Sprachtheorie, Sprachgeschichte, Philologie: Reden, Abhandlungen und Biographie [Reprint 2014 ed.] 9783110918977, 9783484312005

Two years after the 150th anniversary of Hermann Paul's (1846-1921) birth and one year after the 100th anniversary

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German Pages 361 [364] Year 1998

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Sprachtheorie, Sprachgeschichte, Philologie: Reden, Abhandlungen und Biographie [Reprint 2014 ed.]
 9783110918977, 9783484312005

Table of contents :
Vorwort
Zur Einführung
I. Biographie
1. Hermann Paul †: Mein Leben · Schriften
2. Nachrufe
Von Wilhelm Braune
Von Carl von Kraus
Von Max Hermann Jellinek
Von Otto Maußer
Von Friedrich Wilhelm
3. Briefe
Von Eduard Sievers
Von Wilhelm Braune
An Max Niemeyer
An Edward Schröder
4. Rezensionen
Zu Wilhelm Scherer: Zur Geschichte der deutschen Sprache (1879)
Zu Karl Brugmann: Zum heutigen Stand der Sprachwissenschaft und zu Berthold Delbrück: Die neueste Sprachforschung (1885)
II. Reden
5. Die Bedeutung der deutschen Philologie für das Leben der Gegenwart (1897)
6. Gedanken über das Universitätsstudium (1909)
III. Abhandlungen
7. Ueber die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie mit besonderer Rücksicht auf das deutsche Wörterbuch (1894)
8. Ueber die Aufgaben der Wortbildungslehre (1896)
9. Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften (1920)
10. Über Sprachunterricht (1921)
IV. Einrede
11.1 Zur orthographischen Frage (1880)
11.2. Gutachten von Professor Dr. Hermann Paul in München [Zu Th. Siebs: „Deutsche Bühnenaussprache“] (1899)
V. Bibliographie
12.1. Schriftenverzeichnis
12.2. Sekundärliteratur
Sachregister

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Reihe Germanistische Linguistik

200

Herausgegeben von Helmut Henne, Horst Sitta und Herbert Ernst Wiegand

Helmut Henne/Jörg

Kilian (Hgg.)

Hermann Paul: Sprachtheorie, Sprachgeschichte, Philologie Reden, Abhandlungen und Biographie

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Paul, Hermann: Sprachtheorie, Sprachgeschichte, Philologie : Reden, Abhandlungen und Biographie/Hermann Paul. Helmut Henne/Jörg Kilian (Hrsg.). - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Reihe Germanistische Linguistik ; 200) ISBN 3-484-31200-9

ISSN 0344-6778

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Guide-Druck GmbH, Tübingen Buchbinder: Industriebuchbinderei Hugo Nädele, Nehren

Inhalt Vorwort Zur Einführung I.

Biographie

1. 2.

Hermann Paul t : Mein Leben · Schriften Nachrufe Von Wilhelm Braune Von Carl von Kraus Von Max Hermann Jellinek Von Otto Maußer Von Friedrich Wilhelm Briefe Von Eduard Sievers Von Wilhelm Braune An Max Niemeyer An Edward Schröder Rezensionen Zu Wilhelm Scherer: Zur Geschichte der deutschen Sprache (1879) Zu Karl Brugmann: Zum heutigen Stand der Sprachwissenschaft und zu Berthold Delbrück: Die neueste Sprachforschung (1885) .

3.

4.

II.

Reden

5. 6.

Die Bedeutung der deutschen Philologie für das Leben der Gegenwart (1897) Gedanken über das Universitätsstudium (1909)

III.

Abhandlungen

7. 8. 9. 10.

Ueber die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie mit besonderer Rücksicht auf das deutsche Wörterbuch ( 1894) Ueber die Aufgaben der Wortbildungslehre ( 1896) Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften ( 1920) Über Sprachunterricht ( 1921 )

IV.

Einrede

11.1 11.2.

Zur orthographischen Frage ( 1880) Gutachten von Professor Dr. Hermann Paul in München [Zu Th. Siebs: „Deutsche Bühnenaussprache"] ( 1899)

VII IX

3 9 11 15 24 31 37 42 44 50 56 58 65 67 79

85 107

131 171 193 251

281 319

Inhalt

VI V.

Bibliographie Von Silke Köstler

12.1. 12.2.

Schriftenverzeichnis Sekundärliteratur

Sachregister

325 333 341

Vorwort Titel und Untertitel dieses Buches stammen nicht von Hermann Paul. Fraglich ist, ob sie die Zustimmung Pauls gefunden hätten; fraglos ist die Notwendigkeit des Unternehmens. Wir haben eine knappe Auswahl getroffen: Die klassischen Beiträge, also die Reden und die Akademieabhandlungen, stehen neben den eher unbekannten Spätschriften und den frühen „Einreden". Beiträge zur Biographie eröffnen das Buch, eine Bibliographie schließt es ab. Was wir unberücksichtigt lassen, zeigt die Bibliographie. Das hier zu rechtfertigen, wäre ein weitläufiges und auch überflüssiges Unterfangen. Pauls weitere Beiträge, z.B. seine Arbeiten in dem von ihm selbst herausgegebenen „Grundriss der Germanischen Philologie", sind j a jederzeit verfügbar. Hier geht es darum, den um die Bildungspolitik besorgten Hochschullehrer mit seinen Reden; den Sprachtheoretiker, Sprachhistoriker, Lexikographen und Grammatiker mit noch heute aktuellen Abhandlungen; den streitbaren Forscher zu aktuellen sprachpolitischen Fragen zu Wort kommen zu lassen. Unsere Vorarbeiten zu diesem Werk sind in der Bibliographie verzeichnet. Die Einfuhrung gibt eine erste Orientierung zu den Beiträgen, die Kommentare im biographischen Teil erläutern historische Zusammenhänge. Einen fortlaufenden Kommentar zu jedem Beitrag haben wir nicht für notwendig erachtet: Er lenkte die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Kommentatoren; es bestünde zudem die Gefahr, die Auseinandersetzung des Lesers mit Pauls Werk „vorzuschreiben" und damit die kritische Rezeption eher zu behindern. Die Form des Faksimile-Drucks haben wir bewußt gewählt. Damit steht das Buch in einem historischen Kontext, dessen Inhalt in die Gegenwart hineinreicht. Zu danken haben wir, einmal mehr, Frau Dr. C. Töpelmann, die in der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität in München den Nachlaß Pauls verwaltet, sodann Herrn Dr. Gerhard W. Baur, Freiburg i.Br., der uns seine Abschriften von mittlerweile verschollenen Briefen Pauls an Braune zur Verfügung stellte. Frau Martina Melzer hat als wissenschaftliche Hilfskraft für die Erstellung der Bibliographie Vorarbeiten geleistet. Herr Prof. Dr. Dieter Cherubim, Göttingen, die Universitätsbibliothek ErlangenNürnberg und der Verlag Walter de Gruyter, Berlin, New York, haben uns dankenswerterweise Originalschriften zur Reproduktion zur Verfügung gestellt. Den Handschriftenabteilungen der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen sowie der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München danken wir für die Erlaubnis, Briefe aus ihren Beständen abzudrucken.

Braunschweig, im März 1998, H.H./J.K.

Zur Einführung ι Im Jahr 1996 haben wir den 150. Geburtstag Hermann Pauls gefeiert1, ein Jahr später sein „Deutsches Wörterbuch" hochleben lassen2, das - in neunter Auflage - 100 Jahre alt wurde. Aller guten Dinge sind drei, sagt der Volksmund. Hier sind, unter der Überschrift „Reden", zunächst zwei Arbeiten versammelt, die kultur- und hochschulpolitisch bedeutsam sind: Hermann Pauls Festrede vor der Akademie der Wissenschaften zu München von 1897 („Die Bedeutung der deutschen Philologie für das Leben der Gegenwart") und seine Rede beim Antritt des Rektorats der Münchner Universität von 1909 („Gedanken über das Universitätsstudium"). Die hilflose gegenwärtige Diskussion über den Stellenwert der Universitäten im allgemeinen und den Rang der Geisteswissenschaften („Kulturwissenschaften" in Paulscher Diktion) im besonderen - sie könnte Nutzen, zumindest Belehrung aus diesen Redetexten ziehen. Den Reden schließen sich vier „Abhandlungen" an, die zum einen zum festen Bestand der deutschen Philologie zählen: „Ueber die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie" (von 1894) und „Ueber die Aufgaben der Wortbildungslehre" (von 1896); zum anderen sind es seine - zu Unrecht wenig beachteten Spätschriften „Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften" (von 1920) und „Über Sprachunterricht" (von 1921). Hier versucht Hermann Paul ein Fazit seiner Lebensarbeit zu ziehen. Der streitbare Paul ist in den Beiträgen präsent, die wir unter die Überschrift „Einrede" gestellt haben: eine Stellungnahme (von 1880) zur Reform der Rechtschreibung („Zur orthographischen Frage") und ein Gutachten (von 1899) zum Versuch von Theodor Siebs u.a., über eine einheitliche „Bühnenaussprache" auch zur Vereinheitlichung der Aussprache insgesamt beizutragen. Eingerahmt sind diese Arbeiten von „ B i o g r a p h i e " und „Bibliographie". „Mein Leben" hat Hermann Paul den Abriß seiner wissenschaftlichen Biographie genannt: Die Überschrift ist hochfahrend und bescheiden zugleich. Das dem Abriß beigefügte Schriftenverzeichnis, das zudem von Wilhelm Braune ergänzt wurde, ist unvollständig. Am Schluß dieses Bandes wird deshalb, zum ersten Mal, ein vollständiges Schriftenverzeichnis Hermann Pauls geboten, überdies in Auswahl Arbeiten über Hermann Paul und sein Werk.

1 2

A. Burkhardt/H. Henne (Hrsgg.) (1997), siehe 12.2.1. H. Henne/H. Kämper/G. Objartel (1997), siehe 12.2.2.

χ

Zur Einführung

Den Reigen der Nachrufe eröffnet - wie selbstverständlich - Wilhelm Braune, der Freund seit jungen Jahren. Ihm folgen Carl v. Kraus, Nachfolger auf Pauls Lehrstuhl in München, und Max Hermann Jellinek, die beide, je aus ihrer Sicht, das wissenschaftliche Werk nachzeichnen. Die Nachrufe von zwei Schülern Hermann Pauls, Otto Maußer und Friedrich Wilhelm, werden anschließend geboten: In ihnen erscheint der akademische Lehrer Paul in seinen Kollegs und Übungen. „Lehrer Paul" - das ist ein Ehrentitel, und er ist nicht auf den akademischen Unterricht beschränkt. Ausgesuchte Briefe an und von Hermann Paul sollen die Biographie vertiefen. Die Korrespondenz mit den Freunden und Kollegen, insbesondere mit Wilhelm Braune und Eduard Sievers, spart Persönliches, aber auch politische und zeitgeschichtliche Themen weitgehend aus und ist wissenschaftlichen Problemen und Arbeiten (so der Brief von Eduard Sievers) und Berufungsangelegenheiten (der Brief von Wilhelm Braune) verpflichtet. Auch der Brief an den Verleger Max Niemeyer handelt, natürlich, von der Arbeit. Es geht um „Manuskript der Principien", das Paul für die „Generalrevision" (die 2. Auflage von 1886) einschickt. Und der Brief an Edward Schröder, vom 25. Mai 1889, ist symptomatisch ftir Pauls „Lage" vor seiner Berufung nach München: Als Vormann der Junggrammatiker hat er die Gegnerschaft der Scherer-Schule und der ihr nahestehenden Wissenschaftler auf sich gezogen; die senden, gelegentlich, „Friedensbotschaften" aus - und lassen damit Paul spüren, daß sie ihn verfolgen. Treue zur Sache bei fortschreitender Resignation - so mag man Pauls Antwort umschreiben. Die dem biographischen Teil beigegebenen Rezensionen Pauls greifen über in die Wissenschaft. Sie sollen, an dieser Stelle, in charakteristischer Weise Pauls Etablierung als Sprachtheoretiker nachzeichnen. „Pauls Jugend fiel in eine Zeit lebhafter linguistischer Bewegung", schreibt Jellinek in seinem Nachruf. An dieser „Bewegung" nahm Paul teil, auch mit „scharfefn] worte[n]" 3 , wie die Rezension des einflußreichen Buches von Wilhelm Scherer, „Zur Geschichte der deutschen Sprache", 1. Aufl. 1868, 2. Aufl. 1878, erweist. Paul hat zu dieser Zeit, als Scherer den Entwurf von „Principien der Sprachwissenschaft" als einer „Methodologie des Faches" forderte (2. Aufl. 1878, S. 16), bereits an seinen „Principien" gearbeitet, die so ganz andere Wege beschreiten. Paul stößt sich ab von Scherer, von der neuen Auflage des Buches im besonderen, das die neuen junggrammatischen Ergebnisse nicht oder nur unzureichend verzeichne (und er formuliert in diesem Zusammenhang die neue „Lehre"). Wie er das macht, wie er, zum Schluß, von Scherers „ohnmächtigen Gegenbestrebungen" spricht, das hat ihm den Ruf eines unerbittlichen Kritikers eingetragen, dessen Schroffheit auch verletzte. Darunter hat Paul wiederum, der nur der Wahrheit zu dienen

3

So W. Braune in einem Brief (vom 6.1.1882) an H. Paul, abgedruckt bei Eveline Einhauser, 353; siehe 12.2.1.

Zur Einführung

XI

glaubte, gelitten, bekam er doch zu spüren, wie andere, die ihm wissenschaftlich nachstanden, vorgezogen wurden. „... aber die Wissenschaft darf sich nicht durch persönliche Rücksichten behindern lassen und die jungen Vertreter derselben haben die Pflicht, ihre Grundsätze nachdrücklich zu vertheidigen", formuliert Paul in der zweiten Rezension, die Bücher von Karl Brugmann und Berthold Delbrück, ihm nahestehenden Sprachwissenschaftlern, anzeigt. Paul ahnt, zum Schluß seiner Rezension, daß die wissenschaftlichen Gegensätze wohl auch persönliche zur Folge haben werden. Daß Wissenschaft und Leben nicht zu trennen sind, bringt Pauls Biographie zur Anschauung. Und sie lehrt auch, daß zwar das Leben hinter dem Werk verschwindet; daß man das aber auch Hingabe an das Werk nennen kann - und das Leben dann, als ein exemplarisches, in Erinnerung rufen muß. Einen bemerkenswerten Blick auf Hermann Paul wirft Victor Klemperer in seinen „Erinnerungen 1881-1918". Klemperer hat - unter anderen - bei Paul 1912 seine mündliche Doktorprüfung - „Examen rigorosum (Anzug: Gehrock oder Frack)" 4 - abgelegt und besucht nach sechs Jahren, als Unteroffizier mit Urlaubsschein, seine alte Universität und auch seinen sprachgermanistischen Lehrer: „Auch bei Hermann Paul, der trotz seiner Emeritierung während des Krieges Kolleg hielt, stieß ich auf Sympathie - soweit es in seiner wortesparenden Art lag, sie zu äußern. Es war etwas mindestens ebenso Heroisches um das kleine Männchen mit dem roten Kopf, dem spärlichen Weißhaar, den großen, jetzt starren blauen Augen und den steifen Bewegungen wie um die Männer des Schützengrabens und der Sturmtruppen. Er war erblindet - ,Ich sehe Sie nicht, aber ich erkenne Ihre Stimme' - , er trug den Arm in schwarzer Binde, die Hand war verschwollen (Knochenhautentzündung, sagte Muncker, Knochenfraß, sagte Vossler, ganz verloren, und er weiß es). Dennoch hatte er die völlige geistige Ruhe und wägende Überlegenheit bewahrt und fand noch immer aus bedächtigem Schweigen heraus die treffende, gern satirisch gefärbte Belehrung." 5

2

Die erste seiner kultur- und hochschulpolitischen Reden hat einen Titel wie aus dem nominalen Bilderbuch: Die durch ein Genitivattribut erweiterte Substantivgruppe wird ihrerseits spezifiziert durch ein präpositionales Attribut mit davon abhängigem Genitivattribut: „Die Bedeutung der deutschen

4 5

V. Klemperer, Curriculum vitae. [...]. Bd. 2. Berlin 1996, S. 39. Ebd., S. 623.

XII

Zur Einführung

Philologie für das Leben der Gegenwart". Nach der Beschreibung erscheint der Titel umständlich, aber er ist eingängig und klingt nach. „Philologie" ist für Paul ein Begriff, der Sprach- und Literaturwissenschaft zusammenhält; Paul vertritt diese Wissenschaft, die deutsche Philologie, von der er fordert, daß sie einen Beitrag zur intellektuellen und moralischen Bildung leiste - und dieser Anspruch führt Hermann Pauls Rede in die Gegenwart und macht seine Worte - noch nach 100 Jahren - aktuell: Wenn er z.B. formuliert, daß Sprache „nicht bloss ein Verkehrsmittel" sei, sondern „auch eine Macht, welche die geistigen Vorgänge im Innern des Menschen beherrscht"; daß die Erlernung fremder Sprachen es ermögliche, „sich von den Fesseln der Sprache" zu lösen; daß an die Stelle eines „hohlen Chauvinismus", der „sich mit phrasenhafter Verherrlichung des eigenen Volkstums" begnüge, ein „wahrer Patriotismus" treten müsse, der „strenge Selbstprüfung" fordere und „wissenschaftliche Erforschung der Gesamtentwicklung unseres Volkes". Lehrer Paul - hätte man nur auf ihn gehört. Die Rektoratsrede Pauls aus dem Jahre 1909 trumpft im Titel mit Bescheidenheit auf: „Gedanken über das Universitätsstudium." Das Gewichtige versteckt sich zumeist hinter den klaren, ja einfachen Formulierungen. Die festlichen Worte des neu gewählten Rektors sind alles andere als liebedienerisch; ja sie stellen in gewissen Partien eine Art Beschimpfung dar - des Teils der Studenten, der den Anforderungen des Studiums, aus unterschiedlichen Gründen, nicht genügt und, mangels Begabung und/oder Interesses, auch nicht genügen kann. In diese Kritik eingeschlossen wird mangelhafter Unterricht auf Gymnasien; sie wird ausgedehnt auf das Studium an der Universität, das, zu Anfang, z.T. „verbummelt" werde, insgesamt zu sehr durch „gedächtnismäßige Aneignung" gekennzeichnet sei. Hermann Paul setzt auf „Verarbeitung des Wissensstoffes" und, zu diesem Zweck, auf Reformen an der Universität: Er plädiert für die Benutzung der Seminare, für Übungen (neben den Vorlesungen), auch in den „Kulturwissenschaften", zudem für „elementarere Übungen" für die Anfangssemester und eine „Vermehrung der Lehrkräfte". Die Übungen ergäben die Möglichkeit, daß Studierende wirklich zusammenarbeiteten und in einen intensiveren Kontakt mit den Dozenten träten. Paul leitet seinen Schluß ein mit den Worten: „Liebe Kommilitonen! In Ihrem Interesse habe ich gesprochen." Wer wagt heute solche offenen Worte der Kritik an den Studierenden im Interesse der Studierenden? Pauls kritische Bemerkungen provozieren einen Eklat, der ein lebhaftes Presseecho, auch außerhalb Münchens, findet. Als der Redner kritisiert, daß an diejenigen geringere Anforderungen gestellt werden, „die zum Studium der Theologie bestimmt sind" (von denen manche dann doch noch „zu einem anderen Fach" übergingen), wollen Theologieprofessoren und ihre Studenten - so berichtet die Presse - die Aula verlassen, woran sie nur durch verschlossene Türen gehindert werden.

Zur Einführung

XIII

In einem Zeitungsbeitrag nimmt Hermann Paul unter dem Titel „Gedanken über das Universitätsstudium" (nunmehr im Pressetext in Anfiihrungsstrichen!) gegen die Vorwürfe in der Münchner Presse Stellung. Angegriffen wurden vor allem seine Bemerkungen zum Unterricht an den Gymnasien, zur Bevorzugung derjenigen, die katholische Theologie studieren und zur - nur anziehenden - Vortragsweise in Vorlesungen. In der Presse außerhalb Münchens ist von „Zentrumskreisen" die Rede, die v.a. gegen Hermann Paul stünden. Zur Hilfe eilen ihm seine Schüler. In einer Pressenotiz heißt es: „Wie die zahlreichen Hörer Sr. Magnifizenz des Rektors Herrn. Paul ihm gegenüber empfinden, und wie sie über die unerhörten Angriffe auf seine Lehrtätigkeit denken, das bewies die donnernde, minutenlang andauernde Beifallskundgebung, mit der Prof. Paul am 13. c. [laufenden Monats] in dem Kolleg über die deutsche Literaturgeschichte begrüßt wurde."6

Die Abhandlungen führen in die Welt der Wissenschaft zurück. Die von 1894 ist der Lexikographie gewidmet und nimmt besondere Rücksicht auf das deutsche Wörterbuch. Hier liegt ein klassischer Text zur Wort- und Wörterbuchsemantik vor: historische Bedeutungsentwicklung auf der Grundlage von Quellen; Abgrenzung der Sphären des Gebrauchs (räumlich, sozial, fachspezifisch); Vernetzung des Wortschatzes auf etymologischer, semantischer, grammatischer, wortbildungsspezifischer Ebene; gestufte Form der Bedeutungserklärung; Darstellung der grammatischen und wortbildungsorientierten Spezifik des Wortschatzes - das sind einige Stichworte, die den Text charakterisieren. Diese Akademieabhandlung Pauls ist zugleich eine Kritik an dem „grossen Deutschen Wörterbuche" (der Grimms) - wie Paul eingangs vermerkt. Zusammen mit der folgenden Abhandlung stellt sie eine Station auf dem Weg zu seinem eigenen Wörterbuch dar, das - nach dem Vorwort „im Sommer 1884" begonnen - im Jahre 1897 erscheint. Die Abhandlung „Ueber die Aufgaben der Wortbildungslehre" von 1896 setzt, mehr als die zur Lexikographie, Kenntnisse der Sache voraus. Hermann Paul hat in der 2. Auflage seiner „Principien der Sprachgeschichte" von 1886 ein Kapitel „Entstehung der Wortbildung und flexion" eingefügt. Hier und an anderer Stelle der „Prinzipien" (mit ζ von der 3. Aufl. an), später dann auch in Band 5 „Wortbildungslehre" der „Deutschen Grammatik" (von 1920) hat er seine „prinzipielle" Auffassung von der Wortbildungslehre entwickelt: „Die Zusammensetzung hat sich aus der syntaktischen Verbindung mehrerer

6

Die Angriffe gegen H. Paul wurden im Bayerischen Kurier Nr. 347 und 350 geführt. Pauls Entgegnung in den Münchener Neuesten Nachrichten Nr. 595 (Vorabendblatt) vom 21.12.1909. Von „Zentrumskreisen" spricht z.B. die Tägliche Rundschau, Berlin (14.12.1909). Die Pressenotiz seiner Schüler in der Augsburger Abendzeitung vom 19.12.1909.

XIV

Zur Einfìihrung

Wörter entwickelt", analogisch dazu, nach dem vorgegebenen Muster, wurden dann weitere Verbindungen zu einer Worteinheit verschmolzen. Die Worteinheit entsteht durch Isolierung „ihren Elementen gegenüber", die bedingt, „daß sich die Bedeutung der Verbindung nicht mehr mit detjenigen deckt, die sich aus der Verknüpfung der Glieder an sich ergibt". Auch die Ableitungssuffixe bestehen „aus ursprünglich selbständigen Wörtern", so daß den Zusammensetzungen vergleichbare Strukturen zugrunde liegen; in ähnlicher Weise dehnt sich auch hier die analogische Schöpfung aus. 7 Um solche Grundprobleme geht es nicht mehr in der vorliegenden Abhandlung; vielmehr möchte Paul hier die „Gruppenbildung" des „überlieferten Stoffes" darstellen (wie er in einer Anmerkung seiner „Prinzipien" von 1920, §80 deutlich macht). Zu Beginn seiner Abhandlung spricht er dann auch von einer „Funktionslehre" der Wortbildung, die, zusammen mit der Analyse der vorliegenden Bildungsweisen, die Leistung bzw. Bedeutung konkurrierender Ausdrucksformen bestimmt. So ist die Klasse der Nomina agentis (,Substantive, die den Träger eines Geschehens bezeichnen') differenzierbar in solche, die sich eher auf einen einzelnen Akt (der Stifter des Klosters, der Verführer des Mädchens) beziehen, während andere Benennungen (Raucher, Trinker), dann auch Berufsbezeichnungen (Schneider, Steiger) eher Dauerndes benennen. Hermann Paul strebt also eine historisch argumentierende Onomasiologie der Wortbildungslehre an: die nach den Funktionen bzw. „Bedeutungsschattierungen" spezieller wortbildnerischer Ausdrucksformen fragt. Daß eine solche „Lehre" nützlich für die Beschreibung der Wortbildungen im Wörterbuch ist, bedarf keiner weiteren Begründung. In den nun folgenden Abhandlungen wechselt der Ton. Hermann Paul versucht zu bilanzieren. Die Abhandlung über „Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften" ist in vier Kapitel gegliedert. Man könnte ihnen folgende Überschriften zuweisen: 1. Das Verhältnis von Naturwissenschaften und Kulturwissenschaften; 2. Genese und Struktur einer sprachlichen Verkehrsgemeinschaft; 3. Zur Rekonstruktion geschichtlicher Fakten; 4. Welchem Zwecke dient geschichtliche Forschung? In Kapitel 1 geht es Hermann Paul v.a. darum, den Zusammenhang zwischen den Natur- und Kulturwissenschaften aufzuzeigen. Die Naturwissenschaften sind Gesetzeswissenschaften und insofern allgemeinen Aussagen verpflichtet. Die Kulturwissenschaften - Paul lehnt Diltheys Begriff der Geisteswissenschaften explizit ab - sind gesellschaftsbezogen und, notwendig, historisch; sie sind Gesellschaftswissenschaften oder eben - diese Bezeichnung trifft für Paul das Gemeinte am besten - Geschichtswissenschaften. Ihnen stehen Prinzipienwissenschaften zur Seite, die ihre Methoden z.T. aus der Naturwissenschaft entlehnen und die „allgemeinen Lebensbedingungen des

7

Deutsche Grammatik. Bd. 5. Halle 1920, S. 5,47. Siehe 12.2.1.

Zur Einfìihrung

XV

geschichtlich sich entwickelnden Objekts" (Prinzipien 1920, 1) untersuchen, also zwischen den beiden „Fronten" vermitteln. Damit setzt sich Hermann Paul, wie er im Vorwort betont, von Heinrich Rickert (einem zeitgenössischen Philosophen) ab, der den Kulturwissenschaften - ganz im Sinne des Historismus - eine nur individualisierende Schreibweise zuwies. 8 Paul hingegen insistiert auf Regeln (als allgemeinen Aussagen) - die Sprachwissenschaft macht ihm da gute Vorgaben. In diesem Kapitel spricht er auch von unentbehrlicher „Beschreibung" von „Kulturzuständen", die sich erfüllen in der Analyse der Entwicklung; erst eine solche Darstellung ist für Paul eine geschichtliche und damit wissenschaftliche. In Kapitel 2 formuliert Paul, wie in der Vorrede gleichfalls angekündigt, seinen Widerspruch zu Wilhelm Wundts Begriff der Völkerpsychologie 9 , den er als einen metaphorischen, aber empirisch leeren Begriff ablehnt. Im Zuge der Darstellung der Entwicklung einer sprachlichen Verkehrsgemeinschaft entwirft er, mit Bezug auf die menschliche Sprache, eine dreifache Gliederung: Er spricht von Lautstrukturen („Lauterzeugung"), Worten als Symbolen und von Wortverknüpfung, wodurch eine situationsentbundene Mitteilung möglich werde. In Kapitel 3 insistiert Paul darauf, daß jegliche historische Forschung in die jeweilige Gegenwart eingebunden sei und deshalb von ihr den Ausgangspunkt nehmen müsse - das betrifft vor allem auch sprachhistorische Forschung; aber auch moderne geschichtswissenschaftliche Ansätze, wie sie mit den Begriffen „Zeitgeschichte" und „Alltagsgeschichte" verknüpft werden, finden hier eine frühe Formulierung, etwa wenn Paul „die Erinnerung von Mitlebenden an Erlebtes" als historische Quelle anführt. In diesem Kapitel gibt es weiterführende Bemerkungen zu dem, was heute „Interdisziplinarität" heißt und was Paul, in seiner Sprache, „Notwendigkeit gegenseitiger Hilfeleistung" nennt. Kapitel 4 schließlich formuliert die Nutzanwendung. Eine der „Hauptaufgaben" sei, die „Kulturwerte" der Vergangenheit zu bewahren; Geschichtswissenschaft gebe zudem „Orientierung", dies auch im Sinne von kritischer Reglementierung und Normierung, z.B. in bezug auf die Schriftsprache. Zu diesem Zwecke müßten Prinzipienwissenschaft und Detailforschung eng zusammenarbeiten. Auch hier wiederum die Wendung gegen den Mißbrauch „der vaterländischen Geschichte" zum Zwecke, „nationale Eitelkeit und Chauvinismus großzuziehen. Dem wahren Wohle des Vaterlandes kann nur

' Heinrich Rickert, Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften. Tübingen 21913, 214ff. 9 Vgl. dazu auch: Hermann Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte, Halle a.S. s 1920, S. 13f.; Wilhelm Wundt: Völkerpsychologie. Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte, Bd. 1. Die Sprache. Erster Teil, Leipzig 3 1911, S. 9f.

XVI

Zur Einführung

gedient sein, wenn die nationalen Untugenden nicht verschleiert werden, wenn man aus den Sünden und Fehlern der Vergangenheit solche in Zukunft zu vermeiden lernt." Dreimal verweist Paul in dieser Schrift auf die „Prinzipien"; vor allem das erste Kapitel solle man parallel mit der „Einleitung" seiner „Prinzipien der Sprachgeschichte" lesen. Gleich zu Anfang seiner letzten Schrift „Über Sprachunterricht" - sie ist in seinem Todesjahr 1921 erschienen - stellt Paul Spracherlernung und Sprachentwicklung nebeneinander - wie er es in den „Prinzipien" gelehrt hat: Die Entwicklung resultiert aus der Erlernung (der Sprache durch die nachfolgende Generation). Damit steht der Sprachunterricht, sowohl der in der Mutter- wie in der Fremdsprache, „im engsten Zusammenhange mit der Sprachwissenschaft." Die Zwecke des Sprachunterrichts können auf das Verstehen oder Sprechen gerichtet sein, sie können eher dem mündlichen oder dem schriftlichen Verkehr zugewandt sein. Gemäß den unterschiedlichen Zwecken wandeln sich die Methoden des Unterrichts. Paul nimmt die einzelnen Sprachen, die unterrichtet werden (Deutsch, Latein, Griechisch, Englisch, Französisch) in den Blick und diskutiert ihren Bildungswert. Nachdrückliche Worte widmet er dem „Unterricht im Deutschen". Dieser, wie auch der in den Fremdsprachen, dient der ,,geistige[n] Durchbildung". Zum Sprachunterricht rechnet Paul aber auch die Sprachgeschichte und, in gewissem Sinne, auch die Sprachvergleichung, was er an vielen Beispielen v.a. aus dem Deutschen, Lateinischen und Englischen deutlich macht. Seine leicht lesbare letzte Schrift legt den Nachdruck auf inhaltliche Aspekte; methodische werden nur am Rande behandelt. Wieder verweist Paul mehrfach auf seine „Prinzipien". Emphatisch plädiert er fur den „Unterricht im Deutschen", der „oft für überflüssig erklärt worden" sei: Hier meint man (wiederum) einen Widerspruch zu Jacob Grimm herauszuhören.

3

Pauls Beitrag „Zur orthographischen Frage" in der Reihe „Deutsche Zeit- und Streitfragen" (im selben Jahr - 1880 - , in dem Konrad Dudens „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache" in Leipzig erscheint) ist ein erhellendes Dokument - auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion. Paul bestimmt das „Wesen der Orthographie", legt also dar, daß das „phonetische Prinzip" notwendig durch das Homonymieprinzip (mahlen vs. malen), das Stammprinzip (Tag trotz stimmloser Aussprache) und historische Konventionen eingeschränkt werde. Da die Aufgabe der Orthographie nur eine „praktische" sei, könne weder die

Zur

Einführung

XVII

historische noch die phonetische Richtung zu akzeptablen Ergebnissen kommen: jene wolle historische Konventionen (die des Mittelhochdeutschen) restituieren, diese das phonetische Prinzip allein zur Geltung bringen. Die Schwierigkeit jeder von oben durchgeführten Reform macht Paul deutlich: Einerseits läge den Neuerungen kein „klares Prinzip zu Grunde"; andererseits werde die Grenze, wo Prinzipien zugrunde lägen, willkürlich gezogen. Paul wendet sich also entschieden gegen eine Reform von oben. Er empfiehlt stattdessen, ein Regelbuch zu verfassen, das das wirklich Übliche enthalte; das sodann die Schwankungen verzeichne mit Angabe der weiter verbreiteten Schreibweise. Danach solle, in einem dritten Schritt, „in der Form eines Rathes" notiert werden, was nach den wissenschaftlichen Einsichten das „Empfehlenswerthere" sei (S. 39). Pauls Schrift setzt ein mit dem Bemerken, das Vorgehen des „preußischen Cultusministeriums" habe „nicht mit Unrecht" Erstaunen hervorgerufen. Das bezieht sich auf die Herausgabe eines orthographischen Regelbuchs im selben Jahre („Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zum Gebrauch in den preußischen Schulen." Berlin 1880), die Reaktion Preußens auf die gescheiterte 1. Orthographische Konferenz (in Berlin) von 1876. Insofern mischt sich Paul unmittelbar ein. Eine „freie Vereinigung der deutschen Verlagsbuchhandlungen" sollte dem zu schaffenden Regelbuch Nachdruck verleihen, die Regierungen sollten ihre „störenden Verordnungen" zurücknehmen. Vorzunehmende Revisionen des Regelbuchs sicherten die Entwicklung der Rechtschreibung. Paul gibt einer Reform gegen den Widerstand der großen Mehrheit keine Chance: „Eine Reform hat nur dann Aussicht auf allgemeine Annahme, wenn sie der Neigung des Publikums und den Interessen des Buchhandels nicht zuwiderläuft" (S. 37). Der letzte Text dieser Sammlung ist ein Gutachten Pauls. Es bezieht sich auf das von Theodor Siebs „im Auftrage der Kommission" herausgegebene Werk „Deutsche Bühnenaussprache" von 1898. Der „Allgemeine Deutsche Sprachverein" war von Theodor Siebs ersucht worden, Stellung zu nehmen, und der Vorsitzende hatte seinerseits Mitglieder des Vereins, darunter Hermann Paul, um ein Gutachten gebeten (vgl. Wiss. Beihefte zur Zs. des Allgemeinen Dt. Sprachvereins. 3. Reihe. 1896-1901, S. 177). Daß Theodor Siebs die „Bühnenaussprache" über die Bühne hinaus zum Vorbild erheben wollte, geht aus folgender Formulierung hervor: „Wir brauchen in ganz Deutschland für den Unterricht, und im Auslande brauchen diejenigen, die Deutsch lernen wollen, Bestimmungen über die mustergültige Aussprache" (Deutsche Bühnenaussprache. 1898, S. 6f.). Orthoepische Fragen, also solche der richtigen Aussprache, wurden im Zusammenhang mit den Bemühungen virulent, eine einheitliche Orthographie zu schaffen. Der Vorläufer von Siebs' Werk war das 1885 veröffentlichte Büchlein des Marburger Phonetikers Wilhelm Viëtor „Die Aussprache

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Zur Einführung

des Schriftdeutschen". Dieser hatte die Wörter des preußischen Regelbuchs (s.o.) in „eine reine, des geeinten Deutschlands würdige Aussprache" transkribiert, wie sie „auf der Bühne, so auch in der Schule, in der Kirche und überall sonst zur Geltung kommt, wo nicht engerer Verkehr der Mundart ihr Recht sichert" (S. VI). Paul nun äußert sich abfällig über Siebs' „Bühnenaussprache". Er bemerkt, daß die Ergebnisse nicht auf einer „sorgfältigen, unbefangenen Beobachtung" aufruhten, also empirisch nicht abgesichert seien und belegt das durch Beispiele. Zudem tue das Buch den Landschaften Gewalt an und bedrohe die „Natürlichkeit der Sprache": „Es hat auch gar keinen Zweck, daß wir Deutschen alle völlig einerlei reden." Zwar müsse das gegenseitige Verständnis gesichert sein; darüber hinaus seien aber die Eigenheiten landschaftlicher Umgangssprachen zu wahren. Pauls Gutachten ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam: Es demonstriert, wie unnachgiebig, j a schroff Paul zu argumentieren vermag. Und es zeigt die Weitsicht des Verfassers auf (der sich in diesem Fall in Übereinstimmung u.a. mit Friedrich Kluge und Otto Behaghel befindet, vgl. Wiss. Beihefte a.a.O., S. 187, 196). Zwar liegt der „Siebs" inzwischen in 19. Auflage (1969) vor, und er hat eine regulative Funktion erfüllt; aber die Landschaften haben - gottlob - ihre jeweilige hochdeutsche Sprechart bewahrt.

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Das Schriftenverzeichnis Pauls reicht von 1870 bis 1922, erstreckt sich also über mehr als 50 Jahre. Es setzt ein mit seiner Dissertation über Freidanks „Bescheidenheit" und endet mit dem posthum gedruckten Lebensabriß von 1922. Das Schriftenverzeichnis weist aus, daß Hermann Paul als (germanistischer) Sprachwissenschaftler und Mediävist gearbeitet hat. (In der Lehre hat Paul zudem auch über neuere Literaturgeschichte gelesen; insofern hat er noch die Einheit des Faches, zumindest in der Lehre, gesucht.) Die unterschiedlichen Auflagen seiner Standardwerke sind gleichfalls verzeichnet. Sie sagen etwas aus über die Wirkung des Gelehrten zu Lebzeiten. Die Bearbeitungen seiner Werke nach seinem Tode oder die unveränderten Auflagen (z.B. der „Prinzipien" und der „Deutschen Grammatik") haben wir nicht in das Schriftenverzeichnis eingefügt. Das Nachleben seiner Werke darzustellen, ist ein eigenes Kapitel, das eben nicht mehr nur unter den Namen .Hermann Paul' zu subsumieren ist. Verzeichnet sind die Nachrufe auf Hermann Paul und die zwei Festschriften, die er zu Lebzeiten empfangen hat. Die Sekundärliteratur zu Hermann Paul ist in Auswahl aufgenommen worden. Man darf die wissenschaftliche Diskussion, die sich um das Lebenswerk Pauls entfaltet hat,

Zur Einführung

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lebhaft und seiner Bedeutung angemessen nennen. Bestandteil der Bibliographie sind auch Rezensionen zu den „Prinzipien der Sprachgeschichte", zur „Mittelhochdeutschen Grammatik" (solange Paul sie verantwortet), zum „Deutschen Wörterbuch" (bis zur 3. Aufl. von 1921), zur „Deutschen Grammatik" und zu den hier abgedruckten Spätschriften „Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften" und „Über Sprachunterricht". Vollständigkeit ist hier gleichfalls nicht angestrebt. H.H./J.K.

I. Biographie

1. Hermann Paul t: Mein Leben · Schriften

MEIN LEBEN. Ich bin geboren am 7. august 1846 zu Salbke, einem dorfe oberhalb Magdeburgs an der Elbe, das jetzt von der stadt eingemeindet ist. Den ersten Unterricht erhielt ich in der dorfschule. Daneben durch Privatunterricht im lateinischen vorbereitet, wurde ich michaelis 1858 in die oberquinta des gymnasiums zum kloster Unser lieben frauen in Magdeburg aufgenommen. Unter den schulfächern zog mich zuerst die mathematik am meisten an. Aber schon in tertia beschäftigte ich mich auch mit der deutschen spräche und literatur des mittelalters. In obersecunda wurde ich von einer augenentzündung befallen, die eine dauernde Schwächung hinterließ. Wenn die äugen sich auch später wieder etwas besserten, so mußte ich doch fortan für immer sehr haushälterisch mit ihnen umgehen. Nachdem ich die abgangspriifung bestanden hatte, bezog ich michaelis 1866 die Universität Berlin, wo ich besondere anregung durch Steinthal empfing. Schon ostern 1867 vertauschte ich Berlin mit Leipzig. Hier hörte ich eine fülle von mannigfachen Vorlesungen. Neben dem lehrer in meinem hauptfache Zarncke wirkte auf mich nach der literarischen seite besonders der romanist Ebert. In die vergleichende Sprachwissenschaft wurde ich zuerst durch die Vorlesungen von Georg Curtius eingeführt. In der letzten zeit erfuhr ich nachhaltigen einfluß durch den Unterricht des slawisten Leskien. Vielfache anregungen ergaben sich aus dem verkehr mit meinen studiengenossen Ed. Sievers und W. Braune. Im august 1870 erwarb ich in Leipzig die doctorwürde und habilitierte mich dort im october 1872. Im mai 1874 folgte ich einem rufe als außerordentlicher professor der deutschen

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Hermann Paul

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spräche und literatur an die Universität Freiburg i. Br. Im märz 1877 wurde ich zum ordentlichen professor ernannt. Ich fand dort für meine Wirksamkeit sehr ungünstige Verhältnisse vor. Die zahl der studierenden in den philologisch-historischen fächern war äußerst gering. Die regierung suchte mit den spärlichsten mittein auszukommen. Die ganze philologie war außer durch mich nur durch zwei klassische philologen vertreten, die zwar besser als ich, aber immer noch kärglich genug besoldet waren. Es kostete große anstrengungen, allmählich eine ergänzung der philologischen fâcher durchzusetzen, was denn auch eine erhöhung der frequenz in mäßigen grenzen zur folge hatte. Aussichten auf eine berufung an eine andere Universität zerschlugen sich immer wieder, obwohl ich in Kiel, in Jena, zum zweitenmal in Kiel, dann in Tübingen von der facultät an erster stelle vorgeschlagen wurde. Im sommer 1888 erhielt ich einen ruf an die Universität Gießen, lehnte ihn aber ab, nachdem mir von der regierung endlich ein gehalt bewilligt wurde, wie es damals anderwärts minimalgehalt zu sein pflegte. Später wurde ich als nachfolger von Sievers in Halle an erster stelle vorgeschlagen, wieder ohne einen ruf zu bekommen. Ostern 1893 folgte ich einem rufe an die Universität München. Meine wissenschaftlichen arbeiten, die nach den erstem anfängen zunächst meistens in den von mir in gemeinschaft mit W. Braune begründeten Beiträgen zur geschichte der deutschen spräche und literatur erschienen, bewegten sich im anfang auf zwei verschiedenen gebieten. Einerseits bezogen sie sich auf interpretation und textkritik, sowie auf literarische beurteilung mittelhochdeutscher dichtungen. Hierbei geriet ich in gegensatz zu manchen anschauungen Lachmanns, die damals noch vielen als unumstößliche dogmen galten; ferner zu den gleichfalls weite kreise beeinflussenden, durch geistreichigkeit imponierenden, aber oft der soliden grundlagen entbehrenden hypothesen W. Scherers. Geplante kritische ausgaben von Freidanks Bescheidenheit und Gottfrieds Tristan kamen trotz ausgedehnten vorarbeiten aus verschiedenen gründen nicht zur ausführung. Dagegen erschienen eine kritische ausgabe von Hartmanns Gregorius und mehrere beitrage zu der von mir geleiteten Altdeutschen textbibliothek.

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J. Mein Leben · Schriften

Anderseits war es die laut- und flexionslehre der germanischen sprachen, der meine tätigkeit gewidmet war. Auf diesem gebiete blieb ich immer in engster fiihlung mit meinen freunden Sievers und Braune. Gleichzeitig setzte eine neue bewegung in der vergleichenden indogermanischen Sprachwissenschaft ein. E s handelte sich dabei wie bei der behandlung der altgermanischen Verhältnisse um die Übertragung der aus den neueren Sprachperioden gewonnenen erfahrungen auf die älteren entwicklungsstufen. Dies führte insbesondere zu einer genaueren Untersuchung des lautwertes der schriftzeichen, zu einer strengeren durchführung der lautgesetze und zu einer richtigen Würdigung der großen bedeutung, die der analogie im leben der spräche zukommt. Die neue bewegung stieß vielfach auf Widerspruch. Dadurch war ein antrieb gegeben, durch zurückgehen auf die grundlagen alles sprachlebens zur klarheit zu gelangen. Dies war der nächste anlaß zur entstehung meiner Principien der Sprachgeschichte, die 1880, in zweiter erweiterter aufläge 1886 erschienen. Natürlich durfte ich mich aber darin nicht auf die gerade umstrittenen fragen beschränken, sondern mußte alle Seiten der Sprachentwicklung gleichmäßig berücksichtigen. Dabei suchte ich vor allem zu zeigen, welche bedeutung die Wechselwirkung der individúen aufeinander für die entwicklung der spräche hat. Von meinen eigenen plänen wurde ich etwas abgezogen dadurch, daß ich an stelle von E. Sievers die leitung des von der Trübnerschen Verlagsbuchhandlung unternommenen Grundrisses der germanischen philologie übernahm. Für diesen bearbeitete ich die einleitenden abschnitte über geschichte und methode der germanischen philologie, ferner die deutsche metrik, in der ich einerseits eigene zu der textkritik mittelhochdeutscher gedichte in beziehung stehende Sammlungen, anderseits theoretische anregungen von E. Sievers benutzen konnte. Meine berufung nach München machte es mir zur pflicht, abhandlungen für die dortige akademie der Wissenschaften zu liefern. Von diesen schlossen sich einige an meine bisherigen literarisch-kritischen arbeiten an, andere an meine Principien. Schon früher war meine aufmerksamkeit mehr und mehr auf die neuhochdeutsche spräche gerichtet worden. Was dazu

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beitrug, war einerseits die arbeit an den Principien, anderseits die Vertretung der neueren literatur in meinen Freiburger Vorlesungen. Als eine frucht meiner neuhochdeutschen Studien erschien mein Deutsches Wörterbuch, das toi Freiburg begonnen, in München vollendet wurde. Mein hauptaugenmerk war dabei auf die bedeutungsentwicklung gerichtet Daneben reifte der plan zu einer umfassenden neuhochdeutschen grammatik auf geschichtlicher grundlage. Mit der ausarbeitung hatte ich begonnen, als ich im november 1913 von einer lungen- und rippenfellentzündung befallen wurde. Als ich mich von ihr leidlich erholt hatte, stellte sich im aprii 1914 plötzlich netzhautablösung am linken auge ein, wodurch mir fortan das lesen unmöglich gemacht wurde. Meine akademische tätigkeit suchte ich, so gut es ging, noch fortzusetzen, bis ich zu meinem 70. geburtstag von der Verpflichtung Vorlesungen zu halten entbunden wurde. An der Vollendung meiner grammatik hatte ich ursprünglich verzweifelt. Doch gelang es mir allmählich, mit hülfe fremder äugen die arbeit daran wieder aufzunehmen, und ich sehe jetzt der nahen Vollendung entgegen. Das erscheinen des ersten bandes von Wundts Völkerpsychologie nötigte mich zu einer auseinandersetzung mit dem Verfasser. Es zeigte sich eine tiefe kluft zwischen den beiderseitigen anschauungen. Wundt hatte zwar eine große belesenheit in sprachwissenschaftlichen werken, aber der exacten detailforschung, auf die mein werk gegründet war, stand er doch fern. Vor allem aber mußte ihm seine auffassung der Volksseele das, was mir so wesentlich war, die beobachtung der Wechselwirkung zwischen den individúen, überflüssig erscheinen lassen. Wundt gegenüber vertrat ich meinen Standpunkt in znsätzen in den späteren auflagen der Principien, sowie in einer rectoratsrede über Völkerpsychologie vom jähre 1910. In starkem gegensatz zu Wundt befindet sich auch meine schrift 'Über aufgabe und methode der geschichtswissenschaften'.

Aus:

Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 46, 1922, S. 4 9 5 - 4 9 8 .

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1. Mein Leben · Schriften

SCHRIFTEN. Über die ursprüngliche anordnung τοπ Freidanks Bescheidenheit. Dies. Leipzig 1870. Znr kritik und erklärang von Gottfrieds Tristan. Germ. 17,385—407. [zugleich habilitationsschrift.] Gab es eine mittelhochdeutsche Schriftsprache? Halle 1872. Gregorius von Hartmann von Aue. Kritische ausgabe. Halle 1873. Beiträge zur geechichte der deutschen spräche und literatnr, herausgegeben von H. Paul und W. Braune. Halle 1874 ff. Darin von Paul: 1 ) Zur lautverschiebung. 1,147—201. Über das gegenseitige Verhältnis der handschriften von Hartmann» Iwein. 1,288—404. Zum leben Hartmanns von Aue. 1,535—539. Zum Parzival. 2,64—97. Zu Hartmanns liedern. 2,172—176. Zu Wolframs Willehalm. 2,318—338. Kritische beiträge zu den minnesängern. 2,406—560. Zur kritik des Gregorius. 3,133—139. Zur Iweinkritik. 3,184—191. Zum Erek. 3,192—196. Zur Nibelungenfrage. 3,373-490. (Auch besonders Halle 1876.) Die vocale der flexions- und ableitungssilben in den ältesten germanischen dialekten. 4,315—475. Nibelungenfrage und philologische methode. 5,428—446. Zur geschichte des germanischen vocalismus. 6,1—256. Beiträge zur geschichte der lautentwicklung und foraenassociation. 6,338—560. 7,105-170. 8,210—221. 9,101-134. Zu Walther von der Vogelweide. 8,161—209. Mittelhochdeutsche grammatik. Halle 1881; 10.—11. aufl. 1918. Altdeutsche textbibliothek. Halle 1881 ff. Darin von Paul bearbeitet: Die gedichte Walthers von der Vogelweide. 1881; 4. aufl. 1911. [5. aufl. 1921.] Hartmann von Aue, Gregorius. 1882 ; 5. aufl. 1919. Hartmann von Aue, Der arme Heinrich. 1882 ; 5. aufl. 1912. [6. aufl. 1921.] Zur orthographischen frage. Deutsche zeit- und Streitfragen. Berlin 1880. Principien der Sprachgeschichte. Halle 1880 ; 5. aufl. 1920. Grnndrie der germanischen philologie. Straßburg 1891—96. [2 bände]; 2. aufl. 1896—1909. [3 bände] ; 3. aufl. 1911 ff.

') [Vollständiges Verzeichnis s. Inhaltsverzeichnis zu bd. 1—40 am Schlüsse des 40. bandes Beitr. (s. 560f.). Dazu ist noch in bd. 43,355 ein kleiner artikel 'Zu Reinmar von Zweter' gekommen.]

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Darin yon Fani: Begriff und aufjgabe der germanischen philologie. 1,1—3. Geschichte der germanischen philologie. 1,9—151. Methodenlehre. 1,152—337. Deuteohe metrik. 2,898—993. 2. aufl. 1905. 2, 2 abt., 39—140. Deutsches Wörterbuch. Halle 1896 ; 3. aufl. 1921. Aufgaben der wissenschaftlichen lexikographie (Sitzungsberichte der philoa.philol. klasse der bayerischen akademie der Wissenschaften 1894, s. 53-91). Tristan als möncli, deutsches gedieht aus dem 13. jahrhundert (ib. 189&, s. 317—428). [Nachtrag dazu ib. 1897, s. 687—91.] Zur wortbildungslehre (ib. 1896, s. 692—713). Über die ursprüngliche anordnnng von Freidanks Bescheidenheit (ib. 1899, s. 161—294). Thidrekssaga und Nibelungenlied (ib. 1900, s. 297—338). Die Umschreibung des perfectums im deutschen mit 'haben' und 'sein' (Abhandl. d. kgl. bayer, akad. d. Wissenschaften I. kl. bd. ΧΧΠ. 1. abt. München 1902). Nachtrag dazu: Sitzungsberichte 1918, 11. Über contamination auf syntaktischem gebiete (Sitzungsberichte 1909, 2). Die bedeutung der deutschen philologie für das leben der gegenwart. Akademische festrede. München 1897. Das wesen der Wortzusammensetzung. Indogerm. forschnngen 14,251—258. Beiträge zum Deutschen Wörterbuch. Zeitschrift für deutsche Wortforschung 10,66-96, 97—128. 11,81—96. 12,47—69. Gedanken über das universitätaetudinm. Bectoratsrede. München 1909. Über Völkerpsychologie. Bectoratsrede, gedruckt in den Süddeutschen monatsheften 1910, 2,363—373. Deutsche grammatik. Bd. I Halle 1916. Π1917. ΠΙ 1919. IV—V1920. Über aufgäbe und methode der geschichtswissenschaften. Berlin-Leipzig 1920. Über sprachuntemcht, Halle 1921.

[HERMANN PAUL/| Aus:

Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 46, 1922, S. 499-500.

2. Nachrufe Die aus einem guten Dutzend Nachrufe ausgewählten fünf Texte ergeben einen in der Anerkennung der wissenschaftlichen Autorität ungeteilten, in der Beurteilung der Persönlichkeit in leisen Tönen gleichwohl mehrstimmigen Abschied von Hermann Paul. Ein Freund, der Nachfolger, ein Wiener Kollege und zwei Schüler komponieren aus unterschiedlichen Perspektiven ihren Abgesang und vermitteln ein eindrückliches Bild einer Forscherpersönlichkeit. Der Freund, in wissenschaftlicher Hinsicht der kleine Bruder gar, Wilhelm Braune (1850-1926), stammte wie Paul aus dem preußischen Sachsen und lernte den schon promovierenden jungen Wissenschaftler 1870 beim Studium in Leipzig kennen. Die Herausgabe der gemeinsamen Zeitschrift „Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur", kurz: „Paul und Braunes Beiträge" (PBB, 1873/74ff.) sowie wissenschaftliche Übereinstimmung und persönliche Zuneigung - nicht zuletzt war Paul Patenonkel eines der Braune-Kinder - hielten die Freundschaft ein halbes Jahrhundert aufrecht, auch nachdem sich ihre Wege aus beruflichen Gründen getrennt hatten, Paul nach Freiburg (1874) und München (1893), Braune nach Gießen (1880) und Heidelberg (1888) berufen worden waren. Braune selbst wurde vom Leben nicht verwöhnt, mußte eine Folge persönlicher Schläge, insonderheit den frühen Tod seiner Kinder, erleiden und wertete auch seine eigene wissenschaftliche Leistung im Vergleich zu der Pauls als reine Fleißarbeit. Und doch war er es, der den zur Resignation neigenden Paul immer wieder ermunterte, sei es in bezug auf Berufungsverfahren, sei es in bezug auf den Verbleib im universitären Amt. Da ist sodann der Wiener Carl v. Kraus (1868-1952), am 26. Februar 1917 ernannter Nachfolger Hermann Pauls in München - und in zweiter Ehe Schwiegersohn des Paul-Freundes Eduard Sievers. v. Kraus hatte Professuren in Wien und Prag innegehabt, bevor er 1911 Nachfolger von Wilhelm Wilmanns in Bonn wurde. Schon zwei Jahre später folgte er einem Ruf nach Wien als Nachfolger Richard Seemüllers und ging von dort 1917 nach München, v. Kraus und Paul waren beiläufig bekannt; ein sporadischer Briefwechsel erhielt und bezeugt diese Bekanntschaft. Dieser Briefwechsel belegt schon früh, daß Paul Carl v. Kraus schätzte, und dies, obwohl v. Kraus nicht mehr, wie noch Paul, die philologische Breite des Faches bis hin zum Neuhochdeutschen repräsentierte, sondern seine Schwerpunkte im mediävistischen Bereich und hier wiederum auf literarhistorischem Gebiet gefunden hatte. Wie v. Kraus ist auch Max Hermann Jellinek (1868-1938) Wiener, ist im Gegensatz zu v. Kraus aber außer einem Gastsemester in Heidelberg bei

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2. Nachrufe

Osthoffund Braune (1889/90) stets in Wien geblieben und wurde dort 1900 zum außerordentlichen, 1906 schließlich zum ordentlichen Professor der deutschen Sprache und Literatur ernannt. Die Beziehung zwischen Paul und Jellinek war rein wissenschaftlicher Natur; ein karger Briefwechsel und die von Jellinek erwähnten Besuche widersprechen dem nicht. Jellinek hat zwischen 1889 und 1925 insgesamt 38 Titel in den „Beiträgen" veröffentlicht, davon allein vierzehn in den Bänden 14, 1889 bis 16, 1892, also schon kurz nach seiner Promotion (1889). Wenngleich Paul sich in eben diesen Jahren immer mehr als Herausgeber zurückzog, dürfte ihm ein so produktiver Kopf wohl kaum entgangen sein. Zwei Münchner Schüler Pauls schließen den Kreis: Otto Maußer (18801942) wurde bei Hermann Paul promoviert (1906) und habilitiert (1915) und wirkte bis 1920 als Privatdozent in verschiedenen wissenschaftlichen Projekten in München mit. Seit 1920 außerordentlicher Professor für deutsche Philologie in München, wechselte er nach mehreren Lehrstuhlvertretungen in München, Würzburg und Königsberg 1938 auf eine außerordentliche Professur für germanische Philologie nach Königsberg. Friedrich Wilhelms (18821939) akademisches Leben berührte sich an vielen Stellen mit dem seines Lehrers Paul: Wilhelm studierte bei Paul in München und wurde dort im Jahre 1903 mit einer Dissertation bei Paul promoviert. Er setzte sein Studium fort bei Pauls Lehrer Leskien und Pauls Freund Sievers in Leipzig, kehrte nach München zurück und wurde 1905 beim Lehrer Paul habilitiert. Seit 1905 als Privatdozent und sodann als außerordentlicher Professor filr germanische Philologie in München wirkend, hatte Wilhelm mehrfach Gelegenheit, mit Paul zu arbeiten. Aufgrund wissenschaftsorganisatorischer und personalpolitischer Entscheidungen zuungunsten Wilhelms wurde das Verhältnis jedoch gereizter, bis Paul im Jahr 1912 schließlich jede Zusammenarbeit ablehnte. 1920 erhielt Wilhelm als Nachfolger Kluges den Ruf nach Freiburg, wo sein Lehrer Paul von 1874 bis 1893 gelehrt, sich jedoch nie ganz heimisch gefühlt hatte.

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Wilhelm Braune: Nachwort

NACHWORT. Am 29. december 1921 ist Hermann P a u l im 76. jähre seines lebens verschieden. Die deutsche philologie hat damit ihren ältesten hervorragenden Vertreter verloren. Was Paul nicht nur im engeren gebiet unseres faches, sondern auch für die vergleichende und allgemeine Sprachwissenschaft geleistet hat, braucht den lesern dieser Zeitschrift, deren erste bände seine grundlegenden arbeiten brachten, nicht ausführlich dargelegt zu werden. Die vorstehende kurze darstellung seines lebensganges und seiner wissenschaftlichen bestrebungen, welche Paul im jähre 1919 dictiert hat, bringt alle wesentlichen tatsachen. Sein neffe, herr Studienrat dr. Paul Gereke in Berlin-Friedenau, hat mir dieselbe freundlichst zu Verfügung gestellt, wofür ich ihm auch an dieser stelle herzlichen dank sage. Auch das Schriftenverzeichnis rührt in der grundlage von Paul her und ist nur teilweise ergänzt worden.2) Hier will ich dem teuern freunde nur noch einige worte treuen gedenkens widmen. Im sommersemester 1870 lernte ich Paul kennen in den Eddaübungen bei unserem gemeinschaftlichen lehrer Friedrich Zarncke. Ich war im dritten studiensemester als anfänger, er dicht vor der promotion stehend und allen andern teilnehmern an wissen wait überlegen. Ich durfte es daher als auszeichnung betrachten, daß er mich aufforderte, mit ihm mhd. texte zu leseu. Da eiserne äugen schonen mußte, übernahm ich das vorlesen, er leitete die besprechung schwierigerer stellen. So haben wir mehrere semester hindurch eine große zahl mhd. dichtungen zusammen gelesen. Auch außer diesen gemeinschaftlichen Übungen entwickelte sich bald ein immer enger werdender freundschaftlicher verkehr, in welchem ich den nach außen ') Würdigungen seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit bringen von den mir bisher bekannt gewordenen nekrologen der ausführliche nachruf seines amtsnachfolgers Carl von Krane in den Münchener nenesten nachrichten vom 3. januar 1922 (inorgenausgabe), ferner die artikel von Eugen Lerch in der Frankfurter zeitung vom 5. jannar (1. morgenblatt), sowie von Friedrich Panzer in der Zeitschrift für deutschkunde 1922, s. 128 ff. a ) Die in eckige klammern geschlossenen nachtrüge rühren von mir her. Aber aneli herr dr. Gereke hat schon einiges ergänzt.

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2. Nachrufe

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hin nicht sehr zugänglichen, etwas wortkargen freund auch als nienschen hochschätzen lernte. Vom Wintersemester 1871/72 an genossen wir zusammen den Unterricht August Leskiens, dessen am slawolitauischen geübte sprachgeschichtliche methode uns für die germanische grammatik neue wege zeigte. Die gründung dieser Beiträge im spätherbst 18721) brachte uns die gemeinsame redactionsarbeit, welche in engstem zusammenwirken bis pfingsten 1874 währte. Dann folgte mit Pauls abgang nach Freiburg die räumliche trennung, durch welche die eigentliche leitung der Beiträge mir zufiel. Aber der Zusammenhang blieb doch rege, auch durch persönliche beriihrung, da» Paul ostern und im herbst regelmäßig nordwärts reiste, um seine mutter zu besuchen. Dabei kam er auch nach Leipzig und später nach Gießen und Heidelberg. Erst nachdem er 1893 nach München gegangen war, sahen wir uns seltener. Auch den Beiträgen trat jetzt Paul ferner, da er für seine Veröffentlichungen auf die Schriften der Münchener akademie angewiesen war. Aber die freundschaftliche gesinnung blieb unverändert, wie sie in dem halben Jahrhundert unserer gemeinschaft überhaupt niemals auch nur durch eine vorübergehende trübung gestört worden ist. Wer Paul nur nach seinen Veröffentlichungen kannte, besonders in der ersten hälfte seiner wissenschaftlichen tätigkeit, der konnte ihn wohl für schroff halten. Jedoch war er im umgange ein liebenswürdiger und rücksichtsvoller mann, der niemandem wehe tun wollte. Freilich sprach er nicht viel, aber was er sagte, war wohl überlegt und sachgemäß. So waren auch seine wissenschaftlichen äußerungen ergebnis reiflicher Überlegung. Da er ein selbständiger denker war und alte probleme in angriff nahm, deren lösung vielen fachgenossen schon festzustehen schien, so erregte er unmut und Widerspruch, wenn er in unbeirrtem wahrheitssinn seine abweichenden anschauungen darlegte. Die hierdurch erwachsenen gegnerschaften dürften wesentlich dazu beigetragen haben, daß mehrere berufungen aus Freiburg vereitelt wurden, die dem dort in engen Verhältnissen befindlichen gelehrten willkommen >) Näheres Beitr. 37,342 ff.

hierüber

in

meinem

naclmife

auf

Max

Niemeyer,

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Wilhelm Braune: Nachwort

gewesen wären. Durch solche enttäuschungen wurde der seines wertes sich bewußte zeitweilig recht verbittert, bis er durch die berufnng nach München befreit wurde. Aber bis ins alter lebten diese erfahrungen fort, wie aus seiner erwähnung der fälle (oben s. 496) hervorgeht. Das letzte jahrzehnt seines lebens war für Paul durch körperliche leiden sehr getrübt. Insbesondere büßte er infolge der netzhautablösung das augenlicht ein, so daß er für wissenschaftliche arbeiten auf fremde hülfe angewiesen war. Trotzdem war seine tätigkeit auch unter den schmerzen der leidenszeit rege und er fand die kraft, das bedeutende werk seiner fünfbändigen Deutschen grammatik in diesen jähren abzufassen. Die kleine schrift 'Über Sprachunterricht' ist die letzte frucht seines nimmermüden geistes. Das beigegebene bild zeigt Paul als siebenzigjährigen. WILHELM BRAUNE.

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2. Nachrufe

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£FT ÙOUJL. Aus:

Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 46, 1922, S. 5 0 1 - 5 0 3 .

Carl von Kraus: Hermann Paul t

öermenn Paul f

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2. Nachrufe

t e r g r u n b ; feine S h ú n t e n t e toottte« nid&t bet gjfymtafie beä £>3rerô ober feinem Hinftlerifd&en ©míjftnben fd&ntetcEjeln, er toar nid&t berauf a«3, I « überreben, fonbjrn $« überzeugen. $ i e %at» faden, nicfit baS S i l b , bag Ile i n bem (ginjelnen toetí&i'elnb hervorrufen, Waren baâ fltel feiner Slbftdgten. ¡3m gattacn alfo ftetfte er fid& bar ató ein SJlann, ber feinen g u f i nitìfjt leieïjt auf einen © ¿ e i n fefcte. beffenJftefte er nic^t »ubor aeitau geprüft batte; ein 23iann alfo, ber für btclc © c * biete ein fixerer ftüíjrer toar, fotoeit eë fold&e I n ber SQJlffenfjÄaft überlaufet qibt u n b fleten fett. $>tefeîbe (iilgenfcbljftognomte geigen a u # feine gelehrten Siröetten, fo grofj iljre u n b fo mannigfadE) audE) tire Stele, © i n Beträdfjtlid&er Steil iff ber fôrforfàung unferer S t r a f t e i n all iïjren e t a b l e n getoibmet, bon ben unis erlernt* Baren Sinfängen btë i n bic ©egentoart. (ssdEjon bie ®d&dft, mit bet er jtor — Bter f t e B e n f e i n e „ 9 k i n ¿ t f c > t e n b e r © f e r a c B i o l f f e n f t f i a f t " , bte lefct I n 5. S l u f l a g e Ber» a u â g e ï o m m e n ftnb, I n e r f t e r 8telBe — t e i l ê Bat e r fíe I n S l u f f ä f c e u u n b {Reben rtleberaelegt m c l n f a m i f t a u e n b t e f e n S I r & e i t c f t bte BoBe JjBUo» f o M t j t B e u n b M d j o l o g p e © < B u I u u g , ble S ü t í e b e r ( S r f a B r t m g u n b bte © e t t e b e t ¿Jlele, b l e

Carl von Kraus: Hermann Paul t

3$cwl f ü r baS Betreffenbe (SJeBtct fledte. S c o r i e u n b S u t W e n b u n g flehen babei ö f t e r m i t p l n a n b e r b e r b u n b e n e r n t e t : wie feine „SktnsMJten" bte ( S u m m e a u ô f e i n e n f r ü h e r e n i t n g u i f t i f d j e n Sir* b e t t e n âieben, fo ift f e i n e n t b e o r e t i f d i e n ® a t a l e g u n g e n ü b e r ble S l u f a a b e n ber ß e x t l o g r a b b i e f e m ® e u t f d ) e â S ö r t e r b u d ) g e f o l g t , eine b u r d j * a u 0 o r i g i n e l l e ß e t f i u n g , i n b e m e r bad ^ a u t r t ^ geWitfjt auf bte J B e b e u t u n g S e n t t o i t f l u u e legte, i n p r ä g n a n t e r g o r m bte © r e m e n f ü r ben « e r b t e t « t u n g â b e i i r t munbartïid&er SBörter feftfteïïte u n b m i t B e f o n b ç m S i e b e auf bie © r t l h r u n g ä l t e r e r SíuflbrüdEe bei ß u t b e r , a b e r aueb bei b e n ftlaffU t e r n be® 18. S a b r b u n b e r t ê a u 8 toar. S n b e m e r i n ber ¡ f t e t t e n S l u f l a g e aucb n o ö j bie f t d j e m t © t i j m o l o g i e n ber S t a m m W ö r t e r b i n ê u f û g t e , ι ο ί e r i n ber X a t ben â w e c l erreic&t, ber Ibm bor= 'tfjWebte: e i n SSerï f ü r alie © e b u b e t e t t èu ftfjaf* en. SlBer a u d j ber gacBgelebrte l a n n eô auf e i n e m $ u t t nid&t m i f f e n . e b e n w e g e n t e n e r e i g e n a r t i g e n 93ocaüge. íüsie f e l b f t a n o i g $ a u l audíj in ber ©efç&affttng beê S B o r t m a t e r t a l é b o r s e g a n g e n ifl, l e h r e n [eine B e i t r ä g e § u m 3)eut» ben Söörter&udj, bte i n ber S e i t m j r i f t f ü r beutfd&e SBortforf(i)unö berüfíerttlkfit fUtb. Sßte beim S S ö r t e r b u j f i , fo b a t $ a t t l a u d i i n f e t n e r 8Jlittelbo © e i a j f t a r t e 5 8 c g a b u n g S a u l f ü r ble Ö o f u n g fentaltifàer $ T » 5 | t m e M a ß , ïâfet aud& feine

S

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2. Nachrufe

SIBBanbluttg ÜB er Me Umfc&retBung beS $erfe!» ütm§ mit JjaBen" unb „fein" erlernten, eine SirBeit, bte id& unter bie erften töter Slrt flette tocgeu ber anbfcöriften a u m S e i l i n roeijr ober ntinber fadjgemäfjer Sluorbmntg su in&altiid&en © r u m b e n a u f a m m e t t g e f a ß t (Som $ a í > f l , SSom ® a t f e r trito.), toâÇrenb attbere Ö a n b f d j r i f t e n ein u n g e o r b n e t e ê (Sïjaoê Bieten. $aul fjält ba§ (£ήαο3 f ü r baS U r f b r ü n g l i d j e , toeil e § i m b e r f t ä n b l i d ö W ä r e , toanrat m a n e i n e blamncfêige O r b n u n g in f m n t ö i b r i g e r SBeife footer aerftört ijätte. S t r e b e n n a d j âiiîaminenfaffttngr unferer ( S r í e n n t r a f ] e b e m n i a f j t e Sßmtl, b e m ® n m b r i f e ber rontatnfd&en ^ M o t o g i e ein eBenfoIdjeä 2 8 e r ! f ü r bie g e t m a i r i f m e S g t l o l o g i e a u r (Seite a u f t e H e n . ( f r f e l b f t ψ ύ b a a u a u g e r b e r ( φ ο η er» » a h n t e n 3Jîeti?obenï$re e i n e n SiBrtfj ber ©e* fd&td^te u n f e r e r S B i f f e n f d j a f t B e i g e f t e u e r t , b e r n e b e n ber ä l t e r e n urtò u m f a n g r e i c h e r e n A r b e i t

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2. Nachrufe

bon aimmterê butájaué felbftanbig haftest, nttt toeiiem ©lid ben gameti Äreig ber geimtanifdjen Ä t i o l o g i e überfdiaut ímb bimïj bie rihi^tMe ©brlidjíeit be§ ïtrteifê aittíj bem S i a t e n e ab= nötiflt, ber übeτ einzelne 9JÎantier tntb ibre Sec= ftun'gen anberê bcttft d § ber SSerfaffer. ©aêfelbe ©amnteltoerï bat Striti atitellungsart, bie f ü r $ a u l ^arafteriftifpît)d)oIoge φαιιί in ben an» gebeuteten Stiftungen unb $a6íifatlonen maftaebenb, ptitt» Ripien, unb metíjobenaufberfetib fid» ausroirfte, fe fdnif aud) bet ëpntaftifer unb SOÎetrifet $5aul SBerte, bie unDetgänglidj fein werben, »eil fie (Einfidjten unb fiorii tngsmetfioben, mie ftor« fd>imgsrefuftate »ermitteln, oíjne bie moline Gpntaj flat nidjt aebait roetben fann, oíjne bie einerocfenljafte®rfenntnie bet SRetrif bee Deutfdjen nidjt mcglidi tft. Die befte Sinfüíjtunfl in bie SSrobíeme bet m i t t e l ^ o ^ b e u t f ^ e n 6pntas finbet flrfj bei í$aul im 2. îeile feinet SJtittelfiodjbeutfdjen, hi oieífn STufíagen oerBreiteten. ©rammatif. î>ie mittelÏKX^· beutfdje 6pntat Çaule ift maftgebenb aetoorben ffit eine ganj« Steiße fpntaftiWer llnterfud>ungen. ^aul ging abet meiter. ©t 5at audi bie 6 ρ η t a j b e s 9t e u lj η dj b etft fdj e η in jmei groften SBSnben, benft 1920 in fünf Sänben bei iRiemepet in $alle erffienen. SJÎit biefer Deutfdjen ©tammatif tritt Çaul œieberum neben ?afob ffirimm, ben Schöpfet ber etften ^Ftortfdjert beutf^en ©tammatif. Síuift mannet Setglet^ mit Stitmanns, bem oerftorbenen Sonnet ©ermaniften unb Set» faffer einer in ifiret SIrt potsüglidten fiiitorifdten beutTdren ©tammatif (4 Sbe.), ließt nahe. urntadia^míldjer ?13tä» βΐΠοη f^iíbert íiet ^3auí bie öetausentmidlung ,bes ©etma« ni»djen aus bem ftnbogermanifdjen, bie ©Tiebetung bes ©erma» niWen in bret Mntergtuppen »nb bie Stellung bes Deutzen eutfíen, in ben 8»ei etften 5Bänben eine Darftelluna bet

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2. Nachrufe

£ a n t i e f t e unb ftotmenle^te bee 9?eu$otf)beut« ( d i e i t (fotooíjí bes JÇr8Imeul>oeutfdien, bie aus bet biboßermanifdjen unb utßetmanifdien Urzeit Ijet »itffamen, jote bie in bet attbeutfifren unb tteufiodybeutîcfven, ia mobetnften fielt tätigen, oon einem Setufenen aufgebest unb onalnRart M e n mill, toem es um ein otßaniMjes SSerfteíjen bes beutftfien QPortféatjes gu tun ift, ber mufc f i é mit biefer ffBortbifbunqs» l e i t e ißauls oertraut madjen, einem nodj manchen 3ufunfts» jins ttaßenben, ïoftbaten ®ermäeutfd>fenb bauernb ftolj fein batf, aelaien mit etoff unb aeftffietten Ct«çb«i!Ten, iiiet» «eidj an Snregungen unb ftinfletaeiatn¿ bie Geeignet finb. neue Arbeiten auf be* JRían vi rufen unb Me pro'-F^ima »ormärts, neuen ©rfenntniffen entgegen nu treiben. 5?aul bat fiit ben n einer $ i n ^ t aQerbingâ unte^eibet (ΐφ ©djmibt beutlic^ oon ben ¿ordern, mit benen er ηίφί jufammengeworfen werben mag ; barüber laffen feine eigenen 2leufjerungen feinen ^weifet: er l)at nur ©inn. fiir bie ant (¡Einzelnen Ijaftenbe Setailforfdjung; bte grofjen allgemeinen gragen ber (Sprac^miffenfc^aft, bie Unter» fu$ungen über baé eigentliche Sßefen ber ©pradje unb ©ρΓαφ» entwidelung unb bie barauf bafierte SKetljobologie intereffieren ifyn ganj unb gar ηίφί. Qnfofern ftefjt er, trofcbem er ίίφ ηιαπφε Sinjelljeiten angeeignet Ijat, 5οφ aufjerí)alb ber neueften Bewegung in ber ©p^wiffenfdjaft, wie fie Srugmann fo treffenb cfiarafterifiert fjat. î)iefe Stuânabmàftedung wollen wir iljm ηίφί abfpredjen, wenn wir iljn au φ ηϊφΐ um fie be* neiben. Die elegant gefdjriebene, aber ηαφ beS Sief. ^Infic^t ηιφΐ ganj fo tief wie $rugmann'3 îiarftetlung in ba§ SBefen ber ©acije einbringenbe Stbíjanblung oon 3)elbrüd ift eine 53ertbeibignng beâ ίφοη früher oon bem Serf, eingenommenen @tanb* puncteâ, ber mit bem ©tanbpuncte oon SBrugmann jroar ηίφί ibentifc^ ift, aber bemfetben boφ fe^r na^e fommt. Seibe «Schriften ^aben ba^er otele Berührungen mit einanber, nur fu$t 3)elbrücl me^r j u Oermitteln. ®r jeigt burφ eine gefdE(tc^tItc^e

g]

4. Rezensionen

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93etrad)tung, bag nirgenbê in ber (Sntnideíung unferet SBiffeit* fdjaft ein fo fdjroffer Srud) mit ber Vergangenheit flattgefunben I)abe, wie bie« Surtiuä anjuneljmen fôeint. Starin mujj mon it)iu ooQftänbig bciftimmen. fdjeint bent Dïef. aber bod), aid ob $>elbríicf ben Unterzieh ¿roifdjcit ber 3Retl)obe bon Surtiuâ mtb (sdjietcfjer unb berjenigen, welche bie bon (SurtiuS an« gegriffenen jüngeren 3rorfd}er befolgen, etroaá ¿u gering anklage, unb 9lef. meint, bag eS jur Seit im 3>nterej]e ber SSiftenfdjaft luiinfdjenämerty ift, bie Sdjärfe biefe« ©egenfafeee ηίφ( ju ber; betfen, mag man audj ηοφ fo feljr ttfinfdjen, bag fidj leine fdjroffen perföntidjen @egenfä|e íjerauíbitben. Η. P.

Aus:

Literarisches Centralblatt für Deutschland 24, 1885, Sp. 814ff.

II. Reden

5.

Die Bedeutung der deutschen Philologie für das Leben der Gegenwart Festrede, gehalten in der öffentlichen Sitzung der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München am 15. November 1897 [...] München: Verlag der k. b. Akademie 1897

Es ist herkömmlich, dass unsere Akademie zweimal im Jahre aus ihrer stillen Zurückgezogenheit heraus an die Oeffentlichkeit tritt. Von einem Vortrage, der bei solcher Gelegenheit gehalten wird, darf man mit Recht erwarten, dass er in irgendwelcher Weise bekundet, dass unsere wissenschaftliche Thätigkeit dazu bestimmt ist, weit über den engen Kreis hinaus, der sich gewöhnlich unmittelbar damit bekannt macht, zu wirken und Frucht zu bringen. Und so wird man mir es, hoffe ich, nicht verübeln, wenn ich an dieser Stelle Betrachtungen darüber anstelle, welche Dienste die von mir vertretene Wissenschaft, die deutsche Philologie, der Allgemeinheit zu leisten berufen ist. Zwar bin ich nicht sicher, dass nicht mancher solche Betrachtungen für unvereinbar hält mit der Würde der Wissenschaft und der Akademie. Hört man es doch oft genug emphatisch aussprechen, dass die Wissenschaft nur um ihrer selbst willen da sei und sich nicht darum zu kümmern habe, welchen Nutzen sie bringe. Leicht aber versteckt sich hinter solcher vornehmen Haltung das Unvermögen einer unfruchtbaren Gelehrsamkeit, oder aber eitle Lust an dem zwecklosen Spiele des eigenen Scharfsinnes, die beide gleich weit entfernt von wahrer Wissenschaftlichkeit sind. Gewiss wäre es für diese der Tod, wenn der Forscher bei jedem einzelnen Probleme, das sich ihm aufdrängt, erst überlegen wollte, bevor er es in Angriff nimmt, ob die Lösung desselben noch einen andern als rein theoretischen Wert habe. Aber wenn eine Wissenschaft als Ganzes auf die Dauer nichts hervorbringt, was befruchtend auf andere Wissenschaften und auf das Leben der Nation und der Menschheit wirkt,

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IL Reden

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so scheint mir das ein untrügliches Zeugnis dafür, dass entweder der Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigt, die Mühe nicht lohnt, oder dass ihr Betrieb ein verkehrter ist. Es gilt auch hier das Wort Christi: an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Darum könnte es für jede Wissenschaft nur heilsam sein, wenn ihre Vertreter sich von Zeit zu Zeit in ehrlicher Selbstprüfung die Frage vorlegten, ob denn solche Früchte vorhanden sind. Ich denke hierbei selbstverständlich nicht bloss an den materiellen Nutzen, der auch dem blödesten Auge einleuchtet, und um dessen willen sich gewisse Wissenschaften einer höheren Schätzung erfreuen als andere. Es handelt sich vielmehr daneben um die Frage: was vermag die einzelne Wissenschaft zur allgemeinen intellektuellen und moralischen Bildung beizutragen? Wenn wir diese Frage aufwerfen, so knüpft sich daran von selbst eine andere von praktischer Bedeutung: welcher Anteil gebührt der einzelnen Disziplin im Ganzen unseres Schulunterrichte? Um den Einfluss auf die Schule ist von den Vertretern der verschiedenen Wissenschaften viel gestritten worden. Der Streit bleibt ein unerspriesslicher, solange dieselben nur ihr spezielles Interesse im Auge haben, nicht die allgemeinen Bildungszwecke der Schule. Im Interesse der letzteren wäre es, wenn der Streit sich in einen Wettstreit verwandelte. Dies könnte meines Erachtens geschehen, wenn die Vertreter eines jeden Faches sich darauf besonnen, welche Seiten desselben vorzugsweise geeignet sind, einer wahren allgemeinen Bildung zu dienen, und wenn sie dann diese Seiten in der Forschung und vor allem im akademischen Unterricht mit Liebe pflegen wollten. Gewiss wäre es verhängnisvoll für unsere Universitäten, wenn die Lehrthätigkeit auf die Vorbildung für die verschiedenen Berufsarten eingeschränkt werden sollte. Aber dass diese nicht vernachlässigt werden darf, folgt doch wohl einfach daraus, dass es keine andern Anstalten dafür giebt. Zu diesem Zwecke bedarf es einer richtigen Auswahl des dargebotenen Stoffes. Dass darunter die Strenge der wissenschaftlichen Behandlung leiden müsste, ist eine unbegründete Besorgnis. Ich habe den einzig richtigen und

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5. Die Bedeutung der deutschen

Philologie

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würdigen Weg bezeichnet, den der akademische Dozent einzuschlagen hat, wenn es ihm darum zu thun ist, seiner Wissenschaft einen massgebenden Einfluss auf die Schule zu verschaffen. Freilich muss er darauf gefasst sein, dass er mit solchen Bemühungen nur schwer und langsam durchdringt, sobald das, was er nach bester Einsicht als das Richtige erkannt hat, nicht mit dem übereinstimmt, was offiziell anerkannt wird, und es gehört viel Geduld dazu, den Mut nicht zu verlieren, wenn sich veraltete Lehrpläne und Prüfungsbestimmungen überall hemmend in den Weg stellen. Der Begriff der deutschen Philologie ist ein schwankender, wie der Begriff der Philologie überhaupt. Doch ist man jedenfalls darüber einig, dass es in erster Linie Sprache und Literatur ist, womit sie sich zu befassen hat. Treten wir also zuerst an die Frage heran: welches allgemeine Interesse darf die wissenschaftliche Behandlung der deutschen Sprache beanspruchen? Als erste Grundlegung der deutschen Sprachwissenschaft wird ja gewöhnlich und in gewissem Sinne mit Recht J. Grimms Deutsche Grammatik betrachtet. Dieses Werk ist ohne jede Rücksicht auf einen praktischen Zweck entstanden, ja mit ausdrücklicher Ablehnung eines solchen. Nichts lag dem Verfasser damals ferner, als die Absicht, auf die lebendige Sprache und den Unterricht in derselben einzuwirken. Gehen wir aber weiter zurück bis auf die ersten Anfange der grammatischen und lexikalischen Behandlung der deutschen Sprache, so finden wir schon seit dem 16. Jahrhundert eine Richtung vertreten, die ganz und gar von praktischen Bedürfnissen ausgeht, zuerst von dem primitiven des Unterrichts im Lesen und Schreiben, weiterhin auch von dem der Unterweisung von Ausländern, bis endlich die Belehrung über die mustergültige Gestaltung der Schriftsprache für Einheimische zur Hauptsache wird. Diese Richtung, die in den bei aller Einseitigkeit des Standpunktes höchst respektabeln Leistungen J. Chr. Adelungs gipfelt, hat einen sehr tiefgreifenden Einfluss gehabt. Ihr gebührt ein ganz wesentlicher Anteil an der Festsetzung und Ausbreitung

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II. Reden

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unserer Gemeinsprache. Das Bedürfnis, dem sie gedient hat, besteht nun auch heutzutage fort, nicht bloss für den Einzelnen, der die Gemeinsprache künstlich erlernen muss, weil seine natürliche Sprache, die er sich in der Kindheit angeeignet hat, wo nicht reine Mundart, doch mehr oder weniger mundartlich gefärbt ist, sondern auch für die Gesamtheit. Denn die Einigung der Schriftsprache ist, so viele Kräfte auch seit Jahrhunderten daran gearbeitet haben, noch immer nicht zum Abschluss gekommen. Noch immer bestehen starke landschaftliche Besonderheiten, noch immer sind Schwankungen und Unsicherheiten in Menge vorhanden und immer neue tauchen auf. Immer wieder macht sich mit unabweisbarer Dringlichkeit das Bedürfnis nach Neuerungen geltend. Es bleibt daher ein regelndes Eingreifen für immer notwendig, und es ist jetzt die Pflicht der deutschen Philologie, sich hierbei nach Kräften zu beteiligen. Sie muss die Aufgabe aufnehmen, die sich Adelung und seine Vorgänger und Nachfolger gestellt hatten, unter Vermeidung der verhängnisvollen Irrtümer, in welche dieselben verfallen sind in Folge ihres Mangels an geschichtlicher Einsicht. Die Schwierigkeiten sind grösser, als sich der Laie wohl vorstellen mag. Um eine richtige Grundlage zu gewinnen, bedarf es zunächst einer umfassenden unbefangenen Beobachtung des wirklich geltenden Gebrauchs im schriftlichen und mündlichen Ausdruck mit allen landschaftlichen Verschiedenheiten. Dazu muss eine systematische Einordnung der einzelnen Thatsachen kommen, die, wenn sie brauchbar sein soll, nicht an der herkömmlichen grammatischen Schablone haften darf, sondern eine Vorstellung von dem wirklich lebendigen Sprachgefühl geben muss. Dass eine richtige Beurteilung der sprachlichen Verhältnisse der Gegenwart nicht möglich ist ohne ein Wissen davon, wie sie geschichtlich geworden sind, bedarf wohl keines Beweises mehr. Für denjenigen aber, der sich irgendwie als Gesetzgeber aufwerfen will, ist ferner vor allem erforderlich, dass er eine gründliche Einsicht in die allgemeinen Lebensbedingungen der Sprache hat, die ihn dazu befähigt, zu beurteilen, was den Zwecken der Sprache angemessen ist oder

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5. Die Bedeutung der deutschen Philologie

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nicht, die ihn lehrt, die Schranken zu respektieren, innerhalb deren ein absichtliches Eingreifen überhaupt angezeigt ist. Nur auf solcher Grundlage kann man einer gesunden Entwickelung unserer Gemeinsprache zu Hilfe kommen, wobei es darauf ankommt, zwischen den Klippen schulmeisterlicher Pedanterei einerseits und gedankenloser Verwilderung anderseits glücklich hindurchzusteuern, den notwendigen Grad von Einheitlichkeit mit freier Bewegung und charakteristischer Eigenheit zu versöhnen. Wenn die deutsche Philologie diese ihr zukommende führende Rolle noch nicht, in dem Masse übernommen hat, wie man es eigentlich erwarten sollte, so liegt das daran, dass sie in ihren Anfängen ganz von der Gegenwart ab und der Vergangenheit zugewendet war. Dieser Umstand hat es auch verschuldet, dass J. Grimm in seiner späteren Zeit und viele seiner Schüler auf eine bedenkliche Art von Sprachverbesserung verfielen, indem sie, die Entwickelung der letzten Jahrhunderte verdammend, direkt an das Mittelhochdeutsche anzuknüpfen suchten. Diese Abwege sind jetzt überwunden, nachdem die Anschauungen über Sprachentwickelung eine gründliche Umgestaltung erfahren haben, und wir sind jetzt auf einem Punkte angelangt, wo auch in rein theoretischem Interesse eindringliche Beschäftigung mit der lebenden Sprache und den jüngsten Stufen der Entwickelung gefordert werden muss. Wissenschaftliche und praktische Zwecke lassen sich somit auf das glücklichste vereinigen. Den Einfluss der deutschen Philologie auf die Sprachgestaltung zu vermitteln ist natürlich in erster Linie die Schule berufen. Dass es eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist, zu einer korrekten Handhabung der Schriftsprache anzuleiten, wird von Niemand bestritten werden. Sollen aber die Lehrer des Deutschen dieser Aufgabe gewachsen sein, sollen sie nicht vielen Fragen gegenüber ratlos dastehen, so bedürfen sie einer Unterweisung über die Grundlagen der Sprachrichtigkeit in dem von mir angedeuteten Sinne. Sie müssen also schon für diesen elementaren Zweck mit gewissen Hauptresultaten der historischen Sprachforschung bekannt gemacht werden. Es ist eine Versündigung an unserer Muttersprache, wenn

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II Reden

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man, wie ee ganz gewöhnlich geschieht, den Unterricht in derselben Lehrern überträgt, die auch nicht die blasse Ahnung davon haben, worauf es eigentlich ankommt. Bisher haben wir uns mit dem Verhalten der deutschen Sprachwissenschaft zu einem allgemein anerkannten praktischen Bedürfnisse beschäftigt. Ich komme jetzt zu einem Punkte, hinsichtlich dessen meist ein Bedürfnis gar nicht empfunden wird, wiewohl es sich dabei um die wichtigsten Grundlagen der intellektuellen Bildung handelt. Die Sprache ist nicht bloss ein Verkehrsmittel, sie ist auch eine Macht, welche die geistigen Vorgänge im Innern des Menschen beherrscht. Die ganze Masse unserer Vorstellungen ist in Beziehung zur Sprache gesetzt. Nicht, dass diese Vorstellungen durch die Sprache an sich gegeben wären, wie uns manche Sprachphilosophen haben glauben machen wollen, die Sprechen und Denken für identisch erklärt haben. Die Vorstellungen, soweit sie nicht Sprachvorstellungen im engeren Sinne sind, müssen vielmehr unabhängig von der Sprache erzeugt werden. Was aber die Sprache bewirkt, ist, dass sich die aufgenommenen Vorstellungen vermöge der Assoziationen mit gewissen Lautkomplexen in einer ganz bestimmten Art in der Seele gruppieren. Mit der Muttersprache übernimmt jeder eine solche Vorstellungsgruppierung, die das Resultat der Kulturarbeit vieler voraufgegangener Generationen ist. Diese durch die Lautkomplexe gestützte Gruppierung ist es auch, wodurch die Sprache zu einem wirksamen Instrumente des Denkens wird, ohne welches unsere geistige Entwickelung nur eine sehr kümmerliche sein könnte. Die Grösse des intellektuellen Gewinnes, den man aus der Erlernung der Muttersprache zieht, hängt natürlich von der grösseren oder geringeren Vollkommenheit derselben ab. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass auch die vollkommenste Sprache das Denken immer nur bis zu einer gewissen Grenze fördert und über diese hinaus vielmehr zu einer Hemmung und Beschränkung desselben wird. Denn die Gruppierung der Vorstellungen, wie sie uns durch die Sprache geboten

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5. Die Bedeutung der deutschen Philologie

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wird, ist weit entfernt davon, den Anforderungen strenger Logik und einer fortgeschritteneren Auffassung von dem Wesen der Dinge zu entsprechen. Yiele Unterscheidungen, die ein genaueres Denken machen muss, haben keinen sprachlichen Ausdruck gefunden. Wesentlich Verschiedenes muss durch die gleichen Mittel bezeichnet werden. Und indem die Sprache, was an sich ein grosser Gewinn ist, die Bewegungen der Vorstellungen sehr beschleunigt, verhindert sie zugleich, dass uns dieselben zu klarem Bewusstsein kommen, und täuscht uns über die in ihr nicht ausgedrückten Unterschiede hinweg. Wie viele Denkfehler sind durch das Haften am sprachlichen Ausdruck verschuldet! Das liesse sich auch aus den Schriften hochangesehener Philosophen beweisen. Um zu einer höheren Stufe unseres Denkens zu gelangen, bedürfen wir der Loslösung von den Fesseln der Sprache. Ein pädagogisches Mittel, das diesem Zwecke dient, ist die Erlernung fremder Sprachen. Die Förderung, welche dadurch die Verstandesbildung erfährt, beruht in erster Linie darauf, dass die fremde Sprache eine andere Gruppierung der Vorstellungen bedingt als die Muttersprache, in Folge dessen sie dazu nötigt, Unterschiede zu beachten, auf welche man durch diese nicht hingewiesen wird, anderseits auch Manches zusammenzufassen, was in dieser getrennt bleibt und ohne Beziehung zu einander. Diese Wirkung des Sprachunterrichts wird aber im vollen Masse nur erzielt, wenn der Schüler zu beständiger Vergleichung der eigenen mit der fremden Sprache angehalten wird, weshalb denn auch die blosse praktische Aneignung mehrerer Sprachen, wie sie ja in Gegenden mit gemischter Bevölkerung oder in Grenzgebieten häufig ist, keine wesentliche geistige Förderung mit sich bringt. Der von mir bezeichnete Zweck wird eben in der Weise erreicht, dass man durch die Abweichungen der fremden Sprache veranlasst wird, auf eine Anzahl von Punkten aufmerksam zu werden, in denen die durch die Muttersprache gegebene Gruppierung von derjenigen abweicht, die von einem logischen Denken gefordert wird. Soll mit der so viel gerühmten logischen Schulung,

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II. Reden

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die insbesondere durch den Unterricht in den alten Sprachen erzielt werden soll, Ernst gemacht werden, so muss auf diese Seite desselben ein Hauptgewicht fallen, wobei die gegenüber der Grammatik ungebürlich vernachlässigte Wortbedeutungslehre zu ihrem Rechte kommen muss. Es ist aber klar, dass hierbei Unterweisung über den Gebrauch der fremden Sprache Hand in Hand gehen muss mit der Anleitung zum Nachdenken über den der eigenen, dass gleichzeitig der Bedeutungsinhalt der Wörter, Wortformen und Konstruktionsweisen in beiden Sprachen analisiert und zu deutlichem Bewusstsein gebracht werden muss. Soll ein solcher Unterricht mit rechtem Nutzen erteilt werden, so gehört dazu als eine Vorbedingung auch, dass der Lehrer im Nachdenken über seine Muttersprache geübt ist, dass er der wissenschaftlichen Behandlung derselben nicht fern steht. Wieweit eine fremde Sprache den geschilderten Dienst leisten kann, hängt natürlich davon ab, wie viele Abweichungen sie bietet, die auf eine strengere logische Unterscheidung führen. Es muss nun aber hervorgehoben werden, dass die wichtigsten Kultursprachen, auch die einander am fernsten stehenden, einen solchen Grad von Uebereinstimmung zeigen, dass auch die Yergleichung mehrerer von ihnen bei weitem nicht ausreicht, alle logischen Unterscheidungen, die zu machen wären, hervorzukehren und so die Befreiung aus den Fesseln der Muttersprache zu vollenden. Anderseits ist die Vergleichung einer fremden Sprache, ein so willkommenes Anregungsmittel sie ist, keineswegs ein notwendiges Erfordernis für die begriffliche Analyse des Bedeutungsinhaltes unserer Muttersprache, worauf es zum Zwecke der logischen Schulung allein ankommt. Eine solche durchgängige Analyse ist auch ohne Zuhilfenahme irgend einer fremden Sprache im Stande, allen unseren Vorstellungen zu grösserer Klarheit und Bestimmtheit zu verhelfen. Es ist hier eine allgemeine Erwägung am Platze. Die Assoziationen, die unsere Vorstellungen eingehen, zerfallen in zwei Klassen. Die einen sind äusserlich und zufällig, wie ζ. B., was uns hier besonders angeht, die Verknüpfung eines Lautkomplexes mit der dazu

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5. Die Bedeutung der deutschen

Philologie

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gehörigen Bedeutung. Die anderen beruhen auf einer inneren und notwendigen Beziehung. Assoziationen der ersteren Art sind für die Wissenschaft wie für das praktische Leben unentbehrlich. Aber nur die letzteren haben einen wirklichen Wert für die Bildung des Menschen. Oberster Grundsatz einer vernünftigen Pädagogik muss es demnach sein, die äusserlichen Assoziationen auf das Unentbehrliche zu beschränken und so viel als möglich die auf inneren Beziehungen ruhenden zu pflegen. Was einem jeden in erster Linie frommt, ist nicht die Aneignung der Kenntnis vieler ihm fern liegender Gegenstände, sondern die Einsicht in den Zusammenhang der ihn täglich umgebenden Verhältnisse. Danach ergeben sich mannigfache Ausgangspunkte für die Bildung, die aber, richtig benutzt, auf die gleiche allgemeine Grundlage aller Bildung zurückführen. Die Muttersprache als Unterlage der Bildung hat den unschätzbaren Vorzug, dass die äusserlichen Assoziationen zwischen Laut und Bedeutung schon geknüpft sind, dass es nur noch darauf ankommt, die mit der Sprache gegebenen inneren Assoziationen zu klarem Bewusstsein zu bringen und daraus neue wertvolle Assoziationen zu schaffen. Sie bietet für jeden, dem erst einmal die Augen geöffnet sind, einen unerschöpflichen Stoff zum Nachdenken, den man immer bei sich trägt, ohne ihn als lästiges Gepäck zu empfinden. Dagegen muss der Gewinn, den die Erlernung einer fremden Sprache für die logische Schulung bringen kann, immer erst durch eine an sich wertlose starke Belastung des Gedächtnisses erkauft werden. Dieselbe nur zum Zwecke dieser Schulung zu betreiben ist ein Umweg, bei dem viel Zeit verloren wird. Um die Aufnahme einer fremden Sprache in den Lehrplan unserer Schulen zu motivieren, bedarf es daher jedenfalls anderer zwingender Gründe, und es dürfen bei unparteiischer Erwägung die von mir hervorgehobenen grossen Nachteile, die damit verknüpft sind, nicht aus den Augen gelassen werden. Ich muss noch einige weitere Vorteile hervorheben, welche die Anknüpfung an die Muttersprache gewährt. Nur diese kann einer in der Regel vollständig beherrschen. Insbesondere kann in Bezug

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auf die toten Sprachen wegen der Lückenhaftigkeit des Materiales auch bei der intimsten Vertrautheit kein wirklich lebendiges und sicheres Sprachgefühl erworben werden. Ferner, was pädagogisch von grossem Werte ist, der Schüler kann dazu angeleitet werden, sehr vieles aus seinem Sprachgefühle heraus selbst zu finden. Es kann der ausgedehnteste Gebrauch von der sokratischen Methode gemacht werden. Es folgt aus diesen Erörterungen, dass solche an die Sprache angeschlossenen Denkübungen auch in der Volksschule angestellt werden können, und jedenfalls dürften sie für die Schulung der Volksschullehrer von grossem Werte sein. Doch mit dieser begrifflichen Analyse ist der Gewinn, der aus dem Nachdenken über die Sprache entspringt, nicht erschöpft. In vollem Masse wird derselbe erst eingeerntet, wenn sich die logische Betrachtungsweise in eine psychologische verwandelt. Wie schon bemerkt, wird mit der Sprache eine bestimmte Gruppierungsweise unserer Vorstellungen aufgenommen. Alle Sprechthätigkeit ist durch diese Gruppierung bedingt und kann nur verstanden werden, wenn man sich ein klares Bild davon macht, wie die zur Sprache in Beziehung stehenden Vorstellungen in der Seele gelagert sind, und wie sie in Folge davon sich wirksam zu erweisen im Stande sind. So beruht auch alles, was wir Veränderung in der Sprache nennen, auf einer Veränderung in der Lagerung der Vorstellungen. Sprachgeschichte, die auf das Wesen der Sache eingeht, und Psychologie stehen im innigsten Zusammenhange unter einander. Gewiss ist die Psychologie auch die wichtigste Grundlage aller andern Kulturwissenschaften. Jedoch auf keinem andern Gebiete reflektieren sich die psychologischen Vorgänge mit so unmittelbarer Klarheit als auf dem der Sprache. Einführung in das Leben und die Entwickelung der Sprache ist daher zugleich Einführung in die Psychologie, und die historisch-psychologische Betrachtung der Sprache ist die beste Schulung für das Verständnis aller Kulturentwickelung überhaupt, abgesehen davon, dass sie direkt einen grossen Ertrag für die Kultur-

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5. Die Bedeutung der deutschen Philologie

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geschichte bringt. Soll der Sprachunterricht die zentrale Stellung, die er jetzt in unseren Gymnasien einnimmt, auf die Dauer bis zu einem gewissen Grade behaupten, so muss er in den Dienst der Psychologie gestellt werden. Ausserdem muss berücksichtigt werden, dass nur auf einem Verständnis der Lebensbedingungen der Sprache die richtige Methode des Sprachunterrichts aufgebaut werden kann. Auf Grund eines solchen Verständnisses kann sich auch an den elementarsten Unterricht ein lebendiges Interesse anknüpfen. Was soll man nun dazu sagen, dass unsere Prüfungsordnungen von den Kandidaten, in deren Hände der Sprachunterricht gelegt werden soll, nach dieser Richtung hin auch nicht das Geringste verlangen? Die historisch-psychologische Betrachtungsweise lässt sich natürlich auf jede Sprache anwenden. Dass dieselbe aber der deutschen Philologie besonders nahe gelegt ist, näher insbesondere als der klassischen, ergiebt sich schon aus der Beachtung eines Umstandes. Während die letztere sich im allgemeinen entweder ablehnend oder nur mit einem gewissen Widerstreben nachgebend gegen die vergleichende Sprachwissenschaft verhalten hat, ist die erstere mit dieser zusammen begründet, so dass J. Grimms Deutsche Grammatik ein Fundamentalwerk für beide Wissenschaften ist, und ebenso haben an der Umbildung, welche die allgemeine Sprachwissenschaft in den letzten Dezennien erfahren hat, Germanisten einen hervorragenden Anteil genommen. Es hängt dies jedenfalls damit zusammen, dass das Material ein viel günstigeres ist. Wir haben eben eine reiche, durch Jahrhunderte hindurch ununterbrochene Tradition, die in eine noch lebende Sprache ausläuft mit einer wunderbaren Mannigfaltigkeit von Mundarten, die unserer unmittelbaren Beobachtung zugänglich sind, dazu nächstverwandte Sprachen (englisch, skandinavisch), in Bezug auf die wir in ähnlich glücklicher Lage sind. So ist das Studium der deutschen Philologie für die Einführung in die sprachwissenschaftliche Methode besonders gut geeignet. Von pädagogischem Standpunkte aus kommen nun wieder die schon hervorgehobenen grossen Vorteile in Betracht. Auch ohne über das von der lebenden

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II. Reden

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Sprache gebotene Material hinauszugehen, vermag ein historisch geschulter Lehrer über die psychologischen Bedingungen vieler sprachlichen Thatsächen zu belehren. Nun kommt aber weiter in Betracht, dass in der Regel ein jeder neben der Schriftsprache eine Mundart beherrscht, deren Yergleichung mit jener äusserst fruchtbar gemacht werden kann. Wie könnte man wohl mit weniger gelehrtem Apparat in die Elemente der vergleichenden Grammatik eingeführt werden? Ferner kann es nicht ausbleiben, dass man bei der Lektüre auch ganz moderner Schriftsteller auf allerlei landschaftliche Besonderheiten stösst. Und vollends die klassischen Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts bieten sehr Vieles, was jetzt veraltet oder nicht mehr schriftgemäss ist. Wenn dies vielen Lesern kaum zum Bewusstsein kommt, so ist das eben ein Zeichen der Gedankenlosigkeit, mit welcher gewöhnlich gelesen wird. Gerade die Feinheit der Unterschiede, um die es sich dabei handelt, ist besonders lehrreich und bietet die günstigste Gelegenheit zu entwicklungsgeschichtlicher Betrachtung. Noch mehr wächst der Stoff dafür, sobald man etwa auf die Sprache der lutherischen Bibel oder die der älteren Kirchenlieder und anderer ähnlicher Denkmäler zurückgeht. Ich will mich hier nicht näher auf die Frage einlassen, wie weit es für unsere höheren Schulen zweckmässig ist, noch weiter zurückzugehen und Mittelhochdeutsch zu treiben. Aber soviel dürfte wohl klar sein, dass dadurch bei verhältnismässig geringer Belastung des Gedächtnisses die Einsicht in die Entwickelung unserer Vorstellungswelt und die allgemeinen Bedingungen dieser Entwickelung in hohem Masse gefördert werden kann. Noch muss hervorgehoben werden, dass eine solche Vertiefung des Unterrichts in der Muttersprache in die engste Beziehung zu der Unterweisung über die Sprachrichtigkeit gesetzt werden kann, und dass damit diese Unterweisung aufhört, blosser trockener und mechanischer Regelkram zu sein.

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Ueber den Wert des Studiums unserer nationalen Literatur kann ich mich etwas kürzer fassen, da es sich hier viel mehr um allgemein Anerkanntes handelt, oder sagen wir lieber um etwas, dem man nicht zu widersprechen wagt, wenn es auch an innerer "Wärme und wirklichem Verständnis für den Gegenstand gewöhnlich fehlt. Ich begnüge mich, einige (Jesichtspunkte hervorzuheben, auf die es meiner Ueberzeugung nach besonders ankommt. Wenn sich für uns an die Erforschung unserer nationalen Vergangenheit überhaupt ausser dem wissenschaftlichen Interesse ein praktisches anknüpft, so beruht dies zunächst darauf, dass wir derselben als Nation gerade so bedürfen, wie der Einzelne des Rückblicks auf sein vergangenes Leben zum Zwecke der Selbsterkenntnis. Ein hohler Chauvinismus mag sich mit phrasenhafter Verherrlichung des eigenen Volkstumes begnügen. Wahrer Patriotismus verlangt strenge Selbstprüfung, wozu nur die wissenschaftliche Erforschung der Gesamtentwickelung unseres Volkes verhilft. An dieser Aufgabe gebührt auch der Literaturgeschichte ihr Teil, und ich glaube nicht der geringste. Wie wir der Sprachforschung einen bestimmenden Einfluss auf die Regelung unserer Sprache zugewiesen haben, so könnte vielleicht die Literaturgeschichte einen ähnlichen Einfluss auf die literarische Produktion unserer Tage beanspruchen. Von den Stimmführern derselben dürfte freilich 'dieser Anspruch mit Entrüstung zurückgewiesen werden. Befinden wir uns doch hinsichtlich der Poesie wie der bildenden Kunst in einer Epoche, in der man um jeden Preis etwas hervorbringen möchte, was an die Erzeugnisse früherer Zeiten so wenig als möglich erinnert. Gewiss ist zuzugeben, dass uns mit unfreier Nachahmung nicht gedient ist, dass kein Studium der Literatur die mangelnde Schöpferkraft ersetzen oder eine solche hervorrufen kann. Aber ebenso gewiss ist: auf jedem andern Gebiete hält man es für eine Thorheit, wenn jemand sich herausnimmt, die Erfahrungen früherer Zeiten über Bord zu werfen und ganz von vorn anfangen zu wollen. Und die Literaturgeschichte liefert den schla-

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II Reden

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gendsten Beweis dafür, dass die grössten Dichter aller Zeiten es nicht verschmäht haben, mit schon vorhandenen Dichtungen, sei es des eigenen oder eines fremden Volkes, sei es der nächsten Vergangenheit oder einer weit zurückliegenden Epoche, ihren Geist zu befruchten, ja dass sie sogar bei ziemlich engem Anschluss an solche Dichtungen höchst Originelles geschaffen habep. Noch weniger als die literarische Produktion kann die ästhetische Theorie und Kritik der Literaturgeschichte entraten. Man ist jetzt wohl darüber einig, dass eine gesetzgebende Aesthetik nur auf Erfahrung aufgebaut werden kann, die einerseits aus Experimenten geschöpft wird, anderseits aus der Analyse der überlieferten Kunstwerke, verbunden mit der Beobachtung der Wirkungen, welche dieselben gehabt haben. Es ist das allerdings kein Zweck, dem die deutsche Literatur speziell dient. Doch muss darauf hingewiesen werden, dass es eine Epoche der deutschen Literatur giebt (von Gottscheds Auftreten bis zu den Romantikern), in der eine ganz besonders innige "Wechselbeziehung zwischen poetischer Produktion einerseits und ästhetischer Theorie und Kritik anderseits bestanden hat. Die moderne Aesthetik wird immer von Neuem an die Theorieen unserer grossen Dichter anknüpfen müssen, wenn sie dieselben auch nicht mehr als unumstössliche Dogmen hinnimmt. Bedeutende Schriftsteller lassen sich nicht nach Willkür hervorbringen. Aber einen gewissen Grad von schriftstellerischer Befähigung will ja die Schule einem Jeden mit auf den Weg geben, und es ist dias als ein Hauptziel des deutschen Unterrichts allgemein anerkannt. Worauf stützt sich nun der Lehrer, der dem Schüler einen angemessenen Stil beibringen soll? In der Regel auf ein gewisses dunkeles Gefühl, wie er es aus seiner Lektüre gewonnen hat, das ihn im günstigen Falle wohl die Unangemessenheit eines Ausdrucks bemerken lässt, das ihn aber darum doch nicht immer befähigt, den eigentlichen Grund dieser Unangemessenheit klar einzusehen und den Schüler darüber zu belehren. Wir haben zwar eine aus dem Altertum überkommene systematische Stilistik, auf der unsere

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gewöhnlichen Handbücher fussen. Dieselbe leidet aber vor allem an dem Mangel, dass sie sich fast ausschliesslich mit dem rhetorischen Schmuck der Darstellung beschäftigt. Eine umfassende wissenschaftliche Stilistik ist erst noch zu schaffen, und diese bedarf wie die Sprachwissenschaft einer psychologischen Fundamentierung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es zwar ganz allgemeine Stilgesetze giebt, dass dieselben aber in der Anwendung auf jede einzelne Sprache sich besonders gestalten müssen je nach den in derselben zur Verfügung stehenden Mitteln. Es macht sich das ganz besonders beim Uebersetzen aus einer Sprache in eine andere bemerklich. Dass bei dem fremdsprachlichen Unterricht auf eine gute deutsche Uebersetzung gesehen werden soll, ist ja den Lehrern häufig genug eingeschärft. Sollen sie aber dazu im Stande sein, so müssen sie auch über die der Muttersprache eigentümlichen Mittel im klaren sein. Die systematische Stilistik nun, wie ich sie im Auge habe, kann nicht anders geschaffen werden als auf Grund eines umfassenden, aus den Schriftstellern selbst geschöpften Beobachtungsmateriales. Vorarbeiten besitzen wir schon in Menge. Denn, namentlich seit W. Scherer dazu angeregt hat, ist die Charakteristik des Stiles einzelner Schriftsteller und ganzer literarischer Gattungen mit Vorliebe gepflegt worden. Für die Schulung des Lehrers, der dazu berufen ist, stilistische Unterweisung zu geben, wird es einstweilen das Erspriesslichste sein, wenn er gewöhnt wird, die stilistischen Eigenheiten der gelesenen Schriftsteller sorgfältig zu beobachten und sich über die Ursachen gewisser Vorzüge und Mängel klar zu werden. Doch welche Dienste uns auch unsere Literatur zur Leitung unserer eigenen Produktion leisten kann, so ist das doch nicht das Wesentlichste. Ihre Hauptbestimmung ist vielmehr, eine der wichtigsten Grundlagen unserer Bildung überhaupt zu sein. Man schätzt ihren Wert schlecht, wenn man sie nur als eine Quelle des Genusses, wenn auch des edelsten Genusses betrachtet, und ebenso, wenn man ihren erzieherischen Wert nur in der Ausbildung des ästhetischen

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Sinnes im engeren Verstände sieht. Die Literatur als Ganzes ist ja zwar nicht die einzige, aber doch die wichtigste und die deutlichste Sprache redende Vermittlerin dessen, was frühere Zeiten an geistiger Kultur hervorgebracht haben. Damit nichts davon verloren gehe, muss es von uns immer von neuem durch ihre Vermittelung erworben werden. Der poetischen Literatur fällt insbesondere eine grosse Aufgabe zu. So wichtig die Analyse der Sprache für die Verstandesbildung ist, so unentbehrlich ist die Erweckung sympathetischer Empfindung durch die Dichtung für die Gemütsbildung. Dass die Erzeugung eines tiefen und reichen Empfindungslebens ein Hauptziel der Erziehung überhaupt und sogar des Schulunterrichts sein soll, das ist freilich noch nicht allen Pädagogen zum Bewusstsein gekommen, ganz abgesehen davon, dass noch immer mächtige Richtungen sich einem solchen Ziele direkt feindlich gegenüberstellen, Richtungen, die sich Religion und Sittlichkeit nur auf Grundlage enger Beschränktheit des Denkens und Fühlens vorstellen können. Es giebt meiner Ueberzeugung nach keine Epoche unserer Literatur (ich nehme auch die am tiefsten stehenden nicht aus), die nicht wenigstens einige eigentümliche Ausprägungen des deutschen Geistes aufzuweisen hätte, die in ihrer Art unersetzbar und von bleibendem Werte sind. Dies im einzelnen im Rahmen dieses Vortrage nachzuweisen ist natürlich unmöglich. Denjenigen, welcher die Erzeugnisse der älteren Zeit als für uns abgethan betrachtet, möchte ich nur darauf hinweisen, wie schwer der Bruch mit der Vergangenheit, den die deutsche Kunstdichtung des 17. Jahrhunderte vollzog, sich gerächt hat; wie die Wiederanknüpfung an dieselbe, zunächst an das 16. Jahrhundert ein Hauptmoment bei der Wiedergeburt der deutschen Poesie in der Sturm- und Drang-Periode bildet (ich erinnere nur an Goethe's Götz, seine Fastnachtsspiele, seinen Faust); wie sich seitdem immer erneute Einwirkungen der älteren Poesie auf die moderne geltend gemacht haben, die schon allein, wenn man sie auch nicht durchweg billigen mag, unseren Blick auf jene zurücklenken müssten. Ist doch auch die deutsche Philologie zunächst aus

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dem Bedürfnis hervorgegangen, mit der mittelalterlichen Dichtung eine lebendige Fühlung zu erlangen. Doch wie hoch man auch die Leistungen der älteren Zeit stellen mag, zur tiefsten und weitgreifendsten Wirkung auf die Gegenwart bleiben allerdings immer die Erzeugnisse einer uns näher liegenden Epoche berufen, die Werke unserer grossen Klassiker, und nicht bloss darum, weil sie uns noch nahe genug liegen, nicht bloss wegen ihres ästhetischen Wertes, sondern noch aus einem selten hinlänglich gewürdigten Grunde. Man wird der grossen literarischen Bewegung, wie sie mit Klopstocks und Lessings Auftreten beginnt, nicht gerecht, wenn man sie bloss als eine literarische betrachtet. Die Dichtung dieser Epoche ist nicht die schönste Blüte einer schon vorhandenen Kultur; nein, erst mit ihr und durch sie ist eine neue Kultur geschaffen. Die Hauptvertreter der Literatur sind zugleich die Vorkämpfer einer Umwälzung im Denken und Empfinden, die Schöpfer neuer Bildungsideale, durch welche derjenige Teil der Nation, der ihnen zu folgen im Stande war, aus geistiger Gedrücktheit und Enge zu einer grossen, freien Lebensauffassung emporgehoben wurde. Und so sind von ihnen auch die fruchtbarsten Anregungen für die Wissenschaft unseres Jahrhunderts ausgegangen. Auf einen Einwand muss ich gefasst sein, nämlich den, dass zwar der bildende Wert unserer klassischen Literatur unbestreitbar sei, dass man aber zur Lektüre derselben keine Wissenschaft brauche. Giebt es doch noch viele Leute, die sich nicht vorstellen können, dass man unsere modernen Klassiker überhaupt wissenschaftlich behandeln könne, und dass dies eine der deutschen Philologie zufallende Aufgabe sei. Die Betreffenden haben wohl keine Ahnung davon, dass es bei vielen Schriften selbst erst einer kritischen Reinigung des Textes bedurft hat und noch bedarf. Sie haben wohl auch immer über die Schwierigkeiten hinweggelesen, die so manche Stellen dem Verständnis bieten, teils von Anfang an, teils für den nicht mehr zeitgenössischen Leser. Doch das ist nicht das Wesentlichste. Der Geist, aus dem diese Schriften geboren sind, ist dem jetzigen Ge-

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schlechte schon viel fremder geworden, als man gewöhnlich glaubt. Man ist es gewohnt, dem 18. Jahrhundert Mangel an vaterländischem Sinn vorzuwerfen. Man kann aber den wesentlichen Unterschied, der nach dieser Richtung hin besteht, auch anders fassen, wobei auf unsere Zeit ein viel weniger günstiges Licht fällt. Wir erwarten heute alles Heil von dem Eingreifen des Staates, von äusserlichen Institutionen. Das 18. Jahrhundert setzte sein Vertrauen auf den Fortschritt der Bildung, auf die Aufklärung und Veredelung der Individuen. Etwas von diesem Sinne brauchen wir sehr notwendig zur Ergänzung des unserigen, wenn wir nicht wieder mehr und mehr in Barbarei zurückfallen sollen, wenn die Früchte des angestrengten Ringens unserer edelsten Geister nicht wieder verloren gehen sollen. Schwere Bildungskämpfe sind damals ausgefochten, innerliche und äusserliche, die für alle Zeiten lehrreich sind, mit mannigfachen Verirrungen, bis das Ideal wahrer Humanität zu immer grösserer Reinheit geläutert ist, das auch für uns vorbildlich bleiben muss. Von alledem giebt uns die Lektüre der kleinen Auswahl von Werken, die noch jetzt gewöhnlich gelesen wird, kaum eine schwache Ahnung, wenn sie nicht ergänzt und geleitet wird von einer geschichtlichen Forschung, die in den Zusammenhang der ganzen Entwickelung •einzudringen sucht auf Grund einer Beherrschung des gesamten Materiales, nicht bloss des seinerzeit veröffentlichten, sondern auch des ungedruckten, der Entwürfe, der Tagebücher, der Briefe und anderer Dokumente, die uns so tiefe Einblicke in das Werden der Persönlichkeiten und ihrer Werke gewähren. Wem an der Verbreitung wahrer Bildung gelegen ist, der muss wünschen, dass die Früchte dieser Forschung auch der Schule zu gute kommen, und das kann natürlich nur durch Vermittelung der Lehrer geschehen. Wie steht es nun aber in dieser Hinsicht, speziell bei uns in Bayern? Nirgends wohl sonst werden einem so viel die Schlagworte Humanismus, humanistische Bildung entgegengetragen. Aber leider macht man die Erfahrung, dass die meisten jungen Leute, die sich dem Lehrberufe widmen, von jenem echten Humanismus unserer grossen Dichter

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so gut wie unberührt sind. Man mutet ihnen ja auch nicht ernstlich zu, dass sie sich überhaupt darum gekümmert haben. Wenn ich so für eine Bildung auf nationaler Grundlage eintrete, so brauche ich darum den Vorwurf nicht zu fürchten, dass ich damit nationaler Beschränktheit das Wort rede. Wer es mit der Geschichte der deutschen Literatur und der deutschen Kultur überhaupt Ernst nimmt, der stösst dabei auf die mannigfaltigsten fremden Einflüsse, die er zu verfolgen genötigt ist, und wird so immer zu universalgeschichtlicher Betrachtung gedrängt. Eben deshalb, weil in unsere Literatur schon so viele wertvolle fremde Kulturelemente aufgenommen und angemessen verarbeitet sind, brauchen dieselben nicht von jedem Einzelnen wieder von neuem direkt aufgenommen zu werden. Nur die unbefangene geschichtliche Prüfung des Einflusses den die fremden Kulturen auf unsere nationale Entwicklung gehabt haben, lehrt uns auch den Wert richtig abschätzen, den dieselben noch heute für unsere allgemeine Bildung beanspruchen dürfen. Ich möchte nicht hinausgreifen über das, was der deutschen Philologie im engsten Sinne zufällt, da für andere Zweige der Kultur sich zum Teil schon selbständige Wissenschaften ausgebildet haben. Doch kann ich nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, wie sehr diese Wissenschaften zu ihrem Gedeihen eine enge Fühlung mit der Sprachund Literaturwissenschaft nötig haben. Dies dürfte ganz besonders von der deutschen Rechtsgeschichte gelten. Aber noch einen Wissenschaftszweig muss ich hier berühren, der von Anfang an einen wesentlichen Bestandteil der deutschen Philologie gebildet hat. Schon Herder verlangte in seinem Aufsatze „Von Aehnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst", worin er gewissermassen das Programm der noch zu schaffenden deutschen Philologie aufstellt, neben der Durchforschung der Handschriften Sammlung „der gemeinen Volkssagen, Märchen und Mythologie". Die Brüder Grimm wurden durch die Ausführung der Herderschen Idee die Schöpfer der deutschen Volkskunde, und wir

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II. Reden

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dürfen sagen der Volkskunde überhaupt, die sich dann immer mehr auch auf die Volkssitte ausgedehnt hat. Es war zunächst ein wirkliches Herzensbedürfnis, was zur Beachtung der volkstümlichen Ueberlieferungen führte. Schon ehe man an wissenschaftliche Sammlung dachte, schon seit der Sturm- und Drangperiode haben dieselben befruchtend und verjüngend auf die deutsche Kunstpoesie gewirkt. Insbesondere verdankt ihnen die Lyrik und vor allem die Balladendichtung eine Menge der schönsten Motive, Stimmungen und Stilmittel. Im Ganzen kann man wohl sagen, dass die Volkskunde bis jetzt hauptsächlich den gebildeten Klassen zu Gute gekommen ist. Das Volk selbst hat wenig davon gehabt. Den Sammlern auf diesem Gebiete lag zunächst meistens alles daran, in den volkstümlichen Ueberlieferungen und Gebräuchen die Ablagerungen älterer Kulturzustände aufzuspüren, und sie waren gewöhnlich nur allzu geneigt, alles in das höchste Altertum hinaufzurücken und soviel als möglich Reste des germanischen Heidentums zu entdecken. Von diesem Standpunkte aus ist auch so Manches ungehörig in die vorliegenden Thatsachen hineingetragen. Man hat sich zu wenig bemüht, die Anschauungen und Gebräuche des Volkes zunächst rein als das aufzufassen, was sie ihm jetzt wirklich sind, zu untersuchen, welche Stellung sie jetzt in seinem Denken und Fühlen einnehmen. Diese Forderung, die vom wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus gestellt werden muss, weist zugleich darauf hin, wie die Volkskunde praktisch nutzbar gemacht werden kann. Die Kenntnis der geistigen Eigenheiten und der geistigen Bedürfnisse des Volkes, die bei aller durchgehenden Uebereinstimmung doch auch landschaftlich sehr verschieden sind, sollte die Grundlage für eine vernünftige Volkserziehung sein. Es handelt sich dabei zunächst um schonende Rücksicht für das, was dem Volke teuer ist, um liebevolle Pflege alles dessen, was davon wertvoll für sein Wohlbefinden und seine Sittlichkeit ist. Freilich ist es keine Frage, dass trotzdem immer mehr davon durch die ausgleichende Wirkung des modernen Verkehres getilgt werden wird. Um so mehr aber sollte man darauf bedacht sein, dem Volke für

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das, was ihm auf diese Weise genommen wird, was früher einen wesentlichen Bestandteil seines geistigen Lebens und seiner Lebensfreude gebildet hat, einen Ersatz zu schaffen. Und wie ein solcher Ersatz beschaffen sein muss, das wäre zum Teil aus der Volkskunde zu lernen. Leider darf man von unserer Zeit, die sich, wie schon hervorgehoben, in Bezug auf Erziehungsfragen überhaupt so gleichgiltig zeigt, kein besonderes Interesse für derartige Bestrebungen erwarten. An Versuchen dem Volke allerhand Kenntnisse mitzuteilen, fehlt es gerade nicht (wenigstens in den Städten), ja man überfüttert es sogar teilweise mit einem Wissen, das es nicht verdauen kann und das ihm ganz unnütz ist Dagegen die eigentliche Erziehung glaubt man der Kirche und Schule überlassen zu dürfen. Insbesondere fehlt es an einem Verständnis dafür, von welcher Bedeutung es für die moralische Bildung des Menschen ist, was das Vergnügen seiner von Berufsarbeit freien Zeit, seiner Feierstunden und Feiertage ist. Weder Staat, noch Gemeinden, noch mit wenigen Ausnahmen gemeinnützige Gesellschaften fühlen sich veranlasst, sich der Vergnügungen des Volkes anzunehmen. Werden doch auch unsere öffentlichen Theater, mögen sie Hof- oder Stadttheater sein, lediglich im Interesse der besitzenden Klassen verwaltet. Das Volk zu unterhalten überlässt man ganz Privatunternehmern, die so oft auf die niedrigsten Leidenschaften spekulieren. Es scheint mir dies doch auch ein wichtiger Teil der sozialen Frage zu sein. Ich bin zu Ende. Ich habe auf die Pflichten hingewiesen, welche die deutsche Philologie dem deutschen Volke gegenüber hat. Mögen dann aber auch diejenigen, denen die Leitung der Bildung des deutschen Volkes anvertraut ist, in ernstliche Erwägung ziehen, wie sie das, was von dieser Seite geboten wird, in angemessenerWeise benutzen.

6.

Gedanken über das Universitätsstudium Rede beim Antritt des Rektorats der Ludwig-MaximiliansUniversität, gehalten am 11. Dezember 1909, München: Kgl. Hof- und Universitäts-Buchdruckerei von Dr. E. Wolf & Sohn 1909

3^d?att|>ÇttftcÇe

^rfammfmtg!

Scingere 3eit até geroöfyultd) ift Derftricijeu, feitbem fidj unfere Unioerfität jutn legten ÜRaíe ju einet Seiet in biefetn Siaurne Derfammelt fjat. Snjtmjdjen í>at becfetbe eine neue/foürbtgereSludgeftattung erhalten. ®iefe íleugeftaítung ift bet 2íbfd)íu& einer großartigen ©rmeiterung unfered Äoflegienf)aufed uttb einer grünbtidjen (Erneuerung bed alten 93aued. ÜJHt freubiger Genugtuung fönnen toit tjeute biefen Slbfcfyiujj feiern. 3D3aà uns ttodj oor nidjt Dielen Sauren eilt ßuftfdjiojj gejcf)ienen Ijätte, bad ftefyt jefet auf feftem ©runbe cor unfern Slugett ba, ein Sau fo ftattlid), wie iíjn,roenigftendfür bie SBortefungen, feine anbete beutf^e Unioetfttüt auf* juttieifen fjat. Φα ift ed billig, junädjft ben ©efiifjíen bed Wanted Síud= brut! ¿u gebett. SEBir banfen allen benen, bie bte Anregung §u bent Unter* nehmen gegeben unb bie 2ludfüt)rung bedfelben geförbert Çaben. 2Bir banfen indbefonbere. ber Sgl. ©taatdregierung unb ben Kammern bed fianbed, bie trojj ungünftiger Çinanjlage bie bebeutenben Mittel bewilligt fyaben. 2Sir banfen »bem ©nttoerfer bed trefflidjen planed unb bem mit bet felbftänbtgen Sludfüi)rung bettauten Setter bed Saued, bem ed gelungen ift, bie fdjtoiettge Siufgabe in gtänjenber SBeife ju iöfen unb aQed ebenfo fdjita wie jroedmäfjig ju geftalten. SSit banfen audj bem Çinanjreferenten bed SBertoaftuttgdaudfdjuffed, betn SReftor bed vorlebten Sabred für bie unermübítdje ïdtigîeit, bie et oon Anfang bid ju @nbe in fteter Çiifjlung mit ber tecÇnifdjen Seitung bem 93aue getoibmet íjat.

II. Reden

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3« unferer Çreube mtfájt ftdj teiber audj eilt toeljmütigeó Oefüljl. SBir iöitneti ben heutigen Sag ttidjt Begehen, o^tte einen ©lann in unferer SRitte ju öermiffen, bem e8 nidjt öergöttnt geroefen ift, betreiben ju erleben, ben 5Reftor be8 »ergangenen QatjreS, ber unö ηοφ üot Slbtauf feiner SlmtSjeit Jo unerwartet entriffen ift. ©einer liebeitSWürbigen 5ßer· fönli^feit ttjtbmen wir ein IjerjItdjeS Stnbenfen. Un3 anbeten aber, bie wir iljn überleben unb uni SluëficÇt mateen, bie SSorteiíe unferer neuen ^eimftätte ju genießen, gejiemt tè, nidjt blojj ju triumphieren; üieítneí)t fdjeint mir ber SInlafj gegeben für Sefjrer unb Sentenbe ju ernfter ©inïeljr itt unâ fetbft. ©ie Çrage ift angejeigt: werben auf bie gtanjenbe Serbeffermtg unferer 9täumüci)feiten audj ent» foredjenbe gortfc^ritte in ben ßeiftungen folgen? Db ci ju foídjen ^ort· f^ritten fommt, bag fjftngt junäcfyft baöon ab, mie weit jeber einjelne unter ben gegenwärtigen fiebern unb ©tubierenben fid) jwedentfpredjenb barum bemüht. ©8 f)ängt weiter baöon ab, wie bie juíünftige 3ufainmen= fefcung ber Unioerfität ftdj geftaltet, inäbefonbere bie be3 Seljrförperä. Unb Çiefûr íommt ei natürlich barauf an, ba| bag Sßrofefforeniottegium in 33erbinbung mit ber Ägi. ©taatóregierung ftetá bemüht ift, auf bie beftmöglidje SEÖeife für ©rfafc unb ©rganjung ju forgen oíjne unberechtigte 9iebenrüdfid)ten. (Snblid) aber wäre auá) §u erwägen, ob nidjt an bem je&t üblichen ©tubienbetriebe manche« öerbefferungSbebürftig unb öielteidjt audj öerbefferungäfäljig ift. darauf mödjte id) Çeute 3Çre Slufmerffam· feit Ienfen. ®3 Çanbeit ftdj babei natürlich nidjt bloß um bie 93erÇaitntffe unferer ^»od^fc^ute. SEBemt e8 aud) ηιφί an mannen Sefonberljeiten fe^lt, im großen unb gangen fmb ja bod) bie $uftänbe auf aßen beutfdjen

6. Gedanken über das Universitätsstudium

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Uniuerfttdten bie gíeidjeit. 2ßit ftitb ei gewohnt, baji biefen guftänben bie Ijödjften ßobfprüdje gefpeubet »erben, bie gar wof)I ju ber 2ínitaf)mc »erführen fönneu, ei fei ade« iit fdjönfter Drbnitng. Seiber oeríjaft eä fid) anberá, wie bie (Srfoige jeigen. 3d) will gar ηίφί fragen, tuie oft roof)í »otrflit^ bie ibealeu 3iete beö Uitiuerfitätäftubiumä erreicfjt werben, bie fo oft mit §od)tönenben SBorten gepriefeit Werben. fdjeibeneren SWafjftab att. nicf)t gering.

Segen wir einen be=

2)te 3erj gelegt werben. 3d) öerfjeijie mir auefy nidjt, bajj gewiffe menfôlidje ©djwadjfjeiten unausrottbar finb. Slber barum barf man bodj bie Hoffnung nid)t aufgeben, bajj guter SRat einigen ©rfotg tjat, wenigfteitö foweit feine aufceiorbentlidjen 2tn= ftrengungen erforbert werben, um mandjeS beffer ju matten, fonbern nur ein wenig S3emunft. 3unäcf)ft ift ei ein fdjwerer SDttfjftanb, bafj ein triebt unbeträ# licier ï e i i non benen, weiche bie Unioerfttät bejie^en, für ein gebetíjítcfyeé ©tnbium ηίφί genügenb.geifttg auègeriiftet ift.

@8 ift feine Çrage, bajj

IL Reden

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»tele burdj uniere {jöijerert S p u l e n burdjgefdjleppt werben, bie jur regten 3eit Ijätten gehemmt ober auSgefdjteben werben fotte«. auf ber $ a n b .

® t e Urfadjett liegen

® i e meiften SWettfdjen, unb fo attdj bie Serrer, ftnb wot)l

jur ©utmütigfeit geneigt, fo lange e3 nidjt auf itjre Soften getjt, unb fie bebenfen ba&ei attdj tit ber Sieget nidjt, bafj itjre 9ínon ber ©djule jur Uniuerfttät IjergefteHt werben, wenn ber Unterridjt in ben oberften Staffen eine freiere ©eftaltung erhielte, wenn bie 3ooi)I mit einer gewiffen Kontrolle buráj ben Serrer oereinigen. ® a j u ïôitnten u. α. bie beutfdf)en Stuffäfce bienen, wenn nidjt ein gletdjförmigeS Sterna jwangôweife für alle gefteHt würbe, über ba3 meííeiá)t mandjer wiberwitlig t r a f e n jufatnmenbredjfelt, fonbem ei bem einzelnen geftattet würbe, ηαφ oom Serrer gebilligter SBalji bie ©rgebniffe eineá Heilten ©tubiumS ju »erarbeiten,

gfreilidj wirb

eS immer fol^e S t ü t e r geben, bet benen bie beften päbagogifd)en 9Jlittel nidjtö »erfangen, fte §u freiwilliger ïfttigïeit anjuregen.

©oldje gehören

eben nidjt auf bie Unioerfität. S)ie Don mit berührten Übelftänbe Ijaben jur Sfotge, bafj für einen £eil ber jungen ßeute, bie ftcf) bem aíabemifájett ©tttbium wibmen, eine gebeifrtidje ©ntwidlung üott oorníjerein fo gut wie auSgefdjloffen ift.

©in

anberer SEeit iönnte eä trojj ben iÇm an^aftenben Mängeln ber Segabung unb ber 2íu8biíbung rooljt nod) jit Ietbltdjen fieiftungen bringen, aber

6. Gedanken über das Universitätsstudium

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n u r unter bet Sebtngung, bafj er rechtzeitig feine ©φιοίίφεη erfennt unb [ίφ mit feinen ©tubien bemeutfpre^eub einritztet,

hierauf

fomme icfj

ttod) jurücf. 9htn aber fommen f ü r alle, bie ^Begabten unb bie Unbegabten, bie gut unb bie fdjledjt Siuâgebilbeten

bie ntannigfadjeu 3erfh:eiiungen,

benen fiá| bie afabemifdje 3ugenb ^injugeben pflegt.

3d) toil! t»ier bie

3eit uicf)t mit allgemeinen moratifc^en ©rmaljnungen Einbringen, bie bem fiei^tfinn

unb ber ©nergieloftgfeit gegenüber boc§ tiujjloS j u fein pflegen.

SRur fooiel mödjte ί φ bemerfen.

©etuifj foQ ber ©tubent feine 2lu§biibung

ητφί tebigltá) in beu ^örfälen unb tjinter ben Südjera fueren.

S r mag

alle fici) iljm barbietenben ©elcgenljeiten benujjen, fid) geiftig mannigfach anregen ju laffen, auá| feinen Körper frftftig unb gewanbt j u madjen. ©r mag ftdj babei einem fröf)lidjen fiebensgenuffe hingeben, wie er ber Sugenb angemeffen ift.

SIber felbft, wenn man iljm in biefer £>infid)t

recÇt Diel jugefteljt, fo fönnte babei bodj immer η ο φ ein f)übfcf)e3 ©tiid^en 3eit f ü r fein eigentliches ©tubium übrig bleiben, unb t i märe Diel ge= »Dornten, Slber,

toenn »enigftenä biefeS in

bafj m a n ,

richtiger SBeife angemenbet

um feine 3fugenb redf)t genießen j u

ïiJmten,

tuürbe. einige

©emefter g a n j „oerbummeln" müffe, ift ein S r r t u m , ber fiefj fermer j u rächen pflegt.

Φ α 3 ©rgebntS eineä folgen Sebent ftnb nur gar j u oft

©tunben »oll Sangertoeile, Slaftert^eit unb förperlidjen Übeíbefinbené, g a n j abgefeljen baoott, b a | es maitdjem überhaupt nid^t gelingt, fief) loieber barauä emporjuraffen. 3rür einen nic^t u n b e t r ä ^ t t t ^ e n S e t i unferer ©tubierenben fommt Ieiber η ο φ

etite g a n j anbere ílb^oltung in Setracfjt.

©ie finb infolge

ÜWangel3 an ben nötigen ©jiftenjmitteln gejnmngeti, einen Seil iljrer 3 « t

[10]

114

II. Reden

für ©elberwerb jit üerweitbett.

$)ie 3af)l betet, bie ftdj tit fotdjer Sage

beftttbeit, ift mi)

meinen ^Beobachtungen in ©übbeutf^tanb größer als in

üftorbbeutfdhlanb.

ÜDíatt greift eS ötelfadj ciufeitig als einen SBorjug, bag

audf) bem Unbemittelten baS aíabemifdje ©tubium jugättglich gemalt wirb. ÜJlait beruft ftdj

auf

euSgejeidjueten SJtöntter, bie auS brüefenber

Sirmut ftdj emporgearbeitet haben.

316er btefe S3ei)piete geigen eben nur,

baß für Jünglinge, bereit gä^igfeiten unb ©ttergie über baS gewöhnliche 9Jiaß ÇtuauSgeljen, bie Sirmut fein unüberwinblidjeS Hemmnis ift, ja fogar ein Sporn jur Slufpannung aller Kräfte werben !ann.

Slber, baß audj

fo manner, ber biefeS SJlaß !aum erteilt ober fogar nod) eríjebltd) unter bemfelben bleibt, ftdj burdj ben 2Jîangel an ÜJiitteln nidjt abmatten lägt, bie Unioerfität ju bejteljen, baS ift eine bureaus unerfreuliche ©rfdjeinung. ©inen ttidjt geringen 5Ceit ber ©djulb trägt bie Strt, tote bag ©tipenbium= wefen juerft auf ber ©¿hule unb bann auf ber Uuioerfität beljanbelt wirb. SEßtr ^aben jwar in Samern ©tipenbienprüfungen.

Slber id) glaube nadj

meinen ©rfaljrungen mit gutem ©ewiffett behaupten ju föntten, baß bie Strt, wie babei »erfahren wirb, feine @eroäf)r bagegen gibt, baß unbegabte unb αιιφ nur mäßig fleißige ¡¡Bewerber mit ©tipenbien bebacht werben, gür fctyäbtidj ntuß idj ti

galten,

wenn man bett ÖJrunbfajj oerfolgt,

möglidjft bieten etwas jutetl werben ju laffen. foweit

ti

IRi^tiger fdjetnt es mir,

bie SBeftimmungen nur irgenb julaffen, eine Heinere, ηαφ

ftrengeren ©runbfS^ett ausgewählte Slnjahl fo auäjuftatten, baß fie wo= möglidj aller 9ÍaljrungSÍorgen enthoben finb. @ewiß wirb alfo ein guter ï e i l ber $eit, bie auf bie ©tubien oerwettbet werben follte, benfelben teils aus Slot, teils aus îrâgljeit ober Übermut entjogen.

Slber oiellei^t ηοφ fdjliminer ift es, baß au φ »on ber

6. Gedanken über das Universitätsstudium

[11]

115

bent ©tubieren getoibmeten 3 « t fotoict im ©runbe nujjtoS öergeubet wirb, ©ine Urfadje ift ÜJiattgei an Stetigfeit.

Φαβ fo Meie ben SBefud) ber

SBortefungetf fo unb jo oft unterbreiten unb Dorjeitig abbrechen, ift eine etotg fid) wieber^oíenbe ñíage.

©á gibt ja QnitXe, in benen ber ©tubent

ju ber woíjlbegrünbeten Stuftest foinmt, baß eine SBorlefung ηίφί für ifjn taugt.

©anu mag er fie nur fo baíb aíá moglie^ gauj aufgeben.

2lber barum íjanbelt ti

ftcf) ja meiftená ηίφί.

2öie wenig bei einem

folgen fragmentation Soßegfjöreit fyerauêfommt, follte eigentlich jebem fiar fein.

SBeniger auf ben erften 83liá einíeucfjtenb ift ti, warum audj

fo »tele Don benen, bie ifyre SBorlefungen jiemti^ regelmäßig tjören unb nad)fdjreiben unb bafjer fic£( unb anberen für fleißig gelten, bod) am Snbe fo wenig befriebigenbe ©rgebniffe erjieten.

mitt Derfudjeu barjulegen,

moran nadj meiner ©rfatyrung bie |>auptfá)uíb liegt. 3Bir bürfen uní bariiber feiner 2ßnfdjung íjingeben, bag tè in erfter Sinie nidjt innerer ©rang nadj Síuábitbung ift, ma? bie große SKaße bem UniDerfitätäftubium jufüfjrt. wi^tigftel unb Dielen ató einziges

2Sa3 oielmeijr ben meiften aíá Dorfdjwebt, ift bie fünftige S3er=

forgung burd) ein ©taatSamt ober eine anbere entfpredjenbe (Garantien bietenbe Stellung.

©aju aber fütyrt ber SEßeg burcÇ ein ©jamen ober

mehrere ©jarnina.

SBie einmal biefe ©jamina beftanben werben folien,

baä ift ber SRatur ber ©acfye nadj faft für atte bei ber ©inricf)tung iljter ©tubien eine unoermeiblid)e ©orge, für »tele aber bie einjtge, fo feljr, baß manner gerabeju ängftlidj beforgt ift, baß er ettoaä lernen fomite, mai er für bai ©jamen nidjt nötig íjat.

ÜTiit bem SBorte ©jamen Der=

binbet ίΐφ aber gewöijntidj bie SSorfteQung, baß ti

babei nur barauf

aníomme, Sluäwenbiggelernteä aufjufagen ober aufjufdf)reiben. ©ä ift nid)t

116

[12]

//. Reden

j u leugnen, bafj mattdje SBeftimmungen in unieren ^ßrüfuttgSorbnungen geeignet ftttb, foi^er Slttfdjauung SBorfdjub ju íeiften. 5lud) tft juin Seit bie medjantfcíje Strt, Jute ttadj ben SSorfdjriften bie Seiftungen bet einjetnen bewertet werben mitten, einer richtigen ©djctyung ber geiftigen SReife itttb beâ ©rabeg ber mettyobifdjcn ©djuíung, Worauf ei bod) in erfter ßinie aufommt, ^inberticí). ©3 ift ferner butá) bie 3ufantmenfe|jung ber $ritfuugá= fommifftonen ntcfjt au3gefd)í offen, bafj einjeíne SMtglieber übertriebenen SEBert auf äufjerlidjen ©ebftdjtntëfram legen. SSiel häufiger ift ti jeben» fatta, bajj bie Sßrüfenben ¿War gern anbere Slnforüdje an ben ®eift eitteS SßrüftingS fteßen möchten, fdjltefjlidj aber tíjtt in Sínerfennung eineä gewiffen gíeifjeS trofc fetner DöHtgen Unreife burdjfdjlüpfen laffen. fieiber gelingt ei aífo maiidjem, ber feine Hoffnung für bie ©taatáprtífung auf ein med|antfcf|e3 Sluöwenbtgiernen fe&t, Wtrïlid), fein 3ieí j u erretten, wä^renb anbere freiließ tro| m a u l e n Mängeln ber 5ßrüfnng8beftimmungen unb tljrer £>anbí)abung bamit eine bittere ©nttäufdjung erleben. 3)ie einfeitige 3tücfftdjtnaí)ine auf bie ©jamina unb bie immerhin übertriebene SßorfteQung Dieler ©tubierenben Don bent Sßerte gebädjtniämäjjiger Aneignung für baá 33efteíjert berfelben Çat nun oor allem eine öer^ängntSüoüe fÇoigc.

derjenige, bem ei nur barauf anfommt, für bie

Prüfung ba§ Nötige int (SebiidjtniS j u fabelt, regnet leicht f o : SBoju fott tdj f(f)ort in ben erften ©emeftem anfangen etwas ju lernen, wa8 i dj, bi3 idj ei brause, bodj wieber »ergeffe?

warte bamit lieber bis

gegen ©übe metner ©tubienjeit, bamit bie ©rinnerung wäfjrenb ber Prüfung frifdj ift.

Unb fo jerfättt in ber Stat bai ©tubium bei Bielen

in jroei Slbfdjnitte, einen längeren, in bem fte SSortefungen nadjfdjreiben, unb einen fürjeren, in bem fte fomel a l i möglicfj t>ott bem SRadjgefdjriebenen

6. Gedanken über das Universitätsstudium

[13]

in tfyren Äopf j u bringen futren. Äollegienfyefte, in bie man

3¡n biefer íejjten

raubenb, ficf) butd) feine $ e f t e burdjjuarbeiten, unb er nimmt feine 3"= flucht lieber j u Äompettbieit, wobei immer bie biirftigften mtb oft audj bte fdjíedjteften betiorjugt werben. JRepetitor einkaufen.

S)er SBo^tfjabenbe lägt fid) t>on einem

SDag ift bie Siugrüftuug, mit ber ein grofjer S e i l

ber Sanbibaten ficf> ber S t a a t s p r ü f u n g unterjiefjt. burcfyfommt, ift íeiber waíjr.

© a f j bamit

manner

3)ajj er .aber babitrcf) in angemeffener Söeife

f ü r feinen S e r u f öorbereitet fein foEtte, ift auggefcfyí offen. ® a j u füljrt n u r ein Sßeg, ber audj ber fid)erfte j u m SefteÇen ber P r ü f u n g e n ift.

SSent eâ roirfíicf) eruftlid) um feine Slugbitbung j u tun

ift, ber barf Don Sínfang au fid) nidjt bamit begnügen, ben Sufjait ber gehörten SBorlefungeti auf bag p a p i e r

j u bringen, fonbern m u f j beftrebt

fein, fid) benfeíbeit fofort innerlich anjueignen. wäijrenb ber SSortefungen nidjt btofj Dfjren unb

3)aju

gehört,

bafj er

Ringer anftrengt, wie

bieg namentlich bei ftenograpíjifc^em 9îad)ftf|reiben ber g a l i j u fein pflegt, bag im ganjen öiel(eid|t mefjr fdjäblid) alg nüjjlid) ift, bafj er öieime^r mit ganzer ©eele babet ift.

® a j u gehört ferner, bafj er fid) bag ©e^örte

red)t balb nod) einmal j u

oergegenwärtigen

3eit,

wo bag Sttiebergefdjriebene η ο φ

fudjt, womöglidj j u einer

burdj bie

(ebeubige

Erinnerung

118

[14]

II. Reden

unterftüfct unb e r g ä n j t wirb. fachen ift j a unentbehrlith, gleitet fein.

en Seffern bient es ató ein bequemes Hilfsmittel, nadj bem Iateinif audj bie 2luf* gäbe be§ Serrerà fef)r »erfdjieben geftalten. Schnellere^ ober lang» famereë (Streiken be§ $iele§ Ψ ^ie S°Í9 e · ®aüoit hängt bann weiter bie ^Beantwortung ber grage ab, Wann mit bem frembfpracijlichen Unterricht am ¿weámafjtgfteñ begonnen wirb. 9?οφ ift ju berücEftc^tigen, bafj beim beginn be§ ®lementarunterrid)t§ unb felbft bei bem Übergang jum ©hmnafialunterricht ber Sßortfdjal öon ben ©cfjülera noch i a n 9 e nicht beherrfcht ift. ®erfelbe fann erft aHmählidj öerooHftänbigt werben, inbem fiel) ber 33orftellung§freté bei ©d^ûlerê erweitert. SDiefem ßwecfe bient ber gefamte Unterricht, aber inábefonbere ber Unterricht im SDeutfchen. ®ie erfte ©rlernung ber ©djriftfprache !ann Wohl niájt anberê erfolgen alé wie bie ©rlernung ber natürlichen SKutterfprache: burch S3orfprechen, bann erft weiterhin buri) Sefen. ©rammatifcher Unterricht ïann erft auf einer höh e r e n ©ntwiáíungéftufe bajutreten. g ü r eine erfdjöpfenbe S)arftetíung bei beutfc^ert ©prachmateriatö ift nidE(t baë gleise 93ebürfnt§ öorhanben wie bei (Srlernung einer grernb» fpradje. 25a§ fdjon Söefannte breitjutreten würbe Sangeweile heröor= rufen. ®ie Slufmerlfamfeit rnufj »or allem barauf gelenït werben, in welchen f ü n f t e n bie Schriftsprache üon ber natürlichen SDÎunbart beâ ©chüleri abweicht. immer ift bas Urteil über ©prachrichtigfeit einfadj felbft»erftänblinet würbe, bolb gor nicht, entftanben oieíe ©i^toaníungen. SBeiter» hin tourbe bann bie Orthographie für jebeê einzelne SBort biird^ bie ©rammatiïer geregelt, wobei fid) bie ïenbenj geltenb madjte, bie gleich» tautenben SBörter, fo weit e§ anging, burch berfchiebenartige Schreibung ju unterfdfjeiben. Seber Sehrer mujj fich barüber Mar werben, wie fidf) biefe oerwicEeiten Sßerhältniffe É»eraxtègebilbet ha&en» unb aue bon nur ahn» liehen Sauten. (Sprechen wir £)interemanber ku, ko, ka, ke, ki, fo rücft bie Sírtifuíationáftelle immer Weiter nach o o r n · SSBir brausen nicht berfchiebene Suchftaben anjuwenben, weit fich berfd^iebenen ©(Wattierungen ηαφ bem folgenben Saute rieten. Sebermann ift ftdf) minbeftenê einer jweifacijen Sluêfpradje beê eh beutlidj bewufjt, bie fich nach borhergehenben Saute richtet, bgl. Bach am hinteren (Saunten, Bäche am oorberen ©aumen gebilbet. 3m §o^aíemannifd^en wirb ch auch ben íjtüen Soíaíen am íjinteren ©aumen gebilbet wie früher wahrfd^einíich in ganj ®eutfd)Ianb. So werben aífo Unter» fchiebe nach ben Machbar lauten, aber auch nach &en eittjeíneit SDhtnb»

[13]

IO. Über Sprachunterricht

261

arten itt ber Schreibung terbecft. 3 n SRteberbeutfdjfaitb, auch in Sfttpuarien unb im ©dE)iefiyd^ett, werben b, d, g unb ein nicht in Äon» fonantenoerbinbungeit auftretenbeS s, abgefeljen öom ©ilbenauSlaut, mit ©timmton í)erüorgebraá)t, oljne benfelben in Oberbeutfd)íanb unb in ber §auptmaffe Don SJlittelbeutfdjlanb. 3n nieberbeutfcf)en unb in mannen anberen SDÎunbarten totrb g im allgemeinen im SBortinnern als Reibelaut gefpro^en, fonft als Sßerfchtufjlaut. 3m erfteren gaH loirb es burch SSer= f)ärtung im ©ilbenauSlaut ju bem Saute unfereS ch. ©efdjriebeneè ng wirb in ber StuSfprache buret) limitation ju SSelarnafat, jtoifdien SBofalen allgemein, in ber füblichen |>älfte ©eutfchlanbS auch im ©ilbenauSlaut; batier ift im Sorben klang : sank ein reiner Sfteim, im ©üben ein un« reiner, bagegen bang (bas nur eine gelegentliche .ÍHtrjung oon bange ift) : sang im ©üben reiner, im Sorben unreiner Sfteim. w totrb teils rein íabiaí, teils bentiíabial, r, abgefeiert oon fonftigen Sartationen, teils lingual, tciïê uöular gefprodjen. Sie Soppelfdjretbung e unb ä ent= fpridjt nidfjt ber 2autfReibung, ba für baS ßeidjen e offene unb gefdEjloffene SluSfprache nebeneinanber befteljen. gür e befteljt im größten Seile ®eutfd)lanbS hoppelte SluSfpradje unb gilt in ber ©emein» f proche ate berechtigt; aber für bie einzelnen galle jeigen fid) mannig» fache ©chtoanfungen ηαφ ben öerf^iebenen SanbfdÉjaften. ë toirb im nörbltd^en Seite SeutfchlanbS burc^gängig offen gefprodjen; aber Dber= beutfchlanb macht nod) einen Unterzieh jwijchen offener unb gesoffener SluSfprache, wobei auch Abweisungen jwifd)en ^llemannifdjem unb SBaierifc^em beftel)en. S)te SJiptytíjonge íennen in Dberbeutfd^íanb nocí) eine boppette SluSfpradfje nad) ihrem Urfprung. Saoon abgefeíjen ΐφϊοαηΐί bie SluSfprache nach ben 2anbfá)aften. 3n bejug auf Äürje ober Sänge geigen ftdj munbarttiáje Abweichungen. SSoIIenbê befielt feine (Sinheitlichfeit in bejug auf ben Übergang jttnfdjen ben einzelnen burdfj SBuchftaben bejeid^neten Sauten unb in bejug auf Slbftufung ber Sonftârïe unb ber Soniche. ©ο ïann Ûbereinftimmung ber ©dEjreibung nod) nidfjt genügen, üotlftänbige Ûbereinftimmung in ber gesprochenen Sprache ju öeranlaffen. @S ftettte ftch baS SBebürfniS h e r a u 2 r eine SluSgleid)ung ju judien jtmfdjen ben im Ë'ampf untereinander liegenben Sanbfdjaften. Salb oon biefer, balb üon jener ©eite »urbe mafjgebenbe Autorität beanfprud^t. Slm bringenbften nottoenbig war eine Regelung ber SluSfprache auf ber S3üljne, unb biefe war auch a m íeidjteften ju erretten. Sßir bürfen banaef) bie gorberung als berechtigt aiterjennen, bie SBithnenfprathe jur allgemeinen 9îorm ju erheben. SlHerbingS finb noch nicht atte ©injelheiten üoUftänbig geregelt, auch nicht nach ben legten SSerhanblungen barüber. Übrigens !ann bie SBühnenjprache nur

262

III.

Abhandlungen

[14]

in gewiffer (Sinfdjranfuttg gum SJÎufter bienen. Sine boílftanbige 9ïadfj* afjmung berfelben würbe ben ©inbrud be§ ©ejwmtgenen unb Unnatur» li^en machen, ©ie wäre auch in ber ©djule nicht ju erreichen, äfjnlii^ wie aud) ber bollfommenen SRadjafjmung einer fremben Sprone grofee ©chwierigïetten entgegenfteljen. SWan wirb ben ©eroofynÇetten ber öon ber SKutter angenommenen ©proche bté ju einem geWtffen ©rabe nad)= geben. Sine berartige ©teidjförmigEeit wie in ber öüfjnenfpracfje ift ni^t erforberlidj, eine öollftänbige Tilgung aller lanbfcljaftlichen SSefonber» leiten nid)t einmal wünfchengwert.' ®§ empfiehlt fid^ nicht, ein att= gemeines SRufter für ganj SDeutfcfyianb aufstellen, fonbern folcíje für bie »ergebenen Sanbfd)aften mit gewiffer éíüáfichtnahme auf beren ©igenheiten. Se nach ben Umftänben finb ftrengere ober weniger ftrenge gorberungen ju ftetlen, bie ftrengften beim Sefen. S)er Unterricht barf ftch nicht auf bie StUgemeinfprache befd^ränien. SBon mancherlei Abweisungen mufj Kenntnis genommen werben. 2)ie ganje grojje SRaffe ber befonberen gacijauSbrüde, für bie auch Befonbere gadjfenntniS erf orber lid) ift, fann nic£)t ¿um ©egenftanb beg allgemeinen Schulunterrichts gemalt werben, loenn fie arni) gelegentlich ju berücf» fichtigen finb. Sludj fann nidEjt ber Jargon aller öerfchiebenen SerufS» flaffen erfdjöpft Werben. Sebenfatfë müffen öiele Sluêbriicfe, bie bem heimatlichen Spradjgebraudh fremb, anberen ßanbfdjaften aber geläufig finb, ebenfo ¿um S3erftänbni§ gebraut werben wie bie ©igenheiten ber poetifdjen Sprache. ÜDÍanche SdE)Wanfungen, bie in ber *ßrofa befeitigt finb, ftnben fid) in ber Sßoefie ηοφ beibehalten. 9Han benïe an gormen wie beut gegen bietet unb biete!, fleucht neben flieht, an SluSftofjung be§ fdjwadjen e ober Beibehaltung beSfelben gegen ben $rofagebraudj. SinberfeitS finb SReubilbungen öon .gufammenfeljungen ober Ableitungen eingeführt, íühne iionftruftionen gewagt ufw. ®ê wirb abftdjtlich eine altertümíidfie gärbung angeftrebt. 3Ran benïe an SBerWenbung bon gormen wie er sieht, hätt, tät, an SReubelebung üeralteter SGBörter, wie Degen, Recke, Minne. ©benfo abftdjtlich wirb lanbfd^aftlic^e gärbung erftrebt. ©o ftöfjt man auch in ber ©egenwart auf mancherlei Abweichungen öon ber ©emeinfpraclje. SBoHenbS ftnben ftch in ber gegenwärtigen Sprache nicht unbeträchtliche Serfdfjiebenhetten fdfjon öon ber Sprache ber ïlafftfchên ©chriftfteller beS 18. SahrhunbertS. Über biefe gibt man ftch oft nicht Ìlare Sftedfjenfchaft unb fieht gebanïenloS barüber hinweg. Se weiter man jurüdgeht, befto mehr fteigern ftch Abweichungen, Sdjon an ber Sprache ßutherS in ber SSibcI, im ®ated)i8* mué, in ben Äir^enliebern berührt unë öteleS frembartig, felbft nach ftarfer Sßobernifierung. SBir bürfen aber nicht babet fielen bleiben.

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10. Über Sprachunterricht

263

® u r d ) eine berfjâitntémâjjig nic^t j u grofje Slrbeit íújfett fidf) bie r e i ß e n ©djäfee ber mittetí)oinfid)t ber watjre © i n n nodj η ί φ ί boUïommen getroffen ift. S3eim Ü b e r f e i n íann man IjödjftenS anftreben, bafj bie oüafioneHe Se» beutung ber eigenen unb ber fremben ©pradje fi φ mögiidjft beáen, wä^renb für bie ufueüe S3ebeutung 2)edung oft auSgefdjloffen ift. 2)abei fann in ber einen ©pradfje oft etwas SluSbrud ftnben, was i n ber anbern ^ Φ ί ^ " 8 £)iri¿ugebac^t werben ïann. 2)em Unter* fdjieb jwifdjen Slorift unb Smperfeïtum im (Srtediifdjen fteljt im ®eutf$en unterfd&iebSlofeS Sßräteritum gegenüber. 3 m Oriedjtfdjen unb Sateinifc^en werben Ijäufig Sßartijipialionftruftionen berwenbet, bie im 2)eutfdjen burdj @a|e balb mit biefer, balb mit jetier Sonjunftion erfefct werben müffen. ®aS Ü b e r f e i n in ber ©djule mttjj als $auptfadje nur erftreben baS SßerftänbniS j u »ermitteln, nidjt aud) elegante beutfctye ï e j t e ÇerjufteHen. ÜJlan mag baS Woljl gelegentlich berfudjen, aber eS allgemein burc^jufüljren, würbe biel

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10. Über Sprachunterricht

267

3 e i t erforbern ouf Soften ber eigentlichen Aufgaben beê ©prad)* unterrichte 3 n ber neueften geit *>at m o n maricEjeé jur Erleichterung ber Seitüre jugelaffen ober fogar befürwortet. S)aju gehören bequeme Umfdjreibungen in Stnmerïungen, Sßräparationen, ©pejialwörterbücher, wenn nicht gerabeju beutfdje Überfe|ungen g e b r a u s t werben. 38er ntdjt weiter ttorbringt afô bis ¿u einem auf folche Hilfsmittel geftüfcten SSerftanbniê, ber möge nur gleich b e u t l e Überfefcungen íefen taffen. 2)er Serrer barf bem ©coûter nicht ben oïfaftoneflen ©inn be§ ï e j t e ê ató etwas f e r t i g e s mitteilen, üielmeijr mufi berfeíbe au§ ber ufueßen SBebeutung abgeleitet werben. 2)a§ íejjte ß i e l mufj fein, bafj ber ©dfjüler fich felbft bas SSerftcmbniä erarbeitet, nur mit § i l f e eines allgemeinen SßörterbuchS unb eöentueü fadjlidjer 9Inmer!ungen. Síatüríich barf man bem ©djüler nid)t bie fd^wiertgften Aufgaben fteßen, fonbern rnufe ihn burd) bie nötigen SBorftufen führen. Süßer jur ©elbftänbigieit an» geleitet werben foK, bem barf ber Serrer nidjt einfach eine richtige Überfefcung an ©tette ber falfc^en bieten. 25er ©djüler mufj juerft jur GsrïenntniS beS fÇef»terê geführt werben. @r mufj barauf ^tngewiefen Werben, wetdje giejtonäform ober weiche ®onftru!tion§weife etwa er falfch aufgefafjt íjat ober welche öon oerfchiebenen an fid) möglichen SBebeutungen η ί φ ί in ben ,3ufammenf)ang hineinpafjt. S8on ba a u s wirb er allmählich §um ^Richtigen geleitet werben. aCßir ^aben bisher bie Se^anbtung ber ©pradjeit ató 33eníübungen unb a l s SÛÎittel j u r HerauSbiíbung ïiarer begriffe betrautet. Slber nid^t blofj j u r iogifchen Schulung bient bie ©ptadje, fonbern bei richtiger Se^anblung auch S u r ®ittführung in bie ^ ß f ^ o l o g i e . 2ÍÜe§ © p r e s e n unb Serftehen beruht auf pfgchologifdjen SBorgängen. 2)tefeS j u jeigen habe id) j u einer Hauptaufgabe metner „ ^ r i n j i p i e n " g e m a l t . SltlerbingS lautet ber ï i t e l „Sßrinjipien ber ©prachgefdjichte". Síber bie ©prachentwidíung öoßjieht fid) ber § a u p t f a ^ e nadj burcíj nichts anbereS alé burdj bie regelmäßige ©prechtâtigïeit. SBer bie feelifchen Vorgänge bei ber ©prechtâtigïeit richtig beobachtet, ber erïennt auch bie SBebingungen für bie ©prachentwiáíung. Umgeïehrt: SEBer SSer» änberungen in ber ©proche bemerït hot, ber beïommt einen Slnftofj j u m Sîachbenfen über bie ftufenweife ©ntwidtung, wie fie fich burch bie ©pre^tfttigleit ergibt, ©o ift bie Betrachtung ber ©pradje eine treffiidfje ©tnführung nidjt n u r in bie ^ßft)dilogie, fonbern audfj in bie Slrt unb SBetfe, in ber ftch bie geiftige (Sntwidlung uoUjieljt.

268

III. Abhandlungen

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Siele Serrer mögen woljí nod) auf bem ©tanbpunfte fielen, bafj man fid) im (Schulunterricht nidEjt um ©prac^gefdjidjte gu befömmern brause. S)ie Slbweidjungen unter ben tateinifd)en ©djuifchriftftellem finb jwar berhâitniêmâjjig nidjt ju grofj, tro|bem werben bei forgfäitiger Sltf)tfam= Seit Diele genug entbedt. ßtoifdjen ber attifcEjen $rofa unb ber ©pradje ^jerobofê unb ηοφ meí)r £omer3 jeigt fid) ein großer Stbftanb, ber ju gefcf)tci)tli(^er ^Betrachtung nötigt. 2)a3 ®íeid)e gilt für bag @ngíifd;e unb baë granjBfifdEje, wenn e§ nidjt auf bie moberne Umgang8fpradE)e eingefchränft tüitb. 2Ser bottenbê bei Sefcljäftigung mit ber beutfdjen (Spradje bis jum SKittelhochbeutfchen borbringt, ber erfährt bie befte (Sinleitung in bie fpradjgefd()ichtliche 3Jfetf)obe unb bamit in bie ®e* fd()icht§wiffenfchaften überhaupt. Slber au φ bie gleichzeitig neben» einanber beftefjenben SBerhaltniffe finb SRachwirfuitgen gefd)id;tlicher Vorgänge unb miiffen αί3 ίοίφε betrautet »erben. SDaljin gehören ©djwaniungen beg (Sprachgebrauch unb íanbfájaftlid^e Abweichungen. ®er Síbftanb ber gefprocijenen ©pradje bon ber fdjriftlidjen gijterung, ber ja befonberS grofj im granjöfifchen unb (Sngïifchen ift, erilärt ftcf» in ber §auptfad)e barauS, bafj bie lettere auf einem älteren ©tanb= punit fteíiengebíieben ift, fo ba§ wir über bieíe fpra^gef^id^tíÍt^e £at» fadjen aufgeliärt werben. ®ie berfdjiebenen S3ebeutungen ber 2Börter müffen uns beraniaffen, bie urfprüngtic^e feftjuftelien unb barauS bie anbeten abzuleiten. ©ie 2ßörterbücf)er müffen ju wirtlichen Sßort« gefdfjichten werben. 2)ie 9Sergíeic^ung ber glejtonêformen jeigt bteífad) Sautwechfel, ber bann wieber alê golge bon Sautwanbel erfiärt werben mufj. Φαδ nämliche gilt in bejug auf bie berwanbten SBörter unb tè mufj auá) baS Verhalten biefer ^infic^tlicf) ber S3ebeutung gefdhicfjtlich begrünbet werben. Sitte Aufgaben ber ©pracijgefchichte fönnen natürlich nid)t in ber ©dfjute geleiftet werben. Slber auf bieíeé ίαηη 0οφ wenigftenS f)in= gewiefen werben, ofjne bafj ber Unterricht mit ju großen Schwierig· fetten überíaftet würbe. äRandjeä wirb fogar im ©egenteil baburd) erleichtert, mandjer erfrifchenbe 9Inrei¿ in ben (Schulunterricht gebraut. $robe mache ich einige 83emertungen jum Sateinunterricht. ©eíbft* berftänblidh nicht ju übergeben finb bie Síffimilationen ber Sßartifeln in ben gufammenfefcungen wie com, in, ad, red, sub. ©benfo barf ber Übergang bon s in r jwif^en Sßofaleit um fo weniger übergangen werben, afê fid) bieífach noch SBec^feí mit s erhalten hat, bgl mus, mûris; flos, floris; genus, generis; cinis, cineris; haurio, haustus; est, erat. 2Jîan îann ben Übergang bon s unb r im jDeutfdjen jur Sßergteichung h^anjiehen, wobei aber bie SSebingungen nicht bie

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10. Über Sprachunterricht

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gleisen fittb. 3m iiateinifdjen Çat baê gufammentreffen einte ©entalss mit einem t nad) üerfd)iebenen nid)t überlieferten gwifdjenftufen s s ergeben, ögl. missus ju mitto, scissus ju scindo, gegenüber datus, cinctus, haustus, repertus, collectus ufw. langem SSoíaí ift ss bereinfadjt, ögl. visus, risus, ausus, clausus, laesus, esurio, mie benn s jwifdjen SSoíaíen mdjt tioríommt, auftet wenn ss jugrunbe liegt. Φαδ gleiche ©efefc loie für ba3 Sateinifdje gilt für ba§ Urgermanifdje, nur bafj e3 im Síeufyodjbeittfdjen nidjt mefyr beutlici) jit erfennen ift. ©o gehört gewiß unb weise ju wissen; ba§ ©er^äitnis erfennt man erft,tt>ettnman wenigftenS bis auf bag ©iitteltyocfybeutfdie ¿urüágeljt, ügí. weiç — gewis, wise, ferner got. wait — wissa (id) wufjte). Sßoljl nicf)t aílgemeiu wirb in ber ©djule Sluftiäriutg ge= geben über gewiffe 3?oMfd)Wäd)ungen unter bem (Sinfluffe be§ SlïjenteS. SSenn Wir neben cado finben cécidi, incido, neben ago rédigo, neben lego cólligo, jo liegt woí)I bie ©ermutung nafje, baf? ber Übergang in i bie g-olge be3 SertufteS be§ ftärieren ïoneê ift. Siber auf ein Siebenten ftöfjt man, wenn man fieíjt, bafj berfeíbe Sautwanbel in incidere, redigere, colligere eingetreten ift, otjne bafj eine Slîjent» berfdjiebung gegenüber cadere, agere, legere üorliegt. @o gelangen Wir ju bem ©cÇtufj, bafj nid)t bie un§ überlieferte lateinifdie Betonung mafjgebenb gewefen fein fann, fonbern eine fotdje, bie eine ßeitiang be= ftanben ijaben mufj: ¿toifdjen ber inbogermantfcÇen wed)jelnben Se» tonung unb ber unê geläufigen íateinif^en Betonung liegt eine $eriobe, wätjrenb welter ber ftärffte Son auf bie erfte Silbe fiel. beftanb atfo eine gettlang eine Überetnftimmung mit ben germanicen ©pradjen, aber bodj mit ber bemerfenSwerten Slbweidjung in bejug auf bie 3ufammenfe|ungen ber Sßartifein mit ben Serben. 28äf)renb im ®ermanifd)en ber ftäriere Son auf baê SSerbum fällt, fiel er im Sateinifdjen auf bie ^artiïel. ®amit ijängt e§ aud) jufammen, bafj im Sateintfdjen im ©egenfafc jum ©ermanifdjen bie '¡ßräpofition einen ftärieren Son' trug als ba3 baoon abhängige ©ubftantitmm. SSir fef)en bieä auc§ αιιδ f^ntaftifc^en Sßerbinbungen, bie ju Söorteinijeiten öerfdjmoljen finb, ögl. ádmodum, óbviam unb mit $o!alfdjwäd)ung illico — in loco, dénuo = de novo. @o finben wir benn eine ÜRenge Slbfdjwödjungen im ©egenfafc ju ben jejjt geltenben 2If¿entregeín, ogí. incipio, assideo, aspergo, attingo, peperei, inimicus, imberbis, inermis, ineptus, inceptus, incido, illido, inquiro, inelùdo ufw. 2)ie Sergleidjung ber unter fid) uerwanbten ©prägen füíjrt wteber reidjfidjen ©toff ju für gefdjid&tlicíie ^Betrachtung. 3n ber ©djule mu& man fid) aûerbingâ aud)tyierinnerhalb gewiffer ©renjen

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III.

Abhandlungen

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bewegen. Sie 83ergteidjung mufj auf biejenigen ©prägen bef gebniffen geführt. ©er Sírtifeí ift nidjt inbogermantidj, ift aber ju äi)ntid)em ©ebraudfj im ©riedjifcijen, im (Sermanifd^en, im iRomanift^en entwiáeít. ©ie ©rfefcung beg alten SßerfeitumS burd) bie Umjdjreibung mit haben unb sein tjat fid) äljnlidj IjerauSgebilbet in ben germanicen unb romanifdfjen ©prägen. ©er ßufammenfyattg be§ Sautmateriatê unter ben öerf t, Dgl. day — Tag, deer — Tier, bid — bitten, side — Seite, old — alt; th > d (ein Übergang, ber aucí) im Sßieberbeutfdjen, wenn aud) fpäter als im ^ocfjbeutfdjen, erfolgt ift), Dgl. thou — du, that — dafs, thing — Ding, brother — Bruder; t > ζ im SBortanlaut, ηαφ 1, r, η unb wo (Seminata jugrunbe liegt, Dgl. tale — zählen, tame — zähmen, ten — zehn, heart — Herz, salt — Salz, sit (angelfädjftfdj sittan, altfädfjfifdj· sittean) — sitzen, set — setzen; t nadfj SSoíat > aí)b., mí)b. 7,(7,) = níjb. ss, ß, Dgl. water — wasser, that — daß, let—lassen; k nad() 8SoïaI>ch, Dgí. book—Buch, make —machen, weak —weich, like — Leiche, -lieh; ρ im SBortanlaut unb nadf) m > pf, ogl. plough — Pflug, play — pflegen, damp — Dampf; ρ nadj Solai unb naef) 1 unb r > f(f), Dgl. ape — Affe, ship — Schiff, sleep — schlafen, help — helfen, harp — Harfe. ©emtyodjbeutfdfjenb nad) SBoïat entspricht im 5íngeífaeicf)ung mit urgerm. f im Sntaut, »gl. einer»

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10. Über

Sprachunterricht

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feitS h a v e — haben, live — leben (bagegen life — Leib), w a v e — weben, give — geben ; anberfettè five — fünf, eleven — elf. grei» ltd) ergeben fid) mattere fdjetniiare Sluänaijmen oon bem 93erfchtebung§= gefefce, bte erft burch umftänblici)e (Erörterungen erttärt »erben fönnen, bgl. j. 93. thousand — tausend, f a t h e r — Vater. Sine 211tertümlid)= feit be§ (Sttgüicfjen befielt barin, bafj w nocí) afê fonfonantifcheê u gefprod^en wirb, in Übereinftimmuitg mit ber inbogermanifcfjen Urfpracije. SBiS in bie mittelfjo^beutf^e ßeit war biefe 9Iuêfpraci)e woljl ηοφ a 11= gentein. Sïntautenbeë w beftanb im Urgermanifchen auch t>or r itnb ift bis je|t in nieberbeutfchen unb mittelfränlif cheti SRunbarten ermatten; im ©nglifcíjen ift eê wenigftenê in ber Schreibung geblieben, bgl. w r i t e — reißen, wreck — aus bem Nieberbeutfchen aufgenommenes W r a c k , w r i n g — ringen, itt 9ïorbbeutfc^Îanb noch W ä s c h e wringen. Sßor SBoïal ift anlautenbeS w unb w nach anlautenbem Äonfonanten im 2)eutfdjen unb ©nglifc^ett bewahrt. ©onft finb bon w im SDeutfdjen nur wenige ülefte übrig geblieben, wíttjrenb fie im (Snglifdjen meift in ber Schreibung erhalten, aber berftummt finb. 9ϊαφ 1 unb r ift im $>eutfdjen w ju b geworben, währenb im ©ngltfchen fidi) ein Sßofal cor bem w entwidelt hat, worauf biefe§ berftummt ift; ögt. swallow — Schwalbe, yellow — gelb; mit engl, n a r r o w ift beutfd) N a r b e ber» wanbt. 3 m übrigen ögl. j. 23. B r a u e auê mí)b. b r â w e mit engl, brow; neu, im 16. Sahrhunbert ttod) new getrieben, mit engl, n e w ; T a u (früher gefdE)rieben T a w ) mit engt, dew; Schnee (mljb. im ©en. snêwes) mit engl. snow. Sitlautenbeê g ift im ©nglifdjen ju w gewanbelt unb bann berftummt, ögl. bow — Bogen, maw — Magen, d r a w — tragen, own — eigen. 9iadj 1 unb r hat fidj wie bor urfprünglt^em w ein Sßoial entwidelt, bgl. follow — folgen, borrow — borgen, sorrow — sorgen, morrow — morgen. 3 n anbern gallen ift g ¿u i aufgelöst, welcijeê bann mit bem oorfyergefyenben «Boiate in ber fpradje íontrahiert ift, ögt. day — Tag, w a y — Weg, say — sagen, lay — legen, may — (ich) mag, rain — Regen, maid — Magd. 3)em $)eutierânberungen ju einem großen Seile auf SRobiftfation ber Quantität. Sanges i ift im ®eutfd)en tuie im (Snglifdjen bipi)ti)ongifiert, aber im (Snglifchen nur in ber SluSfpracije. Sangeê u ift entfpredjenb in beiben ©prägen — in ber Slugfpradje mie in ber Schreibung — bip^tfjongifiert, engl, ou = Ijodjbeutfdj au. Urgerm. ô ift im (Sngltfchen in ber (Schreibung bewahrt, teilweife mit ©oppelfchreibung, aber in ber SluSfpradje oft oeriürjt; im S)eutfc£)en ift ô biphthongiftert ju uo unb bann im Sfteuhochbeutfchen öereinfac^t ¿u u. groben ber Sntfprechung : do — tun, blood — Blut, flood — Flut, good — gut, foot — Fuß. ©tariere SSeränberungen tyaben bie alten ©ipljthonge erfahren. ©erat. ai entfpricht nt)b. ei (ai) unb e (mí)b. ê); im Singelfächftfchen ift ai ju â, im ©ngtifdfjen in ber Schreibung metter ju o ober oa geworben, ogl. alone — allein, bone — Bein, both — beide, cloth — Kleid, ghost — Geist, holy — heilig, home — Heim, lore (tëwtbe) — Lehre, more — mehr, most — meist, own — eigen, rope (©eil) — Eeif, snow — Schnee, stone — Stein, woe — wehe; broad — breit, goat — Geiß, oak — Eiche, oath — E i d ; mit SSeríürjuitg: hot — heiß, one — ein. llrgerm. au entfprtdjt beutfdj au ober ô; im 9tngelfächftfd)en ift au ju ea geworben, in ber Schreibung bis jefct erhalten, in ber SluSfpradje üerfdfjteben bef)cmbelt, ogl. bread — Brot, deaf — taub, dream — Traum, death — Tod, ear — Ohr, east — Osten, great — groß, head — Haupt, hear — hören, lead (93Iei) — Lot, read (lefen) — raten. 5Die Sinnahme, baft ba§ @riecí)tfd^e unb bag Sateirtifc^e näher untereinanber »erwanbt feien, ift fd^toerlid) aufrechtzuerhalten. ©r= leichtert wirb bie Sergleic^ung baburd), baft bag ©rtedjifche ber tnbo» germanicen ©runbfpracíje üerplttttómaftig nahe geblieben ift. ®aê SSer^ältniS ber beiben Spraken jum ©eutfchen wirb manchmal erft ílar burá) ^eranjie^en ber älteren germanifdjjen ©prachftufen. Um bie erfte (germanifdje) Sautt>erfci)iebung ju öerftehen, müffen juerft bie Slbwetdjungen be§ ©riedjifchen unb be§ Sateinifdien oon ber tnbo= germanicen ©runbfpracfie feftgefteHt werben. 3 m ©riedjifchen ftnb bie SJîebiae afpiratae ju ïettueâ afpiratae gewanbelt unb fo mit ben inbogerm. SEenueS afpiratae jufammengefaHen. ©ine Drganberfdjiebung hat bei ben Sabioüelaren ftattgefunben, bie meift in Sabíale, teiíweife in Sentale übergegangen ftnb (ögt. (at. quis, quod mit grtecf). τις, πό - τερος). 3 m Satetnifchen ftnb bie SRebtae afpiratae junächft gteidE>faU§ in ïenueê afpiratae gewanbelt. ©te Stfpiraten ftnb bann aber (wie auch fpäteren ©riech·) ju Reibelauten geworben, bie Sabiale

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IO. Über Sprachunterricht

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ju f, bie 3Mai>^aíataíe (faífcíjítcí) (gutturale genannt) burdE) eine ätjn= lidje ©ntwicfíung tuie im ©erat, ju h, bie Sentale ju einem äi)nlid)ett Saute ttjie germ, p (th), ber fiá) im Slntaute weiter ju f gewanbeít í)at. 3m 3níaut íjat bann (Srweicfyung garter ^Reibelaute ftattgefunben unb weiterhin Übergang ju SerfcÇIufjlauten. ©o ift inlautenbeS lat. d nidfjt nur ©ntfpredjung oon ibg. d, fonbern aucf) öon ibg. dh, in» íautenbeS lat. b nidjt nur oon ibg. b, fonbern audj oon ibg. bh unb in beftimmten Stellen audE) oon ibg. dh. ©er germanicen Sautoerfcíjiebung gebührt bie richtige gaffung: 3bg. SKebta > germ. ïenutè, ibg. ïenuté > entfprecÇenbem fjarten Reibelaut (nidjt SIfpirata), ibg. SOÎebiaÎafptrata > entfprecí)enbem weisen ^Reibelaut, worauf bann oielfadj Übergang ju entfpredfjenber Sftebia erfolgt ift. 3 U t»eiterem Stbfdjiuffe gefjört eê, bafj farter ^Reibelaut (au3 tbg. ïenuiâ) im Anlaut nací) unbetonter ©tibe erweist worben ift unb bann baSfetbe ©cfyicffal gehabt fyat wie ber weiche ^Reibelaut aus ber ibg. SDÍebiaíafpirata. Sßit Serüdfidjtigung ber SntwicEíung im ©riedEjifcíjen unb Sateinifdien unb mit weiterer SerücEftcfytigung ber fdjon beíjanbeíten ¿Weiten (beutfdjen) SautoerfdE)iebung läfjt ficf) ba§ Serftimbnté ber Unterjd^iebe jwifd^en bem ©riedjifi^ »Sateinifci)en unb bem ©eutfdfjen gewinnen. 3 φ gebe jefct in Sür^e ηοφ Slnbeutungen über bie Über» einftimmungen uub 2lbweidf)ungen jWtfdjen ben brei §auptfprad}en. 3m ©rtedjifdjen ift s, foweit e§ ηίφί burdj einen Sonfonanten geftüfct wirb, ju ©pirituS afper geworben, ogí. εξ — sex — secbs, επτά — Septem — sieben; im 3nlaut ift e§ ausgefallen, ögl. urgrtecf). γένεος, ©en. ju γένος — íat. generis. ®er Saut beS w wat nocí) in grtedjtfcíjen SDÎunbarten ooríjanben, im Síttifd&en gefd^wunben, ogí. έργον — Werk, οίδα — (ich) weiß, aiœv — lat. aevum — got. aiws (woju beutfdfj ewig), οίνος — íat. vinum. ©te SSoíaíe a, e, i, o tyaben ftdj im ©rtec^tfc^en atö Äürje wie até Sänge bewaljrt; benn ber Über» gang oon ä> η (ogí. mater — μητηρ, fagus — φηγός) ift ηίφί ur» grtedjtfcíj, fonbern nur jonifd^ unb teiíweife atttfdj. dagegen ift u ju υ geworben (ogí. mus — μυς, tu — ov), audfj innerhalb ber ©ipijtÇonge, unter bie audi) ov ju regnen ift, ba8 man αίδ a ju fpred&en pflegt. 3m Sateinifd^en íjaben fiá) a, e, i, o, u erhalten, abgefeiert oon jüngeren aKobiftîationen (ogí. ©. 21); nur e oor ν ift ju o geworben, ogí. novus — νέος, novem —εννέα, ©te ©tpÇtÇonge finb im ííafftfdfjen Satein meift §u einfachen Söotalen geworben, ei > i, ogí. dico — δείχννμι; oi teiís > oe, urfprüngíidfj btpf)t§ongifdj gefprodfjen, ogí. moenia, teils > u, ogí. unus — οϊνη, beutfcfy ein; ou unb eu

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III. Abhandlungen

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(burd) bie ßwifdfjenftufe ou) > u, ögt. duco — got. tiuha (beutfdj ich ziehe). 3m ©ermanifájen ftnb a unb o jufammengefalten, ató ¿ürje SU a, ató Sange ju δ (woraus ml)b. uo, ni)b. u); ei ift ju î geworben; auf bie jüngeren SKobififationen geíje \á\ í)ier nidjt ein. @δ bleiben nocíj ©ofaíe übrig, bie in feiner ber brei ©proben unoeränbert erhalten ftnb. Sitó ©runblagen muhten erft bie inbogermanifdjen SSerpltniffe erfdE)loffen »erben. 3m 3nbogermantfc§en beftanben fonantifdje (ftlben= Bilbenbe) Sbafale unb r, 1, jefct gewöijnlid) bejeid^net ató m, ς, r, J. 3 m ©ermanifcÇen tjat fief» barau3 ein u entwiáelt, bor, feítener na¿) bem Äonfonanten. 3m ©ried^i^en ftnb r unb J ju αρ, αλ ober ça, λα entttjicEelt, m unb η ju αμ, αν oor SBofal, ju « oor Äonfonant. 3m Sateinifcíjen ftnb r, 1 junöd^ft ju or, ol geworben, m, η ju em, en (im, in). S o [teilen fid) j. 58. folgenbe SBerl)ältntffe ijerauê: ©rtedfj. àv-, à- (a privativum, ögt. ανελπte, άθ-άνατοα) = lût. in- = beut|d^ un-; grtecfy εκατόν = lot. jcentum = got. hund (woraus beutfdE) hundert erweitert); griedfj. πόδα = Iat. pedem = got. fôtu (beutfd) Fuß); grted^. επτά — íat. Septem = got. sibun (beutfefy sieben); griedj. όέχα = lat. decern = got. taíliun (beutfclj zehn); griecí). χραόίη, xaçôia = Iat. cor (got. hairtô, beutfá) Herz mit abweid^enbem SBoíaltémuS); íat. cornu = beutfdf) Horn (o auê u). 3m SBortauSlaut Çaben fid) im Sateimfdjen bie Äonjonanten unoeränbert Behauptet. Slnberä im ©rtedjifdjen unb im ©ermanifdjen. 3 n beiben Spraken ift SlbfaÛ ber Sentale eingetreten, ©o ift ibg. t innerhalb ber Konjugation in ber 3. Sßerfon ©ing. unb Sßtur. abgefallen, ogl. im ©ried)ifci)en bie Dptatioformen λνοι, λνοιεν, bie 3mperfe!t= formen ελνε, ελυον, im © o t i l e n bie Dptatiöform gibai, bie Sßräteritat* form gêbun. 3bg. d ift abgefallen im 9îom. 211!. ©ing. SReutr. ber Pronomina, ogl. tat. quid, quod, griedj. τό, τί, got. hm. ©eblieben ift im ©ermantfdjen ba8 auê d öerfd^obene t, wo e§ an eine partite! angehängt war, »gl. got. fata. 3)α3 im Sateinif^en erhaltene aus« lautenbe m ift im © π ε φ ί φ η ju ν geworben, fo im 31!!. ©ing. (»gl. τόν, λόγον, τέχνην, τέχνον) unb im ©en. Sßtur. (-ων gegen lat. -um). 3 m ©ermanifd^en ift junädjft m audfj ju η geworben, weldfje« fidf) burd) eine angefügte Sßartifel erhalten Çat, ogl. got. fana = nï)b. den (31!!. ©ing. 2Ra3f.). ©onft aber ift btefeS η abgefallen, ogl. im 31!!. ©ing. got. sunu, dag, anst unb im ©en. Sßlur. got. dagê, gibó. Sie 3)e!Iination8îtaffen »erben in ber älteren ©rammati! burc§ 3at)íen bejeid^net. 3 m ©riedjijdjen unb Sateinifdjen entfprec^en ftd) bie erfte, jweite unb britte Staffe, bod) wirb im Sateinifc^en eine be» fonbere oierte Klaffe geregnet, bie im ©rtedjifdEjen in bie britte Älaffe

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10. Über Sprachunterricht

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einbezogen ift. Sit ber üergteidjenben Spradjtoiffenfchaft bejeidjuet mon bie klaffen itadj bem Stammauälaut, eine SBejeic^nung, bie and) in ber germanicen ©rammott! angetoenbet toirb. bie o»3)e!Iinatiou toom inbogermanifdE)en Stanbpunft au8 gehören im ©eutfdjen SDÎaêfulina unb SKeutra toie Tag unb Wort, Sie entjpriájt ber 2. SDetiination be3 ©ried&ifcíjen unb ßateinifcjjen. 3n bie i=2)efIination gehören im $)eutfd)en geminino Wie Kraft unb SDÎaêÎuIino toie Gast; fie wirb im ©riedjifdjen unb Sateinifc^en in bie 3. SDefitnation gerechnet, grüí)» jeitig finb bie männlichen i »Stämme ben o »Stammen nafje getreten, fo bafc im 2Rittelf)0($beutfdjen fein Unterfcfiieb metjr übrig geblieben ift, aujjer bem einen, bafj bie i »Stämme, fotueit fie umlautëfâi)ig toaren, im Sßlural Umlaut aufweifen. 5)ie u»25efíination, bie ber Ioteinifd)en öierten entfpridjt, ift in ben altgermamfdjen Spraken bewahrt, im ®eutfd)en in bie o» unb i»2)e!lination aufgegangen. ®te a=®efíination entfernest ber griedjifdjen unb lateintfc^en 1. SDefitnation. Sie fteüt fid) ju ben ftor! beflinierten geminino, bie im 9Iltf)oá)beutJd)en auf -a ausgeben. 2)ie fonfonantif^en Stämme gehören in bie 3. gried)if(i)e unb Iatemtfdje Älaffe. 3E>re befonbere glejionätoeife hatte fic£> teilweife im Siltgermanif^en nodj eríjolten, ift aber im ®eutfd)en allmätjiid) oerloren gegangen. 9iur eine Staffe, bie ber meíjrfitbigen η »Stämme, hot fid) im 2)eutfc^en gut bewahrt. 3f)te glejionêweife ift öon Saïob ©rtmrn als bie fdjwadje bezeichnet. ®ie weiblichen geminino, beren 9iom. Sing. imSip. auf -a ausging, finb frühzeitig mit ber ftarfen a»®eflination in 93erüljrung getreten unb fdjltefjíidj finb biefe beiben klaffen ganj mit» einanber oerfdjmoljen. Sei bem im 2)eutfd)en bann ijäuftg eingetretenen Übertritt ou8 einer glejton&oeife in bie anbete toirb eine SSergleidjung mit ben gried)ifd)en unb lateinifdjen glejionäweifen oietfadt» erft möglich burd) bie gurücEführung auf bie altgermanifc^en 83eri)ältniffe. 35ie Conjugation im ©riechifd)en ift ben inbogermanifdjeit $u» ftänben öerhältniSmäfiig natie geblieben unb bafjer ungemein reict) an gormen. Φοφ finb auch im (Sriedjifdjen einige SReubiibungen ent» ftanben, bie nicht gortfe|ungen ber inbogermanifdjen gormen finb. 3m Soteinifdjen unb" üollenbä im ®eutfd)en finb oiel meí»r alte gormen untergegangen unb teiltoeife burch Sßeubilbungen erfe|t. ®ie eigent» licúen glejionSenbungen (äffen fid} noá) einigermaßen Dergleichen mit SBeriidffidjtigung ber Sluäiautgefefee. Sßon ben SRobt ift einer unter» gegangen, ber beutfdje Äonjunftiö entfpridjt bem griedjifdjen Dptatiü. 2)a8 germanice ftorle 5ßräteritum entfpridjt bem ^ßerfeftum be3 ©riedjifdjen, unb jtoar bem fogenonnten ^ßerfeftum fecunbum, auch jum ¿eií bem lateinifcíjen ^erfeîtum, »gl. j. SB. pepigi. Sßerfeitformen

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III. Abhandlungen

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finb aucfj bie alâ ^räfentia fungicrenbcn, bie fogenannten ^ßräterito= präfcntio, ooHftänbig üergleidjbar : ich w e i ß , w i r w i s s e n mit grted). οίόα, ϊΰμεν. SDic griecfytfdjen SSerba ¿erlegt man gewöljnlidj junädjft trt bie auf - ω unb bie auf -μι. S i e lettere Äiaffe ift im 2ateimfd)en unb i m ©eutfcljen n u r i n wenigen SReften borfyanben, bgl. lat. sum, beutfcÇ bin. ®ie am einfachen gebilbeten Sßräfentia unterfc^eiben fiá) boit ben übrigen Sempora nur burdj ben fogenannten tijematif^en SSoíaí, früher bejeidfjnet a l s Sinbeboïal. 3 m ©riedjifcÇen unb ¿um Seil aud) i m Sateinifd^en Ijaben fid) mannigfaltige ©Weiterungen beS ^ßräfenSftammeS erhalten. 3 n baS SDeutfc^e f)inein ^aben ficf) nur einige 9ïefte bon ©rweiterungen burcfy -jo- gerettet, ögt. ich h e b e — ich hub, got. h a f j a — hôf, = tat. capio — cepi. ®ie (Erweiterungen ftnb entWeber getilgt ober eS ift Übergang in bie fn anbern gallen ftnb bie Uebelftänbe ίφοη aue bem Sateinij^en übernommen, j. 33. ber Sujuê eines h neben c. ©in lleberflufe υοη ï ^ f t u b e n ïaitn b u ^ oerfd^iebene ©nt* rotdelung ber ^ r i f t j ü g e entließen. §ier&er gehört ber Unter* f(í>ieb gtDifd)en f unb β , ^πηϊφβη großen unb fleinen ©ut^ftabetx, ΐηήίφβη fogenannter beutfφer unb lateinifd^er ©φή^, jtoifc^en 3)tud= unb ®φΓει6ίφπ^. ©ben fo aber fatm bie Sautentroidelung einen Ueberflufj t>er= Dorrufen. SDie beiben ί φ α φ η f=Sauíe beé 2lltí)od^beutfct)en, υοη benen roir eben ίρταφεη, finb gegen ©nbe beò breijeljnten 3aljr= fiunberts jufammengefaHen. 3« baoonroerbennun bie beiben iiberfommenen 3βίφβη beliebig b u ^ einanber gebrauφt. SSät)= renb man früher hûs (§auê) unb ûz (auô), masse unb wazzer (SBaffer) fd^atf aue einanber jjtelt, finben jefet ©φre^>ungen rote huz, huez, us, usz, wasser, waszer u. f. f. 3n'ô ΪΙβ^οφ= beutfφe hinein pflanjt )"ίφ bie Un^erÇeit }η)ίΐφβη ff ober « unb f> fort.

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IV. Einrede

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2Btt ftnb bis je|t immer ηοφ con ber SSorausfefeung aUô= gegangen, baf¡ für bie @$rift lebtglid^ ber ©runbfafc mafegebenb ift, bie gefprodjenen ßaute, fo gut es eben angeben will, anjubeu= ten.

©s fönnen ΐ ί φ aber baneben auá) anbete Senbenjen geltenb

machen, ιοείφβ ber 35urd)füf)ning biefes @runbfa|ee bireft ent= gegenroirîen.

2Bir bürfen es als einen allgemeinen ©tfaJjrungSs

fag íiinftellen, bajj i n ben Anfängen ber ΐφηίίΗφβη 3tufjei(^nung einer ©ρταφβ, mögen fie αιιφ ηοφ fo unooflîommen fein, boφ bas píjonetifdje ^ r i n j i p ganj allein mafegebenb i f t , bafe bagegen anbete 3ΐϋοΕίίφίεη erft aHmätjlig bei ιβϊφβΓβι Iiterartfc^er ©ntfal= tung jur (Seltung iommen. Μ ε ΰ φ ε π ί φ α ΐ ί bes p^onetifc^eu ^PrinjipeS befielt eigentUφ nur fo lange, ató nur bie 3είφβη für bie einzelnen Saute feft= fteijen, roäijrenb bie 3ufammenfe|ung bet 33ui|ftaben j u Sßorten Don jebem einzelnen immer auf's SKeue oorgenommen wirb.

©s

tnufc bann ηαίϋιΐίφ jebeêmal eine 2luftöfung bes gefpi^enen SBortes in feine ©temente uorfjergegangen fein.

®a§ © φ ι β ^ β η

ift alfo unter fotcfjen Umftänben ein §ietnlid^ complictrter Vorgang, ber η ί φ ι fe^r ταίφ won «Statten ge^en fann.

©ô giebt babei

^ r o i e r i g i e i t e n , bie ηίφί Ιβιφί j u löfen finb, fo baß Unfi^er^eiten unb ©φιοαηΪΜ^βη unoermeib^ bleiben. 33et «ίφΙίφβΓετ llebung im Siefen unb ( ^ r e i b e n mufc aber bas 33erfaí)ten immer tneljr ein abgefürjtes roerben. SBä&renb u r f p r ü n g ^

bie S i ^ f t a b e n

mit bet Sebeutung ber SBörter nur inbtreft buτφ ben Saut t)et= fnüpft finb, »erfnüpfen [ίφ allmäfjtig bie 33i^ftabengruppen, bas © o o n einer ©egenb in bie anberen roanbern, fo ftnbet jeber einzelne immer toieber einanberroiberftreitenbeSlufjeii^nungen beâ nämlt^en 2Bot= tes.

©r fann [ίφ an fein beftimmteê ïïîufter anfi^lieèen unb

wirb immer roteber auf feine eigene 2lu§fprad)e jurüdcetroiefen. ©ine muftergültige Orthographie bilbet ίίφ immer im Sufammen* hange mit einer muftergültigen ©pra^e au§.

5Da§ eine ift ohne

bas anbere nicht roohl benfbar. ©udjen mir un§ nun im einzelnen fiar ju maiden, warum bte Slusbilbung einer muftergültigen g^förmigen ©dhreibtoeife gar ηίφί umhin fann, ber ©ongruenj oon ©φύ^ unb 2lu3fp^e ©intrag ju thun. ©obalb bie Schreibung nicht mehr burdj bie beftehenbe 2Iuê= fpradhe, fonbern bur$ bte Srabitton beftimmt rotrb, fo mufe admählig eine fietig junehmenbe Äluft ^ίίφβη ©φχιΐΐ unb 2lu§= fprache entftehen.

3)ie ©ρταφε ift, roie in jeber anbern § i n ^ t ,

fo αυφ in ihren Sautoerhaltniffen einem eroigen, unaufhaltfamen 2ΒβφΐεΙ unterroorfen.

®em gegenüber wirb bie ©φreibung auf

bem alten ©tanbpunfte, roie er einem früheren © p ^ f t a n b e »tel=

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IV. Einrede teid)t gaits ctngetneffen roar, fejigeí) alten. 2)aô ift bie unoermetbltdje §otge einer einigermaßen feftfteíjenben Orthographie. ©è foinmt baju, bafj eine an bie reränberte liiSfpra^e {ίφ anpaffenbe i'etänberung ber ©¿hreibung feinesroegô fo einfach aus= jufüíjrett ift, rote man ϊϊφ ettca oorfteHen mag, unb p a r roieber roegen bes oben bejeid)neten roefentli$en Untecfc^iebeö jratf^en Saut unb Schrift. ©ie Sautoeränberungen erfolgen burá) eine lang» fam Dorroartê fc^reitenbe, ftufenroeife SSerft^iebuitg, oon ber bie Söetheiligten gar ηίφΐδ merfen. S i e Schreibung fann biefe con= titiuirlidtje ©ntroidelung ηίφί © φ η ί ί für © φ ή ί ί ηύίιηαφβη, fon= bern fann ber oorangeeilten nur oon Seit j u 3eit burφ einen geroaltfamen 5íuá naφïotttmen. ©te ©eroaltfainfeit beô lieber* ganges ift an ίίφ mit nielen Unbequem^feiten nerfnüpft. @δ mué baja in ben mafjgebenben Greifen ein beftimmter ©nti^hlujj gefafjt werben, ©ine ^ertobe unseren Sàraanfenâ jrotfd^en ber älteren trabitioneUen unb ber neuen p^onettfc^ert ©c^reibtoetfe ift unoermeib^. ©δ läfet ίίφ αυφ gar ηίφί ber 3eitpunít fixieren in bent man eine 83eränberung ber ©^retbroeife für angezeigt er» Hären fönnte. 9Benn j. 33. ein α [ίφ αϋιηά^Ιίφ in ber 9li$timg ηαφ o—U hin ueränbert, fo läfjt [ίφ auf biefem SBege fein *ßunft angeben, an bem a aufhört unb o beginnt ober o aufhört unb u beginnt, ©δ begreift ίΐφ banaφ, bajj bie S^reibung felbfi ba, roo fie ηοφ ηίφί feft geregelt ift, υίβΐίαφ hinter ber 2luô= ίρταφε jurücfbleiben mufj. SBeiter aber mufj in Setra^t gejogenroerben,bafj man trofe aller gfortentroidelung in bet SRegel bet bem angenommenen 2Upha* bete ftehen bleibt unb mit ber 3αξ>1 ber gegebenen 3βίφβη au«« jufommen ίυφεη mufi. Sntroicfelt [ίφ ein Saut in ber SBeife, bafj er mit einem anbern ίφοη oorher tn ber ©ρταφε uothanbe= nen jufamntenfäHt, fo fann er natürlidj εϊηίαφ mit bem für biefen gebrauφten ï^ftaben bejeic^netroerben,j. 33. neuhoφbeutfφ oljne = mittelhoφbeutfφ âne rote ö ohne = bòne, ©ehr häufig aber entftehen Saute, bie bei ber ©inführmtg bes Alphabetes ηοφ gar ηίφί Dorhanben roaren. Dann bleibt in ber ÜRegel ηϊφίό anberee übrig alò bei ber alten 93eJeίφnung }u uerharren, αυφ roenn ber

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¡1.1. Zur orthographischen Frage

Uebclftanb barauê entspringt, bofe nun berfelbe Sudjftabe feljr »ergebenen 3toeden btenen muß. Daoon finb aud) biejentgen Drtyograpljteen ηίφί οβτίφοηί geblieben, in benen bas p^onetif^e sßrinjip ηοφ am beften geroalirt i|i. Sûteinifi^eâ g ift im Stalienifdjen cor e unb i ju einem Doppellaute geworben, ben man ηαφ beutfφêr 33ε}6ΐφηυη9δη)6ίίί §ιβηιΙχφ ungefd^iiît burφ ìifd) toiebergiebt. Φα für biefen neuen Saut ηοφ lein 3βϊφεη jur Verfügung toar, fo tourbe g beibe= galten, unb man mué nun bie Siegel lernen, baf) g oor e unb i anberê gefpn^en wirb, alé oor a, o, u unb oor Êonfonanten. ©tes roirb toeiterí)in bie 33eranlaffung, bafj man bie ©ombination gi oertoenbet, um ben neuen Saut oor a, o ober u ju bejetφnen, TOO er auê j entftanben toar, ogl. Giacomo auâ Jacobus. Steens Ιίφ »erhält eê ίίφ in ben übrigen Γοιηαηίίφεη ©ρταφεη. ®er βίηίαφβ Saut im SDeutfd^en, ben mir jefet mit fd) δε^ίφ^η, ifì auâ ber S3erbinbung sk (se) entftanben. Die alte ©φκί« bung sc Çat [ίφ oiel länger erhalten aló bte entfpreφenbe 2luê= ΪρΓαφβ, unb unfere jefcige ^ r e i b u n g , bie im bretjeljuten 3af>r= fjunbert jur §eri^aft gelangt ift, i)at ίίφ ju einer 3eit feftgefefet, roo ηοφ ein Doppellaut f-d) gefproφen tourbe, mie er je|t ηοφ in SBeftfaten ju finben ift. 2>n lange, bange zc ίρκφεη mir jefet lein g rneíjr. Das früher oorljanbene g Ijat ίίφ bem oor» ijergetyenben Utofenlaute angegliφen. §ätten mir für biefen ein befonberea 3είφβη, ettoa ñ, fo mürben mir paffenb baùtte 2C. ίφτεύ ben. ©o aber bleibt bie ^tfiorifn foU φem galle pflegt ρηαφβ bie ©φreibung in bem gletφen SBorte beliebig ju ιοεφίβΐη, bis allmählig bas ©treben ηαφ ©letφförmtg= feit eine Differenzierung !)eroorruft. SDtefe fann auf mehrfaφe

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11.1. Zur orthographischen Frage

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SBetfe beroerfftetttgt werben. 2lm cortljeüijafteften ift es, roemt ber Ueberfluf? jur 93efettigung eines btd^t baneben liegenben 2ftan= gels oerroenbet roirb. ©o Ratten früher im ©eutfdjen wie in allen ûnbem ©prägen, bie bas lateini^e Sllptyabet übernommen Ijaben, i unb j , u unb » feinen »erf$iebencn 2Bertt>: t unb u würben gebraust, roo roir jefct j unb η oerroenbett, unb umgefeljrt j unb » ba, too roir j e | t t unb u oerraenben. 9ίοφ tm fe$jeí)n= ten 3aí)r^unbert ift eè allgemein ίίδΐιφ jj)r, jl)n, unii, enfer u. bergl. ju fájreiben, unb einzelnes ber 3lrt Çat fid) bis in eine jiemltd) mobeme Seit fortgepflanzt. 3 e | t bagegen ift eine fttprung bem l a u t r e n Unterf^iebe gemäfj eintreten. 3 n f o r e n t gatte ift bie Sefeitigung bes ©¿^roaníens gugleidt) eine ftrengere SDurdjfüfjrung bes p^onetif^en ^Jrinjipes. S)as fann man ίφοη nid)t mel)t fagen, roenn ίίφ bie ©φreibung conoen= tionett ηαφ ber Stellung innerhalb beò SBorteS regelt. 3 m 2Ilt= í)oφbeutfφen iönnen bie 3είφεη t unb Κ faft ganj beliebig mit ein* anber τοβφίβΐη. 2Jïan fd)reibt korb ober corb, akkar ober accar ober ackar (31err College! •Sietoünfchenbon mir ein Urteil über bic bon ^ßrofeffor ©ieb§ herausgegebene ©djrift »®eutfd)e 93ühnenfprache« unb über bie Stellung, toeldje ber ©pradjberein ju berfel6en einnehmen füllte. Seiber ϊαπη id) ηχϊφ über biefeit SHegelungêeerfuch nur abfällig auêjprechcn. 3φ fann nic^t finben, bafj bem liäcfjften ßioecfe, bie @d)tt)anfitngen in unferer 33iit)nenjpracf)e ju befeitigen, burdj bie @d)rift tn angemeffener Sßeife gebient wirb. ®ie ^ier aufgehellten 9îegeln finb bnnfjauê öon ©iebê berfajjt aufjer einigen eingefügten SBemeríungen, bie bon ©ieberâ herrühren unb bie ba8 SßertöoUfte in bent ©anjen finb. $)ie übrigen SKitglieber ber S'ommiffion haben baran feinen tätigen Slnteil genommen. SBtr tjaben eê al(o eigentlich nur mit ben pribaten Slnfidjten eines ©in= jelnen ju ti)un, bon benen nidjt einjufehen ift, »oie fie ben ^Infpruct) er= ^eben fönnen, für bie 5lllgemeinhett mafjgebenb ju fetn. ®ie nottoenbtge ©runblage für ¡ebe berartige Regelung müfjte eine forgfältige, unbefan= gene Beobachtung ber wirtlich in ben berfrfjiebenen ©egenben bon ©eutfd)= lanb beftejjenben Sluêfprache bilben, wie fie ein ©tnjelner foum in er= fdjöpfenber SBeife anftellen ïann, tboju ba8 ßufamnienroirfen bieler gehört. Sin einer berartigen ©runblage fehlt e§ h'et 9anàίφοη allgemein geftfteljenbeä tjanbeít, trifft (Siebs feine ©ntfchetbung ganj nnllfürlich auf ©runb ber ihm befannten ©predjtoeife, ja teiltoeife gegen bie allgemein übliche Sluêfpradje au8 theoretifi^en ßrroägungen, auf ©runb bercn ber ©ρταφε fchulmeifterltclje ©eraalt angetan wirb.