Staatsgedanken des Reichsfreiherrn Karl vom Stein [Reprint 2021 ed.] 9783112513781, 9783112513774

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Staatsgedanken des Reichsfreiherrn Karl vom Stein [Reprint 2021 ed.]
 9783112513781, 9783112513774

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Staatsgedanken des Reichsfreiherm

Karl vom Siem Von

Äochschul- und Aniversitätsprofessor

Dr. Eberhard Frhrn. von Scheurl in Nürnberg.

19 3 1

3. Schweitzer Verlag (Arthur Sellier) München, Berlin und Leipzig.

Druck von Dr. $. p. Datieret & die., Freising-München.

I. Oie Grundlegung. Oer Verfasser hat kurz, ehe der Todestag Steins sich zum hundertsten Male jährte, Gelegenheit gehabt, auf Ginladung des Arbeitsausschusses „Reich und Heimat" in München über den Reichsfreiherrn Karl vom Stein zu sprechen. Die eingehen­ den Dorstudien und die innere Bewegung des Dortrags selbst haben in ihm den Entschluß gezeitigt, den ihm so lieb und in gewissem Sinne zum geistigen Besitz gewordenen Gegenstand nach der Seite der Steinschen Staatsgedanken hin weiter zu untersuchen und darzustellen. Wer sich durch eine Forschung wie durch die auf das geistige Leben und auf das politische wirken Steins gerichtete innerlich bereichert fühlt, wird aus der eigenen Dankbarkeit heraus den Wunsch empfinden, daß der große Staatsmann auch anderen ein Sichrer in eine lichtere deutsche Zukunft werden möge. Eine große Persönlichkeit ge­ hört ihrem Dolk, auch den kommenden Zeiten und Geschlechtern an; dabei muß ihr Bild von dem Rur-Zeitlichen befreit werden. Die folgenden Blätter möchten der durch Persönlichkeit und Wirken Steins auch der Staatswissenschaft gestellten Aufgabe durchaus von innen heraus gerecht werden. Gs ist in diesen Blättern die Rede von Steins Denken vom Staat und Steins Wirken für den Staat, der im Mittelpunkt seines kampferfüll­ ten, arbeits- und entsagungsreichen Lebens stand. Wir wollen versuchen, dem großen Stoff der Steinschen Staatsgedanken Er­ kenntnisse abzuringen, die uns Richtpunkte und Maßstäbe für die Wege bieten möchten, die noch in tiefem Dunkel vor uns liegen. Berührt sich die deutsche Gegenwart in mancher Hin­ sicht mit der Zeitlage, in die ein wichtiger Teil von Steins Leben fällt, so vermag wohl auch das Heilmittel, das Stein dem Dolke seiner Zeit dargeboten hat, auch unserer tief er­ schütterten und zersetzten Zeit Genesung zu versprechen; denn es ist gewissermaßen zeitlos aus den Tiefen der deutschen Seele und aus dem ewigen Urquell eines lebendigen Gottesglaubens und Gottvertrauens geschöpft.

Wenn Steins politisches Denken und Wirken von innen heraus erfaßt werden soll, so dürfen nicht nur die Vorgänge in der Seele Steins selbst untersucht, sondern es mutz das Augenmerk auch gerichtet werden auf alle im weitesten Sinne geistigen, politischen, sozialen Strömungen, Erscheinungen und Bedürfnisse, die in seine Zeit entfallen und mit seinem Wirken in Verbindung stehen. Im Banne der geistigen und politischen Atmosphäre ihrer Zeit steht bis zu einem gewissen Grade auch eine Persönlichkeit von der absoluten Selbständigkeit, ja Eigen­ willigkeit, von der eisernen Willenskraft Steins. Wo solche Umweltströmungen die empfängliche und kritische Seele Steins zur Stellungnahme drängten, hat er eindeutig und klar Stel­ lung genommen. So hat er sich gegenüber dem Rationalismus offen und klar zu einem warmherzigen, persönlichen Ehristentum bekannt. Stein ist nie eigentlich volkstümlich geworden. Wir sind es dem deutschen Volk, zumal der deutschen Jugend nicht weniger als ihm selbst schuldig, sein Lharakter- und Lebensbild, befreit von aller Entstellung, die politische Gegnerschaft und Unver­ stand ihm zugefügt haben, zum fruchttragenden Gemeingut der deutschen Ration zu machen. Wir danken ihm, datz er wahrhaft deutsches Volkstum und Staatsleben in Wort und Tat mit kräftigen klaren Strichen uns vorgezeichnet hat. Stein hat den Staat in der Zeit tiefster Rot von unten auf und von innen heraus neu aufgebaut. Er hat den Hebel an der Wurzel angesetzt: an der Seele des deutschen Wenschen von seiner Jugend an. Könnte uns da ein besserer Lehrmeister für die besondere Rot der deutschen Gegenwart erstehen als der Wann, der von Kindheit an in harter Zucht in einem gottesfürchtigen, ehrenfesten Elternhaus aufgewachsen ist, der in gleicher Zucht das Geschlecht seiner Zeit zu einem neuen Aufbau von Volk und Staat führen wollte? Könnte uns und unserer Jugend ein besseres Vorbild für deutsches Volks- und Staatsbürgertum voranleuchten als „der Held des heiligen Zornes und der stürmischen Wahrhaftigkeit", wie ihn Heinrich v. Treitschke in seiner „Deutschen Geschichte int 19. Jahrhun­ dert" nennt, der sein eigenes Deutschtum aus den reichen, tiefen (Quellen der deutschen Geschichte, der heitzen Vaterlands­ liebe und des unerschütterlichen Gottvertrauens geschöpft hat? Als der aufrechte Wann und kühne Streiter, der mit dem

glühenden Hatz gegen den äutzern Zeind und gegen das schlei­ chende Gift der Gemeinheit und Lüge die innige Liebe zum deutschen Volt, so weit die deutsche Zunge klingt, und zum schlichtesten der deutschen Brüder verband, stets bereit, jedes soziale Übel mit der Wurzel auszurotten? wir empfinden das Bedürfnis, in diesem Jahr des Gedächtnisses nicht nur dem­ jenigen, was Stein im äutzeren Aufbau des Staats vollendet hat, sondern auch besonders demjenigen gerecht zu werden, was er selbst war, und den (Quellen, aus denen sein Sehnen und Schaffen geflossen ist. wir feiern das Gedenken nur dann recht, wenn wir die Ideen und Kräfte, von denen Steins Wirken getragen und befruchtet war, in uns aufnehmen und für die deutsche Gegenwart und Zukunft wirksam und frucht­ bar machen. Wir können den tapferen Vorkämpfer für die äußere Freiheit und für die seelische Wiedergeburt nicht besser ehren und unsterblich machen, als indem wir seinen Geist in unserem Volk lebendig halten. Nicht so stellt sich uns das hier zu lösende Problem dar: Was bedeuten Steins Worte für das um 100 Jahre älter gewordene, in andere Lebensbedingungen gestellte deutsche Volk? Sondern so: Was bedeutet das von allem Zeitbedingten befreite, tiefste Wesen, Denken, Zählen, Wollen Steins für unsere Zeit und für unsere deutschen Nöte? Wie würde der von tiefster Ehrfurcht für das auf deutschem Boden in Jahrtausende langer Entwicklung Gewordene er­ füllte Reichsfreiherr vom Stein heute eine neue deutsche 3u=( tunst von innen heraus, aus der Seele jedes veutschen, vor­ nehmlich auch der deutschen Jugend, aufbauen? Nicht das Werk, sondern was hinter dem Werk, dem vielfach unvoll­ endeten Werke Steins steht, die (Quelle, aus der sein Schaffen floß, ist dasjenige, was uns hier beschäftigt, wohl schließen wir aus dem äußeren Schaffen zurück auf die letzten und innersten Triebkräfte solchen Wirkens. Aber wir suchen auch das Absolute und Ewige in Steins Persönlichkeit aus den Bruch­ stücken, die uns in seinen Äußerungen und in seinem staats­ männischen Walten überliefert sind, so klar und plastisch zu ergründen, als dies unserer, immer bis zu einem gewissen Grade an die äußeren Erkenntnismittel gebundenen mensch­ lichen Kraft möglich ist. Wir suchen aber noch mehr: Wir suchen die geistige Verbindung solcher Forschungsergebnisse mit der deutschen Gegenwart und Zukunft herzustellen; also jenes

Absolute und Ewige, befreit von allem Zeitgebundenen und vergänglichen, als eine seelische, wirksame Kraft der Erkennt­ nis und des Wollens in die deutsche Gegenwart einzustellen und so die seelischen Kräfte Steins für das deutsche Volkstum und Staatsleben der Gegenwart und Zukunft fruchtbar zu machen. Solche Bewegung schlägt die soziale, die politische, die geistige wie die religiöse Richtung ein. So wächst eine pragmatische, die letzten Wurzeln und Zusammenhänge der Geschehnisse, die innersten Triebkräfte der handelnden Per­ sonen ergründende Geschichtsforschung hinein in das Reich praktischer Arbeit an Volk und Staat der Gegenwart und Zu­ kunft. So handeln wir in der Zorschung über Steins Persön­ lichkeit und Wirken in innerster Harmonie mit Stein selbst, dem die Versenkung in die deutsche Geschichte wie in die frem­ der Staaten nicht nur ein Gegenstand wissenschaftlicher Er­ kenntnis war, sondern viel mehr noch die Aufnahme großer Gedanken und gewaltiger Kräfte aus der Geschichte, nament­ lich aus der deutschen Geschichte, in die eigene Seele und in das eigene Schaffen für Volk und Staat bedeutete. (Ein tiefes Verständnis für Steins Wirken am deutschen Volk mag durch den vergleich zweier bedeutsamer Äußerungen ge­ fördert zu werden: Wilhelm Wundt spricht im 10. Land seiner Völkerpsychologie im Schlußkapitel „Vie Zukunft der Kultur", 5. 462ff., aus, daß die Geltung des deutschen Staats und der deutschen Kultur in Zukunft abhängen werde von der Rückkehr zu den Idealen, „die in Sitte und Recht der deutschen Vorzeit uns den historischen Beruf vorgezeichnet haben, den das deutsche Volk zu erfüllen hat". Wundt zeichnet den Gegen­ satz zwischen einer egoistischen Utilitätsmoral und dem, in der Kultur des deutschen Staates, zuletzt in dem deutschen Idealis­ mus, zum Ausdruck gelangten Beruf des Staates, der Gemein­ schaft und in ihr den geistigen Gütern zu dienen . . ." hier kommt der Beruf des Staats als Kulturstaat, und die Eigen­ art des auf den deutschen Idealismus gegründeten deutschen Kulturstaats treffend zum Ausdruck. Die andere Äußerung ist in dem oben angezogenen Werk Heinrich v. Treitschkes, l.Teil, 6. Auflage, S. 274, enthalten,- sie bewegt sich in der gleichen Gedankenrichtung: Rach Treitschke berühren sich die Gedanken Steins vom Neubau des Staats „mit dem sittlichen Ernst der Kantischen Philosophie und dem wiedererwachenden histori-

scheu Sinn der deutschen Wissenschaft ..." Steins Staats­ gedanken gründen sich auf eindringende geschichtliche Studien, denen er schon als junger Student in Göttingen mit Ernst ob­ lag, und auf sittlichen, religiös verankerten Idealismus. Das Lebenswerk Steins am Neubau der deutschen Staatsgestaltung bewegt sich in der doppelten Richtung der äußeren Organi­ sation und der inneren Kundierung. Aber diese beiden Rich­ tungen vereinigen sich in dem Gedanken, daß auch der äußere Aufbau getragen sein soll von der Entfaltung und Mitarbeit jeder einzelnen Staatsbürgerpersönlichkeit, von der Einzel­ persönlichkeit, auch von der jugendlichen, und ihrer sittlichen Erneuerung geht für Stein die Wiedergeburt von Volk und Staat aus. Solche Persönlichkeitenentfaltung ist für Stein zweierlei: Sowohl Voraussetzung für den Aufbau des Staa­ tes von unten herauf, von der untersten Stufe der Selbstver­ waltung bis hinauf zur, zunächst nur beratenden, reichsstän­ dischen Versammlung,- als auch die höchste und wichtigste Aufgabe des Staats, wenn er sich als Kulturstaat im wahren Sinne ausweisen will. Vie Erweckung und Entfaltung der sittlichen, historisch und religiös fundierten Kräfte jedes ein­ zelnen Volksgenossen und ihre Einstellung in den Dienst an Volk und Vaterland ist die Grundidee der Steinschen Staats­ auffassung.

II. Oie Ausführung. 3ßer dem staatsbürgerlichen Programm der Reichsverfassung

vom 11. August 1919 entnimmt, daß der junge Deutsche zu sittlicher Bildung, zu staatsbürgerlicher Gesinnung, zu persön­ licher und beruflicher Tüchtigkeit im Geiste des deutschen, ge­ schichtlich und völkerpsgchologisch recht verstandenen Volkstums geführt werden soll (Artikel 148), der wird zu einem tieferen Verständnis dieses Satzes erst gelangen, wenn er die Verbin­ dung mit den Artikeln 149 und 150 der Reichsverfassung und mit den Staatsgedanken Steins aufnimmt; denn jene Sätze der Reichsverfassung bezeichnen den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach der Schulen und bauen den Heimat­ gedanken auf der Ehrfurcht vor den Denkmalen der deutschen Geschichte, auf der Liebe zur deutschen Landschaft auf. Überall findet sich hier die Anknüpfung an die Steinsche Gedankenwelt, hier klingt Treitschkes Wort mit: „Jeder Fortschritt unseres politischen Lebens hat die Ration zu Steins Idealen zurück­ geführt." Es ist nicht Sache der vorliegenden Arbeit das äußere Leben Steins darzustellen. Dieses darf in den Hauptpunkten als be­ kannt vorausgesetzt werden, hier soll das Schwergewicht auf das innere Bild Steins verlegt und der äußeren Ereignisse in Steins Leben nur so weit gedacht werden, als sie Aufschlüsse über Steins Staatsgedanken zu erteilen vermögen. Es ist nicht leicht das geistige Bild Steins wiederherzustellen, weil Stein ein IKann weit mehr von Taten als von Worten war. Wir müssen aber versuchen, dem zu schaffenden Bilde vom Staats­ mann Stein solches Leben einzuhauchen, daß wir ihm eine lebendige Stellungnahme zu den Problemen der deutschen Gegenwart abzuringen vermögen. Das Bild kann erst über­ zeugend wirken, wenn es in sich geschlossen, harmonisch er­ scheint. Dies darf nicht im Sinne künstlicher Ausgleiche oder beschönigender Glättung verstanden werden. Solches Verfahren

würde in schärfstem Widerspruch zum wahren wesen Steins stehen. Er war eine knorrige, kantige, bisweilen derbe, ja grobe Natur,- dabei innig fromm, um die nächsten Angehörigen wie um die Geringsten im Volke väterlich besorgt. Oer gegen Na­ poleon so tapfere und todesmutige, dem eigenen König gegen­ über so aufrechte Mann beugte sich in tiefer Demut vor Gott. §ür Stein ist gerade charakteristisch die Art, wie die Gegensätze unvermittelt nebeneinander lagen und den Träger solcher Eigenschaften als durchaus widerspruchsvolle Persönlichkeit ohne innere Einheit und Geschlossenheit bei oberflächlicher Letrachtung erscheinen ließen. Wer aber tiefer gräbt, der findet die Auflösung aller jener Gegensätze und scheinbaren Wider­ sprüche im untersten Grund von Steins Seele: In seiner Auf­ richtigkeit, in seiner Volks- und Vaterlandsliebe, in seinem lebendigen Gottesglauben. Im Grund ist alles in Steins Wesen und Wirken aus diesen beiden Grundelementen der Vater­ landsliebe und der Gottesfurcht heraus zu erklären. Aus ihnen ist sein Bild auch zu ergänzen. Dafür, wie Steins Grund­ einstellung die verschiedenen Richtungen seiner Lebensbeziehun­ gen ergriffen und beherrscht hat, ist bezeichnend, daß er den religiösen Rationalismus ebenso ablehnte, wie dürre Speku­ lation auf politischem Gebiet in Gestalt von Staatskonstruk­ tionen. §ür Stein galt das Pauluswort (2. Eor. 3, 6): „denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" auch in staat­ lichen Dingen, insbesondere für die innere Verwaltung. Ihm stellte sich der lebendig machende Geist dar in der Gestalt des Staats, der die Freiheit und Würde nach außen mit Einsatz von Gut und Leben seiner Bürger wahrt, im Inneren alles Reine und Edle im Menschen pflegt und fördert. Ihm war der Geist, der den Staat lebendig macht, der Geist unermüd­ licher, schöpferischer Arbeit. Daß ihm diese Ideen insbesondere im Rahmen und auf dem Loden der inneren Verwaltung Wirksamkeit und Leben gewannen, ist bei Stein, dem er­ fahrenen, gewiegten, das Kleine wie das Große mit gleichem Interesse erfassenden Verwaltungsbeamten, natürlich. Stein war der Mann der unbedingten, schaffenden Lebensnähe, dem politische „Systeme" und graue Theorien fremd waren. Bei Stein ist alles Tat und Leben, ein Leben aus Gott und für Volk und Vaterland. In solchem Leben schließt sich in Stein

dasjenige, was in seinem Wesen weit auseinander liegend, ja gegensätzlich erscheint, schließlich wieder harmonisch zusammen. Die Grundelemente in Steins Wesen treten insbesondere in zwei Dokumenten klar zutage: In dem Briefe an Pastor Bäumer, den das verdienstvolle Buch Dr. pagel's zum Ab­ druck bringt, und in dem sich Stein eingehend über religiöse Dinge ausspricht, und in seinem sog. „politischen Testament", in welchem sich der Scheidende am 24: November 1808 von seinen Ministerkollegen verabschiedet. Im letzteren finden sich die Bemerkungen: Soll die innere Entwicklung des Dolles vollständig erreicht werden, „so muß der religiöse Sinn des Dolles neu belebt werden", „wird durch eine, aus die innere Natur des Menschen gegründete Methode jede Geisteskraft von innen heraus entwickelt und jedes edle Lebensprinzip an­ gereizt und genährt . . . und werden die . . . Triebe, auf denen die Kraft und würde des Menschen beruht, Liebe zu Gott, König und Daterland sorgfältig gepflegt: so können wir hoffen, ein physisch und moralisch kräftiges Geschlecht auf­ wachsen und eine bessere Zukunft sich eröffnen zu sehen." Das staatspolitische Ideal Steins war ein freier, starker, auch in seinen Finanzen wohl geordneter Rechts-, Sozial- und Kulturstaat. Stein verkannte die Wichtigkeit einer guten Wirtschafts- und Finanzpolitik keineswegs. Wohl bekannte er sich, wie Treitschke a. a. G. 5. 273 bemerkt, zu der Sridericianischen Meinung, daß übermäßiger Reichtum das Derderben der Dölker sei. Aber Stein war klug und praktisch genug, um der Wirtschafts- und Zinanzpolitik vollste Aufmerksamkeit zu widmen, und gerade das Dertrauen auf eine gute Staatsleitung in dieser Richtung bewog Napoleon, Steins Rückberufung im Juli 1807 zu wünschen. Stein wollte, als er eine große Steuer­ reform plante, mit der Bemessung der Ausgaben nach den Einnahmen brechen und die preußische Zinanzpolitik auf dem entgegengesetzten Grundsatz aufbauen. Daß Stein mit allen Zasern seines Herzens einen freien Staat ersehnt hat, beweist der Befreiungskampf gegen Napoleon, den Stein unermüdlich und leidenschaftlich gefordert, den er mit unerschütterlichem Heldenmut in absoluter Selbstaufopferung an Gut und Sicher­ heit auch ganz persönlich geführt hat. Don den Kämpfen Steins mit Napoleon samt ihren Entbehrungen und Derfolgungen ist die Kunde auf die Nachwelt im weiten Umkreis gekommen.

Aber wer das Lebenswerk Steins im ganzen überblickt, dem tritt die nach innen gerichtete Arbeitsleistung Steins hinter die nach außen gerichtete in keiner Weise zurück. Steins Staats­ auffassung, seine Auffassung von Art und Umfang der staat­ lichen Aufgaben, seine eigene Arbeit an Volk und Staat er­ hielt Richtung und Begründung, Maßstäbe und Ziele nicht aus rein gedankenmäßigen oder Zweckmäßigkeitserwägungen,vielmehr war jene Auffassung wie diese Arbeit ihm mit innerer Notwendigkeit vorgezeichnet, seelisch fundiert und bestimmt. Darin liegt gerade der hohe Wert und die Unsterblichkeit der Steinschen Staatsgedanken. Wie Stein selbst eine stark und scharf ausgeprägte Persönlichkeit war, so stellte sich ihm auch der deutsche Staat als etwas dar, das aus dem deutschen Boden, aus der deutschen Geschichte, aus der deutschen Seele heraus­ gewachsen sein mußte. Steins Staatsgedanken lassen sich nicht in nach außen und nach innen gerichtete Gruppen trennen. Er bedurfte der äußeren Unabhängigkeit und Zreiheit, um jeden Staatsgenossen zur wahrhaft deutschen Persönlichkeit und zum Staatsbürger im höchsten Sinne zu erziehen, um jeden solchen persönlichkeits­ wert, nicht nur den Staatsdiener, in den Dienst für Volk und Staat einstellen zu können. Er bedurfte aber umgekehrt auch solcher inneren Erneuerung, solcher Erweckung echter Staats­ bürgerpersönlichkeiten, um die gewaltige Wirkung der Be­ freiung vom fremden Zoch erzielen zu können. So steht das Außere und das Innere in Steins Lebensarbeit und Staats­ auffassung in gegenseitig sich stärkender und befruchtender Wechselwirkung. Zn gleicher Weise standen die SteinschenIdeen vom äußeren und inneren Aufbau des Staates in Wechsel­ wirkung, nämlich im Sinne der Mitwirkung, sowie der Er­ ziehung des Volks: Die Selbstverwaltung aller Stufen, wie die Teilnahme an einer reichsständischen Versammlung setzte ge­ meinde- und staatsbürgerliche Reife voraus. Diese Auffassung bekundete Stein dadurch, daß er die reichsständische Versamm­ lung „wegen der Unreife des Volks" vorläufig auf das Recht der Beratung beschränken wollte. Was für Stein Voraussetzung selbstverwaltender und volksvertretender Mitarbeit war, sollte aber umgekehrt auch Zweck und Erfolg solcher Mitarbeit werden: Die Gewinnung von Erfahrungen und reifem Verständnis für die gemeindlichen und staatlichen Interessen und Bedürfnisse.

Steins Staatsideal war ein umspannendes: es, umfaßte in gleicher Weise die Aufhebung der bäuerlichen Abhängigkeit, wie die Herstellung der Brücke zwischen der ungebildeten, eben erst von solcher Abhängigkeit befreiten Volksschichte und der überfeinerten Gelehrtenbildung durch eine Reform des Unter­ richtswesens. Er hat seinem Kulturstaatsideal den Begriff wahren veutschtums zugrunde gelegt. Solches bedeutete aber für ihn wie für Wundt nicht nur die Ablehnung einer äußer­ lichen Gpportunitätsmoral, sondern viel mehr noch den see­ lischen Aufbau des einzelnen wie des ganzen Volkes aus den in der deutschen Kamille wurzelnden Kräften der Liebe und Treue, aus alle dem heraus, was dem Volk der Dichter und venker ureigen ist. Der durch und durch praktische, mit allen Realitäten des Volks- und Staatslebens gründlich vertraute und rechnende Staatsmann hat alle guten Geister des wahren, oft verschütteten veutschtums für sein großes Werk an Volk und Staat aufgerufen. Indem er den deutschen Idealismus aus seinen geschichtlichen, nationalen und religiösen Grund­ lagen heraus gedeutet und in sein Werk der Wiedererweckung der deutschen Seele eingestellt hat, hat er die unvergängliche Grundlage für den deutschen Kulturstaat geschaffen. Stein hat nie einen stärkeren Beweis idealer Staatsauffassung geliefert als int Sommer 1807; denn int Januar des gleichen Jahres durch ein Schreiben seines Königs aufs tiefste gekränkt, hat er, als ihm Hardenberg den Wunsch des Königs nach Wieder­ übernahme der Staatsgeschäfte übermittelt hatte, keinen Augen­ blick gezögert, dem Rufe in der Zeit tiefster Not ohne jede Ein­ schränkung und Bedingung zu folgen: ein ehrenvoller Sieg, den Steins Vaterlandsliebe über das Gefühl persönlicher Krän­ kung davontrug. Zu dem treuen Eharakterbild eines Menschen gehören auch seine Kehler. Jede Beschönigung würde mit der Grundehrlich­ keit in Steins Wesen selbst in Widerspruch stehen. Die hohen Anforderungen, die er an seine Untergebenen stellte, hat Stein int höchsten Ausmaß auch an sich gestellt, harte Urteile über die „Buralisten", die sich bis zur Ungerechtigkeit steigern konn­ ten, waren der Widerschein seines Hasses gegen alles Leblose, Dünkelhafte, Papiermäßige. Der gewiegte, ausgezeichnete Kennet auf dem Gebiet der inneren Verwaltung lehnte dem Könige gegenüber die Übernahme bedeutungsvoller Aufgaben

auf dem Gebiete des auswärtigen Staatsdienstes mit der Be­ gründung ab, daß ihm ausreichende Erfahrung hier fehle. Stein mag dabei wohl auch von der durchaus richtigen Selbst­ erkenntnis bestimmt worden fein, daß ihn feine ganze innere Veranlagung, wie fein Temperament für diplomatische Auf­ gaben wenig geeignet erscheinen ließen. In dieser Hinsicht war ihm Hardenberg überlegen. Letzterer stand, was hohe sittliche Staatsauffassung und was die Richtung auf die Varstellung echter Kulturstaatlichkeit anbelangt, an der Seite Steins, während den letzteren sein von glühender Vaterlandsliebe und unwiderstehlichem Befreiungsdrang getriebenes Ungestüm wie ein gewaltiger Sturmwind fortritz, wenn er die Stunde der Befreiung vom fremden Joch gekommen glaubte, konnte Hardenberg die Grenzen des Möglichen ruhig und besonnen prüfen und in ruhigem Zuwarten den entscheidenden Schlag bis auf den Augenblick der Reife verschieben. wie Stein alles mit tiefem Ernst anpackte, was mit seinem großen Lebenswerk des Wiederaufbaues von Volk und Staat in Verbindung stand, so wurden ihm auch die geschichtlichen Studien zu einer Kraftquelle. Zu jener Zeit war der geschicht­ liche Sinn in der Wissenschaft, wie Treitschke betont, wieder erwacht. Die historische Rechtsschule, deren Haupt Zriedrich Karl v. Savigng war, legt davon Zeugnis ab. Stein selbst hat stch in seinen Monumenta Germaniae historica, in jener be­ deutungsvollen (yuellensammlung aus alter Zeit, selbst ein monumentum aere perennius gesetzt. Aber die eigentliche Be­ deutung seiner geschichtlichen Studien, auf denen er seine Lebensarbeit aufbaute, lag darin, datz er nicht nur Überliefer­ tes zu erhalten, sondern mehr noch für Gegenwart und Zu­ kunft fruchtbar zu machen verstand, von hier aus fällt ein Licht auf das von ihm viel gebrauchte Wort, datz die Schaffung einer Verfassung in der Entwicklung des Gegenwärtigen aus dem vergangenen bestehe. Die Erweckung uralter, aber noch triebkräftiger Lebenskeime war seine Genialität und Kunst der Geschichtsbehandlung. Stein hat auf westfälischem Loden, wie Treitschke berichtet, die urgermanischen Reste der Gemeindeund Lauernfreiheit entdeckt. Er hat die schlummernden sitt­ lichen Kräfte im Volk erkannt und zu neuem Leben erweckt. Er hat aus der deutschen Geschichte die deutsche Seele und die Bestimmung des deutschen Volks erkannt, und solche Erkennt-

nis mit eisernem Willen in die praktische Tat umgesetzt. Er war bei aller Bewunderung für die großen Zeiten und Ge­ stalten der deutschen Geschichte der Mann der klugen, prak­ tischen Erwägungen. Er stand bei allem Idealismus mit beiden Zützen fest auf dem Loden der Wirklichkeit und der Gegenwart. Dies bezeugt seine Denkschrift: „Über eine deutsche Derfassung" vom August 1813, in der er ein einziges selbständiges Deutsch­ land, wie es vom 10. bis 13. Jahrhundert unsere großen Kaiser kräftig und mächtig beherrschten, für das Wünschenswerte, aber für das nicht Ausführbare erklärte. Zn derselben Denk­ schrift entwickelt Stein Gedanken für die zukünftige Gestaltung Deutschlands, welche den Satz enthalten: „Die Gegenstände der Landeshoheit bleiben: innere Landespolizei, Rechtspflege, Er­ ziehung, Kultus, Militär und Finanzen, unter . . . Beschrän­ kungen." Treitschke sagt a. a. ©. S. 272 von Stein: „Roch war sein Traum vom einigen Deutschland mehr eine hochherzige Schwärmerei als ein klarer politischer Gedanke ..." Aber Stein war nicht ein Mann der Träume, sondern der Gegebenheiten. Ihm war fremd, um einer hochherzigen Schwärmerei willen die reale Wirklichkeit und die Grenzen politischer Möglichkeit verleugnen zu wollen. Stein war Realpolitiker, das Gegenteil von einem Doktrinär. Seine politischen Entscheidungen patzten sich der politischen Struktur der Gegenwart an. Was ihm unter den jeweils gegebenen Derhältnissen das Richtige zu sein und den Erfolg zu verbürgen schien, das verfolgte er mit Ungestüm und eiserner Willenskraft,- welche Mittel ihm wirksam er­ schienen, die wählte er. Der Weitblick des gründlichen Kenners der deutschen Geschichte, des lebensnahen Staatsmannes war unverwandt auf das Ziel gerichtet; die Mittel, auch dasjenige staatlicher (Organisation, fand er ohne Doreingenommenheit auf dem Wege. Über der Zorm stand ihm die Sache. So kam es ihm für die rechtliche Gestaltung Deutschlands auch nur auf die Wirkung, nicht auf die Zorm an. Sein Ziel war Deutsch­ lands Kraft nach außen, und nach innen die geistig-sittliche Erhöhung des Dolks. Er wußte, daß die Kraftentfaltung nach außen nur auf Belebung und Entwicklung der Einzelkräfte zur höchsten Leistung beruhen konnte. Znsoferne fielen für ihn jene beiden Ziele in eines zusammen. Was aber vom einzelnen Dolksglied galt, mußte notwendig auch vom Linzel-Staat

gelten. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung in Steins Entwurf einer deutschen Bundesverfassung von 1814: „Die deutsche Bundesacte wird auf Grundlagen aufgeführt werden, welche dem Gesamtverein Kraft geben, und jeden Bundes­ staat unter den Schutz einer Derfassung setzen, welche seine staatliche und bürgerliche Freiheit gewährleiste." Dem Reichsfreiherrn vom Stein war der Staat kein ab­ strakter, blutleerer Begriff, kein künstliches Gedankending, son­ dern eine mit ursprünglichem, eigenständigem, geschichtlich von innen heraus gewachsenem Leben erfüllte Persönlichkeit. Der Bundesstaatsbegriff baut sich auf den Grundgedanken einer staatsrechtlichen, nicht mehr wie beim Staatenbund völker­ rechtlichen Zusammenfassung von Einzelstaats-Persönlichkeiten auf. Die im Bundesstaat zusammengeschlossenen Gliedstaaten besitzen neben Staatsgebiet und Staatsvolk auch eine ursprüng­ liche, eigenständige, geschichtlich von innen heraus gewachsene Staatsgewalt,- sie müssen solche an wesentlichen Stellen und im wesentlichen Umfang auch ausüben, wenn hinter der Be­ zeichnung als Gliedstaat in Wahrheit eine Gliedstaats-Per­ sönlichkeit stehen soll. Der Bundesstaatsbegriff fordert or­ ganisatorisch den Zortbestand von wahren Staatspersönlich­ keiten im staatsrechtlichen Derband des Gesamtstaates, der Wirkung nach das Ausleben und das Werte schaffende Wirken der in den Linzelstaaten dargestellten Eigenarten und Kräfte. Stein stand ehrfurchtsvoll dem geschichtlich Gewordenen gegen­ über. Auf sein eigenes Wort, daß eine Derfassungsbildung die Entwicklung des Gegenwärtigen aus dem vergangenen be­ deute, deckt sich Ereitschkes Urteil a. a. V. S. 273 ein: Stein habe „mit der Tatkraft des Neuerers eine tiefe Pietät für das historisch Gewordene" verbunden. Wäre es mit solchem Bilde von Steins innerstem Wesen vereinbar, daß er hätte wünschen sollen, die auf Jahrhunderte lange Entwicklung zurückblicken­ den deutschen Staaten möchten ihren Staatscharakter, ihre Staatspersönlichkeit abstreifen? Aus diesen Gedankengängen heraus eröffnet sich auch das rechte Derständnis für Steins berühmtes Wort: „Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland ...",' denn Stein fährt fort: „und da ich nach alter Verfassung nur ihm und keinem besonderen Teile desselben angehöre, so bin ich auch nur ihm und nicht einem Teile des­ selben von ganzem herzen ergeben." Der Schwerpunkt liegt

also auch hier auf der geschichtlichen Seite, indem sich Stein rückwärtsblickend auf die Heichsunmittelbarkeit seines alten reichsritterlichen Geschlechts beruft. Stein kannte den Wert der heimatlichen, bodenständigen Kräfte, die Quellen, aus denen die heimatliebe und die hei­ matlich gegründete Vaterlandsliebe aufsteigt. Ihm war Ge­ schichte und Heimat aufs Innigste verbunden. Dieses Ver­ ständnis erschließt sich demjenigen, der sich liebevoll in Steins Wesen versenkt; ihm fällt die wissenschaftliche Begründung solcher Erkenntnis mit dem Nacherleben des Steinschen Wesens zusammen. Keines der seelischen Grundelemente Steins,^welche sein Geschichtssinn, seine ethisch-religiöse Einstellung, seine Hei­ mat- und Vaterlandsliebe waren, ist ohne die anderen denkbar; alle bestimmten, stärkten, befruchteten sich gegenseitig. Ls ist das große Verdienst Steins, daß er im Verhältnis von Volk und Staat das seelische Moment so stark betont hat. von diesem Gesichtspunkt aus eröffnet sich uns heute ein tiefes und frucht­ bares Verständnis für Art. 1 Hbf. II HD.: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus." Indem nach Steins Idee jeder einzelne Volksgenosse sich ganz mit allen seinen Gaben und seelischen Kräften für den Staat einsetzen sollte, sollte Volk und Staat ineinanderwachsen. Es ist schwer in Worte zu fassen, wie die Seele eines Volkes beschaffen sei. Aber die Eigenart der deut­ schen Seele läßt sich an einer so typischen Persönlichkeit wie an Stein aufzeigen. Er hat dem Begriff wahren Deutschtums, indem er ihn geschichtlich und völkerpsgchologisch erfaßte und in der eigenen Persönlichkeit und Lebensarbeit zur Darstellung brachte, Leben und hohe sittliche Weihe gegeben.

III. Der Ausklang: Stein und wir. > wollen von Stein nicht auf hundert oder etwa auf

26 Jahre, bis zum 200. Geburtstag, Abschied nehmen. Wir wollen ihn im Gegenteil mehr als bisher mitten in unser deutsches Volks- und Staatsleben wirksam hereinnehmen. Was den nachgeborenen Geschlechtern sein Bild immer bewun­ derungswürdig erhalten wird, ist die herrliche, kraftvolle Ein­ heit und Geschlossenheit der Persönlichkeit, die aus dem tiefen, festen Grunde demütigen Christenglaubens aufsteigt. Stein, der Mensch, ist kein anderer als Stein, der Staatsmann. Seine Grundidee staatlicher Organisation war nicht: Einheit von oben und von außen her, sondern Einheit von innen, aus dem deutschen Seelenleben heraus. War Steins Leben der Arbeit an der Wiedergeburt von Volk und Staat gewidmet, so ström­ ten ihm die Kräfte aus einem reichen, auf ewige Grundlagen gegründeten Menschentum zu. Aus diesem Grunde erschien es üotwendig, dem Charakterbild Steins eingehende Betrachtung zu widmen. Bei Stein war alles Erfahrung, Erlebnis, Wille und tiefes starkes Gefühl. Stein hat den Gedanken des Volks­ staats tief und fruchtbar erfaßt: Er ist ihm der Staat, in dem es auf den Mert und auf die aktive Mitarbeit jedes einzelnen Volksgenossen ankommt,' der Staat, dessen wichtigste Sorge die Entfaltung jeder Persönlichkeit ist. Die Arbeit an der deut­ schen Persönlichkeit ist der Kernpunkt in Steins politischem Denken und Wirken. Daß an jeden Volksgenossen diejenigen Maßstäbe angelegt werden müssen, welche geschichtliches Ver­ ständnis und Erfassung wahren Deutschtums aus Zamilie und Gottesfurcht heraus an die Hand geben, war der Steinschen Staatsweisheit letzter Schluß. Nach Art und Maß, wie der Staat solcher Aufgabe der Volkserziehung gerecht wird, be­ stimmt sich schließlich sein Wert als Kulturstaat. Stein, der jede Einzelpersönlichkeit zur höchsten Entfaltung und Wirksamkeit bringen wollte, konnte auf die in den deut-

scheu Stämmen und Staaten verankerten urdeutschen Kräfte nicht verzichten. Stein, der historisch feingebildete und auf ge­ schichtlichem Gebiet schöpferisch arbeitende Gelehrte, in dem sich auch in geschichtlicher Richtung Theorie und Praxis zur fruchtbarsten Einheit verschmolz, konnte nicht verkennen, daß das deutsche Volk in einer größeren Anzahl von selbständigen Völkerschaften in die Geschichte eintrat, und daß ein starker Sonderungstrieb die Deutschen von jeher bis auf unsere Tage auch durch ihr politisches Leben begleitet hat. Vie Schranken, die einstmals die deutschen Länder voneinander geschieden haben, sind zum großen Teil gefallen; das ist ganz im Sinne Steins. Aber die Grenzen der deutschen Länder bedeuten auch die äußere Zusammenfassung innerer Kräfte und Gesamt­ energien von eigenartigem Gepräge und hohem Wert. Auch diese Auffassung liegt im Sinne Steins. Ihm schienen starke Glieder die Kraft des Ganzen zu erhöhen. An die Stelle der alten Geburtsstände setzte Stein eine neue Ordnung des geistigen und des materiellen, insbesondere des freien Grundbesitzes. Eine auf solchen Besitz gegründete Ord­ nung der vaterländischen Pflichterfüllung schien Stein eine neue Blüte deutschen Volks- und Staatslebens zu verheißen. Auch von hier aus fällt ein Helles Licht auf diejenigen Sätze der heutigen Reichsverfassung, welche von dem verpflichtenden Kern des Eigentums und von der sittlichen Arbeitspflicht des Deutschen handeln. Art. 163 Abs. 1 Rv., wonach jeder Deutsche die sittliche Pflicht hat, seine leiblichen, geistigen, künstlerischen, charitativen und politischen Gaben und Kräfte in den Dienst von Volk und Staat zu stellen, ist gewissermaßen embryonal; seine Potenzen liegen noch unentfaltet in ihm. Er klingt an das Evangelium Lucä, 19, 11 ff., von den vergrabenen Pfun­ den an. Aus der Steinschen Ideenwelt heraus verstanden, erscheinen jene Worte der Reichsverfassung von einer leben­ digen Kraft beseelt. Die Steinschen Ideen lassen den Deutschen von dem formalen Begriff der Rechtspersönlichkeit (§ 1 BGB.), erfüllt mit den aus der Familie strömenden sozial-ethischen Kräften (Art. 119 Rv.), aufsteigen zur deutschen Persönlich­ keit im wahren und vollen Sinne des Worts; in sie strömen alle Kräfte aus Geschichte, Deutschtum, Heimat, Familie, Re­ ligion ein, um in Volk und Staat reiche Frucht zu tragen. „Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt, daß

Blut’ und Zrucht die künft'gen Jahre zieren." (Goethes Zaust, Prolog im Himmel.) weil dem Reichsfreiherrn vom Stein der Staat zum be­ deutsamsten Erlebnis geworden ist, ist so viel von Steins Leben in den Staat seiner Zeit und, wills Gott, auch der deutschen Zukunft eingeströmt. Die Vorsehung hat in Stein das Gefäß geschaffen, in welchem die deutsche Staatsidee in lauterer Reinheit, Fülle, Tiefe und religiöser Weihe zur Darstellung und zum Bewußtsein seines Volks gebracht worden ist. Steins höchstes Verdienst war, daß er der Staatsidee solchen Sinn und Inhalt gegeben hat. Manches von den Steinschen Reformen ist im Entwurf stecken geblieben. Aber über das, was Stein wirklich erreicht hat, hinaus dankt ihm das heutige deutsche Geschlecht, daß er das heilige Feuer für die deutsche Idee und die heiße Liebe zum deutschen Heimatland mit entzündet hat. Diese Blätter des Gedenkens möchten Leben aus einem großen Leben wecken! Sie wenden sich nicht zuletzt an die deutsche Jugend als die Trägerin der deutschen Zukunft, die noch im Kluß der eigenen Bewegung und Entwicklung steht,der noch die Begeisterungsfähigkeit eigen ist, sich an großen Vorbildern zu entzünden, aus ihnen Ideale und Maßstäbe für die eigene Eharakterentwicklung zu gewinnen. Möchte die deutsche Jugend, wenn sie Albrecht Dürers „Glaube, Tod und Teufel" erblickt, des glaubensstarken deut­ schen Ritters Rarl vom Stein in Ehrfurcht und Dankbarkeit gedenken!