Spuren magischer Formeln in den Psalmen

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Spuren magischer Formeln in den Psalmen

Table of contents :
Einleitung
Psalm 91
Psalm 58
Psalm 141
Psalm 59
Psalm 109
Psalm 69
Psalm 35
Psalm 7
Schlussbemerkungen
Inhalt
Front Matter 2
Vorbemerkung
Abkürzungen
Inhalt
Literaturverzeichnis
Erstes Kapitel. חםך als menschliche Verhaltungsweise in profaner Bedeutung
Zweites Kapitel. חםך als menschliche Verhaltungsweise in religiöser Bedeutung
Drittes Kapitel. חםך als göttliche Verhaltungsweise
Anhang

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Beihefte zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45.

W. Frankenberg: Die Datierung der Psalmen Salomos. 1896 . . . . 3.20 Ch. Torrey: Composition and Historical Value of Ezra-Nehemia. '96 . 2.40 A. v. Gall: Altisraelitische Kultstätten. '98 5.— M. Lohr: Untersuchungen zum Buch Arnos. 1901 2.50 G. Diettrich: Eine jakobitische Einleitung in den Psalter in Verbindung mit 2 Homilien aus dem großen Psalmenkomm. d. Daniel v. Salah. 'Ol 6.50 G. Diettrich: Isö'dädh's Stellung i. d. Auslegungsgesch. d. A. T., an s. Kommentaren zu Hosea, Joel, Jona, Sacharja usw. veranschaulicht. '02 . 7.50 E. Baumann; Der Aufbau der Amosreden '03 2.40 G. Diettrich; Ein Apparatus criticus zur Pesitto z. Proph. Jesaia. '05 . 10.— E. B r e d e r e k : Konkordanz zum Targum Onkelos. '06 6.50 M. Löhr: Sozialismus und Individualismus im Alten Testament. '06. . 1.— J. Schliebitz: Isö'dädh's Kommentar z. Buche Hiob. Text u. Übersetzg. '07 4.— M. P e i s k e r : Die Beziehungen der Nichtisraeliten zu Jahve. '07 . . . 2.50 J.Müller: Beiträge zur Erklärung und Kritik des Buches Tobit. R. Smend: Alter und Herkunft des Achikar-Romans u. sein Verhältnis zu Äsop. '08 4.50 F. Lundgreen: Benutzung d. Pflanzenwelt in d. alttestamentl. Religion. '08 5.— G. Westphal: Jahwes Wohnstätten nach den Anschauungen d. Hebräer.'08 11.— A. Kropat: Syntax d. Autors d. Chronik, verglichen m. der seiner Quellen.' 09 4.— A. Merx: Der Messias oder Ta'eb der Samaritaner. '09 5.— W.Brandt: Die jüdischen Baptismen oder das religiöse Waschen u.Baden im Judentum mit Einschluß des Judenchristentums. '10 7.50 W. Brandt: Jüd. Reinheitslehre u. ihre Beschreibg. i. d. Evangelien. '10 . 2.70 J. Hänel: Die außermasoretischen Übereinstimmungen zwischen der Septuaginta und der Peschittha in der Genesis. '11 3.60 W. Frankenberg: Das Verständnis der Oden Salomos. '11 5.— J. Meinhold: 1. Mose 14. Eine historisch-kritische Untersuchung. '11 1.50 O. Holtzmann: Der Tosephtatraktat Berakot. Text, Übers, u. Erklg. '12 7 — O. Eißfeldt: Der Maschal im Alten Testament. '13 3.— W. N a u m a n n : Untersuchungen über den apokryphen Jeremiasbrief. '13 2.20 W. Frankenberg: Der Organismus der semitischen Wortbildung. '13 6.50 Studien zur semitischen Philologie und Religionsgeschichte. J u l i u s W e l l h a u s e n zum 70. Geburtstag gewidmet. Hrsgg. v. K. M a r t i . '14 22.— O. Klein: Syrisch-griechisches Wörterbuch zu den vier kanon. E w . '16 . 6.60 W. Coßmann: Entwicklung d. Gerichtsgedankens bei den altt. Proph. '15 7.— N.Messel: Die Einheitlichkeit der jüdischen Eschatologie. '15. . . . 6.50 W.Eichrodt: Die Quellen der Genesis, von neuem untersucht. '16 . . 5.60 W. Baumgartner: Die Klagegedichte des Jeremias. '17 5.— Abhandlungen zur semitischen Religionsgeschichte und Sprachwissenschaft. Pestschrift B a u d i s s i n zum 70. Geburtstage. '18 . . 28.— Beiträge zur alttestamentlichen Wissenschaft. Karl B u d d e zum 70. Geburtstag gewidmet. Hrsgg. von K. M a r t i . '20 10.— N. Messel: Der Menschensohn in den Bilderreden des Henoch. '22 . . 2.80 H. Jahnow: Das hebr. Leichenlied im Rahmen der Völkerdichtung. '23. 9.— L. Köhler: Deuterojesaja (Jesaja 40—54) stilkritisch untersucht. '23 . . 3.60 M. Löhr: Hexateuchproblem: I. Der Priesterkodex in der Genesis. '24 —.80 G. Hölscher; Hesekiel, Der Dichter und das Buch. '24 10.— E. L. Dietrich: Schub sch'but. Die endzeitliche Wiederherstellung bei den Propheten. '25 4.— „Vom Alten Testament". K . M a r t i . Festschrift. Hrsgg. von K. Budde. io.— J. Fischer: Zur Septuaginta-Vorlage im Pentateuch. '26 2.30 G. Kuhn; Erklärung des Buches Koheleth. '26 2.60 A. Allwohn: Ehe des Hosea in psychoanalyt. Beleuchtung. '26 . . . . 4.— M. Lurje: Studien zur Geschichte der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im israelitisch-jüdischen Reiche. '27 3.40

V e r l a g v o n A l f r e d T ö p e l m a n n in G i e ß e n

SPÜREN MAGISCHER FORMELN IN DEN PSALMEN VON

NICOLAJ NICOLSKY

PROFESSOR AN DER WEISSRUSS. UNIVERSITÄT IN MINSK

AUTORISIERTE ÜBERSETZUNG DES RUSSISCHEN MANUSKRIPTES VON

GEORG PETZOLD

m 1927

VERLAG VON ALFRED TÖPELMANN IN GIESSEN

BEIHEFTE ZUE ZEITSCHRIFT FÜR DIE ALTTESTAMENTLICHE WISSENSCHAFT

46

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, vorbehalten Druck von Hubert & Co. G. ra. b. H. in GBttingen.

Dem Andenken meines Vaters und Lehrers

MICHAEL NICOLSKY

Ein I n h a l t s v e r z e i c h n i s befindet sich auf Seite 99

In der gesamten biblischen Literatur erscheint bis zur Zeit einzig und allein das Buch der Psalmen als nicht völlig enträtselte Größe. Die literarischkritische Analyse, welche über Pentateuch, prophetische und historische Bücher mehr oder minder allgemein anerkannte Resultate erreicht hat, konnte es in bezug auf den Psalter nur zu einigen Ergebnissen vorwiegend formeller Natur bringen. Als allgemein anerkannt gilt die Tatsache, daß das Buch der Psalmen in seiner gegenwärtigen Gestalt eine Sammlung gottesdienstlicher Gesänge darstellt, welche bei der jüdischen Gemeinde des zweiten Tempels in Gebrauch waren; für abgetan gilt dio Auffassung, daß David als Verfasser, wenn nicht aller, so doch des größeren Teiles der Psalmen zu betrachten sei; es ist erwiesen, daß der Psalter allmählich aus zeitlich getrennten Erzeugnissen entstanden ist, angefangen von der Epoche des Königtums bis in die Zeit des Makkabäeraufstandes. Diese allgemeinen Resultate werden durch einige speziolle textliche und inhaltliche Untersuchungen der einzelnen Psalmen ergänzt. Man hat herausgefunden, daß sich in der Menge Psalmen religiösen und halbreligiösen Inhalts einige rein weltlichen Charakters vorfinden, wie Ps 45 — ein Hochzeitshymnus zu Ehren eines jüdischen oder israelitischen Königs, Ps 137 — eine Elegie der Vertriebenen an den Wassern von Babylon, P s 42 n. 43 — dio Elegie eines sich nach der Heimat sehnenden Vertriebenen. In der Masse der Psalmen religiösen und halbreligiösen Inhalts ist wiederum eine große Mannigfaltigkeit in der Abstufung der religiösen Gefühle und Stimmungen vom Bußgebet bis zum Hymnus zu Ehren der Gottheit bemerkbar. Wenn wir den Text der Psalmen in seiner heute vorliegenden Gestalt betrachten, so stellt die Kritik fest, daß bei dem Entstehungsprozeß der einzelnen Psalmen nicht nur die Hand eines einzelnen Verfassers, bzw. Bearbeiters beteiligt gewesen ist. Es sind einige Gedichte mit variiertem Text zweimal in den Psalter aufgenommen worden; so erscheinen Ps 14 und 53 als einander sehr nahe kommende, sich fast gleichende Doppelstücke; ein und derselbe Psalm fand als 2. Hälfte Aufnahme in Ps 60 und 108; die erste Hälfte von Ps 108 ist eine Wiederholung von Ps 578-12; P s 70 deckt sich mit dem Schlußstück von Ps 40 (V. l t - i s ) . Andre Psalmen sind durchaus künstlich zu einem Ganzen znsammengefügt worden. Von Ps 7 und 19 ist jeder einzelne aus zwei völlig verschieden gearbeiteten Teilen zusammengesetzt worden, welche früher vier verschiedene Psalmen oder Teile von vier verschiedenen Psalmen gebildet Beihefte z. ZAW 46

1

2

Einleitung

haben; ähnlichen mosaikartigen Charakter trägt P s 18, nur mit dem Unterschiede, daß bei ihm die einzelnen Bestandteile nicht so grob und mechanisch aneinandergesetzt worden sind, wie es in P s 7 und 19 der Fall ist. Endlich liegen Fälle vor, wo der Bearbeiter einzelne Einheiten in verschiedene selbständige Psalmen aufteilt, wie Ps 9 und 10, die zusammen einen abgeschlossenen alphabetischen Psalm bilden'), wie P s 42 und 48, welche zusammen eine Heimwelielegie darstellen mit dem gleichen Kehrreim in jeder Strophe u. a.'). Aber nicht nur das allein: Der Bearbeiter begnügte sich nicht mit diesen rein äußerlichen Vornahmen am Text. Überall bemerken wir im Buche der Psalmen Spuren, welche auf das Bestreben hindeuten, die Mannigfaltigkeit individueller Besonderheiten der einzelnen Psalmen auszugleichen, sie in Widerspruch zur Verschiedenartigkeit ihres Inhalts unter eine Schablone zu bringen und zwar zu dem Zwecke, ihnen den Charakter kultisch-religiöser Lyrik aufzuprägen. Die Psalmen, ursprünglich der Ausdruck individueller Gefühlo und Stimmungen ihrer Verfassor, sollten in Kultgesänge verwandelt werden, in denen Gedanken und Stimmungen der betenden Gemeinde Ausdruck fänden. Wenn wir schließlich noch hinzufügen, daß durch die Tätigkeit sowohl der Bearbeiter als auch der Abschreiber des so häufig gebrauchten Psalmcnbuches der Text in einem außergewöhnlich entstellten Zustand überliefert ist, welcher auf Schritt und Tritt Berichtigungen und Deutungen notwendig macht, so haben wir damit die wichtigsten Ergebnisse der literarisch-kritischen Psalmenanalyse annähernd erschöpft. Allein man kann nicht behaupten, daß die dargelegten Resultate das Psalmenproblem erschöpfen. Das Problem muß als ungelöst betrachtet werden, solange sich die Untersuchung nur auf Festlegung solcher Besonderheiten der Psalmen erstreckt, die doch im Grunde genommen nichts Originelles oder Unerwartetes darstellen. Im Gegenteil: Die literarisch-kritische Analyse führt in ihrer Anwendung auf jedes beliebige Buch des Alten Testamentes immer und unweigerlich zu denselben Schlüssen: Altes Material ist später von frommer Hand umgebearbeitet, der Text entstellt worden und bedarf der Berichtigung, der oder die Verfasser sind unbekannt. Das Problem ist tiefer: Der Schwerpunkt liegt in jenen Fragen, welche von der literarisch-kritischen Forschung entweder überhaupt noch nicht, oder nur flüchtig, oberflächlich und ohne genügende Würdigung ihrer Bedeutung berührt worden sind. Dieses Problem ließe sich genauer als eine Erforschung der literarischen Geschichte der einzelnen ') In der LXX machen auch jetzt Ps 9 und 10 den 9. Ps. aus. *) Aus dem Vergleich des masoretischen Textes mit der LXX geht hervor, daß Ps 146 und 147 der LXX im m. Text als Ps 147 auftreten; Ps 114 und 115 der LXX bilden im masoretischen Text den 116. Ps.; umgekehrt sind Ps 114 und 115 des masoret. Textes in der LXX zu einem, dem 113. Ps., zusammengezogen.

Einleitung

B

Psalmen bestimmen; die bisher erreichten Resultate der kritischen Psalmenforschung werden hierbei nur als Ausgangs- und Stützpunkt weiterer, vertiefter Forschung zu dienen haben. Wenn wir das Wesen des angedeuteten Problems näher bestimmen wollen, so müssen wir vor allem jene Feststellung der kritischen Psalmenforschung ins Auge fassen, welche bestätigt, daß das Buch der Psalmen ans dem verschiedenartigsten Material zusammengesetzt ist, sowohl in bezug auf die Zeit der Entstehung, als auch besonders auf den Inhalt. Hochzeitshymnus und Hymnen zum Preise Jahwes, Ausdrücke glühenden Rachegefühls und zerknirschtes Bußgebet, Heimweh und Freude der Rückkehr, das Volkslied in seiner von Bearbeitung fast unberührten Ursprünglichkeit sowie künstliche alphabetische Komposition, schwache Nachahmung und schwungvollen Flug des Genius — alles da3 finden wir im Buche der Psalmen unter dem Gesichtspunkte und zum Zweck des Kultgesanges vereint. Die neueste Psalmenforschung fühlt schon dio Bedeutung der erwähnten Feststellung in ihrem ganzen Umfango. GUNKEL betont, daß der Fehler der Psalmenforscher darin liege, daß sio sich gewöhnlich bei ihrer Arboit auf einzelne Psalmen beschränken, ohne hierbei die betreffenden Texte mit anderen Erzeugnissen derselben Gattung in Verbindung zu bringen. Als Gegengewicht fordert GUNKKL: „Demgegenüber ist der Grundsatz aufzustellen, daß die oft sehr kurzen und vieldeutigen Psalmen erst dann zuverlässig gedeutet werden können, wenn man sie zuvor nach ihren inneren Verwandtschaften zusammengestellt hat und demnach jedes einzelne Gedicht im Zusammenhange mit seiner ganzen Gattung zu erklären vermag. Eine wissenschaftliche Psalmenerklärung kann es also ohne Gattungsforschung nicht geben 1 )." Es ist unmöglich, sich diesem außerordentlich wichtigen Grundsatze zu verschließen. Ohne Zweifel wird eine nach der von GUNKEL vorgeschlagenen Methode arbeitende Forschung die Möglichkeit einer richtigen Einschätzung der israelitischen Lyrik zeitigen, sowohl was Inhalt und Form, als auch ihren Wert im Vergleich zur Lyrik anderer Völker anbelangt. Diese Aufgabe ist aber, wie LÖHE richtig bemerkt 2 ), bei all ihrer grundlegenden Bedeutung nicht die einzige und außerdem einer völligen Lösung solange nicht zugänglich, bis die andere bereits erwähnte Frage noch nicht gelöst ist: die Frage der Geschichte des Textes und der literarischen Geschichte des einzelnen Psalmes. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir gegenwärtig P s a l m e n vor uns haben, d. h. Erzeugnisse, welche durch über Jahrhunderte sich erstreckende Überarbeitungstätigkeit für die Kultbedürfnisse der Gemeinde des zweiten Tempels zurechtgeformt und mehr oder weniger unter eine Schablone gebracht worden sind. Daher kann man die 1

) Die Königspsalmen S. 43 (Preuß. Jahrbücher 1914, S. 158). ) Psalmenstudien S. 4 ff.

2

1*

Einleitung

4

Psalmen in ihrer gegenwärtigen Gestalt und ohne vorhergehende Untersuchung nur sehr bedingt auf Gattungen verteilen; die Meinungsverschiedenheit

bei

der Zugehörigkeitsbestimmung zu diesen oder jenen Kategorien zeigt, daß in dieser Frage große Vorsicht obzuwalten und gründliche Forschungsarbeit voranzugehen hat.

Die von GUNKEL gestellte Aufgabe ist nur dann in ihrem ganzen

Umfange lösbar, wenn von jedem einzelnen Psalm die Überlagerungen abgelöst, die Überarbeitungen beseitigt und die wirkliche Absicht des Verfassers oder der Verfasser der Psalmen oder ihrer Teile, falls es sich um ein zusammengesetztes Gedicht handelt, bloßgelegt werden.

Im Zusammenhange hiermit

wird eine in dieser Richtung sich bewegende Forschung in der Lage sein, diejenige Frage zu entscheiden, um deren Lösung bis jetzt Gedanke vergeblich ringt, —

der kritische

die Frage der Entstehungszeit der

einzelnen

Psalmen. Wenn die Erforschung der literarischen Geschichte eines jeden Psalms seinem Original den richtigen Platz in der Reihe der verschiedenen Kategorien der literarischen Produkte anweisen wird, so erhalten wir als Resultat eine Gruppe von Erzeugnissen der Volkspoesie, eine Gruppe von solchen höfischer Poesie und eine Reihe von Gruppen, welche auf die eine oder andre Weise mit religiösen Motiven verknüpft sind.

Die chronologische Verteilung wird

dann bedeutend erleichtert und zuverlässiger, da alles Schablonenhafte von der Rechnung gestrichen, die individuellen Besonderheiten einzelner Psalmen in den Vordergrund gerückt

sind, und somit eine mehr oder minder feste

Basis für die Bestimmung ihrer Entstehungszeit geschaffen ist. Die vorliegende Studie stellt sich die Aufgabe, auf dem oben vorgezeigten W e g e eine kleine Gruppe von Psalmen zu untersuchen, deren Ursprung ganz oder teilweise in Erzeugnissen der magischen Literatur, oder genauer gesagt, in verschiedenen Besprechungs- und Beschwörungsformeln zu suchen ist.

Die

Frage der magischen Elemente in den Psalmen wurde von MOWINCKEL aufgeworfen und im I. und V . Teile seiner „Psalmenstudien" behandelt 1 ); daher ') Die Frage der israelitischen Dämonologie und der Zauber- oder magischen Kunst ist schon oft behandelt worden.

Speziell dieser Frage sind zwei kleinere

Monographien v. JlRKU „Die Dämonen und ihre Abwehr im A. T." und „Materialien zur Volksreligion Israels" gewidmet; auch BERTHOLET berührt die Frage in seiner allgemeinen Arbeit „Kulturgeschichte Israels", ebenso HÖLSCHER in seiner „Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion". besonders aktuell geworden. Arbeit anzuweisen;

In letzter Zeit, kann man sagen, ist sie

Der erste Platz ist natürlich der MOWlNCKELschen

gleichzeitig und unabhängig von ihm bin ich im Jahre 1923

mit der vorliegenden Arbeit in russicher Sprache hervorgetreten („Schriften der Weißrussischen Staatsuniversität" 4—5), worin ich u. a. einen kurzen Überblick über die israelitische Dämonologie und über das israelitische Zauberwesen gegeben habe. Dieser Überblick ist hier mit Rücksicht auf den deutschen Leser, schlägige Spezialarbeiten verfügt, ausgelassen worden.

der ja über ein-

Endlich berührt HEMPEL

dieselbe Frage in seiner interessanten Untersuchung „Die israelitischen Anschauungen

Einleitung

5

ist es notwendig, bei seiner Arbeit stehen zu bleiben, um unsere Aufgaben und Methoden von den seinigen genau abzugrenzen. , MOWINCKEL hat sehr gründlich und mustergültig die Frage nach dem Vorkommen der Magie sowohl in der volkstümlichen, als auch in der offiziellen israelitischen Religion untersucht und die großen Gruppen der sog. Klagepsalmen und Fluchpsalmen als Gebete zu deuten versucht, welche im offiziellen Kult Anwendung fanden und in Fällen von Krankheit und Elend, geschickt von Zauberern oder bösen Geistern, Erlösung bezweckten. Es ist völlig zweifellos, daß einigo der Klagepsalmen (z. B. 22, 64, 140, 10 u. a.) unbedingt derartige Gebete darstellen; aber MOWINCKEL ist der Meinung, daß es ihm gelungen sei, ein allgemein bestehendes Kriterium zu entdecken, das unfehlbar und ohne weitere Untersuchung ein für allemal die Möglichkeit verbürge, dieser Kategorie eine sehr bedeutende Zahl von Psalmen zuzuzählen. MOWINCKEL weist nämlich nach, daß der bisher im allgemeinen Sinne gedeutete Terminus J1N eine ursprüngliche spezifische Bedeutung hat im Sinne einer vorsätzlichen magischen Einwirkung von Zauberern, bösen Geistern oder eines von ihnen geschickten Unglücks; hieraus folgt, daß "b^D Zauberer oder böse Geister sind, uud daß alle Klagepsalmen, in denen dieso Ausdrücke vorkommen, als Gebete zur Erlösung von den Tücken böser Geister oder Zauberer zu deuten sind. Es mag sein, und ^JiD — MOWINCKEL macht den Vorbehalt, — daß dio Ausdrücke jlN nicht überall die von ihm untergelegte Bedeutung hätten, aber nur da, . w o nicht der Zusammenhang, der Parallelismus oder andre klare Instanzen zeigen, daß eine andere Bedeutung vorliegt" (S. 33).' Tatsächlich untersucht MOWINCKEL den Kontext zwecks genauer Feststellung der Bedeutung dieser Ausdrücke nur in einigen typischen Fällen und verweist dann kurz den Leser auf eine Reihe von Stellen, wo seiner Meinung nach die Ausdrücke und ohne weitere Untersuchung im magischen Sinne gedeutet werden von Segen und Fluch im Lichte altorientalischer Parallelen", ZDMG 1925, S. 20—110; es muß auch noch auf den nicht umfangreichen aber sehr interessanten Artikel von LODS „Les idées des Israélites sur les maladies, ses causes et ses remèdes" (Vom Alten Testament, KARL MARTI gewidmet) verwiesen werden. Der vorliegende Artikel ist eine Umarbeitung der erwähnten russischen Arbeit, wobei die Untersuchungen von P s 141 und 59 als Ergänzungen hinzugetreten sind. FRAZER'S Folklore war mir unzugänglich; BLAU, Das altjüdische Zauberwesen, i s t für das biblische Zeitalter ohne Bedeutung. — Es ist interessant, daß in den Volkssagen von Samuel, Elias und Elisa sich viele Züge, freilich e t w a s abgeschwächt, erhalten haben, welche diese Propheten als Magier und Zauberer hinstellen. Mit Hilfe verschiedener Manipulationen und durch Beschwörung heilen oder schicken sie Krankheiten, rufen Verstorbene zum Leben zurück oder senden den Tod, machen vergiftete Speisen unschädlich, verwandeln zum Trinken untaugliches Wasser in gutes, verhängen Dürre oder rufen Gewitter und Regen herab (cf. I Sam 1 2 i « _ i S ; I Reg. 17i ; 1 8 « a - « ; II Reg. 2«. u ; 3 1 9 - 2 1 ; 429-3»; 4s»—«; 5 i o f f . ; 037; 61»; 13u—ie).

6

Einleitung

sollen. Aber eine Kontrolle ergibt, daß bei weitem nicht in allen dieser zahlreich angeführten Zitate die MowiNCKELsche Auslegung die richtige ist'). Dieser methodologische Fehler schwächt in bedeutendem Grade die Überzeugungskraft der MowiNCKELschen Schlußfolgerungen ab. Das ist sehr bedauerlich, da im Ganzen genommen die Psalmenuntersuchungen MOWINCKELS zweifellos das ganze Psalmenproblem auf eine völlig neue Grundlage stellen und in einer Eeilie Fragen neue und vielversprechende Wege zu ihrer Lösung aufzeigen. Das muß im Zusammenhange mit den uns interessierenden Fragen von den Beobachtungen MOWINCKELS an den sogenannten Fluchpsalmen gesagt werden (Psalmenstudien V); seine allgemeinen Thesen, seine Gegenüberstellung von = 11N im Sinne einer Bescliwörungsliandlung und sein Kommentar zu verschiedenen Beschwörungsritualen sind ganz überzeugend. Aber auch hier erscheint dio Behandlung der speziellen Frage der Fluchpsalmen bei weitem nicht erschöpfend und auch nicht immer richtig. Diese Psalmengruppe erschöpft sich durchaus nicht mit den von MOWINCKEL angeführten Stücken; weiter muß der von MOWINCKEL behandelte P s 109, obgleich er zur erwähnten Gruppe gehört, anders ausgelegt werden, und P s 137 kann überhaupt nicht in die Gruppe der Kultgedichte eingerechnet werden. Außerdem sind die Gruppen der Fluch- und Klagepsalmen keineswegs im Buciio der Psalmen die einzige Fundgrube für magischo Elemento; es lassen sich vielmehr noch andere einzelne Psalmen und Gruppen nachweisen, die von diesem Standpunkte aus weit charakteristischer erscheinen. Unsere Aufgabe hat gewisse Berührungspunkte mit der des I. und V. Teiles der Psalmenstudien MOWINCKELS, sofern auch wir die in den Psalmon enthaltenen magischen Elemente untersuchen wollen; die Gruppe Psalmen, welche uns hierbei interessiert, ist eine andere, als dio der Klagepsalmen und die der Fluchpsalmen, während unsere Forschungsmethode durch die oben aufgestellte Forderung bestimmt ist, an erster Stelle die Frage der ') Einige Beispiele: ganz unrichtige Verbindung Nura 23«i und 232a; der letzte, die Verbindung störende Vers hat natürlich absolut keinen Zusammenhang mit den in allgemeiner Bedeutung, Segnungen von V. 21; in Ps 36* wie aus V. 5 erhellt, ist nicht aber im Sinne von „Zaubermittel"; in Ps 5«, wie aus V. 7 erhellt, sind unter schlechthin verbrecherische Menschen, nicht Zauberer zu verstehen; in demselben, allgemeinen Sinne Ps 28s; in Ps 119 und 133 bezeichnet natürlich nicht Bezauberung, Behexung, sondern Gesetzesüberschreitung; Ps 94 enthält überhaupt nichts magisches. So ist auch die MowiNCKELsche Deutung von Jes. 10i (S. 9 und 25—26) sehr anzuzweifeln; der Text V. 2—3 gibt keine Veranlassung zur Zurückweisung einer gewöhnlichen Übersetzung. Außer diesen Beispielen könnte man noch viele andere anführen. Uns scheint, daß man dem durchaus allgemeinen Begriff ¡IN einen spezifischen Sinn nur auf Grund vergleichender lexikalischer Bedeutung dieser Wurzel im Arabischen und anderen Sprachen unterlegen könnte; allein auch in den anderen semitischen Sprachen hat diese Wurzel allgemeine Bedeutung.

Einleitung

7

literarischen Geschichte und der Kategorie des Untersuchungsobjektes im ganzen zu lösen.

Hierbei können einzelne Ausdrücke nicht als Ausgangs- und Universal-

kriterium gelten,

sondern umgokehrt,

Erforschungsprozesses

Somit ist vor allem derjenigen

diese selbst müssen im Verlaufe des

der angeführten erforderlich,

Hauptfragen

ihre Aufklärung

finden.

die Kategorie der Klagepsalmen von

der Besprechungs- und Beschwörungsformeln zu scheiden,

unser Interesse in erster Linie gewidmet ist.

denen

Die Klagepsalmen erscheinen

als ursprüngliche kirchlicho Gebete; der Betende bittet J a h w e , ihn von der Tücke (1er bösen Geister oder Zauberer zu befreien, wobei er wahrscheinlich bei

der

Gebetsprechung

verschiedene

Riten

und Manipulationen

welche im Grunde magischen Charakter tragen.

ausführte,

Aber das Klagegebet er-

scheint nicht als ein der Beschwörung und dem Zauber gleichgeartetes und gleichwertiges Produkt.

Im Klagegebet wird die Hilfe von J a h w e

erwartet,

den man bittet, das Gebet zu erhören und zu erfüllen, der es aber erhören und erfüllen, oder aber nicht erhören, oder hören und nicht erfüllen kann. Die unbedingte Unterordnung von J a h w e s Willen unter das Gebet wird nicht gemeint.

Besprechung oder Beschwörung tragen einen anderen Charakter: Sie

u n t e r w e r f e n sich den Willen des Dämons oder Zauberers, binden diese durch magischo W o r t e und Manipulationen, wobei das gewünschte Resultat unbedingt eintreten muß, wenn allo W o r t e ohne Verstoß gegen die Regel ausgesprochen und alle Manipulationen richtig ausgeführt wurden.

Außer diesem Unterschied

in der Grundidee besteht zwischen Klagegebet und Besprechungs- oder B e schwörungsformel

noch

ein solcher

in der Art und Zeit ihrer Entstehung.

Das erste ist ein Produkt der schöpferischen Kraft einer offiziellen Religion, hervorgebracht

in

geschichtlicher

Zeit;

die

zweite

ist

ein Produkt

der

schöpferischen Kraft des Volkes und reicht als solches bis hinein in die Urzeit. Hierbei ist aber außerordentlich wichtig, daß sich die Grundideen der Volksmagie bis zu einem gewissen Grade auch in der offiziellen Religion erhalten haben, teils in den Riten, teils in den Formeln, wobei die letzteren natürlich sehr häufig neue Gestalt annehmen und ihre selbständige Bedeutung einbüßen. Diese F r a g e hellt sich noch mehr auf, wenn wir einen Blick auf die Wechselbeziehungen werfen, die gewöhnlich in den verschiedenen Religionen zwischen Volksmagie und offizieller Religion entstehen. Die Geschichte der Religion zeigt, daß sie in dem Entwicklungsprozesse ihrer offiziellen

rituellen

Seite gegen die Volksmagie zu kämpfen

beginnt;

Verbote aber erscheinen in diesem F a l l e nur als eine Seite des Kampfes. ' Im Grunde genommen ist die Magie von keiner Religion des Altertums verneint worden,

und jedes religiöse Ritual

magischer

Akt1)

ist immer bis zu gewissem Grade ein

Die offizielle Religion

kämpft gegen die Volksmagie, die

*) Vgl. die sehr interessanten und richtigen Beobachtungen MOWiMCKELs,

Einleitung

8

sie mehr als eine Konkurrentin denn als eine Verirrung betrachtet; hierbei nimmt sie in sich eine ganze Reihe volkstümlicher magischer Riten und Formeln auf, indem sie diese etwas umformt, und oft schafft sie neue magische Riteu und Formeln. Als außerordentlich typisches und bekanntes Beispiel kann hier die Geschichte des alten Christentums herangezogen werden. Indem es seinen Kampf führt gegen den alten Kult des Dionysos, Pan, Apollo, gegen heilige Haine mit Fortsetzung des Opferkultes inmitten christlicher Umgebung und gegen die antike Zauberei'), schuf die christliche Kirche ihren magischen Kultus mit seinen Sakramenten, mit Wasserweihformeln und dem Ritual (1er Austreibung von bösen Geistern, mit Amuletten in Form von Brustkreuzen und Talismanen mit Reliquienteilchen. Hierbei wurde der alto Terminus „Beschwörung 9 )" beibehalten, und in den Missalien und in anderen gottesdienstlichen Büchern fanden alto volkstümliche Beschwörungsprozednren in christentümlicher Umarbeitung Eingang 3 ); und erst dann, als die mit elementarer Gewalt eindringenden apokryphen Gebete dio offiziellen Formeln und Riten in den Hintergrund zu drängen drohten, wurde eine entsprechende Säuberung der gottesdienstlichen Bücher vorgenommen. In noch höherem Grade läßt sich eine analoge Erscheinung im russischen kirchlichen Leben der Epoche vor Poter dem Großen beobachten 4 ). Das katholische Europa des Mittelalters teilte dasselbe Schicksal. Im XI. und XII. Jhdt. tritt als Gegengewicht zur volkstümlichen die von den Mönchen in lateinischer Sprache geschaffene kirchliche Beschwörungsformel auf. Von den Klöstern aus dringt dann die kirchliche Beschwörungsformel weit in die Kreise des Volkes vor, wo sie im Zusammenhang mit deren Riten und Gebräuchen umgeformt wird: sie wird in die Volkssprache übertragen, wird im Einklänge mit dem Typus der volkstümlichen Formeln verändert und ergänzt; in ihrer reinen Form aber hält sich die kirchliche Formel und wird in den Klöstern angewendet 6 ). Einer ganz analogen Erscheinung begegnen wir in der babylonischen Religion; ein Unterschied besteht nur darin, daß in der babylonischen Religion die Volksmagie im ganzen vom offiziellen Kult aufgenommen worden ist und dort eine Psalmenstudien V, S. 5—33, 61—82, obwohl er den Terminus „magisch' nicht annimmt (S. 30 Anm. und Excurs. S. 14 ff.) ') Canon, apost., 3; Canon. VI ökumen. Syn., 57, 61, 62 n. a.; Can. Carth. Syn., 46, 69, 94. 2 ) ALMASOW, Das apokryphische Gebet u. d. Beschwörungen (russisch) S. 15—16; Can. Laodic. Syn. 26. 3

) ALMASOW, ebenda S. 26—27, 30—32.

4

) S. meinen Aufsatz „Die Volksreligion und Kirche im XIV.—XVI. Jahrhundert 3 , in der „Russischen Geschichte seit der ältesten Zeit" hrsg. v. M. N. POKROWSKY, I. Aufl. B. II. (russisch). 5 ) POSNANSKT, Beschwörungen (russisch) S. 43, 90—91 und Literatur a. gl. 0 .

Einleitung

9

neue systematische Entwicklung im Zusammenhange

mit den theologischen

Anschauungen der babylonischen Priesterschaft erfahren hat.

Die alten, ein-

fachen und kurzen, volkstümlichen Formeln werden hierbei in die Form von langen,

manchmal

umgegossen 1 );

hervorragend

aber

schwörungsformel,

poetisch

dio Manipulationen

abgefaßten während

Beschwörungsgebeten

des Rezitierens

der B e -

sowohl wie die Art des Hersagens im Flüsterton erhielt

sich in unveränderter Form *).

Die große Menge von Texten magischen Inhalts,

die von Assyrien und Babylonien auf uns gekommen sind, stellen einen wahrhaften Schatz für jeden Religionshistoriker dar, insofern darin die primitiven Anschauungen und Elemente primitiver ritueller Gebräuche erhalten geblieben sind; für unsere Zwecke aber erhält dieses Material dadurch eine besondere Bedeutung, daß sich auf diesem Gebiete die babylonischen und israelitischen religiösen Vorstellungen nahe berühren, da sie aus demselben Stamm hervorgehen,

und somit

eine ganze Reihe

von dunklen und nicht völlig

klaren

Termini, symbolischen Bildern und Formeln, die uns entgegentreten werden, Beleuchtung

und Erklärung

auf

Grund babylonischen

Materials

empfängt.

Ähnlich der offiziellen babylonischen Religion hat auch der israelitischjüdische offizielle Kult eine ganze Reihe alter, primitiver Riten und Formeln magischen Charakters in sich aufgenommen 3 ).

W i r werden hier nur bei fünf

am meisten ins Augo fallenden Beispielen stohen bleiben.

Der jüdische Ritus

des Bestreichens der Eingangstürpfosten mit Opferblut in der Passahnacht 4 ), sanktioniert durch offizielles Gebot des Priesterkodex'), wiederholt den alten magischen, bei den Hirten gebräuchlichen Ritus der Bewahrung der Menschen vor dem Geiste des Verderbens (rvnCD),

der in der Nacht der Frühlings-

tagundnachtgleiche durch das L a g e r geht und sich alle Erstlinge männlichen Geschlechts von Vieh bis Menschen, als Opfer nimmt *).

I n dieser Nacht ist

es auch für Erwachsene gefährlich, aus dem Hause auf die Straße zu gehen 7 ). Diese Sitte hat sich in etwas veränderter Form bis auf die Gegenwart bei *) JASTROW, Die Religion Babyloniens und Assyriens I, S. 271 u. f. ) JASTROW, ebenda I, S. 286. ' ) W i r sind mit der Zurückhaltung, die Hempel in dieser Frage beobachtet, nicht ganz einverstanden (vgl. besonders S. 85, 99—100); aber die Frage der Wechselbeziehungen zwischen magischen und religiösen Elementen im israelitischen Kult ist eine sehr umfangreiche und muß zum Gegenstaud besonderer Forschung gemacht werden. *) Exodus 12s3-D), den andern Teil zwischen seine (des Bockes) Hörner. Dann stieß er ihn rücklings hinab, und er stürzte hinunter. Schon bis zur Mitte des Berges zerschlug er sich in Stücke." Hier ist erstens das Ritual bezeichnend, welches durch das Anbinden des Bockes vermittels roter Fetzen an die Hörner und Felsen zum Ausdruck bringt, daß das Tier dem Felsen dargebracht wird. Die Übergabe in die Gewalt der Felsen wird durch das Hinabstoßen des Bockes vollzogen, der sich an den Felsen in Stücke zerschlägt. Wie aber bekannt ist, trägt die gesamte Ritualität des großen Versöhnungstages und speziell das Darbringen des Bockes an Asasel magischen Charakter. Diese Rituale sind Mittel, die Unreinheit, d. h. die bösen Geister, von den Söhnen Israel fortzunehmen und sie an ihren Ursprungsort zurückzubringen — zu Asasel und seinen bösen *) Zu demselben Schluß kommt MOWINCKEL, aber auf dem Wege seiner Methode (I, S. 122).

2 ) LANDBSDORFERs Annahme (Studien z. bibl. Versöhnungstag, S. 36), daß das Ritual Joma VI ein späteres ist, wird durch nichts bewiesen. Im Gegenteil — in den Mischnatraktaten über die Feste haben sich gerade viele älteste Züge erhalten, z. B. der hölzerne Bratspies zur Zubereitung des Passahlammes, die Bräuche des Schütteins mit dem l u l a b und des Ausgießens des Wassers auf Sukkot u. a. In dieser Hinsicht verdienen das Mischna-Material ein aufmerksames Studium. 3 ) pIS wird von STRACK (Joma S. 38) und MEINHOLD (Joma S. 61) im Sinne eines Gattungsnamens gedeutet. FIEBIG hält im Gegenteil PLU für einen Eigennamen. Die STRACKsche Deutung verdient den Vorzug. Beihefte z. ZAW 46 4

46

Psalm 141

Wiistengeistern. Zusammen mit dem Bocke wird auch die Unreinheit, d. s. die sie hervorrufenden bösen Geister, hinabgestürzt; somit besteht der ursprüngliche, später getrübte Sinn des Rituals darin, daß die unreinen, sich inmitten der Söhne Israels einnistenden bösen Geister, bewogen werden sollen, in den Bock überzugehen und mit ihm zusammen zu Asasel zurückzukehren, wobei der Bock natürlich zu Grunde geht 1 ). Hieraus sehen wir, daß die Beschwörung V. 6 durch das beschriebene Ritual des großen Versöhnungstages in helles Licht gerückt wird; sie bewegt sich in der Sphäre derselben Begriffe und Bilder, die das in Joma beschriebene Ritual erzeugten. Die bösen Geister — die Gebieter der Zauberer, die den Menschen überfallen, — sollen kraft der Beschwörung aus ihm herausgehen und „hinabgestürzt werden in die Gewalt der Felsen" — sollen an ihren Ursprungs- und Aufenthaltsort in der Wüste zurückkehren2). Die Beschwörung in V. 7 enthält an und für sich nichts Unklares, erhält aber im Lichte des Rituals am großen Versöhnungstage innere Verbindung mit der Beschwörung V. 6. Der die Unreinheit tragende Bock zerschlägt sich nämlich „in Stucke" (•"""DK in seine einzelnen Glieder, sodaß die Teile seines Körpers (beim Aufschlagen auf die Felsen) nach allen Seiten auseinanderfliegen. In V. 7 handelt es sich um ein ebensolches gewalttätiges Zertrümmern unter Aufschlagen und um ein Umherwerfen von Körperstücken („Gebein") der Feinde des Dichters, wie aus dem Vergleich in V. 7a mit den Erdschollen klar ist, die vom Erdkörper losgerissen und von den Stößen der Pflugschar des Ackerbauers in alle Winde auseinandergeworfen werden. Vielleicht ist V. 7 auch so zu verstehen, daß die bösen, von den Zauberern geschickten Geister, sich in den ersteren einnisten sollen, und sie, die hierdurch dämonenhaftes Wesen angenommen haben, sich wie Besessene von den Felsen in die Gewalt der bösen Geister, d. i. in den „Rachen Scheols", hinunterstürzen sollen. Nach diesen Erläuterungen von V. 6—7 wird auch V. 5 verständlich. Hier handelt es sich nämlich um drei Vornahmen, die bei der Austreibung von bösen Geistern aus einem Kranken angewendet werden. Das erste, in Schlägen bestehende Verfahren, ist das gewöhnliche, das bei primitiven Völkern häufige Anwendung fand: Der Zauberer, Arzt oder Priester zwingt den bösen Natürlich ist in der Zahl der von LANDESDORFEB angeführten Argumente für das hohe Alter des Versöhnungsfestes däs stärkste der Hinweis auf die primitiven Vorstellungen, die sich hinter der Zeremonie mit dem Asasel geweihten Bocke verbergen (S. 77—78). 2 ) Bs muß darauf hingewiesen werden, daß auch in Ps 141« und in Joma 6« dieselbe Bezeichnung der Felsen angewendet ist — ybü- Sie bezeichnet vorzugsweise einzeln stehende Felsen, die jeden Laut als tönendes Echo zurückwerfen, was für primitive Denkungsart das erste Zeichen dafür war, daß sich dort Geister aufhalten, da diese Felsen „sprechen".

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Geist, den Kranken zu verlassen, indem er dessen Körper oder nur den kranken Körperteil mit Schlägen bearbeitet. Das zweite Verfahren ist das Salben mit geweihtem Öle. Es ist in der babylonischen Magie außerordentlich häufig; nach J e s 1« wurde bei den Israeliten Öl ebenfalls als Heilmittel verwendet, und obgleich Jes l e nichts von dem geweihten oder magischen Charakter des Öls erwähnt, so muß doch ein solcher Charakter als selbstverständlich vorausgesetzt werden: die Heilkunst des Altertums erwächst aus der magischen Kunst, und ihren Heilmitteln wird die Heilkraft nicht auf Grund ihrer natürlichen Eigenschaften zugeschrieben, sondern sie wirken vermöge der ihnen von Natur innewohnenden Geheimkraft (so wie d u d a ' i m , Genesis 3 0 n , oder wie die Feige — I I E e g 2(b), oder erwerben dieselbe durch magische Handlungen (wie es beim Öl oder geweihtem Wasser der Fall ist)*). Das dritte Verfahren ist das Gebet, jene Worte in V. 6 b, welche die bezaubernde K r a f t des mantischen, beschwörenden Wortes besitzen. Nur ist hier nicht klar, wer der n Gerechte" (p"HS) ist, welcher den Kranken schlagen soll, um den bösen Geist aus ihm zu vertreiben; aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Priester gemeint. Somit erfahren V. 5 — 7 volle Aufhellung — es handelt sich in ihnen um ein Bruchstück aus dem Rituale der Austreibung böser Geister bei Kranken. V. 5 a, 5 b und 5 c sind die vom Kranken in der Zeit auszusprechenden Formeln, in welcher der Priester die entsprechenden Handlungen vornimmt: den Kranken schlägt, sein Haupt mit Öl bestreicht und für ihn die Beschwörung (V. 6 — 7 ) hersagt. Gehen wir nun zu V. 1 — 4 des Psalms über. W i r haben gesehen, daß sich diese Verse in zwei P a a r e gliedern: V. 1 — 2 — Anrede an J a h w e und V. 3 und 4 — die an J a h w e gerichtete Bitte um Bewahrung von Mund und Herz vor dem bösen Worte. Verweilen wir zuerst bei V. 3 und 4. Die im Gebete gebräuchliche Anrede in V. 3 und 4 wird gewöhnlich im moralischen Sinne so ausgelegt: J a h w e soll den Mund des Sprechenden bewahren vor der Aussprache von Worten der Lüge, Bosheit und Gottlosigkeit und sein Herz vor bösen Wünschen und Gedanken; gerade diese so ausgelegten Verse werden als Beweis für die spätere Entstehung des Psalms herangezogen, da man in *) Die Lesart der LXX öaiov St ä|iapTuAov pf] MitaviTM TJ|V (iou entsprang einem Nichtverstehen des Textes und ist in dem Bestreben begründet, den Parallelismus der Glieder ntithetisch zu wahren; hierbei ist in yiiH verändert worden. Die Richtigkeit der masoretischen Lesart wird durch den Sprachgebrauch von bestätigt, das stets in der Bibel Bedeutungen hat, welche ein Mchtwollen, Verhinderungen, Sichenthalten ausdrücken und niemals in der Bedeutung von Amaivta gebraucht wird. Aber auch in der griechischen Übersetzung ist der magische Sinn gewahrt: das Ol des — Übeltäters, Zauberers — besitzt verderbenbringende Eigenschaften, ist beschworen, nicht um lebendig zu machen, sondern um zu töten, darum soll das Haupt des Bittenden von solchem Öle errettet werden. 4*

Psalm 141

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ihnen den Ausdruck einer schon verfeinerten, rein moralischen Auffassung- der Religion und der Gottheit erblickt.

Allein eine solche Deutung wird von der

buchstäblichen Bedeutung der Ausdrücke in V. 3 und 4 nicht gerechtfertigt und scheint uns nichts anderes zu sein, als eins von den Beispielen, in denen die moralischen Prinzipien des modernen Protestantismus auf die israelitischjüdische Religion übertragen werden, gleichsam als Ausdruck einer Modernisierung der israelitisch-jüdischen Weltanschauung.

In der T a t : die vor dem

Munde aufgestellte Hut und die Wacht, welche vor den Lippen gehalten wird, haben, wie jede Bewachung, die Bestimmung, keinerlei feindlichen Elementen in das bewachte Gebiet Eintritt zu gestatten; es liegt kein Sinn darin, daß man der Bewahrung die Bestimmung zuschreibt, irgend etwas aus dem bewachten Gebiete nicht herauszulassen.

Denn aus dem Gefängnisse wird man

nicht herausgelassen; ist es denn möglich, die bösen, unwahren, gottlosen Gedanken als so etwas wie Gefangene anzusehen, die nicht nach außen in der Form von Worten dringen sollen?

Die Rede ist der Ausdruck des Ge-

dankens; aber keine Bewachung des Mundes kann den bösen Gedanken dadurch unschädlich

machen,

daß sie ihn zwingt, unausgesprochen

der Gedanke kann sich ja ohne Worte in die Tat umsetzen.

zu bleiben



Ebensowenig

läßt sich die moralische Deutung von V. 4 durch den Text rechtfertigen. E s mag sein, V. 4a läßt eine Deutung in diesem Sinne zu; wenn wir aber sogar den strittigen Teil Y . 4b bei Seite lassen, so stoßen wir doch in V. 4 c — d auf die unüberwindliche Schwierigkeit, Herzens vor dem bösen Worte

wie die Bitte

mit der Bitte,

des

das Kosten von gewissen

•"©JOD der Feinde nicht zuzulassen, zu vereinigen ist. ein Stein des Anstoßes für die Exegeten.

um Bewahrung

Dieser Ausdruck ist

Ihn im buchstäblichen Sinne aus-

zulegen — die Leckereien der Feinde essen, d. i. an ihren Mählern teilnehmen, —

ist unmöglich, da dann die Steigerung des Gedankens in V. 4 verloren

geht: nachdem sich der Mensch dem Einflüsse des bösen Wortes hingegeben und — nach der landläufigen Auslegung von Y . 4 b - c zusammen mit den Verbrechern Böses begangen hat, — besitzt die Teilnahme an den Gastmählern der Verbrecher nicht mehr diejenige Schärfe, die sie im Vorbereitungsstadium zu Verbrechen haben würde: Sie muß vor den Übeltaten, aber nicht später stehen und sich an das böse Wort V. 4 a anfügen. Daher deuten die Psalmenausleger (z. B . HUPFELD und BAETHGEN) D^DJUD im übertragenen Sinne als sinnliche Genüsse im allgemeinen; aber für diese Deutung sprechen keine objektiven Gründe, und sie widerspricht auch den Anforderungen an die Steigerung des Gedankens, wennschon in geringerem Grade, als die buchstäbliche Bedeutung D^DJttD. Die gewöhnliche Deutung von V. 4 b — d ist demnach zurückzuweisen und man muß eine andere suchen. Eine richtige Auslegung ist nur dann möglich, wenn wir als feststehend anerkennen, daß die Wache in V. 8 den Mund vor dem von außen kommenden

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Eindringen böser Elemente schützt. Wir stehen hier auf dem Boden der allgemein verbreiteten Auffassung aller Volksreligionen, daß der Geist, gleichviel welcher Art, in den Menschen durch die verschiedenen Leibesöffnungen, vorzugsweise durch Mund und Nase, ein- und aus ihm herausgehe. Diese Anschauung erstreckt sich in gleicher Weise auf die Seele und auf den guten und bösen Geist; letzten Endes sind die Seele des Menschen, ebenso wie Geister jeder Art, vom Gesichtspunkte animistischer Weltanschauung aus betrachtet, Phänomene ein und derselben Ordnung. Beispiele aus dem Leben von wenig kultivierten Völkern der Gegenwart und aus dem Folklore der verschiedenen Nationen kann man sehr viele anführen; wir begnügen uns mit einigen, die diese Anschauung sehr treffend illustrieren. Der Eingeborene Afrikas liebt nicht mit offenem Munde zu schlafen, und wenn er nach solchem Schlafen erkrankt, so erklärt er gegebenenfalls die Krankheit dadurch, daß der böse Geist durch den offenen Mund eingedrungen sei. Der russische Bauer bekreuzigt, wenn er gähnt, seinen Mund, damit der O k a j a s c h k a (der böse Geist) nicht in den Mund fliege; als Parallelbeispiel zu diesem Gebrauche kann man noch eine ganze Reihe von Beispielen aus den russischen volkstümlichen Märchen und Liedern anführen, worin die Seele als Biene, Falter, Vöglein, sogar als Maus dargestellt wird, die beim Menschen im Kehlkopfe wohnen und während des Schlafes oder beim Sterben durch den Mund hinausfliegen oder hinausgehen. Ein Analogon haben wir in der germanischen Legende vom König Guntram. Hier wird erzählt, wie die Seele des Königs während des Schlafes als Schlange aus dem Munde herauskriecht und vor Erwachen auf demselben Wege wieder in den Körper zurückkehrt 1 )- In der griechischen Mantik herrschte die Vorstellung, daß der Geist Apollos oder einer anderen Gottheit durch den Mund in den Mantis übergehe; aber, wenn wir dem Origenes Glauben schenken dürfen, ging Apollos Geist in die Pythia nicht durch ihren Mund über, sondern Siä TÜV yuvaiKeiwv, da Pythia sich über den Spalt setzte, aus welchem betäubende Dämpfe aufstiegen 2 ). Durch diese Auffassung erklärt sich natürlich auch der Gebrauch bei den persischen Priestern, bei der Ausübung des Rituals eine Binde vor den Mund zu legen, um sich vor der Unreinheit, d. h. vor den bösen Geistern zu schützen 8 ). Im Lichte dieser Beispiele, deren Zahl sich noch bedeutend vermehren ließe, erklären sich auch einige biblische Erzählungen durch diese Anschauung. Jahwe blies dem Menschen den Odem durch die Nase ein (Gen. 27) — das ') Vgl. TAYLOR, Primitive Culture, russ. Übersetzung II, S. 22. ) Vgl. HOPFNER, Griech.-ägypt. Offenbarungszauber II, S. 133. Bs ist interessant, daß in der arabischen Legende die Hexen dem Manne böse Geister per penem einblasen. Vgl. WELLHAUSEN, Reste arab. Heidentums 1887, S. 140—141. 2

3

) Vgl. LEHMANN-BERTHOLET, L e h r b u c h der Religionsgeschichte I I , S. 256.

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Psalm 141

ist ohne Kommentar verständlich. Wenn wir aber lesen, daß sich Elisa, indem er den Knaben erweckt, auf ihn legt, Gesicht an Gesicht und seine Lippen an die Lippen des Knaben, so kann es für diese Manipulation nur eine Erklärung geben, daß der Geist des Heilenden durch den Mund in den Körper des zu Heilenden wiederum durch dessen Mund eindringt (II Kön 4s4). Wenn hierauf der Knabe niest und dann erwacht (4 s 5), so liegt dem die Vorstellung zu Grunde, daß der Krankheit und Tod verursachende böse Geist, durch die Nase aus dem Körper vertrieben wird, genau so, wie nach der Erzählung Josephs (Archäol., VIII, 2,5) im I. Jahrh. der Zauberer Eleasar den Geist zwang, den Kranken durch die Nase zu verlassen, wobei Eleasar der vermeintlichen Vorschrift Salomos folgte. Die jüdische Legende, welche behauptet, daß von der Erschaffung der Welt bis auf Jakob kein Mensch nach dem Niesen am Leben bleiben kann, und daß erst Jakob die Menschen von diesem Unglück durch sein Gebet erlöst habe 1 ), spiegelt ebenfalls dieselbe Anschauung wieder, daß gleichzeitig mit dem Niesen auch die Seele aus dem Körper herausgehe 2 ). Nach diesen Beispielen, hebräischen und nichthebräischen, wird der Sinn von V. 3 vollkommen klar. E r ist ein Gebet zu Jahwe, um Bewahrung der Lippen vor dem Eindringen des bösen Geistes. Hierbei müssen die Ausdrücke „Hut und Wache" buchstäblich genommen worden: Der Betende möchte, daß Jahwe vor seinen Lippen seine mal'akhim — seine guten Geister aufstelle (vgl. P s 9111), um den bösen Geistern den Zutritt zu den Lippen zu verwehren. In demselben Sinne — Bewahrung vor den Tücken böser Geister — muß man auch V. 4 verstehen. Unter Herz ist nicht die Seele im moralischen, sondern im rein physiologischen Sinne gemeint — Leben, Gesundheit, Existenz, gegen die sich die Wirkung des bösen Wortes, d. h. der Beschwörung richtet. Das wird in V. 4 b —d ganz genau bestätigt, wo Subjekt "byD — die Zauberer sind; sie wirken nicht nur durch Beschwörung, sondern auch vermittels ihrer Q'ÜJÜQ- Dieses außerordentlich seltene Wort, welches den Forschern solche große Schwierigkeiten bereitet hat, kommt von der Wurzel DJU, die uns schon in V. 6 begegnet ist. Die Bedeutung der Wurzel DJ73 hilft uns auch die Bedeutung von •''DJUD aufzuhellen — unter diesem Terminus ist eine solche Speise zu verstehen, welche die zauberkräftige Eigenschaft besitzt, den Menschen zur Beute böser Geister zu machen. Mit diesem allgemeinen Merkmal erschöpfen wir aber noch nicht den ganzen Inhalt des Terminus •1DJ?3D. Handelt es sich hier um ein speziell zubereitetes Arzeneimittel, um ein Zauberkraut, um eine verhexte Speise, oder überhaupt um Speise der die schon ') Vgl. BLAU, Das altjüdische Zauberwesen S. 162—163. 2 ) Der jüdische Wunsch beim Niesen „Gutes Leben" (BLAU, loc. cit.) entspricht dem russischen „sei gesund" und dem deutschen „Wohlsein"; und diesen Wünschen liegt natürlich dieselbe Anschauung zu Grunde.

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an und iür sich unrein ist und mit der bei ihrem Genüsse zugleich böse Geister in den Menschen eindringen können? Diese Frage zu lösen ist bei der gegenwärtigen Beschaffenheit des Textes außerordentlich schwierig. Der Parallelismus der Glieder hätte hier zur Beschwörung in V. 4 a eine verhexte Speise oder einen speziellen Zaubertrank erfordert; da aber V. 6 den Parallelismus der Glieder nicht streng beobachtet und dieser Vers überhaupt seiner Form nach als ganz unregelmäßig betrachtet werden muß, ist es angängig •'OyjQ im Sinne von Speise der JW ZU deuten, die an und für sich gefährlich sein kann. Hier stoßen wir wieder auf primitive Spekulationen über die Frage, auf welche Weise böse Geister in den Menschen eindringen können. Wie wir nach der gewöhnlichen Erklärung gesehen haben — durch den Mund; aber diese Art des Eindringens kann verschieden sein. Wenn der Mensch eine Unvorsichtigkeit begeht oder sich im Zustande der Bewußtlosigkeit befindet (im Schlafe), so dringt der böse Geist ohne jede List ein, sozusagen in reiner Form; man kann aber auch den Geist zusammen mit Speise oder Trank verschlucken. Diese Gefahr liegt in mehreren Fällen, und auch dann vor, wenn der Mensch mit Sündern zusammen ißt und trinkt, d. h. mit Menschen, die sich in der Gewalt böser Geister befinden; nach babylonischen Vorstellungen kann man zum Beispiel, wenn man Brot und Wasser von Sündern genießt oder nach ihnen ißt und trinkt, einem Zauberbann anheimfallen1); auch aus diesem Grunde hatten die russischen Altgläubigen (Baskolniki) des XVII. und XVIII. Jahrhunderts keine Gemeinschaft in Speise und Trank mit den „Nikonianern"2), da sie die Nikonianer für Diener des Satans und böser Geister hielten8). Aus derselben Vorstellung entwickelt sich das Verbot, aus unreinen Gefäßen zu essen und zu trinken, da immer Gefahr vorhanden ist, zusammen mit Speise und Trank böse Geister hinunterzuschlucken. Die Vorstellung liegt den Bestimmungen über unreine Gefäße Num. 19i4_is und Lev. 1132—31 zu Grunde. Im ersten Falle werden diejenigen Gefäße als unrein bezeichnet, die sich bei irgend einem Todesfalle im Zelte befanden, im zweiten Falle solche, welche mit einer unreinen Tierleiche in Berührung gekommen sind. Hier wie dort dieselbe Grundidee: der Tod wird von bösen Geistern verursacht und dort, wo-er eintritt, sammeln sich böse Geister an, welche bei der ihnen eignenden Arglist in jedem beliebigen offenen Gefäße Unterschlupf finden können4). Analoge Bestimmungen über unreine Gefäße finden wir in baby») Sarpu, HI, 122—124. 2 ) Ursprünglich wurden im XVII. Jahrh. die Anhänger des Patriarchen Nikon von den Altgläubigen so genannt, später — überhaupt die Anhänger der offiziellen russischen Kirche, die der Reformation Nikons folgte. a ) Vgl. auch in 'Aboda Zara 512 die von demselben Geiste durchdrungenen jüdischen Vorschriften über Reinigung der von Heiden erworbenen Gefäße. 4 ) In der Mischna werden die Bestimmungen über unreine Gefäße natürlich

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Ionischen Beschwörungen *) und in der russischen altgläubigen Legende. Diese ist besonders charakteristisch und es lohnt, hier auf sie einzugehen. Der Protopop (Protopresbyter) Awwakum erzählt in seiner Selbstbiographie, wie er bei einer Bojarynja (Edelfrau) erblindete Hühner geheilt habe: Er hielt einen Gebetsdienst, besprengte die Hühner mit Weihwasser und machte ihnen noch dazu einen neuen Futtertrog, den er ebenfalls mit Weihwasser bespritzte. Diese Einzelheit ist das allerwichtigste, weil sie uns zeigt, worin sozusagen die „Diagnose" des Awwakum bestand: Die Hühner hatten die bösen Geister zusammen mit der Speise aus dem unreinen Troge verschluckt und, um das Übel mit der Wurzel auszuroden, genügte es nicht, die bösen Geister mit Weihwasser auszutreiben, man mußte auch die Hühner für die Zukunft schützen, was dadurch geschah, daß man ihnen ein reines Gefäß gab. Aber wir finden auch, wie es stets bei animistischen Vorstellungen der Fall ist, die umgekehrte Auffassung: die Speise des gerechten Menschen oder dessen, den ein guter Geist beherrscht, ist rein und wirkt heilsam. Der Speichel des Beschwörungspriesters wirkt nach babylonischen Vorstellungen reinigend 2 ); der berühmte Patriarch Nikon hatte den von Geburt blödsinnigen und darum für heilig gehaltenen Kyprian um sich und aß ihm alle Überbleibsel nach 8 ). Dadurch ist begreiflich, daß das Speisen zusammen mit Sündern oder nach ihnen heißt, daß man sich in sehr große Gefahr begibt, von bösen Geistern in Besitz genommen zu werden. In diesem Sinne kann man auch das Ende von V. 4 auffassen. Wenn hier sogar nicht die Eede von beschworener Speise und einem speziell zubereiteten Zauberkraut wäre, sondern einfach von Speise vom Tische der ^byD, so änderte doch das nichts an dem Sinne des Terminus D^DJiJD. Die Speise der Sünder birgt immer ein verwesungbringendes, magisches Element in sich, kann stets ebenso gefährlich werden wie die Beschwörung oder wie ein flüchtig ausgesprochenes „böses Wort". Somit enthüllt sich V. 3 — 4 als ein Gebet um Schutz vor bösen Geistern, in rein kasuistischer Weise entwickelt, aber in dieser Kasuistik steckt ein interessantes Moment. Es können nämlich nur solche Gefäße unrein werden, welche inwendig hohl sind oder Ränder oder Vertiefungen haben; flache, randlose Gefäße können nicht unrein werden (Kelim 2?; I i i ) — es sind somit nur solche Gefäße gefährlich, welche als Behälter für irgend etwas, also auch für böse Geister, dienen können. Die Vorstellung von der Gefahr, welche von bösen Geistern während des Essens droht, zieht sich auch durch 'Aboth 3s: Man darf nicht essen ohne die Thora zu lesen, denn jeder Tisch ohne Gott ist voll unflätigen Gespeies, und das Essen gleicht in diesem Falle dem Essen vom Totenopfer. >) Vgl. Surpu III, 20. *) Vgl. JASTROW, I, S. 355. 3 ) Vgl. meinen Aufsatz: „Volksreligion und Kirche im XIV—XVI. Jahrh.", in der „Russisch. Gesch. von den ältest. Zeiten" herausgeg. von M. N. POKROWSKY, I. Aufl. II, S. 15.

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Zauberern, vor ihren „bösen Worten" und vor jeglicher Unreinheit, die mit ihnen im Zusammenhange steht. Also handelt es sich um ein talismanisches Gebet. Es bleiben. V. 1 und 2 als Einleitung zu diesem Gebete übrig. Hier ist V. 2 charakteristisch, in welchem der Wunsch ausgesprochen wird, daß das Gebet wie ein Rauchopfer und das Handeaufheben wie ein Abendopfer sein möge. Vor allem muß bemerkt werden, daß, so wie das Händeaufheben einen unverrückbaren Teil des Gebets bildet, so auch das Abendopfer kraft des Gesetzes vom Parallelismus der Glieder im gegenwärtigen Zusammenhang irgend eine Verwandtschaft mit dem Rauchopfer haben muß. Diese formale Erwägung findet ihre Bestätigung in der Praxis des altisraelitischen Kultes. Wie bekannt, wird das Abendopfer in der vorexilischen Epoche MPIJD genannt (I Reg I828. ae); im Priesterkodex finden sich zwei Vorschriften, nach denen sich die abendliche ¡"11130 mit mt3p verbinden soll, nämlich die allgemeine Vorschrift Lev 2i darüber, daß als Bestandteil zur nnJD Weihrauch (HJO^) gehört, und die spezielle Vorschrift Ex 307_s darüber, daß alltäglich morgens und abends Weihrauchopfer (•1QD mi3p) dargebracht werden sollen. Wie schon WELLHAUSEN richtig bemerkte, war anfänglich das tägliche Opfer ein Abendopfer ') — der Tag beginnt im Orient mit dem Abend, und die Verdoppelung des Opfers ist das Resultat späterer Entwickelung. Aber ebenso erscheint es zweifellos, daß trotz der Meinung WELLHAUSENS 2) das Rauchopfer schon in der vorexilischen Periode bestanden hat; der Priesterkodex führt hier nichts Neues ein, sondern kodifiziert nur den traditionsmäßigen Brauch. Das Bestehen eines Rauchopfers in der Königszeit wird nicht nur in einer Reihe von Worten der Propheten bewiesen, besonders bei Hesekiel 8 ); natürlich haben alle diese Hinweise aus den Propheten die schwache Seite, daß man sie, wenn man will, ablehnen kann durch Verweis auf redaktionelle Bearbeitung. Wenn sie aber in archäologischen Tatsachen Bestätigung finden, so bilden sie in ihrer Gesamtheit mit diesen ein unwiderlegbares Argument: Die berühmten Gefäße von Megiddo und Taanach aus der Epoche des VIII.—VII. Jahrh. wurden beim Rauchopfer angewendet, das erste ohne Zweifel, das zweite — mit größter Wahrscheinlichkeit. Wenn aber das Rauchopfer in der vorexilischen Zeit bestanden hat, so mußte es sich laut Exod 307—8 mit nn3D verbinden. Somit ergibt dieser Streifzug in die allgemeine Geschichte Prolegomena 5, S. 71, Anm. 1. ) Ebenda S. 64; vgl. die Erwiderung von DUSSAUD, Les origines du sacrifice israilite, S. 129 suiv. 8 ) Hesek 6ia; 810—u. Vgl. auch I Reg 3s; Jerem 6ao; von den weiteren Hinweisen im II Reg sehen wir ab, da sie zur Zahl der deuteronomistischen Einschaltungen gehören. 2

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des israelitischen Kultes einen gewissen Zusammenhang zwischen mtJp und nriiD in Ps 141s. Allein hiermit können wir uns noch nicht bescheiden. Es läßt sich der Zusammenhang zwischen mt5p und "TOO auch in seiner Beziehung zu magischen Ritualen feststellen. Schon WELLHAUSEN bemerkte, daß sich das Rauchopfer vor allen anderen durch seine besonderen Eigenschaften auszeichnet: es besitzt besondere Weihe, ist aber gleichzeitig sehr gefährlich; wenn es nicht in der gehörigen Weise oder von unbefugten Personen vollzogen wird, so bringt es den Schuldigen Verderben; umgekehrt, wenn es ritu und von einer hierzu bevollmächtigten Person vorgenommen wird, so ist es besonders heilskräftig und wundertätig'). Als Parallele drängt sich ein Vergleich mit den babylonischen und synkretistischen magischen Ritualen auf. In den babylonischen Opferritualen besitzt das Rauchopfer eine zweifache Bedeutung. Einerseits erscheint es als spezifisches Mittel um Besänftigung der Gottheit und ihre Anlockung zu erreichen: Nach der Sintflut bringt Ut-Napistim, um Gnade vor den Göttern zu erlangen, ein Rauchopfer aus Rohr, Zeder und Myrte, und die Götter, angezogen von dem lieblichen Wohlgeruche ®), umschwärmen dieses Opfer wie Fliegen. Das gleicho Opfer figuriert fast in demselben Bestände (manchmal vertritt die Zypresse die Zeder und es wird Mehl hinzugefügt) ständig im Rituale der Priester baru — Wahrsager — zum Anlocken der Gottheit und im Ritnale der Priester aäipu — Beschwörer — zum Vertreiben der bösen Geister ®); es sei hier besonders auf das folgende klassische Beispiel hingewiesen: auf der berühmten, zweiseitigen Tafel, welche einen von bösen Geistern umringten Kranken und die Manipulationen des Heilenden darstellt und die als Amulet gegen Fieber diente, sehen wir beim Kranken ein Gefäß mit einem Rauchopfer4). In der synkretistischen Magie im Anfange unserer Ära wird zur Untorwerfung der Geister unter den Willen des Beschwörers und zu ihrer Anlockung ein Rauchopfer, das sog. éirífri)|i; Num 16). *) Vgl. Gilgames-Epos, T. XT, 156—162. •) Vgl. ZIMMERN, Beiträge S. 92—94; JASTROW I, S. 385; II, S. 200 u . a . ;

MEISSNER, Babylonien und Assyrien II, S. 235. «) JASTHOW, Bildermappe, Abb. 100. 5

) HOPFNER I, S. 209 ff; 243—246 u. a.

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des Opfers in Babylonien zeigt, ist es eigentlich und ursprünglich kein Weihrauch-, d. h. wohlriechendes Opfer, sondern einfach ein Rauchopfer: es werden keine wohlriechenden Spezereien, sondern Stücke eines wohlriechenden Baumes verbrannt. Daher ist es klar, daß dem Opfer der Glaube an die läuternde Kraft des Feuers zu Grunde liegt: das Feuer ist ein Element mit Doppelgesicht es zerstört und es spielt in allen primitiven Religionen eine hervorragende Rolle. In der babylonischen Zauberkunst ist der Feuergott ein spezifischer Feind der Dämonen; er wird vor allen anderen zur Hilfe gegen sie angerufen1)- Das Anzünden des Feuers ist ein heiliger Akt; der vom Feuer ausgehende Rauch ist der Odem des Feuergottes, den die Dämonen nicht aushalten können. Die Einführung von wohlriechenden Hölzern zum Verbrennen und das Hinzusetzen von duftenden Spezereien sind erst später hinzugekommene Ergänzungen. In diesem Zusammenhange sind die drei geheiligten Feuer der Inder sehr interessant, von denen das eine, das südliche, die spezielle Eigenschaft hatte, Dämonen abzuwehren; in der ältesten Epoche wurden diesen Feuern keinerlei wohlriechende Spezereien hinzugesetzt, dies geschah erst später 2 ). Nach diesen Beispielen wird auch das israelitische Rauchopfer und jener Charakter besonderer Weihe und des Geheimnisvollen, der ihm beigelegt wurde, verständlich. Die israelitische Tradition zeigt ebenfalls deutlich Spuren seiner Bedeutung als eines Mittels zur Besänftigung der Götter und zur Paralysierung feindlicher, gegen den Menschen gerichteter Absichten böser Geister. Wie bekannt nimmt in den alt israelit. Vorstellungen von Jahwe der Glaube, daß der Mensch, der Jahwe begegnet oder erblickt, unbedingt sterben müsse, einen wichtigen Platz ein 3 ). Diese Vorstellung ist, wie beiläufig PROCKSCH') bemerkt, sehr alt und führt ihren Ursprung bis auf jene Epoche zurück, da man unter Jahwe noch einen grausamen, bösen Geist verstand, der blut- und todesdürstig ist und sich bei einer Begegnung auf die Menschen stürzt 5 ). Eins von den Mitteln, Jahwe zu besänftigen, ist das Blut; aber neben dem Blute wurde dem Weihraucliopfer dieselbe Bedeutung beigelegt. Davon zeugt die Ritualität des großen Versöhnungstages: um sich vor dem Tode an Jahwes Aufenthaltsorte, an der Lade, zu schützen, mußte Aaron beim Eintritt in das Allerheiligste ein Weihrauchopfer (•'OD m a p ) unter strenger Beobachtung eines besonderen Rituales darbringen8) und erst dann die Deckplatte der Lade mit dem Opferblute besprengen. >) JASTROW I , S . 2 9 6 ff.

) Vgl. BERTHOLET-LEHMANN, Lehrbuch der Religionsgeschichte I, S. 90. ) Vgl. Gen 328i; Exod 3«; Richter 632; 1322-23; I Reg 19is; Jes 6s. *) Die Genesis, 1924, S. 145. б) Vgl. Gen 3225—2«; Ex 4a4. Sehr richtig ist die Charakteristik bei HÖLSCHER, Geschichte der israelitischen und jüdischen Religion S. 85—88. ") Lev Ii—t; n—14; im Traktate der Mischna Joma ist das Rauchopferritual а

s

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Weiter wurde die in V. 2 zusammen mit m t i p figurierende "ri-iO ebenfalls in magischen Ritualen angewendet. In dem bekannten Ritual zur Prüfung der Treue der Frau (Num 5ii_as) ist der Mann, welcher die verdächtigte Frau zum Priester bringt, vor allem verpflichtet, eine iTI-D darzubringen, die ausschließlich aus Gerste, ohne Öl oder Weihrauch, besteht; diese Besonderheit wird sofort (V. 15) sorgfältig erklärt ]1J> rTDTD )rOI nrUD nt«p nrCO -Q — „denn es ist ein Opfer der Eifersucht, ein Opfer zur Erneuerung der Erinnerung an die Sünde"'), d. i. ein Opfer, welches die Sünde aus der Vergessenheit herauszieht, ein Opfer, welches die Sünde ans Licht bringt, ein O f f e n b a r u n g s o p f e r . Es ist charakteristisch, daß bei ihm Weihrauch fehlt; parallel hierzu muß bemerkt werden, daß auch im Bestände des babylonischen magischen Rituals neben dem obligatorischen Rauchopfer stets noch das Spciscopfer auftritt, während das blutige Opfer nur als Ausnahme vorkommt 2). Auf diese Weise erfährt der Parallelismus der Ausdrücke in V. 2 volle Erklärung vom Gesichtspunkte des magischen Rituales aus; in der ursprünglichen Formel hatte iTCD eine selbständige Bedeutung neben m t i p und nur die Hinzusetzung von 3"iy, offenbar von der Hand einer Redaktion stammend, verdunkelte den ursprünglichen Sinn des Parallelismus durch Annälierung dieser zwei Arten des Opfers zwecks Anpassung an den täglicheil Tempelkult. Hierdurch wird zugleich vollkommen klar, daß in V. 1 — 2 das Ranchopfer und das Speiseopfer die Bedeutung der wirksamsten Mittel haben, um die Gottheit für sicli zu gewinnen oder böse Geister zu vertreiben. Wahrscheinlich wurden im ursprünglichen Rituale, das V. 1 — 4 zu Grunde liegt, gleichzeitig PTOp und nrDD dargebracht; in der gegenwärtigen Gestalt haben wir es schon mit einer nur rein magischen Formel zu tun, die Gebet und Aufheben der Hände in ein Opfer verwandelt, ganz dieselbe Erscheinung, wie wir sie in der ägyptischen Religion hahen, wo sehr oft im Totenkulte reale Opfer durch magische, in Worte gekleidete Formeln ersetzt werden, in welchen die eigentlich erforderlichen Opfer nur aufgezählt werden. V. 1 — 2 stellt in Verbindung mit V. 3 —4 eine vollständige, originale Formel mit magischem Charakter dar: das ist keine Beschwörung im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern ein Beschwörungsgebet mit dem Zwecke, die Gottheit zu verpflichten, die im Gebeto ausgesprochenen Wünsche zu erfüllen. Das Beschwörungsgebet unterin allen Einzelheiten beschrieben (4,3—5,1) — offensichtlich wegen seiner besonderen Wichtigkeit. ') ntOp nnJD ist kaum ein redaktioneller Zusatz, wie einige annehmen (s. BAENTSCH ad locum); eher ist es die spezielle Bezeichnung eines Opfers und das Weitere die Erklärung seines magischen Charakters. 2 ) ZIMMERN, Beiträge S. 94—95.

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scheidet sich vom gewöhnlichen Gebet gerade dadurch, daß es nicht nur eine Bitte ausdrückt, sondern sie auch noch mit Mitteln magischen Charakters stützt; als solche Mittel haben wir hier Rauch- und Speiseopfer, die die unbedingte Erfüllung des Gebetes gewährleisten sollen. Wenden wir uns jetzt dem Schlüsse des Psalms V. 8 — 1 0 zu. Hier finden wir schon bekannte Züge. Der Betende verbirgt sich bei Jahwe (vgl. P s 91i), bittet um Schutz vor Netzen und Schlingen der jlN (vgl. Ps 91ä: „das Netz des Fallenstellers") und schließt mit dem Wunsche, daß in die für ihn aufgestellte Falle die Übeltäter (D^EH) selbst geraten mögen. Wenn wir in V. 8 das einleitende "O streichen, das hinzugesetzt worden ist, lim wenigstens den Anschein einer Verbindung mit dem Vorhergehenden zu wahren, so erhalten wir ein anderes Beschwörungsgebet. Die Zauberer QW und •''yiiH) stellten Fallen und Netze auf, d. h. führten ihre magischen Manipulationen dem Betenden zum Schaden aus; er beschwört, daß sich ihre Zauberei gegen sie selbst wenden möge. Das ist ein außerordentlich verbreiteter magischer Brauch, vermittels Beschwörung alle Zauberwirkungen auf das Haupt des Zauberers abzuwenden; wir werden ihm noch bei Auslegung von Ps 7 begegnen, wo wir ausführlich auf ihn eingehen wollen. Somit sind die von uns untersuchten drei Teile von Psalm 141 unter sich verwandt in der Hinsicht, daß es sich in jedem von ihnen auf die eine oder die andere Weise um den Kampf mit bösen Geistern und Zauberern und um die von ihnen verhängten Heimsuchungen handelt. Aber jeder von diesen drei Teilen hat seine speziellen Züge und seine spezielle Bestimmung. Der Anfang ist ein Beschwörungsgebet gegen die Einsiedlung böser Geister durch den Mund; der Schluß ist ein ebensolches Gebet gegen Beschwörungen und andere magische Manipulationen; das Mittelstück ist eine Beschwörung mit übrig gebliebenen Spuren eines magischen Rituals zur Vertreibung böser Geister aus dem Kranken. Im ganzen stellt P s 1 4 1 ein Fragment aus irgend einer Sammlung kirchlicher magischer Formeln dar; die redaktionelle Arbeit, vom rein literarischen Standpunkte aus eine sehr oberflächliche, äußert sich nur durch "O in V..8; dafür sind aber weit klarer die'Spuren einer offiziell-kirchlichen Umarbeitung vorhanden. Im Mittelteile ist in dieser Beziehung in V. 8 p"HÜ charakteristisch; der erste und letzte Teil ist vielleicht ganz ein Produkt kirchlicher Herkunft. Die Epoche der Entstehung des Psalms sowohl im ganzen, wie auch in seinen einzelnen Teilen, ist die spätere Königszeit. Darauf weist V. 7 hin, wo wir einen Vergleich aus dem Landbauertum vor uns haben, V. 2, worin das tatsächliche Opfer durch wörtliche Hinweise darauf ersetzt ist; der Schluß V. 8 — 1 0 wiederholt Gebete, die ständig in den Psalmen vorkommen; endlich hat auch seine Stellung am Ende des Psalters eine gewisse Bedeutung. Es ist auch möglich,

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Psalm 141

daß die Auskristallisierung der drei Formeln, die in einer Sammlung nebeneinander standen, zu einem Ganzen, schon in der nachexilischen Epoche stattgefunden hat.

N a c h t r a g z u d e m P s 141. GUNKEL bringt in der nach dem Abschließen vorliegender Arbeit erschienenen VII. Lieferung seines Kommentars zu den Psalmen eine volle Übersetzung von P s 141, die den Psalm nach der früheren Auffassung als Klagegebet versteht. V. 5 — 7, welche den Auslegern solche Schwierigkeiten bereiteten, hat GUNKEL einer eingreifenden Verbesserung unterworfen; hierbei ist aber nur V. 5 a—b auf objektiver Grundlage verbessert (nach der Analogie eines parallelen Ausdrucks in der syr. Achikarversion — S. 598), wälirend das übrige, V. 5 c—7, ausschließlich nach dem Sinn auf Grund subjektiver Anschauungen verbessert worden ist. Als Resultat hat fast der ganze Text von V. 6 — 7 ein völlig neues Aussehen angenommen; um diesen Preis ist die Vereinigung von V. 6 — 7 mit V. 5 zu einem Ganzen erkauft worden. Die Schwäche einer derartigen Verbesserung besteht darin, daß sie keine überzeugende Objektivität besitzt; hierbei muß noch bemerkt werden, daß sogar trotz einer solchen weitgehenden Textabänderung kein völliger Zusammenhang von V. 5 — 7 mit dem Schluß des Psalms zustande kommt. Denn — wenn nur noch wenig fehlte, daß der Verfasser des Psalms selbst ein Opfer seiner Unterordnung unter den Einfluß von CJMiH geworden wäre, so in Wirklichkeit, wie anzunehmen ist, kam es nicht zu seinem endgiltigen Fall, und er kam noch zur rechten Zeit zu sich, natürlich dank der rettenden Hand Jahwes; darum hätte man am Schluß des Psalms kein wiederholtes Gebet um Erlösen von bösen Tücken, wie der Text lautet, erwarten sollen, sondern den Ausdruck der Freude über die Errettung und des Dankes an Jahwe, vielleicht unter Hinzusetzung der an Jahwe gerichteten Bitte, auch in Zukunft dem Verfasser des Psalms im Moment der Verführung seine Hilfe nicht vorzuenthalten. Wir meinen, daß die Auffassung GÜNKELS die scharfsinnigste von allen bisherigen ist, die doch schließlich alle das eine bestätigen, daß die übliche Deutung von P s 141 keine richtige ist, weil sie keine objektiv überzeugenden Resultate gibt und die Einheit des Psalms nicht rettet; man muß entweder die Deutung des Psalms im ganzen überhaupt aufgeben, wenn man V. 5 — 7 für hoffnungslos verdorben hielt, oder einen neuen W e g suchen, der die Möglichkeit gibt, den Psalm zu deuten, ohne den Text der V. 5 — 7 umzugestalten. Wir haben in dieser Richtung einen Versuch unternommen und glauben nicht ohne Erfolg; es ist Sache der Kritik, unsere Auslegungsmethode zu prüfen, sowohl was P s 141 als auch die anderen untersuchten Psalmen anbelangt.

Psalm 59

59

Psalm 59. 2. Errette mich von meinen Feinden, mein Gott, von den gegen mich Aufstehenden scheide mich durch eine W e h r ' ) 3. Rette mich vor den Übeltätern, und vor den Menschen des Blutes hilf mir! 4. Denn sie lauern meiner Seele auf, überfallen mich die Wütenden. 5. Es gibt kein Verbrechen von mir, keine Sünde von mir, Jahwe 3 ), ohne meine Schuld laufen sie und stehen auf (wider mich)



stehe auf mir entgegen und schaue! 6. Du, Jahwe, Gott der Heerscharen, Gott Israels, erwache, um allo 'Frechen' *) heimzusuchen, verschone niemanden, der tückisch Böses tut. 7. Sie kehren zurück am Abend, heulen wie Hunde, und umzingeln die Stadt. 8. Siehe sie gießen (Geist) 4 ) aus mit ihrem Munde, Schwerter sind auf ihren Lippen,



denn wer hört? 9. Aber du, Jahwe, lache über sie, spotte aller 'Frechen' 6 ). 10. 'Meine Stärko"), bei dir habo ich Schutz gefunden, denn Gott ist meine hohe Mauer! 11. 'Mein G o t t ' ! 7 ) Seine Güte komme zu mir, Gott erzeige mir (Heil) vor meinen Feinden. 12. 'Gott' 8 ), erschlage sie, auf daß sie 'deinen Namen' nicht vergessen 0 ), bringe sie zum Zittern durch deine Stärke und stürze sie. ') bedeutet in Niph. „hoch sein, schroff sein, unerreichbar sein", in Beziehung auf eine Wand oder einen Felsen; daher entsteht in Pi'el die Bedeutung „unerreichbar, unzugänglich machen" mit Hilfe einer Wand oder einer Umzäunung zwecks Abwehrens. 2 ) V. 4 c'ist umgestellt an den Anfang von V. 5, wie es der Sinn verlangt. s ) Im Texte steht D^JD — Heiden, aber die Konjektur Mowinckels CifO ist ganz richtig (Duhm — D">iy, wie in V. 4). Vgl. Psalmenstudien I, S. 71—72. 80. •) Vgl. Spr lsa. ») Vgl. Anm. zu V. 6. e ) Nach der L X X (TÖ Kpdros (iou) und V. 18 ist i^i zu lesen. ' ) Nach der L X X (4 dcös nou) ist 8)

ZU lesen.

Der Text ist zweifellos verdorben, da

den Parallelismus der Glieder und

den allgemeinen Sinn sowohl dieses Verses, als auch den des ganzen Psalmes stört (vgl. V. 14, wo die Feinde vernichtet werden sollen).

Es hat hier wahrscheinlich

bti gestanden (vgl. die Anrede in Ps 10 12; 161; 17«), •) Die zweite Hälfte von V. 12 a ist ebenfalls verdorben und hat den Übersetzern

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13. 'Vergelte ihnen"), Herr, für die Sünde ihres Mundes, für da3 Wort ihrer Lippen, sie sollen gefangen werden in ihrer frechen Hoffart für Verfluchung und Lüge, die sie sprechen. 14. Vernichte (sie) im Zorne, vernichte, und sie werden nicht mehr sein — auf daß sie wissen, daß Gott in Israel herrscht bis an die Enden der Erde!

15. Sie kehren zurück am Abend, heulen wie Hunde, und umzingeln die Stadt. 16. Sie lungern herum, um (etwas) zu fressen (zu finden), und wenn sie nichts finden, so gehen sie die ganze Nacht nicht fort 17. Aber ich lobsinge deiner Stärke, und preiso am Morgen deine Gnade, denn du warst mir eine Burg und Zufluchtsstätte in der Zeit meiner Not. 18. Meine Stärke, dich lobpreise ich, denn Gott ist meine hohe Mauer, 'mein Gott'") ist meine Gnade. Der Psalm wird fast von allen Exegeten übereinstimmend als Klagepsalm ausgelegt, aber auf historischer Grundlage. Diese historische Grundlage hat man in den verschiedensten Epochen gesucht, angefangen von der des Kampfes mit Assyrien bis zu der persischen und spätinakkabäisclien; in allerletzter Zeit hat GUXKEL eine ganz neue historische Stellungnahme vorgeschlagen, indem er die Vermutung ausgesprochen hat, daß der Psalm wahrscheinlich aus der Diaspora stammt und die Aufregung des jüdischen Verfassers in der Erwartung eines Pogroms widerspiegelt 4 ). Die historische Auslegung basiert natürlich auf V. 7, 15, 6, die scheinbar auf die Belagerung der Stadt durch Heiden anspielen (gojim — wie es im unberührten Texte heißt). Gegen die historische Auslegung drängen sich sehr ernsthafte Bedenken auf. Die Feinde, die der Autor des Psalms so fürchtet, erscheinen nur des Abends; ihr Ziel ist nicht die Belagerung und Einnahme der Stadt, nicht die Abschlachtung der Kechtgläubigen, sondern das Suchen von Beute, Speise (V. 16). Diese, Schwierigkeiten gemacht. Am besten ist die Verbesserung nach einigen Handschriften der LXX — 6v6(iaiös oou =

anstatt ^DJ?; vgl. auch zugunsten dieser Verbesserung

den zitierten magischen Text aus Hadrumetum bei DEISSMANN, Bibelstudien S. 27. ') Gewöhnlich und ganz richtig stellt man die beiden letzten Worte aus V. 12 an den Anfang von V. 13, wobei 123JD in 1D33Q verbessert werden muß. *) Wie 1 p 2 3 in V. 17 zeigt, liegt keine Notwendigkeit vor l i ^ l zu ändern, es handelt sich gerade um die ganze Nacht. s ) Nach der LXX (4 &eös |iou), ist Tl^N zu lesen. 4

) Die Psalmen, S. 253.

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und zwar ausschließlich diese Züge, sind konkret; alle anderen Züge, durch die der Verfasser des Psalms die Feinde charakterisiert, tragen ganz allgemeinen, schablonenhaften Charakter.

Aber diese konkreten Züge sind ab-

solut nicht in Einklang zu bringen mit den Vorstellungen von einem Heere, das die Stadt belagert,

oder von Mordbrennern, die sich versammelt haben,

um die Juden hinzuschlachten und ihre Häuser zu berauben.

Wäre schließlich

wirklich die Rede von Kriegsgefahren oder Vorbereitungen zu einem Blutbade, so könnte der Psalm nicht individuellen Charakter tragen.

Dann würde es

sich um die eine Gesamtheit beherrschende Stimmung handeln und ähnlich, wie in dem zweifellos historischen P s 1 3 7 , würde nicht „ich", sondern „wir" figurieren.

E s ist klar, daß die Auslegung des Psalms andre Wege gehen muß

und bei einem genau sinngemäßen Verständnis seiner Ausdrücke einzusetzen hat.

Der Psalm ist ein persönlicher; sein Verfasser erwartet mit Entsetzen

die Tücken gewisser nächtlicher Feinde, ruft Jahwe um Hilfe an und verspricht am Morgen, wenn die Schrecken vorüber sind, Jahwe zu danken. Hierbei handelt es sich nicht etwa um eine außergewöhnliche Nacht, sondern um eine sich regelmäßig wiederholende Erscheinung — die Feinde kehren jeden Abend wieder.

Den Schlüssel zur richtigen Deutung des Psalms bietet

die Lösung der Frage vom Wesen der Feinde des Psalmisten. Wir lassen vorläufig V. 6, in dem wir mit M o w i n c k e l eine Konjektur für notwendig erachten, unberührt und bleiben bei einigen Zügen dieser Feinde stehen.

Sie sind natürlich D^iy, wütend; aber ihre Zeit ist die Nacht und

ihre Waffe ist, nach V. 8 zu urteilen, ganz eigentümlich.

Sie gießen etwas

mit ihrem Munde aus; eine Parallele in Spr las, wo ebenfalls dieser außergewöhnlich seltene Ausdruck vorkommt, enthält auch das Objekt — den Geist ITH; dieses Objekt ist auch hier zu verstehen.

E s handelt sich hier um

dieselbe Vorstellung, die der übertragenen Bedeutung des Verbs P]tM zu Grunde liegt, das in der Form Hiph. bedeutet: und daher „prophezeien".

Schon 1 8 8 3

dieser Bedeütung vom Speichel,

„triefen lassen"

„fließen lassen",

erklärte H o f f m a n n die Herkunft

der den heidnischen Propheten vom Munde

floß, wenn sie während epileptischer Anfälle Prophezeiungen

aussprachen 1 ).

Gegenwärtig kann man diese Erklärung nicht nur bestätigen, sondern auch breiter begründen, wenn man von der Weltanschauung des Urmenschen ausgeht. Seele oder Geister sucht er in den verschiedenen Ausscheidungen des menschlichen Organismus, nicht nur im Blute, welches als Behälter des Geistes und Lebens par exellence gilt, sondern auch in Speichel, Schweiß, Urin, sogar in den Exkrementen 2).

Hierbei figuriert von den letzteren Ausscheidungen der

Speichel am häufigsten, wahrscheinlich, weil sich seine Absonderung im Momente 2)

Versuche zu Arnos, ZAW 1883, S. 119. Vgl. B e r t h o l e t - L e h h a n n , Lehrbuch der Religionsgeschichte I, S. 146.

Beihefte z. ZAW 46

5

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Psalm 59

nervöser Erregung auch bei krankhaften Prozessen und Erscheinungen steigert — alle derartigen Momente ist der Urmensch geneigt, der Wirkung von Geistern zuzuschreiben. Von hier aus entwickelt sich die Vorstellung einer besonderen Kraft des Speichels; sie kann außerordentlich gefährlich sein, da durch sie der Zauberer, überhaupt der böse Mensch oder einfach der Kranke, Krankheit über einen anderen bringen kann'). Aber der Speichel kann auch wohltätig sein, da der Heiler durch ihn die heilende Kraft seines Geistes einem anderen mitteilen kann 2 ). Vom Gesichtspunkte des Urmenschen aus ist der Mensch, bei dem der Speichel fließt, vom Geiste ergriffen, sogar von ihm übervoll, und der Geist dringt zusammen mit dem Speichel heraus. In P s 59 ist natürlich nicht prophetischer Speichelausfluß gemeint, sondern zauberische Bespeichelung. Die Bespeichelung wird in demselben 8. Verse mit Schwertern verglichen. Das Schwert ist ein Todesinstrument; der Sinn des Ausdrucks ist der, daß aus dorn Mundo des Feindes unsichtbar ein tödlich verwundendes Schwert hervorkommt. Dieser Ausdruck ist verwandt, aber nicht identisch mit den Ausdrücken P s 57s, 64«, 52«, wo von einer dem Schwerte ähnlichen Zuspitzung der Zunge gesprochen wird, d. h. daß es sich dort nur um die verderbenbringende Kraft des Wortes, der Verfluchung handeln kann. In P s 59s versteht der Parallelismus der Glieder unter Helmert nicht das Wort Beschwörung, sondern denselben Geist, der zusammen mit dem Speichel vergossen wird; einen parallelen, das Bild P s 59 völlig erklärenden Ausdruck finden wir in der bekannten Stelle Jes I i i : Der Messias wird die Gottlosen „mit dem Geiste seiner Lippen" töten 8 ) — d. h. der Messias, dem die verschiedenartigsten Geister innewohnen werden, wird auch den Geist des Todes besitzen. Somit sind die Ausdrücke in V. 8 a und 8 b synonym; wenn aber ihre Bedeutung eine solche ist, so kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Feinde, vor denen sich der Verfasser in der 1. Hälfte von P s 59 zu retten bemüht, die Zauberer sind. Auf sie können nun die uns schon bekannten Epitheta angewendet werden, in V. 3 : und D^DT "»tMK. Aber in der ersten Hälfte des Psalms kommen auch Ausdrücke vor, welche sich, wie es auf den ersten Blick scheint, nicht mit unserer Auslegung ') Vgl. die Vorschrift Lev 15s; die Unreinheit rührt natürlich von dem Vorhandensein des bösen Geistes im Speichel her. Nach den babylonischen Vorstellungen ist der Speichel des Zauberers oder der Hexe sehr gefährlich. 2 ) Vgl. das Heilwunder Jesus mit Hilfe von Speichel Markus 7as und eine ganze Reihe von Parallelen aus der rabbinischen Literatur bei STRACK-BlLLERBECK, Kommentar z. N. T. aus Talmud und Midrasch II, S. 15—17. Über Heilung mit Speichel bei den Urvölkern s. BERTHOLET-LEHMANN I, S. 157. Über die Heilkraft des Speichels des Beschwörungspriesters nach babyl. Vorstellungen vgl. JASTROW I, S. 355. 3 ) Diese Vorstellung ist auch in die Eschatologie eingedrungen, wobei „der Geist des Mundes" einfach in „das Schwert des Mundes" verwandelt worden ist. Vgl. Oifenb. Joh 19iS.

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vereinbaren lassen. Die Feinde versammeln sich vor der Stadt, abends, heulen wie Hunde (V. 7); sie suchen Speise, Beute und lungern die ganze Nacht herum, wenn ihr Suchen vergeblich ist (V. 15. 16). Wenn in dieser Beschreibung menschliche Feinde gemeint sein sollen, so können unter ihnen nur Banditen oder wohnungslose Lumpenproletarier verstanden werden, auf Zauberer kann diese Beschreibung nicht angewendet werden. Die Exegeten, die nicht über die konkrete Bedeutung der Bilder des Psalms nachgedacht haben und sie als einfache Yergleichungen auffassen, verweisen darauf, wio z. B. GUNKEL, daß sich im alten Babylon und im Osten der Gegenwart eine Masse herrenloser Hunde auf den Straßen und Plätzen herumtreiben und sich von Abfällen und Aas nähren 1 ). Diese Erscheinung ist aber auch für Palästina charakteristisch 2 ), so daß man bei der Erklärung gar nicht nacli Konstantinopel zu gehen brauchte; aber der Grundirrtum des erwähnten Hinweises liegt darin, daß er den am meisten charakteristischen Zug von Ps 597 und andere nicht erklärt. Der ganze Psalm betont, daß sich die Feinde nicht in der Stadt versammeln, sondern außerhalb, daß sie die Stadt umzingeln 3 ); außerdem erscheinen sie nur des Abends zum Unterschiede von den orientalischen Hunden, welche sich auf Straßen und Plätzen der Stadt Tag und Nacht herumtreiben. Bleibt also der cinzigo ähnliche Zug übrig: „sie heulen wie Hunde" — denn Speise suchen kann auch jedes andere Tier. Offenbar liegt die Sache nicht so einfach, wie es sich frühere Ausleger gedacht haben. Eine einfache Bezugnahme auf dio Gepflogenheiten orientalischer Hunde erklärt noch nichts, da der Gedanke des Autors weit komplizierter ist. Es müssen nämlich zwei Fragen erörtert werden — erstens: was für Feinde können wohl durch diese Züge charakterisiert werden, nämlich durch das Erscheinen vor der Stadt des Abends auf der Suche nach Beute, wobei auch der Verfasser des Psalms zur Beute werden kann, — und zweitens: warum heulen diese Feinde .wie Hunde"? Bei der Behandlung von Ps 58 haben wir schon gesehen, daß sich in der Beschwörungsliteratur Zauberer und böse Geister häufig abwechseln und sogar mit einander verwechselt werden. Es entsteht die Frage: haben wir es vielleicht in Ps 59 mit einer ähnlichen Erscheinung zu tun? Sind vielleicht unter den nächtlichen Feinden böse Geister gemeint? Die Nacht ist für ihre Tätigkeit die gewöhnliche Zeit; in dieser Zeit kommen sie aus ») Die Psalmen, S. 253. *) Vgl. BOHL, Geographie des alten Palästina S. 60—61; BAEDEKER, Palästina und Syrien 8 S. LII. 8 ) GUNKEL übersetzt übrigens in Übereinstimmung mit seinem Hinweis 133D — „durchstreifen"; diese Übersetzung entspricht wohl kaum der gewöhnlichen Bedeutung des Verbs D3D5*

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ihrem Aufenthaltsorte hervor und versuchen, in die menschlichen Wohnungen einzudringen. Daher kommt der überall, nicht nur im Osten, sondern auch im Europa des Mittelalters und bei den Völkern niedriger Kulturstufe der Gegenwart verbreitete Gebrauch, die Stadttore mit allerhand Darstellungen und Inschriften zu versehen, die den bösen Geistern den Weg versperren sollten. Die mächtigen Steinbilder beflügelter Wächter vor Geistern in Assyrien und Babylonien und das Heiligenbild mit dem Lämpclien über dem Stadttor der altrussischen Stadt sind vom religionsgeschichtlichen Standpunkte aus Erscheinungen ein und derselben Art. Das Bestreben, die Städte gegen Überfälle böser Geister zu sichern, ist besonders in babylonischen Vorstellungen und Gebräuchen ausgesprochen: Es genügt, sich des bekannten, an die bösen Geister gerichteten Textes aus Maqlu (V. 132 — 135) zu erinnern: Den Tigris und Euphrat sollt ihr nicht überschreiten, Zum Wassergraben und Kanal sollt ihr nicht hinrücken, Mauer und Umhegung sollt ihr nicht überschreiten, Durch Tor und Eingang sollt ihr nicht eintreten. Diese und ähnliche Beschwörungen wurden noch, wie erwähnt, durch Anbringung von Bildern guter und böser Geister an und über den Toren verstärkt. Aus dem von MEISSNER veröffentlichten Texte *) ist zu sehen, daß in Babylonien in der Zahl dieser Bilder verschiedenfarbige Hunde aus Gips auftreten, gewöhnlich zehn an Zahl; jeder Hund hatte seine besondere Benennung, die seine Eigenschaft bezeichnete; diese Benennungen zeigen, daß die einen gute Geister zur Darstellung brachten, die andern böse2). Andre Texte bestätigen das. Am häufigsten wurden Hunde im Gefolge von Tiamat undLabartu erwähnt 8 ) oder bei Zauberern4), aber die Heilwunder vollbringende Göttin Gula hat auch in ihrem Gefolge einen Hund. Im Volke wurden Hunde vorwiegend als Träger böser Geister gefürchtet; die Babylonier ängstigten sich besonders, wenn der Mensch mit Hundeurin in Berührung kam6), offenbar unter dem Zwange der Vorstellung, daß der Geist aus Mensch und Tier zusammen mit verschiedenen Ausscheidungen austreten könne, in Sonderheit der unreine Geist in der unreinen Ausscheidung. Mit diesen babylonischen Vorstellungen und Gebräuchen werden uns auch einige biblische Anschauungen und Bräuche klar. Der Hund galt in Israel als ein verachtetes, unreines Tier. Die Darbringung eines Hundes zum Opfer ist für Jahwe ebenso eklig 1) Apotropäische Hunde, OLZ 1922, Nr. 5 Sp. 201—202. 2 ) Besonders ein Paar graue Hunde, von dem einer Heranbringer des Guten, der andre — Heranbringer des Schlechten ist. Die andern Benennungen sind nicht überall klar. 3 ) MEISSNER, Magische Hunde in ZDMG 1919, Bd. 73, S. 177 u. 179. 4 ) Vgl. Maqlu, V. 46 ff. 6 ) MEISSNER, ZDMG 1919 S. 177—178; ebenda vom Hunde der Gula.

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wie die eines Schweines (Jes 66s); die Vergleichung eines Menschen mit einem Hunde ist die größte Erniedrigung und Beleidigung (II Sam 3s; 9s; 167—9; II Reg 813 u. a.). Zweifellos war dieses Verhalten dem Hunde gegenüber ein Ausfluß des Volksglaubens, daß dieses Tier bösen Geistern nahestehe und zwar so, daß sich böse Geister mit Vorliebe im Hunde ansiedeln (Tollwut der Hunde!). In Ps 22, der schon seit langem als ein Gebet um Heilung von Krankheit ausgelegt wurde1), werden die Feinde, welche den Autor umringt und mit einer tödlichen Krankheit geschlagen haben, zweimal (V. 17 und 21) Hunde genannt; besonders bezeichnend ist die Anrede V. 21: „Errete meine Seele vom Schwerte, von der Gewalt des Hundes meine einzige"a). Aber einen Beweis von entscheidender Kraft zu Gunsten unserer Annahme linden wir in der Mischna. Im Traktate Hullin 42 wird vorgeschrieben: Wenn ein Tier beim ersten Male eine schwere Geburt hat, so muß sie beim Austritt Stück für Stück abgehauen und den Hunden vorgeworfen werden. Der Sinn des Brauches ist klar: Da die schwere Geburt, wie überhaupt jede Krankheit, durch die Einwirkung böser Geister erklärt wird, so wird ihnen ein prophylaktisches Sühneopfer gebracht, um in Zukunft die Mutter zu schützen und die Zuzucht zu sichern — gewissermaßen eine Parallele zum biblischen Opfer der Erstgeborenen, das mit dem letzten zweifellos organisch zusammenhängt3). Aus diesen Gegenüberstellungen wird klar, daß der Vergleich „sie heulen wie Hunde" kein zufälliger ist. Wenn nachts vor der Stadt das Heulen umherstreifender Hunde und Schakale anhebt, so weiß der abergläubische Israelit nicht, ob es Tiere oder böse Geister sind; sind es böse Geister, so kommen sie in Hundegestalt und heulen mit der Stimme des Hundes. Vor ihnen muß man sich nachts schützen. Auf welche Weise? Mit Hilfe der magischen Formel V. 10 und 18. Die Formel V. 10 und 18 kommt der magischen Formel in Ps 91 sehr nahe. Wie wir gesehen haben, gründete *) In neuster Zeit wird die Deutung von Ps 22 als einem Gebet um Heilung von Krankheit, die von bösen Geistern geschickt worden ist, ausführlich von MOWINCKEL (I, S. 73—75) gestützt. a ) Die Stiere und Rinder von Basan in V. 13 haben wahrscheinlich auch dämonische Bedeutung, insofern der Stier überhaupt Symbol der Gottheit war (vgl. das oben bei Analysierung von Ps 141 über die ursprüngliche grausame Natur Jahwes Gesagte). In den babylonischen magischen Ritualen treten neben Figuren andrer Tiere die Figuren von Stieren als Apotropäen auf (vgl. MEISSNER ZDMG 1919 S. 181—182). Die Taup6)iop^a 6ai(iövia figurieren in Test. Solom. unter den 36 Dämonen, die verschiedene Krankheiten und Nöte verursachen (ed. COWN, XVIII, 1). 3 ) Im Test. Solom. figurieren zwei Dämonen in Hundegestalt: 'PdßSos (X, 1) und KuvöjttjYos (XVI, 4). In der synkretistischen magischen Literatur spielt der Hund eine wichtige Rolle durch seine Beziehung zur Hekata: Hekata wird mit einem Hundekopfe dargestellt, bellt wie ein Hund, und die sie begleitende Gefolgschaft heult und bellt wie Hunde. Vgl. HOPFNER I, S. 112—113.

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sich die Formel des Ps 91 in ihrer ursprünglichen Gestalt ausschließlich auf den Glauben an die Kraft des Namens der Gottheit; dasselbe sehen wir auch in Ps 5912, wo unter der Waffe zur Vernichtung der Feinde der Name des Gottes zu verstehen ist; V. 10 und 18 geben die spezifische Form des Namens. Dem Charakter ihrer Ausdrucksweise nach sind die Formeln in Ps 59 und 91 ebenfalls einander ähnlich: geheimnisvolle Kraft wird den Doppelepitheta v m s ö l "OHD in Ps 91 und "Ü^Dl in Ps 59 beigelegt. In der Formel Ps 59 ist der Ausdruck 3JIPD besonders charakteristisch. Diese Wurzel tritt gleich im Anfange des Psalms auf, wo der Verfasser bittet, ihn durch eine Wehr O033il>n) von den Feinden abzuschneiden; indem er die Formel "OJW ausspricht, errichtet er zwischen sich und den Feinden diese Schutzwehr, gleichsam eine hohe Festungsmauer *). Ebenfalls charakteristisch sind einige andre Ausdrücke in den Versen, in welchen die Wirkungsweise gegen die Feinde des Psalmisten beschrieben wird. Hier muß vor allem der Ausdruck •"'iU vermerkt werden. Im Psalm steht D^J; aber dieser Ausdruck läßt sich nicht mit dem Sinne des Psalms vereinbaren, so daß Duhm, der noch weit entfernt von jeder magischen Auslegung war, hier als Ersatz D^IJ? vorschlug. H o w i n c k e l schlägt DVM vor und beweist durch vollständig richtige Gegenüberstellung mit Hiob 40uff., daß unter DW Dämonen zu verstehen sind 2 ); das unrichtige entstammt redaktioneller Hand, indem man sich bemühte, dem Psalm nationalistischen Anstrich zu verleihen. Weiter sollen die Dämonen dorthin zurückgebracht werden, woher sie gekommen sind, d. h. sie sollen hinabgestürzt werden (V. 12 — IDTTin) in den Scheol. Das Verb "IT ist ein technischer Ausdruck und bezeichnet ein Hinuntergehen, speziell ein Hinuntergehen in den Scheol. Es bleibt die Frage der literarischen Zusammenstellung und der Geschichte des Psalms übrig. Nachdem wir seinen Charakter festgestellt haben, ist es klar, daß Ps 59 im Grunde eine Beschwörung oder, richtiger gesagt, ein Beschwörungsgebet gegen Tücken • und Überfälle von Seiten nächtlicher Dämonen ist. Diese Beschwörung ist zur Nacht vor dem Einschlafen zu lesen; am Morgen entspricht ihr das Morgendankgebet (V. 17), wie zum Beispiel Ps 3e_7: Ich lag und schlief, Ich bin erwacht, denn Jahwe hat mir geholfen. Ich fürchte nicht Myriaden von Heerscharen, Die sich ringsum gegen mich aufstellen. Die Komposition des Psalms ist folgende: Er beginnt mit einer in Gebetsform gehaltenen Anrede an Jahwe, in der die Feinde — Zauberer und ') Vgl. Sprachgebraucl bei Jes 2512; Jerem 481; auch Ps 18« (II Sam 22»). ) Psalmenstudien I, S. 71—72.

s

Psalm 109

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Dämonen — geschildert werden (V. 1 — 9); dann folgt die Besch wörungsformel V. 10, welche die Wirkung des Gebets und das Eingreifen der Gottheit sicherstellen soll; sie entwickelt sich in dem Beschwörungsanrnfe in den V. 11 —14, die vom Verfasser des Psalms stammen; früher war der Psalm mit V. 17 zu Ende, in dem das übliche Versprechen abgegeben wird, der Gottheit für die Hilfe zu danken. V. 15, 16 und 18 rühren von andrer Hand her, die durch Kehrreim den Psalm nach dem Muster der Strophenpsalmen zu bearbeiten suchte; der Versuch erwieß sich aber als nicht gelungen, da V. 15 und V. 16 nicht am Platze stehen und V. 18, der die Formel von V. 10 nur entstellt, als unnötige Wiederholung von V. 17 erscheint. Der Psalm muß als ein Produkt der offiziellen magischen Literatur angesehen werden; so wie Ps 3 und 4 ist der Psalm kein volkstümliches, sondern kirchliches Erzeugnis; dabei ist es charakteristisch, daß die Beschreibung der bösen Geister, ebenso wie in einigen babylonischen Beschwörungsformeln'), mitgeteilt wird. Wahrscheinlich ist nur die Formel V. 10, die der Formel in Ps 91 so stark ähnelt, volkstümlichen Beschwörungen entlehnt. Gehen wir jetzt zu Ps 109 e« und 35 über. Es sind Psalmen vom gleichen Typus, aber jeder von ihnen hat einige individuelle Besonderheiten. Die literarische Kritik hielt sie für mehr oder weniger klar und teilte sie der Gruppe der sogenannten Klagepsalmen zu; wie wir aber sehen werden, kann eine solche Deutung nicht allo Besonderheiten des Inhaltes dieser Psalmen erklären.

Psalm 109. 1. Gott meines Lobes, schweige nicht! 2. Denn sie öffnen den verbrecherischen") Mund und den tückischen Mund wider mich, sprechen mit mir mit der Zunge der Lüge, 3. und umgeben mich mit Worten des Hasses und führen Kampf mit mir ohne Ursache. 4. Für meine Liebe vertreiben sie mich, und ich bin (ganz) im Gebet (?), 5. und schicken über mich Böses für Gutes und Haß für meine Liebe. 6. Stelle den Böses Tuenden über ihn, und Satan soll sich zu seiner Bechten stellen. l

) Z. B. die bekannte Beschreibung in äurpu, VII, 1—16. *) Im Text JJBh — Adjektiv, aber analog zum folgenden nD"ID_1D ist das Subst. yBh besser.

Psalm 109

68

7. Wenn man ihn richten wird, soll er als Angeklagter herausgehen, und sein Gebet soll Sünde sein. 8 . Seiner T a g e sollen wenige sein, und seinen Dienst soll ein anderer übernehmen! 9 . Seine Kinder sollen Waisen sein, und seine F r a u W i t w e ; 1 0 . seine Kinder sollen ewig umherschweifen und bitten, und sie sollen Vertrieben werden'') aus ihren Ruinen (der Wohnstatt)! 1 1 . Der Wucherer soll eine Schlinge auf seine ganze Habe legen, und Fremde sollen alles von ihm Erworbene verprassen; 1 2 . E s soll da keiner sein, der ihm Milde erweist, und soll sich keiner seiner Waisen erbarmen. 1 8 . E s möge seine Nachkommenschaft vertilgt werden, in 'einem' 2 ) Menschenalter möge ' s e i n ' 3 ) Namo verwischt

werden!

1 4 . Seiner V ä t e r Sünde soll bei J a h w e im Gedächtnis sein, und die Versündigung seiner Mutter soll nicht ausgeglichen werden! 1 5 . Sie sollen beständig vor J a h w o sein, und er soll die Erinnerung an sie von der Erde austilgen 1 6 . dafür, daß er nicht daran gedacht hat, Gnade zu erweisen, und verfolgt einen Menschen, der leidend und unglücklich und verzweifelten Herzens ist, um ihn zu töten. 1 7 . E r liebte den Fluch —

'und so komme' er über ihn!

Segen gefiel ihm nicht —

'so möge' er weit von ihm sein!

1 8 . E r zog den Fluch an wie ein Kleid



'so soll' e r 4 ) wie Wasser in sein Eingeweide eingehen, und gleich Öl in seine Knochen, 1 9 . Soll er ihm ein Gewand sein, in das er sich einhüllt, und wie der Gürtel, mit dem er sich immer umgürtet! 2 0 . So ist Vergeltung für die mich 'vor J a h w e ' 5 ) Anklagenden und die meine Seele mit Bösem Besprechenden.

') Im Text „mögen sie suchen" (li£>~n); geändert nach der L X X (Kai {xßAni^Tuoav) — un:p. ') Im Text "tHN — die folgende (Generation); die L X X gibt die richtigere Lesart (i(a — "inNa ) Im Text ODE> ihr Name. In der L X X richtig Bvoiia oütoö — \tyff. *) „Soll (er) kommen", „möge er sein" in V. 17 und „soll (er) eingehen" in V. 18 — nach der L X X ; in Übereinstimmung hiermit muß das waw consecutivum des Textes in das waw copulativnm mit dem imperf. optativ. abgeändert werden. 5 ) Im Text m m {"INO — von Jahwe. Die L X X bringt richtig itapä Kvplou — n i m Mob. •

Psalm 109

69

21. Aber du, Jahwe, Herr, handle mit mir um deines Namens willen, 'um' 1 ) deiner gütigen Gnade willen rette mich. 22. Denn ein Elender und Armer bin ich, und mein Herz ist durchbohrt in meinem Eingeweide. 23. W i o der Schatten, wenn er sich verlängert, vergehe ich*), ausgeschüttelt bin ich wio eine Heuschrecke; 24. meine Knie wanken vom Fasten, und mein Fleisch ist abgemagert vom Mangel an Öl. 25. Und ich werde zum Spott für sie, sie werden mich erblicken, und schütteln ihren Kopf. 26. Hilf mir, Jahwe, mein Gott, errette mich nach deiner Gnado, 27. und sie werden erfahren, daß es deine Hand ist, du, Jahwe, hast das getan. 28. Sie werden fluchen, aber du wirst segnen; die 'gegen mich aufstehen' 3 ) sollen zu Schanden werden, aber dein Sklave möge sich freuen. 29. Meine Ankläger 4 ) sollen mit Schande bekleidet werden, sie sollen sich kleiden, wie mit einem Mantel, in ihre Schmach! 30. Ich werde Jahwo mit meinem Mundo eifrig loben und in zahlreicher Versammlung ihn preisen, 31. denn er steht zur Rechten des Armen, zu helfen gegen die, welche seine Seele verurteilen. Bis auf unsere Zeit wurde dieser Psalm von den meisten Exegeteu als nachexilisches, der Makkabäerzeit angehörendes Erzeugnis betrachtet, in dem sich der Kampf zwischen hellenistischem und strenggläubigem Judentum widerspiegelt; das „ I c h " im Psalm wird als kollektiv angesehen, das die Stimmung der ganzen Gemeinde zum Ausdruck bringt").

Eine solche Erklärung läßt

sich aber nur dann aufrecht halten, wenn jede andere Stellungnahme zum Psalm unmöglich wäre.

Wenn man den Inhalt dieses Psalms ohne jegliche

') Targ. gibt die richtige Lesart 3it23. 4)

Am Abend verlängert sich der Schatten vor dem Verschwinden jeglichen Schattens bei einbrechender Dunkelheit. a ) Im Original IQp = sie erheben sich. In der LXX richtig ol iirKnavöyevoi pot — "'Dp. - ' T

4 ) ^ttltf von p E ' — anklagen, vor Gericht als Gegner auftreten. *) In neuster Zeit tritt BERTHOLET für diese Deutung ein in KAUTZSCH, Die Heilige Schrift d. A. T. * II, S. 241—242. Nicht mit derselben Entschiedenheit, aber dem Wesen nach im selben Sinne spricht sich KITTEL aus, der Ps 35, 69 und 109 zu einer Gruppe vereinigt als Ausdruck der Stimmung „der Stillen im Lande" (vgl. Die Psalmen, S. 258 u. 396).

Psalm 109

70

Präsumption wertet, so gibt derselbe keine stichhaltigeil Gründe für eine geschichtliche Deutung.

Der Psalm enthält tatsächlich auch nicht die leiseste

Anspielung auf einen Kampf zwischen gesetzmäßigem und freisinnigem Judentum; es handelt sich gar nicht um Befolgung oder Nichtbefolgung des Gesetzes, sondern um Verfolgungen und Schädigungen rein materieller Art; das „ I c h " im Psalm ist gar kein kollektives, sondern ein rein persönliches, wie das durchaus klar aus V. 2 8 („dein S k l a v e " ) und aus V . 3 0 hervorgeht, wo der Errettete gelobt, J a h w e vor zahlreicher Versammlung zu preisen.

Ander-

seits steht die Hypothese der Gegenüberstellung von gesetzmäßigen und ungesetzmäßigen Juden in V. 6 — 2 0

in Widerspruch

mit dem Übergang von

der Mehrzahl auf dio Einzahl bei der Benennung der Feinde des Psalmdichters. Was

die lotzten anbetrifft,

zu deuten;

so ist es unmöglich,

die meisten Exegeten

übergehen

„ e r " im kollektiven Sinno

aber diese

Schwierigkeit

mit

Stillschweigen, und nur KAUTZSCH stellt die vollständig willkürliche Lösung des Rätsels auf, daß die Verfluchungen in V. G — 2 0

nicht

vom verfolgten

Autor des Psalms selbst, sondern von den ihn verfolgenden Feinden

ausge-

sprochen werden, obgleich auch er sich zu der Klausel genötigt sieht,

daß

V . 1 6 und 2 0 schlecht mit einer solchen Deutung in Einklang zu bringen seien 1 ).

W i r sind der Meinung, daß sich V. 1 6 und 2 0 ,

JA überhaupt der

ganze T e x t von V. 0 — 2 0 , mit dieser Deutung absolut nicht in Übereinstimmung bringen läßt, und daß man muß.

sie als durchaus nicht stichhaltig fallen lassen

Überhaupt muß man gestehen, daß die angezeigte Wertung des Psalms

im Ganzen ebenfalls hinfällig ist und uns keinen Schlüssel zur Entzifferung seines Inhaltes an die Hand gibt. letzter Zeit

auch GUNKEL,

Gegenwärtig betritt MOWINCKEL, und in

den richtigen W e g

welches dieser Psalm darstellt.

zur Lösung

des

Problems,

MOWINCKEL rechnet ihn zu den offiziellen

Fluchpsalmen, der bei Reinigungsritualen zur Anwendung kam, die am Krankon vorgenommen wurden *).

GUNKEL ist nicht damit einverstanden, daß der Psalm

als offizielle Fluchformel aufzufassen sei, hält ihn für einen individuellen Psalm, gibt aber gleichzeitig zu, daß eine Verfluchung, wie sie im P s 1 0 9 ist,

eher ins Gebiet

der Magie,

sowohl MOWINCKEL als auch GUNKEL haben geführt.

enthalten

als in das der Religion gehöre"). die Lösung

Aber

nicht zu

Ende

MOWINCKEL, der den Psalm als Ganzes auffaßt, nimmt auf Grund

von V. 2 3 an, daß er bei Reinigungsritualen an Kranken verwendet wurde; wie wir im weiteren

sehen

werden,

ist dieser

Standpunkt kaum

richtig.

GUNKEL stellt überhaupt nicht fest, wodurch die im Psalm enthaltenen Ver1 ) Die Heilige Schrift des A. T . 8 II, S. 215. Dieselbe Ansicht vertritt STUHMEB, Sumer.-akkad. Parallel, usw. S. 86—87. 2 ) Psalmenstudien V, S. 94—96. Die Psalmen 5. Lief. S. 476—478.

Psalm 109

71

fluchungen herausgefordert werden, und begnügt sich mit der Feststellung seines Charakters im allgemeinen und dem Hinweis auf Parallelen in babylonischen Beschwörungen1). Eine richtige Deutung des Psalms kann nur dann gegeben werden, wenn wir vom direkten Sinne seines Inhaltes ausgehen. Schon ein flüchtiges Eingehen auf den Inhalt des Psalms zeigt, daß er kein Ganzes darstellt. Hierfür spricht in erster Linie der plötzliche Übergang von „sie" auf „er" in Vers 6; „sie" kommt in V. 21 wieder vor und dann wird die Mehrzahl systematisch bis zum Schluß beibehalten, ebenso wie in V. 6—20 systematisch die Einzahl „er" beibehalten wird (V. 20 ist der allgemeine Schluß). Der Kontext des Psalms bietet weitere Argumente in diesem Sinne. In der Tat — V. 5 und 6 können nur sehr gezwungen in logische Verbindung gebracht werden; dafür aber bildet V. 21 die unmittelbare logische Fortsetzung von V. 5. Ferner verlegen Y. 1 — 5 und 21 — 31 den Schwerpunkt in die Rettung, welche der Verfolgte von Jahwe erwartet; er verteidigt sich, greift aber nicht an. Umgekehrt liegt in V. 6—20 die ganze Kraft in der Heraufbeschwörung von Unglück auf das Haupt der Feinde des Autors dieser Verse: er verteidigt sich nicht, sondern ist Angreifer. In dieser Beziehung ist V. 20 und 26—27 außerordentlich charakteristisch: in V. 20 soll die Hand Jahwes gegen die Feinde des Autors gewendet werden, in V. 26 — 27 soll sie dem Verfasser entgegengestreckt werden. Als beachtenswerte Einwendung gegen diese für den stückhaften Charakter des Psalms sprechenden Argumente kann nur eins angeführt werden: der Autor stellt sich sowohl in diesem als auch in jenem Teile des Psalms (V. 16 und 20) gleicherweise als Elenden und Armen hin: ITONI "OJ7; aber diese Einwendung läßt sich, wie später gezeigt wird, sehr einfach entkräften. Indem wir diese außerordentlich überzeugend gegen die Einheitlichkeit des Psalms sprechenden Erwägungen besonders hervorheben, kommen wir am Schlüsse unserer Analyse nochmals auf diese Frage zurück; vorläufig werden wir uns gestatten, von ihnen bedingten Gebrauch zu machen, sie als Ausgangspunkt zwecks methodischer und allmählicher Vertiefung in den Inhalt des Psalms zu benützen. V. 6—20, allein und unabhängig von Anfang und Schluß des Psalms betrachtet, können zweifellos nicht nur als eine Verfluchung, sondern als regelrechte Beschwörung charakterisiert werden. Ohne Zweifel hat vom Standpunkte animistischer Weltanschauung aus schon eine einfache Verfluchung magische Kraft. Das Verfluchungswort wird als beseelt vorgestellt und ist sogar, wenn es zufällig ausgesprochen wird, gefährlich, da es sozusagen in der Luft schwebt und jedem, der ihm begegnet, anhaften kann. Diese Auffassung liegt dem talmudischen Verbote zu Grunde, biblische Verfluchungen ') HEMPEL, Die israel. Anschauungen usw. S. 54 bringt auch die griechische Parallele.

Psalm 109

72

laut zu lesen, und erklärt, warum nach dem Talmud die Verfluchung im Munde des Weisen (Gelehrten) immer wirksam ist: er ist das Gefäß für den Geist der Weisheit, und jedes seiner Worte hat melir Gewicht, als das irgend eines anderen Menschen ')• Die Beschwörung unterscheidet sich von der einfachen Verfluchung dadurch, daß der Verfluchende sich allein nur auf die Kraft seines Wortes verläßt, der Beschwörende sich aber nicht nur auf die Kraft seines Wortes, sondern auch auf andero magische Wirkungsweisen stützt: er ruft Geister oder die Gottheit zu Hilfe und greift zu magischen Ritualen als Hilfsmitteln. In V. 6 — 2 0 wendet sich der Beschwörende an Jahwe (V. 6) und betont (V. 20), daß alles auf das Haupt des Beschworenen herabgernfene Elend durch Jahwes Hilfe über ihn hereinbrechen 6oll. Aus V. 6 geht klar hervor, daß das Wesen der Sache darin besteht, daß Jahwe seine Hand von dem Beschworenen zurückziehen und ihn der Gewalt der bösen Geister überliefern soll — der Gewalt des Satans und eines anderen Geistes, welcher nach dem Gesetze des Parallelismus der Glieder in V. 6 a figurieren muß, der aber jetzt durch die allgemeine Bezeichnung JftiH ersestzt ist (möglicherweise hat ursprünglich im Text ¡"IJH ITH gestanden). Es ist unklar, ob das Hersagen dieser Beschwörung von irgendwelchen magischen Riten begleitet wurde; jedenfalls bringt V. 18 in dieser Richtung Anspielungen. Per Fluch soll, wie dieser Vers lautet, in die Eingeweide des Beschworenen eindringen wie Wasser und in seine Knochen wie Ol; es ist durchaus angängig, diese Ausdrücke nicht einfach als Metaphern auszulegen, sondern auch als Beschwörungsformel, welche die Zubereitung entsprechender Zaubertränke begleiten sollte. Wir haben gesehen, daß Beschwörungswasser der der Untreue verdächtigen Ehefrau gegeben wurdo, wobei eine den Ausdrücken in V. 18 sehr nahe kommende Formel hergesagt wurde; Öl wurde, wie wir gezeigt haben, als geweihtes Heilmittel verwendet, konnte aber auch, mutatis mutandis, verderbenbringend werden. Daher ist die Annahme zulässig, daß der, welcher die Beschwörung aussprach, entweder gleichzeitig Beschwörungswasser und Öl vorbereitete, um diese Zaubermittel dann dem Feinde auf irgend eine Weise zum Gebrauch unterzuschieben, oder ein entsprechendes symbolisches Ritual am Abbild seines Feindes vollzog, ähnlich den babylonischen Zauberern und a s i p u , welche symbolisches Verbrennen, Erwürgen, Zerhauen in Teile und andere Manipulationen mit Figuren der Beschworenen auszuführen pflegten 2 ). Schließlich ist überhaupt die Formulierung dieser Beschwörung charakteristisch. Sie verwendet die außerordentlich häufig in Beschwörungen auftretende Wendung, auf das Haupt des Beschworenen dessen eigene Gebrechen und Sünden heraufzubeschwören, die seinen Untergang bewerkstelligen sollen; er selbst ') Vgl. BLAU, Das altjüdische Zauberwesen S. 62—63. ) Vgl. JASTROW II, S. 284—285.

s

Psalm 109

73

liebt Beschwörung, — und sie soll über ihn kommen; Segen gefiel ihm nicht, und er soll weit von ihm sein (V. 17).

Von hier aus ist es möglich fest-

zustellen, bei welcher Veranlassung und zu welchem Zweck diese Beschwörung abgefaßt worden ist.

Der Beschworene ist ein böser, unbarmherziger Gläu-

biger, mit welchem der Beschwörende Prozeß führt; folglich wird auf sein Haupt alles das heraufbeschworen, womit er seinem Schuldner droht: auf sein ganzes Vermögen soll der Darleiher eine Schlinge legen, seine Kinder sollen als Bettler aus dem Vaterhause getrieben werden, sein Unglück soll ihm das Leben verkürzen (V. 8 — 1 1 ;

vgl. V. 12 und 16).

Vor allem aber, — und

das ist das Nächstliegende, — strebt die Beschwörung danach, die Sache des Beschworenen vor Gericht zu Fall zu bringen: „Wenn man ihn richten wird, soll er als Angeklagter (Schuldiger) herausgehen!"

Dieser letzte Zug

spielt, wie es scheint, darauf an, daß wir es hier mit einer g e r i c h t l i c h e n Beschwörung

zu tun haben.

Solche Beschwörungen sind in der altgrie-

chischen und altrussischen Beschwörungsliteratur nicht selten; dort haben sie in den meisten Fällen den Charakter einzelner Formeln, die für eine bestimmte Sache und gegen bestimmte Personen aufgestellt wurden, die bei ihrem Namen genannt werden.

Dieselben Züge liegen auch in V. 6 — 2 0 in P s 1 0 9 vor;

es ist eine Beschwörung für einen bestimmten Fall, nur der Name der Person ist nicht genannt; ursprünglich mußte derselbe aber in der Beschwörung figurieren, und ist von der Hand des Bearbeiters, die alles Persönliche ausmerzte, gestrichen worden.

Die Bemerkung in V. 8 läßt auch die Epoche bestimmen,

in welcher der Psalm entstanden ist:

„und seinen Dienst — m p D — soll

ein anderer übernehmen".

Der Terminus m p D bedeutet vor allem „Census",

dann „Dienst", „Güter" —

d. i. ein Besitztum, das an das Amt geknüpft ist;

TpD, das von derselben Wurzel kommt, bezeichnet „einen, der über etwas gesetzt ist", eine Amtsperson im Zivil- oder Militärdienst.

Der eine wie der

andere Terminus wird vorwiegend seit der Epoche der Propheten angewendet, und zwar besonders oft in den späteren Teilen des Pentateuchs, in den Büchern der Chronik, im B . Esther.

Hieraus geht hervor, daß die Beschwörung weder

in der Urzeit noch in der frühen Königszeit abgefaßt sein kann.

Sie hat

das Bestehen solcher Verhältnisse zur Voraussetzung, bei denen der feudale Erbbesitz schon durch bedingten Lehnbesitz (russisch. „Pomestje" des X V I . Jahrh.) abgelöst war, daß man des Dienstes und des Besitzes

entkleidet

werden konnte — das ist die Epoche des VIII. und VII. Jahrhunderts.

Diese

Folgerung deckt sich vollständig mit der Beobachtung, daß die gerichtlichen Beschwörungen immer die späteren sind und die schwächsten Stücke der Beschwörungsliteratur darstellen.

Daher kann man V. 6 — 2 0

von P s 1 0 9

weder dem Charakter noch der Entstehungszeit nach auf eine Stufe mit den ältesten Beschwörungen stellen, wie sie sich in P s 9 1 und 5 8 erhalten haben;

Psalm 109

74"

die Entstehungszeit von V . 6 — 2 0 von P s 1 0 9 liegt nicht vor dem V I I I . Jhd. a. Chr. n.

Außer diesen unmittelbar dem Inhalte von V . 6 — 2 0 entspringenden

Erwägungen ist ebenfalls die Übereinstimmung einiger Verfluchungen aus diesem Abschnitt 6 — 2 0 mit Verfluchungen, die für die babylonischen k u d u r r u der kassitischen Epoche als typisch gelten, nicht ohne Bedeutung').

Wie bekannt,

enthält das k u d u r r u gewöhnlich in seinem Schlußteile Verfluchungen, welche im Namen der hier angerufenen Götter auf das Haupt desjenigen hereinbrechen sollen, der die Unversehrtheit des Grenzsteines verletzt. METZER benützten,

hierher gehörenden

Urkunden

lesen

In den von STEINwir:

„Samas

und

Adad . . . . mögen mit wahrem und gerechtem Gericht ihn nicht richten; in Unheil und Krankheit soll er mit den wenigen Tagen, die er zu leben hat, zu Ende kommen 2 ); mögen ihn die großen Götter, so vieler Namen auf diesem Urkundenstein genannt . . . ., mit bösen Fluchen verfluchen,

seinen

Namen

vernichten! Seine Nachkommen wegzuraffen mögen sie nicht r a s t e n ! " 8 ) , Marduk, der große Herr, lege Hunger, als seino große Strafe ihm auf, und mit dem B l i c k der Verbitterten, mit ausgestreckter Hand und ohne Beköstigung möge er auf der Straße seiner Ortschaft sich umhertreiben.

Sin, der grimmige

möge ihn Wassersucht, deren Banden nicht gelöst werden können, tragen lassen, mit Aussatz wie einem Kleid seinen Leib umgeben, zeitlebens ihn aus seinem Hause ausschließen, gleich dem Getier des Feldes schweiio er durch die Steppe, betrete nicht

die Straße

seiner Ortschaft" 4 ).

Freilich

ist liier auch

eine

wesentliche Abweichung von den Verfluchungen 1 0 9 , 6 — 2 0 festzustellen: dem Sinne nach stimmen nur die Verfluchungen V. 7, 8, 1 0 , 1 3 und bis zu einem gewissen Grade V . 1 7 und 1 8 überein, die andern gehen auseinander; außerdem sollen die in den übereinstimmenden Verfluchungen aufgezählten

Zustände,

wie: Verlust des Eigentumes, Ausschluß aus der menschlichen Gemeinschaft und Bettlertum

über Kinder und W i t w e des Beschworenen,

dessen Untergange kommen.

offenbar

nach

Somit sind die übereinstimmenden Züge durchaus

nicht so augenfällig, daß man von einer Entlehnung sprechen könnte; dafür gewinnt aber eine andere Beobachtung ganz besondere Bedeutung.

Die B e -

schwörungen auf den k u d u r r u erscheinen als eine ganz spezifische Art der Beschwörung, die an eine R e c h t s v e r l e t z u n g

geknüpft ist und bei welcher

die Verletzung fremden Rechtes die Verdammung zur Entziehung der eigenen Rechte nach sich zioht.

E s ist klar, daß im vorliegenden F a l l

juristische

') Darauf wiesen schon KITTEL (Die Psalmen S. 396) und BERTHOLET (Die H. Sehr. d. A. T. 4 II, S. 182) hin, zogen aber nicht die entsprechenden Schlüsse hieraus; jetzt GÜNKEL, 1. c. 2 ) Vgl. Biblische Zeitschrift 1912, X, S. 139. 3 ) Vgl. STEINMETZER, Über den Grundbesitz in Babylonien zur Kassitenzeit, S. 27. *) Ebenda S. 30.

Psalm 109

75

Gedanken im Spiele sind: die magische Formel wurde auf Rechtsbegriffe angewendet.

Dieselbe Erscheinung sehen wir in den Beschwörungen von V . 6 — 2 0

in P s 1 0 9 : die magische Formel folgt dem Rechtsbewußtsein der Epoche und wird, wie es oft der F a l l ist, in Ausdrücke eingekleidet, die den Ausdrücken in ebensolchen Formeln andersnationalen Ursprunges gleichkommen, obgleich sie völlig unabhängig von diesen entstehen. Die übereinstimmenden Züge sprechen in diesem Falle nicht für eine Entlehnung, sondern bestätigen mittelbar unsere Auffassung von P s 109«—¡¡o als einer gerichtlichen Beschwörung und unsere Annahme betreffs der Entstehung des Psalms. Nach diesen Untersuchungen im Bereich von V . 6 — 2 0 ist es ganz klar, daß Anfang und Schluß von P s 1 0 9 mit den erwähnten Versen kein organisches Ganze bilden können und als Überwucherungen betrachtet müssen, die im Laufe der Zeit den Kern umschlossen haben.

werden

Der Verfasser

von V . 1 — 5 und 2 1 — 3 1 duldet einfach physische Leiden infolge einer Krankheit, wie es M o w i n c k e l ganz richtig auslegt, und sein Zustand ist so elend, daß er den Tod herannahen fühlt (V. 2 3 ) ; die Urheber seiner Leiden werden, wie das immer in Psalmen geschieht, durch Partizipien, ohne Substantive eingeführt,

die ihren Charakter genauer bestimmen könnten —

eines

der am

häufigsten angewendeten Verfahren, die Psalmen ihres verschiedenartigen Charakters zu entkleiden.

Nichtsdestoweniger kann man auch auf die Feinde des

Autors einige bestimmte Schlüsse ziehen. ,Seelou;

Sie jagen ihm nach, verurteilen seine

das Werkzeug, dessen sie sich hierbei bedienen, ist ihr W o r t :

„denn

sie öffnen den verbrecherischen Mund und den tückischen Mund wider mich, sprechen mit mir und mit der Zungo Lüge und umgeben mich mit Worten des Hasses und führen Kampf

mit mir ohne Ursache" ( 2 — 3 ) ; hierbei

sich der Autor keiner Schuld bewußt, er ist sowohl fromm herzig

(V. 4 — 5 ) .

Aber

das bloße W o r t

des Hasses

nicht physische Leiden und Tod verursachen; Beschwörungswort

Böses durch Beschwörungen lautet (V. 2 0 ) .

und der Lüge

solche Folgen kann

haben, ausgesprochen von denen,

ist

als auch barmkann

nur das

„die über meine Seele

gebracht haben", wie es an der Verbandstelle

Hieraus lassen sich auch nur solche Züge erklären, wie die

an J a h w e gerichtete B i t t e des Verfolgten um Hilfe „um deines Namens willen", um des magischen Namens willen, dessen Kraft allein imstande ist, magischer Kraft

entgegenzutreten,

J a h w e gegenüberstellt mit gewöhnlichen

oder wie in V. 2 8 ,

wo der Autor seinen Feinden

als Kämpfer gegen und Sieger über sie: Der Kampf

Sterblichen

ist nichts Rühmliches

für einen Gott,

wohl

aber Kampf und Sieg über dämonische Kräfte und ihre irdischen Diener, indem er ihre Beschwörung in seinen Segen umkehrt (V. 2 8 ) ' ) . wir, obgleich V . 1 — 5

Und so

und 2 1 — 3 1 ihren persönlichen Charakter

') Vgl. die scharfsinnige Deutung von LODS S. 187.

können

eingebüßt

Psalm 109

76

haben und dadurch ihre charakteristischen Züge verwischt worden sind, doch noch die Linien einer Beschwörung

oder eines Gebetes um Erlösung von

Krankheit und Tod verfolgen, hervorgerufen von Zauberern oder bösen Geistern. Hier liegen solche typische Fälle vor wie das Symbol des Gerichts, wie ein Rechtsstreit zwischen dem Kranken und bösen Geistern (V. 3 1 ) , und das B e wußtsein des Leidenden, daß er frei von Schuld und seine Sache eine gerechte sei (V. 4 — 5 ) , Züge, die wir schon bei der Analysierung von P s 5 8 gefunden haben').

Außerdem aber haben wir noch einen typischen Zug, welcher bisher

noch nicht aufgetreten ist, den Ausdruck

"Oy —

wie sich der Autor in Y . 6 — 2 0 und V . 1 — 5 ;

„elend und arm 1 ",

2 1 — 3 1 nennt.



Dieser Aus-

druck ist in den Psalmen außerordentlich häufig; er ist aber nicht Merkmal für ein und dieselbe Verfasserschaft, sondern für die Zugehörigkeit zu ein und derselben Gattung von Erzeugnissen: in den Klagepsalmen ist dieser Ausdruck terminus technicus und bezeichnet einen Kranken oder von Elend heimgesuchten Menschen 2 ).

Die Schlußverse des Psalms ( 3 0 und 3 1 ) , welche das Gelübde

enthalten, J a h w e für die Erlösung von Unglück und Heimsuchung zu preisen, sind ein typisches Merkmal auch für die babylonischen Beschwörungen; sonders nahe liegt eine Stelle ans Maqlu I I ,

be-

64—67:

Schau mich gnädig an, o Herr; reiße sie aus meinem Körper heraus, Löso ihre bösen Zaubereien auf! Du, o Gisbar 3 ), bist der Herr, der zu meiner Seite hervorgeht! L a ß mich leben, so mache ich dein Herz erglänzen, so werde icli deiner Gottheit in Demut huldigen! Unter Lobpreisung ist sowohl in den Psalmen, als auch

in den baby-

lonischen Beschwörungen, natürlich nicht ein einfaches Lobgebet zu verstehen, sondern auch ein entsprechendes Dankopfer. Somit sind Anfang (V. 1 — 5 )

und Ende (V. 2 1 — 3 1 )

von Psalm 1 0 9

als Teile eines anderen Gedichtes aufzufassen, das nach seinem Inhalte weniger als Beschwörung charakterisiert werden muß, sondern als B i t t g e b e t um Vgl. in Surpu, II. 55—60 die Aufzählung der Sünden, für die eine Heimsuchung in Gestalt von Behexung oder Unglück statthaben kann: War er mit dem Munde aufrichtig, im Herzen falsch, Mit dem Munde voller Ja, im Herzen voller Nein? Ist's wegen aller Ungerechtigkeit, auf die er sann, Um Gerechte zu verfolgen, zu verstoßen, Zu vernichten, zu vertreiben, zu Grunde zu richten, Gewalt aufzurichten, aufzuhetzen? Hier haben wir mutatis mutandis dieselbe Charakteristik der Feinde und tückischen Vergewaltiger, wie wir sie in Ps 109 finden. s ) Vgl. die ausgezeichnete Bearbeitung der Frage bei MOWINCKEL, Psalmenstudien I, S. 114 ff. s ) Der Gott des Feuers, der speziell gegen böse Geister angerufen wurde.

Psalm 69

77

Erlösung von Krankheiten und von Heimsuchungen, die von Zauberern oder bösen Geistern gesandt sind. Es besteht natürlich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Beschwörungen im eigentlichen Sinne des Wortes und derartigen Gebeten; ebenso wurde auch das Hersagen solcher Bitten genau so wie in Babylon von besonderen Reinigungsgobeten und -ritualen begleitet, an denen der Priester teilnahm. In dieser Beziehung ist Psalm 41 charakteristisch, dessen erste Verse (2—4) einen Ausruf des am Bett eines Kranken stehenden Priesters darstellen und dessen Unschuld bezeugen, von V. 5 aber beginnt das Gebet des Kranken, das in vieler Hinsicht dein Anfang und Endo von Ps 109 nahesteht: 5. Ich sprechp: Jahwe, erbarme dich über mich, heile meine Seele, denn ich habe gesündigt vor dir. 6. Meine Feinde sagen mir Böses: .Wann stirbt er und verschwindet sein Name? . . . L 8. Alle zugleich flüstern1) auf mich ein, die mich hassen, ersinnen Böses gegen mich: 9. „Das Wort Belials 2 ) hat sich über ihn ergossen, wer gefallen ist, steht nicht wieder auf." Der Psalm gibt am Schluß der Überzeugung Ausdruck, daß sich Jahwe über den Bittenden erbarmen, ihn um seiner Unschuld willen auf die Füße stellen wird. Verwandto Züge enthält auch Psalm 20 und eine ganze Eeihe andrer Psalmen, die eine gleichartige Gruppe von Heilungsgeboten bilden und besondere Betrachtung verdienen. Unter welchen Umständen und wann die Aneinanderfügung der gerichtlichen Beschwörung und des Bittgebetes um Heilung stattgefunden hat, ist gegenwärtig nicht möglich, mit voller Genauigkeit zu bestimmen; wir nehmen aber immerhin an, daß die endgültige Redaktion des Psalms der nachexilischen Periode angehört. Dann erst haben solche spezifische Formeln, wie wir sie in 6 — 2 0 haben, an und für sich ihren Sinn eingebüßt und konnten bei der Abfassung von Klagepsalmen verwendet werden. Die Einschaltung der Beschwörungsformel in die Klage 1 — 5 trnd 2 1 — 3 1 wurde natürlich vorgenommen, nm die Wirkung des Gebets zu verstärken, wie das auch in anderen Fällen stattfand.

Psalm 69. 2. Errette mich, Jahwe, denn die Wässer sind bis zur Seele gegangen! 3. Versunken bin ich in die Tiefe des Schlammes, und keine Stätte ist da, wo ich stehen könnte; ') TCTfrrP vom techn. — der Name eines der ersten bösen Geister: s. hierüber weiter unten, Ps 69. Beihefte z. ZAW 46

6

Psalm 69

78

in die Tiefe der Wässer bin ich untergegangen, und der Strom stürzte sich auf mich. 4. Müde bin ich von der Anrufung, verbrannt ist meine Kehle, verschmachtet sind meine Augen von der Erwartung meines Gottes. 5. Mehr als der Haare auf meinem Haupte sind, die mich ohne Ursache Hassenden geworden, zahlreicher als meine 'Knochen' 1 ) die mir grundlos feind sind [was ich auch geraubt habe, muß ich zurück geben] 2 ). 6. Gott, du kennst meinen Unverstand, und meine Verschuldungen sind vor dir nicht verborgen. 7. Es mögen in mir nicht zu schänden werden, die auf dich vertrauen, Jahwe, Herr der Heerscharen, es mögen nicht beschämt werden in mir die dich Suchenden, Gott Israels! 8. Denn um deinetwillen ertrage ich Schmähung, mit Scham ist mein Gesicht bedeckt, 9. Fremd bin ich geworden meinen Brüdern, wie ein Fremdling den Söhnen meiner Mutter, 10. denn der Eifer zu deinem Hause verzehrt mich, und die Lästerungen der dich Schmähenden sind auf mich gefallen. 11. Und mit Fasten habe ich meine Seele 'gedemütigt' 8 ), und das ist mir zur Schmach geworden; 12. und habe ich den Sack zu meinem Gewände gemacht — und bin für sie zum Sprichwort geworden. 13. Es sprechen über mich die vor dem Tore Sitzenden, Trunkene (singen dazu) beim Klange der Saiten; 14. und ich — mein Gebet zu dir möge es sein zur wohlgefälligen Zeit; Gott, erhöre mich nach dem Überfluß deiner Gnade, nach der Treue deiner Hilfe! 15. Errette mich aus dem Sumpfe, auf daß ich nicht versinke, auf daß ich errettet werde [von den mich Hassenden und]4) von der Tiefe der Wässer. ') Im Texte iJTDJJQ — meine Vertilger, was mit dem Folgenden offenbar eine Tautologie bildet. Es ist nach Syr. zu lesen: WID187D — als meine Knochen. 2 ) Augenscheinlich eine erklärende Glosse, die sich mit dem Parall. d. Glieder nicht vereinbaren läßt und weggelassen werden muß. WELLHAUSEN (S. 112) hält das für ein Sprichwort. 3 ) Im Texte „und ich habe geweint im Fasten meiner Seele" — der Text ist offenbar verdorben. HUPFELD (Die Psalmen II, S. 182) schlägt die passende Ersetzung von nSDijfl anstatt PD3N1 vor. 4

) Eine redaktionelle Einschaltung, die den Parall. d. Glieder durchbricht und

Psalm 69

79

16. Es möge sich der Wasserstrom nicht über mich herstürzen, es möge die (Meeres)tiefe mich nicht verschlingen, und der Brunnen seinen Rachen nicht schließen über mir! 17. Antworte mir, Jahwe, nach deiner gnädigen Güte, nach deiner großen Liebe wende dich mir zu! 18. Und verbirg nicht dein Antlitz vor deinem Sklaven, denn es drängt mich, eile mir zu antworten! 19. Nahe meiner Seele, erlöse sie, von meinen Feinden befreie mich! 20. Du kennst die Schmähungen über mir und meine Schande und meine Schmach — meine Bedränger sind vor dir; 21. der Schimpf hat mein Herz zerschlagen, und ich bin in Verzweiflung; ich habe auf Mitleid gehofft — und es gibt keins, auf Tröster — und habe sie nicht gefunden. 22. Gift haben sie in meine Speise gelegt, und wenn mich dürstete, mich mit Essig getränkt. 23. Es möge das Tischtuch vor ihnen zum Netz werden, und 'ihr Mahlopfer'') zur Falle. 24. Dunkeln sollen ihre Augen, daß sie nicht sehen, und ihre Hüften schlage mit beständigem Wanken! 25. Gieße deinen Zorn aus über sie, und die Glut deines Grimmes erreiche sie! 26. Es möge ihr Lager 8 ) verwüstet werden, in ihren Zelten soll kein Lebender bleiben! 27. Denn den du geschlagen hast, die verfolgen sie, und zum Schmerz der von dir Durchbohrten fügen sie (ihre Stiche) hinzu. 28. Füge Sünde zu ihrer Sünde, und sollen sie nicht fortgehen mit deiner Rechtfertigung! 29. Aus dem Lebensbuche sollen sie gelöscht werden, und mit den Gerechten®) sollen sie nicht eingezeichnet werden! den Zweck verfolgt, die symbolische Bedeutung dieses Verses aus V. 5 klar zu machen. ') Im Texte D ' Ü l ^ — „den in Frieden Bleibenden", der Parall. d. Gl. ist gestört. Am besten ist nach Targ. zu verbessern friedliches Opfer, das sich von anderen durch das unbedingt abzuhaltende Mahl unterscheidet. 2 ) Der Name HTü ist die spez. Bezeichnung für das Lager der Nomaden, umgeben mit einer Einfriedigung aus Steinen. 3 ) Der Ausdruck D ^ I S vgl. Ps 58. 6*

80

Psalm 69

30. Aber ich — bin ein Armer') und Leidender deine Hilfe, Gott, wird mich erheben! 31. Preisen werde ich den göttlichen Namen im Liede und ihn erhöhen im Lobgesang; 32. und das wird Jahwe angenehmer sein, als der Stier, als das junge Kalb mit Hörnern, mit gespaltenen Hufen. 33. Schauen werden die Demütigen — und werden sich freuen, die Gott suchen, werden belebt in ihrem Herzen, 34. Denn Jahwe hört die Elenden*), und seine Gefangenen verachtet er nicht! 35. Himmel und Erde sollen ihn loben, das Meer und alles, was sich darin bewegt, 36. denn Gott hat Zion geholfen und Judas Städte aufgebaut, — und niederlassen werden sie sich dort und sie besitzen, 37. und der Same seiner Sklaven wird sie zur Erbschaft erhalten, und die seinen Namen lieben, werden wohnen darinnen. Der Psalm wird gewöhnlich der Gruppe der Klagepsalmen zugezählt; aber es sind auch Versuche gemacht wordon, ihm eine historische) Auslegung zu geben11). THEODOR VON MOPSUESTIA fand in dem Psalm eino Widerspiegelung der Klagen frommer Juden, die fiir ihren Glauben unter Antiochus IV. Epiphanes Verfolgungen ausgesetzt waren; diesen Standpunkt glaubten auch einige Exegeten des XIX. Jahrh. stützen zu können. Außerdem wurde die Annahme ausgesprochen, daß der Prophet Jeremias der Verfasser des Psalms sei, der fiir seine Strafpredigten in eine ausgetrocknete Zisterno geworfen worden war (Jer 38 o). Aber diese Annahme wird schon allein dadurch hinfällig, daß der Psalm keinerlei Anspielungen auf eine solche Zisterne enthält, im Gegenteil, der Verfasser fürchtet die ganze Zeit seinen Untergang durch Wasserströme, die über ihn hereinbrechen könnten. Die Deutung im Sinne der Verfolgungen unter Antiochus Epiphanes stützt sich hauptsächlich auf V. 7—12, wo sich der Autor über Verspottungen beklagt, die für seinen Eifer zum Tempel, für seine Beobachtung des Fastens und für die Anbetung und Verehrung Jahwes über ihn ergehen; hierbei wird das Ich des Psalms nicht als individuelles, sondern als kollektives Ich der Gemeinde frommer Juden ') "Oy vgl. Ps 109. *) D"0V3N vgl. Psalm 109. 8 ) GDNKEL weist (Die Psalmen 4. Lief. S. 69) mit Recht die Möglichkeit einer historischen Auslegung von der Hand. Der Psalm ist seiner Meinung nach das Klagelied eines Einzelnen und gehört dem IV. Jahrh. an. Leider hat GUNKEL der Verfluchungsformel im Psalm nicht gehörige Aufmerksamkeit zugewendet, wie er das in bezug auf Ps 109 getan hat.

Psalm 69

81

aufgefaßt und zugunsten dieser Auslegung wird das Ende des Psalms (Y. 3 6 — 3 7 ) herangezogen, wo nicht die Rede von persönlicher Errettung, sondern von nationaler Wiedergeburt ist. Aber bei einer näheren Betrachtung erwiesen sich alle Gründe für die Verlegung des Psalms in die Makkabäerzeit außerordentlich hinfällig. Vor allem spricht der Psalm gar nicht von religiösen Verfolgungen; in V. 7 — 1 2 handelt es sich, wie in Sonderheit klar im. folgenden 13. Vers hervorgehoben wird, nur um Verspottung und üble Nachrede durch eine verleumderische städtische Menschenmenge. Ebensowenig ist irgendwo ersichtlich, daß der Jahwekult an und für sich verspottet wird, im Gegenteil, das Objekt der Verhöhnung ist nur der Mensch, und der Gedanke, daß er die Schmähung um Gottes willen erträgt, ist sein eigener Gedanke und nicht derjenige der ihn Verspottenden (V. 8). Der Kontext V. 2 — 1 3 spricht, obgleich nicht ganz klar und eindeutig, nur von einem Umstand: der Verfasser ist in Elend geraten, ohne sich einer Schuld bewußt zu sein, und ruft, wie Hiob, Jahwe vergebens an; über ihn, über sein Unglück, verbreitete sich, genau so wie über Hiobs Unglück, übles Geredo, das sein Elend als Vergeltung für seine Unfrömmigkeit hinstellt, während er alles getan hat, um Erlösung und Glückseligkeit zu verdienen; auch aus V. 10 geht klar hervor, daß es sich eben nur um ein persönliches Schicksal, nicht aber um ein das ganze Volk troffendes Elend handelt, denn in diesem Verse beklagt der Verfasser die Entfremdung seiner Brüder. Hierbei ist nirgends ersichtlich, daß die den Psalmisten verhöhnenden Menschen auch die Urheber des ihm drohenden Untergangs wäron; diese und jene in einer Person nachzuweisen, ist sehr schwierig, wenigstens bei der gegenwärtigen Verfassung des Psalmtextes. Die einzige geschichtliche Anspielung haben wir im Schluß des Psalms (V. 3 5 — 3 7 ) ; er paßt aber am besten auf die Epoche der Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft; es muß auch erwähnt werden, daß diese drei letzten Verse ganz unerwartet auftreten und keinen direkten Zusammenhang mit dem vorhergehenden Texte aufweisen, der eine ganz anders geartete Lobpreisung erfordert hätte, wie wir sie beispielsweise in Ps 18ao—«7 finden. Somit stößt die historische Auslegung auf bedeutende Schwierigkeiten; auch kann sie.nicht das Auftreten der Verfluchung in V. 2 2 — 2 9 , ihre Einzelheiten, sowie einige Einzelheiten des übrigen Psalms befriedigend erklären. Eine befriedigende Deutung von Ps 69 kann nur in dem Falle gegeben werden, wenn wir uns völlig von dem Versuche lossagen, in ihm eine historische Grundlage zu finden, sondern einzig und allein von der Annahme ausgehen, daß er Gefühle und Klagen eines Menschen ausdrückt, der in tödliches Unglück geraten ist. Wenn wir von dieser Seite an die Erklärung des Psalms herantreten, so ist V. 2 2 — 2 9 der uns am meisten verständliche Teil. Mit Ausnahme

Psalm 69

82

des nicht ganz verständlichen 27. Verses liegt hier der keinerlei Zweifel hervorrufende Text einer gegen Feinde gerichteten Beschwörung') vor, welche den Beschwörenden durch vergiftete Speise oder Zaubertrank verführen wollen, nachdem sie ihm heimlich ihre Zauberkräuter in Speise und Trank geschüttet haben 8 ). Aus V. 23 geht hervor, daß die Ausdrücke von V. 22 durchaus in diesem buchstäblichen Sinne und nicht als Metapher zu verstehen sind, wie es einige Exegeten tun. In V. 23 werden in Übereinstimmung mit der üblichen Beschwörungsformel dieselben Tücken, mit denen den Beschworenen gedroht wird, auf das Haupt der Beschwörer abgelenkt; diese, nicht aber der die Formel von V. 22 — 24 Aussprechende, sollen vom Genuß der Speise zu Grunde gehen. „Netz" und „Falle" sind uns schon bekannte Termini; interessant sind auch andere Termini dieses Verses, inb'i? ist ein Wort, das gewöhnlich durch „Tisch" übersetzt wird, aber ursprünglich Matte oder Lederhaut bezeichnet, welche die Nomaden auf der Erde zum Genießen der Speise ausbreiten 3 ); gerade in diesem ursprünglichen Sinne muß auch hier verstanden werden, da uns die Ausdrücke von V. 26 in Wüstenumgebung versetzen. Mahlopfer ist die älteste Art des Opfers, das jener Epoche angehört, da jedes Mahl mit den Vorfahren gewidmeten Darbringungen verknüpft war. Dunkelwerden vor den Augen und Knieschlottern sind die ersten Anzeichen einer Vergiftung (V. 24); mit dem persönlichen Untergange seiner Feinde begnügt sich der Verfasser nicht, sondern ruft den Untergang auf das ganze Geschlecht der Beschworenen herab (V. 26). Der Schluß der Beschwörung (V. 28—29) bringt wieder eine gerichtliche Symbolik, die, wie wir gesehen haben, für die Beschwörungsliteratur typisch ist. Das Gerichtsverfahren der Beschworenen und des Beschwörers soll damit enden, daß die Beschworenen nicht mit Freispruch (nplJJ) entlassen, sondern aus dem Lebens.

') Von den neusten Exegeten hat L O D S den Sinn dieser Verse ganz richtig erkannt (Les idées des Israélites sur la maladie, ses causes et ses remèdes, in Vom Alten Testament, MARTI-Festschrift S. 181 u. 186). M O W I N C K E L (V, S. 94) beschränkt sich leider nur auf die Bemerkung, daß 6922—2» den Verfluchungen in Ps 109 nahe verwandt sind, aber einem Gebete näher kommen, als einer Verfluchungsformel. 2 ) Ein essigsaurer Wein, vermischt mit Galle, war im Orient ein Betäubungsmittel (vgl. Matth. 27 84; K L E H M , Handwörterbuch S. 419, Art. Essig; Marc, löse wo von Wein mit Myrrhe vermischt gesprochen wird, ist ein im Gleichklang der Galle und Myrrhe bezeichnenden aramäischen Wörter begründetes Mißverständnis, vgl. W E L L H A U S E N , Das Evangelium Matthaei S. 147). Vgl. auch äurpu VII, 21—25; „Elend" und „Fluch" bespeien den Menschen mit Gift und bespritzen ihn mit Galle. 8 ) Vgl. den Gebrauch der Araber in der Zeit Mohammeds, W E L L H A U S E N , Skizzen und Vorarbeiten IV, S. 1 5 7 ; auch bei den zeitgenössischen Arabern, vgl. G E S E N I U S * BÜHL

16

S. 827.

Psalm 69 buche gestrichen werden,

83

wo alle Gerechten und Gerechtfertigten

(op^lS)

eingeschrieben sind. Ganz klar ist, daß die Beschwörung V. 2 2 — 2 9 gegen Menschen

ge-

richtet ist; ebenso klar ist, daß die Gefahr, welche die Beschwörung abwenden soll, in dem Versuche einer Vergiftung entweder mit Gift selbst oder einem Zaubertrank besteht.

Wenn wir uns jetzt von der Beschwörung V. 2 2 — 2 9

dem Anfang des Psalms zuwenden, so erstehen uns eine ganze Reihe von Widersprüchen und Schwierigkeiten.

Die Ausdrücke in den V. 2 — 3

und

1 5 — 1 6 lassen keinen Zweifel darüber, daß dem von Unglücksschlägen getroffenen Autor der Untergang durch Wasserströme droht oder durch Wassertiefen oder einen tiefen Brunnen.

Die Untergang bringenden Wasser haben ihn schon

fast verschlungen, und am Rande des Verderbens ruft er unermüdlich Jahwe, aber Gott erscheint nicht,

als ob er ihn ganz verlassen hätte

(V. 2 — 4 ) .

Eine ähnliche Sachlago haben wir in Psalm 18» und ff. und in einer ganzen Reihe andrer Psalmen vor uns, wo dem Dichter Untergang durch Wasser, Wassertiefen, Wasserstrudel nsw. droht.

E s entsteht dio Frage,

ob wir es

liier nur mit einer poetischen Metapher zu tun haben, oder ob eine mythologische Vorstellung vorliegt.

Im ersten Falle können unter den verderben-

bringenden Strömen natürlich menschliche Feinde verstanden werden, wie in V. 2 2 — 2 9 ;

da nun V . 2 7 betont, daß die Verfolgung durch diese Feinde

nur möglich goworden ist, nachdem Jahwe den Verfasser des Psalms nicht nur verlassen, sondern ihn selbst heimgesucht habe, so erhalten wir eine Möglichkeit, V. 2 — 2 1 und 2 2 — 2 9

in Übereinstimmung zu bringen.

Im

zweiten Falle wird die Frage schwierig und die Komposition des Psalms erweist sich als nicht so einfach. Entscheidende Bedeutung für das Verständnis der Bilder in V. 2 — 3 und 1 5 — 1 6 des 6 9 . Psalms haben die folgenden Verse von P s 1 8 : 5. Die ' W o g e n ' ' ) des Todes haben mich ergriffen, und Belials Ströme mich erreicht, 6. Scheols Banden umschlangen mich, Todes Netze traten wider mich. 7. In meinem Elend rief ich J a h w e an und zu meinem Gott habe ich gefleht; aus seinem Hause hat er meine Stimme erhört und mein Jammern ist in ihm zu seinen Ohren gegangen . . . 1 4 . Und es donnerte in den Himmeln Jahwe, und Eljon ließ seine Stimme ertönen. ') Anstatt

(Bande, Netze) muß "HUt^D gelesen werden (die zerstörenden

Wellen der Brandung), wie im Paralleltext II. Sam 22s.

Psalm 69

84

15. Und er hat seine Pfeile geschickt und sie zerstreut, und mit Blitz geschlagen' 1 ) und sie in Verwirrung gebracht; 16. und wurde sichtbar das Bett der Wasser, und die Grundfesten der Erde haben sich geöffnet, vor deinem zürnenden Tone, Jahwe, von dem Fauchen des Geistes deiner Nase. 17. Hat er (seine Hand) von der Höhe ausgestreckt, mich aus den großen Wässern herausgezogen, 19. mich errettet vor den mächtigen Feinden und vor den mich Hassenden, denn sie sind stärker als ich. Der 18. Ps gilt mit Recht für eins der ältesten Gedichte im Buche der Psalmen.

Die aus ihm angeführten Zitate schließen jeden Zweifel darüber

aus, daß die Wellen des „Todes", die Ströme Belials, Scheols Banden und des „Todes" Netze dämonische Kräfte bezeichnen, die den Autor des Psalms angegriffen haben; auf den Ruf des Untergehenden verläßt Jahwe sein Haus, nimmt mit ihnen den Kampf auf, zerstreut sie und bringt sie durch Donnerschläge und Wetterausbrüche in Verwirrung und rettet so den Autor des Psalms.

„Tod" und Scheol sind uns als dämonische Kräfte schon begegnet;

Belial ist ebenfalls als Urheber tödlicher Krankheit in P s 41» aufgetreten, aber nur gelegentlich; an dieser Stelle müssen wir auf diese Vorstellung genauer eingehen.

Der Name

kommt in der Bibel sehr oft vor,

aber

unter Ausschluß der eben erwähnten zwei Fälle in den Psalmen und noch einiger in andern Büchern, wird er hauptsächlich in Verbindung mit D"03, •"'tWN, oder mit beiden zugleich als Bezeichnung für lasterhafte, verbrecherische, böse Menschen gebraucht 8 ).

Ganz besonders wichtig sind diejenigen

Anwendungen, wo Belial direkt Jahwe gegenüber gestellt wird.

Die Über-

tretung der göttlichen Gebote ist Belials W e r k 8 ) ; diejenigen, welche die Söhne Israel verleiten, anderen Göttern außer Jahwe zu dienen, sind die Männer Belials 4 ); die gegen die Könige als die Gesalbten Jahwes Aufstehenden sind ebenfalls Belials Männer 6 ).

Anderseits gibt Spr 6x2—14 dem Ausdruck DIN

eine spezielle Bedeutung:

ein Mensch Belials ist einer, der Unglück

über andere bringt (]1N ti^N), dessen Lippen lügnerische Reden führen,

der

mit den Augen blinzelt und mit den Füßen scharrt, der mit den Fingern ') Im Originale gibt der Text keinen Sinn. v e r b e s s e r t : Kai ££v öcrrpaTTiiv — 2

) Richter 1922; I Sam 2 u ; IO27; 2 5 n ; 30 2 3 ; II Sam I67; I Reg 21i 0 . is; Spr I627

u. a. ) Deut 15». *) Deut 13is—16. 5 ) II Sam 20i; II Chron 13,. 8

Nach II. Sam 2 2 « in der LXX

p~Q p'IS1!.

Psalm 69

85

Zeichen gibt; wie MOWINCKEL sehr richtig bemerkt, ist hier eine ganz klare Charakteristik des Zauberers gegeben'). Es muß nur hinzugesetzt werden, was MOWINCKEL außer acht gelassen hat, nämlich, daß dieser Zauberer ein „Mensch Belials" ist, d. h. im Namen und durch die Kraft Belials wirkt. Endlich ist die Gegenüberstellung in Hiob 34ia außerordentlich wichtig: „darf man zu dem Könige sprechen ^ ^ 3 und zu Vornehmen Es ist doch ganz einleuchtend, daß hier das Wort i>JPi>3 nicht als abstrakter Begriff steht, wie man seine Bedeutung gewöhnlich auffaßt, sondern im Sinne einer persönlichen Bezeichnung; nach dem Parallelismus der Glieder ist die Annahme berechtigt, daß zwischen und JfttH ein gleiches Verhältnis besteht, wie zwischen "fjD und d. h. wie zwischen dem Gebieter und seinen Knechten, sonst ist der Parallelismus nicht verständlich. Dieses Beispiel aus Hiob bringt endgiltiges Licht in den Sinn der Ausdrücke "03, BJPBS und dergl. und zeigt am besten, daß im gewöhnlichen Sprachgebrauch diesem Namen die Bedeutung des ersten und bedeutendsten bösen Geistes, Fürsten der Dämonen, als Gegensatz zu Jahwe beigelegt wird. Die LXX übersetzt gewöhnlich den Namen Belial umschreibend — rnoi dvonias und dergl.®); entscheidende Bedeutung aber haben hier die spätjüdischen und neutestamentlichen Schriften, wo Belial oder Beliar der Name des Fürsten des Bösen ist, des obersten bösen Geistes, des Widersachers Christi 8 ). Die Bedeutung dieses Namens wird zweifach erklärt: entweder als in Verbindung mit der Wurzel byi „Nutzen bringen" — also Nichtigkeit, Unnützlichkeit, Nichtsnutzigkeit, oder als Verkürzung zweier Wörter ¡"6)?"1 "^3 — der, welcher nicht zuläßt emporzusteigen aus dem Lande der Toten (vgl. Hiob 7 t : „Wer in Scheol hinuntergegangen, kehrt nicht wieder" — n^JT N^). Diese letzte Bedeutung muß man als die wahrscheinlichste anerkennen; auch wird sie durch den Kontext von Ps 18B—« bestätigt. Belial ist wie der babylonische Nergal der Fürst des Landes der Toten; er läßt die Toten nicht zurück; auf wen sein Wort gefallen, der steht nicht wieder auf (Ps 41e); möglicherweise ist gerade unter ») Vgl. Psalmenstudien I, S. 24. a ) Es muß bemerkt werden, daß die Vulg. in einigen Fällen (Deut 13 IB; Rieht 19 22; I Sam 212) B Y I O als Eigennamen „Belial" übersetzt; L U T H E R übersetzt Ps 1 8 B — „Bäche Belials" (Vulg.: torrentes iniquitatis), aber Ps 41» — „ein Bubenstück". Wahrscheinlich ließen sich sowohl H I E R O N Y M U S , wie auch L U T H E R , indem sie in manchen Fällen als Eigennamen, in anderen durch umschreibende Ausdrücke übersetzten, von subjektiven Auffassungen des Sinnes leiten; aber sie fühlten manchmal besser als zeitgenössische Übersetzer, daß sich hinter irgend etwas durchaus Konkretes verbirgt, weit entfernt von solchen Abstraktionen wie „Nichtigkeit" „Nutzlosigkeit" usw. 3 ) H Kor 615: Tis 5e oujjijiciivqats XpioToü npös BeAiöp; vgl. Ascensio Jes., passim, Testam. XII patriar., passim.

86

Psalm 69

Belial der „Erstling des Todes" zu verstehen, der die Toten aufzehrt 1 ).

In

Verbindung mit diesen Beobachtungen gewinnen die Verben in Ps 18s—e an Interesse.

Die Wellen des Todes „haben mich ergriffen u — "31EDN —

ist

ein äußerst seltenes Verb, welches außer in diesem Psalm nur noch dreimal vorkommt: Ps 116a in Beziehung auf die Banden des Todes, Jonas 2» (Psalm Jonas) —

in Beziehung auf die Untergang bringenden Wasser des Meeres,

und in Ps 40is



in bezug auf quälende Leiden 2 ).

.haben mich erreicht" — zeichnung

Die Ströme Belials

von der Wurzel n j o , welche gerade zur Be-

eines plötzlichen Überfalls des bösen Geistes angewendet

wird

(I Sam 1 6 n ) . Wenn somit klar ist, daß der „ T o d " , Belial und Scheol eng untereinander verknüpfte Vorstellungsn sind, so ist nicht ganz verständlich welchen Sinn in Verbindung mit ihnen die Ausdrücke „Wollen", „Ströme" als Parallelen zu „Netzen" und „Banden" haben.

Allein, der Schlüssel zum Verständnis

dieser Ausdrücke wird durch die kosmogonischen und kosmologischen Theorien und Vorstellungen gegeben, welche die Israeliten unter dem Einfluß der babylonischen kosmogonischen Vorstellungen erworben hatten.

W i e GUNKEL

bereits seit langem bewiesen hat, ist die Mythe vom Urwasserchaos, von der göttlichen Tiamat und von Marduks Kampfe mit ihr bei der Weltschöpfung schon früh auf Jahwe und auf die Urtiefe Tehom oder auf den Urdrachen oder Leviathan übertragen worden.

Im Zusammenhange hiermit bildot sich eine

Vorstellung vom Weltgebäude heraus, nach der sich unter der Erdrindo eine bodenlose Wassertiefe, Tehom, befindet, welche wie ein wildes Tier in ihrem Lager liegt ( n s m Deut 33m); durch Quellen und Brunnen tritt sie mit der Erdoberfläche in Verbindung und bildet den Ursprang der Flüsse, die ins Meer fließen, von wo aus das Wasser zurückfließt *).

durch unterirdische Kanäle

dorthin

Tiamat (Tehom), ein Wasserdrachen, Raliab, wie sie manchmal

genannt wird, — ist der Urgrund des Bösen; sie und ihre Gesellen, „Stolzen", sind von Jahwe gestürzt, in den Tiefen der Erde versammelt und eingekerkert worden, wie in einem Gefängnis 4 ), aber diese bösen Kräfte wüten ') Hiob 18is. Wenn wir uns auf den Boden allerältester israelitischer Dämonologie stellen, so ist noch eine andere Deutung des Namens möglich, nämlich von b i n und — Steinbock. Dann wird der Name Belial Bezeichnung für den „Herrn der Böcke" — eine andere Benennung des Wüstendämons Asasel, der wahrscheinlich in Bockgestalt gedacht wurde. a ) Es drängt sich auch die Gegenüberstellung mit dem Namen des ägyptischen Drachenungeheuers Apophi oder Apap auf, der die Seelen der Verstorbenen bei ihrer Übersiedlung zu den Göttern zu verschlingen droht (vgl. Totenbuch, Kap. 39); bei der Schöpfung der Welt wurde Apophi von dem Gott-Schöpfer besiegt. ") Vgl. SCHIAPAKELLI, Die Astronomie im A. T. S. 24—25. *) Hiob, 40n—n; vgl. 9u.

Psalm 69

87

und kommen am Ende dor T a g e dort hervor zum Kampfe mit J a h w e und den von ihm Gesalbten.

Die unterirdische grandlose Wassertiefe

ist auch

mit Scheol eng verknüpft: Scheol befindet sich unter Tehom, und um dahin zu gelangen, muß man durch diese „Wasser des Todes u schwimmen 1 ).

Mithin

ist die Vereinigung der Begriffe „ T o d u , Scheol und B e l i a l und der Wasserströme und Brunnen ganz verständlich und natürlich, wie das in P s 1 8 und in P s 6918 statthat.

Man kann aber noch einen Schritt weiter gehen und

von der Geographie

der Unterwelt sich der unterirdischen Dämonologie zu-

wenden.

In der babylonischen Dämonologie spielte der Heerhaufe Tiamat,

der von Marduk zwar besiegt, nicht aber vernichtet worden war, die Rolle böser Geister, die Krankheit und Tod verursachen.

In einer der Ritualvor-

schriften für die Asipupriester wird verlangt, Figuren von allen

möglichen

Dämonen zu formen, welche Krankheit verursachen können; asipu bildet sie paarweise und u. a. zwei Eidechsen, zwei wütende Schlangen, zwei tolle Hunde, zwei Widder, zwei Fischmenschen 2 ), —

das sind aber Nachbildungen

jener Dämonen, welche den Heerhaufen Tiamat bilden s ).

eben

Hinzu kommt, daß

in der Zahl der ersten sieben bösen Geister in der babylonischen Dämonologie der zweite Dämon, ein Drache mit aufgesperrtem Rachen, dem niemand widerstehen

die immer

auf Reliefen und

Siegeln in Gestalt eines Drachens mit geöffnetem Rachen

kann,

sehr an Tiamat

dargestellt ist 1 ).

Durchaus möglich ist,

selbst erinnert,

daß die Kraft, Krankheit verursachen zu können, bei

den Israeliten auch den „Rahab's Gesellen u oder C i M zugeschrieben wurde, die in die Unterwelt hinabgestürzt worden sind; abgeschwächten Ausdrücke

von V . 1 5 — 1 6

dann ist es möglich,

in dem

Sinne

auszulegen,

die daß

man unter ihnen den Gott der Wassertiefe und Scheol verstehen muß. Nach diesen Auseinandersetzungen wird der Sinn des Anfangs von P s 6 9 klar.

Sein Verfasser

ist ein von Gott vielleicht

verlassener Mensch, den böse Kräfte überfallen;

ohne genügenden

Grund

er ruft J a h w e um Rettung

an, ruft lange und vergeblich; hierbei weist er wie auf ein letztes Argument darauf hin, daß eine weitere Verzögerung der Hilfeleistung auf J a h w e selbst fallen wird, als auf einen Gott, der seine Anbeter nicht verteidigt.

Somit

ist der Grundgedanke des Psalms das Gebet um Errettung von Tücken und Elend, hervorgerufen durch böse Geister, also eine Analogie zu V . 1 — 5 und 2 1 — 3 1 von P s 1 0 9 ; hierzu ist, wie auch in P s 1 0 9 , eine früher als selb') Vgl. Hiob, 1 1 8 ; SCHIAPARELLI, Astronomie S. 26. *) ZIMMERN, Beiträge Nr. 50, S. 163.

') Enuma eliä, I, 113—114; vgl. auch JASTROW, Bildermappe Abb. 70a, Darstellung von Dämonen in Gestalt von Menschen und Fischen. *) JASTROW I, S. 361—365; vgl. auch éurpu VII, 6 : „Elend (Dimetum) ist der Meertiefe entstiegen."

88

Psalm 69

ständig bestehende Beschwörung gefügt worden, welche die Gebetswirkung verstärken sollte, indem sie dem Betenden ein besonderes Werkzeug in die Hand gab. Diese Beschwörung wurde, um eine bessere Verbindung mit dem Gebete herzustellen, von dem Bearbeiter durch Hinzufügimg von V. 27 ergänzt, worin betont wird, daß jedes Elend als Resultat davon anzusehen ist, daß Gott den Menschen ganz verläßt, ihn dem Bösen anheim fallen läßt oder ihn sogar straft („denn wen du heimgesucht hast, die verfolgen sie und zum Schmerze der von dir Durchbohrten fügen sie ihre Stiche hinzu" — das sind die bösen Geister). Es ist interessant, den Psalm im ganzen dem Anfang der Beschwörung in Surpu (VII, 6 — 86) gegenüberzustellen. Dort wird das Elend eines Menschen beschrieben, der gleichzeitig von Hölle und Himmel angefallen wird: Dimetu ist aus Meerestiefe herausgestiegen, Der Bann ist aus dem Himmel herabgekommen, Die bösen Geister haben, wie Gras, die Erde bedeckt . . . . Einen Menschen, von dem sein Gott gewichen, überfielen sie, verhüllten ihn, wie ein Kleid, Sie gingen auf ihn los, spieen lauter Gift auf ihn, Banden seine Hände, fesselten seine Füße, Bedrängten seine Seite, bespritzen ihn mit Galle. Durch Fluch, Bann ward sein Leib bedrückt, Durch Atemnot, Husten, seine Brust geschwächt, Geifer, Schaum füllte seinen Mund, Über jenen Menschen brach Jammer und Schmerz herein, völlig ward er aufgelöst, Tag und Nacht lief er umher, vor Schmerz konnte er nicht ruhen. Psalm 69 erscheint uns in seiner endgültigen Gestalt, wie der Ausdruck der Klage eines solchen Dulders: er ist von Gott verlassen und von ihm heimgesucht, gleichzeitig haben ihn auch böse Geister heimgesucht, und Hölle und Galle figurieren hier. Infolge des typischen Charakters der Beschwörungs- und Gebetsformeln kann die babylonische Parallele als weiteres Argument dienen, das für unsere Auslegung von Ps 69 spricht. Seine literarische Geschichte wird uns vollständig klar: V. 2 2 — 2 9 stellen den ältesten Teil des Psalms dar, der bis zu alten volkstümlichen Beschwörungen hinaufreicht, wie V. 2 6 und zum Teil V. 23 zeigen, wo sich noch Anklänge an das Leben in der Wüste erhalten haben; dieser älteste Teil ist zu einem organischen Ganzen geformt worden, zu einem Gebet um Heilung oder Erlösung vom Elend, das von bösen Geistern geschickt worden ist und das, ähnlich wie eine ganze Reihe andrer Psalmen, im offiziellen Kulte Anwendung fand; die kosmologisclien Momente stammen unbedingt aus den Kreisen der Priester.

Psalm 35

89

Es erübrigt nur noch einige Worte über den historischen Schloß des Psalms zu sagen. Wie die babylonischen Parallelen zeigen, kommen in Beschwörungen und Gebeten nicht selten Stellen vor, wo sich der Sprechende an dio Götter wendet und hierbei deren ruhmvolle Taten aufzählt. So wird der Gott des Feuers Gisbar oder Nusku, ein spezieller, in der Maqluserie zitierter Gott angerufen als der „Städtegründer, Heiligtumserneuerer" 1 ); Sin, der Gott des Mondes, wird angerufen als der „der Menschheit Licht Spendende, der den Schwarzköpfigen Gnade Zeigende" 2 ); endlich begegnen wir in Hymnen und Gebeten beständig 8 ) solchen Epitheta unter Beziehung auf geschichtliche Geschehnisse. Daher ist es ganz falsch, den Schluß des Psalms im Sinne einer historischen Rominiscenz aus der Epoche seiner Entstehung zu deuten, er ist vielmehr eine der typischon Ingredienzien der gottesdienstlichen Literatur. Die endgiltige Komposition des Psalms als eines Ganzen gehört der späteren Zeit des Königtums an, vielleicht auch einer frühoren nachexilischen Epoche. Darauf weisen die beschriebenen kosmologischen Elemente und aucli die formale Nachahmung der babylonischen Muster hin, die liier mehr als in anderen Psalmen zu Tago tritt. Eine ähnlicho Verbindung von Beschwörung und Gebet um Erlösung von der Tiicke böser Kräfte stellt auch Psalm 35 dar; er unterscheidet sich von Ps G9 nur darin, daß diese beiden Teile einer auf den andern folgen lind rein mechanisch aneinander gefügt worden sind. Da wir in der vorliegenden Studie unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf Beschwörungen konzentrieren, so bringen wir hier nur den ersten Teil des Psalms vollständig.

Psalm 35.-.0. 1. Kämpfe, Jahwe, mit denen dio gegen mich kämpfen, bekriege die gegen mich Krieg führen! 2. Nimm Schild und Panzer und stehe auf mir 'zur' 4 ) Hilfe! 3. Ziehe Spieß und Streitaxt 6 ) gegen die mich Verfolgenden, sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe. 4. Es sollen sich schämen und zu Schanden werden, die gegen meine Seele gehen, ') Vgl. Maqlu, II, 1—3. ') Vgl. JASTROW I, S. 299. 3 ) Ebenda, Kap. XVII passim. 4 ) In einigen Handschriften steht anstelle des Präfixes — 3 das richtigere Präfix b. 6 ) Im Texte "ÜD schließe (?); am besten ist die feinsinnige Konjektur "I3D (griech. odyapit).

Psalm 35

90

sich rückwärts wenden und mit Schmach bedecken sollen die mir Böses Ersinnenden! 5. Sie sollen sein wie die Spreu vor dem Winde, (5 a) und der Engel Jahwes soll sie zerstreuen! (6b) 1 ) 6. Und ihr Weg soll dunkel und schlüpfrig sein, (6 a) und der Engel Jahwes soll 'sie' stoßen! (5b) 2 ) 7. Denn ohne Ursache haben sie heimlich ihr Netz für mich" 3 ) ausgeworfen ohne Ursache 'eine Grube' für meine Seele gegraben. 8. Es komme über ihn Verderben unerwartetes, unbekanntes, und sein Netz, das er ausgeworfen heimlich, soll ihn (auffangen, in seine 'Grube' 4 ) soll er fallen! 9. Und meine Seele soll fröhlich sein in Jahwe, über seine Hilfe soll sie sich freuen! 10. Alle meine Knochen werden sprechen: Jahwe, wer ist wie du? der du den Unglücklichen rettest vor dem, der stärker ist als er, den Unglücklichen lind Armen vor den ihn Beraubenden. Von Vers 11 an beginnen die Klagen über Verfolgungen, Elend, Qualen, die über den Klagenden ohne Ursache hereingebrochen sind; in V. 1 6 — 1 7 werden die Verfolger zähnefletschende Löwen genannt, die ihren Rachen aufsperren (V. 21); der Verfasser des Psalms bittet ihn nach Gerechtigkeit (p"IJÖ) zu richten, auf daß die Verfolger nicht sagen mögen: wir haben ihn aufgefressen (V. 24—25), — alles typische Züge eines magischen Erzeugnisses. Die Vereinigung mit der Beschwörung ist natürlich durch dieselben Motive hervorgerufen wie bei Abfassung von Ps 69. Was die Beschwörung anbelangt, so ist sie im Vergleich zu den vorhergehenden Stücken nicht besonders originell. Unsere Aufmerksamkeiten erregen V. 5 — 6 , wo ganz konkret der Wunsch ausgesprochen wird, der Engel Jahwes möge die Feinde Jahwes, die Feinde des Psalmisten, auseinandertreiben oder sie des Nachts vom schlüpfrigen Bergpfad in die Tiefe hinunterstoßen6). Typisch sind die Wünsche, daß die Tücken, die von den Feinden des Autors des Psalms vorbereitet werden, auf den Kopf der Feinde selbst hereinbrechen mögen, und auch die Hervorhebung, daß die Heimsuchung ohne Grund verhängt wird; typisch ist auch die Benennung des Beschwörenden fTONI "Oy (V. 10). Der Übergang in V. 8 von ') Umgestellt, wie der parall. membr. erfordert. ) Umgestellt unter Verbesserung nach der LXX — QIT1

2

T

(KKti)v

oütous).

) muß ausgeschaltet werden, das versehentlich aus der zweiten Hälfte des Verses, wo das Verb ohne Objekt steht, hierher geraten ist und muß nach Din eingeschaltet werden. 4) Im Texte steht das befremdende HNHiO »ins Verderben"? Analog zu V. 7 muß man lesen nmt£>3 — vgl. LXX iv TtayiSi. 3

6

) Vgl. PS 91ll-li.

Psalm 7

91

der Mehrzahl in Bezug auf die Beschworenen auf die Einzahl erklärt sich dadurch, daß der Text dieses Psalms, der überhaupt in einer schlechten Verfassung auf uns gekommen ist, verdorben ist 1 ). Der letzte Psalm, den wir hier untersuchen wollen, ist

Psalm 7. 2. Jahwe, mein Gott, bei dir suche ich Schutz, hilf mir gegen alle, die mich verfolgen, und errette mich, 3. auf daß er nicht zerreiße, wie ein Löwe, meine Seele — da ist 'keiner'*) der hilft und keiner, der rettet! 4. Jahwe, mein Gott, wenn ich das getan habe, wenn an meinen Händen kein Unrecht ist, 5. wenn ich dem mit Bösem vergolten habe, der mit mir in Frieden ist, und Gewalt angetan denen, die mit mir ohne Ursache hadern3), — 6. so soll der Feind meine Seele verfolgen und (über sie) kommen, und mein Leben in die Erde hineintreten und meine 'Leber' 4 ) in den Staub zwingen. 7. Erhebe dich, Jahwe, in deinem Zorne, stehe auf gegen die Wut meiner Bedränger und stehe bei mir zum Gericht, was du befohlen hast! 8. Und die Schar 'der Götter' 6 ) wird dich umgeben, und über sie in der Höhe 'setze dich' 6 )! 9. Jahwe hält Gericht über die 'Frechen' — ' ) richte mich, Jahwe, nach meinem Rechte und nach meiner Reinheit! 10. Aufhören soll die böse Sache der Ungerechten, und stelle den Gerechten fest hin, " 8 ) du, der du Herz und Nieren erforschst, gerechter Gott! In der 2. Hälfte des Psalms sind V. 12 und 13 einer Übersetzung beinahe ganz unzugänglich. 2 ) Es muß laut LXX nn SVTOS = pN hinzugesetzt werden. 3 ) Die zweite Hälfte des Verses ist sicher verdorben, da „die mit mir hadern" und „der mit mir in Frieden ist" (?) keine parallelen Begriffe sind; außerdem ist im Zurückwerfen von Feinden, die ohne Ursache Krieg führen, keine Sünde zu erblicken. 4 ) Im Text T O D „meine Ehre". Der Parallelismus der Glieder verlangt Abänderung in "HD3 — die Leber galt mit dem Herzen als Lebensmittelpunkt. c ) Im Texte D^Dtii? „der Völker" — ist eine Verbesserung von frommer Hand. Es muß wie Ps 821 oder Q^N gelesen werden. 6 ) Im Texte nSllP, „kehre zurück", was keinen Sinn gibt. Es muß ¡"Qitf gelesen werden. ') Es ist D^iO zu verbessern, wie in Ps 59 6. 9. 8 ) Es muß laut LXX und and. alten Übersetzungen die Kopula 1 ausgeschlossen

werden.

Psalm 7

92 11. Mein Schild ist in Gott,

dem Helfer der im Herzen Gerechten. 12. Gott, du bist der gerechte Eichter und ein Gott, der im Zorn entflammt jeden

Tag!

13. Wahrhaftig, er schärft sein Schwert, seinen Bogen spannt er und zielt. 14. Und für sich hat er dio Todeswaffe gerüstet, seine Pfeile macht er

flammend.

15. Siehe, er hat das Verderben empfangen, er ist schwanger vom Unheil und gebärt die Lüge. 16. Er gräbt eine Grube und hat sie ausgehöhlt



möge er in die Grube fallen, die er selbst gemacht hat! 17. Möge seine böso Sache auf sein Haupt kommen, auf seinen Scheitel seine Missetat fallen! 18. Ich preise Jahwe seiner Wahrheit

wegen,

werde spielen im Namen Jahwes, des Allerhöchsten. In

der Auslegung

des Psalms

gehen

die Exegeten

weit

auseinander.

Gegenwärtig hält natürlich keiner von ihnen etwas von der Überschrift des Psalms (V. 1), wclche ihn als ein Lied Davids bezeichnet über einen Benjaminiten Kusch.

Während es aber HUPFELD für möglich

findet,

den Psalm

der Epoche D a v i d s ' ) zuzurechnen, hält ihn BAETHGEN für ein Erzeugnis eines feurigen Patrioten aus der Epoche Jeremias oder des Kampfes mit den Chaldäern 2 ), und KAUTZSCH erklärt ihn für einen Hymnus der Gemeinde des zweiten Tempels 3 ).

Es muß gesagt werden, daß eine

auszuschließen ist.

historische Auslegung völlig

Die neusten Forscher halten P s 7 einfach für einen Klage-

psalm 4 ), wobei BERTHOLET meint, daß ihm ein individuelles Gedicht zugrunde liegt,

dem

Hymnus

durch

Einschaltung

aufgeprägt wurden 6 ).

von V . 7 — 1 0 oder 7 — 1 2

die Züge

eines

W i r sind der Ansicht, daß nach dorn, was

über die vorher analysierten Psalmen gesagt worden ist, auch Psalm 7 nur mit Hilfe magischer Auslegung richtig verstanden werden kann. Abgesehen von der Lobpreisung V . 18 besteht der Psalm aus zwei

in

ihrem Inhalte vollständig verschiedenen Teilen, welche vor ihrer Verbindung *) HüPFELD, Die Psalmen I, 83. 2 ) BAETHGEN, Die Psalmen I, 15—16. S ) KAUTZSCH, Die Heil. Schrift d. A. T . 3 n, S. 116. ' ) GTJNKEL, Psalmen 1. Lief. S. 24, MOWHJCKEL IV, S. 7. 5 ) Vgl. die Heilige Schrift d. A. T . 4 II, S. 126. Die Annahme, daß der Psalm ans Stücken zusammengesetzt ist, ist nicht erst einmal vertreten worden und ist ganz richtig, aber die Analysierung ist unserer Meinung nach falsche Wege gegangen

Psalm 7

93

z u einem Ganzen zwei selbständige und abgeschlossene P s a l m e n 1 ) gebildet haben.

Das beiden Gemeinsame besteht darin, daß beide Erzengnisse magischen

Charakters sind.

Im ersten Teile liegt ein typisches Beschwömngsgebet vor.

I n der von uns schon erwähnten Beschwörung Surpu I I , alle

möglichen

Sünden

auf, für

welche

zählt der Priester

die dämonische Heimsuchung

Leidenden treffen konnte, und bittet Gott,

ihn von der Sünde zu

Verwandt sind auch V . 2 — 1 1 des 7. Psalms.

den

erlösen.

Gott soll entscheiden, ob beim

B e t e r Sünde oder Ungerechtigkeit vorliegt, ob er gegen den Verfolger vorgehen und den B e t e r bei der Schar der Götter freisprechen und die Übeltäter zügeln soll.

E s ist möglich, daß das Hersagen dieses Gebetes von irgendwelchen

magischen Riten

begleitet wurde,

deren Kraft

über den Betenden

solle, wenn er sich als unwahrhaftig erweise (V. 4 — 6 ) . tragen V . 1 3 — 1 7 .

kommen

Ganz anderen Charakter

Hier haben wir eine Beschwörung nach bestimmter Formel,

wie sie manchmal in der babylonischen magischen Literatur vorkommt: wird die magische Handlung des Zauberers

es

oder der Zauberin beschrieben,

die durch den Anruf, sich gegen den Zauberer selbst zu wenden, paralysiert werden soll: Die Hexe und Hexerin Sitzt im Schatten der Wandumschließung; Sie sitzt und bereitet meino Behexung, baut meine Bilder. Ich werde dir senden k a i t a p p an =

Kraut und Sesam,

Ich werde deinen Zauber auflösen, deine Worte zu deinem Munde umkehren machen! Die Behexung, die du bereitet hast, möge dich selbst treffen, Die Bilder, die du gebildet, mögen deinen Sinn haben, Das Wasser, das du verborgen, möge dein Wesen besitzen! Deine Beschwörung möge sich nicht nähern, deine W o r t e erreichen mich nicht! Auf Befehl von E a , Suinas und Marduk, und Belit, der Herrin der G ö t t e r ' ) . In der Beschwörung P s 7 u - i s ist ein Feind gemeint, der vor dem Kampfe seine Waffe beschwört — nur diesen Sinn können V . 1 5 und 1 6 in Verbindung mit V . 1 3 nnd 1 4 haben.

Im einfachen Schärfen des Schwertes und in Probe-

schüssen mit dorn Bogen kann keine Falle, keine Hinterlist verstanden werden; daß ist nur Vorbereitung zum ehrlichen Kampfe.

Im Gegenteil: der Kampf

mit ungleicher Waffo, in dem sich der eine Gegner außer auf sein Schwert noch auf magische Kraft verläßt, ist ein unehrlicher Kampf, ist schon Verbrechen, ist für den Gegner eine Falle. der von Vorbereitungen

ein

Der Sinn von V . 1 4 ist gerade

der Waffe, die den Tod sicher bringen, die Pfeile

') Von den Exegeten ist es WELLHAUSEN, der diese Meinung vertritt (The Book of the Psalms, S. 166). ») Maqln, V. 1—10. Beibelte z. ZAW 40 7

04

Schlußbemerknngeil

sind „flammend" gemacht, d. h. nicht einfach verwundend, sondern vernichtend wie Fener. Waffenbeschwörung ist keine Seltenheit im alten Osten. Interessant ist eine Episode aus dem Kampfe von Marduk und Tiamat: Vor dem Kampfe mit Marduk „sagte Tiamat eine Beschwörung, sprach ihre Beschwörung aus, aber die Kampfgötter behexten ihre Waffe", sodaß im Zweikampfe nur Marduk tätig war, Tiamats Waffe aber sich als unschädlich erwies 1 ). Ein solches umgekehrtes Resultat erwartet für seinen Feind auch der, welcher die Beschwörung V. 13—18 ausspricht. Die Zauberei des Feindes soll dazu führen, daß dessen Waffe unschädlich wird und er selbst im Kampfe mit dem Gegner zu Grunde gehen soll, den er mit seinem Zauber vernichten wollte. *

Indem wir hiermit die Analysierung derjenigen Psalmen beschließen, in welchen Spuren magischer Formeln nachweisbar sind, ist es angebracht, bei einigen Schlußfolgerungen stehen zu bleiben, die sich aus unserer Analyse ergeben. Auf dem Gebiete der Lösung historisch-literarischer Fragen gestattet unsere Analyse die Feststellung, daß sich im Buche der Psalmen tatsächlich Erzeugnisse vorfinden, welche ganz oder teilweise zu den magischen Erzeugnissen gehören, ganz — Ps 91,58, 141,59, zum Teil: Ps 109,G9, 35 und 7. Dio erste Gruppe kann man wieder in Untergruppen einteilen: Ps 91 und 141 gehören im Ganzen nach Form und Inhalt zu Stücken aus Sammlungen magischer Formeln, Ps 58 und 59 sind schon mehr oder weniger in Priesterkreisen bearbeitet, wobei in Ps 58 die früheren Züge und Elemente einer Beschwörung erhalten sind, und Ps 59 als talismanisches Gebet um Bewahrung vor nächtlichen Heimsuchungen überhaupt Erzeugnis der Königszeit ist. Vom Gesichtspunkte literarischer Komposition aus betrachtet kommen P s 58,59 und 91 (mit Ausnahme des Schlusses) einem mehr oder weniger abgerundeten Ganzen am nächsten. Der fast von jeder Redaktion unberührte P s 141 stellt ein Konglomerat magischer Formeln dar. Hierbei tritt der Unterschied zwischen volkstümlichen Beschwörungsformeln und ihrer literarischen Bearbeitung mit außergewöhnlicher Klarheit zu-Tage: die volkstümlichen Formeln bilden überall entweder den Ausgangspunkt (Ps 91 und 59) oder elementare Bestandteile (Ps 58 und 141) der Psalmen. Vom Standpunkte der literarischen Geschichte beobachten wir verschiedene Vorgänge: von einmaliger bis zu zweimaliger Bearbeitung, wie sie in Ps 91 vorliegt (Abfassung des Kernstückes und Hinzufügung des Orakels) und in Ps 59 (Abfassung des Kernstückes und Versuch einer strophischen Bearbeitung). In allen vier Fällen der ersten Gruppe hat es aber die Bearbeitung nicht vermocht, die spezifischen Züge dieser Psalmen als Erzeugnisse magischen Charakters zu verwischen und ihnen schablonen') Enuma eliä, IV, 91—92 u. ff.

Sehl ußbemerkungen

95

haften Charakter aufzudrücken. Eine andere Erscheinung beobachten wir bei den Psalmen der zweiten Gruppe. Hier sind die magischen Formeln zu Teilen umfangreicher Erzeugnisse geworden, die eine andere, wenn auch verwandte Bestimmung haben. Hier wird die ursprünglich selbständige Beschwörungsformel von anderem Material aus der Zahl der Gebete um Heilung und Erlösung von Elend überwuchert und, indem sie mit diesen Uberlagerungen und Ergänzungen eine Verbindung eingeht, verwandelt sich das Produkt in einen sogenannten Klagepsalm. Wie wir wissen, sind die Klagepsalmen außerordentlich zahlreich und, wie MOWINCKEL richtig bemerkt, ist ihr Zweck der Kampf gegen Krankheiten und Unheil, die von bösen Geistern und Zauberern geschickt sind; das aber sind keine Beschwörungen, sondern Gebete rein kirchlichen Ursprunges und Charakters. Von hier aus wird es verständlich, warum die Umarbeitung der in den Bestand von Ps 109, 69, 35 und 7 aufgenommenen Formeln diesen Weg gegangen ist, den Weg der Einverleibung dieser Formeln in den Bestand von Klagepsalmen, Gebeten um Heilung und Erlösung vom Elend, geschickt von bösen Kräften, und warum sich diese Formeln mit solcher Leichtigkeit mit Beschwörungsformeln verbinden und hierdurch gesteigerte Wirkung und erhöhte Kraft des Ausdrucks annehmen konnten. Die Bearbeitung trägt in allen vier Fällen den oberflächlichen Charakter einer fast mechanischen Aneinanderfügung; sie ist aber auch oberflächlich in der Beziehung, daß sie gar keine Rücksicht auf den spezifischen Charakter der einzuverleibenden Formeln nimmt: für ein und denselben Zweck — Wirkungsverstärkung des Klagegebets — werden die verschiedenartigsten Formeln verwendet, angefangen von mehr oder weniger allgemeinen (in Ps 69 und 85) bis zu speziellen (gerichtlicher Beschwörung in Ps 109 und Beschwörung gegen die bezauberte Waffe in Ps 7). Es ist leicht möglich, daß bei sorgfältiger Analyse noch andere Beschwörungsformeln ans Licht kommen, die in anderen Klagepsalmen Verwendung gefunden haben, hierzu ist aber eine spezielle Untersuchung jedes einzelnen Klagepsalms nötig, da, wenn hier auch derartige Formeln vorkommen sollten, sie doch schon organisch mit dem gesamten Texte des Psalms verschmolzen sind. Endlich müssen die hier betrachteten Psalmen alle zu den Erzeugnissen der vorexilischen Epoche gezählt werden, die magischen Formeln aber reichen in einigen Fällen sogar in die Nomadenepoche hinein. Nur die letzten redaktionellen Veränderungen, sowie die bei der Zusammenfassung des Buches der Psalmen von den Bearbeitern hinzugefügten Ergänzungen, können der nachexilischen Epoche angehören. Bei der Lösung der historisch-literarischen Aufgaben mußten wir unvermeidlicherweise auf Probleme der religiösen Geschichte des Volkes Israel stoßen. Auch in dieser Richtung hat unsere Analyse einige Ergebnisse gezeitigt, die unsere Kenntnisse ergänzen, hauptsächlich auf dem Gebiete des Animismus 7*

Schlußbemerkungen

96 und der Dämonologie.

Die Analyse der magischcn Psalmen hat eine ganze

Reihe neuer Züge zur Charakteristik dieser Seiten der israelitischen Volksreligion ergeben; hierbei wird es sogar möglich, eine gewisse chronologische Folgerichtigkeit herzustellen.

In P s 9 1 , 5 8 , 1 4 1 und teilweise in P s 5 9 liegen

Vorstellungen rein israelitischen Ursprunges vor, die in bedeutendem Grade noch mit dem Wüstenleben verknüpft sind.

Aber auch in anderen Psalmen

äußern sich ebenfalls volkstümliche, aber spätero Vorstellungen, die an kosmogonische und kosmologische Theorien geknüpft sind.

Sclieol und Maweth,

Tehorn und Belial, Verderben bringende Netze und verheerende Wasser



das sind alles Vorstellungen, die in der Volksreligion wirksam geworden, in Fleisch und Mut übergegangen, auch von der Eschatologie des Spätjudentums übererbt waren, die sich aber zugleich schon auf eine theologisch-gelehrto und entlehnte Auffassung stützten.

Dio Zeit, wenn diese babylonischen An

schauungen eingedrungen und innerer Besitz geworden sind, ist schwer zu bestimmen; jedenfalls ist es sehr früh geschoben, vielleicht schon in der vorisraelitischen amoritischen Epoche, und die Kinder Israel erbten dieso Elemente von den Kanaaniten.

Was die Ritualität anbelangt, so enthalten die unter-

suchten Texte fast kar keine direkten Hinweise.

Das ist auch verständlich:

Die Veranstalter der Sammlung der Psalmen zu einem Buche wollten ein Gebet- und Gesangbuch schaffen und verwarfen schonungslos das ganze Material, das ihnen zu diesem Zwecke nicht goeignet erschien.

Allein, schwache Spuren

magischer Kitualität, in Gestalt von verblaßten Anspielungen oder dunklen Vorschriften, blicken doch durch die Zeilen des gegenwärtigen Textes behandelten Psalmen.

der

Analogiezauberriten scheinen durch in den Ausdrücken

von P s 5 8 lind 1 0 9 , magische Opferriten und magische Riten bei Austreibung von bösen Geistern aus einem Kranken in P s 1 4 1 .

Gleichzeitig ergießt unser

Matorial ein neues Licht über cinigo Riten aus dem Feiertagskulte an den Heiligtümern.

W i r kommen, wenn auch vorläufig noch tastend und unsicher,

doch schon der Frage nach dem Weson der altisraelitischen magischen Ritualität und ihrem Einfluß auf die offizielle Ritualität näher. Schließlich sind wir bei unserer Analyse oft auf babylonische Parallelen gestoßen.

Bedeutet das, daß wir auf dem Gebiete der magischen Formeln

ohne weiteres das Vorwiegen babylonischen Einflusses anerkennen sollen?

Wir

sind der Meinung, daß man einen solchen allgemeinen Schluß nicht machen darf.

Beschwörungsformeln

gehören zweifellos zu denjenigen

literarischen

Gegenständen, die man sich beim Übergange aus einem Lande in oin anderes besonders leicht aneignet;

aber ebenso ist imbestreitbar, daß sich die über-

raschend große Ähnlichkeit der Beschwörungsformeln bei verschiedenen Völkern durch die Gleichartigkeit der Urreligion und der Urweltanschauung erklären läßt, wie das j a auch die von uns herangezogenen Analogien ans dem Gebiete

Schlußbemerkungen

97

der synkretistischen, ägyptischen, russischen und anderer Magion zeigen. Inbezug auf Israel und Babylon muß nocli die Abstammung von einem gemeinschaftlichen Urvolke berücksichtigt werden, und vielo Züge müssen hier wie dort als ursemitische anerkannt werden, z. B. die Vorstellung von Dämonon als von Hunden, die Darstellung von Dämonen in Löwengestalt, die Anwendung von Öl, Holz, Kräutern bei magischcn Handlungen. Wenn wir von babylonischen Einflüssen sprechen wollen, so müssen wir, abgesehen von den kosmogonischen und kosmologischen Motivon, unsere Aufmerksamkeit auf dio literarische Form der Psalmen lenken. Die babylonische magische Literatur ist in der Form von kirchlichen, nach einem besonderen Typus abgefaßten Stücken auf uns gekommen, die von ihren volkstümlichen Originalen sehr weit entfernt sind. Es muß einfach gesagt werden, daß in bezug auf dio untersuchten Psalmen dio Nachahmung der babylonischen Formen äußerst schwach hervortritt. Die israelitische magische Formel, wie sie auch durch spätere Redaktionsarboit des persönlichen Charakters entkleidet sein mag, klingt ursprünglich. Dio Überwucherungen aber und Ergänzungen, die diese Psalmon in Klagepsalmen umgewandelt haben, zeigen schon mehr Verwandtschaft mit den babylonischon Formen. Es ist daher anzunehmen, daß eine gründlichere Kenntnis der babylonischen Religion und der religiösen Litoratur, wie sie seit der Zeit des Exils einsetzte, dio redaktionelle Bearbeitung einiger Psalmen beoinflußt hat. Eine endgültige Lösung kann diese Frage aber nur bei weiterer Untersuchung des Buches der Psalmen finden.

Inhalt. Seite

Einleitung Psalm 91 Psalm 58 Psalm 141 Psalm 59 Psalm 109 Psalm 69 Psalm 35i-io Psalm 7 Schlußbemerkungen

1 14 29 42 59 G7 77 89 91 94

O o r t r ä g e bes 3nftitutum J u d a i c u m

(EnttDidlungsjtufen 6ct iüöiidjen Religion

fjugo ©rejjmamt: (Einführung 3 s m a r (Elbogen: (Esra unb bas nacfyejrilifcfje 3ubentum 3 u ö a Bergmann: Das 3uöentum in ber i)cHerttftxfd)=römtfci|ert Seit tlticfyael © u t t m a n n : 3ur (Entftefyung bes iCalmubs J u l i u s ©uttmann: Die religiösen ItXotioe in 5er pi)iIofopi)ie bes ttlaimonibes £ c o B a e d : Die XTltjiti! im 3ubentum 1927 -

©efjeftet 3 . 2 0 Ittl.

©ebunöen 4 . 5 0 ITtf.

Die öorliegenben Beiträge ftnb ©aftoortefungen bes 3 n f t i l u t u m 3 u b a t c u m an öer Unioerfitat Berlin, bie „fern oon bem £ärm bes ilages . . bie gefd)id)tlid)en lat« fadjen jo objeftio, fo geregt uttb oorurteilsfrei roie möglid)" barfteHen. Die (Einführung oon © r e f j m a n n gibt in grofjen £inien eine ©ejd)id)te ber israelitifdjen Religion bis 3ur (Efilstoenbe. (Elbogen 3eid)net bie Kraft, bie bie „Budjreligton" (Esras öurdjglütjt. B e r g m a n n riiljmt bie ©efdjtoffentjcit bes rabbintf^en 3ubentums ber fyellemltifdien 3eit. Der Dortrag oon ITt. © u t t m a n n bef|anbelt bas Problem bes „Iebenben B u ^ e s " , bas Iiteraturgejd)id)tli 1 « i n

ins

Wenn man die gewöhnliche Ansicht für richtig hält, daß aty itfK in Apposition zu mrv^ steht, wäre diese Stelle die einzige im Alten Testament, wo Gottes non in bezug auf die Toten dargestellt wird. Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, das durch lori sehr oft ausgedrückt wird, erfordert vom Menschen die Erfüllung bestimmter Bedingungen. Nur diejenigen, die in Treuen Gott dienen, werden der Gottesgemeinschaft teilhaftig und empfangen von Gott t o n 2. Es ist sehr fraglich, ob die Toten, die im Alten Testament gewöhnlich als absolut beziehungslos zu Gott geschildert werden 8 , hier als Empfänger von Gottes Inn erscheinen können. Die Phrase, beginnend mit aty wn. ist auf Boaz zu beziehen. Er war es, der den Lebenden und Toten l o n erwiesen h a t t e V o n seinen Knechten hatte er erfahren, wer Ruth war 6 , und hatte ihr dann besondere Freundlichkeit erwiesen. Ferner war Boaz keineswegs bestürzt, als ihn Ruth aufforderte, seine Pflichten als Löser zu erfüllen und sie zu heiraten. Sie gab ihm keine andere Erklärung ab als die, daß er „Löser" sei. Boaz wußte um seine Verwandtschaft mit Ruth und wußte auch, wer ihr noch näher stand als er. Infolgedessen erklärte er ohne Zögern seine Bereitwilligkeit, sie zu heiraten, falls der andere verzichte 6 . Sein Verhalten Ruth gegenüber war also IDn-gemäß. Als Ruth am Ende des Tages, an dem ihr Boaz begegnet war, ihrer Schwiegermutter von der Freundlichkeit erzählte, die ihr Boaz erwiesen hatte, erkannte ihn Naemi als einen Verwandten. Sie erblickte in seinem Verhalten Ruth gegenüber die den Pflichten der Familie entsprechende Verhaltungsweise. Durch seine Freundlichkeit gegen Ruth hatte Boaz den verstorbenen Verwandten geehrt und seine Pflicht erfüllt. Deswegen segnete ihn Naemi. b. S t a m m e s g e m e i n s c h a f t . ct. Engere Stammesgemeinschaft: Verwandte Häuser. Zu den älteren Quellen zurückkehrend, finden wir in Gn. 24, 49 non als die der Norm der Verwandtschaft entsprechende Verhaltungs1 S liest m.T für vgl. KITTEL, Biblia Hebraica, was auch das oben Vorgeschlagene ermöglichen würde, aber nicht nötig ist. ' Vgl. Dt. 5, 10; Ex. 20, 6; Dt. 7, 9; H. Chr. 6, 14; I. Kön. 8, 23; Dan. 9, 24; Neh. 1, 6; Ps. 103, 17. 18; 37, 28; 97, 10; 86, 2; I. Sam. 2, 9 ; Ps. 147, 11; 119, 124; 143,12; u. ö. (¿ Vgl. Jes. 38, 18; Ps. 6, 6; 16,10; 88,12. 4 Auch in Buth 1,8 ist die Rede von der Verhaltungsweise der Menschen Lebenden und Toten gegenüber. Naemi segnete ihre Schwiegertöchter und, sagte: „Möge Gott euch Liebe erweisen, gemäß eurem Verhalten gegen die Toten und mich." »Ruth 2, 6. 11. «Ruth 3, 9 f.

8

I. Kap.

iBn als menschliche Verhaltungsweise in profaner Bedeutung.

weise. Der Knecht Abrahams wollte Rebeka aus dem Hause Nahors, des Bruders Abrahams1, zu Abraham bringen, damit sie Isaaks Frau werde. Er fragte die Mitglieder ihrer Familie, ob sie bereit seien, seinem Herrn treue Liebe zu erweisen, d. h. ihrer Verwandtschaft mit Abraham gemäß die entsprechende Verhaltungsweise aufrecht zu erhalten. Zeugnis dafür wäre ihre Einwilligung in diese Heirat.

ß. Weitere Stammesgemeinschaft: Verwandte Stämme. Hesed als die Verhaltungsweise zwischen verwandten und befreundeten Stämmen kommt in L Sam. 15, 6 vor. Die Keniter, die den Israeliten durch Mose verschwägert2 und Israels Beisassen und erprobte Freunde waren8, hatten den Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägypten hesed erwiesen. Sie hatten gegen Israel diejenige Verhaltungsweise bewahrt, die zwischen Verwandten und Freunden 1 zu bestehen hat. Sie standen in einem Verwandtschafts- und Freundschaftsverhältnis mit Israel und erwiesen ihm IDn, indem sie in der Not die gemeinschaftgemäßen Pflichten erfüllten, an Israel Brüderlichkeit und Freundlichkeit übten und treue Hilfe leisteten. Der hesed, welchen sie den Israeliten einst erwiesen hatten, fand später Erwiderung. Sie wurden von Saul während seines Zuges gegen die Amalekiter, in deren Mitte sie wohnten, verschont. Die Israeliten waren verpflichtet, sich den Kenitern gegenüber zu verhalten, wie sich die Keniter gegen die Israeliten verhalten hatten.

2. non als die dem Rechts-Pflicht-Verhältnis zwischen Gastgeber und Gast entsprechende Terhaltnngsweise. Im alten Israel war ebenso wie im alten Arabien das Gastrecht heilig (was auch vom heutigen Arabien gilt)6. Der Gastgeber hatte im Notfall für seinen Gast sein Leben und Blut einzusetzen8. Gastgeber und Gast standen in einem gegenseitigen Schutzverhältnis. Zwischen ihnen entstand ein Rechts-Pflicht-Verhältnis 7, das dem zwischen Bluts1 Vgl. S. 1, Anm. 3. ' Vgl. Eicht. 1, 16; 4, 11. KITTEL, Geschichte des Volkes Israel. Stuttgart »1923, Bd. 1, S. 318, 347 unten; Bd. 2, S. 17; STADB, Geschichte des Volkes Israel. Berlin 1887, I. 1, S. 131 f.; BUDDE, Die Religion des Volkes Israel bis zur Verbannung. Gießen 1900, S. 15 f. 4 Vgl. KITTEL, a. a. 0 . ; STADB, a. a. 0 ; vgl. S. 1, Anm. 4. * Vgl. S. 15 f. 8 W. R. SMITH, Kinship, S. 14, 41; DOUGHTY, Wanderings in Arabia. London 1908, Vol. I, S. 252; Vol. II, S. 154, 164, 276, 277, 280. e SUITH, a. a. 0., S. 41. „It is a principle alike in old and new Arabia that 7 the guest is inviolable". Vgl. Gn. 19. PEDEBSEN, a. a. 0., S. 25.

II. icri als die einem Bechts-Pflicht-Verhältnis entsprechende Verhaltungsweise.

9

verwandten gleich war. Gastgeber und Gast wurden in allen Beziehungen „Brüder" "Wer in dem Zelte eines anderen schlief und sein Brot genoß, galt als Mitglied von dessen Familie 2 . Die diesem RechtsPflicht-Verhältnis zwischen Wirt und Gast entsprechende Verhaltungsweise wurde im alten Israel non genannt. a. G a s t g e b e r u n d G a s t . Wie wichtig den alten Israeliten die Gastpflichten und -rechte erschienen, ersehen wir deutlich aus Gn. 19, 19. Lot hatte die drei Fremden (Engel), die in Sodom erschienen waren, in seinem Hause aufgenommen. Als nun die Männer der Stadt ihre Auslieferung forderten, wollte er an deren Stelle seine keuschen Töchter herausbringen, daß sie an ihnen nach ihrem Belieben handeln sollten. Seine Gäste aber wollte er unter keinen Umständen ausliefern. Er hatte sie aufgenommen, und es war ihm als Gastgeber eine heilige Pflicht, sie zu schützen. „Diesen Männern aber dürft ihr nichts tun, nachdem sie sich nun einmal in den Schatten meines Daches begeben haben", sagte Lot den Männern der Stadt 8 . Erzürnt durch seine Weigerung, drangen sie auf Lot ein. Es wäre ihm schlecht gegangen, hätten nicht die Gäste Lot zu sich ins Haus gezogen und die Tür verschlossen, während sie die Leute vor dem Hause mit Blindheit schlugen. Darauf verkündeten sie Lot die Zerstörung Sodoms und befahlen ihm, sich und die Seinen auf das Gebirge zu retten. Lot erkannte die Hilfe, die sie ihm geleistet hatten, und die Rettung, die sie ihm zuteil werden ließen, als non an. Aber er bat sie, lieber nach einer kleinen Stadt in der Nähe fliehen zu dürfen. Er sagte einem der Engel 4 : „Sieh doch, dein Knecht hat in deinen Augen Gunst gefunden, du hast deinen IDn, welchen du mir erwiesen hast, groß sein lassen, indem du mich am Leben erhältst" Weil er seinen Gästen treu geblieben war, hatte er sich würdig erzeigt, lort zu empfangen. Er hatte es unter allen Umständen vorgezogen, seinen Gästen den Schutz seines Hauses zu gewähren und sie dadurch verpflichtet, ihm Treue zu halten, Hilfe zu leisten, — hesed zu erweisen. Weil Lots Gäste als Engel dargestellt werden, wird ihr hesed, welcher eine Erwiderung der Verhaltungsweise Lots ihnen gegenüber war, „groß" genannt, d. h. als Gnade, Barmherzigkeit geschildert. Aber im 1

SMITH, a. a. 0., S. 14. „A man whom one is bound to protect is a brother in virtue of this bond," ' V. 8. * Vgl. S. 8, Anm. 6, 7. * PBOCKSCH, a. a. 0., z. St. „Also vollzieht J während des Gespräches unmerklich einen Übergang zum Singular, da ja Lot sich naturgemäß an einen besonders wendet." Vgl. auch KÖHIG, Die Genesis. Gütersloh S1925, z. St.

10

I- Kap.

lon a h menschliche Verhaltungsweise in profaner Bedeutung.

Grunde genommen war ihr hesed die dem Rechts-Pflicht-Verhältnis zwischen Gastgeber und Gast entsprechende Verhaltungsweise. Als treuer Gastgeber ist Lot bereit gewesen, alles für seine Gäste aufzuopfern. Als treue Gäste sind sie für ihn eingetreten. Ihr beiderseitiges Verhalten war durch TDn bestimmt. Auch in Jos. 2, 12. 14 ist IDD als die Verhaltungsweise zu betrachten, die dem Rechts-Pflicht-Verhältnis zwischen Gastgeber und Gast entspricht. Die Kundschafter Josuas, die sich in Rahabs Hause aufhielten, wurden von ihr versteckt, als die Boten des Königs von Jericho ihre Auslieferung verlangten. Mit ihrer Hilfe vermochten die Kundschafter die Flucht zu ergreifen und sich zu retten. Indem Rafrab ihnen Hilfe leistete und ihren Pflichten als Gastgeberin ihnen gegenüber treu blieb, erwies sie ihnen hesed und bewahrte die Verhaltungsweise, die zwischen Wirt und Gast zu bestehen hat. Sie durfte ihnen deswegen den Schwur abnehmen, ihr und ihres Vaters Hause HDn zu erweisen, wenn sie mit dem Heere Israels zurückkämen. „Und nun schwört mir bei Jahwe", sagte sie ihnen, „daß auch ihr mit meines Vaters Hause treu handeln werdet, wie ich mit euch treu gehandelt habe" Die Männer legten den Eid ab und sagten ihr: „Unser Leben wollen wir für das eurige einsetzen; 2 falls uns Jahwe das Land verleiht, wollen wir mit dir pflichtgemäß und treu handeln." Und diesen Schwur hielten sie auch 8 . b. S c h u t z h e r r u n d G e r . In den Abschnitt über non als die Verhaltungsweise, die dem Gastverhältnis entspricht, gehört auch Gn. 21, 23, wo die Eigenschaften: Gegenleistung, Verpflichtung, Treue als Merkmale des Begriffs Ion deutlich hervortreten. Abraham hatte in Gerar als Ger gastliche Aufnahme gefunden. Er hatte sich unter den Schutz Abimelechs, des Königs von Gerar, g e s t e l l t u n d es wurde dadurch zwischen ihnen ein Rechts-Pflicht-Verhältnis geschaffen, dem IDn entsprach. Der Ger hatte gewisse Pflichten seinem Schutzherrn 6 gegenüber und umgekehrt. Des1

Mit

GBESSMANN, J

STEDERNAGEL, Deuteronomium und Josua*. Göttingen 1 9 2 3 , z. St., und Die Anfänge Israels4, Güttingen 1 9 2 2 , z. St., ist NDN NM 'S onroi zu streichen

M i t STEUERNAGEL, a . a . 0 . , u n d GBESSMAKN, a . a . 0 . , i s t NR I R M RM N: nur in diesen zwei Versen. Vgl. 8. 4, Anm. 4. * KRAETZSCHMAR,

II. iDn als die einem Rechts-Pflicht-Verhältnis entsprechende Verhaltungsweise.

19

als Gemeinschaftsmitglied zu betrachten und ihm die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise widerfahren zu lassen. Das taten sie auch. Als später unter ihrer Leitung die Stadt angegriffen wurde, verschonte man nur den Mann und seine Familie *. Die meisten neuen Erklärer übersetzen: „Wir werden dir Gutes erweisen." Das ist deswegen abzulehnen, weil Verpflichtung und Gegenleistung, welche Bestandteile von IDn sind, dadurch nicht zum Ausdruck gelangen. Diese Bestandteile treten ganz deutlich hervor in I. Kön. 2, 7. David gebot seinem Sohne Salomo, die Mitglieder der Familie Barzillais zu seinem eigenen Hause zu rechnen, ihnen Plätze an seinem eigenen Tische zu geben, ihnen also 1DH zu erweisen. Auf seiner Flucht vor Absalom war der Gileaditer Barzillai David behilflich gewesen. E r hatte ihn freundlich empfangen und seine Truppen mit Lebensmitteln und Kleidern versorgt 2 . Durch diese Hilfeleistung wurde David genötigt, ihn als seinen Angehörigen zu betrachten. E r vergaß seine Verpflichtung nicht, und als sein Tod herankam, befahl er Salomo, an dem Hause Barzillais ncn zu üben. Die neueren Erklärer übersetzen i c n mit ,Gnade' oder ,Huld', was nicht annehmbar ist. Der non, welchen Salomo dem Hause Barzillais zu erweisen hatte, war nicht gnadensondern p f l i c h t g e m ä ß , war nicht vom bloßen Willen Davids oder Salomos abhängig, sondern geboten. Als die Verhaltungsweise derjenigen, denen geholfen wird, dem Helfer gegenüber erscheint Ton in I I . Sam. 2, 5. David segnete die Männer von J a b e s Gilead für den non, welchen sie an Saul geübt hatten, indem sie ihn und seine Söhne, die in der Schlacht gegen die Philister gefallen waren, begruben 8 . Die Stadt J a b e s Gilead warSaul verpflichtet, weil er sie von den Ammonitern errettet hatte 4 . Durch seine Hilfeleistung entstand zwischen Saul und den Männern von J a b e s Gilead ein Gegenseitigkeitsverhältnis, das sie gern anerkannten, indem sie Saul als ihren i n x betrachteten. Der ncri, den sie an Saul übten, war ein Liebesdienst, eine Gegenleistung, die dem Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen ihnen und Saul entsprach. Daß non hier auch den Begriff nDX einschließt, wird durch den folgenden Vers 6 klar. „Gott erweise euch nDNl non", sagte David zu ihnen. E r wünschte, daß Jahwe ihnen dieselbe Liebe und Treue erweise, die sie gegen ihren Herrn, Saul, gezeigt hatten. Damit werden die Männer von Jabe§ Gilead als Brüder angesprochen und mit in die Gemeinschaft der Gottestreuen einbezogen; denn nur diejenigen, die in dem Erwählungs1 V. 25. • II. Sam. 17, 27—29; 19, 32—41. ' Vgl. I. Sam. 3 1 , 1 1 — 1 3 ; I. Chr. 10, 11—12.

« Vgl. I. Sam. 11,1—11.

2*

20

1- Kap.

iDn als menschliche Verhaltungsweise in profaner Bedeutung-,

und Gegenseitigkeitsverhältnis mit Jahwe standen, konnten von ihm 1 nDNl IDn erhalten . In Rieht. 8, 35 wird uns berichtet, daß das Volk Israel dem Hause Gideons keinen lon erwies, obgleich er an Israel viele Wohltaten getan hatte. Dafür schuldete es ihm treue Gegenleistung. Nicht nur weil er sein König, sondern auch weil er sein Retter war, hatte das Volk Israel die Pflicht 2 , Gideon und seinem Hause Treue zu erweisen8. Als Gegenleistung für gewährte Hilfe erscheint iDn in Gn. 40, 14. Joseph leistete dem Obermundschenk einen großen Dienst, als er dessen Traum günstig deutete. Er bat ihn, ihm nach seiner Wiedereinsetzung in Amt und Würden dankbare Hilfe zu leisten4 und beim König Fürbitte für ihn einzulegen, damit auch er frei werde. Er ersuchte ihn, der durch Hilfeleistung bestimmten Yerhaltungsweise entsprechend zu handeln. 7. Zusammenfassung. Aus der vorhergehenden Untersuchung ergibt sich folgender Tatbestand: 1. "Tön ist die einem Rechts-Pflicht-Verhältnis entsprechende Verhaltungsweise. 2. Versteht man Ion als eine solche Verhaltungsweise, so erklärt sich die früher festgestellte Tatsache, daß nur diejenigen, die in einem Rechts-Pflicht-Verhältnis stehen, lün empfangen und erweisen können. 3. Als eine einem Rechts-Pflicht-Verhältnis entsprechende oder als eine gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise a. entspricht iDn den Anforderungen der Treue und schließt den Begriff nDX ein. Die Phrase noxi non ist dann als Hendiadys zu betrachten, worin nDN den Wert eines ererklärenden Adjektivs trägt; b. kann non durch einen Eid befestigt werden; 1 Vgl. Gn. 24, 12. 14. 26. 27; 32, 11; Dt 7, 12; Jes. 63, 7. 8; Esra 3, 11; Ps. 31, 7. 8; 89; 148, 14; I. Kön. 8, 23; II. Chr. 6, 14; II. Sam. 7, 15. 24; I. Chr. 17, 13. 14; Ps. 18, 61; 77, 9. 16; 79, 2, 13; 106, 45. 7; 119, 76; 138, 2. 8; 143, 12; Micha 7, 20. Vgl. S. 13, Anm. 1. s In Eicht. 9, 16 wirft Jotham den Sichemiten vor (was ganz Israel zur Last gelegt wird), daß sie gegen Gideon Treubruch begangen, mit ihm nicht nach non gehandelt hätten, icn in Eicht. 8, 35 hat fast denselben Sinn wie hier non und schließt

neu ein.

Z u E i c h t . 9, 1 6 v g l . STÄRK, a. a. 0 . , S. 5 6 .

• GEESSMANN, a. a. 0., übersetzt lDn hier mit „Treue". * BEUSS, a. a. 0., übersetzt "ron hier mit „Dankbarkeit".

II. Kap.

tcn als menschliche Verhaltungsweise in religiöser Bedeutung.

21

c. macht TDn die Substanz eines Bandes aus. 4. Die Bestandteile des Gesamtbegriffs IDn, in welchem die Erklärung von Ton als gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise zu finden ist, sind vor allem Gegenseitigkeit, dann Gegenleistung, Aufrichtigkeit, Freundlichkeit, Brüderlichkeit, Pflicht, Treue und Liebe. 6. non im profanen Sprachgebrauch in den älteren Quellen ist nie willkürlich geschenkte Gnade oder Güte oder Huld oder Liebe.

Zweites Kapitel.

-¡on als menschliche Verhaltungswcise in religiöser Bedeutung. I. Ton als die gemeinschaftgemäTse Verhaltungsweise der Menschen unter sich und, explicite, Gott gegenüber in der prophetischen und verwandten Literatur. Der Begriff non hat in der prophetischen Literatur eine große Erweiterung erfahren. Aus der Verhaltungsweise bestimmter, in einem Rechts-Pflicht-Verhältnis stehender Gruppen wird lon zur Gott gefälligen Verhaltungsweise a l l e r M e n s c h e n unter sich, die zugleich als die einzig richtige Gott gegenüber gilt. Die menschlichen Handlungen werden nicht allein in ihrer innermenschlichen Bedeutung betrachtet, sondern sie werden unter einen religiösen Gesichtspunkt gestellt. Das gesamte Leben des Menschen wird nicht von der Religion abgesondert, sondern aufs engste damit verknüpft. So erhält es von der Religion her einen tieferen Sinn- und "Wertgehalt. Man kann also IDn als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise der Menschen unter sich nicht erörtern, ohne zugleich HDn als die Verhaltungsweise der Menschen Gott gegenüber in Betracht zu ziehen.

1. Im Bache Hosea. Um non im Buche Hosea als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise der Menschen unter sich und, explicite, Gott gegenüber zu verstehen, muß das darin geschilderte Verhältnis zwischen Gott und Mensch, Gott und Israel, kurz betrachtet werden. Zwischen Gott und Israel

22

II- -Kap.

iDn als menschliche Verhaltungsweise in religiöser Bedeutung.

besteht ein Gegenseitigkeitsverhältnis1. Gott sorgt für sein Volk 2 , schafft ihm Frieden und Ruhe 8 , ist ihm immer behilflich4 und liebevoll gesinnt6. Das Volk aber hat den göttlichen Geboten zu gehorchen, seinen Forderungen Folge zu leisten, ihm im Handeln und Denken treu zu bleiben. Seine Pflichten Gott gegenüber bestehen in der unablässigen Pflege der wahren Gotteserkenntnis, in der beständigen Bewahrung der Gott gefälligen Verhaltungsweise. Das Volk muß nox, npiü, tastPD und insbesondere Ton üben 6 . Wenn es seine Pflichten vernachlässigt, erhebt Gott Einspruch, und Unglück ist die Folge des den Forderungen Gottes entgegengesetzten H a n d e l n s V ö l l i g e Verstockung bringt die Gefahr der Verstoßung mit sich 8 . In Hosea 4, 1 erfahren wir, daß Gott einen Rechtsstreit mit Israel hat, weil es die Bedingungen seines Verhältnisses zu Gott nicht innegehalten hat. Es fehlte im Lande an nox, non und nyi, an Treue, Liebe und Gotteserkenntnis. In steigender Bedeutung sind die Worte aneinandergereiht. IJesed begreift 'emeth in sich, und beide sind in dacath 'elohim enthalten. In dem folgenden Vers sehen wir, warum Gott mit seinem Volke hadert, nämlich, weil Fluchen, Lügen, Stehlen, Ehebrechen und Mord im Lande herrschten; Die Beziehung auf den Dekalog ist deutlich. Das Verhältnis des Volkes zu Gott beruhte auf religiösen und ethischen Prinzipien. Sittliches Handeln war der Grundpfeiler der wahren Religion. Gotteserkenntnis forderte Treue und Liebe von den Menschen unter sich und Gott gegenüber, die durch die Erfüllung der ethischen Gebote bewiesen wurde. Ein Volk, das den Forderungen von nöN und idh zuwider handelt, hat auch keine richtige Gotteserkenntnis. Hesed im Buche Hosea ist ein veredelter Begriff, geläutert im Herzen des Propheten; ist nicht mehr die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise eines engen Kreises, sondern a l l e r untereinander. Die Menschen werden einerseits als Glieder einer großen Familie betrachtet, andererseits als Kinder eines himmlischen Vaters. Das Wort bezeichnet die gegenseitige Hilfsbereitschaft der Menschen aus reiner Menschenliebe, ist, als Verwirklichung „das allgemein giltige, g ö t t l i c h e Gebot der Menschlichkeit" 9 . IJesed besteht nicht im korrekten Opferdarbringen oder in äußerer Frömmigkeit, sondern im sittlich-religiösen Handeln, in der hingebenden Erfüllung der göttlichen ethischen Gebote. In diesem Sinne ist "ton als die Verhaltungsweise der Menschen unter 8 Hos. 2, 10 f. 3 Hos. 2, 20. Hos. 2, 2 5 ; 1, 9. * Hos. 12, 10. 6 Hos. 4, 1; 6, 4. 6 ; 10, 1 2 ; 12, 7. Hos. 11, 3. 4 ; 3, 1. ' Hos. 4, 1 - 3 ; 11, 8. • Hos. 9, 15f.; 2, 4 f . ; 4, 6 ; 6, 6. • WBLLHAUSEN, Die Kleinen Propheten. Berlin 1898, z. St. 1

6

I. inn als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise usw.

23

Bich nicht verschieden vom icn der Menschen Gott gegenüber. Aus sittlichen Taten ist die richtige religiöse Gesinnung erkennbar 1 . Das "Wort lDn ist schwer zu übersetzen. „Liebe" wäre zutreffend, wenn man darunter versteht, was eben von non gesagt worden ist. Für „Liebe" aber sagt Hosea ranK 2. Man könnte non vielleicht am besten durch „Religiosität" wiedergeben oder durch „pietas" s . In Hosea 6, 4 rügt Gott Israel, daß sein non flüchtig sei. Das Volk sah nämlich im kultischen Handeln das wahre religiöse Leben und wußte nicht, woran Gott wirklich Gefallen hatte. Es ahnte nicht, wie es sich verhalten mußte, um Gottes Gefallen zu gewinnen. Ganz klar aber wird der göttliche Wille in Hos. 6, 6 zum Ausdruck gebracht: „An 1DH habe ich "Wohlgefallen, nicht an Schlachtopfern; an Gotteserkenntnis, nicht an Brandopfern" \ In seiner Erklärung zu Ps. 50 sagt STÄKE: etwas gut in diesen Zusammenhang Passendes: „Geistiger Gottesdienst und "Wandel in sittlicher Reinheit — das ist Gottes "Wille an sein Volk. Nur wer dem nachstrebt, wird das Reich Gottes ererben" *. Hesed und da'ath 'elohim werden hier in Parallele gesetzt. Ohne hesed gibt es keine Gotteserkenntnis, und Gotteserkenntnis setzt hesed voraus. Hesed 8 jrird von Gott verlangt und ist der Menschen Aufgabe und Hoffnung^ In diesem Sinne wird ~on auch in Hosea 10, 12 und 12, 7 8 gebraucht. In 10, 12 erfahren wir die Bedingungen, die Israel erfüllen muß, um mit Gott einig werden zu können. „Säet euch nach Gerechtigkeit, so werdet ihr ernten nach non", mahnt der Prophet. In der Ausübung von Gerechtigkeit und Liebe untereinander finden die Menschen 1 In Kap. 4, 1 ist es also unmöglich, ion auf die Beziehungen der Menschen untereinander zu beschränken, wie z. B. HARPER (A Critical and Exegetical Commentary on Amos and Hosea, Edinburgh 1910) z. St. tut.

» Hos. 3 , 1 ; 9 , 1 5 ; 1 1 , 1 . 4 ; 1 4 , 5 . — I n Hos. 1 1 , 4 w o l l e n KITTEL, B . H . und CHEYHE

(Encyclopaedia Biblica, S. 2826, Anm. 2) für BIN lesen ion als Synonymon zu nan«. Das ist nicht möglich, denn narm in Hosea ist persönliche Liebe, ion ist gemeinschaftnnd pflichtgemäße Liebe. 3

V g l . WILDEBOER, D i e Sprüche.

Freiburg i. B., 1897, z u Kap, 3, 3 ; HARFER,

a. a. 0., zu Hos. 10, 12. 4 Vgl. I. Sam. 16, 2 2 f . ; Ps. 50, 8; 69, 31 f.; Jes. 10, 1 f.; 40, 16; 66, l f . ; Jer. 7, 21 f.; Arnos 5, 21 f.; STÄRK, Die Lyrik». Göttingen 1920, S. 136. • STÄRK, a. a. 0 . S. 262.

' HARPER, a. a. 0., z. St., hat hier die richtige Bedeutung von ion erkannt. Er sagt, daß l e n t i s not love for God as distinguished from love for one's fellow-men. bnt both". Hos. 2, 2 3 - 2 5 . 8 STKDEKNAGKL, a. a. 0., S. 608, „V. 7 kann eine an Israel gerichtete Mahnung Hoseas sein". Vgl. auch PROCKSCH, Die kleinen prophetischen Schriften vor dem Exil. Stuttgart 1910, z. St.

24

II- Kap.

ion als menschliche Verhaltungsweise in religiöser Bedeutung.

den Weg zu Gott und zum HeiL Nur durch das gegenseitige Ei-weisen von npnx und i o n beweisen die Mensehen im täglichen Leben die richtige Gesinnung und Verhaltungsweise Gott gegenüber, können sie ihn finden und seiner Gemeinschaft teilhaftig werden 1 . Hosea 12, 7 lesen wir: „Du sollst durch deinen Gott heimkehren 2 ; wahre 1DPI und tSBB'D und harre beständig deines Gottes." Die Worte, obgleich an Jakob gerichtet, können auf das ganze Volk Israel bezogen werden8. Sein Verhalten muß tisttfü- und iDn-gemäß sein, ehe es zu Gott zurückkehren kann. Durch lebendige, sittliche Tat muß die innere Umwandlung bezeugt werden. Mispat ist zu verstehen im Sinne von Gutes tun und Böses hassen 4 , hesed als das sittlich-religiöse Handeln der Menschen unter sich, das den Gehorsam gegen die göttlichen Gebote beweist und das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ermöglicht. Es ist wesentlich, daß auch in Hosea IDn einerseits neben nDX und andererseits neben npix und DBtt>Q gestellt wird. Hesed entspricht seinem ganzen Wesen nach den Forderungen der Treue und, als die von Gott verlangte Art des Handelns, gleichzeitig denen der Gerechtigkeit und des Eechttuns. Synonyma für I D n sind nox, ü s t f o und npr* durchaus nicht, aber sie sind alle begrifflich verwandt. W e r iDn-gemäß handelt, übt selbstverständlich Treue und Gerechtigkeit. Hesed aber ist noch mehr, ist Menschlichkeit, Brüderlichkeit überhaupt, ist der wahre Ausdruck der echten Frömmigkeit.

2. In der anderen prophetischen und verwandten Literatur. Wenn man den Grundton des Alten Testaments treffen will, kann man sich dahin ausdrücken, daß er in einem nie enden könnenden Bestreben der wahrhaft religiösen Menschen, mit Gottes Willen eins zu werden, besteht. Durch tiefe und tapfere Weltbejahung, trotz allen Hindernissen, trotz aller Berechtigung zum Zweifeln, aller Neigung zum Fahrenlassen, bahnt sich der Gottbegeisterte den Weg zu Gott empor. In Gottes Wegen wandelnd sucht er einen bescheidenen Platz in der Reihe der Mitglieder der Gottesgemeinschaft einzunehmen. Solange er Gott Gefolgschaft leiste^ wendet sich ihm Gott zu 6 . Zwischen Gott 1 Vgl, GRKSSMANN, Die älteste Geschichtsschreibung und Prophetie Israels. Göttingen 2 1921, z. St. * Vgl. PBOCKSCH, a. a. 0., z. St.; NOWACK (Die Kleinen Propheten. Göttingen 1922, z. St.) übersetzt n. a.: „Du wirst in deine Zelte heimkehren."

* STEUERNAGEL,

a. a. 0., 1

S.

a. a. 0 . ,

S. 6 0 8 ;

vgl.

PROCKSCH,

a. a. 0 . ,

z. S t . ;

GRKSSMANN,

395.

HEETZBEBO, D i e E n t w i c k l u n g

1922, S. 286.

d e s B e g r i f f e s USCO i m

» Vgl. S. 7, Anm. 2.

A. T .

Z. A. W.,

Bd, 40,

I. ICH als die gemeinschaftgemäße Verhaltnngsweise usw.

25

und den ihm durch sittlich-religiöses Tun Verbundenen besteht hesed. Solche schließt er in seine Gemeinschaft ein. Wir lesen in Jer. 2, 2—3: „Ich gedenke dir deiner Jugendtreue deiner Brautzeit Liebe, wie du mir folgtest durch die Wüste, durch unbesätes Land. Heilig dem Jahwe war Israel, sein Ernteerstling. Alle, die von ihm zehren, werden es büßen müssen; auf sie kommt Unheil." Mit hingebender Treue folgte Israel Jahwe durch die unwirtliche Wüste. Auf die Probe gestellt, bestand das Volk die Prüfung, wurde E»np dem Jahwe, nnxian r w x i , und erfreute sich seines besonderen Schutzes. Es wurde der Gottesgemeinschaft teilhaftig. Hesed übend, erhielt das Volk von Jahwe hesed. Der hesed, welchen Israel Jahwe entgegenbrachte, war gleich dem hesed, welchen Mitglieder einer Familie einander erweisen mußten8. Auch wird der hier erwähnte hesed durch nanx bedingt. Hesed war die rechts-pflicht-gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise, welche den familienartigen Beziehungen zwischen Jahwe und Israel entsprach. Nicht ist Ion hier mit „Holdseligkeit", „Zuneigung", „Freundlichkeit", „Huld", „Liebe" zu übersetzen, wie es in den verschiedenen modernen Kommentaren geschieht 8 . Das sind alles äußere Seiten von iDn, die an dem Kernpunkt des Begriffes vorbeideuten. Unrichtig sind S E L L I N ' S Ausführungen über non in bezug auf Hos. 6, 6 und Jer. 2, 2, wenn er sagt: „nDn ist für Hosea nicht nur wie in alter Zeit die Herablassung des Mächtigeren zu dem Geringeren, sondern ebenso wie es in Ruth 3, 10 von der Huld der Jungfrau zu dem um sie werbenden Manne gebraucht wird, auch die minnende Huld, die Liebe des Volkes zu seinem Gott, der um dasselbe wirbt. So hat es später auch Jer. 2, 2 verstanden 4 ." Dem wahren Sinn von 1 D H kommen am nächsten V O L Z und C H E Y N E ® , wenn sie " P N Y J 1 D H mit „Jugendtreue", bzw. „the loyal affection of thy youth" übersetzen. Denn hesed war als das bedeutsamste, das der Israelit kannte, die den Pflichten und Bechten der Gemeinschaft entsprechende Verhaltungsweise. Echte Gemeinschaft war Lebensnotwendigkeit und Ideal und hesed der Weg zur Erfüllung', Auf das Verhältnis zu Jahwe wurde dann, mit dem sicheren intuitiven 5

1

Vgl. VOLZ, Der Prophet Jeremía, z. St.; TOBCZYNER (mündlich) will lesen: „Ich habe dir gedacht . . . " » Vgl. S. 3 - 9 . * Vgl. SCHMIDT, Die großen Propheten. Göttingen 1 9 2 3 , z. St.; KEUSS, a. a. 0 . z. St.; OBELLI, Der Prophet Jeremía, München 1 9 0 5 , z. St.; D U H M , Das Buch Jeremía, Tübingen 1 9 0 1 , z. St.; GIESEBRECHT, Das Buch Jeremía. Göttingen 1 9 0 7 , z. St.: ROTHSTEIF ( ¡ P KAUTZSCH *), z . 4

St.

Vgl. SELLIN, Das Zwölfprophetenbuch. Leipzig 1922, besondere dagegen meine Ausführungen S. 16—18, 6—8. 5 Volz, a. a. 0 . , z. St. • CHEYNB, a. a. 0 . , z. St.

S.

53.

Vergleiche ins-

' Vgl. S. 3 f.

26

II- Kap.

ion als menschliche Yerhaltungsweise in religiöser Bedeutung.

Wissen, daß das profane Leben mit dem religiösen ein untrennbares Ganzes bildet, dies Ideal übertragen. Gemeinschaft mit Jahwe wurde erstrebt und ermöglicht durch hesed. Ein glänzender Beweis für den Gebrauch des Wortes non im Sinne der gemeinschaftgemäßen Yerhaltungsweise der Menschen unter sich und, explicite, Gott gegenüber, finden wir in Micha 6, 8 K Wie in Hosea wird auch hier dem Volke klar gesagt, daß Gott an Brandopfern keinen Gefallen hat, daß die wirkliehe Religiosität nicht in formellen kultischen Handlungen besteht 2 , sondern in Menschenliebe, die der Gottestreue gleich ist. Wir lesen: „Man hat dir gesagt, 0 Mensch, was gut ist, und was Jahwe von dir verlangt, nämlich Hecht tun, Menschenfreundlichkeit lieben und demütig wandeln mit deinem Gotte3." tssti'D, IDn nnnx und "pn^N ny yjxn werden vom Menschen verlangt, wie in Hosa 4, 1 nöN, Ton und O'n^x nyi verlangt wurden. Hier wie in Hos. 4, 1 scheinen die Worte in steigender Bedeutung aneinander gereiht zu sein. Menschenfreundlichkeit4 schließt schon Rechttun in sich ein und ist ihrerseits schon im Demütigsein vor Gott enthalten. Hesed, in alten Zeiten nur zwischen Zusammengehörigen bestehend, erfährt also eine starke Erweiterung. Jedermann wird des anderen Bruder, hesed die gemeinschaftgemäße Yerhaltungsweise aller Menschen unter sich und Gott gegenüber. In Hiob 6, 14 tritt non ganz deutlich im gleichen Sinne hervor. Der Text ist verdorben und wohl so zu emendieren: „Wer seinem Freunde 1DD entzieht, verläßt zugleich die Gottesfurcht 6 ." Der Ton, welchen man seinen Freunden, seinen Mitmenschen zu erweisen hat, ist die erste Bedingung und der erste Beweis der Gottesfurcht. Spr. 16, 6 lesen wir: „Durch lDn und nDK wird Schuld gesühnt, durch Gottesfurcht wird Böses abgewehrt". Hesed und 5emeth zeichnen STEUERNAGEL, a. a. 0., S. 627, 8 hält diesen Vers für echt. STÄRK, Die Entstehung, S. 98, sagt: „Micha 6, 6—8 ist ein Stück Evangelium im A. T., vielleicht 2 ein Fragment aus dem 7. Jahrhundert." Vgl. S. 23, Anm. 4. 8 SELLIN'S Übersetzung: „'Haben' dir denn Menschen gesagt, was gut ist? Und was fordert Jahwe von dir anderes, als . . ist nicht annehmbar. Der Vers ist gar nicht antithetisch aufgebaut. Wenn dem so wäre, ginge die ganze Wucht der Forderung verloren, am ist tatsächlich auf Israel zu beziehen und durch Israel auf die Menschheit, und ist keineswegs als Subjekt aufzufassen. SELLIN will jnsn für jmn lesen. Die Veränderung ist nicht notwendig. Vgl. SELLIN, Das Zwölfprophetenbuch. Leipzig 1922, z. St. 4 Vgl. v. ORELLI, Die zwölf'kleinen Propheten. München 1908, z. St. 6 BEER, Der Text des Buches Hiob. Marburg 1897, liest T»D für DD; MEKX, Das Gedicht von Hiob. Jena 1871, liest TDN MJNO JHD; HOFFMANN, Hiob. Kiel 1891 liest DNDb für DD1?. 1

I. iDn als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise usw.

27

den an Gottes Willen hingegebenen Menschen aus und ermöglichen ihm die Gottesgemeinschaft. Eine treue der Gottesgemeinschaft entsprechende Liebe macht den eigentlichen Inhalt der Gottesfurcht aus. "Wer gesündigt hat und mit Gott versöhnt sein will, kann sich durch innere Umkehr, die in lebendiger Tat durch n D S l I D n bezeugt wird, wieder einen würdigen Platz in der menschlichen und Gottesgemeinschaft verschaffen \ In Spr. 3, 3—4 mahnt der Weisheitslehrer den Jüngling: „ RDNI non mögen nicht von dir weichen. Binde sie um deinen Hals, schreib sie auf die Tafel deines Herzens, so wirst du Gewogenheit und ,guten R u f ' 2 vor Gott und den Menschen finden." E r lehrt, daß sich der einzelne nicht als unabhängiges, nur auf sich gestelltes Individuum betrachten dürfe, sondern als Glied einer Gemeinschaft, in deren gesamtem Wohl sein eigenes zu suchen sei. Diese Gemeinschaft wird in der Übung treuer Liebe zur Gemeinschaft der Glieder des Gottesreiches. Es ist möglich, daß der Weisheitslehrer den Vers J e r . 31, 33 kannte, wenn er seine Schüler und Zuhörer mahnt, NDNI I D N auf die Tafel ihres Herzens zu schreiben. Sie sollten den von Gott auf ihre Herzen geschriebenen Bund innehalten und ihn als ihren Gott gewinnen dadurch, daß sie sich ihm durch wohlgefälliges Handeln als treue Diener erweisen. Gotteskinder, die Gott lieben und seine Liebe gewinnen wollen, müssen zuerst unter sich göttliche Liebe üben. In Zach. 7, 9 lesen wir, daß Jahwe durch die Propheten sagen ließ: „Richtet treues Gericht, und übet Brüderlichkeit und Erbarmen (D'ami iDn)!" Hesed ist mehr als mispat 'emeth, und von hesed zu rahamim ist kaum ein Schritt. Nur schließt hesed die Idee des Pflichtgemäßen ein, die für rahamim nicht in Frage kommt. In Ps. 109 haben wir die Bitte eines in sittlicher Entrüstung sich erhebenden frommen Mannes an Gott, seinem Bedränger keinen non zu erweisen8, weil dieser nie "ton erwies 4 . E r befehdete ihn nämlich ohne Grund, verfolgte die Armen und Gebeugten, denen man doch zuerst non erweisen muß, und mißachtete die treue Verhaltungsweise, die zwischen allen Menschen zu bestehen hat. E r brachte also auch Gott keine Liebe entgegen. Deswegen sollte er nach dem Wunsche des Beters aus der menschlichen und Gottesgemeinschaft ausgestoßen werden. W i r haben bis jetzt diejenigen Stellen behandelt, in denen i c n vorkam als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise der Menschen unter sich und, explicite, zugleich Gott gegenüber. Ilesed wurde von Gott verlangt. W i r gehen jetzt zu den Stellen über, in welchen non 1 3

Vgl. Hos. 12, 7 ; 10, 12. 4 V. 16. V. 12.

2

AVJ BW, vgl. KITTEL, B. H. Z. St.

28

Ii- Kap.

ion als menschliche Verhaltungsweise in religiöser Bedeutung.

als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise aller Menschen unter sich dargestellt wird und nur implicite auf Gott zu beziehen «ist.

n. Ton als die gemeinschaftgemäfse Verhaltungsweise der Menschen unter sich und, implicite, Gott gegenüber in der prophetischen und verwandten Literatur. Es ist unmöglich, in der prophetischen und verwandten Literatur Sittlichkeit und Religion voneinander zu trennen 1 . Sie bilden ein Ganzes und sind unlösbar miteinander verbunden. Deshalb hat l o n auch in denjenigen Stellen in dieser Literatur, wo scheinbar nur von Menschen die Rede ist, eine direkte Beziehung auf Gott. Daß, wie in Spr. 3, 4 gesagt wird, derjenige, der hesed übt, bei Gott und den Menschen beliebt wird, gilt auch für die hier zu besprechenden Stellen. In ihnen wird besonders deutlich, daß die Erfüllung der sittlich-religiösen Pflichten den Menschen zum Segen wird, daß, wer lDn-gemäß handelt, IDn-gemäß behandelt wird.

1. Das TDn-Tun der Menschen und ihr entsprechendes Ergehen. a. d e r M e n s c h e n i m a l l g e m e i n e n . In Spr. 11, 17 tritt non in seinem gemeinschaftgemiißen Charakter klar hervor: „Wer non übt, tut sich selber Gutes; der Hartherzige aber schneidet ins eigene Fleisch" a. "Wer als Glied der menschlichen Gemeinschaft deren Gesetze befolgt, hat die Freude und den Lohn der Erfüllung der von Gott gestellten Aufgabe des Sich-Gott-Näherns. Der einzelne tut aber nicht aus Berechnung Gutes, um von anderen nichts Schlechtes zu erfahren, sondern um den sittlich-religiösen Pflichten nachzukommen, die ihm die menschliche und Gottesgemeinschaft auferlegen. Hesed wird also auch Kranken, Armen und Hilflosen erwiesen, die vielleicht nie eine Gegenleistung vollbringen können. D a aber nach dem Glauben der alten Frommen ein direkter Zusammenhang zwischen Tun und Ergehen besteht, findet das gemeinschaftgemäße Handeln doch irgendeine Gegenleistung; denn so hat Gott die Welt geordnet 8 . Subjektiv aufgefaßt kann hesed, welcher auch und besonders den Armen erwiesen wird, als Gnade oder Huld erscheinen. Objektiv bleibt hesed die pflichtgemäße Verhaltungsweise der Menschen unter sich und implicite und explicite Gott gegenüber. 1 Vgl. VOLZ, Der Prophet Jeremia. Leipzig 1922, S. 294. " Vgl. VOLZ, Weisheit, in „Die Schriften des A. T." Göttingen 1921, z. St. 3 Spr. 19, 17: „Wer den Armen hilft, leiht Gott; Er vergilt ihm seine Guttat".

II.

als die gemeinschaftsgemäße Verhaltungsweise usw.

29

Hesed in bezug auf Tun und Ergehen tritt deutlich hervor in Spr. 19, 22. „Der Gewinn des Menschen ist sein hesed" Hier wird der Gedanke ausgesprochen, daß demjenigen, der non erweis^ Segen und Heil zuteil wird; denn hesed bringt eine feine Art der Vergeltung mit sich.. "Wer alle Menschen als Glieder seiner eigenen Familie betrachtet und sich immer das Wohl der ganzen menschlichen Gemeinschaft vor Augen hält, ebnet (das bleibt hier unausgesprochen) sich den W e g zum Gottesreiche und wird der Gottesgemeinschaft teilhaftig. In Spr. 21, 21 lesen wir: „Wer npiü und IDn nachjagt, findet D"n, npTX und TD3". Anscheinend ist hier die Rede nur von Menschen ; jedoch ist 1DH auch auf Gott zu beziehen. Als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise der Menschen unter sich ist ~on auch die richtige Gott gegenüber. Das ergibt sich, wie auch die volle Bedeutung des ganzen Satzes, wenn man ihn folgenderweise übersetzt: „Wer ,Rechtverlialten' 2 und Brüderlichkeit nachjagt, findet Leben, ,die vor Gott geltende Rechtbeschaffenheit' 8 und Ehre." ~on und npn: sind hier nicht Synonyma; denn l o n ist bedeutungsreicher*, npix ist Rechtverhalten, an dieser Stelle vielleicht schon mehr, nün ist gemeinschaftgemäßes Verhalten, ist Brüderlichkeit und Liebe überhaupt; und den Anforderungen des Rechtverhaltens natürlich entsprechend, schließt hesed npiü in sich ein. Der Bedeutungsunterschied zwischen IDn und np"lü ist immer kleiner geworden; npix geht schließlich in "TDn über 5 . Ein p>"ts und ein "ran tf'X sind ein und dasselbe Der pns übt iDn Hesed in bezug auf Tun und Ergehen kommt auch in Spr. 14, 22 vor: „Fürwahr, in die Irre geraten diejenigen, welche auf Böses bedacht sind, aber l D n und riDN widerfährt denen, die auf Gutes bedacht sind." Unausgesprochen bleibt hier der Gedanke, daß, wer Gutes übt, von Gott entsprechend behandelt wird. Diejenigen, die die Pflichten der menschlichen und der Gottesgemeinschaft erfüllen, erfreuen sich auch ihrer Vorteile und ihrer Rechte. Diejenigen aber, die Böses üben, gehen der Rechte der menschlichen Gemeinschaft verlustig und werden auch aus der Gottesgemeinschaft ausgestoßen. W e r noxi non erfahren will, muß noxi "ron üben. 1 Lies riman für ninn. V g l . KITTEL, B . H. Z. S t . ; WILDBBOEB, a. a. 0 . , z. St.; FHANKENBEBO, Die Sprüche. Güttingen 1898, z. St., u. a. ^ * KAUTZSCH, Über die Derivate des Stammes pis im alttestamentlichen SprachS KAUTZSCH a. a. 0 . S. 49. gebrauche, Tübingen 1881, S. 144.

* Vgl. 103, 17. 1 8 : 5 Vgl. 6 Jes.

S. 2 4 ; J e s . 16, 5 ; J e r . 9, 2 3 ; Ps. 33, 5 ; 40, 11. 1 2 ; 85, 1 1 ; 89, 1 5 ; 3 6 , 1 1 ; 145. 17, DALMAN, Die richterliche Gerechtigkeit im A. T . , Berlin 1897, S. 7 Anm. 6. 57, 1. ' Pa. 141, 5 ; vgl. Spr. 27, 6.

30

II- Kap.

ìDn als menschliche Verhaltungsweise in religiöser Bedeutung.

Es ist der Ruhm der guten Frau, daß sie non-gemäß handelt. I n dem schönen Kapitel Spr. 31 lobt man sie, indem man von ihr sagt, Y . 26 : „Ihren Mund tut sie auf mit Weisheit, und liebevolle Weisung (iDn m i n ) ist auf ihrer Zunge". Mit Liebe spricht und handelt die gute Frau. Daß eine Belehrung, in Menschenfreundlichkeit erteilt, wertvoll und geistig nützlich ist, sehen wir aus Ps. 141, 5 : „Es schlage mich ein Gerechter in Menschenfreundlichkeit und weise mich zurecht". b. d e r

Regenten.

In Spr. 20, 28 lesen wir, daß ein König seinen Thron auf hesed aufbauen muß, wenn er ihm Dauer verleihen soll; denn der hesed, welchen der König übt, versichert ihn des hesed und 'emeth seiner Untertanen und, was sich von selber versteht, seines Gottes, dem er huldigt 1 . Die Regentenpflichten des Königs decken sich mit seinen sittlich-religiösen Pflichten, deren Erfüllung seinem Throne Dauer verleiht 2 . W i r möchten den Vers so übersetzen: „Liebe und Treue werden den König schützen, wenn er seinen Thron auf Liebe aufbaut" 8. Es ist vorgeschlagen worden, mit L X X pis für das zweite iDn zu lesen4, etwa wie in Jes. 9, 6 und Spr. 16, 12, was aber nicht nötig ist. ]Jesed schließt schon plü ein, und es liegt kein Grund vor, den Text zu ändern. Auch in Jes. 16, 5 ist es möglich, hesed als die sittlich-religiöse Yerhaltungsweise eines Königs aufzufassen5. „Es wird aufgerichtet in Menschenliebe ein Thron, und sitzen wird darauf in Treuen in Davids Zelt ein Richter, der nach Recht trachtet und auf Gerechtigkeit eifrig ist". Hesed war in alten Zeiten die dem Rechts-Pflicht-Verhältnis zwischen König und Volk entsprechende Yerhaltungsweise. Hier wie in Spr. 20, 28 ist hesed mehr, nämlich die Yerhaltungsweise des Königs als Diener Gottes seinen Untertanen gegenüber. In diesem Sinne ist hesed auch in Ps. 101, 1 zu verstehen: „Von Liebe und Gericht will ich singen, dir, Herr, aufspielen." Ein König legt: „die religiös-sittlichen Grundsätze seiner Herrschaft" 6 dar. Es sind tesed und mispat. Hesed ist die Liebe, welche sich mit den Forderungen des Rechts und der Gerechtigkeit deckt; sie verbindet die Glieder einer Gemeinschaft. Die Liebe und Gerechtigkeit, welche 1

V g l . Ps. 61, 8.

3

FRANKENBERO, a. a. 0., z. St., STRACK, Die Sprüche Salomos.

f V g l . Spr. 29, 14. Nördlingen 1888,

z. St., wollen übersetzen: „Die Ausübung von hesed und 'emeth . . . 4

Vgl.

5

So DILLMANN, Der Prophet Jesaia.

Jesaias.

KITTEL, B .

H.,

z. St.,

München 1904, z. St.

TORCZYNER

6

mündlich.

Leipzig 1890, z. St.; ORELLI, Der Prophet

STAERK, L y r i k 2 , S. 256.

31

III. Der hasid.

die Menschen unter sich üben, beweisen implicite die richtige Gesinnung Gott gegenüber; denn so ist Y . l b zu verstehen. Diese Auffassung vertreten

KESSLEB

und

BAETHGENKESSLEB

sagt:

„Der

weitere

Inhalt des Psalms zeigt, daß unter oss'öl Ton ein menschliches Verhältnis gemeint ist. Andererseits soll das Lied nach V. l b Jahwe gelten; beides vereinigt sich, wenn betrachtet wird, daß das durch BDB>Di n c n bezeichnete menschliche Verhalten göttliche Forderung ist, welche einem göttlichen Sein und Verhalten entspricht, das gleichfalls durch tiEB>Di Ton ausgedrückt wird." W i r haben in diesem Kapitel gesehen, daß non die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise der Menschen unter sich ist und sowohl explicite wie implicite die richtige Verhaltungsweise der Menschen Gott gegenüber, das heißt, daß non gleichzeitig den Anforderungen der Sittlichkeit und denen der wahren Religion entspricht. Ehe wir die Untersuchung über diese A r t von Inn zu Ende bringen, wollen wir noch diejenigen Stellen betrachten, worin der hasid besonders in seinen Beziehungen zu seinen Mitmenschen erwähnt wird. III. Der hasid 1. als Gegenteil vom Sünder. Der hasid ist der treue Diener Gottes 2 , der der Gottesgemeinschaft teilhaftig wird, weil er in sittlich-religiösen Taten seine "Wurde bewiesen hat. Auf Gott verläßt er sich8. Er übt Gerechtigkeit, erweist Treue und Liebe und richtet sich im täglichen Leben nach den göttlichen, ethischen Geboten. In Ps. 37, 28 wie in Ps. 97, 10 und I . Sam. 2, 9 4 wird der hasid dem Gottlosen und dem Sünder gegenübergestellt6; er erfreut sich der Liebe Gottes, aber der Sünder geht der Vertilgung entgegen6. In Spr. 11, 17 ist der non w x das Gegenteil von dem nTSN, dem Hartherzigen. 2. gleich dem Redlichen und Gerechten. Gleich dem hasid ist der D'ON "DJ, der redliche Mensch, wie wir aus Ps. 18, 26 und in I I . Sam. 22, 26 ersehen. In Micha 7, 2 wird der 1

KESSLEB, Die Psalmen. München 1899, z. St.; BAETHGEN, Die Psalmen. Göttingen 1892, z. St. 4 Vgl. Ps. 86, 2; 79, 2; 143, 12; 119, 124; 31,17; II. Chr. 6, 41. 42. • Vgl. Anm. 2; Ps. 32, 6; 145, 10; 30, 45: Neil. 13, 14. * EHRLICH, Bandglossen znr Hebräischen Bibel, Leipzig 1910, Bd. III, z. St, 1 Vgl. Ps. 52, 3. liest TN' iHo auf die vorhergenannten Objekte zu beziehen. Vgl. KEIL, Biblischer Kommentar über den Propheten Jeremia, Leipzig 1872, z. St.; Hos. 6, 6; Micha 7, 18; Ps. 37, 28. 2

V g l . K E I L , a. a . 0 - , z . S t . ; ORELLI, V., J e r e m i a ,

z . S t . ; COHNILL, a . a . 0 . , s

5, 4 ;

z u Jer. 31,

z . S t . ; GIESKBBBCHT, a . a .

0.,

34.

Vgl. Jer. 22, 1 5 - 1 6 ; 24, 7; 31, 34; 2, 8; 4, 22; 9, 2. 6 ; Hos. 2, 22; 4, 1; 6, 6

Ps.

103, 6.

4

V g l . . CORNIIX, a, a . 0 .

5

V g l . Jer. 31,

33.

• Vgl. Jes. 16, 6; Hos. 12, 7; Micah 6, 8 ; Sach. 7, 9 ; Ps. 101, 1; S. 24. 26, 3 1 : 8. 38, Anm. 6. 1 KEIL, a. a. 0., z. St.: „ion . . . bildet die Grundlage für das Recht und die Gerechtigkeit."

« V g l , Ps. 37, 2 8 ; 99, 4 ; 103, 6 ; KBIL, a. a. 0 . , z. St.

54

III. Kap. ncn als göttliche Verhaltungsweise.

ß. Gott und diejenigen, die ihn fürchten. Verschieden lauten die Bedingungen, welche diejenigen, die der Gottesgemeinschaft und seines entsprechenden hesed teilhaftig werden wollten, erfüllen mußten. Der Bedeutung nach aber sind sie alle gleich — die Gott Suchenden müssen sich seiner würdig erweisen, um ihn finden zu können und in seine Gemeinschaft eintreten zu dürfen. Die Furcht Gottes ermöglicht die Erweisung seines hesed x . Wer Gott fürchtet, hat ihn, wie STAEBK ZU P S . 5 , 8 sagt 2 : „in seinem wahren Wesen erkannt und dient ihm in der Kraft dieser beseligenden Erkenntnis." Wir lesen dann auch an anderen Stellen, daß diejenigen, die Gott lieben und in Treuen ihm folgen, seine Satzungen und seinen Bund wahren, ihn anrufen und allein auf ihn vertrauen, seines hesed gewärtig sein können8. y. Gott und seine Diener. Wie im profanen Leben hesed dem Verhältnis zwischen Herrn und Diener entsprach1, so kennzeichnete hesed das Verhältnis zwischen Jahwe und seinen Dienern. Betrachten wir hesed in d i e s e m Sinne, so fällt ein neues Licht auf die viel angefochtene, und mit Unrecht herabgewürdigte Stelle in Ps. 143, 12 -pay 'JX O 'tt>BJ M S ^ M A N N ! JVDXP "pomi Man übersetzt gewöhnlich: „In deiner Gnade tilge aus meine Feinde und vernichte all die Bedränger meiner Seele, denn ich bin dein Knecht." So sehr man aber anerkennt, daß Ps. 143 „ein Zeugnis starker Frömmigkeit voll tiefer Heilsbegier"6, so allgemein verbreitet ist das durch V. 12 veranlaßte absprechende Urteil über den ethischen Gehalt des Psalms, am schärfsten und krassesten von D U H M formuliert8, wenn er sagt: „Durch seine Gnade wird Jahwe des Dichters Feinde vernichten! Man sollte fast inona in deinem Grimm als ursprünglich vermuten, die Gnade wirkt in solchem Zusammenhang abscheulich. Aber leider kann man dem Autor viel zutrauen." Die Anflehung der Gnade Gottes in diesem Zusammenhang wäre allerdings befremdend, wenn man sich auch in die Denkart eines solchen robust naiven Beters hineinversetzen könnte. 1 Vgl. PB. B, 8; 33, 18; 147, 11; 103, 11. 17; Prov. 16, 16; Hiob 6, 14; Ps. 25, 10. 14; 31, 20; 86, 11; 61, 8. 6; 85, 8f.; 115, 1. 11; 145, 17f.

* Vgl. STAEBK, a. a. 0., z. St.

» Vgl. Ex. 20, 6; Dt. 5, 10; 7, 9; Dan. 9, 4; Neh. 1, 5; 9, 32; Ps. 25,10; 103, 17—18; 26, 3; 119, 159; I. Kön. 8, 23; II. Chron. 6, 14; Ps. 4, 4; 86, 5; 145,17—20; Ps. 13, 6; 21, 8; 32, 10; 52, 10; 143, 8; 17, 7; 33, 18. 22; 144, 2; 147, 11. 1 Vgl. I. Sam. 20, 8; L Kön. 20, 31; S. 12. 17. * Vgl. STAEBK, a. a. 0., z. St.

4

Vgl. DUHM, a. a. O., z. St.

IV. "!Dn als die gemeinschaftgemäCe Verhaltungsweise Jahwes usw.

55

Verschiedene Änderungen sind für dieses als Gnade verstandene und dadurch der ganzen sittlich-religiösen Tiefe des vorangehenden Liedes widersprechende Wort non vorgeschlagen werden. G U N K E L 1 möchte mit DUHM "jnam lesen; E H E L I C H (nach G D N K E L ) "pnra; P E E L E S 2 will hesed hier mit „Stärke" übersetzen. In scharfsinniger Weise wirft er auch die.Möglichkeit auf 8 , daß in V. 11—12 eine Umstellung vorliegt, so daß ursprünglich an der Stelle des gegenwärtigen Textes stände: WBJ mso ioxin iiona '2'K rvoxn inpnxai Alle Änderungen aber erübrigen sich, wenn man hesed versteht, als die gemeinschaftgemäße Yerhandlungsweise, wonach Gott den Seinen hilft. Der Beter bestimmt seine Beziehungen zu Gott und begründet damit sein Anrecht auf die Erhörung seines Gebets um Hilfe gegen seine Feinde, indem er sich den Knecht Gottes nennt 4 . Diesem Verhältnis entsprach Gottes hesed \ Genau wie hier Gott in seinem hesed die Feinde seines Knechtes vernichten soll, wird er in Ps. 54, 7 gebeten, in seiner 'emeth die Feinde seines ihm Ergebenen zu vernichten. Auf die enge Verwandtschaft zwischen hesed und 'emeth ist schon hingewiesen worden6. Ferner ist hesed in V. 12 parallel zu s'dakah in V. 1 1 7 : „in deiner Gerechtigkeit rette meine Seele aus der Not", — die Gerechtigkeit, wonach Gott den Seinen Recht schafft 8 . Nicht in seiner Gnade, sondern in seinem mit den Anforderungen der Treue und Gerechtigkeit übereinstimmenden hesed als der dem Gemeinschaftverhältnis zwischen .ihm und seinem Knecht entsprechenden Verhaltungsweise, wird Gott angefleht, dessen Feinde auszurotten. Man könnte hesed hier sinngemäß mit „Treue" oder „die in Treuen erwiesene Hilfe" übersetzen. In Ps. 119 erfleht sich ein dienstbarer Knecht Jahwes 9 , ihm in jeder Hinsicht treu und ergeben 10 , den gemeinschaftgemäßen hesed, welchen Jahwe den Gliedern seiner Gemeinde, die in seinem Sinne leben, versprochen h a t n . An Gottesverheißung, den Seinen zu helfen, klammert er sich fest 1 2 . E r ruft Gott an, ihn vor seinen Feinden nicht untergehen zu lassen, sondern ihn seinem gemeinschaftgemäßen hesed ent1 Vgl. PEELES, a. a. 0 . Vgl. GDNKEI,, a. a. 0 . , z. St. Vgl. PERLES, a. a. 0 . , S. 114—15. • Vgl. Ps. 69, 1 7 — 1 8 ; 86, 13. 1 6 ; 116, 1 6 ; 136, 22. • Vgl. S. 64, Anm. 4. » Vgl. Ps. 67, 4 ; S. 36, Anm. 7. ' Vgl. V. 1 ; Ps. 5, 9. • Vgl. KAUTZSCH, a. a. 0., S. 47. • Vgl. V. 76. 124. 122. 125. 140. Vgl. V. 8. 34—35. 42—63. 94 f. I I Vgl. V. 41. 7 6 ; Ps. 138, 2. " Vgl. V. 25. 28. 38. 42. 49. 68. 65. 74. 8 1 - 8 2 . 107. 114. 116. 123. 133. 140. 148. 164. 169—170. I

8

56

III. Kap.

Ton als göttliche Verhaltlingsweise.

sprechend am Leben zu erhalten 1 . Und in wunderbarer Zuversicht auf die Gewährung des hesed Gottes seiner Verheißungstreue gemäß, sagt er in V. 1 6 0 2 : „Rechne ich nach, ist deines Wortes Summe Wahrheit und ewig währt die gerechte Rechtsordnung 3 . non ist parallel in V. 41 zu "¡nyiBTi, in V. 149 zu T o s e t » , und in V. 40 anstatt 'rn "poro steht >J'n "jnpixs. Hesed ist hier allein zu verstehen als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise Jahwes, in seiner Treue verheißen, wonach er in seiner Gerechtigkeit und Rechtmäßigkeit seinen treuen Dienern Hilfe zuteil werden läßt. Ihnen aber lag nicht nur daran, durch Gottes hesed am Leben erhalten zu bleiben, sondern durch diesen der Gottesgemeinschaft entsprechenden hesed ihrem Leben Sinn und Zweck zu geben. So ist auch hesed in Ps. 13, 17 zu verstehen; „Laß dein Antlitz über deinen Knecht leuchten, rette mich in deiner gemeinschaftgemäßen treuen Liebe." ö. Die Gottestreuen im allgemeinen. aa. Die Bitte um die Gewährung des hesed Gottes. Die Sehnsucht der Frommen nach Gottes hesed ist zu erklären nicht durch den begreiflichen Wunsch, dadurch aus der Not gerettet zu werden, sondern vor allem aus der Errettung durch hesed die Überzeugung ihrer Teilnahme an der Gottesgemeinschaft gewinnen zu dürfen. Sie glaubten aber an seinen hesed, auch wenn ihre tatsächlichen Geschicke sie manchmal der Verzweiflung nahe brachten. Als das Allerwertvollste im Leben, und als Selbstzweck erschien ihnen die Gottesgemeinschaft, welcher hesed entsprach. Mit der genialen Intuition der wirklich religiösen Menschen fühlten, wußten sie, daß Gott diejenigen, die sich ihm zukehren, in seine Gemeinschaft aufzunehmen gewillt war. Sie bezeugten durch ihre ihm gefälligen Taten seinen ethisch-religiösen Plan. Noch mehr als sie ihn suchten, wollte Gott, daß sie ihn fänden, damit er mit ihnen gemeinschaftgemäß handeln, seinen hesed ihnen zuwenden k ö n n t e W e n n sie sich im Gefühl ihrer inneren Würdigkeit Gottes Hilfe um Erlösung aus ihren Nöten, um Bewahrung vor dem Tode erbaten, dann waren sie schon im Grunde genommen überzeugt oder konnten sich zu dem Glauben durchringen, daß Gott sich ihrer annehmen, ihnen seinen hesed widerfahren lassen würde um seiner durch hesed zum Ausdruck gebrachten Gemeinschaft mit ihnen willen. 1 Vgl. V. 88. 149. 159. 40; in V. 149 sind wohl -PDRO und IUSMD miteinander zu wechseln; vgl. B. H. ® Vgl. V. 89.

* V g l . DELITZSCH, a. a. 0 . , z . S t . ; STABBK, a. a. 0 . , z. St. 4

Vgl. Micha 7, 18; Jer. 9, 23.

IV. ion als die gemeinschaftgemäße Verhaltungaweise Jahwes usw.

57

H E M P E L sagt: „Israel hat Teil an dem Todesschrecken des Orients, aber es befreit sich von ihm nicht auf dem Wege des Mythos, sondern auf dem Wege persönlich gewonnenen Glaubens an Jahwes Macht und durch den tiefen Glauben, daß nicht nur das Geschöpf mit dem Schöpfer, sondern auch der Schöpfer nach Gemeinschaft mit dem Geschöpf verlangt" Im Ps. 6 betet ein unter den Anfechtungen von Übeltätern und Feinden 3 leidender Frommer: V. 5 „Wende dich her, Jahwe, rette mein Leben, hilf mir um deines hesed willen 8 ." Der Apell an Jahwe, die Seinen seines hesed wegen* zu retten, ist fast eine Probe für ihn. Jahwe kann unmöglich seine Treuen ihren und zugleich dann seinen Feinden unterliegen lassen; mit seinen Treuen hängt auch die Sache Gottes zusammen. Deswegen betont der Betende in V. 6: „Nicht im Tode gedenkt man dein; wer preist dich im s e ol?" In ähnlicher Weise fragt in Ps. 88 ein treuer Gottesdiener, der sich wegen des rettungslosen Aussatzes, dem er seit früher Jugend preisgegeben war, dem Tode nahe glaubt 6 und sich nun von Gott ausgestoßen fühlt 6 : V. 12—13 „Wird im Grabe dein hesed verkündet, deine 'emunah in 'abaddon? Wird in der Finsternis dein Wunder kund, und deine Gerechtigkeit im Lande des Vergessens"? Hinter dem „Warum" in diesem Psalm steht, wie S T A E R K sagt: „der Glaube, der Gott nicht lassen kann und will." 7 Auch in Ps. 6 wird der Betende der göttlichen Hilfe sicher. Die Übeltäter werden beschämt, die Gemeinschaft mit Gott also bestätigt 8 . Den Frommen war der Gedanke an den Tod so schrecklich, weil sie meinten, im s e ol hörten die Beziehungen der Menschen zu Gott auf 9 . Dort konnten sie sich des gemeinschaftgemäßen hesed Gottes nicht mehr erfreuen. Aber ohne hesed war ihnen auch das Leben grauenvoll und sinnlos. „Dein hesed ist ja besser als Leben" ruft der Dichter in Ps. 63, 4 aus 10 . Man kann in diesem Vers "pon geradezu mit „Gemeinschaft mit dir" übersetzen. Das Ideale war von Gott D"n und non zu erhalten, wie in Hiob 10, 12 geschildert wird: „Du hast JOH.

1

Vgl. Jon. HBMPEL in seiner Rezension zu QUELL, Die Auffassung des Todes in Israel, Leipzig 1925, in Theol. Literaturzeitung 1926, Nr. 6, S. 125. » Vgl. V. 8 - 1 1 . • V g l . BBIGOS, a. a. 0 . , z . S t . ; DUHM, P s a l m e n , z . S t . ; KÖNIG, a. a. 0 . , z. S t . ; BBBTHOLET, a. a. 0 . , z. St.

* V g l . P s . 4 4 , 2 7 ; 1 1 5 , 1 ; S. 4 4 .

• V g l . V . 5 . 1 6 ; STAERK, a. a. 0 . , z . S t . ; KITTEL, a. a. 0 . , z . S t . ; u. a. • V g l . V . 15. 0 10

' V g l . STAERK, a. a. 0 . , z . S t .

• Vgl. V. 9—11.

Vgl. Ps. 13, 4 - 6 ; Hiob 13,14; S. 7, Anm. 3 ; vgl. dagegen Ps. 39, 49, 73, 90. V g l . STAERK, a. a. 0 . , z . S t . ; P s . 7 3 , 2 5 ; 3 6 , 8 f . ; 9 4 , 1 6 f . ; S. 6 0 f .

58

III. Kap.

Ten als göttliche Verhaltungsweise

mir Leben gegeben und gemeinschaftgemäß mit mir gehandelt, deine Obhut hat meinen Odem bewahrt 1 ." Von einem treuen, gerechten Gott durften die ihm Ergebenen, die im sündelosen, sittlichen Verhältnis zu ihm standen, erwarten, durch Beinen hesed um seines hesed willen befreit zu werden. So betet in Ps. 109, 26 (vgl. V. 21) ein Frommer: „Hilf mir, Jahwe, mein Gott, erlöse mich nach deiner gemeinschaftgemäßen Treue." E r wußte sich als Gerechter, als einer, der sich seinen Mitmenschen und daher auch Gott gegenüber hesedgemäß betätigt hatte 2 , im Gegensatz zu seinem Bedränger, der sogar den Armen keinen hesed erwiesen hatte 3 . Deswegen konnte er Gott so inbrünstig bitten, seinem Widersacher keinen hesed zu erweisen4, ihm aber seiner gemeinschaftgemäßen Verhaltungsweise entsprechend zu helfen. In Ps. 43, 1 wird Gott von seinem Frommen gebeten, ihn vor seinen Bedrängern zu schützen und ihm Recht zu verschaffen; sonst 5 müsse er sich aus der Gottesgemeinschaft ausgestoßen fühlen: „Richte mich, Jahwe, und führe meinen Streit vor Leuten, die deiner Gemeinschaft nicht angehören (TDn «b 'lJö), von Menschen des Trugs und Frevels befreie mich." V. 1 b erklärt vollauf Ten ^ut), warum sie nicht Glieder der Gotttesgemeinschaft sein konnten. I n Ps. 42, zu dem Ps. 43 die Fortsetzung bildet 8 , bittet der Fromme, dessen einziges Verlangen ist, in Gottes Gegenwart sein zu d ü r f e n G o t t , ihn aus seiner Not zu erlösen. Mit Recht scheinen ihn seine Feinde mit der Frage zu verhöhnen, wo denn sein Gott sei, der ihm hätte helfen sollen 8 . So fleht er V. 9 Gott an, ermöge ihm seinen hesed entbieten Die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise Gottes, wonach Gott den Seinen Hilfe bringt, ersehnt er sich, — aber nicht nur der Hilfe wegen, sondern, vor allem, um die Gewißheit zu erlangen, der Gottesgemeinschaft teilhaftig zu sein. Und in seinem Gebet wird er des Heils Gottes sicher 10 . Die Phraseologie non mrp ms1 wird verständlich, wenn man erkennt, daß hesed hier in der religiösen Phantasie des Beters personifiziert ist. Wie ein Bote ist Gottes hesed, den er den Seinen zur Hilfe entsendet. Wie Engel sind hesed und 'emeth, die Gott vom Himmel herab schickt, um bei den Menschen 1 Nach. D«n lies mit BUDDE (Das Buch Hiob, Göttingen 1913, z. St.) »S NNI; vgl. Prov. 21, 21; Ps. 119, 88. 149. 169. * Vgl. V. 4—5. » Vgl. V. 12. * Vgl. V. 16; S. 27. • Vgl. V. 2.

* V g l . STABBK, KITTEL, GUNKEL, KÖNIG, U. a .

' Vgl. V. 2 - 3 .

• Vgl. V. 4. 10—12.

* V . 9 ist in Unordnung.

M i t KITTEL, a . a . 0 . , z . St., BEETHOLET, a . a. 0 . , z. St.,

wird nix' als Jnssiv zu betrachten sein.

10

Vgl. V. 6. 12; 43, 5.

IV. ion als die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise. Jahwes usw.

59

seinen heiligen "Willen in bezug auf die Glieder seiner Gemeinschaft auszuführenMenschengleich treffen sich hesed und 'emeth, gedek und salom küssen sich 2 . Auch in anderer Weise beschäftigt sich die Phantasie der Frommen mit liesed, was für sie das höchste Gut ist. Man dachte sich nicht nur Gottes hesed als mächtig und groß 8 , sondern als die ganze Erde füllend 4 und bis zum Himmel reichend 5 . Gibt es ein besseres Zeugnis für die "Wichtigkeit des Begriffs hesed im alttestamentlichen Denken, als daß er in mystischer Bewunderung lebendig gestaltet wird? Im Bewußtsein, für die Gottesstadt und den Gottesdienst fromme Werke geleistet zu haben, bittet Nehemia Gott, ihm gnädig zu sein nach der Fülle seines ljesed (Neh. 13, 22). Nehemia hat Gott hesed entgegengebracht. In V. 14 bezeichnet er seine frommen Taten, welche seine Gotthingegebenheit bewiesen haben, als n o n 6 . In pietätvoller Ehrfurcht erbat er sich dann die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise Gottes, welche er den Gliedern seiner Gemeinschaft widerfahren läßt. In der "Formulierung seines Gebets "pon 313 ^y ncim kommt nicht nur die tiefe Pietät und Ehrfurcht Nehemias Gott gegenüber zum Ausdruck, sondern auch die Erkenntnis, daß die Gemeinschaft und der entsprechende hesed, welche Gott den Seinen gewährt, letzten Endes aus seiner Gnade erfolgen. 1

Vgl. Ps. 57, 4 ; 40, 12; 61, 8 ; Proy. 20, 28; Ps. 23, 6 ; 89, 15; 59, 11; 85, 11—14;

43, 3 ; BBIQQS, a, a. 0 . , z u P s . 57, 4 ; KESSLEB, a. a. 0 . , z u P s . 23, 6 .

* Vgl. Ps. 85, 11. * V g l . P s . 86, 1 3 ; 145, 8 ; N u m . 14, 1 9 ; BBIOGS, a. a. 0 . , z u P s . 86, 13.

6 * Vgl. Ps. 33, 6; 119, 64. Vgl. Ps. 57, 11; 108, 5; 36, 6; 103, 11. 6 Vgl. II. Chr. 32, 32 ; 35, 26. Es ist bemerkenswert, daß, was in II. Kön. 20, 20 (vgl. I. Kön. 16, 27; 22, 46; II. Kön. 10, 34; 13, 8. 12; 14,15) w-iaa, in II. Chr. 32, 32 (35, 26) vion genannt wird. Es scheint, daß der Chronist die Änderung nicht nur der erbaulichen Wirkung wegen vorgenommen hat, sondern weil miaj in einem Sinne mit ien tatsächlich übereinstimmt. Genau wie in einer profanen Gemeinschaft die Mitglieder einander helfen und mit ihrer ganzen Kraft und Stärke zuweilen sich für einander einsetzen mußten, so mußten zuweilen, die Frommen in ihren hesed-Taten Gott gegenüber ihre ganze Kraft für seine Sache einsetzen. Vielleicht wurde eine solche gemeinschaftgemäße HUfetat zuerst IDH genannt, woraus dann die Bedeutung von hesed als die dem Rechts-Pflicht-Verhältnis der Gemeinschaft entsprechende Verhaltungsweise entstanden sein mag. Der Chronist wählte nicht „das doppelsinnige Wort -ion, um anzudeuten, daß die „Stärke" der beiden Könige in der Frömmigkeit lag", wie PEBZ.ES, a. a. 0., S. 89, ausführt. Er nannte die Kraft- und Machttaten Hizkijahus und Joäijahus hesed-Taten, weil sie nach seiner Meinung der Gottesgemeinschaft dienten. Im ähnlichen Sinne waren die Taten Nehemias hesed-Taten.

60

III. Kap.

ton als göttliche Verhaltungsweise.

ßß. Die Zuversicht der Gewährung des hesed Gottes. I n Ps. 23, 6 lesen wir: „Nur norn aiu begleiten mich mein Leben lang; ich darf 'weilen' im Hause des Herrn all meine Tage." 1 Der Fromme hat in der Sicherheit der Gottesgemeinschaft keine Furcht vor dem Leben. Gott ist sein Führer und auch sein Wirt. In seinem Hause darf er wohnen; dort ist er geborgen. Wie im profanen Leben der Gast von dem W i r t die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise hesed erwarten darf 2 , so fühlt er, dessen Seele in der innigsten Gemeinschaft mit Gott aufgeht, sich im Gottes Hause des dem Gast zukommenden hesed sicher 8 . F ü r ihn dem die Gemeinschaft mit Gott das höchste Gut ist, ist Gottes hesed, seine Liebe den Seinen gegenüber, mit Gottes 31B, seiner Güte 4, vergleichbar. Dieser stillen Zuversicht reiht sich in Ps. 13, 6 das in schwersten, durch bittere Not veranlaßten seelischen Kämpfen errungene Vertrauen an Gottes hesed an: „Ich aber vertraue auf deine treue L i e b e 5 ; es freue sich mein Herz wegen deiner Hilfe 6 . Ich will dem Ewigen singen, denn er hat mir wohl getan". So gibt der Psalmist seinem kläglichen „Warum", ausgerufen wegen der Anfeindung seitens der Gottlosen, selbst Antwort. Gott wird ihm hesed erweiscu, in gemeinschaftgemäßer Treue ihm zur Seite stehen und Hilfe gewähren. In Ps. 21, 8 lesen wir, daß der König, der auf Jahwe vertraut, sicher sein kann, daß er durch den hesed des Höchsten nicht wanken wird. Die Zuversicht wird ausgesprochen, daß demjenigen, der die B e dingungen der Gottesgemeinschaft erfüllt, auf ihn allein vertraut und harrt, der hesed Gottes zuteil wird, und daß er seines Beistandes gewärtig sein darf In der Zuversicht, daß ihm der hesed Gottes erhalten bleibt, findet der Fromme in den schwersten Nöten des Lebens Ermutigung. So sagt der Dichter in Ps. 94, 17—18: „Wenn Jahwe nicht meine Hilfe wäre, bald ruhte meine Seele im Lande der S t i l l e 8 ; wenn ich denke, mein Fuß kommt ins Wanken, dann stützt® mich Jahwe, dein hesed 1 0 " . W i e in Ps. 21, 8 ist hesed ( nicht Gnade, sondern die gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise, wonach Jahwe den Seinen in Treuen Hilfe 1 Lies .J mit „he exerted himself for the entertainment of guests". W i r haben im ersten Kapitel gezeigt, daß 1DH die gemeinschaftgemäßo Verhaltungsweise zwischen Gastgeber und Gast ist 2 . Bbugsch übersetzt verschiedene Formen von Oki^. mit „sich versammeln, um einander zu helfen"; „gemeinschaftlich gegen einen Feind handeln". O

an „(zur Hilfe) bereit sein";

F ü r i A & a W gibt er

'

r>

„hilfsbereit";

"

I )

öü^ixs»

,-Hilfe-

leistung". Der Begriff der gegenseitigen Hilfe, der sich als Grundlage des biblischen "Wortes erwies, charakterisiert auch das arabische Wort. entwicklungen einer einzigen Wurzel haben; die Übergänge lassen sich auf verschiedene Weise vorstellen, aber keinesfalls sicher bestimmen." Vgl. Haupt, A J S L . , Vol. 26, p. 241. Dagegen Sciiulthess a. a. 0 . : „Das aram. ion. r £ü.*j scheint aber auch wurzelhaft vom hebr. verschieden zu sein." So auch Landau, a. a. 0., Smith, a. a. 0 . Hesed als „Schande", „Schmach" (vgl. Lv. 20, 17; Prov. 1 4 , 3 4 ; 25,10) könnte die gegenteilige Bedeutung von hesed in dem festgestellten Sinne sein. Darunter wäre dann zu verstehen die Verhaltungsweise, welche gegen das Rechts-Pflicht-Verhältnis der Gemeinschaft verstößt. Eine solche gegen die Gesetze der Gemeinschaft verstoßende Handlung wäre der verbotene geschlechtliche Verkehr zwischen Bruder und Schwester, welcher in Lv. 20,17 als ten gebrandmarkt wird. Eine solche Handlung hatte dann den Tod und die Ausstoßung aus der Gemeinschaft zur Folge. Herr Dr. H. Torczyner hat mich auf die Möglichkeit dieser Bedeutung aufmerksam gemacht. Ryssel, Die Synonyma des Wahren und Guten in den Semitischen Sprachen, Leipzig 1872, S. 49, leitet ion von stringere, ab. Die Ableitung ist wenig ansprechend. ! Brugsch, Arabisch-Deutsches Handwörterbuch, Hannover 1924 f. 1 Lane, An Arabic-English Lexicon, London 1865. * Smith, a. a. 0., vergleicht ion mit der arabischen Wurzel „HSHD, in which the idea of friendly combination appears to lie, in correspondence with the fact that in Hebrew ion is the virtue that knits together society. It is noteworthy that hashada has a special application, in the phrase hashadü lahn, to the joint exercise of hospitality to a guest."

Lippart & Co. 0. m. b. H.. Naumburg a. S.

Vorträge

des

Institutum

Judaicum

Entwicklungsstufen der jüdischen Religion Hugo Greßmann: Einführung Ismar Elbogen: E s r a und d a s n a c h e x i l i s c h e J u d e n t u m Juda Bergmann: D a s J u d e n t u m i. d. h e l l e n i s t i s c h - r ö m i s c h e n Zeit Michael Guttmann: Zur Entstehung d e s T a l m u d s Julius Guttmann: Die r e l i g i ö s e n Motive in d e r P h i l o s o p h i e d e s Maimonides Leo Baeck: D i e Mystik im J u d e n t u m 1927 —

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