstanz anstelle des Kreisausschusses trat,37 konnte sich der Magistrat mit Beschwerden unmittelbar an das Ministerium wenden. 38 Nach dem Votum des Innenministers entschied Handelsminister von Achenbach Anfang Juli 1876, daß der von den städtischen Behörden festgestellte Bebauungsplan vor der zweiten Offenlegung einschließlich des Erläuterungsberichts dem Polizeipräsidenten zum Zweck, die landesherrliche Genehmigung einzuholen, vorzulegen war. Das Polizeipräsidium mußte den städtischen Entwurf mit seiner Äußerung in jedem Fall dem Handelsministerium vorlegen, auch wenn es der Meinung sein sollte, daß die Vorlagen sich nicht zur landesherrlichen Genehmigung eigneten. 39 Im Mai des nächsten Jahres ordnete das Ministerium auf Wunsch des Polizeipräsidenten an, die ortspolizeilichen Funktionen bei der Fluchtlinienfestsetzung unabhängig von der kommunalen Verwaltung wahrzunehmen. 4o Die Berücksichtigung verkehrs-, gesundheits- und feuerpolizeilicher Bedürfnisse unterlag nunmehr allein der lokalen Staatsbehörde. Zur Abgrenzung der kommunalen und staatlichen Kompetenzen im baupolizeilichen Bereich wurde im Januar 1876 vereinbart, Anträge für Neu-, Um- oder Reparaturbauten an bereits angelegten oder projektierten Straßen zunächst dem Magistrat zur straßenbaupolizeilichen und kommunalen Genehmigung einzureichen und erst dann die Baupläne dem Polizeipräsidium 36 Vgl. Motive, Fluchtliniengesetz 1875. AIPAH, 12. LP, 2. Sess. 1875, Bd. 1, AS Nr. 23, S. 291. 37 §§ 5, 8 u. 9, Fluchtliniengesetz 1875, GS 1875, S. 562 f. 38 Votum des Innenministers vom 28. Juni 1875. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1086. 39 Ministerialerlaß vom 1. Juli 1876. A a. O. 40 Ministerialerlaß vom 26. Mai 1877. Aa.O.

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zur Genehmigung vorzulegen, während über alle anderen Bauprojekte das Polizeipräsidium ohne Konkurrenz der städtischen Behörden entschied. 41 Die getroffene Unterscheidung zwischen den einzelnen Bauprojekten führte in der Verwaltungspraxis zu erheblichen Schwierigkeiten, so daß man sich im November 1879 auf ein anderes Verfahren einigte. Danach waren nur noch Neubauprojekte, die an neuen Straßen oder Straßenteilen oder an schon vorhandenen, aber bisher unbebauten Straßen errichtet werden sollten, bei der Straßenbaupolizei einzureichen, damit diese die städtischen Ansprüche auf Erstattung der Straßenbaukosten kontrollieren konnte. Sobald die Straßenbaupolizei dem Projekt seine Zustimmung erteilt hatte, mußte es an die staatliche Baupolizei weitergeleitet werden. Alle übrigen Bauprojekte waren von vornherein beim Polizeipräsidium einzureichen, das gegebenenfalls die gebotene Mitwirkung der kommunalen Straßenbaupolizei herbeiführte. 42 Damit war die Kompetenzregelung zwischen Straßenbauund allgemeiner Baupolizei zunächst abschließend geregelt. Mitte der achtziger Jahre kam es jedoch zu wiederholten Klagen des Polizeipräsidiums wie der Ministerial-Baukommission.43 Sie warfen der städtischen Baupolizei vor, die Genehmigung einzelner Baugesuche an neuen Straßen von der Übernahme verschiedener Verbindlichkeiten abhängig zu machen, die über die ortsstatutarischen Verpflichtungen der Bauwilligen hinausgingen. Da die Entscheidung darüber, ob die erhobenen Forderungen durch das Ortsstatut gerechtfertigt waren, nicht durch die Polizeiverwaltung, sondern durch die kommunalen Instanzen gefällt wurde, die Bauwilligen aber eher bereit waren, weitergehende kommunale Auflagen zu erfüllen als terminliche Verzögerungen hinzunehmen, schlug das Polizeipräsidium vor, die polizeiliche Bearbeitung der Bauanträge von der Kontrolle der städtischen Auflagen, soweit sie durch die Bauausführungen begründet waren, zu trennen. 44 Die 1879 getroffene Vereinbarung zwischen dem Polizeipräsidium und der städtischen Straßenbaupolizei wurde nun dahingehend geändert, daß sämtliche Bauanträge an das Polizeipräsidium als ordentlicher Baupolizeibehörde gerichtet werden mußten. Soweit straßenbaupolizeiliche Rücksichten in Betracht zu ziehen waren, sollten die Anträge durch das 41 Vereinbarung des Königlichen Polizeipräsidiums und der städtischen Straßenbaupolizei-Verwaltung zu Berlin, betreffend die Handhabung der baupolizeilichen Geschäfte, undat. (November 1879). A. a. O. 42 Vgl. auch die gemeinsame Bekanntmachung des Polizeipräsidiums und des Berliner Oberbürgermeisters vom 4. November 1879. A.a.O. 43 Zur Konkurrenz zwischen dem Polizeipräsidium und der Ministerial-Baukommission auf dem Gebiete des Bauwesens und der Wasserbauverwaltung, die 1908 dem Polizeipräsidenten übertragen werden sollte, vgl. Grünert, Bau- und Finanzdirektion, S. 7 u. II ff. 44 Bericht Innenminister von Puttkarner an Arbeitsminister von Maybach, 4. Oktober 1884. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1069.

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Polizeipräsidium zur ressortmäßigen Prüfung an die Straßenbaupolizei mitgeteilt werden. Eine entsprechende Weisung des Innen- und Arbeitsministers erging Mitte Januar 1885 an Oberpräsident von Achenbach,45 der die Öffentlichkeit durch die Bekanntmachung vom 8. Mai 1885 über das neue Verfahren informierte. Trotz der Oberpräsidial-Bekanntmachung wurde die vollständige Trennung der straßenbaupolizeilichen Prüfung der Bauprojekte von der Kontrolle der privatrechtlich begründeten Kommunalauflagen, die im Zuge jeder Bauausführung anfielen, nicht in allen Fällen durchgeführt. Für das Innen- und Arbeitsministerium war es eine rechtlich unhaltbare Praxis, wenn im Stadium der baupolizeilichen Prüfung unter Umständen die durch Ortsstatut festgelegten Verpflichtungen der Bauwilligen zum Gegenstand gemeinsamer Verhandlungen und Entschließungen zwischen der Straßenbaupolizei und der Kommunalverwaltung gemacht wurden. 46 Ermittlungen des Oberpräsidiums ergaben anschließend, daß es zwar eine direkte Vertretung kommunaler Interessen durch die Straßenbaupolizeibehörde nicht gegeben hatte. Soweit aber bei einzelnen Bauanträgen ortsstatutarische Verpflichtungen berührt waren, das hieß vornehmlich die Übereignung von Grundflächen an die Kommune zur Straßenanlage sowie die Beiträge zur Straßenpflasterung und zum Kanalisationsanschluß,47 hatte man der städtischen Baudeputation regelmäßig Gelegenheit gegeben, die ihr Ressort betreffenden Fragen einer verfrühten und möglicherweise unnötigen Prüfung zu unterziehen. 48 Die Minister des Innern und der öffentlichen Arbeiten wiesen nochmals darauf hin, daß die Entscheidung über die Anbaufähigkeit einer Straße der "gemeinschaftlichen Cognition" von kommunaler Straßenbaupolizeiverwaltung und Polizeipräsidium unterlag, ohne daß hierüber Erörterungen mit der Kommunalverwaltung stattfinden durften. Erst wenn eine solche Entscheidung ergangen war, konnte die Kommunalverwaltung sich mit einzelnen Bauanträgen beschäftigen. Lagen Meinungsverschiedenheiten zwischen der städtischen Straßenbaupolizeiverwaltung und dem Polizeipräsidium vor, entschied der Berliner Polizeipräsident als Landespolizeibehörde durch ausgleichende Anordnung. 49 Die Ministerien achteten anschließend verstärkt darMinisterialerlaß vom 13. Januar 1885. Aa.O. Gemeinsamer Ministerialerlaß vom 6. April 1886. Aa.O. 47 Vgl. die Polizeiverordnung vom 12. September 1879 über die Anbau- und Verkehrsfähigkeit von öffentlichen Straßen. Abdruck in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 18, S. 5 f. 48 Bericht Oberpräsident von Achenbach an den Innen- und Arbeitsminister, 10. Juni 1886. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1089. 49 Gemeinsamer Erlaß von Innenminister von Puttkarner und Arbeitsminister von Maybach vom 6. April und 24. Juni 1886. A a. O. Vgl. auch § 3 der Polizeiverord45

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auf, daß auf lokaler Ebene, ungeachtet der städtischen Handhabung einzelner Polizei geschäfte, eine strikte Trennung der staatlichen Zuständigkeiten von denen der kommunalen Selbstverwaltung eingehalten wurde. Aber auch der Oberbürgermeister als Träger der örtlichen Straßenbaupolizeiverwaltung hielt peinliehst an der Wahrung seiner Zuständigkeiten fest, die insbesondere durch das Verhältnis zur staatlichen Verkehrspolizei tangiert wurden. Oberbürgermeister Forckenbeck bestritt beispielsweise, daß der Polizeipräsident als Landespolizeibehörde zum direkten Erlaß von Zwangsverfügungen oder Anweisungen an die seiner Aufsicht unterstellte Ortspolizeibehörde berechtigt war. Er mußte sich durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit eines besseren belehren lassen, die das Weisungsrecht des Polizeipräsidenten lediglich durch das Verbot willkürlicher Anordnungen beschränkt sah. 50 Wenn der Polizeipräsident hingegen geglaubt hatte, daß die örtlichen Funktionen der Verkehrspolizei sich nicht nur auf die Aufsicht über die fertiggestellten Straßen und über den Verkehr, sondern auch auf die im Verkehrsinteresse vorzunehmende Fertigstellung der Straßen durch den Wegebaupflichtigen bezogen, sah er sich getäuscht. Das Oberverwaltungsgericht stellte fest, die städtische Polizei verwaltung hatte "die Anlegung, Regulierung, Entwässerung und Unterhaltung der Straßen und Brücken in Berlin den Bedürfnissen des öffentlichen Verkehrs entsprechend zu überwachen und wahrzunehmen".51 Es lag nicht in der Kompetenz des Polizeipräsidenten Anordnungen zu treffen, die zwar durch Verkehrsbedürfnisse veranlaßt waren, aber allein die allgemeine Einrichtung der öffentlichen Straßen in Berlin durch den Wegebaupflichtigen zum Gegenstand hatten. Die in dieser Hinsicht ergangenen Ministerialerlasse bezeichnete das Gericht als nicht authentische Deklarationen der die Teilung der Ortspolizei für Berlin betreffenden Normen. Auf Dauer ließ sich die genaue Differenzierung der staatlichen und kommunalen Seite in baulichen Angelegenheiten auf Gemeindeebene, zumal bei der engen sachlichen Verquickung einzelner Fragen, nicht durchhalten. Ende der achtziger Jahre kündigte sich eine entscheidende Wende im bisherigen Verhältnis der staatlichen und kommunalen Aufgaben in den Gemeinden an, die im wesentlichen durch das Bemühen der Staatsregierung ausgelöst wurde, die Regelungen über die Polizeikosten in Städten mit staatlicher Polizeiverwaltung auf gesamtstaatlicher Ebene zu vereinheitlinung über die Anbaufähigkeit von öffentlichen Straßen vom 12. September 1879, in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 18, S. 6. 50 Endurteil des Oberverwaltungsgerichts vom 20. Juni 1883. Abdruck in: MBliV, 44. Jg. (1883), S. 214--219. 51 Endurteil vom 25. November 1885. Auszugsweiser Abdruck in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 1, Berlin 1902, S. 2 f.

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chen und die Lasten neu zu verteilen. Da in diesem Zusammenhang der Wirkungskreis der polizeilichen Kommunalaufgaben bzw. der polizeiliche Charakter einzelner Kommunalanstalten zu klären war, die Städte aber gleichzeitig mit höheren Aufwendungen für die örtliche Polizeiadministration rechnen mußten, gingen vom Polizeikostengesetz - es wurde bereits darauf hingewiesen - wichtige Impulse für die Neuaufnahme bzw. Fortführung der Kommunalisierung aus. Kompetenzkonflikte zwischen der staatlichen und städtischen Ortspolizei verwaltung hörten zwar nicht gänzlich auf, sie traten aber hinter die Auseinandersetzungen über Kostenregelungen, die Übertragungsbemühungen der Gemeinden sowie ihren Versuchen zurück, eine Trennungslinie zwischen der Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei zu ziehen. Seit dem Plenarbeschluß des Obertribunals vom 8. April 1861 mußte die Staatsverwaltung, die es bis dahin als eine Ermessensfrage der Regierung angesehen hatte, welchen Beamten sie bei einer vom Staat übernommenen Polizeiverwaltung als Staatsbeamten anstellen und folglich besolden wollte, sämtliche persönliche Kosten in den betroffenen Kommunen übernehmen, während die Städteadministrationen nur mit den sächlichen Kosten belastet wurden. Der Staatshaushaltsetat war auf diese Weise durch eine hohe, stets wachsende Ausgabe für die vom Staat übernommenen örtlichen Polizeiverwaltungen belastet. Die Differenzierung zwischen persönlichen und sachlichen Kosten führte zu dauernden Auseinandersetzungen mit den Kommunen, die häufig die Notwendigkeit und Nützlichkeit einzelner Ausgaben der Polizeiverwaltungen anfochten. Auftretende Nachforderungen der Ortspolizei zogen kommunale Haushaltsschwierigkeiten nach sich. Die staatliche Administration konnte das Finanzgebaren der Polizeiverwaltungen nur im Rahmen der durch den Staatshaushalt festgelegten Fonds kontrollieren. Im Hinblick auf die von den Gemeinden bereitgestellten Mittel waren die Polizeiverwaltungen nur den Kommunen rechenschaftspflichtig, ohne daß eine Revision von Seiten des Staates erfolgte. 52 Dabei kam die ortspolizeiliche Kostenregelung nach dem Polizeiverwaltungsgesetz nicht in der Provinz Hannover, in Kurhessen und dem vormaligen Herzogtum Nassau zur Anwendung. In diesen Landesteilen trug der Staat fast sämtliche Lasten der Ortspolizeiverwaltung, während den Gemeinden nur eine verhältnismäßig geringe Pauschalsumme als Kostenbeitrag auferlegt wurde. Von den 192 Gemeinden des preußischen Staates mit über 10000 Einwohnern hatten insgesamt nur 22 Städte mit einer Bevölkerung von 3,657 Millionen Einwohnern eine staatliche Ortspolizeiverwaltung, deren räumliche Verteilung nach Auffassung einiger Landtagsabgeordneter kein System erkennen ließ. 53 52

Begründung, GesEntw, Polizeikosten, 1889. A.a.O., S. 900 f.

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Bereits Ende der siebziger Jahre wurde bei den Etatberatungen des Abgeordnetenhauses die Ansicht geäußert, daß die Kostenverteilung der staatlichen Ortspolizeiverwaltungen "nicht der Gerechtigkeit" entsprach und deshalb zu prüfen war, inwieweit die betreffenden Gemeinden stärker zu den Polizeikosten herangezogen werden konnten. 1885 kritisierte Ernst von Eynern in einem Antrag die "ungerechtfertigte Bevorzugung einzelner Städte" mit eigenständiger lokaler Staatsverwaltung. Vier Jahre später forderten die Nationalliberalen staatliche Zuschüsse für diejenigen Gemeinden mit über 10000 Einwohnern, in denen die Polizeiverwaltung durch kommunale Organe ausgeführt wurde. 54 Neben dem grundSätzlichen Konflikt zwischen Stadt und Staat über Art und Umfang der Polizeikosten trat also eine interkommunale Auseinandersetzung über die Verteilung der Polizeilasten auf die Gemeinden. Während der Kommissionsberatungen zum ersten Entwurf des Polizeikostengesetzes sprach sich die Mehrheit der Abgeordneten im März 1888 für eine stärkere finanzielle Beteiligung jener Stadtgemeinden aus, deren Polizeiadministration sich in staatlicher Hand befand. Die Teilung der Gesamtkosten zwischen Staat und Gemeinden hielten die Majorität allerdings für eine zu große finanzielle Belastung der Kommunen. Die Staatsregierung entschloß sich daraufhin, die städtischen Beiträge zu den Polizeikosten nach Maßgabe der Bevölkerungsziffer zu erheben. Als Grundlage der Festsetzung dienten umfangreiche Erhebungen über die Kosten der Polizeiverwaltung in sämtlichen Kommunen der Monarchie mit über 10000 Einwohnern. Danach wurde für Städte über 75000 Einwohner ein fester Beitragssatz in Höhe von 1,20 Mark pro Kopf der Bevölkerung, für Stadtgemeinden mit 25000 bis 75000 Einwohner von 90 und für Städte unter 25000 Einwohner 60 Pfennig festgesetzt. Berlin sollte einen Beitrags53 Vgl. Rede Zelle. PAH, 24. Januar 1880. StBPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 1, S. 90. Das Verzeichnis der Städte in: AIPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 1, AS Nr. 14, S. 962. Bis zum Jahre 1908 wurde in den Städten Göttingen, Celle und Marburg die staatliche Ortspolizeiverwaltung aufgelöst, während in Schöneberg, Rixdorf, Kiel, Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach neue staatliche Ortspolizei verwaltungen eingerichtet wurden. Die von den staatlichen Polizeiverwaltungsbezirken erfaBte Bevölkerung erhöhte sich im Zeitraum von 1890 bis 1908 von 3,657 auf 5,765 Millionen Einwohner. Vgl. Entwurf eines Polizeikostengesetzes vom 27. November 1907. Nach Abzug der inzwischen aufgelösten bzw. der neueingerichteten staatlichen Polizeidirektionen war die Bevölkerungsziffer in den gesamten Städten von 3,604 auf 5,250 Millionen Einwohner angestiegen. AIPAH, 20. LP, 4. Sess. 1907/08, Bd. 2, DS Nr. 21, S. 754 u. 760. Die Bevölkerungsziffer für 1890 nach den Volkszählungsergebnissen. Vgl. AIPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 2, AS Nr. 8B, Anlage 2, S. 848. Von einer flächendeckenden Erweiterung der staatlichen Polizei im gesamten Staatsgebiet konnte demnach kaum, wie A. Funk meint, gesprochen werden. Vgl. ders., Polizei und Rechtsstaat, S. 238. 54 Begründung, GesEntw, Polizeikosten, 1889. AIPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 1, AS Nr. 14, S. 902. Rede von Eynem. PAH, 24. Januar 1889. StBPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 1, S. 93 f.

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satz von zwei Mark leisten,55 der mit den außerordentlichen wirtschaftlichen Vorteilen begründet wurde, die Berlin durch seine Funktion als nationales Verwaltungszentrum und Verkehrsknotenpunkt genoß sowie durch den auf Grund einer überdurchschnittlichen Kriminalität verstärkten Sicherheitsschutz. Der von Berlin aufzubringende Beitragssatz lag im Grunde genommen sogar bei 2,21 Mark, wenn die Amortisationskosten für das neue Dienstgebäude der staatlichen Ortspolizei berücksichtigt wurden. 56 Am Ende der Kommissionsberatungen wurde der Berliner Beitrag zwar auf 1,50 Mark reduziert, aber nachdem das Polizeikostengesetz in einem zweiten Anlauf im April 1892 verabschiedet werden konnte, war der Berliner Beitragssatz sogar auf 2,50 Mark pro Einwohner erhöht worden. 57 Die Stadtgemeinde wurde ferner verpflichtet, die ihr gehörigen Gebäude, Gebäudeteile, Grundstücke, Inventarienstücke und Einrichtungen, die bei Erlaß des Polizeikostengesetzes der staatlichen Ortspolizeiverwaltung unentgeltlich überwiesen worden waren, auf die Dauer des Bedürfnisses auch fernerhin dem Staat ohne finanzielle Kompensation zu überlassen. Trotz des erhöhten Beitragssatzes trug die Kommune auch in Zukunft den geringeren Teil der Polizeikosten, denn nach den Berechnungen des Innenministeriums lag der bisherige staatliche Beitragssatz bei 5,84 Mark. Berlin hatte in der Vergangenheit für die staatliche Ortspolizeiverwaltung 72 Pfennig, die übrigen Städte durchschnittlich 26 Pfennig je Einwohner aufgebracht. Die Kommunen mit städtischer Ortspolizeiverwaltung hatten im allgemeinen höhere Belastungen zu tragen. In den Städten mit über 75000 Einwohnern erreichte die Pro-Kopf-Ausgabe eine Höhe von 1,58 Mark, in Gemeinden mit 25 bis 75000 Einwohnern lag die Ausgabe noch bei 1,11 Mark und selbst in den kleineren Gemeinden mit 10 bis 25000 Einwohnern übertraf der berechnete Beitragssatz mit 1,02 Mark noch deutlich den der Städte mit staatlicher Polizeiadministration. 58 Der städtische Zu schuß zu den Polizeikosten erhöhte sich in Berlin nach dem Inkrafttreten des Polizeikostengesetzes am 1. April 1893 mit einem Schlage um fast 2,5 Millionen Mark. 59 Eine finanzielle Erleichterung brachte das Polizeikostengesetz von 1892 nur insofern, als die Mittel für das Nachtwachtwesen nicht mehr der Stadtkasse zur Last fielen, sondern vom Staat übernommen wurden. Die Organisation des kommunalen Nacht55 § I, GesEntw, Polizeikosten, 1889. AIPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 1, AS Nr. 14, S. 898. 56 A. a. 0., S. 904. 57 Vgl. § 1, Gesetz betreffend die Kosten Königlicher Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden vom 20. April 1892. GS 1892, S. 87. 58 AlPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 2, AS Nr. 8B, Anlage I, S. 842 ff.; Anlage 2, S. 856. 59 Vgl. Tab. 16 im Stat. Anhang.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

wachtwesen sah man staatlicherseits als völlig unzureichend an. Die Aufwendungen lagen pro Kopf der Bevölkerung nur bei 30 Pfennig, nach der Reorganisation rechnete die Staatsregierung mit Kosten in Höhe von 1,07 Mark, die Gesamtkosten erhöhten sich auf diese Weise von 462000 auf zirka 1,663 Millionen Mark im Jahr. Der ausgewiesene Differenzbetrag rechtfertigte nach Auffassung der Staatsregierung ebenfalls den überdurchschnittlichen Berliner Beitragssatz. 6o Nach vierzehnjähriger Geltung des Polizeikostengesetzes, daß sei hier vorweggenommen, stellte die Regierung fest, daß weder dem Staat der in Aussicht gestellte anteilige Ersatz seiner Aufwendungen zuteil geworden war, noch der erhoffte Lastenausgleich zwischen Gemeinden mit staatlicher bzw. kommunaler Polizeiverwaltung stattgefunden hatte. Trotz des hohen Bevölkerungswachstums hatten sich die staatlichen Einnahmen aus den kommunalen Polizeikostenbeiträgen nur um ein Drittel auf 8,6 Millionen Mark erhöht, während sich die Gesamtaufwendungen des Staates im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt hatten. 61 Der Kostenanteil der Gemeinden mit bis zu 75000 Einwohnern belief sich nur auf ein Viertel der Gesamtlast. Er blieb damit hinter dem bei den übrigen Gemeinden als Regel angesehenen Drittel erheblich zurück. Die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts hatte ein übriges getan, die Gemeinden finanziell zu entlasten. Der oberste Verwaltungs gerichtshof war unter anderem zu der Erkenntnis gelangt, daß die aus der kommunalen Verwaltung einzelner Polizeizweige sich ergebenden Minderausgaben für den Staat in voller Höhe von dem Beitragssatz der Gemeinden abgezogen werden konnten. 62 In Berlin hatte sich der Beitragssatz durch die kommunalisierte Straßenbaupolizei auf 2,41 bzw. 2,42 Mark reduziert. 63 Da die Ermäßigung der städtischen Beitragssätze jährlich durch die Oberpräsidenten festgesetzt wurden, konnten die Städte zu ihren Gunsten die durch das jährliche Bevölkerungswachstum bedingten Mehrausgaben für die Polizei in die Berechnung einbeziehen. Die staatlichen Beitragssätze wurden alle fünf Jahre nach den Volkszählungsergebnissen ermittelt und daher kamen dem Staatshaushalt die auf Grund der erhöhten Bevölkerungsziffern eintretende Steigerung der Gemeindebeiträge in wesentlichen längeren Zeitintervallen zugute. 64 Die Staatsregierung hatte es überdies versäumt, zwischen den Beitragssätzen der Städtegruppe mit mehr als 75000 Einwohnern und der 60 Begründung, GesEntw, Polizeikosten, 2. Februar 1892. A1PAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 2, AS Nr. 8, S. 791 ff. 61 Begründung, GesEntw, Polizeikosten, 1907. A1PAH, 20. LP, 4. Sess. 1907/08, Bd. 2, DS Nr. 21, S. 754 f. 62 Endurteil vom 21. November 1893. PrOVGE, Bd. 25, Berlin 1894, S. 26-46. Vgl. auch PrVerwB1, 15. Jg. (1893/94), S. 113 u. 331 ff. 63 Vgl. VerwBB1n 1901-1905, T. 3, S. 245.

1. Kommunalisierung der Polizei

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Stadtgemeinde Berlin Zwischenstufen vorzusehen, obwohl bekannt war, daß sich die Kosten der Polizeiverwaltung mit dem Anwachsen der Bevölkerung in steigender Progression erhöhten. Da die Gemeinden mit städtischer Polizeiverwaltung mindestens das Doppelte, vielfach sogar das Dreifache an Mitteln aufbringen mußten, die den Gemeinden mit staatlicher Polizeiadministration zugemutet wurden, gab die Staatsregierung das 1892 eingeführte Beitragssystem völlig auf. Sie führte das bereits 1888 vorgestellte Quotierungssystem ein, nach dem die Kommunen einen bestimmten Teil der tatsächlich verausgabten Aufwendungen tragen mußten. Die Quote des städtischen Beitrags setzte die Staatsregierung zunächst auf zwei Fünftel der unmittelbaren Polizeikosten65 fest. Nach den parlamentarischen Beratungen wurde sie auf ein Drittel reduziert, zum gleichen Satz nahmen die Kommunen an den Einnahmen der staatlichen Polizeiverwaltung tei1. 66 In Kollektivpetitionen, denen sich Berlin und die selbständigen Vororte der Metropole angeschlossen hatten, wurde der Gesetzentwurf abgelehnt. Nach kommunaler Auffassung war der Staat durch die Ablösung fest begrenzter, leicht festzustellender Beiträge nicht mehr in seinen Ausgaben gebunden. Praktisch hatte er "das volle Verfügungsrecht" über die Mittel der Städte erlangt. Das betrachteten die Städte als einen Eingriff in die Selbstverwaltung, der für die Gemeinden noch dadurch an Bedeutung gewann, daß die Regierungsvorlage nicht die Rechtskontrolle durch das Oberverwaltungsgericht vorsah. 67 Finanziell schwächere Gemeinden wie Neukölln forderten, bei der Heranziehung der Städte zu den polizeilichen Lasten stärker die Leistungsfähigkeit der Kommunen zu berücksichtigen. Die städtischen Körperschaften des Berliner Vororts Charlottenburg verlangten gar, da die Grenzen zwischen Polizei und Gemeindeverwaltung fließend waren, "eine dem gesamten Haushalt der Städte mit der Eigenart ihrer Einrichtungen berücksichtigende Berechnung aufzumachen". Derartig weitgehende Forderungen waren praktisch nicht ausführbar und konnten schon gar nicht Bestandteil eines allgemeinen Gesetzes sein, in dem die differierende Leistungsfähigkeit der Städte durch die adäquate Bemessung der kommunalen Lasten generell ausgeglichen werden mußte. Die Zunahme der städtischen Polizeikosten war nach Verabschiedung des Gesetzes,68 wie das 64 Endurteil vom 5. April 1895. Vgl. dazu die Begründung, GesEntw, Polizeikosten, 1892. AIPAH, 20. LP, 4. Sess. 1907/08, Bd. 2, DS Nr. 21, S. 755. 65 Zum Begriff der unmittelbaren Polizeikosten vgl. auch die Endurteile des Oberverwaltungsgerichts vom 23. Oktober 1894, PrOVGE, Bd. 27, Berlin 1895, S. 62-77; vom 28. Mai 1895, PrOVGE, Bd. 28, Berlin 1886, S. 89-97; vom 18. Februar 1896, Bd. 29, Berlin 1896, S. 89-99. 66 AIPAH, 20. LP, 4. Sess. 1907/08, Bd. 5, DS Nr. 271, Anlage, S. 1 f. 67 Vgl. dazu Komber Kurt von Schmeling, 30. März 1908. A. a. 0., Bd. 5, DS Nr. 271, S. 4 ff. 68 Polizeikostengesetz vom 3. Juli 1908. GS 1908, S. 149-153. 50 Grzywatz

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

Beispiel Berlins zeigte, wiederum beträchtlich, die Ausgaben erhöhten sich schlagartig um 2,53 auf 7,413 Millionen Mark. 69 Immerhin hatten die parlamentarischen Beratungen insoweit ein Entgegenkommen gegenüber städtischen Forderungen gezeitigt, als die Anfechtung der endgültigen Festsetzung der jährlichen Polizeikosten im Klageverfahren vor den Verwaltungsgerichten gestattet und den Gemeinden vor der Anmeldung von Mehrforderungen im Staatshaushalt ein Anhörungsrecht eingeräumt wurde. Wenn über die Einwände der Kommunen kein Einverständnis erzielt werden konnte, so war die Äußerung der Gemeinde mit der Anmeldung den zuständigen Ministern zur Entscheidung vorzulegen. 7o Die Regulierung der staatlichen Ortspolizeikosten hatte eine genaue Abgrenzung der unter die Kosten fallenden Gegenstände und Gebiete der Polizeiverwaltung notwendig gemacht. Im Entwurf von 1889 wurden unter den Ausgaben der Ortspolizei sämtliche Dienstbezüge, Pensionen und Wartegelder, Witwen- und Waisengelder Hinterbliebener, Fuhr- und Transportkosten, Bekleidungs- und Ausrüstungskosten der Schutzmannschaft, Kosten für Bürobedürfnisse, für Beschaffung und bauliche Unterhaltung der Polizeidienstgebäude, Polizeigefängniskosten und besondere Ausgaben im kriminal- und sittenpolizeilichen Interesse subsumiert. 71 Dagegen wurden die Lasten für das Nachtwacht- und Feuerlöschwesen nicht als Kosten der örtlichen Polizeiverwaltung angesehen, ebensowenig die Kosten für Beschaffung und Unterhaltung von Einrichtungen und Anstalten, welche, wenngleich im polizeilichen Interesse notwendig, doch vorzugsweise kommunalen Zwecken dienten. Im einzelnen wurden die Kosten für Straßenpflasterung, Straßenreinigung, Straßenerleuchtung, Kanalisations- und Wasserleitungsanlagen, Schlachthäuser, Markthallen, Anstalten zur Untersuchung von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen, Vorkehrungen gegen ansteckende Krankheiten, Armen- und Krankenanstalten, Leichenhäuser, Abdeckereiplätze etc. angeführt. 72 Berlin mußte demnach weiterhin die Lasten der Feuerwehr tragen, obgleich sie unter staatlicher Verwaltung stand. Das galt zunächst auch für das Nachtwachtwesen. Erst die endgültige Fassung des Polizeikostengesetzes entband die Stadt von dieser kommunalen Verpflichtung. Ansonsten konnte die Polizeiverwaltung die Herstellung oder Unterhaltung von Anstalten und Einrichtungen, die ausschließlich kommunaler Natur waren, im polizeilichen Interesse fordern und notfalls durch die der Polizei zur Verfügung stehenden Zwangsmittel durchsetzen. Gleichwohl waren die dabei entstehenden Ausgaben nicht als Polizeikosten anzusehen. Vgl. Tab. 17 im Stat. Anhang. Vgl. §§ 4 u. 7, Polizeikostengesetz, 1908. GS 1908, S. 150 f. 71 § 2, Abs. 1, GesEntw, Polizeikosten, 1889. AIPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 2, AS Nr. 14, S. 898. 72 § 2, Abs. 2, GesEntw, Polizeikosten, 1889. Ebd. 69

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1. Kommuna1isierung der Polizei

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Sie blieben vielmehr auf die unmittelbaren Verwaltungskosten der Polizei beschränkt. Die Einrichtungen und Anstalten kommunaler Natur betrafen allesamt Gegenstände der Wohlfahrtspolizei. Da die Staatsregierung in der Gesetzesvorlage ihren kommunalen Charakter ausdrücklich bestätigte, lag es nahe, daß die städtischen Vertreter bei den Beratungen versuchten, diese Geschäftszweige definitiv als Bestandteile der Wohlfahrtspolizei im Gesetz festzustellen und ihre Übertragung auf die Kommunalverwaltungen zu gestatten. Robert Zelle sowie sein Fraktionskollege, der Liegnitzer Stadtrat Gustav Lange, beantragten in der Beratungskommission das Nachtwachtwesen zum Bestandteil der Sicherheits- und Sittenpolizei zu erklären. Die Bau-, Gewerbe-, Markt-, Feld-, Jagd-, Forst-, Sanitäts- und Schulpolizei, das Feuerlöschwesen, die Einrichtung öffentlicher Transportanstalten sowie die Aufsicht über das Versicherungswesen sollten dagegen zukünftig nicht mehr mit den sicherheitspolizeilichen Aufgabenbereichen in Verbindung gebracht werden. 73 Die nationalliberalen Kommissionsmitglieder forderten unter Federführung von Eynern und Friedberg in einem weiteren Antrag insbesondere die Bau-, Gewerbe-, Hafen-, Markt-, Feld-, Jagd-, Forst- und Schul polizei den Stadtgemeinden in eigene Verwaltung zu übergeben und die Regelung der Zuständigkeitsgrenzen im Einzelfall durch ein Ministerialregulativ vorzunehmen. Obwohl die Regierungsvorlage unzweifelhaft eine Regelung zur Abgrenzung der Zuständigkeiten im Bereich der örtlichen Polizei enthielt, erklärte Innenminister Herrfurth die Anträge für unannehmbar. Herrfurth machte dennoch deutlich, daß die Staatsregierung, soweit die Kommunalisierung einzelner Polizeizweige nicht in das Belieben der Städte gestellt wurde und die Übertragung der Einzelfallprüfung unterzogen blieb, sich durchaus bereitfinden könnte, einzelne Geschäftsbereiche der Polizei den Gemeinden zu übertragen. 74 Und in der Tat kam die Regierung den kommunalen Interessen insoweit entgegen, als der 1892 erneut zur Vorlage kommende Gesetzentwurf, die Bestimmung enthielt, daß auf Antrag der Gemeinden eine Neuregelung der Verwaltung der Wohlfahrtspolizei eingeleitet und im Zuge der Reorganisation den Gemeinden einzelne Zweige der Ortspolizei zur eigenen Verwaltung überwiesen werden konnten. 75 Die Position der Städte in der Kommunalisierungsfrage faßte der Königsberger Nationalliberale Paul Krause nochmals zusammen, wenn er bemerkte: "Ein Hauptprinzip der Gerechtigkeit ist es, daß Rechte und Pflichten miteinander korrespondieren, und das ist bei denjenigen Städten der Fall, die städtische Polizei verwaltung KomBer Fritz Olzem, 7. März 1889. A.a.O., Bd. 3, AS Nr. 111, S. 1568. A.a.O., S. 1571. 75 § 6, GesEntw, Polizeikosten, 1892. AIPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 2, AS Nr. 8, S. 786. 73

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

haben. Ihnen ist ein wichtiges Hoheitsrecht des Staates, das ist ja die Polizeigewalt, delegiert, sie sind durch diese Überweisungen in ihrer Selbstverwaltung auf das Höchste gefördert und gestützt worden. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß, wenn die wichtigsten Zweige der Polizei von den Städten mitverwaltet werden, das nur im Interesse der Städte liegen kann".76 Hinter dem politischen Interesse der Städte oder, wenn man an die nationalpädagogische Diktion der preußischen Reformer erinnern will, der gemeinsinnbildenden Teilnahme der Gemeinden an der Staatsverwaltung standen handfeste wirtschaftliche Motive, nicht zuletzt aus diesem Grund stießen die Kommunalisierungsbemühungen auf das Mißtrauen der staatlichen Ortsund Regionalbürokratie. So ging es bei der Straßenbaupolizei vorwiegend um die Kompetenz, die Anbaufähigkeit einer Straße festzustellen und damit die Verteilung der Straßenbaulasten innerstädtisch zu regulieren. Die Ausübung der Hochbaupolizei eröffnete die Möglichkeit, Erschließungs- und Unterhaltungskosten ortsstatutarisch auf die Anlieger umzulegen. Die Vorbehalte des Berliner Polizeipräsidenten gegen eine Übertragung baupolizeilicher Aufgaben an die Gemeinden bemühten nach den Erfahrungen mit der kommunalen Straßenbaupolizeibehörde in Berlin denn auch den Schutz des Individualinteresses gegenüber dem kommunalen Eigeninteresse. Darüber hinaus wiederholte man das organisationssoziologische Argument einer unauflöslichen Verquickung von Sicherheits- und Wohlfahrtsaufgaben. 77 Die Ministerialbehörden folgten indessen der Auffassung des Polizeipräsidenten nicht mehr. Sie waren bereit, neben der Straßenbau- und Hochbaupolizei, die Markt-, Gesinde-, Schul-, Feld-, Forst-, Jagd- und Fischereipolizei auf den Berliner Magistratsdirigenten zu übertragen. Eine Ministerialkommission, die sich aus Vertretern des Innen- und Finanzministers sowie des Ministers für öffentliche Arbeiten zusammensetzte, hatte Ende 1891/ Anfang 1892 die Bedingungen für die Übernahme der Baupolizei durch die Stadtgemeinden ausgearbeitet. 78 Obwohl der Innenminister die Kommunalisierung der öffentlichen Hochbau-, Gewerbe-, Markt- und Gesundheitspolizei genehmigte,79 schlug die Übertragung fehl. Die Kommunalkörperschaften Berlins lehnten die Übernahmebedingungen des Innenministeriums ab, 76

Rede P. Krause. PAH, 21. Januar 1889. StBPAH, 17. LP, 1. Sess. 1889, Bd. 1,

S.85.

77 Vgl. die Berichte des Polizeipräsidenten Bernhard von Richthofen an Oberpräsident von Achenbach, 3. Oktober 1889 u. 23. April 1890. GStAPK, Rep. 77, Tit. 352, Nr. 38, Bd. 1, adH. 1. 78 Vgl. die Verhandlungsprotokolle vom 22. Oktober, 10. November u. 19. Dezember 1891 und die Protokolle der Konferenzen vom 16. Juni u. 21. Juni 1892, an denen auch Vertreter des Berliner Polizeipräsidenten teilnahmen. A. a. O. 79 Erlaß Herrfurths vom 25. Juli 1892. A.a.O.

1. Kommunalisierung der Polizei

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da für sie eine Kommunalisierung nur unter Einschluß der Feuerpolizei und der Feuerwehr in Frage kam. 8o Weiterhin weigerte sich der Berliner Magistrat, das gemeinschaftlich mit dem Polizeipräsidenten auszuübende Polizeiverordnungsrecht zu akzeptieren. Da weder eine Polizeiverordnung noch eine der in der Baupolizeiordnung vorgesehenen polizeilichen Bekanntmachungen ohne vorherige Zustimmung des Polizeipräsidenten erlassen werden konnte, sah sich der Magistrat wie bisher dem Dirigenten der staatlichen Ortspolizeiverwaltung unterstellt. Die örtliche Hochbaupolizei im Hinblick auf sämtliche Gebäude des Reichs, des Staates und der Hofverwaltung sollte zudem dem Polizeipräsidenten vorbehalten bleiben, jede bauliche Veränderung in der näheren Umgebung der genannten Gebäude der vorherigen Zustimmung des Polizeipräsidenten bedürfen. Für den Magistrat war der Begriff "nähere Umgebung" zu unbestimmt. Daher lehnte er diese Bedingung der Ministerialbehörden ab. 81 Nach Magistratsauffassung ließ sich überdies die Forderung, sämtliche Bebauungsprojekte in der Nähe des Tiergartens der zuständigen Königlichen Verwaltung des Bezirks zur Prüfung vorzulegen, gesetzlich nicht begründen, da diese nur Privatrechte vertrat. Die städtischen Körperschaften wurden daneben aufgefordert, in der städtischen Baupolizeibehörde neben dem erforderlichen technischen Personal eigene Exekutivbeamten anzustellen, die sowohl die Aufsicht bei Bauausführungen als auch überhaupt die allgemeine Kontrolle des baupolizeilichen Zustandes übernehmen sollten. Durch diese Forderung sah sich die Stadt in der freien Entschließung über die Organisation der ortspolizeilichen Hochbauverwaltung eingeschränkt. Schließlich lehnten die Kommunalbehörden es ab, Kompetenzkonflikte zwischen der staatlichen und der städtischen Baupolizeibehörde der Entscheidung des Innenministers vorzubehalten, da der Instanzenzug durch die Landesverwaltungsgesetze bereits geregelt war und insbesondere das Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten erhalten bleiben sollte. Die von Berlin abgelehnte Übertragung einzelner Polizeizweige, muß in kommunaler Hinsicht als besonders kurzsichtig angesehen werden, da man der städtischen Verwaltung durch die Übernahme neue Gebiete erschlossen hätte und ihre Ausübung zweifellos der weiteren Kommunalisierung der Polizei verwaltung förderlich gewesen wäre. Sie hätte zweifelsohne zu einer konstruktiveren Verbindung der staatlich-kommunalen Ortspolizeiverwal80 Berichte des Berliner Magistrats an Oberpräsident von Achenbach, 10. November 1892 u. 27. September 1894. A.a.O. Siehe dazu auch VerwBBln 1889-1895, T. 2, S. 221 f. 81 Siehe dazu den Bericht des Berliner Magistrats an Oberpräsident von Achenbach, 27. September 1894. GStAPK, Tit. 352, Nr. 38, Bd. I, adH. 1. Die Übertragungsbedingungen sind abgedruckt in: VerwBBln 1889-1895, T. 2, S. 221 f.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

tung im Raum der Metropole beigetragen. So zeitigte die selbstbewußte Kraftprobe mit den Staatsbehörden neue Spannungen, die sich bei späteren Verhandlungen negativ auswirken mußten. Auf Einladung des Berliner Magistrats fand zur Wahrung der gemeinsamen Interessen der preußischen Städte am 29. und 30. September ein erster allgemeiner Preußischer Städtetag in Berlin statt, der sich auch mit der Frage der Kommunalisierung der lokalen Polizeiadministrationen beschäftigte. Im Anschluß an den Vortrag des Breslauer Stadtrats Mentzel 82 nahm der Städtetag einstimmig den Antrag an, daß die Forderung nach Übertragung der Wohlfahrtspolizei an die Stadtgemeinden nicht im Wege der auf Antrag der Gemeinden vorgesehenen Einzelfallregelung eingelöst werden sollte. Singuläre Verwaltungsakte der Staatsregierung erfüllten nicht die Erwartungen der Städte. Sie verlangten nach "einem einheitlichen, die Wohlfahrtspolizei als Gemeindeangelegenheit anerkennenden Akt der Gesetzgebung".83 Durch die gesetzliche Regelung erhofften sich die städtischen Repräsentanten die Herstellung eines "organischen, gleichmäßigen und befriedigenden Verhältnisses aller Gemeinden zur Wohlfahrtspolizei". Die Staatsregierung zeigte sich vom Antrag des Preußischen Städtetages wenig beeindruckt. Sie hielt an der Einzelfallregelung des Polizeikostengesetzes fest. Die Stadtgemeinden waren infolgedessen gezwungen, ihre Verhandlungen mit der Staatsregierung wiederaufzunehmen. Im Juli 1897 signalisierte der Berliner Magistrat dem Oberpräsidenten seine erneute Verhandlungsbereitschaft. Er bemühte sich zunächst nur um die Übertragung der Schulpolizei. Eigentlich handelte es sich dabei um eine Rückübertragung, denn erst am 6. April 1897 war der städtischen Schuldeputation durch ministerielle Anordnung die seit 1845 bestehende kommunale Festsetzung und Vollstreckung der Schulstrafen entzogen und auf den Polizeipräsidenten übertragen worden. 84 Oberpräsident von Achenbach war über das städtische Anliegen, da alle anderen Kommunalisierungsbestrebungen nicht erwähnt wurden, dermaßen erstaunt, daß er politische Ziele des Magistrats vermutete. Die Stadtverwaltung trachtete augenscheinlich, so der Schluß des Oberpräsidenten, auf dem Gebiet des Volksschulunterrichts nach "fast ausschließlichem Einfluß", um die Schule ihres christlichen Charakters zu entkleiden und die entgegenstehenden Einwirkungen der Staatsbehörden lahm zu legen. 85 Trotz der Be82 [Hennann] Mentze1, Die Forderung der Woh1fahrts-(Verwaltungs-)Po1izei für alle Städte und die Durchführung des Polizeikostengesetzes, in: PrVerwB1, 18. Jg. (1896/97), S. 61-64 u. 73-78. 83 VerwBBln 1895-1900, T. 3, S. 233. 84 Vgl. Bericht des Berliner Magistrats an Innenminister von der Recke, 14. Juni 1897. GStAPK, Rep. 77, Tit. 352, Nr. 38, Bd. 1, adH. 1. 85 Bericht von Achenbach an Innenminister von der Recke, 23. Juli 1898. A. a. o.

1. Kommunalisierung der Polizei

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denken des Oberpräsidenten wie des Provinzialschulkollegiums, die sich im übrigen auch gegen die angeblich zu große Zahl der mit jüdischem Lehrpersonal besetzten Ordinariate richteten, trugen der Innen- wie der Kultusminister keine Bedenken gegen die Kommunalisierung. Die allgemeine ministerielle Genehmigung wurde in der zweiten Maihälfte 1898 erteilt. 86 Ehe aber der genaue Übertragungstermin festgelegt werden konnte, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen über die Haltung der Berliner Schuldeputation in der Dissidentenfrage, so daß sich die Übertragung um nahezu zwei Jahre verschob, bis Innenminister von Rheinbaben und Kultusminister von Studt zu Beginn der zweiten Maiwoche 1900 dem Wunsch der städtischen Körperschaften nachgaben. 87 Durch Verfügung des Oberpräsidenten wurde der Übertragungstermin auf den 1. April des nächsten Jahres festgelegt. Fünf Jahre später erhielt der Berliner Oberbürgermeister die Kompetenz zur polizeilichen Beaufsichtigung der Be- und Entwässerungsanlagen im Stadtgebiet. 88 Die Kontrolle der Entwässerungsanlagen im Inneren der Grundstücke waren durch Vereinbarung mit dem Polizeipräsidium und darüber hinaus die Aufsicht der Bewässerungsanlagen in den Straßen bereits seit 1875 durch Ministerialerlaß kommunalisiert worden. Nachdem der Polizeipräsident Mitte Juni 1902 eine Polizeiverordnung zur Verhütung des Rücktritts von unreinen Flüssigkeiten in die Reinwasserleitung erlassen hatte, war es naheliegend, die polizeilichen Befugnisse aus dieser Verordnung und damit die gesamte Ortspolizei über die Bewässerung der städtischen Grundstücke der Gemeinde zu übertragen. Zwischenzeitlich entwickelte sich die Kommunalisierungsfrage, d.h. vor allem die Frage nach dem Umfang der von der Stadt zu übernehmenden wohlfahrtspolizeilichen Geschäfte zu einem Streitpunkt zwischen den Kommunalkörperschaften. In einer von Hugo Preuß am 13. September 1906 eingebrachten Resolution plädierte die Stadtverordneten-Versammlung für die "Übernahme aller Zweige der Wohlfahrtspolizei".89 Der Magistrat legte in einer anschließend verfaßten Denkschrift dar, daß sich nur die Übertragung bestimmter Zweige der Wohlfahrtspolizei aus finanziellen Gründen empfahl. Die Übernahme der Hochbaupolizei würde allein die gesamte dritte Abteilung des Polizeipräsidiums überflüssig machen. Die Kommunalisierung der Marktpolizei wie der Gesundheits- und Veterinärpolizei bot sich Gemeinsamer Ministerialerlaß vom 20. Mai 1898. A a. O. VerwBBln 1901-1905, T. 3, S. 240. 88 Kabinetts-Ordre vom 13. Februar 1905 u. gemeinsamer Ministerialerlaß vom 31. März 1905. Abdruck in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 18, S. 45 f. Vgl. dazu auch das Sitzungsprotokoll der Magistratskommission vom 30. Mai 1905. Aa.O., S. 46 ff. 89 Berliner Tageblatt, Nr. 291, Ausgabe vom 12. Dezember 1909. 86 87

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

daneben an, da die Stadtgemeinde eine größere Selbständigkeit bei der Verwaltung ihrer Markthallen sowie des Schlacht- und Viehhofes erlangen würde, gleichzeitig aber das stadteigene Nahrungsmitteluntersuchungsamt besser ausgelastet werden könnte. Unterstützung erhielten die städtischen Forderungen, unabhängig von ihrem konkreten Umfang, durch das Abgeordnetenhaus. Die dem Plenum von der 13. Kommission zur Beratung des Polizeikostengesetzes vorgelegte Resolution, "den Anträgen von Gemeinden mit Königlicher Polizeiverwaltung auf Überlassung der Wohlfahrtspolizei oder einzelner Zweige derselben in eigene Verwaltung möglichst stattzugeben",9o wurde Anfang April 1902 mit großer Mehrheit vom Abgeordnetenhaus angenommen. 91 Anfang November des nächsten Jahres brachte der Berliner Magistrat gegenüber Oberpräsident von Loebell zum Ausdruck, die Gemeindebehörden hätten "in steigendem Maße" die Erkenntnis gewonnen, daß insbesondere bei denjenigen Zweigen der Verwaltung, deren Ausübung der Stadtgemeinde oblag, eine Übertragung der ortspolizei lichen Befugnisse ebenso naheliegend wie zweckmäßig und daher anzustreben wäre. 92 Loebell vermutete nicht zu Unrecht, daß die städtischen Körperschaften einen erneuten Versuch unternahmen, die Hochbau-, Markt-, Gewerbe- und Gesundheitspolizei zu kommunalisieren, ihr eigentliches Ziel aber die Übertragung des Feuerlöschwesens war. 93 Dessen Kommunalisierung lehnten die Staatsbehörden weiterhin aus sicherheitspolizeilichen und allgemeinen politischen Gründen ab. Sie betrachteten die militärisch organisierte Feuerwehr ungerührt als integralen Bestandteil der Sicherheitspolizei. Ihre Übergabe hätte die Einheit der Polizeiverwaltung gefährdet und zwangsläufig ein weiteres Abbröckeln dieser Einheit zur Folge gehabt. 94 Außerdem beanspruchte der Polizeipräsident die unmittelbare Verfügungsgewalt über die Feuerwehr, um "bei den im politischen Kampf üblich gewordenen, in ihrem Verlauf schwer berechenbaren Straßendemonstrationen" eine technisch gebildete Truppe zur Verfügung zu haben, die in der Lage war, bei ausbrechenden Streiks Gefahren von Unternehmungen abzuwenden, die dem öffentlichen Interesse dienten. "In dem großen, an Einwohnerzahl rasch 90 KomBer von Schme1ing, 30. März 1908. A1PAH, 20. LP, 4. Sess. 1907/08, Bd. 5, DS Nr. 271, S. 58. 91 Beschluß vom 2. April 1908. StBPAH, 20. LP, 4. Sess. 1907/08, Bd. 4, Sp. 4822 f. 92 Bericht des Berliner Magistrats an Oberpräsident von Loebell, 4. November 1909. GStAPK, Rep. 77, Tit. 352, Nr. 38, Bd. 1, adH. 1. 93 Bericht von Loebell an Innenminister von Rheinbaben und die übrigen zuständigen Minister, 30. Juli 1910. A.a.O. VgI. auch Rep. 93B, Nr. 1070, BI. 19-25. 94 Dazu, auch im folgenden, der Bericht des Oberpräsidenten Alfred von Conrad an die zuständigen Minister des Innem, der öffentlichen Arbeiten etc. vom 30. Juli 1910. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1070, BI. 21-24.

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wachsenden Gebiet der zum Landespolizeibezirk Berlin vereinigten Gemeinden", erläuterte Oberpräsident von Conrad, "ist eine nach einheitlichen Gesichtspunkten geleitete, straff organisierte Polizeiverwaltung besonders erforderlich. Dies ist gegenwärtig im Bereich der Königlichen Polizei verwaltung gewährleistet, zumal der Berliner Polizeipräsident, soweit er die Polizei im Landespolizeibezirk nicht selbst verwaltet, den anderen königlichen Polizeipräsidenten als Vorgesetzter gegenübersteht". Bei einer Übertragung einzelner Verwaltungszweige drohte, trotz der Funktion des Polizeipräsidenten als Landespolizeibehörde, eine Zersplitterung der Verwaltung. Polizeipräsident Traugott von Jagow hatte insbesondere die Übertragung der Hochbaupolizei abgelehnt, weil die Stadt auf eigenem Gebiet ein zu bedeutender Unternehmer war, als daß man städtischen Organen die bautechnische Genehmigung überlassen könnte. Zudem war nach Ansicht des Polizeipräsidenten die Gefahr nicht zu unterschätzen, daß der die Hochbaupolizei leitende Magistratsbeamte in Abhängigkeit von den im Stadtparlament über erheblichen Einfluß verfügenden Grundbesitzern geriet. 95 Sämtliche an den Beratungen beteiligten Minister traten dieser Auffassung bei. 96 In der zweiten Oktoberhälfte 1910 übersandte der Minister des Innern dem Oberpräsidenten die offizielle Ablehnung des Berliner Antrags. 97 An der Argumentation der konservativen Staatsbürokratie zeigte sich, wie deutlich die Frage der Verwaltungsorganisation und die Definition des kommunalen Wirkungskreises im Zeichen politischer Erwägungen stand. Im Schatten der Wahlrechtsdemonstrationen war der Staat in seinen Sicherheitsbedürfnissen derart sensibilisiert, daß die Bürokratie nicht mehr einer politisch rationalen Konfliktlösung zugänglich war. Es konnte keinen Zweifel über die Berechtigung des kommunalen Interesses an der Verwaltung einer mit städtischen Mitteln unterhaltenden Polizeianstalt geben, die nicht unmittelbar der öffentlichen Sicherheit diente. Wenn man die Begriffe des reformzeitlichen Kommunalrechts heranzieht, handelte es sich bei der Feuerwehr um eine jener polizeilichen Gemeindeanstalten, die unter der Wirkung der allgemeinen gesetzlichen Regelungen des Staates in kommunaler Regie ausgeführt wurden. 98 Reformerische Modernisierung war in einer Zeit politischer Instabilität, als die man den gesellschaftlichen Ansturm in der preußischen Wahlrechtsfrage sehen muß, solange obsolet, wie die machtpolitischen Grundlagen des autoritär-konservativen Regimes selbst in Frage standen. Auf Dauer hätte die staatliche Mißachtung integrativer Poli95 Bericht von Jagow an Oberpräsident von Conrad, 31. März 1910. GStAPK, Rep. 77, Tit. 352, Nr. 38, Bd. 1, adH. 1. 96 Voten von Dallwitz, 9. August; von Breitenbach, 6. September; von Sydow, 14. September; von Trott zu Solz, 30. September 1910. A.a.O. 97 Erlaß vom 22. Oktober 1910. A. a. O. 98 Vgl. oben Kap. 2, Unterabschnitt 4.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

tik selbst das passiv am gesellschaftspolitischen Status quo partizipierende Bürgertum aus der Lethargie eines in der Partikularität des Kommunalen befangenen Bewußtseins geweckt. Die Geschichte nahm indessen, wie bekannt, einen anderen Verlauf. Trotz der erneuten Brüskierung des hauptstädtischen Magistrats unternahmen die Kommunalkörperschaften zwei Jahre später, Mitte Juli 1912, einen weiteren Versuch, Teile der Wohlfahrtspolizei in kommunale Regie zu übernehmen. Die Stadt schränkte ihren Antrag auf die Wohnungspolizei ein, da sie nach dem Vorbild Charlottenburgs, Düsseldorfs und Essens ein städtisches Wohnungsamt einzurichten gedachte und glaubte, bei der kommunalen Wohnungs aufsicht nicht ohne polizeiliche Zwangsbefugnisse auskommen zu können. 99 Innenminister von Dallwitz, rechtsorientiert, ein erklärter Gegner des allgemeinen Wahlrechts und jeder Annäherung an die Sozialdemokratie, war gewillt, der städtischen Verwaltung "bei ihrem ersten, spät genug unternommen Versuch" zur Verbesserung der Wohnungsverhältnisse entgegenzukommen. 100 Er ordnete in Verbindung mit dem Handels- und Arbeitsminister kommissarische Verhandlungen an, in deren Mittelpunkt nicht nur die zu berücksichtigenden Probleme bei der Übertragung der Wohnungspolizei, sondern auch die Kommunalisierung weiterer Polizeizweige stehen sollten. Soweit es notwendig erschien, wollte man den mit der Wohnungspflege beauftragten Kommunalorganen polizeiliche Machtmittel einräumen. Die unter Vorsitz des vom Innenministerium entsandten Unterstaatssekretärs Holtz zusammengetretene Ministerialkommission sowie die Vertreter des Ober- bzw. Polizeipräsidiums kamen schnell überein, daß die Aufgaben des Wohnungsamtes sich weniger gegen bauliche Mißstände als gegen die Art der Wohnungsnutzung richtete, folglich nicht polizeiliche Zwangsbefugnisse notwendig waren. Durch das Beispiel des Charlottenburger Wohnungsamtes sah man sich in dieser Hinsicht hinreichend bestätigt. 101 Allerdings hielt man es für notwendig, den kommunalen Aufsichtsbeamten das Recht zum Betreten der Wohnungen zu verschaffen. Inwieweit dabei den städtischen Behörden die Befugnis zum Erlaß polizeilicher Verfügungen eingeräumt werden sollte, blieb umstritten. 102 Allgemeine Übereinstimmung herrschte darüber, daß staatliche Interessen durch eine weitere Kommunalisierung nicht verletzt werden durften. Ober99 Von Dallwitz an von Breitenbach, 28. Januar 1913. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1070, BI. 61 ff. Vossische Zeitung, Nr. 54, Ausgabe vom 30. Januar 1912, Kreuz-Zeitung, Nr. 49, Ausgabe vom 30. Januar 1912. 100 Innenminister von Dallwitz an Arbeitsminister von Breitenbach, 28. Januar 1913. Rep. 93B, Nr. 1070, BI. 62. 101 Verhandlungsprotokoll vom 20. Februar 1913. A. a. 0., BI. 72 ff. 102 A. a. 0., BI. 86 ff.

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regierungsrat Friedrich Münchgesang vom Ministerium für öffentliche Arbeiten sprach sich gegen jedes Zerreißen bau polizeilicher Funktionen aus, weil für den Raum Groß-Berlins eine einheitliche Verwaltung der Baupolizei garantiert sein mußte. Diese Verknüpfung war durch eine Übertragung der Baupolizei an die Stadtgemeinde Berlin nicht mehr aufrechtzuerhalten, während die ortspolizeiliche Verwaltung der Vororte noch unter dem maßgeblichen Einfluß des Polizeipräsidenten stand. Die Berliner Kommunalverwaltung betrachtete nämlich, wie es sich im Bereich des Fluchtlinienwesens gezeigt hatte, "jede Anregung" als einen Eingriff in die Selbstverwaltung. 103 Noch deutlicher wurden der Oberpräsident und der Polizeipräsident, die am unmittelbarsten mit dem Problem der Selbst- und Staatsverwaltung in Berlin und seinen Vororten vertraut waren. Sie sahen im städtischen Antrag auf Übertragung der Wohnungspolizei nur einen geschickten Schachzug, um sich gleichsam eine bessere Ausgangsposition für die Übernahme der gesamten Wohlfahrtspolizei zu verschaffen. 104 Polizeipräsident von Jagow weigerte sich, im Oberbürgermeister praktisch eine nachgeordnete Behörde zu erhalten. Nach seiner Auffassung war in allen Angelegenheiten nur mit dem größten Widerstand des Magistratsdirigenten zu rechnen. Die regionale Regierungsbürokratie riet daher von jeder Kommunalisierung der Wohnungspolizei ebenso ab wie von den sich "auf das engste" mit dem Wohnungswesen verknüpften Verwaltungszweigen der Bau-, Gesundheits- und Sittenpolizei. Die Entscheidung des Innenministers erging ganz in diesem Sinne. Von Dallwitz bestätigte den pflegerischen Charakter der Wohnungsaufsicht. Er fand sich nur bereit, dem Antrag Berlins insoweit nachzukommen, als er dem Oberbürgermeister die Befugnis übertragen wollte, "innerhalb der durch die Gesetze für die Polizei festgelegten Grenzen bei etwaigem Widerstand der Hauseigentümer oder der Wohnungsinhaber zur Erzwingung des Zutritts zu den Wohnungen gemäß §§ 132 ff. des Landesverwaltungsgesetzes ... Zwangsverfügung zu erlassen".105 Die hauptstädtische Gemeindeverwaltung war ihrem seit Jahrzehnten verfolgten kommunalpolitischen Ziel nicht wesentlich näher gerückt als in den achtziger und neunziger Jahren, in denen die Staatsregierung erstmals im Zusammenhang mit den Vorlagen zum Polizeikostengesetz eine realistische Perspektive für die Kommunalisierung der wohlfahrtspolizeilichen Aufgaben entwickelt hatte. Die projektierte Organisation der städtischen Wohnungspflege und Wohnungsaufsicht in Berlin wurde dadurch praktisch nicht behindert, denn, wie der PolizeipräA. a. 0., BI. 75 f. A. a. 0., BI. 76 f. u. 79. 105 Erlaß an den Oberpräsidenten vom 22. März 1913. A.a.O., BI. 91. Vgl. auch Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 183, Ausgabe vom 20. April 1913. 103

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

sident am Beispiel Charlottenburgs richtig beobachtet hatte, kam das Wohnungsamt ohne jede Form polizeilicher Zwangsbefugnisse aus. Auch in den nächsten Jahren hielt die Staatsregierung an einer einheitlichen Polizei verwaltung im Landespolizeibezirk fest. Die Baupolizei nahm sie weiterhin von städtischen Mitwirkungsrechten aus. Noch im März 1917 unterstrich von Breitenbach, daß die einheitlich gehandhabte Baupolizeiverwaltung in den Großberliner Gemeinden "kommunale Sonderbestrebungen" verhindert hatte. Die baupolizeiliehe Praxis der durch Amtsvorsteher verwalteten ländlichen Randgebiete der Berliner Region hatte gezeigt, daß den Bauwilligen trotz aller Einwirkung der Aufsichtsinstanzen vielfach nicht gestattete örtliche Begünstigungen zuteil geworden waren. 106 Die schärfere Konkurrenzsituation zwischen den Städten der metropolitanen Region würde im Grunde genommen, so die ministerielle Ansicht, bei der Kommunalisierung der Baupolizei einen noch größeren Druck für kommunale Sonderregelungen bei der Bebauung schaffen. Der Landespolizeibezirk Berlin und die Stadt Potsdam waren gleichsam die letzte Bastion einer staatlich geführten örtlichen Baupolizeiverwaltung. Diese fiel erst im Zuge der Beratungen zum preußischen Wohnungs gesetz. 107 Während der Kommissionsberatungen erklärte die Staatsregierung zunächst, Anträge von Stadtgemeinden mit staatlicher Polizeiverwaltung zur Kommunalisierung der Fluchtlinien- und Baupolizei, würde der Innenminister, "abgesehen von Groß-Berlin und Potsdam", "wohlwollend" prüfen und, soweit nicht besondere Gründe dagegen sprachen, stattgeben. 108 Nachdem sich die Berliner Linksliberalen bei den Plenarberatungen energisch gegen Sonderregelungen für die Groß-Berliner Gemeinden ausgesprochen hatten,109 aber beantragte von Breitenbach im November 1917, die Bauund Fluchtlinienpolizei in den Residenzen Berlin, Charlottenburg und Potsdam sowie in den selbständigen Berliner Vororten auf die Gemeindeverwaltungen zu übertragen. Der Minister für die öffentlichen Arbeiten erklärte nunmehr, daß sich die kommunale Polizei in den Städten durchaus bewährt hatte. Die Überlassung der genannten polizeilichen Geschäftsbereiche erschien unbedenklich und war "im Interesse eines fördersamen Zusammenwirkens zwischen Staat und Städten" dringend erwünscht. Das gesamte örtliche Wohnungswesen sollte zukünftig den Gemeinden obliegen. Die Ein106 Von Breitenbach an Innenminister von Loebell, 7. März 1917. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1070. 107 Entwurf eines Wohnungsgesetzes vom 30. November 1916. AIPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 4, DS Nr. 299, S. 2371-2403. 108 KomBer Karl von HasselI, 15. März 1917. AIPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 6, DS Nr. 530A, S. 3618. 109 Vgl. Rede Cassel, PAH, 1. Mai 1917. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916118, Bd. 5, Sp. 5768 f.

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bindung der Bau- und Auchtlinienpolizei war folglich grundsätzlich notwendig. 110 Da die kommunale Polizei verwaltung nach wie vor den staatlichen Aufsichtsbehörden unterstand und an deren Weisungen gebunden war, blieb die Verknüpfung mit dem Staatsapparat erhalten. Zudem hatte der Berliner Magistrat keinen Zweifel daran gelassen, die landesherrlichen Prärogative auch fernerhin zu akzeptieren. I 11 Ende November wurde die Genehmigung Wilhelm 11. zur Kommunalisierung erteilt. Anfang März 1918 folgte der ministerielle Übertragungsbeschluß, mit dem die Bau- und Fluchtlinienpolizei in Berlin zum Beginn des folgenden Monats an den Oberbürgermeister überging. 112 Die Feuerwehr, um deren Kommunalisierung sich die städtische Selbstverwaltung Berlins über ein halbes Jahrhundert lang vergeblich bemüht hatte, ging erst nach Begründung der demokratischen Republik zum 1. November 1921 in kommunale Regie über. Der Oberbürgermeister leitete somit in der nach umfangreichen Eingemeindungen neu konstituierten Stadtgemeinde erhebliche Teile der örtlichen Polizeiverwaltung, neben der Bau- und Straßenbaupolizei, die Be- und Entwässerungspolizei, sowie die Schul- und Feuerpolizei. Die Frage der Kommunalisierung war damit für die städtischen Körperschaften noch keineswegs erschöpft,l13 zumal das kompetenzrechtliche Spannungsverhältnis zum Polizeipräsidenten in der neuen administrativen Struktur der Metropole nicht aufgehoben war. 114 Für die preußischen Städte bestand auch in der Weimarer Zeit eine der Hauptaufgaben einer zukünftigen Verwaltungsreform nach wie vor darin, polizeiliche Verwaltungsgebiete, die pflegerische, sprich: wohlfahrtsfürsorgende Aufgaben beinhalteten, als "freie Selbstverwaltungsangelegenheiten,,115 den Kommunen zu übertragen. Die Gemeinden sollten dann sowohl die polizeilichen Aufgaben wahrnehmen als auch die bisher der Polizei übertragenen Zwangsbefugnisse ausüben. Die Ausgangslage der Gemeinde war nach der politischen Wende von 1918 freilich eine andere, da die alte Polarität zwischen Staat und Stadt, welche das Kaiserreich so beherrscht hatte, aufgehoben war. Die kommu110 Bericht von Breitenbach an Wilhelm H., 27. November 1917. GStAPK, Rep. 93B, Nr. 1070. 111 Vgl. Schreiben Oberbürgermeister Wermuth an Breitenbach, 23. November 1917. A.a.O. 112 Vgl. Kabinett-Ordre vom 30. November 1917 u. Übertragungsbeschluß des Innenministers vom 5. März 1918. A.a.O. 113 Vgl. VerwBBln 1920-1924, H. 1, S. 143. 114 Vgl. VerwBBln 1924-1928, H. 6, S. 13 f. 115 Vgl. Denkschrift des Deutschen Städtetages, Städte Staat Wirtschaft, Berlin o.J. (1926), S. 34. Siehe dazu auch W. Hofmann, Städtetag und Verfassungsordnung. Position und Politik der Hauptgeschäftsführer eines kommunalen Spitzenverbandes (= Schriftenreihen des Vereins für Kommunal wissenschaften e. V. Berlin, Bd. 13), Stuttgart u. a. 1966, S. 66 ff.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

nale Selbstverwaltung sah sich in der Demokratie einer veränderten Definition konfrontiert. Vorbehalte gegen das Stadtregiment ließen sich nicht übersehen. Die Erfahrung der urbanen Gemeinde des Kaiserreichs als einem Hort stadtbürgerlicher Selbstbeschränktheit, dessen Rahmen durch das sozial ausgrenzende Kommunalwahlsystem abgesichert wurde, zeigte Nachwirkungen. 2. Die politische Instrumentalisierung des staatlichen Bestätigungsrechts für die leitenden Kommunalbeamten Der Gegensatz von Kommunen und Staat, der in der Demokratie durch die verfassungsrechtlich abgesicherte institutionelle Garantie der Selbstverwaltung, die Anerkennung der Gemeinden als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften, aber auch durch die im Wege der Demokratisierung erzwungene Ablösung der Reste ständischer Gestaltung aufgehoben wurde, führte im konstitutionellen Preußen häufiger dazu, die Besetzung der leitenden Kommunalämter zum Ziel staatlicher Einflußnahme zu machen. Vor allem in Zeiten politischer Konflikte zwischen Parlament und Regierung nutzte die Ministerialbürokratie das Bestätigungsrecht als Mittel politischer Disziplinierung bzw. zur Unterdrückung abweichenden politischen Verhaltens. In den Städten artikulierte sich daher schon frühzeitig die Absicht, eine Novellierung des Kommunalrechts mit der Beschränkung der staatlichen Bestätigungskompetenz zu verbinden. Die Regierung verteidigte, ungeachtet temporärer politischer Zielsetzungen, die staatlichen Funktionen gegen die Partikularität kommunaler Interessen. In der Landeshauptstadt hatte es schon in den fünfziger Jahren Konflikte mit der Regierung über die Ausdehnung des staatlichen Bestätigungsrechts auf die städtischen Deputationen gegeben. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen standen die Mitglieder der Schuldeputation, die das Kultusministerium als staatliches Organ einstufte und folglich aus dieser Stellung ein Bestätigungsrecht für die Staatsbehörden ableitete. Der Berliner Magistrat machte im Juli 1856 deutlich, daß die Kommune das Schulwesen nach der Städteordnung unter staatlicher Oberaufsicht verwaltete. Das für dessen Administration konstituierte Organ war in Berlin, der Städteordnung und dem Publikandum von 20. Juni 1829 116 zufolge als "rein städtische Schuldeputation"l17 eingerichtet. Das hieß, ihre Mitglieder wurden nach den allgemeinen Bestimmungen über die Zusammensetzung kommunaler Deputationen einerseits von den Stadtverordneten gewählt, andererseits, soweit es sich 116 Publikandum des Königlichen Konsistoriums und Schulkollegiums der Provinz Brandenburg vom 20. Juni 1829. ABlRegPdmuStBln, Jg. 1829, Stck. 28, S. 143-146. Vgl. auch Clauswitz, Städteordnung, S. 126 f. 117 Lit. A, Publikandum, 20. Juni 1829. ABiRegPdmuStBln, Jg. 1829, S. 144.

2. Die Instrumentalisierung des staatlichen Bestätigungsrechts

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um Magistratsmitglieder handelte, vom Bürgermeister ernannt. 118 In späteren Jahren wiederholte das Ministerium seine Versuche, das Bestätigungsrecht für die Mitglieder der Berliner Schuldeputation als Bestandteil des staatlichen Aufsichtsrechts in Anspruch zu nehmen. 119 Die Kommunalbehörden wehrten diese Versuche mit dem Hinweis auf die Verordnung von 1829 ab. Zweifel an der ferneren Geltung des Publikandums waren durchaus angebracht, da das hier genannte Bestätigungsrecht des Magistrats für die außerordentlichen Mitglieder der Schuldeputation und für die Deputierten der Gemeindevertretung aus dem vorkonstitutionellen Kommunalrecht abgeleitet wurde. 120 Dieses war unterdessen durch die neuere Städtegesetzgebung abgelöst worden. Von seiten der Gemeindevertretung wurde hervorgehoben, daß auch andere Deputationen im Sinne der ministeriellen Auffassung als Organe des Staates aufgefaßt werden könnten, was schließlich zu einer völligen Umwandlung der städtischen Verfassung führen mußte. 121 Die städtischen Körperschaften Berlins hatten das Glück, sich auf eine Spezial verordnung berufen zu können. 122 In der Regel sah die ältere Gesetzgebung zur kommunalen Schulverwaltung ausdrücklich ein staatliches Bestätigungsrecht für die Mitglieder der Schuldeputationen VOr. 123 Dieses Recht beruhte darauf, daß die Mitglieder nicht wie bei anderen Deputationen nur als Beauftragte der Magistrate, sondern als besondere, in sich geschlossene Behörden fungierten. Sie standen zwar mit der Kommunalverwaltung in Verbindung, gehörten ihrem Zweck nach aber der Unterrichtsverwaltung und damit einem Organ der staatlichen Schulaufsichtsbehörde an. 124 Die Stellung wurde durch die spätere Gesetzgebung bestätigt. So118 Eingabe des Berliner Magistrats an Kultusminister von Raumer, 31. Juli 1856. Abdruck bei: Hirsch, Arbeit, S. 72. 119 Verfügung des Kuitusministers, 16. Oktober 1866. A.a.O., S. 73. 120 Vgl. Ad. Lit. A, Ziff. 11, 1, 3 u. 4, Publikandum, 20. Juni 1829. ABIRegPdmuStBln, Jg. 1829, S. 145. 121 Vgl. Hirsch, Arbeit, S. 73. Wie in anderen Fällen ist Hirschs Darstellung durch die Perspektive einer politischen Diskriminierung der Sozialdemokratie verkürzt und hinsichtlich der grundsätzlichen Stellung der Schuldeputationen zum Staat schlichtweg falsch. 122 Vgl. dazu Preuß, Amtsrecht, S. 247; ders., Die staatliche Bestätigung der Mitglieder städtischer Schuldeputationen, in: AöR, Bd. 15 (1900), S. 211 ff. 123 Vgl. §§ 2 u. 8, Reskript über die Organisation der städtischen Schuldeputationen, 26. Juni 1811. ABIKurrnReg, Jg. 1811, S. 167 f. Vgl. auch das gemeinsame Ministerialreskript, 27. November 1823. APSV, Bd. 17 (1833), H. 3, S. 659-661. Zirkular-Erlaß des Ministers für geistliche Angelegenheiten, die Bestätigung der zu den städtischen Schul-Deputationen gewählten Mitglieder betreffend vorn 17. Februar 1854. MBliV, 15. Jg. (1854), S. 46. Vgl. auch Möller, Stadtrecht, S. 344; Oertel, Städte-Ordnung, 3. Aufl., S. 446 f. 124 Oertel, Städte-Ordnung, 3. Aufl., S. 447. Vgl. auch § 18, Abs. 1, Regierungsinstruktion, 23. Oktober 1817. GS 1817, S. 259. Ministerialerlaß, 30. Juni 1862, ab-

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

wohl das Beaufsichtigungsgesetz vom März 1872 125 als auch das Volksschulunterhaltungsgesetz vom Juli 1906 126 erkannte die Schuldeputation als Organ der staatlichen Schulaufsichtsbehörde für den Bereich der kommunalen Schulverwaltung an. Die Wahl der Deputierten blieb demzufolge von der Bestätigung der aufsichtsführenden Behörde abhängig. Die Schulverwaltung war kein Gegenstand ausschließlicher Selbstverwaltung. Die Kritik an einer politisch restriktiven Handhabung des Bestätigungsrechts konnte sich in dieser Ansicht nicht auf eine gesetzlich unzulässige Verletzung der Gemeindeautonomie berufen, sie bestand gar nicht. 127 Der Konflikt um die Heeresreform veranlaßte die preußische Staatsregierung Anfang der sechziger Jahre die unter dem Ministerium HohenzollemAuerswald in Gang gebrachte behutsame Liberalisierung der politischen Treuepflicht der Beamten wieder aufzugeben. Hatte man den Beamten zugedruckt in: Ebert, Stadtverordnete, S. 73 f. Gemeinsamer Ministerialbescheid die Stellung und Bedeutung der städtischen Schuldeputationen nach ihrem Verhältnis zu Staat und Gemeinde betreffend vom 21. Dezember 1864. MBliV, 26. Jg. (1865), S. 23-25. Ministerialerlaß, die Stellung der städtischen Schuldeputationen zu Staat und Gemeinden betreffend vom 19. Oktober 1868. MBliV, 30. Jg. (1869), S. 12 f. 125 §§ 1 u. 3, Gesetz, betreffend die Beaufsichtigung des Unterrichts- und Erziehungswesens vom 11. März 1872. GS 1872, S. 183. Vgl. dazu Julius Ziehen, Schulwesen. Volksschule (Grundschule), Preußen, in: HWBdKW, Bd. 3, Jena 1924, S. 700 ff.; Max Dirksen, Volksschulwesen, in: WBdSVR, Bd. 3, Tübingen 1914, S. 832 f. Allgemein zur Entwicklung der Verwaltungs- und Rechtsstrukturen im preußischen Schulwesen des 19. Jahrhunderts Bornhak, Das preußische Unterrichtswesen als Staatsinstitut in rechtsgeschichtlicher Entwicklung, in: AöR, Bd. 4 (1889), S. 101-149. E.N. Anderson, Die preußische Volksschule im Neunzehnten Jahrhundert, in: Moderne preußische Geschichte. Eine Anthologie, hrsg. von O. Büsch/ W. Neugebauer, Bd. 3 (= VHKB, Bd. 52/3), Berlin-New York 1981, S. 1366-1394, hier S. 1372 ff. Neugebauer, Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Handbuch der Preußischen Geschichte, Bd. 2, S. 681 ff. Zum preußischen Schulrecht der wilhelminischen Zeit siehe auch Peters, Schulrecht, in: HBKVVRPr, Bd. 2, 1. Hauptteil, Das Recht der inneren Verwaltung, Oldenburg 1916, S. 437-552, hier insbesondere zur Schulaufsicht der Volksschulen, S. 453 ff. 126 Gesetz, betreffend die Unterhaltung der öffentlichen Volksschulen vom 28. Juli 1906. GS 1906, S. 335-364. Vgl. insbesondere § 44, Ziff. 11, a.a.O., S. 352 sowie die 3. Ausführungsanwendung vom 6. November 1907, Teil A, IV, Ziff. 2. Abdruck in: Berliner Gemeinderecht, Bd. 3, Schulverwaltung, Abt. 1, Volksschulen, Taubstummen- und Blindenschule, 2Berlin 1913, S. 18. 127 Vgl. auch § 49, Tit. 4, StOEntw, 1876. AlPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S. 642 u. 660 (Motive). Die Einschätzung von Heide Barrneyer, Entwurf, S. 212, der Regierungsentwurf unterliege der Tendenz, "dem Staat viele und umfassende Kontroll- und Eingriffsrechte in die städtische Verwaltung offenzuhalten" ist in dieser Allgemeinheit falsch, die Aufsichtsregelungen müssen einerseits vor dem Hintergrund des bestehenden Rechts, andererseits der historisch vermittelten Zielsetzungen kritisch gewürdigt werden. Zum Städteordnungsentwurf von 1876 siehe schon im Zusammenhang mit der Ortspolizei Kap. 6, Unterabschnitt 7. Die wahlrechtlichen Bestimmungen werden in Kap. 9, Unterabschnitt 1 erläutert.

2. Die Instrumentalisierung des staatlichen Bestätigungsrechts

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nächst ebenso das Recht zur eigenen politischen Meinung und Bestätigung wie die Wahlfreiheit zugebilligt und nur den dienstlichen Bereich, in dem der Beamte seinen von der Regierung abweichenden Standpunkt zurückstellen mußte, von den politischen Aktivitäten ausgenommen,128 wurden sie unter dem Ministerium Manteuffel erneut einer strengeren politischen Disziplin unterworfen. Innenminister Gustav Wilhelm von Jagow schränkte die erst im Oktober 1861 durch seinen Vorgänger Graf von Schwerin anerkannte Wahlfreiheit im März 1862 insoweit wieder ein, als er es mit der Stellung eines Beamten für unvereinbar erklärte, sich "in einem der Regierung feindlichen Sinne bei Wahlagitationen zu beteiligen". In diesem Fall wurde eine Grenze politischen Handeins überschritten, die nicht mehr eine "unzulässige Beschränkung der gesetzlichen Wahlfreiheit,,129 darstellte. Der Jagow im Amt folgende Friedrich Graf zu Eulenburg machte anläßlich seiner Amtsübernahme deutlich, daß es unerläßlich sei, in der Verwaltung "überall Einheit des Geistes und Willens, Entschiedenheit und Energie" hervortreten zu lassen. 130 Den Gemeindevertretungen wurde Anfang Juni 1863 generell untersagt, "über Angelegenheiten der Staatsverfassung, des Landtages der Monarchie und der allgemeinen Politik" in Beratung zu treten und Beschlüsse zu fassen. Zugleich ordnete der Minister des Innern gegenüber den Magistraten und Bürgermeistern an, "eine kräftige Handhabung der den KommunalAufsichtsbehörden zustehenden Disziplinargewalt" zu üben. 131 Bereits am 7. April hatte sich Wilhelm I. in einer Ordre an das Staatsministerium über die oppositionelle Haltung von vielen mittelbaren und unmittelbaren Staatsbeamten ausgesprochen. Er verlangte, "daß solchen, mit der Aufgabe königlicher Beamter unverträglichen Bestrebungen mit allen Mitteln, welche die Lage der Gesetzgebung zulasse, entgegengetreten und die nothwendige Einheit aller Regierungs-Organe mit vollem Nachdruck angestrebt werde".132 Eulenburg erließ daraufhin im September seinen an die Regierungspräsidenten gerichteten Wahlerlaß, der sowohl die eingeschränkte Wahlfreiheit als auch die gouvermentale Verpflichtung der Beamten bei der Ausübung 128 Vgl. Harro-Jürgen Rejewski, Die Pflicht zur politischen Treue im preußischen Beamtenrecht (1850-1918). Eine rechtshistorische Untersuchung anhand von Ministerialakten aus dem Geheimen Staatsarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (= Schriften zur Rechtsgeschichte, H. 4), Berlin 1973, S. 57 f. 129 Runderlaß Jagows an die Oberpräsidenten vom 22. März 1862. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Pol, Nr. 1777, BI. 32 130 Rejewski, Pflicht, S. 63. 131 Zirkularerlaß an sämtliche Königliche Regierungen, 6. Juni 1863. MBliV, 24. Jg. (1863), S. 118. Zum Begriff der Gemeindeangelegenheiten im Kaiserreich vgl. Kap. 10, Unterabschnitt 3. 132 Dazu wie im weiteren der Zirkularerlaß Eulenburgs an sämtliche Königliche Regierungspräsidenten, 24. September 1863. MBliV, 24. Jg. (1863), S. 190 f. 51 Grzywatz

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eines parlamentarischen Mandats bestätigte. Der Diensteid entband den Beamten "weder als Wähler noch als Gewählter" von seiner Treuepflicht. "Und wenn Seine Majestät bestimmt den verfassungsmäßigen Weg vorzeichnet", präzisierte Eulenburg den politischen Verhaltenskodex des Staatsdieners, "auf welchen seine Beamten ihn begleiten sollen, so sind alle zum Gehorsam, diejenigen aber, welche des Königs Gnade aus besonderem Vertrauen in Stellen von politischer Bedeutung berufen hat, noch außerdem zu thatkräftiger Unterstützung der Königlichen Staats-Regierung verpflichtet". Mit diesem zuletzt genannten Beamtentypus waren noch nicht die späteren politischen Beamten angesprochen, sondern viel allgemeiner all jene Beamten, "deren Haltung auf die ihnen untergebenen Beamtenkreise oder auf das mit ihnen in Berührung kommende Publikum naturgemäß von weittragendem Einfluß sein muß". Zu diesen Beamten zählte Eulenburg namentlich die Regierungspräsidenten, die Landräte und selbst noch die Kreissekretäre. Vor allen Dingen waren die Regierungspräsidenten aufgefordert, "nach allen Seiten hin, und wo sich die Gelegenheit dazu bietet, im Sinne der Regierung zu wirken". Als oberste Verwaltungsbeamte des ihnen anvertrauten Bezirks erwartete der Minister des Innern von den Regierungspräsidenten, daß ihrer Beobachtung keine oppositionellen Bestrebungen entgingen und daß sie, soweit ihr Kompetenzbereich betroffen war, "unmittelbar und energisch" einschritten.

Im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen verlangte Eulenburg, bei den Verwaltungsbeamten aller Regierungsbezirke keinen Zweifel darüber entstehen zu lassen, daß die Staatsregierung "auch von ihnen eine Haltung erwartet und verlangt, wie sie sich für treue königliche Beamte geziemt", sprich: königstreu zu wählen. Die Magistratsmitglieder der Stadtgemeinden standen zwar in keinem direkten Unterordnungsverhältnis zu den Regierungsbehörden, aber als mittelbare Staatsbeamte mit hoheitlichen Aufgaben unterlagen sie der staatlichen Aufsicht. Die Bürgermeister waren, wenn man ihnen das als Staatsobliegenheit angesehene Polizei wesen in den Kommunen übertragen hatte, unmittelbare Untergebene der Regierungspräsidenten und somit ihrem Anweisungsrecht unterworfen. Da die leitenden Kommunalbeamten den maßgeblichsten Einfluß in den Städten ausübten, wollte die Staatsregierung nicht davon absehen, sie von der politischen Disziplinierung auszuschließen, selbst wenn die Bürgermeister und ihre Stellvertreter nicht als Ortspolizeibehörde fungierten. Die These Kühnes,133 in der Konfliktszeit wäre die politische Treuepflicht nicht so eng aufgefaßt worden wie in der Zeit nach 1878, da insbesondere kein aktives Eintreten für die Regierungspolitik verlangt wurde, ist angesichts der scharfen Reaktion der Ministerialinstanzen auf die Auseinander\33

Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 60.

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setzung mit dem opponierenden Parlament wohl kaum haltbar. Nach Eulenburgs eigenen Worten stand die Staatsregierung in einem Konflikt "von zu großer Bedeutung, als daß sie "die Feinde im eigenen Lager" gewähren lassen konnte und sich dadurch "zum Verräther an der Sache" machen würde, die sie aus voller Überzeugung übernommen hatte. Die Schärfe und Bedeutung des Konflikts mit dem Parlament verlangte, so der Minister des Innern, die Beamten "zur Erkenntnis der Bedeutung ihres Diensteides zurückzuführen." Gingen andere Beamte so weit, "sich den Bestrebungen der, den Königlichen Willen repräsentirenden Staatsregierung offen entgegen zu stellen", war, "um ihren Widerstand zu brechen, die Anwendung jedes Mittels geboten, welches die Gesetze gegen Beamte an die Hand geben".134 Das Verhältnis der Staatsregierung zu den Kommunalbehörden zeigt zweifelsohne eine umgekehrte Entwicklung. Während der frühen Phase des preußischen Konstitutionalismus und vor allem der Konfliktszeit wurde die politische Disziplinierung der Beamten entschieden schärfer gehandhabt. Nach der Reichsgründung machte sich insgesamt eine Liberalisierungstendenz bemerkbar. Gleichzeitig wurde strenger zwischen politischen und unpolitischen Beamten differenziert. Die Auffassung und Praxis der politischen Treuepflicht blieb allerdings insgesamt wenig großzügig. Kühne steht zu sehr unter dem Eindruck des Kehrschen Theorems vom innenpolitischen Bruch unter dem Ministerium Puttkarner, als daß er die unterschiedliche, wenn auch nicht einheitliche, staatliche Disziplinierungspraxis in der früheren bzw. späteren Phase des Konstitutionalismus wahrnimmt. 135 Im Mittelpunkt der Disziplinierungspraxis standen weniger die Magistratsdirigenten. Das Oberbürgermeisteramt der Landeshauptstadt oder auch anderer Großstädte war schon von den fachlichen Voraussetzungen her so exponiert, daß nur erfahrene Verwaltungsbeamte zur Wahl standen. Berliner Stadtoberhäupter wie Seydel, Hobrecht, Zelle, Forckenbeck, Kirschner oder Wermuth kamen aus dem mittleren oder höheren staatlichen Verwaltungsdienst. Sie waren langjährig in der Kommunaladministration tätig gewesen und selbst wenn sie als ausgesprochen liberal galten, wie Forckenbeck und Kirschner, gehörten sie doch zu jenen gemäßigten Kräften, deren Loyalität zur Monarchie außer Frage stand. Der als Mitglied der Fortschrittspartei gewählte Kirschner mußte achtzehn Monate auf die Bestätigung des MonarZirkularerlaß, 24. September 1863. MBliV, 24. Jg. (1863), S. 190. Vgl. dazu weiter unten. Zur politischen Disziplinierung der Beamten in der Zeit von 1850 bis 1871 im allgemeinen wie der Konfliktszeit im besonderen siehe Rejewski, Pflicht, S. 48 ff. u. 65 ff. Eugene N. Anderson, The Social and Political Conflikt in Prussia 1858-1864, Lincoln, Nebraska 1954, S. 382 ff. Adalbert Hess, Das Parlament das Bismarck widerstrebte. Zur Politik und sozialen Zusammensetzung des preußischen Abgeordnetenhauses der Konfliktszeit (1862-1866), Köln-Opladen 1964, S. 97 ff. 134 135

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chen warten. Trotz der ausstehenden staatlichen Bestätigung konnte er indessen ungehindert sein Amt ausüben, indem er wie seine Vorgänger als parteipolitisch zurückhaltender Fachbeamter agierte. 136 Das Ehrenamt in der Kommunalverwaltung, insbesondere die unbesoldeten Beigeordnetenund Stadtratsstellen, standen stärker im Zeichen der Politisierung der Gemeinden, darüber darf das in den kommunalen und öffentlichen Debatten stets von neuem beschworene Bild parteipolitischer Neutralität und Unabhängigkeit der Städteadministrationen nicht hinwegtäuschen. In der Konfliktszeit war Berlin ebenso wie seine Vororte ständig staatlichem Druck ausgesetzt, das kommunale Ehrenamt in den Magistraten nicht zu einer Einfluß sphäre des Liberalismus zu machen. 137 Die Politisierung des Bestätigungsrechts wirkte sich noch auf den Städteordnungsentwurf von 1876 aus. Die Staatsregierung wollte für die "zur Wahrnehmung der Geschäfte der allgemeinen Landesverwaltung" berufenen Magistratsmitglieder, sprich die Bürgermeister und Beigeordneten, die Bestätigung durch den Landesherm oder den Regierungspräsidenten gewahrt wissen. Nur die mit "kommunalen Funktionen" betrauten Stadträte sollten zukünftig von der Bestätigung ausgenommen werden. Der Magistrat hätte folglich allein über die Gesetzmäßigkeit ihrer Wahl zu beschließen. Gegen den Beschluß des Magistrats sollte der Gemeindevertretung die Beschwerde beim Bezirksrat zustehen. 138 Diese Beschränkung des staatlichen Aufsichtsrechts ging dem Abgeordnetenhaus nicht weit genug. Die mit der Beratung des Entwurfs betraute Kommission empfahl die Bestätigung für den zweiten Beigeordneten zu streichen, da praktisch auch ohne die Besetzung einer solchen Stelle jedes Magistratsmitglied in die Lage kommen konnte, den Bürgermeister zu vertreten. Die kommissarische Vertretung des Magistratsdirigenten sollte für den Fall ausgeschlossen werden, daß der erste Beigeordnete sich bereit erklärte, die Funktion des Bürgermeisters stellvertretend zu übernehmen. 136 Vgl. Hofmann, Zwischen Rathaus und Reichskanzlei . Die Oberbürgermeister in der Kommunal- und Staatspolitik des Deutschen Reiches von 1890 bis 1933 (= Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik, Bd. 46), Stuttgart u.a. 1974, S.45. 137 Vgl. etwa die Auseinandersetzungen um die Besetzung unbesoldeter Stadtratsund BeigeordnetensteIlen im Berliner Vorort Charlottenburg. Dazu GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757, Nr. 2, Bd. 2. Siehe auch das Schreiben des lustizministers Graf zu Lippe-Biestefeld an den Minister des Innern, 24. März 1864. Ebd. Zum grundsätzlichen Ausschluß der "lustizkommissare" vom Kommunalamt vgl. das Ministerialreskript vom 5. April 1834. APSV, Bd. 18 (1834), H. 2, S. 412. Daneben noch das Reskript des Innenministers, die Bestätigung der lustizkommissarien als Stadt-Syndizi betreffend vom 22. März 1842. MBliV, 3. 19. (1842), S. 54. Siehe dazu Möller, Stadtrecht, S. 110 f. 138 § 50, Tit. 4, StOEntw, 1876. AlPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S.642.

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In den Städten unter 10000 Einwohnern wollte die Kommissionsmajoriät an die Stelle des Regierungs- den Oberpräsidenten treten lassen, dessen Kompetenz im Falle des Verweigerns der Bestätigung an die Zustimmung des Provinzialrats gebunden werden sollte. Da man ungerechtfertigte Nichtbestätigungen und unnütze Instanzen vermeiden wollte, die Wahl der kommunalen Spitzenbeamten aber von allgemeiner Bedeutung und wesentlicher Einwirkung auf das Wahlrecht der Stände war, sollte dem Provinzialrat die Mitwirkung an den Entscheidungen gleich in erster Instanz übertragen und die Beschwerde an die Ministerialinstanz zugelassen werden. 139 Hinsichtlich der Wahl der Stadträte empfahl die Kommission, das Beanstandungsrecht des Magistrats aufzuheben. Die kommunale Exekutive sollte nur noch die Fehlerkorrektur beim Wahlverfahren verlangen können, während im Falle einer ausbleibenden Einigung der städtischen Körperschaften die höhere Entscheidung anzurufen war. Der Kommissar der Staatsregierung, Geheimer Oberregierungsrat Wohlers, widersprach allen Abänderungen des Entwurfs. Im Plenum erklärte er gegenüber noch weitergehenden Forderungen der Abgeordnetenmehrheit, daß die Staatsregierung nicht bereit war, auf die Bestätigung als politisches Recht zu verzichten oder es in wesentlicher Weise abzuschwächen. 14o Sowohl der nationalliberale Bürgermeister Haken als auch sein Parteigenosse, der ehemalige Königsberger Oberbürgermeister Kieschke mahnten eine Verständigung mit der Staatsregierung an, da eine Städteordnung, die das Bestätigungsrecht eliminierte oder wesentlich einschränkte, nicht durchzusetzen war. 141 Der Widerspruch von linksliberaler und Zentrumsseite war entschieden. Der Berliner Fortschrittsabgeordnete Virchow hatte in Gemeinschaft mit seinen Fraktionskollegen Eduard Windthorst und Louis Uhlendorff einen Antrag eingebracht. 142 Obgleich er nicht Ausdruck der "eigentlichen Wünsche" des Fortschritts war, rüttelte er an den Grundlagen des Bestätigungsrechts. Die landesherrliche Bestätigung für die Magistratsdirigenten der größeren Städte sollte aufgehoben und auf den Minister des Innern übertragen werden. Ansonsten war das Bestätigungsrecht durch die Oberpräsidenten auszuüben. Die Liberalen beabsichtigten, diesen Teil des kommunalen Aufsichtsrechts eng zu begrenzen. Die Bestätigungen durften nur auf Grund von 139 Bericht Haken, PAH, XVI. Kommission, 13. Mai 1876. A.a.O., Bd. 3, AS Nr. 231, S. 149l. 140 Rede Wohlers. PAH, 19. Mai 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1834. 141 Reden Kieschke u. Haken. PAH, 29. Mai 1876. A.a.O., S. 1832 u. 1839. 142 AlPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, AS Nr. 315, S. 1704 f. Vgl. dazu Preuß, Geschichte des Bestätigungsrechts in Preußen, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 107 (1907), H. 2, S. 281 ff.

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"Bedenken gegen die technische oder sittliche Qualifikation des Gewählten" verweigert werden, während die den Verweigerungsbeschluß begründenden Tatsachen mitzuteilen waren. Bei der Wiederwahl eines Kommunalbeamten war eine Bestätigung hingegen nicht mehr einzuholen. 143 Virchow hatte vor allem Interesse an einer Vereinfachung des Bestätigungsverfahrens, daß durch die Einschaltung des Landesherrn nur unnötig belastet wurde und die Aufhebung eines Verweigerungsbeschlusses erschwerte, selbst wenn es einer betroffenen Stadtgemeinde gelungen war, den Nachweis falscher Voraussetzungen für die Ablehnung zu erbringen. 144 Der Zentrumsabgeordnete Ludwig Windthorst sah im staatlichen Bestätigungsrecht eher einen Verlust an Autorität als einen Gewinn. Hinsichtlich der Wahl der Magistratsmitglieder kamen für ihn nur zwei Möglichkeiten in Frage: Entweder waren die Kommunen überhaupt nicht zur Wahl in der Lage, dann sollte der Staat die Beamten ernennen, oder es war die Fähigkeit zur richtigen Wabl in den Gemeinden vorhanden, dann konnte nicht davon ausgegangen werden, daß die Bürokratie besser urteilte als die Kommune. Im Falle der Verweigerung einer Bestätigung mußte aber immer davon ausgegangen werden. Konsequenterweise hätte Windthorst für die Aufhebung des Bestätigungsrechts eintreten müssen. Schließlich verneinte es nach Ansicht der Abgeordnetenmajorität die Selbständigkeit der Städte. An einer grundsätzlichen Infragestellung der Bestätigungsbefugnis dachte Windthorst allerdings nicht. Die vorgeschlagene Beschränkung reichte dem führenden Zentrumspolitiker "der Natur der Dinge" nach aus. 145 Obwohl Bürgermeister Haken nochmals für eine Verständigung mit der Staatsregierung eintrat und sich für den Kommissionsantrag einsetzte, folgte die Mehrheit des Abgeordnetenhauses in namentlicher Abstimmung mit 155:142 Stimmen dem kategorischen Imperativ Windthorsts und nahm den Antrag Uhlendorff-Virchow an. 146 Fünf Tage später, während der dritten Beratung, charakterisierte Graf zu Eulenburg die Entscheidung zum Bestätigungsrecht als einen jener Beschlüsse, die einer Verständigung mit dem Herrenhaus im Wege standen. 147 Ludwig Windthorst blieb dessenungeachtet bei seiner oppositionellen Haltung und forderte die Abgeordneten auf, die unbestimmte Bestätigungsbe143 Einen ähnlichen Antrag, der nur noch eine Oberpräsidialbestätigung vorsah, stellte der Kölner Zentrumsabgeordnete Roeckerath, unterstützt von dem ehemaligen Oberregierungsrat Osterrath und dem Kölner Advokatanwalt Eduard Schenk. A.a.O., AS Nr. 297, S. 1669. 144 Rede Virchow. PAH, 29. Mai 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1835. 145 Rede L. Windthorst. PAH, 29. Mai 1876. A.a.O., S. 1836 f. 146 A.a.O., S. 1840 ff. 147 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 31. Mai 1876. A.a.O., S. 1904.

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fugnis abzulehnen und damit fernerhin zu verhindern, daß die Regierung ohne Grund gewählte Kommunalbeamte ablehnen konnte, deren politische oder kirchliche Anschauungen ihr nicht gefielen. 148 Eduard Lasker setzte sich dagegen für den Kommissionsbeschluß ein. Nach Auffassung des Berliner Nationalliberalen war das ausschließlich an den Landesherm gebundene Bestätigungsrecht grundsätzlich überhaupt nicht mit der Bindung an die Zustimmung des Provinzialrats zu vereinbaren. Bei dem Vorschlag, die Bestätigungsbefugnis auf den Minister des Innern zu übertragen, wurde nach Lasker übersehen, daß die landesherrlichen Bestätigungen als Staatsakte auch nach dem bisherigen Recht unter die Verantwortlichkeit des Ministers fielen. Die Verpflichtung des Ministers zur Bekanntgabe von Gründen, die sich auf die sittliche oder technische Qualifikation des Bewerbers bezogen, beinhaltete überdies nicht mehr als seine moralische Verantwortlichkeit, der er bereits jetzt unterlag. 149 Für Lasker hatte das Bestätigungsrecht im übrigen nicht die von Windthorst hervorgehobene Bedeutung. Wichtiger war für ihn die Frage, in welchem Umfang den Städten die Polizei 150 übertragen werden sollte. In diesem Zusammenhang schnitt Lasker überdies das Problem der zukünftigen Funktion der Stadtausschüsse an, die weiter staatliche Aufgaben übernehmen und sich auf gleicher Grundlage wie die Kreisausschüsse entwickeln sollten. Gegenüber dem Umfang der Staatsfunktionen der kommunalen Organe, insbesondere in den Großstädten, stellte sich für Lasker die Frage der Bestätigung oder Nichtbestätigung erst gar nicht, sondern lediglich die nach der Form der Bestätigung. 151 Für den Kommissionsbeschluß sprach, daß er für die Städte unter 10000 Einwohner eine nützliche Garantie schuf, indem die Versagung der Bestätigung von der Zustimmung des Provinzialrats abhängig gemacht wurde. "Endlich", schloß Lasker seine Ausführungen, "gestatten Sie mir die Frage, sind Sie wohl der Meinung, daß wir, was wir in der Hessischen Landgemeindeordnung nicht haben durchsetzen können, was wir in der Städteordnung für Schleswig-Holstein nicht haben durchsetzen können, woran die Kreisordnung zu scheitern drohte und was wir in diesen drei Fällen gleichmäßig aufgegeben haben, selbst als eine Bedingung für das Zustandekommen der Städteordnung aufrecht erhalten sollen? Oder daß wir Aussicht haben, für die Bürgermeister aller Städte und insbesondere der großen Stadt das zu erreichen, was wir bei Dorfschulen durchzusetzen nicht imstande gewesen sind?,,152 Die Kammermehrheit verneinte diese Frage. Mit der allerdings nur knappen Mehrheit von 147: 137 Stim148 149 150 151 152

Rede L. Windthorst. PAH, 31. Mai 1876. A.a.O., S. 1925. Rede Lasker. PAH, 31. Mai 1876. A. a. 0., S. 1906 f. Vgl. dazu oben Unterabschnitt 1. A.a.O., S. 1927. A.a.O., S. 1907.

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men wurde über das Amendement des nationalliberalen Greifswalder Kreisgerichtsrats Johannes Krech die Fassung der Kommissionsvorlage wiederhergestellt. Ludwig Windthorst konnte nur noch durchsetzen, daß die Bestätigungsbefugnis im Falle der Wiederwahl fortfiel. I53 Im Herrenhaus erinnerte Magdeburgs Oberbürgermeister Hasselbach an die zu Beginn der sechziger Jahre selbst von den liberalen Kammermitgliedern vertretene Auffassung eines einheitlichen Bestätigungsrechts für alle Magistratsmitglieder. 154 Da die Staatsregierung unterdessen erneut darauf verzichtet hatte, die Bestätigungsbefugnis für das gesamte Magistratskollegium zu beanspruchen, wollte auch das Herrenhaus von seiner umfassenden Wiederherstellung absehen. Nur auf Wunsch der rheinischen Vertreter wurde das Bestätigungsrecht auf sämtliche Beigeordneten ausgedehnt, da diese in der Rheinprovinz unterschiedslos als Vertreter des Stadtoberhaupts fungieren konnten. 155 Die weitergehenden Beschränkungen, wie sie vom Abgeordnetenhaus beschlossen waren, lehnte die Erste Kammer jedoch weiterhin ab. Damit fiel sowohl die Zustimmungspflicht des Provinzialrates als auch die Aufhebung der Bestätigungsbefugnis im Falle der Wiederwahl. I56 Mit dieser Abänderung erschöpfte das Herrenhaus die Kompromißbereitschaft der Zweiten Kammer um so mehr, als gleichzeitig "der Begriff der Beaufsichtigung durch den Staat" aus seiner ausdrücklichen Bindung an die Regelungen der Städteordnung und das Gesetz über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden und der Verwaltungsgerichtsbehörden entlassen und nur noch allgemein auf die "durch das Gesetz zugewiesenen Mittel" verpflichtet wurde. 157 Eine Bestimmung, die im Abgeordnetenhaus als Ausdruck eines unbegrenzten Aufsichtsbegriffs verworfen wurde. 158 Hier waren jene "große(n) Prinzipien" berührt, von denen Miquel sagte, daß man sie im Interesse des preußischen Bürgertums nicht "im letzten Augenblick" preisgeben dürfte. 159 Erst das Zuständigkeitsgesetz und dessen Novellierung sowie das spätere Landesverwaltungsgesetz unterwarfen die Staatsaufsicht einer ordentlichen instanzlichen Regelung. 16o Die Mitwirkung der regionalen 153 A. a. 0., S. 1928 f. Diese Regelung wurde als § 52 in den Gesetzentwurf aufgenommen. Vgl. AIPHH, Sess. 1876, Bd. 2, AS Nr. 109, S. 577 f. 154 Siehe dazu Kap. 6, Unterabschnitt 6. 155 Bericht Hasselbach. PHH, 22. Juni 1876. StBPHH, Sess. 1876, Bd. 1, S. 397. 156 A.a.O., S. 398. AIPHH, Sess. 1876, Bd. 2, AS Nr. 109, S. 577 f. 157 Rede Miquel. PAH, 27. Juni 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 2118 f. AIPHH, Sess. 1876, Bd. 2, AS Nr. 109, S. 590. Vgl. auch § 117, Tit. 9 des Regierungsentwurfs. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S. 647. 158 Rede Miquel. PAH, 29. Mai 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 2, S. 1866. 159 Rede Miquel. PAH, 27. Juni 1876. A.a.O., Bd. 3, S. 2119.

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Kommunalorgane, d.h. des Bezirksausschusses und des Provinzialrats, wurden garantiert. 161 Das Beanstandungsrecht auf die Überschreitung von Befugnissen oder die Verletzung von Gesetzen eingeschränkt. 162 Ein Eingriff der staatlichen Aufsichtsbehörden konnte mithin nicht mehr auf bloße Gründe des Staatswohls oder des Gemeininteresses hin erfolgen. Die Befürchtungen städtischer Vertreter über ein ausuferndes, unkontrolliertes und politisch instrumentalisiertes Bestätigungsrecht erwiesen sich nach dem neuerlichen Scheitern der Kommunalrechtsreform indessen als wenig begründet. Konkreten Inhalt gewannen sie nur im Hinblick auf die aufkommende Sozialdemokratie. In diesem Fall gab es zwischen der Staatsregierung und dem liberalen Städtebürgertum jedoch einen weitgehenden Konsens, die Arbeitervertreter politisch auszugrenzen. Im Vordergrund des staatlichen Interesses bei der Besetzung der höheren Kommunalämter stand zunächst die Abwehr partikularer Tendenzen auf kommunaler Ebene, die den Zusammenhang der staatlichen Administration gefährdeten. Darüber hinaus achtete der Staat, wie aus den vielfältigen Berichten über einzelne Kandidaten zu entnehmen ist, auf die fachliche Qualifikation der Gewählten, insbesondere wenn es um die Besetzung der besoldeten Stellen ging. Die Ministerial- und Regierungsbehörden des wilhelminischen Preußen sahen bei der Wahl eines kommunalen Kandidaten, daß die Bewerber nicht von den politischen Machtverhältnissen in den Gemeindevertretungen absehen konnten, mitunter sich mit einer linksliberalen Mehrheit arrangieren mußten. 163 Ein Umstand, der in keinem Fall zur Verweigerung der staatlichen Bestätigung führte. Einen Anlaß zum Versagen der Bestätigung hielt die Staatsregierung erst mit dem prononcierten Auftreten für die politische Opposition gegeben. Doch selbst die agitatorische Arbeit, die Beteiligung am Wahlkampf und das Verfassen von oppositionellen Wahlaufrufen mußte nicht zwangsläufig zur Verweigerung der Bestätigung führen. l64 Die Kar160 Vgl. §§ 7 u. 21, Tit. 4, ZG 1883. GS 1883, S. 238 u. 243 f. §§ 42 u. 43, Tit. 2, 4. Abschnitt, LVG 1883. GS 1883, S. 205 f. 161 Vgl. dazu im einzelnen die Regelungen im Tit. 4 "Angelegenheiten der Stadtgemeinden" des ZG 1883. GS 1883, S. 238 ff. § 4, Tit. 1, LVG 1883. GS 1883, S. 196. 162 § 15, Tit. 4, ZG 1883, GS 1883, S. 240 f. 163 Vgl. etwa den Bericht des Potsdamer Regierungspräsidenten von Neefe an den Minister des Innem von Puttkarner vom 24. Januar 1884. GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757, Nr. 2, Bd. 3. 164 Zu einer genauen Definition des Begriffs "Agitation" entschloß sich im Kaiserreich keine der preußischen Staatsregierungen, so daß es stets offen blieb, wo die Grenzen zwischen erlaubter und unerlaubter politischer Betätigung verliefen. Wenn man davon absieht, daß die offene Unterstützung verfassungs- und staatsfeindlicher Parteien zu den politischen Tabus des Beamtenturns gehörten. Eine allgemeingültige Definition hätte die Handlungsdispositionen der Regierungen vermutlich zu sehr

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riere als Kommunalbeamter setzte nicht parteipolitische Abstinenz voraus, aber eine Verhaltensdisposition, die dem einzelnen nicht nur politische Zurückhaltung auferlegte,165 sondern ihm auch abverlangte, nach dem Grundsatz "strenger Objektivität und Sachlichkeit" zu leben. Für parteipolitische Rücksichtnahmen durften die Gemeindeangelegenheiten auch nach dem Selbstverständnis der Kommunalbürokratie, zumal wenn es sich um die Funktionen der dirigierenden Magistratsmitglieder handelte, keinen Raum geben. In den vielfältigen Berichten der Regierungsbehörden finden sich nicht ohne Grund die schon stereotyp wiederkehrenden Formeln: "Er ist indes in keiner Weise agitatorisch hervorgetreten", "von der Beteiligung an politischen Parteikundgebungen hat er sich stets ferngehalten" oder "er ist politisch wohl kaum irgendwie hervorgetreten". Die von Kehr vertretene These von "der Tendenz" der preußischen Ministerialbürokratie zur "Feudalisierung des Bürgertums",166 die geradezu abrupt mit dem Ministerium Puttkamer einsetzte und bis zum Zusammenbruch des Kaiserreichs die Innenpolitik prägte, ist im wesentlichen eine historisch-politische Konstruktion, die von antigouvernementalen Ressentiments getragen wird. Auf die wachsende soziale Komplexität der Industriegesellschaft oder die politische Differenzierung mit einer "Umbildung der bürgerlichen Gesellschaft,,167 zu reagieren, die, gestützt auf disziplinarrechtliche Mittel und organisatorische Sicherungen, im ministerialen Verwaltungsautbau die "feudalisierbaren Teile des Bürgertums von dem "geringen eingeschränkt und ihnen vor allem die Möglichkeit genommen, die Beamtenpolitik, wenn nötig, in Anpassung an die allgemeinen politischen Verhältnisse zu handhaben. Vgl. auch Rejewski, Pflicht, S. 89. Zu konkreten Beispielen aus Berliner Vororten vgl. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3507, BI. 17 ff. Siehe dazu auch die Personalakten Rep. 2A, I Pers, Nr. 128/1,3474/1,3507,3707,5145/1,5325/1. 165 Wie konsequent die Zurückhaltung geübt wurde, zeigt ein Bericht des Potsdamer Regierungspräsidenten an Innenminister Herrfurth über den zum zweiten Bürgermeister im Berliner Vorort Charlottenburg geWählten Paul Büchtemann, der ein Bruder des früheren fortschrittlichen bzw. deutschfreisinnigen Abgeordneten Walter Büchtemann war und selbst dem Linksliberalismus nahe stand. Der Kommunalbeamte Büchtemann hatte jedes Hervortreten im politischen Leben vermieden und war nicht einmal bei den letzten bei den Landtagswahlen zur Stimmabgabe erschienen. Für den Regierungspräsidenten beruhte diese Zurückhaltung Büchtemanns auf dem Wunsch, sich die Aussicht auf höhere Stellen in Gemeindediensten "nicht durch offenes Betätigen" seiner demokratischen Anschauungen zu gefährden. Bericht des Potsdamer Regierungspräsidenten, 23. Dezember 1889. GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757, Nr. 2, Bd. 4. 166 Eckart Kehr, Das soziale System der Reaktion in Preußen unter dem Ministerium Puttkarner, in: Ders., Das Primat der Innenpolitik. Gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. u. eingel. von H.-U. Wehler, 2Frankfurt/M. u. a. 1976, S. 80. 167 A. a. 0., S. 65.

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nicht feudalisierbaren freisinnigen Teile,,168 abschloß, überschätzt die Möglichkeiten, mit rechtsstaatlichen Steuerungsmechanismen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen zu beeinflussen. Wenn der Staat überhaupt an eine feudalisierende Strategie dachte, hätte er nicht nur jene Bereiche des politischen Systems, die ohnehin seinem Einfluß unterstanden, wie die Verwaltungs- und Militärorganisation, zu neutralisieren oder gouvernemental auszurichten versucht, sondern auch die wirklichen Bastionen des liberalen Bürgertums, die Kommunalverwaltungen, noch stärker an den Staat binden müssen, wozu das Aufsichts- und Bestätigungsrecht durchaus Möglichkeiten bot. Das wäre aber nicht einmal einem Konservativen wie von Puttkarner eingefallen. Nicht nur weil auf diese Weise ein tragendes Prinzip der preußischen Staatsverwaltung, die administrative Dezentralisation, in nicht aufzuwiegender Weise tangiert worden wäre, sondern auch weil die Ausweitung der gegenüber der Sozialdemokratie eingeschlagenen Ausgrenzungsstrategie praktisch zur Eröffnung eines zweiten innenpolitischen Konfliktherdes geführt hätte, dem der Staat und das konservative Machtkartell auf Dauer nicht gewachsen gewesen wäre. 169 Zu einer solchen Ausgrenzungsstrategie bestand hingegen kein Anlaß, denn das politisch liberale Städtebürgertum dachte nicht an die Aufgabe seiner kommunalen Machtpositionen. Unter diesem Gesichtspunkt war selbst der Freisinn, durchaus im Sinne zielgerichteter Politik, Bündnispartner der staatlicherseits angestrebten Ausgrenzung der Sozialdemokratie und damit Bestandteil des nationalen Blocks. l7O Die politischen Mittel zur Stützung des Staates fand die Regierung außerhalb des administrativen Apparates, indem sie durch eine manipulative Wahlkreisgeometrie die gouvernementalen Parteien stützte. Die Abschottung des Beamtenapparats gegen oppositionelle Strömungen bzw. oppositionelles Verhalten, die Akzentuierung der Treuepflicht ist hingegen ein der staatlichen Verwaltung immanentes Moment, in dem keine positiv gestaltende, sondern eine regressive Abwehrstrategie zum Ausdruck kommt, deren Schwäche im kongruenten Verhältnis zur Intensität der angestrebten politischen Ausgrenzung steht. Für die Beurteilung der Haltung des Staatsministeriums zur politischen Treuepflicht der Beamten muß die Stellung des einzelnen Beamten im staatlichen Verwaltungsaufbau berücksichtigt werden. Von den unmittelbar im Staatsdienst tätigen Beamten wurde von der Regierung eine stärkere A. a. 0., S. 73. Kehrs Behauptung, daß der kommunale Liberalismus in die Puttkamersehen Ausgrenzungsstrategie einbezogen war, ist ohne jeden empirischen Beweis. 170 Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 66 f. Zur politischen Positionierung des Linksliberalismus im Zusammenhang mit dem Wählerverhalten und der parteipolitischen Bündnispolitik vgl. Kap. 7, Unterabschnitt 4. 168 169

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Treuebindung gefordert. Im Falle der politischen Beamten, d. h. jener Landräte, Regierungs- und Oberpräsidenten, die jederzeit ohne Angabe von Gründen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden konnten, erfuhr die Treuebindung noch eine Verschärfung, indem das Staatsministerium von ihnen verlangte, die Intentionen der Regierung vor Entstellung, Irrtum und Verleumdung zu schützen. 17I Oppositionelle Haltungen der politischen Beamten in Grundsatzfragen wie der staatlichen Kirchenpolitik oder der Stellung zur Sozialdemokratie zogen stets disziplinarische Maßnahmen nach sich. l72 Von den politischen Beamten, nicht zuletzt den Landräten, erwartete man bei den Landtagswahlen ein Engagement für den regierungsnahen Konservativismus. 173 Alle Versuche des Staatsministeriums, die politische Disziplinierung gesetzlich zu verschärfen und die Möglichkeit der sofortigen Versetzung in den einstweiligen Ruhestand auf alle Beamte auszudehnen, scheiterten. 174 Die Wahlfreiheit der Beamten wurde prinzipiell nicht in Frage gestellt. Bei 171 Vgl. den Allerhöchsten Erlaß Wilhelms 1., 4. Januar 1882. Deutscher Reichsund Königlich Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 6, Ausgabe vom 7. Januar 1882. Vgl. dazu Hartung, Geschichte, S. 720 ff. Rejewski, Pflicht, S. 88 f.; Margaret Lavinia Anderson/Kenneth Barkin, Der Mythos der Puttkamer-Säuberung und die Realität des Kulturkampfs. Überlegungen zur Geschichtsschreibung des kaiserlichen Deutschlands, in: Historisches Jahrbuch, Bd. 109 (1989), S. 455 ff. Fragwürdig die Interpretation des Erlasses durch Th. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 62 f., der seine verfassungspraktische Bedeutung darin sieht, daß er nicht disziplinierend durch Klarheit, sondern durch Unklarheit und Verunsicherung wirkte; ebenso Kühnes Stellung zur Bismarckschen Deklaration des Erlasses im Reichstag, die er lediglich als "taktische Funktion" charakterisiert, um der antigouvermentalen Wahlagitation den Wind aus den Segeln zu nehmen. 172 Rejewski, Pflicht, S. 93 ff. u. 120 ff. 173 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 67 ff.; Klaus von der Groeben, Die öffentliche Verwaltung im Spannungsfeld der Politik dargestellt am BeispielOstpreußens (= Schriften zur Verwaltungswissenschaft, Bd. 7), Berlin 1979, S. 54 ff. 174 Rejewski, Pflicht, S. 96 ff. u. 100 f. Eine Ausnahme bildete die sogenannte "Lex Arons", mit der die letztinstanzliche Disziplinarzuständigkeit des Staatsministeriums auch auf die Privatdozenten ausgedehnt wurde. Anlaß zur Gesetzesinitiative gab die sozialdemokratische Mitgliedschaft des Berliner Privatdozenten und späteren Stadtverordneten Leo Arons, der als sozialdemokratischer Redner öffentlich auf politischen Veranstaltungen aufgetreten war. Nach Erlaß des Gesetzes über die Disziplinarverhältnisse der Privatdozenten wurde Arons durch Entscheidung des Staatsministeriums vom 20. Januar 1900 die Eigenschaft als Privatdozent aberkannt. Da die Privatdozenten schon im 19. Jahrhundert in einem öffentlich-rechtlichen Staatsverhältnis standen, war die Anwendung der geltenden Disziplinarvorschriften für beamtete Hochschullehrer auf einen nichtbeamtenten Privatdozenten durchaus gerechtfertigt. Die Frage, ob die Zugehörigkeit zur Sozialdemokratie Ausdruck verfassungsfeindlicher Tätigkeit war, muß nach der zeitgenössischen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts bejaht werden. Huber, der gegenteiliger Auffassung ist, kann die Ansicht, wenn auch zurecht, nur auf eine allgemeine politische Analyse der sozialdemokratischen Bewegung stützen, deren Ergebnis jedoch im Wider-

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der Erneuerung des Erlasses vorn Januar 1882 175 machte Innenminister Graf Botho zu Eulenburg 1894 im Herrenhaus deutlich, daß es den Beamten völlig freigestellt sei, wie sie ihre Stimme bei den Wahlen abgeben. Diese Erklärung Eulenburgs ist nicht mit dem Kehrschen Theorem von der strategischen Umbildung der bürgerlichen Gesellschaft vereinbar, auch wenn die offizielle Anerkennung der Wahlfreiheit durch disziplinarische Maßnahmen und einer diskriminierende Handhabung der Beförderungen und Gratifikationen praktisch häufiger relativiert wurde. Eulenburg ging über die seit Jahrzehnten in Regierungskreisen herrschende Auffassung hinaus, daß ein Beamter kraft seiner dienstlichen Treuepflicht auch bei Ausübung eines parlamentarischen Mandats Beschränkungen unterworfen sei, indem er seiner Erklärung hinzufügte: "Es ist auch noch eine Freiheit mehr vorhanden: sie können auftreten und sich äußern in den parlamentarischen Körperschaften, wie es ihnen beliebt, demgegenüber gibt es keine Disziplin".176 Der 1899 an die Oberpräsidenten gerichtete Augusterlaß des Staatsministeriums l77 verlangte zwar von den politischen Beamten, die Anschauungen der Regierung zu vertreten und die Durchführung der Regierungspolitik zu erleichtern, aber die Verpflichtung zur Treue erstreckte sich nicht auf die Ausübung eines parlamentarischen Mandats. Im Parlament hatten sich die politischen Beamten nur in grundlegenden Fragen des Staatslebens von jeglicher Opposition gegen Regierungsvorlagen fernzuhalten. 178 Die Wahlfreiheit der Beamten, selbst die Stimmabgabe für eine staatsfeindliche Partei, stand allerdings nicht mehr als Treuewidrigkeit zur Diskussion. 179 Nach der Jahrhundertwende erwartete man von den nichtpolitischen Beamten nur noch eine gewisse Zurückhaltung bei der politischen Betätigung. Gegenüber den nichtpolitischen Beamten lockerte die Staatsregierung ihre restriktive Haltung erst am Ende des Ersten Weltkriegs. Nahmen sie in grundlegenden Fragen eine oppositionelle Haltung ein, sollte sich der Einsatz für die Regierungspolitik künftig auf die Defensive beschränken. 18o spruch zur Rechtsprechung steht. Vgl. Huber, Verfassungs geschichte, Bd. 4, S. 950 ff. Rejewski, Pflicht, S. 113 ff. 175 Deutscher Reichs- und Königlich Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 304, Ausgabe vorn 21. Dezember 1893. 176 Rede Graf B. zu Eulenburg, PHH, 28. April 1894. StBPHH, Sess. 1894, Bd. I, S.213. 177 Staatsministerialerlaß an die Oberpräsidenten, 31. August 1899. Deutscher Reichs- und Königlich Preußischer Staatsanzeiger, Nr. 205, Ausgabe vom 31. August 1899. 178 Vgl. Rejewski, Pflicht, S. 121 f.; gegenteiliger Auffassung ist Bernhard Steinbach, Die politische Freiheit der Beamten unter der konstitutionellen Monarchie in Preußen und im Deutschen Reich, 1ur. Diss., Bonn 1962, S. 85. 179 Rejewski, Pflicht, S. 112.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

Die Verbindung mit der Sozialdemokratie war im späten Kaiserreich weiterhin nicht mit der Treuepflicht der unmittelbaren Staatsbeamten vereinbar. Die Sozialdemokratie galt nach wie vor als Hauptgegner der bestehenden Staats-, Rechts- und Gesellschaftsordnung. Erst zu Beginn des Weltkrieges trat in dieser Beziehung eine Änderung ein. Die 1917 gegründete Unabhängi ge Sozialdemokratische Partei schloß die Staatsregierung von der Liberalisierung aus. Sie wurde als verfassungs- und staatsfeindliche Vereinigung ausgegrenzt. Die mittelbaren Staatsbeamten fielen als Mitglieder solcher Körperschaften, die Staats zwecke erfüllten oder Staatsaufgaben erledigten, unter die Disziplinarbestimmungen der Beamten. 181 Als Disziplinarbehörde für Ordnungsstrafen gegenüber dem Bürgermeister und den übrigen Magistratsmitgliedern fungierte der Regierungs- und Oberpräsident sowie der Minister des Innern. 182 Das förmliche Disziplinarverfahren gegen mittelbare Staatsbeamte, wurde im Juli 1875 mit dem Verwaltungsgerichtsgesetz eröffnet. 183 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit fungierte nunmehr als unabhängige Disziplinarinstanz, welche die Disziplinarsachen der im Dienst kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften stehenden Beamten entschied. In der unteren Instanz übernahmen kollegiale Verwaltungs behörden, die Kreis- und Bezirksausschüsse, die richterlichen Funktionen, an der Spitze des Instanzenzuges stand das von der Administration organisatorisch getrennte Oberverwaltungsgericht, dessen Mitglieder umfassende richterliche Unabhängigkeit genossen. Neben dem Staatsministerium gab es damit eine zweite höchste Disziplinarinstanz, so daß nicht nur die Zuständigkeit der Staatsregierung in Disziplinarangelegenheiten eingeschränkt, sondern auch deren alleinige EntA. a. 0., S. 132 ff u. 142 ff. Zur Definition vgl. Matthias, Die städtische Selbstverwaltung in Preußen, 2. Aufl., Berlin 1912, S. 146 f.; Robert Graf Hue de Grais, Der Preußische Staat, Bd. 3, Kommunalverbände (= Handbuch der Gesetzgebung in Preußen und dem Deutschen Reiche, T. 4, Bd. 3), Berlin 1905, S. 178 f.; Friedrich Freund, Die Angelegenheiten der Stadtgemeinden, der Landgemeinden und Gutsbezirke (= Die neuen Preußischen Verwaltungsgesetze, Bd. 3), 18. Aufl., 7. Bearb., Berlin 1910, S. 620 f. 182 Matthias, Selbstverwaltung, S. 165. Der Bürgermeister war insoweit Disziplinarbehörde gegenüber den Magistratsmitgliedem und Kommunalbeamten, als er Warnungen und Verweise erlassen und gegen die städtischen Beamten Geldstrafen bis in Höhe von neun Mark festsetzen konnte. 183 Gesetz betreffend die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875. GS 1875, S. 375-392. Vgl. auch die Hinweise in Kapitel 9, Unterabschnitt 1. Die Zuständigkeitsvorschriften wurden nach dem Enumerativprinzip geregelt, vgl. dazu Karl Parey, Handbuch des Preußischen Verwaltungsrechts, Bd. 2, Das materielle Verwaltungsrecht, Berlin 1887, S. 158. Georg Barteis, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nebst Zuständigkeitstabelle, S. 197 ff. Hinsichtlich des Disziplinarverfahrens gegen mittelbare Staatsbeamte bzw. der im Dienst der kommunalen Selbstverwaltung stehenden Beamten siehe § 20, Tit. 4, ZG 1883. GS 1883, S. 242 f. 180 181

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scheidungsgewalt in Fragen der politischen Treuepflicht der Beamten beschnitten wurde. Im Hinblick auf die Wahlfreiheit, insbesondere die Stimmabgabe eines Beamten für den Kandidaten einer offiziell als staatsfeindlich geltenden Partei, folgte das Oberverwaltungsgericht der Linie des Staatsministeriums. Die bloße Stimmabgabe unterlag keiner disziplinarischen Bestrafung, wohl aber die Begünstigung und Förderung einer solchen Partei sowie jeder außerhalb der Wahlhandlung liegende Einsatz für Bestrebungen, die auf eine Untergrabung der bestehenden Staats- und Rechtsordnung abzielten. 184 Die Form der Teilnahme am öffentlichen politischen Leben konnte für einen Beamten disziplinarrechtliche Konsequenzen zeitigen, wenn er das Gebot der Zurückhaltung aufgab und sich zu unsachlichen, ungerechten und wahrheitswidrigen Behauptungen gegen die Staatsorgane hinreißen ließ. 18S Dieses Verhaltens gebot wurde von den höheren Kommunalbeamten in den seltensten Fällen angezweifelt. Im Gegenteil, Zurückhaltung, Mäßigung, Unparteilichkeit und Sachlichkeit gehörten zu einem Tugendkodex, auf den die städtischen Beamten, ohne ihre parteipolitische Stellung zu verheimlichen, mit Selbstbewußtsein verwiesen. 186 Dieses Berufsethos des Kommunalbeamten, das sich in der Konfrontation mit der kommunalen Interessensvielfalt durchaus als praktisch und tragfähig erwies, enthielt im Grunde genommen eine verdeckte Forderung an die übergeordnete Regierungs- und Ministerialadministration auf eine ähnliche verpflichtende Objektivität oder, wie es Schmoller in disziplinarrechtlicher Wendung konkretisierte, auf eine maßvolle Handhabung der Regierungsbefugnisse gegenüber den Beamten und der ihnen in gewissen Rahmen zu gewährenden Unabhängigkeit. 187 In zentralen staatlichen Interessensbereichen auf kommunaler Ebene war nicht mit einer liberalen Handhabung des Bestätigungsrechts seitens der Regierungsbürokratie zu rechnen. Das wurde bei der Bestätigung der Schuldeputationsmitglieder nur allzu deutlich. Abweichende Meinungen in Unterrichtsfragen, grundlegenden Bestandteilen oder Inhalten der Volksschule führten in der Regel zum Verweigern der Bestätigung. Schon der Umstand, 184 Vgl. die Urteile vom 11. Januar 1880, MBliV, 49. Jg. 1888, S. 33-39; 29. Januar 1897, A.a.O., 58. Jg. (1897), S. 92-95; 11. April 1899, PrOVGE, Bd. 55, Berlin 1910, S. 467-478; 29. April 1910, A.a.O., Bd. 58, Berlin 1911, S. 447 f; 15. November 1912, A.a.O., Bd. 63, Berlin 1913, S. 468-472; 10. März 1914, A.a.O., Bd. 66, Berlin 1914, S. 437-443. 185 Vgl. die Urteile vom 20. Dezember 1886, PrOVGE, Bd. 14, Berlin 1887, S. 404-409 und 25. Juni 1887, PrVerwBI, 8. Jg. (1886/87), S. 405-407. Vgl. auch Rejewski, Pflicht, S. 92 f u. 140. Matthias, Selbstverwaltung, S. 159. 186 Vgl. hierzu die Stellungnahme des Vorortsbürgermeisters Kurt Schustehrus, BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom., Nr. 5325/1, Bd. 1, BI. 14. 187 Gustav Schmoller, Noch ein Votum über die "politischen" Beamten, in: JGVV, Bd. 24 (1900), S. 951 f

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

daß ein zum Mitglied der Schuldeputation gewählter Gemeindevertreter seine Kinder nicht taufen ließ, konnte zur Folge haben, daß die Regierung die Bestätigung versagte. 188 Trat ein zum Mitglied einer Schuldeputation gewählter Gemeindevertreter für die Aufhebung des schulischen Religionsunterrichts und seine Ersetzung durch den Moralunterricht ein, war die Verweigerung der staatlichen Bestätigung gewiß. Der Religionsunterricht gehörte zu den "Hauptgegenständen" der Volksschule und war, wie durch Ministerialverfügung häufiger erklärt wurde, "hiernach eine der wesentlichsten Grundlagen der preußischen Volksschule".189 Eine bildungspolitische Mitwirkung im Schul bereich bot sich dem Stadtbürgertum, soweit es nicht der offiziellen staatlichen Linie folgen wollte, nur in jenen Deputationen, die für die äußere Administration der nichtstaatlichen Schulanstalten eingesetzt waren, wie beispielsweise den Fortbildungsschulen und höheren Lehranstalten. Die Verwaltung und Beaufsichtigung des Volksschulwesens blieb ein Streitpunkt zwischen Staat und Gemeinden. Die schullastpflichtigen Kommunen l90 beanspruchten die Volksschule als Gebiet der Selbstverwaltung. Aus diesem Grund drängten die Gemeinden darauf, die staatliche Aufsicht über das örtliche Volksschul wesen auf den städtischen Schulinspektor oder den Stadtschulrat zu übertragen. Das Staatsministerium sah jedoch von jeglichem Kompromiß ab. Als bezirkliehe Aufsichtsbehörde fungierten weiterhin ebenso die Kreisschulinspektoren wie die Schuldeputation als kommunales Organ der staatlichen Schulaufsichtsbehörde handelte. Dem Kreisschulinspektor war allein die Feststellung des Schulhaushalts, die Bewilligung der für die Schule erforderlichen Mittel, die Verwaltung des Schulvermögens, die vermögensrechtliche Vertretung nach außen und die Anstellung der Beamten vorbehalten. 191 Wenn einmal die Hürde der Bestä188 Vgl. Neues Charlottenburger Intelligenzblatt, Nr. 61, Ausgabe vom 17. April 1880; Nr. 126, Ausgabe vom 12. August 1880 u. Nr. 129, Ausgabe vom 17. August 1880. 189 Vgl. beispielsweise den Bescheid des Ministers von Studt an die Vorortsvertretung in Charlottenburg vom 31. August 1906. GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757, Nr. 2, Bd.4. 190 Vgl. Max Dirksen, Schullasten (Volksschule), in: WBdSVR, Bd. 3, S. 382 f.; Ziehen, Schulwesen, S. 698 f. 191 § 43, Abschnitt 5, Volksschulunterhaltungsgesetz, 1906. GS 1906, S. 350 f. Auf der Grundlage des positiven Rechts ist es falsch, wie Neugebauer in Schule und Schulwirklichkeit. Zweieinhalb Jahrhunderte Schulwirklichkeit in der Residenzund Großstadt Charlottenburg, in: Von der Residenz zur City. 275 Jahre Charlottenburg, hrsg. von W. Ribbe, Berlin 1980, S. 139 ausführt, einen Gegensatz zwischen dem städtischen Patronatsrecht und staatlichen Eingriffen in die Volksschulverwaltung zu konstruieren. Die Kommunalverwaltung war auf dem Gebiet der Schuladministration nicht autonom, sondern Bestandteil der staatlichen Verwaltung und insbesondere in den inneren Schulangelegenheiten an die Weisungen der Schulaufsichts-

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tigung genommen war, mußte damit nicht ein auf Dauer konfliktfreies Verhältnis zu den Staatsbehörden konstituiert sein. Die Staatsaufsicht schloß ferner die Beobachtung des politischen Verhaltens der gewählten Kommunalbeamten, vor allem der Magistratsdirigenten, ein. Die Auszeichnung eines Kommunalpolitikers wurde staatlicherseits beispielsweise bewußt instrumentell eingesetzt, um Einfluß auf das politische Kräfteverhältnis oder zumindest Rücksicht auf konservative Minderheiten vor Ort zu nehmen. 192 Ehrenbezeugungen setzten nach Regierungsansicht stets eine "staatstreue" politische Gesinnung oder zumindest ein nach außen hin erkennbares staatstreues Verhalten voraus, selbst wenn die fachlichen Leistungen allemal eine Auszeichnung rechtfertigten. Im späteren Kaiserreich, als es selbst linksliberalen Kommunalbeamten nicht verwehrt war, in das Amt des Magistratsdirigenten einzurücken, verhinderte das Bündnis von Staatsbürokratie und stadtbürgerlich dominierten Kommunalkörperschaften den Zugang der Sozialdemokratie zur kommunalen Exekutive. Allein der Einzug in die Gemeinderepräsentationen stand den Sozialdemokraten offen. Die Annahme des Eulenburgschen Städteordnungsentwurf von 1876 hätte ohne Zweifel, da das Gesetz die Aufhebung der Bestätigung für die Stadträte vorsah, in vielen Kommunen eine andere kommunal politische Entwicklung oder zumindest teilweise eine breitere politische Zusammensetzung der Magistratskollegien unter Einschluß der Sozialdemokraten nach sich gezogen. So aber mußten sozialdemokratische Kommunalpolitiker bis in die Zeit des Ersten Weltkriegs warten, ehe sie in Stadtratsstellen gewählt werden konnten. Die Staatsregierung war in dieser Situation sicherlich von der Leichtigkeit überrascht, mit der Sozialdemokraten den Staatsdienereid leisteten und sich bereit erklärten, "die aus diesem Eide übernommenen Pflichten gegen das Amt und gegen die Verfassung behörden gebunden. Vgl. Ziehen, Schulwesen, S. 703. Ebenso unhaltbar ist Preuß' Versuch, die Schulverwaltung als Gebiet ministerieller Willkür darzustellen und eine eigenständige Kompetenz der Stadtgemeinden im Schulwesen auf der Grundlage des älteren Städterechts zu behaupten. Vgl. Amtsrecht, S. 235 ff. 192 Vgl. hierzu die Beispiele der Berliner Vorortsbürgermeister Fritsche und Schustehrus. GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757, Nr. 2, Bd. 3; BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Pers, Nr. 5325/1, Bd. 1, BI. 10. Während der Debatte über die beantragte Einführung des geheimen Wahlverfahrens hatte Robert von Puttkarner im Dezember 1883 vor dem Abgeordnetenhaus erklärt, daß keinem Beamten wegen seines Abstimmungsverhaltens ein Nachteil entstehen, aber kein Beamter sich der Illusion hingeben sollte, daß die Regierung ihm bei fortwährender Opposition Vorteile zuwenden werde, deren freie Verfügung gesetzlich in ihrer Hand liege. Auf die Kritik, daß damit die den Beamten garantierte Wahlfreiheit eingeschränkt werden würde, präzisierte von Puttkarner seine Auffassung dahingehend, daß er nur die "Agitation und notorische Stellungnahme gegen die Regierung" bei der Entscheidung über Vertrauensbeweise negativ zu berücksichtigen gedenke. Reden von Puttkarner, PAH, 6. u. 14. Dezember 1883. StBPAH, 15. LP, 2. Sess. 1883/84, Bd. 1, S. 234 u. 435 f. 52 Grzywatz

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gewissenhaft zu erfüllen, insbesondere sich während der Dauer seines Amtes jeder Bekämpfung der bestehenden Staatsordnung zu enthalten und auch in formeller Hinsicht die üblichen Ehrenbezeugungen für den Landesherrn nicht durch sein Verhalten zu stören".193 Wenn die Gemeinden nach dieser Liberalisierung geglaubt hatten, unter Hinweis auf die Städteordnung und ihre Ausführungsinstruktion, die für den Antrag der Wahlbestätigung keinen Bericht über das politische Parteiverhältnis des Gewählten forderte, allgemein bei der staatlichen Bestätigung von jeder Erklärung über die Parteizugehörigkeit eines gewählten Stadtrats absehen zu können, sahen sie sich getäuscht. 194 Die Regierungsbürokratie bestand darauf, zumindest "gewisse formelle Verpflichtungen" von gewählten Sozialdemokraten einzuholen. Die politisch offenere Bestätigungspraxis war dem Staat unter dem Zwang äußerer Bedrängnis abgetrotzt worden. Da der erklärte staatliche Willen fehlte, war das Zugeständnis kaum geeignet, integrative Impulse zu entwickeln. Im Falle der Kommunalisierung der Polizei und des Bestätigungsrechts für die leitenden Gemeindebeamten standen die Städte in einer Konfrontation mit dem Staat, die ihre Dynamik einerseits durch die Tendenz der Selbstverwaltung erhielt, den Gemeindeangelegenheiten einen autonomen Status zuzusprechen und sie in ihrem Umfang möglichst weit auszudehnen, andererseits durch das Bemühen, die staatliche Bindung der Kommunen zu garantieren. Im einzelnen war es häufig unerheblich, welche Seite den Ausschlag gab, da der staatlich-kommunale Konflikt strukturell in der rechtlichen Konstruktion des Verhältnisses von Staat und Gemeinde angelegt war. Dieses Verhältnis mochte mitunter durch politische Spannungen überlagert werden, weil nicht zuletzt die Großstädte Hochburgen des organisierten antigouvermentalen Liberalismus, aber auch der Sozialdemokratie bildeten, von wesentlicher Bedeutung für die politische Entwicklung waren sie nicht, denn die Kommunen wurden ebensowenig wie die Selbstverwaltung zum Vehikel der Demokratisierung. Die in Berlin politisch dominanten Liberalen dachten weder daran, ihre lokale Machtbasis durch die Unterstützung einer demokratisierenden Wahlrechtsreform aufzugeben, noch ihre Teilnahme an der Ausgrenzung der Sozialdemokratie aufzukündigen. Da der politische Status quo in der Kom193 Verfügung des Potsdamer Regierungspräsidenten von Schwerin, 15. März 1916. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3508, BI. 47 u. 52. Über die allgemeine Handhabung der beamtenrechtlichen Pflicht zur politischen Treue im Ersten Weltkrieg vg1. Rejewski, Pflicht, S. 142 ff. 194 Beispielhaft entsprechende Verfahren im Berliner Vorort Charlottenburg. Siehe die entsprechenden Magistratsberichte und Regierungsverfügungen vom 3. und 11. Juli 1917. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3508, BI. 83 u. 86 ff. StBCh 1917, S. 101; 1918, S. 3.

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mune von staatlicher Seite nicht in Frage gestellt wurde, waren in partizipatori scher Perspektive allenfalls Korrekturen angesagt, die seine Kontinuität wiederherstellten. In diesem Zusammenhang muß sowohl die Wahlrechtsreform der neunziger Jahre erwähnt werden, welche die politisch-partizipativen Konsequenzen der Steuerreform rückgängig machen sollte, als auch die Reform der kommunalen Wahlbezirkseinteilung, die nicht allein ein hauptstädtisches Problem war, hier aber besonders dramatisch verlief. Die Initiative des Gesetzgebers bzw. der staatlichen Kommunalaufsicht diente in bei den Fällen dem Ausgleich der Teilhabechancen auf der Grundlage des bestehenden Rechts. Im Falle der lokalen Wahlbezirke, auf die jetzt eingegangen werden soll, spielten die staatlichen Aufsichtsrechte eine wichtige Rolle.

3. Die Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention Der Eulenburgsche Städteordnungsentwurf von 1876 hatte am staatlichen Auflösungsrecht gegenüber den Gemeindevertretungen festgehalten. Die Auflösung einer Stadtverordneten-Versammlung sollte entsprechend den geltenden Regelungen des Städterechts eine landesherrliche Verordnung auf Antrag des Staatsministeriums voraussetzen. Wie im Entwurf von 1861 verzichtete die Staatsregierung in der neuerlichen Regierungsvorlage auf die Möglichkeit, für die Zeit bis zur Einführung der neu gewählten Vertreter eine kommissarische Vertretung der Stadtverordneten durch Beauftragte des Innenministeriums anzuordnen. Nicht der Magistrat sollte die Geschäfte der Gemeindevertretung weiterführen, wie noch 1861 vorgeschlagen, sondern, soweit die laufende Verwaltung von der Zustimmung der Stadtverordneten abhängig war, der Bezirksrat an seine Stelle treten. 195 Obwohl eine ähnliche Bestimmung in sämtlichen preußischen Städteordnungen sowie in der Kreis- und Provinzialordnung enthalten war, schlug die 16. Kommission des Abgeordnetenhauses vor, die Bestimmung aufzuheben. Die Kommission sah keinen praktischen Nutzen in einer solchen Regelung, sowohl wegen der Seltenheit der Anwendung als auch der Tatsache, daß in den meisten Fällen dieselben Stadtverordneten wiedergewählt wurden. Möglicherweise konnte eine Auflösungsverordnung, so die Befürchtung der Kommissionsmajorität, zu einem "plötzlichen Stillstand" auf allen Verwaltungsgebieten des Gemeindelebens führen. Auf jeden Fall war von einer nicht zu rechtfertigenden Rückwirkung auf die Verwaltungsdeputationen auszugehen. 196 Das Abgeordnetenhaus nahm den Kommissionsvor195 § 125, Tit. 9, StOEntw, 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S. 647. 196 KomBer Haken, 13. Mai 1876. A.a.O., Bd. 3, AS Nr. 231, S. 1501.

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schlag ohne weitere Diskussion an, obwohl Regierungskommissar Wohlers signalisierte, daß die Staatsregierung mit seiner einfachen Streichung nicht einverstanden wäre. 197 Das Herrenhaus stellte anschließend die Auflösungsregelung des Regierungsentwurfs wieder her. 198 Nachdem der letzte Versuch einer Reform des Städterechts an den unüberbrückbaren Gegensätzen in beiden Häusern des Landtags, die weit in die Reihen konservativer und liberaler Repräsentanten städtischer Gemeinden hineinreichten, gescheitert war, setzte das Zuständigkeitsgesetz in Anlehnung an den Städteordnungsentwurf den Beschluß des Bezirksausschusses an die Stelle der aufgelösten Gemeindevertretung. 199 Wenn auch mit dieser Regelung die Befugnisse der eingesetzten staatlichen Kommissare zugunsten eines regionalen Kommunalorgans beschnitten wurden,2oo erfuhr das unbeschränkte Auflösungsrecht des Staates auf diese Weise keine Einschränkung. Von staatlicher Seite war unbestritten, daß eine so einschneidende Maßregel wie die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung nur in Frage kam, wenn die Beseitigung eines ungewöhnlichen Notstandes die Auflösung dringend erforderte. Einen solchen Notstand sah die Ministerialbürokratie durch die dauernde Vernachlässigung der Stadtverordnetenpflichten 201 oder durch die Bedrohung der öffentlichen Sicherheit202 gegeben. Das staatliche Auflösungsrecht, das in der Weimarer Republik uneingeschränkt fortbestand, nur daß anstelle der königlichen Verordnung die alleinige Entscheidung des Staatsministeriums trat,203 erhielt in Berlin während 197 Rede Wohlers. PAH, 29. Mai 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1868. 198 AIPHH, Sess. 1876, Bd. 2, AS Nr. 109, S. 591 f.; StBPHH, Sess. 1876, Bd. I, S.423. 199 § 17, Abs. 1, Ziff. 3, Tit. 4, ZG 1883. GS 1883, S. 24l. 200 Die noch unter dem Eindruck der Reformversuche zu Beginn der sechziger Jahre stehende Städteordnung für Schleswig-Holstein übertrug dem Magistrat die Funktionen der aufgelösten Gemeindevertretung unter ausdrücklichem Ausschluß neuer Ausgabebewilligungen. § 65, Tit. 6, Gesetz, betreffend die Verfassung und Verwaltung der Städte und Flecken der Provinz Schleswig-Holstein vom 14. April 1869. GS 1869, S. 607. Während der Vorberatungen war nur die Forderung erhoben worden, für die Übergangszeit, das heißt bis zur Abhaltung der Neuwahlen, die Erledigung nicht dringender Aufgaben auf sich beruhen zu lassen. Die Staatsregierung hatte jedoch von einer entsprechenden Regelung abgesehen, da sie den Begriff der Dringlichkeit für zu unbestimmt hielt und er gegebenenfalls zum Nachteil einer geordneten Fortführung der Kommunalverwaltung mißbraucht werden konnte. Motive zum § 65, RegEntw, Städteordnung für Schleswig-Holstein. AIPAH, 10. LP, 2. Sess. 1868/69, Bd. 2, AS Nr. 110, S. 854. 201 Oertel, Städte-Ordnung, 3. Aufl., S. 572. 202 Matthias, Selbstverwaltung, S. 9l. Vgl. auch Stier-Soml0, Städterecht, S. 346. 203 Vgl. Hans Helfritz, Grundriß des preußischen Kommunalrechts (= Die Selbstverwaltung in Wissenschaft und Praxis, H. 2), Berlin 1927, S. 37 f. Stier-Soml0,

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der zweiten Hälfte der siebziger und zu Beginn der achtziger Jahre eine überraschende politische Bedeutung. Die Frage, ob die staatliche Auflösungsbefugnis auch bei einer notwendigen Neueinteilung der Kommunalwahlbezirke angewandt werden durfte, geriet nicht nur zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen innerhalb der Kommunalkörperschaften, sondern brachte die Stadt auch in einen scharfen Gegensatz zu den staatlichen Aufsichtsbehörden. Die allgemeine Bevölkerungsentwicklung Berlins, der innerstädtische demographische Wandel und die soziale Segregation hatten schon in den vierziger Jahren zu einer weitgehenden Ungleichheit der Einwohnerdichte sowie der Verteilung der Steuerklassen in den einzelnen kommunalen Wahlbezirken geführt, in deren Folge es zu erheblichen Disproportionalitäten des Wahlrechts gekommen war. 204 Die Tendenz, daß der individuelle Stimmwert auf Grund einer örtlich unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung immer stärker von der persönlichen Wohnsitznahme innerhalb der Stadt abhängig wurde, setzte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verschärft fort. Die Gemeindeordnung von 1850 hatte im Anschluß an das ältere revidierte Kommunalrecht die Zahl der Stadtverordnetenmandate auf 12 bis 60 festgelegt. Die Höchstzahl von 60 Mandaten war für Städte vorgesehen, die zwischen 90 und 120000 Einwohner aufwiesen. In noch größeren Stadtgemeinden sollten für jeweils weitere 50000 Einwohner sechs Mandate eingerichtet werden. Die Landeshauptstadt hätte insofern mit einer Reduzierung der Mandate im zukünftigen Gemeinderat auf 66, im günstigsten Fall auf 72 rechnen müssen, wenn nicht gleichzeitig bestimmt worden wäre, daß die bestehenden Mandate in den Städten aufrechterhalten werden konnten?05 Der Bevölkerungsschlüssel pro Mandat lag bei zirka 2000 bzw. 8000 Personen. Die Einrichtung von Kommunalwahlbezirken war für den Fall vorgesehen, daß die Wahlkörper der einzelnen Abteilungen sich aus mehr als 500 Wählern zusammensetzten. Der Berliner Magistrat nutzte die Einführung der Gemeindeordnung als Gelegenheit, um für eine bevölkerungsmäßig ausgeglichenere Gestaltung der Wahlbezirke zu sorgen. Da der Umfang der Wahlkörper in den einzelnen Wählerklassen erheblich voneinander abwich, wollte die kommunale Exekutive nicht für sämtliche Abteilungen die gleiche Anzahl von Wahlbezirken einrichten. Für die erste Wählerklasse wurde acht, für die zweite siebzehn und die dritte Abteilung 34 Gemeindewahlbezirke geschaffen?06 Der Umfang der Wahlkörper differierte auf diese Weise in den einzelnen Wählerklassen in einem vertretbaren Maß. In Handbuch des kommunalen Verfassungsrechts in Preußen, 2Mannheim u. a. 1928, S. 311 f. 204 Vgl. die Tab. 18 bis 21 im Stat. Anhang. 205 § 10, Tit. 2, GO 1850. GS 1850, S. 216 f.

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der ersten Klasse entfielen auf die einzelnen Wahlbezirke zwischen 183 und 204 Wähler, in der zweiten Abteilung waren es zwischen 304 und 343, in der dritten Abteilung zwischen 381 und 436 Stimmberechtigte. Da die Mandate in gleichem Maße auf die Wählerklassen zu verteilen waren, gab es in der dritten Abteilung ausschließlich Einerwahlkreise, in der zweiten Abteilung Zweier- und in der ersten Abteilung neben einem einzelnen Zweier- nur Viererwahlkreise. Die Berliner Kommunalwahlen wurden demnach zu Beginn der fünfziger Jahre in jeder Wählerklasse nach einer unterschiedlichen Wahlbezirkseinteilung vorgenommen. Die Isolierung der Abteilungen mußte man gezwungenermaßen hinnehmen. Dieses desintegrative Moment wurde in der Kommunalvertretung als schwerwiegender Nachteil empfunden. Der Magistrat richtete im Anschluß an die Einführung des novellierten Kommunalrechts im Jahre 1854 einheitliche Wahlbezirke für alle Wählerklassen ein. In rechtlicher Hinsicht hatte es keine Änderungen gegeben. Die Regelungen zur Mandatsverteilung und Größe der Wahlkörper waren ohne Änderung in die Städteordnung von 1853 übernommen worden. Die angestrebte Herstellung eines größeren sozialen Zusammenhangs zwischen den Wählerklassen wurde jedoch mit einer außerordentlichen Streuung des Stimmengewichts erkauft. In den 34 Einerwahlkreisen der drei Abteilungen schwankte der Wählerschlüssel pro Mandat zwischen 28 und 214 Wählern in der ersten, 93 und 385 in der zweiten sowie 418 und 1875 Wahlberechtigten in der dritten Abteilung. Im Vormärz war der Abschluß der Eingemeindungsverhandlungen zum Zeitpunkt einer allgemeinen Revision der Wahlbezirkseinteilung erklärt worden. 207 Als im Sommer 1860 die Eingemeindung unmittelbar bevorstand, zeigte die Kommunalvertretung kein Interesse an einer raschen Lösung des Problems. Nur der Magistrat fühlte sich verpflichtet, die Ausübung des Wahlrechts in den neuen Stadtbezirken zu garantieren. Die Stadtverordneten beriefen sich auf die Ergebnisse der Volkszählung von 1858, die für das neue Stadtgebiet eine Bevölkerungsziffer von knapp 470000 Einwohnern ermittelt hatte. Nach dem Bevölkerungsschlüssel der Städteordnung war die Stadt Berlin mithin durch die amtierenden 102 Stadtverordneten ausreichend repräsentiert. Es konnte nur noch darauf ankommen, die neuen Stadtteile in die bestehenden Kommunalwahlkreise zu integrieren?08 Der Bevölkerungsstand hatte sich jedoch, wie der Magistrat 206 Vgl. dazu im folgenden Protokoll der Stadtverordneten-Subkommission zur Begutachtung der Wahlbezirkseinteilung in Berlin, 21. April 1866. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 80. 207 Vgl. Kap. 5, Unterabschnitt 3. 208 Schreiben des Magistrats an die Stadtverordneten-Versammlung, 22. Mai 1862. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 14 ff.

3. Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention 803

darlegte, einerseits bis 1861 auf rund 522000 Einwohner erhöht, andererseits ließ sich ein Teil der neuen Stadtteile auf Grund der bei den anstehenden Ergänzungswahlen zum Zuge kommenden Stadtgebiete nicht an die älteren Kommunalwahlbezirke anbinden. Der Magistrat veranlaßte daher die Bildung von zwei neuen Wahlbezirken. Gleichzeitig wurde die Zahl der Stadtverordnetenmandate um sechs erhöht. Eine generelle Umgestaltung der Kommunalwahlbezirke hielt die kommunale Exekutive im übrigen nicht für opportun, da mit einer Revision der Städteordnung zu rechnen war. 209 Die Frage der Wahlgerechtigkeit war damit erneut auf ungewisse Zeit verschoben worden. Der Magistrat hatte mit der Erhöhung der Zahl der Mandate unterdessen eine Möglichkeit gezeigt, die zukünftig von den Stadtverordneten als Lösung der Wahlrechtsdisproportionalitäten aufgegriffen werden sollte. In den folgenden Jahren war der Magistrat mehr damit beschäftigt, den Wahlrechtszensus auf die Grundlage der Einkommensermittlung umzustellen und damit die Einschätzung nach fiktiven Mietsteuersätzen im Einvernehmen mit der Kommunalvertretung abzulösen, als sich mit der Neuordnung der Kommunalwahlbezirke auseinanderzusetzen. Erst Anfang März 1866 legte die kommunale Exekutive eine neue Einteilung der Wahlbezirke vor,2lO die zwar die größten Disproportionalitäten aufhob, aber nicht einen befriedigenden Ausgleich der Stimmengewichtung herstellte. Das wurde schon allein dadurch deutlich, daß es zwischen den einzelnen Wahlbezirken Bevölkerungsdifferenzen gab, die bei 30000 Einwohnern lagen. Wenn die Wahlberechtigtenzahlen zum Vergleich herangezogen werden, bestätigt sich die Vermutung, daß die Magistratsinitiative keine entscheidende Verbesserung der Wahlgerechtigkeit brachte. In der dritten Wählerklasse schwankte die Zahl der Wahlberechtigten pro Bezirk mit Ziffern zwischen 400 und 4653 ebenso erheblich wie in der ersten und zweiten Abteilung, in denen auf die Gemeindewahlbezirke zwischen 18 und 197 bzw. zwischen 126 und 524 Wähler kamen?!! Solange das Dreiklassenwahlsystem beibehalten wurde, waren die Disproportionalitäten des Stimmrechts nur zu beseitigen, wenn man zu einer klassenspezifischen Wahlbezirkseinteilung zurückkehrte. D.h. der Magistrat mußte erneut, wie es bei der Einführung der Gemeindeordnung geschehen war, für die drei Wählerklassen unterschiedliche Kommunalwahlbezirke einrichten. Bei der dreifachen Einteilung des Stadtgebiets konnte der aus der Wahlberechtigtenziffer ermittelte Klassendurchschnitt den Maßstab für die Abgrenzung Siehe dazu Kap. 6, Unterabschnitt 6. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1240, BI. 54 u. 93. 211 Vgl. dazu den Antrag Streckfuß, Gneist, Virchow vom 15. Dezember 1868. Außerordentliche Vorlage, StVVersBln, Nr. 50a, 16. Dezember 1868, S. 1-3. Vorhanden in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1240, BI. 127 f. 209

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der Wahlbezirke bilden. Folglich ließ sich auch eine numerische Gleichheit der Wahlkörperschaften innerhalb der einzelnen Wählerklassen erreichen sowie eine auf der Stimmengleichheit beruhende Dreiklassenwahl in Berlin ausführen. Die abteilungsspezifische Wahlbezirkseinteilung konnte jedoch nicht die allgemeine Tendenz des Klassenwahlsystems aufheben, daß sich das Stimmengewicht bei steigenden Wählerzahlen zu Gunsten der ersten und zweiten Wählerklasse verschob. Die Zersplitterung der Wählerschaft in unterschiedliche Bezirkssysteme kam für die Kommunalkörperschaften nicht mehr in Frage. An einer grundlegenden Revision des Bezirkssystems war man weiterhin wenig interessiert. Die Gemeindevertretung nahm die vom Magistrat vorgelegte Wahlbezirkseinteilung zur Kenntnis und sah von jeder weiteren Initiative ab,z12 Allein Adolph Streckfuß wollte sich nicht mit der ungerechten Wahlbezirkseinteilung abfinden. Er stellte den Antrag, auf der Basis einer revidierten Wahlbezirkseinteilung über die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung und die Ansetzung von Neuwahlen zu beraten. Nach Streckfuß' Ansicht sollte die Auflösung der Kommunalvertretung durch staatliche Verordnung erfolgen, gleichzeitig den amtierenden Stadtverordneten bis zur Konstituierung der neuen Versammlung die kommissarische Leitung der Verwaltungsgeschäfte übergeben werden. 213 Streckfuß setzte sich auch mit den politischen Bedenken gegen die Auflösung der Gemeindevertretung auseinander. Die Furcht des Kommunalliberalismus, die Staatsregierung könnte die Auflösung nutzen, um die fortschrittliche Majorität in der Stadtverordneten-Versammlung zu beseitigen, hielt Streckfuß für ebenso unbegründet wie die Vermutung, das Innenministerium würde nicht die bisherigen Kommunalvertreter, sondern "beliebige, in ihrem Sinne erwählte" Gemeindemitglieder mit der kommissarischen Übernahme der Stadtverordnetenfunktionen beauftragen. Wenn es im Interesse des Ministeriums Bismarck gelegen hätte, eine politisch nicht genehme Gemeindevertretung zu zerschlagen, wäre eine entsprechende Maßnahme seitens des Staates schon längst erfolgt. Das in die Städteordnung aufgenommene Auflösungsrecht stand dem Staat "in jedem Augenblick" zu. "Welche Ansicht man auch über das gegenwärtige Ministerium haben mag", so der streitbare Liberaldemokrat, "daß es nicht den Muth besitze, einen solchen Schritt zu thun, daß es aus besonderen zarten Rücksichten auf die Interessen der Bürger ohne Anträge der Stadtverordneten nicht vorzugehen wage, ist wohl niemand berechtigt".214 Doch selbst 212 Mit dem erwähnten Antrag Streckfuß wurde allerdings nach 1861 nochmals der Antrag auf eine Landtagspetition gestellt, die für die Aufhebung des Klassensystems bei den Kommunalwahlen eintrat. 213 Streckfuß, Bericht, S. 7. 214 A. a. 0., 1. Beilage.

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wenn die Staatsregierung die Absicht verfolgte, Einfluß auf die politische Zusammensetzung der Kommunalvertretung zu nehmen, und der Ausgang der Wahlen in völlig veränderten Wahlbezirken nicht einzuschätzen war, wollte Streckfuß nicht von seinem Vorschlag absehen. Die "Wiederherstellung des Wahlrechts" für einen erheblichen Teil der Bürgerschaft mußte Priorität haben. Der Verlust der linksliberalen Majorität lieferte nach Streckfuß nur den Beweis dafür, daß die Bürgerschaft in der bisherigen Stadtverordneten-Versammlung nicht ihre Vertretung gefunden hatte. Die politische Aufrichtigkeit des zum linken Flügel der Fortschrittspartei gehörenden Streckfuß war bemerkenswert, seine Interpretation der staatlichen Handlungsdisposition im Falle der Auflösungsbefugnis blieb rechtlich jedoch umstritten. Streckfuß verharrte mit seiner Initiative in völliger Isolation. Unterdessen mehrten sich in der Bürgerschaft zwischenzeitlich die Stimmen, die mit der bestehenden Wahlbezirkseinteilung unzufrieden waren und eine Aufhebung der daraus resultierenden Ungerechtigkeiten der Stimmengewichtung forderten?15 Auf das Verlangen des Stadtbürgertums reagierte die Kommunalvertretung mit dem Vorschlag, die Zahl der Stadtverordnetenmandate analog zur Bevölkerungsentwicklung zu erhöhen. Zunächst beantragte der Stadtverordnete Löwinson, der in der Märzrevolution ein führendes Mitglied des Demokratischen Klubs gewesen war, Ende März 1866 die Mandate gemäß dem kommunalrechtlichen Bevölkerungschlüssel auf 114 zu erhöhen,216 Anfang Mai empfahl die eingesetzte Deputation der Kommunalvertretung die Einrichtung von insgesamt zwölf weiteren Stadtverordnetensitzen, so daß die Bürgerschaft zukünftig durch 120 Repräsentanten vertreten war. 217 Im Februar 1869 stellte Ernst Bruch in einer ausführlichen Studie zu den Berliner Kommunalwahlen fest, daß die bestehende Organisation der Wahlbezirke die wählende Bürgerschaft atomisiere, während das System der Ergänzungswahlen vollkommen willkürliche Wahlkörper konstituierte?18 Der Mitarbeiter im Statistischen Büro der Stadt empfahl die viel zu kleinen Wahlbezirke aufzulösen und große, einheitliche Wahlkörper herzustellen. Nach Bruchs Vorstellung sollten zwölf Wahlbezirke mit je drei Abteilungen gebildet werden. In jedem Wahlbezirk mußten folglich neun Stadtverordnete gewählt werden, es handelte sich im Grunde genommen aber um 215 Vgl. die Eingabe des Vereins der neuen Stadtbezirke 23 bis 28 und 36 vom 24. März und 13. April 1866. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 64-68 u. 7376. Die Petition der Stadtbezirke 137-141 vom 16. April 1867, a. a. 0., BI. 105109, sowie die Eingabe des Vorstands des Friedrichsstädtischen Bezirksvereins vom 13. Oktober 1867, a.a.O., BI. 116-122. 216 Antrag vom 29. März 1866. A.a.O., BI. 59. 217 V gl. das Ausschußprotokoll vom 1. Mai 1866. A. a. 0., BI. 85 f. 218 Bruch, Gemeindewahlen, S. 121 ff.

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Dreierwahlkreise, weil jede Abteilung für sich wählte. Da nach Bruchs Untersuchung die disproportionale Verteilung der Wahlberechtigten im wesentlichen durch die große Anzahl der Wahlbezirke und die dabei nicht zu vermeidenden sozialen Unterschiede verursacht waren, sollten die Wahlbezirke in stärkerem Maße aus inneren und äußeren Stadtgebieten zusammengesetzt werden. Jeder Wahlbezirk mußte gewissermaßen einen Kreissektor aus dem gesamten Weichbild für sich in Anspruch nehmen, dessen Mittelpunkt im inneren Stadtgebiet lag und sich mit seinen Ausläufern bis an die städtische Peripherie erstreckte. Bruch hielt das von ihm vorgeschlagene System auch auf der Grundlage von nur neun Wahlbezirken für durchführbar. Stadtrat Ullmann setzte sich im Jahre 1872 gegen die Majorität der kommunalen Exekutive für die Rückkehr zum Prinzip klassenabhängiger Wahlbezirke ein, wie sie unter der Gemeindeordnung bestanden hatten?19 Sämtliche Vorschläge und Anträge zeitigten keine konkreten Folgen. Die Ausführung der erforderlichen Neueinteilung sollte noch über ein Jahrzehnt auf sich warten lassen. Im Juli 1872 stellte der Magistrat fest, daß die erst Mitte Februar einberufene gemischte Deputation trotz wiederholter Konferenzen zu keinem positiven Ergebnis gekommen war. Sämtliche Vorschläge der kommunalen Exekutive hatten die Stadtverordneten von der Einrichtung neuer Mandate abhängig gemacht. 22o Der Magistrat zeigte sich weniger an einer Vergrößerung der Gemeinderepräsentation als an einer Revision der Wahlbezirkseinteilung interessiert. Die in der Stadtverordneten-Versammlung geäußerte Überlegung, der Umfang der Aufgaben, vor allem im administrativen Bereich, würde die Vermehrung der Mandate notwendig machen, teilte der Magistrat nicht. Das Kommunalrecht hatte das Amt des Bürgerdeputierten geschaffen und gegebenenfalls geWährte es die Möglichkeit, für einzelne Aufgaben im Bereich der unmittelbaren Verwaltung Deputierte aus der Bürgerschaft zu gewinnen. Dieser Auffassung konnten, wie das Beispiel des Reichstagsabgeordneten Wulfshein unterstrich,22I liberale Kommunalvertreter durchaus folgen. Es zeigte sich indessen, daß der Magistrat die strittige Frage der Mandatsvermehrung nur benutzte, um die Wahlbezirksrevision zu verzögern. Auf einen Kompromißvorschlag Wulfsheins, der sich als vortragender Rat im Innenministerium den Nationalliberalen angeschlossen hatte, in der 13. Legislaturperiode des Reichstags aber zur Fortschrittspartei wechseln sollte, reagierte die kommunale Exekutive ausweichend. Wulfshein wollte die Frage der Mandatsvermehrung auf sich beruhen lassen, den Magistrat 219 Bericht der Subkommission des Magistrats, 12. Juni 1875. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1240, Bi. 208. 220 Extrakt des Sitzungsprotokolls der Kommunalvertretung, 25. Juli 1872. A. a. 0., Bi. 77. 221 Vgi. den Bericht Wulfsheins vom 9. April 1874. A.a.O., Bi. 185 f.

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aber auffordern, in gemischter Deputation über die Vorschläge zur Wahlbezirksrevision zu beraten?22 Der Magistrat stellte die Wahlbezirksreform nunmehr in einen Zusammenhang mit der zu erwartenden neuen Provinzialund Kommunalordnung, die eine Neuordnung der städtischen Verhältnisse Berlins nach sich ziehen mußte. 223 Er bezweifelte, ob außerhalb des Auflösungsverfahrens überhaupt eine Änderung der Wahlbezirkseinteilung möglich war, da das Kommunalrecht bestimmte, daß sämtliche Ergänzungsund Ersatzwahlen von "denselben Abteilungen und Wahlbezirken" vorgenommen werden mußte, denen die ausgeschiedenen Stadtverordneten angehört hatten?24 Im übrigen erinnerte der Magistrat daran, daß die Festsetzung der Anzahl und Grenzen der Wahlbezirke sowie die Mandatszuweisungen ausschließlich in der Kompetenz der kommunalen Exekutive lag. 225 Die vom Magistrat eingesetzte Subkommission, der mit den Stadträten Runge und Loewe zwei Mitglieder der Fortschrittspartei und mit Max Weber, dem Vater der Soziologen Alfred und Max Weber, ein führendes Mitglied der Nationalliberalen angehörte, bezweifelte, ob es in der Reichshauptstadt überhaupt möglich war, die nach dem Steueraufkommen vorzunehmende Teilung der Wahlberechtigten in Wählerklassen mit ihrer lokalen Abgrenzung nach Wahlbezirken zu vereinbaren. In einer Großstadt unterlag die Zahl und das Wahlrecht der Wähler dauernden Schwankungen. Grundsätzlich schienen nur palliative Korrekturen möglich zu sein, wie etwa durch die Rückkehr zu klassenspezifischen Wahlbezirken oder die Konstituierung der im Zuge der anvisierten Verwaltungsdezentralisation eingerichteten Administrationsdistrikte als "Ortschaften", so daß die Steuerdrittelung für jeden der Distrikte getrennt vorgenommen werden konnte. 226 Bei dem anhaltenden Bevölkerungswachstum Berlins mußte nach kurzer Zeit mit erneuten Stimmrechtsschwankungen gerechnet werden. Die Kommission riet deshalb nach "Lage der gegenwärtigen Gesetzgebung" von jeder Reform der Wahlbezirkseinteilung ab. Die Haltung des Magistrats widersprach nicht nur seiner gesetzlichen Verpflichtung, die Wahlbezirke nach dem Maßstab der Wählerzahlen zu bilden, sondern er ignorierte auch die wiederholten Anträge einzelner Bezirksvereine, die örtliche Ungleichheit des Kommunalwahlrechts aufzuheben. Berichte Wulfsheins vom 9. April und 7. Mai 1874. A.a.O., BI. 186 u. 191. Zur Frage des Kommunalwahlrechts im Zuge der schließlich gescheiterten Novellierung der Städteordnung in den siebziger Jahren vgl. Kap. 9, Unterabschnitt 1. 224 Rede Stadtrat Schreiner. StVVersBln, 9. April 1874. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1240, BI. 186. 225 Vgl. das Schreiben des Magistrats vom 10. August 1874. A.a.O., BI. 199. Der Magistrat bezieht sich hier auf den § 14, Tit. 2, StO 1853. OS 1853, S. 268. 226 Protokoll der Kommissionssitzung vom 12. Juni 1875. LAB, StA Rep. 00-02/ 1, Nr. 1240, BI. 208-210. 222 223

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Die Übersendung des Kommissionsprotokolls an die StadtverordnetenVersammlung löste Ende Juni 1875 eine Grundsatzdebatte der Kommunalvertreter aus, die, da man die Gesetzesinitiativen der Staatsregierung zum Kommunalrecht abwarten wollte, Mitte Januar des nächsten Jahres fortgesetzt wurde. Eugen Richter konfrontierte die Stadtverordneten mit der Ansicht, daß sie schon seit Jahren nicht mehr als die von der Bürgerschaft legitimierten Gemeindevertreter fungierten. "Eine solche Ungerechtigkeit wie sie in Bezug auf die Bildung der Vertretung von Berlin besteht", betonte Richter, ,,(ist) nirgendwo vorhanden ... Die Städtischen Behörden haben die Verpflichtung, diesem Zustande ein Ende zu machen, und wenn sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen, so hat jeder Bürger das Recht zu verlangen, daß von Oberaufsichtswegen ein gerechter Zustand hergestellt wird".227 Der führende Linksliberale der Berliner Kommunalvertretung hatte schon im Juni 1875 für einen Auflösungsbeschluß der Stadtverordneten plädiert. In der anschließenden Januardebatte wiederholte er den Vorschlag, daß die Gemeindevertretung sich durch Beschluß selbst auflöste. 228 "Vergegenwärtigen Sie sich", bemerkte der Stadtverordnete Langerhans in der Gemeindevertretung zum Antrag Richters, "daß der kleinste Kommunalwahlbezirk, den wir haben, etwas über 4000 Seelen faßt und der größte Kommunalwahlbezirk über 80000 Seelen, und ... jeder von diesen Wahlbezirken wählt in jeder Abtheilung je einen Stadtverordneten. Wenn wir uns das lebhaft vergegenwärtigen, dann müssen wir uns eigentlich sagen, daß es doch sehr zweifelhaft ist, ob wir nach § 14 der Städteordnung hier mit wirklich rechtem Mandat sitzen; ja, es muß der Fußboden unter uns eigentlich so heiß werden, daß wir es nicht länger aushalten können.,,229 Richter monierte, daß die Mehrheit der Stadtverordneten aus Wahlkreisen kam, die verhältnismäßig zu stark vertreten waren, mithin "ein unberechtigtes Privilegium" genossen. Wenn auch nicht zu erwarten war, daß Majoritäten eine Wahlreform vornahmen, die gegen ihr eigenes Interesse verstieß, sollte die Stadtverordneten-Versammlung doch, so Richters Auffassung, durch die Auflösung und Neuwahl nach der erfolgten Reform der Kommunalwahlbezirke ihre Legitimität als Vertretung der Bürgerschaft zurückgewinnen. 23o Daß während der Interimsphase ein staatlicher Kommissar die Verwaltung leitete, bedeutete für Richter kein größeres Problem, da die Zeit zwischen Anordnung, Auflösung und Vollzug der Neuwahlen bei entsprechender Vorarbeit der städtischen Körperschaften "auf wenige Tage" verkürzt werden konnte?3l Rede Richter. StVVersBln, 13. Januar 1876. StBBln 1876, S. 16. Reden Richter. StVVersBln, 29. Juni 1875 u. 13. Januar 1876. StBBln 1875, S. 372; 1876, S. 16. 229 Rede Langerhans. StVVersBln, 13. Januar 1876. StBBln 1876, S. 10. 230 Rede Richter. StVVersBln, 13. Januar 1876. A.a.O., S. 13. 227 228

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Der Kompromißvorschlag von Richters Parteifreund Langerhans, nach einer Neueinteilung der Wahlbezirke, die der Magistrat alleine oder in Zusammenarbeit mit der Kommunalvertretung vornehmen konnte, den Antrag auf Auflösung der Gemeindevertretung zu stellen und gleich anschließend Neuwahlen anzuberaumen, wurde von der Stadtverordnetenmehrheit abgelehnt. Man verschob die Entscheidung und folgte dem Antrag auf Einsetzen einer gemischten Deputation zur weiteren Beratung der Wahlbezirksfrage. Langerhans war sogar bereit gewesen, im Falle einer Weigerung des Magistrats, der Auflösung beizupflichten, die Regierung zum Eingreifen aufzufordern. "Die Regierung kann keinen Augenblick zweifelhaft sein", so Langerhans, "bei diesen eklatanten Übelständen unserem Antrage zuzustimmen; sie muß es, wenn sie dem § 14 der Städteordnung irgendwie Rechnung tragen Will,,?32 Auf die Androhung staatlicher Intervention reagierte die Versammlung mit scharfem Widerspruch. Obwohl die Reform der Kommunalwahlbezirke seit mindestens zehn Jahren in der Schwebe war, glaubte die Mehrheit der Gemeindevertretung weiterhin abwarten zu müssen. Durch die angekündigte Novellierung der Städteordnung, die ein neues Wahlgesetz erwarten ließ, und den Plan für eine Provinz Berlin sah sich die Stadtverordnetenmehrheit in ihrer Haltung bestärkt. 233 Wenn in dieser Situation die städtischen Körperschaften in irgendeiner Form die Auflösung der Gemeindevertretung erwirkten, so die Majoritätsmeinung, konnte "damit die Direktive für die späteren Verhandlungen über die Städteordnung im Abgeordnetenhaus" gegeben werden. 234 Die Kommunalbehörden sollten nicht zu einem Mittel greifen, gegen das der Kommunalliberalismus überhaupt Front machen und versuchen mußte, es aus dem Gemeinderecht herauszuhalten. 235 Die Abgrenzung der Selbstverwaltung gegen staatliche Eingriffe hatte für die Mehrheit der Stadtverordneten scheinbar politische Priorität. Praktisch lenkte man mit der Aktualisierung des staatlich-kommunalen Gegensatzes von der Tatsache ab, daß die Gemeinderepräsentation das bestehende Recht ignorierte und eine Entscheidung über die konkrete Aufhebung der disproportionalen Gewichtung des Wahlrechts verhinderte. Die städtischen Beratungen führten schließlich Mitte November 1877 zu dem Beschluß, die Wahlbezirke unter gleichzeitiger Vermehrung der Stadtverordnetenmandate neu einzuteilen. Der Antrag des Stadtverordneten Weber, den Landtag zur Novellierung der Städteordnung aufzufordern, um ein Auflösungsverfahren ohne die kommissarische Verwaltung seitens des Staa231 232 233 234 235

Aa.O., S. 16. Rede Langerhans. StVVersBln, 13. Januar 1876. A a. 0., S. 11. Rede Gerth. StVVersBln, 13. Januar 1876. Ebd. Rede Pflug. StVVersBln, 13. Januar 1876. A a. 0., S. 15. Rede Weber. StVVersBln, 13. Januar 1876. Aa.O., S. 14.

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tes zu ennöglichen, wurde dem Magistrat zur "eventuellen Benutzung" übergeben. Daraufhin schlug das Magistratskollegium der Gemeindevertretung im März 1878 vor, die Einleitung des Auflösungsverfahrens in Erwägung zu ziehen. Der Magistrat wollte einem entsprechenden Beschluß der Stadtverordneten beitreten?36 Die freiwillige Niederlegung der Mandate konnte nach Auffassung des Magistrats allein keinen Erfolg zeitigen, da auf diese Weise nicht das Recht der bestehenden Wahlbezirke und Abteilungen zu alterieren war. Erst die auf königliche Verordnung erfolgende Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung eröffnete die Möglichkeit einer Wahlbezirksrefonn, da anstelle der Ergänzungs- und Ersatzwahlen vollständige Neuwahlen angesetzt werden mußten. "Ob die Stadtverordneten-Versammlung", führte der Magistrat aus, "sich zu einem solchen, ihre Auflösung herbeiführenden Schritt entschließen will, müssen wir ihrer selbständigen Erwägung und Beschlußfassung überlassen. Sollte er beliebt werden, so würden wir unsererseits nicht dagegen sein und die Fragen wegen der einstweiligen Fortführung der Geschäfte ... sowie wegen Neueintheilung der Wahlbezirke in weitere Beratung nehmen".237 Es schien sich also die Auffassung Max Webers zu bestätigen, daß der Magistrat das Auflösungsverfahren als Grundlage für eine vollständige Umgestaltung der Kommunalwahlbezirke nicht ausschloß, obwohl Oberbürgenneister Hobrecht im November 1877 noch ausdrücklich erklärt hatte,238 daß dieser Weg unter seiner Leitung nicht in Frage kam. Die Stadtverordneten, die ansonsten gegenüber der kommunalen Exekutive penibel auf den Wirkungsbereich ihrer Kompetenzen achteten, entrüsteten sich, daß der Magistrat, da ein von allen Seiten anerkannter Mißstand vorlag, nicht als "dirigierende und ausführende Behörde" auftrat und selbst einen Vorschlag zur Lösung der Wahlbezirksrefonn anbot. Hinter dieser Kritik verbarg sich offensichtlich die Enttäuschung über den fehlgeschlagenen Versuch, dem Magistrat die Initiative im Wege der innergemeindlichen Regelung zu überlassen, ohne daß ein direkter Staatseingriff notwendig wurde. Für Max Weber gab es keinen Zweifel an der gesetzlichen Legitimität der Kommunalvertretung. Die ursprünglichen Wahlbezirke waren nach Maßgabe der Städteordnung eingerichtet und die Gemeindewahlen in gesetzmäßiger Weise ausgeführt worden. Die Auflösung der StadtverordnetenVersammlung kam folglich einem Vorgehen gegen das Städterecht oder zumindest seiner Korrektur gleich. Wenn die Städteordnung nicht den tatsächlichen Verhältnissen angemessen erschien, so die eigenwillige kommunalBericht Neumann, 10. Mai 1879. VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 51. VStBin 1878, Nr. 28, DS Nr. 149, S. 2. 238 Auszug aus dem amtlichen stenographischen Bericht, StVVersBln, 18. November 1877. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1240, BI. 241. 236 237

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rechtliche Interpretation Webers, durfte eine Änderung nicht auf patriarchalische Weise, durch Anrufen des Ministeriums vollzogen werden. "Mit der höchsten willkürlichen Machtbefugnis des Herrschers hier einzugreifen und die Sache auseinanderzuziehen", schloß der Nationalliberale seine Ausführungen, "das wäre außerhalb jeder Gesetzlichkeit, außerhalb aller Rechtsentwicklung" .239 Die Rechtsauffassung Webers übersah, daß einerseits das Auflösungsverfahren als allgemeiner Bestandteil der Kommunalaufsicht in der Städteordnung verankert war, seine Anwendung, insbesondere nach einem vorausgegangenen Beschluß der Kommunalkörperschaften, nicht generell ungesetzlich sein konnte, andererseits die bestehende örtliche Organisation der Wahlkörper eindeutig gegen den Wortlaut des Gemeindegesetzes verstieß. Die Auflösung der Gemeindevertretung verurteilte die Majorität der Stadtverordneten ebenso als Gesetzwidrigkeit wie als Strafmaßregel. Nach Meinung von Ludwig Loewe ergab sich die Bedeutung des Auflösungsverfahrens als Strafmaßregel schon aus der Stellung des § 76 im Tit. 10 der Städteordnung, der allein von der Oberaufsicht über die Kommunalverwaltung handelte. Loewe hatte freilich vor allem politische Bedenken gegen das Auflösungsverfahren. Er befürchtete, daß man die Staatsregierung zu einem Schritt "verführen" würde, den sie "auf ihr eigenes Risiko" bislang niemals gewagt hatte. Stimmte die Gemeindevertretung der Auflösung erst einmal zu, so Loewes Vermutung, war der Staatsregierung der Weg geebnet, aus Nützlichkeitsgründen bald diese oder jene Stadtverordneten-Versammlung unabhängig vom Inhalt des Gesetzes aufzulösen. "Jetzt ist der Paragraph da", setzte Loewe seinen Gedanken fort, "jetzt kann auch der reaktionärste Minister keine Stadtverordneten-Versammlung auflösen, wenn sie nicht gegen die Städteordnung verstoßen hat. In Zukunft gibt es dann aber keine gesetzliche Schranke, über die sich der Minister nicht hinwegsetzen kann, wenn er sich auf unser Präzedenz beruft" .z40 Die Äußerungen des linksliberalen Fabrikanten zeigten die Verletzlichkeit der Städte und des Stadtbürgertums gegen die Rechte des Staates, einer kritischen Auslegung des staatlichen Aufsichtsrechts konnten sie nicht standhalten. Stadtrat Schreiner betonte denn auch, daß sich der Magistrat erst zu diesem Zeitpunkt über die Zulässigkeit der Auflösung beraten und mehrheitlich für die Anwendbarkeit des § 79 ausgesprochen hat. 241 Unterstützung erhielt der Magistrat durch den Stadtverordneten Langerhans, der das Auflösungsverfahren als den einzig richtigen und vollständig legalen Weg 239 Vgl. Rede Weber. StVVersBln, 21. März 1878. StBBln 1878, S. 128. Sämtliche Reden auch gesammelt in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1291. 240 Rede Loewe. StVVersBln, 21. März 1878. StBBln 1878, S. 130. 241 Rede Schreiner. StVVersBln, 21. März 1878. Aa.O., S. 131.

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ansah. Die Zurückhaltung des Magistrats, seine Absicht, erst nach einem Auflösungsbeschluß der Gemeindevertretung, selbst tätig zu werden, hielt Langerhans schon aus taktischen Gründen für angebracht. Schließlich sollte jede Möglichkeit eines aggressiven Vorgehens gegen die Stadt vermieden werden. 242 Langerhans, der wie Loewe bei den bevorstehenden Reichstagswahlen ein Mandat für die Deutsche Fortschrittspartei erwerben sollte, befand sich mit dieser Auffassung in der Minderheit. Im eingesetzten Ausschuß, der sich mit seinen Beratungen bis Ende 1879 Zeit ließ, sprach sich niemand für die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung aus. Die allgemeine Furcht, die Selbständigkeit und Unabhängigkeit einer jeden Gemeindevertretung könnte auf diese Weise tangiert werden, hielt die Stadtverordneten von diesem Verfahren ab. Der Magistrat sah unter diesen Umständen keine Möglichkeit, an der von ihm vorgeschlagenen Lösung der Reformfrage festzuhalten. Da er die vom Ausschuß erwogene Neueinrichtung von sechs weiteren Kommunalwahlbezirken zugunsten derjenigen Bezirke, in denen die Zahl der Wähler dritter Klasse am höchsten lag, als unvereinbar mit der Städteordnung ablehnte, auch eine Teilung von Wahlbezirken nach § 21 der Städteordnung "absolut" nicht für möglich erachtete, schlug das Kollegium in einer Vorlage vom 30. Dezember 1879 vor, den Ausgleich der unterschiedlichen Wahlberechtigung in den Bezirken durch eine Vermehrung der Stadtverordnetenmandate zu suchen. Gleichzeitig sollte eine Petition an die gesetzgebenden Körperschaften gerichtet werden, um durch die allgemeine Gesetzgebung eine Abänderung der Städteordnung in der Art herbeizuführen, daß für Städte mit mehr als 70000 Einwohnern eine beständige Möglichkeit zur neuen Einteilung der Kommunalwahlbezirke eröffnet wurde?43 Zu einer Entscheidung über die Magistratsvorlage kam es zunächst jedoch nicht. Sie wurde dem Ausschuß zur weiteren Beratung überwiesen. Ende der siebziger Jahre gerieten die Stadtbehörden durch Proteste aus der Bürgerschaft zunehmend unter Druck. Das Stadtbürgertum gab sich nicht mehr mit Eingaben an die Stadtverordneten-Versammlung zufrieden, sondern wandte sich nunmehr an die Regional- und Ministerialinstanzen, um den eklatanten Mißverhältnissen der Stimmrechtsgewichtung und Interessenvertretung der Stadtbezirke abzuhelfen. 244 Für das Stadtbürgertum war Rede Langerhans. StVVersBln, 21. März 1878. A.a.O., S. 129. Bericht Neumann. StVVersBln, 5. Februar 1880. StBBln 1880, S. 51. 244 V gl. dazu die Eingabe des Bezirksvereins auf dem Gesundbrunnen vom 10. April 1878. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1291, BI. 22 f. Die Petition des Bezirksvereins Dennewitz-Platz an das Innenministerium von EndeMaiI878.a.a.0 .• BI. 37 f. Den Antrag des Bezirksvereins im 118. Stadtbezirk vom 31. Oktober 1878, a. a. 0., BI. 40 ff. Die Eingaben des Neuen Luisenstädtischen Bezirksvereins vom 18. November 1878, des Königstädtischen Bezirksvereins vom 11. Dezember 1878, 242 243

3. Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention 813

es schlichtweg eine Ungeheuerlichkeit, daß ein Kommunalwahlbezirk mit rund 90000 Einwohnern und knapp 16000 Wahlberechtigten (Wahlbezirk 23) mit der gleichen Anzahl von Mandaten in der Gemeinderepräsentation vertreten war wie ein Bezirk mit wenig mehr als 4000 Einwohnern und etwa 600 Wählern (Wahlbezirk 17). Hinzukam; wie bereits von Eugen Richter in der Stadtverordneten-Versammlung kritisiert, daß allgemein die alten Innenbezirke der Metropole die Kommunalvertretung dominierten, während die bevölkerungsreichen äußeren Stadtbezirke nur mangelhaft durch Stadtverordnete repräsentiert waren?45 Aus der Gegenüberstellung von Einwohner- und Wählerzahlen ließ sich zwar noch nicht die Verteilung der Mandate ableiten, da diese im Zusammenhang mit dem gedrittelten Gesamtsteueraufkommen vorzunehmen war, aber inzwischen gehörten die politisch begünstigten Innenbezirke nicht einmal mehr zu jenen Stadtteilen, welche die höchsten Kommunalleistungen aufbrachten. Die verzögerte, faktisch indessen verweigerte Wahlbezirksreform verhinderte eine Ausweitung der politischen Artikulation und Teilhabe in der Gemeinde. Sie stellte einen lokalen Versuch dar, "die gesellschaftlichen Konsequenzen einer Beteiligung der größtmöglichen Zahl,,246 von Stadtbürgern zu umgehen. Der Stimmrechtskonflikt war zu diesem Zeitpunkt weder durch eine liberal-konservative noch durch eine liberal-sozialdemokratische Polarisierung beeinflußt, sondern mußte im wesentlichen auf eine Fraktionierung des kommunalen Liberalismus zwischen dem etablierten, in der Auseinandersetzung mit dem Konservativismus gefestigten, politisch jedoch immobilen älteren Honoratiorentum und jenen aufgeschlossenen, modernisierungswilligen Liberalen, die wie Langerhans und Richter einer jüngeren, im Bildungsbürgertum wurzelnden Schicht von Kommunalpolitikern angehörten. Dabei wurde der innere Konflikt des in der Kommunalvertretung repräsentierten Bürgertums praktisch durch eine Auseinandersetzung zwischen den Kommunalkörperschaften überwölbt, die deutlich machte, daß Legitimitäts- und Rechtsfragen allein der Kaschierung von verweigerten Partizipationschancen dienten. Die Strategien der Machterhaltung, deren manipulativer Charakter, trotz aller kommunalrechtlichen Problematisierung, außer Frage stand,247 verlor erst im Augenblick einer erneuten politides Frankfurter Tor-Bezirksvereins vom 8. Februar 1879 und des Berliner Ost-Clubs vom l. April 1879, a.a.O., BI. 43-5l. 245 Vgl. dazu beispielsweise die Eingabe des Bezirksvereins Dennewitz-Platz, Ende Mai 1878. A.a.O., BI. 37 f. Siehe auch Tab. 22 im Stat. Anhang. 246 Steinbach, Probleme, S. 10. Vgl. ders., Wahlverhalten im Kaiserreich: Perspektiven und Interpretationsmäglichkeiten, in: Politik und Milieu, S. 29 f. Ders., Modemisierungstheorie, S. 63. 247 Die auf Grund einer positiven Bewertung der relativen stabilen sozial-moralischen Milieus aufgeworfene These von einer fortgeschrittenen Wahl kultur des Kaiserreichs, der Stanley Suval, Electoral Politics in Wilhelmine Germany, Chapel 53 Grzywatz

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

sehen Polarisierung ihren fraktionierenden Charakter, die den Kommunalliberalismus, unabhängig vom Teilhabekonflikt, zur politischen Geschlossenheit zwang. Die Berliner Bezirksvereine plädierten gegenüber den Ministerialinstanzen dafür, die hauptstädtische Wahlbezirksreform im Wege des Auflösungsverfahrens durchzuführen. Das Stadtbürgertum war überzeugt, daß die im Interesse der Wahlgerechtigkeit selbst gewünschte Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung von der Staatsregierung, die sich in der bürgerlichen Wahrnehmung nie als Gegnerin der kommunalen Selbstverwaltung profiliert hatte, nicht mit der Einsetzung vOn staatlichen Kommissaren in der Interimsphase reagieren würde?48 Graf zu Eulenburg wollte jedoch von einem ministeriellen Eingreifen absehen, da "in derartigen Angelegenheiten der Stadtgemeinden die Initiative in der Regel den städtischen Behörden überlassen bleiben" sollte?49 Die Bezirksregierung machte die Kommunalkörperschaften darauf aufmerksam, daß die vom Stadtbürgertum monierten Mißstände inzwischen ein Ausmaß erreicht hatten, die eine unbestimmte Vertagung der Reform inakzeptabel machten. Der Magistrat wurde im Februar 1879 zu einer unverzüglichen Inangriffnahme der Wahlbezirksrevision aufgefordert, gleichzeitig sollte er die Stadtverordneten veranlassen, mit den Beratungen fortzufahren. 25o Anfang Februar 1880 präsentierte der Stadtverordnetenausschuß der Gemeindevertretung sowohl eine eigene Empfehlung zur Wahlbezirksreform als auch die bereits genannte Magistratsvorlage. Die Ausschußmitglieder folgten den Vorstellungen des Magistrats, indem sie ebenfalls empfahlen, die Wahlbezirksreform durch die Konstituierung von weiteren Stadtverordnetenmandaten zu regeln. Während der Magistrat die Verteilung für eine bestimmte Reihe von Bezirken und Abteilungen bereits festlegte, trat der Stadtverordnetenausschuß nur generell für die Einrichtung von achtzehn neuen Mandaten ein, deren Verteilung erst nach der im Juni abgeschlossenen neuesten Bevölkerungsaufnahme und der anschließenden Feststellung der Wählerliste erfolgen sollte. Hill-London 1985, folgt, kann daher auch im Hinblick auf die Verteilung der kommunalen Partizipationschancen nicht unwidersprochen bleiben. Zusammenfassend Pohl, Liberalismus und Bürgertum, in: Bürgertum, S. 262 ff. Noch deutlicher wird die manipulative Stimrnrechtsgewichtung bei der Wahlkreiseinteilung für die preußischen Landtagswahlen. Siehe dazu Kap. 10, Unterabschnitt 1. 248 VgI. u. a. die Petition des Bezirksvereins auf dem Gesundbrunnen, 10. April 1878. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1291, BI. 23. 249 Bericht des Stadtverordneten Neumann, 1. Verhandlungsprotokoll des Stadtverordnetenausschusses zur Beratung der Wahlbezirksreform, 10. Mai 1879. VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 50. 250 Verfügung vom 16. Februar 1879. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1291, BI. 29.

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Die kommunale Exekutive hielt unterdessen an ihrem Vorschlag zu einer Gesetzesinitiative fest. Sie präzisierte ihren Vorschlag insofern, als sie sich nunmehr für die Möglichkeit aussprach, anstelle der üblichen Ergänzungsvollständige Neuwahlen, jeweils nach Abschluß einer zwölfjährigen Periode, durchzuführen. 251 Der Ausschuß lehnte eine spezielle Gesetzesinitiative ab. Er begnügte sich mit der Perspektive, daß eine künftige Regelung der Wahlbezirkseinteilung der Gesetzgebung vorbehalten bleiben mußte. Die Gemeindevertreter sahen keinen Anhaltspunkt, ob in den Städten mit mehr als 70000 Einwohnern ein Bedürfnis für die vorgeschlagene Regelung bestand. Schließlich konnte, so die allgemeine Befürchtung, die projektierte gesetzliche Bestimmung, die Agitation für die Abänderung von Kommunalwahlbezirken in jeder Stadt zur permanenten Erscheinung machen. Sobald die Bestimmung fakultativ war, konnte jede Gemeindevertretung, gleichviel aus welchen Gründen, unter dem Vorwand ungleichmäßiger Wahlbezirke auf die Auflösung des Gemeindeparlaments hinarbeiten. Darüber hinaus gab die gesetzliche Regelung der kommunalen Exekutive eine wesentlich größere Kompetenz bei der Gestaltung der Wahlbezirke. Wenn der Magistrat nicht nur die Vollmacht, sondern auch den Auftrag erhielt, die Wahlbezirke fortdauernd gleichmäßig einzurichten, war grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, die notwendigen Änderungen je nach der Zusammensetzung des Magistrats einer bestimmten Tendenz zu unterwerfen. "Innerhalb einer parlamentarischen Körperschaft", bemerkte Berichterstatter Neumann, "würde es jedem Mitglied ... ungeheuerlich erscheinen, die Regierung willkürlich nach Tendenz der mathematischen Zweckmäßigkeit hin mit dem Auftrage auszustatten, um diese mathematische Gleichheit, je nach ihrem Gedanken aufrecht zu halten, eine bestimmte Anzahl von Kreisen einem Wahlbezirk abzunehmen oder sie einem anderen zuzulegen. Gerade in der Unabänderlichkeit der Wahlbezirke ist in politischer und zum Theil auch in kommunaler Beziehung gegenüber der ausführenden Behörde eine gewisse Selbständigkeit gegeben,,?52 Die Städteordnung verlieh dem Magistrat ohnehin die Befugnis zur Einteilung der Wahlbezirke, diese Kompetenz sollte nicht noch dadurch verstärkt werden, daß sie zu einem Recht fortdauernder Änderung erweitert wurde. Der Stadtverordnetenausschuß sprach hiermit Befürchtungen aus, die an die zu Anfang der fünfziger Jahre entwickelten Motive des Abgeordnetenhauses zur Beschränkung der staatlichen Kompetenz bei der Festlegung der Wahlbezirksgrenzen und der Einrichtung von festen Wahlbezirken erinnerten. Das Problem der unterschiedlichen Qualität des Wahlrechts durch die bestehende Bezirkseinteilung wurde in diesem Zusammenhang nicht nur 251 252 53*

VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 70. Bericht Neumann. StVVersBln, 5. Februar 1880. StBBln 1880, S. 52.

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vernachlässigt, sondern geradezu als zu unwesentlicher Faktor bewertet. Das verwunderte um so mehr, als die Stadt Berlin seit Jahrzehnten einen Kampf um eine gerechtere Einrichtung der Landtagswahlkreise führte. Die ohnehin durch das Klassenwahlrecht eingeschränkte Partizipation der breiten Masse der wahlberechtigten Steuerzahler in der dritten Wählerabteilung wurde durch die außerordentlich hohe Differenz der Wahlberechtigtenziffern in den Gemeindewahlbezirken nochmals erheblich vermindert. Doch schien es, als fehlte es einem Großteil der Stadtverordneten an der genügenden politischen Sensibilität für dieses Problem. In der Stadtverordneten-Versammlung widersprach man der Auffassung des Magistrats, daß die Wahlbezirke nach ihrer Konstituierung auf Grund der Bestimmung des § 21 der Städteordnung endgültig festgestellt waren. Die Gemeindevertreter sahen in dieser Regelung nur das Gebot zur Wahrung der Wahlbezirksgrenzen "im großen ganzen", ohne daß Verkleinerungen, Vergrößerungen oder Teilungen ausgeschlossen waren,z53 Sie betonten, die Regelung des § 21 bezog sich nur auf die Ergänzungs- und Ersatzwahlen, nicht aber auf Neuwahlen. Die Wahlbezirkseinteilung für die Ergänzungswahlen stand nach dieser Auffassung mit der fakultativen Befugnis des Magistrats zur Teilung von Wahlbezirken in Verbindung. Damit der Magistrat bei der Neueinteilung keine Willkür obwalten ließ, war er verpflichtet, die nach § 21 festgesetzten Wahlbezirke zu berücksichtigen. Wenn die Städteordnung gleichzeitig zuließ, die Zahl der Stadtverordneten durch Ortsstatut zu erhöhen (§ 12), beinhaltete diese Bestimmung auch eine Neueinteilung der Wahlbezirke, nämlich "nach der neuen Zahl der Stadtverordneten" oder, wie es der Stadtverordnete Mamroth salopp formulierte, die Änderung konnte "nur auf Kosten des bisherigen Besitzstandes ge sc hehen",z54 Der Magistratskommissar hielt indessen unbeirrt an der Auffassung fest, daß ein Hineingreifen in die einmal bestehenden Wahlbezirke und Wahl abteilungen nicht zulässig war. In der Städteordnung war nirgends von Neuwahlen die Rede. Sie wurden nur bei der ersten Einteilung der Stadt in Wahlkreise auf Grund der neu einzuführenden Städteordnung erwähnt. Ansonsten konnte es sich bei den Kommunalwahlen nur um Ergänzungs- oder Ersatzwahlen handeln. Neuwahlen waren nur nach der Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung oder auf der Grundlage eines neuen Gesetzes möglich. 255 Die starre Haltung des Berliner Magistrats stand nicht mit seiner bisherigen Praxis bei der Bildung der Wahlbezirke im Einklang. So stellten die während der Einführungsphase der Städteordnung von 1853 geschaffenen Rede Kochhann. StVVersBln, 5. Februar 1880. A.a.O., S. 53. Reden Stryck, Neumann und Mamroth. StVVersBln, 5. Februar 1880. A.a.O., S. 55 f. u. 59. 255 Rede Stadtrat Schreiner. StVVersBln, 5. Februar 1880. A. a. 0., S. 56. 253

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Kommunalwahlkreise, trotz der Kontinuität der Stadtverordnetenmandate, eine vollständige Umwälzung dar. Es waren 34 neue Wahlbezirke eingerichtet worden, die gegenüber den unter der Gemeindeordnung bestehenden Bezirken eine völlig neue Einteilung schufen. Diese Neuorganisation konnte nicht mit dem Inkrafttreten des novellierten Kommunalrechts begründet werden, denn nach den Übergangsbestimmungen blieben die Stadtverordneten, soweit sie bereits nach den Regelungen der Gemeindeordnung von 1850 gewählt worden waren, bis zum Ablauf der Wahlperiode in ihren Ämtem?56 Das hieß im Hinblick auf diese Mandate fanden lediglich Ergänzungswahlen statt, so als ob der Gesetzgeber gar keine neue Städteordnung eingeführt hatte. In Berlin wurde 1854 und 1856 auf der Grundlage der neuen Wahlbezirks einteilung entsprechend verfahren. 257 Die im Jahre 1866 offiziell als "Grenzregulierung" bezeichnete Neuordnung, schuf in Wirklichkeit eine Reihe neuer Wahlbezirke für die eingemeindeten Gebiete. Die Mitte der fünfziger Jahre geübte Praxis bei der Bildung der Wahlbezirke war dem Stadtverordneten Neumann Beweis genug, daß die gemeinderechtlichen Bestimmungen zu den Ergänzungs- und Ersatzwahlen nicht buchstäblich aufzufassen waren. Demnach bestand kein absolutes Verbot zur Änderung der Wahlbezirksgrenzen. Grenzregulierungen oder selbst Neueinteilungen konnten grundsätzlich vorgenommen werden. Neumann verwies, nachdem er sich bei den Kommunalkörperschaften informiert hatte, auf das Beispiel Breslaus, wo der Magistrat bereits mehrmals die Grenzen der Kommunalwahlbezirke neu reguliert und die Bezirksregierung die daraufhin ergangenen Beschwerden als unbegründet abgewiesen hatte, da die Städteordnung, insbesondere aber der § 21, einer Reorganisation nicht im Wege stand. 258 Für die Auflösung der Gemeindevertretung sprach sich im Februar 1880 nur noch der konservative Stadtverordnete Limprecht aus,259 während die Mehrheit endgültig die Erwägung einer solchen Radikalmaßnahme ablehnte. Man begnügte sich mit dem "Flickwerk" einer Reform, welche die Vgl. § 83, Tit. 10, StO 1853. GS 1853, S. 289. Bericht Neumann, 10. Mai 1879. VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 52. Vgl. auch das Verhandlungsprotokol! des Stadtverordnetenausschusses für die Beratung der Neueinteilung der Kommunalwahlbezirke vom 7. Juni 1879. A. a. 0., S. 64 ff. 258 Bericht Neumann, 10. Mai 1879. A.a.O., S. 56. Vgl. auch das Ausschußprotokol! vom 3. September 1879. A.a.O., S. 68. Der Magistrat wehrte sich gegen einen Vergleich Berlins mit Breslau, da hier jede Wählerabteilung für sich durch die ganze Stadt wählte. Bemerkenswert war das Verhältnis der Mandate und der Bevölkerungsziffer in beiden Städten. 1879 wurde Breslau bei 262000 Einwohnern durch 102 Stadtverordnete vertreten, Berlin bei 1013000 Einwohnern dagegen nur durch 108 Stadtverordnete. Nach den Normregelungen der Städteordnung hätte Breslau nur 78, Berlin indessen 168 Stadtverordnete wählen dürfen. 259 Rede Limprecht. StVVersBln, 5. Februar 1880. StBBln 1880, S. 57 f. 256

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Differenz des Wahlrechts in der dritten Abteilung vom 35 1/2fachen auf das 17 1hfache, in der zweiten Abteilung vom zehn- auf das 51 hfache und in der ersten Abteilung vom 26fachen auf das 8 1/2fache reduzierte. 26o Die Gemeindevertretung nahm am 5. Februar den Vorschlag des Ausschusses an, die Zahl der Mandate um achtzehn zu erhöhen und diese nach dem Plan des Magistrats zu gleichen Teilen auf die besonders betroffenen Wahlbezirke der einzelnen Abteilungen zu verteilen. D.h. in den Abteilungen der vorgeschlagenen Wahlbezirke wurden anstelle der bestehenden Einerwahlkreise eine Reihe von Zweierwahlkreisen eingerichtet. 261 Die frühe Warnung Eugen Richters, daß ein solches Verfahren ausschließlich dem Prinzip diente, bestehende Mandate möglichst zu erhalten,262 ignorierte die Gemeindevertretung ebenso wie die Vorbehalte des Stadtverordneten Stryck, der durch die begrenzte Zunahme der Mandate nur die Interessen weniger Bürger befriedigt, die Klagen aus der Bürgerschaft jedoch nicht grundlegend beseitigt sah?63 Diese Ansicht teilte die Bezirksregierung. Sie genehmigte zwar am 21. Juli 1880 die Mandatsvermehrung, so daß bei der im November anstehenden Ergänzungswahl insgesamt 126 Stadtverordnete gewählt werden mußten, empfahl dem Magistrat aber, "die weiteren Beratungen und Erwägungen darüber, in welcher Weise eine angemessene Änderung und Berichtigung der zur Zeit bestehenden Wahlbezirkseinteilung herbeizuführen sein wird, selbst anzuregen und dieselbe nicht bis zur anderweiten Regelung dieser Angelegenheit durch die allgemeine Gesetzgebung zu vertagen".264 Das war eine klare Absage an die vom Magistrat angestrebte Novellierung der Städteordnung. Den städtischen Körperschaften war überaus bewußt, daß sich die Bevölkerungsdichte Berlins immer weiter vom Zentrum nach der Peripherie verschieben und in der Folge sich die Einkommensstruktur weiter verändern würde. Eine Entwicklung, die langfristig nicht durch neue Mandate aufgeRede Stadtrat Schreiner. StVVersBln, 5. Februar 1880. A. a. 0., S. 56. Vgl. VerwBBln, 1877-1881, T. 1, S. 25; StBBln 1880, S. 60. Vgl. die Tab. 22 bis 25 im Stat. Anhang. Eine alle Wählerklassen betreffende Erhöhung der Mandate gab es nur in den Wahlbezirken 23 und 35. Für die erste und zweite Abteilung wurde weiterhin in den Wahlbezirken 14 und 15 eine gemeinsame Vermehrung der Stadtverordnetensitze mit dem Unterschied vorgenommen, daß die erste Wählerklasse im 14. Kommunalwahlkreis anstelle des bisherigen einzelnen Mandats zukünftig drei Mandate erhielt. Die übrigen sieben Mandate wurden auf die Abteilungen unterschiedlicher Wahlbezirke verteilt. Vgl. dazu die Magistratsvorlage vom 30. Dezember 1879. VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 70. 262 Rede Richter. StVVersBln, 13. Januar 1876. StBBln 1876, S. 13. Vgl. auch Richters Erörterungen zur Wahlbezirksreform in der Berliner Volks-Zeitung, Nr. 17, Ausgabe vom 18. Januar 1876. 263 Rede Stryck, StVVersBln, 5. Februar 1880. StBBln 1880, S. 55. 264 Reskript der Potsdamer Regierung, 21. Juni 1880. Abgedruckt in: VerwBBln, 1877-1881, T. 1, S. 26. 260 261

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fangen werden konnte. Doch dem Gebot politischen Handeins wichen die Gemeindekörperschaften aus. Radikale Forderungen aus der Bürgerschaft stellten sich zwangsläufig ein. In der Wahlbezirksfrage machte sich der innerstädtische Gegensatz zwischen den Stadtteilen an der Peripherie der Gemeinde, deren Bevölkerung am schnellsten wuchs, und den innerstädtischen Bezirken Alt-Berlins, die ein geringeres Bevölkerungswachstum aufwiesen, aber nach wie vor politisch in der Gemeindevertretung stärker repräsentiert waren, immer aggressiver bemerkbar. Die "bittere Stimmung" in den peripheren Stadtbezirken hatte schon den Stadtverordnetenausschuß zu der Frage veranlaßt, ob das Reformverlangen durch eine ungleiche Verteilung der kommunalen Leistungen auf die einzelnen Stadtbezirke beeinflußt war. 265 Da eine disproportionale Verteilung der Leistungen aber offensichtlich nicht nachzuweisen war, Teile der Stadtverordneten vielmehr die Auffassung vertraten, daß die äußeren Stadtteile eher überdurchschnittlich an den städtischen Leistungen teilnahmen, glaubte man in diesem Umstand, wenn auch nicht einen Rechtfertigungsgrund, so doch ein wichtiges Moment für die Erträglichkeit der ausgebliebenen Reform finden zu können?66 Selbst wenn diese Argumentation den Tatsachen entsprach, was zweifelhaft war, konnte damit nicht das Versagen der städtischen Körperschaften entschuldigt werden, für eine zeitgemäß gerechte Verteilung der Partizipationschancen zu sorgen. Die in der Diskussion angeführten Beispiele der noch nicht ausgeführten Kanalisation und das Fehlen einer höheren Töchterschule im Zentrum Berlins lieferten nicht den Beweis für eine am Steueraufkommen orientierte ausgeglichene Leistungsverteilung, diese Defizite waren allein durch technische Voraussetzungen bzw. soziale Erwägungen begründet. Die in der Kommunalvertretung geäußerten Bedenken eines unbefriedigenden Reformversuchs bestätigten sich durch erneute Eingaben der Bürgerschaft. Zahlreiche Bezirksvereine verhehlten nicht ihre Enttäuschung über den Stadtverordnetenbeschluß vom 5. Februar. 267 Die Entscheidung konnte nach Auffassung des Stadtbürgertums die vorhandene Ungleichmäßigkeit des Wahlrechts nicht einmal erträglich machen. Man verlangte umgehend weitere Initiativen der Stadtbehörden. Dabei hielt man das Auflösungsrecht für eine grundlegende Wahlbezirksreform nach wie vor für un265 Bericht Neumann, 10. Mai 1879. VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 52, S. 50. Vgl. auch die Rede Loewes. StVVersBln, 26. September 1882. StBBln 1882, S. 344. 266 Vgl. Rede Neumann. StVVersBln, 26. September 1882. A.a.O., S. 346. 267 Siehe die Eingaben des Berliner Ost-Clubs vom 18. Februar, des Königstädtischen Bezirksvereins vom 19. März, des Vorstands des Südost-Bezirksvereins vom 30. März, des Luisenstädtischen Bezirksvereins vom 6. April und des Bezirksvereins Schönhauser Allee (Stadtbezirke 167 bis 176) vom 1. Dezember 1880. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1291, BI. 136 f., 140, 142, 153 f., 156 u. 194 f.

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umgehbar. Vereinzelt wurde auch vorgeschlagen, die Wahlrechtsdisproportionalitäten durch die Einführung der bezirkliche Drittelung des Steueraufkommens zu beseitigen. Die Stadtverordneten sahen unterdessen keinen neuerlichen Handlungsbedarf. Für eine überraschende Politisierung der Wahlbezirksreform sorgte Mitte November 1881 eine Petition des Conservativen Central-Comites an das Staatsministerium, die umgehend eine dem § 14 der Städteordnung entsprechende Neueinteilung der Wahlbezirke verlangte. Zu diesem Zweck wurde die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung nach § 79 der Städteordnung in Vorschlag gebracht. 268 Mit der Eingabe kündigte sich ein entscheidenden Umschwung in der seit Jahren verzögerten Wiederherstellung der Wahlrechtsgleichheit an. Bevor die Frage der Wahlbezirksreform weiter anlysiert wird, muß hier kurz auf die politische Wende in der Reichs- und Landespolitik am Ausgang der siebziger Jahre eingegangen werden, da sonst der politische Immobilismus des Berliner Liberalismus und des ihn stützenden Stadtbürgertums in der Reformfrage unverständlich bleibt. 1878/79 zerbrach auf Reichsebene das Quasibündnis zwischen der Regierung und den Nationalliberalen. Bismarcks "Politik der Systemstabilisierung,,269 zielte auf eine Neutralisierung der liberalen Linken und die Konfrontation mit dem Sozialismus ab. Weit entfernt davon, die Koexistenz von Sozialdemokratie und bürgerlicher Gesellschaft als selbstverständliche Gegebenheit hinzunehmen, sollte der sozialdemokratischen Herausforderung mit einer staatlichen Unterdrückungspolitik begegnet werden, deren sozialpolitisches Gegenstück die Sozialversicherungsgesetze bildeten. Die ökonomische Depression der siebziger Jahre brachte das liberale Prinzip der Selbststeuerung und -regulierung der Wirtschaft in Kritik. Der staatliche Interventionismus wurde zum Angelpunkt einer Umorientierung, der sich wirtschaftspolitisch im Schutzzoll manifestierte. Die politische Basis für eine Wende zeichnete sich 1876 mit der Neugründung der Deutschkonservativen ab, die für das Regierungslager aktiviert werden konnten, während die von der Regierung geschickt genutzte "Depression gegen die Liberalen,,27o zu einer Existenzkrise des Nationalliberalismus führte. Vergeblich propagierte Berlins Oberbürgermeister Forckenbeck, einer der Führer der linken Nationalliberalen, Mitte Mai 1879 die gemeinsame Front des freien Bürgertums gegen die hereinbrechende Reaktion sowie die Neubildung einer gesamtliberalen Partei?71 268 Petition vom 14. November 1881. Abgedruckt in: Auflösung der Berliner Stadtverordneten-Versammlung, S. 35. 269 Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866--1918, Bd. 2, Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, S. 382. 270 A. a. 0., S. 325.

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Nach zwei Wahlniederlagen spalteten sich im März 1880 die Nationalliberalen. Der rechte Flügel hielt am gouvermentalen Kompromißkurs fest. Die linken Sezessionisten hofften auf eine neue, entschieden liberale Sammlung. Die Reichstagswahl von 1878 brachte einen Rechtsruck mit größeren Verlusten der Nationalliberalen und leichteren der Fortschrittspartei. Im darauf folgenden Jahr führten die preußischen Landtagswahlen zu einer katastrophalen Niederlage des Liberalismus: Die Nationalliberalen verloren 65 Mandate, der Fortschritt 25 Sitze, in beiden Vertretungen gab es nicht länger eine liberale Mehrheit. 272 Das preußische Staatsministerium entledigte sich anschließend mit Hobrecht, FriedenthaI und Falk der letzten liberalen Minister. 273 1881 wurde der Reichstag aufgelöst, nachdem die Mehrheit das Unfallversicherungsgesetz abgelehnt hatte. Die Neuwahlen wurden auf den 27. Oktober angesetzt. Der Wahlkampf führte erneut zu scharfen Attacken auf den Liberalismus. Im Reichstag rechnete Bismarck aus Anlaß der Gesetzesvorlage zur Besteuerung der Dienstwohnungen von Reichsbeamten mit der liberalen Kommunalverwaltung ab, indem er auf die schon im Vormärz kritisierte soziale Ungerechtigkeit des Kommunalsteuersystems hinwies?74 Die Mietsteuer, über die knapp die Hälfte der städtischen Steuereinnahmen aufgebracht wurde, belastete bekanntlich die Mittel- und Unterschichten verhältnismäßig stärker als das wohlhabende Stadtbürgertum. Der konservativen Sozialreform war diese Wirkung Beweis genug für den unsozialen Charakter des Berliner Liberalismus. In der Tat war das Berliner Steuersystem, wie selbst von liberaler Seite noch Ende der sechziger Jahre zugegeben worden war, alles andere als gerecht. 275 Philippson, Forckenbeck, S. 318 f. Zu den Wahlergebnissen vgl. VogellNohlen/Schultze, Wahlen, S. 287 u. 291. 273 Vgl. Ernst Engelberg, Bismarck. Das Reich in der Mitte Europas, 2Berlin 1990, S. 333 ff. 274 Rede Bismarck, Reichstag, 4. März 1881. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 4. LP. 4. Session, Berlin 1881, S. 162 ff. Die eher defensiven Erwiderungen Forckenbecks und Loewes ebd. S. 168 ff. 275 Zum Verhältnis von Mietsteuer und Armenfürsorge siehe Scarpa, Gemeinwohl, S. 240 f. Dazu auch die zeitgnössischen statistischen Erhebungen von Schwabe, Das Verhältniß von Miethe und Einkommen in Berlin, in: Berlin und seine Entwicklung. Gemeinde-Kalender und statistisches Jahrbuch für 1868, Berlin 1869, S. 264 ff., die eine statische Aufnahme der Mietbelastungsreiationen darstellen, indes nicht den Zusammenhang zwischen Einkommen und Wohnungsaufwand im zeitlichen Ablauf beschreiben. Vgl. Clemens Wischermann, Wohnungsmarkt, Wohnungsversorgung und Wohnmobilität in deutschen Großstädten 1870-1913, in: Stadtwachstum, Industrialisierung, Sozialer Wandel. Beiträge zur Erforschung der Urbanisierung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von H.-J. Teuteberg (= Schriften des Vereins für Socialpolitik, N.F., Bd. 156), Berlin 1986, S. 101-133, hier insbesondere S. 122 ff. 271

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Unter Aufnahme der Angriffe Bismarcks formierte sich in Berlin das konservative Lager zum Conservativen Central-Comite, das die konservativen Bürgervereine, die Deutschkonservativen und die christlich-sozialen Antisemiten Stoeckers gegen den hauptstädtischen Linksliberalismus vereinigte. Der Konservativismus war sich nicht zu schade, die aufkommende antisemitische Bewegung nicht nur allgemein als politisches Instrument gegen die Linksparteien, sondern auch für ihre Angriffe auf die Berliner Kommunalverwaltung ins Spiel zu bringen. Sowohl der soziale Antisemitismus eines Stoecker als auch der völkische Antisemitismus fand die Nähe zu den Konservativen. 276 Das linksliberale Bürgertum fürchtete allgemein "einen auf staatssozialistische und pseudoplebiszitäre Elemente gestützten Neoabsolutismus,,277, während sich die fortschrittliche Mehrheit in den städtischen Körperschaften einem "Sturm auf das rote Haus,,278 der zur Bürgerpartei formierten Konservativen ausgesetzt sah. Die Radikalität, mit der die konservative Bewegung das Auflösungsverfahren als Grundlage der Wahlbezirksreform favorisierte, brachte in den Augen des Berliner Magistrats auch die politische Tendenz des Reformbegehrens zum Vorschein. Daß gerade eine Partei, die im schroffen Gegensatz zum Linksliberalismus der Stadtverordnetenmehrheit stand, die Auflösung der Gemeindevertretung forderte, mußte, so der Magistrat, trotz aller befürworteten Schonung der Kommune im geplanten Verfahren, "als eine Erklärung gegen die Tendenzen der jetzigen Stadtverordneten-Versammlung in der Bürgerschaft aufgefaßt werden,,?79 Die konservative Petition, die sich augenscheinlich nur um die Wiederherstellung der Wahlrechts gleichheit bemühte, ihre politischen Ziele indessen 276 Vgl. Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, 5 Frankfurt/M. u. a. 1981, S. 608. Engelberg, Bismarck, Bd. 1, S. 333 ff. Hermes, Stadtverordnetenwahlen, S. 3 f. Paul W. Massing, Vorgeschichte des politischen Antisemitismus (= Frankfurter Beiträge zur Soziologie, Bd. 8), Frankfurt/M. 1959, S. 43 ff. u. 82 f. Zu Stoecker und die konservative Bewegung in Berlin siehe auch Walter Frank, Hofprediger Adolf Stoecker und die christlichsozia1e Bewegung, 2Hamburg 1935, S. 103 ff. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 929 ff. Wemer Jochmann, Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870-1945, Hamburg 1988, S. 46 ff. Helmut Berding, Moderner Antisemitismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1988, S. 87 ff. Hans Engelmann, Die Entwicklung des Antisemitismus im 19. Jahrhundert. A. Stoeckers "Antijüdische Bewegung", Theol. Diss., Erlangen 1953. Günther Brakelmann/ M. GreschatiW. Jochmann, Protestantismus und Politik: Werk und Wirkung A. Stoeckers, Hamburg 1982. Vgl. auch Der Berliner Antisemitismusstreit, hrsg. von W. Boehlich, Frankfurt/M. 1965. 277 Gall, Bismarck, S. 607. Vgl. auch Nipperdey, Geschichte 1866-1918, Bd. 1, Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1990, S. 341 ff.; Bd. 2, S. 410. 278 Hermes, Stadtverordnetenwahlen, S. 5. 279 Beschwerdeschreiben des Berliner Magistrats, 11. Juni 1882. Abdruck in: VerwBBln, 1877-1881, T. 1, Anhang, S. 235. Schreiben ebenfalls in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1292, BI. 120-122.

3. Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention 823

verbarg, wurde daher von der liberalen Öffentlichkeit als "heuchlerisch" empfunden. 28o Im Falle von Neuwahlen glaubte die kommunale Exekutive eine Entfesselung aller politischen und sozialen Leidenschaften voraussehen zu können, weniger der zweckmäßigen Behandlung der Kommunalangelegenheiten als dem Kampf um die politische Machtstellung der Parteien in der Landeshauptstadt verpflichtet. In dieser Auseinandersetzung drohte, wie der Magistrat befürchtete, "der Antagonismus der Glaubensbekenntnisse und der Rassen" erneut in schärfster Form hervorzubrechen, daneben war es nicht ausgeschlossen, daß "Bestrebungen der sozialistischen Partei" zum Tragen kamen?81 Das Conservative Central-Comite hatte in seinem Plädoyer für kleinere Wahlbezirke nicht das Ziel verschwiegen, der politischen Minderheit einen stärkeren Einfluß auf die Stadtverordnetenwahlen zu verschaffen, insbesondere aber die peripheren Stadtteile vom Einfluß der zentralen Kommunalwahlbezirke unabhängiger zu machen?82 Nach konservativer Auffassung hatte das Zentrum der Stadt schon längst seine Funktion als Wohnbereich der seßhafteren Bevölkerung verloren. Die Immobilien in den inneren Stadtbezirken waren im höheren Grade Objekte der Spekulation als in den äußeren Gemeindegebieten, so daß sich eine im Sinne der Städteordnung durchaus zu billigende politische Bevorzugung der inneren Stadtbezirke nicht mehr rechtfertigen ließ?83 Wenn diese Zielsetzungen einer "politischen Tendenz" unterlagen, entsprach sie der Billigkeit einer gerechteren Verteilung des Wahlrechts innerhalb der Metropole. Oberpräsident von Achenbach zeigte sich aus diesem Grund wenig beeindruckt von den politischen Befürchtungen des Magistrats, sie hatten gegenüber dem Gewicht der notwendigen Wahlbezirksreform keine entscheidende Bedeutung. 284 Das konservative Urteil, die Beseitigung der empfindlichen Wahlrechts beeinträchtigungen wäre nur dem Eingreifen des Staates zu danken,285 sollte sich schon bald bestätigen. Der Kommunallibe280

Berliner Tageblatt, Nr. 341, Ausgabe vom 25. Juli 1883.

281 VerwBBln, 1877-1881, T. I, Anhang, S. 236.

Petition, Conservatives Central-Comite, 16. November 1881. Auflösung, S. 37. Petition, Conservatives Central-Cornite, 14. November 1881. A. a. 0., S. 34. 284 Oberpräsidial-Verfügung von Achenbach, 31. Mai 1882. Abdruck in: VerwBBln, 1877-1881, T. 1, Anlage, S. 229. 285 Auflösung, S. 18. Die anonym erschienene Broschüre zur Geschichte der Auflösung der Berliner Kommunalvertretung wurde in der liberalen Presse als "antifortschrittliche Agitationsschrift" abqualifiziert, da sie die politischen Begleitumstände, insbesondere den "Kreuzzug der Herren Cremer-Limprecht-Stöcker-Ruppel" gegen den kommunalen Linksliberalismus unberücksichtigt ließ. Die Darstellung der einzelnen Phasen der "Auflösungsgeschichte" wurde aber auch nach liberalem Ur282

283

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

ralismus weigerte sich unterdessen, die Staatsregierung in irgendeiner Form als "Schützerin" des Kommunalwahlrechts anzuerkennen, da der Stadt Berlin im preußischen Landtag keine angemessene Vertretung gewährt wurde. Statt der bestehenden neun Landtagsmandate konnte die Hauptstadt auf Grund ihrer Bevölkerungszahl nicht weniger als 24 Sitze im Abgeordnetenhaus beanspruchen, während ihr anstelle der sechs Reichstagsmandate eigentlich die doppelte Anzahl von Sitzen in der nationalen Repräsentation zustand. 286 Die konservative Bewegung wies anhand der vom Statistischen Büro der Stadt herausgegebenen Materialien eindringlich auf die weitgehende Ungleichheit der Wahlberechtigung in der dritten Wählerabteilung hin. Nach den neuesten Erhebungen verhielt sich beispielsweise die Relation der Wahlberechtigten zur Zahl der Stadtverordnetenmandate im 17. und 22. Wahlbezirk wie 20:1. Wurden alle Wahlberechtigten auf Wähler der dritten Klasse reduziert, zeigte sich zwischen dem 17. und 14. Wahlbezirk immer noch eine durchschnittliche Wahlberechtigung im Verhältnis von 6: 1. 287 Auf der Basis der bisherigen Wahlbezirke ließ sich eine gleichmäßige Verteilung des Wahlrechts nicht herbeiführen, denn nahm man etwa die Verhältnisse des 17. Wahlbezirks zum Ausgangspunkt, mußten in der ersten Abteilung etwa 100, in der zweiten 120 und in der dritten 330, also insgesamt 550 Stadtverordnete gewählt werden,z88 Die Städteordnung forderte aber, daß jede Wählerklasse ein Drittel der Gemeindevertreter wählte. Unter Beibehaltung der bestehenden Wahlbezirkseinteilung wäre auch bei einer nur annähernden Gleichheit des Wahlrechts die für Berlin zulässige Höchstzahl von 180 Stadtverordneten weit überschritten worden. Wenn für die dritte Wählerabteilung angeordnet wurde, daß auf 1000 Wähler ein Stadtverordneter kam, stattete man weiterhin neun Wahlbezirke mit erheblichen Vorrechten aus, während sich die Zahl der Mandate in der dritten Abteilung auf zirka einhundert erhöhte, so daß insgesamt 300 Repräsentanten zu wählen waren, was die Städteordnung aber nicht zuließ. Es kam deshalb nur eine vollständige Neueinteilung der Kommunalwahlbezirke in Frage. Diese Ansicht teilte, wie wir bereits wissen, ursprünglich auch der Berliner Magistrat. Im Herbst 1881 dachte er freilich längst nicht mehr daran, sich in irgendeiner Form für das AufIösungsverfahren einzusetzen. Nachdem die kommunale Exekutive am 24. November eine entsprechende Vorteil "ziemlich getreu" geschildert. Berliner Tageblatt, Nr. 341, Ausgabe vom 25. Juli 1883. 286 Ebd. Siehe dazu ausführlich Kap. 10, Unterabschnitt 1. 287 Vgl. die Tab. 23 bis 25 im Stat. Anhang. 288 Auflösung, S. 34.

3. Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention 825

lage ausgearbeitet hatte,289 einigte sie sich am 23. März mit der Gemeindevertretung, den Erlaß eines deklaratorischen Gesetzes zu beantragen, das für die drei Ergänzungswahlen einer sechsjährigen Wahlperiode die Aufhebung des § 21 Absatz 3 der Städteordnung ermöglichte. Sobald der Magistrat eine neue Bezirkseinteilung vorgenommen hatte, sollten die Gemeindebehörden ermächtigt werden, bei den anschließend fälligen Ergänzungswahlen für jeden einzelnen Stadtverordneten den neuen Wahlbezirk unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse zu bestimmen. 29o Die zukünftig gerechtere Wahlbezirkseinteilung wollte der Magistrat durch abteilungsspezifische Wahlkreise erreichen. Anstelle der vorhandenen 42 Wahlbezirke sollten jeweils 14 Großwahlkreise treten. In Anlehnung an das unter der Gemeindeordnung praktizierte Prinzip waren diese Kreise nach Wählerklassen zu trennen und auf der Grundlage eines annähernd gleichen Wahl berechtigtenschlüssels abzugrenzen. Die Stadtverordneten-Versammlung widersprach, da das Verfahren weder den "historischen Zusammenhang" der bestehenden Wahlbezirke noch die zweckmäßige Größe der Wahlbezirke berücksichtigte. In kleineren Wahlbezirken sah man den Schutz der Minderheiten besser gewährleistet, während der Vorteil, daß nach dem Magistratsvorschlag die Gesamtwählerschaft alle zwei Jahre zur Kommunalwahl aufgerufen wurde, durch die Reduktion des Wahlrechts infolge größerer Wahlkörper relativiert wurde?91 Die Stadtverordnetenmajorität plädierte für die dritte Wählerklasse, die Stadt unter Beibehaltung der Grenzen ihrer historischen Stadtgebiete in 42 Wahlbezirke zu teilen. Die Grenzen der Wahlbezirke der dritten Abteilung sollten den Wahlbezirken der bei den anderen Wählerklassen in der Weise zu Grunde gelegt werden, daß die Wahlkreise nach der Zahl der vorhandenen Stimmberechtigten erweitert oder verengt wurden. 292 Zukünftig planten die Stadtverordneten die Wahlbezirks grenzen derart zu verändern, daß sie vom Zentrum zur Peripherie oder umgekehrt verschoben wurden. Ein geringfügig abweichendes Verfahren hatte Richard Boeckh, der Leiter des Statistischen Büros der Stadt, 1878 vorgeschlagen. Boeckh sah für jede Wählerklasse eine besondere Einteilung vor. In fünfzehn Stadtbezirken, deren Grenzen mit den Standesamtsbezirken oder den historischen Stadtteilen Vorlage DS Nr. 667 in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1292, BI. 9 f. Vorlage Nr. 58, DS Nr. 485 vom 19. September 1882. Abdruck in: CBIBln, 23. Jg. (1882), Nr. 40, S. 362. Die knappe Darstellung der Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung bei Scarpa, Gemeinwohl, S. 262 ff., informiert weder über die Gegensätze zwischen Magistrat und Kommunalvertretung noch über die mit der Wahlbezirksreform verbundenen gemeinderechtlichen Probleme. 291 Bericht Stryck, 23. März 1882. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1292, BI. 97. Vgl. dazu die Protokolle der Ausschußsitzungen vom 10. Januar, 11. Februar und 13. März 1882. A.a.O., BI. 91-95. 292 A. a. 0., BI. 100. 289

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zusammenfielen, wurden nach den örtlichen Verhältnissen für die einzelnen Wählerklassen besondere Wahlbezirke gebildet, die jeweils einen Stadtverordneten wählten. Auf diese Weise konnten sowohl historische Stadtteilgrenzen berücksichtigt als auch eine relativ ausgewogene Verteilung der Wahlberechtigten erreicht werden. 293 Gegen die Absichten der Kommunalkörperschaften widersprach das Conservative Central-Comite in einer weiteren, an das Staatsministerium gerichteten Petition der gesetzlichen Ausnahmeregelung für Berlin. Mit dem vorgeschlagenen Verfahren war keine radikale Beseitigung der Wahlungerechtigkeiten zu erreichen. Wenn der Vorschlag der städtischen Körperschaften innerhalb eines Jahres Gesetzeskraft erhielt, verblieben die beim letzten Wahltermin, das hieß die vor einem Jahr gewählten Stadtverordneten immer noch bis Ende 1886 im Amt. Demnach war frühestens zum 1. Januar 1887 mit einem neuen Modus für die Wahl der Gemeindevertretung zu rechnen. 294 Bei den ersten Wahlterminen wären weiterhin erhebliche Beeinträchtigungen des Wahlrechts wirksam, da einerseits zu den Ergänzungswahlen nur jeweils ein Drittel der Wahlberechtigten aufgerufen wurde, andererseits die betroffenen Wahlbezirke im allgemeinen über die ganze Stadt zerstreut lagen. Die Neueinteilung der Wahlbezirke konnte darüber hinaus nur in der Weise geschehen, daß die Wähler der Abteilungen, entsprechend der jetzigen Zahl der Stadtverordneten, jeweils 14 Vertreter zu wählen hätten. Berlin war demzufolge für jede Abteilung in höchstens 14 Wahlbezirke einzuteilen, von denen jeder einzelne drei Stadtverordnete in Zwischenräumen von zwei Jahren wählen mußte. Da nach dem Vorschlag des Magistrats im nächsten Jahr bereits sämtliche Wahlberechtigten an der Wahl teilnehmen sollten, würde das Wahlrecht der nach der alten Bezirkseinteilung allein zur Wahl berechtigten Wähler auf ein Drittel reduziert werden, weil der Kreis der auf einen Stadtverordneten fallenden Wähler im allgemeinen auf das Dreifache anstieg. Wenn der Magistrat nicht einzelne Wähler in ihrem Wahlrecht beschränken wollte, war er bei der Neueinteilung der Wahlbezirke nicht ganz ungebunden. Er konnte eben höchstens 14 Wahlbezirke für jede Abteilung bilden. Diese Zahl hielt das Conservative Central-Comite, wie bereits die Stadtverordnetenmajorität befunden hatte, für entschieden zu klein. Bei Wahlbezirken mit nahezu 100000 Einwohnern ging namentlich in der dritten Wählerabteilung jeder persönliche Kontakt zu den Kandidaten verloren. Die Befürchtung des Magistrats, daß durch die beantragte Auflösungsverfügung die Kontinuität der Verwaltung unterbrochen würde, hielten die KonservatiVgl. SJbdStBln, 4. Jg. (1878), S. 220 f. Siehe, auch im folgenden, die Petition des Conservativen Central-Comites vom 16. November 1881. Abdruck in: Auflösung, S. 36 f. 293

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ven für völlig unbegründet. Das Städterecht gab nicht nur die allgemeine Möglichkeit, staatliche Kommissare mit der Fortführung der Geschäfte zu betrauen, sondern auch die bisherigen Stadtverordneten als Kommissare einzusetzen, so daß in keinem Fall mit einer Gefährdung der Verwaltung zu rechnen war. Der Berliner Magistrat schloß sich zwischenzeitlich der Auffassung der linksliberalen Mehrheit an und stellte das Auflösungsverfahren, soweit es in den Zusammenhang mit der Neuordnung der Kommunalwahlbezirke gebracht wurde, als ungesetzlich dar. Die Auflösung der Kommunalvertretung war dem Magistrat zufolge - das hatte schon Ludwig Loewe betont - eine besondere "Strafmaßregel". Der § 79 der Städteordnung bildete mit den beiden vorhergehenden Paragraphen zum Beanstandungs- und Zwangsetatisierungsrecht einen besonderen "Klimax", sowohl im Hinblick auf die zum Handeln berufenen Staatsorgane als auch der von ihnen vorzunehmenden Handlungen. "Es erscheint der unbefangenen Auffassung nichts natürlicher", so der Magistrat, "als daß nach dem Sinn des Gesetzes auch die thatsächlichen Voraussetzungen für diese Handlungen einen Klimax bilden sollten", und daß sowohl die §§ 77 und 78 als auch der § 79 ein schuldhaftes Verhalten der Stadtverordneten voraussetzten, und zwar ein schweres Fehlverhalten, auf das nur mit dem radikalen Mittel der Auflösung reagiert werden konnte. 295 Der Magistrat sah sich durch die allgemeine Geschichte des Auflösungsrechts und die besondere Entstehungsgeschichte des § 79 in der Auffassung bestärkt, daß der Gesetzgeber nur für den Fall eines das Staatswohl gefährdenden Verhaltens die Auflösung als Mittel der staatlichen Aufsicht vorgesehen hatte. Schließlich bezweifelte der Magistrat, ob die nach erfolgter Auflösung neu gewählte Gemeindevertretung als eine legale Vertretung der Bürgerschaft zu betrachten war, wenn die Wahl auf der Grundlage reformierter Wahlbezirke erfolgte. Die Städteordnung garantierte den Kommunen grundsätzlich eine Kontinuität ihrer Verwaltung, die einerseits durch die alle zwei Jahre vorzunehmende Ablösung eines Drittels der Stadtverordneten, andererseits durch die Erhebung der einmal fungierenden Wahlkörperschaften zu dauernden Einrichtungen gewahrt wurde. Die Auflösung der Gemeindevertretung hob eben nicht die Fortdauer der Wahlkörperschaften auf. Dazu bedurfte es einer besonderen Bestimmung, die in der Städteordnung fehlte?96 Der Hinweis des Berliner Magistrats auf die Gesetzeslücke der Städteordnung bei der Regelung von Neuwahlen im Zusammenhang mit Wahlbe295 Bericht des Berliner Magistrats an den Oberpräsidenten von Achenbach, 11. Juni 1882. Abdruck in: VerwBBln, 1877-1881, T. 1, Anhang, S. 231. 296 A. a. 0., S. 233 f.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

zirksänderungen war sicherlich richtig, ansonsten hielt seine Auffassung keiner näheren Prüfung stand. Oberpräsident von Achenbach ließ es sich nicht nehmen, den Magistrat darauf hinzuweisen, daß er noch im Frühjahr 1878 die Auflösung der Gemeindevertretung als "zweckentsprechendes Mittel" für die Neuordnung der Wahlbezirke angesehen hatte?97 Der § 14 der Städteordnung übergab dem jeweiligen Magistrat das Recht zur Abänderung der Wahlbezirksgrenzen, das schloß jedoch, so von Achenbach, die Verpflichtung ein, eine neue Abgrenzung, sobald sie im öffentlichen Interesse erforderlich war, tatsächlich vorzunehmen. Die Beschränkung der regelmäßigen Gemeindewahlen auf die bestehenden Wahlbezirke bezog sich nach Ansicht des Oberpräsidenten nur auf die turnusmäßigen Ergänzungs- und Ersatzwahlen, nicht aber auf allgemeine Neuwahlen. Von Achenbach folgte der Argumentation des Conservativen Central-Comites, wenn er ein deklaratorisches Gesetz als Ausnahmeregelung ablehnte. Eine zeitweilige Außerkraftsetzung der Wahlregelungen war kaum mit der Städteordnung zu vereinbaren. 298 Im Gegensatz zur kommunalen Ansicht war Achenbach der Meinung, daß der § 79 der Städteordnung weder von seiner Entstehungsgeschichte noch seinem Inhalt nach nur als Strafmaßregel zu interpretieren sei. Das unterstrich auch Innenminister von Puttkamer, der bereits mit dem in der Gemeindeordnung von 1850 festgelegen Auflösungsrecht eine in "ganz unbedingtem Umfange und ohne alle Begründung der Maßregel,,299 übertragene Befugnis der Staatsregierung begründet sah. Der Minister des Innem kritisierte die Unfähigkeit der Magistratsverwaltung, einen spätestens seit Beginn der siebziger Jahre als unhaltbar erkannten Zustand durch eine entsprechende Reform aufzuheben. Es war nicht zumutbar, die vollständige Neuordnung weitere sechs bis acht Jahre hinauszuschieben. Grundsätzlich erschien es bedenklich, "zur Hebung von Mißständen zu stückweiser Änderung eines organischen Landesgesetzes zu greifen, während die am raschesten und sichersten zum Ziele führende Hilfe in der durch dasselbe Gesetz (d. h. - die Städteordnung) an die Hand gegebenen Ausübung der landesherrlichen Autorität zu finden" war. Das Auflösungsverfahren sollte den städtischen Körperschaften um so leichter fallen, bemerkte von Puttkamer, als das Staatsministe297 Verfügung von Achenbach, 31. Mai 1882. Abdruck in: A.a.O., S. 228. VgI. auch den Erlaß des Innenministers von Puttkamer, 1. September 1882. Abdruck in: A.a.O., S. 241 f. Die Verfügungen auch in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1292, BI. 119 f. u. 124 f. 298 Verfügung von Achenbach, 31. Mai 1882. VerwBBln, 1877-1881, T. 1, Anhang, S. 228. 299 Erlaß von Puttkamer, 1. September 1882, auch zum folgenden Zitat. A. a. 0., S. 241 ff.

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rium zu keinem Zeitpunkt daran gedacht hat, für die Interimsphase kommissarische Verwalter einzusetzen. Die Auflösung sollte erst nach Abschluß der organisatorischen Vorarbeiten des Magistrats angeordnet werden und im unmittelbaren Anschluß die Neuwahlen stattfinden. 3°O Es mutete wie ein Zynismus an, wenn der Magistrat, der sich seit Jahren um eine gerechtere Vertretung der Großstädte im Landesparlament bemühte, seine ablehnende Haltung in der Frage der kommunalen Wahl bezirksreform mit dem Argument zu untermauern suchte, daß eine arithmetische Gleichwertigkeit der Wahlrechte auf keinem Gebiet des Staatslebens, auf welchen man repräsentative Körperschaften zur Mitwirkung berufen hatte, herzustellen, noch weniger dauernd zu erhalten war?OI Eugen Richter hatte Berlin schlichtweg ein moralisches Recht, über die mangelnde Vertretung im Landtag zu klagen, abgesprochen, "solange es in seinem Inneren viel schlimmere Verhältnisse duldet(e),,?02 Zu Recht wurde dem Magistrat die unzureichende Berücksichtigung der Wählerschaft und ihres Wahlrechtes vorgeworfen. Der einzelne Wähler wurde durch die Auflösung der Gemeindevertretung in keiner Weise berührt. Wenn aber die Bürger der inneren Stadtbezirke nach der Neuordnung der Kommunalwahlbezirke ein geringeres Wahlrecht erhielten, wurde ihnen nur ein widerrechtlich gewährtes Vorrecht genommen, während die Wähler der großen Wahlbezirke, wie etwa in der Luisenstadt, endlich das ihnen zustehende Wahlrecht bekamen?03 Der Versuch, bei den Reichstagswahlen von 1881 die Hauptstadt dem Einfluß des Fortschritts zu entreißen, scheiterte trotz aller agitatorischen Bemühungen der konservativen Bewegung. In allen Berliner Reichstagswahlkreisen konnte die Fortschrittspartei ihre Mandate behaupten. Gleichwohl war den Konservativen der Einbruch in den bürgerlichen Mittelstand gelungen. Mit einem Gewinn von 32000 Stimmen im Vergleich zur Wahl von 1878 waren die Konservativen in Berlin zur zweitstärksten politischen Kraft herangewachsen. Den insgesamt 46000 konservativen Stimmen standen 89000 fortschrittliche gegenüber, d.h. die Fortschrittspartei hatte ihren Anhang weitgehend mobilisieren und noch leichte Gewinne erzielen können. Im Reich behauptete sich der Linksliberalismus auf Kosten der Nationalliberalen. Sezession und Fortschritt gewannen 106 Sitze, während der Wähleranteil des Nationalliberalismus weiter dramatisch abgenommen hatte: Anstelle der vormalig gehaltenen 99 Mandate konnten nur 52 Sitze behauptet werden. Das Kabinett Bismarck hatte zwar eine Wahl niederlage Verfügung von Achenbach, 31. Mai 1882. A.a.O., S. 229. Beschwerdeschreiben des Berliner Magistrats, 11. Juni 1882. A. a. 0., S. 234 f. Auch in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1292, BI. 120 ff. 302 Rede E. Richter. StVVersBln, 13. Januar 1876. StBBln 1876, S. 13. 303 V gl. Auflösung, S. 17. 300 301

54 Grzywatz

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einstecken müssen - es gab keine Mehrheit für die Kanzlerpolitik -, aber von einer Festigung des Liberalismus oder einer Erweiterung seiner Basis ließ sich kaum sprechen. In Berlin trat man in dieser Situation den kommunalpolitischen Aktivitäten der Konservativen uneingeschränkt mit aller Schroffheit entgegen, auch wenn sich abzeichnete, daß die konservative Bewegung sich mit der Begründung der sogenannten "Bürgerpartei" vom völkischen Antisemitismus trennte. Die außerordentliche Politisierung der Kommunalwahlen und der Wahlbezirksreform ließ innerhalb des Stadtbürgertums die Front der Befürworter einer zügigen Neugestaltung der Wahlkreise im Wege des Auflösungsverfahrens bröckeln. Der Bezirksverein Dennewitz-Platz, der sich seit Jahren für diesen Weg ausgesprochen hatte, erklärte die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung im Februar 1882 zu einer schweren Schädigung für die Gemeindeverwaltung und stellte sich auf den Boden der Magistratsvorlage vom 24. November. 304 In der gleichen Weise sprach sich der liberale Verein des Halleschen Torbezirks aus. 305 Wenn man in der Opposition gegen das Auflösungsverfahren auch mit den Kommunalkörperschaften einig war, die Einrichtung von Großwahlkreisen wurde in den Stadtbezirken weiterhin abgelehnt. Die Berliner Presse kam in der Beurteilung der Wahlbezirksreform zu keiner einheitlichen Auffassung. Die Versäumnisse der Stadtbehörden wurden vor allem von den liberalen Blättern bedauert, die StadtverordnetenVersammlung noch im Februar beschworen, die überfällige Reform ebenso energisch wie selbständig auszuführen, da die Staatsregierung offensichtlich wünschte, die Neugestaltung der Kommunalwahlkreise im Einverständnis mit den Gemeindekörperschaften vorzunehmen. 306 Als die konservativen Zeitungen in der ersten Junihälfte über die bevorstehende Auflösung der Kommunalvertretung berichteten, mochte das in der liberalen Öffentlichkeit niemand recht glauben. Die Verfügung des Oberpräsidenten vom 31. Mai war wohl bekannt geworden, über die Haltung des Staatsministeriums herrschte indessen Unklarheit. Als Urheber und Förderer des Auflösungsverfahrens machte die Presse Innenminister Puttkarner aus. Man vermutete jedoch, daß die übrigen Mitglieder der Regierung und insbesondere der Reichskanzler sich gegen den Plan ausgesprochen hatten. Die freikonservative Post hatte nicht grundlos Zweifel an der Zweckmäßigkeit des Auflösungsverfahrens geäußert. 307 Die liberale Öffentlichkeit hoffte auf eine Abwendung der staatlichen Maßregel und sah sich durch den Hinweis auf eine, allerdings nicht bestätigte Äußerung des Monarchen 304 305 306

Resolution vom 22. Februar 1882. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1292, BI. 83. Resolution vom 13. März 1882. A.a.O., BI. 101. Berliner Tageblatt, Nr. 95 u. 99, Ausgaben vom 25. u. 28. Februar 1882.

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bestätigt, nach der eine Intervention der Kommunalaufsicht nicht mit der loyalen Haltung des Berliner Stadtbürgertums zur Monarchie zu vereinbaren und folglich die erforderliche landesherrliche Genehmigung zur Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung nicht zu erhalten war. 308 Durch die Initiative des Conservativen Central-Comites war die Berliner Wahlbezirksrevision soweit zu einer politischen Frage geworden,309 daß die Reformversäumnisse und das Problem der Wahlrechtsgleichheit verharmlosend mit dem Etikett "Mißstände" versehen wurden. Die hauptstädtische Öffentlichkeit war überwiegend am Ob und Wie des Auflösungsverfahrens und weniger an der rechtlich-materiellen Seite der disproportionalen Wahlbezirkseinteilung interessiert. Nachdem die offiziöse Presse in einer ausführlichen Abhandlung zur Berliner Wahlbezirksreform versichert hatte, daß die Staatsregierung die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung weder als eine gegen deren Tendenz gerichtete politische Maßnahme betrachtete noch in diesem Sinne zu nutzen gedachte,3JO mehrten sich unter den Hauptstadtblättern die Stimmen, die sich weigerten, im Auflösungsverfahren lediglich einen feindseligen Akt gegen die liberale Selbstverwaltung zu sehen. Wenn auch nicht in Abrede zu stellen war, bemerkte die großbürgerliehe Börsen-Zeitung,311 daß auf gouvernementaler Seite eine politisch andersgeartete Zusammensetzung der Berliner Kommunalvertretung als Ergebnis der reformierten Wahllaeiseinteilung gewiß nicht ungern gesehen wurde, so war alle Aufgeregtheit überflüssig, da der Handlungsbedarf in der Wahlbezirksfrage seit Jahren allseits anerkannt und die bestehende Gemeindewahlorganisation nicht länger aufrechtzuerhalten war. Die liberale Presse laitisierte Ende Januar 1883 die Untätigkeit der Fortschrittspartei im Hinblick auf die Novellierung der Städteordnung. Obwohl seit Monaten der Entwurf einer Novelle vorlag, hatte man bislang auf eine parlamentarische Initiative verzichtet. Damit beraubten sich die Liberalen der Möglichkeit, das Auflösungsverfahren durch eine neue gesetzliche Regelung zur Wahlbezirksrevision abzuwenden. 312 Zumindest hätte der Linksliberalismus mit einem solchen Schritt gegenüber der Öffentlichkeit unterstrichen, daß er alles zu tun bereit war, um die ungerechte Wahlbezirkseinteilung zu beseitigen. Im Falle einer Ablehnung der Gesetzesinitiative durch den Landtag wären die Berliner Kommunalverwaltung und die Abge307 Vgl. Berliner Tageblatt, Nr. 266, 295, 315, 326, 330, 341 u. 343, Ausgaben vom 10. u. 28. Juni, 9., 15., 18., 25. u. 26. Juni 1882. Vossische Zeitung, Nr. 321, Ausgabe vom 13. Juli 1882. 308 Berliner Tageblatt, Nr. 267, Ausgabe vom 11. Juni 1882. 309 Vgl. Berliner Tageblatt, Nr. 49, Ausgabe vom 30. Januar 1883. 310 Deutscher Reichs-Anzeiger, Nr. 217, Ausgabe vom 15. September 1882. 311 Berliner Börsen-Zeitung, Ausgabe vom 15. September 1882. 312 Berliner Tageblatt, Nr. 49, Ausgabe vom 30. Januar 1883. 54*

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ordneten der Berliner Landtagswahlkreise aus der Verantwortung für die Fortdauer der kommunalen Wahlrechtsungleichheit entlassen worden. Das Kalkül der linksliberalen Hauptstadtpresse ging indes nicht auf. Einerseits entschloß sich die Fortschrittspartei erst Ende Februar, die Novelle dem Abgeordnetenhaus vorzulegen, 313 andererseits hatte sich die Staatsregierung endgültig entschlossen, die Reform im Wege des Auflösungsverfahrens durchzuführen. Der Rekurs des Magistrats gegen das vom Oberpräsidenten erwogene Auflösungsverfahren blieb ohne Erfolg. Innenminister von Puttkarner bestätigte am 1. September die Verfügung Achenbachs vom 31. Mai 1882. Die städtischen Körperschaften reagierten mit Empörung. Abgewogene Urteile über die ministerielle Anordnung waren in dieser Situation nicht zu erwarten. In einer am 26. September einberufenen außerordentlichen Versammlung der Gemeindevertretung stand man einmütig zusammen in der, wenn auch nur deklaratorischen Abwehr eines staatlichen Eingriffs, den man als "Abschluß einer ganzen Reihe von Maßnahmen" interpretierte, deren "Endziel" der "Schlag gegen das lebendige Wesen der Selbstverwaltung, gegen die Grundbedingungen der Selbstbestimmung der Gemeinden innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse,,314 war. Dem Innenminister bescheinigte der nationalliberale Justizrat Heinrich Horwitz, daß er die ganze Angelegenheit weder vollständig überblickt hatte noch ihr gewachsen war. Ludwig Loewe und Walter Büchtemann sprachen von einer "Vergewaltigung des bestehenden Rechts,,315 beziehungsweise einer "schwere(n) und flagrante(n) Rechtsverletzung".316 Loewe verstieg sich zu der Ansicht, daß der Minister des Innem die "politische Maßregelung" der Gemeindevertretung nur deshalb so zaghaft durchführen ließ und sie vor allem nicht als solche offiziell zu bezeichnen wagte, weil "an keiner Stelle mehr eine richtige Auffassung von der sachlichen Haltung, von der Tüchtigkeit und der Gewissenhaftigkeit, der Pflichterfüllung der städtischen Behörden obwaltet, als an der entscheidensten Stelle in unserem Reiche, bei der Person unseres Kaisers, und ... kein Minister von noch so großer Gewalt hätte wagen können, dem Kaiser diese Maßregel aus politischen Motiven anzuempfehlen. Auf der anderen Seite aber", fuhr Loewe mit Nachdruck fort, "wollte sich der Minister dem Fiasko nicht aussetzen, welches unzweifelhaft dieser Maßregel folgen wird, denn, wie sehr auch die Machinationen fortgesetzt werden mögen, wie sehr man auch Hochdruck anwenden wird, wie man es auswärts vielleicht nicht mehr für nöthig fin313 Vgl. die Erklärungen Loewes und R. Nathanson auf der Versammlung des Bezirksvereins Alt-Kölln. Berliner Tageblatt, Nr. 91, Ausgabe vom 23. Februar 1883. 314 Rede Horwitz. StVVersBln, 26. September 1882. StBBln 1882, S. 341. 315 Rede Loewe. StVVersBln, 26. September 1882. A. a. 0., S. 345. 316 Rede Büchtemann. StVVersBln, 26. September 1882. A.a.O., S. 348.

3. Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention 833

det, - es wird Alles nichts nützen, an dem gesunden Sinn der Bürgerschaft werden alle Maßregeln scheitern, und wir werden eine Versammlung sehen, die, wenn sie nicht ganz ebenso zusammengesetzt ist wie diese, in den Augen des Ministers noch ein schlimmeres Ansehen haben wird, als die heutige Versammlung".317 Diese Beschwörung bürgerlichen Pflichtgefühls stand im Gegensatz zu den langjährigen Versäumnissen der städtischen Körperschaften, während das Bild kommunaler Einigkeit von den politischen Projektionen der liberalen Stadtverordnetenmehrheit bestimmt war. Die Zwanghaftigkeit des Konsenses wurde nirgends deutlicher als bei der am Schluß der Plenardebatte angesetzten Abstimmung über die Resolution des Stadtverordneten Horwitz, die dem Magistrat die Anerkennung "für den Ernst und Nachdruck" aussprach, mit denen er "für das Recht und die gefährdeten Interessen des städtischen Gemeinwesens wie für diejenigen der kommunalen Selbstverwaltung eingetreten,,318 war. Die vorhandenen Gegenstimmen wurden nicht einmal zur Kenntnis genommen. Unter Beifall der Mehrheit wies Stadtverordneten-Vorsteher Straßmann das Verlangen nach einer Gegenprobe mit der drohenden Bemerkung ab: "Sollte in der That ein Mitglied sich in der Versammlung finden, welches in dieser Frage von der Ansicht der Versammlung abweicht, so wird dieses Mitglied dem Theile der Bürgerschaft, der ihn gewählt und ihm sein Vertrauen geschenkt hat, nachzuweisen haben, daß es dieses Vertrauen verdient".319 Das Stadtbürgertum sprach der Stadtverwaltung in zahlreichen Resolutionen das Vertrauen aus und erklärte kämpferisch, bei der bevorstehende Wahl nur "entschieden liberale" Kandidaten zu wählen?20 Das Berliner Tageblatt vermutete in seiner Ausgabe vom 22. April, daß zwischen der Auflösungsordre und der möglicherweise im November vorgesehenen Neuwahl genügend Zeit verbleiben würde, um die politische Kontinuität in der hauptstädtischen Kommunalvertretung zu sichern?21 Einen Tag später, am 23. April 1883, erging die landesherrliche Auflösungsverordnung. Das Staatsministerium wurde angewiesen, zur "Feststellung neuer zweckentsprechender Kommunalwahlbezirke" die Berliner Stadtverordneten-Versammlung zum 1. Januar 1884 nach § 79 der Städteordnung aufzulösen. 322 Rede Loewe. A. a. 0., S. 344. A.a.O., S. 348 f. 319 Rede Straßmann. StVVersBln, 26. September 1882. A. a. 0., S. 349. 320 Vgl. die Resolutionen der Bezirksvereine Südliche Friedrichstadt, Köpenicker Stadtviertel und Rosenthaler Vorstadt sowie des Liberalen Bürgervereins der Prenzlauer Vorstadt und des Freisinnigen Bezirksvereins des Ostens. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1292. 321 Berliner Tageblatt, Nr. 185, Ausgabe vom 22. April 1883. 322 VerwBBln, 1882-1888, T. 1, S. 14. 317

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

In dem vorläufigen Entwurf eines Tableaus neuer Kommunalwahlbezirke vom Dezember 1881 hatte der Berliner Magistrat auf die nach den aktuellen Steuerleistungen der Gemeindewähler ermittelten Durchschnittswerte entscheidendes Gewicht gelegt, dagegen die historisch gewachsenen und die sich aus örtlichen Interessensgemeinschaften ergebenden Stadtteilgrenzen völlig in den Hintergrund treten lassen. Oberpräsident von Achenbach sah die Berechtigung des vom Magistrat eingeschlagenen Verfahrens ein, da die Städteordnung vorschrieb, die Grenzen der Gemeindewahlbezirke nach Maßgabe der Zahl der stimmfähigen Bürger festzustellen. Die Vorschrift schloß nach seiner Auffassung freilich keineswegs aus, erhebliches Gewicht auf eine "naturgemäße innere Zusammengehörigkeit" der einzelnen Bezirke zu legen. 323 Gerade der stete Wandel der Zahl der stimmfähigen Bürger in den einzelnen Wahlabteilungen und die Schwankungen ihrer Verteilung auf die verschiedenen Stadtgegenden machte, so der Oberpräsident, die Berücksichtigung der historisch gewachsenen Stadtteilgrenzen erwägenswert. In Anlehnung an die älteren Reformvorschläge Ernst Bruchs324 hatte sich der Magistrat für die Konstituierung von großen Wahlbezirken entschieden. Für alle drei Wählerabteilungen waren 14 Wahlbezirke vorgesehen, in denen jede Klasse jeweils drei Stadtverordnete wählte. Vermutlich folgte man dem Gedanken Bruchs, daß bei einer geringeren Zahl von größeren Wahlbezirken, die einzelnen Wahlkörper öfter, eventuell sogar regelmäßig zu den zweijährigen Ergänzungswahlen berufen werden könnten?25 Oberpräsident von Achenbach akzeptierte die vom Magistrat geplante Einrichtung von jeweils 14 Wahlbezirken für die erste und zweite Wählerabteilung, für deren Abgrenzung forderte er jedoch ein auf der Bevölkerungsziffer wie den historischen Grenzen beruhendes Verfahren. Für die dritte Wählerabteilung verlangte von Achenbach eine den hohen Wählerziffern angemessene Unterteilung. Er folgte dem früheren Vorschlag der Stadtverordneten und ordnete an, jeden der geplanten 14 Wahlbezirke nochmals in drei Unterbezirke zu teilen, so daß für die dritte Wählerabteilung insgesamt 42 Kommunalwahlbezirke zur Verfügung standen?26 Der Septembererlaß Puttkarners ging ebenfalls davon aus, daß die doppelseitige Berücksichtigung der örtlichen Steuerleistungen wie der Zusammengehörigkeitsinteressen am ehesten den Verhältnissen Berlins entsprechen würden. Der Kommunalverwaltung wurde keine gen aue Ausführungsanweisung gegeben, da der Minister des Innern keinen zwingenden Anlaß 323 Verfügung von Achenbach, 31. Mai 1882. Abdruck in: VerwBBln, 18771881, T. 1, Anhang, S. 229. 324 Vgl. Bruch, Gemeindewahlen, S. 121 ff. 325 A.a.O., S. 123. 326 Verfügung von Achenbach, 31. Mai 1882. Abdruck m: VerwBBln, 18771881, T. I, S. 230.

3. Konstituierung von Kommunalwahlbezirken unter staatlicher Intervention 835

sah, den Magistrat in seinen nach § 14 der Städteordnung geregelten Funktionen zu beschränken. 327 Der Magistrat folgte schließlich dem in der Oberpräsidial verfügung angeregten Verfahren und legte der StadtverordnetenVersammlung im September 1882 ein entsprechendes Tableau mit den neuen Gemeindewahlbezirken vor. 328 Diese Einteilung wurde nach einer nochmaligen Überarbeitung im folgenden Monat für die Kommunalwahlen bindend. Die neue Wahlkreiseinteilung brachte vor allem für die dritte Wählerabteilung eine größere Wahlgerechtigkeit. Zwar blieb die Spannbreite der bezirklichen Wahlberechtigtenziffern mit 2596 (1673) bis 4220 (5171) Wählern erheblich, aber insgesamt hatte ein größerer Ausgleich stattgefunden, so daß sich die Abweichungen von der rechnerischen Durchschnittswählerzahl der Wahlkreise (3560) in Grenzen hielten. 329 In der ersten und zweiten Wählerabteilung ließ sich in ähnlichem Maße ein Ausgleich herstellen. Die Abweichungen von den durchschnittlichen Wählerziffern fielen nicht wesentlich gravierender aus. In der ersten Abteilung schwankte sie bei einer Durchschnittszahl von 225 Wählern zwischen 199 und 274 Wahlberechtigten, in der zweiten Abteilung bei durchschnittlich 1100 Wählern pro Bezirk zwischen 926 und 1256 Stimmberechtigten. 33o Die differierende Anzahl der Wahlbezirke hatte bei allen Konsequenzen für den Ausgleich des Stimmengewichts einen entscheidenden Nachteil für die Wähler der dritten Abteilung. Auf Grund der höheren Zahl der Wahlbezirke rief das System der Ergänzungswahlen die Wähler dieser Klasse nur alle sechs Jahre zur Wahl, während die Stimmberechtigten der ersten beiden Klassen im zweijährigen Rhythmus von ihrem Recht Gebrauch machen konnten. Die Regelung sollte später die Kritik der Sozialdemokratie herausfordern. Die "merkwürdige Angelegenheit", wie das irritierte Berliner Tageblatt das Auflösungsverfahren einmal charakterisierte,33l hatte mit der neuen Wahlkreiseinteilung ihr Ende gefunden. Die Neugestaltung war weniger eine Niederlage der städtischen Körperschaften als der kommunalen Selbstverwaltung, die sich als unfähig erwiesen hatte, aus eigener Kraft die partikularen Interessen in die Schranken zu verweisen und eine notwendige, letztlich auch integrative Funktionen ausübende Reform durchzusetzen. Es 327 Erlaß von Puttkarner, 1. September 1882. Abdruck in: VerwBBln, 1877-1881, T. 1, S. 243. 328 Vgl. Tab. 26 im Stat. Anhang. 329 Siehe den Bericht des Berliner Tageblatts, Nr. 469, Ausgabe vom 7. Oktober 1882. In den Klammem die entsprechenden Ziffern des vorläufigen, beim Oberpräsidenten eingereichten Tableaus, das in Tab. 26 wiedergegeben ist. 330 Nach den späteren Magistratsangaben lagen die Abweichungen insgesamt etwas höher. VerwBBln, 1882-1888, T. 1, S. 14 331 Berliner Tageblatt, Nr. 295, Ausgabe vom 28. Juni 1882.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

war in gewisser Weise erstaunlich, wie wenig der Magistrat seine Kompetenzen wahrgenommen hatte, denn die Wahlbezirksrevision fiel in die Zuständigkeit der kommunalen Exekutive und war nicht von der Zustimmung der Kommunalvertretung abhängig. Die abschließenden Vorwürfe Virchows gegen das zögerliche Handeln des Innenministers kann nicht darüber hinweg täuschen, daß die kommunalen Instanzen der Hauptstadt die Wahlkreisreform seit Ende der fünfziger Jahre laufend verschleppt und auf diesem Wege nicht unerheblich zur Verschärfung der politischen Konfrontation beigetragen haben. Die Notwendigkeit personeller Kontinuität in der Gemeindeadministration, die sich möglicherweise aus der Verbindung von ausführender Verwaltung und Vertretungskörperschaft im Amt der Deputation ergab, war nicht, wie Virchow glaubte,332 Anlaß des von den preußischen Reformern entwickelten Systems der Ergänzungswahlen. Es war ursprünglich vielmehr ein strukturelles Korrektiv gegen den politischen und administrativen Immobilismus in den Gemeinden. 333 Wenn sich in der kommunalen Praxis die längeren Amtszeiten im Ehrenamt als nützlich erwiesen hatten - das wurde bereits dargestellt 334 -, konnten sie dennoch weder die Verweigerung von Partizipationschancen rechtfertigen noch die personelle Kontinuität zu einer Funktion des kommunalen Wahlsystems erklären. Im Oktober 1883 fanden in Berlin die Neuwahlen auf der Grundlage der reformierten Wahlbezirkseinteilung statt. Sie brachten keinen politischen Umsturz. Die Bedeutung der Wahl war von der Berliner Bürgerschaft mit großer Sensibilität erkannt worden. Rund 42 Prozent der Wahlberechtigten machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch, eine Beteiligung, die in der ganzen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht noch einmal erreicht wurde. 335 Die Liberalen gewannen sämtliche Mandate in der ersten und zweiten Wählerabteilung, nur in der dritten Klasse konnte die konservative Bürgerpartei zehn Mandate erringen, mit fünf Mandaten trat zum ersten Mal die Sozialdemokratie in die Gemeindevertretung ein. 336 Die Berliner Wahlkreisreform hatte ein aktuelles Problem des kommunalen Wahlsystems gelöst. Offen blieben die Fragen, ob die Reform nur eine zeitweilige Lösung darstellte und wie zukünftig allgemein oder bei möglicherweise im Rhythmus eines sechsjährigen Ergänzungszyklus erforderlichen Korrekturen verfahren werden sollte. Rede Virchow, 10. Mai 1883. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1292. Vgl. dazu Kap. 2, Unterabschnitt 7. 334 Siehe Kap. 4, Unterabschnitt 6. 335 Vgl. Tab. 2 im Stal. Anhang. 336 Hirsch, Arbeit, S. 2. Hermes, Stadtverordnetenwahlen, S. 5. Zur Wahl von 1883 vgl. auch Kap. 7, Unterabschnitt 4. 332 333

4. Städtischer Widerstand gegen Auflösung der Gemeindevertretungen

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4. Städtischer Widerstand gegen das Recht des Staates zur Auflösung der Gemeindevertretungen

In einer Stadt, die seit 1873 jährlich um 30 bis 40000 Einwohner wuchs, war nicht zu erwarten, daß sich die Bevölkerungszunahme gleichmäßig auf alle Stadtteile verteilte. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, die Bebauungs- und Verkehrsentwicklung erlangten zu keinem Zeitpunkt jene Ordnung, die ein disproportionales Bevölkerungswachstum in den verschiedenen Teilen der Stadt hätte verhindern können. Abgesehen von den konkreten Umständen der Auflösung der Gemeindevertretung und der Reorganisation der Kommunalwahlbezirke bestand in der Metropole das grundlegende Problem einer sich ständig fortbildenden Diskrepanz zwischen Bevölkerungswachstum und Partizipationschancen weiter. Für die künftige Entwicklung der Kommunalwahlbezirke mußte demzufolge nach einer einfacheren gesetzlichen Regelung gesucht werden. Das Auflösungsverfahren konnte nicht, darin war der Berliner Gemeindevertretung beizupflichten, als ständiges Mittel für innerstädtische Organisationsfragen angewandt werden. Die Berliner Abgeordneten Straßmann und Zelle legten im Februar 1883 dem Abgeordnetenhaus einen Gesetzentwurf vor,33? mit dem die Möglichkeit eröffnet werden sollte, bei einer all zu großen Ungleichheit der Wählerzahlen durch Gemeindebeschluß eine neue Bezirkseinteilung herbeizuführen. Nach der Bestätigung durch die Aufsichtsbehörden sollte der Beschluß direkt vollzogen werden. Die Novelle zur Städteordnung, die ursprünglich durch den kommunalen Widerstand gegen die geplante Auflösung der Berliner Stadtverordneten-Versammlung motiviert war, sah praktisch eine zeitweilige Suspension der kommunalrechtlichen Regelungen zu den Ersatzund Ergänzungswahlen vor. Das Recht zur Anordnung einer Neueinteilung sollte auch der Aufsichtsbehörde zugestanden werden. War die neue Wahlbezirkseinteilung von der Aufsichtsbehörde bestätigt, hatte der Magistrat sofort bekanntzugeben, in welcher Ordnung die neuen Wahlbezirke bei den Ergänzungswahlen an die Stelle der bisherigen treten sollten. Der Entwurf wurde am 27. Juni 1883 der Gemeindekommission zur Beratung überwiesen. Der Schluß der Sitzungsperiode verhinderte seine Bearbeitung. Nachdem Straßmann und Zelle ihren Antrag in der folgenden Session erneut vorgelegt hatten, konnte nach Beschluß der Kammer vom 12. Dezember die Kommissionsberatung aufgenommen werden. In der aus 21 Mitgliedern bestehenden Kommission war mit dem Stadtverordneten-Vorsteher Straßmann ein hauptstädtischer Wahlkreis direkt vertreten. Mit dem Berli337 Entwurf eines Gesetzes vom 27. Februar 1883, betreffend die Abänderung der Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen der Preußischen Monarchie, vom 30. Mai 1853. AIPAH, 15. LP, 1. Sess. 1882/83, Bd. 2, AS Nr. 111, S. 1134; 2. Sess. 1883/84, Bd. 1, AS Nr. 25, S. 472 f.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

ner Amtsgerichtsrat Friedrich Franz Kochhann, der als Zentrumsabgeordneter den sechsten Koblenzer Wahlkreis repräsentierte, und dem ehemaligen Oberbürgermeister Hobrecht (Danzig 4) gehörten zwei weitere, bestens mit den Verhältnissen der Reichshauptstadt vertraute Parlamentarier der Kommission an. Schließlich saß mit dem Kammergerichtsrat Viktor Rintelen (Koblenz 2) ein weiterer in Berlin ansässiger Zentrumsabgeordneter in der Kommission. 338 Die Parlamentarier kamen schnell überein, daß sowohl theoretisch als auch praktisch ein Bedürfnis zur Ergänzung der Städteordnung (§ 21) vorhanden war. Theoretisch, weil die Zahl der Stadtverordneten nicht beliebig vermehrt werden konnte, ohne die erforderliche Leichtigkeit des Geschäftsgangs in Frage zu stellen; praktisch, weil nach den Vorgängen in Berlin das bislang geübte Verfahren, Ungleichmäßigkeiten bei der Wahlbezirkseinteilung durch Beschluß der Gemeindebehörden ohne Kenntnis der Regierungsbürokratie ausführen zu lassen, nicht mehr zu dulden war. Außerdem mußten die selbst in den Kommentaren zur Städteordnung auftretenden Unsicherheiten bzw. Meinungsunterschiede über die Bestimmungen zu den Ergänzungswahlen bzw. den Kommunalwahlbezirken beseitigt werden. Einer der maßgeblichen Kommentatoren des Gemeinderechts, der Liegnitzer Oberbürgermeister Oertel folgte beispielsweise der zeitweilig auch in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung vertretenen Auffassung, daß die Bestimmung, alle Ergänzungswahlen von denselben Abteilungen und Wahlbezirken vornehmen zu lassen, grundsätzlich nicht die Abänderung der Wahlbezirke zu verhindern imstande war, wenn eine gleichmäßigere Verteilung der Wahlberechtigten notwendig erschien. Die Regelung sollte lediglich die willkürliche Vertauschung der Wahlbezirke verhindern, ohne ein absolutes und unabänderliches Festhalten an bestehenden Wahlbezirksgrenzen vorzuschreiben. 339 Die Gemeindekommission erkannte das Bemühen des Gesetzentwurfs an, mit dem geplanten Verfahren einer allmählichen Umgestaltung der Wahlbezirkseinteilung "die in der Stadtverwaltung bestehenden Verhältnisse" und vor allem "die Kontinuität der Stadtverordnetenversammlung im Geiste der Städteordnung" zu erhalten. 34o Gleichwohl wurden Bedenken erhoben. Die vorgesehene Reorganisation beeinträchtigte allgemein die Interessen der Wahlberechtigten. Die dem Magistrat einzuräumende Befugnis, die Ordnung für die neuen Wahlbezirke bei den Ergänzungs- und Ersatzwahlen 338 BerGemKom, Landrat Max Eduard Wes sei, 6. März 1884. A. a. 0., 2. Sess. 1883/84, Bd. 3, AS Nr. 153, S. 1830. 339 Oertel, Städte-Ordnung und Verwaltungs-Reform-Gesetze, Bd. I, S. 89. Vgl. Hübner, Städte-Ordnung, S. 113 ff. 340 BerGemKom Wessei, 6. März 1884. AIPAH, 15. LP, 2. Sess. 1883/84, Bd. 3, AS Nr. 153, S. 1827.

4. Städtischer Widerstand gegen Auflösung der Gemeindevertretungen

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selbst festzustellen, konnte zeitweilig ganze Wahlbezirke und somit größere Interessensgruppen ohne Vertretung in der Stadtverordneten-Versammlung lassen. Das dem Gesetzentwurf zu Grunde liegende Verfahren setzte die Vertretung einzelner Gruppen für zwei, schlimmstenfalls für vier Jahre aus, bis nach der Neueinteilung Ergänzungswahlen stattfanden. Nun war zwar selbstredend jeder Stadtverordnete zur Vertretung des Gesamtinteresses der Gemeinde verpflichtet, die Verfolgung der lokalen Interessen eines Bezirks waren davon aber nicht ausgenommen, vor allen Dingen wenn es um die Einrichtung infrastruktureller oder sonstiger öffentlicher Anstalten ging, die für die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Stadtbezirke von Bedeutung waren. Einen weitereren Nachteil des vorgeschlagenen Verfahrens bildete seine vorläufige Beschränkung auf jene 17 Städte des Landes, in denen bereits Wahlkreiseinteilungen bestanden. In anderen Städten, die erst die Einführung von Wahlbezirken für eine oder alle drei Wählerabteilungen planten, wären bei einer im Zuge der Ergänzungswahlen durchgeführten Reform zeitweilig ganze Wahlbezirke oder einzelne Wählerabteilungen der Bezirke in der Gemeindevertretung unterrepräsentiert. Deshalb empfahl sich für diese Städte eher das Auflösungsverfahren. Dieser Ansicht schlossen sich die Regierungskommissare insoweit an, als sie grundsätzlich keinen Handlungsbedarf des Gesetzgebers anerkennen wollten. Den Städten stand nach dem geltenden Gemeinderecht die Möglichkeit offen, einmal durch die Vermehrung der Mandate auf ein differierendes Bevölkerungswachstum in den Kommunalwahlbezirken zu reagieren, ein andermal mit der Auflösung der Gemeindevertretung und der anschließenden Neueinteilung der Wahlbezirke Abhilfe zu schaffen. 341 Dem § 79 der Städteordnung haftete in der kommunalen Selbstverwaltung jedoch das Stigma der Strafmaßregel bleibend an. Städtevertreter zeigten sich nicht gewillt, die Vorschrift als Verfahrensregelung für die Reorganisation der Wahlbezirke zu nutzen. Die erneute Versicherung der Staatsregierung, den Vollzug einer Auflösungsverfügung grundsätzlich bis zur Neuwahl hinauszuschieben und damit die Berufung eines staatlichen Kommissars überflüssig zu machen, konnte die städtischen Abgeordneten nicht umstimmen. 342 Der Berliner Linksliberalismus stand noch unter dem "Schock" der Auflösungsverfügung und den seitens der Reichs- wie Staatsregierung geführten Angriffe gegen die Gemeindeverwaltung. Sie stellten nach kommunaler Auffassung den Versuch dar, das städtische Wahlrecht für Pressionen gegen eine politisch mißliebige Partei zu instrumentalisieren.

341 342

A. a. 0., S. 1828. A.a.O., S. 1829.

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Die herablassende Art der Staatsregierung, die Leistungen der Gemeindeverwaltung in Mißkredit zu bringen, ihr vorwurfsvoll nur ein oberflächliches Bemühen für das Notdürftige zu unterstellen, rief in den städtischen Körperschaften Berlins allgemeine Verbitterung hervor. 343 Während der parlamentarischen Debatte konnten sich die hauptstädtischen Vertreter nie von diesen Eindrücken lösen. Um so energischer verteidigten sie ihre Auffassung, die Auflösungsregelung der Städteordnung begründe kein allgemeines Eingriffsrecht und seine regelmäßige Nutzung zur Regulierung disproportionaler Bevölkerungsentwicklungen in einzelnen Wahlkreisen verstieße gegen geltendes Recht. "Hat die Regierung allgemein das Recht", faßte Walter Büchtemann die Befürchtungen der Berliner Kommunalverwaltung noch einmal zusammen, "auf Grund der Ungleichheit der Wahlbezirke die Versammlung aufzulösen, steht es in ihrem alleinigen Ermessen, zu befinden, welche Zustände sie dafür angetan hält, um die Auflösung herbeizuführen, so hat die Regierung auf Grund ihrer Auslegung jederzeit die Auflösung einer jeden Stadtverordneten-Versammlung in der Hand". 344 Die Politisierung der Kommunalwahlen widersprach nach fortschrittlicher Auffassung den Intentionen der Städteordnung. Diese mußte aber zwangsläufig bei einer Auflösungsverfügung eintreten, da sie bestehende Gegensätze über die Kommunalfragen hinaus verschärfte. Die Konservativen ließen sich durch die kritischen Hinweise auf die Gefährdung des Selbstverwaltungsprinzips nicht beeindrucken. Sie sahen in der Selbstverwaltung nur eine "praktische Form der Lokalverwaltung", deren Wirkung auf der Delegation staatlicher bzw. königlicher Gewalt beruhte und sich deshalb, wie Wilhelm Freiherr von Minnigerode betonte, "im hervortretenden Moment aus besonderen Zweckmäßigkeitsgründen auch den Eingriff dieser entscheidenden ... Gewalt gefallen lassen" mußte. 345 Im übrigen konnte die Erörterung prinzipieller Fragen über die Funktion und Stellung der Selbstverwaltung im staatlichen Verwaltungsaufbau nicht bei der Suche nach einer adäquaten Regelung zur Anpassung der Kommunalwahlbezirke an das Bevölkerungswachstum weiterhelfen. Die Konservativen sperrten sich nicht grundsätzlich gegen die liberale Gesetzesinitiative. Sie hatten jedoch Bedenken, daß es zu willkürlichen Regelungen kommen konnte,346 da die Festlegung der Wahlbezirke und des Wahlverfahrens nach der Neueinteilung allein dem Magistrat oblag und ein Beschwerderecht gegen den Beschluß des Gemeindevorstands nicht ausdrücklich zuge343 Vgl. die Reden von Zelle, W. Büchtemann, Loewe u. Virchow. PAH, 12. Dezember 1883. StBPAH, 15. LP, 2. Sess. 1883/84, Bd. 1, S. 362 f., 364 f., 368 f. u. 376 ff. 344 Rede W. Büchtemann. PAH, 12. Dezember 1883. A.a.O., S. 365. 345 Rede von Minnigerode. PAH, 12. Dezember 1883. A.a.O., S. 367. 346 Rede Oscar Hahn. PAH, 12. Dezember 1883. A.a.O., S. 364.

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lassen wurde. Diese Befürchtung teilten freilich nicht einmal die Regierungsvertreter. Auf Berliner Seite wurde namentlich von Stadtsyndikus Zelle zugegeben, daß das vorgeschlagene Verfahren zeitweilig jene Bewohner ihr Wahlrecht verloren, die man durch die Neueinteilung von ihren früheren Wahlbezirken trennte. Ein Umstand, den Zelle für vemachlässigbar hielt, weil die Betroffenen in solchen Fällen, wo in der Vergangenheit unter der Hand Wahlbezirksveränderungen vorgenommen worden waren, keine Klagen erhoben hatten. 347 Straßmann verwies auf die Anordnungen der Kommunalaufsicht im Berliner Vorort Charlottenburg. Die Regierung hatte hier keine Bedenken gegen "die allmähliche Durchführung einer neuen Wahlbezirkseinteilung,,348 erhoben. Die von der Bezirksregierung angeordnete Wahlbezirksuntergliederung für die dritte Wählerabteilung der metropolitanen Randgemeinde war, wie Straßmann durchaus richtig bemerkte, im Zuge der regelmäßigen Ergänzungswahlen ohne jeden Protest der Wahlberechtigten eingeführt worden. Der zeitweilige Verlust des Bürgerrechts für einen Teil der Wähler ließ sich nach Straßmanns Auffassung selbst im Auflösungsverfahren nicht vermeiden. Der Berliner Stadtverordneten-Vorsteher verdeutlichte diese Auffassung am Beispiel der dritten Wählerabteilung in der Reichshauptstadt. Für diese Wählerklasse waren 42 Wahlbezirke eingerichtet worden. Bei der nächsten Stadtverordnetenwahl durften aber nur 14 Gemeindevertreter gewählt werden, so daß ausgelost werden mußte, welches Drittel nach zwei, welches nach drei Jahren zu wählen hatte. 349 Staatsregierung und Konservative ließen sich durch die Hinweise auf die Wirkungen des kommunalen Wahlverfahrens nicht überzeugen. Sie hielten konsequent an einer Neuwahl sämtlicher Stadtverordneten nach dem Auflösungsverfahren fest. Entscheidend war für die weitere Beratung des Gesetzentwurfs, wie der freikonservative Ulrich von Oertzen anmerkte, daß die Auflösung einer Gemeindevertretung stets nur eine Ausnahmeregelung sein konnte, die analog zur Bevölkerungsentwicklung vorzunehmende Veränderung der Wahlbezirkseinteilung aber ein Ereignis darstellte, das in einem gewissen Zeitraum immer wieder eintrat. Die Auslegung des § 79 der Städteordnung hatte in dieser Hinsicht nur untergeordnete Bedeutung. "Es ist eine regelmäßig in der organischen Entwicklung der Städte liegende Tatsache", resümierte der Jüterboger Landrat seine Anschauung, "und für eine derartige Tatsache sollen Ausnahmebestimmungen (nicht) bestehen, ... es soll eine Bestimmung in der Städteordnung getroffen sein, durch welche Rede Zelle. PAH, 12. Dezember 1883. A.a.O., S. 363. BerGemKom WesseI, 6. März 1884. AIPAH, 15. LP, 2. Sess. 1883/84, Bd. 3, AS Nr. 153, S. 1830. 349 Rede Straßman. PAH, 30. April 1884. StBPAH, 15. LP, 2. Sess. 1883/84, Bd. 3, S. 2216 f. 347 348

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dies im gewöhnlichen Laufe der Dinge liegende Ereignis auch auf gewöhnliche Weise, durch eine gewöhnliche Maßregelung geregelt wird,,?50 Dieser Auffassung folgte die Mehrheit des Abgeordnetenhauses und nahm den Gesetzentwurf, der auf Vorschlag Straßmanns und mit Zustimmung der Kommissionsmehrheit ohne inhaltliche Veränderung in einen eigenständigen Paragraphen zur Ergänzung der Städteordnung umgewandelt worden war (§ 21 a), Anfang Mai mit großer Mehrheit an. Das Herrenhaus folgte einhellig den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses. Es wurde sowohl das Bedürfnis nach einer Ergänzung der Städteordnung als auch die mangelnde Eignung des § 79 als Verfahrensregelung für Wahlbezirksänderungen aus politischen Gründen anerkannt. 351 Breslaus Oberbürgermeister Ferdinand Friedensburg erinnerte daran, daß man in der zweitgrößten Stadt der Monarchie bis zum Beginn der achtziger Jahre fortwährend von einer großzügigen Interpretation der gesetzlichen Regelung über die Ergänzungswahlen ausgegangen war. Die Bestimmung, jene Wahlen stets von denselben Abteilungen und Wahlbezirken vornehmen zu lassen, hatte man nur auf die Identität der Wahlbezirksnummern bezogen und folglich von einer geographischen Einheit abgesehen. Weder von seiten der Regierungsbehörden noch der Wahlberechtigten war diese Praxis kritisiert worden. 352 Max von Forckenbeck machte auf die innergemeindliche Mobilität in den Großstädten und ihre außerordentlichen Wanderungsgewinne aufmerksam. Er verurteilte das Auflösungsverfahren mit dem Hinweis auf die besondere Struktur der Kommunalverwaltung, die eben keine unmittelbare Administration durch Magistrat und Gemeindevertretung begründete, sondern auf einer mittelbaren beruhte, die sich in zahlreichen Verwaltungsdeputationen, Kommissionen, Subkommissionen und Kuratorien mit selbständigen haushaltsmäßigen Dispositionsrechten entfaltete. Die Mehrheit der Deputations- und Kuratoriumsmitglieder kamen aus dem Kreis der Stadtverordneten, so daß eine Auflösungsverfügung der Staatsbehörden unbedingt, wenn auch nur zeitweilig, die Kontinuität der Verwaltung in Frage stellen mußte. Der Berliner Oberbürgermeister verwies auf das den Gemeinden in der Städteordnung garantierte Satzungsrecht, das seiner Ansicht nach die Möglichkeit einschloß, durch kommunale Anordnung die Wahlbezirke zu ändern. Soweit in dieser Hinsicht aber noch Zweifel bestanden, wurden sie durch den vom Abgeordnetenhaus überwiesenen Gesetzentwurf ausgeräumt. 353 Die ablehnende Haltung der Regierung suchte Forckenbeck mit Rede von Oertzen. PAH, 6. Mai 1884. A.a.O., S. 2326. KomBer von Winterfeldt. PHH, 19. Mai 1884. StBPHH, Sess. 1883/84, Bd. 1, S. 272 f. 352 Rede Friedensburg. PHH, 19. Mai 1884. A.a.O., S. 277 f. 353 Rede von Forckenbeck. PHH, 19. Mai 1884. A.a.O., S. 275 f. 350 351

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dem Hinweis zu durchbrechen, daß die Novelle die Eingriffsrechte des Staates erweiterte. Die vorgesehenen Regelungen eröffneten den Aufsichtsbehörden das spezielle Recht, ohne Zustimmung der städtischen Körperschaften die Neubildung der Wahlbezirke verlangen zu können. Nach Ansicht Forckenbecks führte das eher zu einer sachgemäßeren Ausübung des Aufsichtsrechtes, während die Auflösungsverfügung die gesamten politischen Verhältnisse einer Stadt erschüttern mußte. Für Düsseldorfs Oberbürgermeister Wilhelm Becker bestand keine Notwendigkeit, die Rheinprovinz oder Westfalen in die geplanten gesetzlichen Neuregelungen einzubeziehen, da die Zahl der Stadtverordneten in den westlichen Städten nur etwa ein Drittel derjenigen der östlichen Landesstädte ausmachte. Deshalb kannte man weder in der Rheinprovinz noch in Westfalen Bezirkseinteilungen für die Kommunalwahlen. Die drei Wählerklassen wählten in der ganzen Stadt. 354 Dennoch verabschiedete das Herrenhaus den Gesetzentwurf gegen den Widerstand der Regierungsvertreter. Inkrafttreten konnte das Gesetz indessen nicht, weil die Staatsregierung weiterhin ihre Zustimmung versagte. Da überhaupt nur die östlichen und hier auch nur die Gruppe der größeren Städte von der Novellierung betroffen waren, lag nach Regierungsansicht kein allgemeines Reformbedürfnis vor. Für die speziellen Fälle bot das Auflösungsverfahren hinreichende Abhilfe. Nur wenn das Bedürfnis einer flexibleren Handhabung der Wahlbezirksorganisation zukünftig allgemeineren Charakter annahm, sollte ein entsprechender Gesetzentwurf für sämtliche Städte Preußens vorgelegt werden. Die Gesetzesinitiative der Berliner Abgeordneten war damit vorläufig gescheitert. Innerhalb der nächsten sechs Jahre ging weder von der Regierung noch dem Parlament ein weiterer Reformversuch aus. Erst im Januar 1890 unternahmen die Berliner Abgeordneten Zelle und Langerhans einen erneuten Versuch, die Neueinteilung der Kommunalwahlbezirke durch eine Ergänzung des § 21 StO zu regeln?55 Das Problem hatte sich zwischenzeitlich insoweit verschärft, als das Oberverwaltungsgericht Anfang November 1888 erkannte, daß, abgesehen von dem Fall der Auflösung einer Gemeindevertretung, die Abänderung der festgesetzten örtlichen Grenzen der Kommunalwahlbezirke "nicht angänglich" war. 356 Anlaß der höchstrichterlichen Rede Becker. PHH, 19. Mai 1884. A.a.O., S. 279 f. Antrag vom 21. Januar 1890. AlPAH, 17. LP, 2. Sess. 1890, Bd. 2, AS Nr. 20, S. 1019 f. 356 Endurteil vom 2. November 1888. PrOVGE, Bd. 17, Berlin 1889, S. 107. Das Urteil liegt im Verbund mit zwei weiteren Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts zu Berliner Kommunalwahlanfechtungen als Vorlage für die Stadtverordneten-Versammlung gedruckt vor. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1293. Abschrift der ersten Entscheidung auch in a.a.O., Rep. 01-03, Nr. 166, BI. 54-61. Das Novem354 355

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

Entscheidung war eine Klage gegen die im 29. Berliner Wahlbezirk der dritten Wählerabteilung vorgenommene Ergänzungswahl. Vor Ausführung der Wahl hatte der Magistrat die örtliche Abgrenzung des Wahlbezirks in der Absicht verändert, eine Übereinstimmung mit den Grenzen der Stadtbezirke herzustellen. Dem Bezirk wurden dreizehn bisher nicht dazugehörige Häuser einverleibt, sieben andere Häuser abgetrennt. Die Stadtverordneten-Versammlung wie der Bezirksausschuß erklärten die Ergänzungswahl des ausgeschiedenen Gemeindevertreters für gültig, obgleich sie faktisch nicht von demselben Wahlbezirk vorgenommen war. Der Berliner Magistrat hatte zur Verteidigung der veränderten Abgrenzung angeführt, daß er nach "dem unabänderlich feststehende(n) Verwaltungs grundsatz" verfahren wäre, innerhalb der größeren Bezirke der Reichstags- und Abgeordnetenwahlbezirke nur ganze, ungeteilte Stadtbezirke festzustellen und wiederum die kleineren Kommunalwahlbezirke innerhalb der Stadtbezirke zu bilden und diese nicht zu zerreißen. 357 Nach Auffassung des Magistrats war es für "eine korrekte Verwaltung" völlig unausführbar, "die Wahlbezirke anders als aus ungeteilten Stadtbezirken zusammenzusetzen". Die Stadtmagistrate durften allerdings, das wurde auch vom Berliner Magistrat anerkannt, nicht willkürliche Änderungen der Kommunalwahlbezirke veranlassen, insbesondere keine Wahlgeometrie betreiben. Unerhebliche Grenzberichtigungen wie im vorliegenden Fall hielt der Magistrat für statthaft. Die Bestimmungen der Städteordnung über die Ergänzungswahlen sah er nicht verletzt. Nur erhebliche Veränderungen der geographischen Grenzen der Wahlbezirke widersprachen nach Auffassung des Berliner Gemeindevorstands dem geltenden Gemeinderecht. Die vom Magistrat und dem Bezirksausschuß 358 getroffene Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Bezirksveränderungen entzog sich nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts jeder abstrakten Norber-Urteil wird durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom 18. Oktober 1889 bestätigt, die in einem weiteren Streitfall über Korrekturen der Berliner Wahlbezirksgrenzen vor Ergänzungswah1en erging. Abdruck in: VStBln 1889, Nr. 53, AS Nr. 751. Die Korrekturen der Wahlbezirksgrenzen wurden auf Grund der 1884 erfolgten Neueinteilung der Stadtbezirksgrenzen vorgenommen. Da nach den Urteilen des Oberverwaltungsgerichts praktisch sämtliche Ergänzungs- und Ersatzwahlen, die nach der korrigierten Wahlkreiseinteilung erfolgten, ungültig waren, forderte Oberbürgermeister von Forckenbeck das Innenministerium dringend auf, die geplante Gesetzesinitiative der Berliner Abgeordneten zu unterstützen. Schreiben Forckenbeck an Innenminister Herrfurth, 7. Dezember 1888. A.a.O., Rep. 0103, Nr. 166, Bl. 50 ff. Zwischenzeitlich wurden die Kommunalwahlen nach Beschluß des Magistrats auf der Grundlage der alten Wahlbezirkseinteilung von 1883 ausgeführt. Schreiben Forckenbeck, Stadtrat Schreiner an die Kommunalvertretung, 16. März 1889. A.a.O., Bl. 87a,b. Dazu auch die Vossische Zeitung, Nr. 502, Ausgabe vom 26. Oktober 1889. 357 PrOVGE, Bd. 17, Berlin 1889, S. 109.

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mierung. Sie war vom Gesetzgeber, da in der Städteordnung entsprechende Regelungen fehlten, keinesfalls intendiert. Die geographischen Grenzen eines Kommunalwahlbezirks mußten unverwischbar, jederzeit zu reproduzieren und in ihrer Erkennbarkeit den Einwirkungen des Zufalls oder den Verfügungen privater Personen entzogen sein. Wenngleich der § 14 der Städteordnung nicht vorschrieb, daß die bei der ersten Einrichtung von Kommunalwahlbezirken festgelegten Grenzen bleibende sein sollten, folgte aus den Bestimmungen zu den Ergänzungswahlen doch die Unverträglichkeit des Wahlverfahrens mit Abänderungen der Wahlbezirksgrenzen. 359 Der Berliner Magistrat wurde von seiner eigenen, während der Auseinandersetzungen um die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung ständig vorgetragenen Argumentation eingeholt, wenn das Oberverwaltungsgericht ausführte, daß nach § 21 der Städteordnung eine Änderung der Wahlbezirke mit Ausnahme des Auflösungsverfahrens rechtlich nicht möglich war. Als Ausweg blieb nur eine Novellierung der Vorschriften über die Ergänzungs- und Ersatzwahlen. Das Oberverwaltungsgericht sah durchaus die praktischen Unzuträglichkeiten, die aus den entwickelten Grundsätzen zur Wahlbezirkseinteilung in den Städten folgten. Der Senat begegnete diesem Manko mit der Bemerkung, daß es nicht die Aufgabe der Rechtsprechung wäre, dem Bedürfnis der Verwaltung da Abhilfe zu leisten, wo diese nur im Wege der Gesetzgebung zu erreichen war. Der Gesetzgeber war also gefordert. Die neuerliche Initiative der Berliner Linksliberalen bestand, darauf vertrauend, daß nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts wohl eher mit einer Zustimmung der Staatsregierung zu dem bereits in beiden Häusern des Landtags angenommenen Gesetzentwurf zu rechnen war, in der schlichten Wiedervorlage des früheren Antrags. Die verstärkte Gemeindekommission, in der Ulrich von Oertzen den Vorsitz führte und Berlin durch die linksliberalen Syndizi Zelle und Eberty vertreten war, schlug jedoch einen anderen Weg ein. Da das Oberverwaltungsgericht jede periodische Änderung der Wahlbezirksgrenzen auf Grund einer weiten Interpretation der gemeinderechtlichen Regelungen ausschloß, prüfte die Kommission zunächst die verbliebenen Möglichkeiten des Satzungsrechts und Auflösungsverfahrens. Nach einhelliger Meinung der Kommission ermöglichte die Städteordnung nicht die Änderung der Wahlbezirke durch ortsstatutarischen Beschluß, da dieser nur zulässig war, wenn das Gesetz selbst Abweichungen gestattete. Das Kommunalrecht ließ statutarische Anordnungen aber nur im Fall der Termine für die Aufstellung der Wählerlisten und für deren Berichtigung ZU. 360 358 Die Entscheidung des Berliner Bezirksausschusses vom 4. Juni 1889 in VStBln 1889, Nr. 35, AS Nr. 433; ebenfalls in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1293. 359 PrOVGE, Bd. 17, Berlin 1889, S. 111 f. 55 Grzywatz

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

Das Auflösungsverfahren der Städteordnung sah die Kommission in einem engen Zusammenhang mit dem Selbstverwaltungsrecht der Stadtgemeinden sowie ihrer Stellung im Staat. Die §§ 11 und 77 bis 79 beinhalteten eine Absicherung des Staates gegen Bestrebungen der Selbstverwaltung, "aus selbständigen, zu einem Staats zweck verbundenen Gemeinden kleine Staaten im Staat werden zu lassen", die aus Sorge für das Lokalinteresse die Interessen des Allgemeinwohls vernachlässigten. 361 Dem Staat waren dabei nicht nur Mittel gegen ungesetzliche Einzelbeschlüsse, sondern auch ein Mittel gegen "dauernde Widerhaarigkeit, gegen zentrifugale Tendenzen und gegen ein alle gedeihliche Verwaltung lähmendes Partei wesen" an die Hand gegeben. Das Auflösungsrecht stellte insofern noch eine Steigerung gegenüber dem Beanstandungsrecht dar, als es sich als Straf- bzw. Disziplinarmaßregel nicht gegen die Gemeindevertretung, sondern die Bürgerschaft selbst richtete. Der kritische Zustand der Gemeindeadministration wurde ihr praktisch durch die Suspension des aus kommunaler Wahl hervorgegangenen Selbstverwaltungsorgans und die temporäre Entsendung von Staatskommissaren verdeutlicht. In alle späteren Städte-, Kreis- und Provinzialordnungen hatte man ähnliche Bestimmungen aufgenommen. Diese stellten nach Ansicht der Gemeindekommission, "eine die organische Einordnung aller Selbstverwaltungsorgane in das Staatsganze und die dauernde Festhaltung der Staatszwecks sichernde Kautel" dar. Unabhängig von der Loyalität der kommunalen Organe war sie - "gegenüber dem immer möglichen Eindringen staatsfeindlicher Elemente in Stadtverordneten- und sonstigen Versammlungen für nicht völlig entbehrlich zu erachten". Die prinzipielle Bedeutung der Aufsichtsregelungen ließ die Anwendung des Auflösungsrechts zur Beseitigung eines gewöhnlichen Notstandes, wie im Falle der Berliner Wahlbezirksdisproportionalitäten, als "eine höchst bedenkliche Interpretation" erscheinen, obwohl die staatliche Befugnis formell nicht auf bestimmte Fälle beschränkt war. Damit verbot sich auch der Versuch, Wahlbezirks korrekturen durch eine Ergänzung des § 79 der Städteordnung zu regeln. Auf diese Weise wäre eine völlig andere Materie in die staatlichen Aufsichtsrechte hineingetragen und die Auflösungsbefugnis in ihrer eigentlichen Tendenz abgeschwächt worden. In der Gemeindekommission herrschte Übereinstimmung, daß eine vollständige Gleichwertigkeit in den verschiedenen Wahlbezirken nicht zu erreichen war und vom Gesetz auch nicht gefordert wurde. Aus dem Bürger360 KomBer Franz von Voß, 23. April 1890. AIPAH, 17. LP, 2. Sess. 1890, Bd. 3, AS Nr. 159, S. 1911. Vgl. § 21, Abs. 4 in Verb. m. §§ 19 u. 20, Tit. 2, StO 1853. OS 1853, S. 269 f. 361 Vgl. dazu im folgenden Bericht von Voß, 23. April 1890. AIPAH, 17. LP, 2. Sess. 1890, Bd. 3, AS Nr. 159, S. 1912.

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recht konnte kein Anspruch "auf ein für alle Zeit gleiches Maß" der Teilnahme an den Kommunalwahlen abgeleitet werden. Der Wahrung von Stadtviertelsinteressen maß man bei den einzuschlagenden Modalitäten für Wahlbezirksregulierungen nur untergeordnete Bedeutung bei. Die Individualrechte mußten in jedem Fall hinter dem Gemeininteresse zurücktreten, so daß die Aufrechterhaltung der Kontinuität in der Gemeindeverwaltung höher einzustufen war als das durch eine Ergänzung der Wahlvorschriften betroffene individuelle Wahlrecht. Um einen neuen Konflikt mit der Staatsregierung zu vermeiden, empfahl die Gemeindekommission die von Zelle und Langerhans vorgeschlagene Ergänzungsregelung aufzugeben und statt dessen eine für sämtliche Provinzen Preußens geltende Novellierung der Städteordnung vorzunehmen, die an den § 14 als dem eigentlichen Ort für Wahlbezirks bestimmungen geknüpft werden sollte. Auf diese Weise blieb die Wahlbezirkseinteilung als alleinige Verwaltungsaufgabe des Magistrats erhalten, jede Mitwirkung der Gemeindevertretung war, wie im Entwurf Zelle-Langerhans noch vorgesehen, ausgeschlossen. Gleichzeitig wollte man die Bestätigungspflicht für die Abänderung von Wahlbezirken beibehalten, um einen Schutz gegen willkürliche und nicht gebotene Eingriffe in bestehende Wahlbezirkseinteilungen zu gewähren. Es lag hingegen nach Auffassung der Kommission kein Grund vor, der Aufsichtsinstanz selbst die Befugnis zur Vornahme von Wahlbezirksänderungen einzuräumen. Die Korrektur der Bezirksgrenzen sollte nicht nur im Falle disproportionaler Wählerzahlen, sondern auch bei Wahlbezirksänderungen, die durch gemeindliche Gebietsabtrennungen oder -zuteilungen veranlaßt waren, zulässig sein. 362 Da sich nach Ansicht der Kommission nicht absehen ließ, inwieweit im Bereich der übrigen Städteordnungen das Bedürfnis nach einer entsprechenden Novellierung existierte, gab sie am Schluß der Beratungen ihren Versuch wieder auf, eine gesamtstaatliche Ergänzungsregelung zu treffen. In dieser Hinsicht wollte man der Staatsregierung die alleinige Initiative überlassen. Nachdem bereits der Regierungskommissar, Geheimer Oberregierungsrat Noell, am 27. März in der Gemeindekommission mitgeteilt hatte, daß der von der Kommission angenommene Entwurf die früheren Bedenken der Staatsregierung beseitigen würde, räumte auch Innenminister Herrfurth die partielle Aufhebung der ministeriellen Vorbehalte ein. Er kritisierte lediglich die Beschränkung der Wahlbezirks änderungen auf die beiden Fälle des ungleichen Bevölkerungswachstums und der Veränderung der Gemeindegrenzen sowie die erneute Beschränkung der Novelle auf die östlichen Provinzen. Darüber hinaus wollte Herrfurth die Novelle um einen weiteren Punkt ergänzt wissen, der durch ein neues Urteil des Oberverwaltungsge362 55*

Der genaue Text der Novelle im Kommissionsbericht. A.a.O., S. 1913.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

richts virulent geworden war. Das Gericht hatte im Widerspruch zur Praxis einer Reihe von preußischen Großstädten die zeitliche Verbindung der Ergänzungs- und Ersatzwahlen für unzulässig erklärt. 363 Einzelne Städte stellten daraufhin bei der Staatsregierung den Antrag, im Wege der Gesetzgebung die gleichzeitige Vornahme der Wahlen und die Trennung der Protokollführung zu gestatten. Im Prinzip erkannte die Regierung auch hier das Bedürfnis nach einer Gesetzesänderung an, die sie im Zusammenhang mit den Wahlbezirksregelungen zu erledigen gedachte. 364 Sie versagte aus diesem Grund erneut den von beiden Häusern des Landtags mit großer Mehrheit verabschiedeten Gesetzentwurf365 die Zustimmung. Mit der Ablehnung hatte sie auch dem Antrag Zelles widersprochen, die Magistrate nicht mit einer Art Generalklausel für die Abänderung der Kommunalwahlbezirke auszustatten, ihre gesetzliche Befugnis vielmehr auf konkret genannte Fälle zu beschränken. 366 Im November legte die Staatsregierung dem Landtag einen eigenen Gesetzentwurf vor, der zunächst zur Beratung an das Herrenhaus ging. 367 Der Regierungsentwurf folgte im wesentlichen den Vorschlägen der Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses, ergänzte jedoch die Änderungsbefugnisse der Magistrate auf Grund ungleicher Wählerzahlen in den Wahlbezirken durch die generalklauselhafte Ermächtigung "oder aus sonstigen Gründen". Das Innenministerium wollte dadurch die abschließende Regelung der Wahlbezirksänderungen sichern. Die mißbräuchliche Anwendung der Befugnis sah man durch die Bestätigungspflicht der staatlichen Aufsichtsbehörde hinreichend gewahrt. Gleichzeitig sah der Entwurf eine Ergänzung des § 25 der Städteordnung vor, mit der die Verbindung der alle zwei Jahre stattfindenden Wahlen zur regelmäßigen Ergänzung der StadtverordnetenVersammlungen mit den außergewöhnlichen Wahlen zum Ersatz der innerhalb einer Wahlperiode ausgeschiedenen Gemeindevertreter in einem Wahlakt zugelassen wurde. Das Gesetz sollte sich über den Geltungsbereich der östlichen Städteordnung hinaus auf die Gebiete der westfälischen und rheinischen Städteordnung, des Gemeindeverfassungsgesetzes der Stadt Frankfurt am Main sowie des Verfassungs- und Verwaltungs gesetzes der Städte und Flecken Schleswig-Holsteins erstrecken. Über sieben Jahre nach der bitter empfundenen Auflösung der Berliner Stadtverordneten-Versammlung kam endlich, ausgelöst durch beharrliche InEndurteil vom 18. Oktober 1889. PrOVGE, Bd. 18, Berlin 1890, S. 37 ff. Rede Herrfurth. PAH, 12. Mai 1890. StBPAH, 17. LP, 2. Sess. 1890, Bd. 3, S. 1592. 365 A.a.O., S. 1596 u. 1631 f. StBPHH, Sess. 1890, Bd. 1, S. 283. 366 Rede Zelle. PAH, 12. Mai 1890. StBPAH, 17. LP, 2. Sess. 1890, Bd. 3, S. 1593 f. 367 AlPHH, Sess. 1890, Bd. 2, AS Nr. 8, S. 37 f. 363

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itiativen der Berliner Landtagsabgeordneten, ein Gesetz zustande, das zukünftig eine im wesentlichen durch die kommunale Exekutive zu handhabende Feststellung der Kommunalwahlkreise ermöglichte. Beide Häuser des Landtags stimmten dem Regierungsentwurf ohne längere Debatte ZU,368 so daß das Ergänzungsgesetz zur Städteordnung am 1. März 1891 in Kraft treten konnte. 369 Die durch einen vermittelnden aufsichtsrechtlichen Eingriff der Ministerial- und Regierungsbürokratie ausgelöste Entwicklung endete in einem entscheidenen Punkt mit einer späten rechtlichen Bestätigung der Magistratspositionen, denn bereits während der parlamentarischen Beratung im Mai 1890 hatte Innenminister Herrfurth eingeräumt, daß die staatliche Auflösungsbefugnis eine Disziplinar- bzw. Strafmaßregel darstellte und in keinem Fall als administrative Maßnahme geschaffen worden war. Die Staatsregierung hatte sich bei der angeordneten Auflösung der Berliner Gemeindevertretung allein mit dem Wortlaut des § 79 StO im Einklang befunden. Trotzdem wollte Herrfurth nicht von einem illegalen Handeln der Staatsregierung sprechen. Die administrative Auslegung der Gesetzesvorschrift hatte zur Beseitigung eines Notstandes beigetragen, der zudem in der Zeit des 37jährigen Bestehens der Städteordnung nur einmal aufgetreten war?70 Die Begründung des Regierungsentwurfs bestätigte diese Auffassung, indem sie darlegte, daß in allen Fällen, wo eine Änderung der Wahlbezirksgrenzen notwendig erschien, nicht auf die Bestimmung des § 79 der Städteordnung zurückgegriffen werden konnte, da dies "nicht selten zu Weiterungen führen" würde, die mit dem zu erreichenden Zweck "in keinem angemessenen Verhältnis" standen. 371 Von einem späten politischen Sieg des Linksliberalismus konnte freilich nicht gesprochen werden. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit hatte die gesetzwidrige Verwaltungspraxis der Kommunen, die im ungünstigten Fall zu Lasten des individuellen Wahlrechts ging, ebenso deutlich gemacht wie die Gesetzeslücke im Gemeinderecht. Die Novelle zur Städteordnung orientierte sich an den praktischen Verwaltungsbedürfnissen und hob eine widersprüchliche Situation auf, indes in einer Weise, die der städtischen Sensibilität im Verhältnis zur staatlichen Kommunalaufsicht entgegenkam.

StBPHH, Sess. 1890/91, Bd. 1. S. 33. Gesetz, betreffend die Abänderung und Ergänzung einiger Bestimmungen wegen der Wahl der Stadtverordneten vom 1. März 1891. GS 1891, S. 20 f. 370 Rede Herrfurth. PAH, 12. Mai 1890. StBPAH, 17. LP, 2. Sess. 1890, Bd. 3, S. 1593. 371 AIPHH, Sess. 1891/92, Bd. 2, AS Nr. 9, S. 38. Vgl. auch den mündlichen Kommissionsbericht des Magdeburger Oberbürgermeisters Friedrich Bötticher vom 22. Januar 1891. StBPAH, Sess. 1890/91, Bd. 1, S. 31. 368 369

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

5. Die Entwicklung der Kommunalwahlbezirke

Nach Abschluß der preußischen Steuerreform in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wollte der Berliner Magistrat nicht länger die Abänderung der seit 1883 bestehenden Einteilung der Kommunalwahlkreise aufschieben. Einzelne Bezirksvereine hatten nach 1890 eine Wahlbezirksreform verlangt. Der deutsch-freisinnige Verein Moabit forderte unter Hinweis auf die liberalen Bemühungen um eine gerechtere Repräsentation der Städte bei den Landtagswahlen wiederholt die Neueinteilung der Berliner Kommunalwahlkreise ein. 372 Infolge des anhaltend raschen, überwiegend den äußeren Stadtbezirken zugute kommenden Bevölkerungswachstums, waren erneut erhebliche Unterschiede bei der Entwicklung der Wählerzahlen in den einzelnen Gemeindewahlbezirken aufgetreten. Nach der Wählerliste von 1896 entfielen auf den kleinsten Wahlbezirk der dritten Wählerklasse 2797 Wahlberechtigte, auf den größten Bezirk indessen 23 802 Wähler. 373 Die Ungleichheiten infolge des Bevölkerungswachstums betrafen nun nicht mehr allein die dritte, sondern auch die zweite und erste Wählerabteilung. Die als abgeschlossen zu betrachtende Steuerreform hatte darüber hinaus in diesen Wählerklassen zu weiteren erheblichen Veränderungen geführt,374 so daß sich auch in dieser Hinsicht eine neue Abgrenzung der Wahlbezirke nicht vermeiden ließ. In den Wahlbezirken der ersten Wählerabteilung schwankte die Zahl der Wahlberechtigten zwischen 43 und 275 Wählern, in denen der zweiten Abteilung zwischen 285 und 1293 Wählern. 375 Für die Neueinteilung der Wahlbezirke setzte die vom Magistrat berufene Kommission zwei wesentliche Grundsätze auf: Einerseits sollten die Wahlbezirke nur aus ganzen Stadtbezirken bestehen, andererseits war die Wählerzahl der vollständig bebauten Stadtbezirke über dem Durchschnitt anzusetzen, da zukünftig mit einer Bevölkerungsabnahme in diesen Gebieten gerechnet werden mußte. Bei den noch nicht vollständig bebauten Stadtbezirken wollte man hingegen unter der durchschnittlich auf einen Wahlbezirk entfallenden Wählerquote bleiben. Des weiteren wurde darauf geachtet, die Stadtbezirke möglichst nach der Nummernfolge zusammenzulegen und unter Anlehnung an die feststehenden Standesamtsbezirksgrenzen räumlich abgerundete Wahlkreise herzustellen. Bei der Einteilung der Wahlbezirke Eingabe vom 9. Juni 1895. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 164, BI. 31. VStBln 1896, DS Nr. 915, S. 680. Vgl. auch VerwBBln 1895-1900, T. 1, S. 8. Bei den erwähnten Bezirken handelt es sich um den Wahlkreis 2 - Alt-Kölln und Friedrichswerder und den Wahlkreis 40 - Moabit. 374 Zur Plutokratisierung des Kommunalwahlrechts infolge der Steuerreform vgl. Kap. 9, Unterabschnitt 2. 375 Dazu VStBln 1896, DS Nr. 915, Anlage A, S. 680 f. 372 373

5. Die Entwicklung der Kommunalwahlbezirke

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der ersten und zweiten Abteilung mußte zudem noch auf die Steuerleistung der in den einzelnen Bezirken vorhandenen Wähler Rücksicht genommen werden. Der Magistrat unterbreitete den Reformplan wegen seiner einschneidenden Bedeutung im Januar 1897 der Kommunalvertretung. Der mit der Vorberatung beauftragte Stadtverordnetenausschuß war sich während der Generaldebatte zunächst nicht einig, ob die Kommunalkörperschaften überhaupt mit der Revision zum gegenwärtigen Zeitpunkt beginnen sollten, da die Frage der Eingemeindung der Vororte ungeklärt war und im Landtag über eine Neugestaltung des Kommunalwahlrechts verhandelt wurde. Die Stadtverordneten, die gegen jede Verschleppung der Bezirksreform votierten, setzten sich erst im Ausschuß durch, als nach Gesprächen Robert Zelles mit den zuständigen Referenten des Innenministeriums bekannt wurde, daß einerseits in den nächsten Jahren keine Eingemeindungen vorgesehen waren, andererseits, trotz der Anfang April gegebenen Zusage von der Reckes über die unmittelbar bevorstehende Vorlage eines Regierungsentwurfs zum Gemeindewahlrecht, erst nach Ablauf von mehreren Jahren mit der Änderung des bestehenden Wahlrechts gerechnet werden konnte. 376 Dem Ausschuß lagen insgesamt vier Anträge liberaler Kommunalvertreter vor. Eine Art Minimalkonzept stellte der Vorschlag des Stadtverordneten Stephan Fähndrich dar, der lediglich die Grenzen einiger Wahlbezirke ändern wollte. Der Ausschußvorsitzende Meyer beabsichtigte, die Wahlbezirke der dritten Wählerklasse in der Weise ändern zu lassen, daß die amtierenden Stadtverordneten möglichst in ihren bisherigen Wahlkreisen verbleiben konnten. Eine Gruppe von Stadtverordneten um den Chefredakteur Amold Perls forderte die Erhöhung der Anzahl der Mandate um 36. Der Vorschlag einer weiteren Gruppe um den Stadtverordneten Liebenow sah schließlich eine Vermehrung der Mandate in jeder Wählerklasse um jeweils sechs als ausreichend an, so daß sich die Gesamtzahl der Sitze in der Stadtverordneten-Versammlung von 126 auf 144 erhöhte. Mit dem Antrag der Gruppe Liebenow wurde gleichzeitig ein Tableau der neu zu bildenden Wahlbezirke vorgelegt, das sich soweit wie möglich an die bestehende Bezirkseinteilung hielt. Die durchschnittliche Wählerzahl in den nunmehr vorgesehenen 48 Wahlkreisen der dritten Abteilung lag bei 6030 Wählern. Nach dem Magistratsvorschlag lag die Differenz zwischen der Minimal- und Maximalwählerzahl bei 4653, nach dem Antrag Liebenow bei 2796 Wähler. Die kommunale Exekutive ging von einem Ausgleich der Wählerzahlen in fünf bis 376 Vgl. dazu die Protokolle der Ausschußverhandlungen vom 8. Februar und 22. April 1897. In der Anlage zum Protokoll vom 22. April das Wahlbezirkstab1eau nach dem Antrag Liebenow. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1294.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

zehn Jahren aus, so daß eine neue Wahlkreisrefonn vennutlich erst in zwanzig Jahren fällig wurde?77 Da der Liebenowsche Plan im Gegensatz zum Magistratsvorschlag weder einschneidende Bezirksveränderungen erforderte noch die Ausübung des Wahlrechts in der Einführungsphase wesentlich einschränkte, sprach sich die Ausschußmajorität unter Zustimmung der Magistratskommissare für diesen Antrag aus. Die anschließende Plenardebatte brachte Anfang Juni die politischen Gegensätze in der Frage der Wahlrechtsgleichheit geradezu beispielhaft zum Vorschein. Als Berichterstatter des Ausschusses verdeutlichte Liebenow, daß es ihm auf eine möglichst gerechte Wahlbezirkseinteilung in der dritten Wählerklasse angekommen wäre, da die Stimmberechtigten dieser Abteilung in der Regel nur alle sechs Jahre ihr Wahlrecht ausübten?78 Die inkonsequente Haltung gegenüber dem Anspruch auf Wahlrechtsgleichheit in den ersten beiden Wählerklassen wurde von den bürgerlichen Liberalen nachhaltig kritisiert. Hugo Preuß, der sich ausdrücklich zum Dreiklassensystem auf kommunaler bzw. staatlicher Ebene bekannte und nur für den Reichstag das allgemeine und gleiche Wahlrecht reklamierte,379 sprach von Protokoll der Ausschußverhandlungen vom 19. Mai 1897. A.a.O. Der Bericht Liebenows und die im folgenden erwähnten Redebeiträge in der Stadtverordneten-Versammlung vom 3. Juni 1897 nach dem Auszug des amtlichen stenographischen Berichte in a. a. O. Abgedruckt auch in: StBBln 1897. 379 Wenn Grassmann, Preuß, S. 9 f., den Juristen zum Mitglied der Fraktion Theodor Barth/Leopold Rosenow in der Berliner Kommunalvertretung erklärt und in deren Programm die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts ausmachen will, ist diese Zuordnung in mehrfacher Hinsicht sachlich falsch. Bis zu den programmatischen Erklärungen der von Barth begründeten Demokratischen Vereinigung im Jahre 1909110 stand das Dreiklassenwahlrecht zu den Gemeindewahlen für den Kommunalliberalismus nicht zur Disposition. Preuß schloß sich im übrigen bei seinem Eintritt in die Berliner Stadtverordneten-Versammlung im Jahre 1895 der "Neuen Fraktion der Linken" an, deren Vorsitzender der Ingenieur A. Dinse war. Rosenow gehörte zu diesem Zeitpunkt unter dem Vorsitz des Justizrats Meyer der "Alten Fraktion der Linken" an. Berliner Tageblatt, Nr. 22, Ausgabe vom 13. Januar 1896. Theodor Barth war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Mitglied der Berliner Kommunalvertretung. Bei dem Namensvetter des bekannten Linksliberalen in der Stadtverordneten-Versammlung handelte es sich um den Kaufmann Richard Barth, der sich der Fraktion der alten Linken angeschlossen hatte. Berliner Tageblatt, Nr. 572, Ausgabe vom 9. November 1905. Theodor Barth hatte im Jahre 1890 im Rahmen einer Ersatzwahl ein Stadtverordnetenmandat erworben, das er aber nach zwei Jahren wieder aufgab, so daß bei der Kommunalwahl von 1893 neben der üblichen Ergänzung der ausgelosten Wahlkreise unter anderem auch sein Mandat zur Verfügung stand. Vgl. Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 537, Ausgabe vom 15. November 1893. Die Stadtverordnetenverzeichnisse von 1891 u. 1892 in LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 2 u. 161. Kommunalpolitisch war Barth vor 1890 nur im üblichen Parteirahmen aufgetreten. So gehörte er 1885 zu den Unterzeichnern des freisinnigen Aufrufs zur Kommunalwahl. Vossische Zeitung, Nr. 526, Ausgabe vom 11. November 1885. Bei der Kommunalwahl von 1891 kritisierte er das Verhalten der 377

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5. Die Entwicklung der Kommunalwahlbezirke

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einer "haarsträubenden Ungerechtigkeit". Der Direktor der Union-Elektrizitätsgesellschaft Friedrich Vortmann monierte "Wahlgeometrie", die insbesondere den Berliner Westen benachteiligte. Preuß sah den Anlaß der Reform allgemein in der Ungleichmäßigkeit der Wählerzahlen begründet, deren Ausgleich nicht durch die Rücksichtnahme auf die vorhandenen Bezirksgrenzen oder die historischen Stadtbezirke relativiert werden durfte. Differenzen der Wählerziffern zwischen 75 und knapp 130 Prozent in den Wahlbezirken der ersten beiden Abteilungen wollte man nicht widerspruchslos hinnehmen. Trotz des Bekenntnisses zum allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht beharrten auch Linksliberale wie der Rechtsanwalt Karl Ladewig darauf, die Regelungen des bestehenden Gemeindegesetzes auszuführen. Die Städteordnung verlangte nun einmal das kommunale Wahlrecht nach den Steuerleistungen abzustufen. Dieses gesetzlich bestehende Prinzip auszuführen, war die Pflicht der Kommunalkörperschaften. "Wie können wir sonst bei den Reichstagswahlen den Agrariern vorwerfen", fragte Preuß, "daß das Prinzip der gleichen Eintheilung nach der Seelenzahl zu Ungunsten der Städte und zu Gunsten des platten Landes verletzt sei, während wir in der Ausführung des Gesetzes für die Kommunalwahlen das Prinzip nach einer anderen Seite hin verletzten wollen?" Gegen den Angriff von Preuß, der im wesentlichen durch die Absicht begründet war, das Bürgertum der westlichen Stadtbezirke mit ihren überdurchschnittlichen Steuerleistungen zu stärken, wurden nicht nur Stimmen aus den Reihen der Sozialdemokratie laut. Der Stadtverordnete Rosenow forderte die Kommunalvertretung auf, den plutokratischen Charakter des kommunalen Wahlrechts zu berücksichtigen. Der wohlhabende Berliner Westen war zukünftig mit 52 Mandate in der Stadtverordneten-Versammlung vertreten. Eine noch stärkere Repräsentation würde sämtliche Entscheidungen über die Gemeindeangelegenheiten in die Hände einer kleinen, zudem örtlich konzentrierten Schicht legen. Die Sozialdemokraten reagierten auf den Preußschen Antrag mit Schärfe und Ironie zugleich. Hermann Borgmann, der Leiter und Gesellschafter der genossenschaftlichen "Deutschen Hutfabrik" in Berlin war, erklärte die WahlbeSozialdemokratie, den Linksliberalen bei den Stichwahlen die Unterstützung zu versagen. Seiner Auffassung nach konnte es nicht im Interesse der sozialdemokratischen Wählerschaft liegen, die Bürgerpartei und insbesondere profilierte Antisemiten wie den Oberlehrer Irmer zu fördern. Siehe dazu Berliner Tageblatt, Nr. 631, Ausgabe vom 12. Dezember 1891. Zur wahlrechtlichen Haltung des Linksliberalismus im späten Kaiserreich vgl. Kap. 9, Unterabschnitt 6 u. Kap. 10, Unterabschnitt 2 u. 4. Die Erfahrungen mit dem politischen Antisemitismus in Berlin veranlaßten Barth zusammen mit seinem Parteifreund Heinrich Rickert den Verein zur Abwehr des Antisemitismus zu gründen. Nach dem Tode Rickerts übernahm Barth im November 1902 die Leitung des Vereins. Zu Barths Ansichten über die Ursachen des Antisemitismus vgl. Wegner, Barth, S. 53.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

rechtigten der ersten und zweiten Klasse zu Privilegierten, die über das Recht der Ernennung verfügten. Paul Singer erinnerte die Liberalen und namentlich Hugo Preuß daran, wenn sie gegen die "Herrschaft der Plutokratie" eintreten wollten, sollten sie sich eher für eine gerechtere Einteilung der eigentlichen Wählermassen engagieren als noch etwas für die Wähler der ersten beiden Klassen herauszuschlagen. "Ihren Wählern von der ersten und zweiten Abtheilung", wies Singer die Liberalen um Preuß zurecht, "kann es gleich sein, ob die Reform ein oder zwei Jahre länger dauert; sie sitzen im Fett, sie haben die Majorität in der Versammlung, ja, das geht sogar soweit, daß sie die Hälfte der Mitglieder unter den Hausbesitzern haben, die bekanntlich auch in der großen Mehrzahl aus Wählern der ersten und zweiten Abtheilung bestehen. Aber die Masse, um die es sich handelt, muß auch die Möglichkeit haben, in gerechter Weise hier vertreten zu sein; die hat nicht so viel Zeit um der liebenswürdigen Wähler der ersten und zweiten Klasse willen zwei Jahre länger zu warten, um ihr Recht auszunutzen". Den Preußschen Vorwurf, der städtische Liberalismus verhielte sich widersprüchlich zum Problem der bevölkerungs- bzw. wähleradäquaten Repräsentation, wenn er mit unterschiedlichen Maßstab an die Wahlbezirkseinteilung im Reich und in der Kommune heranging, begegnete Singer mit der prinzipiellen Kritik an den Liberalen: "Da, wo sie was zu sagen haben, in der Gemeindeverwaltung, gehen ihre liberalen Anschauungen zum Teufel, während sie da, wo sie nichts zu sagen haben, in bezug auf den Reichstag allerdings für das allgemeine gleiche Wahlrecht eintreten". Singer verwies auf die unterschiedliche Vertretung zum Reichs- und Landtag. Wenn er freilich den Stadtverordneten als Repräsentanten der gesamten Bürgerschaft, nicht aber einer einzelnen Wählerabteilung darstellte und mit dieser Argumentation die geplante Wahlbezirkseinteilung rechtfertigte, mußte dem Sozialdemokraten widersprochen werden. Die Städteordnung von 1853 definierte den Stadtverordneten nicht mehr ausdrücklich, wie im älteren Kommunalrecht,380 als Vertreter der Bürgerschaft, sondern stellte lediglich nüchtern fest, daß er weder an Instruktionen noch Aufträge der Wähler oder Wahlbezirke gebunden war?81 Das schloß einerseits nicht eine Politisierung des Stadtverordnetenamts aus, nicht zuletzt auf Grund der divergierenden Interessen einzelner Ortsteile oder Bürgergruppen,382 andererseits gab das Kommunalrecht keinen Anhalt für eine Konkurrenz zwischen dem Vertretungscharakter des Stadtverordnetenamts und den wahlrechtlichen Prinzipien der Städteordnung. Das konstitutionelle Kommunal380 § 110, Abs. 2, Tit. 6, StO 1808. GS 1806-1810, S. 338. Siehe dazu Kap. 2, Unterabschnitt 6. 381 § 35, Abs. 2, Tit. 4, StO 1853. OS 1853, S. 275. 382 lebens, Stadtverordnete, S. 5.

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recht entbehrte jeder demokratischen Tendenz. Eine konkrete Abmilderung der allgemeinen Wahlrechts ungleichheit des Dreiklassensystems - beispielsweise durch die Wahlbezirkseinteilung - bedurfte, das Einverständnis der Staatsbehörden vorausgesetzt, einer ausdrücklichen Absprache nicht nur zwischen den Kommunalkörperschaften, sondern auch zwischen den politischen Gruppierungen der Gemeindevertretung. Im übrigen waren die praktischen Auswirkungen solcher, möglicherweise geduldeten Absprachen nicht erheblich. Ihre Bedeutung lag eher in der integrativen Wirkung praktizierten Kompromißwillens. Die Majorität der Stadtverordneten lehnte nach dem Plädoyer der Sozialdemokraten den Preußschen Antrag ab und folgte der Ausschußempfehlung, die Mandatsvermehrung und Bezirkseinteilung nach dem Plan des Stadtverordneten Liebenow anzunehmen. Wirksam wurde die Reform unterdessen erst zur Jahrhundertwende. Die neue Wahlkreiseinteilung trat vor der formellen Feststellung der Gemeindewählerliste Anfang Juli 1899 in Kraft, während die 18 neuen Stadtverordnetenmandate offiziell zum 1. Januar 1900 eingerichtet wurden. 383 Die Berliner Kommunalwahlen wurden im November 1899 für die ersten beiden Wählerklassen in 16 und für die dritten Abteilung in 48 Wahlkreisen abgehalten. 384 Von den sechs neuen Wahlkreisen in der dritten Klasse eroberten die Sozialdemokraten auf Anhieb fünf, so daß sie mit der Kommunalwahl des Jahres 1899 ihre Sitze in der Stadtverordneten-Versammlung insgesamt auf 12 erhöhen konnten?85 Das politische Ziel der Sozialdemokratie, die Mandate der dritten Wählerklasse möglichst vollständig zu gewinnen,386 ließ sich praktisch nur erreichen, wenn mit der Wahlkreiseinteilung auch die differierende Anzahl 383 Anträge des Magistrats vom Il. Juni 1897 u. 5. Januar 1898. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 165, Bl. 135 f. u. 163 f. Oberpräsidial-Verfügungen vom 15. November 1897 u. Il. Januar 1898. A. a. 0., Bl. 148 u. 165. Mitteilung des Magistrats an die Kommunalvertretung vom 15. Januar 1898. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1294. 384 Die neue Wahlbezirkseinteilung wurde der Öffentlichkeit durch die Bekanntmachung des Magistrats vom l. Juli 1899 mitgeteilt. Berliner Lokalanzeiger, Nr. 309, Ausgabe vom 5. Juli 1899. 385 Die Sozialdemokraten konnten ihre bereits errungenen sechs Sitze halten und in der Ergänzungswahl ein weiteres Mandat gewinnen. Zusammen mit den Mandaten der neuen Wahlkreise kamen sie demnach auf 12 Sitze in der Kommunalvertretung. Vgl. Berliner Lokal-Anzeiger, Nr. 523, Ausgabe vom 7. November 1899. Berliner Tageblatt, Nr. 568, Ausgabe vom gleichen Tag. Zu den Ergebnissen in den ersten beiden Wählerklassen siehe das Berliner Tageblatt, Nr. 568, 570, Ausgaben vom 7. November sowie die Vossische Zeitung, Nr. 525,526, Ausgaben vom 8. November 1899. Vgl. auch den Auszug vom Sitzungsprotokoll der StadtverordnetenVersammlung vom 4. Januar 1898. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. lIO. 386 So das Berliner Tageblatt, Nr. 507, Ausgabe vom 5. Oktober 1905. Allgemein zur Vertretung der Sozialdemokratie in der Berliner Kommunalvertretung nach 1890 vgl. Bernstein, Arbeiterbewegung 1890-1905, S. 213 ff.

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

der Wahlkreise in den einzelnen Abteilungen geändert wurde. Leo Arons stellte daher im Spätsommer 1905 den Antrag, parallel zur Wahlorganisation der ersten und zweiten Wählerklasse für die dritte Abteilung ebenfalls 16 Dreierwahlkreise einzurichten. Die dritte Wählerklasse fiel auf diese Weise ebenfalls unter den zweijährigen Wahlturnus, der in den ersten beiden Abteilungen seit der Reform von 1883 üblich war. Gegen die Ausübung des Kommunalwahlrechts im zweijährigen Rhythmus wurden die bereits in früheren Debatten vorgebrachten Bedenken wiederholt. In den vorgeschlagenen Groß wahlkreisen der dritten Abteilung wären die Rechte der Minoritäten beeinträchtigt, durch die Größe der Wahlkörper die Wahl organisation erheblich schwieriger. Im übrigen wurde daran erinnert, daß die Reduzierung der Anzahl der Wahlbezirke in den ersten bei den Wählerklassen bei der Reform von 1883 nur dem Ziel gedient hatte, sowohl einen Ausgleich der Wählerzahlen überhaupt herbeiführen zu können als auch zu geringe Wählerzahlen in den Bezirken zu verhindern. Die Sozialdemokraten zogen diese Erklärungen nicht in Zweifel, wollten jedoch nicht einsehen, daß sie eine zeitlich differierende Ausübung des Kommunalwahlrechts in den verschiedenen Abteilungen rechtfertigten. Stadtrat Bohm, der als Magistratskommissar an den Beratungen teilnahm, sah mit dem Antrag Arons nur eine technische Erschwernis des Wahlgeschäfts verbunden, hielt ihn aber sonst praktisch für ausführbar. 387 Das Plenum der Stadtverordneten folgte nicht der Empfehlung der Ausschußmajorität, den Antrag abzulehnen, sondern verwies ihn Mitte Januar 1906 zur nochmaligen Beratung an den Ausschuß zurück. 388 Die neuerlichen Verhandlungen des Ausschusses wurden erst Anfang Mai aufgenommen, ohne daß es zu einer inhaltlich abweichenden Entschließung kam. Die Sozialdemokraten wurden von der Majorität erneut abgewiesen. Man kam zu der Überzeugung, daß die zwischenzeitlich eingetretene Zuspitzung der ungleichen Wählerzahlen in den Wahlkreisen der dritten Abteilung eine erneute Wahlbezirksrevision erforderlich machte. Der Magistrat sollte aufgefordert werden, bis spätestens Ende des Jahres 1909 eine Neueinteilung der Wahlbezirke der dritten Wählerklasse vorzulegen?89 Während der zweiten Plenardebatte machte der Sozialdemokrat Borgmann vergeblich darauf aufmerksam, daß es seiner Fraktion vor allem auf die zeitlich einheitliche Ausübung des Wahlrechts ankam. Wahlakte, die in der Regel sechs Jahre auseinander lagen und sich durch einen Wohnungswechsel auf einen Zeitraum von zehn oder zwölf Jahre verlängern konnten, mußten sich nachteilig auf die Teilnahme an den Kommunalwahlen auswirken?90 387 Protokoll der Ausschußverhandlungen vom 19. Dezember 1905. LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1295. 388 Beschluß der Kommunalvertretung vom 18. Januar 1906. A. a. O. 389 Protokoll der Ausschußverhandlungen vom 8. Mai 1906. A. a. O.

5. Die Entwicklung der Kommunalwahlbezirke

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Den Hinweis auf das Wahlverhalten konterten die Liberalen mit der Anspielung auf die "bescheidene" Wahlbeteiligung in der ersten Wählerklasse. Das entsprach nicht den Tatsachen, da die Wahlbeteiligung bei den Kommunalwahlen sich zwar allgemein auf niedrigem Niveau bewegte, aber in der ersten Wählerklasse fast ausnahmslos überdurchschnittlich ausfie1. 391 Es ging den Liberalen im wesentlichen um die Abwehr des sozialdemokratischen Versuchs, "die Vorbedingung für bessere Wahlgeschäfte,,392 durchzusetzen, indem für die Gesamtwählerschaft der zweijährige Wahlrhythmus eingeführt wurde. Der Neueinteilung der Wahlbezirke in der dritten Wählerklasse stand die Stadtverordnetenmehrheit aufgeschlossen gegenüber. Eine andere Haltung war bei Wählerdifferenzen zwischen 4000 und 19000 in einzelnen Wahlkreisen wohl auch kaum möglich. Das Anliegen des Sozialfortschrittlichen Deutsch, die ersten beiden Wählerabteilungen in die Wahlbezirksreform einzubeziehen, da sich auch hier größere Schwankungen der Stimmberechtigtenziffern bemerkbar gemacht hatten, wurde in der Versammlung mit dem Hinweis zurückgewiesen, daß erhebliche Abweichungen von der bezirklichen Durchschnittswählerzahl nur in vereinzelten Wahlkreisen auftreten würden. Der Magistrat reagierte auf das Ersuchen der Kommunalvertretung, die Wahlbezirksreform für die dritte Wählerklasse möglichst schnell auszuführen, mit Zurückhaltung. Erst im Juni 1909 lag eine Stellungnahme der kommunalen Exekutive vor. Nach Ansicht der Gemeindeadministration waren es zu diesem Zeitpunkt überhaupt nur fünf, an der Peripherie Berlins gelegene Wahlkreise, die eine Neueinteilung rechtfertigten. Bei Wählerzahlen zwischen rund 14000 und 23000 ließ sich der Reformbedarf nicht leugnen, da die bauliche Erschließung der betreffenden Stadtgebiete aber unvermindert anhielt, empfahl sich eine Verschiebung der Neueinteilung. Der Magistrat begründete seine ablehnende Haltung im übrigen mit dem "Geist der Städteordnung", der, als hätte es zu Beginn der neunziger Jahre in dieser Hinsicht keine Novellierung des Kommunalrechts gegeben, die Ergänzungsund Ersatzwahlen an die bestehenden Wahlkreise band. 393 Allein wegen der Wählerinteressen von fünf Wahlkreisen eine "völlige Zerstörung" der Verbindung sowohl der übrigen Wahlbezirke untereinander als auch zwischen den Stimmberechtigten und ihren Vertretern vorzunehmen, schien 390 Sämtliche Äußerungen und Beschlüsse im folgenden nach dem Auszug aus dem amtlichen stenographischen Bericht der Stadtverordneten-Versammlung am 31. Mai 1906. A.a.O. 391 Vgl. Tab. 10 im Stat. Anhang. 392 Berliner Tageblatt, Nr. 507, Ausgabe vom 5. Oktober 1905. 393 Vgl. dazu den Bericht der Magistratskommission zur Vorberatung der Neueinteilung der Wahlbezirke vom Februar 1909 und den Magistratsbeschluß vom 18. Juni 1909. VStBln 1909, Nr. 39, DS Nr. 574, S. 507 f.

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nach Magistratsauffassung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu widersprechen. Das Verhalten des Magistrats wurde in der Stadtverordneten-Versammlung als "Ungeheuerlichkeit" registriert. Man war nicht nur über die mehrjährige Verschleppung der Reform, sondern auch über die nachlässige Darstellung der Problemlage empört. Borgmann erläuterte, daß die fünf vom Magistrat genannten Wahlkreise insgesamt etwa 85000 Wähler aufwiesen, es aber vierzehn Wahlbezirke mit 3000 bis 6000 Stimmberechtigten gab, die nur 63000 eingeschriebene Wähler hatten. Teilte man die Wahlkreise der dritten Abteilung nach den jeweils höchsten und niedrigsten Wählerziffern in zwei Gruppen, standen 8 Wahlkreisen mit den höchsten Wählerzahlen und 118000 eingeschriebenen Wählern 24 Bezirke gegenüber, die mit 120000 Wählern nicht wesentlich mehr Stimmberechtigte erfaßten als die erste Bezirksgruppe. In den Wahlkreisen mit den höchsten Wahlberechtigtenziffern waren durchschnittlich 14770 Wähler eingeschrieben, in der zweiten Gruppe waren es gerade einmal 5000 Stimmberechtigte. Für die Sozialdemokraten stellte die Neueinteilung der Wahlbezirke daher ebenso ein Gebot der Wahlgerechtigkeit dar wie sie vom politischen Standpunkt unerläßlich notwendig erschien. 394 Die sozialdemokratische Presse vermutete hinter der Verzögerung der Reform eine stille Übereinkunft zwischen der linksliberalen Stadtverordnetenmehrheit und der kommunalen Exekutive, die oppositionelle Arbeiterpartei nicht weiter zu stärken. Von der großen Verschiedenheit der Wählerzahlen profitierte politisch ausschließlich der Kommunalliberalismus, welcher in der dritten Abteilung vor allem die Wahlkreise mit den niedrigen Stimmberechtigtenziffern hielt. Die an der städtischen Peripherie gelegenen Wahlkreise mit überdurchschnittlichen Wähleranteilen lagen ausnahmslos in den Händen der Sozialdemokratie. Die Wahlkreisreform mußte zwangsläufig zu einer Aufteilung dieser Bezirke führen, während die neuen Wahlkreise mit erheblicher Sicherheit den Sozialdemokraten zufallen würden. Diese absehbaren Folgen ließen den städtischen Linksliberalismus offensichtlich an der "kommunalen Wahlbezirksgeometrie" festhalten. 395 Die These von einer politisch motivierten Reformverzögerung hatte sicherlich einen Gutteil agitatorischen Charakter. Die Befürchtung weiterer Mandatsverluste in der dritten Wählerklasse war bei den Linksliberalen offensichtlich. Gleichwohl bleibt die Frage offen, ob sich die Linksliberalen 394 Rede Borgmann. StVVBln, 19. Juni 1909. Auszug aus dem amtlichen stenographischen Bericht der Stadtverordneten-Versammlung in LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1295. 395 Vgl. beispielhaft resümierend, wenn auch später, Vorwärts, Nr. 5, Ausgabe vom 6. Januar 1911.

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in realistischer Einschätzung des Wählerverhaltens inzwischen nicht mit diesen Verlusten hätten abfinden können, wenn es ihnen gelungen wäre, ihre Mandate in den ersten beiden Wählerabteilungen zu halten. Gegenüber der hauptstädtischen Öffentlichkeit war eine weitere Verzögerung der Reform kaum zu rechtfertigen. Die liberalen Fraktionen396 beeilten sich jedenfalls, dem Magistrat sämtliche Schuld zuzuweisen und im Einvernehmen mit den Sozialdemokraten für die Einsetzung eines Ausschusses zu plädieren. Während der anschließenden Beratung wurde nur noch vereinzelt der Versuch unternommen, die Wahlbezirksreform bis zur vollständigen Bebauung der Außenbezirke auszusetzen. Die Mehrheit der Mitglieder befürwortete eine Reform, die der Magistrat soweit beschleunigen sollte, daß sie der nächsten Ergänzungswahl im Jahre 1911 zu Grunde gelegt werden konnte. 397 Nach dem Beschluß der Kommunalvertretung dauerten die Arbeiten des Magistrats, obwohl nach Darstellung des zuständigen Stadtrats Bohm die Neueinteilung längst fertiggestellt war, bis in die zweite Februarhälfte 1911 an. Zum Unwillen der Stadtverordneten machte der Magistrat von seiner alleinigen Kompetenz bei der Wahlbezirkseinteilung Gebrauch und legte der Kommunalvertretung einen Reformentwurf für sämtliche Wählerklassen vor, der von den Gemeinderepräsentanten nur noch zur Kenntnis genommen werden sollte. 398 Auf die einhellige Kritik am Vorgehen des Magistrats, das auch in der Hauptstadtpresse moniert wurde,399 beeilte sich Oberbürgermeister Kirschner zu erklären, daß es bei dem ursprünglichen Verfahren bliebe, d. h. eine definitive Beschlußnahme des Magistrats erst nach der Anhörung der Kommunalvertretung erfolgen sollte. Die Äußerung des linksliberalen Magistratsdirigenten stand ebensowenig im Einklang mit dem Wortlaut der Vorlage wie die Zerstrittenheit der kommunalen Exekutive in der Verfahrensfrage nicht zu übersehen war. 400 Die liberale Öffentlichkeit hielt die Magistratsvorlage für geeignet, eine "vollständige Umwälzung" in der Ge396 Es kann nicht die Aufgabe dieser Studie sein, die Entwicklung der politischen Zusammensetzung der Kommunalrepräsentation, insbesondere die Fraktionierung des Kommunalliberalismus von den Sozialfortschrittlichen bis zu den Rechtsliberalen, zu untersuchen. 397 Verhandlungsprotokoll der Ausschußsitzung vom 19. Oktober 1910 und Plenardebatte der Kommunalvertretung vom 28. Oktober 1909 nach dem Auszug aus dem amtlichen stenographischen Bericht. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1295. Die für die Beratung angeforderte Aufstellung über die Entwicklung der Gemeindewählerzahlen in den Wahlkreisen zwischen 1882 bis 1909110 in LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 244, BI. 123 ff. 398 VStBln 1911, Nr. 14, OS Nr. 246, S. 136-139. 399 Berliner Morgenpost, Berliner Lokal-Anzeiger, Ausgaben vom 10. März 1911. 400 Rede Kirschner. StVVersBln, 9. März 1911. StBBln 1911, S. 117.

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meindevertretung herbeizuführen. Die neue Wahlkreiseinteilung der dritten Abteilung lieferte aller Voraussicht nach sämtliche Mandate der Liberalen den Sozialdemokraten aus, die vermutlich zehn neue Sitze hinzu gewinnen konnten. 401 Eine solche Entwicklung wurde auch von den liberalen Stadtverordneten vorausgesehen. 402 Trotzdem entwickelten sie keinen nennenswerten Widerstand. Im Gegenteil, während der Ausschußberatung einigte man sich schnell, die Neueinteilung der Gemeindewahlbezirke der dritten Wählerklasse zu akzeptieren. Nur die vorgeschlagene Wahlkreisreform der ersten bei den Abteilungen wollte man auf Grund des "allseitig" bekundeten Interesses einer allgemeinen Prüfung unterziehen, die auf den neuesten statistischen Ermittlungen beruhen sollte. 403 Die Sozialdemokraten und die kleine sozialfortschrittliche Fraktion404 unterstützten die Absicht des Magistrats, die Wahlkreisreform auch auf die ersten bei den Wählerklassen auszudehnen. Der Hinweis von Stadtrat Ledermann, daß die demographische Rückentwicklung in den Innenstadtbezirken auch für die ersten bei den Abteilungen eine ungerechte Wahlbezirkseinteilung herbeigeführt hatte, wie sie allgemein für die Einteilung der Wahlkreise im Reich und im Staat beklagt wurde,405 konnte den Kommunalliberalismus nicht abhalten, der Aufschiebung der Reorganisation zuzustimmen. Man wollte, wie das führende Fraktionsmitglied der Fortschrittlichen Volkspartei im Preußischen Landtag Cassel betonte, die zweckmäßigste Gestaltung der Wahlbezirke nochmals überprüfen, "ohne Rücksicht auf tendenziöse Wahlgeometrie, aber mit Rücksicht auf die historische Entwicklung unserer Stadtteile und unserer Wählerschaften,,.406 Der Reformplan des Magistrats beruhte auf einer Reihe von Prinzipien, die bereits bei den früheren Neueinteilungen zum Tragen gekommen waren. Zu den Wahlkreisen gehörten nur ganze Stadtbezirke, die Einteilung orientierte sich in allen Wählerklassen an der Durchschnittszahl der Wahlberechtigten, Abweichungen vom Durchschnittssatz wurden in Bezirken mit zuoder abnehmender Wählerzahl vorgenommen, der alte Bezirksbestand sollte möglichst erhalten bleiben und die historischen Grenzen weitgehend berücksichtigt werden. Die Stadtverordneten wurden unter Berücksichtigung Berliner Tageblatt, Nr. 101, Ausgabe vom 24. Februar 1911. Vgl. die Rede des Stadtverordneten Frick. StVVersBln, 9. März 1911. StBBln 1911, S. 117. 403 Protokoll der Ausschußverhandlungen vom 31. März 1911 u. Beschluß der Kommunalvertretung vom 6. April 1911. VStBln 1911, DS Nr. 415, S. 291 f. 404 Rede Marggraff. StVVersBln, 9. März 1911. StBBln 1911, S. 118 405 Rede Ledennann. StVVersBln, 9. März 1911. StBBln 1911, S. 118. 406 Rede Cassel. StVVersBln, 9. März 1911. StBBln 1911, S. 119. 401

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des Wahlturnus jenen Wahlkreisen zugeordnet, die einen größeren Bestandteil ihres ursprünglichen Wahlbezirks aufwiesen. Es ließ sich allerdings nicht vermeiden, daß einzelne Bezirke völlig aufgelöst und die betreffenden Gebiete verschiedenen neuen Wahlkreisen zugeschlagen wurden. In diesem Fall mußten die gewählten Gemeindevertreter Wahlkreisen zugewiesen werden, die durch Teilung älterer Bezirke entstanden waren. Nach der Gemeindewählerliste von 1910 erreichte die durchschnittliche Wählerzahl in den 48 Kreisen der dritten Abteilung ein Niveau von rund 7250 Wähler. Nach dem Magistratsplan schwankte die Minimal- und Maximalwählerzahl in den neuen Wahlkreisen zwischen 3662 und 8930 Wählern. Diese, noch bedeutende Abweichung fiel im Gesamtzusammenhang der Wahlkreise erheblich gemäßigter aus. 407 Die 927 Wähler der ersten Abteilung verlangten nach einer durchschnittlichen Besetzung der Wahlkreise mit 57 Stimmberechtigten. Die maximale Differenz lag nach der alten Bezirkseinteilung bei 24 und 130 Wählern, durch die Reform reduzierte sich dieses Verhältnis auf 39 zu 92 Wähler. Die Wählerdisproportionälität blieb demzufolge in den einzelnen Bezirken beträchtlich. Dagegen erzielte der Reformplan in der zweiten Wählerklasse einen weitgehenden Ausgleich der Unterschiede. Bei einer durchschnittlichen Wählerzahl von 1999 gab es nach der alten Wahlkreiseinteilung eine Maximaldifferenz von 754 und 5164 Wählern, durch die Reform wurde dieses Verhältnis auf 1810 zu 2107 Wähler reduziert und ansonsten in der Gesamtsicht der Wahlkreise relativ geringe Abweichungen von der durchschnittlichen Wählerzahl erreicht. Nach dem Beschluß der Kommunalvertretung, der Wahlkreisreform für die dritte Wählerklasse zuzustimmen, die Neugestaltung für die übrigen Abteilungen unterdessen auszusetzen, bis die Stadtverordneten nach eingehender Prüfung "eine den tatsächlichen Verhältnissen mehr entsprechende Veränderung in den Wahlbezirken der ersten und zweiten Abteilung in Vorschlag gebracht hatte", erging am 25. Mai die Bestätigung des Oberpräsidenten für die Neueinteilung in der dritten Abteilung. 408 Die im November fälligen Ergänzungswahlen konnten folglich nach den Veränderungen der Reform ausgeführt werden, während die Stimmberechtigten der ersten bei den Wählerklassen in den überkommenen Bezirken wählten. Das Ergebnis der Reform war eine allgemeine Bewegung der Wahlbezirksgrenzen von der Innenstadt nach den Außenbezirken. Amtierende Stadtverordnete, die langjährig ein Mandat in einem inneren Stadtbezirk ausgeübt hatten, sahen sich unvermittelt mit der Vertretung neuer Stadt407 Vgl. dazu wie im folgenden die Anlagen zur Magistratsvorlage. VStBln 1911, DS Nr. 246 vom 21. Februar 1911, Anlagen 1-4, S. 136-139. 408 VStBln 1911, DS Nr. 570 vom 31. Mai 1911, S. 415.

56 Grzywatz

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8. Kap.: Konflikte zwischen Stadt und Staat im Konstitutionalismus

teile konfrontiert, mit denen sie bislang nicht in Verbindung gestanden hatten, während sich die Wähler durch neue Kommunalpolitiker repräsentiert sahen. Wenn neben diesen Umständen berücksichtigt wird, daß durch die Reform die Wahlzyklen verändert wurden, die Wähler mithin in längeren oder kürzeren Abständen wählten, muß, unabhängig von Verfahrensproblemen, gefragt werden, ob nicht im Falle dieser einschneidenden Veränderung der Wahlkreiseinteilung besser zu einer Neuwahl geschritten worden wäre, um die Konstitutionalisierung neuer Vertretungsverhältnisse zu ermöglichen. Da Neuwahlen nur im Wege des Auflösungsverfahrens anzusetzen waren, das nach den Novellierungsdebatten der neunzig er Jahre indes als aufsichtsrechtlicher Eingriff nicht mit einer innergemeindlichen Reform in Verbindung zu bringen war, ließ das Kommunalrecht nur den Weg einer temporären Neugestaltung offen, die ihre Rechtfertigung im vermeintlichen Gesamtvertretungsauftrag der Stadtverordneten fand. Von der Umwälzung der Vertretungsverhältnisse waren in der dritten Wählerklasse sämtliche Kommunalparteien betroffen. Allein die Sozialdemokraten konnten sich berechtigte Hoffnungen machen, politisch von der Reform zu profitieren. Die Arbeiterpresse sah den Tag nicht mehr allzu fern, an dem sämtliche Mandate der dritten Wählerabteilung "unbestrittener Besitz" der Sozialdemokratie waren. 409 Die Bedeutung der in die ersten Novemberwoche fallenden Ergänzungswahlen veranlaßte den Kommunalliberalimus nicht nur zu einer verstärkten Mobilisierung seiner Wählerschichten, sondern er setzte sich in der Hoffnung auf eine stärkere Wahl beteiligung auch für Sonntags wahlen ein. Diese Anstrengungen waren jedoch vergeblich. Von den zur Wahl stehenden sechzehn Mandaten konnten die Linksliberalen nur ein einzelnes durch den Goldschmiedemeister Rudolf Menzel gewinnen - einem Mitglied der Freien Fraktion. Mit dem Verlust von fünf Sitzen an die Sozialdemokratie hatte der Kommunalliberalismus fast sämtliche Mandate in der dritten Wählerabteilung eingebüßt. 4JO Die Sozialdemokraten zogen wie üblich aus der niedrigen Wahlbeteiligung Gewinn. Der geschlossene Einsatz ihres eigenen Wählerstamms sicherte ihnen stets Mehrheiten. Die vollständige Niederlage des Linksliberalismus wurde nicht nur auf die Wahlbeteiligung, sondern auch auf dessen programmatische und organisatorische Schwächen zurückgeführt. 411 Ohne eine stärkere Öffnung gegenüber den sozialen Fragen der Gegenwart sowie eine durchgreifende organisatorische Reform auf demokratischer Grundlage 409 410 411

Vorwärts, Ausgabe vom 22. Juni 1911. Berliner Tageblatt, Nr. 566, Ausgabe vom 6. November 1911. Berliner Tageblatt, Nr. 569, Ausgabe vom 7. November 1911.

5. Die Entwicklung der Kommunalwahlbezirke

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hielten freisinnige Politiker die Zukunft des Kommunalliberalismus für grundlegend gefährdet. Blieben Veränderungen aus, waren selbst Einbrüche der Sozialdemokratie in die zweite Wählerklasse nicht mehr auszuschließen, die sich nach wie vor in liberaler Hand befand und in der, das sei hier nur am Rande vermerkt, trotz des Boykottaufrufs der Konservativen, zahlreiche Regierungsmitglieder und Ministerialbeamte, allen voran Reichskanzler von Bethmann Hollweg, dem Kommunalliberalismus ihre Stimme gaben. Nach der Reform von 1911 spielte die Wahlbezirksreform in den kommunalpolitischen Auseinandersetzungen keine wesentliche Rolle mehr. Die von der liberalen Stadtverordnetenmajorität eingeforderte Prüfung des Magistratsplans zur Neugestaltung der übrigen Wahlkreise wurde in den nächsten Jahren verschleppt. Eine Anfrage des Nationalliberalen Vereins Moabit beklagte im Juni 1914 die mehrjährige Untätigkeit der Stadtverordneten und verlangte eine umgehende Reform der Wahlkreise der ersten und zweiten Wählerklasse. 412 Der eingesetzte Ausschuß, der noch Anfang Januar 1916 von der Kommunalvertretung bestätigt wurde,413 nahm seine Beratungen in den Kriegsjahren nicht mehr auf. Die Frage der Wahlrechtsgleichheit, soweit sie während des Krieges auf kommunaler Ebene überhaupt eine Rolle spielte, war im wesentlichen durch die prinzipielle Frage über die Zukunft des Dreiklassensystems und dessen Ablösung durch ein demokratisches Wahlrecht bestimmt.

412 Eingabe vom 17. Juni 1914. LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 1296. Vgl. auch Deutscher Kurier, Nr. 143, Ausgabe vom 20. Juni 1914. 413 Stadtverordnetenbeschluß vom 6. Januar 1916. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 137, BI. 194. 56*

Neuntes Kapitel

Städtebürgertum, kommunale Parteien und das Gemeindewahlrecht im Kaiserreich 1. Die gescheiterte Wahlrechtsliberalisierung

nach der Reichsgründung

Mit der Verabschiedung der Kreisordnung im Dezember 1872 setzte eine neue Verwaltungsreformperiode in Preußen ein, die im wesentlichen von drei Momenten getragen wurde: Dezentralisation, Selbstverwaltung und Rechtskontrolle der öffentlichen Verwaltung. Die Reform ließ die eigentliche Verfassung und Verwaltung der Stadtgemeinden unberührt, soweit nicht ihre Stellung zu den höheren Kommunalverbänden angesprochen war. I Die Kreisordnung 2 etablierte neben der bislang ausschließlich staatlich berufenen Aufsichtsführung die Mitwirkung der Kreisausschüsse in Angelegenheiten der Landgemeinden sowie bei der Entscheidung der ländlichen kommunalen Verwaltungsstreitsachen. Die knapp drei Jahre später ergangene Provinzialordnung 3 sicherte den Bezirks- und Provinzialräten, besonders im Hinblick auf die Stadtgemeinden, die Teilnahme bei der Aufsicht der Kommunalangelegenheiten der Kreise und Gemeinden zu. Schließlich traf das im gleichen Jahr erlassene Verwaltungsgerichtsgesetz4 seine Bestimmungen in der Voraussetzung, daß den Bezirksverwaltungsgerichten und dem Oberverwaltungsgericht demnächst ein erweiterter Wirkungskreis durch Überweisung der Streitsachen des öffentlichen Rechts zugewiesen wurde. Während in den Kreisen eine von der unmittelbaren Einwirkung der Staatsbehörden unabhängige Selbstverwaltung sowie eine angemessene Beteiligung ihrer Organe an den Geschäften der allgemeinen Landesverwaltung ange1 Karl Freiherr von Stengel, Die Organisation der Preußischen Verwaltung nach den neuen Reforrngesetzen, Leipzig 1884, S. 185 f.; O. Oertel, Städte-Ordnung und Verwaltungs-Reforrn-Gesetze, Bd. 1, S. IX f. 2 Kreis-Ordnung für die Provinzen Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 13. Dezember 1872. GS 1872, S. 661-716. Zur Entstehungsgeschichte der Kreisordnung vgl. Lange, Eulenburg, S. 115 ff. 3 Provinzial-Ordnung für Ost- und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 29. Juni 1875. GS 1875, S. 335-366. 4 Siehe dazu schon die Erläuterungen in Kap. 8, Unterabschnitt 1. Zur neueren Entwicklung des Verwaltungsrechtsschutz in Preußen ausführlich Lange, Eulenburg, S. 231 ff.

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bahnt wurde,5 verblieben diese vorwiegend polizeilichen Angelegenheiten in den Stadtkreisen bei den bisher zuständigen Behörden. 6 Vom Abgeordnetenhaus aufgefordert, die Teilnahme der Stadtkreise an den Geschäften der allgemeinen Staatsverwaltung anderweit zu regeln, legte das Innenministerium im März 1876 den bereits mehrfach erwähnten Entwurf einer neuen Städteordnung vor,7 der den neugeschaffenen Organen der Bezirks- und Provinzialräte die Mitwirkung bei der Beaufsichtigung der städtischen Kommunalangelegenheiten einräumte, die Entscheidung der Verwaltungsstreitigkeiten den Bezirksverwaltungsgerichten überwies und ansonsten die Verhältnisse der Stadtkreise näher regelte. Den Anlaß zur Reform gab also nicht etwa das strittige Gemeindewahlrecht. Im Gegenteil, die "unerläßliche weitgreifende Umgestaltung" des Kommunalrechts sollte nach Auffassung der Staatsregierung dort an den "gegebenen und eingelebten Verhältnissen" festhalten, wo das Bedürfnis zu einer gesetzlichen Veränderung nicht hervorgetreten war. 8 Das galt nicht zuletzt für das Gemeindewahlrecht. Gleichwohl war beabsichtigt, die Wahlrechtsbeschränkungen in nicht unerheblichem Umfang zu lockern. Prinzipiell betrachtete die Staatsregierung das Dreiklassensystem als unersetzlich. Die sich an die Differenzierungen des Gesetzes knüpfenden unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen mußten Berücksichtigung finden. Bei der Einführung des allgemeinen und gleichen Stimmrechts fürchtete man weiterhin örtlich "unerwünschte Resultate".9 Die Konzentration der politischen Macht bei einzelnen Parteien, die sich nicht wie bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Landesrnaßstab ausglich, wollte die Staatsregierung verhindern. Sie sprach sich freilich gegen jeden Versuch aus, die Zahl der Wahlberechtigten durch eine Erhöhung des Zensus weiter einzuschränken. Für den Zugang zum Bürger- bzw. Wahlrecht sah der Regierungsentwurf statt der Eigenschaft als preußischer Staatsbürger die als Angehöriger des Deutschen Reiches vor. 10 Die Wahlberechtigung sollte nicht länger von der wirklichen Zahlung der Gemeindeabgaben abhängig sein. Diese Bestimmung hatte häufig zu Mißständen geführt, indem rücksichtslos alle Personen aus der Wählerliste gestrichen wurden, die zum Zeitpunkt der Aufstellung mit irgendwe1chen Steuerbeträgen im Rückstand waren. Die StaatsreVgl. § 135, Ziff. I-VIII, Tit. 3, Abschnitt 4, KO 1872. GS 1872, S. 695 ff. § 170, Tit. 4, KO 1872. A a. 0., S. 708. 7 Die polizeirechtlichen Bestimmungen des Städteordnungsentwurf von 1876 wurden bereits in Kapitel 6, Unterabschnitt 7, die bestätigungsrechtlichen Neuerungen in Kap. 8, Unterabschnitt 2 näher erläutert. 8 Motive, StOEntw 1876. AlPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S.650. 9 Aa.O., S. 657. IO § 14, Abs. 1, Lit. a, Tit. 2, StOEntw, 1876. Aa.O., S. 638. 5

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gierung zweifelte überhaupt an, ob es möglich war, durch Nachlässigkeit verursachte Steuerschulden mit dem Ausschluß vom Bürgerrecht zu bestrafen. 11 Der Gewerbebetrieb sollte allein nicht mehr für die Wahlberechtigung ausreichen, die, wie im geltenden Recht vorgesehen, jeden Empfang von Armenunterstützung ausschloß sowie die Vollendung des 24. Lebensjahres und den Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte voraussetzte. 12 Der Klassensteuerzensus wurde auf die Veranlagung von sechs Mark herabgesetzt, was einem jährlichen Einkommen von 220 bis 300 Reichstalern entsprach. 13 Dieser Zensus konnte durch Ortsstatut bis auf eine Veranlagung von zwölf Mark erhöht werden, so daß die obere Einkommensgrenze bei 350 bis 400 Reichstalern lag. 14 Die Staatsregierung schloß sich demnach dem niedrigen Zensus an, den die Liberalen schon zu Beginn der fünfziger Jahre gefordert hatten. Die Bedingung des einjährigen Wohnsitzes in der Gemeinde ließ man zwar nicht fallen, aber es war die Möglichkeit gegeben, eine vorzeitige Zulassung zum Bürgerrecht bei der Gemeindevertretung zu beantragen. 15 Der eigene Hausstand wurde als Wahlrechts bedingung aufgegeben. Die Praxis hatte bei der Interpretation dieser Bestimmung, wie das Beispiel Berlins nachdrücklich belegte, zu viele Schwierigkeiten verursacht. Da der nach der Städteordnung von 1853 vorgeschriebene Modus die Klassenbildung übermäßig kompliziert machte, bestimmte der Regierungsentwurf nur noch die Klassen- und klassifizierte Einkommensteuer zur Grundlage der Abteilungsbildung zu machen. Das Einkommen der juristischen bzw. höchstbesteuerten auswärtigen Personen sollte nicht weiter am Wohnort der Betreffenden berücksichtigt werden. 16 Eine Klassenbildung auf Basis der Gemeindesteuern lehnte die Staatsregierung ab. Die voneinander abweichenden Erhebungsgrundlagen der Kommunen, hier Personalsteuern wie die Zuschläge zur Klassen- und Einkommensteuer oder eine besondere Kommunaleinkommensteuer, Mietsteuer etc., dort mehr oder weniger erhebliche Zuschläge zu den Realsteuern wie Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer oder andere besondere Steuern, machten die Klassenbildung von den in mehr Motive, StOEntw, 1876. A.a.O., S. 655. § 14, Abs. 1, Lit. b u. c, Tit. 2, StOEntw, 1876. A.a.O., S. 638. 13 § 14, Abs. 1, Lit. d, Tit. 2, StOEntw, 1876. Ebd. Vgl. §§ 7 u. 9b, Gesetz vom 25. Mai 1873 wegen Abänderung des Gesetzes vom 1. Mai 1851, betreffend die Einführung einer Klassen- und klassifizierten Einkommenssteuer. GS 1873, S. 215 f. Art. 1, Gesetz, betreffend einige Abänderungen der Vorschriften für die Veranlagung der Klassensteuern vom 16. Juni 1875. GS 1875, S. 234. 14 § 14, Abs. 3, Tit. 2, StOEntw, 1876. AlPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S. 638. 15 § 14, Abs. 2, Tit. 2, § 73, Abs. 5, Tit. 5, StOEntw, 1876. A.a.O., S. 638 u. 643. 16 § 26, Abs. 1 u. 2 sowie § 25, Abs. 1, Tit. 3, StOEntw, 1876. A.a.O., S. 639. 11

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oder weniger willkürlicher Weise ausgebildeten örtlichen Steuersystemen abhängig. 17 Der mit der Vorberatung des Regierungsentwurfs beauftragten Kommission des Abgeordnetenhauses waren zahlreiche städtische Petitionen überwiesen worden, die sich gegen das Dreiklassenwahlrecht aussprachen. Allein aus Berlin lagen fünf Eingaben örtlicher Bezirksvereine vor. Sie forderten die Aufgabe des Dreiklassensystems, während die Petition einer Lehrervereinigung die Wiedereinführung des passiven kommunalen Wahlrechts für Lehrer beantragte. 18 Die Berliner Stadtverordneten wollten anstelle des Klassen- das gleiche Wahlrecht einführen, ohne für die Allgemeinheit der Kommunalwahlen zu plädieren. Ein Zensus sollte weiterhin für die soziale Beschränkung der Wahlberechtigung sorgen. 19 Die Kommission setzte sich unter Vorsitz des Nationalliberalen Miquel überwiegend aus Gegnern des allgemeinen und gleichen Wahlrechts zusammen. Vierzehn Mitglieder sollten sich später gegen einen entsprechenden Antrag wenden, nur sechs seiner Befürwortung zustimmen. Als direkter Vertreter eines Berliner Wahlkreises gehörte der linksliberale Stadtsyndikus Zelle der Kommission an, drei weitere Abgeordnete waren in Berlin ansässig, von denen zwei, der Zentrumsabgeordnete Joseph Christoph Cremer und Eugen Richter, gegen das Dreiklassensystem votierten, während der ehemalige Königsberger Oberbürgermeister und Nationalliberale Julius Kieschke für die Klassenwahl eintrat. 2o Da die Kommission von der Ansicht ausging, daß der vorliegende Gesetzentwurf in seinem wesentlichen Inhalt späterhin zur allgemeinen Städteordnung für den gesamten preußischen Staat erhoben werden würde, erschien es ihr notwendig, in Anbetracht des unterschiedlichen kommunalen Wahlrechts in den einzelnen Landesteilen eine grundsätzliche Entscheidung über das Wahlsystem zu fällen, bevor die Einzelheiten der Wahlrechtsbedingungen erörtert wurden. Im wesentlichen standen sich zwei Systeme gegenüber. Das in acht Provinzen geltende Dreiklassenwahlrecht und das gleiche Wahlrecht mit einem mehr oder weniger hohen Zensus in den Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, dem vormaligen Herzogtum Nassau und der ehemals freien Stadt Frankfurt am Main. Die Städtetage der Provinzen Preußen, Branden burg , Pommern, Sachsen, Schlesien, Rheinland und Westfalen hatten die Erhaltung des Dreiklassensystems, Motive, StOEntw, 1876. A.a.O., S. 657. Vgl. das Petitionsverzeichnis im Anhang zu AlPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 2, S. 55 f., 64 u. 80 ff. 19 Bericht der 16. Kommission über den Entwurf einer Städteodnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen vom 3. Mai 1876, Bürgermeister Haken (Kolberg) zum Tit. I-IV. A.a.O., AS Nr. 231, S. 1486. 20 Zur namentlichen Abstimmung über das Wahlrecht vgl. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1755 f. 17

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der Hannoversche Städtetag, der Ausschuß des Städtetages von Posen und die Stadt Frankfurt am Main das gleiche Wahlrecht mit Zensus befürwortet. Angesichts dieser Verhältnisse hielt man es von vornherein nicht für angebracht, einen gesetzlichen Zwang zur Änderung des bestehenden Wahlrechts auszuüben oder einen statutarischen Wechsel zu gestatten. Damit war bereits frühzeitig eine Entscheidung für die Aufrechterhaltung der bestehenden Wahlsysteme getroffen worden. 21 Soweit das gleiche Wahlrecht betroffen war, befürwortete die Kommission eine ortsstatutarische Regelung, die eine kommunale Festlegung des Zensus bis auf die Höhe von zwölf Mark Klassensteuer zuließ. 22 Im übrigen empfahlen die Abgeordneten, für beide Wahlsysteme gleiche Bedingungen aufzustellen. Anstelle des einjährigen Wohnsitzes plädierte die Kommission, in Übereinstimmung mit den Bedingungen für den Unterstützungswohnsitz, für eine zweijährige Frist zum Erwerb des Wahlrechts. Die Anpassung des Kommunalwahlrechts an den bestehenden Großjährigkeitstermin von 21 Jahren lehnte die Kommission ab. Die Armenunterstützungsklausel empfahl die Kommission zu streichen, da hiermit auch eine vereinzelte, selbst im Notfall erteilte Unterstützung verstanden werden konnte und bei wirklicher Armut ohnehin die Bedingung der Klassensteuerveranlagung fehlte. Den Ersatz der Steuerveranlagung durch den Hausbesitz hielt die Kommission grundsätzlich für zwecklos, da beide Erfordernisse meistens gemeinsam vorlagen. War dies nicht der Fall, mußte auch der Wohnhausbesitz, soweit nicht besondere lokale Verhältnisse eine Berücksichtigung rechtfertigten, wertlos erscheinen. Deshalb sollte der Hausbesitz grundsätzlich als Wahlrechtsvoraussetzung gestrichen und seine weitere Berücksichtigung der ortsstatutarischen Bestimmung unterstellt werden. 23 Den projektierten Klassensteuersatz von sechs Mark ersetzte die Kommission durch das alleinige Vorliegen einer Veranlagung, da nach dem Prinzip des Dreiklassensystems jede Steuerpflicht ein verhältnismäßiges Wahlrecht begründen sollte. Im Falle des gleichen Wahlrechts mit statutarischem Zensus blieb diese Ermäßigung aber ohne Einfluß. Vermutlich war es der Berliner Linksliberale Zelle, der in der Kommission den Antrag stellte, daß die erste Klasse mindestens ein Zwölftel, die zweite Klasse mindestens zwei Zwölftel der Wahlberechtigten umfassen mußte. Diese, der badischen Städteordnung24 entnommene Regelung sollte 21 Haken, KomBer, StOEntw, 13. Mai 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, AS Nr. 231, S. 1486 f. 22 Vgl. § 42a, Tit. 3, nach den Beschlüssen der Vorberatungskommission zum Städteordnungsentwurf. A. a. 0., AS Nr. 222, S. 1403. 23 Bericht Haken, StOEntw, 13. Mai 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, AS Nr. 231, S. 1487. § 14, Abs. 2, Kommissionsbeschlüsse, A.a.O., AS Nr. 222, S. 1396.

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die Möglichkeit verhindern, daß das Gemeindewahlrecht in die Hand eines Wählers oder einer sehr geringen Anzahl von Wahlberechtigten gelegt und damit neben dem reinen Steuerprinzip des Dreiklassensystems das individuelle Personalrecht besser zur Geltung gebracht wurde. Die Kommissionsmehrheit lehnte diesen Antrag ab. Sie sah dadurch nicht nur das Prinzip des Dreiklassensystems, sondern überhaupt eine prinzipielle Wahlrechtsregelung gefährdet, denn aus einer solchen Mischung folgten unterschiedliche Resultate in allen Städten?S Wenn eine Verbesserung des Dreiklassensystems angestrebt werden sollte, konnte diese nach Auffassung der Kommission nur in einer Ausdehnung des aktiven Wahlrechts bestehen. Zu den entschiedensten Gegnern des Dreiklassensystems gehörte Rudolf Virchow. Unterstützt von den übrigen sechs linksliberalen Vertretern Berliner Wahlkreise 26 und weiteren 57 Abgeordneten, forderte er das allgemeine und gleiche Wahlrecht mit geheimer Stimmabgabe. Nur für den Fall, daß diese Forderung abgelehnt wurde, erneuerte er den Antrag auf Mindestquoten für die Wähleranteile der ersten und zweiten Klasse in Höhe von einem bzw. zwei Zwölftel. 27 Virchow ging davon aus, daß es keine kommunalen Interessen gab, nach denen man das Maß der bürgerschaftlichen Teilnahme finden oder abstufen könnte. Auch die Erwartung, das höhere Steueraufkommen ließe auf die Möglichkeit einer leichteren und bequemeren Mitarbeit in Gemeindeangelegenheiten schließen, war nach Virchows Ansicht nicht mehr zeitgemäß, denn jede Teilnahme war, weil sie die persönliche Mitarbeit erforderte, mit erheblichem Aufwand verbunden. Die höhere Aktivität im Gemeindeleben war allein "der freien Entschließung und der 24 Mit dem Gesetz vom 24. Juni 1874, besondere Bestimmungen über die Verfassung und Verwaltung der Stadtgemeinden betreffend wurde die bis dahin im Großherzogtum Baden vorhandene einheitliche Gemeindeverfassung aufgehoben, indem für die sieben größten Städte des Landes besondere Anordnungen erlassen und später nach der Novellierung des Gesetzes als Städteordnung zusammengefaßt wurden. Eine Wahl nach Steuerklassen kannte bereits das Gemeindegesetz von 1831, sechs Jahre später wurde ein gemäßigter Klassenzensus, 1851 das Prinzip des preußischen Klassenwahlrechts eingeführt. Die Mindestanteile an den Wahlberechtigten für die ersten bei den Klassen wurde mit der Etablierung einer besonderen Städtegesetzgebung eingeführt. Vgl. Walz, Großherzogturn Baden, S. 20 f.; ders, Baden, in: WBdDStuVerwR, Bd. 2, S. 90 f. 25 Haken, KomBer, StOEntw, 13. Mai 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, AS Nr. 231, S. 1487. 26 Neben Zelle und Virchow gehörten zu den Vertretern Berliner Wahlkreise Stadtrat Heinrich Runge, der uns aus den Märztagen bereits bekannte Buchhändler und Verleger Franz Gustav Duncker, Stadtgerichtsrat Gustav Wilhe1m Eberty, der Gymnasialdirektor Friedrich Hofmann, Kreisgerichtsrat Moritz Klotz, der Standesbeamte und ehemalige Prediger Gustav Knörcke sowie der Schriftsteller Ludolf Parisius. 27 Antrag Virchow, 24. Mai 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, AS Nr. 292 A, S. 1666.

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freien Aktion der Einzelnen überlassen". Es wäre eine unwiderlegliche Erfahrung, erklärte der Berliner Medizinalrat, "daß auf dem Gebiete des kommunalen Lebens überhaupt keine vorgezeichneten Klassen existieren, von denen man erwarten kann, daß sie in einem höheren Maße eine den Kommunen nützliche Thätigkeit entfalten werden". Das großstädtische Beispiel Berlins mit seinem hohen Personalanspruch bestätigte diese These hinreichend. Das kommunale Ehrenamt ließ hier keine soziale Schicht aus. Schon gar nicht konzentrierte es sich auf die obersten Steuerklassen. Kleinere Ämter im Berliner Gemeindedienst waren nicht mit Wählern der ersten Klasse zu besetzen. "Sehen Sie doch einmal unsere Gemeindelisten an", ereiferte sich Virchow, "sehen Sie die Schulkommissionen, die Armenkommissionen, alle diese vielen Verwaltungskommissionen an, ob die etwa überwiegend aus den Wählern der ersten Klasse zusammengesetzt sind". Die Furcht vor Demagogen oder etwa der Sozialdemokratie, die immer wieder als politisches Argument für das Klassenwahlrecht herhalten mußte, sah Virchow durch die Verwaltungspraxis in den Stadtgemeinden nicht bestätigt, vielmehr zeigte sie die integrative Wirkung der kommunalen Tätigkeit, die eben auch den Radikalen in einen Bürger verwandelte. Virchow irrte allerdings, wenn er den Charakter des kommunalen Ehrenamtes unabhängig von der sozialen Schichtzugehörigkeit sah. Die Teilnahme am kommunalen Amt ging nicht einmal, wie eingehend gezeigt wurde, durch sämtliche sozialen Gruppen der wahlberechtigten Bürger. 28 Die Wahlrechtsgleichheit konnte also nicht das Produkt einer bereits geübten kommunalen Praxis sein, wie Virchow vielleicht glauben machen wollte, sondern nur durch eine politische Entscheidung herbeigeführt werden, die sich in bewußten Gegensatz zu den tradierten Formen der Teilhabe in der Gemeinde setzte. Auf einen weiteren Nachteil des Dreiklassensystems für die Großstädte machte Virchows Parteifreund Eugen Richter aufmerksam. Neben der Klassen trennung mußte noch die Differenzierung der Wahlberechtigten nach Wahlbezirken berücksichtigt werden. So war die Berliner Wählerschaft gegenwärtig in "drei Mal 36 Bruchteile" aufgeteilt. Die Zersplitterung der Wahlkörperschaften förderte die Hervorhebung von Partikularinteressen, die Kirchtumspolitik örtlicher Zusammenschlüsse, zum al die Wählerschaft durch das System der Ergänzungswahlen auch zeitlich auseinander gerissen wurde. Auf diese Weise konnte bei einer Ergänzungswahl erst gar nicht ein allgemeines Interesse der Gesamtwählerschaft an den Kommunalwahlen aufkommen. "Man wundert sich oft über die geringe Beteiligung gerade in den größeren Städten", erklärte Richter, "aber durch das Dreiklassensystem in Verbindung mit den örtlichen Wahlbezirken wird in der raffiniertesten 28

Vgl. dazu Kap. 5, Unterabschnitt 2 sowie Kap. 7, Unterabschnitt 4.

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Weise verhindert, daß ein allgemeines Interesse sich geltend machen kann, daß Wahlen zustande kommen, die wirklich der Ausdruck des Willens eines größeren Theils der Bürgerschaft sind,,?9 Das Pendant zu der ständigen Furcht vor Demagogen war die "ewige Agitation" gegen die Wahlrechtsbeschränkungen. Der Gesetzgeber hatte hier die Aufgabe, eine dauerhafte Lösung zu schaffen. Die konnte aber nicht in einer Reform des Dreiklassensystems bestehen, sondern nur in seiner Abschaffung zugunsten des gleichen Wahlrechts ohne Zensus?O Richter und Virchow hatten die Hauptlinien der Kritik am bestehenden Wahlsystem umrissen, selbst im späten Kaiserreich sollten sie die Maximen des wahlkritischen Diskurses bilden. Den geschicktesten Fürsprecher des Dreiklassensystems fand das Abgeordnetenhaus in dem von der Direktorentätigkeit bei der Berliner DiskontoGesellschaft in das Osnabrücker Oberbürgermeisteramt wechselnden Johannes Miquel, der aus der Position einer grundsätzlichen Bejahung des gleichen Wahlrechts heraus für die Erhaltung des Bestehenden plädierte. Miquel begründete den Fortbestand des Dreiklassensystems mit dem engen Zusammenhang zwischen Kommunalsteuergesetzgebung und Klassenwahlrecht: Solange das Wahlrecht an Einkommen, Besitz und Steuer gebunden war, bedurfte es, um zu einem einheitlichen Kommunalwahlrecht zu kommen, einer entsprechenden Regelung des Kommunalsteuersystems. 31 Miquel dachte, wenn er vom gleichen Wahlrecht sprach, nur an ein durch Zensus ergänztes und dadurch beschränktes Recht, nicht an ein vorbehaltloses Stimmrecht, wie es Virchow vertrat. Dem Neuen verschloß sich der Kommunalpolitiker bis auf weiteres, wenn er resümierte: "Ich persönlich habe keinen Hehl daraus gemacht, daß ich ein vollständig gleiches geheimes Wahlrecht für Kommunalverhältnisse ohne irgendeinen Census in keiner Weise geboten halte, auch nicht irgendwie geboten halte durch den Vorgang bezüglich des Wahlrechts ohne Census im Reich, denn die Frage wegen des Stimmrechts in Gemeinden, die wesentlich wirthschaftliche Dinge zu behandeln haben, kann und muß nach ganz anderen Rücksichten entschieden werden als in großen politischen Körpern, wo ganz andere Fragen als wesentlich materielle wirthschaftliche Fragen in Betracht kommen".32 Die 29 Rede Virchow. PAH, 26. Mai 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1746. Rede Richter. PAH, 18. März 1876. A.a.O., Bd. 2, S. 780. 30 A.a.O., Bd. 3, S. 1747. 31 Rede von Miquel. PAH, 18. März 1876. A.a.O., Bd. 2, S. 771. 32 Rede von Miquel. PAH, 26. Mai 1876. A. a. 0., Bd. 3, S. 1737. Vgl. auch Barmeyer, Entwurf, S. 215 f. Barmeyer überbewertet die Rolle Miquels bei den Beratungen und geht von einem vermeintlich grundlegenden Gegensatz zwischen Städtefreiheit und Staat aus. Einen Gegensatz, den es weder verfassungsrechtlich noch real gegeben hat, wohl aber vielfache, mitunter erbitterte Auseinandersetzungen über Zuständigkeiten und Kompetenzen oder die Regelung des Rechtsschutzes gegen staatliche Verwaltungsakte.

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Staatsregierung nahm dieses Argument dankbar auf, indem sie das Dreiklassensystem zum idealen Ausdruck des Grundsatzes von Leistung und Teilnahme erklärte?3 Wie Virchow den weiteren Weg der Kritik am Dreiklassensystem vorzeichnete, markierte Miquel das Gleis der Rechtfertigung ungleich gewichtiger, weil Virchows Liberalismus in der Wahlrechtsfrage, zumindest für die bürgerlichen Schichten, eine temporäre Erscheinung blieb, während Miquels ökonomisch fundiertes Gemeindeverständnis zur tragenden Maxime des Städtebürgertums wurde. In der Miquelschen Perspektive waren die Bemühungen der Städte um Autonomie und Selbstverwaltung weniger Zeugnisse allgemeinen politischen Freiheitsstrebens als der hartnäckige Versuch, den rechtlichen Rahmen und die Verteilung der Teilhabe innerhalb des relativ geschlossenen Wirtschaftskörpers "Stadt" in der Hand seiner ökonomisch tragenden Schichten zu belassen. Nun hatten sich ja die Städtetage, soweit sie vom Dreiklassensystem betroffen waren, für dessen Erhaltung ausgesprochen. Die liberalen Abgeordneten sahen damit aber keineswegs die Meinung der Kommunen als ganzes wiedergegeben, standen doch die Städtetage, wie der Arnsberger Zentrumsabgeordnete Heinrich Philipp Osterrath anmerkte, "lediglich unter dem Einflusse der Bürgermeister,,?4 In zahlreichen Bürgerversammlungen, das wußten nicht zuletzt die Kommunalbeamten im Abgeordnetenhaus, war die Front gegen das Dreiklassensystem ziemlich einhellig. Die Voreingenommenheit der kommunalen Eliten in der Wahlrechtsfrage provozierte den ehemaligen Hannoverschen Justizminister Ludwig Windthorst, bei jedem Redner nachzufragen, ob er Bürgermeister oder Magistratsmitglied wäre, denn bei jeder positiven Antwort gewann die befürwortende Stellungnahme mehr oder weniger "das Kolorit einer oratio pro domo".35 Das Beispiel Berlins zeigte zwar, daß sich auch die Stadtobrigkeit zum Opponenten entwikkeIn konnte, die eigen formulierte Alternative lag aber in einem gleichen Wahlrecht, das durch einen Zensus wiederum zur ausgesuchten Wahlrechtsbeschränkung führte. Der von den städtischen Körperschaften Berlins ins Auge gefaßte Zensus von zwölf Mark schloß nach Auskunft von Bürgermeister Haken 72 Prozent der steuerpflichtigen Bürger vom Wahlrecht aus. In Berlin wurden mithin von rund 360000 Steuerpflichtigen etwa 260000 vom Wahlrecht ausgeschlossen, nur weniger als ein Drittel sollte auch zukünftig am Gemeindeleben teilnehmen. 36 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 26. Mai 1876. Aa.O., S. 1742 f. Rede Osterrath. PAH, 26. Mai 1876. Aa.O., S. 1741. 35 Rede Windthorst. PAH, 26. Mai 1876. Aa.O., S. 1742. 36 Rede Haken. PAH, 26. Mai 1876. Aa.O., S. 1749. Die Zahlen Hakens wurden später von Virchow bestätigt und noch weiter präzisiert. Rede Virchow. PAH, 27. Mai 1876. A.a.O., S. 1795. Vgl. dazu auch Tab. 8 im Stat. Anhang, die die von Haken aufgezeichnete Tendenz bestätigt. 33

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Zurecht griff der Kolberger Nationalliberale die Widersprüchlichkeit der liberalen Position an, die auch nicht dadurch gebessert wurde, daß man sich auf die Städteordnung von 1808 berief. Die gehörte nach Auffassung von Haken sowieso der Vergangenheit an, was ebenso in den Bestimmungen zu den Schutzverwandten, den Innungen und Schützengilden als notwendigen Gemeindeanstalten wie den "väterlichen Ermahnungen" an die Stadtverordneten und der geforderten strengen Zucht deutlich wurde. Nicht der Bau neuer Stadtmauern war angesagt, sondern deren Niederlegung. Damit hatte Haken zweifelsfrei recht, nur, mit der Verbeugung vor dem Bestehenden, wie er im Kompromißvorschlag der Kommission mit dem § 42a zum Ausdruck kam, schritt das Abgeordnetenhaus in dieser Arbeit nicht fort. Die Mehrheit der Parlamentarier hielt ungeachtet der linksliberalen Kritik am vorhandenen Wahlsystem fest, erteilte dem Virchowschen Antrag eine entschiedene Abfuhr und lehnte auch einen weiteren Antrag auf Einführung des gleichen Wahlrechts seitens des Kölner Zentrumsabgeordneten Peter Joseph Roeckerath, der allerdings über das Bürgerrecht einen Zensus beibehalten wollte, mit 187: 120 Stimmen ab?? Die Vertreter Berliner Wahlkreise hatten geschlossen für den Antrag Roeckeraths gestimmt, daneben eine Reihe von in Berlin ansässigen Abgeordneten. Diesen acht Parlamentariern standen 26 andere gegenüber, nicht zuletzt Mitglieder der Ministerial- und Regionalbürokratie, die gegen das gleiche Wahlrecht stimmten. Nachdem die Grundsatzentscheidung zum Kommunalwahlrecht gefallen war, wandte sich das Abgeordnetenhaus der Beratung der eigentlichen Bürger- bzw. Wahlrechtsparagraphen zu. Von Bedeutung erwies sich, daß es den Fortschrittlern gelungen war, den Virchowschen Eventualantrag über die Mindestwählerquoten für die erste und zweite Klasse durchzusetzen?8 Graf zu Eulenburg sah dadurch schon das gesamte Wahlsystem der Städteordnung gefahrdet, denn diese Regelung ließ in einzelnen Städten Wähler der dritten Abteilung in die zweite oder gar die erste Klasse aufrücken, soweit hier nicht die Bedingung von ein oder zwei Zwölfte I erfüllt war. Folglich mußten auch bislang nichtwahlfähige Bürger in die dritte Klasse einrücken. Ein Umstand, der im direkten Widerspruch zur Gesetzesabsicht stand?9 Der Minister des Innern verlangte von den Abgeordneten, auf den Boden der Regierungsvorlage zurückzukehren, das hieß, das Dreiklassenwahlrecht mit einem geringen Bürgerrechtszensus von sechs Mark zu kombinieren. Der Auffassung Eulenburgs über die Wirkungen der Quotenregelung war der nationalliberale Berliner Rechtsanwalt Eduard Lasker bereits am Vortage 37

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StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1755 f. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1754. Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 27. Mai 1876. A.a.O., S. 1797.

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entgegengetreten. Die Quotenregelung für die höheren Wählerklassen begründeten nach seiner Ansicht keinen überwiegenden Einfluß der dritten Abteilung, da Personen in die erste Klasse kamen, welche in der Reihenfolge die nächsthöchsten Steuern zahlten. Die Wähler der drei Klassen waren nach Lasker nicht durch äußere Bedingungen ihrer Existenz und ihres Besitzstandes, sondern lediglich durch den Zufall der Steuergrenze voneinander abgeschnitten. Die Wähler der dritten Klasse bildeten keine innere, sondern eine zufällige Gemeinschaft. Sank die Steuerstufe für eine obere Steuerklasse, mußte dies nicht eine qualitative Verschlechterung der Wählerschaft nach sich ziehen, denn die betreffenden Personen müßten ohnehin in der ersten und zweiten Klasse wählen, falls einige Hochbesteuerte weniger in der Stadt wohnten. Ohne die Quotenregelung ergab sich nach wie vor der nicht auszuschließende Mißstand, daß ein einzelner Stadtbewohner oder gar eine juristische Person unter Umständen die Mehrheit der Stadtverordneten zu ernennen hätte. Nach den Erfahrungen mit der badischen Städteordnung wählte ein Viertel der gesamten Bürgerschaft zwei Drittel der Stadtverordneten, die restlichen drei Viertel wählten das verbliebene Drittel. Mit der Quotierung erschien für Lasker hinreichend Vorsorge getroffen zu sein, die Wahrnehmung des Wahlrechts zu motivieren. Andernfalls würden Zustände wie in Berlin aufrechterhalten werden. In der Reichshauptstadt war die Wahl beteiligung nur in den ersten bei den Wählerklassen ausreichend. In der dritten Wählerklasse fiel sie mit durchschnittlich sechs bis acht Prozent, wenn es hoch kam mit zehn bis zwölf Prozent, jedoch völlig unzureichend aus. "Weil die vielen in der dritten Klasse zusammengedrängten Wähler eines Stadtviertels das Wahlrecht im Ganzen gegenüber den oberen Klassen als ein materiell Verschwindendes betrachten", erkannte Lasker,4o hatten sie kein Interesse für die Kommunalwahlen. Virchows Quotenvorschlag bot hiergegen ein "allopathisches" Mittel. Laskers Aussagen über die Wahlbeteiligung in Berlin trafen prinzipiell zu. Die konkrete Höhe der Wahlbeteiligung in der dritten Wählerabteilung lag in den Jahren 1854 bis 1878 jedoch durchschnittlich höher als von ihm angegeben. Bei den Stadtverordnetenwahlen von 1874 und 1876 hatten in der dritten Klasse allerdings nur 8,1 Prozent der Wahlberechtigten von ihrem Recht Gebrauch gemacht. 41 Der ministerielle Appell gegen die Quotenregelung und für einen Steuerzensus blieb ohne Wirkung. Das Abgeordnetenhaus beließ es bei der Bedingung der bloßen Steuerveranlagung und sah von der Festlegung eines Mindeststeuersatzes ab, während der Antrag Virchows zur Quotierung der Wählerschaft in den ersten beiden Abteilungen angenommen wurde. An40

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Rede Lasker. PAH, 26. Mai 1876. A.a.O., S. 1751 f. Vgl. dazu Tab. 10 im Stat. Anhang.

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schließend folgte die Kammer einem weiteren Antrag Virchows, die vorgeschriebene Wohnsitzdauer gegen den Kommissionsbeschluß bei einem Jahr zu belassen. 42 Virchow hatte dringend davor gewarnt, den Gemeinden ein Satzungsrecht im Hinblick auf einen, wenn auch in der Höhe begrenzten Steuerzensus für das Bürgerrecht zu gewähren. Über Kardinalfragen des Städterechts, wie die Wahlberechtigung, durfte nicht die einzelne Kommune entscheiden, betonte der Berliner Abgeordnete, sie mußten der allgemeinen Gesetzgebung vorbehalten bleiben. "Wie kann man die ganze Organisation der Kommune dem Zufall anheimgeben, was für eine Vertretung im gegebenen Augenblicke vorhanden ist und wie dieselbe der Bezirksrat gerade bestimmt findet?" fragte Virchow43 und fand Gehör bei der Kammermehrheit. Der Antrag des vom radikalen Linken zum Nationalliberalen gewandelten Georg Jung (Breslau), den Klassensteuerstufensatz durch Ortsstatut bis auf zwölf Mark erhöhen zu können,44 lehnte das Abgeordnetenhaus ab. Dem Satzungsrecht der Gemeinden wurde nur, wie von der Vorberatungskommission empfohlen, der Wohnhausbesitz als Äquivalent zur Klassensteuerveranlagung vorbehalten. Bürgermeister Haken hatte während der zweiten Lesung die Ansicht Eulenburgs bestätigt, daß der Beschluß des Hauses über Mindestwählerquoten in den ersten beiden Wahlabteilungen das ganze Wahlsystem konterkarierte. Für die dritte Lesung des Gesetzes hielt er eine Aufhebung dieser Regelung für unabweisbar. Und in der Tat, Graf zu Eulenburg machte keinen Hehl daraus, daß eine Verständigung mit der Staatsregierung und dem Herrenhaus nur zu erreichen war, wenn der Mindeststeuersatz von sechs Mark sowie das Wahlrecht für juristische Personen45 wiederaufgenommen, daneben aber die Quotenregelung für die obersten Wählerklassen aufgehoben wurde. Die Staatsregierung hatte in aller Eile statistische Erhebungen, vornehmlich in rheinländischen und westfälischen Städten, durchführen lassen, in denen die Einkommensstruktur ausgeglichener bzw. hohe Bevölkerungsanteile von Arbeiterschichten vorhanden waren. In Städten wie Barmen, Krefeld, Düren, Gladbach, Hagen, Bochum und Eberfeld reichte bei einem Zensus von vier Talern die erste Klasse bis zu einer Einkommensteuerstufe StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1799 f. Rede Virchow. PAH, 27. Mai 1876. A.a.O., S. 1795. 44 Vgl. Rede Jung. PAH, 27. Mai 1876. A.a.O., S. 1792 f. 45 Vgl. § 25, Tit. 3, StOEntw, 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S. 639. Sowohl Virchow als auch Roeckerath hatten erfolgreich die Streichung dieses Paragraphen beantragt, da das auf den Beiträgen zu den Gemeindeabgaben begründete Wahlrecht der Forensen und Aktiengesellschaften im Widerspruch zu dem durch die Staatssteuer fundierten Bürgerrecht stand. Vgl. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1807 ff. 42 43

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von 30 Talern herunter, während die zweite Klasse die Klassensteuerpflichtigen bis fünf Taler einschloß. Durch die in der zweiten Lesung verabschiedete Quotenregelung würde die erste Klasse bis acht Taler Klassensteuer, die zweite Klasse bis zur Steuerstufe von drei Mark herunterreichen. Auf diese Weise rückten einerseits bislang vom Wahlrecht ausgeschlossene Personen in die dritte Klasse ein, andererseits würde die bisherige dritte Klasse sowohl die zweite als auch die dritte Wählerabteilung beherrschen, mithin zwei Drittel der Wähler umfassen. 46 Die aufgezeigten Wirkungen ließen Abgeordnete wie den Nationalliberalen Lasker unter Berücksichtigung der beschlossenen Veranlagungsregelung, die den Zensus praktisch auf die niedrigste Steuerstufe von drei Mark reduzierte, von einer dem allgemeinen Wahlrecht gleichzusetzenden Bestimmung sprechen. In Berlin, so Lasker, kam auf diese Weise "eine nach Tausenden zählende Menge von Almosenempfängern,,47 in die Gemeindewählerliste. In den großen Städten war überhaupt der Rest zwischen denen, welche zu drei Mark jährlich und denen, die zur Klassensteuer veranlagt wurden, unbedeutend, womit die Zahl der Gemeindewähler in Zukunft nicht wesentlich unter der der Staatswähler läge. Da in Berlin und anderen Großstädten eine Steuerstufe von drei Mark jährlicher Klassensteuer in den meisten Fällen nicht zu einer Kommunalsteuerpflicht führte, sah Lasker das grundlegende Prinzip des Kommunalwahlrechts, die Wahlberechtigung an den Beitrag zu den Gemeindelasten bzw. an die kommunale Steuerleistung zu binden, aufgehoben. Das widersprach der Zielsetzung der Parlamentsmehrheit. Trotz der geschilderten Wirkung stellte das Abgeordnetenhaus nicht den Steuerzensus der Regierungsvorlage wieder her. Nur beim Klassensystem und Wohnsitz kehrte man zu den Bestimmungen des Entwurfs zurück, d.h. der Abteilungsbildung ohne Quotenregelung und dem zweijährigen Aufenthalt. 48 Das Wahlrecht für die juristischen Personen, Aktienund Kommanditgesellschaften auf Aktien sowie der Berggewerkschaften lehnte das Parlament aber nach wie vor ab, in dieser Frage konnte sich die Staatsregierung nicht durchsetzen. 49 Die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses trafen, wie Lasker schilderte, in der Ersten Kammer auf eine "kriegerische Stimmung",50 die wenig Hoffnung auf Verständigung gab. Nur einige Oberbürgermeister wie Dortmunds Stadtoberhaupt Hermann Becker, der Mindener Bürgermeister Heinrich Rede Regierungskümmissar Wühlers. PAH, 31. Mai 1876. Aa.O., S. 1910 f. Rede Lasker. PAH, 31. Mai 1876. Aa.O., S. 1905. 48 Aa.O., S. 1912 f. u. 1919 ff. Vgl. auch § 15, Tit. 2 u. § 26, Tit. 3, StOEntw nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses. AIPHH, Sess. 1876, Bd. 2, AS Nr. 109, S. 570 u. 572 f. 49 StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1916 ff. 50 Rede Lasker. PAH, 27. Juni 1876. Aa.O., S. 2136. 46

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Brüning, Görlitz' Oberbürgermeister Johann Gobbin und der inzwischen zum Magistratsdirigenten Breslaus aufgestiegene Forckenbeck hielten beherzte Plädoyers für das Prinzip, die Steuerleistung an sich zur Grundbedingung des Wahlrechts zu machen. 51 Forckenbeck, vor Jahren noch ein eifriger Gegner des Dreiklassensystems, erklärte sich zu dessen Freund, da es nach seiner Überzeugung die Möglichkeit gab, "schon jetzt jedem, der zur Gemeinde zahlt, auch ein Stimmrecht innerhalb dieses Dreiklassenwahlsystems zu gewähren".52 Das "gleiche Wahlrecht mit einem bedeutenden Zensus", also jenes System, das eigentlich der Städteordnung von 1808 zu Grunde lag,53 hielt Forckenbeck in der Gegenwart für unhaltbar, teilte es doch die Bürgerschaft in zwei Klassen, von denen die eine zahlte und allein Rechte genoß, die andere dagegen auch Leistungen zu den Gemeindelasten erbrachte, ohne daß hieraus ein Rechtsanspruch folgte. Das Dreiklassensystem war also das "richtigere und gerechtere System", welches nach Forckenbeck "namentlich den ärmeren Klassen zu demjenigen Recht innerhalb der Gemeinde verhilft, welches ihnen ohne Gefahr in der Gegenwart gegeben werden kann".54 Der in der Gemeindepolitik erfahrene Kommunalbeamte wie der mit den Interessen der städtischen Bevölkerung unmittelbar vertraute Oberbürgermeister fürchtete mit vielen seiner Kollegen, die sozialen Folgen der Industrialisierung, eine Eskalation "des Klassengegensatzes", der sich offensichtlich in der bürgerlichen Bevölkerung immer stärker entwickelt hatte. Seine endgültige Politisierung konnte durch die Verleihung des Wahlrechts an die unteren Berufsschichten im Rahmen des Klassenwahlsystems relativiert werden. Dieser Appell an die Notwendigkeit politischer und sozialer Integration bildete eine absolute Minderheitsopposition, gerade auch unter den im Herrenhaus vertretenen Bürgermeistern und Oberbürgermeistern. Vor allem die Vertreter der westlichen Provinzen forderten einen höheren Zensus, der politisch durch das Bemühen motiviert war, die als leicht beeinflußbar gel51 Vgl. beispielsweise die Rede Brünings, PHH, 22. Juni 1876. StBPHH, Sess. 1876, Bd. I, S. 377. 52 Rede von Forckenbeck. PHH, 22. Juni 1876. A.a.O., S. 383. 53 Das Abgeordnetenhaus war sich unter Einfluß der liberalen Mitglieder weitgehend einig, daß der Zensus der Städteordnung von 1808 keineswegs ein ausgesprochen niedriges Niveau hatte. Übereinstimmend nahm man an, daß die damalige untere Grenze des Zensus von 150 Reichstalern gegenwärtig einem Jahreseinkommen von 400 bis 500 Reichstalern entsprach, womit dieser Zensus deutlich über dem von der Regierung vorgeschlagenen Klassensteuerzensus von sechs Mark lag, der ein Einkommen von 220 bis 300 Talern voraussetzte. Vgl. Motive, StOEntw 1876. AIPAH, 12. LP, 3. Sess 1876, Bd. 1, AS Nr. 86, S. 656; Rede des nationalliberalen Dirschauer Bürgermeisters Emil Wagner (Wahlkreis Danzig 4, Berent-Stargardt). PAH, 27. Mai 1876. StBPAH; 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 1794. 54 Rede von Forckenbeck. PHH, 22. Juni 1876. StBPHH, Sess. 1876, Bd. 1, S.383.

57 Grzywatz

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tende Arbeiterschaft von der Gemeindeverwaltung auszuschließen. Das verlangte die Bedeutung der Kommune als staatliches Glied in einem Verwaltungsaufbau, der in seiner dezentralisierenden Neigung dem Staat partielle Hoheitsrechte entzogen und auf die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften übertragen hatte. 55 Angesichts dieser prinzipiellen Situation kam der Beschluß des Abgeordnetenhauses, allein den Umstand der Klassensteuerveranlagung zur Bedingung des Kommunalwahlrechts zu machen, einer, wie Magdeburgs Stadtoberhaupt Karl Hasselbach bemerkte, "Fundamentaländerung,,56 gleich, die sowohl dem Staat als auch der Kommune jede Möglichkeit nahm, durch Gesetz und Statut zu bestimmen, welche Bevölkerungsschichten "an Leistungsfähigkeit und Intelligenz hinlänglich begabt" erschienen, um an der kommunalen Administration überhaupt teilzunehmen. Vom Dreiklassensystem blieben praktisch nur die integrativen Elemente erhalten, während die selektierende Funktion des Wahlrechts, die starke Abstufung der politischen Partizipation, relativiert wurde. 57 Mit der überwältigenden Mehrheit von 69: 15 Stimmen nahmen die nicht sehr zahlreich erschienen Mitglieder des Herrenhauses ein Wahlrecht an, das einen Zensus von sechs Mark an klassifizierter Einkommen- oder Klassensteuer vorschrieb und in solchen Fällen, wo örtlich höhere Steuerstufensätze vorlagen, es dem kommunalen Satzungsrecht überließ, diese bis zu einem Betrage von zwölf Mark beizubehalten. 58 Die Armenunterstützungsklausel nahm das Herrenhaus wieder auf. Die Kammer erneuerte das Wahlrecht der juristischen Personen und räumte dem Magistrat bei der Einteilung der Wahl- und Abstimmungsbezirke, die, entgegen dem Beschluß des Abgeordnetenhauses, für alle Wählerklassen eingerichtet werden konnten, eine weitreichende Kompetenz ein. 59 Wie das Abgeordnetenhaus plädierte das Herrenhaus für die Ausdehnung der Städteordnung auf die Städte Neuvorpommerns und Rügens sowie Westfalens, der Rheinprovinz und des Regierungsbezirks Wiesbaden, allein die Stadt Frankfurt am Main mit ihrem ungewöhnlich hohem Zensus von 700 Gulden wurde vom Gesetzentwurf ausgenommen. 60 Die Gegenstimmen zum Wahlrechtsparagraphen kamen 55 Vgl. die Rede des Barmener Oberbürgermeisters August Bredt. PHH, 22. Juni 1876. Aa.O., S. 379. 56 KomBer Hasselbach. PHH, 22. Juni 1876. Aa.O., S. 374. Vgl. auch die Rede Eulenburgs. A a. 0., S. 381. 57 Vgl. dazu auch Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 16 f. Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 62 ff. u. 115 ff. 58 A a. 0., S. 386. 59 § 16, Tit. 2, §§ 27a u. 29, Tit. 3, Entwurf einer Städteordnung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen, Westfalen, dem Regierungsbezirk Wiesbaden und die Rheinprovinz vom 24. Juni 1876 (Fassung des Herrenhauses). AlPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, AS Nr. 371, S. 1922 u. 1924 f.

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fast ausschließlich aus dem Kreis der städtischen Vertreter, nur mit dem Geheimen Oberfinanzrat Friedrich Wilckens opponierte ein vormaliger, in Berlin ansässiger Staatsbeamter gegen den Mehrheitsbeschluß. Oberbürgermeister und Stadträte der östlichen Provinzen wie Forckenbeck und Hobrecht nahmen eine gegnerische Position ein, mit den Oberbürgermeistern Becker, Brüning und Kaspar Offenberg (Münster) hatten sich auch drei westfälische Kommunalbeamte gegen den verschärften Wahlrechtszensus gestellt, eine weitere Gegenstimme kam mit dem Stadtdirektor Hermann Rasch aus Hannover. Unter den Befürwortern waren nicht weniger als zwölf Stadträte, Bürgermeister und Oberbürgermeister. 61 Das Abgeordnetenhaus sah sich durch die Beschlüsse des Herrenhauses, das nicht weniger als 43 Paragraphen der Städteordnung geändert hatte, brüskiert und vermutete, daß man nicht mehr an einer Verständigung interessiert war. In dieser Vermutung sahen sich die Abgeordneten noch dadurch bestärkt, daß die Staatsregierung zu keiner Zeit die Beschlüsse der Zweiten Kammer mit Entschiedenheit vertreten hatte. Auf Antrag Miquels sollte das Parlament seine vormaligen Beschlüsse unter Ablehnung der Änderungen des Herrenhauses wiederherstellen. Die Differenzen waren nach Miquels Auffassung so gravierend, daß der Wiederherstellungsbeschluß nur als "ein nothgedrungener Akt der Lage,,62 erschien. Die Verständigung wurde nicht nur durch die unterschiedlichen Auffassungen zum Kommunalwahlrecht, erschwert, sondern auch durch die Versuche der Ersten Kammer, das Bestätigungs- und Aufsichtsrecht des Staates sowie die Stellung des Stadtoberhaupts innerhalb der Gemeindeadministration weiter zu stärken und die Kommunalisierung der Polizei zu verhindern. 63 Graf zu Eulenburg verteidigte die Arbeit des Herrenhauses, indem er der Ersten Kammer durch die Präsenz zahlreicher Bürgermeister und Stadträte mehr Sachkenntnis und Erfahrung in kommunalen Belangen zusprach, erntete damit jedoch nur Spott, da die Abgeordneten in diesen Mitgliedern, wie Zentrumsführer Windthorst bemerkte,64 weniger unabhängige Kommunalbeamte als "recht gute Staatsdiener" sahen. Nachdem das Abgeordnetenhaus am 27. Juni die von ihm selbst beschlossene Fassung völlig wiederhergestellt hatte,65 war eine weitere Entscheidung des Herrenhauses notwendig. Die Erste Kammer des Landtags beharrte jedoch mit Nachdruck auf Vgl. § 1, StOEntw, 24. Juni 1876. A.a.O., S. 1919. StBPHH, Sess. 1876, Bd. 1, S. 386. 62 Rede von Miquel. PAH, 27. Juni 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 2118. 63 Vgl. dazu Kap. 6, Unterabschnitt 7. u. Kap. 8, Unterabschnitt 2. 64 Rede Windthorst. PAH, 27. Juni 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S.2126. 65 A.a.O., S. 2134 f. 60 61

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ihrer Fassung, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß ihre Beschlüsse in keinem einzigen Punkte die freiheitliche Entwicklung und Selbständigkeit der Städte zurückschraubten und einer Abänderung des bestehenden Rechtes nur dort entgegentraten, wo Nachteile der Städte zu befürchten waren. Gegen drei Stimmen und eine Enthaltung stellte die Majorität die beschlossenen Abänderungen wieder her. 66 Auch Berlins Stadtoberhaupt Hobrecht hatte sich der Mehrheit angeschlossen. Das Schicksal der Städteordnung war besiegelt, bemerkte Virchow zutreffend. 67 Damit scheiterte auch der Versuch, die Frage des Kommunalwahlrechts in einem einheitlichen Gemeindegesetz zu lösen, spätere Lockerungen der Wahlrechtsbeschränkungen wurden im Rahmen der Kommunalsteuergesetzgebung vollzogen. Rudolf Virchow hatte dem Minister des Innern während der abschließenden Beratung in einer glänzenden Rede mangelnden Durchsetzungswillen, Unschlüssigkeit und Irritationen über die eigenen Zielsetzungen vorgeworfen. Es sollte nur kurze Zeit dauern, bis der Berliner Fortschrittler in der Gemeindewahlrechtsfrage selbst schwanken und seine liberale Position aufgeben würde. Spätestens auf dem ersten Parteitag der Fortschrittspartei in Berlin, Ende November 1878, trat er für das Dreiklassenwahlrecht in den Gemeinden ein. Wie vormals seine Gegner, erklärte er jetzt: "Weil der Bürger gleiche Pflichten hat, soll er auch gleiche Rechte haben, nicht umgekehrt. Die Leute, die keine Steuern für die Gemeinde zahlen, die nicht geistig noch sonstwie für sie wirken, also die wirkungslosen Elemente, können nicht gleiche Rechte, nicht das gleiche Wahlrecht verlangen".68 Sicherlich, man war weiterhin für das allgemeine Wahlrecht, aber eben nicht für alle Wahlen. Das Dreiklassenwahlrecht mit Zensus sicherte den Liberalen in Städten wie Berlin und seinen Vororten, in Breslau und Königsberg die Vorherrschaft in den Stadtparlamenten, insbesondere gegen die Sozialdemokratie, welche, so Virchow, noch mehr zu den Gegnern des Liberalismus gehörte als die Konservativen. Die "wirkungslosen Elemente" der Gemeinden sollten schon bald in der sozialdemokratischen Partei einen entschiedenen Vertreter ihrer politischen Rechte auf kommunaler Ebene finden.

Rede Hasselbach. PHH, 29. Juni 1876. StBPHH, Sess. 1876, Bd. 1, S. 473 f. Rede Virchow. PAH, 27. Juni 1876. StBPAH, 12. LP, 3. Sess. 1876, Bd. 3, S. 2121 f. Bei Lange, Eulenburg, S. 72 ff., wird das Scheitern der Städteordnung zu sehr in personalisierender Sicht auf einen Konflikt zwischen Bismarck und Eulenburg reduziert. 68 Der erste Parteitag der Deutschen Fortschrittspartei. Verhandlungen desselben, Programm und Organisation der Partei (= Politische Zeitfragen, Nr. 10), Berlin 1879, S. 20. 66 67

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2. Die preußische Steuerreform, der städtische Linksliberalismus und das Klassenwahlrecht Als im Januar 1891 die parlamentarischen Beratungen über die Ergänzung der Städteordnung hinsichtlich der Verfahrensregelung zur Feststellung der Gemeindewahlbezirke vor dem Abschluß standen,69 mußte sich die Gemeindekommission des Herrenhauses mit einer von verschiedenen Vorstandsmitgliedern des Vereins Berliner Wohnungsmieter eingebrachten Petition auseinandersetzen, die eine Ablösung des Hausbesitzerprivilegs und damit die Streichung des § 16 der Städteordnung forderte. Nach Ansicht des Berliner Vereins traf die ursprüngliche Auffassung des Gesetzgebers, das die Hauseigentümer "die seßhaften Elemente" einer Gemeinde darstellten, für die Verhältnisse der modemen Großstädte, insbesondere Berlins, nicht mehr zu. Nach Ermittlungen des Vereins hatten im Zeitraum von 1879 bis 1887 von den zirka 20000 bebauten Grundstücken Berlins nicht weniger als 16431 den Besitzer gewechselt. Nur 2130 Grundstücke waren durch Vererbung in die Hände neuer Eigentümer übergegangen. Demzufolge hatten 70 Prozent der bebauten Grundstücke auf dem Immobilienmarkt den Besitzer gewechselt. 7o Diese Entwicklung konterkarierte die im Kommunalrecht abgesicherte Funktion des Hausbesitzes. Sie mußte daher den Gesetzgeber veranlassen, die politischen Vorrechte des Hausbesitzes als überholte Bestimmungen aufzuheben. Die Aufhebung war um so mehr angebracht, als die hohe Verschuldung des Haus- und Grundbesitzes die Eigentümer eigentlich nur noch zu Verwaltern ihrer Grundstücke machte. Der Wohnungsmieterverein sah zudem im Hausbesitzerprivileg eine ständige Gefahr, das Gemeinderecht für die Eigeninteressen des Hausbesitzes zu nutzen. So war in Berlin der, wenn auch erfolglose, Versuch unternommen worden, die Wasserkosten durch die Installation von Meßgeräten direkt den Wohnungsmietern aufzubürden. Es gab in der Gemeindevertretung Planungen, die Kosten für die Unterhaltung und Reinigung der Bürgersteige sowie die Straßenpflasterung auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Die Gemeindekommission bezweifelte nicht, daß angesichts der nachgewiesenen Zahlen die Hausbesitzer in Berlin wie in anderen Großstädten nicht mehr als der seßhafte Teil der städtischen Bevölkerung aufgefaßt werden konnte. Trotzdem riet die Kommission ab, aus diesem Umstand die politische Konsequenz einer Streichung des Hausbesitzerprivilegs zu ziehen. Wenn auch im Falle der Verabschiedung einer neuen Städteordnung, wie die Kommission übereinstimmend feststellte, nicht mehr mit einer Erneuerung der Vorrechte des Hausbesitzes zu rechnen war, wollte man geSiehe dazu ausführlicher Kap. 7, Unterabschnitt 3. Vgl. auch im folgenden, Mündlicher KomBer, Oberbürgenneister F. Bötticher. PHH, 22. Januar 1891. StBPHH, Sess. 1890/91, Bd. 1, S. 32 f. 69

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genwärtig noch an ihrer Bedeutung namentlich für die kleinen Städte festhalten. In den industriellen Kleinstädten mit hohen Anteilen an Arbeitern, von denen nach wie vor angenommen wurde, daß sie kein Interesse für die kommunale Entwicklung aufbrachten, konnte der Haus- und Grundbesitz durch den Einfluß der Industriearbeiterschaft völlig zurückgedrängt werden. Die Auffassung wurde von der Majorität des Herrenhauses geteilt. Man sah daher auf Empfehlung der Kommission von jeder weiteren Erörterung der Petition ab. Der Antrag des Mietervereins eröffnete praktisch neue Initiativen des Berliner Linksliberalismus zur Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen. Die parlamentarischen Bemühungen standen von Beginn an im Zeichen des Landtagswahlrechts, das Kommunalwahlrecht wurde von den politischen Zielsetzungen zunächst ausgenommen. 71 Nur im Falle, daß der vorgelegte linksliberale Gesetzentwurf im Parlament keine Mehrheit fand, forderten die freisinnigen Abgeordneten in einem Alternativantrag, die Quotierung der ersten beiden Wählerabteilungen auf mindestens ein bzw. zwei Zehntel festzulegen und das geheime Wahlverfahren bei den Kommunalwahlen einzuführen. 72 Die Linksliberalen knüpften demnach an das gescheiterte Konzept der Gemeindereform von 1876 an. Sie hatten sich inzwischen vollständig auf den Boden der von der Fortschrittspartei entwickelten Auffassung gestellt, die Stadt als wirtschaftliche Korporation anzusehen. Das allgemeine Wahlrecht eignete sich danach nicht für die Kommunen, weil diese gänzlich vom Staat geschiedene Genossenschaften waren und demzufolge eine andere "Bewirtschaftung" erforderten. 73 Der Linksliberalismus brachte sich durch diese Argumentation in eine widersprüchliche Position, der seine politische Glaubwürdigkeit grundlegend in Frage stellen sollte. Die gegnerischen Parteien bis hin zu den Nationalliberalen nahmen übereinstimmend an, daß allein machtpolitische Gründe für die differierenden Haltungen des Linksliberalismus in der Frage des Kommunal- und Landtagswahlrechts ausschlaggebend waren und die Initiative für die Ein71 Vgl. den Entwurf, betreffend die Abänderung der Artike170, 71, 72 und 115 der Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1851, der von drei Berliner Abgeordneten (Hugo Herrnes, Otto Herrnes, Pau1 Langerhans) der Freisinnigen Volkspartei, den sieben Abgeordneten Berlins, die der Deutschfreisinnigen Partei angehörten (Gustav Knörcke, A1exander Meyer, Kar1 August Ludwig von Muncke1, Ludo1f Parisius, Eugen Richter, Albert Traeger, Rudo1f Virchow) und von weiteren 16 Abgeordneten der Deutschfreisinnigen Partei befürwortet wurde. A1PAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/83, Bd. 5, AS Nr. 108, S. 2235 f. 72 A.a.O., S. 2236. Vgl. dazu weiter unten. 73 Reden A. Meyer u. Langerhans. PAH, 13. Januar u. 13. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 1, S. 354; Bd. 3, S. 1563.

2. Die preußische Steuerrefonn

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führung des Reichstagswahlrechts in Preußen nur agitatorischen Charakter besaß. Der Freisinn hatte ja selbst öffentlich bekannt, daß seine in einer Art "Fundamentalopposition" erhobene Forderung ohnehin keine Aussicht auf Erfolg hatte. 74 Der nationalliberale Sanitätsrat Eduard Graf reagierte auf die freisinnige Forderung mit dem Eventualantrag, im Falle der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für die preußischen Landtagswahlen dieses auch auf die Wahlen zu den Gemeindevertretungen auszudehnen. Er deckte damit den politischen Opportunismus des Freisinns auf, der vehement seine einseitige Forderung mit dem Hinweis auf die grundlegende Verschiedenheit von Staat und Gemeinde verteidigte?5 Der Nationalliberale Robert Friedberg, der zum nächsten Jahr eine ordentliche Professur für Staatswissenschaft in Halle antreten sollte, machte insbesondere gegenüber dem Stadtverordnetenvorsteher Langerhans deutlich, daß der von den freisinnigen Abgeordneten entwickelte Gemeindebegriff nicht haltbar war. Die modeme Gemeinde stellte sich eben nicht als ein auf Leistung und Gegenleistung basierender Wirtschaftskörper dar, sondern sie setzte sich im wesentlichen aus zwei Funktionen zusammen: Einserseits stellte sie einen staatlichen Verwaltungsbezirk dar, der auf gesetzlicher Grundlage staatliche Aufgaben innerhalb der von den Gesetzen gezogenen Grenzen ausübte, andererseits stellte sie eine Wirtschaftskorporation dar. Wenn die Gemeinde bildungs- und sozialpolitische Vorsorgeleistungen erbrachte, agierte sie in keinem Fall nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung, sondern nahm allgemeine Aufgaben des Staates auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge wahr. 76 Friedbergs Auffassung über die Stellung der Gemeinde im Staatsverband war gewiß nicht anzuzweifeln. Sein Gemeindebegriff entsprach nicht nur der realen Verwaltungspraxis in Staat und Kommune, sondern auch der mit den Städteordnungen begründeten rechtlichen Stellung der Gemeinde. Die einseitige Definition der Gemeinde als korporativer Wirtschaftskörper ignorierte den schon mit der Städteordnung von 1808 geschaffenen Doppelcharakter der preußischen Kommune, nämlich sowohl Selbstverwaltungskörperschaft als auch Organ der örtlichen Staatsverwaltung zu sein. 77 Die den Linksliberalen nachgewiesene politische Instrumentalisierung des Gemeindebegriffs konnte die berechtigte Forderung nach einer Liberalisierung des preußischen Landtagswahlrechts nicht in Frage stellen. Die konkreten Rede Heinrich Rickert. PAH, 13. Januar 1893. A.a.O., Bd. 1, S. 341. Rede Graf. PAH, 13. März 1893. A.a.O., Bd. 3, S. 1555. KomBer Walter von Tzschoppe, 22. Februar 1893. A1PAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 73, S.2042. 76 Rede Friedberg. PAH, 13. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1564. 77 Zum Verhältnis von Staats- und Selbstverwaltung im älteren Kommunalrecht siehe Kap. 2, Unterabschnitt 8. 74

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus waren freilich ein Hindernis für jede weitergehende Reform. Den Nationalliberalen ging es zu Beginn der neunziger Jahre lediglich um den Ausgleich jener "Verschiebungen in der Abstufung des politischen und kommunalen Wahlrechts", die sich durch die Reform des Steuersystems ergeben hatten. 78 Das spätestens seit Ende der siebziger Jahre virulente Bedürfnis nach einer umfassenden Neuregelung des kommunalen Abgabenwesens und einer Reform des Staatssteuersystems wurde mit dem Amtsantritt Miquels zügig realisiert. Ziel der gesamten Steuerreform war eine sachgemäße Abgrenzung der dem Staat und den Gemeinden vorbehaltenen Gebiete der Besteuerung. Dem Staat sollte nach Beseitigung der bestehenden Doppelbesteuerung die auf der persönlichen Leistungsfahigkeit beruhende Einkommensteuer zufallen, ergänzt durch eine auf den Bezirk erhobene Vermögenssteuer. Den Kommunen war die vom Staat aufgegebenen Realsteuern zu überweisen. Die besondere Eignung der Gemeinden für die Objektbesteuerung begründete die Staatsregierung mit dem bereits erwähnten Doppelcharakter der Kommunen als Organ zur Erfüllung unmittelbarer Staatszwecke und als wirtschaftlicher Verband. 79 In ihrem Charakter als Wirtschaftskörper war die Gemeinde auf das nachbarliche, wirtschaftliche Zusammenleben und die Erwerbstätigkeit ihrer Einwohner ausgerichtet. Ein großer Teil der Gemeindeausgaben war diesem Umstand verpflichtet. Sie bezogen sich sowohl auf die Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse als auch auf die mit der Gemeinde verbundenen Objekte, auf den Grund- und Hausbesitz sowie den Gewerbebetrieb. Die Einbindung der Realien in die Kommunalinvestitionen und Unterhaltungskosten der Gemeinden rechtfertigte die vorzugsweise Besteuerung der Haus- und Grundbesitzer sowie der Gewerbetreibenden nach dem Grundsatz von Leistung und Gegenleistung, von Last und Vorteil. 80 Um den gestiegenen Finanzbedarf der Städte zu befriedigen, sollten einerseits die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern von seiten der Gemeinden erhoben werden, amdererseits die indirekten Steuern sowie die Gebühren und Zwangsbeiträge stärker ausgeschöpft werden. Die Überweisung der Realsteuern an die Gemeinden konnte der Staat nur dadurch vornehmen, daß er über die Reform der direkten Personalsteuern, die zum ersten Mal progressiv gestaltet wurden, Mehreinnahmen erzielte. 78 Vgl. Rede Graf. PAH, 13. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1555. 79 Ernst Scholz, Das heutige Gemeindebesteuerungssystem in Preußen, in: Gemeindefinanzen, Bd. 1 (= Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 126), Leipzig 1908, S. 282; O. Schwarz/Wo Schwarz, Das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 und das Gesetz wegen Aufhebung direkter Staatssteuern vom 14. Juli 1893, Aachen 1894, S. 14 ff.; Franz Adickes, Das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893, Berlin 1894, S. 109 ff. 80 Schwarz/Schwarz, Kommunalabgabengesetz, S. 18 f.

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Die Entlastung der niedrigeren und die stärkere Veranlagung der höheren Einkommen tangierte neben der Aufhebung der Altsteuern unmittelbar das steuerlich fundierte Dreiklassenwahlrecht. Durch die Reform nahm das Wahlrecht der unteren Schichten ab, während das Gewicht der Stimmen bei den hohen Einkommensteuergruppen weiter anstieg. Gleichzeitig drohte der städtischen und ländlichen Elite, den Fabrikanten und Gutsbesitzern, eine empfindliche Wahlrechtsbeschränkung. Die Gefährdung ihres wahlpolitischen Besitzstandes durch die Steuerreform wollten die bürgerlichen Landtagsfraktionen unter keinen Umständen hinnehmen, allen voran die Zentrumspartei, die ihre Zustimmung zur Reform vom Zustandekommen eines, wie der Herausgeber der Rheinischen Volkszeitung Karl Bachern anmerkte, "genuinen Wahlgesetzes" abhängig machte. 81 Zunächst wurde das im November 1890 dem Abgeordnetenhaus vorgelegte Einkommensteuergesetz, das die Jahreseinkommen unter 9000 Mark erheblich entlasten sollte,82 Ausgangspunkt einer gesetzlichen Abänderung des Wahlsystems auf Landes- und Kommunalebene. Die steuerliche Entlastung der Arbeitseinkommen mußte politisch zu einer weiteren Desintegration der mit geringeren Jahresverdiensten ausgestatteten Schichten führen, wenn es nicht gelang, die durch die Steuerreform ausgelöste schärfere Plutokratisierung des Klassenwahlrechts zu relativieren. Antiplutokratische Effekte ließen sich sowohl durch fingierte Steueranrechnungen, wie man es bereits 1883 nach der steuerlichen Freistellung der Einkommen unter 900 Mark getan hatte,83 als auch durch eine örtliche Differenzierung der Klassenbildung erreichen. Diesen Weg schlug der vom langjährigen Zentrumsvorsitzenden von Huene mit Unterstützung der Frei- und Deutschkonservativen ausgearbeitete Gesetzentwurf ein, in dem anstelle der bisher geleisteten Klassensteuer jedes einkommensteuerbefreiten Wahlberechtigten ein fiktiver Steuersatz von drei Mark angerechnet und die Wählerabteilung nicht mehr für die ganze Gemeinde, sondern, soweit diese in mehrere Bezirke aufgeteilt war, nur noch für jeden einzelnen Urwahlbezirk gebildet werden sollte. 84 Die Anrechnung der fiktiven Steuersätze sollte ebenso für die Konstituierung der Urwählerabteilungen wie der Gemeindewählerklas81 Rede Bachern. PAH, 13. Januar 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. I, S. 329 f. Vgl. auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 423 ff. Zur Steuerrefonn in Preußen, allerdings mit ausschließlicher Konzentration auf die Staatssteuern, jetzt in diffenrenzierender Analyse Andreas Thier, Steuergesetzgebung und Verfassung in der konstitutionellen Monarchie. Staatssteuerrefonnen in Preußen 1871-1893 (= Ius Commune. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts zur Europäischen Rechtsgeschichte Frankfurt am Main, Sonderhefte. Studien zur Europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 119), Frankfurt/M. 1999. 82 Adickes, Kommunalabgabengesetz, S. 117. 83 Vgl. §§ 1 u. 4, Gesetz betreffend die Aufhebung der beiden untersten Stufen der Klassensteuer vom 26. März 1883. GS 1883, S. 37 f.

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sen gelten, das Drittelungsverfahren nach Wahlbezirken hingegen nur für die Urwahlen zum Abgeordnetenhaus. Der Gesetzentwurf passierte ohne größere Auseinandersetzung beide Häuser des Landtags und wurde in der zweiten Junihälfte als Gesetz erlassen. 85 Nur die Nationalliberalen hatten sich bis zuletzt gegen das Gesetz ausgesprochen, da das Drittelungsprinzip die Kongruenz der politischen und sozialen Hierarchie in den Städten aufweichte. 86 In der Tat hatte das neue Drittelungsvorhaben die einschneidendste Wirkung auf das Wahlrecht, da sich die Bedeutung des entrichteten Steuerbetrags für die Abteilungsbildung an sich relativierte und die örtliche Zuordnung der Wahlberechtigten einen größeren Einfluß auf die Ausübung des Wahlrechts gewann. 87 Durch die Bezirksdrittelung konnten in ärmeren Vierteln Berlins auch Gastwirte und kleinere Hausbesitzer in die erste Wählerabteilung einrücken, während umgekehrt in wohlhabenderen Stimmbezirken Wähler, die seit Jahren der ersten Wählerklasse angehörten, mitunter in die dritte Wählerabteilung zurückgestuft wurden. Die Höchststeuerbeträge schwankten nunmehr in der dritten Wählerabteilung zwischen sechs und 8484 Mark, in der zweiten Klasse zwischen zwölf und 27873 Mark, in der ersten Abteilung zwischen 43 und 111420 Mark. 88 Während man im Jahre 1888 mit einem Steuerbetrag von mindestens 850 Mark noch in der ersten Wählerklasse wählte und eine Steuerleistung zwischen 180 und 850 Mark die Einstufung in die zweite Abteilung garantierte, reichte nach der Reform des Wahlsystems in einzelnen Berliner Urwahlbezirken eine durchschnittliche Steuerleistung von 18417 Mark nicht aus, um in der ersten Abteilung wählen zu können. 89 Von der Bezirksdrittelung ging also eine Form der "Desorganisation" aus, weiche die bislang im Dreiklassenwahlrecht sinnfällig zum Ausdruck kommende soziale Hierarchie der Stadt ins Wanken brachte. Nun waren zwar die Kommunalwahlen nicht direkt betroffen, aber die plutokratisierende Tendenz der Steuerform hatte allgemeine Wirkung. Jede weitere Änderung des Wahlsystems mußte deshalb, zumal die Novelle von 1891 nur als Pro84 Gesetzentwurf vom 5. März 1891. AIPAH, 17. LP, 3. Sess. 1890/91, Bd. 3, AS Nr. 183, S. 1735 f. 85 Gesetz, betreffend Änderung des Wahlverfahrens vom 24. Juni 1891. GS 1891, S. 231 f. 86 Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 426. 87 Jastrow, Dreiklassensystem, S. 48. 88 A. a. 0., S. 38 ff. Zahlen der Landtagswahl von 1893. 89 Ebd. Herrfurth, Die Wahlreforrn, S. 235 ff. Hellrnut von Gerlach, Die Geschichte des preußischen Wahlrechts, Berlin/Schöneberg 1908, S. 112. Bei der Landtagswahl von 1893 kam noch das durch das Abänderungsgesetz von 1891 postulierte Wahlverfahren zum Zuge. Jastrow, Dreiklassensystem, S. 33.

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visorium aufgefaßt wurde, auch die Abteilungsbildung für die Wahlen zu den Kommunalvertretungen berühren. Sowohl im Staatsministerium als auch in konservativen Kreisen herrschte grundsätzlich Einigkeit über eine Reform des Dreiklassensystems. Die weitere Lebensfähigkeit bzw. die Erneuerung der ursprünglichen Funktion sollte dazu beitragen, die aus drei Schichten bestehende Gesellschaftsordnung entsprechend ihrer Bedeutung für das Staatsleben proportional abzubilden und damit auch fernerhin eine angemessene, nicht ersetzbare Vertretung dieser Schichten zu sichern. 9o Die antiplutokratische Wirkung der neuen Klassenbildung war nach Meinung der Staatsregierung zwar nicht unerheblich, doch reichte sie nicht aus, um überall in genügendem und möglichst gleichmäßigem Maße die auf Grund der neuen Einkommensteuer eingetretene Wahlrechtsminderung der weniger wohlhabenden Schichten zu beseitigen. 91 Bei den Kommunalwahlen zeigte sich eine überaus unterschiedliche Wirkung des Einkommensteuer- und des Abänderungsgesetzes auf das Wahlverfahren: Während in Landgemeinden mit überwiegend landwirtschaftlichem Erwerb der Einfluß auf die Abteilungsbildung gering blieb, machte sich in Gemeinden mit größeren Erwerbsanteilen in Industrie und Verkehr, insbesondere in den größeren Städten, eine deutliche Abnahme der Wählerzahlen in der ersten und zweiten Abteilung sowie eine entsprechende Zunahme in der dritten Wählerklasse bemerkbar. Im November 1892 entfielen in Berlin bei den Stadtverordnetenwahlen gegenüber der Abteilungsbildung des Vorjahres zwischen 0,5 und 2,1 Prozent weniger Wähler auf die erste und zweite Wählerklasse. 92 Die in der dritten Wählerabteilung eingetretene Zunahme der Wahlberechtigten übertraf mit 14951 das Wachstum der Wahlberechtigten insgesamt noch um 6726 Wähler. In den ersten beiden Wählerklassen zeigte sich dagegen eine erhebliche Verminderung um 1379 auf 5347 Wahlberechtigte. In den Gemeinden bestand demnach ein dringendes Bedürfnis nach weiteren antiplutokratischen Effekten, eine Reform des Wahlsystems erschien unverzichtbar. Umstritten war nur, auf welchem Wege man diese Effekte erreichen wollte. Innenminister Herrfurth hatte zunächst für die Einführung von Mindestwählerquoten plädiert. Danach sollte die erste Wählerabteilung mindestens fünf Prozent, die zweite Klasse fünfzehn Prozent der Wahlberechtigten eines Urwahlbezirks umfassen. 93 Dieser Lösungsvorschlag scheiterte je90 Vgl. Herrfurth, Wahlrefonn, S. 248. Zedlitz-Neukirch, Wahlrechtsfragen, in: DWB1, 4. Jg. (1891), S. 75. Evert, Dreigliederung, S. 502. Allgemein zum Verhältnis von Partizipation und Wahlverhalten vgl. oben Kap. 7, Unterabschnitt 5. 9l Vgl. den Gesetzentwurf zur Änderung des Wahlverfahrens vom 24. Dezember 1892. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, S. 1002. Zur Abteilungsbildung in ausgesuchten Landtagswahlkreisen vor und nach der Steuerrefonn siehe Tab. 28 im Stat. Anhang. 92 Vgl. Tab. 29 im Stat. Anhang. 93 Herrfurth, Wahlrefonn, S. 247 f.

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doch an der massiven Kritik Miquels. Der einflußreiche Finanzminister wollte, bemüht die politische Dominanz der städtischen und ländlichen Eliten aufrechtzuerhalten, jede Erweiterung der zweiten Wählerklasse durch Wähler mit geringerem Steueraufkommen verhindern und keineswegs die vornehmlich den Grundbesitz benachteiligende Konzentration des Anrechnungsverfahrens auf die direkten Staatssteuern zulassen. Der Fortfall der Realsteuern bei der Berechnung der Steuerleistung hätte zu einer weitreichenden wahlrechtlichen Dequalifizierung der bisher privilegierten Gutsherren geführt. 94 Die enge Verknüpfung des Landtags- mit dem Kommunalwahlrecht ließ eine einseitige Ausrichtung an den politischen Interessen des Grundbesitzes und Unternehmertums nicht zu. Andernfalls wäre jede plutokratische Reformabsicht ins Leere gelaufen und die Städte in verstärktem Maße dem übermächtigen Einfluß der großen Vermögen ausgesetzt. Für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus hielt die Staatsregierung daher beharrlich an der Bezirksdriuelung fest. Darüber hinaus war zwar nicht vorgesehen, die Abteilungsbildung auf der Grundlage "eines allgemein zu bestimmenden prozentualen Verhältnisses der Wählerzahl" vorzunehmen, aber das Verhältnis der Steuerquoten, das die Grundlage für die Abgrenzung der Wählerabteilungen bildete, sollte entsprechend abgeändert werden. 95 Das Verfahren, die Gesamtsteuersumme zu gleichen Teilen auf die Wählerklassen zu verteilen, beabsichtigte die Staatsregierung durch eine stärker abgestufte Quotenregelung zu ersetzen: Auf die erste Wählerklasse sollten fortan fünf Zwölftel der Gesamtsteuerbeträge, auf die zweite vier und auf die dritte Wählerklasse nur noch drei Zwölftel entfallen. 96 Bei der Ausführung sollten diejenigen Wähler, deren Steuerbetrag nur teilweise in die erste bzw. zweite Abteilung fiel, den bei den ersten Klassen zugeteilt werden. Wurde nach diesem Verfahren die Steuerquote der ersten Klasse überschritten, sollte der Konstituierung der beiden anderen Abteilungen nur noch der übriggebliebene Teil der Gesamtsteuersumme zu Grunde gelegt werden. Der Einfachheit halber war die Summe im Verhältnis vier zu drei auf die zweite bzw. dritte Wählerklasse zu verteilen. Nach den im Innenministerium angestellten Berechnungen hätte die Zwölftelung die aus der Steuerreform herrührende Wahlrechtsminderung zumindest ausgeglichen. Für den zweiten Berliner Landtagswahlkreis wurde eine Reduktion des Wähleranteils der dritten Abteilung um 4,94 auf 86,34 Prozent berechnet, die Quote der ersten Abteilung wäre auf 2,31, die der zweiten Klasse auf 11,35 Prozent angestiegen. 97 Bei den Kommunalwahlen 94 95

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Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 431 f. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, S. 1605. Vgl. § 1, RegEntw, WVerfG 1892. A.a.O., S. 1599. A.a.O., S. 1605 f.

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hätte das angestrebte Verfahren eine antiplutokratische Wirkung gezeItIgt. Im genannten Berliner Wahlkreis wäre die Wählerquote der dritten Abteilung um 2,95 auf 91,72 Prozent zurückgegangen, während 1,39 bzw. 6,84 Prozent der Wähler den ersten bei den Wählerabteilungen zugeordnet worden wären. 98 Voraussetzung dieser Ergebnisse war die Fortgeltung des Wahlverfahrensgesetzes von 1891, d.h., die fingierte Anrechnung eines Klassensteuerbetrages von drei Mark für jede nichtveranlagte Person. Durch den Fortfall dieser Regelung wäre der erreichte antiplutokratische Effekt fast gänzlich wieder verlorengegangen. In Berlin hätten in diesem Fall bei den Wahlen zur Gemeindevertretung nur noch 0,99 Prozent der Wahlberechtigten der ersten Wählerklasse, dagegen 4,41 bzw. 94,60 Prozent den übrigen Abteilungen angehört. 99 Während die Abänderung des Drittelungsverfahrens die nivellierende Abstufung des Wahlrechts kompensieren sollte, plante die Regierung mit der Erweiterung der anrechenbaren, nach der Veranlagungsbehörde geschiedenen Steuertypen einen Ausgleich für den bevorstehenden Ausfall der staatlichen Realsteuern zu schaffen. Auf diese Weise sollte der mit der Steuerrefonn verbundene politische Bedeutungsverlust des Grundbesitzes aufgehoben werden. Die Staatsregierung konnte hierbei auf die älteren Gemeindegesetze zurückgreifen, da bereits die Gemeindeordnung von 1850 die Abteilungbildung von der Anrechnung sämtlicher zu entrichtenden Steuern abhängig machte. 100 Die Einschätzung des Wählers erfolgte in den Kommunen, wie bereits dargestellt, nach der Summe der veranlagten Gemeinde-, Kreis-, Bezirks-, Provinzial- und Staats abgaben. Dieses Prinzip setzte die Städteordnung von 1853 fort. lOI Erst mit der westfälischen Städteordnung von 1856 wurde eine Abänderung des Verfahrens eingeleitet, in dem nur noch die Staats- und Gemeindesteuern der Klassenbildung zu Grunde gelegt wurden. 102 Die nur wenig später erlassene Rheinische Städteordnung beschränkte sich in Anlehnung an die Landgemeindeordnung von 1845 auf die Berücksichtigung der zu entrichtenden Staats steuern. 103 Ur98 A. a. 0., Anlage 2, S. 1624. Dort auch die Zahlen für weitere 21 Stadt- und Landwahlkreise. 99 A.a.O., S. 1607. 100 § 11, Tit. 2, Abschnitt 1 u. § 69, Tit. 3, Abschnitt 1, GO 1850. GS 1850, S. 217 u. 231. 101 § 13, Tit. 2, StO 1853. GS 1853, S. 267 f. 102 § 13, Abs. 1, Tit. 2, StO für die Provinz Westfalen vom 19. März 1856. GS 1856, S. 243. Vgl. auch § 27, LGO für die Provinz Westfalen vom 19. März 1856. GS 1856, S. 273. 103 § 12, Lit. d, Tit. 2, StO für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856. GS 1856, S. 411. Die Regelung galt nur für die klassen steuerpflichtigen Städte. In den mahlund schlachtsteuerpflichtigen Städten wurde der Abteilungsbildung das Einkommen der Bürger zu Grunde gelegt. Siehe auch § 50, Abs. 3, Abschnitt 3 i. Verb. m. § 33,

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sprünglich hatte der Regierungsentwurf für die westfälische Städteordnung gleichfalls nur eine Berechnung der direkten Staatssteuern vorgesehen. Bei der parlamentarischen Beratung wurde zunächst jedoch eine Erweiterung der Anrechnungsgrundlage durchgesetzt. Während der Kommissionsberatungen setzte sich die Majorität mit der Auffassung durch, daß die direkten Gemeindeabgaben weder überall durch Zuschläge zu den Staatssteuern noch zu gleichen Sätzen aufgebracht wurden und folglich die Staatssteuern nicht das richtige Leistungsverhältnis darstellten, mit dem die Bürger zu den Gemeindebedürfnissen beitrugen. Als die Staatsregierung nur wenig später im Entwurf zur Rheinischen Städteordnung das Prinzip der gemeinsamen Anrechnung der Staats- und Gemeindesteuern beibehielt, wurde sie im Landtag mit dem Hinweis abgewiesen, daß für die Leistungs- und Schätzungsfähigkeit des einzelnen Bürgers allein die Staatssteuer maßgebend war und diese demzufolge die Grundlage der Klassenbildung darstellte. Das Prinzip der Rheinischen Städteordnung galt, soweit das Dreiklassensystem bei den Kommunalwahlen Anwendung fand, ebenfalls in den annektierten hessischen Landesteilen, in denen die großherzoglich und landgräflich hessischen sowie die nassauischen Gemeindegesetze aus den fünfziger Jahren fortbestanden. 104 Die Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden von 1891 schloß an das im Hessischen geübte Verfahren an und schrieb die Abteilungsbildung nach Maßgabe der direkten Staatssteuern vor. Somit kamen die Grund-, Gebäude-, Einkommen- und Gewerbesteuer zur Anrechnung, allein die Steuern aus Wandergewerbetätigkeiten waren ausgeschlossen worden. 105 Dagegen folgte die ebenfalls 1891 erlassene Landgemeindeordnung für die östlichen Provinzen dem Beispiel der Städteordnung von 1853 und stützte die Abteilungsbildung auf sämtliche direkten Steuern. 106 Nach Einführung der Landgemeindeordnung in der Provinz Schleswig-Holstein wurde auch in den dortigen ländlichen Gemeinden die Abteilungsbildung auf Grundlage der summierten Gemeinde-, Kreis-, Bezirks-, Provinzial- und Staatsabgaben vollzogen. 107 Ziff. 1,2 u. 2, Abschnitt 2, GO für die Rheinprovinz vom 23. Juli 1845. GS 1845, S. 530 f. 104 AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, S. 1607 f. 105 § 13, Abs. 1, StO für den Regierungsbezirk Wiesbaden vom 8. Juni 1891. GS 1891, S. 113. 106 § 50, Abs. 1, Abschnitt 4, LGO für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie vom 3. Juli 1891. GS 1891, S. 250. 107 Vgl. das Gesetz, betreffend die Einführung der Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie vom 8. Juli 1891 in der Provinz Schleswig-Holstein vom 4. Juli 1892. GS 1892, S. 147-154. Siehe dazu § 50, Abs. 1, LGO, Schleswig-Holstein, 1892. A.a.O., S. 172.

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Ungeachtet der unterschiedlichen Gestaltung der Abteilungsbildung in den einzelnen Landesteilen ging die Staatsregierung davon aus, daß das Wahlrecht im Gegensatz zum Prinzip der Rheinischen Städteordnung nicht nur nach der "Leistungsfähigkeit" des einzelnen Wählers, sondern nach seiner "wirklichen Leistung für das Gemeinwesen" zu bemessen sei. Was aber Geltung für das kommunale Wahlrecht besaß, mußte auch für die Landtagswahlen in Anwendung gebracht werden. Wenn sich die Ziele des Gemeinwesens nicht scharf voneinander abgrenzen ließen, so die Begründung der Staatsregierung, vielmehr ineinander übergingen und sich gegenseitig durchdrangen, die Gesamtleistung des Wählers für die Zwecke des Gemeinwohls aber überhaupt den richtigen Maßstab für die Bemessung seines Anteils an den öffentlichen Angelegenheiten bildete, konnte auf Landesebene nur von der Summe der steuerlichen Leistungen ausgegangen werden. 108 Bei Nachfragen der Staatsregierung in einzelnen Landesteilen sprachen sich die Gemeinden der Provinzen, in denen die Kommunalsteuern mit zur Anrechnung gebracht wurden, für die Beibehaltung dieses Verfahrens aus. In der Rheinprovinz stimmte man dem Übergang zu den Bestimmungen des östlichen Gemeinderechts mit der Begründung zu, daß diese "für das öffentliche Interesse erheblich günstiger" ausfielen. In Berlin hätte eine Abteilungsbildung, die dem Verfahren der Rheinischen Städteordnung folgte, zu einer Abnahme der Zahl der Wahlberechtigten in der ersten und zweiten Wählerklasse und zu einer entsprechenden Zunahme in der dritten Klasse geführt. 109 Die gleiche Tendenz, wenn auch in geringerer Ausprägung, stellte sich bei der ausschließlichen Anrechnung der staatlichen Einkommensteuer ein. Wurden der Abteilungsbildung die Einkommensteuer und die Gemeindeabgaben zu Grunde gelegt, zeigte sich gegenüber dem Verfahren der Städteordnung von 1853, d.h. der Anrechnung sämtlicher Steuern, ein stärker ausfallender Rückgang der Wählerzahl in der dritten Abteilung. Dieser Umstand war, wie überhaupt die verschiedene Wirkung der Verfahren zur Abteilungsbildung, durch die Besonderheiten der in Berlin zur Hebung kommenden Gemeindesteuern beeinflußt. Ein erheblicher Teil der städtischen Einnahmen wurde durch die Mietsteuer aufgebracht, welche die mittleren und unteren Einkommensschichten relativ stärker belastete als die wohlhabenden Gemeindebürger und folglich den Wert des Wahlrechts dieser Schichten erhöhte.!10 Die Mietsteuer hob der Berliner Magistrat erst im Rahmen der Steuerreform Ende März 1895 auf.!!! Siehe dazu AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, S. 1608 f. V gl. Tab. 29 im Stat. Anhang. 110 VerBBln 1889-1895, T. 1, S. 12. III VerBBIn 1895-1900, T. 2, Berlin 1904, S. 111 f. Zu den konkreten Auswirkungen der kommunalen Steuerrefonn auf die Wäh1erabteilungsbildung in Berlin 108

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

Ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Berliner Gemeindesteuersystems hielt die Staatsregierung daran fest, daß die Abteilungsbildung insgesamt nach dem Verfahren der östlichen Städteordnung zu einer angemesseneren Verteilung der Wahlberechtigten auf die einzelnen Wählerklassen führte. Statistische Erhebungen in ausgesuchten Gemeinden der östlichen und westlichen Provinzen bestätigten diese Auffassung. 112 Die stärkere antiplutokratische Wirkung der Klassenbildung nach dem Verfahren des östlichen Kommunalrechts stand offenbar in keinem Zusammenhang mit den kommunalen Zuschlägen zur staatlichen Einkommensteuer. Die Ministerialbürokratie sah diese Wirkung im wesentlichen durch die stärkere Beteiligung der städtischen Mittelschichten an den Ertragssteuern verursacht. Die Grund- und Gebäudesteuern belasteten demnach weniger die bestsituierten Schichten als den städtischen Mittelstand. l13 Die differierende Abteilungsbildung in den östlichen und westlichen Provinzen Preußens stellte nach staatlicher Ansicht eine Anomalie dar, die für den Bereich des Dreiklassenwahlsystems durch die Übernahme des östlichen Verfahrens ebenso beseitigt wie es auf das Landtagswahlrecht ausgedehnt werden mußte. Der auf diese Weise gefundene Ersatz für den Ausfall der Realsteuern war zwar durch die unterschiedliche Höhe der Kommunalabgaben in den einzelnen Landesteilen ungleichmäßig, was nach Regierungsauffassung aber um so weniger zu beanstanden war, als die Differenzen der Gemeindesteuern nur in den Urwahlbezirken, die aus zwei oder mehreren Gemeinden gebildet wurden, praktische Bedeutung erhielten. 3. Versuch einer antiplutokratischen Korrektur die Novellierung des Wahlverfahrens von 1893

In den Parteien, die sich nicht der Forderung nach einer Übertragung des Reichstagswahlrechts anschlossen und damit nicht den Weg einer Fundamentalopposition zur Regierungspolitik beschritten, herrschte zu Beginn der parlamentarischen Beratungen weitgehende Übereinstimmung, sich bei der Wahlrechtsreform im wesentlichen auf den Ausgleich der plutokratischen Wirkung der Steuergesetzgebung zu beschränken. Da die weitere Durchführung der Steuerreform nicht gefahrdet werden sollte, verzichtete man vorläufig auf die Vorlage des von der Verfassung geforderten Wahlgesetzes. Die Rechts- und Mittelparteien stimmten dem von der Regierung vorgeschlagesiehe Tab. 13 im Stat. Anhang. Zum kommunalen Einschätzungsverfahren und den Wählerlisten siehe Kap. 7, Unterabschnitt 4. 112 Vgl. dazu die statistische Zusammenstellung in Anlage 1 zum Regierungsentwurf. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, S. 1611 ff. 113 A.a.O., S. 1609.

3. Versuch einer anti plutokratischen Korrektur

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nen Verfahren zu, bei der Abteilungsbildung sämtliche direkten Steuern anzurechnen. Rudolf von Gneist legte die Legitimität des Verfahrens noch einmal am Charakter der modemen Selbstverwaltung dar. Das Gemeinderecht des 19. Jahrhunderts hatte die Kreise, Städte und Landgemeinden, so Gneist, aus dem Status abgeschlossener wirtschaftlicher Körperschaften entlassen und zu Gliedern des Staates gemacht. Sie führten "mit ihren persönlichen Kräften und vermöge einer persönlichen Verpflichtung" die Verwaltungsgesetze des Staates aus und verausgabten die städtischen Einkünfte für öffentlich-rechtliche Zwecke. Die Addierung der Staats- und Kommunalsteuern war deshalb nicht nur ein sachliches Erfordernis zum Ausgleich von Wahlrechtsinkongruenzen, sondern auch eine rechtliche Notwendigkeit. Die Gemeindesteuern waren ihrem Charakter nach Staats abgaben, "die für engere Kreise in engeren Grenzen, aber für Zwecke erhoben wurden, die im letzten Wesen Staatszwecke" darstellten. 1 14 Die Auffassung des Berliner Staatsrechtiers wurde von der Majorität des Landtags geteilt. Die Konservativen wollten nunmehr den eingeführten fingierten Steuerersatz von drei Mark für jeden einkommensteuerfreien Wahlberechtigten akzeptieren. 1 15 Dagegen beharrten die Nationalliberalen auf der Aufgabe der Bezirksdrittelung. Sie waren nur bereit, dem vorgeschlagenen System der ungleichen Steuerquoten zuzustimmen und allenfalls noch über eine Erhöhung der Steueranteile der ersten Wählerabteilung auf sechs Zwölftel mit sich reden zu lassen. 1 16 Die Freikonservativen lehnten das Zwölftelungsprinzip nicht von vornherein ab, gedachten es indessen, wie der Berliner Abgeordnete und Herausgeber des Deutschen Wochenblatts Otto Arendt bemerkte, "unter gewissen Modalitäten" durch eine Zehntelung zu ersetzen. 117 Demgegenüber sahen die Konservativen schon in der Bezirksdrittelung ein erhebliches Zugeständnis, die Zwölftelung der Wahlberechtigten lehnten sie als zu weitgehende Konzession ab. 118 Völlig inakzeptabel war für die Konservativen der Regierungsvorschlag, in Kommunen anstelle der nicht erhobenen direkten Gemeindesteuern die vom Staat veranlagten Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern treten zu lassen. Nach Erhebungen der Staatsregierung waren etwa 670 Gemeinden Preußens in der Lage, ihre Bedürfnisse allein aus dem kommunalen Kapitalvermögen zu bestreiten. 1 19 Wenn die Regierung, um einen Maßstab für 114 Rede Gneist. PAH, 13. Januar 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 1, S.353. 115 Vgl. Reden von Heydebrand sowie Friedrich Wilhe1m Graf zu Limburg-Stirum. PAH, 13. u. 14. Januar 1893. Aa.O., S. 345 u. 359. 116 Vgl. Rede Eduard Francke. PAH, 13. Januar 1893. A.a.O., S. 335. 117 Rede Arendt. PAH, 14. Januar 1893. Aa.O., S. 362. 118 Reden von Heydebrand, Graf zu Limburg-Stirum. PAH, 13. u. 14. Januar 1893. Aa.O., S. 345 u. 359.

58 Grzywatz

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

die Gemeindeaufwendungen zu gewinnen, auf die Schätzung des Realsteuersolls zurückgriff, mußten sich Ungleichheiten in Gemeinden einstellen, die insgesamt niedrigere kommunale Steuerleistungen aufbrachten. In den Gutsbezirken entrichteten allein die Gutsbesitzer Beiträge zur Erfüllung kommunaler Aufgaben. Diese Abgaben wurden nicht mehr entsprechend berücksichtigt, wenn von einer tatsächlichen Ermittlung der geleisteten Aufwendungen abgesehen und der präsumtive Betrag geschätzt wurde. Das Realsteuersoll mochte ein ebenso praktischer wie realistischer Schätzungsmaßstab sein, in vielen Fällen traf er nach konservativer Ansicht aber nicht die realen Verhältnisse. Daher konnte auch an Vergleichsberechnungen mit benachbarten Gemeinden gedacht werden, die demselben Urwahlbezirk angehörten. 120 Die detailliertesten Vorschläge zur Verbesserung des Regierungsentwurfs lieferte die Zentrumsfraktion. Wenn man schon nicht in eine prinzipielle Änderung des Wahlrechts eintreten wollte, erläuterte Bachern, mußte zumindest eine Verteilung des WählerklasseneinfIusses erreicht werden, die den Verhältnissen des Jahres 1850 entsprach. Um über den Status quo von 1891 hinauszugehen, wollte man bei der Abteilungsbildung ebenfalls die indirekten Steuern in Anrechnung bringen und den Anteil der ersten Wählerabteilung sogar auf sechs Zwölftel erhöhen, den übrigen Abteilungen hingegen nur vier bzw. zwei Zwölftel einräumen. 121 Diese Regelung wollte das Zentrum allerdings nur für die Landtagswahlen einführen. Die plutokratische Zuspitzung des kommunalen Wahlrechts in den Stadtgemeinden verlangte nach einer weitergehenden Lösung, die man in der Quotierung gefunden zu haben glaubte. Für die Anteile der einzelnen Wählerklassen an der Summe der Wahlberechtigten waren in den Städten Mindestquoten festzulegen, die für die erste Abteilung zwischen sechs und acht bzw. zehn und fünfzehn Prozent, für die zweite Abteilung jeweils doppelt so hoch liegen sollte. Ziel der Quotierung war es, die erste Wählerklasse so weit auszudehnen, daß das Bildungsbürgertum garantiert in die zweite Abteilung aufrückte. Die Quotierung sollte nur in städtischen Wahlkreisen Anwendung finden, zudem bei der Höhe der Mindestquoten zwischen größeren und kleineren Städten unterschieden werden. Über die veränderten Regelungen zur Abteilungsbildung hinaus forderte das Zentrum unter Hinweis auf "die Wahltyrannei der Ar119 Vgl. dazu § 2 u. dessen Begründung, RegEntw, WVersG, 1892. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, S. 1599 f. u. 1609 f. 120 Rede Walter von Tzschoppe. PAH, 13. Januar 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 1, S. 339 f. Vgl. auch Rede Francke, A. a. 0., S. 335 f. 121 Vgl. dazu die Reden von Bachern und des späteren westfälischen Zentrumsvorsitzenden Kar! Herold. PAH, 13. Januar 1893. S. 330 ff. u. 346 f.

3. Versuch einer antiplutokratischen Korrektur

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beitgeber und Beamten" sowie "gewisser Kreise der unteren Klassen", auf staatlichem und kommunalem Gebiet die geheime Wahl einzuführen. Die Anrechnung der indirekten Steuern wurde mit Ausnahme der Linksliberalen von sämtlichen Parteien abgelehnt. Der Vorschlag war selbst in der Zentrumsfraktion umstritten. Der agrarisch-konservative Flügel widersprach, weil die indirekten Steuern keinen Maßstab für das Wahlrecht bilden konnten. Die Arbeitgeber brachten in der Regel höhere indirekte Steuern auf und beglichen einen Teil dieser Steuern für die von ihnen beschäftigten Personen. Berücksichtigte man die Zölle, wurden andere Teile dieser Abgaben gar von ausländischen Unternehmen übernommen. 122 Der Gedanke des Danziger Deutschfreisinnigen Rickert, die Gesamtsumme der indirekten Steuern durch die Bevölkerungszahl zu dividieren und die auf diese Weise zustande gekommenen 14 113 Mark jedem Einzelnen gutzuschreiben,123 war weder mit dem System der indirekten Steuern noch mit dem des Dreiklassenwahlrechts zu vereinbaren. Der Gedanke, Mindestquoten festzulegen, fand durch den ehemaligen Innenminister Herrfurth Unterstützung. Von den übrigen Landtagsfraktionen wurde er "als eine ganz fundamentale Änderung" des Wahlrechts abgelehnt. Dessenungeachtet hielt Herrfurth an seinem Modell mit niedrigeren Mindestquoten fest, die er als getreues Abbild der Abteilungsverhältnisse in der Frühphase des Dreiklassensystems ansah. Durch die Mindestquoten ließen sich nach Herrfurths Meinung in jedem Fall die Einer- oder Zweierwahlbezirke vermeiden, d.h. der Umstand, daß in 28 Prozent der etwa 22700 Wahlbezirke die erste Wählerabteilung nur aus einem oder zwei Wählern bestand. 124 Für die Kommunalwahlen boten die Mindestquoten die Garantie, dem durch die Steuerreform erheblich gesteigerten Wahlrecht der Aktiengesellschaften zu begegnen. Die Staatsregierung hielt während der ersten Beratung im wesentlichen an der Fassung des Gesetzentwurfs fest. Wie die konservative Mehrheit sprach sie sich gegen das geheime Wahlverfahren aus. Die Mindestquoten sowie die weitere Zuspitzung der ungleichen Steueranteile bei der Abteilungsbildung wurden verworfen, da das vorgeschlagene Zwölftelungsprinzip die äußerste Grenze des Zumutbaren darstellte, wenn nicht der Aufstieg "ganz ungeeignete(r) Elemente" in die erste Wählerklasse geduldet werden sollte. Die Regierung war freilich nicht bereit, den antiplutokratischen Effekt der Bezirksdrittelung wie den Ersatz der Kommunalabgaben durch die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuern in kommunal steuerfreien Gemein122

Rede Herold. Aa.O., S. 347. Vgl. auch Rede Arendt. PAH, 14. Januar 1893.

A a. 0., S. 363 f. 123 124

58*

Rede Rickert. PAH, 13. Januar 1893. Aa.O., S. 343. Rede Herrfurth. PAH, 13. Januar 1893. A.a.O., S. 349.

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den und Gutsbezirken aufzuheben. Gegen die vom Zentrum in Anregung gebrachte wahlrechtliche Trennung von Stadt und Land wurden prinzipielle Bedenken erhoben. 125 Der freikonservative Arendt stellte gegen Ende der ersten Plenarlesung befriedigt die übereinstimmende Haltung der drei großen Mehrheitsparteien fest und zeigte sich im übrigen überzeugt, daß man die Zentrumsfraktion kaum noch als prinzipiellen Gegner der Regierungsvorlage bezeichnen konnte. "Unter bestimmten Voraussetzungen und Abänderungen" rechnete er mit der Zustimmung des Zentrums zur Wahlrechtsnovelle. Bei den anstehenden Kommissionsberatungen mußte es demnach vorrangig um Modifikationen des vorliegenden Entwurfs gehen. Zunächst versuchten die Zentrumsabgeordneten ihre weitergehenden Vorstellungen zur antiplutokratischen Korrektur des Wahlrechts in den Vorberatungen durchzusetzen. Sowohl für das Kommunal- aus auch das Landtagswahlrecht forderte man Mindestquoten der ersten beiden Wählerabteilungen in Höhe von 10 bzw. 20 Prozent in den Stadtgemeinden, die Anhebung des fingierten Steuersatzes für nichtveranlagte Personen auf sechs Mark und die Einführung der Abteilungsbildung nach Wahlbezirken in den Gemeinden. 126 Die Bezirksbildung begründete das Zentrum mit den Verhältnissen in den rheinischen Großstädten, die bei den Kommunalwahlen stärkere plutokratische Wirkungen zeigten. Die Kommissionsmehrheit sah in diesem Vorschlag einen ungerechtfertigten Eingriff in die Städteordnungen, der außerdem unzweckmäßig erschien, da die Gemeinden eine organische Einheit, nicht aber etwas willkürlich Abgegrenztes wie die Urwahlbezirke des Landtags darstellten. Die Festsetzung von Mindestwählerquoten für die ersten beiden Wählerklassen brachte "ein völlig fremdes Prinzip in die Wahlverfassung der Städte". Die Erhöhung des fiktiven Steuersatzes schuf einen künstlichen Mittelstand, der den Einfluß der eigentlichen Mittelschichten schmälerte. In den Großstädten ergab sich aus dem erhöhten Steuersatz keine Entlastung, erkannte Ministerpräsident Botho Graf zu Eulenburg, der Herrfurth im Amt des Innenministers abgelöst hatte. In Berlin waren bei etwa 300000 Wahlberechtigten zirka 70000 einkommensteuerfreie Personen vorhanden. Durch den erhöhten fingierten Steuers atz verdoppelte sich ihr ursprünglicher Abgabenanteil von 210000 Mark, bei einer Gesamtsteuersumme von 44,5 Millionen fielen 420000 Mark jedoch kaum ins Gewicht. 127 In der Einführung von Maximalsteuerstätzen für die Höchstbesteuerten sah man ein weiteres Korrektiv, obwohl das Innenministerium nur von einer verhältnismäßig gerinRede Botho Graf zu Eulenburg. PAH, 14. Januar 1893. A.a.O., S. 365 f. KomBer von Tzschoppe, 22. Februar 1893. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 73, S. 2043 u. 2045. 127 A. a. 0., S. 2046. 125

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gen Wirkung ausging. Nach diesem Prinzip kam über die Grenze der Steuermaxima hinaus keine Anrechnung der tatsächlichen Leistungen für die Klassenbildung mehr in Frage. Zur zweiten Kommissionslesung legte die Staatsregierung statistisches Material über die Wirkung der Mindestwählerquoten, der erhöhten fingierten Steuersätze und des Zwölftelungsprinzips vor. Sie hatte auch die Anregung der Maximalsteuersätze aufgenommen und unterbreitete entsprechende Angaben über ihre Funktionsweise. Obgleich das Material nur die direkten Staatssteuern berücksichtigte, war die antiplutokratische Tendenz, betrachtete man nur die Ergebnisse für den zweiten Berliner Landtagswahlkreis, 128 nicht zu übersehen. Gegenüber der herkömmlichen Bezirksdrittelung zeigten sämtliche Reformvorschläge höhere Wähleranteile in den ersten bei den Klassen, wenn auch im einzelnen mit größeren Schwankungen. Graf zu Eulenburg hielt nach wie vor das Zwölftelungsprinzip als Ausgleichsverfahren für ausreichend. Er sprach sich, auf Grund ihrer ungleichen Wirkung, weiterhin gegen steuerliche Maximalbeträge aus. 129 Vor der dritten Kommissionslesung hatten sich die Zentrums- und die konservative Fraktion unterdessen schon weitgehend auf einen Komprorniß geeinigt, der eine steuerliche Anrechnungsgrenze von 2000 Mark festlegte. 130 Der antiplutokratische Effekt des Maximalsteuersatzes - er betraf ohnehin nur 4117 Wähler, deren Einkommen 58000 Mark überschritt - wurde allerdings dadurch beschränkt, daß dieser nur die Staatseinkommensteuer und die analogen Gemeindesteuerzuschläge betreffen sollte, während die Real- sowie sonstigen Kommunalsteuern für die Maximierungsregelung nicht vorgesehen waren. l31 Graf zu Eulenburg hielt die Festsetzung eines Maximalsteuersatzes theoretisch für diskutabel, hatte jedoch erhebliche praktische Bedenken. In einzelnen Wahlbezirken wohnten möglicherweise so viele vom Ma128 Vgl. Tab. 30 im Stat. Anhang. Für die Vergleichszahlen der in den Tab. 28 und 29 genannten Wahlkreise vgl. AlPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 85, S. 2183-2187. 129 KomBer von Tzschoppe, 22. Februar 1893. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 73, S. 2049. 130 Vgl. dazu Otto Arendt, Das Wahlgesetzkompromiß und der Finanzminister Miquel, in: DWB1, 6. Jg. (1893), S. 133 ff. 131 KomBer von Tzschoppe, 22. Februar 1893. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 73, S. 2050. Falsch ist die Darstellung Herzfelds (Johannes von Miquel, Bd. 2, S. 311 f.), daß das Zentrum "im Interesse seiner kommunalpolitischen Machtstellung im Rheinland" nur verlangte, die anrechenbare Steuersumme auf ein Maximum von 2000 Mark jährlicher Einkommensteuer zu beschränken, und darüber hinaus bereit war, die Beschränkung der mit einem fiktiven Steuers atz Wählenden auf die dritten Wählerabteilungen zu billigen. Der Wahlrechtskompromiß stand erst am Ende einer längeren parlamentarischen Auseinandersetzung, in deren Verlauf sich die Durchsetzbarkeit der weitergehenden Zentrumsforderung als aussichtslos erwiesen hatte.

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ximalsteuersatz der ersten Klasse betroffene Wähler, daß die alphabetische Reihenfolge über die Zuteilung zur ersten oder zweiten Wählerklasse entschied. Die Maximierung mußte die Aufstellung der Wählerlisten erheblich erschweren. Der Innenminister wollte aus diesen Gründen keine bindende Erklärung über die Annahme von Maximalsteuersätzen abgeben. 132 Die Beratungen im Herrenhaus sollten später zeigen, daß die Maximierung überhaupt, insbesondere aber ihre Beschränkung auf die Einkommensteuer von der Staatsregierung abgelehnt wurde. Das Zentrum hatte inzwischen die Forderung zur Verdoppelung des fiktiven Steuersatzes aufgegeben, versuchte aber wenigstens den Satz von vier Mark für die nicht zur Einkommensteuer veranlagten Personen durchzusetzen. Die Fraktion verlangte eine Kompensation in Form einer weiteren Herabsetzung der Maximalgrenze von 2000 Mark oder die Einführung von Mindestquoten für die ersten bei den Wählerabteilungen. Nach der entschiedenen Warnung des Innenministers vor einer willkürlichen Erhöhung des fiktiven Steuersatzes, nahm die Kommission nochmals eine Grundsatzdiskussion über die Funktion der Steuerfiktion auf, in deren Verlauf selbst der Wunsch nach ihrer völligen Beseitigung geäußert wurde. Dieser Absicht widersprach jedoch Graf zu Eulenburg. Die Steuerfiktion war für den Innenminister eine politische Notwendigkeit, um Wahlrechtseinbußen solcher Personen zu verhindern, die durch die Steuerreform entlastet wurden. Weder der Maximalsteuersatz noch das Zwölftelungsprinzip konnten den fiktiven Satz von drei Mark überflüssig machen. Bei den Kommunalwahlen in den Städten hatte die Steuerfiktion im übrigen keine wesentliche Änderung der Wählerklassenstruktur nach sich gezogen. Nur in einzelnen Landgemeinden stellte sich schon durch die Fingierung von drei Mark ein Aufrükken steuerfreier Wähler in die zweite Wählerklasse, ausnahmsweise gar in die erste Abteilung ein. Zur Begrenzung dieser nicht beabsichtigten politischen Wirkung einigte sich die Kommission gegen zwei Stimmen dahingehend, das Wahlrecht der staatssteuerlich nicht veranlagten Wahlberechtigten auf die dritte Wählerklasse zu beschränken, am fiktiven Steuers atz in Höhe von drei Mark hingegen festzuhalten. Wenn in der dritten Abteilung nur steuerbefreite Personen wählten, sollte die Bildung der ersten beiden Wählerabteilungen im Verhältnis von fünf zu vier Neuntel der Gesamtsteuersumme vorgenommen werden. Das in der Schlußabstimmung mit 17:4 Stimmen angenommene Wahlverfahren wurde sowohl für die Landtags- als auch für die Kommunalwahlen in Vorschlag gebracht. 133 Am Ende der Kommissionsberatungen stand Paul Langerhans als einziger linksliberaler Vertreter in der Kommission völlig isoliert da. Es half weI32 Dazu, auch im folgenden, KomBer von Tzschoppe, 22. Februar 1893. A1PAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 73, S. 2050-2052. I33 Vgl. die Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse, a. a. 0., S. 2054.

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nig, daß neben dem Berliner Stadtverordneten-Vorsteher noch der Pole Leon von Czarlinski sowie die beiden Zentrumsvertreter Karl Fritzen und Victor Rintelen den Kommissionsbeschluß als nicht weitreichend genug ablehnten. Jede strukturelle Veränderung des Wahlrechts wie etwa die Einführung der geheimen Wahl, bei der Langerhans vergebens auf die Hilfe der Nationalliberalen gehofft hatte, war frühzeitig abgewiesen worden, die antiplutokratischen Effekte des vorgeschlagenen Wahlverfahrens insgesamt wenig effizient. 134 Während der zweiten Plenarlesung betonten die Zentrums abgeordneten und die konservative Fraktion den Kompromißcharakter des Kommissionsentwurfs, der von dem Wunsch getragen wurde, eine möglichst große Mehrheit auf die Wahlrechtsnovelle zu vereinigen, um das Wahlrecht zu stabilisieren und auf absehbare Zeit gegen die fortwährende Agitation zu sichem. 135 Doch der consensus omnium des Kommissionsbeschlusses zerbrach wider Erwarten rasch. Die Freikonservativen opponierten aus Furcht vor strukturellen Veränderungen der Abteilungsverhältnisse in den Landgemeinden gegen den Maximal- und den fiktiven Steuersatz. 136 Die Nationalliberalen, obwohl weiterhin mit der antiplutokratischen Zielsetzung der Wahlrechtsnovelle übereinstimmend, wandten sich gegen die Abteilungsbildung nach Urwahlbezirken, die prinzipielle Verletzung der steuerlichen 134 Rede Langerhans. PAH, 13. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1563. 135 Reden Bachern, von Heydebrand und Graf. PAH, 13. März 1893. A.a.O., S. 1546, 1554 u. 1556. Kühnes These, Dreiklassenwahlrecht, S. 447, daß der Komprorniß zur Änderung des Wahlverfahrens bzw. die Weigerung des Zentrums, während der zweiten Plenarberatung einen Antrag auf namentliche Abstimmung über eine Resolution zugunsten des geheimen Stimmrechts zu unterstützen, "eine Zäsur in der preußischen Verfassungspolitik" markierte, indem die "konservative Wendung des Zentrums" zum ersten Mal "feste Konturen" annahm und anstelle des gemeinsamen vom Zentrum und den Linksliberalen verfochtenen verfassungspolitischen Modernisierungsprogramms eine kulturpolitisch motivierte, durch benachbarte agrar- und mittelstandspolitische Interessen "verstärkte Tendenz zur Anschichtung" an die Konservativen trat, wird dem Kern der Wahlrechtsreform und den Motiven der Partei nicht gerecht. Das Zentrum ging von vornherein mit begrenzten Zielen in die parlamentarischen Beratungen und war in jedem Fall bemüht, zum Ausgleich der konkreten Wirkungen der Steuerreform antiplutokratische Effekte bei der Wählerabteilungsbildung durchzusetzen und in keinem Fall hinter das Gesetz vom 24. Juni 1891 zurückzufallen. Diesem Ziel wurde jede weitergehende Forderung geopfert. Kühne beschränkt sich zudem bei der Beruteilung der allgemeinen Haltung der Parteien zur Wahlrechtsfrage zu sehr auf das Landtagswahlrecht, die Positionen zum Kommunalwahlrecht sind aber für die Entwicklung der Wahlrechtsfrage in Preußen von erheblicher Bedeutung. Die Linksliberalen hielten nach 1878 streng an einem Klassenwahlrecht in den Kommunen fest, ebenso wie das Zentrum ein Zensuswahlrecht favorisierte. 136 Rede von Zedlitz-Neukirch. PAH, 13. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1544 f.

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Wahlrechtsklassifizierung durch die Einführung der Maximierung, die einseitige Beschränkung der steuerlichen Obergrenze auf die Einkommensteuer sowie gegen den verhinderten Aufstieg von steuerbefreiten Wahlberechtigten in die höheren Wählerabteilungen. 137 "Meines Erachtens stellen die Kommissionsbeschlüsse ein Wahlrecht dar", resümierte Robert Friedberg, "welches prinzipwidrig, ungerecht, tendenziös und agrarisch ist".138 Ernst Ludwig Herrfurths immanente Kritik rügte die partielle Aufgabe des Dreiklassensystems, die Ablösung der Klassendrittelung durch einen willkürlich gewählten Divisor, die Nichtanrechnung gezahlter Steuern gegen die Anrechnung fingierter Steuern und die Beschränkung einer Wählerklasse bei der Klassenbildung. 139 Freiherr von Zedlitz-Neukirch stellte nur noch fest, daß der Wunsch, auf der Basis der Kommissionsvorlage eine parteiübergreifende Zustimmung herbeizuführen, gescheitert war. Die Freikonservativen schlugen anstelle des Kommissionsbeschlusses vor, die plutokratische Tendenz der Steuerreform allein durch die Abteilungsbildung auszugleichen, die nach ihrer Vorstellung einem Schlüssel von 45, 33 und 22 Prozent für die erste bis dritte Wählerklasse folgen sollte. 140 Ludwig Herrfurth, der durch die Kommissionsvorschläge nicht das unverhältnismäßige Übergewicht des Großgrundbesitzes und der Großindustrie relativiert sah, beharrte auf der Einführung von Mindestwählerquoten für die ersten bei den Abteilungen. Die Linksliberalen folgten Herrfurths Vorstellungen sowie früheren Verfahrenskonzepten des Fortschritts. Sie erneuerten den bereits während der Kommissionslesungen abgelehnten Zentrumsvorschlag, für die ersten beiden Wählerklassen Mindestquoten von 10 bzw. 20 Prozent festzusetzen. 141 Anschließend beantragten sie die Erhöhung des fiktiven Steuersatzes auf sechs bzw. vier Mark. 142 Die Alternativanträge fanden erwartungsgemäß keine Mehrheit. 143 Ihre antiplutokratischen Effekte hielt man entweder für zu weitreichend oder sie fielen, wie im Falle des freikonservativen Vorschlags, noch hinter den Kommissionsbeschluß zu137 Reden Graf und Friedberg, PAH, 13. März 1893. Aa.O., S. 1555 u. 1565 f. Vgl. den entsprechenden, von Gneist und Hobrecht unterstützten Antrag der Nationalliberalen vom 12. März 1893. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 5, AS Nr. 111, S. 2238. 138 StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1566. 139 A a. 0., S. 1560. 140 Antrag vom 11. März 1893. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 5, AS Nr. 110, S. 2238. Vgl. auch Rede von Zedlitz-Neukirch. PAH, 13. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1544. 141 Antrag vom 11. März 1893. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 5, AS Nr. 108, S. 2236. 142 Vgl. den ebenfalls von den Berliner Linksliberalen unterstützten Antrag Heinrich Rickerts vom 13. März 1893. Aa.O., AS Nr. 113, S. 2239. 143 StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1573 f.

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rück. Graf zu Eulenburg vennutete, daß von Zedlitz-Neukirch offensichtlich "das Mischungsverhältnis" der ersten beiden Wählerabteilungen in sämtlichen Wahlbezirken und nicht nur in Orten, wo hohe individuelle Steuerbeträge anzutreffen waren, verändern wollte. 144 Nicht weniger erfolglos gestalteten sich die Versuche der Freikonservativen und Nationalliberalen, die Klassenbildung nach Urwahlbezirken wieder in das ursprüngliche Verfahren nach Gemeinden umzuwandeln. Eduard Francke, als Berliner Amtsrichter die Verhältnisse der Reichshauptstadt im Blick, machte auf die politischen Folgen der Bezirksdrittelung aufmerksam. Durch den Gegensatz von armen und reichen Stadtteilen würde die Bezirksdrittelung in Berlin, aber auch in anderen Großstädten nur den politischen Einfluß der Sozialdemokratie fördern, die in den Außenbezirken nur die Hälfte der Wählerstimmen in der zweiten Wählerklasse benötigten, um eigene Landtagsmandate zu erringen. Francke rechnete demnächst mit der Vertretung von vier sozialdemokratischen Abgeordneten aus Nord- bzw. Ost-Berlin. Im Falle einer Eingemeindung der Vororte war ein Anstieg der Bevölkerung Berlins auf über zwei Millionen Einwohner zu erwarten, so daß in der Metropole der fünfzehnte Teil der Landesbevölkerung vereinigt war. Langfristig ließ sich diese Bevölkerung nicht auf eine Vertretung durch lediglich neun Abgeordnete beschränken. Von den gegebenenfalls beanspruchten 30 Abgeordneten Berlins durften, so die Vennutung Franckes, "beinahe 24" auf die Sozialdemokratie entfallen. 145 Das Szenario bedrohlich wachsenden sozialdemokratischen Einflusses beeindruckte die konservative Fraktion nicht. Aus den langjährigen Debatten über die Wahlbezirkseinteilung in Preußen wußte man nur zu gut, daß die Bevölkerungsziffer in keinem Fall zum alleinigen Kriterium der Mandatsverteilung und der Feststellung der Wahlbezirke gemacht werden würde. 146 Die Konservativen fragten sich, ob das Berliner Beispiel für sie überhaupt Reden Herrfurth, Graf zu Eulenburg. A. a. 0., S. 1558 u. 156l. Rede Francke. PAH, 14. März 1893. A.a.O., S. 1582. 146 Zur Entwicklung der Wahlbezirke vgl. oben Kap. 8, Unterabschnitt 5. Der Sozialdemokratie gelang es bekanntlich, nachdem sich die Partei auf dem Mainzer Parteitag im Jahre 1900 zur Beteiligung an den Landtagswahlen in den Bundesstaaten mit Dreiklassenwahlrecht durchgerungen hatte, erst im Juli 1908, sieben Mandate zu erringen, von denen allein sechs auf Berliner Wahlkreise entfielen. Vgl. Gage!, Wahlrechtsfrage, S. 177; Fricke, Handbuch, Bd. 2, S. 766 ff. Die Charlottenburger Sozialdemokraten Baake und Hirsch hatten im November 1900 im Zentralwahlverein für den Wahlkreis Teltow-Beeskow-Storkow-Charlottenburg eine Resolution mit der knappen Mehrheit von 31 :28 Stimmen durchgebracht, mit der auf dem Mainzer Parteitag beantragt werden sollte, die bisherige Unklarheit der Parteitaktik in der Landtagswahlfrage zu beenden und allgemein die selbständige Teilnahme der Sozialdemokratie an den preußischen Landtagswahlen zu beschließen. Hirsch hielt die politische Einflußnahme im Landtag schon deshalb für geboten, weil wichtige, auch die Arbeiterklasse betreffende Fragen, wie etwa das Kommunal144

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Bedeutung hatte. Schließlich war es ja die Staatsregierung selbst gewesen, welche die Bezirksdrittelung erneut als tragendes Moment der Abteilungsbildung in die Wahlrechtsnovelle aufgenommen hatte. Ernst vOn Heydebrand fiel es nicht schwer zuzugeben, daß die Gemeinde die primäre Form der Abteilungsbildung darstellte, die selbständige Drittelung nach Urwahlbezirken als Bestandteil des Wahlverfahrensgesetzes vom 24. Juni 1891 dagegen nur einen Komprorniß auf Grund der Steuerreform beinhaltete und dieser selbst nur provisorischen Charakter besaß. Das Provisorium schloß zwangsläufig die Notwendigkeit eines gleichwertigen Ersatzes ein und deshalb konnte die Bezirksdrittelung nicht einfach, wie die Nationalliberalen es wünschten, aufgehoben werden. 147 Da das Wahlverfahren, merkte Freiherr von Huene an, nicht abschließend durch ein Wahlgesetz geregelt, sondern durch die Wahlrechts novelle weiterhin in Form eines Provisoriums festgelegt wurde, ließen sich aus dem Gesetzentwurf, trotz der verschiedenen Bestimmungen mit antiplutokratischem Effekt, kein Anspruch auf Beseitigung der Bezirksdrittelung ableiten. 148 Innenminister Graf zu Eulenburg verdeutlichte, daß es vorerst kein Verfahren gab, das eine der Bezirksdrittelung vergleichbare Wirkung erzielte. Da der Hauptzweck der Gesetzesnovelle in der Einflußminderung der großen Vermögen in den Städten bestand, blieb die Bestimmung von 1891 unverzichtbar. 149 Gegen den Widerstand der National- und Linksliberalen sowie weiten Teilen der freikonservativen Fraktion wurde die Bezirksdrittelung in namentlicher Abstimmung mit 182: 142 Stimmen angenommen. ISO Für das Landtagswahlrecht waren damit die wesentlichen Regelungen des Gesetzentwurfs in zweiter Lesung durchgesetzt. Es fehlte nur noch die abschließende Entscheidung über das Kommunalwahlrecht. Freiherr von Zedlitz-Neukirch, unterstützt von einem Teil der Nationalliberalen, forderte die Abteilungsbildung für die Kommunalwahlen auf der Grundlage der zu entrichtenden "Staats-, Gemeinde-, Provinzial- und Kreissteuern".151 Damit wäre das Prinzip der Steuermaximierung und des fiktiven Steuersatzes aufgehoben worden und folglich in den Kommunen ein abweichendes Wahlrecht zum Zuge gekommen. Die Staatsregierung hatte bei den parlamentarischen Beratungen stets an der Gleichbehandlung der "politischen" und wahlrecht, im Parlament Erledigung fanden. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin C, Tit. 94, Nr. 13213, BI. 175 f. Vgl. auch Vorwärts, Nr. 143, Ausgabe vom 22. Juni 1901. 147 Rede von Heydebrand. PAH, 14. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/ 93, Bd. 3, S. 1584. 148 Rede Freiherr von Huene. PAH, 14. März 1893. A.a.O., S. 1584 f. 149 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 14. März 1893. A.a.O., S. 1588. 150 A.a.O., S. 1600. 151 Vgl. den Antrag vom 14. März 1893. AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 5, AS Nr. 118, S. 2245.

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kommunalen Wahlen festgehalten. Die Freikonservativen glaubten, solange man die Kommunen als wirtschaftliche Gemeinschaften auffaßte, für das Gemeindewahlrecht gesonderte Regelungen treffen zu müssen, die in "organischer" Verbindung mit den Städteordnungen in einem Spezial gesetz Eingang finden sollten. 152 Die Abgeordnetenmajorität schloß sich nicht der Ansicht an, daß die Maximierung wie die Steuerfiktion in den Kommunen zu einer vollständigen Umwälzung der Wahlverhältnisse führte und in den Landgemeinden der bäuerliche Besitz "der Übermacht der nicht Angesessenen" weichen mußte. 153 Die Kongruenz von Landtags- und Kommunalwahlrecht war damit im Sinne der Staatsregierung gesichert. Die zusätzlich aufgenommene Bestimmung über die kommunalrechtlich fixierte Bindung des Wahlrechts an die Entrichtung bestimmter Steuersätze hatte rein deklamatorische Bedeutung. 154 Sie besagte nur, daß die Zensusbestimmungen der Städtordnungen nicht durch die neuen Verfahrensregelungen berührt wurden. Die Anrechnung eines fiktiven Steuersatzes trat lediglich dann ein, wenn die durch das Gemeinderecht festgelegten Bedingungen der Wahlrechtsqualifikation erfüllt waren. Nachdem der Regierungsentwurf auf der Grundlage des Kommissionskompromisses Mitte April endgültig angenommen war,155 wurde er dem Herrenhaus zur Beratung überwiesen. Bis zuletzt hatten die Nationalliberalen und die Freikonservativen ihren Widerstand gegen den Maximalsteuersatz, die Bezirksdrittelung sowie die Übernahme sämtlicher Regelungen für das Gemeindewahlrecht aufrechterhalten. Der Barmener Stadtrat Ernst von Eynern, der inzwischen nicht nur zum Fraktionsvorstand der Nationalliberalen, sondern auch zu den führenden Mitgliedern des Alldeutschen Verbandes gehörte, warf dem Zentrum erneut vor, sich im Vertrauen auf die feste Verbindung mit den Konservativen den Aufstieg zur herrschenden Partei in den Kommunen des Westens sichern zu wollen. 156 Zedlitz-Neukirch machte das Angebot, im Falle einer den freikonservativen Wünschen entgegenkommenden Abänderung der Novelle zur Steuerreform "einstimmig im großen und ganzen" zuzustimmen. 157 Heinrich Rickert drückte im Namen des städtischen Linksliberalismus gar die Hoffnung aus, daß das Herrenhaus gegen 152 Rede Freiherr von Zedlitz-Neukirch. PAH, 14. u. 16. März 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1602 u. 1615 f. 153 Ebd. Vgl. § 3 des RegEntw und § 5 der endgültigen Fassung des Gesetzes. AlPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 73, S. 1054; Bd. 5, AS Nr. 119, S.2247. 154 StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, S. 1601. 155 Vgl. Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 16. März 1893. A.a.O., S. 1603 u. 1725 ff. 156 Rede von Eynern. PAH, 16. März, 11. April u. 27. Juni 1893. A.a.O., S. 1610 u. 1724; Bd. 4, S. 2377. 157 Rede von Zedlitz-Neukirch, PAH, 11. April 1893. A.a.O., Bd. 3, S. 1729.

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die krasse Geltendmachung von Parteiinteressen einschreiten werde, um "ein so absurdes, so sich widersprechendes, prinzipienloses Wahlgesetz" zu Fall zu bringen. 158 Bei dieser Ausgangslage mußten sowohl die im Abgeordnetenhaus obsiegenden Parteien als auch die Staatsregierung im Herrenhaus mit Widerstand rechnen. Die Kritik der Pairskammer gestaltete sich jedoch derart massiv, daß Innenminister Graf zu Eulenburg schon während der Kommissionsberatungen in die Defensive geriet und letztendlich nicht einmal mehr den ursprünglichen Regierungsentwurf retten konnte. Schon während der Schlußberatung im Abgeordnetenhaus hatte der Innenminister den Wahlrechtskompromiß insoweit in Frage gestellt, als er den Maximalsteuersatz definitiv nicht mehr für eine Verbesserung hielt und deshalb nicht zur Annahme empfahl. I59 In der Kommissionsberatung des Herrenhauses wiederholte Eulenburg seine Empfehlung,160 ohne mit diesem Zugeständnis weitergehende Forderungen nach Beseitigung der geplanten antiplutokratischen Verfahrensregelungen verhindern zu können. Das Zwölftelungsprinzip fand in der Kommission, zu deren Mitgliedern mit Wilhelm Schmieding (Dortmund), Friedrich Wegner (Barmen) und Erich Zweigert (Essen) drei westliche und mit Georg Bender (Breslau) und Hugo Braesicke (Bromberg) zwei östliche Städtevertreter gehörten, keine Mehrheit, die Regelung fiel durch Stimmengleichheit. Graf zu Eulenburg mahnte die Kommissionsmitglieder während der zweiten Lesung ohne Erfolg, sich mit der Aufgabe der Maximierung zufriedenzugeben, ansonsten aber den Regierungsentwurf, vor allem das Zwölftelungsprinzip wiederherzustellen. Nur mit knapper Mehrheit wurden die Bestimmungen zur Steuerfiktion und Bezirksdrittelung angenommen. Die Plenarberatung machte deutlich, daß die Pairskammer die Intentionen der Staatsregierung nicht teilte. Was die Regierung als antiplutokratischen Ausgleich charakterisierte, bezeichneten einzelne Mitglieder des Herrenhauses als "eine recht demokratische Besserung in unserem Wahlrecht", als Wahlrechtsbeschränkung des Grund- und Kapitalbesitzes l61 oder gar als "Begünstigung sozialdemokratischer Interessen".162 Die plutokratisierende Tendenz der Steuergesetzgebung zogen einige Pairs überhaupt in Zweifel. Selbst wenn sich eine "plutokratische Verschiebung" des Wahlrechts eingestellt hatte, konnte das nach Auffassung des Grundadels keine gesamtstaatRede Rickert. PAH, 16. März 1893. A.a.O., S. 1610 f. Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 16. März 1893. A.a.O., S. 1616. 160 KomBer, Clemens Graf von Klinckowstroem, 23. April 1893. AIPHH, Sess. 1892/93, Bd. 1, AS Nr. 69, S. 354 f. 161 Rede Fred Graf von Frankenberg und Ludwigsdorf. PHH, 2. Mai 1893. StBPHH, Sess. 1892/93, Bd. 1, S. 181. 162 Rede Karl Freiherr von Stumm-Halberg. PHH, 2. Mai 1893. A. a. 0., S. 183 f. 158

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liche Refonn des Wahlsystems rechtfertigen, die auf eine weitere Reduzierung des politischen Einflusses der besitzenden Oberschicht hinauslief. Seit Bestehen des Dreiklassensystems, so der den Freikonservativen nahestehende Staatsrat Graf von Frankenberg, hatte man den Wählern der unteren Klassen Zugeständnisse gemacht: durch das allgemeine, gleiche und direkte Reichtstagswahlrecht, die Ausdehnung des Wahlrechts im Wege der Provinzial- und Kreisrefonn wie durch die neue Landgemeindeordnung. Das eigentliche Problem war also nicht die Marginalisierung des Wahlrechts der unteren und mittleren Schichten in Preußen, sondern die Absicherung des überkommenen Wahlrechts der ersten Wählerklasse. 163 Unterstützung fand die Staatsregierung vornehmlich von seiten einiger Oberbürgenneister. 164 Wilhelm Becker erläuterte eindringlich am Beispiel Kölns, in welchem Umfang das Zwölftelungsprinzip die durch die Staatseinkommensteuer hervorgerufene zahlenmäßige Reduzierung der ersten beiden Wählerklassen ausglich. Er plädierte deshalb für eine Wiederherstellung des Regierungsentwurfs. 165 Gegen eine weitere Entschärfung der plutokratischen Tendenz des Dreiklassensystems, etwa durch die Maximierung, wandte sich allerdings auch Becker, da mit diesem Verfahren die Wählerzahl in den ersten bei den Abteilungen "ungebührlich" erhöht wurde. 166 Der Kölner Oberbürgenneister blieb mit seinem Vorschlag in der Minderheit. Der Hinweis Georg Benders,167 daß der politische Einfluß des ländlichen Grundbesitzes durch die nicht minder "prinzipienlose" fingierte Anrechnung nicht gezahlter Realsteuern gesichert wurde, konnte die Mehrheit des Hauses in ihrer Entscheidung nicht beeinflussen. Der Antrag Wilhelm von Wedels, anstelle des Zwölftelungsprinzips den Maximalsteuersatz von 2000 Mark beizubehalten, allerdings unter hälftiger Anrechnung der die Steuergrenze übersteigenden Abgaben zur Einkommensteuer,168 erhielt auch eine Absage. Der Hildesheimer Oberbürgenneister Gustav Struckmann scheiterte anschließend mit seinem Versuch, die Aufhebung der Berzirksdrittelung durchzusetzen. 169 Struckmann sah in dieser Regelung eine unzulässige ErRede Graf von Frankenberg. A. a. 0., S. 182. Nach dem Tod Max von Forckenbecks am 26. Mai 1892 war Berlin erst nach der Neuwahl des Magistratsdirigenten wieder im Herrenhaus vertreten. Robert Zelle trat als neues Stadtoberhaupt am 18. März 1893 in die Pairskammer ein. E. David, Handbuch für das preußische Herrenhaus, Berlin 1911, S. 271. An der Debatte zur Wahlrechtsnovelle nahm Zelle nicht teil. 165 Antrag Becker vom 2. Mai 1893. AIPHH, Sess. 1892/93, Bd. 1, AS Nr. 71, S.357. 166 Rede Becker. PHH, 2. Mai 1893. StBPHH, Sess. 1892/93, Bd. 1, S. 190. 167 Rede Bender. PHH, 2. Mai 1893. A.a.O., S. 194. 168 Antrag von Wedel, 2. Mai 1893. AIPHH, Sess. 1892/93, Bd. 1, AS Nr. 72, S.357. 169 Rede Struckmann. PHH, 2. Mai 1893, StPHH, Sess. 1892/93, Bd. 1, S. 198. 163

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

weiterung des Wahlrechts an Personen, die nach ihren Leistungen "an sich" nicht wahlrechtsfähig waren. Wenngleich es einzelne Stimmen gab, die eine Rückkehr zur Gemeindedrittelung ablehnten,170 stand die Aufrechterhaltung dieses Prinzips durch die Mehrheit des Herrenhauses außer Frage. Berichterstatter von Klinckowstroem machte darauf aufmerksam, daß die Regelung bereits im Wahlverfahrensgesetz von 1891 enthalten war, das man ebensowenig aufgeben wie durch die Streichung einer Bestimmung ergänzen durfte, welche die ganze Wahlrechtsnovelle hinfällig machte. l7l Nachdem die Mehrheit diese Auffassung bestätigt hatte, war die Wahlrechtsnovelle im wesentlichen in der Kommissionsfassung angenommen. 172 Der Kompromißvorschlag des Abgeordnetenhauses war gescheitert. Die Staatsregierung hatte eine erhebliche Einschränkung ihres ursprünglichen Reformvorhabens hinnehmen müssen. Im Endergebnis erwies sich die Wahlrechtsreform des Jahres 1893 als Neuauflage der Novelle von 1891, dessen Inhalt von der Staatsregierung und den Kammermehrheiten verteidigt wurde, oder, wie der Mitvorsitzende der Konservativen Graf von Limburg-Stirum es formulierte, die provisorischen Korrektive von 1891 erhielten nunmehr definitiven Charakter. 173 Mit der Bestätigung der Steuerfiktion für die einkommensteuerbefreiten Personen und der Bezirksdrittelung waren zwar entscheidende antiplutokratische Elemente des Wahlrechtssystems behauptet worden. Die Erweiterung der anrechenbaren Steuern, die fingierten Realsteuern und die Beschränkung der nicht zur Staatssteuer veranlagten Personen auf die dritte Wählerabteilung kamen aber einseitig den privilegierten ersten bei den Wählerklassen zugute. Die erste Klasse wurde stärker bevorzugt, als es die Absicht des Wahlgesetzes von 1850 war. Die Zentrumsfraktion zeigte sich derart enttäuscht, daß sie erneut, obwohl die Erfolgslosigkeit von vornherein feststand, die ursprünglich vom Abgeordnetenhaus verabschiedete Fassung der Novelle bzw. als Eventualantrag die Regierungsvorlage zur Abstimmung brachte. 174 Die Berliner Linksliberalen stimmten nunmehr der Regierungsvorlage zu. Für das Ergebnis der Beratungen hatten sie nur beißenden Spott übrig. Noch niemals war, stellte der Stadtverordnete und führende Vertreter der Deutschfreisinnigen Alexander Meyer am Ende seiner letzten Landtagswahlperiode bissig fest, "mit einem so unmäßigen Kraftaufwande leeres Stroh gedroschen worVgl. Rede Georg Graf zu Schlieben, PHH, 2. Mai 1893. A.a.O., S. 188. Rede von Klinckowstroem. PHH, 2. Mai 1893. A.a.O., S. 199. Es war demnach nicht, wie Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 448 f., meint, allein der entschiedene Widerspruch der Staatsregierung, der die Bezirksdrittelung rettete. l72 StBPHH, Sess. 1892/93, Bd. 1, S. 199. 173 Rede von Limburg-Stirum. PAH, 31. Mai 1893. StBPAH, 17. Mai 1893, Bd. 4, S. 2359. 174 StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, S. 2365 f. 170 171

4. Zuspitzung der kommunalen Wahlrechtseinschränkungen

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den".175 Die letzte Entscheidung zugunsten der Herrenhaus-Fassung brachte die Stellungnahme der Staatsregierung. Graf zu Eulenburg, der die Regierungsvorlage nach wie vor für den besseren Entwurf hielt, stellte sich notgedrungen auf den Standpunkt, daß der wahlrechtliche Ausgleich zum Einkommensteuergesetz im wesentlichen durch die Bestimmungen des Wahlverfahrensgesetzes von 1891 vollzogen war. 176 Die Novelle von 1893 wollte nur "vorsorglich" Vorschriften für zukünftige Folgen schaffen. Diesen mußte die Staatsregierung nunmehr ihre Aufmerksamkeit widmen und die "tatsächlichen" Wirkungen der Steuerreform beobachten. Nach der Einschätzung der Staatsregierung ging der konservativ-klerikale Kompromiß des Abgeordnetenhauses über die von der Ministerialbürokratie erwarteten plutokratisierenden Wirkungen der Steuerreform hinaus. Sollte die praktische Entwicklung die Notwendigkeit einer weiteren Reform zeitigen, versprach die Regierung für deren Einlösung gegebenenfalls einzutreten. 177 An dieser Haltung hielt der Innenminister, der um die Abnahme der Wählerzahlen in den privilegierten Wählerklassen bei den Kommunalwahlen wußte, auch nach der Verabschiedung der Wahlrechts novelle fest. 178 Wenn in der die Session 1892/93 schließenden Thronrede geäußert wurde, daß den Verschiebungen des Wahlrechts im Wege der gesetzlichen Abänderung des Wahlverfahrens Rechnung getragen worden war, bedeutete das nicht, so Eulenburg später,179 die sich aus der Untersuchung der realen Verhältnisse ergebenen Reformbedürfnisse künftig zu ignorieren.

4. Die Zuspitzung der kommunalen Wahlrechtseinschränkungen und ihr Einfluß auf die Wahlrechtsreform bis zur Jahrhundertwende Der Berliner Linksliberalismus zeigte, wie die Wahlrechtsdebatte gerade bestätigt hatte, nur ein halbherziges politisches Interesse an einer umfassenden Reform des Dreiklassenwahlrechts. Dieses Desinteresse lag in der engen Bindung von Landtags- und Gemeindewahlrecht begründet. Reformierungen mit einer starken antiplutokratischer Tendenz stellten eine Gefahr Rede A. Meyer. PAH, 3l. Mai 1893. A.a.O., S. 2365. Wenn Hans Herzfeld von einer Verzerrung des Sinns des Dreiklassensystems durch die Bezirksdrittelung spricht (Johannes von Miquel, Bd. 2, S. 313), liegt er der nationalliberalen Kritik auf. Dem staatlichen Reformversuch ging es allein um eine antiplutokratische Revision des Wahlrechts, nicht um eine ständische Restitution wie sie bei Gneist und Herrfurth durchklang. Vgl. auch Gerlach, Geschichte, S. 112 f. 177 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 3l. Mai 1893. A. a. 0., S. 2362. 178 A. a. 0., S. 2365 ff. u. 2378. Das Gesetz wurde zwei Tage nach der zweiten Abstimmung des Abgeordnetenhauses am 29. Juni verkündet. GS 1893, S. 103-104. 179 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 5. März 1894. StBPAH, 18. LP, l. Sess. 1894, Bd. 2, S. 866. 175

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für die Erhaltung der Machtposition des Linksliberalismus in den Kommunen dar. In seiner Berliner Bastion fiel es dem Linksliberalismus nicht schwer, den politischen Immobilismus zu rechtfertigen. Die Metropole bot auf Grund ihrer Bevölkerungsstruktur und sozialsegregierten Stadtstruktur den breiten Anteilen der mittleren und unteren Schichten genügend Gelegenheit zur politischen Einflußnahme der weniger wohlhabenden Einwohner. Von freikonservativer Seite war im Abgeordnetenhaus bemerkt worden, daß der Linksliberalismus dem Dreiklassenwahlrecht mit wenigen Ausnahmen keine prinzipiellen Vorbehalte mehr entgegenbrachte und die Favorisierung des Reichstagswahlrechts für die Landtagswahlen gedämpfter ausfiel. 180 Als die deutschfreisinnige Allianz aus liberaler Vereinigung und Fortschrittspartei im Mai an den differierenden Haltungen zur Heeresvorlage auseinanderbrach, rang sich der um Eugen Richter gruppierte linke Flügel zwar zu der programmatischen Erklärung durch, das Reichstagswahlrecht auf die Landtagswahlen der Einzelstaaten auszudehnen, aber die auf dem Eisenacher Parteitag im September 1894 beschlossene Reformforderung l81 wurde weder im Parlament noch in der Öffentlichkeit mit der notwendigen Entschlossenheit propagiert. 182 Wie sehr das erweiterte Reformprogramm des Linksliberalismus durch machtpolitische Erwägungen überlagert wurde, zeigte sich bei Wahlrechtskritikern wie Ignaz Jastrow. Der um eine liberale Sozialpolitik bemühte Privatdozent, plädierte prinzipiell für den Ersatz des Dreiklassen- durch das Reichstagswahlrecht. Am bestehenden Dreiklassenwahlsystem kritisierte er freilich die Bezirksdrittelung, da sie sowohl die Sozialhierarchie der Großstädte als auch das Verhältnis von Wahlrecht und Steuerleistung durcheinander brachte. Die programmatische Forderung nach Demokratisierung des Landtagswahlrechts schloß darüber hinaus nicht das Stimmrecht in den Kommunen ein. Das linksliberale Parteiprogramm folgte ungebrochen dem Dogma von Leistung und Gegenleistung, das die politische Partizipation in der Gemeinde von den lokalen Steuerleistungen des Einzelnen abhängig machte. "Die Gemeinden stellen andere politische Gemeinschaften dar als 180 Rede Francke. PAH, 14. Januar 1893. StBPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 1, S. 361. 181 Das Gründungsprogramm der Freisinnigen Volkspartei vom 24. September 1894 bei Felix Salomon, Die deutschen Parteiprogramme, H. 2, Im deutschen Kaiserreich 1871-1918, 3 Berlin-Leipzig 1924, S. 91 ff., hier S. 91. Siehe Der zweite Parteitag der Freisinnigen Volkspartei, Eisenach, 22.-24. September 1894, Berlin 1894. 182 Zur zeitgenössischen Kritik vgl. Jastrow, Dreiklassensystem, S. 126 und die später erschienende Schrift von Gerlach, Geschichte, S. 160. Gerlach sieht das Parteiprogramm vor 1894 als Wende des Linksliberalismus an. Ansonsten Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 471 f. Zur Parteiorganisation Nipperdey, Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918 (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 18), Düsse1dorf 1961, S. 217 ff.

4. Zuspitzung der kommunalen Wahlrechtseinschränkungen

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der Staat", wurde auf dem Eisenacher Parteitag erneut behauptet. "Ein am Tage der Aufstellung der Wählerliste in eine Gemeinde eingezogener Schlafbursche sei reichstagswahlberechtigt, aber er habe noch kein Interesse und kein Verständnis für die Fragen des engeren Gemeindewesens. Die flukturierende Bevölkerung sei für das Gemeindewahlrecht keine geeignete Trägerin. Das Recht in einer Gemeinde", so das kommunalwahlrechtliche Resümee des Linksliberalismus, "müsse abhängig sein von der Pflicht einer Steuerzahlung".183 Die besitzbürgerliche Dominanz sollte in den Gemeinden nicht angetastet werden, während die Liberalisierung des Landtagswahlrechts auf eine Integrationspolitik zielte, die sich von der antisozialistischen Repression löste und in Konkurrenz zur Sozialdemokratie den Einfluß des Linksliberalismus auf die Arbeiterschaft stärken sollte. Das Risiko einer widersprüchlichen Wahlrechts politik, insbesondere die Gefahr, durch die Demokratisierung der Landtagswahlen letztendlich auch die Aufhebung der Wahlrechtsungleichheit in den Kommunen voranzutreiben, war den Linksliberalen vermutlich von vornherein bewußt. Ihre zögerliche Haltung in der Wahlrechtsfrage ließ kaum eine andere Deutung zu. In dieser Situation war es ihnen durchaus willkommen, daß die parlamentarischen Machtverhältnisse keine realen Erfolgsaussichten für eine Wahlrechtsreform eröffneten. 184 1883/84 hatten die Sozialdemokraten ihre ersten fünf Mandate in der Berliner Stadtverordneten-Versammlung errungen, 1894 waren es schon 16, im Jahre 1900 schließlich 22 Mandate, ohne daß ein Ende der steigenden Tendenz abzusehen war. In weniger bevölkerungsdichten Städten hingegen, in denen es eine ausgesprochene Polarisierung der sozialen Schichten gab, machte sich die plutokratische Tendenz des Dreiklassenwahlrechts in völlig anderer Weise bemerkbar. Es wurde eine erhebliche Ausdünnung der oberen Wählerklassen deutlich, die sich infolge der Steuerreform weiter verschärfte. Impulse zur antiplutokratischen Reformierung des Dreiklassensystems gingen zunächst von den Vertretern rheinischer Städte aus, in denen sich die Verminderung der Wahlberechtigten vor allem in der ersten Abteilung außerordentlich zugespitzt hatte. Mitunter wurde die gesamte erste Wählerklasse nur durch wenige Mitglieder des Industriebürgertums gestellt. Die Zentrumsfraktion hatte zur Relativierung der Wahlrechtseinschränkungen in 183 Zit. nach Richard Eickhoff, Volkspartei, in: HWBdkW, Bd. 3, S. 20. Dazu auch die resümierenden Anmerkungen bei Langewiesche, Liberalismus, S. 206 ff. 184 So auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 472. Auf die retardierende Wirkung des Liberalismus, die vorwiegend auf die durch Klassenspannungen ausgelösten Anpassung an die bestehenden Gewalten zurückzuführen war, weist Nipperdey hin. Grundprobleme der deutschen Parteigeschichte im 19. Jahrhundert, in: Die deutschen Parteien vor 1918, hrsg. von G.A. Ritter (= Neue Wissenschaftliche Bibliothek, Bd. 61), Köln 1973, S. 50 f. 59 Grzywatz

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rheinischen Großstädten schon während der Kommissionsberatung im Februar 1893 Mindestwählerquoten für jene Stadtgemeinden gefordert, die mehr als 10000 Einwohner besaßen. 185 Die Staatsregierung lehnte zwar vorläufig noch jede differierende Behandlung des Landtags- und Gemeindewahlrechts ab, da aber die plutokratische Wirkung der Steuerreform auf das Wahlrecht in zahlreichen Industriestädten unübersehbar war, ordnete das Innenministerium, um feste Grundlagen für einen möglicherweise notwendigen gesetzgeberischen Handlungsbedarf zu haben, schon nach den Kommunalwahlen im November 1893 entsprechende statistische Ermittlungen an. 186

In der zweiten Augusthälfte ging dem Abgeordnetenhaus eine Petition Dortmunder Bürger zu, die eine Weiterführung der Wahlrechtsreform verlangte. Die Regierung wurde aufgefordert, nachdem die Aufstellung der Wählerlisten im Juli den vollkommen unzureichenden Ausgleich der Wahlrechtseinschränkungen durch das neue Wahl verfahren offenbart hatte, für eine gerechtere Abstufung des Wahlrechts zu sorgen. 187 Innenminister von Eulenburg bestätigte nach probeweisen Ermittlungen die in Dortmund beklagte Tendenz für die Städte über 10000 Einwohner, allerdings ohne ihren allgemeinen Charakter anzuerkennen. Unter den im Jahresvergleich von 1892 zu 1893 untersuchten 139 Städten verzeichneten 31 Gemeinden bei den Kommunalwahlen eine Zunahme der Wähler in den ersten beiden Abteilungen, während die Verschiebungen bei den Abgeordnetenwahlen weitaus weniger dramatisch ausfielen. 188 Da aber die Vermögenssteuer erst zum 1. April 1895 in Kraft trat und die Kommunalsteuerreform noch bevorstand, konnte im März 1894 kein abschließendes Urteil über die Wirkung der Reformen abgegeben werden. Die Regierung erhoffte sich durch die steuerliche Neuordnung des kommunalen Abgabenwesens eine Reduzierung der Zuschläge zur staatlichen Einkommensteuer und insofern einen "durchgreifenden Einfluß" auf die Gestaltung der Wählerabteilungen in den Gemeinden. Frühestens nach den Kommunalwahlen des Jahres 1895 oder jenen des folgenden Jahres sah das Innenministerium den Zeitpunkt gekommen, über eine weitere Abänderung des Wahlgesetzes zu beraten. 185 KomBer von Tzschoppe, 22. Februar 1893. AlPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, AS Nr. 73, Bd. 4, S. 2049. 186 Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 5. März 1894. StBPAH, 18. LP, 1. Sess. 1894, Bd. 2, S. 866. 187 Vgl. KomBer, Ernst Freiherr von Richthofen, 21. April 1894. AlPAH, 18. LP, 1. Sess. 1894, Bd. 3, AS Nr. 146, S. 1919 f. Zu den Ergebnissen der Kommunalwahlen von 1893 vgl. Croon, Auswirkungen, S. 18 ff., 47 ff. u. 53 ff. 188 Vgl. die Stellungnahme des Regierungskommissars Halbey in der Gemeindekommission, AlPAH, 18. LP, 1. Sess. 1894, Bd. 3, AS Nr. 146, S. 1921 f. Rede Graf zu Eulenburg. PAH, 5. März 1894. StBPAH, 18. LP, 1. Sess. 1894, Bd. 2, S. 1866 f.

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Die von der Staatsregierung veranlaßten statistischen Ermittlungen zogen sich bis zum Frühjahr 1897 hin. Erst zu diesem Zeitpunkt verfügte die Regierung nach eigener Darstellung über ausreichendes Material, um die Entwicklung des Gemeindewahlrechts beurteilen zu können. Da zunächst am Gedanken einer gemeinsamen Behandlung des Landtags- und Kommunalwahlrechts festgehalten wurde, wollte die Staatsregierung noch die Landtagswahlen von 1898 abwarten, um zu einem endgültigen Urteil über die Notwendigkeit einer weiteren Wahlrechtsreform zu kommen. In keinem Fall war man bereit, eine neue Gesetzesinitiative lediglich auf jene vereinzelten Nachwahlen zum Abgeordnetenhaus zu stützen, die bereits nach der neuen Steuergesetzgebung erfolgt waren. 189 Immerhin räumte der 1895 zum Innenminister ernannte von der Recke Ende Januar 1898 die Möglichkeit ein, daß die Staatsregierung die Regulierung des Landtagswahlrechts noch aufschob und sich lediglich auf eine Reform des Kommunalwahlrechts beschränkte. 190 Zu diesem Zeitpunkt setzte sich das Abgeordnetenhaus mit einem weiteren Reformantrag der Zentrumsfraktion auseinander, der die Wahlrechtsverschiebungen bei den Gemeindewahlen zu kompensieren beabsichtigte. 191 Da, wie man inzwischen mit einiger Sicherheit wußte, die Steuerreformgesetze auf kommunaler Ebene Veränderungen bei der Klassenbildung hervorriefen, die zwischen sechs und sechzehn Prozent lagen, bei den Landtagswahlen aber eher mit einer geringeren Verschiebung im Verhältnis der Wähler erster und zweiter Klasse zur Gesamtzahl der Wähler zu rechnen war, erschien eine gemeinsame Reformierung des Gemeinde- und Landtagswahlrechts wenig aussichtsreich. Es sei denn, im Abgeordnetenhaus hätte sich inzwischen ein grundlegender Wandel in den Auffassungen der Mehrheitsparteien vollzogen, so daß eine allgemeine Erhöhung der Wählerzahl in der ersten wie zweiten Abteilung von bis zu sechzehn Prozent möglich erschien. Da mit einem solchen Wandel in naher Zukunft nicht zu rechnen war, der Maßstab der Verschiebung bei den Landtagswahlen aber keineswegs die Ungleichheiten des kommunalen Wahlrechts relativieren konnte, blieb nur noch die Möglichkeit, die notwendigen Verfahrensregelungen zum Kommunalwahlrecht in einem besonderen Gesetz zu behandeln. l92 Diesen 189 Vgl. die verschiedenen Erklärungen des Innenministers Eberhard Freiherr von der Recke. PAH, 28. Januar 1896 u. 19. Februar 1897. StBPAH, 18. LP, 3. Sess. 1896, Bd. 1, S. 128 f. u. 136 f.; 4. Sess. 1896/97, Bd. 1, S. 558 f. 190 Rede von der Recke. PAH, 26. Januar 1898. StBPAH, 18. LP, 5. Sess. 1898, Bd. 1, S. 172. 191 Antrag Eduard Fuchs vom 18. Januar 1898. AlPAH, 18. LP, 5. Sess. 1898, Bd. 2, AS Nr. 22, S. 1I 64. 192 Vgl. Rede Fuchs. PAH, 26. Januar 1898. StBPAH, 18. LP, 5. Sess. 1898, Bd. 1, S. 169. 59*

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Weg sollte die Staatsregierung schließlich einschlagen. Zunächst aber wehrte sie den Zentrumsantrag als zu weitgehend ab. Das Zentrum beklagte, daß angesichts des Verhältnisses von direkten und indirekten Steuern in den Kommunen zu Unrecht eine eng begrenzte Gemeindeelite über die Stadtentwicklung, den Ausbau des Schulsystems, die Art der Steuererhebung und die investive Tätigkeit bestimmte. Die Bindung des Wahlrechts an die konkrete Steuerleistung des einzelnen Bürgers brachte die städtische Steuerpolitik ständig in Zielkonflikte. Wenn sozial motivierte Veränderungen der Steuerstruktur vorgenommen wurden, beispielsweise eine Gemeinde bei der Gebäudesteuer von der Veranlagung nach dem Mietertrag auf die nach dem wirklichen Wert überging, war die politische Konsequenz eine Art "Wahlrechtsprogression", in deren Folge ein Teil der Wähler zweiter Klasse seinen bisherigen Status verlor und in die dritte Wählerabteilung eingestuft wurde. 193 Um wenigstens den Zustand von 1891 zu konservieren, plädierte die Zentrumsfraktion wiederum für die Einführung des Zwölftelungsprinzips, gekoppelt mit Mindestwählerquoten in Höhe von zehn und zwanzig Prozent für die ersten bei den Abteilungen. Solange es nur um die Wiederherstellung der vor der Steuerreform vorhandenen Klassenverhältnisse ging, schlossen sich nach konservativer Ansicht Zwölftelung und Mindestwählerquoten aus, da bereits eine der vorgeschlagenen Maßnahmen für die Restituierung des vorreformlichen Wahlrechts ausreichte. 194 Konservative und Nationalliberale hielten an ihrem Widerstand gegen Mindestwählerquoten für die oberen Wählerabteilungen fest. Man sah darin weiterhin eine prinzipielle Verletzung des Dreiklassensystems. 195 Auf Seiten der Linksliberalen machte dagegen der Breslauer Oberlehrer und spätere Leiter des Wemer-von-Siemens-Realgymnasiums im Berliner Vorort Schöneberg, Karl Wetekamp, sowie der Danziger Kämmerer Heinrich Ehlers die Fragwürdigkeit des zu erwartenden staatlichen Reformvorhabens deutlich. Unter Berücksichtigung der Kommunalwahlverhältnisse in Berlin ging es nicht an, daß einerseits die Erhöhung der Wählerquote über den Höchststand von 1854 (8,4 %) hinaus auf zehn Prozent als unerträgliche Maßregel abqualifiziert wurde, andererseits die seit Mitte der fünfziger Jahre zu beobachtende Abnahme des relativen Anteils der ersten Abteilung an der Gesamtwählerschaft bis auf 1,3 Prozent im Jahre 1891 196 nicht in A.a.O., S. 172. Rede von der Recke. PAH, 26. Januar 1898. A.a.O., S. 172. 195 Reden Hans von Dallwitz, von Zedlitz-Neukirch. PAH, 26. Januar 1898. A.a.O., S. 177 u. 179. 196 Vgl. dazu die Tab. 8, 10 u. 18 im Stat. Anhang. Die in der Parlamentsdebatte angegebenen Wählerquoten für die Abteilungen lagen unwesentlich höher, sie wurden anhand der Tabellenwerte korrigiert. 193

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eine Kritik der plutokratischen Tendenz des Dreiklassensystems mündete. 197 Diese Auffassung wurde vom Zentrum geteilt. 198 Die Staatsregierung verstand sie lediglich als politisches Argument für eine weitergehende "Demokratisierung" des Dreiklassenwahlrechts. Ein zehnprozentiger Wähleranteil der ersten Klasse hätte in Berlin, bei Zugrundelegung der Gemeindewählerlisten von 1898, eine absolute Zunahme der Wahlberechtigten von 1216 auf 30869 bedeutet. 199 Selbst wenn der absolute Zuwachs im Verhältnis zur Wählerzahl in der dritten Abteilung gering ausfiel, die politischen Konsequenzen der Klassenquotierung wären einschneidend gewesen. Vor allem in den Großstädten hätte sich die Zusammensetzung der kommunalen Wählerelite grundlegend geändert, tendenziell, so die allgemeine Furcht, auch die erste Wählerabteilung Massencharakter erhalten. Das war für die Ministerialbürokratie wie die rechte Mehrheit des Abgeordnetenhauses politisch nicht akzeptabel, der Zentrumsantrag verschwand daher ohne Erfolg in einer zur Beratung einberufenen Kommission. 200 Es dauerte noch über ein Jahr bis der von der Staatsregierung versprochene Reformentwuf im Mai 1899 dem Abgeordnetenhaus vorgelegt wurde?OI Auf der Grundlage des im Statistischen Büro ausgewerteten Materials bestätigte die Staatsregierung nun detailliert, daß die Anteile der ersten und zweiten Wählerabteilung an der Gesamtwählerzahl gegenüber dem Stand von 1891/92 namentlich in den größeren Städten und den industriellen Landgemeinden stark zusammengeschmolzen waren. Nach Einführung der Steuerreform am 1. April 1895 setzte sich diese Entwicklung in Berlin fort. In geringerem Maße war die gleiche Tendenz in den kleineren Städten und Landgemeinden zu beobachten, während sich in den Städten mit über 10000 Einwohnern und den industriellen Landgemeinden die Verhältnisse stabilisierten. Die Wähleranteile der ersten beiden Klassen stiegen hier in geringerem Umfang wieder an?02 Bei Berücksichtigung der kommunalen Ergänzungswahlen in den Steuerjahren 1896/97 bzw. 1897/98 bestätigte sich die Tendenz einer relativen und absoluten Abnahme der Wählerzahlen in den ersten bei den Klassen sowie eine differierende Entwicklung in den einzelnen Gemeindegruppen?03 Die Staatsregierung sah sich gezwungen, nach einem Verfahren für die Abteilungsbildung zu suchen, das den 197 Vgl. Reden Wetekamp, Ehlers. PAH, 26. Januar 1898. StBPAH, 18. LP, 5. Sess. 1898, Bd. I, S. 175 u. 181. 198 Vgl. Rede Felix Porsch. PAH, 26. Januar 1898. A.a.O., S. 183. 199 Vgl. Tab. 13 im Stat Anhang. 200 StBPAH, 18. LP, 5. Sess. 1898, Bd. I, S. 185 f. 201 Entwurf eines Gesetzes betreffend die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen vom 21. Mai 1899. AlPAH, 19. LP, 1. Sess. 1899, Bd. 4, AS Nr. 194, S. 2443-2693. 202 V gl. Tab. 31 im Stat. Anhang. 203 V gl. Tab. 32 im Stat. Anhang.

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Schrumpfungsprozeß der ersten beiden Wählerabteilungen in Berlin, den übrigen Groß- und Mittelstädten sowie den industriellen Landgemeinden stoppen konnte. Daneben sollte es in der Lage sein, mit größerer Flexibilität auf die ungleichmäßigen Entwicklungen in den verschiedenen Gemeindegruppen zu reagieren. Ein solches Verfahren fand sich nach Ansicht der Staatsregierung durch die Verbindung der Drittelung mit dem Grundsatz, den Wählern mit Steuerbeiträgen, die über der durchschnittlichen Abgabe jedes kommunalen Stimmberechtigten lagen, zumindest ein Wahlrecht in der zweiten Abteilung zu garantieren. Erhöhte oder verringerte sich infolgedessen die auf die erste und zweite Wählerklasse entfallende Gesamtsteuersumme sollte die Abteilungsbildung in Analogie zum Verfahren von 1893 in der Art stattfinden, daß von jener Summe jeweils die Hälfte auf die erste bzw. zweite Wählerklasse fiel?04 In Berlin schloß bei der Novemberwahl des Jahres 1897 die zweite Abteilung mit einer Steuerleistung von rund 944 Mark ab, während der Durchschnittssatz für alle Gemeindewähler nur bei 160 Mark lag. Das vorgeschlagene Verfahren ging demnach in entschiedenerem Maße auf die individuelle Steuerleistung ein. Die bestehenden Abteilungsverhältnisse ließ das Verfahren unberührt, soweit schon ein Wahlrecht in der zweiten Abteilung bestand. Die Reform wurde auf das tatsächliche Bedürfnis beschränkt und erschloß die Fähigkeit, Anpassungen an den zeitlichen und örtlichen Wechsel der Steuer- und Wählerverhältnisse vorzunehmen. Die bisher im Landtag diskutierten Verfahren zeigten nach Auffassung der Staatsregierung eine geringere Anpassungsfähigkeit. Mit der Zwölftelung und den Mindestwählerquoten war nur eine "rein mechanische", die differierenden örtlichen Verhältnisse vernachlässigende Abteilungsbildung erreicht. Dieser Mangel traf auch auf die Einführung absoluter Steuersätze für die ersten bei den Wählerabteilungen zu. Im März 1896 war das Verfahren für die Wahlen zur Zweiten Kammer des Königreichs Sachsen vorgeschrieben worden. Das "reine Durchschnittssystem", das die Drittelung völlig beseitigte, alle Wähler mit überdurchschnittlicher Steuerleistung in die oberen Abteilungen einstufte und dabei nochmal nach dem Maßstab des Steuerdurchschnitts in die erste und zweite Wählerklasse trennte, hielt die Staatsregierung für ungenügend. Dieses System mußte dort versagen, wo die Wählerschaft sich nicht in gewöhnlicher Weise nach Art einer Pyramide aufbaute, vielmehr einen abweichenden oder gar umgekehrten Aufbau zeigte. 205 Für die statistisch erfaßten Landgemeinden und Städtegruppen brachte das neue Verfahren eine erhebliche Entlastung der dritten Wählerabteilung, 204 Vgl. § 2, GesEntw, WAbtG, 1899. AlPAH, 19. LP, 1. Sess. 1899, Bd. 4, AS Nr. 194, S. 2444; zur Begründung A.a.O., S. 2647. 205 A. a. 0., S. 2648 f.

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in den größeren und kleineren Städten wurde der Stand von 1891/92 allgemein unterschritten. In Berlin wäre die Wählerquote der dritten Abteilung von 97,01 auf 90,03 Prozent, im Vorort Charlottenburg wesentlich deutlicher von 94,47 auf 85,20 Prozent zurückgefallen. Die relative Abnahme blieb in Berlin mit 6,98 Prozent allerdings deutlich unter dem Durchschnitt der Städte über 10000 Einwohner?06 Für die ländlichen Kommunen wurde eine, wenn auch nicht gegenläufige, so doch abgeschwächte Entwicklung vorausgesagt. Sowohl in den industriellen als auch den eigentlichen Landgemeinden erreichte die Entlastung der dritten Wählerklasse nicht mehr den Stand von 1891/92. Die relative Abnahme der Wählerzahl in der dritten Abteilung hatte jedoch keinen positiven Einfluß auf den Status der ersten Abteilung. Nach dem Verfahren der Regierungsvorlage zeigte sich ein deutlicher Rückfall der Wählerquote hinter die Verhältnisse der Jahre 1891/92. In Berlin hätte der Wähleranteil dieser Klasse nicht einmal die Hälfte der zu Beginn der neunziger Jahre vorhandenen Quote erreicht. Die Staatsregierung sah im verstärkten Aufrücken der Stimmberechtigten aus der dritten in die zweite Wählerabteilung keine Gefahr für ihren Reformvorschlag, denn ihr Hauptziel bestand darin, die für das Gemeindeleben besonders wichtige Schicht des "besseren Mittelstandes" politisch aufzuwerten. Eine Erweiterung der ersten Wählerklasse hielt die Regierung um so weniger für angebracht, als die steuerkräftige Oberschicht, die durch die Steuerreform am stärksten belastet wurde, nicht in die Lage kommen sollte, ihr bisheriges Wahlrecht mit einer wesentlich größeren Anzahl von Gemeindewählem teilen zu müssen?07 Nur in den Landgemeinden wurde durch das Reformvorhaben die Wählerquote der dritten Abteilung von 1891/92 nicht wiederhergestellt. Aus diesem Umstand durfte nach Ansicht der Staatsregierung nicht unbedingt auf eine plutokratische Verschiebung des Wahlrechts geschlossen werden, da einerseits die dritte Wählerklasse in ländlichen Gemeinden lange nicht so stark besetzt war wie in den Städten und andererseits sich mit der Einführung der Landgemeindeordnung von 1891, die Zahl der Wahlberechtigten überhaupt vermehrt hatte. Die Zulassung Nichtansässiger hatte den Erwerb des Gemeindewahlrechts erleichtert. 208 Die Erweiterung des Gesamtkreises der Wähler bewirkte daneben, daß selbst in dem Fall, wo die Wählerquote der ersten Abteilung konstant blieb, tatsächlich in der sozialen Hierarchie der Bevölkerung eine Erweiterung nach unten stattfand. Soweit durch die geplante Reform einzelne Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung des Wahl206 207 208

Siehe Tab. 33 im Stat. Anhang. AlPAH, 19. LP, 1. Sess. 1899, Bd. 4, AS Nr. 194, S. 2652. A.a.O., S. 2645 u. 2651 f.

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rechts nicht aufzuheben waren, sprach die Staatsregierung von vemachlässigbaren Ausnahmefällen, die ebensowenig zu vermeiden waren wie es gelingen konnte, den gen auen Zustand der Wahlrechtsverhältnisse vor dem Beginn der Steuerreform wiederherzustellen. Der Appell Miquels an die Abgeordneten, die Verabschiedung des Regierungsentwurfs nicht auf die lange Bank zu schieben und mit dem "verhältnismäßig einfachen Gesetz" so schnell als möglich zu Ende zu kommen, fand in der Kammer kein Gehör. 209 Sämtliche Fraktionen waren verärgert, daß ihnen der Entwurf, obwohl die königliche Ermächtigung bereits Ende März vorgelegen hatte, erst in der zweiten Maihälfte übergeben worden war. Die Hoffnung, im wesentlichen dem seit Jahren kumulierenden Reformbedürfnis entsprochen und mit dem Durchschnittsprinzip, wenn auch kein "Universalheilmittel gegen alle Auswüchse des Dreiklassensystems", so doch die Möglichkeiten dessen, was unter Wahrung des politischen Status quo erreichbar war, ausgeschöpft zu haben,210 erwies sich als Täuschung. Allseitiges Einverständnis herrschte im Landtag zunächst nur darüber, die Reform des Kommunalwahlrechts gesondert in einem eigenständigen Gesetz vorzunehmen. Die Auffassung der Staatsregierung mit dem Durchschnittssystem ein Verfahren zur Abteilungsbildung gefunden zu haben, das sich durch eine hohe Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichen Verhältnisse in Stadtund Landgemeinden auszeichnete, teilte die konservative und nationalliberale Fraktion nicht. Von Heydebrand warf dem Innenminister vor, die Bedeutung des Systems allgemein zu überschätzen. Ebenso wie den anderen bereits diskutierten Verfahren zur Abteilungsbildung war auch das Durchschnittsprinzip nach seiner Auffassung willkürlich, weil es immer von der zufälligen Zahl der Steuerzahler in einem bestimmten Bezirk und von der Steuersumme abhängig blieb. Da das Durchschnittsprinzip, einmal statuiert, eventuell auch bei den Landtagswahlen zum Zuge kommen sollte, hielt von 209 Herzfeld, Miquel, Bd. 2, S. 561, stellt den Zeitpunkt der Vorlage des Gesetzentwurfs in unmittelbaren Zusammenhang mit der Drohung des Zentrums, "die Bewilligung der geringfügigen Heeresvorlage von 1899 im Reiche zu gefährden, wenn die Frage des kommunalen Wahlrechts nicht endgültig bereinigt werde". Ebenso soll das Zentrum die Annahme der Kanalvorlage von der Erledigung des Wahlgesetzes abhängig gemacht haben. Nun mögen insbesondere in der klerikalen Presse derartige Versuche der politischen Einflußnahme unternommen worden sein, ob sie aber eine Auswirkung auf die Entwicklung der Wahlrechtsvorlage hatten, muß bezweifelt werden. Die Reform des Landtags- wie Kommunalwahlrechts hatte zu großes Eigengewicht, als daß sie die Parteien von Kompromissen in strittigen parlamentarischen Fragen abhängig machen konnten. Herzfeld verfolgt nicht die inneren Probleme der Wahlrechtsreform, seine Darstellung bleibt insgesamt zu oberflächlich und in der Verkürzung auf parteipolitische Auseinandersetzungen falsch. 210 Rede von der Recke. PAH, 9. Juni 1899. StBPAH, 19. LP, I. Sess. 1899, Bd. 4, S. 2324.

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Heydebrand detaillierte Untersuchungen über die Wirkung des Prinzips für notwendig, um übersehen zu können, welchen Einfluß es auf die Zusammensetzung der dritten Wählerabteilung hatte?!! Der Nationalliberale und zweite Direktor der Berliner Staatsarchive, Karl Sattler, kritisierte die Vernachlässigung des Zwölftelungsprinzips, das zumindest den Vorzug gehabt hätte, bei der Reduktion des politischen Übergewichts der privilegierten Wählerabteilungen nicht nur nach der zweiten Wählerklasse halt zu machen, sondern auch die erste Klasse einzubeziehen. Es lag kein Grund vor, das Durchschnittssystem nicht auf die erste Wählerabteilung anzuwenden. Andernfalls bedeutete die von der Staatsregierung propagierte Stärkung des Mittelstandes nur eine außerordentliche Schwächung des politischen Einflusses derjenigen Wähler, die bislang in der zweiten Klasse wählten. Namentlich in den industriellen Gemeinden mußte man, wie der rheinische Freikonservative Julius Vorster anmerkte, mit einem Aufrücken zahlreicher kleiner Steuerzahler in die zweite Wählerabteilung rechnen, während in der dritten Wählerklasse nur Wahlberechtigte mit verhältnismäßig geringem Einkommen übrigblieben, von denen viele im Jahre 1891 auf Grund der damaligen Zensusbestimmung überhaupt noch kein Wahlrecht besessen hatten. 212 Seitens der Berliner Freisinnigen schloß sich Eugen Richter der nationalliberalen Kritik am Ausschluß der ersten Wählerklasse vom Durchschnittssystem an. Nach der relativen wie absoluten Abnahme der Wahlberechtigten in der ersten Abteilung konnte nicht von der Anwendung dieses Prinzips abgesehen werden, da die nach diesem Verfahren gewonnene Zunahme der Wählerquote von 2,81 auf 3,45 Prozent in den größeren, von 6,09 auf 6,69 Prozent in den kleineren Städten und von 2,12 auf 2,90 Prozent in den industriellen Landgemeinden kaum von einem solchen Ausmaß war, daß die Regierung davor zurückschrecken mußte, die Konsequenzen ihres eigenen Prinzips zu ziehen. 213 Das Zentrum, das dem Regierungsentwurf am positivsten gegenüberstand, bemängelte den Fortbestand einer zu weitgehenden Dominanz der ersten Wählerabteilung. 2 !4 Von Beginn der Beratungen an stellten einzelne Fraktionen die Gleichbehandlung sowohl der Stadt- und Landgemeinden als auch der unterschiedlichen Gemeindegrößenklassen in Frage. Die Konservativen schlugen vor, den Gemeinden bei der Festlegung der Abteilungsgrenzen wie der Anrechenbarkeit verschiedener Steuerarten "ein gewisses Recht der Selbstverwaltung und 211 Rede von Heydebrand. PAH, 6. Juni 1899. Aa.O., S. 2326. Vgl. auch die Rede Sattlers vom gleichen Tag, a.a.O., S. 2329. 212 Rede Vorster. PAH, 9. Juni 1899. Aa.O., S. 2341. 213 Rede Richter. PAH, 9. Juni 1899. Aa.O., S. 2331. 214 Rede Herold. PAH, 9. Juni 1899. Aa.O., S. 2327.

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der Selbstbestimmung innerhalb gewisser Grenzen" zu lassen?15 Gegen den bereits früher geäußerten Gedanken ortsstatutarischer Regelungen waren jedoch nach wie vor die Zentrumsfraktion und die Linksliberalen eingenommen. Eugen Richter deutete allerdings an, satzungsrechtlichen Änderungen zustimmen zu können, soweit sie grundsätzlich nicht Einschränkungen, sondern Erweiterungen des Gemeindewahlrechts zum Ziel hatten?16 Die Staatsregierung hielt, obwohl bereits bei den Vorberatungen des Gesetzentwurfs Erwägungen über ortsstatutarisch geregelte Modifikationen der Abteilungsbildung angestellt worden waren, aus Furcht vor einer Verschärfung der politischen Gegensätze in den Gemeinden an ihrer ablehnenden Haltung fest. 217 Sie neigte wie das Zentrum eher dazu, Stadt und Land kongruenten Regelungen zu unterwerfen. Den von nationalliberaler Seite favorisierten Gedanken, bei der Feststellung des Gemeindewahlrechts von einer Anrechnung der Staats steuern abzusehen, verwarf die Ministerialbürokratie?18 Die Kommissionsberatung war, soviel ließ sich nach der ersten Lesung des Gesetzentwurfs absehen, mit einer Vielzahl von gegensätzlichen Positionen konfrontiert, die eine schnelle parlamentarische Einigung in weite Feme rückten. Die Kommission, in der die Linksliberalen nur durch den Danziger Stadtkämmerer Ehlers vertreten waren, beschloß, zwei Lesungen der Regierungsvorlage abzuhalten. Insgesamt trat sie zu sieben Sitzungen zusammen, eine während der ersten Lesung eingesetzte Subkommission hielt zwei weitere Sitzungen ab. Die strittigen Punkte des Entwurfs waren, um sie noch einmal zusammenzufassen, im wesentlichen die Frage nach den steuerlichen Grundlagen des Gemeindewahlrechts, die Ergänzung oder Ersetzung des Durchschnittssystems durch ein anderes Verfahren zur Abteilungsbildung wie etwa das Zwölftelungsprinzip, die Gleichbehandlung von Stadt- und Landgemeinden sowie die Zulassung ortsstatutarischer Bestimmungen. Der Ausschluß der Staatssteuern bei der Abteilungsbildung beeinträchtigte die Kontinuität der Gesetzgebung und brachte keine erheblichen Veränderungen für die Abgrenzung der Wählerklassen. Nur die soziale Zusammensetzung der Abteilungen ließ eine Veränderung zuungunsten "der Beamten, Geistlichen und Lehrer" und zugunsten der Haus- und Grundeigentümer erwarten. 219 Die Benachteiligung des gebildeten Mittelstands konnte, trotz des in der Subkommission aufbereiteten Regierungsmaterials, nicht abschließend geRede von Heydebrand. PAH, 9. Juni 1899. Aa.O., S. 2326. Rede Richter. PAH, 9. Juni 1899. A. a. 0., S. 2330. 217 Rede Miquel. PAH, 9. Juni 1899. Aa.O., S. 2334. 218 Vgl. auch die Reden Sattlers und des Regierungskommissars Georg Evert. A a. 0., S. 2330 u. 2337. 219 Siehe dazu, wie im folgenden den KomBer Ernst Otto Noelle vom 26. August 1899. AIPAH, 19. LP, 1. Sess. 1899, Bd. 5, AS Nr. 368, S. 3754-3769. 215

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klärt werden. Gleichwohl setzte sich die Regierung mit ihrer Forderung durch, die bisherigen anrechnungsfahigen Steuerarten beizubehalten. Die Zwölftelung hatte die Regierung aufgegeben, wie Miquel in der Kommission ausführte, weil sie nicht für die Landgemeinden geeignet war. Gerade der übermäßige antiplutokratische Effekt des von den Nationalliberalen befürworteten Verfahrens hatte seinerzeit zur Ablehnung im Herrenhaus geführt, bei seiner Erneuerung mußte man wiederum mit der Aufhebung durch die Pairskammer rechnen. Die Regierung machte darauf aufmerksam, daß man die Tragweite des Entwurfs nicht überschätzen sollte. Er ging nicht über die Verhältnisse des Jahres 1891 hinaus. In mehr als einem Drittel der Landgemeinden würde die alte Drittelung bestehen bleiben, d. h. gar keine Änderung eintreten, während in vielen anderen Gemeinden, unter anderem auch städtischen, nur einige wenige Wähler in eine höhere Wählerabteilung aufrückten. Wo demnach schon durch die Drittelung befriedigende Verhältnisse in den Gemeinden geschaffen waren, würde sich die Bildung der ersten und zweiten Abteilung ebenso wie in allen anderen Kommunen jeweilig um ein Zwölftel weiter verschieben. Die Regierung lieferte mit dieser Argumentation vermutlich ungewollt das Stichwort für eine im Gesetz zu verankernde differierende Behandlung von Stadt- und Landgemeinden auf der Basis des Zwölftelungsprinzips. In Anknüpfung an ihren im Februar 1893 gestellten Antrag forderte die Zentrumsfraktion kurzerhand in einer von den Nationalliberalen als Kompromiß unterstützten Ergänzung zum § 2 des Gesetzentwurfs, daß die Wählerabteilungen in Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern durch ein mit Zweidrittelmehrheit beschlossenes Ortsstatut nach dem Zwölftelungsprinzip gebildet werden durften. Die Zwölftelung sicherte in größeren Städten, die Ergänzung der ersten Wählerklasse. Zugleich wurde verhindert, daß die steuerliche Eingangsstufe zur zweiten Wählerabteilung zu weit herunterging. Miquel äußerte prinzipielle Bedenken. Er wollte ortstatutarische Abweichungen von einem allgemeinen Gesetz allenfalls zulassen, wenn diese nicht auf einem generellen Abänderungsrecht basierten und "organisch", d.h. nicht durch politische Gruppeninteressen motiviert, aus den Gemeindekörperschaften hervorgingen. Solange das Satzungsrecht, wie im Kompromißantrag vorgesehen, den Gemeinden nur ein Wahlrecht zwischen zwei Wahl verfahren einräumte und die Änderung von einer Zweidrittelmehrheit in den Stadtverordneten-Versammlungen abhängig machte, wurde den Gemeinden weder ein allgemeines Recht eröffnet noch willkürliche Abänderungen eines Gesetzes ermöglicht, die den kommunalen Frieden stören konnten. Es war in diesem Fall vielmehr dafür gesorgt, daß die durch Ortsstatut vollzogene Abänderung der gesetzlichen Regel in einer Form geschah, die der Wirkung eines "festen Gesetzes" ähnelte. Der Vizepräsident

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des Staatsministeriums gab damit bereits zu erkennen, daß die Regierung einem entsprechenden Beschluß des Abgeordnetenhauses keinen nennenSwerten Widerstand entgegensetzen würde. Vorläufig hielt die Staatsregierung an ihrem Entwurf fest, zumal sich der Kompromißvorschlag schon in der Kommission als wenig tragfähig erwies. Vor allen Dingen rief die Forderung nach einer Zweidrittelmehrheit der Gemeindevertretungen für den Erlaß eines Ortsstatuts sowie die Frage seiner aufsichtsrechtlichen Genehmigung unterschiedliche Stellungnahmen hervor. Es war umstritten, ob der zuständige Bezirksausschuß die Befugnis zu einer materiellen Prüfung der Ortsstatute, mithin ihrer Zweckmäßigkeit, hatte oder ob ihm nur das Recht einer formellen Prüfung zustand. Das hieß die Entscheidung der Frage, inwieweit alle Bedingungen für die Einführung und Verabschiedung der Statute erfüllt worden waren. Die Nationalliberalen bestanden auf einer nur formellen Prüfung der Ortsstatute, zugleich wollten sie die Verabschiedung eines Statuts nur VOn einer einfachen Mehrheit abhängig machen. Nach Auffassung der Staatsregierung war die Zulassung einfacher Mehrheiten nur dann möglich, wenn der Erlaß eines Ortsstatuts mit der aufsichtsrechtlichen Genehmigung gekoppelt wurde. Zu einer abschließenden Einigung kam es in dieser Frage nicht mehr, die Kommission sprach, wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck des für den 29. August angeordneten Sessionsschlusses, die Empfehlung aus, dem Regierungsentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung zu versagen. Gleichwohl war das weitere Vorgehen der Staatsregierung in der Kommunalwahlrechtsfrage weitgehend festgelegt. Wie Vizepräsident Miquel erläuterte, hatten staatliche Gesetze die plutokratischen Wahlrechtsverschiebungen in den Gemeinden verursacht. Es war daher staatliche Aufgabe, diese Folgen zu beseitigen und für die wahl rechtliche Stabilität in den Gemeinden zu sorgen. Die Regierungsvorlage stellte zwar die beste Lösung dar, um einen "permanente(n) Krieg um das Wahlrecht" zu verhindern, da aber die Zwölftelung in den größeren Städten überhaupt und in den rheinischen Großstädten insbesondere besser geeignet war, die plutokratisierenden Effekte der Steuerreform aufzuheben, mußte diesen Gemeinden nunmehr in Einzelfragen ein beschränktes Statutarrecht verliehen werden. In der Kombination des Regierungsentwurfs mit dem Zentrumsvorschlag zur statutarischen Regelung der Zwölftelung in den größeren Städten lag somit die zukünftige Lösung der Gemeindewahlrechtsfrage. Während der parlamentarischen Beratung und der Kommissionslesungen hatte es nur noch vereinzelte Anmerkungen zur weiteren Reform des Landtagswahlrechts gegeben, die Abkoppelung der Reformierung des kommunalen Wahlsystems zu den Gemeindevertretungen vom staatlichen Wahlrecht war endgültig. Spätestens seit der im Jahre 1895 VOn Georg Evert herausgegebenen statistischen Bearbeitung der Abgeordneten- und Gemeindewah-

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len von 1893 220 sah man die vielfach geäußerten Vermutungen und Probeermittlungen bestätigt, welche eine beschleunigte, durch die Steuerreform verursachte Plutokratisierung des Landtagswahlrechts verneinten. Diese Erfahrung unterstrichen die Ergebnisse der Landtagswahlen von 1898. Die Bildung der ersten Wählerabteilung entwickelte sich seit 1855 zwar kontinuierlich "oligarchischer", aber während sich dieser Prozeß in der obersten Wählerklasse auch nach den Reformen von 1891 und 1893 fortsetzte, zeigte sich in der zweiten Wählerabteilung keine einheitliche Entwicklungslinie. Der Anstieg des Wähleranteils wies gegenüber dem Stand des Jahres 1888 nach 1893 eine unterschiedliche Ausprägung auf. Im Jahre 1888 lag der Wähleranteil der zweiten Abteilung mit 10,82 Prozent am niedrigsten, 1893 erreichte er die Quote von 12,06, fünf Jahre später 11,36 Prozent, wobei die Wahl von 1898 durch die günstige konjunkturelle Entwicklung "oligarchisch" beeinflußt war. 221 Nach Everts Auffassung konnte für die Zeit nach 1891 "im großen und ganzen" nicht von einer plutokratischen Verschiebung des Wahlrechts gesprochen werden. Nach der Beruhigung der Konjunktur war damit zu rechnen, daß der Druck der Steuerleistung von oben her geringer ausfiel und folglich noch eine größere Anzahl von Wählern in die oberen Klassen aufstieg. Relativiert wurde dieses Gesamturteil lediglich durch die differierende Entwicklung in Stadt und Land. Während in den Städten am Ende des Zeitraums von 1888 bis 1898 ebenso die erste wie die zweite Wählerabteilung schwächer besetzt war als zu Beginn der Dekade, hatte sich die Wählerquote der ersten Klasse auf dem Lande nur unwesentlich vermindert, die der zweiten Klasse hingegen um einen ansehnlichen Bruchteil vermehrt (von 11,26 auf 12,75 Prozent). Unter den Städten waren es wiederum die Großstädte mit über 100000 Einwohnern, in denen die Besetzung der ersten Wählerabteilung im Vergleich der Wahljahre 1893 und 1898 besonders schwach ausfiel. Allgemein blieb sie in der Mehrzahl der Städte unter zwei Prozent. Berlin und Aachen wiesen innerhalb dieser Städtegruppe im Jahre 1898 mit 1,64 und 1,56 die niedrigste Wählerquote in der ersten Abteilung auf. Nur in Charlottenburg und Dortmund hatte sich der Wähleranteil der ersten Klasse zwischen den Wahlen von 1893 und 1898 erhöht, in allen anderen Städten mit über 100000 Einwohnern war die Quote mehr oder weniger stark zurückgegangen. 222 Die Bezirksdrittelung, die Steuerfiktion und die gemeinsame Anrechnung von Kommunal- und Staatssteuern zeigte demnach in den ländlichen Gemeinden einen stabileren antiplutokratischen 220

V gl.

Evert, Die Staats- und Gemeindewahlen im Preußischen Staate

(= ZSdKBrSB, Erg.-H. 17), Berlin 1895.

221 Evert, Landtagswahlen, S. 123. Die statistischen Erhebungen weisen allerdings eine erhebliche Lücke zwischen den Jahren 1867 und 1888 auf. 222 A. a. 0., S. 124 ff.

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Effekt. Die Zuspitzung der Abteilungsbildung in den 18 Großstädten war aber insgesamt nicht so brisant, daß sie eine neue staatliche Gesetzesinitiative zur Reform des Landtagswahlrechts begründen konnte. Durchschnittlich sank die Wählerquote der ersten Klasse in dieser Gruppe von 2,41 im Jahre 1893 auf 2,22 Prozent bei der nächsten Landtagswahl im Jahre 1898, der Anteil der zweiten Abteilung veränderte sich im gleichen Zeitraum nur unwesentlich von 9,06 auf 8,94 Prozent. 223 Die Bestrebungen der bürgerlichen Parteien richteten sich, soweit sie nicht eine Abschaffung, sondern eine Reform des Dreiklassensystems anstrebten, in den folgenden Jahren nicht mehr auf steuerrechtlich begründete Abteilungsverschiebungen, sondern auf jenes Ungleichgewicht des Wahlrechts, das sich aus der Wahlkreiseinteilung ergab und die Städte wie die städtischen Wahlberechtigten entscheidend benachteiligte. 224 Das Statistische Büro verwandte große Mühe darauf, das Verhältnis von Wahlrecht, Steuerleistung und sozialer Schichtung der Wählerschaft detailliert aufzuschlüsseln. Die als denunziatorisch empfundene Kritik der "Wahlkuriosa" sollten auf der einen Seite entschärft, die politische Existenzberechtigung des Dreiklassensystems über den Nachweis der Kongruenz zwischen der Sozialstruktur der Wahlberechtigten und der Abteilungsbildung auf der anderen Seite unterstrichen werden. Wichtig waren in diesem Zusammenhang die steuerlichen Eingangsstufen zu den Wählerabteilungen. Die steuerliche Obergrenze der dritten Wählerklasse lag in der Mehrheit der städtischen Urwahlbezirke bei einem Einkommen zwischen 1500 und 2700 Mark. Ein derartiger Jahresverdienst fiel auf größere, wenn auch nicht gerade reiche Gewerbetreibende, den "kleineren" Mittelstand und Personen mit höherer Schulbildung, die ohne erhebliches Vermögen waren. In den übrigen städtischen Urwahlbezirken reichte die Einkommensobergrenze von 2400 bis 6500 Mark und schloß damit den "besseren" Mittelstand ein: Ärzte, mittlere Beamte und selbständige, "aber noch auf angestrengte Berufsarbeit angewiesene Gewerbetreibende". Nur in etwa vier Prozent der städtischen Urwahlbezirke begann der Eintritt in die zweite Wählerabteilung mit einer Steuerleistung von 1000 Mark. Die zweite Wählerklasse gehörte demnach, erklärte Evert, in neun Zehntel der städtischen Urwahlbezirke zum Einflußgebiet des Mittelstands in seinen verschiedenen Abstufungen, teilweise sogar noch tieferer sozialer Schichten. 225 In den ländlichen Urwahl bezirken konnte noch weniger als in den Städten von einer schweren Zugänglichkeit zur zweiten Abteilung die Rede sein. Die Einkommensobergrenze der dritten Abteilung lag hier mehrheitlich unter 1500 Mark, so daß bereits jede "wirkliche" Steuerleistung die zweite Wäh223 224 225

A. a. 0., S. 129. Vgl. dazu Kap. 10, Unterabschnitt 1. Zum folgenden Evert, Landtagswahlen, S. 131 ff.

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lerabteilung erschloß. Selbst der Eintritt in die erste Wählerabteilung wurde mehrheitlich vom "besseren" Mittelstand beherrscht, in den städtischen Urwahlbezirken waren es die Einkommen zwischen 6000 und 6500 Mark, in den ländlichen Bezirken die zwischen 2400 und 2700 Mark. Evert sah deshalb durch das Dreiklassensystem nicht die Dominanz einer einzelnen Gesellschaftsklasse begründet, schon gar nicht im oligarchischen Sinn. Die soziale Schichtung der Bevölkerung fand vielmehr in der Abteilungsbildung und Verteilung des Wahlrechts einen mehr oder weniger adäquaten Ausdruck. Die Ungleichmäßigkeit der steuerlichen Abteilungsgrenzen sah Evert nicht als Verstoß gegen die Grundsätze des preußischen Wahlrechts an. Die Forderung, die steuerliche Zugänglichkeit der Abteilungen innerhalb des ganzen Staatsgebiets regelmäßig zu gestalten, beruhte für Evert auf einer "rein mechanischen Auffassung" des Dreiklassensystems, dessen Vorzüge eben in seiner Anpassungsfähigkeit an besondere örtliche und landschaftliche Verhältnisse bestanden. Folglich mußten zwischen wohlhabenden oder armen Bezirken notwendige Diskrepanzen der Steuergrenzen vorhanden sein. Mochten, wie Evert zugab, die teilweise erheblichen Abweichungen von den regelmäßigen Steuergrenzen der Wählerabteilungen innerhalb einer einzelnen Gemeinde bedenklich sein, insbesondere wenn es wie in Berlin bereits bei nachbarlichen Verhältnissen zu extremen Gegensätzen kam. Diese Erscheinungen waren in ihrer "Bedeutung gegenüber der regelmäßigen Gestaltung der Dinge nicht ernst genug", um das Dreiklassensystem als solches zu diskreditieren. Die historische Kritik hat stets an jenen von Evert als vernachlässigbar eingestuften Wahlkuriosa angesetzt, um die Absurdität des ganzen Dreiklassensystems bloßzustellen?26 Die Wahlkuriosa dienten gleichzeitig auch der strukturellen Kritik. D. h., sie dienten dem Nachweis, daß der Anspruch des Systems auf Abbildung der sozialen Dreigliederung der Gesellschaft in der Praxis nicht eingelöst wurde. 227 Erst die neuere historische Wahlforschung hat die zeitgenössischen Untersuchungen ernst genommen und deren Ergebnisse zum Ausgangspunkt immanenter Analysen über die Wirkungsweise des Dreiklassensystems gemacht. Doch auch diese Versuche enden schnell in einer summarischen Kritik, indem die historische Statistik in der Konfrontation mit dem Instrumentarium moderner sozialwissenschaftlicher Methodik und Begriffsbildung ihrer Grobmaschigkeit, Ungenauigkeit und mangelnden Präzisierung bei der Abgrenzung der benutzten Kategorien überführt wird. 228 226 Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 91 f. Vogel/Nohlen/Schulze, Wahlen in Deutschland, S. 126 f. Ritter/Niehuss, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, S. 135 f. Die genannten Arbeiten folgen im wesentlichen der liberalen Kritik Jastrows und Gerlachs. 227 Vgl. vor allem Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 91.

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Für die Beurteilung der Frage, ob das Landtagswahlrecht einer weiteren Reform zu unterziehen war, spielte die allgemeine plutokratische Struktur des Dreiklassensystems überhaupt keine Rolle. Sie wurde weitgehend akzeptiert. Selbst die Linksliberalen stellten sie, soweit es um das Gemeindewahlrecht ging, nicht in Frage. Einigkeit herrschte auch darüber, daß die volkswirtschaftliche Entwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer gewissen Reduktion der Wähleranteile der ersten bei den Abteilungen geführt hatte, die auf Grund ihres strukturellen Charakters hingenommen werden mußte. Sobald sich aber durch den gewollten gesetzgeberischen Eingriff die Abteilungsverhältnisse weiter zuspitzten, bestand ebenso die Möglichkeit wie die Notwendigkeit den Status quo wiederherzustellen. Bis zu diesem Punkt herrschte zwischen den Parteien weitgehend Übereinstimmung. Meinungsverschiedenheiten ergaben sich nur aus der differierenden Beurteilung des Status quo als Grundlage des Reformvorhabens und der Wirkungsträchtigkeit der einzelnen Verfahrensregelungen, die allesamt auf der Furcht vor politischen Machtverlusten basierten. Die Statistik hatte in dieser Situation nicht die Aufgabe, das Dreiklassensystem zu rechtfertigen, das stand sowieso nicht zur Disposition und war im übrigen mit statistischen Mitteln überhaupt nicht zu unterstützen. Die Statistik sollte lediglich Aufklärung über die Wirkungsweisen der Steuer- und Wahlreform schaffen und auf diese Weise die Grundlage für weitere politische Entscheidungen in der Wahlrechtsfrage bilden. Methodisch ist zwar Everts Verfahren zu kritisieren, Einkommensermittlungen zur alleinigen Grundlage von Schichtzuweisungen zu machen, nicht minder seine eher "prosaische" Definition der einzelnen Schichten, aber sein Bemühen, durch die Beobachtung der Steuerleistungen und der Einkommensentwicklung den Charakter der Abteilungsbildung offenzulegen, ist nicht nur legitim, sondern auch der alleinige Weg zum Nachweis plutokratisierender Effekte des Wahlverfahrens. Aus der von Evert festgestellten Dominanz mittlerer Einkommens- und Steuerstufen bei der Ausübung des Wahlrechts kann nicht auf den Mittelstandscharakter des Dreiklassensystems geschlossen werden, da der Schichtbegriff gemeinhin nicht durch ein einzelnes Merkmal definiert ist. Eine Tendenz über die soziale Wirkungsweise des Wahlrechts läßt sich hingegen durch die Untersuchung der Steuerleistungen und Einkommen sowie der Abteilungsbildung ermitteln. Daß auf diese Weise gewonnene Verteilungsbild der Einkommensgruppen auf die Wählerklassen entzieht sich jedoch auf Grund seiner Eindimensionalität jeder Parallelität zur gesellschaftlichen Sozialstruktur. Insoweit trägt Everts These vom Abbild der "allgemeinen sozialen Abstufung" in der konkreten Wählerklassenbildung apologetischen Cha228

Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 453 f.

5. Stabilisierung des Dreiklassenwahlrechts nach 1900

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rakter, was allerdings nur für die Gesamtbeurteilung des Dreiklassensystems von Bedeutung ist, nicht aber für die Entscheidung über Wahlverfahrensregelungen. In dieser Hinsicht gelang der Nachweis, daß bei der Abteilungsbildung für die Landtagswahlen der Status quo des Jahres 1891, den die Staatsregierung stets von neuem als Ausgangspunkt der Reform hervorhob, mehr oder weniger erhalten geblieben war. Auf kommunaler Ebene war dieser Status quo 229 dagegen, zum Teil in krasser Form abhanden gekommen. 5. Die Stabilisierung des Dreiklassenwahlrechts in den Gemeinden nach 1900 - Abteilungsrestituierung und politische Desintegration

Die zur Restitution der Abteilungsverhältnisse aufgeforderte Staatsregierung, die nach wie vor an einer schnellen Lösung der Wahlverfahrensvorschriften interessiert war, legte nur wenige Wochen nach Eröffnung der neuen Sitzungsperiode einen abgeänderten Gesetzentwurf zur Bildung der Wählerabteilungen vor. 230 Vor der Ausarbeitung der Regierungsvorlage hatte das Innenministerium in den Provinzen Brandenburg, Posen, Westpreußen, Schlesien und Westfalen sowie der Rheinprovinz Konferenzen durchführen lassen, auf denen die Ober- und Regierungspräsidenten, die Landräte und die Bürgermeister zahlreicher größerer und kleinerer Gemeinden über die Eignung der einzelnen Verfahren zur Aufhebung der Wahlrechts verschiebungen Stellung nahmen. Die Mehrzahl der Teilnehmer sah das Bedürfnis für eine Reform nur in den größeren Städten, in denen sich allein eine erhebliche Plutokratisierung des Wahlrechts bemerkbar gemacht hatte?3l Die Regierung folgte diesen Stellungnahmen und zog gegenüber dem Vorjahresentwurf in noch weitreichenderer Form die Konsequenz aus den statistischen Ermittlungen. Die Wahlverfahrensreform wurde lediglich auf die Städte mit über 10000 Einwohnern beschränkt. Die Regierungsvorlage hielt zwar am Durchschnittsprinzip fest, in Anknüpfung an die vorjährigen Kommissionsberatungen wurde aber seine Ersetzung durch das Zwölftelungsprinzip im Wege orts statutarischer Regelung zugelassen. 232 Die allge229 Zur Erinnerung nochmals: Der Status quo von 1891 meint immer die Abteilungsverhältnisse aus der Zeit vor der Steuerreform, die mit der Verabschiedung des Gewerbe- und Einkommensteuergesetzes in der zweiten lunihälfte 1891 einsetzte. 230 Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen vom 15. Februar 1900. AlPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 2, AS Nr. 51, S. 1258-1263. 231 Rede Innenminister Georg Freiherr von Rheinbaben, PAH, 23. Februar 1900. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 2, Sp. 1823. 232 AlPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 2, AS Nr. 51, S. 1261. Die folgenden Zitate, S. 1262. 60 Grzywatz

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meine Zielsetzung, die Abteilungsverhältnisse aus der Zeit vor der Steuerreform zu restituieren, ergänzte die Staatsregierung in ihrer neuen Vorlage durch die politische Absicht, den Einfluß der Sozialdemokratie in den Kommunen merklich einzuschränken. Das Durchschnittsprinzip wirkte schon für sich in zahlreichen Städten über das Maß der Abteilungsstärke im Jahre 1891 hinaus, so daß es namentlich in Orten mit einer starken Arbeiterbevölkerung "zu einer fortschreitenden Demokratisierung des Wahlrechts" beitrug. Die zunehmende Steuerkraft der unteren Bevölkerungsschichten mußte, sobald ihr Einfluß nicht durch eine entsprechende Steigerung der größeren Einkommen paralysiert wurde, die Geamtsteuersumme immer weitergehend herabdrücken und schließlich auch die Abteilungsverhältnisse des Jahres 1891 unterschreiten. "Eine derartig fortschreitende Demokratisierung", so der Tenor der Regierungsvorlage, mußte aber "im Hinblick auf das systematische Bestreben der Sozialdemokratie, in die Gemeindeverwaltungen zu gelangen, als politisch in hohem Maße bedenklich angesehen werden". Den Gemeinden sollte zukünftig ein Instrument an die Hand gegeben werden, mit dem sie in bestimmten Abständen den Status quo von 1891 erneuern konnten. Dieses Instrument glaubte die Staatsregierung in einer prozentualen Steigerung des jeweilig maßgebenden durchschnittlichen Steuersatzes gefunden zu haben. Da unbedingt eine zu weit gehende Freiheit ortsstatutarischer Festsetzungen verhindert werden sollte, legte der Entwurf einen Höchstsatz in Form eines die steuerliche Durchschnittsleistung bis zur Hälfte übersteigenden Betrages fest. 233 Die Beschränkung statutarischer Abänderungen wurde jedoch insoweit relativiert, als den Gemeinden bei der Bestimmung des "bis zur Hälfte" ein weiter eigenständiger Gestaltungsraum überlassen wurde. Eine Form gemeindlicher Autonomie, die im Abgeordnetenhaus nicht ungeteilte Zustimmung fand. Die Staatsregierung hatte im Hinblick auf die Abbildung der sozialen Dreigliederung der Bevölkerung im Wahlrechtssystem weder Regelungen zur Anrechnung oder zum Ausschluß der fingierten Steuersätze noch zur Klassenzuweisung der steuerlich Nichtveranlagten getroffen. Während sie in den Kommissionsberatungen noch "vor zufalligen Mehrheiten" beim Erlaß von Orts statuten gewarnt hatte, sah sie nunmehr in der Absicht, das Zustandekommen von Ortsstatuten allgemein zu erschweren und VOn qualifizierten Mehrheiten abhängig zu machen, eine Gefahrdung ihrer politischen Zielsetzungen. Der Gesetzentwurf befürwortete deshalb eine Beschlußfassung mit einfacher Mehrheit in den Gemeindevertretungen, wie sie auch für alle anderen Arten von Ortsstatuten in den Gemeindeverfassungsgesetzen vorgesehen war. Die Abwehr fortgesetzter "Verfassungskämpfe" in den Kommunen 233

Vgl. § 3, Ziff. 1 des Gesetzentwurfs, a.a.O., S. 1259 u. 1262.

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sollte durch die Bindung der orts statutarischen Regelungen an Zehnjahresfristen erreicht werden. D.h. nach Verabschiedung eines Orts statuts bestand erst nach Ablauf von zehn Jahren die erneute Möglichkeit der Abänderung. Im übrigen bedurften die Einführung, Abänderung und Aufhebung der Ortsstatute der Bestätigung durch den Kreis- bzw. Bezirksausschuß. Gegen den Beschluß des Regionalorgans sollte die Beschwerde beim Provinzialrat zulässig sein. 234 Die Aufsichtsbehörde hatte insbesondere dafür zu sorgen, daß die Gemeindevertretungen bei der ortsstatutarischen Regelung das für die Beseitigung der Wahlrechtsverschiebungen am besten geeignete Verfahren wählten. 235 Zu Beginn der parlamentarischen Beratung bemerkte der erst im Vorjahr zum Innenminister ernannte von Rheinbaben, der Staatsregierung hätte "jede Einseitigkeit in politischer und konventioneller Hinsicht" ferngelegen?36 Die Ausgrenzung der Sozialdemokratie konnte wohl kaum deutlicher ausgesprochen werden. Nur die Linksliberalen kritisierten den politisch instrumentellen Charakter des Reformvorhabens und warnten vor den politischen Folgen der Desintegration. Im Gegensatz zu ihrem ausgrenzenden Verhalten gegenüber dem Kommunalkonservativismus 237 in den achtziger Jahren, plädierten die Linksliberalen nunmehr für einen allgemeinen politischen Integrationismus, der die Sozialdemokraten ebenso zur positiven Zusammenarbeit wie zur Aufgabe sozialpolitischer "Phantastereien" zwingen sollte. Die Konstruktivität sozialdemokratischen Kommunalengagements hatte sich in den städtischen Körperschaften Berlins bestätigt, um so weniger fürchteten die Linksliberalen, wie der Stadtverordnete Robert Kreitling erläuterte, die zunehmende Beherrschung der dritten Wählerabteilung durch die Sozialdemokratie. Selbst ein weiteres Vordrängen in die zweite Wählerklasse konnte man nach seiner Ansicht gelassen hinnehmen, da durch die staatlichen Aufsichtsrechte jeder Zeit die Möglichkeit der Kontrolle und der Einflußnahme in den Kommunen gegeben war?38 Diese politische Gelassenheit brachten die übrigen Parteien nicht auf. Die Nationalliberalen fürchteten bei einem weiteren Eindringen der Arbeiterpartei in die Gemeindevertretungen, wie der in Aachen lehrende Nationalökonom Richard van der Borght warnte, der Sozialdemokratie die besten Mittel in die Hand zu geben, um die städtische Bevölkerung fortwährend in Unruhe zu halten. Durch ständig wiederholte Anträge, Vorschläge und EinVgl. § 4 des Gesetzentwurfs, Aa.O., S. 1259 u. 1263. Rede von Rheinbaben, PAR, 23. Februar 1900. StBPAR, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 2, Sp. 1826. 236 A a. 0., Sp. 1823. 237 Vgl. oben Kap. 8, Unterabschnitt 3. 238 Rede Kreitling. PAR, 23. Februar 1900. A a. 0., Sp. 1870. Vgl. auch die Rede von Louis Wintermeyer, A a. 0., Sp. 1859 f. 234 235

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wände könnte nur allzu leicht in den breiten Schichten der Bevölkerung der Eindruck erzeugt werden, als ob die übrigen Mitglieder der städtischen Körperschaften die Interessen der unteren Schichten ignorierten und allein die Sozialdemokratie deren Vertretung wahrnahm?39 Die konservativen Parteien teilten diese Befürchtung. Sie unterstützten aus diesem Grund die Ausgrenzungsstrategie der Regierung. Die Zentrumsfraktion nahm eine ähnlich reservierte Haltung gegenüber der Sozialdemokratie ein, verband sie jedoch mit einer Kritik an der Vernachlässigung des Mittelstands in der staatlichen Wahlrechtspolitik. Die Ausübung des Kommunalwahlrechts war ja nicht nur durch die Regelung des Dreiklassensystems, sondern auch durch die Zensusbestimmungen der Städteordnungen erschwert. Nahm man aber selbst bei fortlaufend steigenden Löhnen an, daß die Sozialdemokraten eines Tages die ganze dritte Wählerklasse beherrschen könnten, blieb eine solche Entwicklung unerheblich, so das Zentrumskalkül, wenn die zweite Wählerabteilung durch die "geschlossene Phalanx" eines "gesund organisierten und gesund entwickelten Mittelstands" nach unten hin abgeriegelt war und in der ersten Klasse durch "sozial richtig denkende reiche Leute" ergänzt wurde. 24o Das Zentrum sah den Mittelstand, "wo der Besitz in Gemeinschaft mit der Arbeit" war, in der dritten Wählerabteilung weitgehend neutralisiert, da die ersten bei den Wählerklassen vom größeren Kapitalbesitz eingenommen wurden. Die vermeintliche Vernachlässigung des Mittelstands veranlaßte die Zentrumsfraktion, den seit März 1893 gepflegten Konsens der Rechts- und Mittelparteien über den wiederherzustellenden Status quo von 1891 zu verlassen und, auf die zu Beginn der Reformdebatte im Januar 1893 eingenommene Position zurückgreifend, eine allgemeine "gesunde Neuregelung des Wahlrechts" zu fordern. 241 Die Fraktion der Konservativen hatte unter der Zielsetzung einer politischen Stärkung des Mittelstands Bedenken gegen die ausschließliche Fixierung auf die Verhältnisse von 1891. Sie sollten, erklärte von Heydebrand, 239 Rede van der Borght. PAH, 23. Februar 1900. A.a.O., Sp. 1875. Vgl. in diesem Zusammenhang auch meine, schon im Kap. 3, Unterabschnitt 6 entwickelte These von der Daseinsvorsorge als Korrellat der Herrschaftssicherung. 240 Rede Bachern. PAH, 23. Februar 1900. A. a. 0., Sp. 1846. Zur Kritik der "Vermittelständlichung" der politischen Agitation und Programmatik im Kaiserreich vgl. Hans-Jürgen Puhle, Repräsentation und Organisation. Bürgerliche Parteien und Interessensverbände im wilhelminischen Deutschland, in: Auf dem Wege zum modemen Parteienstaat. Zur Enstehung, Organisation und Struktur politischer Parteien in Deutschland und den Niederlanden, hrsg. von H. van der Dunk/H. Lademacher, Melsungen 1986, S. 222 ff. Siehe auch Conze, Mittelstand, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 84 ff. Zum Begriff des Mittelstands in der vormärzlichen Diskussion vgl. Kap. 3, Unterabschnitt 3. 24\ Rede Bachern. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 2, Sp. 1845.

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durchaus wesentliche Berücksichtigung finden, durften jedoch nicht absolut gesetzt und damit verewigt werden?42 Allein die Nationalliberalen und die Freikonservativen, denen es zuvorderst um die Absicherung des Wahlrechts jener vermögenden Schichten ging, denen durch die Änderung der Steuergesetzgebung höhere Lasten aufgebürdet worden waren, hielten am Status quo von 1891 als Richtschnur der Wahlrechtsreform fest. 243 Der verbreiteten Ansicht, daß in den Gemeinden vornehmlich die Unter- und Mittelschichten zur Ausführung der kommunalen Arbeiten befähigt waren, hielt der nationalliberale Kölner Rechtsanwalt Victor Schnitzler entgegen, Unternehmertum und Kapital wären durch ihre Erfahrung in leitenden Funktionen allemal zur Wahrnehmung von Gemeindeaufgaben geeignet. Die Einschätzung, daß es stets zwangsläufig zu einer Kollision zwischen den Unternehmerinteressen und dem Gemeindewohl kommen mußte, beruhten nach Schnitzler auf einem Vorurteil ohne realen Hintergrund, das nur "verhetzend" wirken würde. Wenn allgemein anerkannt wurde, daß bei den Kommunalwahlen Abstufungen des Wahlrechts nach Besitz und Vermögen angebracht waren, mußte dem Kapital auch "ein gewisses Übergewicht" in den kommunalen Repräsentationsorganen eingeräumt werden. 244 Die Reformvorstellungen des Zentrums wie der Nationalliberalen reproduzierten den anhaltenden Gegensatz zwischen Großkapital und Mittelstand in den westlichen Provinzen. Der gegenseitige Vorwurf, die Reform des Kommunalwahlrechts ausschließlich für die Erhaltung oder gar Ausweitung der parteipolitischen Machtposition in den Gemeinden zu instrumentalisieren, belastete die parlamentarischen Beratungen von vornherein. Die nationalliberale Fraktion zeigte dabei nicht nur im Hinblick auf die politische Zielsetzung des Regierungsentwurfs, sondern auch in der Anerkennung der konkreten Reformvorschläge das weitgehendste Einverständnis mit der Regierungsvorlage. Das Durchschnittsprinzip, die ortsstatutarische Festsetzung mit einfacher Mehrheit und zehnjähriger Bindungsfrist fand ohne Einschränkung Zustimmung, Bedenken hatten die Nationalliberalen nur bei der Beschränkung der Reform auf die Gemeinden mit über 10000 Einwohnern und der Einsetzung des Provinzialrats als endgültig entscheidende Beschwerdeinstanz. Hier hätten sie lieber das Staatsministerium als höchste Instanz gesehen. Schließlich kritisierte man auf nationalliberaler Seite die fehlende Bindung der ortsstatutarischen Regelungen an die Wiederherstellung des Status quo von 1891. 245 Rede von Heydebrand. PAH, 23. Februar 1900. A. a. 0., Sp. 1837 f. Reden Schnitzler, von Zedlitz-Neukirch. PAH, 23. Februar 1900. A. a. 0., Sp. 1833 u. 1852 f. 244 Rede Schnitzler. A. a. 0., Sp. 1832 f. 245 A. a. 0., Sp. 1833 f. 242 243

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Die Differenzierung des Wahlrechts nach der Gemeindegrößenklasse von 10000 Einwohnern stieß auch bei den Konservativen auf geteilte Zustimmung. Sie wollten auf jeden Fall prüfen, ob diese Grenzziehung richtig oder eine andere besser geeignet war. Im Mittelpunkt der konservativen wie der Zentrumskritik standen die ortsstatutarischen Regelungen. Übereinstimmend hielt man die in dieser Hinsicht gewährte Gemeindeautonomie für zu weitgehend. Die einfache Majorität für den Erlaß der Ortsstatute und ihre zehnjährige Bindungsfrist mußte, befürchtete Bachern gar, die Gemeinden revolutionieren und den Verfassungskampf in die Kommunen ins Unerträgliche steigern. 246 Darüber hinaus monierte die konservative Fraktion im Einklang mit den Freikonservativen, daß die steuerlich nichtveranlagten Wahlberechtigten nach dem Regierungsentwurf nicht mehr auf die dritte Wählerabteilung beschränkt wurden. Man fürchtete, damit ebenso das Wahlrecht des ländlichen Mittelstands zu beschränken wie einen Präzedenzfall für die zukünftige Reform des Landtagswahlrechts zu schaffen?47 Die Linksliberalen erneuerten ihre vorjährige Kritik an der Beschränkung des Durchschnittsprinzips auf die zweite Wählerklasse. Da die Wahlreform nur noch eine bestimmte Gemeindegrößenklasse zum Ziel hatte und das Durchschnittsprinzip durch das Zuschlagsverfahren248 verwässert wurde, verschlechterte sich nach Ansicht der beiden linksliberalen Fraktionen das gesamte Wahlreformvorhaben. Mit einer ortsstatutarischen Regelung der Abteilungsbildung wollten sich die Linksliberalen nach wie vor nicht anfreunden. 249 Kreitling stellte für die Verhältnisse der Millionenstadt Berlin spöttisch resignierend die Absurditäten des Drittelungsverfahrens fest: Bei der letzten Kommunalwahl schloß die erste Wählerklasse mit einem Steuerbetrag von 8334,50 Mark, die zweite Klasse begann mit dem Betrag von 8323,20 Mark und schloß mit der Steuersumme von 1095,40 Mark und dem Buchstaben C, während die dritte Wählerabteilung bei dem gleichen Steuerbetrag und dem Buchstaben D einsetzte. Der Zufall der alphabetischen Reihenfolge entschied somit für einen Teil der Wähler über die Wahlberechtigung in der zweiten oder dritten Wählerabteilung und damit über die eventuelle Ausübung eines 38fachen Wahlrechts?50 Mit dem einfachen Durchschnittsprinzip war nach Kreitlings Auffassung immerhin eine Verbesserung der bestehenden Verhältnisse erreicht. Die Stadt Berlin wollte 246 Rede Bachern. PAH, 23. Februar 1900. Aa.O., Sp. 1844. Vgl. auch Rede von Heydebrand. A a. 0., Sp. 1837. 247 Aa.O., Sp. 1836. Rede von Zedlitz-Neukirch. Aa.O., Sp. 1854. 248 Zur Erinnerung: Das Zuschlagsverfahren bezeichnet die Möglichkeit, anstelle des einfachen Durchschnitts einen Zuschlag bis zur Hälfte als Norm für das Aufrükken aus der dritten in die höheren Wählerklassen festzusetzen. 249 Reden Wintermeyer und Ehlers. PAH, 23. Februar 1900. Aa.O., Sp. 1858 f. u. 1862 f. 250 Rede Kreitling. A a. 0., Sp. 1871.

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deshalb auch von der Einführung des Zuschlagsverfahrens absehen. Kreitling machte auf eine weitere Schwierigkeit des Wahlverfahrens in der Metropole aufmerksam. In Berlin existierte kein Wahlbezirk, der nicht weniger als 5000 Wahlberechtigte umfaßte. Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts forderte die Städteordnung einen einheitlichen Wahlvorstand für jeden örtlich abgegrenzten Wahlbezirk, so daß der Magistrat die jahrelang geübte Praxis, die Wählerlisten zu teilen und in den Wahlbezirken verschiedene Abstimmungsbezirke mit besonderen Wahlvorständen einzurichten, als ungesetzliches Verfahren aufgeben mußte. 251 Die Folge war, daß ein großer Teil der Wahlberechtigten in der dritten Abteilung das Wahlrecht nicht ausüben konnte, weil schlichtweg keine Möglichkeit zur Stimmabgabe bestand. Dieser Mangel konnte in Berlin selbst dadurch nicht behoben werden, daß die Wahlzeit auf den ganzen Tag ausgedehnt wurde. Innenminister von Rheinbaben erkannte diesen Mißstand an, der sich aus der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für die Großstädte ergab und versicherte in dem Refonngesetz eine entsprechende Bestimmung über die Zulassung von Abstimmungsbezirken aufzunehmen. 252 In den Kommissionsberatungen rückten sowohl die Nationalliberalen als auch die Freikonservativen von ihrer anfänglichen Zustimmung zum Durchschnittsprinzip wieder ab. Man fürchtete vor allem in den Industriestädten die im allgemeinen zu beobachtende Tendenz sinkender Durchschnittssteuersätze, die den Arbeitern eine weitere Aufnahme in die zweite Wählerabteilung eröffnen konnte. Nach neuen Ennittlungen der Staatsregierung ließ das Durchschnittsprinzip in fast allen Städten weitere erhebliche Anteile der Bevölkerung253 in die mittlere Wählerklasse einrücken, so daß mit einem 251 Endurteil vom 3. Oktober 1899. PrOVGE, Bd. 36, Berlin 1900, S. 117-121. Anlaß der höchstrichterlichen Entscheidung war eine Wahlanfechtungsklage gegen die Stettiner Kommunalwahlen vom November und Dezember 1898, bei denen der Magistrat die vorhandenen sieben Kommunalwahlbezirke in jeweils drei Unterabteilungen hatte zerlegen lassen. Für jeden Abstimmungsbezirk war ein Vertreter des BürgernIeisters als Vorsitzender des Wahlvorstands und zwei Beisitzer bestellt worden. Vgl. auch Jebens, Das neue Gesetz, betreffend die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen, in: PrVerwBl, 21. Jg. (1899/1900), S. 444 f. Kreitling ging irrtümlicherweise davon aus, daß die Staatsregierung die Bildung von Abstimmungsbezirken untersagt hatte. Rede Kreitling, PAR, 23. Februar 1900. StBPAR, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 2, Sp. 1870. 252 Rede von Rheinbaben. PAR, 23. Februar 1900. A.a.O., Sp. 1872. 253 Bei den Berechnungen bezog man sich nunmehr auf Bevölkerungsanteile und vernachlässigte die Wählerquoten, weil die Bevölkerung im allgemeinen langsamer zunahm als die Zahl der Wahlberechtigten und die Wählerquote insbesondere nicht für die Rheinprovinz als Maßstab herhalten konnte. In den gößeren Städten der Rheinprovinz bestand, wie bereits erwähnt, vor 1892 ein Zensus von über sechs Mark infolge orts statutarischer Bestimmung. Nach der Reduktion des Zensus auf sechs Mark durch das Einkommensteuergesetz hatte sich die Zahl der Wahlberechtigten in den rheinischen Städten außerordentlich vernIehrt, so daß ein Vergleich der

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Überschreiten des Standes von 1891 gerechnet werden mußte. Nach den Wählerlisten entfielen im Jahre 1891 insgesamt rund 11400 Wähler auf die zweite Wählerklasse, nach dem Durchschnittsprinzip erhöhte sich diese Zahl, trotz des Bevölkerungswachstums, auf ca. 16800. Nur in ganz wenigen Orten Preußens, wie etwa Königshütte, Gelsenkirchen oder Staßfurt, war mit einer Abnahme der Wahlberechtigtenziffer zu rechnen?54 Während sich die Nationalliberalen unter dem Eindruck dieser Ergebnisse auf die Einführung des Zwölftelungsprinzips beschränken wollten, brachten die konservativen Fraktionen verschiedene Korrektive zum Durchschnittsprinzip in Vorschlag. Die Deutschkonservativen wollten bei der Berechnung der Durchschnittssteuersummen die fingierten Steuern von drei Mark für die nichtveranlagten Personen nicht berücksichtigen. Durch den Ausschluß der untersten wahlberechtigten Einkommensgruppen von 660 bis 900 Mark bzw. von 900 bis 1050 Mark wurde die Wirkung des Durchschnittsprinzips in den Städten mit einem Zensus von sechs Mark abgeschwächt. In Berlin ging die Wählerzahl der zweiten Abteilung auf etwa 14300 zurück, so daß auch die Vergleichszahl des Jahres 1891 nach dem "veränderten Durchschnittsprinzip" noch deutlich übertroffen wurde. Die bereits genannte Eingangssteuerleistung für die zweite Wählerklasse in Höhe von 1095,40 Mark wurde durch das Durchschnittsprinzip in Berlin auf etwa ein Sechstel (176,90 Mark) reduziert, beim veränderten Durchschnitt lag diese Zahl nur unwesentlich höher bei 236,80 Mark. 255 Um die demokratisierende Wirkung des Durchschnittsprinzips stärker zu beschränken, schlugen die Freikonservativen die Einrichtung von Mindeststeuersätzen vor, die, nach Gemeindegrößenklassen geordnet, zum Eintritt in die zweite oder erste Wählerabteilung berechtigen sollten. Für Berlin wurde ein Staatseinkommensteuersatz von 192 Mark festgesetzt, für Gemeinden mit mehr als 100000 Einwohnern 146 Mark, für solche mit 50 bis 100000 Einwohnern 104 Mark und schließlich für Gemeinden mit 10 bis 50000 Einwohnern ein Steuersatz von 70 Mark. Die Steuersätze deckten sich ungefähr mit jenen des Jahres 1891. Sie verhinderten in jedem Fall den Aufstieg von Arbeitern in die zweite Wählerabteilung und sicherten dem besseren Mittelstand, insbesondere aber den akademisch gebildeten Wählern den gewünschten Einfluß in der zweiten Wählerklasse. 256 Innenminister von Rheinbaben kritisierte an dieser Form des Korrektivs die AbWähleranteile der einzelnen Klassen schlechterdings unmöglich war. Vgl. KomBer Max Lewald vom 10. April 1900. AIPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, AS Nr. 142, S. 1846. 254 Vgl. Wirkungen des "Durchschnittsprinzips" und des "veränderten Durchschnittsprinzips". Anlage C zum KomBer Lewald, 10. April 1900. A. a. 0., S. 1868 f. 255 A. a. 0., S. 1869 f. Dort auch die Vergleichszahlen weiterer 40 Städte mit über 10000 Einwohnern und zweier Landgemeinden mit industriellem Charakter. A.a.0.,S.1872ff.

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hängigkeit der Höhe des Steuersatzes von der Bevölkerungszahl, während die differierenden Vennögensverhältnisse in den Stadtgemeinden völlig außer Betracht blieben. Weiterhin wurde die ausschließliche Berücksichtigung der Staatseinkommensteuer bemängelt. Man vennutete, daß akademische Berufe wie Ärzte und Lehrer oder auch Techniker dann weiterhin in der dritten Wählerklasse verblieben. 257 Nachdem der nationalliberale Antrag auf die alleinige Einführung des Zwölftelungsprinzips in den Städten mit über 10000 Einwohnern abgelehnt war,258 ergänzten die freikonservativen Kommissionsmitglieder ihr Korrektivverfahren durch das Zwölftelungsprinzip, stießen damit aber auch auf die Ablehnung der Mehrheit, die das Durchschnittsprinzip wegen seiner Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichen örtlichen Verhältnisse beibehalten wollte?59 Im Falle der Ablehnung ihres Grundantrags hatten die Freikonservativen für die Berechnung des Steuerdurchschnitts alternativ gefordert, nicht nur die nichtveranlagten Personen und die fiktiven Steuerbeträge, sondern auch jene Wähler und Beträge auszuschließen, die an einer Einkommensteuerleistung von sechs Mark geknüpft waren?60 Da nach den statistischen Berechnungen der Staatsregierung der Ausschluß der untersten Stufe der Gemeindewähler und ihrer Steuern bei der Ennittlung des Durchschnittssteuersatzes in den meisten Fällen nicht die angestrebte Venninderung der Wählerzahl in der zweiten Abteilung herbeiführte und demzufolge nicht den Einzug von Wählern aus der dritten in die zweite Wählerklasse verhinderte, mußte, auch noch die nächsthöhere Steuerklasse in die Nichtanrechnung einbezogen werden, "um wenigstens die demokratisierenden Wirkungen des reinen Durchschnittsprinzips einigennaßen abzuschwächen".261 Bei dieser Steuerklasse handelte es sich um die bereits erwähnte Einkommensgruppe von 900 bis 1050 Mark, die zu einem effektiven Steuersatz von sechs Mark Staatseinkommensteuer veranlagt wurde. Eine solche Regelung war selbst den Deutschkonservativen suspekt. Sie erkannten den Ausschluß der fiktiven Steuern als berechtigt an, bezeichneten es aber als unhaltbar, wirklich entrichtete Steuern nicht anzurechnen. Tatsächlich traf eine derartige Bestimmung nur die rheinischen Städte. Im Gegensatz zu den übrigen Städten der Monarchie hielten sie anstelle des 256 KomBer Lewald, 10. April 1900. Aa.O., S. 1847 f. u. 1852. Vgl. auch den Antrag von Zedlitz-Neukirch vom 28. April 1900. Aa.O., AS Nr. 147, S. 1880 f. 257 A. a. 0., S. 1848. 258 Aa.O., S. 1847. Vgl. den Antrag der Nationalliberalen vom 28. April 1900. Aa.O., AS Nr. 146, S. 1880. 259 Aa.O., S. 1852. 260 Vgl. auch den Eventualantrag von Zedlitz-Neukirch vom 28. Apri 1900. Aa.O., AS Nr. 147, S. 1880 f. 261 KomBer Lewald, 10. April 1900. Aa.O., AS Nr. 142, S. 1852.

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üblichen Zensus von vier Mark weiterhin den erhöhten von sechs Mark aufrecht. 262 Für das Rheinland hätte sich folglich eine erneute Erhöhung des gemeinderechtlich festgelegten Wahlrechts zensus auf neun Mark ergeben. Die "antidemokratische" Wirkung des erhöhten Zensus, die jene des Ausschlusses der steuerlich Nichtveranlagten bei weitem übertraf, wäre dadurch noch weiter verschärft worden. 263 ObwohlInnenminister von Rheinbaben den freikonservativen Antrag in der Kommission unterstützte, weil er allein die Mittel bot, dem Durchschnittsprinzip eine wirkliche Schranke zu setzen, nahm die Kommissionsmehrheit in der zweiten Lesung den deutschkonservativen Antrag an, bei der Berechnung des durchschnittlichen Steuerbetrages nur die Wähler auszunehmen, die weder Staats- noch Gemeindesteuern entrichteten. Damit kamen auch die fingierten Steuersätze nicht zur Anrechnung. Neben dem Durchschnittsprinzip wurde die Frage der ortsstatutarischen Regelung zu einem ähnlich umstrittenen Gegenstand der Kommissionsberatungen. Man hatte sich zwar schnell geeinigt, nur die Städte mit über 10000 Einwohnern in diese Regelung einzuschließen264 und ebenso der erneuten Aufnahme einer ausdrücklichen Bestimmung beigepflichtet, die nichtveranlagten Wahlberechtigten der dritten Wählerabteilung zuzuweisen,265 aber im Hinblick auf die Ortsstatute gingen die Meinungen weit auseinander. Die Linksliberalen hielten an ihrer prinzipiellen Haltung fest, Wahlverfahrensfragen nicht der Gemeindeautonomie zu überlassen. Nationalliberale und Freikonservative, denen die Abwehr der demokratisierenden Wirkungen des Durchschnittsprinzips als oberstes Prinzip galt, hielten in Übereinstimmung mit dem Innenminister an der einfachen Mehrheit fest, Konservative und Zentrumsvertreter verfochten die Zweidrittelmehrheit unter Ablehnung der zehnjährigen Bindungsfrist. Mit ihrer Majorität setzten sie sich schließlich in der Kommission durch. Weniger Schwierigkeiten bereitete die Aufnahme einer zusätzlichen Bestimmung über die Einrichtung von Abstimmungsbezirken und besonderen Wahlvorständen. Das Innenministerium hatte zur Entscheidung des Problems Berichte über die Einteilung der Städte in Wahlbezirke eingeholt. Es 262 Zur Erinnerung: Die projektierte Abteilungsbildung setzte nicht die Wahlrechtsbeschränkungen der Gemeindeverfassungsgesetze außer Kraft. Das Bürgerrecht bzw. das Wahlrecht war nach der Städteordnung von 1853 (§ 5, Ziff. d, Tit. 1) und dem Einkommensteuergesetz (§ 77, Abs. 1 u. 2) an den Steuersatz von vier bzw. sechs Mark, den Besitz eines Hauses oder die Ausübung eines stehenden Gewerbes gebunden. Vgl. Stier-Somlo, Der verwaltungsgerichtliche Schutz, S. 466 ff. 263 Dazu KomBer Lewald, 10. April 1900, AIPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, AS Nr. 142, S. 1853 f. 264 A.a.O., S. 1845. 265 A.a.O., S. 1843.

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zeigte sich, daß die Verhältnisse in den einzelnen Provinzen überaus verschieden geregelt waren. In zahlreichen rheinischen Großstädten gab es keine Wahlbezirke, in anderen Städten waren Wahlbezirke für die erste oder zweite Wählerabteilung eingerichtet. Bis zu der bereits genannten Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts vom Oktober 1899 wurde in den Städten, die in Wahlkreise unterteilt waren, häufig nach Gruppen oder Abstimmungsbezirken gewählt. Die Oberbürgermeister sahen in dem Kommissionsvorschlag,266 nur innerhalb der Wahlbezirke oder gar nur innerhalb solcher Wahlbezirke, in denen ein einziger oder nur einige wenige Stadtverordnete zu wählen waren, die Einrichtung von Abstimmungsbezirken zu gestatten, eine "indirekte Nötigung" zur Bildung von Wahlbezirken bzw. kleinen Wahlbezirken. Die Regierungskommissare erklärten, daß die Gemeindeautonomie in der Frage der Wahl- und Abstimmungsbezirke nicht eingeschränkt werden sollte. Nur gegen die Tendenz, in umfangreicher Form Wahlbezirke zu bilden, äußerte das Innenministerium Bedenken, da man die Förderung von Sonderinteressen in den Kommunalvertretungen verhindern wollte. 267 In den siebziger und achtziger Jahren hatte die Staatsregierung bei dem zunehmenden Bevölkerungswachstum in den Großstädten und der differierenden Entwicklung innerhalb der einzelnen Stadtteile noch bedenkenlos politisch motivierte Forderungen nach der Konstituierung von Wahlbezirken unterstützt. 268 Die Bedenken des Innenministeriums wurden von den Oberbürgermeistern geteilt. Gerade in der Konstituierung kleiner Wahlbezirke sahen sie eine Förderung ausgeprägter Stadtteilsinteressen. Eine mehr oder weniger willkürliche Bezirkseinteilung förderte nach Ansicht der Kommunalbürokratie möglicherweise die Abänderung des gleichen Wahlrechts aller Klassenwähler. In den großen Industriestädten des Rheinlands befürchteten die Stadtoberhäupter, daß man bei der obligatorischen Bildung von Wahlbezirken zwangsläufig einzelne Arbeiterviertel zu Wahlkörpern machen mußte, die dann von der Sozialdemokratie eingenommen werden würden. Damit wurde die Arbeiterpartei in die Lage versetzt, selbst in solchen Städten, wo es ihr bislang noch nicht gelungen war, die dritte Wählerabteilung zu dominieren, das Übergewicht zu erlangen. Aus diesem Grunde plädierten die Oberbürgermeister lediglich für die Bildung von Abstimmungsbezirken, während sie gleichzeitig jeden direkten oder indirekten Zwang zur Konstituierung von Wahlbezirken ablehnten. 269 Die Kommission konnte 266 Aa.O., S. 1855. Vgl. auch den Antrag Zedlitz-Neukirch vom 28. April 1900. Aa.O., AS Nr. 147, S. 1880. 267 KomBer Lewa1d, 10. Apri11900. Aa.O., AS Nr. 142, S. 1851. 268 Vgl. dazu Kap. 8, Unterabschnitt 3 u. 4. 269 KomBer Lewald, 10. April 1900. AlPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, AS Nr. 142, S. 1855.

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sich in dieser Frage nicht einigen. Nur eine zusätzliche Regelung über die Bestellung von Wahl vorstands vertretungen fand Aufnahme in die Kommissionsempfehlung. 270 Nach Abschluß der Kommissionsberatungen setzte sich im Parlament eine Mehrheit aus Freisinnigen, Konservativen und Zentrum durch. Da die Linksliberalen erklärt hatten, jede Verbesserung des bestehenden Zustands zu unterstützen, Konservative und Zentrum aber unverbrüchlich am Durchschnittsprinzip festhielten, das auch vom Freisinn in seiner weitreichenderen antiplutokratischen Wirkung bestätigt wurde, ergab sich diese ungewöhnliche Konstellation. 271 Den orts statutarischen Regelungen stimmten die Freisinnigen nicht zu, weil sie darin eine Verwässerung des einfachen Durchschnittsprinzips sahen, sei es durch das Erhöhen der Durchschnittssteuerleistung oder die Wahl des Zwölftelungsprinzips, sei es durch die Nichtberücksichtigung der untersten Einkommensschichten?72 Die Nationalliberalen, ernüchtert durch die neuesten statistischen Materialien der Staatsregierung, hatten sich vollständig von ihren vorjährigen Positionen verabschiedet. Das Durchschnittsprinzip war für sie überhaupt "nicht mehr ernsthaft diskutabel". Durch die Ungleichheit zwischen dem Wachstum der Wähler- und Bevölkerungsziffern mußte das Durchschnittsprinzip langfristig zu einer noch intensiver wirkenden "Demokratisierung" des Wahlrechts wie zu einer Sozialisierung einzelner Gemeindeverwaltungen führen. Mit dem Ergebnis, wie Richard van der Borght ausmalte, das "immer mehr die Besitzlosen Verfügung über das erhalten, was von den Besitzenden aufgebracht ist,,?73 Die Freikonservativen folgten den Nationalliberalen in ihrem Wunsch, das Durchschnittsprinzip vollständig aus dem Gesetz zu entfernen. 274 Die Alternative sahen sie jedoch nicht in einer ausschließlichen Anwendung des Zwölftelungsprinzips, sondern in dessen Verbindung mit Mindeststeuersätzen für die einzelnen Wählerklassen oder zumindest, falls dieses Verfahren abgelehnt werden sollte, für den Ausschluß der fingierten Steuern und der untersten Steuerstufe. Aussicht auf eine parlamentarische Mehrheit hatten diese Vorschläge nicht, da die Konservativen und das Zentrum an ihrer Allianz festhielten, die auch nicht dadurch gefährdet wurde, daß die Konservativen einem weitergehenden Korrektiv zum Durchschnittsprinzip zustimmten. Sie akzeptierten nunmehr, die Wähler der Einkommensteuerstu270 Ebd. Vgl. die Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse nach der zweiten Lesung, Aa.O., Anlage D, S. 1878. 271 Vgl. die Reden von Ehlers und Winterrneyer. PAH, 30. April 1900. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, Sp. 4105 f. u. 4109. 272 Aa.O., Sp. 4110 u. Rede Kreitling. PAH, 30. April 1900. Aa.O., Sp. 1412 f. 273 Rede van der Borght. PAH, 30. April 1900. A a. 0., Sp. 4068. 274 Rede von Zedlitz-Neukirch. PAH, 30. April 1900. A. a. 0., Sp. 4076.

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fen von vier und sechs Mark nicht in die Durchschnittsermittlung einzubeziehen?75 Das Zentrum, das anders als die Konservativen weniger Befürchtungen hatte, der in der zweiten Abteilung wählende Mittelstand könnten in einzelnen Orten unter dem Einfluß der dritten Klasse geraten, war im Interesse der Verabschiedung der Wahlrechtsreform bereit, diesem Vorschlag zuzustimmen. 276 Die Konzession fiel der Fraktion um so leichter, als die Freikonservativen bei seiner Annahme Bereitschaft signalisierten, dem Gesetz zuzustimmen. Im übrigen sah der Innenminister darin eine Mindestvoraussetzung für die Entscheidung der Staatsregierung zugunsten des GesetzentwurfS. 277 Die Regierung befand sich, vermutlich selbst überrascht durch die Ergebnisse der statistischen Ermittlungen, in einer prekären Lage. Sie war ebenso verpflichtet wie bemüht, die Reform des Kommunalwahlrechts auszuführen, hatte aber "die schwersten Bedenken" an ihrem eigenen Gesetzentwurf festzuhalten. Das Durchschnittsprinzip führte langfristig, darin stimmte die Regierung mit der nationalliberalen und freikonservativen Fraktion überein, in vielen Fällen "zu einer ständigen Demokratisierung der Gemeinden". Die Staatsregierung sah sich deshalb nicht mehr in der Lage, für den bestehenden Kommissionsbeschluß einzutreten, zumal sich, wie nach einer kurzfristig vom Innenminister anberaumten Rundfrage zu erfahren war, in den wenigsten Gemeinden die geplanten Zweidrittelmehrheiten für ein Ortsstatut beschaffen ließen. Das bedeutete, so die Schlußfolgerung Rheinbabens, man mußte in der größten Zahl der Gemeinden mit der Einführung des einfachen Durchschnittsprinzips rechnen. 278 Die Bedenken der Staatsregierung waren nur dadurch zu relativieren, daß die Kammer den Zedlitzschen Eventualantrag annahm. Damit befürwortete man den Ausschluß der nichtveranlagten Personen von der Berechnung der steuerlichen Durchschnittsleistung in den Gemeinden mit über 10000 Einwohnern sowie der fingierten Steuersätze für die untersten Einkommensgruppen. 279 Weil auf diese Weise zumindest "eine kleine Verbesserung" gegenüber der Kommissionsempfehlung erreicht war, signalisierten die Nationalliberalen ihre Bereitschaft zur Zustimmung,280 so daß sich letztendlich eine breite Mehrheit für die Annahme des veränderten Durchschnittsprinzips fand. 281 Die erschwerte Wahl des Zwölftelungs- oder erhöhten Durch275 Vgl. den Antrag des Freiherrn von Plettenburg-Mehrurn vom 28. April 1900. AIPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, AS Nr. 145, S. 1879. 276 Rede Bachern. PAH, 30. April 1900. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, Sp. 4095 f. 277 Rede von Rheinbaben. PAH, 30. April 1900. A. a. 0., Sp. 4084. 278 A a. 0., Sp. 4081. 279 Aa.O., Sp. 4083. Vgl. auch Evert, Dreiklassenwahl, S. 12 u. 15. 280 Rede von Eynem. PAH, 30. April 1900. A.a.O., Sp. 4099.

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schnittsverfahrens konnte darautbin durchgesetzt werden, während die zehnjährige Frist für die Einführung, Abänderung oder Autbebung der ortsstatutarischen Regelungen fiel. 282 Ein modifizierter Antrag von Zedlitz-Neukirchs, nur die Abänderung und Autbebung an eine Zehnjahresfrist zu binden,283 blieb ebenfalls ohne Erfolg. Nachdem der Kommissionsvorschlag unter Ergänzung der Ausschlußregelungen für die unteren Einkommensgruppen vom Abgeordnetenhaus angenommen war, fehlte nur noch eine Entscheidung über die zukünftige Zusammensetzung der Wahlvorstände bei den Gemeindewahlen wie über die Zulassung von Abstimmungsbezirken. Heinrich Ehlers verdeutlichte nochmals, daß sich in Wahlbezirken mit über 6000 Wahlberechtigten, wie sie in Berlin bei den 48 Wahlbezirken der dritten Wählerklasse anzutreffen waren, kaum eine protokollarische Wahl durchführen ließ, ohne demzufolge einen Großteil der Wahlberechtigten faktisch von der Wahl auszuschließen?84 Die Freikonservativen hatten ihren Widerstand gegen eine unbeschränkte Ermächtigung der Magistrate, Abstimmungsbezirke erforderlichenfalls einzurichten, aufgegeben. Konservative und Nationalliberale hielten daran fest, die Zulassung der Wahlabteilungen von der vorherigen Einrichtung der Wahlbezirke abhängig zu machen. Der Berliner Konservative Bernhard Irmer, der 1899 seine Stellung als Professor am Königsstädtischen Realgymnasium aufgegeben hatte und ins Unterrichtsministerium eingetreten war, kritisierte die Unterdrückung der politischen Minderheiten, die aus der Bildung großer Wahlverbände und einer einheitlichen Listenwahl resultierte. Eine Tendenz, die sich noch verschärfen mußte, wenn die Gemeindevorstände nicht mehr genötigt waren, nach den Vorschriften der Städteordnungen Wahlbezirke einzurichten. 285 Irmers Vorstellung nur Einerwahlbezirke zu bilden, ging den meisten Fraktionen zu weit. Sie befürchteten eine all zu starke Zersplitterung des städtischen Wahlkörpers, die nur die Kirchturmsinteressen fördern konnte?86 Die Kammer schloß sich mehrheitlich dem Antrag an, die Gemeindevorstände unbeschränkt zur Einrichtung von Abstimmungsbezirken zu ermächtigen. 287 Aa.O., Sp. 4114 f. A a. 0., Sp. 4120 f. 283 Eventualantrag von Zedlitz-Neukirch vom 28. April 1900. AIPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, AS Nr. 147, S. 1880. 284 Rede Ehlers. PAH, 30. April 1900. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, Sp. 4124. 285 Rede Irmer. PAH, 30. April 1900. A.a.O., Sp. 4126 f. 286 Rede Sattler. PAH, 30. April 1900. Aa.O., Sp. 4127. 287 A a. 0., Sp. 4128. Vgl. auch die Zusammenstellung des Regierungsentwurfs und der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses nach der zweiten Beratung. AIPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 3, AS Nr. 151, S. 1883 ff. Evert, Dreiklassenwahl, S. 17 f. 281

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Die dritte Lesung des Gesetzentwurfs brachte Anfang Mai nur noch redaktionelle Änderungen. Bereits am 10. Mai nahm das Herrenhaus die allgemeine Diskussion über den Entwurf auf. Die Staatsregierung hatte sich die vom Abgeordnetenhaus verabschiedete Fassung des Gesetzes 288 ganz zu eigen gemacht und sah von jeder weiteren Kritik ab. Die rheinischen Oberbürgermeister lehnten den Entwurf freilich rundweg ab. Kölns Stadtoberhaupt Becker bezweifelte gar die plutokratisierende Wirkung der Steuerreform. Er gab zwar zu, daß die Wählerzahlen in den ersten beiden Abteilungen seit 1891 abgenommen hatten, rechtfertigte diese Entwicklung aber mit dem Hinweis, daß den Gemeindeverwaltungen dadurch keine Nachteile entstanden wären. Im Gegenteil, da gerade die Wähler erster Klasse sich "durch ihre Objektivität, ihre Weitsicht und Opferwilligkeit" auszeichneten, war es überhaupt der Unterstützung dieser Gemeindevertreter zu danken, daß die rheinischen Gemeinden einen seit langer Zeit nicht gekannten Aufschwung genommen hatten. Becker teilte die Bedenken einer demokratisierenden Wirkung des Durchschnittsprinzips und befürchtete einen stärkeren Einzug von Handwerkern, Wirten und Bierbrauern sowie Privat- und Subalternbeamten in die zweite Wählerabteilung, die seiner Ansicht nach kaum für eine erfolgreiche Tätigkeit in der Kommunaladministration geeignet erschienen. 289 Als "Kardinalfehler" des Gesetzentwurfs bezeichnete Becker die Zulassung ortsstatutarischer Regelungen. Diese Bestimmung mußte dazu führen, daß in den Gemeinden die Minoritäten entscheidend wurden, denn die Majoritäten blieben von der Kautel einer Zweidrittelmehrheit der Kommunalvertreter abhängig. 29o Das Gesetz war, so Beckers resümierendes Urteil, ein Werk fortgesetzter Ungleichheit, ohne Prinzip, "eben ein an die aufgestellte Statistik angepaßtes Gelegenheitsgesetz".291 Barmens Oberbürgermeister August Lentze folgte Beckers Ausführungen. Auch ihm war das Durchschnittsprinzip ein Synonym für eine "demokratische Verschiebung" des Wahlrechts, in dessen Folge in Barmen die dritte Wählerklasse vollständig der Sozialdemokratie anheimfiele und die Stadtverordneten-Versammlung zu einem "Tummelplatz für sozialdemokratische Agitation" verkäme?92 Die Ortsstatute, die Lentze lediglich als Ausnahmeregelungen verstehen wollte,293 mußten nach seiner Ansicht stets den Geruch parteipolitischen 288 Der überwiesene Gesetzentwurf in AIPHH, Sess. 1900, Bd. 1, AS Nr. 69, S.373. 289 Rede Becker. PHH, 10. Mai 1900. StBPHH, Sess. 1900, Bd. 1, S. 170 f. 290 Rede Becker. PHH, 11. Juni 1900. A.a.O., S. 218. 291 Rede Becker. PHH, 10. Juni 1900. A.a.O., S. 171. 292 Rede Lentze. PHH, 10. Juni 1900. A.a.O., S. 174 f. 293 Als Ausnahme von der gesetzlichen Regel interpretierte nur wenig später auch Senatspräsident Jebens die Ortsstatute. Sie durften nach seiner Auffassung nur

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Vorteils tragen, da die Abänderung der Wahlmodalitäten stets als Begünstigung der vorhandenen Mehrheiten gedeutet werden konnten. Breslaus Oberbürgermeister Bender bezweifelte, ob sich überhaupt ein einziger Städtevertreter für die satzungsrechtliche Lösung erwärmen würde. Auf einer Vorkonferenz Schlesischer Bürgermeister und Landräte hatte sich nach Benders Bericht niemand für die Ortsstatute erklärt. 294 Es verwunderte, daß die Magistratsdirigenten ein Stück erweiterter Gemeindeautonomie, denn das stellten die Ortsstatute letztendlich dar, als nur "destruktives Element" verwarfen. Entscheidend war wohl, daß sie den Stadtverordneten-Versammlungen ein politisches Recht eröffnete, welches möglicherweise die tradierten Machtstrukturen in den Kommunen tangierte. Es war nicht abzusehen, inwieweit die Auflösung der bestehenden politischen Kräftekonstellationen in den Gemeinden zu anhaltenden Auseinandersetzungen führen konnte. Daran hatte das Gemeindebeamtentum ebensowenig Interesse wie der das unternehmerische Großbürgertum repräsentierende Nationalliberalismus jede Erweiterung des Wahlrechts der unteren Einkommensschichten ablehnte. Die Gestaltungsmöglichkeiten, die den Kommunen mit der Wahl zwischen einfachem Durchschnitt, Zwölftelung und erhöhtem Durchschnitt überantwortet wurden, waren im Grunde genommen jedoch eng begrenzt. Sie konnten weder das Dreiklassensystem noch die Vertretungsverhältnisse in den städtischen Kommunen wesentlich verändern. Die parlamentarischen Beratungen zeigten erneut die entschieden antidemokratische Haltung des Kommunalliberalismus, der jeden noch so geringen Wahlrechts gewinn für die unteren sozialen Schichten zu verhindern suchte. Allein in linksliberal dominierten Gemeinden wie Berlin hatte man weniger Mühe die "demokratisierende" Wirkung der Reform zu akzeptieren, stand doch zu keinem Zeitpunkt das Wahlsystem als solches zur Disposition. Der klerikal-liberale Gegensatz in den rheinischen Großstädten führte dagegen zu einer maßlosen Überschätzung der Wirkung des geänderten Wahlverfahrens. Oberbürgermeister Becker warf dem vormaligen Innenminister in jenen Gemeinden Anwendung finden, in denen das als allgemeine Norm definierte Durchschnittsprinzip nicht hinreichend ausreichte, um die angestrebten Ziele des Gesetzes zu erreichen. Die Kommunen verfügten somit nicht über die Möglichkeit, beliebig ein Wahl system anzuwenden. Sie waren vielmehr gezwungen, dasjenige System zu wählen, das nach den besonderen Gemeindeverhältnissen in der Lage war, die Verschiebungen in den Wählerabteilungen möglichst auszugleichen. Das Ortsstatut war "nicht dazu bestimmt das Gesetz zu korrigieren, sondern dessen Erfüllung für gewisse eigenartige Fälle besonders zu sichern". Jebens, Gesetz, S. 443 f. 294 Rede Bender. PHH, 11. Juni 1900. StBPHH, Sess. 1900, Bd. 1, S. 221.

5. Stabilisierung des Dreiklassenwahlrechts nach 1900

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Botho Graf zu Eulenburg, der sinnigerweise im Herrenhaus die Berichterstattung über die Ergebnisse der Kommissionsberatungen übernommen hatte, sogar vor, daß dieser mit der Befürwortung des Durchschnittsprinzips "sozialistische Tendenzen" verfolge. 295 Das Kölner Stadtoberhaupt plädierte in einem Abänderungsantrag, unterstützt durch den Düsseldorfer Oberbürgermeister Wilhelm Marx, für die Einführung des Zwölftelungsprinzips bzw. im Falle seiner Ablehnung für eine freie Wahl der Gemeinden zwischen den drei zur Debatte stehenden Wahlverfahrensprinzipien. 296 Keiner dieser Vorschläge hatte Aussicht auf Erfolg. Auch der Versuch, die zehnjährige Bindungsfrist für die Ortsstatute wieder einzuführen und den erstmaligen Erlaß einer Satzung von der einfachen Majorität der Gemeindevertreter, die Abänderung oder Aufhebung hingegen von der Zweidrittelmehrheit abhängig zu machen, scheiterte. Die Pairskammer nahm den Gesetzentwurf nach nur zweitägiger Beratung unverändert in der Fassung des Abgeordnetenhauses an. Die Majorität war der Ansicht, einer "sehr objektiven Gesetzgebung" zum Ziel verholfen zu haben, die vor allem dem Mittelstand das Maß an Wahlrecht wieder einräumte, das ihm vor der Steuerreform zugestanden hatte und nur unter Einfluß dieser Reform genommen worden war?97 Entgegen dem Wunsch der Großstädte, die Regelungen zu den Abstimmungsbezirken schon bei den nächsten Kommunalwahlen in Anwendung zu bringen, hielt man an der ursprünglichen Absicht fest, das Gesetz erst zum 1. Januar 1901 in Kraft treten zu lassen. Veröffentlicht wurde es allerdings schon Ende Juni 1900?98 Die Ausführungsbestimmungen zum Wählerabteilungsgesetz waren insoweit bemerkenswert, als sie im Hinblick auf die Ortsstatute über den vom Gesetz konstituierten Rahmen hinausgingen. Ausdrücklich wurde festgehalten, daß die satzungsrechtlichen Vorschriften "der freien Beschlußfassung der kommunalen Körperschaften überlassen bleiben" sollten, während sich die Prüfung der Aufsichtsbehörden allein auf die Frage nach "der Erfüllung der formellen gesetzlichen Bestimmungen beschränken" sollte?99 Der Innenminister sah sich zur Rechtfertigung des eingeschränkten staatlichen Bestätigungsverfahrens veranlaßt, die Ausführungsvorschriften zum Ortsstatut eigens zu begründen und damit den "traditionellen Rahmen ministerieller Ausführungsbestimmungen" zu verlassen?OO Das ursprüngliche Ziel der ReRede Graf zu Eulenburg. PHH, 11. Juni 1900. A. a. 0., S. 220. Anträge Becker, Marx vom 8. Juni 1900. AIPAH, Sess. 1900, Bd. 1, S. 418 f. 297 Rede von Rheinbaben. PHH, 11. Juni 1900. StBPHH, Sess. 1900, Bd. 1, S.218. 298 Gesetz, betreffend die Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen vom 30. Juni 1900. GS 1900, S. 185-187. Dazu die AusfB vom 20. September 1900, in: MBliV, 61. Jg. (1900), S. 225-230. 299 AusfBWAbtG 1900, A.a.O., S. 229 f. 295

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gierungsvorlage, nur solche orts gesetzlichen Bestimmungen zuzulassen, welche die nach der Steuerreform eingetretenen Wahlrechtsverschiebungen in höherem Maße als das Regelprinzip des Wähierabteilungsgesetzes 301 ausgleichen konnten, war nach der Darstellung Rheinbabens im Verlauf der parlamentarischen Beratung aufgegeben worden. Die Parlamentsmehrheit hatte sich gegen die Festlegung auf die Wahlrechtsverhältnisse des Jahres 1891 ausgesprochen und als Garantie gegen eine mißbräuchliche Anwendung des Satzungsrechts die qualifizierte Stimmenmehrheit der Stadtverordneten eingeführt. 302 Das materielle Prüfungsrecht der Bestätigungsbehörden sollte ursprünglich nur als Sicherung gegen die mit einfacher Mehrheit zu beschließenden Ortsstatute dienen, während sich das Prüfungsverfahren inhaltlich auf die Zielsetzung des Gesetzentwurfs bezog. Der Kommunalaufsicht war damit auf der Grundlage der Wahlrechtsverhältnisse des Jahres 1891 die Nachprüfung der Angemessenheit des im Ortsstatut gewählten Maßstabs überwiesen. Mit der Aufgabe dieser Verhältnisse als Fixpunkt der Klassenbildung entfiel nach Rheinbabens Auffassung praktisch das Prüfungsfundament. Der Schutz gegen den Mißbrauch des Ortsstatuts fiel folglich in die Kompetenz der Gemeindekörperschaften, so daß den Aufsichtsbehörden nur ein formelles Prüfungsrecht blieb. Diese Auffassung des Innenministers war umstritten. Nach Jebens ergaben sich aus den parlamentarischen Verhandlungen keine wesentlichen Anhaltspunkte, daß die qualifizierte Stimmenmehrheit ein vollkommener Ersatz für die aufsichtsrechtliche Nachprüfung verstanden wurde. Die unbeschränkt zur Bestätigung berufene Behörde konnte außerdem nicht gezwungen werden, materielle Bedenken nicht zur Geltung zu bringen. Im Anschluß an diese Kritik korrigierte Innenminister von Rheinbaben den Tenor der Ausführungsbestimmungen, indem er die formelle Prüfung der Ortsstatute nur als "Normalfall" bezeichnete, ansonsten aber "für Ausnahmefalle eines Mißbrauchs der ortsstatutarischen Autonomie eine Remedur in der Instanz der Bestätigungsbehörden,,303 nicht ausschloß. Mit der Verabschiedung des Wählerabteilungsgesetzes rückte das kommunale Wahlrecht, trotz anhaltender Auseinandersetzungen in den Gemein300 Jebens, Die Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen betreffend, in: PrVerwBl, 27. Jg. (1900/01), S. 103. 301 Vgl. § 2, WAbtG 1900. GS 1900, S. 231 f. 302 AusffiWAbtG 1900. MBliV, 61. Jg. (1900), S. 229 f. Vgl. auch das Rundschreiben des Innenministers an die Regierungspräsidenten vom 7. Februar 1901, in dem die Grenzen des Prüfungsrechts der Bestätigungsbehörden erläutert wurden. Abdruck bei: Evert, Dreiklassenwahl, S. 32 f. Jebens bezweifelte im übrigen, daß sich aus der Entstehungsgeschichte des Wählerabteilungsgesetzes eindeutig eine Abkehr vom Status quo des Jahres 1891 ableiten ließ, womit er unzweifelhaft falsch lag. Vgl. Jebens, Wählerabteilungen, S. 103. 303 Rundschreiben vom 7. Februar 1901, in: Evert, Dreiklassenwahl, S. 33.

6. Sozialdemokratische Reforminitiativen zum Kommunalwahlrecht

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den, aus dem Blickfeld der parlamentarischen Arbeit. Dazu trugen die Erfolge des Reformgesetzes bei, denn die Aufhebung der antiplutokratischen Wirkung der Steuerreform wurde durch das Durchschnittsprinzip, wie der Berliner Magistrat schon nach einigen Jahren zu berichten wußte, "in erheblichem Maße" erreicht. 304 Der bürgerliche Konsens über das Prinzip von Leistung und Gegenleistung in der Gemeinde bildete die parteiübergreifende Klammer zur Abwehr weiterer Reformversuche. Das kommunale Wahlrecht blieb bis zum Ende des Kaiserreichs das entscheidende Instrument, mit dem die bürgerliche Herrschaft in den Städten gegen die aufkommende Sozialdemokratie verteidigt wurde. 6. Sozialdemokratische Reforminitiativen zum Kommunalwahlrecht

Während im Abgeordnetenhaus das Wählerabteilungsgesetz beraten wurde, hatte die sozialdemokratische Fraktion der Berliner Kommunalvertretung, von der zukünftig die wesentlichsten Impulse zur Aufhebung des Dreiklassensystems ausgingen, im April 1900 den Versuch unternommen, eine Eingabe an den Preußischen Landtag durchzusetzen, die verlangte, gleichzeitig mit der bevorstehenden Abänderung des Kommunalwahlgesetzes das Reichstagswahlrecht für die Gemeindewahlen einzuführen. 305 Dem vorberatenden Ausschuß ging unter Führung von Hugo Preuß noch ein alternativer Antrag seitens der Stadtverordnetenmehrheit zu, der anstelle der Zielsetzung "Einführung des - bei den Reichstagswahlen geltenden - allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts" im Singerschen Antrag lediglich die "Beseitigung des öffentlichen Klassenwahlsystems" forderte. 306 Die liberale Mehrheit opponierte freilich ungebrochen gegen das allgemeine und gleiche Kommunalwahlrecht, selbst Hugo Preuß war nicht für eine Übertragung des Reichstagswahlrechts zu gewinnen. 307 Da der eingesetzte Ausschuß erst am 6. November zusammentrat, das Wählerabteilungsgesetz aber bereits Ende Juni vom Abgeordnetenhaus verabschiedet wurde, konnte sich die Vorberatung nur noch auf die materielle Seite der Anträge zu beziehen. Damit nicht die Frage der Seßhaftigkeit in den Vordergrund gestellt wurde, hatte die sozialdemokratische Fraktion ihVerBBIn 1901-1905, T. 1, S. 9. Antrag Paul Singer und Genossen, 12. April 1900. VStBln 1900, DS Nr. 458, S. 326. Der Antrag auch in LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 137, BI. 32. 306 Protokoll des Vorberatungsausschusses, 6. November 1900. VStBln 1900, DS Nr. 1087, S. 728. VgI. auch Bericht des Stadtverordneten CasseI. StVVersBln, 13. Dezember 1900, StBBln, S. 468 f. 307 Hirsch, Arbeit, S. 19. 304 305

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ren Antrag dahingehend modifiziert, nicht mehr auf das "bei den Reichstagswahlen geltende", sondern überhaupt auf "das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht" Bezug zu nehmen. 308 Im übrigen erschien es den Sozialdemokraten bei der engen Verbindung Berlins mit seinen Vororten gleichgültig, ob ein Wähler seit einem Jahr in Berlin wohnte oder vor kürzerer Zeit in einem Vorort gemeldet war. 309 Weiterhin forderte sie, jedoch ohne diese Forderung in ihren Antrag aufzunehmen, eine Abschaffung des Hausbesitzerprivilegs. Nachdem das Oberverwaltungsgericht entschieden hatte, daß ideelle Miteigentümer nicht als wählbare Hausbesitzer im Sinne der Städteordnung angesehen werden konnten, mithin nur der "Alleinbesitz" das Privileg begründete, war ihrer Meinung zufolge dieses Vorrecht nicht mehr aufrechtzuerhalten. 3lo Die Sozialdemokraten bemühten sich während der Beratung, den Unterschied zwischen indirekten und direkten Steuerleistungen im Reich und den Gemeinden, der gemeinhin zur Begründung des Klassensystems diente, herunterzuspielen. Sie wiesen auf die zahlreichen Kommunaleinnahmen aus indirekten Steuern hin. Darunter fielen die Zuschläge zur Braumalzsteuer, sämtliche Realsteuern, die allein von den Mietern getragen wurden, die Einnahmen aus den Überschüssen der Gas- und Wasserwerke sowie die Abgaben der Straßenbahn- und Elektrizitätsgesellschaft, die die Verbraucher und Nutzer aufbrachten. Schließlich konnte die aus der Wirtschaftsverfassung herrührende Einkommensstruktur nach sozialdemokratischer Meinung generell nicht den Grund für das ungleiche Wahlrecht abgeben. Die Stadt wandte überdies nur den geringeren Teil der Gemeindeausgaben für die "besitzlosen Klassen" auf, "deren Beschäftigung die Arbeit sei", während den Besitzenden der größte Teil des Kommunaletats zu Gute kam und ihr Einkommen häufig nur aus Kapital- und Zinserträgen stammte. 311 Zweifellos war der Versuch wenig erfolgversprechend, die geforderte Wahlrechtsänderung durch eine Korrektur des gängigen Bildes der kommunalen Steuer- und Etatstruktur sowie durch den Hinweis auf den Gegensatz von Kapital- und Arbeitseinkünften zu begründen. Der bürgerlichen Ausschußmehrheit fiel es daher nicht schwer, auf die zurückliegenden Lohnsteigerungen hinzuweisen, die nach liberaler Ansicht eine leistungsgerechte Entlohnung garanierten. Die städtischen Unterschichten zahlten zudem na308 Antrag Freudenberg und Singer zur Ausschußempfehlung. StBBln 1900, S.468. 309 Protokoll, Vorberatungsausschuß, 6. November 1900. VStBln 1900, DS Nr. 1087, S. 729. 310 Vgl. Endurteil des 2. Senats vom 21. September 1900. PrOVGE, Bd. 38, Ber!in 1901, S. 26-32, insbesondere S. 30 f. 311 Protokoll, Vorberatungsausschuß, 6. November 1900. VStBln 1900, S. 729. Protokoll auch in LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 136, BI. 56.

6. Sozialdemokratische Refonninitiativen zum Kommunalwahlrecht

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turgemäß die niedrigsten Mieten, verbrauchten überhaupt kein Gas und fuhren am seltensten Straßenbahn. Im übrigen durften nur die verschiedenen Arten innerer Verbrauchssteuern und die Zölle zu den indirekten Steuern gerechnet werden. Die ärmere Bevölkerung brachte von dem über 100 Millionen Mark betragenden Kommunaletat nur fünf Prozent auf, verbrauchte davon aber rund 65 Prozent. 312 Die Übernahme eines Kommunalamtes war nicht ohne Grund an ein Mindesteinkommen von über 660 Mark geknüpft. Prinzipiell hielten die Linksliberalen an der Beseitigung des Dreiklassensystems und des Hausbesitzerprivilegs fest, von der Bindung des Kommunalwahlrechts an die Zeitdauer des Wohnsitzes und insbesondere an die Steuerleistung wollte man jedoch nicht absehen. "Es dürfe ferner nicht ein Zustand eintreten", so der freisinnige Tenor, "daß diejenigen, welche keine Steuer zahlten, denjenigen, welche die Steuerlast zu tragen hätten, vorschrieben, wie groß diese Last sein müsse. Es müsse dies dazu führen, daß nicht nur nothwendige und zweckmäßige, sondern auch überflüssige Ausgaben gemacht würden, die den Steuerdruck unnötig vermehrten,,?13 Das weitestgehende Entgegenkommen von liberaler Seite fand sich in dem Alternativantrag des Stadtverordneten Rosenow, der eine Petition an den Landtag zur Abänderung des § 5 der Städteordnung und zur Aufhebung des § 16, d. h. des Hausbesitzerprivilegs, befürwortete. Zu den Voraussetzungen des Wahlrechts sollte neben dem einjährigen Aufenthalt und der Unabhängigkeit von öffentlicher Armenunterstützung die Leistung eines Beitrags zum Gemeindehaushalt ausreichen. Ansonsten wurde ein gleiches Wahlrecht und ein geheimes Wahl verfahren gefordert. In einem Zusatzantrag befürwortete Rosenow, daß die Veranlagung zur Einkommensteuer ausreichend, die wirkliche Steuererhebung nicht notwendig wäre. 314 Die Ausschußmehrheit lehnte sowohl die Uranträge als auch den Rosenowschen Zusatzantrag ab. Die Majorität zog sich auf die Ansicht zurück, daß eine Petition an den Landtag völlig aussichtslos erschien. Die Stadtverordneten-Versammlung sollte über die Erklärung, daß sie "eine Abänderung des Gemeindewahlrechts zwecks Einführung des gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts unter Bindung desselben an Seßhaftigkeit in der Gemeinde und an eine Steuerleistung,,315 für notwendig erachtete, über den Antrag Singer zur Tagesordnung übergehen. Ein letzter Versuch von Preuß, dem Ausschußantrag eine mildere Form zu geben, indem die Erklärung zur Reform des Kommunalwahlrechts konkret "die Beseitigung der KlassenA. a. 0., S. 729 f. A.a.O., S. 729. Reden Rosenow, Cassel. StVVersBln, 13. Dezember 1900. StBBln 1900, S. 474 u. 476. Vgl. auch Hirsch, Arbeit, S. 19 f. 314 VStBln 1900, S. 729. 315 StBBln 1900, S. 477. 312 313

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wahl, der öffentlichen Stimmabgabe und der Bevorrechtung der Hausbesitzer,,316 aufnahm, fand keine Berücksichtigung. Die Sozialdemokraten waren nicht an einer Vermittlung in der Wahlrechtsfrage interessiert. Sie hielten programmatisch an ihren Prinzipien fest und lehnten jede Diskussion über Teilfragen ab. Gegenüber soviel Prinzipientreue bemerkte Hugo Preuß ironisch: "Warum denn so bescheiden? Warum denn nicht heraus mit ihren Prinzipien? ... Wenn Sie nur Prinzipien proklamieren, nur Flagge hissen wollen, - ja, warum fordern Sie denn nicht, getreu Ihren wahren Prinzipien, das Kommunalwahlrecht für alles, was Menschenantlitz trägt. Allermindestens das Frauenstimmrecht entspricht doch ihrem Programm durchaus. Sie thun das nicht, Sie behalten die Flagge in der Tasche und beschränken sich auf gewisse prominente Gesichtspunkte".317 Völlig unverständlich war für Preuß, warum sich die Sozialdemokraten in ihrem Antrag nicht gegen die gesetzliche Garantie der Hausbesitzermehrheit in den Kommunalparlamenten aussprachen, galt das Hausbesitzerprivileg doch weitgehend als überholt, da der Hausbesitz nicht mehr das "Element der Seßhaftigkeit" in der Gemeinde repräsentierte. Den Sozialdemokraten war die Ablehnung ihres Antrages von vornherein bewußt. Ihnen ging es um die Desavouierung des politischen Gegners, eben darum, programmatische Widersprüche freizulegen und Machtansprüche anzuprangern. Curt Freudenberg sprach vom Interesse des Kommunalliberalismus, seine "Macht in den Rathäusern der großen Städte aufrechtzuerhalten",318 Paul Singer wies auf die plutokratischen Gründe hin, die in der Verweigerung der Liberalen zum Ausdruck kamen, sich für die Demokratisierung des Kommunalwahlrechts einzusetzen. "Sie sind schließlich nichts weiter als der Deckmantel dafür", rief Singer in der Stadtverordneten-Versammlung aus, "daß Sie kein allgemeines Wahlrecht geben wollen, wenn es eine Abbröckelung Ihrer kommunalen Macht bedeutet, weil Sie, solange Sie diese Macht haben, nicht gewillt sind, sich selbst zu depossedieren". "Diese Tatsache festgestellt zu haben und den Liberalismus, das Fortschrittlertum in der Auffassung der Majorität dieser Versammlung in das gebührende Licht gerückt zu haben", fuhr Singer fort, "kann uns schon allein genügen und hat uns für die Mühe, die wir uns mit unserem Antrag gemacht haben, reichlich entschädigt".319 Die Sozialdemokratie konnte sich wahlrechtspolitisch in ihrer führenden Rolle bestätigt sehen und auch von der Gewißheit ausgehen, den Linksliberalen "eine schwere moralische Niederlage" beigebracht zu haben. Ob man mit dieser, parteipolitischen Bedürfnissen gehorchenden Taktik indessen dem Fortschritt in 316 317 318 319

A. a. 0., S. 468. Rede Hugo Preuß. StVVersBln, 13. Dezember 1900. StBBln 1900, S. 472. Rede Freudenbergs. StVVersBln, 13. Dezember 1900. Aa.O., S. 471. Rede Singer. StVVersBln, 13. Dezember 1900. A.a.O., S. 475.

6. Sozialdemokratische Refonninitiativen zum Kommunalwahlrecht

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der Wahlrechtsfrage einen Gefallen getan hatte, war freilich eine andere Frage. Die folgenden Jahre machten deutlich, wie weit auch auf kommunaler Ebene das Problem der Wahlrechtsgleichheit und mit ihm die Revision der Städteordnung zu einem zentralen Punkt der politischen Auseinandersetzungen geworden war. Die sozialdemokratischen Reforminitiativen konzentrierten sich aber nicht auf Berlin, sondern auf die Gemeinden des hauptstädtischen Umlands. Im Vorort Chariottenburg320 forderten die Sozialdemokraten den Magistrat unter Federführung Bruno Borchardts im April 1904 auf, mit den Vertretungen anderer Kommunen in Verbindung zu treten, "um gemeinsam geeignete Schritte bei den gesetzgebenden Faktoren behufs Ersetzung des Dreiklassen-Wahl systems durch das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht unter Aufhebung des Privilegs der Grundbesitzer bei den Wahlen zur Gemeindevertretung zu unternehmen,,?21 Mit ihrem Antrag zielte die sozialdemokratische Fraktion nicht nur auf eine allgemeine Reform des Kommunalwahlrechts, sondern auch auf "eine gründliche Reformierung der gesamten Städteordnung im Sinne einer weitgehenden Selbstverwaltung" ab. 322 Dabei wurde unter Selbstverwaltung die breite Teilnahme der Bürgerschaft an den administrativen Gemeindeangelegenheiten verstanden. Die Wahlrechtsreform war gleichsam der Hebel zur "organischen Revidierung" des Kommunalrechts. Zugleich hofften die Sozialdemokraten durch die Aufhebung der Beschränkungen des passiven Wahlrechts den Weg für eine effizientere Sozialpolitik freimachen zu können. Verbesserungen auf dem Gebiet des Wohnungswesens waren bislang am Widerstand der Grund- und Hausbesitzer gescheitert. Es verstand sich von selbst, daß die Sozialdemokraten auf Grund der demokratischen Fundierung ihres Selbstverwaltungsbegriffs jeden Zusammenhang zwischen Steueraufkommen und politischer Partizipation in der Gemeinde verneinten. Prinzipiell war es nicht zulässig, erläuterte Borchardt, aus der höheren Steuerkraft "ein größeres Recht" abzuleiten. Eine generelle Differenz zwischen staatlichen und kommunalen Körperschaften in dem Sinne, daß es bei den Gemeinden lediglich um Verwaltung von Angelegenheiten ging, deren Kosten durch direkte Steuern aufgebracht wurden und folglich denjenigen Teilen der Bürgerschaft, die diese 320 Der Begriff "Vorort" darf nicht darüber hinweg täuschen, daß es sich bei Charlottenburg und anderen einzelnen Randgemeinden der hauptstädtischen Region um Großstädte handelte. Die kreisfreie Stadt Charlottenburg zählte nach den Ergebnissen der Volkszählung von 1905 nicht weniger als 239547 Einwohner. In der Fünfjahresperiode bis zur Volkszählung von 1910 nahm die Bevölkerung auf 305976 Einwohner zu. SJbdStCh, 1. Jg. (1912), S. 3. 321 VStCh 1904, DS Nr. 188, S. 209. 322 Rede Bruno Borchardt. StVVersCh, 20. April 1904. StBCh 1904, S. 2 f.

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

Geldmittel aufbrachten, ein Entscheidungsrecht zukam, bestand eben nicht. Gerade auf diesen Unterschied beharrte die liberale Fraktion. An die Wahlfähigkeit zur Kommune und zum Reich waren verschiedene Ansprüche zu stellen. Sicherlich mußte die Gemeinde, wie der Stadtverordnete Hans Crüger betonte, ebenfalls als politischer Faktor gesehen werden, aber in erster Linie handelte es sich hier doch "um die Rechte der Verwaltung", während es sich im Reich ausschließlich um die Wahrnehmung politischer Rechte handelte?23 Die liberalen Stadtverordneten gaben durchaus die Reformbedürftigkeit des Gemeindewahlrechts zu, das betraf sowohl das Dreiklassensystem an sich wie die Öffentlichkeit der Wahl und das passive Wahlrecht, doch zur Einführung des gleichen Wahlrechts wollte man sich keineswegs durchringen. "Darüber allerdings kann ich", so Crüger kategorisch, "eine bündige Erklärung abgeben: das Reichstagswahlrecht würden wir niemals bereit sein, dem Wahlrecht der Kommune zu Grunde zu legen". Der antidemokratische Charakter des liberalen Selbstverwaltungsbegriffs bestätigte sich in der Charlottenburger Wahlrechtsdebatte hinreichend. Selbstverwaltung verstand Crüger als Selbständigkeit der Kommune gegenüber der Regierung, ohne daß sich daraus ein Zusammenhang mit dem Wahlrecht ergab. "Wir wollen unabhängig, wir wollen frei sein, wir wollen Herr in eigenem Hause sein! Wir wollen, daß die Regierung uns so wenig wie möglich hineinredet! Das sind die Grundsätze der Selbstverwaltung. Diese Grundsätze stehen ... in einem sehr losen Zusammenhange mit dem Wahlrecht", betonte Crüger. Selbstverwaltung im liberalen Sinne bezog sich auf die "Selbstverwaltung der Privilegierten", bemerkte der sozialdemokratische Stadtverordnete Paul Hirsch, denen es nur um die Konservation der eigenen Machtposition ging und die aus Furcht vor dem Verlust politischen Einflusses am ungleichen Wahlrecht festhielten?24 Der sozialdemokratische Antrag wurde einem elfköpfigen Ausschuß zur Vorberatung übergeben, der sich mit der Einschränkung, das Wahlrecht weiterhin an die Bedingung des einjährigen Gemeindeaufenthaltes zu knüpfen, mehrheitlich für die Annahme aussprach. Während der Verhandlungen hatte man sich schnell auf die Einführung des geheimen Wahlverfahrens einigen können, da von allen Seiten anerkannt wurde, daß "die freie Betätigung der Überzeugung sehr häufig von wirtschaftlichen Schädigungen begleitet" wäre?25 Es wurde weniger der Druck auf die öffentliche Stimmabgabe der Arbeiter für die Sozialdemokratie befürchtet als derjenige auf kleine Kaufleute und Gewerbetreibende in "direkten Arbeitervierteln". Solange die Öffentlichkeit des Wahlverfahrens fortbestand, erzwang die 323 Rede H. Crüger. StVVersCh, 20. April 1904. A.a.O., S. 6 f. Auch zu den folgenden Zitaten. 324 Rede P. Hirsch. StVVersCh, 20. April 1904. A. a. 0., S. 8 f. 325 Ausschußbericht B. Borchardt, 7. September 1904. StBCh 1904, S. 132 f.

6. Sozialdemokratische Refonninitiativen zum Kommunalwahlrecht

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Furcht vor geschäftlichen Nachteilen hier "gar manche sozialdemokratische Stimme". An der Frage des gleichen und allgemeinen Wahlrechts hatten sich, wie nicht anders zu erwarten, langwierige Auseinandersetzungen entzündet. Die liberalen Ausschußmitgiieder326 wollten unter keinen Umständen für ein demokratisches Kommunalwahlrecht plädieren. Sie begründeten ihre ablehnende Haltung mit der divergierenden Intelligenz und dem unterschiedlichen Bildungsgrad einzelner Wählerschichten, ohne daß man in der Lage war, einen "Maßstab der Regelung für die Ungleichheit" zu benennen. Anstelle einer großzügigen Liberalisierung befürworteten die Freisinnigen die Erhöhung des bestehenden Zensus von 660 auf etwa 1200 bis 2400 Mark. Nachdem Erhebungen des Statistischen Amts der Stadt ergeben hatten, daß auf diese Weise eine erhebliche "Wahlentrechtung" eintreten würde, schon bei einem Zensus von 900 Mark fiel die Zahl der Wahlberechtigten von derzeitig 34600 auf 29200 zurück, bei einer unteren Grenze von 1200 sank die Wählerzahl auf 18300, bei 2100 Mark gar auf 9900 Wähler327 schob man den Gedanken einer Heraufsetzung des Zensus eilig beiseite. Bei ihren wahlrechtspolitischen Zugeständnissen beschränkten sich die Liberalen auf vage Andeutungen über ein Pluralwahlrecht. 328 Der Erfolg war, daß die Ausschußmehrheit die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts empfahl. Mit der Allgemeinheit sollte auch die Beschränkung des Kommunalwahlrechts auf preußische Bürger fallen. Jedem Deutschen, der in einer Gemeinde wohnte, sollte die Wahlberechtigung gegeben werden. Nur bei der Bedingung des einjährigen Aufenthalts wollte der Ausschuß nicht vom bestehenden Wahlrecht abgehen. Im Hinblick auf das passive Wahlrecht hatte der Ausschuß den Magistrat um weitere Ennittlungen über die Fluktuation des Grundbesitzes in Charlottenburg gebeten, um zu einem verläßlichen Urteil über die Funktion des 326 Die Charlottenburger Stadtverordneten-Versammlung setzte sich zum Zeitpunkt der Wahlrechtsdebatte aus vier Fraktionen zusammen: die Fraktion Alt-Charlottenburg (12), die Freie Vereinigung (26), die liberale (21) und die sozialdemokratische (11) Fraktion. Nach erheblichen Mandatsverlusten schlossen sich die beiden konservativen Fraktionen im Januar 1910 zur "Vereinigten alten Fraktion" zusammen, die nur noch fünfzehn Stadtverordnete stellte. Die liberale Fraktion war mit 44 Gemeindevertretern zur stärksten Gruppierung aufgerückt. Am l. April 1912 setzte sich die Gemeindevertretung aus 20 Vertretern der Vereinigten alten Fraktion, 44 Liberalen und 14 Sozialdemokraten zusammen. Vgl. BAChVB, AStVVersCh Nr. 128, BI. 70 f., 83, 89 u. 92. Charlottenburger Zeitung Neue Zeit, Nr. 2, Ausgabe vom 4. Januar 1910. SJbdStCh, l. Jg. (1912), S. 159. 327 Ausschußbericht Borchardt, 7. September 1904, StBCh 1904, S. 133. Die angegebenen Wählerzahlen sind abgerundet. 328 Das Plural wahlrecht wurde vor allem von nationalliberaler Seite favorisiert. Dazu ausführlicher in Abschnitt 7. Vgl. auch Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 163 f. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 476 ff.

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

Haus- und Grundbesitzes zu kommen. Die Auskünfte des Magistrats ergaben, daß der überwiegende Teil der bebauten Grundstücke, nämlich 61,2 Prozent in den letzten sechs Jahren nicht den Besitzer gewechselt hatte, was ebenfalls auf die unbebauten Grundstücke zutraf. Aus den Ergebnissen glaubte ein Teil der Ausschußmitglieder den Tatbestand eines stabilen, nicht zum Gewerbe gewandelten Haus- und Grundbesitzes geltend machen zu können, der eine bevorzugte politische Stellung rechtfertigte. Die Ausschußmehrheit sah jedoch bei einem gewerbemäßigen Verkauf von über einem Drittel aller Grundstücke, zumal einzelne Grundstücke im Erhebungszeitraum mehrmals den Besitzer gewechselt hatten, hinreichenden Grund, das Hausbesitzerprivileg aufzuheben. Aus dem Kommunalabgabengesetz, das die Heranziehung der Grundbesitzer zu besonderen Leistungen ermöglichte,329 ließ sich nach Auffassung der Majorität auch nicht eine politisch privilegierte Stellung ableiten, da das Gesetz sämtliche Gewerbetreibende einschloß. 330 Der Ausschuß machte abschließend auf die Möglichkeit eines interkommunalen Vorgehens, etwa auf dem bevorstehenden Brandenburgischen Städtetag, aufmerksam, empfahl ansonsten aber, dem Magistrat beim weiteren Vorgehen "freie Hand" zu lassen. 33l Bei den Beratungen der Stadtverordneten-Versammlung lehnte die liberale Fraktion, die sich nie des Verdachts entledigen konnte, bei dem ganzen Antrag handelte es sich, da auf absehbare Zeit kaum an eine Realisierungsaussicht zu denken war, wie in Berlin nur um ein agitatorisches Manöver der Sozialdemokratie,332 die Einführung des Reichstagswahlrechts in den Kommunen weiterhin ab. Zwar stand die Klassenwahl und die geheime Abstimmung auch für die Vorortsliberalen zur Disposition, doch nun sperrte man sich gegen die ersatzlosen Streichung des Hausbesitzerprivilegs. Im Namen seiner Fraktion erklärte der Stadtverordnete Reinhold ütto, der 1913 für den zehnten Potsdamer Wahlkreis in das Abgeordnetenhaus einziehen und später der verfassungsgebenden Landesversammlung Preußens angehören sollte, daß in kleineren Gemeinden die Grund- und Hausbesitzer "ein besonderes Element" in der städtischen Wählerschaft darstellten und diese Verhältnisse nicht durch die großstädtischen Interessen beiseite geschoben werden durften. 333 Von der Auffassung, kommunale Administration wäre ausschließlich 329 Vgl. § 9, Tit. 2, § 20, Tit. 3, 1. Abschnitt, Kommunalabgabengesetz 1893. GS 1893, S. 154 u. 156. Die besonderen Leistungen sah das Gesetz durch wirtschaftli-

che Vorteile gerechtfertigt, die einzelnen Gemeindemitgliedern aus der Herstellung und Unterhaltung von kommunalen Einrichtungen erwuchsen. 330 Ausschußbericht Borchardt, 7. September 1904. StBCh 1904, S. 135. Hirsch/ Lindemann, Das kommunale Wahlrecht, S. 22 ff. 331 Interessant ist an dieser Stelle, daß sich die Stadt in politischer Hinsicht an der Provinz orientierte, hier Verbindungen suchte, obwohl eine Beratung mit der hauptstädtischen Kommunalexekutive nahe lag. 332 Vgl. die Rede H. Crügers. StVVersCh, 20. April 1904. StBCh 1904, S. 5.

6. Sozialdemokratische Refonninitiativen zum Kommunalwahlrecht

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Vermögensverwaltung und daher nur aus der Teilnahme an den Gemeindelasten ein Wahlrecht abzuleiten, ließen sich die Liberalen nicht abbringen. Ebensowenig dachten sie mehrheitlich daran, nichtpreußischen Deutschen das Kommunalwahlrecht zuzugestehen. Eine Haltung, die die Sozialdemokraten als absurd abtaten, denn es war allen Reichsangehörigen, wie Paul Hirsch darlegte, schon durch die Landgemeindeordnung ein kommunales Wahlrecht eröffnet worden, so daß es aufgrund der differierenden kommunalrechtlichen Strukturen im Agglomerationsraum der Hauptstadt ein unterschiedliches Gemeindewahlrecht für die Reichsangehörigen gab. Es war ein unhaltbarer Zustand, führte Hirsch weiter aus, "wenn jemand, der vielleicht sächsischer oder bayrischer Staatsangehöriger ist, hier in Charlottenburg nicht wählen darf, wenn er ein paar Häuser weiter nach Wilmersdorf zieht, nun vollberechtigter Bürger ist und das Stimmrecht hat,,?34 Die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung war unabdingbar. Den liberalen Alternativantrag, den Magistrat zu ersuchen, "mit den Vertretungen anderer Kommunen in Verbindung zu treten, um gemeinsam geeignete Schritte bei den gesetzgebenden Faktoren zu unternehmen behufs Abänderung des Gemeindewahlrechts bezüglich der öffentlichen Abstimmung, des Dreiklassenwahlsystems, sowie des Privilegs der Hausbesitzer in seiner jetzigen Ausdehnung", hielt man auf sozialdemokratischer Seite für verschwommen und unklar. Zumal positive Ziele, wie etwa die von Dtto erwähnte Möglichkeit der Einführung des proportionalen Wahlrechts, unausgeführt und unglaubwürdig blieben, da bei der grundsätzlichen Ablehnung des allgemeinen und gleichen Kommunalwahlrechts, niemand daran glaubte, die Liberalen würden sich generell für das proportionale Wahlsystem einsetzen. Schließlich wußte man nur zu gut, wie Hirsch bemerkte, "daß mit dem Augenblick, wo das proportionale Wahlsystem in Charlottenburg eingeführt, die liberale Fraktion aus dem Stadtparlament verschwinden würde". Aber auch in anderer Hinsicht monierten die Sozialdemokraten die Unbestimmtheit des liberalen Antrags: dem Magistrat war keine klare Richtschnur gegeben. Er konnte dem Antrag nicht entnehmen, in welcher Richtung die Mehrheit der Stadtverordneten eine Abänderung des Wahlrechts bzw. der Städteordnung wünschten. 335 Der Mangel positiver Bestimmtheit hielt die Mehrheit der Stadtverordneten nicht ab, den liberalen Alternativantrag anzuRede, R. Otto. StVVersCh, 7. September 1904. A.a.O., S. 136. Siehe, auch im Folgenden, die Rede von P. Hirsch. StVVersCh, 7. September 1904. A. a. 0., S. 136-138. Wilmersdorf wuchs im ersten Dezenium nach der Jahrhundertwende zur Großstadt heran. Die Einwohnerzahl nahm von 37650 im Jahre 1900 auf 123200 im Jahre 1910 zu. Obwohl die Kreisordnung von 1872 bereits für Gemeinden ab 25000 Einwohner die Bildung eines eigenen Kreisverbandes oder Stadtkreises erlaubte, gelang Wilmersdorf erst im Jahre 1906 die Loslösung vorn Kreis Teltow und somit die Entlassung in die kommunale Selbständigkeit. Die Bevölkerungszahlen nach VerwBBln 1920-1924, H. 1, S. 46. 333

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

nehmen. In namentlicher Abstimmung votierten nur die anwesenden zehn sozialdemokratischen Mitglieder und der Redakteur Rudolf Penzig von der liberalen Fraktion für den Borchardtschen Antrag. 336 Der Magistrat verhielt sich gegenüber dem Stadtverordnetenantrag so, wie es die Sozialdemokraten vorausgesehen hatten. Der Mangel an positiven Bestimmungen nötigte die kommunale Exekutive zu langwierigen Erhebungen über die Ausübung des Wahlrechts, um an deren Hand detaillierte Vorschläge auszuarbeiten. Geradezu genüßlich konnte Bürgermeister Paul Matting den Stadtverordneten vorhalten, daß sie die Wahlrechtsfrage "in der Tat recht unklar gelassen haben". "Es liegt zum Beispiel nicht so", fuhr Matting fort, "daß sie gesagt haben: wir wünschen, daß das Dreiklassenwahlrecht durch das gleiche allgemeine Wahlrecht ersetzt werde. Im Gegenteil, Sie haben in dieser Beziehung die unbeschränkte, unbedingte Übertragung des Reichstagswahlrechts ausdrücklich abgelehnt. Es ist von irgendeinem Plural- oder Proportionalwahlrecht in allen möglichen Variationen gesprochen worden; aber wie und in welcher Beziehung und in welcher Gestalt Sie sich eine Abänderung des Dreiklassenwahlrechts denken - über diese Frage ist zum Mindesten eine Übereinstimmung in der Versammlung nicht erreicht worden, und ebenso wenig über die Frage, ob und in welchem Umfange das Recht der Hausbesitzer beschränkt werden soll".337 Zudem nahm der Magistrat für sich das Recht in Anspruch "ein vollständig gleichberechtigter Faktor in der kommunalen Arbeit zu sein", was insbesondere bei einer wichtigen Gemeindefrage Anlaß gab, genau zu prüfen, in welchem Umfang der Magistrat dem Stadtverordnetenantrag nachkommen konnte. So ließ die kommunale Exekutive Auszählungen über die Beteiligung der Steuerstufen an den Wahlen, die Altersstruktur und Staatsangehörigkeit der Wähler sowie über die Dauer ihres Ortsaufenthaltes anstellen. Bei der Zentral stelle des Deutschen Städtetages wurde für die Beschaffung weiteren Materials angefragt, ohne daß sich daran konkrete Initiativen an335 So der Stadtverordnete Borchardt. A.a.O., S. 141. Eine veränderte Politik des Nationalliberalismus, die sich unter Einschluß der gemäßigten Sozialdemokratie als "neue Politik der Mitte" jenseits des starren Blockdenkens zu profilieren suchte, will Simone Lässig in Sachsen ausgemacht haben. Vgl. dies., Wahlrechtskampf und Wahlrechtsreform in Sachsen (1895-1909), Weimar-Köln-Wien 1996. Relativierend bzw. vor Überinterpretation warnend jedoch Christoph Nonn, Arbeiter, Bürger und "Agrarier": Stadt-Land-Gegensatz und Klassenkonflikt im Wilhelminischen Deutschland am Beispiel des Königreichs Sachsen, in: Demokratie und Emanzipation zwischen Saale und Eibe. Beiträge zur Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung bis 1933, hrsg. von H. Grebing/H. Mommsen/K. Rudolph, Essen 1993, S. 101-113. 336 Neben Borchardt und Hirsch waren es Eduard Dörre, Carl Jander, Wilhelm Mickler, Ferdinand Pasche, Gustav Schamberg, August Sellin, Heinrich Vogel und Georg Zepler. StBCh 1904, S. 142; VStCh, DS Nr. 385, S. 435. 337 Rede Matting. StVVersCh, 31. Januar 1906. StBCh 1906, S. 30.

6. Sozialdemokratische Refonninitiativen zum Kommunalwahlrecht

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schlossen. Ein Versuch der Sozialdemokraten, den Magistrat zum beschleunigten Handeln aufzufordern, wurde von der Mehrheit der Stadtverordneten abgelehnt. 338 In Berlin dauerte es siebzehn Jahre, nachdem in der Zwischenzeit die kommunale Wahlbezirks reform im Mittelpunkt der wahlpolitischen Auseinandersetzungen gestanden hatte,339 bis die noch vereinigte sozialdemokratische Fraktion im September 1917 der Berliner Kommunalvertretung den Antrag vorlegte, alle Besitzvorrechte wie das Hausbesitzerprivileg, die Klasseneinteilung oder die Steuerleistung aufzuheben und sämtlichen Einwohnern beiderlei Geschlechts das gleiche, geheime und direkte Wahlrecht mit der Vollendung des 20. Lebensjahres zu verleihen. Als es in der ersten Oktoberhälfte endlich zur Plenardebatte in der Stadtverordneten-Versammlung kam, erklärte Hugo Heimann die kommunale Forderung zum Bestandteil der notwendigen Änderung der Verfassung und inneren Verwaltung Preußens. Die Demokratisierung des Wahlrechts, die nicht aufzuhalten war, gehörte zu den ersten Bedingungen der politischen Umgestaltung. Durch die positive Entscheidung der "ersten und bedeutendsten Gemeindevertretung in Deutschland" in der Wahlrechtsfrage wollte man dem angestrebten Bruch mit dem preußischen Obrigkeitsstaat einen wichtigen Impuls geben. 34o Für die Sozialdemokratie stellte der Wahlrechtsantrag aber auch ein politisches Mittel dar, die aktuelle Haltung des Linksliberalismus auszuloten. Heimann fragte offen, ob die Liberalen noch der Auffassung von der Gemeinde als wirtschaftliche Korporation nachhingen, die Selbstverwaltung ungebrochen als Vermögensverwaltung begriffen und folglich die politische Teilhabe weiterhin zwingend von den Leistungen zu den Kommunallasten abhängig machen wollten. Wehrte der Linksliberalismus, wie Heimann polemisch fragte, noch immer mit den gleichen Worten, mit denen die Konservativen im Abgeordnetenhaus gegen die freisinnigen Wahlrechtsanträge opponierten, in den Kommunalvertretungen die sozialdemokratischen Initiativen zur Änderung des Kommunalwahlrechts ab? Anlaß diese Frage zu bejahen, besaßen die Sozialdemokraten genug. Der zweite Preußentag der Fortschrittlichen Volkspartei hatte sich in der ersten Junihälfte zwar für die preußische Wahlrechtsreform ausgesprochen, war aber der Forderung nach einer Demokratisierung des Gemeindewahlrechts ebenso ausgewichen wie einer eindeutigen Erklärung über die staatsbürgerliA.a.O., S. 31. VStCh 1906, DS Nr. 485, S. 549. Siehe dazu Kap. 8, Unterabschnitt 5. 340 Rede Heimann. StVVersBln, 11. Oktober 1917. StBBln 1917, S. 337ff. Die Wahlrechtsdebatte auch dokumentiert in LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 138, BI. 91-99. Siehe dazu Berliner Lokal-Anzeiger, Ausgabe vom 11. Oktober 1917. Vorwärts, Ausgabe vom 12. Oktober 1917. 8 Uhr Abendblatt, Ausgabe vom 3. November 1917. 338 339

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che Gleichberechtigung der Frauen als unabdingbarem Bestandteil der Wahlrechtsreform. 341 Der Berliner Stadtverordnete Hugo Sonnenfeld hatte sich auf dem Preußen tag rückhaltlos gegen eine Demokratisierung des kommunalen Wahlrechts ausgesprochen. Die Einführung des Reichstagswahlrechts in der Gemeinde erklärte Sonnenfeld als unvereinbar mit den Grundsätzen des Liberalismus, während er das "freie, gleiche Massenwahlrecht" als Bedrohung der wirtschaftlichen und geistigen Leistungen des Bürgertums hinstellte. 342 Die Berliner Liberalen ließen sich durch die sozialdemokratische Herausforderung nicht zu exponierten Stellungnahmen hinreißen. Sie vermieden jede Form einer abschließenden Erklärung zum Kommunalwahlrecht. Nur in der Frage der Gleichberechtigung der Frauen und der Altersgrenze für die politische Mündigkeit äußerten sie sich eindeutig. Weder die Herabsetzung der Wahlbefugnis auf 20 Jahre noch die Zulassung der Frauen zum Wahlrecht kam für die Liberalen in Frage. Die politische Teilhabe der Frauen schien den Linksliberalen mit der Zulassung zum Bürgerdeputiertenamt unter Gewährung beschließender Kompetenz schon weitgehend erreicht. Man wollte allenfalls überdenken, ob nicht den selbständigen Frauen in den Gemeinden die Wahlberechtigung einzuräumen war. 343 Ansonsten war nicht zu übersehen, daß das Prinzip des "Wer mit raten will, soll auch mit taten" weiterhin das politische Denken des Kommunalliberalismus beherrschte. Ein leistungsunabhängiges Wahlrecht ließ sich nach wie vor nicht mit dem liberalen Gemeindebegriff vereinbaren. "Wir werden ein Wahlrecht suchen müssen", bemühte sich Cassel die liberale Position eher zu verschleiern als zu verdeutlichen, "das einerseits denjenigen, die in der Gemeinde schaffen und arbeiten, das Gefühl noch läßt, daß sie auch die Möglichkeit haben an maßgebender Stelle ihre Ansicht zu äußern und zu vertreten und für sie einzutreten; wir werden im übrigen auf die besondere Natur der städtischen Verhältnisse Rücksicht nehmen und danach das Wahlrecht gestalten müssen". Das war nicht die kompromißlose Forderung nach voller staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit und Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts für sämtliche Vertretungskörperschaften auf der Grundlage des Verhältniswahlrechts, wie sie die Demokratische Vereinigung im April 1909 auf ihrem ersten Berliner Parteitag erhoben hatte,344 sondern die mehr oder weniger deutliche Absage der Fortschrittlichen Volkspartei an die politische Gleichheit in den Gemeinden. Vgl. Elm, Fortschritt, S. 347. Siehe dazu den Redebeitrag Adolph Hoffmanns. StVVersBln, 11. Oktober 1917. StBBln 1917, S. 347. 343 Rede Cassel. StVVersBln, 11. Oktober 1917. StBBln 1917, S. 342 ff. 344 Vgl. Wegner, Barth, S. 125 f.; Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 136. Elm, Fortschritt, S. 207. 341

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6. Sozialdemokratische Refonninitiativen zum Kommunalwahlrecht

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Besserungen, ja Neuerungen sollten möglich sein, das wurde besonders vom sozialfortschrittlich orientierten Flügel der Liberalen betont. Ein offenes Bekenntnis zur uneingeschränkten Wahlrechtsgleichheit erwartete man aber auch von dieser Fraktion vergebens. Leopold Rosenow erwähnte während der Plenardebatte die Kriterien der Seßhaftigkeit und der Steuerleistung, wenngleich unter Außerachtlassen der tatsächlichen Erhebung, als Wahlrechtsvoraussetzungen. 345 In der Frage des Frauenwahlrechts ging man allerdings weiter als die Volkspartei. Von dieser Fraktion des Kommunalliberalismus konnte die Berliner Frauenbewegung, die noch im gleichen Jahr mit einer Petition zur Verleihung des aktiven und passiven Wahlrechts in der Gemeinde aufwartete,346 am ehesten Unterstützung für ihre berechtigten Forderungen erhoffen. Der in der Stadtverordneten-Versammlung anwesende Oberbürgermeister Wermuth sah wie Cassel neben der Wahlrechtsfrage die zukünftige Organisation der kommunalen Selbstverwaltung als zumindest gleichgewichtiges Problem an. Der bürgerliche Liberalismus blieb auf den Gegensatz zum Staat fixiert, so daß Forderungen wie die Erweiterung der Gemeindekompetenzen, die Reduzierung der Kommunalaufsicht oder die Kommunalisierung polizeilicher Befugnisse als wesentliche Erwartungen zukünftiger Verwaltungsorganisation hervorgehoben wurden. 347 Die Sozialdemokraten fanden sich durch die Verlautbarungen Cassels und Rosenows in ihrer Auffassung vom nur begrenzten Demokratisierungswillen des Linksliberalismus bestätigt. Der Verweis auf die Staats- und Verfassungsreform verschleierte nach Auffassung des unabhängigen Sozialdemokraten Hoffmann nur die fehlende Bereitschaft, politische Veränderungen in Preußen durch Druck von unten zu unterstützen. Die Demokratisierung des Wahlrechts war eine nicht teilbare politische Frage, die, wenngleich sie in den gesetzgebenden Körperschaften entschieden wurde, durch eine kommunale Initiative Berlins, der vermutlich andere Städte folgen würden, beispielhaft nach außen wirken konnte. Die Überweisung des Antrags an eine gemischte Deputation, so der sozialdemokratische Vorwurf, diente allein der Verschleppung der Wahlrechtsfrage. Die Vorbereitung auf den Augenblick, in dem ein Reformverlangen wirksam an die Öffentlichkeit getragen werden konnte, wie Rosenow zur Verdeutlichung der liberalen Position betonte, ignorierte die seit Jahren wiederholten Forderungen zur Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, deren Virulenz nach dem ReRede Rosenow. StVVersBln, 11. Oktober 1917. StBBln 1917, S. 345 f. Petition der Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit, Abteilung für kommunale Arbeit in der Ortsgruppe Berlin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins vom 31. Dezember 1917. LAB, StA Rep. 01-03, Nr. 138, BI. 115-117. 347 Rede Wennuth. StVVersBln, 11. Oktober 1917. StBBln 1917, S. 344 f. 345

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9. Kap.: Gemeindewahlrecht im Kaiserreich

formversprechen des Monarchen vom 11. Juli 348 nur noch drängender geworden war. Das spätere Urteil Paul Hirschs, die Furcht vor der Sozialdemokratie hätte den Linksliberalismus zur Preisgabe seiner eigenen Grundsätze in der Wahlrechtsfrage verleitet,349 hat gewiß seine Berechtigung, es übergeht aber die nicht minder vorhandene Furcht der Sozialdemokraten vor dem zersetzenden Einfluß des liberalen Reformismus auf die eigene Anhängerschaft und die Partei selbst. Die Wende zu einer Demokratisierung des Kaiserreichs hätte von der Sozialdemokratie gefordert, ebenso die fortschrittlichen Ansätze im liberalen Lager zu fördern, wie sie von diesem verlangen mußte, taktische Erwägungen aufzugeben und eine Reformallianz mit der Sozialdemokratie zu suchen. 35o Da sowohl das eine als auch das andere nicht gelang, trugen beide Bewegungen, trotz aller demokratisierenden Programmatik, zur Erhaltung des bestehenden Systems bei. Hugo Preuß hatte dieses Problem schon während der Wahlrechtsdebatte des Jahres 1900 in aller Deutlichkeit erkannt. Sein Appell, an einer öffentlichen Bekundung des prinzipiellen Standpunktes der Gemeinden in der Wahlrechtsfrage festzuhalten und, obwohl man beim Kommunalwahlrecht vor einer, von der Gesetzgebung abgeschlossenen Materie stand, die übereinstimmenden Grundsätze der Parteien in den Vordergrund treten zu lassen,351 fand weder auf liberaler noch auf sozialdemokratischer Seite Gehör. So verschieden die Haltungen des Liberalismus und der Sozialdemokratie in der Frage der Demokratisierung des Kommunalwahlrechts auch waren, in einer Hinsicht sollte es keine grundlegenden Differenzen zwischen den beiden Parteien geben: die Unterrepräsentation der Städte auf Staatsebene. Eine ausgeklügelte Wahlkreis geometrie der Regierung sorgte zum Vorteil des staatsnahen Konservativismus für eine Benachteiligung des städtischen Wählers. Die gemeinsame Kritik an der Wahlkreiseinteilung in Preußen sollte schließlich zu einer, wenn auch späten Annäherung zwischen den Liberalen und den Sozialdemokraten in der Frage der Wahlrechtsgleichheit führen.

348 Siehe dazu Kap. 10, Unterabschnitt 4. Vgl. dort auch die Stellungnahme Cassels und Pachnickes zum Loebellschen Plan, für den Landtag ein Pluralwahlsystem einzuführen, in der sie ohne Rücksicht auf die kommunalpolitischen Konsequenzen an der programmatischen Erklärung für ein allgemeines und gleiches Wahlrecht festhielten. 349 Hirsch, Arbeit, S. 25. 350 Wegner, Barth, S. 143 ff. u. 157 ff. 351 Rede Preuß. StVVersBln, 13. Dezember 1900. StBBln 1900, S. 473.

Zehntes Kapitel

Die politische Unterrepräsentation der Großstadt kommunale Bemühungen zur Reform des Landtagswahlrechts und zur Revision der Wahlkreiseinteilung in Preußen 1. Das preußische Wahlsystem und die Unterprivilegierung der Großstadt

Der von der Staatsregierung vorgelegte Verfassungs entwurf vom 20. Mai 1848 hatte die Zahl der vom Volk zu wählenden Repräsentanten nicht festgelegt, sondern wollte dies einem besonderen Wahlgesetz vorbehalten. Die Verfassungskommission der Nationalversammlung hielt dagegen die Feststellung der Repräsentantenzahl für erforderlich, sah allerdings keine Notwendigkeit, einen Bevölkerungsmaßstab für die Wahl eines Abgeordneten, das hieß die Anzahl der Einwohner pro Mandat, in die Verfassungsurkunde aufzunehmen. Im Entwurf der Verfassungskommission wurde die Zahl der Abgeordneten auf 350 festgelegt und allgemein bestimmt, daß die Wahlbezirke nach Maßgabe der Bevölkerung einzurichten wären, da nur diese die Grundlage für die Verteilung der festgesetzten Repräsentantenzahl auf die einzelnen Landesteile bilden konnte. 1 Die oktroyierte Verfassung von 1848 I Rönne, Staatsrecht, Bd. 1,1, S. 218. Zur Entstehungsgeschichte des Dreiklassenwahlrechts vgl. Boberach, Wahlrechtsfragen, S. 137 ff.; GrünthaI, Dreiklassenwahlrecht, S. 28 ff. Grünthai folgt Boberachs These, daß das von Innenminister von Manteuffel im März/April 1849 entworfene Kommunalwahlrecht für die gesamte Monarchie in Anlehnung an das Prinzip der rheinischen Gemeindeordnung konzipiert in das Ende Mai oktroyierte Wahlgesetz übernommen worden ist. Die Korrekturen des rheinischen Dreiklassenwahlrechts, das weder ein allgemeines noch ein indirektes, öffentliches Wahlrecht war, basierten einerseits auf der Voraussetzung des vom Statistischen Büro durch Kar! Friedrich Wilhelm Dieterici entwickelten Modells einer Klassifizierung der gesellschaftlichen Interessensgruppen nach Steuerstufen, andererseits auf der politischen Zielsetzung, das allgemeine Wahlrecht weitgehend beizubehalten, zugleich aber die Repräsentanz des Großgrundbesitzes zu sichern. Da die Klassifizierung der Urwähler nicht einem für den ganzen Staat fixiertem System, sondern den jeweiligen örtlichen Steuerverhältnissen folgte, war das ungleiche Wahlrecht auch für die Liberalen annehmbar. Wie das Dreiklassensystem, wenn auch unter der Ungleichheit der Stimmengewichtung, allen gesellschaftlichen Gruppen zumindest die Möglichkeit zur Artikulation ihrer Interessen geben sollte, so war es, worauf Grünthai besonders hinweist, nicht durchweg restaurativ, sondern

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übernahm diese Regelung. 2 Bei der Revision der Verfassung fiel der Passus zum Bevölkerungsprinzip fort. An seine Stelle trat die Bestimmung, die Wahlbezirke durch Gesetz einzurichten. Sie konnten aus einem einzelnen oder mehreren Kreisen bzw. aus einer oder mehreren der größeren Städte bestehen. 3 Die provisorische Verordnung über die Ausführung der Abgeordnetenwahlen hatte 1849 die Bildung der Wahlbezirke in die Hände der Bezirksregierungen gelegt. Diese sollten auf der Basis der letzten allgemeinen Volkszählungsergebnisse die Wahlbezirke so einrichten, daß von jedem Wahlkörper mindestens zwei Abgeordnete zu wählen waren. Ausnahmsweise konnten Kreise, die verschiedenen Regierungsbezirken angehörten, durch Weisung des Oberpräsidenten zu einem Wahlkreis vereinigt werden, soweit es die Lage und Verhältnisse der Kreise geboten erscheinen ließen. 4 Die Revisionskammer konnte die Wahlkreiseinteilung aus der einseitigen Bindung an die Regierungsbehörden lösen, mußte jedoch auf Druck der Staatsregierung von einer bevölkerungsmäßigen Fundierung der Wahlbezirke Abstand nehmen. Bei der zu Beginn der fünfziger Jahre angeordneten Revision der Wahlbezirkseinteilung machte Innenminister von Manteuffel deutlich, daß die Verfassung die Bevölkerungsziffer zwar nicht als entscheidendes Kriterium für die Wahlbezirkseinteilung entwickelt hatte, aber in dieser Beziehung "doch auf ein gewisses Gleichmaß" hinzuwirken war. Nach ministerieller Auffassung sollten starke Ungleichheiten im Hinblick auf Größe und Bevölkerung der Wahlbezirke ausgeglichen, darüber hinaus die Bildung übermäßig ausgedehnter Wahlkreise vermieden werden. 5 Oberpräsident von FlottweIl beklagte im Juli 1850 mit Blick auf die Verhältnisse im Regierungsbezirk Potsdam das Zerreißen der Kreise und die Verbindung einzelner Kreisteile mit verschiedenen Wahlbezirken. 6 Diese administrativen Maßnahmen waren vornehmlich, wie der Minister des Innern später selbst bekannte, von dem Bestreben getragen, konservative Mehrheiten unter den eine "geschickt inszenierte Kompilation von Teilen sich ansonsten gegenseitig ausschließender Wahlrechtskonzeptionen konservativer, liberaler oder demokratischer Provenienz". Es stand dabei mit einer politischen Konzeption in Verbindung, die dem Staatsregiment die Funktion einer über den Parteien stehenden Intstanz zum Ausgleich konkurrierender innergesellschaftlicher Interessen und jener zwischen Staat und Gesellschaft zugedachte. 2 § 66, Tit. V, OPrVerfUrk, 5. Dezember 1848. GS 1848, S. 384. 3 Art. 69, Tit. V, PrVerfUrk, 31. Januar 1850. GS 1850, S. 27. 4 § 3, AusfVO, WVO 1849. GS 1849, S. 205. Beispiele für willkürliche, politisch begründete Wahlkreiseinteilungen finden sich bei Gerlach, Geschichte, S. 24. 5 Verfügungen von Manteuffels vom 7. u. 18. Juli sowie 3. August 1850. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 48, Bd. 1, BI. 20, 21b u. 32. 6 Bericht Flottwells vom 18. Juli 1850. A.a.O., BI. 35.

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Wahlmännern abzusichern. 7 Die politische Zielsetzung erwies sich in den Augen der Provinzialbürokratie als schwerer organisatorischer Nachteil. Oberpräsident von Flottwell empfahl deshalb, von einer "organischen" Bildung der Wahlbezirke auszugehen, die ebenso die historischen Zusammenhänge der Kreise berücksichtigte wie eine "ziemliche" Übereinstimmung in der äußeren Physiognomie der Bevölkerung, den Handels- und Verkehrsverhältnissen, ja selbst in der Bodenqualität und den Erzeugnissen zu erzielen suchte. 8 Im Juli 1850 stellte Friedrich Wilhelm IV. im Anschluß an eine gemeinsame Denkschrift des sächsichen und westfälischen Oberpräsidenten zur Einteilung der Wahlbezirke fest, daß Stadtgemeinden mit "vorwiegend städtischem Leben" eine besondere parlamentarische Vertretung erhalten, während in jedem Kreis soweit wie möglich stets ein Abgeordneter gewählt werden sollte. Wenn Kreise kombiniert werden mußten, war Rücksicht auf die gemeinschaftlichen Interessen der zusammenzulegenden Gebiete zu nehmen. Die Bevölkerungsziffer sollte nicht als Maßstab für die einzelnen Wahlbezirke in Erwägung gezogen, sondern nur bei der Verteilung der Abgeordnetenmandate auf die Provinzen berücksichtigt werden. 9 Die daraufhin im Innenministerium zusammengestellten Grundsätze zur Wahlkreiseinteilung legten über die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen hinaus im einzelnen fest, daß bei der Feststellung der Wahlbezirke mehr von organischen als von rechnerischen Gesichtspunkten auszugehen war, ohne die Interessen der größeren Städte wie der übrigen Kommunalverbände zu verletzen. 1O Im Allgemeinen war auf die Einrichtung kleinerer Wahlbezirke Bedacht zu nehmen. Unstatthaft war in jedem Fall das Zerreißen einzelner Kreise. II Das Innenministerium hielt die Bildung besonderer städtischer Wahlkreise für außerordentlich wünschenswert. Ob aber eine größere oder kleinere Anzahl städtischer Wahlbezirke zu etablieren war, hing von den Wünschen der beteiligten Kommunen ab. 12 Ergab sich der Wunsch oder die Notwendigkeit, mehrere Städte zu einem Wahlbezirk zu vereinigen, mußten die Vertretungen der betroffenen Gemeinden gehört werden. 13 Soweit einzelne Stadtgemeinden kein "eigentümliches städtisches Leben" aufwiesen, waren sie bei der Konstituierung der Wahlbezirke außer Betracht zu lassen. 14 Sämtliche Oberpräsidenten wurden aufgefordert, nach diesen Ministerialerlaß vom 4. September 1852. Aa.O., Bd. 3, BI. 181. Bericht von FlottweIl, 18. Juli 1850. A a. 0., Bd. 1, BI. 36. 9 Erlaß Friedrich Wilhelms IV. vom 24. Juli 1850. A a. 0., BI. 57. 10 A a. 0., BI. 360. II Aa.O., BI. 361. 12 A a. 0., BI. 360. 13 Aa.O., BI. 361. 14 A a. 0., BI. 360. 7

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Kriterien eine Revision der Wahlbezirke vorzunehmen, wobei regelmäßig die Provinziallandtage zur Stellungnahme aufgefordert werden mußten. Für die Landeshauptstadt ergaben sich aus diesen Bedingungen keine besonderen Schwierigkeiten. Die Metropole bildete einen selbständigen Wahlkörper, der in mehrere Wahlkreise aufgeteilt wurde. In den ländlichen Gebieten der umliegenden Provinz bereitete die Verbindung einzelner Kreise sowie die Bildung selbständiger städtischer Wahlbezirke hingegen erhebliche Probleme. Im Regierungsbezirk Potsdam stieß die Zusammenlegung des Kreises Beeskow-Storkow mit dem bevölkerungsstärkeren Kreis Teltow auf Widerstand. Die Kreisvertretung von Beeskow-Storkow verlangte die Einrichtung eines eigenen Wahlkreises, da sie nur auf diese Weise eine parlamentarische Vertretung des Kreises gesichert sah. Der Kreis Oberbarnim wollte an dem bisherigen Verbund mit den Kreisen Niederbamim und Angermünde festhalten. Die Städte Brandenburg und Spandau weigerten sich, aus ihrem jeweiligen Kreisverband herausgerissen zu werden. Allein die Stadt Potsdam erklärte sich in Übereinstimmung mit den Provinzialständen zur Bildung eines eigenen städtischen Wahlkreises bereitY Im Bezirk Frankfurt/Oder versuchte die Regierung die größeren Städte in einem Landtagswahlbezirk zu vereinen, blieb jedoch ohne Erfolg. Durch die organisatorischen Mängel der revidierten Wahlbezirkseinteilung angeregt, schlugen die bei den Regierungspräsidenten der Provinz Brandenburg vor, mit der Neueinteilung der Wahlbezirke bis zum Erlaß eines definitiven Wahlgesetzes zu warten. 16 Der neu ins Amt getretene Innenminister von Westphalen hatte zwischenzeitlich festgestellt, daß die aus den verschiedenen Provinzen eingereichten Tableaus der Wahlbezirke in zahlreichen Fällen mit der Wahlverordnung von 1849 kollidierten, da sie an statt der vorgeschriebenen Zweierwahlkreise kleinere Bezirke mit nur einem Abgeordnetenmandat projektierten. 17 In verschiedenen Provinzen kam es zwar noch zu einzelnen Änderungen der Wahlbezirkseinteilung, aber im großen und ganzen blieb die bestehende Ordnung erhalten. Für die Provinz Brandenburg stellte Oberpräsident von FlottweIl resignierend fest, daß das Gebot der Zweierwahlkreise jede Alternative verhinderte, die Provinz deshalb an der alten Einteilung festhalten mußte. 18 Wenn einzelne Regierungspräsidenten auf die baldige Ablösung der provisorischen Wahlverordnung durch ein definitives Wahlgesetz gehofft hat15 Vg1. den Bericht Flottwells, 2. Dezember 1850. A. a. 0., Bd. 2, BI. 37 f.; den Bericht des 10. brandenburgischen Provinziallandtages vom 22. September 1851. A. a. 0., Bd. 3, BI. 52. Die Tableaus der Landtagswahlkreise der Provinz Brandenburg, a. a. 0., Bd. 2, BI. 67 u. 366. 16 Bericht von FlottweIl, 31. August 1852. A.a.O., Bd. 3, BI. 160. 17 Zirkularerlaß von Westphalens, 21. Juni 1852. A.a.O., BI. 101. 18 Bericht von FlottweIl, 31. August 1852. A.a.O., BI. 159.

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ten, sahen sie sich bald getäuscht. Die Vorlage eines Wahlgesetzes bereitete durch die unmittelbare verfassungsrechtliche Verknüpfung des Landtagswahlrechts mit der "Befähigung zu den Gemeindewahlen,,19 zahlreiche Schwierigkeiten. Schon die unterschiedlichen Wahlrechts qualifikationen in den Städteordnungen wie die vielfältigen Voraussetzungen des Kommunalwahlrechts behinderten den Erlaß des von der Verfassung geforderten Wahlgesetzes. Doch selbst wenn man von der Aufnahme der verschiedenen Qualifikationen zum Gemeindewahlrecht absah und sich im Wahlgesetz auf eine allgemeine Feststellung beschränkte, nach der das kommunale Wahlrecht die Stimmberechtigung zu den Kammerwahlen einschloß, wurden nicht alle Schwierigkeiten beseitigt, denn es gab vor allem in den östlichen Provinzen zahlreiche Kommunalbezirke, in denen es weder wahl- noch stimmberechtigte Einwohner gab. 2o So standen die Gutsbezirke einschließlich ihrer Besitzer und Bewohner "prinzipiell außerhalb der Gemeindeverbände,,?1 Ohne eine entsprechende Änderung des Gemeindeverfassungsrechts stand demnach gar nicht fest, wer in diesen ländlichen Bezirken stimmberechtigt war. Nach Auffassung des Innenministers war die Staatsregierung bei Ausführung des Wahlgesetzes folglich gezwungen, sich an die Wahlberechtigungsklausel der Verfassungsurkunde zu halten. Wenn die Staatsregierung nicht den Ausschluß eines Teils der konservativen Wählerschaft in Kauf nehmen wollte, durfte sie dieses Verfahren nicht einschlagen, da die Anwohner auf sämtlichen Rittergütern der östlichen Provinzen nicht über das kommunale Stimmrecht verfügten. Es schien selbst zweifelhaft, ob die Rittergutsbesitzer davon ausgehen konnten, daß sie in Gemeindeangelegenheiten wahlberechtigt waren. 22 Der konservative Innenminister riet deshalb von der Vorlage "eines, mit den Bestimmungen der Verfassungsurkunde in Einklang stehendes Wahlgesetzes,,23 ab. Westphalen empfahl abzuwarten, ob die Entwicklung des Gemeindeverfassungsrechts zukünftig die Bestimmung des Artikel 70 der Verfassungsurkunde ausführbar machte oder ob eine Verfassungsänderung bzw. ein Wahlgesetz "auf durchaus veränderten Grundlagen" notwendig war. 24 Eine zögerliche Art. 70, Abs. 1, Tit. 5, PrVerfUrk 1850. GS 1850, S. 27. Bericht Westphalens an Friedrich Wilhelm IV., 23. November 1851. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 48, Bd. 3, BI. 91 ff. VgI. auch das an den Ministerpräsidenten von Manteuffel gerichtete Gutachten Westphalens über das Wahlgesetz zur Bildung der Ersten Kammer vom 16. Dezember 1851. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 c, Nr. 1, Bd. 1, BI. 81 ff. 21 E. von Möller, Landgemeinden und Gutsherrschaften nach Preußischem Recht, Breslau 1865, S. 356. 22 Bericht von Westphalen, 23. November 1851. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 48, Bd. 3, BI. 94. 23 Ebd. 24 A. a. 0., BI. 95. 19

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Haltung war für das Staatsministerium um so unbedenklicher, als die Verfassung im Gegensatz zum Wahlgesetz für die Erste Kammer25 die entsprechende Vorlage für das Abgeordnetenhaus nicht terminierte. Gleichzeitig stellte sie die fortdauernde, bis zur Verabschiedung des Wahlgesetzes währende Gültigkeit der Wahlverordnung von 1849 fest. 26 Die Mitglieder der Gutsbezirke nahmen mithin in derselben Weise an den Urwahlen zum Abgeordnetenhaus teil wie die Angehörigen der Landgemeinden, und zwar mit der Maßgabe, daß jeder Gutsbezirk mit einer oder mehreren Gemeinden zu einem Wahlbezirk vereinigt wurde. 27 Was die Frage des Wahlgesetzes zukünftig anging, äußerte Innenminister von Westphalen in der zweiten Novemberhälfte 1851 die Ansicht, daß formelle wie Zweckmäßigkeitsgründe "gleich heute für die einstweilige Beibehaltung" der Wahlverordnung von 1849 sprachen, was anschließend zur Maxime erhoben wurde. 28 Friedrich Wilhelm IV. erklärte sich am 29. November damit einverstanden, vom Erlaß eines Wahlgesetzes nach Artikel 72 der Verfassungsurkunde Abstand zu nehmen. 29 Teile des Abgeordnetenhauses gaben sich mit dieser Entwicklung nicht zufrieden. Mitte der fünfziger Jahre wurde in mehreren, dem Abgeordnetenhaus vorliegenden Anträgen gefordert, "daß der administrativen Willkür bei Bildung der Wahlbezirke Schranken gesetzt werden müßten". Es wäre die verfassungsmäßige Pflicht der Staatsregierung und wohlbegründeter Anspruch des Landes, das im Artikel 69 der Verfassungsurkunde angekündigte Gesetz nicht länger zu verzögern. Die letzten Abgeordnetenwahlen hätten vielfach die unzweckmäßige Einrichtung der vorhandenen Wahlbezirke zutage treten lassen. Überdies hatte die Staatsregierung erklärt, "bei der jedesmaligen Einrichtung der Wahlbezirke auch Rücksichten politischer Tendenz maßgebend sein zu lassen".3o Die Wahlen, hieß es, mußten der möglichst freie Ausdruck aller Wahlberechtigten sein. Diese Zielsetzung sollte in den Einzelheiten des Wahlsystems Ausdruck finden. Die Wahlbezirkseinteilung bildete dabei ein wesentliches Moment. Sie durfte nicht dem Wechsel der Interessen und Tendenzen unterliegen, sondern sollte, unter BerücksichtiVg1. Art. 66, Abs .. 1, Tit. 5, PrVerfUrk 1850. GS 1850, S. 26. Vg1. Art. 115, PrVerfUrk 1850. A.a.O., S. 35. 27 Möller, Landgemeinden, S. 409. 28 Bericht von Westphalen, 23. November 1851. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 48, Bd. 3, BI. 95. Siehe auch das Votum des Staatsministeriums vom gleichen Tage, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 c, Nr. 1, Bd. 1, BI. 276-280. 29 A. a. 0., BI. 281. Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 48, Bd. 3, BI. 104. 30 Antrag des ehemaligen Koblenzer Regierungspräsidenten von Bardeleben, 27. Februar 1856, SDSAH, 4. LP, 1. Sess. 1855/56, AS Nr. 149, S. 1 f. Der Antrag wurde von 66 Abgeordneten, vorwiegend aus den westlichen Provinzen, unterstützt. Mit Generalsteuerdirektor Kühne war der 1. Wahlbezirk Berlins vertreten. 25

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gung der historischen und geographischen Verhältnisse, "eine möglichst bleibende Abgrenzung erhalten".3) Wahl manipulationen beeinflußten insbesondere die Abgeordnetenwahl von 1855. Innenminister von Westphalen hatte nicht nur in einem Erlaß an die Regierungspräsidenten zu "wahrhaft konservative(n) und gouvermentalen Wahlen" oder Wahlenthaltungen der Staatsbeamten aufgefordert, sondern auch durch eine Veränderung der Wahlbezirke erfolgreich versucht, die liberale Opposition zu schwächen. 32 Von den 155 Wahlkreisen, die bei den Wahlen des Jahres 1852, existiert hatten, wurden 1855 nicht weniger als 76 verändert. Die tendenziöse Absicht dieser Maßnahme war nicht zu übersehen, denn die Regierung zeigte sich weder bemüht, die Zerstückelung der Kreise aufzuheben und die Wahlbezirke insgesamt zu verkleinern, noch für eine bessere Verteilung der Abgeordneten nach der Bevölkerungsziffer zu sorgen. 33 In sieben Regierungsbezirken, in denen vor allem die liberale Opposition vertreten war, hatte man sämtliche Wahlkreise umgestaltet. Vorwiegend konservative Regierungsbezirke waren von solchen Veränderungen ausgenommen worden. In den 79 unveränderten Wahlbezirken gewann die Regierung achtzehn Stimmen gegenüber einem Verlust von sieben Mandaten, in den 76 veränderten Kreisen standen einem Gewinn von 42 Mandaten der Verlust von nur drei Abgeordnetenmandaten gegenüber. Dieses Resultat, so die begründete Ansicht der Opposition, mußte wesentlich auf die veränderte Wahlkreiseinteilung zurückgeführt werden. 34 Die Regierung nahm für sich in Anspruch, die Bildung der Wahlbezirke unumschränkt vornehmen zu können. Verpflichtend war lediglich die Bestimmung, daß in jedem Wahlbezirk wenigstens zwei Abgeordnete gewählt werden mußten. Die Ministerialbürokratie machte gar keinen Hehl daraus, daß politische Gesichtspunkte bei der Zusammenlegung einzelner Wahlbezirke entscheidend waren: Einerseits, um zu bewirken, "daß die öffentliche 31 Antrag von Bardeleben, 13. und 17. Februar 1858, unterstützt von siebzig Abgeordneten. Vgl. Bericht von Prittwitz, 13. Kommission zur Beratung des Antrags des Abgeordneten Bardeleben wegen fester Regulierung der Wahlbezirke für die Wahlen zum Hause der Abgeordneten, 15. März 1858. StBPAH, 4. LP, 3. Sess. 1857/58, Bd. 2, Anlagen, AS Nr. 65, S. 335. 32 Vgl. Gerlach, Geschichte, S. 40 f. Die ministerielle Einflußnahme ging sogar soweit, die Landräte, "insofern eben nicht andere Männer von zuverlässiger Gesinnung sichere Aussichten auf Erfolg" hatten, auf Grund ihrer Vertrauensstellung, die sie in den Kreisen einnahmen, zur Kandidatur aufzufordern, wenn auf diese Weise die "drohende Gefahr einer oppositionellen Wahl" vermieden werden konnte. Vgl. Rejewski, Pflicht, S. 45 ff. Vgl. auch GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 68, BI. 14. 33 Rede von Bardeleben. PAH, 7. Februar 1856. StBPAH, 4. LP, 1. Sess. 1855/ 56, Bd. 1, S. 328 f. 34 A. a. 0., S. 330. Die sieben Regierungsbezirke mit völliger Umgestaltung der Wahlbezirke waren Münster, Minden, Amsberg, Koblenz, Stralsund, Liegnitz und Marienwerder.

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Meinung nicht durch den verwirrenden Einfluß der Opposition irre geleitet", andererseits, um so weit wie möglich zu erreichen, daß dort eine Änderung herbeigeführt wurde, "wo Wahlbezirke in ihrer bisherigen Zusammensetzung entschieden oppositionellen Einflüssen, theils korporativer, theils persönlicher Natur, unfehlbar unterliegen mußten".35 Die Staatsregierung sah sich zu diesem Handeln um so mehr veranlaßt, als sie die öffentliche Meinung überhaupt nur als ein "konstitutionelles Postulat" ansah. Der Meinung des Volkes sprach sie jene Bewußtheit ab, die für selbständige politische Entscheidungen erforderlich war. Im Volke herrschte, so der Vortragende Rat im Innenministerium und spätere Vertraute Bismarcks in Presseangelegenheiten Hahn, ein politisches Gefühl der Loyalität gegenüber dem Monarchen und seiner Regierung. "Jenes allgemeinste Preußische Gefühl,,36 stand den Parteien und der Wahlagitation fremd gegenüber, so daß es die Aufgabe der Regierung war, "die an und für sich loyale Meinung des Volkes zu schützen vor den Irrungen des Parteiwesens,,?7 Da die gouvermentale Partei zu Recht "das Wesentlichste" von der Regierung erwartete und selbst ohne Organisation war, hielt man es für eine selbstverständliche Aufgabe des Staates, die notwendigen Voraussetzungen für ihre dominante Vertretung im Landtag zu schaffen. Das konnte durch die Wahlbezirksgestaltung oder durch die Inanspruchnahme derjenigen Autoritäten geschehen, die, wie etwa die Landräte, zu Mittlern zwischen Bevölkerung und Regierung berufen waren. Hinter diesem Anspruch stand die Idee einer überparteilich agierenden Regierung im Interesse von Staat und Gesellschaft. Nicht die politische Neutralität, die staatliche Observation war gefordert, um die Landtagswahlen nicht ihrer unkontrollierten Eigengesetzlichkeit zu überlassen, sondern um sie im Interesse des Gesamtstaates zu steuern. Praktisch engte die Staatsregierung durch Presserechtsbeschränkungen die Wahlagitation auf einen möglichst kurzen Zeitraum ein. Man war allenfalls bereit, Einflußnahmen der Polizei, wie sie in Berlin massiv zugunsten der gouvermentalen Parteien vorgekommen waren,38 mit disziplinarischen Mitteln zu begegnen. Solange die Wahl manipulationen die Partizipation wesentlicher Teile der Bevölkerung einschränkten, mußten die staatlichen Eingriffe desintegrierend wirken. Das kurzzeitige machtpolitische Kalkül stand demzufolge den Interessen des Gesamtstaates entgegen. Die Überlegungen der Regierung verharrten im Bewußtsein vermeintlich antigouvermentaler Bestrebungen in der Gesellschaft. Der dritte Antrag von Bardeleben verblieb nicht mehr im Stadium der Kommissionsberatung. Im April 1858 wurde er im Plenum des Abgeordne35 36 37

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Rede Regierungskommissar Hahn. PAH, 7. Februar 1856. Aa.O., S. 340. A a. 0., S. 339. A a. 0., S. 340. Vgl. Rede Mathis. PAH, 7. Februar 1856. Aa.O., S. 338 f.

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tenhauses erörtert. Von konservativer Seite gab man unumwunden zu, daß die manipulative Regulierung der Wahlbezirke durch die Regierung ein bedenkliches politisches Mittel war. 39 Derartige Äußerungen signalisierten freilich kein Entgegenkommen des politischen Konservatismus. Trotz beherzter Plädoyers von Bardelebens, August Reichenspergers und des Berliner Liberalkonservativen Mathis, der insbesondere die erklärte Haltung der Regierung kritisierte, ihre Weisungsbefugnis als Vorteil zu nutzen,40 lehnte die Majorität des Abgeordnetenhauses eine gesetzliche Fixierung der Wahlbezirke ab. Die Regierung und mit ihr die Parlamentsmehrheit verwies darauf, daß die definitive Regelung der Wahlbezirke allein im Rahmen des von der Verfassung geforderten Wahlgesetzes zu lösen wäre. Nur wenn die allgemeinen Vorschriften des Wahlgesetzes feststanden, ließen sich die in der Verfassung (Artikel 69) vorgezeichneten Grundlagen praktisch zur Ausführung bringen. Vor allem die Fragen zu entscheiden, ob und in welcher Weise die städtischen mit den ländlichen Wahlelementen zu kombinieren waren und ob die Wahlverbände in der Regel aus einzelnen oder mehreren landrätlichen Kreisen bestehen sollten. 41 Bis zum Erlaß des Wahlgesetzes blieb es der Verordnung von 1849 vorbehalten, so Regierungskommissar Ribbeck im Abgeordnetenhaus, auch fernerhin Änderungen der Wahlbezirke vorzunehmen. Die Wahlverordnung band Bezirksrevisionen der Staatsregierung allerdings auf Dauer an die Berücksichtigung der ermittelten Bevölkerungsziffern. Eine weitere Möglichkeit der amtlichen Einflußnahme auf die Wahlen eröffnete sich den Regierungsbehörden durch die Feststellung der Urwahlbezirke. Diese waren nur insoweit gesetzlich fixiert, als die Verpflichtung bestand, in Abhängigkeit von der Bevölkerungsentwicklung die Größe der Urwahlbezirke auf den Maßstab von 750 bis 1749 Einwohner festzulegen und auf jeweils 250 Einwohner einen Wahlmann wählen zu lassen. Gemeinden mit weniger als 750 Einwohnern sowie nicht zu einer Gemeinde gehörende bewohnte Besitzungen wurden durch Weisung des Landrats mit benachbarten Gemeinden zu einem Urwahlbezirk vereinigt. In Kommunen mit über 1750 Einwohnern lag die Einteilung der Urwahlbezirke sowie die Aufstellung der Wähler- und Abteilungslisten bei den Gemeindeverwaltungsbehörden, d.h. der jeweiligen Ortsobrigkeit. Die Größe der Urwahlbezirke war so einzurichten, daß im Höchstfall sechs Wahlmänner zu wählen waren. 42 Die Landräte und Gemeindevorstände bestimmten den Wahl ort für jeden Urwahlbezirk und ernannten den Wahlvorstand. 43 39 Rede Leopold von Gerlach. PAH, 20. April 1858 StBPAH, 4. LP, 3. Sess. 1857/58, Bd. I, S. 613. 40 Rede Mathis. PAH, 20. April 1858. A. a. 0., S. 606. 41 Rede Regierungskommissar Ribbeck. PAH, 20. April 1858. A. a. 0., S. 611.

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Erst zu Beginn der sechziger Jahre wurde durch das Reglement zur Ausführung der Abgeordnetenwahlen angeordnet, daß jeder Urwahlbezirk "ein möglichst zusammenhängendes und abgerundetes Ganze(s)" bilden sollte. 44 Das Staatsministerium wollte ausdrücklich die Bildung künstlicher und willkürlicher Urwahlbezirke verhindern. Es sollte die Praxis beseitigt werden, aus "tendenziösen Rücksichten" räumlich Zusammenhängendes zu trennen oder Unzusammenhängendes, zuweilen auch ganz entlegene Gebietsteile, zu vereinigen. Durch das neue Wahlreglement sollte die öffentliche Meinung überzeugt werden, daß die Staatsregierung zukünftig weder selbst einen unberechtigten Einfluß auf die Festlegung der Urwahlbezirke ausüben noch überhaupt in irgendeiner Form gestatten wollte. 45 Die Kompetenzen der Landräte und Gemeindeverwaltungsbehörden bei der Abgrenzung der Urwahlbezirke sowie bei der Aufstellung der Wähler- und Abteilungslisten wurden durch das neue Wahlreglement nicht berührt. 46 Die Urwahlbezirke durften nicht weniger als 750 und nicht mehr als 1749 Einwohner umfassen. Wenn diese Bestimmung die Zusammenlegung von Gemeinden (Ortskommunen, selbständigen Gutsbezirken etc.) notwendig machte, für die eine landrätliche oder ortsobrigkeitliche Zuständigkeit bestand, mußte der Regierungspräsident die näheren Anordnungen zur Bildung der Urwahlbezirke treffen. 47 Soweit einzelne Gemeinden sich aus nicht zusammenhängenden Gebietsteilen zusammensetzten, konnten die Bewohner der vom Kerngebiet der Gemeinde getrennt liegenden Ortsteile, wenn sie keinen eigenen Urwahlbezirk bilden konnten, mit "nächstgelegenen Gemeinden" ihres Kerngebietes zu einem Urwahlbezirk vereinigt werden. 48 Diese Vorschrift diente neben der Maxime des geschlossenen Ganzen dazu, eine tendenziöse Urwahlbezirksbildung zu verhindern. 42 Vgl. §§ 4 bis 6 u. 16, Abs. I, WVO 1849. GS 1849, S. 205 f. u. 207. Vgl. auch § 1, WRegl 1861. MBliV, 22. Jg. (1861), S. 218. In der Provinz Hannover oblag die Abgrenzung der Urwahlbezirke den Landräten und Amtshauptmännem, soweit die Amtsbezirke bzw. den Gemeindeverwaltungen, soweit die selbständigen Städte betroffen waren. Vgl. § 1, Abs. 2, WRegl 1870. MBliV, 31. Jg. (1870), S. 257. Später wurde diese provinzielle Sonderregelung wieder aufgehoben. Vgl. § 1, WRegl 1893. MBliV, 54. Jg. (1893), S. 164. 43 § 16, Abs. 2, WVO 1849. GS 1849, S. 208. 44 § I, Abs. 3, WRegl 1861. MBliV, 22. Jg. (1861), S. 218. 45 Votum des Staatsministeriums vom 11. September 1861 und Motive zum neuen Wahlreglement. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 3, BI. 83 u. 106. Vgl. auch den Erlaß des Innenministers Graf von Schwerin an sämtliche Regierungen vom 10. August 1861. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496, Nr. 88, Bd. 1, BI. 274 f. 46 § 1, Abs. 2 u. § 4, WRegl 1861. Ebd. 47 § 2, Abs. 1, WRegl 1870. MBliV, 31. Jg. (1870), S. 257. 48 § 2, Abs. 2, WRegl 1870, Ebd.

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Die Konstruktion der Wahlverordnung von 1849 wie der späteren Wahlreglements erlaubte vornehmlich in ländlichen Gebieten eine manipulative Wahl geometrie. Die Zuständigkeit der Gemeindeverwaltungsbehörden für die "größeren" Gemeinden setzte der staatlichen Einflußnahme quasi eine natürliche Grenze. Lag die Einteilung in der Kompetenz der Landräte, konnte der Wahlausgang durch die Zusammenlegung oppositioneller Gemeinden mit größeren regierungstreuen Kommunen beeinflußt werden. Durch die Abtrennung kleiner regierungtreuer Gemeinden von solchen Ortschaften, in denen die politische Stärke der konkurrierenden Parteien ausgeglichen war, und ihre Verbindung mit entsprechend politisch disponierten Kommunen ließen sich Wahlausgänge steuern. Die Wahlresultate waren auch dadurch zu manipulieren, daß regierungstreue Gemeinden, soweit es die Bevölkerungszahl gestattete, einzeln als Urwahl bezirke konstituiert oder mit anderen Gemeinden gleicher politischer Richtung verbunden wurden. 49 Derartige Versuche hatte es gegeben. 50 Der praktischen Realisierung manipulativer Eingriffe standen allerdings organisatorische Probleme gegenüber wie die Benennung geeigneter Wahlorte und Wahlvorsteher. Das Wahlverhalten war überdies nicht in jedem Fall berechenbar, was die politisch motivierten Bezirksregulierungen in einzelnen Fällen voraussetzten. 51 Nachdem das Abgeordnetenhaus im September 1888 erneut Kritik an der unzulässigen Urwahlbezirksbildung geübt hatte, erklärte Innenminister Herrfurth in aller Deutlichkeit, daß für die Feststellung der Urwahlbezirke "die Gesichtspunkte der natürlichen Abrundung und des örtlichen Zusammenhangs dergestalt maßgebend" waren. Jede Bezirksbildung, bei der andere Gesichtspunkte erkennbar mitwirkten, lief der Absicht der Verfassung und des Wahlgesetzes zuwider. 52 Da die Abgrenzung der Urwahlbezirke in den ländlichen Kreisen den Landräten oblag, mußte die Staatsregierung, so Herrfurth, ein erhebliches Interesse daran haben, die Grenzen dergestalt einzurichten, daß sie den oppositionellen Parteien keinen Anlaß zur Begründung von Wahlprotesten boten. Der Innenminister wies die Regierungspräsidenten daher an, die Einhaltung der Wahlverordnung von 1849 zu überwachen. Die zuständigen Regional- und Lokalbehörden machte er darauf Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 70 ff. A.a.O., S. 74 ff. 51 Kühnes Urteil über eine weitverbreitete manipulative Wahl geometrie bei der Bildung der Urwahlbezirke (a. a. 0., S. 73) läßt, soweit es um die Gesamteinschätzung der Wirkung organisatorischer Eingriffe ging, den Gegensatz von städtischen und ländlichen Wahlkreisen zu sehr außer Acht. Im übrigen kann er für den Untersuchungszeitraum von 1867 bis 1914 nur einzelne örtlich und zeitlich begrenzte Beispiele anführen, die noch lange nicht eine Tendenz belegen. 52 Bericht Herrfurths an sämtliche Staatsminister, 23. September 1888. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 88, Bd. 2, BI. 284. VgI. auch das Votum des Staatsministeriums vom 27. Oktober 1888. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A., Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 5. 49

50

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aufmerksam, bei der Urwahlbezirksbildung die Bestimmungen der Wahlverordnung und des Wahlreglements einzuhalten. Das Wahlreglement vom 4. September 1882 erklärte für die Bildung der Urwahlbezirke die nach der letzten Volkszählung ermittelte ortsanwesende Bevölkerung als maßgebend. Dennoch gab es bei der Ermittlung einer bevölkerungsadäquaten Wahlmännerzahl für jede einzelne Stadt praktische Schwierigkeiten, da die Wahlmänner nicht für den Ort insgesamt, sondern für jeden Urwahlbezirk allein festgestellt werden mußten. 53 Doch kehren wir nach dem, an dieser Stelle gestatteten weiten zeitlichen Vorgriff zur Wahlrechtsdebatte der fünfziger Jahre und zur Frage der Wahlbezirkseinteilung zurück. Innenminister von Westphalen, "der eigentliche Repräsentant der Reaktion",54 versuchte seit Sommer 1852, das Staatsministerium für die Einführung eines korporativen Wahlrechts zu gewinnen. Nach seiner Auffassung würde es mit der andauernden Existenz des auf dem Kopfzahlprinzip beruhenden Urwahlsystems immer schwieriger werden, "zu einer auf den historischen Verhältinissen Preußens gegründeten Landesvertretung zurückzukehren".55 Westphalen strebte eine grundlegende Verfassungsänderung an, mit der eine unbeschränktere Wirksamkeit des Königs wiederhergestellt wurde. Das Zweikammersystem wollte er aufheben und anstelle der aus allgemeinen Wahlen hervorgegangenen Landesvertretung einen Senat (Reichsrat) und beständigen Ausschuß (Staatsrat) einrichten, assistiert von einer auf korporativen und ständischen Elementen basierenden Landesrepräsentation. 56 Nach Westphalen wirkte das Prinzip der Kopfzahlwahlen "nivellierend und zerstörend", da es im prinzipiellen Gegensatz zu den vorhandenen "korporativen Organismen" des preußischen Staates stand. Das Wahlsystem legte die materielle Macht der Entscheidung in die Hände der in der zweiten und dritten Klasse repräsentierten mittleren und unteren Volks schichten, die häufig über "die wahren Interessen des Gemeinwohls verblendet" waren oder sich mehrheitlich durch augenblickliche Eindrücke hinreißen ließen, ohne bei den Wahlen "den eigentlichen Beruf und Zweck der Kammern" im Auge zu behalten. Nur durch die zu beobachtende "Teilnahmslosigkeit der Wähler" und mehr oder weniger künstliche Mittel der Staatsregierung, insbesondere die Aufstellung vieler Land53 Vgl. Bericht Landrat Stubenrauch (Teltow) an Regierungspräsident von Neefe, 6. Dezember 1888. BLHA, Pr.Br. Rep. 2A, I Pol, Nr. 1786, BI. 133. Der zustimmende Bescheid von Neefes vom 24. Dezember, a. a. 0., BI. 135 f. Zur Ermittlung der Wahlmännerzahl in einem Berliner Vorort vgl. die Petitionen des Charlottenburger Magistrats vom 6. März und den Bescheid Rheinbabens vom 28. Juli 1900. GStAPK, Rep. 77, Tit. 469A, Nr. 88, Beih. 1, BI. 65 f. u. 68. 54 Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 20. 55 Votum von Westphalen, 10. Juli 1852. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 c, Nr. 1, Bd. 1, BI. 246. 56 A. a. 0., BI. 247.

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räte, war es bislang gelungen, "eine der Staatsregierung nicht ganz ungünstige Zusammensetzung der Zweiten Kammer zu erlangen,,57. Bei der wachsenden Gleichgültigkeit der Wählerschaft, die selbst die konservative Partei nicht mehr ausließ, befürchtete von Westphalen eine allmähliche Erschütterung der Staatsverwaltung und den langsamen Machtverlust der Regierung. Die provisorische Wahlverordnung von 1849 sollte umgehend mit der Verfassungs änderung aufgehoben und durch ein Wahlgesetz ersetzt werden. Nach Westphalens Auffassung beruhte die nach den Steuern vorgenommene Dreiklasseneinteilung auf dem Prinzip des allgemeinen Stimmrechts und wahrte damit das Prinzip der Volkssouveränität. Das allgemeine Stimmrecht ignorierte seinem ganzen Wesen nach "die vorhandenen organischen und historisch begründeten Einrichtungen und Gliederungen im Staate" und mußte nach Ansicht Westphalens mit sicherer Wirkung zur langsamen Auflösung der noch fortbestehenden korporativen Institutionen und provinziellen Eigentümlichkeiten führen. 58 Durch die Vorschrift der Wahlordnung, Wahlkörper mit mindestens zwei Abgeordnetenmandaten zu bilden (§ 3), wurde die Staatsregierung an "einer angemessenen Bildung der W ahlbezirke gehindert". Es konnten "weder die Kreise in ihrem natürlichen Zusammenhange belassen, noch auf eine zweckmäßige Sonderung von Stadt und Land Bedacht" genommen werden. 59 Das von Westphalen projektierte "organische Wahlgesetz" sah nur eine Trennung von Stadt und Land vor, ohne die Rittergutsbesitzer von der Bauernschaft abzusondern. Entsprechend den wirtschaftlichen Verhältnissen des preußischen Staates drang der Minister des Innern auf eine stärkere Vertretung der Ackerbauinteressen. Während die Wählbarkeit zum Abgeordneten unbeschränkt sein sollte, plante von Westphalen das Wahlrecht erheblich zu beschränken, "um bessere, einsichtsvollere, die Vertretung der wirklichen, sehr mannigfaltigen Interessen des Landes mehr verbürgende Wahlen zu sichern".6o Zur Grundlage der Zweiten Kammer wollte von Westphalen die nach Stadt und Land getrennten kreisständischen Institutionen machen. Die Abgeordnetenwahl sollte grundsätzlich nach Landschaftsbezirken erfolgen. Es waren Wahlversammlungen mit durchschnittlich 40 Bezirkswählern vorgesehen, die im allgemeinen 40000 Einwohner repräsentierten. 61 Die einzelnen Wahlkörper bildeten die selbständigen Großstädte, die übrigen in Verbänden zusammengeschlossenen Städte unter Berücksichti57 Votum von Westphalen, 31. Januar 1855. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 2, BI. 6. Aa.O., BI. 7. 58 A a. 0., BI. 6. 59 Aa.O., BI. 7. 60 Aa.O., BI. 9. 61 A a. 0., BI. 14.

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gung der Landschaften sowie die ländlichen Bezirke, die innerhalb ihrer Landschaften in Kreisverbänden zusammengefaßt werden sollten. In den Großstädten setzten sich die Wahlversammlungen aus den Gemeindevorständen und den anderen "kommunal verfassungsmäßigen Vertretern", d.h. den Gemeinderäten, Stadtverordneten sowie den Mitgliedern der bürgerschaftlichen Kollegien und Bürgerausschüsse zusammen. Die übrigen Städte entsandten Bevollmächtigte zu den Wahlversammlungen der Stadtverbände, die von den Gemeinde- und Bürgerschaftskollegien gewählt wurden. 62 Die Wahl der Abgeordneten sollte selbst "frei" sein, mithin nicht nach ständischen Gesichtspunkten erfolgen. Die Kammer stellte also keine Ständeversammlung dar. Die Abgeordneten erschienen nicht als Repräsentanten besonderer Stände. Die Wahlbezirke plante von Westphalen entgegen den Verfassungsbestimmungen nicht durch Gesetz festzulegen, sondern die Einteilung der Staatsregierung zu überlassen. Insgesamt waren 104 Mandate für die Vertretung der Städte und 258 Mandate für die ländlichen Bezirke vorgesehen. 63 Das Staatsministerium lehnte das korporative Wahlrechtsmodell Westphalens auf Grund seiner desintegrativen Elemente ab. Man fand sich allenfalls bereit, eine Gesetzesinitiative für die Zulassung von Einerwahlkreisen zu unterstützen. 64 Innenminister von Westphalen hielt in den folgenden Jahren mit Beharrlichkeit an seinem Plan fest. Es gelang ihm teilweise, die prinzipielle Zustimmung der Oberpräsidenten zu erhalten. 65 Das Staatsministerium blieb freilich bei seiner ablehnenden Haltung. Ministerpräsident von Manteuffel machte Ende Dezember 1855 deutlich, daß die vom Innenminister vorgeschlagene Änderung des Wahlsystems Verfassungsänderungen einschloß, die nicht nur zu einem prinzipiellen Konflikt in den beiden Häusern des Landtages führen, sondern den politischen Konsens im Staat gefährden mußte. Selbst bei der bedeutenden konservativen Mehrheit in den Kammern war nicht sicher, ob der Gesetzentwurf angenommen wurde, schließlich sollte dem Landtag ein Teil seiner legislatorischen Mitwirkung entzogen werden. Bedenken erhob die Mehrheit der Staatsminister auch gegen die Tatsache, daß das vorgeschlagene Wahlrechtsmodell den auf den A. a. 0., Bl. 11. A. a. 0., Bl. 10 ff. Der Gesetzentwurf betreffend die Bildung des Hauses der Abgeordneten, a. a. 0., Bl. 157 f. Die Liste der Städte mit Viril- und Kollektivstimmen, a.a.O., Bl. 61-64, bzw. 65-112. Die Liste der Landschaftsbezirke, a.a.O., Bl. 113-132. Der Nachweis der Städte mit Virilstimmen, der Verbände der übrigen Städte und der Landschaftsbezirke sowie die Zahl der von den Städten und Landschaften zu wählenden Abgeordneten, a.a.O., BI. 133-156. 64 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums vom 3. April 1855. A. a. 0., Bl. 162. 65 VgI. das Votum Westphalens vom 26. Februar 1857. A. a. 0., BI. 208 ff. Die Gutachten der Oberpräsidenten vgI. a.a.O., BI. 218 ff. 62

63

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Kreistagen virilstimmberechtigten Gutsbesitzern ein allzu starkes politisches Übergewicht verlieh. Eine Abänderung der Wahlverordnung von 1849 hielt man allgemein nicht für opportun. In dieser Hinsicht wollte das Staatsministerium eine Gesetzesinitiative des Landtages abwarten. Die zum Bericht aufgeforderten Oberpräsidenten erklärten es grundsätzlich für angemessener, anstelle der kreiständischen auf die provinzialständischen Elemente zurückzugreifen. 66 Oberpräsident von FlottweIl, der sich wie die Mehrheit seiner Amtskollegen als Gegner des "Kopfzahl-Systems" bekannte, forderte, die Landgemeinden neben den Rittergutsbesitzern und Städten stärker zu berücksichtigen. Mit der beabsichtigten Verteilung der Mandate wollte er sich nicht einverstanden erklären, da die Zahl der Abgeordnetenmandate für die bevölkerungsreiche Provinz Brandenburg von 45 auf 41 reduziert werden sollte. FlottweIl hielt es für absolut notwendig bei der vorgesehenen Einrichtung von zehn weiteren Mandaten, insgesamt fünf der Provinz Brandenburg zuzuteilen. Berlin, das seit sieben Jahren durch neun Mandate im Landtag vertreten war, sollte nach den Vorstellungen des im antistädtischen Ressentiment befangenen Innenministers in Zukunft nur noch vier Abgeordnete in den Landtag wählen. FlottweIl sah hierin nicht nur eine unmotivierte Herabsetzung der "intelligenteste(n), größte(n) und gewerbereichste(n) Stadt der ganzen Monarchie", sondern auch ein unberechtigtes Mißtrauen gegen die politische Haltung der Bürgerschaft, das sich auf das zukünftige Wahlverhalten nur ungünstig auswirken konnte. Nach von FlottweIl rechtfertigte die Bevölkerungsziffer Berlins allein schon die Vertretung durch neun Abgeordnetenmandate. 67 Der Innenminister gab der Kritik an der Reduktion der Mandate Brandenburgs nach. Er bestätigte den Anspruch der Provinz auf 45 Mandate und erkannte auch an, daß Berlin mindestens acht Mandate beanspruchen konnte. Im übrigen hielt von Westphalen am Plan eines ständisch-korporativen Wahlsystems fest. 68 Mit Beginn der liberalen Ära wurden alle Pläne einer auf ständischer Basis erneuerten Landesrepräsentation aufgegeben. Am 15. Dezember 1858 lehnte das neue Staatsministerium die Aufnahme des Gesetzentwurfs Westphalens endgültig ab. Fünf Tage später erkannte das Ministerium die wiederholt vom Abgeordnetenhaus verlangte Feststellung der Wahlbezirke als berechtigtes Verlangen an. Generell hielt man die Regelung der Wahl bezirkseinteilung im Rahmen eines definitiven Wahlgesetzes für angebracht. 66 Votum Westphalens, 26. Februar 1857. Aa.O., BI. 209. Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums vom 29. Dezember 1855. Aa.O., BI. 197 f. 67 Gutachten von FlottweIl, 16. November 1856. A.a.O., BI. 218. Vgl. dazu auch den Nachweis der geplanten Mandate, a. a. 0., BI. 136. 68 Votum von Westphalen, 26. September 1857. Aa.O., BI. 366. Der tabellarische Nachweis der Wahlkörper und Mandate zum überarbeiteten Gesetzentwurf Westphalens, a. a. 0., BI. 262-356; zu Berlin vgl. BI. 336.

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Da sein Zustandekommen nicht abzusehen war, wollte die Regierung, sobald im Landtag die Forderung auf Feststellung der Landtagswahlbezirke erneuert wurde, ihren Willen zu einer gesetzlichen Regelung erklären, die Erledigung des Begehrens allerdings noch der Zukunft vorbehalten. 69 Doch bereits im Oktober 1859 teilte der neue Innenminister Graf von Schwerin den Oberpräsidenten mit, daß ein Gesetzentwurf auf Feststellung der Wahlbezirke und Revision der Bezirksbildung in Vorbereitung wäre. 7o Nach ministerieller Aufforderung erklärte Oberbürgermeister Krausnick zur Abgrenzung der Berliner Wahlbezirke, daß sie der "Natur der Verhältnisse" entsprachen und den Zusammenhang der alten historischen Stadtteile zu wahren suchten. Die Bevölkerungszahl war nach Möglichkeit berücksichtigt worden, so daß sich gegen die Abgrenzung der Bezirke keine erheblichen Bedenken erhoben hätten. Die Entwicklung der Bevölkerungsverhältnisse verlangte nach Auskunft Krausnicks neuerdings nur einen Ausgleich zwischen dem dritten und vierten Berliner Landtagswahlbezirk. 71 Anfang 1860 gab Innenminister von Schwerin, der von aufgeregten Konservativen "Vorkämpfer des modemen Konstitutionalismus"n charakterisiert worden war, das vormalig anvisierte Prinzip einer gemeinsamen legislativen Lösung der Wahlbezirksrevision und des Wahlgesetzes endgültig auf. Die Staatsregierung legte einen Gesetzentwurf73 vor, der die Wahlbezirke definitiv festlegte und damit dem "Mißbrauch der Regierungsgewalt dauernde Schranken" entgegensetzte. 74 Weil Artikel 69 der Verfassungsurkunde bereits die Zahl der Abgeordneten festgelegt hatte, vertrat die Staatsregierung prinzipiell die Auffassung, daß das Bevölkerungsverhältnis für die Wahlbezirkseinteilung nicht ausschließlich maßgebend wäre. Dennoch erhielt es bei der konkreten Verteilung der Abgeordneten in den Regierungsbezirken insofern Bedeutung, als man in vielen Fällen der Beachtung der Einwohnerzahl Vorrang vor der Rücksicht auf die Zahl der Kreise in konkurrierenden Wahlbezirken gegeben hatte. 75 Im übrigen zog der Regierungsentwurf neben der Einwohnerzahl die geographische Zweckmäßigkeit, 69 Votum des Staatsministeriums vom 15. u. 20. Dezember 1858. A.a.O., BI. 374 f. 70 Zirkularreskrlpt vom 8. Oktober 1859. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 81, BI. 29 f. 71 Bericht Krausnicks an Innenminister von Schwerin (November 1859), a. a. 0., BI. 56--58. 72 Eine Apostrophierung des konservativen Abgeordneten von Blanckenburg während der Auseinandersetzungen über die Wahlmanipulationen der Regierung Anfang Februar 1856. StBPAH, 4. LP, 1. Sess. 1855/56, Bd. 1, S. 331. 73 GesEntw die Feststellung der Wahlbezirke für das Haus der Abgeordneten betreffend. AlPAH, 5. LP, 2. Sess. 1859/60, Bd. 4, AS Nr. 66, S. 436 ff. 74 Rönne, Staatsrecht, Bd. 1,1, S. 226. 75 AlPAH, 5. LP, 2. Sess. 1859/60, Bd. 4. AS Nr. 66, S. 459.

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die Verkehrsverhältnisse, die größere und geringere Gleichartigkeit der materiellen Interessen sowie die historische Zusammengehörigkeit bei der Bildung der Wahlkörper und der Verbindung der einzelnen Kreise in Erwägung. Die Kommissionsberatung bestätigte die Auffassung der Regierung, daß die verfassungsmäßig bestimmte Anzahl der Mandate den Ausgangspunkt für die Einteilung des Landes und der Bevölkerung nach ungeteilten Kreisen und großen Städten festlegte. Innerhalb dieser Grenzen waren nichtsdestotrotz die Bevölkerungsverhältnisse zu berücksichtigen. Mit nur einer Gegenstimme erhob die Kommission zur leitenden Maxime, in der Regel mehrere Kreise in einem Wahlbezirk zu vereinigen. Die Bezirke waren in der Weise einzurichten, daß "nach Maßgabe der Einwohnerzahl" mehrere Abgeordnete gewählt werden mußten. Die großen Städte mit über 50000 Einwohnern aber als selbständige Wahlbezirke zu konstituieren. 76 Bei Erhebung jedes einzelnen Kreises zum selbständigen Wahlbezirk wären nach Ansicht der Majorität Mißverhältnisse zwischen der Bevölkerungsdichte und der sonstigen Bedeutung der Kreise sowie ihrer Repräsentation entstanden, die das politische Bewußtsein grob verletzt hätten. Nur durch die Vereinigung mehrerer Kreise zu einem gemeinsamen Wahlbezirk wurde eine weniger ungleichmäßige Verteilung der Bevölkerung auf die verschiedenen Wahlbezirke ermöglicht. Die Kommission beschloß aus diesen Gründen, bei der Verteilung der Abgeordneten auf die Regierungsbezirke und die innerhalb ihres Gebietes zu bildenden Wahlkreise die Ergebnisse der Bevölkerungszählung von 1858 zugrunde zu legen. Daraufhin wurden 176 Wahlbezirke eingerichtet, in denen überwiegend zwei Abgeordnete zu wählen waren. Lediglich in 27 Wahlbezirken mußten jeweils drei bzw. nur ein Abgeordneter gewählt werden. 77 Bei der Frage, ob und inwieweit aus je einer oder mehreren der größeren Städte besondere Wahlbezirke zu bilden wären, entschied die Staatsregierung zugunsten städtischer Wahlkreise, soweit die betroffenen Kommunen der durchschnittlichen Bevölkerungsziffer pro Abgeordneten nahekamen oder sie überstiegen. Nur bei einzelnen größeren Städten wie Königsberg, Danzig, Posen oder Aachen war eine Kombination mit den benachbarten Landkreisen beibehalten worden. Insgesamt wurden nur die "größten Städte" von den ländlichen Gebieten isoliert. Den übrigen "größeren Städten" über 10000 Einwohner räumte man keine Sonderstellung ein, da dies 76 Bericht Wilhelm Adolf Lette, 12. Kommission des Abgeordnetenhauses zur Vorberatung des OesEntw, betreffend die Feststellung der Wahlbezirke für das Haus der Abgeordneten, 14. März 1860. A. a. 0., AS Nr. 67, S. 461 f. 77 Vgl. das Verzeichnis der Wahlbezirke und der Anzahl der in den einzelnen Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten. Wahlbezirksgesetz, 1860. OS 1860, S. 361-379.

63 Grzywatz

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andernfalls "die Bildung von Gruppen mehr oder minder zahlreicher und weit von einander entfernter, durch wechselseitigen Verkehr nicht verbundener Städte" notwendig gemacht hätte. In der Folge wären alle Vorteile und aller entscheidender Einfluß den Großstädten zum Nachteil der kleineren Städte zugefallen. 78 Die bisherigen vier Berliner Wahlbezirke mit ihren neun Mandaten blieben erhalten. Durch die anstehende Eingemeindung einzelner Umlandgebiete der Kreise Niederbamim und Teltow war lediglich ein Bevölkerungsausgleich zwischen dem dritten und vierten Landtagswahlbezirk notwendig, so daß annähernd 112000 Einwohner auf jeden Bezirk entfielen. 79 Im Regierungsbezirk Potsdam erfuhren sämtliche Wahlbezirke mehr oder minder erhebliche Abänderungen, da die bislang mehrfach bestehenden Teilungen von Kreisen beseitigt werden sollten. Bei der Bildung der neuen Wahlbezirke nahm man maßgeblich auf die "geographische und historische Verwandtschaft" der einzelnen Kreise Rücksicht. 80 Der achte, Charlottenburg einschließende Wahlkreis des Potsdamer Regierungsbezirks mußte auf Grund der Ausgemeindungen verursachten Bevölkerungsverluste ein Mandat abgeben. Zukünftig war der Berliner Umlandbezirk nur noch durch zwei Abgeordnete vertreten. Das weggefallene Mandat ordnete man dem sechsten Potsdamer Wahlbezirk, Westhavelland und Zauch-Belzig, ZU. 81

Während der Kommissionsberatung tauchte die Frage auf, ob eine so ausgedehnte Stadt wie Berlin, die einem Regierungsbezirk gleichkam, überhaupt in verschiedene Wahlbezirke aufgeteilt werden durfte oder ob nicht, wie bei den ländlichen Kreisen, die Trennung "korporativer Einheiten" zu untersagen war. Mit dem Hinweis auf die bisherige Praxis und der schwierigen praktischen Ausführung der Wahl von neun Abgeordneten im einzelnen Bezirk, die eine Wahlmannschaft von 2000 Personen vereinigt hätte, plädierten die Abgeordneten für das Teilungverfahren. Für die Teilung einer Großstadt in selbständige Wahlbezirke gab es keine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung. Gleichwohl sah die Kommission im befürworteten Verfahren keine verfassungswidrige Wahlbezirks bildung. Sie ging eben "nur neben der Verfassung her". 82 Das Verbot der Kreisteilung brachte zwangsläufig stärkere Schwankungen der Bevölkerungszahl der Wahlbezirke mit sich. Als zulässiges Minimum wurde pro Mandat die Hälfte der durchschnittlichen Bevölkerungszif7B Motive, GesEntw, Feststellung der Wahlbezirke. AlPAH, 5. LP, 2. Sess. 1859/ 60, Bd. 4, AS Nr. 66, S. 459. 79 Vgl. Tab. 42 im Stat. Anhang. BO Motive, GesEntw, Feststellung der Wahlbezirke, AlPAH, 5. LP, 2. Sess. 1859/ 60, Bd. 4, AS Nr. 66, S. 459 f. BI KomBer Lette, 14. März 1860. A.a.O., AS Nr. 67, S. 470. B2 A. a. 0., S. 468.

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fer angenommen, das Maximum mit dem Ein- und Einhalbfachen jener Zahl festgelegt. Nach den Volkszählungsergebnissen kamen auf einen Abgeordneten durchschnittlich 50500 Einwohner, die niedrigste und höchste Bevölkerungszahl durfte nach der Kommissionsregelung bei einem Abgeordneten zwischen 25250 und 75750 liegen. Bei Wahlbezirken mit zwei Abgeordneten gestattete das Prinzip eine Schwankung zwischen 75750 und 126250 Einwohnern, bei Bezirken mit drei Abgeordneten schließlich zwischen 126250 und 176750 Personen, so daß durchschnittlich 101000 bzw. 151500 Einwohner auf Wahlkreise mit zwei oder drei Abgeordneten entfallen durften. 83 Bei der definitiven Wahlkreiseinteilung zeigten diese Zahlen teilweise noch größere Schwankungen. Insgesamt gelang es unterdessen, die durchschnittliche Bevölkerungszahl von 50465 auf einen Abgeordneten relativ ausgeglichen in den Provinzen und den Regierungsbezirken einzuhalten. Im einzelnen lag die Personenzahl pro Mandat in den städtischen Wahlkreisen zwischen 51 977 in Stettin und 48454 in Münster. In den Provinzen wurde der niedrigste Durchschnittswert mit 49900 in Ostpreußen, der höchste mit 51 092 in Pommern registriert. In Berlin wählten im allgemeinen 50960 Einwohner einen Abgeordneten, im Regierungsbezirk Potsdam 51 872 und in der gesamten Provinz Brandenburg 50652 Personen. 84 Das Bemühen um eine bevölkerungsadäquate Verteilung der Mandate verhinderte freilich nicht eine Bevorzugung des flachen Landes vor den Städten. Auf dem Lande bedurfte es zur Wahl eines Abgeordneten durchweg einer geringeren Stimmenzahl als in den Städten. 8s Die liberalen Abgeordnetenmehrheiten zu Beginn der sechziger Jahre sowie der scharfe Gegensatz zwischen dem Parlament und der Staatsregierung im Verfassungskonflikt um die Heeresreform brachte nicht nur Erwägungen über die weitere Zukunft des Dreiklassensystems in Gang,86 sondern veranlaßte das Innenministerium auch zu neuen Überlegungen über eine Revision der Wahlbezirkseinteilung. Es ging vor allem darum, Wege zu suchen, um den liberalen Einfluß zurückzudrängen und das konservative Wählerpotential auf dem Lande zu mobilisieren. Innenminister Graf Friedrich zu Eulenburg stellte den Gedanken zur Diskussion, aus den größeren Städten eigene Wahlbezirke zu bilden. Er dachte dabei an sämtliche Gemeinden mit über 10000 Einwohnern, deren Erwerbsgrundlage vornehmlich durch Handel und Gewerbe bestimmt war. Eulenburg wollte bei der Bildung der städtischen Wahlbezirke gegebenenfalls sogar über das Gebot, die Grenzen der Regierungsbezirke zu beachten, hinwegsehen. Nur die Kombinierung sämtlicher Städte eines Kreises zu einem Wahlbezirk, wie es der Frankfurter Regierungspräsi83 84 85 86

63*

A. a. 0., S. 464.

A. a. 0., S. 512 f. Durchschnittszahlen berechnet nach ebd. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 90. Vgl. Gagel, Wahlrechtsfrage, S. 26 ff.

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dent Ferdinand von Münchhausen vorgeschlagen hatte, hielt der Innenminister nicht für ausführbar, da man nicht völlig von den Einwohnerzahlen und dem Charakter der Städte absehen konnte. 87 Der Vorschlag Eulenburgs fand die Zustimmung der Oberpräsidenten. Von Jagow sah auf diesem Wege die Möglichkeit, den mehr oder weniger nachteiligen politischen Einfluß der Städte auf die ländliche Bevölkerung "einigermaßen" einzugrenzen. 88 Für den Regierungsbezirk Potsdam schlug er vor, sämtliche größeren Städte in zwei Wahlbezirke zusammenzufassen, denen jeweils ein Abgeordnetenmandat zugeordnet werden sollte. Die Vereinigung weit entfernter Städte mußte man billigend in Kauf nehmen und eventuell durch eine Verringerung der Wahlmänner ausgleichen. 89 Potsdam und Brandenburg hätten den ersten, Charlottenburg, Spandau, Neu-Ruppin, Luckenwalde und Prenzlau den zweiten städtischen Wahlbezirk gebildet. 9o Im Anschluß an weitere Ermittlungen des Innenministeriums hatte von Eulenburg eine Denkschrift ausarbeiten lassen, die insbesondere für die Einrichtung der Wahlbezirke auf Kreisbasis plädierte. Sobald jeder Kreis seinen eigenen Wahlbezirk bildete, konnten die korporativen Bindungen und persönlichen Beziehungen, die in ländlichen Bezirken eine wesentliche Rolle spielten, voll zum Tragen gebracht werden. In großen bzw. zusammengelegten Wahlkreisen gestaltete sich "die Gruppenbildung der Gleichgesinnten" besonders schwierig, während der parteipolitischen Agitation die Einflußnahme erleichtert wurde. Die Handlungsmöglichkeiten der Regierungsorgane wurden dagegen behindert - nicht bei der Anwendung ungesetzlicher Mittel, an die nicht gedacht war, aber bei der "Abwehr agitatorischer Wirkungen", beispielsweise auf das Staatsbeamtentum. 91 Städte, die ihrer Einwohnerzahl nach Anspruch auf ein einzelnes oder mehrere Mandate hatten, sollten nach Auffassung des Innenministeriums möglichst für sich allein wählen, während die Gruppe der mittleren Städte nicht in kombinierten Wahlbezirken eingebunden werden sollten. 92 In der Vergangenheit hatte man ausnahmsweise mehrere Städte zu einem Wahlbezirk vereinigt. In den Jahren 1852, 1855 und 1858 waren etwa die Vorstädte Sudenburg und Neustadt sowie die Städte Burg und Schönebeck mit 87 Eulenburg an Oberpräsident von Jagow, 2. Oktober 1863. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 146 adhib, Bd. 1, Bi. 63 f. 88 Bericht von Jagows an Innenminister von Eulenburg, 27. November 1863. A. a. 0., Bi. 176. 89 A. a. 0., Bi. 177 f. 90 A. a. 0., Bi. 180. 91 Die Denkschrift übersandte Eulenburg mit dem Schreiben vom 10. September 1864 an Ministerpräsident von Bismarck. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 146, adhib, Bd. 2, Bi. 128 f. 92 A.a.O., Bi. 134.

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Magdeburg in einem Wahlbezirk zusammengefaßt worden. Städte wie Potsdam, Posen oder Krefeld blieben dagegen mit ländlichen Kreisen verbunden. 93 Die größeren Städte mit über 50000 Einwohnern bildeten nach Regierungsansicht "in ähnlicher Weise wie die Kreise Korporationen und politische Größen", die Anspruch auf eine selbständige Vertretung hatten. Selbst die mittleren Städte sah man als eigenständige Korporationen an, deren Interessen von denen des ländlichen Raumes geschieden waren. Sie standen unter dem Einfluß der städtischen Demokratie, so daß es nur zum Vorteil gouvermentaler Mehrheiten im Abgeordnetenhaus sein konnte, das platte Land vom politisch nachteiligen Einfluß dieser Städte zu befreien. 94 Wenn das Staatsministerium an der Wahl nach Kreisen fest, mußten die Interessensdifferenzen von Stadt und Land und der politische Einfluß der Städte in Kauf genommen werden. Der Erfolg der Isolierung der Städte und ihre Zusammenlegung zu eigenständigen Wahlbezirken war allerdings insofern fraglich, als die Kleinstädte allemal bei den Kreisen verbleiben mußten und die übrigen Städte nichts hindern konnte, ihre politische Agitation auf das Land zu tragen. Die strikte Trennung von Stadt und Land hatte aber auch den Nachteil, wie die Denkschrift darlegte, daß die Wahlen in den Städten vermutlich nur "demokratische Abgeordnete" hervorbrachten. Das Gegengewicht der ländlichen Bevölkerung zur städtischen Demokratie wurde auf diese Weise preisgegeben, da die Gegner der Demokratie in Städten nach Auffassung des Innenministeriums über den Verlust einer möglichen Vereinigung mit gleichgesinnten ländlichen Wahlmännern den Mut zur politischen Tätigkeit in den Stadtgemeinden verlieren würden. Schließlich traf die Abtrennung der Städte auf praktische Schwierigkeiten. Die Streuung der einzelnen Gemeinden machte ihre Vereinigung zu Wahlbezirken weitgehend unmöglich. Nur in einzelnen Landesteilen wie Schlesien oder den Regierungsbezirken Düsseldorf, Amsberg und Merseburg ließ sich ein solches Vorhaben ohne größere Schwierigkeiten realisieren. 95 Wenn die Kreise zur Grundlage der Wahlbezirke gemacht wurden und jeder Kreis einen Abgeordneten wählte, setzte sich das Abgeordnetenhaus aus den Vertretern der 327 Landkreise, der sechzehn Vertreter der kreisfreien Städte sowie der Gemeinden Düsseldorf und Krefeld und dem einzelnen Vertreter für Hohenzollern zusammen. Bei größerer Berücksichtigung der Einwohnerzahl, vor allem der größeren Städte, erhöhte sich die Abgeordnetenzahl von 346 auf 387, indem unter anderem Berlin zehn Mandate, Breslau drei, Danzig, Köln, Königsberg und Magdeburg sowie 23 einwohnerstärkere Kreise je zwei Mandate erhielten. 96 Die Zahl der Mandate A a. 0., BI. 137. A a. 0., BI. 139. 95 Aa.O., BI. 141. VgI. auch das Tableau der städtischen Wahlbezirke, a.a.O., BI. 144--149. 93

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konnte wieder verringert werden, sobald man sich entschloß, diejenigen Kreise, deren Einwohnerzahl die Hälfte der durchschnittlichen Bevölkerungsziffer pro Abgeordneten unterschritt, mit anderen Kreisen zusammenzulegen. Auf diese Weise erhielt man 14 kombinierte Wahlbezirke, die aus 26 Land- und 2 Stadtkreisen bestanden. Die Zahl der Mandate verringerte sich um 13 auf 374. Für die zukünftige Gestaltung der Berliner Landtagswahlbezirke regte von Eulenburg an, ebenfalls zur Einrichtung von Einerwahlkreisen überzugehen. 97 Die übrigen Mitglieder des Staatsministeriums erklärten sich prinzipiell mit der Absicht einverstanden, die einzelnen Kreise zu Wahlkörpern zu machen. 98 Ministerpräsident von Bismarck warnte von Beginn an, die neue Wahlbezirkseinteilung im Wege der Verordnung zu oktroyieren. Da das alte Wahlbezirksgesetz im Wege der ordentlichen Gesetzgebung erlassen worden war, hätte die Regierung die Verfassungsmäßigkeit des Verordnungsverfahrens, wie später auch Finanzminister Ludwig Karl von Bodelschwingh beipflichtete, nur schwerlich nachweisen können. 99 Der Ministerpräsident hielt sich die endgültige Entscheidung vor, ob nicht die Bevölkerungsziffer der Kreise bei der Verteilung der Abgeordnetenmandate berücksichtigt werden sollte. Gegen die Abhängigkeit der Mandate von der Einwohnerdichte bezog am schärfsten Landwirtschaftsminister Werner von Selchow Stellung. Er warf dem Eulenburgschen Entwurf sogar vor, sich zu sehr auf das Kopfzahlprinzip bezogen und zu wenig die "geschichtlich erwachsene organische Gestaltung des Landes" beachtet zu haben. Von Selchow sprach sich gegen jeden Ausgleich zwischen den bevölkerungsreichsten und -schwächsten Kreisen und gegen jede "mechanische Zusammenlegung von Bezirken" aus. Allein der preußischen Metropole Berlin wollte er mehrere, d.h. insgesamt sechs Abgeordnetenmandate zugestehen, ansonsten sollte jeder Kreis und jede größere Stadt nur durch jeweils einen Abgeordneten vertreten sein. Eulenburg lehnte diese Vorstellungen entschieden ab, nachdem man im Frühjahr 1866 die Verhandlungen zu einer Revision des Wahlbezirksgesetzes wieder aufgenommen hatte. Für ihn war es eine "eigentümliche Inkongruenz", daß bei einem auf der Kopfzahl basierenden Urwahl system kein 96 97

164.

A. a. 0., BI. 135. Ebd. Tableau der nach Kreisen konstitutierten Wahlbezirke, a. a. 0., BI. 150-

98 Votum Roon, 17. Oktober 1864, a.a.O., BI. 168 f.; Bodelschwingh, 31. Oktober 1864, a.a.O., BI. 171 f.; Selchow, 28. Oktober 1864, a.a.O., BI. 174-179; Bismarck, 23. Dezember 1864, a.a.O., BI. 181 f. 99 A.a.O., BI. 181. Vgl. auch das spätere Votum Bismarcks vom 23. Mai 1866, a. a. 0., BI. 253, und das am 26. Mai ergangene Votum von Bodelschwinghs, a. a. 0., BI. 249. Beide Voten auch in GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 3, BI. 206-212 bzw. 213-216 (Bismarck) und BI. 217-219 (Bodelschwingh).

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Gewicht auf die Bevölkerungsziffer der Wahlbezirke gelegt werden sollte. Eine "gewisse Rücksicht" auf die Einwohnerverhältnisse war nicht nur in allen Gesetzen und Verordnungen zur Geltung gekommen, sondern nach Ansicht Eulenburgs auch bei allen legislatorischen Vorberatungen als notwendig erachtet worden. Wenn die Verfassungsurkunde die Zahl der Abgeordneten fixierte, lag darin für den Staat "eine gewisse Nötigung", die Mandate nicht zu ungleichmäßig auf das Land zu verteilen. Entschied sich das Staatsministerium für das Prinzip, in jedem Kreis einen Abgeordneten wählen zu lassen, blieb nach Eulenburg nichts anderes übrig, als die bevölkerungsstärkeren Kreise mit mehreren Mandaten auszustatten. Solange dies aber nicht möglich war, mußten zwangsläufig kleinere Kreise zusammengelegt werden. 1OO Bei der Beratung des Wahlbezirksgesetzes im Jahre 1860 war schließlich, so der Minister des Innern, auch die Bedeutung der Bevölkerungsverhältnisse hervorgehoben worden. Jede Reduktion der Abgeordnetenmandate, insbesondere in den größeren Städten, konnte aber als "ungerechtfertigte Zurücksetzung", als "tendenziöse Verminderung der Zahl der städtischen Abgeordneten" angesehen werden. 101 Nach den Ergebnissen der Volkszählung von 1864 mußte nicht nur Berlin ein weiteres Mandat und damit elf Abgeordnete, sondern auch andere Städte neue Mandate erhalten. 102 Bismarck betrachtete die Bevölkerungsziffer nicht als grundlegendes Prinzip der Wahlbezirkseinteilung. 103 Trotzdem sollte es seiner Meinung nach, bedingt durch die verfassungsmäßig und gesetzlich festgelegte Zahl der Mandate, bei der späteren Beratung des Wahlbezirksgesetzes indirekt zum Zuge kommen. Der Ministerpräsident erwartete von einer bloßen Änderung der Wahlbezirke keinen Wechsel der Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Mit Hinweis auf den im Deutschen Bund gestellten Reformantrag Preußens warb Bismarck für das allgemeine und direkte Wahlrecht, von dem er sich eine Lösung des politischen Konflikts mit der liberalen Opposition erhoffte. Als Grundlage eines "logisch und prinzipiell richtigen Wahl-Systems" sollte es mit der bewußten Tendenz zur Bildung "neuer zeitgemäßer Gesellschaftsgruppen" gestaltet und mit einer Wahlordnung verbunden werden, welche die Wiederholung von Minoritätswahlen in der bisherigen Weise unmöglich machte. 104 Die Mehrheit der 100 Eulenburg an Bismarck, 7. April 1866. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 146, adhib, Bd. 2, BI. 223. 101 A. a. 0., BI. 224. 102 A. a. 0., BI. 225. 103 Votum Bismarck, 23. Mai 1866. A. a. 0., BI. 253. 104 A. a. 0., BI. 254. In seinem Votum äußerte der Ministerpräsident bereits seine später von liberaler Seite häufig wiederholte Kritik am preußischen Wahlrecht. "Das Census-Wahlsystem mit Wahlmännern" war für ihn "theoretisch wie praktisch das denkbar schlechteste: theoretisch die destillierte Bourgeoisie, praktisch die organisierte Revolution". A. a. 0., BI. 253.

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Staatsminister sah in einer grundlegenden Wahlrechtsänderung jedoch "kein Allheilmittel".105 Das Staatsministerium beschloß schließlich, sich auf eine Revision der Wahlbezirksordnung zu beschränken,106 obwohl diese, wie von Eulenburg formulierte, ein Wahlsystem zur Voraussetzung hatte, "dessen fernere Lebensfähigkeit und Erhaltung zweifelhaft" war. 107 Das Prinzip einer möglichst bevölkerungsadäquaten Verteilung der Abgeordneten sollte dem Anspruch nach auch in den 1866 annektierten Gebieten eingeführt werden. Das Verfassungsgesetz von 1867 bestimmte, die Wahlbezirke in der Art festzustellen, daß die Mandate nach den Ergebnissen der letzten allgemeinen Volkszählung möglichst gleichmäßig verteilt wurden. 108 Gleichzeitig wurde die Staatsregierung aufgefordert, dem im Oktober einzuberufenden Landtag ein Gesetz über die Bildung der Wahlbezirke in der gesamten Monarchie vorzulegen und das oktroyierte Wahlgesetz vom 30. Mai 1849 definitiv in den neuen Landesteilen einzuführen. 109 Die daraufhin von der Staatsregierung vorgelegten Gesetzentwürfe llO suchten, wie es sich in den ministeriellen Vorarbeiten bereits angedeutet hatte, die Grundsätze des Wahlbezirks gesetzes von 1860 zu verlassen, indem sie das von Eulenburg empfohlene Prinzip, für jeden Kreis einen Wahlbezirk einzurichten, zum Maßstab der Einteilung machten. Das Verfahren fand nicht nur bei der Feststellung der Wahlbezirke in den annektierten Landesteilen, sondern auch in den alten Provinzen Anwendung. I I I Die Erfolge der Liberalen und insbesondere der Fortschrittspartei bei den kurz aufeinander folgenden Wahlen Anfang der sechziger Jahre hatten sowohl bei der Staatsregierung als auch bei den Konservativen Mißtrauen über die Wirkung des Dreiklassenwahlrechts ausgelöst. Das Wahlrecht benachteiligte offensichtlich noch nicht eine bestimmte politische Partei auf Vgl. schon das Votum von Bodelschwinghs, 25. Mai 1866. Aa.O., BI. 249 f. Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums vom 21. November 1867. Aa.O., Bd. 3, BI. 1. Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 3, BI. 309. 107 Votum Eulenburg für das Staatsministerium, 3. November 1867. Aa.O., BI. 305 f. 108 Art. 2, Gesetz, betreffend die Abänderung des Art. 69 der Verfassungsurkunde und des Art. 1 des Gesetzes vom 30. April 1851, sowie diejenigen Abänderungen der Verordnung über die Wahl der Abgeordneten vom 30. April 1849, welche behufs Anwendung derselben in den mit der Preußischen Monarchie neu vereinigten Landestheilen erforderlich werden, vom 17. Mai 1867. GS 1867, S. 1481. 109 Art. 4, Verfassungsgesetz, 17. Mai 1867. Aa.O., S. 1482. 110 Entwurf eines Gesetzes über die fernere Geltung der Verordnung vom 30. Mai 1849 in den neu erworbenen Landestheilen und Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Feststellung der Wahlbezirke für das Haus der Abgeordneten für den ganzen Umfang der Monarchie vom 20. September und 24. Dezember 1866. AlPAH, 10. LP, 1. Sess. 1867/68, Bd. 2, AS Nr. 321, S. 644-720. III Aa.O., S. 680. 105

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Grund ihrer sozialen Struktur, seine Wirkung beruhte zu dieser Zeit vielmehr auf dem Gegensatz von Stadt und Land. Während die Liberalen den größeren Stimmenanteil in den großen Städten verzeichneten, hatte sich das Verhältnis zwischen Konservativen und Liberalen auf dem Lande relativ ausgeglichen entwickelt. Die höhere Wahl beteiligung in den Städten wirkte sich zugunsten der Liberalen aus, obwohl nur 31,2 Prozent der Wahlberechtigten in den Stadtgemeinden und mehr als zwei Drittel (68,8 %) in ländlichen Kreisen lebten. 112 Nicht zu Unrecht vermuteten die Konservativen auf dem Lande eine zu mobilisierende Reserve, da die Landbevölkerung, vor allem in ihren unteren Schichten zu den Konservativen neigte. Neben der Möglichkeit, diese Reserve durch eine Hebung der Wahlbeteiligung oder gar durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu erschließen, 113 bot auch die Wahlkreiseinteilung ein Mittel, den Einfluß der Liberalen zurückzudrängen. So lange ein Wahlbezirk aus mehreren Kreisen bestand, konnten Majoritäten in Einzelkreisen durch die Verbindung der übrigen Kreise unterdrückt werden. In den Motiven des Gesetzentwurfs legte die Regierung dar, daß bei den Wahlen der Jahre 1861-1863 in 24 bis 33 der 124 kombinierten Wahlbezirke das Resultat anders ausgefallen wäre, wenn jeder Kreis für sich gewählt hätte. Das hieß die Wahlen wären in diesen Fällen zugunsten der konservativen Minorität entschieden worden. I 14 Wenn es allein um den Ausgleich der auf jeden Abgeordneten entfallenden Bevölkerungszahl ging, bot, wie die Staatsregierung zugab, das Prinzip der kombinierten Wahlbezirke eine größere Gewähr der Gleichmäßigkeit. Wurden allerdings die bei der Beratung des Wahlbezirksgesetzes eingeführten zulässigen unteren und oberen Bevölkerungsgrenzen für den Einer-, Zweier- und Dreierwahlbezirk berücksichtigt, fiel das Ergebnis keineswegs zu Ungunsten der Kreisregelung aus. Vorausgesetzt, daß die größten Kreise mehr als einen Abgeordneten erhielten und einige der kleinsten Kreise mit anderen zusammengelegt wurden. Die größeren Städte sollten nach dem Vorbild Berlins in mehrere Wahlkreise aufgeteilt werden. Eine solche Regelung empfahl sich nach dem Gesetzentwurf, da die Gründe, die für die Bildung der Wahlbezirke aus ungeteilten Korporationen sprachen, in den Städten in geringerem Maße in Betracht kamen. "Die Rücksicht auf die Vertretung der Minoritäten", welche durch die Abgrenzung möglichst kleiner Wahlbezirke begünstigt wurde, war hier von untergeordneter Bedeutung. I 15 Vgl. Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 27 f. Zur Auswirkung des im April 1866 gestellten Bismarckschen Antrages zur Refonn der Bundesverfassung und Einführung des allgemeinen Wahlrechts sowie des Wahlsystems des Norddeutschen Bundes auf die preußische Wahlrechtsdebatte vgl. Gagei, Wahlrechtsfrage, S. 38 ff. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 391 f. 114 AIPAH, 10. LP, 1. Sess. 1867/68, Bd. 2, AS Nr. 321, S. 682. 112

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Die Vernachlässigung des Bevölkerungsprinzips, dessen Berücksichtigung die früheren Vorschriften, wie der Regierungsentwurf zugab, "unbedingt erreichten", sah die Staatsregierung durch den Artikel 69 der Verfassungsurkunde sowie den Kommissionsbericht zum Wahlbezirksgesetz bestätigt. Eine Auffassung, die faktisch nicht haltbar war. Die Absichten der Regierung ließen sich nur schwerlich mit dem Umstand der gesetzlich festgelegten Anzahl der Mandate vereinbaren, so daß in den alten Provinzen nur geringfügige Verschiebungen möglich waren und folglich insgesamt, selbst in den annektierten Gebieten, das Bevölkerungsprinzip erneut zur Richtschnur der Einteilung wurde. 116 So mußte unter anderem die Provinz Posen einen Abgeordneten an Brandenburg abgeben, das eigentlich zwei neue Repräsentanten beanspruchen konnte. Diese Mandate forderte jedoch die Stadt Berlin auf Grund der rasch gewachsenen Bevölkerung. Die Staatsregierung wollte der Metropole nur ein Mandat überweisen. Sie begründete diese Absicht damit, daß einerseits der Abzug eines weiteren Abgeordneten in den Provinzen als Benachteiligung empfunden werden würde, andererseits die Stadt Berlin sich nicht beschweren konnte, "wenn im Hinblicke auf die starke und exceptionelle Betheiligung einer, wenn auch der Hauptstadt, an der Landesvertretung mit zehn Abgeordneten, über dieses Maß hinaus nicht strenge Rücksicht auf die Bevölkerungsziffer genommen" wurde. 1I7 Eine Argumentation, die eine klare Benachteiligung Berlins in Kauf nahm und insgesamt auf das reservierte Verhältnis der Staatsregierung gegenüber den berechtigten politischen Bedürfnissen der Landeshauptstadt hinwies. Schon 1861 lag die durchschnittliche Bevölkerungsziffer pro Abgeordneten in Berlin deutlich über der sämtlicher Regierungsbezirke Preußens. In Berlin entfielen im Durchschnitt 60841 Einwohner auf einen Abgeordneten, in Preußen waren es nur 52532, in den Berlin am nächsten stehenden Regierungs115 A.a.O., S. 683. Vgl. Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums vom 7. Januar 1868. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 146, adhib, Bd. 3, BI. 85. 116 Durch Artikel 1 des Verfassungsgesetzes vom 7. Mai 1867 (GS 1867, S. 1481) war die Anzahl der Abgeordneten in den annektierten Gebieten auf 80 festgelegt worden. Die Staatsregierung hatte dem Abgeordnetenhaus zunächst einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem von einer Festlegung der Zahl der Mandate abgesehen wurde. Die Festlegung der Mandate wollte man einer königlichen Verordnung mit der Auflage vorbehalten, daß durchschnittlich ein Abgeordneter von 54000 Einwohnern gewählt werden sollte. Das Abgeordnetenhaus lehnte diesen Entwurf ab, obwohl sich die Beratungskommission im wesentlichen mit der Regelung einverstanden erklärt hatte. Der daraufhin vom Abgeordnetenhaus abgeänderte Entwurf setzte die Zahl der Repräsentanten aus den neuen Landesteilen auf 80 fest. Nur für die ersten Wahlen wurde die Feststellung der Wahlbezirke königlicher Verordnung in der Form überlassen, daß die zu wählenden Abgeordneten auf die durch die letzte allgemeine Volkszählung ermittelte Bevölkerung möglichst gleichmäßig zu verteilen war. Vgl. Rönne, Staatsrecht, Bd. 1,1, S. 219 f. ll7 Motive, GesEntw, Feststellung der Wahlbezirke, 1868. AIPAH, 10. LP, 1. Sess. 1867/68, Bd. 2, AS Nr. 321, S. 683.

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bezirken Gumbinnen und Marienwerder 54908 bzw. 54833 Einwohner. 1l8 Die bereits beträchtliche Differenz sollte sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zusehends verbreitern und zu einer grotesken Unterrepräsentation Berlins im preußischen Landtag führen. Inzwischen war aber auch im Hinblick auf die Bevölkerungsverhältnisse der einzelnen Berliner Wahlkreise ein erhebliches Mißverhältnis aufgetreten. Nach den Volkszählungsergebnissen von 1864 betrug die Zahl der Zivilbevölkerung im ersten Wahlkreis 159294, im zweiten 164292, im dritten 148067 und im vierten Wahlkreis 137015. Anfang 1866 hatte der Berliner Magistrat auf das disproportionale Bevölkerungswachstum aufmerksam gemacht und der Regierung vorgeschlagen, die Stadt analog zur Zahl der Abgeordneten in Wahlkreise einzuteilen. 119 Die Staatsregierung hielt die Beseitigung ungleicher Wahlkreise innerhalb einer Stadtgemeinde zunächst "an sich" für wünschenswert, durch die geplante Erhöhung der Mandate wurde die Neueinteilung der Berliner Landtagswahlbezirke zur Notwendigkeit. Der Gesetzentwurf sah folglich, wie von Eulenburg schon im Spätsommer 1864 vorgeschlagen hatte, die Bildung von zehn Berliner Wahlbezirken vor. 120 Bei deren Abgrenzung bemühte man sich, neben der Einwohnerzahl die Zusammengehörigkeit der einzelnen Stadtteile zu berücksichtigen. 121 Die Gesetzentwürfe der Staatsregierung stießen 1868 im Abgeordnetenhaus jedoch ebenso auf Ablehnung wie im darauffolgenden Jahr, indem sie, ohne wesentliche Abänderung dem Parlament nochmals zur Beschlußfassung vorgelegt wurden. Die liberalen Parteien dachten nicht daran, ihre Mehrheitsstellung im Landtag zu gefahrden. Sie rückten aus diesem Grund auch von ihrer Forderung nach Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts in Preußen ab. Anstelle des Regierungsentwurfs verabschiedete der Landtag im März 1869 ein Gesetz,122 das unter Berücksichtigung der im Juni 1860 aufgehobenen Regelungen zu den Wahlbezirken und -orten vorschrieb, bis zum Erlaß des im Artikel 72 der Verfassungsurkunde geforVgl. Tab. 35 im Stat. Anhang. A. a. 0., S. 684. Vgl. den Bericht des Berliner Magistrats an Innenminister von Eulenburg vorn 6. Januar 1866. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 146, adhib, Bd. 2, BI. 337-339. 120 Vgl. Tab. 36 im Stat. Anhang. 121 Vgl. Motive, GesEntw, Feststellung der Wahlbezirke, 1868. AIPAH, 10. LP, l. Sess. 1867/68, Bd. 2, AS Nr. 321, S. 684. Das von Bürgermeister Seydel beim Innenministerium eingereichte vergleichende Tableau der Berliner Wahlbezirke vorn 14. Januar 1868, in: GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 146, adhib, Bd. 3, BI. 147 f. u. 150 f. 122 Gesetz, betreffend die fernere Geltung der Verordnung vorn 30. Mai 1849 für die Wahlen zum Hause der Abgeordneten in den durch die Gesetze vorn 20. September und 24. Dezember 1866 mit der Preußischen Monarchie vereinigten Landesteilen vorn 11. März 1869. GS 1869, S. 481. 118

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derten Gesetzes die Wahlen zum Abgeordnetenhaus in den annektierten Gebieten auf der Grundlage der oktroyierten Wahlverordnung von 1849 vorzunehmen. Die jeweilige Zahl der Abgeordneten sollte nach der Wahlverordnung vom September 1867 123 festgelegt werden. Der Erlaß eines Wahlreglements war nunmehr der Staatsregierung übertragen,124 die daraufhin die weitere Geltung der Wahlvorschriften nach der Septemberverordnung zum Beschluß erhob. 125 Auf diese Weise entging die Staatsregierung dem Bedenken, daß durch die Aufhebung des Artikels 2 der Verordnung vom 14. September 1867 in den annektierten Provinzen, mit Ausnahme des Kreises Herzogtum Lauenburg, eine gesetzliche Grundlage für die Wahlkreiseinteilung fehlte. Der Verfassungsauftrag zum Erlaß eines Wahlgesetzes blieb bis zum Oktober 1918 uneingelöst. Auch die 1910 von der Staatsregierung eingebrachte Gesetzesvorlage war ihrer Konstruktion nach kein neues Wahlgesetz, sondern allein zu dem Zweck erlassen, "bestimmte Verfassungsartikel mit neuem Inhalt zu erfüllen".126 Das in der Abwehr gegen staatliche Willkür und politische Einflußnahme erzwungene System der Wahlkreiseinteilung sollte im Verlaufe der Urbanisierung Preußens, wenngleich das Bevölkerungsprinzip in den älteren Regelungen praktisch berücksichtigt worden war, in seiner Tendenz zur Unveränderlichkeit der einmal festgelegten Abgrenzung der Wahlbezirke zu einer schweren Ungleichheit des Wahlrechts führen. Stadtgemeinden und stärker urbanisierte Regionen des Landes waren von dieser Entwicklung vor allem betroffen. Die Städte litten zunehmend unter der sich verschärfenden Wahlrechtsbeschränkung und -beschneidung ihres parlamentarischen Einflusses. Zu Beginn der siebziger Jahre begannen die großen Städte verstärkt, ihre Forderung nach einer Neueinteilung der Wahlbezirke vor den Landtag zu bringen. Berlin verlangte 1873 in einer Petition die Vermehrung seiner Abgeordnetenmandate. Der Stadtverordneten-Vorsteher und die 276 Wahlmänner des zweiten Berliner Landtagswahlbezirks forderten allgemein, daß der Stadt "die ihrer Seelenzahl gebührene Vertretung im Abgeordnetenhause zu Theil werde".127 Nach der letzten Volkszählung am 1. Dezember 1873 beArt. 2, Wahlbezirks-Verordnung, 14. September 1867. GS 1867, S. 1482. § 3, Gesetz über die fernere Geltung der Verordnung vom 30. Mai 1849 für die Wahlen in den neuen Landesteilen vom 11. März 1869. GS 1869, S. 482. 125 Reglement zu der Verordnung vom 30. Mai 1849, dem Gesetze vom 17. Mai 1867 und der Verordnung vom 14. September 1867 über die Ausführung der ersten Wahlen zum Hause der Abgeordneten in den durch die Gesetze vom 20. September und 24. Dezember 1866 mit der Preußischen Monarchie vereinigten Landesteilen vom 15. September 1867. MBliV, 28. Jg. (1867), S. 292-296. Vgl. dazu auch Rönne, Staatsrecht, Bd. 1,1, S. 223 u. 228. 126 AlPHH, Sess. 1910, DS Nr. 67, S. 172. 127 Abgeordneter Roepell, Erster Bericht der Kommission für Petitionen, Teil A. AlPAH, 12. LP, 1. Sess. 1873/74, Bd. 1, AS Nr. 131, S. 482. 123

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trug die Bevölkerung der Reichshauptstadt insgesamt 826341 Einwohner, danach hatte Berlin den Anspruch, statt der bisherigen neun fünfzehn Abgeordnete in den Landtag zu senden. Wenngleich sich die Parlamentskommission bemühte, jedes verfassungsmäßige Recht auf eine Erhöhung der Mandate zu verneinen, wollte sie doch nicht verkennen, daß das bedeutende Bevölkerungswachstum in einzelnen Wahlbezirken die Revision notwendig machte. Eine Vermehrung der Abgeordnetenmandate lehnte die Kommission ab, da auf diese Weise eine Präzedenz geschaffen worden wäre, die bereits hohe Zahl von Mandaten gemäß der Bevölkerungsentwicklung weiter zu steigern und die Perioden gesetzlich festzulegen. Als Ausweg verblieb demnach nur eine Abgabe einzelner Mandate durch bevölkerungsschwächere Provinzen. Völlig zu Recht machte der Regierungskommisssiar darauf aufmerksam, daß nach Artikel 69 der Verfassung die Wahlbezirke nur aus einzelnen oder mehreren, aber ungeteilten Kreisen zu bilden waren, so daß die Bevölkerungsziffer pro Abgeordneten jeweilig zwischen einer Minimal- und Maximalzahl schwanken durfte. Nach der Volkszählung von 1871 entfielen im Durchschnitt 57045 Einwohner auf einen Abgeordneten. In Wahlkreisen mit einem Abgeordneten lag die Höchstgrenze demnach bei 85567 Einwohnern. Wurden zwei Abgeordnete gewählt, erhöhte sich die Ziffer auf 142612, bei drei Abgeordneten schließlich auf 199657 Einwohner. 128 Nach der aktuellen Einwohnerzahl standen der Provinz Brandenburg fünfzig Abgeordnetenmandate zu. Gegenüber dem bisherigen Zustand bedeutete das eine Erhöhung um fünf Mandate, die ausschließlich Berlin zufallen würden. Die Staatsregierung fürchtete, daß die Abgabe einzelner Mandate in den betroffenen Provinzen als Unbilligkeit empfunden wurde. Entscheidender war indessen, daß die Regierung es als ausgesprochenes Mißverhältnis ansah, wenn Provinzen wie Pommern oder Hessen-Nassau einschließlich ihrer größeren Städte nur über 25 Mandate verfügten, Berlin für sich allein aber 14 Abgeordnete zu wählen hatte. 129 Gegen die Ansprüche Berlins machte die Kommission geltend, daß die Metropole den Vorzug hatte, Sitz des Landtags zu sein. Der Einfluß der Reichshauptstadt kam eben auch durch die große Zahl der in Berlin lebenden Abgeordneten zum Ausdruck. Selbst wenn von den zuletzt nachgewiesenen 53 Abgeordneten nur 9 als Vertreter Berlins gewählt waren, standen die übrigen Abgeordneten doch in enger Beziehung zu den Interessen und Verhältnissen der Hauptstadt. Die Fluktuation der Berliner Bevölkerung hätte zudem bei näherer Prüfung vermutlich ein ungünstigeres Verhältnis KomBer Roepell. A. a. 0., S. 483. Eine genaue Aufstellung über die von den einzelnen Provinzen abzugebenden Mandate findet sich im Bericht Roepells. Ebd. 128

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zwischen der Bevölkerungsziffer und der Zahl der eingetragenen Urwähler ergeben. Die preußische Metropole war nach abschließender Auffassung der Kommission durch ihre besondere Stellung gegenüber anderen Großstädten des Staates ausreichend vertreten. Deshalb war man nicht gewillt, unter alleiniger Berücksichtigung der Berliner Verhältnisse in eine allgemeine Revision der Wahlkreise einzutreten. 130 Die Mehrheit des Abgeordnetenhauses folgte dieser Ansicht und stimmte dem Übergang zur Tagesordnung zu. Verfassungsrechtlich gesehen, war die Begründung der Kommission überaus fragwürdig. Die berechtigten Interessen Berlins auf eine adäquate Vertretung im Landtag, konnte nicht durch die Aufzählung zufälliger Vorteile, selbst wenn diese eine erhebliche Rolle spielten, beiseite geschoben werden. Schon gar nicht war Berlin mit anderen preußischen Großstädten in Vergleich zu bringen, da die Metropole eine absolute Sonderstellung einnahm. Die veränderten Bevölkerungsverhältnisse verlangten nach einer neuen gesetzlichen Grundlage der Wahlkreiseinteilung, bei der zumindest in der einen oder anderen Hinsicht die differierende Einwohnerdichte zwischen Stadt und Land berücksichtigt werden mußte. Auch auf die Gefahr hin, daß in diesem Fall der Linksliberalismus einige Mandate hinzugewann und der gouvermentale Konservatismus an Einfluß verlor. Ebensowenig wie der Berliner Petition war den Eingaben anderer Großstädte in den Jahren 1875, 1876 und 1880 ein Erfolg beschieden. Das Abgeordnetenhaus beschloß in allen Fällen von einer Revision der Wahlbezirke abzusehen. Die Wahlgesetznovellen von 1891 und 1893 reagierten lediglich auf die verschärfte plutokratische Wirkung des Klassenwahlrechts infolge der reformierten Steuergesetzgebung. Mit Unterstützung der freisinnigen Berliner Abgeordneten Hermes, Langerhans und Parisius, forderte Eugen Richter das Abgeordnetenhaus am 7. Mai 1892 zu dem Beschluß auf, die Staatsregierung um Auskunft zu ersuchen, ob sie in der nächsten Sitzungsperiode einen Gesetzentwurf vorzulegen beabsichtigte, der eine den veränderten Bevölkerungsverhältnissen entsprechende Neueinteilung der Wahlkreise vornahm. l3I Seit 1860, so Richter bei der Begründung seines Antrags, war die Bevölkerung Preußens um 40 Prozent gestiegen. Dieses Wachstum betraf vor allem die industriellen Bezirke und die Städte, ohne daß entsprechende wahlpolitische Konsequenzen gezogen wurden. Berlin wurde beispielsweise seit 1848 unverändert durch neun Abgeordnete vertreten, obgleich sie mehr Einwohner zählte als Westpreußen mit 22 Abgeordneten, als Pommern mit 24 und Hessen-Nassau mit 26 Abgeordneten. Nach der Bevölkerungsziffer konnte Berlin eine VertreA. a. 0., S. 484. Antrag Richter, 7. Mai 1892. AlPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 4, DS Nr. 172, S. 2124. Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 461. 130 13l

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tung durch 23 Abgeordnete beanspruchen. Die Ergebnisse der Volkszählung von 1895 ergaben, daß in Berlin 186367 Einwohner auf einen Abgeordneten entfielen. In Preußen waren es mit 73568 Einwohnern weniger als die Hälfte. Die ebenfalls unterrepräsentierten Regierungsbezirke Arnsberg und Düsseldorf lagen mit einer Bevölkerungsziffer von 116984 bzw. 104350 Einwohnern noch deutlich unter den Berliner Verhältnissen. 132 Die Bedeutung Berlins wurde auch an seiner Steuerleistung deutlich. Die Stadt brachte mehr als ein Siebtel sämtlicher direkten Staats steuern Preußens auf, nahezu ebensoviel als die Provinzen Ost- und Westpreußen oder als die Provinzen Pommern und Posen zusammen. 133 Durch solche Zahlenvergleiche ließ sich die Staatsregierung nicht beeindrucken. Obgleich sie nur allzu genau wußte, daß auch andere großstädtische Landtagswahlkreise wie Essen-Duisburg und Dortmund-Bochum oder einzelne Großstädte wie Breslau, Köln, Frankfurt am Main und Magdeburg eine stärkere Vertretung beanspruchen konnten, hielt sie an den gesetzlichen Regelungen von 1860 und 1869 fest, als wären diese endgültige Bestimmungen über die Wahlkreiseinteilung. Nach Ermittlungen des Innenministeriums hatte die Bevölkerung seit 1860 in siebzehn Wahlkreisen um mehr als hundert, in sechs Wahlbezirken gar um mehr als zweihundert Prozent zugenommen. Da die Revision der Landtagswahlbezirke vornehmlich dem städtischen Linksliberalismus zugute kommen würde, lehnte die Staatsregierung eine Novellierung des Wahlbezirksgesetzes ab. 134 Gegenüber der Öffentlichkeit berief sich die Regierung weiterhin auf die stetig erneuerte verfassungsrechtliche Interpretation der Wahlgesetzgebung, nach der die Wahlkreiseinteilung angeblich in keinem Zusammenhang mit den Bevölkerungsverhältnissen stand. 135 Innenminister Herrfurth gab im Plenum des Abgeordnetenhauses eine entsprechende Erklärung ab. 136 Er sah sich bei der regierungsseitigen Verweigerung der Wahlbezirksreform in weitgehender Übereinstimmung mit der Mehrheit des Abgeordnetenhauses. Selbst Berlins ehemaliger Oberbürgermeister Hobrecht, der durchaus bestätigte, daß die enormen Bevölkerungsverschiebungen der zurückliegenden Jahrzehnte eine Revision der Wahlkreiseinteilung rechtfertigten, warnte vor einer voreiligen Korrektur. Wenn von einer Zunahme der Abgeordnetensitze Vgl. Tab. 43 im Stat. Anhang. Rede Richter. PAH, 19. Mai 1892. StBPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 3, S.1780f. 134 Innenminister Herrfurth an Ministerpräsident Graf Botho zu Eulenburg, 8. Mai 1852. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 88, Beih. 1, Bd. 1, BI. 7 f. Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums vom 12. Mai 1892. A. a. 0., BI. 23. Siehe auch Freisinnige Zeitung, Ausgaben Nr. 113 u. 114 vom 15. u. 17. Mai 1892. 135 A.a.O., BI. 26. Vgl. auch Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 6. 136 Vgl. Rede Herrfurth. PAH, 19. Mai 1892. StBPAH, 17. LP, 4. Sess. 1892, Bd. 3, S. 1782 ff. I32

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abgesehen werden sollte, blieb nur die Möglichkeit, den Flächenprovinzen Mandate abzunehmen. Das erschien dem Fraktionsvorsitzenden der Nationalliberalen unbillig, da neben der, langfristig gesehen, ökonomischen Schwächung dieser Landesteile auch noch ein Verlust politischen Einflusses trat. l37 Im Falle Berlins war der Wunsch nach einer stärkeren Repräsentanz zwar anzuerkennen, aber die Hauptstadtfunktion Berlins glich diesen Nachteil aus. In den zentralen Regierungsbehörden, so die gouvermentale Sicht Hobrechts, war für Berlin eine größere Sicherheit ihrer Interessensvertretung gegeben, als durch eine arithmetisch exakt ermittelte Zahl der Mandate jemals zu erreichen wäre. Diese Argumentation war nicht nur im Hinblick auf Berlin zweifelhaft, sondern sie verfehlte auch die eigentlichen Beweggründe der Kommunen, denen es insgesamt um eine berechtigte Stärkung städtischer Interessen ging. Zu einer Abstimmung über den Antrag des Berliner Abgeordneten kam es nicht mehr. Richter zog ihn, da er sich über die Aussichtslosigkeit seiner Annahme von vornherein im klaren war, vor Abschluß der Debatte zurück. 138 Erst im Januar 1900 kam es zu einem neuen Versuch, die Wahlbezirksreform voranzutreiben. Die linksliberalen Abgeordneten Barth und Wiemer brachten mit Unterstützung der freisinnigen Fraktion einen Antrag auf Neueinteilung der Wahlbezirke im Abgeordnetenhaus ein. 139 Theodor Barth wies auf die Berücksichtigung des Bevölkerungsschlüssels in der älteren Gesetzgebung hin. Eine Alternative zum Kriterium der Einwohnerzahl sah er schlechthin nicht. Wollte man etwa die Steuerleistungen berücksichtigen, würden Berlin und andere Großstädte eine noch weit stärkere Repräsentation beanspruchen können. Völlig zu Recht bemerkte Barth, daß die Staatsregierung bereits 1867/68 für Berlin eine Mandatserhöhung als Folge der Bevölkerungsverhältnisse vorgeschlagen hatte. Nunmehr waren aber nicht nur für Berlin, sondern auch für die Vororte weitere Mandate einzurichten. Die Stadt Charlottenburg mußte aus dem Wahlkreis Teltow-Beeskow-Storkow gelöst werden. Nach seiner gegenwärtigen Einwohnerzahl hätte Charlottenburg Anspruch auf zwei Abgeordnetenmandate, Schöneberg und Rixdorf (Neukölln)l4o durften hoffen, sich jeweils durch einen Abgeordneten Rede Hobrecht. PAH, 19. Mai 1892. A.a.O., S. 1792. A.a.O., S. 1800. Gerlachs Urteil, Geschichte, S. 160, Richter habe seinen Antrag zurückgezogen, weil die Regierung erklärt hatte, sie werde noch in demselben Jahre einen Gesetzentwurf über die Abänderung des Wahlrechts vorlegen, trifft für die Frage der Wahlbezirksreform nicht zu. Richter ging es für diesen Teil seines Antrages nur um "die Aufklärung der Stimmung des Hauses". Dabei hatte er die Hoffnung, daß der Antrag in anderer Form parlamentarisch wiederkehren würde, 139 Antrag Barth/Wiemer, 16. Januar 1900. AIPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 1, AS Nr. 21, S. 680. 140 Zum kommunalrechtlichen Status und zur Namensgebung des großstädtischen Vorortes Rixdorf bzw. Neukölln vgl. oben Kapitel 5, Anmerkung 75. 137 138

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vertreten zu lassen. 141 Otto Wiemer, der am Ende des Jahrzehnts zum Berliner Stadtrat gewählt werden sollte, warb für die Wahlbezirksrevision, indem er die zu großen Wahlkörper der Wahlmännerversammlung mit über tausend Personen, insbesondere in Berliner Vororten, kritisierte. Die Befürchtungen vor einem politischen Übergewicht der Städte entkräftete der Hinweis auf die landesweiten Bevölkerungsverhältnisse. Schließlich lebte immer noch der überwiegende Teil der Bevölkerung, nämlich drei Fünftel, auf dem platten Lande. 142 Die Nationalliberalen unterstützten den freisinnigen Antrag. Die Fraktion sprach sich dafür aus, die grobe Wahlrechts beschränkung der Großstädte aufzuheben. Da die Wahlbezirke verfassungsgemäß eine Art Körperschaft bilden sollten, organisch gewachsene Bezirke also nicht einfach getrennt werden konnten, war, wie der Lichterfelder Landgerichtsrat und spätere Mitglied des Zentralvorstandes der Nationalliberalen Ernst Otto Noelle erklärte, sowohl an eine "mäßige Vermehrung" der Mandate als auch an die Zusammenfassung einiger ländlicher Bezirke zu denken. 143 Das Zentrum lehnte dagegen eine Benachteiligung landwirtschaftlicher Interessen kategorisch ab, wenngleich die Fraktion prinzipiell von der Notwendigkeit einer Wahlkreisreform ausging. Das Zentrum erwartete zunächst eine Novelle zur Wahlverordnung, mit der die steuergesetzlich hervorgerufene Verschärfung der Wahlrechtsungleicheit korrigiert wurde. Die Fraktion dachte nicht daran, diese Zielsetzung "mit der noch weit größeren Frage einer Revision der Wahlkreiseinteilung" zu belasten. l44 Also erst die Änderung der Wahlverordnung, dann die Wahlbezirksreform - die Festlegung der parlamentarischen Priorität erfolgte aus rein taktischen Gründen. Die Wahlbezirksreform sollte im Grunde genommen bis auf weiteres verschoben werden. Dabei war die Frage offen, ob die Revision nicht die parlamentarischen Arbeiten zur Novellierung der Wahlverordnung beschleunigt hätte, wenn die Landtagsfraktionen der Konservativen und des Zentrums nur entschlossen gewesen wären, an einem grundlegenden Reformwerk mitzuwirken. Die allgemeine Revision der Wahlkreiseinteilung lag jedoch nicht in ihrem Interesse. Das weitgehendste Zugeständnis von konservativer Seite war, so der Freikonservative von Zedlitz-Neukirch, die Teilung der größten Wahlkreise. 145 141 Rede Barth. PAH, 22. Januar 1900. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 1, Sp. 260 ff. 142 Rede Wiemer. PAH, 22. Januar 1900. Aa.O., Sp. 270 ff. 143 Rede Noelle. PAH, 22. Januar 1900. Aa.O., Sp. 287. 144 Rede Felix Porsch. PAH, 22. Januar 1900. A a. 0., Sp. 279 f. 145 Rede Freiherr von Zedlitz-Neukirch. PAH, 22. Januar 1900. A a. 0., Sp. 289. Diesem Zugeständnis entsprach die freikonservative Fraktion im Febrauar 1904 mit dem Antrag auf Teilung übermäßig großer Wahlbezirke und eine entsprechende Vermehrung der Gesamtzahl der Abgeordneten. Antrag Otto Arendt, 27. Februar 1904. AIPAH, 20. LP, 1. Sess. 1904/05, Bd. 3, DS Nr. 94, S. 1856. 64 Grzywatz

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Die Staatsregierung verhielt sich völlig indifferent. Nach Innenminister Georg von Rheinbaben lag die Absicht des freisinnigen Antrags offensichtlich darin, "eine Verschiebung in den Machtverhältnissen der einzelnen Parteien herbeizuführen". Das gab der Regierung, da sie ja über den Parteien stand, Anlaß genug, sich "doppelte Objektivität" aufzuerlegen und mit einer Stellungnahme abzuwarten, bis das Abgeordnetenhaus sich selbst in der Frage schlüssig geworden war. 146 Das Staatsministerium rechnete zu diesem Zeitpunkt bei einer bevölkerungsadäquaten Reform der Wahlbezirkseinteilung mit dem Gewinn von 17 Mandaten auf Seiten der Freisinnigen Volkspartei, allein die schon von Berlin beanspruchten 22 Mandate hätten den Linksliberalen weitere 13 Abgeordnetensitze gesichert. Die kleineren Wahlbezirke in den östlichen Provinzen, in Hannover und Westfalen würden die Konservativen, die Nationalliberalen und das Zentrum nach Ansicht der Regierung vermutlich verlieren. Innenminister von Rheinbaben hatte auch insofern gegen den linksliberalen Antrag Bedenken, als er im Grunde genommen auf eine periodisch wiederkehrende Neueinteilung der Wahlbezirke abzielte. Das mußte nicht nur in jenen Wahlzirkeln politische Unruhe hervorrufen, die ihre Vertreter zu verlieren drohten, sondern auch weitreichendere Folgen haben, denn die Anerkennung des Bevölkerungsprinzips durch eine entsprechende Reform der preußischen Landtagswahlbezirke konnte leicht ähnliche Forderungen für die Reichstagswahlkreise herbeiführen, die man dann sicherlich nicht ignorieren konnte. Eine analoge Revision der Wahlbezirke im Reich hätte aber ohne Zweifel eine Stärkung der sozialdemokratischen Partei zur Folge gehabt. Das lag schon gar nicht im Interesse der Staatsregierung. 147 Die Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus sorgten dafür, daß die Staatsregierung erst gar nicht zu einer definitiven Erklärung gezwungen wurde. Mit den Stimmen der konservativen Fraktionen und des Zentrums wurde der Antrag Barth/Wiemer abgelehnt. Man ließ ihn nicht einmal zur Kommissionsberatung ZU. 148 Sowohl der Konservativismus als auch der politische Katholizismus zeigten sich nicht bereit, Teile ihrer politischen Macht aufzugeben, weder in der Landesvertretung noch im Bereich der Provinziallandtage und Kreistage. Die Nationalliberalen lösten sich dagegen zunehmend aus dem Kreis der agrarisch-dominierten Gegner der Wahlkreisreform. Nach 1901 sprachen sie sich dezidiert für eine Revision aus. Seit 1903 gehörte die Wahlkreisreform zum Kernbestand des nationalliberalen Wahlprogramms,149 obwohl weiterhin ein nicht geringer Teil der national146 Rede Freiherr von Rheinbaben. PAH, 22. Januar 1900. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 1, Sp. 276. 147 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 20. Januar 1900. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 7. 148 StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 1, Sp. 302.

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liberalen Abgeordneten agrarisch geprägten Provinzen entstammte und die Aussicht auf Mandatsgewinne durchaus fraglich war. I50 Die Wende der Nationalliberalen war denn auch weniger Ausdruck taktischen Machtkalküls als die Konzentration auf städtisch-industrielle Problemkreise. I5I Mit ebenso geringem Erfolg wiederholten die Linksliberalen zwischen 1901 und 1903 ihren Antrag auf Wahlbezirksrevision. 152 Die Berliner Abgeordneten der Freisinnigen Volkspartei wie der Stadtverordneten-Vorsteher Langerhans, die Justizräte und Reichstagsabgeordneten Munckel und Traeger, der Fabrikant Leopold Rosenow, der Großdestillateur Max Schulz, der Rentier Kreitling und der Anwalt der deutschen Gewerkvereine Hirsch unterstützten die Anträge nicht minder wie der in Charlottenburg lebende Eugen Richter und der Charlottenburger Stadtverordnete und spätere Anwalt des Allgemeinen Verbandes deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften Hans Crüger, der zu dieser Zeit den Wahlkreis Bromberg 2 vertrat. Im Wahlkreis Teltow-Beeskow-Storkow mit den inzwischen zu Großstädten herangewachsenen Berliner Vororten Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf, entfielen im Jahre 1900 auf etwa 683000 Einwohner weiterhin nur zwei Mandate. In der zweiten Märzhälfte 1904 kam es zu einem gemeinsamen Antrag sämtlicher liberaler Fraktionen auf Neueinteilung der Wahlkreise. 153 Der Antrag bekräftigte gleichzeitig die ständig aufrechtgehaltene Forderung der Nationalliberalen nach der Stimmbezirks- und Wiedereinführung der Gemeindedrittelung. Der Kompromißcharakter des vereinigten liberalen Antrags spiegelte sich gerade in der Verbindung von Wahlkreisreform und Gemeindedrittelung wider. Die Linksliberalen rückten mit der Aufgabe der Stimmbezirksdrittelung von einer "demokratisierenden" Bestimmung des geltenden Klassenwahlrechts ab und plädierten für die mehr oder weniger annähernd getreue Abbildung der sozialen Hierarchie bei der Konstituierung der Wählerklassen. Diese Tendenz zeigte sich auch darin, daß der Freisinn das von den Nationalliberalen seit langem favorisierte Zwölftelungsprinzip unterstützte und sich demnach von einer weitergehenden antiplutokratischen Kompensation, wie man sie bei der Kommunalwahlreform 149 Gerlach, Geschichte, S. 208. National-Zeitung, Nr. 623, Ausgabe vom 27. November 1903. 150 Rede Noelle. PAH, 22. Januar 1900. StBPAH, 19. LP, 2. Sess. 1900, Bd. 1, S.284. 151 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 466. 152 Antrag Barth/Wiemer, 11. Januar 1901. AIPAH, 19. LP, 3. Sess. 1901, Bd. 2, DS Nr. 20, S. 578; 4. Sess. 1902, Bd. 2, DS Nr. 38, S. 1218; 5. Sess. 1903, Bd. 2, DS Nr. 33, S. 1115. StBPAH, 19. LP, 3. Sess. 1901, Bd. 3, Sp. 4054; 4. Sess. 1902, Bd. 5, Sp. 5850; 5. Sess. 1903, Bd. 1, Sp. 1049. 153 Antrag Hobrecht/Fischbeck/Broemel vom 23. März 1904. AIPAH, 20. LP, 1. Sess. 1904/05, Bd. 4, DS Nr. 159, S. 2229 f.

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im Durchschnittsprinzip gefunden hatte, vorläufig verabschiedete. Mit der Forderung auf Einführung der Fristwahl hatte man sich auf einen Mittelweg geeinigt, um die repressive Wirkung der öffentlichen Stimmabgabe einzuschränken. Den vereinigten liberalen Bemühungen wurde die parlamentarische Erörterung verwehrt, der Antrag Hobrycht/Fischbeck/Bröemel wurde nicht zur Plenarberatung zugelassen. Innenminister von Hammerstein glaubte, daß von dem Bemühen der süddeutschen Staaten, das bisherige System der indirekten Wahlen zu den Landtagen durch ein direktes und geheimes Wahlrecht abzulösen und gleichzeitig die Zahl der Abgeordnetenmandate zu erhöhen, ein unmittelbarer Einfluß auf die preußische Wahlrechtsfrage und die Wahlkreiseinteilung ausging. In seiner, dem Ministerpräsidenten Anfang August 1902 übermittelten Denkschrift stellte er ohne Umschweife fest, wie wenig das preußische Wahlsystem "das Ideal einer richtigen Volksvertretung" und die gerechte Repräsentation der Städte gewährte. Solange jedoch "die jeder staatlichen Ordnung feindliche" Sozialdemokratie mehr und mehr in die Volksvertretung selbst gelangte und "die staatliche Entwicklung zum Nachteil des Staatsganzen und insbesondere jedes monarchischen Staates" beeinflußte, mußte die Staatsregierung am bestehenden Wahl system festhalten. 154 Gleichwohl erschien es nur billig, der durch die industrielle Entwicklung erlangten größeren Bedeutung der Städte im Rahmen des Dreiklassensystems Rechnung zu tragen. Hammerstein sprach sich für eine "mäßige Vermehrung der Abgeordnetenzahl" aus, die dann beispielsweise auch den Berliner Vororten eine direkte Vertretung im Parlament ermöglichte. Mit der Konkretisierung der Reform wollte der Innenminister allerdings noch warten, denn durch die wahlrechtlichen Neuerungen in Süddeutschland war eine Verstärkung der Opposition gegen das preußische Wahlsystem zu erwarten, die zu einer Verschärfung der Parteigegensätze beitragen und zwangsläufig die Mehrheitsbildung im Landtag für eine Novellierung des Wahlbezirksgesetzes erschweren würde. 155 Einzelne Schwierigkeiten bei der Einhaltung der formellen Vorschriften des Wahlverfahrens, die ausschließlich aus zu großen Wahlmännerversammlungen resultierten, wollte von Hammerstein auf dem Verordnungswege durch eine Abänderung des Wahlreglements aufheben. Nachdem das Staatsministerium unter wenigen Abänderungen den Vorschlägen Hammersteins beigetreten war,156 wurde die formelle Vereinfachung des Wahlverfahrens im neuen Wahlreglement vom 14. März 1903 festgelegt, ohne daß alle Schwierigkeiten des Wahlverfahrens beseitigt worden waren. Zur Teilung der übergroßen Wahlmänner154 Denkschrift von Hammerstein, 1. August 1902. GStAPK; Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 7. 155 Ebd. 156 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 31. Oktober 1902. A. a. O.

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versammlungen in Abstimmungsgruppen nach dem Vorbild der Stadtverordnetenwahlen bedurfte es einer gesetzlichen Revidierung der Wahlverordnung von 1849. Die Staatsregierung hatte erstmals während der Etatberatungen im Februar 1903 öffentlich ihre Bereitschaft zu einer Reform der Wahlkreise signalisiert. Hammerstein erkannte ausdrücklich das Recht der selbständigen Berliner Vororte auf die Vertretung durch einen Abgeordneten an. Mit einer allgemeinen Wahlkreisrevision war allerdings nicht zu rechnen - das stellte von Hammerstein von vornherein klar. Die Regierung beabsichtigte nur, die größten Wahlkreise zu teilen und die Abgeordnetenmandate begrenzt zu vermehren. Die bevölkerungschwächeren Regierungsbezirke brauchten demnach keine Mandatsverluste zu befürchten. Hammerstein begründete das geplante Verfahren einmal mehr mit der Bedeutung der historischen Entwicklung für die Wahlkreiseinteilung. "Ein jeder Landesteil", erklärte der Minister den Abgeordneten, "der sich historisch entwickelt hat, soll, wenn er in seinen wirtschaftlichen Interessen zurückgeht, deshalb nicht seines Abgeordneten beraubt werden, sondern dann erst recht hat er es nötig, in diesem Hause vertreten zu sein".157 Die disproportionale Repräsentation von Stadt und Land im preußischen Landtag infolge des Rückgangs der Steuerleistungen oder des Bevölkerungswachstums im ländlichen Raum war freilich, weder mit den Prinzipien des Dreiklassenwahlrechts noch mit den gesetzlichen Grundlagen des Wahlkreissystems zu rechtfertigen. Die Staatsregierung schloß eine Wahlbezirksrevision nach dem Prinzip der Zählwertgleichheit grundsätzlich aus, da die Folge eine grundlegende Umverteilung der Mandate zwischen Stadt und Land gewesen wäre. Ein solcher Wandel ließ sich weder mit den machtpolitischen Interessen der Regierung vereinbaren noch war er gegen den Willen der konservativen Fraktionen durchzusetzen. Zudem lag es dem von der Ministerialbürokratie vertretenen korporativen Verständnis parlamentarischer Repräsentation fern, die in Staat und Gesellschaft vorhandenen, organisatorisch verfestigten Meinungen entsprechend ihrer numerischen Stärke im Parlament abgebildet zu sehen. Mit der Wahl zur Landesvertretung sollte lediglich den im Staat vertretenen Interessen parlamentarische Geltung verschafft werden. Für die Mandatszuteilung spielte folglich nicht die bevölkerungsmäßige Größe eines räumlichsozialen Wahlkörpers die entscheidende Rolle, sondern seine wirtschaftliche und politische Bedeutung innerhalb des Staatsverbandes. 158 Der für die Wahlrechtsreform zuständige Vortragende Rat im Innenministerium, Arthur von Falkenhayn, wollte die gesetzliche Mindestzahl pro Ab157 Rede von Hammerstein. PAH, 5. Februar 1903. StBPAH, 19. LP, 5. Sess. 1903, Bd. 1, Sp. 909. 158 Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 484.

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geordnetenmandat in großstädtischen Wahlkreisen auf 250000 Einwohner festlegen. Eine Regelung, die insbesondere der häufig im Abgeordnetenhaus beklagten unzureichenden Repräsentation der Reichshauptstadt Rechnung trug, da Berlin auf diese Weise drei neue Mandate erhalten würde. 159 Falkenhayn warnte eindringlich vor der Konstituierung von kleinen Einerwahlkreisen, die aller Wahrscheinlichkeit nach, soweit es die Peripherie einzelner Großstädte wie Berlin und Stettin betraf, zu Mandatsgewinnen der Sozialdemokratie führen würden. 160 Die Befürchtungen Falkenhayns teilte der Potsdamer Regierungspräsident von der Schulenburg. Bei der vom Innenminister geplanten Teilung der Wahlbezirke fielen die Vorortwahlkreise Berlins entweder der äußersten bürgerlichen Linken oder gar der Sozialdemokratie zu. Die Vermehrung der Wahlbezirke Berlins zeitigte nach von der Schulenburgs Auffassung das gleiche Ergebnis. Er riet deshalb von einer Reform der Wahlbezirke ab. Im übrigen hielt er sie für entbehrlich, wenn das Wahl verfahren geändert wurde. Die Schwierigkeit, auf Grund der hohen Wahlmännerzahlen gültige Wahlen durchzuführen, war durch wahltechnische Korrekturen wie die Einrichtung mehrere Wahlorte in den Bezirken und die Separierung der Wahlzeiten zu beheben. 161 Der für den nordöstlichen Umlandkreis Niederbamim verantwortliche Landrat, Sigismund von Treskow sprach sich dagegen für eine Teilung der Wahlkreise aus. Da in den östlichen Vororten der Metropole die städtisch-proletarische Bevölkerung ständig wuchs, war langfristig mit einer stärkeren Vermehrung der sozialdemokratischen als der konservativen Wahlmänner zu rechnen. Bliebe der Kreis ungeteilt, so die landrätliche Ansicht, war schon bei der nächsten Landtagswahl mit einem Verlust der absoluten Mehrheit der konservativen zugunsten der liberalen und sozialdemokratischen Wahlmänner zu rechnen. 162 Der Teltower Landrat von Stubenrauch wollte nur die selbständigen, im Wettbewerb mit der Metropole stehenden Vororte wie Schöneberg, Rixdorf und Charlottenburg, aus dem bisherigen neunten Landtagswahlkreis ausgliedern. Die übrigen Vororte mit städtischem Charakter sollten beim bisherigen Kreis bleiben, um den politischen Einfluß des Landratsamtes nicht aufzuheben. 163 Oberpräsident von Bethmann Hollweg folgte dem Konzept Treskows. Er schlug dem Innenminister vor, sämtliche an Berlin angrenzenden ländlichen Vororte mit städtischem Charakter vom Kreis Niederbamim 159 Denkschrift von Falkenhayn, 27. August 1903. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 88, Beih. 1, Bd. 1, BI. 240 f. 160 A. a. 0., BI. 241. 161 Bericht von der Schulenburgs an Innenminister von Hammerstein, 30. Januar 1904. A. a. 0., Bd. 2, BI. 13 f. 162 Bericht von Treskow, 10. Mai 1904. A.a.O., BI. 59. 163 Bericht von Stubenrauch, 18. Juni 1904. A. a. 0., BI. 107 u. 110.

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abzuzweigen und gleichzeitig im Kreis Teltow aus Schöneberg und Rixdorf zwei neue städtische Wahlkreise zu bilden, denen die westlichen und südlichen Vororte Berlins zuzuschlagen waren. Weiterhin mußte die Stadt Charlottenburg zu einem eigenen Landtagswahlbezirk erhoben werden. l64 Die Vorschläge des Oberpräsidenten waren nach Auffassung des Innenministeriums nicht mit der Verfassung zu vereinbaren, nach der die Wahlkreise nur aus ganzen Landkreisen oder größeren Städten zusammengesetzt sein durften. Daher kam für den östlichen Umlandwahlkreis Berlins nur eine Trennung der Landkreise Ober- und Niederbarnim in Frage. Wegen der Trennung der konservativen Wahlmänner und der voraussichtlich rasch steigenden Wahlmännerzahl im Kreis Niederbarnim wurde diese Trennung nicht gewünscht. Die Struktur der Landtagswahlbezirke im Umland der Metropole konnte demzufolge im wesentlichen nur durch die Ausgliederung der selbständigen Vororte verändert werden. 165 In Berlin mußten zumindest, um den vorgeschriebenen formellen Ablauf der Abgeordnetenwahlen nicht zu gefahrden, einzelne Wahlkreise geteilt werden. Innenminister von Hammerstein dachte bei dieser Gelegenheit die gesamte Wahlbezirkseinteilung der Hauptstadt neu zu gestalten. Die projektierte Erhöhung der Berliner Abgeordnetenmandate um drei auf zwölf hielt von Hammerstein auf Dauer für "völlig ausreichend". Er ging davon aus, und zwar durchaus zu Recht, daß die Metropole zukünftig in ihrem bestehenden Weichbild höchstens eine Bevölkerung von drei Millionen Einwohnern zu erwarten hatte, das hieß selbst beim Erreichen des angenommenen Bevölkerungshöchststandes wurde der für großstädtische Wahlkreise beschlossene Repräsentationsschlüssel von 250000 Einwohnern pro Mandat nicht überschritten. 166 Die Frage, ob in Berlin Einer- oder Zweierwahlkreise eingerichtet werden sollten, wollte der Innenminister der weiteren Beratung überlassen. Oberbürgermeister Kirschner beanspruchte, der metropolitanen Bevölkerungsdichte entsprechend, für Berlin mindestens 23 Abgeordnetenmandate, die er, um die Sozialdemokratie zu majorisieren, auf Zweierwahlkreise verteilen wollte. 167 Kirschner rechnete mit einem wesentlich stärkeren Bevölkerungswachstum als das Innenministerium. Für den zwölften Berliner Landtagswahlbezirk sagte er eine Zunahme der Einwohner auf fast eine halbe Million voraus, für weitere fünf Bezirke rechnete er mit einem Wachstum von über 250000 Einwohnern. 168 Diese Prognose wurde vom Bericht von Bethmann Hollweg, 13. Mai 1904. A.a.O., BI. 62 f. Ministerialerlaß vom 28. Juni u. 5. Juli 1905. A.a.O., BI. 149 ff. u. 154. 166 Von Hammerstein an Oberpräsident von Bethmann Hollweg, 8. April 1904, BLHA, Pr.Br. Rep. 30, Bin C, Tit. 94, Nr. 11570, BI. 2. 167 Kirschner an Innenminister Hammerstein, 1. Mai 1904. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 88, Beih. 1, BI. I f. 164

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Berliner Polizeipräsidium nicht bestätigt. Hier erklärte man, daß die Bevölkerung der Weichbildbezirke erst in einem Zeitraum von vierzig bis fünfzig Jahren die Bevölkerungsziffer von 250000 erreicht haben würde. 169 Kirschner glaubte selbst nicht ernstlich daran, daß Berlin die ihm nach der Bevölkerungsziffer zustehende Anzahl von Mandaten zugesprochen erhielt. An der Zuordnung von drei Mandaten als unterste Grenze sollte aber, wie auch Oberpräsident von Bethmann Hollweg bestätigte, festgehalten werden. Kirschners Überlegungen zur Organisation der Berliner Landtagswahlbezirke wurden von dem leitenden Gedanken getragen, in jedem Fall die Siegesaussichten der Sozialdemokratie zu minimieren. l7O Neben diesem Motiv spielte die Entscheidung für Einer- oder Zweierwahlkreise eine untergeordnete Rolle. Solange das Drittelungsverfahren nach Urwahlbezirken vorgeschrieben war, bot die Einrichtung von sechs Landtagswahlbezirken mit jeweils zwei Abgeordnetenmandaten nach Kirschners Ansicht die größere Gewähr, eine bürgerliche Dominanz bei den Wahlen abzusichern. Allein das Prinzip der Gemeindedrittelung hätte verhindern können, daß in einer größeren Anzahl von Peripheriebezirken Berlins, sozialdemokratische Kandidaten siegten. 171 Der hauptstädtische Oberbürgermeister setzte sich deshalb wiederholt für die Restituierung der Gemeindedrittelung ein. Zumindest wollte er für Berlin die Drittelung nach ganzen Wahlkreisen oder dem Steuersoll der ganzen Stadt eingeführt wissen. l72 Eine Rückkehr zur Gemeindedrittelung lehnte das Staatsministerium jedoch ab. 173 Um die politische Wirkung der Urwahlbezirksdrittelung zu relativieren, plädierte Kirschner schließlich für eine vom Stadtzentrum ausgehende, fächerartige Anlage der Wahlbezirke, so daß äußere und innere Stadtgebiete miteinander verbunden wurden. Diese Form der Wahlbezirksorganisation ließ nicht die Einrichtung von zwölf metropolitanen Landtagswahlkreisen zu. Es hätten einzelne Wahlbezirke fortbestanden, die schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu groß waren. Die Einwohnerdichte und Steuerkraft der von Kirschner projektierten Wahlkreise schwankte stärker als bei der Konstituierung von zwölf Einerwahlbezirken. 168 Polizeipräsident Georg von Borries an Oberpräsident August von Trott zu Solz, 3. Oktober 1905. A a. 0., BI. 49. 169 Gutachten des Polizeipräsidiums, von Arnim, 22. April 1904. BLHA, Pr.Br. Rep. 30, BIn C, Tit. 94, Nr. 11570, BI. 15. 170 Kirschner an Innenminister von Hammerstein, l. Mai 1904. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 88, Beih. 1, BI. 2. 171 Kirschner an Oberpräsident von Trott, 9. August 1905. Aa.O., BI. 44. 172 A a. 0., BI. 46. Kirschner an Innenminister von Bethmann Hollweg, 7. Dezember 1905. Aa.O., BI. 58. 173 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, l. Dezember 1905. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 8, BI. 30.

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Die natürlichen und historischen Grenzen der Stadt wurden durch diese Bezirksorganisation vollständig zerrissen. 174 Das Innenministerium schloß sich daher dem vom Berliner Polizeipräsidium ausgearbeiteten Plan an, von der Spree als natürliche Grenze auszugehen und die Nord- und Südhälfte der Metropole in sieben bzw. fünf kleinere Wahlbezirke aufzuteilen. Auf diese Weise ließen sich zwar Differenzen der Bevölkerungsziffern nicht vermeiden, aber die frühere Bevorzugung einzelner Wahlkreise, wie etwa des ersten Berliner Wahlbezirks, wurden zukünftig vermieden. Zugleich konnte auf die größere oder geringere Ausdehnungsfahigkeit der einzelnen Wahlbezirke sowie die Bevölkerungsverhältnisse stärker Rücksicht genommen werden. 175 Auf einer der abschließenden Konferenzen im Innenministerium kam man weitgehend überein, daß sich in absehbarer Zeit die Eroberung des einen oder anderen Wahlbezirks durch die Sozialdemokraten gar nicht vermeiden ließ. 176 Zu diesem Ergebnis war Bethmann Hollweg bereits während seiner Tätigkeit als Oberpräsident der Provinz Brandenburg gekommen, wie er im Staatsministerium ausführlich darlegte. Selbst wenn man jetzt noch zum Vorschlag der Zweierwahlkreise zurückkehrte, war nach Bethmann Hollweg die Gefahr nicht ausgeschlossen, daß im Norden Berlins statt zwei vielleicht vier Sozialdemokraten gewählt wurden. 177 Unterstützung fand der neue Innenminister durch Handelsminister Clemens von Delbrück. Dieser hielt es für unumgänglich, dem fortdauernden Drängen nach einer Reform des Wahlrechts insoweit Rechnung zu tragen, als man der Arbeiterpartei die Möglichkeit eröffnete, ihre Interessen im Landtag durch eigene Abgeordnete zu vertreten. 178 Selbst die konservative Fraktion äußerte, wie Bethmann Hollweg nach verschiedenen Sondierungsgesprächen mit von Heydebrand und Johann Georg von Bruch in Erfahrung gebracht hatte, keine Bedenken gegen einzelne sozialdemokratische Abgeordnete. Die Konservativen rechneten ohnehin bei der nächsten Landtagswahl mit dem Einzug der Sozialdemokratie in das Parlament. 179 Bethmann 174 Bethmann Hollweg an Innenminister von Hammerstein, 30. April 1904. GStAPK, Rep. 77, Tit. 496a, Nr. 88, Beih. I, BI. 39. Bericht Polizeipräsident von Borries, 3. Oktober 1905. Aa.O., BI. 49. Das Tableau der Wahlbezirke nach dem Plan des Polizeipräsidiums, A. a. 0., BI. 9 f. u. 71; nach dem Plan Kirschners, a. a. 0., BI. 64 f. 175 Bericht von Borries, 18. Mai 1904. A a. 0., BI. 4; 3. Oktober 1905, a. a. 0., BI. 49. 176 Konferenzprotokoll, 18. Dezember 1905. Aa.O., BI. 74. Im Anschluß an die Besprechung wurde das Projekt des Polizeipräsidiums zur besseren Berücksichtigung der Bevölkerungsverhältnisse noch teilweise überarbeitet. 177 Protokoll der Sitzung des Staatsministeriums, 3. März 1906. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 8, BI. 150. 178 A. a. 0., BI. 152.

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Hollweg wollte daher auch den im Staatsministerium ausgesprochenen Vorbehalten gegen sozialdemokratische Mandate kein entscheidendes Gewicht beilegen. Im Staatsministerium war es vor allem Finanzminister von Rheinbaben, der gegen die projektierte Einteilung der Berliner Landtagswahlbezirke opponierte und auf deren zweckmäßigere Abgrenzung drang, um das Eindringen der Sozialdemokraten in das Parlament zu verhindern. 18o Mitte März 1906 wurden dem Abgeordnetenhaus schließlich zwei Gesetzentwürfe vorgelegt, die einerseits eine Abänderung des Wahlverfahrens, andererseits die Vermehrung der Abgeordnetenmandate sowie Änderungen der Landtagswahlbezirke und Wahlorte vorsahen. l8l Es wurde die Einrichtung zehn neuer Mandate vorgeschlagen, von denen drei auf die Reichshauptstadt, je zwei auf die Regierungsbezirke Potsdam, Amsberg und Düsseldorf fielen. Ein weiteres Mandat sollte dem Regierungsbezirk Oppeln zugesprochen werden. Die endgültige Neueinteilung der Berliner Landtagswahlkreise hielt an dem seitens des Berliner Polizeipräsidiums vorgeschlagenen Modell der fünf südlich und sieben nördlich der Spree gelegenen Bezirken fest. 182 Bei ihrer Abgrenzung war ebenso auf die notwendige Erleichterung des Wahlbetriebs wie auf die zukünftig zu erwartende Bevölkerungsbewegung Rücksicht genommen worden. Historisch zusammengehörige Teile der Stadt hatte das Ministerium des Innern soweit wie möglich nicht getrennt und darüber hinaus versucht, für eine breite Streuung der sozialen Interessen in den einzelnen Wahlbezirken zu sorgen. 183 Der neunte Potsdamer Wahlbezirk wurde in drei Kreise unterteilt, durch die Bildung zweier großstädtischer Wahlkreise glaubte man den Interessenskonflikten zwischen den städtischen und ländlichen Regionen des Wahlbezirks ausreichend nachgekommen zu sein. Der Stadtkreis Charlottenburg erhielt ein Abgeordnetenmandat, der Wahlbezirk Schöneberg-Rixdorf ein weiteres, während man den zu einem Wahlbezirk vereinigten Landkreisen Teltow und Beeskow-Storkow die bisherigen zwei Abgeordnetenmandate beließ. Eigentlich stand nicht die Wahlkreisrevision im Mittelpunkt der Gesetzesinitiative, sondern vornehmlich, wie Bethmann Hollweg verdeutlichte, das Zustandekommen gesetzmäßiger Wahlen. In den großen Wahlkreisen konnte die Vorschrift, daß die gesamte Wählerschaft in zeitlicher und örtlicher Zusammenfassung den Wahlakt durchzuführen hatte, nur unter außerordentlichen Anstrengungen ausgeführt werden. Aus diesem Grund plante die Staatsregierung, das Prinzip der Frist- und Gruppenwahlen einzuführen A.a.O., BI. 154. A. a. 0., BI. 151. 181 AIPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 5, DS Nr. 192, S. 2482-2490. 182 Vgl. Tab. 45 im Stat. Anhang. 183 Begründung, GesEntw, Änderung der Landtagswahlbezirke, 1906. A. a. 0., S.2488. 179 180

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und gleichzeitig diejenigen Landtagswahlbezirke zu teilen, deren Wahlmännerzahl die ordnungsmäßige Handhabung des Wahlgeschäfts nicht mehr ermöglichte. 184 Im Grunde genommen hatte also die Wahlbezirksrevision für die Staatsregierung nur untergeordnete Bedeutung. In erster Linie ging es ihr darum, die politische Obstruktion, die Angriffe gegen den ordentlichen Ablauf des Wahlverfahrens, wie sie in der zurückliegenden Landtagswahl von 1903 zu Tage getreten war, zukünftig zu verhindern und damit das Dreiklassensystem zu festigen. 185 Diesem Ziel entsprachen die vorgelegten Gesetzesentwürfe. Die parlamentarische Opposition dachte jedoch nicht daran, sich auf wahltechnische Erörterungen einzulassen. Sie hielt, auch auf die Gefahr hin, daß die Gesetzentwürfe gar nicht zum eigentlichen Gegenstand der Beratungen wurden, an ihrer strukturellen Kritik des Dreiklassensystems und der Wahlkreiseinteilung fest. Hinsichtlich der vorgenommenen Wahlbezirksänderungen warf man der Regierung völlig zu Recht das Fehlen jedes "leitenden Prinzips" vor, da die demographischen Unterschiede landesweit fortbestanden. Städte wie Berlin, Bochum, Dortmund, Essen, Duisburg oder Kattowitz fanden Berücksichtigung, während andere wie Breslau, Frankfurt am Main oder Stettin, bei denen die Bevölkerungsziffern ebenfalls ein Recht auf die Zuweisung weiterer Abgeordnetenmandate begründeten, unberücksichtigt blieben. 186 Das von Bethmann Hollweg verfochtene Prinzip, "hinter dem Notwendigen nicht zurückbleiben ... und über das Ausreichende nicht hinausgehen",187 war kaum dazu angetan, ein früher bestandenes Recht in seinem Wert wiederherzustellen. Selbst wenn man, wie der Nationalliberale Paul Krause bemerkte,188 die Wahlkreise nicht nach Maßgabe, sondern nur unter Berücksichtigung der gewachsenen Bevölkerung einzuteilen beabsichtigte. 184 Rede von Bethmann Hollweg. PAH, 23. März 1906. StBPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 3, Sp. 3739. 185 Vgl. die Erörterungen Bethmann Hollwegs auf der Sitzung des Staatsministeriums vom 3. März 1906. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 8, BI. 155. 186 Rede Max Broemel. PAH, 23. März 1906. A.a.O., Sp. 3748. 187 Rede von Bethmann Hollweg. PAH, 23. März 1906. A.a.O., Sp. 3739. 188 Rede Krause. PAH, 23. März 1906. A. a. 0., Sp. 3761. Krause knüpfte mit dieser Relativierung des Bevölkerungsprinzips an den nationalliberalen Antrag vom März 1904 an, dem sich auch die freisinnigen Fraktionen angeschlossen hatten. Die Nationalliberalen forderten nicht nur die Abkehr von einer reinen bevölkerungsmäßigen Wahlkreiseinteilung, sondern verlangten auch die gemeindeweise Bildung der Wählerabteilungen wieder einzurichten, die dann nach fünf, vier und drei Zwölftein auf die erste bis dritte Wählerklasse verteilt werden sollten. Vgl. den bereits erwähnten Antrag Hobrecht/Fischbeck/Broemel vom 24. März 1904. AlPAH, 20. LP, 1. Sess. 1904/05, Bd. 4, DS Nr. 159, S. 2229 f. Sämtliche Abgeordnete Berlins waren diesem Antrag beigetreten.

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Der Berliner Stadtrat Otto Fischbeck protestierte gegen die erneute Benachteiligung Berlins, insbesondere des ersten Wahlkreises der Reichshauptstadt. Bislang wurden hier drei Abgeordnete gewählt, so daß etwa 110000 Einwohner auf ein Mandat entfielen. Nach der prokjektierten Neueinteilung der Staatsregierung verblieben diesem Wahlkreis nur zwei Mandate, die Bevölkerungsziffer pro Mandat erhöhte sich dadurch auf 136000 und 142000 Einwohner. Das vom Ministerium des Innern ständig beschworene historische Prinzip wurde bei dieser Verteilung, so die Meinung des freisinnigen Stadtrats, schlichtweg ignoriert. 189 Während der Kommissionsberatung wiederholte Fischbeck seine Kritik. Er gab zu verstehen, daß die Bevölkerungszahl Berlins die Zuweisung von 24 Mandaten verlangte. Die Vororte Schöneberg und Rixdorf konnten ihrer Einwohnerschaft gemäß jeweils einen Abgeordneten beanspruchen. Daneben war zu erwägen, ob nicht der westliche Vorort Deutsch-Wilmerdorf, der bereits völlig städtischen Charakter aufwies,190 aus dem Wahlkreis Teltow-Beeskow-Storkow herausgenommen und, unter Erhöhung der Mandate auf zwei, dem großstädtischen Wahlkreis Schöneberg-Rixdorf angegliedert werden mußte. Diese Forderungen fegte von Bethmann Hollweg mit dem Hinweis beiseite, "daß bei der Aufstellung des ganzen Entwurfes es keineswegs die Absicht gewesen sei, die Zahl der Abgeordneten zu der Bevölkerungsziffer in irgend eine feste Relation zu bringen".191 Der Minister des Innern hatte schon zu Beginn der Generaldiskussion "wesentliche Änderungen" der Gesetzentwürfe abgelehnt. Gleichzeitig verteidigte er mit Vehemenz die auch von konservativer und Zentrumsseite vertretene Interpretation des Wahlbezirksgesetzes von 1860, wonach mit der Wahlkreiseinteilung dauernde Verhältnisse geschaffen werden sollten. Obwohl sich diese Tendenz entstehungsgeschichtlich nur gegen staatliche Willkür bei der Festlegung der Wahlkreise richtete und das Gesetz insgesamt das Bevölkerungsprinzip nicht aufgab, war absehbar, daß erneute Anträge von Broemel und Fischbeck wie des Nationalliberalen Bachmann auf eine anderweite Feststellung der Wahlbezirke keine Aussicht auf Erfolg hatten. l92 Das Abgeordnetenhaus lehnte alle Anträge ab und nahm die Regierungsvorlage mit geringfügigen Änderungen an, die sich auf vereinzelte Korrekturen der Wahlbezirksabgrenzungen und der Wahl orte sowie die 189 Rede Fischbeck. PAH, 23. März 1906. StBPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 3, Sp. 3748. 190 Zur Entwicklung von Wilmersdorf siehe Kapitel 9, Anmerkung 334. 191 KomBer Kurt von Kessel, 29. März 1906. AIPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 5, DS Nr. 203, S. 259l. 192 KomBer von Kessel. A. a. 0., S. 2595 f. Die Anträge sind abgedruckt in der Anlage 2 des Kommissionsberichts, a.a.O., S. 2599 f. Vgl. DS Nr. 213, a.a.O., S. 2604 f. und DS Nr. 215, a. a. 0., S. 2607 f.

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nach unten geänderte Höhe der Wahlmännerzahl bei vom Innenminister angeordneten Gruppenwahlen bezogen. 193 Erst nach Abschluß der Kommissionsberatung waren dem Abgeordnetenhaus einzelne Petitionen aus den Berliner Vororten zugegangen. In Charlottenburg hatte der liberale Stadtverordnete Isidor Dzialoszynski am 28. März der Gemeindevertretung den Antrag vorgelegt, den Magistrat zu einer Petition aufzufordern, die für Charlottenburg ein zweites Abgeordnetenmandat verlangte. 194 Nach übereinstimmender Auffassung der Stadtverordneten rechtfertigte die Einwohnerzahl Charlottenburgs mindestens die Zuweisung eines weiteren Mandats. Der konservative Gemeindevertreter Hans Stadthagen sah den vorörtlichen Anspruch auch im direkten Vergleich mit der Metropole begründet. Einerseits durch die Bevölkerungsziffer, die durchschnittlich höher ausfiel als in den Berliner Wahlbezirken, andererseits durch die führende Rolle Charlottenburgs "bei vielen schwerwiegenden politischen, kommunalen, wirtschaftlichen Fragen".195 Obwohl Dzialoszynski an das Plenum appellierte, einen einmütigen Beschluß zustande zu bringen, weigerten sich die Sozialdemokraten dieser Aufforderung zu folgen. Sie empfanden es zwar auch als Unrecht, daß Charlottenburg nur mit einem Vertreter in der gesetzgebenden Körperschaft Preußens vertreten war, fürchteten jedoch, wie Paul Hirsch bemerkte, ihre Zustimmung könnte als Konzession an das bestehende Dreiklassenwahlsystem ausgelegt werden. Ein Eindruck, den die Sozialdemokraten unter allen Umständen vermeiden wollten. 196 Auch ohne die Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion war der Magistrat dem Beschluß der Gemeindevertretung gefolgt und hatte am 31. März die gewünschte Eingabe an beide Häuser des Landtags gesandt. 197 Neben dem Charlottenburger Magistrat petitionierten die kommunalen Körperschaften Schönebergs, den zu einem Landtagswahlbezirk vereinigten Städten Rixdorf und Schöneberg zwei Abgeordnetenmandate zuzuteilen. Wie im Falle Charlottenburgs begründete Schöneberg seine Forderung mit der vorhandenen Bevölkerungsziffer. Der Verein der Grundbesitzer zu Rixdorf wünschte einen eigenen Abgeordneten für die Stadt Rixdorf, da es nach seiner Ansicht keine Gemeinsamkeiten mit Schöne berg gab und die Bevölkerung bei der Gemeinden nicht im entferntesten eine soziale Homogenität aufwies. 198 Der geschäftsführende Ausschuß des Verbandes der na193 Vgl. die Zusammenstellung der Beschlüsse, a.a.O., DS Nr. 217, S. 26092615. Vgl. auch StBPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 3, Sp. 4028 ff., 4067 ff. u. 4139f. 194 Antrag Dzialoszynski, 28. März 1906. StBCh 1906, S. 99. 195 Rede Stadthagen. StVVersCh, 29. März 1906. A.a.O., S. 139. 196 Rede Hirsch. StVVersCh, 29. März 1906. Ebd. 197 VStCh, 1906, DS Nr. 166, S. 195.

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tionalliberalen Partei verlangte, Wilmersdorf vom neunten Potsdamer Wahlbezirk zu trennen und, unter Zuweisung eines weiteren Mandats, dem Wahlbezirk Charlottenburg anzugliedern (Potsdam 10).199 Ferner unterstützte der geschäftsführende Ausschuß die Forderung nach getrennten Wahlbezirken für die Städte Schöneberg und Rixdorf?OO In den Berliner Vororten war nicht unbemerkt geblieben, daß der Regierungsentwurf die Metropole Berlin insgesamt begünstigte. Durch die Zuweisung von drei neuen Mandaten kamen auf einen Berliner Landtagswahlbezirk im Durchschnitt etwa 170000 Einwohner, in Charlottenburg waren es 240000, in Schöneberg-Rixdorf 295000 und im neuen Wahlbezirk Teltow-BeeskowStorkow immer noch zirka 424000 Einwohner?OI Stadtrat Fischbeck begegnete der vorörtlichen Kritik mit einigen Anmerkungen über die letzten Berechnungen des Statistischen Amts der Stadt Berlin, nach denen der siebte Wahlkreis (nördlicher Teil des Stralauer- und Königsviertels) sowie der elfte Wahlkreis (Wedding, Gesundbrunnen) "in baldiger Zukunft" 550000 bzw. 520000 Einwohner zählen sollten?02 Solche Prognosen waren jedoch völlig unrealistisch. Das Tempo des Bevölkerungswachstums der Metropole hatte sich schon längst zugunsten der Vororte verlangsamt, nach 1910 sollte sich bald eine rückläufige Bewegung bemerkbar machen, die sich langfristig auch ohne den Einfluß des Weltkrieges durchgesetzt hätte. Das Fortschreiten der Citybildung und die Übernahme von weiteren zentralen Funktionen durch die innere Stadt sorgte zu198 KomBer von Kessel, 2. April 1906. StBPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 3, Sp.4020. 199 Vgl. Tab. 46 im Stat. Anhang. 200 KomBer von Kessel, 2. April 1906. StBPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 3, Sp.4020. 201 Zum Vergleich sei auf die Wahlkreiseinteilung der Bundesrepublik Deutschland hingewiesen. Nach dem System der personalisierten Verhältniswahl wurde das Wahlgebiet in 242 Einerwahlkreise eingeteilt, die sich im allgemeinen an den bestehenden Verwaltungsbezirken orientierten und nach Möglichkeit Stadt- und Landkreisgrenzen berücksichtigten. Durch die Binnenwanderung und ein differierendes Bevölkerungswachstum waren schon zum Zeitpunkt der zweiten Bundestagswahl im Jahre 1953 erhebliche Differenzen zwischen der Größe der Wahlkreise eingetreten. Sie schwankten zwischen 79 300 und 247000 Wahlberechtigten. In zwölf Wahlkreisen betrug die Abweichung vom Bundesdurchschnitt mehr als 40 Prozent. Nach der Wahlgesetzänderung von 1961 durfte die maximale Abweichung vom Bundesdurchschnitt 33 113 Prozent betragen. Erst als das Bundesverfassungsgericht 1963 die Wahlkreiseinteilung für verfassungswidrig erklärte, wurde die notwendige Neueinteilung der Wahlkreise im Februar 1964 durch Gesetz vorgenommen. Vgl. VogeIlNohlen/Schulze, Wahlen, S. 190 f. Zur ungleichen Einteilung der Reichstagswahlkreise im Kaiserreich vgl. a. a. 0., S. 99 f. Vgl. Tab. 39 im Stat. Anhang. 202 Rede Fischbeck. PAH, 2. April 1906. StBPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 3, Sp. 4026.

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künftig für die Bevölkerungsabnahme Berlins. 203 Fischbecks Äußerungen waren nicht zufällig von dem Bemühen gekennzeichnet, die durchaus berechtigten politischen Interessen Berlins nicht in ein schiefes Licht rücken zu lassen. Im Vergleich zu den Berliner Vororten, den oberschlesischen und rheinisch-westfälischen Industriebezirken war aber nicht zu übersehen, daß die preußische Metropole am nachhaltigsten von der Wahlbezirksänderung profitierte, ohne daß im entferntesten Sinne von einer befriedigenden Reform gesprochen werden konnte. Die Petitionen aus den Berliner Vororten fanden mit der Verabschiedung der Gesetzentwürfe im Abgeordnetenhaus ebenso ihre Erledigung wie sämtliche weiteren Plädoyers für die in ihrem Stimmrecht benachteiligten Städte und Landesteile. 204 Während der Kommissionsberatung des Herrenhauses unternahm der Charlottenburger Oberbürgermeister Schustehrus einen letzten Versuch, die ungerechte Wahlkreiseinteilung im Berliner Umland anzuprangern und auf die fortbestehende Benachteiligung der Vororte hinzuweisen. Selbst wenn man davon ausging, daß die Bevölkerungsziffer einzelner Wahlkreise bis zu fünfzig Prozent vom Staatsdurchschnitt abweichen durfte, lagen in einer Randgemeinde wie Charlottenburg immer noch abnorme Verhältnisse vor. Unter Zugrundelegung der noch bestehenden Zahl von 433 Mandaten, überschritt die Stadtgemeinde Charlottenburg, bei einem Staatsdurchschnitt von zirka 86000 Einwohnern pro Abgeordneten und einer maximal zulässigen Abweichung von 43000 Einwohnern, den angenommenen Durchschnittswert um 185,7 Prozent. War die Zuteilung eines weiteren Mandats aber schon durch die bestehenden Bevölkerungsverhältnisse der Stadt begründet, so rechtfertigten ihre Steuerleistungen, die 1905 mit 7,328 Millionen Mark Staatssteuern etwa um 4 Millionen Mark über der gemeinsamen Leistung der Städte Schöneberg und Rixdorf lag, und ihr hohes Bevölkerungswachstum, das gegenwärtig etwa 10000 Einwohner pro Jahr ausmachte, in jeder Hinsicht eine stärkere Vertretung der Stadt im Landtag. 205 Bethmann Hollweg ging nicht auf das Anliegen der Vororte ein, da seine Annahme nur den vielfach erhobenen Vorwurf der Systemlosigkeit bei der Zuteilung der Abgeordnetenmandate verstärkt hätte. Es gab eben noch eine Vgl. Grzywatz, Arbeit, S. 202 ff. StBPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 3, Sp. 4039. In Oberschlesien war man besonders über die Benachteiligung gegenüber der Landeshauptstadt, ihren Vorortkreisen und dem rheinisch-westfälischen Industriebezirk verbittert. Obwohl hier mit dem Wahlkreis Kattowitz-Zabrze eine der größten Wahlkreise Preußens vorhanden war, hatte Oberschlesien nur ein weiteres Mandat erhalten. Vgl. Rede Voltz. PAH, 2. April 1906. A.a.O., Sp. 4023. 205 KomBer Heinrich Graf Yorck von Wartenburg, 8. Mai 1906. AIPHH, Sess. 1905/06, DS Nr. 105, S. 585. Korrigierte Prozentzahl unter Zugrundelegung des Volkszählungsergebnisses von 1905. 203

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Reihe anderer Wahlkreise mit nur einem Abgeordneten, die höhere Bevölkerungsziffern und ein stärkeres Bevölkerungswachstum als beispielsweise Charlottenburg aufwiesen und nicht minder ihre hohe Steuerkraft ins Feld führen konnten?06 Unterstützung erhielt Schustehrus lediglich durch den Berliner Oberbürgermeister Kirschner, der den Gesetzentwurf zur Neueinteilung der Wahlbezirke, solange die Schwankungen der Bevölkerungsziffern in den Wahlkreisen, gegenwärtig zwischen 33390 (Hohenzollern) und 375000 (Berlin 3) Einwohnern, nicht wesentlich ausgeglichener gestaltet wurden, für unannehmbar erklärte. 207 Wenn in der Begründung der Regierungsvorlage im Hinblick auf die Erhöhung der Berliner Abgeordnetenmandate bemerkt wurde, daß damit bereits "das für die Zukunft zu erwartende Wachstum berücksichtigt worden wäre, konnte die Stadt das nur als fortdauernde Mißachtung ihrer Interessen interpretieren, da die durchschnittliche Bevölkerungsziffer der Berliner Wahlkreise nach der Neueinteilung mit 170012 noch mehr als doppelt so hoch wie im Staatsdurchschnitt lag, wo im allgemeinen auf jeden Wahlkreis 84 184 Einwohner entfielen. 208 Im achten und zehnten Landtagswahlbezirk Berlins fielen die Einwohnerzahlen mit etwa 247000 und 258000 noch höher aus. Ähnliche Bevölkerungsziffern waren in den Vorortwahlkreisen vorzufinden. In industriell geprägten Wahlkreisen wie Beuthen, Bochum, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Kattowitz, Kiel-Neumünster, Köln, Mülheim-Ruhrort und Stettin209 lagen die Verhältnisse nicht anders. Die berechtigten Ansprüche der Großstädte auf eine gerechtere Verteilung des Stimmrechts harrten daher weiterhin einer Lösung. Mit ihrem Insistieren auf eine organische Wahlkreisreform blieben die beiden Oberbürgermeister nicht nur in der Kommission, sondern auch im Plenum des Herrenhauses isoliert. Resigniert stellte der Kieler Oberbürgermeister Paul Fuß fest, daß man wegen der Aussichtslosigkeit auf eine Initiative zu einer gründlicheren und umfassenderen Reform des preußischen Wahlrechts verzichtet habe und den Regierungsvorlagen als "Notgesetzen" zustimmen werde?lO Über das ungleiche Stimmrecht auf Grund der Wahlkreiseinteilung wurde nicht mehr diskutiert, die Gesetzentwürfe in der vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Fassung angenommen. 211 Der frühere 206 KomBer York von Wartenburg, 8. Mai 1906. AIPHH, Sess. 1905/06, OS Nr. 105, S. 585 f. 207 A. a. 0., S. 584 f. 208 Vgl.Tab. 39 im Stat. Anhang. 209 Vgl. Reinhard Siegfried, Die schwere Benachteiligung der volksreichsten Landesteile Preußens bei den Landtagswahlen, Berlin-Schöneberg 1908, S. 66, 68, 72, 76 u. 82. 210 Rede Fuß. PAH, 25. Mai 1906. StBPHH, Sess. 1905/06, S. 195. 211 A. a. 0., S. 302. Vgl. Gesetz, betreffend Vermehrung der Mitglieder des Hauses der Abgeordneten und Änderungen der Landtagswahlbezirke und Wahl orte vom

2. Der Widerstand gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910

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Landwirtschaftsminister und freikonservative Abgeordnete Freiherr Robert Lucius von Ballhausen sowie der Charlottenburger Rechtsprofessor Heinrich Demburg hielten beherzte Plädoyers für den Fortbestand des Dreiklassenwahlrechts, allein Edgar Loening relativierte die Charakterisierung des preußischen Wahlrechts als ein "konservatives Bollwerk gegen die Umsturzparteien",212 indem er seine Reformbedürftigkeit vor allem durch die völlig unzureichende Repräsentation der dritten Wählerabteilung begründete, die nicht mehr einen Ausgleich der materiellen Interessen in der Gesetzgebung zuließ. Eine Entwicklung, die um so weniger mit der stillschweigenden Übereinkunft, keine Konzessionen an die Sozialdemokratie zu machen, zu rechtfertigen war, als weite Teile des Bürgertums die Forderung nach einer adäquateren Vertretung stellten?13

2. Der Widerstand der Gemeindekörperschaften gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910 Die Städte, nicht zuletzt aber der in den Gemeindeparlamenten vertretene bürgerliche Linksliberalismus und die Fraktionen der Sozialdemokratie entwickelten sich neben den eigentlichen Parteiorganisationen zum tragenden Faktor der preußischen Wahlrechtsbewegung. In den Kommunen trat die Reform des Gemeindewahlrechts nach der Jahrhundertwende zugunsten der Initiativen um eine bessere parlamentarische Repräsentation der Städte in den Hintergrund. Die kommunalen Körperschaften waren nicht länger gewillt, die politische Benachteiligung der Stadtgemeinden durch eine, die Bevölkerungsentwicklung der letzten fünfzig Jahre mißachtende Wahlkreiseinteilung hinzunehmen. Die Gegnerschaft zum preußischen Konservativismus in der Wahlrechtsfrage, vor allem gegen die im Herrenhaus vertretene Grundaristokratie, überdeckte, zumindestens zeitweilig, den politischen Gegensatz zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie in den Gemeinden. Bruno Borchardt registrierte Ende Dezember 1909 in weiten Teilen der Sozialdemokratischen Partei Zweifel über die bislang in der Wahlrechtsfrage angewandten "Kampfmittel". Man sah die Reformbewegung an einem toten Punkt angelangt, der offensichtlich nur noch durch Staßendemonstrationen und den politischen Massenstreik zu überwinden war. 214 Und in der Tat sollte es nach dem Bekanntwerden einer neuen Wahlrechtsvorlage des 28. Juni 1906, S. 313-318. Vf,l. auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 4, Struktur und Krisen des Kaiserreichs, Stuttgart u. a. 1982, S. 376. 212 Reden Lucius von Ballhausen u. Dernburg. PAH, 25. Mai 1906. A.a.O., S. 293 ff. u. 298. 213 Rede Loening. PAH, 25. Mai 1906. A.a.O., S. 299 f. 214 Bruno Borchardt, Zum Preußischen Parteitag 1910, in: SMH, 15. Jg. (1909), Bd. 3, H. 26, S. 1658 f. Vgl. auch Dieter Groh, Negative Integration und revo1utio65 Grzywatz

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

Staatsministeriums in zahlreichen Städten, allen voran der Reichshauptstadt, zu Massendemonstrationen kommen. Auf Grund ihres Umfangs sprachen Zeitgenossen im Nachhinein vom eigentlichen Zeitpunkt der Erfindung der politischen Demonstration in Deutschland,z15 Kritische, wenn auch von der Furcht nationaler Schwäche bedrängte Geister wie Maximilian Harden, glaubten gar die "Anfänge einer Revolution" zu sehen. "Deutschlands Volk", polemisierte der Herausgeber der Zukunft, "fühlt, daß seine staatlichen Einrichtungen heute seinem politischen Bedürfnis nicht mehr genügen; daß manche Klassenprivilegien, fast alle Vorrechte der Beamtenschaft, die Staatskirche, daß Rechtspflege, Schuldrill, Verwaltung unhaltbar geworden sind. Und möchte, da die bescheiden vorgetragenen Wünsche allzulange unerfüllt blieben, nun über das für die nächste Stunde Notwendige weit hinaus bis an das Ziel völliger Demokratisierung vorstürmen".216 Der Bethmann Hollweg im Amt des Innenministers nachfolgende Friedrich von Moltke sprach sich in der bekannten gouvermentalen Monotonie gegen jede weitergehende Reform des Wahlrechts, insbesondere aber gegen das zeitweilig von Bethmann Hollweg favorisierte Pluralsystem aus. Erhebungen des Statistischen Landesamts hatten ergeben, daß mit dem Pluralwahlrecht die politische Dominanz der ersten beiden Wählerabteilungen auf die dritte Wählerklasse überging. Ein auf zehn bis zwölf Stimmen basierendes Pluralwahlrecht würde vor allem den bürgerlichen Parteien zugute kommen, während die Sozialdemokratie allenfalls mit zehn bis fünfzehn neuen Mandaten rechnen konnte. Bei einer Kombination des Pluralwahlrechts mit dem geheimen Wahlverfahren hätte sich die Zahl der sozialdemokratischen Abgeordneten allerdings weiter erhöht. 217 Da das Pluralwahlrecht eine durchgreifende Revision der Wahlbezirke erforderte, sah von Moltke wenig Aussichten für seine parlamentarische Durchsetzung. Zum einen hielten die Konservativen, das Zentrum und die Polnische Partei an der bestehenden Wahlbezirkseinteilung fest, zum anderen sah sich die Staatsregierung mit Blick auf die voraussichtlichen Auswirkungen im Reich und der insgesamt anti agrarischen Tendenz fernerhin nicht in der Lage, einer grundlegenden Wahlbezirksreform zuzustimmen. 218 närer Attentismus. Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkrieges, Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1973, S. 128 ff. 215 Theodor Heuss, Erinnerungen 1905-1933, STübingen 1964, S. 75; ders., Friedrich Naumann. Der Mann, das Werk, die Zeit" 2Stuttgart-Tübingen 1949, S.282. 216 Die Zukunft, 2. Juli 1910. Abdruck in: Maximilian Harden, Kaiserpanorama. Literarische und politische Publizistik, hrsg. von R. Greuner, Berlin 1983, S. 278. 217 Votum von Moltke, 7. November 1909. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 10, BI. 101. Hierzu die mit dem Votum vorgelegte "Denkschrift über ein Mehrstimmenwahlrecht", a.a.O., BI. 132-151. VgI. auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 500 ff.

2. Der Widerstand gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910

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Falls sich die Regierung zu einer Reform des materiellen Wahlrechts entschloß, etwa durch die Einführung der direkten Wahl, sollte das parlamentarische Verfahren nicht mit einer weiteren Streitfrage belastet werden. Von Moltke erinnerte daran, daß die Staatsregierung stets mit gutem Erfolg die Taktik eingeschlagen hatte, bei Änderungen der Wahlvorschriften die drei wesentlichen Gegenstände, materielles Wahlrecht, Verfahrens vorschriften und Wahlbezirkseinteilung sorgfältig auseinanderzuhalten und nicht in einer Vorlage zu verbinden. Mit der Reform von 1906 waren nach Moltkes Darstellung "alle wesentlichen Unzuträglichkeiten und Unbilligkeiten" erledigt. Eine prinzipielle Stärkung der städtischen Wahlkreise zu Ungungsten der ländlichen Bezirke kam für Moltke nicht in Frage. Zukünftige Korrekturen sollten wie in der Vergangenheit durch Teilung einzelner Wahlkreise und Vermehrung der Abgeordnetenmandate vorgenommen werden?19 Der Innenminister verwies in diesem Zusammenhang auf die nicht zu umgehende Teilung des Berliner Vorortwahlkreises Schöneberg-Rixdorf und die Ausgliederung des zur kreisfreien Stadt erhobenen Vorortes Wilmersdorf aus dem Wahlbezirk Teltow-Beeskow-Storkow. Im Staatsministerium mehrten sich die Stimmen, die eine Wahlrechtsreform für nicht länger aufschiebbar hielten. Man fürchtete nicht nur die Schwierigkeit, die Nationalliberalen zukünftig für die praktische Politik der Regierung zu gewinnen, sondern auch das Vertrauen der Konservativen zu verlieren. 22o Den Gedanken, ein neues Wahl system einzuführen, legte die Regierung schnell beiseite. Selbst für Delbrück stand das Dreiklassensystem, nachdem sich der "früher vielleicht berechtigte Vorwurf' einer mangelnden Vertretung der Arbeiterklasse durch die letzten Abgeordnetenwahlen erledigt hatte, nicht zur Disposition. Das "Besitz und Intelligenz" gerechter zur Geltung bringende Dreiklassensystem mit der ihm innewohnenden Balance zwischen politischen Rechten und Pflichten stellte in einer Situation, wo "die süddeutschen Staaten in steigendem Maße der Demokratie verfielen", eine wichtige Stütze für die "gedeihliche", sprich: die vorhandenen politischen Machtverhältnisse konservierende, Entwicklung des Reichs dar. Das gleiche Wahlrecht schloß insbesondere die Industrie von der politischen Gestaltung aus. Grund genug für Preußen, sich jeder Verpflichtung zur Demokratisierung zu entledigen. 221 Im Staatsministerium einigte man sich auf eine Änderung des materiellen Wahlrechts. Dabei sollten die beschränkte Einführung der direkten Wahl, antiplutokratische Rege218 Votum von Moltke, 7. November 1909. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 10, BI. 103. 219 A. a. 0., BI. 111. 220 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 22. November 1909. A. a. 0., BI. 152. 221 VgI. die Äußerungen Delbrticks und von Rheinbabens, a.a.O., BI. 154 f. 65*

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lungen und der Ausgleich der Gemeindedriuelung durch Wahlrechtsprivilegien bestimmter Wählergruppen im Mittelpunkt stehen. 222 Innenminister von Moltke wiederholte daraufhin seine Bedenken gegen eine Wahlbezirksrevision. Ministerpräsident von Bethmann Hollweg brachte freilich in Erwägung, ob der liberale Widerstand gegen die beabsichtigte Wahlrechtsreform nicht dadurch verringert werden könnte, daß die Regierung weitere Wahlbezirke teilte, wie sie bereits bei der Revision von 1906 geplant, nach Vereinbarungen mit den Parteien aber nicht ausgeführt hatte. Von Rheinbaben unterstützte die Auffassung des Kabinettschefs, befürwortete aber, daß weniger der städtische Linksliberalismus als die Sozialdemokratie von einer Teilung der großen Wahlkreise profitierte. Eine mäßige Vermehrung der sozialdemokratischen Abgeordneten hielt der Finanzminister für vertretbar. 223 Bethmann Hollweg wollte eine weitere Veränderung der Wahlbezirks einteilung nur als besondere Rücksichtnahme auf den Liberalismus vertreten, Innenminister von Moltke wurde deshalb zu weiteren Erläuterungen über die Wirkung der Wahlbezirksteilungen aufgefordert. Den entsprechenden Bericht legte von Moltke Mitte Dezember vor. Er hatte eine Liste von 41 Wahlkreisen mit über 100000 Einwohnern erstellen lassen. 16 Bezirke warteten mit einem Bevölkerungsschlüssel von über 200000 Einwohnern pro Abgeordnetenmandat auf. 224 1906 war von der Staatsregierung erwogen worden, unter anderem die Wahlkreise Königsberg 3, Danzig 2 und Merseburg 4 zu teilen. Die Teilung hatten die Nationalliberalen abgelehnt, da sie zum Verlust ihrer Mandate geführt hätte. In den Wahlbezirken des Berliner Umlandes konnten einerseits die Städte Lichtenberg und Wilmersdorf von ihren bisherigen Wahlkreisen getrennt werden, in denen sie nur "ein fremdes Element" darstellten, andererseits der gerade erst 1906 geschaffene Wahlkreis Schöneberg-Rixdorf in zwei selbständige städtische Wahlbezirke aufgespalten werden. Die Wahlkreise Lichtenberg und Rixdorf fielen mit Sicherheit an die Sozialdemokratie, während Wilmersdorf zunächst den gemäßigten Liberalen, später aber wie Charlottenburg dem Linksliberalismus zufallen würde.2 25 Zu den städtischen Wahlkreisen, denen man einen neuen Abgeordneten zuweisen mußte, gehörten Charlottenburg, Essen und Stettin.226 222 Der vorgelegte Gesetzentwurf neben einem Eventualantrag zum Plural wahlrecht, a.a.O., BI. 113-125 u. 127-l31. 223 Protokollauszug der Sitzung des Staatministeriums, 22. November 1909. Aa.O., BI. 163. 224 Verzeichnis der Landtagswahlkreise, a. a. 0., BI. 183. 225 Bericht von Moltkes an das Staatsministerium, 17. Dezember 1909. A a. 0., BI. 172 f. 226 A a. 0., BI. 175.

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Zusammenfassend stellte der Innenminister zur vorgesehenen Wahlkreisteilung und Mandatsvermehrung fest, daß die Sozialdemokratie zwei, der Freisinn sieben, die Nationalliberalen fünf, die Konservativen drei und das Zentrum zwei Mandate erhalten würden, wobei die Klerikalen auf den Gewinn vier weiterer Mandate hoffen konnten. Den Mandatsgewinnen standen bei den Nationalliberalen und den Konservativen Verluste von jeweils zwei Mandaten gegenüber. Das hieß, nur die Sozialdemokratie, der Linksliberalismus und das Zentrum konnten mit einem echten Mandatsgewinn rechnen. Von Moltke hielt es hiernach nicht für möglich "durch Wahlbezirksänderungen dem gemäßigten Liberalismus eine ihm sonst nicht genehme Wahlreformvorlage annehmbarer zu machen,,?27 Im Grunde genommen, so der Innenminister abschließend, würde die Wahlbezirksrevision die Aussichten des geplanten Gesetzentwurfs verschlechtern, da sie den Zwiespalt zwischen der Rechten und Linken zugunsten des Zentrums vertiefte und den Bestrebungen der Freisinnigen und Sozialdemokratie auf eine völlige Neueinteilung der Wahlbezirke weitere Nahrung lieferte. Von Moltke riet deshalb zur allgemeinen Einführung der direkten Wahl, weil damit außer jeden Zweifel gestellt wurde, daß die Staatsregierung mit einer "durchgreifenden Besserung und verständigen Fortbildung des Wahlsystems,,228 Ernst machte. Bethmann Hollweg äußerte auf den Bericht von Moltkes grundsätzliche Bedenken, eine Änderung der Wahlbezirke aus anderen als technischen Gründen vorzunehmen. Er erklärte sich mit dem alternativen Vorschlag des Innenministers prinzipiell einverstanden, machte seine endgültige Zustimmung jedoch von statistischen Ermittlungen über die Wirkung der direkten Wahl abhängig?29 Auf keinen Fall wollte man Umwälzungen im Verhältnis der bestehenden Partei stärken provozieren. Innenminister von Moltke konnte das Kabinett nach den ausgeführten Berechnungen des Statistischen Landesamts beruhigen: Nur in wenigen umstrittenen Bezirken Westpreußens und Posens war ein Sieg der gouvernementalen Parteien gefährdet, da diese ihre Mandatsgewinne hier überwiegend der landrätlichen Stimmbezirksgeometrie verdankten. Auch die Bedenken gegen eine relative Verstärkung des Stimmgewichts der Städte in gemischten Wahlkreisen, deren Stadt-Land-Gegensatz zugleich ein parteipolitischer war, konnte der Innenminister ausräumen. Er griff auf das Prinzip der Stimmendurchzählung zurück, das hieß der Kumulierung der Stimmen auf Wahlbezirksebene und der Mandatszuweisung auf Grundlage der absoluten Mehrheit im Durchschnitt der drei Wählerabteilungen. Danach konnte das Staatsministerium A. a. 0., BI. 176. Ebd. Der revidierte Gesetzentwurf, a. a. 0., BI. 184 ff. u. 190 ff. 229 Protokollauszug von der Sitzung des Staatsministeriums, 27. Dezember 1909. A. a. 0., BI. 200. 227 228

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Ende Dezember 1909 einen endgültigen Konsens über die Einführung der direkten Wahl herstellen. 230 Am 10. Februar 1910 legte die Staatsregierung dem Abgeordnetenhaus endlich das Wahlrefonngesetz vor, das mit einer maßvollen Umgestaltung des Dreiklassensystems aufwartete?31 Wie üblich erkannte man zunächst gewisse Mängel des bestehenden Wahlrechts an, vor allem die ausschließliche Einteilung der Wählerabteilungen nach dem Maßstab der Steuerleistungen und die indirekte Wahl. 232 Die Bevorzugung der großen Vennögen, in deren Folge bei den Abgeordnetenwahlen von 1908 ein Siebtel sämtlicher Urwahlbezirke, darunter 1100 der 12000 städtischen Urwahlbezirke, nur mit einem oder zwei Wählern besetzt waren, bezeichnete die Regierung als "regelwidrige Erscheinung". Ihre Beseitigung war um so mehr gefordert, als die fortschreitende wirtschaftliche Entwicklung des Landes noch zu einer Verstärkung dieser Entwicklung führen mußte. Die aus der Bezirksdrittelung resultierende Ungleichmäßigkeit der Steuerleistung paralleler Wahlabteilungen in benachbarten Urwahlbezirken sollte nicht länger hingenommen werden. Gleichzeitig galt es, die Einseitigkeit des Steuennaßstabs überhaupt in Frage zu stellen. Die indirekte Wahl wurde als "wesentlicher Mangel" des Wahl systems anerkannt. Sie hatte sich überlebt, trug sie doch entscheidenden Anteil an der allseits beklagten niedrigen Wahlbeteiligung. 233 Die Dominanz der höchsten Steuerzahler gedachte die Staatsregierung durch die Maximierung des anrechnungsfähigen Steuerbetrags auf 5000 Mark einzuschränken. In der Folge hätten etwa 13000 Wähler der besitzenden Oberschicht die bisherige Vorherrschaft in ihren Urwahlbezirken verloren. Auf die Öffentlichkeit der Wahl glaubte man weiterhin nicht verzichten zu können. Das direkte Wahlverfahren sollte hingegen eingeführt werden. Die angestrebte Privilegierung des Bildungsbürgertums, der Repräsentanten in den Volks- und Gemeindevertretungen, der Vertreter der niederen Verwaltungs gerichtsbarkeit sowie des Offiziersstandes kam darin zum Ausdruck, daß ihre Vertreter auf Grund ihres Bildungsgrades bzw. ihrer langjährigen Amtstätigkeit in die jeweils nächsthöhere Wählerabteilung aufgenommen werden konnten. In ähnlicher Weise war die Möglichkeit gegeben, die Exekutivmitglieder niederer kommunaler Körperschaften, der kreisangehörigen Städte, Landgemeinden, Guts- und Amtsbezirke, und daneben 230

Protokollauszug von der Sitzung des Staatsministeriums, 31. Dezember 1909,

a. a. 0., BI. 233 ff.

231 Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Vorschriften über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten, 4. Februar 1910. AIPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 3, DS Nr. 110, S. 2041-2056. 232 Aa.O., S. 2048. 233 A a. 0., S. 2049.

2. Der Widerstand gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910

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auch die in den Zivildienst entlassenen, langjährig Gedienten von der dritten in die zweite Wählerabteilung aufsteigen zu lassen. Eine stärkere, von der Staatsregierung noch für vertretbar gehaltene Verschiebung der Wählerschaft hätte vermutlich das projektierte neue Verfahren zur Feststellung des Wahlergebnisses nach dem Durchschnitt des Stimmenanteils in den einzelnen Wählerklassen ausgelöst, da hierzu der prozentuale Anteil der Kandidaten in den drei Klassen addiert und anschließend durch die Zahl der Kandidaten dividiert werden mußte. Zum Wahlsieg benötigte ein Kandidat mehr als fünfzig Prozent der Stimmen. Die Regierungsvorlage enttäuschte vor allem die Nationalliberalen. Sie sahen keine von ihren Hauptforderungen, weder die Wahlkreisrevision noch die geheime Stimmabgabe noch die Gemeindedrittelung, im Gesetzentwurf aufgenommen. Auch die Relativierung "der plutokratischen Starrheit der Wahlrechtsabstufung" hielten sie für weitgehend mißglückt. 234 Paul Krause sprach im Namen der Nationalliberalen die Überholtheit des Dreiklassensystems aus. In einem Agrarstaat entstanden, nützte es in der modemen Industriegesellschaft nur noch den agrarisch verwurzelten Parteien. 235 Unannehmbar war die Regierungsvorlage allerdings nur für die Sozialdemokraten, die Polen und Freisinnigen. 236 Die Konservativen, die nach Verabschiedung der Reichsfinanzreform alle Mühe hatten, Abspaltungstendenzen in der Partei abzuwehren und den Protest ihrer städtischen Wählerschichten gegen den einseitig agrarischen Kurs der Partei zu integrieren, nutzten die Wahlreform zur Demonstration ihres mittelständischen Erscheinungbildes aus. Ähnlich agierte das Zentrum, das durch den Antiklerikalismus der Liberalen und der fehlenden parlamentarischen Absicherung ihrer kulturpolitischen Zielsetzungen an die Seite der Konservativen gedrängt wurde. Daß man dabei einen möglichst eng begrenzten Verlust von Mandaten im Auge behielt, verstand sich von selbst. Die Koalition aus Konservativen und Zentrum unterbreitete dem Abgeordnetenhaus einen Kompromißvorschlag, der die geheime Stimmabgabe bei den Urwahlen einführte und anstelle des direkten auf das indirekte Wahlverfahren zurückgriff. 237 Mit der Zustimmung zur geheimen Wahl hat234 Rede Eugen Schiffer. PAH, 10. Februar 1910. StBPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 2, Sp. 1460 ff. 235 Rede P. Krause. PAH, 11. Februar 1910. A.a.O., Sp. 1582 ff. Zur Haltung der Nationalliberalen und ihrem Verhältnis zur Regierungpolitik vgl. auch Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 538 ff. 236 Vgl. die Reden von Traeger, Ströbel, Wojciech Korfanty und Pachnicke. PAH, 10./11. Februar 1910. StBPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 2, Sp. 1446 ff., 1505 ff., 1536 ff. u. 1569 ff. Siehe dazu auch Zedlitz-Neukirch, Taktisches zur Wahlrechtsvorlage, in: Der Tag, Nr. 31. Ausgabe vom 6. Februar 1910. 237 KomBer Johannes Bell, 7. März 1910. AIPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 4, DS Nr. 157 A, S. 2374 ff. u. 2384.

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ten sich die Konservativen von einem langjährigen Partei dogma verabschiedet. Dieser Schritt fiel ihnen nicht zuletzt deshalb leicht, weil der wahlpolitische Konformitätsdruck in den ländlichen Bezirken die Aufstellung sozialdemokratischer und liberaler Wahlmänner ohnehin weitgehend unmöglich machte und folglich die geheime Wahl bei den beschränkten Wahlmöglichkeiten der Urwähler kaum Veränderungen nach sich gezogen hätte. Mit der Einführung des direkten Wahlverfahrens wäre die modeme Massenagitation und das Partizipationspostulat endgültig auf das platte Land getragen worden. 238 Die Staatsregierung befürwortete die direkte Wahl, da sie an der legitimatorischen Funktion hoher Wahlbeteiligungsraten interessiert war. 239 Die Konservativen, die zur Aufrechterhaltung ihres Einflusses an einem parochialen Wahlverhalten in den ländlichen Wahlbezirken festhielten, wollten sich der politisierenden Wirkung der direkten Stimmabgabe entziehen. Sie plädierten daher für eine Restituierung der indirekten Wahl als Fundament des Dreiklassensystems. Mit der Zustimmung zur geheimen Wahl konnten sie sich im übrigen ihrer städtischen Wählerschichten versichern, aus deren Kreis insbesondere der organisierte Mittelstand die geheime Stimmabgabe als Schutz gegen sozialdemokratische Wahlbeeinflussungen dringender denn je forderte. 24o Das Zentrum kam in dieser Hinsicht sowohl einem alten Reforminteresse der Partei als auch einem breiten Bedürfnis ihrer Wähler in den Städten und industriellen Wahlkreisen nach, in denen die Aufstellung der Wahlmänner auch für die oppositionellen Parteien ohnehin nur eine Formsache war,z41 Als Zugeständnis an die Freikonservativen stimmte die klerikal-konservative Koalition der Verdoppelung des Maximierungsbetrages für die Anrechnung der Steuerleistung in den Städten mit über 20000 Einwohnern auf 10000 Mark zu. Kam hierin eine Stärkung des Besitzprivilegs zum Ausdruck, brachte die Erhöhung des Anrechnungsbetrages für die nichtsteuerzahlenden Wähler von drei auf vier Mark eine gewisse Demokratisierung der Wahl. 242 Der Staatsregierung war schon während der Vorberatungen zur Wahlrechtsnovelle bewußt gewesen, daß die geheime Stimmabgabe voraussichtA.a.O., S. 2355. Vgl. die Erläuterungen von Moltkes während der Kommissionsberatung, a. a. 0., S. 2354. 240 Vgl. Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 548 f. 241 KomBer Bell, 7. März 1910. AIPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 4, DS Nr. 157A, S. 2354 u. 2381 f. 242 Die Zusammenstellung der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses und der X. Kommission des Herrenhauses zum GesEntw in: AIPHH, Sess. 1910, AS Nr. 67, Anlage I, S. 179-194. Die Abänderungen der XII. Kommission des Abgeordnetenhauses gegenüber der Regierungvorlage in AIPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 4, DS Nr. 157B, Anlage 3 u. 4, S. 2460-2476. 238 239

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lich "den Brennpunkt der Wahlrefonn" bilden würde. Sie gestand sogar ein, daß unter den Parteien des Landtags "zweifellos eine Majorität" für das geheime Wahlverfahren vorhanden war. 243 Der ständig erneuerte Vorwurf, die Öffentlichkeit der Wahl befördere den "Wahlterrorismus von oben und unten", wurde nach Ansicht des Innenministers nicht durch praktische Erfahrungen gestützt. So konnten es sich die Unternehmer in Stadt und Land gar nicht leisten, mit ihren Arbeitern wegen der Wahlen in Konflikt zu geraten. Illegitime Wahlbeeinflussungen gingen denn auch, so von Moltke, eher von unten aus, das hieß von solchen Parteien wie der Sozialdemokratie und dem politischen Polentum?44 Da nach gouvernementaler Sicht in erster Linie die Arbeiterpartei und die Polen, daneben aber auch das Zentrum von der geheimen Stimmabgabe profitierten, deren Aufgabe eine tiegreifende Wirkung auf das Kommunalwahlrecht haben mußte, sollte die Staatsregierung nach dem Urteil des Innenministers an der Öffentlichkeit der Wahl festhalten. 245 Ministerpräsident von Bethmann Hollweg stellte noch vor dem Zeitpunkt der Vorlage des Gesetzentwurfs fest, daß das Abgeordnetenhaus, wenn überhaupt etwas zustande kam, die geheime Stimmabgabe annehmen, das Herrenhaus die Öffentlichkeit der Wahl aber wiederherstellen werde. 246 Die Überraschung des Staatsministeriums über den Beschluß zur geheimen Stimmabgabe bei den Urwahlen hielt sich folglich in Grenzen. "Nachdem die öffentliche Wahl von den Konservativen einmal für die Urwahlen preisgegeben sei", erkannte von Bethmann Hollweg, "werde die Regierung sie auf Dauer nicht mehr halten können,,?47 Die Mehrheit des Staatsministeriums folgte dieser Auffassung. Allein Innenminister von Moltke verharrte in opponierender Ablehnung. Die geheime Wahl blieb für ihn eine auf Dauer "unhaltbare Fonn,,?48 Die Gewinne der Sozialdemokraten und Polen durch die geheime Stimmabgabe bezifferte er auf elf bzw. neun Mandate, weitere zwanzig Mandate hielt er durch beide Parteien für gefährdet. 249 Diese Mandatsgewinne waren, wie Clemens Delbrück ausführte, nicht nur unvenneidlich, sondern auch notwendig, da eine Refonn, 243 Votum von Moltke, 7. November 1909. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 10, Bd. 10, BI. 107. 244 A. a. 0., BI. 108. 245 A.a.O., BI. 109. 246 Protokoll auszug der Sitzung des Staatsministeriums, 22. Januar 1910. A.a.O., BI. 258. 247 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 26. Februar 1910. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 11, BI. 122. 248 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 7. März 1910. A.a.O., BI. 129 f. 249 Protokoll auszug der Sitzung des Staatsministeriums, 26. Februar 1910. A. a. 0., BI. 123.

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welche die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses nicht änderte, keineswegs zur Beruhigung der öffentlichen Meinung beitrug?50 Wenn die konservative Partei ein wichtiges Parteidogma aus politischer Notwendigkeit preisgegeben hatte, konnte die Regierung letztendlich "nicht reaktionärer" als die Konservativen auftreten. 251 Delbrück wie Bethmann Hollweg wollten die vom Innenminister befürchteten nachteiligen Folgen durch die Reform einiger Wahlbezirke und eine entsprechende Vermehrung der Abgeordnetenmandate "wenigstens etwas auszugleichen,,?52 Der Ministerpräsident sah das politische Hauptziel der Wahlreform darin, "eine gewisse Beruhigung im Lande zu erzielen,,?53 Das Gesetzesvorhaben der Staatsregierung mußte deshalb zu einem Abschluß gebracht werden. Unter dieser Perspektive war es angebrachter, notfalls die Verständigung mit den Konservativen und dem Zentrum zu suchen und dem klerikal-konservativen Komprorniß zuzustimmen, als für eine Verschiebung der Wahlreform zu plädieren. Diese konnte die Lage der Regierung nur verschlechtern. Der bevorstehende Reichstagswahlkampf sowie die Opposition gegen das Dreiklassensystem mußte sich zwangsläufig verschärfen. 254 Die Staatsregierung wollte eine Wahlreform, mit der man "sich einigermaßen sehen lassen" konnte,255 ohne dabei die legislatorische Initiative zu verlieren und in Abhängigkeit von einer im wesentlichen auf die Konservativen und das Zentrum beschränkten Koalition zu geraten. 256 Wenn es nicht gelang, die Wahlreform in Übereinstimmung mit den Nationalliberalen und den Freikonservativen zu lösen, befürchtete die Regierung eine Radikalisierung des gemäßigten Liberalismus?57 Der Handlungsspielraum der Regierung für die Einigung der vier Parteien oder zumindest die Einbindung der Nationalliberalen in den klerikalkonservativen Komprorniß war jedoch äußerst gering. Zwar hatte Delbrücks Maxime, daß die Aufrechterhaltung des Dreiklassensystems die HauptAa.0.,B1.124f. Protokoll auszug der Sitzung des Staatsministeriums, 7. März 1910. Aa.O., BI. 133. 252 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 26. Februar 1910. A a. 0., BI. 123 u. 125 f. 253 Aa.O., BI. 123. 254 Protokollauszüge der Sitzungen des Staatsministeriums, 7. März 1910. A a. 0., BI. 130 f.; 9. März 1910, a. a. 0., BI. 206 f. 255 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 26. Februar 1910. A.a.O., BI. 123. 256 Ebd. Protokollauszüge der Sitzungen des Staatsministeriums, 7. März 1910. Aa.O., BI. 133; 9. März 1910, a.a.O., BI. 206; 26. Mai 1910, a.a.O., Bd. 12, BI. 162. 257 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 9. März 1910. A a. 0., Bd. 11, BI. 208. 250 251

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sache, alles andere diskutabel wäre,258 generell Gültigkeit, aber für eine antiplutokratische Refonn, deren demokratisierende Wirkung beschränkt bleiben sollte, ließ das Wahlsystem nur begrenzte Möglichkeiten offen. Dabei drohte sie wiederum zwischen den wahl politischen Interessen der Parteien zerrieben zu werden. Die Staatsregierung konnte beispielsweise der seit Jahren von den Nationalliberalen geforderten Rückkehr zur Gemeindedrittelung nachgeben, weil deren plutokratische Wirkung durch das von der Regierung geplante Aufrückungssystem und die Maximierung, aber auch durch die beschlossene Erhöhung des fingierten Steuersatzes für die nicht zur Staatseinkommensteuer veranlagten Wähler ausgeglichen wurde. Das Zentrum hielt aber am Fortbestand der Gemeindedrittelung fest, während die Nationalliberalen ihre Aufhebung und die Beseitigung der Maximierung forderten?59 In Verbindung mit dem geheimen Wahlverfahren und der Maximierung erschien der Regierung die Anhebung des fingierten Steuersatzes in seiner Wirkung zu demokratisierend, so daß sie bei den Verhandlungen im Herrenhaus auf einen Ausgleich drängte. 26o Durch massive Interventionen Bethmann Hollwegs gelang es der Regierung, die Pairskammer zur Annahme einer breiter gefacherten "Kulturträgerprivilegierung,,261 und einer Entschärfung der Steuennaximierung mit dem Zugeständnis zu bewegen, diese auf die Einkommensteuer zu beschränken. 262 In der Drittelungsfrage entschied das Herrenhaus zugunsten des vom deutsch-konservativen Oberpräsidenten Clemens von Schorlerner eingebrachten Antrags. Die beschlossene Regelung sah vor, daß es in ländlichen, aus mehreren Gemeinden zusammengesetzten Urwahl bezirken bei der Bezirksdrittelung blieb. In Kommunen mit bis zu 10000 Einwohnern wurden die Gemeindedrittelung, und in Gemeinden mit 10000 bis 30000 Einwohnern jeweils zwei Drittelungsbezirke eingeführt. In noch größeren Gemeinden sollten Drittelungsbezirke mit mindestens 20000 Einwohnern gebildet werden?63 258 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 26. Februar 1910. A.a.O., BI. 124. 259 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 15. März 1910. A.a.O., BI. 312 ff. Votum von Moltke, 1. April 1910. A.a.O., Bd. 12, BI. 51 f. Vgl auch National-Zeitung, Nr. 185 u. 186, Ausgaben vom 22. April 1910 (M/A). 260 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 26. Mai 1910. A. a. 0., BI. 163. 261 KomBer earl Graf von Behr-Behrenhoff, 25. April 1910. AIPHH, Sess. 1910, AS Nr. 67, S. 175 ff. Die Beschlüsse der Kommission nach der zweiten Lesung, a.a.O., S. 185 ff. Zusammenstellung der Beschlüsse des Herrenhauses, a.a.O., AS Nr. 74, S. 228 f. 262 KomBer Graf von Behr-Behrenhoff, 25. April 1910. A.a.O., AS Nr. 67, S. 165 ff. u. 174 f. Die Beschlüsse der Kommission nach der zweiten Lesung, a. a. 0., S. 183 f. Die Zusammenstellung der Beschlüsse des Herrenhauses, a. a. 0., AS Nr. 74, S. 227.

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Das neue Drittelungsprinzip richtete sich gegen den Einfluß der Sozialdemokratie in Groß- und Industriestädten. Hier sorgten zusammenhängende Arbeiterviertel dafür, daß in den ersten beiden Wählerabteilungen keine Wähler wohlhabenderer Schichten vorhanden waren. Das Entgegenkommen gegenüber den Interessen von Industrie und Handel tangierte den Einfluß des Zentrums in den westlichen Stadtgemeinden. Den Affront gegen den Bündnispartner der Konservativen rechtfertigte von Schorlemer durch die Notwendigkeit, "alle staatserhaltenden Parteien und Kräfte" bei der Frage der Wahlrechtsreform zu vereinigen. Die Koalition aus Konservativen und Zentrum stellte eben, so der spätere Landwirtschaftsminister, nur eine "societas leonina" dar. Der Reform stimmten zwei Partner zu, von denen der eine als Gegner des gleichen und direkten Wahlrechts auftrat, der andere hingegen das durch die Reform Erreichte nur als Etappe auf dem Weg zur Einführung des Reichstagswahlrechts ansah?64 Die Verständigung über die Wahlreform sollte zwar möglichst alle Parteien einbeziehen, in erster Linie aber die Gegner des Reichstagswahlrechts zusammenführen. Das Ergebnis der Herrenhausverhandlungen fand im Abgeordnetenhaus keine positive Aufnahme. Die Nationalliberalen wie die Konservativen um Ernst von Heydebrand, der in der Partei das Heft fest in der Hand hielt, lehnten die Vorlage der Pairskammer ab. Das Zentrum trat in scharfer Opposition für die Wiederherstellung der Beschlüsse des Abgeordnetenhauses, insbesondere bei der Regelung der Drittelungsfrage, ein?65 Bethmann Hollwegs Erfolg im Herrenhaus erwies sich als Pyrrhussieg. Seine Taktik, die Pairskammer für die gouvernementalen Ziele zu instrumentalisieren, war ein einziger Fehlschlag. Die Regierung unterlag dem "modernisierungsfeindlichen Abwehrblock aus Konservativen und Zentrum,,266 sowie ihrer eigenen Unentschiedenheit in der Frage der Wahlrechtsdemokratisierung. Ihre Absicht, die "parlamentarische Herrschaft", d. h. die Autorität gegenüber den Parteien und die Direktive für die Gesamtpolitik zu bewahren,267 hatte die gouvernementale Handlungsfreiheit beschränkt. Der negative Ausgang der Reform mußte politisch, wie der Ministerpräsident einräumte, zur weiteren Vertiefung der Kluft zwischen Nationalliberalen und Konservati263 StBPHH, Sess. 1910, S. 114. Zusammenstellung der Beschlüsse des Herrenhauses in AIPHH, Sess. 1910, AS Nr. 74, S. 227. 264 Rede Freiher von Schorlerner. PHH, 29. April 1910. StBPHH, Sess. 1910, S. 114 f. 265 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 26. Mai 1910. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 12, BI. 161 f. 266 Kühne, Dreiklassenwahlrecht, S. 568. 267 Siehe die Äußerung Bethmann Hollwegs auf der Sitzung des Staatsministeriums vom 26. Mai 1910. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 12, BI. 162 f.

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ven sowie zur Alleinherrschaft des klerikal-konservativen Bündnisses im Abgeordnetenhaus führen. Eine "Verbesserung des bestehenden Wahlsystems unter Beibehaltung seiner wesentlichen Grundlagen,,268 forderte zwangsläufig nicht nur den sozialdemokratischen Widerstand, sondern auch den Einspruch des kommunalen Liberalismus heraus, da die von den Städten seit langem erwartete Abänderung der ungerechten Wahlkreisabteilung mit keinem Wort in der Regierungsvorlage erwähnt wurde. Der lapidare Hinweis auf die 1906 gesetzlich veranlaßte Neueinteilung der Landtagswahlbezirke, welche die Staatsregierung eingangs ihrer Begründung gar als "nicht unerhebliche Änderung" apostrophierte, erregte selbst besonnenere Geister. Die Oberbürgermeister der großen Städte sahen allen Anlaß zu einer weiteren Verhärtung der politischen Fronten. In Berlin war die Wahlrechtsvorlage auf einhellige Ablehnung gestoßen. Sowohl von sozialdemokratischer als auch freisinniger Seite wurden Anträge in die Stadtverordneten-Versammlung eingebracht, die den Magistrat ersuchten, in der Wahlrechtsfrage an das Abgeordnetenhaus zu petitionieren. Für die freisinnige Mehrheit forderte der stellvertretende Stadtverordneten-Vorsteher Cassel dezidiert eine "entsprechende Änderung der Wahlvorlage", welche die Öffentlichkeit der Wahl, das Klassenwahlsystem überhaupt und die bestehende Wahlkreiseinteilung aufhob. 269 Seitens der Sozialdemokraten erklärte Hermann Borgmann, daß die einzige wesentliche Verbesserung des Gesetzes in der Abschaffung des indirekten Wahlverfahrens bestand. Ansonsten zeigte die Aufrechterhaltung der öffentlichen Wahl, des Klassensystems und der bestehenden Wahlkreiseinteilung die Reformunwilligkeit der Regierung. In der Privilegierung der höheren Bildung, der Tätigkeit im öffentlichen Dienst, der gereiften Berufserfahrung sowie der aus dem Militärverhältnis hervorgegangenen Subalternbeamten sah Borgmann eine weitere Verschärfung des Klassensystems. Auf diese Weise wurde eine Bevölkerungsschicht bevorzugt, die "Beamtenqualität" besaß, so daß die Privilegierung nur dazu dienen konnte, der Regierung bei der öffentlichen Wahl "ein noch größeres Machtmittel zu verschaffen".27o Für die Sozialdemokraten kam daher nur eine prinzipielle Ablehnung des Gesetzentwurfs in Frage. AIPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 3, DS Nr. 110, S. 2047. VStBln, Nr. 9, DS Nr. 96, S. 89; Nr. 10, DS Nr. 110, S. 105. Vgl. auch StBBln 1910, S. 59. 270 Rede Borgmann. StVVersBln, 17. Februar 1910. StBBln 1910, S. 60. Zur Beschränkung der Wahlfreiheit der Beamten und die Maßnahmen der Staatsregierung gegen Organisierungsversuche der Beamtenschaft während der Kabinette von Bülow und von Bethmann Hollweg vgl. Rejewski, Pflicht, S. 132 ff. Vgl. auch Tibor Süle, Preussische Bürokratietradition. Zur Entwicklung von Verwaltung und Beamtenschaft in Deutschland 1871-1918, Göttingen 1988, S. 149 ff. 268 269

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Cassel beabsichtigte nicht, sich mit der allgemeinen politischen Bedeutung der Regierungsvorlage auseinanderzusetzen. Eine Erörterung auf Gemeindeebene war nur insofern opportun, als die besondere Lage in den Kommunen in Betracht kam. Die Berliner Verhältnisse gaben in dieser Hinsicht auf Grund der differentiellen Bildung der Wählerabteilungen nach der Steuerleistung und der Wahlkreiseinteilung Anlaß zur Kritik. Da die Einkommens- und Verrnögensverhältnisse in den einzelnen Bezirken einer Großstadt überaus uneinheitlich waren, ergab sich nach wie vor aus der Steuerleistung ein örtlich verschiedenes Wahlrecht in den einzelnen Steuerklassen. Dieses Verhältnis resultierte, worauf bereits Ignaz Jastrow aufmerksam gemacht hatte, aus der Drittelung der Steuerleistung nach den Urwahlbezirken anstelle der früher durch die ganze Stadt vorgenommenen Gemeindedrittelung. Gleichwohl mußte an der Drittelung der Urwahlbezirke festgehalten werden, da nur auf diese Weise in einzelnen Stadtgegenden ein breiteres Wahlrecht der minderbemittelten Schichten garantiert wurde. Änderungen der Drittelung versprachen nach Cassels Ansicht keine Beseitigung der bestehenden Ungerechtigkeiten, die konnten nur durch die Einführung des Reichstagswahlrechts erreicht werden. 271 Gegen die weiterhin vom Staatsministerium befürwortete Öffentlichkeit der Wahl führte Cassel die besondere Erwebsstruktur Berlins an. Die große Zahl der öffentlich Bediensteten sprach ebenso für eine geheime Stimmabgabe wie die hohe Zahl der abhängig Beschäftigten, nicht minder die wirtschaftlichen Nöte der kleineren gewerblichen Existenzen. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl und zur städtischen Steuerleistung war Berlin gegenüber kleineren Gemeinden und Kreisen schwerwiegend benachteiligt. Wollte man die Steuerleistung Berlins zum Maßstab nehmen, müßte die Stadt, so Cassel, nicht weniger als 63 Vertreter in das Abgeordnetenhaus schicken. 272 Die liberale Stadtverordnetenmehrheit legte Wert darauf, in der Frage des Landtagswahlrechts nur im Hinblick auf die unberücksichtigten städtischen Interessen Berlins zu intervenieren. Eine allgemeine Ablehnung der Regierungsvorlage kam daher ebensowenig in Frage wie sie in der Kompetenz der Gemeindevertretung lag. Dieser Einsicht schlossen sich die Sozialdemokraten an. Sie zogen, nicht zuletzt im Interesse einer "einheitlichen Beschlußfassung",273 ihren Antrag zurück und votierten geschlossen für die liberale Vorlage, die einstimmig von der Stadtverordneten-Versammlung angenommen wurde. Rede O. Cassel. StVVersBln, 17. Februar 1910. Aa.O., S. 62 f. A a. 0., S. 63. Der freisinnige Gemeindevertreter Rosenow sprach von 43 Abgeordneten; beide Zahlen wurden durch die spätere Petition des Magistrats nicht bestätigt. 273 So der Stadtverordnete Borgmann. Aa.O., S. 65. 271

272

2. Der Widerstand gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910

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Das Verhalten der Sozialdemokraten deutete einen politischen Realismus an, der nunmehr weniger eine Verwässerung oder Abschwächung sozialdemokratischer Grundsätze und Aktionen fürchtete, als die Isolierung der Partei in der Wahlrechtsfrage. Die jahrzehntelange Arbeit in der Gemeindevertretung, der Zwang zum Komprorniß bei der Durchsetzung von ReformvorsteIlungen, die Relativierung der Programmatik, welche stets dem konkreten sozialen Bedürfnis, der Ingangsetzung reformerischer Konkretion verpflichtet war, hatte in der Kommunalpolitik einer Funktionärsschicht den Boden bereitet, die sich an den Gegebenheiten parlamentarischer Auseinandersetzung orientierte und die Taktik von der jeweiligen politischen Situation abhängig machte. Das gewachsene "staatspolitische Verantwortungs bewußtsein"274 brachte diese Politiker jener taktischen Zielsetzung nahe, die das Gelingen der Wahlreform in Abhängigkeit von einer wohlüberlegten Verbindung der innerparlamentarischen Strategie mit außerparlamentarischen Demonstrationen sah. Den politischen Massenstreik hielten pragmatische Refompolitiker, zumal wenn die Gefahr bestand, er könnte von breiten Wählerschichten "als die Sache einer einzelnen Partei" aufgefaßt werden, eher für ein ungeeignetes Mittel. 275 Die schwache Position der Sozialdemokratie im Abgeordnetenhaus machte die Verständigung mit dem liberalen Bürgertum zur Notwendigkeit. In der Wahlrechtsfrage durfte der Stratege, wie es Bernstein ausdrückte, keine Kraft unterschätzen, die in der Richtung seiner Ziele wirkte. 276 Die Sozialdemokratie mußte die Strömung in der bürgerlichen Öffentlichkeit für eine durchgreifende Wahlreform in Preußen zur Kenntnis nehmen. Soweit diese nicht direkt auf den politischen Liberalismus einwirkte, war es Sache der Sozialdemokratie dafür zu sorgen, sie für die Reform ins Spiel zu bringen. Die Parteiführung schloß sich dem taktischen Realismus Bernsteins nicht an. Wichtiger als die Wahlrechtsreform, von der man von vornherein nichts erwartete, war ihr die Geschlossenheit der Partei, die durch eine polarisierte Willens bildung gefährdet erschien. Man sprach sich nicht ausdrücklich gegen den Massenstreik als ultima ratio des politischen Kampfes aus, suchte aber praktisch jede Form illegaler Aktionen zu unterbinden. 277 Die Furcht vor der mangelnden inneren Konsensfahigkeit raubte letztendlich der Sozialdemokratie auf gesamtstaatlicher Ebene die geringen Chancen politischer Initiative im Kaiserreich. In den Stadtgemeinden wurde dagegen die Notwendigkeit politischer Kooperation eingesehen. Die reale BenachteiliHuber, Verfassungsgeschichte, Bd. 4, S. 127. Eduard Bernstein, Der Stein ist im Rollen - wohin?, in: SMH, 15. Jg. (1909), Bd. 3, H. 26, S. 1663. Vgl. auch Max Maurenbrecher, Um das Wahlrecht, A.a.O., S. 1666 f. Borchardt, Zum preußischen Parteitag, S. 1659. 276 Bernstein, Der Stein ist im Rollen, S. 1663. 277 Vgl. Groh, Negative Integration, S. 133 f. 274 275

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gung der Kommunen durch die Wahlkreiseinteilung gab genügend Anlaß zu interfraktionellem Handeln. Den städtischen Petitionen war im Landtag kein Erfolg beschieden. 278 Bereits mit der vollständigen Annahme des Gesetzentwurfs durch die eingesetzte Kommission wurden die kommunalen Eingaben hinfällig. Zugleich war vorauszusehen, daß die städtischen Interessen, besonders im Hinblick auf eine neue Wahlkreiseinteilung, keine Berücksichtigung finden würden. 279 Eine von freisinniger Seite eingebrachte Resolution, welche die Staatsregierung aufforderte, noch in der laufenden Session des Abgeordnetenhauses auf der Grundlage der Volkszählungsergebnisse von 1905 und des Wahlbezirksgesetzes von 1860 "eine anderweitige Feststellung der Wahlbezirke" vorzunehmen und die Gesamtzahl der Abgeordneten neu zu bestimmen, lehnte die Beratungskommission mit großer Mehrheit ab. Dabei war die liberale Opposition durchaus bereit, auf eine gen aue Abzählung der Wähler zu verzichten und auf "gewisse historische Verhältnisse" Rücksicht zu nehmen. Dieses Zugeständnis ging allerdings nicht soweit, mit der Akzeptanz der wirtschaftlichen Bedeutung, der historischen Verhältnisse und der verwaltungstechnischen Zusammengehörigkeit der Kreise über die Ungerechtigkeit der bestehenden Wahlkreiseinteilung bzw. das ungleiche Stimmrecht der Großstädte hinwegzusehen. Schließlich begründeten, so die liberale Kritik, die Grundsätze des Wahlbezirksgesetzes von 1860, wie die Regierungsvorlage und der dazu erstattete Kommissionsbericht erneut offenbarte, zwar nicht eine von Wahl zu Wahl erforderliche neue Wahlkreiseinteilung, die herausragende Rolle der Bevölkerungszahl bei der Wahlkreiseinteilung war aber zweifelsfrei anerkannt. Es bestand folglich eine gesetzliche Grundlage, die sich aus der Bevölkerungsentwicklung der letzten fünfzig Jahre ergebenden Ungleichheiten aufzuheben und eine Neugliederung der Wahlbezirke vorzunehmen. 28o Die in Übereinstimmung mit der Stadtverordneten-Versammlung an das Abgeordnetenhaus gerichtete Petition des Berliner Magistrats 281 machte die Beibehaltung der bisherigen Wahlkreiseinteilung ebenfalls zum zentralen Kritikpunkt. Der Magistrat verglich die Berliner Verhältnisse mit denen der 278 Es soll an dieser Stelle nicht versäumt werden, auf die zahlreicheren Petitionen der Frauenorganisationen hinzuweisen, die allesamt die Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen und die Übertragung des aktiven und passiven Wahlrechts auf die Frauen forderten. Im einzelnen waren vom Preußischen Landesverein, vom deutschen Verband, vom Provinzialverein Hannover und vom Brandenburgischen Landesverein für Frauenstimmrecht sowie vom Demokratischen Verband für Westdeutschland in Köln und vom Frankfurter Verein für Frauenstimmrecht Petitionen im Landtag eingegangen. AlPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 4, S. 2345 f. 279 Vgl. KomBer Bell, 7. März 1910. AlPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 4, DS Nr. 157A, S. 2424 f. 280 A. a. 0., S. 2425 f.

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östlichen Provinzen. Während in Berlin nach den Volkszählungsergebnissen von 1905 durchschnittlich 170000 Einwohner auf einen Abgeordneten kamen, waren es in Ostpreußen 63400, in Pommern 64800, in Posen 68500 und selbst im gesamten Staatsgebiet nur 84200 Einwohner. 282 Der Vertretung der Stadt Berlin durch zwölf Abgeordnete standen 32 Abgeordnete Ostpreußens, 26 Pommerns und 29 der Provinz Posen gegenüber. Die gegenwärtige Vertretung der Metropole im Landesparlament befand sich im krassen Widerspruch zur wirtschaftlichen Bedeutung der Gemeinde und ihrer Steuerleistung. Nach der amtlichen Statistik betrug die Gesamtsteuerleistung der Urwähler einschließlich der fingierten Steuer von drei Mark bei den letzten Abgeordnetenwahlen 599,5 Millionen Mark, VOn denen nicht weniger als 63,9 Millionen Mark, das entsprach einen Anteil von 11,6 Prozent, auf den Stadtkreis Berlin entfielen. Von den 175,6 Millionen Mark, die seitens der preußischen Urwähler zur Staatseinkommensteuer geleistet wurden, brachte die Berliner Wählerschaft sogar 13,8 Prozent auf, mithin 24,2 Millionen Mark. Eine der Leistungsfähigkeit der Stadt entsprechende Vertretung im Landtag war nach Ansicht des Magistrats um so mehr gerechtfertigt, als im Landtag vielfach über gesetzliche Maßnahmen entschieden wurden, "die für die finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse Berlins von größter Bedeutung,,283 waren. Die Zahl der Abgeordneten Berlins mußte auch bei einer konsequenten Berücksichtigung der höheren Bildung und Beamtenstellung vermehrt werden, denn in der Stadt lebten Bevölkerungsschichten mit entsprechender Qualifikation in besonders zahlreichem Ausmaß. Der Magistrat wollte mit diesem Hinweis freilich nur auf die Fragwürdigkeit des Regierungsentwurfs hinweisen. Die Zuweisung bestimmter Berufsschichten nach den Kriterien der höheren Bildung sowie der Tätigkeit im Militär- oder Zivildienst in höhere Wählerabteilungen lehnte man, vor allem auf Grund der Bedeutung der großen Masse der werktätigen Bevölkerung in den Industrie- und Handelsstädten, nicht nur als allgemeine Förderung der Ungleichheit, sondern auch als eine den Absichten der Maximierung entgegenwirkende Regelung ab. Die Abschwächung der durch das Klassenwahlsystem und die Drittelung in den Stimmbezirken hervorgerufenen Ungleichheiten wurde praktisch durch eine 281 Petition des Magistrats der Stadt Berlin zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung der Vorschriften über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten, 11. März 1910. VStBln 1910, DS Nr. 237, S. 185 f. 282 Vgl. Tab. 39 im Stat. Anhang. Nach den Volkszählungsergebnissen von 1910 kamen in Preußen im Durchschnitt 90600 Einwohner auf ein Mandat, in Berlin hatte sich diese Quote auf 172600 erhöht. In Ostpreußen, Pommern und Posen lag die Bevölkerungsquote pro Mandat bei 64500, 66000 und 72400. In Brandenburg entfielen 107500 Einwohner auf einen Abgeordneten, in der Rheinprovinz 11 0600 und in Westphalen 121300. Vgl. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 89. 283 Magistratspetition Berlin, 11. März 1910. VStBln 1910, DS Nr. 237, S. 185.

66 Grzywatz

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neue Ungleichheit relativiert, welche den Umfang des politischen Rechts von der Bildungs- und Berufsqualifikation abhängig machte. Innenminister von Moltke erörterte die Frage der Wahlbezirke allein unter wahltechnischen Gesichtspunkten. Die Bezirkseinteilung sollte, wie sein Vorgänger Bethmann Hollweg bereits 1906 ausgeführt hatte, vornehmlich "die ordnungsmäßige Durchführung der Wahl" gewährleisten, insbesondere dort, wo sie nicht gesichert war. 284 Eine völlige Umgestaltung der bestehenden Wahlbezirkseinteilung, bei der die politische Vertretung einiger Landesteile zu Ungunsten anderer verstärkt wurde, kam für die Staatsregierung auch jetzt nicht in Frage. Von Moltke sah sich hierbei im Einklang mit der Preußischen Verfassung, deren Artikel 69 seiner Ansicht nach "die Bildung fester und, wenn einmal eingerichtet, im allgemeinen unveränderlicher Landtagswahlbezirke als räumlichen Unterbau des Wahlsystems,,285 forderte. Eine Auffassung, die in dieser Absolutheit nicht haltbar war und durch die überlieferte Gesetzgebung widerlegt wurde. 286 Dem Minister des Innern war nur insoweit zuzustimmen, als die Wahlbezirke zu den wesentlichen Grundlagen der Parlamentsbildung gehörten und die Ordnung der Verfassungsverhältnisse gesicherter Grundlagen bedurfte, jenseits temporärer, willkürlicher Veränderung?87 Das galt auch für die Wahlbezirkseinteilung. Die Verfassung machte die Festlegung der Wahlbezirke von einer gesetzlichen Regelung abhängig und eröffnete damit dem Gesetzgeber grundsätzlich die Möglichkeit initiatorischen Handeins, gleichwohl hatte die Staatsregierung von einer Feststellung der Wahlbezirke nach der Bevölkerungszahl abgeraten und die Übernahme einer solchen Vorschrift in die revidierte Verfassungsurkunde mit Erfolg verhindert. Das Wahlbezirksgesetz von 1860 legte die leitenden Grundsätze für die Bildung der einzelnen Wahlbezirke fest. Mehrere Kreise waren zum Wahlbezirk zu vereinigen und für die größeren Städte mit über 50000 Einwohnern selbständige Wahlbezirke zu bilden. In der Regel waren die Bezirke, wie oben erläutert wurde, in der Weise festzustellen, daß in jedem Wahlkreis nach Maßgabe seiner Einwohnerzahl mehrere Abgeordnete gewählt werden mußten. Praktisch war, trotz der prinzipiellen Vorbehalte der Staatsregierung, das System einer möglichst bevölkerungsadäquaten Verteilung der Abgeordneten zu Beginn der sechziger Jahre noch eingehalten worden. 284 Rede von Molke. PAH, 10. Februar 1910. StBPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 2, Sp. 1424. 285 Ebd. 286 Vgl. Rönne, Staatsrecht, Bd. 1,1, S. 218 f. u. 221 ff.; vgl. auch die von Philipp Zorn neubearb. 5. Aufl. des Rönneschen Staatsrechts, Bd. I, Leipzig 1892, S. 292 ff. 287 Vgl. Motive, GesEntw, Feststellung der Wahlbezirke. AIPAH, 5. LP, 2. Sess. 1859/60, Bd. 4, AS Nr. 66, S. 458. Rönne, Staatsrecht, Bd. 1,1. S. 224.

2. Der Widerstand gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910

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Ministerpräsident von Bethmann Hollweg bemerkte während der ersten Beratung des Gesetzentwurfs, daß der Schwerpunkt der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Landes in der Tätigkeit der engeren und weiteren Kommunalverbände liege. Die Tendenz der preußischen Gesetzgebung der letzten vierzig Jahre wäre es gewesen, einen immer größeren Kreis von Aufgaben, die bis dahin zentralistisch vom Staat erfüllt wurden, auf die Kommunalverbände zu übertragen. Dieser Weg war nicht zugunsten staatlicher Entlastung eingeschlagen worden, sondern entsprach dem Bedürfnis eines "fortgeschrittenen Staatswesen", "die Entwicklung des Landes intensiv zu fördern und dabei gleichzeitig die Bevölkerung zu einer Mitarbeit an ihren Geschicken heranzuziehen".288 Wenn dem Ausbau der Selbstverwaltung und der kommunalen Übernahme staatlicher Aufgaben keine angemessene Vertretung der Städte im Parlament gegenüber stand, so hatte dieses Mißverhältnis für Bethmann Hollweg keine vorrangige Bedeutung, denn der materielle Ausbau der Selbstverwaltung sicherte der Bevölkerung eine Form der Partizipation, die "durch kein Parlament und kein parlamentarisches Wahlrecht gewährleistet,,289 werden konnte. Der Reichskanzler zeichnete das überkommene Bild eines Administrationsideals, das auf den Säulen der Eigenständigkeit und Überparteilichkeit ruhte und von einem patriarchalischen Verwaltungsverständnis ausging. Die materielle, problem- und interessengebundene Orientierung an konkreten Bevölkerungsbedürfnissen sollte einerseits die Gewähr für eine positive Entpolitisierung der Bürokratie, andererseits für eine hinreichende Einbindung des Bürgers in den Staat bieten. Die Rechtfertigung mißachtete nur, worauf auch gemäßigte Reformer des Dreiklassenwahlrechts hinwiesen, daß jede Verfassung die innere Teilnahme der großen Mehrheit der Bevölkerung voraussetzte und die Regierung auf Dauer nicht die Zustimmung der Regierten entbehren konnte. 29o Wie das Dreiklassenwahlrecht vier Fünftel der Wähler in der dritten Abteilung zu einer quantite negligeable erklärte, machte es die preußischen Großstädte und deren Bevölkerung durch die Wahlbezirkseinteilung zu politisch niederrangigen Wahlkörpern. Wenn Bethmann Hollweg die Selbstverwaltung als Partizipationsäquivalent charakterisierte, ideologisierte er die verfassungs- und verwaltungsrechtliche Stellung der Gemeinden im Staat. Gleichzeitig schien in der politischen Instrumentalisierung der Kommunen ein Teil ihres antidemokratischen Effekts im konstitutionellen Preußen durch. Gewiß war die Bemer288 Rede von Bethmann Hollweg. PAH, 10. Februar 1910. StBPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 2, Sp. 1409 f. 289 A.a.O., Sp. 1410. 290 Vgl. Schmoller, Die preußische Wahlrechtsreform von 1910 auf dem Hintergrunde des Kampfes zwischen Königtum und Feudalität, in: JGVV, 34. Jg. (1910), H. 3, S. 360 f.

66"

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kung Bethmann Hollwegs von taktischen Erwägungen beeinflußt, aber hatten die Städte nicht ständig in Abgrenzung gegen den Staat den freiheitlichen Charakter der Selbstverwaltung betont und gleichzeitig nach innen die Ungleichheit der politischen Teilhabe in der als wirtschaftliche Korporation verstandenen Gemeinde verteidigt? Der Ministerpräsident nutzte in einer politischen Konfliktsituation augenscheinlich nur ein vom städtischen Bürgertum tradiertes Leitbild. Während der Plenarberatung wurde zunächst von nationalliberaler Seite die Forderung nach einer Revision der Wahlkreiseinteilung erhoben und auf den Zusammenhang zwischen der Wahlbezirkseinteilung und der Teilnahme an der politischen Macht hingewiesen. Der in Charlottenburg ansässige nationalliberale Staatswissenschaftler Robert Friedberg, der den ersten Düsseldorfer Wahlkreis vertrat, machte auf die Benachteiligung der westdeutschen Städte aufmerksam, nicht nur im Hinblick auf die Wahlkreise in teilung, sondern auch durch die vorgesehene Maximierung der Steuerleistung auf 5000 Mark. Die antiplutokratische Wirkung der Maximierungsregelung gab Friedberg durchaus zu. Sie kam auf Grund der unterschiedlichen Steuerverhältnisse jedoch überwiegend den ländlichen Wahlkreisen und ihren Vertretern zugute. Die Nationalliberalen forderten die Festsetzung von Mindestwählerzahlen für die ersten beiden Wählerklassen und eine Heraufsetzung des fingierten Steuersatzes für nichtsteuerzahlende Wähler von drei auf fünf Mark?91 In der Frage der längst überfälligen Neuordnung der Wahlbezirke zeigten sich die Nationalliberalen kompromißbereit. Sie beharrten nicht auf dem Prinzip der Bevölkerungszahl, sondern wollten die Berücksichtigung der geschichtlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Landesteile und Bezirke bei der Revision akzeptieren. 292 Die Sozialdemokraten prangerten die Entrechtung der Städte und Industriegebiete durch die bestehende Wahlkreiseinteilung schärfer an. Sie sahen in der Beibehaltung der bestehenden räumlichen Ordnung lediglich ein Mittel zur Aufrechterhaltung der konservativen Machtposition in den östlichen Landesteilen. Die Nationalliberalen kritisierten die Beibehaltung der indirekten Wahl, des Maximierungsprinzips und der Drittelung nach Urwahlbezirken als Versuch, das Übergewicht der Konservativen auf dem platten Lande und im Osten sowie des Zentrums in den westlichen Landesteilen abzusichern. 293 Freisinnige und Sozialdemokraten wiederholten ihre 291 Rede Friedberg. PAH, 11. März 1910. StBBAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 3, Sp. 3080 ff. 292 Rede Eugen Schiffer. PAH, 10. Februar 1910. A.a.O., Bd. 2, Sp. 1464. 293 Vgl. die Rede des Berliner Abgeordneten Heinrich Ströbel und die Rede Friedbergs. PAH, 11. März 1910. A.a.O., Bd. 3, Sp. 3116 f. u. 3082.

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Forderung nach der Vorlage eines Gesetzentwurfs, der die Einrichtung der Wahlbezirke nach dem Bevölkerungsprinzip vorschrieb?94 Einen Kompromißvorschlag legten schließlich die Nationalliberalen vor. Sie wollten die Exekutive lediglich auffordern, "durch Gesetz eine Vermehrung der Abgeordneten insoweit herbeizuführen, wie dies nach Maßgabe der veränderten wirtschaftlichen und Bevölkerungsverhältnisse angemessen" erschien. 295 Sie hielten eine "mechanische" Einteilung der Wahlkreise nach der Bevölkerung für unangebracht, weil dadurch der Einfluß des platten Landes in einer Weise beschränkt wurde, die "nicht im Verhältnis ... zu seiner Bedeutung zum Staatswohl" stand. 296 Für die Fortschrittliche Volkspartei sprach der Kieler Stadtverordnete Ferdinand Hoff aus, daß es gar nicht um Schematisierung ginge, sondern schon der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung verlangen würde, "im allgemeinen" der Wahlkreiseinteilung die Bevölkerungszahl zugrunde zu legen. 297 Wenn sich die Konservativen auf die Neueinteilung von 1906 beriefen und diese mit ihrer Ansicht von der Notwendigkeit einer für längere Zeitperioden angesetzten Ordnung verbanden, übersahen sie, so Hoff, daß es sich bei der Reform des Wahlbezirksgesetzes nur um eine notdürftige Revision handelte. Es wurde nur die Teilung der allergrößten Wahlkreise veranlaßt, ohne daß man die Ungerechtigkeit der politischen Bevorzugung der östlichen Bevölkerungsminorität aufhob. 298 Ohne auf diese Einwände einzugehen, lehnte die konservative Mehrheit des Abgeordnetenhauses die Anträge zur Revision der Wahlbezirke ab. Selbst die den Konservativen entgegenkommende Resolution der Nationalliberalen fand keine Zustimmung. Der grundlegende Irrtum des preußischen Konservativismus bestand in der Auffassung, die "Interessen staatserhaltender Politik" weiterhin nur im Wege der Ausgrenzung durchsetzen zu können. Man sah sich gleichsam in einer Festung, deren Übergabe im Falle von Zugeständnissen, sei es nun im Hinblick auf eine Lockerung der individuellen Wahlrechtsungleichheit oder einer Aufhebung der Benachteiligung der Stadtgemeinden und Industrielandschaften, von den eigenen Kräften vorbereitet wurde. Am Ende stand dann den staatstragenden Kräften Preußens, so die Befürchtung der Konservativen, mit der Zulassung des gleichen Wahlrechts "ein Wechsel auf die Herrschaft des Proletariats" bevor. 299 294 Antrag, Borgman, Hirsch, Robert Leinert, Kar! Liebknecht und Sträbel, 9. März 1910. ALPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 4, DS Nr. 164, S. 2939. 295 Ziff. 9, Antrag Hobrecht, 11. März 1910. A.a.O., DS Nr. 173, S. 2945. 296 Rede Schiffer. PAH, 16. März 1910. StBPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 3, Sp.3408. 297 Rede Hoff. PAH, 16. März 1910. A.a.O., Sp. 3410 f. 298 A.a.O., Sp. 3412.

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Die Einschätzung widersprach sämtlichen Erfahrungen mit der parlamentarischen Arbeit der Sozialdemokratie bzw., um beim Beispiel der Stadtgemeinden zu bleiben, der konkreten sozialdemokratischen Tätigkeit in den Gemeindekörperschaften. Die Konservativen übersahen schlechthin, unterstrich Breslaus Oberbürgermeister Georg Bender, die Präsenz der Sozialdemokraten in den städtischen Verwaltungen. Hier war man zum kollegialen Zusammentreffen gezwungen. Die agrarischen Kreise konnten dem Städtebürgertum nicht helfen, indem sie die Sozialdemokratie einfach nicht wahrnahmen. 300 Ähnlich den differenzierteren Einschätzungen auf national- und linksliberaler Seite wiesen die Sozialdemokraten auf die Notwendigkeit der Partizipation als Grundlage eines gesellschaftspolitischen Konsenses hin. Nur auf dem Wege politischer Gleichberechtigung war die Integration der breiten Arbeiterschichten zu erreichen, andernfalls drohte die Revolution?OI Die Bereitschaft zum Arrangement, zur Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Parteien war vermutlich in der sozialdemokratischen Landtagsfraktion Preußens nicht minder ausgebildet, als sie sich beispielsweise im Juli 1910 bei der Budgetbewilligung der badischen Landtagsfraktion offenbart hatte. 302 Im Herrenhaus beharrte von Moltke unterdessen auf der Zielsetzung der Staatsregierung, "das Bestehende gegenüber dem Ansturm auf seine bewährten Grundlagen für die Zukunft zu befestigen, indem man seine Schwächen offen anerkennt und sie zu beseitigen sich bemüht,,?03 Es handelte sich dabei nicht um etwaige "logische Fehler" des Wahl systems, wie der Minister des Innern verdeutlichte, sondern ausschließlich um die veränderten Verhältnisse des wirtschaftlichen und öffentlichen Lebens, die nicht mehr "der ursprünglichen Voraussetzung" entsprachen. Vor allem die geringe Wahlbeteiligung von durchschnittlich dreißig Prozent sowie die das soziale Gleichgewicht störende Einwirkung der höchsten und stark privilegierten Steuerleistungen hatten sich zusehends als Erscheinungen erwiesen, die "zu Angriffen auf das ganze System und auf seine Grundlagen selbst Anlaß gaben,,?04 Das gouvernementale Interesse an der Erhaltung des politischen Status quo engte nach freisinniger Meinung die poltische Sicht ein. Der Berliner Oberbürgermeister machte deutlich, daß die grundlegende Wahlreform schon längst nicht mehr allein eine Forderung der Sozialdemo299 Vgl. die Reden des Freiherm von Zedlitz-Neukrich. PAH, 11. März u. 12. April 1910. A.a.O., Bd. 2, Sp. 3091 f.; Bd. 3, Sp. 3740. 300 Rede Bender. PHH, 29. April 1910. StBPHH, Sess. 1910, S. 137. 301 Vgl. die Rede des späteren Hannoverschen Oberbürgermeisters Robert Leinert. PAH, 12. April 1910. StBPAH, 21. LP, 3. Sess. 1910, Bd. 3, Sp. 3756. 302 Vgl. dazu Groh, Negative Integration, S. 161 ff. 303 Rede von Moltke. PHH, 15. April 1910. StBPHH, Sess. 1910, S. 75. 304 Ebd.

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kratie war. Das Verlangen nach einer zeitgemäßen Umgestaltung des Wahlrechts bestand "in den allerweitesten Schichten der Bürgerschaft und des Volkes" und wurde "auf das allerlebhafteste" geltend gemacht. Darüber durfte die dominante Präsenz der Sozialdemokratie und der Arbeiterschaft in der Wahlrechtsbewegung nicht hinwegtäuschen. 305 Nach dem "Flickwerk" von 1906 lehnte Kirschner den neuen, allenfalls zaghaften Reformversuch der Staatsregierung ab. Mit der weiteren Verstümmelung des Gesetzentwurfs durch die parlamentarische Beratung wollte er sich schon gar nicht abfinden. In der bestehenden Form konnte das Wahlgesetz nur den "Ausgangspunkt neuer Kämpfe" darstellen. "Wir müssen auf bessere Zeiten warten", erklärte der Berliner Magistratsdirigent dem Herrenhaus, "und ... die Zeiten werden kommen, sie kommen unaufhaltsam, und Sie selbst arbeiten mit daran, das sie kommen. Mit jedem Kulturfortschritt, mit jeder neu errichteten Schule, mit jeder Bibliothek, mit jedem technischen Fortschritt, der die mechanische Kraft mehr ausgestaltet, wächst der Kreis der intelligenten Menschen, die eine größere Anteilnahme am öffentlichen politischen Leben als bisher wünschen und die sich nicht auf die Länge der Zeit damit abfinden lassen, daß sie, wenn es sich darum handelt, die Volksvertretung zu wählen, eine Stimme in die Waagschale werfen zu können, die einen lächerlich kleinen Bruchteil von dem Werte bildet, nach dem andere Stimmen gewogen werden".306 Die Bewegung ist unaufhaltsam, resümierte Kirschner, und dabei dürfte dem Stadtoberhaupt in Kenntnis der politischen Bedürfnisse der hauptstädtischen Region auch die Unabdingbarkeit einer gerechteren politischen Stellung der Städte im Staat vor Augen geschwebt haben. Die Frage der Wahlkreiseinteilung mußte, wie Kölns Oberbürgermeister Max Wallraf betonte, als "das größte Reformbedürfnis des ganzen Wahlrechts,,307 betrachtet werden. Wallraf stellte im Herrenhaus einen Antrag auf Änderung der Wahlbezirke, der während der Beratungen durch die Mehrzahl der Oberbürgermeister unterstützt wurde. 308 Der bereits bei den Kommissionsberatungen vorliegende Antrag wurde durch eine zweite Resolution von freisinniger Seite ergänzt. Die Linksliberalen schwächten darin ihre Vorlage zur Neueinteilung der Wahlbezirke insoweit ab, als sie nicht mehr dezidiert auf den Volkszählungsergebnissen als dem entscheidenden Verteilungsprinzip beharrten. Sie wollten sich damit zufrieden geben, die geforderte Revision lediglich "nach Maßgabe der veränderten wirtschaftlichen und Bevölkerungsverhältnisse" herbeizuführen. 309 Oberbürgermeister 305 306 307 308

Rede Kirschner. PHH, 28. April 1910. StBPHH, Sess. 1910, S. 96.

Ebd.

Rede Wallraf. PHH, 28. April 1910. A.a.O., S. 97. AIPHH, Sess. 1910, AS Nr. 71, S. 224.

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Kirschner verwies zur Bekräftigung des kommunalen Begehrens auf die Vorbereitung eines Antrags an den Deutschen Städtetag, für das ganze Reich parallel zu den Bevölkerungsverschiebungen eine neue Wahlkreiseinteilung vorzunehmen. 31 0 Von Moltke lehnte die Resolution sowohl aus unmittelbaren wie allgemeinen politischen Gründen ab. Da das preußische Wahlrecht durch das im Abgeordnetenhaus beschlossene demokratische, ja "demoralisierende" Prinzip der geheimen Wahl schon "einen bedeutenden Ruck nach links" erhielt, durfte dem nicht ein zweiter durch die Annahme der Resolutionen hinzugefügt werden. "Generelle Anträge" lehnte die Staatsregierung ab, obwohl sie sich begründeten Anträgen grundsätzlich nicht verschließen wollte. Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, die Regierung ginge zu langsam vor. Dazu bestand kein Anlaß, wiederholte der Minister des Innem, denn mit der Verabschiedung der Wahlrechts novelle von 1906 war "für absehbare Zeit allen berechtigten Wünschen Rechnung getragen".311 Moltke hielt den von den Städten und industriellen Regionen gewünschten gesetzgeberischen Weg in allgemeiner Hinsicht nicht für gangbar. Die wirtschaftlich zurückgebliebenen Landesteile hatten einen Teil ihrer Bevölkerung an den Westen abgegeben und waren dadurch schon schwer geschädigt worden. Nach dem Grundgedanken der städtischen Forderungen hätten sie nicht mehr über ihre ursprüngliche Vertretung im Abgeordnetenhaus verfügt. Die Situation dieser Gebiete machte die überproportionale Vertretung sehr viel notwendiger als sie für die im Aufstieg begriffenen Landesteile erforderlich war? 12 Die ministerielle Auffassung blieb selbst von konservativer Seite nicht unwidersprochen. Der Berliner Staatswissenschaftler und Mitbegründer des Vereins für Socialpolitik Adolf Wagner, ein erklärter Gegner des allgemeinen und geheimen Wahlrechts in Preußen und den Konservativen nahestehend, sah die Dominanz der agrarischen Gebiete gegenüber den Industriebezirken weder im Einklang mit einer "richtigen Staatspolitik" noch mit dem überkommenen Wahlrecht. Die Ergebnisse der Industrialisierung und Urbanisierung verlangten schon aus dem Grund nach einer stärkeren Berücksichtigung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Städte im Abgeordnetenhaus, weil der Schwerpunkt der konservativen und agrarischen Interessen im Herrenhaus lag. Konkret war an die Wahlkreiseintei309 KomBer Graf von Behr-Behrenhoff, 25. April 1910. AlPHH, Sess. 1910, AS Nr. 67, S. 172. Zum Wallrafschen Antrag vgl. auch StBPHH, Sess. 1910, S. 139. 310 KomBer Graf Behr-Behrenhoff, 25. April 1910. AlPHH, Sess. 1910, AS Nr. 67, S. 173. 311 Ebd. 312 Ebd. Vgl. auch die Bemerkungen des Ministers des Königlichen Hauses Wilhelm von Wedel-Piesdorf zum Antrag Wallrafs. StPHH, Sess. 1910, S. 108.

2. Der Widerstand gegen die Wahlrechtsnovelle von 1910

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lung die Forderung zu stellen, dem Westen und der Mitte Preußens gegenüber dem Osten, das hieß den Städten und Industriebezirken gegenüber den Gegenden mit überwiegend agrarischen Interessen, eine stärkere Vertretung zu geben. 313 Die Kriterien für eine revidierte Wahlkreiseinteilung mußten, so Wagner, in einer sinnvollen Kombination aus Steuerkraft, Bevölkerungsgröße, räumlicher Ausdehnung und Erwerbsstruktur gesucht werden. 314 Die Kommissionsmehrheit schloß sich erwartungsgemäß nicht der Argumentation Wagners, sondern der Auffassung der Staatsregierung an. Die weiterreichende Resolution des Freisinns wurde gegen die Stimmen der Oberbürgermeister und vermutlich der beiden delegierten nationalliberalen Hochschullehrer31 5 abgewiesen. Die mit 10:8 Stimmen knapp ausgefallene Entscheidung gegen den Antrag Wallrafs ließ immerhin erkennen, daß die Dringlichkeit einer Überprüfung des politischen Kräfteverhältnisses, zumindest im Hinblick auf die Vermehrung der Abgeordnetenmandate unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und demographischen Verhältnisse, von Teilen der Konservativen im Herrenhaus anerkannt wurde. Mochte Moltkes Hinweis auf das Problem einer adäquaten parlamentarischen Vertretung der wirtschaftlich schwächeren Landesteile staatspolitisch erwägenswert sein, er konnte die Tatsache, daß, wie Edgar Loening ausführte, die eine Hälfte der Wahlberechtigten in Preußen 303 Abgeordnete, die andere nur 140 Mitglieder des Parlaments wählte, nicht rechtfertigen?16 Alle Hinweise auf die Erbitterung der Städte, auf die Unzufriedenheit im Bürgertum fruchteten nicht. Die Furcht vor einer "Überflutung durch die Gesellschaft", wie Graf Yorck von Wartenburg in Anlehnung an eine Gneistsche Paraphrase bemerkte, das Bemühen, den "Machtcharakter" des Preußischen Staates zu erhalten, hielt die konservative Mehrheit des Herrenhauses davon ab, sich der Demokratisierung des Wahlrechts zu nä313 Rede Wagner. PHH, 29. April 1910. Aa.O., S. 134.

Aa.O., S. 135. Als Vertreter der Städte saßen in der Kommission neben Martin Kirschner der Essener Oberbürgermeister Wilhelm Holle und Kölns Stadtoberhaupt Max Wallraf. Die beiden nicht mitstimmenden nationalliberalen Vertreter waren der Breslauer Philosophieprofessor Alfred Hillebrandt und der Hallenser Rechtswissenschaftler Edgar Loening. A. a. 0., S. 178. 316 Vgl. Rede Loening. PHH, 15. April 1910. Aa.O., S. 78. Loening plädierte dabei keineswegs für die Einführung des gleichen und direkten Wahlrechts in Preußen. Er begründete seine Position, ähnlich wie dies bei den Stellungnahmen der Berliner und Charlottenburger Liberalen zur Beibehaltung des ungleichen Kommunalwahlrechts beobachtet wurde, mit den unterschiedlichen Steuerverhältnissen im Reich und in Preußen. Hier die überwiegend von den Wohlhabenden getragenen direkten Staatssteuern, die ein abgestuftes Wahlrecht begründeten, dort die der großen Masse auferlegten indirekten Steuern und Zölle sowie die allgemeine Wehrpflicht, die das gleiche Wahlrecht zur unabänderlichen Säule des Reichsverfassungsrechts machten. Vgl. a. a. 0., S. 76 f. u. 116. 314 315

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

hern. 317 Oberbürgermeister Bender sprach von einem "Exzeß agrarisch-konservativer Gesetzgebung", der die Städte provozierte und unausbleiblich einen bitteren Kampf zur Folge haben würde. 318 Der ehemalige Oberpräsidialrat Leopold von Buch-Cannzow, Hauptritterschaftsdirektor der Kurund Neumark, konterte mit dem Hinweis auf das Heranwachsen der Sozialdemokratie in den großen Städten. Gegen den wachsenden Einfluß dieser verfassungsfeindlichen Partei in den Kommunen, dozierte der führende Konservative, mußte der Einfluß des Landes mit seiner weitgehend "königstreuen Gesinnung" erhalten bleiben?19 Für Bender betrieb der Konservativismus die Sache des politischen Gegners, denn die Verweigerung der Gleichberechtigung mußte langfristig den städtischen Mittelstand in die Arme der Sozialdemokratie treiben. 32o Der von Oberbürgermeister Kirschner angekündigte Antrag des Deutschen Städtetages wurde im September 1911 verabschiedet. Unmittelbarer Anlaß war die nachhaltende Wirkung der Reichstagswahl von 1907, die erneut mit Deutlichkeit die Benachteiligung der städtischen Bevölkerung durch die Wahlkreiseinteilung gezeigt hatte. Der dritte Deutsche Städtetag forderte in Posen eine dem Bevölkerungswachstum angepaßte Abänderung der Wahlkreiseinteilung. Was für das Reichsgebiet als notwendig erachtet wurde, galt aber für den preußischen Staat allema1. 321 Unter den Städtevertretern herrschte ansonsten keineswegs Einigkeit über die Wahlrechtsnovelle. Von den anwesenden 36 Oberbürgermeistern stimmten nicht weniger als 23 für die von der Pairskammer abgeänderte Gesetzesvorlage. Damit stimmte man zwar der Verbindung der indirekten mit der im Urwahl verfahren vorzunehmenden geheimen Wahl zu, stärkte indessen durch die Abänderung des Drittelungsmodus, vor allem die Unterteilung der einwohnerstärkeren Stadtgemeinden in größere Drittelungsbezirke, unversehens wieder den plutokratischen Charakter des Wahlsystems. 322 Zu den befürwortenden Stadtoberhäuptern gehörten auch großstädtische Magistratsdirigenten, etwa Friedrich Ackermann für Stettin, Max Wallraf für Köln, Fritz Graff für Bochum, Wilhelm Holle für Essen, Wilhelm Marx für Düsseldorf, Adalbert Oehler für Krefeld, Hermann Schmidt für Erfurt, Philipp Veltmann für Aachen und Ernst Wilms für Posen. Dagegen lehnten neben Bender, Vgl. Rede GrafYorck von Wartenburg. PHH, 28. April 1910. Aa.O., S. 110. Rede Bender. PHH, 29. Apri1191O. Aa.O., S. 133. 319 Rede von Buch-Carrnzow. PHH, 29. Apri1191O. Aa.O., S. 136. 320 A a. 0., S. 137. 321 Vgl. Otto Ziebell, Geschichte des Deutschen Städtetages. Fü,nfzig Jahre deutsche Kommunalpolitik, Stuttgart-Köln 1955, S. 262. 322 Vgl. dazu den Antrag und die Begründung des Freiherrn Clemens von Schorlomer zur Abänderung des § 6 der Gesetzesvorlage. StBPHH, Sess. 1910, S. 114 f.; AIPHH, Sess. 1910, AS Nr. 72, S. 224 f. Vgl. dazu auch oben. 317 318

3. Das verweigerte kommunale Petitionsrecht

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Kirschner und dem Charlottenburger Stadtoberhaupt Kurt Schustehrus die Oberbürgermeister Karl Contag (Nordhausen), Wilhelm Funck (Elberfeld), Konrad Gesterding (Greifswald), Maximilianus Jungeblodt (Münster), Siegfried Körte (Königsberg), Ottomar Oertel (Liegnitz), Georg Richter (Frankfurt/Oder), Richard Rive (Halle/Saale), Bernhard Schnackenburg (Altona) und Adolf Trenckmann (Mühlhausen) das Gesetz ab. Bei der zweiten Abstimmung über den Gesetzentwurf stimmten von den anwesenden 28 Oberbürgermeistern, 19 für und 9 gegen die nochmals im Abgeordnetenhaus abgeänderte Vorlage. Zu den Befürwortern der Novelle waren der Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes, aus Kiel Paul Fuß sowie die Oberbürgermeister Karl Lehr (Duisburg), Wilhelm Schmieding (Dortmund), Heinrich Tramm (Hannover) und Georg Voigt (Barmen), bei den Gegnern nur das Görlitzer Stadtoberhaupt Georg Snay hinzugetreten. 323

3. Das verweigerte kommunale Petitionsrecht städtische Wahlrechtsinitiativen und die Schranke der Gemeindeangelegenheiten Nicht genug, daß den Städten und den liberalen Bürgermeistern mit der mehrheitlichen Zustimmung zur Wahlrechtsreform sowie der Ablehnung der Wahlbezirksreorganisation eine schmerzliche, wenn auch erwartete Niederlage im Herrenhaus bereitet wurde, sie mußten es darüber hinaus hinnehmen, daß man den Kommunen das Petitionsrecht in der Wahlrechtsfrage überhaupt versagte. Während der Kommissionsberatung des Herrenhauses war man mehrheitlich dem Antrag des Berichterstatters Graf von BehrBehrenhoff gefolgt, den Petitionen der Stadtverordneten-Versammlungen von Barmen, Charlottenburg, Elberfeld, Königsberg und Schöneberg, die, mit Ausnahme Elberfelds, sowohl die Einführung des Reichstagswahlrechts als auch eine neue Wahlkreiseinteilung befürworteten, die Eignung zur Erörterung im Plenum des Herrenhauses abzusprechen. 324 Zur Begründung wurde auf die Regelungen der Städteordnung verwiesen, nach denen die städtischen Organe nur über Gemeindeangelegenheiten zu beschließen hätten. Die Kompetenz, über andere Angelegenheiten zu entscheiden, bestand hingegen nur in solchen Fällen, wo eine besondere gesetzliche Grundlage oder ein Auftrag der Aufsichtsbehörden vorlag. 325 Charlottenburgs Oberbürgermeister Schustehrus hob mit Hinweis auf die Rechtsprechung des Oberverwaltungs gerichts hervor, daß man den Städten durch den Kommissionsantrag ein bestehendes Recht nahm. Das Oberverwaltungsgericht hatte StBPHH, Sess. 1910, S. 146 f. KomBer Graf von Behr-Behrenhoff, 25. April 1910. AIPHH, Sess. 1910, AS Nr. 67, S. 178. 325 Vgl. § 35, Tit. IV, StO 1853. GS 1853, S. 274 f. 323

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

schon 1886 eine beanstandete Petition der Stadt Stettin, die sich gegen eine Erhöhung der Getreidezölle wandte, für zulässig erklärt, da mit dieser Maßnahme lokale Interessen auf dem Spiel standen. 326 Schustehrus leitete aus der Erkenntnis ein den Städten zustehendes Petitionsrecht in allen politischen Angelegenheiten ab, soweit sie kommunale Interessen berührten?27 Diese Auffassung wurde von den übrigen Kommunalvertretem geteilt. Oberbürgermeister Körte betonte, daß es schließlich um die Benachteiligung des städtischen Einflusses in der Volksvertretung ginge. 328 Wenn die Städte überhaupt ein Recht auf politische Betätigung hätten, so Georg Bender, dann doch wohl in der Frage der Wahlkreisreform, die zu den wichtigsten Gemeindeangelegenheiten überhaupt gehörte. 329 Trotz ihres hinhaltenden Widerstands wußten die Oberbürgermeister um die Angreifbarkeit ihrer Position. Schon Innenminister von Moltke hatte in der Kommission für das Stettin-Urteil des Oberverwaltungsgerichts eine engere Interpretation in Anspruch genommen, da in diesem Fall die Lebensinteressen des kommunalen Handels in Frage gestanden hatten. 33o Bei genauer Kenntnis der von ihnen angeführten Entscheidung konnten die Oberbürgermeister nicht übersehen, daß die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts die Eingabe einer Stadtverordneten-Versammlung auf Vermehrung der Reichstags- und Landtagsmandate für das Gebiet der betroffenen Stadt und ihres Umlandes als signifikantes Beispiel für das Überschreiten des kommunalen Petitionsrechts einstufte. 331 Eine Petition der Gemeindeorgane in Sachen der staatlichen bzw. der Reichsgesetzgebung und Verwaltung erklärte das Oberverwaltungsgericht immer dann zur Gemeindeangelegenheit, wenn sie in den besonderen Verhältnissen der örtlichen Gemeinschaft ihren Ausgang nahm und im Schutz wie der Förderung dieser Verhältnisse ihr Ziel hatte. 332 Diese Auffassung folgte dem Umstand, "daß nach dem Wesen des Staates und der Gemeinde örtliche und nationale Interessen sich vielfach durchkreuzen oder ohne feste Grenze ineinander übergehen,,?33 Als integrierender Bestandteil des staatlichen Organismus verfolgte die Gemeinde, wie die Verwaltungsgerichtsbar326 Vgl. die Entscheidung des Ersten Senats vom 10. März 1886. PrOVGE, Bd. 13, Berlin 1887, S. 89-111. 327 Rede Schustehrus. PHH, 29. April 1910. StBPHH, Sess. 1910, S. 141. 328 Ebd. 329 A.a.O., S. 142. 330 KomBer Graf von Behr-Behrenhoff, 25. April 1910. AIPHH, Sess. 1910, AS Nr. 67, S. 178. 331 PrOVGE, Bd. 13, S. 109. 332 Ebd. 333 Endurteil des Zweiten Senats vom 28. April 1911. PrOVGE, Bd. 59, Berlin 1912, S. 51.

3. Das verweigerte kommunale Petitionsrecht

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keit bereits in ihren Urteilen zum Polizeibegriff festgestellt hatte 334 , nicht einen einzelnen bestimmten Zweck des Gemeinwohls, sondern die gesamten gemeinsamen Kultur- und Wirtschaftsinteressen des engeren örtlichen Verbandes. Solange es an dieser Beziehung zur örtlichen Gemeinschaft nicht fehlte, war vom Bereich der Wirksamkeit der Gemeinde, den "Gemeindeangelegenheiten" nichts ausgeschlossen, was die Wohlfahrt des Ganzen, die materiellen Interessen und die geistige Entwicklung des Einzelnen zu fördern geeignet war. Unter dieser Voraussetzung durfte nicht einmal das Gebiet der allgemeinen Politik ausgeschlossen werden. Selbst in diesem Bereich bestand die Möglichkeit, daß die Stellungnahme der Gemeinde ihren Ausgang in besonderen Verhältnissen der Gemeinschaft nahm und den Schutz sowie die Förderung dieser Verhältnisse zum Ziel hatte. 335 Das Oberverwaltungsgericht erhob demzufolge Bedenken gegen die frühere Absicht des Staatsministeriums,336 den Gemeindevertretungen im weiteren Umfang die Abfassung von Adressen, die Entsendung von Deputationen und ähnliche Kundgebungen in Angelegenheiten der Staatsverfassung, des Landtages und der allgemeinen Politik zu verwehren. 337 Die Städteordnung hatte für die bürgerlichen Gemeinden keine andere Schranke der Wirksamkeit aufgerichtet als die des Zusammenhangs mit den lokalen Interessen, den besonderen Interessen der gesamten Kommune sowie die der einzelnen Bürger als Gemeindemitgliedern. Nach dem Erlaß Eulenburgs gehörten "Angelegenheiten der Staatsverfassung, des Landtages, der Monarchie und der allgemeinen Politik" weder zum Gebiet der Gemeindeangelegenheiten, über welche die Stadtverordnetenversammlungen nach den Vorschriften der Städteordnungen zu beschließen hatten, noch waren ihnen dieselben durch besondere Gesetze oder Aufträge der Aufsichtsbehörden zur Beratung überwiesen. Eulenburg hatte die Aufsichtsbehörden angewiesen, Beratungen und Beschlußnahmen von Gemeindevertretungen über Gegenstände der oben genannten Staatsangelegenheiten als "gesetzwidrige Bestrebungen mit aller Entschiedenheit und mit den ihre Unterdrückung sicherstellenden durchgreifenden Maßnahmen" entgegenzutreten. Der Innenminister forderte in diesem Zusammenhang eine Vgl. Kap. 6, Unterabschnitt 7. lebens, Stadtverordneten, S. 118. Zum Begriff der Gemeindeangelegenheiten vgl. auch oben Kap. 2, insbesondere Unterabschnitt 8. Siehe auch Stier-Somlo, Städterecht, S. 21 ff.; Hugo Kappelmann, Die Verfassung und Verwaltungsorganisation der preußischen Städte nach der Städteordnung vom 30. Mai 1853, in: Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte, Bd. 1, S. 28 f. 336 Vgl. den Zirkularerlaß des Ministers des Innem an sämtliche Königliche Regierungen, den Geschäftskreis der Stadtverordneten-Versammlungen betreffend, 6. Juni 1863. MBliV, 24. Jg. (1863), S. 118. 337 lebens, Stadtverordneten, S. 119. PrOVGE, Bd. 13, S. 105 f. 334 335

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

entsprechende Anwendung der den Regierungen zustehenden Exekutivmittel gegen die Stadtverordnetenvorsteher und deren Stellvertreter. 338 Darüber hinaus verlangte er, in derartigen Fällen die den Regierungsbehörden zustehende Disziplinargewalt gegen die Magistrate, namentlich gegen die Bürgermeister und deren Stellvertreter, auszuüben?39 Die Schranke des kommunalen Petitionsrechts im Merkmal des lokalen Interesses setzte nach der neuen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts nicht das eigenständige Interesse einer Einzelgemeinde voraus. Sie verlangte jedoch das Vorhandensein von Verhältnissen, die gegenüber der Mehrzahl anderer Gemeinden abweichend waren. Dem städtischen Petitionsrecht war nur der Kreis derjenigen Gegenstände entzogen, welche, wie etwa auf dem Gebiete der Staatsverfassung, ihrer tatsächlichen und rechtlichen Natur nach die Beziehung auf einzelne Gemeinden ausschlossen?40 Eine an den Reichstag gerichtete Petition gegen die Umsturzvorlage war, worauf Yorck von Wartenburg im Herrenhaus aufmerksam machte,341 vom Oberverwaltungsgericht deshalb für unzulässig erachtet worden, weil die Vorlage keine besondere Beziehung auf die einzelne Gemeinde zuließ, somit dem allgemeinen kein besonderes Lokalinteresse gegenüberstand. 342 Selbst dem Beschluß der Berliner Stadtverordneten, daß eine Deputation in ihrem Namen auf den Gräbern der am 18. März 1848 Gefallenen einen Kranz niederlegen sollte, sprach das Gericht den lokalen Charakter ab. 343 338 Siehe den als Anhang zur Regierungsinstruktion vom 23. Oktober 1817 aufgenommenen § 48, Ziff. 2 der Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzial-, Polizei- und Finanzbehörden vom 26. Dezember 1808. GS 1817, S. 288. 339 Die ältere Kommunalrechtsliteratur folgte noch der Auffassung des Innenministeriums. Vgl. Ebert, Städte-Ordnung, S. 55 ff. Möller, Stadtrecht, Breslau 1864, S. 86; Stein/Marcinowski, Städteordnung, S. 67. Oertel, Städte-Ordnung und Verwaltungs-Reform-Gesetze, Bd. 1, S. 111. 340 A.a.O., S. 109. 341 StBPHH, Sess. 1910, S. 141. 342 Wie die Berliner Stadtverordneten hatten auch die Charlottenburger Gemeindevertreter eine Petition gegen den Gesetzenwurf betreffend Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzes und des Gesetzes über die Presse, die sogenannte Umsturzvorlage, verabschiedet, da sie eine Verschärfung der Klassengegensätze sowie die Gefährdung der Freiheit der wissenschaftlichen Forschung, des künstlerischen Schaffens und überhaupt der Geistesarbeit befürchteten. Um "das dadurch in Mitleidenschaft gezogene materielle und ideelle Interesse der Charlottenburger Bürgerschaft zu wahren", hielten sich die städtischen Körperschaften für berechtigt, sich an den Reichstag mit der Bitte auf Ablehnung der Regierungsvorlage zu wenden. Regierungspräsident Graf Hue de Grais sah hierin einen ausdrücklichen Verstoß gegen § 35 der Städteordnung von 1853 und ordnete die Beanstandung des Stadtverordnetenbeschlusses durch Oberbürgermeister Fritsche an, was aber die Absendung der Petition nicht verhindern konnte. Vgl. den Bericht Hue de Grais an Innenminister von Köller, 27. April 1895, sowie den Bericht Fritsches an den Regierungspräsidenten, 2. Mai 1895. GStAPK, Rep. 77, Tit. 2757, Nr. 2, Bd. 4. Vgl. Vossische Zeitung, Ausgabe vom 28. April 1895.

3. Das verweigerte kommunale Petitionsrecht

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Die von konservativer Seite vorgetragene Ansicht, mit dem Hineinziehen allgemeiner politischer Fragen in die städtischen Körperschaften würde der unpolitische Charakter der Stadtverordneten-Versammlungen aufgehoben, die Wahlen zur Gemeindevertretung zu politischen gemacht344 und folglich politische Gegensätze in die Selbstverwaltung hineingetragen werden,345 ließ sich nicht mit der Städteordnung vereinbaren. Die Stadtverordneten gehörten weder zu den Gemeindebeamten noch waren sie Bevollmächtigte. Sie standen in keinem Dienstverhältnis zu den von den Gemeindevertretungen eingesetzten Ausschüssen und Kommissionen und waren nicht an eine besondere Instruktion der Bürgerschaft gebunden. Diese Unabhängigkeit schloß nicht aus, daß es in den Stadtverordneten-Versammlungen zu Gruppen- und Parteibildungen kam, was den Gemeindevertretungen, entgegen dem konservativen Urteil, seit Jahrzehnten eigentümlich war?46 Die Wahlrechtspetition der Königsberger Stadtverordneten beruhte auf einem Beschluß der Gemeindevertretung vom 15. Februar 1910, dem die kommunale Exekutive am folgenden Tag beitrat. Am 17. Februar sandte der Magistrat die Petition an beide Häuser des Landtags. Wegen der Bedeutung der Petition sei an dieser Stelle ihr Wortlaut angeführt: Die städtischen Körperschaften baten den Landtag "in Erwägung, daß die von der Regierung eingebrachte Wahlrechtsvorlage durch die Beibehaltung des Klassensystems, der bisherigen Wahlkreiseinteilung und der Öffentlichkeit der Stimmenabgabe gerade in den großen Städten, insbesondere auch in Königsberg eine Benachteiligung des größten Teils der Bürgerschaft bewirkt, den Einfluß der Stadt Königsberg selbst in der Volksvertretung ungebührlich verkürzt und einem großen Teile der Bürger die Freiheit der Wahlausübung entzieht, eine Änderung der Wahlrechtsvorlage dahin eintreten zu lassen, daß jetzt 1. das Klassensystem beseitigt 2. einem dem jetzigen Stande der Bevölkerung entsprechende Wahlkreiseinteilung und 3. geheime Stimmenabgabe eingeführt wird,,?47 Sechs Tage nach Einsendung beanstandete Oberbürgermeister Körte auf Anweisung des Regierungspräsidenten Robert Graf von Keyserlingk den Beitrittsbeschluß des Magistrats als ge setzeswidrig. Der Beschluß überschritt, so die Auffassung Keyserlingks, die Zuständigkeit des Magistrats wie der Stadtverordneten, da der Eingabe keine Gemeindeangelegenheiten zu Grunde lagen.

343 Oertel, Städte-Ordnung, 6. Aufl., S. 172 f. Vgl. auch Endurteil des Zweiten Senats vom 7. März 1902. PrOVGE, Bd. 41, Berlin 1903, S. 34--40. Jebens, Stadtverordneten, S. 119 f. 344 Rede von Wedel-Piesdorf. PHH, 29. April 1910. StBPHH, Sess. 1910, S. 139. 345 Rede von Buch-Carmzow. PHH, 29. April 1910. A.a.O., S. 142. 346 Oertel, Städte-Ordnung, 6. Aufl., S. 173. 347 PrOVGE, Bd. 59, Berlin 1912, S. 49.

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

Durch die Hinweise auf die Nachteile des bestehenden bzw. des geplanten revidierten Wahlsystems für die Stadt Königsberg glaubte der Magistrat in seiner Klage gegen den Beanstandungsbeschluß hinreichend deutlich gemacht zu haben, daß eine Gemeindeangelegenheit vorlag, da nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts die örtliche Betroffenheit stets aus dem Inhalt der Petition hervorgehen mußte. Mit dieser Auffassung scheiterte der Magistrat sowohl vor dem Bezirksausschuß als auch der Berufungsinstanz. Vor allem die Forderung nach Abschaffung des Klassensystems und der Öffentlichkeit der Wahl betrafen keine Gemeindefragen. Sie nahmen nach Darlegung des Oberverwaltungsgerichts weder ihren Ausgang in den Verhältnissen der örtlichen Gemeinschaft noch hatten sie den Schutz und die Förderung der Kommunalverhältnisse zum Zie1. 348 Der Zweite Senat gab jedoch einen Hinweis, wie man im vorliegenden Fall erfolgreich das Petitionsrecht der Gemeinde in Anspruch genommen hätte: Die beantragte allgemeine Neueinteilung der Wahlkreise war "unzweifelhaft" als Gemeindeangelegenheit anzuerkennen, so daß eine Petition, die sich allein diesem Gegenstand widmete, als zulässig anzusehen war. In den Städten war schon die Enttäuschung über das Scheitern der Wahlrechtsreform groß. Man sprach von "unheilvolle(n) Beschlüsse(n)" des Landtags, die den Volks willen mißachteten. Schließlich mußte man noch erfreut darüber sein, wurde mit Trotz festgestellt, daß die Parlamentsbeschlüsse zu keinem Ergebnis geführt hätten und dadurch die Bewegung zur Reform des preußischen Wahlrechts ungehindert ihren weiteren Lauf nehmen konnte. 349 Die Weigerung des Herrenhauses, das Petitionsrecht der Städte in der Wahlrechtfrage anzuerkennen, nahmen die Kommunen dagegen mit echter Erbitterung auf. Das Herrenhaus hatte die Wahlrechtsreform ausschließlich als Machtfrage behandelt, darüber herrschte in den Kommunalvertretungen Einigkeit. Auf städtischer Seite war man keinesfalls bereit, sich mit der "Voreingenommenheit gegen die modemen Großstädte" und schon gar nicht mit einer Einschränkung des gemeindlichen Petitionsrechts abzufinden. Die Städte wurden in ihrer Haltung bestärkt, nachdem bekannt geworden war, daß das Herrenhaus die Petition einer Landwirtschaftskammer, die das Präsentationsrecht der Grafenverbände sowie der Verbände des alten und befestigten Grundbesitzes in der ersten Kammer auf die Provinz Schleswig-Holstein auszudehnen wünschte, der Staatsregierung als Material überwiesen hatte. Den vom Oberverwaltungsgericht betonten Gegensatz zwischen den kommunalen Belangen, die etwa bei der Wahlkreiseinteilung berührt waren, und jenen Angelegenheiten der Staatsgesetzgebung, die, soA. a. 0., S. 52. Vgl. den Bericht Kurt Rosenfelds zur Berliner Petition. StBBln 1910, S. 162 f. Siehe auch die Rede des Berliner Handelskammersyndikus Meyer. StVVersCh, 14. September 1910. StBCh 1910, S. 349. 348 349

4. Die Stadtgemeinden und die Wahlrechtsfrage im Ersten Weltkrieg

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weit das Wahlsystem als solches zur Verhandlung kam, nicht betroffen waren, war in den Städten nicht nachzuvollziehen. Mit Nachdruck stellten die Kommunalvertretungen fest, sich das durch die Städteordnung und die Verfassung gewährleistete Petitionsrecht nicht nehmen zu lassen. Auch in Zukunft wollte man von diesem grundlegenden Recht Gebrauch machen, wo immer die Gemeindevertretungen es nach ihrem eigenen Urteil für angebracht hielten. 35o

4. Die Stadtgemeinden und die Wahlrechtsfrage im Ersten Weltkrieg Die Bewegung zur Reform des preußischen Wahlrechts dürfte dem Optimismus des Linkslibearlismus zum Trotz im Jahre 1910 ihren Höhepunkt überschritten haben. Die Wahlreform bildete zwar nach wie vor einen zentralen Punkt der politischen Opposition, aber die Bereitschaft zur massenhaften Unterstützung dieser Forderung ebbte ab. Die ökonomische Lage verschlechterte sich zu dieser Zeit, eine gewisse Ernüchterung über die konkreten Wirkungen parlamentarischer Politik, machte sich zunehmend unter der sozialdemokratischen Anhängerschaft bemerkbar, ohne daß der im Jahre 1912 erzielte überragende Reichtagswahlerfolg relativierend wirkte. Die ablehnende Stellungnahme des preußischen Innenministers Friedrich Wilhelm von Loebell auf eine Anfrage des linksliberalen Berliner Abgeordneten Pachnicke, ob die Regierung wenigstens das geheime und direkte Wahlrecht zur Einführung bringen werde,351 zog zwar Mitte Mai 1914 umgehend Aufrufe der preußischen Sozialdemokratie zu Demonstrationsversammlungen nach sich. Die Parteileitung wollte nicht länger auf die Anwendung radikaler Mittel verzichten, da die Weigerung der Staatsregierung die Wahlrechtsbewegung des vorangegangenen Jahrzehnts vollends in Frage zu stellen drohte?52 Der Lernunwilligkeit der Regierung mit dem politischen Massenstreik begegnen, hieß die aktuelle politische Maxime, allein der erhoffte "Wahlrechtssturm" blieb aus. Die Empörung über die vorenthaltene politische Gleichberechtigung hatte der Frustration über die Erfolgslosigkeit der über Jahre andauernden politischen Aktionen Platz gemacht. In Anbetracht der sich verschlechternden Wirtschaftslage und der sich damit abzeichnenden Gefährdung der materiellen Sicherheit traten politische Fragen für weite Teile der Arbeiterbevölkerung in den Hintergrund. 350 Vgl. beispielsweise die Resolution der Charlottenburger Gemeinderepräsentation. Abdruck des genauen Wortlauts in: StBCh 1910, S. 351. Dazu die Mitteilung des Herrenhauses v. 21. Mai 1910, S. 387 und die Rede Hirschs. StVVersCh, 14. September 1910. StBCh 1910, S. 350. 351 Rede Pachnicke. PAH, 18. Mai 1914. StBPAH, 22. LP, 2. Sess. 1914/15, Bd. 6, Sp. 7139. 352 Vgl. Groh, Negative Integration, S. 548 f. u. 554 ff. 67 Grzywatz

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

Loebell hatte es abgelehnt, als "Minister der Wahlreform" anzutreten. Er zog sich auf die Erklärung Bethmann Hollwegs vom 13. Januar 1914 zurück. Danach sollte sich die Staatsregierung weder vom Parlament eine Wahlreform aufdrängen lassen noch umgekehrt der Volksvertretung oktroyieren. Sie behielt sich den Zeitpunkt einer neuen gesetzgeberischen Aktion vor. Der Hinweis, daß niemals die Absicht bestanden habe, "eine Verstärkung des Einflusses der Massen, eine Demokratisierung des Wahlrechts vorzunehmen",353 unterstrich die unnachgiebige Haltung der Regierung. Unmißverständlich hielten auch die Konservativen ihren Widerstand gegen das demokratische Wahlrecht aufrecht. "Von uns aus können sie sicher sein", antwortete von Heydebrand auf Pachnickes Anliegen, "daß wir in dem preußischen Wahlrecht in seinen Grundzügen den letzten und den festesten Wall gegen die Demokratie in Preußen ... und auch im Reich erblicken, und daß sie lange warten können, bis sie unseren Widerstand in der Richtung besiegen werden,,?54 Durch die Mehrheitsverhältnisse im Landtag wurde die Staatsregierung weiterhin zu einer konzilianten Haltung gegenüber der politischen Rechten gezwungen. Gleichwohl blieb ihr die Notwendigkeit einer Wahlreform bewußt. Gustav Schmoller hatte 1910 bemerkt: "Die Weisheit aller Reformpolitik besteht darin, daß man nicht zu spät kommt. Allerdings auch darin, daß man im rechten Moment kommt,,?55 Er bezweifelte, ob der Winter 1910 der richtige Zeitpunkt für das Gelingen der preußischen Wahlrechtsreform gewesen war. Die Gefahr eines Zuspätkommens bzw. das Einstellen des rechten Moments mußte jedoch in einem solchen Augenblick erwogen werden, indem die äußeren Umstände eine umfassende Integration aller politischen Kräfte erzwangen. Es war schwierig, wenn nicht schlichtweg unmöglich, unter den Bedingungen des Krieges die Isolation der Sozialdemokratie weiterhin aufrecht zu erhalten und damit die sozialen Wirkungen eines elementaren innenpolitischen Konfliktes in Kauf zu nehmen. Vor allem bei einer längeren Dauer des Krieges konnten, soweit nicht für einen politischen Ausgleich gesorgt war, die parteipolitischen Gegensätze stärker hervortreten und zu einer verschärften Polarisierung in der Gesellschaft beitragen. Die Weltkriegssituation forderte unter staatspolitischem Kalkül die innere Geschlossenheit der Nation als unabdingbare Voraussetzung äußerer Selbstbehauptung. Da die Sozialdemokratie von sich aus ihren Willen zur Zusammenarbeit mit der Reichsregierung erklärte und sich damit in die Front der Landesverteidigung einreihte, fiel es der Exekutive, ungeachtet der konservativen Vorbehalte,356 letztlich nicht schwer, die politische 353 354 355 356

Rede von Loebell. PAR, 18. Mai 1914. A.a.O., Sp. 7145. Rede von Reydebrand. PAR, 18. Mai 1914. A.a.O., Sp. 7185. Schmoller, Wahlrechtsreform, S. 359. Vgl. Groh, Negative Integration, S. 701.

4. Die Stadtgemeinden und die Wahlrechtsfrage im Ersten Weltkrieg

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Diskriminierung der Sozialdemokratie als verfassungsfeindliche Partei aufzugeben. Für die Kommunalverwaltungen, aber auch den unmittelbaren Staatsdienst hatte diese "Neuorientierung" einschneidende Änderungen zur Folge. Den Sozialdemokraten war nicht länger der Zugang zum öffentlichen Dienst im Reich und in den Ländern verwehrt. Eine entscheidende Sperre für die Integration der sozialistischen Arbeiterschaft in den bestehenden Staat und das geltende Verfassungssystem war damit aufgehoben. 357 Innenminister von Loebell wies auf Grund eines Regierungsbeschlusses vorn 31. Dezember 1914 die ihm nachgeordneten Behörden der inneren Verwaltung durch den Erlaß vorn 6. Januar 1915 an, Sozialdemokraten, soweit sie sich bereit fanden, gemäß den gesetzlichen Vorschriften vor der Amtsübernahme den Staatsdienereid zu leisten, im Fall ihrer Wahl zum mittelbaren Staatsbeamten, etwa zum Bürgermeister, Magistratsmitglied, Gemeindevorsteher, Schöffen oder zum Beisitzer der Schulaufsichtsbehörde, in Abkehr von den bisher geltenden Grundsätzen die erforderliche staatliche Bestätigung zu erteilen. Nur der höhere Verwaltungsdienst blieb den Sozialdemokraten weiterhin in Preußen verschlossen. 358 Im Herbst 1914 verlangten die Sozialdemokraten eine Vorlage, in der die Regierung die Notwendigkeit auf Einführung des gleichen Wahlrechts in Preußen anerkannte. An eine bereits während des Krieges auszuführende Reform dachten sie zunächst noch nicht. 359 Bethmann Hollweg mahnte das Staatsministerium, "keine großen Differenzen" heraufzubeschwören. 36o Innenminister von Loebell sprach sich gegen jede bindende Erklärung der Staatsregierung aus, falls von den Sozialdemokraten oder von anderer Seite auf die Wahlrechtsfrage eingegangen wurde. Da die Reform unter den Parteien des Abgeordnetenhauses umstritten war, fiel es der Regierung nicht schwer, ihre Aufschiebung mit der Gefährdung der in der Kriegssituation erforderlichen Einmütigkeit der politischen Parteien zu rechtfertigen. Um der gouvernementalen Haltung der Sozialdemokratie bei Ausbruch des Krieges aber Rechnung zu tragen, betonte man, soweit die Arbeiterpartei sich vorn gleichen Willen leiten ließ, "den Geist friedlichen Zusammenwir357 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914-1919,2. Aufl., Stuttgart u.a. 1978, S. 123. 358 Vgl. Hans Fenske, Die Verwaltung im Ersten Weltkrieg, in: Verwaltungs geschichte, Bd. 3, S. 897. Rejewski, Pflicht, S. 142 ff. 359 Reinhard Patemann, Der Kampf um die preußische Wahlreform im Ersten Weltkrieg (= Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 26), Düsseldorf 1964, S. 20. Ludwig Bergsträsser, Die preußische Wahlrechtsfrage im Kriege und die Entstehung der Osterbotschaft 1917, Tübingen 1929, S. 7 f. 360 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 6. Januar 1915. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 13, Bl. 119. 67*

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kens". Die Regierung hoffte, der Krieg würde die politischen Interessengegensätze in einem solchen Maße mildem, "daß auch späterhin die Stellung der Staatsregierung zur Sozialdemokratie eine andere sein könne, als sie es in vergangenen Zeiten unter dem Zeichen des Klassenkampfes hätte sein müssen".361 Die Sozialdemokraten wollten sich unterdessen nicht mit unverbindlichen Willensbekundungen zufrieden geben. In der ersten Februarhälfte 1915 stellte Paul Hirsch den Antrag auf Behandlung der Wahlrechtsfrage. 362 Die Staatsregierung wiegelte ab. Den nur wenig später vom Berliner Linksliberalismus gemachten Vorstößen erging es nicht anders. 363 Ein weiterer sozialdemokratischer Antrag, die Verhandlung der Wahlrechtsfrage im Abgeordnetenhaus aufzunehmen, scheiterte in der ersten Junihälfte. Die Regierung rechtfertigte ihre Haltung mit dem Ziel, jedes Aufflammen der Parteigegensätze zu verhindern. Durch die offiziösen Berliner Politische Nachrichten ließ sie erklären, in Zukunft ähnliche Anträge mit Hilfe der Geschäftsordnung zu verhindern. 364 Gleichzeitig wiederholte die Regierung ihre Absicht, nach Beendigung des Krieges in die "sorgfältige und pflichtmäßige Prüfung der Wahlrechtsfrage" einzutreten. Vor allem wollte sie erwägen, "ob nach den Erfahrungen des Krieges die Voraussetzungen ihrer Stellungnahme zu wichtigen Fragen der inneren Politik noch als vorhanden anzusehen sind, und daß nach dem Ergebnis dieser Prüfung die Neuorientierung der inneren Politik sich richten solle".365 Die Zurückhaltung der Staatsregierung, ihr dezidiertes Bemühen, eine definitive Stellungnahme zur Wahlreform zu vermeiden, nährte auf seiten der parlamentarischen Linken das Mißtrauen an der prinzipiellen Entschlossenheit der Regierung. 366 Das Zögern der Regierung in der Wahlrechtsfrage stellte die sozialdemokratische Landtagsfraktion Ende Juni 1915 vor eine weitere Zerreißprobe. Die radikalen Fraktionsmitglieder Heinrich Ströbel und Adolf Hofer wollten vor Schließung der Session mit einer selbständigen Erklärung zur Wahlreform vorgehen und diese mit einer Verlautbarung zum Friedenswillen verbinden. Die gemäßigten Abgeordneten atto Hue und Konrad Haenisch kritisierten das Vorgehen nicht nur als "erpresserisch", sondern lehnten auch Ebd. Vgl. auch Vorwärts, Nr. 59, Ausgabe vom 28. Februar 1915. StBPAH, 22. LP, 2. Sess. 1914/15, Bd. 7, Sp. 8358 f. Zu den innerparteilichen Auseinandersetzungen der Sozialdemokratie vgl. Schulze, Otto Braun, S. 186 ff. 363 A. a. 0., Sp. 8566. 364 Berliner Politische Nachrichten, Nr. 134, Ausgabe vom 14. Juni 1915. 365 Berliner Politische Nachrichten, Nr. 136, Ausgabe vom 16. Juni 1915. Vgl. auch die knappe Erklärung von Vizekanzler Clemens von De1brück zur preußischen Wahlrechtsfrage im Reichstag, siehe Patemann, Wahlreforrn, S. 35. 366 Bergsträsser, Wahlrechtsfrage, S. 94. 361

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die geforderte Stellungnahme ab, da sie "nur Unruhe in Partei und Volk" stiftete. Paul Hirsch konnte den Riß in der Fraktion noch einmal kitten. Er bewegte die Radikalen zum Verzicht auf die Ernennung eines eigenen Redners und erwirkte ihr Einverständnis, sich unter Ausschluß der Stellungnahme zum Friedenswillen mit einer entsprechenden Erklärung Otto Brauns einverstanden zu erklären. 367 Vorarbeiten zur Wahlreform hatte Innenminister von Loebell bereits im Herbst 1914 aufnehmen lassen. 368 Die Lösung der preußischen Wahlrechtsfrage war jedoch primär eine Aufgabe der preußischen Gesetzgebungsorgane, in denen der konservative Widerstand gegen eine Wahlreform gebrochen werden mußte. Nur auf diesem Wege konnte eine entscheidende Wende in der Wahlrechtsfrage eingeleitet werden. Bethmann Hollweg versuchte deshalb den Monarchen für die Wahlrechtsänderung zu gewinnen. Der Öffentlichkeit konnte dann der Entschluß zur Reform als Akt des freien königlichen Willens dargeboten werden. 369 Die zur Eröffnung der neuen Landtagssession verlesenen Kundgebung des Königs, kündigte die Neugestaltung "der Grundlagen für die Vertretung des Volkes in den gesetzgebenden Körperschaften"37o an. Das Staatsministerium hatte eine von Pachnicke Mitte Dezember angekündigte Interpellation der Fortschrittlichen Volkspartei in der Wahlrechtsfrage abgewendet,37J den Widerspruch der Konservativen jedoch nicht verhindern können, während die Sozialdemokraten die königliche Reformankündigung als zu unbestimmt ablehnten. 372 Die zukünftige Gestaltung des preußischen Wahlrechts setzte, wie von Loebell in einer im Juni 1915 dem Staatsministerium vorgelegten Denkschrift betonte, die Zugeständnisse der Wahlrechtsreform von 1910 voraus. Die geheime und direkte Wahl bildete ein "selbstverständliches Mindestmaß" der Reform. Da die politischen Erwartungen aber wesentlich höher anzusetzen waren, mußte die Regierung mit einer wahlrechtlichen Neuschöpfung aufwarten. 373 Die Abänderung des Wahlrechts sollte mit der definitiven Vorlage des von der Verfassung geforderten Wahlgesetzes gekop367 Vgl. die Berichte des Berliner Polizeipräsidenten an Innenminister von Loebell, 19. u. 30. Juni 1915. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, Bd. 13, BI. 149 ff. 368 Vgl. Bergstässer, Wahlrechtsfrage, S. 18 ff. Patemann, Wahlreform, S. 22 f. 369 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 155. 370 StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 1, Sp. 3. 371 Vgl. Patemann, Wahlreform, S. 36 ff.; siehe auch Bergsträsser, Wahlrechtsfrage, S. 95 f. 372 Rede Hirsch. PAH, 17. Januar 1916. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 1, Sp. 74 f. 373 Denkschrift über die Möglichkeiten einer Reform des Dreiklassenwahlrechts, von Loebell, 26. Juni 1915. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 1, BI. 12 f.

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pelt werden 374 und dem politischen Ausgleich wie der Integration der linksstehenden Parteien dienen. 375 Das von der Linken geforderte geheime Wahlrecht war für den Innenminister nach wie vor "nicht erörterungsfähig". Es gefährdete nicht nur die Aufgaben der preußischen Staatsverwaltung durch die Radikalisierung der Volksvertretung, sondern hätte auch zwangsläufig die Forderung nach einer Änderung der preußischen Wahlbezirkseinteilung ausgelöst, die zweifelsohne zu einer weiteren Radikalisierung des Parlaments führen mußte. 376 In Frage kam für Loebell nur die Einführung des Pluralwahlrechts. Er dachte dabei keineswegs an eine Fortbildung des Dreiklassensystems auf alleiniger Grundlage der Steuerleistung. Die Tendenz der Steuerpolitik zur Verschärfung des Progressionsprinzips stand schließlich dem antiplutokratischen Ziel der Wahlrechtspolitik diametral entgegen. Ein Mehrstimmenrecht, das neben der Steuerleistung nach den Kriterien Alter, Familienstand, Grundbesitz und selbständigen Gewerbebetrieb zusätzliche Stimmen vergab, beinhaltete nach ministerieller Ansicht gegenüber dem Dreiklassensystem immerhin einen demokratisierenden Fortschritt. 377 Die Steuerstimmen sollten, unter Wahrung niedriger Eingangssteuersätze, nach dem Zehntelungsprinzip in Reihenfolge der Steuerleistungen zugewiesen werden. Im Verhältnis von 1:2:7 gedachte von Loebell das Wahlrecht der Klassen auf das Pluralsystem zu übertragen. Die Wähler wurden dabei in vier Abteilungen eingeteilt. Die Angehörigen der ersten Gruppe, ein Zehntel der Wähler mit den höchsten Steuerbeträgen, erhielt sechs Stimmen, während die Stimmen der übrigen Wahlberechtigten jeweils halbiert, gedrittelt oder geviertelt werden sollten (2110 mit 2,5 Stimmen; 3110 mit 2 Stimmen etc.).378 Das von Loebell entwickelte Pluralsystem zeigte in schlagender Weise die Reformunfahigkeit des Staates, sein Unvermögen, über die gouvernementale Auffassung des Wahlrechts hinauszugehen und es als subjektiven Rechtsanspruch zu betrachten. Dem selbst gesetzten Ziel politischer Integration widersprach es durch die fortgesetzte Ungleichheit politischer Partizipation. Der gemäßigte Reformentwurf ging dennoch über die Vorstellungen des Staatsministeriums hinaus. Vizepräsident von Breitenbach empfahl zur Milderung des Entwurfs seiner "außerordentlich weitgehende(n) Demokratisierung,,379, die Alters- und Familienstimme zu verbinden sowie die SteuerA a. 0., BI. 16. Denkschrift, Wahlreform. Grenzen und Inhalte der Reform, von Loebell, 25. August 1915. Aa.O., BI. 119 f. 376 Denkschrift von Loebell, 26. Juni 1915. Aa.O., BI. 7 ff. 377 A a. 0., BI. 25 ff. 378 A a. 0., BI. 29. 379 Vgl. die Notiz des Unterstaatssekretärs im Staatsministerium, Adolf Heinrich, vom 29. August 1915. Aa.O., BI. 113. 374 375

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leistungen stärker zu berücksichtigen. Die Wahlberechtigten sollten danach im Verhältnis von 1:2:3:4 in Gruppen geteilt werden, von denen die erste vier Stimmen, die übrigen jeweils eine Stimme weniger erhielten. 380 Doch selbst diese Fonn der Relativierung vorsichtiger demokratisierender Tendenzen ging dem Staatsministerium noch nicht weit genug. Die überarbeitete, in einem vorläufigen Gesetzentwurf aufgenommene Konzeption Loebells sorgte für eine stärkere Bevorzugung der agrarisch-konservativen Wählerschichten. Die Zehntelung mit maximal drei Zusatzstimmen sollte weiterhin als Teilungsmaßstab zur Geltung kommen, ohne daß die nicht zur Einkommensteuer veranlagten Wähler berücksichtigt wurden. Damit wäre die seit 1891 übliche Steuerfingierung für die steuerbefreiten Wahlberechtigten fortgefallen. In Kommunen, die Nichtsteuerzahler aufwiesen, sollte die Sechstelung als Teilungsmodus in Wirksamkeit treten, der den Wählern jeder Gruppe im Verhältnis von 1:2:3 drei, zwei bzw. eine Zusatzstimme zuordnete. Es hätte demzufolge zwei Gruppen von Gemeinden gegeben: einerseits Gemeinden ohne Nichtsteuerzahler, in denen zwei Fünftel der Wähler bei der Berücksichtigung der Steuerleistung ohne Zusatzstimme blieben, andererseits jene Gemeinden mit Nichtsteuerzahlern, in denen man fünfzig Prozent der Wahlberechtigten, obwohl sie zu den untersten Wählerschichten gehörten, mindestens eine Zusatzstimme mehr garantieren wollte. 381 Durch die schärfere steuerliche Erfassung der städtischen Wahlberechtigen kam nach Darstellung Loebells in den Stadtgemeinden die Zehntelung, in den Landgemeinden eher die Sechstelung in Frage. Die politische Folge des unterschiedlichen Teilungsmodus lag darin, daß die Untergrenze für die erste Steuerstimme in Stadt und Land verschieden bemessen und der Zugang zu den Pluralstimmen entsprechend differierend geregelt werden konnte. Auf diese Weise wurden die städtischen Wähler, insbesondere die Personen mit geringem oder gar keinem Steueraufkommen, nicht unerheblich benachteiligt. Die Zusatzstimmen nach Alter und Familienstand waren an die Vollendung des fünfzigsten Lebensjahrs und den Nachweis von mindestens drei ehelichen Kindern gebunden. Eigentümer, Pächter oder Nießbraucher kamen in den Genuß einer weiteren Zusatzstimme, soweit sie mindestens zu 30 Mark Grundsteuerreinertrag, 120 Mark Gebäudenutzungswert oder 16 Mark Gewerbesteuer veranlagt wurden. Diese Untergrenzen schlossen den Kleinbesitz aus. Wohnungsmieter hatten keinen Anspruch auf eine zusätzliche Ansässigkeitsstimme. Da der 380 Vgl. den Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 3. Januar 1916. A a. 0., BI. 203 ff. Weiterhin die Notiz von Unterstaatssekretär Heinrich vom 19. September 1916. Aa.O., BI. 319. 381 Vgl. den vorläufigen Gesetzentwurf zur Abänderung der Vorschriften über die Wahlen zum Haus der Abgeordneten vom 3. September 1915. Aa.O., BI. 140 ff. Bergsträsser, Wahlrechtsfrage, S. 40 ff.

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Entwurf zugleich eine Doppelbewertung des landwirtschaftlichen Bodens ermöglichte und das gleiche Grundstück sowohl den Eigentümer als auch den Pächter zu je einer weiteren Zusatzstimme berechtigte, war eine weitere Stärkung des agrarisch-konservativen Wählerpotentials unübersehbar. Der Wahlrechtsentwurf, der seinem eigenen Anspruch nach die "positive politische Mitarbeit" der Industriearbeiterschaft im Staate sichern wollte,382 konstituierte nur dem äußeren Anschein nach ein ausgeglichenes Verhältnis von Steuer- und allgemeinen Stimmen, denn zum einen waren die Zusatzstimmen nach Alter, Familienstand und Besitz allen Wahlberechtigten neben ihren Steuerstimmen zugänglich, zum anderen war die Ansässigkeitsstimme im allgemeinen nur den Besitzenden vorbehalten. Die Hoffnung Loebells, daß mit der sozialen Differenzierung der Arbeiterschaft auch ihre Einsicht für wahlrechtliehe Privilegierungen wuchs,383 kann wohl nur als realitätsferne Illusion bezeichnet werden. Die gouvernementale Absicht, das preußische Wahlsystem vor dem Hintergrund des Reichstagswahlrechts, weiterhin "als Schutz gegen demokratische Bewegungen,,384 zu instrumentalisieren, war zu offensichtlich. Ministerpräsident von Bethmann Hollweg betrachtete das Plural wahlrecht als "durchaus geboten und richtig". Gegen die Sechstelung und die Konstruktion der Ansässigkeitsstimme erhob er freilich Einwände, weil die politischen Verhältnisse keinesfalls eine Vorzugs stellung des Grundbesitzes und Gewerbebetriebes gegenüber der Intelligenz und der Arbeit rechtfertigten?85 Bethmann Hollweg plädierte für eine besondere Berücksichtigung der Kriegsinvaliden. Loebell lehnte eine solche Regelung strikt ab, da sie über kurz oder lang sämtliche Kriegsteilnehmer einbeziehen und damit das komplizierte Mehrstimmensystem zusammenbrechen würde. Landwirtschaftsminister von Schorlemer verwarf das Plural wahl system als zu radikal, kompliziert und willkürlich. Er plädierte an seiner Stelle für die Einführung eines berufstständischen Wahlsystems. 386 Eine ernsthafte Alternative wollte Innenminister von Loebell darin nicht sehen. Das berufsständische Wahlrecht machte im Grunde genommen die Erste Kammer überflüssig. Der Gedanke, einen Teil der Abgeordneten durch die Provinziallandtage wählen zu lassen, bedeutete einen Rückfall in vormärzliches Verfassungsdenken. Zudem mußte damit gerechnet werden, daß die Berufsvertretungen nicht von der Politisierung verschont blieben, ihre Auflösung Bericht Loebells an Bethmann Hollweg, 28. Januar 1917. Aa.O., Bd. 2, BI. 8. A a. 0., BI. 8 f. 384 Aa.O., BI. 18. 385 Bergsträsser, Wahlrechtsfrage, S. 58 ff. VgI. die Berichte Loebells an den Ministerpräsidenten vom 30. September und 11. Oktober 1915. GStAPK. Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 1, BI. 165 ff. u. 180 ff. 386 Denkschrift Schorlerners vom 1. Dezember 1916. A.a.O., BI. 320 ff. 382 383

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aber praktisch unmöglich war. Loebell erwartete, daß die berufsständische Organisierung der Wählerschaft der Sozialdemokratie eine ähnlich starke Vertretung wie beim Reichstagswahlrecht bescheren würde. 387 Vizepräsident von Breitenbach gab anschließend seine Bedenken gegen das Pluralwahlrecht auf. Er befürwortete, die Zusatzstimmen aus Haus- und Grundbesitz sowie Gewerbebetrieb zu streichen, darüber hinaus die Altersund Familienstandsstimme zusammenzuführen. Die Zuweisung der Steuerstimmen auf Grundlage der gemeindemäßigen Einteilung der Wähler würde nach Breitenbachs berechtigter Vermutung auf die Kritik der Sozialdemokraten und der bürgerlichen Linken stoßen, da sie dem Begriff des Mehrstimmensystems widersprach, der ausschließlich von den subjektiven Voraussetzungen und Ansprüchen des Individuums ausging. Die Anpassung der Pluralstimmen an die unterschiedliche soziale Zusammensetzung der Bevölkerung in Stadt und Land rechtfertigte von Breitenbrach mit der preußischen Tradition. 388 Die demokratisierende Wirkung der unteren Steuerstufen erschien dem Vizepräsidenten insofern berechtigt, als künftig sowohl mit einer "gewissen Verschiebung der sozialen Schichtung" als auch der Stellung der Sozialdemokratie im politischen Alltag zu rechnen war. Breitenbach erwartete, daß die Sozialdemokraten ihren Radikalismus ablegen und sich zunehmend zum "Vertreter und Beschützer der Besitzlosen, der Arbeiter und aller wirtschaftlich Schwachen etablieren" würden?89 Während der Beratung des Loebellschen Entwurfs stand die Wahlkreiseinteilung nie zur Disposition. Da die bevölkerungsadäquate Revision der Wahlbezirke das notwendige Pendant zum gleichen Wahlrecht bildete, ließ sie sich nicht mit einer nur mäßig antiplutokratischen Reform verbinden. Bei der Einführung des Reichstagswahlrechts in Preußen rechnete von Loebell damit, daß die Landtagswahlbezirke 1 bis 60 an die Sozialdemokratie gingen. Eine die Linke beschränkende Spannung zwischen dem Reichstagsund Landtagswahlrecht in Höhe von zehn bis fünfzehn Prozent zu Ungunsten der Sozialdemokraten genügte, um die Zahl ihrer Mandate auf 25 bzw. 51 zu beschränken. Bei insgesamt 443 Landtagsmandaten waren nach Loebells Auffassung selbst 51 Sitze der Sozialdemokraten noch zu ertragen. Es durfte nicht das Ziel der Wahlrechtsreform sein, die erdrückende Zahl der Arbeiterstimmen dort zu beseitigen, wo die Arbeiterbevölkerung tatsächlich den überwiegenden Teil der Bevölkerung bildete. Das rief nur neue Erbitterung hervor. Notwendig war nur, so Loebells Resümee, die zu 387 Loebell an Bethmann Hollweg, 28. Januar 1917. A. a. 0., Bd. 2, BI. 31 ff. Zum Verhältnis von berufsständischer Vertretung und Wahlkreiseinteilung vgI. weiter unten. 388 Breitenbach an Bethmann Hollweg, 24. Juli 1916. A.a.O., Bd. 1, BI. 241 ff. 389 A.a.O., BI. 247.

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starke Vermehrung der sozialdemokratischen Mandate zu verhindern und dem Vordringen der Arbeiterpartei über die Industriezentren hinaus durch eine räumlich qualifizierende Abstufung des Wahlrechts vorzubeugen. 39o Der im Zusammenhang mit der Diskussion des berufsständischen Wahlrechts erwogenen Möglichkeit, das System der Reichstagswahlkreise für die Abgeordnetenwahlen zu übernehmen, widersprach Loebell schon aus dem Grund, weil in Preußen fünf Reichstagswahlkreise mit weniger als 70000 Einwohnern existierten, gleichzeitig aber der Wahlkreis Teltow-BeeskowStorkow eine Bevölkerung von etwa 1,3 Millionen Einwohnern aufwies. In diesem Fall mußte mit einer ebenso scharfen Kritik gerechnet werden, wie sie hinsichtlich der Einteilung der preußischen Landtagswahlbezirke schon bestand?91 Loebells politisch-taktische Überlegungen zum konservierenden Experiment des Plural wahlrechts wurden durch die äußeren Ereignisse in Reich und Staat überrollt. Die Verschlechterung der militärischen Lage, die Lebensmittelknappheit, Arbeitseinstellungen und Unruhen, aber auch politische Fehler der Regierung wie die Vorlage des Fideikommißgesetzes392 schufen im Frühjahr 1917 "eine hochgradig nervöse Stimmung", 393 die in Preußen nach einer deutlichen Geste politischer Neuorientierung verlangte. Das konnte nur heißen, "ein völkstümliches Wahlrecht" in Aussicht zu stellen. Bethmann Hollweg bekannte sich Mitte März im Abgeordnetenhaus zur Einführung des gleichen Wahlrechts. 394 Im Staatsministerium machte er Anfang April deutlich, daß die Zuspitzung der politischen Lage verlangte, einen in der Öffentlichkeit erkennbaren Schritt zu tun, der, da das Wahlrecht zweifellos im Mittelpunkt der politischen Bewegung in Preußen stand, sich nur auf dessen grundlegende Reform beziehen konnte. Das Pluralwahlrecht genügte nicht mehr, um der Wahlrechtsagitation den Boden zu entziehen. Das Ziel, die Demokratie zu verhindern, machte so große Stimmenhäufungen notwendig, daß das plurale System unversehens wieder in ein Klassenwahlrecht umschlug. Die durch den Krieg bedingten sozialen Umwälzungen zwangen die Regierung, alle vermeidbaren Kämpfe auszuschalten, die der Stabilisierung Loebell an Bethmann Hollweg, 28. Januar 1917. A.a.O., Bd. 2, Bi. 10 f. A. a. 0., Bi. 25 f. 392 Vgi. dazu Patemann, Wahlreform, S. 44 ff. 393 Bethmann Hollweg auf der Sitzung des Staatsministeriums, 5. April 1917. Siehe den Protokoll auszug. GStAPK, Rep. 90a. Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 2, Bi. 76. 394 Rede Bethmann Hollweg. PAH, 14. März 1917. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 5, Sp. 5254 ff. Vgi. auch Th. von Bethmann Hollweg, Betrachtungen zum Weltkrieg, Bd. 2, Berlin 1921, S. 173 u. 184 f. Vorwärts, Nr. 73, Ausgabe vom 15. März 1917. Berliner Tageblatt, Nr. 135, Ausgabe vom 15. März 1917. 390 391

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und Ordnung der innenpolitischen Verhältnisse hinderlich sein konnten. Aus diesem Grund war es nach Bethmann Hollweg nötig, "in der Wahlrechtsfrage jetzt reinen Tisch zu machen,,?95 In Anbetracht der russischen Revolution mußte die Staatsregierung, erklärte der Ministerpräsident beschwörend, die Führung energisch in die Hand nehmen und ein positives Ziel setzen, indem sie die Einführung des allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts versprach. "Bismarck habe 1866 die Proklamation des allgemeinen Wahlrechts in die Waagschale geworfen", schloß Bethmann Hollweg seine Ausführungen, "um das Deutsche Reich zu schaffen. Heute sei sie für Preußen vielleicht notwendig, um Preußen und das Reich zu retten".396 Die politische Konzeption des Ministerpräsidenten fand im Staatsministerium nicht ungeteilte Zustimmung. Gerade im Hinblick auf die Abschaffung des Klassenwahlrechts mißlang es Bethmann Hollweg, eine verbindliche Erklärung des Monarchen durchzusetzen, die über den Status "allgemeiner Redewendungen" hinausging. 397 Die Osterbotschaft Wilhelms 11. vom 7. April 1917 sprach sich lediglich für eine "zeitgemäße Umbildung" des Herren- wie Abgeordnetenhauses aus, deklarierte das Klassenwahlrecht für überholt und kündigte neben seiner Aufhebung die Einführung der unmittelbaren und geheimen Wahl zum Abgeordnetenhaus an?98 In ihrer zeitlichen wie sachlichen Unbestimmtheit, vor allem aber durch die Aussparung der Entscheidung, ob ein gleiches oder Pluralwahlrecht gelten sollte, erzeugte die neuerliche Ankündigung des Monarchen wiederum den Eindruck der Unentschlossenheit. Die Berliner Linksliberalen begrüßten die Botschaft dennoch als einen Auftakt der Reform. Das konnte sie unterdessen nicht abhalten, dem Abgeordnetenhaus bereits am 2. Mai eine Interpellation zu unterbreiten, die eine baldige Gesetzesvorlage zur Änderung des preußischen Wahlrechts und zur Neueinteilung der Wahlkreise anmahnte. 399 Die Versuche des Konservativismus, die Wendung gegen das Klassenwahlrecht in der Osterbotschaft nicht als Zustimmung zum gleichen, sondern zu einem maßvoll abgestuften Wahlrecht zu deuten, hatte die bürgerliche Linke mißtrauisch gemacht und die politischen Bemühungen um die Wahlrechtsreform erneut aufnehmen lassen. Bethmann Hollwegs Eintreten für das gleiche Wahlrecht erfolgte ausschließlich aus staatserhaltender Perspektive, der Zwang zur "volkstümli395 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 5. April 1917. GStAPK, Rep. 90a. Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 2, Bi. 75. 396 A. a. 0., Bi. 92. 397 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 6. April 1917. A. a. 0., Bi. 93 ff. Der verabschiedete Text der Botschaft Wilhelms 11., a. a. 0., Bi. 99 f. 398 Abdruck der Osterbotschaft, in: Huber, Dokumente, Bd. 3, S. 153 f. 399 Interpellation der Fortschrittlichen Volkspartei. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/17, Bd. 5, Sp. 5869.

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ehen Monarchie" entsprang gleichsam der nicht abzuweisenden Notwendigkeit, die in Folge des Krieges zu erwartende Demokratisierung abzufangen. Diesem Ziel diente auch die gleichzeitig vorgeschlagene Reform des Herrenhauses, das als "ein richtiger Regulator im konservativen Sinne" ausgedehntere Befugnisse auf dem Gebiete der Mittelbewilligung erhalten sollte. 4oo Loebell, der weiterhin zu den prononciertesten Gegnern des gleichen Wahlrechts gehörte, lehnte eine entsprechende Reform schon auf Grund des zu erwartenden Ansturms auf die bestehende Einteilung der Landtagswahlbezirke ab. 401 Doch selbst Freiherr von Schorlerner gab im Staatsministerium zu erwägen, ob man dem Drängen der großstädtischen Wahlkreise auf Zuteilung weiterer Mandate nicht nachgeben sollte. Eine Lösung sah er sowohl in der Übertragung der Reichstagswahlkreise als auch in der Zusammenlegung der Einer- und Zweierwahlkreise, allerdings in der Beschränkung auf ein Drittel der gesamten Wahlbezirke. 402 Wenn in Preußen das Reichstagswahlrecht ohne Änderung der Wahlkreise eingeführt wurde, erläuterte Loebell, konnte nur das Zentrum seine bisherigen Mandate halten, während die Sozialdemokraten und Polen bedeutende Gewinne zu verzeichnen hätten. Die Nationalliberalen und die konservativen Parteien müßten Mandatsverluste hinnehmen, aber insgesamt wäre die Majorität der nationalen Parteien erhalten geblieben. Bei einer Änderung der Wahlbezirks einteilung unter Berücksichtigung der Bevölkerungsverhältnisse würde nur die Sozialdemokratie gewinnen, selbst der Freisinn hätte in diesem Fall mit Mandatsverlusten zu rechnen. Jede andere Änderung der Wahlkreiseinteilung, sofern nicht das Proportionalwahlsystem zur Anwendung kam, verbunden mit dem doppelten Maßstab von Bevölkerung und Fläche, traf vornehmlich die parlamentarische Rechte, insbesondere das Zentrum und die Nationalliberalen. 403 Loebell ließ die Auswirkungen verschiedener Einteilungsmodi bei Einführung des gleichen Wahlrechts im Hinblick auf die Mandatsgewinne der Sozialdemokraten ermitteln. Wurde die bestehende Wahlkreiseinteilung beibehalten, erhielten die Sozialdemokraten im ungünstigsten Fall 69, im günstigsten 125 Mandate, im Mittel also 97 Sitze im Abgeordnetenhaus. Bei einer Neuverteilung der Mandate nach einem Repräsentationsschlüssel von 150000 Einwohnern für einen Abgeordneten, 150 bis 250000 Einwohner für zwei und für jeweils darüber hinausgehende 100000 Einwohner je ein weiteres Man400 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 5. April 1917. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 2, BI. 77. 401 A. a. 0., BI. 80. 402 Votum von Schorlemer, 18. April 1917. A.a.O., BI. 105. 403 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 1. Mai 1917. A.a.O., BI. 151.

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dat war bei 420 Abgeordneten mit etwa 130 Sitzen der Sozialdemokraten zu rechnen. Nicht viel weniger, nämlich 129 Sitze, erhielt die Arbeiterpartei im Falle des proportionalen Wahlverfahrens. Wenn die Mandate dabei auf Grundlage der Bevölkerungsziffer neu auf die Provinzen verteilt wurden, durften die Sozialdemokraten auf den Gewinn von zwei zusätzlichen Mandaten hoffen. Entschied man sich für eine gänzliche Neueinteilung der Wahlkreise unter Abänderung der Abgeordnetenzahl, gewann die sozialdemokratische Partei bei einem Bevölkerungsschlüssel von 50 bis 150000 Einwohner pro Mandat in Stadt- und Landkreisen und je einem weiteren Mandat für angefangene 100000 Einwohner insgesamt 148 Sitze. Erhöhte man den Repräsentationsschlüssel auf 70 bis 200000 bzw. auf 200000 bis 300000 Einwohner, verringerte sich bei einer Gesamtzahl von 382 Abgeordneten die Höhe der Mandate auf 124. Der relative Anteil der sozialdemokratischen Mandate an der Gesamtzahl der Parlamentssitze schwankte zwischen 26,6 Prozent bei Fortgeltung der bestehenden Wahlkreiseinteilung und 32,5 Prozent bei der Neueinteilung mit erhöhtem Bevölkerungsschlüsse1. 404 In jedem Fall profitierten die Großstädte von der Einführung des gleichen Wahlrechts. Bei seiner ersten Stellungnahme zum Bethmann Hollwegschen Plädoyer für das gleiche Wahlrecht hatte von Loebell noch gehofft, daß der kommunale Linksliberalismus nur aus wahltaktischen Gründen für eine entsprechende Reform eintrat. Die Liberalen aus Angst vor dem Verlust ihrer beherrschenden Stellung in den Stadtgemeinden aber insgeheim erwarteten, daß sich die Regierung schließlich doch noch gegen die Einführung des gleichen Wahlrechts aussprach. 405 Als der Innenminister in der zweiten Maihälfte mit Cassel und Pachnicke zwei führende Fraktionsmitglieder der Freisinnigen Volkspartei über die Bereitschaft der Partei befragte, an der Einführung eines Pluralsystems mitzuarbeiten, wurde er jedoch abschlägig beschieden. Selbst angesichts der zu erwartenden Konsequenzen für das Kommunalwahlrecht sahen sich Cassel wie Pachnicke nicht in der Lage, von der nun einmal programmatisch festgelegten Position des Freisinns abzurücken. 406 Neue Beunruhigung über den Fortlauf der Reform brachte das Bekanntwerden eines Kompromisses zwischen dem Zentrum, den Konservativen Votum von Loebell, 10. Mai 1917. Aa.O., BI. 169. Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 5. April 1917. Aa.O., BI. 78. 406 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 23. Mai 1917. Aa.O., BI. 174. Siehe aber die zögerliche Haltung der Berliner Linksliberalen, im Oktober 1917 einen Antrag der Sozialdemokraten zur Demokratisierung des Kommunalwahlrechts zu unterstützen. Vgl. Kap 9, Unterabschnitt 6. 404

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und den Nationalliberalen,407 der auf die Einführung des Pluralwahlrechts abzielte. Der Komprorniß fand im Loebellschen Wahlrechts entwurf vom Juni 1917, ohne einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu werden, einen konkreten Ausdruck. Der Innenminister entwickelte im Anschluß an seine früheren Entwürfe ein Pluralwahlsystem, bei dem die jedem Wahlberechtigten zuerkannte Stimme mit bis zu fünf Zusatzstimmen gekoppelt werden konnte, je nach Steuerleistung, Lebensalter, Familienstand, Bildung und Erwerbstätigkeit. 408 Durch die fortwährende Berücksichtigung der Steuerleistungen wurde der Grundrnaßstab des Dreiklassensystems praktisch in das Pluralwahlrecht übernommen. Für die Städte war der Entwurf schon wegen der vorenthaltenen neuen Wahlkreiseinteilung unannehmbar. Die anstelle der Zehntelung geplante Sechstelung der Nichtsteuerzahler bevorzugte zudem die ländlichen Bezirke, da hier der Anteil der nicht zur Einkommensteuer veranlagten Personen ungefähr doppelt so hoch lag als in den Städten. 409 Darüber hinaus sollten die auf Grund der "Ansässigkeit" oder des "Betriebes" gewährten Zusatz stimmen auf dem Lande sowohl den Besitzern als auch den Pächtern landwirtschaftlicher Flächen gewährt werden, während in den Städten nur für die Hausbesitzer, nicht aber für die Wohnungsmieter weitere Stimmen vorgesehen waren. Mit einer mäßigen Liberalisierung des Wahlrechts, die der Gesetzentwurf immerhin darstellte, wenn auch in Verbindung mit einem inkonsequenten und willkürlichen Steuermaßstab, konnten sich weder die Sozialdemokraten noch die Linksliberalen einverstanden erklären. In seiner Beharrungstendenz war er nichts anderes als ein opportunistisch-taktischer Rettungversuch, der zufallig eine Mehrheit von Abgeordneten hinter sich hatte. Der Reichskanzler versagte dem von Loebell entwickelten Pluralwahlrecht die Zustimmung, da er um einen Ausgleich mit der Sozialdemokratie bemüht war. Die sozialdemokratische Partei drängte wiederum, nachdem es im April zur Parteispaltung gekommen war, zu sofortigen Reformen. Neben der Parlamentarisierung der Reichsregierung und der Änderung des Dreiklassenwahlrechts verlangten sie die Aufhebung der Wahlordnung von 1849 sowie, unter Ausschaltung des Abgeordnetenhauses, die Oktroyierung des 407 Zu den Sondierungsgesprächen Loebells mit der parlamentarischen Rechten vgl. Patemann, Wahlreform, S. 73 ff. Vgl. auch Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 23. Mai 1917. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 2, BI. 174 ff. 408 Innenminister Loebell an Bethmann Hollweg, 18. Juni 1917, GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 2, BI. 181 ff. Der Gesetzentwurf Loebeils, a. a. 0., BI. 188 f. Die Beibehaltung der Gemeinde als Berechnungsgrundlage schloß weitere Ungleichheiten zuungunsten der Städte ein. Vgl. Bergsträsser, Wahlrechtsfrage, S. 84 ff. 409 Vgl. dazu Patemann, Wahlreform, S. 79 ff.

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allgemeinen und gleichen Wahlrechts. 410 Selbst das nationalliberal-konservative Bildungsbürgertum, das wie etwa Hans DelbfÜck, Friedrich Meinecke oder Friedrich Thimme bislang für ein Plural wahlrecht eingetreten war, setzte sich in Berlin öffentlich für die unverzügliche Erfüllung der Osterbotschaft auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts ein. 411 "Das Rad der Geschichte rast voran und reißt uns mit sich fort", unterstrich DelbfÜck in einer persönlich Vorbemerkung zur öffentlichen Erklärung Berliner Hochschullehrer und forderte von der Staatsregierung, sofort ganze Arbeit zu machen. 412 Gegen die oppositionelle Mehrheit des Staatsministeriums konnte Bethmann Hollweg den Monarchen für eine neue Wahlrechtsproklamation gewinnen. Der Reformerlaß vom 11. Juli 1917 machte die Wahlrechtsgleichheit zur Grundlage der Reform und wies den Ministerpräsidenten an, die Änderung des preußischen Wahlrechts so zeitig vorzunehmen, daß die nächsten Wahlen bereits nach dem neuen Wahlrecht stattfinden konnten. 413 410 Vgl. a. a. 0., S. 84 ff. Dazu das Protokoll der Kronratssitzung vom 9. Juli und der Sitzung des Staatsministeriums vom 11. Juli 1917. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, NT. 1, adhib, Bd. 2, BI. 234 ff. u. 255 ff. Zur Realität und Ideologie des Verfassungswandels im Ersten Weltkrieg vgl. Dieter Grosser, Vom monarchischen Konstitutionalismus zur parlamentarischen Demokratie (= Studien zur Regierungslehre und Internationalen Politik, Bd. 1), Den Haag 1970, insbesondere S. 139 ff. 411 Abdruck des Textes der "Berliner Erklärung" vom 1. Juli 1917, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 169 (1917), S. 15. Vgl. auch Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 161. Neben den bereits Genannten unterzeichneten unter anderem auch Adolf von Harnack, Ernst Troeltsch und Paul Rohrbach die Erklärung. Im Vorwärts (Nr. 179, Ausgabe vom 3. Juli 1917) und Berliner Tageblatt (Nr. 335, Ausgabe vom 4. Juli 1917) positiv aufgenommen, reagierte die konservative Presse mit scharfer Ablehnung. Die Berliner Neuesten Nachrichten sprachen von einer ,jämmerlichen Anregung ... von Intellektuellen", die Post warnte die Staatsregierung "kritik- und willenlos einer Welle der öffentlichen Meinung nachzugeben, deren Herkunft nicht völlig einwandfrei erscheint". Zitiert nach den vorgenannten Presseorganen. Vgl auch, allerdings mit falscher Datierung, Agnes von Zahn-Harnack, Adolf von Harnack,2Beriin 1950, S. 355. 412 Die Gegenerklärung konservativer Hochschullehrer vom 7. Juli in: Schulthess' Europäischer Geschichtskalender, Bd. 33 (1917), S. 679. 413 Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 3, S. 155. Das dem hauptstädtischen Linksliberalismus nahestehende Berliner Tageblatt, das ähnlich wie die sozialdemokratische Presse die Unklarheiten des Juli-Erlasses kritisierte, sah die Gründe für das Scheitern Bethmann Hollwegs, nicht zuletzt bei der Wahlrechtsreform, in seiner zögerlichen und unentschlossenen Politik. "Wohl war er vom besten Willen beseelt", hieß es im Nachruf des Tageblatts, "die innerpolitische Neuordnung vorzunehmen, wohl war er einsichtig genug, die Notwendigkeit der Umgestaltung des antiquierten Preußen-Deutschland zu erkennen, trotzdem fand er den Weg zur Tat nicht. Er überschätzte die Widerstände und ist nun gefallen, weil seine Politik des Vertröstens, des Hinauszögerns und der Entschlußlosigkeit schließlich keinen Ausweg mehr wußte". Berliner Tageblatt, NT. 355, Ausgabe vom 14. Juli. Zum Sturz Bethmann Hollwegs siehe auch Patemann, Wahlreform, S. 93 ff.

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Der alte Gegensatz zwischen Königtum und Feudalität brach daraufhin unversehens wieder auf, denn die konservative Opposition zum gleichen Wahlrecht zeigte sich weder im Herren- noch im Abgeordnetenhaus geneigt, die Autorität des Monarchen anzuerkennen. Doch da die preußische Wahlrechtsreform zunehmend auf Reichsebene entschieden wurde, konnte die Staatsregierung, zumal sich auch die Reichstagsfraktionen der Mitte, das Zentrum und die Nationalliberalen, sowie der Interfraktionelle Ausschuß für das gleiche Wahlrecht aussprachen, mit der grundlegenden Umgestaltung des Landtages und des Wahlrechts voranschreiten. Die dem Landtag in der zweiten Novemberhälfte unter Federführung des neuen preußischen Innenministers William Arnold Drews vorgelegten Gesetzentwürfe sahen einerseits eine Demokratisierung des Abgeordnetenhauses durch die Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts sowie des direkten und geheimen Wahlverfahrens vor,414 andererseits beabsichtigten sie, die Vorherrschaft der Grundaristokratie im Herrenhaus zu beseitigen. Von der Gesamtzahl seiner 550 Mitglieder sollten nur noch 60 auf Lebenszeit berufene Vertreter des repräsentationsberechtigten Adels sein, jeweils 36 Sitze waren für die Stadtoberhäupter der großen Städte, die Vertreter des Großgrundbesitzes und die Leiter von großen Unternehmen für die Dauer ihres Amtes vorgesehen. Weitere Mandate entfielen für die Dauer von zwölf Jahren auf die Stadt- und Landkreise (76), die beruflichen Kammern (84) sowie die Kirchen und Hochschulen (32). Schließlich sollte der König neben dem Kronprinzen bis zu 150 Mitglieder "kraft besonderen Vertrauens" in das Herrenhaus berufen können. 415 Das Frauenwahlrecht hatte das Staatsministerium überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Die unterschiedliche Größe der Wahlkreise tastete der Gesetzentwurf grundSätzlich nicht an. Innenminister Drews hatte sich zunächst gegen die im Staatsministerium verbreitete Ansicht gewandt, daß mit dem Zugeständnis des gleichen Wahlrechts der Demokratisierung Genüge getan, auf Grund der zu erwartenden weiteren "Radikalisierung" des Parlaments von einer neuen Wahlkreiseinteilung jedoch abzusehen wäre. Der Angriff gegen das bestehende Wahlrecht richtete sich nicht nur, wie Drews unumwunden verdeutlichte, gegen das subjektive Wahlrecht, sondern nicht weniger energisch gegen die Wahlkreiseinteilung. Wenn die Wahlbezirksfrage in der letzten Zeit in der öffentlichen Diskussion in den Hintergrund getreten war, deutete das nicht auf ein nachlassendes Interesse an diesem Problem hin. Nach Drews Überzeugung mußten, sobald das glei414 GesEntw, betreffend die Wahlen zum Haus der Abgeordneten, 22. November 1917. AIPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 7, Nr. 688, S. 4383-4392. Vgl. insbesondere die §§ 1, 3, 9 u. 14. 415 GesEntw, betreffend die Zusammensetzung des Herrenhauses. A. a. 0., S. 4393-4404.

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ehe Wahlrecht eingeführt war, die Auseinandersetzungen um die Neueinteilung der Wahlkreise mit unverminderter Schärfe wieder ausbrechen. Die Wahlreform verfehlte daher ihren Zweck, wenn sie die Wahlbezirksrevision aussparte. Ungeachtet des Artikel 69 der Verfassungsurkunde, bemerkte der Innenminister, hatte die spätere preußische Gesetzgebung den Bevölkerungsschlüssei als wesentlichen Einteilungsmaßstab beibehalten. 416 Das Ziel des Staatsministeriums mußte darauf hinauslaufen, legte der spätere Staatskommissar für die Verwaltungsreform und Präsident des preußischen Oberverwaltungsgerichts dar, eine Wahlkreiseinteilung zu entwickeln, die "auf einen in sich geschlossenen Grundgedanken" beruhte. Dabei durften einzelne Landesteile und ihre Bevölkerung nicht benachteiligt und gleichzeitig sollte die politische Radikalisierung des Abgeordnetenhauses nach Möglichkeit verhindert werden. Drews schlug prinzipiell vor, jeder Stadt und jedem Landkreis nach einem bestimmten Bevölkerungsschlüssel ein Mandat zu überweisen. Bei Überschreitung des Bevölkerungsschlüssels waren entsprechend weitere Mandate einzurichten, für die eigene Wahlkreise gebildet werden sollten. Städte und Landkreise, die unterhalb des Repräsentationsschlüssels blieben, mußten mit anderen Kreisen zu Wahlbezirken vereinigt werden. Damit wäre ein seit Jahrzehnten geübtes wahlrechtspolitisches Prinzip durchbroehen worden. Je kleiner der Bevölkerungsschlüssel für die Wahlkreise gewählt wurde, desto geringer fiel die Gefahr einer weiteren Radikalisierung des Parlaments aus. Der Innenminister setzte den Bevölkerungsschlüssel pro Mandat auf 100000 Einwohner fest. In Analogie zum Prinzip des Wahlbezirksgesetzes von 1860 konnte der Schlüssel um fünfzig Prozent nach oben oder unten überschritten werden. Auf diese Weise war es möglich, daß schon Kreise mit 50000 Einwohnern einen Abgeordneten wählen konnten. Nach dem von Drews entwickelten Verfahren wäre die Zahl der Abgeordneten auf 488 erhöht worden, von denen voraussichtlich 171 der Sozialdemokratie zufallen würden. Über diese Aussichten war die Mehrheit der Staatsminister derart "erschüttert", daß sie, wenngleich die Aktualität der Wahlbezirksrevision außer Frage stand, die systematische Neueinteilung der Wahlkreise nicht mehr in Erwägung ziehen wollten. Vizepräsident von Breitenbach und Staatsminister Karl Helfferich plädierten für das bewährte Prinzip, die großen Wahlkreise neu aufzuteilen und die Mandate entsprechend zu vermehren. Zugleich sollte in den übergroßen städtischen Wahlkreisen das Verhältniswahlrecht eingeführt werden. Davon versprach man sich einen Vorteil für die parlamentarische Rechte. 417 Ministerpräsident Georg Michaelis un416 Vgl. dazu Votum Drews, 6. August 1917. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, 1 d, Nr. 1, adhib, Bd. 2, BI. 270 ff. 68 Grzywatz

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terstützte die Entscheidung für die Verhältniswahl in den großen Städten. Finanzminister Oskar Hergt und Handelsminister Reinhold Sydow traten dagegen für die Absicht ein, die Wahlrechtsreform mit der Neueinteilung der Wahlkreise zu verbinden. Sydow regte an, eventuell einen Flächenmaßstab zu entwickeln oder die Bevölkerungsziffer für den dritten und vierten Abgeordneten auf 300 bzw. 450000 Einwohner heraufzusetzen. Zu einem definitiven Beschluß kam das Staatsministerium Anfang August noch nicht. Man hatte freilich zur Kenntnis genommen, daß auch das Zentrum und die Nationalliberalen in Übereinstimmung mit dem Innenminister eine zwar antiradikale, aber schnelle Lösung der Wahlbezirksfrage für notwendig hielten. 418 Innenminister Drews wurde zunächst aufgefordert, weitere statistische Ermittlungen anzustellen. Dabei sollten die Beibehaltung der bestehenden Wahlbezirke, ihre Neueinteilung unter Berücksichtigung der Verhältniswahl sowie der Bevölkerungsmaßstab, wahlweise auch der gemischte Maßstab von Fläche und Bevölkerung als ausdrückliche Alternativen behandelt werden. 419 Zu Beginn der letzten Augustwoche konnte Drews die Ergebnisse vorlegen. Danach gewannen die Sozialdemokraten infolge der Einführung des gleichen Wahlrechts und der Aufrechterhaltung der bestehenden Wahl bezirkseinteilung 97 Mandate, die Linksliberalen kamen auf 49, die Polen auf 39 Abgeordnete. Wurden die größten Wahlbezirke nach dem Repräsentationsschlüssel von 200000 Einwohnern pro Mandat geteilt, nahm die Zahl der oppositionellen Mandate um 15 zu, die sich im Verhältnis von 12: 1: 2 auf die Sozialdemokraten, Freisinnigen und Polen verteilten. 42o Die Etablierung der Verhältniswahl in den Großstädten - Berlin wurde dabei als einheitlicher Wahlkreis mit 12 Abgeordneten zusammengefaßt, obwohl er eigentlich 20 Mandate beanspruchen konnte - löste keine wesentliche Schwächung der Sozialdemokratie aus, da die in Frage kommenden Wahlkreise überwiegend großstädtischen Charakter hatten und von den sozialdemokratischen Wählern dominiert wurden. Die Verhältniswahl kam vor allem den bürgerlichen Minoritäten zugute. Diese Tendenz wurde jedoch durch Wahlkreise mit sozialdemokratischen Minderheiten ausgeglichen. Bei einer Neueinteilung der Wahlkreise nach dem Bevölkerungsmaßstab ergaben sich ebenfalls keine wesentlichen Änderungen; einerlei, ob der Verteilungsschlüssel mit 50 bis 150000 Einwohner für ein Mandat, 150 bis 417 Siehe Protokollauszug der Sitzung des Staatministeriums, 16. August 1917. A. a. 0., BI. 298 f. 418 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 7. August 1917. A.a.O., BI. 286. 419 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 16. August 1917. A.a.O., BI. 300. 420 Bericht Drews, 24. August 1917. A. a. 0., BI. 302 ff.

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300000 Einwohner für zwei und 300 bis 450000 Einwohner für drei Mandate zum Zuge kam oder in den Wahlkreisen mit über 250000 Einwohnern zur Verhältniswahl geschritten wurde. Die Möglichkeit, den Bevölkerungsmaßstab durch die Fläche zu ergänzen, hatte Drews nicht in Erwägung gezogen, da er die städtische Bevölkerung zu stark benachteiligte. 421 Der Innenminister empfahl im Anschluß an die statistischen Ermittlungen, die bestehende Wahlbezirkseinteilung zu erhalten und die bevölkerungsmäßigen Disproportionalitäten durch eine Vermehrung der Abgeordnetenmandate auszugleichen. Die Einführung der Verhältniswahl lehnte Drews ab, da sie langfristig nur die Sozialdemokratie stärkte. Das Staatsministerium folgte dieser Empfehlung. 422 Dabei hatte die parlamentarische Rechte keine Änderung der bestehenden Wahlkreisordnung gewünscht. Allein die Freikonservativen plädierten für eine Neueinteilung, allerdings unter Berücksichtigung des antistädtischen Maßstabs aus Fläche und Bevölkerung. Beim Fortbestand der bestehenden Wahlbezirkseinteilung erklärten sich die Freikonservativen bereit, im Anschluß an die Ziele des Kabinetts, einem Abbau der Bevölkerungsdifferenzen unter Zugrundelegung eines hohen Repräsentationsschlüssels zuzustimmen. 423 Zukünftig war also vorgesehen, größere Kreise in mehrere Wahlbezirke aufzuteilen. 424 Betrug die Zahl der auf ein Mandat entfallenden Einwohner nach der letzten allgemeinen Volkszählung mehr als 250000, mußte bei der nächsten Wahl für die über dieses Limit hinausgehende Bevölkerungsziffer in dem betreffenden Wahlkreis jeweils ein neuer Abgeordneter aufgestellt werden. 425 Trotz der seit Jahr und Tag bekannten Kritik der Städte und Industriebezirke an ihrer parlamentarischen Unterrepräsentation, zog sich die Staatsregierung mit diesem Vorschlag auf eine überholte Argumentation zurück. Wenig überzeugend hob sie die Bedeutung der Änderungen von 1906 hervor, unterstrich das Gewicht von organisch gewachsenen politischen und wirtschaftlichen Gebietseinheiten und erklärte die bestehenden Ungleichheiten für insgesamt nicht bedeutend. Natürlich mußte die Staatsregierung zugeben, daß seit der letzten Volkszählung im Jahre 1910 erneut eine erhebliche Bevölkerungsverschiebung aufgetreten war. Trotzdem machte sie gegenüber einer völligen Neueinteilung der Wahlkreise nach dem Bevölkerungsmaßstab grundsätzliche BedenA a. 0., BI. 305 f. Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 29. August 1917. Aa.O., BI. 317. Der Gesetzentwurf, a.a.O., BI. 338 ff. u. 352 ff.; das Verzeichnis der Wahlbezirke mit Mandatsvermehrung, a.a.O., BI. 342 u. 367. 423 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 14. September 1917. A a. 0., BI. 324. 424 § 24, Abs. 1, GesEntw, Abgeordnetenwahlen, 1917. A a. 0., S. 4384. 425 § 24, Abs. 2, Ziff. 3, GesEntw, Abgeordnetenwahlen, 1917. Ebd. 421

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ken geltend. Einerseits, das war bereits bekannt, wurde der Bevölkerungsmaßstab nach Regierungsauffassung nicht der besonderen Bedeutung des flachen Landes gerecht, andererseits hatte die Kriegssituation die Verschiebungen entgegen der landläufigen Tendenz beeinflußt. 426 Nach Ansicht der Staatsregierung genügte es, daß Mißverhältnis zwischen der Einwohnerzahl und der Mandatsverteilung im Rahmen des bisherigen Wahlkreissystems zu beseitigen. Nach den Regelungen des Gesetzentwurfes waren nur Wahlbezirke mit mehr als 250000 Einwohnern reformbedürftig. Insgesamt kamen zwölf Wahlbezirke in Frage. Neben verschiedenen Wahlkreisen an Rhein und Ruhr und in Oberschlesien, einem Bezirk in Schleswig-Holstein (KielBordesholm, Neumünster) waren es die Wahlkreise Potsdam 9-11 mit den größten Vorortgemeinden Berlins und den zwei südlichen Umlandkreisen. Im Wahlkreis Potsdam 9, Teltow-Beeskow-Storkow einschließlich der Stadt Wilmersdorf, entfielen zwischenzeitlich auf ein Mandat 299000 Einwohner. In Charlottenburg (Potsdam 10) kamen 306000 Personen auf einen Abgeordneten. Im gemeinsamen Wahlkreis der Vororte Neukölln und Schöneberg (Potsdam 11) waren es sogar 410000 Einwohner, ein Verhältnis, das nur noch im Wahlkreis Essen-Stadt (Düsseldorf 13) übertroffen wurde. 427 Die durchschnittliche Bevölkerungsziffer pro Abgeordneten lag in den zwölf als reformbedürftig eingeschätzten Wahlkreisen bei 328000. Durch die jeweilige Zuweisung eines weiteren Mandats stieg die Zahl der Abgeordneten von 443 auf 455 an, während der Repräsentationsschlüssel auf den Wert von 172 000 sank. In Preußen entfielen 1910 im allgemeinen nur 90666 Einwohner auf einen Abgeordneten. Die Städte bzw. stadtnahen Kreise waren demnach weiterhin stark benachteiligt, zumal die gesetzliche Regelung erst ab dem doppelten Durchschnittswert die Zulassung eines neuen Mandats vorsah. Innenminister Drews, der das zögerliche Handeln in den vorangegangenen Jahren nochmals mit den weit auseinandergehenden Meinungen der Parteien rechtfertigte, erachtete auf Grund der durch die Weltkriegssituation geschaffenen "Inanspruchnahme aller Staatsbürger" die Einführung des gleichen Wahlrechts für unumgänglich. Bei der Begründung der erneut verschobenen Wahlkreisreform ging er noch hinter die im Gesetzentwurf entwickelte Argumentation zurück, indem er von der Bewährung der Wahlkreiseinteilung im Laufe der zurückliegenden Jahrzehnte sprach. Da sich die Wahlkreise nun einmal zu festen, in sich geschlossenen Bezirken entwickelt hatten und nachhaltig auf das politische Leben wirkten, erläuterte Drews, schien allein dadurch schon ihre Zweckmäßigkeit ausgewiesen wie ihre Beibehaltung begründet zu sein. 428 Da zukünftig die Mandatsvermeh426 427

A. a. 0., S. 4390. A. a. 0., S. 4392. Abgerundete Bevölkerungsziffem nach den Ergebnissen der

Volkszählung von 1910. Vgl. dazu die Tab. 34 u. 35 im Stat. Anhang.

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rung prinzipiell in Abhängigkeit von der Bevölkerungsziffer erfolgen sollte, glaubte Drews die Vertretung der bevölkerungstärkeren Wahlkreise hinreichend abgesichert zu haben. Die konkreten Regelungen des Gesetzentwurfs schufen wohl einen gewissen Ausgleich, waren aber keineswegs eine adäquate Antwort auf die demographischen Verhältnisse der industrialisierten Gesellschaft. Den Linksliberalen war das nur zu bewußt, trotzdem gedachten sie, obwohl sie grundsätzlich an der Unvermeindlichkeit einer Neueinteilung der Wahlkreise festhielten, den Regierungsentwurf in dieser Frage zu akzeptieren. Die Herstellung der "Rechtsgleichheit" hatte für sie absolute Priorität. Das Reformwerk sollte, wie Pachnicke verdeutlichte, auf keinen Fall durch zusätzliche Forderungen belastet werden. Die Wahlkreiseinteilung stand deshalb für die Fortschrittliche Volkspartei ebensowenig zur Diskussion wie das Frauenoder Gemeindewahlrecht. Pachnicke merkte lediglich an, daß man sich für die Verhältniswahl in den dicht bevölkerten Wahlbezirken einsetzen würde. 429 Zu einem solchen Entgegenkommen fand man sich auf Seiten der Unabhängigen Sozialdemokraten nicht bereit. "Die erste Voraussetzung für ein gleiches Wahlrecht wäre doch die Gleichheit der Wahlkreise", empörte sich der Berliner Redakteur Heinrich Ströbe1. 43o Eine "ungeheuerliche Wahlkreisgeometrie", die den ländlichen Wählern das fünf- und sechsfache Wahlrecht gegenüber den Wählern in den Städten gab, machte die Reform zu "Schein- und Katzengold". Die Wahlkreiseinteilung mit den differierenden Flächenarealen zu begründen, wie es der Zentrums abgeordnete Felix Porsch versuchte,431 lehnten die Unabhängigen zu Recht als opportunistische Absurdität ab. Diese Auffassung teilte auch Paul Hirsch. Sollte über die nur prinzipielle Einführung des gleichen Wahlrechts hinausgegangen werden, mußte eine vollständige Neueinteilung der Wahlkreise auf der Grundlage der Bevölkerungsziffer vorgenommen werden. 432 Selbst in den von der Gesetzesreform erfaßten zwölf Wahlbezirken, schwankte die Bevölkerungsziffer nach Zuteilung der neuen Mandate zwischen 137000 (Oppeln 5: Tarnowitz-Beuthen) und 223000 (Düsseldorf 13: Essen-Stadt) Einwohnern. 433 Der spätere preu428 Rede Drews. PAH, 5. Dezember 1917. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 6, Sp. 6571. 429 Rede Pachnicke. PAH, 5. Dezember 1917. Aa.O., Sp. 6617. Staatspolitisch sah Pachnicke die Wahlreform als Voraussetzung "innere(r) Geschlossenheit", ohne die weder die Kriegshandlungen noch ein möglicher Friede zu einem vorteilhaften Ende zu führen waren. Vgl. A a. 0., Sp. 6608. 430 Rede Ströbel. PAH, 6. Dezember 1917. Aa.O., Sp. 6655. 431 Vgl. Rede Porsch. PAH, 5. Dezember 1917. Aa.O., Sp. 6620 ff. 432 Rede Hirsch. PAH, 7. Dezember 1917. A.a.O., Sp. 6762.

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ßische Ministerpräsident wandte sich insbesondere gegen § 1 des Regierungsentwurfs, nach dem in Gemeinden, die in mehrere Wahlbezirke aufgeteilt waren, der Wahlbezirk an die Stelle der Gemeinde trat. Folglich konnte in solchen Kommunen das Wahlrecht nur ausgeübt werden, wenn der Wähler ein Jahr im Wahlbezirk gelebt hatte. Da es in Preußen nur eine einzige Gemeinde gab, die in mehrere Wahlbezirke aufgeteilt war, nämlich die Reichshauptstadt, sah Hirsch in dieser Bestimmung ein inakzeptables "Ausnahmegesetz gegen Berlin".434 Im Gegensatz zu den Linksliberalen wollten die Sozialdemokraten, wie Hirsch betonte, auch nicht aus taktischen Gründen auf eine Einführung des Frauenwahlrechts verzichten. Schon die unentbehrliche Teilnahme der Frauen am Wirtschaftsleben mußte nach ihrer Auffassung eine Erweiterung der Wahlrechtsreform in dieser Beziehung begründen. Die politische Mitte wie die Rechte des Abgeordnetenhauses begriff die Wahlkreiseinteilung als eine Art Damm gegen "eine zu weitgehende Demokratisierung" des Parlaments. 435 Der infolge der Industrialisierung entstandene verschärfte demographische Gegensatz zwischen Stadt und Land mußte politisch in eine Majorisierung der Landbezirke münden, wenn städtische und ländliche Gebiete zu Wahlkreisen vereinigt wurden. Für das Zentrum bedeutete die Verbindung von Bevölkerungsziffer und Fläche als Kriterium der Wahlkreiseinteilung gleichsam einen Schutz für die politische Partizipation des flachen Landes. Der stellvertretende Fraktionsführer Herold fragte, ob es nicht sinnvoll wäre, dieses Kriterium als grundlegendes Einteilungsprinzip gesetzlich festzulegen. 436 Außerdem wollte das Zentrum prüfen, ob nicht im Anschluß an die Vorstellungen des vormaligen Staatssekretärs im Reichsamt des Innern, Arthur Graf von Posadowski-Wehner, Stadt und Land überhaupt bei der Wahlkreiseinteilung getrennt werden mußten. In Anbetracht der demographischen Segregation von früher einheitlichen Wahlkreisen forderten die Freikonservativen einen größeren Minderheitenschutz, den man durch die Einführung der Verhältniswahl in besonders betroffenen Wahlkreisen garantiert sah. 437 Dieser Gedanke wurde, ungeachtet der Bedenken gegen das sich dann zwangsläufig lockernde Verhältnis zwischen Wähler und Abgeordneten, vom Zentrum geteilt. Die Fraktion dachte dabei nicht an eine allgemeine Einführung der Verhältniswahl, sondern lediglich an ihre Zulassung in stark AIPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 7, DS Nr. 698, Anlage, S. 4392. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 6, Sp. 6760. 435 Vgl. die Reden des Freikonservativen von Zedlitz-Neukirch sowie des Zentrumsabgeordneten Karl Herold. PAH, 6. bzw. 10. Dezember 1917. Aa.O., Sp. 6699 u. 6785. 436 A a. 0., Sp. 6785. 437 A a. 0., Sp. 6700. 433

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4. Die Stadtgemeinden und die Wahlrechtsfrage im Ersten Weltkrieg

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bevölkerten Wahlkreisen, die ein zusammenhängendes, begrenztes Wirtschaftsgebiet bildeten. 438 Die Furcht der Konservativen, das gleiche Wahlrecht führe zur völligen Demokratisierung, mithin "mit Notwendigkeit zum Parlamentarismus und über den Parlamentarismus zur Republik",439 beeinflußte auch solche Fraktionsmitglieder, die, wie der Freikonservative Paul Lüdicke, als Stadtverordneten-Vorsteher in Spandau und Mitglied der Zweckverbandsversammlung Groß-Berlin sowie des Brandenburgischen Provinziallandtages mit den politischen Vertretungsverhältnissen von Stadt und Land im Bereich der metropolitanen Bevölkerungsagglomeration und den Ungerechtigkeiten der bestehenden Wahlkreiseinteilung besonders vertraut waren. 440 Die Fraktionsdisziplin der Linksliberalen war in der Wahlkreisfrage keineswegs geschlossen. atto Wiemer ließ es sich als Berliner Abgeordneter44l nicht nehmen, auf die überlieferte Wahlkreiseinteilung als "ein versteinertes Unrecht,,442 aufmerksam zu machen. Wenn auch Einigkeit über die Ablehnung einer "mechanischen" Anwendung des Bevölkerungsprinzips in seiner Fraktion herrschte, die groben Ungerechtigkeiten und Unzuträglichkeiten, welche gegenwärtig auf Grund einer veralteten Wahlkreiseinteilung bestanden, mußten in Zukunft vollständig vermieden werden. Das galt nach Wiemer vor allem für die Zurücksetzung der großstädtischen Bevölkerung und der Industriezentren. Die schwere Benachteiligung der Städte verbot nach Wiemer ein Hinausschieben der Wahlkreisreform. Die Bemühungen sollten dahinlaufen, bei der Revision soweit gehende Änderungen als nur irgend möglich herbeizuführen. Von fortschrittlicher Seite wurde weiterhin kritisiert, daß die gleichzeitig vorgesehene Reform des Herrenhauses keine Gewähr für eine ausreichende Vertretung der Städte und der städtischen Selbstverwaltung bot. Da die vorgesehenen 72 Mitglieder als Vertreter der städtischen und ländlichen Selbstverwaltung von den Provinziallandtagen präsentiert werden sOllten,443 die Provinziallandtage aber überwiegend vom Großgrundbesitz dominiert wurden, ließ sich keine angemessene Vertretung der Städte erreichen. Bildeten die A a. 0., Sp. 6786. Aa.O., Sp. 681l. 440 VgI. Rede Lüdicke. PAH, 10. Dezember 1917. A.a.O., Sp. 6814. 441 Wiemer vertrat den Wahlbezirk Beriin 4, der die TempeIhofer Vorstadt (östlicher Teil) sowie die Luisenstadt diesseits des Kanals (südlicher Teil) umfaßte. 442 Rede Wiemer. PAH, 10. Dezember 1917. A.a.O., Sp. 6802. 443 §§ 4, Ziff. 1, 2 u. 12 bis 14, GesEntw, Zusammensetzung des Herrenhauses, 1917. AlPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 7, S. 4394 u. 4392. Für die Stadt Berlin waren drei Vertreter vorgesehen, die vom Magistrat und der StadtverordnetenVersammlung in gemeinschaftlicher, unter Vorsitz des Bürgermeisters stattfindender Sitzung präsentiert werden mußten. §§ 5, Abs. 2 u. 15, Aa.O., S. 4393 f. 438 439

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kreisfreien Städte, d.h. die Großstädte, in den Provinziallandtagen eine eigene Kurie, war die ausreichende Vertretung der nicht kreisfreien Städte gefährdet, während im anderen Fall die Großstädte nur unzureichend repräsentiert wären. Durch die Reduzierung der städtischen Mandate, bislang gehörten 51 Oberbürgermeister, zukünftig nur noch 36 dem Herrenhaus an, war der städtische Einfluß generell tangiert. In dieser Hinsicht mußte, solange das Zweikammersystem aufrecht erhalten wurde, für einen Ausgleich durch eine stärkere Vertretung der städtischen Selbstverwaltung gesorgt werden. 444 Grundsätzlich lehnte die bürgerliche Linke jedoch ebenso wie die bei den sozialdemokratischen Fraktionen die Beibehaltung der Ersten Kammer ab. Zur Enttäuschung der Staatsregierung fand sich weder bei den Kommissions- noch den Plenarberatungen eine Mehrheit für die Einführung des gleichen Wahlrechts. Wie bei den vorangegangenen Reformanläufen entschied sich die konservative Mehrheit des Landtags unter Einschluß eines Teils der Nationalliberalen für das Pluralwahlrecht. 445 Der Hinweis des Ministerpräsidenten Georg Graf von Hertling, daß ein Pluralwahlrecht mit Grundund Zusatzstimmen je nach Lebensalter, Kinderzahl, Vermögen, Einkommen, selbständige Erwerbstätigkeit und Schulbildung für die Staatsregierung nicht annehmbar war, da es den plutokratischen Charakter des Wahlgesetzes aufrecht erhielt,446 konnte die Mehrheit ebensowenig überzeugen wie die Drohung der Staatsregierung, bei Ablehnung des gleichen Wahlrechts die besonderen, ihr nach der Verfassung zustehenden Mittel anzuwenden. 447 Nicht einmal mit dem Angebot "Sicherungen" gegen "allzu radikale Folgen" des gleichen Wahlrechts zuzulassen, erreichte die Staatsregierung Zugeständnisse. Durch ein Vetorecht des Herrenhauses gegenüber Beschlüssen des Abgeordnetenhauses sowie die Einführung einer Zweidrittelmehrheit für Verfassungsänderungen anstelle der bisherigen Möglichkeit, die Verfassung durch einfaches Gesetz zu ändern, sollten die Sicherungen gewährleistet werden. Nach fünf Lesungen hatte sich die Mehrheit der Konservativen und Teile der Nationalliberalen wie des Zentrums auf ein Pluralwahlrecht mit einer Grundstimme und zwei Zusatzstimmen geeinigt. Diese waren an das Lebensalter und die berufliche Qualifikation gebunden. Selbst Arbeitern und Angestellten in gehobener Stellung sollte das Vorrecht auf zusätzliche Stimmen gewährt werden. Die siegreiche Majorität präsentierte diesen Komprorniß als Durchsetzung des Gedankens vom "nichtplutokratischen Mehrstim444 Rede des Stettiner Abgeordneten Julius Lippmann. PAH, 10. Dezember 1917. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 6, Sp. 6848. 445 Vgl. Patemann, Wahlreform, S. 143 ff. u. 172 ff. 446 Rede von Hertling. PAH, 30. April 1918. A.a.O., Bd. 8, Sp. 9286. 447 Vgl. Patemann, Wahlreform, S. 175 ff. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S.484.

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menrecht".448 Angesichts der Tatsache, daß die breite Masse der Wähler weiterhin einer, wenn auch gemilderten Benachteilung ausgesetzt war, stieß die Entscheidung in den eigenen Reihen auf Zustimmung. Das Zentrum hatte den Gedanken eines konservativen Sicherungsmittels gegen die befürchtete weitere Radikalisierung des Verfassungsrechts dadurch erzwungen, daß Verfassungsänderungen im Wege der ordentlichen Gesetzgebung eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Landtags erforderten. 449 Der politische Katholizismus hoffte auf diese Weise, den Gesetzesinitiativen der zukünftig zu erwartenden linken Mehrheit im Abgeordnetenhaus Grenzen zu setzen. 5. Modernisierung zwischen Beharren und Fortschritt Wahlrecht und Wahlkreise vor dem deutschen Zusammenbruch Die preußische Wahlrechtspolitik wurde nicht durch energische Reforminitiativen gelenkt. Ein konservierendes, auf die historisch-politische Eigenart der deutschen Staats- und Verfassungsstruktur verweisendes Bewußtsein unterlegte die Wahlrechtsreform mit dem Ziel, durch Veränderungen nur die alten Wirkungen zu erzielen. Die Zusage des gleichen Wahlrechts im Juli 1917 und die Aufgabe des Grundsatzes, dessen Einführung bis nach Kriegsende zu verschieben, folgte zwar der Einsicht in die Unvermeidlichkeit eines grundlegenden innenpolitischen Wandels, aber nach dieser unverkennbaren Zäsur ging der Reformwille der Regierung nicht soweit, sich gegen die opponierenden Kräfte des Landtags und die Oberste Heeresleitung durchzusetzen. Wenn die Verweigerung der Wahlrechtsgleichheit die mangelnde soziale Integrationsfähigkeit des preußischen Staates signalisierte, so verwies sie im Zusammenhang mit dem Mangel einer bevölkerungsadäquaten Repräsentation auf politische Integrationsdefizite: den Dualismus von Stadt und Land sowie die fehlende Einbindung Preußens in das Reich. 45o So Huber, a. a. 0., S. 490. Vgl. den Antrag Porsch zum Art. 107 der PrVerfUrk. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916118, Bd. 9, Sp. 10069 ff. 450 An die Einführung des gleichen Wahlrechts knüpften führende Intellektuelle des Kaiserreichs die Hoffnung einer Überwindung des preußisch-deutschen Gegensatzes. Vgl. Anschütz, Die preußische Wahlreform, Berlin 1917. Meinicke, Die Reform des preußischen Wahlrechts, in: Annalen für soziale Politik und Gesetzgebung, Bd. 5 (1917), H. 1, S. 1-27. Zuletzt in: Politische Schriften und Reden, hrsg. von G. Kotowski (= Werke, Bd. 2), 4Dannstadt 1979, S. 146-173. Laband, Die Wahlreform in Preußen, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 15 (1910), Sp. 1-9. Max Weber, Das preußische Wahlrecht [Erstdruck 1917], in: Ders., Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914-1918. Studienausgabe der Max-Weber-Gesamtausgabe, hrsg. von WJ. Mommsen in Zusammenarbeit mit G. Hübinger, Bd. 1115, Tübingen 1988, S. 94-101. Ders., Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, in: A.a.O., S. 155-189. 448 449

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Gegenüber der Wahlrechtsfrage findet das Problem der Wahlkreisreform in der neueren verfassungsgeschichtlichen und wahlhistorischen Literatur nur wenig Beachtung, obwohl in den Parlamentsdebatten immer wieder auf die gleichmäßige Einteilung der Wahlbezirke als selbstverständliche Voraussetzung des gleichen Wahlrechts insistiert wurde. Huber ignoriert die Auseinandersetzungen um die Wahlkreisreform weitgehend451 und auch die neueren Überblicksdarstellungen von Vogel, Nohlen und Schultze452 sowie von Gerhard Ritter453 vernachlässigen diese Seite der Wahlrechtskonflikte. Patemanns detaillierte Studie über die preußische Wahlrechtsreform erwähnt zwar die Erörterungen über die Wahlkreiseinteilung im Staatsministerium, räumt aber den Anstrengungen um die Reform des eigentlichen Wahlrechts Priorität ein. 454 Während der Kommissionsberatungen im April 1918 wurde der Gedanke, die Verhältniswahl in bestimmten Wahlbezirken einzuführen, länger diskutiert, ohne daß sich eine Mehrheit für konkrete Anträge fand. 455 Die Vorlagen zum § 24 des Regierungsentwurfs fielen in zwei Gruppen. Die eine bezog sich auf die Einführung der Verhältniswahl, die andere auf die Festlegung der Wahlbezirke und die Verteilung der Abgeordneten. Nationalliberale und Fortschrittler verlangten, eine Reihe von Wahlbezirken zusammenzulegen und die Gesamtzahl der auf die neuen Bezirke entfallenen Abgeordneten in Anlehnung an die reichs gesetzlichen Bestimmungen nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechts wählen zu lassen. Differenzen eröffneten sich nur im Hinblick auf den Umfang der zu verbindenden Wahlkreise bzw. der Selektion jener Bezirke, die unter die Verhältniswahl fallen sollten. 456 Sowohl im nationalliberalen als auch im fortschrittlichen Antrag wurde vorgeschlagen, die zwölf Berliner Wahlbezirke und diejenigen Potsdamer Bezirke zu verbinden, welche die Vororte Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg und Neukölln sowie die Kreise Teltow und Beeskow-Storkow einschlossen, ergänzt durch die Wahlbezirke Potsdam 4 bzw. Potsdam 4 und 5. Weitere Zusammenlegungen mit unterschiedlicher Verdichtung der Wahlbezirke wurden für die Regierungsbezirke Arnsberg, Bromberg, Düsseldorf, Marienwerder, Oppeln, Posen und Trier vorgeschlagen. Für einzelne Wahlkreise des Regierungsbezirks Düsseldorf (1, 2, 4, 5, 13 u. 15) beantragte die Fortschrittliche Volkspartei keine Verbindung, sondern statt Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 479 ff. Vogel/Nohlen/Schultze, Wahlen, S. 133. 453 Ritter, Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch, S. 132 ff. 454 Patemann, Wahlreform, S. 105 f. 455 KomBer Johannes Bell, 30. April 1918. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916118, Bd. 8, Sp. 9285. 456 V gl. den Antrag Nr. 930 des nationalliberalen Abgeordneten Heinrich Althoff und den Antrag Nr. 934 des fortschrittlichen Abgeordneten Louis Aronsohn. A. a. 0., Sp. 9558 f. 451

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dessen die alleinige Durchführung der Verhältniswahl. Daneben sollte in den städtischen Wahlkreisen Arnsberg (10, 11), Breslau (4), Hannover (4), Köln (1), Münster (4), Schleswig (14) und Trier (5) in derselben Weise verfahren werden. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Vermehrung der Mandate wollten die Nationalliberalen, unabhängig von der zukünftigen Verbindung der Wahlbezirke, beibehalten. Die Sozialdemokraten blieben bei ihrer Forderung nach einer Wahlkreiseinteilung, die sich streng an das Bevölkerungsprinzip hielt. Anhand der letzten Volkszählungsergebnisse war die Abgrenzung der Wahlbezirke und die Verteilung der Abgeordneten in der Weise vorzunehmen, daß auf jedes Mandat die gleiche Einwohnerzahl entfiel. 457 Der Zentrums antrag ließ das vom Regierungsentwurf entwickelte Einteilungsprinzip unangetastet und suchte die bestehende Wahlkreiseinteilung zu sichern. Die Abgrenzung der Wahlkreise sowie die Mandatsverteilung sollte nur durch Gesetz erfolgen, dessen Verabschiedung ebenfalls eine Zweidrittelmehrheit beider Kammern voraussetzte. 458 Innenminister Drews machte im Namen der Staatsregierung deutlich, unter keinen Umständen für das gesamte Staatsgebiet ein allgemeines Proportionalwahlrecht zulassen zu wollen. In Übereinstimmung mit den Konservativen sah die Regierung eine Lockerung des Verhältnisses zwischen den Abgeordneten und ihren Wahlkreisen voraus. Die Verhältniswahl würde zudem die Parteien stärker als bisher vom "praktischen und örtlichen Leben" loslösen. Nur für große Kommunalbezirke, die ähnlich Berlin in mehrere Wahlkreise zerfielen, ansonsten aber ein einheitlich geschlossenes Wirtschaftsgebiet bildeten, sah der Minister des Innern die Zweckmäßigkeit der Verhältniswahl begründet. "Es ist ein eigen Ding", führte Drews aus, "wenn in einem solchen großen einheitlichen Bezirk, der mehrere Abgeordnete zu wählen hat, die Vertretung dieser ... Mandate ganz ausschließlich durch eine Partei erfolgt, während die Kopfzahl der Minoritäten, die keine Vertretung haben, eine so große ist, daß sie unter normalen Verhältnissen selbständig einen Abgeordneten würden wählen können".459 Für die gemischtsprachlichen Gebiete der östlichen Provinzen, wo der Parteiengegensatz hinter dem nationalen zurücktrat, wollte er unter Umständen allgemein die Berechtigung der Verhältniswahl anerkennen. Die Nationalliberalen paßten sich weitgehend den Vorstellungen des Staatsministeriums an, nur in einer bestimmten Anzahl örtlich eng umgrenzter Bezirke, die wirtschaftlich einheitlich waren, dachte man, die Verhältniswahl einzuführen. Äußere Voraussetzung war, daß auf diese Wahl457 458 459

Antrag Nr. 925 des Berliner Abgeordneten Otto Braun. A. a. 0., Sp. 9558. Antrag Nr. 961 des Zentrumsabgeordneten F. Porsch. A.a.O., Sp. 9559. Rede Drews. PAH, 5. Mai 1918. A.a.O., Bd. 9, Sp. 9579.

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kreise mindestens vier Mandate entfielen. 46o Schon diese Forderung ging dem Zentrum in Anbetracht der konkreten Wahlbezirksverbindungen zu weit. Die Kriterien der geographischen und wirtschaftlichen Einheit wollte man, wenn überhaupt an eine Einführung der Verhältniswahl gedacht wurde, einer besonders engen Interpretation unterziehen. In Gebieten wie dem Saarrevier, Oberschlesien oder den Ostmarken sah das Zentrum keinesfalls solche Voraussetzungen vorliegen. 461 Entsprechend den Kommissionsbeschlüssen hielt das Zentrum kategorisch am Prinzip fest, die Wahlkreiseinteilung und Mandatsschlüssel nach der Einwohnerzahl und Flächenausdehnung unter Berücksichtigung der geschichtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Bezirke vorzunehmen. Da man sich grundsätzlich bereit erklärt hatte, einem "volkstümlichen Wahlrecht" die Zustimmung zu geben, wollten sich die Zentrumsabgeordneten auf absehbare Zeit vor neuen Kämpfen in der Wahlrechtsfrage und damit vor einer Veränderung der Mandatsverhältnisse absichern. "Wir wollen uns dagegen schützen", verdeutlichte der Essener Stadtabgeordnete Bell, "daß dann plötzlich durch eine Mehrheit das ganze System des § 24 über den Haufen geworfen wird, indem man eine neue Wahlkreiseinteilung und eine neue Verteilung der Abgeordneten ... schafft".462 Die gesetzlich geforderte Zweidrittelmehrheit für Änderungen der Mandatsverteilung und der Bezirksabgrenzung sollte gleichsam für die fernere Zukunft jede weitere angestrebte Änderung hintertreiben. Die konservative Partei sah durch die Einführung des Proportionalwahlrechts eine weitere Radikalisierung des Abgeordnetenhauses voraus, die nicht in ihrem Sinne liegen konnte. Sie glaubte, daß der Einführung ausschließlich parteipolitische Motive zu Grunde lagen. Vor allem in Berlin und seinen Vororten sollte der Proporz helfen, den freisinnigen Einfluß zu erhalten. "Das ist mehr als ein persönlicher Streit zwischen der Sozialdemokratie und den Herren Freisinnigen anzusehen", so die konservative Vermutung, "die letzteren wünschen, sich auf diese Weise als Art Altsitzer gegenüber ihren jüngeren Nachfolger gewisse bessere Positionen zu erringen".463 Die Fortschrittliche Volkspartei bestätigte diese Ansicht nahezu, wenn ihr Redner, der Kattowitzer Oberbürgermeister Alexander Pohlmann, anmerkte, es ging zwar nicht darum, "Sicherungsdämme" aufzurichten, aber es mußte für den "dritten Stand" im Geltungsbereich des gleichen Wahlrechts die Möglichkeit geben, "sich gegen die Masse und ohne sie durchzuRede Kar! Menzel. PAH, 3. Mai 1918. A a. 0., Bd. 8, Sp. 9562 f. Rede Bell, PAH, 3. Mai 1918. Aa.O., Sp. 9560. 462 Rede Menzel. PAH, 3. Mai 1918. Aa.O., Bd. 8, Sp. 9562 f. 463 Rede Eugen Wolff (Gorki). PAH, 5. Mai 1918. Aa.O. Bd. 9, Sp. 9575. Vgl. auch die Rede des freikonservativen Hennann Krause (Waldenburg). A a. 0., Sp. 9605 ff. 460 461

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setzen".464 Schließlich brauchte die große Masse "politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche Führer", deren Wahl eben nur auf der Grundlage des Propotionalsystems zu sichern war. Daß die Linksliberalen dabei in erster Linie ihre bisherigen Einflußgebiete wie etwa Berlin und sein Umland vor Augen hatten, verstand sich von selbst. Dem Linksliberalismus ging es aber auch darum, worauf Pohlmann ausdrücklich verwies, in Anknüpfung an das reformierte Reichstagswahlrecht überhaupt "den Grundgedanken der Verhältniswahl"465 in die preußische Wahlrechtsreform einzubringen. Eine Dominanz der ländlichen Wahlkreise, wie sie bislang in Preußen geübt wurde, wollte man in keinem Fall länger dulden. Das war der Anknüpfungspunkt für die Sozialdemokratie. Als Vertreter der Mehrheitsfraktion wandte sich Otto Braun gegen die Ungerechtigkeiten der bestehenden Wahlkreiseinteilung sowie die Zaghaftigkeit des Regierungsentwurfs, auf diesem Gebiet Änderung zu schaffen. Zu Recht bemerkte Braun, daß die Bestimmungen über die Flächenausdehnung oder die wirtschaftliche und geschichtliche Bedeutung eines Bezirks gar nicht in das Wahlgesetz selbst gehörten, da sie eher kommentierenden Charakter hatten und die Realitäten des Industriestaates ins Absurde verkehrten. 466 Das preußische Volk fand eben im Abgeordnetenhaus eine politische Vertretung, nicht aber die tote Fläche oder wirtschaftliche Einrichtungen. Die Fragwürdigkeit der geschichtlichen Bedeutung als Kriterium der Wahlkreiseinteilung demonstrierte Braun am Beispiel Berlins und der Provinz Ostpreußen. Bei annähernd gleicher Einwohnerzahl standen sich hier 32 Abgeordnete der Flächenprovinz und zwölf Abgeordnete der Metropole gegenüber. Dieses Mißverhältnis konnte nicht mit einer wie auch immer gearteten geschichtlichen Bedeutung begründet werden. Schon gar nicht mit dem Hinweis darauf, wie es von konservativer Seite provokativ in der Deutschen Tageszeitung versucht wurde, daß ein Verschwinden Berlins nicht den Bestand des preußischen Staates gefährden, ein Verschwinden Ostpreußens hingegen den Staat zugrunde richten würde. 467 Nicht anders verhielt es sich mit dem Kriterium der wirtschaftlichen Bedeutung. Wenn beispielsweise in den Wahlkreisen Charlottenburg oder Schöneberg-Neukölln 300 bzw. 400000 Einwohner registriert, in den ländlichen Wahlkreisen Preußisch Holland-Mohrungen oder Preußisch EylauHeiligenbeil jedoch nur 61 bis 62000 gezählt wurden, den Berliner Vororten jeweils ein Mandat, den Landgemeinden aber jeweils zwei Abgeordnete Rede A. Pohlmann. PAH, 4. Mai 1918. A.a.O., Sp. 9586. A. a. 0., Sp. 9589. 466 Rede Braun. PAH, 4. Mai 1918. A.a.O., Sp. 9593. Vgl. auch Schulze, Otto Braun, S. 213 f. 467 Rede Braun. PAH, 4. Mai 1918. StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916118, Bd. 9, Sp.9591. 464 465

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zugewiesen waren, ließ sich diese Regelung nicht aus dem ökonomischen Gewicht der Landkreise ableiten. Für einen Industriestaat hatten die Einrichtungen des produzierenden Gewerbes, des Handels und der Wissenschaft in den Berliner Vororten, so die Auffassung Brauns, eine größere Bedeutung als die rein landwirtschaftliche Struktur der genannten ostpreußischen Kreise. "Nach ihrer Auffassung", wandte sich Braun an die konservative Mehrheit, "liegen die Dinge so, daß zum Beispiel der masurische Bauer mit einer großen Kinderzahl, der kaum lesen und schreiben kann, nach dem von Ihnen beschlossenen Plural wahl system ein drei- oder vierfaches Wahlrecht bekommt, das außerdem noch durch die ungerechte Wahlkreiseinteilung zehn Mal größer und wertvoller gemacht wird, als es der intelligente Arbeiter oder Werkmeister hier in Charlottenburg oder Neukölln hat".468 Die Absurditäten der Wahlkreiseinteilung standen auch im Zentrum der Kritik der Unabhängigen Sozialdemokraten. Heinrich Ströbel verwies auf die Zahl von 20 kleinsten Wahlkreisen, die mit nur 170000 Einwohnern 20 Abgeordnete stellten. Es waren allein 25 städtische und industrielle Wahlbezirke vorhanden, die augenblicklich 40, nach dem reformierten Wahlgesetz 52 Mandate erhielten, auf Grund des Bevölkerungsprinzips jedoch 92, unter Einschluß Berlins gar 102 Abgeordnete stellen müßten. 469 Für den Unabhängigen war es keine Frage, daß ein Minus von 50 Mandaten bei den Großstädten und Industriebezirken dem parteipolitischen Interesse der Konservativen wie des Zentrums und der Nationalliberalen diente. "Weil sie wissen", empörte sich Ströbel, "daß die Großstädte und Industriebezirke nicht der Reaktion anhängen, sondern daß sie für die Linke stimmen werden, gerade deshalb, um die Linke gewaltsam darnieder zu halten, soll ja diese alte schnöde Ungerechtigkeit aufrecht erhalten werden".47o Die Unabhängigen wollten sich nie mit einem Gesetz abfinden, das unter dem Anspruch des gleichen Wahlrechts die politische Gleichberechtigung der großstädtischen und industriellen Bevölkerung gegenüber der landwirtschaftlichen hintertrieb. Nun war es für die Sozialdemokratie keine Frage, daß durch das Mehrheitswahlrecht und auch durch die auf dem Bevölkerungsprinzip basierende Wahlkreiseinteilung große Minderheiten unvertreten bleiben würden. Braun plädierte deshalb für die allgemeine Einführung der Verhältniswahl. Sie garantierte sowohl die gerechte Verteilung der Mandate als auch die gerechte Vertretung der Wähler im Abgeordnetenhaus. 471 Während der zweiten A. a. 0., Sp. 9593. Rede Sträbel. PAH, 4. Mai 1918. A.a.O., Sp. 9601 f. 470 A. a. 0., Sp. 9602. Unter dem Begriff der Linken schloß Sträbel ausdrücklich die Sozialdemokratie und die Fortschrittliche Volkspartei ein. 471 Rede Braun. PAH, 5. Mai 1918. A.a.O., Sp. 9594 f. 468 469

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Lesung unterstützte deshalb die sozialdemokratische Mehrheitsfraktion den Antrag der Fortschrittlichen Volkspartei auf die partielle Einführung der Verhältniswahl. Im erwogenen Nebeneinander von Mehrheits- und Verhältniswahl in einzelnen Landesteilen erkannte Braun zwar den Versuch, sozialdemokratische Mehrheiten in Großstädten und Industriebezirken zu verhindern, diese Absicht wollte er jedoch in Kauf nehmen, da es der Mehrheitsfraktion vornehmlich darauf ankam, einen ersten Schritt zur Einführung der Verhältniswahl zu machen. Geringfügige Mandatsverluste in den großstädtischen Wahlkreisen sollten dem angestrebten Ziel nicht im Wege stehen. Sie ließen sich durch Gewinne in anderen Wahlkreisen ausgleichen, so daß insgesamt die erstmalige Einführung des Proporzes wertvoller erschien als die geringfügigen Nachteile, welche allein durch die partielle Durchführung der Verhältniswahl vorübergehend entstehen konnten. Eine Auffassung, der die Unabhängigen Sozialdemokraten widersprachen. Die partielle Verhältniswahl stellte, wie Ströbel darlegte, nicht den Anfang eines Fortschritts dar, sondern vielmehr eine Ausnahmeregelung gegen die Polen, die industrielle Arbeiterschaft und die Sozialdemokratie. 472 Es war eine Illusion zu glauben, daß, nachdem die mit der partiellen Verhältniswahl angestrebten politischen Ziele durchgesetzt waren, weitere Zugeständnisse von den Parteien der Mitte erwartet werden konnten. Für die Unabhängigen blieb die Verhältniswahl daher eine Entscheidung der Zukunft. Praktische Relevanz hatte diese Haltung nicht, denn sämtliche Anträge zur Änderung der Wahlkreiseinteilung und zum Verhältniswahlrecht wurden von der Mehrheit des Abgeordnetenhauses abgelehnt. Allein die Kommissionsbeschlüsse fanden Annahme. Danach sollte das Plural wahlrecht mit einer Grundstimme und einer Zusatzstimme auf Grund des Lebensalters, Vermögens und Einkommens, der Zahl der erwachsenen Kinder, der selbständigen Gewerbetätigkeit, Schulbildung und Bewährung im öffentlichen Dienst sowie die direkte und geheime Wahl eingeführt werden. Der Zentrumsantrag wurde bis zur Verhandlung des Verfassungsmantelgesetzes zurückgestellt. 473 Während der dritten Lesung brachten die Nationalliberalen wie die Fortschrittler ihre Anträge erneut ins Plenum ein. Das Zentrum wiederholte seine Forderung nach einer gesetzlichen Absicherung der Wahlkreisänderung durch eine Zweidrittelmehrheit beider Häuser des Landtags. 474 Die 472 Rede Ströbel. PAH, 4. Mai 1918. A. a. 0., Sp. 9596. Die Verhältniswahl in den ländlichen Gebieten der östlichen Provinzen mit polnischer Bevölkerungsmehrheit sollte in einzelnen Kreisen die Wahl deutschstämmiger Abgeordneter ermöglichen. 473 StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916118, Bd. 9, Sp. 9285 f. u. 9620 f. 474 A.a.O., Bd. 8, Sp. 9562; Bd. 9, Sp. 10074 f. Vgl. auch Patemann, Wahlreform, S. 179.

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

Anträge zur Zusammenlegung von Wahlkreisen für die Proporzwahl wurden nunmehr einzeln mit dem Ergebnis zur Abstimmung gestellt, daß sich weder für Berlin und seine Vororte noch für die anderen vorgeschlagenen großstädtischen Wahlkreise die Zusammenlegung oder die Verhältniswahl durchsetzen ließen. 475 Der Zentrumsantrag fand auf nationalliberaler Seite Widerspruch. Der Charlottenburger Stadtverordnete und Abgeordnete des neunten Potsdamer Wahlbezirks Paul Liepmann machte ähnliche Bedenken gegen den Sicherungsantrag geltend wie die linken Fraktionen in den vorangegangenen Debatten. Grundsätzlich mußte schon die Abwehr einer allzu sprunghaften Entwicklung und die "für das feste Gefüge des Staates nicht tragbare Radikalisierung" begrüßt werden, indem den kleinen Städten und der Bevölkerung des platten Landes bei der Wahlkreiseinteilung eine Bevorzugung vor der mehr flukturierenden Bevölkerung in den größeren Städten und Industriebezirken eingeräumt wurde. Ihre Verewigung war hingegen nicht zu akzeptieren. Die auf Dauer angelegte Wahlkreiseinteilung kam nach Liepmann vor allem in der geforderten Zweidrittelmehrheit zum Zuge. Nach den bisherigen Beratungen sollte die Pairskammer in einer Weise zusammengesetzt sein, daß sie selbst gegen staats notwendige Veränderungen eine Barriere bildete. 476 Das Herrenhaus war auf Grund der Bevorzugung der ländlich-agrarischen Bevölkerung gewissermaßen selbst zu einem großen Teil Partei gegen eine gesetzlich verankerte Wahlkreisrevision. In Berlin, in den Vorort- und Umlandwahlkreisen fand sich bis in die Fraktion der Nationalliberalen hinein eine beträchtliche Mehrheit für die bevölkerungsadäquate Wahlkreiseinteilung. Widerstreitende Interessen der Metropole und ihrer Vororte kamen hierbei nicht zum Tragen. Die konkrete Verweigerung der politischen Gleichberechtigung zwang die Stadtgemeinden und ihre Vertreter, soweit diese nicht durch parteipolitische Interessen auf nationaler Ebene und durch eine unterschiedliche Auffassung in der Frage des gleichen Wahlrechts voreingenommen waren, sich tendenziell für eine Stärkung der politischen Stellung der Städte einzusetzen. Die Stimmen der Linksparteien und eines Teils der Nationalliberalen reichten aber ebensowenig aus, die partielle Einführung der Verhältniswahl durchzusetzen wie den Sicherungsantrag des Zentrums abzuweisen. Die Staatsregierung hatte schon frühzeitig zu erkennen gegeben, daß sie den Wünschen nach gesetzlichen Sicherungen zustimmen würde, wenn dadurch die Durchsetzung der gesamten Verfassungsreform in annehmbarem Rahmen, das hieß, unter Einschluß des gleichen Wahlrechts, garantiert war. 477 Die Wahlkreiseinteilung stand nach den Beschlüssen der dritten Lesung unter dem Schutz der Zweidrittelmehrheit beider Kammern. Durch die Re475 476

StBPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916118, Bd. 9, Sp. 10080 ff. Rede Liepmann. PAH, 14. Mai 1918. A.a.O., Sp. 10076 f.

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VISIOn des Artikel 107 der Verfassungsurkunde wurde zukünftig für jede Verfassungsänderung die gleiche qualifizierte Mehrheit im Landtag erforderlich. 478 Da die dritte Lesung aber weder für das gleiche noch für das modifizierte Plural wahlrecht eine Mehrheit brachte, wurde eine vierte Beratung erforderlich. Der von Heydebrand entwickelte Komprorniß zwischen den konservativen Fraktionen, einer Gruppe von Nationalliberalen um den Fraktionsvorsitzenden Walter Lohmann und dem rechten Zentrumsflügel schloß auch den § 24 der Regierungsvorlage ein. Es wurde die Einführung der Verhältniswahl in einigen gemischtsprachigen Gebieten gefordert, während die Sicherung gegen Wahlkreisänderungen noch verschärft wurde, indern man anstelle der Zweidrittel- eine Dreiviertelmehrheit einführen wollte. 479 Die mit der rechten Mehrheit des Abgeordnetenhauses verabschiedete Regelung empfanden die linken Fraktionen als "Provokation".48o Die Einführung der Verhältniswahl in gemischt sprachlichen Gebieten, in denen es eine polnische Majorität gab, betrachtete man als "eine Kampfmaßnahme gegen die polnische Partei".481 Die Sozialdemokraten sprachen sich für einen allgemeinen Schutz der Minoritäten aus. Die Verhältniswahl mußte demzufolge sowohl sämtliche gemischt sprachlichen Gebiete als auch die Großstädte und Industriereviere erfassen. Auf Seiten der Linksliberalen gab der Kieler Stadtverordnete Ferdinand Hoff zu, daß sich die Unterdrückung von Minderheiten durch das Pluralwahlrecht in der Summe der Wahlkreise ausglich. Ein solcher Ausgleich war jedoch nicht für die gemischtsprachlichen Landstriche sowie für die Industriegebiete und städtischen Agglomerationen zu erreichen. 482 Die Arbeitnehmergruppe innerhalb des Zentrums verschloß sich nicht länger dieser Argumentation. Die westfälischen Abgeordneten August Brust und Johannes Gronowski beantragten die Herabsetzung der höchstmöglichen Bevölkerungsziffer pro Mandat auf 150000 Einwohner. In Anlehnung an die vorangegangenen linksliberalen Anträge plädierten sie für die Zusammenlegung der großstädtischen Wahlkreise und die Einführung der Ver477 Vgl. Reden des Ministers des Innem Drews und des Vizepräsidenten des Abgeordnetenhauses Friedberg. PAH, 6. Mai u. 13. Mai 1918. Aa.O., Sp. 9750 u. 10000 ff. 478 A a. 0., Sp. 10079; zur Abstimmung über den Antrag Nr. 1045, A a. 0., Sp. 10088. 479 Antrag Nr. 1093, Heydebrand, Lohmann und Lüdicke. A a. 0., Sp. 10578. Zum Pluralwahlrecht und zur Bindung der Wahlberechtigung an den zweijährigen Wohnsitzaufenthalt vgl. die Anträge Nr. 1095 u. 1086. A a. 0., Sp. 10565 ff., 10569 ff. u. 10635 ff. (namentliche Abstimmung). 480 Rede Ferdinand Hoff. PAH, 12. Juni 1918. A a. 0., Sp. 10595. 481 Rede Braun. PAH, 12. Juni 1918. Aa.O., Sp. 1058l. 482 A a. 0., Sp. 10596. 69 Grzywatz

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hältniswahl in diesen Bezirken. Durch die Herabsetzung der zulässigen Bevölkerungsziffer ergab sich gegenüber dem Regierungsentwurf eine weitere Zunahme um 25 Abgeordnete, so daß die Zweite Kammer insgesamt um 37 Mandate vermehrt worden wäre. Eine Maßnahme, die keiner schablonenhaften Wahlkreiseinteilung folgte, wie Gronowski bekundete, aber die "Beseitigung der größten Ungleichheiten,,483 nach sich gezogen hätte. Als "Kern- und Herzstück" der wirtschaftlichen und finanziellen Kraft Preußens durften die Industriegebiete wie die Reichshauptstadt nicht länger schlechter behandelt werden als die übrigen Wahlkreise. Dieser Auffassung folgte auch die nationalliberale Linke, die für Berlin und die Wahlkreise des Regierungsbezirks Potsdam sowie die dicht bevölkerten Wahlkreise der Bezirke Arnsberg, Düsseldorf und Trier erneut die Einführung der Verhältniswahl forderten. Einer Herabsetzung der höchstmöglichen Bevölkerungsziffer pro Mandat wollten sie unterdessen nicht beipflichten. In dieser Frage blieben sie auf dem Boden der Regierungsvorlage. Gegen eine gesetzliche Festlegung der Wahlkreise hatten sie keine Einwände. Die Bindung der Wahlkreisänderung an eine Dreiviertelmehrheit bei der Häuser des Landtags war freilich auch für sie indiskutabe1. 484 Sämtliche Appelle an die Mehrheit des Abgeordnetenhauses, mit einer gerechteren Wahlkreiseinteilung und der Verhältniswahl zum inneren Frieden sowohl in den Regionen als auch im Staate beizutragen, verhallten ohne Wirkung. Der erfolgreiche, wenn auch kurzsichtige Kompromiß Heydebrands wurde angenommen. Alle übrigen Anträge zur Wahlkreiseinteilung und zum Wahlsystem lehnten die Abgeordneten ab. 485 Die Staatsregierung ließ nach der vierten Lesung offiziell erklären, daß der Wahlrechtskompromiß nicht ihre Zustimmung finden würde. Bereits im April hatte Innenminister Drews deutlich gemacht, daß eine Verschiebung der Wahlrechtsreform mit der innenpolitischen Situation nicht mehr zu vereinbaren war. Die notwendige Bindung der Bevölkerung an den Staat geriet einerseits durch eine eventuell zu erwägende Zurückziehung der Gesetzesvorlagen in Gefahr. Das nicht eingelöste Reformversprechen drohte andererseits einen für die Kriegszeit unhaltbaren inneren Schwebe- und Spannungszustand zu schaffen. 486 Ministerpräsident Graf von Hertling bestätigte die Einschätzung Drews. Sämtliche Gewerkschaftsführer hatten ihm zwar erklärt, wegen der anhaltenden Ernährungschwierigkeiten wären keine Arbeiterunruhen zu befürchten. Die Lage könnte sich aber dann ändern, wenn die Regierung es an dem nötigen Nachdruck bei der Durchsetzung des gleiRede Gronowski. PAH, 12. Juni 1918. A.a.O., Sp. 10591. Rede Friedrich Ludewig. PAH, 12. Juni 1918. A.a.O., Sp. 10593 f. 485 A. a. 0., Sp. 10603 ff. 486 Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 27. April 1918. GStAPK, Rep. 90a, Abt. A, Tit. 8, I d, Nr. 1, adhib, Bd. 4, BI. 98 f. 483 484

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chen Wahlrechts fehlen ließ. 487 Innenminister Drews votierte angesichts des allgemeinen Erwartungsdrucks für eine Auflösung des Abgeordnetenhauses. Die Alternative, eine vorherige Lösung mit dem Herrenhaus zu versuchen, hielt er im Hinblick auf die Massenstimmung politisch für keinen empfehlenswerten Weg. Die weitreichenden, von der Pairskammer beanspruchten Sicherheitsklauseln, das volle Budgetrecht bei verfassungsmäßigen Regelungen auf dem Gebiet des Kirchen- und Schulrechts sowie bei der Einteilung der Wahlkreise, waren schon längst bekannt geworden. 488 Das Staatsministerium einigte sich zunächst auf einen Kompromiß. Von einer direkten Auflösungsandrohung wurde abgesehen, statt dessen die Vorlage des Entwurfs im Herrenhaus mit der Maßgabe angekündigt, daß die Regierung ohne Zögern mit einer Auflösung des Abgeordnetenhauses vorgehen werde, wenn die Pairskammer die Regierungvorlage nicht wiederherstellte. 489 Da sich Monarch und Oberste Heeresleitung zu Kriegszeiten gegen eine Auflösung des Parlaments aussprachen, wurde die Position des Staatsministeriums entscheidend geschwächt. 49o Die Staatsregierung hielt an der Einführung des gleichen Wahlrechts fest. Sie opponierte gegen die Dreiviertelmehrheit für Verfassungsänderungen, da sie darin nicht nur ein Instrument zur Abwehr der Wahlrechtsgleichheit, sondern auch eine allgemeine Gefährdung der weiteren Verfassungsentwicklung sah. Sie lehnte die zweijährige Karenzzeit für die Wahlberechtigung ab und hielt, um nicht das Vertrauen der parlamentarischen Linken zu verlieren, an der Auflösungsandrohung gegenüber dem Abgeordnetenhaus fest. 491 Allein es fehlte ihr, solange die militärische Führung, das innenpolitische Reformvorhaben aus der Perspektive der Kriegsnotwendigkeiten behinderte, an jenem entscheidenden Machtmittel, den Willen der Regierung gegen die widerstrebende Parlamentsmehrheit durchzusetzen. Die Reformabsichten der Regierung wurden überdies durch die Furcht vor einer Gefährdung des inneren Friedens nicht unwesentlich beeinträchtigt. Die Bereitschaft, zur Durchsetzung der Wahlrechtsrevision notfalls das Abgeordnetenhaus aufzulösen und neu wählen zu lassen war dadurch nicht unwesentlich tangiert. Die rechte Mehrheit des Parlaments hatte also Grund genug, die Mitte Mai abgegebene Regierungserklärung des nationalliberalen Vizepräsidenten Friedberg, am gleichen Wahlrecht festzuhalten und notfalls seine A a. 0., BI. 104. A a. 0., BI. 98. 489 A a. 0., BI. 105 u. 110. 490 V gl. das Protokoll der Staatsministersitzung beim Reichskanzler, 2. Mai 1918. A a. 0., BI. 169 ff. Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 3. Mai 1918. A.a.O., BI. 203 ff. Dazu auch Patemann, Wahlreform, S. 176 f. 491 Votum Drews, 19. Juni 1918. A.a.O., BI. 436 ff. Protokollauszug der Sitzung des Staatsministeriums, 21. Juni 1918. Aa.O., BI. 441 ff. 487 488

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endgültige Annahme durch die Auflösung des Abgeordnetenhauses einzuleiten, gelassen hinzunehmen Ungeachtet der erbitterten Kritik des städtischen Bürgertums und der Arbeiterschaft konnte also das Bündnis der Konservativen mit der rechten Mitte am Kompromißergebnis festhalten und auf der für den 5. Juli festgesetzten fünften Plenarberatung die Beschlüsse der vorigen Lesung en bloc annehmen. Nach sieben Monaten Beratung war das gleiche Wahlrecht vom Abgeordnetenhaus endgültig abgelehnt worden. Das an die Stelle des Dreiklassensystems tretende Pluralwahlrecht enthielt keine direkten Steuer-, Vermögens- und Besitzstimmen mehr, von den gewährten zwei Zusatzstimmen war jedoch nur die Alters- und Familienstandsstimme theoretisch allen Wahlberechtigten zugänglich, die Selbständigkeits stimme sicherte das Parlament in Anbetracht der weitgehend erhalten gebliebenen vormaligen Wahlkreiseinteilung gegen linke Mehrheiten ab. "Wenn die Konservativen wie in der Vorkriegszeit die evangelischen Bauemstimmen behielten und wenn die Wahlkreiseinteilung weiter agrarischen Interessen günstig blieb", resümierte Arthur Rosenberg, "dann hatten die Vertreter des alten Preußens von Wahlen nach der neuen Ordnung nichts zu fürchten".492 Mochte die preußische Wahlrechtsreform inzwischen zu einer "nebensächlichen Angelegenheit,,493 geworden sein, die Enttäuschung über die versagte politische Gleichberechtigung verschärfte die Mißstimmung gegen das überlebte System und trug zur Radikalisierung, insbesondere der Arbeiterschaft, bei. "Mancher brave Spießer hatte auf volle Gleichberechtigung gehofft und den Soldaten war zum Überdruß erzählt worden, daß sie zum Dank für ihren Opfermut politische Rechte erhalten würden. Jetzt war die Enttäuschung allgemein. Mit rasender Geschwindigkeit brach sich die Überzeugung Bahn, daß nur die Selbsthilfe des Volkes dem Treiben der Militärs und Junker ein Ende bereiten könne".494 Diese Einschätzung war noch vom nachhallenden Pathos des politisch Involvierten beeinflußt. Möglicherweise war sie auch nicht frei vom Moment konstruierender Zwangsläufigkeit, sie traf aber den Zeitgeist insoweit, als weite Teile der Bevölkerung den Glauben an die Reformfahigkeit des Staates endgültig verloren hatten. Berlins Oberbürgermeister Wermuth wich in der Beurteilung der Wahlrechtsfrage nicht wesentlich vom Unabhängigen Sozialdemokraten Müller ab. Die Reform diente seiner Ansicht nach nur dazu, "den in allen Fugen 492 Arthur Rosenberg, Die Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik, hrsg. u. eingel. von K. Kersten, 2Frankfurt/M. 1984, S. 196. 493 Theodor Wolff, Die wilhelminische Epoche. Fürst Bülow am Fenster und andere Begegnungen, hrsg. u. eingel. von B. Sösemann, Frankfurt/M. 1989, S. 152. 494 Richard Müller, Vom Kaiserreich zur Republik. Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung während des Weltkrieges, Berlin 1924. Neudruck Berlin 1974, S. 120.

5. Modemisierung zwischen Beharren und Fortschritt

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knisternden Staatsaufbau zu kitten".495 Ihr Scheitern, warnte Wennuth in seiner Geburtstagsrede an den Kaiser, werde eine nicht aufzuhaltende Gegenströmung auslösen. "Und kommen wird doch, was verheißen war", prophezeite Berlins Magistratsdirigent am 27. Januar 1918. "Nur nicht", so die Sorge Wennuths, "als Gabe freier Überzeugung, als Zeichen der Einheit, sondern im Ringen von Macht gegen Macht. Die den Kampf meiden wollten, werden Kampf entfachen. Das Schlimmste aber, Streit und Mißbehagen werden sich an die Person des Monarchen festklammern".496 Als langjähriges Stadtoberhaupt wie als Beamter, der es gewohnt war, zwingenden praktischen Bedürfnissen zu folgen, hatte Wennuth ebenso einen sicheren Blick für die innere Strömung im Lande wie die politischen Erfordernisse der Zeit. Seine nie geleugnete monarchistische Grundeinstellung behinderte ihn nicht, sich den drängenden politischen Zeitfragen zu stellen und sie zukunftsorientiert zu lösen. Wennuth verkörperte den reformkonservativen Beamten, für den Regieren nicht in der leidlichen Überwindung aktueller Schwierigkeiten bestand, sondern "über die Gegenwart in die Zukunft hineingreifen,,497 hieß. Mit Nachdruck bestand Wennuth auf der Einlösung des königlichen Erlasses vom 11. Juli 1917, den er als politischen "Akt von entscheidender Bedeutung" charakterisierte und daher gegen jeden Versuch, die Zusagen des Monarchen nur als "Ankündigung einer parlamentarischen Aktion" zu werten, verteidigte. 498 Wennuths Gedanken verwiesen auf die Problematik und die Folgen des uneingelösten Verfassungs versprechens im vonnärzlichen Preußen. Am Ende einer Epoche, in der Geschichte geradezu manisch stets von neuem beschworen worden war, fehlte es an Einsicht, daß Geschichte über ihre instrumentelle Inanspruchnahme hinaus nur in der Verbindung mit dem politischen Bedürfnis der Gegenwart Sinn finden konnte. Staatsrat Posadowski, der nicht mehr gegen das gleiche Wahlrecht auftrat, machte während der Haushaltsberatungen die Ängste des durch die Urbanisierung ins Hintertreffen geratenen ländlichen Preußens deutlich. Es war gewiß, daß die anhaltende Industrialisierung zu weiteren Bevölkerungsverschiebungen zwischen Stadt und Land führen mußte. Das Parlament würde schließlich immer mehr zu einer Vertretung der großstädtischen Bevölkerung werden, die ländlichen Bewohner Preußens und die der kleinen 495 Adolf Wennuth, Ein Beamtenleben. Erinnerungen, Berlin 1922, S. 391. Nicht alle Oberbürgenneister teilten die politisch-perspektivische Sichtweise Wennuths. Konservativere Beamte wie Halles Stadtoberhaupt Rive hielt auch im Nachhinein daran fest, daß sich die Liberalen mit der Forcierung der Wahlrechtsfrage nur "die Notlage des Staates" zu Nutze gemacht hatten. Rive, Lebenserinnerungen, S. 294. 496 Wennuth, Beamtenleben, S. 398. 497 A.a.O., S. 399. 498 Rede Wennuth. PHH, 10. Juli 1918. StBPHH, Sess. 1916/18, Sp. 1189 f.

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Städte aber an politischem Einfluß verlieren. Posadowski leugnete nicht die Notwendigkeit einer zeitgemäßen Wahlkreiseinteilung. Er wollte jedoch dem platten Land und den Kleinstädten eine hinreichende Partizipation für die Zukunft sichern, ohne daß es dabei, soweit an eine stärkere Berücksichtigung des Bevölkerungsprinzips gedacht war, zu einer unpraktikablen Vermehrung der Mandate kam. 499 Posadowski dachte dieses Problem durch eine Art Numerus c1ausus für die Zahl der Abgeordneten im preußischen Landtag zu regeln. Von den vorgeschlagenen festen 400 Mandaten sollten 200 nach der Bevölkerungsziffer in der Weise gewählt werden, daß man die Bevölkerungszahl des preußischen Staates durch 200 teilte und nach der so gewonnenen Zahl ungefähr die preußischen Wahlkreise abgrenzte. Die zweite Hälfte der Abgeordneten war analog nach dem Flächeninhalt des preußischen Staates zu wählen. Die nach der Bevölkerungsziffer festgelegten Wahlkreise mit überdurchschnittlichem Flächeninhalt sollten dabei noch einen zweiten Abgeordneten zugewiesen bekommen. Mit diesem Einteilungsverfahren war nach Posadowski geWährleistet, daß bei dem fortgesetzten Rückgang der ländlichen und der kleinstädtischen Bevölkerung weiterhin ihre angemessene Vertretung im Parlament gesichert war. Posadowskis Vorschlag, der zumindestens anzeigte, daß auch auf konservativer Seite die Konfliktträchtigkeit der bestehenden Wahlkreiseinteilung erkannt wurde, hatte keine Aussicht, im Herrenhaus Annahme zu finden. Schon allein aus dem Grunde, weil er die Kluft zwischen Stadt und Land bestehen ließ. Diese Kluft mußte überbrückt werden, sollte nicht die Wahlreform, was im Falle der Beibehaltung der vorhandenen Wahlkreiseinteilung unzweifelhaft eintreten würde, von vornherein mit einer unausgesetzten Belastung des politischen Lebens einhergehen, die das Verhältnis von Stadt und Land, wie der christliche Gewerkschafter Adam Stegerwald bemerkte, auf Dauer politisch vergiftete. Das konservative Ressentiment gegen die Städte hatte in seiner von machtpolitischen Interessen geleiteten Beharrlichkeit offensichtlich die eigene Diskursfähigkeit geschmälert, den Mut zum offenen, vielleicht sogar visionären Dialog versiegen lassen. Der naheliegende Gedanke, daß sich in der industriellen Gesellschaft langfristig die Differenzen zwischen ländlicher und städtischer Kultur einebnen oder in einem produktiven Austausch münden könnten, war mit der desintegrativen Attitüde des Konservatismus nicht zu vereinbaren. süü Die Gegenüberstellung von Zwerg- und Riesenwahlkreisen mußte im Abgeordnetenhaus ebenso aufreizend wirken wie die Zubilligung der Mandatsmehrheit für die landwirtschaftliche Minderheit. Stegerwald appellierte daher eindringlich an die Landesvertretung, einen 499 500

Rede Graf von Posadowski-Wehner. PHH, 10. Juli 1918. A. a. 0., Sp. 1161 f. Rede Stegerwald. PHH, 10. Juli 1918. A.a.O., Sp. 1188.

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von Klasseninteressen freien Ausgleich zu schaffen. Ein Ziel, das weder mit der Regierungsvorlage noch mit der vom Abgeordnetenhaus beschlossenen Wahlkreiseinteilung erreicht wurde. Die Einrichtung großer Wahlkreise mit Verhältniswahl in den Großstädten und Industriezentren sorgte nach Stegerwald mehr als das Pluralwahlrecht mit Zusatzstimmen für die auf Seiten der Konservativen erhoffte Entradikalisierung der Öffentlichkeit. Am 11. Juli überwies das Herrenhaus die von der zweiten Kammer beschlossene Fassung der Regierungsvorlage an einen achtundzwanzigköpfigen Ausschuß,SOI der jedoch erst am 4. September seine Beratungen aufnahm. Unter dem Druck der sich abzeichnenden militärischen Niederlage brach der Widerstand gegen die Wahlreform in bei den Häuser des Landtages endgültig zusammen. Innenpolitisch sah die Regierung die Notwendigkeit, eine breitere Vertrauensbasis im Parlament und Volk zu schaffen. Dieses Ziel war nur auf dem Wege einer allgemeinen Beteiligung der Sozialdemokratie zu erreichen, die Wahlreform durfte da nicht im Wege stehen. s02 Wie bereits Paul Hirsch wandte sich Berlins Oberbürgermeister Wermuth gegen die Regelung, anstelle der Gemeinde den Wahlbezirk zu setzen, die allein die Reichshauptstadt und ihre Vororte benachteiligte. Gegen die überholte staatszentrierte Sicht der Regierungsvorlage, daß "die flukturierenden Elemente der Bevölkerung dem Staate nicht das gleiche Interesse oder Verständnis entgegenzubringen vermögen, wie der seßhafte Teil, den angeblich solidere soziale und wirtschaftliche Interessen an den Staat und an das Allgemeinwohl banden,s03 führte Berlins Stadtoberhaupt die aus dieser Einschränkung erwachsene politische Benachteiligung der Metropole ins Feld. Die Hauptstadt würde beinahe neun Prozent, ein Berliner Vorort wie Charlottenburg gar zwanzig Prozent seines Wahlrechts verlieren. s04 Die Kommission ließ sich von Wermuth überzeugen. Das Wahlrecht wurde nur noch an eine sechsmonatige Aufenthaltsdauer gebunden, während die Regelung, die Gemeinde durch den Wahlbezirk zu ersetzten, in Kommunen mit mehreren Wahlkreisen fallengelassen wurde. sos Die vom Abgeordnetenhaus verabschiedeten Prinzipien zur Wahlkreiseinteilung gab das Herrenhaus nunmehr auf. Die Berücksichtigung der Flächenausdehnung und Einwohnerzahl sowie der geschichtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung einzelner Bezirke wurde nicht länger aufrecht erhalten. Anstelle der geforderten Dreiviertelmehrheit beider Kammern für Änderungen der Wahlkreiseinteilung sollte die Ausführung durch ein einfaches Gesetz treten. S06 501 502 503 504 505

A.a.O., Sp. 1231 f. Vgl. Patemann, Wahlreform, S. 217. AIPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 7, DS Nr. 698, Sp. 4387. Wermuth, Beamtenleben, S. 403. Vgl. AIPHH, Sess. 1916/18, Bd. 2, AS Nr. 306C, S. 1146.

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

Die Verhältniswahl in den gemischtsprachlichen Gebieten der östlichen Provinzen lehnte das Herrenhaus ab. Die Höchstgrenze für ein Abgeordnetenmandat setzte die Pairskammer auf 200000 Einwohner herab. Damit glaubte man "dem Anwachsen der großen Wahlkreise in vorsichtiger, aber ausreichender Weise Rechnung getragen,,507 zu haben. Eine Sicherung des ländlichen gegenüber dem großstädtischen Einfluß, wie sie Posadowski vorgeschlagen hatte, 50S war von der Kommission des Herrenhauses mit dem Hinweis abgewiesen worden, daß es nicht angebracht wäre, alle gesetzlichen Bestimmungen, deren Erhaltung wünschenswert erschien, verfassungsmäßig zu sichern. 509 Analog zu den Neuerungen des Reichstagswahirecht510 führte das Herrenhaus in den großen Städten die Verhältniswahl ein. Alle Städte mit über 150000 Einwohnern wurden dem Proporzsystem unterstellt. Hatte eine Stadt nur einen Abgeordneten zu wählen, wurde sie, damit die Verhältniswahl stattfinden konnte, mit einem Nachbarkreis vereinigt. 511 Nach den Vorschlägen der Kommission war in siebzehn großstädtischen Wahlbezirken die Verhältniswahl vorgesehen, fünf weitere Wahlbezirke, darunter die zwölf Berliner Wahlkreise, wurden durch Zusammenlegung konstituiert. Die Gesamtzahl der auf die verbundenen Wahlbezirke entfallenden Abgeordneten waren im Wege der Verhältniswahl zu ermitteln. 512 Oberbürgermeister Wermuth und der Krefelder Oberbürgermeister Johannes Johansen beantragten darüber hinaus für die Wahlkreise Potsdam 4 und 9, Düsseldorf 1 und Trier 5 sowie den verbundenen Wahlkreis Posen 1 und 2 die Verhältniswahl, ohne daß sich im Herrenhaus Widerstand regte. 513 Gegenüber den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses erhöhte sich die Zahl der Mandate in den bevölkerungsreichsten großstädtischen Wahlbezirken nicht auf 26, sondern insgesamt auf 44. 514 Dadurch war ein Fortschritt sichergestellt, der Aa.O.,S.1152f. Bericht des Kasseler Oberbürgermeisters Erich Koch. PHH, 24. Oktober 1918. StBPHH, Sess. 1916/18, Sp. 1255. 508 Vgl. auch Rede Graf von Posadowski-Wehner. PHH, 24. Oktober 1918. Aa.O., Sp. 1263. 509 Rede Koch, 24. Oktober 1918. Aa.O., Sp. 1264. 510 In der zweiten Augusthälfte wurde die überkommene Wahlkreiseinteilung im Reich den Bevölkerungsveränderungen angepaßt, indem die Mandate von 397 auf 441 erhöht wurden. Bei einer Verminderung der Wahlkreise von 397 auf 387 wurden in 26, meist großstädtischen Wahlbezirken die Verhältniswahl mit starrer Liste eingeführt. Die Mandatsverteilung erfolgte nach der Methode d'Hondt. Vgl. Vogell Nohlen/Schulze, Wahlen in Deutschland, S. 135. 511 KomBer Koch, 24. Oktober 1918. StBPHH, Sess. 1916/18, Sp. 1254. 512 AIPHH, Sess. 1916/18, Bd. 2, AS Nr. 306C, S. 1152. Vgl. Tab. 44 im Stat. Anhang. 513 Zum Antrag Wermuth/Johansen vgl. StBPHH, Sess. 1916/18, Sp. 1250. 514 Vgl. dazu Tab. 45 im Stat. Anhang. 506 507

6. Epilog

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aber nicht endgültig befriedigen konnte, da die Großstädte im allgemeinen sowie Berlin und seine Vororte im besonderen nach wie vor im Landtag unterrepräsentiert waren. Insofern konnte auch das gleiche Wahlrecht, zu dem sich der Landtag am 15. und 24. Oktober durchgerungen hatte,515 in den Großstädten keine Entspannung und Befriedigung auslösen. 6. Epilog Die politische Repräsentation litt im konstitutionellen Preußen auf Grund einer manipulativen Wahlkreisgeometrie zu Gunsten des staatsnahen Konservativismus unter einer ausgesprochenen Wahlrechtsungleichheit, deren rechtliche Grundlage man schon in der Wahlverordnung der Revolutionszeit geschaffen hatte. Die stärkere Rücksichtnahme auf die Bevölkerungsverhältnisse wurde zwar regelmäßig seitens der benachteiligten Städte angemahnt, aber die preußische Staatsregierung weigerte sich hartnäckig, sie zum Prinzip der Wahlkreiseinteilung zu machen. Der Staat nutzte seine verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen, um sowohl durch die Einrichtung der Landtagswahlkreise als auch die Feststellung der Urwahlkreise den Einfluß der politischen Opposition in Preußen zurückzudrängen. Die bewußte Rücksichtnahme auf die geographischen und die gewachsenen historischen Verhältnisse sowie ein patriarchalisches Politikverständnis, das den Wählerschichten die Bewußtheit zur selbständigen politischen Entscheidung absprach, bildete den ideologischen Rahmen für eine Politik der staatlich instrumentalisierten Ordnung der Wählermassen. Zu Beginn der "liberalen Ära" wurde dem Mißbrauch der Regierungsgewalt durch die definitive Festlegung der Anzahl der Mandate und der Wahlkreiseinteilung eine Schranke gesetzt. Die Wahlerfolge der Liberalen in den sechziger Jahren zeigten indessen, daß das Dreiklassenwahlrecht eine politische Partei noch nicht auf Grund ihrer sozialen Struktur benachteiligte, sondern seine Wirkung zu dieser Zeit vornehmlich auf dem Gegensatz von Stadt und Land beruhte. Den liberalen Mehrheiten in den Städten stand ein relativ ausgeglichenes Kräfteverhältnis zwischen Konservativen und Liberalen auf dem Lande gegenüber. Die von der Regierung geforderte Mobilisierung konservativer Wähler verlangte nach einer stärkeren Trennung von Stadt und Land, auch wenn dabei in Kauf genommen werden mußte, daß die städtischen Wahlkreise dem Liberalismus ausgeliefert wurden. Während in ländlichen Bereichen der Kreis zum grundlegenden Einteilungsprinzip avancieren sollte, wollte man die größeren Städte nach dem Vorbild Berlins in mehrere, möglichst kleine Wahlbezirke aufgliedern, damit den Minoritäten nicht jede Einflußmöglichkeit genommen wurde. 515

Patemann, Wahlrefonn, S. 224 f.

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

Der Liberalismus dachte freilich nicht daran, das in Abwehr gegen staatliche Willkür erzwungene System der Wahlkreiseinteilung aufzugeben, da es seine Mehrheitsstellung zu garantieren schien. Auf diese Weise stützte er die Tendenz zu unveränderlichen Wahlbezirksgrenzen. Der politischen Opportunität wurde die Forderung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts geopfert, die nach der Spaltung der Liberalen ebenso zu den politischen Zielsetzungen des in den urbanen Regionen des Landes verankerten Linksliberalismus erhoben wurde wie die am Bevölkerungsmaßstab orientierte Revision der Wahlkreiseinteilung. Die Mißachtung der Bevölkerungsverhältnisse führte zu einer Vernachlässigung der Großstädte Preußens, die im Falle Berlins geradezu exorbitante Ausmaße annahm. Obwohl die Landes- und spätere Reichshauptstadt seit der Konstitutionalisierung Preußens nach seiner Einwohnerziffer im Landtag unterrepräsentiert war, diente ihre besondere Stellung im Staatsgefüge der Staatsregierung wie dem Konservativismus zur Rechtfertigung der politischen Disproportionalität. Forderte man einerseits zur Toleranz in der Repräsentationsfrage auf, da es ohnehin außergewöhnlich war, daß eine Stadt durch eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Mandaten im Landtag vertreten wurde, sah man andererseits in den politischen und administrativen Funktionen, die Berlin als zentraler Ort des preußischen Staates einnahm, einen hinreichenden Ausgleich für die ungleiche Teilhabe. Nach der lahrhundertwende ging Reichskanzler Bethmann Hollweg noch einen Schritt weiter, indem er den materiellen Ausbau der Selbstverwaltung in den Städten zum Äquivalent für die unangemessene Vertretung im Parlament erklärte. In der kommunalen Selbstverwaltung sah er eine Form der politischen Partizipation gegeben, die weder durch die parlamentarische Repräsentation noch durch irgend eine Form des Wahlrechts ersetzt werden konnte. Bei aller Wertschätzung der Selbstverwaltung seitens des Stadtbürgertums war sie in Anbetracht ihres inhaltlich wie örtlich begrenzten Wirkungskreises und ihrer staatlichen Bindung kein Ersatz für die politischen Mitwirkungsrechte im Staat. Der Staatsregierung war bewußt, daß das preußische Wahlsystem ebensowenig dem Ideal wie einer gerechten Repräsentation der Städte entsprach. Da aber eine Wahlkreisreform nach dem individuellen Zählwertprinzip mit einer grundlegenden Umverteilung der Mandate zwischen Stadt und Land sowie einer Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen den Parteien verbunden war, gefährdete sie die machtpolitischen Interessen der Regierung, indem die Stellung der antigouvernementalen Parteien gestärkt wurde. Im Wahlrechtskonflikt dominierten die politischen Interessen der Parteien jene der Kommunen, wie das Beispiel des nationalliberalen Berliner Oberbürgermeisters Hobrecht zeigte, der ganz im Sinne der Regierungslinie der Ansicht folgte, den wirtschaftlichen Bedeutungsverlust der Flächenprovinzen

6. Epilog

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nicht im Wege der Wahlbezirksrevision mit einem politischen Bedeutungsverlust zu verbinden. Das Dreiklassenwahlrecht und die Wahlkreiseinteilung blieben im wesentlichen Instrumente gegen die politisch ausgegrenzten Linksliberalen und Sozialdemokraten. Der Erfolg reformerischer Zugeständnisse der Staatsregierung war von vornherein sowohl durch die Zielsetzung, das Kräfteverhältnis der Parteien nicht umzuwälzen und den gemäßigten Liberalismus nicht zu radikalisieren, als auch durch die oppositionelle Haltung des Konservativismus eingeschränkt, der sich in seiner modernisierungsfeindlichen Haltung während der letzten großen Wahlrechtsdebatte der Vorkriegszeit mit dem politischen Katholizismus gegen die Regierung zusammenschloß. Die Aufgabe des indirekten Wahlverfahrens und der einseitigen Betonung des Steuermaßstabs durch die Maximierung der anrechenbaren Beträge, die Ersetzung der Bezirks- durch die Gemeindedrittelung oder die Ablösung der öffentlichen Stimmabgabe waren nach Ansicht der antigouvernementalen Parteien Bestandteile einer unzureichenden Reform, der es lediglich darum ging, das bestehende Wahl system unter Beibehaltung seiner wesentlichen Grundlagen zu verbessern. Nunmehr stand das Klassenwahlsystem als solches zur Disposition. Bis zum Zeitpunkt des preußischen "Wahlrechts sturms" hatte die stigmatisierte parlamentarische Linke ihre Situation nicht zu einer geschlossenen Oppositionspolitik genutzt. Der großstädtische Linksliberalismus gehörte in seiner ursprünglichen Frontstellung gegen die Sozialdemokratie dem gouvernementalen Lager an. In Großstädten wie Berlin stand er in unmittelbarer politischer Konkurrenz zur Arbeiterbewegung. Berlins linksliberaler Oberbürgermeister Kirschner wollte während der Reformdiskussion von 1904/05 einer Wahlrechtsänderung nur insofern zustimmen, als es durch eine Neufassung des Wahlverfahrens und die Wahlkreisgestaltung gelang, die politischen Erfolge der Sozialdemokratie zu minimieren. An eine Aufgabe des plutokratischen Charakters des Wahlsystems war nicht gedacht. Die Ignoranz der Regierung, der gouvernementalen Parteien, aber auch der konservativen, im Herrenhaus vertretenen Kommunalbürokratie gegenüber der Unterrepäsentation der urbanen Regionen, trug ohne Zweifel zu einer Annäherung zwischen Linksliberalismus und Sozialdemokratie in der Frage des Landtagswahlrechts bei. Die Reichshauptstadt und ihre großstädtische Vororten sowie die oberschlesischen und rheinisch-westfälischen Industriebezirke wurden im Jahre 1906 mit einer völlig unzureichenden Vermehrung ihrer Landtagsmandate abgespeist. Die zögerliche Haltung des Freisinns bei der Reform des Kommunalwahlrechts ließ unterdessen noch in den Kriegsjahren den nur begrenzten Demokratisierungswillen des Linksliberalismus erkennen.

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

Das im Januar 1916 gegebene königliche Wahlreformversprechen kündete nicht von einem grundlegenden Wandel der Einstellung der Staatsregierung zur preußischen Wahlrechtsfrage, vielmehr verdeutlichten die im Innenministerium ausgearbeiteten Pläne zu einem pluralen Wahlsystem und die nicht zur Disposition gestellte Wahlkreiseinteilung den politischen Immobilismus der Monarchie, der nur noch von der Intransigenz der Konservativen übertroffen wurde. Die Anordnung der Wahlbezirke sollte eine räumlich qualifizierende Abstufung des Wahlrechts garantieren, um das Vordringen der Sozialdemokratie über die Industriezentren hinaus zu verhindern. Politische Konzessionen, die Infragestellung des preußischen Wahlsystems auf Grund seiner antidemokratischen Funktion, wurden erst durch die äußeren Ereignisse im Frühjahr 1917 ausgelöst. Die Verschlechterung der militärischen Lage, die Lebensmittelknappheit, die Arbeitseinstellungen und Unruhen, aber auch das Ereignis der russischen Februarrevolution forderten eine entschiedene Wende in der preußischen Wahlrechtsfrage. Angesichts der Integrationsbedürfnisse der deutschen Kriegsgesellschaft war sie zunehmend zu einer deutschen Frage geworden. Erstmals kündigte sich auch die Bereitschaft an, dem Drängen der Großstädte auf eine gerechtere Repräsentation nachzugeben. Die Berliner Linksliberalen, die sich weiterhin gegenüber den sozialdemokratischen Forderungen nach einem konsequenten Eintreten für die Demokratisierung des Landtagswahlrechts abwartend verhielten, waren zwischenzeitlich in ihrer programmatischen Festlegung insoweit gefestigt, als sie sich nicht mehr durch die möglichen kommunalpolitischen Folgen beirren ließen. Als die Staatsregierung anhand der statistischen Ermittlungen des Innenministeriums erkannte, daß eine bevölkerungsadäquate Wahlkreisreform zu einer außerordentlichen Zunahme der sozialdemokratischen Mandate führte, brach der Reformwille schnell in sich zusammen. Die Regierung rang sich nur zu einer Erhöhung der Abgeordnetenmandate durch. Ansonsten wollte sie die überkommene Wahlkreiseinteilung bestehen lassen. Die Mandatsvermehrung stellte keinen Ausgleich für die demographischen Disproportionalitäten dar. Dennoch folgten die Linksliberalen der Regierung, da sie der Durchsetzung der Wahlrechtsgleichheit Priorität einräumten. Die Sozialdemokratie wandte sich gegen den Fortbestand der Wahlkreisgeometrie, der die Großstädte benachteiligte. Konservative und Zentrum sahen in der tradierten Einteilung der Wahlbezirke einen Damm gegen die weitere Demokratisierung, den sie durch das Gebot einer Zweidrittelmehrheit zu schützen gedachten. Unter Einschluß eines Teils der Nationalliberalen plädierten sie für ein Plural wahlrecht, das den plutokratischen Charakter des Klassenwahlrechts durch die Bevorzugung der Bildung, der selbständigen Erwerbstätigkeit und des Einkommens aufrechterhielt und daher für die Staatsregierung unannehmbar war.

6. Epilog

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Das vom Linksliberalismus und der Sozialdemokratie propagierte Verhältniswahlrecht erkannte die Regierung nur für große, ein geschlossenes Wirtschaftsgebiet bildende Kommunalwahlbezirke und die gemischtsprachlichen Gebiete an. Die allgemeine Einführung des Verhältniswahlrechts diente nach Regierungsauffassung nicht dem Minderheitenschutz, sondern parteipolitischen Zielsetzungen, wie etwa der Sicherung der linksliberalen Positionen in den Großstädten. Darüber hinaus befürchtete man, durch die Einführung der Proportionalwahl eine weitere Radikalisierung des Abgeordnetenhauses auszulösen. Sämtliche Appelle an die modernisierungsfeindliehe Mehrheit, im Landtag mit einer gerechteren Wahlkreiseinteilung und der Annahme des Verhältniswahlrechts zum inneren Frieden beizutragen, verhallten im Frühjahr 1918 trotz der Androhung, das Abgeordnetenhaus aufzulösen, ohne Wirkung. Die Großstädte mußten sich gar die Provokation gefallen lassen, daß Wahlkreisänderungen zukünftig von einer Dreiviertelmehrheit im Landtag abhängig sein sollten. Das an die Stelle des Klassensystems tretende Pluralwahlrecht sicherte die Landesvertretung auf Grund der Selbständigkeitsstimme und der erhalten gebliebenen Wahlkreiseinteilung gegen linke Mehrheiten ab. Die Enttäuschung über die versagte politische Gleichberechtigung radikalisierte insbesondere die Arbeiterschaft gegen das überlebte politische System Preußens, obgleich die Wahlrechtsfrage zwischenzeitlich zu einer Frage untergeordneter Bedeutung herabgesunken war. Die unter dem Druck der nicht aufzuhaltenden militärischen Niederlage erzwungene Wahlrechtsgleichheit löste daher auch keine Anerkennung des staatlichen und partei politischen Reformwillens mehr aus. Das Proporzsystem wurde überdies nur in Städten mit über 150000 Einwohnern eingeführt, während die Großstädte, ungeachtet einer deutlichen Erhöhung ihrer Mandate, weiterhin im Landtag unterrepräsentiert blieben. Der geplante Fortbestand des Herrenhauses erschöpfte dann auch die Geduld des letzten gemäßigten Sozialdemokraten. "Mit einem solchen Mittelding, mit Sicherungen und neufrisiertem Herrenhaus soll man uns nicht mehr kommen. Jetzt gehts ums Ganze. Das künftige gleiche Wahlrecht wird anders ausschauen, als Sie es zurechtgemacht haben", schlug es Oberbürgermeister Wermuth in der Berliner Kommunalvertretung barsch entgegen. 516 Am 7. November 1918 forderten die Sozialdemokraten Otto Landsberg und Philipp Scheidemann im interfraktionellen Ausschuß neben der Parlamentarisierung der preußischen Regierung eine sofortige Lösung der Wahlrechtsfrage ohne Rücksichtnahme auf verfassungsmäßige Fristen. 517 Die vom Zentrum erstrittenen konfessionellen Sicherungen wollten die Mehrheitssozialdemokraten nicht länger hinneh516

Wermuth, Beamtenleben, S. 411.

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

men, nicht minder die fernere Vorenthaltung des Frauen- und Verhältniswahlrechts in Preußen wie im Reich. Die Zugeständnisse des Herrenhauses und der Fraktionen des Abgeordnetenhauses wurden von den revolutionären Ereignissen überholt. Es blieb der neuen Revolutionsregierung vorbehalten, das gleiche Wahlrecht und eine ausgewogene Repräsentation in Preußen wirklich einzuführen. Am 12. November rief der Rat der Volksbeauftragten zur Wahl einer "Konstituierenden Versammlung" nach dem proportionalen Wahl system auf. Wahlberechtigt sollten alle Männer und Frauen ab dem 20. Lebensjahr sein. Den mit "Rechtsnormqualität"SI8 ausgestatteten Sätzen des Aufrufs folgte am 30. November die Wahlverordnung,Sl9 knapp zwei Jahre später das Wahlgesetz. s2o Auf den in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl bestellten Abgeordneten entfielen nach der Novemberverordnung, unter Zugrundelegung der Volkszählungsergebnisse von 1910, 150000 Einwohner. Bei einem Überschuß von mindestens 75000 Einwohnern wurde ein weiteres Mandat fällig. Insgesamt waren 421 Abgeordnete in die Preußische Landesversammlung zu wählen. Im Reichsdurchschnitt kamen auf ein Mandat 72 209 abgegebene gültige Stimmen. Die Wahlkreiseinteilung orientierte sich an den Länder- und Verwaltungsbezirksgrenzen, teilweise jedoch ohne Berücksichtigung der früheren Kleinstaaten. Es wurden 36 Groß wahlkreise mit sechs bis siebzehn Mandaten eingerichtet. 521 Auch das Reichswahlgesetz ging davon aus, daß allein das Verhältniswahlrecht die weitgehende Verfälschung des Wählerwillens verhinderte. Diese begriff man als immanente Folge der absoluten Mehrheitswahl und der ungleichen Wahlkreiseinteilung. Nunmehr wurde die Zahl der Mandate an die der abgegebenen Stimmen gekoppelt, auf 60000 Stimmen kam jeweils ein Abgeordneter. s22 Die verbliebenen Reststimmen mußten vom Reichswahlausschuß zusammengezählt werden. Auf jeweils 60000 entfiel ein weiteres Abgeordnetenmandat, wobei die Mandate den Wahlkreisvorschlägen nach der Zahl ihrer Reststimmen zugeteilt wurden. Keine Berücksichtigung fanden die Reststimmen, wenn nicht wenigstens 517 Vgl. Erich Matthias/Rudolf Morsey, Die Regierung des Prinzen Max von Baden, (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, R. 1, Bd. 2,) Düsseldorf 1962, S. 570 f. 518 Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 732. 519 Verordnung über die Wahlen zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918. RGBl 1918, S. 1345-1349. 520 Reichswahlgesetz vom 27. April 1920. RGBI 1920, T.l, S. 627-635 sowie die, nur in einigen technischen Bestimmungen, geänderte Fassung vom 13. März 1924. RGBI, T. 1, S. 159-167. 521 Vgl. Alfred Milatz, Wähler und Wahlen in der Weimarer Republik (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 66), 2 Bonn 1968, S. 30 ff. 522 § 30, Reichswahlgesetz, 1920. RGBI 1920, T. 1, S. 632.

6. Epilog

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auf einen der verbundenen Kreiswahlvorschläge 30000 Stimmen abgegeben waren. 523 Nach den Grenzregelungen des Versailler Vertrags blieben 35 Großwahlkreise bestehen, die man zu 17 Wahlkreisverbänden zusammenfaßte. Die Reichsverfassung bestimmte sowohl für die Reichstags- als auch die Landtags- und Gemeindewahlen die Verhältniswahl. 524 Das preußische Landtagswahlgesetz525 verteilte in ähnlicher Form auf jeweils 40000 Stimmen ein Mandat. Die Reststimmen, je nachdem, ob sie auf verbundene Wahlvorschläge fielen oder auf jene, die einem Landeswahlvorschlag angeschlossen waren, wurden dem Wahlverband- bzw. dem Landeswahlausschuß überwiesen, die nach erfolgter Stimmenaddition entsprechend der Quote von 40000 weitere Sitze an die Kreis- und Landeswahlvorschläge verteilten. 526 Der Gegensatz von Unter- und Überrepräsentation, der Mißstand politischer Disparität zwischen Stadt und Land war durch die Verfassung und durch die Wahl gesetzgebung der demokratischen Republik überwunden, die Stellung der Städte bzw. der kommunalen Selbstverwaltung staatspolitisch aber keineswegs gestärkt worden. Im Gegenteil, die bereits während des Krieges einsetzende stärkere Übernahme von Verwaltungsbefugnissen auf die zentralen staatlichen Verwaltungsinstanzen, schließlich aber der Verlust der finanziellen Selbständigkeit durch die Reichsfinanzreform engte den Wirkungskreis der Gemeinden ein. 527 In der Frage des preußischen Landtagswahlrechts hatten sich die Städte und die kommunale Selbstverwaltung in einer Frontstellung gegen den monarchisch-konstitutionellen Staat befunden. Es handelte sich aber keineswegs um eine grundlegende Opposition, eher um einen politischen Interessenskonflikt kommunaler Verbände und Einflußgruppen, denn jene plutokratische Herrschaft, die man im Staat bekämpfte, rechtfertigten und verteidigten die kommunalen Eliten in der Gemeinde mit ihrem angeblichen "Zweckverbandscharakter". Dieser verlangte ein angemessenes Verhältnis von Steuerleistung und Repräsentation und verbot demzufolge, die Gemeindekörperschaften zu einem Objekt der Demokratisierung zu machen. So mancher Oberbürgermeister und ehemalige Kommunalbeamte blickte in den Anfangsjahren der Republik mit Wehmut auf das 19. Jahrhundert bzw. das Kaiserreich zurück, das den Städten "ein dauerndes Steigen der Selbst§ 31, Abs. 1, Reichswahlgesetz 1920. A. a. 0., S. 632. Art. 17 u. 21, Verfassung des Deutschen Reichs, 11. August 1919. RGBL 1919, T. 2, S. 1386 f. u. 1388. 525 Gesetz über die Wahlen zum preußischen Landtag vom 3. Dezember 1920. GS 1920, S. 559-570. 526 §§ 30 bis 32, Preußisches Landeswahlgesetz, 1920. GS 1920, S. 564. 527 Vgl. Peters, Grenzen, S. 163 ff. Zum Verhältnis von Demokratie und Selbstverwaltung vgl. oben Kap. 1. 523

524

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10. Kap.: Die politische Unterrepräsentation der Großstadt

herrlichkeit"S28 beschert hatte. Das Kommunalbeamtenturn mußte im Bewußtsein seiner administrativen Kompetenz noch nicht mit der Neigung der Gesetzgebung leben, "von den Stühlen des Ministers und namentlich seiner Räte aus und noch mehr aus den Hallen der Volksvertretungen heraus alles besser zu wissen, als die ortskundigen Gemeindevertreter und Beamten es wissen".s29 Die Demokratie entzog der Selbstverwaltung den vom Liberalismus umkämpften Gedanken prinzipieller Eigenständigkeit der Kommunen endgültig den Boden. Der Gegensatz zwischen Obrigkeit und Volk existierte nicht länger. Es standen sich nunmehr das Gesamtvolk und seine Teile gegenüber. Die Anerkennung der Gemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft, die Vorbedingung für die Ausübung der Selbstverwaltung, setzte zwar das Institut einer von der unmittelbaren Staatsverwaltung unabhängigen kommunalen Administration voraus, beschränkte ihre individuelle Existenz aber durch die praktische Wirksamkeit der Gesetzgebung.

528 Ernst Scholz, Finanzen und Steuern, in: Die deutsche Stadt und ihre Verwaltung. Eine Einführung in die Kommunalpolitik der Gegenwart, hrsg. von O. Most, Bd. 1,2. verb. u. verm. Aufl., Berlin-Leipzig 1926, S. 41. 529 Hans Luther, Die Stadt als Teil des neuen Staates, in: Die Zukunfts aufgaben der deutschen Städte, hrsg. von P. Mitzlaff/E. Stein, 2Berlin Friedenau 1925, S. 43.

Schluß

Kommunale Selbstverwaltung und politische Teilhabe in der Gemeinde als Faktoren politischer Modernisierung in Preußen 1.

Gustav Schmoller hatte aus Anlaß der Wahlrechtsdebatte des Jahres 1910 bemerkt, daß die Weisheit aller Reformpolitik darin bestand, nicht zu spät, aber auch im rechten Moment zu kommen. Die preußische Monarchie hatte weder den einen noch den anderen Grundsatz berücksichtigt, unfähig, die politische Kluft zwischen Stadt und Land in einem produktiven Austausch zu überwinden. Die Ursachen für die Kontinuität des konservativen, von machtpolitischen Erwägungen geleiteten Ressentiments gegen die Städte reichten bis in die Zeit der preußischen Reformer zurück, die es versäumten, im Interesse der Staatsbildung, der rigorosen Durchsetzung der Staatssouveränität, eine einheitliche Kommunalverfassung auf der Grundlage einer Staatsbürgergesellschaft zu schaffen. Nachdem die Märzrevolution die ausgebliebene Konstitutionalisierung nachholte, war es wiederum die ständisch-konservative Opposition, die den Versuch einer rechtlichen Einebnung des differierenden Rechts in Stadt und Land in den östlichen Provinzen Preußens nach kurzer Zeit zum Scheitern brachte. Die politischen Folgen des Nebeneinander der im wesentlichen am vorkonstitutionellen Recht orientierten Gemeindeverfassung und der am Gedanken der Selbstverwaltung wie auf dem Repräsentativsystem gründenden Teilhabe in den Städten dürfen für die Entwicklung des Landes nicht unterschätzt werden. Wirkte sich diese Differenz schon als Modernisierungsbarriere aus, so bildete die machtpolitische Instrumentalisierung der kommunalen Selbstverwaltung durch den im Staat unterrepräsentierten Liberalismus ein weiteres Hemmnis für Demokratisierungsimpulse, die sich auf die unmittelbare Lebenswelt der Bürger stützten. Für die Entwicklung moderner Staatlichkeit war die Selbstverwaltung gewiß von Bedeutung, aber ihre Inkorporierung war weder mit demokratischer Neugestaltung gleichzusetzen noch entwickelte sie sich in Preußen zu einem Faktor der Demokratisierung. Die Erfolge der kommunalen Leistungsverwaltung, vor allem im späteren Kaiserreich, stehen außer Frage. Es ist freilich nicht zu übersehen, daß die Daseinsvorsorge sowohl ein not70 Grzywatz

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wendiges Äquivalent für die den unteren Schichten verweigerte politische Teilhabe darstellte als auch die Anlage- und Verwertungsbedürfnisse des kommunalen Kapitals berührte. Die restriktive Handhabung der Partizipation in der Gemeinde konnte sie dennoch nicht rechtfertigen. Sozialpolitik war kein Ersatz für vorenthaltene Partizipationschancen und die verweigerte politische Gleichberechtigung. Es ist zu fragen, ob es bei allen politischen Gegensätzen zur preußischen Monarchie nicht eine stillschweigende Allianz des städtischen Liberalismus mit dem konservativ-bürokratischen Obrigkeitsstaat gab, da seine in der kommunalen Selbstverwaltung gründende politische Machtbasis seitens des Staates nie ernsthaft in Frage gestellt wurde. Auch die in den achtziger Jahren staatlich angeordnete Auflösung der Berliner Kommunalvertretung diente eher einer Korrektur der Partizipationschancen und des politischen Immobilismus in der Gemeinde, als daß sie die Absicht verfolgte, die politische Basis des Linksliberalismus zu erschüttern. Die antigouvernementale Haltung des Linksliberalismus war zum großen Teil eine vordergründige Attitüde, deren politischer Mobilisierungseffekt kalkuliert eingesetzt wurde. Die stets von neuem beschworene Freiheit der Selbstverwaltung oder der Gemeindefreiheit unterlag einem parteipolitischen Kalkül und stellte sich weniger als Ausdruck des bewußten Einklagens gesetzlich garantierter Handlungsräume oder verfassungspolitischer Forderungen dar. Das innergemeindliche Pendant zum ideologisierten Begriff kommunaler Autonomie ruhte auf zwei Säulen: Einerseits offenbarte es sich in der offensiv entwickelten Auffassung sachorientierter Politik, mithin eines auf Sachkenntnis und Pflichterfüllung basierenden kommunalen Handeins jenseits partei politischer Bindungen, und andererseits in der definitiven Vorstellung von der Gemeinde als wirtschaftlicher Korporation, welche die individuellen Leistungen des Stadtbürgers unter dem Imperativ selbständiger Existenz zum Ausgangspunkt der politischen Partizipation machte. Die postulierte Sachlichkeit kommunaler Politik, die Neutralität gemeinwohlgebundenen Verwaltungshandelns sollte die politische Dominierung der Kommune durch den Liberalismus überdecken, der liberale Gemeindebegriff, die dem individuellen Einkommen verpflichtete Teilhabe rechtfertigen. Im Gemeindebegriff findet sich jenes Scharnier, das die Verbindung zum vormärzlichen Kommunalliberalismus herstellt, wenn auch die strukturellen Unterschiede zwischen der vorindustriellen, auf dem System des genossenschaftlichen Herrschaftsverbands der Hausväter fußenden Bürgergemeinde und der klassenwahlrechtlich geprägten Einwohnergemeinde des Industriezeitalters kaum einen direkten Vergleich zulassen. Die frühliberale Stadtgesellschaft hielt am Modell der korporativ verfaßten Gemeinde fest. Sie unterschied zwar nicht grundsätzlich zwischen Staats- und Stadtbürgern, be-

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schränkte die politische Teilhabe aber gesetzlich auf den exklusiven Kreis der Hausbesitzer und selbständigen Gewerbetreibenden. Die Bürgergemeinde der Reform- und Nachreformära sperrte sich aus Sorge um die Eigentumsordnung gegen jede Form der politischen Egalisierung, deren fernerhin mögliche Verwirklichung in den Bereich sozialökonomischer Utopien verwiesen wurde. Statt dessen legte man den Entwurf einer klassenlosen Bürgergesellschaft vor, an der im Zuge der sich ebenso wirtschaftlich wie sozial verbreiternden Gesellschaftsentwicklung schließlich fast ein Jeder teilnehmen sollte. Von dieser interessenmaskierenden Emanzipationsvorstellung ging indessen, wie in neueren Anmerkungen zum frühliberalen Stadtbürgertum behauptet, kaum eine gesamtgesellschaftlich dynamisierende, eine fortschreitend politisch-soziale Emanzipation und Demokratisierung aus. Im Zuge der gewerblichen Entwicklung und der gelungenen Umsetzung der körperschaftlich organisierten Verwaltung bildete sich in den Städten zwar ein neues Bürgerbewußtsein heraus, das aber keineswegs in generalisierender Tendenz mit dem Aufbrechen korporativer Teilhabevorstellungen oder sozialer Trennlinien einherging. Das Entwicklungsbild der stadtbürgerlichen Gesellschaft Berlins vor Augen, kann auch nicht dem von der Bürgertumsforschung formulierten Modell einer Degeneration der emanzipatorischen Erwartungshaltungen des frühliberalen Stadtbürgertums zu einer bloßen Klassenideologie gefolgt werden, welche durch die Industrialisierung und den mit ihr einhergehenden sozialen Veränderungen verursacht wurde. Das hauptstädtische Bürgertum, jene sich als staatstragend begreifende Mittelstandsgesellschaft aus selbständigem Handwerk und Handel, entwickelte die durch die Städteordnung eröffnete Form kommunaler Partizipation nicht zu einem Mittel politischer Transformation, sondern gestaltete sie zu einer Bastion gegen die Egalisierung der bürgerlichen Gesellschaft. Das Stadtbürgertum begriff die Gemeinde im Vormärz weder als Ausweg aus der unzureichenden Teilnahme an der gesamtstaatlichen Herrschaftsausübung noch sah es im Bürgerrecht die Konstituierung eines allgemeinen Freiheitsraums. Die über das Bürgerrecht vermittelte Selbstverwaltung und Teilhabe bildeten Instrumente einer politischen Herrschaftssicherung, die den Einfluß des Bürgertums in der Stadt nach unten durch eine soziale Barriere schützte. Das Bürgerrecht kontrastierte nicht zuHillig die Gewerbefreiheit, die Liberalität der auf Freizügigkeit, individueller Leistung und Konkurrenz gründenden Erwerbsgesellschaft. Gegen die ökonomische Modernisierung des absolutistisch-bürokratischen Staates opponierte sowohl das Stadtbürgertum als auch die Kommunalbürokratie. Die Befangenheit in der Enge haushaltspolitischer Maximen und im althergebrachten System ständischer Reglementierung der Gewerbeausübung forderte zu einer repressiven Instrumentalisierung des Bürgerrechts und zu sozialkonservativen Ordnungsvorstel70*

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lungen heraus. Freiheit als Zustand der Wohlfahrt verlangte ebenso notwendig wie unumgänglich nach Regulierung. Die Maxime von der Ordnung in der Freiheit wurde auf diese Weise zur leitenden Vorstellung der sich erst allmählich industrialisierenden städtischen Gesellschaft. Die mit der wirtschaftlichen Liberalität nicht zu vereinbarenden privatrechtlichen Wirkungen des Bürgerrechts fielen bezeichnenderweise gegen den Widerstand des Stadtbürgertums durch staatliche Initiativen, während gleichzeitig die offensive Ingebrauchnahme des Bürgerrechts zur Beschränkung der Freizügigkeit durch staatlichen Einspruch verhindert wurde. Sicherlich war die städtische Opposition gegen das wirtschaftsliberale Reforrnkonzept des Staates eine Reaktion auf die fehlende soziale Absicherung des Wandels, welcher durch die demographische Dynamik in einer größeren Stadt mit zentral örtlichen Funktionen dramatischer ausfiel als in kleinen und mittleren Gemeinden. Überdies waren die Kommunen mit den finanziellen Auswirkungen der Verwaltungsreorganisation überlastet. Ohne Frage gab es auch eine Reihe von Regulierungsbedürfnissen im Hinblick auf die Gewerbeverfassung in den Städten bzw. im Verhältnis der urbanen Zentren zu den ländlichen Regionen. Nicht weniger war die Sozialverträglichkeit des Umbruchs zu hinterfragen, aber die im Kreise der kommunalen Eliten entwickelten konzeptionellen Ordnungsvorstellungen gingen in einem Sozialkonservativismus auf, der sich gegen die Dekorporierung der Gesellschaft wandte und sich an ständischen Vorbildern orientierte. In seiner fortschrittlichen Prägung - wie es unter anderem auch in Teilen der Berliner Kommunalbürokratie vertreten wurde - bildete das Bemühen, einen Ausgleich zwischen der Gewerbefreiheit und der gewerblich-korporativen Organisation zu finden, wohl nicht den Ausgangspunkt einer politischökonomischen Restauration, da die Gewerbefreiheit hier nicht, wie in weiten Teilen des selbständigen Handwerks, zur Disposition stand. Die an der Kritik der "Gewerbeanarchie" entwickelte Ethik gemeinsinnorientierter Werthaltungen gingen aber in ihrem Verlangen nach Unterordnung unter das Allgemeininteresse, nach Gehorsam und Zucht, nach Ordnung und Ruhe über die praktischen Bedürfnisse der Berufsqualifikation und Ausbildung oder der gewerblichen Verbindung hinaus. Die ausbleibende Ordnung der Gewerbefreiheit stellte den entscheidenden Grund für das Stadtbürgertum und die Kommunalkörperschaften dar, am älteren Städterecht festzuhalten und den Übergang zur Einwohnergemeinde abzulehnen. Mit dem definitiven Herauslösen der gewerblichen Rechte aus dem Bürgerrecht wurde dieser in der Revidierten Städteordnung vollzogen. Die uneingeschränkte Öffnung der Gewerbetätigkeit für die Stadtbevölkerung konterkarierte das kommunale Ordnungskonzept, das mit der offen erklärten Absicht einherging, die Kommunaladministration zur örtlichen Aufsichtsbehörde für die Gewerbeorganisation zu machen. Der

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Staat kam diesem Anspruch im Komprorniß der Gewerbeordnung entgegen, indem er den Kommunalkörperschaften eine Reihe von Aufsichts-, Prüfungs- und Beschlußrechten überwies. Er weigerte sich jedoch, den kommunalen Forderungen nach einer prinzipiellen Verknüpfung von Bürgerrecht und Gewerbetätigkeit sowie einer repressiven Ausdehnung der Gewerbebesteuerung auf die kleinen handwerklichen Existenzen nachzukommen. Wenn die Selbständigkeit des Einzelnen Teilhabe begründete, beinhaltete diese Vorstellung noch lange nicht die Bereitschaft des Bürgertums, im Verhältnis zur individuellen Leistungsfähigkeit zu den Lasten des Gemeinwesens beizutragen. Die fehlende finanzielle Absicherung der Städtereform, die chronisch defizitäre Haushaltslage der Städte, die in Berlin durch die Höhe der Kriegsschulden und den Verlust staatlicher Zuschüsse außerordentlich verschärft wurde, stellte die Kommunalkörperschaften vor das Problem, neue Einnahmequellen zu erschließen. Obgleich es der Stadt insgesamt, wenn auch unter Schwierigkeiten gelang, ihren vermehrten finanziellen Verpflichtungen nachzukommen, und insbesondere die im Zuge einer starken Zuwanderung anfallenden Kosten der Armenfürsorge zu tragen, war es im Vormärz nicht möglich, ein kommunales Steuersystem zu entwickeln, das zumindest in einem gewissen Rahmen eine sozial orientierte Steuergerechtigkeit herstellte. Es gab zahlreiche Gewerbesteuerbefreiungen für die kleinen Handwerksexistenzen, dennoch basierte das kommunale Steuersystem, ungeachtet der Einkommensorientierung der politischen Teilhabe, im wesentlichen auf einer indirekten Besteuerung. Belastete die Haussteuer noch vorwiegend den städtischen Grundbesitz, so trafen die Abgaben zur Mietsteuer sowie zur Mahlund Schlachtsteuer, welche die Haupteinnahmequellen der Stadt darstellten, die städtischen Unterschichten in disproportionaler Weise. Die Einkommensteuer lehnte das Berliner Stadtbürgertum als inquisitorische, den persönlichen Kredit beeinträchtigende Leistung ab. Das bereits in der Instruktion zur Revidierten Städteordnung im Februar 1834 staatlicherseits ausgesprochene Prinzip einer verhältnismäßigen Verteilung der Steuern, nach dem unter der Schonung der unteren Einkommensschichten der Steuersatz mit steigendem Einkommen angehoben wurde, sollte noch ebenso lange auf sich warten lassen wie die Einführung der kommunalen Einkommensteuer. Als diese Steuer 1869 in Form einer Supplementarabgabe erstmalig in Berlin erhoben wurde, löste sie keineswegs die Besteuerung der Wohnungen ab. In der ersten Hälfte der siebziger Jahre sorgte der Staat durch die Einführung der Klassensteuer für die Aufhebung der indirekten Besteuerung in den Gemeinden. Die Mahl- und Schlachtsteuer durfte nicht länger in Berlin erhoben werden. Aber erst zu Beginn der achtziger Jahre setzte sich in den Berliner Kommunalkörperschaften, ohne daß die Überzeugung von der prinzipiellen Berechtigung der Wohnungsbesteuerung aufgegeben

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wurde, die Ansicht durch, daß die Erhebung eines einheitlichen Steuersatzes auf sämtliche Wohnungen sozial nicht gerechtfertigt war. Eine grundlegende Reform der kommunalen Mietsteuer, die unter Anerkennung des Progressionsprinzips die Inhaber teurerer Wohnungen zu Gunsten der unteren Einkommen stärker zu dieser Abgabe heranzog, wurde in Berlin nicht mehr ausgeführt. Es kam lediglich zu einer stufenweisen Entlastung der Wohnungen unter Jahresrnieten von 1000 Mark, ehe die preußische Steuerreform Mitte der neunziger Jahre zur endgültigen Ablösung der Mietsteuer führte. An der Entwicklung eines sozial ausgewogenen kommunalen Steuersystems, das sich am Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegenleistung orientierte und die höheren Einkommen progressiv belastete, daneben aber durch eine entschiedenere Gewichtung der Realsteuern das von der Stadtentwicklung am meisten profitierende Grundeigentum und Gewerbe stärker besteuerte, nahmen die Kommunen und die höhere Kommunalbürokratie nichtsdestotrotz regen Anteil. Schon durch den Zwang zur Absicherung der städtischen Haushalte waren die Magistrate an einer Neuregelung des Verhältnisses von Kommunal- und Staats steuern interessiert.

2. Das Selbständigkeitstheorem der liberalen Wahlrechtstheorie führte, seiner inneren Logik folgend, zu einem Wahlrecht, daß die politische Partizipation in ein quantitatives Abhängigkeitsverhältnis zur individuellen Leistungsfähigkeit des Bürgers brachte. Schon lange bevor dieser Gedanke im formalisierten Klassenwahlrecht des preußischen Staates und seiner Kommunen eingeführt und die politischen Rechte unter Anerkennung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung nach dem Maßstab von Besitz und Steuerleistung verteilt waren, hatte sich diese Wahlrechtsvorstellung im Bürgertum durchgesetzt. Im Kommunalrecht der von der Industrialisierung Preußens am stärksten erfaßten Rheinprovinz fand es Mitte der vierziger Jahre einen ersten gesetzlichen Ausdruck. Das Stadtbürgertum stand in einer wahlrechtstheoretischen Traditionslinie, welche schon die vom Kantschen Rationalismus geprägten preußischen Reformer beeinflußte. Stein, der noch von ständisch durchgebildeten Wahlkörperschaften sprach und gegen den Gedanken der Volkssouveränität jede Tendenz zur Nivellierung oder Demokratisierung ablehnte, setzte auf die wahlrechtliche Bevorzugung von Grundeigentum und Steuerleistung. In den städtischen Repräsentationen konkretisierte sich nach Stein die Selbständigkeit der mit Häusern und Eigentum angesessenen Bürgerschaft. Hardenberg und Altenstein wandten sich zwar gegen ständische Wahlen, wollten aber nicht minder den Besitz politisch bevorzugen. In der restaurativen Nachreformära kehrte die preußi-

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sche Ministerialbürokratie unterdessen zu jenem, von Stein favorisierten Prinzip zurück, die Wahlkörper für die Wahlen zu den Landes- und Provinzialvertretungen nach Ständen zu trennen. Im Falle der Nationalrepräsentation wollte Hardenberg wohl nicht ausdrücklich den Adel bevorzugen, doch durch Besitzklauseln und Mandatsverteilung, durch Standesherrenprivileg und Zweikammersystem wurde der Gutsbesitz bzw. der Adel politisch begünstigt. Noch deutlicher als Hardenberg plädierte Wilhelm von Humboldt gegen eine auf den bloßen Vermögensverhältnissen beruhende Repräsentation und forderte für den Grundbesitz eine politisch dominante Stellung. Das Provinzialständegesetz machte schließlich das Grundeigentum zum epochalen Leitmotiv der politischen Partizipation. Im Gegensatz zu den frühen Reformplänen der Ministerialbürokratie diente der Eigentumsbegriff nicht mehr konzeptionell dem antiständischen Wandel, der gegen die partikularen Kräfte in der Gesellschaft gerichteten Konsolidierung des Staates und seiner Konstitutionalisierung, sondern der Durchsetzung des auf der Präponderanz des Gutsbesitzes ruhenden monarchischen Prinzips. Zugleich verhinderte das politische Ressentiment gegen das Kopfzahl-Prinzip eine gleichmäßige Vertretung der Bevölkerung in den Repräsentationen. Die vom nachrevolutionären Stadtbürgertum angefeindete Unterrepräsentation der Städte erwies sich insofern als eine historische Last des vorkonstitutionellen Preußen. Wenngleich es keinen ernst zu nehmenden Widerstand gegen die Einführung der Provinzialstände gab, ließ sich die neuständische, der bürgerlichen Eigentumsideologie gehorchenden Repräsentation nach anfänglicher Zustimmung letztendlich nicht für eine Politik der Restauration funktionalisieren. Die Landtage der vierziger Jahre wurden gar zu Foren gegen die innenpolitische Stagnation Preußens. Das Wahlrecht zu den Provinzialständevertretungen spitzte mit seiner starken Zäsur zwischen dem aktiven und passiven Wahlrecht und dem auf die Gemeindevertretungen beschränkten indirekten Wahlverfahren die politische Teilhabe in den Städten außerordentlich zu. Von einer eigentlichen Mitwirkung des auf kommunaler Ebene wahlberechtigten Bürgertums konnte keine Rede sein. Die Anträge der Städte auf Abänderung des provinzialständischen Wahlrechts blieben indes systemkonform. Nicht die Forderung nach Einführung des egalisierenden Kopfzahlprinzips stand im Vordergrund der Bemühungen, sondern die Durchsetzung einer proportionalen Vertretung der Interessen. Dem rheinischen Bürgertum war in den vierziger Jahren vor allem an einer Erhöhung des Zensus zum aktiven Wahlrecht gelegen. Die Herstellung einer "echten Majorität", wie Hansemann bemerkte, forderte einerseits die Vertretung des wohlhabenden Bildungsbürgertums auf den Provinziallandtagen, andererseits den Ausschluß der weniger wohlhabenden Schichten des Stadtbürgertums.

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Durch die verlangte Erhöhung des Zensus hätte in manchen Gemeinden mehr als ein Drittel der Wähler die Stimmberechtigung verloren, ohne daß diese politische Folge große Kritik in der Provinzialvertretung hervorrief. Nur vereinzelte Stimmen wandten sich gegen eine Beschränkung bestehender Rechte. In den Kommunen der östlichen Provinzen, insbesondere aber in der Landeshauptstadt, war eine Verschärfung der Zensusregelungen obsolet. Einmal erworbene Teilhaberechte sollten erhalten bleiben, selbst wenn die Entwicklung der Lebenshaltungskosten die ursprüngliche Funktion des Zensus konterkariert hatte. In Berlin wehrte das in der Gemeinderepräsentation vertretene Stadtbürgertum sämtliche Versuche der Kommunalbürokratie ab, eine Verschärfung des Wahlrechtszensus zu beschließen oder einen grundsätzlichen Wahlrechtsentzug anzuordnen, etwa im Falle vorliegender Unterstützungsleistungen durch die städtische Armenfürsorge oder gewährter Mietsteuerbefreiungen. Die im Vormärz gezeigte Resistenz gegen eine erschwerte politische Teilhabe in der Gemeinde war nicht als Ausdruck politischer Dynamisierung zu deuten. Es sollte lediglich im Interesse politischer Stabilität der Status quo nicht in Frage gestellt werden. Das Kommunalwahlrecht, das die gemeindliche Dominanz des Haus- und Grundbesitzes absicherte, sorgte mit der geschlossenen Bezirkswahl und dem System der drittelparitätischen Ergänzungswahlen für eine konservative Wahlkultur. Die Häufigkeit der Wiederwahl und die hohe Anzahl mehrmaliger Wahlperioden der Gemeinderepräsentanten verdeutlichten diese Tendenz. Sie mußte im Zusammenhang mit der fehlenden Öffentlichkeit der Stadtverordnetensitzungen, den nur eingeschränkten Wahlauseinandersetzungen und nicht zuletzt der Pflicht zur Mandatsannahme in einem politischen Immobilismus münden, solange nicht Impulse von den Bürgerschaften selbst ausgingen. Es kam nicht von ungefähr, daß sich die Stadtverordneten nach 1810 für die Einbeziehung der Vorstädte in die Kommunalwahlen und die Einrichtung von entsprechenden Wahlkreisen aussprachen, doch in den folgenden Jahrzehnten jeden weiteren Versuch unterließen, die Ungleichheit des kommunalen Wahlrechts auf Grund der differierenden Bevölkerungsdichte in den Stadtbezirken durch eine grundlegende Reform aufzuheben. Nur der Initiative einzelner Stadtverordneter und der Öffentlichkeit war es zu danken, daß es Mitte der vierziger Jahre wenigstens zu Grenzkorrekturen, zur Zusammenlegung oder Teilung verschiedener Wahlbezirke kam. Eine Gesamtreform der kommunalen Wahlkreiseinteilung scheiterte an den nur schwer aufzubrechenden gemeindlichen Machtstrukturen. Die politische Dominierung der Wahlbezirke durch einflußreiche Persönlichkeiten oder Familien, die partikularistischen Interessen des lokalen Honoratiorenturns und das Sozialprestige des kommunalen Ehrenamts erwiesen sich als Barrieren für Reformen wie überhaupt für eine Politisierung der kommunalen

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Lebenswelt der preußischen Landeshauptstadt, deren zentrale Rolle in der Märzrevolution außer Frage stehen sollte. Die Selbstverwaltung leistete aus sich selbst heraus weder einen wesentlichen Impuls für die Öffnung der Partizipationschancen in der Gemeinde noch für den politischen Wandel im monarchischen Staat. Sie war, gegen die Ansicht Kosellecks, ebensowenig eine Vorschule gesamtstaatlichen Verfassungsdenkens wie sie eine organisatorische Plattform für die politische Modernisierung der Monarchie schuf. Wenn es trotzdem in den vierziger Jahren zu einer ausgesprochenen Politisierung der Städte kam, dann war diese Entwicklung eine Folge der Selbstorganisation des Bürgertums außerhalb der Gemeindeverwaltung, der allgemeinen Entfaltung des politischen Denkens, der gelebten Unfreiheit im bürokratisch reglementierten Obrigkeitsstaat, der Unduldsamkeit gegen den politischen Stillstand und die Abneigung des Staates gegen die Konstitutionalisierung. Politische Mündigkeit entstand nicht, wie earl Stüve Anfang der vierziger Jahre schrieb,l indem man seine Interessen auf die städtischen Abrechnungen, die Anschaffung von Feuerspritzen, die Erstellung von Brunnen, kurzum die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten richtete, sondern allein durch die Teilnahme an der Gesetzgebung des Staates. Selbstverständlich spielten auch einzelne Stadtverordnete oder Mitglieder der Kommunalbürokratie im öffentlichen Leben eine politisch bedeutsame Rolle, doch die Kommunalkörperschaften als Ganzes standen nicht an der Spitze der bürgerlichen Opposition. Sie wurden eher von der politischen Zeitströmung erfaßt. Teils reagierten sie, um nicht ins Hintertreffen zu geraten und vom Bürgertum wie der Stadtbevölkerung überhaupt isoliert zu werden. Der Einzug linksliberaler Oppositioneller in die Kommunalvertretung war eine Folge der gesellschaftlichen Politisierung, nicht minder die im Kreise der Stadtverordneten erhobenen Forderungen zur Liberalisierung des öffentlichen Lebens. Während der Revolution beschloß die Berliner Kommunalvertretung aus Gründen der Legitimität ihre Selbstauflösung, die Neuwahlen wurden indessen nach dem tradierten Wahlrecht der Städteordnung durchgeführt. Das allgemeine und gleiche Wahlrecht lehnte die demokratische Linke mit wenigen Ausnahmen ab. Der Berliner Magistrat, bemüht, das monarchischkonstitutionelle Prinzip in der Städteordnung konsequent zu verwirklichen, wiederholte seine alte Forderung nach einer Verschärfung des Wahlrechtszensus. Er dachte nicht daran, das Grundbesitzerprivileg abzulösen. Am öffentlichen Wahlverfahren hielt der Magistrat unverrückbar fest. Nur das Prinzip der geschlossenen Bezirkswahl wollte er zugunsten von wahlkreisunabhängigen Kandidaturen aufgeben. Für eine vorsichtige Demokratisierung 1 Georg Stüve, earl Bertram Stüve. Nach Briefen und persönlichen Erinnerungen, Bd. 1, Hannover 1900, S. 323.

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des Kommunalwahlrechts durch die Reduzierung der Stimmrechtsqualifikation auf die Beitragsleistung zu den Kommunalsteuern, wie sie unter anderem auf dem Elbinger Städtetag vertreten wurde, fand sich in den Berliner Kommunalkörperschaften keine Mehrheit. Die Stadtverordneten wollten den politischen Status quo wahren. Sie opponierten daher gegen das Klassenwahlrecht. Dem gemäßigten Kommunalliberalismus galten die Wahlrechtsregelungen der reformzeitlichen Städteordnung als äußerste Grenze der politische Teilhabe in der Gemeinde. Die fortgesetzte Spaltung der städtischen Gesellschaft in Bürger und Schutzverwandte erachtete man nunmehr gar für vernachlässigbar. Schließlich stimmte man dem Magistrat zu, die Ausübung der Nutzungs- und Mitwirkungsrechte in der Gemeinde von der Zahlung der Einzugs- und Einkaufsgelder abhängig zu machen. Auf diese Weise wurden die bestehenden Zensusregelungen im Grunde genommen verschärft. Politische Weitsicht fehlte der Selbstverwaltung auch insofern, als sie gegen das vom Staat realisierte einheitliche Kommunalrecht für Stadt und Land Front machte. Der Verweis auf die grundlegende Verschiedenheit der "Interessen und Elemente" zeigte deutlich das ganze Ausmaß der politischen Hilflosigkeit des kommunalen Bürgertums, seine modernisierungsfeindliche Befangenheit im Bestandsdenken, ebenso im Hinblick auf die innergemeindlichen Kompetenzen wie im Verhältnis zum Staat. In den weiteren Wahlrechtsauseinandersetzungen der Nachrevolutionsära war das Stadtbürgertum ungebrochen in der Auffassung geeint, die besitzabhängige Ungleichheit des Wahlrechts aufrechtzuerhalten. Gespalten waren die Bürgerschaften hingegen in der Frage, auf welchem Wege dieses Ziel zu erreichen war. Die bürgerliche Rechte sah eher in der Klassenwahl eine Garantie besitzbürgerlicher Dominanz und im Zensus ein allgemeines Antriebsmittel, sich auf der Höhe bürgerlicher Existenz zu halten. Die bürgerliche Linke, eher am Gedanken politischer Integration orientiert, wollte dagegen über den politischen Status quo der Revolutionszeit hinaus ein gemäßigtes Zensuswahlrecht verwirklichen, das dem Partizipationswillen immer weiterer Teile der städtischen Bevölkerung gerecht wurde. Die Aufhebung der öffentlichen Stimmabgabe blieb ein Gegenstand konsensualer Kritik, zu der sich aber auch von linksliberaler Seite der Wunsch nach einem genossenschaftlichen Wahlverfahren mit gemeinsamer Aussprache und Beratung während des Wahlaktes gesellte. Mit diesem restaurativen Anliegen äußerte sich die eben nicht nur von der Kommunalbürokratie gehegte Furcht vor einem "objektivierten" Wahlverfahren, das zwangsläufig zu einer Politisierung des Wahlgeschehens und zu parteipolitischen Auseinandersetzungen im Vorfeld der eigentlichen Wahlen führte. Die Spaltung des Stadtbürgertums in der Wahlrechtsfrage konnte in zahlreichen Städten der östlichen Provinzen nicht überbrückt werden. Es fand

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lediglich, wie etwa in der Landeshauptstadt, insofern eine Annäherung der Standpunkte statt, als man allgemein anerkannte, daß die Höhe des Zensus der älteren Städteordnung nicht mehr seiner politischen Funktion entsprach und folglich der im konstitutionellen Kommunalrecht aufgenommene Zensus zu akzeptieren war. Der Zensus sollte nach einhelliger Ansicht auf der Grundlage der direkten Kommunalsteuern berechnet werden. Ein Verfahren, das dem mittelständischen Bürgertum zugute kommen mußte, da es nicht länger durch die hohen Staatssteuerbeiträge der oberen Wahlklassen diskriminiert worden wäre. Grundsätzlich wollte man zu dieser Zeit auch nicht die Privilegierung des Hauseigentums in Frage stellen. Daneben gehörte die Rückkehr zur geschlossenen Bezirkswahl zu den generellen Forderungen des Stadtbürgertums. Partizipationsvorstellungen, die sich an der faktischen sozialen Wirkungsträchtigkeit des kommunalen Ehrenamts orientieren wollten, hatten hingegen auf Grund ihrer nur schwer einschätzbaren politischen Folgen keine Aussicht auf Akzeptanz in der bürgerlichen Öffentlichkeit. Die Wahlrechtsvorstellungen des Berliner Stadtbürgertums repräsentierten zu Beginn der sechziger Jahre die Auffassung der östlichen Provinzen. Man favorisierte eine Wiederherstellung des wahl- und bürgerrechtlichen Systems der Städteordnung von 1808, während der preußischen Westen in weiten Teilen bereit war, das Klassenwahlrecht zu akzeptieren, da es annäherungsweise den sozialen Differenzen der städtischen Gesellschaft Rechnung trug. Ein Ersatz des Klassenwahlrechts kam für die westlichen Provinzen nur in Frage, wenn gleichzeitig eine Erhöhung des Wahlrechtszensus durchgesetzt wurde. Der aus der Defensive operierende Kommunalliberalismus stilisierte die preußische Städteordnung von 1808 und die durch sie begründete kommunale Selbstverwaltung in der Wahlrechtsdebatte zu einem Instrument politischer Demokratisierung. Die bewußte Ignorierung der Rechtswirklichkeit unter dem älteren Gemeinderecht machte allerdings schon der zeitgenössischen Kritik deutlich, daß es sich hierbei um eine politisch-ideologische Mythenbildung handelte. Zu einer Einigung kam es in der Kommunalwahlrechtsfrage nicht. Die Höhe des Zensus und dessen Berechnungsgrundlagen, die Frage der weiteren politischen Privilegierung des Haus- und Grundeigentums bzw. des Gewerbebetriebs sowie die Kopplung des Wahl- mit dem Bürgerrecht blieben umstritten. Das Klassenwahlrecht verschärfte wohl nach verbreiteter Auffassung die sozialen Gegensätze in der Gemeinde und zersplitterte den Gemeinsinn, allein es fehlte am Ende, da das gleiche Wahlrecht auf kommunaler Ebene prinzipiell nicht zur Diskussion stand, an einer befriedigenden Alternative, so daß man auf das Dreiklassensystem zurückkam, nicht zuletzt auf Grund seines allgemeinen Charakters. Solange ein bestimmtes Verhältnis von Besitz und Steuerleistung den Maßstab für ein abgestuftes Wahlrecht bilden sollte, war das Klassenwahlrecht nicht weniger rationell

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als ein Zensus verfahren. Die von der Staatsregierung erwogenen moderaten Modifikationen, wie die Aufgabe des öffentlichen Wahlverfahrens oder die Vorschrift von Mindestwählerquoten in den ersten bei den Wählerklassen, fielen dem Ende der "liberalen Ära" zum Opfer. Am Ausgang der sechziger Jahre machten sich erstmals Vertretungen der großstädtischen Industriearbeiterschaft mit Wahlrechtsforderungen bemerkbar. Die Berliner Linksliberalen fanden sich bereit, das Verlangen nach einer Ablösung des preußischen Dreiklassensystems durch das allgemeine und gleiche Reichstagswahlrecht zum Norddeutschen Bund zu unterstützen. Im kommunalen Bereich zeigte man freilich kein Entgegenkommen, die Stimmrechtsbeschränkungen sollten bestehen bleiben. Während des letzten staatlich initiierten Reformversuchs zum Städterecht setzten sich Vertreter der hauptstädtischen Linksliberalen zu Beginn der siebziger Jahre dann tatsächlich für die Einführung der Wahlrechts gleichheit in den Gemeinden ein. Allerdings handelte es sich nur um einen temporären Demokratisierungsimpuls, welcher angesichts der sich zur geschlossenen politischen Macht formierenden Arbeiterschaft schnell erlahmte und durch die Aktualisierung des Prinzips "gleiche Pflichten, gleiche Rechte" ersetzt wurde. Die Kommunalbürokratien und -vertretungen jener Provinzen, in denen das Dreiklassenwahlrecht zum Zuge kam, plädierten für seine Aufrechterhaltung. Frühere Gegner des Klassensystems wie Max Forckenbeck hatten sich zwischenzeitlich bedingungslos hinter das Prinzip gestellt, die Steuerleistung zur Grundbedingung des Wahlrechts zu machen. Das Klassenwahlsystem wurde sogar in seiner integrativen Funktion gewürdigt, da es gegenüber dem Zensusverfahren die Stadtbevölkerung nicht in zwei Klassen spaltete, sondern selbst einem großen Teil der städtischen Unterschichten die kommunale Teilhabe garantierte, ohne daß auf diese Weise eine Gefahr für die politischen Herrschaftsverhältnisse in den Städten entstand. Den bereits in den sechziger Jahren gewiesenen Weg einer eingeschränkten Liberalisierung des Klassenwahlrechts durch die Senkung des Steuerzensus für die dritte Wählerklasse nahm die Staatsregierung in der ersten Hälfte der siebziger Jahre auf, indem der wahlrechtsqualifizierende Steuersatz halbiert wurde. Nachdem seit Beginn der achtziger Jahre die geringeren Einkommen von der Klassen- bzw. Einkommensteuer befreit wurden, führte man die fingierten Normalsteuersätze ein, so daß die Steuerbefreiung nicht mit dem Verlust des Wahlrechts einherging. Die preußische Steuerreform der neunziger Jahre war auf Grund der Entlastungen der unteren Einkommen politisch mit einer starken Plutokratisierung des Klassenwahlrechts verbunden, auf welche die Regierung mit einer Wahlrechtsinitiative zur Wiederherstellung des politischen Status quo reagierte. Es ging um keine strukturelle, sondern um eine partielle, antiplutokratische Effekte auslösende Reform, bei der eine Reihe von Verfahrensänderungen wie die Be-

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zirksdrittelung, das Prinzip der Steuennaximierung und die Einführung von Maximalsteuersätzen, die Steuerfiktion für die steuerbefreiten Einkommen oder die Verteilung der Mandate auf die Wählerklassen nach festgelegten Anteilssätzen dazu dienen sollten, die Wahlrechts verluste in den unteren Abteilungen auszugleichen. Dem Konservativismus bereitete die Marginalisierung des Wahlrechts der unteren und mittleren Schichten keine Probleme. Vornehmlich von dem Interesse geleitet, den Aufstieg der Sozialdemokratie in die zweite Wählerklasse zu verhindern sowie deren Einfluß in den Landes- und Kommunalvertretungen zu beschränken, sah er das Problem der Refonn nicht in der Plutokratisierung des Dreiklassenwahlrechts, sondern in der Wahrung der politischen Stellung der höheren Schichten, die durch das "demokratische" Reichstagswahlrecht sowie die Provinzial- und Kreisrefonn schon geschmälert war. Die Mehrheitsverhältnisse im Landtag sorgten Ende Juni 1893 für die Verabschiedung eines Wahlgesetzes, das den Umfang der politischen Teilhabe auf Seiten der Besitzenden unangetastet ließ. Die Kommunalbürokratie unterstützte die Absicht der Regierung, die Wahlrechtsbeschränkungen zurückzunehmen. Die Bereitschaft zu einer großzügigen antiplutokratischen Refonn hielt sich indessen selbst bei linksliberalen Oberbürgenneistern in Grenzen. Der städtische Linksliberalismus hatte, solange die Wahlrechtsrefonn die enge Bindung zwischen Landtags- und Kommunalwahlrecht nicht löste, nur ein begrenztes Refonninteresse. Stärkere antiplutokratische Effekte bedrohten schließlich die politische Machtposition der Linksliberalen in den Kommunen. Nach dem Bruch der deutschfreisinnigen Allianz konnte der linke Flügel der Freisinnigen Volkspartei die Übernahme des Reichstagswahlrechts für die Landtagswahlen in den Einzelstaaten als programmatische Forderung durchsetzen. Es fehlte aber an einer entschlossenen Propagierung dieses Ziels im Parlament und in der Öffentlichkeit. Die geforderte Liberalisierung schloß bezeichnenderweise das Kommunalwahlrecht aus. In dieser Beziehung hielten die Linksliberalen am Dogma von Leistung und Gegenleistung fest. Der Widerspruch zwischen dem Demokratisierungsanspruch auf staatlicher und der Konservierung politischer Ungleichheit auf kommunaler Ebene war dem Linksliberalismus ebenso bewußt wie die zwangsläufigen Rückwirkungen der Demokratisierungspolitik auf die Wahlrechtsungleichheit in der Gemeinde. Demzufolge unterwarf er sich einern politischen Immobilismus, der am Status quo der parlamentarischen Machtverhältnisse im Grunde genommen nicht rühren wollte bzw. nicht der Wahlrechtsfrage, sondern der Wahlkreisrefonn Priorität einräumte. In einer Metropole wie Berlin konnte der Linksliberalismus die besitzorientierte Wahlrechtsdifferenzierung eher rechtfertigen, da hier die Bevölkerungsstruktur mit breiten Anteilen der mittleren und unteren Schichten

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sowie der sozialsegregierten Stadtstruktur den weniger wohlhabenden Einwohnern trotz des Dreiklassenwahlrechts in gewissem Umfang Gelegenheit zur politischen Teilhabe bot. In weniger bevölkerungsreichen Städten mit einer ausgesprochenen Polarisierung der sozialen Schichtung führte die plutokratische Tendenz des Klassensystems zu einer Ausdünnung der oberen Wählerabteilungen, die durch die Steuerreform erheblich zugespitzt wurde. Antiplutokratische Impulse zur Reform des Dreiklassenwahlrechts gingen daher im Landtag nicht ohne Grund von den Vertretern rheinischer Städte aus. Nachdem die Reform des Kommunalwahlrechts abgekoppelt und die Staatsregierung bemüht war, den gerade in den Groß- und Mittelstädten sowie den industriellen Landgemeinden beobachteten Schrumpfungsprozeß der Wählerzahlen in den oberen Klassen durch die Verbindung der Wählerdrittelung mit dem steuerlichen Durchschnittsprinzip zu relativieren, setzte sich der östliche Kommunalliberalismus für eine weiter gefaßte Reform ein. Wenn die Wählerschaft nach dem Maßstab der überdurchschnittlichen Steuerleistung getrennt wurde, sollte dieses Verfahren nach linksliberaler Ansicht nicht nur die zweite, sondern auch die erste Wählerklasse erfassen. Die Möglichkeit, durch ortsstatutarische Regelungen die Klassenbildung zu beeinflussen, lehnten die Linksliberalen ab, da auf diese Weise der Wahlmanipulation Tor und Tür geöffnet wurden. Politische Zugeständnisse fielen dem Linksliberalismus nicht schwer, da die Reform des Wahlverfahrens keine Änderung des grundsätzlichen Charakters des Klassenwahlrechts herbeiführte. Immerhin warnten linksliberale Berliner Kommunalvertreter vor einer politischen Instrumentalisierung des Reformvorhabens und deuteten die Perspektive eines Integrationismus an, der die ausgegrenzte Sozialdemokratie im Wege kooperierender Mitgestaltung zu einem konstruktiven politischen Realismus zwang. Die Zielsetzungen der Staatsregierung orientierten sich an einer Restituierung der wahlrechtlichen Klassenverhältnisse in den preußischen Gemeinden auf dem Stand von 1891. Jede weitergehende Demokratisierung des Klassenwahlrechts lag außerhalb ihres politischen Konzeptes. Als auf Grund eingehender statistischer Untersuchungen deutlich wurde, daß die geplanten Verfahrensänderungen in fast allen Städten untere Wählerschichten in die höheren Wählerklassen aufsteigen ließen, wurden aus der Mitte der kommunalen Selbstverwaltung massive Bedenken erhoben. Man sah einen Prozeß fortgesetzter Demokratisierung ingang gesetzt, befürchtete eine Sozialisierung einzelner Gemeindevertretungen und warf der preußischen Staatsregierung gar die Verfolgung "sozialistischer Tendenzen" vor. Dabei war es die erklärte Absicht der Ministerialbürokratie, durch die Reform in keinem Fall zu einer Stärkung der Sozialdemokratie, namentlich in Gemeinden mit starker Arbeiterbevölkerung, beizutragen.

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Vor allem das Kommunalbeamtenturn der durch stärkere Klassengegensätze geprägten rheinischen Städte machten gegen eine "demokratische Verschiebung" des Kommunalwahlrechts mobil. Hier bildete die politische Privi legierung des Besitz- und Wirtschaftsbürgertums ein Synonym für jene sachorientierte und weitsichtige Kommunalpolitik, die überhaupt erst den Aufschwung der Städte in den letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts ermöglicht hatte. Die kommunalen Tätigkeiten waren für die Gemeindebürokratie der westlichen Provinzen weniger durch die Mittelschichten als durch das örtliche Unternehmertum geprägt. Eine Auffassung, die im übrigen auch von den Rechtsliberalen vertreten wurde. Da die unternehmerische Stellung nicht durch ortsstatutarische Regelungen zu den Wahlverfahrensprinzipien der Allgemeinheit der gemeindlichen Wählerschaften ausgeliefert sein sollte, lehnte sowohl das rheinische Kommunalbeamtenturn als auch das der östlichen Provinzen, unterstützt von den Links- und Rechtsliberalen, jede Form kommunaler Autonomie bei der Ausführung des Wahlverfahrens ab. Das mit einer Mehrheit aus Konservativen, Zentrum und Freisinn, der sich für jede Verbesserung des bestehenden Zustands erklärt hatte, in der zweite Junihälfte 1900 angenommene Gesetz zur Bildung der Wählerabteilungen bei den Gemeindewahlen folgte schließlich einem mittelstandsorientierten Reformverlangen, das in seinen Ausführungsvorschriften der kommunalen Beschlußnahme bei der orts statutarischen Regelung der Abteilungsbildung einen weiten Ermessensspielraum einräumte. In den größeren Städten mit über 10000 Einwohnern war damit ein antiplutokratisches Korrektiv eingeführt, das sich jedoch, soweit es um die Verteilung der Partizipationschancen in der Gemeinde ging, lediglich auf den Stand der Vorreformzeit - d. h. vor Verabschiedung der preußischen Steuerreform bezog. Nach einer fast zehnjährigen parlamentarischen Auseinandersetzung hatte man gerade einmal erreicht, die steuerreformlichen Wahlrechtsverluste wieder auszugleichen. Zu einer Demokratisierung der politischen Teilhabe in den Gemeinden war es nicht in Ansätzen gekommen. Mit der Wiederherstellung des politischen Status quo der frühen neunziger Jahre erschöpfte sich auch die Reformfähigkeit der kommunalen Selbstverwaltung und des liberalen Stadtbürgertums, das sich bis zum Ende des Kaiserreichs in einer modernisierungsfeindlichen Defensive, insbesondere gegenüber den politischen Teilhabeforderungen der Sozialdemokratie befand. Die Arbeiterpartei zeigte sich unterdessen nicht gewillt, die bürgerschaftliche Teilnahme an den Gemeindeangelegenheiten als eine "Selbstverwaltung der Privilegierten" hinzunehmen.

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3.

Wenn in der öffentlichen und parlamentarischen Auseinandersetzung um die Reform des Kommunalwahlrechts allgemein die grundsätzliche Haltung oder, räumlich gesprochen, das Außenverhältnis der kommunalen Selbstverwaltung und des städtischen Liberalismus zur politischen Modernisierung der Partizipation in der Gemeinde deutlich wird, so zeigt sich in der lokalen Handhabung des Wahlrechts und in den innergemeindlichen Diskussionen um die Auslegung des Städterechts und seiner Ausführungsvorschriften sowie in den Auseinandersetzungen um die Möglichkeiten kommunaler Partizipationsgestaltung das unmittelbar praktische oder innere Verhältnis von Kommunalbürokratie und Stadtbürgertum zur Reichweite der eigenen Teilhabevorstellungen. Die häufigen Wiederwahlen von Stadtverordneten führten bereits im Vormärz zu einer Art Professionalisierung des kommunalen Ehrenamts. Das kommunale Beamtenturn war eher an einer Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen zum Wahlrecht interessiert war, während die Kommunalvertretungen am politischen Status quo festhielten. Gemeinsam war den Gemeindekörperschaften das mehr oder weniger massive Bemühen einer restriktiven Revision der Bürgerrollen und Wählerlisten. Die Wünsche nach einer stärkeren Politisierung des Gemeindelebens, unter anderem durch die Abschaffung des Prinzips der Ergänzungswahlen, die Forderung nach Wahlprogrammen oder die Öffentlichkeit der Stadtverordnetensitzungen, kamen dagegen unmittelbar aus der Bürgerschaft. Derartige Zielsetzungen mußten, wie das Beispiel der öffentlichen Verhandlung der Gemeindeangelegenheiten zeigte, gegen den Widerstand der Kommunalkörperschaften durchgesetzt werden. Zum wichtigsten Problem der politischen Teilhabe in der Gemeinde wurde neben der allgemeinen Wahlrechtsqualifikation die Herstellung eines proportionalen Verhältnisses zwischen der Mandatsverteilung und der Zahl der Wahlberechtigten in den Kommunalwahlkreisen. Der Gesetzgeber hatte sich mit seiner Entscheidung für das Mehrheitswahlrecht mit relativer Stimmenmehrheit nicht für die proportionale Abbildung der Stimmen, sondern für ein auf Integration, Willensbildung und Funktionalität abzielendes System entschieden. In den Städten sollte es eine stabile, auf Mehrheitsbildung beruhende politische Führung sichern. Die Wahlkreiseinteilung basierte infolge der Städteordnung auf einem Repräsentationsschlüssel, der auf Gleichheit angelegt war. Die Mandate mußten im proportionalen Verhältnis zur Zahl der Wahlberechtigten verteilt werden. Der Bevölkerungsschlüssel für die kommunalen Wahlbezirke war freilich eine rein administrative Größe, mithin unabhängig vom Verhältnis der stimmberechtigten Bürger, so daß es bei dem anhaltend regen Bevölkerungswachstum Berlins frühzeitig zu einem Konflikt zwischen der administrativen Vorgabe des älteren Kommunalrechts für die Wahlbezirkseinrichtung und dem vorgeschriebenen Prinzip der Mandatsverteilung kam.

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Allerdings waren der Mandatsverteilung nicht die Bevölkerungs-, sondern die Wahlberechtigtenziffern zugrunde zu legen. Doch schon das disproportionale Bevölkerungswachstum ließ die Verschiebungen des Stimmengewichts innerhalb der Stadt deutlich werden. Dessenungeachtet kam es in den vierziger Jahren zum öffentlichen Einklagen gerechter Repräsentation. Das Stadtbürgertum wurde sich vernachlässigter Partizipationschancen und Einflußmöglichkeiten bewußt. In einem Akt allgemeiner Politisierung forderte man von den Kommunalkörperschaften die Aufhebung der Stimmrechtsungleichheit. Nach anfänglicher Bereitschaft, die differierende Stimmengewichtung auszugleichen, zeigte sich schon Ende der vierziger Jahre eine auffallige Zurückhaltung der Gemeindeorgane, dem Bürgerbegehren nachzukommen. Im Zeichen sozialer Integration nahm sich diese Zurückhaltung in der Nachrevolutionszeit zunächst noch als eine Art defensiver Korrektur der desintegrativen Wirkungen des Klassenwahlrechts aus. Anschließend erhielt sie zunehmend einen restriktiven politischen Charakter, da der Kommunalliberalismus durch eine Wahlkreisreform seine politische Machtbasis in der Gemeinde gefährdet sah. Das nachrevolutionäre Kommunalrecht brach die alte Kongruenz zwischen Stadt- und Wahlbezirk auf. Es ermöglichte den Kommunalkörperschaften, eine annähernd ausgeglichene Gestaltung der Wahlkreise für die einzelnen Wählerklassen herbeizuführen. Dieses Ziel ließ sich aber nur dadurch erreichen, daß für die einzelnen Abteilungen in Anzahl und Form unterschiedliche Wahlkreise errichtet wurden. Einer-, Zweier- und Viererwahlkreise standen sich in unterschiedlicher Höhe gegenüber. Die Einführung der Städteordnung von 1853 nahmen die Kommunalkörperschaften zum Anlaß, die durch die Wahlkreiseinteilung veranlaßte soziale Zerrissenheit der Wähler aufzuheben, obwohl keine materiellen Änderungen des Kommunalwahlrechts vorlagen, die verlangt hätten, für alle Wählerklassen einheitliche Wahlkreise einzurichten. Die Revision wurde mit einer außerordentlichen Streuung des Stimmengewichts erkauft, gegen die sich Mitte der sechziger Jahre vehemente Proteste der Bürgerschaft erhoben. Der Berliner Kommunalvertretung wurde selbst von einzelnen Stadtverordneten der Anspruch abgesprochen, als legitime Repräsentation des Stadtbürgertums zu fungieren. Angesichts der kommunalpolitischen Machtfrage traten die Legitimitätsprobleme jedoch in den Hintergrund. Der Kommunalliberalismus hatte gegen Ende der fünfziger Jahre in einem mehrjährigen Wahl zyklus die Gemeinderepräsentation Berlins zu einer Bastion des liberalen Fortschritts gemacht. Diese Stellung sollte nicht in einer Situation gefahrdet werden, in der sich der politische Konservativismus im vermeintlichen Einvernehmen mit der Staatsregierung anschickte, Berlin als Zentrum des Linksliberalismus anzugreifen. Die Stadtverordneten-Versammlungen waren nach der Reichsgründung, trotz konsequent vor71 Grzywatz

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getragenen gegenteiligen Bekundungen, längst nicht mehr unpolitische Organe, sondern politisierte Repräsentationen, die der staatlichen Politik kritisch kontrollierend gegenübertraten und zunehmend zum Ziel parteipolitischer Auseinandersetzungen wurden. Die politischen Parteien hatten erkannt, daß sie über die Entwicklung des kommunalen Einflusses ihre Ausgangspositionen für die Landtags-, insbesondere aber die Reichstagswahlen verbessern konnten. Der Linksliberalismus war in einer solchen Situation eher bereit, einen innerstädtischen Gegensatz zwischen den ungleich vertretenen peripheren und zentralen Stadtbezirken hinzunehmen, als daß man dem politischen Gegner die Möglichkeit einräumte, in die eigene politische Einflußsphäre einzubrechen. Die Folge war ein beispielsloser Rückgang der Wahlbeteiligung bei den Gemeindewahlen, welche unter dem Klassenwahlrecht infolge der Mandatsdrittelung an sich schon ausgesprochen niedrig ausfiel. Kaum ein Drittel der Wähler machte von seinem Stimmrecht Gebrauch. In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre erschien nicht einmal mehr ein Zehntel der Stimmberechtigten in den Wahllokalen. Als die Staatsregierung eine Neueinrichtung der Berliner Kommunalwahlbezirke anordnete, gelang es den Linksliberalen mit erheblichem taktischen Geschick, die Verfügung in einen Grundsatzkonflikt zwischen der kommunalen Selbstverwaltung und der staatlichen Kommunalaufsicht umzufunktionieren. Die Frage der Stimmrechts gleichheit trat dadurch in den Hintergrund. Nach intensiver Mobilisierung der eigenen Wählerschichten konnten die Linksliberalen ihre Machtbasis in der Reichshauptstadt sichern. Das Problem der Stimmrechtsgewichtung war durch die Wahlkreisreform Mitte der achtziger Jahre zumindest zeitweilig entschärft. Sie wurde aber auf Kosten einer erheblichen teilhabepolitischen Benachteiligung der unteren Wählerschichten erkauft. Durch die wesentlich höhere Anzahl von Wahlkreisen in der dritten Wählerklasse kam das System der Ergänzungswahlen mit seiner Dreiteilung des Wahlkörpers und der Mandate nur noch in dieser Abteilung zum Zuge. Die Wahlberechtigten der dritten Klasse konnten folglich nur alle sechs Jahre von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, während die Wähler der ersten beiden Klassen alle zwei Jahre in ihrer Gesamtheit zu den Kommunalwahlen aufgerufen wurden. Diese Benachteiligung nutzte der Linksliberalismus gegen die Sozialdemokratie, deren Ziel auf die politische Dominierung der dritten Wählerabteilung ausgerichtet war. Gleichzeitig wurde die Wahlkreiseinteilung zu einem Instrument politischer Repression gegen die Sozialdemokraten gemacht. Zwar kam es gegen Ende der neunziger Jahre nochmals zu einer Revision der Wahlkreiseinteilung, die im Wege der Mandatsvermehrung und der Teilung von einzelnen

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Wahlbezirken die größten Disproportionalitäten beseitigte, aber damit war der Reformeifer der Kommunalkörperschaften zunächst erschöpft. Die Aussicht, daß weitere Teilungen der bevölkerungsstarken Außenbezirke Berlins allein den Sozialdemokraten zugute kamen, ließ den städtischen Liberalismus und die Gemeindebürokratie in Einmütigkeit eine abwartende Haltung gegenüber weiteren Reformverlangen einnehmen. Nur durch den Druck der hauptstädtischen Öffentlichkeit wurde wenige Jahre vor dem Kriegsausbruch noch einmal gegen die "kommunale Wahlkreisgeometrie" eine Revision für die dritte Wählerklasse durchgesetzt, ohne daß die seit längerer Zeit geforderte Wahlkreisreform für die ersten beiden Wählerabteilungen einbezogen wurde. Die Konflikte um die innerstädtische Wahlkreisreform verdeutlichten, daß die kommunale Teilhabe in ihrer gesetzlichen Fundierung seitens der kommunalen Selbstverwaltung bzw. ihrer Organe einer restriktiven Auslegung ausgesetzt war. Das Bedürfnis, die örtliche Herrschaft abzusichern, überlagerte die Verpflichtung, die vom Gesetzgeber gewährten Partizipationschancen in ihrer ganzen Reichweite umzusetzen. In der Kommune entwickelte sich eine bipolare Konfliktstruktur und eine Tendenz zur Monopolisierung der politischen Macht. Im konstitutionellen Preußen führte der lokale Liberalismus einen zeitlich hintereinander ablaufenden Konfrontationskurs gegen den Konservativismus bzw. die Sozialdemokratie, der sich nur zeitweilig zu einem Zwei-Fronten-Konflikt erweiterte. Mitte der sechziger Jahre endete der konservativ-liberale Gegensatz mit einer liberalen Majorisierung der Kommunalvertretung, die ab Mitte der achtziger Jahre gegen die Sozialdemokratie behauptet wurde. Der Parteiendualismus spitzte sich noch dadurch zu, daß er im Grunde genommen nur für den Bereich der dritten Wählerklasse Wirkung zeigte. Die ersten bei den Abteilungen waren praktisch vom Liberalismus monopolisiert, d.h. zwei Drittel der Mandate oder die mit jeder Ergänzungswahl vakanten Stadtverordnetensitze unterlagen nicht dem politischen Wettbewerb. Durch das Fehlen einer pluralen Konfliktsituation ließ sich eine gewisse Verödung der politischen Kultur beobachten, die sich auch nicht dadurch veränderte, daß die Sozialdemokratie den Status einer konkurrierenden Partei gewann. Die Arbeiterpartei dominierte am Ende des Kaiserreichs die dritte Wählerklasse ohne Aussicht, in das liberale Monopol der ersten beiden Abteilungen einbrechen zu können. Das Kommunalwahlrecht wirkte hier als soziale und politische Barriere. Da die Sozialdemokratie eine wesentlich größere Mobilisierungs- und Reproduktionskraft als die bürgerlichen Parteien entwickelte und folglich stärker von den sozialstrukturellen Veränderungen des späten 19. Jahrhunderts profitierte, gab der Linksliberalismus die soziale Verengung der politischen Partizipation in der Gemeinde nicht auf. Die konkurrierenden Wahlen in der dritten Wählerklasse sorgten 71*

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dafür, daß die Wahlbeteiligung an den regelmäßigen Ergänzungswahlen wieder zunahm. Die Berliner Öffentlichkeit registrierte allein diesen Teil der Wahlen als politische in der Stadtgemeinde. Bei der Feststellung der Wahlfähigkeit versteifte sich die Kommunalbürokratie auf eine rigide Einkommensermittlung und eine verschärfte Auslegung der Wahlrechtsbedingungen. Einerlei, ob es um die Frage der Selbständigkeit, die Auslegung der Armenunterstützungsklausel oder die Berücksichtigung des Hausbesitzerprivilegs ging. In einzelnen Vororten der Reichshauptstadt, in denen die Bedrohung durch die Arbeiterbewegung noch intensiver empfunden wurde, schreckte das liberale Bürgertum nicht davor zurück, die kommunalen Steuerleistungen zum Anlaß zu nehmen, die Aufnahme des Magistrats in die Gemeindewählerliste verwaltungsgerichtlich durchzusetzen. Sozialdemokratische Reforminitiativen, die zeitweise von einzelnen Linksliberalen unterstützt wurden, verwies man dagegen in einhelliger Regelmäßigkeit auf den Weg der Staatsgesetzgebung. Die restriktive Handhabung des Wahlrechts in der Gemeinde zeigte auch, daß die insbesondere in den Großstädten auftretende soziale Streuung der Wählerschaften in den oberen Klassen, die durch solche Elemente des Wahlverfahrens wie die Bezirksdrittelung hervorgerufen wurde, letztlich keine politischen Konsequenzen zeitigte. 4. Wie sich die Stadtgesellschaft der ersten und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in partizipationsgeschichtlicher Perspektive durch ihre gesellschaftliche Dynamik unterschied - hier die weitgehend geschlossene, bürgerrechtlich fundierte Gemeinde der vormärzlichen Periode, dort die im entfalteten Industrialismus sich politisch differenzierende, offene Einwohnergemeinde der nachrevolutionären Periode -, blieb die restriktive Haltung des Stadtbürgertums und seiner Repräsentation gegenüber einer stärkeren sozialen Öffnung der gemeindlichen Teilhabe unabhängig von der Sozialstruktur der Kommunalvertretungen relativ konstant erhalten. Weder die durch das besser situierte Handwerk, das Handels- und Wirtschaftsbürgertum sowie die gewerblich-intellektuellen Zwischenschichten dominierten StadtverordnetenVersammlungen des Vormärzes noch die durch das freiberufliche Bildungsbürgertum, durch Rentiers und Pensionäre sowie besitzbürgerliehe Schichten beherrschten Gemeindevertretungen des Konstitutionalismus machten die Stadtgemeinde zum Ausgangspunkt einer politischen Modernisierung, welche ohne Rücksicht auf machtpolitische Interessen einer allgemeinen Demokratisierung Vorschub leistete. Die Gemeinde und die kommunale Selbstverwaltung des Vormärzes verharrte im Bann eines eigentumsorientierten Kommunalismus, ohne je selbst

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in der Lage zu sein, außerhalb der in der Vereinstätigkeit gewonnenen Mitwirkungsmöglichkeiten die sozialen Barrieren politischer Teilhabe im Innenraum der Stadt zu überwinden. Die nach der Julirevolution allmählich einsetzende Politisierung des Gemeindelebens offenbarte die Brüchigkeit des auf ökonomischer Selbständigkeit fußenden Partizipationskonzeptes. Das mittelständisch orientierte, insgesamt aber besser situierte Gewerbebürgertum, das auch von weniger wohlhabenden Bürgern gewählt wurde, zeigte sich nicht in der Lage, das politische Spannungsverhältnis zwischen Kommunalbürokratie, Wählerschaft und Kommunalrepräsentation im Sinne einer gerechten Verteilung der Mitwirkungschancen zu lösen. Die beharrliche Verteidigung des Status quo in der Gemeinde verdeckte diesen Immobilismus. Allein die Märzrevolution stellte die Frage nach der Legitimität der Stadtverordneten-Versammlung, nicht nur als Vertretungsorgan des Stadtbürgertums, sondern der Stadtbevölkerung überhaupt. Es handelte sich indessen nur um eine kurzzeitige, durch die Gewalt des politischen Konflikts begründete Irritation, welche rasch durch die Aktualisierung der Selbstverwaltung als kommunaler Ordnungsmacht verdrängt wurde. Wenn sich jemals in den Städten des östlichen Preußens ein Gemeinderepublikanismus herausgebildet haben sollte, so zeigte die Märzrevolution seine Vordergründigkeit, seine mangelnde politische Substanz, sich der Forderung der repräsentativen Demokratie zu stellen, die Republik im Staat zu fordern.

Im konstitutionellen Preußen zeichnete sich eine schnelle Verdrängung des Handwerks ab, das politisch bald nur noch eine marginale Rolle in der Gemeinde spielte. Die Stadtverordneten-Versammlung bestand dessenungeachtet als ein Ort der Vertretung wirtschaftsbürgerlicher Interessen fort, ohne daß es einerseits zur Monopolisierung der kommunalen Herrschaft durch die Spitzen des Besitz- bzw. Wirtschaftsbürgertums kam und andererseits die bildungsbürgerliche Erweiterung der Sozialstruktur gemeindlicher Repräsentation zu einer Gefährdung der örtlich dominierenden Wirtschaftsinteressen führte. Während die starke Vertretung der lokalen wirtschaftlichen Eliten Garant für die Wahrung und Förderung der ökonomischen Eigeninteressen der Städte bzw. des Stadtbürgertums war, sorgte die erweiterte Aufnahme bürgerlicher Intelligenz in die kommunalen Körperschaften für den Ausgleich der Professionalisierungsbedürfnisse der Gemeindeadministrationen. Die freiberuflichen Schichten, die in der Kommune hauptsächlich das Bildungselement repräsentierten, verließen in partizipationsgeschichtlicher Hinsicht, soweit sie sich dem Bürgertum zurechneten, nicht den Rahmen gesamtbürgerlichen Denkens, politisch-konzeptionell verblieben sie im Horizont bürgerlicher Teilhabevorstellungen in der Gemeinde. Das einigende Band bürgerlicher Politikvorstellungen riß nur im Wege eines klassenpolitischen Bruchs. Die Parteinahme für die politisch unterprivilegierten ärmeren

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Schluß

Bevölkerungsschichten der Städte und die Entscheidung, den politischen Zielen der Arbeiterbewegung beizutreten, eröffnete die Perspektive einer unumkehrbaren Demokratisierung, auch wenn sich das Beharrungsvermögen des egalitätsfeindlichen bürgerlich-liberalen Kommunalismus als ebenso zählebig erwies wie das sich einer weiterreichenden Modernisierung verweigernde politische System Preußens. Die restriktive kommunale Wahlrechtspolitik des bürgerlichen Liberalismus wird unter dem Einfluß der Bürgertumsforschung in der neueren Historiographie mit einem bürgerlichen Politikverständnis erklärt, das kommunales Handeln im wesentlichen als "unpolitisch" begreift. Dem Kommunalliberalismus werden Flexibilität und Originalität, Leistungsvermögen und politische Fingerspitzengefühl, insbesondere aber auch politische "Gesamtverantwortung" unterstellt. Eine solche Einschätzung trifft, wenn die urbane Region der Reichshauptstadt im späten Kaiserreich betrachtet wird, weder die kommunale Wirklichkeit noch die politischen Konsequenzen liberaler Programmatik. Wenn eine kommunale Partei - und als solche kann man den Berliner Linksliberalismus, etwas vereinfacht gesehen, durchaus charakterisieren - überhaupt in der Lage war, Gesamtverantwortung zu übernehmen, dann muß den Berliner Liberalen einerseits ein hohes Maß an politischer Kurzsichtigkeit bescheinigt werden, insofern die konkrete Herrschaftsausübung die Dynamisierung der Teilhabe verdrängte. Die Sachorientiertheit liberaler Kommunalpolitik ist andererseits eine schlichte Legende. In einer urbanen Region mit einem wirtschaftlichen Expansionsdrang, der kaum mit dem anderer deutscher Großstädte zu vergleichen und perspektivisch vielleicht gerade deshalb beispielhaft ist, erschien der kommunale Raum als ein komplexes Gebilde mehr oder weniger unbegrenzter Investitionstätigkeit, Gewinn- und Renditeerwartungen. Wer die Stadt als Geschäft erkannt hatte, mußte Einfluß auf die Stadtentwicklungsplanung nehmen, wenn nicht diese über die Kommunalrepräsentationen gar beherrschen. Der außerordentliche Umfang der Kommunalinvestitionen in Städtetechnik, Verkehr, Energieversorgung und Infrastruktur, die Dynamik der baulichen Entwicklung und Industrieansiedlung machte kommunale Entscheidungen zu einem weitreichenden Politikum und die Kommunen zu einem wichtigen Bereich ökonomisch-politischer Einflußnahme. Die Auseinandersetzungen über die Anbaufahigkeit der Straßen, über die Zielsetzungen der Bauordnungen und Bebauungspläne, die Entscheidung grundlegender infrastruktureller und städtetechnischer Entwicklungen oder die steuerpolitische Konkurrenz zwischen Berlin und dem Kranz der die Reichshauptstadt umgebenden Großstädte lassen die Bedeutung der Kommune als Objekt interessengeleiteter Politik deutlich werden. Die Präsentation städtischer Leistungsfähigkeit in periodischen Verwaltungsberichten läßt diesen Zusam-

Schluß

1107

menhang ebenso wenig erkennen wie die öffentlichen Diskussionen der Kommunalvertretungen, die vom Ethos scheinbar unparteiischen Honoratiorenturns geprägt waren.

5. War die kommunale Selbstverwaltung einerseits kein durchgreifender Faktor politischer Modernisierung, kommunale "Freiheit" durch innerkommunale Ungleichheit erkauft, so dürften andererseits die unübersehbaren administrativen Leistungen des kommunalen Liberalismus zu einem nicht unerheblichen Teil in der rechtlichen Konstruktion der preußischen Kommunalordnungen begründet liegen. Die preußische Stadtgemeinde, einerlei, ob unter dem Recht der östlichen Provinzen oder den späteren Gesetzen für die westlichen Provinzen, wurden mit der Einführung der ersten preußischen Städteordnung administrativ wie rechtlich in einer Doppelfunktion konstituiert. Sie erhielten sowohl den Status einer öffentlichen Körperschaft, die im Bereich der Gemeindeangelegenheiten sämtliche Funktionen und Aufgaben selbsttätig wahrnahm, als auch den Charakter einer staatlichen Lokalbehörde verliehen, die, unabhängig von der äußeren Form, sämtliche in die staatliche Kompetenz fallenden lokalen Belange zur Ausführung brachte. Mit den örtlichen Polizeianstalten war den Gemeinden außerdem ein besonderes Aufgabengebiet zwischen der Selbstverwaltung und der staatlichen Auftragsverwaltung überwiesen, das die kommunale Praxis an die allgemeinen Regelungen des Staates band, dem Gestaltungsfreiraum der Gemeinde dementsprechend deutliche Grenzen setzte. Diesem komplexen Verhältnis zwischen körperschaftlicher Eigenständigkeit, staatlichen Ortsfunktionen und gesetzlich reglementierter Auftragsverwaltung wohnte insofern eine erhebliche Dynamik inne, als es in der Gemeinde zu einer kontinuierlichen Spannung zwischen Gemeinwohl- und kommunalen Sonderinteressen kam. In der Regel wurde dieses Spannungsverhältnis durch den Bürgermeister personifiziert, der auf Grund seiner besonderen Stellung den Gemeindeangelegenheiten ebenso nah wie fern stand. Die mit der Ortspolizeiverwaltung beauftragten Magistratsdirigenten waren im Idealfall eine Quelle fortschreitender Stadtentwicklungspolitik, zugleich eruierten sie am erfolgversprechendsten die Bedingungen eines Ausgleichs zwischen kommunaler Leistungsfähigkeit, differierenden Zielen stadtbürgerlicher Interessen und staatlichen Gemeinwohlerwartungen. War dieser Idealfall nicht gegeben, was wohl der Realität des kommunalen Alltags entsprach, blieb die Gemeinde eine Schnittstelle für die Umsetzung zukunftssichernder Entwicklungsprojekte, welche häufig durch kommunale Einzel- oder Gruppeninitiativen gestützt wurden. Die Verbesserung der Lebensqualität in den Städten durch ein diffiziles System der Daseinsvorsorge

1108

Schluß

war ohne Frage eine herausragende Leistung der kommunalen Selbstverwaltung und zu einem nicht unerheblichen Teil des bürgerlich-liberalen Kommunalismus, aber, das läßt sich für die Region Berlin zweifelsfrei nachweisen, ohne staatliche Mitwirkung weder vorstell- noch realisierbar. Auch nachdem die preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit in den achtziger Jahren einen engen, am Schutz des Eigentums orientierten Begriff der Polizei entwickelt hatte, stand der gemeinwohlsichernden, gegen partikulare Tendenzen gerichteten staatlichen Einflußnahme fernerhin in den Gemeinden ein weiter Handlungsspielraum offen. Im übrigen darf der vom liberalen Stadtbürgertum nicht ohne machtpolitische Interessen herausgestellte Gegensatz zwischen Staat und Selbstverwaltung sowie die aus gouvernementalem Kalkül wiederholt erfolgende Pressionspolitik des Staates nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um die politische Instrumentalisierung eines im Grunde genommen wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisses handelte, welche für die konkrete Verwaltungspraxis ohne größere Bedeutung war. Es sollte daher auch weniger von staatlicher Interventionstätigkeit gesprochen werden - selbst wenn es sich um massive Eingriffe der Kommunalaufsicht handelte -, als von einem rechtlich verpflichtenden, konstruktiven Dialog, der schon durch allgemeine politische und volkswirtschaftliche Erfordernisse - erinnert sei nur an die notwendige Steuerung der kommunalen Finanzmärkte und des Kommunalkredits - unentbehrlich war. Die angespannten Beratungen um die Kommunalisierung der ortspolizeilichen Funktionen in Berlin scheiterten letztlich nur deshalb, weil dieser Dialog durch die Betonung einseitiger Interessen in Frage gestellt zu werden schien. Einerseits erweckte der Kommunalliberalismus den Anschein, nicht fähig zu sein, die Gemeinwohlorientiertheit der gemeindlichen Verwaltungspraxis gegenüber singulären ökonomischen Gruppeninteressen verteidigen zu können, während andererseits der Staat aus übertriebenen Sicherheitsbedürfnissen heraus die Kommunalisierung von solchen Polizeianstalten verhinderte, die schon von der preußischen Reformbürokratie als Teil kommunaler Ausführungsfunktionen begriffen worden waren. Die rechtlich-politische wie administrativ-funktionale Bindung zwischen Staat und Kommune machte, ungeachtet aller Versuche des Liberalismus, die Gemeinde zu entstaatlichen und ungeachtet seiner antigouvernementalen Ausrichtung, die Selbstverwaltung zu einem ebenso effizienten wie erfolgreichen Modell administrativen Handeins. Die staatlich-kommunale Verknüpfung bildete einen steten, wenn auch häufig umstrittenen Garanten des Ausgleichs zwischen Gemeinwohl und Bürgerinteressen. Es ist daher abwegig, die Gemeinde ausschließlich als Experimentierfeld eines bürgerlich-liberalen Gesellschaftsmodells zu isolieren. Die Kommunaltätigkeit hatte zwar keinen unpolitischen Charakter, weil sie sachorientiert war, wie die liberale Ideologie behauptete, gleichwohl entfaltete sich die Dynamik

Schluß

1109

der Gemeindeangelegenheiten auf dem Boden sachlicher Gegebenheiten des örtlichen Lebenszusammenhangs, denen sowohl Bedürfnisse der unmittelbaren materiellen Daseinsvorsorge, der vorausschauenden Praxis städtischer Entwicklungsplanung als auch der kulturellen Selbstdarstellung kommunaler Gemeinschaft subsumiert waren. Trotz ihres Erfolgs war die in der preußischen Reformzeit entwickelte Art der Selbstverwaltung ein Auslaufmodell, nicht allein auf Grund ihrer politischen Rückständigkeit, sondern viel entscheidender durch die sozialen, finanz- und steuerpolitischen Probleme der sich weiter urbanisierenden Industriegesellschaft. Das liberale Ideal von Leistung und Gegenleistung zeigte sich weder den sozialen Problemen großstädtischer Lebensformen gewachsen - das zeigen die in den Großstädten der Berliner Region nach der lahrhundertwende geführten Auseinandersetzungen über die Grenzen der Sozialhaushalte-, noch waren die Gemeinden bei allen Anstrengungen interkommunaler Verbandsbildung in der Lage, eine gesamtstaatliche Steuer- und Finanzpolitik zu ersetzen, die insbesondere einen systematischen finanziellen Ausgleich zwischen ärmeren und wohlhabenderen Gemeinden ermöglichte.

6. Hardenberg hatte, getragen vom aufklärerischen Optimismus, den wahren Geist der Zeit vernünftig zu erfassen, mit großer Weitsicht erkannt, daß eine Revolution nicht durch das konsequente Festhalten am Alten oder die repressive Abwehr geltend gemachter politischer Neuerungen, sondern nur durch die Einbindung des in der Gesellschaft sich formenden Fortschritts verhindert werden konnte. Die Lebensfähigkeit eines politischen Systems hing demnach von seinem stetig erklärten wie geübten Willen zur Modernisierung ab. Reformbereitschaft und -praxis waren die einzigen Garanten politischer Stabilität und staatlich-gesellschaftlicher Entwicklungsdynamik. Tatsächlich zeigte der preußische Staat bzw. die agierende Ministerialbürokratie insoweit Reformkompetenz, als sie der sich auflösenden, ständisch gebundenen Gesellschaft einen Weg in die modeme Erwerbsgesellschaft wies. Die Unentschiedenheit der Vorreformzeit zwischen Gewerbefreiheit und korporativer Bindung wurde zu Gunsten der freien Erwerbstätigkeit beseitigt, die agrarpolitischen Maßnahmen mit größerer Konsequenz fortgeführt, den Untertanen die Möglichkeit eröffnet, sich durch Arbeit, Handel und Produktionssteigerung aus der ständisch gebundenen Societas zu befreien, und damit der Grundstein für eine neue, auf ökonomischen Kriterien beruhende Schichtung der Gesellschaft gelegt. Die Wirtschaftsverfassung war indes nur Teil einer bürokratischen Modernisierung, die auf die Konstituierung moderner integrativer Staatlichkeit abzielte, Staatsbildung und Gesellschaftsreform miteinander verbindend.

1110

Schluß

Ebenso wie das staatliche Gewaltmonopol gegen die ständischen und korporativen Eigenrechte durchzusetzen war, mußte dem wachsenden Partizipationsanspruch der Bürger nachgegeben und eine Form gesamtstaatlicher Repräsentation durchgesetzt werden. Freiheit, Gleichheit, Nationalrepräsentation und Verfassung waren die politischen Maximen einer Reform, die Preußen aus der desolaten Situation des Zusammenbruchs herausführen sollte. Hardenbergs Gedanke von einer Revolutionierung des Staates machte allerdings die Beschränktheit der bürokratischen Reform sichtbar. Die Verfassungs- und Repräsentationsfragen blieben Bestandteile staatlicher Reorganisationsbemühungen, die selbst das Problem der Verbindung von Staat und Gesellschaft der Priorität administrativer Zielsetzungen unterordnete. Es ging demnach - die Reformer prägten diesen Begriff - um "zweckmäßige Repräsentation", d.h. die Absicherung staatlicher Bedürfnisse nach einer effizienten Verwaltung, nach finanzieller Konsolidierung und zukünftiger Haushaltsabsicherung in einem Unternehmen, das Hardenberg pathetisch überspitzend als "Wiedergeburt" charakterisierte. Die Rezeption der französischen Revolution durch die preußischen Reformer war zu sehr von ihrem Ergebnis, dem Herrschaftssystem des Napoleonismus geprägt, als daß die politisch-soziale Fundierung des revolutionären Wandels und damit die Notwendigkeit in den Blick geriet, der Reform eine gesellschaftliche Basis zu geben. Die napoleonische Regierung schien den Reformern, ungeachtet ihres Expansionsdrangs, durch die konsequente Verfolgung der Grundsätze der Revolution ausgezeichnet. Sie lieferte den Beweis, daß dem Bedürfnis des französischen Bürgertums, die von der Revolution geschaffene Gesellschaftsordnung vor weiteren Umstürzen zu sichern, unter Wahrung dieser Grundsätze nachzukommen war, auch wenn die Widersprüche einer monarchischen Militärdiktatur daran Zweifel aufkommen ließen. Der politische Traum einer "Revolution im guten Sinne" verharrte im rationalistischen Vorurteil, die politisch-gesellschaftliche Entwicklung zu Koordinaten der Trias von Erkenntnis, Planung und Reform machen zu können. Das wurde nirgends deutlicher als in Hardenbergs Verdikt, die Verwirklichung staatsbürgerlicher Freiheit und Gleichheit in Abhängigkeit von der Stufe der Kultur und den Erfordernissen des Wohls der Bürger zu machen. Die reformerische Elite ging der Gesellschaft in ihrem eigenen Selbstverständnis voraus. Sie ignorierte ebenso die widersprüchlichen Haltungen in ihrer eigenen Schicht wie sie die Notwendigkeit übersah, den eigenen Zielen nicht nur werbend, sondern auch realpolitisch eine Basis zu geben. Die Hoffnung schließlich, gesellschaftlichen Fortschritt in einem langfristig angelegten Erziehungsprozeß zum Reifen zu bringen, war schon im Ansatz eine wirklichkeitsfremde Illusion, da sie von einer letztlich unpolitischen Unterscheidung zwischen dem Subjekt und Objekt des Reformprozesses ausging.

Schluß

1111

Die Schwäche der bürgerlichen Gesellschaft in Preußen - nicht zuletzt sichtbar im mangelnden gesellschaftlichen Rückhalt des Prinzips der Volkssouveränität -, aber auch das Nachlassen des Reformdrucks durch den Sieg über den Napoleonismus und der Druck der restaurativen Intervention, denen Preußen als Großmacht nach 1815 besonders ausgesetzt war, machten der Reform ein Ende. Auf diese Weise hatte man sich auch von dem Gedanken verabschiedet, Modernisierung als Konstante fortschreitend integrativer Reform von Staat und Gesellschaft anzusehen. Nur die Nachwirkung der Furcht vor einer jakobinischen Revolution verhinderte in Preußen einen radikalen revolutionären Wandel, die Revolution selbst konnte sie nicht aufhalten. Die Selbstverwaltung leistete trotz ihrer bürgerrechtlich fundierten, zudem auf die Städte beschränkten Form einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft in Preußen. Bürgerliches Selbstverständnis, das die Zwänge bürokratischer Bevormundung nicht länger hinzunehmen gewillt war, hatte sich nicht zuletzt durch die eigenständige, stetig ausgeweitete wie unentbehrliche Bewältigung örtlicher Verwaltungsaufgaben entwickelt. Die kommunale Praxis, das hohe Maß an verantwortlichem Verwaltungshandeln in der Gemeinde, die Bedeutung der Selbstverwaltung für die Übernahme von Vermittlungsfunktionen zwischen dem Staat und den lokalen Gesellschaften sorgten unter anderem auch dafür, daß die Revolution möglichst rasch in institutionalisierte Reformen überführt und durch die weitere Entwicklung des politischen Systems der reformerischen Evolution überlassen wurde. Insofern hatte sich, wenn man einen weiten Bogen von der Märzrevolution zur preußischen Reformzeit spannen will, ein Ziel der bürokratischen Reform Geltung verschafft, indem von der initiierten Form körperschaftlichen Verwaltungshandelns integrative und stabilisierende Wirkungen ausgingen. Als der reformerische Impetus freilich in ein pragmatisches Arrangement mit dem Obrigkeitsstaat mündete, konservatives Beharren die weitere Liberalisierung Preußens ersetzte, verlor die Selbstverwaltung in politischer Hinsicht ihre auf Reformperspektiven angelegte integrative Kraft und sank zu einem Ort liberalen Sonderdaseins herab, der ein konstitutives Element des politischen Immobilismus' Preußens war.

Statistischer Anhang Tabelle la Einnahmen und Ausgaben der Berliner Armenverwaltung 1808 (abgerundet in Taler) Taler

Taler

Einnahmen A

Bestand aus dem Vorjahr

B

Summe der Einnahmen aus privater Wohltätigkeit

10 980

1. Freiwillige Beiträge

9777

davon: Bücheralmosen - Monatliche Kirchenkollekte - Jährliche Hauskollekte - Außergewöhnliche milde Beiträge

3716 1 141 2275 2 197

-

C

8490

2. Zinsen aus legierten Kapitalien

720

3. Agio für verwechseltes Gold und Kurant

482

Summe der Einnahmen aus laufenden landesherrlichen Unterstützungen 1. Zinsen aus landesherrlichen Schenkungen 2. Bewilligte Revenuen aus öffentlichen Kassen 1 3. Agio für verwechseltes Gold und Kurant aus landesherrlichen Fonds 4. Sonstige Hebungen aus landesherrlichen Unterstützungen

5049 2651 940 1008 449

D

Einnahmen aus außergewöhnlichen landesherrlichen Gefällen2

E

VorschuB aus der Berliner Stadtkasse in Stadtobligationen 3

1000

F

Anweisungen der französischen Behörden4

7975

G

Aufgenommene Kapitalien

Insgesamt

11 224

8000 52718 5

Statistischer Anhang

1113

Taler II

Ausgaben

A

Bestimmte Ausgaben l. Leibrenten

2. Gehälter an sämtliche Subaltern-Offizianten

B

8781 56 4010

3. Gehälter, Miet- und Kleidergelder für 2 Armenwachtmeister und 20 Armenwächter

2 124

4. Besoldung der Ärzte und Chirurgen

2010

5. Ausgaben an bestimmte Arme

380

6. Landesherrliche Pensionen von den Einnahmen aus öffentlichen Fonds

200 32931

Unbestimmte Ausgaben I. Pflege der Kostkinder im Friedrichs-Waisenhause

16600

2. Unentgeltlicher Unterricht armer Kinder an den Hauptfrei- und Erwerbsschulen

1 910

3. Monatliche Geldalmosen, außergewöhnliche und Krankenunterstützungen

6951

4. Begräbniskosten 5. Unterstützungen an durchreisende Personen 6. Bruchband- und Krankentransportkosten 7. Holztransportkosten 8. Außergewöhnliche Einzel- und Familienunterstützungen, Zinsen aufgenommener Kapitalien, Kosten für Schreibmaterialien, Buchdruckerlohn und sonstige unbestimmte Ausgaben 9. Zurückgezahlte Kapitalien Insgesamt Überschuß

Taler

660 33 273 67

5633 800 41 7126 11 006 (Fortsetzung Seite 1114)

1114

Statistischer Anhang Tabelle Ja (Fortsetzung)

Taler III

Schulden 1. Aus dem vorigen Rechnungsjahr

2

3 4

5 6

58461 8 100

2. Nach dem diesjährigen Etat

8000

3. Vorschuß aus der Berliner Stadtkasse

1000

Insgesamt 1

Taler

(in Gold)

(in Gold)

67461 8 100

Etatmäßig waren für das Rechnungsjahr 46265 Taler an Revenuen aus landesherrlichen Kassen bewilligt. Die außergewöhnlichen Zuschüsse aus landesherrlichen Gefällen machten insgesamt 23290 Taler aus, von denen jedoch 12066 Taler als Zu schuß an die Charite und das Neue Hospital gingen. Der kommunale Vorschuß in Stadtobligationen wurde durch die Bankiers Gebrüder Beneke in Kurant getauscht. Die Anweisungen der französischen Behörden beliefen sich insgesamt auf 46060 Franc, die mit 12448 Taler in Tresorscheinen ausgezahlt wurden. Beim Einwechseln fiel ein Verlust von 4473 Talern und 15 Silbergroschen an. Die geringfügige Differenz von einem Taler und vier Groschen zur Bassewitzschen Berechnung folgt aus der hier vorgenommenen Abrundung. Die Differenz zur Summe der Ausgaben in der ersten Spalte ergibt sich durch die Abrundungen. Quelle: M. F. von Bassewitz, Die Kurmark ... , Bd. 2, S. 427-430.

329413

351 010

2,46

2,40

2,47

2,37

2,31

5,80

5,45

5,20

241 500

247300

253400

259400

265400

280800

296100

1833

1834

1835

1836

1837

1838

1839

1,32

407 321 6

409328

4,50

3,64

4,73

348500

361200

378300

389400

1843

1844

1845

1846

2,93

6,78

402024 5

3,73

333500

1,52

430320

376491

37905

41202 35590

5,13

37747

40632

42713

40364

0,49

3,94

4,97

1842

362236

345090

3,21

311 500

321 500

1841

45983

40532

6,56

34901

30742

32809

749574 3,15

2,72

50 175 3

30685

33685

absolut 79388

77 909

11,34

8,27

10,06

9,27

78045

76607

78918

82892

76374 82 169

11,14

77 584

13,53 10,98

85247

11,55

77 442

22,74

82070

78586

78336

74036

77 287

10,11

Einnahmen

18,14

18,72

19,37

20,62

20,70

22,68

22,13

22,82

24,28

23,51

26,06

28,94

28,28

26,46

26,02

28,22

9,90 9,00

9,46

28061

29149

30741

29 1\3

29943

6,52

7,12

288623

262367

259912

249387

7,24 7,55

225924

207594 7,95

8,87

195927 32 108

34882 10,11

199827

7,24

183599

146217

154925

9,35

9,92

138010

129910

129930

152854

140388

absolut

9,64

32769

25403

30795

29407

32774 11,56

36039 12,97

26648

26913

27865

jährl. Beiträge, Sammlungen Staatszuschüsse, Vermächtnisse etc. absolut v. H. absolut v. H.

11,77

10,84

11,81

16,94

10,79

11,98

v.H.

Eigenes Vermögen, Berechtigungen etc.

1\,09

4,56

2,25

0,21

1,12

Zu-/Abnah me v.H.

1840

339937

296521

283597

277 346

2850902

281 326

284489

2,57

235700

Ausgaben

229800

Zu-/Abnahme v.H.

1831

Zivilbevölkerung

1832

Jahr

34,94

10,01

0,94

4,22

10,39

8,83

5,95

6,71

36,66 8,12

n

..... ..... U\

(JQ

::;

::r po

::;

>-

....

::r n>

Vi'

~

CIl

g, 12,26 5,62

0,02

15,00 6,24

8,88

Zu-/ Abnahme

(Fortsetzung S. 1116)

67,07

64,10

63,81

62,03

60,01

57,31

56,78

54,01

56,93

44,40

52,25

48,66

46,94

47,60

53,73

49,90

v. H.

Kommunalzuschüsse

Tabelle 1b Einnahmen und Ausgaben der Berliner Armenpflege 1 1831-1850 (abgerundet in Reichstaler)

3,96

401800

417700

1849

1850

7

6

5

4

3

2

I

0,45

400 000

1848

0,74

563735

556 185

528960

548431

Ausgaben

1,36

5,13

27,21 3,55

Zu-/Abnahme v.H.

39935

42445

40304

43315

absolut

7,08

7,63

7,62

7,90

v.H.

Eigenes Vermögen, Berechtigungen etc.

57735 7

77504

75936

88251

10,24

13,94

14,36

16,09

22306

23390

25 176

27402

3,96

4,20

4,76

5,00

jährl. Beiträge, Sammlungen Staatszuschüsse, Vermächtnisse etc. absolut v.H. absolut v.H.

Einnahmen

443757

412844

387542

389461

absolut

78,72

74,23

73,26

71,01

v.H.

7,49

6,53

Quelle: H. Duncker, Über die Reorganisation der städtischen Armenverwaltung, Berlin 1851, S. 38 ff.

0,49

Zu-/Abnahme

Kommunalzuschüsse

Ausschließlich des Armenschulwesens. Einschließlich eines zurückgezahlten Darlehens in Höhe von 13 000 Reichstalern. Einschließlich eines zurückerstatteten Darlehens von der Staatsschulden-Tilgungskasse in Höhe von 12020 Reichstalern. 26055 Reichstaler aus Beständen des Cholera-Fonds. 6845 Reichstaler zur Einrichtung einer Filialanstalt des Waisenhauses wurden nicht mitaufgenommen. 3475 Reichstaler zur Einrichtung einer Filialanstalt des Waisenhauses wurden nicht mitaufgenommen. Zum I. März 1850 fiel auf Beschluß der Zweiten Kammer des Abgeordnetenhauses der staatliche Zuschuß in Höhe von 29403 Reichstalern fort.

3,49

403000

1847

Zu-/Abnahme v.H.

Zivilbevölkerung

Jahr

Tabelle Jb (Fortsetzung)

g.

()Q

::r §

> ::l

~

en ::r. en

cn

0\

....... .......

~

~

'


(")

'" ::r (1)

r:!.

'"

CI:l

g.

7 152 175

6760221

3,9

2,0

1897/98

2,0

2,5

I 685 859

I 719991

1896/97

6219328

4,3

15 324035

144627897

1,2

I 644 396

1895/96

5 879 159

5,6

14758513

13 997 088

1,6

I 624566 6604 753

13 416 777

0,2

I 609085

1893/94

1894/95 3,3

12703 484

1,1

1892/93

5 540411

5286320

14,9

12268 831

2,2

I 578 694

1 595484

1891/92 3,5

4221 571 4442364

5,0 10,8

9633 568

3,6

1 544 759

1890/91

10 674 567

3,9

1 491 563

1889/90

4014801

4,3

9 176619

3,9

1 435 259

1888/89

3855790

3,2

8795487

3,8

1 381 044

1887/88

3 587679 3728458

3432436

4,6 1,7

3231 960 3362203

3,8 4,8

3 218 378

3002586

4,2 5,0

2819818

2688952

7993292 8 171 860

2,4 5,8

7857986

7777 760 6,2

7537 618

6,1 5,8

6232203

5,2

7 163 073

5411 997

5,2

6982510

5 161 818

4,1

4,8

4939696

3,4

19,0

4794524

3,9

4520931

4539923

2,1 4,5

4310 797

4092 711

0,4 4,0

3836277

7,2

3 629 281

3324603 3715 862

15,1

geschlossene Armenpflege

6,5

4,9

Zu-/Abnahme

44,1 43,8

6,7 5,3

44,4 45,7 45,8 46,7

3,2 1,3 1,7 2,2

5,2

43,1

56,9 56,4

43,1 43,6 2,6

12,1

56,2

53,3

54,2

54,3

55,6

56,9

58,4

43,8

56,2 41,6

43,8

4,5

56,2

56,3

55,8

56,9

56,2

55,9

54,4

4,9

43,8

43,7

44,2 3,0

6,1

0,4

45,6

3,2

43,1

44,7

2,4

5,3

56,3

43,7

55,3

55,3

44,7

14,7

offene geschlossene Armenpflege Armenpflege

9,2

Zu-/Abnahme

Anteile an den Gesamtkosten

15,2

von den Gesamtkosten entfallen auf offene Armenpflege

7,2

14,9

Zu-/ Abnahme

5,1

8522982

8108611

3,9

1 284334

1 329 999 6

4,1

7972 360

1886/87

3,5

1 233 823

1884/85

7673000

1885/86

3,0

7324672

3,1

1 162857

1 197299

1882/83

7054655

3,1

1 127 895

1881/82

1883/84

6718448

3,3

1 094581

1880/81

6449099

1 059742

6013555

2,9

3,1

1 018951

Gesamtkosten

1879/80

ZivilZunahme bevölkerung v.H.

1878/795

Jahr

Tabelle le (Fortsetzung)

~.

(JQ

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00

-

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33714861

-0,7

-0,3

2047290

2033558

2028927

2040963

1907/08

1908/09

1909110

19\0111

13172344 13 858 882

6,3

12314385

11 540521

11 151 632

12,4

7,9

8,6

12,7

10710850

5,2

7,0

7,0

3,5

4,1

2,6

0,3

8496523

24025524

20542517

19394120

17849069

15901 914

13 277 269

12664 650

12 168705

11 797 516

\0 741 581

\0 104 702

9 \06 178

17,0

5,9

8,7

12,5

19,8

4,8

4,1

3,2

9,8

6,3

11,0

7,2

4,0

36,6

39,1

38,8

39,3

41,2

44,6

45,2

46,1

45,7

45,8

45,3

47,0

47,8

Bruttokosten des Armenwesens nach den Etats und Rechnungen der Armen- und Krankenverwaltung. Einschließlich Kranken- und Anstaltspflegekosten für den Zeitraum von 1861-1876. Einschließlich Waisenkostenpflege für den Zeitraum von 1861-1876. Etatjahr vom I. Januar 1877 bis 31. März 1878. Ab dem Etatjahr 1878179 wird der Haushaltsplan vom I. April des laufenden Jahes bis zum 31. März des nächsten Jahres aufgestellt. Für die Jahre 1886/87-1888/89 wurden die Bevölkerungsziffem nach dem folgenden Bericht des Magistrats korrigiert. Ab 1895/96 Gesamtkosten des Armenwesens ohne Heimstätten.

37884496

29389590

3,9

4,9

9,4

8,5

3,7

3,7

8,7

63,4

60,9

61,2

60,7

58,8

45,4

44,8

43,9

45,3

44,2

44,7

53,0

53,2

Quellen: VerwBBln 1861-1876, H. I, S. 172 ff.; 1877-1881, T. 2, S. 117 f. u. 122; 1882-1888, T. 2, S. 135 u. 138 f.; 1889-1895, T. 3, S. 3; 1895-1900, T. 3, S. 2; 1901-1905, T. 3, S. 7 u. 27; 1906-19\0, Bd. 2, S. 80 u. 96 f.

7

6

5

4

2

I

31 708505

1,8

0,4

2039474

1906/07

0,6

23998 119

27 053 546

23 105 665

2,1

2,7

I 950467

2002467

1904105

1905/06

\0 441015

9078855

2,3

1,6

1 908 913

1903/04

7,3 \0 4\0 289

0,7

1 878 895

1902103

8364 165

3,9

19820436

21726275

0,8

1 866829

1901/02

7,5

8069323

7778838

22578994

18468 867

2,4

I 851 479

1900101

6,2 5,5

9928759

17 175501

2,5

1899/00

9,6

16275 361

2,5

1762775

1807456

1898/99

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(1)

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792503 1236993 167331 3 176948 3 197087 214925 216857 217 117

218790

225964

234321

252715 4

290923

325927

1854

1856

1858

1860

1862

1864

Ortsanwesende männliche Bevölkerung l

1809 1828-30 1839-41 1841-43 1844-46 1848 1850 1852

Jahr

9200 13 654 18714 20359 22827 26884 21039 20905 9099 30198 9 763 35046 11 704 35 132 11 751 38674 12664 48890 17068 5 52994 176645

überhaupt berufen absolut

11,6 11,0 11,2 11,5 11,6 12,5 9,7 9,6 4,2 13,8 4,5 15,5 5,2 15,0 5,0 15,3 5,0 16,8 5,9 16,3 5,4

v.H. der männlichen Bevölkerung

Wahlberechtigte

31,7/32,8

29,8/30,9

30,2/31,3

24,7/23,2 23,5/22,3 23,8/22,6 24,5/23,2 24,6/23,4 26,6/25,3 18,9/19,6 18,8/19,5

ohne Altersklassen bis 25/24 Jahre 2

1,7 1,5

28,4 27,3

4856 4831

1,6

32,1

1,1

4070

20,6

2405

1,1

1,6

24,3

2 368

1,7

31,4

40,6

3694

9,2 6,7 7,7 8,2 8,1 8,9 7,4

v.H. der männlichen Bevölkerung

3693

79,4 60,4 69,2 71,2 69,7 71,1 76,3

v.H. der berufenen Wähler

7300 8247 12953 14498 15903 19 122 16051

absolut

Wahlbeteiligung

Tabelle 2 Wahlberechtigung und Wahlbeteiligung bei den Stadtverordnetenwahlen in Berlin 1809-1913

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CIl

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0

N

.....

335 419

365613

379897

439838

470727

494452

591 792 630859 680269 734925

768643

781 069

797868

831 768

878389

1866

1868

1870

1872

1874

1876

1883 1885 1887 1889

1891

1893

1895

1897

1899

316948 141 228

70228 225705 82228 27542 69306 22881 81 596 26775 118302 38464 145903 53927 185 1846 80805 6 81 8196 226859 94765 271 019 117 185 290313 111 637 300 891 94 182 313 531 36,1 16,1

20,9 6,7 22,5 7,5 18,2 6,0 18,6 6,1 25,1 8,4 29,5 10,9 31,3 12.8 12,0 30,9 12,9 35,3 15,2 37,2 14,3 37,7 11,8 37,7 73,5/76,2

72,5/75,1

60,2/62,4

61,0/63,2

57,5/59,6

36,2/37,5

43,8/45,3

50387

31 874

31430

35,7

33,9

28,2

35,2

(Fortsetzung S. 1122)

5,7

4,0

4,0

5,4

4,3

33,2 31429 41 179

1,2 13,1 4,4 4,0

1,2

1,1

1,1

1,4

1,2

11,3 42,0 34,4 33,2

14,8

17,5

17,7

18,7

17,2

6075 77808 27819 27 147

5567

4673

4064

5 148

3891

(")

N

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(1)

...

~. O. '" ::r

fZl

927687

985093 998973

981 500 995440 995550

1903

1905 1907

1909 1911 1913

74,4177,1

72,9175,5

37,8 14,5 37,8 14,9 38,0 38,1 15,0 15.7 15,6 16,1 64 432 63 155 66293 65908

46 169

42,9 41,1 42,7 41,2

33,3

42,3

v.h. der berufenen Wähler

56580

Wahlbeteiligung

v.H. der männlichen Bevölkerung

absolut

ohne Altersklassen bis 25/24 Jahre 2

Wahlberechtigte

6,4 6,4 6,7 6,6

5,0

6,3

v.H. der männlichen Bevölkerung

Quellen: LAB StA Rep. 01-02, Nr. 2526-2568. Bruch, Gemeindewahlen, S. 98 u. 111-113. VerwBBln, 1829-1839, S. III f.; 18611876, H. 1, S. 50, 66 f.; 1877-1881, T. 1, S. 29 f.; 1882-1888, T. 1, S. 19 f.; 1889-1895, T. 1, S. 16. Böckh, Die Bevölkerungs-, Gewerbe- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1875 in der Stadt Berlin, H. 1, Berlin 1878, S. 26-28. SJbdStBln, 26. Jg. (1899), S.656; 27. Jg. (1900-1902), S.633; 28. Jg. (1903), S.443; 31. Jg. (1906-07), T. 1, S. 275 ff.; 33. Jg. (1912-14), S.5, 966-970; 34. Jg. (1915-1919), S. 3 f.

7

6

5

4

3

2

336285 133 723 350208 138 551 374751 381 040 149836 153711 7 155 287 7 159 8367

überhaupt berufen absolut

Volkszählungsergebnisse oder Fortschreibung Mittelwert für die Altersklassen bis 25 bzw. 24 Jahre bis zum Jahr 1848 53,0%, für die anschließende Periode 48,7%, über den gesamten Beobachtungszeitraum 50,5 % (Wert immer in der zweiten Spalte). Mittelwert Zahl noch für das alte Weichbild Geringfügige Abweichungen zu den Zahlen Ernst Bruchs; Zahlen nach Angaben in den Verwaltungsberichten. Wahlberechtigte überhaupt. Berufene Wähler.

899710

1901

1

Orts anwesende männliche Bevölkerung'

Jahr

Tabelle 2 (Fortsetzung)

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N N

--

1123

Statistischer Anhang Tabelle 3 Bürger und Bürgergemeinde in Berlin 1809-1907

Jahr

Einwohner 1

Bürger

Bürgergemeinde 2

absolut

v.H.

absolut

v.H.

1809

1600003

9200

5,8

41400

25,9

1828

236494

13 654

5,8

61443

26,0

1840

322626

18714

5,8

84213

26,1

1845

380040

22827

6,0

102722

27,0

1848

411 509

26884

6,5

120978

29,4

1850

418722

21039

5,0

94676

22,6

1854

429389

30198

7,0

135891

31,6

1860

493429 4

38674

7,8

174033

35,3

1864

632497 5

52994

8,4

238473

37,7

1870

774498

69306

8,9

311 877

40,3

1876

997702

145903

14,6

656564

65,8

1883

1 232716

185 184

15,0

833328

67,6

1889

1528681

226859

14,8

1020866

66,8

1895

1678924

300891

17,9

1354010

80,7

1901

1 893941

336285

17,8

1513283

79,9

1907

2076437

381040

18,4

1 714680

82,6

1

2 3

4 5

Die Einwohnerziffern beruhen auf Zählung bzw. Fortschreibung Berechnet auf der Grundlage der Bürgerzahlen mit dem Faktor 4,5. Schätzung Angabe noch für das alte Weichbild Ab 1864 neues Weichbild

Quellen: Ernst Bruch, Gesetz und Praxis der Gemeindewahlen, besonders in Berlin, Berlin 1869, S. 98 und 111-113. VerwBBln, 1829-1839, S. III f.; 1861-1876, H. 1, S. 50, 66 f.; 1877-1881, T. 1, S.29; 1882-1888, T. 1, S. 19 f.; 1889-1995, T. 1, S. 16. SJbdStBln, 26. Jg. (1899), S. 656; 27. Jg. (1900-1902), S. 633; 28. Jg. (1903), S. 443; 31. Jg. (1906-07), T. 1, S. 275 ff.; 33. Jg. (1912-1914), S. 5,966970; 34. Jg. (1915-1919), S. 3 f.

6. 7. 8. 9. 10.

B: 150-160 Reichstaler

Hutmacher Färber Seifensieder Töpfer Handschuhmacher

l. Kürschner 2. Bäcker 3. Beamte 4. Sattler 5. Buchdrucker

A: 160-200 Reichstaler

11: 100-200 Reichstaler darunter:

4. Destillateure 5. Kaufleute 6. Tabakspinner 7. Brandweinbrenner 8. Vieh- und Pferdehändler

C: 200-250 Reichstaler

Brauer Apotheker

3. Gastwirte

l. 2.

Berufsgruppe

B: 250-300 Reichstaler

I: über 200 Reichstaler darunter: A: über 300 Reichstaler

Einkommensgruppen nach durchschnittlichen Jahresmietwerten 1

159 158 157 157 152

199 190 177 166 160

230 222 215 204 200

293

574 448

Jahresmietwerte (in Reichstaler)

Tabelle 4 Die Schichtung der Wähler nach Einkommens- und Berufsgruppen bei der Berliner Kommunalwahl von 1831

11

10 15

7 6

8 67 41 25 6

1024

18 338 2 9 1

92

6 13

479

0,2 0,2 0,4 0,3 0,5

0,3 2,3 1,4 0,9 0,2

35,3

0,6 11,6 0,1 0,3

3,2

0,2 0,5

16,5

v.H.

Anzahl der Wähler absolut

(JQ

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CI:!

... N

I

55 52

15. Ackerbürger 16. Zimmerleute

D: unter 60 Reichstaler

2,1 9,8 0,1 0,3 7,5 0,2 0,3

60 283 4 9 217

7 8

Quelle: BLHA, Pr. Br. Rep. 2A, I Kom, Nr. 3184, BI. 83.

v. H.

Anzahl der Wähler absolut

Maßgebender Prestigefaktor sind die vom Magistrat ermittelten durchschnittlichen Wohnungsmietwerte im Jahr.

64

62

80 65 65

10. Viehhalter 11. Schuhmacher 12. Kammacher 13. Knopfmacher 14. Stuhlarbeiter

C: 60--80 Reichstaler

Jahresrnietwerte (in Reichstaler)

Berufsgruppe

Einkommensgruppen nach durchschnittlichen Jahresrnietwerten I

Tabelle 4 (Fortsetzung)

~

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....

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00

......

102

100

3,9

4 102

100

1,0

100

1,6 12 740

1,8 2,2



4,5

13

4~

5

10,0

v.H.

16

33

74

6~

absolut

7

v.H.

1809-1849

Handwerksberufe mit Wohnungsmietwerten über 100 Reichstaler. Handwerksberufe mit Wohnungsrnietwerten unter 100 Reichstaler, einem niedrigen Prozentsatz steuerpflichtiger Meister und einem niedrigen Durchschnittssteuersatz pro Kopf (unter 8 Reichstaler). Bei Pahlmann, Anfänge, S. 301, weichen die Zahlen zu einzelnen Berufsgruppen voneinander ab. Da die Tabelle immer dem aktuellen Berufsstatus folgt, werden beispielsweise pensionierte Offiziere den Rentiers und nicht wie bei Pahlmann den Militär- und Polizei berufen zugeordnet. Darüber hinaus sind bei Pahlmann falsche Zuordnungen anzutreffen, so werden u. a. die Courtiers dem Schneiderhandwerk subsumiert.

Handwerksgesellen

13.

4,9

5

4,9

5

11. Mittlere Beamte und Angestellte

Ackerbürger und Gärtner

4,9

5

12.

18,6

19

10. Schlechtersituierte Handwerksmeister2

absolut

1848

Quellen: LAB, StA Rep. 00-02/1, Nr. 3, 4, 29, 37, 47, 60, 68, 91, 131, 135 u. 212. Rep. 01-02, Nr. 2571. GStAPK, Rep. 77, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 1 und 3. Spenersche Zeitung, Ausgaben vom 9. Oktober 1842,25. September 1843, 10. September 1844, 30. September 1845 und 11. August 1846.

2

1

III

v.H.

absolut

1809

......

N \0

(JQ

gj

::r

6-

if

(")

'"

o.

~.

CI:l

11

3

b - Leitende Angestellte

5

e - Ärzte, Apotheker

24,5 22

21,6

15,7 18

19

6,8

17,8

34

13

25

16

1,9

Kaufleute einseh!. Spediteure und Eigentümer

12,8

2

13

2,0

Fabrikanten, Fabrikbesitzer

2

2,0

2

9

7

3

4

34

82

i-Bankiers

2,8

1,9

6,5

0,9

2,8

0,9

2,8

18,7

55,1

3

3

2

7

3

3

20

59

7 3,9

1,0

6,9

1,0

2,0

1,0

2,9

18,6

57,8

1871

1,0

4

7

2

1

3

19

59

1861

h - Rechtsanwälte, Notare

4,9

2,9

1,0

2,9

10,8

23,5

62,8

1850

g - Architekten, Baumeister, Ingenieure

f - Schriftsteller, Künstler, Redakteure

3

d - Schuldirektoren, Lehrer, Prediger

c - Professoren, Privatdozenten

24

a - Höhere Beamte

64

Freiberuflich Tätige, Höhere Beamte, Angestellte davon:

Berufsgruppe/Stellung im Beruf

27,2

10,4

0,8

2,4

5,6

0,8

7,2

5,6

2,4

3,2

27,2

65,6

1884

25

12

8

4

5

8

4

3

3

36

74

20,0

9,6

0,8

6,4

3,2

4,0

6,4

3,2

0,8

2,4

2,4

28,8

59,2

1894

29

18

4

9

4

7

13

2

2

4

3

44

95

20,1

12,5

2,8

6,3

2,8

4,9

9,0

1,4

1,4

2,8

2,0

30,6

66,0

1904

Tabelle 7 Die Berliner Stadtverordneten nach der Stellung im Beruf bzw. Berufsgruppen 1850-1914

32

15

5

10

4

8

8

4

2

6

4

46

98

22,4

10,5

3,5

7,0

2,8

5,6

5,6

2,8

1,4

4,2

2,8

32,2

68,5

1914

-

~.

(JQ

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Cl>

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CIl

w

0

102 100

1,0

2

Handwerksgesellen

Gutsbesitzer, Ackerbürger, Gärtner

2,0

1

3,9

4 1,0

20,6

21

1,0

Mittlere Beamte, Angestellte

Handwerksmeister

Materialwarenhändler

102

2

3

12

5

3

2,9

3

2,9

3

Hoteliers, Gastwirte

Buchhändler, Buchdruckereibesitzer

40 19

33,3 5,9

34

100

1,0

2,0

2,9

107

2

3

11

3

11,8

6

1,0

3

22

45

100

0,9 125

2

3

1,9

9

2,8

2

29

40

100

0,8

1,6

2,4

7,2

1,6

23,2

32,0

1884

10,3

2,8

5,6

2,8

20,6

42,1

1871

4,9

2,9

18,6

39,2

1861

6

Rentner, Pensionäre

1850

125

3

1

4

9

I

10

26

47

144

2

2,4

100

6

8

0,8

3,2

3

3

7,2

2

0,8

8

8,0 0,8

25

41

1,4

4

1,4

143

9

4,2

100

13

6

2

3

5,6

2,0

2,0

5

16

5,6

32

17,4

100

2,8

6,3

9,1

4,2

1,4

2,1

3,5

11,2

22,4

1914

28,4

1904

20,8

37,6

1894

Quelle: LAB, StA Rep. 00-0112, Nr. 83, 133, 162, 176, 199. Die Stadtverordnetenversammlung zu Berlin 1914, S. 4-54.

III

11

Berufsgruppe/Stellung im Beruf

w

......

(JQ

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I>'

~

(1)

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~. =t. '"

CIl

Ortsanwesende männliche, mittlere Bevölkerung

315283

344132

388288

411 977

1840

1843

1846

1848

20905

423029

1852

2445

48890

557380

1862

2148

38674

484097

2 141

35 132

1860

2846

35046

438 121

454071

1856

1858

2543

30198

427474

1526

1854

Gemeindeordnung von 1853

20770' 5457

8302

7037

6665

7492

6666

5255

0,8

8,8 38 143

2,9

2,8

13,1

11,7

11,2 0,9

8,0

2,8 29489

10,9

3,3

1,3 0,9

8,0

3,1 7,7

24708

6,5

2,4

9,6

6,3

III

2,5

11

1,2

0,7

0,7

26326

7,1

9,6

14 124 20989

9,6

13 720

6,5

26884

415589

5,9

22827

5,9

5,9 5,9

III

Abteilung

v. H. der männlichen Bevölkerung Insgesamt

18714

1 593

11

Abteilung

Wahlberechtigte

20359

13 654

Insgesamt

1850

Gemeindeordnung von 1850

233454

1828

Sädteordnung von 1808

Jahr

Tabelle 8 Kommunale Wahlberechtigung unter den einzelnen Städteordnungen in Berlin 1828-1883

0

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.....

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Cl

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81596

118302

145903

158 881

844 370

916470 981 081

1038279

1872 1874

3 196

15902

15653

3378

Korrigierte Zahl nach den Ermittlungen von Ernst Bruch.

185 184

154989

17 117

15959 16524

12693

11 553

11 480

9770 10 286

3614

3818

3096

2762

2694

2925

2737

2633

11

Abteilung

Wahlberechtigte

135958 166086

138 150

125 561

99247

66 141

55059

67823

57205

40591

III

0,5

0,6

14,0 15,3

0,7

0,8

0,7

0,6

0,7

0,8

0,8 0,8

15,3

14,9

12,9

9,7

9,0

11,5

10,6

8,6

Insgesamt

2,9 2,7

3,4

3,3

3,4

2,9

3,0

3,1

3,0 3,1

11

Abteilung

v.H. der männlichen Bevölkerung

28,5

25,4

27,2

25,4

21,1

15,0

14,5

18,6

12,5 17,1

III

Quelle: E. Bruch, Gesetz und Praxis der Gemeindewahlen, S. 98; SJbdStBln, 32. Jg. (1908111), S. 4; VerwBBln, 1861-1876, H. 1, S. 66--68; 1877-1881, T. 1, S. 30; 1882-1888, T. 1, S. 20; VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 59.

I

1883

1880

1 104 992 I 212 327

69306

768837

1870

1876 1878

82228

716087

1868

70228

661 655

52994

614419

Insgesamt

1866

Ortsanwesende männliche, mittlere Bevölkerung

1864

Jahr

..., ...,

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I)Q

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0

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CI)

g.

1134

Statistischer Anhang Tabelle 9

Die Anteile der Wählerklassen an der Summe der Wahlberechtigten in Berlin 1850-1883 Jahr

Wählerabteilungen II

III

1850

7,7

26,3

66,0

1852

7,3

25,1

67,6

1854

8,4

22,1

69,5

1856

8,1

21,4

70,5

1858

6,1

18,9

75,0

1860

5,6

18,2

76,2

1862

5,0

17,0

77,0

1864

5,0

18,4

76,6

1866

3,9

14,6

81,5

1868

3,6

14,0

82,4

1870

3,9

16,7

79,4

1872

3,4

15,6

81,0

1874

2,6

13,5

83,9

1876

2,6

11,3

86,1

1878

2,3

10,8

86,9

1880

2,2

10,1

87,7

1883

1,7

8,6

89,7

Quelle: E. Bruch, Gesetz und Praxis der Gemeindewahlen, S. 98 f.; SJbdStBln, 32. Jg. (1908111), S. 4; VerwBBln, 1861-1876, H. 1, S. 66-68; 1877-1881, T. 1, S. 30; 1882-1888, T. 1, S. 20; VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 59.

~

11.

13383

2888

3391

3 142

4472

3997

6729

3787

6411

9 169

15902

872

890

737

1011

716

1 167

1402

910

2100

3 196

3 195

3489

1862

1864

1866

1868

1872

1874

1876

1878

1880

1883

1885

1887

17730

16019

13 308

2008

744

1860

60600

61 591

166086

81 819

80805

185 184

107879

51083

43762

96610

53927

48738

38464

26775

30568

27542

22062

22570

17664

17068

12664

11 751

11 704

9763

Insgesamt

22059

18 691

9912

2411

8519

8567

2319

866

773

1858

693O

m.

1920

Abteilung

1856

913

I.

Wahlberechtigte Wähler in der

1854

Jahr

11.

2060

1670

2342

1 164

562

733

579

388

8360

6916

9403

3 171

2466

1 396

2525

1 418

1657

1 103

466 524

1 559

1 342

1 024

594

607

476

587 1002

377

644

Abteilung

489

374

I.

16727

19233

66063

11 707

749O

3946

2463

2867

2967

2322

2678

2907

2570

2202

1441

135O

m.

27 147

27819

77 808

16042

10 518

6075

5567

4673

5 148

3891

4831

4856

4070

3 693

2405

2368

Insgesamt

Wahlbeteiligung in der

n.

59,04

52,27

78,28

55,10

61,80

52,30

49,60

54,20

51,82

47,15

43,17

59,13

34,60

38,50

36,90

37,50

35,50

37,05

35,10

45,97

66,74 63,22

46,47

50,95

41,56

25,31

33,54

27,60

31,23

39,78

12,10

17,10

8,10

8,10

13,00

13,45

12,42

20,01

21,84

25,92

25,70

16,91

19,48

m.

33,18

34,43

42,02

14,87

20,59

11,27

14,47

17,45

18,69

17,23

27,34

28,45

32,14

31,43

20,55

24,25

Insgesamt

(Fortsetzung S. 1136)

Abteilung

69,61

63,98

63,26

43,53

40,96

I.

v. H. der Wahlberechtigten in der

Tabelle 10 Stimmberechtigte und Wahlbeteiligung nach Wählerklassen bei den Berliner Stadtverordnetenwahlen 1854-1913 1

~.

U1

..... w

(Jq

§

» g.

~

('J

'"

c.

cn

17885

13 049

3571

2045

1486

1 261

691

1450

1 852

1893

1895

1897

1899

1901

1903

1905

159836

155287 385 307

9029

9300

10 146

11458

56572

56608

52515

52238

41 252

35790

43848

46693

39760

26996

25596

31 711

21 830

m.

65908

66293

63 155

64 432

53759

45500

56580

50387

43934

31 874

31430

41 179

31429

Insgesamt

39,87

46,27

49,65

45,40

47,46

40,01

52,28

56,73

50,20

49,10

47,70

50,70

54,40

I.

28,01

28,99

32,20

34,46

36,03

30,22

43,57

42,65

39,39

43,90

37,20

42,80

44,10

Abteilung

11.

44,60

46,26

43,33

45,44

37,31

33,44

41,84

35,16

34,04

33,90

28,20

33,10

29,50

m.

41,23

42,69

41,09

43,00

37,15

32,84

42,31

35,68

34,58

33,84

28,15

35,14

33,17

Insgesamt

v.H. der Wahlberechtigten in der

Bei den wahlberechtigten Wählern handelt es sich jeweils um die zu den Ergänzungswahlen berufenen Wähler, es wird also in keinem Falle die Summe der wahlberechtigten Bürger angeführt.

126830

122376

736 494

11 639

8969

741 868

11 974

3302

3541

4148

4858

7656

7674

Abteilung

11.

Wahlbeteiligung in der

758

392

633

730

976

1 812

1 925

I.

Quellen: Bruch, Gemeindewahlen, S. 112 f. VerwBBln 1861-1876, H. 1, S. 50, 66 f.; (Fehlerkorrektur für das Jahr 1864, die Zahlen Bruchs für die Jahre 1862-1868 wichen von den offiziellen Ermittlungen des Berliner Magistrats ab, für diese Jahre werden die Amtsergebnisse benutzt); 1877-1888, Tit. 1, S. 30 (Fehlerkorrektur für das Jahr 1874); 1882-1888, T. 1, 19 f. 1889-1895, T. 1, S. 16; 1895-1900, T. 1, S. 12; 1901-1905, T. 1, S. 10; SJbdStBln, 33. Jg. 1912/14, S. 967-970.

I

32236

32079

832

770

1911

1913

153 711

31 506

995

149836

33250

1 621

1907

1909

144 695

121 210

110 562

32304

1 829

138551

133723

141 228

127046

114965

107019

104 789

132795

116795

94182

111 637

96543

83264

117 185

94765

Insgesamt

95729

73889

m.

29680

27484

7742

8990

9432

17336

3540

Abteilung

11.

Wahlberechtigte Wähler in der

1889

I.

1891

Jahr

Tabelle 10 (Fortsetzung) \;.l

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Zusammen

1

Nicht ausgewiesen.

Insgesamt

absolut v.H.

absolut v.H.

Stadtrat Stadtverordnete Armenkommissionen Bezirksvorsteher einschI. Stellvertreter Schulkommissionen Mitglieder in Schulvorständen Servisdeputierte Prüfungskommissionen Bürgerdeputierte Schiedsmänner einschI. Stellvertreter Miedglieder in Kirchenvorständen

12. Geschworene

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

Kommunale Ehrenämter

1.209 63,3

400

809 53,6

14 79 232 152 77 22 47 3 15 160 8

über 200 Reichstaler

I

271 17,9

43 24 7 13 2 8 63

64

3 43

davon über 500 Reichstaler

445 23,3

445 29,4

3 19 172 68 75 25 13 13 3 50 4

11

108 5,7

108 7,2

7

3 56 15 18 4 4

Miete über 100 Reichstaler mit Hauseigentum

148 (1910) 7,7

148 (1510) 9,8

12 1

6 45 13 4

64

III unter 100 Reichstaler

Quelle: LAB, StA Rep. 00-0211, Nr. 1362.

100-200 Reichstaler

Einkommensschichten

Tabelle 11 Die Verteilung der kommunalen Ehrenämter Berlins nach Einkommensgruppen im Jahre 1860

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605

Insgesamt

492

15 18 47

44

15 19 124 33 24 26 43 33 34 17

81

54 100 97 61 100 100 93 53 59 100 92 60 81 98

Quelle: Bruch, Gemeindewahlen, S. 121.

28 19 128 54 24 26 46 62 58 17 48 25 22 48

AbgeAuf den v.H. der gebene Gewählten abgeStimmen entfallen gebenen Stimmen

6 13 14 16 17 18 20 21 24 28 29 30 31 32

Wahlbezirk

I. Abteilung

2 10 14 15 20 22 23 26 27 34 35 36

Wahlbezirk

1646

43 91 281 176 125 160 131 165 98 85 175 117

1199

36 65 198 129 88 96 123 110 84 82 121 67

AbgeAuf den gebene Gewählten Stimmen entfallen

II. Abteilung

73

84 71 70 73 70 60 94 67 86 98 69 57

v.H. der abgegebenen Stimmen 4 8 13 14 15 19 20 23 24 30 31 32

I

Wahlbezirk

3294

91 212 174 180 226 433 264 504 307 298 172 237 196

2553

86 207 93 177 134 308 194 285 305 259 168 208 129

AbgeAuf den gebene Gewählten Stimmen entfallen

III. Abteilung

Tabelle 12 Ergebnis der Ergänzungswahl zur Berliner Stadtverordneten-Versammlung im Jahre 1868

77

95 98 53 98 58 71 73 57 99 87 98 88 66

v.H. der abgegebenen Stimmen

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g. o.

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12042

9432

9027

8865

7740

7639

26705

20821

15576

0,7

0,5

0,4

0,4

0,4

0,2

0,2

0,4

0,4

0,4

0,4

2045

2 067

1 486

1 336

1 289

1 216

691

578

1446

1 277

1 297

1 450

1

1893

1894

1895

1896

1897

1898

1899

1900

19002

19003

1901

1901

4,2

13049

0,7

2 192

27484

8929

4,5

17885

16900

1,3

0,8

3571

1891

310471 315696 307 351

6,2 4,7 8,2

304418

324532

2,3 8,0

298 611 308517

2,4

303313

295960

289973

275 546

275 219

260 158

249563

2,9

2,9

3,0

3,1

6,1

6,6

236 183

1892

205983

7,6

17 727

1,5

3778

1890

absolut

6,9

17336

1,6

3540

1889

v.H.

absolut

v.H.

II

Zahl der Gemeindewähler in der Abteilung

absolut

Jahr III

308692

96,7

91,4

94,9 336285

332569

91,5 93,4

332569

97,5

316948

313 531

96,7 97,4

306323

300891

96,4 96,6

289655

290313

279250

271 019

257688

226859

95,1

94,8

93,1

92,1

91,6

90,8

v.H.

überhaupt

4748,6

5 155,0

5227,0

4748,0

9726,0

8334,0

5068,0

4851,0

4348,0

3 891,2

3 152,4

2956,8

2663,8

1 749,6

1 631,6

I 631,6

Abt. I bis Mark

219,6

Durchschnittssteuerbetrag Mark

(Fortsetzung S. 1140)

219,7

681,0

337,0

225,0

1 136,0

1 095,0

893,0

869,0

434,0

781,7

682,2

597,9

429,8

376,8

363,2

363,2

Abt. 11 bis Mark

Abteilungsgrenzen

Tabelle 13 Die Zahl der eingetragenen Gemeindewähler, die Abteilungsgrenzen und durchschnittlichen Steuersätze in Berlin 1889-1910

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1 679

1 829

1 728

1 621

I 259

995

928

1904

1905

1906

1907

1908

1909

1910

3

2

I

8,7 8,7 8,6 8,4

32304

32989

33250

32211

31506

0,5

0,5

0,4

0,3

0,3

31999

8,5

31 260

0,5

0,2

332808

8,5

354285 347400

8,2 8,4

348 143

353633

344 006

336552

310 365 318525

8,2

29680

0,5

27940

0,4

absolut

v.H.

absolut

v.H.

11

Zahl der Gemeindewähler in der Abteilung III

91,4

91,6

91,2 380327

386786

381 613

388504

91,0

370685

90,8 378723

365747

91,0 90,8

350057

339802

91,0

91,4

v.H.

überhaupt

6546,8

6450,8

5558,8

4481,4

4 195,8

3 691,8

4117,0

3779,9

4496,6

191,4

192,7

187,9

191,4

192,7

187,9

178,7

177,5 178,7

179,6 177,5

181,1

190,6

214,9

Durchschnittssteuerbetrag Mark

179,6

181, I

190,6

214,9

Abt. 11 bis Mark

Abteilungsgrenzen Abt. I bis Mark

Quellen: VerwBBln, 1889-1895, T. 1, S. 13; 1895-1900, T. 1, S. 9; 1901-1905, T. 1, S. 9; 1906--1910, Bd. 1, S. 25 .

Durchschnittsprinzip. 11!2facher Durchschnitt. Zwölftelung; Korrektur der Wählerzahl in der dritten Abteilung.

1 852

1

1497

1903

absolut

1902

Jahr

Tabelle 13 (Fortsetzung) ~

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a. a. I»

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Statistischer Anhang

1141

Tabelle 14 Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Berlin 1849-1913 Jahr

Wahlberechtigte 1

v.H. der männlichen Bevölkerung2 / der Bevölkerung überhaupt

Wahlbeteiligung absolut

v.H.

1849

76957

35,9/18,7

35222

45,8

1855

66128

29,8/15,2

25650

38,8

1858

78952

33,7/17,2

34158

43,3

1861

101 092

36,1/18,5

41510

41,1

1862

99653

34,3/17,6

62578

62,8

1863

103335

33,6/17,3

63958

61,8

1866

111 321

33,2/16,7

63347

56,9

1867

115 118

32,6/16,4

38454

33,4

1873

136853

29,8/15,2

34756

25,4

1876

155569

31,5/15,6

34824

22,4

1879

186 111

35,2/17,1

42700

22,9

1882

267058

46,5122,3

90283

33,8

1885

264 126

41,9120,1

69094

26,2

1888

293378

41,5/19,9

73643

25,1

1893

347782

44,5121,2

50369

14,5

1898

398962

46,6122,1

69437

17,4

1903

452264

48,8123,2

179351

39,7

1908

482472

49,0123,5

243942

50,6

1913

498391

50,1123,9

265830

53,3

1

2

Die veröffentlichten Zahlen des Statistischen Amtes der Stadt Berlin weichen, soweit Veröffentlichungen vorliegen, von denen des Preußischen Statistischen Landesbureaus geringfügig ab. Berechnung nach den auf Volkszählungsergebnissen oder Fortschreibung beruhenden Bevölkerungsziffem.

Quellen: ZSdKPrSB, 2. Jg. (1862), S. 80 f., 92 u. 112; 5. Jg. (1865), S. 44 f. u. 56 f. Evert, Die preußischen Landeswahlen von 1908 und aus früheren Jahren (= ZSdKPrSB, Erg.heft 30), Berlin 1908, S. 154 f. Heinrich Höpker, Die preußischen Landtagswahlen von 1913 (= ZSdKPrSB, Erg.heft 43), Berlin 1916, S. XIV u. 98 f.

1142

Statistischer Anhang

Tabelle 15 Wahlbeteiligung bei den Reichstagswahlen in Berlin 1871-1912 Jahr

v.H. der männlichen Bevölkerung 1/ der Bevölkerung überhaupt

absolut

v.H.

151 236

27,8/14,0

39407

26,1

136052

37,1/14,6

43532

32,0

1877

174497

34,7/17,0

80839

46,3

1878

200658

39,0/19,0

159 939

79,7

1871 1874

Wahlberechtigte

Wahlbeteiligung

1881

218713

39,2/18,9

167882

76,8

1884

284222

46,6/22,4

197409

69,5

1887

315 114

46,3/22,3

233 271

74,0

1890

352783

46,5/22,3

240237

68,1

1893

373930

47,9/22,3

270382

72,3

1898

397001

46,4/22,0

261 916

66,0

1903

444 871

48,0/22,9

328076

73,8

1907

493457

50,1124,0

382087

77,4

1912

507943

51,0/24,4

410610

80,8

1

Berechnung nach den auf Volkszählungsergebnissen oder Fortschreibung beruhenden Bevölkerungsziffern.

Quellen: VerwBBln, 1861-1876, H. 1, S. 30; 1882-1888, T. 1, S. 20; 1889-1895, T. 1, S. 17; SJbdStBln, 32. Jg. (1908-11), S. 921 f.; 33. Jg. (1912-14), S. 973.

1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877/78 1878/79 1879/80 1880/81 1881/82

Jahr

58087 64 136 56062 39782 46839 22458 19780 28498 27601 26425 27518 36997 37618 44853 45216 48014 89310 54012 60292 212 1894 229 142

MI

Einnahmen

247 316 230694 234552 253074 300286 337 317 385837 389836 422017 432511 496707 515280 832 137 838662 1 017 129 971 779 1 400 947 1 104 496 1 341 780 3 1 034926 1 330303

M

189228 166558 178489 213 292 253446 314858 366057 361 338 394416 406085 469 189 478283 794519 2 793808 971 912 923765 1 311 636 1 050484 1 281 487 822737 1 101 160

M

Ortspolizeiverwaltung Ausgaben Städtischer ZuschuB

18 611 49940 43886 19851 29709 22262 8825 9589 9922 9261 14426 15402 20327 15 211 13652 20866 20076 13497 17295 18575 18290

M

560336 595913 943 511 720002 687588 685424 730014 802547 804819 799236 798799 926628 1 102430 1 309892 1 415 125 1 775 362 2302588 7 1 727817 7 1 772 216 1 786927 1 8250067

M

(Fortsetzung S. 1144)

277926 337 103 592524 361 205 307741 328304 406036 442106 442 177 456718 469642 559731 719584 867791 985222 1 271 438 1 784265 1 190803 1232316 1 204 169 1 287 169

M

Feuerlösch- und Nachtwachtwesen 5 Einnahmen Ausgaben Städtischer ZuschuB 6

Tabelle 16: Kosten der Ortspolizeiverwaltung sowie des Feuerlösch- und Nachtwachtwesens in Berlin 1861-1892/93

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g.

205 164 212 164 220925 235771 290986 277 790 306718 303 113 263914 273271 260247

MI

Einnahmen

1 158777 1 207438 1 211 690 1 390 181 1 328623 1 302975 1416396 1 573037 1 301 021 1 527012 1 533062

953612 995274 990764 1 154409 1 037637 1 025 184 1 109678 1 269924 1 037 107 1 253741 1 272 815

Ortspolizeiverwaltung Ausgaben Städtischer Zu schuß M M 17598 26751 14272 19669 23379 26422 23364 31980 22690 25376 34348

1 796245 1 830304 1 811 065 1 884363 1902427 1 961 371 1 967918 2048928 2025794 2085680 2 123447

1 187 351 1 235520 1 300 050 1 319 166 1 278582 1 346741 1 345208 1 381 373 1 364 766 1405 126 1 416811

Feuerlösch- und Nachtwachtwesen 5 Einnahmen Ausgaben Städtischer Zuschuß 6 M M M

I Alle Beträge nach unten abgerundet. 2 Ausgabensteigerung durch die seit dem 1. Januar 1873 vorgenommene Personalvermehrung der Schutzmannschaft. 3 Ausgabensteigerung durch Zunahme des polizeilichen Exekutivpersonals. 4 Erhöhung der städtischen Einnahmen infolge des Vergleichs zwischen der Stadtgemeinde und dem Fiskus vom 12./28. Dezember 1879. 5 Für den Zeitraum von 1861 bis 1875 sind hier die Kosten für das polizeiliche Straßenreinigungswesen enthalten, deren Ausgabenanteil zwischen 36 367 Mark im Jahre 1862 und 71 437 Mark im Jahre 1874 schwankte. 6 Die neben dem städtischen Zuschuß verbleibenden Kosten werden durch den einheitlichen Beitrag des Staates in Höhe von 96 000 Mark sowie durch Überweisungen der Feuersozietät gedeckt. Nach dem Feuersozietätsreglement vom 1. Mai 1794 war die Genossenschaft der Berliner Grundeigentümer (Feuersozietät) verpflichtet, bestimmte Ausgaben der Feuerlöscheinrichtungen zum vollen bzw. halben Betrag zu übernehmen. Nach der Reorganisation der Feuerwehr im Jahre 1851 wurden die Beiträge der Feuersozietätskasse durch Kommunalbeschluß neu festgelegt. 7 Ohne Baukosten. Im Jahresabschnitt 1877/79 machten sie 11 073 Mark, 1878/79 etwa 2 535 Mark und 1881/82 zirka 55 662 Mark aus. Quellen: VerwBBln 1861-1879, H. 3, S. 88 u. Anhang; 1877-1881, T. 3, S. 72-74; 1882-1888, T. 3, S. 70-72; 1889-1895, T. 2, S. 233 f.

1882/83 1883/84 1884/85 1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90 1890/91 1891/92 1892/93

Jahr

Tabelle 16 (Fortsetzung)

~.

OQ

§

~

[

~

~.

CI>

tIl

-t

Statistischer Anhang

1145

Tabelle 17 Städtische Kosten der staatlichen Ortspolizeiverwaltung in Berlin 1893-1916/17

Jahr

1893 1 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 19092 1910 1911 1914 1915/16

1916/17 I

2

Beitrag der Stadt Berlin Minderausgabe des Staates durch die zu den Kosten der staatlichen Kommunalisierung einzelner Zweige der Ortspolizei verwaltung Ortspolizeiverwaltung Mark Mark 3757667

147 110

3986755 152510 3 986781

156250

4515 009

4883773 4882979 7413 128 8633 165 8306417 9055205 8579279 8664 758

Mit dem Inkrafttreten des Polizeikostengesetzes vom 20. April 1892 zum 1. April 1893 mußte die Stadt Berlin nicht mehr für die "sächlichen Kosten" der Ortspolizeiverwaltung aufkommen, statt dessen mußte die Gemeinde einen gesetzlichen Beitrag von 2,50 Mark pro Einwohner an den Staat entrichten. Durch das Polizeikostengesetz vom 3. Juni 1908 wurde das Finanzsystem der Ortspolizeiverwaltung geändert. Anstelle der festen Beiträge der Städte trat eine Quotenregelung, danach mußten die Kommunen ein Drittel der vom Staat geleisteten Aufwendungen aufbringen. Die Anrechnung der Kosten, die durch die in städtischer Verwaltung befindlichen Polizei zweige entstanden, fand nicht mehr statt.

Quellen: VerwBBln 1906-1910, Bd.3, S.22. SJbdStBln, 31. Jg. (1906/07), S. 463; 32. Jg. (1908/11), S. 916; 33. Jg. (1912114), S. 919 u. 1192; 34. Jg. (1920), S. 871.

----------

1 593 2543 2846 2 141 2148 2445 2633 2889 2737 2925 2694 2905 2762 3 148 3096 3489 3818 4218 3614

Abt. I

Abt. III

13 720 20989 24708 26326 29489 38 143 40591 46137 57205 67823 55059 53427 66 141 80772 99247 111 438 125 561 131 870 138 150

Abt. 11

5457 6666 7492 6665 7037 8302 9770 10 224 10 286 11 480 11 553 12072 12693 14 127 15959 17045 16524 17 188 17 117

Wahlberechtigte

20770 30 198 35046 35 132 38674 48890 52994 59250 70228 82228 69306 68404 81 596 98047 118302 131 972 145 903 153 276 158 881

Insgesamt

Quelle: VStBin 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 59.

----

1850 1854 1856 1858 1860 1862 1864 1865 1866 1868 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878

Jahr

397874 412376 422114 438524 466367 539 311 595696 626462 643800 697226 750903 782006 825 421 863 114 896992 928678 959733 987282 I 013 643

Mittlere Zivilbevölkerungsziffer

19,2 13,7 12,0 12,5 12,1 11,0 11,2 10,6 9,2 8,5 10,8 11,4 10,1 8,8 7,9 7,0 6,6 6,4 6,3

Insgesamt

Abt. 11

72,9 61,9 56,3 65,8 66,3 65,0 61,0 60,3 62,6 60,7 65,0 64,8 65,0 61,1 56,2 54,5 58,8 57,4 59,2

Abt. I

249,8 162,2 148,3 204,8 217,1 220,6 226,2 216,8 235,2 238,4 278,7 269,2 298,9 274,2 289,7 266,0 251,4 234,1 280,5

Es kommen auf Einwohner Wähler

29,0 19,6 17,1 16,7 15,8 14,1 14,7 13,6 11,3 10,3 13,6 14,7 12,5 10,7 9,0 8,3 7,6 7,5 7,3

Abt. III

3,4 2,6 2,6 3,1 3,3 3,4 3,7 3,5 3,8 3,9 4,3 4,2 4,6 4,5 5,2 4,9 4,3 4,1 4,7

Wähler 11. Abt. 8,6 8,3 8,7 12,3 13,7 15,6 15,4 16,0 20,9 23,2 20,4 18,4 24,0 25,7 32,1 31,9 32,9 31,3 38,2

Wähler III. Abt.

einen Wähler I. Abt.

2,5 3,2 3,3 4,0 4,2 4,6 4,2 4,6 5,6 5,9 4,8 4,4 5,2 5,7 6,2 6,5 7,6 7,7 8,1

Wähler III. Abt.

einen Wähler 11. Abt.

Es kommen auf

Tabelle 18: Wahlberechtigte und Bevölkerung nach Wählerabteilungen in Berlin 1850-1878

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...... ......

Statistischer Anhang

1147

Tabelle 19 Zu- und Abnahme der Wahlberechtigten nach Wählerabteilungen sowie das jährliche Bevölkerungswachstum Berlins 1854-1878 Abnahme

Zunahme

Jahr

der Wahlberechtigten I. Abt. 1854 1855 1856 1857 1858 1859 1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869 1870 1871 1872 1873 1874 1875 1876 1877 1878

II. Abt. III. Abt. zusammen

188

1 194

10 618

12000

-

73 519 621 1434 1 832 1086

-

12714 14631 18475 12 191 14 123

73 730 13335 16451 20307 13670 14452

6309 6280

7373 6280

14502 3436 6302 8 318 8092 11 568 16275 53288 19656 24785 31600 30766 17 338 22537 30889 29587 24090 31 103 43415 37693 33878 31 686 31 055 27549 26361 615 769

950 -

I 209 -

303

-

826 -

7269 -

3719 -

9428

der Bevölkerung

-

4848 -

-

1618

372

3 163

3542

297

1 265

8654

10 216

188 256

1468 454 62

2448 5546 11 068

4104 6256 11 130

-

-

7

-

211 -

386

-

393 329 400

-

-

-

-

664

-

-

-

-

-

-

1 618 -

-

-

-

Insgesamt

3908

13079 138 826

155 813

Zunahme insgesamt

2021

11660 124430

138 111

Quelle: VStBln 1880, Nr. 9, OS Nr. 57, S. 61.

der Wahlberechtigten I. Abt. II. Abt. III. Abt.

zusammen

705

827

-

1 532

152

-

-

152

231

-

12764 1 632

-

143

-

52

-

-

-

521

-

604

71

1 887

1 419

12995 1 632 143

-

52

-

-

14396

17702

521 675

1148

Statistischer Anhang Tabelle 20 Die Bevölkerung der Berliner Kommunalwahlbezirke in den Jahren 1864, 1871 und 1875

Wahlbezirk Nr. 2 3 4 5 6 7 8 9 10

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

1864 alte Einteilung

1864 neue Einteilung

1871

1875

6873 8631 8959 10 519 9302 8944 8665 8270 8 188 6214 7687 8897 7590 14325 14321 7294 7421 16103 9800 10 267 56665 18266 37442 17 198 15085 16345 16552 26700 16019 14202 15204 16440 38659 63303 27252 25011

6552 6251 7692 12604 13 063 11029 8859 10 330 6561 8664 7598 6881 10 339 18569 17480 9380 4235 11 225 12485 13 614 33314 33849 36437 21 800 23206 20246 19787 24030 22169 14380 17565 23977 25226 39685 20469 29062

6484 6550 7872 14346 12735 10 865 8761 10 767 6662 9384 7710 6596 11 247 26512 21483 10 525 4185 13 747 16 128 14601 45893 46105 54750 27595 27042 21 834 21680 37000 26178 20301 26975 29769 47735 54394 41577 45 132

5836 5950 6964 14644 11 963 10 038 8769 10 186 6722 8605 6460 6656 10 780 31564 22974 9715 4217 12976 15584 14756 48255 52224 89966 28416 26222 21 877 20612 60709 25665 28490 29268 29754 59818 62224 60815 73791

Quelle: VStBln 1880, Nr. 9, DS Nr. 57, S. 61.

Statistischer Anhang

1149

Tabelle 21 Die durchschnittliche Zahl der Wahlberechtigten in einzelnen Berliner Kommunalwahlbezirken 1854-1868 Auf einen Stadtverordneten kommen in den Jahren 1854/68 durchschnittlich Wähler

I. Abteilung

11. Abteilung

1

Moabit u. Wedding 20

Moabit u. Wedding 175

Dorotheenstadt

544

2

Stralauer Viertel

52

Königs-Viertel

182

Berlin

629

3

Königs-Viertel

52

Dorotheenstadt

236

Kölln

766

4

Kölln

64

Berlin

239

Friedrichswerder

802

5

Spandauer Revier

69

Kölln

256

Friedrichstadt

822

6

Spand. Rev. außerh.

70

Friedr.-Wilhelmst.

262

Moabit u. Wedding

887

7

Friedrichst. außerh.

70

Stralauer Viertel

274

Spandauer Revier

1 198

8

Alt-Berlin

73

Spandauer Revier

277

Königs-Viertel

1210

9

Friedrichstadt

74

Friedrichstadt

282

Schöneberg u. Tempelhof

1299

10

Luisenstadt

79

Friedrichswerder

285

Friedr.-Wilhelmst. 1 318

11

Friedr. -Wilhelmst.

80

Spand. Rev. außerh.

309

Friedrichst. außerh.

1 346

12

Friedrichswerder

97

Friedrichst. außerh.

329

Stralauer Viertel

1623

13

Dorotheenstadt

138

Luisenstadt

392

Luisenstadt

2608

14

Schöneberg u. Tempelhof

218

Schöneberg u. Tempelhof

467

Spand. Rev. außerh.

3104

Quelle: Bruch, Gemeindewahlen, S. 119.

74 Grzywatz

III. Abteilung

1150

Statistischer Anhang

Tabelle 22 Einwohner und Wahlberechtigte in ausgesuchten Berliner Wahlbezirken im Jahre 1878 Wahlbezirke

Einwohner

Wahlberechtigte

1. Wählerabteilung 14. Untere Friedrich- u. Schöneberger Vorstadt

31 564

35. Tempelhofer Vorstadt

60815

310

10 186

213

8. Dorotheenstadt

609

23. Luisenstadt

89966

189

15. Obere Friedrich-Vorstadt

22974

182

35. Tempelhofer Vorstadt

60815

1428

14. Untere Friedrich- u. Schöneberger Vorstadt

31564

1 325

23. Luisenstadt

89966

1 115

22. Luisenstadt

52244

905

21. Luisenstadt

48255

891

15. Obere Friedrich-Vorstadt

22974

841

11. Wählerabteilung

III. Wählerabteilung 23. Luisenstadt

89966

14720

28. Rosenthaler Vorstadt

60709

11 849

36. Wedding u. Moabit

73791

11 635

35. Tempelhofer Vorstadt

60815

11 387

33. Stralauer Viertel

59818

10 974

34. Rosenthaler u. Oranienburger Vorstadt

62224

10 686

a b

3614 100

a

17 117 475

a

138 150 3838

Summe der Wahlberechtigen in den Abteilungen (a) u. Durchschnitt der Wahlberechtigten pro Wahlbezirk (b)

1. Wählerabteilung 11. Wählerabteilung III. Wählerabteilung

Quelle: VerwBBln, 1877 bis 1881, T. 1, S. 24 f.

b b

~

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Wahlbezirke

269 151 170 366 330 295 215 320 217 337 179 274 317 1 233 750 319 138 297 379

56 32 31 62 77 70 59 215 78 141 53 70 66 621 190 106 41 79 85

586 704 702 1467 1414 I 200 1007 823 664 769 688 724 1 241 2346 2334 1084 379 1437 1 874

Eingetragene Wähler Abt. III Abt. 11

Abt. I 911 887 903 1 895 1 821 1 565 1 281 1 358 959 1 247 920 1068 1624 4200 3274 1509 558 1 813 2338

Insgesamt

(Fortsetzung S. 1152)

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

1 I 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 1 1 1 1 4451 2892 3000 6258 6430 5622 4566 10 318 4865 7949 3779 5089 5796 32086 14228 6974 2767 6271 7571 I 1 1 1 I 1 1 2 1 1 1 1 1 3 2 1 1 1 1

Zu wählende Stadtverordnete Abt. I Abt. III Abt. 11

Auf Wähler III. Abt. reduziert!

Tabelle 23 Wahlberechtigte nach Wahlbezirken und Wählerabteilungen in Berlin 1876 und die Mandatsverteilung nach der Wahlbezirksreform von 1880

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--

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g. o.

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1

3818

16524

8499 14884 3929 3907 3050 3 151 9534 3867 4 191 4403 4389 9495 10 203 9848 11 914 145903

7544 13 559 3385 3 118 2638 2855 8922 3351 3842 4089 3640 8935 9568 8410 11 327 125 561

824 1 127 457 620 359 269 545 449 310 275 651 505 546 1 151 530

131 198 87 169 53 27 67 67 39 39 98 55 89 287 57

2433 8075

470 880

78 145

Insgesamt

1 885 7050

Eingetragene Wähler Abt. 11 Abt. III

Abt. I

375500

18047 28545 9683 13 345 7079 5763 15220 8929 7454 7438 11 756 14537 16600 26579 17 183

7994 18435

Auf Wähler III. Abt. reduziert 1

42

1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1

1 1

42

2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1

1 2

42

1 2 1 1 1 1 2 1 1 1 1 2 2 2 2

1 1

Zu wählende Stadtverordnete Abt. I Abt. 11 Abt. III

Quelle: SJbdStBln, 4. Jg. (1878), S. 218 f.

Reduktion des Wahlrechts der drei Abteilungen nach den Durchschnittszahlen der Wähler in jeder Klasse auf Wähler dritter Klasse.

Insgesamt

21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

20

Wahlbezirke

Tabelle 23 (Fortsetzung)

(Jq

i

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~

~. '"o.

CIl

>>VI

N

Statistischer Anhang

1153

Tabelle 24 Stadtverordnetenmandate und ortsanwesende Bevölkerung nach Wahlbezirken in Berlin 1881

Wahlbezirke 1

Zugehörige Stadtbezirke

Zu wählende Stadtverordnete Ortsanwesende Abt. I Abt. 11 Abt. III Bevölkerung 5.050

4.5.

2

1. 6.

5382

3

2.7.

5617

4

3.8. 138.

14269

5

9. 10. 11. 13.

10 978

6

12. 100. 101.

9.449

7

14-16.

8

17.20. 22.

9

8 188 10 239

2

7334

18. 19.

10

24.28.29.

8605

11

25.26.

5980

12

30.32.

13

31. 33.

1

14

44-50.

3

15

37. 38. 41-43.

2

16

23.35.36.

17

27.

18

34. 39. 81.

6445 10106 37 158 2

24603

2

9290 4005 13759

19

40.82.84.

15547

20

85-87.

15063

21

76-80. 83. 88. 99.

2

49753

22

59. 60. 69. 70. 74. 75. 89-91.

2

23

61-68. 71-73. 92-98.

2

57095 111 843

24

185-189.

1

28751

25

145. 147-150. 184a. 184b.

32995

26

144. 146. 151-153.

21 812

27

140-143. 167.

28

139. 165-166c. 168-177.

2

2

2

20460 92354

(Fortsetzung S. 1154)

Statistischer Anhang

1154

Tabelle 24 (Fortsetzung) Wahlbezirke

Zugehörige Stadtbezirke

29

126. 127. 132-137.

Zu wählende Stadtverordnete Ortsanwesende Abt. I Abt. II Abt. III Bevölkerung 27738

30

125. 128-131.

33355

31

118-121.

36456

32

102-106. 122-124

33

107-117.

2

79339

34

154-164. 178-181. 183.

2

74538

35

21. 51-58. 211.

2

102401

36

182. 190-210.

2

95 167

42

I 119817 1

28693

2 42

1

2 42

Ausschließ!. einer Schiffsbevölkerung von 2 543 Personen.

Quelle: Auflösung der Berliner Stadtverordneten-Versammlung, S. 32.

14 15 16 17 18

13

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Wahlbezirke

37 20 19 42 48 42 40 174 46 121 65 48 69 627 169 102 35 65

I

203 121 150 231 253 236 166 266 179 309 150 209 319 1 561 774 265 128 265

11

659 704 653 1452 1 500 1 290 1057 986 739 1000 714 910 1 369 3536 2860 1203 456 1 799

III

899 845 822 1 725 1 801 1 568 1263 1426 964 1430 929 1 167 1 757 5724 3803 1 570 619 2 129

Zusammen

Anzahl der Wähler in Abteilung

1 1 1 1 1 1 1 2 1 1 1 1 1 3 2 1 1 1

1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

I

37 20 19 42 48 42 40 87 46 121 65 48 69 209 84 102 35 65

1 1 1 1 1

899 704 653 1452 1500 1290 1057 986 739 1000 714 910 1369 3536 2860 1203 456 1 799 (Fortsetzung S. 1156)

203 121 150 231 253 236 166 266 179 309 150 209 319 780 387 265 128 265

III

11

I

III

11

I

Auf einen Stadtverordneten kommen Wähler der Abteilung

Der Bezirk wählt Stadtverordnete in Abt.

Tabelle 25 Wahlberechtigte und Stadtverordnetenmandate nach Kommunalwahlbezirken und Wählerabteilungen in Berlin 1882 (vor der Reform der Wahlbezirkseinteilung)

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3 144

58 67 96 84 152 52 129 33 13 62 54 31 31 65 52 46 317 44

I

15305

329 362 748 726 1 019 352 653 278 225 557 345 271 239 575 527 415 1460 439

11

149511

2313 2145 7757 8605 14981 3355 4423 2798 2731 13250 3861 4259 4735 4016 10 650 9976 15312 11 457

III

167971

2700 2574 8601 9415 16 152 3759 5205 3 109 2969 13 869 4260 4561 5 005 4656 11 229 10 437 17089 11 940

Zusammen

Anzahl der Wähler in Abteilung

Quelle: CBIBln, 23. Jg. (1882), Nr. 46, S. 463-465.

Insgesamt

19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

Wahlbezirke

42

I I 1 1 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 1

I

42

1 1 1 1 2 1 1 1 1 2 1 1 1 1 2 2 2 2

1 1 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 I 1 1 1 2 1 42

III

11

Der Bezirk wählt Stadtverordnete in Abt.

Tabelle 25 (Fortsetzung)

58 67 96 84 76 52 129 33 13 62 54 31 31 65 52 46 158 44

I 329 362 374 363 509 352 653 278 225 557 345 271 239 575 527 415 730 439

11

2313 2 145 7757 8605 7490 3355 4423 2798 2731 6625 3861 4259 4735 4016 5325 4988 7656 5728

III

Auf einen Stadtverordneten kommen Wähler der Abteilung

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41--44 45-47 48-53

Friedrich-Vorstadt, obere untere Schöneberger Vorstadt

Tempelhofer Vorstadt

3

4

54--60

23-40

Friedrichstadt

2

1-8 9-13 14--16 17-22 und 22

Stadtbezirke

Berlin AIt-Kölln Friedrichswerder Dorotheenstadt

Historische Bezeichnung der Stadtteile

I

Wahlbezirke der I. u. 11. Abteilung

72 434

17 166 11 050 55418 83634

69936

25432 13764 8 170 17524 64 890

Einwohnerzahl

179

926

705

527

I. (280)1

932

2482

2091

I 676

11.

(1 140)1

10 II 12

7 8 9

5 6

4

1 2 3

Wahlbezirk

111.

54--56 57-57a 56a, 58-{;0

41-47 48-50, 53 51-52

23-30 31-33 u. 40 34--39

1-8 9-16 17-20 u. 22

Stadtbezirk

Wähler der Abteilungen

Tabelle 26 Tableau der neuen Einteilung der Berliner Kommunalwahlbezirke 1882

9765

9221

8658

7531

im Ganzen 10 1002

(Fortsetzung S. 1158)

3246 3 179 3340

2561 3634 3026

2819 2501 3338

3035 2823 I 673

Wähler (3370)1

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102-123 hier ab (117-119 u. 120, siehe Wahlbezirk 9), bleiben 102-116,119a, 121-123

Stralauer Viertel

8

(74,89,91-101)

-

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7

(76-88 u. 90)

-

-

61-76 77-99 100-101 (hier 61-73 u. 75)

Stadtbezirke

- "

Luisenstadt jensei ts des Kanals diesseits des Kanals Neu-Kölln (3 Wahlbezirke)

Historische Bezeichnung der Stadtteile

6

5

Wahlbezirke der I. u. H. Abteilung

142401

-

-

123777 118 314 6667 248558

Einwohnerzahl

150

233

290

88

I. (280)1

1 120

I 293

I 560

603

11.

(I 140)1

Tabelle 26 (Fortsetzung)

102-106, 109 119a, 121-123 107-108, 112/114 110, lila u. b, 115-116

22 23 24

74, 89, 91 92-96 97-101

76-78 79-84 85-88,90

61-66,68 67, 71-73 69-70, 75

Stadtbezirk

III.

19 20 21

16 17 18

13 14 15

Wahlbezirk

Wähler der Abteilungen

4405

5 171 4525

2641 3662 2584

4290 4029 3801

4526 4675 3716

Wähler (3 370)1

14 101

8887

12 120

12917

im Ganzen 10 1002

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2

21,211 190--196 197-210

155-162, 180--185a

(163-165, 171-179)

-

154, 163-179 (hier 154, 166--170)

138-153 186--189

124-137 Dazu vom Wahlbezirk Nr. 8 117-119 u. 120

3736 29693 54096 87525

88359

-

113453

67390 17915 85305

63 192

138

89

41

65

286

160

530

635

339

347

1426

970

42

40 41

37 38 39

34 35 36

31 32 33

28 29 30

27

25 26

Quelle: CBIBln, Jg. (1882), Nr. 40, Anlage zur abgedruckten VStBln, DS Nr. 485, S. 368.

Durchschnittliche Zahl der Wähler in den einzelnen Wahlbezirken (und den Wählerlisten von 1881). Durchschnittliche Bevölkerungsziffer in den Wahlbezirken.

Tiergarten Moabit Wedding

14

I

Oranienburger Vorstadt

13

" -

Rosenthaler Vorstadt (2 Wahlbezikrke)

11

-

Spandauer Viertel Friedrich-Wilhe1mstadt

10

12

Königs-Viertel

9

21,190--196 u.211 197-199 205-208,210 200--204 u. 209

155-160 161-162, 180--182 183-185a

163-165 171 172-179

169-170 154, 167-168 166a, b, c

138-144 145-147, 151-153 148-150, 186--189

117-119 u. 120 124-128, 134, 136--137 129-133, 135

3011 2991

3969

4087 3852 3706

2676 2536 2487

2003 2287 2476

3506 3048 3331

4 148 3729

4260

9971

11 645

7699

9766

9885

12 137

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136808

153 513

121 280

103449

112697

221 960

68900

148065

8 Posen

9 Rixdorf

10 Schöne berg

11 Stettin

12 Bochum

1909 1902

1907 1909

13 Dortmund

231 796

224119

245090

162693

214 142

151 717

245090

69

60

48

60

72

102

66

176488 231 407

1.1.03 60

72

144

102

170247

273023

2 100873

501 578

72

60

60

60

72

117

66

63

72

144

102

72

66

72

60

73

117

66

63

72

144

102

128400 189809

118464

175577

36 1.1.9848

135796 203223

1.1.06 54 +3

48

54 + 33

48

Nach der Städteordnung für die Provinz Westfalen vom 19. März 1856.

153540

179067

145794

244 778

224352

174487

164 800

253373

2088 123

483486

141010

240633

223770

190228

227350

169916

6 Königsberg i. Pr.

161 990

5 Halle

159648

7 Magdeburg

145340

4 Danzig

2040148

1 896052

239567

470904

195 149

1907

Stadtverordnetenmandate/Jab?

Nach der Städteordnung für die sechs östlichen Provinzen vom 30. Mai 1853.

1905

Einwohner/Jahr l

429993

1902

3 Charlottenburg

2 Berlin

1 Breslau

Städte

Tabelle 27 Einwohner und Stadtverordnetenmandate in deutschen Großstädten 1902-1909

3763

2829

3404

2465

2974

2529

3357

1 978

2674

2703

3792

14589

4917

Einwohner pro Mandat am 1. April 1909

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36 48

30

57

36

1.10.05667

36

33

30

35

35

4892

48

48

2626

2239

(Fortsetzung S. 1162)

48

110 670

103 574 1.12.08 107 459

Nach der Städteordnung für den Regierungsbezirk Wiesbaden vom 8. Juni 1891.

5675

30

35

6131

183925

171 203

4598

4684

3236

5038

3547

10442

30

171 214

171 351

3880 4482

Nach der Städteordnung für die Stadt Frankfurt a.M. vom 25. März 1867. 347837 334978 363212 64 64 64

163772

168320

36 58

66

36

16.6.0845 5 11.5.09 576

36 45

39

26 Kassel

297800

24 Frankfurt a. M.

33 31.7.88 364

45

36

39

Nach der Städteordnung für die Provinz Hessen-Nassau vom 4. August 1897. 146802 120467 157535 48 60 60

129987

23 Kiel

266701

168632

213 450

287 175

45

36

36

100 953

165419

22 Altona

166 150 241 226

205022

111 977 262 120

469879 127682

161 358

151 337

Nach der Städteordnung für Schieswig-Hoistein vom 14. April 1869.

231 360

162853

192346

253274

110344

428722

158559 447463

152239

89570

187 061

151 971

156080

25 Wiesbaden

157800

21 Essen

39500

Weiderich

20 Elberfeld

38000

106000

Ruhrort

1.5.1905 Duisburg

93650

19 Duisburg

am

107600

222720

383888

16 Köln

18 Düsseldorf

145 117

15 Barmen

17 Krefe1d

138201

14 Aachen

Nach der Städteordnung für die Rheinprovinz vom 15. Mai 1856.

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a.

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186742

99346

146 106

401 900

471 100

155 151

29 Stuttgart

30 Karlsruhe

31 Mannheim

32 Dresden

33 Leipzig

34 Straßburg i. EIs.

7

5 6

4

3

2

1907

1909

1902

1907

1909

StadtverordnetenmandateIJah?

309922

548668 317848

561 164 60

60 60

60 60

60

259 178

278694

27

32

171 782

122432 182455

130408 96

96 96

96

Nach der Städteordnung für das Großherzogturn Baden.

167678

503 637

516996 533255

544 712 72

72

72

78

171 809

178243

36

36

Nach der Gemeindeordnung für Elsaß-Lothringen.

515339

527 162

Nach der revidierten Städteordnung für das Königreich Sachsen.

163693

111 249

249286

36

72

84

96

96

33

Nach der Gemeindeordnung für Württemberg vom 1. Dezember 1907.

294426

538983

Nach der Bayerischen Gemeindeordnung für die Landesteile diesseits des Rheins.

1905

Einwohner/Jahr l

Jeweils am 1. April, nur für 1905 am 1. Dezember des Jahres. Jeweils am 1. April des Jahres. Drei weitere Mandate für die seit dem 1. April 1905 eingemeindete Ortschaft Körne. Vermehrung durch Eingemeindung verschiedener Vororte. Vermehrung durch Bevölkerungszunahme. Vermehrung infolge Eingemeindung mehrerer Vororte. Vermehrung infolge Eingemeindung der Vororte Meiderich und Ruhrort. Quelle: VStCh 1910, S. 94-97.

268 200

28 Nürnberg

I

507 500

1902

27 München

Städte

Tabelle 27 (Fortsetzung)

4951

7406

6485

1901

1 358

8445

5298

9353

Einwohner pro Mandat am 1. April 1909

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Statistischer Anhang

1163

Tabelle 28 Abteilungsbildung in ausgesuchten Landtagswahlbezirken Preußens 1888 und 1892

Wahlbezirke

Berlin 11

Urwähler 1888

I

70775

1,25

Abteilungen 1888 v.H.

I II I 6,75

III

Urwähler 1892

92,00 85037

Abteilungen 1892 v.H.

I II I 7,13

91,28

I 8,32

89,42

2,36 1 8,58

89,06

I

1,59

8,00 Stadt Köln

55437

2,21

8,72

I 8,81

88,98 58644

20225

2,54

I 8,47

88,99 22008

11,ü1 SchlaweRurnrnelsburg

18730

3,35 111,83

10,94 84,82

17615

15,18 GrimmenGreifswald

18436

2,78 1 8,82

26086

3,38 1 8,75

88,40 18 133

3695

3,03 1 10,ü1

87,87 25338

2878

4,03 110,42 14,45

2,67 1 8,60

88,73

3,60 110,72

85,68

14,32 86,96

3574

3,58 110,10

86,32

13,68

13,04 Stadt Neiße

82,25

11,27

12,13 Stadt Greifswald

3,58 114,17 17,75

11,60 Neiße-Grottkau

2,26

10,58

11,02 Stadt Krefeld

III

85,55

2998

3,77 1 9,97 13,74

Quelle: AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, S. 1601.

86,26

+ 8 225

279102 -

1892 verglichen mit 1891

1892

verglichen mit Nr. 1 1892

279250 -

1892

- 148 -

-

271 025 -

Wahlberechtigte absolut/v. H.

1891

Aufstellungsjahr

III

Gesamtsteuerleistung Mark

- 5347 - 2,11

12544 4,49

17891 6,60

+ 14951 + 2,64

264 514 97,72

249563 92,08

+ 2438744

44 344 414

41 905670 1

- 359 - 0,13

1 833 0,66 - 1 718 - 0,61

10 826 3,88

+ 1 929 + 0,74

266443 95,46

- 21 536696

22807718

2. nach dem System der Rheinischen Städteordnung

- 1 379 - 0,53

2192 0,79

3571 1,32

1. nach dem System der Städteordnung vom 30. Mai 1853

11

Wähler in Abteilungen absolut/v. H.

1616

2663

1 749 1

362

-------

605

376 1

11

Abschlußsteuerleistung der Abteilung Mark

Tabelle 29 Der Einfluß der Einkommensteuerveranlagung nach dem Gesetz vom 24. Juni 1891 auf die Abgrenzung der Wählerabteilungen bei den Stadtverordnetenwahlen in Berlin 1891/92

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+ 875 + 0,32

13 419 4,81 -705 -0,20

263809 94,52

- - - -- - - -

- 7580727

36763687

+ 850 + 0,36

265364 95,08

Quelle: AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 3, AS Nr. 19, Anlage I, S. 1612.

- 28 - 0,01

12516 4,48 - 28675404

15669010

4. bei Zugrundelegung nur der Einkommensteuer

- 970 - 0,35

-

- 148 -

--

I 222 0,44

-

- 318 - 0,12

1874 0,67

279102

-

- 148 -

279 102

lOhne Berücksichtigung der Pfennig-Beträge.

verglichen mit Nr. I 1892

1892

- -

verglichen mit Nr. 1 1892

1892

3. bei Zugrundelegung nur der Einkommensteuer und der Gemeindesteuer

I 360

2362

192

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442

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Berlin 11

Wahlbezirk

Absolut v.H.

Absolut v.H.

Absolut v.H.

883 1,25

I

4777 6,75

11 III

65 115 92,00

Urwählerabteilungen im Jahre 1888

6065 7,13

1/3 Abteilung 11 77 625 91,28

III

1/3

1964 2,31

I

5/12

9648 11,35

4/12 Abteilung 11

73425 86,34

III

3/12

4/12 3/12 nach Gemeinden Abteilung 11 I III 7879 75485 1 673 1,97 9,26 88,77 5/12

5/12 4/12 3/12 nach Urwahlbezirken Abteilung I 11 III 2025 10500 72 512 2,38 12,35 85,27

4/12 3/12 nach Gemeinden Abteilung I 11 III 76353 7088 1 596 1,88 8,33 89,79

5/12

Urwählerabteilungen im Jahre 1892 nach einem fingierten Steuersatz von vier Mark und einer Steuerquotierung von

5/12 4/12 3/12 nach Urwahlbezirken Abteilung III I 11 2140 12550 70347 2,52 14,76 82,72

Urwählerabteilungen im Jahre 1892 nach einem fingierten Steuersatz von sechs Mark und einer Steuerquotierung von

1 347 1,59

I

1/3

Urwählerabteilungen nach Erlaß des Gesetzes vom 24. Juni 1891 unter Zugrundelegung einer Steuerquotierung von

Tabelle 30 Urwählerabteilungen auf staatssteuerlicher Grundlage im zweiten Berliner Landtagswahlkreis 1888, 1891 und 1892 nach den Verfahrensvorschlägen der Beratungskommission des preußischen Abgeordnetenhauses

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Absolut v.H.

Absolut v.H.

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11

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III

l/3 Abteilung 11 III

l/3

5112

4112 Abteilung 11 III

3112

3110 3/10 nach Gemeinden Abteilung 11 III 1457 4830 78750 1,71 5,68 92,61

4110

2091 2,46

I

5112

4112 2000 Mark Abteilung 11 9812 11,54

5112

2006 2,36

3/12 III 73 134 86,00

4112 3500 Mark Abteilung 11 9658 11,36

III 73373 86,28

3112

Urwählerabteilungen im Jahre 1892 nach einem fingierten Steuersatz von drei Mark und Steuermaxima von 2 000 bzw. 3 500 Mark sowie einer Steuerquotierung von

4110 3110 3110 nach Urwahlbezirken Abteilung 11 III 76236 1 824 6977 2,15 8,20 89,65

Urwählerabteilungen im Jahre 1892 nach einem fingierten Steuersatz von drei Mark und einer Steuerquotierung von

l/3

Urwählerabteilungen nach Erlaß des Gesetzes vom 24. Juni 1891 unter Zugrundelegung einer Steuerquotierung von

----- ---------

Urwählerabteilungen im Jahre 1888

Quelle: AIPAH, 17. LP, 5. Sess. 1892/93, Bd. 4, AS Nr. 85, S. 2183-2187.

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Wahlbezirk

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141 Städte mit weniger als 10000 Einwohnern

96 andere Städte mit mehr als 10000 Einwohnern

Berlin

Gemeinden

11

III

11

I

III

I

11

III

11

I

III

I

III

11

I

III

I

11

Abteilungen absolut/v. H.

0,49 3,12 96,40 6 125 29815 296809 1,84 8,96 89,20

0,69 4,47 94,84 4835 26523 269 181 1,61 8,83 89,57

1,36 6,92 91,72 9565 36668 194 137 3,98 15,25 80,77

2618 8839 53487 4,03 13,61 82,36

2596 8785 52443 4,07 13,76 82,17

3761 10 493 46550 6,19 17,26 76,56

1469 9372 289973

2005 12984 275 219

3555 18030 239 132

1895/96

1893

1891

Gemeindewähler in den Jahren

- 2,16 - 3,65 + 5,80

- 1 143 - 1 654 + 6 937

- 2,14 - 6,29 + 8,43

- 3440 - 6853 + 102672

- 0,87 - 3,80 + 4,68

- 2 086 - 8 658 + 50 841

Die Verschiebung der Wählerzahl von 1891 bis 1895/96

Tabelle 31 Die Wählerabteilungen in preußischen Stadt- und Landgemeinden 1891, 1893 und 1895/96

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17,19 76,48

74,87

III

6,34

7,18 17,95

17 898

16396

III

11

4022

3930

1483

0,56 6,50 92,94

0,99 11,38 87,62 1572

98 1 139 16291

1893

145 1660 12779

1891

Gemeindewähler in den Jahren

11

III

11

III

I

11

Abteilungen absolut/v. H.

Quelle: AIPAH, 19. LP, 1. Sess. 1899, Bd. 4, AS Nr. 194, S. 2657.

190 sonstige Landgemeinden in Ost- und Westpreußen, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen und Westfalen

23 Landgemeinden mit industriellem Charakter in Schlesien, Sachsen und Westfalen

Gemeinden

- 1,28

+ 2,50

77,37

- 1,23

+ 2 740

+ 135

- 120

- 0,35 - 4,13 + 4,49

- 25 - 302 + 4 484

16,67

5,95

18866

4065

1452

0,64 7,25 92,11

120 1 358 17263

1895/96

Die Verschiebung der Wählerzahl von 1891 bis 1895/96

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VJ

1

Berlin

darunter: Charlottenburg

15

5

Westpreußen

Brandenburg

7

129

Sonstige Landgemeinden

Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern in den Provinzen Ostpreußen

28

1 610 3,82 242 2,18

132377 76859

3555 1,36

1677304 I 578794

486691 397098

531 4,44

571 2,83

218215 204 475

288937 267927

1467 8,05

313 2,12

133943 112297

200 674 195 515

6657 6,09

14643 3,79

951 8,57

5452 12,95

18030 6,92

I 812 15,15

2804 13,89

3817 20,94

2765 18,70

18805 17,19

56957 14,75

74987 11,59

9907 89,25

35044 83,23

239 132 91,72

9619 80,41

16819 83,29

12940 71,01

11 708 79,18

89916 76,72

314439 81,45

553571 85,59

231 0,95

923 1,48

961 0,31

407 2,13

463 1,71

1 324 5,38

351 1,56

4678 3,82

8593 1,46

9554 1,06

I

1 111 4,58

4553 7,31

8408 2,68

1 882 9,85

2 125 7,87

3979 16,16

2274 10,13

16235 13,25

46172 7,82

54580 6,04

22934 94,47

56813 91,21

304 168 97,01

16816 88,02

24419 90,42

19318 78,46

19829 88,31

101 653 82,94

535588 90,72

839756 92,90

III

11

III

11

18 198 2,81

I

nach dem Wahlverfahren von 1893

Wählerabteilungen - absolut/v. H.

nach den Wählerlisten von 1891

I 175 305 I 101 365

5 371 740 4739031

143

277

7049044 6317 825

Einwohner 1895/1890 (Volkszählung)

144

Anzahl der Gemeinden

Landgemeinden mit industriellem Charakter

Kleinere Städte

Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern desgl. ohne Berlin

Städte und Landgemeindegruppen

430 1,77

1473 2,36

2027 0,65

595 3,11

720 2,67

1488 6,04

389 1,73

5948 4,85

13029 2,21

15056 1,67

I

3 162 13,03

9873 15,85

29239 9,33

3437 17,99

4501 16,67

4849 19,69

3 148 14,02

23805 19,42

94498 16,01

123737 13,69

11

20684 85,20

50943 81,78

282271 90,03

15073 78,90

21786 80,67

18284 74,26

18917 84,25

92813 75,72

482826 81,79

765097 84,65

III

nach dem Entwurf zum Wählerabteilungsgesetz von 1899

Tabelle 33 Wählerabteilungen in preußischen Stadt- und Landgemeinden nach verschiedenen Wahlverfahren

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10

3

Westfalen

Hessen-Nassau

1942599 1 715 223

97206 84 148

314558 258 182

763738 705390

5 163 4,64

335 4,19

720 2,16

2207 3,26

2267 3,48

368 4,72

109 901 99 483

908990 797569

871 4,70

I

19977 17,96

1 138 14,22

4 111 12,31

8748 12,92

8974 13,77

1 255 16,11

2686 14,51

11

86093 77,40

6531 81,60

28553 85,53

56731 83,81

53922 82,75

6168 79,17

14959 80,79

111

nach den Wählerlisten von 1891

240905 209 536

Einwohner 1895/1890 (Volkszählung)

Quelle: AIPAH, 19. LP, 1. Sess. 1899, Bd. 4, AS Nr. 194, S. 2660 f. u. 2666 f.

44

23

Sachsen

Rheinland

25

5

Posen

Schlesien

6

Anzahl der Gemeinden

Pommern

Städte und Landgemeindegruppen

2567 1,28

190 1,58

357 0,63

1 324 1,59

1467 1,52

338 3,56

557 2,31

I

15888 7,95

879 7,31

3506 6,16

6955 8,35

7 119 7,39

1 102 11,60

2 163 8,99

11

181 332 90,76

10 950 91,11

53023 93,21

75017 90,06

87807 91,09

8059 84,84

21352 88,70

111

nach dem Wahlverfahren von 1893

Wählerabteilungen - absolut/v. H.

3732 1,87

331 2,75

613 1,08

1 985 2,38

2316 2,40

451 4,75

813 3,38

I

31 227 15,63

2019 16,80

7645 13,44

13671 16,41

15 189 15,76

1806 19,01

5130 21,31

11

164 828 82,50

9669 80,45

48628 58,48

67640 81,20

78888 81,84

7242 76,24

18 129 75,31

111

nach dem Entwurf zum Wählerabteilungsgesetz von 1899

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Berlin insgesamt 9

483,9

112,0

Spandauer Viertel bis zur Rosenthaler- und Grossen Präsidentenstraße inkl., ferner die Königsstadt und das Stralauer Viertel

2

Rechtes Spreeufer, obere Stadt

4

112,0

Friedrich-Wilhelmstadt, Spandauer Vorstadt und Spandauer Viertel bis zur Rosenthaler und Grossen Präsidentenstraße, beide Seiten dieser Strassen exkl., sowie Alt-Moabit, NeuMoabit, Wedding, Louisenbad, nebst Kolonie und das ehemalige Pulvermühlen-Terrain

Rechtes Spreeufer, untere Stadt

3

2

2

Linkes Spreeufer, obere Stadt und der Stadtteil Berlin

2

117,9

3

Berlin, Neu-Kölln und Luisenstadt, sowie die dem städtischen Weichbilde einverleibten Grundstücke in Berlin der Hasenheide und von Deutsch-Rixdorf

Einwohner (abgerundet in Tausend)l 142,0

Stadtteile

Dorotheenstadt, Friedrichstadt, Friedrich-Vorstadt, Kölln und Friedrichswerder, sowie die dem städtischen Weichbilde einverleibten Grundstücke von Alt-Schöneberg, Tempelhof, Charlottenburg, Lützow und den Umgebungen des ehemaligen Exerzierplatzes im Tiergarten

Abgeordnete

Linkes Spreeufer, untere Stadt

Berlin

1

Wahlbezirk

Tabelle 34 Landtagswahlbezirke Berlins und des Umlandes 1860

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2 2

Stadt Potsdam Kreis Ost-Havelland

Kreis Teltow Kreis BeeskowStorkow

5

8

1

-

(einschl. Charlottenburg)

-

Quelle: AIPAH, 5. LP, 2. Sess. 1859/60, Bd. 4, AS Nr. 67, S. 468 u. 491 f.

356,1 907,7

81,5 40,4

40,7 59,0

63,1 71,4

-

Einwohner (abgerundet in Tausend) 1

Stadtteile

Zählungsergebnisse von 1858, jedoch unter Berücksichtigung der Ausgemeindungen von 1861.

--

7 18

3

Kreis Oberbamim Kreis Niederbamim

4

Umland insgesamt Regierungsbezirk Potsdam

Abgeordnete

Umland

Wahlbezirk

-...J VI

......

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~.

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g.

Königsberg Gumbinnen Danzig Marienwerder Berlin Potsdam Frankfurt Stettin Köslin Stralsund Posen Bromberg Breslau Liegnitz Oppeln Magdeburg Merseburg Erfurt Schleswig Hannover Hildesheim Lüneburg Stade

Regierungsbezirk

19 13 9 13 9 18 18 12 10 4 19 10 25 19 21 15 16 7

964 667 713 798 475570 712 831 547571 947034 973 154 654963 524108 210 668 963441 522 109 1 295959 956892 1 137844 779754 831 968 364 695

938059 670783 453626 682032 458637 933700 937659 623729 501 546 203 106 918222 498933 1 249 149 942801 1 077 663 749808 806 124 354130

19 13 9 14 9 18 19 12 10 4 18 10 25 19 21 15 16 7

49372 51799 50403 48717 509602 51 8723 49350 51977 50 155 50777 51 012 49893 49966 49621 51 317 49987 50383 50590

1863 Abgeordnete

Einwohner 1

Einwohner pro Abgeordneten

1858

Einwohner

Abgeordnete

50772 54908 52841 54833 60841 52613 54064 54580 52410 52667 50707 52211 51 838 50363 54 183 51 983 51 998 52099

Einwohner pro Abgeordneten

19 13 9 13 9 18 18 12 10 4 19 10 25 19 21 15 16 7 19 8 7 7 6

Abgeordnete

1204 349 802340 618090 876295 1677 304 1 651 976 1 169719 785229 574513 214405 1 173 211 655422 1 637 885 1067243 1 710 181 1 122635 1 129259 446655 1 286416 584465 497791 445937 353465

Einwohner

1895

Tabelle 35 Abgeordnete und Einwohner nach Regierungsbezirken in Preußen 1858, 1863 und 1895

63387 61 718 68677 67407 186367 91776 64 984 65436 57451 53601 61 748 65542 65515 56 171 81437 74842 70579 63808 67706 73058 71 113 63705 58911

Einwohner pro Abgeordneten

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--

1858

-

51 837 50597 49627 52316 49629

518 373 1062546 545891 523 156 446 663

-

17 662 777

50465

-

-

-

-

48454 51 123 51 558

-

Einwohner pro Abgeordneten

436085 460 105 670251

-

Einwohner

352

10 21 11 11 9 2

-

-

9 9 13

-

-

Abgeordnete

1863

18491 220

537418 1 115 365 567475 549259 458746 66911

-

-

442397 473095 703523

-

Einwohner

433

52532

-

-

53742 53113 51 589 49933 50972 33456

49155 52566 54117

Abgeordnete 5 3 9 9 13 14 12 10 21 11 11 9 2

-

Einwohner pro Abgeordneten

1895

31 855 123 6

312322 228040 594501 586 130 1 520789 850507 906 295 650558 4 2 191 359 905510 768451 590 124 65752 5

Einwohner

73568

62464 76013 66056 65 126 116984 60751 75525 65056 104 350 82319 69859 65569 32876

Einwohner pro Abgeordneten

Einwohnerzahl für das Jahr 1861. Einschließlich der 1861 eingemeindeten Gebiete aus den Kreisen Te1tow und Niederbarnim hatte Berlin eine Bevölkerungsziffer von 483 912, so daß unter Berücksichtigung des neuen Weichbildes 53768 Einwohner auf einen Abgeordneten entfielen. Bei Abzug der nach Berlin ausgemeindeten Gebiete blieben dem Regierungsbezirk 908425, folglich kamen 50 468 Einwohner auf einen Abgeordneten. Außerdem 7011 Einwohner des preußischen Urwahlbezikes der Garnison Mainz. Außerdem 1799 Einwohner der beiden preußischen Urwahlbezirke der Garnison Rastatt. Außerdem 8810 Einwohner der drei preußischen Urwahlbezirke der Garnisonen Mainz und Rastatt.

350

-

10 21 11 10 9

-

9 9 13

-

Abgeordnete

Quelle: AIPAH, 5. LP, 2. Sess. 1859/60, Bd. 4, AS Nr. 67, S. 491 f. u. 512 f. ZSdKPrSB, 5. Jg. (1865), S. 42-53; 40. Jg. (1900), S. 143, 146 u . 148 f.

6

5

4

3

2

I

Preußischer Staat

Osnabrück Aurich Münster Minden Amsberg Kassel Wiesbaden Kob1enz Düsse1dorf Köln Trier Aachen Sigmaringen

Regierungsbezirk

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OQ

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1 1 1 I

1 1

Der westliche Teil der Luisenstadt bis zu der Prinzen-und Neanderstraße, beide einschließlich, und der Brückenstraße, diese ausschließlich

Der östliche Teil der Luisenstadt und die Hasenheide, der östliche Teil des Tempelhofer Reviers ab der Straße 29, diese einschließlich

Der südliche Teil des Stralauer Viertels bis zu der Frankfurter Chaussee, diese einschließlich, der großen Frankfurter Straße bis zur Einmündung der Weberstraße und der Weberstraße, beide ausschließlich

Die Königsstadt und der nördliche Teil des Stralauer Viertels

Das Spandauer Viertel und der östliche Teil der Friedrich-Wilhelmstadt bis zur Luisenstaße, diese ausschließlich

Der östliche Teil der Spandauer Vorstadt bis zur Gartenstraße einschließlich

Der westliche Teil der Spandauer Vorstadt, Wedding, Luisenbad, Alt- und Neu-Moabit und der westliche Teil der Friedrich-Wilhelmstadt, ab der Luisenstraße, diese einschließlich

4

5

6

7

8

9

10

Insgesamt

1

Der südliche Teil der Friedrichstadt, Schöneberger und Tempelhofer Revier bis zur Straße 29 ausschließlich

3

10

1

I

Dorotheenstadt, der nördliche Teil der Friedrichstadt von der Dorotheenstadt bis zum Leipziger Platz und der Schützenstraße (einschließlich) und die Friedrichvorstadt

2

I

Anzahl der zu wählenden Abgeordneten

Berlin, Friedrichswerder, Alt- und Neukölln

Stadt Berlin

I

Wahlbezirke

632,7 1

609f

683,7

66,5

63,0

-

68,7

-

61,8

60,4

73,4

75,3

76,2

73,8

64,4

-

-

-

-

-

-

-

-

GesamtZivilbevölkerung (abgerundet auf Tausend)

Tabelle 36: Die projektierte Wahlkreisumwandlung für Berlin und den Regierungsbezirk Potsdam im Jahre 1868

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00

Neu-Ruppin Prenzlau Angermünde Bernau Potsdam

Kreis Ruppin

Kreis Templin

Kreis Prenzlau

Kreis Angermünde

Kreis Oberbarnim

Kreis Niederbarnim

Stadt Potsdam

3

4

5

6

7

8

9

Kreis Jüterbog-Luckenwalde

Kreis Teltow

Kreis Beeskow-Storkow

14

15

2

1

Storkow

Teltow

-

17

1

2

1

1

I

1

1

2

1

I

1

1

1

1

1

-

Anzahl der zu wählenden Abgeordneten

Quelle: AIPAH, 10. LP, 1. Sess. 1867/68, Bd. 2, AS Nr. 321, S. 693 f.

Einwohnerzahl für Berlin nach den Zählungsergebnissen von 1867. Bevölkerungsziffer für 1864.

Insgesamt

Belzig Jüterbog

Kreis Zauch-Belzig

12

13

Nauen

11

Rathenow

Kreis Osthavelland

Kreis Westhavelland

10

Freienwalde

Templin

Kreis Ostprignitz

Perleberg Kyritz

Kreis Westprignitz

1

Wahlorte

2

Regierungsbezirk Potsdam

-

67,3

955,3

980,3 ---

42,4

88,2

57,6 42,8

88,4

58,1

68,0

62,3 68,6

66,1

35,0

80,3

67,4

64,0

55,5

48,1

75,4

70,5

72,5

72,3

42,3

80,6

69,1

64,9

57,3

48,2

77,3

70,7

74,0

Zivilbevölkerung (abgerundet auf Tausend)

Gesamt-

-'

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OQ

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g.

Nr. 11

Nr. 12

Berlin

Berlin

Quelle: AlPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 5, AS Nr. 192, S. 2483.

157,7

129,2

257,9

2040,1

Nr.1O

Berlin

12

Nr.9

Berlin

246,4

189,9

Nr. 8

Berlin

179,9

1

1

Berlin, Stralauer Viertel (westlicher Teil), Königs-Viertel (südlicher Teil), Spandauer Viertel (östlicher Teil), Rosenthaler Vorstadt (südlicher Teil)

Nr.7

Berlin

196,6

Moabit, Wedding (Teil westlich der Amrumer und der Torfstraße)

1

Stralauer Viertel (nördlicher Teil), Königs-Viertel (nördlicher Teil)

Nr.6

Berlin

143,1

I

I

Stralauer Viertel (südlicher Teil)

Wedding, Gesundbrunnen (mit Ausnahme der dem 9., 10. und 12. Wahlbezirk zugewiesenen Teile)

I

Luisenstadt jenseits des Kanals (südlicher Teil)

Nr.5

Berlin

130,1

1

1

Tempelhofer Vorstadt (östlicher Teil), Luisenstadt diesseits des Kanals (südlicher Teil)

Nr. 4

Berlin

130,3

1

1

Neu-Kölln, Luisenstadt diesseits des Kanals (nördlicher Teil), Luisenstadt jenseits des Kanals (nördlicher Teil)

Nr.3

Berlin

142,7

Rosenthaler Vorstadt (nördlicher Teil), Gesundbrunnen (östlich der Panke)

1

Alt-Kölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt, Friedrichstadt, obere Friedrichvorstadt, Tempelhofer Vorstadt (mittlerer Teil)

Nr.2

Berlin

136,4

Bevölkerung 1905 (in Tausend)

Spandauer Viertel (westlicher Teil), Friedrich-Wilhelmstadt, Oranienburger Vorstadt, Teile des Wedding und der Rosenthaler Vorstadt

I

Tiergartenviertel, untere Friedrichvorstadt, Schöneberger Vorstadt, Tempelhofer Vorstadt (westlicher Teil)

Nr. I

Anzahl der zu wählenden Abgeordneten

Stadtteile Bestandteile

Berlin

Wahlbezirke

Tabelle 37: Die Berliner Landtagswahlbezirke nach der Reform von 1906

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JJ

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CIl

00

o

.....

Statistischer Anhang

1181

Tabelle 38

Neue Landtagswahlbezirke in Preußen nach der Reform von 1906 Wahlbezirke

Nr.9

Potsdam

Bestandteile

Anzahl der zu wählenden Abgeordneten

Kreis Teltow, Kreis Beeskow-Storkow

2

Bevölkerung 1905 (in Tausend) 424,1

Potsdam

Nr.1O

Stadt Charlottenburg

1

239,5

Potsdam

Nr. 11

Stadt Schöneberg Stadt Rixdorf

1

294,6

Potsdam

-

4

Oppeln

Nr.5

Kreis Tamowitz Kreis Beuthen

1

237,6

Oppeln

Nr. 11

Kreis Kattowitz Kreis Zabrze

1

323,4

Oppeln

Nr.12

Stadt Beuthen O./S. Stadt Königshütte O./S. Stadt Kattowitz

1

161,8

-

3

Arnsberg

Nr.5

Stadt Dortmund

1

175,6

Arnsberg

Nr.8

Kreis Dortmund

1

181,2

Arnsberg

Nr.9

Kreis Hörde

1

128,0

Arnsberg

Nr.1O

Kreis Bochum Stadt Bochum

1

266,8

Arnsberg

Nr.ll

Kreis Gelsenkirchen Stadt Gelsenkirchen

1

267,1

Arnsberg

Nr.12

Kreis Hattingen Stadt Witten

1

124,0

Düsseldorf Nr.5

-

Stadt Duisburg

6 1

244,3

Stadt Oberhausen Düsseldorf Nr.13

Stadt Essen

1

231,4

Düsseldorf Nr.14

Kreis Essen

1

244,5

Düsseldorf Nr.15

Stadt Mühlheim a. d. Ruhr Kreis Mühlheim Kreis Ruhrort

1

257,5

-

Stadtkreis Berlin

12

Berlin

Nr. 1-12

4

Insgesamt

29

Zunahme der Wahlbezirke

10

Quelle: AlPAH, 20. LP, 2. Sess. 1905/06, Bd. 5, AS Nr. 192, S. 2484. 76 GlZywatz

2040,1

1

1

1

4

5

6

7

8

9

Berlin

Berlin

Berlin

Berlin

Berlin

Berlin

Berlin 10

Berlin 11

Berlin 12

Stadtkreis Berlin

1

3

Berlin

I

12

1

1

1

1

1

1

1

I

2

Berlin

Abgeordnete

Berlin

Wahlbezirk/Regierungsbezirk/ Provinz

2040 148

189928

129205

257869

157633

170012

189928

129205

257869

157633

179965 246507

196437

196437 179965

143 142

143 142

246507

130 110

130317

142733

136302

130110

130317

142733

136302

201,95

24,235

153,48 225,61

2,256

1,535

306,32

187,25

1,872 3,063

292,82

213,78

233,34

170,04

154,56

154,80

169,55

161,91

2,928

2,138

2,333

1,700

1,546

1,548

1,695

1,619

Ortsanwesende Einwohner pro Anspruch Vertretungswert eines Abgeordneten (Durchschnittsbevölkerung Bevölkerung Abgeordneten auf zusätzliche 1. Dez. 1905 Mandate pro Abgeordneten = 100)

Tabelle 39 Die Vertretung der Wahlkreise Berlins, der Provinz Brandenburg sowie der preußischen Provinzen nach der Wahlbezirksrevision von 1906

.....

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1

7

8

9

10

11

[Westhavelland, Brandenburg, Zauch-Belzig]

[Jüterbog-Luckenwalde]

[Teltow, BeeskowStorkow]

[Charlottenburg]

[Schöneberg, Rixdorf]

Regierungsbezirk Potsdam

2

6

[Osthavelland, Spandau]

20

1

1

3

1

1

3

4

2

5

[Prenzlau, Angermünde]

2

3

[Potsdam, Stadt]

3

[Ruppin-Templin]

Abgeordnete

[Oberbamim, Niederbarnim]

1

2

[West- u. Ostprignitz]

Potsdam

Wahlbezirk/Regierungsbezirk/ Provinz

2329885

294523

239559

424 151

---~

- -

(Fortsetzung S. 1184)

138,38

1,384 --------

116494 ~-

349,86

2,846 3,499

294523

284,57

251,92

239559

5,038

86,68

0,867

175,35

1,754

79,78

72,95

2,393

193,36

75,28

1,506 5,801

75,29

1,506

0,730

57,94

1,738

212076

72 967

72 967

147619

147619

67 160

61414

201 479

162 781

61414

63370

63378

48778

488342

126740

126756

146335

Vertretungswert eines Abgeordneten Anspruch Ortsanwesende Einwohner pro (Durchschnittsbevölkerung Bevölkerung Abgeordneten auf zusätzliche pro Abgeordneten = 100) 1. Dez. 1905 Mandate

w

00

--

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2

3

4

5

6

7

8

9

[Königsberg/Neumark]

[Frankfurt a.O., Schwiebus]

[West- u. Oststernberg]

[Züllichau, Schwiebus, Krossen]

[Guben, Forst, Sorau]

[Cottbus, Spremberg, Kalau]

[Luckau, Lübben]

-

Regierungsbezirk Frankfurt

2

2

[Landsberg a. W., Soldin]

18

2

2

2

2

2

2

1

2

Abgeordnete

[Amswalde, Friedebergl Neumark]

Frankfurt

Wahlbezirk/Regierungsbezirkl Provinz

57,32 94,29 52,37 63,37 118,52 126,69 61,65 79,33

1,146 1,886 1,047 1,267 2,370 2,534 1,233 1,260

48253 79380 44 084 53351 99778 106 652

96505 158759 88 168 106701 199555 213 304

1 202021

66779

51 898

82,70

1,654

69616

139232

103796

57,02

1,140

48001

96001

Vertretungswert eines Abgeordneten Anspruch Ortsanwesende Einwohner pro (Durchschnittsbevölkerung Bevölkerung Abgeordneten auf zusätzliche Mandate pro Abgeordneten = 100) 1. Dez. 1905

Tabelle 39 (Fortsetzung)

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.....

2

443

Hohenzollern

Staat Preußen

Quelle: Siegfried, Benachteiligung, S. 60-82.

26

34

Westfalen

63

36

Hannover

Rheinprovinz

19

Schleswig-Holstein

Hessen-Nassau

38

Sachsen

1986637

29

66

Posen

26

Pommern

Schlesien

1 648 326

22

Westpreußen

37293324

68282

6422426

2083963

3618090

2759544

1 504 248

2979221

4942611

1 641 746

2030176

32

Ostpreußen

3531 906

84184

34 141

101 943

80152

106415

76654

79 171

78401

74888

68505

64 782

74625

63443

92945

95,21

-

-

-

40,56

0,811

121,10

24,755 76,291

91,06 126,41

32,780 42,979

94,05

17,868

88,96 93,13

35,390

81,38

23,599 58,713

88,65 76,95

20,008

75,36

110,41

19,502

24,116

41,955

---

Ortsanwesende Einwohner pro Anspruch Vertretungswert eines Abgeordneten Bevölkerung Abgeordneten auf zusätzliche (Durchschniusbevölkerung 1. Dez. 1905 Mandate pro Abgeordneten = 100)

38

Abgeordnete

Provinz Brandenburg

Wahlbezirk/Regierungsbezirk/ Provinz

....00 VI

I

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VJ

g.

1186

Statistischer Anhang

Tabelle 40 Großstädtische Wahlkreise mit Mandatsgewinnen nach der Regierungsvorlage zur Reform des preußischen Landtagswahlrechts im Jahre 1917 Nr.

Wahlbezirke Bezeichnung Bestandteile Potsdam Nr. 9

Anzahl der zu wählenden Abgeordneten

Kreis Teltow Kreis Beeskow-Storkow Stadt Wilmersdorf

3

2

Potsdam Nr. 10

Stadt Charlottenburg

2

3

Potsdam Nr. 11

Stadt Schöneberg Stadt Neukölln

2

4

Oppeln Nr. 5

Kreis Tamowitz Kreis Beuthen

2

5

Oppeln Nr. 11

Kreis Kattowitz Kreis Hindenburg

2

Schleswig Nr. 14

Kreis Bordesholm Stadt Kiel Stadt Neumünster

2

Kreis Bochum Stadt Bochum Stadt Heme

2

Kreis Gelsenkirchen Stadt Gelsenkirchen

2

6 7 8

Amsberg Nr. 10 Amsberg Nr. II Köln Nr. I

Stadt Köln

3

10

Düsseldorf Nr. 5

Stadt Duisburg Stadt Oberhausen

2

11

Düsseldorf Nr. 13

Stadt Essen

2

12

Düsseldorf Nr. 15

Kreis Dinslaken Kreis Mülheim a.d. Ruhr Stadt Hambom

2

9

Zusammen

26

Mandatsgewinne insgesamt

12

Quelle: AlPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 7, DS Nr. 698, S. 4384.

Statistischer Anhang

1187

Tabelle 41 Großstädtische Wahlkreise mit mindestens 250 000 Einwohner pro Abgeordnetenmandat im Jahre 1913 Wahlkreise

Bevölkerung

Zahl der Es entfallen Abgeordbei einer Vennehrung auf einen neten Abgeordneten auf zwei Abgeordnete Einwohner

1.

Düsseldorf 13 Essen Stadt

446000

446000

223 000

2.

Potsdam 11 Berlin-Schöneberg, Neukölln

410 000

410 000

205000

3.

Oppeln 11 Kattowitz-Hindenburg

376000

376000

188000

4.

Düsseldorf 5 Duisburg-Oberhausen I

324000

324000

162000

5.

Amsberg 10 Bochum-Heme

314000

314000

157 000

6.

Amsberg 11 Gelsenkirchen

313 000

313 000

156000

7.

Potsdam 10 Charlottenburg

306000

306000

153 000

8.

Potsdam 9 Teltow-Wilmersdorf Beeskow-Storkow

598000

2

299000

Vennehrung auf 3 Abgeordnete 199000

9.

Köln 1 Stadt Köln 2

594000

2

297000

Vennehrung auf 3 Abgeordnete 198000

10.

Düsseldorf 13 Mülheim a.d. Ruhr, Dinslaken, Hamborn

293000

293000

146000

11.

Schleswig 14 Kiel-Bordesholm, Neumünster

287000

287000

143000

12.

Oppeln 5 Tamowitz-Beuthen

274000

274000

137 000

I

2

Unter Aufhebung des § 5 des Gesetzes über die Erweiterung der Stadtkreise Essen und Oberhausen und der zum Landkreise Essen gehörigen Stadt Werden vom 27. März 1915 (GS 1915, S. 59). einschließlich der durch das Gesetz vom 10. Juni 1914 (GS 1914, S. 93) eingemeindeten Teile. Quelle: AIPAH, 22. LP, 3. Sess. 1916/18, Bd. 7, DS Nr. 698, S. 4392.

1188

Statistischer Anhang Tabelle 42 Großstädtische Wahlkreise mit Verhältniswahlrecht nach den Beschlüssen des Preußischen Herrenhauses (Antrag Wermuth/Johansen) Einfache Wahlbezirke mit Verhältniswahl

Verbundene Wahlbezirke mit Verhältniswahl

1.

Königsberg 3

1.

Berlin 1-12

2.

Danzig 2

2.

Stettin 2 und 3

3.

Potsdam 4

3.

Posen 1 und 2

4.

Potsdam 9

4.

Schleswig 8 und 9

5.

Potsdam 10

5.

Arnsberg 5 und 8

6.

Potsdam 11

6.

Kassel 3 und 4

7.

Breslau 4

8.

Magdeburg 4

9.

Merseburg 4

10.

Schleswig 14

11.

Hannover 4

12.

Arnsberg 11

13.

Wiesbaden 11

14.

Köln 1

15.

Düsseldorf 1

16.

Düsseldorf 2

17.

Düsseldorf 4

18.

Düsseldorf 5

19.

Düsseldorf 13

20.

Trier 5

21.

Aachen 2

Quelle: StBPHH, Sess. 1916/18, Sp. 1250.

1189

Statistischer Anhang

Tabelle 43 Mandatsgewinne großstädtischer Wahlkreise nach den Beschlüssen der Kommission des Herrenhauses im Jahre 1918 Wahlbezirke Bezeichnung Bestandteile

Zahl der zu wählenden Abgeordneten

Zunahme der Mandate

A.

Potsdam Nr. 4

Kreis Niederbamim Kreis Oberbamim Stadt Berlin-Lichtenberg Stadt Eberswalde

I.

Potsdam Nr. 9

Kreis Teltow Kreis Beeskow-Storkow Stadt Wilmersdorf

2.

Potsdam Nr. 10

Stadt Charlottenburg

3.

Potsdam Nr. 11

Stadt Schöneberg Stadt Neukölln

3

4.

Oppeln Nr. 5

Kreis Tamowitz Kreis Beuthen

2

5.

Oppeln Nr. ll

Kreis Kattowitz Kreis Hindenburg

2

6.

Schleswig Nr. 14

Kreis Bordesholm Stadt Kiel Stadt Neumünster

2

6a.

Münster Nr. 4

Kreis Borken Kreis Recklinghausen Stadt Buer Stadt Recklinghausen

3

6b.

Amsberg Nr. 5 u. 8

Kreis Dortmund Stadt Dortmund

3

7.

Amsberg Nr. 10

Kreis Bochum Stadt Bochum Stadt Heme

2

8.

Amsberg Nr. 11

Kreis Gelsenkirchen Stadt Gelsenkirchen

2

Wiesbaden Nr. 11

Stadt Frankfurt a. M.

3

Köln Nr. 1

Stadt Köln

3

9a.

Düsseldorf Nr. 4

Kreis Düsseldorf Stadt Düsseldorf

3

10.

Düsseldorf Nr. 5

Stadt Duisburg Stadt Oberhausen

2

1

11.

Düsseldorf Nr. 13

Stadt Essen

3

2

12.

Düsseldorf Nr. 15

Kreis Dinslaken Stadt Mülheim a.d. Ruhr Stadt Sterkrade Stadt Hambom

2

8a. 9.

Insgesamt Mandatsgewinne insgesamt

Quelle: AIPHH, Sess. 1916/18, Bd. 2, AS Nr. 306C, S. 1155 f.

4 3 2 2

44 19

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK) I. HA Rep. 77, Ministerium des Innem, Tit. 227A, Nr. 6, Bd. 1-4; Nr. 34.

DesgI., Tit. 352, Nr. 34, Bd. 1-4; Nr. 34, adh., Bd. 1-3; Nr. 37, Nr. 38, Bd. 1, adh. 1; Nr. 44. DesgI., Tit. 496a, Nr. 48, Bd. 1-4, Nr. 68, Nr. 88, Bd. 1-3; Nr. 88, Beih. 1, Nr. 88, Beih. 1, Bd. 1-2, Nr. 146, Bd. 1-2, Nr. 146, adh., Bd. 1-4, Nr. 177, Bd. 1-2. DesgI., Tit. 497c, Nr. 13, Bd. 1-3. DesgI., Tit. 667, Nr. 14, Nr. 21. DesgI., Tit. 1319, Nr. 1, Bd. 1. DesgI., Tit. 2757, Nr. 2, Bd. 1-4. I. HA Rep. 80, Drucksachen, Nr. 286 c), d). I. HA Rep. 90a, Staatsministerium, Abt. A, Tit. 8, lc, Nr. 1, Bd. 1-2.

DesgI., Tit. 8, Id, Nr. 1, Bd. 1-13. DesgI., Tit. 8, Id, Nr. 1, adh., Bd. 1-5. I. HA Rep. 93b, Ministerium der öffentlichen Arbeiten, Nr. 1065, 1066, 1067, 1068,

1069, 1070, 1089, 1113.

I. HA Rep. 169C, Haus der Abgeordneten, Abschnitt 38C, Nr. 81, 81a; Abschnitt

38E, Nr. 128.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA) Pr.Br. Rep. 1, Oberpräsident, Tit. 1, Nr. 19. DesgI., Tit. 7, Nr. 1719. Pr.Br. Rep. 2A, Regierung Potsdam, I Kom, Nr. 3167, 3168, 3169, 3170, 3171, 3184, 3188, 3190, 3507, 3508, 3518, 3522. DesgI., I Pers, Nr. 12811, 159311, 164911,347411,356114,394711, 4633/a, 500611, 5145/1, Bd. 1-2,4797/1,4805/1,5325/1, Bd. 1-2. DesgI., I Pol, Nr. 1777, 1778, 1779, 1780, 1781, 1782, 1783, 1784, 1785, 1786, 1787, 1788.

1. Ungedruckte Quellen

1191

Pr.Br. Rep. 30, BIn A, Polizeidirektorium, Tit. 3, Nr. 3A. DesgI., Tit. 39, Nr. 356, 357, 358, 359, 360; Nr. 36111-361/2. Pr.Br. Rep. 30, BIn C, Polizeipräsidium, Tit. 28, Nr. 728, 729, 730, 731, 732, 733, 734. DesgI., Tit. 30, Nr. 1090, 1091, 1093. DesgI., Tit. 94, Nr. 11570, Nr. 13213, 13214, 13215, 13216, 13217, 13218, 13219. DesgI., Tit. 298, Nr. 18844,21175,21177,.21183. Landesarchiv Berlin (LAB) Pr.Br. Rep. 30, BIn C, Polizeipräsident, Tit. 133A, Nr. 18947. Rep. 200, Acc. 2675, Nachlaß Krausnick. Rep. 207, Acc. 199, Nr. 694, 720, 769. DesgI., Acc. 3075, Nr. 4891. StA Rep. 00-02/1, Stadtverordneten-Versammlung, Nr. 1, 2, 3, 4, 5, 29, 37, 47, 60, 68,69,75,83,91,93,95, 102, 110, 119, 128, 131, 133, 135, 136, 147, 150, 151, 161, 176, 185, 192, 195, 199, 202, 208, 212, 1239, 1240, 1291, 1292, 1293, 1294, 1295, 1296, 1315, 1318, 1319, 1320, 1321, 1322, 1323, 1324, 1325, 1326, 1327, 1328, 1329, 1330, 1331, 1332, 1333, 1334, 1335, 1336, 1337, 1338, 1339, 1340, 1341, 1362. StA Rep. 01-02, Generalbüro, Nr. 1385, 2439, 2445, 2571, 2572, 2573, 2574, 2575, 2576, 2577, 2578, 2579, 2580, 2581, 2582, 2583, 2584, 2585, 2586, 2587, 2588, 2589, 2590, 2591, 2592, 2593, 2594, 2595, 2596, 2597, 2598, 2599, 2600, 2601, 2602, 2603, 2604, 2605, 2766, 2767, 2770. StA Rep. 01-03, Hauptwahlamt, Nr. 51, 52, 59, 91, 123, 135, 136, 137, 138, 150, 151, 152, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 164, 165, 166, 189, 190, 191, 244, 249, 250,251,254,258,529. StA Rep. 03-01, Armendirektion, Nr. 66, 67, 69, 76, 149,310,314,322,326,327, 328,344,357,358,359,363,392,479. StA Rep. 16, Magistrat - Gewerbedeputation, Nr. 67. Bezirksamt Berlin-Charlottenburg, Verwaltungsbücherei (BACh VB) Akten der Stadtverordneten-Versammlung in Charlottenburg, Nr. 128.

1192

Quellen- und Literaturverzeichnis

2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur Adresse und Denkschrift des Städtetages der Provinz Preußen an die hohe NationalVersammlung zu Berlin über die der Gemeinde-Ordnung bevorstehenden Reformen, Elbing 1848. Adreß-Kalender für die königlichen Haupt- und Residenzstädte Berlin, Potsdam sowie Charlottenburg, Berlin 1819 ff. Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten, T. 1, Prozeßordnung, Ausgabe Berlin 1842. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe Berlin 1816. Allgemeines Adreßbuch für Berlin, hrsg, von 1. W. Boike, Berlin 1820-1823. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, T. 1, Bd. 1-2, T. 2, Bd. 1-2 nebst Registerband, Ausgabe Berlin 1825. (Unveränderter Nachdr. der Ausgabe von 1821) Amtliche Berichte über die Verhandlungen der Charlottenburger StadtverordnetenVersammlung in den öffentlichen Sitzungen nach stenopraphischer Aufnahme 1904-1920. Amtsblatt der Königlichen Churmärkischen Regierung, Jg. 1811 ff.; der Königlichen Regierung zu Potsdam, Jg. 1816 ff.; der Königlichen Regierung zu Potsdam und der Stadt Berlin, Jg. 1823 ff. Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Berlin, Jg. 18l6-Jg. 1821. Anlagen zu den stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Herrenhauses, Session 1855/56 ff. Anlagen zu den stenographischen Berichten über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten, 4. Legislaturperiode 1855/58 ff. Annalen der Preußischen innern Staats-Verwaltung, hrsg. von K. A. von Kamptz, Bd. 1 (1817)-Bd. 23 (1839). Anschütz, Gerhard, Die preußische Wahlreform, Berlin 1917. Arendt, Otto, Das preußische Wahlgesetz, in: Deutsches Wochenblatt, 6. Jg. (1893), S.266-268. -

Das Wahlgesetzkompromiß und der Finanzminister Mique1, in: Deutsches Wochenblatt, 6. Jg. (1893), S. 133-135.

Die öffentliche Armenpflege in Berlin. Mit besonderer Beziehung auf die vier Verwaltungs-Jahre 1822 bis 1825 dargestellt von der Armen-Direction, Berlin 1828. Arons, Leo, Der Stand der preußischen Wahlrechtsbewegung, in: Sozialistische Monatshefte, 14. Jg. (1910), Bd. 3, H. 19/20, S. 1178-1184. -

Die Wahlrechtsvorlage der Preußischen Regierung, in: Sozialistische Monatshefte, 14. Jg. (1910), Bd. 2, H. 3, S. 149-156.

-

Wahlrechtsvorlage und Herrenhaus, in: Sozialistische Monatshefte, 14. Jg. (1910), Bd. 2, H. 7, S. 407-412.

2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

1193

Ausgewählte Urkunden zur Brandenburgisch-Preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, hrsg. von Wilhelm Altmann, T. 1, 15.-18. Jahrhundert, 2Berlin 1914. Ballhom, Albert, Die Polizei-Verordnungen für Berlin. Systematisch dargestellt, Berlin 1850. Bassewitz, [Magnus Friedrich von], Die Kurmark Brandenburg im Zusammenhang mit den Schicksalen des Gesamtstaates Preußen während der Jahre 1809 und 1810. Aus dem Nachlaß, hrsg. von Karl von Reinhard, Leipzig 1860. -

Die Kurmark Brandenburg im Zusammenhange mit den Schicksalen des Gesamtstaates Preußen während der Zeit vom 22. Oktober 1806 bis zum Ende des Jahres 1808, von einem ehemaligen höheren Staatsbeamten, 2 Bde., Leipzig 1851-1852.

-

Die Kurmark Brandenburg, ihr Zustand und ihre Verwaltung unmittelbar vor dem Ausbruch des französischen Krieges im Oktober 1806, von einem ehemaligen höheren Staatsbeamten, Leipzig 1847.

Beleuchtung der Schrift: Über die Reorganisation der städtischen Armenverwaltung. Als Manuskript gedruckt, Berlin 1852. Praktische Bemerkungen über die Schrift: Preußische Städte-Ordnung, von Herrn Prof. von Raumer und über die Beleuchtung dieser Schrift von Herrn Geh. O.R.R. Streckfuß, Mannheim 1828. Benda, Daniel Alexander, Katechismus für wahlberechtigte Bürger Preussens, Berlin 1843. -

Robert Peel's Finanzsystem oder Ueber die Vorzüge der Einkommensteuer im Gegensatze zu Staats-Anleihen und Zinsreduktion, Berlin 1842.

Benzenberg, J. F., Die Gemeindeausgaben der Städte Düsseldorf, Elberfeld, Koblenz, Trier, Berlin und Paris, Düsseldorf 1833. Als Handschrift gedruckt. Berends, Julius, Politsches Glaubensbekenntnis, Berlin 1848. Berg, Günther Heinrich von, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, Bd. 1-7, Hannover 1799-1809. Bericht über die Gemeindeverwaltung der Stadt Berlin. 1861-1876, H. 1-3 bis 1906-1910, Bd. 1-3, Berlin 1879 ff. Bericht über die Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1829 bis incl. 1839, Berlin 1842. Bericht über die Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1841 bis incl. 1850, Berlin 1853. Bericht über die Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1851 bis incl. 1860, Berlin 1863. Bericht über die Gemeinde-Verwaltung der Stadt Berlin in den Jahren 1861 ff., Berlin 1879 ff. Stenographische Berichte über die öffentliche Sitzungen der Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin, Berlin 1874 ff.

1194

Quellen- und Literaturverzeichnis

Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Hauses der Abgeordneten, 4. Legislaturperiode 1855158 ff. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Herrenhauses, Session 18551 56 ff. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch das Allerhöchste Patent vom 5. Dezember 1848 einberufenen Kammern. Erste Kammer, Bd. 2 ff., Berlin 1849 ff. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch das Allerhöchste Patent vom 5. Dezember einberufenen Kammern. Zweite Kammer, 2. Legislaturperiode 1849/52 f. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstags, 4. LP, 4. Session, Berlin 1881. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der zur Vereinbarung der preußischen Staats-Verfassung berufenen Versammlung, Bd. 1-3, Berlin 1848-1849. Berliner Gemeinderecht, hrsg. vom Magistrat, Bd. 1-10, lBeriin 1902; 1913-17.

2 Berlin

Die Berliner Volkszählung vom 3. Dezember 1861. Bericht der städtischen CentralCommission für die Volkszählung über die Mitwirkung der Commune an der Zählungsausführung und deren Resultate, T. 1-2, Berlin 1863. Berlins wirtschaftliche Verflechtung. Im Auftrage des Magistrats bearbeitet im statistischen Amt der Stadt Berlin (= Mitteilungen des statistischen Amts der Stadt Berlin, Nr. 8), Berlin 1928. Berner, Ernst, Denkschrift des Berliner Stadtrats Dracke über die Nachtheile der Gewerbefreiheit aus dem Jahre 1818, in: SVGB, H. 31, Berlin 1894, S. 165180. Bernstein, Eduard, Der Stein ist im Rollen - wohin?, in: Sozialistische Monatshefte, 15. Jg. (1909), Bd. 3, H. 26, S. 1661-1665. -

Straße und Parlament im Wahlrechtskampf, in: Sozialistische Monatshefte, 14. Jg. (1910), Bd. 2, H. 5, S. 283-288.

Beta (= Bettziech), Heinrich, Freihandels-Katechismus, Berlin 1847. Bethmann Hollweg, Theobald von, Betrachtungen zum Weltkrieg, Bd. 2, Berlin 1921. Der Bevölkerungszustand Berlins im Jahre 1804, in: Neue berlinische Monatsschrift, Bd. 13, (1805). S. 173-178. Bismarck, Otto Fürst von, Gedanken und Erinnerungen, Frankfurt/M./Berlin 1990. Bleich, Eduard, Verhandlungen des Ersten Vereinigten Landtags, 4 Bde., Berlin 1847. Neudruck VaduzlLiechtenstein 1977. Block, Josef, Zur preußischen Wahlrechtsreform, in: Sozialistische Monatsbefte, 14. Jg. (1910), Bd. 2, H. 1, S. 3-6. Böckh, Richard, Die Bevölkerungs-, Gewerbe- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1875 in der Stadt Berlin, H. 1-4, Berlin 1878-1880.

2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

1195

-

Die Bevölkerungs- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1880 in der Stadt Berlin, H. 1-3, Berlin 1883-1888.

-

Die Bevölkerungs- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1885 in der Stadt Berlin, H. 1-2, Berlin 1890-1891.

-

Die Bevölkerungs- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dezember 1890 in der Stadt Berlin, H. 1-2, Berlin 1893-1896.

-

Die Bevölkerungs- und Wohnungsaufnahme vom 2. Dezember 1895 in der Stadt Berlin, T. 1-2, Berlin 1900-1901.

-

Die Bewegung der Bevölkerung der Stadt Berlin in den Jahren 1869-1878, Berlin 1884.

Borchardt, Bruno, Zum preußischen Parteitag 1910, in: Sozialistische Monatshefte, 15. Jg. (1909), Bd. 3, H. 26, S. 1655-1660. Bratring, Friedrich Wilhelm August, Statistisch-topographische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg, Bd. 2, Berlin 1805. Kritisch durchgesehene und verbesserte Neuausgabe, hrsg. von O. Büsch/G. Heinrich (= VHKB, Bd. 22, Neudrucke, Bd. 2), Berlin 1968. Brauchitsch, Max von, Die neueren Organisationsgesetze der inneren Verwaltung für die Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien und Sachsen, Bd. 1, Berlin 1876. Bruch, Ernst, Gesetz und Praxis der Gemeindewahlen, besonders in Berlin, Berlin 1869. -

Die Reorganisation der Gemeindewahlen in Berlin, in: Berlin und seine Entwicklung, 5. Jg. (1871), S. 1-22.

Bruhns, Julius, Zu den preußischen Landtagswahlen, in: Sozialistische Monatshefte, 7. Jg. (1903), S. 807-811. Buhl, L., Die Gemeindeverfassung der östlichen Provinzen des preußischen Staates und der Rheinprovinz, Leipzig 1846. Calwer, Richard, Wahlrechtskampf und Wahlkampf, in: Sozialistische Monatshefte, 12. Jg. (1908), S. 331-334. Communal-Blatt der Haupt- und Residenzstadt Berlin, 1. Jg. (1860), Berlin 1860 ff. Conrad, Hermann/Gerd Kleinheyer, Vorträge über Recht und Staat von Carl Gottlieb Svarez (= Wissenschaftliche Abhandlungen für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 10), Köln/Opladen 1960. Croner, Eduard, Die Entwicklung der öffentlichen Irrenpflege in Berlin, in: Berlin und seine Entwicklung. Städtisches Jahrbuch für Volkswohlfahrt und Statistik, 3. Jg. (1869), S. 155-159. Dahlmann, Friedrich Christoph, Geschichte der französischen Revolution bis auf die Stiftung der Republik, Leipzig 1845. -

Die Politik, auf den Grund und das Maß der gegebenen Zuständen zurückgeführt, 2Leipzig 1847. Neudruck Berlin 1924, mit einer Einleitung von Otto Westphal (= Klassiker der Politik, Bd. 12).

1196

Quellen- und Literaturverzeichnis

Delbrück, Adalbert, Lebenserinnerungen, 0.0., o. J. Delbrück, Hans, Das allgemeine Stimmrecht, in: PJ, Bd. 72 (1893), S. 377-384. -

Das Scheitern der Wahlreform, in: PJ, Bd. 140 (1910), S. 566-569.

-

Die preußische Wahlreform, in: PJ, Bd. 139 (1910), S. 570--575.

-

Die Wahlrechts-Reform in Preußen und Sachsen, in: PJ, Bd. 123 (1906), S. 402406.

-

Die Wahlreform in Preußen, in: PJ, Bd. 115 (1904), S. 396-400.

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2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

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-

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-

Die preußischen Landtagswahlen, in: Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus, 40. Jg. (1900), S. 113-193.

-

Die preußischen Landtagswahlen von 1908 und aus früheren Jahren (= Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Landesamtes, Erg.heft 30), Berlin 1908.

-

Die Staats- und Gemeindewahlen im Preußischen Staate (= Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus, Erg.heft 17), Berlin 1895.

Fidicin, Ernst, Historisch-diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin, T. 1-5, Berlin 1837-1842. Floda, Karl, Geschichte, Vergleichung und Kritik der beiden preußischen Städteordnungen, Breslau 1844. Freund, Friedrich, Die Angelegenheiten der Stadtgemeinden, der Landgemeinden und Gutsbezirke (= Die neuen Preußischen Verwaltungsgesetze, Bd. 3), 18. Aufl., 7. Bearb., Berlin 1910. Gerlach, Leopold von, Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs, 2 Bde., Berlin 1891-1892. Geschäftsübersicht der Stadtverordneten-Versammlung für 1847 bis 1848, Berlin 1848. Geschichte der Organisation des Polizei-Präsidiums, in: Dritter Verwaltungsbericht des Königlichen Polizei-Präsidiums von Berlin für die Jahre 1891 bis 1900, Anhang T. 1, Berlin 1902, S. 813-853. Gesetz-Sammlung für die Königlich-Preußischen Staaten, Berlin 1810 ff.; für die Königlichen Preußischen Staaten, Berlin 1813 ff.; Preußische Gesetzsammlung, Berlin 1907 ff. Die allgemeine Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar 1845, erläutert durch Hinweisung auf deren Ergänzungen und Abänderungen, Berlin 1855. Gneist, Rudolf von, Berliner Zustände. Politische Skizzen aus der Zeit vom 18. März 1848 bis 18. März 1849, Berlin 1849. -

Die preußische Kreisordnung in ihrer Bedeutung für den inneren Ausbau des deutschen Verfassungs-Staates, Berlin 1870.

-

Die nationale Rechtsidee von den Ständen und das preußische Dreiklassenwahlrecht, Berlin 1894. Neudruck Hildesheim 1962.

-

Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen mit besonderer Rücksicht auf Verwaltungsreformen und Kreis-Ordnungen in Preußen, Berlin 1869.

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Verwaltung, Justiz, Rechtsweg - Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deutschen Verhältnissen, Berlin 1869.

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Gesammelte Schriften und Reden, 2 Bde., 2Hamburg 1877.

2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

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Zur Charakteristik der Preußischen Communal-Gesetzgebung, in: Abhandlungen über einige der wichtigsten Teile der Preußischen Städte-Ordnung, I. Jg. (1833), H. 4, S. 321-341.

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Über die Unzweckmäßigkeit der Haus- und Miethssteuer in Berlin, in: Abhandlungen über einige der wichtigsten Teile der Preußischen Städte-Ordnung, I. Jg. (1833), H. I, S. 1-99.

Kant, Immanuel, Schriften zur Ethik und Religionsphilosophie, Bd. 1-2, hrsg. von W. Weischeidel (= Werke, Bd. 7-8), Frankfurt/M. 1968. Neudruck der von W. Weischeidel hrsg. Werkausgabe, Wiesbaden 1956. -

Gesammelte Schriften, Bd. 19, 3. Abt., Handschriftlicher Nachlaß, Bd. 6, Moralphilosophie, Rechtsphilosophie und Religionsphilosophie, hrsg. von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin/Leipzig 1934.

Kochhann, Heinrich Eduard, Aus den Tagebüchern, hrsg. von A. Kochhann, Bd. 1, Im Vaterhause, Berlin 1905; Bd. 2, Zeitbilder aus den Jahren 1830-40 mit Rückblicken auf die vorangegangenen Jahrzehnte, Berlin 1906; Bd. 3, Mitteilungen aus den Jahren 1839-1848, Berlin 1906; Bd. 4, Mitteilungen aus den Jahren 1848-1863, Berlin 1907; Bd. 5, Aus der großen Zeit 1862-1873, Berlin 1908. Krug, L., Betrachtungen über den Nationalreichtum des preußischen Staates und über den Wohlstand seiner Bewohner, 2 Bde., Berlin 1805. Neudruck Aalen 1970. Kügelgen, Wilhelm von, Lebenserinnerunen des Alten Mannes in Briefen an seinen Bruder Gerhard, bearb. u. hrsg. von S. Kügelgen/J. Werner, Leipzig 1923. Kux, J. P., Berlin. Eine aus zuverlässigen Quellen geschöpfte Charakteristik und Statistik dieser Residenz und ihrer Umgebung, nebst einer ausführlichen Abhandlung über das Berliner Armenwesen, Berlin 1842. Laband, Paul, Die Wahlreform in Preußen, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 15. Jg. (1910), Sp. 1-9. Levinstein, L. 1., Ein Beitrag zu den finanziellen Fragen der Gegenwart, Berlin 1847. Lisco, Eduard, Das wohlthätige Berlin. Geschichtlich-statistische Nachrichten über die Wohlthätigkeits-Übung Berlins, Berlin 1846. Manteuffel, Otto Freiherr von, Unter Friedrich Wilhelm IV. Denkwürdigkeiten des Ministers Otto Freiherr von Manteuffel, hrsg. von H. von Poschinger, 3 Bde., Berlin 1900-190 I. Matthias, Erich/Rudolf Morsey, Die Regierung des Prinzen Max von Baden (= Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, R. I, Bd. 2), Düsseldorf 1962. Maurenbrecher, Max, Um das Wahlrecht, in: Sozialistische Monatshefte, 15. Jg. (1909), Bd. 3, H. 26, S. 1665-1671. 77*

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-

Kritik des Jesus Sirach über die Städte-Ordnung. Ein Nachtrag zu Perschke's Metakritik der Städteordnung, Leipzig 1829.

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Staatswissenschaftliche Vorlesungen für die gebildeten Stände in constitutionellen Staaten, 3 Bde., Leipzig 1831-1833.

Rabe, Carl Ludwig Heinrich, Sammlung preußischer Gesetze und Verordnungen, welche auf die allgemeine Deposital-, Hypotheken-, Gerichts-, Criminal- und Städte-Ordnung, auf das allgemeine Landrecht, auf den Anhang zum allgemeinen Landrecht und zur allgemeinen Gerichtsordnung, auf die landschaftlichen

2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

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Die Handwerks-Gesetzgebung Preußens und der größeren Staaten Deutschlands, Berlin 1861.

-

Die Innungen, wie sie sich gestalten müssen. Mit besonderer Berücksichtigung der Verhandlungen des Gewerbe-Congresses zu Frankfurt/M., Berlin 1849.

-

Das Königliche Preußische Seehandlungs-Institut und dessen Eingriffe in die bürgerlichen Gewerbe, Berlin 1844.

-

Nothwendige Rechtfertigung als Fortsetzung der Broschüre: Das Königliche Preußische Seehandlungs-Institut und dessen Eingriffe in die bürgerlichen Gewerbe, Berlin 1845.

-

Zünfte, Gewerbefreiheit, gewerbliche Vereine im Allgemeinen betrachtet und vergleichsweise zusammengestellt, Berlin 1843.

Rönne, Ludwig von, Kritische Bemerkungen über den Entwurf des Verfassungsgesetzes für den Preußischen Staat, Berlin 1848. Rößler, Constantin, Studien zur Fortbildung der preußischen Verfassung, 2 Abteilungen, Berlin 1863/64.

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-

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Rühl, Franz, Briefe und Aktenstücke zur Geschichte Preußens unter Friedrich Wilhelm III. vorzugsweise aus dem Nachlaß von F. A. Stägemann, Bd. 1-3, Leipzig 1899-1902. -

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Rumpf, Johann Daniel Friedrich, Die Gesetze wegen Anordnung der Provinzialstände in der Preußischen Monarchie, Berlin 1825. -

Die Gesetze wegen Anordnung der Provinzialstände in der Preußischen Monarchie. 1. Folge, Die Verhandlungen der im Jahre 1824 gehaltenen ersten Landtage der Provinzial-Stände in der Mark Brandenburg und dem Markgrafenthum Niederlausitz, im Herzogthum Pommern und Fürstenthum Rügen, und im Königreich Preußen, Berlin 1826.

-

Landtags-Verhandlungen der Provinzial-Stände in der Preußischen Monarchie. 4. Folge, Die Verhandlungen des zweiten Provinzial-Landtages der Mark Brandenburg ... im Jahre 1827, Berlin 1828. 7. Folge, Die Verhandlungen auf dem dritten Provinzial-Landtage der Brandenburgisch-Niederlausitzschen Stände im Jahre 1829, Berlin 1832. 8. Folge, Verhandlungen der Stände auf dem dritten Landtage der Provinz Sachsen im Jahre 1829, auf dem zweiten Landtage des Großherzogturn Posen im Jahre 1830, auf dem dritten Landtage der Provinz Schlesien im Jahre 1830, auf dem vierten Landtage der Provinz Brandenburg im Jahre 1831, Berlin 1832. 12. Folge, Die Verhandlungen des fünften Preußischen, des dritten Posenschen und des fünften Brandenburgischen Provinzial-Landtages, Berlin 1837.

-

Gemeinnützige Nachrichten für die Einwohner Berlins. Anhang zu Allgemeiner Wohnungsanzeiger für Berlin auf das Jahr 1835, Berlin 1835, S. 1-40.

-

Die preußische Städteordnung nebst den über dieselbe bis ins Jahr 1829 ergangenen Erklärungen, Entscheidungen und Zusätzen, 4 Berlin 1830.

-

Die preußische Städteordnung vom 19. November 1808 mit den gesetzlichen sowohl als reglementsmäßigen ergänzenden und erläuternden Bestimmungen; nebst der revidirten Städteordnung vom 17. März 1831 und einer Vergleichung beider, Berlin 1834.

-

/J. F. G. Nitschke, Landtags-Verhandlungen in der Preußischen Monarchie, 13. Folge, die Verhandlungen des vierten Posenschen, des sechsten Brandenburgischen und des sechsten Pommerschen Provinzial-Landtages, Berlin 1839. 15. Folge, Die Verhandlungen des fünften Westfälischen und des fünften rheinischen Provinzial-Landtages vom Jahre 1837, Berlin 1841.

2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

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Runge, Heinrich, Mein Glaubensbekenntnis, Berlin 1844; 2 Berlin 1844. -

Magistrat und Stadtverordnete, Berlin 1845.

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Von Stein zu Hardenberg. Dokumente aus dem Interimsministerium Altensteinl Dohna (= Deutsche Akademie der Wissenschaften, Schriften des Instituts für Geschichte, Reihe I, Allgemeine und Deutsche Geschichte, Bd. 54), Berlin 1986.

Schildknecht, C. F., Vorschläge zur Hebung der deutschen Industrie und Abhülfe der Geldnot des Staates, Berlin 1848. Schilfert, Gerhard, Sieg und Niederlage des demokratischen Wahlrechts in der deutschen Revolution 1848/49, Berlin 1952. Schönfelder, Heinrich, Deutsche Reichsgesetze, München 1931. Schoeps, Hans-Joachim, Aus den Jahren preußischer Not und Erneuerung. Tagebücher und Briefe der Gebrüder Gerlach und ihres Kreises 1805-1820, Berlin 1963. -

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Die Resultate der Berliner Volkszählung vom 3. December 1867, Berlin 1869.

-

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(unter dem Pseudonym: Adolf Carl), Das freie Preußen. Geschichte des Berliner Freiheitskampfes vom 18. März 1848 und seine Folgen, 2 Bde., Berlin 1849.

Streckfuß, Karl, Katechismus für Stadtverordnete der Preußischen Städte, Berlin 1832. -

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Ob sich die Städteordnung besser für große oder kleine Städte eigne?, Berlin 1835.

Studt, Konrad von/O. von Braunbehrens, Preußische Verwaltungsgesetze, Bd. 3, bearb. von Friedrich Freund, 18. Aufl., 7. Bearb., Berlin 1910. Stüve, Georg, Carl Bertram Stüve. Nach Briefen und persönlichen Erinnerungen, 2 Bde., Hannover 1900. Übersicht über die Gemeinde-Verwaltung in Charlottenburg nebst den mit derselben in Verbindung stehenden Anstalten, Verwaltungen und Ämtern, hrsg. vom Magistrat, Jg. 1895-1919, Charlottenburg 1895 ff. Statistische Übersicht von der gestiegenen Bevölkerung der Haupt- und Residenzstadt Berlin in den Jahren 1815 bis 1828 und der Communal-Einnahmen und -Ausgaben derselben in den Jahren 1805 bis 1828, Berlin 1829.

2. Gedruckte Quellen und zeitgenössische Literatur

1205

Statistische Übersicht von der gestiegenen Bevölkerung der Haupt- und Residenzstadt Berlin in den Jahren 1829 und 1830 und der Communal-Einnahmen und -Ausgaben derselben in den Jahren 1829 und 1830, Berlin 1831. Ulmenstein, H. C. Freiherr von, Die preußische Städteordnung und die französische Kommunalordnung, Berlin 1829. Unruh, Viktor von, Erinnerungen aus dem Leben von Hans Viktor von Unruh, hrsg. von H. von Poschinger, Berlin 1895. Varnhagen von Ense, Karl August, Tagebücher, Bd. 3-5, Leipzig 1862. Verwaltungsbericht des königlichen Polizei-Präsidiums von Berlin für die Jahre 1871-1880, Berlin 1882; für die Jahre 1881-1890, Berlin 1892; für die Jahre 1891-1900, Berlin 1902. Verwaltungsbericht der Stadt Berlin 1924-1927, H. 1-28, Berlin 1929-1931. Erster Verwaltungsbericht der neuen Städtegemeinde Berlin für die Zeit vom 1. Oktober 1920 bis 31. März 1924,2 Bde., Berlin o.J. (1926). Vorlagen für die Stadtverordneten-Versammlung zu Berlin, Berlin 1877 ff. Vorlagen für die Stadtverordneten-Versammlung zu Charlottenburg 1906-1920. Vorschläge des Magistrats von Berlin an die Stadtverordneten-Versammlung, die Stadtverordneten-Wahlen betreffend, Berlin 1832. Weber, Max, Wahlrecht und Demokratie in Deutschland, in: Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914-1918. Studienausgabe der Max-Weber-Gesamtausgabe, hrsg. von W. 1. Mommsen in Zusammenarbeit mit G. Hübinger, Bd. 1/ 15, Tübingen 1988, S. 155-189. -

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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-

Zur Reform des Preußischen Wahlgesetzes, in: Deutsches Wochenblatt, 5. Jg. (1892), S. 1-3.

-

Zur Wahlrechtsfrage, in: Deutsches Wochenblatt, 6. Jg. (1893), S. 14-16.

Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Bureaus/Landesamtes.

Zeitungen 8 Uhr Abendblatt Berlin oder der Preußische Hausfreund Berliner Börsen-Zeitung Berliner Correspondenz Berliner Intelligenz-Blatt Berliner Lokal-Anzeiger Berliner Neueste Nachrichten Berliner Tageblatt Berliner Tageszeitung Berliner Volks-Zeitung Berliner Zeitung Berliner Zeitungshalle Berlinisches nützliches und unterhaltendes Wochenblatt für den gebildeten Bürger und denkenden Landmann Charlottenburger Tageszeitung Charlottenburger Zeitung Charlottenburger Zeitung Neue Zeit Deutsche Reform

3. Literatur

1207

Deutsche Tageszeitung Deutscher Reichs- und Königlich Preußischer Staatsanzeiger Freisinnige Zeitung National-Zeitung Neue Berliner Zeitung Neue Preußische [Kreuz-] Zeitung Neues Berliner Intelligenz-Blatt Norddeutsche Allgemeine Zeitung Die Post Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen Spenersche Zeitung (Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen) Der Tag Vorwärts. Berliner Volksblatt Vossische Zeitung (Königliche privilegierte Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrtensachen)

3. Literatur Abe1, Wilhe1m, Massenarmut und Hungerkrisen im vorindustriellen Deutschland, 3Göttingen 1986. Adickes, Franz, Das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893, Berlin 1894. Adler, Franz, Soziale Gliederung der Bevölkerung. Verfassung und Verwaltung der Stadt Frankfurt am Main, in: Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte, Bd. 2, Königreich Preußen (= SVfS, Bd. 118), Leipzig 1906, S. 85-148. Adrian, Wolfgang, Demokratie als Partizipation. Versuch einer Wert- und Einstellungsanalyse (= Politik und Wähler, Bd. 18), Meisenheim/Gl. 1977. Ahlert, Wilhelm, Die Aufgabe der Polizei im allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, in: Archiv des öffentlichen Rechts, Bd. 69 (1939), S. 129-204. Alemann, Ulrich von, Partizipation, Demokratisierung, Mitbestimmung - Zur Problematik eines Gegenstandes, in: Partizipation-Demokratisierung-Mitbestimmungo Problemstellung und Literatur in Politik, Wirschaft, Bildung und Wissenschaft. Eine Einführung, hrsg. von dems. Opladen 1975, S. 13-40. Allmenröder, Ernst, Das politische Leben in den brandenburgischen Provinziallandtagen unter Friedrich Wilhelm III., Phil. Diss., Frankfurt1M. 1922. Anderson, Eugene N., The Social and Political Conflikt in Prussia 1858-1864, Lincoln/Nebraska 1954.

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Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919,3. Bearb., 13Berlin 1930.

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3. Literatur

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3. Literatur

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Die Grenzen der Polizeigewalt, Marburg/Lahn 1906.

1272

Quellen- und Literaturverzeichnis

-

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-

Richtlinien des polizeilichen Wirkens im preußischen Recht, PrVerwBl, 32. Jg. (1911), S. 257.

Zahn-Harnack, Agnes von, Adolf von Hamack, 2Berlin 1950. Zeeden, Ernst Walter, Hardenberg und der Gedanke einer Volksvertretung in Preußen 1807-1812 (= Historische Studien, H. 365), Berlin 1940. Zerbrack, Rolf, Zwischen Residenz und Rathaus. Bürgertum in München 17801820, in: Vom alten zum neuen Bürgertum. Die mitteleuropäische Stadt im Umbruch 1780-1820, hrsg. von L. Gall, München 1991, S. 605-653. Ziebell, Otto, Geschichte des Deutschen Städtetages. Fünfzig Jahre deutsche Kommunalpolitik, Stuttgart/Köln 1955. -

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Personenregister Achenbach, Heinrich Karl Julius von 756 f., 759 f., 768 ff., 823, 827 ff., 832,834 Ackennann, Friedrich Wilhelm Gustav 1030 Adickes, Franz 1031 Allmenröder, Ernst 1037 Altenstein, Karl Freiherr vom Stein zum 46, 48 f., 52, 57, 59 ff., 66, 76 ff., 82, 84, 138, 193, 211, 215, 310 f., 315 ff., 372, 508, 1090 Althoff, Heinrich 1062 Ammon, Friedrich Ferdinand von 605 Ancillon, Johann Peter Friedrich von 204 Angern, Ferdinand Ludwig Friedrich von 297 ff. Arendt, Otto 893, 895 ff., 989 Amim-Boitzenburg, Adolf Heinrich Graf von 413,492 Amim, von, Beamter im Berliner Polizeipräsidium 996 Arons, Leo 792, 856 Aronsohn, Louis 1062 Asche, Christian 564 Aßmann, Reinhold 649 Auerswald, Hans Jacob von 77, 133, 780 Baake, Kurt 901 Bachern, Karl Joseph Emil 885, 894, 899,928,930,937 Bachmann, Karl Asmus 1000 Baerwald, 444, 446 Ballhausen, Robert Lucius von 1005 Bamberger, Ludwig 701 Bardeleben, Heinrich Albert Moritz von 962 ff.

Bärensprung, Friedrich Wilhelm Leopold von 400 ff., 404 Barmeyer-Hartlieb von Wallthor, Heide 12, 780, 871 Barth, Richard 852 Barth, Theodor 696, 852 f., 988 ff. Bassewitz, Magnus Friedrich von 184 f. Bauer, Bruno 501 Becker, Erich 15, 89 f., 92, 617 Becker, Hennann 680, 876, 879 Becker, Wilhelm 843, 905, 939 ff. Behr-Behrenhoff, Carl Felix Waldemar Graf von 1015, 1028, 1031 f. Behrend, Heinrich Theodor 649 Bell, Johannes 1011 f., 1020, 1062, 1064 Below, Karl Emil Gustav von 649 Benda, Daniel Alexander 248, 354 f., 362, 412, 439 ff., 469 Benda, Regierungsrat im Regierungspräsidium Oppeln 366 Benda, Siegfried Alexander 354 Bender, Georg 617 Berends, Julius 286,417,481 ff., 489, 492,494 f., 499, 501 f., 511, 547 Bergmann, Jürgen 260 ff., 271 Beringuier, Chretien 299 Bernard, Jacob Abraham 411 Bernstein, Eduard 1019 Beseler, Georg 617 Best, Heinrich 503 f., 506 Bethmann Hollweg, Theobald von 863, 994 ff., 998 ff., 1003, 1006, 1008f., 1013ff., 1017, 1022ff., 1038 f., 1041, 1044 f. 1049 ff., 1078 Bettziech, Heinrich 288

1274

Personenregister

Beyer, Friedrich Wilhelm Alexander 592, 597 Bismarck, Otto Fürst von 612, 680, 792, 804, 820 ff., 829, 880, 964, 976,978 ff., 981, 1047 Blanckenburg, Moritz Kar! Henning von 972 Blankenstein, Hermann Wilhelm Albert 751 Bluntschli, Johann Caspar 248 Boberach, Heinz 957 Bock, Friedrich 523 Bodelschwingh, Ernst Albert Karl Wilhelm Ludwig von 432 f., 478, 480 Bodelschwingh, Ludwig Kar! Christian Gisbert Friedrich von 639, 978, 980 Boeckh, August 476 Boeckh, Richard 825 Bötticher, Friedrich 849, 881 Bohm, Stadtrat 728, 856, 859 Boll, Stadtrat 724 Borght, Ernst Richard van der 927 f., 936 Borgmann, Hermann 714, 853, 856, 858, 1017 f. Börner, Karl-Heinz 93,419 f. Borries, Georg von 996 f. Borchardt, Bruno 947 ff., 952, 1005 Bornhak, Conrad 114, 375, 558, 692 Botzenhart, Manfred 111, 113 Braesicke, Hugo 904 Brand, Friedrich 111,120,124, 158 f. Brandenburg, Friedrich Wilhelm Graf von 514 f., 519, 527 Bratring, Friedrich Wilhelm August 465 Braun, Otto 1063, 1065 ff. Bredt, August 878 Breitenbach, Paul von 773 f., 776 f., 1042, 1045, 1053 Brenn, Gustav Freiherr von 142, 343, 385, 396 Brese, von, Geheimer Finanzrat 297 BrilI, Hermann 92

Broemel, Max 999 f. Bruch, Ernst 699, 805 f. Bruch, Johann Georg von 997 Brüning, Heinrich 877, 879 Brünken, Julius von 592 Brünneck, Magnus Graf von 284, 576 ff., 626 f. Brunner, Otto 105 Brust, August 1069 Buch-Carmzow, Leopold Karl Vollrath von 1030, 1035 Büchtemann, Paul 790 Büchtemann, Walter 790, 832, 840 Bülow, Bernhard Fürst von 1017 Bülow, Ludwig Friedrich Viktor Hans Graf von 253 Büsching, Johann Gottfried 297, 303, 323, 400 Byern, von, Mitglied der NotabelnVersammlung 193 Camphausen, Ludolf 486, 493, 495 f., 503, 528 Cassel, Oskar 689, 730, 776, 860, 943, 945, 954 f., 1017 f., 1049 Clauswitz, Paul 14,117,123,148, 302, 306, 313, 315, 326, 371, 374, 384, 441 Collmann, Julius August 282 Conrad, Alfred von 772 f. Conrad, Berliner Stadtrat 444 Constant, Benjamin 76 Contag, Karl Ernst 1031 Cremer, Joseph Christoph 823, 867 Croon, Helmuth 693 f., 697, 709 f. Crüger, Hans 948,950, 991 Crüsemann, M., Stadtrat u. Landgerichtsrat 441 Cuvry, Heinrich Andreas de 242, 377, 444 Czarlinski, Leon von 899 Dahlmann, Friedrich Christoph 107 f., 247, 251

85 f.,

Personenregister Dallwitz, Nikolaus Michael Louis Hans von 773 ff. 912 Daru, Pierre Antoine NoeJ Bruno Comte de 298 DelbTÜck, Adalbert 660 DelbTÜck, Clemens von 997, 1007, 1013 f., 1040, 10511 Denzin, Carl Friedrich 571 f. Dernburg, Heinrich 1055 Desselmann, Friedrich Johann 270, 443 f., 446 Deutsch, Hugo 857 Diederichs, Fritz von 670 Dieterici, Karl Friedrich Wilhelm 957 Dinse, A., Ingenieur, Fabrikbesitzer, Stadtverordneter 852 Dohna, Karl Friedrich Emil, Burggraf u. Graf zu Dohna-Schlobitten 78, 130, 160, 176 f., 221, 303 f., 309 ff., 314 ff., 418 Dörre, Eduard 952 Dracke, Christoph Kar! 235, 239 ff. Drews, William Amold 1052 ff., 1063, 1069 ff. Duncker, Carl 444 Duncker, Franz Gustav 869 Duncker, Hermann 284, 287, 476, 499, 515, 593 ff., 649, 656, 659, 666 ff., 670 f., 673, 676 Dzialoszyinski, Isidor 1001 Ebeling, C.E., Bankier, Stadtverordneter 460 Ebert, Ernst Christi an Philipp 362, 444 Eberty, Gustav Wilhelm 845, 869 Ehlers, Heinrich Otto 912 f., 918, 930,936,938 Ellwein, Thomas 10 f. Elster, Alexander 564 Erich, ehern. Stadtrat, Stadtverordneter 722 Eschenburg, Theodor 6 Esse, Geheimer Oberregierungsrat, Verwaltungsdirektor der Charite,

1275

Stadtverordneter, StadtverordnetenVorsteher 653 f. Ester, Karl Ludwig Johann d' 541 Esteve, frz. Kronschatzmeister, Generaladministrator der Finanzen 298 Eulenburg, Botho Wend August Graf zu 793, 814, 896 ff., 901 ff., 907, 910, 941, 987 Eulenburg, Friedrich Albrecht Graf zu 609, 611f., 616, 624, 749, 752 ff., 756, 781 f., 786, 872 f., 875, 879 f., 975 f., 978 ff., 983, 1033 ff. Evert, Georg 560,918,920,922 ff. Eyck, Frank 504 Eynern, Ernst von 762, 767, 903, 937 Fähndrich, Stephan 351 Falk, Paul Ludwig Adelbert 821 Falkenberg, Carl Hermann 514 Falkenhausen, Friedrich von 731 Falkenhayn, Arthur von 993 f. Fasquel, Johann Andreas 424 Fischbeck, Otto 991 f., 999 f., 1002 f. FlottweIl, Eduard Heinrich von 596, 958 ff., 971 FlottweIl, Stadtrat, Elbing 548 Fock, Heinrich Friedrich Baron von 638 Forckenbeck, Max von 587, 595, 648 ff., 656 ff., 668 f. Forsthoff, Ernst 92, 100 f. Fournier, Friedrich Wilhelm 490 f. Francke, Eduard 893 f., 901, 908 Frankenberg und Ludwigsdorf, Fred Graf von 904 f. Freudenberg, Curt 944, 946 Frey, Johann Gottfried 45, 49, 87, 110, 124 f., 130 ff., 150, 158 ff., 173 f., 176, 372 Frick, Gustav 860 Friedberg, Robert 767, 883, 900, 1024, 1069, 1071 Friedensburg, Ferdinand 842 Friedenthai, Karl Rudolf 821

1276

Personenregister

Friedländer, Herrnann 722 Friedrich Wilhelm I. 91 Friedrich Wilhelm 11. 751 Friedrich Wilhelm III. 46, 126, 176, 196 f., 283, 308, 311, 330 f., 343, 403, 420 Friedrich Wilhelm IV. 268, 283, 478, 480, 494, 959, 961 f. Friedrichs, Karl 625 Friese, Karl Ferdinand 209, 379 Fritsche, Hans 797, 1034 Fritzen, Karl 899 Frotscher, Werner 6 f. Fuchs, Eduard 911 Funck, Wilhelm Robert Otto 1031 Funk, Albrecht 602, 616, 762 Fuß, Tobias August Paul 1004, 1031 Gagei, Walter 670,682 Gall, Lothar 23 ff., 119, 164, 231, 266, 289, 292 Gamet, Julius Theodor 639 Garde, de la, Buchhändler, Mitglied des Verwaltungsrats unter französischer Besatzung 299 George, Bankier, Stadtverordneter 713 Geppert, Iohann 640 Gerlach, Hellmut von 908 Gerlach, Jürgen von 302, 316 Gerlach, Leopold von 302, 310, 314 f., 318, 320, 965 Gerth, I.H., Strohfabrikant/Rentier, Stadtverordneter 809 Gesenius, F., Stadtrat 722 Gesterding, Johann Friedrich Konrad 1031 Gettwart, Referent im städtischen Wahlbüro 724 Gierke, Otto 8 Giese, Friedrich 92 Gilow, F.W.A., Stadtrat 722 Glaeser, earl Heinrich 334 ff. Glücksmann, Alfred 709

Gneist, Heinrich Rudolf Herrnann Friedrich 96 f., 106, 481, 490, 514, 516 ff., 549, 564, 615, 634, 663, 665, 673 ff., 683 f., 718, 721 f., 803, 893, 900, 907 Gobbin, Johann 877 Grabow, Wilhelm 501, 649 Graf, Eduard 883 f. Graff, Fritz Wilhelm Georg 1030 Grais, Robert Graf Hue de 1034 Grimm, Dieter 92, 199 Groddeck, Karl August 589 Gronowski, Johannes 1069 f. Grumbkow, Waldemar von 95, 142, 373 Grumbrecht, Friedrich Wilhelm August 682 Gruner, Justus 130, 176 f., 304, 309, 419,421,465 Grünthai, Günther 957 Güßfeldt, Johann F.W. 362 Hachtmann, Rüdiger 19, 280 ff., 286, 426,451 f., 479, 485, 488, 501, 517, 561 Haeck, Karl August Ferdinand 410 Haeckel, Städtedepartementsrat, Bezirksregierung Potsdam 325, 347 ff., 367 f., 370, 387, 397, 461 f. Hänel, Albert 609 Haenisch, Konrad 1040 Hagen, Stadtrat 724 Hahn, Friedrich Wilhelm Oscar 840 Hahn, Ludwig Ernst 964 Haken, Herrnann 785 f., 799, 867 ff., 872 f., 875 Halbey, Staatsbeamter 910 Halske, Johann Georg 707 Hammerstein, Wilhelm Freiherr von 992 ff. Hansemann, David 246 f., 378, 511, 518, 528, 553, 1091 Harden, Maximilian 1006 Hardenberg, Friedrich Graf zu 193

Personenregister Hardenberg, Karl August Fürst von 57, 60 ff., 77, 79, 81, 84, 120, 153, 176, 188, 192ff., 203, 208f., 211 ff., 222, 218 f., 232, 235, 241, 317 ff., 322, 384, 436 f., 508, 630, 1090 f., 1109 f. Hardtwig, Wolfgang 93, 95, 374, 710 Harnack, Karl Gustav Adolf von 1051 Hasenclever, Wilhelm 695 Hassei, Karl Adolf Johannes von 776 Hasselbach, Karl 592, 658 f., 788, 878, 880 Hedemann, Heinrich 286,491,523 Heffter, Heinrich 12, 92, 94, 118, 133, 366, 408, 631 Heimann, Hugo 953 Heinrich, Adolf 1042 f. Held, Friedrich Wilhelm 288 Helfferich, Karl 1053 Hendler, Reinhard 92, 94, 101 Hengstenberg, Ernst Wilhelm von 502 Herfort (auch Herford), Karl Friedrich von 523,564 Hergt, Oskar 1054 Hermann, Julius 283, 501 Hermes, Hugo 882, 986 Hermes, OUo 705 ff., 882 Herold, Karl 894 f., 917, 1058 Herrfurth, Ernst Ludwig 623 f., 767 f., 790, 844, 847 ff., 887, 895 f., 900 f., 907, 967, 987 Hertling, Georg Graf von 1060, 1070 Herzfeld, Hans 897,907,916 Heuling, Manfred 252, 659 Heydebrand und der Lase, Ernst von 902, 916 ff., 928 ff., 977, 1016, 1038, 1069 f. Heydebrand und der Lase, Wilhelm Adam Sigismund von 615, 893, 899 Heydebreck, Georg Christian von 184 Heymann, Carl 521 ff. Hildebrand, Bruno 260 Hillebrandt, Andreas Franz Alfred 1029 82 Grzywatz

1277

Hippel, Theodor Gottlieb von 192 f., 320 Hirsch, Max 991 Hirsch, Paul 725, 779, 901, 948, 951 f., 956, 1001, 1025, 1037, 1040 f., 1057 f., 1075 Hobrecht, Arthur 753 f., 783, 810, 838, 880, 900, 987 f., 991 f., 999, 1025, 1078 Hofer, Adolf 1040 Hoff, Ferdinand 1025, 1069 Hoffmann, Adolph 955 Hoffmann, Johann Gottfried 195, 238 Hofman, Friedrich 869 Hohenlohe-Ingelfingen, Adolph Prinz zu 679 Holbein, Friedrich 564 Holfelder, Johann Heinrich Wilhelm 288 Holle, Albert Heinrich Friedrich Wilhelm 1029 f. Hohz, Ernst 774 Horn, Karl Friedrich 152, 255 f., 389 Horwitz, Heinrich Joseph 832 f. Hotho, Heinrich 299 Housselle, Friedrich 649 Huber, Ernst Rudolf 384, 792, 1062 Hue, Otto 1040 Huene, Karl Adolph Eduard Freiherr von 615,685,902 Humbert, Jean Paul 371,427 Humboldt, Wilhelm von 83, 86 f., 147, 191, 198, 200 ff., 206, 208, 239, 380 ff., 1091 Hünicke, Simon Victor 112 Irmer, Bernhard 853, 938 Itzenplitz, Heinrich Friedrich August Graf von 242, 571 f., 658, 750, 753 f. Itzenplitz-Kunersdorf, Peter Graf von 242, 378, 393 f. Jacobson, Hermann 561,564 f.

1278

Personenregister

Jacoby, Johann 416 f., 501 f, 520 Jagow, Gustav Wilhelm von 781,976 Jagow, Traugott von 773, 775 Jander, Carl 952 Jastrow, Ignatz 687, 736, 908, 923, 1018 Jebens, August Wilhelm 729, 939, 942 Jellinek, Georg 100, 105 Johansen, Johannes 1076 John, Regierungsrat, Bezirksregierung Koblenz 76, 190 f Jonas, W., Geheimer Revisionsrat beim Revisionskollegium für Landeskultur, Mitglied der Preußischen Nationalversammlung 500 f, 511 Jonas, Ludwig 502 Joseph II. 47 Jung, Georg 498, 501 f., 520, 681, 875 Junge, Friedrich Wilhelm 410 Jungeblodt, Mathias Maximilianus Franziskus 1031 Jürst, H.G., Fabrikant, Stadtverordneter 707 Kaelble, Hartrnut 279, 454 f Kaempf, Stadtältester, Stadtverordneter 729 f. Kamptz, Karl Christoph Albert Heinrich von 284 Kant, Immanuel 63, 66, 74 f, 83 f Kaufhold, Karl Heinrich 365 Kehler, von, Rat im Innenministerium 590,594 f Kehr, Eckart 790 Keller vom Steinbock, Friedrich Ludwig 636 f. Kessel, Kurt von 1000, 1002 Keyserlingk, Robert Graf von 1035 Kielmannsegge, J., Tischlermeister, Mitglied der ersten AbgeordnetenVersammlung des norddeutschen Handwerker- und Gewerbestandes 530

Kieschke, Friedrich Julius 785, 867 Kirchmann, Julius Hermann von 501 f Kirschner, Karl August Martin 714, 783, 859, 995 f, 1004, 1027 ff., 1079 Kisker, Gustav Wilhelm 607, 633 Kleist-Retzow, Hans Hugo von 641 f. Klenze, Clemens August Karl 357 Klinckowstroem, Clemens Graf von 904, 906 Klotz, Moritz 869 Klützow, C.O.A.H. von, Geheimer Regierungsrat und vortragender Rat im Innenministerium 574, 581 f., 629 f, 632 f, 638 Knoblauch, Carl F. 235, 243, 377 ff, 382,402 Knörcke, Gustav 869, 882 Koblank, David Emilius Heinrich 242 Koch, Erich 1076 Kochhann, Friedrich Franz 838 Kochhann, Heinrich Eduard 354 Kocka, Jürgen 40, 164 Koehler, Christian Philipp 78 f., 81, 403 Koels, Johann Georg Friedrich 421 Köller, Ernst Matthias von 1034 Körte, August Wilhelm Siegfried 1031 f, 1035 Kohtz, Stadtrat, Elbing 547 Korfanty, Wojciech 1011 Koselleck, Reinhart 12 f, 17, 89, 93, 152, 155, 157, 221, 230, 256, 280 Krabbe, Wolfgang R., 95, 106 f., 170 Krause, Hermann 1064 Krause, Paul Georg Christoph von 547,725,767,999,1011 Krausnick, Heinrich Wilhelm 284, 350, 357, 360, 363, 442, 446, 469 ff., 473, 477, 480, 528 f, 580, 582 f., 590, 637, 644, 657 f, 660, 972 Krebs, Carl Ludwig 357, 444 f, 459, 653 f

Personenregister Krech, Johannes 611, 788 Kreitling, Robert 730, 927, 930 f., 936,991 Kügelgen, Wilhelm von 508 Kühlwetter, Friedrich Christian Hubert von 513, 541, 549 Kühne, Ludwig Samuel 632, 962 Kühne, Thomas 783, 792, 899, 906, 967 Kunowsky, Friedrich von 523 Kuntzmann, c., Kommunalbeamter, Kalkulatur-Vorsteher 344 Kyllmann, Walter 701 f. Laband, Paul 97 f. Ladewig, Karl 853 Landsberg, Otto 1081 Lange, Bernhard Gustav Max 319, 321 Lange, Gerhard 880 Lange, Gustav 767 Lange, Klaus 10 Langerhans, Friedrich Wilhelm 467 Langerhans, Paul 808 f., 811 ff., 843, 847, 882 f., 898 f. Langewiesche, Dieter 27, 56, 480, 661 Lässig, Simone 952 Lasker, Eduard 681, 787, 873 f., 876 Laspeyres, Johann August 357, 424, 444 Lassalle, Ferdinand 683 Lauenstein, Friedrich Adolf Otto 615 Laufer, Heinz 4 Ledermann, Stadtrat 860 Lehmann, Max 90 Lehr, Karl Eduard Friedrich 1031 Leibholz, Gerhard 104 Leinert, Robert 1025 Leis, Robert 697 Lemp, Fabrikbesitzer, Stadtverordneter 713 Lentze, August 939 Lette, Wilhelm Adolf 973 f. 82"

1279

Lewald, Heinrich 482 ff., 490 f. Lewald, Max 932 f., 935 f. Liebenow, Kaufmann, Stadtverordneter 851 f., 855 Liebermann, August Julius Wilhelm von 615, 713 Liebknecht, Karl 1025 Liepmann, Paul 1068 f. Lietz, Ökonom, Rentner, Mitglied des Abgeordnetenhauses, Fortschrittspartei 583,649 Limburg-Stirum, Friedrich Wilhelm Graf zu 893, 906 Limprecht, G., Kunst- und Handelsgärtner, Stadtverordneter 817 Lindau, Bankier, Stadtverordneter 713 Lippe-Biestefeld-Weißenfeld, Leopold Graf und Edler Herr zur 784 Lippmann, Julius 1060 Loebell, Friedrich Wilhelm von 772, 776, 1037 ff., 1041 f., 1044 f., 1048 ff. Loening, Edgar 326, 1005, 1029 Loewe, Ludwig 722, 807, 811 f., 827, 832 f., 840 Lohmann, Walter 1069 Löwinson, Moritz 805 Ludewig, Max Friedrich 1070 Lüdicke, Paul 1059, 1069 Ludwig XIV. 91 Lüttig, Karl von 591,660 Madai, Guido von 754 Magnus, Friedrich Martin 460 Magnus, Meyer 460 Marnroth, Kaufmann, Stadtverordneter 816 Manteuffel, Otto Theodor Freiherr von 527, 559, 60S, 633, 781, 957 f., 961, 970 Marggraff, Hermann 698, 860 Marwitz, Friedrich August Ludwig von der 235 Marx, Wilhelm 941, 1030

1280

Personenregister

Mathis, Ludwig Emil 583 f., 588, 653 ff., 964 f. MaUing, Paul 952 Maybach, Albert von 758 f. Mayer, Georg 97 Mayer, Maurermeister, Mitglied des Verwaltungsrats unter französischer Besatzung 299 Meding, August Wilhe1m Werner von 286,415,572,592 Meier, Ernst von 97, 172 Meinecke, Friedrich 1051 Mentzel, Hermann 770 Menzel, Karl 1064 Menzel, Rudolf 862 Mertens, Andreas Carl Wilhelm 482 f., 490, 495, 500 MeUenmayer, Heinrich 583 Metzing, Stadtsyndikus 347 Meyer, Alexander 851 f., 882, 906 f., 1036 Meyer, Berliner Zimmermeister 523, 525 Michaelis, Georg 1053 Mickler, Wilhelm 952 Mieck, Ilja 259, 261, 366, 374 Minnigerode, Wilhelm Freiherr von 840 Miquel, Johannes 888, 918 Moewes, C.E., Kammergerichtsassessor, Stadtsyndikus 357, 441 Moltke, Friedrich von 1006 ff., 1013, 1015, 1022, 1026, 102~ 1032 Mommsen, Bankdirektor, Stadtverordneter 713 Mommsen, Wolfgang 1. 34 Müller, Carl Friedrich 444 Müller, Richard 1072 Münchgesang, Friedrich 775 Münchhausen, Ferdinand von 976 Münsterberg, Emil 729 Munckel, Karl August Ludwig von 882, 991

Napoleon I. 129 Nathanson, R. 832 Naunyn, Franz 284, 288, 478, 513, 528 Nauwerck, Carl 417, 483, 494 ff., 499, 502, 507 f. Neefe, Karl August Wilhelm Heinrich von 789,968 Nelke, Bankier, Stadtverordneter 713 Neuendorff, Heinrich Adam von 112 Neugebauer, Wolfgang 16, 118, 796 Neumann, S., Arzt, Stadtverordneter 660,718,810,812,814 ff., 819 Nipperdey, Thomas 56, 94, 169 f. Nitze, Friedrich 299 Nobiling, Karl Philipp 288 Noell, Geheimer Oberregierungsrat im Innenministerium 847 Noelle, Ernst OUo 918, 989, 991 Nonn, Christoph 952 Oechelhäuser, Ingenieur, Stadtverordneter 703 Oeding, F.H., Kriegsrat, Stadtrat u. Kämmerer 305, 336 Oehler, Ernst Adalbert 1030 Oertel, Friedrich OUomar 838, 1031 Oertzen, Ulrich von 841 f., 845 Offenberg, Kaspar 879, Olzem, Fritz 623 f., 767 Oppenheim, Heinrich Bernhard 282 Osterrath, Heinrich Philipp 786, 872 OUo, Reinhold 950 f. Pachnicke, Hermann 1011, 1037, 1041, 1049, 1057 Pahlmann, Manfred 93, 253, 304, 366, 424, 426 f., 431 ff., 440, 452, 467,524 f. Parisius, Ludolf 869, 882, 886 Pasche, Ferdinand 952 Paschen, Joachim 517 Patow, Erasmus Robert Freiherr von 528 ff., 639 ff.

Personenregister Penzig, Rudolf 952 Perls, Arnold 851 Perschke, Bürgermeister, Landeshut 391 Pflug, F., Schriftsteller, Stadtverordneter 809 Phillipps, Adolf 520 Pickenbach, Wilhelm 700 Pinckert, Friedrich 564 Pinder, Julius Hermann 283 f. Plettenburg-Mehrum, Gustav Freiherr von 937 Plischka, Hermann 703 Pohl, Karl Heinrich 26, 28, 30 Pohlmann, Alexander 1064 f. Porsch, Felix 913, 989, 1057, 1061, 1063 Posadowski-Wehner, Arthur Adolf Graf von 1058, 1073 f., 1076 Poselger, Friedrich Theodor 320 Pretzel, Heinrich 697 f. Preuß, Hugo 89 f., 92, 106, 373, 709, 715, 771, 852, 854, 904, 943, 946, 953 f., 956 Prittwitz und Gaffron, Moritz Karl Ernst von 639, 963 Puttkamer, Robert von 758, 760, 783, 789 ff., 797, 828, 832, 835 Rasch, Hermann 879 Raumer, Friedrich von 111, 213, 254 f., 382, 388 f., 394, 396, 496 f., 500, 502 f., 779 Recke von der Horst, Eberhard Freiherr von der 770, 911 f., 916 Rehberg, August Wilhelm 50 Rehdiger, Karl Nikolaus Wilhelm von 70, 72 Rehfeldt, Ludwig Wilhelm 353, 400, 404 Reichard, Heinrich Gottlieb 111 Reichensperger, August 607,677 Reimer, Georg Andreas 400 Reimer, Georg Ernst 483, 564, 653, 660, 722

1281

Reinhold, Otto 950 Reulecke, Jürgen 93,487, 713 Reuter, Dirk 165 Reuter, Robert 520 Reyher, Karl Friedrich Wilhelm von 639 Rheinbaben, Georg Freiherr von 771 f., 925, 927, 931 f., 934, 937, 941, 990, 1008 Ribbeck, B., Geheimer Oberregierungsrat im Innenministerium 609, 965 Richter, Eugen 614 f., 696, 808, 813, 818, 829 f., 867, 870 f., 882, 908, 917 f., 986 ff., 991 Richter, Wilhelm Eduard Georg 1031 Richthofen, Bernhard Freiherr von 768 Richthofen, Karl Christoph Ernst Freiherr von 910 Richthofen, KarlOtto Johannes Theresius Freiherr von 639 Richtsteig, Maximilian 591 f., 658 Rickert, Heinrich 853, 883, 895, 903 f. Riedel, Friedrich 639 ff., 647, 676 Riehl, Wilhelm Heinrich 226, 248 Riesen, Stadtverordneter, Elbing 547 Rimpler, Otto 485 Rintelen, Victor 838, 899 Risch, Otto Theodor 224 ff., 234, 242, 247 ff., 251 f., 261 ff., 267 ff., 271, 274, 276 ff., 289 f., 292 f., 530, 532 ff., 537 Rive, Richard Robert 1031, 1073 Robespierre, Maximilien de 91 Rochow, Gustav Adolf Rochus von 378, 429 f., 600 Rodbertus, Johann Karl 520 Roeckerath, Peter Joseph 786, 873, 875 Rönne, Ludwig von 91, 94 Roepell, Richard 984 ff. Röpell, Justizamtmann, Delegierter des Städtetages der Provinz Preußen 548

1282

Personenregister

Rößler, Constantin 683 Rohrbach, Paul 1051 Roon, Albrecht Theodor Emil Graf von 978 Rosenbaum, Louis 504 f. Rosenberg, Arthur 1072 Rosenfeld, Kurt 1038 Rosenow, Leopold 852 f., 945, 955, 991, 1018 Rosin, Heinrich 98, 172, 604, 621 Rotteck, Karl von 108, 250, 290 Runge, Heinrich 287, 414 ff., 425, 447, 468 f., 490, 495, 514, 519, 807, 869 Sachs, Fabrikbesitzer, Stadtverordneter 713 Sack, Johann August 51, 130, 220, 299 f., 302, 304, 309 ff., 314 f., 318, 418 ff., 465 Salzwedel, Jürgen 101 Sarwey, Otto von 97 Saß, Friedrich 263 f. Sattler, Karl Heinrich Christian 917, 938 Savigny, Friedrich Karl von 111, 185, 223,410 f. Scarpa, Ludovica 301, 332, 348, 367, 468,825 Schaeffer, Johann Georg Ludwig 490 Schamberg, Gustav 952 Scham weber, Christian Friedrich 192 f. Schauer, C., Stadtrat 444 Schauß, Wilhelm Ferdinand 635 Scheidemann, Philipp 1081 Scheiding, Bankdirektor, Stadtverordneter 713 Schenk, Eduard 786 Schenkel, Adolph Conrad 583, 649 Schiffer, Eugen 1011, 1024, 1026 Schilfert, Gerhard 504 Schiementz, Carl August 521 Schinkel, Harald 347

Schlechtendahl, von, Stadtgerichtsdirektor 300 Schlieben, Georg Graf zu 906 Schmeling, Kurt Heinrich Gustav Arthur von 765, 772 Schmidt, Hermann Heinrich 1030 Schmieding, Wi1helm 904, 1031 Schmoller, Gustav 90 f., 795, 1038, 1085 Schnabel, Franz 92 Schnackenburg, David Emil Bemhard 1031 Schnitzler, Victor 929 Scholz, sozialdemokratischer Stadtverordneter Neukölln 731 Schön, Paul 91 Schön, Theodor Heinrich von 78 Schorlemer, C1emens August Freiherr von 1015 f., 1044, 1048 Schrader, Kurt 369 Schreiner, 0., Stadtrat 722, 807, 811, 816, 818, 844 Schroetter, Friedrich Leopold von 121, 130 ff., 173, 176 Schuckmann, Friedrich Freiherr von 147, 208 f., 216, 323, 379, 384, 393 f. Schulenburg, Rudolf von der 994 Schultz, Carl Friedrich 638 Schulz, Max 991 Schulze (-Delitzsch), Franz Hermann 681 795, 1003 f., Schusterhus, Kurt 1031 f. Schwab, Dieter 56, 94 Schwarz, Max 504 Schwentker, Wolfgang 517 Schwenzner, Eduard 667, 671 f. Schwerin, Friedrich Ernst von 798 Schwerin-Putzar, Heinrich Friedrich Maximilian Curt Graf von 592 f., 659, 671 f., 674, 677 f., 722, 781, 966, 972 Seeger, Carl 444, 446, 629 Seidel, Ferdinand Gustav Adolph 490

Personenregister Seiffert, Geheimer Finanzrat 398 Selchow, Adolf Albrecht Hugo von 528 Selchow, Friedrich Wilhelm Eugen von 528 Selchow, Werner Ludolf Erdmann von 978 Sellenthin, Regierungsrat, Bezirksregierung Potsdam, kommissarischer Verwalter der Berliner OberbürgermeistersteIle 404 Sellin, August 952 Semmler, c., Geheimer Oberfinanzrat im Innenministerium 410 Seydel, Karl Theodor 722, 783, 983 Siegerist, Karl 498 Sieyes, Emmanuel-Joseph AbM 76 Silberstein, R. 714 Simon, August Heinrich 520 Simpson, Stadtverordneter, Elbing 547 Singer, Paul 728, 854, 943 ff. Smith, Adam 63 Smith-Prince, Johann (John) 288, 564 Snay, Georg 1031 Solmitz, Bankier u. Handelsrichter, Stadtverordneter 713 Sonnenfeld, Hugo 954 Spatzier, Carl 564 Sperling, Karl 559 Spinola, Geheimer Regierungsrat, Direktor der Charite, Stadtverordneter 702 Sposetti, Zerboni di 195 Springer, Julius 564, 722 Stadthagen, Arthur 729 f. Stadthagen, Hans 1001 Stägemann, Friedrich August von 318 Stavenhagen, Friedrich 503 Stegerwald, Adam 1074 f. Stein, Karl Freiherr vom und zum 7 48, 50 ff., 67 ff., 91, 110, 123 f.: 133, 147, 150, 189 ff., 198, 355, 372, 377, 379 f., 388, 392 ff., 549, 586, 647, 1090 f.

1283

Stein, Lorenz von 186 Steinbach, Franz 15, 89 f. Steinbach, Peter 38 Steinmeyer, Johann 445 Stern, Sigismund 519 Stier-Somlo, Fritz 253 Stoecker, Christian Adolf 697, 822 Stort, A., Subdirektor der Vaterländischen Hagelversicherungs-Gesellschaft, Stadtverordneter 722 Straßmann, Wolfgang 833, 837, 841 f. Streckfuß, Adolf 392, 473 f., 722, 733, 803 ff. Streckfuß, Karl 109 f., 124, 132, 144, 168, 186, 251, 255, 258, 344, 372, 383, 394 f., 397 Ströbel, Heinrich 1011, 1024 f., 1040, 1057, 1066 f. Struckmann, Gustav 905 Struensee, Karl Gustav von 47 Stryck, Albert 816, 818 f., 825, Stubenrauch, Ernst Leberecht Karl Hugo Georg von 968, 994 Studt, Heinrich Konrad von 771, 796 Stumm-Halberg, Karl Ferdinand Freiherr von 904 Stüve, Carl 1093 Sydow, Karl Leopold Adolph 501 f. Sydow, Reinhold 773, 1054 Tappert, Arzt, Stadtverordneter 723 Teichert, Gottlob 503 Temme, Jodokus Donatus Hubertus 520 Thimme, Friedrich 1051 Tiede, (auch Thiede) KgJ. astronomischer u. Hofuhrmacher, akademischer Künstler 634 Traeger, Christi an Gottfried Albert 695, 882, 1011 Tramm, Heinrich 1031 Treitschke, Heinrich 246 f. Trenckmann, Hermann Adolf 1031 Treskow, Sigismund von 934

1284

Personenregister

Troeltsch, Ernst 1051 Trott zu Solz, August von 773, 996 Tzschoppe, Carl Gustav Ferdinand Walter von 883, 894, 896 ff., 910 Uhlendorff, Wilhelm Louis 785 f. Ulfert, Carl Friedrich 517,521 Ullmann, Stadtrat 806 Ullstein, Hans 704 Ulmenstein, Christian von 214 Ulrici, B., Stadtrat u. Kämmerer 362 Unruh, Georg Christoph von 5, 7, 11, 92,94, 136, 170,366,374 Unruh, Hans Viktor von 516, 718 Valentin, Veit 504 f. Varnhagen von Ense, Karl August 475 Veit, Moritz 293, 483, 497, 500 ff., 523, 629 f., 632 ff., 649 Veit, Salomon 460 Veltmann, Philipp Wilhelm Florenz 1030 Vibeau, Kaufmann, Mitglied des Verwaltungsrats unter französischer Besatzung 299 Vincke, Georg Ernst Friedrich Freiherr von 671, 674 ff. Vincke, Karl Friedrich Ludwig Freiherr von 576 ff., 605, 626 f., 649, 660 Vincke, Friedrich Ludwig Wilhelm Philipp Freiherr von 124 f., 131, 133, 159, 302 Virchow, Rudolf 282, 510, 519, 660, 663, 681, 703, 705, 727, 785 f., 803, 836, 840, 869 ff., 875, 880, 882 Vogel, Barbara 222, 230, 238, 319 Vogel, Friedrich Wilhelm 523 Vogel, Heinrich 952 Voigt, Georg Philipp William 724, 1031 Voltz, Hans 1003 Vorster, Julius 917 Vortmann, Friedrich 695, 853

Voß, Franz Friedrich Wilhe1m Carl Conrad von 846 Wadzeck, Friedrich 409 Wagener, Hermann 672 Wagner, Adolf 1028 f. Wagner, Emil 877 Waldeck, (Franz bzw. Franz Leo) Benedikt 501, 511, 520, 541, 671, 673, 676 f. Waldeck, Julius 519 Wallach, Regierungsrat 357,360 Wallraf, Ludwig Theodor Ferdinand Max 1027, 1029 f. Weber, Alfred 807 Weber, Max sen. 722, 807, 809 f. Weber, Max 807 Wedel-Piesdorf, Karl Heinrich Magnus Wilhelm von 905, 1028, 1035 Wegge, Hans 517 Wegner, Friedrich 904 Wegner, Stadtrat, Elbing 547 Wehler, Hans-Ulrich 94, 152, 170, 222, 267, 374 Wehnert, Gottlieb Johann Moritz 54, 109, 111, 389 f., 392 f. Weikhmann, Joachim Heinrich von 378 Weise, Stadtrat 724 Wermuth, Adolf 777, 783, 955, 1072 f., 1075 f., 1081 Werner, Hermann 698 Wes sei, Max Eduard 838, 841 Westphalen, Ferdinand von 570 f., 574 ff., 632 f., 640, 642, 671, 960 ff., 968 ff. Wetekamp, Karl 912 f. Weyl, Hermann 689 Wiemer, Otto 988 f., 1059 Wiese, Justizrat, Rathenow 111 Wilckens, Friedrich 879 Wilckens, Gustav Ferdinand 137 Wilhelm I. 755, 781 Wilhelm 1I. 777

Personenregister Wilms, Georg Ernst 1030 Windthorst, Eduard 785 Windthorst, Ludwig 786 ff., 872, 879 Winterfeldt, Ulrich von 842 Wintermeyer, Louis 927, 930, 936 Wittgenstein, Wilhelm Ludwig Georg Fürst zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein 221, 316 Witzleben, Alexander von 315 Witzleben, Hartmann von 632 ff. Woeninger, August Theodor 288, 660 f., 693 Wohlers, Geheimer Oberregierungsrat 785, 800, 876 Wolff-Gorki, Eugen Otto Leo 1064 Wrangei, Friedrich Heinrich Ernst Graf von 514, 527 Wulfshein, E.G., Geheimer Oberregierungsrat und vortragender Rat im Innenministerium, Reichstagsabgeordneter, Stadtverordneter 806 Wutzky, Emil 714

1285

Yorck von Wartenburg, Hans Ludwig David Paul Heinrich Graf 1003 f., 1029 f., 1034 Zacharias, F. A., Kaufmann u. Kattunfabrikant 500 ff., 660 Zedlitz-Neukirch, Octavio Wilhelm Friedrich Otto Konrad Freiherr von 736, 742, 899 ff., 903, 912, 929 f., 933 f., 936, 938, 989, 1011, 1026, 1058 Zedlitz-Trützschler, Graf von 359 Zelle, Robert 614, 724, 762, 767, 783, 837, 840 f., 843, 845, 847 f., 867 f., 905 Zelter, C.F., Maurermeister, Mitglied des Verwaltungsrats unter französischer Besatzung 299 Zepler, Georg 952 Ziegler, Franz 520 Ziekursch, Johannes 92,366 Zweigert, Erich 904

Ortsregister Aachen 378, 921, 927, 973, 1030 Altmark (Provinz) 298 Altona 1031 Angennünde 572, 636, 639, 654 Anklam 176 Ansbach-Bayreuth, Fürstentum 120 Amsberg - Regierungsbezirk 638, 963, 977, 1063 - Stadt 872, 987, 998, 1062, 1070 Baden 177,189,869 Baden-Württemberg 102 Barmen 875, 878, 903 f., 939, 1031 Bayern 177,738 f. Beeskow 639, 697, 901, 988, 991, 1000, 1002, 1007, 1046, 1056 Beeskow-Storkow 639, 697, 901, 960, 988, 991, 998, 1000, 1002, 1007, 1046, 1056, 1063 Belgien 510, 542 Berent 878 Berg 210, 215 Berliner Stadtviertel - Altkölln 435, 833, 850 - Berlin 435, 469 f. - Dorotheenstadt 435,469 - Friedrichstadt 434, 469 f., 472, 697, 833 - Friedrichswerder 435, 469, 850 - Friedrich-Wilhelmstadt 329,469 f. - Gesundbrunnen 813,815, 1002 - Königsstadt 435, 469 f. - Luisenstadt 366, 829, 1059 - Moabit 850, 863 - Neukölln 435 - Neu-Voigtland 465

- Rosentha1er Vorstadt 332, 465, 833 - Oranienburger Vorstadt 465 - Spandauer Vorstadt 469 - Stra1auer Vorstadt 435 - Wedding 336, 1002 Beuthen 1004, 1057 Bielefeld 16, 164, 696 Bischofswerder 548 Bochum 875,987,999, 1004, 1030 Bordesholm 1056 Brandenburg - Provinz (auch Mark) 126 ff., 204 f., 207, 235, 242, 244, 257 f., 264, 277, 377, 380, 393, 404, 412, 514 f., 528, 539, 610 ff., 620, 627, 639, 864, 867, 878, 925, 950, 960, 971, 975 f., 982, 985, 997, 1020 f., 1059 - Stadt 960, 976 Breslau 29, 80, 120 f., 176, 181 f., 194, 205, 235, 242, 244, 257 f., 264, 277, 377, 380, 393, 404, 412, 514 f., 528, 539, 610 ff., 620, 627, 639, 864, 867, 878, 925, 950, 960, 971, 975 f., 982, 985, 997, 1020 f., 1059 Brieg 176 Bromberg - Regierungsbezirk 1062 - Stadt 904, 976 Bundesrepublik Deutschland 92 Burbach 215, 762 Burg 976 Celle 762 Char10ttenburg 142, 183, 349, 358, 464, 513, 610, 624 f., 632, 636, 639, 730 f., 741, 756, 765, 774, 776 f., 784, 790, 798, 841, 901, 915, 921, 947 ff., 951, 974, 976, 988, 991,

Ortsregister 994 f., 998, 1001 ff., 1008, 1024, 1029, 1031, 1034, 1037, 1056, 1062, 1065 f., 1068 Danzig 205, 236, 378, 548, 562, 589, 649, 838, 877, 895, 912, 918, 973, 977, 1008 Demmin 176 Deutschland 36 f., 92, 282 f., 288, 494 f., 497, 499 f., 507, 695, 953, 1006, 1051 Dirschau 877 Dortmund 680, 876, 904, 910, 921, 987,999, 1031 Driesen 583 Düren 875 Düsseldorf - Regierungsbezirk 977, 987, 1062, 1070, 1076 - Stadt 214, 774, 843, 941, 977, 1024, 1030, 1056 f. Duisburg 999, 1004 Elberfeld 1031 Elbing 176, 193, 236, 547 f., 583, 649 England 245 Erfurt 1030 Essen 987, 999, 1004, 1008, 1030, 1056 f. Frankfurt/Main 31, 111, 164, 282 f., 293, 295, 308, 494, 499, 501, 503, 505, 507, 531 f., 711, 867 f., 876, 987,999, 1020, 1031 Frankfurt/Oder - Regierungsbezirk 975 - Stadt 176, 193,440,960 Frankreich 49, 76, 177, 194, 213, 308, 316, 505, 604 Fürth 739 Gelsenkirchen 932, 1004 Gladbach 875 Glatz (Grafschaft) 205

1287

Glogau 176, 528 Görlitz 432, 591, 658, 877, 1031 Göttingen 762 Greifswald 788, 1031 Gumbinnen (Regierungsbezirk) 137, 983 Hamburg 32, 309, 317, 434, 515, 530, 696 Harburg 682 Hamm 501, 638 Halle/Saale 239, 356, 749, 883, 1029, 1031, 1073 Halle/Westfalen 696 Hannover - Provinz 761, 867 f., 966, 990, 1020 - Stadt 872, 879, 1026, 1031, 1063 Heiligenbeil 1065 Herford 696 Hessen 102 Hessen-Nassau (Provinz, auch Herzogtum Nassau) 761, 985 f. Hirschberg 176 Hohenzollem 977, 1004 Insterburg 548 Jüterbog 841 Kassel 1076 Kattowitz 999, 1003 f., 1064 Kiel 624, 762, 1004 f., 1025, 1031, 1056, 1069 Kleve 215 Koblenz - Regierungsbezirk 211, 215, 838, 963 - Stadt 76, 190,642,962 Köln 76, 211, 215, 502, 605, 710, 718, 786, 873, 905, 929, 939, 941, 977, 987, 1004, 1020, 1027, 1029 f., 1063 Königsberg 80, 87, 110 ff., 120, 123 f., 152, 155, 157 ff., 174,

1288

Ortsregister

176 ff., 193, 205, 220 f., 236, 255, 283,318,389,416,421,440 f., 457, 502, 547 f., 559, 587, 646, 767, 785, 867, 880, 973, 977, 1008, 1031, 1035 f. Königshütte 932 Köpenick 741 Kolberg 176,867,873 Konitz 548 Kosel 176 Krefe1d 259, 977, 1030 Kurhessen 761 Landsberg 176 Lauenburg (Herzogtum) 984 Lichtenberg 732, 1008 Lichterfelde 989 Liegnitz - Regierungsbezirk 963 - Stadt 176, 767, 838, 1031 Lippstadt 638 Luckenwalde 976 Magdeburg 236, 298, 633, 658, 788, 849, 878, 977, 987 Malstatt-Burbach 762 Marienburg 583, 649 Marienwerder (Regierungsbezirk) 155, 963, 983, 1062 Memel 176, 236 Merseburg, - Regierungsbezirk 633 - Stadt 252,356,634,977, 1008 Minden - Regierungsbezirk 963 - Stadt 876 Mittelmark 298 Mohrungen 1065 Mühlhausen 1031 Mülheim-Ruhrort 1004 München 709, 739 Münster - Regierungsbezirk 216 - Stadt 879,975, 1031, 1063

Naumburg 633 Neuenkirchen 215 Neukölln (auch Rixdorf) 435, 714, 730 fo, 988, 994 fo, 998, 1000 ff., 1007 f., 1056, 1062, 1065 Neumark 418, 1030 Neumünster 1004, 1056 Neu-Ruppin 976 Neustadt (Magdeburg) 976 Neuostpreußen 120 f. Neuvorpommern 538, 878 Niederbarnim 572, 624, 636, 654, 696, 960, 974, 994 fo Niederlausitz 205 Niedersachsen 102 Nordhausen 1031 Nordrhein-Westfalen 102 Nürnberg 29, 739 Oberbarnim 654, 696, 960 Oberschlesien 1003 f., 1056, 1064 Oberlausitz 205 Oppeln (Regierungsbezirk) 217, 220, 364, 366, 401, 998, 1057, 1063 Osnabrück 610, 871 Ostpreußen 77 ff., 82, 284, 308, 311 f., 975, 1021 f., 1065 fo Paris 284,476,505 Polen 502 Pommern 204 fo, 404, 418, 539, 611, 627, 864, 867, 878, 875, 985 ff., 1021 Posen - Provinz 22, 205 f., 574, 627, 695, 878, 975, 985 ff., 1021 - Regierungsbezirk 1062, 1076 - Stadt 404, 868, 973,977, 1030 f. Potsdam - Regierungsbezirk 137 fo, 142, 153, 155, 184 fo, 324 f., 336, 342 fo, 347, 353, 378, 388, 397, 403 f., 408 f., 432, 440, 469, 488, 501, 525, 572, 635 f., 639, 654, 670, 789 f., 798,

Ortsregister 818, 950, 958, 960, 974, 976, 994, 998, 1002, lO56, 1062, 1068, 1070, 1076 - Stadt 54, 176, 193, 389, 502, 592, 610,638,756,776,960,976 Prenzlau 572, 649, 976 Preußisch Eylau 1065 Preußisch Holland 1065 Prignitz (Provinz) 298 Ratibor 501, 528 Rheinland-Pfalz 102 Rheinprovinz (auch Rheinland) 22, 204 ff., 210, 557, 569, 575, 626, 665 ff., 672, 788, 843, 867, 878 f., 889 f., 891, 897, 925, 931, 934 f., 1021, 1090 Rixdorf (siehe Neukölln) Rügen 205, 878 Saarbrücken 762 Saarland 1064 Sachsen (Königreich) 914, 952 Sachsen (Provinz) 204 ff., 393 f., 404, 574,610 f., 627, 864, 867, 878 St. Johann 762 Schlesien 204, 206, 404, 539, 574, 610 f., 615, 620, 627, 864, 867, 878, 925 Schleswig 1063 Schleswig-Holstein 608 ff., 623 f., 787, 800, 848, 867, 890, 1036, 1056 Schönebeck 976 Schöneberg 988 991, 994 ff., 998, 1000 ff., 1007 f., 1031, lO62, 1065 Soest 638 Spandau 298, 960, 976, 1059 Stargard 176, 583, 649, 877 Staßfurt 932 Stettin 80, 112, 176, 193, 236, 318, 931, 975, 994, 999, 1004, 1008, 1030, 1032, 1060

1289

Stolp 176 Storkow 639, 698, 901, 960, 991, 998, 1000, 1002, 1007, 1046, 1056 Stralsund (Regierungsbezirk) 963 Süd- und Südwestdeutschland 2, 24, 108, 188 ff., 196, 250, 266, 290, 292, 710, 992, 1007 Sudenburg 976 Tamowitz 1057 Teltow - Kreis 435, 464, 624 ff., 639, 696, 901, 951, 960, 968, 974, 988, 991, 995, 998, 1000, 1002, 1007, 1046, 1056, 1062 - Stadt 741,994 Templin 572 Trier - Regierungsbezirk 1062, 1070, 1076 - Stadt 1063 Uckermark (Provinz) 298 Waldenburg 1065 Westhavelland 974 Westfalen 203 ff., 215, 274, 575, 631, 666, 843, 867, 878, 889, 990 Westpreußen 553, 695, 864, 1009 Wetzlar 215 Wien 478 Wiesbaden (Regierungsbezirk) 890 Wittenberg 633 Wittgenstein (Grafschaft) 215 Württemberg 177, 189,738 f. Zabrze 1003 Zauch-Belzig 974

627, 925, 987,

878,

Sachregister 146 f., 157, Abgabengesetz, 1820 327 f., 340 Abgeordnetenhaus, preußisches (siehe Landtag, preußischer) Abgeordneten-Versammlung des norddeutschen Handwerker- und Gewerbestandes 530 Absolutismus 8, 15, 49, 68, 90, 93, 111 ff., 118, 122,493, 621, 822 Ackerbürger 431,458 Adel (auch Aristokratie, Grundadel) 68 f., 81, 203, 211 f., 214, 246, 251, 296, 308, 321, 434 f., 553, 572, 629, 736, 904, 1005, 1052 - als Stand 72 f., 189 ff., 198 ff., 212, 247 - Herrschaftsrechte 47, 69, 88, 311, 317, 1052, 1091 Adressen (siehe Petitionen) Älteste der Berliner Kaufmannschaft 255, 454, 460 Älteste der Reichskrämerinnung 229 Agrargesellschaft 449 Agrarreform (auch Agrargesetzgebung) 555 - Oktoberedikt von 1807 88 Agrarstaat 1011 Agrarstädte 366 Akademien der Wissenschaften und Künste 554 Akkordarbeit 479 Akzise (siehe Staatssteuern) Allgemeinwohl (siehe Staatswohl) Allgemeiner Verband deutscher Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften 991 Allgemeine Arbeiterverbrüderung 286 Allgemeine Gerichtsordnung 145

Allgemeiner Deutscher Frauenverein 955 Allgemeiner Landtag 200 ff., 208, 244 Allgemeines Gesetzbuch 117 Allgemeines Landrecht 68, 75, 117, 119,145,148,172 ff., 621 f. Altliberale 576, 605, 638, 677 ff. Alte Fraktion der Linken 852 Amtsausschuß 616 Amtsbezirk 120, 616, 966, 1010 Amtsenthebung, Magistrat (siehe Staatsaufsicht) Amtshauptmann 966 Angesessenheit (auch Ansässigkeit, siehe Wahlrecht, kommunales) Angestellte 1060 - leitende 457, 528, 690 f., 706 f. - untere 247 Anleihen (siehe Kommunalfinanzen) Anstaltsstaat 52 Antisemitismus (auch politischer Antisemitismus) 694, 706, 822, 830, 853 Apotheker 158, 207, 242, 280, 459 Arbeiter (auch Tagelöhner, Lohnarbeiter) 73 f., 208, 245, 260, 275, 282, 287, 307, 331, 479, 486 f., 511, 513, 531, 535, 558, 578, 634, 640, 651, 680, 683, 718, 875, 882, 931 f., 948, lOB, 1026, 1044 f., 1060, 1066, 1096 Arbeiterschaft (auch Arbeiterklasse) 287, 338, 435, 479, 499, 501, 680 ff., 700, 712, 901, 909, 926, 1007, 1027, 1037, 1039, 1044 f., 1067, 1081, 1096, 1098 Arbeiterbewegung 683,698, 1079, 1104, 1106 - Central-Comite der Arbeiter, Breslau 496

Sachregister - Central-Arbeiter-Comite 680 Arbeiterdeputierte 487 Arbeitgeber (siehe Unternehmer) Arbeiterviertel 935, 948, 1016 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (auch -programm) 19, 487 ff. Arbeitshäuser 338, 361, 751 Arbeitslose (auch Erwerbslose) 486 f., 489 Arbeitslosigkeit (auch Erwerbslosigkeit) 487 Arbeitsmarktpolitik (auch Arbeitspolitik) 222,486 f,489,712 Arbeitsministerium (siehe Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten) Arbeitsnachweisungsanstalt 486 Arbeitsverhältnisse, gewerbliche 266, 479,488,536 Architekten, Ingenieure 693 Armendirektion (siehe Kommunalverwaltung) Armenfürsorge (auch -pflege), kommunale, (siehe Kommunalhaushalt, -verwaltung) Armenkommissionen 332 f., 348, 366, 716, 870 Armenpflegegesetzgebung, 1842/43 143, 345, 471, 534, 537 Armenunterstützungsleistungen (siehe Kommunalhaushalt) Armut (auch Pauperismus) 66, 247, 259, 287, 313, 337, 533, 868 Arzt, Ärzte 153, 273, 502 Assemblee nationale constituante 505 Assessor, Assessoren 456, 490, 502, 564 Auflösungsrecht, staatliches, Gemeindevertretungen (siehe Staatsaufsicht) Aufträge, öffentliche 487 Auftragsangelegenheiten (auch Auftragsverwaltung, mittelbare Staatsverwaltung; siehe auch Wirkungskreis, staatlicher, in der Gemeinde) 3, 101,

1291

141, 154, 169, 552, 600, 602, 604, 713, 1107 Ausschüsse - gewerbliche 488 - kommunale 705, 1035 - ständische 59, 284 Autonomie, kommunale (siehe Gemeindeautonomie ) Bankiers (auch Geldaristokratie) 40, 248, 309 f., 451, 455 f, 460, 564, 708,712 f. Barbier 153, 460 Bauern, freie 47, 68, 72 f, 80, 190, 192 f., 203, 212, 742, 969, 1072 Bauernbefreiung 46 Bauernvorstand 200 Baugewerbe 264 Bauordnungen 1106 Bautätigkeit 336 Beamte, Beamtentum 50, 53, 71, 80, 96 ff, 141 f., 156, 178, 187, 193, 195, 247 f, 280, 305, 316, 367 f., 371, 383, 430 ff, 434 f., 458 f., 461, 499, 501, 503 ff, 510, 634, 653 f., 692, 707, 718, 736, 745, 749, 754, 783, 791, 795 f, 895, 918, 922, 939, 1006, 1017, 1073 - Diensteid 782 f - Disziplinarinstanzen (auch -behörden) 794 - höhere Beamte 50, 456 f, 503, 706 f - parlamentarisches Mandat 782, 793 - Parteizugehörigkeit 792 f., 798 - Politische 782 f., 792 - Treuepflicht, politische 780 ff., 791, 794 ff, 798 - Wahlagitation 789, 792 - Wahlrecht (auch Wahlfreiheit) 792 ff., 797, 1017 Beamtenabgaben 155 Bebauungspläne 757 Beanstandungsrecht (auch Suspensionsrecht), staatliches, Beschlüsse der

1292

Sachregister

Kommunalkörperschaften (siehe Staatsaufsicht) Befreiungskriege 238 Beibehaltungsgesetz (Gemeindeordnung), 1851 575, 579 Beigeordnete (siehe Stadtrat) Beisitzer 526, 931, 1039 Belagerungszustand 522, 550 Berliner Arbeiterverein 680 Berliner Baupolizeiordnung, 1886 706 Berliner Kaufmannschaft 255, 470 Berliner Ost-Club 813, 819 Beruf, Berufsarten, Berufsklassen 381, 449,451 ff., 459, 505, 559, 690, 707 Berufsbezeichnungen 454 Berufskammem 1052 Berufsprüfung 243, 245, 268, 270, 272, 277,279, 535 Besatzung, französische 128, 300, 307, 313, 336, 357, 418 Besatzungsbehörden, französische 298, 300 f. Besitzbürgertum (siehe Wirtschaftsbürgertum) Bestätigungsbehörden (siehe Staatsaufsicht) Bestätigungsrecht, staatliches - Kommunalbeamte, landesherrliche Bestätigung (siehe Staatsaufsicht) Betroffenenschutz 104, 617 Bettler 345 Bevölkerungsentwicklung, -wachstum 118, 334, 358, 362, 462, 466 f., 471 f., 534, 750, 764, 801, 805, 807, 837, 839 ff., 847, 850, 932, 935, 965, 985, 993, 1002 ff., 1030, 1100 f. Bewaffnungsrecht 510 Bezirksausschuß 488, 543, 549, 617, 714, 726, 731, 789, 794, 800, 844 f., 920,958,1036 Bezirksordnung (auch -verfassung) 91, 544, 554, 571, 642 Bezirksrat 556, 599, 611, 616 f., 784, 799, 864 f., 875

Bezirksregierung(en) 222, 236, 352, 553, 581 f., 584, 586, 590, 592, 595 f., 613 - Berlin 330 - Breslau 219, 352, 817 - Merseburg 252, 356 - Oppeln 220, 401 - Potsdam 184 f., 336, 341 f., 352, 370, 397, 400 f., 415, 429, 432, 436, 440 f., 488, 523 ff., 814, 818, 841 Bezirksorganisation (auch -verbände) 511,541 Bezirksvertretung 512, 518, 544 Bezirksvorsteher 386, 418, 424, 484, 670, 715 f. Bezirks-Central-Verein 517 Bezirksvereine 680, 806, 814, 819, 850, 867 Bezirksverein Alt-Kölln 832 Bezirksverein auf dem Gesundbrunnen 812, 814 Bezirksverein Dennewitz-Platz 812 f., 830 Bezirksverein des Hallesehen Torbezirks 830 Bezirksverein im 118. Stadtbezirk 812 Bezirksverein Köpenicker Stadtviertel 833 Bezirksverein Rosenthaler Vorstadt 833 Bezirksverein Schönhauser Allee 819 Bezirksverein Südliche Friedrichstadt 833 Bildungsbürgertum (auch Bildungsberufe, Intelligenz) 40, 71, 78, 152, 160,200, 207, 254, 280 f., 287, 319, 367, 379, 389, 411, 434 f., 444, 456 ff., 490 f., 634, 659, 674, 682, 690 ff., 710, 713, 813, 878, 949, 1007, 1010, 1044, 1051, 1091, 1105 Bourgeoisie 40, 231, 263, 520, 979 Brauer (auch Bierbrauer) 230, 459, 939 Buchbinder 460 Buchhändler (auch Verleger, Buch- und Druckgewerbe) 158, 221, 280, 299, 456, 564, 629, 707, 869

Sachregister Bülow-Cummerowscher Verein 569 Bürger, Bürgerschaft 5 f., 17, 21, 30, 37 f., 45, 48, 51, 65 ff., 72, 74, 77, 85, 95, 105, 110 f., 122, 124, 132, 137, 139 f., 144, 148, 150 f., 153 ff., 158, 160 ff., 165 ff., 182, 190, 211, 217, 225 f., 231, 240, 278, 293, 298, 302 ff., 315 f., 355, 373, 377 ff., 381, 385 ff., 389, 410 f., 417 f., 421, 425, 428 f., 432, 434, 438 f., 441 f., 444 f., 447, 462, 464, 466, 484 f., 489, 506, 523, 556 f., 559, 563, 567, 577, 587, 605, 626 f., 629, 631 ff., 641, 645 f., 648, 650, 659 f., 668, 674,680,711,717,719,721 f., 724, 804, 808, 818, 829, 834, 872 f., 889 f., 910, 949, 951, 1033, 1035, 1085, 1094, 1100, 1110 - Begriff 25,41, 382, 653, 663 Bürgerbrief (siehe Bürgerrecht) Bürger (auch Bürgerschafts-) deputierte 57, 71, 242, 368, 370, 806 Bürgergemeinde 25, 37, 164, 252, 256, 430,446,492,647,665,1086 Bürgergesellschaft (auch Verein zur Förderung des Bürger- und Gemeinsinns) 287 f. Bürgergesellschaft, klassenlose 25 f., 231,292, 1087 Bürgerliche Kultur 40, 62, 164, 247, 249, 1074, 1110 Bürgerkrieg 493, 501 Bürgermeister (auch Gemeindevorsteher, Magistratsdirigent, Stadtdirektor, Stadtoberhaupt; siehe auch Oberbürgermeister) 71, 121, 140, 175, 187, 269, 284, 288, 323, 353, 368, 389, 396, 400 f., 403, 405 ff., 446, 481, 504 f., 513, 528, 543, 545 ff., 549, 556, 559, 564, 569, 582, 585, 587 ff., 593 ff., 599 ff., 605, 610 ff., 616, 638, 658, 682, 725, 779, 781 f., 784 ff., 794, 867, 872, 875 ff., 879, 925,931,940,952,983, 1ß31, 1039, 1059, 1107 - Amtsenthebung 480

1293

- Aufsichts- und Revisionsrechte 269, 272, 276, 563 - Beanstandungsrecht (auch Suspensionsrecht), Stadtverordnetenbeschlüsse 549, 580, 584, 589, 594 f. - Berichterstattung an Aufsichtsbehörden 139,406 - Beschwerden über Amtsführung 140, 373,407 - Disziplinargewalt 400, 403 f., 407 - Einigungsverfahren (auch Verständigungsverfahren) mit der Stadtverordneten-Versammlung 591, 594, 597 - Leitung der Geschäftsführung im Magistrat (siehe auch Magistrat) 402, 406, 569 - als mittelbarer Staatsbeamter 405, 569, 602, 781 f., 794 - Ordnung des Geschäftsverkehrs 393, 406 - als Verwalter der Ortspolizei 582, 610 - Weisungsbefugnisse 401, 569 Bürgerpartei (auch Bürgervereinigung) 697, 700 ff., 705 f., 822, 836, 853 Bürgerpflichten 152, 173, 265, 438, 489, 547, 560, 572, 613, 646, 668, 673 f., 767, 880, 1007, 1096 Bürgerrecht 12, 20, 36, 41, 75 ff., 93, 148 f., 150 ff., 158, 161, 163 ff., 189, 208 ff., 214 ff., 218 ff., 222 ff., 227, 229, 240, 252 ff., 256, 258 f., 263, 266 ff., 273 f., 277, 279 f., 285, 292 f., 296, 303, 313, 331, 347, 367 f., 370, 374, 379, 385 ff., 411, 418 ff., 424, 434, 453, 464 f., 467, 489 f., 530, 533, 538, 547, 566 f., 573 f., 576, 628 ff., 636, 640 f., 644, 650 f., 653, 655, 665, 667 ff., 673 ff., 726, 841, 866, 873, 875, 1087 ff., 1095, 1104, 1111 - Äquivalenzprinzip von Leistung und Gegenleistung 687, 883 f., 908, 943, 1090, 1097, 1109 - Ausnahmeregelungen 150, 152 f., 220 - Begriff 164 f., 448, 453

1294

Sachregister

- Begrenzung, soziale 151, 214, 254, 645 - Besitzlose (auch ArrnenunterstütSchlafstelleninhazungsempfänger, ber) 160, 726 f. - Bürgerbrief 36,418,637, 665, 673 - Gewerbeordnung (siehe Gewerbefreiheit) - Ordnungs- und Moralisierungsinstrument 263, 292 - Pflicht, Pflichten 149 f., 209, 215, 230, 273, 277, 367 f., 379, 418 ff., 424, 465, 668 - privatrechtliche Wirkungen 150, 223, 1088 - Steuerzensus (auch Mindesteinkommen) 208, 386, 573, 633, 641, 651, 655, 665, 670, 673, 675 f., 873, 875 - Verlust der Mitwirkungsrechte 223, 385,434,650,841,866 - Zwangscharakter 150 ff., 567 Bürgerrechtsgeld 217, 220 ff., 227, 256, 258 ff., 263 f., 537 ff., 566, 628, 673, 739 Bürgerrollen 148 ff., 385, 418, 447, 1100 Bürgertumsbegriff 24, 39, 248, 653 Bürgertumsgeschichte 26, 41 Bürgerwehr (auch Bürgergarde, Bürgermiliz) 301, 478 f., 484 f., 491, 498, 510,513 f., 522 Bürgerwehr-Club 510 Bürgerwehrgesetz 485 Bürokratie 45 f., 53, 56 ff., 85, 109, 203 f., 294 ff., 508, 636, 773, 786, 1023 - Gemeindebürokratie 11, 26, 253, 264, 303, 364, 367, 387, 408, 417, 440, 446, 453, 499, 521, 565, 626, 722, 748, 1103 - Reformbürokratie 11, 42, 48, 52, 63 f., 68 f., 85, 94, 105, 122, 128, 130, 133, 159, 167, 194, 199, 223, 241, 445, 453, 556, 606, 730, 1104, 1108

- Staats- und Ministerialbürokratie 2, 17, 21 f., 45, 88, 105, 154, 159, 176, 184, 188, 193, 221 ff., 229, 234 f., 238, 245, 254, 258, 267, 269, 276 f., 279, 293, 296, 304, 308, 310 f., 315 f., 318, 320 f., 340, 346, 350, 355, 359, 383 f., 387, 412, 425, 442, 446, 453, 466, 476, 486, 499, 521, 565, 626, 642, 648, 654, 667, 671, 722, 736, 746 ff.,778, 907, 913, 918, 963, 1091, 1098, 1103 Bürokratisches Prinzip 553 Bürokratisierung 31, 540, 647 Bund der Gerechten 286 Bundesverfassungsgericht 4, 1002 Bundestagswahlen 735 Bundestagswahlkreise 1002 Central-Arbeiter-Comite, Breslau (siehe Arbeiterbewegung) Central-Comite der Arbeiter (siehe Arbeiterbewegung) Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen 487 f. Citybildung 1002 Comite administratif 129, 298 ff., 302, 308, 314, 326 Comite für volksthümliche Wahlen im Preußischen Staate 519 Constitutionelles Central-Wah1comite 519 f. Conseils generaux 505 Conseils municipaux 505 Conservatives Central-Comite 820, 822 f., 826, 828, 831 Constitutions-Ergänzungsakte, Frankfurt/M., von 1816 111 Daseinsvorsorge (auch freiwillige Kommunalaufgaben, freiwillige gemeinnützige Anstalten) 186, 266, 489, 620,883,928,1085,1107,1109 Demokraten-Kongresse 282 - Erster nationaler Kongreß der Demokraten Deutschlands 282

Sachregister Demokraten, demokratische Bewegung 496, 499, 509, 511, 513, 516, 518 ff., 522, 527 Demokratieprinzip 7, 102, 104, 109, 213, 281, 377, 391, 507, 548 Demokratische Vereine 282, 522 Demokratische Vereinigung 852, 954 Deputationen (siehe auch Ausschüsse, Kommissionen, Kuratorien) 29, 52, 131, 136, 180, 182, 202, 225, 276, 312, 353, 368 ff., 392, 401 f., 405 f., 408, 414, 504, 564, 570, 680, 705, 778 ff., 796, 842 Destillateure 230, 459 Deutsch-freisinniger Verein Moabit 850 Deutsche Fortschrittspartei (auch Fortschritt) 660, 677 f., 680, 683, 703, 783, 805 ff., 812, 829, 832, 880, 882, 908, 980 Deutscher Antisemitenbund 700 Deutscher Städtetag 952, 1028, 1030 Deutscher Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit 727 Deutschfreisinnige Partei 882, 614 Dezentralisation, Dezentralisierung (auch adminstrative -) 7, 58, 100, 105, 185, 301, 570, 623, 791, 807, 864 Dezernate 400, 754 Dienstpersonal, Dienstboten, Dienstmädchen 471, 493, 551, 726 Diskonto-Gesellschaft 871 Domänen (auch -verwaltung) 46, 79, 125, 183, 297 f., 546 Dotationsgesetze 183 Drechsler 430 Dreiklassensystem (siehe Wahlsystem, kommunales etc.) Egalitätsprinzip (siehe Gleichheitsprinzip) Ehrenamt (auch Bürger-, Stadtamt) 98 f., 100, 251, 302, 347, 369, 371 f., 408, 468, 577 f., 646, 653, 662 ff., 670, 673, 684, 708 f., 739, 784, 836, 870, 1092, 1095, 1100

1295

Ehrenrechte, bürgerliche (siehe auch Wahlrecht, kommunales) 268, 273, 386 f., 391 Eigentumsfreiheit (auch -prinzip, -recht) 68, 204, 206, 292, 622, 1091 Eigentumsordnung, bürgerliche 23, 76, 167, 292, 1087 Eigenverantwortlichkeitsprinzip 1, 103 Eingemeindung (siehe Weichbild) Einheitsstaat 46, 94, 134 Einigung, deutsche (auch deutsche Frage) 478 Einkammersystem 189 Einkaufsgeld 537, 585 Einkommen (auch Einkommensgruppen, -schichten, -status, -struktur, -verhältnisse) 76, 78 f., 81, 154, 156, 158, 162 f., 165, 193, 198, 208, 210, 212, 220, 254, 258, 292, 322, 378 ff., 386 f., 389 ff., 419, 443 ff., 449, 453 ff., 460 f., 475, 484, 518 f., 542, 547, 557 f., 560, 562, 567, 569, 573, 575, 577, 628, 636, 640, 642, 644 f., 649, 655, 661, 663 ff., 669, 673, 675 f., 684, 687 ff., 716 ff., 722 ff., 736, 803, 818, 821, 866, 871, 875, 877, 885, 889, 891, 897, 917, 922 ff., 926, 932, 934, 936 ff., 940, 944 f., 1018, 1067, 1080, 1086, 1089 f., 1096 f., 1104 Einkommensteuer 57, 156, 163, 265, 308 f., 311, 321 f., 340, 342, 365, 454, 684, 716 f., 720, 722 ff., 866, 875, 878, 884 f., 887, 890 ff., 897 f., 900, 905 f., 910, 924, 931 ff., 936, 945, 1015, 1021, 1043, 1050, 1089, 1096 Einkommensteuerkataster 722 Einkommensteuergesetze 163, 723, 885, 925,931, 934 Einwohnergemeinde 21, 26, 164 f., 222, 252,256,274,285,562, 1086, 1104 Einzelstaaten 59, 75, 908, 1097 Einzugsgeld (auch Hausstandsgeld) 537 f., 585

1296

Sachregister

Entörtlichungsprozeß der Gemeindeaufgaben 3 Ernennung, landesherrliche, berufsständische (von Gemeindebeamten, -vertretern) 55, 379, 402, 543, 554, 749, 854 Ersatzanspruche aus staatlichen Verwaltungsakten 329, 350, 361, 747, 750 f. Erwerbslosigkeit 487 Erziehung, politisch-moralische 56, 285, 681, 1110 Etatisierung 543 Eximierte (auch eximierte Bevölkerung, Personen) 75, 113, 129, 151, 208, 301 Existenzgrundung 227, 258, 266 Fabrikanten (auch Fabrikbesitzer) 211, 228, 234, 241, 246, 289, 430 ff., 434, 454 ff., 531, 707 ff., 712 f., 811, 885 Fabrikarbeiter 307 Fabriken, Fabriken- und Manufakturwesen 40, 78, 118, 158, 171, 173, 227, 245 f., 253, 259, 275, 308, 455, 531, 533, 707, 853 Familie (auch Familienstand, -verband) 196, 240, 242, 270, 331, 336 ff., 340, 453, 468, 535, 556, 640, 709, 726, 728, 1042 ff., 1050, 1072, 1092 Februarrevolution (siehe Revolution, von 1848 bzw. 1917) Feuersozietät (auch Feuersozietätskasse, -sachen) 134, 181, 306, 363, 369 Feuerwehr (siehe Polizeiverwaltung) Fideikommißgesetz, 1917 1046 Finanzausgleich 305, 321, 356, 358, 361, 889, 1109 Finanzedikt, 1810 218,317 Finanzministerium, preußisches 259, 317,343 Finanznotstand, kommunaler (siehe Kommunalfinanzen) Finanzpolitik 143 f., 305, 328, 1109 Fluchtliniengesetz, 1875 755 ff. Förderatives Prinzip 104

Fortbildungsschulen 796 Fortschrittliche Volkspartei 614, 689, 953 ff., 1041, 1047, 1057, 1062, 1064, 1066 f. Fraktionierung, Stadtbürgertum 17, 19, 23,44,680,687,814,859 Fraktionszwang 654 Frankfurter Tor-Bezirksverein 813 Frauenbewegung 955 Frauengleichberechtigung 158, 954 Frauenwahlrecht (siehe Wahlrecht) Frauenwahlrechtsvereine 1020 Freie Berufe (siehe Bildungsbürgertum) Freie Fraktion 862 Freihandel 234, 238 Freihandelsverein 288 Freikonservative Partei 695, 703, 742, 830, 841, 893, 896, 899 f., 902 f., 905, 908, 917, 929 ff., 936 ff., 990, 1005, 1012, 1055, 1058 f., 1064 Freimeister 237 f. Freisinnige Volkspartei 882, 908, 990, 1049, 1097 Freisinniger Bezirksverein des Ostens 833 Freizügigkeit (siehe Niederlassungsfreiheit) Friedrichstädtischer Bezirksverein 805 Fruhliberalismus 24, 224 Fruhindustrialisierung 263, 531 Fruhindustrielle Gesellschaft 452, 454, 475 Führungseliten, parlamentarische 506 Gärtner 431, 456, 458, 639 Gasanstalt, städtische 408 Gastwirte, Hoteliers, Gast- und Hotelgewerbe 247, 430 f., 435, 456, 459, 886 Geistliche, Geistlichkeit 20, 72, 79, 153 f., 156, 196, 198,207,209,337, 359,388,451,563,918 Gelehrte, Gelehrtenstand 72, 207, 211, 281, 379, 564, 634 Gemeinde(n) 1, 3 ff., 10 f., 13, 18, 21, 23, 25 ff., 29 ff., 41 ff., 73, 78, 86,

Sachregister 96, 99, 102, 106 ff, 129, 135, 139 f., 151, 155, 158, 161 ff., 169, 188, 192, 205, 209 ff., 220, 222, 230, 251, 253 f., 266, 276 f, 285, 290 f, 294, 300, 307, 309 f., 316, 324, 331, 343, 360 f., 365, 369 f., 378 ff, 391 ff, 416, 419, 429, 442, 467, 475, 480 f, 492, 506, 511, 526, 537 ff, 540, 542 f., 545, 550 f., 556 ff, 563, 565 ff, 577 f, 584, 589, 597, 599, 601 f, 605, 609, 611, 616 ff, 624, 628, 634, 647 f., 651, 659, 662, 664, 668, 676, 683 ff, 691, 693 f., 704 ff, 709, 724, 731, 737, 744 f, 748 f., 753, 756, 766, 771, 777 f, 780, 839, 866, 870, 877, 881, 883 f., 890, 902, 908 f, 912, 923, 946 ff, 953 ff, 965 f, 1021, 1024, 1032 ff., 1097, 1099 ff, 1103 ff, 1107 f, 1111 - Begriff 3 ff., 104 ff, 618, 883, 954, 1086 - als entpolitisierter (auch unpolitischer) Raum 30, 652, 659, 661, 682 f., 694, 738, 743, 1035, 1102, 1106, 1108 - als öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaft 1, 5, 9, 18, 98, 100 f., 111 f., 107 f., 121 129, 141, 148, 167, 187, 418, 425, 778, 1084, 1087, 1107, 1111 - als offene Gesellschaft 21, 249 - als politisch restriktive Gesellschaft 26,28, 30 f., 35, 269, 518, 532, 535 - als staatlicher Verwaltungs bezirk 111 - als Wirtschaftskorporation 108, 124, 130, 882 f., 893, 953, 1024 Gemeindeangelegenheiten (auch -aufgaben, Kommunalaufgaben, Selbstverwaltungsangelegenheiten, -aufgaben) 3 f, 6, 27 f., 54, 74, 87, 90, 108, 123, 132, 136, 144, 169, 180, 233, 305 ff, 314 f., 324, 333, 381, 392 f, 396, 405, 408, 411, 414 f, 510, 543, 551, 556, 558, 571, 584, 597, 600 f, 612 f., 618 ff, 622, 625, 633, 651, 675, 743, 761, 777, 781, 798, 853,

1297

869, 929, 961, 1031 ff, 1093, 1099, 1100, 1107, 1109 - Auftragsverwaltung (siehe Auftragsangelegenheiten) - Kommunalisierung staatlicher Aufgaben (siehe auch Polizeiverwaltung) 18, 28, 184, 269, 295, 312, 314 f, 324, 326, 332, 334 Gemeindeautonomie, Gemeindefreiheit (auch kommunale Autonomie, Selbstverwaltung als Ausdruck städtischer Selbständigkeit, Selbstregierung) 3 f, 6, 18, 35, 89, 95 ff, 108 f., 111, 121 f., 134 f., 142, 145 ff, 168 f, 187, 213, 226, 276 f, 280, 303, 398, 405, 415, 417, 481, 542, 547, 554, 557, 569, 576, 583 f, 589, 597, 599, 603, 609 f., 618, 653, 694, 702, 705, 772, 780, 786, 872, 880, 926, 930, 934 f., 940, 942, 948, 951, 1086, 1099 Gemeinderecht (siehe Kommunalrecht) Gemeindebürokratie (siehe Bürokratie) Gemeindefinanzen (siehe Kommunalfinanzen) Gemeindefinanzgesetz, preußisches, 1933 2 Gemeindegrößenklassen (auch Städtegrößen-) 465, 538, 560, 668, 676, 917,930,932 Gemeindehaushalt (siehe Kommunalhaushalt) Gemeindeordnung 4, 9, 11, 15 f, 22, 36, 102, 104, 110, 123, 129, 188, 481,549 ff., 666 - badische, 1831 (Gemeindegesetz) 869 - preußische, 1850 162, 285, 427, 460, 525 f., 537, 544, 555 f., 559, 561, 565, 569 ff., 578 f., 581, 583, 600 f, 626 f, 629 ff, 633, 636, 639 f, 648, 685 f, 688, 690 f, 732, 801, 803, 806, 817, 825, 828, 889 - preußische, Entwurf, Berliner Magistrat, 1849 209, 537, 561 ff, 598 - preußische, Entwurf, liberaldemokratisches Bündnis, Preußische Nationalversammlung 545, 547, 602

1298

Sachregister

- preußische, Entwurf, liberaler (Vincke-Fraktion) 579, 605 - preußische, Regierungsentwurf 537, 542, 550, 552, 562 - Rheinprovinz, 1845 22, 274, 666, 957 - westliche Provinzen, Entwurf, Bezirksregierung Münster, 1818 214, 216 Gemeinderecht, Gemeindeverfassung (siehe Kommunalrecht, Kommunalverfassung) Gemeinderat 537, 543 ff., 552, 556, 562, 571, 573, 579, 599, 601, 690, 710,801 Gemeinderepräsentation (siehe Stadtverordnete, Stadtverordneten-Versammlung) Gemeindeversammlung 476, 545 Gemeindesteuern (siehe Kommunalsteuern) Gemeindeverfassungsgesetz, preußisches, 1933 2 Gemeindeverwaltung (siehe Kommunalverwaltung) Gemeindewahlen (siehe Kommunalwahlen) Gemeines Recht 618 Gemeinsinn, Gemeinsinnbildung (auch Bürgersinn) 6, 10 f., 21, 37, 54 ff., 73, 84, 94, 122 f., 167, 224, 226, 249,251,257,286 f., 291, 303, 311, 332, 371, 381, 414, 416, 428 f., 434, 440, 446, 458, 462, 467 f., 479, 487, 533, 577, 634, 649 ff., 1088 Gemeinwohl (siehe Staatswohl) Gendarmerieedikt, 1812 9, 88, 192 f., 211, 555 Genehrnigungsvorbehalt (auch genehmungspflichtige Akte) 396, 531, 585, 592 f., 652, 693, 756 Generaladministration für Finanzen und Domänen 298 Generalbüro 297, 299 f. Generaldirektorium 112, 114, 117, 172, 297 f., 300 Generaldomänenkasse 127

Generalinvalidenkasse 220 Generalkriegskasse 127 Generallandtag, ostpreußischer 77 ff. Generalstaatskasse 315 Generalverwaltungsbehörde 298, 300 f. Genossenschaften, öffentliche 98, 254, 268, 559, 576, 645, 651, 681, 882 Gerichtshof zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten (siehe Polizei) Gerichtsbarkeit - freiwillige 692 - kommunale 9, 95, 112, 116, 124, 233, 298, 307, 361 - Patrimonial- 122 - Unabhängigkeit 284 Gesamtgemeinden 551 f., 563, 565 Geschäftsreglement, Magistrat Breslau 181 Geschworene 80, 663, 716 Geschworenengerichte 477, 498 Gesellschaftsgeschichte 24, 36, 40, 96, 457 Gesellen 167, 215, 235, 241, 245, 259 f., 262 ff., 268, 271, 286, 311, 458,479,487,533,634 Gesellen-Verein (Bauhandwerker) 291 Gesetz über Zulässigkeit des Rechtswegs, 1842 175, 278, 607 Gesinde 115, 167, 178 ff., 353, 369, 493,558,768 Getreidezoll 705 Gewaltenteilung 136 Gewaltmonopol, staatliches 8, 69, 85, 1110 Gewerbe, Gewerbearten, -klassen, -zweige 18, 66, 72, 75, 77 f., 112, 149 ff., 153, 171 f., 174, 178, 183, 206 f., 215 f., 218 f., 222 f., 227, 229 f., 238, 240 f., 243 f., 249, 252 f., 255, 259, 261 f., 268, 270, 275, 277 ff., 288, 319, 379, 383, 390, 452, 457,479, 531, 550, 573, 632 ff., 640, 644, 647, 676, 684, 950, 1066, 1090

Sachregister Gewerbebetrieb, Gewerbebetriebe 22, 150, 205, 207, 216, 219, 223, 228, 253, 258 ff., 263, 265, 267, 270, 276, 278, 382, 488, 531, 560, 567, 573, 575, 631, 638, 642, 644, 670, 675, 686, 743, 866, 884, 1042, 1044 f. Gewerbebürgertum (siehe Wirtschaftsbürgertum) Gewerbefreiheit 17 f., 23, 36, 65, 73 f., 214 ff., 222, 224 f., 227 ff., 232 ff., 237 ff., 249 f., 253 ff., 263, 265 f., 268 ff., 275, 278 f., 292 f., 296, 331, 345, 365, 386, 453, 479, 520, 530 ff., 536, 1087 f., 1109 - Bürgerrecht 75, 149, 214 ff., 218 f., 222 f., 227, 229, 252, 254, 256, 263, 267, 273, 279, 292, 296, 387, 530, 533, 1087, 1089 - Ungleichheit 267, 292 Gewerbeförderung 236, 238, 241, 243 Gewerbekonzessionen 179, 181 Gewerbeordnung (auch Gewerbegesetz, Gewerbegesetzgebung) 18, 215, 218 f., 228, 233, 238, 243 ff., 258, 267, 370, 530 f., 565 - allgemeine, von 1845 228, 268 ff., 273 f., 276 ff., 296, 1089 - Entwurf, deutscher Handwerker- und Gewerbekongreß, 1848 531 f. - Memorandum der Berliner Stadtverordneten zum Regierungsentwurf 267 Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, 1869 273 Gewerbepolitik 18, 171, 224, 267 f., 274,479,530,532 Gewerbepolizeigesetz, von 1811 217, 222 f., 236, 238, 242, 278 Gewerbepolizeigesetz, Entwurf, 1835 244, 257, 277 Gewerberecht 212, 226, 253, 269, 313, 373,380,454,536 Gewerbeschule 233 Gewerbestatistik 451 f., 455 f., 460 f. Gewerbesteuer (auch -besteuerung) 185, 207, 215, 299, 235 237 f., 259 ff.,

1299

318, 368 f., 443, 445, 561, 866, 884, 890, 893, 895, 1043, 1089 Gewerbesteueredikt, von 1810 153, 218 f., 222, 228 Gewerbesteuergesetz, von 1820 259 ff. Gewerbestruktur 224 Gewerbetreibende (siehe auch Wirtschaftsbürgertutn) 77, 150 f., 190, 223, 226 ff., 236 f., 241 f., 245, 248, 256 f., 260 f., 264, 266 ff., 273, 277, 304, 379, 387, 390, 434, 443, 456, 486, 488 f., 532, 567, 573, 628, 634, 643 f., 663 f., 884, 922, 948, 950, 1087 Gewerke 158 f., 234, 243, 388,497,646 Gewerkvereine 287, 681, 991 Gewerksgebühren 241 Gleichheit (auch Gleichberechtigung) - politische (auch Wahlrechts-) 39, 69, 104, 158, 189, 192, 391, 467, 469, 471 ff., 477, 510, 518, 551, 676, 678, 681, 687, 820, 822, 824, 831 f., 852, 855, 870, 947, 954 ff., 1025 f., 1030, 1037, 1061, 1066, 1068, 1071 f., 1080 f., 1086, 1096, 1101 f. - naturrechtliche 76, 167 - rechtliche 65, 67, 69, 77, 214, 289, 389, 420, 669, 681, 954, 1057 - staatsbürgerliche 9, 62, 74 f., 190, 954 - stadtbürgerliche 8, 148, 151, 301, 509, 567, 626, 647 - ständische 200 Gleichheitsprinzip (auch Egalitätsprinzip) 76, 78, 104, 167, 188, 191, 209 f., 295, 526, 531, 540, 572) Gouverneur, Gouvernement 113 ff., 126, 177, 298 Grafenverbände 1036 Großbürger 147, 159 Großer oder Hedemannscher Handwerkerverein 285 f. Großgrundbesitz 72 f., 190 f., 204, 211 f., 318, 520, 900, 957, 1052, 1059 Großhandel 253, 736

1300

Sachregister

Großkaufleute (auch Handelsnobilität; siehe auch Kaufleute) 40, 248, 451, 455, 460 Großstädte 33, 41, 71, 80, 120 f., 140, 150, 156 ff., 160, 176, 193, 196 ff., 201, 205, 207, 210, 214, 220, 255, 265, 292, 318, 327, 352 f., 366, 371 f., 377, 379, 383, 387 f., 390, 398, 418, 420 f., 424, 440 f., 457, 462 f., 465 f., 468, 503, 542 f." 545, 549, 559, 593, 603, 628, 633, 636, 639, 641, 655 f., 670, 672, 675, 709 ff., 718, 725, 730, 743, 783, 785, 787, 798, 807, 829, 842 f., 848, 869 f., 876, 881, 896, 901, 908, 910, 913 f., 920 ff., 935, 940 f., 947, 951, 969 f., 973 f., 976 f., 981, 984 ff., 991, 994, 1004, 1016, 1018, 1022, 1023, 1036, 1049, 1052, 1054, 1060, 1066 ff., 1069, 1075 ff., 1104, 1106, 1109 Großunternehmertum 247 f., 275, 736, 900 Grundeigentum (auch Grundbesitz) 22, 70, 72, 75, 78, 80, 88, 145, 149 ff., 151, 153, 158 f., 190 f., 193, 195, 197 f., 200 f., 203 ff., 211 f., 215, 219 f., 223, 237, 243, 253, 258, 274, 378 ff., 382 f., 443 f., 456, 489, 518, 542, 545, 550 f., 557 ff., 567, 571 ff., 585, 593, 628, 647, 673, 675, 731, 773, 881 f., 884, 888 f., 905, 947, 949 f., 1036, 1042, 1044 f., 1089, 1091 f., 1095 Grundgesetz (siehe Verfassung, Bundesrepublik Deutschland) Grund- und Freiheitsrechte 1, 104, 476, 481,498,518,531,606 Gutsbesitzer (auch Rittergutsbesitzer) 57, 69 f., 77, 80, 88, 192 f., 196 ff., 200, 203 ff., 736, 885, 894, 961, 969, 971, 1091 Gutsbezirke (auch Rittergüter) 69, 88, 98,206,894,896,961,966 Gutsherrschaft 540

Händler (auch Klein-, Materialwaren-, Kommissions- und Viktualienhändler) 230, 255, 430 f., 456 Handel 63, 66, 73, 158 f., 173 f., 183, 234, 255, 457, 513, 531, 645, 698, 756, 975, 1016, 1087, 1109 Handelsamt 256 Handelsministerium (siehe Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten) Handelsstadt 25, 231, 1021 Handlungsgehilfen 566 Handwerk (auch -berufe, -branchen, -zweige) 73, 215, 217 ff., 224, 227 ff., 232, 234, 243, 248, 250, 253, 260, 262 ff., 268 f., 270 ff., 278 f., 286, 340, 386, 430 ff., 455 ff., 459 ff., 475, 491, 520, 522, 531 ff., 535 f., 576, 578, 645, 651, 698, 707 ff., 712, 1087 ff., 1104 f. - Aufsichtsrechte, kommunale 268 f., 272 - Ausbildungs- und Prüfungswesen (auch Lehrlingsausbildung) 235, 245, 257, 259, 262, 268 f., 271 f., 331, 535 - Gewerbekammern, -räte 535 - Landmeister 279 - Proletarisierung 262 f., 531, 533 - Strukturwandel 227 - Verdrängungswettbewerb 535 Handwerker, Handwerksgesellen 152, 208, 215, 219, 245 f., 259 ff., 275, 286, 323, 367, 455 f., 458, 461, 487, 520, 532, 566, 638, 641, 645, 651, 683, 718, 725 f., 939 Handwerksbewegung (auch Handwerker- und Gesellenkongresse) 285 f., 520, 530 ff., 535 f. Handwerksmeister 230, 234, 289, 435, 445, 452, 458, 479, 488, 490 f., 531 f., 634, 654, 707 Haus- und Grundbesitzer (auch -klausel, -privileg, -quote) 70, 150 f., 157 ff., 190, 193, 206, 208, 212 f., 215, 220, 223, 274, 285, 483, 489, 562, 571 ff.,

Sachregister 575 f., 628, 633, 646, 669, 685 f., 714 ff., 773, 854, 881, 884, 886, 944 ff., 950 ff., 1050, 1087, 1093, 1104 Hauseigentum 337, 339, 639, 663, 1095 Hausgemeinschaft, hausväterliche 453 Haushaltspolitik, kommunale 395, 399, 527 Haus- und Grundbesitzervereine 739, 1001 Heeresreform 780, 975 Herkunft, soziale 453, 491 Herkunftsgemeinde 534 Herrenhaus, preußisches (siehe Landtag, preußischer) Herrschaftsverband der Hausväter 165, 1086 Hochschulen (auch höhere Lehranstalten) 190, 1052 Höchstbesteuerte 210, 247, 378, 566, 665,679, 731, 896 Hofbedienstete 434 Honoratioren, Honoratiorentum 20, 40, 231, 301, 539, 570, 683 f., 813, 1092 Hypothekenbuch 464 Industrialismus 249, 292, 508, 1104 Industrie, Industrialisierung 65, 227, 234, 238, 249, 275, 291, 408, 475, 531, 535 f., 645, 709, 736, 887, 900, 992, 1007, 1016, 1086 Industrielle (siehe Unternehmer) Industriegesellschaft 25, 34, 41, 166, 187, 247 f., 449, 454, 641, 684, 687, 713, 790, 1011, 1074, 1109 Industriemetropole 475 Industriestädte (auch -bezirke, -gebiete; industrielle Gewerbestadt) 231, 282, 578, 882, 910, 917, 931, 935, 986, 991, 1003 f., 1012, 1016, 1021, 1025, 1028 f., 1046, 1055, 1059, 1066 ff., 1075, 1080 Infrastruktur 63, 115, 489, 839, 1106 Innenministerium, preußisches (siehe Ministerium des Innern)

1301

Innungen (siehe auch Gewerke) 174, 180, 226, 235, 249, 268 ff., 275, 279, 303, 532, 535 f., 645 f., 873 - Kassen- und Rechnungswesen 272 - Spar- und Unterstützungskassen 271 Innungszwang (auch Vereinigungs-, Zunftzwang) 47, 232, 245, 253, 302, 479,532 f. Interfraktioneller Ausschuß 1052 Integration, staatliche (siehe Staatsbildung) Interkommunale Zusammenarbeit 950, 1109 Intervention, staatliche (siehe Staatsinterventionismus ) Journalisten 451 Juden 149, 178, 182,419 f. - Bürgerrecht (auch politische Gleichberechtigung in der Gemeinde) 416, 419 f. - staatsbürgerliche Rechtsgleichheit (Judenemanzipation) 416, 420 Julirevolution (siehe Revolution, französische, 1830) Justitiar (siehe Rechtsanwalt) Justizbehörden 379 Justizkommissar (siehe Rechtsanwalt) Kämmerei (siehe Magistrat) Kämmereidörfer (auch Stadtforste) 116, 334, 358, 369 Kammerdeputierte 59 Kammergericht 126 Kammerrat, Kammerräte 59 f. Kassen, landschaftliche (auch Kreditsachen, Sozietäten) 59, 77, 156, 229 Katholizismus, politischer 614, 990, 1061, 1079 Kaufleute (siehe auch Großkaufleute) 40, 158 f., 211, 221, 230, 246, 255, 288 f., 299, 310, 367, 430 f., 434 f., 454, 456, 458 ff., 490, 564, 645, 690, 708 ff., 948

1302

Sachregister

Kaufmannschaft, Kaufmannschaften 409, 454,460,646 Kirche (auch Kirchensachen, -politik) 114 ff., 122, 191, 284, 426, 498, 694, 792, 1006, 1052 - evangelische 201, 501 f. - katholische 201 Kirchenrecht 1071 Klasse, soziale 20, 40, 47, 72, 207, 246 Klassengesellschaft 40 Klassenideologie, bürgerliche 292, 1087 Klassenkampf 1040 Klassensteueredikt, 1811 321 f. Klassenwahlrecht (siehe Wahlrecht) Kleinbürger 147, 159, 712 Kleinbürgertum 40,231,247 Kleinhandel 230, 243 f., 247 Kleinmeister 218,260,263 Kleinstädte 198, 207, 366, 390, 656, 882, 977, 1074 Königliche Militär- und Baukommission (auch Ministerial-Baukommission) 183, 185,617,758 Königstädtischer Bezirksverein 812, 819 Königtum (siehe Monarchie) Körperschaft des öffentlichen Rechts (als Träger der Selbstverwaltung; siehe Gemeinde) Kollegio Medico Sanitatis und Chirurgico 127 Kolonie, französische 113, 148, 420, 424 - Bürgerrechtspflicht 420 - Sonderrechte 420 Kommission (auch Deputation) zur Beratung über das Wohl der arbeitenden Klassen 487 Kommunalabgaben (auch Gebühren und Zwangsbeiträge) 126 f., 154 f., 220 ff., 241, 311, 337, 357 f., 361, 538, 673, 716, 729, 884, 895 Kommunalabgabengesetz, 1893 723, 950 f. Kommunalamt 243, 283, 501, 503, 528, 784, 945

Kommunalaufgaben (siehe Gemeindeangelegenheiten, -aufgaben, Selbstverwaltungsangelegenheiten) Kommunalaufsicht (siehe Staatsaufsicht) Kommunalbeamte, Kommunalbeamtenturn 142, 240, 249 f., 276 f., 279, 300, 303, 305, 307, 311, 319, 352, 389 f., 405 f., 414, 444, 446, 451, 503 ff., 546, 569, 604, 611 f., 673, 682, 691, 716, 769, 773 f., 782, 785 ff., 790, 794 f., 797 f., 790, 794 f., 797 f., 872, 877, 879, 940, 1035, 1083 f., 1099, 1100 Kommunalbürokratie (siehe Bürokratie) Kommunalfinanzen, kommunales Finanzwesen (auch Gemeindefinanzen) 144 f., 305 f., 318, 352, 355, 394, 399,409,598 - Einnahmeverluste, Ausgabenerhöhungen als Folge der Kommunalreform 306, 314, 317, 357, 399 - Finanznotstand, kommunaler 254, 307, 343 - Finanzhilfen, staatliche 314 f., 330, 357,728 - Kämmereiwesen (auch -einnahmen, -etats, -schulden, -vermögen) 115, 118 f., 125 f., 144, 147, 305 ff., 308, 317, 324, 328, 339, 341, 343 f., 351, 395, 397 ff., 406 - Kredit-, Schuldenaufnahme (auch Anleihen, Stadtanleihen, -obligationen, Zwangsanleihe) 129, 147, 308, 310, 315 f., 322 f., 334, 336, 341 f., 357, 394, 408, 453 f., 585 f. Kommunalgesetz, Belgien, 1830 542 Kommunalhaushalt (auch Gemeinde-, Stadthaushalt) 15, 128, 265, 287, 305, 311, 315, 3127 f., 322 ff., 335 f., 339, 341, 343 f., 349, 351, 354, 361 ff., 363, 368 f., 397 ff., 408 - Arbeitsbeschaffungskosten (auch Notstandsarbeiten) 486, 489 - ArmenpfIegekosten (auch Fürsorge-, Unterstützungsleistungen) 18, 182, 227, 239, 265, 312 f., 315, 317,

Sachregister 331 ff., 338, 343 f., 346 f., 348, 358, 408, 533 f., 726 ff., 766, 1089 - Be1euchtungskosten 127, 359 - Besoldungen, Pensionen 125, 127, 143, 156, 305, 311, 328, 362 f. - Finanzbedarf 305, 884 - Generalabschluß 341 f. - Haushaltsdisziplin 348 - Haushaltsdefizit 184, 312, 317 f., 324, 335 f., 339, 341 ff., 352, 362 f., 370, 398 f. - Haushaltsplan (auch Generaletat, Haupt-, Etataufstellung) 306, 311, 335, 344, 350, 398 f. - Justizkosten (auch Jurisdiktionslasten, Justizpflege-) 137, 144, 233, 310, 745 f. - Kassenrevisionen 341, 352 f., 356, 406 - Kommunalinvestitionen 133, 408, 884, 1106 - Ortspolizei (siehe Polizeikosten) - Schulkosten 338 - Servisleistungen (auch Einquartierung, Festungsgelder) 127 f., 300, 308, 317 - Sicherheitskosten (siehe auch Polizeiverwaltung, Feuerlösch- u. Nachtwachtwesen) 182, 359, 706, 746, 748, 751 f., 766 - Straßenunterhaltungs-, -reinigungskosten 127, 318, 329, 359, 751, 758, 766 - Verwaltungskosten 18, 52, 54, 56, 58, 128, 131, 169,261,303 ff., 317, 322, 325 f., 344 f., 355, 598, 687 - Zentralkassenetat 353 Kommunalisierung (siehe Kommunalaufgaben u. Polizeiverwaltung) Kommunalismus 23, 1104, 1106 Kommunalkörperschaften (siehe Magistrat, Stadtverordneten-Versammlung) Kommunalliberalismus 22, 332, 492, 550, 563, 568, 579, 597, 606, 654, 667, 694, 698, 700, 703, 715, 730,

1303

804, 809, 852, 858 f., 862 f., 940, 1086, 1098, 11 0 1, 1108 Kommunalrecht, Kommunalverfassung, Kommunalordnung (auch Gemeinderecht, Gemeindeverfassung) 13, 15, 21 f., 29, 31, 91, 93 ff., 107, 109, 11, 118, 132, 134 ff., 143, 146, 151 ff., 160 f., 165, 167, 180, 188, 197, 199, 207 f., 210 ff., 215 f., 218 f., 221 ff., 230, 249 ff., 257, 266, 274, 276 f., 295, 302, 311, 314, 317, 322, 335, 339, 347, 352, 364 ff., 377, 382 ff., 391 f., 403 f., 409 f., 413 ff., 419 f., 424 f., 428 ff., 432 f., 436, 440 f., 444 ff., 463 ff., 468, 472, 521, 525 f., 529 f., 561 ff., 568 f., 583, 586, 591, 627, 643 f., 652 f., 656, 668, 675, 683, 685, 714 f., 722, 725, 773, 779, 801, 806 ff., 845, 854, 862, 883, 892, 903, 1090, 1095, 1100 f. - bürgerliche Individualrechte 293 - Einheitlichkeit 2, 9, 199, 211, 256 f., 384 f., 540, 550, 555 f., 563, 565, 569 f., 577 f., 626, 631, 869, 880, 1085 - Liberalisierung 480, 484, 550 - Novellierung (auch Revision) 2, 16 f., 37, 44 f., 54, 139, 211, 242, 245, 252 f., 339, 355, 366, 370, 372 ff., 379, 382, 387, 392 f., 403, 412, 425, 443, 473, 509, 530, 540, 549, 568, 587 f., 596, 606, 631, 647, 656, 666, 672, 680, 778, 789, 802 f., 809, 817 f., 831, 843, 845, 847, 862, 865, 869, 947 - Reform - preußische, von 1808 6, 8 ff., 37 f., 71, 86 ff., 90 f., 96, 122 f., 129, 134, 142, 165, 169, 199, 265, 310, 318, 326, 366, 372, 418 - Kosten 18,54, 56, 265, 303, 305 f., 12, 324 - Satzungsrecht (auch Orts statut, Satzungen, Statutarrecht) 139 f., 269, 279, 347, 383 ff., 388, 442, 536, 570, 576, 601, 637, 645, 723, 758 f., 768, 816, 842, 845, 866, 868, 875, 878,

1304

Sachregister

918 ff., 926 f., 930, 932, 934, 936 f., 939 ff., 1098 f. Kommunalrefonn (siehe Kommunalrecht) Kommunalschulden, -verschuldung (auch Schuldendienst) 129 f., 146 f., 154, 300, 305, 307 f., 309, 311 ff., 315, 317, 325, 327 f., 336, 342, 352, 357 f., 364, 370, 372 Kommunalsteuern (auch Gemeindesteuern) 147, 155, 338, 369, 434, 562, 644, 661, 675, 687, 889 ff., 897, 934, 1094 f. - Abgabenregelung für Staats- und Gemeindebeamte 154 f. - Akzise, Kommunalzuschlag (auch Kommunalakzise, indirekte Steuern) 137, 156, 308 f., 322 f., 325 ff., 328, 343, 687, 884, 894 f., 912, 944 f., 1029, 1089 - Ausgesteuerte, Aussteuerung (auch Beamtenprivilegien) 156 f., 337 f. - Braumalzsteuer 323, 334, 351, 358, 944 - Einkommensteuer (siehe auch Staatssteuern) 156, 308, 311, 321 f., 340, 342, 365 - Gesellensteuer 311 - Gewerbesteuer (siehe auch Staatssteuern) 157, 318, 327, 368 f., 558 f., 573 f. - Hausiersteuer 561 - Haussteuer 157, 159, 339 f., 673, 721, 1089 - Hundesteuer 353, 369 - Klassensteuer (Kommunalzuschlag) 157, 327, 558, 1089 - Lagersteuer 311 - Lustbarkeitssteuer 341 - Luxussteuern 309, 349 - Mahl- und Schlachtsteuer 146, 156 f., 349, 358, 558, 1089 - Mietsteuer 157, 246, 308, 311, 326, 328, 335 ff., 340 ff., 349, 385, 673, 821, 891, 1089 f. - Selbsteinschätzungsprinzip 322

Kommunalsteuergesetzgebung 871, 880 Kommunalverbände, höhere 70, 552, 554, 864, 959 Kommunalverwaltung (auch Gemeindeverwaltung) 18, 20, 29, 42, 71, 74, 95, 113 f., 119, 123 ff., 128, 131, 133 f., 143, 148, 154, 159, 167, 176, 184 ff., 211, 222, 239, 261 ff., 272 f., 276, 287, 294, 298, 301 ff., 306, 314, 324 ff., 329, 331, 344, 347, 350 f., 354 f., 357 f., 365, 367 f., 371 ff., 376, 381, 403, 405, 418, 424, 442, 460, 529, 539 f., 543, 598, 610, 623, 635, 643, 748, 756, 759, 767, 784, 791, 796, 800, 822, 831, 834, 840, 842, 1039 - Annendirektion 312, 314, 333, 348, 368,401,534, 719, 727 f. - Annenkommissionen 366, 386, 716, 870

331 ff.,

348,

- Annenfürsorge (auch -pflege, -pflicht) 134, 301, 313, 332, 338, 344, 348, 369, 534, 821, 1089, 1092 - Annenordnung, Berlin, 1826 333 - Aufbau (auch Organisation) 17, 19, 22, 52, 99 f., 117, 157, 185, 351, 366, 368, 370, 408, 541, 553, 555, 613, 709 f., 773 - Kassen- und Rechnungswesen (auch Kassenorganisation) 15, 18, 52, 171, 178, 272, 299, 305 ff., 333, 336, 341, 343, 350 ff., 356, 362 f., 368, 398, 400, 406, 408 - Grunderwerb 341 - Hauptarmenkasse 313, 315, 328, 333, 335, 342, 344 - Haus- und Mietsteuerkasse 328, 334 f., 369 - Kämmereizentralkasse 350, 356 - Kassen, kommunale 52, 233, 258, 305 ff., 313, 326, 331, 333 ff., 338, 342 ff., 350, 352 ff., 363 f., 370, 398, 406 - Krankenpflege 127, 312 f., 315, 330, 729

Sachregister - Schuldentilgungskasse 328, 353, 368, 525 - Servis- und Einquartierungswesen 134, 297 ff., 317, 323, 326 f., 368, 401, 719 - Stadthauptkasse (auch städtische Zentralkasse) 307, 326, 354, 363 f. - unter französischer Besatzung - Unterstützungskassen (auch -einrichtungen, -fonds) 271, 334, 370 - Verwaltungsvereinfachung (auch Zentralisation, Dezentralisation) 301, 306, 352, 362 f., 623 f., 807 Kommunalwahlbezirke, -kreise (siehe Wahlsystem, kommunales) Kommunalwahlen (auch Gemeindewahlen) 30 f., 44, 323, 367, 411, 413, 423, 426, 430, 434 f., 438 f., 444, 472, 485, 524, 558, 634, 636, 648, 654, 659 f., 666, 670, 688, 690, 693 ff., 696 f f., 704, 713, 725, 732 ff., 737 f., 740, 802, 804 f., 810, 816, 828, 830, 835, 840, 843 f., 847, 852 f., 855 f., 867, 870, 874, 886 f., 889 f., 895 f., 898, 902, 907, 910 f., 913, 925, 929, 931, 938, 941, 943, 961, 1083, 1092, 1099, 1102 - Neuwahlen 423, 483, 490, 523 f., 588, 700, 714, 800, 804, 808 ff., 815 f., 821, 823, 827 ff., 836, 862, 1093 - Nichtwähler 202, 429 ff., 456 - Parteienverhältnis 744 - Politisierung (siehe auch Politisierung, Gemeinde) 18, 30 f., 191, 427, 439, 446, 463, 468, 472 f., 475, 654, 660 f., 670 f., 694, 697, 702, 733, 820, 830, 840, 854, 877, 1094, 11oof. - Wählerbindung 439 - Wählerschaft 378, 381, 440 ff., 444 f., 471, 483, 489, 521, 542, 573, 585, 657, 663, 695, 702, 718, 733, 735 f., 804, 825, 829, 853, 857, 860, 870, 874, 912, 914, 922, 950, 998, 1021, 1098 f., 1105 - Sozialstruktur 461,445,451,922

1305

- Wählerverhalten (auch Wahlbewußtsein) 445, 577, 733, 740 f., 743, 791, 859 - Wahlprüfung 490, 523 - Wahlbeteiligung 421, 426 ff., 431, 435, 489, 527, 657, 662, 679, 732 ff., 737 f., 741,857,862,874,981, 1102, 1104 - Wahlenthaltung 427, 432, 445, 646, 651, 733, 737, 740, 742, 963 - Wahlreden 440 - Wiederwahl, -quote 354, 411, 423 ff., 439, 1100 Kommunalwahlrecht (siehe Wahlrecht, kommunales) Kommunale Dienste 20, 152,221 Kommunale Satzungen (siehe Kommunalrecht, Satzungsrecht) Kompetenzkonflikte (siehe Magistrat u. auch Polizeiverwaltung, staatliche Kontroll- u. Mitwirkungsrechte) Konkurrenzprinzip (auch freie Konkurrenz) 66, 222, 224, 234, 242, 260, 263 f., 275, 531 ff., 1087 Konservative, Konservativismus (Konservative Partei) 50, 108, 235, 246, 284, 489, 502, 515, 519 f., 522, 527 f., 532, 544, 559, 562, 569, 571 f., 592, 615, 617, 626, 632 ff., 636 f., 642, 645, 647, 653 f., 660 f., 671 f., 678, 680, 691, 693 f., 697, 702 f., 706, 773, 791, 797, 800, 820 ff., 829 f., 836, 841, 863, 880, 887, 893 ff., 897, 899, 901, 903, 906, 912 f., 916 f., 928, 930, 932, 934, 936 ff., 949, 958, 961, 963, 965, 969 f., 972, 975, 980 f., 989 f., 993 ff., 997, 1000 f., 1006 f., 1009, 1011 ff., 1025 f., 1029 f., 1035, 1038, 1041, 1043 f., 1048 f., 1051 f., 1059 f., 1064 f., 1069, 1072, 1074 f., 1077, 1079 f., 1085, 1099 Konstitutionalisierung 18, 133, 196, 204, 246, 251, 283, 290, 293, 320, 416 f., 476, 480, 483, 530, 564, 1085, 1091

1306

Sachregister

Konstitutionalismus 12, 15, 18, 33 ff., 169, 212, 281, 500, 510, 549, 606, 692,783,972, 1104 Konstitutioneller Klub 289, 496, 498 Kontributionen 66, 128, 300, 316, 356 Korporationen, gewerbliche (auch gewerbliche Genossenschaften, kaufmännische Verbindungen) 115, 150, 158 ff., 215, 219, 225 f., 233, 236, 243 f., 250, 254 ff., 267 f., 279, 290 ff., 559, 573, 576, 578, 581, 645 f., 651, 672, 681, 737 Korporatives Prinzip, Korporativismus 637 Kreis, Kreise 32, 78, 417, 499, 511 f., 541, 550, 554 f., 599, 645, 864, 893, 958 ff., 963, 965, 969, 972 ff., 977 ff., 981, 985, 994, 1010, 1018, 1020, 1022, 1053, 1055 f., 1067 Kreisabgaben, -steuern 685, 716, 889 f., 902 Kreisausschuß 616, 757, 787, 794, 864, 927 Kreisdeputierte 57, 80, 200 Kreisdirektor 599 Kreisfreiheit 435 Kreiskassen 464 Kreisordnung (auch -verfassung) 290, 544, 554 f., 571, 616, 642, 663, 680, 846 - preußische, von 1872 682, 787, 799, 864,951 Kreisrat 599 Kreisschulinspektor 796 Kreissekretär 782 Kreisstände 510, 969, 971 Kreistag, Kreistage (auch -vertretung, -versammlungen) 70, 198, 512, 518, 565,642,682,960,971,990 Kreisverbände 134, 511, 541, 951, 960, 970 Kreisvereine, konservativ-konstitutionelle 522 Kreisverwaltung (auch -behörden) 546, 600 Kreisverwaltungsgericht 613

Kriegs- und Domänenkammer(n) 59, 112, 133 - kurmärkische (auch - Regierung) 112,117,219,302,323 Kriegsschulden (auch Kriegslasten) 318, 321 - kommunale 154, 318, 536, 1089 - provinziale 154, 156, 318 Krisenverordnungen 2 Kritizismus 63 Kronprinzenkommission 242, 376 Künstler 156, 159, 211,456 f., 564, 634 Kultusministerium (siehe Ministerium für die geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten) Kuratorien 370, 842 Kurmärkische Regierung (Kammer; siehe Kriegs- und Domänenkammern) Landbevölkerung 221, 537, 571, 981 Landespolizei (auch -behörden; siehe Polizei) Landespolizeibezirk Berlin 773, 776 Landesversammlung, verfassungsgebende, Preußen 950 Landesverwaltung 97, 613, 784, 864 Landesverwaltungsgesetze 614, 616, 769, 775, 788 Landgemeinden 88, 192, 199, 204 f., 210, 212, 384, 544 f., 558, 565, 570 ff., 627, 864, 887, 893, 903, 913 ff., 932, 962, 971, 1010, 1043, 1065 - industrielle 913 ff., 917, 932, 1098 Landgemeindeordnung 643 - Entwurf, Potsdamer Regierung, 1823 378 - Großherzogtum Hessen, 1874 787 - preußische, 1891 715, 890, 905, 915, 951 - rheinische, 1845 274, 715, 889 f. - westfälische, 1841 274 Landhandwerk 238, 274, 531 Landkirchspiele 197 f.

Sachregister Landkreis, Landkreise 615, 973 f., 977, 981, 998, 1049, 1052 f., 1066 Landrat, Landräte (auch Landratsamt) 57, 69, 80, 120 f., 217, 220, 528, 554, 582, 667, 671, 838, 841, 965, 968,994 f. Landtag, preußischer (auch Landesvertretung) 12, 23, 28, 31, 43, 59, 70, 434, 477 f., 526, 537, 558, 561, 580, 582 f., 591, 597, 612, 649, 660, 670 f., 677 f., 680, 696, 756, 781, 800, 809, 824, 829, 831, 845, 848 f., 851, 854, 860, 879, 886, 890, 893, 896, 901, 916, 943, 945, 956, 964, 970 ff., 980, 983 ff., 992 f., 997, 1001, 1003, 1013, 1020 f., 1033, 1035 f., 1038, 1052, 1060 f., 1067, 1069 f., 1074, 1077 f., 1081, 1083, 1097 f. - Herrenhaus, preußisches (auch Erste Kammer, Pairskammer) 191, 196, 198, 201, 250, 434, 502, 512, 516, 518 ff., 537 ff., 552 ff., 559 ff., 572, 574 f., 579, 581 f., 592 f., 595, 609, 612, 625, 629, 632, 637 f., 642 ff., 656, 658, 786, 788, 793, 800, 842, 848, 875, 878 ff., 903 ff., 919, 939, 941, 961, 1003 ff., 1012 f., 1015 f., 1026 ff., 1030 f., 1034, 1036, 1044, 1052, 1059 f., 1068, 1071, 1075 f., 1079, 1081 f. - Reform (auch Zusammensetzung) 1052, 1059 f. - Vetorecht 1060 - Abgeordnetenhaus, preußisches (auch Zweite Kammer) 43 f., 191, 196, 198, 285,434, 516, 518 ff., 522, 526, 528, 537 ff., 552, 559 ff., 575, 579, 581 ff., 588, 592, 595 ff., 607 ff., 612 ff., 622 ff., 635, 637 ff., 642 ff., 648 ff., 654, 656, 659 ff., 668, 670, 677 ff., 681 f., 685, 716, 783, 786, 788, 797, 799, 809, 837, 842, 848, 867, 872 ff., 884 ff., 888, 904, 906 ff., 910 f., 913, 920, 926, 938 f., 943, 950, 953, 962, 965, 967, 971, 973, 977, 982, 984 ff., 990 f., 998, 1000, 1003 f., 1010, 1012, 1014,

1307

1016 ff., 1025, 1028 f., 1031, 1039 f., 1046 ff., 1052 f., 1058, 1060 f., 1064 ff., 1067, 1069 ff., 1074 ff., 1081 f. - Sächsischer 914 - Vereinigter 414 f., 476, 478 f., 493 f. Landtagsdeputierte (-abgeordnete) 77, 205 f., 695, 761, 849 Landtagswahlen 632, 683, 696, 704, 735, 737, 740, 742, 790, 792, 814, 821, 850, 886, 891, 894, 898, 901, 908 f., 911, 916, 921 f., 925, 964, 994,997,999, 1097, 1102 - Wahlbeteiligung und Wahlverhalten 735, 737, 740 ff., 981, 1012 Landtagswahlgesetz, preußisches, 1920 1083 Landtagswahlrecht (siehe Wahlrecht, Landtag, preußischer) Landtagswahlkreise, -bezirke (siehe Wahlsystem, Landtag, preußischer) Landwehr 323, 329, 513 Lebenshaltungskosten 476, 1092 Legalität, Legalitätsprinzip 482, 484, 492, 515 Legitimität 14, 105, 484 f., 491 f., 512, 808, 810, 814, 893, 1093, 1105 Lehranstalten (siehe Universitäten) Lehrer 79, 152 ff., 208 f., 337, 388, 451, 456 f., 503, 563, 691, 853, 867, 912, 918, 933 Lehrlinge 235, 245, 257, 259, 262, 268, 271 f., 535 Leistungsverwaltung 17, 27, 89, 371, 647 Leitbilder, kommunalrechtliche 101, 434, 597 Lex Arons 792 Liberale, Liberalismus (auch liberale Öffentlichkeit) 26, 29, 31, 33, 76, 108, 110, 135, 193 f., 224, 256, 263, 283 ff., 295, 374, 383, 482 ff., 489 f., 492 f., 495 f., 498 ff., 503, 507, 509 ff., 517 ff., 523, 528, 541, 550, 562 f., 576 ff., 587, 591, 597, 605 f., 609, 615, 624, 627 ff., 637 ff., 642,

1308

Sachregister

648, 651, 653, 657 f., 660 f., 673, 676 ff., 684, 687, 692 ff., 696 ff., 700 f., 703, 714, 722, 727, 730 f., 762, 785, 788 f., 791, 798, 800, 806, 813, 820 f., 823, 830 f., 836, 851 f., 854, 857, 859 f., 863, 866, 872, 875, 880, 943 f., 946, 948 ff., 954 ff., 963, 975, 979 ff., 991 f., 1001, 1008, 1011 f., 1018 ff., 1029, 1031, 1049, 1073, 1077 f., 1099, 1104, 1106 Liberaldemokraten 520 Liberale Vereinigung 908 Liberaler Bürgerverein der Prenzlauer Vorstadt 833 Liberaler Verein des Hallesehen Torbezirks 830 Liberalkonservative 381, 653, 656, 702, 965 Liberalkonservatives Bündnis 694, 702, 705 Linksliberale, Linksliberalismus 33, 287,416,425,496,511,517 ff., 527, 550, 660, 676, 681 ff., 694 ff., 698, 700 ff., 714, 776, 785, 789, 797, 805, 808, 811, 820, 822, 827, 832, 845, 852 f., 858 ff., 867 ff., 873, 882 f., 895, 898 ff., 902, 906, 912, 918, 924, 927, 930, 934, 936, 945 f., 949, 954, 988, 990 f., 1026 f., 1037, 1047, 1049 f., 1054, 1057 ff., 1065, 1069, 1079 ff., 1093 f., 1096 ff., 1102, 1104 Lohn, Löhne, Lohnentwicklung 259, 479, 550, 664, 944 Lokal- und Bezirksausschüsse 488, 794 Luisenstädtischer Bezirksverein 819 Mälzenbräuer 158 f. Märzrevolution (siehe Revolution, deutsche, 1848) Magistrat 15, 39, 54, 57, 71, 90, 92, 111,113 ff., 117, 125 f., 129 f., 138, 140, 184 f., 200, 217, 219 ff., 224 f., 229 f., 236 ff., 241 f., 260, 262, 264, 269, 272, 280, 284, 287 f., 297 ff., 302 f., 305, 307 ff., 312, 314 f., 318, 322 ff., 326, 330, 334 ff., 338 f.,

-

341 ff., 347 f., 351 ff., 355, 356 ff., 361 ff., 366 ff., 373, 377, 379, 385 ff., 391 ff., 409 f., 412 ff., 417, 419, 421, 424, 428 ff., 433, 436 ff., 441 f., 444, 446 f., 454 f., 463 ff., 467 ff., 473, 476 ff., 482 ff., 489, 491 f., 494, 497, 506, 513 ff., 523 ff., 532 ff., 537, 539, 549 f., 561 ff., 566 ff., 580 f., 583, 585, 588 ff., 594 f., 598 ff., 603, 606 f., 610 ff., 614, 629 f., 639, 645 f., 650 f., 653, 659, 662, 671, 686, 714, 716 ff., 724 ff., 745 ff., 753, 755 ff., 769 ff., 777, 779, 781, 784 f., 788, 794, 797, 799 ff., 806 f., 809 ff., 822 ff., 832 f., 834 ff., 840, 842, 844 ff., 856 ff., 872, 878, 891, 931, 938, 943, 947 f., 950 ff., 983 f., 1001 f., 1017 f., 1020 f., 1034 ff., 1059, 1090, 1093 f., 1104 Amtsperioden 70 Aufsichtsrechte 131, 136 f., 269, 273, 276, 302, 392, 397, 401, 406, 581, 589 Besoldung 586 Bestätigung, Prüfung der Stadtverordnetenbeschlüsse 135, 137, 143, 395 Besteuerung 126, 129, 137,317,325, 341 f. Doppelstellung 138 Etataufstellung u. -konflikte (siehe Kommunalfinanzen, Kämmerei wesen u. Kommunalhaushalt) Geschäftsführung (auch -verfahren; siehe auch Bürgermeister) 136, 138, 391 f., 400, 405, 1074 ff., 1081 f. Geschäftsregulativ für den Berliner Magistrat, 1834 (auch Vorarbeiten) 276 f., 401, 403 ff. Instruktion für die Stadtmagistrate der östlichen Provinzen, 1835 404 f., 407, 549 Kollegialitätsprinzip 401 f., 405, 408, 569 Kommunalwahlrecht 731 Kompetenzkonflikte mit den Stadtverordneten (auch Konfliktverfahren;

Sachregister

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-

-

siehe auch Polizei verwaltung, staatliche Kontroll- u. Mitwirkungsrechte) 181 f., 366, 373, 396 f., 399, 402, 407 f., 525, 599 Kooptationsrecht 70 Korporationsaufsicht als Organ der Staatsverwaltung 131, 135,137 f., 175, 186 f., 403, 506 als Ortsobrigkeit 113, 129, 138, 186, 269,319,392,583,590,592 Patronatsangelegenheiten 369 Präsidialbefugnisse, Zuständigkeit des Bürgermeisters und Oberbürgermeisters (auch Beanstandungsrecht) 140 f., 187,276, 391, 406 Publikation periodischer Berichte (auch Verwaltungsübersichten) 409 f., 412 Rekursrecht 137, 341 f. Staatsbeamte, mittelbare 782, 794 Stadtgüter 117 Stadträte (auch Beigeordnete) 71, 235, 297, 377, 402, 405, 444, 476 f., 543, 546 f., 585, 588, 593, 595, 722, 724, 784 f., 788, 797, 807, 879 - besoldet 392, 441, 481, 595 f. - Stadtkämmerer 305, 335 f., 342, 350,352 f., 357, 362,407,912,918 - Stadtschulrat 369 f., 407, 796 - Stadtsyndikus 357, 368, 441, 491, 523,614 f., 666 f., 724, 841, 867 - Stellung der Stadträte 402, 407 - unbesoldet 370, 514, 595 f., 784 Teilnahme an den Stadtverordnetensitzungen 394, 413 ff. Verhältnis zu den Stadtverordneten (auch: Verständigungsverfahren) 134 ff., 276, 373, 391, 393, 403, 430, 524,589,594,607,630 Verkehr zwischen den Kommunalkörperschaften 392, 394, 414 Vertretung einer aufgelösten Stadtverordneten-Versammlung 800 als Verwalter der Ortspolizei 113 ff., 131 f., 135, 139, 141, 168, 174,

1309

180 f., 187, 276 f., 328, 392, 407, 598 ff., 603, 611 f. - Vormundschaftswesen 115 - Wahl 138, 140, 143,251, 786 Mandate, Mandatsverteilung (siehe Wahlsystem, kommunales; Landtag, preußischer) Manufakturen (siehe Fabriken) Maschinenarbeit 479 Massendemonstrationen (auch Straßendemonstrationen) 496 f., 772 f., 1006, 1019 Massenstreik, politischer 1005, 1019, 1037 Maurer 219,299,460 Mediatstädte 122, 375, 384 Mehrstimmenwahlrecht (siehe Pluralwahlrecht) Meinungsbildung, politische 19, 26, 39, 51,275,304,439,539 Meinungsfreiheit 478 Meister(-tum) 215, 235 ff., 245, 247, 259 f., 262, 264 f., 268, 279, 286, 461,497, 531, 535 Meistergelder 479, 488, 490 f., 531 f., 634, 654, 707 Meisterrecht 387 Menschen- und Bürgerrechte (auch Staatsbürgerrechte) 76, 125, 214 Mehrfachkandidaturen 697 Mehrheitswahlrecht (siehe Wahlrecht) Metallarbeiter 430 f. Mieterträge (siehe auch Wohnungsmieten) 304, 337,443 Mietsteuerkataster 453, 444, 664, 720 Milieu (auch Wirkungs-, Sozialmilieu) 6,450,695,740,813 Militär, Militärwesen, Militärverwaltung (auch Heer) 46, 54, 59, 66, 72, 113 f., 126, 171, 183,316,328,364, 368, 477 ff., 487, 499, 503, 510, 546, 639, 791, 1017, 1021, 1071 f. Militärdiktatur 1110 Militärpersonen 72, 113, 129, 156, 220, 337, 359, 499, 707

1310

Sachregister

Minderheitenschutz 104, 938, 1068 f., 1081 Mindestlöhne 479 Ministerium für die geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten (auch Kultus-, Unterrichts-) 182, 771, 778 f., 938 Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten (auch Arbeits-, Handels-) 416, 486, 498 f., 529, 753, 756 f., 759 Ministerium des Innem (auch Innen-) 146, 181, 184 f., 221, 258, 276, 304, 344, 355 f., 368, 397 f., 409 f., 419, 421, 428, 436 f., 441, 464, 524 f., 538, 550, 574, 609, 616, 620, 624, 671 f., 678, 746 f., 749, 752, 754 f., 757, 763, 768 f., 774 f., 777, 784, 799, 804, 806, 812, 832, 836, 844, 848, 851, 888, 896, 898, 904, 907, 910, 916, 925, 934 f., 937, 942, 959, 961, 964, 967, 971, 975 ff., 983, 992, 994 f., 997, 1001, 1009, 1013 f., 1033, 1042, 1049 f., 1053 ff., 1080 Mittelbare Staatsverwaltung (siehe Auftragsangelegenheiten) Mittelbürger(-turn) 231, 626 Mittelstädte, -gemeinden, 41, 176, 914, 1098 Mittelstand 73, 199, 227, 247 f., 250 f., 266, 294, 461, 531, 539, 628, 829, 896, 899, 915, 917 f., 922 ff., 928 ff., 932, 937, 941, 1012, 1030, 1095, 1099 - Begriff, Vonnärz 247 f. - alter (auch Kleinbürgertum) 40, 247 - gewerblicher (auch handwerklicher -) 248, 266, 270, 275, 279 f., 289, 291, 536 f., 651, 653, 708 f., 712, 1105 - neuer 247 - politischer 481, 738 - unterer 700, 922 Mittelstandsgesellschaft 1087 Mitwirkung, politische (siehe Partizipation) Mobilität 743

- innerstädtische 432, 441 - soziale 25, 86, 123, 233, 267, 449, 454 Modemisierung 6, 8, 19, 25, 34 f., 40, 42, 51, 55, 65, 120, 223, 231, 353, 364, 398, 476, 486, 504, 527, 562 f., 568, 740, 773, 899, 1016, 1079, 1081, 1085, 1087, 1093 f., 1100, 1104, 1106 f. Monarchie, monarchische Verfassung (auch Königtum) 6, 13, 23, 34 f., 41, 48, 62, 110, 119, 156 f., 193, 203, 211, 289 f., 358, 416, 478, 498, 508, 512, 514, 517, 555, 565, 598, 677, 762, 781, 783, 831, 842, 933, 957, 971, 980, 1033, 1048, 1080, 1085 f., 1093 - konstitutionelle 480, 492, 498 ff., 503, 507, 516, 519 f., 530, 689 Monarchieprinzip 7, 59, 109, 189, 198, 204 Munizi palordnung, -recht, französische( s) 209,213 Munizipalsozialismus 712 Nahrungsmittelund Braugewerbe (auch -handwerk) 262, 264 Napoleonisches System 84, 1111 Nation 46, 49, 51, 53 f., 56, 61 f., 69 f., 78 f., 82, 86, 201 f., 208, 225, 292, 295,320,497,526,1038 Nationalliberale, Nationalliberalismus (auch Nationalliberale Partei) 609, 681 f., 694 f., 701, 718, 762, 767, 785, 787 f., 806 f., 811, 820 f., 829, 832, 863, 867, 873, 875, 882 ff., 886, 893, 899 ff., 907, 912, 917 ff., 927, 929, 931 ff., 988 ff., 999 f., 1002, 1007, 1009, 1011, 1014 ff., 1024 ff., 1029, 1048, 1050, 1052, 1054, 1060, 1062 f., 1066 ff., 1078, 1080 Nationalliberaler Verein Moabit 863 Nationalrepräsentation 62, 72 f., 191, 194 ff., 198, 202, 208, 214, 246, 319, 321,493, 503, 631, 1091 - Interimistische 79 ff., 192 f., 318 f.

Sachregister - Notabelnversammlung 79 ff., 193, 318 ff. - Nationalversammlung 81 - deutsche (auch Frankfurter, Paulskirehen) 293 f., 493 ff., 499 f., 502 ff., 507, 527 - Berufsstruktur 504 ff. - Preußische 286, 481, 485, 492 f., 498, 501 f., 511 ff., 541 f., 550, 552, 599, 602, 957 Neue Fraktion der Linken 852 Neuer Luisenstädtischer Bezirksverein 812 Niederlassungsfreiheit 219, 232, 258, 345,534 Niederlassungspolitik 18,345,535 Nichtwähler (siehe Kommunalwahlen, hier auch Wahlenthaltung) Norddeutscher Bund 273, 981, 1096 Norddeutscher Reichstag 680 Notabeln-Versammlung (siehe Nationalrepräsentation) Notar (siehe Rechtsanwalt) Notstandsarbeiten 489 Notverordnungsrecht 518 Novemberrevolution (siehe Revolution, deutsche, 1918) Oberbürgermeister (auch Magistratsdirigent, Stadtoberhaupt; siehe auch Bürgermeister) 140, 143, 283 f., 310, 314 f., 318 ff., 350, 357, 360, 363, 378, 400 ff., 428, 442 f., 446, 469 ff., 473, 477, 501, 528 f., 540, 554, 562, 580, 589 f., 592, 597, 610, 614 f., 637,649,657 ff., 680, 714, 722, 730, 753, 758, 760, 771, 775, 777, 783, 785, 788, 810, 820, 838, 842 ff., 849, 859, 867, 871, 876 ff., 881, 905, 935, 939 f., 955, 972, 987, 995 f., 1003 f., 1026 f., 1029 ff., 1034 f., 1060, 1064, 1072 f., 1075 f., 1079, 1081, 1083 Oberpräsident, Oberpräsidium 215, 286, 300, 302, 304, 309 ff., 314 ff., 355, 383, 404, 413, 418 ff., 464 f., 528, 581 f., 592, 617, 633, 639, 642, 689,

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759, 769 ff., 775, 781, 785, 792 ff., 823, 827 f., 830, 832, 834, 958 f., 970 ff., 976, 994 ff., 1015 Oberrechnungskammer 117, 747 Obertribunal (siehe auch Polizei, Rechtsprechung) 329, 357, 603, 620, 748, 751 f., 761 Oberverwaltungsgericht, preußisches (siehe auch Polizei, Rechtsprechung) 375,604,606,617, 620f., 706, 715, 725 f., 728, 731, 760, 764 f., 792, 795, 843 ff., 864, 931, 935, 944, 1031 ff., 1036, 1053 Observanzen 126, 148 Öffentliche Meinung 51, 61, 80 f. Öffentlicher Dienst (auch Staats-, Verwaltungsdienst, innere Verwaltung) 303, 504, 563, 610, 653 f., 745, 783, 791, 1017, 1039, 1067 Öffentliches Wohl (siehe Staatswohl) Öffentlichkeit 11, 51 f., 57 f., 202 f., 245, 253, 256, 278, 285, 307, 339, 355, 409 ff., 414, 426, 433, 439, 446, 468, 475, 478, 480 ff., 486, 490, 492 f., 495 f., 498 f., 508, 510, 517, 527, 530, 547 f., 550, 556, 562 ff., 599, 654, 665, 699 f., 702, 706, 718 f., 721 f., 759, 823, 830 f., 855, 859, 908, 955, 987, 1019, 1041, 1046, 1050, 1075, 1092, 1095, 1097, 1103 f. - Gerichtsverhandlungen 416 - politische Verhandlungen 285, 289 Örtliche Angelegenheiten (siehe Gemeindeangelegenheiten) Ortsarme, Ortsarmenverbände 330 f., 534 Ortspolizei (siehe Polizeiverwaltung, örtliche) Ortsstatut (siehe Kommunalrecht, Satzungsrecht) Osterbotschaft Wilhelms II. 1047, 1051 Parlament (siehe Nationalversammlungen, preußisches Abgeordnetenhaus)

Sachregister

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Parlamentarisierung, Parlamentarismus 33,266, 295, 596, 1050, 1059, 1081 Parteibündnisse (auch Wahlbündnisse) 520 f., 694 ff., 698, 701, 705, 1017 Parteien, Parteienbildung 18, 26, 31, 33, 43, 142, 197, 202, 286, 473, 482, 502, 517, 520, 522, 651 f., 654, 659 ff., 666, 670 f., 703 ff., 734, 737 ff., 741, 743 f., 752, 784, 789 ff., 793, 795, 798, 822 f., 839, 846, 862, 865, 882, 892, 895 f., 900, 903 f., 911, 916, 922, 924, 928 f., 939 f., 943, 946, 956, 958, 964, 967, 976, 980, 990, 992, 1005 f., 1008 f., 1011 ff., 1915 f., 1019, 1026, 1035, 1038 ff., 1042, 1048, 1056, 1063, 1067 f., 1077 ff., 1081, 1086, 1094, 1102 f., 1106 Partizipation (auch Mitwirkung, Teilhabe, Partizipationschancen, -prinzip) 3 f., 6 ff., 11, 14, 18, 21 ff., 28 ff., 34 f., 38 f., 53, 55 ff., 61, 67 f., 71, 77, 84 ff., 89 f., 103, 105, 119, 122, 124, 131, 133, 136, 151 f., 160 ff., 167, 181, 199, 205, 207 f., 226, 230, 249 f., 257, 264, 266, 281, 283, 285, 291, 293, 296, 301 f., 319 f., 365 ff., 371, 378, 381, 416, 428, 463, 467, 473, 547, 556, 599, 606, 614, 630, 650 ff., 655, 657, 661, 674, 711, 737, 739 f., 742, 748, 813 f., 816, 819, 837, 1012, 1023, 1026, 1074, 1086, 1093 ff., 1099 ff., 1105 - politische 21 f., 25, 38, 53, 75 f., 81, 100, 103, 162 f., 165 ff., 188, 190, 194, 204, 210, 213, 230, 252, 254, 285, 379, 491, 519, 557, 636, 645, 683, 692, 736, 739, 878, 908, 1058, 1086 f., 1091, 1103 - ständische 59, 69, 200, 289 - verordnete 11 f., 38, 428 Partizipationsforschung (auch -begriff, -theorie) 38, 152, 166, 740 Patrimonialgerichtsbarkeit richtsbarkeit )

(siehe

Ge-

Patrimonialrecht (auch -wesen, -verhältnisse) 9, 69, 77, 112, 122, 199, 540, 544, 551 Patriotischer Verein 289 Paulskirchenverfassung (siehe Verfassung, Deutsches Reich, von 1849) Pauperismus (siehe Armut) Petitionen (auch Adressen) 264, 267, 284, 497, 583, 587, 596, 636, 649, 656, 659, 673, 681, 765, 867, 968, 984, 1001, 1003, 1020, 1031, 1033 Petitionsrecht 284, 705, 1031 f., 1034, 1036 f. Pluralwahlrecht (auch -system, Mehrstimmenwahlrecht) 949, 1006, 1042, 1044 ff., 1049 f., 1060, 1069, 1072, 1075, 1080 Plutokratisierung (siehe Wahlrecht, kommunales) Polen (auch Polnische Partei) 1006, 1011, 1013, 1048, 1054, 1067, 1069 Politische Treuepflicht (siehe Beamte) Politischer Beamte (siehe Beamte) Politischer, Demokratischer Klub, Verein/Zentralverein 281 f., 494, 496, 498 f., 501, 510, 634, 805 Politisierung, Gemeinde (siehe auch Kommunalwahlen, Politisierung) 6, 13 ff., 18, 28, 31, 287, 414 ff., 425, 446 f., 508, 548, 638, 784, 1044, 1092 f., 1100 f., 1105 Polizei 9, 12 f., 49, 112 ff., 117, 120, 124, 130, 133, 140 f., 167 ff., 172 ff., 186 f., 219, 233, 235, 251, 277 f., 301, 310, 359, 364, 486 f., 513, 598, 600 ff., 604 ff., 609, 611 f., 616, 620, 764, 766 ff., 773, 776 f., 782, 787, 798,865,879,955,964 - Aufsicht 59, 132 f., 581 f. - Begriff 134, 169 ff., 180, 606, 610, 620 ff., 1033, 1108 - französisches Polizeirecht 604 - Gemeinde-, Städteordnungen 605, 608, 612 - als staatliches Interventionsinstrument 13

Sachregister - Landespolizei (auch Landespolizeibehörden) 169, 171, 177 ff., 236, 242, 598, 601, 624, 747, 755, 757, 759 f., 773 - Polizeigewalt u. Allgemeines Landrecht 88, 95, 113, 133, 171 f., 175, 603 f., 608, 610 f., 620 f. - Rechtssicherheit 608 - Rechtsprechung (Gerichtshof für Kompetenzkonflikte, Obertribunal, Oberverwaltungsgericht, Reichsgericht) 606, 617, 620 f., 624, 748 f., 751 f., 760 f., 747, 764 f. - Schutzmannschaft 486 - Sicherheitspolizei (auch öffentliche Sicherheit und Ordnung) 115, 170, 172, 174, 179 f., 221, 301, 598 f., 603, 607 ff., 613 ff., 620 ff., 754, 761, 767, 772 - staatliches Polizeimonopol 598, 602, 609, 611, 623, 749 - Verordnungsrecht 602 ff., 607 f., 611, 613 ff., 622 ff., 769, 771, 774 - Zustimmung, kommunale (auch Gemeindevorstand), zu Polizeiverordnungen (auch Mitwirkung, Teilnahme, Kontrolle) 607 f., 613 f., 617, 745, 769, 776 - Wirkungsbereich, -kreis 170, 172, 174 f., 621 f., 625, 761 - Wohlfahrtspolizei (auch Verwaltungs-, Ordnungspolizei, Wohlfahrtseinrichtungen) 115, 131, 170 ff., 598, 603, 620 ff., 761, 767, 770 ff., 777 Polizeibefehl 622 Polizeibezirk 77, 148, 237, 359, 464 Polizei büro, Charlottenburg 182 Polizeidirektor, Polizeidirektorium (auch -direktionen) 114, 159, 174, 177,297, 372,535,603,624,749,762 Polizeikosten 127, 144, 169, 305, 310 f., 603, 745 f., 749, 752, 760 ff., 765 Polizeikostengesetze, 1892 u. 1908, 622, 761 ff., 770, 772, 775

1313

Polizeipräsident, Polizeipräsidium (auch -präsidien) 130, 176 ff., 180 ff., 286 f., 304, 309, 358, 360 f., 368, 400, 487, 498, 617, 624, 745 ff., 750 ff., 757 ff., 768 ff., 773, 775, 996 ff., 1041 - als Landespolizeibehörde (siehe Polizei, Landespolizei) Polizeiverwaltung, örtliche (auch Ortspolizei) 113 f., 123, 130 ff., 137, 139, 168, 170 f., 174, 176 ff., 180, 187, 222, 233, 268 f., 276 f., 310 f., 324, 328 f., 358, 360 ff., 364, 392, 407, 481, 485, 507, 511, 541, 543, 546, 549, 552, 554 f., 582, 585, 595, 597 ff., 601 ff., 611, 613, 615 f., 619, 623, 631, 745 ff., 751, 753, 756 ff., 760 ff., 771 f., 775 ff., 782, 1107 f. - Anhörungsrecht, staatliches 610 - als Auftragsverwaltung 124, 140 f., 169, 600, 604 - Armen- und Bettelwesen 115, 130, 178, 180, 182, 324, 329, 358, 624 - Bauwesen (auch Bebauungsplan Fluchtlinien, Hochbau) 113, 115, 120, 174, 178, 180, 182, 598, 606, 608, 610, 620, 622 ff., 706, 754, 757 f., 767 ff., 771 ff., 775 ff. - Erlaß u. Vollstreckung von Polizeistrafen 598, 750 - Feuerlöschwesen, Feuerwehr 178, 180, 182, 598, 607 f., 610, 620, 624, 706, 745 f., 751 f., 757, 767, 772, 777 - Fremden- u. Beherbergungswesen (auch Meldewesen) 115, 178, 180, 182, 607, 625 - Feld-, Forst- u. Jagdwesen 622, 767 f. - Fuhrwesen 115 - Genehmigungsvorbehalte 168, 756 - Gesindewesen 115,178,619,624,768 - Gesundheits- und Sittenwesen (auch Sanitätswesen) 115, 130, 174, 178, 180, 182, 277, 598, 606 ff., 610, 619 f., 623, 625, 757, 766 ff., 771 f., 775

1314

Sachregister

- Gewerbe (auch gewerbliche Anlagen) 115, 174, 178, 182, 276 ff., 598, 608, 610,619, 622 ff., 767, 772 - Gewerke (auch Zünfte; siehe auch Innungen) 174, 180, 276 ff., 598, 608, 610, 619, 622 ff., 767, 772 - Hafenwesen 622, 767 - Kanalisationswesen 115, 174, 754, 760, 771, 777 - Kommunalisierung 570, 598 f., 602, 604, 606, 609, 623, 745 f., 749, 753 ff., 757, 761, 767 ff., 771, 774, 776 f., 798, 879, 955, 1108 - Kriminalwesen 608, 625, 766 - Landwirtschafts-, Flur- u. Deichwesen 607, 619, 624 - Markt- und Versorgungswesen 115, 178,606 f., 610, 619, 622 ff., 767 f., 771 - Nachtwachtwesen 115, 182, 324, 625, 745 f., 751 - Prinzip des leistungskongruenten Eingriffs 169 - Schulwesen 130, 622, 767 f., 770, 777 - als Selbstverwaltungsangelegenheit (auch Gemeinde-) 552, 600, 602, 609 ff., 622 f., 625, 745, 760, 770, 777, 955 - staatliche Kontroll- und Mitwirkungsrechte (auch Kompetenzregelungen, -konflikte) 606, 643, 747, 758 ff., 761, 769, 777 - Straßenbauwesen 115, 174, 180, 182, 610, 622, 624, 753 ff., 758 ff., 764, 768, 777 - Straßenreinigungs- u. -beleuchtungswesen 115, 174,751,753 - Strom- und Wasserwesen 598, 624 - Verhältnis von Orts- und Landespolizei 624, 747, 757, 760 f. - Vereins- u. Versammlungswesen 607, 625 - Verkehrswesen 607, 610, 619, 757, 760 - Versicherungswesen 610, 767

- Veterinärwesen 771 - Weisungsrecht, staatliches (auch ministerielles) 610, 760, 782 - Wohnungswesen 619, 774 f. - Zwangsbefugnisse, polizeiliche 774 ff. Polizeiverwaltungsgesetz, 1850 362, 603 ff., 607, 610, 621, 625, 746, 748 f., 751, 761 Posamentierer 456 Präfekt, Unterpräfekt 210, 213 Presse, Pressewesen (auch Tagespresse, Zeitungen) 289, 411, 413, 489, 494, 496, 514, 522 f., 563, 654, 694, 698, 701 ff., 718, 823, 830 ff., 858 f., 862, 916, 1051 Pressefreiheit 284, 477 f., 480, 498, 964 Preußentag der Fortschrittlichen Volkspartei 953 Preußen-Verein für konstitutionelles Königthum 289 Preußische Bank, Seehandlung 209, 227 Preußische Reformen (siehe Reformen, preußische) Preußischer Städtetag 550, 730, 770 Preußisches Abgeordnetenhaus (siehe Abgeordnetenhaus, preußisches) Privatbeamte 939 Privatkapital 711 f. Privat- und Staatsrechtslehre 618 Professionalisierung (auch Entwicklung 18, administrativer Kompetenz) 539 f., 713, 1100, 1105 Professoren, Privatdozenten 209, 281, 456 f., 564, 691, 792 Progressionsprinzip 1042 Proletariat 263, 281, 451, 508 f., 538, 548, 553, 627, 634, 640 Proportionalwahlrecht (siehe Verhältniswahlrecht) Propositionsdekret, 1848 493 Provinz, Provinzen 46, 53, 59, 195 f., 202, 208, 298, 319, 327, 384, 541, 553 ff., 565, 569 f., 581 f., 645, 666, 678, 847, 867, 891, 935, 950, 959 f.,

Sachregister 969, 975, 980, 982, 984 f., 988, 991, 1049, 1065, 1078, 1096 - östliche, Preußen 21 ff., 88, 123, 151, 157, 204, 209, 214, 383, 404, 505, 509, 537, 540, 548, 555, 562, 569 ff., 574 f., 578, 580, 582, 593, 626 f., 630, 637, 642 f., 645, 649, 656, 673, 684 f., 715, 837, 843, 847, 879, 890, 892, 961, 990, 1021, 1063, 1067, 1076, 1085, 1092, 1094 f., 1099, 1105, 1107 - westliche, Preußen 22, 153, 188, 204 f., 208 f., 211, 214, 257, 537, 540, 626, 666, 668 f., 877, 892, 929, 962, 1016, 1024, 1095, 1099, 1107 Provinzialangelegenheiten 59 f. Provinzialarme, Provinzialarmenanstalten 331, 346 Provinzialbehörden (auch -verwaltung) 46, 61, 65, 74, 82, 117, 120, 123, 140, 156, 170, 174, 211, 214, 372, 376,481,581,617,677,725,959 Provinzialgesetze (auch -gesetzgebung) 74, 81 188, 203 f., 206, 242, 274, 347, 555, 1091 Provinziallandtag, Provinziallandtage (auch -ständeversammlung[en], -vertretung[en]) 59, 79 ff., 124, 188, 190 f., 195 ff., 200 ff.,206, 208, 212, 242 ff., 257, 264, 274, 284, 311, 347, 377, 389, 391 ff., 476, 493, 553, 555, 574, 642, 960, 990, 992, 1044, 1059 f., 1091 f. - brandenburgischer 242 f., 244, 264, 277, 377, 380, 393, 412 f., 960, 1059 - preußischer 378 f. - rheinischer 208, 258 - sächsischer 378 f., 394, 574 - schlesischer 283 f., 412, 574 Provinzialordnungen (auch -verfassung) 185, 290, 555 f., 571 f., 642, 799, 807, 846, 864 Provinzialorganisation (auch -system) 100, 552 f. Provinzialrat 611, 616, 624, 785, 787 ff., 864 f., 927

1315

Provinzialregierung(en) 65, 184, 319 Provinzialschulden (siehe Kriegsschulden) Provinzialschulkollegium 771 Provinzialstände, preußische 22, 43, 74, 194, 202, 206, 215, 242, 245, 510, 553,960, 971, 1091 Provinzialverbände 134, 183 Radikaldemokraten 498 f., 521, 634 Rathäusliches Reglement von 1747, Berlin 95, 112, 114 Rationalismus 76, 1090 Realgerechtigkeiten 228 f., 236 Rechtes Zentrum 515 Rechtsanwälte, Notare (auch Justitiar, Justizkommissar, Rechtsberufe) 20, 153, 155 f., 207, 379, 457, 692 f., 784, 853, 873, 929 Rechtsliberale, Rechtsliberalismus 500, 519, 684, 703, 1043, 1099 Rechtspositivismus 100, 107 Rechtsprinzip (auch Rechtsstaatsprinzip) 83,106,376,560 Rechtsstaat 106, 151,295, 791 - demokratischer 1 - konstitutioneller 102 Rechtswissenschaft 36, 42, 105, 606 Redakteur, Redakteure 851, 952, 1057 Reformen 480, 910, 921, 1050, 1092, 1111 - preußische, von 1808 8, 47, 64 f., 85,95,170,194 - preußische, nach 1870 617 Reformismus, politischer 50, 529, 700, 956 Regierungspräsident (-en, -präsidium) 302, 319, 607, 613, 781 f., 784, 789 f., 798, 925, 942, 960, 962 f., 966, 968, 994, 1034 f. Reichsdeputationshauptschluß 121 Reichsfinanzreform 1011, 1083 Reichsgewerbetabelle 452 Reichsgericht 735, 792, 806, 821, 852, 854, 1034

1316

Sachregister

Reichsgründung 43, 682, 695, 697, 707, 709, 783, 1101 Reichstag 735, 792, 806, 821, 852, 854, 1034 Reichstagswahlen 704 f., 812, 821, 829, 853,943, 1030, 1083, 1102 - Wahlbeteiligung 735 - Wahlkreise und Mandate 702 f., 824, 829, 844, 990, 1002, 1030, 1032, 1046, 1048 Reichstagswahlkampf 704 f., 1014 Reichstagswahlrecht (siehe Wahlrecht, Reichstag) Religionsunterricht (auch -politik) 295, 796 Rentiers (auch Pensionäre) 152 ff., 254, 367 f., 379, 431 f., 451 f., 456, 634, 691, 698, 706 f., 710, 1104 Reorganisation, staatliche 7, 21, 37, 46, 51 f., 56, 82, 85, 113 f., 122 f., 151, 183, 211, 328, 481, 1110 Repräsentanten, bürgerschaftliche (siehe Stadtverordnete) Repräsentativsystem 91, 93, 150, 198, 283, 571, 1085 Reprivatisierung 50 Republik, bürgerliche (auch monarchische, demokratische) 189, 213, 282, 289, 354, 492, 495, 498 f., 501, 507, 509, 515, 520, 529, 777, 1059, 1083, 1105 Republikanischer Klub 282 Residenzfunktion 9, 41, 176,359,748 Revolution 5 f., 12, 47, 64, 82 ff., 293, 295, 476 f., 503 f., 647, 979, 1006, 1026, 1109 ff. - französische, 1789 65, 72, 83 ff., 250, 290, 1110 f. - französische, Juli 1830 (auch J ulirevolution) 245 f., 251 f., 256, 427, 508, 1105 - französische, 1848 (auch Februarrevolution) 248, 476 - deutsche, 1848 (auch Märzrevolution) 5, 8, 14, 18 f., 22 f., 25, 34, 44, 161 f., 187, 213, 252, 261, 279 f.,

284, 288 ff., 293 ff., 354, 370, 389, 423, 427, 433 f., 446, 451, 455, 457 f., 472 f., 478 ff., 486, 489, 491 ff., 498, 503 f., 508, 511, 513, 521, 525, 529 ff., 541, 544, 549, 561, 591, 602, 605, 634, 641, 664, 680, 688, 690, 805, 1077, 1085, 1093 f., 1105,1111 - deutsche, 1918 (auch Novemberrevolution) 2, 777, 1082 - russische, Februar 1917 1047 Revolutionsbegriff 83, 85 Revolutionsfurcht, -angst, 194, 250 Rittergut, Rittergüter (siehe Gutsbesitz) Rittergutsbesitzer (siehe Gutsbesitzer) Satzungen, Satzungsrecht (siehe Kommunalrecht, Satzungsrecht) Schauspieler 451 Schichtbegriff 448 ff., 453, 924 Schichten, soziale 34, 68, 73, 88, 230, 248, 339, 409, 448, 456, 459 ff., 566, 634, 638 f., 661, 674, 682, 690 f., 709, 813, 870, 915 Schichtung, soziale (auch Schichtungsbild) 248 f., 280, 449, 451 f., 455, 457 ff., 528, 663, 922 f., 1045, 1098 f. Schichtungsanalyse, historische 164, 448 f., 451, 453, 455 Schichtungsfaktoren (auch -merkmale, -raster) 248, 367, 448, 450 Schichtungssystem (auch -modell) 449 ff., 456 SchlafsteIlen, SchlafsteIlenwesen 487, 725f. Schlesischer christlicher Bauernverein 615 Schneider 262 ff., 429 ff., 456, 460 Schöffen 1039 Schriftsteller (auch Literaten) 72, 451, 693,896 Schuhmacher 262, 264, 430, 460 Schulaufsichtsbehörden 779 f., 796 f., 1039

Sachregister Schulbildung 922, 1060, 1067 Schuldirektor 691 Schulwesen 127, 132, 134, 265, 347, 453, 778, 780, 797 Schulden, städtische (siehe Kommunalschulden) Schuldenaufnahme (siehe Kommunalschulden, Kreditaufnahme) Schulze, Schulzen 80 Schullehrer (siehe Lehrer) Schutzverwandte 17, 20, 75, 79, 137, 139, 151, 153 ff., 157, 163, 208, 221, 252 f., 274, 285, 367 f., 374, 428, 456, 465, 481 f., 489, 549, 556, 565 ff., 627, 643, 648 f., 668, 674, 873 Seidenwirker 261 f., 456, 476 Selbstbesteuerungsrecht, kommunales 135 Selbständigkeit als Teilhabevoraussetzung (siehe Wahlrecht, kommunales) Selbstverwaltung 1 ff., 8, 10 ff., 26 f., 29, 31, 34 ff., 42 f., 71, 89, 91 ff., 96 ff., 110 ff., 122, 134, 141, 167, 174 f., 179, 187, 252, 266, 281 f., 289, 293, 295, 300, 321, 330, 371, 373 ff., 405, 415, 468, 481, 505 f., 510 f., 532, 541 ff., 547, 551, 553, 555, 564 f., 568, 570, 584 ff., 591 f., 602, 612 f., 614 f., 623, 630, 649, 656, 663, 673, 687, 693 f., 701, 704 f., 711, 714, 755, 760, 765, 777 f., 780, 794, 796, 798, 814, 831 f., 840, 846, 864, 883, 893, 917, 947 f., 953, 955, 1023 f., 1035, 1059 f., 1078, 1083 ff., 1093 ff., 1098 f., 1102 ff., 1107 ff., 1111 - Begriff (auch Gedanke) 8, 37 f., 71, 98, 100 f., 111, 187, 373, 541, 561, 627,947 f. - genossenschaftliche 107 - gesellschaftliche 10 1f. - körperschaftliche 98, 415, 563 - obrigkeitliche 96, 98, 592, 604, 616 - politische (auch bürgerliche) 98 f.

1317

- als Vorschule gesamtstaatlichen Verfassungsdenkens 281 - vorstaatliche 107 - Wirkungskreis (auch Selbstverwaltungsangelegenheiten, -aufgaben; siehe Kommunalaufgaben) Selbstverwaltungskörperschaften 112, 141, 878, 883 Selbstverwaltungslehre 101, 98 f. - juristische 98 ff., 107 - korporative 99 f. Selbstverwaltungsgarantie (auch -recht) 1 f., 102, 111, 134, 541, 554, 593, 606, 625, 705, 846 Selbstverwaltungsprinzip 10 1, 547, 590, 596, 840 Servisund Einquartierungswesen (siehe Kommunalverwaltung) Sicherheit und Ordnung, öffentliche (siehe Polizei) Seßhaftigkeit (siehe Wahlrecht, kommunales) Sicherheitspolizei (siehe Polizei) Sonntagsarbeit 479 Sozialdemokraten, Sozialdemokratie 26, 30 f., 33, 41, 694 ff., 702 ff., 725, 730, 732, 779, 789, 791 f., 794, 797 f., 820, 835 f., 853, 855, 862 f., 870, 901, 909, 926 ff., 935, 939, 943, 946, 948, 950, 952 f., 956, 992, 994 ff., 1005 f., 1008 f., 1019, 1026 f., 1030, 1037, 1039 f., 1045, 1048, 1050, 1053 ff., 1065 ff., 1079 f., 1081, 1097, 1099, 1102 f. Sozialfortschrittliche Fraktion 859 f., 955 Sozialismus (auch Sozialisierung) 681, 936 Sozialkonservativismus (auch sozialkonservative Ordnungsvorstellungen) 18 f., 265 ff., 275, 279, 281, 291, 1087 f. Sozialistengesetze 700, 704 Sozialkritik 262 Sozialliberale, Sozialliberalismus 686 f., 695, 955

1318

Sachregister

Sozialmodell, genossenschaftliches 95 f., 106f. Sozialpolitik 227, 489, 501, 908, 1086 Sozialprestige 164, 449 f., 468, 1092 Sozialreform 287, 295, 487 f., 530, 713 Sozialstatus 436, 448 ff., 454, 674 Soziale Frage 287 Spätabsolutismus 15, 24, 48, 53 f. Spargesellschaften 287 Sparkasse, städtische 242, 334, 341, 369 Staatsaufsicht (siehe auch Bestätigungsbehörden, Kommunalaufsicht) 3, 6, 90, 109, 122, 140, 142 f., 146, 303, 339, 373 ff., 549, 563, 579, 583, 590, 638, 687, 788, 797 - Auflösung Gemeinderat, Samtgemeinderat, Stadtverordneten-Versammlung (auch Auflösungsrecht, -verfahren) 544, 561, 579 f., 585, 587 f., 688, 697, 733, 799 f., 804 f., 808 ff., 814 ff., 820, 822 ff., 837, 839 ff., 845 f., 848 f., 862, 940, 1086 - Aufsichts- und Rekursverfahren (auch -instanzen) 28, 137, 175, 184,341 ff., 360,396, 581 f., 776, 832 - Beschwerderecht 373, 546 f. - Bestätigung, Bürgermeister, Beigeordnete, Magistrat, Stadträte (auch Bestätigungsrecht) 140, 143, 167, 298, 529, 543 f., 552, 582 ff., 590 ff., 595 f., 610, 612, 630, 638, 702, 778 ff., 783 ff., 795 f., 865 - Bestätigung neuer Ortsstatute 138, 236,271,383,927,942 - Disziplinargesetzgebung 580 - Einsetzen eines kommissarischen Verwalters 141 f., 397, 829, 846 - Genehmigung der Magistratswahlen 140, 143 f. - Genehmigungsvorbehalte 693 - Änderung, Gebrauch der Gemeindenutzungen 538, 543, 585 - Bewertung Gemeindedienste 543, 585 - Erhebung, Einzugs-, Einkaufsgelder 585

- Schuldenaufnahme, Anleihen 133, 145, 147,316,593 - Steuern und Abgaben 146 f., 543 - Veräußerung, Kunstsammlungen, Archive 585 - Veräußerung, Grundstücke u. Realberechtigungen 147, 543, 585 - Kommunale Schuldenpolitik 133, 144, 146 f., 316 - Rechnungseinsicht über Gemeindevermögen (auch Rechnungsrevision) 138, 583, 747 - Schlichtung bürgerschaftlicher Konflikte 17, 141, 342, 352, 366, 370, 373, 391, 396, 404, 587 - Staatsanwaltschaft als Kontroll- und Aufsichtsorgan 546 f., 599 - Suspension von Beschlüssen der Kommunalkörperschaften (auch Beanstandungen) 546 f., 549, 580, 583 f., 589, 594 f., 599, 789, 846 - Volksschulwesen 796 - Zwangsetatisierung 144, 580, 587 Staatsbeamte, Staatsbeamtentum (auch Justiz-, Regierungs-, Ministerial- und Verwaltungs beamte) 2, 17 f., 20, 21 f., 44 f., 50, 57, 73 f., 79, 105, 112, 152 ff., 157, 159, 176, 184, 188, 193, 209, 221 ff., 229, 234 f., 238, 245, 254, 258, 266 f., 269, 276 f., 283 f., 293, 297, 299, 303 f., 308, 310 f., 315 f., 318, 320 f., 325 f., 340, 346, 350, 355 f., 359, 367, 379, 383 f., 387, 389, 412, 425, 442, 451, 466, 476, 486, 528 f., 563, 569, 602, 608, 642, 648, 653 f., 667, 671, 690 ff., 698, 736, 746 ff., 761, 778, 781 f., 821, 863, 879, 907, 913, 918, 963, 976, 993, 1039, 1091, 1098 - mittelbare (siehe Magistrat) Staatsbildung, -integration (auch staatliche Integration) Staatsbürger, Staatsbürgertum (auch -begriff, -recht) 14, 16, 37, 62, 65, 71, 73 ff., 78, 85, 88, 97, 99 f., 105, 125, 173, 188, 195, 214, 216, 226, 263,267,293, 320, 345, 417, 419 f.,

Sachregister 498, 542, 557, 565, 668, 865, 953 f., 1056, 1110 Staatsbürgergesellschaft 8, 15, 26, 49, 68, 77, 163, 199, 1085 Staatsdienereid 797, 1039 Staatsdomänen- und Forstverwaltung 546 Staatsfinanzen 67, 218, 233 Staatsgebiet 66, 70, 346, 554, 762, 923, 1021, 1063 Staatsgesetzgebung 692, 1036, 1104 Staatsgewalt 5, 96, 135, 138, 187, 191, 248,295,320,553,601,604,609 Staatshaushalt 308, 310, 761, 764, 766 Staatsinterventionismus (siehe Intervention, staatliche) Staatskanzleramt 242 Staatskommissar 360, 397, 399 Staatskredit 62, 320 Staatsministerium, preußisches (auch Staatsregierung) 33, 41, 47, 85, 133, 142, 144 ff., 154 ff., 184, 211, 215, 229, 244, 253, 256 f., 274, 283, 309, 315, 317 f., 323, 327, 330, 345 f., 357, 360 f., 373, 377, 383 ff., 391, 395 f., 399, 404, 420, 463, 465, 473, 478f., 494ff., 509, 511f., 514f., 517, 522, 530, 536, 538, 542 f., 551, 556, 563, 566, 569 f., 573 f., 577, 579, 581 f., 587 ff., 592 f., 595 f., 603 f., 608 f., 611 ff., 616 f., 622 ff., 632, 638, 640, 642 ff., 649, 656 ff., 666 f., 671 f., 677 ff., 689, 692, 748 f., 751 ff., 762, 764 f., 767, 770, 776, 781 ff., 788 f., 791 ff., 797, 799 f., 804 f., 808, 811, 814, 820 f., 824, 826, 828, 830 ff., 840 f., 843, 847 ff., 865 f., 872, 875, 884, 887 f., 890 ff., 895, 897 f., 902 ff., 910 ff., 920, 925 ff., 929, 933, 935 ff., 957 f., 962, 965 ff., 977 ff., 982 ff., 986 f., 990, 992 f., 996 ff., 1006 ff., 1013 ff., 1018, 1020, 1022, 1026 ff., 1033, 1038 ff., 1046 ff., 1056, 1060, 1068, 1063, 1070 f., 1077 f., 1080, 1096, 1098, 1101 f. Staatsorganisation 92, 213

1319

Staatsrechtslehre 48, 104, 109 Staatssteuer(n) 112, 147, 156, 546, 558, 661, 685, 716, 731, 987, 1003, 1029, 1090, 1095 - Akzise (siehe auch Kommunalsteuern) 126 ff. - Einkommensteuer (siehe auch Kommunalsteuern) 57, 311, 321 f., 716, 723 f., 875, 884 f., 887, 891 ff., 896 ff., 900, 905, 910, 932 ff., 1015, 1021, 1043, 1050, 1096 - kommunale Erhebung 261, 716 f. - Gewerbesteuer (siehe auch Kommunalsteuern) 185, 207, 215, 219, 229, 235, 237 f., 259 ff., 443, 445, 455 f., 460 f., 561, 867, 884, 890, 893, 895, 1043, 1089 - Grund- u. Gebäudesteuern (auch Realsteuern) 47, 159, 190, 205, 207, 212, 750, 866, 884, 888 f., 892, 894, 905 f., 912, 1043, 1090 - Klassensteuer (siehe auch Kommunalsteuern) 157, 321 f., 716, 723, 866, 885, 889 Staatsstraßen 546 Staatsverwaltung 3, 7, 9, 49 f., 52 f., 61,82,92,95 f., 101, 120, 128, 131, 134, 138, 176, 187, 255, 328, 334, 357 f., 616, 619, 711, 761 f., 768, 791, 865, 883,969, 1042, 1084 Staatswohl (auch Allgemein-, Gemein-, -orientierung, öffentliches Wohl, Staatsinteresse) 14, 45 f., 51, 64 f., 70, 78, 100, 109, 133, 169 f., 185, 270, 301 f., 346, 381, 395 f., 488, 533, 556, 580, 583 ff., 588 f., 590, 593 f., 598, 614, 636, 659, 694, 747, 827, 846, 1025, 1033, 1075, 1107 f. Staatszweck 95,107,109,137, 172f., 175,290,621,794,846,884,893 Stadtbegriff 35, 148, 211 Stadtanleihen, -obligationen (siehe Kommunalfinanzen) Stadtausschuß 613, 787 Stadtbezirke 158, 163, 301 f., 435, 437, 441 f., 447, 462, 466 f., 469, 473,

1320

Sachregister

711,802, 805, 812 f., 819, 823, 826, 829 f., 839, 844, 850, 853, 860, 1102 Stadtentwicklungsplanung 26, 1106 Stadtentwicklungspolitik 365, 527, 1107 Stadtgebiet 113, 148, 274, 420, 435 f., 464 ff., 468 f., 471 f., 771, 802 f., 806, 825, 857, 996 Stadtgericht(e) 116, 154, 306 f. Stadtgüter (siehe Magistrat) Stadthaushalt (siehe Kommunalhaushalt) Stadtkämmerer (siehe Magistrat) Stadtkreis(e) 121, 435, 611, 624, 865, 951, 978, 998, 1021 Stadtrat, Stadträte (siehe Magistrat) Stadtsyndikus (siehe Magistrat) Stadtverordnete, Stadtverordneten-Versammlung (auch Bürgerschaft, bürgerschaftliche Repräsentanten, Gemeinderepräsentation) 12, 14, 19 f., 29 f., 39, 43, 71, 106, 118, 134 ff., 139 f., 143, 150, 160, 169, 176, 192, 197, 206, 213, 219, 229, 235 f., 243, 248, 258 ff., 264, 267 f., 270, 276, 278, 283, 285, 287, 293, 298, 300, 304, 307, 309, 311 f., 316 f., 319, 323 ff., 334 f., 339, 341 ff., 351, 353 ff., 362 ff., 369 ff., 373, 379 f., 385 ff., 390, 392 ff., 397 ff., 403 f., 409 ff., 419, 421 ff., 428, 430, 433, 435 ff., 443 ff., 452 f., 455 ff., 467, 470, 473, 477, 480 ff., 487, 489, 491 ff., 503 ff., 507, 510, 513 ff., 521 f., 524, 526 ff., 562, 564 f., 567, 579 f., 588 ff., 594, 603, 606, 614, 626, 636, 646, 648, 650, 656, 658 ff., 664 f., 679, 688 ff., 695, 697, 699 f., 702, 704 ff., 712 f., 717 f., 720 ff., 725 ff., 729 ff., 733 f., 743, 754, 771, 778, 792, 799 f., 802, 804, 806 ff., 816 ff., 822, 824 ff., 831, 833 ff., 837 ff., 849, 851, 853, 855 ff., 867, 874, 906, 909, 919, 939 f., 943, 945, 948,950 ff., 970, 991, 1001, 1017 f., 1020, 1025, 1031 ff., 1059, 1068 f., 1092 ff., 1100 f., 1103 ff.

- Abgrenzung der Kompetenzen zum Magistrat 134 ff., 348, 356, 405, 546, 553,599, 602, 810, 1094 - Besteuerungsrecht 133, 135, 137 - Fraktionen 23, 43, 654, 660, 680, 687, 689, 706 - Geschäftsführungsinstruktion 332, 409 f. - Kompetenzkonflikte (siehe Magistrat) - Kontrollrechte 97, 117, 136, 276, 312, 348, 355, 363, 397, 507 - Mandatsniederlegung 483, 490, 810, 873 - Öffentlichkeit der Versammlungen 19, 42, 285, 394, 410 ff., 414 f., 423, 476, 1092, 1100 - personelle Kontinuität (auch Fluktuation) 424, 699 f., 836 - Politisierung (siehe Politisierung, Gemeinde) - Selbstauflösung 482 ff., 688, 1093 - soziale Differenzierung, Zusammensetzung (auch Sozialstruktur) 21, 29, 41, 461, 691, 693, 710, 712, 714, 1104f. - Veröffentlichung der Beschlüsse 409 ff. - Wirkungsbereich, Zuständigkeit 175, 180 f., 365, 370, 395, 810, 1035 Stadtverordnetenvorsteher 145, 152, 270, 319, 371, 444, 481, 490, 591, 653, 660, 692, 841, 883, 899, 984, 991, 1034, 1059 Städtegrößenklassen 465, 538, 668, 676 Städteordnungen 11, 13, 210, 295, 384 f., 544, 561, 570, 590, 593, 630, 668, 678, 785, 883, 896, 903, 928, 938,961, 1033 - badische, 1874, 1884 868 f., 874 - Gemeindeverfassungsgesetz der Stadt Frankfurt am Main, 1867 848 - preußische, 1808 53 f., 56, 71, 80, 89,91 ff., 103, 105, 110 f., 117, 119, 121 ff., 130 f., 133 f., 136 ff., 146 f., 149 ff., 158, 160, 162 f., 168 ff., 172, 174, 176, 182, 206 ff., 211 ff., 216,

Sachregister 218 ff., 225, 230, 239 f., 242 f., 245, 249, 252 f., 276, 293, 296, 302 ff., 306 f., 310, 312 ff., 319, 323 f., 329, 333, 343, 350, 355, 361, 366 ff., 371 ff., 375, 377 ff., 382 f., 386 ff., 391 ff., 397, 399 ff., 413 ff., 417, 419 f., 422, 424 f., 427, 429, 432, 435 ff., 442 ff., 455, 458, 462 ff., 481 ff., 492, 524 f., 537, 540, 548 ff., 559, 561 ff., 568, 572, 576, 578, 583, 585 f., 591, 597, 599, 602, 605, 617, 626, 629 ff., 633, 635 f., 643, 647 ff., 651, 655 f., 658, 665 ff., 669, 672 ff., 685, 689, 738, 745, 778, 873, 877, 883, 1093, 1095, 1100, 1107 - Deklaration zur Städteordnung von 1808, 1832 137, 141, 154, 220, 223, 384,399,429,436,438 - preußische, revidierte, 1831 133, 139, 141 f., 147, 212, 252 f., 256, 259, 274, 373 ff., 380, 382, 384 ff., 395 ff., 403 f., 410, 433, 437, 443, 446, 576, 583, 600, 605, 631, 633, 643, 1088 f. - östliche Provinzen Preußens, 1853 163, 374, 405, 434, 472, 504, 544, 579, 583 ff., 589 ff., 595, 631, 633, 641, 643, 645 f., 648 ff., 655 ff., 666 f., 672, 676 ff., 685 f., 688, 714 f., 717, 719, 721 ff., 725 f., 728, 732, 778, 788, 798, 802 ff., 808 ff., 815 ff., 820, 823 ff., 827 f., 831, 833 ff., 837 ff., 842, 844 ff., 853 f., 857, 866, 881, 889 ff., 931, 934, 944 f., 947, 951, 1031, 1034 f., 1037, 1101 - Abänderungsentwurf, Forckenbeck, 1860 648 ff., 656 - Entwurf der Gemeindekommission des Abgeordnetenhauses, 1861 656 ff., 666, 668, 677, 680 - Ergänzungsgesetz, 1891 849 f. - Regierungsentwurf 580 ff. - preußische, Regierungsentwurf, 1876 588, 610 ff., 627, 780, 787, 799 f., 865, 867, 878 ff., 881

1321

- Provinz Schleswig-Holstein, 1869 608, 623 f., 787, 800, 848 - Regierungsbezirk Wiesbaden, 1891 890 - rheinische, 1856 890 f., 848 - westfalisehe, 1856 890, 848 - westliche Provinzen, Entwürfe, 1816 208,214 Städtetag, Städtetage (siehe auch Deutscher, Preußischer Städtetag) - Provinz Brandenburg 867, 950 - Provinz Hannover 868 - Provinz Pommern 867 - Provinz Posen 868 - Provinz Preußen 478, 547 ff., 552 f., 565, 598, 867, 1094 - Provinz Sachsen 867 - Provinz Westfalen 867 - Rheinprovinz 867 - Stadt Frankfurt am Main 868 Städtetechnik 1106 Städtetypologie 231 Städtische Ressource, Breslau 285 f. Stände, -gesellschaft 48 f., 51, 59, 61, 67 f., 72 ff., 76 f., 189, 191, 193 f., 196 ff., 203 f., 206, 208, 212, 215, 243, 257 f., 264, 283, 311, 477, 785, 970, 1091 Ständepluralismus 46, 211 Ständeversammlung 189, 191,393,505, 970 - badische 250 Statistisches Büro 805, 824, 913, 922, 957 Statutarrecht (siehe Kommunalrecht, Satzungsrecht) Steinarbeiter 460 Steuerbewilligungsrecht 12, 203, 500, 518, 741 Steuergesetzgebung 9, 326 f., 686, 871, 880,892,904,986,911 Steuerleistungen (siehe Wahlsystem, kommunales) Steuerpolitik 18, 137,311,912, 1042 Steuerrat 112, 120, 303

1322

Sachregister

Steuerrefonn(en) 32, 81, 163, 321, 711, 736, 738, 799, 850, 884 f., 887 f., 895, 898 ff., 902 f., 907, 909 ff., 915 f., 920 f., 925, 941 ff., 1090, 1098 f. Steuerreglement, ostpreußisches 311 Steuerverweigerung, preußische Nationalversammlung 515 f. Straßen- und Brückenbaulast (auch Wegebau, Wegebaulast) 126, 555, 760, 755 Streik (siehe auch Massenstreik, politischer) 772 Subkultur 450 Subsidiaritätsprinzip 66 Südost-Bezirksverein 819 Suspensionsrecht (auch Beanstandungsrecht, staatliches, Beschlüsse der Kommunalkörperschaften; siehe Staatsaufsicht) Syndikus (siehe Magistrat) Tabakspinner 431 Tagelöhner 73 f., 208, 260, 331, 558, 578, 640, 651, 718 Tagespresse (siehe Pressewesen) Techniker 247,933 Teilhabe (siehe Partizipation) Teuerung 340 Textil- und Galanteriegewerbe 262, 275 Tischler 245,261 f., 264, 456, 460, 530 Treubund für König und Vaterland 522 Treuepflicht, Beamte 780, 782 f., 791, 793 ff. Tuchmacher 263 Umlandkreise 405, 974, 994 f., 1008, 1056 Umsturzvorlage 1034 Unabhängige Sozialdemokratie 689, 955, 1057, 1066 f., 1072 Ungleichheit 76, 267, 292, 390, 450, 472, 567, 646 f., 801, 837, 840, 850, 894, 911, 936, 939, 949, 957 f., 984,

1020 ff., 1024, 1042, 1050, 1055, 1070,1092, 1094, 1097, 1107 Ungleichheitsforschung 450 f. Universalitätsprinzip 1, 103, 107 Universitäten 196, 198,201, 212, 554 Unternehmer, gewerbliche, industrielle (auch Arbeitgeber) 40, 158, 228, 248 f., 270, 275, 279 f., 287, 434 f., 454 f., 457, 459 f., 486 f., 499, 683, 712, 754, 888, 895, 940, 1013, 1099 Unterrepräsentation 190, 956, 1055, 1091 Unterricht 124, 127, 132, 171, 173,232, 265, 333, 555, 770 Unterschicht, Unterschichten 22, 267, 282,451 Unterstützungswohnsitz 267, 868 Unterstützungswohnsitzgesetz, 1842 728 Urbanisierung 133, 186,695, 711, 1028 Verbände des alten und befestigten Grundbesitz 1036 Verbürgerlichung 13,40 Verein, Vereinsbildung, -wesen 29, 282, 285 ff., 289, 476, 625, 739 Verein Berliner Wohnungsmieter 881 Verein der neuen Stadtbezirke 805 Versammlungswesen 476, 607, 625 Verein für Socialpolitik 710 Verein zur Abwehr des Antisemitismus 853 Verein zur Förderung des Gewerbefleißes 455 Vereinigter Landtag (siehe Landtag, preußischer) Verfassung(en; auch Verfassungspläne) 46, 48, 62, 64, 67, 72, 75 f., 81 ff., 89, 94, 108, 139, 149, 188 ff., 192, 196 f., 203, 208 f., 211, 226, 247, 282, 289 f., 478, 481, 492, 530, 572, 607, 627, 655, 668, 681, 781, 797, 892, 953, 961, 965, 967, 974, 995, 1023, 1025, 1033 f., 1041, 1060, 1110

Sachregister - Baden, von 1818 (auch Entwurf) 73, 189 - Bayern, von 1818 191 - Belgien, 1831 510 - Bundesrepublik Deutschland (auch Grundgesetz) 1, 4, 92, 101 ff. - Deutsches Reich, von 1849 (auch Paulskirchenverfassung) 522 - Deutsches Reich, von 1871 522 - Deutsches Reich, von 1919 (auch Weimarer Verfassung) 1 f., 102, 106, 625, 1083 - Frankreich, von 1791 76 - Nassau, Herzogtum, von 1814 189 f. - Norddeutscher Bund, von 1867 981 - Preußen - Entwurf, Preußische Nationalversammlung 510 ff., 541, 600, 957 - oktroyierte, 1848 516 ff., 520, 554, 598,957 f. - von 1850 172, 554, 556, 577, 603, 634, 645, 756, 961 f., 965, 972, 979 f., 982 f., 985, 1022, 1053, 1069 - Württemberg, von 1819 (auch Entwurf) 189 Verfassungsbewegung 12, 34, 51, 246, 280 Verfassungsgesetz, 1867 980, 982 Verfassungskommission (u. a. preußische Nationalversammlung) 197, 511 f., 552 f., 957 Verfassungskonflikt, preußischer (auch Konfliktszeit) 295, 596, 682, 975 Verfassungsrecht 3, 11, 119, 165, 280, 295, 374, 515, 549, 574, 598, 604, 618, 778, 961, 986, 1023, 1061 Verfassungsoktroi 519 Verfassungsvereinbarung (auch Vereinbarungsprinzip ) 496, 516 f. Verfassungsversprechen 13, 23, 191, 283, 294, 1073 Verhältniswahlrecht (siehe Wahl system, Landtag, preußischer) Verlagswesen 280

1323

Verleger (siehe Buchhändler) Vermögensverwaltung 124, 130 f., 195, 951,953 Vermögens- und Einkommensteueredikt, 1812 322 Verrechtlichung 616 Versailler Vertrag 1083 Verstaatlichung 322 - Justiz 9, 233 - Polizei 9, 233, 602 Versteigerung (auch Lizitation) 596 f. Verwaltungsakt, hoheitlicher 622, 770, 871 Verwaltungsaktlehre 622 Verwaltungsbehörden 66, 99, 278, 298, 301 - Provinzial- 581 - Kreis- und Bezirks- 794 Verwaltungseffizienz (auch Effizienz, -bedürfnisse, -gewinne) 7, 12, 21, 46, 55 ff., 67 f., 71, 89, 105, 110, 113, 372, 408, 426 f., 464 Verwaltungsgericht(e), -gerichtsbarkeit (siehe auch Oberverwaltungsgericht, preußisches) 172, 253, 373, 613, 622 ff., 729, 769, 788, 794, 849, 1010, 1032, 1104, 1108 Verwaltungsgerichtsgesetz, 1875 794, 864 Verwaltungsgrundsätze, allgemeine 332, 376,406,747 Verwaltungsorganisation, Preußen - kommunale 17, 19, 117, 157, 351, 366, 368, 370, 408, 541, 555, 613, 709 f., 773 - staatliche 22, 49, 52, 99 f., 185, 553 Verwaltungsrechtslehre 96, 100, 107, 141 Verwaltungsrechtsprechung 10, 107, 170, 172, 724, 764 Verwaltungsrechtsschutz 169, 376, 864 Verwaltungsreform, -modernisierung 11, 55 f., 62, 113, 118, 120 f., 123, 196, 476, 481, 504, 527, 609, 617 f., 631, 777

1324

Sachregister

Verwaltungsstreitverfahren 376, 613, 728 Vincke-Fraktion 579, 605, 649, 660 Viril- und Kollektivstimmen 191, 204, 970 f. Volksbewaffnung 477, 510 Volksküchen 287 Volksrepräsentation (auch -vertretung) 62,81, 189, 194,200,284,301,416, 477, 500, 544, 992, 1027, 1032, 1035, 1038, 1042, 1084 Volksschulunterricht (siehe Unterricht) Volkssouveränität 7, 189, 510, 1111 Volksversammlungen 500 Volks-Wahlcomite 495 f., 498 Volkswehr 499 Volkszählungen 452 Vorortsverwaltungen, Berliner 594, 765 Vorparlament, Frankfurter 494 f. Vorstädte 148, 359, 364, 464 ff., 651, 1092 Wählbarkeit (auch passives Wahlrecht) 20, 22, 75 ff., 80, 153, 158, 160, 166, 189 f., 193, 195, 212 f., 223, 243, 377 f., 380 ff., 385, 387, 389, 433, 482, 495, 512, 537, 542 f., 549, 662, 693, 714 f., 867, 947 ff., 955, 969, 1020, 1091 Wählerabteilungen (auch Wählerklassen) 30, 559, 661, 685, 688, 698 f., 724, 734, 736 ff., 744, 801 ff., 807, 818, 825 f., 834, 839, 850, 852, 855 ff., 859 ff., 874 f., 878, 882, 887 ff., 892, 894, 896 ff., 900 f., 905 ff., 909 f., 912, 914, 917 f., 924 f., 928, 930, 936, 940, 991, 1006, 1009 ff., 1016, 1018, 1021, 1024, 1096 ff., 1101, 1103 Wählerabteilungsgesetz, 1900 913, 925, 941 Wählerlisten 447, 484, 685, 689, 715, 720, 722, 725 f., 735, 737, 845, 892, 898,910,913,931 f., 1100 Wahl agitation (auch -auseinandersetzung) 527, 781, 964, 1092

Wahlanalyse, historisch-politische 31 Wahlanfechtung 422, 714, 843, 931 Wahlbeteiligung (siehe Kommunal-, Landtags- u. Reichstagswahlen) Wahlbezirksgesetz (auch Wahlgesetz), 1860 973, 978 ff., 987, 992, 1000, 1020, 1022, 1053 Wahlbündnisse (siehe Parteibündnisse) Wahlenthaltung ((siehe Kommunalwahlen) Wahlforschung, historische 31 f., 695, 739 ff., 923 Wahlgesetz, 1906 1004 f., 1007 f., 1017, 1022, 1025, 1027 f., 1055, 1079 Wahlgesetz, 1920 1082 f. Wahlgesetze, 1848-1850 495 ff., 512, 518, 526, 565, 570, 635 f., 737, 809, 885, 892, 902, 904, 906, 910, 957, 960 ff., 965, 967, 969, 971 f., 980, 987, 1041, 1065 Wahlgesetznovellen 984, 986, 1097 Wahlkultur 30, 695, 813, 1092 Wahlkreise (auch -bezirke) - Deutsches Reich 860, 990, 1006, 1028, 1076 - kommunale 44, 148, 420 f., 431, 440, 442, 445, 466, 470, 472, 697, 699, 743, 801, 803 f., 809, 812, 815, 817, 824, 827, 829 f., 833 f., 837 ff., 843 ff., 848 ff., 931,1081,1100 - Landtag, preußischer (Abgeordnetenhaus) 29 f., 33, 42, 463, 733, 738, 791, 814, 816, 831 f., 835, 839, 844, 855, 860 ff., 887 f., 897, 956, 958, 960, 963, 972, 974 f., 978, 981, 983 f., 986 f., 989 f., 992 ff., 998 f., 1001 ff., 1008, 1017 f., 1020, 1022, 1024 f., 1027, 1029 ff., 1035 f., 1045 f., 1048 ff., 1052 f., 1057 ff., 1062 ff., 1067, 1072, 1074 f., 1077 ff., 1082, 1092, 1100 ff. - Weimarer Republik 1082 f. Wahlmänner (auch -versammlung) 77, 192 f., 202, 205, 378, 501, 519, 742,

1325

Sachregister 959, 965, 968, 976 f., 979, 989, 992 ff., 1001, 1012 Wahlmännersystem 80, 442 f. Wahlpflicht, kommunale 428 f., 432 f., 435,523 Wahlrecht - allgemeines u. gleiches 76, 166, 191, 195, 282, 499, 512, 518, 526, 548, 551, 554, 629, 642, 662, 671, 676 ff., 680 f., 683 f., 774, 852, 854, 863, 867, 869, 871, 880, 883, 943 ff., 947 ff., 952 f., 955 f., 981, 983, 1016, 1025, 1028 f., 1039, 1046 ff., 1051 ff., 1056 f., 1060 ff., 1068, 1071 ff., 1077 f., 1081 f., 1093, 1095 - Frauen- 953 f., 1020, 1052, 1057 f., 1082 - Klassen- 159, 165, 188, 209, 212, 378, 390, 427, 447, 460, 526, 554, 556, 559 f., 566 f., 570, 626 f., 638, 646 ff., 650, 654, 658, 661 f., 669, 672, 674, 676, 679, 682 f., 688, 696, 711, 713, 732, 734, 736, 740 f., 744, 816, 852, 867, 969 f., 873, 880, 885 f., 895, 899, 901, 907 ff., 913, 952, 957, 980, 986, 991, 993, 1005, 1023, 1046 f., 1050, 1077, 1079 f., 1086, 1090, 1094 ff., 1098, 1101 f. - Männer- 463 - Mehrheits- 422, 462, 494, 562, 735, 1066, 1100 - Plural- 949, 952, 1006, 1042, 1044 ff., 1050 f., 1060, 1066, 1069, 1072, 1075, 1080 f. - ständisches - (auch korporatives -) 159 f., 189, 193 ff., 198, 201, 205 f., 211 f., 672, 785, 968, 970, 1044 - Verhältnis- (auch Proportional-, Proporz-) 952, 954, 1062, 1064, 1067 f., 1076, 1081 f. - Zensus- 159, 165, 189, 193, 195 f., 207, 209, 211 ff., 518, 520, 567, 627, 650, 661 f., 672, 676, 708, 723, 868, 872, 877, 879, 899, 934, 1092 ff. Wahlrecht, kommunales 20, 22 f., 26, 28 f., 30 ff., 36 f., 43 f., 70, 77 ff., 158, 160, 198 f., 206 f., 209, 211 ff.,

223, 254, 266, 285, 295, 372 f., 380 ff., 387, 389, 391, 396, 422, 425, 427, 432 ff., 441 ff., 461 f., 466 ff., 471 ff., 477, 481 f., 489, 491, 493, 509, 511 f., 525, 537 ff., 542 f., 545, 547 f., 551, 554, 556 ff., 561 f., 566, 568 ff., 577, 579, 583, 587, 597, 599, 611, 626, 628 ff., 639 ff., 644, 647 ff., 655 ff., 665 f., 668 ff., 675 ff., 680 ff., 684 f., 689 f., 693, 699,708,711 f., 714 f., 717, 719 ff., 723 ff., 729 ff., 737 ff., 743, 780, 801 f., 805, 807, 809, 815, 818 f., 823 f., 826, 829, 836, 839, 841, 847, 849 ff., 856, 863, 865, 867 ff., 871 ff., 877 ff., 882, 884, 886, 888 f., 891, 894 ff., 898 ff., 902 ff., 907, 909 ff., 914 f., 924 ff., 928 ff., 934, 936 f., 939, 941 ff., 945, 947 ff., 951 ff., 956 f., 961, 1005, 1013, 1018, 1029, 1049, 1057 f., 1079, 1092, 1094 f., 1097 ff., 1101, 1103 f. - Angesessenheit (auch Ansässigkeit, Seßhaftigkeit) 20, 22, 77, 151 - Armenunterstützungsklausel 518, 726, 729 f., 868, 878, 1104 - Beitrag zu den Gemeindelasten 22, 512, 551, 681, 876 - Bürgerliche Ehrenrechte (siehe auch Ehrenrechte, bürgerliche) 222, 518, 866 - Dienstbotenverhältnis 726

493 f.,

551,

- Ehrenamt als Wahlrechtsqualifikation 97 - Einschätzungsmodus (auch -verfahren) 164, 322, 325, 389 f., 455, 560, 644, 676, 716 ff., 720 f., 803, 889, 892 - Frauen 158 - Gewerbebetrieb, Grundbesitz, -eigentum u. Hausbesitz 22, 77 f., 150, 158, 212, 382, 551, 560, 567, 573, 575, 631, 638, 642, 644, 675, 686, 743, 866, 884, 1042 - Gewerbesteuerbefreiung 445, 1089

1326

Sachregister

- Inanspruchnahme kommunaler Krankenhauspflege 726 ff. - Jahreseinkommen (-vermögen; auf der Grundlage der MahlSchlachtsteuer) 77, 158, 160, 560, 573, 628, 640, 642, 644 f., 684, 723, 889

auch und 558, 649,

- Juristische Personen 875 - Mietsteuerbefreiung 442, 445, 453, 716 f., 719 f., 722, 803, 866 - passives Wahlrecht (siehe Wählbarkeit) - Plutokratisierung 1096 f.

711,

850,

925,

- Selbständigkeit (auch eigener Hausstand) 74 ff., 125, 512, 518, 551, 558, 632, 643 f., 649, 655, 660, 662 f., 668 ff., 673, 675, 678, 719 f., 724 ff., 1089 f. - Steuerleistungen 944, 1026, 1104 - Wahlrechtszensus (auch Klassensteuerzensus) 574, 628, 631, 640 f., 643 ff., 649, 670, 678, 684, 717 f., 722 ff., 866, 868, 875 ff., 885, 889 - Zahlungsmodalitäten (auch Steuerrückstände, Verbindlichkeiten) 158, 385,443,445 Wahlrecht, Landtag, preußischer 33, 42, 526, 561, 665, 680, 684 ff., 696, 735, 741 f., 882 ff., 888, 892, 896, 899, 902 f., 907 ff., 916, 921 f., 924, 930, 961, 1018, 1045, 1079 f., 1083, 1097 - Mehrheitswahlrecht 494 - Wahlverordnung, 1848 (siehe Wahlgesetze 1848-1850) Wahlrecht - Nationalrepräsentation u. Interimistische Nationalrepräsentation 22, 69 f., 72f., 79f., 191ff., 195f., 198f., 201, 203, 208, 321 - Nationalversammlung, deutsche 294, 493,510 - Nationalversammlung, 493,495,497,499,510

preußische

- Provinziallandtage (auch Provinzialstände) 22, 77, 190 f., 193, 196, 198, 200 ff., 205 ff., 212, 243, 1091 - Reichstag, Deutsches Reich 26, 735, 852, 854, 882 f., 892, 905, 908, 943, 948, 950, 952, 954, 1016, 1018, 1020, 1029, 1031, 1044 f., 1048, 1065, 1076, 1096 f. - Reichstag, Norddeutscher Bund 680, 981 - Süd- u. südwestdeutsche Staaten 189 ff., 196, 250, 266, 992, 1007 - Vereinigter Landtag 200 f., 208, 493 f. Wahlrechtsinitiativen 33, 714, 882, 947, 1005, 1061, 1096, 1104 W ahlrechtsdemonstration( -en, auch -bewegung, -sturm) 496, 509, 735, 773, 1005 f., 1019, 1027, 1036 f., 1044, 1046 Wahlrechtspolitik 26, 31, 41, 909, 928, 946, 1042, 1061, 1106 Wahlrechtsreform, kommunale 44, 248, 386, 658 f., 677, 711 f., 732, 738, 799, 892, 899, 906, 910 f., 916, 929, 937, 947, 953, 993, 1008, 1016, 1019, 1031, 1036, 1041, 1045, 1047, 1052, 1054, 1058, 1061 f., 1065, 1070, 1072, 1097 - Abänderungsenwurf, Forckenbeck, 1860 587 f., 648 ff., 654, 656 ff., 668 f. - Kommissionsentwurf, Abgeordnetenhaus, 1861 668 f., 673 f., 676 f. - Petition, Berliner StadtverordnetenVersammlung, 1861 591 f., 648, 661 ff., 670, 673 f., 679 Wahlrechtstheorie 736 - historisch-organische 75, 190 - liberale 543, 661, 682 f., 1090 - rationalistische 76, 191 Wahlsystem, kommunales 30, 97, 285, 389 f., 434, 462, 509, 561, 568, 646, 648, 657, 659, 666 f., 678, 700, 733, 739, 741, 778, 836, 867 f., 871, 873, 875,885,920,940,951

Sachregister - Dreierwahlkreise 806, 856 - Dreiklassensystem 22 f., 30, 165, 509, 526, 540, 556, 671, 678, 803 f., 867, 877, 943, 947 - Abteilungsbildung 163, 720, 724, 736, 738, 876, 886 f., 889 ff., 902, 913 f., 916, 918, 922, 930, 934 - Durchschnittsprinzip (auch -system) 916, 925 f., 929 ff., 933 f., 936 f., 939 ff., 943, 992, 1098 - Durchschnittssteuersätze (auch Durchschnittssteuerleistung) 456, 932 - fingierter Normalsteuersatz (auch fiktiver Steuersatz) 885, 897, 926, 934, 937, 1096 - Gemeindedrittelung 711, 886,906 - Gesamtsteuerbetrag, -aufkommen 888,896,898,914 - Maximalsteuersätze 897 f., 904 f., 914, 1097 - Mindestquoten für Wählerklassen (auch Quotenregelung, Ouotierung) 736, 873, 875, 896 f., 900, 910, 912, 1024, 1096 - Mindeststeuersätze 932, 1042 - Quotierung des Gesamtsteuerbetrages (u. a. Zwölfte1ung) 874, 888, 893 ff., 897 f., 904 f., 912 ff., 917 ff., 932 f., 936 f., 940 f. - Einerwahlkreise 802, 970 - Ergänzungs-, Ersatzwahlen 421, 423, 425 f., 440, 442, 469, 501, 503, 521 f., 525, 528, 563, 669, 689 f., 694, 697, 699 f., 713, 732 f., 738, 803, 807, 810, 815 ff., 825 f., 828, 834, 836 ff., 841 f., 844 f., 849, 855, 957, 859, 861 f., 870, 913, 1100, 1102 ff. - Gesamtwählerschaft 440, 444, 825, 857, 870, 912 - Hausbesitzerprivileg (auch Haus- u. Grundbesitzerklausel) 75, 160, 212, 390, 628, 646, 669, 714, 881, 944 ff., 950, 953, 1104

1327

- Kommunalwahlkreise, -bezirke (siehe Wahlkreise, kommunale) - Neuwahlen (auch Gesamtwahl) 423, 458, 483, 490, 523 f., 588, 690, 700, 714, 733, 800, 804, 808 ff., 815 f., 821, 823, 827 ff., 836, 862, 1093 - Ortsstatute (auch ortsstatutarische Regelungen; siehe Kommunalrecht) - Repräsentationsschlüssel (auch Stimmengewicht, Wählerschlüssel) 463, 472, 733, 739, 802 ff., 1100 f. - Steuerdrittelung 737 - Viererwahlkreise 802 - Wahlbezirksreform, -revision (auch Neueinteilung) 469 f., 472 f., 650, 799, 802 f., 804 ff., 810, 813 ff., 818 ff., 822 f., 825, 830 f., 841, 844 f., 847, 852, 854 f., 859, 863, 953 - Wahlkreisgeometrie (auch Wahlrechtsgleichheit) 463, 467, 471 f., 676, 678, 820, 822, 831, 852, 870, 947,955 f., 1103 - Wahlperioden 362, 423, 563, 669, 689, 700, 1092 - Zweierwahlkreise 802 Wahlsystem, Landtag, preußischer (Abgeordnetenhaus) 33, 42, 518 ff., 526, 682, 885 ff., 905, 962, 968, 970 f., 979 f., 992, 1007, 1009 f., 1015, 1017, 1022, 1026, 1030, 1036 f., 1044, 1048, 1050, 1066, 1070, 1078 ff., 1082 - Abteilungsbildung 896, 899, 902 - Einerwahlkreise 970 - Dreiklassensystem 526, 561, 892, 905,908, 1001, 1017, 1021, 1079 - Drittelungsbezirke 1015, 1030 - Gemeindedrittelung (auch Drittelungsprinzip) 991, 996, 1008, 1011 1015 f., 1018, 1079 - Gesamtsteuerleistung 1021 - Mandate, Mandatsverteilung 959, 963, 969 ff., 971, 973 ff., 979 f., 983, 985 f., 988 ff., 998 ff., 1008 f., 1011, 1013 f., 1029, 1032, 1045 f., 1048 f.,

1328

Sachregister

1052 ff., 1056 f., 1060, 1063 f., 1066, 1070, 1074, 1076 ff. - Riesenwahlkreise 1074 - Urwahlbezirke 741 f., 886, 892, 896, 899, 901, 922, 965 ff., 996, 1010, 1015, 1018, 1024 - Verhältniswahl (auch -recht) 954, 1002, 1054 f., 1057 f., 1064, 1066 ff., 1075 f., 1081 ff. - Wahlkreise (siehe Wahlkreise, Landtag, preußischer) - Bevölkerungsschlüssel (auch Einwohner pro Abgeordnetenmandat, Repräsentationsschlüssel) 42, 957, 995, 1048, 1053, 1055 f. - Wahlkreisgeometrie (auch Wahlrechtsgleichheit) 791, 956, 1061, 1071, 1077, 1080 f. - Wahlkreisreforrn, -reVlSlon (auch Wahlkreiseinteilung) 44, 901, 958, 960, 962, 975, 978 f., 987 ff., 991, 993, 995, 999, 1006 ff., 1022 ff., 1048, 1053, 1055, 1079 - Zwergwahlkreise 1074 Wahlsystem - Norddeutscher Bund 981 - Nationalversammlung, deutsche 497 ff. Wahlverein der deutschen FortschrittsPartei 703 Wahlverfahren, kommunales 109, 163, 378, 421 f., 435 ff., 446 f., 469, 483, 524 f., 542, 548, 562, 629, 644, 646, 649, 652, 657 ff., 662, 669, 671 f., 679, 685, 720, 724, 737 f., 741 f., 785, 797, 840 f., 845, 882, 887, 892, 895, 898 f., 907, 910, 919, 924 f., 931,934, 941, 945, 948, 1098 f. - Bezirkswahl, geschlossene (auch gemeinschaftliche Wahl) 160, 212 f., 388, 422, 424, 482, 662, 670 f., 1092 f., 1095 - öffentliche, offene Stimmabgabe 628, 650 ff., 948, 1010, 1013, 1017 f., 1035 f.

- Quotisierungsklausel 548 - Stellvertreterwahl 421 f., 435 ff., 447, 484, 566, 654 - Stimmbezirke (auch Abstimmungsbezirke) 470, 878, 931, 934 f., 938 - Wahlversammlungen (auch -körper) 39, 44, 158, 388, 421 f., 425, 437, 439 ff., 444, 524, 548, 560, 566, 576, 645 ff., 651 f., 657 f., 663, 679, 693, 711, 732, 737, 801 ff., 811, 827, 834, 870, 1102 - Wahlvorstand (auch -vorsteher) 931 Wahlverfahren - Landtag, preußischer (Abgegeordnetenhaus) 735, 737, 892, 895, 898 f., 902, 925, 992, 994, 998 f., 1006, 1010 ff., 1015, 1049, 1052, 1079, 1091, 1093 f., 1096 - Wahlort 741, 965, 967, 994, 998, 1000,1004 - Wahlreglement, 1861 etc. 966, 968, 984,992 - Wahlversammlung (auch -körper) 935, 938, 958, 969 ff., 973, 978, 989, 993, 1023 - Wahlvorstand 936, 965, 967

(auch

-vorsteher)

- Nationalrepräsentation - Wahlversammlung (auch -körper) 191, 193, 197 ff., 201 f., 205 f., 208,210,243, 1090 f. - Nationalversammlung, deutsche 495, 507 preußische - Nationalversammlung, 494 ff., 509, 886 f. Wahlverfahrensgesetz, 1891 889, 902, 906 Wanderungsbewegung (auch Binnen-, Zuwanderung) 18, 45, 119, 222 f., 265, 331, 337, 344 f., 349,408, 1002, 1089 Weber (auch Stuhlarbeiter) 245, 259, 331,430

Sachregister Wegebau, Wegebaulast (siehe Straßenund BTÜckenbaulast) Weichbild, -erweiterung (auch Eingemeindung) 148, 176, 329, 464 ff., 471 f., 639, 777, 802, 806, 851, 901, 974,995 f. Weimarer Verfassung (siehe Verfassungen, Deutsches Reich, von 1919) Werkmeister (auch -aufseher, -führer) 578, 634, 1066 Wesensgleichheitslehre 106 Widerstandsbegriff 83 Wiener Bundesakte 189 Wirkungskreis, kommunaler (siehe Gemeindeangelegenheiten) Wirtschaftsbürgertum (auch Besitz- und Gewerbebürgertum; siehe auch Gewerbetreibende) 20, 22, 690 f., 709, 712, 1105 Wirtschaftsgesellschaft 65, 211 Wirtschaftskrise, fTÜhindustrielle 19 Wirtschaftsliberalismus (auch ökonomischer Liberalismus) 226, 231, 253 Wirtschaftspolitik 65, 295 Wohlfahrtspolizei (siehe Polizei) Wohltätigkeit, private 312, 331, 333 Wohlstandsgesellschaft 450 Wohnungen, Wohnverhältnisse 336 fo, 339, 444, 718, 774 f., 1090 Wohnungsaufsicht (auch -amt, -pflege, -wesen) 774 ff. Wohnungsgesetz, preußisches, Entwurf, 1916776 Wohnungsmieten (auch Jahresmietwerte, Mietzins; siehe auch Mieterträge) 195, 336 fo, 349, 387, 430 f., 444, 455 ff., 459 fo, 662 ffo, 674, 718 f., 721, 945, 1090

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Zeitungen (siehe Pressewesen) Zensur, Zensurpflicht 174, 180, 182, 412,478,595 Zensurfreiheit 289 Zensuswahlrecht (siehe Wahlrecht) Zentralismus, bürokratischer 50, 53 Zentral verein für das Wohl der arbeitenden Klassen 287 Zentrum, Zentrumspartei 639, 894, 896 ffo, 903, 912 f., 916 ffo, 936 fo, 989 f., 1006, 1009, 1011 fo, 1014 ffo, 1048 f., 1052, 1054, 1058, 1061, 1064, 1066 f., 1081, 1099 Zeughaussturm 486 Zimmerleute, -meister 219, 460, 523, 525 Zollverein 245, 349 Zoll- und Verbrauchssteuergesetz, 1820 327 Zunft, Zünfte (siehe Gewerke; siehe auch Innungen) Zunftverfassung 215, 227, 243, 250 Zunftvermögen 236 Zunftzwang (siehe Innungen) Zuständigkeitsgesetz, 1876 613 fo, 788, 800 Zuwanderung (siehe Wanderungsbewegung) Zwangsanleihe (siehe Kommunalfinanzen) Zwangsbefugnisse, polizeiliche (siehe Polizeiverwaltung, örtliche) Zwangsetatisierung (siehe Staatsaufsicht) Zweckverbandsversammlung Groß-Berlin 1059 Zweikammersystem 201, 247, 394, 499, 502,968, 1060, 1091