Sorge um den Rechten Weg des Konfuzianismus: Fang Dongshus Kritik an Dai Zhen und der Hanxue 9783110453430, 9783110451498

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Sorge um den Rechten Weg des Konfuzianismus: Fang Dongshus Kritik an Dai Zhen und der Hanxue
 9783110453430, 9783110451498

Table of contents :
Inhalt
I Analyse
Einführung
Generelle Einführung in die Thematik
Ziele dieser Studie
Forschungsansatz
Aufbau der Arbeit
Terminologie
Umgang mit Zitaten
Die Moderne
Schulen und Begriffe
Feststellung des Forschungsstands?
Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption
Gesellschaftlicher Hintergrund
Die Suche nach dem Wahren
Die Frühphase
Wichtige Repräsentanten des qingzeitlichen Konfuzianismus
Beamtenprüfungen und Prüfungsinhalte in der frühen Qing
Die mittlere Phase
Die späte Qing
Intellektuelle Geschichtsschreibung und die „Chinesische Renaissance“
Rezeption Dai Zhens
Liang Qichao
Hu Shi
Qian Mu
Yu Yingshi
Rezeption Dai Zhens in der Volksrepublik
Benjamin Elman
Weitere Autoren
Fazit
Fang Dongshu – Leben und Werk
Eckdaten und Überblick
Vorfahren, Kindheit und Ausbildung
Anstellungen
Ruan Yuan und die Zeit in Guangzhou
Spätphase
Das Werk Hanxue Shangdui
Werkstitel
Editionsgeschichte
Aufbau des Werkes
Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule
Tongcheng-Schule
Forschungsstand
Der Schulbegriff
Rezeption der Tongcheng-Schule
Die Vorläufer der Tongcheng-Schule
Fang Bao
Dai Mingshi und die qingzeitliche Wende zur lixue
Zusammenfassung
Literatur der Tongcheng-Schule
Prosa: guwen-Literatur
Liu Dakuis Theorie
Lyrik
Die Synthese durch Yao Nai
Guwen Ci Leizuan
Biographische Informationen und die Frage der Brüskierung in Peking
Yao Nais Schüler
Fang Dongshu und seine Gegner
Ruan Yuan und Jiang Fan
Ruan Yuan
Ruan Yuan als Politiker
Ruan Yuan und die Gelehrsamkeit
Jiang Fan
Hanxue Shicheng Ji
Songxue Yuanyuan Ji
Jingshi Jingyi Mulu
Weitere Gelehrte
Wang Chang
Qian Daxin
Hui Dong
Wang Zhong
Jiao Xun
Duan Yucai
Nicht angegriffene Gelehrte
Schluss
Fang Dongshu und Dai Zhen
Fang und Dai – Gemeinsames und Trennendes
Dai Zhen – Werk und Wirkung
Dai Zhen in der Qing
Dai Zhen im Hanxue Shangdui
Schluss
II Übersetzung
Die Vorworte und Begleittexte
Xu Li 序例
Chong Xu 重序
Fanli 凡例
Kontroversen gegen Dai Zhen
Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz
Aussage Dai Zhens
Li
dao
xin
mangmang und mingming
Rückkehr zu den Klassikern
Fang Dongshus Replik
Gegenangriff auf Dai Zhen
Verteidigung von Grundbegriffen
Autoritäten 1: Zhu Xi
Autoritäten 2: Lu Jiuyuan
Die Wahrheit und die Tatsachen
Zusammenfassung der ersten Kontroverse
Zweite Kontroverse: Menschliche Bedürfnisse und persönliche Begierde
Aussage Dai Zhens
Fang Dongshus Replik
Interpretation
Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz
Aussage Dai Zhens
Fang Dongshus Replik
Rechte Ordnung als Grundlage eines geordneten Staates
Kritik an der hanxue-Methode
Vierte Kontroverse: Der Edle und der Rechte Weg
Aussage Dai Zhens
Fang Dongshus Replik
Die Tradierung des Rechten Wegs
Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur
Aussage Dai Zhens
Kritik 1: Daxue
Kritik 2: Lunyu
Kritik 3: Zhong Yong
Zusammenfassung
Fang Dongshus Replik
Das menschliche Herz
Die menschliche Natur
Sechste Kontroverse: Die Lehre
Aussage Dai Zhens
Fang Dongshus Replik
Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum
Aussage Dai Zhens
Fangs Replik
Die grosse und die kleine Gelehrsamkeit
Methodenkritik – inhaltliche und philologische Herangehensweise
Klassiker und Glossen
Kritik an der hanxue-Methode
Achte Kontroverse: Die Philologie
Aussage Dai Zhens
Fangs Replik
Generelle Diskussion
Belege durch Zitate von kaozheng-Gelehrten
Gu Yanwu
Qian Daxin 1
Dai Zhen
Phonologische Diskussion
Qian Daxin 2
Jiang Yougao
Neunte Kontroverse: Umgang mit den Quellen
Aussage Dai Zhens
Fang Dongshus Replik
Historischer Hintergrund
Thema der Kontroverse
Zehnte Kontroverse: Die Exegese
Aussage Dai Zhens
Fang Dongshus Replik
Nachwort
Die Form der Auseinandersetzungen
Leserschaft
Dai Zhen
Personenbezogenheit
Die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit
Literaturverzeichnis
Register

Citation preview

Marc Winter Sorge um den Rechten Weg des Konfuzianismus

Welten Ostasiens – Worlds of East Asia – Mondes de l’Extrême-Orient

Herausgegeben von der Schweizerischen Asiengesellschaft – Société Suisse-Asie Editorial Board Wolfgang Behr David Chiavacci Andrea Riemenschnitter Pierre F. Souyri Raji C. Steineck Laure Zhang Nicolas Zufferey

Band 24

Marc Winter

Sorge um den Rechten Weg des Konfuzianismus Fang Dongshus Kritik an Dai Zhen und der Hanxue

Diese Arbeit wurde publiziert mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Diese Arbeit wurde publiziert mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW). Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW).

ISBN 978-3-11-045149-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-045343-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-045158-0 ISBN 978-3-11-044105-5 ISSN 1660-9131 e-ISBN (PDF) 978-3-11-044436-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043563-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data ISSN 1660-9131 A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston http://dnb.dnb.de abrufbar. Coverabbildung: Marc Winter (Seite aus Hanxue Shangdui 漢學商兌, Rolle 2, aus der Fassung Yi Wei Xuan Wenji 儀衛軒文集, erschienen im Jahr 1868) © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Konvertus b.v., Haarlem Coverabbildung: Catherine und Erich Zbinden-Gassmann Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany Printed in Germany www.degruyter.com www.degruyter.com

Inhalt I Analyse —— 1 Einführung —— 3 Generelle Einführung in die Thematik —— 9 Ziele dieser Studie —— 14 Forschungsansatz —— 19 Aufbau der Arbeit —— 20 Terminologie —— 21 Umgang mit Zitaten —— 23 Die Moderne —— 25 Schulen und Begriffe —— 28 Feststellung des Forschungsstands? —— 31 Konfuzianische Geistesgeschichte der ­Qingzeit und ihre Rezeption —— 34 Gesellschaftlicher Hintergrund —— 35 Die Suche nach dem Wahren —— 39 Die Frühphase —— 40 Wichtige Repräsentanten des qingzeitlichen Konfuzianismus —— 41 Beamtenprüfungen und Prüfungsinhalte in der frühen Qing —— 45 Die mittlere Phase —— 47 Die späte Qing —— 53 Intellektuelle Geschichtsschreibung und die ­„Chinesische Renaissance“ —— 57 Rezeption Dai Zhens —— 65 Liang Qichao —— 66 Hu Shi —— 68 Qian Mu —— 70 Yu Yingshi —— 72 Rezeption Dai Zhens in der Volksrepublik —— 75 Benjamin Elman —— 76 Weitere Autoren —— 78 Fazit —— 79 Fang Dongshu – Leben und Werk —— 81 Eckdaten und Überblick —— 82 Vorfahren, Kindheit und Ausbildung —— 84 Anstellungen —— 90

vi 

 Inhalt

Ruan Yuan und die Zeit in Guangzhou —— 92 Spätphase —— 109 Das Werk Hanxue Shangdui —— 119 Werkstitel —— 119 Editionsgeschichte —— 120 Aufbau des Werkes —— 122 Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule —— 125 Tongcheng-Schule —— 126 Forschungsstand —— 126 Der Schulbegriff —— 128 Rezeption der Tongcheng-Schule —— 132 Die Vorläufer der Tongcheng-Schule —— 135 Fang Bao —— 135 Dai Mingshi und die qingzeitliche Wende zur lixue —— 139 Zusammenfassung —— 145 Literatur der Tongcheng-Schule —— 146 Prosa: guwen-Literatur —— 146 Liu Dakuis Theorie —— 148 Lyrik —— 149 Die Synthese durch Yao Nai —— 151 Guwen Ci Leizuan —— 153 Biographische Informationen und die Frage der Brüskierung in Peking —— 156 Yao Nais Schüler —— 160 Fang Dongshu und seine Gegner —— 165 Ruan Yuan und Jiang Fan —— 170 Ruan Yuan —— 170 Ruan Yuan als Politiker —— 174 Ruan Yuan und die Gelehrsamkeit —— 177 Jiang Fan —— 181 Hanxue Shicheng Ji —— 183 Songxue Yuanyuan Ji —— 187 Jingshi Jingyi Mulu —— 189 Weitere Gelehrte —— 200 Wang Chang —— 201 Qian Daxin —— 202 Hui Dong —— 203 Wang Zhong —— 205



Inhalt 

Jiao Xun —— 208 Duan Yucai —— 208 Nicht angegriffene Gelehrte —— 209 Schluss —— 213 Fang Dongshu und Dai Zhen —— 215 Fang und Dai – Gemeinsames und Trennendes —— 216 Dai Zhen – Werk und Wirkung —— 225 Dai Zhen in der Qing —— 228 Dai Zhen im Hanxue Shangdui —— 234 Schluss —— 244

II Übersetzung —— 247 Die Vorworte und Begleittexte —— 249 Xu Li 序例 —— 249 Chong Xu 重序 —— 253 Fanli 凡例 —— 260 Kontroversen gegen Dai Zhen —— 266 Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz —— 266 Aussage Dai Zhens —— 267 Li —— 267 dao —— 270 xin —— 272 mangmang und mingming —— 273 Rückkehr zu den Klassikern —— 274 Fang Dongshus Replik —— 275 Gegenangriff auf Dai Zhen —— 278 Verteidigung von Grundbegriffen —— 280 Autoritäten 1: Zhu Xi —— 282 Autoritäten 2: Lu Jiuyuan —— 287 Die Wahrheit und die Tatsachen —— 292 Zusammenfassung der ersten Kontroverse —— 300 Zweite Kontroverse: Menschliche Bedürfnisse und persönliche Begierde —— 301 Aussage Dai Zhens —— 301 Fang Dongshus Replik —— 308 Interpretation —— 313

 VII

VIII 

 Inhalt

Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz —— 315 Aussage Dai Zhens —— 316 Fang Dongshus Replik —— 318 Rechte Ordnung als Grundlage eines geordneten Staates —— 318 Kritik an der hanxue-Methode —— 323 Vierte Kontroverse: Der Edle und der Rechte Weg —— 330 Aussage Dai Zhens —— 331 Fang Dongshus Replik —— 334 Die Tradierung des Rechten Wegs —— 334 Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur —— 338 Aussage Dai Zhens —— 339 Kritik 1: Daxue —— 339 Kritik 2: Lunyu —— 341 Kritik 3: Zhong Yong —— 343 Zusammenfassung —— 345 Fang Dongshus Replik —— 346 Das menschliche Herz —— 346 Die menschliche Natur —— 350 Sechste Kontroverse: Die Lehre —— 363 Aussage Dai Zhens —— 363 Fang Dongshus Replik —— 365 Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum —— 366 Aussage Dai Zhens —— 368 Fangs Replik —— 371 Die grosse und die kleine Gelehrsamkeit —— 372 Methodenkritik – inhaltliche und philologische Herangehensweise —— 377 Klassiker und Glossen —— 382 Kritik an der hanxue-Methode —— 384 Achte Kontroverse: Die Philologie —— 389 Aussage Dai Zhens —— 390 Fangs Replik —— 391 Generelle Diskussion —— 391 Belege durch Zitate von kaozheng-Gelehrten —— 404 Gu Yanwu —— 404 Qian Daxin 1 —— 412 Dai Zhen —— 413 Phonologische Diskussion —— 416 Qian Daxin 2 —— 416 Jiang Yougao —— 421



Inhalt 

Neunte Kontroverse: Umgang mit den Quellen —— 427 Aussage Dai Zhens —— 427 Fang Dongshus Replik —— 429 Historischer Hintergrund —— 430 Thema der Kontroverse —— 430 Zehnte Kontroverse: Die Exegese —— 432 Aussage Dai Zhens —— 432 Fang Dongshus Replik —— 433 Nachwort —— 436 Die Form der Auseinandersetzungen —— 438 Leserschaft —— 440 Dai Zhen —— 443 Personenbezogenheit —— 446 Die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit —— 448 Literaturverzeichnis —— 451 Register —— 475

 IX

I Analyse

Einführung Die vorliegende Studie will einen neuen Blick auf die Geistesgeschichte des Konfuzianismus in der späten Kaiserzeit eröffnen, indem sie die Entstehungsbedingungen und die diskursive Konstellation im Umfeld eines spezifischen konfuzianischen Textes des frühen 19. Jahrhundert untersucht. Es handelt sich dabei um das Werk Hanxue Shangdui 漢學商兌 eines gewissen Fang Dongshu 方東樹 (1772–1851).1 Dieser wird in der Literatur als ein konservativer konfuzianischer Gelehrter, Dichter und Lehrer beschrieben, der zur Tongcheng-Schule zählt, einer im Städtchen Tongcheng in der Provinz Anhui beheimateten, aber in Peking einflussreichen Gruppe von Gelehrten. Fang Dongshu steht für eine konservative oder orthodoxe Auslegung des Konfuzianismus, die wenig Interesse daran hatte, das Curriculum der Beamtenprüfungen praktischen Erfordernissen in der Verwaltungsarbeit anzupassen. Vielmehr wollte sie das von Seiten des Kaiserhofs als Orthodoxie festgelegte konfuzianische Text- und damit Weltverständnis verteidigen gegen konkurrierende Strömungen im Konfuzianismus. Diese konkurrierenden Schulen wurden von einem ihrer Anhänger als hanxue 漢學 („Gelehrsamkeit nach dem Vorbild der Hanzeit“) bezeichnet. Diese Schule lehnte zentrale Stützen des konfuzianischen Textkanons als nicht authentische Texte ab. Dies bedeutete unweigerlich, dass sie damit auch dem darauf gegründeten philosophischen Verständnis der Welt und des Menschen ablehnend gegenüberstand. Fang Dongshus Hanxue Shangdui erscheint in einem kritischen Moment, in dem die politische Stabilität und das Selbstbestimmungsrecht des chinesischen Kaiserreichs durch den britischen Imperialismus bedroht werden. Sein Werk, dessen Titel sich übersetzen lässt als Verhandlungen mit der hanxue über die Zufriedenheit ist demnach eine apologetische Verteidigung des orthodoxen Konfuzianismus. Die vorliegende Untersuchung hat somit zum Ziel, anhand eines konkreten und mit grösstmöglicher Sorgfalt studierten sowie unter diskursanalytischem Blickwinkel kommentierten Beispiels den konfuzianischen Diskurs in der Spätphase der letzten Dynastie Qing 清 (1644–1911) zu beschreiben. Michel Foucault bezeichnet den Diskurs als ein „epistemologischen Feld“, die episteme, ­innerhalb derer „Erkenntnisse, ausserhalb jedes auf ihren rationalen Wert oder

1 Es gibt keine Monographie in einer westlichen Sprache zu Fang. Die ausführlichste Ausein­ andersetzung mit seinen Ideen findet sich in Carsun Changs Development of Neo-Confucianism, aber auch David Nivison, Kai-wing Chow oder Benjamin Elman erwähnen Fang passim. Unter den aktuellen chinesischsprachigen Forschungsbeiträgen sind insbesondere jene Xu Jies 徐結 zu erwäh­ nen. In der japanischsprachigen Literatur sind es Aufsätze von Hamaguchi Fujio 濱口富士雄. Vgl. die Bibliographie für weitere Einzelheiten zu den genanten Texten.

4 

 Einführung

ihre ­objektiven Formen bezogenen Kriteriums […] Geschichte manifestieren, die nicht die ihrer wachsenden Perfektion, sondern eher die der Bedingungen ist, durch die sie möglich werden.“ (Foucault 1974, 24–25). Diese vorliegende Arbeit untersucht eine Auseinandersetzung zwischen Gelehrten, die im Moment stattfindet, da innerhalb des Diskurses neue Erkenntnisse als Wahrheit postuliert werden, und die kaiserliche Macht diese neue Sichtweise deutlich unterstützt. Dieses epistemologische Feld zu beschreiben, und die daraus sich ergebenden Konsequenzen für die gesellschaftliche Wirklichkeit des spät kaiserzeitlichen Chinas ist Gegenstand dieser Studie. Fang Dongshus Werk sowie sein situativer, institutioneller und historischer Kontext eignen sich hierfür in besonderem Masse, denn verschiedene Texte mit unterschiedlichen Äusserungen in Bezug auf den Umgang mit konfuzianischer Orthodoxie, rivalisierenden Schulen und der Machtkonstellation zwischen Beamtenprüfungen und privaten Akademien stehen zur Verfügung. Weil der konfuzianische Diskurs und dessen Rezeption im 19. Jahrhundert zudem entscheidenden Einfluss hatte auf die Modernisierungsdebatten und -anstrengungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, muss sich die vorliegende Untersuchung auch mit der Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit beschäftigen. Der Text Fang Dongshus zur konfuzianischen Orthodoxie — neben einer poethologischen Studie sein einziges Vermächtnis von Rang — eignet sich besonders für das Studium des Diskurses zur späten Kaiserzeit, was auch damit zusammen hängt, dass er wirkungsgeschichtlich wenig direkt messbaren Einfluss hatte. Andererseits aber steht die Entstehung dieses Textes in den 1820er Jahren dem in der sinologischen Forschung verbreiteten Verständnis der Geistesgeschichte der „letzten dreihundert Jahre“ zuwider. Fang Dongshu hatte keinen gesellschaftlichen Einfluss, keine politische Macht und keine hohen Ämter. Alles, was er mitbrachte, war sein in der konfuzianischen Orthodoxie geschulter Geist und seine herausragenden literarischen Fähigkeiten, die es ihm ermöglichten, diesem Geist beredten Ausdruck zu verleihen. Fang Dongshu besass also keinerlei Macht, seine Thesen durchzusetzen, dafür aber wähnte er sich im Besitz der Wahrheit, was das Verständnis konfuzianischer Kernbegriffe angeht. Da in der Diskursanalyse Macht und Wahrheit untrennbar verbunden sind, im konkreten Fall der Faktor Macht aber keine Rolle spielt, ermöglicht das Studium von Fangs Text eine historische Rekonstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Eliteschicht, die nicht historistisch ist, sondern Fangs Versuch untersucht, die Auffassung von Wahrheit in der episteme wieder auf die Zeit vor dem Aufkommen der hanxue zurückzudrehen. Die Erforschung der qingzeitlichen Klassikergelehrsamkeit, also das Studium der konfuzianischen Gelehrsamkeit für den Zeitraum des Siebzehnten bis frühen Zwanzigsten Jahrhunderts stellt einen wichtigen Forschungszweig der c­ hinesischen

Einführung 

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Geistesgeschichte dar. Einflussreiche Autoren der späten Kaiserzeit und frühen Republikzeit dominierten mit ihrer Interpretation des Konfuzianismus der Qing die Wahrnehmung der Gelehrsamkeit. Die master narravitve der Entwicklung des qingzeitlichen Konfuzianismus’ wurde im Wesentlichen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgeschrieben. Weil die Qingdynastie die letzte der Kaiserdynastien ist, werden die Veränderungen und Umwälzungen in den knapp dreihundert Jahren der Dynastie als grundlegend und wegweisend für die weitere Entwicklung der chinesischen Gesellschaft hin zur modernen Gesellschaft ­verstanden. Das Studium grosser Entwicklungslinien und die Beschreibung tiefgreifender Veränderungen birgt immer die Gefahr der Verallgemeinerung und der Schematisierung, insbesondere da von der qingzeitlichen Gelehrsamkeit eine grosse Materialvielfalt tradiert wurde in Form von Schriftsammlungen, Briefsammlungen, Poesiesammlungen Pinselnotizen, Nachrufen etc. Die Übersichtsdarstellung der Gelehrsamkeit dieser 300 Jahre,2 wie sie Autoren wie Zhang Taiyan 章太炎 (1869–1936; auch Zhang Binglin 章炳麟) oder Qian Mu

2 Eine umfassende Liste bisheriger Forschungsleistungen zur qingzeitlichen Gelehrsamkeit wäre eine Studie für sich. Als eine Auswahl der Übersichtsdarstellungen des Konfuzianismus’ vom 17. bis ins 20. Jahrhundert seien hier folgende einflussreiche Titel angeführt (für genauere ­bibliographische Angaben vgl. die Bibliographie dieser Arbeit): Als nicht-chinesischsprachige Titel seien genannt: Yü Ying-shihs Artikel „Some preliminary observations on the rise of Ch’ing Confucian intellectualism“ von 1975 stellt noch immer den Ausgangstext der Erforschung der Qing dar. Von den zahlreichen Arbeiten Benjamin Elmans zum Thema seien hier drei hervorgehoben: die stark rezipierte sozialgeschichtliche Einführung von Benjamin Elman From Philosophy to Philology: Intellectual and ­Social Aspects of Change in Late Imperial China sowie sein ausgezeichneter Artikel „Philosophy (i-li) versus philology (k’ao-cheng): The jen-hsin tao-hsin debate“ von 1983. William de Bary hat sich in zahllosen Monographien und Kompilationen zum Thema und einzelnen Aspekten geäussert. Eine Synthese bieten Kapitel 25 und 28 Sources of Chinese Tradition: Volume II aus dem Jahr 2000. Wohl keine Standard-Einführung in das Thema, aber im vorliegenden Kontext wichtig ist Carson Changs The Development of Neo-Confucian Thought von 1962, in dem auch hier übersetzte Teile von Fang Dongshus Werk übersetzt wurden. Bei den chinesischsprachigen Einführungen ist an erster Stelle Qian Mus Werk Zhongguo Jin Sanbai Nian Xueshu Shi 中國今三百年學術史 von 1937 zu erwähnen, das einen sehr guten Überblick über die Kernaussagen einer grossen Zahl von Gelehrten bietet. Liang Qichao hat ein Werk desselben Titels verfasst, das sich im Beschreibungsgegenstand der Darstellung mit Qian Mus Werk vergleichen lässt. Wie in der Arbeit noch klar werden wird, stehe ich der weit verbreiteten Einführung Qingdai Xueshu Gailun 清代學術概論 von Liang Qichao sehr kritisch gegenüber. Die Übersetzung davon, Intellectual Trends in the Ch’ing Period von 1959 wird trotz der zahlreichen Mängel noch immer als ein leicht verständliches Grundlagenwerk empfohlen. Liangs Darstellung baut weitgehend auf Zhang Taiyans Kapitel „Qing ru 清儒“ seines Qiu Shu 訄書 auf. Von den Darstellungen jüngeren Datums sind insbesondere die zahlreichen Studien Yu Yingshis 余英時 und Lin Qinzhangs 林慶彰 hervorzuheben, die seit den 1980er Jahren entstanden sind.

6 

 Einführung

錢穆 (1895–1990) vorgelegt haben, konzentrieren sich naturgemäss auf die grossen Linien und stellen die individuellen Argumente vereinfacht dar. An diesem Punkt setzt die vorliegende Studie ein. Sie schlägt als Zugang vor, mit der präzisen Betrachtung der aggressiven Äusserungen Fangs gegen einen spezifischen Vertreter der hanxue — Dai Zhen 戴震 (1723–1777) — und der präzisen Einbettung dieses Angriffs in seinem diskursiven Umfeld einen besseren Einblick zu erhalten in die Grenzlinien zwischen einzelnen Schulen, ins Bewusstsein für Tradition und die eigene intellektuelle Herkunft dieses Gelehrten. In einem weiteren Schritt geht es darum, zu verstehen, ob, und wenn ja, wieso dieser einzelne Gelehrte sich gegen die in intellektuellen Kreisen zusehends dominante Strömung seiner Zeit stellte. Die genaue diskursanalytische Betrachtung eines spezifischen Teils des konkreten Korpus Hanxue Shangdui im Hinblick auf ihre einzelnen Argumente und die Argumentationsweise ermöglicht einen Einblick in die Gedankenwelt eines qingzeitlichen Gelehrten, die in ihren Aussagen über die Darstellung in einer Philosophiegeschichte hinausgeht. Die ermöglicht ein tieferes Verständnis der Geistesgeschichte, aber auch eine Relativierung der bisherigen Rezeption. Die diskursanalytische Betrachtungsweise bietet sich hierzu an, weil diese ihre Aufmerksamkeit auf die Bedingungen legt, welche Äusserungen einen Sinn und damit Wahrheitsgehalt verleihen. Das Mass, in dem eine Meinung auf einer objektiv als wahr zu bezeichnenden Tatsache beruht, sagt nichts über ihre gesellschaftliche Gültigkeit aus, wie Michel Foucault schon in seiner Antrittsvorlesung 1970 mit Bezug auf Gregor Mendel festhielt.3 Im vorliegenden Fall der Angriffe Fang Dongshus auf Lehrmeinungen früherer Gelehrter stellt sich die Frage eines wie auch immer zu messenden objektiven Wahrheitsgehalts sowieso nicht. Bei den hier zu untersuchenden schriftlichen Disputen um Lehrmeinungen von Fangs hauptsächlichem Gegner Dai Zhen vertreten beide Seiten gleichermassen Meinungen, die einer vormodernen und vorwissenschaftlichen Auffassung entsprechen, und die daher aus der Sicht eines modernen Forschers lediglich als historische Äusserungen ohne objektiven Wahrheitsgehalt zu betrachten sind. Ein diskursanalytischer Umgang mit dem Forschungsgegenstand wurde gewählt, weil dieser eine Alternative zum texthermeneutischen oder begriffsgeschichtlichen Zugang bietet, indem die Studie nicht fragt, was der Autor e­ igentlich meint, bzw. was seine Aussage losgelöst von der ­ Kommunikationssituation bedeutet, sondern weil das von Fang diskutierte Verständnis konfuzianischer

3 Foucault erklärt in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France 1970, wie es dazu kommen konnte, dass Gregor Mendels Vererbungslehre zwar eine zutreffende Beschreibung der Mechanismen der Wirklichkeit bietet, die Botaniker des 19. Jahrhunderts diese aber trotzdem ablehnten (Foucault 1991, 24).

Einführung 

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Schlüsselbegriffe das Ergebnis kommunikativer Praktiken ist. Indem die durch diese Schlüsselbegriffe bezeichnete Gegenstände durch die Kommunikation erst gebildet werden, muss auch die spezifische Situation berücksichtigt werden, in der Fang Dongshu gegen die hanxue argumentiert. Diese Situation adäquat einzuschätzen ist eine der Aufgaben dieser Untersuchung. Bisherige Darstellungen haben sich m.E. zu sehr auf die Darstellungen der Aussagen beschränkt und das kommunikative Umfeld zu wenig mit einbezogen. Zudem hatte die in hohem Masse intentionale chinesische Forschung des frühen 20. Jahrhunderts einen starken Einfluss. Darstellungen wie prosopographische Einträge in Arthur Hummels Eminent Chinese of the Ch’ing Period aus den 1940er Jahren oder Forschungsarbeiten Benjamin Elmans der 80er Jahre legen nahe, dass die Opposition gegen den orthodoxen Konfuzianismus in Form der textkritischen Schule kaozhengxue 考證學 („evidenzbasierte oder textkritische Gelehrsamkeit“) oder der hanxue so sehr erstarkt waren, dass sie ab 1750 den Diskurs bestimmten. In diesen Untersuchungen wirkt Fang Dongshus Angriff auf die dominante Lehrmeinung wie ein Kampf gegen Windmühlen. Die diskursanalytische Betrachtungsweise der vorliegenden Studie soll es ermöglichen, die Machtverteilung innerhalb der konfuzianischen Elite zu beurteilen und so neben der m.E. dominanten Rezeption der Republikzeit einen weiteren Verständniszugang zu eröffnen. Im 20. Jahrhundert wurde die Erforschung qingzeitlicher Gelehrsamkeit den politischen oder gesellschaftlichen Absichten der jeweiligen Autoren dienlich gemacht. So wurden die Gelehrten der unterschiedlichen Schulen der Klassikergelehrsamkeit mit Bezeichnungen wie „konservativ“ oder „fortschrittlich“, „wissenschaftlich“ oder „unwissenschaftlich“, „materialistisch“ oder „idealistisch“ bedacht. Der durch diese Charakterisierung erhoffte Effekt sollte dabei sein, eine Tradition oder eine Gegentradition zu konstruieren, und die dadurch gewonnen Erkenntnisse dienten dem Ziel, die eigene oder eine gegnerische Geisteshaltung aus der Zeit der Forschungsanstrengung selbst zu stärken, bzw. zu desavouieren. Wie später in dieser Studie noch in grösserer Ausführlichkeit zu argumentieren sein wird, haben die Gelehrten des frühen 20. Jahrhunderts, der Bewegung des „Vierten Mai“ und der nationalistischen Selbst-Stärkungsbewegung, die der Bewegung des „Vierten Mai“,4 die konfuzianische Orthodoxie dafür verantwort-

4 Der Begriff des „Vierten Mai“ wird in dieser Arbeit ähnlich diffus angewandt wie die chinesische Entsprechung wu si yundong 五四运动. Er bezeichnet summarisch Strömungen zu B ­ eginn des 20. Jhs., die ihre Unzufriedenheit mit der schwachen Stellung Chinas ausdrückten. Diese ­Unzufriedenheit kulminierte bekanntlich in Protesten am 4. Mai 1919 anlässlich der Unterzeichnung der Versailler Verträge. Als Ursache für diese innere wie äussere Schwäche wurde

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 Einführung

lich gemacht, dass die Entwicklung der technischen Wissenschaften und des Ingenieurwesens im chinesischen 12. bis 19. Jahrhundert anders verlief als dies in Europa der Fall war. Gleichzeitig dienten ihnen die der Orthodoxie gegenüber kritischen Schulen des Konfuzianismus als Beleg dafür, dass es auch in China durchaus „wissenschaftliches Denken“ gab. Ein halbes Jahrhundert später etikettierten die Autoren unter dem Einfluss der marxistischen Dialektik die Vertreter der textkritischen Schulen als „Materialisten“, während ihre Gegner als „Idealisten“ bezeichnet und entsprechend kritisiert wurden. Diese Form der intellektuellen Geschichtsschreibung ist nicht nur in hohem Masse ideologisiert, sie hat zugleich auch die Auffassung geformt, dass die Gelehrtenwelt der qingzeitlichen Konfuzianer bipolar war, mit eindeutigen Trennungslinien und klaren Zuordnungen ins eine oder andere Lager. Aufgrund der persönlichen Verstrickungen vieler Autoren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist eine so stark von den Eigeninteressen überschattete Beurteilung der Entwicklung des Konfuzianismus im Allgemeinen und der qingzeitlichen Gelehrsamkeit im Besonderen durchaus nachvollziehbar. Inzwischen ist es aber an der Zeit, diese Erklärungsmuster zu hinterfragen und die Geistesgeschichte der Qingzeit in grösserer Differenziertheit darzustellen, insbesondere was ihre Entstehungsbedingungen angeht. Hierzu möchte die vorliegende Studie einen Beitrag leisten, indem sie anhand eines ganz bestimmten und aus Sicht des Autoren dafür hervorragend geeigneten Beispiels versucht, einerseits die Grenzlinien intellektueller Schulzugehörigkeit zu hinterfragen und andererseits aufzuzeigen, wie ein Werk entgegen der Absicht des Autors einen ganz und gar anderen Effekt auf die intellektuelle Entwicklung hatte. Diese Arbeit ist daher in erster Linie eine diskursanalytische Studie eines Einzelwerkes, deren Kernstück eine philologisch präzise annotierte Übersetzung von Teilen dieses Werkes darstellt. Darüber hinaus aber wird durch die konsequente Einbeziehung des politischen, sozialen und geistesgeschichtlichen Hintergrundes das Werk in seinen Entstehungsbedingungen und seiner Wirkung portraitiert. Das hier im Zentrum des Interesses stehende Hanxue Shangdui wird als Teil eines intellektuellen Netzwerkes begriffen, als Beitrag eines über Jahrhunderte sich hinziehenden Diskussionsstranges, und es verweist damit über das

die Rückständigkeit der Gesellschaft, des Regierungs- und Erziehungssystems und der Technologie benannt, welche wiederum mit der „alten Gesellschaft“ und dem darin dominanten System des Konfuzianismus zusammenhing. Hier wird der Begriff zur Bezeichnung von Politikern und Intellektuellen verwendet, welche sich in teilweise diametral entgegengesetzte politische Richtungen entwickelten.



Generelle Einführung in die Thematik 

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Entstehungsjahr 1824 oder die Lebenszeit des Autors Fang Dongshu hinaus auf die ­Evolution der konfuzianischen Lehre als ein Versuch, den Kosmos und den ­Menschen darin zu erklären. Die durch die Autoren des Konfuzianismus ­vorgenommene Sinnstiftung der menschlichen Existenz im physischen wie philosophischen Rahmen des kaiserzeitlichen Chinas beinhaltet weltanschauliche Axiome, deren Grundlage in dieser Arbeit nicht hinterfragt werden sollen. Vielmehr offenbart hier ein Autor seine Weltsicht, und damit gibt er seine Überzeugung preis, dass das Festhalten am orthodoxen Konfuzianismus, wie er seit dem Vierzehnten Jahrhundert in China dominant war, Garant ist für die Sicherstellung des Wohlstands und des Friedens im Reich. Die als Titel dieser Studie gewählte Formulierung „Die Sorge um den Rechten Weg“ wird hier deutlich als eine Sorge um die Menschen im Kaiserreich und um die Stabilität des politischen Systems. Durch diese Arbeit und den dadurch vorgenommenen Einblick in den konfuzianischen Diskurs vermittels der Argumentationsweise und -inhalte eines einzelnen Autors ist es möglich, den Zusammenhang zwischen der alltäglichen Lebenswirklichkeit und der weltanschaulichen Grundlage des Kaiserreiches zu verstehen. Aus der Sicht eines Lesers oder einer Leserin unserer postmodernen Ära, in der jegliche ideologische Grundlage als suspekt und einengend wahrgenommen wird, ist diese andere Form der Lektüre schwer nachzuvollziehen.

Generelle Einführung in die Thematik Der Text, an dem diese Untersuchung durchgeführt wird, ist das Buch Hanxue Shangdui des wenig bekannten konfuzianischen Gelehrten Fang Dongshu (1772– 1851). In Kapitel drei zu „Leben und Werk“ wird auf die internen Charakteristika des Textes wie die Editionsgeschichte oder die Datierung eingegangen. In dieser Einführung soll der Text vor dem Hintergrund der Entwicklung der qingzeitlichen Gelehrsamkeit eingeführt werden, um die Wahl dieses spezifischen Textes als Grundlage für diese Untersuchung zu erklären. Dieser Text steht an der Schwelle zwischen dem klassischen konfuzianischen Diskurs5 und dem Versuch, auf der

5 Ich verwende den Begriff Diskurs hier im Sinne Foucaults als ein materielles Produktionsinstrument, mit dem auf geregelte Weise soziale Gegenstände und die ihnen entsprechenden Subjektivitäten produziert werden. (Nünning 2001, 115). In dem Sinne ist Diskurs im politischen Sinn die vorherrschende Ideologie des daoxue-Konfuzianismus, die zur Erhaltung der Machtverhältnisse eingesetzt wurde. Aber auch auf individueller Ebene spielt der Diskurs eine zentrale

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 Einführung

Grundlage des Konfuzianismus’ die chinesische Gesellschaft und das politische System zu modernisieren. Eine Anthologie chinesischer philosophischer Schriften mit dem Titel Zhongguo Xueshu Mingzhu Tiyao 中國學術名著提要 aus dem Jahr 1992 umspannt den Zeitraum von zweieinhalbtausend Jahren, und sie ist in grobe historische Phasen unterteilt. Editor Pan Fuen positionierte den Abschnitt zum Hanxue Shangdui an einer bemerkenswerten Stelle seiner Zusammenstellung. In seinem Band erscheint Fang als letzter der Periode „Ming Qing bian 明清編“ („Ming- und qingzeitliche Autoren“), unmittelbar vor dem folgenden Abschnitt „jin xiandai bian 近現代編“ („Moderne Autoren“ Pan Fuen 1992, 828–832). Letzterer enthält neben Werken aus der Republikzeit auch solche anderer Autoren der Qing, etwa Gong Zizhen 龔自珍 (1792–1841) oder Wei Yuan 魏源 (1794–1856), aber Pan Fuen sah eine grundsätzliche Zäsur innerhalb der qingzeitlichen Geistesgeschichte, gemäss der Fang Dongshu eben mingzeitlichen Autoren wie Zhan Ruoshui 湛若水 (1466–1560) oder Hu Guang 胡廣 (1370–1418) in seinem Verständnis des Kosmos und des Menschen näher stand als seinen historischen Zeitgenossen.6 Auch aus der Sicht der Moderne wird die Zäsur im 19. Jahrhundert nach Fang Dongshu gesetzt. So leitet etwa Sabine Dabringhaus in ihrer 2009 veröffentlichten Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert mit einem Kapitel über den „Konfuzianismus am fin de siècle“ ein und beginnt ihre Schilderung mit Gong Zizhen, Xue Fucheng 薛福成 (1838– 1894) und Zhang Zhidong 張之洞 (1837–1909). Dabringhaus legt den Beginn der Entwicklung des 20. Jahrhunderts mit dem Erscheinen erster Zeitungen 1830 fest und mit dem verstärkten Einfluss der Missionare in den 1830er Jahren. (Dabringhaus 2009, 29–31 und die Diskussion der Periodisierung, S. 10–23). Fang Dongshus Werk entstand 1824 und damit am Vorabend dieser neuen Entwicklung. Diese Verortung Fang Dongshus im qingzeitlichen Denken bildet auch die Grundlage dieser Arbeit: Fang war ein anachronistischer Denker und Autor, der im neunzehnten Jahrhundert mit Ansichten des zwölften Jahrhunderts zu überzeugen suchte: Sein Verständnis des Kosmos und der Struktur

Rolle, indem er Wissenskategorien, die Rahmenbedingungen dieses Wissens und das daraus abgeleitete Handeln determinert. 6 Zhan Ruoshui war der Autor des Gewu Tong 格物通, eines Werks von 1528, das sich deutlich an songzeitlichen Vorbildern ausrichtet, insbesondere an Zhu Xis Kommentar zum Daxue (Pan Fuen 1992, 687–689). Hu Guang war der Kompilator des Xingli Daquan 性理大全 von 1415, und auch dieses orientiert sich einzig an Zhu Xis Aussagen (ebd. 621–624). Fang Dongshus Werk orientiert sich an diesen Geisteshaltungen wesentlich stärker als an denen seiner Zeitgenossen im frühen neunzehnten Jahrhundert.



Generelle Einführung in die Thematik 

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der Dinge darin, seine Ansichten gegenüber der menschlichen Ethik, seine ­Erkenntnistheorie, und auch sein Menschenbild entsprachen in jeder Hinsicht der Überzeugung des songzeitlichen Neokonfuzianismus’ Zhu Xis 朱熹 (1130– 1200). Für Fang war klar, dass einzig die lixue 理學 den wahren Konfuzianismus ausmachte, wie ihn schon der Meister selbst im Sinn gehabt habe. Dies war ein ­Glaubensgrundsatz, ein Axiom seines Denkens, was vor allem von Fangs Zugehörigkeit zur Tongcheng-Schule herrührt, wie im vierten Kapitel „Fang Dongshu und die Tongcheng-Schule“ zu argumentieren sein wird. Zugleich zeigt die Argumentation Fang Dongshus ein systematisches und methodischen Vorgehen, wenn er den Argumenten seiner Gegner die Orthodoxie seiner eigenen Schule entgegenhält. Auch in seinem Politikverständnis wusste er zu unterscheiden zwischen dem im Konfuzianismus bekanntlich hoch verehrten Altertum und der neueren Zeit seit dem Ende der Tangdynastie, als das politische System Chinas zu einer neuen Form von Kaiserreich überging. Fang erkannte den Beamtenstaat, der seit dieser Phase der Tang die politische Form Chinas darstellte, als Verbesserung gegenüber dem alten Modell der Adelsgesellschaft (vgl. hierzu Kuhn 1991). Damit steht Fang Dongshu an der Schwelle zu einer Zeitenwende, ohne diese selbst vollzogen zu haben. Seine Argumentation kann gelesen werden als Abschluss eines Jahrhunderte über dauernden Diskurses des Konfuzianismus, der seine gesellschaftliche Gültigkeit und auch seine Verbindung zur Macht allmählich eingebüsst hat. Seine Argumente stellen die letzte Phase eines Binnendisputs dar, der innerhalb der Gelehrten-Beamten über Jahrhunderte geführt wurde, und damit ist Fang Dongshu mit dieser Schrift von 1824 der letzte einer Art. Alle späteren Gelehrten beschäftigten sich mit der neu sich stellenden Situation des Kontaktes zum Westen, der sich bereits zu Fangs Zeit in Kanton zu verschärfen begann, aber noch nicht die Dringlichkeit der Ära vor dem Opiumkrieg hatte. Das Studium der Argumente Fangs ermöglicht deshalb einen Überblick über die Entwicklung der Schule bis zum Zeitpunkt, da die Dämme, die den Rest der Welt aus China heraushalten sollten, barsten und die „Internationalisierung“7 des Reiches unausweichlich wurde. Fang Dongshus im Hanxue Shangdui geäusserte Ansichten besassen trotz ihrer konservativen Grundhaltung eine gewisse Aktualität, denn sie entsprachen mit ihrem ganzen Anachronismus der moralisch-politischen Doktrin des

7 William Kirby hat 1997 im Aufsatz „The internationalization of China: Foreign relations at home and abroad in the Republican Era“ Chinas Verlust an Souveränität als analytisches Merkmal der Republikzeit eingeführt, in der die politischen Kernthemen von ausserhalb Chinas diktiert wurden. Der Begriff wird inzwischen als Verständnisansatz bis ins 19. Jahrhundert ausgedehnt.

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 Einführung

spätzeitlichen Kaiserstaates. Fang Dongshu erkannte, dass die theoretischen Grundlagen des Neokonfuzianismus im Laufe der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zusehends unter Druck geraten waren, weil ihre Axiome und Begrifflichkeit hinterfragt und attackiert worden waren. Wenn auch die gesellschaftlichen Institutionen weitgehend unberührt blieben, so wurde die textliche Basis und damit schliesslich die Theorie der Lehre bedrängt. Zugleich ist es eine historische Tatsache, dass sich, parallel zum Anschwellen dieser Kritik, die Lebensumstände verschlechterten. Die letzten Jahrzehnte des achtzehnten und die ersten des neunzehnten Jahrhunderts brachten eine ­Verschlechterung der Lebensumstände, und eine Reihe ganz unterschiedlicher Probleme bedrängten das Reich.8 In Fangs Verständnis des Zusammenwirkens von Kosmos und Menschenwelt hing dieser politische Niedergang ursächlich mit der Kritik am Konfuzianismus zusammen. Die Verbindung zwischen der Menschenwelt und dem „Himmel und Erde“ (tian di 天地) genannten Kosmos war ein konfuzianisches Axiom. Der Himmel spricht zwar nicht zu den Menschen, aber er gibt Zeichen wie meteorologische Unregelmässigkeiten, ­Asteroidenschauer oder Erdbeben. Fangs Versuch, die Entwicklung der Gelehrsamkeit aufzuhalten oder umzudrehen war daher letztlich politisch motiviert.

8 Es ist eine gesicherte Erkenntnis, dass die Lebensbedingungen für Chinesinnen und Chinesen im 19. Jh. sowie zum Ende der Qingzeit schlechter wurden. Die Korruption nahm zu, in gewissen Gegenden gab es Missernten oder Ernteausfälle, 1785–86 gab es in der Gegend um Yangzhou eine schwere Dürre (Hummel 1943–44, 137). Die Wechselwirkung zwischen Weltwirtschaft, Erosion und Entwaldung sowie den cash-crops Chinas beschreibt Davis 2001, 343–375. Für allgemeine Beschreibungen der Lebensumstände und des Verlusts staatlicher Autorität im späten 18. und frühen 19. Jh. vgl. Peterson 2002, 555–561; Crossley 1997, 130–149 & Kapitel 6; Susan Manns „­dynastic decline and the roots of rebellion“ in Fairbank 1978, 1:107–144; Mote 1999, 912–948. Eng verknüpft mit der Frage nach den Lebensumständen in der Qing ist das Problem des unheimlichen Bevölkerungswachstums im frühen achtzehnten Jahrhundert, also vor der Zeit Fang Dongshus. Für diese Zeit wurde ein kaum vorstellbares Anwachsen der Bevölkerung verzeichnet, das einen grossen Teil der Probleme der späten Qingzeit erklären würde. Das Reich hatte sicher in der einen oder anderen Form unter den Folgen dieser demographischen Veränderung zu leiden. In Zahlen drückt sich diese wie folgt aus: 150 Millionen im Jahr 1700, 275 Mio. im Jahr 1779 und 313 Mio. in 1794. Solche starken Veränderungen der Bevölkerungszahlen könnten aber nicht nur etwas mit den Lebensumständen zu tun zu haben, sondern vor allem auch mit den Methoden der Erhebung. Es gibt daher auch Zweifel an der Verlässlichkeit der erhobenen Zahlen. Mote hinterfragt die Zahlen und schlägt als modifizierte Ausgangszahl für das Jahr 1650 eine Bevölkerung von 321 bis 268 Mio. vor. Zur Diskussion des Bevölkerungswachstums vgl. Mote 1999, 903–906.



Generelle Einführung in die Thematik 

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Fang Dongshu und sein Werk stellen also die letzte Phase der Entwicklung innerhalb der konfuzianischen Orthodoxie9 der späten Kaiserzeit dar,10 der daoxue 道學.11 Die genaue Betrachtung seiner Aussagen ermöglicht heute zugleich einen Einblick in die Geisteswelt des qingzeitlichen Konfuzianismus, und zwar unabhängig von der späteren Rezeption durch die Autoren des „Vierten Mai“ oder des 20. Jahrhunderts allgemein. Da die Rezeption durch die Autoren des 20. Jahrhunderts das Verständnis des qingzeitlichen Konfuzianismus so stark geprägt hatte, erscheint eine Neueinschätzung sinnvoll und lohnend. Wie noch zu zeigen sein wird, war es die stark intentionsgesteuerte Rezeption des ­qingzeitlichen

9 Diese Orthodoxie bezeichnet die für die späte Kaiserzeit zentrale exegetische Lesart der d ­ amals als kanonische Schriften verehrten konfuzianischen Klassiker: die daoxue, in der westlichen Literatur meist „Neokonfuzianismus“ genannt. Der Begriff der Orthodoxie wird hier verwendet im Sinne von Liu Kwang-Ching, der den Begriff in der Einführung zu seinem Sammelband Orthodoxy in Late Imperial China von 1990 diskutiert. Liu schreibt dort (auf der Grundlage von William de Bary und C.K. Yangs): „ … this religious diversity [of Buddhism, Taoism and Confucianism] coexisted with a moral orthodoxy – moral because its percepts were primarily socioethical, and orthodox because such percepts were themselves linked to religious and cosmological notions. This moral orthodoxy was witnessed not only in ancestor worship as widely practiced but also in the imperial worship of Heaven and a woman’s alleged fulfillment of the life’s destiny in her heroic suicides that demonstrated her devotion to a deceased husband. This last ideal of  ‚firm integrity‘ (chieh) also required officials to be loyal to only one dynasty.“ (Liu 1990, 2–3). Liang Qichao verwendet in seinem Qingdai Xueshu Gailun eine andere Vorstellung von ­Orthodoxie: „The representative figures of the movement in the High Period were Hui Tong, Tai Chen, Tuan Yü-ts’ai, Wang Nien-sun, and Wang Yin-chih. These I call the Orthodox School“ (Liang 1959, 23, nach den Personennamen werden jeweils noch ihre Lebensdaten angegeben; „Orthodox School“ ist zhengtong pai 正統派 vgl. Liang 1998, 4). Dies sind genau diejenigen ­Gelehrten, die in der vorliegenden Arbeit als Vertreter der hanxue und kaozhengxue als Gegner der vom Kaiserhof portierten Orthodoxie genannt werden. 10 Zur Frage der daoxue als Staatsdoktrin vgl. die Publikation Confucian Discourse and Chu Hsi’s Ascendancy von Hoyt Cleveland Tillmann. Vgl. auch Chow 1995, 50 und den auch dort als Beleg angegebenen Aufsatz „Chu Hsi and Yüan Neo-Confucianism“ von Wing-tsit Chan, erschienen im von De Bary herausgegebenen Sammelband Yüan Thought: Chinese Thought and Religion under the Mongols von 1982 (In der Bibliographie als Chan 1982). 11 Die auf Cheng und Zhu zurückgehende Schule der daoxue nennt man auch und präziser lixue 理學, um sie von der anderen Schulrichtung der daoxue zu unterschieden, der xinxue 心學. In dieser Arbeit wird der Ausdruck „daoxue“ verwendet, um die orthodoxe Richtung von der auf die Hanzeit konzentrierte Gelehrsamkeit der Qing, die hanxue, zu differenzieren. Der Ausdruck lixue wird nur verwendet, um diese Richtung der daoxue von derjenigen der xinxue (s.u.) zu u ­ nterscheiden. Ein weiterer Audruck ist „Cheng-Zhu Konfuzianismus“ (oder „ChengZhu ­Schule“), der sich an den Gründern orientiert, und damit vom Lu-Wang Konfuzianismus abgrenzt. In der Qing wird auch der Begriff songxue 宋學 verwendet, allerdings vor allem von den Gegnern der daoxue, die durch diese parallele Formulierung hanxue und songxue einander antagonistisch gegenüberstellen.

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 Einführung

Denkens, die aus den Gelehrten der hanxue und der kaozhengxue Vertreter einer wissenschaftlichen oder proto-wissenschaftlichen Denkart machte, während die Verteidiger der Orthodoxie als Gegner des Fortschritts gebrandmarkt wurden, die nicht akzeptieren konnten, dass sich der Diskurs gewandelt hatte. Es hat selbstverständlich mehrere entscheidende Veränderungen in der langen Geschichte Chinas gegeben, aber für die Entwicklung der Republik und der Volksrepublik, und damit für Chinas Geschichte des 20. Jahrhunderts war keine Veränderung so entscheidend wie die Kritik am qingzeitlichen Konfuzianismus und die Überwindung dieser Orthodoxie. Verschiedene Autoren diskutierten die Gründe für die politische Schwäche des chinesischen Reiches im 19. Jahrhundert entsprechend den tagesaktuellen Sorgen ihrer jeweiligen Zeit. So wurde noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Fremdherrschaft der Mandschus diskutiert, später aber zunehmend die Frage, ob das Denken der qingzeitlichen Konfuzianer „wissenschaftlich“ war oder nicht, mithin ob es in China die Tradition des wissenschaftlichen Denkens gegeben habe. Des Weiteren wurde die These entwickelt, dass die in der konfuzianischen Tradition sehr stark philologische Beschäftigung mit dem Schrifttum die geistigen Kapazitäten gebunden und so die Entwicklung von höherer Technologie verhindert habe. Schliesslich verstanden Reformer des Erziehungswesens und der Verwaltung in erster Linie die eigentümliche Beamtenprüfung und ihr Gewicht auf moralphilosophischen Inhalten als ursächlich für die Probleme des Kaiserreiches.

Ziele dieser Studie Aus dem oben Gesagten ergeben sich folgende Schlüsse: Der Forschungsgegenstand der qingzeitlichen Geistesgeschichte, insbesondere des qingzeitlichen Konfuzianismus ist aus mehreren Gründen speziell komplex: Die reiche Quellenlage macht es einem einzelnen Forscher unmöglich, eine Übersicht zu erlangen, die Rezeption der bisherigen Forschungsleistungen stellt eine grosse Herausforderung dar, und schliesslich unterliegen die bisherigen Ergebnisse und Schlussfolgerungen m.E. in hohem Mass dem interessengesteuerten Erkenntnisinteresse der Forscherinnen und Forscher des „Vierten Mai“. Ausserdem kommt das spezielle sprachliche Problem hinzu, dass die qingzeitlichen Autoren der konfuzianischen Elite im schwer verständlichen Schriftchinesisch wenyanwen 文言文 schrieben, während die Autoren des „Vierten Mai“ ihre Einschätzungen in der Umgangssprache baihua 白話 verfassten und damit ihre eigene Rezeption erleichterten. Schliesslich war die Revolution von 1911 und das damit einhergehende Ende der Kaiserzeit auch der Moment einer gesellschaftlichen Umwälzung gewaltigen ­Ausmasses. In der bisherigen Behandlung konzentrierte sich die



Ziele dieser Studie 

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­ orschungsgemeinschaft in erster Linie auf die hermeneutische Behandlung der F Aussagen sowie in zweiter Linie auf die wirtschaftlichen Bedingungen für den Aufstieg der Region Südchinas. Als Folge hiervon entstand eine Rezeptionstradition, die allzu oft der einfachen bipolaren Etikettierung der Gelehrtenwelt in idealistisch oder materialistisch, hanxue oder songxue oder einfach fortschrittlich gegenüber konservativ entspricht. Sehr wenige Studien versuchten das gesellschaftliche Umfeld und die Machtkonstellation am Kaiserhof12 mit den so produzierten Texten in Verbindung zu bringen. Für die vorliegende Untersuchung drängt sich daher die diskursanalytische Herangehensweise auf. Diese Arbeit beansprucht somit nicht, eine Erklärung für die Frage anzubieten, wieso China politisch so schwach wurde oder technologisch (d.h. mindestens militärtechnisch) gegenüber dem Westen so sehr zurückblieb, dass es die Aggression des Britischen Imperiums nicht zurückschlagen konnte, denn es ist keine historische Arbeit im klassischen Sinn. Vielmehr handelt es sich um eine deskriptiv-­ analytische Studie des Diskurses zwischen Gelehrtenschulen, deren Ziel es letztlich ist, die Reduktion auf die Bipolarität zu überwinden, die als Folge der vereinfachten Darstellung des „Vierten Mai“ die Forschung bis heute dominiert, indem sie einen Beitrag leistet zur Klärung der Frage, wie die Bedingungen waren für die Produktion und Festlegung von Wahrheit innerhalb der konfuzianischen Elite. Die Studie will an einem Beispiel analysieren, wie sich der historische Diskurs zwischen Repräsentanten der ruxue 儒學 tatsächlich abspielte, indem die Auseinandersetzung zwischen Fang Dongshu und dem bevorzugten Objekt seiner Kritik, Dai Zhen, aufgearbeitet wird. Dai Zhen als Beispiel zu wählen, hat einerseits textinterne Gründe, indem er die am meisten angegriffene Person ist, andererseits nimmt auch in der sinologischen Forschung Dai Zhen eine herausragende Stellung ein. Kein anderer Autor der Qing wurde mehr übersetzt und erforscht als Dai Zhen, den die Autoren des Vierten Mai als einen Vorläufer des die Tradition hinterfragenden Geistes hervorhoben. Das präzise Aufzeichnen der umstrittenen Themen innerhalb des innerkonfuzianischen Diskurses der Qing führt im Idealfall zu weiteren Studien dieser Art, welche ein neues Verständnis der Entwicklung des Denkens in der chinesischen Vormoderne erlauben.13

12 Mit dem Verhältnis von Macht und konfuzianischer Lehre beschäftigen sich vor allem die beiden Monographien lettrés et pouvoirs von Pierre-Henri Durand und The Inner Opium War von James Polachek. Die Beiträge Kai-wing Chows thematisieren die Entstehungsbedingungen für die Gelehrtenkultur im vormodernen China. 13 Das weitgehende Fehlen von textbasierten Studien zur qingzeitlichen Geistesgeschichte offenbart eines der grossen Desiderate der Sinologie: Übersetzungen dieser Texte. Dies bezieht sich auf Gu Yanwus Ri Zhi Lu 日知錄 ebenso wie auf Yan Ruoqus Guwen Shangshu Shuzheng 尚書古文疏證 oder Hu Weis Yi Tu Ming Bian 易圖明辨. Bezeichnenderweise sind jene Texte, die am intensivsten

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 Einführung

Was die vorliegende Arbeit daher in erster Linie leisten will ist, durch das diskursanalytische Studium einer neuen Quelle die Wichtigkeit einer Neubeurteilung der qingzeitlichen Gelehrsamkeit aufzuzeigen, aber auch die Bedeutung zu betonen, die der kritischen Auseinandersetzung mit den noch immer einflussreichen Autoren der ersten Hälfte des „Vierten Mai“ zugemessen werden müsste. Erst wenn die Darstellung des qingzeitlichen Konfuzianismus bei Zhang Taiyan, Hu Shi, Liang Qichao und Qian Mu als von Interessen gesteuerte Forschung bezeichnet wird, kann sie ihrerseits der historischen Begutachtung überlassen werden. Diese Neubeurteilung müsste m.E. sehr viel näher an den Texten der Zeit geführt werden, und die vorliegende Studie will in dieser Hinsicht einen neuen Aspekt der Geistesgeschichte der Qingzeit erschliessen und kritisch analysieren. Für dieses übergeordnete Ziel sollen der Natur des Textes folgend zunächst die Konfliktfelder aus einer Quelle der Zeit begriffen werden. Erst diese Sicht kann uns helfen, ein Verständnis des Konfuzianismus zu erlangen, das möglichst unbeeinflusst ist von den Fragen, welche die Autoren des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts beschäftigte. Die Bedeutung der Betrachtung der zeitgenössischen Quellen lässt sich am Beispiel der ersten drei Kontroversen des Werks Hanxue Shangdui illustrieren. Diese beschäftigen sich mit Fragen der Kanonisierung der daoxue im Rahmen der Dynastiegeschichten und mit den Opferempfängern im Konfuziustempel.14 Bei der ersten und zweiten Kontroverse wehrt Fang Dongshu vornehmlich Bemerkungen ab, die in seinen Augen den Vertretern der daoxue die Zugehörigkeit zum Konfuzianismus oder zumindest zu dessen orthodoxer Tradition absprechen. Hintergrund dieser Kontroversen ist die Tatsache, dass die daoxue-Gelehrten der Ausrichtung der lixue in der Dynastiegeschichte der Songzeit nicht bei den Konfuzianern in der Abteilung „rulin zhuan“ stehen, sondern in einer eigenen Abteilung „daoxue zhuan“ unmittelbar davor. In den Auseinandersetzungen im 17. und 18. Jh. wurde den Vertretern der lixue deshalb die Zugehörigkeit zu den ru abgesprochen.15 Der andere Aspekt dieser Frage

bearbeitet wurden, die philosophischen Schriften Dai Zhens, die im Gegensatz zu den hier genannten drei Beispielen unter den zeitgenössischen Gelehrten kaum nachhaltige Wirkung entfalteten. 14 Die beiden angesprochenen Ritualkontroversen richten sich nicht gegen Dai Zhen, deshalb werden sie in der vorliegenden Studie nicht übersetzt. Für den Originaltext der Kontroversen gegen Wan Sitong 萬斯同 (1638–1702) und Zhu Yizun 朱彝尊 (1629–1709) vgl. Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 249–256. 15 Die Unterscheidung zu lixue-Gelehrten ist auch deshalb wichtig, weil die Biographien von xinxue-Gelehrten wie Lu Jiuyuan und seinen Schülern in der für konfuzianische Gelehrte zu ­erwartenden Abteilung „rulin zhuan“ stehen.



Ziele dieser Studie 

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war die Tatsache, dass Zhu Xi per Dekret des kangxi-Kaisers16 im Jahr 1712 um eine rituelle Stufe aufgewertet, und mit den wichtigsten der direkten Schüler des Konfuzius (den sog. shi zhe十哲) auf eine Stufe gestellt wurde. (Qingshigao 1998, 128; ZHSJ-Ausgabe S. 281). Diese Besonderheit der dynastischen Historiographie wie auch die Veränderungen der rituellen Ordnung führten offenbar zu grossen Diskussionen unter den Gelehrten, und Fang Dongshu diskutiert diese Topoi in den ersten vier Kontroversen des ersten Kapitels des Hanxue Shangdui, und damit gleich zu Beginn des Textes, was die ihnen zugemessene Wichtigkeit belegt. Diese beiden Punkte aber, die dynastische Geschichtsschreibung mit ihrer Einteilung der lixue in den Konfuzianismus und die rituelle Stellung im Konfuziustempel waren nur während des Kaiserreichs ein Streitpunkt. Mit Beginn der Republik stellten sich diese Fragen nicht mehr, und damit war es den Autoren des „Vierten Mai“ auch kein Anliegen mehr, diese zu erörtern. Es wird als Selbstverständlichkeit erachtet, dass die daoxue mit all ihren Untereinteilungen Teil der konfuzianischen Tradition ist.17 Entsprechend wurde dieser Vorgang von diesen Autoren nicht mehr thematisiert, weil er irrelevant geworden war. Daher waren Themen wie diese für die Gelehrten der Qingzeit selbst wichtig, in der Rezeption des „Vierten Mai“ spielten sie aber keine Rolle mehr. Die grösste und auffällige Übereinstimmung und Gemeinsamkeit zwischen Fang Dongshus Werk und der Rezeption des 20. Jahrhunderts ist die Konzentration auf die Person Dai Zhens. Als wichtigster Gegner Fangs drängt sich deshalb vor allem ein qingzeitlicher Autor auf: Dai Zhen. Sowohl im Umfang als auch in der Intensität der Kontroversen ist auffällig, dass jene gegen Dai Zhen eine besondere Stellung in Fangs Werk einnehmen. Deshalb konzentriert sich die vorliegende Studie darauf, die Kontroversen zwischen Fang Dongshu

16 Da in China drei verschiedene Methoden in Gebrauch waren, um den Kaiser zu benennen, werden auch in der vorliegenden Arbeit die Bezeichnungen klar unterschieden. Chinesische Kaiser werden in der späteren Literatur und so auch in der Forschung entweder mit ihrem persönlichen Namen, ihrem posthumen Epitheton (dem Tempelnamen shi 諡) oder ab der Yuan-Zeit nach der von ihnen gewählten Regierungsdevise bezeichnet. So wird der Gründerkaiser der Han oftmals Liu Bang genannt, was sein persönlicher Name war. Dieser wird wie ein anderer Name verwendet, also dem Titel nachgestellt („Han-Kaiser Liu Bang“). Die nach dem Epitheton gebildete Bezeichnung wird als Namensvorsatz wiedergegeben (der Taizu-Kaiser, der Gaozong-Kaiser), um sie von der Namensbezeichnung abzuheben. Da es sich aber um einen erweiterten Namen handelt, wird der Name stabil und gross geschrieben. Die letzte Variante, nach der Kaiser gemäss ihrer Regierungsdevise bezeichnet werden, wird im Unterschied kursiv und kleingeschrieben verwendet, denn zu keinem Zeitpunkt war kangxi-Kaiser eine Anrede oder ein Teil des Namens. 17 Zur Problematik des Schulbegriffs und der Einheitlichkeit der konfuzianischen Tradition vgl. den Abschnitt „Schulen und Begriffe“ bei den folgenden Erklärungen zur Terminologie.

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 Einführung

und Dai Zhen zu ­­untersuchen. Es wird in Kapitel zu „Fang Dongshu und seine Gegner“ noch im Detail gezeigt werden, was das Herausragende an Dai Zhens Beitrag zum Konfuzianismus war. Kurz gesagt versuchte er in den 1750er bis 1770er Jahren mit verschiedenen Schriften die Schlüsselbegriffe der daoxue neu zu deuten, was zu Recht als philosophischer Aspekt der in der Philologie verwurzelten qingzeitlichen Gelehrsamkeit bezeichnet wird. Allerdings wurde auch diese hanxue genannte Form der Argumentation bald wieder kritisiert und indem Fang Dongshu vor allem Dai Zhen angreift, rückt er ihn auch ins Zentrum des Diskurses der Rezeption der Qing. Fang Dongshu entkräftet die Aussagen Dai Zhens so geschickt, dass er es m.E. schafft, berechtigte Zweifel am Vorgehen Dais zu benennen. Gleichzeitig ist es denkbar, dass Fang mit seiner vehementen Kritik die Aufmerksamkeit auf Dai Zhen und seine Thesen legte, was mittelbar vielleicht sogar etwas zur oben beschriebenen hervorgehobenen Stellung Dais beigetragen haben mag. Spezielles Augenmerk wird auf die Frage gelegt werden, ob mit Dai Zhen und Fang Dongshu ein wissenschaftlich denkender Autor auf einen Apologeten trifft, der die Dogmatik verteidigt. Eines der Ziele ist es also, solche Aussagen der Autoren des „Vierten Mai“ anhand der zeitgenössischen Quelle des Hanxue Shangdui zu überprüfen. Daneben geht es darum, diskursanalytisch die Streitkultur der qingzeitlichen Gelehrten zu beobachten. Es geht damit in einem weiteren Sinn auch um die Frage, ob Dai Zhen und die hanxue argumentativ in der Lage gewesen sind, die auf Zhu Xi zurückgehende orthodoxe Rezeption des Konfuzianismus zu stürzen und eine auf die hanzeitlichen Glossen gestützte Alternative anzubieten. Die Konzentration auf die an Dai Zhen adressierten Kontroversen erlaubt es, insbesondere die philosophischen Streitpunkte zu betrachten. Fang Dongshu argumentiert in seinem Buch auf verschiedenen Ebenen: bibliographisch, nomen­ klatorisch, linguistisch und philosophisch. Die gegen Dai Zhen gerichteten Kontroversen thematisieren mit einer Ausnahme die theoretischen Grundbegriffe und ­ useinandersetzungen zentralen Konzepte des Neokonfuzianismus, so dass die A um diese umstrittenen philosophischen Schlüsselbegriffe hier vollständig dargestellt werden. Die Diskussionen zeigen, welche Begriffe der songzeitlichen Lehren die qingzeitliche Kritik so umgedeutet hatte, dass Fang Dongshu sie nicht mehr einfach auf das orthodoxe Verständnis zurückdrehen kann, auch wenn er dies versucht. Die vorliegende Untersuchung ist mit anderen Worten die Momentaufnahme des konfuzianischen ­Diskurses zu genau der Zeit, da die alte Vorstellung keine Zugkraft mehr hat, die neue Vorstellung der hanxue aber auch schon genug Schwachstellen aufwies, so dass sie ebenfalls nicht als valable Alternative taugte.

Forschungsansatz 

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Forschungsansatz Die Umstände der Entstehung und Absicht des Hanxue Shangdui sind eindeutig feststellbar und unbestritten: Der wenig einflussreiche Gelehrte Fang Dongshu verfasste einen argumentativen Text, den er an seinen Arbeitgeber, den Generalgouverneur der Provinzen Guangdong und Guangxi übergab, einen GelehrtenBeamten namens Ruan Yuan 阮元 (1764–1849). In seinem Text wendet sich Fang Dongshu gegen die konfuzianischen Theorien Dai Zhens, aber auch anderer qingzeitlicher Autoren, die sich gegen die orthodoxe Auffassung der daoxue wandten. Diese Auseinandersetzung ist allerdings untrennbar in einem historisch-­ diskursiven Machtkonzept verhaftet. Es ist dieses Machtkonzept wie auch die beteiligten Individuen selbst, welche die Herausforderung darstellen, diesen an und für sich simplen Vorgang eines Gelehrtenstreits adäquat einschätzen zu können. Um diese Verhaftung analysieren zu können, hält der Autor der vorliegenden Arbeit die Herangehensweise der historischen Diskursanalyse im Sinne Michel Foucaults (1926–1984) für die fruchtbarste theoretische Grundlage, da diese mit ihrer Konzentration auf die Beziehung zwischen Individuum, bzw. Subjekt und dem Machtapparat ein analytisches Instrumentarium zur Verfügung stellt, mittels dessen sich die Aussagen Fang Dongshus nicht einfach als Streitigkeit zwischen Angehörigen unterschiedlicher Schultraditionen begreifen lassen. Die Diskursanalyse ermöglicht die Einordnung dieser Auseinandersetzung in einen grösseren Zusammenhang. Die Verbindung zwischen historischer Forschung und der Diskursanalyse, die Foucault selbst nicht herstellte, ist mittlerweile in der Literatur gut verankert,18 und im vorliegenden Zusammenhang interessiert insbesondere die Beziehung zwischen Individuum, bzw. Subjekt und dem Diskurs der Macht. Letztere ist ein bei Foucault gut eingeführtes Thema, beschäftigte er sich doch mit dem Konzept einer strategischen-produktiven Machtvorstellung. Indem Macht dabei nicht von einer gesellschaftlichen Instanz besessen und ausgeübt wird, sondern nur im Verhältnis der Instanzen existiert, lassen sich Machtgefüge unabhängig von den konkreten gesellschaftlichen Umständen vergleichen. Indem Machtbeziehungen selbstverständliche und grundlegende Aspekte jeder Gesellschaft darstellen, erlaubt die diskursanalytische Herangehensweise Aussagen, die auch ausserhalb der sinologischen Untersuchung der daoxue zwischen

18 Diese Arbeit stützt sich neben Primärtexten Foucaults vor allem auf die beiden einführenden Monographien Historische Diskursanalyse von Achim Landwehr und Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse von Phillip Sarasin (vgl. Literaturverzeichnis).

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 Einführung

1750 und 1830 von Interesse sind. Die Kritik Fang an den verschiedenen Autoren kann somit sinnvoll als eine Auseinandersetzung verstanden werden, in der es um die Macht der Deutung der alten Lehre geht. Die Tatsache, dass Fang diesen Text verfasste, ist auch ein Hinweis darauf, dass er durch die Entwicklungen im konfuzianischen Binnendiskurs die Deutungshoheit des daoxue und damit die Verbindung zwischen staatlicher Macht und der gelehrten Elite gefährdet sah. Fang Dongshu konstruierte seine Identität als konfuzianischer Gelehrter auf der Basis der ethischen Lehren des Konfuzius vermittels der Exegese der daoxue.19 Hier interessiert deshalb neben dem Begriff der Macht bei Foucault auch jener der Ethik, den der Franzose aber nicht explizit analytisch einsetzte. Laut Lüdke „gibt [es] also eigentlich keine ‚Analytik der Ethik‘ bei Foucault, sondern nur eine ‚Genealogie der Ethik‘, die nach den historisch unterschiedlichen Weisen der Konstitution der Subjekte durch sich selbst mittels Selbstpraktiken fragt. Dennoch impliziert Foucaults Konzept der ‚Ethik‘ eine Reihe methodischer Überlegungen, die einen Anschluss für die Analyse der subjektivierenden ‚Selbstverständnisse‘ […] möglich machen. Mit seiner Frage nach den (ethischen) Selbstpraktiken zielt Foucault auf die Art und Weise, in der sich Individuen mittels spezifischer Techniken selbst konstituieren.“ (Lüdke 1997, 179).

Aufbau der Arbeit Die Studie beginnt mit einer Darstellung der historischen Situation der Qingzeit unter besonderer Berücksichtigung der konfuzianischen Elite sowie mit deren Rezeption in der Republik. Im zweiten Kapitel wird die Rezeption des qingzeitlichen Konfuzianismus und insbesondere jene von Dai Zhens Beitrag zum qingzeitlichen Diskurs erörtert. Die folgenden Kapitel drei und vier gehen ein auf Leben und Werk Fang Dongshus sowie auf seine Zugehörigkeit zur Tongcheng-Schule und die daraus resultierenden Prädispositionen im Hinblick auf seine Gelehrsamkeit. Die Darstellung des Lebens Fang Dongshus stützt sich auf die chronologische Biographie seines Schülers, die einzige ausführliche Quelle für das Leben dieses ­Gelehrten ohne hohe Stellung und Ansehen. Neben dem besseren Verständnis von Fangs ­intellektuellem

19 Wie die Darlegung der Biographie Fangs deutlich machen wird, setzte dieser viel Zeit, Geld und Mühe dafür sein, seine toten Vorfahren standes- und ritengemäss zu beerdigen. Diese konfuzianische Tugend der Kindespietät stellt zugleich eine ethische Stütze dar, die Fang ermöglichte, sich selbst trotz seines Scheiterns in gesellschaftlichen Dingen als echten Konfuzianer wahrzunehmen. Die Verkennung der moralischen Qualität einer Person durch die Gesellschaft ist ein durchgehender Topos des Konfuzianismus, die schon mit dem Meister selbst beginnt, der trotz mangelnden Erfolgs später zum ungekrönten König (su wang 素王) erklärt wurde.

Terminologie 

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Hintergrund erlaubt die Hinzunahme seines intellektuellen Hintergrunds die Einschätzung seiner Überzeugung und Sendungsbewusstseins. Daher wird Fang als individuelle Person, aber auch als Mitglied seiner Schule und als Gelehrter aus Tongcheng dargestellt, denn nur so kann sein Selbstverständnis verständlich gemacht werden. Es folgt in Kapitel fünf eine Analyse der von Fang angegriffenen Gelehrten und der Natur dieser Angriffe. Hierbei wird speziell auf die Personen Ruan Yuans 阮元 (1764–1849) und Jiang Fans 江藩 (1761–1831) eingegangen. Kapitel sechs ist dann eine vertiefte Diskussion Dai Zhens, aber nun im Hinblick auf seine Rezeption durch Fang Dongshu. Es wird sich zeigen, dass die beiden Gelehrten viel ähnlicher sind als dies die intellektuelle Gegnerschaft vermuten lassen würde. Der danach folgende Übersetzungsteil dieser Studie beginnt mit den Begleittexten des Autors zu seinem Werk, dem Vor- und Nachwort und den Redaktionsprinzipien fanli 凡例. In Vor- und Nachworten erklärt Fang seine Sicht der Entwicklung der Gelehrsamkeit und sein Anliegen mit diesem Werk, in den zehn Abschnitten des fanli legt er seine Kompilierungsprinzipien und die literarischen Vorbilder seiner Streitschrift offen. Danach werden jene Auseinandersetzungen übersetzt und ausführlich diskutiert, in denen sich Fang Dongshu gegen Aussagen Dai Zhens wandte. Diese Kontroversen werden im gesamten Umfang und mit chinesischem Originaltext dargestellt. Wie oben bemerkt sind dies m.E. die Kontroversen von grösster inhaltlicher Tragweite, weil hier zentrale Punkte der konfuzianischen Lehre diskutiert werden. Das Ende bildet ein Schlusswort, das die vorangehenden Kontroversen in einen grösseren Zusammenhang stellt, und dessen Ziel es ist, konzentriert auf die kulturelle Einbettung des Werkes im Kontext und Milieu der qingzeitlichen konfuzianischen Gelehrtenwelt hinzuweisen.

Terminologie In der vorliegenden Studie wird immer wieder, wie schon in dieser Einleitung, der Begriff der „Orthodoxie“ verwendet, um einen Teil des Konfuzianismus zu beschreiben. Dieser Begriff wird so verwendet wie im Buchtitel des von ­Kwang-Ching Liu editierten Sammelbandes Orthodoxy in Late Imperial China.20 Dabei geht es nicht, wie in der religiösen Orthodoxie etwa des Christentums,

20 Liu bezeichnet „Orthodoxie“ in seinem Vorwort als Pendant zu lijiao 禮教, und er schreibt: „…the doctrine that not only was approved by the state but was common to several schools of Confucianism and to both elite and popular cultures as well.“ (Liu 1990, ix; für eine ausführlichere Diskussion vgl. Lius gesamte Einführung).

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 Einführung

um die Erhaltung einer „Reinen Lehre“. Die Sorge um den Rechten Weg und die „Reine Lehre“ war, wie oben ausgeführt, das Ziel aller konfuzianischen Schulen, und die Suche danach oder die Behauptung, Hüter derselben zu sein, kann daher nicht als entscheidendes Merkmal herangezogen werden. Vielmehr entsprechen die Ausdrücke „Orthodoxie“ und „orthodox“ dem chinesischen Äquivalent zheng 正 oder zhengtong 正統, das als Antonym zu xie 邪 das „Gerade“, „Rechte“, „Offizielle“ bezeichnet. Damit ist im spätkaiserzeitlichen Kontext die Sanktionierung einer Lehre durch den Kaiserhof und die Verwaltung gemeint. „Orthodox“ bezieht sich also darauf, dass im Zusammenhang mit einer Anzahl von immer wiederkehrenden politischen und rituellen Handlungen 21 politisch einflussreiche Gelehrte und der Kaiser selbst einer Exegesetradition oder Protagonisten davon einen bedeutenderen Platz zuwiesen als anderen. Das prominenteste Beispiel hierfür ist die Veränderung des rituellen Status von Zhu Xi durch den kangxi-Kaiser. In der Qingzeit bezeichnet die orthodoxe Auslegung in der Regel die neokonfuzianische Lehre, deren wichtigster Repräsentant Zhu Xi war. Ich grenze mich dadurch explizit von Liang Qichaos Verwendung des Begriffes ab, der in Qingdai Xueshu Gailun die hanxue- und kaozhengxue-Gelehrten der mittleren Qing als Repräsentanten der Orthodoxie bezeichnet (vgl. Anmerkung 9 zu dieser Einführung). Diese Arbeit verwendet darüber hinaus die Begriffe „Tradition“ und „Einfluss einer Schule“. Damit ist die in Texten kodierte und dokumentierbare Identifikation eines Autors mit einer bestimmten Schule oder Lehre innerhalb des Spektrums konfuzianischer Lehren gemeint. Für einen Gelehrten gab es neben der offensichtlichen direkten Beeinflussung durch einen individuellen Lehrer auch die Beeinflussung durch literarische Traditionen in Form von Vorbildern. Diese Orientierung an Beispielen aus der Vergangenheit stellte über die gesamte Geschichte für die inhaltliche wie stilistische Schwerpunktsetzung einen wesentlichen Teil der Identitätsfindung eines Gelehrten dar.22 Diese Orientierung an Vorbildern wurde durch Codes in eigenen Schriftstücken offensichtlich gemacht. Die Bestimmung solcher Spuren literarischer Identifikation ist ein wesentlicher methodischer Bestandteil der vorliegenden Arbeit.

21 Solche Handlungen, anhand derer die Präferenz zu ersehen ist, sind Prüfungsvorschriften und staatliche Opfer, Reisen der Kaiser zu Geburtsorten, der Schriftverkehr, die Wahl der Person des Grosssekretärs („Grand Secretary“) etc. 22 Diese Aussage lässt sich schwer belegen, weil das Prinzip so ubiquitär ist. Ich verweise auf Wolfgang Bauers bekannte Studie China und die Hoffnung auf Glück, in der dieses Prinzip des chinesischen Denkens ausführlich erörtert wird.



Umgang mit Zitaten 

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Umgang mit Zitaten Die Ausweisung einer solchen Identifikation erfolgte vornehmlich in Form von Zitaten. Das Zitieren früherer Autoren wird als eine Übereinstimmung mit den in diesen Zitaten zum Ausdruck gebrachten Positionen verstanden. Dies ist die methodische Grundannahme. Zitiert ein Autor einen anderen, zumeist einen Autor schon länger vergangener Zeiten, so verwendet er dessen anerkannte Autorität, um ein eigenes Argument wirken zu lassen. Diese Zitate können markiert oder unmarkiert sein, es kann parallele Formulierungen geben, die im Kontext des klassischen Wissenskanons eindeutig waren, die aber aus einer heutigen Sicht schwer einzuschätzen sind. Tatsächlich ist anzunehmen, dass es in den freundlichen wie feindlichen Kontakten zwischen konfuzianischen Gelehrten mehrere Ebenen gab, die sich dem modernen westlichen Wissenschaftler nie erschliessen werden. Die unmarkierten Zitate bilden eines der methodischen Probleme dieser Arbeit. Aufgrund der durch die elektronische Aufbereitung von Daten geschaffenen Möglichkeiten ist es kein Problem mehr, grosse Mengen von Text mechanisch auf das Vorkommen gewisser Formulierungen hin zu untersuchen. Auf diese Weise ist es möglich, eine sonst nicht zu bewältigende Menge von Texten zu durchkämmen. So sehr diese Möglichkeiten auch neue Herangehensweisen begünstigen, so sehr stellen sich dadurch auch methodische Probleme. Wie kann man wissen, ob eine textliche Übereinstimmung wirklich als Zitat gemeint war, und nicht etwa eine allgemein gängige Formulierung ist oder ein unbewusstes Zitat des Autors? Um diese Frage beantworten zu können, muss eine Hierarchisierung von Texten vorgenommen werden. In der vorliegenden Arbeit werden die in der Qing zentralen Texte des Konfuzianismus, die Vier Bücher in der Kommentierung des Zhu Xi, als Allgemeingut vorausgesetzt. Diese Texte waren allen Prüfungskandidaten seit früher Jugend bekannt und sie kannten sie weitgehend auswendig. Zudem waren ihnen die Schlüsselstellen vertraut, da sie diese als Prüfungsgegenstand abrufen können mussten. Schlüsselstellen sind solche Textpassagen, in denen der Kommentar einen Ausdruck zum Anlass nimmt, eine grundlegende Unterscheidung vorzunehmen, Begriffe zu definieren oder einen intertextuellen Bezug herzustellen. Diese Texte werden auf mögliche versteckte Zitate hin kontrolliert. Als ein Zitat wird dabei die Verwendung eines sehr seltenen Begriffs einerseits verstanden, oder eine deutlich und eindeutig zu unterscheidende Kette von Wörtern andererseits. Trotzdem bleibt die methodische Problematik der unmarkierten Zitate bestehen, und sie alleine können auch nicht zur Formulierung eines Arguments ­herangezogen werden. In den Fällen allerdings, in denen sie dieselben Bezüge nahe legen, wie dies die markierten Zitate tun, stärken sie m.E. die Funde.

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 Einführung

Im Falle Fang Dongshus müssen weit über die Texte der Vier Bücher hinausgehende Kenntnisse des Schrifttums angenommen werden. Fang kannte die zentralen Schriften der daoxue gut, das heisst die lixue-Werke Er Cheng Yishu 二程遺書 der Brüder Cheng, das Jin Si Lu 近思錄 Zhu Xis, aber auch die Werke der xinxue, also das Chuan Xi Lu 傳習錄 Wang Yangmings (王陽明 1472–1529, auch bekannt unter seinem eigentlichen Namen Wang Shouren 王守仁) und das Xiangshan Yulu 象山 語錄 des Lu Jiuyuan 陸九淵 (1139–1193). Dies lässt sich aus dem Hanxue Shangdui ersehen, aber es sollte für einen Gelehrten aus der Tongcheng-Gelehrtentradition auch vorausgesetzt werden. Darüber hinaus wird er einen erheblichen Teil des klassischen Bildungskanons gekannt haben: Fang war in hohem Masse vertraut mit den philosophischen Werken der Antike, selbst wenn es sich dabei nicht um konfuzianische Schriften handelte, also mit den daoistischen Werken Daode Jing 道德經 und dem Zhuangzi 莊子, aber auch mit Hanfeizi 韓非子 und Mozi 墨子. Zu diesem Kanon zählen auch die frühen Geschichtswerke Shiji 史記, Houhan Shu 後漢書 und Han Shu 漢書, und natürlich die antiken Geschichtssammlungen Guoyu 國語 und Zhanguo Ce 戰國策. Von den Werken jüngeren Datums kannte er das Zizhi Tongjian 資治通鑑 und die klassische Literatur, also die guwen-Literatur der Dynastien Tang und Song und als Autor einer Literaturkritik der Poesie einen grossen Teil der shi- und ci-Literatur.23 Es ist allerdings kaum möglich, einzuschätzen, ob er diese Werke einfach irgendwann in seinem Leben gelesen hat, oder ob er so vertraut mit ihnen war, dass er über zentrale Leitsätze hinausgehende Passagen auswendig in seine Texte hätte einfliessen lassen können. Durch das gesamte Werk Hanxue Shangdui hindurch gibt es eine grosse Zahl von unkorrekten Zitaten. Aufgrund der Tatsache, dass Fang in der Tradition der Literaten aus dem Gedächtnis zitiert hat, ergab sich eine hohe Anfälligkeit für Fehler, in denen entweder in Bezug auf die Aussage weniger wichtige Wörter ausgelassen werden, oder in denen Wörter mit einem falschen Schriftzeichens geschrieben wurden. Fang Dongshu zitierte beispielsweise die Passage „wu shang xu jian 無尚虛見“ aus Lu Jiuyuans Xiangshan Yulu mit folgenden Schriftzeichen: 無上虛見. In derselben Passage des Textes anstelle von bi yao qiu 必要求 steht lediglich bi qiu 必求. Mit solchen Fällen wurde stets gleich verfahren: Wenn die Originalstelle auszumachen war, wurden Unterschiede ausgewiesen, aber in jedem Fall wurde der Text des Hanxue Shangdui als Grundlage für die ­Übersetzung

23 All die genannten Werke und Gattungen sind auch in der Westlichen Forschungsliteratur wohl bekannt und gut eingeführt und ich verweise daher nur allgemein auf die Werke, ohne konkrete Ausgaben zu bezeichnen. Für die alten Werke vgl. das von Michael Loewe editierte Early Chinese Texts: a Bibliographic Guide von 1993, William Nienhausers Kompilation Indiana Companion to Traditional Chinese Literature von 1986 und A Guide To Chinese Literature von Haft und Idema aus dem Jahr 1997.



Die Moderne 

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genommen, da es im einzelnen ja nicht auszumachen ist, ob es sich um ein versehentliches oder ein bewusst falsches Zitat handelt. Gleichzeitig wurde in diesen Fällen stets davon ausgegangen, dass es sich um ein Zitat handelt, und nicht bloss um eine zufällige Koinzidenz.

Die Moderne Im Verlauf dieser Arbeit wird der Begriff der „Moderne“ verwendet. Der Begriff ist in der Forschungsliteratur allgemein geläufig im Zusammenhang mit der Qingzeit anzutreffen, die zu Recht als diejenige Periode der chinesischen Geschichte angesehen wird, in welcher der Wandel zur Moderne vollzogen wurde. Es besteht allerdings Uneinigkeit darüber, wann dieser Wandel vollzogen wurde, aber dass er zwischen 1644 und 1911 – sogar 1949 – stattfand, ist weit verbreiteter Konsens.24 Im Zusammenhang mit der eingangs angesprochenen Frage, wann der Übergang vom traditionellen zum modernen Denken stattgefunden hat, gibt es natürlich Teildiskussionen, da der Begriff der Moderne ja in unterschiedlichen Zweigen der Wissenschaft unterschiedlich aufgefasst wurde und wird.25 In der Literaturwissenschaft wird der Anfangspunkt anders definiert als in der Politik oder in den Wirtschaftswissenschaften. In der Erforschung der chinesischen Philosophie wird er wieder anders angesetzt als in derjenigen der chinesischen Religionen. Zudem gibt es – vornehmlich in der amerikanischen Forschungsliteratur – neben der „Moderne“ auch noch Begriffe wie „spät kaiserzeitlich“ („late imperial“), oder eine Periodisierung in „early modern“ und „late modern“ die mitunter auch zur Anwendung gelangt. Das qingzeitlichen China ist zu einem bestimmten Zeitpunkt dann in einer Darstellung noch „late imperial“ und in einer

24 Für eine Übersicht zur Frage der Moderne in China vgl. den Sammelband The Qing Formation in World-Historical Time, editiert von Lynn Struve. Für die politische Moderne vgl. Origins of the Modern Chinese State von Philip Kuhn. Ebenfalls in diesen Bereich fällt die bekannte Einführung The Search for Modern China von Jonathan Spence. Für die Moderne in der Literatur vgl. die entsprechenden Aufsätze im Sammelband Tradition und Moderne: Religion, Philosophie und Literatur in China: Referate der 7. Jahrestagung 1996 der Deutschen Vereinigung für Chinastudien (DVCS) von 1996. Vgl. zudem Global Space and the Nationalist Discourse of Modernity: The Historical Thinking of Liang Qichao von Tang Xiaobing sowie die bereits etwas ältere Studie The Modernization of China von Gilbert Rozman aus dem Jahr 1981. 25 Benjamin Elmans Monographie von 2005 On Their Own Terms bietet einen detailreichen Überblick über den Kontakt der chinesischen Gelehrten mit den wissenschaftlichen Disziplinen des Westens. Obwohl dies keine Diskussion der Moderne ist, werden darin die Veränderungen deutlich gemacht, die sich der chinesischen Astronomie, Geographie, Mathematik, Medizin etc. durch den Kontakt mit dem Westen, namentlich den jesuitischen Gelehrten, aufdrängten.

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 Einführung

anderen bereits „early modern“. Dann gibt es noch weitere Differenzierungen, die nach Meinung des Autoren der vorliegenden Studie irgendwann keine analytische Aussagekraft mehr haben. So kommt Jack Goldstone in einem jüngeren ­Sammelband zum Thema zum Schluss: „The Qing was thus neither early modern, if by that one means laying the foundations for modern economic growth, nor simply late imperial. It was late premodern, but in the best, most advanced sense of the term.“ (Goldstone in Struve 2004, 291). Ich möchte hier darlegen, was im Rahmen dieser Studie unter „Moderne“ verstanden wird. Da es meine Überzeugung ist, dass Fang Dongshu nichts „Modernes“ in seinem Denken hatte, ist es wichtig, Rechenschaft über mein Verständnis dieses Begriffes abzulegen, denn nur so ist die Einschätzung des Hanxue Shangdui als ein noch nicht modernes Werk sinnvoll: Das Verständnis von Moderne im europäischen Kontext hängt jeweils sehr stark von der Beziehung der Menschen zur Religion ab. So beinhalten die meisten Auffassungen die Veränderung einer Weltsicht, in welcher der Mensch „zum Mass aller Dinge wird, weil die Rechtfertigung nicht mehr von einem Gott oder einer gottähnlichen Regierung, sondern vom Menschen ausgeht“ (Nünning 2001, 448–449). In China kann diese Grundlage nicht gelten. Zwar existierte die Rechtfertigung der Herrschaft in Form des Konstrukts des „Mandats des Himmels“, welches dem Kaiserhaus eine quasireligiöse Rechtfertigung verlieh. Gleichzeitig beinhaltete das „Mandat“ immer auch seine Endlichkeit, weil sein Entzug ebenso eine Konstante des Konstrukts war wie zuvor seine Verleihung, bzw. Erringung. Zudem machte das Mandat des Himmels den chinesischen Kaiser nicht zu einer Gottesfigur, sondern nur zum Repräsentanten des Himmels auf der Welt (ohne „Stellvertreter auf Erden“ zu sein). Der Kaiser selbst war keine Gottheit, sondern er blieb fehlbarer Mensch. Es muss also eine andere Möglichkeit gefunden werden, die Moderne in China zu fassen. Es ist eine grundlegende Qualität der Moderne, dass sich das Selbstverständnis dieser Epoche deutlich und grundsätzlich von dem der Vorgängerzeit unterscheidet. Das Selbstverständnis wird jetzt überhaupt erst als ein solches wahrgenommen, und damit kommt es zu einer stärker distanzierten Reflexion dieser Vergangenheit. Diese Unterscheidung nimmt im Übergang von der Vormoderne zur Moderne die spezielle Qualität an, dass sich das Selbstverständnis wandelt von dem, ein Teil einer Tradition zu sein, hin zu demjenigen, dass man ein Erbe dieser Tradition antritt. In einer modernen Gesellschaft ist die Tradition zwar ein hochgehaltenes Gut, aber sie ist gleichzeitig auch eine abgeschlossene Entwicklung, die keine direkte Relevanz mehr für die jeweilige Gegenwart hat. Im Zusammenhang mit der Entwicklung des Konfuzianismus’ ist der Bruch von der Tradition zur Moderne daher dort anzusetzen, wo der Konfuzianismus ­ ebenswirklichkeit aufhört, den Nimbus einer aktuellen Lehre zu haben, die für die L sinnstiftende Impulse geben kann. Vielmehr wird er als das Produkt einer



Die Moderne 

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­ bgeschlossenen Entwicklung betrachtet, deren Bedeutung für das neue Zeitala ter höchstens noch historisch interessant scheint. Was immer es ist, das dem Historisierungsprozess unterworfen und von der Warte der Moderne aus betrachtet wird – wie hier der Konfuzianismus – das Objekt solcher Betrachtung erscheint aus der Sicht der Moderne, wie es Max Weber nannte, „entzaubert“. Diese Entzauberung beinhaltet auch, dass Konzepte ihre natürliche und nicht hinterfragte Glaubwürdigkeit einbüssen, dass sie in der modernen Zeit wieder neu operationalisiert werden müssen. In dem Sinn ist der Konfuzianismus seit Beginn der so definierten Moderne zwar noch lebendig, aber seine Bedeutung und seine Möglichkeiten müssen erst wieder neu gefunden, auf die aktuelle Situation angepasst, sowie in den Köpfen der Menschen verankert werden. So versuchen die sog. Neu-Konfuzianer des zwanzigsten Jahrhunderts (xin ruxue 新儒學), den Konfuzianismus als eine moderne Weltethik zu aktualisieren, indem sie passende Charakteristika dieser Lehre definieren und propagieren. Zur Zeit Fang Dongshus war das vollkommen anders: Der Konfuzianismus war ein etabliertes und in der Gesellschaft verankertes Mittel zur Hierarchisierung der Gesellschaft sowie zum sozialen Aufstieg. Die Lehre des Konfuzianismus offerierte ein vollkommenes philosophisches Weltbild mit einer Erkenntnistheorie, einer politischen Theorie und einer gesellschaftlichen Morallehre, die sich seit Jahrhunderten bewährt hatte, und diese Lehren wurden als Wahrheiten betrachtet. Es ist eines der Probleme dieser Arbeit, dass eine lückenlose Chronologie zwischen Fang Dongshu und den folgenden Konfuzianern nicht erstellt werden kann, weil es eigentlich keine Berichte über die Rezeption des Hanxue Shangdui gibt.26 Kurz nach dessen Veröffentlichung folgte der Opiumkrieg in Südchina, dann die Zeit der Kämpfe im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg um das Taiping-Reich. Als China danach erstmals wieder zu Atem kam, war die Streitschrift Fang Dongshus bereits überholt. Die Diskussion um die wahre Natur der Rechten Ordnung der Dinge oder um die Frage, ob der Mensch den Empfindungen seines Herzens ungezügelt nachgeben sollte, oder ob er vielmehr versuchen sollte, diese zu unterdrücken und entgegen seinem Herzen zu handeln, solche Fragen schienen losgelöst von der politischen und gesellschaftlichen Realität der letzten Jahre der Kaiserzeit. Daher argumentieren die Konfuzianer nach den genannten Ereignissen anders als die Theoretiker der 1750 bis 1820er Jahre. Autoren wie Gong Zizhen, Kang Youwei 康有為 (1858–1927) und in gewissem Masse auch Wei Yuan

26 De Bary erwähnt in seinem Artikel zu Fang Dongshu immerhin, wie Liang Qichao und Hu Shi auf den Text reagiert hätten, über qingzeitliche Reaktionen schreibt aber auch er nichts (De Bary 1991, 75).

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 Einführung

demonstrieren in ihren Arbeiten, dass sie einen neuen Weg suchten, die Lehre wieder zu beleben. In der Zwischenzeit, also in den dreissiger und frühen vierziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ereignete sich innerhalb des Konfuzianismus dieser Wandel von der lebendigen Tradition zum Forschungsobjekt, zu etwas aus einer früheren Zeit. Die Problematik, auf die der klassische Neokonfuzianismus von Cheng Yi bis Dai Zhen zu antworten versucht hatte, stellte sich nicht mehr. Die politische Realität, d.h. die Binnensituation in China ebenso wie die Kanonenboote der Westmächte haben den Konfuzianismus „entzaubert“ und damit die Konfuzianer in die Moderne befördert. Der Begriff der „Moderne“ wird in der vorliegenden Studie in diesem Sinn verwendet: Als Verlust der eigentlichen Tradition und Beginn der Reflektion und Rezeption dieser Tradition. Und es ist meine aus der Lektüre gewonnene Überzeugung, dass das Werk Hanxue Shangdui unmittelbar an der Schwelle zu dieser Moderne steht, ohne diese freilich zu überschreiten. Denn das Werk Fangs lässt sehr distinkt nichts erkennen von dieser als „modern“ beschriebenen Haltung.

Schulen und Begriffe Neben den oben diskutierten Begriffen der „Tradition“ und der „Moderne“ gibt es im Zusammenhang mit qingzeitlicher Gelehrsamkeit auch die Problematik des Schulbegriffs und des Begriffs des „Konfuzianismus.“27 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der Ausdruck „Konfuzianismus“ verwendet, um die Lehraussagen der konfuzianischen Gelehrten zu bezeichnen. Entsprechend unterscheide ich zwischen dem antiken Konfuzianismus, was in erster Linie die Lehren des Konfuzius und des Menzius meint, aber auch die Lehren Xun Kuangs荀況 ­(~310–238), des Autoren des Buches Xunzi 荀子, beinhaltet. Eine spätere Phase ist der „daoxue-Konfuzianismus“, der auch als „songzeitlicher Konfuzianismus“ oder eben „Neokonfuzianismus“ bezeichnet wird. Dieser beinhaltet die Lehren Cheng Yis, dessen Bruder Cheng Hao 程顥 (1032–1085) und Zhu Xis ebenso wie diejenige der weiteren bekannten Autoren Zhou Dunyi 周敦頤 (1017–1073), Zhang Zai 張載 (1020–1077) und Shao Yong 邵雍 (1011–1077), obschon dessen stark an der Yi Jing-Exegese ausgerichtete Lehre im Rahmen der vorliegenden Arbeit keine

27 Der Begriff der „Schule“ wird in der Einleitung zu Benjamin Elmans Artikel „Ch’ing dynasty ‚schools‘ of scholarship“ aus dem Jahr 1981 diskutiert und ich verweise auf diesen Text, sowie auf den Abschnitt zur Tongcheng-Schule in der vorliegenden Arbeit, in dem erneut der Schulbegriff erörtert wird. Zum Begriff des „Konfuzianismus“ verweise ich auf die unten erwähnte Monographie von Lionel Jensen aus dem Jahr 1997.



Schulen und Begriffe 

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­ esentliche Rolle spielt. Als „songzeitlicher Konfuzianismus“ wird aber auch die w auf Lu Jiuyuan zurückgehende xinxue-Lehre bezeichnet, so sich denn der Kontext um die gemeinsamen Standpunkte dreht. Die Problematik einer fehlenden „Schule“ ebenso wie einer einheitlichen Ideologie, welche die Endsilbe „-ismus“ rechtfertigen würde, ist mir dabei durchaus bewusst. Ebenso die Tatsache, dass es nie einen Kongzi Zhuyi 孔子主義 gab oder auch nur die Berufung auf Konfuzius in der Selbstbezeichnung der Anhänger dieser bereits von ihm selbst als ru 儒 bezeichneten Lebenshaltung. In den vergangenen Jahren wurde vieles zur Verdeutlichung dieser Situation geschrieben, und speziell Lionel Jensens Werk Manufacturing Confucianism hat viel beigetragen zum Verständnis des Entstehungsprozesses eines „Konfuzianismus“, und er hat vor allem deutlich auf die zweifache Erwartung der Jesuiten und später der Protagonisten des „Vierten Mai“ hingewiesen, in China eine solche einheitliche „Ideologie“ auszumachen. Trotz dieses Bewusstseins, dass die konfuzianische Lehre mehr ein Substrat von Lehren bildete, die in der Vermittlungstradition einer Schule unterschiedlichen Gewichtungen unterlagen, wird der Ausdruck hier verwendet. Zum einen, weil er im Westen gut eingeführt ist, zum anderen, weil trotz der genannten Bedenken die Verneinung einer einheitlichen Basis an Sachwissen und Textkenntnis, eines Konsens gegenüber grundsätzlichen Konzepten als mindestens ebenso unkorrekt erscheinen müsste. Eine solche gab es über Begriffe wie dem menschlichen Herzen xin 心 oder dem qi 氣 als Grundlage sämtlicher Materie auf der einen, aber auch der Notwendigkeit von Bruderliebe di 弟 und Kindespietät xiao 孝 auf der anderen Seite. Das Konzept eines einheitlichen Konfuzianismus mag zwar nicht über den Verlauf der chinesischen Geschichte zutreffen, aber in Phasen, speziell gegen Ende der Kaiserzeit, gab es immer wieder einheitliche Auffassungen der Lehraussagen des Konfuzius und ihrer Rezeption, die den Ausdruck „Konfuzianismus“ ebenso rechtfertigen, wie man vom „Christentum“ spricht, und damit Orthodoxe, Römisch-Katholische und Evangelische Gläubige ebenso meint wie Nestorianer des vierten Jahrhunderts oder freikirchliche Gruppen in der Jetztzeit. Schliesslich zum bis hierhin verwendeten Terminus „Neokonfuzianismus“: Dieser ist speziell für die vorliegende Untersuchung analytisch ungenügend. Alle konfuzianischen Schulen seit der Songzeit waren in gewissem Sinne „neokonfuzianisch“, da sie sich auf die eine oder andere Weise mit der damals erfolgten Erweiterung konfuzianischer Philosophie auseinandersetzen mussten. Diese Erweiterungen erneuterten den antiken Konfuzianismus von einer sozialtheoretischen politisch-gesellschaftlichen Lehre zu einer gesamtgesellschaftlichen Moraltheorie, die auch Aussagen über Epistemologie oder Metaphysik ­beinhaltete. Die Lehre wurde über die Vernunft hinaus naturgesetzlich im Kosmos begründet,

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 Einführung

wobei dem Menschen ein hohes Mass an Eigenverantwortung bei der Umsetzung seines Potentials zugesprochen wurde. Der Neokonfuzianismus war also tatsächlich eine Erneuerung der „Wurzeln“ wie der „Zweige“ dessen, was die Rezeption dieser Lehren des Konfuzius und der teilweise noch älteren kanonischen Werke, der Fünf Klassiker, bis zur Songzeit daraus gemacht hat.28 Die darin zwangsläufig beinhalteten neuen Kategorien der Erklärung brachten eine neue Begrifflichkeit und eine neue Beziehung der Begriffe untereinander hervor, denen auch die Gegner nicht entkamen. Der konfuzianische Diskurs hatte sich grundlegend verändert, und es war nicht möglich, vor diese Veränderung zurückzugehen, denn dadurch hätten auch alle neuen Kategorien des Denkens wieder zum Verschwinden gebracht werden müssen. Auch die Kritiker und Gegner waren daher gezwungen, sich mit dieser neuen Begrifflichkeit auseinanderzusetzen. Sowohl Wang Yangming in der Ming als auch Dai Zhen in der Qing differierten in ihren Aussagen stark von den Lehren ihrer songzeitlichen Vorgänger, und beide kritisierten grundsätzliche Konzepte des songzeitlichen Neokonfuzianismus. Gleichzeitig waren sie gezwungen, Begriffe wie „die Rechte Ordnung“ li 理 oder „das Herz“ des Menschen xin 心 oder „die Begierde“ yu 欲 neu zu interpretieren. Daher stimme ich mit Yu Yingshi überein in der Überzeugung, dass die ganzen konfuzianischen Theoretiker dem Neokonfuzianismus zuzuordnen seien. Statt „Neokonfuzianismus“ werden von hier an allerdings chinesische Ausdrücke zur Unterscheidung der verschiedenen Schulen verwendet, wobei ich mich bemühe, nur Selbstbezeichnungen zu verwenden, da Fremdbezeichnungen oftmals etwas Negatives in sich tragen. Als Beispiel hierfür mag der in der Literatur weit verbreitete Ausdruck songxue 宋學 dienen, der von den Vertretern der gegnerischen hanxue 漢學 zur Bezeichnung ihrer Widersacher verwendet wird, der aber von Anhängern des songzeitlichen Neokonfuzianismus wie Fang

28 „Wurzeln“ und „Zweige“ sind gängige und oft verwendete chinesische Metaphern für „Grundlagen“ und „Ausdrucksformen“ einer Lehre. Die Rezeption des Konfuzianismus bis zur Songzeit lässt sich natürlich nicht in einer Fussnote behandeln, und es ergibt auch wenig Sinn, hier allgemeine Einführungen in die chinesische Philosophie im Allgemeinen und den Konfuzianismus im Besonderen anzugeben. Somit muss es hier genügen, darauf hinzuweisen, dass es seit der Westlichen Hanzeit eine intensive Beschäftigung mit den Texten der Fünf Klassiker gegeben hat, zu denen in weiteren Kanonisierungsschritten bis zur Tangzeit weitere Werke wie Kommentare hinzugerechnet wurden. Während der Tangzeit wurden offiziell sanktionierte sog. „Kommentare der korrekten Bedeutung“ (zhengyiKommentare 正義) verfasst. Auch blickte die Glossematik der Tangzeit auf eine reiche Tradition seit der Hanzeit zurück, und über das Textverständnis grosser Teile des kanonischen Schrifttums herrschte Konsens. Der Versuch eines neuen Verständnisses der Klassiker in der Songzeit musste sich zwangsläufig mit diesen Rezeptionstraditionen auseinandersetzen.



Feststellung des Forschungsstands? 

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Dongshu nicht verwendet wird (ausser an einer Stelle in der sechzehnten Kontroverse (Fang Dongshu 1998, 293–296).29 Um solche nomenklatorischen Verwirrungen möglichst zu vermeiden, verwende ich die folgenden Ausdrücke: Das auf den songzeitliche Neokonfuzianismus zurückgehende neue Verständnis wird generell als daoxue 道學 bezeichnet. Die in der Literatur auch anzutreffende Bezeichnung lixue wird nur verwendet, um diese auf Cheng Yi und Zhu Xi zurückgehende Lesart gegenüber derjenigen Lu Jiuyuans und Wang Yangmings abzugrenzen. Diese wiederum trägt seit der Songzeit die Bezeichnung xinxue 心學, der Aufstieg dieser Schule zur dominanten Lesart des Konfuzianismus in der Mingzeit ist ursächlich verbunden mit der Person und den Schriften Wang Yangmings. Die xinxue war also eine wieder aufgenommene Form der songzeitlichen daoxue, die an deren Ausformung als lixue Kritik übte. Die beiden Ausdrücke lixue und xinxue bezeichnen also eigentlich unterschiedliche Flügel der daoxue. Die Ausrichtung der textkritischen Schulen der Qingzeit wird als kaozhengxue 考證學 bezeichnet, und nur die gegen die daoxue gerichtete Schule der textkritischen Richtung wird hanxue genannt. Für weitere terminologische Unterscheidungen und eine ausführlichere Diskussion von Begriffen wie shixue 實學, qingxue 清學 oder puxue 樸學 vgl. meinen Aufsatz aus dem Jahr 2001.

Feststellung des Forschungsstands? Eine der grundlegenden und selbstverständlichen Leistungen jeder Forschungsarbeit ist gemäss wissenschaftlichem Usus die Erschliessung des Forschungstandes. Diese erfolgt in der Regel in der Einleitung und erst der Forschungsstand erlaubt es, Ziele und Leistungen einer Arbeit richtig einzuschätzen, denn der Forschungsstand bietet einen Kontext, in den die Arbeit selbst dann eingefügt wird. Trotzdem wird in der vorliegenden Arbeit dieser Kontext nicht umfassend aufgearbeitet. Die folgende Darstellung soll diesen Umstand erklären. Es gibt im Zusammenhang mit dem Forschungsstand drei Probleme, aufgrund derer von einer Auflistung der Vorleistungen abgesehen wurde. Das erste ist die Verzahnung der Forschungsthemen, die eine Abgrenzung der ideenoder philosophiegeschichtlichen Anstrengungen gegenüber historischen oder

29 Manche Titel von Forschungsarbeiten verwenden die Bezeichnung „Sung learning“ völlig unproblematisiert, etwa Kai-wing Chow in seinem ausgezeichneten Artikel „The Development of Sung Learning in Ch’ing Thought“ von 1995 und Benjamin Elman in seinem „The relevance of Sung learning in the late Ch’ing“ von 1988.

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 Einführung

­esellschaftlichen willkürlich erscheinen lässt. Andererseits — und das die g zweite Problematik — ist die Zahl der historischen Forschungsarbeiten zur Qing insbesondere der amerikanischen Forschung so zahlreich, dass eine wie auch immer konzise Behandlung des gesamten Forschungsstandes bereits eine schier endlose Auflistung von Texten darstellte. Drittens ist methodische Grundlage der vorliegenden Arbeit zu nennen, die schliesslich versucht, unter Umgehung der etablierten Rezeption ein anderes und umfassenderes Verständnis der qingzeitlichen Gelehrsamkeit und ihrer Protagonisten zu erlangen. Die Aussagen zeitgenössischer Autoren ermöglichen Rückschlüsse auf den Diskurs, weniger auf dessen Rezeption. Aus diesen Gründen erscheint es wenig sinnvoll, den Forschungsstand global abzuhandeln. Hingegen hat sich bei der Bearbeitung von Fangs Werk gezeigt, dass es nicht genügt, die qingzeitliche Klassikerforschung als Teil der konfuzianischen Schriftgelehrsamkeit zu sehen. Vielmehr waren die Schriftgelehrten als Subsystem der Gesellschaft und als gebildete Elite des Landes ursächlich mit sehr vielen Bereichen des täglichen Lebens verknüpft. Bei der Erarbeitung des Forschungsstandes muss also berücksichtigt werden, dass die Gelehrtenschicht im Gesellschaftsgefüge des kaiserzeitlichen China eine zentrale Stellung einnahm. Die Gelehrten waren wichtige Akteure in den Bereichen Politik, Erziehung und Literatur, woraus sich weitere Teile des „epistemologischen Felds“ ergeben, die auch das Wirtschaftsleben wie das Druckwesen, den Salzhandel oder das Prüfungswesen tangieren können. Hinzu kommt, dass diese angesprochenen Bereiche des Lebens für Gelehrte in allen Schichten wichtig waren, also vom Minister am Kaiserhof bis zum Dorfschullehrer in der Provinz, dass es also nicht nur thematisch eine grosse Vielfalt gab, sondern dass diese auch sämtliche Schichten der Gesellschaft anging. Die konfuzianischen Schriftgelehrten waren also die zentralen Figuren des gesellschaftlichen Lebens während der Qing. Eine umfassende Erarbeitung des Forschungsstandes hätte daher der Forschung zu all diesen genannten Bereichen in gewissem Sinn Rechnung tragen müssen. Weil die qingzeitliche Elite in praktisch alle Bereiche des Lebens hineinreichte, würde eine Erarbeitung des Forschungsstandes bedeuten, dass die Erforschung der Qingzeit insgesamt rekapituliert würde, was sich aufgrund der riesigen Menge an Forschungsleistungen der vergangenen einhundert Jahre von einer einzelnen Person und im Rahmen einer einzelnen Studie nicht sinnvoll leisten lässt. Nun wäre es wohl möglich gewesen, den Forschungsstand nur auf die Kernthemen wie die konfuzianische Klassikergelehrsamkeit zu konzentrieren, aber dies wiederspricht der Absicht, die Lehre in ihrem diskursiven Umfeld zu verstehen. Es kommt aber noch als weiterer bedenkenswerter Umstand hinzu, dass die vorliegende Arbeit die Ergebnisse der bisherigen Erforschung der ­qingzeitlichen Gelehrsamkeit kritisch hinterfragt. Wie im Abschnitt zur ­Rezeption



Feststellung des Forschungsstands? 

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in dieser Einführung angedeutet, geht diese Studie davon aus, dass es in der Rezeption der Gelehrsamkeit eine Voreingenommenheit zugunsten der text- und daoxue-kritischen Schulen gab und dass diese sich bis heute fortgesetzt hat. Aus diesem Grund sah ich wenig Sinn darin, die Forschungsanstrengungen detailliert aufzulisten, nur um die weitere Arbeit hindurch diese unberücksichtigt zu lassen. Stattdessen wurde für diese Studie ein anderer Weg gewählt, in dem an verschiedenen Stellen der Forschungsstand zu gewissen Themen rekapituliert wird, etwa zu Fang Dongshus Gelehrtenschule aus Tongcheng und zur Auseinandersetzung zwischen Fang Dongshu und Dai Zhen. Im ersten Fall werden die differierenden Ansichten zur Frage wiedergegeben, ob es eine solche Schule überhaupt gab, und im zweiten Fall wird die Stellung der Person Dai Zhens bei verschiedenen Autoren der Qing und Republikzeit zusammengefasst, denn diese Forschungsergebnisse sind relevant für die eigene Argumentation. Es gibt also nicht eine zentrale Darstellung des Forschungsstandes, sondern nur zu partikularen Themen. Darüber hinaus den Forschungsstand gegenüber der qingzeitlichen Gesellschaft im Allgemeinen oder der Situation der Gelehrten im speziellen aufzuarbeiten, erschien mir als pure Fleissleistung, die nur der Form genügt hätte, analytisch aber nichts zum Verständnis der Argumentation der vorliegenden Arbeit beigetragen hätte.

Konfuzianische Geistesgeschichte der ­Qingzeit und ihre Rezeption Die Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption sind eng verflochten, und deshalb stellt der Versuch, diese Rezeption zu hinterfragen, ein schwieriges Unterfangen dar. Dies lässt sich gut an dieser Arbeit illustrieren: Nach Meinung des Autors der vorliegenden Arbeit wird dem Gelehrten Dai Zhen 戴震 (1723–1777) eine Rolle zugewiesen, die seiner Bedeutung für die qingzeitliche Philosophie nicht entsprach. Dai Zhen wird, wie noch zu zeigen sein wird, seit dem Ende der Qingzeit als der herausragende Theoretiker und Philosoph des qingzeitlichen Konfuzianismus betrachtet. Die Analyse des qingzeitlichen Textes Hanxue Shangdui legt aber ein anderes Verständnis nahe, wonach Dai Zhen zwar versuchte, die konfuzianische Philosophie weiter zu entwickeln, er dies aber auf eine Weise versuchte, die bei seinen Freunden und Weggefährten freundliche Nichtbeachtung hervorrief, bei seinen Gegnern wie Fang Dongshu oder Zhang Xuecheng aber massive Kritik. Gleichzeitig wertete Fang Dongshu Dai als Philosoph auf, indem er ihn kritisierte. Dai Zhen selbst war als Philosoph, als konfuzianischer Theoretiker, in der Qing selbst nicht erfolgreich. Sein Einfluss gründet auf seinen mathematischen Fähigkeiten, seinen Beziehungen und seinen textkritischen Arbeiten wie der Rekonstruktion eines alten Kommentars. Sein Ruf als herausragender Denker geht darauf zurück, dass Autoren der Republikzeit, vor allem Hu Shi 胡適 (1891– 1962), in Dai Zhens Kritik an der konfuzianischen Orthodoxie der lixue einen Vorläufer ihrer eigenen Kritik erkannten. Trotz der Tatsache, dass Dai Zhen in der Qing selbst als Theoretiker der konfuzianischen Lehre zunächst gar keinen grossen Einfluss hatte, wird ihm in der vorliegenden Arbeit ein herausragender Platz eingeräumt, indem nur die gegen ihn gerichteten Kontroversen Fang Dongshus übersetzt werden. Damit trägt die Arbeit dazu bei, dass Dai Zhen als Philosoph der Qingzeit rezipiert wird, obwohl dies gar nicht seine in den Texten der Zeit nahegelegte Bedeutung ist. In der vorliegenden Studie soll deshalb zunächst der historische Hindergrund erwähnt werden, ehe dann auf die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit im Allgemeinen und die Wahrnehmung Dai Zhens im Besonderen eingegangen wird. Dabei muss ich mangels anderer Quellen natürlich auch immer wieder auf die Darstellungen der Entwicklung des qingzeitlichen Denkens zurückgreifen, die ich gleichzeitig kritisiere.



Gesellschaftlicher Hintergrund 

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Gesellschaftlicher Hintergrund Die Bemühungen Fang Dongshus sind nur vor dem Hintergrund der intellektuellen Geschichte des Konfuzianismus der Qingzeit zu verstehen. Selbstverständlich existieren ausgezeichnete Einführungen und Monographien und eine schier unüberschaubare Zahl von Zeitschriftenartikeln zu diesem Thema. Gleichwohl soll hier ein kleiner Abriss der Geistesgeschichte gegeben werden. Die Gründe für das erneute Festhalten dieser vielleicht zunächst redundant erscheinenden Ausführungen ist, dass das hauptsächliche Augenmerk der bisherigen Betrachtung qingzeitlicher Geistesgeschichte auf der Entwicklung der scheinbar neuen textkritischen Schulrichtungen des Konfuzianismus lag. Die Entwicklung der als kaozhengxue und hanxue bekannt gewordenen Schulen innerhalb des Konfuzianismus stand für grosse Teile des 20. Jahrhunderts im Zentrum der sinologischen Aufmerksamkeit. Die Konzentration auf die Motivationen und Leistungen dieser Schulen und ihrer Themen sowohl in der chinesischen wie der abendländischen Forschung hat dazu geführt, dass diesen Schulen eine m.E. überproportionale Aufmerksamkeit zuteil wurde, gemessen an ihrem tatsächlichen Einfluss auf die Entwicklung der Lehre in der Zeit selbst, von ihrem gesamtgesellschaftlichen Einfluss ganz zu schweigen. Diese Aufmerksamkeit entsprach sicher dem allgemeinen Forschungsinteresse gegenüber der Modernität des Denkens, der gesellschaftlichen Bedeutung dieser Schulen im Gesamtkontext des chinesischen ­Konfuzianismus aber war sie nicht angemessen. Die chinesische Gesellschaft der Qingzeit war in starkem Masse und in vielerlei Hinsicht vom Konfuzianismus durchdrungen. Es gab drei Säulen, auf denen die Bedeutung des Konfuzianismus gründete: Die rituelle und institutionelle Unterstützung der Lehre durch den Kaiserhof, ihre Rolle im Erziehungssystem und der Komplex der Beamtenprüfungen mit den daraus resultierenden persönlichen Beziehungen zwischen Prüflingen und Prüfungsexperten, bzw. später zwischen Beamten, die sich auch in Kompilationsprojekten und der Protegierung jüngerer Gelehrter zeigte.1 Die erste Säule war die Unterstützung und Befürwortung, die der Konfuzianismus von Seiten des Kaiserhofes erfuhr. Diese äusserte sich in Form von Opfern, die etwa Prüfungskandidaten vor einer Prüfung brachten, aber auch in der Verbotenen Stadt gab es einen Konfuziustempel, in dem der Kaiser selbst dem

1 Kai-wing Chow benennt in seinem Aufsatz von 1995 vier andere Faktoren: „In brief, in the second half of the seventeenth century the Ch’eng-Chu learning was riding on the crest of four powerful intellectual currents – anti-Manchu sentiment, Confucian puritanism, Classicism, and ritualism.“ (Chow 1995, 53–61, für das Zitat vgl. S. 61).

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der ­Qingzeit und ihre Rezeption

„Lehrer von Zehntausend Generationen“ seinen Respekt erwies.2 Neben dem rituellen Aspekt war der Staat selbst auf eine verstärkte Interaktion der gelehrten Gesellschaftsschichten und der kaiserlichen Verwaltung gegründet, der insbesondere die lokalen Eliten in den ländlichen Gebieten miteinbezog. Kai-wing Chow bezeichnet diese Interaktion als einen grundlegenden Schlüssel zur Stabilität der Qingdynastie, der als Reaktion auf die politischen Verhältnisse gegen Ende der vorangegangenen Mingdynastie von Anbeginn Teil dieser neuerlichen Fremdherrschaft über China war.3 Als zweite Säule gilt hier das Erziehungssystem, dessen inhaltliche ­Grundlage der Konfuzianismus bildete. Angefangen mit Kinderfibeln wie dem „Drei-Zeichen Klassiker“ San Zi Jing 三字經 gründete die Erziehung junger Chinesen – und vereinzelt auch diejenige von Chinesinnen – auf der Lektüre der Klassiker des Neokonfuzianismus, also der Vier Bücher und später der Fünf Klassiker, jeweils mit der Kommentierung in der Redaktion Zhu Xis. Da diese Werke die Grundlage für wichtige Teile der Prüfungsfragen der Beamtenprüfungen darstellten, waren sie das Zentrum der Ausbildung, die damit konfuzianisch dominiert war.4 Im Zusammenhang mit der Erziehung zukünftiger ­Generationen von Gelehrten-Beamten fiel den Akademien eine spezielle Bedeutung zu: Während zu Beginn der Qingzeit Akademien wie auch gelehrte Zirkel

2 Zur Frage der Ritualität in der Qingzeit vgl. den ausgezeichneten Aufsatz „Ritual in Ch’ing Culture“ von Richard J. Smith in Orthodoxy in Late Imperial China von 1990. Da die Herrscher der Qing in Bezug auf die Ritualität eine präzise Reproduktion der mingzeitlichen Riten anstrebten, vgl. auch Romeyn Taylors „Official and Popular Religion and the Political Organization of Chinese Society in the Ming“ aus demselben Band und Kai-wing Chows Monographie The Rise of Confucian Ritualism in Late Imperial China von 1994. 3 Chow: „The Manchu regime provided the Chinese gentry with the stability and authority needed to carry out their agenda for political reform, which included tax registration and collection, elimination of abuses of gentry privileges and the eunuchs’ encroachment on the bureaucracy, and bureaucratic control of education and recruitment of officials. These political reforms, however, were not conceived solely as a means of restoring the Ming imperial system. As responses to the dire problems besetting Chinese society in the late Ming, they were essential to the creation of a social order that depended less on the imperial government for the maintenance of order at the local level. The Ch’ing dynasty was not a reincarnation of the Ming regime. It found stability in a new social order with a broader basis of support, which the gentry helped to create and control. In this social vision, the gentry reasserted their duty to local communities as a necessary basis for their dominance. This attempt at reclaiming moral leadership and hegemony in local society involved reform of the culture of both the gentry and the common people. The articulated vision and the practice of cultural reform were inextricably intertwined.“ (Chow 1994a, 3). 4 Zur Ausbildung und Erziehung in der späten Kaiserzeit vgl. den Sammelband von Elman und Woodside aus dem Jahr 1994. Zur Frage der Frauenerziehung vgl. ebd. den Aufsatz „The Education of Daughters in the Mid-Ch’ing Period“ von Susan Mann.



Gesellschaftlicher Hintergrund 

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(she 社) als Reaktion auf deren Rolle im Zusammenhang mit dem Fall der Ming noch ­verboten gewesen waren, wurden sie ab der Mitte der kangxi-Regierungszeit (康熙; 1662–1722) zugelassen. Die Akademien (shuyuan 書院) waren relativ unabhängige Bildungsstätten, die der Kontrolle der kaiserlichen Verwaltung ein Stück weit entzogen waren, und in denen das Curriculum ebenso sehr von den Unterrichtenden bestimmt wurde, wie von den in den Beamtenprüfungen zu lösenden Aufgaben.5 Auf diesem Weg wurden die Schulstreitigkeiten in die Akademien getragen und dort an folgende Generationen von Gelehrten weitergegeben. Die Akademien stellten bekannte Meinungsführer von Schulrichtungen ein, die nun ihre Schüler im Geist ihrer Meinung erzogen. Fang Dongshu war im Laufe seines Lebens selbst mehrfach Unterrichtender an einer Akademie (vgl. das Kapitel zur Biographie Fangs). Auch sein direkter Lehrer Yao Nai 姚鼐 (1732–1815) war von 1775 bis zum Ende seines Lebens erfolgreicher Lehrer an mehreren Akademien im kulturellen Zentrum am Unterlauf des YangziFlusses, dem sog. Jiangnan, gewesen. Es gab auch Akademien mit dem Schwerpunkt der von Fang Dongshu angegriffenen Gelehrten, so kehrte Qian Daxin 錢大 昕 (1728–1804) nach einem langen und erfolgreichen Aufenthalt in der Hauptstadt als Editor von Werken unter kaiserlicher Auspizien gegen Schluss seines Lebens in die Ziyang-Akademie 紫陽書院 zurück, an der er selbst einst gelernt hatte, um seine Ansichten an über zweitausend Schüler weiterzugeben.6 Ein letzter Punkt der konfuzianischen Lebenswirklichkeit und eine weitere Säule, die den Konfuzianismus stützte, waren die Beziehungen zwischen Prüfern und erfolgreichen Prüfungsabsolventen. Diese Beziehungen hielten oft zeitlebens und waren eine wichtige Basis des sozialen Netzwerkes von Gelehrten. Über diese Form der Seilschaften, die oftmals den Ausgangspunkt darstellten für Protektion und viele erfolgreiche Karrieren, hat Benjamin Elman bereits ausführlich gearbeitet, und ich begnüge mich hier mit einem Verweis auf seine Resultate.7

5 Zu den shuyuan vgl. die Aufsätze im vierten Abschnitt des Sammelbandes von Elman und Woodside, 1994, und den von Chen Gujia und Deng Hongbo editierten Band Zhongguo Shuyuan Zhidu Yanjiu von 1997. Eine aussergewöhnliche Akademie war die Hanlin-Akademie in der Hauptstadt. Hierzu vgl. die Studie von Adam Yuen-chung Liu von 1981. Einen guten Überblick bietet auch ein älterer Aufsatz von Alexander Woodside aus dem von Kwang-Ching Liu editierten Sammelband Orthodoxie in Late Imperial China von 1990. Für die spätere Entwicklung schliesslich vgl. die Studie von Bary Keenan über die Zeit nach dem Taiping-Bürgerkrieg aus dem Jahr 1994. 6 Für die Anzahl der Studenten Qian Daxins an der Ziyang-Akademie vgl, Elman 2005, 257. Er unterrichtete dort ab 1789 für die letzten 16 Jahre seines Lebens. Der Name ziyang geht auf den Namen von Zhu Xis Studierzimmer Ziyang Tang zurück. 7 Zu Protektion und Prüfungen vgl. etwa Elman 1984, 100–112; Leung 1977, 37–44; Elman 2000, 126–143. Hierzu muss gesagt werden, dass die Protektion von Prüflingen zwar alltäglich war,

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

Für den vorliegenden Fall Fang Dongshus ist dieser Aspekt zudem von geringer Relevanz, weil dieser keine nennenswerten Prüfungen erfolgreich absolvieren konnte, und somit auch keine illustren Prüfer hatte, mit denen er diese Art der Beziehung hätte pflegen können. Im Verlauf der knapp dreihundert Jahre der Qingzeit blieb die auf den songzeitlichen Neokonfuzianismus zurückgehende Ausprägung der Lehre unabhängig von den hier diskutierten Gelehrtenstreitigkeiten von zentraler Wichtigkeit.8 Die Kommentare Zhu Xis und seiner Schüler bildeten das Fundament der Erziehung und der Beamtenprüfungen, und der Korpus der aus der Song stammenden Kommentare und Begleittexte bildete ebenso einen Kanon wie die klassischen Werke selbst. Daneben gab es eine konfuzianische Elite, innerhalb derer ein Spezialdiskurs stattfand, der sich von Generation zu Generation wandelte. Die drei genannten Säulen hingen zusammen, bzw. standen in einem Interdependenzverhältnis zueinander: Die Spezialdiskurse hatten eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung: die Mitglieder dieser Elite gingen zuweilen als Lehrer an Akademien, und durch die Verbindungen zwischen Prüflingen und ihren ehemaligen Prüfungsexperten existierte ein Netzwerk, das Akademien unterhielt und die politischen Geschicke auf lokaler Basis bestimmte. Indem die Teile sich gegenseitig beeinflussten, wurde es möglich, dass es sowohl einen einheitlichen orthodoxen Neokonfuzianismus gab, der über die gesamte Zeit der Dynastie gleichblieb, aber gleichzeitig eine hohe Volatilität an intellektuellen Themen existierte. Genau

dass aber gerade in der frühen Qing diese Form des Nepotismus zu einigen spektakulären Fällen von Amtsenthebungen führte. Als konkretes Beispiel sei Li Fu 李紱 (1675–1750) angeführt, der seiner Ämter enthoben wurde, weil er zu viele Gelehrte für den jinshi-Grad vorgeschlagen hatte (Hummel 1943–44, 456). 8 Die Grundzüge dieser neokonfuzianischen daoxue wurden während der Songdynastie von einer kleinen Gruppe Gelehrter in der Gegend um Luoyang formuliert, zu denen Zhou Dunyi 周敦頤 (1017–1073) zählte, seine Schüler, das Brüderpaar Cheng Hao 程顥 (1032–1085) und Cheng Yi 程頤 (1033–1107) sowie deren Onkel Zhang Zai 張載 (1020–1077), aber auch der ursprünglich von Daoisten ausgebildete Yi Jing-Spezialist Shao Yong 邵雍 (1011–1077). Von diesen ist insbesondere Cheng Yi hervorzuheben, dessen Lehren dann stärker als die anderen von Zhu Xi 朱熹 (1130–1200) rezipiert und synthetisiert wurden. Zhu Xi kompilierte die im Sinne des Neokonfuzianismus kommentierten Ausgaben der Klassiker, wobei viele der Kommentare von ihm selbst stammen. Diese Ausgabe der Fünf Klassiker und der Vier Bücher bildete die textliche Grundlage des Konfuzianismus der letzten drei Dynastien, und alle diese gehen auf die Redaktion Zhu Xis zurück, weshalb dieser in der retrospektiven Sichtweise der Qing als die massgeblichste Figur der daoxue-Geschichte anzusehen war. Zur daoxue vor Zhu Xi, und zur Veränderung der daoxue gegenüber früheren Gelehrtenidealen der Songzeit vgl. die Monographien This Culture of Ours und Neo-Confucianism in History von Peter Bol. Er thematisiert dort die Veränderungen zwischen dem Selbstverständnis der Gelehrten-Beamten der frühen Song und demjenigen der späteren daoxue-Gelehrten.



Die Suche nach dem Wahren 

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diesen Widerspruch versuchte Richard Smith in seinem Beitrag zu Orthodoxy in Late Imperial China zu beschreiben, wo es heisst: „The culture of late imperial China is distinguished, on the one hand, by uniformity and consensus and, on the other hand, by diversity and dissidence.“ (Smith 1990, 281). Wenn ich also im Folgenden die Veränderungen in der Interessenlage der qingzeitlichen Konfuzianer beschreibe, so meine ich damit den elitären Spezialdiskurs, der vor dem relativ stabilen Hintergrund der Ausbildung zu und Durchführung von Beamtenprüfungen stattfand. Es handelt sich hierbei um Flügelkämpfe konfuzianischer Schulen über die theoretischen Grundlagen der Lehre.

Die Suche nach dem Wahren Die Geistesgeschichte der späten Kaiserzeit durchzieht die Suche nach der wahren und unverfälschten Lehre des Konfuzianismus wie ein roter Faden. Als Ausgangspunkt zu dieser Entwicklung ad fontes ist die Kritik an der mingzeitlichen Form des Neokonfuzianismus zu betrachten. Die xinxue wurde für den Untergang der Ming verantwortlich gemacht, und damit für die Tatsache, dass in Form der Mandschu-Dynastie Qing eine nicht-chinesische Ethnie das Reich regierte. Die Kritik lautete, Wangs Lesart der konfuzianischen Lehre habe die politische Elite dazu gebracht, sich nur noch in „reinen Gesprächen“ (qing tan 清談) zu ergehen, zu meditieren, anstatt zu lernen und zu studieren. Die xinxue wurde dafür verantwortlich gemacht, dass die mingzeitlichen Gelehrten nur noch über ihr eigenes Herz und kosmische Fragen spekulierten, anstatt die politischen Tagesgeschäfte ernst zu nehmen (Elman 1984, 49–56). Die Gefahr der jenseits der Grossen Mauer erstarkten Mandschuren sei so zu wenig ernst genommen worden, und erst dadurch sei das Mandat des Himmels erneut an ein „Fremdvolk“ gefallen.9 Ein weiter Kritikpunkt an der xinxue war, dass sie konfuzianisches Gedankengut zu sehr mit buddhistischem vermengt hätte, und dass es daher zu einer Bastardisierung der Lehre des Meisters gekommen sei. Diese Kritik an der mingzeitlichen xinxue führte zunächst zu einer Rückbesinnung auf die songzeitliche lixue, aber

9 Ohne hier in die Diskussion um die Gründe für das Ende der Mingdynastie eintreten zu wollen, ist es in diesem Zusammenhang doch wichtig, darauf hinzuweisen, dass der eigentliche Sturz der Ming eingeleitet wurde durch einen Bauernaufstand unter Führung des Chinesen Li Zicheng 李自成 (1606–1645). Die Mandschuren brauchten die niedergelegte Herrschaft nur noch zu übernehmen (Peterson 2002, 79–82; Mote 1999, 784–810, vgl. zudem die Studie von Dardess von 2002).

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

in einer späteren Phase der Qing wurde derselbe Kritikpunkt auch gegen die lixue selbst laut (Chow 1995, 63–67). Die Kritik an der xinxue war selbstverständlich weitaus vielschichtiger als hier angedeutet. Beispielsweise gab es bereits im mingzeitlichen Diskurs Stimmen, die auf eine evidenzbasierte Lesart des Konfuzianismus setze, und den Ansatz der xinxue ablehnte. Die sogenannte kaojuxue 考據學, zu der Autoren wie Yang Shen 楊慎 (1488–1559) oder Jiao Hong 焦竤 (1541–1620) zählen, versuchte mit derselben textkritischen und philologischen Herangehensweise wie ihre qingzeitlichen Nachfolger, den Konfuzianismus auf eine neue Basis zu stellen.10 In der späteren Rezeption ab dem frühen 20. Jahrhundert wird allerdings der Konfuzianismus der Mingdynastie mit der Lehre Wang Yangmings gleichgesetzt, und die Wende zur evidenzbasierten Gelehrsamkeit sei demnach mit der politischen Änderung der Dynastie erfolgt.

Die Frühphase Als Reaktion auf die so rezipierte mingzeitliche xinxue suchten die Gelehrten aus der Übergangszeit zwischen Ming und Qing sowie der Phase der Etablierung der Mandschuherrschaft einen Weg, um der konfuzianischen Lehre wieder mehr Verankerung in der Lebenswirklichkeit zu verleihen. Sie taten dies, indem sie sich um ein stärker historisch begründetes Verständnis der Klassiker und ihrer Entwicklung bemühten, sowie durch die Betonung der philologischen Hilfswissenschaften als ein Mittel, die Texte selbst sprechen zu lassen. Dadurch wurde den ursprünglichen Texten mehr Einfluss verliehen, bzw. die Dominanz der Exegese wurde so reduziert. Als „frühe Phase“ wird hier die Zeit zwischen der Gründung der Dynastie 1644 und der Zeit der Herrschaft des yongzheng-Kaisers (雍正; 1723–1735) betrachtet.11 Diese frühe Phase ist charakterisiert durch ein wechselseitiges Misstrauen

10 Zur mingzeitlichen kaojuxue vgl. die Studie von Lin Qingzhang aus dem Jahr 1986. Vgl. auch Kai-Wing Chows Artikel von 1992 und seine Monographie von 2004, wo er das wiedererwachte Interesse an den hanzeitlichen Texten ab dem 16. Jh. differenziert beschreibt (Chow 2004, 180–188). 11 Die bekannteste Unterteilung der Geistesgeschichte der Qingzeit in einzelne Zeitphasen geht auf Liang Qichao zurück, der zu Beginn seines Qingdai Xueshu Gailun 清代學術概論 die Geistesgeschichte der Dynastie gemäss buddhistischer Entstehungs- und Vergehungstheorie in vier Phasen unterteilt (Abschnitte 1 & 2 vgl. Liang Qichao 1998a, 1–7; für die Übersetzung vgl. Liang Ch’i-ch’ao 1959, 19–27, insbesondere 20). Wenn ich auch die buddhistische Rhetorik Liangs für überflüssig halte, so stimme ich mit seiner Aufteilung in vier Phasen ebenso überein wie mit den



Die Suche nach dem Wahren 

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zwischen dem Kaiserhaus und den chinesischen Untertanen, sowie durch die Anstrengungen des Kaiserhofes, die Eroberungen der Mandschus vor lokalen Machthabern und territorial begrenzten Aufständen zu sichern. Die Zeit der spektakulären Fälle von Gelehrtenverfolgung und literarischer Zensur gehören daher ebenso in diese Phase wie die verschiedenen Konflikte,12 die der kangxi-Kaiser zu lösen hatte, ehe das ganze Reich unter seiner Herrschaft stand. Erst der auf den kangxi-Kaiser im Alter von 45 Jahren folgende yongzheng-Kaiser veränderte den Stil des Kaiserhofes und schaffte mehr Vertrauen unter der Bevölkerung und den Gelehrten gegenüber dem Hof, indem er Reformen einleitete, welche die Korruption auf lokaler Ebene bekämpfen, die Privilegien der erfolgreichen Prüfungskandidaten beschnitten, und die vererbte Stigmatisierung durch die Übertragung von Straftaten auf Erben abschafften (Peterson 2002, 203–221). Der yongzhengKaiser dokumentierte zudem, dass er gegenüber seinen Untertanen eine andere Art des Umgangs pflegen wollte als sein Vater, indem er den Urheber einer gegen ihn gerichteten Schmähschrift nicht exekutieren liess, sondern in Gesprächen versuchte, den Grund für seine Unzufriedenheit zu erfahren (für dieses anschauliche Beispiel des neuen politischen Stils vgl. Treason by the Book von Jonathan Spence).

Wichtige Repräsentanten des qingzeitlichen Konfuzianismus Die frühen qingzeitlichen Gelehrten wie Gu Yanwu 顧炎武 (1613–1682), Huang Zongxi 黃宗羲 (1610–1695) oder Wang Fuzhi 王夫之 (1619–1692) nahmen aus Loyalität zur untergegangenen Mingdynastie kein Amt der Qing an. Wang zog sich sogar ins Eremitentum zurück, um mit den Eroberern nichts zu tun haben

einzelnen Grenzen seiner Phasen. Kai-wing Chow teilt in „The development of Sung learning in Ch’ing thought“ die konfuzianische Gelehrsamkeit der Qing in drei Phasen ein, deren Zeitgrenzen er unter Hinweis auf das jeweilige Jahrzehnt wie folgt beschreibt: 1660–1700, 1710–1750 und 1750–1830. 12 Die bekanntesten Konflikte während der Regierungsperiode kangxi sind wohl die san fan-­ Rebellion sowie die Auseinandersetzung mit dem Piratenfürst Koxinga (Zheng Chenggong 鄭成功 (?–?; fl. kangxi-Zeit)). Vgl. hierzu Peterson 2002, 136–150. Zur Gelehrtenverfolgung in der Frühphase vgl. Pierre-Henri Durands Studie Lettrés et pouvoirs aus dem Jahr 1992. Zu den angesprochenen Fällen der Gelehrtenverfolgung vgl. das Kapitel über Fang Dongshu und die Tongcheng-Schule, in dem der bekannteste Fall Nanshan jiyu 南山集獄 und die damit verbundene Bestrafung von Dai Mingshi 戴名世 (1653–1713) erörtert werden. Die Fälle waren prägend für das Verhältnis von Hof und Untertanen, aber rein zahlenmässig gab es mehr Fälle literarischer Verfolgung während der Regierungsperiode qianlong (1736–1795). Vgl. hierzu Jin Xingyao 1989, 1; Kai-wing Chow 1995, 62–63 und die Studie von Goodrich von 1935.

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

zu müssen, und seine Schriften wurden erst nach Wangs Tod entdeckt und lange danach publiziert. Diese Gelehrten bemühten sich, die klassischen Texte auf die reine Rezeption Zhu Xis zu reduzieren und den Überbau der mingzeitlichen xinxue abzulegen. Aufbauend auf die mingzeitliche kaojuxue 考據學 näherten sie sich den Texten mit philologischen Instrumentarium, um so möglichst viel vom Text zu verstehen, dabei aber durchaus mit dem Ziel, die textliche Grundlage für die Bedeutung der songzeitlichen Philosophie verlässlicher zu erschliessen. Die weit verbreitete Darstellung, wonach Gu Yanwu die hanxue begründet habe, ist daher m.E. unzutreffend.13 Vielmehr hat diese populäre Auffassung ihren Ursprung bereits in der Traditionskonstruktion der Qingzeit selbst, vor allem aber in der Rezeption qingzeitlicher Gelehrsamkeit im frühen Zwanzigsten Jahrhundert (siehe unten). Zwei Beispiele dieser Suche nach Originaltexten in dieser frühen Phase bilden die Anstrengungen von Yan Ruoqu 閻若璩 (1636–1704) und Hu Wei 胡渭 (1633–1714). Yan Ruoqu verfasste eine textkritische Untersuchung zum Shang Shu mit dem Titel Guwen Shang Shu Shuzheng 尚書古文疏證 (1704, Vorwort von Huang Zongxi) und Hu Wei verfasste eine vergleichbare Studie zum Yi Jing und nannte sie Yi Tu Ming Bian 易圖明辨 (1706), und eine zum Shang Shu mit dem Titel Yu Gong Zhuizhi 禹貢錐指.14 In allen drei Werken werden gewisse, für die neokonfuzianische Exegese wichtige Teile des konfuzianischen Kanons als Textfälschungen, bzw. spätere Interpolationen entlarvt. Yan und Hu hatten keine Absichten, die auf Zhu Xi gegründete Exegese anzugreifen, aber ihre Arbeiten sollten in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts trotzdem hierfür die Grundlage bilden.

13 Die Auffassung, bei Gu Yanwu sei der Ursprung der hanxue festzumachen ist, in der Literatur weit verbreitet. So wird in beiden Bänden der biographischen Enzyklopädie von Arthur Hummel bei jeder Erwähnung des Terminus’ „hanxue“ immer auf den Eintrag zu Gu verwiesen, in dem dann auch die hanxue erklärt wird (Hummel 1943–44, 422–423). Auch bei William Nienhauser heisst es im Beitrag zu Wang Yinglin: „Wang’s belief that China’s pre-Sung had to be studied without prejudice to philosophical content won many adherents; scholars of the Han-hsüeh p’ai (School of Han Learning), such as Ku Yen-wu and Hu Wei […] were especially dedicated to this principle.“ (Nienhauser 1986, 883). Zum Verständnis von hanxue in der vorliegenden Arbeit vgl. den weiteren Text. 14 Zur Vorgeschichte der Arbeit Yan Ruoqus vgl. den ausgezeichneten Aufsatz Benjamin ­Elmans in der Zeitschrift T’oung-pao „Philosophy (i-li) versus philology (k’ao-cheng): The jenhsin tao-hsin debate“ aus dem Jahr 1983. Zu Hu Wei vgl. Elman 2005, 196–198. Sein Yu Gong Zhuizhi 禹貢錐指 wird ausführlich gewürdigt in Yang Xiangkuis Qingru Xuean Xinbian (vgl. Yang Xiangkui 1994, 2:611–614; 617–632).



Die Suche nach dem Wahren 

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Eine andere Gruppe dieser frühen Phase bildete die Schule von Yan Yuan 顏元 (1635–1704) und seinem Schüler Li Gong 李塨 (1659–1733).15 Diese ­versuchten mit der Betonung der nicht literarischen Künste wie der Geometrie oder der Feldvermessung geistige Beschäftigung zu propagieren, die im Gegensatz zur Textgelehrsamkeit einen tatsächlichen praktischen Nutzen hat. Die Schule Yans und Lis hat vor allem in der Rezeption eine wichtige Stellung erlangt, in für diese Arbeit untersuchten qingzeitlichen Schriften nehmen sie keine bemerkenswerte Stellung ein (für eine detaillierte Diskussion vgl. Kapitel 4 zu Fang Dongshu und seinen Gegnern). Eine weitere Gruppe schliesslich sind die Anhänger der songzeitlichen Lehren: Dies sind zum einen hohe Beamte der Qing wie Lu Longqi 陸隴其 (1630–1692), der es bis zum Leiter des Ritenministeruims brachte, oder Zhang Boxing 張伯行 (1651–1725), der zuerst Sekretär war im „Grand Secretariat,“16 aber kurz darauf nach Henan zurückkehrte, wo er erfolgreich eine Überschwemmung bekämpfte und so zum Fluten- und Deichspezialisten wurde. 1707 wurde er Gouverneur von Fujian, wo er Getreidepreise stabilisierte und auf der damals zu Fujian zählenden Insel Formosa (dem heutigen Taiwan) erfolgreich gegen Überschwemmungen kämpfte. Er etablierte 1707 die Akademie Aofeng Shuyuan 鼇峰書院 in Fuzhou und 1713 die Ziyang-Akademie in Suzhou (dort Gouverneur seit 1710). Der Kaiser berief ihn 1715 nach Peking in sein persönliches Studierzimmer nan shufang 南書房. Im ersten Jahr der Regierungsperiode yongzheng schliesslich wurde er Direktor des Ritenministeriums („Board of Ceremonies“). Vierzehn seiner Werke werden im Katalog zum Siku Quanshu erwähnt. Neben einem Werk zu seinem Fachgebiet Flutkontrolle kompilierte, bzw. verfasste er Werke im Geiste der daoxue: eine Fortführung zu Zhu Xis philosophischem Hauptwerk mit dem Titel Xu Jinsi Lu 續近思錄 sowie ein Werk mit dem Titel Guang Jinsi Lu 廣近思錄, Schriften zu Cheng Yi mit dem Titel Yiluo Yuanyuan Lu 伊洛淵源錄 mit Fortsetzung Xu Lu sowie das neokonfuzianische Begleitwerk Xingli Zhengzong 性理正宗.17 Er verfasste auch

15 Zu Yan Yuan und Li Gong vgl. hierzu Fung Yu-lan 1953, 631–650; Kapitel 10 in Carsun Chang 1962, 293–316; Yang Xiangkui 1994, 1:287–368. 16 Die Beamtentitel werden nun in der gut eingeführten englischen Version wiedergegeben, wie sie in Huckers Dictionary of Official Titles in Imperial China und in Hummels Biographiensammlung verwendet werden. 17 Vgl. Hummel 1943–44, 51–52 und Carsun Chang 1962, Kapitel 13, passim. Für Beschreibungen der Akademien vgl. Ji Xiaofeng 1996, 45 u. 103. Im Katalog des Siku Quanshu wird Zhangs Xing Li Zongzheng beschrieben als ein Werk, das die orthodoxe Cheng-Zhu Auffassung des ­Konfuzianismus vertritt. Die Autoren des Katalogs erwähnten spezifisch zu diesem Werk „Die generelle Aussage ist eine Verunglimpfung der Lu-Wang-Schule und eine

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

Titel zur orthodoxen Überlieferung daotong mit den Titeln Daotong Lu 道統錄 sowie Daotong Yuanliu 道統源流. Schliesslich ist es im Zusammenhang mit der weiteren Entwicklung der Qing interessant zu erwähnen, dass er Werke zu den philologischen Hilfswissenschaften verfasste mit den Titeln Xiaoxue Jijie 小學 集解 und Xiaoxue Yanyi 小學衍義 (vgl. Qian Zhonglian 1996, 402; Yang Rong 1965, 804b). Ebenfalls hier zu nennen ist eine der wichtigsten Figuren der kangxi-­ Regierungszeit: Li Guangdi 李光地 (1642–1718). Li war Editor verschiedener neokonfuzianischer Anthologien, etwa des Xing Li Jing Yi 性理精義, eines Werkes, das 1690 neben den Klassikern als Grundlage für die Beamtenprüfungen zugelassen wurde, oder des Zhu Zi Da Quan 朱子大全, das er auf einen Erlass des Kaisers von 1712 hin kompiliert hatte.18 Zudem wirkte er als Kanzler der Hanlin-Akademie (Kessler 1976, 141).19 Weitere in diesem Zusammenhang zu nennende Personen sind Lu Shiyi 陸世儀 (1611–1672), wie der bekanntere Huang Zongxi ein Schüler Liu Zongzhous 劉宗周 (1578–1645).20 Lu Shiyi ist in gewissem Sinne eine Mischung der oben genannten Verhaltensmuster: Er absolvierte keine Prüfung unter der Qing, war aber ein vielseitiger Gelehrter mit Interesse an Geographie, militärischer Strategie, Astronomie, Musik, Serikultur, Bewässerung und Steuer- sowie Strafrecht, und er dokumentierte damit sein Interesse an konkreten Studien. Daneben schrieb er auch noch einige Werke zum konfuzianischen Kanon (ZHZ 1316; Hummel 1943–44, 548; Carsun Chang 1964, 323–326).

­ ochschätzung der Cheng-Zhu Schule“ („dazhi zai bi Lu Wang yi zun Cheng Zhu 大旨在闢陸 H 王以尊程朱“) (Yang Rong 1960, 828a; Qian Zhonglian 1996, 402). Zu Jinsilu Jijie 進思錄集解 habe ich keine Beschreibung gefunden. Zum Siku Quanshu und dem Katalog hierzu vgl. den weiteren Text. 18 Zu Xingli Jingyi und Zhuzi Da Quan vgl. Elman 2000, 535; Kai-wing Chow 1994, 165; Chow 1995, 61–62. Chow schreibt in seinem Aufsatz von 1995, dass das Xingli Jingyi erst 1714 gedruckt worden sei, und das Zhuzi Daquan 1715. Er stellt damit einen m.E. korrekten Zusammenhang her zwischen der rituellen Aufwertung Zhu Xis und den Büchern zu diesem Thema. 19 Zu Li Guangdi und der Situation der daoxue-Vertreter in der frühen Qingzeit vgl. die Studie Cheng-Zhu Confucianism in the Early Qing von On-cho Ng. Zur Hanlin Akademie vgl. die Monographie von Adam Yuen-chung Liu. 20 Zu Liu Zongzhou vgl. Carsun Chang 1962, 160–183; Huang Tsung-hsi 1987, 255–264; Hummel 1943–44, 532). Er war insofern ein radikaler Ming-Loyalist, als er sich weigerte, nach dem Fall Nanjings noch etwas zu essen oder zu trinken, denn dadurch hätte er von der Qing profiert. Er starb daher kurz nach der Eroberung Nanjings durch die Mandschus am 30. Juli 1645.



Die Suche nach dem Wahren 

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Beamtenprüfungen und Prüfungsinhalte in der frühen Qing Gelehrte wie die oben Genannten stellten die intellektuelle Elite der konfuzianischen Gelehrsamkeit dar. Ihre Anstrengungen wurden mit zusehender Publizität auch in breiteren Kreisen bekannt, und dadurch gelangten ihre Erkenntnisse auch ins Bewusstsein anderer Gelehrter, die etwa an Akademien unterrichteten oder auf Verwaltungsposten arbeiteten. Da aber viele Gelehrten-Beamte auch Beamtenprüfungen auf Kreis- oder Provinzebene vorstanden, flossen die Erkenntnisse allmählich auch in die Beamtenprüfungen ein, deren veränderte Anforderungen sich wiederum auf den Unterricht der Akademien auswirkten. Zudem kamen, wie Benjamin Elman bemerkt, ein grosser Teil der Beamten aus dem Jiangnan-Gebiet am Unterlauf des Yangzi, und da die Lehrer der textkritischen Methoden dort waren, standen viele junge Gelehrte unter diesem methodischen Einfluss (Elman 2000, 507). Elman beschreibt auch, wie die Klassiker schon zu Beginn der Dynastie zusehends historisiert wurden, und wie sich das Verständnis der Entwicklung des Kanons veränderte, nicht zuletzt durch die Erkenntnisse Yan Ruoqus und Hu Weis. Die Klassiker wurden stärker als historische Zeugnisse einer vergangenen Kultur wahrgenommen und entsprechende Fragen begannen in den Beamtenprüfungen aufzutauchen.21 Wie Elman im neunten Kapitel seiner umfangreichen Studie zum Prüfungssystem schreibt, war es nicht so, dass die Naturwissenschaften, allen voran die Astronomie und Geographie, erst in der Qingzeit Teil des Prüfungscurriculums wurden. Vielmehr wurden sie zu Beginn der Qing aus strategischen, bzw. militärischen Gründen wieder entfernt, während sie in der Mingzeit bereits Teil des prüfungsrelevanten Wissens gewesen waren (Elman 2000, 481–485). Im neunten, zehnten und elften Kapitel beschreibt Elman sehr detailliert die Veränderungen der Prüfungsvorschriften, der Prüfungsfragen, und auch der

21 Elman 2000, 499–503. Elman gibt auf S. 500 ein eindrückliches Beispiel für die Veränderung der Fragen: „The 1654 policy question was quite different from the earlier Ming dynasty questions we looked at. Students were asked to discuss in detail the „origins and development“ (yuanliu 源流) of the Classics and the „core and branches“ (pen-mo 本末) of the Histories. In other words, candidates were to delineate the evolutionary pattern of the Classics from the original six in number to thirteen by the Sung dynasty. This completed, they were asked to take up the evolution of historical writing from Tso Ch’iu-ming to Ssu-ma Ch’ien and Pan Ku. Historical and classical studies in effect stood on equal ground, as the examiners noted: „Earlier literati have said that classical studies focused on matters of the mind (hsin-shu 心術); historical studies have stressed actual achievements (shih-kung 事功).“ Ssu-ma Kuang and Chu Hsi were no longer the focus of attention.“

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

Haltung gegenüber den Prüfungen. Dabei hebt er insbesondere die Tatsache hervor, dass die Qing lange nach einem guten Format suchte, wodurch es viele Veränderungen innerhalb der Prüfungsordnung gab, zumindest für die einhundertundfünfzig Jahre der ersten vier Kaiser. Das Problem war dabei, ein Format zu finden, das für die mandschurischen wie für die chinesischen Probanden gleichermassen schwierig war, aber auch einen Inhalt zu finden, der einerseits die Traditionen der Prüfungen und die ideologische Ausrichtung auf die songzeitliche Exegese berücksichtigte, andererseits aber auch die angehenden Beamten mit einem Wissen ausstattete, das ihnen bei der Verwaltungsarbeit möglichst zu Gute kam. Dabei wird auch deutlich, dass der „achtfüssige Aufsatz“ (bagu wen) der mingzeitlichen Prüfungen nicht ohne weiteres in der Qing fortgesetzt wurde. An zwei Hauptstadt-Prüfungen sowie einer Provinz-Prüfung nach 1663 gab es sogar überhaupt keinen „achtfüssigen Aufsatz“ mehr.22 (Vgl. Elman 2000, 521–536). Zusammenfassend hinterlässt diese erste Phase der Geistesgeschichte der Qingzeit nicht den manchmal vermittelten Eindruck, der erste Schritt auf dem Weg zur Moderne gewesen zu sein. Vielmehr war dies eine Zeit der Unsicherheit und Veränderung, in der das dynastische Mandschuhaus nach dem Wegbrechen der xinxue auf der Suche nach einer festen ideologischen Grundlage war, auf der das Herrscherhaus seinen Machtanspruch gründen konnte. Die massgeblichen und einflussreichen konfuzianischen Gelehrten suchten die Überwindung der aus ihrer Sicht gescheiterten mingzeitlichen xinxue, da sie diese für untauglich hielten, die geistige Grundlage eines Staates darzustellen. Daraus ergab sich zwingend der Versuch einer Rückkehr zu den Wurzeln der Lehre in der Songzeit, durch welche die als intellektueller Exzess wahrgenommene mingzeitliche xinxue überwunden werden sollte. Diese Rückkehr sollte mit philologischen, intersubjektiv überprüfbaren Mitteln vollzogen werden, war aber nicht gegen Zhu Xi und sein Verständnis des Konfuzianismus gerichtet. Selbst Gelehrte, die ursprünglich noch von xinxue-Experten erzogen worden waren, etwa Huang Zongxi, wandten sich von dieser Lehre ab und betrieben konkretere Studien. Im Falle Huang Zongxis war es die Geschichtswissenschaft, die ihn zum bahnbrechenden intellektuellen Historiker sowie zum Begründer der „Historikerschule aus dem Östlichen Zhejiang (Zhedong shixue pai 浙東史學派)“ werden liess.23

22 Der aus einer Familie von Ming-Loyalisten stammende Gelehrte Wei Xi 魏禧 (1624–1681) weigerte sich 1647, eine Prüfung abzulegen, bei der er bagu wen verwenden müsste, weil er dies für ein Zeitverschwendung hielt (vgl. Elman 2000, 529; Hummel 1943–44, 847). 23 Für den intellektuellen Werdegang Huang Zongxis vgl. Hummel 1943–44, 351; Yang Xiangkui 1994, 1:130–179; Xu Shichang 1990, Rolle 2 (S. 30–52); Fang Zuyou & Teng Fu 1995, 231–256).



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Die mittlere Phase Als „mittlere Phase“ wird hier die Zeit zwischen 1736 und 1820 verstanden, wenn dem Usus gemäss die Regierungsperioden als Begrenzungen gelten. Die Einteilung in Phasen gemäss den Regierungsperioden ist selbstverständlich ebenso arbiträr wie eine andere, etwa die Gleichsetzung des Übergangs von der mittleren zur späten Phase mit dem Jahrhundertwechsel. Hier interessiert ja weniger die Frage nach einer genauen Jahreszahl als vielmehr die inhaltlichen Veränderungen, die mit einem solchen Übergang einhergingen. Diese mittlere Phase entspricht der Zeit der beiden Regierungsperioden qianlong (乾隆; 1736–1795) und jiaqing (嘉慶; 1796–1820). War in der Frühphase der Dynastie das Verhältnis zwischen mandschurischem Kaiserhof und chinesischer Gelehrtenschicht noch von Misstrauen geprägt, so entspannte sich die Situation in der zweiten Hälfte der yongzheng-Regierung, spätestens aber mit der Thronbesteigung des qianlong-Kaisers 1736. Der qianlong-Kaiser wollte als ausgesprochener Förderer der konfuzianischen Gelehrsamkeit in Erinnerung bleiben. Er ahmte seinen Grossvater, den kangxi-Kaiser, in der Einübung gelehrter Fähigkeiten nach, etwa der Kalligraphie und dem Dichten, aber er berücksichtigte auch, dass grosse Kaiser der chinesischen Geschichte jeweils etwas Bleibendes für die Nachwelt hinterlassen hatten. So wurde während seiner Regierungszeit die literarische Sammlung Siku Quanshu zusammengestellt, editiert, und zweimal kopiert.24 Schliesslich sicherte er sich das Wohlwollen der Gelehrten, indem er während seiner 60 Jahre auf dem Thron sieben ausserordentliche Sonderprüfungen durchführen liess (wörtlich „Wohlwollensprüfungen“ en ke 恩科, wobei das Wohlwollen darin bestand, zusätzliche Prüfungen durchzuführen; Elman 2000, 523). Die folgende Regierungsperiode jiaqing des nächsten Kaisers war zwar keine Blüte, aber erstens zehrte das Reich noch von den vorangegangenen Blütephasen, und zweitens erschien die jiaqingZeit in Retrospektive und verglichen mit den danach folgenden Regierungszeiten als relativ guter Abschnitt. In Bezug auf die Beziehung zwischen Hof und der

24 Siku Quanshu 四庫全書 => Vollständige [Zusammenstellung der] Bücher der vier Speicher [literarischer Gattungen]: Diese gigantische Sammlung von Einzelschriften sammelte seltene Werke im ganzen Reich, brachte sie in die Hauptstadt, wo sie kopiert und bewertet wurden. Von Schriften der Sammlung wurde ein Katalog geschaffen, der mit kurzen Informationen eine der besten Quellen des klassischen Schrifttums darstellt. Für eine umfassende Darstellung der Entwicklung und der einzelnen Phasen des Projektes, aber auch für die Diskussion der Frage, ob es sich bei der Erstellung der Sammlung tatsächlich um eine verkappte literarische Inquisition gehandelt habe, vgl. Kent Guys Studie The Emperor’s Four Treasuries aus dem Jahr 1987. Zu den in den einzelnen Provinzen verbotenen Werken vgl. Wang Shan 1999 und Lei Mengchen 1989.

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

gelehrten Elite war die mittlere Qingzeit von Kooperation geprägt. Die Gelehrten hatten in der Klassikergelehrsamkeit einen Beschäftigungsbereich gefunden, der politisch irrelevant und somit ungefährlich war, und der Hof gefiel sich im ­Mäzenatentum gegenüber Gelehrten und Akademien sowie mit eigenen Aufgaben wie dem Siku Quanshu. Das veränderte Klima war aber nur ein Teil der neuen Situation. Die Inhalte, Methoden und Anforderungen an die Gelehrsamkeit änderten sich ebenfalls. In der mittleren Qingzeit spielte etwa die Kritik an der xinxue so gut wie keine Rolle mehr, denn deren massive Zurückweisung zu Beginn der Mandschuherrschaft hatte diese bereits hinreichend diskreditiert und vor allem marginalisiert. Diese Phase war geprägt von der Frage nach dem Umgang mit dem literarischen und philosophischen Erbe Chinas. Die Dynastiegeschichten wurden überarbeitet, die frühen literarischen Anthologien wurden neu kommentiert, und die Texte der Klassiker wurden einer neuerlichen Prüfung unterworfen. Hierbei war es insbesondere die Kommentierung der Klassiker im Geist der songzeitlichen daoxue, die in der frühen Phase der Dynastie eben erst erneut in den Mittelpunkt gerückt war, welche sich nun Angriffen gegenüber sah. Da gewisse Schlüsselstellen der Klassiker als Fälschungen entlarvt worden waren, geriet auch die auf diese Stellen aufbauende Kommentierung in Misskredit. Während die Lehren Zhu Xis zu Beginn der Dynastie noch als Ausweg aus den als wenig konkret wahrgenommenen Lehren Wang Yangmings erschienen waren, richtete sich die Kritik der gelehrten Avantgarde nun gegen diese. Der Vorwurf lautete, sie seien zu wenig lebensnah, mithin zu theoretisch, und zu stark vom Buddhismus und Daoismus beeinflusst. Diese Beeinflussung habe zu einer Bastardisierung der Lehren des Konfuzius geführt, sie seien dem Buddhismus zu ähnlich, und da der Buddhismus eine indische Lehre ist, sei der Konfuzianismus in Form der daoxue keine autochthon chinesische Lehre mehr. Dieser These zufolge entsprang das Verlangen nach einem Verständnis eines Konfuzianismus, der unbeeinflusst war von buddhistischen Einflüssen, dem Bedürfnis nach einer autochthonen Lehre. Dieses entsprang demselben Bedürfnis wie das Verlangen der chinesischen Bevölkerung in der Qing, nicht mehr von einem Fremdvolk wie den Mandschuren regiert zu werden, sondern wieder einen ethnisch chinesischen Kaiser zu haben.25

25 Die grosse Unbekannte beim Nachvollziehen der Beweggründe qingzeitlicher Gelehrter ist der Aspekt der Xenophobie. Zu Beginn der Qing existierten grosse Widerstände gegen die Fremdherrschaft der Mandschus, und zum Schluss der Dynastie war Zhang Taiyan 章太炎 (1869–1936) auch Zhang Binglin 章炳麟; 1869–1936 definitiv gegen die Mandschuherrschaft. Dieser Aspekt wird auch bei Liang Qichao erwähnt. Zur Frage des Nationalismus bei Liang vgl. die ­Monographien von Tang Xiaobing und Q. Edward Wang. Wie sehr aber dieser Aspekt sich auf die Kritik an Fremdeinflüssen innerhalb der konfuzianischen Tradition auswirkte, lässt sich



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Als Alternative zum Neokonfuzianismus propagierten Gelehrte um Hui Dong 惠棟 (1697–1758) und Dai Zhen die Rückkehr zu einer Lesart des Konfuzianismus, die vor dem Eindringen ausländischer Lehren betrieben worden sei: die auf sprachliche Glossen konzentrierte Gelehrsamkeit der Östlichen Hanzeit, in der solche wichtigen Philologen und Kommentatoren gelebt hatten wie Xu Shen 許慎 (58–148?), Autor des ersten Wörterbuches Shuowen Jiezi 說文解字, Ma Rong 馬融 (79–166) und vor allem Zheng Xuan 鄭玄 (127–200).26 Was Zheng Xuan im Vergleich zu Xu oder Ma noch attraktiver machte war, dass seine Kommentare überliefert wurden. So hat er Kommentare zu allen drei Ritenklassikern geschrieben, aber auch zum Shi Jing. Im Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 3:781 sind auch Kommentare zum Yi Jing, dem Shang Shu Da Zhuan und dem Chunqiu erwähnt, womit er alle Klassiker kommentiert hätte, und damit als idealer Gegenspieler Zhu Xis erscheint. Der Gelehrte, der in der Regel als Urheber der hanxue bezeichnet wird, Hui Dong, stammte aus einer Familie, in der die Bevorzugung hanzeitlicher Quellen das methodische Alpha und Omega im Umgang mit Klassikern war. Sein Grossvater und Vater haben bereits vor ihm Arbeiten zu kanonischen Werken verfasst, in denen hanzeitlichen Quellen die höchste Priorität zukommt.27 Liang Qichao 梁啟超 (1873–1929) versuchte die methodische Haltung der Hui-Familie in einen Satz zu fassen, der lautet „Alles was alt ist, ist zwingend auch wahr, alles was aus der Hanzeit stammt, ist auch gut“ („fan gu bi zhen, fan Han jie hao 凡古必真, 凡漢皆好“ Liang Qichao 1998, 31). Hui Dong betrieb damit eine wohl besonders rigorose Lesart der kaozhengxue, die sich zwar hanxue nannte, sich aber noch

nur schwer einschätzen. Ich kann mir aber kaum vorstellen, dass beispielsweise Dai Zhens Kritik an buddhistischen Einflüssen auf einen Widerstand gegenüber den nicht-chinesischen Machthabern zurückzuführen ist. Kai-wing Chow bestätigt in seinem Aufsatz von 1995 die xenophobe These, wenn er schreibt: „Anti-Buddhist sentiment was therefore to a considerable extent a disguised rejection of the alien conqueror’s regime – the manchus.“ (Chow 1995, 54; vgl. auch Chow 1986, 297). 26 In der Qingzeit erfolgte aufgrund des persönlichen Namens des kangxi-Kaisers eine Tabuisierung des Wortes xuan 玄. Zheng Xuan wird daher häufig unter Nennung seines Erwachsenennamens als Kangcheng 鄭康成 bezeichnet. Der Name Zheng Xuan wurde zur Wahrung des Tabus zu Zheng Yuan 鄭元 verändert. Unter diesem wird er etwa im Inhaltsverzeichnis des Sammelwerks Shisan Jing Zhushu 十三經注疏 aufgeführt. 27 Hui Dongs Grossvater Hui Zhouti 惠周惕 (–1694?) war der Autor des Shi Shuo 詩說, eines ersten Versuches, das Shi Jing als literarisches Werk zu verstehen. Sein Vater war Hui Shiqi 惠士奇 (1671–1741), Autor der Werke Yi Shuo 易說, Chunqiu Shuo 春秋說 und Li Shuo 禮說 sowie von Schriften zur Astronomie und Musik. Diese Schriften wurden von Hui Dong unter dem Titel Hui Shi Si Shuo 惠氏四說 publiziert. Zu beiden vgl. Hummel 1943–44, 356; Li Kai 1997, 459–581; Elman 2005, 256–257.

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

unterschied von der hanxue, die Fang Dongshu im Hanxue Shangdui meinte. Der Wechsel zu dieser Form der hanxue erfolgte erst, als die ausschliessliche Verwendung hanzeitlicher Quellen mit der kritischen Haltung Dai Zhens gegenüber Zhu Xi zusammentraf. Denn es war erst Dai Zhen, ein ursprünglich von Jiang Yong 江永 (1681–1762) in Mathematik und Philologie ausgebildeter Gelehrter ohne Prüfungserfolge, der die songzeitliche Lehre scharf angriff und ihre Kernkonzepte kritisierte, dabei aber die Begriffe beibehalten musste. Indem Dai seine philologische Genauigkeit mit der Methode Hui Dongs zusammenbrachte, erschuf er einen Ansatz, in dem nur die frühesten philologischen Kommentare zu den Klassikern erlaubt waren. Dies waren die Glossen der Östlichen Hanzeit, und unter Rückgriff auf die dort gemachten Definitionen versuchte Dai die Schlüsselbegriffe der Rezeption Chengs und Zhus zu entkräften. Er suchte einen Weg, das Verständnis von Schlüsselbegriffen des songzeitlichen Neokonfuzianismus als fehlerhaft darzustellen, da deren Bedeutung im Rahmen der songzeitlichen Moraltheorie in den hanzeitlichen Quellen nicht zu belegen und daher später hinzu gekommen seien.28 Auf die genaue Kritik der hanxue an Zhu Xi wird im Verlauf dieser Arbeit an verschiedenen Stellen noch eingegangen, in dieser Übersicht geht es um eine ungefähre Darstellung der wichtigsten Tendenzen. In diesem Zusammenhang sollte die Person Jiang Fans unbedingt erwähnt werden. Jiang Fan war aus der Schule Hui Dongs. Er verfasste allerdings keine Kommentare zu den Klassikern, sondern schrieb die erste „Philosophiegeschichte“ der Qingzeit. Sein Werk Guochao Hanxue Shicheng Ji 國朝漢學師承記 (Für gewöhnlich, und auch in dieser Arbeit, nur Hanxue Shicheng Ji genannt) differenzierte nicht zwischen Schulen, sondern es subsummierte sämtliche textkritischen Gelehrte unter der Bezeichnung „hanxue“, was bis heute in der Literatur häufig zu einem undifferenzierten Gebrauch der Begriffe führt.29

28 Zur Methode und Absicht Dai Zhens schreibt Elman: „Dai Zhen had in mind a systematic ­research agenda that built on paleography and phonology to reconstruct the meaning of classical words.“ (Elman 2005, 259). 29 Zu Jiang Fan vgl. den Abschnitt zu Fang Dongshu und seinen Gegnern. Das Missverständnis, wonach die textkritische kaozhengxue und die gegen die daoxue gerichtete hanxue identisch seien, ist häufig in der Literatur zu finden. Der Doyen der diesbezüglichen Forschung im Westen, Benjamin Elman, ist in dieser Hinsicht m.E. viel zu unpräzise. So schreibt er etwa: „The Ming k’ao-chü and Ch’ing k’ao-cheng evidential research agendas for accumulating verifiable knowledge represented a major reorientation in thought and epistemology among classical scholars in the Yangtzu delta. Evidential scholars there favored a return to the most ancient sources available, usually from the Han and T’ang dynasties, to reconstruct the classical tradition. Because the Han was closer in time to the actual compilation of the Classics, Ch’ing scholars increasingly



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Sowohl die Schriften Dai Zhens als auch das Werk Jiang Fans fanden weite Verbreitung. Doch, wie später noch zu argumentieren sein wird, Dai Zhens Einfluss war m.E. nur von kurzer Dauer und geringem Ausmass. Der Versuch, Philosophie durch Philologie zu ersetzen, schlug fehl, und die Kritiker Dai Zhens wurden sehr bald hörbar. Die fundamentalsten und schärfsten Kritiker waren zum einen Zhang Xuecheng 章學誠 (1738–1801),30 zum anderen Fang Dongshu. Die Auseinandersetzung um die Validität neokonfuzianischer Aussagen war in der mittleren Phase der Qing themenbestimmend, wobei es weniger eine tatsächliche Auseinandersetzung war, als dass in gewissen Jahrzehnten die eine Meinung dominant war, in anderen die Gegenmeinung. So waren die 1750er und 1770er Jahre eine Hochblüte der hanxue, also etwa die Zeit zwischen der Initiierung des Siku Quanshu und dem Tod Dai Zhens 1777. Erst danach wurde allmählich Kritik an Dais sprachzentrierter Klassikerexegese laut. Hand in Hand mit dieser Auseinandersetzung wurde in der mittleren Phase erneut die Frage der Prüfungsordnung aufgeworfen. Während die gesamte Qingzeit hindurch die neokonfuzianische Exegese der Vier Bücher und Fünf Klassiker von zentraler Bedeutung war,31 stellten diese nicht den ausschliesslichen Inhalt der Beamtenprüfungen dar. Erneut wurde das Ansinnen laut, den bagu-Aufsatz zu Themen der orthodoxen Exegese weniger stark zu bewerten, und statt dessen mehr Gewicht auf die praktischen Verwaltungsaufgaben (jingshi 經世) und andere Prüfungsinhalte zu legen, die weniger ideologisch und stärker ­praxisorientiert

utilized Han works (hence called „Han Learning“) to reevaluate the Classics. Frequently, this change in emphasis also entailed a rejection of Sung Sources (hence called „Sung Learning“) to study the Classics because the latter were separated by over 1,500 years from the classical era, and because many Ch’ing scholars were convinced that the Tao Learning schools of Chu Hsi and Wang Yang-ming had unwittingly incorporated heterodox Taoist and Buddhist doctrines and theories into the literati canon.“ (Elman 2000, 504). 30 Wie David Nivison in seiner Studie zu Zhang Xuecheng schreibt, war der junge Zhang des Jahres 1766 stark beeindruckt von Dai Zhen und seiner Haltung gegenüber dem Studium (Nivison 1966, 32–34). Zu den Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Historiker Zhang und dem Philologen Dai nach Treffen 1774 und 1775, vgl. ebd., 46–50. Zum Verhältnis der beiden gibt es noch die Studie von Yu Yingshi aus dem Jahr 1976, erweitert erschienen in 1996, sowie einen englischsprachigen Artikel zum selben Thema (vgl. das Literaturverzeichnis). Der einzige Autor, der einen Zusammenhang zwischen der Kritik Zhangs und derjenigen Fangs sieht, ist Carsun Chang, der beide Kritiker gemeinsam im Kapitel 15 seines Werks bespricht. 31 Die Prüfung bestand aus mehreren Teilen, deren erster allerdings eine Prüfung in den Lehren der daoxue darstellte. Wie Elman wiederholt schreibt, wurde von Seiten der Gegner der daoxue und des bagu-Aufsatzes zudem immer wieder das Ungleichgewicht zugunsten des ersten Teils bei Korrektur und Bewertung der Prüfung beklagt. Deshalb beziehe ich diese Aussage in erster Linie auf die erste Sitzung der Prüfungen.

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

sind. Auch verschob sich das Gewicht innerhalb der ersten Frage von den Antworten zu den Vier Büchern zu denen der Fünf Klassiker. Zusätzlich wurde 1756–57 eine Prüfung zur Lyrik nach langem Unterbruch wieder eingeführt.32 (Elman 2000, 536–568). Schliesslich veränderte sich die Haltung gegenüber diesen Werken, indem die Klassiker nämlich historisiert und damit zusehends als Geschichtswerke wahrgenommen wurden, d.h. als Werke, die Auskunft geben über Begebenheiten der antiken Geschichte. Diese Bewegung, die in Zhang Xuechengs bekanntem Ausspruch „Die Sechs Klassiker sind alles Geschichtswerke“ („liu jing jie shi ye 六經皆史也“) ihren Ausdruck fand, ergriff nicht nur Zhang, sondern laut Elman auch den Historiker und Siku Quanshu-Editoren Qian Daxin, Qians Schwager Wang Mingsheng 王鳴盛 (1722–1798), der bei Hui Dong studiert hatte und ein Vertreter der hanxue war, sowie Zhao Yi 趙翼 (1727–1814) (Elman 2000, 486–487). Alle drei hatten sich durch historische Arbeiten ausgezeichnet und befürworteten die Historisierung gegenüber dem traditionellen, als apologetisch zu bezeichnenden Ansatz, wonach die Klassiker von Weisen geschrieben worden waren. Was die Beamtenprüfungen der mittleren Phase angeht, so waren die Einflüsse des stärker historischen Verständnisses der Klassiker ebenso spürbar wie die grössere Aufmerksamkeit, die den philologischen Hilfswissenschaften zukam. Für die Provinzprüfung von Shandong des Jahres 1807 wurde der bekannte Philologe Sun Xingyan 孫星衍 (1753–1818) als Prüfungsexperte gesandt, und eine seiner Prüfungsfragen drehte sich um die Phonologie (yinyun xue 音韻學) (vgl. Elman 2000, 508–509). Das heisst nicht, dass die neokonfuzianische Orthodoxie in den Prüfungen obsolet war, ganz im Gegenteil blieb sie der Kern der Beamtenprüfungen, aber die Ausrichtung der Prüfung hing neben den genannten Veränderungen stärker als je zuvor vom Prüfer ab. Wie Elman allerdings auch deutlich macht, betrafen diese Veränderungen der Prüfungsfragen in erster Linie die Provinzprüfungen. Die nationalen Prüfungen, die in der Hauptstadt und dann im Palast unter der mindestens nominellen Aufsicht des Kaisers stattfanden, waren hiervon nicht betroffen. Hier ­bildeten weiterhin die Prüfungsfragen entsprechend der daoxue-Orthodoxie den Schwerpunkt des relevanten Wissens (Elman 2000, 513–520). Allerdings blieb die Tendenz zur Historisierung der klassischen Schriften durchwegs bestehen. Und es war für rein neokonfuzianisch ausgebildete Gelehrte schwierig, überhaupt zur

32 Elman, 2000, 546 und Nivison 1966, 133–134 schreiben, dass Zhang Xuecheng die Lyrikfrage im Rahmen seiner Prüfung von 1757 beklagt und sich dagegen gewehrt habe, da Gedichte ebenso wie Kalligraphie nicht zu den Gaben dieses Historikers zählten.



Die Suche nach dem Wahren 

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Hauptstadtprüfung vorgelassen zu werden, wenn die Provinzprüfer Kenntnisse philologischer Techniken verlangten.

Die späte Qing Als Spätphase der Dynastie sei hier die Zeit ab der Regierungsperiode daoguang (道光; 1821–1850) bezeichnet. Innerhalb des Konfuzianismus gab es m.E. zwei Entwicklungen, welche diese späte Phase prägten. Diese lassen sich charakterisieren als die Kritik am zuvor Erreichten einerseits und die erneute Suche nach Authentizität in der konfuzianischen Lehre andererseits. Was die Kritik am Erreichten anbetrifft, so stellt sie den hauptsächlichen Gegenstand dieser Untersuchung dar, und es soll hier nur kurz auf weitere Kritiker eingegangen werden. Die Kritik war – entsprechend den beiden Vorgehensweisen – eine zweigeteilte. Zum einen gab es die Kritik an der kaozhengxue, der textkritischen und philologisch orientierten Schule als reine Textvermittlung ohne Sinnstiftung, und zum anderen diejenige an der hanxue, dem Versuch, die auf Zhu Xi zurückgehende Orthodoxie durch eine sprachzentrierte Philosophie zu ersetzen. Die textkritische Forschung der Qingzeit hatte zu einer Reihe von interessanten Erkenntnissen geführt, die für die moderne Sinologie in China wie im Westen grundlegend sind. Hierzu gehören neben den zu Beginn der Dynastie erreichten spektakulären Entdeckungen von Fälschungen durch Yan Ruoqu und Hu Wei auch die exzellente Zusammenstellung von Kommentaren oder Glossensammlungen zu klassischen Werken,33 die Rekompilation verloren geglaubter Werke,34 und nicht zuletzt die Sammlung Siku Quanshu, die schwer zugängliche Werke einer breiteren Gelehrtenschicht zugänglich machte. Das alles ist aus der Sicht

33 Als beispielhafte zusammengestellte Kommentare können etwa dienen: Sun Xingyans Zhou Liu Zhengyi 周禮正義 und Liu Baonans 劉寶楠 (1791–1855) Lun Yu Zhengyi oder auch Wang ­Niansuns 王念孫 (1744–1832) Guang Ya Shu Zheng 廣雅疏證. Von dem selben Autoren gibt es auch die ausgezeichnete Glossensammlung Jingyi Shuwen 經義述聞 sowie dessen Sohn Wang Yinzhis 王引之 (1766–1834) Werk Jing Zhuan Shi Ci 經傳釋詞. 34 In der Qingzeit wurden einige Werke der Vergangenheit, die nicht als Ganzes überliefert worden waren, aus Zitaten in Congshu und Leishu rekompiliert. Ein wichtiges Werk dieser Kategorie war Chen Shouqis 陳壽棋 (1771–1834) Rekompilierung des hanzeitlichen Werks Wu Jing Yi Yi 五經異義, das im Jahr 1813 gedruckt wurde. Ein anderes bekanntes Beispiel ist das Werk Tong Su Wen 通俗文 des Fu Qian 服虔 (?–?, fl. 2. Hälfte 2. Jh.), das unter anderem von Ren Dachun 任大椿 (1738–1789) rekompiliert wurde. Schliesslich sei noch Ma Guohan 馬國翰 (1794–1857) zitiert, der in seinem Yuhan Shanfang Ji Yishu 玉函山房輯佚書 eine grosse Zahl von Fragmenten zusammengetragen hat.

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

einer modernen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der chinesischen Schrifttradition von immensem Nutzen. Das ursprüngliche Ziel der qingzeitlichen Konfuzianer war es aber gewesen, eine verlässlichere Basis für die daoxue-Exegese der Klassiker zu finden. Tatsächlich aber hatte die Arbeit die Gelehrten weiter und weiter von diesem Ziel weggeführt. Die Texte, die über Jahrhunderte als die Schriften von Weisen verstanden und verehrt worden waren, konnten ihre aussergewöhnliche Stellung angesichts der kritischen Fragen nach Authentizität, Unverfälschtheit und lückenloser Tradierung nicht mehr halten. Die Ansicht, dass Konfuzius alle Klassiker redigiert habe, und dass sie seither in unveränderter Form tradiert worden seien, musste angesichts der in der frühen und mittleren Phase der Dynastie gemachten Erkenntnisse als naiv bezeichnet werden. Diese Entwicklung kann man durchaus als ein Zeugnis oder sogar den Beginn wissenschaftlichen Denkens in China bezeichnen. Wie in der europäischen Geistesgeschichte war es auch hier eine ursprünglich nicht beabsichtigte Entwicklung, die den Durchbruch zu neuen Ufern brachte.35 Hier setzt ein Aspekt der Kritik Fang Dongshus an, der immer wieder die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen von Gelehrten beklagt. Durch das textkritische Hinterfragen wird die Lehre in Misskredit gebracht, weil erst durch das Aufzeigen von Bruchstellen die Irrungen und Wirrungen der zweitausendjährigen Überlieferung- und Rezeptionsgeschichte der kanonischen Schriften deutlich wurden. Der kaozhengxue wurde also vorgeworfen, sich rein destruktiv auszuwirken, und nichts an die Stelle der durch ihr hartnäckiges Hinterfragen in Misskredit gebrachten Klassiker gesetzt zu haben. Diese Kritik versucht, den Boten mit der schlechten Nachricht zu töten, denn die Textkritik brachte ja nicht die Texte in Verruf, um sie schlecht zu machen. Vielmehr hielten die Texte dem an sie gerichteten Anspruch in Bezug auf Alter und Autorschaft nicht stand. Der zweite Aspekt der Kritik am Erreichten war die Kritik an der hanxue. Indem die hanxue versuchte, die exegetische Hermeneutik Zhu Xis durch ihre eigene Sprachphilosophie zu ersetzen, gingen eine Reihe von wichtigen

35 Die Geschichte der Menschheit ist bekanntlich voll von Fällen grossartigem Scheiterns, also dem Scheitern der ursprünglichen Absicht, das dann zu einer Erkenntnis ganz anderer Art führte. Als Beispiele seien hier erwähnt: Johannes Kepler, der beweisen wollte, dass die fünf mit blossem Auge sichtbaren Planeten sich auf konzentrischen Kreisen bewegten. Immanuel Kant, der versuchte, die Existenz Gottes schlüssig zu beweisen, dabei aber das Gegenteil erreichte, und die Welt in ein Zeitalter führte, in dem Gott zur hinterfragbaren Grösse der Philosophie wurde. Als drittes Beispiel sei Christoph Kolumbus genannt, der weder nach Indien kam, noch die Welt umsegelte, aber bekanntlich trotzdem viel auslöste. Zur Vertiefung dieses Themas vgl. die Publikation Newtons Koffer: Geniale Aussenseiter, die die Wissenschaft blamierten von Frederico Di Trocchio aus dem Jahr 1997.



Die Suche nach dem Wahren 

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­ nterscheidungen und moraltheoretischen Lehren verloren. Die Vorstellungen U zur Erkenntnistheorie beispielsweise, wie sie in der Songzeit formuliert wurden, wären ohne Zhu Xis Kommentar zum Daxue nicht haltbar gewesen. Somit schien aus der Sicht der neokonfuzianischen Gelehrten die hanxue die exegetische Erweiterung, der durch die songzeitlichen Meister erreicht worden war, wieder zurückzunehmen. Abgesehen von diesem Faktum ist es so, dass die Lehren Dai Zhens, die dieser an die Stelle der songzeitlichen daoxue setzen wollte, ihren eigenen Ansprüchen nicht genügen konnte: weder entfernte sich Dai Zhen tatsächlich von dem Begriffsrepertoire Chengs und Zhus, noch bot er gangbare Lösungen in eine neue Richtung an. Der Grund hierfür ist, dass seine Lehren versuchten, einen Spagat hinzukriegen zwischen den hanzeitlichen Glossen, auf die Dai seine Aussagen aufbaut, und den Anforderungen, dieselben Prozesse zu erklären, die Zhu Xi bereits zuvor erklärt hatte. Dai Zhen musste mit dem begrifflichen Instrumentatrium des zweiten Jahrhunderts Lehrsätze des zwölften Jahrhunderts ersetzen, dabei aber stets auch die späteren Schlüsselbegriffe b ­ eibehalten. Auf die Probleme im Zusammenhang mit dieser Aufgabe wird später im Abschnitt zu Fang Dongshu und seinen Gegnern noch eingegangen werden. Damit komme ich zum zweiten charakteristischen Aspekt des Konfuzianismus der ausgehenden Qingzeit: der erneuten Suche nach Authentizität. Diese setzte ein, als sich die neuen Lehren Dai Zhens allmählich als untauglich erwiesen, wofür Fang Dongshus Kritik im Hanxue Shangdui mit verantwortlich war. Um den so in Gang gesetzten Prozess der Neuorientierung im Zusammenhang verstehen zu können, sei hier noch einmal die spät-kaiserzeitliche Rezeption der grossen Blütezeiten des Konfuzianismus in der chinesischen Geschichte rekapituliert: erstens die Westliche Hanzeit (206 v. Chr.–23 n. Chr.) mit dem NeutextKonfuzianismus, der sehr stark versuchte, die Schriften für die aktuelle ­Situation nutzbar zu machen; zweitens die Östliche Hanzeit (25–220 n. Chr.) mit ihrer Betonung auf dem Alttext-Konfuzianismus und der Blüte der Sprachglossen und philologischen Kommentaren; drittens der songzeitliche Neokonfuzianismus (960–1127 Nördliche Song, 1127–1279 Südliche Song, daoxue und xinxue), der den Diskurs im Reich dem Daoismus und Buddhismus wieder entriss und deren Exponenten sich bemühten, Antworten auf die durch diese beiden Lehren gestellten Fragen zu geben; und viertens die mingzeitliche Variante der xinxue (1368–1644) mit ihrer starken Betonung des Individuums und des Subjektiven. In der Qingzeit (ab 1644) ereignete sich ein Paradigmenwechsel im Umgang mit der Lehre: erstmals wurden keine neuen Theorien erschaffen, sondern alte Theorien rückten wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit, und es wurde versucht, diese für die neue Zeit nutzbar zu machen. Dabei wurde eine nach der anderen kritisiert und für untauglich erklärt, so dass sich die qingzeitlichen Konfuzianer immer weiter durch die Geschichte zurückarbeiteten.

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

Diese neuerliche Suche nach Authentizität bedeutete also konkret: Nachdem die frühqingzeitliche Auseinandersetzung mit der mingzeitlichen xinxue diese diskreditiert hatte, wurden zunächst die songzeitlichen Lehren wieder als authentische Wiedergabe der Lehren des Konfuzius verehrt. Nachdem die kaozhengxue ihrerseits Aspekte und vor allem die textlichen Grundlagen des songzeitlichen Neokonfuzianismus als unzureichend kritisiert und Texte, auf welche sie gegründet sind, als Fälschungen entlarvt hatte, wandten sich die Gelehrten weiter zurück bis zu den Gelehrten der Östlichen Hanzeit und ihrer auf die Sprachvermittlung konzentrierten Herangehensweise an die Texte. Diese als hanxue bekannte Annäherung an die Lehren des Weisen konnte aber keine Antworten liefern auf die moralischen und metaphysischen Fragen, und damit wurde auch sie als unzureichend empfunden. Nachdem die Kritik Fang Dongshus, aber wohl auch anderer, an dieser qingzeitlichen hanxue diese Strömung innerhalb des Konfuzianismus ebenfalls desavouiert hatte, blieb den Gelehrten nur noch eine Möglichkeit bei ihrer Suche nach der authentischen Lehre: der Rückgriff auf den Neutext-­Konfuzianismus der Westlichen Hanzeit. In den Gelehrtenstreitigkeiten der Zeit wurden viele der Konzepte so stark hinterfragt, dass sie ihre argumentative Überzeugungkraft einbüssten, und so durchsuchten die Gelehrten die Tradition nach neuen exegetischen Ideen, mit denen sie die alte Lehre neu gültig und relevant machen konnten. Die Suche nach der authentischen Lehre des Weisen präsentiert sich damit als eine Kette von Rückgriffen auf und Wiederbelebungsversuchen von immer weiter zurückliegenden Exegesetraditionen, mit deren Hilfe der „wahre“ oder „authentische“ Konfuzianismus wiedergefunden werden sollte. Als Massstab dieser Authentizität wurde dabei jeweils die grössere historische Nähe zu Konfuzius selbst betrachtet. Neben der verlangten Authentizität sei hier schliesslich erneut an die These erinnert, dass der Rückgriff auf die hanzeitliche Tradition der konfuzianischen Gelehrsamkeit eine Reaktion gewesen sein könnte auf die mandschurische Fremdherrschaft (vgl. Chow 1995, 54). Diese These geht vermutlich ebenfalls auf den oben in einer Anmerkung erwähnten Zhang Taiyan zurück.36

36 Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass Zhang Taiyan vehement gegen die Fremdherrschaft der Mandschus kämpfte. In manchen frühen Schriften signalisierte er zwar Bereitschaft, die Mandschus als „Gastkaiser“ zu akzeptieren, aber das war nur der Ausweglosigkeit der Situation zuzuschreiben. Ab 1901 und der zusehenden Bedrängnis der Qing wurden auch seine Schriften immer radikaler (vgl. hierzu Weber 1986, 106–117; 210–217; 410–422). Neben der These der anti-mandschurischen Rückbesinnung auf hanzeitliche Traditionen gibt es auch die damit zusammenhängende These, dass die Reduktion der Gelehrsamkeit auf politisch wenig brisante Themen wie eben die Textkritik auf den harschen Umgang der Mandschuherrscher mit den Konfuzianern in der frühen Qing zurückzuführen sei. Die These geht e­ benfalls



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Die Situation der Beamtenprüfungen in der späten Qing sollte hier auch kurz erwähnt werden, da es eindeutig einen Zusammenhang gibt zwischen den Strömungen innerhalb der Gelehrsamkeit und der Prüfungsordnung. Während die frühe und mittlere Qingzeit die Beamtenprüfungen in Umfang, Prüfungsordnung sowie vor allem Inhalt beinahe ununterbrochen an die Strömungen und Erfordernisse angepasst haben, setzte ab dem jiaqing-Kaiser vollkommene inhaltliche Stagnation ein, in der die Prüfungsanforderungen überhaupt nicht mehr den Erfordernissen der Zeit angepasst wurden. Sehr bald folgte im Süden Chinas die Taiping-Rebellion und damit eine erzwungene Veränderung der Prüfungen in dem von den Truppen Hong Xiuquans 洪秀全 (1813–1864) kontrollierten Gebiet.

Intellektuelle Geschichtsschreibung und die ­ „Chinesische Renaissance“37 Nach der kurzen Erörterung einzelner Phasen des Konfuzianismus der Qingzeit wird im folgenden Abschnitt dessen Rezeption im 20. Jahrhundert beschrieben, da die Aussagen des Hanxue Shangdui in manchen Punkten eine andere Einschätzung nahe legen als die hier zu diskutierenden Autoren und ihre Aussagen. In China wurde intellektuelle Geschichtsschreibung – wie auch allgemeine Geschichtsschreibung – stets im biographischen Zusammenhang mit den Akteuren wahrgenommen. Die Dynastiegeschichten waren seit Anbeginn stark personenzentriert, wie sich schon am unterschiedlichen Umfang der historischen ­Aufzeichnungen der Tagespolitik „ben ji“ und der Biographien „zhuan“ erkennen lässt. Auch die intellektuelle Geschichtsschreibung orientierte sich seit Huang Zongxis 黃宗羲 (1610–1695) Ming Ru Xuean 明儒學案 (Darstellung der Gelehrsamkeit der mingzeitlichen Konfuzianismus von 1676, 63 Faszikel oder juan) an der Form der Dynastiegeschichten, indem sie die Biographien der Personen an den Anfang aller Aussagen über deren Gelehrsamkeit setzte.38 Einmal etabliert, setzte

auf Zhang Taiyans „Qingru“ zurück, aber Kai-wing Chow 1986, 297 zitiert auch Hou Wailu 侯外盧 (1903–1982) mit Jindai Zhongguo Sixiang Xueshuo Shi 近代中國思想學說史 und Liang Qichao mit Zhongguo Jin Sanbai Nian Xueshu Shi 中國近三百年學術史. 37 Nach der Schilderung der Entwicklung des Konfuzianismus der Qingzeit soll hier nun ein erster Blick auf die Rezeption dieses Teils der chinesischen Geistesgeschichte geworfen werden. Hier geht es zunächst um einen allgemeinen Überblick über die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit. Später, im Kapitel zu Dai Zhen, wird die Rezeption dieses Gelehrten ausführlicher diskutiert. 38 Das Ming Ru Xuean war das einflussreiche und bekannte Buch Huang Zongxis, das er 1676 fertig stellte und das 1693 erstmals in Druck ging. Das Werk war grundlegend für die gesamte Gattung der „xuean“-Geistesgeschichten und gruppierte die Leistungen in biographische Kapitel,

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sich diese Form fort mit Zhu Shis 朱軾 (1665–1736) Shizhuan Sanbian 史傳三編 (Drei Kompilationen zur Prosopographie in der Geschichtsschreibung 1729, 56 j.) und bis zu Jiang Fan und seinem Guochao Hanxue Shicheng Ji 國朝漢學師承記.39 Fangs Hanxue Shangdui weicht in der Form von diesen etablierten Vorbildern ab, bleibt jedoch letztlich auch personenzentriert, indem es nicht die Debatten um Begriffe in den Mittelpunkt stellt, sondern die Gelehrten pauschal daran misst, wie sie sich zur konfuzianischen Orthodoxie stellten. Huang Aiping eröffnet die englischsprachige Zusammenfassung ihres Artikels von 1996 mit den folgenden Worten: „The period from the late Ming dynasty to the early Qing dynasty was a special era during which one feudal dynasty replaced another. It was also an important historical stage in Chinese traditional Learning during which Hanxue supplanted Songxue. Mao Qiling was a representative scholar of this process of social and intellectual change. He opposed Lixue, stressed textual research, and opened up a new sphere of Learning for Later scholars. Although Mao Qiling’s intellectual accomplishments were rather limited, he played an important role in the Ming-Qing intellectual transition.“ In dieser Passage gibt es eine schwerwiegende terminologische Ungenauigkeit, die im Zusammenhang mit der Diskussion der konfuzianischen Gelehrsamkeit der Qingzeit nur allzu häufig anzutreffen ist: Die Reduktion auf die bipolare Sicht, dass es eine songxue gegeben habe, welche im Verlauf der Qing durch die hanxue ersetzt, bzw. von ihr verdrängt wurde. Der auf diese Weise skizzierte Ablauf suggeriert eine lineare Entwicklung des Konfuzianismus, die sich von der songzeitlichen Exegese eines Zhu Xi oder eines Cheng Yi (der „lixue“) über die mystische und vom Zen-Buddhismus allzu stark beeinflusste xinxue des Wang Yangming entwickelt hätte. Diese Linie setzt sich fort in die Qingzeit, wo aufgrund der Rückbesinnung auf die Leistungen der Kommentatoren der Hanzeit eine „­ Renaissance“ dieses goldenen Zeitalters der chinesischen Gelehrsamkeit eine Entwicklung in Gang gesetzt

und gleichzeitig benannte es Schulen. Daneben arbeitete Huang an einem vergleichbaren Werk über die Dynastien Song und Yuan mit dem Titel Song Yuan Xuean 宋元學案 (Darstellung der Gelehrsamkeit der song- und yuanzeitlichen Konfuzianismus). Dieses blieb zum Zeitpunkt seines Todes unvollendet, und erst Quan Zuwang 全祖望 (1705–1755) vollendete das Werk, wahrscheinlich kurz vor seinem Tod (Pan Fuen 1992, 784–789). Dieses zweite Werk hatte einen ­Umfang von 100 Faszikeln, und die früheste gedruckte Ausgabe stammt von 1836, also zwölf Jahre später als Jiang Fans oder Fang Dongshus Werke. Es ist daher davon auszugehen, dass das Song Yuan Xuean für den vorliegenden Zusammenhang keine Rolle spielte. 39 Guochao Hanxue Shicheng Ji (Aufzeichnungen zu Gelehrtentraditionen der Gelehsamkeit im Stile der Hanzeit in unserer Dynastie): ist der vollständige Name des Werks, wie bereits oben ­bemerkt, wird für gewöhnlich das Guochao weggelassen.



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wurde, welche – ­parallel zur ­europäischen – ein Zeitalter der Aufklärung hervorbringt. Hand in Hand damit steht der Aufschwung der Wissenschaft als einer neuen Art des Denkens, mit welcher der Ausgang aus der vom chinesischen Volk selbst verschuldeten Unmündigkeit des konfuzianischen Dogmas möglich wird. Diese leider nur allzu populäre Darstellung der Entwicklung des chinesischen Denkens geht im Wesentlichen zurück auf Autoren des frühen 20. Jhds., auf Zhang Taiyan und Liang Qichao, Hu Shi und, mit zeitlicher Distanz und etwas anderer Akzentsetzung, Qian Mu. Die republikzeitliche Rezeption des qingzeitlichen Konfuzianismus hat nicht nur das wissenschaftliche Verständnis des qingzeitlichen Konfuzianismus geprägt, sie hat auch die Ansicht über den Modernisierungsprozess Chinas mitgestaltet. Die qingzeitliche Gelehrsamkeit sowie ihre Rezeption stehen in engem Zusammenhang mit dem Diskurs um den Modernisierungsprozess des Landes, denn manche Aspekte der Moderne hielten lange vor dem Ende der Kaiserzeit 1911 Einzug im Reich der Mitte, und so muss es in der Qing Entwicklungen gegeben haben, die der Modernisierung den Weg bereiteten. Die entscheidenden Fragen in diesem Zusammenhang sind m.E., wann sich diese Entwicklungen ereignet haben und ob sie tatsächlich die Modernisierung beabsichtigten. Die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit als Entwicklung des Konfuzianismus ist selbstverständlich an vielen anderen Stellen bereits resümiert worden.40 Es geht in der vorliegenden Arbeit darum, die Punkte hervorzuheben, die zu einer m.E. überproportionalen Repräsentation der textkritischen und gegen den songzeitlichen Konfuzianismus gerichteten Gelehrsamkeit in der Forschungsliteratur geführt haben. Hier ist insbesondere der Prozess der Modernisierung erwähnenswert, denn die Textkritik wurde als Vorläufer des wissenschaftlichen Denkens verstanden, während die Orthodoxie als System zur Verhinderung einer Modernisierung der chinesischen Gesellschaft rezipiert wurde. Eine weitere der Auffassungen gegenüber dem Modernisierungsprozess ist, dass die Moderne China von aussen und durch einen exogenen Anstoss erreichte, nämlich vornehmlich durch den Kontakt mit der führenden imperialistischen Macht Europas, mit dem britischen Empire. Der Prozess der Modernisierung war in China ein ausnehmend schwieriger Prozess, schmerzhaft, langwierig und bis heute nicht in allen Belangen abgeschlossen. Der Hereinbruch der Moderne

40 Vgl. zu diesem Thema die Publikation von Edward Q. Wang von 2001, insbesondere S. 51–63; Tang Xiaobing 1996, 195–205; das vierte Kapitel von Wu Mingnengs Studie zu Liang Qichao aus dem Jahr 2001; Die Einführung zu Lionel Jensen 1997; Charlotte Furths Kapitel 7 des zwölften Bandes der Cambridge History of China.

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

wurde im Westen lange unter diesem Gesichtspunkt von „China’s Response to the West“ betrachtet, in dem China eine grundsätzlich reaktive Haltung zugeschrieben wurde.41 Dadurch wurde der Zeitpunkt für den Beginn der Moderne folgerichtig auf 1840 festgelegt, den ersten Opiumkrieg und Beginn der Westlichen Dominanz in China. Hierbei ist zu sagen, dass der Opiumkrieg definitiv der Beginn von etwas Neuem war, wohl vor allem eines neuen Selbstverständnisses von China und seiner Rolle in der Welt. Auf der anderen Seite versuchten Autoren der „Vierten-Mai-Bewegung“ gewisse Aspekte der Moderne – etwa das wissenschaftliche Denken – in der Klassiker- und Geschichtsforschung der qingzeitlichen Schulen kaozhengxue und hanxue festzumachen. Diese Autoren legten grossen Wert auf die Feststellung, dass sich in China eine eigene und unabhängige Tradition des Denkens entwickelt hatte, die als Entwicklung für die Modernisierung einer Gesellschaft unabdingbar ist. Die Autoren dieser Argumentationslinie, insbesondere Hu Shi und Liang Qichao, betonten die Parallelen zwischen der Hinwendung zur eigenen Geschichte in der europäischen Renaissance und der qingzeitlichen Gelehrsamkeit. Hu Shi hat sogar ein Buch verfasst mit dem Titel The Chinese Renaissance, in dem er den Kontakt mit dem Westen als eine grundlegende Triebfeder der gesellschaftlichen Veränderung in China bezeichnet, wie das folgende ausführliche Zitat belegt: „The Renaissance movement of the last two decades differs from all the early movements in being a fully conscious and studied movement. Its leaders know what they want, and they know what they must destroy in order to achieve what they want. They want a new language, a new literature, a new outlook on life and society, and a new scholarship. They want a new language, not only as an effective instrumentality for popular education, but also as the effective medium for the development of the literature of a new China. They want a literature that shall be written in the living tongue of a living people and shall be capable of expressing the real feelings, thoughts, inspirations, and aspirations of a growing nation. They want to instil into the people a new outlook on life which shall free them from the shackles of tradition [meine Hervorhebung; M.W.] and make them feel at home in the new world and its new civilization. They want a new scholarship which shall not only enable us to understand intelligently the cultural heritage of the past, but also prepare us for active participation in the work of research in the modern sciences. This, as I understand it, is the mission of the Chinese Renaissance. The conscious element in this movement is the result

41 Zum Bereich „China’s Response to the West“ siehe die gleichnamige Publikation von Ssû-yü Teng und John Fairbank aus dem Jahr 1954. Hierzu gibt es in Cohens Discovering History in China ein Kapitel, das sich mit dieser Thematik kritisch auseinandersetzt.



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of long contact with the people and civilization of the West. It is only through contact and comparison that the relative value or worthlessness of the various cultural elements can be clearly and critically seen and understood. What is sacred among one people may be ridiculous in another; and what is despised or rejected by one cultural group, may in a different environment become the cornerstone for a great edifice of strange grandeur and beauty. For ten long centuries, by a peculiar perversion of aesthetic appreciation, the bound feet of Chinese women were regarded as beautiful; but it took only a few decades of contact with foreign peoples and ideas to make the Chinese people see the ugliness and inhumanity of this institution.“ (Hu Shi 1933, 46–47). Offensichtlich instrumentalisierte Hu die qingzeitliche Gelehrsamkeit für sein eigenes Programm, welches genau diese Art der Modernisierung forderte: Gleichberechtigung der Geschlechter und ein Ende der klassischen Schriftsprache. Liang Qichao versucht sich in derselben Parallelisierung der europäischen Renaissance mit der frühqingzeitlichen Gelehrsamkeit wie Hu Shi. Er verweist explizit auf die Parallelen in seinem Vorwort zu Qingdai Xueshu Gailun: „These [last] two-hundred-odd years may be summed up as China’s ‚Age of Renaissance‘ “ (Liang 1959, 14).42 Bei Liang Qichao kommt hierzu möglicherweise auch ein gewisses persönliches Interesse. Liang war ein Schüler Kang Youweis und er betrachtete diesen als grundsätzlichen Erneuerer der konfuzianischen Lehre. Er verstand Kangs Anstrengungen zu einer Revitalisierung des Konfuzianismus als die Gründung einer Religion und als Überwindung sowohl der hanxue als auch der songxue. Damit drängt sich eine weitere Parallele auf, nämlich die zwischen Renaissance und Reformation. In Europa hatte es knappe zweihundert Jahre gedauert von der Renaissance Francesco Petrarcas (1304–1374) bis zur Reformation Martin Luthers (1483–1546). In China vergingen von Gu Yanwu bis Kang Youwei etwas mehr als zweihundert Jahre, und diese Parallelisierung nutzte Liang, um seinen Lehrer als Reformator des Konfuzianismus darzustellen. Als Beleg für diese Absicht möchte ich die Einschätzung Kang Youweis in Liangs Qingdai Xueshu Gailun zitieren, in der Liang erstaunlich ähnlich klingt wie manche der Argumente Fang Dongshus. Liang schreibt über seinen Lehrer:43

42 Vgl. Liang Qichao 1998, 1–3; Liang Ch’i-ch’ao 1959, 14–15. Das Qingdai Xueshu Gailun basiert stark auf dem Text „Qingru“ von Zhang Taiyan publiziert als Kapitel 13 seines Qiu Shu 訄書 (vgl. Zhang Taiyan 2000, 139 & 175). Achim Mittag hat in einem Aufsatz von 1995 den Einfluss Zhangs auf die moderne chinesische Wissenschaft deutlich gemacht. 43 Eine weitere hohe Auszeichnung für seinen Lehrer verbirgt Liang m.E. in der Formulierung dessen, was dieser für die konfuzianische Tradition geleistet hat. Liang schreibt: „The Modern Text Movement centered around K’ang Yu-wei of Nan-hai, who, however, was not its founder but its synthesizer.“ (Liang Ch’i-ch’ao 1959, 91; Im Original: “今文學運動之中心, 曰南海康有為。

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„The influence of this work on the intellectual world may be said to have been the following: 1) It taught men not to study the ancient works with the intention of seeking out the trivialities of commentary on isolated phrases, or philology, or the terms for artefacts, or [minute details] concerning institutions, but [to study them] for their general meaning. On the other hand, their general meaning was not to be found in the discussion of Mind and Human Nature, but rather in the basic ideas with which ancient men initiated laws and established institutions. As a result, both Han and Sung learning were rejected, and this opened up new frontiers to the academic world. 2) In asserting that Confucius’ greatness lay in his establishing a new school of learning [i.e., initiating a religion], it encouraged men’s creative spirit.“ (Liang Ch’i-ch’ao 1959, 95; Liang Qichao 1998, 79–80). Schliesslich sei aus der Schlussfolgerung Liang Qichaos zitiert, in der er seine Einschätzung der qingzeitlichen Gelehrsamkeit formuliert. Aus dieser geht deutlich hervor, dass es ihm um den Nachweis ging, dass das chinesische Volk zu wissenschaftlichem Denken fähig und bereit ist, sowie die Betonung der Wissenschaften für die Entwicklung Chinas: „1) It is evident that our people are richly endowed with the „instinct for knowledge“ and that our cultural history is really worthy of study. […] Therefore, although we of the present generation should, on the one hand, absorb as much new culture from outside as possible, we should never, on the other hand, rashly indulge in selfdepreciation and so sacrifice our heritage. 2) On the „scholarly personality“ of previous generations we need to develop a certain kind of outlook. The so-called „scholarly personality“ seeks knowledge for knowledge’s sake, and positively not as a means for anything outside itself. Therefore the character of the [true] scholar is straightforward and his purpose single. Although the world may not concede his usefulness at once, the progress of civilization in each age depends on this kind of man.“ (Liang Ch’i-ch’ao 1959, 122; Liang Qichao 1998, 105). Wie aus diesen Zitaten zu ersehen, war Liang nicht an einer wissenschaftlich neutralen Einschätzung der qingzeitlichen Gelehrsamkeit interessiert, sondern an anderen Dingen. Es ging ihm etwa darum, die Grundlage zu schaffen für ein neues China und die „Neue Kultur“ (xin wenhua 新文化) des „Vierten Mai“, in welcher der alte „Konfuziusladen“ (Kongzi dian 孔子店) abgerissen werden sollte, und ein wissenschaftlich denkendes, modernes China entstehen sollte, das mit der Entwicklung Japans seit der Meiji-Zeit (1867–1912) vergleichbar wäre. Trotzdem wurden und werden seine Einschätzungen der qingzeitlichen Gelehrsamkeit bis heute

然有為蓋斯學之集成者, 非其創作者也。 “ Liang Qichao 1998, 77). Die Formulierung erinnert stark an Lunyu 7.01, wo Konfuzius über sich selbst sagt, er sei einer, der Überliefertes auslegt, aber kein eigenes Werk geschaffen habe (shu er bu zuo 述而不作).



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unterrichtet und das Qingdai Xueshu Gailun bietet sich anscheinend aufgrund seiner hohen Verfügbarkeit und leichten Lesbarkeit als ­Einführungstext an.44 Natürlich sind die Rezeptionen Hu Shis und Liang Qichaos nicht die einzigen geblieben. Qian Mu und später Yu Yingshi 余英時 (*1930) haben eine andere Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit vorgelegt, welche diese als nationalen Schatz und autochthone Philosophie dem Ausland gegenüberstellt. Insgesamt erscheinen mir die Einschätzungen der konfuzianischen Gelehrsamkeit durch Qian Mu im Allgemeinen sowie diejenigen der qingzeitlichen im Besonderen als sehr ausgewogen und nachvollziehbar.45 Yu Yingshi hat erstmals deutlich darauf hingewiesen, dass die qingzeitliche Entwicklung eine Entwicklung innerhalb des Konfuzianismus seit der Song darstellt, so dass sowohl die mingzeitliche xinxue wie auch die qingzeitliche hanxue als Weiterentwicklungen der songzeitlichen Lehre dargestellt werden. Zudem hat er mit seiner Studie über Dai Zhen und Zhang Xuecheng eine wichtige Figur der mittleren Phase wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Benjamin Elman (*1946) hat das Augenmerk auf die sozialen und ökonomischen Bedingungen für Entstehung und Unterhalt der kritischen Gelehrtenschicht im Süden des Landes gelenkt, Kai-wing Chow (*1951) hat in seiner wegweisenden Studie The Rise of Confucian Ritualism die rituelle Einbindung der Gelehrsamkeit und die Auswirkungen auf die Hierarchien im Konfuziustempel untersucht. Schliesslich hat Thomas Wilson (*1954) mit Genealogy of the Way auf die Instrumentalisierung der konfuzianischen Gelehrsamkeit durch politische Interessengruppen hingewiesen. Immer wieder jedoch erscheinen manche der Aussagen Liang Qichaos oder Variationen davon auch in moderneren Darstellungen der entsprechenden Geistesgeschichte.46 Zudem hat die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit in der

44 Zur Rezeption Liang Qichaos vgl. Tang Xiaobings Global Space and the Nationalist Discourse of Modernity: The Historical Thinking of Liang Qichao und Kapitel vier in Wu Mingnengs Sammelband Liang Qichao Yanjiu Conggao 梁啟超研究叢稿. 45 Ich bin keineswegs ein Anhänger oder Schüler Qian Mus. Aber bei der Lektüre der Forschungsliteratur zum Thema fiel mir auf, dass die – zum Teil sehr kurzen – Darstellungen der Gelehrten in Zhongguo Jin Sanbai Nian Xueshu Shi 中國今三百年學術史 (Eine Geschichte der chinesischen Gelehrsamkeit der jüngsten dreihundert Jahre) und Guoxue Gailun 國學概論 (Eine Übersicht über die klassische chinesische Bildung) meinen Beobachtungen bei der Lektüre gewisser Autoren entsprachen. Im sehr ausführlichen Zhuzi Xin Xuean 朱子新學案 (Neue Beurteilung der Gelehrsamkeit Meister Zhu [Xis]) las ich die Abschnitte „Zhuzi bianwei xue“, „Zhuzi jiaokan xue“ und „Zhuzi kaoju xue“ und fand dort eine Darstellung zu Zhu Xis textkritischem Vorgehen, die ich sonst in dieser Form nirgends gesehen habe. 46 Als Beispiele seien hier die folgenden angeführt: die Darstellung Qingdai Xueshu Wenhua Shilun von Wang Junyi und Huang Aiping 1999 sowie die Schriften Zhou Yutongs zu diesem Thema (vgl. Zhou Yutong Jingxue Shi Lunzhu Xuanji 周予同經學史論著選集).

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 Konfuzianische Geistesgeschichte der Qingzeit und ihre Rezeption

Volksrepublik über lange Zeit nichts zur Korrektur dieser m.E. verzerrten Wahrnehmung beigetragen. Die sozialistische Wissenschaft war angehalten, Begriffe wie „Materialismus“ und „Idealismus“ sowie „Subjektiv“ und „Objektiv“ in der Tradition festzumachen, und da Dai Zhen als Vertreter des „subjektiven Materialismus“ (zhuguan weiwuzhuyi 主觀唯物主義) klassifiziert wurde, fielen Zhu Xis Lehren die undankbare Klassifizierung als „objektiver Idealismus“ (keguan weixinzhuyi 客觀唯心主義) zu. Zudem hielten auch die Führer der Volksrepublik den Konfuzianismus für die Wurzel allen „feudalen“ Denkens und damit war die Einschätzung der neokonfuzianischen Autoren auch in der Volksrepublik Mao Zedongs und Hua Guofengs eine unvorteilhafte. (Vgl. Zhongguo Da Baike Quanshu; „zhexue“, 1:118). Erst in jüngerer Zeit haben die Arbeiten von Zhu Weizheng 朱維錚 ein ausgewogeneres Bild vermittelt.

Rezeption Dai Zhens Fang Dongshu greift in seinem Werk die Aussagen Dai Zhens mehr und heftiger an als jene irgend eines anderen Gelehrten. Indem Dai Zhen sowohl innerhalb des Hanxue Shangdui eine zentrale Rolle spielt wie auch in den oben diskutierten Darstellungen der Entwicklung der Gelehrsamkeit muss hier erneut die Rezeption Dai Zhens durch die spätere Forschung erörtert werden. Es geht hier nur um die Rezeption in der Republik und durch die Autoren des „Vierten Mai“. Deren Wurzeln reichen aber zurück bis in die letzte Phase der Qing-Dynastie, vielleicht sogar bis zu Fang Dongshu. Die Wahrnehmung Dai Zhens durch seine Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts sowie seine Schüler wird im Abschnitt zu Fang und Dai noch für sich diskutiert werden. Die Ereignisse im 19. Jh. veränderten Chinas Selbstverständnis grundlegend. Die Schmach der verlorenen Opiumkriege, die Schwäche der Zentralregierung angesichts der Taiping-Rebellion und schliesslich die ausländische Hilfe zur Niederschlagung des Boxeraufstandes machten China zum Spielball des Westens. Die Elite liess sich so von der Bedeutung und Notwendigkeit der Modernisierung überzeugen. China sollte modern werden und das nachholen, was Japan mit der Meiji-Restauration schon 1868 lange eingeleitet hatte: Ein Ende der überkommenen Strukturen der Gesellschaft und ihrer Verwaltung und eine Öffnung zum Westen und seinen Wissenschaften. Als zentrales Hindernis hierfür betrachteten die führenden Intellektuellen den Konfuzianismus. Zunächst gab es Reformversuche durch Kang Youwei oder Vorschläge dazu von Zhang Taiyan, die sich beide für ihre Vorstellung einer aktualisierten Form der konfuzianischen Lehre stark machten. Doch ab der „Bewegung des Vierten Mai“ 1919 waren die Chancen des Konfuzianismus, erneut die dominante Staatsideologie zu werden, definitiv vorbei. Die Wortführer des „Vierten Mai“ setzten sich je nach Autor für ein unterschiedliches Mass an „Verwestlichung“ ein, doch allgemein herrschte die Meinung, dass das konfuzianische Erbe das grösste Hindernis sei für eine erfolgreiche Modernisierung der Gesellschaft. Der Konfuzianismus wurde wahrgenommen als ein belastendes Überbleibsel der Feudalgesellschaft, und da die daoxue trotz der Angriffe Dai Zhens die dominante Form des Konfuzianismus geblieben war, waren es erneut die songzeitlichen Lehren, die unter Beschuss gerieten. Da Dai Zhen ­einhundertfünfzig Jahre zuvor sich schon gegen Cheng und Zhu gestellt hatte, erschien er als logischer Vorläufer der Denker des „Vierten Mai“.1

1 Artikel und Monographien über Intellektuelle Veränderungen im 20. Jh. sind so zahlreich, dass es schwierig ist, gewisse herauszuheben. Es seien zu diesem Themenkomplex hier genannt: Die Monographie Wahrheit und Geschichte von Axel Schneider von 1997, die weit verbreiteten

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 Rezeption Dai Zhens

Der etablierte Konfuzianismus in der Lesung der songzeitlichen daoxue musste beseitigt werden, ehe etwas Neues entstehen konnte. Da waren sich die Modernisierer wie Kang und Zhang ebenso einig wie die Autoren des „Vierten Mai“. Und weil Dai Zhen den heftigsten Angriff auf die „Trutzburg“ daoxue unternommen hatte, wurde er von den Autoren des frühen 20. Jhs. positiv rezipiert. Zunächst sei hier auf Zhang Taiyan verwiesen, dessen Rezeption später diejenige Liang Qichaos entscheidend beeinflussen sollte.2 Zhang schloss in die zweite Fassung seines Qiu Shu 訄書 (Buch der Bedrängnis) als zwölftes ein Kapitel ein, das als „Qingru“ viele der wesentlichen Punkte vorwegnahm, die etwa Liang Qichao später in seinen Schriften in der Umgangssprache erneut formulieren sollte. Bereits Zhang Taiyan aber weist Dai Zhen eine besondere Führungsrolle bei der Formulierung einer neuen Welle der Gelehrsamkeit zu, die Liang Qichao später übernommen hat. In beiden Darstellungen wird Dai Zhen die zentrale Rolle für die Entwicklung der Gelehrsamkeit in der mittleren Phase der Qing zugewiesen. Jürgen Weber charakterisiert in seiner Studie des Qiu Shu dieses kleine Kapitel als „Eine kleine Geschichte der Klassikerwissenschaft in der Ch’ing-Zeit. Chang stellt fest, daß die wissenschaftliche Methode der Han-Zeit, die Klassikerphilologie, seit der Wei-Zeit praktisch völlig verschwunden und erst wieder in der Ch’ing-Zeit aufgetaucht sei. Chang beschreibt danach diejenigen Gelehrten der Ch’ing-Zeit, welche die Klassikerphilologie wieder aufgenommen und ihre Interpretationen auf diese gestützt hatten. […] Neben zahlreichen weniger bekannten Gelehrten, die Chang erwähnt, sind dies vor allem: Ku Yen-wu, Tai Chen, Wang Nien-sun, Yü Yüeh und Sun I-jang.“ (Weber 1986, 251). Die Informationen zu den einzelnen Gelehrten selbst sind im Qiu Shu äusserst knapp gehalten. So schreibt Zhang über Dai Zhen hauptsächlich, in welches soziale Netz er eingebunden war, und er erwähnt Lehrer, Freunde und Schüler. Die Inhalte seiner Gelehrsamkeit aber werden kaum behandelt (Zhang Taiyan 2000, 144).

Liang Qichao Bei Liang Qichao selbst wird der Aspekt des wissenschaftlichen Denkens stärker betont. So schildert Liang zu Beginn des Abschnittes zu Dai Zhen in seinem

Studien mit dem Titel Gate of Heavenly Peace und Search for Modern China von Jonathan Spence (in der Bibliographie in Übersetzung angegeben). Im Zusammenhang mit Zhang Taiyan sei insbesondere auf die ausgezeichnete Studie von Jürgen Weber aus dem Jahr 1986 hingewiesen. 2 Zur Übernahme von Ideen durch Liang Qichao, speziell auch in diesem Kontext, vgl. den faszinierenden Aufsatz von Achim Mittag aus dem Jahr 1995.



Liang Qichao 

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Qingdai Xueshu Gailun die Episode aus der chronologischen Biographie Dais, in der dieser seinen Schulmeister zur Verzweiflung bringt.3 Dazu schreibt er kommentierend: „[Tai] was not in the habit of accepting anyone’s statement readily without insisting on finding the evidence for it. He often found flaws in places others had neglected and, having found them, would press forward step by step until the point of exhaustion. If in the end he still could not find anything to warrant his confidence, then although they were the words of sages, philosophers, father, or teachers, he would not credit them. It is this kind of spirit of inquiry that really provided the basis for modern science; since Tai possessed this instinct even in childhood, it was quite logical that he should have been able to complete the task of establishing a school of learning in his own time.“ (Liang Ch’-ch’ao 1959, 55). Wissenschaftliches Denken wird hier nicht als Folge einer entsprechenden Erziehung dargestellt, sondern geht im Fall Dais zurück auf dessen „Instinkt“. Weiterhin war Liang bemüht, Dai als einen unabhängigen und kritischen Geist darzustellen, eben als wissenschaftlichen Denker. Danach kommt er auf die philosophischen Werke zu sprechen, und der Unterschied zu den qingzeitlichen Einschätzungen könnte kaum grösser sein, wenn Liang schrieb: „His masterpiece in later life was the Meng-tzu tzu-i shu-cheng“ This Elucidation of the Meaning of the words in Mencius went beyond the realm of empirical research and was intended to constitute „Tai’s philosophy“. (ebd. 59) Während diese Einschätzung noch als wissenschaftlich durchgehen mag, erscheint Liang als Apologet der Lehre Dai Zhens, wenn er schrieb: „Every word in this book Shu-cheng is distilled and essential. […] Its contents may be summarized as an attempt to substitute „a philosophy of feeling“ for the „philosophy of rational principle“ [d.i. die Rechte Ordnung li; M.W.]. From this point of view, it was extremely similar to the basic currents of the Age of Renaissance in Europe.“ (ebd., 61). Unmittelbar danach folgt eine Aussage über die Renaissance, aber wo er „Christentum“ sagt, meint er damit m.E. eigentlich den Konfuzianismus: „At that time the human mind was bound by the Christian teaching of absolute asceticism and was extremely tortured. [Knowing] this was counter to human nature and yet not daring to break away from it, men followed one another in hypocrisy, thereby precipitating

3 Die wahrscheinlich anekdotische Episode wird erstmals erwähnt in Dais chronologischer Biographie Dai Dongyuan Xiansheng Nianpu (Dai Zhen 1980, 216). Demnach war Dai zehn Jahre alt, als er erstmals sprach, und danach lernte er lesen und seinem Lehrer quellenkritische Fragen stellen. Die Geschichte wird in verschiedenen anderen Berichten über Dai Zhen wiederholt, etwa in Liang Qichao 1998, 34; Qian Mu 1937, 306; Chin und Mansfield 1990, 1–2, und sogar in Elmans Werk von 2005. Hummel lässt sie unerwähnt. Die Aussage der m.E. hagiographischen Anekdote ist es natürlich, den angeborenen Scharfsinn Dais zu dokumentieren. Gleichzeitig wird auch der Lehrer als unfähig dargestellt, ausserhalb der orthodoxen Lehrmeinung denken zu können.

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 Rezeption Dai Zhens

ironically a complete collapse of morality. […] Tai certainly had this situation in mind when he determined to give a new direction to Chinese civilization, and his philosophic position may truly be called a radical about-face from the previous two thousand years.“ (ebd., 61–62). Nach meinem spekulativen Verständnis geht Liang in seinem Enthusiasmus doch etwas weit, wenn er meint, dass Dai Zhen im Bewusstsein der spätmittelalterlichen Zustände seine Kritik an der songzeitlichen daoxue formuliert, um die Menschen zu einer Renaissance, und ultimativ vielleicht auch zur Reformation und der Bürgergesellschaft zu führen. Das Qingdai Xueshu Gailun ist insofern ein problematisches Werk, als es laut Autor sehr schnell zusammengeschrieben wurde und entsprechend unpräzise ist. Doch Liang hat noch ein weiteres Werk verfasst, das wie Qian Mus bekanntes Werk den Titel Zhongguo Jin Sanbai Nian Xueshu Shi 中國近三百年學術史 trägt. In diesem wird Dai Zhen so gut wie keine Rolle zugeschrieben. Liang schreibt zwar, dass zu seinen Verdiensten die Rekompilation des Shui Jing Zhu ebenso gehöre wie das Verfassen des Mengzi Ziyi Shuzheng, von dem er schreibt, es sei ein Buch der ersten Kategorie, aber obwohl Liang an dieser Stelle auf weitere Informationen verweist, liessen sich keine finden.4

Hu Shi Es war der in den USA ausgebildete Hu Shi 胡適 (1891–1962), mit dem der Vergleich der qingzeitlichen Gelehrsamkeit mit der Renaissance hauptsächlich assoziiert wird. Hu überschrieb die Publikation seiner weitum rezipierten Vorlesungen an der amerikanischen Haskell University von 1933 mit dem programmatischen Titel The Chinese Renaissance. Der Begriff mag – wie Hu Shi zu Beginn des entsprechenden Vortrages schreibt – auf die Studenten der Pekinger Universität zurückgehen, die 1918 eine Zeitschrift mit diesem Titel gegründet hatten. Gleichwohl ist es offensichtlich, dass auch Hu den kritischen Teil der qingzeitlichen Gelehrsamkeit als mit dem Aufbruch aus der europäischen Scholastik vergleichbar betrachtet. Tatsächlich meinte er, dass es in China sogar mehrere Phasen der Renaissance gegeben habe: „Historically, there had been many periods of

4 Liang Qichaos Jin Sanbai Nian ist weniger personenzentriert als sein Qingdai Xueshu Gailun und es enthält einen längeren Abschnitt über Werke zu bestimmten Themen, vergleichbar dem letzten Kapitel des Hanxue Shangdui oder dem Songxue Yuanyuan Ji Jiang Fans. Der Abschnitt zu Dai Zhen findet sich bei der Besprechung der Werke zu Menzius und dem Shui Jing Zhu. Vgl. Liang Qichao 1996, 297 und zum Mengzi-Studie S. 240: „Dai Dongyuan de Menzi Ziyi Shuzheng wei Qingdai di yi liu zhushu, dan qi mudi de bu zhuan zai shi Mengzi 戴東原的《孟子字義疏證》為清 代第一流著述, 但其目的不專在釋《孟子》。“



Hu Shi 

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Chinese Renaissance. The rise of the great poets in the T’ang Dynasty, the simultaneous movement for a new prose literature modeled [sic!] after the style of the Classical period, and the development of Zen Buddhism […] represented the First Chinese Renaissance. The great reform movements in the eleventh century, the subsequent development of a powerful secular neo-Confucianist philosophy […] important developments of the Sung Dynasty may be regarded as the Second Renaissance. The rise of the dramas in the thirteenth century, and the rise of the great novels in a later period […] may be called the Third Renaissance. And lastly, the revolt in the seventeenth century against the rational philosophy of the Sung and Ming dynasties, and the development of a new technique in classical scholarship in the last three hundred years with its philological and historical approach and its strict emphasis on the importance of documentary evidence – these, too, may be called the Fourth Renaissance.“ (Hui Shi 1963, 45). Er betrachtete diese vierte Renaissance als die entscheidende Überwindung klassischer Denkstrukturen und den Beginn der Manifestierung wissenschaftlichen Geistes in China. Vor allem aber hat Hu Shi die Leistungen Dai Zhens stärker ins Zentrum gestellt als andere Forscher. Er widmete ihm verschiedene Aufsätze und mit Dai Dongyuan de Zhexue 戴東原的哲學 sogar eine Monographie. Ausserdem hatte Hu Shi mit seinen englischsprachigen Publikationen über China hinaus einen Einfluss auf die Rezeption des Westens, die sich am deutlichsten wohl an der Tatsache erkennen lässt, dass Arthur Hummel im Anhang an seine biographische Enzyklopädie Eminent Chinese of the Ch’ing Period einen kurzen Aufsatz Hu Shis von 1944 einfügte, in dem dieser unter dem Titel „A note on Ch’üan Tsuwang, Chao I-ch’ing and Tai Chen“ vor allem über den letztgenannten schrieb.5 In diesem Artikel verteidigt Hu Dai Zhen gegen alle Vorwürfe (vor allem gegen den des Plagiat im Zusammenhang mit dem Shui Jing Zhu) und erklärt diese als Folge seiner radikalen Positionen in Bezug auf die philosophischen Konzepte wie der „Rechten Ordnung“. Hu schreibt, dass er einen Fehler richtig stellt, gemäss dem Dai Zhen seit einhundert Jahren verunglimpft wurde, nur weil er es gewagt hatte, das daoxue-Konzept von li anzugreifen. Die einhundert Jahre der Verunglimpfung gehen praktisch genau bis zu Fang Dongshu zurück. Hu Shis Arbeiten waren aber auch für die chinesische Rezeption Dai Zhens wichtig. So deutet ja bereits der Titel der genannten Monographie darauf hin, dass Hu Shi Dai für einen Philosophen hielt. In seinem Werk betont Hu den Einfluss der „pragmatischen“ Schule des Yan Yuan 顏元 (1635–1704) und des Li Gong

5 Für diese Ausführungen vgl. Hummel 1943–44, 970–982. In der Kopfzeile wird der Text ­bezeichnenderweise kurz nur als „Note on Tai Chen“ bezeichnet.

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 Rezeption Dai Zhens

李塨 (1659–1733).6  Er meinte, dass diese Dai grundlegend beeinflusst hätten und schreibt: „Unserer Ansicht zufolge ist es unumgänglich, zu vermuten, dass er in seinen beiden philosophischen Werken – Mengzi Ziyi Shuzheng und Yuan Shan – von der Yan-Li Schule beeinflusst war“.7 Hu Shi behauptet zudem, dass Dai trotz massiver Kritik durch Zhang Xuecheng 章學誠 (1738–1801) und Fang Dongshu eine beachtliche Schar an Gelehrten beeinflusst habe, wobei er leider keine Namen nennt (Hu Shi 1963, 103). Hus Auffassung der Verdienste Dai Zhens formuliert er konzis im Nachtrag zu Hummels Werk, das deshalb hier zitiert sei: „He explicitly warned us that when li (reason) is not viewed objectively as the internal structure and texture of things, but is subjectively regarded as inborn in man and available to a mind unclouded by selfish desires, there is always the danger of a self-righteous man condemning innocent persons to death in the name of li which unhappily is too often nothing more than his own unexamined opinion.“ (Hummel 1943–44, 982). Die Skepsis Hu Shis und auch Liang Qichaos gegenüber der daoxue ist deutlich zu erkennen, und sie sind in ihrer Beschreibung gleichzeitig des Beschriebenen Geistes Kind, wenn sie die daoxue für etwas Schädliches halten und Hu sogar Dai Zhens Vorwurf wiederholt, dass die daoxue mit ihrer unerbittlichen „Rechten Ordnung“ Menschen töte und ebenso schlimm sei wie das Gesetz der Legalisten (vgl. hierzu die dritte Kontroverse im Übersetzungsteil). Dai Zhen wird als positiv rezipiert, weil er sich gegen die dominante konfuzianische Schule der späten Kaiserzeit wandte. Dabei übersehen sie beide, dass sein Versuch einer philosophischen Neuorientierung und seine Erklärung der Schlüsselbegriffe gescheitert ist, dass er ein durchaus zu kritisierendes System zu zerschlagen hoffte, es aber versäumte, eine tragfähige Alternative anzubieten.

Qian Mu Nach Hu Shi und Liang Qichao, die in der Rezeption Dai Zhens von ihren eigenen Vorstellung und dem „Vierten Mai“ geprägt waren, folgte als dritter ­einflussreicher

6 Ohne hier weiter auf Hu Shi und den Pragmatismus einzugehen, sei darauf hingewiesen, dass Hu Shi an der Columbia University bei John Dewey (1859–1952) studiert und 1917 promoviert hatte. Dewey selbst war Mitbegründer der philosophischen Richtung des Pragmatismus, wenn er ihn auch als „Instrumentalismus“ bezeichnete. Die Standardmonographie zum Thema wurde verfasst von Jerome B. Grieder, dem Doyen der Hu Shi-Forschung. 7 Hu Shis Zitat lautet im Original: „women kan ta de liang bu zhexue shu – Mengzi Ziyi Shuzheng yu Yuan Shan – bu neng bu yixin ta hui shou zhe Yan Li xuepai de yingxiang 我們看他的兩部哲學 書包 – 孟子字義疏證與原善 – 不能不疑心他會受著顏李學派的影響“ (Hu Shi 1963, 22). Für seine Einschätzung der Bedeutung dieser Schule für die frühqingzeitliche Geisteswelt vgl. ebd. 5–10.



Qian Mu 

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Autor Qian Mu. Dieser ging in seiner Geistesgeschichte der letzten dreihundert Jahre der Kaiserzeit nicht nur der Frage nach einer möglichen Beeinflussung Dai Zhens durch Hui Dong nach. Qian erörterte eine Reihe von interessanten Punkten im Zusammenhang mit der Biographie, der Gelehrsamkeit und dem Werdegang Dais in einem ausführlichen Kapitel zum Gelehrten aus Xiuning (Qian Mu 1937, 1:306–379). In Kapitel acht seiner Geistesgeschichte, das er Dai gewidmet hat, erwähnt er zwar auch Dai Zhens textkritische Arbeiten, aber sein Beitrag zum Konfuzianismus wird von Beginn weg deutlich hervorgehoben. So führt Qian als eine der Erklärungen an, dass Dai eben aus der alten Heimat Zhu Xis stammte, in der wohl noch besonders starke Loyalität herrschte (ebd. 308). In diesem umfangreichen Kapitel geht Qian nur sehr kurz auf die textkritische und phonologische Arbeit Dai Zhens ein, auf welche dieser sich kurz nach seiner Ausbildung durch Jiang Yong konzentriert hatte. Danach widmet er sich seinen konfuzianischen Gedanken, die er erstmals deutlich unterschied in eine Zeit vor dem Aufenthalt in Yangzhou bei Hui Dong und eine danach. Er nennt dies die zwei Phasen der Gelehrsamkeit Dais (Dongyuan lunxue zhi di yi/er qi 東原論學之 第一、二期; ebd. 312, 322). Im Unterschied zu beispielsweise Hu Shi benennt Qian Mu drei Werke als das philosophische Oeuvre Dais, nämlich neben den bekannten zwei noch das Xu Yan. Qian bespricht jedes dieser Werke intensiv, mit einer Fülle an zitierten Textpassagen, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Diese Darstellung besteht weitgehend aus einer Wiedergabe von Originalpassagen, Qian Mu versucht stets, die Aussagen darzustellen, ohne allzu viel Wertung hinzuzufügen. Bei der Besprechung der Werke schreibt Qian, dass diese im grossen Ganzen dieselbe Haltung vertreten, aber dass es eben auf die kleinen Unterschiede ankommt. Insgesamt habe sich seine Haltung verschärft.8 Nach der differenzierten Besprechung der einzelnen Werke folgt ein Abschnitt mit dem Titel „Der Ursprung der Gedanken Dongyuans“. In „Dongyuan sixiang zhi yuanyuan 東原思想之淵源“ äussert sich Qian zunächst zur Behauptung, Dai Zhen sei von Yan Yuan und Li Gong beeinflusst gewesen, die er nicht direkt ablehnte. Er bescheibt allerdings die Differenzen zwischen Yan und Li und der Philosophie Dai Zhens sehr deutlich und hinterfragt zudem, wie die Beeinflussung hätte stattfinden sollen. Er meinte, dass zur Lebenszeit Dais nur der von Yan und Li beeindruckte Gelehrte Cheng Yanzuo 程延祚 (1691–1767) hierfür in Frage käme, schreibt aber auch, dass der Kontakt zwischen Cheng und Dai möglich, aber nicht zu belegen sei. Im Weiteren kommt er auf Mao Qiling zu sprechen, dessen Werke Dai wohl rezipiert hat, dessen Einfluss aber ebenso schwer zu belegen ist. Qian liefert

8 „Dongyuan san shu sixiang, sui dati yiguan, er qi jian yi you yilun yianglüe, yi xiang qing zhong 東原三書思想,雖大體一貫, 而期間亦有議論詳略, 意向輕重.“ (ebd. 334).

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 Rezeption Dai Zhens

­ ingegen ein deutliches Argument dafür, dass Hui Dong als primärer Einfluss auf h Dai Zhens Denken zu sehen ist. Qian zeichnet die Argumente Dais und Huis zum Begriff der Rechten Ordnung nach, und er kann dabei m.E. schlüssig nachweisen, dass Dai wesentliche Begriffe seiner Philosophie von Hui Dong übernahm. Zudem erklärt sich so die sonderbare Mischung aus philosophischem Anspruch und linguistischer Methode, die Dais Werke durchzieht: Hui Dong argumentierte textlich und linguistisch, und Dai hat Teile dieser Methode für sich übernommen. Qian zitiert eine Diskussion des Begriffes der Rechten Ordnung aus Hui Dongs Studie zum Yi Jing, Yi Wei Yan 易微言, die auffällige Ähnlichkeiten aufweist zu derjenigen Dais im Mengzi Ziyi Shuzheng (Qian 1937, 1:356–357). Zusammengefasst ist Qian Mu also der Ansicht, dass die Gelehrten der frühen Qing weitaus weniger Einfluss auf Dai Zhen hatten als Hui Dong, der ihn bei ihrem Treffen in Yangzhou tief beeindruckt haben muss. Wie erwähnt gibt Qian genügend textliche Evidenzen, um diesen Anspruch zu untermauern. Dies ist wohl auch der Grund, weshalb Qian Mus Studie bis heute rezipiert wird, während diejenigen Hus und Liangs zwar noch immer ihren Einfluss auf die Rezeptionsgeschichte auszuüben vermögen, sie aber heftiger Kritik unterlagen und in ihren analytischen Aussagen selbst nur eingeschränkt ernst genommen werden können.

Yu Yingshi Qian Mus bekanntester Schüler ist Yu Yingshi 余英時 (1930–), der insofern eine spannende Figur der Rezeption der Geistesgeschichte ist, als er mehr als die zuvor genannten Autoren eine Brücke in den Westen schlug. In seinem Studium wie auch in seiner Lehre hat Yu wiederholt auf beiden Seiten des Pazifiks gewirkt, und indem er in Harvard, Yale und Princeton unterrichtet hat, übte er einen deutlichen Einfluss aus auf die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit in den Vereinigten Staaten. Der wohl wichtigste, weil am stärksten rezipierte Beitrag Yus zum Verständnis der Gelehrsamkeit der Qing ist der englischsprachige Aufsatz „Some preliminary observations on the rise of Ch’ing Confucian intellectualism“. In diesem Beitrag unterschied Yu als die beiden grundlegenden Ansätze der konfuzianischen Moraltheorie seit der Songzeit die Gelehrsamkeit und die intuitive Philosophie. Diese bezeichnete er mit den beiden entgegengesetzten Mottos dao wenxue 道問學 und zun dexing 尊德性 aus dem Zhong Yong.9 Der erste bezeichnet für

9 Im 26. Abschnitt des Zhong Yong heisst es: „gu junzi zun dexing er dao wenxue 故君子尊德性 而道問學。 “ In der Übersetzung Weber-Schäfers lautet diese Stelle: „Daher achtet der Edle die



Yu Yingshi 

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Yu eine intensive Betrachtung und eine forscherische Grundhaltung, die er der songzeitlichen lixue Cheng Yis und Zhu Xis zuschrieb. Das andere Motto steht demnach für den intuitiven Ansatz der xinxue Lu Jiuyuans. Diese m.E. sehr einsichtige Zweiteilung der konfuzianischen Lehre erlaubte es Yu, die qingzeitliche kaozhengxue als eine Neuauflage der songzeitlichen lixue und damit die gesamte Gelehrsamkeit der Qing als eine Weiterentwicklung des „Neokonfuzianismus“ der Song zu erklären. Dies wiederum macht es möglich, zu erklären, dass sich die Entwickung des Diskurses der Qing innerhalb der Begrifflichkeit und auf der textlichen Grundlage bewegt, die von der songzeitlichen lixue geprägt worden waren. Schliesslich hat er so deutlich gemacht, dass die beiden divergierenden Ansätze der songzeitlichen daoxue/lixue und der qingzeitlichen kaozhengxue nicht Gegensätze sind, sondern vielmehr unterschiedliche Äusserungsformen desselben Erkenntnisinteresses. Sein Beitrag zur Erforschung der Person und der Wirkung Dai Zhens war ebenfalls aus zwei Perspektiven. Wie er die Entwicklung der Gelehrsamkeit als duale Äusserung derselben philosophischen Grundhaltung erkannte, verstand Yu auch das Phänomen Dai Zhen nicht nur als Individuum, sondern in Wechselwirkung mit einem weiteren qingzeitlichen Gelehrten, Zhang Xuecheng 章學誠 (1738–1801). Diese Gegenüberstellung Dais und Zhangs ermöglichte es Yu Yingshi, die philosohischen Theoreme Dais auf einer breiteren Basis zu diskutieren, denn von allen qingzeitlichen Gelehrten war Zhang Xuecheng sicher derjenige, der als erster die Tragweite der Dai’schen Moraltheorie verstand, und der sie darüber hinaus auch ernst nahm.10 An der Auseinandersetzung Zhangs und Dais, die sich persönlich kannten, lässt sich ablesen, welche der Aspekte von Dais Denken problematisch sein würden, und das war insbesondere sein Versuch, mit philologischen Methoden philosophische Ergebnisse zu erzielen. Denn wie Zhang Xuecheng deutlich festhielt, liess sich weder das grundsätzliche Verständnis der Aussagen der Klassiker kritisieren, noch gab es Anlass, die Schlüsselbegriffe wirklich zu hinterfragen. So heisst es in den gesammelten Werken (in der Übersetzung Carsun Zhangs) zur Frage, wie es um das grundsätzliche Verständnis der Klassiker beschaffen ist: „It is said […] that a combination of characters makes a sentence, and a

Tugend und das Wesen und schreitet voran auf dem Weg durch Fragen und Lernen.“ (WeberSchäfer 1963, 59). 10 Zu Zhang Xuecheng vgl. neben den Schriften Yu Yingshis auch die Studie von David Nivison von 1966 sowie die andere Hälfte des fünfzehnten Kapitels zu Fang Dongshu in Carsun Changs Development of Neo-Confucian Thought, das m.E. die gründlichste konzise Einführung in die Gedankenwelt Zhangs darstellt.

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 Rezeption Dai Zhens

c­ ombination of sentences gives an expression of ideas; and that, therefore, one who is ignorant of etymology [or philology] is incapable of understanding the Five Classics. However, let me say that in the course of two thousand years, though there were lacking definite interpretations of certain characters, the reading of the Classics has proceeded continuously. Since we are living in a period when the old interpretations of the words have been lost, it is natural that those with a bent for philology should make a special study of them. But the general ideas of the Classics are quite understandable apart from any expert knowledge of philology.“ (Chang 1962, 362–363).11 Indem die Auseinandersetzung die tatsächlichen Aussagen Dais berührt, ist es auch für Yu Yingshi möglich, sich mit den philosophischen Differenzen auseinanderzusetzen und eine Einschätzung dieser Seite der Schriften Dai Zhens zu erlangen. In seinem Lun Dai Zhen yu Zhang Xuecheng etwa ist das gesamte sechste Kapitel der Frage der Philosophie Dai Zhens gewidmet. Yu diskutiert darin die Gegenüberstellung Dai Zhens und Zhangs von einem inhaltlichen Standpunkt und kommt zum Schluss, dass beide eine grosse Anzahl an Standpunkten oder mindestens Ansichten teilten. Seine Einschätzung Dais Zhens fällt geteilt aus, indem er ihn nämlich für eine wichtige Figur des philosphischen Konfuzianismus der Qing hält, aber seine Theorien ihn trotzdem nicht überzeugen (Yu Yingshi 1996, 154–156). Insgesamt gesehen, ereignete sich mit der Person Yu Yingshis, bzw. mit seinen Forschungsarbeiten eine Veränderung, die einen Übergang vom Engagement zur Forschung darstellt. Für Qian Mu war es eine kulturelle Selbstverständlichkeit oder Verpflichtung, die Glorie der chinesischen Kultur und den Stolz darüber in seinen Schriften mitschwingen zu lassen. Yu Yingshis Forschung versucht hingegen, sich mit einem historischen Phänomen deskriptiv-analytisch auseinanderzusetzen, und er vermeidet weitgehend persönliche Animositäten oder Vorlieben.

11 In diesem letzten Punkt, der Feststellung, dass die Klassiker weitgehend gut verständlich sind, gleichen sich die Argumente Zhangs und Fang Dongshus. Auch unser Kritiker aus Tongcheng schreibt in der zweiten Kontroverse seines Hanxue Shangdui, dass die Klassiker im grossen Ganzen gut verständlich sind, und dass es sich bei den unsicheren Fragen nur um Details handle. Dabei bezieht sich Fang natürlich auf die etablierte Interpretation der Klassiker, die laut hanxue überprüft werden muss, da sie mit nicht autochthonen Gedanken durchsetzt ist. Fang weist aber zudem darauf hin, dass die Klassiker jenseits der Ebene der sprachlichen Zeichen einer übergreifenden Interpretation bedürften: „Doch selbst wenn die Worterklärungen verständlich würden, so erörtern sie trotzdem nicht den moraltheoretischen Inhalt [des Gesamttextes].“



Rezeption Dai Zhens in der Volksrepublik 

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Rezeption Dai Zhens in der Volksrepublik Nach den genannten Autoren sei nun noch die Rezeption Dai Zhens in der Volkrepublik China gestreift, weil auch diese Phase der Rezeption wichtig ist für das Verständnis seiner herausragenden Stellung. Bekanntlich ist die Volksrepublik China ein sozialistischer Staat, und mindestens bis in die 1980er Jahre war für die Rezeption der Vergangenheit die Einordnung in die Kategorien des Sozialismus entscheidend. Der Konfuzianismus war dabei das entscheidende System der Feudalzeit, der sich gemäss Analyse sozialistischer Historiker über die gesamte Kaiserzeit erstreckte. Innerhalb dieses Systems der feudalistischen Herrschaft wurden verschiedene geistige Strömungen unterschieden, so wurde die daoxue als idealistischer Zweig des Konfuzianismus gebrandmarkt, während Dai Zhen die materialistische Seite repräsentierte. Der weiteren Differenzierung sozialistischer Geistesgeschichte folgend, wurde die lixue als objektiver Idealismus noch besser bewertet als die xinxue, die für den subjektiven Idealismus stand. Dai Zhen repräsentierte hingegen den subjektiven Materialismus. In der materialistischen Weltsicht der KPCh wurde Dai Zhen als Materialist den idealistischen Schulen vorgezogen. Zudem kritisierte er die idealistische Schule, und so kann es nicht verwundern, dass Dai Zhen enorm positiv rezipiert wurde. War er zwar auch selbst ein Kind der feudalistischen Gesellschaft, so bemühte er sich doch, die idealistische Doktrin Zhu Xis zu überwinden und gleichzeitig wurde der Gedanke des wissenschaftlichen Denkens wieder aufgenommen. Bei der Rezeption Dai Zhens wurde stets bemerkt, dass seine Erziehung in einem Feudalsystem es ihm unmöglich machte, die tatsächliche Situation der Gesellschaft zu erkennen (vgl. Ren Jiyu 1979, 4:104–124). Neben der positiven Einschätzung in Geistesgeschichten der Qing wurden auch die Werke Dai Zhens sehr früh publiziert, wie etwa die für diese Arbeit verwendete Ausgabe des Mengzi Ziyi Shuzheng von 1961 belegen kann. Die hervorragende Stellung Dai Zhens bei den Autoren der Volksrepublik lässt sich auch an den Arbeiten Zhou Yutongs erkennen, der Dai Zhen zwar nicht übermässigen Raum zugesteht, der ihm in seiner Geschichte der Klassikergelehrsamkeit unumwunden die Führerschaft der wan pai, der „Schule aus Anhui“ zugesteht, und der durch seine Terminologie den Einfluss Liang Qichaos nicht verleugnen kann (Zhu Weizheng 1993, 904–906). Eine meines Erachtens lobenswerte Ausnahme in diesem Zusammenhang ist die jüngere Studie von Wang Junyi und Huang Aiping von 1999. Dort wird Dai Zhen in den grösseren Zusammenhang der qingzeitlichen Geistesgeschichte eingebettet und mit dem Autor des Hong Lou Meng Cao Xueqin 曹雪芹 (1715–1763) verglichen, während Qian Daxin oder Ling Tingkan mehr Raum zugestanden wird, als dies in der Regel in geistesgeschichtlichen Monographien der Fall ist.

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 Rezeption Dai Zhens

Die Wahnehmung Dai Zhens seit Ende der Kaiserzeit ist also gegenüber seinen konfuzianisch-theoretischen Leistungen grundsätzlich bewundernd. Diese positive Rezeption, die Dai Zhen nach dem Ende der Qing erfuhr, setzte sich auch nach der sozialistischen Revolution von 1949 fort, und er wurde eine bekannte Person der Geistesgeschichte, der gemäss sozialistischer Terminologie in der Qingzeit den Weg zum objektiven Materialismus der sozialistischen Weltsicht bereitete.

Benjamin Elman Der letzte der hier kurz zu erörternden Forscher ist Benjamin Elman, der in den achtziger Jahren des 20. Jh. einige einflussreiche Artikel und mit From Philosophy to Philology und Classicism, Politics, and Kinship sehr stark rezipierte Monographien verfasste, in der er die qingzeitliche Gelehrsamkeit untersuchte. Elman argumentiert generell ähnlich wie Yu Yingshi, dass die textkritische kaozhengxue-Gelehrsamkeit der Qingzeit (die er „Evidential Research“ nennt) und die hanxue („Han Learning“) eine Weiterentwicklung der songzeitlichen daoxue darstellen. Seine Forschung basiert m.E. auf der grundlegenden Annahme, dass die qingzeitliche konfuzianische Gelehrsamkeit Produkt eines proto-wissenschaftlichen Denkens sei, und damit eine Brücke zur Moderne darstelle. Die gesamte Geistesgeschichte der Qing versteht Elman als eine Reaktion auf die mingzeitliche xinxue und ihre wenig konkreten Diskussionen. In diesem Punkt also stimmt seine Ansicht mit derjenigen älterer Autoren überein. Auch Elman weist Dai Zhen eine Sonderstellung zu innerhalb der Entwicklung der Gelehrsamkeit, wobei er dessen Verhältnis zu Hui Dong anders charakterisiert, als die bisherigen Autoren: „Tai Chen and the members of the Wan school in Anhwei offered a major critique of the Soochow Han-Learning school. Tais’ followers pointed out that Hui Tung preserved Han Learning intact rather than focusing on the question of what was true. Tai and his followers inherited the k’ao-cheng techniques of Han Learning and applied them with rigorous exactness to the study of phonological changes, etymology, textual criticism, mathematics and astronomy. Tai, according to his students, taught that all sources, even Han sources, were subject to criticism. The goal of Tai’s scholarship was verifiable truth and not the preservation of Han Learning.“ (Elman 1984, 59) Diese Aussage belegt, dass Elman streng genommen nur die Schule Hui Dongs als hanxue versteht, und dass er entscheidende Unterschiede ausmacht zwischen der hanxue und der Gelehrsamkeit Dai Zhens. Gleichzeitig zeigt sie eine verstörende Ungenauigkeit, indem nämlich Elman häufig seine Quellen sehr unpräzise zitiert, wie hier an „Tai’s followers“ zu sehen ist. Immer wieder sind wichtige Aussagen schwierig oder unmöglich zu überprüfen, weil Elmans Angaben nicht zu entnehmen ist, woher die Informationen stammen.



Benjamin Elman 

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Insgesamt ist Elmans Studie eine ausgezeichnete Einführung in die qingzeitliche Gelehrsamkeit, und einige wichtige Argumente chinesischer Autoren von Liang bis Yu sind hier aufbereitet. Zudem beinhaltet das Werk auch wichtige sozialgeschichtliche Aspekte wie die Beziehung zwischen Gelehrten mit Amt und den von ihnen protegierten erfolglosen Prüflingen. Darüber hinaus untersuchte er die Produktionsbedingungen der Druckereien im Gebiet südlich des Yangzi-Flusses. Insgesamt ist die Arbeit eine tour d’horizon über das gesamte Feld der qingzeitlichen intellektuellen Geschichte. Eine weitere wichtige Studie ist Elmans Classicism, Politics, and Kinship von 1990, in deren Mittelpunkt die sog. Neutextschule aus Changzhou steht. Die Studie diskutiert die Frage der intellektuellen Traditionen („lineage“) und Elman konzentriert sich auf die Darstellung sozialer Hintergründe und Abhängigkeiten der Gelehrten aus Changzhou. M.E. jedoch ist die Umschreibung der qingzeitlichen Gelehrsamkeit als protowissenschaftlich problematisch, weil sie keine unvoreingenommene Diskussion der Auseinandersetzung zulässt. Elman muss Belege für wissenschaftliches Denken anführen und so erlebt die Kritik des „Vierten Mai“ gegen den staatstragenden Konfuzianismus allzu oft eine neuerliche Inkarnation. Auch die Rolle Dai Zhens wird m.E. zu positiv dargestellt, vor allem, wenn Elman ihm immer wieder die Schaffung einer Philosophie zuschreibt, die aufgrund gesellschaftlicher Strömungen nicht akzeptiert wurde. Es findet sich keine grosse Diskussion der Inhalte Dai Zhens. Vielmehr wird er als Philosoph wahrgenommen, einfach, weil er sich selbst so verstand. Elman schreibt etwa: „Although considered an authority in evidential studies, Tai Chen […] for example, was troubled throughout his career by the contrast between the piecemeal evidential scholarship upon which his reputation rested and his unpopular writings in philosophy. Tai’s personal satisfaction over the completion of his major philosophical studies during his last years, according to Yü Ying-shih, reveals his disappointment with what he perceived to be the anti-philosophical biases of his own time.“ (Elman 1984, 233). Obschon er diese Beobachtung auf Yu Yingshi stützt, kommt Elmans Einschätzung Dai Zhens nicht zu oft über das Bild Dais hinaus, das die Autoren des „Vierten Mai“ von ihm gezeichnet hatten. Elman hat zahlreiche weitere Artikel zu Einzelfragen der qingzeitlichen Gelehrsamkeit verfasst, die in der Bibliographie aufgelistet sind. Im Jahr 2000 erschien eine umfassende Studie Elmans zum Prüfungswesen im kaiserlichen China, in der sich auch eine ausgezeichnete Schilderung der Veränderungen von Prüfungscurricula am Ende der Mingzeit findet. Daraus geht hervor, dass es ein starkes Bedürfnis gegeben hat nach konkreten und praxisnahen ­Prüfungen, damit der prüfungsrelevante Stoff den Kandidaten auch bei ihrer späteren Arbeit als Verwalter und Administratoren von Kreisen oder Bezirken hilfreich sei. Ähnlich

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 Rezeption Dai Zhens

wie in From Philosophy to Philology die Sozialgeschichte und das Aufkommen privater Druckereien im Jiangnan thematisiert wurde, wird hier die Beziehung zwischen Gelehrsamkeit, Kommentarwissenschaft und der politischen Wirklichkeit kaiserlicher Magistraten beleuchtet.

Weitere Autoren Die qingzeitliche Gelehrsamkeit ist einer der am intensivsten erforschten Bereiche der chinesischen Geistesgeschichte, und es gibt insbesondere in den Vereinigten Staaten eine grosse Gemeinschaft, die verschiedene Autoren mit einem kaum überschaubaren Reichtum an Forschungsarbeiten, Übersetzungen und Artikeln hervorgebracht hat. Dieser gesamte Bereich des vormodernen China, häufig als „Late Imperial China“ bezeichnet, wurde und wird in der gesamten Bandbreite geisteswissenschaftlicher Felder sehr intensiv erforscht. Da dies aber keine umfassende Diskussion des Forschungsstandes werden soll, sondern ein Überblick über die verschiedenen Auffassungen zur Person und Gelehrsamkeit Dai Zhens, ist es wenig sinnvoll, hier im Einzelnen auf diese Forscherinnen und Forscher einzugehen. Ausserdem ist das Feld so divers, dass auch nur ein grober Überblick sich zu einer kommentierten Bibliographie auswachsen und den Rahmen der vorliegenden Studie sprengen würde. Neben den Studien zum Konfuzianismus der frühen Qing gibt es zudem noch eine grosse Anzahl von Forschungsarbeiten zur späten Qing und der Entwicklung der Moderne, also zur Entwicklung der Geisteswelt und Gesellschaft nach Fang Dongshu, mithin ab der Zeit des Opiumkrieges, die in der chinesischen Historiographie den Übergang bildet von der Vormoderne zur Moderne. Gleichwohl seien hier einige m.E. wichtige Arbeiten zur konfuzianischen Gelehrsamkeit der Qing genannt, in denen Dai Zhen mehr oder weniger en passant erwähnt wird, die aber auch einen Einfluss auf mein eigenes Verständnis der Entwicklung hatten. Solche Arbeiten sind etwa die Studie Genealogy of the Way von Thomas Wilson aus dem Jahr 1995. In dieser Studie untersucht Wilson die kanonische Repräsentation vergangener Konfuzianer in den Anthologien. Er diskutiert die exegetischen Traditionen der Qing in Bezug auf die die grossen konfuzianischen Anthologien und versteht so die Grundlagentexte für den Unterricht an Akademien und damit auch für die Prüfungsfragen neu. Insbesondere macht er deutlich, dass die hanxue nur eine interne Diskussion der konfuzianischen Elite war, die keinen nachhaltigen Effekt auf den konfuzianischen Kanon bewirken konnte. Eine weitere Studie ist The Rise of Confucian Ritualism in Late Imperial China von Kai-wing Chow aus dem Jahr 1994. Diese Studie beschäftigt sich mit ähnlichen Fragen wie diejenige Wilsons, und ist insofern ein Vorläufer. Allerdings

Fazit 

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geht es hier weniger um die Anthologien und die Stellung der Kommentare in Druckerzeugnissen als vielmehr um den Staatskult. Welche Stellung wird etwa den textkritischen hanzeitlichen Gelehrten im Konfuziustempel eingeräumt? Welche Veränderungen in den Graduierungen der vergangenen Gelehrten gab es während der Qing? Auch die Studie Chows kommt zu ähnlichen Schlüssen: Zu Beginn der Qing wurde die daoxue rituell aufgewertet, indem Zhu Xi auf dieselbe Stufe gestellt wurde wie die direkten Schüler des Meisters und Menzius. Zur Blütezeit der hanxue gab es zwar Proteste dagegen, aber diese verhallten ohne weitere Auswirkungen. Auch diese Studie bestätigt also die weitgehend unangefochtene Stellung der daoxue innerhalb des qingzeitlichen Konfuzianismus. Zusätzlich zu diesen beiden Arbeiten gibt es Studien von On-cho Ng, der sich mit dem Konfuzianismus der frühen und der späten Qing beschäftigte, indem er die „Renaissance“ des lixue-Konfuzianismus untersuchte, der aber auch mit Q. Edward Wang die Orientierung an der früheren Geschichte und deren Instrumentalisierung in unterschiedlichen Zeiten untersuchte. Susan Mann schliesslich brachte Licht in die Frage der Erziehung von Frauen, was nicht nur von einem Gender Standpunkt aus interessant ist, sondern auch Rückschlüsse auf das Erziehungswesen zulässt.

Fazit Die vorangehende Darstellung hat gezeigt, dass die Rezeption der konfuzianischen Lehraussagen Dai Zhens in hohem Mass vom Rezipienten und dessen Intention abhängt. Im Sinne eines Fazits lässt sich zusammenfassend aber feststellen, dass Dai als ein Denker betrachtet wird, der einen grossen Einfluss in den Gelehrtenzirkeln und für die konfuzianische Theoriebildung hatte. Er setzte entscheidende Impulse, die über das Methodische hinausgingen und er wird als der herausragende Theoretiker der Mittleren Qingzeit porträtiert. Es ist aber auch festzuhalten, dass diese Feststellungen in einer Zeit geschahen, als der daoxueKonfuzianismus nicht mehr die Staatsdoktrin darstellte, sondern historisch geworden war. In dieser Zeit konnte Dai zu einem Symbol für die Veränderbarkeit und Weiterentwicklung der konfuzianischen Lehre werden. Die Frage der Wissenschaftlichkeit des qingzeitlichen Denkens konnte dahingehend beantwortet werden, dass den meisten Autoren Dais methodische Neuerung, d.h. den Schlüsselbegriffen der daoxue das Verständnis der Antike entgegen zu halten und so die daoxue zu kritisieren, als eine evidenzbasierte und damit im Prinzip wissenschaftliche Methode erscheint. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, gründet der Versuch, die Kernbegriffe der daoxue zu kritisieren, auch auf einem fehlerhaften Verständnis der Schrift und Sprache, das zu sehr

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 Rezeption Dai Zhens

den hanzeitlichen Mythen der Sprachschöpfung anhängt. Auch ist die unwissenschaftliche Vorstellung der chinesischen Schrift als eines logischen Systems, in dem die Schriftzeichen eine Bedeutung ausdrücken, noch deutlich spürbar. Die Absicht, diese Begriffe beizubehalten, sie aber auf der Basis alter Verwendungen und sprachlicher Glossen inhaltlich umzudeuten, findet sich am stärksten in der Arbeit Dai Zhens, dessen Mengzi Ziyi Shuzheng ein einziger Versuch ist, die Kernbegriffe der Orthodoxie neu zu definieren. Im Verlauf meiner Beschäftigung mit Dais Schriften drängte sich mir der Schluss auf, dass dessen Prämissen und Methoden völlig verfehlt waren, weil Philologie und Philosophie zwar zusammenhängen, aber letztlich doch auf unterschiedliche Fragen antworten. Daher stimme ich mit den qingzeitlichen Autoren überein, dass Dai Zhens philosophische Anstrengungen keine grossartigen Errungenschaften hervorbrachten. Fang Dongshu hat, wie hier gezeigt werden soll, als erster diese Seite seiner Arbeit nicht mehr nur übergangen, sondern er befürchtete deren potentiell verheerende Wirkung auf die Gesellschaft. Während Fangs dagegen vorgeschlagene Lösung – die getreuliche Rückkehr zur Orthodoxie – ebenso ideologisch verblendet war wie Dais Angriff, erreichte sie doch den einen Punkt: Dai Zhen zu diskreditieren, und den von ihm vorgeschlagenen Weg als Sackgasse zu kennzeichnen.

Fang Dongshu – Leben und Werk Fang Dongshu 方東樹 (1772–1851), Autor des in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehenden Werkes Hanxue Shangdui 漢學商兌, gehört nicht zu den Personen der qingzeitlichen Geistesgeschichte, denen die Forschung bisher ein grosses Mass an Aufmerksamkeit zukommen liess. Daher erachte ich es im Sinne einer Betrachtung des diskursiven Kontextes als sinnvoll, auch etwas auf das Leben und das Werk Fang Dongshus einzugehen. Als hauptsächliche Quelle hierfür steht die chronologische Biographie Fang Yiwei Xiansheng Nianpu 方儀衛先生年 譜 seines Schülers Zheng Fuzhao 鄭福照 (1832–1876) im Vordergrund, der ausführlichste Bericht des Lebens von Fang Dongshu. Diese erschien als Appendix zur Sammlung der Prosaschriften Fang Dongshus, die 1868 unter dem Titel Yiwei Xuan Wenji 儀衛軒文集 veröffentlicht wurde.1 Leben und Werk Fang Dongshus sollen hier etwas eingehender erörtert werden, um den vielen Facetten seines Schaffens gerecht zu werden, und um die Entstehung des Hanxue Shangdui in die Biographie des Autors einbetten zu können. Fangs Interessen waren breit gefächert. Neben der Auseinandersetzung mit der um den nationalen Diskurs konkurrierenden konfuzianischen Schule der hanxue hat er sich auch in der Literatur einen Namen gemacht, und zwar sowohl als Autor wie als Literaturkritiker. Auf seine Hinterlassenschaft im Zusammenhang mit der gesamten intellektuellen Bewegung der Tongcheng-Schule, als deren Teil Fang zu sehen ist, wird im folgenden Kapitel ausführlicher eingegangen. Wie es dort darum geht, Fangs Wirken in den grösseren Sinnzusammenhang einer Schulzugehörigkeit zu stellen, soll hier auf seine weiteren Aktivitäten eingegangen werden, um sein Leben als integrales Geflecht von Einzelaktivitäten darzustellen, unter denen die Kritik an der hanxue einen kleinen Teil darstellt. Nach der Lektüre vieler seiner Schriften ist es meine Überzeugung, dass Fang die einzelnen Elemente im Leben und Wirken eines konfuzianischen Gelehrten als inhaltlich zusammenhängende Aspekte eines grösseren Ganzen verstand, eines konfuzianischen Ideals, das er durch die hanxue gefährdet sah. Dieses Ideal orientierte sich an Gelehrten der Nördlichen Song wie Ouyang Xiu 歐陽修 ­(1007–1072) oder Su Shi 蘇軾 (1037–1101) (auch bekannt unter seinem hao Su Dongpo 東坡), rückte aber in moraltheoretischer Sicht nicht von Zhu Xi 朱熹 (1130– 1200) ab. In der Biographie wird immer wieder verwiesen auf die in seiner Weltsicht unmittelbar verzahnten Aspekte der Literatur, Philosophie, Geschichte und der korrekten ethischen Haltung, welche diesen Beschäftigungen als grundlegend ­vorauszugehen hatte. Dabei darf man natürlich nicht ausser Acht lassen, dass Biograph Zheng Fuzhao seinen Lehrmeister sicherlich in idealisierter Form darstellte.

1 Zur Veröffentlichung der chronologischen Biographie: vgl. Huang Xiuwen 1997, 469–470.

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

Eckdaten und Überblick Zunächst zu den Eckpunkten im Leben Fangs. Bei Hummel werden ohne Angaben von Quellen die Daten 4. Oktober 1772 als Geburtstag und 23. Juni 1851 als Todestag angegeben (Hummel 1943–44, 238). Das in der chronologischen Biographie angegebene Geburtsdatum deckt sich mit dieser Angabe. Zu Beginn der Biographie heisst es: „Im 37. Jahr der Regierungsperiode qianlong, dem Jahr renchen im neunten Monat am achten Tag zur Stunde yin wurde Herr Fang geboren.“2 Die Angabe entspricht dem westlichen Datum des 4. Oktobers 1772. Beim Todesdatum allerdings gibt es abweichende Angaben. Dem 23. Juni bei Hummel steht folgende Aussage Zhengs entgegen: Am 22. Tag des fünften Monats3 [des ersten Jahres der Regierungsperiode xianfeng, d.h. 1851] fühlte er sich unwohl. Er trank Wein mit den Schülern und erörterte die Gelehrsamkeit wie gewohnt. Am 24. Tag, in der Doppelstunde zwischen vier Uhr und sechs Uhr früh, konnte er seine Ausscheidungen nicht mehr kontrollieren und verunreinigte seine Kleider. Er setzte sich in die Unterrichtshalle. Als er bemerkte, dass er etwas schief sass, bat er darum, ihn gerade hinzusetzen. Auch befahl er einem Diener, ein kurzes Schreiben zum Magistraten Tang zu bringen. Han Guang fragte ihn: „Herr [Fang], sind sie innerlich zufrieden?“ und er antwortete: „Ich bin äusserst zufrieden“.4 In der Doppelstunde zwischen vier und sechs Uhr Nachmittags verstarb er dann.5

Der Todestag gemäss den Angaben Zhengs war also der 3. Juli 1851. Zwischen diesen Jahren 1772 und 1851 liegt ein Leben, das in mancherlei Hinsicht typisch war für einen konfuzianischen Gelehrten der späten Kaiserzeit. Fang lernte die

2 Das Jahr renchen 壬辰 entspricht dem Jahr 1772 der abendländischen Zeitrechnung und das Datum entspricht dem 4. Oktober (Fang Shiming 1987, 682). Die Geburtsstunde yin 寅 liegt in der dritten Doppelstunde, also zwischen 4 Uhr und 6 Uhr früh. Im Weiteren werden Jahresdaten direkt in den Jahresangaben der abendländischen Zeitrechnung wiedergegeben. Der Vergleich geschieht gemäss Fang Shimings Werk. Datumsangaben zu bestimmten Tagen werden in den Anmerkungen umgerechnet wiedergegeben. 3 Es handelt sich um den 1. Juli 1851. Der Todestag Fang Dongshus war somit der 3. Juli 1851 (Fang Shiming 1987, 701). 4 Gemäss der in der chronologischen Biographie festgehaltenen letzten Unterhaltung fragte Han Guang 漢光: „Xiansheng xin nei shou yong fou 先生心內受用否“, worauf dieser antwortete: „shen an 甚安“ (Vgl. Fang Dongshu 1868a, fu lu, 16b). 5 Unterschiedliche Angaben zum Sterbedatum: Ye Long 1998, 156 gibt zwar in Übereinstimmung mit der chronologischen Biographie den 22. Tag des Fünften Monats an (chinesischer Kalender), allerdings hat er sich verrechnet oder verschrieben, er gibt auf S. 154 das Jahr 1853 als Sterbejahr an. Auch ist nicht zu erkennen, dass er nicht den 22. Mai des ersten Jahres der Regierungsperiode xianfeng meint, sondern das Datum des chinesischen Kalenders.



Eckdaten und Überblick 

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klassische Literatur – Prosa wie Lyrik – kennen und machte sich dann mit den konfuzianischen Schriften vertraut. Er tat dies mit dem Ziel der Beamtenprüfungen, die er aber nie erfolgreich absolvieren konnte. Sein „Status“ wird jeweils als der eines zhusheng 諸生 angegeben, was bei Hucker 1985, Nr. 1419 als „a collective reference to students of almost any kind“ glossiert wird, und bedeutet, dass Fang Dongshu nur unbedeutende Prüfungen erfolgreich absolviert hat, die ihn nicht als Beamten qualifizierten. Fang sollte also keine Beamtenkarriere machen oder sonst eine gehobene Funktion in der Verwaltung bekleiden – zumindest nicht als sein eigener Herr. Vielmehr ging er von einer privaten Anstellung im Stab eines Beamten (in dessen sog. muliao 幕僚) zur nächsten, wie das durchaus üblich war. Eine dieser Anstellungen – beim Generalgouverneur von Guangdong und Guangxi Ruan Yuan 阮元 (1764–1849) – führte ihn nach Guangzhou, wo er Kompilationsarbeiten erledigte, vornehmlich im Zusammenhang mit einer Lokalgeschichte. Sonst wandte er sich der Lehre zu und unterrichtete an Akademien die für die Prüfungen relevanten Texte, oder bildete eigene Schüler aus. Neben der professionellen Laufbahn enthält die chronologische Biographie auch Informationen zu Fangs Privatleben. Demnach war er sein Leben lang finanziell nicht sehr gut gestellt, weshalb er nicht einmal ein richtiges Begräbnis seiner Vorfahren bezahlen konnte. Erst spät im Leben gelang es ihm, genug Geld bereitzustellen, um seinen Eltern ein ordentliches Begräbnis zu ermöglichen. Dieser Umstand hat ihn tief betrübt, verlangt doch die zentrale konfuzianische Tugend der Kindespietät von den Kindern Gehorsam, während die Eltern noch am Leben sind, und Ehrerbietung nach deren Tod.6 Fang heiratete 1795 und die Biographie erwähnt zwei Söhne und zwei Enkelsöhne, allerdings wird nicht klar, was mit seiner Familie geschah und wo sie sich aufhielt, während er an unterschiedlichen Orten im ganzen Land eine Anstellung gefunden hatte. Die einzige andere Erwähnung seiner Ehefrau ist im Jahr 1833 anlässlich ihres Todes.7 Über die 38 Jahre ihrer Ehe finden sich keinerlei Informationen. Auch auf die Erziehung der Kinder gibt es keine Hinweise.

6 Der Vollständigkeit halber sei hier gesagt, dass Fangs Eltern nach deren Tod selbstverständlich beerdigt wurden. Allerdings handelte es sich hierbei um eine temporäre Bestattung. Als solche kann eine Beerdigung knapp unter der Erdoberfläche gelten, oder aber auch eine Unterbringung der Särge in einer kühlen Berghöhle. Die korrekte Bestattung verlangte dann einen sorgfältig ausgesuchten Grabplatz und vor allem das Vollziehen aller Grabriten. 7 Zum Tod der Ehefrau heisst heisst es dort lapidar: „Am 29. Tag des siebten Monats verstarb seine Ehefrau aus dem Geschlecht der Sun.“ Bei diesem Datum handelt es sich um den 12. ­September 1833.

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

Vorfahren, Kindheit und Ausbildung Nach diesen ersten Feststellungen sollen nun die einzelnen Ereignisse im Leben Fang Dongshus etwas detaillierter erörtert werden: Zunächst schildert sein Biograph kurz die Familiengeschichte: Seine Vorfahren kamen zur Zeit der mingzeitlichen Regierungsperiode hongwu von Wuyuan nach Luhong in Tongcheng,8 wo [die Familie] für Generationen erblühte. Sein Ururgrossvater trug den persönlichen Namen Fang Jun9 und er hatte eine Leidenschaft für das Lernen. […] Der Name seines Urgrossvaters war Ze, mit dem Volljährigkeitsnamen Ningchuan10. In seinen späteren Jahren wählte er das Pseudonym Dailu. Während der Regierungsperiode Qianlong, im Jahr 1747, wurde er gongsheng11 und dann ­Instruktor an einer Bannerschule12

8 Die Regierungsperiode Hongwu 洪武 war die erste der Mingzeit und sie dauerte von 1368–1398. Zu den geographischen Namen: Wuyuan 婺源 war in der Mingzeit ein Kreis in der Provinz Anhui, der 1934 der Provinz Jiangxi zugeteilt wurde (Zang Lihe 1931, 887–888; Zhongguo Diming Cidian 1990, 871; Tan Qixiang 1982, 47). Tongcheng 桐城 ist ein in China mehrfach vorkommender geographischer Name. So gibt es eine Stadt dieses Namens in der Provinz Fujian und ein zhen in der Provinz Shandong. Hier ist die Stadt Tongcheng gemeint, welche im gleichnamigen, zur Tangzeit etablierten Kreis in der Provinz Anhui liegt. Ab der Mingzeit gehörte es in die Präfektur Anqing 安慶府 (Zang Lihe 1931, 713; Tan Qixiang 1982, 19). Luhong 魯谼 ist bei Zang Lihe nicht aufgeführt, Zhongguo Diming Cidian kennt einen Berg dieses Namens im Norden des Kreises Tongcheng, weshalb ich annehme, dass hier ein Stadtteil oder eine Vorstadt gemeint ist (Zhongguo Diming Cidian 1990, 852). 9 Im Text steht wörtlich „Sein Ururgrossvater hatte den Tabunamen Jun“ (hui jun 諱晙) weil der Vorname eines direkten Verwandten von seinen Nachkommen als Tabu behandelt werden musste. Über Fangs Ururgrossvater Fang Jun 方晙 ist nichts weiter bekannt. Mingru Xuean, Zang Lihe 1980, ZHZ und Cihai 1999 haben keinen Eintrag und Du Lianzhe 1987 verweist auch auf keinen biographischen Eintrag. Zu den Namensbezeichnungen: In der vorliegenden Studie werden die folgenden Entsprechungen verwendet: ming „Persönlicher Name“, zi „Volljährigkeitsname“, hao „Pseudonym“, bzw. „Studierzimmername“, wenn Studierstube oder Bibliothek eines Gelehrten den entsprechenden Namen trugen. 10 Fang Ze 方澤, Volljährigkeitsname Ningchuan 苧川, Pseudonym Dailu 待廬: Hiromu Momose gibt für den Urgrossvater folgende Lebensdaten an: 1697–1767 (Hummel 1943–44, 238). Zang Lihe führt eine mingzeitliche Person dieses Namens auf, aber es handelt sich offenbar um einen anderen Mann, da er erstens aus einem anderen Ort stammt und da zweitens die Volljährigkeitsnamen nicht übereinstimmen (Zang Lihe 1980, 65). ZHZ 307 nennt zwei Personen dieses Namens aus der Song-, bzw. Mingzeit. 11 Ein Gongsheng 貢生 war ein Absolvent der Bezirksprüfung. Dieser war nun zugelassen zur Provinzprüfung. Im ausgehenden 18. Jahrhundert war diese Stellung nicht mehr sehr hoch g ­ eachtet. 12 Der Ausdruck für den Instruktor an einer Bannerschule lautet ba qi guan xue 八旗官學. Die „Acht Banner“ stehen als Sammelbezeichnung für die militärische Organisation innerhalb der qingzeitlichen Verwaltung. Die Bannerschulen waren dem Erziehungsministerium unterstellt und dort wurden Söhne von mongolischen und mandschurischen Offizieren unterrichtet ­(Hucker 1984, Nr. 4358–4359).



Vorfahren, Kindheit und Ausbildung 

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und Kandidat für das Amt eines D ­ istriktsmagistraten13. Sein gesamtes Leben hindurch hat er in der Diskussion des Lernens Meister Zhu verehrt, in der Literatur den mingzeitlichen Literaten Ai Qianzi, in der Dichtkunst hat er sich am Vorbild von Bibliotheksleiter Yang der Songzeit orientiert.14 Sein Schüler, Abteilungsleiter Yao Nai, hat seine Grabinschrift verfasst.15 In seinen Schriften ist er mit grösster Umsicht vorgegangen, im Dienst hat er an den Werken Anhui Tongzhi 安徽通志 (Lokalgeschichte von Anhui) und Wen Yuan Zhuan 文苑傳 (Kommentar zum Literaturgarten) mitgearbeitet,16 seine Gedichte und Prosatexte wurden als Buch herausgegeben und kursieren im Reich. Seine Urgrossmutter war aus dem Geschlecht der Hong 洪.    Sein Grossvater trug den Namen Fang Xun, mit dem Volljährigkeitsnamen Weishu.17 Er war chushi18 […]. Seine Grossmutter war aus dem Geschlecht der Hu 胡.

13 Zum Titel Kandidat für das Amt eines Distriktsmagistraten vgl. Hucker 1984, Nr. 2213 und Nr. 993. 14 Mit „Meister Zhu 朱子“ ist der songzeitliche Philosoph Zhu Xi (1130–1200) gemeint. „Ai Qianzi 艾千子“ ist der Volljährigkeitsname von Ai Nanying 艾南英 (1583–1646). Dieser war ein Literat in der Tradition Gui Youguangs 歸有光 (1507–1571) und ein konservativer, sich an den Meistern der Tang und der Song orientierender Autor (Nienhauser 1986, 512–513). Obwohl Yang Bjian 楊祕監 wie ein Nachname mit einem Volljährigkeitsnamen aussieht, handelt es sich hierbei m.E. um eine andere Art der Bezeichnung. Da keines der gängigen Nachschlagewerke für Erwachsenen-, Künstler- oder Studierzimmernamen einen Yang Bijian kennt, nehme ich an, dass es sich dabei um einen Beamtentitel handelt, und dass sich hinter dem Namen der berühmte Dichter Yang Wanli 楊萬里 (1127–1206) verbirgt. Gemäss Angaben des Cihai hatte dieser nämlich den Posten eines pi shu jian 祕書監, gemäss Hucker ein Direktor der kaiserlichen Bibliothek, und m.E. wurde der Beamtentitel zu einer namensähnlichen Bezeichnung verkürzt (Hucker 1985, Nr. 4588; Cihai 1989, 1418). Yang war neben Lu You 陸游, Fan Chengda 范成大 und You Mao 尤袤, einer der vier berühmten Dichter der Südlichen Songzeit (1127–1279) 南宋四家. Er setzte sich für den Kampf gegen die Jurchen (oder „Dschurdschen“) ein (vgl. auch Nienhauser 1986, 915–916). 15 Zu Fang Dongshus Lehrer Yao Nai 姚鼐 (1732–1815) vgl. Hummel 1943–1944, 900–901; ZHZ 1802; Zhongguo Wenxue Da Cidian 2000, 1414). Er wird hier mit seinem Beamtentitel langzhong 郎中 genannt. Da ein langzhong gemäss der Darstellung bei Hucker keine klar umrissene eindeutige Funktion hat, habe ich den Titel mit „Abteilungsleiter“ wiedergegeben (Hucker 1985, Nr. 3565). Die Grabinschrift ist in den gesammelten literarischen Werken Yao Nais enthalten (vgl. Yao Nai 1992, 206–207). 16 Obwohl ich keine inhaltliche Beschreibung des Werkes finden konnte, kann m. E. der Titel des letzteren als Hinweis auf das konservative Literaturverständnis Fang Zes verstanden werden, denn er spielt auf die literarische Sammlung Wen Yuan Ying Hua 文苑英華 an (vgl. hierzu ­Nienhauser 1986, 897–898). 17 Zu Fang Xun 方訓, Volljährigkeitsname Weishu 味書 ist nichts weiter bekannt. Qingru Xuean, ZHZ, Zang Lihe 1980, Cihai 1989 und Yang Tingfu haben keinen Eintrag. Du Lianzhe 1987 verweist auch auf keinen sonstigen biographischen Eintrag. Wenn im Weiteren im Rahmen dieser Übersetzung zu einem Gelehrten keine weiteren Angaben gemacht werden können, sind jeweils die genannten fünf Werke konsultiert worden. 18 Mit chushi 處士 wurde ein Gelehrter bezeichnet, der über hohe moralische Tugend verfügt, aber keine offizielle Position inne hatte. Ich möchte aber die Übersetzung „Privatgelehrter“

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

   Sein Vater hiess Fang Ji, mit dem Volljährigkeitsnamen Zhanqing.19 In seiner Zeit als Anwärter auf die Bezirksprüfung verfasste er die Werke Jing Shi Zhaji, Qu Zi Zheng Yin und He Ming Ji.20 Nach Bestehen der Prüfung hat er an den Werken Lokalgeschichte von Anhui geschrieben und am Kommentar zum Literaturgarten mitgearbeitet,21 seine Gedichte fanden Aufnahme in die Werke Guochao Zheng Ya Ji 國朝正雅集 (Literarische Sammlung von guten und edlen Werken der Dynastie), Tong Jiu Ji 桐舊集 (Literarische Sammlung von Werken aus Tongcheng) und Gu Tong Xiang Shixuan 古桐鄉詩選 (Ausgewählte Gedichte der Gegend von Tongcheng).22 Seine Mutter war aus dem Geschlecht der Deng. Sie war die Tochter des chushi Deng Lin.23 Seine Stiefmutter war aus dem Geschlecht der Yao. Sie war die Tochter des Anwärters auf die Nationalen Prüfungen mit dem Vornamen Xingyi.24 Seine zweite Stiefmutter war aus dem Geschlecht der Wu. Sie war die Tochter eines Mannes mit dem Vornamen Mou.25

Die Familie Fang blickte der Quelle zufolge zum Zeitpunkt von Fang Dongshus Geburt auf eine Tradition von vier Generationen Gelehrsamkeit zurück. Keiner der direkten Vorfahren der Familie Fang konnte allerdings die Prüfungen bis

­ ermeiden, da dieses Wort andere Implikationen hat als das chinesische chushi. Die moralische v Seite des Begriffes geht auf eine Stelle im Buch des Philosophen Xun Kuang (3. Jh. v. Chr.) – das Werk Xunzi – zurück, wo es im Kapitel „fei shier zi 非十二子“ heisst: „古之所謂處士者, 德盛者也, 能靜者也, 修正者也, 知命者也, 箸是者也。 今之所謂處士者, 無能而云能者 也, 無知而云知者也, 利心無足, 而佯無欲者也, 行偽險穢, 而彊高言謹愨者也, 以不俗為 俗, 離縱而跂訾者也.“ Knoblock übersetzt: „The ancients called „scholar-recluses“ those who possessed the highest inner power, who were able to obtain inner quiet, and who cultivated uprightness, knew destiny, and manifested in their own person what was right and true. Those who today are called „scholar-recluses“ lack ability but are said to have ability, and lack knowledge but are said to have it.“ (Knoblock 1988, 227–228). Unzweifelhaft hält Zheng Fuzhao Fang Dongshus Vater für einen chushi im alten Stil. 19 Zu Fang Ji 方績, Volljährigkeitsname Zhanqing 展卿, ist nichts weiter bekannt. In ZHZ 309 werden lediglich die aus dieser Biographie bekannten Informationen wiedergegeben: dass er der Vater Fang Dongshus war und dass er die genannten drei Werke verfasst hat. 20 Jing Shi Zhaji 經史札記 (Verschiedene Aufzeichnungen zu Klassikern und Geschichtswerken), Qu Zi Zheng Yin 屈子正音 (Phonetische Richtigstellungen zu Meister Qu [Yuan und den Chu Ci]) und He Ming Ji 鶴鳴集 (Literarische Sammlung „Kranichruf“). Das He Ming Ji in sechs Faszikeln ist in den gesammelten Werken Fang Dongshus Fang Zhizhi Quanji enthalten, über die anderen beiden Werke ist nichts weiter bekannt (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:1489). 21 An beiden Werken arbeitete bereits der Urgrossvater Fang Dongshus, Fang Jun (vgl. oben). 22 In den Titeln der beiden letztgenannten Werke taucht nur die erste Silbe des Ortsnamens Tongcheng auf. Da die Geschichte des Kreises Tongcheng aber auf den Lehnstaat Tong 桐 der Frühlingsund Herbstperiode zurückgeht und damit sicherlich die Stadt oder der Kreis gemeint sind, gebe ich hier den modernen Namen Tongcheng an (Zang Lihe 1931, 713; Tan Qixiang 1982, 47). 23 Zu einer qingzeitlichen Person namens Deng Lin 鄧林 ist nichts weiter bekannt. 24 Zu Yao Xingyi 姚興易 ist nichts weiter bekannt. 25 Zu Wu Mou 吳某 ist nichts weiter bekannt. Im Text der verwendeten Ausgabe wird der Volljährigkeitsname des Mannes angegeben, wonach er Wu Xiyuan 吳西園 hiess.



Vorfahren, Kindheit und Ausbildung 

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zum jinshi absolvieren und damit auf eine einflussreiche Position gelangen. Hier findet sich auch bereits der erste Hinweis auf Yao Nai, der später seinerseits der Lehrer Fangs werden sollte. Den Frauen des Hauses Fang war kein langes Leben beschert, wie sich aus dem frühen Verlust wichtiger Bezugspersonen erkennen lässt: Im 48. Jahr, 1783, war er zwölf Jahre alt. Am 19. Tag des achten Monats26 starb seine Mutter, Frau Deng 鄧. Als Herr Fang noch klein war, war er schwächlich und häufig kränkelnd. Nach der Trauerzeit für seine Mutter wuchs er bei seiner Grossmutter, Frau Hu, auf. Zum Zeitpunkt, da Frau Deng bereits gestorben war, wurde Herr Fang schwer krank, so dass er die Trauer [für die Mutter] nicht durchstand. Nach der Krankheit waren seine Stirn und seine Lippen geschwollen. Erst nach seinem 13. Geburtstag begann er langsam wieder kräftiger zu werden und zu genesen.    Im 49. Jahr, 1784, als Herr Fang 13 Jahre alt war, kam seine Stiefmutter, Frau Yao, als Frau von Herrn Fang Zhanqing in die Familie.    Im 51. Jahr, 1786, als Herr Fang 15 Jahre alt war, am neunten Tag des siebten Monats, der ein Schaltmonat war, starb die Stiefmutter, Frau Yao. Herr Fang Zhanqing hatte mit seiner zweiten Frau kein Kind, so beerdigte er sie nur beim Songke-Gipfel.27    Im 52. Jahr, 1787, als Herr Fang 16 Jahre alt war, kam seine zweite Stiefmutter, Frau Wu, als Frau von Herrn Fang Zhanqing in die Familie.

Der junge Fang Dongshu wuchs in dem beschriebenen Umfeld auf und war ein schwächliches Kind. Er sollte auch zeitlebens ein schmächtiger Mann bleiben, wie Bilder von ihm deutlich machen. In der Gesamtdarstellung seiner Person am Schluss der chronologischen Biographie wird seine Erscheinung beschrieben als „blass und durchgeistigt, hochgewachsen und aufrecht. Sein Aussehen war würdevoll.“ Fang hatte in der Tradition seiner Familie die Schriften erlernt, hatte aber allem Anschein nach eine nur unvollständige Ausbildung erhalten. Seine besondere Leidenschaft galt gemäss Biographie der Lyrik. Ab dem Alter von 22 Jahren besuchte er die Zhongshan-Akademie28 in der Nähe von Nanjing, wo Yao Nai (der

26 Das Datum entspricht dem 15. September 1783. 27 Beerdigte sie nur beim Songke-Gipfel: he zang 愒葬. Da sie keine Nachkommen hatte, wurde sie nicht in der Familienreihe beerdigt, sondern einfach in einem normalen Grab. Die Formulierung he zang geht zurück auf eine ähnliche Stelle im Gongyang Zhuan, „Yin Gong 3. Jahr“ mit leicht anderem Schriftzeichen, wo es heisst: „bu jishi er ri, ke zang ye 不及時而日,渴葬也“. Die Schriftzeichen 渴 und 愒 sind austauschbar (vgl. Cihai 1999, 1200; HYDCD 7:658). Die Lage des Songke-Gipfels songke jian 松窠尖 ist nicht auszumachen. 28 Mit Jiangning 江寧 ist hier der Kreis 江寧縣 gemeint (vgl. Zang Lihe 1931, 328). Für ning wird die Schreibvariante 甯 verwendet. Die Zhongshan-Akademie 鍾山書院 befand sich in Jiangning. Sie war seit ihrer Gründung im Jahr 1723 ein Zentrum qingzeitlicher Gelehrsamkeit gewesen. Hier

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seinerseits den Beginn seiner Ausbildung bei Fangs Grossvater absolviert hatte) sein Lehrer wurde. Er blieb dort bis 1797: Im 58. Jahr, 1793, war Herr Fang 22 Jahre alt. Im Kreis Jiangning lehrte Herr Yao Jichuan29 an der Zhongshan-Akademie. Yao, seinerseits Schüler von Herrn Dailu [d.i. Fang Dongshus Grossvater Fang Ze], hatte hier schon Herrn Fang Zhanqing unterrichtet und [nun auch] Herrn Fang [Dongshu], wobei Herr Fang das engste Verhältnis zum Lehrer hatte.30 Zusammen mit Mei Boyan und Guan Yizhi aus Shangyuan und Liu Mengtu mit demselben Heimatort wurden sie von Herrn Yao am meisten gelobt und in der Welt als die „Vier Talente der Schule [Herrn] Yaos“ angesehen.31 Er trat in die Kreisschule ein, wo er den anderen Studenten aushelfen konnte, so dass er mehrere Jahre überspringen konnte. Er half auch den fortgeschrittenen Studenten.32

In diese Phase seiner Biographie fällt auch die Phase der Beamtenprüfungen. Die jährlich stattfindenden Provinzprüfungen legte er ab dem Alter von 20 Jahren jedes Jahr ab, ohne dabei allerdings jemals erfolgreich zu sein. Trotzdem versuchte er es – wie viele andere – immer wieder: „Fang legte die Bezirksprüfung zehnmal ab und erst nach dem achten Jahr der Regierungsperiode Daoguang [d.i.

hatten Qian Daxin und Lu Wenchao gelehrt, und ab 1790 unterrichtete Yao Nai an besagtem zhongshan shuyuan für 20 Jahre bis zu seinem Tod (Ji Xiaofeng 1996, 43–44). 29 Yao Nai wird hier in der üblichen Form mit seinem Volljährigkeitsnamen Yao Jichuan 姚姬傳 genannt (vgl. Hummel 1943–44, 900; Cihai 1999, 1332). 30 „而先生隨侍講席最入“ wörtlich: „Der Herr war derjenige [unter den Schülern], der am nächsten an die Sitzmatte des Lehrers herankam“. Um die Übersetzung nicht zu exotisch klingen zu lassen, habe ich von der wörtlichen Übersetzung abgesehen. 31 Bei den „Vier Talenten“ hier als „Yao men si jie 姚門四傑“ apostrophierten Personen handelt es sich gemäss den editorischen Angaben im Text bei Mei Boyan 梅伯言 um Mei Zengliang 梅曾亮 (1786–1856). Dieser hat einen Teil des Nachlasses von Yao Nai veröffentlicht (Hummel 1943–44, 900; ZHZ 2122). Guan Yizhi 管異之 ist der Volljährigkeitsname von Guan Tong 管同 (1780–1831). Er stammt wie Mei Zengliang aus Shangyuan 上元 in Jiangsu (heute ein Teil der Stadt Nanjing) und hat eine chronologische Biographie des Menzius Meng Zi Nianpu 孟子年譜 herausgegeben (Zang Lihe 1980, 1366; ZHZ 2469; Cihai 1999, 2275–2276). Liu Mengtu 劉孟塗 ist der selbstgewählte Übername Liu Kais 劉開 (1784–1824). Dieser stammte auch aus Tongcheng, sein Volljährigkeitsname war Liu Mingdong 劉明東. Er erlangte als Lyriker Bekanntheit und hat Kommentare zu verschiedenen klassischen Werken verfasst (Zang Lihe 1980, 1472; ZHZ 613 Cihai 1999, 1864). Bei Hummel werden die letzten beiden Herren nicht erwähnt. Laut Zang Lihe gibt es für diese vier Schüler Yao Nais auch die aus den Nachnamen abgeleitete Sammelbezeichnung Fang Liu Mei Guan. Der als „aus demselben Dorf stammend“ übersetzte Ausdruck tong li 同里 referiert hier m.E. nicht spezifisch auf das Verwaltungssystem von lijia 里甲, wonach 110 Haushalte zu einem li zusammengefasst wurden (Hucker 1985, 90). 32 zengguang sheng 增廣生, auch kurz zengsheng 增生 genannt, bezeichnet Studenten, die auf die mittlere Prüfung, d.h. die Provinzprüfung, lernten (HYDCD 2:1223–1224).



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1828; M. W.] legte er sie kein weiteres Mal ab.“ Damit blieb Fang Dongshu die Laufbahn eines Beamten also verwehrt, und als 56-jähriger akzeptierte er nach zehn Rückschlägen dieses Schicksal. Die Attacke auf die hanxue, die in der vorliegenden Arbeit thematisiert wird, kann neben vielen anderen Gründen auch als Reaktion auf die Misserfolge des Tongcheng-Gelehrten Fang bei den Prüfungen zusammenhängen. Durch praktisch das gesamte siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert waren Gelehrte aus Tongcheng bis zum höchsten Grad eines jinshi aufgestiegen und hatten die Beamtenprüfungen als Sprungbrett für eine politische oder gelehrte Karriere genutzt. Diese Möglichkeit war Fang verwehrt, und es ist denkbar, dass er das auf Druck der textkritischen Gelehrsamkeit abgeänderte Prüfungskurrikulum dafür verantwortlich machte. Demnach wäre die hanxue verantwortlich für seine berufliche Stagnation. Wie dem auch sei, nachdem Fang die Prüfungen nicht erfolgreich abgelegt hatte, konnte er keine Beamtenstellung erhalten und war auf einen Lebensentwurf reduziert, der ihn entweder als Hauslehrer in der Gefolgschaft eines Beamten oder als zurückgezogener Einsiedler leben liess. Hierzu allerdings fehlten ihm die Mittel. In diese erste Phase seines Lebens fällt auch die bereits kurz erwähnte Heirat und anschliessende Geburt seines ersten Sohnes. Wie durchaus üblich, war es eine durch die Eltern der Brautleute arrangierte Verbindung: Im Winter 1795 heiratete er Frau Sun, die Enkelin von Sun Yan,33 eines jinshi aus dem 28. Jahr der Regierungsperiode Qianlong [1763]. Sie war ausserdem die Tochter des Studenten für die Kreisprüfungen und Träger eines ehrenhalber verliehenen Titels eines daifu, Sun Zhantai.34 Hierzu kam es, weil, Frau Suns Onkel väterlicherseits, ein jinshi aus dem 6. Jahr der Regierungsperiode Jiaqing [1801], Sun Qihu35, ein Freund von Herrn Fang Zhanqing war und die Gedichte und Prosatexte Herrn Fang Dongshus sehr schätzte. Daher schlug er [die Verbindung mit Fang] der Tochter seines älteren Bruders vor und gab das Kind seines Bruders dorthin in die Ehe. […] Am zwölften Tag des achten Monats [1798] kam sein Erstgeborener, Fang Wen, zur Welt.36

33 Zu Sun Yan 孫顏 ist nichts weiter bekannt. 34 Der Titel eines daifu 大夫, einer der wichtigen Beamtenränge der älteren chinesischen ­Geschichte, hatte in der Qingzeit nur noch einen guten Klang, aber es verband sich keine Macht mehr damit. Hucker geht sogar so weit, diesem Beamtenrang für die Dynastien nach der Song keine Beschreibung mehr angedeihen zu lassen (Hucker 1985, Nr. 5939). Zu Sun Zhantai 孫詹泰 ist nichts weiter bekannt. 35 Zu Sun Qihu 孫起峘 ist weiter nichts bekannt. Hier sei die Tatsache hervorgehoben, dass Herr Sun, der zum Zeitpunkt der Vermählung den Grad eines jinshi noch nicht inne hat, hier gleichwohl mit diesem Titel genannt wird, die Chronologie der Abläufe also als weniger wichtig erachtet wird als die höchste Stellung, die ein Mensch Zeit seines Lebens erreicht hat. 36 Das Datum entspricht dem 21. September 1798. Über Fang Wen 方聞 ist nichts weiter ­bekannt..

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Anstellungen Nachdem die Beamtenlaufbahn für den Gelehrten aus Tongcheng verschlossen blieb, suchte er sich eine Anstellung. Er fand aber keine von Dauer, sondern unterrichtete als Hauslehrer an verschiedenen Orten, ohne je lange an einem zu bleiben. Erst 1819, im Alter von 47 Jahren, erlangte er eine relativ dauerhafte Anstellung. Davor hing er von der Hilfe oder Unterstützung anderer Studenten Yao Nais oder Freunden der Familie ab. So etwa 1798 und 1799, wo es heisst: „Er erhielt Unterricht über die Klassiker im Haus von Vizeminister Chen Shishi37, das sich in Xincheng westlich des Yangzi-Flusses befand.“38 Im Haushalt Chen Yongguangs editierte er die literarischen Werke seiner Jugendzeit und gab diese heraus. Er nannte diese erste Sammlung seiner Schriften Yue She Za Pian,39 und in der chronologischen Biographie werden Auszüge des Vorwortes zitiert. Auch verfasste er in dieser Zeit einen Kommentar zum Dao De Jing unter dem Titel Lao Zi Zhang Yi40. 1801 verliess Fang dann Chen und erlangte seine erste Anstellung: er unterrichtete die Klassiker als Hauslehrer im Haushalt des Ministers Wang Jiamen41. Dieser stammte auch aus Tongcheng. Auf diese unstete Weise hielt er sich als Gast in den Häusern verschiedener Beamter oder Gelehrter auf. 1807 etwa lud Yao Nai ihn ein, an die Zhongshan-Akademie in Jiangning zu kommen. 1811 arbeitete er im Auftrag des Magistraten an der Lokalgeschichte des Distrikts von Jiangning und Xinan. An keinem dieser Orte blieb er längere Zeit. Bot sich keine entsprechende Gelegenheit, kehrte er nach Tongcheng zurück. In diese Phase des Herumwanderns fiel auch die Geburt seines zweiten Sohnes:

37 Mit Chen Shishi 陳石士 ist hier gemäss den editorischen Angaben im Text Chen Yongguang 陳用光 (1768–1835) gemeint. Sein Volljährigkeitsname war offenbar Suoshi 碩士, und Shishi ist einer seiner zahlreichen Pseudonyme, namentlich sein Studierzimmernamen (Yang Tingfu 1988, 1410). Chen war ebenfalls Student von Yao Nai und editierte dessen Briefe zum Werk Xibao Xiansheng Chi Du 惜抱先生尺牘 (Hummel 1943–44, 901). Zum Titel vgl. Hucker 1985, Nr. 5278. Chen war Vizeminister im Ritenministerium 禮部左侍郎 (Zang Lihe 1980, 1068). 38 Gemäss editorischem Zusatz im Text sollen Fangs Gedichte Guo Dan Tu 過丹徒 und Xi Hu 西湖 beide während der Fahrt von Jiangning nach Xincheng entstanden sein. 39 Yue She Za Pian: 櫟社雜篇 (Verschiedene Texte vom Dorf) Die Bedeutung „Dorf“ stützt sich auf die im HYDCD 4:1357 zweite angegebene Bedeutung. Über das Werk ist nichts weiter bekannt. 40 Lao Zi Zhang Yi: 老子章義 (Bedeutung der Sprüche im Lao Zi). Über das Werk ist nichts weiter bekannt. 41 Zum Titel „Minister“ vgl. Hucker 1985 Nr. 5042. Wang Jiamen 汪稼門 war gemäss einer editorischen Angabe im Text der Volljährigkeitsname von Wang Zhiyi 汪志伊 (1743–1818), der bei Hummel als Mentor Cui Shus genannt wird (vgl. Hummel 1943–1944, 774; Zang Lihe 1980, 475–476).



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Im 12. Jahr, 1807, war Herr Fang 36 Jahre alt. Er begab sich nach Jiangning an die Akademie auf Einladung Herrn [Yao] Jizhuans.42 Danach unterrichtete er dessen ältesten Enkel im Rezitieren [von Texten].43 Am ersten Tag des dritten Monats wurde sein zweiter Sohn, [Fang] Xu, geboren.44

Während dieser Zeit, in der Fang noch keinen Erfolg hatte, waren auch seine Mittel knapp und es ist unklar, wie er seine Familie ernähren konnte. Die Biographie enthält keine Informationen hierzu. Allerdings erfahren wir anlässlich des Todes seines Vaters und seiner Grossmutter, welche finanziellen Lasten bewältigt werden mussten. Im 21. Jahr, 1816, war Herr Fang 45 Jahre alt. Am vierten Tag des Schaltmonats nach dem sechsten Monat,45 verstarb der Vater [Herrn Fangs], Herr [Fang] Zhanqing. Zu dieser Zeit befand sich Herr Fang gerade mit Provinzgouverneur Hu in Jiangsu, so dass er keine Gelegenheit hatte, das Einsargen46 mit zu verfolgen. 1817 war Herr Fang 46 Jahre alt. Am 13. Tag des elften Monats47 verstarb seine Grossmutter, Frau Hu. Im selben Jahr reiste Herr Fang unter grosser Mühe nach Jinling48. Dort mietete er sich vom Frühling bis zum Winter im Kloster Qishu in Qingxi49 ein. Im elften Monat brach er nach Yangzhou auf, fand aber auch dort niemanden, an den er sich hätte wenden können,

42 [Yao] Ji Zhuan: 姬傳 Volljährigkeitsname von Yao Nai. Mit der Akademie in Jiangning ist die Zhongshan-Akademie gemeint (vgl. oben). 43 Die Formulierung lautet ke qi chang sun Song 課其長孫誦. Es kann sich nicht um Fangs Enkel handeln, da sein erstgeborener Sohn damals ja erst neun Jahre alt war. Daher vermute ich, dass qi seinen Lehrer Yao Nai pronominalisiert und er dessen Enkel unterrichtete. 44 Das Datum entspricht dem 8. April 1807. Zu Fang Xu 方戌 ist nichts weiter bekannt. 45 Bei dem Datum handelt es sich um den 28. Juli 1816. Es gibt in diesem Jahr einen sechsten Monat und danach einen sechsten Schaltmonat (vgl. Fang Shiming 1987, 693). 46 Einsargen: hanlian 含斂. Hier eine alternative Schreibweise für das üblichere 含殮. Damit sind die gesamten Totenriten gemeint, mit denen der Verstorbene auf das Einsargen vorbereitet wird: das Waschen der Leiche, das Anziehen der Totenkleider, das Füllen des Mundes mit Reis oder anderem und schliesslich die Einsargung (vgl. HYDCD 3:232). Für einen Sohn, der die Tugend der Kindespietät ernst nimmt, war es eine schreckliche Unterlassung, hier nicht zugegen sein zu können. Die Riten richteten sich zu dieser Zeit nicht mehr nach den antiken Texten der Klassiker, sondern orientierten sich an Zhu Xis Ritual-Handbuch Zhu Zi Jia Li 朱子家禮. Für einen Überblick über die Schritte des Einsargens vgl. die wertvolle Übersetzung dieses Textes von Ebrey 1991, 65–69. 47 Die chinesische Datierung des Todes entspricht dem Datum des 20. Dezember 1817 (Fang Shiming 1987, 693). 48 Jinling 金陵 ist ein alter Name für die Stadt Nanjing. 49 Kloster Qishu in Qingxi: 青溪衹樹. Qingxi ist der Name eines Flüsschens, das durch das heutige Nanjing fliesst (Cihai 1999, 2390). Unterstützt durch den Ausdruck siseng 寺僧 => Mönch interpretiere ich qi shu als den Namen eines Klosters. Die wörtliche Übersetzung: „Baum des Anflehens der Götter“ ist zwar denkbar, macht aber nicht viel Sinn. Allerdings liessen sich für

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und kehrte so nach Jinling zurück. Dort erfuhr er vom Tod seiner Grossmutter. Er wollte nach Hause, hatte aber die Mittel nicht. Am letzten Tag des alten Jahres musste er sein Bettzeug verpfänden, um damit den Mönchen gerade die Miete zahlen zu können, aber er konnte sich davon kein Feuerholz oder Reis beschaffen.50

Ruan Yuan und die Zeit in Guangzhou Erst 1819, im Alter von 47 Jahren, sollte er eine dauerhaftere Anstellung finden, wenn auch nicht im heimatlichen Jiangnan, sondern in Guangzhou. Er fand dort eine private Anstellung bei Ruan Yuan, einem wichtigen Gelehrten und Politiker des frühen neunzehnten Jahrhunderts. Er arbeitete in dessen persönlichem Stab (muliao 幕僚). Die Arbeit im muliao eines Beamten war eine Möglichkeit für Gelehrte, welche die Beamtenprüfungen nicht bestanden hatten, trotzdem eine Anstellung zu finden. Da Beamten ein Arbeitspensum auferlegt wurde, das sie unmöglich alleine bewältigen konnten, mussten sie privat Sekretäre und andere Hilfskräfte einstellen. Diese bezeichnet man als mu oder muliao.51 Das Verhältnis zwischen Ruan und Fang wird in der chronologischen Biographie nicht weiter beschrieben, aber eine Reihe von Indizien lassen darauf schliessen, dass es ein vielschichtiges gewesen sein muss. Denn Ruan Yuan wird in der Literatur allgemein als der zentrale Förderer der kaozhengxue im neunzehnten Jahrhundert angesehen. Er wird als wichtiger Repräsentant und zurecht gleichzeitig Mentor der ebenfalls textkritischen Yangzhou-Schule im neunzehnten Jahrhundert gefeiert: Ruan Yuan verfasste selbst auch Texte, welche mit der Argumentation der kaozhengxue übereinstimmten, aber vor allem erinnert man sich seiner als Initiator und Mentor verschiedener Projekte, die wesentlich zum Prestige der textkritischen Schulen im zwanzigsten Jahrhundert beitrugen. So gründete er in seiner Zeit als Gouverneur von Zhejiang 1801 in Hangzhou die Akademie Gujing Jingshe 詁經精舍, eine Akademie, die sich der textkritischen Herangehensweise

keine der Übersetzungen Hinweise finden. Es ist somit nicht völlig klar, ob es ein solches Kloster tatsächlich gegeben hat. 50 Feuerholz und Reis: 薪米. Es ist nicht klar, ob hier tatsächlich Feuerholz und Reis gemeint sind, oder ob das metaphorisch als „das Nötigste“ zu verstehen ist (vgl. hierzu den Ausdruck xinshui 薪水 etwa in HYDCD 9:570), was aber im Falle Fangs keine so grosse Rolle spielt, da das Nötigste für ihn in der beschriebenen Situation tatsächlich etwas Holz und eine Handvoll Reis gewesen sein dürfte. Diese Beschreibung zeigt Fang Dongshu am absoluten Tiefpunkt. Er ist am Abend des Frühlingsfestes fern von Zuhause, seine Eltern sind noch unbestattet, und er hat nicht einmal mehr eine Bettdecke. 51 Zum Begriff des muliao vgl. Hucker 1985, Nr. 404. Dort wird mu als „Hauptquartier“ bezeichnet oder als zentrales Büro einer Amtsstelle oder eines Beamten.



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verschrieben hatte. In der Gujing Jingshe wurde auch das erste Projekt kompiliert, bei dem Ruan Yuan verschiedene Gelehrte zusammenbrachte: die Erarbeitung des Jing Ji Zuan Gu 經籍纂詁 (116 Faszikel, 1800 gedruckt) unter der Aufsicht Zang Yongs 臧庸 (1767–1811) und dessen Bruder Zang Litang 臧禮堂 (1776–1805). Später förderte Ruan die textkritische Gelehrsamkeit, indem er die Shisan Jing Zhushu 十三經注疏52 in der songzeitlichen Ausgabe erneut publizierte, zudem versehen mit seinen eigenen textkritischen Notizen jiaokan ji 校勘記 (Gesamtumfang 243 Faszikel, 1816 gedruckt, das jiaokan ji wurde zuvor schon 1806 während der Trauerperiode für seinen Vater separat gedruckt). Diese Bemühungen krönte er mit der Kompilation und Publikation aller textlich orientierten qingzeitlichen Schriften zur Klassikerforschung, die er unter dem Sammeltitel Huangqing Jingjie 皇清經解 (1400 Faszikel) zwischen 1825–29 kompilieren und 1829 drucken liess.53 Schliesslich machte er sich einen Namen als Gründer und Leiter der Xuehai Tang 學海堂, einer Lehr- und Forschungsanstalt in Guangzhou mit textkritischer Ausrichtung,54

52 Jingji Zuangu 經籍纂詁 und Shisan Jing Zhushu 十三經注疏: Beide Werke stellen wichtige Grundlagen der Klassikerforschung in der späten Qingzeit dar. Das Jingji Zuangu (Verarbeitete Glossen zu Klassikern und klassischen Schriften) ist eine Sammlung kommentarieller Glossen aus der Han- und Wei-Jin-Zeit. Das Buch ist nach Reimklassen geordnet und bildet mit seinen präzisen Belegen für jede Bedeutung einen Vorläufer moderner Wörterbücher (vgl. dazu Teng & Biggerstaff 1950, 188–189). Der Titel Dreizehn Klassiker mit Kommentaren und Subkommentaren weist auf eine songzeitliche Ausgabe der Shisan Jing hin, welche zusammen mit ihren Han- oder Wei-Jin-zeitlichen Kommentaren (zhu) und den für die tangzeitlichen zhengyi-Ausgaben erstellten Subkommentaren (shu) in der Song gedruckt wurden. Die Neuauflage der Werke mit diesen Kommentaren zur Qingzeit lässt sich als Versuch werten, die Dominanz der daoxue-Exegese zu den Klassikern zu brechen und die früheren Kommentare wieder zugänglich zu machen. Auf der anderen Seite gibt es zu vielen der Klassiker gar keine daoxue-Kommentare. Das Neue an dieser qingzeitlichen Ausgabe sind die textkritischen Notizen jiaokan ji Ruan Yuans. 53 Huangqing Jingjie (Erklärungen zu den Klassikern aus der Zeit der erhabenen Qingdynastie): Hinter dem Werktitel verbirgt sich eine Sammlung von qingzeitlichen Kommentaren und ­Untersuchungen zu den verschiedenen Klassikern, die 1831 unter der Herausgeberschaft von Ruan Yuan in Kanton gedruckt worden waren. Das Werk versammelt 74 Autoren und über 180 Einzelwerke mit einem Gesamtumfang von 1430 Faszikeln. Wang Xianqian 王先謙 hat 1888 ein Folgewerk mit 111 Autoren und 209 Einzelwerken unter dem Namen Huangqing Jingjie Xubian 續編 herausgegeben. Beide Werke stellen die spezifischen Errungenschaften der hanxue und kaozhengxue in den Mittelpunkt (Cihai 1999, 2136; Wu Feng 1987, 640, 645). 54 Diese Akademie und Druckanstalt Xuehai Tang 學海堂 ([Akademie der] Halle des Ozeans der Gelehrsamkeit) wurde von Ruan Yuan am 14. April 1820, drei Jahre nach Ruans Versetzung nach Guangzhou gegründet. Die Organisation der Akademie orientierte sich an der 1801 von Ruan Yuan in Hangzhou gegründeten Gujing Jingshe 詁經精舍. Damals war er als Gouverneur

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Schliesslich liess Ruan Yuan von 1819 bis 1822 die Lokalchronik Guangdongs, Guangdong Tongzhi 廣東通志 (334 Faszikel) kompilieren. Zu diesem Zweck holte er u.a. Fang Dongshu nach Guangzhou: Im 24. Jahr, 1819, war Herr Fang 48 Jahre alt. Im dritten Monat ging er nach Guangzhou. Zur damaligen Zeit war Ruan Wenda55 der Generalgouverneur von Guangdong und Guangxi. Dieser stellte Herrn Fang an, bei der Lokalgeschichte von Guangdong mit zu arbeiten. Herr Fang war zunächst als Redaktor tätig und konnte innerhalb eines Monats seinen Vorgesetzten die Vollendung seiner Aufgabe melden. Danach wollte er wieder gehen, aber [Ruan] Wenda behielt in dort und teilte ihn bei der Gesamtredaktion ein. Im 25. Jahr, 1820, war Herr Fang 49 Jahre alt. Damals war er im Amt für die Lokalgeschichte der Provinz Guangdong (Guangdong Tongzhi (334 Faszikel (juan 卷), Kompilation 1819–1822).

Aus Sicht der späteren Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit mag es erstaunen, dass Ruan Yuan den Tongcheng-Gelehrten Fang Dongshu anstellte, weil dieser schon vor dem Hanxue Shangdui nichts mit der hanxue-Strömung der Textkritik zu tun hatte. Er war Student Yao Nais gewesen und seine eigenen Texte lassen keinen Zweifel an seiner Treue zur daoxue 道學. Es scheint also, als ob Ruan und Fang ganz unterschiedliche intellektuelle Grundlagen gehabt hätten, und trotzdem stellte Ruan ihn an. Dies lässt sich m.E. auf drei Arten deuten. Die erste Möglichkeit ist, dass er den kritischen Geist Fang Dongshus schätzte und hoffte, ihn ins Lager der Textkritik ziehen zu können. Die zweite Möglichkeit ist, dass er nichts von Fangs kritischer Haltung gegenüber der Kritik an Zhu Xi wusste und ihn aus Ahnungslosigkeit anstellte. Die dritte Möglichkeit schliesslich ist, dass Ruan Yuan selbst mit gewissen Punkten der kaozhengxue übereinstimmte, aber anderen gegenüber, wie etwa der Kritik an Zhu Xi und den etablierten Interpretationen der Klassiker, selbst kritisch eingestellt war. Nach meiner Überzeugung ist die dritte Variante die plausibelste, weil Ruan Fang auch nach der ­abgeschlossenen Kompilation des Guangdong Tongzhi weiterhin beschäftigte, und weil zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die Hochblüte der Kritik in Form der hanxue bereits vorüber war. Zudem wusste er, dass Fang

von Zhejiang tätig. Beide Institute waren Orte der kaozheng-Gelehrsamkeit und eine Reihe von ­entscheidenden Werken wurde hier kompiliert und gedruckt. (vgl. Leung 1977, 274–280; vgl. zudem Hummel 1943–44, 401; Ji Xiaofeng, 1996, 59 & 242–243). 55 Ruan Wenda 阮文達 war der posthum verliehene Ehrenname von Ruan Yuan 阮元 (1764– 1849). Zu Ruan Yuan vgl. Hummel 1943–1944, 399–402 sowie Leungs Dissertation von 1977. Er war seit 1817 Generalgouverneur der beiden Provinzen Guangdong und Guangxi, die freilich in der Qing Yuedong 粵東, bzw. Yuexi 粵西 hiessen, zusammengefasst als liang Yue 兩粵. In der Übersetzung werden diese mit den modernen Bezeichnungen als Guangdong, bzw. Guangxi wiedergegeben.



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als Gelehrter aus Tongcheng und Schüler Yao Nais einen hohen literarischen Stil pflegen konnte, der für dieses Unternehmen von Nutzen war (er bot ihm auch eine Unterrichtsstelle an). Die Zusammenarbeit zwischen den beiden wurde gemäss der chronologischen Biographie von Seiten Fangs beendet, der sich im intellektuellen Klima der Xuehai Tang fehl am Platz fühlte, wie noch auszuführen sein wird. Zunächst allerdings war Fang Dongshu nur für die Arbeit an der Lokalchronik Guangdongs angestellt. Die Arbeit in der Kompilationsgruppe des Guangdong Tongzhi war auf jeden Fall eine Zäsur im Leben Fang Dongshus: Während der Arbeit an der Lokalchronik arbeitete er mit Jiang Fan 江藩 (1761–1831) zusammen, denn dieser war auch im muliao Ruan Yuans beschäftigt. Jiang Fan war Autor zweier Werke zur Geistesgeschichte der Qing, die 1818, also unmittelbar vor ihrer gemeinsamen Zeit in Guangzhou publiziert wurden: Guochao Hanxue Shicheng Ji 國朝漢學師承記 und Guochao Songxue Yuanyuan Ji 國朝 宋學淵源記.56 Ruan Yuan hatte das Vorwort zum Hanxue Shicheng Ji verfasst und danach Jiang für die Kompilation der Lokalgeschichte verpflichtet. Aus der Chronologie der Ereignisse lässt sich klar schliessen, dass Jiang Fan von Fang Dongshu als Widersacher betrachtet wurde, und dass sein einseitiges Werk Hanxue Shicheng Ji der Anlass war für Fangs eigene Polemik gegen die hanxue, das Hanxue Shangdui. Auf die Auseinandersetzung mit Jiang Fans Werken soll im Kapitel zu Fangs Gegnern vertieft eingegangen werden, aber der Hinweis darauf sollte in einem biographischen Abriss nicht fehlen. Es ist nämlich in dieser Phase von Fangs Leben, in der die chronologische Biographie die Entstehung des Hanxue Shangdui erwähnt. Er schrieb dieses Werk demnach nach seiner Arbeit am Guangdong Tongzhi, als er sich noch in seiner privaten Anstellung durch Ruan befand: Im ersten Jahr der Regierungsperiode Daoguang, 1821, war Herr Fang 50 Jahre alt. Damals stand er der Akademie in Lianzhou57 in Guangdong vor. 1822 war Herr Fang 51 Jahre alt. Im vierten Monat kehrte er nach Hause zurück. Im neunten Monat nahm er die von taishou Luo

56 Guochao Hanxue Shicheng Ji 國朝漢學師承記 = Aufzeichnungen über die Lehrtraditionen der Gelehrsamkeit im Stile der Hanzeit in der jetzigen Dynastie und Guochao Songxue Yuanyuan Ji 國朝宋學淵源記 = Aufzeichnungen über die Ursprünge der Gelehrsamkeit im Stile der Songzeit in der jetzigen Dynastie. 57 Lianzhou 廉州: Die Akademie befand sich in der Präfektur Lianzhou, Guangdong. Die Präfektur wurde 1912 aufgelöst und das Gebiet verteilt sich auf fünf Verwaltungsbezirke in der Provinz Guangxi. Aus diesem Grund ist ohne weitere Angaben nicht mehr zu ermitteln, um welche Institution es sich handelte. (Ji Xiaofeng 1996, 376; Cihai 1999, 1040).

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Yuechuan58 angebotene Stellung an und kehrte nach Guangdong zurück.59 1823 war Herr Fang 52 Jahre alt. Damals stand er der Shaoyang-Akademie in Shaozhou60 in Guangdong vor. 1824 war Herr Fang 53 Jahre alt. Er unterrichtete die Klassiker in einer privaten Anstellung durch Ruan Wenda. Er verfasste das Werk Hanxue Shangdui in vier Faszikeln.

Es folgt hier ein längeres Zitat aus den letzten Kapiteln und dem Vorwort des Werkes. Fang blieb also in den Diensten Ruan Yuans. Er wurde nicht nur als Kompilator einer Lokalgeschichte angestellt, sondern unterrichtete die Klassiker. Ruan räumte ihm also die Möglichkeit ein, die von ihm favorisierte Interpretation der Vier Bücher und der Klassiker zu unterrichten. Die Haltung Fangs gegenüber der hanxue kann Ruan dabei nicht verborgen geblieben sein, denn erstens hat Ruan das Hanxue Shangdui zwar nicht mit einem Vorwort versehen, wie er es mit Jiang Fans Hanxue Shicheng Ji getan hat, aber er liess es immerhin in Druck geben: „Kurze Zeit später wurde das Buch von Ruan Wenda redigiert und gedruckt.“ In der Biographie steht ausserdem im Anschluss an die Zitate aus dem Hanxue Shangdui, dass Fang sein Werk als Reaktion auf den Beginn der Kompilation, bzw. die aus seiner Sicht vielleicht einseitige Auswahl der Texte schrieb: „Das Huangqing Jingjie will mit den Aussagen der hanxue die [Gelehrten]welt in eine bestimmte Richtung lenken und Herr Fang hat deswegen dieses Buches geschrieben und [Ruan] übergeben.“61 Als Beweggründe für

58 Luo Yuechuan 羅月川. Es sind keine weiteren Informationen zu dieser Person zu finden. Wie in der folgenden Anmerkung argumentiert wird, könnte es sich um Cheng Hanzhang 程含章 (1762–1832) handeln. Zum Beamtentitel taishou: 太守. Der Titel ist eine nicht offizielle, aber weit verbreitete Bezeichnung für einen Bezirksmagistraten zhizhou 知州 (Hucker 1985, Nr. 6221 u. 965). 59 In einer editorischen Anmerkung wird vermerkt, dass ein Brief von Fang an Luo überliefert ist, in welchem aus dem literarischen Oeuvre Luos mit dem Titel Ling Nan Ji 嶺南集 zitiert wird. Im Zhongguo Congshu Zonglu 1986 2:1446 wird dies dem Autor Cheng Hanzhang 程含章 (1762–1832) zugeschrieben, einem juren von 1792 und Magistrat in Guangdong, Huizhou etc. Er wird dort auch als Autor der Sammlung Cheng Yuechuan Xiansheng Yiji 程月川先生遺集 ­genannt. Es scheint also, als ob Zheng Fuzhao Cheng aus irgendeinem Grund durch Luo ersetzt hat (ZHZ 2317). 60 Die Shaoyang-Akademie 韶陽書院 lag in Shaozhou 韶州 in der Provinz Guangdong (Ji Xiaofeng 1996, 376; Cihai 1999, 1040; Zang Lihe 1931, 1139; Tan Qixiang 1982, 45). 61 „Huangqing Jingjie yi hanxue dao shi, xiansheng yi shi shu shang zhi 皇清經解,以漢學導世, 先生以是書上之。“ (Fang Dongshu 1868a, fu lu, 7b; meine Interpunktion). Editorische Anmerkung im Text: „Dieses Werk [m.E. das Huangqing Jingjie] sollte im Jahr xinmao 辛卯, d.h. 1831 gedruckt werden und die Manuskripte dafür befanden sich in Kanton. Dies belegt ein Brief in den Wenji Fang Dongshus mit dem Titel Shang Ruan Gongbao Shu 上阮宮保書 (Brief übergeben an den Vertrauten des Thronfolgers Ruan).“ Der in der editorischen Angabe erwähnte Brief findet sich so nicht in Fangs Wenji. Von den 12 die 7. Rolle ausmachenden Briefen richtet sich nur einer – der erste – an Ruan Yuan. Dieser wird in der Anmerkung gemeint sein. Er trägt den Titel Shang Ruan Yuntai Gongbao Shu 上阮芸台宮 保書 (Ruan Yuntai war eines von Ruans hao-Pseudonymen) und darin schreibt Fang zwar über



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Fang lassen sich in diesem Zusammenhang also die folgenden festmachen oder zumindest vermuten: einerseits seine Rivalität mit dem hanxue-Vertreter Jiang Fan, andererseits die Kompilation des Huangqing Jingjie, dessen Konzentration auf die Texte der kaozhengxue Fang zu einseitig war. Von der Seite Ruan Yuans aus gesehen scheint es keine grossen Animositäten gegeben zu haben. In der Gesamteinschätzung der Person Fangs, die im Anschluss an die Berichte der einzelnen Jahre der chronologischen Biographie folgt, findet sich eine Einschätzung der Beziehung zwischen Ruan und Fang, die von Respekt Ruans gegenüber dem acht Jahre jüngeren Gelehrten zeugt. Es heisst dort: Als Herr Ruan Wenda begann, mit Herrn [Fang] Aspekte der Gelehrsamkeit zu erörtern, da waren sie sich nicht einig. In späteren Jahren dann, als er ein umfassendes Wissen über Bücher erlangt hatte, nannte er Herrn [Fang] ein „aussergewöhnliches Talent der Kunst der Klassiker“62 und vertraute ihm von da an. Auch lobte er das von ihm verfasste San Nian Sang Bian63 sehr, indem er sagte, die dortige Analyse des Endes der Trauerzeit64 sei von bisher unerreichter, noch nie da gewesener Schärfe. Solange seine Worte noch nicht bekannt gemacht wurden, kann sie auch niemand auf der Welt kennen, doch sobald sie bekannt gemacht werden, kann sie niemand mehr übersehen. Wer sich in Bezug auf die Riten Verdienste erworben hat, dessen Worte bleiben für alle Zeiten bestehen.65

Ruan Yuan schien also Fang seine Ansichten tatsächlich nicht verübelt zu haben, denn er beschäftigte ihn auch weiterhin, so dass Fang auch 1825 im muliao Ruan Yuans verblieb und die Klassiker lehrte. Die Biographie zitiert in diesem Jahr aus dem Vorwort zu einem weiteren Werk mit dem Titel Shulin Yangzhi66 in zwei

seine Sorgen, das Aufkommen der neuen Form der Gelehrsamkeit betreffend, greift aber das Huangqing Jingjie nicht expressis verbis an. Zum Titel gongbao vgl. Hucker 1985, Nr. 3458. 62 Im Original lautet die Bezeichnung „Aussergewöhnliches Talent der Kunst der Klassiker“ jinshu wenzhang 經術文章. Für diese Bedeutung von wenzhang vgl. HYDCD 6: 1533 (6). 63 Zum Text San Nian Sang Bian 三年喪辨 (Erörterungen über die dreijährige Trauerzeit) ist nichts weiter bekannt. Die im Folgenden gemachten Angaben deuten eher auf ein Buch hin als auf eine Erörterung vom Umfang eines Essays. 64 Seine Analyse des Endes der Trauerzeit: qi jie zhong yue er dan 其解中月而禫. Die Formulierung zhong yue er dan (=> Ausziehen der Trauerkleider binnen Monatsfrist) entstammt dem Ritenklassiker Yi Li 儀禮, wo dies ganz zum Schluss des Kapitels „shi yu li 士虞禮“ thematisiert wird. In der Übersetzung Steeles wird für dan eine Schreibvariante verwendet: „… That is, for the month the 襌 offerings must be regarded as contributing to the rest of the spirit,…“ (Ruan Yuan 1980, 1176b; Steele 1917, 2:232). 65 Die letzten beiden Sätze machen den Eindruck, als ob sie Zitate von Ruan Yuans Aussagen zu Fangs Buch darstellen. Allerdings gibt es keine Hinweise, aus welchem Text diese stammen könnten. Was hier als „für alle Zeiten“ widergegeben wurde, heisst wörtlich „im Kosmos“. 66 Shulin Yangzhi: 書林揚觶 (Ein Hoch auf den Wald der Bücher). Das Buch ist in den Sammlungen Fang Zhizhi Quanji 方植之全集 (Gesammelte Werke von Fang Dongshu) und im Bao Mo Zhai

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­ aszikeln. Auch hier wird die Beziehung zwischen Ruan und Fang thematisiert. F Das Vorwort scheint allerdings schon 1824 geschrieben worden zu sein (obwohl es auf 1826 datiert ist, vgl. die Übersetzung): Der Generalgouverneur der Provinzen Guangdong und Guangxi, Minister Ruan67 hat es geschafft, die Xuehai Tang zu gründen und nach ihrer Fertigstellung68 im Frühling des folgenden Jahres 1825 werden sich die Gelehrten zuerst darüber beraten, welche Bücher sie zu schreiben hoffen, um damit die Studenten der Akademie prüfen zu können.69 Ich bin entrüstet darüber, dass jene, die in späteren Generationen Bücher schreiben, dies mit grosser Unbeschwertheit tun werden, wodurch sie sich vielerlei Gefahren aussetzen. Dies ist wahrlich ein Fall, wie ihn Konfuzius beschrieb, als er von „nicht wissen und trotzdem tun“70 sprach, denn [man lässt die Studenten] die vergessenen Worte längst vergangener Weiser auswendig lernen, lässt sie dazu ihre dürftigen Ansichten formulieren, sechzehn Erörterungen verfassen, so dass sie weitere Male dieselben Ansichten auswendig lernen müssen und von denen, die es dann wissen, gibt es solche, die sich von einer gemeinen und vulgären Sprache angezogen fühlen.71

Congshu 寶墨齋叢書 (Gesammelte Schriften aus dem Studierzimmer der Wertschätzung der Tinte) enthalten (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:640). Über den Inhalt des Buches ist nichts weiter bekannt. 67 Die von Fang verwendete Bezeichnung da sima 大司馬 ist laut Hucker in der Qingzeit ein inoffizielle Bezeichnung für einen Kriegsminister (Hucker 1985, Nr. 6039), was hier aber m.E. nicht gemeint ist, denn schliesslich ist Ruan Yuan Generalgouverneur. Daher halte ich die Bezeichnung für eine unspezifische Benennung eines hohen offiziellen Postens und gebe diese mit „Minister“ wieder. 68 Das chinesische Wort luocheng 落成 wird in den Wörterbüchern mit der Bedeutung „fertigstellen“ angegeben, dennoch ist es zusätzlich bemerkenswert, dass Fang dieses Wort wählt, denn der Ausdruck lässt eine interessante Geschichte anklingen, die in HYDCD 9:483 nachvollzogen wird. Demnach wird der Ausdruck mit einem Bauwerk für den zhouzeitlichen Xuan-König assoziiert, dessen Fertigstellung im Gedicht „Si Gan 斯干“ des Shi Jing (Mao Nr. 189) besungen wird. Mit seiner Wortwahl zitiert Fang also implizit den baulichen Kontext und vergleicht daher m.E. Ruan Yuan mit dem Xuan-König. 69 Ich bin mir nicht vollkommen sicher bei der Übersetzung dieses Satzes, daher gebe ich hier den chinesischen Originaltext an: 落成之明年乙酉初春, 首以學者願著何書策堂中學徒。 70 Anspielung auf Lun Yu 7.27 „子曰。 蓋有不知而作之者。 我無是也。 多聞擇其善者而從 之。 多見而識之。 知之次也。“ In der Übersetzung Wilhelms: „Der Meister sprach: ‚Es mag auch Menschen geben, die, ohne das Wissen zu besitzen, sich betätigen. Ich bin nicht von der Art. Vieles hören, das Gute davon auswählen und ihm folgen, vieles sehen und es sich merken: Das ist wenigstens die zweite Stufe der Weisheit‘“ (Wilhelm 1914, 71). Legge fasst den fraglichen Satz noch etwas genauer: „… ‚there may be those who act without knowing why…‘“ (Legge 1994, I:203). Indem er diese Stelle zur Formulierung seiner Kritik verwendet, distanziert Fang sich von der von Konfuzius kritisierten Haltung und schlägt sich damit auf die Seite des Weisen. 71 Nach meinem Verständnis der Passage entrüstet sich Fang darüber, dass seiner Sicht gemäss die Xuehai Tang lediglich eine Ausbildungsstätte werden könnte, an der das für die Prüfungen relevante Wissen eingetrichtert wird, anstelle einer Stätte der echten Gelehrsamkeit, in welcher



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Diesen Aussagen zufolge empfand Fang die Entwicklung der Gelehrsamkeit unter der Förderung Ruan Yuans, die er von 1819 bis 1825 beobachtet hatte, als eine fatale. Die Voreingenommenheit gegenüber der orthodoxen daoxue-­Auslegung der Lehre und die Bevorzugung der textkritischen Schulen, vor allem der hanxue, nahm Fang als bedrohlich wahr. Dies vor allem der jungen Generation von Gelehrten gegenüber, die noch nicht die Reife und intellektuelle Grundlage hätten, sich ihr eigenes Urteil zu bilden. Diese Grundstimmung der Kritik wird auch im Hanxue Shangdui immer wieder deutlich geäussert. Die Aussagen Fangs sind freilich ebenso voreingenommen und von den Spezifika seiner Ausbildung und Schulrichtung geprägt. Eine weitere Aussage, die in diesem Abschnitt offenbar wird, ist die Befürchtung Fangs, dass der Konfuzianismus zu einer rein repetitiven Einübung von Texten und Techniken verkommt. Die Studenten der Akademien lernen nur noch „die vergessenen Worte längst vergangener Weiser auswendig“. Seine Vorstellung des Konfuzianismus ist offensichtlich die einer stärker lebendigen Lehre, in der nicht alle bloss erneut „dieselben Ansichten auswendig“ lernen müssen. Diese Aussage ist schon deshalb bemerkenswert, weil in der Rezeption nach der Kaiserzeit die daoxue als die formalistische und uninspirierte Form der Lehre galt, während die textkritischen Schulen der erstarrten Lehre neuen Schwung ­verliehen hätten (wobei es ebenso selbstverständlich ist, dass niemand seine eigene Herangehensweise als starr und formalistisch bezeichnen würde). Die chronologische Biographie gibt keine Auskunft darüber, wieso der Mann aus Tongcheng seinen Arbeitgeber Ruan Yuan und die Xuehai Tang verliess. War es, weil er sich einem vermehrt feindlichen Klima der Gelehrsamkeit gegenüber sah, und so Guangzhou verlassen wollte; oder ob der Grund bei Ruan Yuan lag, welcher der Tongcheng-Gelehrsamkeit Fangs gegenüber zusehends kritisch gegenüber stand. Es kann daher nicht eindeutig bestimmt werden, ob Fang Guangzhou verliess, oder ob Ruan Fang entliess.72 Deshalb ist es leider auch

die Dinge nicht auswendig gelernt, sondern vielleicht auf ihren moralischen Wahrheitsgehalt geprüft und auf die Gegenwart adäquat angewendet werden. 72 Ging Fang freiwillig oder wurde er „entlassen“? Auch die konsultierte chronologische Biographie Ruan Yuans beantwortet diese Frage nicht. Es gibt mehrere nianpu Ruan Yuans, hier wurde das Leitang Anzhu Dizi Ji 雷塘庵主弟子記 in acht Faszikel konsultiert (in der Bibliographie als Zhang Jian 1995; Huang Xiuwen 1997, 460). In diese Biographie ist Fang Dongshu in keinem der fraglichen Jahre erwähnt, Jiang Fan allerdings auch nicht, und die beiden Kompilationsprojekte Guangdong Tongzhi und Huangqing Jingjie werden nur sehr kurz behandelt. Leider waren ­sowohl Ruan Yuntai Xiangguo Nianpu 阮芸臺相國年譜 als auch Ruan Yuan Jian Pu 阮元簡譜 nicht einzusehen. Selbstverständlich wären auch dies keine ausgewogenen und neutralen Quellen, sondern das Werk würde die Geschichte ebenso parteiisch erzählen, wie dies Zheng Fuzhao

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unmöglich, die Frage zu beurteilen, ob vielleicht die Übergabe des Hanxue Shangdui an Ruan Yuan etwas damit zu tun gehabt haben mag. Auf jeden Fall verliess Fang den Süden und kehrte in sein Heimatgebiet am Unterlauf des Yangzi zurück, wo er von da an unterrichtete und weitere Studien verfasste. Er kehrte später zwar noch einmal nach Guangzhou zurück, allerdings erst, als Ruan bereits nicht mehr dort war: […] 1826 war Herr Fang 55 Jahre alt. Er reiste von Guangzhou über das östliche Zhejiang nach Hause. 1827 […] stand Herr Fang der Luyang-Akademie73 in Luzhou vor. Im siebten Monat liess Provinzgouverneur Deng Xieyun74 das Werk Qu Zi Zheng Yin von [Fangs Vater], Herrn [Fang] Zhanqing, in Wancheng75 redigieren und drucken. […] 1828, war Herr Fang 57 Jahre alt. Er stand der Maohu-Akademie in Bozhou76 vor. […] 1829 war Herr Fang zu Gast

für Fang Dongshu tut, aber es wäre möglicherweise trotzdem eine andere Sichtweise auf dasselbe Ereignis möglich geworden. In der monumentalen Biographie Wang Zhangtaos ist lediglich das Zitat der Biographie Zheng Fuzhaos angegeben, was im vorliegenden Fall nicht weiterhilft (Wang Zhangtao 2003, 795). 73 Die Luyang-Akademie: 廬陽書院 lag in Luzhou 廬州 im Kreis Hefei, Anhui wurde 1705 vom damaligen Distriktsmagistraten Zhang Chunxiu 張純修 (?–?; fl. 1705) unter dem ursprünglichen Namen Hengqu Shuyuan 橫渠書院 gegründet. Hier wurden die für die Prüfungen relevanten Texte der Cheng-Zhu Schule gelehrt (Ji Xiaofeng 1996, 81; ZHZ 1280; Zang Lihe 1931, 1341). 74 Deng Xieyun 鄧嶰筠 ist gemäss editorischer Angabe im Text der Volljährigkeitsname von Deng Tingzhen 鄧廷楨 (1776–1846), einem Gelehrten-Beamten, der sowohl an die Hanlin-­ Akademie berufen worden war wie auch als Beamter in verschiedenen Positionen diente. ­Gemäss Angaben in Hummel ist Xieyun sein Pseudonym, nicht sein Volljährigkeitsname. 1826 wurde er Gouverneur von Anhui und unter seiner Ägide wurde die Anhui Tongzhi 安徽通志 in 260 Faszikeln fertiggestellt. Nach 1835 wurde er Nachfolger Ruan Yuans als Generalgouverneur von Guangdong und Guangxi, wo er mit Lin Zexu zusammen den Opiumhandel zu unterbinden suchte. Das Interesse für das phonetische Werk von Fang Dongshus Vater wird verständlich ­angesichts des Interesses Dengs an phonetischen Studien (zum Werk vgl. Fussnote 20 zu diesem Kapitel). Er selbst hat verschiedene Studien in diesem Bereich verfasst (vgl. Hummel 1934–44, 716–717; Zang Lihe 1980, 1549; zum Beamtentitel Dengs vgl. Hucker 1985, Nr. 1537 u. 8174). 75 Wancheng 皖城 ist ein Kreis im Südwesten der Provinz Anhui, nahe Tongcheng (Zang Lihe 1931, 927). 76 Die Maohu-Akademie 泖湖書院 ist bei Ji Xiaofeng 1996, 82 als Liuhu-Akademie 柳湖書院 aufgeführt. Offensichtlich handelt es sich aber um dieselbe Anstalt. Da Maohu eine Gegend in Jiangsu bezeichnet (vgl. ZWDCD Nr. 17707), halte ich die in der chronologischen Biographie wiedergegebene Form für eine Fehlschreibung. Die Akademie wird bei Ji als schön gelegene, grosse Lehranstalt beschrieben, die 1728 gegründet worden war. Im Jahr 1825 hatte sie eine ­Bücherschenkung von He Tianqu 何天衢 erhalten, einem Schüler von Shao Jinhan, der in Bozhou geboren wurde. Bozhou 亳州 war seit der Nördlichen Zhouzeit (557–581) eine Verwaltungseinheit gewesen. Zur Qingzeit gehörte Bozhou zur Präfektur Fengyang 鳳陽府 in Anhui (Zang Lihe 1931, 679).



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in Xuancheng. Im fünften Monat reiste er nach Hause.77 […] 1830, war Herr Fang 59 Jahre alt. Er war zu Gast in Xuancheng. Im fünften Monat verfasste er das Wei Neng Lu 未能錄 (Aufzeichnungen über noch nicht Geschafftes). Im Vorwort dazu heisst es: „[…] Heutzutage beschränken sich [die Menschen] darauf, auf sich selbst zu achten und es dabei zu belassen. Niemand achtet mehr auf Ausgeglichenheit in seiner Sprache oder seinen Aktionen.78

Dieses letzte Zitat zeigt deutlich die moralische Seite der Person Fang Dongshus, die schon oben in der Kritik an den Unterrichtsmethoden der Xuehai Tang zu erkennen war. Als Student der moraphilosophischen daoxue hat Fang gelernt, dass ein hohes Ethos mindestens für einen Gelehrten, vielleicht sogar für jedermann, unabdingbare Voraussetzung ist. Erneut kann er sich nicht seinen Studien oder dem Unterricht widmen, sondern Entwicklungen in seinem Privatleben erfordern seine unmittelbare Reaktion: Drei Generationen seiner Vorfahren waren zwar bereits verstorben, aber ihre korrekte und endgültige Bestattung hatte noch nicht statt gefunden. Stattdessen waren sie in einem vorübergehenden Grab untergebracht, in dem die Leichname aber von Ungeziefer angefallen wurden, und so musste Fang sich um die Bestattung seiner Eltern kümmern. Noch immer hatte er wohl kaum ausreichend Geld für die Bestattung, doch die Umstände erforderten sein Handeln: Im Winter 1827 kehrte er nach Hause zurück, um seine Eltern an einer Flussbiegung bei Wuling Longjing79 zu begraben. Zuvor war die Familie Herrn Fangs verarmt. Sein Urgrossvater war schon seit über siebzig Jahren tot und dass sein Grossvater verstorben war, ist auch über fünfzig Jahre her, und beide wurden schon sehr lange nur vorübergehend untergebracht und noch nicht endgültig bestattet worden,80 was Herrn Fang grossen Kummer

77 Editorische Anmerkung im Text: „Anmerkung: In [der literarischen Sammlung] Ban Zi Ji gibt es [ein Gedicht mit dem Titel] Xuanzhou Shiyuan Cheng Zhang Zhang Huer Bing Zhu Tongyan Shi 宣州試院呈張丈虎兒並諸同研詩 (Von der Prüfungsanstalt Xuancheng an Herrn Zhang Huer und die mit ihm Studierenden gerichtetes Gedicht), welches beschreibt, wie er nach Xuancheng geht, um dort als Prüfungskontrolleur der Bezirksprüfung [郡試] zu arbeiten. Im Jahr 1830, als er zu Gast in Xuancheng war, arbeitete er auch als Prüfungskontrolleur.“ Zhang Huer ist der Studierzimmername (Huer Jushi 虎兒居士) von Zhang Naixuan 張迺軒, über den ich nichts weiter in Erfahrung bringen konnte (Yang Tingfu 1988, 283). Xuancheng war ein Kreis in Anhui (Zang Lihe 1931, 611). 78 Editorische Anmerkung im Text: „Dieses Buch wurde nicht gedruckt.“ 79 Wuling Longjing: 武嶺龍井: Der „Drachenbrunnen beim Wu-Gipfel“. Über diesen Ort liess sich nichts weiter herausfinden. Ich verstehe ihn aus dem Kontext als eine Landschaft, durch die ein Fluss fliesst, an dessen einer Biegung sich die Gräber befinden. 80 Der chinesische Ausdruck fucuo 浮厝 kann sowohl heissen, dass er die Särge auf der Erde lagerte und mit Steinen bedeckte, als auch, sie in geringer Tiefe zu bestatten, auf dass die Toten später in einem richtigen Begräbnis mit den entsprechenden Riten richtig bestattet werden können. Gemäss den weiter unten folgenden Angaben wurden diese in einem Raum über der Erde

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­bereitete. Er entschloss sich, zunächst seine Urgrosseltern und die Grossmutter zu bestatten, und danach erst seine Eltern, denn er dachte sich, es müsse korrekterweise so getan werden, um zuerst den Seelen81 der früheren Verwandten Ruhe zu verschaffen. Als es so weit war, begann der Bruder des Vaters, [Fang] Helou,82 [eine Begräbnisstätte] auszuwählen und sie fanden eine Höhle an einer Flussbiegung bei Wuling Longjing, wo sie die Urgrosseltern bestatten wollten. In diesem Jahr aber wurde der Raum, in welchem die Särge der Eltern aufbewahrt wurden, von Ameisen befallen, so dass die Eltern in einen anderen Sarg umgebettet werden mussten. [Fang] befürchtete erneuten Ameisenbefall für das kommende Jahr, also fügte er sich und bestattete zuerst seine Eltern. Es sollten erneut einige Jahre vergehen, bis ein Bruder seines Vaters, [Fang] Dunhua,83 erneut eine Begräbnisstätte auswählte. Sie erhielten eine Höhle unterhalb eines Felsvorsprungs bei Longyan Wushi,84 wo sie die Urgrosseltern und den Grossvater, Herrn [Fang] Weishu bestatteten. Das genaue Jahr und der Tag liessen sich nicht feststellen.

In den folgenden Jahren ereigneten sich weitere Veränderungen seines Privatlebens. Am 25. Dezember 1829 verstarb seine zweite Stiefmutter, eine Frau Wu. Fangs Vater hatte sie geheiratet, als Fang Dongshu 16 Jahre alt war. Er selbst war zu dieser Zeit als „Gast“ in Xuancheng 宣城, einem Kreis in Anhui (Zang Lihe 1931, 611). Nur zehn Monate später wurde Fang zum ersten Mal Grossvater: Im achten Monat [1830], am 24. Tag85 wurde sein Enkel, [Fang] Yuanru86 geboren.

Darauf wird in der chronologischen Biographie ein weiteres Vorwort aus dem Jahr 1831 zitiert, welches wiederum Fangs hohen ethischen Anspruch dokumentiert,

untergebracht. Zur Praxis der vorübergehenden Unterbringung vgl. auch die Ereignisse des Jahres 1818, als Fang seine Grossmutter bereits vorübergehend untergebracht hatte. 81 Im Text steht xin 心, also wörtlich das „Herz“ der früher verstorbenen Verwandten. Da im vormodernen China das Herz als Sitz des Verstandes wie auch der Körperseele angesehen wurde, habe ich mich hier mit Rücksicht auf die deutsche Formulierung für den Ausdruck „Seele“ entschieden. 82 Fang Heqi 方鶴棲 ist gemäss Yang Tingfu 1988, 773 der Volljährigkeitsname von Fang Song 方松. Über diesen ist nichts weiter bekannt. In der für diese Übersetzung verwendeten Ausgabe der chronologischen Biographie wird das letzte Schriftzeichen des Volljährigkeitsnamen qi – oder in anderer Lesung xi – ohne den obersten Querstrich im rechten Element geschrieben. Da die verfügbaren Wörterbücher diese Schreibvariante nicht kennen, und da der Name bei dessen erneuten Nennung auf S. 14 des chinesischen Textes richtig geschrieben ist, halte ich es für einen Schreibfehler. 83 Über Fang Dunhua 方敦化 konnte nichts weiter in Erfahrung gebracht werden, nicht einmal sein vollständiger Name. 84 Longyan Wushi: 龍眼烏石 Vermutlich handelt es sich hierbei um den Longyan-Berg 龍眼山 im Nordwesten des Kreises Tongcheng. Demnach wäre der Wushi einer der Gipfel des Massivs (Zang Lihe 1931, 1268). 85 Der 10. Oktober 1830. 86 Über Fang Yuanru: 方淵如 ist nichts weiter bekannt.



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und das wohl sogar als Zeugnis einer gewissen Desillusionierung und Verbitterung gelesen werden kann: […] 1831 war Herr Fang 60 Jahre alt. Er stand der Songci-Akademie in Susong vor.87 Im fünften Monat verfasste er das Jinxiu Pulu.88 Im Vorwort dazu heisst es zusammengefasst: „ ‚Kultivierung und Weiterbildung‘ geht zurück auf die Passage ‚Der Edle kultiviert die Tugend und bildet sich weiter in Schlichtheit, damit er in allem die rechte Zeit trifft‘ aus dem Yi Jing.89 [Der Titel wurde gewählt,] um zur Aufmerksamkeit sich selbst ­gegenüber ­aufzurufen. Innerhalb der Gelehrsamkeit des Edlen kultiviert man die Tugend für den Dienst am Himmel und kultiviert die Schlichtheit zum Dienst an den Menschen. Ohne diese kann er seine Kräfte nicht einsetzen. Alle Handwerksberufe benötigen Zirkel und Winkel, die geschwärzte Richtschnur oder den Zollstock und das Musterbeispiel um ihrem Gewerbe nachgehen zu können. Einzig wer bis zum Äussersten geht90, der muss von Kindertagen an bis ins Alter voll Mitgefühl andere [für andere] sein und seine eigene Absichten hintan

87 Die Rede ist hier vom Kreis Susong 宿松 in der Präfektur Anqing im südlichen Anhui, nahe bei Tongcheng. Die Songci-Akademie 松滋書院 wurde im dreizehnten Jahr der Regierungsperiode qianlong etabliert, indem bereits existierende Teile zu einer Institution zusammengefasst wurden, der dann der Titel shuyuan verliehen wurde. Gemäss den Angaben bei Ji Xiaofeng ­bestand die Akademie aus einer Haupthalle, zwei Seitengebäuden, einer Bibliothek und einigen weiteren Räumen. Die Akademie wurde in der Periode xianfeng zerstört, aber wieder aufgebaut und 1905 in eine öffentliche Schule umgewandelt (Vgl. Ji Xiaofeng 1996, 82, 376; Zang Lihe 1931, 789; Cihai 1999, 1240). 88 Jinxiu Pulu: 進修譜錄 (Aufzeichnungen zur Kultivierung und Weiterbildung) mit dem Umfang von einem Faszikel (1 juan) ist unter dem Titel Jinxiu Pu als Teil der Gesamtwerke Fangs Fang Zhizhi Quanji erhalten (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:745). Die literarische Form der pu 譜 stellt keine der Genrekategorien von Yao Nais Typologie in Gu Wenci Leizuan 古文辭類纂 dar (vgl. hierzu „Yao Nais pragmatischer Umbau der literarischen Genretheorie“ von Martin Kern). In der Regel sind die in pu enthaltenen Informationen systematisch geordnet oder kategorisiert, was aber nicht zwingend ist. Der Titel des Werkes wird daher sehr unspezifisch übersetzt. Zu Fangs Kategorien vgl. den folgenden Text des Vorworts. 89 Die Yi Jing-Stelle entstammt dem Text zum ersten Hexagramm „qian“ und zwar den „wen yan“-Anmerkungen zur vierten Einzellinie: „君子進德脩業, 欲及時也, 故無咎。“. In der Übersetzung Wilhelms lautet die Stelle: „Der Edle fördert seinen Charakter und arbeitet an seinem Werk, damit er in allem die rechte Zeit trifft. Darum macht er keinen Fehler.“ (Ruan Yuan 1980, 16a; SSWJ YJ:3; Wilhelm 1923, 2:10). Ich habe im Hinblick auf den Buchtitel im Text meine eigene Übersetzung wiedergegeben. Die Stelle kommt identisch auch in den „wen yan“-Anmerkungen zur dritten Einzellinie des ersten Hexagramms vor, allerdings ohne den Zusatz yu ji shi ye, was m.E. der Grund dafür sein muss, dass Fang hier speziell auf den Ursprung des Ausdrucks ­hinweist. 90 M.E. weist die Formulierung zhi wei ren 至為人 auf den Edlen hin, weil dieser sich idealtypisch nicht mit halben Sachen zufrieden gibt. Der Ausdruck zhi wei steht im Zhuang Zi „zhi bei you“ und im Lüshi Chunqiu in deutlich daoistischem Kontext mit der Bedeutung „das beste Handeln [ist das Nicht-Handeln]“. Fang meint hier – wie aus seiner weiteren Argumentation zu entnehmen – ein konfuzianisches Ideal, und daher kann es sich nur um den Edlen handeln.

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stellen, muss eine jede Person individuell behandeln: Wer von zügelloser Natur und übermässigem Hochmut ist, wer schlau daherredet und aufbrausend oder masslos ist, wer voreingenommen, verwirrt, oberflächlich oder anmassend ist, von so jemandem sollte er sich fernhalten und unter solchen Menschen sollte es keinen geben, dessen Selbstüberschätzung er nicht Weisheit entgegenhält, denn dies ist, wodurch auf der Welt wenige die Tugend und ihre Talente vervollständigen. Heutzutage gibt es nur mehr wenige, die von grossartiger innerer Qualität wären und deren Sinn aufs Lernen gerichtet wäre,91 und man kann sie nicht als Lehrer gewinnen. Wenn sie sich zudem noch verborgen halten vor den Verpflichtungen [eines Beamten], so ist dies wahrlich ein beklagenswert falsches Einsetzen ihres Scharfsinns, weshalb ich diese Aufzeichnungen verfasst habe. Die Vier Meister, die Sechs Klassiker, die Dynastiegeschichten, die philologischen Hilfswissenschaften und das Jin Si Lu sind alle Aufzeichnungen über Menschen. Wieso sollte ich da erneut welche machen, wenn diese bereits für mich passend sind? Rechte Ordnung und korrektes Verhalten sind auf der Welt allgemein [gültige Tugenden], wozu sollte ich dies also für mich aufschreiben? […]

Die Lehr- und Autorentätigkeit Fang Dongshus wurde 1831 ein letztes Mal unterbrochen, als allem Anschein nach ein Hochwasser den Unterricht an der ­Songci-Akademie verunmöglichte und Fang sich kurzzeitig nach einer anderen Anstellung umsehen musste: Im selben Jahr ereignete sich in Tongcheng ein Hochwasser und der Ortsvorsteher Yang Dajin92 war bestechlich, habgierig und grausam zum Volk, so dass sich das Volk heftig beklagte. Entsprechend dem Verlangen des Volkes wurde der Vorsteher danach durch einen neuen ersetzt und es erging eine Bitte an die Präfektur, Truppen zu entsenden. Herr Fang ging in der Folge weg und begab sich in private Anstellung von Provinzgouverneur Herrn Deng, wo er sofort mit seinem Leben die Familie beschützte. Herr Deng belohnte seine Treue und Verlässlichkeit und als die Sache zur Ruhe kam, profitierte der Ort vom Frieden.

91 Innere Qualität: zhi mei zhi xue 質美志學. Die beiden hier verwendeten Ausdrücke stellen m.E. Anspielungen auf das Lun Yu dar, denn dort werden verschiedentlich zwei Punkte genannt, die einen „Edlen“ ausmachen, nämlich die Ausgewogenheit zwischen den inneren Qualitäten eines Menschen zhi 質 und den äusseren Formen des Umgangs wen 文. Vgl. hierzu Lun Yu 6.18: „子曰: 質勝文則野。 文勝質則史。 文質彬彬。然後君子。 “ Derselbe Topos findet sich auch in 12.8 und 12.20. Anstelle von wen verwendet Fang hier den Ausdruck zhi xue, der seinerseits eine Anspielung ist auf Lun Yu 2.4, wo Konfuzius erklärt, dass sein Sinn in der Jugend aufs Lernen ausgerichtet gewesen sei. Fangs Aussage hier ist also, dass es nur mehr wenige gibt, die wahre Edle sind, die ihr Inneres und Äusseres im Gleichgewicht haben. 92 Ortsvorsteher Yang Dajin: 邑令楊大縉: Die Amtsbezeichnung yi ling wird hier nicht als normaler Beamtentitel verstanden, sondern als wörtliche Übersetzung des Befehlshabers einer Siedlung. Der Beamtentitel yi ling, den Hucker 1985, Nr. 2980 glossiert, hat mit der hier gemeinten Funktion m.E. nichts zu tun. Zu Yang Dajin waren keine weiteren Informationen zu finden.



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    1832 war Herr Fang 61 Jahre alt. Im zweiten Monat editierte er selbst seine Gedichte in zwei Faszikeln. Er nannte [das so entstandene Buch] Ban Zi Ji93. Später wurde es in Guangzhou gedruckt, als Hu Xiaodong,94 der aus demselben Ort stammte wie Fang, dort taishou war.95

Im Eintrag zu diesem Jahr findet sich auch eine weitere Reise nach Guangzhou verzeichnet: Im vierten Monat reiste er erneut nach Guangzhou und suchte dort einen leitenden Justizbeamten der Provinz auf,96 dessen Name nicht bekannt ist. Als er aber nicht erfolgreich97 war, reiste er wieder zurück. Im achten Monat, als er auf einem Schiff durch die Präfektur Shaozhou reisend, frühmorgens an Qujiang98 vorbeifuhr, war dort Niedrigwasser. Es gibt [dazu] 14 Gedichte unter dem Titel Dui Yue Zhui Men Zashu Jueju.99

93 Ban Zi Ji: 半字集 (Kollektion des halben Schriftzeichens). Diese Werk – dessen Titel sich auch als Sammlung des halbierten Schriftzeichens übersetzen liesse – ist als Teil der Gesamtausgabe von Fangs Werken Fang Zhizhi Quanji erschienen (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:1452). 94 Eine editorische Anmerkung im Text hält fest, dass Hu Xiaodong 胡曉東 der Volljährigkeitsname von Hu Fangshuo 胡方朔 gewesen sei. Es sind allerdings keine weiteren Informationen zu dieser Person zu finden. 95 Editorische Anmerkung im Text: „Das Buch wurde im Jahr 1833 gedruckt“. 96 Zu dieser einem Provinzrichter vergleichbaren Funktion ancha shi 按察使 vgl. Hucker 1985, Nr. 12. Ein ansha shi scheint auch gewisse generelle Übersichtsaufgaben gehabt zu haben, wohl im Bereich der Rechtssprechung. Der Herr, dessen Name nicht bekannt ist, wird mou gong 某公 genannt. Das könnte auch auf einen bekannten Namen hinweisen, der aber nicht genannt werden darf („Herr Soundso“), was ich hier aber für die unwahrscheinlichere Variante halte. 97 Das Verb yu 遇 heisst eigentlich „antreffen“. Es macht den Eindruck, Fang habe versucht, jemanden zu treffen, diesen aber nicht vorgefunden, und sei daher wieder nach Hause gefahren. Die Biographie Fangs in Hummel schreibt hierzu: „In 1832 he made a third visit to Canton but failed to obtain a position“ und tatsächlich lässt die chinesische Formulierung diese Möglichkeit offen, weshalb ich es weniger bestimmt mit „nicht erfolgreich“ übersetzt habe. (Hummel vgl. 1943–1944, 239). 98 Shaozhou Qujiang Jiangkou 韶州曲江江口. Shaozhou ist eine Stadt im nördlichen Guangdong und Sitz einer Akademie (vgl. auch Anmerkung 60), gleichzeitig eine Präfektur, was hier m.E. ­gemeint ist. Darin befindet sich die Stadt Qujiang. Problematisch ist der Ausdruck jiangkou, den ich als „Flussmündung“ interpretiere. Es gibt zwar einen Fluss dieses Namens, der auch ­Dahuang Jiang 大黃江 genannt wird, aber dieser fliesst nicht bei Qujiang vorbei (vgl. Zang Lihe 1931, 75–76; Tan Qixiang 1982, 44–45). Da in Qujiang mehrere Flüsse zusammenfliessen, meint der Text hier, dass entweder sämtliche Flüsse Niedrigwasser führten, oder dass einer oder mehrere der Zuflüsse wenig Wasser führten. 99 Dui Yue Qian Men Zashu Jueju: 對月遣悶雜書絕句 (Verschiedentlich zur Zerstreuung aufgeschriebene Regelgedichte gegenüber dem Mond). Der Ausdruck jueju (Regelgedicht) bezeichnet Gedichte von fünf- oder siebensilbiger Versstruktur nach dem Vorbild der Tanggedichte.

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

Schliesslich suchte Fang erneut die Mentorschaft anderer Tongcheng-Gelehrter, in diesem Fall ging er zu Yao Ying und arbeitete dort, indem er Yaos literarische Werke editierte. Fang Dongshu folgte dem erfolgreicheren Gelehrten sogar nach, als dieser versetzt wurde: Im dreizehnten100 Jahr, 1834, war Herr Fang 62 Jahre alt. Im zweiten Monat reiste er nach Changzhou101. [Denn] zu dieser Zeit war Justizbeamter Yao Shifu,102 der denselben Heimatort hatte wie er selbst, Ortsvorsteher in Wujin.103 Dieser hatte Herrn Fang gebeten, die Aufzeichnungen seines [d.i. Yaos] Urgrossvaters, Jiangwu Xiansheng104, mit dem Titel Yuanchun Tang Biji105 zu redigieren und zu kollationieren. Su Dunyuan,106 der denselben Heimatort hatte, wurde zu seinem Schüler107. […] 1834 war Herr Fang […] zu Gast bei Herrn

100 Im Text gibt es hier einen offensichtlichen Fehler, denn sowohl dieses wie auch das kommende Jahr werden in der chronologischen Biographie als „vierzehntes Jahr“ bezeichnet. Da es sich um einen offensichtlichen Fehler handelt, habe ich ihn im Übersetzungstext korrigiert. 101 Changzhou: 常州 hier die bis heute unter diesem Namen bekannte Stadt am Unterlauf des Yangzi in der heutigen Provinz Jiangsu (Zang Lihe 1931, 797). 102 Justizbeamter Yao Shifu: 姚石甫廉訪. Yao Shifu ist einer editorischen Angabe zufolge der Volljährigkeitsname von Yao Ying 姚瑩 (1785–1853). Dieser wird bei Zang Lihe als Anhänger der guwen-Literatur beschrieben und sollte es bis zum ancha shi 按察使 der Provinzen Hu’nan und Sichuan bringen. Yao Ying wird auch der Tongcheng-Schule zugerechnet und gilt dort als der ­Begründer des staatspolitischen „Flügels“ der Tongcheng-Gelehrten (Zang Lihe 1980, 642; Huang Huixian 1997 2:634; Hummel 1943–1944, 239). Hucker weist den Beamtentitel lianfang als eine umgangssprachliche Variante von anshi shi aus (vgl. hierzu Anmerkung 96; Hucker 1985, Nr. 3706). 103 Wujin: 武進: Dies war ein Kreis in der Nähe der Stadt Changzhou (Zang Lihe 1931, 507–508). 104 Jiangwu Xiansheng: 薑塢先生: Dies war das unter Gelehrten gebräuchliche Pseudonym von Yao Fan 姚範 (1702–1771). Er war der Onkel von Fang Lehrer Yao Nai und war zugleich dessen Lehrer in früher Jugend gewesen. Von ihm sind neben den hier erwähnten Notizen Gedichte überliefert (Hummel 1943–1944, 900; Zang Lihe 1980, 642; Nienhauser 1986, 501). 105 Yuanchun Tang Biji: 援鶉堂筆記 (Notizen aus dem Studierzimmer des Wachtel-Beistands): Über diese Werk ist nichts weiter bekannt. 106 Su Dunyuan: 蘇惇元 (1801–1857). Dieser Schüler Fang Dongshus hat laut Hummel 1934–44, 237 die chronologische Biographie von Fang Bao verfasst, an dessen literarischem Stil er sich auch orientiert habe (Huang Huixian 1997 2:722). In dem dieser Übersetzung zugrunde liegenden Text wird für das mittlere Schriftzeichen eine Schreibvariante verwendet: Anstelle des Elementes zi 子 unten rechts im Schriftzeichen wurde das Element ri 日 verwendet. Diese Schriftvariante ist in den von mir konsultierten Wörterbüchern lexikalisch nicht erfasst. 107 Die Formulierung im Text für „Schüler“ lautet lai shou ye 來受業. Dies bedeutet normalerweise, dass die betreffende Person als Schüler Unterricht bei einem Lehrer nimmt. Es heisst aber auch, dass jemand die Arbeit eines anderen weiterführt (HYDCD 2:886). Da sich weder die Lebensdaten von Su noch sonst eine Information finden lassen, ist diese Frage nicht zu entscheiden.



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Yao, der damals der Ortsvorsteher von Yuanhe108 war. 1835 wurde der Justizbeamte Yao zum leitenden Aufseher über die Magistrate der Subpräfektur109 von Huainan ernannt, und Herr Fang folgte ihm nach Zhenzhou.110

Es folgt ein weiteres Zitat aus einem Nachwort. Hier gibt er eine knappe Darstellung der Entwicklung der konfuzianischen Klassikergelehrsamkeit seit der Reichseinigung. Bemerkenswert daran ist vor allem, welch positive Beurteilung Fang den Protagonisten der kaozhengxue, vor allem aber Hui Dong, dem Begründer der hanxue, angedeihen lässt. Die Angriffe der vier genannten Gelehrten auf den Neokonfuzianismus standen in ihrer Arbeit nicht im Vordergrund. Fang Dongshu bewertete sie positiv, weil diese Gelehrten sich vornehmlich mit Textkritik beschäftigten. Fang arbeitete weiter an der Redaktion der Yuanchun Tang Biji. Nachdem er geendet hatte, schrieb er [in einem Nachwort]: „Im Altertum haben die Menschen bei der Redaktion [und Kommentierung] von Büchern darauf geachtet, dass die Hauptlinie im Lesen sich an den Richtlinien des moralischen Verhaltens orientierte. Sie hielten sich an die ehernen Richtlinien der von früher überlieferten Prinzipien: Es gab wichtige moralische Grundsätze und es gab die kaum merklichen Bedeutungsnuancen111. Was die [Kommentierung der] wichtigen moralischen Grundsätze anbetrifft, so diente diese dazu, den grossen Sinn zu erschliessen. Mit der Zeit entwickelte sich [aber nur die Kommentierung] der kaum merklichen Bedeutungsnuancen weiter. Einst kamen solche aus der Hand aussergewöhnlich Verständiger, und diese verwendeten Einzelfälle, um grundlegende ethische Gedanken

108 Gemäss Hummel 1943–1944, 239 handelt es sich um den oben bereits erwähnten Yao Ying, obwohl dort die Ortsänderung nach Suzhou auf 1833 datiert wird (vgl. Anm. 102). Mit ihm wird Fang im folgenden Jahr auch weiterziehen. Der Kreis Yuanhe 元和縣 lag in der Präfektur Suzhou (Zang Lihe 1931, 122). 109 Leitender Aufseher über die Magistrate der Subpräfektur: jian che tongzhi 監掣同知. Zur Bedeutung von jian als Teil von Beamtentitel vgl. Hucker 1985, Nr. 786. Das im Text stehende che wird als Schreibvariante für zhang 掌 verstanden. Zu dessen Bedeutung in Titeln vgl. ebd., Nr. 83. Zum Beamtentitel tongzhi schliesslich vgl. ebd., Nr. 7471. 110 Die Ortsangabe Huainan 淮南 und Zhenzhou:真州 bereitet Probleme. In der Qingzeit gibt es keine Verwaltungseinheiten mit dem Namen Huainan oder Zhenzhou mehr, da diese alle bereits umbenannt worden waren (Zang Lihe 1931, 824–825 & 739). Sämtliche ehemals unter diesem Namen bekannten Bezirke befanden sich im Gebiet des westlichen Jiangsu und östlichen Anhui, nördlich des Yangzi. Gemäss Hummel 1943–44, 239 ging Yao Ying nach Yizheng 儀征 in Jiangsu, westlich von Yangzhou und zur Präfektur Yangzhou gehörend (und die Heimatstadt Ruan Yuans). Ich folge der Darstellung bei Hummel. 111 Moralische Grundsätze und kaum merkliche Nuancen: im Original you da ti, you xi yi 有大 體, 有細意.

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

zu illustrieren.112 Nun kann man seit der Zeit des Yang Xiong und des Liu Xiang113 die [Tätigkeit der Kommentierung] als eine eigene Beschäftigung bezeichnen. Liest man dann weiter durch die Geschichte, so etwa die Werke von Ma, Zheng, Jia und Fu114 und weiter bis zu Lu Yuanlang und Kong Chongyuan115, so werden diese auf eine Stufe mit den Klassikern selbst gestellt. [Ebenso] werden [die Kommentare von] Ying Mengru, Xu Daiyu, Yan Shigu und Hu Shenzhi116 auf eine Stufe gestellt mit den Dynastiegeschichten. All dies, weil sie mit ­Intelligenz und weiser Einsicht, mit Scharfsinn und Klugheit sowie durch immer wiederholtes Erörtern und klare Analyse ein differenziertes und sehr genaues Wissen über sowohl die Bedeutung wie auch den Stil [der Texte] und ein durchdringendes Verständnis [der Texte] erreichen konnten. [Doch auch die Gelehrten der Kommentartraditionen] bewegen sich innerhalb von Beschränkungen, denn betrachtet man die unsicheren Stellen, die Struktur und den Aufbau ihrer Argumentationen, so erkennt man schnell ihre eigentlichen Absichten. Deshalb [versuche ich dies zu vermeiden, und so], ist es bei mir so, dass das Redigieren und Kollationieren eines Buches denselben Aufwand an Kraft und Zeit benötigt, wie das Schreiben eines eigenen Buches. Dies ist der Grund, weshalb ich anders vorgehe als die anderen und mich nicht den Gebräuchen anschliesse,

112 Einzelfälle, um Gedanken zu illustrieren: fan li 凡例. Der Ausdruck geht zurück auf eine Kommentierung Du Yus 杜預 (222–284) zum Zuo Zhuan, wo es zur Methode von Konfuzius im Chunqiu heisst: „qi fa fan yi yan li 其發凡以言例“ (=> „Er brachte die Grundlegenden Prinzipien zum Ausdruck, indem er über exemplarische Einzelfälle sprach“). Daraus wurde der Ausdruck fanli, der dann die moderne Bedeutung „Regel, exemplarische Illustration“ annahm (HYDCD 2:285). M.E. meint Fang damit die Kommentatoren zum Chunqiu 春秋 – das Gongyang Zhuan 公羊傳, das Zuo Zhuan 左傳 und das Guliang Zhuan 榖梁傳 – deren Arbeiten inzwischen selbst als Klassiker galten. 113 Zu Yang Xiong und Liu Xiang: 揚雄 (53 v. Chr. – 18 n. Chr.) und 劉向 (79–8 v. Chr.) vgl. Loewe 2000, 372–375 & 637–639. In dieser Aufzählung stehen die beiden Gelehrten als Symbole für die Klassikerexegese der Westlichen Hanzeit, der Exegese im Stil der sog. Neutextschule. 114 Ma, Zheng, Jia und Fu: Hier handelt es sich um vier Repräsentanten der Klassikerexegese, wie sie in der Östlichen Hanzeit betrieben wurde. Diese wird als Alttextschule bezeichnet. Es handelt sich um Ma Rong 馬融 (79–166), Zheng Xuan 鄭玄 (127–200), Jia Kui 賈逵 (30–101) und Fu Qian 服虔 (2. Jh. n. Chr.; 184–189 in einem Amt). Zu diesen Personen vgl. Giles 1889, Nr. 1475, 274, 323, 580. 115 Lu Yuanlang und Kong Chongyuan: 陸元朗, 孔沖遠 Hierbei handelt es sich um Lu Deming 陸德明 (ca. 550–630) und Kong Yingda 孔潁達 (574–648). Yuanlang ist der persönliche Vorname Lus. Da er aber unter seinem Volljährigkeitsnamen bekannter ist, hat Fang den weniger bekannten Namen gewählt. Ebenso bei Kong Yingda, dessen Volljährigkeitsname Zhongyuan lautet (vgl. ZHZ 1321 & 347; Cihai 1999, 512 & 1353). Die Namen dieser beiden berühmten Exegeten klassischer Schriften stehen stellvertretend für die Exegesetradition der Tangzeit. 116 Die Namen Ying Mengru, Xu Daiyu, Yan Shigu und Hu Shenzhi: 應孟如, 徐逮於, 顏師古, 胡身之 bezeichnen berühmte Exegeten der chinesischen Geschichtsschreibung, die alle Kommentare zu den Dynastiegeschichten verfasst haben. Es liess sich nicht herausfinden, wer sich hinter den Namen Ying Mengru und Xu Daiyu verbirgt. Yan Shigu (581–645) war der wichtigste Kommentator des Han Shu 漢書 und Autor von Werken zu den Ritenklassikern (Zang Lihe 1980, 1729). Hu Shenzhi ist der Volljährigkeitsname von Hu Sanxing 胡三省 (1230–1302), Autor von Studien zum Zi Zhi Tong Jian 資治通鑒 (ZHZ 1692; Cihai 1999, 1823).



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und mich doch nicht schämen muss gegenüber [Yang] Xiong oder [Liu] Xiang. Diejenigen, die sich in jüngerer Zeit vernehmen liessen und mit diesen auf einem Niveau steht, das sind einzig Herr Hui Dingyu, Herr He Qizhan, Herr Lu Baojing und Herr Qian Zhuting.117 Diese vier Herren haben eine differenzierte Kenntnis bis in die schwer zugänglichen Bereiche der Gelehrsamkeit. Der Unterschied zwischen diesen und dem Rest der Strömung (Bewegung) ist beträchtlich. Betrachtet man die Werke von drei dieser Autoren, so sind sie gut strukturiert und elegant im Ausdruck. Einzig die Werke von Herrn He sind sowohl in ihrer Gesamtheit, wie auch in einzelnen Abschnitten unzusammenhängend und grob, stilistisch uneinheitlich und mangelhaft, so dass er von früheren Autoren schon in Randnotizen gescholten wurde. Das Gute [an seinen Werken] ist aber, dass sie nicht leeres Geschwätz sind. Doch schätzt man seine Errungenschaften verglichen mit anderen ein, so fehlte doch sehr viel gegenüber den nach ihm kommenden Herren Qian und Lu, welche einen systematischen Aufbau verwendeten und fundiert und wohlerwogen argumentierten, deren literarischen Qualitäten vorzüglich waren,118 ihre Einstellung war vorbildlich. Sucht man nach dem Grund hierfür, so ist der wohl darin zu sehen, dass sie ihre Werke selbst schrieben und redigierten, während die Bücher Herrn Hes von späteren Zeitgenossen noch stark119 verändert worden waren, so dass seine ursprünglich geplanten Anmerkungen nicht zum Ausdruck kamen. So wurde von ihm nur wenig überliefert, und was nicht überliefert wurde, geriet in Vergessenheit. Wenn jemand zwar zu schreiben versteht, aber von der Redaktion nichts weiss, sondern dies s­ päteren Leuten überlässt, so geschieht es oft, dass [in Bezug auf den ursprünglich fehlerhaften Text] zusätzlich Fehler hinzukommen und praktisch nie, dass sie vermindert werden. Nur in den seltensten Fällen geht die Absicht des Autors nicht völlig verloren.“

Spätphase Nach diesen zahlreichen Zitaten aus Fangs Werken wendet sich die Biographie seinem Leben im Alter zu. In diesem Abschnitt seines Lebens begann er zunächst

117 Hui Dingyu, He Qizhan, Lu Baojing, Qian Zhuting: 惠定宇、 何屺瞻、 盧抱經、 錢竹汀. Die ersten beiden Namen sind Volljährigkeitsnamen von Hui Dong 惠棟 und He Zhuo 何焯. Die anderen beiden sind Pseudonyme von Lu Wenchao 盧文弨 und Qian Daxin 錢大昕 (vgl. Hummel 1943–44, 357, 283, 152, 549). Alle diese Gelehrten haben sich im Bereich der Textkritik jiaokan xue 校勘學 verdient gemacht und textkritische Ausgaben erstellt. Qian Daxin wird im Hanxue Shangdui mehrfach angegriffen. 118 Im Original verwendet Fang die feststehende Wendung zhiyi fusu 枝葉扶蘇 (manchmal auch zhiye fushu 枝葉扶疏), was wörtlich übersetzt „Äste und Blätter sind gleichmässig und üppig gewachsen“ bedeutet. Diese Wendung wird als Bild für herausragende literarische Qualitäten verwendet (Wang Jianyin 1987, 1729). 119 Fang verwendet hier ein sehr selten anzutreffendes Schriftzeichen (vgl. ZWDCD Nr. 9849), das für wei mit der Bedeutung „üppig wachsen“ steht. Ich verstehe es hier im Sinne von „wuchern“, was in Bezug auf eine von Fang verurteilte Redaktionsarbeit an den Werken He Zhuos sinnvoll erscheint.

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

keine neuen Schriften mehr, sondern versuchte offenbar, bereits Begonnenes zu beenden, was sich vor allem in der Form der Redaktion von Schriften äusserte. Auch eine weitere Reise nach Guangzhou wird erwähnt und eine weitere Anstellung im muliao eines Beamten. Erst später begann er wieder, selbst zu schreiben, aber sein Interesse wandte sich von der Geistesgeschichte eindeutig der Literaturkritik zu. In diese Phase seines Lebens fällt das Abfassen seines bekanntesten literaturkritischen Werkes Zhaomei Zhanyan: 1836 war Herr Fang 65 Jahre alt. Er wohnte zu Hause [in Tongcheng] und gab seinem Schüler Su Dunyuan den Auftrag, die Zhang Yangyuan Xiansheng Nianpu120 erneut zu redigieren. Herr Fang hat darauf hingewiesen, dass von den wahren Konfuzianern der jüngeren Zeit einzig Herr Lu Qingxian und [Zhang] Yangyuan121 eine offizielle Biographie als Vertreter der Luo- und Min-Schulen122 erhalten hätten. Leider ist [die frühere Biographie Herrn Zhangs,] Yang Yuan Nianpu von Chen Gumin123 kein gutes Buch. So vertraute [Herr Fang] es [Su] Dunyuan an, dieses erneut zu überarbeiten, und dazu liess er Vizeminister Shen Dingfu124 erklären, er bitte ihn um seinen Beistand bei der Drucklegung des Nachlasses. […] Im zweiten Monat [des Jahres 1837] kehrte er erneut nach Guangdong zurück. Er war als Gast in einer privaten Anstellung bei Generalgouverneur Minister Deng Xieyun.125 Im sechsten Monat redigierte er das He Ming Ji126 [seines Vaters], Herrn [Fang] Zhanqing. Der

120 Zhang Yangyuan Xiansheng Nianpu: 張楊園先生年譜 (Chronologische Biographie von Zhang Yangyuan). Die Biographie ist überliefert in der Kollektion Dang Gui Caotang Congshu 當歸草 堂叢書 sowie in den gesammelten Werken Zhang Lüxiangs (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2: 420). Zu Zhang Yangyuan, bzw. Lüxiang vgl. Anm. 121 unten. 121 Lu Qingxian und [Zhang] Yangyuan: 陸清獻, 張楊園. Es lässt sich nicht belegen, wer sich hinter dem Namen Lu Qingxian verbirgt, aber aus dem Zusammenhang müsste es einer der beiden Gelehrten Lu Longqi 陸隴其 (1630–1692) oder Lu Shiyi 陸世儀 (1611–1672) sein, aber das lässt sich nicht entscheiden. Yangyuan ist ein Pseudonym von Zhang Lüxiang 張履祥 (1611–1674). Er ist unter Gelehrten als Yangyuan Xiansheng („Der Herr vom Pappelgarten“) bekannt, weil er in einem solchen lebte (Huang Huixian 1997 Vol II., 694). 122 Mit Luo- und Min-Schule ist der Neokonfuzianismus in der Ausprägung der Gebrüder Cheng und Zhu Xis gemeint. 123 Einer editorischen Angabe im Text zufolge verbirgt sich hinter diesem Namen Chen Gumin 陳古民 Chen Zi 陳梓 (1683–1759), ein Enkelschüler von Zhang Lüxiang (d.h. Schüler eines Schülers), der dessen chronologische Biographie kompiliert hatte (Zang Lihe 1980, 1087; Zhang ­Huizhi et. al. 1999, 1345). 124 Vizeminister Shen Dingfu: 沈鼎甫侍郎. Einer editorischen Angabe im Text zufolge ist Dingfu der Volljährigkeitsname von Shen Weiqiao 沈維鐈, (1778–1839), einem erfolgreichen Beamten, der unter anderem Vizeminister im Arbeitsministerium gongbu shilang 工部侍郎 war, woraus sich die Anrede erklärt (vgl. Huang Huixian 1997 Vol II., 631; Zang Lihe 1980, 498; Hucker 1985, Nr. 5278). 125 Deng Xieyun: vgl. Anm. 74. Zur Bezeichnung shangshu 尚書, die ich hier mit „Minister“ übersetzt habe, vgl. Hucker 1985, Nr. 5042. Dies bedeutet, dass Deng als Generalgouverneur ­amtete, aber den Titel eines Ministers führen durfte. 126 Zum literarischen Werk He Ming Ji vgl. Anm. 20.



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aus d ­ emselben Ort stammende Guang Lü Yuan Fang Bo127 liess es drucken. Im achten Monat liess er Yuanchun Tang Biji Kanwu128 drucken.

Im folgenden Jahr, 1838, wurden Fangs Werke Hanxue Shangdui und Shulin Yangzhi schliesslich gedruckt. Auch diese sah er nach dem Druck auf Fehler durch. Der Biographie zufolge notierte er Fehler und weiterführende Gedanken und machte daraus zwei Faszikel mit den Titeln Kan Wu und Bu Yi.129 Diese wurden im selben Jahr gedruckt. Er erledigte im Hause Dengs weitere literarische Arbeiten, die seinem Biographen zufolge etwas damit zu tun haben dürften, dass Deng für das Druckereiwesen verantwortlich war, und er so vermutlich seine Werke besser, oder überhaupt erst, drucken lassen konnte: Er kollationierte das Werk Qi Jing Ji Wen von Guan Yi.130 Damals war Vizeminister Deng für das Druckwesen verantwortlich. Weil im Buch eine stark zweifelnde Haltung an Meister Zhu deutlich wird, schrieb Herr [Fang] in einem Anhang zum Buch noch eine Richtigstellung der Fehler. Im zwölften Monat versah er es mit einem Vorwort. Er arbeitete an der F ­ ertigstellung des Zu Pu Yi Li. Zuvor, im Jahre 1831, hatte er bereits Zu Pu Xu und Zu Pu Houshu131 geschrieben. Nun sandte er [ein Schreiben] an seine väterlichen Verwandten [Fang] Dunhua und [Fang] Helou sowie an seinen Sohn [Fang] Wen,132 worin er einige Angelegenheiten der Familie beschrieb, und erklärte, er würde im folgenden Jahr fertig damit.    Im 19. Jahr [der Regierungsperiode daoguang, d.i. 1839], war Herr Fang 68 Jahre alt. Er verbrachte dieses Jahr in Guangdong. Im vierten Monat redigierte er das Shiye Xuan Biji von Hu Luojun,133 der aus demselben Ort stammte wie er. Weil dieser über [ähnliche]

127 Guang Lü Yuan Fang Bo: 光律原方伯. Eine editorische Angabe im Text weist Fang Bo als Fang Congxie 方聰諧 aus, über den aber nichts bekannt ist. Die Bedeutung der Passage guang lü yuan bleibt mir verschlossen. Aufgrund der Formulierungen im Text scheint es, als ob guang lü yuan ein Beamtentitel wäre, aber es lassen sich keine Hinweise auf einen solchen Titel finden. 128 Yuanchun Tang Biji Kanwu: 援鶉堂筆記刊誤 (Korrigenda zu Yuanchun Tang Biji). Im Text wird für kan 刊 die alternative Schreibweise 栞 verwendet (vgl. HYDZD 501). 129 kan wu 刊誤 (Fehler im Druck) und bu yi 補義 (Nachbesserung der Lehre). Dies sind zwei Titel, die auf Korrigenda hinweisen, wobei kan wu eher auf Textfehler, der Titel bu yi m.E. mehr auf eine inhaltliche Verdeutlichung hinweist. 130 Qi Jing Ji Wen 七經紀聞 (Aufzeichnungen von Vernommenem zu den Sieben Klassikern) von Guan Yizhi 管異之. Yizhi ist der Volljährigkeitsname von Guan Tong 管同 (1780–1831), ebenfalls ein Schüler von Yao Nai. Zang Lihe schreibt ihm zwar das Werk zu, sonst ist aber nichts über dieses Buch bekannt (Huang Huixian 1997 Vol II., 721; Zang Lihe 1980, 1367). 131 Zu Pu Yi Li 族譜義例 (Familienstammbuch mit korrekten Beispielen). Die beiden anderen Titel Zu Pu Xu 族譜序 und Zu Pu Houshu 族譜後述 bezeichnen das Vorwort, bzw. Nachwort zum Familienstammbuch. Über das Buch ist nichts weiter bekannt. 132 Fang Dunhua und Fang Heqi sind Brüder von Fang Dongshus Vater. Fang Wen ist der älteste Sohn Fang Dongshus. 133 Shiye Xuan Biji von Hu Luojun 胡雒君: 柿葉軒筆記 (Notizen vom erhabenen Persimonenblatt). Das erste Schriftzeichen des Buchtitels kann als shi (vgl. HYDCD 4:934) für Persimone

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

Erfahrungen schrieb [wie Fang sie selbst gemacht hatte], und weil er zudem aus demselben Ort stammte und vor einer Generation mit [Fangs Vater], Herrn [Fang] Zhanqing, aussergewöhnlich gut befreundet war, nannte er [die Notizen von Hu] Xian You Ji134.    Er schrieb Zhaomei Zhanyan135 in zehn Faszikeln, in welchem er die wichtigsten Anforderungen der Lyrik diskutierte. Zusammengefasst schreibt er dort: „Beim Studium der Lyrik der früheren Dichter muss man unbedingt nach der moralischen Lehre suchen, denn die grundlegende Aussage, der Ursprung, die Essenz, die Schlagader [der Gedichte] ist stets verborgen und [daher] kann man nicht bloss ihre äussere Form imitieren. Man sollte stets

(oder Khakibaum) gelesen werden. Es wäre aufgrund der grossen graphischen Ähnlichkeit des rechten Elements auch möglich, es als fei (vgl. HYDCD 4:805) zu lesen, der Druck der Textvorlage ist hier unklar. In diesem Fall wäre der Buchtitel zu übersetzen als Notizen vom erhabenen Blätter- und Baumrinden[-Studierzimmer]. Hu Luojun wird in einer editorischen Anmerkung als Hu Qian 胡虔 ausgewiesen. Zwar ist über diesen sonst nichts in Erfahrung zu bringen, aber die Liste seiner Pseudonyme in Yang Tingfu 1988, 1185 ist leserlicher gedruckt als diese Passage in der Biographie Fang Dongshus. Dort scheint mir das Schriftzeichen eher ein shi zu sein. Kommt hinzu, dass unter dem Lemma shiye (Persimonenblatt) im HYDCD 4:934 mehrere Belegzitate vorkommen, welche dieses Blatt durchaus zu einem literarischen Topos werden lassen. Schliesslich wird aus einer Biographie im Xin Tang Shu 新唐書 (Neuere Dynastiegeschichte der Tangzeit) ein armer Kalligraph zitiert, der so arm war, dass er auf Persimonenblätter schreiben musste. Diese Person namens Zheng Qian 鄭虔 trug denselben Namen wie Hu Qian, was ein weiteres Argument für das Pseudonym shiye sein kann. 134 Xian You Ji 先友記 (Aufzeichnungen über einen alten Freund). Diese Aufzeichnung ist überliefert als Teil der gesammelten Werke Yi Wei Xuan Wenji, Rolle 10, S. 7B–13A. 135 Zhaomei Zhanyan 昭昧詹言 (Das Verborgene offensichtlich machen und Worte zur vollen Entfaltung bringen). Über das Werk ist im Vergleich zu anderen Werken Fangs relativ viel bekannt. Bei Wu Feng findet sich ein Eintrag, in welchem das Buch als eine Sammlung von Gedichtrezensionen bezeichnet wird. Das Buch gliedert sich demnach in Abschnitte zu unterschiedlichen Gedichtformen, innerhalb derer Beispiele aus der Literaturgeschichte und Fangs Kommentar stehen. Besonderes Lob erhält der tangzeitliche Dichter Du Fu 杜甫 (712–770). In seiner Literaturtheorie stützt sich Fang auf Wang Shizhens 王士禎 (1634–1711) Gu Shi Xuan 古詩選, Yao Nais Jin Ti Shi Chao 今體詩鈔 und verschiedene Werke Liu Dakuis 劉大櫆 (1697(?)–1779) (Wu Feng 1987, 624; zu Wang Shizhen vgl. Nienhauser 1986, 876). Editionsgeschichte und Umfang des Werkes werden unterschiedlich angegeben. Wu Feng schreibt, das Werk umfasse 21 Faszikel, eine erste Ausgabe stamme aus dem Jahr 1891, 1909 sei eine weitere Ausgabe im Anhui Guanzhi Yinshua Ju 安徽官紙印刷局 gedruckt worden. Hummel schreibt lediglich, das Buch sei im Jahr 1891 in „10 + 8“ Faszikel publiziert worden. Zhongguo Congshu Zonglu listet neben dem Werk in 10 Faszikeln ein Xu 續 (Weiterführung) in 8 und ein Xu Lu 續錄 (Weitere Aufzeichnungen) in 2 Faszikeln. Dies sind in den Gesammelten Werken Fang Zhizhi Quanji enthalten (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:1586). 1961 publizierte Renmin Wenxue CBS in Peking eine von Wang Shaoying 汪紹楹 interpunktierte Ausgabe in 21 Faszikeln und zwei Nachworten ba 跋, die mehrmals nachgedruckt wurde. M.E. erklären sich die Teile des Buches, welche über die 10 Faszikel hinausgehen, als die im Folgenden genannten Weiterführung und andere, erst später entstandene Teile des Buches, die in den modernen Ausgaben zusammengefasst wurden.



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zwei Dinge berücksichtigen: die Regel von Fürst Han, der zufolge ‚Altes Gerede entfernt werden muss‘136 und der Ausspruch von Shan Gu137, der lautet: ‚Wer seine Pläne nach anderen richtet, wird am Schluss der Leidtragende sein‘. Ausserdem hielt er den Grundsatz für wichtig, dass „Wörter und Ausdrücke zum Inhalt beitragen“ und „Jedes Wort Sinn ergeben“ sollte.“138 Der erste Faszikel beinhaltet die „generelle Diskussion [der Lyrik]“, ab dem zweiten Faszikel widmet er sich speziell der Diskussion der Gedichte im alten Stil mit fünf Wörtern pro Vers. [Dazu widmet er] der Han- und Weizeit einen Faszikel und [den ­Dichtern] Ruan, Tao, Xie, Bao, dem jüngeren Xie, Du, Han und Huang je ein Kapitel.139 Im achten Monat versah er es mit einem Vorwort.“140

136 Mit „Fürst Han“ 韓公 ist der tangzeitliche Dichter und Konfuzianer Han Yu 韓愈 (768–824) gemeint. Die Regel bezieht sich auf einen Satz aus einem Brief Han Yus, dem Da Li Yu Shu 答李翌 書, wo es heisst: „dang qi qu yu xin er wang yu shou ye, wei chen yan zhi wu qu, jiajia hu qi nan zai 當其取於心而汪於手也, 惟陳言之務去, 戛戛乎其難哉“ => „Man sollte es aus seinem Herzen kommen und durch die Hand fliessen lassen, und dies ist so sehr schwer.“ (vgl. HYDCD 11:1010). 137 Shan Gu 山谷 ist ein Pseudonym von Huang Tingjian 黃庭堅 (1045–1105). Dieser Dichter der Nördlichen Songzeit wurde von den Neokonfuzianern der Südlichen Song verehrt und so ein Teil dieser Tradition (vgl. Nienhauser 1986, 447–448). Wie Han Yu suchte Huang nach Originalität im lyrischen Ausdruck. Feifel schreibt: „Ihm war das ewige Nachahmen der Phraseologie der Alten und ihrer Eigenarten zuwider. Er wollte über Gegenstände reden und dichten, über die bisher noch niemand geschrieben hatte.“ (Feifel 1982, 317). Der Originaltext des Spruches lautet: „sui ren zuo ji, zhong hou ren 隨人作計,終後人.“ 138 Literarisches Prinzip: wen cong zi shun 文從字順 und ge shi qi zhi 各識其職. Dieser hier für den Textrhythmus um das Wort qi ergänzte Slogan geht ebenfalls auf Han Yu zurück. Fang ­bekräftigt seine Forderung nach angemessenen Formulierungen sowie klarer und deutlicher Sprache. Der zitierte Ausspruch entstammt einer von Han verfassten Grabinschrift (HYDCD 6:1533). Fang beschreibt die Haltung Han Yus zur Literatur und seine Forderungen, die bei Feifel wie folgt zusammengefasst werden: „Er legte nicht viel Wert auf die Feinheiten der ausgehenden Liu-ch’ao-Periode betreffend Reim und Ton und Rhythmus. Blumige und duftende Verse, ohne greifbaren Inhalt, waren ihm ein Gräuel.” (Feifel 1982, 251). Auch Han Yu erklärte die Hanzeit zum Ideal und erklärte: „‚the language of composition should be in accord with reality‘ and that ‚to adhere to reality in forming expressions was exactly what the ancient authors did‘“ (Nienhauser 1986, 399). Als einer der wichtigsten Vertreter der guwen-Literatur war Hans Einfluss auf Fang Dongshu und die Tongcheng-Schule beträchtlich. 139 Gemeint sind berühmte Exponenten der chinesischen Literaturgeschichte, die bekannt waren für ihre Lyrik. Mehrere von ihnen sind als Naturdichter bekannt und viele pflegten einen sehr enigmatischen Stil voller Anspielungen. Aufgrund der grossen Bekanntheit dieser Gelehrten gebe ich hier nur ihre vollständigen Namen und Lebensdaten an und die Seitenzahl in Nienhauser 1986, auf der weitergehende Informationen zu finden sind: Ruan Ji 阮籍 (210–263) S. 463, Tao Yuanming 陶淵明 (oder Tao Qian 陶潛 365–427) S. 766, Xie Lingyun 謝靈運 (385–443) S. 428, Bao Zhao 鮑照 (414–466) S. 649, Xie Tiao 謝脁 (464–499) S. 430, Du Fu S. 813, Han Yu S. 397 und Huang Tingjian S. 447. Entgegen den hier gemachten Angaben widmet sich Fang in Zhaomei Zhanyan auch anderen Dichtern wie etwa Li Bai 李白 (701–762 n. Chr.), Ouyang Xiu 歐陽修 (1007–1072) oder Liu Zongyuan, aber auch anderen. 140 Editorische Anmerkung im Text: „Das Buch wurde noch nicht gedruckt.“

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

   Im 20. Jahr, 1840, war Herr Fang 69 Jahre alt. Im Sommer kehrte er nach Haus zurück. Wen Hanguang, Dai Junheng sowie sein Schüler [Fang] Zongcheng141 kamen alle, um bei ihm Unterricht zu nehmen. Er schrieb Da Yi Zun Wen,142 um damit seinen verschiedenen Enkeln die wichtigsten Anforderungen in Bezug aufs Lesen, das Verhalten, das Denken und die Erledigung von Geschäften143 beizubringen.144    Im 21. Jahr, 1841, war Herr Fang 70 Jahre alt. Er arbeitete an einer Erörterung der siebensilbigen Regelgedichte [mit dem Titel] Weiterführung zum Zhaomei Zhanyan. Am Neumond des sechsten Monats145 schrieb er das Vorwort dazu.146

Er verfasste in den folgenden Jahren zwei weitere Schriften, von denen aber nur die Titel bekannt sind: Lie Jiao Zheng Bu in einem Faszikel, in dem er laut ­Biographie seine Nachkommen auflistete. Das andere Werk mit dem Titel Bing Ta

141 Wen, Dai und Zongcheng: 文漢光, 戴鈞衡 und 宗誠. Diese Personen werden nicht mit Volljährigkeitsnamen genannt, sondern mit persönlichem Namen. Alle drei stammen aus Tongcheng. Huang Huixian hat Einträge zu Wen Junheng (1814–1855) und Fang Zongcheng (1818– 1888) (Huang Huixian 1997, 722). Yang Tingfu 1988 listet alle drei auf, so dass für Wen Hanguang wenigstens Heimatort, Volljährigkeitsnamen und Pseudonyme bekannt sind (vgl. ebd., 811, 815, 1746). Huang Huixian hat einen Eintrag zu Wen Junheng (1814–1855). 142 Da Yi Zun Wen 大意尊聞 (Verehrenswertes Überliefertes zur grossen Bedeutung). Das Werk ist in Fangs gesammelten Werken Fang Zhizhi Quanshu in drei Faszikeln enthalten. Zhongguo Congshu Zonglu gibt ausserdem eine Ausgabe im You Zhu Ji Zhai Geyan Congshu 有諸己齋格言叢書 in einem Faszikel an (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:746). Demzufolge wurde das Werk 1866 gedruckt. 143 Das Lesen, das Verhalten, das Denken und die Erledigung von Geschäften: du shu, xing ji, zhi xin, chu shi 讀書、 行己、 制心、 處事. Mit Ausnahme des Ausdrucks du shu lassen sich die anderen Ausdrücke alle als Anspielungen verstehen: xing ji spielt aufs Lun Yu an. Dort kommt dieser Ausdruck an zwei Stellen im Zusammenhang mit den Konfuziusschüler Zi Chan und Zi Gong vor (5.16, 13.20) und wird jedes Mal im Kontext des Edlen junzi 君子, bzw. des Gelehrten shi 士 verwendet. Fang meint somit die Erziehung zum Edlen (vgl. D. C. Lau 1983, 40–41 & 126–127). Der Ausdruck zhi xin 制心 kommt in den Klassikern einzig im Shang Shu vor, wo es im Abschnitt „Zhong Hui 仲虺“ heisst: 以義制事, 以禮制心. In der Übersetzung Legges: „Order your affairs by righteousness; order your heart by propriety“ (Legge 1991, Vol III 182). Der letzte Ausdruck chu shi kommt in den Klassikern im Chunqiu Zuo Zhuan vor, wo es im Zhuan zum 7. Abschnitt „Wen Gong 18. Jahr 文公十八年“ heisst: 德以處事. Legge: „His virtue is evidenced in his management of affairs.“ (Legge 1991, Vol V 282). Aufgrund dieser Anspielungen liest sich die Passage mit einem Hintersinn, nämlich, dass Fang seinen Enkeln mit diesem Buch die Art des Edlen junzi, ritenkonformes Verhalten li und die Tugend de beibringen will. Es bleibt allerdings eine nicht zu beantwortende Frage, ob all diese Anspielungen bewusst gemacht wurden, oder ob es sich um literarische Ausdrucksweisen handelte, die hier überinterpretiert werden. 144 Editorische Angabe im Text: „Gemäss dem Vorwort zu Lie Jiao Zheng Bu wurde dieses Werk wohl vor dem Jahr 1841 fertiggestellt“. Über das Werk mit dem Titel Lie Jiao Zheng Bu: 獵較正簿 (Korrekte Aufzeichnungen über die Jagd [nach den familiären Wurzeln]) ist nichts weiter bekannt. 145 Der Tag des Neumonds stellt im chinesischen Kalender den Beginn des Mondmonats dar. Dieses Datum entspricht dem 18. Juli 1841. 146 Editorische Anmerkung im Text: „Das Buch wurde noch nicht gedruckt.“



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Zui Yan147 scheint politischen Inhalts gewesen zu sein, denn Zheng Fuzhao stellt es in den Kontext des ersten Opiumkrieges. Die Biographie enthält hierzu interessante Schilderung der Ereignisse in Guangdong: Er schrieb Bing Ta Zui Yan. Die Vorgeschichte dazu ist, dass er im 18. Jahr [d.i. 1838] in Guangdong zu Gast war. Zu dieser Zeit wollte der leitende Beamte das aus Übersee kommende Opium verbieten und dazu erliess der Generalgouverneur einen Befehl. Herr Fang verfasste Kuang Min Zheng Su Dui148, womit er den Weg aufzeichnen wollte, wie dieses zu verbieten sei. Er drängte Generalgouverneur Deng149 dazu, dem Hof zu berichten, aber dieser hörte nicht auf ihn. Direktor Elliot150 von der englischen Gesellschaft war ein unzivilisierter und hochnäsiger Mann, der keine Vereinbarungen eingehen wollte. Er wohnte in der Provinzhauptstadt in seiner ausländischen Residenz. Herr [Fang] drängte den Generalgouverneur, Truppen aufstellen zu lassen und ihn anzugreifen. Dieser dachte auch daran, den Angriff beginnen zu lassen, doch er fand keinen Vorwand für den Angriff. Darauf war schliesslich derjenige, der erneut die Situation veränderte, Elliot. Als es nämlich für die Ausländer nicht so günstig lief, gingen sie hin und verwüsteten mehrere Provinzen im Südosten [Chinas] und auch die grossen Generale mussten sich häufig zurückziehen. Herr Fang machte sich sehr häufig grosse Sorgen151 über diese Situation und schrieb daher dieses Buch. Darin erörterte er ausführlich die Methoden des Umgangs mit den Fremden und versuchte andere davon zu überzeugen. Das ging bis hin zum Oberbefehlshaber von Zhejiang.152 Leider setzte man seinen Rat nicht in die Tat um. […]    Im 25. Jahr, 1845, war Herr Fang 74 Jahre alt. Im neunten Monat lud Ortsvorsteher Fang153 aus demselben Ort alle über Siebzigjährigen aus Tongcheng zusammen ein. Das

147 Bing Ta Zui Yan: 病榻罪言 (Verbrecherische Worte vom Krankenlager). Über diesen Text ist nichts weiter bekannt. 148 Kuang Min Zheng Su Dui: 匡民正俗對 (Petition, wie das Volk korrigiert und die Gebräuche wieder verbessert werden können). Über diese Schrift ist nichts weiter bekannt. In einer e­ ditorischen Anmerkung zum Schluss dieses Absatzes schreibt der Editor, dass diese Petition an höhere Stellen weitergereicht worden sei. Dem Titel und den geschilderten Entstehungsumständen zufolge handelt es sich um eine Schrift aus der Auseinandersetzung um den richtigen Umgang mit den Engländern. 149 Generalgouverneur Deng: Damit ist wiederum Deng Tingzhen gemeint (vgl. Anm. 74). Hier wird er mit dem Titel zhijun 制軍 bezeichnet, was möglicherweise damit zu tun hat, dass er im Rahmen des hier besprochenen Konfliktes als lokaler Befehlshaber der Armee auftreten würde (zu zhijun vgl. Hucker 1985, Nr. 970). 150 Charles Elliot (1801–1875), hier mit seinem von Chinesen verwendeten Namen Yilü 義律 ­bezeichnet, war seit 1836 der Gesandte der englischen Krone. Zu seiner Rolle im Opiumkrieg vgl. u.a. Fairbank 1978, 195–203. 151 Grosse Sorgen: tong xin qie chi 痛心切齒 übersetzt sich wörtlich als „es schmerzte ihn im Herzen und er knirschte mit den Zähnen“. 152 Editorische Anmerkung im Text: „Der Regionalmachthaber von Xi, Herr Bian Shijun und Herr Fang kannten sich gut. Die Petition wurde von Herrn Bian weitergegeben.“ Bian Shijun: 卞士筠. Über diese Person konnte nichts weiter in Erfahrung gebracht werden. 153 Distriktsmagistrat Fang: 方大令. Eine editorische Angabe im Text gibt als Vornamen von Fang Zhang 璋 an. Über Fang Zhang ist aber nichts weiter bekannt. Da ling ist eine inoffizielle Bezeichnung für einen Distriktsmagistraten zhixian 知縣 (Hucker 1985, Nr. 5990).

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

waren neun Leute. Man nannte es das „Treffen der Neun Alten“. Herr Fang nahm mit seinen 74 Jahren daran teil und es gibt ein Gedicht, welches den Moment festhält.

Trotz solcher Zeichen gesellschaftlicher Wertschätzung verfolgt das Problem der Familiengräber weiterhin den mittlerweile selbst hoch betagten Fang. Seine finanziellen Probleme sind nach wie vor ungelöst, wenn die Biographie selbstverständlich auch deutlich für Fang Partei ergreift, indem sie festhält, dass er unverschuldet in eine Notlage geraten sei. 1846 war Herr Fang 75 Jahre alt. Weil Herr Fang bisher seine Vorfahren von drei Generationen noch nicht ordentlich bestatten konnte, verkaufte er jetzt alle Dinge um einen Grabhügel kaufen zu können. Es gab aber jemanden, der dort wohnte, zudem war der Ortsvorsteher, ein Herr Shi, neidisch auf die aufrichtige Natur Herrn [Fangs], und reagierte vollkommen unvernünftig. Ursprünglich bestand das Angebot, eine Akademie zu leiten, was seine täglichen Ausgaben gedeckt hätte, doch es gab da eine einflussreiche Person am Ort, die verleumderische Gerüchte über diese Angelegenheit verbreitete, so dass ihm dies wieder weggenommen wurde, und er noch ärmer wurde. 1847 beerdigte Herr Fang seine Grossmutter, Frau Hu, zusammen mit seiner [zweiten] Stiefmutter, Frau Wu bei Longyan Yuchong154. An einem glückverheissenden Tag war der Grabhügel fertiggestellt, und [Herr Fang] schrieb ein Gedicht in Erinnerung daran. Dazu schrieb er selbst erklärende Anmerkungen in denen es heisst: „Drei Generationen wurden nur vorübergehend untergebracht und mit Totenopfern geehrt. Heute nun sind alle endlich bestattet.“

Nachdem diese Bürde von ihm genommen war, widmete Fang sich erneut der Kompilation von Schriften und dem Verfassen von Vorwörtern dazu. […] Im 28. Jahr, 1848, war Herr Fang 76 Jahre alt. Im siebten Monat schrieb er das Vorwort zu Si Shi Ju Ling Yu155. Dieses Buch fasst Textstellen der Klassiker und Dynastiegeschichten zusammen, zu denen Kommentare geschrieben wurden, deren Bedeutung aber noch immer nicht durchgängig klar ist. Dazu liefert das Buch Erörterungen. Es umfasst vier Faszikel.

154 Longyan Yuchong: 龍眼喻沖. Mit Longyan ist m.E. der Berg in der Nähe von Tongcheng gemeint (vgl. Anm. 84). Zu Yuchong konnten keine weiteren Informationen gefunden werden. 155 Vorwort zu Si Shi Ju Lingyu: 思適居鈴語序. Der Werkstitel lässt sich nicht sinnvoll übersetzen. Lingyu bezeichnet das Klingen von am Dachvorsprung buddhistischer Tempel befestigten Glöckchen und dieses wird als glückverheissend verstanden. Die ersten drei Wörter des Buchtitels lassen sich verstehen als „Gedanken an ihrem angemessenen Platz“, was als Übersetzung des Buchtitels etwa ergibt: Glückverheissender Glockenklang, dass Gedanken richtig geordnet werden mögen. Über das Werk ist ausser der hier gegebenen Beschreibung nichts weiter bekannt. Das Pseudonym Gu Guangqis 顧廣圻 (1776–1835), sishi jushi 思適居士, hat m.E. nichts mit dem Buchtitel zu tun. Es gibt keinen Hinweis auf eine Bekanntschaft zwischen Gu und Fang und beide haben methodisch nichts gemein, wenn auch Gu über eine grosse Bandbreite an Werken gearbeitet hat, was offenbar auch in diesem Buch Fangs der Fall ist.



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   Die von Herrn [Fang] spät in seinem Leben verfassten Gedichte [wurden zu einem Buch zusammengefasst] mit dem Namen Kao Pan Ji.156 Nach und nach gingen diese in Druck, beginnend im Jahr 1833 und abgeschlossen im Jahr 1848. Es gibt dort fünfsilbige Gedichte im alten Stil in zwei Faszikeln und siebensilbige Regelgedichte in einem Faszikel.     […] Im ersten Jahr der Regierungsperiode Xianfeng, 1851, war Herr Fang 80 Jahre alt. Früher einmal war der aus Jurong stammende Tang Luquan Distriktsmagistrat von Tongcheng geworden.157 Er war ein grosser Bewunderer von Herrn [Fang]. Als er nach Qimen158 versetzt wurde, verschob dieser seine Anstellung als Leiter der Dongshan-Akademie159 und er ging erst im zweiten Monat. Seine Schüler Wen Hanguang und Gan Shaopan160 gingen mit ihm.

An dieser Stelle der Biographie folgt die Schilderung seines Todes, die eingangs dieses Kapitels schon zitiert wurde. Zu seinem Begräbnis und Grab heisst es lediglich: Im Frühling des zweiten Jahres der Regierungsperiode Xianfeng, 1852, wurde sein Sarg von Qimen zurückgebracht. Im Winter dieses Jahres wurde er im Westen von Tongcheng, beim Guache-Berg neben dem Grab vom Ahnen Zui der Familie Wu beigesetzt.

156 Kao Pan Ji 考槃集 (Literarische Sammlung „Stolze Freude“): Editorische Anmerkung im Text: „Anmerkung: Im Kao Pan Ji 考槃集 gibt es ein Gedicht „Cang Lang Ting Shi“ 滄浪亭詩 („Gedicht vom Pavillon der dunkelblauen Welle“), welches wohl in diesem Jahr entstand.“ Der Titel der Sammlung bezieht sich auf das Gedicht „Kao Pan“ des Shi Jing, „Wei Feng“, in dem ein zufriedener Mann beschrieben wird. Möglicherweise kann der Titel als Hinweis auf die Gemütsverfassung Fangs selbst gelesen werden (vgl. Legge 1991, Vol IV 93–94; Waley 1937, 29). Was den Titel des Gedichts angeht, so bezieht er sich auf einen Garten in Suzhou, in dem ein Pavillon dieses Namens steht, nach welchem der Garten benannt wurde (HYDCD 6:25). Die Sammlung ist als Teil der Gesamtausgaben Fang Zhizhi Quanji und Yiwei Xuan Quanji überliefert (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:1452; Zhongguo Congshu Guanglu 1999, Nr. 4321). 157 Tang Luquan aus Jurong: 句容唐魯泉. Eine editorische Angabe gibt den persönlichen Namen von Tang als Zhi 治 an. Tang Zhi (?–1854) stammte aus Jurong in Jiangsu und war ­Distriktsmagistrat in Tongcheng und später Qimen 祁門. Er wurde drei Jahre später im Zuge des Taiping-Bürgerkriegs nach der Eroberung von Qimen als Kriegsgefangener getötet (vgl. Huang Huixian, 1997, 732). 158 Qimen: 祁門: Qimen liegt auch in der Provinz Anhui, genauer in der südlichsten Präfektur Huizhou Fu 徽州府 südlich des Yangzi-Flusses (vgl. Tan Qixiang 1982, 19). 159 Dongshan-Akademie: 東山書院. Dieser oft für Akademien verwendete Name („Akademie beim Ostberg“) bezeichnet hier die Dongshan-Akademie in Qimen, Anhui. Dort unterrichtete Fang die letzten Monate seines Lebens. Die Akademie war im Jahr 1521 gegründet worden und ­erlebte mehrere Zerstörungen und Wiederaufbauten. Beim Sturm der Taiping auf Qimen 1854, als Tang Zhi umkam, wurde auch die Akademie zerstört. Diese wurde 1863 vom Distriksmagistraten wieder erbaut und beherbergt seit 1905 eine Grundschule (Ji Xiaofeng, 78 & 376). 160 Zu Wen Hanguang vgl. Anm. 141. Gan Shaopan 甘紹盤 war ein weiterer Schüler, über den aber nichts weiter bekannt ist.

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

In der chronologischen Biographie folgt eine Gesamteinschätzung der Person Fang Dongshus. Davon seien nur die ersten Sätze zitiert, weil diese den Stil der Gesamteinschätzung klarmachen und verdeutlichen, dass dort nicht mehr sehr viel Neues zu erwarten ist: Herr Fang war von seiner äusseren Erscheinung her blass und durchgeistigt, hochgewachsen und aufrecht. Sein Aussehen war würdevoll. Schon sehr jung führte er die familiäre Tradition der Gelehrsamkeit weiter und erhielt dazu noch Unterricht in der Kunst der Literatur durch Herrn Yao Jizhuan. Dadurch liebte er es, sich tiefgreifende, klare und weitreichende Gedanken zu machen. Er spezialisierte sich nicht ausschliesslich auf die Schriftzeichen. So war sein literarischer Stil schlicht161 und doch reich, prächtig, aber klar. Seine Prosatexte waren stets fundiert, seine Ausführungen folgten [der inneren Ordnung] der Dinge, und letztlich bezogen sie sich alle auf das korrekte Denken in der Welt. In seiner Lyrik war er tiefgründig und gehaltvoll, standfest und realitätsnah. Er wurde stark beeinflusst von den grossartigen [Vorbildern] Xie, Du, Han und Huang,162 und wurde doch selbst zu einem ausgezeichneten Dichter. Sein gesamtes Leben hindurch hatte er sich den moralischen Erörterungen verschrieben, wobei ihn am meisten die Worte Meister Zhus beeinflusst hatten. Mit Fleiss widmete er sich der Gelehrsamkeit, stand jeden Morgen mit dem Hahnenschrei auf und studierte bis zum Kerzenschein, erst, wenn er [so müde wurde, dass er] einige Male etwas übersehen hatte, legte er sich schlafen. Ob bittere Kälte oder brütende Hitze, sein strebender Geist gönnte sich keine Rast. Auch nachdem er siebzig geworden war, dachte er nicht ans Aufhören.

Alles in allem lebte Fang das typische Leben eines konfuzianischen Gelehrten des achtzehnten Jahrhunderts, wobei sein konstanter Geldmangel und die Sorge um die toten Vorfahren von zwei Generationen ständige Begleiter waren. Er lebte ohne grosse Konstanz in seinem wirtschaftlichem Auskommen, und als Gelehrter ohne Amt blieb ihm auch die hervorgehobene gesellschaftliche Anerkennung verwehrt. Andererseits spricht aus der Biographie auch eine mangelnde Selbstwahrnehmung im Hinblick auf das letztlich doch elitäre Leben, das Fang verlebte, wenn man es mit dem Alltag von Bauern oder Handwerker vergleicht. Von den drei volkstümlichen Wünschen der Chinesen für Glück, fu, lu und shou 福祿壽, die für Glück oder Zufriedenheit, ein Beamtengehalt und ein langes Leben stehen, war ihm einzig das lange Leben beschieden.

161 Schlicht: chun 醇. Das im Text verwendete Schriftzeichen stellt eine seltene Schreibvariante dar zum normalerweise verwendeten Zeichen (vgl. ZWDCD Nr. 40813). 162 Vorbilder Xie, Du, Han und Huang: Damit sind bekannte Dichter früherer Jahrhunderte ­gemeint. Vgl. hierzu die entsprechenden Anmerkungen weiter oben in diesem Kapitel. Mit Xie sind wohl die beiden Dichter Xie Lingyun und Xie Tiao gemeint.



Das Werk Hanxue Shangdui 

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Das Werk Hanxue Shangdui Nach dem Autor Fang Dongshu方東樹 (1772–1851) wird in diesem Abschnitt das Werk Hanxue Shangdui 漢學商兌 eingehend vorgestellt.

Werkstitel Zunächst soll hier der Titel des Buches analysiert werden. Verschiedene Studien zu dieser Epoche der chinesischen Geschichte erwähnen mindestens den Titel, deshalb gibt es mehrere englische Entsprechungen: Carsun Chang gibt den Titel wieder als „Objections to Han Philology“ (Chang 1962, 372), bei Kai-wing Chow erscheint er einmal als „A critical Assessment of Han Learning“ (Chow, 1995, 71), und einmal als „Polemic against Han Learning“ (Chow 1994b, 217). Elman übersetzt ihn als „An assessment of Han Learning“ (Elman 1984, 60). Bei De Bary schliesslich wird es zu „Reckoning with the Han Learning“ (De Bary 1991, 75). Diese englischsprachigen Wiedergaben mögen dem Inhalt des Werkes gerecht werden, aber es sind keine Übersetzungen des Titels. Der Titel Hanxue Shangdui ist zunächst eine Anspielung, was nicht erstaunt, da es sich um eine Kampfschrift zwischen Gelehrtenschulen handelt. Da das Operieren mit Zitaten eine allgemein akzeptierte und selbstverständliche Form der Auseinandersetzung zwischen konfuzianischen Gelehrten war, die es ermöglichte, durch eine Anspielung eine scharfe Kritik versteckt vorzubringen, wäre es geradezu eine Enttäuschung, wenn der Titel nicht irgendeine „verborgene“ Botschaft beinhaltete. Der Ausdruck hanxue 漢學 als der offensichtliche Teil des Titels bezeichnet die qingzeitliche Schule des Konfuzianismus, gegen die Fang sich wendet. Der zweite Begriff des Titels – shangdui 商兌 – beinhaltet die literarische Anspielung und ist schwieriger zu verstehen. Der Ausdruck entstammt dem Text der sog. yaoci 爻辭, also der Beschreibung der Einzellinien, zum 58. Hexagramm des Yi Jing, das die Bezeichnung „dui 兌“ trägt. dui ist aber zugleich auch die Bezeichnung für ein gleichnamiges Trigramm, das sich zusammensetzt aus zwei yang-Linien und darüber einer yin-Linie, das zweifach übereinander gestellt das Hexagramm „dui“ ausmacht. dui bedeutet „Heiterkeit, Fröhlichkeit“, und der Begleittext des Hexagramms „dui“ orakelt über das Erreichen der Heiterkeit. Das davor stehende shang steht für „verhandeln, debattieren, erwägen, abwägen“, aber auch „geben“. Wenn dui als Objekt von shang aufgefasst wird, so handelt es sich um eine Heiterkeit, die noch nicht sicher ist, die verhandelbar, bzw. Gegenstand von Verhandlungen oder Debatten ist (vgl. auch HYDCD 2:371). Dies ist auch die Bedeutung im Zusammenhang mit der Beschreibung dieser Einzellinie im Yi Jing. Der Text dort lautet „shangdui weining, jieji youxi 商兌未寧,介疾有喜“, was sich überset-

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

zen lässt als: „Verhandelbare Heiterkeit, noch keine Zufriedenheit; wenn man die Fehler ernst nimmt, so wird sich Freude einstellen.“ Der Titel des Werkes Hanxue Shangdui lässt sich somit übersetzen als „Verhandlungen mit der hanxue über die Zufriedenheit“. Hierfür wurde die Bedeutung „ernst nehmen“ für jie angesetzt. Das Schriftzeichen steht auch für das Substantiv „Rüstung, passive Bewaffnung, Panzerung“ und als solches liesse es sich auch verbalisiert verstehen. Das hiesse dann „wenn man sich wappnet gegen Fehler, so wird sich Freude einstellen.“163 Um welche Zufriedenheit es sich hierbei dreht, wird sehr bald mit der Lektüre des Werkes deutlich: Fang sorgte sich um die Zufriedenheit des gesamten Reiches, das er in seinen Grundfesten gefährdet sah. Wie in der vorliegenden Studie argumentiert wird, ist das Werk im Kontext der allgemeinen Verschlechterung der Lebensumstände in der späten Qing zu sehen, die in den späten Jahren der qianlong-Ära begann und sich durch die Regierungszeiten jiaqing und daoguang fortsetzte und zum Teil verschlimmerte.

Editionsgeschichte Das Werk hat nach der Fertigstellung eine relativ ereignislose Editionsgeschichte. Die Entstehung des Werkes ist auf die Zeit zwischen 1824 und 1826 zu datieren. Die chronologische Biographie vermerkt die Niederschrift für das Jahr 1824, das Datum von Fangs eigenem Vorwort ist der vierte Monat des Jahres bingxu 丙戌 der daoguang-Ära, also der Zeitraum zwischen dem siebten Mai und dem fünften Juni 1826. Der chinesische Forscher Zhu Weizheng 朱維錚 (1936–2012) geht in seinem Aufsatz „hanxue yu fan hanxue 汉学与反汉学“ von 2002 davon aus, dass das Werk 1826 vollendet worden sei, und er erwähnt eine Erstausgabe (chuke ben) für dieses Jahr, womit er aber wohl das Manuskript meint (Zhu Weizheng 2002, 128). In einer Anmerkung diskutiert er das Problem der Entstehungszeit, ohne allerdings eine eindeutige Klärung vornehmen zu

163 Wilhelm gibt die Yi Jing-Zeile wieder als: „Überlegte Heiterkeit ist nicht beruhigt. Nach Abtun der Fehler hat man Freude“ (Wilhelm 1923, 170), bei Legge lautet der Satz etwas weniger wolkig: „The fourth line, undivided, shows its subject deliberating about what to seek his pleasure in, and not at rest. He borders on what would be injurious, but there will be cause for joy.“ (Legge 1963, 193). Und in der Übersetzung von Lynn, die sich am Wang Bi-Kommentar orientiert, wurde die Stelle so übersetzt, dass sie praktisch schon als Motto Fang Dongshus gelten kann: „This one has to deliberate how to deal with Joy and so knows no peace, but because he wards off harm, he has happiness.“ und Lynn schreibt erklärend dazu: „ ‚To deliberate how to deal with‘ [shang] here includes both the meaning of ‚consider‘ [shangliang] and ‚control‘ [caizhi].“ (Lynn 1994, 509).



Das Werk Hanxue Shangdui 

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können, so dass nicht definitiv bestimmt werden kann, wann Fang das Buch schrieb (ebd. 154–155). Gemäss den dort gemachten Angaben äusserte sich Liang Qichao mit der Ansicht, das Hanxue Shangdui sei ein Produkt der jiaqingÄra. Qian Mu wiederum folgt in Ermangelung weiterer Belege den Angaben der chronologischen Biographie (Qian Mu 1937, 517). Da wir als einzige Angaben Zheng Fuzhaos Aussagen aus der Biographie und Fangs eigenes Vorwort haben, erscheint es sinnvoll, die Entstehungszeit für das Werk ab dem Jahr 1824 anzusetzen und 1826 als letztmöglichen Zeitpunkt für die Abfassung zu betrachten. Allerdings war 1826 auch das letzte Jahr Ruan Yuans in Guangzhou. Im sechsten Monat gab er die Generalgouverneurschaft an Li Hongbin 李鴻賓 (?–1840) ab und übernahm seinerseits diejenige von Yunnan und Guizhou (Zhang Jian 1995, 151). Zudem trat Fang in diesem Jahr aus der Anstellung Ruan Yuans aus und kehrte nach Hause zurück (Fang Dongshu 1868a, „nianpu“ 9a; Wang Zhangtao 2003, 795). Angesichts dieser Tatsachen scheint die Möglichkeit sehr plausibel, dass Fang das Hanxue Shangdui bereits etwas früher fertig gestellt hatte und es 1826 lediglich Ruan Yuan anlässlich dessen Abschieds überreichte. Nachdem das Buch in Manuskriptform also spätestens 1826 fertig gestellt worden war, erfolgte der erste Druck des Werks als eigenständige Publikation 1831 mit einer zweiten Auflage 1871.164 1882 wurde eine andere Ausgabe erarbeitet und das Werk erschien als Huayu Lou Chongjiao Kanben 華雨樓重校刻 本. Erneut erschien das Werk dann 1937 im Rahmen der umfassenden Reihe Wanyou Wenku 萬有文庫 beim Shanghaier Verlag Shangwu (Zhou Gucheng 1992, 818). Die erste Ausgabe der Volksrepublik geht auf das Jahr 1998 zurück, als der Pekinger Sanlian Verlag die kleine Reihe Zhongguo Jindai Xueshu Mingzhu 中國近代學術名著 unter der nominellen Herausgeberschaft Qian Zhongshus publizierte. In dieser Reihe erschien neben Kang Youweis Titeln Da Tong Shu und Xinxue Weijing Kao oder Zhang Taiyans 1869–1936, auch Zhang Binglin Qiu Shu 訄書 auch Jiang Fans Werk. Der Titel lautet Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 漢學師承記〔外二種〕, und der Band enthält das Hanxue Shicheng Ji mit zwei „Zusatzwerken“. Diese sind vermutlich Jiang Fans Songxue Yuanyuan Ji 宋學淵源記 und Fangs Hanxue ­Shangdui.165 Da das letzte

164 Die chronologische Biographie hält eindeutig fest, dass die erste Druckausgabe auf das Jahr 1838 zurückgeht. Die Differenz zwischen den Angaben in der chronologischen Biographie und bei Zhou Gucheng 1992, 828, ist nicht zu erklären. Der Bibliothekskatalog der Bodleian Library in Oxford führt die Ausgabe von 1831 auf, weshalb im Text dieses Datum angegeben wird. 165 Das Problem in diesem Zusammenhang ist, dass in dieser Ausgabe neben dem Hanxue Shicheng Ji und Fangs Hanxue Shangdui noch Jiangs zwei weitere Werke enthalten sind, das ­Guochao Songxue Yuanyuan Ji 國朝宋學淵源記 und Guochao Jingshi Jingyi Mulu 國朝經師經義

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

Kapitel in Fangs Werk sich gegen Jiangs Songxue Yuanyuan Ji richtet, sind so Jiang Fans Werke mit der dadurch hervorgerufenen Reaktion Fangs zwischen zwei Buchdeckeln vereint verfügbar. Die Ausgaben der Reihe wurden unter der Herausgeberschaft Zhu Weizhengs interpungiert und pro Band mit einem Namensindex und manchmal sogar einem Index zitierter Werke versehen. Leider allerdings hat sich der Verlag entschieden, Eigennamen, Buchtitel und Dynastienamen nicht hervorzuheben, so dass diese Werke nicht in der vom Verlag Zhonghua Shuju als Richtgrösse bekannten Qualität der Textaufbereitung vorliegen. Eine weitere moderne Publikation geschah im Rahmen des Publikationsprojekts Xuxiu Siku Quanshu 續修四庫全書 (Fortführende Kompilation der Gesamten Bücher der Vier Speicher) vom Verlag Shanghai Guji, ­ räsentiert publiziert zwischen 1995 und 2002. In welcher Form der Text hier p wurde, kann ich nicht sagen, da ich diese Publikation selbst nicht einsehen konnte. Was die Publikation in Sammelbänden angeht, so erschien das Werk natürlich in den Sammlungen der Schriften Fang Dongshus, also zunächst in den gesamten Prosaschriften Yiwei Xuan Wenji 儀衛軒文集 (Zusammengestellte Prosatexte von Fang Dongshu) von 1868. Diese Publikation wurde von Li Hongzhang initiiert (Li und Yang 2000, 1:232–233), andererseits in der Sammlung Fang Zhizhi Quanji 方植之全集 (Gesammelte Werke Fang Zhizhis). Daneben erschien der Titel in folgenden zwei Sammlungen, zu denen sich keine weiteren Informationen finden liessen: Mei Lu Congshu Wu Bian 梅廬叢 書五編 und Xijing Qinglu Congshu Xubian 西京清麓叢書續編 (Zhou Gucheng 1992, 818).

Aufbau des Werkes Das Hanxue Shangdui ist in vier Faszikel (juan) gegliedert. Diese sind allerdings nicht von eins bis vier durchnummeriert. Vielmehr umfassen diese die drei Kapitel shang, zhong und xia, und das mittlere Kapitel ist auf zwei Faszikel verteilt (juan zhong zhi shang und juan zhong zhi xia). Die Einteilung der vier Faszikel in drei Kapitel ist selbstverständlich nicht zufällig, vielmehr stehen die drei Kapitel

目錄. Damit wären es eigentlich drei zusätzliche Werke Das letzteres aber traditionell als Teil des Hanxue Shicheng Ji aufgefasst wurde, und da es in dieser Ausgabe als „Anhang“ fu 附 markiert ist, wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass Jiangs Arbeit zur Gelehrsamkeit der Songzeit und Fangs Werk von den Herausgebern der Reihe als die beiden zusätzlichen Werke betrachtet wurden.



Das Werk Hanxue Shangdui 

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für unterschiedliche Bereiche, in denen Fang seine Widersacher angreift. Die drei Kapitel haben daher jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Hier soll zunächst aus methodischer Sicht ein Überblick über die grobe thematische Einteilung gegeben werden. Der Aufbau des Werkes gibt unterhalb der Faszikel die weitere Gliederung in die einzelnen Kontroversen vor. An den Anfang einer Kontroverse wird jeweils ein Zitat gestellt, auf welches dann Fangs Entgegnung folgt. Der Autor dieses Zitates – so er denn genannt wird – wird als Adressat, bzw. Auslöser der Kontroverse angesehen. Zusätzlich gibt es Kommentarpassagen zu den Zitaten wie auch zu den Repliken, welche ebenfalls von Fang Dongshu ­verfasst wurden. Diese Form – eine Textpassage zu zitieren und sich dann dazu zu äussern – geht zurück auf wichtige Vorbilder der daoxue-Tradition. Fang selbst beruft sich im ersten Punkt des „fanli 凡例“ seines Werkes – den Kompilationsprinzipien – auf Zhu Xi und dessen Zaxue Bian 雜學辨. Zhu Weizheng betrachtet entgegen dieser expliziten Aussage Zhan Ruoshuis 湛若水 (1466–1560) Werk Yangzi Zhezhong 楊子拆衷 (Ausgewogenheit [gegenüber den Aussagen] Meister Yangs) als Vorbild, mit dem dieser Yang Shis 楊時 (1053–1135) Auffassung der xinxue zurückwies (Yong Rong 1965, 1:810a). Die im Katalog des Siku Quanshu gegebene Beschreibung des Zaxue Bian lässt sich allerdings ausgezeichnet auch auf das Hanxue Shangdui beziehen (ebd. 781b), weshalb m.E. nicht verständlich ist, wieso Zhu Weizheng ein anderes Werk als Vorbild nennt. Im ersten Kapitel zitiert Fang Autoren, die sich zur Frage äussern, ob die songzeitliche daoxue überhaupt zum Konfuzianismus zu zählen sei, also ob die Gelehrten der daoxue noch zu den ru 儒 zu zählen seien. Grundlage dieser Frage ist die viel diskutierte Tatsache, dass in der songzeitlichen Dynastiegeschichte Song Shi die Biographien der daoxue-Gelehrten nicht im angestammten Kapitel der konfuzianischen Gelehrten „rulin zhuan“ stehen. Vielmehr bilden die Biographien Zhou Dunyis, Shao Yongs, Zhang Zais, Cheng Haos, Cheng Yis und Zhu Xis sowie diejenigen der Schüler der Chengs und Zhu Xis ein eigenes Kapitel „daoxue zhuan“, das den Text der Rollen 427–431 ausmacht.166 Dieses Kapitel enthält sechs Kontroversen. Im zweiten Kapitel (2a) finden sich Kontroversen zu Frage der konfuzianischen Lehre. Es geht hier um die Frage nach der Orthodoxie, also um die korrekte Auslegung der Schriften und die Verwendung der Kommentare. Die Aufteilung

166 Entgegen der aufgrund der späteren Rezeption vielleicht naheliegenden Annahme stehen die Biographien der Gründer der xinxue-Richtung des Konfuzianismus, also jene Lu Jiuyuans und seines Bruders Lu Jiulings, nicht in der Abteilung daoxue, sondern in Rolle 4 der „rulin zhuan“ (Song Shi 434).

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 Fang Dongshu – Leben und Werk

in zwei Faszikel folgt nicht nur drucktechnischen Zwängen, es lassen sich auch unterschiedliche Themenblöcke ausmachen. In Faszikel zwei geht es um die Auslegung gemäss unterschiedlichen exegetischen Ansätzen. Hier hält Fang den Autoren der hanxue die auf Zhu Xi zurückgehende Exegese entgegen, und die korrekte Bedeutung gewisser Schlüsselbegriffe wird thematisiert. Die erste Hälfte des zweiten Kapitels umfasst 25 Kontroversen. Faszikel drei (Kapitel 2b) hinterfragt in insgesamt 24 Kontroversen die Herangehensweise der hanxue, indem die Bedeutung der sprachlastigen Exegese zum Verständnis klassischer Schriften in Zweifel gezogen wird. Im letzten Kapitel reagiert Fang Dongshu auf Jiang Fans Liste wichtiger Bücher Guochao Jingshi Jingyi Mulu mit einer eigenen kommentierten Liste von wichtigen Werken zu den einzelnen Klassikern, den Vier Büchern sowie der Gesamtbetrachtung der Klassiker. Im Anschluss an diese Kritik der exegetischen Literatur zieht er eine abschliessende Bilanz seines Werkes, eine Art Schlusswort, in dem er die z­ entralen Punkte seiner Kritik an der hanxue wiederholt.167 Dieser Abschnitt des Werks enthält somit keine Kontroversen im oben beschrieben Sinn. Er ist vielmehr eine kommentierte Bibliographie.

167 In seiner Charakterisierung des Werkes gewichtet Zhu Weizheng die einzelnen Argumente etwas anders. Er schreibt: „Als erstes argumentiert [Fang] vehement, dass die daoxue ein Teil der „Lehre des Weisen“ (shengxue) sei, vgl. Faszikel 1; Als zweites argumentiert er vehement, dass das System der lixue des Zhu Xi eine Weiterentwicklung des daotong des Konfuzius sei, vgl. Faszikel 2. Als drittes kritisiert er die textkritische Methode der hanxue-Gelehrten, was auch beinhaltet, dass er ihre verhängnisvolle Praxis anprangert, wonach diese ‚die Lehre der Moraltheorie zerschlagen und die Erläuterungen der songzeitlichen Konfuzianer überspringen wollten‘, vgl. Rolle 3. Als viertes negiert er Stück für Stück Jiang Fans Guochao Jingshi Jingyi Mulu und in einem Resumé benennt er die ‚sechs negativen Auswirkungen‘ (liu bi 六蔽) der hanxue, vgl. Faszikel 4.“ (Zhu Weizheng 2002, 144).

Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule Die Attacke von Fang Dongshu 方東樹 (1772–1851) gegen die hanxue muss in Zusammenhang mit der Tradition von Fangs Gelehrsamkeit gebracht werden, um sie besser verstehen zu können. In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, was die Motivation Fangs – oder vielleicht eher seine gefühlte moralische Verpflichtung – war, sich so vehement gegen die hanxue zu wehren. Dazu wird zunächst der Frage nachgegangen, ob es einen kohärenten weltanschaulichen Hintergrund der Gelehrten aus Tongcheng gab, dem sich auch Fang Dongshu verpflichtet fühlte. Ursächlich damit zusammen hängt die weitergehende Frage, wie die Stellung der Tongcheng-Gelehrten zum Qing-Staat war. Fang Dongshu wurde in Tongcheng 桐城 geboren, einer Provinzstadt in der südlich gelegenen Präfektur Anqing 安慶府 der Provinz Anhui (Tan Qixiang 1982, 8:19). Tongcheng wies bei der Volkszählung 1765 eine Bevölkerungszahl von 850’168 Menschen in 114’758 Haushalten auf, in Fangs Todesjahr 1851 3’014’761 Personen in 321’951 Haushalten. Seine Familie gehörte der Literati- oder GentrySchicht der Gesellschaft an, wie der Ausdruck shenshi 紳士 in der vornehmlich englischsprachigen Forschungsliteratur für gewöhnlich übersetzt wird.1 Fang Dongshu war also als Mitglied einer Gelehrtenfamilie Teil einer örtlichen Elite. Die Mitglieder dieser Elite, welche aus den Mitgliedern der vier Klans Fang, Yao, Dai und Zhang bestand, wiesen als grundsätzliche Gemeinsamkeit

1 Da der englische Ausdruck „gentry“ einen niederen Landadel bezeichnet, und der Ausdruck „literati“ auf die Beherrschung der Schriftsprache verweist, scheinen beide Bezeichnungen passend, aber nicht perfekt. Denn wenn die lokal mächtigen Familien auch funktional so etwas wie ein Landadel waren, existierte doch kein Adelskonzept wie „Blaublütigkeit“. Der Ausdruck „literati“ als „Die Schriftkundigen“ trifft auch nicht ganz zu, weil es auch Angehörige der Händler- oder Handwerkerschicht gab, die des Lesens und Schreibens mächtig waren. Und selbst der  ­chinesische Ausdruck shen shi, wörtlich übersetzt „begürteter Dienstadel“ ist nicht ganz ­zutreffend, denn das Symbol des Gürtels, mit dem Beamte sich schmückten und ihren Rang signalisierten, zählte nicht mehr zu den zwingenden Attributen der Angehörigen dieser Schicht, seitdem diese nicht mehr praktisch automatisch mit erfolgreichem Absolvieren der Prüfungen in den Beamtendienst eintreten konnten. Wie Peter Bol in seiner Studie der Veränderung der shi im Übergang von der Tang bis in die Song nachgewiesen hat, lassen sich die verschiedensten Konzepte auf den Begriff des shi projizieren. Daher kommt er zu folgendem Schluss: „‚Shih‘ was a concept used to think about the sociopolitical order; at the same time, it referred to an element in that society. ‚Shih‘ as a concept was a socially constructed idea that those who called themselves shih held.“ (Bol 1991, 32). Da die Bezeichnung shi von den höchsten Beamten am Kaiserhof bis zu Einsiedlern in der Zurückgezogenheit einsamer Bergregionen verwendet wurde, all diesen aber die Kenntnis des literarischen Korpus der konfuzianischen Kernschriften gemeinsam war, wird im Rahmen dieser Arbeit die Bezeichnung „Gelehrte“ oder „Schriftgelehrte“ verwendet.

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 Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule

eine intime Kenntnis der konfuzianischen Klassiker auf, und sie waren in der für die Beamtenprüfungen notwendigen Schriftgattung des „achtfüssigen Aufsatzes“ bagu wen 八股文 ausgebildet.2 Prüfungskandidaten lehnten diese Form in zunehmendem Masse ab, und doch war sie zu Beginn der Qing bereits ein unabdingbarer Teil der Prüfungskurrikulums, und die Kenntnis dieses Schreibstils des „achtfüssigen Aufsatzes“ hatte es Gelehrten aus Tongcheng ermöglicht, wichtige Posten in der Politik des Kaiserreiches zu besetzen. Fangs Familie war seit Generationen eines der führenden Geschlechter in Tongcheng gewesen und Angehörige eines anderen Zweiges hatten in der Mingzeit als hohe Beamte gedient. Auch in der Qing war es der mit Dongshu nicht direkt verwandte Fang Bao 方苞 (1668–1749) gewesen, der sich als Kompilator der Anthologie von bagu wen mit dem Titel Qinding Sishu Wen 欽定四書文 von 1739 hervorgetan hatte.

Tongcheng-Schule Forschungsstand Die Tatsache, dass Fang aus einer Tongchenger Gelehrtenfamilie stammte, reicht aber noch nicht aus, um Fang intellektuell in der Gelehrtentradition dieses Städtchens zu verorten. Und ob eine Gelehrtentradition auch gleich eine Schule ist, muss im Weiteren ebenfalls noch diskutiert werden. Die Existenz einer eigentlichen Tongcheng-Schule und ihr mögliches Ausmass sind in der Forschung nämlich durchaus Gegenstand einer Diskussion. So schrieb Kai-wing Chow in seinem Artikel von 1994 etwa: „the T’ung-ch’eng school of the eighteenth and early years of the nineteenth centuries essentially consisted of one person, Yao Nai.“ (Chow 1994, 205). Er führt diesen Befund, der seiner Aussage zufolge letztlich auf Theodore Huters zurückgeht,3 im ­Weiteren aus: „It should be noted that the T’ung-ch’eng school did not represent an intellectual tradition

2 Der „achtfüssige“ Aufsatz bagu wen war das hauptsächliche Format der Beamtenprüfungen in der frühen Qing. Dieser „Aufsatz“, bei dem sich die Probanden unter Wiedergabe der in den Kommentaren genannten Antworten zu Fragen der kanonischen Orthodoxie zu äussern hatten, war in allen Details streng reglementiert. Nicht nur waren die einzelnen Teile genau vorgeschrieben, es wurde erwartet, die Orthodoxie in verschiedenen Ausdrucksformen zu bestätigen. Der bagu wen wurde zum Symbol der Rigidität. Vgl. hierzu Twitchett & Mote 1998, 40–41; Elman 2000, 381–385, 408–409, wo auch die Tongcheng-Gelehrsamkeit diskutiert wird. 3 Bei Huters wird die Existenz dieser Schule allerdings nirgends in Frage gestellt. Er schreibt sogar: „The terminological flippancy that accompanied the initial use of the Tongcheng name may cause some wonders if it has any real significance. If it is thought of as a label that a group



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commonly shared by the scholars from T’ung-ch’eng county. Scholars from T’ungch’eng did not uniformly espouse the ancient prose of the T’ang-Sung masters. Nor did the three prominent families, the Changs, the Yaos, and the Fangs, which intermarried, form a common scholarly tradition – although they did share intellectual resources. The Fangs and the Yaos produced several eminent scholars whose learning was rooted in a combination of ancient prose and Ch’eng-chu learning, but the illustrious official from T’ung-ch’eng, Chang Ying (1638–1708), excelled in parallel prose p’ien-wen rather than in ancient prose. To state it differently, Yao Nai was the first to promote the idea that T’ung-ch’eng produced the best writers in ancient prose. But even as late as the early nineteenth century, scholars from T’ung-ch’eng did not regard ancient prose as a unique literary tradition of their own.“ (Chow 1994b, 196). Chow kommt zu diesem Schluss, nachdem er aufgezeigt hat, dass die Gelehrten aus Tongcheng in Anhui, einer Stadt, aus welcher Fang Dongshus Lehrer Yao Nai 姚鼐 (1732–1815) stammte, mit dem Aufkommen der textkritischen sich an der hanzeitlichen Gelehrsamkeit orientierten jingxue 經學 im 18. Jh. bei den Beamtenprüfungen keinen grossen Erfolg mehr vorweisen konnten. Dies, nachdem sie noch in der kangxi-Ära des 17. Jhs. wesentliche Posten des Beamtenapparats besetzt hatten. Um dieser Dominanz etwas entgegen zu halten, habe Yao Nai eine Lehrtradition konstruiert und versucht, auf diesem Weg der neuen Gelehrsamkeit Paroli zu bieten. Chow versäumt es auch nicht, darauf hinzuweisen, dass Yao Nai eigentlich Student von Dai Zhen werden wollte, dieser ihn aber ablehnte. Yao sei zudem in seiner Zeit als Editor des Katalog zum Siku Quanshu 四庫全書, dem Siku Quanshu Zongmu 四庫全書總目 enttäuscht darüber gewesen, in welchem Masse die Anhänger der Textkritik befördert und bevorzugt wurden, während die auf die daoxue ausgerichteten Gelehrten immer mehr an Einfluss und Überzeugungskraft verloren.4 Kai-wing Chow verleiht hierauf gründend seiner Auffassung ­Ausdruck, dass es so etwas wie die Tongcheng-Schule nie gegeben habe, sondern dass deren Konstruktion eine Folge der tiefgehenden Frustration Yao Nais war. Dem entgegen zu stellen sind mehrere chinesische Untersuchungen, welche in der Gelehrsamkeit von Tongcheng die Kernzelle des neokonfuzianischen und auf guwen-Literatur fixierten Widerstandes gegen die hanxue-Gelehrsamkeit

of early nineteenth century political reformers (not all of them from Tongcheng) referred to themselves, it has a good deal of analytical usefulness.“ (Huters 1987, 68). 4 Die Theorie, dass sich Yao aus persönlicher Kränkung gegen die hanxue gewandt habe, mit Fang Dongshu als „Vollstrecker“, geht ursprünglich zurück auf Zhang Taiyan, der dies im Kapitel „Qingru“ des zweiten Qiu Shu darlegt (Zhang Taiyan 2000, 151; auch zitiert in Zhu Weizheng 2002, 153, Anm. 5).

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 Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule

zu erkennen glauben. Auf dieser Seite ist etwa das Werk Tongcheng Wenxue ­Yuanyuan Kao 桐城文學淵源考 von Liu Shengmu aus dem Jahr 1974 zu nennen, in dem er laut Kai-wing Chow 641 Anhänger dieser Schule auflistet, „including two women and two Japanese“. Wie Chow überzeugend darstellt, verwendet er das Etikett „Tongcheng-Schule“ unkritisch zur Bezeichnung aller Autoren in der sog. guwen-Tradition. Das Werk von Liu Shengmu liess sich für die vorliegende Untersuchung nicht konsultieren. Ye Long aber, ein weiterer Autor, dessen Arbeit für die vorliegende Studie rezipiert wurde, nennt in seinem Werk von 1998 nur mehr 15 Autoren, die ihm als wichtigste Repräsentanten gelten, wobei er auch tatsächlich gewisse Charakteristika ihres Schaffens benennt, auf die ich im Folgenden noch zu sprechen komme.

Der Schulbegriff „Tongcheng-Schule“ stellt eine Übersetzung des Begriffs Tongcheng pai 桐城派 dar, der eine relativ späte Prägung erfuhr.5 Der Ausdruck „Tongcheng Pai“ geht als solcher nicht auf Yao Nai zurück, wie man aufgrund von Chows Aussage vielleicht vermuten könnte; die früheste Belegstelle findet sich bei keinem geringeren als Zeng Guofan曾國藩 (1811–1872), der sich – obschon aus Hunan stammend – als in dieser Tradition stehend verstand.6 Zeng, General und Förderer des Buchdrucks nach der Zerstörung im Zusammenhang mit den Taiping-Truppen,7 griff eine Aussage von Yao Nai auf, der geschrieben hatte: „tianxia wenzhang, qi chu yu Tongcheng 天下文章,其出于桐城“ („Die [Kunst der] literarischen Prosa im Reich kommt aus Tongcheng“). Eine ähnliche Aussage findet sich bei Li Hongzhang 李鴻章 (1823–1901), der schrieb: „jin tianxia guwen zhe bi zong Tongcheng 今天下

5 Fang Chao-ying schreibt im biographischen Eintrag zu Yao Nai, dass der Begriff „TongchengSchule“ älter sei als Yao Nai, allerdings gibt er leider keinen Beleg an. Er schreibt lediglich: Owing to the fact that all three [d.i. Fang Bao, Liu Dakui und Yao Nai; M.W.] were natives of T’ung-ch’eng, the group came to be known – sometime in the seventeen-sixties – as the T’ungch’eng School. (Hummel 1943–44, 900). 6 Ye Long rechnet Zeng zur Tongcheng-Schule, weil seine Vorstellung von Literatur weitgehend von derjenigen Yao Nais abgeleitet war. Ye zitiert Zengs Vorwort zu dessen Jing Shi Baijia ­Zachao 經史百家雜鈔, wo sich Zeng explizit auf Yao als Vorbild bezieht (Ye Long 1998, 160–161 und 199–204: Zeng Guofan 1987 1:1–3). 7 Zu Zeng Guofan und der Rekonstruktion nach dem Taiping-Bürgerkrieg vgl. die Monographie von Barry Keenan zu den Akademien aus dem Jahr 1994, in der Zeng Guofan eine grosse Rolle zugewiesen wird.



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古文者必宗桐城“ („Jene, die heutzutage Literatur im guwen-Stil betreiben, sollten sich an Tongcheng orientieren“). Zeng Guofan nennt es eine Schule, wenn er schreibt: „Und so berufen sich die Gelehrten häufig auf Tongcheng, und nennen es Tongcheng-Schule, gerade so, wie man früher die poetische Schule aus Jiangxi bezeichnet hat“.8 Diese Aussage deutet darauf hin, dass der Ausdruck Tongcheng pai möglicherweise bereits etabliert war, und dass Zeng ihn hier nur erstmals in schriftlicher Form fixierte. Leider liessen sich keine früheren Zeugnisse finden (alle zitiert nach Zhou Zhongming 1999, 1–2).9 Yao Nai hat also selbst darauf hingewiesen, dass es da eine Auffälligkeit von Autoren aus Tongcheng gab, er hat aber nicht von einer Schule aus Tongcheng gesprochen. Doch das ist wenig überraschend. Die wenigsten Gruppierungen der Geistesgeschichte sind mit explizitem Vorsatz einer Schulgründung gegründet worden. In der Regel war es immer die retrospektive Zusammenfassung, welche aus mehreren Leuten, die dasselbe getan haben, oder die dasselbe wollten, eine Gruppe bildete und dieser ein Etikett anhängte. Schulen sind im hier gemeinten analytischen Sinn immer retrospektiv aufgefasst.10 Das Benennen einer Schule ist also immer ein Akt der Identitätszuweisung. Wenn also Yao Nai darauf hinweist, dass es eine Tradition von Gelehrten aus Tongcheng gibt, so sehe ich darin primär noch keine Konstruktion einer Tradition, wie von Chow behauptet. Eine solche bedingte m.E. auch, dass Yao Nai entweder Begebenheiten umdeutet oder willentlich verzerrt darstellt hätte oder gleich ganz erfunden hätte.11 Die Bezeichnungen der Gelehrtenschulen der Qingzeit sind generell noch sehr ungenügend erforscht. So ist auch

8 Im Original: „you shi xuezhe duo gui Tongcheng, hao Tongcheng pai, you qianshi suo cheng Jiangxi shipai zhe ye 由是學者多歸桐城,號桐城派,猶前世所稱江西詩派者也.“ 9 Ein früherer Beleg für die Bezeichnung der Schule liess sich bislang nicht finden, was nicht heisst, dass es keinen gibt. Allerdings wird die erstmalige Benennung auch von Fang und Lü 1963, 195, gestützt. Die Autoren stellen sich zwar deutlich gegen Zengs Aussage über Yao Nais Gründe für die Gründung einer Schule, aber ihre Benennung geht auch dort auf Zeng zurück. 10 Retrospektive Schulbezeichnungen: Dies gilt insbesondere für Schulbezeichnungen im ­Zusammenhang mit geographischen Namen. Daneben gibt es natürlich auch programmatische Namen wie xinxue 新學 „die neue Gelehrsamkeit“ oder die „Gruppe 47“. 11 Der Aufsatz von Kai-wing Chow macht mir etwas den Eindruck, als ob Chow dem wissenschaftlichen Zeitgeist der frühen 1990er Jahren folgend auf der Suche war nach etwas, dem er das Etikett der „Invention of Tradition“ anhängen konnte. Dafür suchte er die Tongcheng-Schule aus, aber m.E. ist seine Argumentation wenig überzeugend, weshalb auch der Begriff nicht richtig passt. Was auch immer sein Motiv gewesen sein mag, wie ich im folgenden deutlich zu machen hoffe ist, dass es eine Gemeinsamkeit an gelehrten Merkmalen gibt, die auf ein guwen-Ideal der Nördlichen Songzeit reagiert, also auf das Ideal eines umfassend Gelehrten mit politischem Verantwortungsbewusstsein und literarischen Fähigkeiten.

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 Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule

nicht klar, woher die Bezeichnungen für andere Schulen wie die Yangzhou-Schule oder die Gelehrtenschulen aus Suzhou und Anhui wupai 吳派 und wanpai 皖派 stammen.12 Ehe diese Begriffsgeschichte nicht aufgearbeitet ist, lässt sich nicht definitiv sagen, wogegen sich die Tongcheng-Schule begrifflich abgrenzte. Damit komme ich zum Ausdruck pai. Der rechte Teil des Schriftzeichens steht zunächst für ein Wort mit der Bedeutung „Verzweigung eines Flusses“. Diese Bedeutung wurde durch Hinzufügen des kategorialen semantischen Markers „Wasser“ verdeutlicht. In dieser Bedeutung hatte der Begriff ein unauffälliges Dasein gefristet, bis er erstmals auf die Verzweigung von Lehrmeinungen und damit für eine „Schule“ verwendet wurde. Zeng Guofan weist expressis verbis auf die „Gedichtschule aus Jiangxi“ Jiangxi shi pai hin. Als Sammelbezeichnung dieser Gruppe von Dichtern im Gefolge von Su Shi und Huang Tingjian 黃庭堅 (1045–1105) tauchte der Ausdruck offenbar erstmals auf, nämlich im Buchtitel Jiangxi Shishe Zongpai Tu 江西詩社宗派圖 von Lü Benzhong 呂本中 (1084–1145) (Zhou Zongming 1999, Vorwort). Zu dieser Gruppe von Dichtern schreibt etwa Nienhauser: “The term ‚Kiangsi School of Poetry‘ was not used by Huang and his immediate followers, but originated with the poet and critic Lü Pen-chung […] In spite of the widespread use of the term ‚Kiangsi School‘ from Southern Sung times onward, many critics have expressed doubts concerning the existence of a true Kiangsi School of Poetry.“13 Auch hier also wurde eine Gruppe von Gelehrten mit dem Ausdruck pai zusammengefasst. Möglicherweise meinte Zeng Guofan in seiner Beschreibung ebenfalls, dass der Ausdruck Tongcheng pai ebenso zur Benennung einer losen Gruppierung von Autoren verwendet wurde, mit der nie eine eigentliche Schule im engeren Sinn gemeint war. Wenn wir von der Gemeinsamkeit des Bezeichneten

12 ZRBQ weist darauf hin, dass die Bezeichnung yangzhou xuepai (=> Yangzhou-Schule) erstmals von Liang Qichao in seinem Jin Sanbai Nian Xueshu Shi verwendet worden sei (ZRBQ 754). Die beiden Begriffe wupai und wanpai werden dort als Schöpfungen in Zhang Taiyans Kapitel „Qingru“ seines Qiu Shu bezeichnet (ebd. 753–754). Ob diese Begriffe nur erstmals von Zhang, bzw. Liang aufgeschrieben wurden, oder ob sie dabei auch gleich geprägt wurden, muss hier offen bleiben. 13 Nienhauser gibt als Gründe für diese Zweifel an, dass erstens nicht alle dieser Dichter aus Jiangxi stammten, dass sich zweitens nicht alle an Huang Tingjian orientierten, und dass drittens diese Autoren unterschiedliche Stile pflegten. Trotzdem kommt Nienhauser zu folgendem Schluss: „In Spite of doubts concerning the very existence of this School, it must be conceded that there are striking similarities of approach among most of the authors included in Lü Penchung’s list and that the writers are all indebted in varying degrees to Huang T’ing-chien’s poetic theory and practice. Huang proposed that great poetry was the result of an exhaustive study and imitation of the ancients, which would eventually enable the aspiring poet to create his own individual style.“ (Nienhauser 1986, 261).



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ausgehen, so ist mit Tongchengpai eher eine Tongcheng-Tradition als “die Tongcheng-Schule“ im engeren Sinn gemeint. Der Begriff pai oder xuepai lässt eine vielleicht gewünschte analytische Schärfe vermissen und erweist sich bei genauerem Hinsehen als den Interessen unterschiedlichster Autoren dienliche ­Sammelbezeichnung.14 Wenn Yao Nai die Schule also nicht erfunden oder gegründet hat, so hat er doch die Existenz einer Tongcheng-Schule mit gemeinsamen Charakteristika hervorgehoben. Er hat eine literarische Anthologie mit dem Titel Guwen Ci Leizuan 古文辭類纂 kompiliert, in welcher er Beispiele der guwen-Literatur zusammenstellt von Shi Ji und Han Shu angefangen,15 über die Acht Meister dieses Stils der Tang und Songzeit, den sog. Tang Song guwen ba da jia16 bis hin zu den Vorbildern der Qingzeit. Bei den literarischen Vorbildern aus der Qing zitiert er dann Literaten aus Tongcheng, allen voran den erwähnten Fang Bao. Yao Nai kann somit als der faktische Gründer der Schule angesehen werden, aber wir müssen auch die Leistungen der Vorgänger betrachten, die dieser selbst als die grundlegenden Denker der Tongcheng-Schule betrachtete. Nach Zeng Guofans Benennung der Tongchengpai dauerte es offenbar lange, bis der Begriff in einem ideengeschichtlichen Kontext erneut aufgegriffen wurde. Die geistesgeschichtlich interessierten Autoren gruppierten die Gelehrten bis ins 20. Jh. hinein anders.17 Qian Mu vermeidet ihn sowohl in Guoxue Gailun als auch in Jin Sanbai Nian Xueshu Shi, wo er in beiden Werken zwar Fang Dongshu

14 Es lassen sich auch mehrere andere xuepai der Qingzeit zitieren, die der Tongcheng pai in personeller Stärke und ideeller Vielfalt vergleichbar sind. Wu Feng und Song Yifu beschreiben im Kapitel „xuepai” ihres Zhonghua Ruxue Tongdian von 1992 nicht weniger als 286 konfuzianische pai für die Zeit zwischen Konfuzius und bis zu Pi Xirui (allerdings keine aus Tongcheng!), von denen viele kaum mehr als einen Lehrer und seine direkten Schüler umfassen (vgl. Wu und Song 1992, 1502–1560). 15 Sowohl Fang Bao als auch Yao Nai zitieren nicht auszugsweise aus den Klassikern oder aus Zuo Zhuan oder Guo Yu. Diese begründen sie gleich wie Xiao Tong es bereits bei der Kompilation des Wen Xuan getan hat: Diese Werke stellten in sich integrale Kompositionen dar, die man nicht in Auszügen zitieren könne. Die Formulierung „von Shi Ji und Han Shu angefangen“ bezieht sich nicht auf die Ordnung des Werkes, sondern auf die Chronologie der zitierten Texte. Allerdings muss man dann sagen, dass die Anthologie tatsächlich mit Jia Yi beginnt. Als Beginn der Lyrik steht bei Yao Nais Gu Wenci Leizuan Qu Yuan 屈原 (~343–278) (Vgl. Yao Nai 1988). 16 Tang Song guwen ba da jia 唐宋古文八大家: Mehr zu diesen Literaten siehe weiter unten. Die Bezeichnung stammt natürlich auch nicht von diesen Literaten selbst, sondern geht auf die Mingzeit zurück. 17 Sowohl Tang Jian in Qing Xuean Xiao Shi 清學案小識 von 1846 (Datum Vorwort) als auch Pi Xirui in Jingxue Lishi 經學歷史 von 1907 teilen die Gelehrtentraditionen nach ­Interessensgebieten oder Schwerpunkten auf. Bei Tang Jian wird Yao Nai zwar gewürdigt, aber es ist kein Bezug auf eine Schultradition zu finden (Tang Jian 157–164).

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 Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule

bespricht, diesen aber ohne eine schulische Anbindung charakterisiert.18 Tongcheng-Gelehrte früherer Generationen wie Yao Nai oder Fang Bao werden in diesen intellektuellen Geschichten nicht erwähnt, da sie als Literaten wahrgenommen wurden, und nicht als Gelehrte des Konfuzianismus. Derselbe Befund wie für Qian Mu gilt auch für Hu Shi, der in Dai Dongyuan de Zhexue zwar die Gegner Dais auflistet und dabei auch Fang Dongshu und Yao Nai nicht unerwähnt lässt, aber er schreibt nicht einmal, dass diese aus Tongcheng stammten oder sich kannten (Hu Shi 1963, 98–103). Lediglich bei Liang Qichao taucht der Begriff in Qingdai Xueshu Gailun auf, sogar prominent im Titel von Kapitel 19.19 Wie aufgrund der Tatsache, dass Liang Qichao sein Werk weitestgehend auf dem Kapitel „Qing ru“ in Zhang Taiyans Qiu Shu von 1904 aufbaut nicht anders zu erwarten, findet sich der Begriff an prominenter Stelle bereits bei Zhang Taiyan: „So gab es dann Fang Bao, Yao Fan und Liu Dakui, die alle in Tongcheng geboren wurden, und die den Vorbildern von Zeng Gong und Gui Youguang nacheiferten und hofften, dass man sie für genauso erhaben halte. Auch wollten sie, dass die Nachwelt Cheng und Zhu vergötterte. Sie nannten dies die ‚korrekte Methode‘ (yifa) von Tongcheng.“20

Rezeption der Tongcheng-Schule In der weiteren chinesischen Forschung des 20. Jhs. wird der Begriff „TongchengSchule“ unterschiedlich verwendet. Die Gelehrten aus Tongcheng werden stets in die Kategorie „Literatur“ eingeteilt und entsprechend wurden ihre Werke als literarische Äusserungen gelesen. Fang Dongshu wird zwar als aus Tongcheng stammender Gelehrter erwähnt, sein Werk hingegen nicht im Zusammenhang mit seiner Herkunft gesehen, sondern im Gegenteil dekontextualisiert und als Teil der sich im 19. Jh. entwickelten bipolaren Auseinandersetzung zwischen Han-Gelehrsamkeit und Song-Gelehrsamkeit (Han Song zhi zheng 漢宋之爭) ­verstanden. So betont etwa Zhou Yutong 周予同 (1898–1981), der Doyen der Erforschung qingzeitlicher Gelehrsamkeit in den 30er bis 60er Jahren des 20. Jhs. von der Shanghaier Fudan Universität den Antagonismus zwischen hanxue und songxue

18 Qian Mus Darstellungen: vgl. Qian Mu 1937, 517–521 u. 1995, 300–302. 19 In seinem Jin Sanbai Nian Xueshu Shi wird er dann allerdings nicht mehr verwendet. 20 Der Text Zhangs lautet im Original: „gu you Fang Bao, Yao Fan, Liu Dakui, jie chan Tongcheng, zi xiaofa Zeng Gong, Gui Youguang xiang gao, yi yuan hu Cheng, Zhu wei houshi, wei zhi Tongcheng yifa 故有方苞、 姚範、 劉大櫆、 皆產桐城, 以效法曾鞏、 歸有光相高, 亦願尸程、 朱為後 世, 謂之桐城義法。“ (Zhang Taiyan 2000, 151).



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ohne den Versuch, Fang vor dem Hintergrund seiner Gelehrsamkeit zu verstehen. Sowohl im Aufsatz „hanxue yu songxue“ von 1933, als auch in der Monographie Zhongguo Jingxue Shi Jiangyi 中國經學史講義21 stellt Zhou den Widerspruch zwischen den beiden Herangehensweisen an die konfuzianischen Texte in den Vordergrund, und Fangs Position wird nur innerhalb dieses Paradigmas wahrgenommen. Im Aufsatz von 1933 wird er allerdings persönlich gar nicht erwähnt (Zhou Yutong 1983, 324–335, 893–895). Die volksrepublikanischen Autoren Wang Junyi und Huang Aiping konzentrieren sich in ihrem in Taiwan publizierten Werk von 1999 auf den Antagonismus zwischen hanxue und songxue. Sie erwähnen lediglich, dass Fang aus der Stadt in Anhui stammte und dass sein Lehrer Yao Nai gewesen sei, machen aber keine expliziten Aussagen zur Schulzugehörigkeit (Wang u. Huang 1999, 233). Generell ist bei den geistesgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten chinesischer Autoren eine starke Tendenz auszumachen, sich an der Argumentation Liang Qichaos zu orientieren. Und obwohl dieser von der Existenz einer Tongcheng-Schule ausging, färbt seine der daoxue gegenüber kritische Voreingenommenheit auf die genannten Autoren ab. Anders verhält es sich mit den Forscherinnen und Forschern, welche die qingzeitliche Literatur untersuchen. Bei für die mehr literarisch interessierten Autoren liegt die Existenz einer Tongcheng-Schule auf der Hand und steht somit nicht zur Diskussion. Allerdings sparen diese Untersuchungen in aller Regel die Argumente im Zusammenhang mit dem Konfuzianismus aus oder handeln sie sehr kurz ab. Liang Kun, der die früheste mir bekannte Untersuchung zur Literatur der Tongcheng-Schule schrieb (1940), bestätigt im achten Kapitel die Verwurzelung der Tongcheng-Gelehrten in der songzeitlichen daoxue, und im neunten Kapitel wird Fang sogar erwähnt, allerdings erlaubten weder der gewählte Umfang noch die Argumentationstiefe Liangs eine über die blosse Aufzählung hinausgehende Beschäftigung mit Fangs Schrift (Liang Kun 1940, 12–14). Ma Jigao wiederum stellt die Literatur mit der Auseinandersetzung z­ wischen songxue und hanxue in Zusammenhang. Er geht auch von der Existenz einer Tongcheng-Schule aus,22 allerdings geht er nicht auf Fang Dongshu ein. Die Unter­ nterkapitel, suchung Ye Longs aus dem Jahr 1998 widmet Fang Dongshu ein U

21 Zhongguo Jingxue Shi Jiangyi 中國經學史講義 (Diskutierte Ansichten zur Geschichte der chinesischen Klassikergelehrsamkeit): Es gibt Nachdrucke durch Zhonghua Shuju aus den Jahren 1954 und 1982 nach einer Vorlage aus der Republikzeit, erschienen in der Shangwu Yinshu GuanReihe Guoxue Jiben Congshu. 22 Tatsächlich differenziert Ma sogar zwischen einer Lyrik- und einer Prosaschule (Tongcheng shi pai 桐城詩派 und wen pai 文派) (Ma Jigao 1996, 139–148).

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erörtert dort allerdings nur seine literaturkritische Schrift Zhaomei Zhanyan (Ye Long 1998, 179–182). Die beiden für die vorliegende Studie ebenfalls betrachteten älteren Monographien, der Sammelband Tongcheng Pai Yanjiu Lunwen Ji von 1963 und die Materialsammlung mit dem Titel Tongcheng Pai Wenxuan von Qi Xubang und Wang Kaifu aus dem Jahr 1984 versuchen, alle Aspekte der ­Gelehrten aus Tongcheng zu berücksichtigen. Im Sammelband wird auf die philosophischen Anliegen gewisser Repräsentanten eingegangen, wenn auch aus stark marxistischer und damit wenig distanzierter Perspektive. Die Versuche, sich für den Cheng-Zhu-Konfuzianismus einzusetzen, werden als unverständliches Festhalten am Feudalsystem gegeisselt, und somit versuchen die verschiedenen Autoren nicht wirklich, den Motiven der Zeit auf den Grund zu gehen. In der von Qi Xubang und Wang Kaifu zusammengestellten Textsammlung der Tongcheng-Tradition wird er mit zwei Texten zitiert, darunter das wichtige Nachwort zum Hanxue Shangdui. Hier wird er also mit seiner Schrift zum Konfuzianismus als Teil der Tongcheng-Schule angesehen und entsprechend behandelt (Qi und Wang 1984, 261–269). Als letzte Forschungsarbeit muss die einzige mir bekannte Untersuchung in einer westlichen Sprache genannt werden, die auf die Ausrichtung der Tongcheng-Schule eingeht: Anhang A von David Pollards Studie über Zhou Zuoren von 1973. Dort begibt sich Pollard auf die Suche nach der Essenz der Tongcheng-Schule und er versucht, den literarischen wie den weltanschaulichen Grundlagen auf die Spur zu kommen. Sein Ansatz bringt ihn relativ weit, auf jeden Fall erscheinen seine dort gemachten Aussagen auch heute noch vollständig glaubhaft. Leider beschränkt er sich völlig auf Fang Bao, Liu und Yao, die drei bekannten Repräsentanten der Schule, und die Schülergeneration Yao Nais bleibt praktisch unerwähnt. Fang Dongshu wird immerhin mit einem kleinen Zitat wiedergegeben, in dem er sich zur richtigen Haltung der Gelehrten äussert (Pollard 1973, 149). Die jüngste Untersuchung zum Thema, Zhou Zhongmings Tongcheng Pai Yanjiu von 1999 ist die erste, die sich bemüht, der Person und dem Schaffen Fang Dongshus gerecht zu werden. In dem kurzen Überblick über die literarischen, politischen, weltanschaulichen und schulspezifischen Spezifika Fangs zeichnet der Autor ein m.E. neutrales und ausgewogenes Bild, das erstmals versucht, Fang als einen Teil seiner Schultradition, aber auch der historischen Umstände zu verstehen (Zhou Zhongming 1999, 264–277). In der westlichen Forschung ist mir nur von Kent Guy eine knappe Bemerkung zu diesem Thema bekannt. Er bezieht es allerdings nicht auf eine „Schule“ wie die aus Tongcheng, sondern generell auf den Begriff der Schulrichtung, wie hier die Schule der hanxue und ihre Gegner von der songxue: „To refer to these two intellectual orientations as schools may be to exaggerate their differences, for they were never really institutionalized, and shared many common assumptions.



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It may be more accurate to regard the Sung learning as a counteractive tendency which arose from the midst of the Han learning“ (Guy 1987, 140). Schliesslich gibt es in Japan in Form der extensiven Studie Hamaguchi Fujios 濱口富士雄 aus dem Jahr 1996 eine Monographie, welche trotz ihrer grundsätzlich auf die Geschichte der Gelehrsamkeit zielenden Ausrichtung in ihrer Behandlung der Motivation Fangs sowohl die literarischen als auch die geistesgeschichtlichen Aspekte mit einbezieht. Entsprechend wird er dort als Mitglied der Tongcheng wen pai, aber auch der lixue pai 理學派 behandelt (Hamaguchi 1996, 590). In einer früheren Arbeit dieses selben Autors argumentierte er, dass sich Fang Dongshu gegen die sozialzersetzenden Tendenzen in den Arbeiten der hanxue wehrte. Unter Tongcheng-Gelehrten wurde daher eine verstärkte Rolle des Staates gefordert, und eine neue Auffassung der Staatlichkeit, in der diese eben auch gesellschaftliche Aufgaben wahrzunehmen hat (Hamaguchi 1978, sowie Guy 1987, 141).

Die Vorläufer der Tongcheng-Schule Hamaguchis Ansatz, sowohl der literarischen als auch der moraltheoretischen Seite der Schule Rechnung zu tragen, ist nach meinem Dafürhalten der einzig wirklich erfolgversprechende. Erst wenn Fang Dongshus Hanxue Shangdui als ein Produkt einer spezifischen Konstellation an den Schnittpunkten von Literatur und Philosophie, von Gelehrsamkeit und Politik gesehen wird, ist es möglich, die Verpflichtung des Autors gegenüber der Tradition adäquat darzustellen. In diesem Abschnitt sollen zuerst die Beiträge der Vorgänger Fangs zum Gelehrtendiskurs der kangxi- und yongzheng-Ära beschrieben werden, da diese die Grundlage errichteten, auf der Ausbildung und persönlicher Werdegang Fangs eigenes Gedankengebäude entstehen liessen.

Fang Bao Nach allgemeiner Auffassung begann die Tongcheng-Schule mit Fang Bao. Er war ein hervorragender Gelehrter mit Wurzeln in Tongcheng, der aber hauptsächlich in Nanjing und Peking lebte. Als junger Mann wurde er von seinem Vater und seinem älteren Bruder Fang Zhou 方舟 (1665–1701) unterrichtet. Er wurde erster bei der Provinzprüfung 1699 und 1706 mit 38 Jahren jinshi (Tongcheng Xu Xiu Xuan Zhi 1963, 1:195). In der Regierungsperiode qianlong sollte er den wichtigen Auftrag erhalten, aus Prüfungsaufsätzen im Stile des bagu wen („achtfüssiger Aufsatz“) eine Anthologie von beispielhaften Texten dieser Gattung zusammenzustellen. Diese wurde unter kaiserlicher Aufsicht 1739 unter dem Titel Qinding

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Si Shu Wen 欽定四書文 veröffentlicht und wurde zu einem wichtigen Wegweiser für die Vorbereitungen zu den Beamtenprüfungen. Doch ehe er diese wichtige Aufgabe erfüllen konnte, ereignete sich ein Bruch in der Biographie des Fang Bao, welcher einerseits Yao Nais Konzentration auf Fang Baos Person als Ahnherr der Tongcheng-Schule erklärt, andererseits aber auch für Fang Dongshus Einstehen für den Cheng-Zhu Konfuzianismus ein Grund gewesen sein mag. Dieser Bruch ist der als Nanshan Ji Yu 南山集獄 bekannt gewordene Fall.23 In der literarischen Sammlung Nanshan Ji Ou Chao 南山集偶鈔, benannt nach einem Pseudonym des Tongcheng-Gelehrten Dai Mingshi 戴名世 (1653–1713), wurde die Nennung einer Regierungsdevise gefunden, die von der so genannten südlichen Ming verwendet wurde. Das heisst, dass für Jahre, welche später als die Etablierung der Qingdynastie 1644 waren, Bezeichnungen von Regierungsdevisen des nach Süden flüchtenden übriggebliebenen Minghofes verwendet wurden. Die Forschung ist im Allgemeinen der Ansicht, das die Nennung der Devise durch Dai weniger ein Akt politischer Loyalität zur untergangenen Dynastie gewesen war als der Ausdruck historischer Akkuratesse. Trotzdem wurde in der Regierungsperiode kangxi, einer Phase der Festigung der neuen Dynastie, dieser Tabubruch als ein Hinweis auf Widerstand gewertet und Dai Mingshi 1711 gefangen genommen und exekutiert.24 Fang Bao, mit Dai seit jungen Jahren befreundet,25 geriet ebenfalls ins Zwielicht der Verdächtigung, weil er das Vorwort zu Dais literarischer Sammlung verfasst hatte, bzw. weil es ihm zugeschrieben wurde. Fang blieb zwar das Schicksal seines Freundes erspart,26 aber er wurde mitsamt seiner Familie versklavt. Fang

23 Der Fall des Nanshan Ji Yu ist möglicherweise der bekannteste Fall von Gelehrtenrepression in der Qingzeit. Er ist wohl dokumentiert, weshalb hier nur eine kurze Erwähnung der zentralen Fakten erfolgen soll. Für weitere Lektüre verweise ich auf die Beschreibung des Falles bei Hummel 1943–44, 701. In der vorliegenden Untersuchung soll die Frage, ob es sich um eine ­gerechtfertigte Verfolgung politischer Gegner handelte oder nicht, unberücksichtigt bleiben. Das Interesse gilt den Auswirkungen auf die Tongcheng-Gelehrsamkeit. 24 Anklagepunkte an Dai Mingshi: Im Nanshan Ji wurde auch eine Arbeit von Fang Xiaobiao 方孝標 (?–?, jinshi von 1649), einem weiteren Tongcheng-Gelehrten erwähnt, in der dieser sich – offensichtlich positiv – zur gegen die Qing gerichteten Rebellion des Wu Sangui 吳三桂 (1612– 1678) äussert. Die Leiche Fang Xiaobiaos wurde daraufhin exhumiert und zerstückelt (Hummel 1943–44, 235 & 701). 25 Fang Chao-ying schreibt in der Biographie Fang Baos, dass dieser in Peking Dai Mingshi als Schüler gehabt habe, was aber wohl ein Fehler ist, denn erstens war Fang 15 Jahre jünger als Dai, und zweitens beschreibt Yang Xiangkui, dass seine Ausbildung hauptsächlich in Peking stattgefunden habe (Hummel 1943–44, 235; Yang Xiangkui 1994, 2:468). 26 In der Biographie bei Hummel schreibt Fang Chao-ying, dass sich Li Guangdi 李光地 (1642– 1718) beim Kaiser für das Leben Fangs eingesetzt habe (Hummel 1943–44, 235). Dies bestätigt



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Bao verbrachte die Jahre seiner Gefangenschaft im Kaiserpalast von Peking,27 seine Familie als Sklaven mandschurischer Bannerleute nördlich der Grossen Mauer im Frondienst von 1711–1726. Erst nach dem Tod des kangxi-Kaisers wurde Fang Bao rehabilitiert, ihm wurde 1724 erlaubt, nach Hause zurückzukehren, um seine Mutter zu beerdigen. 1725 ging er erneut nach Peking, wo er seine erfolgreiche Laufbahn als Gelehrter und Kompilator fortsetzte. Unter dem qianlong-Kaiser erfolgte dann der Auftrag zur Kompilation des Qinding Si Shu Wen. Damit war seine Stellung als herausragender Experte für bagu wen gefestigt und sein Weg als Ahnherr der Tongcheng-Schule vorgezeichnet.28 Er wurde aber schon zu Lebzeiten als Meister der guwen-Literatur betrachtet und kompilierte eine weitere Anthologie mit dem Titel Guwen Yuexuan 古文約選 (1733), die eine Zeit lang enorm populär war, weil auch sie als Anschauungsmaterial für die Prüfungen galt. Darin zitierte er Beispiele von berühmten Autoren der Vergangenheit, allen voran die Tang Song ba da jia, aber auch Gui Youguang 歸有光 (1507–1571), einen mingzeitlichen Autoren, aber auch Vertreter von textkritischen Prinzipien.29 Das Guwen Yuexuan war die Grundlage, auf welche Yao Nai später bei der Kompilation seines Guwen Ci Leizuan zurückgriff. Fang Bao übte sicherlich einen starken Einfluss auf die literarische Ausrichtung der späteren Schule aus. Ideologisch allerdings war er weniger stilbildend. Seine literarische Hinterlassenschaft weist ihn als einen Denker mit vielen Aspekten aus, neben den konfuzianischen Einflüssen unterlag sein Denken auch solchen des

On-cho Ng in seiner Studie über Li (Ng 2001, 63–64) und es steht explizit in seiner Biographie (Qingshigao 1998, 3:2643/10270). 27 In der Biographie heisst es, er habe im Nan Shu Fang 南書房, dem kaiserlichen Studierzimmer im Palast, seinen Frondienst verrichtet. Ng schreibt, später sei er in „the imperial studio in the emperor’s country villa“ verlegt worden (Ng 2001, 64). Er zitiert damit die ausführlichere Darstellung in Hummel 1943–44, 235. Mit dem Studio in der „country villa“ ist das Gebäude Meng Yang Zhai 蒙養齋 im Changchun Yuan 暢春園 gemeint. In der Biographie der Dynastiegeschichte heisst es, dass er dort die Werke Yu Zhi Yue Lü 御製樂律 und Suan Fa 算法 kompiliert habe. Zu den Bedingungen der Gefangenschaft vgl. die Übersetzung von Fangs Bericht „Aufzeichnungen aus dem Gefängnis“ in Der Ruf der Phönixflöte (Schwarz 1988, 2:639–643). Ich danke Achim Mittag, der mich auf diese Übersetzung aufmerksam machte. 28 Fang hatte auch Gegner, so sind Aussagen von einem der führenden Gelehrten der Textkritik Qian Daxin 錢大昕 (1728–1804) überliefert, der ihn für zu wenig gelehrt und für literarisch minderwertig hielt. Er setzte ihn literarisch mit dem populären, aber wenig Authorität reklamierenden Jin Shengtan 金聖嘆 (1610–1661) gleich. Auch Fang Baos Bruder Fang Zhou war ein anerkannter Experte für bagu-Aufsätze. Er verbrannte allerdings vor seinem Tod 1701 alle seine Manuskripte, so dass seine Schriften nicht überliefert werden konnten. 29 Ye Long 1998, 8 nennt ein Werk mit dem Titel Gui Fang Pingdian Shiji 歸方評點史記 (Von Gui und Fang kommentierte und interpungierte Ausgabe des Shiji), welches eine gemeinsame Ausgabe des Shiji von beiden Autoren darstellt.

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Buddhismus und des Daoismus. Es finden sich hier Aspekte des spätmingzeitlichen Synkretismus. Aber die beiden Säulen seiner Gedankenwelt bleiben der Buddhismus und der xinxue-Konfuzianismus, dem er sich gegen Ende seines Lebens wieder zuwandte (Yang Xiangkui 1994, 406–494, speziell 414 u. 426–427). In seinem Beitrag zur Literatur von Tongcheng beschränkte Fang sich nicht nur auf die Kompilation von Anthologien, sondern er verlieh einer alten Forderung neues Gewicht, und beeinflusste damit die Vorstellung von Literatur: Fang Bao entwickelte das aus der Ming stammende Konzept des yifa 義法 weiter, wonach man bei der Lektüre der Schriften auf Inhalt und Form achten müsse.30 Der Ausdruck yifa selbst geht auf Sima Qian zurück, doch in der Ming wurde er zur literaturtheoretischen Grösse. Fang bezeichnet mit dem yi in yifa die Idee, dass ein Autor in seinem literarischen Schaffen sich nicht gegen die Prinzipien der konfuzianischen Moraltheorie, d.h. daoxue stellen solle. Das heisst gemäss Nienhauser nicht, dass alle seine Schriften von Diskussionen der daoxue-­Moraltheorie durchdrungen sein sollten, vielmehr dass der Autor davon durchdrungen sein sollte, was wiederum seine Sichtweise auf die Welt und damit seinen literarischen Ausdruck formen würde (gemäss Nienhauser 1986, 838). Mit fa meint er die Form der literarischen Produktion, welche sich an den genannten Vorbildern aus der Vergangenheit orientieren solle. Diese Vorbilder nehmen alle eine zentrale Stellung ein im Pantheon der chinesischen Literatur wie auch in dem der daoxue. Deshalb ist fest zu halten, dass das Benennen von Vorbildern in der Literatur auch Implikationen im Bereich der weltanschaulichen Domäne hat. Es geht bei Fang Bao um Prosaliteratur, also um wen und er strebt mit seinem Konzept des yifa die Einheit von wen und dao an. In seinen eigenen Worten beschreibt er die Verbindung von yi und fa wie Kette und Schuss des Gewebes: „Der korrekte Inhalt ist wie der Kettfaden, und erst wenn die korrekte Form den Schussfaden dazu bildet, dann kann etwas als fertiggestelltes Textgewebe gelten“ („yi yiwei jing er fa wei zhi, ranhou wei cheng ti zhi wen 義以為經而法 緯之,然後為成體之文“; ZRBQ 756). Die Hevorhebung der Einheit von Inhalt und Form ist eine neuerliche Bestätigung von Zhou Dunyis 周敦頤 (1017–1073) Postulat wen yi zai dao. Gemäss „wen yi zai dao 文以載道“, soll die Literatur ein Vehikel sein, um den Rechten Weg, also die konfuzianische Lehre, zu ­transportieren.31

30 Bei Nienhauser 1986, 497 ist beschrieben, dass sich auch Su Shi für eine Verbindung von yi 意 und fa 法 eingesetzt hat. Demnach erreicht man yi in drei Schritten: „The process of writing, according to Su, consists in (1) learning about objects, (2) understanding their principle and (3) subjectively comprehending them.“ Diese Bewusstwerdung nennt er yi. 31 Die Formulierung wen yi zai dao wird oft fälschlicherweise Han Yu zugeschrieben. Wang Jianying 1987, 1343 führt den Ausdruck zurück auf Zhous Tong Shu 通書, Abschnitt „wen ci 文辭“. Nienhauser zitiert Han Yu mit wen yi ming dao 文以明道 (Nienhauser 1986, 469). Diesen Satz



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Dai Mingshi und die qingzeitliche Wende zur lixue Aus der oben kurz umrissenen Situation erklärt sich von selbst, wieso Yao Nai seinen Vorgänger Fang Bao als Gründerahn gewählt hat: er hat ein einflussreiches Buch im Auftrag des Kaisers kompiliert, er war ein bekannter und einflussreicher Literat und ein letztendlich erfolgreicher Beamter. Alles in allem eine Person, auf deren Verdienste Yao sich sicherlich gerne berief. Im Gegensatz dazu steht der schon erwähnte Dai Mingshi, ein zum Tode Verurteilter und hingerichteter angeblicher Aufrührer. Mögen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe den Tatsachen entsprochen haben oder aus dem tendenziell paranoiden Geist der frühen Qingzeit geboren worden sein, der überall Aufstände und die Gefährdung der MandschuHerrschaft vermutete, wie Zhang Taiyan als Teil der Anti-Mandschu-Agitation des frühen 20. Jhs. argumentierte. Während der Qingzeit kam jedenfalls Dai Mingshi aus politischen Gründen nicht als diejenige Person in Frage, auf die Yao Nai seine Schule zurückführen konnte. Doch dieser hatte der Meinung mancher Forscher zufolge den grösseren Einfluss auf den literarischen Stil und vor allem die ideologische Ausrichtung der späteren Schule, denn bei Dai Mingshi erfolgte die Neuausrichtung der Tongcheng-Gelehrten hin zur lixue, d.h. dem Cheng-Zhu Konfuzianismus, den Fang Dongshu in seinem Werk so vehement verteidigen sollte.32 Ye Long versucht in seiner Studie von 1996 zudem nachzuweisen, dass Dai nicht nur weltanschaulich, sondern auch literaturtheoretisch die bestimmende Person der Tongchenger Lehrtradition gewesen sei. Die Verankerung der Tongcheng-Tradition im Cheng-Zhu Konfuzianismus (also der lixue im Gegensatz zur xinxue) ist keine Selbstverständlichkeit: Die Mehrzahl der Gelehrten aus Tongcheng war noch in der Mingzeit als Autoren der dem Cheng-Zhu Konfuzianismus antagonistisch gegenüberstehenden Strömung der xinxue33 in Erscheinung getreten. Erst mit Dai Mingshi erfolgte, wie

führt Peter Bol 1992, 141, auf Liu Zongyuan zurück. Er gibt das Motto Han Yus, allerdings ausgedrückt durch dessen Schwiegersohn, als wen yi guan dao 文以貫道 (S. 135). Letztlich muss man aber festhalten, dass alle diese Spruchweisheiten dieselbe Haltung ausdrucken, denn ob die Literatur den Rechten Weg nun erhellt, transportiert oder an einer Schnur aufzieht (will sagen: die entscheidenden Aspekte knapp ausdrückt, abgeleitet von Lun Yu 4.15: „wu dao yi yi guan zhi 吾道 一以貫之“), es geht immer um eine Instrumentalisierung der Literatur für ideologische Zwecke. 32 Literatur und daoxue bei Dai Mingshi: Elman deutet an, dass Dai die weltanschauliche Grundlage wichtiger war als die literarische Repräsentation. Er schreibt: „Others, such as Lü Liu-liang, Lu Long-ch’i, and Tai Ming-shih noted the limitations of literary examinations but still defended examination essays as worthy forms to present Ch’eng-Chu orthodoxy. […] Tai Mingshih combined a distaste for civil examinations with a literary career premised on teaching and writing about the style and content of eight-legged essays.“ (Elman 2000, 534). 33 Die xinxue wurde erstmals formuliert durch Zhu Xis Zeitgenossen Lu Jiuyuan 陸九淵 (1139–1193; von seinen Schülern Lu Xiangshan 陸象山 genannt und auch unter diesem Namen

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hier ­dargelegt wird, die Wende zur lixue. Der mingzeitliche Gelehrtendiskurs des Konfuzianismus wurde den geistesgeschichtlichen Darstellungen zufolge von der xinxue dominiert. Als erste belegte Person aus Tongcheng folgte Fang Xuejian 方學漸 (~1540–1615) dieser Lehre. Seine Verwurzelung in der xinxue ist gut dokumentiert. Sie wird beispielsweise durch die Titel zwei seiner Werke bestätigt: Xin Xue Zong 心學宗 und Xing Shan Shi 性善釋. Zur xinxue-Ausrichtung dieser Werke vgl. die Beschreibungen im Siku-Katalog sowie den entsprechenden Abschnitt im Ming Ru Xuean (Zhongguo Congshu Zonglu 1986 2:735; Yong Rong 1965, 814; Huang Zongxi 1990, Faszikel 35:401). Fang Xuejian war der Vater Fang Dazhens 方大鎮 (?–?, jinshi von 1589). Dazhen, 1622 Vizepräsident des obersten Gerichtshofes34 seinerseits zeugte Fang Kongzhao 方孔炤 (1591–1655), der unter seinem Grossvater Xuejian studierte, 1631 zum jinshi wurde und 1638 als Gouverneur von Huguang, dem Gebiet der heutigen Provinzen Hubei und Hu’nan gegen den Rebellenführer Zhang Xianzhong 張獻忠 (1605–1647) unterlag. Kongzhao seinerseits hatte einen Sohn, den bekannten Gelehrten und wichtiges Mitglied der fushe 復社 Fang Yizhi 方以智 (1611–1671).35 Die wichtigen und einflussreichen Figuren der Familie Fang kamen Generation für Generation zu Macht und Ansehen. Sind auch von Dazhen und Kongzhao keine philosophischen Werke überliefert,36 so kann man aufgrund familiärer Bande doch davon ausgehen, dass Fang Xuejians Einfluss auf seinen Enkel erheblich war. Zudem nahm die Kritik an der xinxue erst zu Lebenszeiten Fang Yizhis deutlich zu. Dieser ist als Denker allerdings sowieso ausserhalb dieser Kategorien anzusiedeln, weil er ein solch starkes Interesse an praktischen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen entwickelte, dass er weder der xinxue noch der lixue zuzuschlagen ist.37 Es wird sich wohl nicht zweifelsfrei belegen lassen, aber

­ ekannt). Als konfuzianische Strömung diskursbestimmend wurde sie allerdings erst durch b ihren mingzeitlichen Exponenten, Wang Yangming 王陽明 (1472–1529; ursprünglicher Name Wang Shouren 王守仁) und dessen zahlreiche Schüler. Zu dieser frühen Phase der xinxue vgl. die zahlreichen Darstellungen in den gängigen Philosophiegeschichten, etwa Fung Yu-lan 1953, 572–579 u. 585–592; Forke 1964c, 232–248; oder Shimada 1979, 113–126. Vgl. zudem die Darstellung im Song Yuan Xuean (Huang Zongxi 1986, 3:1881–1936). 34 Oberster Gerichtshof: Diese Übersetzung von da li si 大理寺 geht zurück auf die Angaben bei Hummel 1943–44, 232 sowie Hucker 1985, Nr. 5986. 35 Für eine Einschätzung von Leben und Werk des mingzeitlichen Gelehrten Fang Yizhi vgl. die noch immer aktuellste Spezialstudie zu Fang Yizhi in einer westlichen Sprache: The Bitter Gourd von Willard Peterson aus dem Jahr 1979 sowie die Darstellung bei Yang Xiangkui 1994, 1:406–494. 36 Zu ihren Werken vgl. Zhongguo Congshu Zonglu 1986 3:350–351. 37 Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass Fang Yizhi selbst noch unter dem Einfluss der Lehre Wang Yangmings stand. Wie Yang Xiangkui 1994, 1:414 festhält, zog sich Fang nach dem



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die Hinweise darauf, dass mindestens die Familie Fang bis in die Qingzeit hinein der xinxue-Lehre anhing, sind relativ deutlich. Entsprechend den diskursiven Strömungen und den Darstellungen der Philosophiegeschichten erscheint somit die Annahme gerechtfertigt, dass der in Tongcheng gepflegte Gelehrtendiskurs während der Mingzeit von den Theorien der xinxue bestimmt war. Mit Dai Mingshi erfolgte dann eine Reevaluation der geistesgeschichtlichen, wie auch der literarischen Positionen. Aufgrund der angesprochenen historischen Umstände konnte Dai als verurteiltem Landesverräter dieser Verdienst nie zugesprochen werden, aber schon die Titel seiner Publikationen sprechen die klare Sprache eines Anhängers der Lehre in der Variante von Cheng und Zhu: Im Alter von 56 Jahren begann Dai die Kompilation eines Werkes, welches einzig die Kommentare Zhu Xis zu den Vier Büchern berücksichtigt, und welches im Qing Ru Xuean erwähnt wird: Si Shu Zhu Zi Da Quan 四書朱子大全. Das Buch kursierte zum Ende der Qing in Abschriften, da es noch immer indiziert war (Xu Shichang 1990, 1:914; Zhou Zhongming 1999, 41). Die Orientierung an Zhu Xi drückte Dai im Vorwort unmissverständlich aus: „Die Vier Bücher gab es von der Han bis in die Tangzeit, aber erst, als in der Song die verschiedenen Konfuzianer hervortraten, wurde deren Bedeutung in grossen Masse deutlich. Es begann mit den beiden Meistern Cheng, welche das seit über eintausend Jahren verschüttete Verborgene [der Lehre] von Konfuzius und Menzius herausbrachten. Später kam dann Meister Zhu und seine Gelehrsamkeit war ausserordentlich präzise und fein, so dass die Art, wie er die Bedeutung der Vier Bücher erhellte, auch ausserordentlich differenziert und umfassend war. Obwohl die fein differenzierte Bedeutung und die subtilen Worte in diesen Büchern die ganze Zeit hindurch offen lagen, haben doch erst die Zusammengestellten Kommentare Meister Zhus diese in vollem Ausmass herausgebracht, so dass es nicht angeht, auch nur ein Schriftzeichen hinzuzufügen oder wegzunehmen.“38 Die intellektuelle Ausrichtung auf den Cheng-Zhu Konfuzianismus, die lixue, war aber keine exklusive Idee Dai Mingshis oder der Tongcheng-Gelehrten, sie entspricht, wie bereits in der Einleitung festgehalten, auch dem ­allgemeinen

­ ntergang der Ming und einer Gefangennahme der Mandschus, die ihn nicht für ein Amt unter U der neuen Dynastie gewinnen konnten, in ein Kloster zurück und wurde Mönch. Neben der offensichtlichen Tatsache, dass ein konfuzianisch erzogener Gelehrter, der zum Buddhismus „konvertiert“, offenbar in seiner Gedankenwelt nicht allzu weit davon entfernt war, weist Yang darauf hin, dass das von Fang gewählte Gebiet des Qingyuan Shan 青原山 im westlichen Jiangxi ein Zentrum der xinxue gewesen war. 38 „四書歷漢及唐, 至宋諸儒出而其義乃大明。 蓋自二程子始發孔孟之秘于千載廢墜之餘, 至朱子出而其學尤為純粹以精, 其闡明四書之義者尤為詳密而完備。 雖其精義微言時時見于他 書, 而集注則朱子以為稱量而出,增損一字不得者。“ (Zitiert nach Yang Xiangkui 1994, 2:469).

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Zeitgeist. Der Untergang der Mingzeit wurde den „hohlen“ und „irrelevanten“ Erörterungen mingzeitlicher Konfuzianer angelastet, welche die Sorge und die Verantwortung ums Reich aufgegeben hätten zugunsten irrelevanter metaphysischer Spekulationen. In der Mingzeit sei tatsächliches Studium als weniger wichtig angesehen worden als die Meditation über ein Problem, und der Einfluss des Buddhismus, namentlich des Zen, habe die Konfuzianer von ihrer eigentlichen Aufgabe als Staatsdiener, ja als eigentliche Bewahrer des konfuzianischen Erbes abgebracht, und so das Reich ins Unglück schlittern lassen. Liang Qichao betont die Bedeutung der nördlichen Schule des Pragmatismus und der Theorieverweigerung um Yan Yuan 顏元 (1635–1704) und seinen Schüler Li Gong 李塨 (1659–1733).39 Vor allem aber habe sich Gu Yanwu vehement gegen die xinxue eingesetzt.40 Zhou Zhongming 1999, 25–28 interpretiert diesen Wandel als eine Wende zum Konkreten, nicht unbedingt zur lixue, wobei er die xinxue nicht erwähnt. Die Darstellungen der Geistesgeschichte der Qing diskutieren die folgenden Personen zwar selten, aber mehrere Autoren und hohe Beamte des Reiches der frühen Qingzeit setzten sich ebenfalls für eine stärkere Gewichtung der lixue in der Orthodoxie ein: Li Guangdi 李光地 (1642–1718), Editor verschiedener Werke im Geist der lixue, etwa des Xing Li Jing Yi 性理精義 oder des Zhu Zi Quan Shu 朱子全書, das er auf einen Erlass des kangxi-Kaisers von 1712 kompilierte (vgl. Kai-wing Chow 1994, 165). Zudem war er Kanzler der Hanlin-Akademie (Kessler 1976, 141).41 Ein weiterer Gegner der xinxue war Zhang Erqi 張爾岐 (1612–1678) ein Freund Gu Yanwus, der zurückgezogen lebte. Er war ein Spezialist für die Ritenklassiker (vgl. Yang Xiangkui 1994, 371–420). Carsun Chang, der auch unter seinem c­ hinesischen Namen Zhang Junmai 張君勱 (1887–1969) bekannt

39 Eine ausgezeichnete Einführung in die Gedanken Yan Yuans und seiner Schulrichtung gibt Mansfield Freeman in seiner Übersetzung von Yan Yuans Cun Xue Bian 存學編 (vgl. Yan Yuan 1972). 40 Die Einschätzung Gu Yanwus als „Ahnherrn der qingzeitlichen Gelehrsamkeit“ (清學祖) ist problematisch, weil Dai Zhen und später Zhang Taiyan und die Protagonisten des Vierten Mai Gu als Ahnherren der Wende zur „Wissenschaftlichkeit“ ausgewählt haben, und in ihm den hauptsächlichen Repräsentanten der „Renaissance“ ausgemacht haben. Da passte es nicht, dass Gu Yanwu sich vehement für den Cheng-Zhu Konfuzianismus ausgesprochen hatte, der ja sowohl Dai Zhen wie auch dem „Vierten Mai“ als hauptsächlicher Gegner erschien. Somit wird die Wende gegen die xinxue häufig als eine Wende zur Wissenschaftlichkeit und gegen den Konfuzianismus insgesamt verstanden. Das Hanxue Shangdui stellt Gu Yanwu eindeutig in einem anderen Licht dar. 41 Zu Li Guangdi vgl. die Monographie von On-cho Ng aus dem Jahr 2001. Es war auch Li, der sich für die Umwandlung der Bestrafung Fang Baos einsetzte und ihm so die Arbeit in der kaiserlichen Bibliothek nanshu fang ermöglichte.



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ist, nennt in seinem Development of Neo-Confucianism in diesem Zusammenhang noch die folgenden Personen: Zhang Lüxiang42 張履祥 (1611–1674), wie Huang Zongxi ein Schüler von Liu Zongzhou, der sich von diesem abwandte und die xinxue kritisierte. Lu Shiyi 陸世儀 (1611–1672),43 ein weiterer Schüler Liu Zongzhous sowie die prominenten Gelehrten-Beamten der frühen Qing Zhang Lie 張烈 (1622–1685), Lu Longji 陸隴其 (1630–1692) und Zhang Boxing 張伯行 (1651–1725).44 Zhang kompilierte oder verfasste die Werke Jinsilu Jijie 進 思錄集解, Xingli Zhengzong 性理正宗, Zhuzi Wenji 朱子文集 sowie die Wang Yangming-kritische Schrift Wang Xue Zhi Yi 王學質疑. (Carsun Chang 1962, 317–335). Deshalb wie oben bereits festgehalten: die frühe qingzeitliche Geistesgeschichte, die im 20. Jh. vornehmlich als „Renaissance“ und „Wende zur Wissenschaftlichkeit“ interpretiert wurde,45 lässt sich ebenso auch als Rückbesinnung auf den ­songzeitlichen Konfuzianismus interpretieren. Die Kritik an Zhu Xi, welche letztlich Fang Dongshu zum Verfassen seines Werkes Hanxue Shangdui veranlasste, kam erst in den 1750er Jahren mit Dai Zhen auf. Die Regierungsperioden kangxi und yongzheng waren geprägt von einer Neuorientierung der konfuzianischen Gelehrten auf die Songzeit. Insofern lässt diese sich als „Renaissance“ verstehen, nur war es noch nicht die Wiedergeburt der Han-, sondern der Songzeit.

42 Sowohl bei Hummel als auch bei Carsun Chang wird der Vorname Zhang Lüxiangs als „Lihsiang“ angegeben, aber keines der konsultierten Wörterbücher nennt für das Schriftzeichen 履 eine gleichberechtigte Lesung li (HYDCD 4:55; HYDZD 1993, 412; Ricci 2001, 4:256, Nr. 7485). Im Ricci wird die Lesung li als „alte Aussprache“ angemerkt, im HYDZD, Bedeutung 15, wird das Schriftzeichen, gestützt auf das Er Ya als Lehnschreibung für li 釐 in der Bedeutung „Glück“ ausgewiesen. Nun ist es denkbar, dass lü in Verbindung mit dem folgenden xiang 祥 li ausgesprochen wird, aber dies bleibt eine Mutmassung. 43 Zu Lu Shiyi vgl. auch Yang Xiangkui 1994, 1:601–639, wonach Lu zwar eindeutig die lixue zur Grundlage seines Denkens machte, aber gegenüber der xinxue nicht so kritisch war wie andere. 44 Lu Longqi und Zhang Boxing: Zu diesen beiden Gelehrten vgl. auch Yang Xiangkui 1994, 1:640–698. 45 Zur Wissenschaftlichkeit vgl. etwa folgenden Absatz zu Lu Longqi in Hummels Eminent Chinese of the Ch’ing Period: „Lu Longqi always upheld the philosophy of Chu Hsi and denounced that of Wang Shou-jên (see under Chang Li-hsiang) as his writings on the Five Classics and the Four Books show. He belonged to the movement known as Sung hsiieh, or „Sung Learning“, which was sponsored by influential officials at court and by the Emperor in the hope of discrediting the type of thought that prevailed at the close of the Ming dynasty. The Sung hsüeh reached its culmination in the first three decades of the eighteenth century, after which the more scientific study of the classics, known as Han-hsüeh, or „Han Learning“, became popular. (Hummel 1943–44, 547–548)“. Hier zeigt sich deutlich die feindliche Voreingenommenheit gegenüber der songxue, vor allem aber die überaus positive Interpretation der hanxue.

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Diese Rückbesinnung auf die Song drückte sich auch im rituellen Bereich aus: 1712, also im Jahr zwischen der Verhaftung und der Exekution Dai Mingshis, verfügte der kangxi-Kaiser, dass Zhu Xi im konfuzianischen Tempel eine andere Stellung einnehmen solle: die Ahnentafel wurde von der relativ grossen Gruppe der „früheren Konfuzianer“ (xian ru 先儒) in die exklusive Gruppe der „Zehn Weisen“ (shi zhe 十哲) umgeteilt.46 Diese Apotheose des songzeitlichen Exegeten sandte das deutliche Signal aus, dass der Stern der xinxue im Sinken begriffen war, während der lixue erneut die dominante Position im konfuzianischen Firmament zugewiesen wurde. Es ist deswegen zu berücksichtigen, dass neben den angesprochenen Veränderungen innerhalb der intellektuellen Gemeinschaft der Gelehrten auch die Staatsmacht die lixue als staatliche Orthodoxie förderte. Von den Tongcheng-Gelehrten war Dai Mingshi der erste, welcher von dieser Strömung erfasst wurde und der den Wandel hin zur lixue vollzog.47 Somit war den Tongcheng-Gelehrten das Festhalten an Zhu Xi bereits durch Dai Mingshi vorgegeben. Fang Bao wurde bereits im Geiste der lixue erzogen. Doch auch Fang Baos Biographie mit diesem schrecklichen Bruch der Verdächtigung, Verurteilung und Versklavung seiner Familie sowie der wenig zimperliche Umgang mit seinem möglicherweise unabsichtlich beschuldigten Freund Dai Mingshi müssen ihren Eindruck auf die Gelehrten Tongchengs hinterlassen haben. Die daraus gezogene Lehre kann nur gelautet haben, dass sie nicht gut beraten wären, sich von der intellektuellen Ausrichtung des Hofes zu entfernen.48 Der vom ­Kaiserhof

46 Zu Zhu Xis neuem Status im Tempel vgl. Wilson 1995, 62–63. Die Verfügung ist verzeichnet in der Dynastiegeschichte der Qing, 51. Jahr kangxi-Regierung (Qingshigao 1998, 1:128, ZHSJ-­ Ausgabe 2:281): „五十一年 […] 二月丁巳, 詔宋儒朱熹配享孔廟, 在十哲之次。“. 47 Nach einer im persönlichen Gespräch geäusserten Meinung von Dr. Xu Jie 許結, einem Literaturwissenschaftler, der 2001 noch an der Universität Nanjing lehrte und über die TongchengTradition gearbeitet hat, war Dai Mingshi der Schüler von Fang Yizhi 方以智 (1611–1671). Dies lässt sich leider nicht bestätigen, denn die Redaktoren der Lokalchronik Tongchengs wagten es nicht, Dai Mingshi in Form einer Biographie zu erwähnen. Fang seinerseits hat sich bekanntlich mit einer Reihe von wissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigt, scheint aber die xinxue nicht abgelehnt zu haben, denn in seiner Biographie in der Lokalchronik von Tongcheng heisst es: „er erklärte die lixue-Schrift Xinxue Zong, die vor vier Generationen in der Ming geschrieben worden war, mit einer Weiterführung“ („闡明四世理學著心學宗續編“) (Tongcheng Xuxiu ­Xuanzhi 2:514–515). Yang Xiangkui zitiert in seiner Darstellung Dais gewisse Passagen aus seinen Schriften, welche seine Verbundenheit mit der lixue zum Ausdruck bringt, aber diese gleichzeitig rechtfertigt (Yang Xiangkui 1994, 2:469. Zu Fang Xuejian: Mingru Xuean Rolle 35, S. 401. 48 Es könnte natürlich auch sein, dass Fang während seiner Jahre im Nan Shu Fang einfach von der Persönlichkeit des kangxi-Kaisers überzeugt wurde. Die hier vermutete Geisteshaltung lässt



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und der Hanlin-Akademie vorgegebene Weg der Orthodoxie, und damit der ­konfuzianische Diskurs, richtete sich zu Beginn der Qing weg von der xinxue und richtete sich neu aus. Diese Ausrichtung des Hofes und damit der konfuzianischen Orthodoxie blieb die gesamte Zeit der Dynastie über auf den ChengZhu Konfuzianismus. Noch 1906 wurde den Opfern im konfuzianischen Tempel der Status von Staatsopfern zuerkannt, bei denen der Kaiser höchstpersönlich opfert, nachdem er gefastet und sich gereinigt hat (Wilson 1995, 28). Es scheint allerdings, als sei der Einfluss Fang Baos auf die Gelehrten seiner Heimatstadt Tongcheng vornehmlich im literarischen Bereich anzusiedeln und weniger im philosophischen. Möglicherweise hat ihn seine Erfahrung auch zur Schlussfolgerung veranlasst, dass man sich nicht allzu sehr in philosophischen Grabenkämpfen exponieren solle. Ob es nun Anpassung an die offizielle Staatsdoktrin oder Desinteresse war, die Schriften Fang Baos präsentieren beredtes Schweigen in philosophischen Dingen. Seine Schriftensammlung ist in der Abteilung „philosophische Essays“ (lunshuo 論說) eher dürftig ausgestattet und die meisten diese Essays nehmen sich historische Persönlichkeiten zum Thema. Lediglich „yuan ren“ 原人 („Über die Menschen“) in zwei Teilen und „yuan guo“ 原過 („Über die Fehler“) erinnern an philosophische Essays, aber sie bleiben in ihrer Behandlung des Subjekts oberflächlich.

Zusammenfassung Wie die obigen Ausführungen gezeigt haben, kann man zwar bis zu Yao Nai noch nicht von einer Tongcheng-Schule sprechen, aber es gibt dennoch eine Gelehrtentradition, die den Angehörigen der Gentry-Klasse dieser Stadt in Anhui eigen war. Diese Tradition existierte bereits in der Mingzeit, aber ihre spezifische, für die im Zusammenhang mit Fang Dongshu wichtig werdende Ausrichtung erfuhr sie zu Beginn der Qingzeit. Im Zusammenhang mit dem über Schulrichtungen hinweg wahrnehmbaren Bestreben nach Realitätsnähe und Sachbezogenheit gaben zwei Tongchenger Gelehrte eine neue Richtung vor: Dai Mingshi richtete die weltanschauliche Grundlage neu nicht mehr nach Wang Yangming und der xinxue aus, sondern er ging zurück zu den lixue-Meistern der Songzeit, allen voran Cheng Yi und Zhu Xi. Fang Bao, auf der literarischen Seite, vertrat das bereits in der Ming vereinzelt geäusserte Anliegen, Literatur wieder als Einheit von Inhalt und Form zu betrachten. Um dies zu erreichen, verlangte Fang Bao, sich wieder an den Vorbildern der sog. guwen-Literatur auszurichten. Die Forderung nach yi und fa als

mit einer Reihe von Schriften Fangs belegen. Vgl. etwa sein Vorwort zu Guwen Yuexuan 古文約選 in Fang Wangxi Quanji 1965, 303–304.

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Grundlagen literarischen Schaffens waren allerdings zu wenig konkret, so dass sie nur als Vorläufer der Literaturtradition von Tongcheng betrachtet werden können. Erst eine Generation nach Fang Bao sollte in Tongcheng in Form von Liu Dakui ein Mann geboren werden, welcher die von Fang angemahnte Wende vollendete und Tongcheng zum Symbol eines literarischen Ideals werden liess.

Literatur der Tongcheng-Schule Prosa: guwen-Literatur Die beiden Gelehrten, die Yao Nai in Guwen Ci Leizuan als stilbildend für die Tongcheng-Tradition angab, sind ausser Fang Bao vor allem Yao Nais zweiter Lehrer, Liu Dakui 劉大櫆 (1697/98 (?)–1779).49 Auf diese beiden geht die Formulierung des Charakteristikums zurück, mit welchem die Tongcheng-Schule für gewöhnlich in Zusammenhang gebracht wird: Die Rückbesinnung auf die guwenLiteratur.50 Mit dem Begriff der guwen-Literatur wird eine bestimmte Art der Prosaliteratur assoziiert, die in der späten Tangzeit aufkam, und sich an den grossen Prosatexten der Vergangenheit, also an Sima Qians 司馬遷 (145–86) Shi Ji 史記, am Chunqiu-Kommentar Zuo Zhuan 左傳 sowie an dessen Schwestertext Guo Yu 國語 orientierte. Sie distanzierte sich von den stark formalisierten literarischen Texten im Stil des pianwen, des „Parallelstils“, der in der frühen Tang Standard gewesen war.51 Die Bewegung zur guwen-Literatur wird in der Regel mit dem tangzeitlichen Schriftsteller Han Yu 韓愈 (768–824) in Zusammenhang gebracht, der diesen Stil pflegte und damit eine weitere Rückkehr zu einem früher gepflegten

49 Fang und Liu als Urheber der Tradition: Es sei erneut darauf hingewiesen, dass Yao Nai nicht völlig frei war in der Auswahl seiner Vorbilder, da Dai Mingshi als zum Tode Verurteilter nicht genannt werden durfte. 50 Der Begriff guwen bezeichnet in der chinesischen Geistesgeschichte neben dem hier ­beschriebenen Literaturterminus noch einen der Klassikerwissenschaften. Guwen steht dabei im Gegensatz zu jinwen 今文 für die Klassiker in der Alttext- bzw. Neutext-Variante, will sagen, im alten Schriftstil der Qinzeit oder dem neuen Schriftstil der Hanzeit. Hierbei geht es um zwei unterschiedliche Varianten der wichtigsten Klassiker, also vorderhand um eine textkritische Meinungsverschiedenheit (vgl. Feifel 1982, 139–141). Gleichzeitig geht es aber auch um politische Fraktionen der Hanzeit und ihre Einflussnahme auf die Politik, welche sie mit Klassikerzitaten der Alttext-, bzw. Neutext-Klassiker zu untermauern trachteten, wie van Ess 1993 gezeigt hat. Die Kontroverse zwischen Alttext- und Neutext schien zum Ende der Qing erneut aufzuflammen, aber weder hatte diese Kontroverse die Zeit, sich zu entwickeln, noch teilte sie mit der historischen Parallele der Han mehr als den Namen (vgl. hierzu Nienhauser 1986, 468–469). 51 Pianwen 駢文: vgl. hierzu Nienhauser 1986, 656–660.



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Stil in der chinesischen Geistesgeschichte einläutete.52 In einem Akt der Kanonisierung wurden durch Mao Kun 茅坤 (1512–1601) acht Schriftsteller der Tang- und Songzeit zu den Tang Song [guwen] ba da jia 唐宋[古文]八大家, den „acht Meister [der guwen-Literatur] der Tang- und Songzeit“ zusammengefasst. Es sind dies neben Han Yu als weiterer Vertreter der tangzeitlichen Literatur Liu Zongyuan 柳宗元 (773–819) sowie die songzeitlichen Literaten Ouyang Xiu, Wang Anshi 王安石 (1021–1086), Zeng Gong 曾鞏 (1019–1083). Ausserdem werden drei Vertreter der Familie Su dazugerechnet, Su Shi sowie dessen Vater Su Xun 蘇洵 (1009– 1066) und Bruder Su Zhe 蘇轍 (1039–1112).53 Neben dem sich an Shi Ji, Han Shu und Guo Yu orientierenden literarischen Ausdruck war eine weitere Eigenschaft der guwen-Bewegung die nicht vollzogene Trennung von wen 文 und dao 道. Gemäss Zhou Dunyis Forderung wen yi zai dao, gehörten in der Vorstellung der späten Tang- und Nördlichen Songzeit wen und dao untrennbar zusammen. Ein im konfuzianischen Sinne „Edler“ schreibt keine Literatur um ihrer selbst willen, sondern er bringt mit literarischen Äusserungen auch seine richtige innere Haltung zum Ausdruck.54 Die innere Haltung ist das Produkt einer Kultivierung der eigenen Persönlichkeit, deren Äusserungsform gegenüber anderen ist die literarische Form. So war es eines der deutlichsten Merkmale der guwen-Literatur, literarische Komposition und ideologisches Anliegen zu verquicken, bzw. beide als unterschiedliche Formen derselben Grundlage zu betrachten. Wie Peter Bol im Kapitel zu Cheng Yi seines This Culture of Ours deutlich macht, wurde genau diese Verknüpfung zwischen literarischem Ausdruck und ideologisch korrekter Gesinnung, sprich innerer Kultivierung, mit Cheng Yi aufgelöst. Den Denkern der Südlichen Songzeit, allen voran Zhu Xi, galt die innere Kultivierung als höchstes Ideal. Der literarische Ausdruck wurde von der verehrten Manifestation der Innerlichkeit zum schmückenden Zierrat

52 Zu guwen als Literaturströmung vgl. den ausgezeichneten Eintrag bei Nienhauser 1986, 494– 499 sowie Peter Bols This Culture of Ours, in dem Han Yu, Ouyang Xiu, Wang Anshi und Su Shi mit ihren jeweiligen Anliegen detailliert erörtert werden. 53 Wie Kanonisierungen dies so an sich haben, schliessen sie nicht nur eine Gruppe als Einheit zusammen, sie schliessen immer auch gewisse mögliche Mitglieder aus. Im vorliegenden Fall der Acht Meister der guwen-Literatur hätte etwa Wang Anshis Widersacher Sima Guang 司馬光 (1019–1086) von seinen literarischen Werken her sicherlich auch aufgenommen werden können. 54 Auch Haft und Idema schreiben in ihrem Guide to Chinese Literature: „In traditional China, literature was supposed to be true: to be a correct depiction of the moral situation and the feelings it evoked. Literature could fulfill its task of general edification only if what it taught was the truth.“ (Idema und Haft 1997, 52).

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umgewertet. Dies führte zu einer Trennung der Intellektuellen in Literaten und ­Philosophen.55

Liu Dakuis Theorie In der qingzeitlichen Tongcheng-Schule wurde versucht, das alte Ideal der Verzahnung von wen und dao wieder aufleben zu lassen, wie auch an Fang Baos Forderung nach Form (fa) und Inhalt (yi) zu sehen war. Der „literarische“ Aspekt der Tongcheng-Gelehrsamkeit ist also mehr als nur Literaturtheorie, er zeigt deutliche politische und weltanschauliche Implikationen, denn die literarische Äusserung wurde letztlich nur als Ausdruck der inneren moralischen Haltung betrachtet. Diese Verknüpfung von Literatur und moralischer Grundhaltung erfolgte nach dem Vorbild der guwen-Literatur der Tang- und Songzeit. Der Impetus, der guwen-Literatur neues Leben einzuhauchen, geht auf genannten Liu Dakui zurück. Wie später Fang Dongshu, war auch Liu selbst bei den Prüfungen nicht erfolgreich gewesen, und blieb daher zeitlebens ein Privatmann. Es ist lediglich der Fürsprache Fang Baos zu verdanken, dass er sich im Reich einen Namen machen konnte. Wie Fang Bao kompilierte auch er eine Anthologie, seine unter dem Titel Tang Song Ba Jia Yuexuan 唐宋八家約選 (Ye Long 1998, 8). Im Bereich der Literaturtheorie verfasste er das Werk Lunwen Ouji 論文偶記 und entwickelte in diesem eine von Fang Bao abweichende Literaturtheorie, in der aber ebenfalls sowohl die äussere Form wie auch der Inhalt eines literarischen Werkes eine Einheit bilden. Verglichen mit der Forderung nach den zwei Grössen yi und fa war Lius Bestimmung von literarischen F ­ aktoren differenzierter: Er unterschied die folgenden drei dualen Komponenten, welche er für literarische Schaffenskraft als unabdingbar ansah: shen 神 und qi 氣, yin 音 und jie 節 sowie zi 字 und ju 句: Geist und Kraft, Intonation und Rhythmik, Zeichen[bedeutung] und Grammatik. Im literarischen Ausdruck gilt das erste Paar als das feinste und das letzte als das grobste. Laut Liu muss man sich als Student der Prosaliteratur vom letzen Paar über das mittlere zum ersten durcharbeiten.

55 In dieser Art von Darstellung wird ein wichtiges Beschäftigungsfeld der Gelehrten oftmals übersehen: die Politik. Für einen nicht unerheblichen Teil der Gelehrten war die Beamtenlaufbahn Ziel ihrer Ausbildung. Auch Tongcheng brachte eine Reihe erfolgreicher Beamter hervor, allerdings erlangte der als politisch-ökonomischer Zweig betrachtete Aspekt der TongchengGelehrten erst mit Yao Nais Schüler Yao Ying 姚瑩 (1785–1853) seine Ausprägung, speziell nach dem Opiumkrieg 1840 (Huters 1987, 71; Zhou Zhongming 1999, 277–300). Diesem staatstragenden Flügel der Tongcheng-Gelehrten fühlte sich dann auch Zeng Guofan zugehörig (Zhou Zhongming 1999, 338–353). Dieser Aspekt der Tongcheng-Gelehrsamkeit soll in der vorliegenden Studie allerdings nicht berücksichtigt werden, da er in Fang Dongshus Kritik keine Rolle spielt.



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Erst die Beherrschung des grundsätzlicheren Paares lässt eine Ausbildung im Bereich der höherrangigen Begriffe sinnvoll erscheinen. Die ersten beiden Komponenten zi und ju bilden dabei das sprachliche Grundgerüst, welches zunächst gemeistert werden muss. Es sollen die richtigen Wörter gewählt werden und die Sätze syntaktisch korrekt gebildet werden. Auf dieser Grundlage ist eine Ausbildung in den literarisch anspruchsvolleren Feldern der Intonation und der Rhythmik sinnvoll. Sind diese ebenfalls verinnerlicht, ist man also im literarischen Handwerk sattelfest, dann erst wird der Versuch, Geist und Kraft in die eigenen Schrifterzeugnisse zu bringen, sinnvoll. Hier klingen Parallelen zu den Forderungen der textkritischen Schulen an, welche zum korrekten Verständnis der Klassiker auch dafür werben, erst die sprachlichen Grundlagen zu festigen, um dann die philosophischen Botschaften der kanonischen Texte anzugehen (vgl. etwa Dai Zhens Aussage zu Beginn der siebten Kontroverse). Der Unterschied zwischen dem Versuch, die antikchinesischen Klassiker zu verstehen auf der einen, und dem systematischen Aufbau selbst verfasster Literatur am Vorbild des Altertums auf der anderen Seite ist aber zu gross, als dass man Liu Dakuis schrittweise Annäherung als Verbeugung vor den Forderungen der kaozhengxue verstehen sollte. Zudem ist die Betonung der philologischen Wissenschaften keine exklusive Forderung der Textkritiker, waren doch die songzeitlichen Gelehrten ebenfalls davon überzeugt, zuerst die Texte zu sichern und erst dann die Inhalte zu interpretieren.56 Vielmehr drängen sich Parallelen zu Fang Bao auf, indem sich nämlich Liu für ein Erreichen des yi durch die umfassende Beherrschung des fa einsetzt, um in Fang Baos Terminologie zu bleiben. Allerdings differenzierte Liu feiner, indem er Fangs fa in mehrere konkretere Begriffe aufteilt, während er das yi durch eine konkretere, weil stärker schrittweise Anleitungen zum Schreiben ersetzt.

Lyrik Um Zeng Guofans Ausspruch zu entsprechen, wonach „der literarische Ausdruck im Reich aus Tongcheng“ komme, mussten die Gelehrten aus Tongcheng neben der Prosa auch im Bereich der Lyrik einen massgeblichen Einfluss ausgeübt haben. Dies ist allerdings keine Selbstverständlichkeit, denn das Schwergewicht

56 In der Song gab es grosse Anstrengungen, die Texte zu kollationieren und zu emendieren, ebenso wie es ausgedehnte philologische Sammelanstrengungen durch die Zentralregierung und durch wohlhabende Privatleute gegeben hat. Vgl. hierzu etwa Qian Mus Erörterung von Zhu Xis Philologie im fünften Band seines Zhu Zi Xin Xue’an (Qian Mu 1971, 5:191–341).

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der guwen-Tradition war – wie oben geschildert – seit jeher die Prosa-Literatur, vornehmlich in Form des Essays. Waren auch Han Yu, Liu Zongyuan oder Su Shi die Autoren von Regelgedichten, so gründet sich ihr Ruhm doch in erster Linie auf die Komposition von Prosa. Entsprechend hatten Fang Bao, und Dai Mingshi keinen, aber Liu Dakui einen gewissen Anteil an der neu entstehenden Beschäftigung mit Gedichten. Liu editierte die lyrische Anthologie Lidai Shiyue Xuan 歷代詩約選 mit einem Umfang von 52 Faszikel und verfasste selbst 12 Faszikel an Gedichten.57 Die Lyriktradition Tongchengs begann nach dem einstimmigen Urteil der Forschungsliteratur erst mit Yao Nai, der früh von seinem Onkel Yao Fan 姚範 (1702–1771) erzogen wurde. Dieser führte ihm Huang Tingjian als Beispiel vor (Zhongguo Wenxue Da Cidian 2000, 1414). Die Beschäftigung mit Lyrik wurde von Liu Dakui sicherlich ermutigt und weiter gefördert. Entsprechend nimmt die Lyrik auch im Werk Yao Nais einen relativ grossen Stellenwert ein. Die Zusammenstellung seiner lyrischen Werke Xi Bao Xuan Shi Ji mit dem beachtlichen Umfang von 10 Faszikel ist ebenso gross wie die Zusammenstellung der Prosawerke Wen Ji. Yao gab die Beschäftigung mit der Lyrik auch an seinen Schüler Fang Dongshu weiter, dessen Lyriksammlung Shi Ji ebenfalls 5 Faszikel umfasst.58 Die Hinzufügung lyrischer Werke zur Tongcheng-Literatur ist nicht nur im Zusammenhang mit der guwen-Tradition bemerkenswert, sie widerspricht auch gewissen Aussagen von Yao Nais Vorgängern. Mit Fang Baos Betonung von wen etwa grenzte dieser sich vom bedeutendsten Dichter der Zeit ab, Wang Shizhen, der zeitgleich seine eigene Anthologie zur Lyrik herausbrachte. Die Trennung in Prosa (sanwen 散文) und Lyrik (yunwen 韻文), für Fang Bao noch ein wichtiges Thema, wurde von Yao Nai schlicht weggewischt. Er schenkte dieser Einteilung keine Beachtung und nahm statt dessen den letztlich auf das Yi Jing zurückgehenden Topos einer bipolaren Teilung der Welt wieder auf, der auch schon in der Literatur seine Verwendung gefunden hatte.59 Er verkündete,

57 Informationen zu den Werken Liu Dakuis sind kaum zu finden, so liess sich nicht feststellen, in welchem Jahr seine literaturtheoretische Schrift Lunwen Ouji entstand. Die hier gegebenen Angaben gehen zurück auf den Eintrag über ihn im Qingru Xuean (Xu Shichang 1990, 1:915). 58 In den gesammelten Prosaschriften Fang Dongshus gibt es, wie im Kapitel zur Biographie Fang Dongshus erwähnt, sogar eine kleine Abteilung mit vier pianwen-Werken. Wie oben festgehalten, wandte sich die guwen-Literatur ursprünglich genau gegen diese Form der pianwen-Dichtung, die sie als gekünstelt und geschmäcklerisch ablehnte. Für seine pianwen-Dichtungen vgl. das Yiwei Xuan Wai Ji, als ein Faszikel im Anhang nach Rolle 12 des Yiwei Xuan Wenji (Fang Dongshu 1868a). 59 Zur Vorgeschichte dieser Trennung und zur Frage, ob Yao eher von Dai Mingshi oder von Yan Yu 嚴羽 (?–?; fl. 1180–1235) und dessen lyriktheoretischem Werk Canglang Shihua 滄浪詩話 beeinflusst wurde, vgl. Ye Long 1998, 70–72.



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dass es gleich wie in der Naturphilosophie nur zwei Kräfte gäbe, nämlich yin und yang. Diese assoziierte er mit „hart“ und „weich“ und meinte somit, dass sich jegliche literarische Äusserung im Spannungsfeld zwischen yang gang 陽剛 und yin rou 陰柔 befinde. Mit der Betonung dieser, wenn man so will, kosmologischen Einteilung der literarischen Tradition spielten die Gattungen eine untergeordnete Rolle, da die Aufteilungen in Gattungen lediglich eine künstliche Trennung sei (Ye Long 1996, 70–78). Fang Dongshu, auch hier ein Schüler Yao Nais, schrieb später: „Gedichte und guwen-Prosa sind ein und dasselbe“ („shi zhi yu guwen yi ye 詩之與古文一也“), bzw. „Gedichte und Rhapsodien sind bloss literarische Texte, die Reime enthalten.“ („shi fu nai wen zhi you yun zhe er 詩賦乃文之有韻者耳“) Yao nahm folglich literarische Beispiele der Gattungen ci 辭 und fu 賦 in seine Anthologie auf.60

Die Synthese durch Yao Nai Bei Fang Dongshus Lehrer Yao Nai laufen also die zuvor wahrscheinlich noch nicht vereinheitlicht geführten inhaltlichen wie methodischen Stränge der Tongcheng-Schule zusammen: Die Konzentration auf den für den gesellschaftlichen Aufstieg unabdingbaren bagu wen durch Fang Bao, die Wende zur lixue Zhu Xis durch Dai Mingshi, die Lyrik von Yao Fan und die sozusagen handwerklichästhetische Methode Liu Dakuis. Diese Elemente zusammengenommen führten Yao Nai zur Feststellung, dass es eine Schule aus Tongcheng gab, eine Herangehensweise, die sich von denen anderer Schultraditionen unterschied, welche sich auf die Beschäftigung mit den Dynastiegeschichten (Qian Daxin, Zhang Xuecheng, Wan Sitong) oder den Klassikern (Hui Shiqi und Hui Dong, Dai Zhen) konzentrierten. Diese Herangehensweise versuchte, nach ihrem Verständnis des guwen-Ideals zu leben und die Trennung der Disziplinen aufzuheben, welchen seit Konfuzius selbst das Hauptinteresse der konfuzianischen Schule galt: Literatur, Philosophie, Gelehrsamkeit, Geschichtsschreibung und Politik, im Sinne der Regierungskunst (zheng 政). Um dies zu erreichen, stellte Yao seine eigene Anforderung für die Erschaffung von Texten: von Fang Bao übernahm er das Konzept des yifa 義法, doch erweiterte er Fangs Dichotomie von yi und fa, Liu, bzw. Dai Mingshi folgend, um einen dritten, den philologischen, Aspekt, so dass er für Texte im Bereich konfuzianischer Gelehrsamkeit folgende drei Elemente forderte: yili 義理, kaozheng 考證 und wenzhang 文章 (Übersetzung vgl. unten). Ye Long

60 Yao Nai nahm in seine Anthologie keine shi auf, obwohl er selbst viele dieser Gedichte verfasste. Für eine ausführlichere Diskussion des Guwen Ci Leizuan vgl. den folgenden Abschnitt.

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schreibt, die drei Begriffe yili, kaozheng und wenzhang stammten nicht von Yao selbst, sondern sie gingen ursprünglich auf Dai Mingshi zurück (Ye Long 1998, 63–67). Bemerkenswert daran ist sicher Yao Nais Interesse an Textkritik, über das Nienhauser schreibt: „This interest in kao-cheng scholarship remained with him the rest of his life […] As a matter of fact, he reinterpreted Fang Pao’s I-fa theory in the light of this new intellectual development. Instead of going into classical philology, however, he applied the kao’cheng method to the study of literary history.“ (Nienhauser 1986, 839). Diesen Anspruch formulierte er in einem berühmt gewordenen Satz, als er in einem Brief an Qin Ying 秦瀛 (1743–1821), ebenfalls ein Autor von Prosa und Lyrik, schrieb: „Ich würde meinen, dass es die Obliegenheiten der Gelehrsamkeit im Reich sein sollte, [zu erkennen,] dass es eine Dreiteilung gibt in [die Sorge um] die korrekte und Rechte Ordnung (yili, d.i. der moralphilosophische Gehalt; M.W.), in die literarische Komposition von Texten (wenzhang) sowie in die [Garantierung von] Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit [von Aussagen] (kaozheng). Diese getrennten Teile entfernen sich zusehends rasanter voneinander, aber gehören eigentlich zusammen und keines davon kann [beim Betreiben von Gelehrsamkeit] gering geschätzt werden. [Stattdessen sind diese drei Hauptaufgaben] überall verstreut und unübersichtlich, aufgespaltet und betrieben durch eine Horde von Spezialisten, so dass sich Dutzende und Hunderte von Schulen entwickelt haben. Eigentlich haben sie alle seit jeher zur selben Lehre gehört, aber die jeweiligen Personen haben einseitige Begabungen und Veranlagungen, und diese führten dazu, dass einer dieser Wege beschritten wurde, entsprechend der Fähigkeit oder Unfähigkeit in einer dieser Disziplinen. Doch gilt generell: Wenn man sich [nur] an das klammert, zu dem man fähig ist, aber die Zähne gegenüber demjenigen bleckt, das man nicht selbst betreibt, so ist das schlecht! Was wirklich nötig wäre ist, alle diese Bereiche zusammen und miteinander zu betreiben. Erst dann kann das als gut gelten.“61

61 Das Zitat lautet im Original: „鼐嘗謂天下學問之事, 有義理、 文章、 考證三者之分, 異 趨而同為不可廢。 一塗之中, 歧分而為眾家, 遂至於百十家。 同一家矣, 而人之才性偏 勝, 所取之逕域, 又有能有不能焉。 凡執其所能為, 而呲其所不為者, 皆陋也, 必兼 收之乃足為善。“ (Vgl. Yao Nai 1992, 104–105, Yao Nai 1991, 80 und Ye Long 1996, 63). Der Text bei Ye Long weist einige Differenzen auf zu dem in Xibao Xuan Shi Wen Ji. So steht bei ihm kaoju 考據 anstelle von kaozheng, in der Passage sui zhi yu bai shi jia. Tong yi jia yi fehlt das shi und der Punkt, so dass das ganze zu einem Satz wird: „遂至於百家同一家矣“. Schliesslich steht anstelle von zhi 執erneut yu 域. Auch der Text in der Zhongguo Shudian-Ausgabe (Yao Nai 1991) weist eine kleine Differenz zum Text der Shanghaier Ausgabe: Anstelle von zi 呲 steht pi 毗. Da beide Schriftzeichen graphisch sehr ähnlich sind, vermute ich eine Fehlschreibung. Ich folge hier der Shanghaier Ausgabe in Text und Interpunktion.



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Obwohl es angesichts der eben zitierten Aussage widersinnig erscheint, sollen Yaos Errungenschaften in Bezug auf die Synthetisierung vorangegangener Leistungen hier einzeln betrachtet werden. Der hauptsächliche Unterschied zwischen Yao Nai und seinen Schülern auf der einen, und den Vertretern der kaozhengxue und hanxue auf der anderen Seite lag vor allem in den methodischen Schwerpunkten. Während die später als „wissenschaftlich denkend“ beschriebenen Anhänger der kaozhengxue die Beschäftigung mit den Klassikern auf eine neue, nämlich überprüfbare und intersubjektiv nachvollziehbare Basis stellen wollten, und die Anhänger der hanxue einen Zugang zu den klassischen Schriften suchten, welche auf einer früheren Exegese als der songzeitlichen basierte, formulierte Yao Nai ein Theoriekonstrukt, welches mit der guwen-­ Literaturtradition in Übereinklang stand, aber die unbestrittenen Leistungen der Textkritik ebenfalls berücksichtigte. Yao versuchte so, den ideologischen und ästhetischen, aber auch den analytischen Leistungen vergangener Jahrhunderte gerecht zu werden. Für literarische Texte formulierte auch Yao wie zuvor Fang und Liu Charakteristika, die als unbedingt einzuhaltende Elemente auf dem Weg zu einer seinen Ansprüchen genügenden Literatur befolgt werden müssen. Er ging allerdings weiter als diese, indem er seine Forderungen auch auf die Produktion von Lyrik ausdehnte. Für die Erschaffung von Texten, welche dem guwen-Ideal Yaos entsprachen, isolierte er wie schon Liu Grundelemente, in seinem Fall acht an der Zahl.62 Seinem Lehrer Liu folgend hat er diese ebenfalls in Paare aufgeteilt: shen 神 und li 理, qi 氣 und wei 味, ge 格 und lü 律 sowie sheng 聲 und se 色: Geist und Mustergültigkeit, Kraft und Geschmack, Form und Regelhaftigkeit sowie Klang und Farbe. Diese Begriffe sind die eigentliche Grundlage des Anspruches, den er mit dem Begriff wenzhang umschreibt. Um nicht allzu sehr auf die literaturtheoretische Seite einzugehen, möchte ich für diese Begriffe auf die Ausführungen bei Ye Long 1998, 67–70 verweisen.

Guwen Ci Leizuan Wie oben bereits dargestellt, dehnte Yao die von seinen Vorgängern im Zusammenhang mit der guwen-Prosa formulierten Ansprüche auch auf die Lyrik aus. Sein umfassender Begriff der Literatur wird vor allem aus seiner Kompilation einer literarischen Anthologie deutlich, des Guwen Ci Leizuan 古文辭類纂 von 1779 (Datum des Vorworts). Dort verschloss er sich keiner

62 Darstellung vgl. Nienhauser 1986, 502.

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literarischen Gattung und zeigte gleichzeitig, dass sich in jedem Genre den Ansprüchen des durch ihn erweiterten guwen-Ideals entsprechende Beispiele finden lassen. Dazu verwarf er die Aufteilung in 38 Genre-Kategorien, welche in ihrem Ursprung auf die Anthologie Wen Xuan 文選 zurückgeht.63 Diese Einteilung wurde grundsätzlich auch in der zweiten Anthologie übernommen, dem als Fortsetzung zum Wen Xuan konzipierten songzeitlichen Werk Wenyuan Yinghua 文苑英華.64 Im Vorwort zu seiner Kompilation begründete Yao seine neue Aufteilung. Martin Kern fasste die Aufteilung in Genres im Guwen Ci Leizuan wie folgt zusammen: „In 75 Faszikel präsentierte Yao Nai insgesamt 703 Texte aus zwei Jahrtausenden chinesischer Literatur und arrangierte diese in einer grundsätzlich neuen Ordnung von 13 Genrekategorien (lei). Diese Kategorien, ist einem ausführlichen genretheoretischen Vorwort entfaltet und teilweise explizit gegen das Wenxuan begründet, lauten: lun bian 論辨 („Diskurse und Erörterungen“), xu ba 序跋 („Vorworte und Kolophone“), zou yi 奏議 („Eingaben und Diskussionen“), shu shui 書說 („Briefe und Überredungen“), zeng xu 贈序 („Geleitworte und Adressen“), zhao ling 詔令 („Edikte und Befehle“), zhuan zhuang 傳狀 („Biographien und Verhaltensbeschreibungen“), bei zhi 碑誌 („Stelen- und Gedenkinschriften“), za ji 雜記 („Vermischte Aufzeichnungen“), zhen ming 箴銘 („Ermahnungen und Metallinschriften“), song zan 頌贊 („Eulogien und Enkomia“), ci fu 辭賦 („Rhythmische Prosa und Rhapsodien“) und schließlich ai ji 哀祭 („Lamenti und Opfertexte“).“65 Was er für Literatur in irgendeiner dieser Gattungen als grundlegend erachtete, das war – wie oben ausgeführt – die Mischung aus innerer Haltung (yi oder yili) und literarischem Ausdruck (fa oder wenzhang), welche schon seine Vorgänger hervorgehoben hatten. Yao brachte sie in einer Abwandlung von Zhou Dunyis oben diskutiertem Diktum über die Einheit von Form

63 Das Wen Xuan ist eine Sammlung von literarischen Zeugnissen vornehmlich aus der Zeit der Dynastien Qin, Han und Wei-Jin, kompiliert am Hof der Südlichen Liang-Dynastie durch Kronprinz Xiao Tong, 蕭統 (501–531) im Zeitraum 526–531 (Tsien 1986, 891). 64 Das Wenyuan Yinghua bildet gemeinsam mit dem Taiping Yulan 太平御覽 und dem Taiping Guangji 太平廣記 die drei Kompilationen des Kaiserhofes zu Beginn der Song. Das Wenyuan Yinghua war das dritte dieser Werke und wurde wie das Taiping Yulan unter der Leitung von Li Fang ab 982 kompiliert und hat einen Umfang von 1000 Faszikeln. (Kurz 2003, 99–107; Tsien 1986, 897). 65 Vgl. Martin Kern 1996, S. 148–149. Obwohl Yao sich tatsächlich vom Wen Xuan distanziert, ist dessen ursprüngliche Aufteilung in 38 Genres – später im songzeitlichen Wenyuan Yinghua 文苑英華 von 982 leicht verändert wieder aufgegriffen – schon von den Genrebezeichnungen her unübersehbar (vgl. auch Nienhauser 1986, 897).



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und Inhalt auf die Formel: wen dao he yi 文道合一 (=> „Der literarische Ausdruck und der Rechte Weg sollen zu Einem verschmelzen“). Dazu kam aber die Neuerung der Forderung nach Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit kaozheng. Im Bezug auf literarische Genres war Yao in einem Masse Neuem, bzw. Ungewöhnlichem gegenüber offen, dass er literarische Formen wieder aufgriff, die Jahrhunderte verpönt gewesen waren: in seinem eigenen literarischen Schaffen kultivierte Yao Nai neben den etablierten Kategorien wen und shi auch die Form des pianti wen 駢體文, der sog. Parallelprosa, welche auf eine Zeit vor der Tang zurückgeht. Auch dies entspricht dem Geist der Textkritiker, die ja zunächst vor die Song, später dann sogar möglichst bis in die Hanzeit zurückzugehen versuchten. Die Forderung, pianti wen zu schreiben, wird im Artikel „From Writing to Literature: The Development of Late Qing Theories of Prose“ von Theodore Huters übrigens Ruan Yuan zugeschrieben, der sich 1820 in einer Reihe von Artikeln entsprechend geäussert habe (Huters 1987, 83). Da Yao bereits 1815 verstorben war, musste er sich bereits vor dieser Forderung Ruan Yuans dem pianti wen zugewandt haben. Interessant daran ist schliesslich, dass Yao im Guwen Ci Leizuan eben dieser Gattung des pianti wen die Aufnahme verweigert hatte. Sein Schüler Fang Dongshu verfasste allerdings Texte der Gattung pianti wen, allerdings offenbar im Zusammenhang mit Ruan Yuan, denn von den vier in den wai ji seiner gesammelten Werken enthaltenen pianti-Texte beziehen sich mindestens zwei auf die Xuehai Tang in Guangzhou: „xuehai tang ming 學海堂銘“ und „Han Jin ming yu kao (ni xuehai tang ke) 漢 晉名譽考查擬學海堂課“ (vgl. Kern 1996, 153–154; Fang Dongshu 1868, wai ji, S. 1A–18A). Yao Nai hat also definitiv dem Aspekt des kaozheng in die Tongcheng-Tradition hineingebracht, wenn auch Liu Dakui als Wegbereiter gelten kann. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Studie stellt sich allerdings die Frage nach Yaos Beweggründen. Denn generell wird die Forderung nach kaozheng als eine Konzession an die gerade in der zweiten Hälfte des 18. Jhs. stärker werdende hanxue (bzw. die allgemeinere Strömung der kaozhengxue) betrachtet, häufig unter Hinweis auf die Biographie Yao Nais, die ihn in jahrelangen Kontakt mit den Gelehrtenkreisen in der Hauptstadt gebracht hat. Das Aufstellen der Forderung von kaozheng für gelehrte Aussagen kann sehr wohl als Anerkennung des Zeitgeistes betrachtet werden, allerdings gibt es verschiedene Auslegungen der biographischen Tatsachen, deshalb soll im Folgenden auch die Biographie von Fangs Lehrer näher betrachtet werden.

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Biographische Informationen und die Frage der Brüskierung in Peking Yao Nai hat nach seiner Ausbildung durch Yao Fan und Liu Dakui 1750 die Prüfungen zum juren bestanden und 1763 wurde er jinshi und schloss im oberen Drittel aller Probanden ab.66 Danach wurde er an die Hanlin-Akademie berufen und arbeitete dort, unterbrochen durch verschiedene Missionen im Land als Prüfungsaufseher und Ähnliches. Grundsätzlich aber blieb er in Peking, wo er auch Qian Daxin und Dai Zhen kennenlernte und sich von diesen tief beeindruckt zeigte. Er machte eine moderate Beamtenkarriere, und ab 1773 arbeitete er an der Kompilation des Siku Quanshu mit. 1774 bereits zog er sich von seiner Arbeit als Editor zurück und im darauffolgenden Jahr verliess Yao die Hauptstadt, um bis zu seinem Tod 1815 im hohen Alter von 83 an verschiedenen Akademien zu unterrichten – vornehmlich in seiner Heimatregion südlich des Yangzi-Flusses, im sog. Jiangnan. Dieses hohe Alter und seine fast vierzigjährige Tätigkeit als Ausbilder an Akademien sind zwei der Faktoren, die ihn zur zentralen Figur der TongchengSchule machten: er hatte eine solch grosse Zahl an Schülern, dass sich seine Schulrichtung, die ja auch die nach wie vor gefragte Fähigkeit des Abfassens von bagu-Aufsätzen vermittelte, wie von selbst verbreitete. Kai-wing Chow und Zhou Zuoren, aber auch andere Autoren, welchen die Existenz der Tongcheng-Schule ein Dorn im Auge zu sein scheint, betonen die Zurückweisung Yao Nais durch Dai Zhen 1755. Yao ersuchte 1755 als juren Dai Zhen, ihn als Studenten anzunehmen, was dieser allerdings höflich (oder – je nach Gesichtspunkt – unter einem Vorwand) ablehnte. Diese Zurückweisung soll für Yao eine tiefe Verletzung dargestellt, die in einer strikten Ablehnung der Gelehrsamkeit Dais resultierte und sich dann auch auf Yaos Schüler Fang übertrug.67 Zudem habe Yao Nai sich vom Siku Quanshu zurückgezogen, weil er sah,

66 Yao Nais Biographie: vgl. hierfür die Biographien in Xu Shichang 1990, 1:915–917 und das ihm gewidmete Kapitel 88 (2:584–612), Hummel 1943–44, 900; Tongcheng Xu Xiu Xuan Zhi 2:540. Für seine Prüfungsergebnisse vgl. ebd. 1:205 u. 208. 67 Die These der Persönliche Beleidigung als Grund für Neupositionierung stammt ursprünglich von Fan Wenlan 范文瀾 (1893–1969), und sie wird zitiert in Ma Wenda 1998, 217 mit den Worten: „姚鼐想給戴震當學生, 戴震寫信拒絕了。 姚惱羞成怒, 要反對戴震學派。 但姚自己沒 什麼學問, 不敢公開寫文章反對。 他的學生方東樹很能寫文章, 又懂漢學, 便寫了《漢學 商兌》來反對戴震.“ (=> „Yao Nai wollte gerne der Student Dai Zhens werden, was Dai Zhen aber in einem Antwortbrief ablehnte. Yaos wurde ob dieser Schande wütend, und beabsichtigte, sich gegen die Schule Dai Zhens zu stellen. Aber Yao Nai verfügte selbst über keinerlei Gelehrsamkeit, daher wagte er es nicht, sich in einer Schrift offen gegen Dai Zhen auszusprechen. Sein Student Fang Dongshu aber war sehr gut darin, Texte zu verfassen, und zudem verstand er die hanxue, so dass es nahe lag, dass er das Hanxue Shangdui verfasste, um sich so gegen Dai Zhen zu stellen“) Dieses Argument krankt freilich an der Feststellung, dass Yao Nai nicht über genügend Bildung verfügt hätte, denn wie aus der Biographie deutlich geworden sein sollte, verfügte Yao sehr wohl



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dass Gelehrte ohne formelle Prüfungserfolge, aber versiert in der textkritischen Methode (wie es bei Dai Zhen der Fall war) ausserordentlich begünstigt und gefördert wurden,68 während er oder andere, die sich auf das Schreiben von Literatur spezialisiert hatten, das Nachsehen hatten. Diese beiden Gründe seien nach Meinung dieser Autoren entscheidend gewesen, dass Yao Nai sich 1775 zurückzog. Frustriert über die persönliche Zurückweisung und hilflos der kaiserlichen Bevorzugung gegenüber, versuchte er mit der Konstruktion der TongchengSchule ex nihilo ein Gegengewicht zur Textkritik zu setzen. Dieser Darstellung möchte ich entgegenhalten, dass es sich m.E. um eine einseitige und tendenziöse Auslegung der Fakten handelt, die im Gefolge der Autoren des Vierten Mai die Tongcheng-Schule in einem grundsätzlich wissenschaftsfeindlichen und übertrieben konservativen Licht darstellt. Um gewisse der genannten Argumente zu entkräften, möchte ich hier die genannten Aspekte der Biographie Yao Nais diskutieren: Yao bat Dai 1755, ihn zu unterrichten. Dai lehnte zwar ab, trotzdem gibt es keinen Hinweis darauf, dass Yao Dai seine Ablehnung nachgetragen hat. Vielmehr verfolgte Yao nach dem Ablegen seiner jinshi-­ Prüfung 1763 eine Beamtenkarriere, die ihn in verschiedene Ämter brachte, darunter auch die Aufsicht über die Provinzprüfungen in Shandong 1768 und Hunan 1770 sowie eine Mandat als Prüfungsexperte bei den Hauptstadt-Prüfungen von 1771. Die Periode des intensiven Kontaktes mit den Exponenten der Textkritik in den Redaktionsräumen des Siku Quanshu folgte allerdings erst ab 1773. Sein Weggehen aus Peking etwas über ein Jahr später sollte daher nicht als eine Reaktion auf eine Zurückweisung gesehen werden, die zu diesem Zeitpunkt bereits 19 Jahre zurücklag. Anders verhält es sich m.E. mit der These, seine Abreise aus Peking und sein danach vollzogener Rückzug von Politik und Beamtenkarriere zugunsten einer intensiven Lehrtätigkeit sei eine Reaktion auf die Phase der Zusammenarbeit mit den kaozheng-Gelehrten. Ich halte die Tatsache, dass er vorzeitig um ein Ausscheiden aus der Siku-Redaktion gebeten hat, für ebenso bedeutungsvoll wie die Tatsache, dass er sich danach nicht weiter seiner Beamtenkarriere verpflichtet fühlte. Der Grund hierfür ist allerdings wohl weniger in möglichen Friktionen mit anderen Redaktionsmitgliedern zu sehen, als vielmehr in einer

über das nötige Mass an Gelehrsamkeit. Zudem hat er sich offen gegen Dai Zhen ausgesprochen. Kent Guy macht Zhang Taiyan als Urheber dieser These aus (Guy 1987, 142). 68 Dai Zhen wurde zu einem der wichtigsten Personen in der Redaktion des Siku Quanshu 四庫全書 (ab 1773), obwohl er lediglich die unteren beiden Stufen der Prüfungsleiter erfolgreich absolviert hatte (xiucai 1751, juren 1762). Er wurde als Mitglied der Redaktion dann 1775 honoris causa zum jinshi und Mitglied der Hanlin-Akademie ernannt, nachdem er die Prüfung in diesem Jahr erneut nicht erfolgreich abschliessen konnte (vgl. hierzu auch die Diskussion der Person Dai Zhens im Kapitel zu Fang und seinen Gegnern).

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­ enerellen Unzufriedenheit mit dem Ablauf des ganzen Projekts. R. Kent Guy g macht in seiner ausgezeichneten Studie über das Siku Quanshu-Projekt deutlich, dass es viele Ärgernisse für Yao gab, zu denen sicher auch die spezielle Behandlung zu zählen ist, die Dai Zhen zuteil wurde. Durch die Nennung einer Reihe von Details aus dieser Zeit in Yao Nais Leben zeichnet Guy ein klares Bild der ungünstigen Verhältnisse, zu denen auch die langweilige Arbeit und ihre oftmals minimalen Ergebnisse als Gründe für Yao Nais Frustration offenbar werden (Guy 1987, 97). In seinem Schreiben gibt Yao freilich den anderen Editoren und ihrer einseitigen Ausrichtung die Schuld,69 aber Guy zitiert an anderer Stelle auch mögliche Verstrickungen in höfische Cliquenbildung und Yao Nais Versuche, sich diesen zu entziehen (ebd. 85). Was Yao an Dai Zhens Gelehrsamkeit kritisierte, das waren seine Konzentration auf den einen Punkt kaozheng. So schrieb er im Vorwort zur Sammlung der Prosaschriften von Cheng Yanzuo 程延祚 (1691–1767), dem Cheng Mianzhuan Wenji Xu 程綿莊文集序: „Heutzutage gibt es [Gelehrte] wie Herrn Dai Dongyuan aus Xiuning, dessen Anlagen eigentlich den normalen Lauf der Gewöhnlichen weitaus übertreffen, aber dessen Einseitigkeit in Erörterungen dazu führt, dass er sogar noch schlimmer ist als die Gewöhnlichen.“70 Ein anderer Grund für Yaos Rückzug kann in den Veränderungen der Hofpolitik gesucht werden: Den Mandschu-Kaisern zur Seite standen jeweils chinesische Gelehrte, welche grossen Einfluss auf die Politik des Hofes hatten. Während der Regierungsperiode kangxi war etwa Zhang Tingyu 張廷玉 (1672–1755) eine zentrale Figur, der in verschiedenen Ämtern diente. Er war „Grosssekretär“ (da xue shi 大學士; Hucker #5962) von 1726 bis 1749.71 Zhangs Familie stammte aus Tongcheng und sowohl Zhangs Position als auch Fang Baos gleichzeitiger Einfluss führten zur dargestellten Dominanz von Tongchenger Gelehrten in der Verwaltung. Diese war sogar so stark, dass Liu Tongxun 劉統勳 (1700–1773), ab 1753

69 R. Kent Guy schreibt zur Frage der Entstehung der songxue: „Yao’s experience at the Ssu-k’u Commission may well have been a precipitating factor in the formation of Sung learning, for it was only after his resignation from government in protest against the editorial policies of the Commission that Yao began to express his dissatisfaction with Han learning. In subsequent letters and prefaces, he laid the blame for the excesses of Han learning specifically on the Ssu-k’u editors and the small group of Peking literati who surrounded them and dominated intellectual life at the capital“ (Guy 1987, 140). 70 Yao Nai über Dai Zhen: „jin shi ru Xiuning Dai Dongyuan, qi cai ben chaoyue hu liu su, er ji qi wei lun zhi bi, ze geng you shen yu liu su zhe 近世如休甯戴東原, 其才本超越乎流俗, 而及其為 論之僻, 則更有甚於流俗者.“ (vgl. Dai Zhen 1994–1998, 7:279 u. Yao Nai 1992, 268–269). 71 Bereits sein Vater Zhang Ying 張英 (1638–1708) hatte diese Position von 1699–1701 inne ­gehabt.



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oberster Ratgeber des Kaisers, im Jahr 1742 eine Throneingabe verfasste, in der er diesen Umstand kritisierte.72 Zur fraglichen Zeit von Yao Nais Rückzug hatte Yu Minzhong 于敏中 (1714–1780; „Grosssekretär“, bzw. „Grand Councilor“ 1773– 1779) diese Position inne, und er war es, der laut Guy versuchte, Yao Nai auf seine Seite zu ziehen. Die oben genannten Gründe lassen sich zusammenfassen zum Befund, dass die Tongchenger Gelehrsamkeit, die im Bezug auf die Rekrutierung von Spitzenbeamten und Ausrichtung der Prüfungen in der Hauptstadt einst den Diskurs diktierte, noch zu Lebenszeiten Yao Nais diese Vormachtstellung einbüsste zugunsten der textkritischen, vor allem aber der den hanzeitlichen Kommentaren verpflichteten hanxue, welche das diskursive Monopol Tongchengs zu untergraben drohten. An diesem Punkt spielte vielleicht die Tragödie Dai Mingshis eine Rolle, denn Yao Nai riskierte keine Opposition gegen die vom Kaiser und der Bürokratie in den 1750er Jahren scheinbar bevorzugte Form der Gelehrsamkeit, sondern er zog sich zurück. Daher halte ich den Schluss für zulässig, dass Yao Nai die Hauptstadt verliess, weil er eine ganze Reihe von Situationen zu seinen Ungunsten vorfand. Er wandte sich daher der Erziehung nachfolgender Generationen zu, und betrieb dieses Gewerbe danach an verschiedenen Akademien. Die persönliche Zurückweisung durch Dai Zhen kann ein möglicher Grund unter vielen gewesen sein, mehr wohl nicht. M.E. reicht dies nicht aus, Fangs wohl begründete und sorgfältig formulierte Kritik an der hanxue als persönliche Vendetta abzutun. Welches Licht werfen nun diese genannten Tatsachen auf das innere Leben Yao Nais? Meines Erachtens lassen sie keinen anderen Schluss zu als den, dass Yao Nai weniger als ein Gegner der Textkritik zu sehen ist, sondern vielmehr als ein Enthusiast, der die historisch-kritische Methode der kaozhengxue auch auf die Literatur anzuwenden versuchte. Dazu erweiterte er Fang Baos literaturtheoretisches Paradigma von yi und fa durch den Aspekt des kao. Er räumte also den Methoden der kaozhengxue ihren Platz ein und hielt auch deren Drängen auf einen Rückgriff auf die Zeit vor der Song für die Literatur für sinnvoll. Allerdings war trotz ihrer Aufnahme in die Gelehrtentradition Tongchengs kaozheng kein Wert, dem sich die beiden anderen Werte unterzuordnen hatten. Die Verbindlichkeit und Integrität der Lehre und die stilistischen und ästhetischen Ansprüche behielten ihre Gültigkeit. Die Gleichrangigkeit der drei Aspekte scheint auch den Kern seiner Lehre dargestellt zu haben, denn Yao Nais Schüler, deren wichtigste

72 Der Zeitpunkt der Throneingabe wird unterschiedlich angegeben. In den Biographien Zhangs und Lius bei Hummel nennt Autor Fang Chao-ying sowohl das Datum 1741 als auch „early in 1742“ (Hummel 1943–44, 55 u. 533)

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die nächste Generation von Tongcheng-Gelehrten bilden sollten, haben die Forderung nach kaozheng aufrecht erhalten. Gleichwohl ist bei ihnen eine Hierarchisierung der bei Yao wohl noch gleichberechtigt nebeneinander stehenden drei Punkte yili, wenzhang und kaozheng festzustellen.

Yao Nais Schüler Es gibt aufgrund der langjährigen Lehrtätigkeit von Yao eine grosse Anzahl von Schülern, deren Gewichtung und Einschätzung uneinheitlich ist, was mittlerweile nicht mehr überraschen sollte, da, wie eingangs gesagt, der literaturhistorische und der geistesgeschichtliche Ansatz den Blick auf die Gelehrten aus Tongcheng prädisponieren kann. Es gibt auch Gelehrte, die Unterricht von Yao Nai erhielten, aber trotzdem nicht zu seinen Schülern im engeren Sinne gezählt werden, etwa Lu Jiugao 魯九皋 (1732–1794), der auch von Zhu Shixiu 朱仕琇 (1715–1780) unterrichtet wurde, oder Lus Neffe Chen Yongguang 陳用光 (1768–1835), der von seinem Onkel und später von Yao Unterricht erhielt. Tatsächlich gilt Zhu Shixiu als herausragender Autor von guwen-Texten, und in vielerlei Hinsicht scheinen seine Überzeugungen denen Yao Nais ähnlich gewesen zu sein. Trotzdem sollte er nicht zur Tongcheng-Schule zählen, weil er mit der spezifischen Tradition Tongchengs nichts zu tun hatte. Das enzyklopädische Werk Zhonghua Ruxue Tongdian bezeichnet weitere Personen als Schüler Yaos. Der bekannteste dürfte Ma Zonglian 馬宗璉 (?–1802) gewesen sein, der auch von den kaozhengxue-Gelehrten Shao Jinhan, Wang Niansun und Ren Dachun unterrichtet wurde. Als weitere Schüler Yao Nais werden genannt: Yao Chun 姚椿 (1777–1853), der mit Yao Nai nicht verwandt war und seine erste Ausbildung in der Hauptstadt absolviert hatte sowie zwei Personen, über die sich keine weiteren Informationen finden liessen: Ma Zongxian 馬聰咸 und Zuo Chaodi 左朝第 (Wu Feng und Song Yifu 1992, 1534). Aber es lassen sich doch gewisse direkte Schüler benennen, die stärker den Einfluss von Yaos Denken erkennen lassen. Das sind im Wesentlichen folgende vier Schüler Yaos: Mei Zengliang, Guan Tong, Yao Ying und Fang Dongshu. Verschiedene Autoren gewichten die Schüler unterschiedlich, so erwähnt Ye Long etwa Yao Ying nicht, während Zhao Zhongming gerade ihn gemeinsam mit Fang Dongshu als einen der beiden wichtigen Schüler betrachtet. Gerade die unterschiedliche Ausrichtung der Schüler scheint mir besonders interessant, da diese neuen „Zweige“ der Tongchenger Gelehrsamkeit alle aus der „Wurzel“ Yao Nais erwuchsen, wobei jede Richtung eigene Aspekte betonte und weiter entwickelte. Als erster ist Mei Zengliang 梅曾亮 (1786–1856) zu nennen, der 1821 die literarische Hinterlassenschaft Yao Nais publizierte und mit Guwen Cilüe 古文辭略 eine Anthologie in der Tradition der Vorfahren kompiliert (Vgl. hierzu Kern 1996,



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150). Damit steht er in der literarischen guwen-Tradition Tongchengs, wie Ye Long 1998, 158–159 deutlich macht. Mei stand demnach ganz in der Tradition des yifa von Fang Bao, bzw. dessen Rezeption durch Yao. Als junger Mann begeisterte er sich für das Verfassen von pianti wen, und seine guwen-Prosa soll eine besondere lyrische Qualität gehabt haben. Als zweiter wichtiger Schüler gilt Guan Tong 管同 (1780–1831). Wie Mei stammte auch er aus Shangyuan 上元 in Jiangsu (heute ein Teil der Stadt Nanjing) und lernte gemeinsam mit diesem bei Yao Nai, als dieser in der Zhongshan-Akademie (Zhongshan Shuyuan 鍾山書院) unterrichtete.73 Bei Guan zeigte sich der Einfluss der Forderung nach kaozheng stärker als bei Mei: Er war zwar ein Autor von Literatur, verfasste aber gleichzeitig mehrere Werke in der Tradition der kaozhengxue wie Zhan’guo Dili Kao 戰國地理考 (Überprüfung der Topographie der Zeit der Streitenden Reiche), Meng Zi Nianpu 孟子年譜 (Chronologische Biographie des Menzius) oder Wen Zhong Zi Kao 文中子考 (Überprüfung des Wen Zhong Zi). Auch für ihn stellten kaozheng und yili keine unüberwindbaren Gegensätze dar, denn Guan Tong äusserst sich in seinen Schriften als ein klarer Anhänger der songzeitlichen daoxue (vgl. hierzu Ye Long 1998, 156–157). Der dritte der vier wichtigen Schüler war Yao Ying 姚瑩 (1785–1853), Enkel Yao Fans und mithin Neffe Yao Nais, der von allen die erfolgreichste Beamtenkarriere absolvieren sollte (jinshi von 1808, in den 1830er Jahren Distriktsmagistrat von Wujin, Suzhou und Yicheng im heutigen Jiangsu). Yao Ying verteidigte im Opiumkrieg Taiwan gegen die Engländer und es gelang ihm sogar, britische Schiffe zu versenken und Gefangene zu machen. Gleichzeitig verfasste er literarische Texte und hinterliess eine umfangreiche Sammlung an Prosatexten und Gedichten (Zhao Zhongming 1999, 278). Das Besondere an der Person Yao Yings ist, im Vergleich zu den bisher genannten Tongchenger Gelehrten, dass er zunächst Beamter war und erst in zweiter Linie Literat. Genau diese Kombination von praktischer Staats- oder Regierungskunst und innerer Kultivierung durch Literatur und die Klassiker ist es, die Yao Nai durch seine Propagierung des guwen-Ideals weitergeben wollte. Yao Ying hat als Autor literarischer Werke keinen nennenswerten Eindruck auf die Nachwelt hinterlassen, aber die Tatsache, dass er als Tongcheng-Gelehrter in der Verwaltung sehr erfolgreich war, galt als Beleg für die Gültigkeit der guwen-Lehren. Denn die moraltheoretischen Lehren müssen ihrem eigenen Anspruch zufolge in der Wirklichkeit, d.h. der Staatskunst umgesetzt werden und dürfen in den Vorstellungen von Denkern wie Ouyang Xiu aus der Nördlichen Song kein Selbstzweck sein. Die

73 Gemeinsame Studien von Mei und Guan: In „you xiao Pangu ji 游小盤谷記“ schildert Mei eine mit Guan gemeinsam unternommene Reise (Guwen Jianshang Cidian 1997, 1985).

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innere Kultivierung (xiuyang 修養) ermöglicht bekanntlich die Entwicklung zum „Edlen“ (junzi 君子), der aber keine innere Einkehr sucht, sondern seine Kraft primär in den Dienst des Staates und damit des Volkes setzen will. Indem Yao Ying vor dem Hintergrund der Tongcheng-Gelehrsamkeit den Weg in die Politik fand, hat er dieser Entwicklung neuen Schub verliehen und so ein Muster der Verbindung von Politik und Gelehrsamkeit aufgezeigt. Dieses behielt seine Gültigkeit auch für spätere Politiker, die sich der Tongcheng-Schule zugehörig fühlten, allen voran für den bereits eingangs dieses Kapitels zitierten Zeng Guofan, der sich als Repräsentant und Erneuerer der Tradition Tongchengs verstand (Zhao Zhongming 1998, 338–358; Ye Long 1996, 160).74 Es gibt also mit Mei Zengliang einen „Erben“ für Yao Nais literarische Anstrengungen, mit Guan Tong einen, der die literarischen und die textkritischen Seiten zusammenzubringen versucht und mit Yao Ying einen weiteren, welcher sich auf die politische-staatstragende Rolle der guwen-Gelehrsamkeit beruft. Bleibt die Beschäftigung mit der moraltheoretischen Literatur der Klassiker und die Auseinandersetzung mit den Kommentaren. Yaos Schüler mit Spezialisierung in diesem Bereich war Fang Dongshu. Die Biographie Fangs soll hier natürlich nicht erneut erörtert werden, dies geschah ausführlich bereits im vorhergehenden Kapitel der vorliegenden Arbeit. Hier steht seine Einbettung Fangs in die Tongcheng-Schule im Vordergrund. Fang Dongshu war in Bezug auf die Klassikergelehrsamkeit der einflussreichste und wichtigste Schüler Yaos. Er war zudem insofern ein „vollständiger“ Schüler Yao Nais, als er die vom Lehrer selbst betriebenen Bereiche der Tongcheng-­ Tradition weiter verfolgte, das sind neben der Philosophie die eigene Dichtung und Literaturtheorie, zudem das Unterrichten. Fang, dessen Urgrossvater Fang Ze 方澤 (1697–1767) seinerseits Lehrer von Yao Nai gewesen war, studierte bei diesem von 1793–1798, als Yao in Nanjing unterrichtete. Fang verfolgte ein Ideal, das die Begriffe wen, yi, xue und jing vereinte, also Vertrautheit mit dem literarischen Textkorpus und literarischer Ausdruck, Gelehrsamkeit und Vertrautheit mit den textlichen Grundlagen der Klassiker.

74 Zeng stammte nicht aus Tongcheng und wurde weder von Yao Nai noch von einem seiner Schüler erzogen. Deshalb wird er auch der nach seinem Geburtsort Xiangxiang benannten Schule xiangxiang pai 湘鄉派 zugerechnet (Wu Feng und Song Yifu 1992, 1554–1555). Gleichwohl gibt neben auffälligen Ähnlichkeiten in der Vorstellung der Aufgaben von Gelehrten, der Ausrichtung an den daoxue-Kommentaren vor allem eine Reihe von Aussagen Zeng Guofans, in denen er sich als Anhänger Yao Nais, aber auch als Bewunderer Fang Baos zu erkennen gibt. So schreibt er etwa zum Guwen Ci Leizuan, dass dieses als Grundlage für jene genüge, welche guwen erlernen wollten: „wei xue guwen zhe, qiu zhu shi er zu yi 謂學古文者, 求諸是而足矣.“ (Zeng Guofan 1989, 368–371).



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In seinem literarischen und literaturtheoretischen Schaffen führte er die Lehren Yao Nais weiter. Auch er schrieb neben Gedichten und Prosatexten Lyrik in der alten Form des pianti wen, und auch er verfasste eine literturtheoretische Arbeit: Zhaomei Zhanyan: 昭昧詹言 (Offensichtlichmachen von Verborgenem und Worte zur vollen Entfaltung bringen). Das Werk kann als eine Sammlung von Gedichtrezensionen bezeichnet werden und steht formal zwischen einer Anthologie und einem literaturtheoretischen Beispielsammlung. Es gliedert sich in Abschnitte zu unterschiedlichen Gedichtformen, innerhalb derer Beispiele aus der Literaturgeschichte und Fangs Kommentar stehen. Besonderes Lob erhält der tangzeitliche Dichter Du Fu 杜甫 (712–770). In seiner Literaturtheorie stützt sich Fang auf Wang Shizhens 王士禎 (1634–1711) Gu Shi Xuan 古詩選, Yao Nais Jin Ti Shi Chao 今體詩鈔 und verschiedene Werke Liu Dakuis. Bemerkenswert erscheint mir dabei die Tatsache, dass Fang Bao sich noch gegen Wang Shizhen abgegrenzt hatte und deshalb keine Lyrik in seine Anthologie aufgenommen hat. Yao schloss dann in seine Literaturtheorie die Lyrik mit ein, und bei Fang Dongshu ist sie nicht nur einziger Gegenstand seiner Theorie, sondern er beruft sich explizit auf Wang Shizhen. Das Werk aber, mit welchem Fang den grössten Widerhall ausgelöst hat, ist das Hanxue Shangdui, also eine Schrift aus dem Bereich der Klassikerwissenschaft,. Während hier nicht auf den Entstehungshintergrund des Werkes eingegangen werden soll, möchte ich doch auf gewisse Charakteristika des Buches hinweisen, die seine Einreihung in die Tradition Tongchengs rechtfertigen: Fang hielt Zhu Xi und seine Lesart der Klassiker für die Krone konfuzianischer Gelehrsamkeit und die von ihm geformte lixue für den einzig richtigen Zugang zu Texten. Nur der Zugang mit den Analysemitteln der lixue bietet die Möglichkeit, die Aussagen der Weisen des Altertums vollumfänglich und richtig zu verstehen. Damit griff er zurück auf das yi Fang Baos und die Ausrichtung auf die lixue durch Dai Mingshi. Im Gegensatz zu Yao Nai allerdings, der eine Ausgewogenheit der drei erwähnten Dimensionen verlangte, führt bei Fang einzig die Exegese Zhu Xis zum korrekten Verständnis der Klassiker. Dies geht so weit, dass er dessen Lehren über die Textwahrheit der Klassiker stellt. In der ersten Kontroverse des zweiten Kapitels diskutiert FDS den Fall um die sog. Übertragung der Herzen oder zhuan xin.75 Dies ist eine exegetische Konstruktion aufbauend auf einer Passage aus einem Kapitel des Shang Shu, auf der Zhu Xi im Vorwort zum Zhong Yong ein zentrales Theorem des Neokonfuzianismus aufbaute. Mit der Entlarvung der Fälschung wurde diesem Theorem die textliche Grundlage entzogen. Fang Dongshu

75 Zur Debatte über die Begriffe renxin und daoxin vgl. den Aufsatz „Philosophy (i-li) versus philology (k’ao-cheng): The jen-hsin tao-hsin debate“ von Benjamin Elman aus dem Jahr 1983.

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 Fang Dongshu im Kontext der Tongcheng-Schule

diskutiert die Fälschung nicht, aber er hält die daoxue-Exegese für so zentral, dass man sie auch unter Hinweis auf den gefälschten Text des Shang Shu nicht ausser Acht lassen dürfe. Eindeutig stellt Fang damit yili über kaozheng und so stellt sich für Fang die Gewichtung anders dar als für seinen Lehrer. Das heisst auch, dass er den Anspruch Fang Baos weiter vertritt, dass auf den Aspekt der moraltheoretischen Interpretation der Texte grössten Wert gelegt werden muss. In seiner Gewichtung darf die hilfswissenschaftliche Kategorie des kaozheng nie einen grösseren Stellenwert einnehmen als die umfassende sinnstiftende Interpretation, die alle Texte verbindet.

Fang Dongshu und seine Gegner In diesem Abschnitt stehen die Personen im Fokus, gegen die Fang Dongshu 方東樹 (1772–1851) in seinem Hanxue Shangdui 漢學商兌 Kritik übt. Objekte seiner Angriffe sind die Aussagen verschiedener Personen, die sich zu Themen der konfuzianischen Orthodoxie oder damit in Zusammenhang stehenden Themen geäussert haben. Da Fang diese Personen angreift, werden sie in der vorliegenden Studie als Gegner bezeichnet, obwohl bis auf zwei alle angegriffenen Gelehrten zum Zeitpunkt der Entstehung der Schrift bereits tot waren, es also keine persönlichen Gegner Fangs sein können. Es geht um eine intellektuelle Gegnerschaft, in der Schulen um die korrekte Interpretation und Nutzbarmachung des konfuzianischen Erbes ringen, um die Meinungsführerschaft der konfuzianischen Gelehrsamkeit. Fang zitiert jeweils die Aussagen dieser Gelehrten und formuliert dann sein Gegenargument bzw. seinen Gegenangriff. Hier wird nun analysiert, welche Gelehrten Fang Dongshu als Objekte seiner Kritik auswählt, und welche allfälligen Gemeinsamkeiten diese aufweisen. Der in dieser Arbeit als hauptsächlicher Gegner analysierte Dai Zhen 戴震 (1723–1777) wird im folgenden sechsten Kapitel besprochen, zuerst sollen die Fang aus persönlichem Kontakt bekannten Ruan Yuan und Jiang Fan diskutiert werden, ehe dann die weiteren Gelehrten genauer betrachtet werden. Im nächsten Kapitel folgt die Betrachtung der Person Dai Zhens und seiner Rezeption sowie der Kritik Fangs an Dai. Die beiden Blöcke zu Dai Zhen und Ruan Yuan/Jiang Fan umrahmen sozusagen die Diskussionen anderer Gelehrter. Das Ziel dieser Betrachtungen ist es, durch die von Fang angegriffenen Gelehrten ein schärfer umrissenes Bild seiner Gegnerschaft zu erhalten. Hierbei liegt das Augenmerk verstärkt auf der Frage, wie sich andere Gelehrte zur Frage des konfuzianischen Diskurses äusserten, also zur Frage, ob die daoxue-Rezeption der Lehre die Diskurshoheit behalten solle. Zunächst ist der Begriff der Kritik etwas genauer zu fassen. Kritik im kaiserlichen China des neunzehnten Jahrhunderts ist kaum zu vergleichen mit dem modernen westlichen Verständnis von Kritik. Diskussionen um Streitpunkte innerhalb der konfuzianischen Elite sind ebenfalls schwierig einzuschätzen. Die konfuzianische Elite verfügte über eine Detailkenntnis der konfuzianischen Kerntexte und ihrer Kommentare, die es dem westlichen Forscher schwer machen, jede einzelne der zahlreichen intertextuellen Anspielungen zu verstehen. Da das hier zur Diskussion stehende Hanxue Shangdui des Tongcheng-Gelehrten Fang Dongshu ein Werk des chinesischen 19. Jhs. ist, das für eine ­konfuzianische Elite verfasste wurde, nähert es sich dem Gegenstand seiner Kritik anders als vergleichbare Werke eines wissenschaftlichen Disputs dies heutzutage zu tun pflegen.

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Dies wird vor allem an der Tatsache deutlich, dass Fang seine Gegner und deren Geisteshaltung in keiner Weise diskutiert. Im Hanxue Shangdui gibt es keine Definition des Begriffs der hanxue oder eine Abgrenzung gegen die kaozhengxue, Weshalb es ein unabdingbarer Schritt zum Verständnis des Werkes ist, den Begriff der hanxue genauer zu fassen. Die Kritik Fang Dongshus trägt eindeutige Züge einer „ongoing discussion“, einer Auseinandersetzung, die nicht abgeschlossen ist, sondern als ein Teil derer Fang Dongshu hier argumentiert. Alle Gelehrten, die Fangs Argumente lesen würden, sind in die Situation eingeweiht, es ist ein Diskurs unter Spezialisten. Kritik lässt sich nicht gleich beurteilen wie moderne Kritik in einer Auseinandersetzung unter westlichen Intellektuellen. Es ist daher nötig, eine Methode zu definieren, gemäss der sich Fangs qingzeitliche Kritik beurteilen und einschätzen lässt. Es erscheint sinnvoll, über die angegriffenen Gelehrten, deren Lehraussagen und gelehrten Leistungen allgemein so viel in Erfahrung zu bringen, dass die Stossrichtung und Intention von Fangs Kritik deutlich wird. Ein Verständnis der Gelehrsamkeit und der Aussagen zu den Klassikern durch diese Gelehrten erlaubt den Schluss, dass solche Lehraussagen seiner Gegner Fang Dongshu erbosten und dazu brachten, seine Kampfschrift zu verfassen, welche die Rezeption Zhu Xis deren diskursive Vorrangstellung in Frage stellten. Umgekehrt greift der Mann aus Tongcheng manche Gelehrte nicht an, die aus dem heutigen Verständnis der qingzeitlichen Klassikergelehrsamkeit ebenfalls zur Liste der Gegner zu zählen gewesen wären. Aus der Kombination der Analyse der angegriffenen Gegner mit dem Hinweis auf nicht angegriffene lässt sich damit präziser fassen, was Fang an der qingzeitlichen Gelehrsamkeit auszusetzen hatte, aber auch, welche Gelehrten erst durch die spätere Rezeption der Qing der hanxue zugeschlagen wurden. In den folgenden beiden Kapiteln sollen deshalb die Gegner und ihre Haltung im konfuzianischen Diskurs analysiert werden, derer sich Fang Dongshu in den vier Faszikeln seines Hanxue Shangdui annimmt. Wie im Abschnitt der Werksbeschreibung bereits deutlich gemacht wurde, besteht das Buch mit Ausnahme des etwas anders aufgebauten vierten Faszikels aus Kontroversen. Über die Anzahl der Kontroversen existieren erstaunlicherweise unterschiedliche Ansichten, so schreibt Zhu Weizheng, dass sich das Werk aus 72 Kontroversen oder zumindest Abschnitten zusammensetze. In diesen greife Fang 22 Gelehrte an. (Zhu Weizheng 2002, 143). Meine eigene Zählung ergibt für die ersten drei Faszikel lediglich 57 Kontroversen, gefolgt von neun Abschnitten in Faszikel vier, von denen m.E. aber höchstens einer als ­Kontroverse ­angesehen werden kann (Fang Dongshu 1998, 379). Nach eigener Zählung komme ich also auf maximal 57 Kontroversen und es ist mir unverständlich, wie Zhu auf 72 Abschnitte kommt, selbst wenn er die



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­ibliographischen Diskussionen in der vierten Rolle einzelnen Gelehrten b zurechnet und diese hinzuzählt. Bei der Nennung der angegriffenen Personen ergeben sich ebenfalls grössere Unterschiede. Gemäss Zhu Weizhengs Darstellung greift Fang Dongshu folgende Gelehrte mehrmals an: Ruan Yuan 阮 元 (1764–1849) (13 Nennungen), Dai Zhen (10 Nennungen), Qian Daxin 錢大昕 (1728–1804) (6), Wang Zhong 汪中 (1745–1794) (5), Duan Yucai 段玉裁 (1735– 1815) (3). Die vier Herren Huang Zhen 黃震 (1213–1280), Gu Yanwu 顧炎武 (1613–1682), Hui Dong 惠棟 (1697–1758) und Jiao Xun 焦循 (1763–1820) werden in jeweils zwei Kontroversen zitiert, und mit bloss einer Nennung sind die folgenden Gelehrten vertreten: Mao Qiling 毛奇齡 (1623–1716), Wan Sitong 萬斯 同 (1638–1702), Zhu Yizun 朱彝尊 (1629–1709), Mao Xinglai 茅星來 (1678–1748), Zang Lin 臧琳 (1650–1713), Ling Tingkan 凌廷堪 (1757–1809), Qian Dazhao 錢大昭 (1744–1813), Song Jian 宋鑒 (?–?, jinshi von 1748), Sun Xingyan 孫星衍 (1753–1818), Zhuang Xin 莊炘 (1735–1818), Yan Ruoqu 閻若璩 (1636–1704) und Wang Chang 王昶 (1725–1806) (Zhu Weizheng 2002, 143–144). Das ergibt eine Gesamtzahl von 57 Kontroversen. Eine mehrmalige eigene Zählung ergab ein geringfügig anderes Ergebnis: Demnach sind Ruan Yuan mit 12 und Dai Zhen mit 10 Kontroversen die am häufigsten angegriffenen Gelehrten. Es folgen Qian Daxin und Wang Zhong mit fünf oder sechs, je nach Zählweise, und Duan Yucai und Gu Yanwu mit jeweils drei. Jiao Xun und Hui Dong werden zweimal angegriffen, schliesslich liefern Mao Qiling, Wan Sitong, Zhu Yizun, Mao Xinglai, Sun Xingyan, Song Jian, Zang Lin, Ling Tingkan, Yan Ruoqu, Zhuang Xin und der songzeitliche Gelehrte Huang Zhen je einmal das Stichwort zu einer Kontroverse. Hinzu kommen Kontroversen, deren Anfangszitate nicht namentlich gekennzeichnet sind, so etwa zwei Kontroversen zu Beginn des zweiten Faszikels (Fang Dongshu 1998, 289–292) und zwei zum Shi Jing (ebd. S. 315–317). Schliesslich gibt es zwei Kontroversen gegen Jiang Fan 江藩 (1761–1831), die allerdings nur an andere, ausführlichere Kontroversen angehängt sind. Jiang Fan sollte damit möglicherweise signalisiert werden, dass Fang ihn als Widersacher nicht wirklich ernst nimmt, vielmehr sieht er in ihm offenbar nur eine Art unoriginellen Provokateur, der die Thesen anderer Gelehrter wiederholt. Die von Fang attackierten Gelehrten lassen sich chronologisch, aber auch inhaltlich in drei Gruppen unterteilen. Dabei fällt auf, dass im Allgemeinen Aussagen von Gelehrten, deren Lebenszeit näher an derjenigen Fang Dongshus lag, bevorzugt Gegenstand von Kontroversen wurden. Als erste Gruppe sind die Gelehrten der frühen Qing zu nennen, d.h. solche, deren hauptsächliche Schaffenszeit das siebzehnte Jahrhundert war. Gegen diese Gelehrten richtete Fang zwar auch einige Kontroversen zu Beginn des Hanxue Shangdui, in den meisten Fällen jeweils nur eine für jeden Gelehrten. In diese Gruppe sind etwa Mao Qiling,

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Zhu Yizun oder Wan Sitong zu rechnen, die einen Aspekt der daoxue-Orthodoxie oder -Historiographie in Zweifel zogen. Die grosse Ausnahme unter diesen frühen Autoren stellt Gu Yanwu dar, den Fang zwar mehrfach angreift, den er aber in der Formulierung der Kontroversen immer wieder entlastet. Gu Yanwu lebte in der frühen Phase der Qingzeit, zum Zeitpunkt des Untergangs der Ming war er einunddreissig Jahre alt. Trotzdem werden Passagen seiner Schriften in mindestens drei Kontroversen zitiert. Wenn man die erste Kontroverse des zweiten Faszikels als einen Angriff auf Gu Yanwu wertet eher denn als einen auf Huang Zhen, sind es sogar vier.1 Diese herausgehobene Stellung unterstreicht die besondere wegweisende Bedeutung Gu Yanwus für die qingzeitliche Gelehrsamkeit.2 Die eigenartig zwiespältige Einschätzung Gus durch Fang wird in der folgenden Besprechung der einzelnen Kontroversen noch deutlicher. Vereinfacht gesagt rührt sie daher, dass Gu Yanwu einerseits der Wortführer der Opposition gegen Wang Yangmings oder Wang Shouren, 1472–1529 Lehren der xinxue im siebzehnten Jahrhundert war, dass er aber andererseits mit seiner Kritik spätere Generationen dazu brachte, die daoxue generell anzuzweifeln. Insofern war er in der Wahrnehmung Fangs ein Wegbereiter der hanxue-Kritik, ohne selbst deren Argumente anzuführen. Eine zweite Gruppe sind die Gelehrten, die mehrfach in Kontroversen des Haxue Shangdui erwähnt werden. Deren Wirkenszeit umspannte vornehmlich das achtzehnte Jahrhundert. Hier ist zunächst vor allem Dai Zhen zu nennen. Wie im folgenden eingehender erläutert wird, betrachte ich Dai Zhen als den hervorragendsten Gegner. Allerdings beabsichtigte Fang mit der Kritik an Dai letztlich wohl auch, Einfluss auf Ruan Yuan zu nehmen. Gleichwohl ist vom ­Standpunkt der Kritik aus Dai Zhen der wichtigste Kontrahent, denn Fang zufolge geht auf Dai der entscheidende Schritt zurück, der die kaozhengxue und die hanxue trennt: die Kritik an den moraltheoretischen Lehren Zhu Xis. Ruan Yuan mag eine Reihe

1 Der Text zu Beginn der Kontroverse zitiert eine Passage aus Gu Yanwus Ri Zhi Lu, in der dieser wiederum den Text Huangshi Richao 黃氏日鈔 des songzeitlichen Huang Zhen 黃震 (1213–1280) zitiert. Huang war ein Schüler von Wang Wenguan 王文貫, einem Schüler von Zhu Xi und Lü Zuqian, Huang war somit ein Schüler Zhu Xis in dritter Generation. Er war ein Anhänger Zhu Xis, hatte aber gewisse Kritikpunkte an dessen Lehrmeinungen. Nach dem Ende der Song zog er sich zurück und lebte als Eremit (ZRBQ 1997, 700). 2 Dem Gelehrten Gu Yanwu aus Kunshan bei Suzhou gestehen auch die intellektuellen Historiker des zwanzigsten Jahrhunderts eine herausragende Stellung zu. Zwar teilt er sich mit Huang Zongxi und Wang Fuzhi den Titel des Gründervaters der qingzeitlichen Gelehrsamkeit, doch bleibt er ein primus inter pares, dem etwa in Liang Qichaos Qingdai Xueshu Gailun ein eigenes Kapitel gewidmet ist, während Huang und Wang in einem gemeinsamen Kapitel besprochen werden. Auch bei Qian Mu oder in Hummel sind spezielle Einträge zu Gu zu finden.



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dieser Kritikpunkte übernommen haben, insbesondere die aus der Textkritik erwachsenden, aber seine eigenen Zweifel an der daoxue gingen auf Dai Zhen zurück, denn die entscheidenden Kontroversen um Schlüsselbegriffe und – fragen der Lehre richten sich gegen Dai Zhen. Neben Dai Zhen sind zu dieser Gruppe zu zählen: Hui Dong, Wang Zhong und Duan Yucai. Alle diese unterhielten enge und persönliche Beziehungen zu Dai Zhen. Wang und Duan verstanden sich als seine Schüler,3 Hui Dong war es, der beim Treffen in Yangzhou 1757 Dai Zhen davon überzeugte, sein Konzept der Textkritik zu überdenken, und sich stattdessen mit philosophischen Fragen zu befassen, wobei er sich bei der Klassikerexegese ausschliesslich auf die hanzeitlichen Quellen verlassen sollte (vgl. Hummel 1943–44, 695; Dai Zhen 1980, 223). Die Gelehrten dieser Gruppe zählten gemäss Fangs Verständnis zur hanxue, da sie auf die Ausschliesslichkeit der hanzeitlichen Quellen pochten, und damit Zhu Xi die Legitimation als Exeget absprachen. Damit stellten sie natürlich auch seine moraltheoretische Interpretation der konfuzianischen Klassiker in Frage. Ein weiterer Autor, der gemäss Hanxue Shangdui zu dieser Gruppe zu zählen wäre, ist Qian Daxin. Qian war allerdings weniger ein hanxue-Gelehrter als ein Historiker und Epigraphiker, deshalb überrascht es auf den ersten Blick, dass Fang ihn so häufig attackierte. Allerdings gibt es auch in diesen zahlreichen Kontroversen kaum grosse Auseinandersetzungen über moraltheoretische Aussagen Qian Daxins, und die meisten Kritikpunkte beziehen sich auf die Annäherung an klassische Schriften ausschliesslich auf der Grundlage hanzeitlicher Wörterbücher und Glossen, eher als durch die Glossen und Kommentare der daoxueKommentare. Als dritte Gruppe schliesslich haben zwei Gelehrte zu gelten, zu denen Fang ganz besondere, weil persönliche, Beziehungen unterhielt. Es sind dies Fangs Dienstherr Ruan Yuan und der mit diesem befreundete und durch gemeinsame Herkunft verbundene Protegé Jiang Fan.4 Von diesen handelt der folgende Abschnitt.

3 Wang Zhong war zu jung, um persönlicher Schüler Dai Zhens zu sein. 1772 lernte er Wang Niansun kennen, der in den fünfziger Jahren Unterricht von Dai Zhen erhalten hatte und eine Freundschaft entstand. Die intellektuelle Verortung Wangs in der hanxue steht aber selbstverständlich in erster Linie aufgrund seiner Schriften ausser Frage. Vgl. hierzu die Einträge in Qingru Xuean und Qingru Xuean Xinbian (Xu Shichang 1990, 2:863–883; Yang Xiangkui 1994, 7:178–189). 4 Die Frage der gemeinsamen Herkunft Ruan Yuans und Jiang Fans wird in verschiedenen Personenlexika unterschiedlich angegeben. Zumeist wird Ruan Yuan als ein Mann aus Yizheng 儀徵 in Jiangsu bezeichnet, Jiang Fan als einer aus Ganquan 甘泉, Jiangsu (manchmal sogar als Person aus Jingde in Anhui, was sein „Heimatort“ (laojia) ist, also der Herkunftsort seiner

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Ruan Yuan und Jiang Fan Die beiden Personen Ruan Yuan und Jiang Fan unterscheiden sich von den anderen kritisierten Gelehrten in mindestens einem wichtigen Punkt: zum Zeitpunkt der Niederschrift des Hanxue Shangdui 1824 waren nur noch diese beiden am Leben. Jiang sollte 1831 sterben (also zum frühest möglichen Zeitpunkt der Publikation), der drei Jahre jüngere Ruan Yuan erst 1849. Im Gegensatz zu den oben erwähnten toten Gelehrten der Qing hatte das Hanxue Shangdui für Ruan und Jiang eine weitaus grössere Dringlichkeit und diese verleiht dem Werk eine neue Dimension der Aktualität. Da Fang zum Zeitpunkt der Niederschrift im muliao Ruan Yuans tätig war, und da er das Werk laut chronologischer Biographie Ruan zum Geschenk machen wollte, kann Ruan als hauptsächlicher Adressat des Werkes betrachtet werden. Das Werk wäre dann als ein Appell Fang Dongshus anzusehen, mit dem er Ruan Yuan wieder auf den „rechten Weg“ zurückholen wollte. Mehr als die oben angesprochene Gefahr stand m.E. Fangs Absicht im Vordergrund, seinen einflussreichen Wohltäter von der Linie der daoxue zu überzeugen, und ihn auf die eigene Seite zu ziehen. In diesem Abschnitt soll nun im Einzelnen beschrieben werden, wieso es Ruan Yuan und Jiang Fan waren, die in Fang Dongshu den Entschluss reifen liessen, eine gegen die hanxue gerichtete Kampfschrift zu verfassen, später soll der Person Dai Zhens nachgegangen werden, der in den grössten und weltanschaulich fundamentalsten Kontroversen die Zielperson von Fangs Angriffen darstellt.

Ruan Yuan Fang warf verschiedenen Autoren der hanxue wiederholt vor, mit ihren Schriften kommende Generationen von Gelehrten-Beamten nicht nur zu verunsichern, sondern diese sogar in die Irre zu führen. Dieser Vorwurf richtete sich gegen die Meinungsmacher und Meinungsführer der hanxue, also gegen hohe GelehrtenBeamte, die beispielsweise in ihrer Funktion als Prüfungsaufseher der hanxue aus der Sicht Fangs zu hohen Stellenwert in den Beamtenprüfungen einräumten.

Familie). Yizheng und Ganquan waren aber beides Orte im Verwaltungsbezirk von Yangzhou (Yangzhou fu), weshalb die beiden auch zur Yangzhou-Schule gezählt werden. (Tan Qixiang 1982, 8:16; Zhao Hang 2003, 90–109 u. 145–169). Jiang war Ruan schon von früher her verbunden gewesen, da er diesem bereits 1813 auf seinem Posten als Aufseher der Getreidetransporte in Huaian gedient hatte.



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Aber auch ausserhalb der Prüfungen gab es Möglichkeiten, die Bevorzugung der einen oder der anderen Richtung der Gelehrsamkeit zum Ausdruck zu bringen: Ein Beamter hatte die Möglichkeit, eine Akademie zu begründen, und Gelehrte oder unbeschäftigte Beamte lehrten an dieser. Weiter gab es die Möglichkeit, Vorworte für Publikationen zu verfassen, und schliesslich konnte ein Beamter Schriften publizieren oder die Publikation von Schriften finanzieren. Obschon Fang dies nie direkt ausspricht, macht es den Anschein, als ob er mit dieser Kritik (und seinen Verbesserungsvorschlägen) in erster Linie an Ruan Yuan dachte, denn wie gleich ausgeführt werden wird, passten viele der Vorwürfe auf Fangs „Arbeitgeber“ aus Yizheng 儀徵 bei Yangzhou. Ruan Yuan war ein Meinungsführer, der sich all dieser genannten Methoden bedient hatte. Nach seinem ersten Posten ausserhalb der Hauptstadt, 1793 als Erziehungsbeauftragter in Shandong unter Gouverneur Bi Yuan 畢沅 (1730–1797), wurde Ruan 1795 nach Zhejiang transferiert, wo er während drei Jahren nicht nur Empfehlungen für Gelehrte aussprach, sondern mit dem Projekt der Kompilation des Jingji Zuangu in den Jahren 1797–98 einen ersten Versuch unternahm, die Exegese der Klassiker auf eine andere Basis zu stellen als nur auf die daoxueKommentare, indem er die alten und in der Praxis vergessenen Kommentare der Han- bis Tangzeit nach den kommentierten Begriffen aufteilen und neu zusammenstellen liess.5 Durch dieses Werk wurde den Gelehrten einerseits die Reichhaltigkeit der alten Kommentare vor Augen geführt, andererseits stellt es den Glossen der daoxue die früheren Glossen gegenüber, wodurch Erstere einfach als weitere Glossen erscheinen, ausgelöst aus ihrem exegetischen Gesamtkontext. Das Jingji Zuangu erschien im Jahr 1800. Nach einem kurzen Zwischenspiel in Peking, bei dem er der nationalen Prüfung vorstand, wurde Ruan 1799 erneut nach Zhejiang gesandt, wo er den Posten des Gouverneurs übernahm. In Hangzhou gründete er 1801 die Akademie Gujing Jingshe,6 die in Ausrichtung wie personeller Bestückung ein beredtes Zeugnis von Ruans Vorliebe für die hanxue ablegte. Als erste Direktoren berief er Wang Chang und Sun Xingyan (die beide im Hanxue Shangdui in mindestens einer Kontroverse erwähnt werden). Später setzte er diese Arbeit fort, indem er

5 Der Titel Jingji Zuangu 經籍纂詁 lässt sich übersetzen als Kompilierte Glossen zu Klassikern und klassischen Werken. Zu diesem methodisch einzigartigen Werk, das nicht Wörterbuch ist und nicht Glossensammlung, und das doch die moderne Lexikographie vorwegnimmt, vgl. Teng & Biggerstaff 1950, 188–189; Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 859. 6 Die Gujing Jingshe 詁經精舍 (=> „Verfeinerte Behausung zur Glossierung der Klassiker“) wurde in Hangzhou errichtet, genauer auf dem „Berg der Einsamkeit“ (gu shan 孤山), einer Insel im Westsee, auf der sich auch ein Reisepalast des qianlong-Kaisers befand, ebenso wie eine Ausgabe des Siku Quanshu. Vgl. dayu Ji Xiaofeng 1996, 59–60.

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1820 in Guangzhou die Xuehai Tang gründete, die sogar eine kombinierte Akademie und Verlagsanstalt war.7 Ruan finanziert auch Publikationen oder trieb sie mindestens voran, ausser dem Jingji Zuangu später in Guangzhou die des Huangqing Jingjie. Letzteres ist ein Sammelwerk, in dem die aus der Sicht der Redaktion wichtigsten qingzeitlichen Kommentare zu den Klassikern zusammengestellt und herausgebracht wurden.8 Er finanzierte die Publikation von Jiang Fans Hanxue Shicheng Ji 漢學師承記 (s.u.), zu dem er auch das Geleitwort verfasste.9 Schliesslich trieb er die Publikation der Dreizehn Klassiker voran. Der songzeitliche Druck der Dreizehn Klassiker mit Kommentar und Subkommentar (十三經注 疏 Shisan Jing Zhushu) wurde erneut publiziert. Dieser enthält zu allen Klassikern han- bis tangzeitliche Kommentare. In vier Fällen, zu Lunyu, Er Ya, Xiao Jing und Mengzi, stammen die Subkommentare aus der Nördlichen Song, es sind

7 Die Xuehai Tang 學海堂 (=> „Halle des Ozeans der Gelehrsamkeit“) gründete Ruan in Guangzhou im Jahr 1820 (gemäss Hummel am 14. April). Ursprünglich in einer anderen Akademie untergebracht, erhielt die Xuehai Tang ab 1924 ihr eigenes Domizil auf dem „Berg der verfeinerten Kultiviertheit Südchinas“ (Yuexiu Shan 粵秀山). Von den dort redigierten Druckfahnen wurden dann in der benachbarten Verlagsanstalt Guangya Shuyuan 廣雅書院 Druckplatten geschaffen und die Bücher gedruckt. Die Xuehai Tang existierte bis 1903 (Ji Xiaofeng 1996, 242–243; Hummel 1943–44, 401; Wang Zhangtao 2003, 672). 8 Die Arbeit zum Sammelwerk Huangqing Jingjie 皇清經解 (Erläuterungen zu den Klas­sikern der Kaiserlichen Qingdynastie) mit einem Umfang von 1400 Faszikel wurde 1825 aufgenommen, 1829 ging das Werk in Druck. Gemäss Nienhauser sind darin 180 Autoren vertreten, aber Wu Feng schreibt, dass 188 Titel von 74 Gelehrten darin vertreten seien. Eine Zählung in der auf diese Werke bezogenen Publikation von Chen Jiuzhi und Xie Huixian ergab, dass die Angaben bei Wu korrekt sind. Editor des Huangqing Jingjie war Yan Jie 嚴杰 (1763–1843), der zuvor schon beim Jingji Zuangu für Ruan gearbeitet hatte. Das Werk erfuhr eine von Wang Xianqian 王先 謙 (1842–1917) editierte Fortsetzung im Huangqing Jingjie Xubian 續編, das 1888 gedruckt wurde, und in das in 1430 Faszikel ganze 209 Studien zu den Klassikern ihren Platz fanden. Die Arbeiten dort stammten von 111 Gelehrten. Zu den Werken vgl. Nienhauser 1986, 812; Wu Feng 1987, 640 & 645; Chen Jiuzhi & Xie Huixian, 1992. Laut Nienhauser gehen beide Werke auf einen gemeinsamen Vorläufer zurück: Das Sammelwerk Tongzhi Tang Jing Jie 通志堂經解, kompiliert von Nara Singde (Nalan Xingde 納蘭性德) (1655–1685) und Xu Qianxue 徐乾學 (1631–1694) aus dem siebzehnten Jahrhunderts, in das 138 Werke Eingang fanden. Gemäss Wang Zhangtaos Biographie wurde das Werk unter dem Arbeitstitel Daqing Jingjie 大清經解 erstellt. Während das Werk heute eine Sammlung von Kommentaren ist, war die ursprünglich Idee von 1818, sämtliche Kommentare der Qing nach den kommentierten Stellen der Klassiker zu ordnen (wie in einer modernen sog, gulin-Ausgabe 詁林) (Wang Zhangtao 2003, 644). Das so angelegte Daqing Qingjie wäre dem Jingji Zuangu sehr viel ähnlicher gewesen. 9 Das Vorwort zum Hanxue Shicheng Ji entstand auf einer Reise Ruans in Guilin (Wang Zhangtao 2003, 654–655)



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aber keine daoxue-­Kommentare. Zu diesem Werk verfasste Ruan Yuan eine Sammlung textkritischer und p ­ hilologischer Anmerkungen, das Jiao Kan Ji 校勘記; und die Publikation bestand also aus den alten Kommentaren sowie den qingzeitlichen philologischen Anmerkungen, und sie trägt daher den Titel Shisan Jing Zhushu fu Jiaokan Ji. Eine erste Fassung wurde Ruan 1816 vorgelegt, und er verfasste auch hierzu das Vorwort (Wang Zhangtao 2003, 620–622). Schliesslich listet die jüngste chronologische Biographie Ruan Yuans von Wang Zhangtao aus dem Jahr 2003 eine Reihe von Biographien und Nachrufen auf, die Ruan Yuan verfasst hatte. So schrieb er 1918 einen Nachruf auf Sun Xingyan und 1820 ein Epitaph für Jiao Xun (1818; Wang Zhangtao 2003, 638 & 676). Er schrieb zu verschiedenen Werken das Vorwort, was in Gelehrtenkontext nicht nur eine ehrenvolle Aufgabe war und bis heute ist, sondern zugleich auch eine Zustimmung der Aussagen des Werkes impliziert. Im Bereich der Biographien sei diejenige über Qian Kai 錢楷 (1760–1812) als Beleg zitiert (ebd. 649). Als hoher Beamter und Förderer der textkritischen Gelehrsamkeit wurde Ruan selbstverständlich häufig gebeten, ein Werk dieser Forschungsrichtung mit einem Vorwort zu versehen, was wie im Fall des Nachrufs eine Ehrerweisung für den Autor bedeutet. Ruan war häufig bereit, die Leistungen eines Gelehrten mit seinen einführenden Worten zu beehren. So schrieb er beispielsweise auf Bitte des Autors 1816 das Vorwort zu Wang Yinzhis 王引之 (1766–1834) philologischem Werk Jingyi Shuwen 經義述聞 und 1819 das für Wangs Jingzhuan Shici 經傳釋詞.10 Weitere Beispiele von Vorworten Ruan Yuans sind jenes zu Niu Shuyus 鈕樹玉 (1760–1827) Duan Shi Shuowen Zhuding 段氏說文注訂 von 1824, einem Kommentar und Berichtigung von Duan Yucai zu Shuowen-Kommentar, oder dasjenige zu den gesammelten Schriften der Xuehai Tang Xuehai Tang Chuji 學海堂初集 (Wang Zhangtao, 2003 610 & 628, 668, 760, 763). Zusammengefasst lässt sich sagen: Ruan Yuan war in Fragen der Gelehrsamkeit in den bekannten Formen der Unterstützung und Mentorenschaft aktiv, und dies zumeist im Sinn der textkritischen Gelehrsamkeit kaozhengxue, weniger der hanxue. Er pflegte zudem ein umfangreiches Beziehungsnetz und die chronologische Biographie Wang Zhangtaos verzeichnet mehrere Reisen jährlich in die Hauptstadt oder andere südliche Provinzen.

10 Gemäss der Biographie Wang Zhangtaos erreichte Ruan 1815 die Bitte um ein Vorwort zum Jingyi Shuwen und er verfasste dieses 1816 auf einem Schiff, kurz nach Vorbeifahrt an der durch eine Schlacht Cao Caos 曹操 (155–220) und das berühmte chi bi fu 赤壁賦 Su Shis 蘇軾 (1037–1101) unsterblich gemachten „Roten Wand“. Ruan verfasste dort ebenfalls ein Gedicht. Das Vorwort zum Jingzhuan Shici schrieb er am 18. Dezemer 1819 auf dem Rückweg nach Guangzhou (Wang Zhangtao, 2003 610 & 628, 668).

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Ruan Yuan als Politiker Um eine faire Darstellung der Situation geben zu können, müssen auch die Gemeinsamkeiten hervorgehoben werden, die zwischen Ruan und Fang bestanden. So gab es in politischer Hinsicht und im Hinblick auf die Haltung gegenüber dem imperialistischen Ausland (d.i. dem British Empire) eine Übereinstimmung, dafür aber grosse Widersprüche im Verständnis der literarischen Tradition. „Politisch“ ist für die Zeit des Aufenthalts Ruan Yuans in der „Stadt der Ziegen“ gleichbedeutend mit „Umgang mit den Ausländern“. Man-kam Leung gibt in seiner Dissertation eine ausführliche Einschätzung der politischen Situation Guangzhous, und auch Yang Xiangkuis Qingru Xuean Xinbian beurteilt die Situation ausführlich. Ruan Yuan war im Zeitraum zwischen 1817 und 1826 Generalgouverneur von Guangdong und Guangxi, und damit länger als irgendjemand sonst in den Regierungsperioden jiaqing und daoguang. Die Rotation auf solchen Posten vollzog sich sonst im Rhythmus von drei Jahren. Als Ruan nach Kanton kam, war die Stadt bereits seit längerem im Versuch begriffen, einen Modus zu finden, mit den ausländischen Schiffen und den darauf befindlichen ausländischen Seeleuten und Händlern umzugehen. Der Umgang mit den Briten und dem von ihnen herangebrachten Opium bestimmte massgeblich die Ära Ruans als Generalgouverneur dieser südlichen Provinzen. Die Britische Marine war 1808 an der Mündung des Perlflusses gelandet, hatte darauf die Befestigungen an der Mündung durchbrochen und war bis nach Kanton gesegelt. Hierfür wurden Ruan Yuans damalige Vorgänger in diesem Amt, Generalgouverneur Wu Xiongguang 吳熊光 (1750–1833) und Gouverneur von Guangdong Sun Yuting 孫玉庭 (1753–1834) bestraft, Wu wurde sogar exiliert, die Bestrafung für Sun fiel sehr mild aus (Leung 1977, 217–218; Hummel 1943–44, 684). Entsprechend war Ruans Zeit als Generalgouverneur ein Balanceakt zwischen den Interessen des Hofes, denjenigen der lokalen Händler und denjenigen der unberechenbaren Briten. Ruan musste beispielsweise 1821 zwei Fälle behandeln, in denen ausländische Seeleute Chinesen totgeschlagen hatten. Die nach den Schiffen der Seeleute als „Emily“- und „Topaze“-Affären in die Geschichte eingegangenen Begebenheiten forderten Ruan Yuans politisches wie diplomatisches Geschick. Im Fall der amerikanischen „Emily“ wurde der Seemann den chinesischen Behörden übergeben, verurteilt und bald darauf exekutiert. Als es wenige Monate darauf mit einem Besatzungsmitglied der britischen „Topaze“ zu einem vergleichbaren Fall kam, weigerte sich der Kapitän des Schiffes, Charles Richardson, seinen Seemann auszuliefern. Ruan Yuan unterband darauf den Handel mit britischen Händlern, worauf die „Topaze“ mit ihrer Mannschaft nach Indien und weiter nach England segelte. Richardson hatte eine Botschaft für Ruan Yuan zurückgelassen, gemäss der er den Zwischenfall in England ­berichten und – gegebenenfalls – den Schuldigen wieder mitbringen wollte. So schien der



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Fall vorerst geschlossen, aber Verwandte eines der chinesischen Opfer appellierten an die Zentralregierung in Peking und Ruan wurde aufgefordert, den Fall erneut zu betrachten, was er ablehnte unter Hinweis auf die Tatsache, dass er des Verdächtigen nicht habhaft werden konnte (Leung 1977, 213–221). In diesem Fall wird bereits deutlich, dass der Hof keine unnachgiebige Linie vorgab, und ebenso verhielt es sich auch mit dem sehr viel schwerer wiegenden Fall der britischen Einfuhr von Opium. Auch hier waren Ruan Yuan im offiziellen Umgang mit den Händlern die Hände gebunden, und gegen die Kooperation der Britischen Schiffe und der chinesischen Schmuggler, welche das Opium an die chinesische Küste brachten, gab es kein Ankommen. Zudem erschwerte die nationale Politik einen adäquaten Umgang mit dem britisch-indischen Opium, denn der Hof in Peking hatte neben dem Problem des Opiums in Kanton einen weiteren Brandherd zu bekämpfen: den Aufstand des Jehangir. Dieser Spross einer mächtigen Familie, der mit chinesischem Namen Zhang Geer 張格爾 (~1790–1828) hiess, führte 1820 von Khokand aus einen Angriff. Die Qing hatten mindestens den westlichen Teil Xinjiangs erst 1758 erobert, und dabei Jehangirs Grossvater vertrieben. Zwischen 1820 und 1828, als Jehangir gefangen genommen wurde, ärgerte er mit einer Politik der Nadelstiche die Zentralregierung so sehr, dass sie einen Konflikt mit den britischen Truppen bereits als einen Zweifrontenkrieg betrachtete und von diesem weiteren Schritt absah (Leung 1977, 230; Hummel 1943–44, 68). Der Kampf Ruan Yuans gegen das Opium war gleichzeitig ein Kampf gegen die Politik des Hofes, der Ruan zwar eine harte Linie vorgab, ihn diese aber tatsächlich nicht bis zum Äussersten gehen liess, d.h. eine militärische Konfrontation mit den Briten war aus dem oben genannten Grund keine Option. Daher stieg der Import von und Handel mit Opium trotz Ruan Yuans Bemühen rapide an. Gemäss einer Tabelle bei Leung 1977, 222, stieg er von 6240 importierten Kisten zu je 133½ Pfund im Jahr 1821 auf 11’838 im Jahr 1825. Der Verkauf, bzw. der Verbrauch von Opium stieg in selben Zeitraum von 5010 Kisten auf 10’283. Mit dem Übergang von der jiaqing-Zeit zur Regierungsperiode daoguang des Xuanzong-Kaisers im Jahr 1820 kam für Ruan Yuan ein weiteres Problem hinzu. Der Renzong-Kaiser der jiaqing-Zeit war mit Ruan persönlich bekannt gewesen und die beiden hatten sich gut verstanden. Der Kaiser der daoguang-Periode aber kannte seinen Generalgouverneur des Südens nicht, und er ernannte einen Mann zum Grossekretär und damit zum Leiter seiner Verwaltung, der mit Ruan Yuan nicht auf gutem Fuss stand. Cao Zhenyong 曹振鏞 (1755–1835) war der Enkel eines Salzhändlers aus Yangzhou und Sohn eines Beamten, mit dem sich der qianlong-Kaiser gut verstanden hatte, der den Vater auf zwei seiner Reisen in den Süden zuhause besucht hatte (Hummel 1943–44, 739). Cao Zhenyong absolvierte 1791 die dakao-­Prüfung zusammen mit Ruan Yuan, Cao aber schloss wesentlich s­ chlechter ab als der spätere Generalgouverneur. Während Ruan als Bester aller Prüflinge abschloss, wurde Cao nur in

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den dritten Rang gestuft, erhielt aber aufgrund der Stellung seines Vaters trotzdem einen Posten in der Hanlin-­Akademie (Leung 1977, 231). Cao Zhenyong wird sowohl bei Hummel wie auch in der Cambridge History entsprechend seines in der Dynastiegeschichte gezeichneten Bildes relativ positiv dargestellt. Die Cambridge History bringt den Niedergang der dynastischen Macht und die Rückkehr der Korruption erst mit Caos Nachfolger Mu Zhang’a 穆彰阿 (1782–1856) in Verbindung, der als in der Tradition He Shens stehend porträtiert wird.11 Erst mit Mu, und damit nach 1835, sei die Korruption und Vetternwirtschaft der Ära He Shens wieder entstanden (Fairbank 1978, 1:145–145; Hummel 1943–44, 739–740). Es lässt sich nicht rekonstruieren, inwiefern Cao Zhenyong tatsächlich eine Bedrohung für Ruan Yuan hätte darstellen könne, noch lässt sich etwas darüber aussagen, ob es einen Zusammenhang gibt mit Fang Dongshus Niederschrift des Hanxue Shangdui in der daoguang-Zeit. Aber die eingangs dieses Kapitels angesprochene bedrohliche oder gefährliche Komponente des Werkes steht, wenn überhaupt, sicherlich in Zusammenhang mit Cao Zhenyongs Ernennung. Cao Zhenyong kommt als vornehmlichste Figur in Frage, um Ruan Yuans Ruf beim Kaiser dauerhaft zu schädigen. Dieser ganze Komplex der Situation zwischen Cao, Ruan und Fang kann allerdings nicht als gesichert angesehen werden, vielmehr ist es eine Vermutung. Dagegen spricht etwa, dass der Beginn der Arbeit an der Lokalgeschichte Kantons, dem Guangdong Tongzhi und die offizielle Thronbesteigung des daoguang-Kaisers zufällig beide ins Jahr 1821 fielen, dass somit die Anstellung Fang Dongshus ebenso zufällig auf dasselbe Jahr fiel. Politisch gab es zwischen Fang und Ruan wohl mindestens eine Übereinstimmung, was die Haltung gegenüber dem Ausland anbetrifft. Ruan Yuan scheint nicht viel von der ausserchinesischen Welt gehalten zu haben und er konnte sich – wie viele – nicht vorstellen, dass China etwas von den Ausländern benötigen könnte. In Yang Xiangkuis Qingru Xuean Xinbian werden deutliche Zitate aus Ruans Schriften wiedergegeben, in welchen er die europäischen Wissenschaften als unterlegen bezeichnet und die europäischen Staaten als „kleine Länder im äussersten Westen“ („ fu ouluoba, ji xi zhi xiao guo ye 夫歐羅巴, 極西之小國也“) bezeichnet. Seine Meinung, wonach die europäischen Wissenschaften China nichts Neues zu bieten hätten, kommt auch in seiner Schrift über Matteo Ricci feng ren Li Madou ­zhuanlun 疇人利瑪竇傳論 zum Ausdruck (Yang Xiangkui 1994, 5:380–382). Mit dieser

11 Der Spitzenpolitiker der qianlong-Zeit He Shen 和珅 (1750–1799) gilt als verantwortlich für Korruption und Günstlingswirtschaft der qingzeitlichen Hofpolitik. Er war Grosssekretär von 1776 bis 1783, und Alexander Woodside wiederholt in der Cambridge History die Bezeichnung „Zweiter Kaiser“ (Peterson 2002, 302–304). Zu seinem Einfluss auf die Politik vgl. auch David Nivisons Artikel von 1959.



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Haltung fand Ruan sicherlich Fang Dongshus Zustimmung, denn Fangs äusserte sich in Schriften kritisch zur Situation in Guangzhou und in der chronologischen Biographie seines Schülers Zheng wurde sein Engagement verzeichnet. Vornehmlich hat sich Fang demnach gegen die Einführung von Opium gewehrt.

Ruan Yuan und die Gelehrsamkeit In Bezug auf die Gelehrsamkeit aber scheint es zwischen Fang und Ruan mehr Differenzen als Übereinstimmungen gegeben zu haben. Und dies beileibe nicht nur im Kernbereich des exegetisch-philosophischen Konfuzianismus, sondern auch in der Literatur. Die Tongcheng-Tradition versteht die persönliche Kultivierung entsprechend dem konfuzianischen Weg als eine Orientierung am songzeitlichen Ideal des „Edlen“ (junzi), der sowohl in der konfuzianischen Philosophie bewandert, aber auch grossartige Literatur (Lyrik wie Prosa) zu schreiben in der Lage sein sollte, und der im Idealfall noch ein grosser Kalligraph ist und sogar ein Musikinstrument spielt. Dieses holistische Bild des Edlen entspricht den Traditionen der Nördlichen Song, als Su Shi 蘇軾 (1037–1101) oder Ouyang Xiu 歐陽修 (1007–1072), zwei der „acht Meister der guwen-Literatur“ (guwen ba da jia 古 文八大家) genau dieses Ideal zu verkörpern schienen. Daher empfand auch Fang Dongshu, der sich vor allem für den Konfuzianismus einsetzte, die Literatur ebenso als seine Domäne (vgl. hierzu Peter Bols This Culture of Ours). Und auch in diesem Bereich gab es eine grundlegende Meinungsverschiedenheit zu Ruan Yuan. Dabei geht es um die Klassifizierung der Literatur. Traditionell, d.h. durch das literaturkritische Werk Wenxin Diaolong 文心雕龍 des Liu Xie 劉勰 (~465– 522), wurde die Prosaliteratur eingeteilt in wen 文 und bi 筆, gereimte und nicht gereimte Prosa. In der Praxis umfasste wen oftmals einfach offizielle Schriften, bi aber stand für inoffizielle Schriften, also für persönliche Aufzeichnungen und andere nicht direkt zur Veröffentlichung gedachte Schriftstücke.12 Nach intensivem Studium der klassischen literarischen Anthologie Wen Xuan 文選 war Ruan Yuan zu dem Schluss gekommen, dass diese Einteilung nicht mit den l­ iterarischen Genres der Hanzeit und des Altertums der Vor-Qinzeit vereinbar sei, und er setzte sich für eine neue Aufteilung ein: In seinem Essay mit dem Titel „wen yan shuo 文言說“13 macht Ruan deutlich, dass er die Einteilung für ­fehlerhaft hält, im

12 Diese Unterscheidung von wen und bi geht in der Praxis zurück auf die Suidynastie, wenn auch die Unterscheidung ihren Ursprung im literaturkritischen Werk Wenxin Diaolong 文心雕龍 hat (Nienhauser 1986, 889 & 102). 13 Im Essay „Wen yan shuo“ 文言說 (=> „Erklärungen zum [Yi Jing-Flügel] Wen Yan“) äussert sich Ruan nicht, wie man aufgrund des Titels vermuten könnte, zur klassischen Schriftsprache wenyan

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Sinne einer Abweichung der hanzeitlichen Nomenklatur, die er selbstverständlich höher einschätzt. Laut Man-Kam Leungs Studie aus dem Jahr 1977 trug Ruan Yuan gleich nach der Gründung der Xuehai Tang 1820 den dort versammelten Gelehrten auf, sich Gedanken über den Unterschied zwischen wen und bi zu machen (Leung 1977, 117– 118). In „wen yan shuo“, argumentiert Ruan, dass das Kapitel „wen yan“ des Yi Jing, das wie alle „Flügel“ auf Konfuzius zurückgeht, das ideale Beispiel für wen sei. Wie Ruan erwähnt, hält er es für das erste Stück chinesischer Prosaliteratur, und der Text sei einfach und klar geschrieben, entsprechend den Bedürfnissen der direkten Rede. Da die Leute im Altertum nicht so viel geschrieben hätten, seien sie dafür in der direkten Rede besser geworden und hätten einfache Sätze geformt, aus mnemotechnischen Gründen oftmals gereimt und häufig mit Parallelismen durchsetzt. So sei „wen yan“ Konfuzius’ Erklärung zu den beiden grundlegenden Hexagrammen qian und kun. Aus diesem Grund verbiete sich die Bezeichnung nicht gereimter Prosatexte als wen. Diese seien lediglich als bi zu klassifizieren. Aufgrund dieser Fehlbezeichnung sei guwen im Kern unkonfuzianisch, da es nicht der Nomenklatur des Konfuzius entspricht. Dafür wird die Gattung der pianti wen 駢體文 Paralleltexte als vorbildlich gelobt. Durch diese Unterscheidung stellte Ruan die Legitimität der Tongcheng-Schule für ihre Propagierung der guwen-Literatur als Instrument zur persönlichen Kultivierung und als Ausdruck des konfuzianischen Geistes in Frage.14 Wenn diese Form der Literatur nicht auf Konfuzius zurückgeht, so ist auch ihr pädagogischer Wert nicht mehr automatisch gegeben und die literarische Grundlage der Tongcheng-Schule wird so – wie zuvor bereits die philosophische – entzaubert und kritisch hinterfragt. Damit zusammen hängt freilich auch die Frage nach den Beamtenprüfungen, bei denen der achtfüssige Aufsatz bagu wen nicht nur inhaltlich mit dem Geist der daoxue getränkt sein musste, sondern auch formal die Kriterien der guwen-­Literatur nachzuahmen hatte.15

wen, sondern differenziert wie gesagt zwischen den grundlegenden literarischen Gattungen wen und bi. Zu diesem Aufsatz vgl. auch Leung, 1977, 117–126. Für den Aufsatz selbst vgl. Ruan Yuan 1993, 605–606. Gemäss Wang Zhangtao 2003, 581, verfasste Ruan diesen Aufsatz im Jahr 1813. 14 Die Verbindung zwischen literarischem Ausdruck und konfuzianischem Gedankengerüst wurde als Ideal von den guwen-Meistern der Tang und Nördlichen Song formuliert, wie Peter Bol in seinem This Culture of Ours überzeugend argumentiert. 15 Dass die Einschätzung der pianwen-Literatur durch Fang Dongshu nichts damit zu tun hat, dass er einfach den anderen Stil gewohnt war oder nur diesen beherrschte, lässt sich leicht überprüfen, weil Fang selbst pianti-Texte verfasst hat, wie im Abschnitt zur Tongcheng Schule bereits erwähnt worden war. Deshalb ist eindeutig, dass es nicht um persönliche Vorlieben ging, sondern um ein überpersönliches Anliegen.



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Dass die Meinung Ruans zur Literatur ebenso ein Punkt der Auseinandersetzung war zwischen Fang und Ruan wie dessen Unterstützung der hanxue oder seine Publikationstätigkeit belegt das „Schlussplädoyer“ in der vierten Rolle des Hanxue Shangdui. Dabei bildet folgender Text den Auftakt der Generalabrechnung zwischen Fang und der hanxue (Fang Dongshu 1998, 384–385): „Damit kommen wir hier zur Literatur, in welcher [den Vertretern der hanxue] die paarweise zusammengefügten und reimenden Verse der Sechs Dynastien als die korrekten Vorfahren gelten, die aber Han [Yu] und Ou [Yangxiu] als Plagiatoren verunglimpfen.16 In den schriftlichen Dokumenten der Experten der hanxue heisst es jedes Mal, dass Han und Ou bloss Dreck seien (chazha/tuju 土苴; chazha gemäss Ricci 6:262), dass sie auf Han und Ou herabsähen, und es heisst auch, dass Han und Ou zu gewunden gewesen seien.17 Doch wer die Texte von Han und Ou als gewunden bezeichnet, der hat wirklich keine Augen und spuckt zudem den Himmel an. Wenn wir uns ihr eigenes Gebaren betrachten und die Art und Weise, wie sie die verschiedenen von ihnen hoch verehrten Experten in den Vordergrund drücken, so gleicht das in der Art den Abrechnungen der Schlachter und Weinverkäufer.18 Herr Wang aus Yangzhou19 meinte: ‚Der Niedergang der Literatur hat mit [Han] Changli begonnen.‘ Später haben alle aus der Gelehrtenschule von Yangzhou diese Ansicht vertreten und mit Verve die Literatur der Acht Meister als illegitime Literaturform20 verunglimpft. Als Herr Ruan [Yuan] das Wen

16 Fang bedient sich der sehr umständlichen Formulierung „pian li you yun zhe 駢儷有韻者“ (=>Zusammengefügte und reimende Verse), womit er die pianti-Literatur 駢體 meint. Bei den beiden hier als Plagiatoren bezeichneten Herren handelt es sich um Han Yu 韓愈 (768–824) und Ouyang Xiu 歐陽修 (1007–1072), Lichtgestalten der guwen-Literatur. 17 Der Satz lautet: „you yue wei yi Han Ou 又曰骫矣韓歐“. Wei wird in den Lexika angegeben als ein gebogener, verkrümmter Knochen, und auch in der übertragenen Bedeutung „gewunden, verkrümmt“. Ob damit wie im Deutschen ein „gewundener Stil“ gemeint ist, also eine umständliche Ausdrucksweise, oder ob es etwas Anderes bezeichnet, vielleicht Unaufrichtigkeit, vermag ich nicht zu sagen. 18 Das Verständnis des hier als „Die Abrechnungen der Schlachter und Weinverkäufer“ wiedergegeben Ausdrucks tu gu ji zhang 屠酤計帳 bleibt unsicher. Mein Verständnis geht auf die Einträge in HYDCD 4:52 u. 11:17 zurück, wo die Schlachter und Weinverkäufer als Berufe von niederem Ansehen beschrieben werden. Entsprechend wurden möglicherweise auch ihre Fähigkeiten als begrenzt betrachtet und damit wurden ihre Abrechnungen zu Metaphern des Unfeinen. Kommt hinzu, dass die Unterlagen dieser beiden Berufsgruppen möglicherweise mit Blut bzw. Wein verschmutzt waren, wodurch sie unansehnlich wurden. 19 Bei Herrn Wang aus Yangzhou 揚州汪氏 handelt es sich um Herrn Wang Zhong 汪中 (1745– 1794), als dessen Geburtsort immer Jiangdu 江都 angegeben wird. Die Ortschaft Jiangdu gehörte allerdings zur Präfektur Yangzhou (Tan Qixiang 1982, 8:16–17). 20 Acht Meister als illegitime Literaturform 八家之文為偽體: Die Übersetzung von wei 偽 stellt ein kleines Problem dar, weil wei meistens in der Bedeutung „Fälschung“ verwendet wird (siehe

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Bi Kao verfasste, galten ihm [darin] nur reimende Texte als Literatur, und dies widerspiegelt auch seine [generelle] Ansicht. Jiang Fan sprach einmal mit mir und sagte: Mein literarisches Schaffen hat nichts Spezielles, welches es besser machen würde als dasjenige anderer Leute, einzig dass es auch nicht ein Jota der [literarischen] Stimmung der Acht Meister in sich trägt. Zudem beleidigt Ling Tingkan die achte Meister in seiner [Schriften]sammlung, indem er ihre Literatur als nicht orthodox zurückweist. Folglich gibt es dann solche, welche der Kalligraphie der Ping Huai Xi-Stele ungerechtfertigterweise nachsagen, dass sie nicht den historischen Regeln entspräche.“21 Als nächstes wendet sich Fang gegen die hanxue im Allgemeinen. Dabei kritisiert er insbesondere ihr Motto, „zum Altertum zurückkehren“, das er nur für einen Vorwand hält, um die daoxue besser aushebeln zu können, bzw. um Seilschaften zu bilden. Hier wird auch deutlich, wie tief seine Abscheu sein muss, bzw. wie stark seine Motivation war, das Werk zu schreiben: „Wenn wir uns betrachten, welche Theorien frühere Menschen [der Qingzeit] aufgestellt haben, und welche Erörterungen sie gemacht haben, [so stellen wir fest:] sie haben die bestehenden Formen vollkommen über den Haufen geworfen, alles kaputt gemacht und geändert (jin fan ke jiu, dang ran yi gai 盡翻窠臼,蕩然一改). Sie wollen zu den alten Regeln der Han- und Tangzeit zurückkehren, dabei die Song beerben und diese dann entfernen, um so zu erreichen, dass für die Ewigkeit von zehntausend Generationen die Song nicht mehr als Dynastie gilt und Cheng und Zhu gar nicht mehr als Menschen. Danach erst sind sie in ihren Herzen zufrieden gestellt. Im ­Allgemeinen nennen sie dies „zurückkehren zum Altertum“ und es soll die Ohren, Augen, Gedanken und Gefühle aller Gelehrten auf der Welt [auf diese Linie] vereinheitlichen. Dabei stellen sie sich nicht auf die Basis einer erörterten

auch oben: „Plagiatoren“), der Vorwurf sich hier aber weniger um ein Plagiat als m.E. um die Legitimität dreht, die Wang der guwen-Literatur abspricht. Die guwen-Literatur der Acht Meister orientiert sich an den hanzeitlichen Vorlagen wie dem Shi Ji, ohne dieses aber zu plagiieren. Die „Acht Meister“ – oder Tang Song ba da jia 唐宋八大家 – bezeichnet neben den schon erwähnten Han Yu und Ouyang Xiu den tangzeitlichen Dichter Liu Zongyuan 柳宗元 (773–819) und die songzeitlichen Personen Zeng Gong 曾鞏 (1019–1083) und Wang Anshi 王安石 (1021–1086) sowie Su Shi 蘇軾 (1037–1101), sein Bruder Su Zhe 蘇轍 (1039–1112) und sein Vater Su Xun 蘇洵 (1009– 1066). Die Bezeichnung Tang Song ba da jia stammt natürlich auch nicht von diesen Literaten selbst, sondern geht auf die Mingzeit zurück. (Vgl. dazu auch Nienhauser 1986, 398 & 494–498). Obwohl er sich in diesem Satz gegen Wang Zhong wendet, meint er primär Ruan Yuan, dessen Literaturtheorie er ablehnt. 21 Es folgt eine ausgedehnte Anmerkung Fang Dongshus, in der er weitere Verleumdungen seiner Vorbilder nennt. Die Stele mit dem Namen Ping Huai Xi Bei 平淮西碑 stammt aus dem Jahr 816 und wurde von Han Yu geschrieben (Zongwen Da Cidian Nr. 9371.351).



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Meinung, sondern folgen frei ihren Gedanken und kritisieren dabei und greifen an, wobei sie wahr und falsch auf den Kopf stellen, und kommende Denker (wang zhe 往哲) betrügen und in die Irre führen. Jene, die das hinschmieren, machen sich einen Namen mit dieser Massnahme, jene, welche es weiterführen, führen im Schilde, auf dieser Basis ihre Beziehungen zu pflegen. Jene, die auf diesem Weg vorangegangen sind, sind bereits so weit, dass sie nicht mehr umkehren, und jene, welche später dazu stiessen, haben diese vulgäre Angewohnheit entwickelt und folgen [ersteren] daher nach.“ (Fang Dongshu 1998, 385). Ruan Yuan war wohl, wie Zhu Weizheng schreibt, die Person, die Fang mit seinem Hanxue Shangdui zu beeinflussen versuchte. Er war mächtig genug, Änderungen in Akademiecurricula und bei Prüfungen durchzusetzen und den schwindenden Einfluss der daoxue rückgängig zu machen. Zugleich aber vereinte Ruan auch viele der Punkte auf seine Person, die Fang Dongshu durch das gesamte Werk hin kritisiert. Dazu gehört auch der als letztes monierte Umstand: die Bildung von Seilschaften oder Interessengruppen innerhalb der hanxue. Ruan hatte einige Gelehrte an sich gebunden, von denen der gleich zu diskutierende Jiang Fan dem Gelehrten aus Tongcheng sicherlich der grösste Dorn im Auge war. Allerdings greift er im Hanxue Shangdui Ruan nicht mit grundsätzlichen Fragen zu seiner Gelehrsamkeit oder zur wahren Bedeutung von daoxue-Schlüsselbegriffen an. Viele der gegen Ruan gerichteten Kontroversen sind Anhänge von Kontroversen gegen andere, vor allem gegen Dai Zhen. Im Werk erscheint also Dai als der Urheber der Argumente, die Fang als Bedrohung für die diskursive Dominanz der Orthodoxie betrachtet, Ruan lediglich als jemand, der durch diese falschen Ansichten in die Irre geleitet ist, und der hiermit zur Umkehr gebracht werden soll.

Jiang Fan War Ruan Yuan der Adressat des Hanxue Shangdui, so war Jiang Fan der Stein des Anstosses zu diesem Werk. Jiang Fan hat mit seiner Schrift Hanxue Shicheng Ji die Reaktion Fang Dongshus hervorgerufen oder vielleicht auch provoziert, obwohl Fang solches nur zum Schluss der sechsten Kontroverse des ersten Kapitels andeutet. Und doch war es Fangs dreijähriger Aufenthalt in Kanton, der ihn dazu brachte, seine Kritik an der hanxue zu verfassen. Wie bereits erwähnt, standen sowohl Jiang Fan als auch Fang Dongshu im muliao Ruan Yuans in Lohn und Brot. Während Jiang Fan längere Zeit vom drei Jahre jüngeren Ruan Yuan ­protegiert worden war, wurde Fang erst ein Posten angeboten, nachdem Ruan nach Kanton versetzt worden war, um dort das Amt des Generalgouverneurs zu versehen. Erst zu diesem Zeitpunkt benötigte er Schreiber, die für ihn die Lokalchronik erstellten. In der chronologischen Biographie Fangs heisst es, dass Fang Dongshu nur

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für sehr kurze Zeit in Kanton blieb, nämlich nur während der Jahre 1819 und 1820, worauf er Kanton verlassen haben soll, nur um 1824 wieder zurückzukehren, und in privater Anstellung durch Ruan zu unterrichten (vgl. die Biographie). Er wurde zunächst lediglich für die Redaktion der Lokalchronik Kantons Guangdong Tongzhi 廣東通志 angestellt, aber gemäss der Biographie habe Ruan ihn weiter in Kanton behalten, und ihn auch für die Gesamtredaktion des Werkes verpflichtet. Fang war damit als Absolvent der ersten Prüfungsstufe nur ein beliebiger Zuarbeiter Ruan Yuans, den er wohl aufgrund seiner literarischen Fähigkeiten für seine Zwecke rekrutiert hatte. Jiang Fan, auf der anderen Seite, war seit langem ein treuer Weggefährte Ruan Yuans. Wie dieser in der Nähe von Yangzhou geboren, war er auf die Protektion eines hohen Beamten angewiesen, da er sein gesamtes Vermögen und die beachtliche Familienbibliothek 1786 bei einer Dürre eingebüsst hatte. Eine Protektion durch Ruan Yuan lässt sich allerdings erst ab 1813 belegen. Jiang Fan hatte zudem selbst keine Prüfungen abgelegt, er wird aber aufgrund der weiteren Zeugnisse seiner Gelehrsamkeit in Enzyklopädien als Inhaber des käuflichen Titels jiansheng 監生 bezeichnet.22 Da er keine eigene Stellung erreichen konnte, lebte Jiang häufig bei hohen Beamten in privater Anstellung, namentlich bei Grossekretär Wang Jie 王杰 (1725–1805) und später bei Ruan Yuan, als dieser 1813 der Lizheng-Akademie 麗正書院 in Huaian, Jiangsu, vorstand. Später in diesem Jahrzehnt lud Ruan ihn nach Kanton ein, wo Jiang Fan ebenfalls Mitglied des Redaktionsteams der Lokalchronik Guangdong Tongzhi 廣東通志 wurde. Jiang Fan hatte in der Schule Hui Dongs studiert. Seine Lehrer waren Huis direkte Schüler Yu Xiaoke 余蕭客 (1729–1777, unterrichtet ihn 1774 bis zu seinem Tod) und Jiang Sheng 江聲 (1721–1799, Unterricht ab 1777), und er fühlte sich der Schule der hanxue offensichtlich verpflichtet. Denn Jiang Fan verfasste 1812, im Alter von 51 Jahren ein Buch, das von Ruan Yuan mit einem Vorwort versehen und bereits 1818 in Kanton von Ruan herausgebracht wurde.23 Dieses Werk mit dem Namen Guochao Hanxue Shicheng Ji 國朝漢學師承記 (Aufzeichnungen über die Lehrtraditionen der Gelehrsamkeit im Stile der Hanzeit während unserer Dynastie) wurde

22 In ZHZ 715 wird er als jiansheng so bezeichnet. Hucker übersetzt den Titel eines jiansheng als „Student by Purchase Fourth Class“ und beschreibt diesen in seinem Dictionary of Official Titles in Imperial China von 1985 unter Nr. 856 wie folgt: „a subcategory of students by Purchase (lichien) in the National University consisting of men who were admitted without having passed at any level of the civil service examinations recruitment system, in recognition of their contribution of grain or money to the state“. (Für lijian 例監 vgl. Hucker 1985, #3596). 23 Solche Unterstützung zwischen Ruan und Jiang war gegenseitig. Jiang Fan verfasste das Vorwort für Ruan Yuans Han Yan Xi Xi Yue Huanshan Beikao 漢延熹西岳華山碑考 (Wang Zhangtao 2003, 579).



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der Anstoss zu Fang Dongshus Hanxue Shangdui.24 Die Tatsache, dass das Hanxue Shangdui eine Antwort auf das Hanxue Shicheng Ji darstellt, lässt sich an dessen Aufbau erkennen, wie auch an der Tatsache, dass der Titel auf die Bezeichnung „hanxue“ reagiert, das zuvor ein in Schriften kaum verwendetes Wort war. Was Fang Dongshu so erboste, war neben dem Inhalt des Werkes zusätzlich die Tatsache, dass Ruan als Unterstützung für das Werk seines Protegés ein Vorwort abgefasst hatte und dessen Publikation finanzierte. Neben diesem bekanntesten Werk Jiang Fans gibt es zwei weitere Titel, Jingshi Jingyi Mulu und Songxue Yuanyuan Ji, die mit dem Hanxue Shicheng Ji eine inhaltliche Einheit darstellen. Da, wie noch zu sehen sein wird, diese drei Werke eine einheitliche Attacke auf die daoxue darstellen, sollen hier alle drei behandelt werden. Die Werke werden in modernen Ausgaben auch gemeinsam zwischen Buchdeckel gebunden, etwa in der Ausgabe des Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong), die der vorliegenden Untersuchung als Referenztext zugrunde liegt.

Hanxue Shicheng Ji Das Hanxue Shicheng Ji ist eine personenbezogene Philosophiegeschichte in der Tradition von Huang Zongxis Ming Ru Xuean 明儒學案 oder Song Yuan Xuean 宋元學案. Das heisst, wie in den Biographien der Dynastiegeschichten werden nur Personen aufgenommen, es gibt keine abstrakte Abhandlung des Gegenstandes ausserhalb dieser Personenzentriertheit. Dies war die anerkannte Methode, eine geistesgeschichtliche Entwicklung darzustellen. Was Fang Dongshu störte, war die Tatsache, dass Jiang Fan in seinem Werk viele qingzeitliche Gelehrte für seine Schule vereinnahmte. Das Werk enthält Biographien und Werkbeschreibungen von 56 qingzeitlichen Gelehrten, die Jiang Fan zur Schule der hanxue zählte. Darunter sind solche Gelehrte, die sich gegen die daoxue aussprachen, und die wohl auch Fang Dongshu zur hanxue gezählt hätte. Es finden sich dort aber auch Biographien von textkritischen Gelehrten, die mit der hanxue als Versuch, die orthodoxe daoxue-Exegese zu kritisieren oder zu beseitigen, nichts zu tun hatten. Insbesondere nahm er eine Reihe früherer Gelehrter auf, um so zu konstruieren, dass die gesamte Qingzeit bereits ein Kampf gegen Zhu Xi gewesen

24 Gemeinsam mit dem Werk erschien als letzte Rolle eine Auflistung wichtiger Werke zu jedem der Sechs Klassiker, dem Lun Yu sowie dem Er Ya unter dem Titel Guochao Jingshi Jingyi Mulu 國朝經師經義目錄. 1822 (Datum des Vorworts) schrieb Jiang dann ein weiteres Werk mit dem Titel Guochao Songxue Yuanyuan Ji 國朝宋學淵源記, in dem er eine Aufteilung der qingzeitlichen daoxue-Gelehrsamkeit vornimmt in eine südliche und eine nördliche Schule (Yang Xiangkui 1994, 337–340).

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sei.25 Die gesamte Bewegung der hanxue, wie sie bei Jiang Fan dargestellt wird, ist eine konstruierte Tradition. Jiang Zeitgenosse Gong Zizhen 龔自珍 (1792–1841), der das Manuskripts las, lobte zwar das Werk, schlug Jiang allerdings vor, den Titel abzuändern in Guochao Jingxue Shicheng Ji 經學師承記 (Aufzeichnungen über die Lehrtraditionen der Klassikergelehrsamkeit während unserer Dynastie), weil er den gewählten Titel für den Inhalt als nicht angemessen erachtete.26 Ein interessantes Detail in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass Jiang Fan anfangs offenbar nicht plante, die seit Zhang Taiyan und Liang Cichao als Gründerväter qingzeitlicher Gelehrsamkeit gefeierten Huang Zongxi und Gu Yanwu in sein Werk aufzunehmen. Er meinte, diese seien zu sehr in der mingzeitlichen Denkweise verhaftet. Wieso er sie schliesslich doch aufnahm, ist nicht überliefert, aber seine relative Geringschätzung lässt sich an der Tatsache ablesen, dass die Einträge zu Huang und Gu in die letzte Rolle des Werkes verbannt wurden. (Yang Xiangkui 8:308–310) Elman schreibt zu diesem Thema, Jiang Fan habe sich auf eine leider nicht näher bezeichnete Sammlung von elf Biographien gestützt, die zuvor von Qian Daxin veröffentlicht worden sei. In dieser Sammlung fehlten Gu und Huang ebenfalls (Elman 1984, 75). Das Hanxue Shicheng Ji ist aufgrund seiner Entstehungsgeschichte als ein Werk anzusehen, das Schulinteressen wahrnimmt, indem es Gelehrte der eigenen Schule zuschlägt, und indem es de facto eine Philosophie- oder Gelehrtengeschichte der Qingzeit darstellt, die aber nur gewisse Ausrichtungen der Gelehrsamkeit berücksichtigt. In welch starkem Mass diese Darstellung das moderne Verständnis der qingzeitlichen Gelehrsamkeit beeinflusste, lässt sich etwa an der von Arthur Hummel herausgegebenen Sammlung von Gelehrtenbiographien ablesen, dem weithin verwendeten prosopographischen Handbuch Eminent Chinese of the Ch’ing Period. Mehrere der Biographien bei Hummel wurden mit denjenigen bei

25 Als Beispiele für Jiangs grosszügige Auffassung des Begriffs „hanxue“ seien hier zwei zitiert: Jiang nahm den relativ unbekannten Ma Su 馬驌 (1621–1673) in sein Werk auf, einen Historiographen und jinshi von 1659, der mit der hanxue im Sinne Hui Dongs und vor allem Dai Zhens nichts zu tun hatte. Ähnliches gilt für Qian Daxin, den Forscher in den Bereichen Dynastiegeschichten und Phonologie, der eine zentrale Figur des kaiserlichen bibliographischen Sammlungsprojektes Siku Quanshu war. Er war aber kein expliziter Kritiker Zhu Xis. Qian kritisierte sogar die philosophischen Anstrengungen Dai Zhens und verkörperte wie wenige andere das kaozhengxue-Prinzip, sich nur auf die philologische Seite zu konzentrieren. Wie Oncho Ng und Edward Q. Wang in ihrem Mirroring the Past beschreiben, implizierte Qian Daxins historischer Ansatz zwar, die Geschichte nicht mehr gemäss moraltheoretischen Prinzipien zu verstehen, aber Fang greift diesen Aspekt nicht an (Ng u. Wang 2005, 243–246). Für die beiden Einträge vgl. Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 23 u. 51. 26 vgl. den Brief Gong Zizhens an Jiang in Yang Xiangkui 1994, 8:342–343, sowie Zhou Yutong 1983, 858 und Ma Wenda & Chen Jian 1998, 217.



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Jiang Fan verglichen. Dabei fällt auf, dass insbesondere die biographischen Einträge von Vertretern der Suzhou-Schule Hui Dongs (wu pai 吳派, die ursprüngliche hanxue) in Hummels Bänden stets von Hiromu Momose oder Fang Chao-ying abgefasst wurden. Dabei legte der Mitarbeiter Hummels den Fokus jeweils auf dieselben Aspekte, die zuvor schon Jiang Fan hervorgehoben hatte. Daher drängt sich die Vermutung auf, Jiang Fans Werk sei eine wichtig Grundlage für Hiromu Momose gewesen. Hiromu schrieb u.a. die Biographien von Yu Xiaoke, Hui Dong, Hui Shiqi 惠士奇 (1671–1741), Jiang Fan und Jiang Sheng. Die Entstehungsumstände von Jiangs Werk ebenso wie die Ansichten seines „Kollegen“ oder seines „Arbeitgebers“ werden nicht Fangs Zustimmung gefunden haben, jedoch brauchte es mehr als dies. Persönliche Zurückweisung kann nicht das Motiv für das Abfassen des Hanxue Shangdui gewesen sein. Was also störte Fang Dongshu an Jiang Fans eigentlichem Werk? Meiner Einschätzung zufolge war es die Darstellung der daoxue, die die bei Fang den grössten Widerstand hervorgerufen haben dürfte. In einer kurzen Vorrede zu den Biographien schildert Jiang sein Verständnis der Entwicklung der chinesischen Klassikergelehrsamkeit. Dass die hanzeitlichen Philologen darin als Höhepunkt der Exegese angesehen werden, versteht sich von selbst. Ab der Wei-Jin- und der Tangzeit wurde die Klassikergelehrsamkeit immer stärker durch Fehler belastet, so dass man vom rechten Pfad der Han abkam. Die songzeitliche daoxue wird dann endgültig als Irrweg bezeichnet, wodurch ihr natürlich die korrekte Deutung der Lehre abgesprochen wird. Jiang schrieb hierzu: „Zu Beginn der Song wurden die Fehler der Tangzeit fortgeführt, so dass häretische Lehren und irreführende Aussagen entstanden, die Klassiker in Unordnung gerieten und der Weise in Abrede gestellt wurde. Das war zu Beginn schon sehr gravierend. Etwa solche Dinge wie die „Gedichte“ Ouyang Xius, das Chunqiu Sun Mingfus oder die „Neue Politik“ des Wang Anshi. Als es dann zur Gelehrsamkeit von Zhou Dunyi, Zhang Zai, der Cheng-Brüder sowie Zhu Xi kam, forschten diese nicht nach dem Ursprung von rituellem Verhalten und Musik, sondern erhoben einzig die Bedeutung von menschlicher Natur und Schicksal zur Richtgrösse.27 Alle Werke, die mit Subkommentaren auf die Bedeutung hinweisen, wurden in hohen Pavillons weggesperrt und als etwas vollkommen Nutzloses weggeworfen28 und als [ebenso wertlos wie] Spreu

27 Dieses Zitat von Jiang Fan entstammt seiner Einleitung zu seinem Hanxue Shicheng Ji. Er verwendet nicht die Namen der Gelehrten, sondern nennt sie dem Usus folgend nach ihren geographischen Herkunftsorten lian, luo, guan und min 濂洛關閩 (vgl. Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong), 6). 28 Der hier metaphorisch für etwas vollkommen Nutzloses verwendete Ausdruck bian mao 弁髦 bezeichnet wörtlich die Haare von Knaben, welche bei der Bekappungszeremonie abgeschnitten und weggeworfen wurden. Sie stehen metaphorisch für etwas Wert- und Nutzloses (HYDCD 2:1310).

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betrachtet. Generell gibt es immer zu viele, die mit den Regeln mitgehen und zu wenige, nach denen man sich richten kann.“29 Fangs Replik macht deutlich, dass er diese Darstellung ablehnt, insbesondere die Unterstellung, die daoxue habe nicht nach dem Ursprung von Riten und Musik gesucht, sondern nur die menschliche Natur (xing) und das Schicksal (ming) als Richtgrössen gelten lassen. In seiner Replik bringt er die bei Jiang als getrennte Entitäten aufgefassten Paare in Verbindung zueinander. Die Replik lautet: „Die Bedeutung von menschlicher Natur und Schicksal ist ja eben der Ursprung von rituellem Verhalten und Musik. Deswegen sagte Konfuzius: ‚Etwas zu sagen und es dann auch umzusetzen, das ist rituelles Verhalten; eine Sache auszuführen und sich daran zu erfreuen, das ist die Musik‘30 Seit den Zeiten der Han- und der Jindynastie haben einzig die songzeitlichen Konfuzianer Zhou [Dunyi] und Cheng [Yi] diesen Ursprung erkannten und zusammengebracht. Heute aber werden gerade sie dafür kritisiert.“ (Fang Dongshu 1998, 277). In einem zweiten Schritt greift Fang dann die Kritiker selbst an, indem er sie zunächst als im Vergleich zu den songzeitlichen Meistern unwissend verunglimpft und ihnen dann, anhand eines Zitates Cheng Yis, vorführt, wie unbegründet ihre Anschuldigungen sind: „Das ist als ob Hirtenjungen die Kleidung und Nahrung von adeligen Familien erörterten: es ist einfach unangebracht und es passt wirklich allzu sehr nicht zusammen! ‚Die Riten [alleine, ohne die rechte innere Haltung] sind nur eine Abfolge [von Handlungen], die Musik [alleine] ist nur die Harmonie [von Tönen]‘.31 Diese Aussage von Meister Cheng reicht ­eigentlich schon vollauf, um die Herkunft von Riten und Musik zu erklären!“ (Fang Dongshu 1998, 277).

29 Dieses Zitat findet sich in Jiang Fans Vorwort zu Hanxue Shicheng Ji. Der originale Wortlaut lautet: „宋初, 承唐之弊, 而邪說詭言, 亂經非聖, 始有甚焉。 如歐陽修之《詩》, 孫明復 之《春秋》,。 王安石之〈新義〉, 是已。 至於濂、 洛、 關、 閩之學, 不究禮樂之源, 獨 標性命之旨。 義疏諸書, 束置高閣, 視如糟粕, 棄等弁髦。 蓋率履則有餘, 考鏡則不足也。 “ Fang Dongshu antwortet auf diese Aussage in der fünften Kontroverse von Rolle 2 (vgl. (Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 6 u. 277). 30 Das Konfuzius-Zitat entstammt nicht dem Lunyu, sondern dem 37. Kapitel „wen yu 問玉“ des Kongzi Jiayu 孔子家語. Für „erfreuen“ und „Musik“ wird dasselbe chinesische Schriftzeichen verwendet. Wilhelm übersetzt: „Der Geist der Sitte besteht darin, dass man seinen Worten entsprechend zu handeln vermag. Der Geist der Musik besteht darin, dass man bei seinen Handlungen Freude zu wahren versteht.“ (vgl. Richard Wilhelm 1981, 139). 31 Die zitierte Stelle lautet im Original: „li zhi shi yi ge xu, yue zhi shi yi ge he 禮只是一箇序, 樂只 是一箇和“ und sie findet sich im Kapitel „Yichuan xiansheng yu si 伊川先生語四“ des Er Cheng Yishu 二程遺書 (vgl. Cheng Hao u. Cheng Yi 2000, 276).



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Es ist hier ein weiteres Mal deutlich zu erkennen, dass Fang Dongshu ebenso wie Jiang Fan aus der Position ihrer jeweiligen Schule argumentiert, und dass es daher gar nicht möglich ist, dass der eine den anderen argumentativ ­überzeugen könnte. Vom Standpunkt eines nicht an der Auseinandersetzung beteiligten modernen Beobachters kommt man nicht umhin festzustellen, dass die Anschuldigungen Jiang Fans ebenso einseitig sind wie die Erwiderungen durch Fang Dongshu. Deshalb ist der Umstand problematisch, dass die diskursive Einseitigkeit der Schriften Jiang Fans perpetuiert wird indem das Hanxue Shicheng Ji die Grundlage war für viele biographischen Beschreibungen von Gelehrten in der Forschungsliteratur und insbesondere auch in Hummels Eminent Chinese of the Ch’ing Period.

Songxue Yuanyuan Ji Jiang Fans Bekanntheit als Autor der chinesischen Geistesgeschichte stammt ­vornehmlich, aber nicht nur, von seinem bekanntesten Werk, dem Hanxue Shicheng Ji. Ebenso geht sie aber auch auf einen kürzeren Text zurück mit vergleichbarem, wenn auch komplementärem Inhalt: 1822 verfasste Jiang auch ein Werk über die daoxue-Tradition der Qingzeit, dem er den Titel Guochao Songxue Yuanyuan Ji 國朝宋學淵源記 (Aufzeichnungen über den Ursprung der songzeitlichen Gelehrsamkeit in unserer Dynastie) gab. Darin enthalten sind neununddreissig Biographien (bei Hummel heisst es fälschlicherweise: vierzig) qingzeitlicher Gelehrter. Wie nach dem oben Gesagten bereits zu erwarten, werden diese Gelehrten nicht sehr positiv dargestellt. Insgesamt ist das Werk das Gegenstück zu Jiangs Lobrede auf die hanxue, denn die Biographien sind ebenso mit einer kritischen bis ablehnenden Grundhaltung verfasst, wie es diejenigen der hanxue mit einer gewogenen bis bewundernden Einstellung waren. Das Vorwort stammt vom Militärbeamten Wei Rugui 衛汝貴 (~1835–1895), dessen Familie aus Hefei in Anhui stammte, und dieser schreibt, dass Jiang ursprünglich erneut Ruan Yuan um das Vorwort bitten wollte. Also auch hier war ursprünglich Kontinuität beabsichtigt. Selbst Jiangs eigenes Vorwort ist ebenso wie jenes des grösseren Werkes eine Zusammenfassung der Geschichte der Klassikergelehrsamkeit seit der Hanzeit, wobei sich Jiang hier nicht gross mit Phasen wie der xuanxue 玄學 der Wei-Jinzeit aufhält, sondern direkt auf das Problem der unterschiedlichen Forschungsansätze hanzeitlicher und songzeitlicher Klassikerexegese zu sprechen kommt. Dieses wird selbstverständlich aus der Perspektive der eigenen Schule erörtert. Der hanzeitlichen Exegese wird die Funktion eines Bindegliedes zugeschrieben. Erst ihre philologische Exegese und Ausführungen zu den Ritenklassikern ermöglichten es der chronologisch späteren daoxue, ihre Erörterungen der Rechten Ordnung von menschlicher Natur und Schicksal zu entwickeln.

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Namentlich Zheng Xuan wird zitiert, dessen Auswirkung Jiang mit bewusst an den Daxue-Kommentar anklingender Rhetorik beschreibt: „so dass die philologischen Glossen die Worte der Weisen verständlich werden lassen, so dass die Lehre, wie man das Herz richtigstellt und die Absichten wahrhaftig macht, von selbst verständlich wurde. Riten und Musik wurden zur Grundlage der Erziehung und der Weg des Instandstellens, des Ausgleichens, des Ordnens und des Befriedens wurde von selbst vollendet.“32 Zwar gesteht Jiang Fan Zhu Xi zu, dass dieser sich lobend über Zheng Xuan geäussert habe, allerdings folgt gleich darauf ein längerer Absatz, der die Zerstrittenheit der song- und mingzeitlichen daoxue betont. Jiang hebt die Zerrissenheit in Schulen hervor, und er behauptet, dass die songzeitlichen Meister sich von den seit der Han und Tang existierenden Traditionen abgeschnitten hätten. Er wiederholt auch den wohlbekannten Vorwurf an die Adresse der daoxue, für die Aufteilung des ehemals ungeteilten konfuzianischen Weges in die beiden Betätigungsfelder des kaiserzeitlichen Chinas ab der Song verantwortlich zu sein, was sich in den Biographien der Dynastiegeschichte der Songzeit zeige.33 In Anspielung auf die Tatsache, dass dort für konfuzianische Gelehrte erstmals eine Abteilung rulin (für konfuzianische Beamte, Kommentatoren, xinxue-Gelehrte etc.) und eine weitere für daoxue (der daoxue-Gelehrten) eingeführt wurde, warf Jiang seinen Gegnern vor, den Konfuzianismus aufgeteilt zu haben in eine politisch-ausführende (rulin) und eine gelehrt-philosophische Seite (daoxue). Der Abschnitt zur qingzeitlichen Gelehrsamkeit wird eingeleitet mit den Worten: „In unserer Dynastie haben die unterschiedlichsten Leute sich als „Weise“ hervorgetan und mit Literatur und dem Rechten Weg das Reich zu verändern versucht. Die meisten davon sind oberflächlich und falsch, und sie haben vermieden, es in die Praxis umzusetzen. Als Folge davon existierten die talentierten Gelehrten, die so üppig hervortraten wie Pflaumen an einem Baum, überall nur noch wie ein Überbleibsel aus der Nähe des Konfuzius.“34

32 „yi guxun tong shengren zhi yan, er zheng xin cheng yi zhi xue zi ming yi. Yi li yue wei jiaohua zhi ben, er xiu qi zhi ping zhi dao zi cheng yi 以故訓通聖人之言, 而正心誠意之學自明矣。 以禮 樂為教化之本, 而修齊治平之道自成矣。 “ vgl. Hanxue Shicheng Ji 1998, 186 33 In Fang Dongshus Hanxue Shangdui ist die allererste Kontroverse dieser Frage gewidmet, was die Brisanz dieser Frage dokumentiert. Anlass zur Kontroverse ist dort eine Aussage Mao Qilings, in der er der daoxue vorwirft, die Lehre gespalten zu haben. Sehr wahrscheinlich ist der Vorwurf aber schon älter als Mao Qiling. Es steht zu vermuten, dass Kritiker der daoxue den Umstand ausgenützt haben, sobald die Kompilation der Dynastiegeschichte der Songzeit Song Shi abgeschlossen war. 34 In Jiangs Vorwort des Songxue Yuanyuan Ji heisst es im Original: 我朝聖人首出庶物, 以文道 化成天下, 斥浮偽, 勉實行, 於是樸棫之士, 淋淋有洙、 泗之遺鳳焉。 (Hanxue Shicheng



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Offensichtlich konnte Fang Dongshu keine Freude an dieser Darstellung haben. Die Lebensumstände im Reich seit den 1780er Jahren hatten sich zudem stark zum Schlechten gewandelt. Da Fang diese Zeit zurecht als die Phase des grössten Einflusses der kaozhengxue und zunehmend auch der hanxue betrachtete, muss ihm die Darstellung Jiang Fans geradezu absurd vorgekommen sein. Für ihn stellte es sich so dar, dass das Leben im Reich schlechter wurde in präzise dem Zeitraum, da die Textkritik sich anschickte, der Moraltheorie die diskursive Deutungshoheit zu emtreissen. Ganz im Gegensatz ist die Literatur ein Ausdruck der konfuzianischen Lehre, die sie ja nach orthodoxer Auffassung zu vermitteln hatte, wie Zhou Dunyis Credo wen yi zai dao 文以載道 (=> „Die Literatur soll das Vehikel sein, mittels dessen der Rechte Weg vermittelt wird“) ausdrückt.

Jingshi Jingyi Mulu Da Jiangs Werk Songxue Yuanyuan Ji erst 1822 fertig gestellt wurde, war es Fang zum Zeitpunkt, da dieser sein Werk beendete, möglicherweise nicht untergekommen.35 Eindeutig hinterliess hingegen Jiangs bibliographischer Katalog Guochao Jingshi Jingyi Mulu 國朝經師經義目錄 seine Spuren im Hanxue Shangdui. Diese Arbeit, die im Gegensatz zum Songxue Yuanyuan Ji traditionell als Teil des Hanxue Shicheng Ji aufgefasst wurde, liefert zu jedem der wichtigen Klassiker eine Auflistung der dazu verfassten Literatur seit der Hanzeit.36 Fang Dongshu reagierte auf diese Darstellung, indem er die letzte Rolle seines Hanxue Shangdui nutzte, um entsprechend seine Ansichten zur Forschungsgeschichte dieser Werke ­auszudrücken.

Ji 1998, 187). Der Ausdruck yupu 樸棫 ist eine Anspielung auf Gedicht Nr. 238 des Shi Jing; das diesen Namen trägt. 35 Das Datum der Fertigstellung 1822 lässt allerdings die Vermutung entstehen, Jiang habe sein zweites Werk verfasst, während Fang sich in Guangzhou aufhielt. Obwohl es nicht rekonstruierbar ist, ob Fang von diesem Projekt Jiangs wusste, liegt die Vermutung sehr nahe, ihn habe die Tatsache zusätzlich erbost, dass sein Widersacher eine tendenziöse Auslegung der Philosophiegeschichte schrieb, während er mit diesem in Kontakt stand. 36 Das Jingshi Jingyi Mulu enthält Informationen zu den folgenden Klassikern: Yi Jing, Shang Shu, Shi Jing, Li Jing, Chunqiu Jing, Lunyu, Er Ya und zum Yue Jing. Fangs Repliken behandeln das Lunyu nur als Teil der Vier Bücher, und er sagte nichts zu einem vermuteten Klassiker der Musik (Yue Jing), dafür aber zu Werken mit Blick auf die Gesamtbedeutung der Klassiker (Jing Yi Zong 經義總).

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Als Beispiel sei hier auf die erste Kontroverse der vierten Rolle des Hanxue Shangdui zur Rezeption des Yi Jing verwiesen, die sich zu Beginn der vierten Rolle des Hanxue Shangdui findet: Die Kontroverse beginnt mit folgender Aufzählung, die auf Jiang Fan zurückgeht: Zum Yi Jing gibt es von Hu Wei das Yi Tu Ming Bian, von Hui Shiqi das Yi Shuo, von Hui Dong die Werke Zhou Yi Shu, Yi Hanxue, Yi Li und Zhou Yi Benyi Bianzheng, von Hong Bang das Yi Shu Zan 易述贊, und von Zhang Huiyan das Yu Shi Yi 虞氏義 und Yu Shi Xiaoxi 虞氏消息.37 Herr Hui Shiqi sagte: „Wenn die hanzeitlichen Konfuzianer über die Wandlungen sprachen, so war das wie Meng Xi mit seinen ‚Zeitabschnitten der Hexagramme‘,38 wie Jing Fang mit den ‚durchdringenden Veränderungen‘,39 wie Xun Shuang mit dem ‚Aufsteigenden und

37 Literatur zum Yi Jing: Die hier erwähnten Werke stimmen genau mit den von Jiang Fan in seinem Werk Guochao Jingshi Jingyi Mulu 國朝經師經義目錄 zitierten überein. Die erwähnten neun Werke stellen keine vollständige Liste der ins Huang Qing Jing Jie aufgenommenen Werke zum Yi Jing dar. So werden Werke von Jiao Xun, Gu Yanwu oder Mao Qiling nicht erwähnt (Chen Jiuzhi und Xie Huixian 1992, 51–52). 38 Analyse-Ansätze zum Yi Jing: Es folgen nun einige Interpretationsansätze, die einzeln erörtert werden. ‚Zeitabschnitte der Hexagramme‘: gua qi 卦氣 ist eine Exegeseansatz, welcher versucht, das Yi Jing in die Kosmologie einzubetten. Der Ansatz geht auf Meng Xi zurück, wurde aber auch von Jing Fang aufgegriffen. Dabei werden die 64 Hexagramme in ein kosmologisches System mit den zwölf Monaten, den 24 zweiwöchigen Zeitabschnitten des Bauernkalenders und den 72 hou 候 eingebettet (ZRBQ 1997, 432–433). 39 Die ‚durchdringenden Veränderungen‘, tong bian 通變, lassen sich nicht unzweifelhaft verstehen. Der Ausdruck wird im Zusammenhang mit dem Yi Jing nicht allgemein verwendet, und so findet sich im Zhongwen Da Cidian 39739.401 nur der Hinweis, es handle sich um einen Analyseansatz zum Yi Jing, der auf Jing Fang zurückgehe. Als Beleg aber wird einzig das Zitat von Jiang Fan angegeben, welches auch Fang Dongshu hier zitiert. M.E. handelt es sich bei dem Begriff um eine Abwandlung von gua bian 卦變, einer Herangehensweise ans Yi Jing, die auf Xun Shuang und Yu Fan zurückgeht, und welche Jiang Fang in seinem Bedürfnis nach Historisierung oder als Fehler Jing Fang zugeschrieben hat. Da er im vorhergehenden Satz bereits von gua qi sprach, wollte er möglicherweise aus stilistischen Gründen nicht schon wieder gua anführen. Auch in der ausführlichen Studie hanzeitlicher Herangehensweisen an das Yi Jing erwähnt Liu Yujian eine solche Technik bei seiner Erörterung Jing Fangs nicht, wenn er auch darauf hinweist, dass der Ursprung des gua bian und yao bian 爻變 durchaus bei Jing Fang gesehen werden kann (Liu Yujian 1996, 305–308). Bei der gua bian-Analyse wird grosses Gewicht auf die Verwandlung der Hexagramme gelegt, wobei Paare ausgemacht wurden, die wechselseitig in Verbindung stehen, und denen ein spezielles Verhältnis zugestanden wird. Das als „Aufsteigen und Absinken“ übersetzte Analyseverfahren bildet die Grundlage für gua bian (vgl. Shen Diemin 1939 u. ZRBQ 1997, 434).



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Absinken‘,40 wie Herr Zheng Kangcheng mit ‚Einzellinien und Polarstern‘41 oder wie Yu Fan mit dem ‚Verbinden mit den Himmelsstämmen‘.42 Diese verschiedenen Theorien waren nicht identisch, aber sie lassen sich doch auf eine [allen gemeinsames Prinzip] zurückführen, und daher dürfen sie nicht verworfen werden.“ Der textus receptus des Yi Jing geht auf Herrn Fei [Zhi] zurück. „Der guwen-Text des Herrn Fei wurde von Wang Bi vollständig zu einem vulgären Werk umgearbeitet, zudem hat er die Theorie der hohlen Bilder (xu xiang 虛象) erschaffen,“ so dass das Yi Jing in der Alttext-Version verloren ging. „Die Wandlungen, das bedeutet die Bilder (xiang 象). Der Weise besah sich die Bilder, und [formulierte] danach die ausführlichen Worte (xi ci 繫辭). Der Edle besah sich die Bilder und spielte mit den Worten (wan ci 玩辭). Die vierundsechzig Hexagramme sind allesamt konkrete Bilder (shi xiang 實象). Woher sollte da wohl das Hohle kommen?“

40 Aufsteigen und Absinken: Hinweis auf die sheng jiang-Technik 升降 des Xun Shuang. Diese wird auch qian kun sheng jiang 乾坤升降 genannt. Laut ZRBQ 1997, 433 hat Xun selbst die Technik nicht weiter ausgeführt, sondern unser Wissen gründet in erster Linie auf Hui Dongs Ausführungen in Yi Han Xue 易漢學. Demnach wird grosses Gewicht auf die Frage gelegt, ob bestimmte Einzellinien der Hexagramme yang- oder yin-Linien sind. Das „Aufsteigen und Absinken“ bezieht sich auf die machtpolitische Stellung, welche aus den Einzellinien geschlossen wird (vgl. auch Liu Yujian 1996, 521–545). 41 Einzellinien und Polarstern: Die hier angesprochene Technik heisst yao chen 爻辰 und sie geht auf Zheng Xuan zurück. Dieser hat die zwölf Einzellinien der beiden grundlegenden Hexagramme qian und kun mit den zwölf Monaten, bzw. den diese bezeichnenden Erdzweigen korreliert und auf dieser Basis die yao-Linien der Hexagramme zu erklären versucht. Die Übersetzung von chen als „Polarstern“ geht auf meine Einschätzung zurück, dass damit nicht der Erdzweig chen gemeint ist, als vielmehr der Polarstern, welcher als Konstante am Himmel die zwölf Erdzweige um sich herum drehen sieht. Über den Ursprung der Theorie gab es in der Qingzeit kein eindeutiges Urteil. Hui Dong hielt die apokryphe Schrift Qian Zao Du 乾鑿度 für den Ursprung, Zhang Huiyan und Pi Xirui hatten andere Erklärungen (ZRBQ 1997, 434–435; Liu Yujian 1996, 359–411, zum Ursprung vgl. 405–410). 42 Der ‚na jia‘ 納甲 genannte Ansatz des ‚Verbindens mit den Himmelsstämmen‘ geht laut ZRBQ 1997, 434 auf Jing Fang zurück (vgl. Anmerkung 46 unten), wurde aber von Yu Fan weiterentwickelt. Dabei geht es um ein Zusammenbringen der 64 Hexagramme mit den zehn Himmelsstämmen und den zwölf Erdzweigen, bzw. den 60 Kombinationen dieser beiden. Bei Yu Fan wurden auf dieser Basis die 8 Trigramme mit den 10 Himmelsstämmen in Verbindung gebracht.

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 Fang Dongshu und seine Gegner

Herr Jiang Fan schrieb dazu:43 „Seit der [Regierungsperiode] yongjia44 wurden die beiden Kommentare von Zheng Xuan und Wang Bi ins nationale Curriculum (guoxue 國學) aufgenommen. Bis zur Südlichen Qi hat man die Bedeutungsangaben von Zhengs Kommentar verwendet. In der Sui- und Tangzeit wurde dann einzig noch auf Wang Bi vertraut, so dass die Kommentare aller Konfuzianer der Han- und Jinzeit verloren gingen. Einzig Herr Li der Tangzeit hat in seinem Ji Jie45 die Erklärungen der verschiedenen Konfuzianer gesammelt und so das eine oder andere von Meng Xi, Jing Fang, Ma Rong, Zheng Xuan, Xun Shuang, Liu Biao, Song Zhong, Yu Fan und Lu Ji bewahrt.46 Folglich wurde es möglich, Konzepte

43 In diesem Kapitel zitiert Fang Dongshu ausführlich aus Jiangs Werk Guochao Jingshi Jingyi Mulu 國朝經師經義目錄, welches als ein Verzeichnis der relevanten Werke der hanxue an das Hauptwerk Hanxue Shicheng Ji angehängt wurde. Die hier passim zitierte Passage findet sich in Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 162–163. 44 Regierungsperiode yongjia 永嘉: Es gab zwei verschiedene Regierungsperioden dieses Namens in der chinesischen Geschichte, einmal in der Östlichen Hanzeit (im Jahr 145) und erneut in der Westlichen Jinzeit (307–313). Da Wang Bi in der ersten noch nicht geboren war, muss es sich um die jinzeitliche Periode handeln. 45 Herr Li aus der Tangzeit: Fang zitiert hier unkorrekt. Wie Zhu Weizheng in einer editorischen Anmerkung schreibt, heisst es bei Hui Dong: „Li Ding ping Zhouyi Jijie 李鼎評《周易集解》“. Der Autor der Arbeit hiess Li Dingzuo 李鼎祚 (?–?; fl. Tang), und er hat in seinen Zhouyi Jijie《周易 集解》über 30 Kommentare der Han, Wei- und Liu Chao-Zeit überliefert, die so erhalten blieben. Zudem hat er seinen Kommentar privat finanziert, was sehr selten war. (Feifel 1982, 222; ZHZ 1009). 46 Meng Xi 孟喜, Jing Fang 京房, Ma Rong 馬融, Zheng Xuan 鄭玄, Xun Shuang 荀爽, Liu Biao 劉表, Song Zhong 宋衷, Yu Fan 虞翻 und Lu Ji 陸績: Meng Xi 孟喜 (?–?; Westl. Hanzeit) begründete eine der vier Überlieferungstraditionen des Yi Jing, welche später die guwen-Lehrtradition wurde (ZHZ 1613; zur guwen-Begründung vgl. das erste Nachwort zum Shuowen Jiezi in Duan Yucai 1988, 765a; Loewe 2000, 438). Es gibt in der Westlichen Hanzeit zwei Gelehrte namens Jing Fang 京房 (ZHZ 1555; Loewe 2000, 199–200). Beide waren Spezialisten fürs Yi Jing, aber der spätere der beiden (77–37 v.Chr.) war erstens der bekanntere und zweitens passt er in die chronologische Abfolge dieser Aufzählung. Er war der Autor des Jing Shi Yi Zhuan 京氏易傳. Zu Zheng Xuan vgl. die verschiedenen Anmerkungen in den vergangenen Kapiteln. Xun Shuang 荀爽 (128–190) war ein Gelehrter der Westlichen Han, der sich nicht auf einen bestimmten Klassiker spezialisierte. Er verfasste Schriften zu allen Klassikern, Huang Shi 黃奭 rekompilierte Schriften zum Yi Jing und Liji (ZHZ 1680; ZHZ Zhongguo Congshu Zonglu 1986, Vol. 3, 621). Liu Biao 劉表 (142–208) und Song Zhong 宋衷 (?–?; Östliche Han) waren Gelehrte ohne spezifische Klassikerspezialisierung. Sie legten den Text der offiziellen Ausgabe Wu Jing Zhangju 五經章句 fest. (ZHZ 1181; Zhongguo Congshu Zonglu 1986, Vol. 3, 529). Lu Ji 陸績 (188–219) schliesslich war ein Gelehrter und Politiker im Staat Wu der Drei Reiche. Er war ein Spezialist des Yi Jing und im Zhongguo Congshu Zonglu wird ihm die Autorschaft eines Kommentars zum Jing Shi Yi Jing zugeschrieben. (ZHZ 1310, Zhongguo Congshu Zonglu 1986 Vol. 3, 725).



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wie die folgenden mitsamt ihrer Veränderungen und Teilbetrachtungen47 intensiv zu untersuchen: die ‚Zeitabschnitte der Hexagramme‘, die ‚sechs Tage und sieben Teile‘,48 die ‚wandelnden und zurückkehrenden Hauchseele‘,49 die ‚Offensichtliches und Verborgenes‘,50 die ‚Einzellinien und der Polarstern‘, ‚Austausch und

47 Veränderungen und Teilbetrachtungen: Die vier Schriftzeichen zhi bian ban jian 之變半見 sind in der Ausgabe Zhu Weizhengs als Teile der Aufzählung interpungiert, so als ob die beiden Ausdrücke in die Liste der Analysemethoden gehörten, was m.E. unkorrekt ist. Im Gegensatz zu den in der Aufzählung genannten Methoden handelt es sich bei den Verwandlungen und den Teilbetrachtungen um Veränderungen, die mit allen Hexagrammen durchgeführt werden können, indem nämlich ein Hexagramm in ein anderes verwandelt wird oder indem man sich nur einen Teil eines Hexagramms betrachtet. Beide Ausdrücke bezeichnen Methoden der Hexagrammpermutation, die sich innerhalb des Yi Jing-Systems bewegen, während die Analyseansätze alle die Hexagramme mit Systemen in Verbindung bringen, die ausserhalb des Yi Jing liegen, wie die Himmelsstämme in na jia oder die politische Machtstellung des Herrschers und Ministers in sheng jiang. Der Ausdruck ban jian bezeichnet m.E. die bei Liu Yujian ban xiang 半象 genannte Methode, wonach aus einem Trigramm nur zwei Striche betrachtet werden, wodurch zwei Trigramme zueinander in Verbindung gebracht werden, weil durch Hinzufügen eines dritten Striches eines dieser beiden Trigramme entsteht (Liu Yujian 1996, 174). 48 Die ersten beiden Ansätze liu ri qi fen 六日七分 (=>Sechs Tage und sieben Teile) hängen zusammen und die Interpunktion der Ausgabe Zhu Weizhengs erscheint hier falsch. Die liu ri qi fen gehen auf Meng Xi zurück, wenn Liu Yujian auch vermutet, dass Zi Xia sich ihrer bereits bedient haben könnte (Liu Yujian 1996, 134–141; 164; 285–290). Bei diesem Ansatz geht es darum, die nach Abzug der vier „korrekten“ Hexagramme (si zheng gua 四正卦) übrig gebliebenen 60 Hexagramme mit den 364 Tagen des Jahres in Übereinstimmung zu bringen, was für jedes Hexagramm ca. 6,7 ergibt. Die vier zheng gua sind die vier im „shuo gua zhuan 說卦傳“ den vier Himmelsrichtungen und den vier Jahreszeiten zugeordneten Hexagramme kan 坎, zhen 震, li 離 und dui 兌 (vgl. Liu Yujian 1996, 121–129). 49 Wandelnde und zurückkehrende Hauchseele you hun gui hun 游魂歸魂: Jing Fang hat die 64 Hexagramme in acht Gruppen zu je acht Hexagrammen eingeteilt, die „acht Paläste“ ba gong 八宮 um die Abfolge der Hexagramme festzulegen. die ersten sechs Achtergruppen bezeichnete er als shi 世, die letzen beiden als you hun und gui hun (Liu Yujian 1996, 221; 225–227). 50 Offensichtliches und Verborgenes fei fu 飛伏: Dieses ebenfalls auf Jing Fang zurückgehende Konzept geht davon aus, dass in den Hexagrammen gewisse Konstellationen wie die innerhalb des Hexagramms zu erkennenden Trigramme offensichtlich (fei) sind, andere aber verborgen (fu). Die Mechanismen dieser Unterscheidung waren mir nicht verständlich. Gemäss Liu Yujian erstreckt sich diese Unterscheidung auf Hexagramme und auf Einzellinien, weshalb er zwischen fei fu gua und fei fu yao unterscheidet (Liu Yujian 1996, 264–268).

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 Fang Dongshu und seine Gegner

Wechselseitigkeit‘,51 ‚Zunahme und Abnahme‘,52 ‚Aufsteigenden und Absinken‘ und das ‚Verbinden mit den Himmelsstämmen‘. Es gibt niemanden, der wie Wang [Bi] und Han [Kangbo] mit ihrem „reinen Gesprächen“53 und Cheng und Zhu mit ihrer lixue die Herzen der Menschen unverrückbar [im Falschen] festgezurrt haben, indem sie entweder [die Herangehensweise der hanzeitlichen Konfuzianer] als absurde Schlüsse verunglimpften oder sie als häretische Lehren kritisierten und die alte Deutung [des Yi Jing] durch die früheren Konfuzianer verwarfen, als ob sie Dreck wäre.“ […] „Den hanzeitlichen Konfuzianern galt Shang Qu54 als Gründervater und die Erklärungen des Shang Qu sind die Worte des Konfuzius.“ […] „Man kann sie wirklich als absurde Schlüsse und häretische Lehren bezeichnen.“ […] Seitdem die Werke von Wang und Han im Umlauf sind „hat in über zweitausend Jahren niemand die Lehren der hanzeitlichen Meister ans Tageslicht gebracht.“ […] „[Erst] die Herren Hui aus dem Östlichen Wu55 haben es wieder aufgegriffen und sie haben zur Quelle geführt sowie sind dem Verlauf gefolgt, so

51 Austausch und Wechselseitigkeit jiao hu 交互: Diese Methode, bei Liu Yujian hu ti 互體 genannt, geht ähnlich wie die ban jian Teilbetrachtung von einem Teil eines Hexagramms aus, um zwei Trigramme oder Hexagramme in Verbindung zueinander zu bringen. Dieser Ansatz betrachtet die beiden mittleren Einzellinien eines Hexagramms und durch Hinzufügen der zweiten, bzw. vierten Linie entstehen zwei Trigramme, welche dann zueinander in Verbindung gebracht werden. Bei der Errechnung von wechselseitig in Verbindung stehenden Hexagrammen werden fünf Linien des Ausgangshexagramms betrachtet, also die Linien 1–5 oder 2–6. Diese fünf Linien werden durch Hinzufügen einer identischen Linie (bei 1–5 Linie 1, bei 2–6 Linie 6) zu einem Hexagramm. So entstehen wieder zwei Hexagramme, die zueinander in Beziehung gesetzt werden (Liu Yujian 1996, 268–272). 52 Zunahme und Abnahme xiao xi 消息: Der xiao xi-Ansatz zum Verständnis de Yi Jing geht von der Beobachtung aus, dass zwölf Hexagramme insofern speziell sind, als sie nur aus Blöcken von yin- oder yang-Einzellinien bestehen. So besteht das Hexagramm fu 復 nur aus yin-Einzellinien und lediglich die unterste, erste ist eine yang-Linie. Umgekehrt besteht gou 姤 bis auf die erste aus lauter yang-Linien. Diese Zunahme, respektive Abnahme der yin und yang-Kräfte wird mit dem Jahreszyklus in Verbindung gebracht und entsprechend werden die zwölf Hexagramme mit den zwölf Monaten des Jahres verknüpft (vgl. Liu Yujian 1996, 33–46, 164; 297–298). 53 Wang, Kang und die „reinen Gespräche“: qing tan 清談 bezeichnet die xuanxue der Jinzeit, in deren Geist Wang Bi 王弼 (226–249) und Han Kangbo 韓康伯 (?–?, fl. c. 372) ihre Kommentare zum Yi Jing verfassten. Wang Bi wird im Folgenden mit seinem Volljährigkeitsnamen Fusi 輔嗣 bezeichnet. 54 Shang Qu 商衢 oder 商瞿 (522–?): Direkter Schüler des Konfuzius mit einer Speziellen Vorliebe fürs Yi Jing. Er erhielt darin Unterricht vom Meister, wie im Kapitel 38 des Kongzi Jiayu erwähnt wird: 商瞿,魯人,字子木,少孔子二十九歲. 特好易, 孔子傳之志焉. Er soll sein Wissen an einen Mann aus Chu mit Namen Hanbi Zihong 馯臂子弘 weiter gegeben haben (ZHZ 2204). 55 Die Herren Hui: Die Bezeichnung dongwu Hui shi 東吳惠氏 kann sich als Singular auf Hui Dong beziehen, aber es erscheint wahrscheinlicher, dass Jiang auch Hui Zhouti, den Vater seines Lehrers Hui Dong, meinte der mit Yi Shuo bereits eine Arbeit zum Yi Jing verfasst hatte.



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dass die Wandlungen der drei Weisen56 endlich wieder in der Welt erstrahlten.“ Zu Beginn der Dynastie haben alte Konfuzianer „wie etwa Huang Zongxi in seinem Yixue Xiangshu zwar die Lehren von Chen Tuan und Kang Jie57 unterbunden, aber er hielt das ‚Verbinden mit den Himmelsstämmen‘ und die ‚Bewegungen der Einzellinien‘ für Fälschungen, und zudem hielt er den Kommentar des Wang Fusi für eine unverzichtbare Deutung. Huang Zongyan hat in Zhou Yi Xiangci und Tushu Bianhuo“58 zwar auch mit grosser Kraft die songzeitlichen Personen kritisiert, „aber da er sich nicht ausschliesslich auf die hanzeitliche Gelehrsamkeit berief, war er kein ernsthafter und vertrauenswürdiger Gelehrter.“ Fangs Replik hierzu breitet zunächst die eigene Auffassung der Tradierung des Yi Jing aus, mit der es beweisen will, dass Jiangs Vorwürfe aus der Luft gegriffen sind, wonach die hanzeitliche Rezeption später verloren gegangen sei. Zumindest in Bezug auf den Text selbst. Was die inhaltliche Exegese anbetrifft, so macht Fang deutlich, dass er die esoterischen Herangehensweisen der Hanzeit für absurde Versuche hält, einem Text einen Sinn zu entwinden. Dies sei erst durch die Moraltheorie der daoxue möglich geworden.

56 Die drei Weisen: Hiermit sind Fu Xi, Zhou Wen Wang und Konfuzius gemeint. Alle drei haben nach traditioneller Auffassung einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung des Yi Jing geleistet: Fu Xi soll die Hexagramme geschaffen haben, Zhou Wen Wang die Urteilssprüche und Konfuzius die „zehn Flügel”, also die frühen Kommentaranhänge, die später Teil des Klassikers wurden. Fang Dongshu bemerkt in einem Kommentar, dass nur die Anhänger der hanxue von den „drei Weisen” sprechen, weil sie annehmen, dass Wen Wang auch die Erklärungen der Einzellinien yao ci 爻辭 geschrieben habe. Die alternative Auffassung ist, dass der Herzog von Zhou diese verfasst habe und dass auf Wen Wang lediglich die Urteile zurückgingen. Daher spricht Fang Dongshu in seiner Replik dann von den „vier Weisen”. 57 Chen Tuan 陳摶 und Kang Jie 康節: Chen Tuan war ein Daoist und der Lehrer Zhou Dunyis, der seinerseits Cheng Hao und Cheng Yi unterrichtete. vgl. Anmerkung 4 zur Übersetzung des ersten Kapitels. Kang Jie ist das posthume Epitheton Shao Yongs 邵雍 (1011–1077). Dieser war der wichtigste Exeget des Yi Jing im Neokonfuzianismus. Er entwickelte die xian tian xue 先天學 aus dem Hetu Luoshu und nahm damit eine Neuordnung der Trigramme und Hexagramme vor. Seine Lehren lassen sich gemäss Fung Yulan bis zu Chen Tuan zurückverfolgen (Fung Yulan 1963, 451– 464; Feifel 1982, 416; ZHZ 1398). Das hier zitierte Urteile über das Werk Huang Zongxis geht auf das Siku Quanshu Zongmu Tiyao zurück (vgl. Yong Rong 1965, 36b–c). 58 Huang Zongyan 黃宗炎 und seine Werke Zhou Yi Xiangci 周易象辭 und Tushu Bianhuo 圖書 辨惑: Huang war der jüngere Bruder Huang Zongxis und wie dieser ein Schüler Liu Zongzhous. Er wandte sich nach dem Sieg der Mandschus dem Studium zu und entwickelte eine Vorliebe fürs Yi Jing. Zhou Yi Xiangci war sein Hauptwerk mit einem Umfang von 21 Faszikeln, dem zwei Schriften als Anhänge beigefügt waren. Eine davon ist das 1 Faszikel umfassende Tushu Bianhuo (Yong Rong 1965, 36c–37a).

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Replik: Xu Shuzhong hat für das Shuowen Jiezi die guwen-Texte aus der Wand herangezogen, und diese enthielten in der Regel abweichende Schriftzeichen. Herr Gu Yanwu meinte dazu: Wenn man die Neutextklassiker redigieren will, muss das Shuowen als ungenügend gelten. Das Shuowen zitiert das Yi Jing [in der Tradition] des Herrn Meng, welches die guwen-Version ist. Zur Zeit der Westlichen Hauptstadt [der Handynastie], als Liu Xiang die Bücher redigierte, da zog er zum Vergleich die mittleren guwen-Versionen des Yi Jing von Meng [Xi] und Liangqiu heran. Dabei fand er sehr viele ausgelassene Schriftzeichen, so dass einzig der Klassiker[text] des Herrn Fei [Zhi] mit dem guwen-Text übereinstimmte. Doch hier ist die Rede davon, dass es ausgelassene Schriftzeichen waren, nicht abweichende Schriftzeichen (yun tuo zi bu yun yi 云脫字不云異), und das ist, was er für einen guwen-Text hält. In Wirklichkeit hat nämlich Herr Zheng [Xuan] das Yi Jing des Herrn Fei tradiert und der Kommentar von Wang Fusi bezieht sich auf den Text Herrn Zhengs. Daher mag er vielleicht gewisse Schriftzeichen gegen eine vulgäre Schreibweise ausgetauscht haben, aber die Bedeutung des Klassikers blieb unverändert. So waren etwa die aufgelisteten guwen-Schriftzeichen, die Herr Hui Dong im Jiu Jing Gu Yi ausschloss, hauptsächlich abgeänderte Schriftzeichen, aber nicht unterschiedliche Bedeutungen. Denn letztlich kommen im Yi Jing eigentlich nur konkrete Bilder vor und keine hohlen Bilder,59 dazu vergleiche man das Lue Li,60 wo dies bestimmt am Sinnvollsten erörtert wurde. Daher ist es nicht so, dass man [Wang] Fusis Kritik an den immer weiter wuchernden falschen Theorien der wechselseitigen Austauschbarkeit, den Verwandlungen der Hexagramme oder die fünf Wandlungsphasen nicht zu Gesicht bekommt. Als Kong Chongyuan [d.i. Kong Yingda; M.W.] auf kaiserlichen Erlass seinen Subkommentar schrieb, da hat er einzig Wangs Kommentar verwendet, der einzig und allein auf weiter Flur in den Jahrtausenden steht, weil er wahrhaftig zum [Werk der] vier Weisen einen Beitrag leisten konnte. Zhangsun Fuji61 und andere waren sich dessen nicht klar, daher sangen sie bei der Abfassung des bibliographischen Katalogs des Sui Shu das Loblied auf die Gelehrsamkeit des Zheng [Xuan], womit sie auch nur soweit

59 Konkrete 實象 und hohle Bilder 虛象: Gemäss einer Anmerkung des Autors geht das Konzept der shi xiang auf Zhu Xi zurück. Es liess sich allerdings keine entsprechende Textstelle finden. 60 Lue Li: Dies meint das Zhou Yi Lue Li 周易略例, was der Titel von Wang Bis Kommentar zum Yi Jing ist (ZRBQ 1997, 516). 61 Zhangsun Fuji 長孫輔畿: Dies ist der Volljährigkeitsname des tangzeitlichen Beamten Zhangsun Wuji 長孫無忌 (?–659). Er war ein wichtiger Beamter der frühen Tang, der den bibliographischen Katalog des Sui Shu verfasste. Er legte zudem den Tang Code Tang Lü 唐 律 fest (ZHZ 283).



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kamen wie Wang Jian und Lu Deng62 in ihren hinterlassenen Schriften. Zhao Zizhi63 schrieb in einem Gedicht: „Das Yi Jing des [Wang] Fusi stieg empor, [als ob es] keine hanzeitliche Gelehrsamkeit [gegeben habe],“ womit er seine tiefe Verehrung ausdrückte. Andererseits meinte Zheng Qiao in der Folge: Die Gelehrsamkeit von Wang und Han ist noch verhängnisvoller als Jie und Zhou.64 Offensichtlich sind all dies einseitige Beurteilungen, welche jegliche Angemessenheit vermissen lassen. Diese kommen alle nicht Meister Zhu gleich, welcher gegründet auf die Moraltheorie das Yi Jing erklärte. Er forschte nach den konkreten Bildern, ohne dabei die Veränderungen auszulassen, und erkannte so die eigentliche Bedeutung (ben yi) des Yi Jing. Dabei verwendete er aber nicht all die abstrusen Konzepte der hanzeitlichen Konfuzianer wie „Einzellinie und Polarstern“, „Verbinden mit den Himmelsstämmen“ oder „Offensichtliches und Verborgenes“. Die Worte von Herrn Hui und Herrn Jiang tragen sehr starke Anzeichen der einseitigen und persönlichen Ansicht einer Schule, weswegen sie auch nicht ausgiebig die differenzierten Einzelheiten von wahr und falsch erörtern, sondern nur die Erklärungen verschiedener Konfuzianer seit der Wei-Jin Zeit verwerfen und einzig die hanzeitliche [Exegese des] Yi Jing verehren. Das ist zwar nicht das Schändlichste auf Erden, aber es ist sicherlich eine voreingenommene Wahrheit. Beim Studium des Yi Jing ausschliesslich [Herangehensweisen wie] die „Wandelnde und zurückkehrende Hauchseele“, „Offensichtliches und Verborgenes“, „Einzellinie und Polarstern“, „Austausch und Wechselseitigkeit“,

62 Wang Jian 王儉 (452–489) und Lu Deng 陸澄 (425–494): Beide waren hohe Beamte ihrer jeweiligen Dynastien, im Falle Wangs der Südlichen Qi, im Falle Lus der Südlichen Song. Lu Deng studierte das Yi Jing während drei Jahren, während Wang mehr als Experte der Ritenklassiker ist. (ZHZ 114 & 1312). 63 Zhao Zizhi 趙紫芝: Dies ist der Erwachsenenname von Zhao Shixiu 趙師秀 (?–?; jingshi von 1190), einem Dichter der Songzeit. Der Text lautet: „Fusi Yi xing wu hanxue 輔嗣《易》興無漢學.“ Leider liess sich kein Gedicht finden, in dem dieser Text auftaucht. 64 Zheng Qiao Zitat: Zheng Qiao 鄭樵 (1108–1166) ist am besten bekannt als Kompilator des Tong Zhi 通志. Der Ursprung dieses Zitates ist nirgends vermerkt, aber Fang Dongshu bemerkt in seinem eigenen Kommentar, dass Zhengs Einschätzung auf Fan Ning 范甯 (339–440) zurückgehe. Fan schrieb mit Chunqiu Guliang Zhuan Jijie 春秋穀梁傳集解 den bedeutendsten Kommentar zum Guliang Zhuan. Er wandte sich gegen Wang Bi und He Yan, deren „Verbrechen“ er als „verhängnisvoller als Jie und Zhou“ (王弼、何晏,罪深於桀、紂) bezeichnete. Er lehnte den Ansatz der xuanxue ab und versuchte, stattdessen eine textgetreue Interpretation. Zheng Qiao wird mit den Worten „ fu yu Jie Zhou 浮於桀紂“ zitiert. Jie und Zhou waren die letzten Kaiser der Xia, bzw. Shang-Dynastie in der frühen Antike. Der Vergleich eines Gelehrten mit diesen beiden Erzschurken der chinesischen Tradition überrascht vielleicht. Die Aussage ist eigentlich, dass die Lehren die Gelehrten Wang und He noch verheerender für das Reich waren als die Regierungszeiten Jies und Zhous.

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„Aufsteigen und Absinken“, „Zunahme und Abnahme“, oder das „Verbinden mit den Himmelsstämmen“ zu vertreten, ist nicht das Absonderlichste der Welt, aber es sicherlich eine fehlerhafte [Herangehensweise]. Zu behaupten, dass die Erklärungen der hanzeitlichen Personen die eigentliche Absicht (ben yi) der drei Weisen Fu Xi, Wen Wang und Konfuzius wiedergeben würden, ist wohl nicht die närrischste Annahme der Welt, aber es ist auf jeden Fall falsch. Jedoch von den verqueren Theorien Jings und Mengs65 auszugehen, dazu noch Shang Qu heranzuziehen und darüber hinaus sogar noch Konfuzius heranzuziehen, das ist wirklich ein schwerwiegender Fehler. Die „zehn Flügel“ des Konfuzius sind alle noch erhalten, Gibt es darin etwa ein Wort, welches auf ein Verbinden mit den Himmelsstämmen, mit Offensichtlichem und Verborgenem oder mit Einzellinien und Polarstern hinwiese? Wenn man behauptet, dass [die Herangehensweisen der] hanzeitlichen Konfuzianer zum Yi Jing alle zusammen eine Theorie darstellten, so mag das angehen, aber zu behaupten, dass die eigentliche Bedeutung der drei Weisen darin liege, das geht nicht an. Zudem [zu behaupten, dass] Konfuzius’ Lehre des Yi Jing vereinzelte Fehler enthielte, dass aber Meng Xi dem Lehrer den Rücken gestärkt habe, während Jing Fang sich entleibt habe, wie soll das wohl als Anwendung des Yi Jing gelten können? Unter jenen, die über das Yi Jing sprechen, und dabei von den Lehren Chengs und Zhus abweichen, gibt es noch die numerologischen Schulen (shu pai 數派). So gibt es jene, welche mit Verve die Bilder (tuxiang 圖象) ablehnen, etwa Mao Qiling, Huang Zongyan und Hu Wei. Jene, die Herrn Yu [Fan] verehren, sind Hu Wei, Huang Zongyan, Hui Dong, Zhao Jixu und Zhang Huiyan.66 Die Gelehrsamkeit des Herrn Zheng wird verehrt von Shen Qiyuan, Wei Litong, Wang Hong, Qian Dengzhi und Hui Dong.67 Jene, welche die „durchdringenden ­Veränderungen“

65 Die Theorien Jings und Mengs: Fang Dongshu macht in seinem deutlich, dass er auch die Ansätze Xun Shuangs und Yu Fans mit meint, dass diese aber den Aussagen Meng Xis entsprächen. Für ihn gilt nur die Bereitstellung der Texte Fei Zhis. 66 Zhao Jixu 趙繼序 (?–?; juren von 1667) und Zhang Huiyan 張惠言 (1761–1802): Zhao sprach sich sehr früh für ein Zusammennehmen der hanzeitlichen und songzeitlichen Ansätze im Umgang mit den Klassikern aus. Er verfasste zu den Klassikern Hanru Zhuanjing Shuo 漢儒傳經說, und zum Yi Jing die folgenden Werke: Zhouyi Tushu Zhiyi 周易圖書質疑 und Zhouyi Bianhua 周易辨畫 (ZHZ 1670). Zhang Huiyan war spezialisiert auf die Klassiker Yi Jing und Yi Li. Er schrieb 12 Werke über die hanzeitliche Exegese zum Yi Jing, vor allem diejenige Yu Fans (Zhouyi Yushi Yi 周易虞氏 義 (1803, 9 Faszikel)). Dabei orientierte er sich stark an Hui Dong (ZHZ 1296). 67 Shen Qiyuan 沈起元 (1685–1763), Wei Litong 魏荔彤 (1671–?), Wang Hong 王宏, Qian Dengzhi 錢澄之 (1612–1693) und Hui Dong: Shen Qiyuan war jinshi von 1721 und Gouverneur von Taiwan, wurde Direktor der Loyuan-Akademie 濼源書院 und verfasste zum Yi Jing das Zhouyi Kong Yi 周易孔義. (ZHZ 1167). Wei Litong war der Sohn eines hohen Beamten der frühen kangxi-Zeit und Verfechters der Morallehre Zhu Xis, Wei Yijie 魏裔介 (1616–1686). Er selbst absolvierte die



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erörtern, das sind Lian Doushan68 und Mao Qiling. Vom „Aufsteigen und Absinken“ sprechen Diao Bao und Qiao Lai.69 Und Mao Qiling erörtert das Yi Jing in den vier Werken Zhong Shi Yi, Tui Yi Shimo, Chunqiu Zhanshi Shu und Yi Xiaotie70 unter Zuhilfenahme von veränderten Wandlungen, ausgetauschten Wandlungen, umgekehrten Wandlungen, gegenübergestellten Wandlungen und verschobenen Wandlungen. Alle diese sind nur verzettelte Nebenströmungen der hanxue.“ Aus dieser Kontroverse geht offensichtlich hervor, dass der Text Jiang Fans ebenso wie von einseitigem Schulinteresse geprägt ist wie die Replik Fang Dongshus. Trotzdem schafft es Fang, Zweifel an der hanxue aufkommen zu lassen, wenn er ihr vorwirft, einseitig zu sein oder durch ihre Methode bewusste Fehler zu begehen wie in seiner Kritik der Ausgabenrekonstruktion. Fang Dongshu schneidet die hanxue zurück auf ihren historisch wohl zutreffenden Status in der Qingzeit: eine Schule unter anderen, die eine spezifische Lesart der Klassiker vertritt. Somit ist dies eine Argumentation, in welcher Fang weniger die daoxue verteidigt, als sich auf den Angriff auf seine Gegner zu konzentrieren. Da er

Prüfungen bis zum zhusheng und hatte kleinere Posten inne, bis er sich 1726 zurückzog. Er liebte das Studium des Altertums und verfasste Da Yi Tongjie 大易通解. Qian Dengzhi stammte aus Tongcheng und war ein zhusheng der Ming, der sich nach dem Dynastiewechsel zurückzog und nicht mehr in Erscheinung trat. Er war ein Gelehrter mit Spezialisierung aufs Shi Jing, in seiner Familie wurde aber das Yi Jing studiert und er schrieb Tianjian Yixue 田間易學 nach seinem Pseudonym Tianjian Laoren (Yong Rong 1965, 36a–b; ZHZ 1919).  Die Identifizierung von Wang Hong gestaltet sich schwieriger: ZHZ 101 hat zwar eine qingzeitliche Person dieses Namens verzeichnet, doch ist über diesen nur bekannt, dass er ein guter Personenmaler gewesen sein soll. Das Siku Quanshu Zongmu Tiyao verzeichnet zum Yi Jing allerdings einen Wang Hongzhuan 王宏撰 (?–?, fl. 2. Hälfte 17. Jh.), der ein Werk namens Zhouyi Shishu 周易筮述 in 8 Faszikel verfasst habe (Yong Rong 1965, 37). Wie schon vermehrt festzustellen war, stellte der Katalog des Siku Quanshu eine von Fangs Grundlagen dar und aufgrund der Tatsache, dass das letzte Wort in Wangs persönlichem Namen „verfassen“ heisst, erscheint hier ein Flüchtigkeitsfehler Fangs als die plausibelste Erklärung. 68 Lian Doushan 連斗山 (?–?) war eine Kapazität zum Yi Jing, bei welchem er die Exegese Zhu Xis grundsätzlich befürwortete, sie aber mit hanzeitlichen Techniken, namentlich der zentralen Bedeutung der Einzellinien, kombinierte. Er verfasste Zhouyi Bianhua 周易辨畫 in 40 Faszikel (ZHZ 1024, Yong Rong 1965, 45b). 69 Diao Bao 刁包 (1603–1669) und Qiao Lai 喬萊 (1642–1694): Der Titel von Diaos Werk zum Yi Jing lautet Yi Zhuo 易酌. Für das Vorwort vgl. Xu Shichang 1990, I:300–301. Qiao Lai verfasste laut Zhongguo Congshu Zonglu 3:456 ein Werk namens Qiao Shi Yi Si 喬氏易俟. Er machte eine Beamtenkarriere. 70 Mao Qilings Werke: Die vier genannten Werke Zhong Shi Yi 仲氏易, Tui Yi Shimo 推易始末, Chunqiu Zhanshi Shu 春秋占筮書 und Yi Xiaotie 易小帖 werden in dieser Reihenfolge besprochen in Yong Rong 1965, 37b–38a.

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 Fang Dongshu und seine Gegner

hier nicht selbst ein Argument vorbringen und eine Position verteidigen muss, muss Fang nicht auf die manchmal etwas unpräzise Argumentationsweise der ­daoxue-Argumentation zurückgreifen und daher erscheint sein Argument hier m.E. relativ überzeugend.

Weitere Gelehrte Neben Ruan Yuan, Jiang Fan und dem im folgenden Kapitel zur Diskussion stehenden Dai Zhen griff Fang, wie eingangs erwähnt, eine Reihe anderer Gelehrter an. Auf den folgenden Seiten werden nun manche der ebenfalls von ihm angegriffenen Personen etwas näher betrachtet. Dies ermöglicht ein deutlicheres Verständnis der Leistungen und Beziehungen der von Fang als Gegner aufgefassten Gelehrten und ihrer Lehraussagen. Zum Schluss des Kapitels werden dann qingzeitliche Gelehrte diskutiert, die Fang Dongshu nicht angegriffen hat, obwohl deren Stellung in geistesgeschichtlichen Darstellungen der Qing dies erwarten lassen würde. Hier zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der Bedeutung, die diese in der Rezeption einnehmen und jener, die Fang diesen in diesen seiner zeitgenössischen Quelle einräumt. Beide Diskussionen dient dazu, das Profil der von Fang Dongshus angegriffenen Gelehrten, mit anderen Worten, sein Feindbild, besser herauszuarbeiten. Einschränkend ist zu sagen, dass ich mich hier nur mit den Gelehrten der mittleren Qingzeit beschäftige, weil, wie ich an anderer Stelle argumentierte, erst ab diesem Zeitpunkt von einer eigentlichen hanxue gesprochen werden kann. Im ersten Faszikel werden mit Mao Qiling, Wan Sitong, Zhu Yizun, Gu Yanwu, Mao Xinglai und Huang Zongxi ausschliesslich Gelehrte angegriffen, die in der Übergangszeit der Dynastien Ming und Qing, bzw. in der Frühzeit der Qing gelebt hatten. Obwohl sich Fang auch gegen diese frühqingzeitlichen Gelehrten wandte, bleibt die Kritik an ihnen im Hanxue Shangdui sehr punktuell, und drehte sich zumeist um die nomenklatorische Frage der Einteilung der daoxue in den Konfuzianismus. Nur in einer Kontroverse geht es um die Stellung von Gelehrten verschiedener Schulen im Konfuziustempel. Wenn diese Fragen auch wichtig sind, so bleibt doch der diskursanalytische Fokus dieser Arbeit auf der Betrachtung der innerkonfuzianischen Auseinandersetzung, und dabei spielt die Einteilung in Dynastiegeschichten oder die Stellung im Tempel sicherlich eine Rolle, aber die hauptsächliche Aufmerksamkeit dieser Arbeit gilt den dogmatischen Streitfragen um Begriffe. Daher gilt die Aufmerksamkeit hier den Gelehrten, deren Schaffenszeit ungefähr in die Periode des Lebens Dai Zhens fiel.



Weitere Gelehrte 

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Wang Chang Als ersten dieser Gelehrten werde ich hier nur in einer Kontroverse (22. Kontroverse des dritten Kapitels vgl. Fang Dongshu 1998, 370–372) angegriffenen Wang Chang erörtern, denn Wang war sowohl mit Ruan Yuan als auch mit Dai Zhen gut bekannt. Er war gemeinsam mit Sun Xingyan Direktor der Gujing Jingshe von 1808 bis 1813, und folglich kannte er Ruan Yuan persönlich (vgl. auch Anmerkung 6 zu diesem Kapitel). Dass er auch Dai Zhen persönlich kannte, lässt sich aus der Tatsache ersehen, dass Dai 1758 einen Text mit dem Titel Zhengxuezhai Ji 鄭學齋記 verfasste. Dieser bezog sich auf Wangs Studierzimmer, das den Namen Zhengxuezhai 鄭學齋 trug, also das „Studierzimmer der Gelehrsamkeit nach Zheng [Xuan]“ (Dai 1980, 177). Gleichwohl erstaunt die Kritik an Wang, denn gemäss Whitbeck 1983, 16 bezeichnete Fangs Lehrer Yao Nai eben diesen Wang als einen beispielhaften Vertreter der Übertragung von politischer Kultur der Mingzeit in die Qing. Das Zhengxuezhai Ji weist Wang als einen Kritiker der daoxue aus, denn Dai betont in diesem kurzen Text die Vorreiterrolle Wang Changs in der Rückbesinnung auf Zheng Xuan. Fang zitiert eine Aussage Wangs zu den konfuzianischen Apokryphen der Hanzeit (den wei shu 緯書), in der es aber tatsächlich um die Frage geht, wie sehr die Tradition in ein späteres Verständnis der Klassiker einfliessen sollte. Wang spricht sich dafür aus, die älteren exegetischen Ansätze zu berücksichtigen, während Fang den Text eines Klassikers selbst bereits für hinreichend bedeutsam hält: „Denn die Texte der Klassiker stellen Wort für Wort eine zeitlose Methode dar, wie man sich selbst kultiviert und auf andere regulierend einwirkt, wie man die Welt ordnet, indem man auf die Einzelheiten der Wesen eingeht.“ Mit anderen Worten, es reicht, wenn man der durch die daoxue aufgezeigten Methode folgt, und es ist nicht nötig, Worterklärungen der Han- oder Tangzeit mit einfliessen zu lassen. Als wäre dieser Text nicht bereits deutlich, schliesst Fang seine bereits zuvor formulierten Vorwürfe gegen die hanxue an, dass diese die falschen Prioritäten setze im Umgang mit den Klassikern: „Die hanxue glaube nicht an die Notwendigkeit, das „gefährdete oder subtile“ Herz zu übertragen, oder an die Lehren der eingehenden Erfassung der Wesenheiten oder des Ausschöpfens der Rechten Ordnung sowie an die Methode des Überwindens der Eigensucht für das Streben nach der Mitmenschlichkeit. Stattdessen halten sie Worterklärungen und Wortglossierungen, die philologischen Hilfswissenschaften und Textbelege für das Wichtigste.“ Da sowohl der Rückgriff auf die hanzeitlichen philologischen Traditionen zum Verständnis der Klassiker wie auch die Ablehnung der „Übertragung der Herzen“ Anliegen Dai Zhens waren, die sich im zitierten Text Wang Changs nicht finden lassen, ist auch die Kontroverse gegen Wang Chang im Grunde eine weitere gegen die Lehrmeinung Dai Zhens.

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 Fang Dongshu und seine Gegner

Qian Daxin Neben Dai und Ruan hat Fang in seinem Werk dem vorwiegend mit historischen Texten arbeitenden Qian Daxin die meisten Kontroversen gewidmet. Qian war eine zentrale Figur der Pekinger Gelehrtenszene, und er verfügte über ein breites Netz an Beziehungen in der Hauptstadt (Guy 1987, 49–52). So führte er 1754 den jungen Dai Zhen in die Kreise einflussreicher Gelehrte ein, was diesem nicht nur eine Anstellung in Yangzhou brachte, sondern letztlich seine Mitarbeit am Siku Quanshu 四庫全書 in die Wege leitete. Zusammen mit seinem Studienkollegen und Schwager Wang Mingsheng 王鳴盛 (1722–1798) stellte er die Erforschung der Dynastiegeschichten auf eine neue Basis, indem er das Werk Nianer Shi Kaoyi 廿二史考異 verfasste, was gemeinsam mit Wangs Shiqi Shi Shangque 十七史商榷 wegweisend war für den Umgang mit den Dynastiegeschichten. Q. Edward Wang und On-cho Ng charakterisieren den Einfluss dieser Arbeiten wie folgt: „Examples of the scholarly penchant to correct errors and corroborate facts in preexisting historical works abounded in the mid-Qing, for it was a time when evidential research, or kaozheng, became a dominant intellectual trend. Scholars channeled their intellectual energy into exegetical and philological investigations of the classics, the textual embodiment of the past. While the main targets of investigation were the classics, the critical attitude toward evidence, the broad gathering of sources, and the discriminating employment of investigative methods spilled over into history […]. The kaozheng spirit and approach were well exemplified, for instance, by the historical endeavors of Wang Ming-sheng (1722–1797), renowned for his substantial Critical Studies of Seventeen Standard Histories (Shiqishi shangque) in 100 fascicles, and of Qian Daxin (1728–1804), famous for his monumental Critical Notes on the Twenty-two Histories (Ershi’ershi kaoyi) [sic!] and for his rewriting of the Yuan History […]. Wang proclaimed that truthful recording and recounting of facts was the foundation for the practice of praise and blame. Only when truth and the facts were ascertained, and all doubts dispelled, might one undertake the task of bestowing accolades and levying criticisms […]. Qian declared that praise and blame would be properly dispensed if historical facts were told without concealment and adornment. Truly judicious praise and blame emerged out of evidence undistorted by biases such as personal selfishness and political expediency […].“ (Ng & Wang 2005, 244). In Fang Dongshus Hanxue Shangdui werden Aussagen Qians mehrfach Gegenstand von Kontroversen, allerdings kann ich mich beim Studium der ­Passagen des Eindrucks nicht erwehren, dass der Grund hierfür mehr in der Prominenz und daraus resultierenden grossen Publizität zu sehen ist, als in seinen Aussagen. Mit anderen Worten: Fang wendet sich zwar relativ häufig gegen Qian Daxin, aber die Kritik an ihm ist sehr zurückhaltend. In der ersten Kontroverse



Weitere Gelehrte 

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des dritten Faszikels zitiert er eine kurze Passage Qians über den Umgang mit dem Altertum. Dieser Aussage stimmt Fang zu, warnt aber, dass „Wenn man jedoch bei der Ausdeutung der […] Aussagen einseitig und parteiisch wird, so entwickelt sich [die Lehre] in Richtung auf eine pervertierte und schädliche Sache, wie es hier mit all den späteren Erklärungen geschehen ist.“ Offensichtlich ist dies aber bei Qian noch nicht geschehen. Auch die in der zweiten Kontroverse des dritten Kapitels zitierte Aussage Qian Daxins „Die Forschung nach den alten Wortbedeutungen ist es, aus der die moraltheoretische Interpretation hervorkommt.“ entspricht der Ansicht Fang Dongshus. Selbst das Zitat in der vierten Kontroverse, in der Fang Qian scharf angreift, thematisiert den Kompilationsprozess der Klassiker, und nicht seine Auslegung. Er greift hier Qian für dessen kaozheng-Gelehrsamkeit an, nicht für eine Meinung der hanxue im engeren Sinn. In anderen Kontroversen zitiert Fang aus Vorworten Qians und dabei wird dieser manchmal zusammen mit einem oder mehreren anderen Gelehrten zu Gehör gebracht. Schliesslich sei hier die dreiundzwanzigste Kontroverse des dritten Faszikels angeführt, in der Qian zitiert und kritisiert wird, das aber erscheint wie eine Aussage, die hoffentlich mit einer Prise Humor gemeint war: „Herr Qian Daxin sagte: Als die durchdringend verständigen Konfuzianer Gu Tinglin [d.i. Gu Yanwu; M.W.], Yan Baishi [Yan Ruoqu], Chen Jiantao [Chen Qiyuan 陳啟源 (?–1689)], Hui Tianmu [Hui Shiqi] und die anderen kamen, da begann das ernsthafte Studium der Lehren des Altertums. Die Konzentration auf das Erforschen der Wortglossen zu den Klassikern, das über die Schriftzeichen, die Phonetik, die Worterklärungen und Wortglossierungen ging, durch die man dann die korrekte moraltheoretische Interpretation erhielt. Replik: […] Seine Darstellung der Lehrtradition der hanxue ist unverblümt und gradlinig, einzig der eine Ausspruch „die korrekte moraltheoretische Interpretation erhalten“, fürchte ich, wird ihn für fünfhundert Wiedergeburten in die Wildnis stürzen als einsam Geborenen.“ Die Formulierung „wubai sheng zhui ye gu sheng 五百生墜野孤身“ ist sehr ungewöhnlich und hat keine Parallele in sonst einer Argumentation Fangs.

Hui Dong In Fang Dongshus Werk wird erwartungsgemäss auch Jiang Fans Meister und Gründer der Suzhou-Schule kritisiert, Hui Dong. Hui hat der hanxue ihren Namen gegeben, und er war ein wichtiger Einfluss auf deren Ausgestaltung durch Dai Zhen. Allerdings gibt es im Hanxue Shangdui nur zwei direkt gegen Hui Dong gerichtete Kontroversen, wenn er auch in anderen Kontroversen kritisiert wird.

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 Fang Dongshu und seine Gegner

Für Fang Dongshu (wie für die spätere Historiographie) war Hui Dong der Urheber der ausschliesslichen Rückbesinnung auf die hanzeitlichen Kommentare. Diese endete in der Kritik an Zhu Xi, aber Fang urteilte, dass Hui selbst noch keine Kritik an Zhu Xi geübt hatte. Immerhin war er damit der Wegbereiter dieser – in Fangs Augen – späteren Irrungen des Konfuzianismus. In der sechsten Kontroverse des ersten Kapitels heisst es: „Das Banner der Han als einzigen Richtwert anzuerkennen, hat erst mit Herrn Hui begonnen.“71 Entscheidend für Fangs Verständnis der Hanxue aber war erst die Kritik an Zhu Xi. Ebenso greift Fang in der vierzehnten Kontroverse des zweiten Kapitels (aber der dritten Rolle) eine Aussage Huis auf, die dieser zum Kanonisierungsprozess des Zhong Yong machte: „Herr Hui Dong schrieb zudem, dass das [Kapitel] „ji tong“ [des Liji] zum Zhong Yong gehöre, denn wenn sie nicht von derselben Hand stammten, so seien doch [beide Texte] zeitgleich [entstanden]. Die songzeitlichen Konfuzianer hätten aber nur das Zhong Yong genommen.“ Die wichtigen gegen Jiang Fans Schulgründer gerichteten Kontroversen aber finden sich im dritten Faszikel. Dabei geht es etwa in der siebten Kontroverse um die Stellung des Klassikers Er Ya bei der Glossierung von Wortbedeutungen. Gemäss Fangs Aussage habe Hui die songzeitlichen Gelehrten mit folgenden Worten angegriffen: „Weil vulgäre Konfuzianer dem Er Ya nicht vertraut haben, daher blieben sowohl die alten Worterklärungen Zhong Shan Fus 仲山甫 wie auch die Wortkorrekturen des Meisters nicht bewahrt.“ Zhong Shan Fu ist auch in der sechsten Kontroverse des dritten Kapitels ein Thema. Darin geht es um eine Neudefinition eines Begriffs in Shi Jing-Gedicht Nr. 260 „zheng min 烝民“: Die Handlungsmaxime des tugendhaften Vasallen Zhong Shan Fus „gu xun shi shi 古訓是式“72 Das Gedicht wurde schon in der grundlegenden Menziusstelle Mengzi 6A.6 zitiert, in der es um die Natur des Menschen geht. In der dreizehnten Kontroverse der dritten Rolle greift Fang zwar hauptsächlich Sun Xingyan an, aber er führte die mit diesem zusammenhängenden Meinungsverschiedenheiten auf Hui Dong zurück. Hier formuliert er zudem die Verbindung zwischen einer auf die Hanzeit konzentrierten kaozhengxue und der hanxue, wie er sie dann bei Sun oder Dai Zhen kritisierte: „Was Herr Hui kritisierte, das ist, [das Verständnis des Textes] auf Herrn Zheng [Xuan] als Ahnherrn ­zurückzuführen, und damit hat er die Herren Fang [Que] und Ma [Rong]

71 Vgl. die reichhaltige Zitierung hanzeitlicher Quellen, auch der apokryphen wei shu, in seinem Zhou Yi Shu 周易述 (z.B. zu „qian“ in YIXUE JINGHUA 1990, 2240–2242). 72 Legges von der daoxue beeinflusste Übersetzung lautet: „The lessons of antiquity are his law“ (Legge 1991, Vol IV 542). Bei Waley lautet derselbe Satz in der Übersetzung: „Following none but ancient teachings“ (Waley 1954, 141).



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­übergangen.73 Seine Absicht war es, auch Meister Zhu zu kritisieren. Heutzutage hat Herr Sun [Xingyan] sich davon verleiten lassen und überdeckt das [mit dem Ausdruck] ‚Die Konfuzianer der Westlichen Hanzeit,‘ doch damit verdreht er alles, und er führte dadurch zukünftige Gelehrte hinters Licht. Das sind eigentlich die zusammengefassten Worte Herrn Huis, die zu verstehen noch niemand in der Lage war.“ Ganz zum Schluss dieser Kontroverse folgt eine kleine Auseinandersetzung mit Hui Dong, in der Fang ihn mit einer Aussage zitiert, die direkt die songzeitlichen Gelehrten angreift: „Herr Hui [Dong] sagte: Das Tong Su Wen wurde leider nicht überliefert. Es ist wohl aufgrund des hohlen Geschwätzes über die Lehre des Rechten Wegs der vulgären Konfuzianer der Südlichen Songzeit, dass die nützlichen Bücher alle in der Südlichen Song verloren gingen.“ Hui Dong wird hier demnach als Urheber einer verhängnisvollen Auffassung der Gelehrsamkeit dargestellt, die bei ihm noch in einer Frühform auftritt, und sich auf die Texte bezieht, in der aber schon die Ansätze dessen zu erkennen sind, was kurze Zeit später bei Dai Zhen und Sun Xingyan zum Durchbruch gelangte. Somit wird Hui Dong durch Fang in der sonderbaren Situation porträtiert, die hanxue begründet zu haben, aber selbst nicht zur hanxue zu zählen, weil er die methodischen Neuerungen einführte, aber die diskursive Hoheit der daoxue nicht in Frage stellte.

Wang Zhong Aussagen Wang Zhongs sind Gegenstand der Auseinandersetzung in fünf Kontroversen des Hanxue Shangdui, wobei Wang in drei dieser Kontroversen nicht explizit als Autor genannt wird. Es handelt sich allerdings um unmittelbar aufeinander folgende Kontroversen, in denen derselbe Text Wangs mehrfach zum Ausgangspunkt für Kontroversen wird. Die Kontroversen zwölf bis fünfzehn (Fang Dongshu 1998, 288–292) beleuchten unterschiedliche Aspekte derselben Problematik, und indem sie auf denselben Text Wang Zhongs zurückgehen, wird dieser nicht jedes Mal als Autor genannt. Diese vier Kontroversen gegen Wang Zhong stehen im Zusammenhang mit der Kanonbildung und der Rezeption der Vier Bücher. Fang zitiert lediglich Aussagen, in denen sich Wang zum Entstehungsprozess der Vier Bücher äussert, und dabei die Reihenfolge kritisiert. Wang Zhong hat in manchen seiner Schriften die Stellung des Daxue kritisiert, denn

73 Zu Fang und Ma vgl die Übersetzung für diese Namen. Es ist nicht ganz klar, um wen es sich handelt, m.E. ist mit Fang Fang Que方慤 (?–?; jinshi von 1117) gemeint, und mit Ma Ma Rong.

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 Fang Dongshu und seine Gegner

dieses werde von der daoxue über die Aussprüche des Meisters selbst gestellt, zudem stimme der Zugang zur Erziehung im Daxue nicht mit dem individualistischen Ansatz des Lunyu überein. Was das Zhong Yong angeht, so kritisierte Wang, dass dieser traditionell dem Enkel des Konfuzius zugeschriebene Text in den Vier Büchern vor dem Lunyu zu stehen kommt, wodurch die Aussagen des Enkels von denen des Grossvaters stehen.74 Fang nennt ihn einen Mohisten75 und einen Schwätzer. Der Vorwurf des Mohismus erscheint vielleicht ungewöhnlich, denn diese antike Schule hatte keine Relevanz mehr in der Qing. Aber Wang Zhong erforschte die Lehren des Mo Di und er sah eine Parallele zwischen dessen Forderung nach Frugalität und seinen eigenen Vorstellungen. Wang Zhong war offenbar sehr interessiert am dritten konfuzianischen Denker der Antike, Xun Kuang 荀況 (?–?; viertes bis Anfang drittes Jahrhundert v. Chr.), dem Autor des Buches Xunzi 荀子. In seinem Artikel zu Wang Zhong schreibt Kai-wing Chow, dass dieser Mo Di sogar noch über Xun Kuang gestellt habe, und dass er in seinem Ansehen praktisch auf einer Stufe stand mit Konfuzius selbst. Demnach fühlte sich Wang angezogen von Mo Dis Pragmatismus und seinem Verständnis von Menschlichkeit, dass sich auf alle anderen Menschen erstreckte. Wang Zhong fühlte insbesondere grosse Sympathie und Mitleid gegenüber dem Schicksal von Witwen im qingzeitlichen China, und er empfand die mohistische Forderung nach einer Verbundenheit mit allen Menschen (oder „allumfassende Liebe“ jian ai 兼愛) als Rezept zur Linderung der schwierigen Lebensumstände verwitweter Frauen (Chow 1986, 303, 307–308). Der Vorwurf des „Mohismus“ durch Fang Dongshu ist daher mehr als bloss eine rhetorische Ausgrenzung aus dem Kreis des Konfuzianer. Im Falle Wang Zhongs bezieht sich diese Bemerkung sehr konkret auf dessen Forschung und Interesse und zeigt einmal mehr, über welch detaillierte Kenntnisse Fang Dongshu von den Leistungen seiner Kontrahenten verfügte. Die in der vierundzwanzigsten Kontroverse des dritten Faszikels wiedergegebene Aussage Wangs, welche vermittels Jiang Fans Werk zitiert wird, lässt diesen als arrogant und die hanxue als sich selbst genügend erscheinen. Nachdem er behauptet, die qingzeitliche hanxue habe an Traditionen angeknüpft, die seit der Han brach gelegen hätten, zitiert ihn Fang weiter mit folgenden Worten: „Die

74 Zu Wang Zhongs Schrift zu Daxue und Zhong Yong vgl. hierzu den Artikel Kai-wing Chows von 1986, S. 308–309. Chow schreibt sogar, Wang habe sich über die Positionierung des Zhong Yong „lächerlich gemacht.“ 75 Ein Mohist ist ein Anhänger der Schule des antiken Philosophien Mo Di 墨翟 (Lebensdaten laut Sun Yirang: 468–376; laut Qian Mu 479–381), dessen Schule als „Mohismus“ bezeichnet wird. „Mohist“ ist also zunächst eine Beleidigung, die dem Angegriffenen zu Zugehörigkeit zum Konfuzianismus abspricht.



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durchdringend verständigen Konfuzianer Gu [Yanwu], Yan [Ruoqu], Mei [Wending 梅文鼎 (1633–1721)], Hu [Wei 胡渭 (1633–1714)], Hui [Dong] und Dai [Zhen] haben alle wieder an die Vergangenheit angeknüpft, Und Herr Dai hat dies zu grossem Erfolg geführt.“ Prominenter, wenn auch nicht namentlich genannt, kommt Wang Zhong in den Kontroversen zwölf bis fünfzehn des zweiten Faszikels vor. Nur zu Beginn der zwölften Kontroverse wird Wang Zhong als Autor genannt. In diesen vier Kontroversen werden die angesprochenen Fragen der Kanonisierung der Vier Bücher thematisiert, wobei es hier nur um das Daxue und das Zhong Yong geht. Hierbei wird Wang in der zwölften Kontroverse mit einer Aussage zu den ursprünglich zum Liji zählenden Texten Daxue und Zhong Yong zitiert: „Das Daxue [ist] […] gegenüber [der Schule des] Herrn Kong [bloss] eine Nebenströmung oder ein weiterer Abkömmling. […] Nie äusserte sich jemand mit der Meinung, dass diese ursprünglich auf Meister Zeng zurückgingen. Wenn man sich das Kapitel „Zeng Zi wen“ [des Liji] betrachtet, sieht man, dass Meister Zeng dort die Dinge angesprochen hat, so dass [jenes Kapitel] nicht auf seine Argumentation zurückgeht.“ Neben dieser Abwertung des Daxue zitiert Fang Wang noch mit dem gegen die daoxue gerichteten Vorwurf des Zen-Buddhismus, dessen sich Fang schon im ersten Kapitel seines Werkes erwehrte. Wang schrieb „In der Songzeit war der Zen-Buddhismus äusserst populär. Die Gelehrten und [sonstigen] Edlen waren darin tief eingetaucht, so dass sie als Folge nur noch oberflächlich zu Konfuzius gehörten. Deswegen beschränken sie sich bei ihrem Streben nach der Bedeutung der klassischen Schriften einzig auf [den Satz] ‚Die Erkenntnisse zum Äussersten bringen durch eingehende Erfassung der Wesenheiten‘ aus dem Daxue. Das kann zu falschen Schlüssen führen und bringt dessen [d.i. das Daxue] Aussagen nicht zum Ausdruck.“ Weiter argumentiert Wang Zhong hier ähnlich wie es auch Fang Dongshu mitunter tut: Diese genannte Unterlassung führe zu einem Zusammenbruch der Gesellschaft und zu vollkommener Willkür. Fang Dongshu erkennt in Wang Zhongs Aussagen zu Recht eine Attacke gegen den alleinigen Anspruch der daoxue auf kanonische Deutung. Insbesondere richtet sich diese Attacke gegen die schriftlichen Grundlagen der Orthodoxie. Wie Chow schreibt, wollte Wang Zhong sogar das Konzept des daotong 道統, der orthodoxen Tradierung des Rechten Wegs, durch ein alternatives Konzept des xuetong 學統, der „lineage of learning“ ersetzen (Chow 1986, 305). Wang greift zudem mit dem Daxue denjenigen Text an, der während der späten Kaiserzeit zu Beginn jeder Lektüre der kanonischen Werke gestanden hatte. Das Daxue war zudem der zentrale Text für die daoxue, weil Zhu Xi mit diesem Text seinen Anspruch untermauern konnte, dass der konfuzianische Rechte Weg letztlich eine persönliche, introspektive Angelegenheit war. War der Rechte Weg bei Konfuzius noch die Methode gewesen, einen Staat zu führen, so wandelten Cheng Yi

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und später Zhu Xi diesen zu einem Weg der persönlichen Kultivierung, aus der alles politische erst erwachsen würde. Wangs Vorwurf, die Schule verraten zu haben, und somit „unkonfuzianisch“ zu sein, gibt Fang sofort zurück, nur dass er Wang nicht falsche Gedanken des Zen vorwirft, sondern solche des Mohismus. Wang Zhong zählt also für Fang zum „harten Kern“ der hanxue, mehr als Qian Daxin oder wohl auch Wang Chang.

Jiao Xun Jiao Xun war ein weiterer Protegé von Ruan Yuan. Dies, obwohl er sogar ein Jahr älter war als der Generalgouverneur Guangxis und Guangdongs, was bemerkenswert ist. Die beiden scheinen sogar entfernt verwandt gewesen zu sein. Auch Jiao Xun stammte aus Yangzhou, und er war wie Jiang Fan einer der Gelehrten, die immer wieder die Protektion Ruans suchten. Dieser schrieb Vorworte für Jiaos Werke und unterstützte ihn als Gelehrten aus derselben Heimatstadt. Die beiden gegen ihn gerichteten Kontroversen im zweiten Faszikel, die sechste und die fünfundzwanzigste (Fang Dongshu 1998, 277, 309), schliessen beide an Kontroversen gegen Ruan Yuan an, und auch inhaltlich lassen sie sich als Angriffe an die Adresse Ruan Yuans verstehen. Die gegen Jiao Xun gerichteten Kontroversen dienen hier wohl hauptsächlich dem Zweck, Ruan Yuan gewisse Argumente zu präsentieren.

Duan Yucai Dai Zhen und Duan Yucai waren sich in freundschaftlicher, aber auch gelehrter Beziehung eng und respektvoll verbunden. Es gibt einen ausführlichen Schriftverkehr, und mit seiner Rekonstruktion der antiken Anlaute Liu Shu Yinyun Biao 六書音韻表 führte Duan den Versuch seines Lehrers weiter, die Auslautgruppen der Antike zu bestimmen. Dai Zhen schrieb das Vorwort hierzu und bewunderte die Leistungen seines Schülers. Zwischen Ruan Yuan und Duan Yucai bestanden der Literatur zufolge keine Bande. Im Hanxue Shangdui wird dieser bekannteste und engste Schüler Dai Zhens sowie Autor von dessen chronologischer Biographie in drei Kontroversen des dritten Faszikels angegriffen (17, 18 und 20). In diesen drei Kontroversen geht es um den Umgang mit den klassischen Schriften, bzw. um die Deutungshoheit gegenüber den Klassikern. Duan Yucai schätzt den Anteil der textkritischen Aufarbeitung der Texte und ihrer philologische Bearbeitung als sehr hoch ein, während für Fang all diese Arbeiten nur einem Zwecke dienen



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können, der ­Hinführung zur moraltheoretischen Interpretation. Duan erklärte etwa die Aussage des Zhong Yong, wonach sich der Weg des Edlen vor den Drei Dynastien und den Ahnengeistern beweisen müsse als Hinweis auf die hervorragende Stellung der Philologie vor der Interpretation oder dem literarischen Ausdruck. Es ist nicht so, dass diese bei Duan Yucai keinen Stellenwert mehr geniesst, aber als Dais Schüler erachtete er die moraltheoretische Interpretation als relativ willkürlich, denn verglichen mit der auf Textbelege aufbauenden Philologie gründete sie auf keiner überprüfbaren Basis. Die Meinungsverschiedenheit in diesen Punkten ist eine grundsätzlich methodische, bei der Fang die gesamte Rezeptionsgeschichte der konfuzianischen Klassiker in einem historischen Ablauf sieht, bei dem die tangzeitlichen zhengyi-Ausgaben auf den sprachlichen Glossen hanzeitlicher Kommentatoren aufbauen, ebenso wie die songzeitliche daoxue-Interpretation auf die Vorarbeiten der Vorgänger zurückgriff. Diese Vorarbeiten bezeichnet er als die von den Gegnern in Zweifel gezogene Grundlage. Die Kontroversen mit Duan Yucai gleichen denen mit Jiao Xun insofern, als auch Duan erneut weniger persönlich angegriffen wird denn als Vertreter einer Schulrichtung. Es kommt zu einer tatsächlichen Auseinandersetzung um Lehrinhalte, und Fang beschuldigt Duan vergleichsweise wenig, sinistre Motive zu verfolgen. Die letzte Kontroverse gegen Duan Yucai geht auf einen Text zurück, den dieser zu einem Werk des deutlich älteren Zang Lin 臧琳 (1650–1713) verfasst hatte. Diesen Zang Lin hat Duans Lehrer Dai Zhen zwar nicht mehr persönlich getroffen, Zang war aber gemäss Darstellungen der Philosophiegeschichten der erste, der die daoxue grundlegend kritisierte, und insofern kann Dai Zhen als ein Nachfolger dieses Zang Lin gesehen werden. Elman schreibt in seinem Werk On Their Own Terms von 2005, dass Zang Lin an Zhu insbesondere dessen Aufteilung des Daxue in einen „Klassikertext“ und einen „Kommentartext“ kritisiert habe (Elman 2005, 226–227).

Nicht angegriffene Gelehrte Aus den oben kurz beschriebenen Gelehrten lässt sich eine Vorstellung des Feindbildes deduzieren, auf das Fang reagierte. Seine Widersacher waren demnach einerseits Gelehrte der Gründergeneration der Qingzeit, welche die Zuordnung der daoxue-Gelehrten zur konfuzianischen Schule und die Stellung dieser Gelehrten im Konfuziustempel in Frage stellten. Andererseits griff er Gelehrte des achtzehnten Jahrhunderts an, welche die Stellung der daoxue als sinnstiftende Auslegung, bzw. Weiterentwicklung der Lehren des Konfuzius und Menzius ­hinterfragten.

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 Fang Dongshu und seine Gegner

Interessant an diesem Umstand ist, dass Fang Dongshu eine Reihe von Gelehrten kaum oder gar nicht angriff, deren Stellung in den Darstellungen der qingzeitlichen Geistesgeschichte einen solchen Angriff eigentlich hätte erwarten lassen. Dies bezieht sich vor allem auf Li Gong 李塨 (1659–1733), mehr noch auf dessen Lehrer Yan Yuan 顏元 (1635–1704). Diese hatten zu Beginn der Qing einen neuen Weg der Gelehrsamkeit gesucht und versucht, die mingzeitliche xinxue zu überwinden. In den für diese Arbeit untersuchten Schriften bleiben sie zumeist ungenannt und es scheint, als ob ihr Einfluss nur marginal gewesen wäre. Ihre Form des Pragmatismus wird aber in den meisten Darstellungen qingzeitlicher Geistesgeschichte als grundlegende Strömung der Qing genannt. Von Zhang Taiyans „Qingru“ an betonen die Überblicksdarstellungen alle die Bedeutung und wegweisende Stellung dieser Schule des Nordens. Ewell etwa zitiert Hu Shi mit der Aussage, wonach „The Yan-Li school had said, ‚if the way of Cheng and Zhu does not cease, the Way of Confucius and Mencius will not appear.‘“ (Ewell 1990, 29). Demnach betrachteten Yan und Li die daoxue als Hindernis auf dem Weg zur Wiederentdeckung der originalen Lehren der antiken Meister. Fang Dongshu geht auf die Lehraussagen dieser beiden Gelehrten trotzdem so gut wie nicht ein. Lediglich im ersten Kapitel des Hanxue Shangdui wird Li Gong zitiert und an einer Stelle der fünften Kontroverse auch Yan Yuan, aber stets im Zusammenhang mit anderen Autoren, insbesondere mit Zang Lin, in dessen Schriften Fang eine Wiederaufnahme der Theorien Li Gongs sah. In der fünften Kontroverse des ersten Kapitels wirft Fang ihnen kurz vor, nicht differenziert genug gewesen zu sein, und daher die Essenz des konfuzianischen Weges nicht vermittelt zu haben: „Bis zu Yan Yuan, Li Gong, Li [Yong 李顒] und diesen Leuten konnten auch jene, welche um die Verehrung der menschlichen Natur und die Verehrung der Riten wussten, den Rechten Weg von Mass und Mitte nicht weisen und die Subtilität und Feinheit so gross wie möglich machen.“ Die Diskrepanz zwischen der Stellung dieser frühqingzeitlichen Pragmatiker in den Geistesgeschichten republikzeitlicher Autoren und ihre wenig prominente Position in der Darstellung Fang Dongshus lässt sich wie folgt erklären: Li und Yan hatten kaum sichtbare Auswirkungen auf die Geschichte des Konfuzianismus. Vielleicht waren ihre Auswirkungen auch nicht wahrnehmbar oder von bleibender Dauer, aber ihre Schule setzte sich auf jeden Fall nicht fort, und sie hatte keinen merklichen Einfluss auf die Schulen Südchinas. Zudem stimmte Fang ihrer Kritik an der xinxue zu, und schliesslich waren Yan und Li so früh, dass die Kritik an Zhu Xi noch nicht eingesetzt hatte. Ein weiterer Kritiker Zhu Xis, den Fang Dongshu in seinem gesamten Hanxue Shangdui unerwähnt lässt, ist Li Fu 李紱 (1675–1750). Elman schreibt zur Aussage



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seines Werks Zhuzi Wannian Quanlun 朱子晚年全論: „Li Fu […] published a work titled Complete Discussion of Zhu Xi’s Views Late in Life […] in the 1730s which declared that Zhu Xi had in the end changed his mind and agreed with his rival Lu Jiuyuan (1139–1193) that morality came prior to the investigation of things.“ (Elman 2005, 227; vgl. auch Hummel 1943–1944, 455–456). Li Fu widmete Jahre seiner Arbeit der xinxue und schrieb die chronologische Biographie Lu Jiuyuans und zudem mit dem erwähnten Werk eine Fortsetzung von Wang Yangmings Zhuzi Wannian Dinglun 定論. Wieso Li von Fang nicht angegriffen oder auch nur erwähnt wurde, lässt sich natürlich nicht eindeutig feststellen, aber Lis Biographie in der Sammlung von Hummel erwähnt zwei interessante Details: Zum einen arbeitete Li mit Fang Bao zusammen bei der Kompilation der Anthologie der drei Ritenklassiker San Li Yishu 三禮義疏 und zum anderen wird bei Hummel eine Geschichte geschildert, die ebenfalls eine Verbindung zwischen Li Fu und Tongcheng herstellt: Die Sammlungen der Prosatexte Li Fus, das Mutang Chugao 穆堂初稿 von 1740 und das Mutang Biegao 穆堂別稿 von 1747 wurden 1768 geächtet und verboten, und die Druckstöcke verbrannt, weil sich darin zwei Gedichte Li Fus fanden, in denen er an eine Zusammenkunft mit Gelehrten im Jahr 1711 erinnerte, bei der auch Dai Mingshi präsent war. Li Fu war zu diesem Zeitpunkt bereits tot und seine Nachkommen wurden nicht für das Vergehen ihres Vorfahren bestraft, aber trotzdem ist Li Fu im weiteren Sinn zu den Leidtragenden des Nanshan Jiyu zu zählen, des prominenten Falles um Dai Mingshi. Da es also Kontakte zwischen Li Fu und sowohl Dai Mingshi als auch Fang Bao gegeben hatte, liegt es nahe, dies als Grund dafür zu sehen, dass Fang Dongshu Li Fu in seinem Hanxue Shangdui nicht erwähnt, obwohl sich dieser gegen Zhu Xi gewandt hatte. Wichtiger als diese Autoren ist m.E. wie oben argumentiert die fehlende Kritik an manchen Freunden, Mitstudierenden oder Schülern Dai Zhens, also dessen Zeitgenossen. Abgesehen von der angesprochenen Erwähnung Duan Yucais und der lobenden Erwähnung Wang Niansuns 王念孫 (1744–1832) werden in Kontroversen keine weiteren Bekannten Dai Zhens angesprochen. So fehlen Kontroversen gegen Lu Wenchao 盧文弨 (1717–1796), Jin Bang 金榜 (1735–1801), Cheng Yaotian 程瑤田 (1725–1814), die alle zum Zeitpunkt der Niederschrift des Hanxue Shangdui bereits tot waren, wie all die anderen angegriffenen Gelehrten (mit Ausnahme Ruan Yuans und Jiang Fans). Jin und Chen waren gemeinsam mit Dai Zhen Schüler Jiang Yongs, und Lu Wenchao war eine Bekanntschaft aus der Zeit in Peking. Der Grund hierfür kann sein, dass diese Gelehrten ebenso wie Yan und Li keinen grossen Einfluss auf die weitere Entwicklung hatten, oder aber dass sie sich, ähnlich wie Wang Niansun, nicht zu den Fragen der Deutung der Schriften geäussert haben. Yang Xiangkui gibt einen guten Grund an für die wenig feindselige Behandlung Cheng Yaotians durch Fang und schreibt zu Cheng: „Cheng

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 Fang Dongshu und seine Gegner

Yaotian war ein bekannter hanxue-Gelehrter, aber er hat die lixue nicht aufgegeben. Man kann sagen, er war ein Vermittler zwischen der han- und der songxue.“76 Ebenfalls nicht angegriffen werden die Vertreter der Changzhou-Schule. Diese in der Westlichen Forschung durch Benjamin Elmans Studie Classicism, Poltics, and Kinship bekannt gemachte Schule der Gelehrsamkeit umfasst eine Reihe von sog. „Neutext-Gelehrten“ aus der Stadt Changzhou, und als ihre bekanntesten Vertreter werden in den Geistesgeschichten jeweils Zhuang Cunyu 莊存與 (1719– 1788) und Song Xiangfeng 宋翔鳳 (1779–1860) genannt. Weder gegen einen von diesen, noch gegen deren Schüler oder ihre gesamte Schule richtet Fang Dongshu eine Kontroverse (Liu Fenglu 劉逢祿 (1776–1856) war Schüler und Enkel Zhuangs, und er wird in Hummel als der eigentliche Begründer der Neutext-Gelehrsamkeit der Qing bezeichnet). Dies hängt wohl damit zusammen, dass die ChangzhouGelehrsamkeit die Autorität Zhu Xis nicht angriff, sondern sich ganz anderen Themen zuwandte. Wie Elman argumentiert, steht ihre Form der Gelehrsamkeit für eine historische Kritik an der Gegenwart, im Falle Zhuang Cunyus für die Kritik am mächtigen He Shen 和珅 (1750–1799), dem „grand secretary“ von 1776 bis 1783 (Elman 1990, 118–119). Als eine Nebenbemerkung sollte hier noch darauf hingewiesen werden, dass Fang Dongshu nicht nur manche Gelehrte unerwähnt lässt, auf die man aufgrund ihrer Stellung in der Rezeptionsgeschichte einen Angriff erwarten würde. Es ist auch bemerkenswert, welche Themen er nicht aufgriff. Die Zeit seines Aufenthaltes in Kanton von 1820 bis 1824 war eine Phase, in welcher der Kontakt mit den Repräsentanten der Westlichen Mächte bereits eine alltägliche Situation geworden war. In der chronologischen Biographie Fangs kommt seine dezidierte Anti-Westliche Meinung deutlich zum Ausdruck, und wie oben erwähnt, dürfte die kritische Haltung gegenüber dem Westen ein verbindendes Element zwischen Ruan Yuan und Fang Dongshu gewesen sein. Gleichwohl gibt es im Hanxue Shangdui keine Erwähnung der Tatsache, dass Europäer mit China in Kontakt zu treten suchten. Weder erwähnt Fang im Zusammenhang mit seinen kulturpessimistischen Äusserungen über die Zukunft der Dynastie die Ausländer als Gefahr, noch kritisiert er deren Einfluss auf die Wissenschaft und Technik, wie es Elman in seinem Werk so detailliert beschreibt. Die Tatsache, dass Fang Dongshu in seinem Hanxue Shangdui die Westlichen Schiffe und die Herausforderung, darauf ­ chriften zu reagieren, mit keiner Silbe erwähnt, ist daher erstaunlich. In anderen S

76 Yang Xiangkui schreibt: „Cheng Yaotian shi zhuming hanxuejia, dan mei you wangdiao lixue, keyi shuo shi han song bingtong de xuezhe 程瑤田是著名漢學家, 但沒有忘掉理學, 可以說是 漢宋兼通的學者.“



Schluss 

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hatte er eine dezidierte politische Meinung über den Zustand des Reiches, die er aber offenbar von seinen Ansichten zur Gelehrsamkeit getrennt hielt.

Schluss Die genauere Betrachtung der von Fang kritisierten Gelehrten gibt präzise Auskunft darüber, was genau Fang Dongshu an der qingzeitlichen Gelehrsamkeit störte, bzw. was er kritisieren wollte. Die Anzahl der kritisierten Gelehrten, oder vielmehr die Intensität der Kritik nimmt über den Verlauf der Dynastie zu, was weniger etwas mit der Aktualität der Kritik zu tun hat als vielmehr mit der zunehmend kritischen Haltung einer grösser werdenden konfuzianischen Gemeinde gegenüber der Orthodoxie. Diese Skepsis gegenüber der daoxue hat ihren Höhepunkt bei Dai Zhen erreicht, und entsprechend stark wird dieser sowie die mit ihm verbundenen Gelehrten attackiert. Fang verstand Ruan Yuan als eine Person, welche die Kritik Dai Zhens institutionell umsetzte, und so kommende Generationen diesen aus seiner Sicht schädlichen Einflüssen aussetzte. Dass es Fang Dongshu nicht um eine Auseinandersetzung mit der Textkritik als Herangehensweise an die Texte ging, wird in seinen Ausführungen zu vielen Kontroversen deutlich, es lässt sich aber auch an den von ihm angegriffenen Gelehrten ablesen. So werden etwa die vornehmlich philologisch ausgerichteten Gelehrten wie Wang Niansun oder sein Sohn Wang Yinzhi nicht kritisiert, obwohl sie Schüler Dai Zhens waren, und obwohl Ruan ein Vorwort für Wang Yinzhi verfasst hat. Auch der Phonologe Kong Guangsen 孔廣森 (1752–1786), der auch als Schüler Dais gilt, taucht als Adressat einer Kontroverse nicht auf (in der Debatte über Phonologie wir er allerdings zitiert). Allein aus diesem Umstand ist zu ersehen, dass es Fang Dongshu eben um die Interpretationshoheit gegenüber den kanonischen Texten ging, nicht um philologisches Handwerk. Wie an anderen Stellen dieser Arbeit erwähnt, war das Mandwerkliche oder Methodische der kaozhengxue kein Problem aus der Sicht Fang Dongshus, denn die angewandten Techniken sind seit jeher Teil der chinesischen Philologie gewesen. Seine Definition der hanxue und damit der Gegnerschaft hing einzig von der Haltung gegenüber Zhu Xi und der daoxue als Zugang zu den kanonischen Texten ab. Derjenige Gelehrte, der von Fang Dongshu stärker als alle anderen angegriffen wird, ist Dai Zhen. Die m.E. zentralen Kontroversen des Hanxue Shangdui richten sich gegen Dai Zhen und es wird klar, dass Fang hauptsächlich ihn für die fatalste Entwicklung der konfuzianischen Gelehrsamkeit verantwortlich macht: die Kritik an Zhu Xi. Im folgenden Kapitel sollen zunächst die Biographien der beiden Personen verglichen werden, die erstaunliche Parallelen aufweisen, aber auch entscheidende Abweichungen voneinander.

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 Fang Dongshu und seine Gegner

In einem weiteren Schritt soll dann die Rezeptionsgeschichte der Lehren Dai Zhens dargestellt werden. Die Lehren Dai Zhens wurden während der QingDynastie grundsätzlich anders beurteilt als nach dem Ende der Kaiserzeit. Wie im folgenden Kapitel argumentiert werden wird, geht die Auffassung von Dai Zhen als dem hervorragenden Denker des Konfuzianismus der Qingzeit ausschliesslich auf die Rezeption seiner Theorien nach dem Ende der Kaiserzeit zurück. Ironischerweise scheint Fang Dongshu mit seiner Kritik einen erheblichen Beitrag geleistet zu haben zum Nachruhm Dai Zhens.

Fang Dongshu und Dai Zhen Die intellektuelle Gegnerschaft zwischen Fang Dongshu und Dai Zhen – oder präziser die vollkommene Ablehnung Dai Zhens durch Fang Dongshu – ist das diskursive Herzstück des Hanxue Shangdui. Hier kommen m.E. die zentralen Themen zur Sprache, nämlich Fragen der Begrifflichkeit und der Methode. Dies sind die Themen welche die grundsätzliche Ausrichtung der konfuzianischen Gelehrsamkeit bestimmten. Was die Gegnerschaft zwischen Fang und Dai angeht, so war diese selbstverständlich einseitig. Fang war erst fünf Jahre alt, als Dai Zhen relativ jung verstarb, deshalb geht die explizite Ablehnung nur von Fang aus. Wenn man sich allerdings betrachtet, was Dai über Gelehrte der daoxue sagte, kann man davon ausgehen, dass auch Dai dem Gelehrten aus Tongcheng feindlich gesonnen gewesen wäre. Im Hanxue Shangdui greift Fang Dongshu seinen intellektuellen Widersacher Dai Zhen nicht nur auf der Ebene seiner Lehrinhalte an, sondern er wird auch persönlich. So bezeichnet er Dai Zhen vermehrt als xiao ren, als das Gegenstück zum konfuzianischen Edlen junzi, und er unterstellt Dai Zhen ständig über die konfuzianische Lehre hinausgehende sinistre Motive, etwa die Irreführung nachfolgender Gelehrtengenerationen. Er bezichtigt Dai nichts weniger als der Verbreitung eines intellektuellen Giftes, dass zur Zersetzung und letztlich Zerstörung der Gesellschaft führen würde. Fang unterstellt ihm, fahrlässig oder vorsätzlich den konfuzianischen Weg zu zerstören. Damit versucht Fang natürlich zu vermeiden, die sachlichen Argumente anzuhören, die Dai gegen Zhu Xi und die lixue vorzubringen hatte, aber Fang scheint tatsächlich auch einen Groll gegen Dai Zhen als Persönlichkeit der konfuzianischen Gelehrsamkeit gehegt zu haben. Obschon Fang Dongshu in vielen Kontroversen Ruan Yuan angriff, und obwohl er das Werk diesem persönlich übergab, erscheint es mir gleichwohl sinnvoll, Dai Zhen als das zentrale Objekt von Fangs Angriffen zu betrachten. Ohne Zweifel war Ruan Yuan diejenige Person, die Fang zu beeinflussen suchte. Jiang Fan und sein Hanxue Shicheng Ji waren der Anstoss für die Niederschrift von Fangs Kampfschrift gewesen. Was also spricht trotzdem für die Behauptung, der Gelehrte, dem die umfassendste Kritik gewidmet ist, sei Dai Zhen, der prominenteste konfuzianische Philosoph der Rezeption der Qingzeit? Wie in diesem Abschnitt gezeigt werden soll, sprechen hierfür die Art und der Inhalt der gegen Dai gerichteten Kontroversen. Gleichzeitig gibt es die erwähnte persönliche Abneigung, die vielleicht – ohne hier ein Psychogramm erstellen zu wollen – auch etwas mit der Situation Fang Dongshus zu tun hatte, dessen Leben in sozialer und finanzieller Hinsicht stagnierte, und der von seinem Arbeitgeber Ruan Yuan abhängig war. Er konnte es sich nämlich nicht leisten, Ruan Yuans „falsche“ Ansichten zur Gelehrsamkeit zu verübeln. Umso stärker wurde dadurch

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 Fang Dongshu und Dai Zhen

die Abneigung gegen Dai Zhen, den Denker, der den falschen Weg erst eröffnet hatte, den Ruan Yuan gemäss Fang nun beschritt. Die beiden Biographien Dai Zhens und Fang Dongshus beginnen in mancherlei Hinsicht ähnlich: beide kamen aus ärmlichen Verhältnissen und hatten nur ihren Kopf und ihre Gelehrsamkeit, auf die sie bauen konnten, doch ein Vergleich der beiden Biographien zeigt auch, dass Dai Zhen wertvollere Verbindungen aufbauen konnte als Fang, bzw. diese besser zu nutzen verstand. Nachdem die Biographie Fangs bereits ausführlich geschildert wurde, soll hier zunächst die Lebensgeschichte Dai Zhens nachgezeichnet werden, um auch zu zeigen, wie verschieden die Leben zweier konfuzianischer Gelehrter im späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhundert trotz einer sehr ähnlichen Ausgangslage verlaufen konnten. Danach folgt ein Abschnitt zur Rezeption Dai Zhens in der Qing selbst, der thematisch an die oben stehenden Abschnitte zur Rezeption Dai Zhens in der Republik und in der Folge des „Vierten Mai“ anknüpft. In diesem Abschnitt der vorliegenden Studie soll nun kontrastiv die Stellung Dai Zhens in der Qingzeit selbst analysiert werden, wie sie aus zeitgenössischen Dokumenten festgehalten ist. Dadurch soll die Behauptung belegt werden, die Rezeption Dais in der Kaiserzeit und in der Republik unterscheide sich stark voneinander.

Fang und Dai – Gemeinsames und Trennendes Wenn sie sich auch nie persönlich kennen gelernt hatten, so gab es neben ihrem ärmlichen Familienhintergrund doch zunächst mindestens eine geographische Verbindung zwischen dem konservativen Gelehrten aus Tongcheng und Dai Zhen aus Xiuning 休寧. Xiuning lag ebenfalls in Anhui, und die Distanz zwischen Tongcheng in der Präfektur Anqing Fu 安慶府 und Xiuning betrug nur etwas über einhundert Kilometer.1 Und tatsächlich gibt es ja zwischen beiden mindestens eine offensichtliche Parallele festzustellen: eine gewisse Hartnäckigkeit beim

1 Da der Begriff des tuqi 土氣, des örtlichen qi, also der geographischen Abstammung und ihrer Auswirkung auf die Person, in China eine zu beachtende Grösse war und ist, ergibt sich aufgrund des ähnlichen Herkunftsortes zwingend auch eine Ähnlichkeit der beiden Charaktere. Die Ähnlichkeit zweier Menschen, die aus demselben Ort stammen, entspricht etwa der astrologischen Ähnlichkeit zwischen zwei Menschen mit demselben Tierkreiszeichen und Aszendenten. Hier weniger ernst gemeint denn als Hinweis auf eine erste offensichtliche Gemeinsamkeit. Trotzdem stimmt der Vergleich mit der Astrologie insofern, als dass beide für ihre Anhänger Gültigkeit besitzen. Das Konzept des tuqi zeigt bis heute insofern seine Auswirkungen, als in prosopographischen Einträgen in chinesischen Enzyklopädien bis heute immer deren Heimat- und Geburtsort genannt wird.



Fang und Dai – Gemeinsames und Trennendes 

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Vertreten ihrer jeweiligen Lehrmeinungen. Doch nicht nur Dai Zhen stammte aus derselben Präfektur wie Fang, auch das Objekt ihrer beider philosophischen Schriften stammte aus diesem Teil Anhuis: Zhu Xi wurde zwar in Fujian geboren und verbrachte dort den grössten Teil seines Lebens, seine „Heimat“ aber, der Ort der Herkunft seiner Familie war Wuyuan 婺源 in Anhui, eine Ortschaft, die in der Qingzeit ebenso wie Xiuning dem Kreis She zugeordnet war. Beide Orte lagen in der Qing in der Präfektur Huizhou Fu 徽州府 (Tan Qixiang 1982, 8:19). Darüber hinaus gab es zwischen Fang und Dai die bereits angesprochene Verbindung über Fangs Lehrer Yao Nai 姚鼐 (1732–1815), der 1755 Dai Zhen gebeten hatte, ihn als Schüler zu akzeptieren. Dai Zhen lehnte dies in einem Brief ab und schrieb Yao, dass er sich ihm eher als Freund verpflichtet fühle und gerne die Freundschaft weiterführen möchte.2 Wie im Tongcheng-Kapitel ausgeführt, halte ich die Zurückweisung Yao Nais alleine für ein unzureichendes Motiv für Fangs Niederschrift des Hanxue Shangdui. Es kann aber durchaus sein, dass sich Yao Nai seinem Schüler gegenüber negativ über Dai Zhen geäussert hat, aber dies alleine als Grund anzunehmen, dass Fang das sein Werk verfasste, nimmt erstens Fangs Anliegen nicht ernst und versucht zweitens nicht, den darin angestrengten inhaltlichen Dialog nachzuvollziehen. Schliesslich gibt es noch eine mögliche persönliche Abneigung, vielleicht motiviert durch Fangs Neid. Dies wäre ein Neid auf die Ungerechtigkeit der Zeit, die sich in den unterschiedlichen Biographien Fangs und Dais deutlich zeigt. Fang hatte nur die erste Stufe der Beamtenprüfungen erfolgreich absolviert und war zu einem einfachen Studenten zhusheng 諸生 geworden, der niedersten Stufe der Prüfungshierarchie, während Dai Zhen es aus eigener Kraft bis zum juren 舉人 schaffte, zum erfolgreichen Absolventen der zwei Stufen höher stehenden Provinzprüfung (wörtlich zur „erwählten Person“ oder „hervorgehobenen Person“; zu den Prüfungen, den Stufen und den dafür erforderlichen Kenntnissen vgl. das Kapitel in Wilkinson 2000 und in Elman 2000, 140–144; 157–163). Gründe für den Erfolg des einen und den Misserfolg des anderen waren – neben den demographischen Veränderungen durch Bevölkerungswachstum, wodurch die Kriterien für erfolgreiche Prüfungen in der Zwischenzeit nach oben angepasst worden waren – auch die veränderten Prüfungscurricula. Waren während der Regierungsperioden shunzhi und kangxi anfangs der Dynastie noch literarische Qualitäten von zentraler Wichtigkeit, büssten diese ab der yongzheng-Zeit

2 Der fragliche Brief an Yao Nai wurde bereits in die erste Sammlung von Dais Schriften, das Dai Zhen Wenji, unter dem Titel „yu Yao Xiaolian jizhuan shu 與姚孝廉姬傳書“ aufgenommen (Dai Zhen 1980, 141–142). Andere Sammlungen von Schriften Dais beinhalten diesen in der Regel auch.

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ihre Bedeutung gegenüber technischem und naturwissenschaftlichem Wissen zu einem gewissen Grad ein.3 Das bedeutete, dass die Prüfungen einem Gelehrten mit Dai Zhens Ausbildung nun stärker entgegen kamen als einem guwen-­ Experten wie Fang. Die qingzeitliche Tradition der Tongcheng-Schule hatte sich nach dem Tod Dai Mingshis und der Begnadigung Fang Baos auf die Perfektion des damaligen Kernstückes der Prüfung, den „achtfüssigen Aufsatz“ (bagu wen 八股文, shi wen 時文 oder zhi yi 制藝 genannt) konzentriert. Entsprechend waren Gelehrte aus Tongcheng sehr erfolgreich gewesen, aber in der Zeit Fang Dongshus traf dies alles nicht mehr zu.4 So schaffte er gerade die erste Prüfung zum zhusheng, was so gut wie irrelevant war, weil er damit nie auf eine Beamtenstellung hoffen konnte, und ihm nur der Weg blieb, als Gelehrter in Privatanstellung (muliao 幕僚) oder als Lehrer an einer Akademie (shuyuan 書院) ein Einkommen zu generieren. Auch ein juren wie Dai Zhen hätte aufgrund seiner blossen Prüfungsergebnisse wohl keine grosse Chance gehabt, auf einen lukrativen Posten zu kommen, von einer Stellung als Redakteur des Siku Quanshu 四庫全書 ganz zu schweigen. Doch Dai Zhen hatte einflussreiche Freunde und Bekannte, die von seinen

3 Zu Veränderungen im Prüfungscurriculum vgl. Elman 2000, 536–568, insbesondere 536– 545. Elman macht zu Beginn dieses neunten Kapitels auch deutlich, dass praktische und naturwissenschaftliche Fragen seit der späten Ming eine gewisse Rolle eingenommen hatten, die steigende Bedeutung praktisch anwendbaren Wissens in den Prüfungen also mehr mit den politischen Notwendigkeiten zu tun hatte als mit dem Aufstieg einer Schule. Auch wurden in der frühen kangxi-Zeit alle naturwissenschaftlichen Prüfungen zunächst abgeschafft (ebd., 481–488). 4 Als Beispiel für den Erfolg Tongchengs auf nationaler Ebene seien hier drei Namen genannt: Fang Guancheng 方觀承 (1698–1768), war ein Urenkel Fang Xiaobiaos (der wegen dem Nanshan Ji Yue gemeinsam mit Dai Mingshi verurteilt und posthum bestraft wurde, vgl. das TongchengKapitel). Fang Guancheng machte eine erfolgreiche Beamtenkarriere, die ihn dem qianlong-Kaiser empfahl. Dabei war er u.a. 1748–49 Gouverneur von Zhejiang, ausführender Gouverneur von Zhili sowie Generalgouverneur von Shaanxi und Gansu. Er starb im Amt 1768, worauf sein Sohn Fang Weidian ihm zu Ehren zum Grosssekretär ernannt wurde. Hu Zongxu 胡宗緒 (?–?; fl. 1730) Als juren wurde er in den letzten Jahren der kangxi-Zeit auf Empfehlung hin zum Redaktor der Ming Shi. Nach dem juren-Grad wurde er „Director of Studies“ an der nationalen Akademie Guo zi Jian (國子監司業, vgl. Hucker #5821). In der offiziellen Biographie wird erwähnt, dass er ein enzyklopädisches Wissen hatte zu den Klassikern, Meistern und Geschichten und den „Realia“ (自經史以逮律曆、 兵刑、 六書、 九章、 禮儀、 音律之類). (Qingshigao 1998, 4:13377; ZHZ 1699). Der bekannteste Vertreter Tongchengs war aber ohne Zweifel Zhang Tingyu 張廷玉 (1672– 1755). Er war der Sohn des Zhang Ying 張英 (1638–1708), Grosssekretär (daxue shi 大學士; vgl. Hucker #5962) von 1699–1701. Zhang Tingyu selbst hatte dieselbe Position in der Zeit von 1726 bis 1749 inne. Die Familie von Zhang stammte aus Tongcheng, obwohl er selbst in Peking geboren wurde. Die Periode Zhang Tingyus ist die Zeit der Dominanz der Tongcheng-Gelehrten in Peking, in der diese einen überproportional grossen Teil der Beamtenschaft ausmachten.



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­ ualitäten als Gelehrter überzeugt waren, und mit deren Hilfe er 1773 eben diesen Q Posten erhielt und zwei Jahre später sogar zum jinshi 進士 ehrenhalber ernannt wurde, also zum „Gelehrten, den man nahe an [den Kaiser] heranbringt“, dies trotz der Tatsache, dass er die dafür erforderliche Palastprüfung in sechs Versuchen zwischen den Jahren 1763 und 1775 nie erfolgreich abschliessen konnte. Viele der Erfolge in Dais Leben hatten neben seinen unbestreitbaren Leistungen auch damit zu tun, dass er zur rechten Zeit am rechten Ort war und die rechten Leute traf. Dies begann schon mit seinem Lehrer Jiang Yong 江永 (1681–1762), der noch im Sinne der daoxue erzogen worden war. Laut seiner Biographie in Hummel lernte Dai den Schriftgelehrten und Mathematiker Jiang im Haus eines Freundes kennen, und er absolvierte bei Jiang einen Teil seiner Ausbildung und knüpfte erste wichtige Kontakte. Während dieses Unterrichts befreundete sich Dai mit seinen Kommilitonen Cheng Yaotian 程瑤田 (1725–1814) und dem ebenfalls aus Xiuning stammenden Jin Bang 金榜 (1735–1801). Bis zu Dais Tod 1777 blieben sie offenbar eng verbunden, kritisierten gegenseitig ihre Manuskripte und diskutierten Fragen des Konfuzianismus.5 Auf der Basis seiner Ausbildung verfasste Dai dann erste Werke zu Logarithmen (1744 Cesuan 策算 über Rechnungstabellen, 1 Faszikel), zum Kao Gong Ji des Zhou Li (1746 Kao Gong Ji Tu Zhu 考工記圖注, 3 Faszikel) sowie zu den Chu Ci (1752 Qu Yuan Fu Zhu 屈原賦注, 5 Faszikel).6 Dazwischen hatte er 1751 die zweite erfolgreiche Prüfung absolviert und war nun ein xiucai 秀才, wörtlich ein „ausgezeichnetes Talent“.7 Nach Streitgkeiten um ein

5 Für nähere Informationen zu ihren Lehrinhalten sowie zur Beziehung zwischen diesen Gelehrten, vgl. Yang Xiangkui 1994, 5: 46–50, 429–430, 436–439. Yang Xiangkui behauptet im Kapitel zu Jin Bang (ebd. 429), dass dieser auch „mit Dai Dongyuan, Liu Haifeng und Fang Pushan gemeinsame Schüler“ gewesen seien („又以戴東原、 劉海峰、 方樸山為師友“). Liu Haifeng ist das Pseudonym des Tongcheng-Gelehrten und Lehrer Yao Nais Liu Dakui 劉大櫆 (1697(?)–1779), Fang Pushan dasjenige Fang Rourus 方柔如 (?–?), eines jinshi von 1715. Obwohl die Lebenszeiten der beiden zu den Lebenszeiten Jiang Yongs passen würden, halte ich dies dennoch für einen Fehler. Weder in Liu Dakuis offizieller Biographie noch im Abschnitt zu Liu in Zhao Zongmings Werk zur Geschichte der Tongcheng-Schule wird etwas davon erwähnt, noch in Yang Xiangkuis Kapitel zu Jiang Yong selbst oder in Xu Shichangs Qingru Xuean, wo Liu Dakui wie zu erwarten in Rolle 51 bei Fang Bao aufgeführt ist (Qingshigao 1998, 4:3425/13376–13377; Yang Xiangkui 1994, 5:1–4; Zhao Zhongming 1999, 145; Xu Shichang 1990, 1:915). 6 Die Arbeit zum Kao Gong Ji wurde später mit der Hilfe Ji Yuns publiziert. Er schrieb auch das Vorwort dazu (Dai Zhen 1980, 221; Hummel 1943–44, 695). Die Arbeit zu den Chu Ci wurde 1760 publiziert mit einem Vorwort Lu Wenchaos 盧文弨 (1717–1796) (ebd. 224; ebd. 695). 7 Für die Titel xiucai der erfolgreichen Prüfungsabsolventen, eine Übersetzung sowie eine Beschreibung ihrer Bedeutung vgl. Hucker 1985, #2633 (xiucai), #1419 (zhusheng), #1682 (juren), #1148 (jinshi). Wichtig ist, dass zhusheng und xiucai, und auch die generelle Bezeichnung

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Stück Land, welches Dai als Familienbesitz behalten wollte, musste er fliehen und setzte sich ab in die Hauptstadt. Dort lernte er bald Qian Daxin 錢大昕 (1728– 1804) kennen, der nicht nur ein einflussreicher Gelehrter der Hauptstadt war, sondern auch noch ein weites Beziehungsnetz zu anderen jinshi-Gelehrten unterhielt.8 So war es Qian, der Dai an Qin Huitian 秦蕙田 (1702–1764) weiter empfahl. Dai half diesem so bei der Kompilierung seines Werkes Wu Li Tongkao 五禮通考. 1755 wurde Dai dann Hauslehrer in der Familie Ji Yuns 紀昀 (1724–1805), der dafür die Publikation seiner Kao Gong Ji-Studie bezahlte. Ji Yun sollte später selbst zu einem der hauptsächlichen Editoren des Siku Quanshu-Projektes werden. Zudem war da der für Dai glückliche Umstand, dass Ji Yuns älteste Tochter mit einem Enkel Lu Jianzengs 盧見曾 (1690–1768) verheiratet war. Dieser war damals Salzkommissar in Yangzhou, und nach Dais erster Periode in der Hauptstadt ging Dai 1757 nach Yangzhou und liess sich von Lu als Hauslehrer anstellen. In dessen Haus traf er mit Hui Dong 惠棟 (1697–1758) zusammen. Irgendwo in diesem Zusammenhang lernte er auch Huis Schüler Shen Dacheng 沈大成 (1700–1771) kennen, und der Kontakt zu diesem sowie ein dadurch ermöglichtes Gespräch mit Hui Dong veränderten Dais Verständnis des Konfuzianismus grundlegend.9 Die Aussagen der chronologischen Biographie über die Zeit in Yangzhou sind zwar wenig aufschlussreich bezüglich seiner inhaltlichen Neuorientierung, aber die in dieser Zeit abgefassten Schriften, vor allem Briefe, sprechen eine sehr deutliche Sprache.10 Chin und Freeman schreiben in ihrer Einführung, dass zwar ein

shengyuan 生員 (#5193), allgemein gebräuchliche Termini waren für Studenten, welche sich auf die Provinzprüfung vorbereiteten, also die Kreisprüfung absolviert hatten. Wenn sie die Prüfung auf Provinzebene erfolgreich absolvierten, wurden sie juren und wenn sie die danach mögliche Hauptstadtprüfung schafften, zu jinshi. 8 1754 absolvierte Qian Daxin die Palastprüfung zum jinshi. Im selben Jahrgang war der Initiator und spätere Chefredakteur des Siku Quanshu, Ji Yun 紀昀 (1724–1805), sowie Qians Schwager Wang Mingsheng 王鳴盛 (1722–1798), mit dem er bereits gemeinsam an der Ziyang-Akademie in Suzhou studiert hatte. Ebenfalls in diesem Jahrgang waren der spätere Initiator des Siku Quanshu-Projektes Zhu Yun 朱筠 (1729–1781) und Wang Chang 王昶 (1725–1806) (Dai Zhen 1980, 221: Dai Dongyuan Nianpu, 33. Lebensjahr). Durch Qian Daxins Vermittlung lernte Dai in Peking auch Wang Chang und Lu Wenchao kennen, die ebenfalls zu bedeutenden Vertretern der hanxue wurden und gut bekannt waren mit Dai Zhen. 9 Zu Shen Dacheng vgl. Xu Shichang 1990 1:776. Er wurde spät im Leben ein Schüler Hui Dongs und wird im Qingru Xuean im Kapitel zu Hui Dong besprochen. Shen scheint der erste Kontakt Dais zur Suzhou-Schule, bzw. zur Schule der hanxue gewesen zu sein, wenn man der chronologischen Biographie folgt (Dai Zhen 1980, 222–224). 10 Im Schreiben an Ren Dachun mit dem Titel „yu Ren xiaolian Youzhi shu 與任孝廉幼植書“ findet sich die auffällige Betonung der hanzeitlichen Kommentatoren Zheng Xuan und Jia Kui, und ein Hinweis auf Liu Xins und Wang Mangs Versuch, die Klassiker für ihre politischen Ziele nutzbar zu machen (Dai Zhen 1980, 135–138). Besonders auffällig sind die beiden Briefe an den



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­ egenseitiger Respekt, vielleicht sogar Bewunderung bestanden habe, dass aber g Dai sicherlich mehr vom siebenundzwanzig Jahre älteren Hui Dong ­beeinflusst wurde als umgekehrt (Chin und Freeman 1990, 12). Selbst wenn dem nicht so wäre, blieb Hui Dong nicht viel Zeit, diese Beeinflussung in seinen Schriften umzusetzen, da er im Sommer des darauf folgenden Jahres starb. Die These, wonach Hui Dong Dai Zhen beeinflusst habe, offenbart sich allerdings nicht aus Dais Schriften, sie geht vielmehr ursprünglich auf Qian Mu 錢穆 (1895–1990) zurück, der diese Vermutung in Jin Sanbai Nian Xueshu Shi 中國近三百年學術史 erstmalig äussert (Qian Mu 1937, 318–324).11 Nach einer Zeit von vier Jahren in Yangzhou kehrte Dai 1762 in seine Heimatprovinz Anhui zurück, wo er die Provinzprüfung zum juren absolvierte. Im folgenden Jahr ging der mittlerweile neununddreissigjährige Dai erneut in die Hauptstadt für einen weiteren Versuch, jinshi zu werden. Bei dieser Gelegenheit lernte er seinen wohl wichtigsten Schüler und späteren Biographen kennen: Duan Yucai 段玉裁 (1735–1815), der 1766 sein Student wurde, wobei Dai zeitlebens die Faktizität des Lehrer-Schüler Verhältnisses nicht anerkannte. Passend zu seinen literarischen und philosophischen Ansichten versuchte er auch diese zwischenmenschliche Beziehung nach dem Vorbild des Altertums zu formen. In der Einführung zu Ann-ping Chins und Mansfield Freemans Buch steht eine Übersetzung des Briefes zu lesen, den er Duan sandte: „…but I must decline the honor, not because I am modest. Friendship as understood by the ancients means that people learn from each other. We must be friends in the ancient manner. I am therefore, returning your letter.“ (Chin & Freeman 1990, 15). Während der Zeit in Peking unterrichtete Dai als Hauslehrer bei Qiu Yuexiu 裘曰修 (1712–1773), der sich erneut als nützlicher Kontakt erweisen sollte. Qiu wurde später der führende Beamte der Abteilung, die mit der Erstellung des Siku Quanshu beauftragt gewesen war, und er war 1763 in Zhili mit dem Schutz vor Fluten beschäftigt. Dort war seit 1749 Fang Guancheng 方觀承 (1698–1768) Gouverneur gewesen, und eben dieser Fang offerierte Dai Zhen eine Anstellung, in der dieser 1767 bis 1768 eine Studie über Wasserwege in Zhili zu Ende schreiben sollte. Diese Arbeit trug den Arbeitstitel Zhili Hequ Shuili Shu 直隸河渠水利書. Das Buch

Hanlin-Gelehrten (shijiang 侍講) Lu Wenchao mit den Titeln „yu Lu Shijiang Zhaogong shu 與盧侍講召弓書“ und „zai yu Lu shijiang shu 再“ (ebd. 52–54; 54–61). Argumentiert er im ersten Schreiben, das er kurz nach seiner Ankunft in Yangzhou geschrieben hatte, noch in langen Sätzen und zieht Wei-Jin-zeitliche Glossen heran, besteht der zweite Brief nur noch aus Anmerkungen zu falschen Schriftzeichen und fehlerhaften Kommentarstellen und reflektiert damit den – man verzeihe den Ausdruck – etwas erbsenzählerischen Ansatz der Schule aus Suzhou. 11 In der Besprechung des Werkes Yuan Shan zitiert Qian einige Aussagen Dais, die er auf Hui Dong zurückführt (Qian Mu 1937, 1:338–339).

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war zuvor von Zhao Yiqing 趙一清 (1710?–1764?) und Yu Xiaoke 余蕭客 (1729–1777) bearbeitet worden.12 Es liess sich nicht klären, ob Qiu Yuexiu bei Fang ein gutes Wort für seinen Hauslehrer eingelegt hatte, aber die Vermutung liegt nahe. Nach seiner Zeit in Zhili kehrte er 1769 für einen weiteren Versuch, den jinshiGrad zu erreichen, nach Peking zurück, um nach neuerlichem Scheitern nach Taiyuan und Fenzhou aufzubrechen. In Taiyuan, der Hauptstadt der Provinz Shanxi, war Zhu Yuns jüngerer Bruder Zhu Gui 朱珪 (1731–1807) als Beamter angestellt. In dieser Zeit in Taiyuan, wo Dai als Gast in Zhus Yamen beherbergt wurde, täuschte er, wie er 1772 Cheng Yaotian berichtete, eine zehntägige Unpässlichkeit vor. In diesen zehn Tagen schrieb er das Xuyan 緒言, einen kurzen Text, der klar als Vorläufer zum späteren Mengzi Ziyi Shuzheng 孟子字義疏證 zu verstehen ist, seinem posthum veröffentlichten Werk der Kritik an der songzeitlichen daoxue. Ewell zitiert einen Brief Dais mit Worten, die einerseits seine Abneigung für das in der Song wichtige Konzept des taiji ausdrückt (vgl. unten Fussnote 92), andererseits aber auch eine gewisse intellektuelle Überheblichkeit: „I was not really ill. I was just in a frenzy smashing the Great Ultimate chart of the Song Confucians.“ (Ewell 1990, 62–63). Wenn auch wichtig, so war Dais Aufenthalt in Taiyuan doch von kurzer Dauer, denn bald zog er weiter ins benachbarte Fenzhou Fu 汾州府, um die Lokalgeschichte dieses Bezirks zu kompilieren.13 Die gleiche Aufgabe erledigte er danach noch für den Magistraten von Fenyang, indem er die dortige Lokalgeschichte fertig stellte (Fenyang Xianzhi 汾陽縣志 14 Faszikel 1772). 1773 schliesslich hielt er sich in Jinhua in der Provinz Zhejiang auf, leitete für kurze Zeit die dortige Akademie Jinhua Shuyuan 金華書院 und betrieb phonologische Forschung (Ji Xiaofeng 1996, 555; Dai Zhen 1980, 233).

12 Im September 1768 starb Fang Guancheng im Amt und Dai wurde gemäss den Angaben in der chronologischen Biographie von dessen Nachfolger auf dem Gouverneursposten respektlos behandelt („bu neng lijing 不能禮敬“ Dai Zhen 1980, 229). Die Studie sollte später von Wang Litai 王履泰 (?–?) unter dem Titel Jifu Anlan Zhi 畿輔安瀾志 veröffentlicht werden, ohne jegliche Nennung der Vorgänger (Hummel 1943–44, 76). Hummel schreibt dort auch, dass Duan Yucai Wang des Plagiats beschuldigte. Zur Frage des Plagiats vgl. auch Hu Shis „A Note on Ch‘üan Tsuwang, Chao I-Ch‘ing and Tai Chen“ In: Hummel 1943–44, 970–982. Der neue Gouverneur von Zhili wurde Yang Tingzhang 楊廷璋 (1688–1772), der 1764 Generalgouverneur in Amoy (Xiamen) gewesen war, als gegen ihn eine Untersuchung wegen möglicher Bestechung durchgeführt worden war. Diese Untersuchung war damals von Shuhede 舒赫德 (1711–1777) und Qiu Yuexiu durchgeführt worden (Hummel 1943–44, 660). Der frostige Empfang könnte also auch damit zusammenhängen, dass Yang Dai Zhen als Protegé Qiu Yuexius betrachtete. 13 Die einzige Information zu Fenzhou Fu stammt aus den spärlichen Angaben bei Hummel 1943–44, 696. Ich gehe davon aus, dass mit Fenzhou Fu der Verwaltungskreis in Shanxi gemeint ist (Tan Qixiang 1982, 8:20–21). Die Lokalgeschichte Fenzhou Fuzhi, 34 j wurde 1771 gedruckt.



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1773 schliesslich erfolgte der kaiserliche „Ruf“ aus Peking, wo er als Redakteur des Siku Quanshu angestellt wurde. Seine Bekanntschaften zu Qin Huitian, Qiu Yuexiu, Zhu Yun und Ji Yun verhalfen ihm zu dieser Anstellung, wobei seine textkritische Gelehrsamkeit natürlich in keiner Weise in Abrede gestellt werden soll. Dai Zhen war einer von fünf Gelehrten, die aufgrund ihrer Fähigkeiten im Umgang mit Texten für diese Aufgabe nachnominiert wurden. Von diesen fünf hatten drei bereits den jinshi-Grad inne, lediglich Dai Zhen und Yang Changlin 楊昌霖 (?–?) waren noch juren. Während er am Siku arbeitet, legte Dai 1775 ein letztes Mal die Prüfung ab, scheiterte aber erneut. Darauf wurde er per Dekret zum jinshi erhoben und erhielt den Titel eines Hanlin Yuan Shuji Shi 翰林院庶吉 士 (Dai Zhen 1980, 235; Ji Xiaofeng 1996, 555; Hucker 1985, #5419). Dai Zhen blieb in Peking bis zu seinem Tod am 1. Juli 1777. Die Ursache seines Todes ist nicht eindeutig, aber Chin und Freeman schliessen aus den Symptomen, die Dai seinem Schüler Duan in einem Brief klagt, dass dieser an den Folgen seines Diabetes gestorben sei.14 Die ganze Zeit über betreute er die Abteilung mathematischer Werke des Siku Quanshu und rekompilierte gewisse Werke aus der Kopie des gigantischen mingzeitlichen leishu 類書 Yongle Dadian 永樂大典 von 1408.15 Sein nachhaltigster Erfolg in diesem Amt allerdings hängt zusammen mit einem Werk, zu dem es nur noch den Kommentar gab: Ein geographisches Werk über Wasserwege in China, das Shui Jing 水經注 von Li Daoyuan 酈道元 (?–527). Dieses Werk bildete die Kapitel 11127 bis 11141 des Yongle Dadian und Dai Zhen rekompilierte das Werk und legte es 1774 dem Kaiser vor als einen Beleg für die Nützlichkeit des Siku Quanshu-Projektes (Needham 1986, 710–711).

14 Chin und Freeman schliessen aus einer Passage zum Schluss des Briefes „yu Duan Ruoying lun li shu 與段若膺論理書“ Duan Yucai vom 13. November 1777, dass Dai am Diabetes gelitten haben muss. Die Angaben im Brief lauten (in ihrer Übersetzung): „Ever since the third month of last year, my feet have been suffering from an ailment, and up to now I have not been able to get out of the house. My eyesight has also been failing me.“ (Chin & Freeman 1990, 17; Dai Zhen 1961, 184–185). 15 Das Werk ist benannt nach seiner Entstehungsperiode yongle, was der Regierungszeit des zweiten (oder, je nach Zählweise, dritten) Ming-Kaisers entspricht. Der yongle-Kaiser hatte seinen Neffen, den zweiten Kaiser gestürzt und den Thron an sich gerissen, weshalb er mit der Kompilation des Yongle Dadian auch seine Legitimität als Kaiser beweisen wollte. Das Werk selbst ist das grösste leishu der Geschichte, und aufgrund seines Umfangs von 80’000 Rollen wurde es nur in wenigen Kopien gefertigt. Diese dienten den Kompilatoren des Siku Quanshu als wertvoller Datenschatz. Zu den leishu als bibliographische Kategorie vgl. die Monographie von Christoph Kaderas und den entsprechenden Abschnitt im Sammelband Ostasiatische Literaturen.

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 Fang Dongshu und Dai Zhen

Der qianlong-Kaiser war von dieser Arbeit begeistert und liess das Werk mit beweglichen Typen drucken, was eine Auszeichnung ist. Die Ernennung Dai Zhens im folgenden Jahr hatte hauptsächlich mit seiner Stellung im Rahmen des Siku Quanshu zu tun, aber es schadete sicherlich nicht, dass Dai anscheinend auch das Shui Jing Zhu rekompiliert hatte. Der oben im Zusammenhang mit der Studie über Wasserwege in Zhili erwähnte Zhao Yiqing hatte auch eine Studie zum Shui Jing Zhu verfasst, die unter dem Titel Shui Jing Zhu Shi 水經注釋 bei Hof eingereicht, aber nicht weiter erwähnt worden war. Erst nach der durch Zhao Yiqings Sohn erwirkten Publikation dieses Werkes im Jahr 1794 entspann sich eine Auseinandersetzung um die Frage der Authentizität. Duan Yucai und Liang Yusheng 梁玉繩 (1745–1819) befehdeten sich 1809 über die Frage, welche Arbeit die authentischere sei. Diese Frage wurde ausgiebig untersucht und mit der Zeit kristallisierte sich die Ansicht heraus, dass Dai Zhen entgegen seinen Aussagen nicht das Yongle Dadian verwendet hatte, sondern vielmehr ein Plagiat von Zhao Yiqings Studie eingereicht hatte. Wei Yuan 魏源 (1794–1856) bezeichnete Dai als Plagiator, und später folgten ihm Zhang Mu 張穆 (1805–1849), Yang Shoujing 楊守敬 (1839–1915) und Wang Guowei 王國維 (1877–1927) in dieser Ansicht. Hu Shi 胡適 (1891–1962) erörterte den Fall in seiner „A note on Ch’üan Tsuwang, Chao I-ch’ing and Tai Chen“ in Hummels Biographiensammlung und er kam dort zum Schluss, dass Dais Forschung authentisch gewesen sei, wobei er allerdings den Text nicht betrachtete, sondern sich nur auf aussertextliche Evidenzen stützte (Hummel 1943–44, 971–977). Das Leben Dai Zhens war in vielerlei Hinsicht ein normales Gelehrtenleben im 18. Jahrhundert: Er musste sich in den unterschiedlichsten Positionen verdingen, um seine Existenz zu sichern. Allem Anschein nach heiratete er nicht, möglicherweise, weil er dachte, keine Familie ernähren zu können, bis er weit über das heiratsfähige Alter hinaus war. Er arbeitete in den unterschiedlichsten intellektuellen Feldern wie der Phonologie, der Mathematik, der Geographie und Wassertechnik, aber natürlich auch den Klassikern und der Literatur. Fang Dongshu hatte gegen alle diese Bereiche nichts einzuwenden, und selbst die textkritische Gelehrsamkeit Dai Zhens oder seine Ansichten zur Schrift und Schriftentstehung werden im Hanxue Shangdui nicht kritisiert. Was Fang Dongshu an Dai Zhen kritisierte, betrifft also lediglich einen kleinen Teil dessen, was dieser in seinem Leben geleistet hat. Welche Punkte er an Dais Ansichten zur Moraltheorie und der konfuzianischen Tradition kritisiert, soll in den ausführlich diskutierten Kontroversen mit Dai Zhen im Einzelnen erörtert werden. Hier sollen nun die Rezeption Dai Zhens seit seiner Lebenszeit diskutiert werden, ehe ein Überblick über die einzelnen Punkte folgt, um deren Verständnis sich Fang mit Dai auseinandersetzte.



Dai Zhen – Werk und Wirkung 

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Dai Zhen – Werk und Wirkung All diese oben genannten Unterschiede in der Entwicklung sind lediglich Beiwerk. Die eigentlichen Gründe für Fangs Kritik an Dai Zhen gehen zurück auf ein divergierendes Verständnis des Konfuzianismus, und der Anlass dazu lässt sich in Dais Schriften finden. Wie in der vorliegenden Studie argumentiert wird, kritisierte Fang Dongshu nicht die textkritischen Äusserungen qingzeitlicher Gelehrter, also Emendationen eines Textes oder die häufigen Anmerkungen zur substituierten Schreibweise, sondern nur die darin enthaltenen philosophischen Implikationen oder Äusserungen. Das heisst, er erhob Einwände gegen ihre Kritik an der songzeitlichen Exegese, die er als Versuche begriff, die diskursive Vormachtstellung der konfuzianischen Orthodoxie zu verändern. Wie in der Zusammenfassung des Werkes zu ersehen ist, verwehrte er sich gegen den Vorwurf, die daoxue gehöre nicht in den Konfuzianismus wie auch gegen die Aussage, die songzeitliche Missachtung des geschriebenen Wortes habe zu einem Niedergang der literarischen Tradierung geführt, wodurch viele Werke verloren gegangen seien. Ein Aspekt des mit der vorliegenden Arbeit beabsichtigten Wissenszuwachses ist es, ein besseres Verständnis der qingzeitlichen Gelehrsamkeit zu erhalten, das möglichst nicht von der Rezeption des Vierten Mai beeinflusst ist. Gerade im Zusammenhang mit der Person Dai Zhens gibt es eine grosse Diskrepanz zwischen der qingzeitlichen Einschätzung Dai Zhens und seiner Rezeption zu Beginn des 20. Jhs. durch Zhang Taiyan (1869–1936) und Liang Qichao 梁啟超 (1873–1929), und vor allem durch Hu Shi. Während diese Gelehrten Dai Zhen für die wichtigste Person der qingzeitlichen Konfuzianismus hielten, der – etwa bei Hu Shi – nur mit Zhu Xi aus der Song selbst und Wang Yangming aus der Ming vergleichbar ist, betrachteten Zeitgenossen Dai Zhens philosophische Anstrengungen mit Argwohn. Wenn im Folgenden von den philosophischen Schriften Dai Zhens die Rede sein wird, so bezieht sich das auf die Texte, in denen er eine Aussage zur dominanten Lehrmeinung der daoxue machte. Es geht also nicht um Texte, in denen er beiläufige Bemerkungen zur konfuzianischen Tradition macht, sondern um jene, mit denen er sein Projekt des „Zerschlagens des Diagramms des Grossen Äussersten“16 vorantrieb. Dieses angesprochene Diagramm steht als Hinweis auf

16 Grosse Äusserstes ist die Übersetzung des Begriffes tai ji („Great Ultimate“), bzw. Tai Ji Tu 太極圖. Ulrich Unger gibt ihn wieder als „Grosser Pol“ und schreibt dazu in seinem Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe: „Der „Grosse Pol“. Chiffre für die coincidentia oppositorum, nämlich der beiden polaren Kräfte Yin und Yang. Locus classicus ist Hi-ts’ï (shang 11), der

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 Fang Dongshu und Dai Zhen

den in der daoxue grundlegenden Begriff des taiji 太極, sowie als Anspielung auf Zhou Dunyis Werk Tai Ji Tu Shuo 太極圖說 auch als pars pro toto Bezeichnung seines Vorhabens, die songzeitliche daoxue insgesamt zu zerschlagen. Ohne hier ein Werksverzeichnis Dai Zhens anzustreben, sollen die hierbei im Vordergrund stehenden philosophischen Texte kurz genannt werden. Es sind dies: zwei kürzere Abhandlungen mit den Titeln Du Yi Xici Lun Xing 讀易繫辭論性 und Du Mengzi Lun Xing 讀孟子論性, beide wahrscheinlich von 1763. In diesen Texten wird der Begriff der menschlichen Natur xing bei Menzius und im Xi Ci-Begleittext zum Yijing erörtert. Dai kritisiert insbesondere im ersten Text das songzeitliche Verständnis des Yijing sowie die daraus resultierenden Begriffe des yin yang und des xing er shang 形而上 („jenseits der physischen Formen“) und xing er xia 下 („diesseits der physischen Formen“). Eine erste philosophische Erörterung stellt Yuan Shan 原善 von 1765 dar. Dieser Text in den drei Abschnitten shang, zhong und xia umfasst nur etwa 2000 Schriftzeichen, und er ist eine Frühfassung des späteren gleichnamigen Textes. 1772 folgt dann das Xuyan 緒言, ein Text im Stile diskursiven Konversation, eine Form der sich ja nicht nur Wang Yangming für sein Hauptwerk Chuan Xi Lu 傳習錄 bediente, sondern die an die antiken Basiswerke Lunyu und Mengzi erinnert. Dann gibt es noch ein Werk mit dem Titel Mengzi Sishu Lu 孟子私淑錄,17 ebenfalls in drei Faszikeln, dessen Entstehungsdatum auch unsicher ist. Dieses Werk ist auch als Frageund Antworttext konzipiert, und in der Einleitung zum Werk im Sammelwerk Dai Zhen Quanshu heisst es, dass es Gegenstand von Diskussionen sei, ob nun Xu Yan das Erstlingswerk sei, Mengzi Sishu Lu die zweite Version und Mengzi Ziyi Shuzheng die späte Form, oder ob Xu Yan bereits eine zweite Fassung des ursprünglichen Textes Mengzi Sishu Lu darstellt (Dai Zhen 1994–1997, 6:35). Gegen Ende seines Lebens baute Dai Zhen diese Werke noch weiter aus und schuf 1776 eine längere Version des Yuan Shan und des Mengzi Sishu Lu, die erst posthum als Teil der von Kong Jihan 孔繼涵 (1739–1784) editierten hinterlassenen Schriften Dai Shi Yishu 戴氏遺書 veröffentlicht wurden, wie Duan Yucai in

wichtigste der Anhänge zum Ih-king, dem Buch der Wandlungen“. (Unger 2000, 111). Die Übersetzung Ungers wird hier nicht verwendet, weil die Assoziation zu Pol stets die ist, dass es einen Gegenpol geben muss. Das tai ji aber ist alleine und erst daraus entstehen die beiden Pole yin und yang. 17 Mengzi Sishu Lu 孟子私淑錄: Der Titel des Werkes beinhaltet den Ausdruck sishu. Dieser bezeichnet die Bereitschaft eines Schülers, sich in die Schule eines Meisters zu begeben und ihm zu folgen, obwohl man keine direkte Unterweisung von diesem erhalten hat (Ricci 5:640; #10182). Dai Zhen erklärt sich damit zum Schüler Menzius‘.



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der chronologischen Biographie Dais schreibt (Dai Zhen 1961, 241).18 Wie Ewell in seiner Dissertation deutlich herausgearbeitet hat, gab es parallele Stellen in beiden Texten, deren leicht veränderte Formulierungen Zeugnis geben von Dais Entwicklung, ja sogar Radikalisierung (Ewell 1990, 81–84). Als exegetisch-philosophisches Hauptwerk Dai Zhens wird für gewöhnlich die ebenfalls posthum veröffentliche Schrift Mengzi Ziyi Shuzheng in drei Faszikel (juan) erachtet. In diesem Werk, das er erst in der letzten Zeit seines Lebens verfasste, kamen viele der zuvor vereinzelt geäusserten Gedanken zusammen, und es schliesst formal an das Xuyan an. Bei Hummel 1943–44, 697 wird es sogar nur als eine spätere Fassung dieses Textes bezeichnet. Tatsächlich ist auch das Mengzi Ziyi Shuzheng im Frage- und Antwortstil abgefasst. Insgesamt lassen sich zwei Stränge erkennen, die sich entlang des divergierenden Verständnisses der antiken Schriften Yijing und Mengzi entspannen. Diese hier genannten Schriften bilden sicherlich den grössten Teil des philosophischen Werks Dai Zhens, aber neben diesen Schriften gibt es noch Briefe, in denen Dai seine Überzeugungen ausführt. Diese sind im vorliegenden Zusammenhang wichtig, weil Fang in gewissen Kontroversen aus diesen Briefen zitiert. Ihre Publikation geht auf die Sammlung Dai Zhen Wenji 戴震文集 von 1792 zurück. Diese Kollektion von Prosaschriften Dai Zhens wurde erstmalig 1778 von Kong Jihan in zehn Faszikeln als Teil des Dai Shi Yishu herausgegeben. Man spricht nach Kongs Studionamen von der Weiboxie-Ausgabe 微波榭本. 1792 editierte dann Duan Yucai ein weiteres Dai Zhen Wenji in zwölf Faszikeln, in das er 26 zusätzliche Texte aufnahm und die ganzen Texte anders anordnete. Wichtige neue Texte sind hier vor allem ein Antwortbrief an Peng Shaosheng 彭紹升 (1740– 1796) mit dem Titel „da Peng jinshi Yunchu chushu 答彭進士允初書“ und „yu mou shu 與某書“, bei dem weder Empfänger noch Entstehungsdatum bekannt sind. Analog wird diese als Jinyunlou-Ausgabe 經韻樓本 bezeichnet und sie stellt seither die Grundlage aller modernen Ausgaben dar (Dai Zhen 1994–97, 6:221). Diese Schriften haben eine bewegte Rezeptionsgeschichte hinter sich. Um die unterschiedlichen Einschätzungen der in diesen Schriften genannten philosophischen Lehren Dai Zhens in einen grösseren Kontext zu stellen, sollen nun die Wahrnehmung gewisser qingzeitlicher Gelehrter wiedergegeben werden, ehe

18 Kong Jihan wird in Hummel 1943–44, 697 als Herausgeber der Schriften genannt, während Ewell Kong Guangsen孔廣森 (1752–1786) für den Editor hält. Duan Yucai erwähnt in den nianpu lediglich einen „Kong hubu 孔戶部“, was ein Beamtentitel ist. ZHZ 346 schreibt allerdings, dass Kong Jihan es bis zum Hubu Zhushi 戶部主事 gebracht habe, deshalb stimmt wohl die Aussage Hummels.

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 Fang Dongshu und Dai Zhen

dann ein Überblick über Dais Lehrmeinungen folgt, wie sie von Fang Dongshu selbst angefochten wurden.

Dai Zhen in der Qing Unter den qingzeitlichen Gelehrten war Dai Zhen ohne Zweifel derjenige, dessen Kritik an der songzeitlichen daoxue weiter ging und vor allem fundamentaler war als diejenige irgendeines anderen. Dies ist sicherlich auch der Grund für die so unterschiedlichen Einschätzungen des Philosophen Dai Zhen. Im Kern suchte Dai Zhen eine Synthese zwischen der Sprach- und Textkritik der kaozhengxue und einer modifizierten Moraltheorie der daoxue, deren Basis allerdings die Sprachkritik sein sollte. Er versuchte eine Brücke zu schlagen zwischen yili und kaozheng, indem er anstrebte, moraltheoretische Prinzipien und Lehrsätze auf der Basis von textkritisch überprüfbaren Axiomen vorzunehmen. Diese Überprüfbarkeit wurde gewährleistet durch Vergleiche der Lexikographie der chinesischen Vergangenheit und der philologischen Kommentare der Hanzeit. Die darin glossierten Wortbedeutungen scheinen intersubjektiv überprüfbar. Das Wörterbuch Shuowen Jiezi 說文解字 aus dem frühen zweiten Jahrhundert suggeriert Objektivität, indem die darin glossierten Bedeutungen durch die graphische Form der Schriftzeichen begründet wurden. Zwar stellt es eine Unterstellung seiner Gegner wie Fang Dongshu dar, dass Dai lediglich die neuen Begriffe der daoxue durch die Brille der Shuowen-Glossen zu lesen versuche, aber bei Lektüre seiner Text wird deutlich, dass Xu Shens Wörterbuch und Zheng Xuans Kommentare doch eine wichtige Basis seiner Exegese darstellt. Dies ist an vielen Stellen seiner Schriften deutlich zu erkennen, in denen er hanzeitliche Glossen, von Zheng Xuan oder Bemerkungen Yang Xiongs den Aussagen Zhu Xis und Cheng Yis gegenüberstellt, um so zu belegen, dass die songzeitlichen Meister der daoxue eben nicht auf der Basis des alten Wissens argumentiert hätten, sondern dass sie ihre eigenen Schlüsse gezogen hätten. In seinem Hauptwerk Mengzi Ziyi Shuzheng stehen lange dialogisch formulierte Erörterungen der daoxue-Schlüsselbegriffe. In einer prominenten und durch Fang Dongshu in der ersten Kontroverse des ersten Kapitels zitierten Stelle gründete Dai sein Argument auch auf der Glossierung von li 理 im Shuowen Jiezi (vgl. Dai Zhen 1961, 1 für li; dieselbe Stelle vgl. Chin und Freeman 1990, 70). Dieses Argument bildet aber eindeutig eine Ausnahme, denn entgegen Fang Dongshus polemischer Darstellung gibt es nicht Dutzende von Stellen in Dais Werken, in denen dieser das Shuowen zitiert. Gleichwohl bedeutet die Herangehensweise Dai Zhen den Versuch, eine Verbindung zwischen der hanzeitlichen Glossematik und der daoxue herzustellen, denn wenn Dai sich auch nicht in dem ihm vorgeworfenen Masse der Glossen dieses wichtigsten Wörterbuches



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der chinesischen Kultur bedient, so geben doch die Aussagen der Kommentatoren immer wieder Stichworte und Anknüpfungspunkte für Dais eigene Aussagen. Diese Methode bedeutet auch, dass Dai die durch die Textkritik und Philologie erreichbaren Erkenntnisse weitertrieb als irgendjemand sonst. Doch dies stiess nicht unbedingt auf Zustimmung seiner Zeitgenossen. So schreibt Cynthia Brokaw in ihrem ausgezeichneten Aufsatz von 1994, dass Dai Zhen eine Ausnahme innerhalb der qingzeitlichen Gelehrsamkeit darstellte, aber auch, dass seine Forschung unter Zeitgenossen nicht nur Begeisterung hervorgerufen habe: „Tai’s first considerable attempt to derive morally significant philosophical interpretations from k’ao-cheng study of the Classics […] were dismissed as „empty talk of moral philosophy, better not done at all“ by Ch’ien Ta-hsin and Chu Yun. Indeed, Tai’s philosophical writings were generally seen by his contemporaries as awkward reversions to the mistaken concerns of the Sung Neo-Confucians.“ (Brokaw 1994, 259). Auch in der Einleitung zu Ewells Übersetzung, in welcher der Einfluss Hu Shis im Allgemeinen sehr deutlich festzustellen ist, wird Dai Zhens Bekanntschaft aus Peking und späterer Arbeitgeber in Shanxi, Zhu Yun, zitiert. Dabei reagiert Zhu auf einen Vorschlag von Dai Zhens spätem Schüler Hong Bang 洪榜 (1745–1779), einen Brief Dai Zhens in eine biographische Beschreibung (xingzhuang zhuan 性狀傳) des Mannes aus Xiuning aufzunehmen. Dabei handelt es sich um den auch von Fang Dongshu angegriffenen Brief Dais an Peng Shaosheng mit dem Titel „da Peng jinshi Yunchu chushu“ (vgl. Dai Zhen 1961, 161–170). In diesem Brief aus dem Jahr 1777 nutzte Dai Zhen die Konversation mit dem buddhistisch-konfuzianischen Gelehrten Peng, um ausführlich seine Gedanken über Konfuzianismus, Buddhismus und die daoxue zu entwickeln. Zhu Yun schrieb an Hong (in der Übersetzung Ewells): „This need not be included. The ‚nature and the Way of Heaven (are matters of which) one cannot hear‘ How can one hope to have yet another theory (about them) apart from Cheng and Zhu? What is worth transmitting in Mr. Dai’s (scholarship) is not in this.“ (Ewell 1990, 46). Der siebte Band der Gesamtausgabe Dai Zhen Quanshu von 1994 bis 1997 enthält ausschliesslich Schriften anderer Gelehrter zu Dai Zhen. Darin findet sich etwa eine ausführliche Biographie Dai Zhens, die Qian Daxin zu einem nicht zu rekonstruierenden Zeitpunkt nach Dais Tod verfasst hatte (Dai Zhen 1994–97, 7:81–23; auch Qian Daxin 1989, 710–716). In diesem Bericht von Dai Zhens Leben und Wirken betont Qian die breite Gelehrsamkeit Dai Zhens, seine Versiertheit in der Mathematik und die Tatsache, dass er der songzeitlichen Gelehrsamkeit noch die hanzeitliche an die Seite stellen wollte. Dabei beschreibt er aber Dai als einen vorbildlichen Vertreter der Gelehrsamkeit und erwähnt die beissende Kritik Dai Zhens mit keinem Wort. Er lobt zum Beispiel Dai Zhens Beitrag zur Erklärung der Textgeschichte des Yijing, lässt aber dessen Aufsatz über die Xi Ci und die darin

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enthaltene Kritik an Begriffen der daoxue unerwähnt.19 Auch seine Arbeiten zum Shui Jing Zhu oder zur hanzeitlichen Ritualhalle Mingtang 明堂 werden geschildert, aber Qian verliert kein Wort über dessen Kritik an der Begrifflichkeit und den Konzepten der daoxue. Zum Schluss zählt er die Werke Dais auf und nennt in diesem Zusammenhang auch die beiden Werke Mengzi Ziyi Shuzheng in drei Faszikeln und Yuan Shan in drei Faszikeln. Er verliert aber kein Wort über deren Inhalt, und gibt auch keine Einschätzung. Gleichwohl spricht die betont geringe Beachtung dieser Schriften Bände. In besagtem Band sind weitere Schriften zu Dai Zhen versammelt, so auch eine Biographie, geschrieben von seinem guten Bekannten oder Freund Ling Tingkan 凌廷堪 (1757–1809), gegen den sich Fang Dongshu in der vierundzwanzigsten Kontroverse des dritten Kapitels wendet. Der Text trägt den Titel „Dai Dongyuan xiansheng shilüe zhuang 戴東原先生事略狀“ (Dai Zhen 1994–97, 18–23). In diesem Text schildert Ling die verschiedenen Leistungen Dai Zhens im Bereich der Gelehrsamkeit, und er bezeichnet ihn als bewandert in allen Gebieten des Wissens. Der Text gibt folgende Einschätzung der Bedeutung der Gelehrsamkeit für Dai ab: „In der Gelehrsamkeit des Herrn [Dai] gab es keinen Bereich, in dem er nicht durchdringend verständig war, und dabei gab es drei Methoden, durch welche dieser den Rechten Weg zu erlangen dachte: das waren die philologischen Hilfswissenschaften, das war die Mathematik und das war [der Bereich der] politischen Systeme und Institutionen“.20 Dabei bleibt der Bereich des yili, der Moraltheorie, noch ausgespart. Auffällig ist im weiteren Text, dass gleich vier aufeinander folgende Abschnitte des Textes mit den Worten beginnen „zi Han yilai 自漢以來“, (=> „Seit der Hanzeit“) und in der Regel wird darin erwähnt, dass Dai an eine Tradition der Han angeknüpft habe, die in der Zwischenzeit nicht berücksichtigt worden sei. Die Anerkennung als Philosoph erfolgt in Ling Tingkans Text erst gegen Ende, bei der Aufzählung von Dais Schriften. Dort findet sich der Satz: „Und schliesslich zu Yuan Shan und Mengzi Ziyi Shuzheng in je drei Faszikeln. Diese Werke stehen ein für eine alte Auffassung [des Konfuzianismus], mit dem der songzeitliche Konfuzianismus zurückgestutzt und richtiggestellt wird. Im Bereich dessen, was man als ‚mit alten Wortglossen die moraltheoretische Aussage leuchten zu lassen‘ bezeichnet, sind dies die relevanten Werke des Herrn

19 Dai wies offenbar stichhaltig nach, dass nur die Yijing-Ausgabe Fei Zhis 費直 (?–?, Westliche Han) mit der guwen-Ausgabe übereinstimmt (Dai Zhen 1994–97, 7:15). 20 „xiansheng zhi xue, wu suo bu tong, er qi zhi dao zhe, ze you san: yue xiaoxue, yue cesuan, yue dianzhang zhidu 先生之學, 無所不通, 而其所由以至道者, 則有三: 曰小學、曰測算、 曰典章制度. “ (Dai Zhen 1994–97, 19).



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[Dai]“21 Hier stellt Ling Dai als den Denker dar, der ein Gegengewicht zur songzeitlichen daoxue bildet. Von einer Überwindung ist dabei noch nicht die Rede. Wang Chang beschreibt in seinem Epitaph für Dai Zhen „Dai Dongyuan xiansheng muzhi ming 戴東原先生墓誌銘“, Absicht und Methode des Ikonoklasten aus Xiuning mit folgenden Worten: „Dongyuan sagte, dass das letztendliche [Ziel] der Klassiker der Rechte Weg sei. Wodurch der Rechte Weg leuchten gelassen werde, das sind die Wörter, und woraus die Wörter bestehen, das sind die Schriftzeichen. Es sei unbedingt nötig, über die Schriftzeichen die Wörter durchdringend zu verstehen, und durch diese den Rechten Weg, erst so könne dieser erlangt werden.“22 Sein Beispiel hierfür ist aber nicht das kreative neue Verständnis konfuzianischer Schlüsselbegriffe, sondern vielmehr die Erforschung der antiken Phonologie zum tieferen Verständnis der Lieder. Und in einem späteren Abschnitt behauptet Wang Chang, das Dais Verständnis der Klassiker drei Ebenen gekannt hätte: Die Moraltheorie yili, das Verständnis der politischen Institutionen und der Zahlen zhishu 制數 sowie den literarischen Ausdruck wenzhang. Diese Theorie gleicht auffällig derjenigen Yao Nais. Wang schreibt weiter, dass Dai alle drei gleich gewichtet habe, und dass nicht eines von ihnen vernachlässigt werden dürfe. Danach folgt ein Satz, mit dem Wang Chang m.E. die Aussagen Dai Zhen umdreht, wenn er schreibt: „Dasjenige, worauf die Klassiker nicht zu sprechen kommen, das ist die Moraltheorie, welche stets die eigene Moraltheorie ist und nicht diejenige der Weisen und Tüchtigen der Sechs Klassiker.“23 Mit dieser Aussage übernimmt Wang Chang zwar die Kritik Dai Zhen an der Song als eine subjektive Sicht, aber er klassifiziert Dais eigene Lehrmeinung als ebenso subjektiv. Um zu Fangs Zeitgenossen zu kommen, sei noch Jiang Fan zitiert, in dessen Hanxue Shicheng Ji Dai Zhen selbstverständlich auch Aufnahme fand.24 Jiang widmete dort Dai einen Eintrag, der Dais Gelehrsamkeit ausführlich erörtert.

21 „zhi yu Yuan Shan san juan, Mengzi Ziyi Shuzheng san juan, jie biaoju guyi, yi kanzheng Song ru, suowei you guxun er ming liyi zhe, gai xiansheng zhi dao zhi shu ye 至於原善三卷、 孟子字 義疏證三卷, 皆標舉古義, 以刊正宋儒, 所謂由故訓而明理義者, 蓋先生至道之書也。“ (Dai Zhen 1994–97, 7:22). 22 Wang Chang: „Dongyuan wei jing zhi zhi zhe, dao ye, suoyi ming dao zhe ci ye, suoyi cheng ci zhe zi ye. bi you zi yi tong ci, you ci yi tong dao, nai ke de zhi 東原謂經之至者, 道也, 所以明道者 辭也, 所以成辭者字也。 必由字以通辭, 由辭以通道, 乃可得之。“ (Dai Zhen 1994–97, 7:30). Denselben Satz zitiert auch Hong Bang in seiner Biographie (ebd., 4). 23 „jing yi zhi bu da, ze suowei yili, gu yi ji zhi yili er fei liu jing shengxian zhi yili yi 經義之不達, 則所謂義理, 固一己之義理而非六經聖賢之義理矣.“ (Dai Zhen 1994–97, 7:31). 24 Der entsprechende Text findet sich in Dai Zhen 1994–97, 7:59–64 und Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 101–106. Für die unten genannten Argumente vgl. S. 63 und 105.

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 Fang Dongshu und Dai Zhen

Dabei konzentriert er sich auf die Methode Dai Zhens, die Klassiker mit möglichst alten Quellen zu erklären und so authentisch wie möglich Schrift und Aussprache der Antike zu rekonstruieren. In Bezug auf dessen konfuzianisches Oeuvre erwähnt Jiang das Mengzi Ziyi Shuzheng in der Liste der Werke, geht aber nur auf den Inhalt des Yuan Shan genauer ein. Er vermeidet in diesem Zusammenhang den Ausdruck yili und beschreibt die Arbeit Dais als eine etymologische. Jiang erwähnt lediglich, dass Dai Zhen Erklärungen zu Begriffen abgegeben habe (xun xue 訓學) und zitiert seine Ausführungen zu den daoxue-Schlüsselbegriffen Begriffen si 私 (=> Eigensinn) und bi 蔽 (=> verdunkeln), wobei er Dais Argumente für ein revidiertes Konzept von yu 欲 (=> menschliche Bedürfnisse) nachvollzieht. Wie auch in der zweiten gegen Dai gerichteten Kontroverse von Fang Dongshu thematisiert, setzte sich Dai Zhen für ein Verständnis von yu als „natürliche Bedürfnisse“ ein und zitierte als Beispiele Hunger und Durst. In der songzeitlichen Rezeption war der Begriff als „Verlangen“ gedeutet worden und war negativ konnotiert, was bekanntlich Cheng und Zhu dem Vorwurf der buddhistischen Beeinflussung eingetragen hat. Jiang Fan aber schildert lediglich Dais Argumente, ohne auf den Gegentext der Songzeit in irgendeiner Weise hinzuweisen. Schliesslich hat auch Ruan Yuan einen besonderen Nachruf auf Dai Zhen verfasst. Im Eintrag zu Dai in Hummels Biographiensammlung wird Ruan als geistiger Erbe Dai Zhens bezeichnet, und auch die massive Kritik Fang Dongshus gegen Dai und Ruan lässt vermuten, dass Ruan Yuan Dais Gelehrsamkeit bewunderte. Ruans Text zu Dai Zhen stammt allerdings aus seiner Sammlung von Biographien Chouren Zhuan 疇人傳. Die Bezeichnung Chouren kann für gleichgesinnte Personen stehen, es ist aber auch eine Bezeichnung für Mathematiker und Astronomen, und diese Bedeutung scheint hier gemeint (HYDCD 7:1406). Denn im Text, der im Dai Zhen Quanshu als „chouren zhuan – Dai Zhen 疇人傳.戴震“ auftaucht (Dai Zhen 1994–97, 7:47–59), verliert Ruan Yuan kein Wort über Dai Zhens philosophische Aktivität, noch erwähnt er auch nur eines seiner konfuzianisch-theoretischen Werke. Ruan nennt die mathematischen und geometrischen Arbeiten Dai Zhens mit Namen und gibt eine differenzierte Zusammenfassung der darin gemachten Argumente. In erster Linie sind dies Arbeiten Dai Zhens, die er als Reaktion auf die früheren Arbeiten Mei Wendings verfasst hatte. Also auch von Ruan Yuan findet sich keine ausführliche Einschätzung des Philosophen Dai Zhen. Soweit die Reaktionen von und Beschreibungen durch Zeitgenossen Dai Zhens. Es ist sinnvoll, die Einschätzungen Dai Zhens nur aus der Zeit des 18. Jh. anzusehen sowie für das erste Jahrzehnt des 19., denn danach besteht die Möglichkeit, dass Fang Dongshus Kritik die Einschätzung Dais beeinflusst. So fiel die Einschätzung Dai Zhens in Tang Jians 唐鑑 (1778–1861) Werk Qing Xuean Xiaoshi 清學案小識 relativ umfangreich aus, und Tang geht auf die philosophischen Leistungen Dai Zhens differenzierter ein als die oben zitierten Autoren. Doch dabei



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übernimmt er viel von Fangs Kritik, etwa den Vorwurf, dass dieser das Erörtern der Moraltheorie verbieten lassen wollte, oder die Aussage, die Vorwürfe Dai Zhens setzten die daoxue schlicht mit dem Daoismus oder Buddhismus gleich, und er verunglimpfe Cheng und Zhu (Tang Jian 1395, 454). Wie zu sehen war, stellten diese frühen Autoren Dai Zhen als einen kaozhengGelehrten dar, dessen breite Belesenheit und scharfer Geist hoch geschätzt war, allerdings nur, so lange Dai diesen in textkritischen Argumenten zur Anwendung brachte. Seine Anstrengungen im Bereich des yili blieben entweder unerwähnt, oder sie wurden nur ganz kurz und gegen Ende der biographischen Beschreibungen thematisiert. Die Gründe hierfür waren wohl einerseits, dass die moraltheoretische Seite der Werke Dai Zhens allgemein nicht geschätzt wurde. Andererseits kann es aber auch damit zusammenhängen, dass vereinzelte bedeutende Gelehrte wie Qian Daxin diesem Aspekt seiner Arbeit wenig Sympathie entgegenbrachten, worauf spätere Autoren dieses Urteil nicht umstossen konnten. Schliesslich, und das ist nach meinem Verständnis der Fall, hängt diese Ablehnung hauptsächlich mit der Tatsache zusammen, dass Dai Zhen zwar vielleicht gute Absichten gehabt hatte, seine neuen Impulse aber für den qingzeitlichen Diskurs zu wenig ausgereift waren, als dass sie tatsächlich die songzeitliche daoxue, bzw. lixue zu überwinden vermocht hätten. Das bedeutet, in der Rezeption Dai Zhens haben sich seine Kollegen auf die positiven Seiten seines Schaffens konzentriert und seinen gescheiterten Versuch die Orthodoxie anzugreifen, verschwiegen. Die Ablehnung seiner Zeitgenossen kann auch damit zu tun haben, dass die detaillierte philologische Herangehensweise den grossen Linien der exegetischen Bedeutungsvermittlung kritisch gegenüberstand, weil es eine andere Art von Beschäftigung mit Texten war, welche die kaozhengxue zu überwinden geglaubt hatte. Zum Schluss dieser Betrachtungen soll noch Dai Zhens Schüler und Biograph Duan Yucai zitiert werden. Als Schüler und offensichtlicher Bewunderer Dais war Duan Yucai ein getreuer Gefolgsmann seines Meisters. Allerdings folgte er ihm nicht in den philosophischen oder moraltheoretischen Betrachtungen, sondern beschränkte sich auf die philologische Seite an Dai Zhens Arbeit. Er verfasste bekanntlich den einflussreichsten Kommentar zum hanzeitlichen Wörterbuch Shuowen Jiezi mit seinem Shuowen Jiezi Zhu 注, an dem er jahrzehntelang arbeitete. Daneben verfasste er eine Rekonstruktion antiker Auslaute unter dem Titel Liu Shu Yinyun Biao 六書音韻表, das noch kurz vor dem Tod Dai Zhens beendet wurde, so dass dieser das Vorwort dazu verfasste. Duan Yucai hat also den Aspekt der Arbeit Dai Zhens fortgesetzt, für den Dai Zhen Applaus erhielt, hat sich aber nicht mit dessen moraltheoretischen Erörterungen abgegeben. Trotz des kritischen Briefverkehrs und trotz der Ansichten seines Lehrers blieb Duan Yucai im Grunde seines Herzens von der daoxue als vielleicht nicht perfektem, aber immerhin funktionierendem System überzeugt. Denn Elman erwähnt, dass

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 Fang Dongshu und Dai Zhen

Duan sich zum Schluss seines Lebens etwas reduziert gefühlt habe mit seiner Beschränkung auf textkritische Fragen. Den entsprechenden Text hierzu hat Wei Yuan ins Guochao Jingshi Wenbian 國朝經世文編 aufgenommen unter dem Titel Zhuzi Xiaoxue Ba 朱子小學跋 (He Changlin & Wei Yuan 1992, 1:74). Elman schreibt dazu: „Also reprinted was Tuan Yü-ts’ai’s critique of Han dynasty philology for its lack of the comprehensive concern that pervaded Chu His’s (1230–1300) textual scholarship. Philology was discussed but only within the context of comprehensive statecraft.“ (Elman 1984, 241). Die Ablehnung mag auch etwas damit zu tun gehabt haben, dass Dais Ansichten gegen Ende seines Lebens immer radikaler wurden. So schlug er in Schriften der 1740er und 1750er Jahren noch einen versöhnlichen Ton an bei der Benennung der Differenzen zwischen hanzeitlicher und songzeitlicher Gelehrsamkeit. In einem Brief an Fang Ju 方矩 (1729–1789) “Yu Fang Xixuan Shu 與方 希原書“ von 1755 heisst es: „Der Rechte Weg der Weisen liegt in den Sechs Klassikern. Die Konfuzianer der Han haben zwar die [darin enthaltenen] Realia verstanden, nicht ab ihre Moraltheorie. Die songzeitlichen Konfuzianer haben die Moraltheorie verstanden, nicht aber die Realia.“25 In den 1770er Jahren wurde er radikaler und zweifelte offenbar an der Bereitschaft der anderen Gelehrten, seine philosophischen Schriften zu akzeptieren. In der Vorrede seines ersten philosophischen Textes Yuan Shan 原善 von 1765 schreibt er (in der Übersetzung Ewells): „Since the present is already far removed from the ancient Sages, and those who study the classics are unable to penetrate and synthesize them, habituated to what they see and hear and mistaking accumulated error for truth, I fear that my words may not be sufficient to arrest this decline. I have stored (this work) away in my family library, awaiting someone who may be able to develop it.“26

Dai Zhen im Hanxue Shangdui Fang Dongshu nimmt unter den Autoren, die sich zu Dai Zhen äusserten, insofern eine spezielle Stellung ein, als er sich auf einem sehr grundsätzlichen Niveau mit Dai Zhen auseinandersetzte. Er konnte dessen spätere Wirkungsgeschichte ­natürlich noch nicht erahnen. Auch wenn sich Zeitgenossen negativ geäussert

25 Der Text des Briefes an Fang Ju lautet „shengren zhi zai liu jing: Han ru de qi zhishu, shi qi yili, Song ru de qi yili, shi qi zhishu 聖人之道在六經: 漢儒得其制數, 失其義理. 宋儒得其義理, 失其制 數“ (Dai Zhen 1961, 144). 26 Für eine Übersetzung der Vorrede zu Yuan Shan vgl. Ewell 1990, 62. Für eine alternative Übersetzung vgl. Cheng 1971, 65. Für den Originaltext vgl. Dai Zhen 1961, 61, bzw. ders. 1994–1997, 6:7.



Dai Zhen im Hanxue Shangdui 

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hatten, ist der unbedingte Einfluss Dais auf die Textkritik und sicherlich auch auf die Entwicklung der Theorie des Konfuzianismus nicht von der Hand zu weisen. Die Tatsache, dass sich Fang mit Dais philosophischen Aussagen auseinandersetzte, und dass er ihm im Hanxue Shangdui so viel Platz einräumte, zeigt auch, für wie grundlegend gefährlich Fang Dongshu die Aussagen Dai Zhens wohl hielt. Wie an anderer Stelle schon festgehalten, erscheint mir Dai Zhen als der am wichtigsten wahrgenommene Widersacher Fang Dongshus. Gegen ihn richten sich die zentralen und grundlegenden Kontroversen, in denen es um die fundamentalen Fragen und Konzepte des Konfuzianismus geht. Obwohl Zhu Weizheng Fangs „Arbeitgeber“ Ruan Yuan als den wichtigsten Adressaten der Kontroversen betrachtet, meine ich doch, dass Ruan im Vergleich zweitrangig ist. Die Kontroversen gegen Ruan Yuan sind häufig an solche gegen Dai Zhen angehängt und bilden inhaltlich eine Fortsetzung oder leichte Variation der Kontroversen gegen Dai. Ruan Yuan war wohl ein Bewunderer der textkritischen Leistungen Dai Zhens, wie sich etwa in der Tatsache manifestiert, dass die unter der Ägide Ruans kompilierte erste Ausgabe des Huangqing Jingjie 皇清經解 vier Titel dieses Autors enthält.27 Darunter sind drei textkritische Studien und die Sammlung von Dais Prosatexten, das Dai Dongyuan Ji, in dem sich zahlreiche der von Fang in den Kontroversen zitierten Texte finden. Die Kritik Dai Zhens an der daoxue ist wohlbekannt und besser dokumentiert, als ich dies hier tun könnte.28 Es sei lediglich daran erinnert, dass Dai die Grundlagen der Moraltheorie in Frage stellte. Vereinfacht gesagt hielt er dem songzeitlichen Verständnis der Begriffe li (die Rechte Ordnung), xin (das menschliche Herz), dao (der Rechte Weg), yu (Verlangen, Bedürfnisse) wo immer möglich das hanzeitliche Verständnis dieser Wörter entgegen, wie es sich in sprachlichen Glossen Zheng Xuans und anderer Kommentatoren fand. So verwarf er das songzeitliche Verständnis von li als die Rechte Ordnung von Dingen und Handlungen, und er propagierte stattdessen eine Erklärung von li als „einteilen“ entsprechend

27 Gemäss Chen Jiuzhi und Xie Huixian 1992, 107 waren Dai Zhens im Huangqing Jingjie: Mao Zheng Shi Kaozheng 毛鄭詩考證, Gaoxi Shijing Buzhu 杲溪詩經補注, Kaogong Ji Tu 考工記圖 und Dai Dongyuan Ji 戴東原集. Ruan Yuan wird auch in Hummels Werk als geistiger Erbe Dais bezeichnet, wobei ihm dort auch – meines Erachtens ungerechtfertigterweise – die Mitschuld an der geringen Wirkungs Dais zugeschrieben wird: „Ling T’ing-kann and Juan Yüan carried on Tai’s though in part, but failed to stress certain essentials, with the result that, after their time, Tai’s views ceased to have a vogue in China.“ (Hummel 1943–44, 699). 28 Für eine weitere Darstellung der Gedanken Dai Zhens vgl. neben den oben genannten Schriften Qian Mus und Yu Yingshis auch die m.E. ausgezeichneten Darstellungen in Chin und Freeman 1990, 28–61; Ewell 1990, 24–84; Cheng 1971, 14–53.

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Zheng Xuans Glosse „li fen ye 理分也“ aus dem Kapitel „yue ji“ des Liji (vgl. Ruan Yuan 1980, 1528b; vgl. Mengzi Ziyi Shuzheng, erster Abschnitt zu li).29 Im Kern lehnte Dai die Begrifflichkeit der daoxue ab, weil er sie für eine bastardisierte und nicht authentisch chinesische Version des Konfuzianismus hielt. Der daoxue-Konfuzianismus sei beeinflusst und somit verfälscht durch buddhistisches und daoistisches Gedankengut, und damit nicht mehr der Absicht des antiken Meisters Kong entsprechend. Da die Begriffe in den Klassikern vorkommen und zudem in der Qingzeit bereits eine fünfhundertjährige Wirkungsgeschichte aufwiesen, konnte oder wollte er sie nicht einfach eliminieren, sondern musste sie neu definieren. So versuchte er, den Schlüsselkonzepten auf der Basis hanzeitlicher Glossen eine neue Bedeutung zu verleihen. Es war nicht das Ziel Dai Zhens, die relevanten Texte aus dem Kanon zu entfernen oder neue Texte ins Zentrum zu rücken. Vielmehr strebte er eine neue Lesung der Texte auf der Basis der hanzeitlichen Glossematik an. Dies zeigt sich beispielsweise in seinem Versuch einer Neuinterpretation des Zhong Yong im Text Zhong Yong Buzhu, in dem er sein Textverständnis vollständig auf hanzeitlichen Texten aufbaut (Dai Zhen 1961, 187–217). Die erste Kontroverse gegen Dai Zhen in Fangs Werk ist insofern etwas speziell, als sie zum Anlass wahrscheinlich nicht eine Aussage Dai Zhens verwendet, sondern ein äusserst kurzes Statement Jiang Fans. Dieses bietet keine richtigen Argumente, sondern besteht nur aus einem kurzen polemischen Ausruf. In seiner Replik argumentiert Fang deshalb von Anfang an nicht, sondern er unterstellt Dai die unausgesprochene Absicht, das Erörtern der Rechten Ordnung unterbinden zu wollen (jin yan li 禁言理). Ebenso unterstellt er ihm etwas weiter unten im Text, nur aus Opposition zu Cheng und Zhu eine eigene Lehrmeinung bilden zu wollen. Das „Zurückkehren zu den Sechs Klassikern“, das in dem Ausspruch auch gefordert wird, verteidigt Fang ebenso als Absicht der daoxue. Unausgesprochen bleibt dabei der Punkt, dass die Gelehrten der Song früher zu den Klassikern zurückgekehrt sind, und dass es somit ein absurdes Postulat Dais sei, eben dies erneut zu fordern. Dais Argument gegen die songzeitlichen Gelehrten, sie seien zeitlich zu weit von der Entstehung der Klassiker entfernt, wird sozusagen umgedreht, weil Dais eigenes „Zurückkehren zu den Klassikern“ natürlich noch weitere fünfhundert Jahre später stattgefunden hat als die songzeitliche daoxue.

29 Die von Zheng glossierte ist eine situative Bedeutung. Unmitelbar danach glossierte er li als „Natur“: li you xing ye 理猶性也, ebenfalls aus dem Kapitel „yue ji“ des Liji (vgl. Ruan Yuan 1980, 1529a). An anderer Stelle weist er darauf hin, dass das Schriftzeichen für li den kategorialen semantischen Marker „Edelstein“ beinhalte, und dass li daher die Maserung eines Steines bedeute.



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Zudem wirft er Dai hier erstmals vor, nicht verstanden zu haben, dass mit der daoxue bereits der entscheidende Schritt getan wurde auf dem Weg zum bestmöglichen Verständnis des Konfuzianismus. Er zieht Dai ins Lächerliche, wenn er schreibt, dass dieser mit seinen Wortglossen versuchen wolle, einen neuen Sinn aus den Klassikern zu gewinnen. Dies kann natürlich die Hybris der dominanten Schule der Zeit sein, aber auch eine methodische Kritik, wonach Fang sich im Klaren ist, dass neue Glossen nicht die aus den Texten resultierenden Aussagen verändern können. Dieser Vorurf wird in der dritten Kontroverse erneut und deutlicher vorgebracht. Schliesslich verteidigt er wiederholt den Zugang zu den Klassikern über Cheng und Zhu. In einem Zirkelschluss hält er fest, dass nur der Zugang der daoxue die richtige Annäherung an die Klassiker ermöglicht, weil nur durch diesen Zugang das richtige Verständnis von Herz, Ordnung und Weg sichergestellt werden kann. Auch dieses Argument ist, wie das vorherige, sowohl als Hybris der Schule zu verstehen, aber auch hier ist der Hinweis auf die Absurdität von Dais Vorhaben vorhanden: Einen anderen Zugang als denjenigen der daoxue für das Verständnis der Schlüsselbegriffe zu suchen ist ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen. Zudem verwehrt sich der Tongcheng-Gelehrte gegen den immer wieder vorgebrachten Vorwurf, die daoxue sei nicht konkret, sie fabuliere über „hohle“ Konzepte (kong tan 空談). Diesen Vorwurf versucht er mit einem Zitat Lu Jiuyuans zu entkräften, in dem das „Konkrete“ (shi 實) mehrfach angemahnt wird. Nachdem diese intellektuellen Scharmützel vorbei sind, geht Fang gegen Ende der ersten Kontroverse zum Gegenangriff über: er hinterfragt nun das Konzept der hanxue und greift diese für ihre wenig lebensnahe Lehre an. Fang gestand zu, dass die Konzepte der daoxue möglicherweise „hohl“ seien, aber sie seien dennoch konkret! Diejenigen der hanxue hingegen tragen weder etwas bei auf dem „Weg der Herzen“ der Gelehrten selbst, noch hätten sie einen Nutzen für das Volk als Ganzes. Mit anderen Worten, die daoxue mag vielleicht „hohl“ sein, d.h. theoretisch, aber die hanxue ist l’art pour l’art und damit noch viel „hohler“. Die daoxue bietet den Menschen eine Moraltheorie an, aber die hanxue macht lediglich „die Leute verrückt.“ Weiter unten in dieser Kontroverse kann man seine Aussagen lesen als: die daoxue richtet sich nach der menschlichen Natur. Sie entspricht mit ihren Lehren der menschlichen Natur und beantwortet Fragen, die sich dieser Natur gemäss stellen. Die hanxue hingegen bleibt eine Elitelehre, die nur für die Gelehrten interessant ist. Die erste Kontroverse bildet einen theoretischen Rahmen, eine Generalabrechnung mit der hanxue, in der es um die groben Vorwürfe geht, wonach die einen „konkret“ argumentierten und die anderen „hohl“, also lebensfern. In den folgenden Kontroversen mit Dai Zhen geht es nun um Teilaspekte dieser ­Flügelkämpfe.

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So handelt die Auseinandersetzung der zweiten Kontroverse von den menschlichen Bedürfnissen yu 欲, bzw. von den eigenen Vorstellungen und Ansichten der Menschen yijian 意見. Fang tritt an gegen den Vorwurf Dais, die Rechte Ordnung propagiere eine kalte Wirklichkeit, die mit dem Leben der Menschen nichts zu tun hat, und deren rigide Forderungen die Menschen töten wird, weil sie das Ausleben legitimer Bedürfnisse wie Nahrung und Kleidung verweigere. Dem hält er entsprechend der orthodoxen Lehre entgegen, dass die kosmische Rechte Ordnung von den persönlichen subjektiven Ansichten einer Person unterschieden werden müsse. Und sozusagen erklärend fügt er hinzu, dass die Rechte Ordnung so streng von den menschlichen Bedürfnissen unterschieden werden muss, damit niemand Gefahr läuft, seine Bedürfnisse für die Rechte Ordnung zu halten. Eben diese Unterscheidung versuche Dai nun rückgängig zu machen, und damit verwirre er nicht nur die Menschen, er öffnet auch dem von Cheng und Zhu bekämpften Subjektivismus Tür und Tor. Nachdem er in der ersten Kontroverse also das Argument vorbrachte, die hanxue habe keine Bedeutung für das tägliche Leben, weil sie keine Moraltheorie sei, sondern bloss eine Form der Gelehrsamkeit, bezeichnet er sie im zweiten Teil als verwirrend und gefährlich. Die Lehren der hanxue seien dazu angetan, die Menschen zu beunruhigen, was Fang nicht weiter ausführt, was aber an anderer Stelle mit politischem Aufruhr und Unruhen gleichgesetzt wird. Aufgrund des Kontextes wird der Vorwurf offenbar, dass sie die Menschen „verwirren,“ weil diese ihre persönlichen Bedürfnisse nicht mehr unter Kontrolle zu haben brauchen, und weil der Glaube an, oder das Bewusstsein für, eine ausserhalb des Menschen liegende kosmische Ordnung verloren geht. In der dritten Kontroverse erklärt er Ausführungen der ersten Kontroverse deutlicher: Hier wird klar, dass er die Moraltheorie der daoxue, yili, für eine grundsätzliche Lehre des sozialen Zusammenlebens hält. Die Moraltheorie brachte den Konfuzianismus auf ein neues Niveau: sie erreichte, dass die Ordnung der Gesellschaft und die Regeln für ein geordnetes Zusammenleben nicht mehr personengebunden von der Existenz eines Weisen abhingen. Durch die Regeln der daoxue für persönliche Moral und Selbstkultivierung brauchte es keine weisen Herrscher wie Yao oder Shun, bzw. den Wu-König oder (den ungekrönten König) Konfuzius mehr. Die daoxue erlaubte eine intersubjektive Lehre, in der auch für die Kaiser der jüngeren Vergangenheit das Reich regierbar wurde. Somit löste die daoxue die Lehren des Altertums insofern ab, als sie eine Verschiebung in den Voraussetzungen der Regierbarkeit brachte. War es im Altertum die Wirkkraft (de 德) des Kaisers, die auf das Land ausstrahlte und dort tugendhaftes Verhalten bewirkte, so waren es jetzt die Regeln der daoxue, welche den Menschen ein sozialverträgliches Verhalten vorgaben. Fang Dongshu beschuldigt nun Dai Zhen und die Vertreter der hanxue, zum stark von der Person des Kaisers geprägten System der



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Hanzeit zurückkehren zu wollen, in der nicht nur der Herrscher, sondern auch seine Untertanen keinen ausserhalb der Menschen liegenden Grund für ihr Verhalten mehr sehen. Seiner Meinung nach resultiert der vorgeschlagene Wechsel zu einer von den Ansichten und Vorstellungen dominierten Ordnung in Chaos. Die Theorie des Regierens gemäss dem Mittleren Weg sei nur bei den Daoisten ein Thema, womit Fang seinerseits Dai Zhen vorwirft, kein Konfuzianer zu sein. Fang Dongshu präsentiert sich hier m.E. als der „modernere“ Denker als Dai Zhen, weil er die gesellschaftliche Realität in seine Einschätzung einfliessen lässt. Mit einer eleganten Brücke, in der er den Vorwurf des Daoismus zu belegen hofft durch Dais Hinweis auf die Bedeutung von li im Zhuangzi, leitet Fang über zum neuerlichen methodischen Vorwurf. Nach dem hier wieder vorgebrachten Angriff, Dai wolle sich nur aus dem Gefühl der Opposition heraus von Cheng und Zhu abheben, wird Fang Dongshu nun sehr explizit. Er kritisiert die Methode Dais mit den Worten: „Er erkannte nicht, dass jedes Wort eine angepasste Bedeutung haben kann, sondern hielt an einer [Bedeutung] fest und wollte damit die Klassiker erklären. Genau dies ist, was die hanxue nicht versteht und wobei sie blindlings an ihrer Verirrung festhält.“ Sehr viel deutlicher lässt sich der methodische Schwachpunkt Dai Zhens nicht formulieren: Philologie und Philosophie sollten getrennte Bereiche bleiben, und mit der Methode der ersten Aussagen in der letzteren zu machen, ist ein widersinniges Unterfangen. Zum Schluss bekräftigt Fang die Gleichsetzung von gut und schlecht mit Rechter Ordnung und den Bedürfnissen der Menschen, wenn er bekräftigt, dass es schlecht stünde um das Reich, wenn jeder nur noch seinen Bedürfnissen folgen würde. Fang Dongshu nimmt sich in der folgenden vierten Kontroverse des wiederholt vorgebrachten Vorwurfs an, die daoxue hätte den konfuzianischen Rechten Weg verkommen lassen. Seine Gegenargumentation geht historisch vor: er beschreibt die Blütezeiten des Konfuzianismus, die zum einen die Hanzeit war und zum anderen die Dynastien Song, Yuan, Ming und Qing. Dabei weist Fang darauf hin, dass nach der Hanzeit der konfuzianische Weg tatsächlich verloren gegangen sei, was man aber seit der Song nicht mehr behaupten könne. Mit anderen Worten: die hanzeitlichen Kommentatoren brachten es vielleicht fertig, umfassende Kommentare zu schreiben, aber er gelang ihnen nicht, die Lehren des Meisters als die dominante intellektuelle und politische Schule zu etablieren. Dies gelang erst in einem weiteren Exegese-Schritt durch die daoxue. Erst durch die daoxue gelang es, den Daoismus und den Buddhismus zurück zu drängen, und erst dadurch wurde es möglich, die konfuzianische Lehre als dominante Ideologie einzurichten. Die fünfte Kontroverse ist zwar umfangreich, aber in ihr wird kein deutlicher Angriff vorgenommen. Fang argumentiert über gewisse Begriffe, namentlich über die menschliche Natur und das Herz, und zu diesen verweist er auf die alten

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Aussagen, die freilich nur durch die Kommentare verständlich gemacht werden. Erst ganz zum Schluss erfolgt eine Attacke auf Dai Zhens Schriften, in der der Mann aus Tongcheng bekennt, sowohl das Mengzi Ziyi Shuzheng als auch das Yuan Shan gelesen zu haben, und er kritisiert beide als verwirrt und ohne Standpunkt. Wenig überraschend empfiehlt er statt Dais Anmerkungen zu den Begriffen das Beixi Ziyi 北溪字義 von Chen Chun 陳淳 (1159–1223), ein Werk, das in mancherlei Hinsicht als Vorläufer des Mengzi Ziyi Shuzheng gelten kann, denn wie dieses stellt das Werk Chen Chuns die Kernbegriffe der Orthodoxie in den Mittelpunkt und kommentiert sie. Wie Voltaires Philosophisches Wörterbuch oder eben Dais posthumes Werk ist das Beixi Ziyi formal ein Lexikon, tatsächlich aber eine philosophische Schrift. Mit der fünften Kontroverse endet schliesslich die Diskussion um die Begrifflichkeit, und die folgenden Kontroversen konzentrieren sich auf die Methodendiskussion. Die sechste gegen Dai Zhen gerichtete Kontroverse dreht sich um eine Aussage aus einem Vorwort Dais, in der sich dieser für die im Zhouli beschriebene Erziehung von Kindern ausspricht, wonach diese zunächst die philologischen Hilfswissenschaften (xiao xue) zu erlernen hätten. Fang Dongshu begegnet dieser Aussage mit einem Hinweis auf die vollständige Aussage des Zhouli-Textes und mit einer bemerkenswerten historisch-kritischen Argumentation. Der Text des Ritenklassikers verlangt bekanntlich auch nach anderen Künsten als nur den linguistischen. Dai Zhen lässt Wagenlenken oder Bogenschiessen aus, was natürlich mit der Tatsache zu tun hat, dass der zitierte Text das Vorwort eines Werkes über die liu shu darstellt. Aber er bietet Fang einen idealen Einstieg, weil dieser sogleich die Ausschliesslichkeit der hanxue kritisieren kann. Danach folgt ein interessanter Hinweis auf die Frage, was man sich unter einem „Konfuzianer“ vorzustellen habe, bzw. welche Werke die Menschen damals als „Klassiker“ bezeichneten: „Zudem wissen wir nicht, welche Klassiker es zur damaligen Zeit überhaupt gab, die geordnet werden mussten. Und ab welcher Stufe [der Beamtenhierarchie] jemand überhaupt als Konfuzianer bezeichnet wurde? War es eine Bezeichnung wie in späteren Generationen für Gelehrte der Klassiker?“ Wie auch an anderen Stellen zu beobachten, finden wir plötzlich den lixue–Gelehrten Fang Dongshu in der Rolle des wissenschaftlich Argumentierenden, während Dai Zhens Aussagen ideologisch verblendet erscheinen. Sein hartnäckiges Festhalten an der Schrift als einziger Instanz der Erkenntnis über die Aussagen der Klassiker wirkt, natürlich auch durch die zitierten Aussagen und die Replik Fangs, kleingeistig. In der siebten Kontroverse, der längsten gegen Dai Zhen gerichteten, und insgesamt eine der umfangreichsten des Hanxue Shangdui, ist die Phonologie das Thema. Diese ist natürlich als Domäne der kaozhengxue zu bezeichnen, denn die Suche nach dem authentischen Text und der authentischen Auslegung ging



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seit Gu Yanwus Yinxue Wu Shu 音學五書 auch Hand in Hand mit der Suche nach der historisch korrekten Aussprache der Schriftzeichen bzw. zunächst deren Einteilung in Reimgruppen. Zudem haben die songzeitlichen Meister der daoxue keinen Anspruch auf die historisch korrekten Aussprachen erhoben, und in Zhu Xis Kommentaren wird die Aussprache von Schriftzeichen in der Regel nur angemerkt, wenn es sich um ein seltenes Schriftzeichen handelt oder um eines mit mehreren Lesungen. Trotzdem kritisiert Fang Dongshu hier Dai Zhen, und zwar für seine Konzentration auf die Hanzeit. Wie Fang eingangs richtig schreibt, wurde der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Erforschung der Phonologie im Übergang vom fünften zum sechsten Jahrhundert vollzogen: die Erarbeitung des Qie Yun 切韻 durch Lu Fayan und seine Mitarbeiter.30 Da dieses Werk die mittelchinesische Lautung festhält, bildet es die Basis für jegliche Erforschung der antiken Aussprachen. Fang hält Dai vor, sich zu sehr auf die Hanzeit zu beschränken. Das darauffolgende Thema ist die Erschaffung der Schriftzeichen. Erneut stellt sich der Vertreter der Tongcheng-Orthodoxie hier hinter die wissenschaftlich korrekte Auffassung, während Dai Zhen dem hanzeitlichen Schriftschöpfungsmythos anhängt. Zumindest schien Fang Dongshu anzunehmen, dass Dai die hanzeitliche Sicht teilte, nach der die verschiedenen liu shu-Klassen der Schriftzeichen alle erst nach und nach entstanden sind. Fang schreibt dagegen: „Die Art, wie die Menschen im Altertum Schriftzeichen erschufen war so, dass es zuerst ein Schriftzeichen geben musste, mit dem sie dann die Komposita bildeten, die dieses als Lautträger hatten.“ Dies entspricht der historischen Entwicklung der chinesischen Schrift. Erneut ist dies ein Fall, in dem Fang eine Weiterentwicklung seit der Han vollzogen hat, während Dai nur die Aussagen des Shuowen erneut vorbringt. Von diesem Punkt aus geht Fang einen Schritt weiter und bringt die Schriftzeichen und die Phonologie zusammen, indem er die ­xiesheng-Serien kommentiert. Darüber sagte er aus, dass diese Reihen von Schriftzeichen mit demselben phonophorischen Element wohl zur Erforschung der Entwicklung von Aussprachen dienen können, aber man kann dadurch

30 Das Qie Yun ist ein unter der Leitung von Lu Fayan 陸法言 (562–?) im Jahr 601 fertiggestelltes Wörterbuch in 206 Reimgruppen, aufgeteilt nach den vier Tönen ping sheng (gleichbleibend 平), shang sheng (aufsteigend 上), qu sheng (ausgehend 去) und ru sheng (eingehend 入). Es ist die früheste Aufzeichnung von Aussprachen der chinesischen Schriftzeichen, wenn man von vereinzelten Leseangaben in Kommentaren oder im Shuowen Jiezi absieht. Das Werk erfand zudem mit der fanqie-Methode eine Möglichkeit, die Aussprache niederzuschreiben. Im Laufe mehrerer Redaktionsschritte wurden manche der 206 Reimgruppen zusammengenommen, so dass sich die Zahl allmählich auf 106 reduzierte. Zu den Veränderungen und Anpassungen vgl. Baxter 1992, 38–40.

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nichts über die ­Entwicklung der Schriftzeichen allgemein aussagen. Das Argument, auf das er hinauswill, folgt danach: „Wie erst sollte man denn damit versuchen, allgemeine Aussagen über die Klassiker zu machen!“ Erneut weist er auf den Unterschied hin zwischen linguistischer Forschung und moraltheoretischen Aussagen in den Klassikern. Er führt dieses Argument weiter und formuliert das Gegenargument zu Dai Zhens berühmter Aussage, dass die Klassiker sich aus Wörtern und diese sich aus Zeichen zusammensetzten. Seine Umkehrung der Kette lautet: „Die philologischen Hilfswissenschaften kümmern sich um drei Aspekte [der Sprache], nämlich die graphische Form, die Aussprache und die Bedeutung [der Schriftzeichen]. Um aber die Begriffe der Klassiker und Kommentare zu erklären, braucht man hauptsächlich moraltheoretische Interpretationen. Obwohl die Moraltheorie und die Begriffserklärungen manchmal nicht über den Bereich der graphischen Form und der Aussprache hinausgehen, so ist es in den Klassikern und Kommentaren doch so, dass erst die Zusammenstellung von Schriftzeichen Sätze ergibt. Mögen auch die einzelnen Schriftzeichen noch so vielfältig und reichlich vorhanden sein, ihre Bedeutung ergibt sich erst aus der Zusammenstellung zum Satz. Und bestimmt kann man nicht nur phonetische Serien heranziehen und daraus abgeleitete Schriftzeichen, um daraus vollständig [die Bedeutung] ganzer Sätze [abzuleiten]. […] Damit lassen sich aber keine ganzen Klassikertexte erörtern, geschweige denn, dass man diese einsetzt, um nach der generellen Bedeutung eines gesamten Klassikers zu fragen.“ Das bezieht sich auf die xiesheng-Serien, aber die Aussage stimmt natürlich auch für alle drei Teile der philologischen Hilfswissenschaften. Der nächste Teil von Fangs Replik baut auf dem Obengesagten auf. Nachdem er den Versuch verurteilt hat, aus den Wortbedeutung die Bedeutungen der Klassiker zusammenzusetzen, geht er einen Schritt weiter und hinterfragt das gesamte Vorgehen. Wie Fang zurecht schreibt war es auch schon zur Qing so, dass die Klassiker grundsätzlich verstanden wurden (vgl. hierzu auch im zweiten Kapitel zur Rezeption bei Yu Yingshi die Aussage Zhang Xuechengs, wonach es keine grundsätzlichen Auseinandersetzungen um die Bedeutung der Texte gab, nur um wenige Schlüsselbegriffe). Es bestand also gar keine Notwendigkeit zur „Fundamentallinguistik“ Dai Zhens. Abgesehen davon, dass von Dai kein Plan überliefert ist, die gesamten Klassiker durch die Glossen des Shuowen zu lesen (was auch vollends absurd gewesen wäre), war die Bedeutung der Klassiker allgemein klar, und man stritt sich um die Auslegung. Er schildert kurz die Entwicklung von den hanzeitlichen Glossen über die Wei-Jin-zeitlichen yinyi-­Kommentare bis zur Song, in der die daoxue die Interpretation der Klassiker zu einem Höhepunkt trieb. In immer grösseren Abschnitten wurde der Text der Klassiker verstanden, bis in der Song dann der Vorschlag für die Gesamtbedeutung aller Klassiker



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erfolgte. Der Versuch der hanxue, nun wieder zu den einzelnen Schriftzeichen zurückzugehen, erscheint Fang daher wie die Idee, mit der „Fackel das Tageslicht“ heller zu machen. Zum Schluss seiner eigenen Argumentation kommt Fang auf ein anderes methodisches Problem zu sprechen: die Frage, wie die Aussprache alter Schriftzeichen erforscht werden soll, wenn die frühesten Schriftzeichen aus dem Shuowen Jiezi stammen. Mit diesem Hinweis schliesst Fang den Abschnitt über die Phonologie. In diesem Punkt ignoriert Fang, dass zahlreiche Bronzetexte seit der Hanzeit gefunden worden waren und diese auch in Sammlungen ab der Song publiziert worden waren. Die zehnte Kontroverse mit Dai Zhen bildet den Abschluss der Erörterungen, in dem Fang Dongshu offenbar den Versuch unternahm, die von ihm immer wieder betonte wichtige Stellung der philologischen Hilfswissenschaften zu umschreiben. Gemäss seinen Aussagen durch das gesamte Hanxue Shangdui gesteht er den Disziplinen der xiaoxue ihren unabdingbaren Platz in der Erarbeitung der Klassiker zu: als aufbereitende Instanz der Texte, aber bitte ohne Anspruch auf Interpretation. Denn ebenso wenig wie die daoxue-Exegese die Erforschung der antiken Aussprachen voranbringt, können seiner Meinung nach die Phonologie oder die Schriftzeichenkunde etwas über den moralischen Gehalt der Texte aussagen. Hier nun schreibt Fang Dongshu zum Schluss der Kontroversen gegen Dai Zhen versöhnlich: „Es ist unbedingt nötig, dass sich moraltheoretische Interpretation und philologische Randnotizen wechselweise bestätigen. Dabei muss man beide auseinanderhalten, weil sie im Kern fast keinen Unterschied zueinander aufweisen. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass alle Experten der hanxue die Moraltheorie als an den Haaren herbeigezogene Schlüsse verunglimpfen, auch nur eine voreingenommene Beurteilung. Es ist nötig zu verstehen, dass Konfuzius beim Verfassen des Yi [Jing Xi] Zhuan, ebenso wie Zixia, Zigong, Menzius, das Liji, das Daxue, das Zhong Yong und das Xiao Jing alle das Shi [Jing] und das [Shang] Shu zitierten, sich dabei aber alle nicht auf das Heranziehen von Wortglossierungen beschränkt haben. […] Gleichwohl ging Meister Zhu von Zeichen zu Zeichen und von Satz zu Satz vor, als er Worterklärungen zu allen Klassikern festhielt, und es ist nicht eine dabei, bei der er sich nicht auf die alten Schriften und Dokumente stützte. In dieser Hinsicht war er nicht wie die Spezialisten der hanxue, die mit sehr allgemeinen Verweisen alles durcheinander kritisieren, die aber ihrerseits Meister Zhu vorwerfen, an den Haaren herbeigezogene Schlüsse zu ziehen, indem dieser das Korrekte und Vertrauenswürdige heranzieht und ­verwendet.“ Mit anderen Worten: wenn die Spezialisten der textkritischen Gelehrsamkeit es nur vermieden hätten, sich in die moraltheoretische Interpretation zu mischen, und sich auf ihr Fachgebiet beschränkt hätten, dann wären laut Fang

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diese Probleme der Gelehrsamkeit und damit jene der Gesellschaft überhaupt nie entstanden.

Schluss Dai Zhen wurde, wie oben ausgeführt, vor allem für seine Neudefinition konfuzianischer Schlüsselbegriffe angegriffen. Die zehn Kontroversen lassen sich zusammenfassen zu diesen drei Themengebieten der bereits mehrfach genannten Begriffe. Dabei greift der Gelehrte aus Xiuning die Auslegung Zhu Xis an, ohne diesen namentlich zu nennen. Der Grund hierfür ist sicherlich, dass Zhus Aussagen so bekannt waren, dass sie nicht extra aufgerufen werden mussten. Dabei zeigt sich in der Auseinandersetzung, dass Dai Zhen der von ihm analysierten Kontamination dieser Begriffe durch nicht-chinesische Gedanken wie eben den Buddhismus rückgängig machen wollte, indem er Definitionen propagierte, die vor dem Kontakt mit anderen Kulturen entstanden waren und mithin authentisch chinesisch waren. Dies konnten nur Definitionen aus der Hanzeit sein, denn nur aus dieser Phase wurden Worterklärungen überliefert. Aufgrund der Quellen, aber wohl auch den Vorgaben Hui Dongs folgend, sah sich Dai Zhen insbesondere bei Zheng Xuan nach alternativen Erklärungen dieser Begriffe um. Damit war es kurz gesagt sein Ziel, die Entwicklung des Konfuzianismus zurückzudrehen, und einen Entwicklungsstand wiederzubeleben, der zwar in der Theorie weniger raffiniert war, aber dafür authentisch erschien. Fang Dongshu erkannte die Absicht Dai Zhens in seinen Schriften, und er fürchtete darum, dass die daoxue tatsächlich obsolet werden könnte. Diese Vorstellung war ihm aus einer Reihe von Gründen zuwider, die sich zusammenfassen lassen zu einem Punkt: einem Zusammenbruch der chinesischen Welt. Ein Ende der daoxue als dominante Form des Konfuzianismus würde nicht nur die in Tongcheng hochgehaltene Literatur und den achtfüssigen Aufsatz obsolet machen, es hätte auch eine vollkommene Umwälzung auf allen gesellschaftlichen Ebenen zur Folge: das Erziehungswesen wäre kollabiert, die Vorstellungen von Familienriten wären überholt gewesen. Indem der Staatskult sich auf die Auslegung Zhu Xis eingeschworen hatte, wäre bei dessen grundsätzlicher Veränderung wohl auch die Position der Dynastie gefährdet gewesen, weil sie ihre Rechtfertigung aus ihrer Rolle als Wahrerin der daoxue verloren hätte. Vor allem in der dritten Kontroverse taucht ein interessanter Punkt auf: Gemäss Fangs Aussage wurde es erst durch die daoxue möglich, die zuvor mit der Person des Herrschers verbundene Wirkkraft auf eine neue theoretische Ebene zu stellen. Fang fürchtete um die politischen Zustände im Reich, da die daoxue eine moralische K ­ ontrollinstanz einführte, die nicht mehr vom Verhalten des Kaisers abhing. Hierbei wird der



Schluss 

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daoxue-Adept zum einen das renxin-daoxin-Theorem im Sinn haben, das jedem Menschen die freie Entscheidung zubilligt, sich recht oder schlecht zu verhalten, und zum anderen die Aussage Zhu Xis, dass die menschliche Begierde yu 欲 zu überwinden sei, um der kosmischen Rechten Ordnung zu entsprechen.31 Dai wollte also das Rad zurückdrehen auf die Zeit vor Cheng Yi und Zhu Xi, weil er mit deren Verständnis des Konfuzianismus aus grundsätzlichen Beweggründen nicht einverstanden war. Diese Gründe waren systematische, etwa dass er die zeitliche Entfernung als zu gross empfand. Der zweite Grund war, dass Dai die konfuzianische Lehre durch Gedanken daoistischen und buddhistischen Ursprungs kontaminiert sah. Er hoffte, eine näher am Original liegende Version zu erschaffen, indem er versuchte, für Schlüsselbegriffe die alten Definitionen einzusetzen. Fang Dongshu versuchte, diese Angriffe abzuwehren, indem er einerseits die Begriffe und ihre kanonische daoxue-Auslegung verteidigte, andererseits aber attackierte er die Methoden Dai Zhens in der gezeigten Form. Dabei ist festzustellen, dass entgegen der späteren Rezeption Dais dieser nicht wissenschaftlich (oder proto-wissenschaftlich) argumentiert. Vielmehr ist es Fang Dongshu, der die Beziehung zwischen Schrift und Wort korrekt einschätzt, und der ein Konzept situativer Bedeutungen verteidigt, weshalb es absurd sei, für jedes Schriftzeichen nur eine korrekte Bedeutung anzunehmen. Schliesslich widerspricht er zu Recht dem auf das Shuowen zurückgehenden Mythos, dass die Bedeutung eines Schriftzeichens in seiner Form kodiert sein müsste, dass also etwa li grundsätzlich etwas mit der Struktur eines Steins zu tun haben müsse. Leider ist nicht viel über die Wirkungsgeschichte von Fangs Text bekannt; man kann auch nicht rekonstruieren, ob Fang bei seinen zeitgenössischen Lesern eine Wirkung erzielte. Immerhin war Dai Zhen im Rest der Qing weit weniger einflussreich als man aus der Lektüre der republikzeitlichen Sekundärliteratur annehmen müsste. Die Kritik Dai Zhens mag die songzeitliche daoxue desavouiert haben, aber die Gelehrten nach Fang Dongshu – Gong Zizhen, Wei Yuan und schliesslich Kang Youwei – suchten eine Wiederbelebung des Konfuzianismus in den Schriften der Westlichen Han. Es erscheint plausibel anzunehmen, dass die Rezeption der Östlichen Han durch die hanxue eben doch nicht die erhoffte neue und zugkräftige Inkarnation des Konfuzianismus brachte, und fraglich bleibt leider Fangs Anteil an dieser Entwicklung, der aufgrund fehlender Angaben auch nicht eingeschätzt werden kann.

31 Zur Begierde vgl. die zweite Kontroverse des Hanxue Shangdui und die Gleichsetzung von ke ji fu li, und weiteren Schlüsselpassagen der Klassiker mit der Überwindung der menschlichen Begierde in Li Jingde 1994, 207.

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Aus der Tatsche, dass sowohl Zeitgenossen wie Qian Daxin, aber auch andere qingzeitliche Gelehrte wie etwa Fang Dongshu die moraltheoretischen Aussagen Dai Zhens kritisierten oder mindestens ignorierten, lässt sich ausserdem schliessen, dass die Rezeption Dai Zhens als führender konfuzianischer Denker der Qingzeit, wie sie durch Zhang Taiyan, Liang Qichao und Hu Shi betrieben wurde, mehr über die Situation der Republik aussagt als über die tatsächliche Geistesgeschichte der Qingzeit. Dai Zhen passte in die Zeit, er liess sich als ein Schritt in der Entwicklung des wissenschaftlichen Denkens in China darstellen, und seine Kritik an der daoxue Cheng Yis und Zhu Xis passte den Akteuren des Vierten Mai sowieso ins Konzept. Die Rezeption nach dem Ende der Kaiserzeit vollzog eine Loslösung von den konkreten Argumenten und beschränkte sich auf die Aussage, dass jegliche Kritik an der daoxue an sich schon gut war.

II Übersetzung

Die Vorworte und Begleittexte Im Übersetzungsteil der vorliegenden Arbeit werden die Paratexte des Buches übersetzt sowie die zehn Kontroversen des Hanxue Shangdui 漢學商兌, in denen sich Fang Dongshu 方東樹 (1772–1851) gegen Aussagen Dai Zhens 戴震 (1723– 1777) wendet. Die Kontroversen werden in der Reihenfolge wiedergegeben, wie sie im Werk Fang Dongshus erscheinen. Bei jeder der Kontroversen wird neben der Annotation und den interpretativen Erklärungen der chinesische Originaltext beigefügt. Zunächst werden hier die allen Kontroversen vor- und nachgestellten Einführungstexte der Vorworte xu 序 und chong xu 重序 sowie seine Prinzipien zur Textredaktion des Buches fanli 凡例 übersetzt wiedergegeben. Diese Paratexte sind in chinesischen Werken selbstverständliche Hilfselemente des Textes, in denen der Autor Absicht und Vorgehensweise erklärt. Das Vorwort ist Fang Dongshus kurze Darstellung der Entwicklung der konfuzianischen Gelehrsamkeit, vor allem jene der hanxue, die er im Kontext der Qingzeit verortet. Das chong xu ist ein Nachwort zum Gesamttext, in dem Fang über die frühe Entwicklung des Konfuzianismus bis zur Qingzeit sinniert. Beide Begleittexte stellen somit einen Abriss der geistesgeschichtlichen Entwicklung dar, die Chronologie wird allerdings zugunsten der Aktualität zerschnitten und die Darstellung der historisch jüngeren Ereignisse im xu steht im Text vor jener der älteren im chong xu. Vor allem im chong xu erwähnt der Autor auch immer die politischen Begebenheiten, die in der Wechselwirkung zur Gelehrsamkeit dargestellt werden. Im fanli beschreibt Fang in zehn Punkten seine Kompilationsprinzipien. Er diskutiert darin seine Vorbilder und die Zitierweise von Texten. Die vorgängige Lektüre dieser Textteile ist nötig und sinnvoll, ehe die Kontroversen gegen Dai Zhen folgen. Fang Dongshu hat kein fremdes Vorwort in sein Werk aufnehmen können, was daran liegen kann, dass er niemanden fand, der sich dazu bereit erklärte oder daran, dass er kein Vorwort einer anderen Person suchte.

Xu Li 序例 Der chinesische Originaltext des Vorworts findet sich am Anfang des Hanxue Shangdui (Fang Dongshu 1998, 235–236). In diesem kurzen Text werden die wichtigsten Grundlagen für Fangs Kritik an der hanxue eingeführt: Seine Auffassung der hanxue, sein diferenziertes Verständnis der verschiedenen Gelehrten und sein Motiv, diese Kritik zu äussern.

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 Die Vorworte und Begleittexte

In jüngerer Zeit gibt es solche, die Textkritik im Sinne der hanxue betreiben.1 Diese s­ chreiben Bücher, deren grundlegendes Interesse es ist, die songzeitlichen Konfuzianer zu verunglimpfen und Meister Zhu anzugreifen. Dies tun sie zunächst, indem sie das Erörtern des Herzens, der menschlichen Natur und der Rechten Ordnung unterbinden wollten. Im Inland haben bekannte und wichtige Beamte und hochtalentierte Gelehrte – insgesamt Dutzende von Leuten – dies voneinander übernommen und diskutiert und ihrerseits Bücher verfasst. Sie haben sich die Lippen eingeölt und die Zunge abgewischt, darauf haben sie hochfliegende Erörterungen abgefasst und mit grossem Genuss darauf herumgekaut.2 Wenn man ergründet, was sie [den songzeitlichen Gelehrten] vorwerfen, so geht das nicht über die folgenden drei Punkte hinaus: der erste ist, dass diese mit der einseitigen Gewichtung ihrer Ansichten und dem Faktionalismus ihrer Schulen Schaden über das Land gebracht hätten. Ein weiterer ist, dass sie mit ihren Erörterungen des Herzens, der menschlichen Natur sowie der Rechten Ordnung abgerutscht seien in die hohlen Lehren der xinxue und des Zen-Buddhismus und damit vom Rechten Weg des Weisen abgewichen seien. Ein weiterer [Kritikpunkt] schliesslich ist, dass sie mit ihren metaphysischen Erörterungen der menschlichen Natur und des Schicksals die Bücher vernachlässigt und nicht mehr gelesen hätten, vor lauter leerem Gerede nichts mehr studiert hätten, wodurch sie die Kunst der Klassiker[exegese] hätten verkommen lassen.

Soweit die grundsätzliche Auffassung zur hanxue. Fang erklärt zu Beginn seines Werkes, dass sich die Motive der Gegner auf die genannten Punkte reduzieren lassen. Bereits hier macht er unmissverständlich deutlich, dass es ihm nicht darum geht, die Kritik der hanxue nachzuvollziehen und einfach deskriptiv darzustellen, sondern er definiert seine Gegner und legt deren aus seiner Sicht böse Absichten offen. Fang sorgt sich um den Rechten Weg und dessen Erhaltung, den er durch die hanxue als gefährtet erachtet, weil die hanxue die songzeitliche Exegese angreift, ohne die aus Fangs Sicht die Exegese des Konfuzianismus nicht möglich ist. Im nächsten Abschnitt diskutiert er nun diese Kontrahenten und nimmt dabei Differenzierungen an mutmasslichen Motiven vor. Alle hier erwähnten Personen werden in Kontroversen erwähnt, aber nicht gegen jeden richtet sich eine eigene Kontroverse.

1 Die Passage lautet im Original „jinshi you wei hanxue kaozheng zhe 近世有為漢學考證者“. Dies liesse sich auch übersetzen als „es gibt solche, die hanxue und kaozheng[xue] betreiben. Da aber durch das gesamte Werk Fang Dongshus deutlich wird, dass er eine Unterscheidung macht zwischen den Anhängern der kaozhengxue und den von ihm als Untergruppe verstandenen Vertretern der hanxue, wird dieser Differenzierung in der Übersetzung dieser Stelle Rechnung getragen und kaozheng als Verb verstanden. 2 Die Metapher „Lippen einölen und die Zunge abgewischten“ lautet im Original „gao chun shi she 膏脣拭舌“. Sie wird allgemein als sorgfältige Vorbereitung für eine Tirade verstanden. Um die mundbezogene Metaphorik zu übersetzen könnte man vielleicht sagen: die Zähne ins Opfer hineinschlagen und die Lefzen lecken.



Xu Li 序例 

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Aber was diese Leute sagen und was sie meinen, da gibt es auch verschiedene Abstufungen. So gab es etwa solche wie Huang Zhen, Wan Sitong oder Gu Tinglin. Diese haben selbst gesehen, dass es zu jener Zeit Probleme gab und sie fühlten sich veranlasst, die Diskussion darüber zu beginnen, wie diese Probleme zu lösen wären. Aber ihre Analysen waren nicht differenziert genug, so dass ihre Worte dieses Ziel nicht erreichten. [Dann gab es solche wie] Yang Shen, Jiao Xun oder Mao Qiling. Diese verfügten nur über oberflächliche [Gelehrsamkeit] und wollten sich bloss einen Namen machen. Zudem missgönnten sie [den songzeitlichen Gelehrten die Tatsache, dass] in der Dynastiegeschichte der Songzeit die „Biographien der daoxue“ als eine eigene Kategorie aufgenommen worden waren und zudem noch vor dem „Wald der Konfuzianer“ zu stehen kamen. Dagegen kämpften diese mit dem Pinsel und beschimpften [die songzeitlichen Konfuzianer] voller Zorn und Gehässigkeit. Dann gab es noch solche, die zwar gerne studierten, aber zu dumm waren, d.h. deren Wissen einfach nicht ausreichte, um die Wahrheit zu erkennen (hao xue er yu zhi bu zu yi shi zhen 好學而愚 智不足以識真), wie etwa der aus dem Östlichen Wu stammende Herr Hui3 oder Herr Zang4 aus Wujin, die so die Begriffe für wahr und falsch durcheinander gebracht haben.

Dies bezieht sich auf die ersten Gelehrten der Qingzeit, denen Fang noch nicht die zerstörerische Boshaftigkeit unterstellt, die er anderen Gelehrten, vor allem Dai Zhen, vorwirft. Diese Gelehrten waren Personen, deren aktive Phase zeitgleich mit den ersten rund einhundert Jahren der Qing stattfand. Von der Mitte des siebzehnten bis zur ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts war die Beziehung zwischen Staat und konfuzianischer Elite von Misstrauen geprägt. Die nun folgenden Aussagen beziehen sich auf die Entwicklung der Gelehrsamkeit seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, und damit meint er die Gelehrten der Folgegenerationen wie Dai Zhen, Wang Zhong und andere. Seit jener Zeit ist die hanxue wesentlich erstarkt und neue Werke entstanden wie Bäume im Wald und demjenigen, was einer sagt, stimmen die anderen sofort zu, ­speziell, wenn es sich gegenüber den songzeitlichen Konfuzianern verhält wie Wasser zu Feuer. Die daran teilhabenden Leute haben alle berühmte Namen und sind durchdringend gebildet. Sie besitzen grossem Einfluss auf die zahlreichen Gelehrten. Sie ­verfügen über flinke Zungen und Pinsel. [Doch] sie haben die einhundert Schulen nicht durchdrungen und als Folge davon hat das dazu geführt, dass späteren Gelehrten für Jahrzehnte Ohren, Augen und das erkennende Herz verstopft wurde.

3 Die Formulierung „Dongwu Hui shi 東吳惠氏“ bezieht sich auf Hui Dong 惠棟, den wichtigsten Exponenten der sog. wupai, oder Suzhou-Schule, deren Spezialität die hanxue war. Es könnte auch verstanden werden als „Die Herren Hui aus dem Östlichen Wu“, womit neben Hui Dong (1697–1758) auch dessen Vater Hui Shiqi 惠士奇 (1671–1741) und Grossvater Hui Zhouti 惠周惕 (–1694?) gemeint wären, die Wegbereiter von Hui Dongs Gelehrsamkeit waren. 4 Hier ist Zang Lin 臧琳 (1650–1713) gemeint. Er vertrat relativ früh die Ansicht, dass die Kommentare der Tang und Han denen der Song überlegen seien und trat für eine Rückkehr zu den Kommentaren der Han und den Subkommentaren der Tang ein: „bi yi Han zhu Tang shu wei zhu 必以漢注唐疏為主“ (Yang Xiangkui 1994, 393).

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 Die Vorworte und Begleittexte

Betrachten wir uns, was in den Werken dieser verschiedenen Meister als zentraler Gedanke formuliert wird und womit sie ihre Schule nach oben bringen wollen, was sie von den verständigsten Tüchtigen übernehmen und was sie den gemeinsten unteren Gelehrten nachreden, als ob die vielen Münder nur eine Zunge hätten. Dies geht nicht über die Wortglossierung, die philologischen Hilfswissenschaften, die Realienkunde und die [Erforschung des] Verwaltungssystems hinaus. Sie verwerfen [damit] die Grundlagen und wertschätzen die unwichtigen Dinge und verlegen sich aufs Beleidigen und Diffamieren. Und was die vom Weisen persönlich durchgeführte Suche nach der Menschlichkeit, die Lehre vom Kultivieren, Ausgleichen, Ordnen und Befrieden5 angeht, so haben sie all dies verworfen. Sie nennen dies, die Klassiker in Ordnung bringen zu wollen, aber in Wirklichkeit bringen sie die Klassiker in Unordnung. Sie nennen dies, den Rechten Weg zu beschützen, aber in Wirklichkeit verraten sie den Rechten Weg.

Nach dieser Einschätzung seiner hauptsächlichen Gegner, bei der er noch keine Namen nennt, kommt Fang als nächstes auf seine eigene Motivation zu sprechen, wieso er diese Kritik lanciert. Hierbei stellt er sich als von der Tradition und seinem Gewissen Getriebener dar, der nicht anders kann, als sich aus Sorge um das Reich zu exponieren. Davor schildert er noch kurz die Leistung der daoxue und wieso deren Verdienst für die Lehre so einzigartig ist. Früher konnte Menzius nicht anders, als Streitgespräche zu lieben, wenn er hoffen wollte, abweichende Theorien zu beenden und die Herzen der Menschen wieder in Ordnung zu bringen. Meine Meinung ist, dass es nach dem Tod von Konfuzius für mehr als 1500 Jahre [eine Lücke gab] in der Gelehrtentradition der Klassikerexegese, bis die songzeitlichen Erörterungen kamen und man [wieder] anfing, die korrekte [Bedeutung der Worte] des Weisen zu verstehen. Wenn man es gerecht einschätzt,6 so übertreffen die Errungenschaften der wenigen Meister um Cheng und Zhu diejenigen der Qingzeit und sie haben in Tat und Wahrheit die Ordnung wiederhergestellt, die seit der späten Zhouzeit [verloren gegangen war]. Heutzutage sind alle Leute einseitig in ihrer Ansicht und kehren das Unterste zuoberst und das Wichtigste und Unwichtigste7 werden umgedreht. Dabei wird stets verlangt, dass man nach den hanzeitlichen häretischen und partikularen Erklärungen suchen sollte, so dass alles wieder unklar wird und durcheinander gerät, bis dass zuletzt die Menschen die

5 Die „Lehre vom Kultivieren, Ausgleichen, Ordnen und Befrieden“ („xiu qi zhi ping zhi jiao 修齊 治平之教“) ist eine Anspielung auf die Kettenargumentation des Daxue, in welchem die Stufen Kultivierung der Persönlichkeit, Ausgleich der Familie, Ordnen des Staates und Befrieden der Welt genannt sind: „shen xiu er hou jia qi, jia qi er hou guo zhi, guo zhi er hou tianxia ping 身脩而 后家齊,家齊而后國治,國治而后天下平.“ 6 Die Formulierung lautet „ping xin er lun 平心而論“, was sich auch als „wenn man es neutral beurteilt“ übersetzen liesse. In jedem Fall reklamiert Fang Dongshu stets die neutrale oder ausgewogene gerechte Sicht für sich selbst, wenn er seine apologetische Schulmeinung vorträgt. 7 Für „Wichtigste und Unwichtigste“ wird hier nicht die sonst übliche Formulierung ben mo 本末 verwendet, sondern das seltenere li ben 利本. Fang meint, dass Ursache und Wirkung vertauscht werden.



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­ ähigkeit verlieren, zwischen wahr und falsch unterscheiden zu können. Dies wiederum F brächte Schaden über die Gelehrsamkeit in der Welt, der den von Zen-Buddhismus und xinxue verursachten [Schaden] hundertfach übertrifft. So wie etwa Li Gong und andere, deren Lehren auch so sehr abweichen, dass sie in ihren Erklärungen absichtlich eine zu den songzeitlichen Leuten gegensätzliche Meinung vertreten. Obwohl ihr moralisches Verhalten noch relativ gut war, war es die Missgunst und der absichtliche [Widerspruch], weswegen auch sie [die Klassiker] nicht erklären konnten. [Ich, Fang] Dongshu wurde stets davon irritiert und ich wollte deswegen ihre Fehler korrigieren. Doch wenn ich zurückschaue, so habe ich zuwenig gelernt und verstanden und soll mich nun den Massen entgegenstemmen, [gerade als ob] einer am Flussufer mit einer Handvoll Erde einen Damm errichten wollte. Ich habe nicht vorher abgemessen, ob meine Kraft womöglich reichen würde, um zu gewinnen, sondern ich kann meinem innersten Verlangen nur schwer Einhalt gebieten. Also habe ich soviel getan, wie mein Wissen zulässt und frühere Streitgespräche wiederaufgenommen, um einen Anfang zu machen und zu warten, bis auf der Welt [wieder] rechte Konfuzianer in Erscheinung treten und alles richtig stellen. Wenn ich auch wenig weiss, so liegt das doch an mir als Mensch und wieso solle man deswegen die ganze Sache verwerfen? Der vierte Monat des Jahres bingwu der Regierungsperiode daoguang;8 Fang Dongshu aus Tongcheng.

Chong Xu 重序 Dieses erneute Vorwort steht in der konsultierten Ausgabe zum Schluss des gesamten Textes (Fang Dongshu 1998, 409–412). Es wirkt wie eine Entgegnung auf den Beginn von Jiang Fans Hanxue Shicheng Ji, wo vor der ersten Biographie zu Yan Ruoqu auch eine Vorrede des Autors steht, in der dieser die Entwicklung der chinesischen Zivilisation mit derjenigen des Konfuzianismus gleichsetzt und deren Entwicklung bis zur Qing überblicksartig schildert. Dasselbe tut hier Fang Dongshu aus seiner Perspektive. Zunächst folgt die mit klassischen Zitaten angereicherte Schilderung der Entwicklung der Antike, d.h. bis zur Reichseinigung. Vor den Drei Dynastien gab es die Bezeichnung „Klassiker“ noch nicht. Die Klassiker begannen mit dem Herzog von Zhou und Konfuzius. Der Musikmeister vermittelte die Verehrung der Vier Künste:9 Im Frühling und Herbst wurden die Riten und die Musik unterrichtet, im Sommer und Winter die Lieder und ­Dokumente.

8 Das Datum 道光丙戌四月 entspricht dem Zeitraum von 7. Mai bis zum 5. Juni des sechsten Jahres der Regierungsperiode daoguang, also dem Jahr 1826 (Fang Shiming 1987, 695). 9 Der Beamtentitel yuezheng 樂正 ist für die von Fang beschriebene Zeit nicht dokumentiert, aber es geht ihm ja auch nicht um eine historische Darstellung des Erziehungswesens (Hucker 1984, Nr. 8258). Der Ausdruck si yi 四藝 bezeichnet hier die vier kanonischen Werke, die schon vor Konfuzius existiert haben sollen: Shi Jing, Shang Shu, Li Jing und Yue Jing.

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 Die Vorworte und Begleittexte

Zur Frühlings- und Herbstszeit waren dann bereits die alten Regeln vergessen und die alten Bräuche vergangen, Berechnung und Missgunst wurden eingesetzt und der Pfad von Mitmenschlichkeit und korrektem Verhalten war verstellt. Konfuzius sorgte sich darum, und er setzte den Rechten Weg des Wen-[Königs von Zhou], des Wu-Königs von Zhou] und des Herzogs von Zhou instand und brachte ihn wieder zum Leuchten (xiuming 修明). Um der Korrektheit und den Regeln wieder Geltung zu verschaffen, schuf er das Chunqiu. Dieses zählte auch zum Kanon. Selbst wenn Konfuzius nicht versuchte, die Menschen so zu unterweisen, so gab es doch in seiner normalen alltäglichen Art, kultiviert mit den Menschen zu sprechen nichts, das nicht den Aussagen des Chunqiu entsprochen hätte. Als der Fürst von Wei Konfuzius erwartete, damit dieser die Regierung übernehme, da sagte der Meister: „Was unbedingt nötig ist, das ist die Richtigstellung der Bezeichnungen.“10 Als Chen Heng seinen Fürsten tötete, da bat er ihn um eine Unterredung.11 Als Herr Ji einen Straffeldzug gegen Zhuan Xu durchführte, reiste er zum Taishan und dort überkam ihm das Bedürfnis, inne zu halten.12 Als schliesslich „Der Ai-Herzog nach der Regierung fragte, sagte der Meister: ‚Die Regierungspraxis der Könige Wen und Wu ist auf Holz- und Bambustafeln aufgezeichnet.‘“13 Im letzten Kapitel des Lunyu gibt es einen Abschnitt, in dem „Yao spricht“. Liu Zongyuan meinte dazu: „Dies sind Worte, in denen der Meister sehr häufig den Rechten Weg beschrieben hat.“14 Der Meister sprach: „Leite sie mittels Tugend, Sorge für Ausgleich mittels der Riten“ (Lunyu 2.3), „Wer durch Ausübung der Moral seinen Staat regiert, was [für Schwierigkeiten] könnte der haben?“ (Lunyu 4.13; Wilhelm S. 3415). Auch sagte er: „Meine Kinder,

10 Der hier zitierte Satz „zi yue: bi ye, zheng ming hu 子曰必也正名乎“ entstammt Abschnitt 13.3. des Lunyu. Zu dessen Einbettung in das geistesgeschichtliche Umfeld vgl. Gassmann 1988. 11 Chen Heng 陳恒 (?–?; fl. 482) ist der Name eines Ministers aus Qi, der im Jahr 482 v. Chr. seinen Fürsten ermordete, wie im Chunqiu-Eintrag und im Zuozhuan zum 14. Jahr des Ai-Herzogs von Lu vermerkt ist (Yang Bojun 1990, 1689; ZHZ 1341). 12 Es liess sich nicht ermitteln, worauf Fang Dongshu mit „Herr Ji 季氏 und Zhuan Xu 顓頊“ hier anspielt. In den Aufzeichnungen des Shiji zu Zhuan Xu, dem Nachfolger des sagenhaften Gelben Kaiser, liess sich keine Stelle finden, in deren Kontext sich diese Anspielung verstehen liesse. 13 Der hier zitierte Text „哀公問政。子曰:文、武之政,布在方策“ bildet den Anfang des 20. Abschnitts im Zhong Yong. Für die zitierte Übersetzung vgl. Weber-Schäfer 1963, 47. 14 Fang spielt hier auf die Tatsache an, dass das 20. und letzte Kapitel des Lunyu mit den Worten beginnt „Yao yue 堯曰“, weshalb er den Text behandelt, als ob dieser ein direktes Zitat König Yaos wiedergibt. Die Bemerkung von Liu Zongyuan entstammt laut einer editorischen Anmerkung Zhu Weizhengs dem Text „Lunyu bian 論語辯“, der sich in Rolle vier von Lius gesammelten Werken Liu Hedong Ji 柳河東集 findet. Wie Zhu weiter bemerkt, lautet der Text im Original: „shi nai Kongzi changchang feng dao zhi ci yun er 是乃孔子常常諷道之辭云爾.“ Fang hat „Kongzi“ ersetzt durch „fuzi suo 夫子所“, was wohl ein weiteres Mal darauf zurück zu führen ist, dass er auswendig zitiert. 15 In der vorliegenden Arbeit werden wo immer einigermassen vertretbar die für die deutschsprachige Chinarezeption klassischen Übersetzungen Richard Wilhelms zitiert. Indem diese sich deutlich vom normalen Sprachgebrauch abheben, entsteht für Leserinnen und Leser hoffentlich eine Wirkung, die der Lektüre des chinesischen Texts vergleichbar ist, in dem auch die Zitate aus den klassischen Schriften nicht ohne Weiteres stilistisch in den Satz passen. Die Übersetzungen wurden mit solchen abgeglichen, die in höherem Mass wissenschaftlich zitierbar scheinen, wie etwa jene von D.C. Lau.



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warum lernt ihr nicht die Lieder? Die Lieder sind geeignet, um anzuregen; geeignet, um zu beobachten; geeignet, um zu vereinigen; geeignet, um den Groll zu wecken; in der Nähe dem Vater zu dienen, in der Ferne dem Fürsten zu dienen.“ (Lunyu 17.9; Wilhelm S. 194). Und er sagte: „Anregen durch die Lieder, Festigen durch die Riten, vollenden durch die Musik.“ (Lunyu 8.8) Und: „Wenn mir bis zum Tod noch einige Jahre vergönnt wären, dass ich das Buch des Wandels fertig studieren könnte, so möchte ich wohl wenigstens grobe Verfehlungen zu vermeiden imstande sein.“16 Deshalb meinte Zhuang Zhou: „Das Shi Jing beschreibt den Willen, das Shang Shu beschreibt Ereignisse, die Riten beschreiben das Verhalten, der [Klassiker der] Musik beschreibt die Harmonie, das Chunqiu beschreibt die Einteilung nach Bezeichnungen.“17 Die Sechs Klassiker sind nicht identisch in ihren Aussagen, aber in ihrer ultimativen Anwendbarkeit sind sie einheitlich. Dies sind die Unterweisungen des Herzogs von Zhou und Konfuzius’.

Als nächstes folgt die Schilderung der Entwicklung ab dem Beginn der Kaiserzeit, also ab der Reichseinigung. Hier steht zunächst das konfuzianische Trauma der qinzeitlichen Bücherverbrennung im Vordergrund, ehe dann die Zustände von der Rekompilation der klassischen Schriften zur Hanzeit geschildert werden. Die Anspielung darin auf die „Wände“, in denen man Bücher gefunden hat, bezieht sich natürlich auf den Fund der Klassiker in der alten Schriftform der Siegelschrift, der den Ausgang für die hanzeitliche Auseinandersetzung zwischen Neuund Alttexttradition bildete. Es geht weiter mit der Schilderung der konfuzianischen Exegese in der Wei-Jinzeit und der Tang. Als die Qin das Reich geeint hatten, vergnügten sie sich an der Vulgarität der Hinterlist und der Gewaltherrschaft uneingeschränkter Brutalität. In der Folge wurden die Gesetze und Regeln der Früheren Könige missachtet und das Shi Jing sowie das Shang Shu verbrannt. Damals war es nicht nur so, dass die Verwendung der Klassiker nicht mehr zunahm, sondern die [darin enthaltenen] Schriftzeichen wurden auch noch verunstaltet oder zerstört.

16 Das Zitat bildet Lunyu Abschnitt 7.16. Allerdings lässt sich hier sehr deutlich zeigen, wie Fang Dongshu den Text durch den Kommentar Zhu Xis liest. Der Text lautet im Original: 子曰:加 我數年,五十以學易,可以無大過矣。Der Text bei Fang lautet aber: „子曰:假我數年,卒以 學易…“, er hat also das eine jia gegen das andere ersetzt und wushi durch zu. Zhu Xi beruft sich nun in seinem Kommentar auf einen gewissen Liu Pin, der die beiden Textveränderungen vorschlägt („劉聘君見元城劉忠定公自言嘗讀他論,「加」作假,「五十」作卒。蓋加、假聲相 近而誤讀,卒與五十字相似而誤分也“). Zhu Xi stimmt ihm zu und fügt hinzu, dass Konfuzius zu diesem Zeitpunkt bereits über siebzig Jahre alt gewesen sei, weshalb die traditionelle Lesung „Einige Jahre, bis ich fünfzig bin“ keinen Sinn ergebe (Zhu Xi 2001, 113). Wilhelm 1914, 67 folgt dieser Lesart. 17 Dieses Zitat entstammt dem letzten Kapitel „tianxia“ des Buches Zhuangzi. Fang Dongshu geht entsprechend der Tradition davon aus, dass Zhuang Zhou der Autor des gesamten Werkes war. Für eine Übersetzung vgl. Watson 1968, 363.

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 Die Vorworte und Begleittexte

Als die Han aufkam, suchte sie nach den verlorenen Klassikern. Daher begannen die verschiedenen Klassiker ganz allmählich wieder zum Vorschein zu kommen. Ob man sie nun in den Wänden von Häusern fand oder ob sie aus Überschwemmungsgebieten hervortraten, oder ob man sie wiedererlangte aufgrund der mündlichen Tradierung von geduldigen Konfuzianern, auf jeden Fall waren sie beschädigt oder durcheinander, lückenhaft und unvollständig. Zum grossen Glück gab es zur damaligen Zeit den einen oder anderen alten Meister oder grossen Konfuzianer, die unter grössten Mühen [die Klassiker] wiederherstellten und [die Kapitel] in die richtige Reihenfolge brachten. Als Folge davon gab es das Yi Jing [in der Lesung] von vier verschiedenen Experten, das Shang Shu und Shi Jing von jeweils drei Experten und die Riten sowie das Chunqiu von zwei Experten.18 Alle diese nannte man die „vierzehn durchdringend Gelehrten“. Dadurch entstanden die [auf] Abschnitt und Satz [konzentrierten Kommentare] und dadurch begannen die Interpretationen der einzelnen Schulen (jiafa 家法) sich zu unterscheiden. Von dieser Zeit angefangen, über die Zeit der Östlichen Hauptstadt [der Han] und der Wei-Jinzeit bis in die Nördlichen und Südlichen Dynastien hinein liefen [eine Reihe von Ansichten zu den Klassikern] der verschiedenen Konfuzianer auf, die sich gegenseitig der Irrlehre (yanshuo 衍說) bezichtigten. Doch indem die Erörterungen immer differenzierter wurden, wurde auch die Bedeutung [der Texte] zusehends deutlicher. Zur Tangzeit schliesslich wurden die festgelegten Ausgaben und die festgeschriebenen Kommentare verfertigt in Form des Shi Wen.19 So wurde das Durcheinander und die Unübersichtlichkeit von acht Dynastien und mehreren hundert Jahren in einer Dynastie grundlegend festgeschrieben. Die Augen und Ohren, die Herzen und der Willen der Gelehrten des Reiches wurden zusehends ausgeglichen, vereinheitlicht und auf dieselbe Stufe gebracht. Durch kaiserlichen Erlass wurde für einhundert Dynastien und für das gesamte Reich [die Texte] verfügbar gemacht,20 was man wahrlich eine grosse Errungenschaft nennen kann. Doch ihre

18 Fang spielt hier auf die bekannten Lesungen der Klassiker an. Zum Shi Jing gab es bekanntlich die drei offiziell anerkannten Lesungen eines Herrn Qi, eines Herrn Lu und eines Herrn Han, die sogenannten Qi Shi 齊詩, Lu Shi 魯詩 und Han Shi 韓詩. Nicht erwähnt wird hier die private, später kanonisierte Alttextlesung des Shi Jing durch die Brüder Mao. Im Falle des Yi Jing bezieht sich Fang auf die vier hanzeitlichen Textfassungen von Shi Chou 施讎, Meng Xi 孟喜, Liang Qiuhe 梁丘賀 und Meng Xis Schüler Jing Fang 京房. Vgl. hierzu die entsprechenden Einträge in Loewe 1993. Die hier angesprochenen zwei Lesarten der Riten beziehen sich nur auf das Li Ji, nicht auf die anderen Ritenklassiker. Das Li Ji entstand in den beiden Lesungen der Brüder Dai, welche beide bei einem gemeinsamen Lehrer namens Hou Cang 后蒼 studiert hatten. Das Werk des älteren Bruders Dai De 戴德 (?–?) wurde als Da Dai Li Ji bekannt, dasjenige des jüngeren Dai Sheng 戴聖 (?–?) bildet den heutigen Klassiker Li Ji. Zu Yi Li und Zhou Li gibt es keine solchen sich unterscheidenden Tradierungslinien. 19 An anderen Stellen äusserst sich Fang Dongshu dahingehend, dass er die Leistung der Gelehrten der Tangzeit in Form der Bereitstellung der authoritativen Zheng Yi-Textausgaben 正義 und -Kommentare sowie der Niederschrift des Jing Dian Shi Wen 經典釋文 durch Lu Deming 陸德明 (~550–~630) anerkennt. In diesem Sinn wird Shi Wen 釋文 hier als Platzhalter oder Symbol verstanden für die tangzeitlichen Anstrengungen zur Vereinheitlichung der Klassiker ab der Regierungsperiode kaiyuan (713–741). 20 Die Formulierung „chui fan bai dai, shu hu tianxia wei gong 垂範百代,庶乎天下為公“ kann einerseits heissen, dass die Texte allgemein zugänglich gemacht wurden (in Form der Zheng



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­ nwendung auf [die Gedankenwelt] des Herzogs von Zhou und Konfuzius’ haben sie noch A keine Erhellung mit sich gebracht.

Es folgt die Schilderung der Songzeit. Interessant hieran ist die Tatsache, dass Fang Dongshu sich nicht bemüht, die Entwicklung des erneuten Erstarkens des Konfuzianismus nachzuvollziehen. Er erwähnt weder Su Shi 蘇軾 (1037–1101) noch Ouyang Xiu 歐陽修 (1007–1072), und die gesamte politische Bewegung des Konfuzianismus der Nördlichen Song bleibt ausgespart. dies ist insbesondere deshalb von Interesse, weil Fang als Tongcheng-Gelehrter ein Anhänger eines guwen-Ideals war, in dem Literatur, Politik und Gelehrsamkeit eine Einheit bildeten. Dieses Ideal wurde von Su und Ouyang idealtypisch verkörpert. Gleichzeitig ist schon im Moment des Triumphes die Niederlage vorbestimmt, denn wie er weiter beschreibt, konnten sich die Lehren Zhu Xis und Cheng Yis nicht lange halten, weil sehr bald erste Kritiker auf den Plan traten, die an der perfekten Lehre herumkritisierten. Die mingzeitlichen Kritiker werden in einem Atemzug genannt mit denen der hanxue, die im übernächsten Absatz erstmals erwähnt werden. In der Songzeit kamen dann die verschiedenen Meister [wie] Cheng und Zhu hervor und sie begannen, gemäss den Schriften nach den Herzen der Weisen zu forschen und oftmals drangen sie vor bis ins Differenzierte und Subtile daran (de yu qi jing wei zhi ji 得於其精 微之際). Im sprachlichen Ausdruck [der songzeitlichen Gelehrten] gab es keinen Mangel [an Klarheit], in ihrem Betragen keine Unrühmlichkeit, so wurde die wahre Natur und die grosse Anwendung des Herzogs von Zhou und des Konfuzius [so deutlich sichtbar,] wie wenn man die Wolken zur Seite schiebt und Sonne und Mond erblickt. Von heute aus beurteilt waren die Errungenschaften der hanzeitlichen wie der songzeitlichen Konfuzianer so, dass sich die Früheren Weisen darum sicherlich gesorgt hätten, da es manchmal Feinheiten und manchmal Grobheiten gibt, aber keine Niveauunterschiede (bing wei xian sheng suo youlai, you jingcu er wu xuanzhi, 並為先聖所攸賴,有精粗而無軒輊), was durch die Zeit bedingt ist. […] Seit der Zeit [der Regierungsperiode] qingyuan der Südlichen Song (d.i. 1195–1200), also seit der Zeit, in der Meister Zhu verstarb, haben die subtilen Worte noch nicht geendet. Doch dann kamen mehrere Generationen von Meistern der Irrlehre, die sich bienenschwarmartig erhoben und die mit aller Kraft ihre eigensinnigen Weisheiten durchsetzen wollten und ihre einseitigen Ansichten verehrten. Sie brüsten sich ihrer Streitschriften zu allen möglichen Themen, aber erörtern ihre neuen Fähigkeiten kaum. Jeder beharrte eigensinnig auf seinen unterschiedlichen Ansichten, alle stets bestrebt, sich gegen Meister Zhu zu wenden. Was sie den Rechten Weg nennen, das ist nicht der Rechte Weg, und was sie für die Wahrheit halten, ist [daher] unweigerlich falsch. Was sie über den Rechten Weg aussagen,

Yi-Kommentare), aber es kann auch als eine Anspielung auf die in der Tangzeit einsetzende Praxis der Beamtenprüfungen verstanden werden, wodurch die adelige Gesellschaft der früheren Zeit durch die Meritokratie des späteren kaiserlichen China abgelöst wurde.

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 Die Vorworte und Begleittexte

macht den Eindruck, als ob sie noch nie etwas davon gehört hätten. Das zieht sich weiter bis in die heutige Zeit und zur hanxue. Sie werden immer schlimmer in ihren Fehlern, ihre Kenntnisse werden immer scheusslicher. Worauf sie als ihre Stärke vertrauen, das ist allein, mithilfe der unzusammenhängenden und an den Haaren herbeigezogenen absurden Theorien der hanzeitlichen Konfuzianer, die Wellen aufzurühren. Allerdings legt sich so über die hellsichtigen Augen [der Gelehrten der Welt] ein Schleier, und sie können es mit ihren Aktivitäten an einem Nebenschauplatz [der Klassikerstudien] schaffen, [den Rechten Weg gleichsam] an den Händen zu packen und ihn an den Ärmeln [in eine falsche Richtung] zu zerren. All dies tun sie einzig in der Absicht, die songzeitlichen Konfuzianer verunglimpfen zu können und Meister Zhu anzugreifen. Kurz gesagt, sie wissen nicht, dass die Lehre eine Tradition hat und dass der Rechte Weg eine Zugehörigkeit hat (bu zhi xue zhi you tong, dao zhi you gui 不知學之有統,道之有歸). Sie verlassen sich darauf, [dass es reicht], sich gegenseitig ein wenig ihre Absicht vorzumachen und ihre vorschnellen Schlüsse zu ziehen. Dies geschieht einzig aus Dickköpfigkeit heraus und sonst gar nichts. Ich versuche, es durch ein Gleichnis zu erklären: Die Klassiker sind wie gute Sprösslinge und die hanzeitlichen Konfuzianer sind die Bauern, welche das unwirtliche Land mit Brandrodung (she 畬) urbar gemacht haben, es gepflügt und gejätet haben, um ihre Saat wachsen zu sehen. Die songzeitlichen Konfuzianer haben es geerntet und gedroschen, gekocht und gegessen, um sich gemäss der Natur zu kräftigen, ihre Gliedmassen zu stärken, und um so ihrem Geist zu nähren. Hätten die hanzeitlichen Konfuzianer es nicht angebaut, so hätten es die songzeitlichen Konfuzianer nicht dreschen und essen können, das Getreide wäre schlecht geworden und man hätte es als nutzlos weggeworfen, wodurch die Menge der Lebenden nichts gehabt hätte, um sich ihrer Natur gemäss zu kräftigen. Jene, die heutzutage die hanxue betreiben, nehmen die übrig gelassene Spreu zusammen und pflanzen diese erneut. Dabei verspotten sie jene, die das Gedroschene gegessen haben als falsch, ruhen Tag und Nacht nicht und sagen: Wir werden den Bauern beim Pflügen und Jäten helfen. Schliesslich aber können sie das, was sie angebaut haben, nicht dazu nutzen, um fünf Scheffel Nahrung bereitzustellen, so dass diese Herren nicht satt davon werden und die Schüler auf ewig Hunger leiden. Wenn man hiermit [d.i. der Lehre der hanxue] die anderen Menschen unterrichtet, so führt man sie in die Irre; wenn man sich selbst damit stärkt, so wird man bestimmt keinen Gewinn davon haben. Bis zum Ende ihres Lebens ordnen sie die Klassiker, ohne auch nur ein Wort über den Rechten Weg verloren zu haben oder ohne auch nur einen Gedanken an die Sinnfälligkeit verschwendet zu haben. Sie sind der irrigen Meinung, der Dienst an den Klassikern erschöpfe sich hierin, und die Bedeutung der Klassiker beschränke sich hierauf. Während ihres Lebens mühen sie sich ab, und im Tod bleibt ihnen nur eine Leere. Sie suchen ausserhalb [ihres Herzens], machen die Menschen verrückt und verwirrt und bringen die Herzen [der Menschen] im Reich in Unordnung. Obwohl sie grosse Namen wie den Herzog von Zhou oder Konfuzius im Munde führen, unterscheiden sie sich doch stark von Konfuzius und dem Herzog von Zhou. Wie das? Indem sie sich weit von den Klassikern entfernt haben.

Es folgt der Schluss dieses kurzen Abrisses. Hier versucht Fang deutlich zu machen, wieso er die hanxue als etwas so Schlimmes erachtet. Der Grund ist, dass er einen Rückschritt der Lehre sieht, den er für unverzeihlich hält. Eindeutig ist ihm die hanxue weder eine Stagnation noch eine gleichwertige andere



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­ ntwicklung, sondern eine Rückentwicklung. Die hanxue bietet kein umfassend E ausgearbeitetes Konzept aus, das die gesellschaftliche Funktion der Orthodoxie einnnehmen könnte, und das erscheint Fang gefährlich, weil in seiner Überzeugung der Gelehrtendiskurs letztlich das Geschick des Reiches lenkt. Durch seine oben dargestellte Entwicklung wurde der Konfuzianismus auf eine nie zuvor erreichte Ebene gehoben. Indem nun die hanxue nicht einfach daran herumkritisiert, sondern die Entwicklung der daoxue rückgängig zu machen versucht, zerstört sie auch die damit Hand in Hand gehenden Errungenschaften. Zum Schluss zieht er einen Vergleich, in dem er die hanxue beschuldigt, mit ungenügenden Ressourcen in einen Kampf um die Dominanz der Orthodoxie zu ziehen. Er wirft ihnen vor, die intellektuelle Vorherrschaft im Reich anzustreben, aber dies nur mit ihren ungenügenden Mitteln der Wortklauberei anzugehen. Er fühlt sich verpflichtet zu dieser Fehde mit der hanxue, tut dies aber nicht aus persönlichen Motiven, sondern für die Erhaltung des Reichs und für das Wohl des Volkes. Die Erwähnung der Neun Tripoden zum Schluss des Textes ist ein Hinweis auf den von Fang unterstellten politischen Anspruch und damit ein Hinweis auf seine Sorge um die politische Stabilität im Reich, die er unlösbar mit der daoxue als grundlegender Lehre verwoben begreift. Indem Politik und Gelehrsamkeit eine Einheit eingegangen sind, ist die hanxue mit ihrer Kritik häretisch, denn sie richtet sich gegen die Orthodoxie. Aus der persönlichen Sicht eines TongchengGelehrten wie Fang war dies höchst bedrohlich, was verständlich ist angesichts seiner wirtschaflichen Nöte und geringer gesellschaftlicher Bedeutung (die Beerdigung seiner Vorfahren, aber auch seine eigene wirtschaftliche Existenz als Lehrer und Kompilator, abhängig von Mentoren). Wenn wir uns betrachten, welchen Weg Zhuang Zhou beschrieben hat, so fragt man sich: hätte es auf der Welt keinen Konfuzius gegeben, hätten sich die Menschen dann damit begnügt? Und wenn wir uns die han- und tangzeitlichen [Anstrengungen] betrachten, die Klassiker zu ordnen, fragt man sich: hätte es nicht Cheng und Zhu gegeben, hätte sich das Reich dann damit begnügt? Jemand meinte einmal: Es gibt auf der Welt viele Möglichkeiten, um Ordnung zu schaffen. Die Einhundert Schulen [der Vorqinzeit] sind schon lange untergegangen und sie kommen auch nicht zurück. Die kleinen und grossen Feinheiten und Grobheiten, die sechs Richtungen während aller vier Jahreszeiten, all dies kann auch ein Gelehrter mit geringem Einblick zum Teil erkennen. Obwohl es nicht ohne Fehler abgehen wird, kann er doch im Grossen in Bezug auf die Verordnungen und Verwaltungsysteme und im Kleinen in Bezug auf die Worterklärungen oder die Realia stets den früheren Konfuzianern noch etwas hinzufügen, was diese noch nicht erkannt haben. Wer wird dies für ein schwerwiegendes Vergehen [der Altvorderen] halten? Es heisst: Im Altertum haben die Zhou die verschiedenen Lehnsfürsten (zhu hou) belehnt. Unter den Lehnsfürsten kamen die Würdenträger (qing daifu), unter den Würdenträger kamen die Dienstadeligen (shi) und unter den Dienstadeligen die breite Masse (shu ren). Die Zhou regierte das Reich ­gemeinsam. Zur

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 Die Vorworte und Begleittexte

Zeit des entfernten Enkels König Nan21, kam grosses Unglück [über die Zhou] in Form von Armut, Weichlichkeit und einer grossen Belastung und es gab niemanden, auf den sie dies hätten zurückführen können. Daher liefen sie davon nach Luoyang zum Südlichen Palast und der Rückzugsterrasse. Zur damaligen Zeit verfügten die Dienstadeligen und die breite Masse über die [finanziellen] Mittel von zehn Jin und weil sie sich dadurch gross fühlten, verlangten sie folgerichtig nach den [neun] Tripoden der Zhou-Hauptstadt. Dies wurde ihnen zum Verhängnis. Nicht weil sie die Mittel von zehn Jin nicht als ihre Stärke eingesetzt hätten, sondern ihr Vergehen bestand darin, nach den Tripoden der Zhou gefragt zu haben.22 Sollten Gelehrte späterer Zeiten unglücklicherweise die Welt nicht mehr in ihrer Vollständigkeit erblicken, sollten sie das grosse Ganze von Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr erkennen, so werden hoffentlich Cheng und Zhu hervortreten und es verständlich machen. Wenn sie dann aber schon einmal etwas erfahren haben und zu erörtern wissen, so wenden sie die letzte Kraft auf, um es zu verunglimpfen und zu zerstören. Inwiefern unterscheiden sie sich da noch von den normalen Leuten (pi fu 匹夫) mit ihren zehn Jin auf dem Rücken, die nach den Tripoden von Zhou fragten? Man sollte wissen, dass es von den Lehnsherren im Reich niemand wagen wird, sich dagegen zu erheben! Deshalb habe ich, der ich verstanden habe, dass die hanzeitlichen Konfuzianer solche Errungenschaften anstreben, wiederum erörtert, wo genau ihre Absurditäten liegen. Später wird es Autoren geben, die auch erkennen werden, dass ich mich nicht aus Spass [mit jenen] gestritten habe, sondern dass es unumgänglich war.

Fanli 凡例 Als letzter der drei Begleittexte folgt nun eine Aufzählung der Kompilierungsoder Redaktionsprinzipien Fangs. Diese zehn Abschnitte folgen in der konsultierten Ausgabe auf das Vorwort (Fang Dongshu 1998, 237–239). Diesen Paratext zum Hanxue Shangdui zu übersetzen ergibt zunächst vielleicht wenig Sinn, weil die darin gemachten Aussagen schwer nachzuvollziehen sind. Aber erstens erklärt Fang nur hier sein literarisches Vorbild und eine Reihe weiterer Vorbilder, und

21 Wang Nan oder auch Nan Wang 赧王 ist die Bezeichnung für den letzten souveränen Herrscher der Zhou, der nach traditionellen Daten von 314 bis 255 für 59 Jahre herrschte und der dann das Reich an die Qin übergeben musste. In den Bambusannalen wird er Yin-König 周隱王 genannt. Zu seiner „Fluchtterrasse“ oder Rückzugsterrasse vgl. HYDCD 11:404; Ricci 2001, 3:428. 22 Gemäss der politischen Mythologie hat der Gründer der Xiadynastie, Yu, das Reich in neun Provinzen aufgeteilt und mit Erz aus jeder dieser Provinzen ein dreifüssiges Bronzegefäss – ein sogenanntes ding 鼎 – giessen lassen. Diese neun Tripoden wurden in der Hauptstadt aufgestellt als Zeichen der Einigkeit des Reiches. Vgl. hierzu den Kommentar Kong Anguos zur Vorrede des Kapitels „shao gao“ des Shang Shu (Ruan Yuan 1980, 211a; Ricci 2001, 1:1188, Nr. 2144; ZWDCD Nr. 173.521). Die Forderung nach den neun Tripoden ist hier also eine Metapher dafür, dass die hanxue die Herrschaft über das Reich an sich zu reissen versucht. In der Songzeit gab es erneut neun Tripoden, wie ZWDCD erklärt, weshalb Fang diese hier als Zhou ding spezifiziert.



Fanli 凡例 

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zweitens geht es in der vorliegenden Arbeit auch um den Versuch, der Absicht eines Autors gerecht zu werden, wozu auch die Wiedergabe dieses Abschnitts gehört, der für westliche Leserinnen und Leser möglicherweise fremdartig wirkt. ––

Dieses Werk orientiert sich am Vorbild von Meister Zhus Zaxue Bian,23 indem es zuerst den Originaltext zitiert und die Diskussion und Richtigstellung danach zu stehen kommt.

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Herr Zhan aus Ganquan hat im Yangzi Zhezhong24 die zu kritisierende Theorie eine Zeichenhöhe nach unten versetzt und seine selbst verfasste ­Erörterung ­derselben auf die oberste Zeile. Dies entsprach damals der vulgären Sitte, gleich der Form der Beamtenprüfung, welche den Titel eine Zeichenhöhe nach unten versetzt und entsprechend die Ausführungen zwei Felder nach unten versetzt, wobei es stets zu kleinen Fehlern kam. Ich habe jetzt die Originaltexte der verschiedenen Leute auf die oberste Zeile geschrieben und meine eigenen Ausführungen dazu ein Feld tiefer.

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Beim Abschreiben der Originaltexte habe ich mich am Beispiel von Cai Jies Lunyu Ji Shuo25 orientiert. Dieser hat, wenn er nur einen Autor zitiert, einzig dessen Namen angegeben. Zitierte er einen oder zwei Autoren, so hat er vor dem Zitat von jedem Namen und Buchtitel aufgeschrieben und alles auf die oberste Zeile gesetzt. Wenn er aus mehreren Passagen [eines Autoren] zitierte, so fasste er Aussagen zusammen und fügte seine eigenen erklärenden Zusätze dazwischen ein. Zudem habe ich mich am Beispiel von Herrn Mas Yi Shi26 orientiert, der zuerst klar machte, welchen Autoren und welches Werk er meint, und dies alles eine Zeile tiefer setzte. Wenn er die moralische Lehre in den Vordergrund rücken wollte, so hat er die wichtigen Passagen eines Textes zusammen genommen und die Nebensächlichkeiten herausgestrichen und sie aus dem Haupttext in den Kommentar genommen. Ich habe die Praxis Herrn Cais abgeändert, der [seine Repliken] jeweils eine Zeile tiefer setzte und [meine Repliken] zwei Zeilen tiefer gesetzt. Im Fall, dass ich den Namen eines Autoren nicht erwähnen

23 Im Werk Zaxue Bian 雜學辨 hält Zhu Xi Erwiderungen zu verschiedenen offenbar songzeitlichen Werke der Gelehrsamkeit fest, namentlich zu den Werken Su Shi Yi Jie 蘇氏易解 (Erklärungen zum Yi Jing von Herrn Su), Su Huangmen Laozi Jie 蘇黃門老子解 (Erklärungen zu den daoistischen Schriften und zu Laozi von [Herrn] Su), Zhang Wugou Zhongyong Jie 張無垢中庸解 (Zhang Wugous Erklärungen zum Zhongyong) und Lü Shi Daxue Jie 呂氏大學解 (Erklärungen zum Da Xue von Herrn Lü). Er zitiert dabei die zu diskutierende Passage und fügt dann seine Ausführungen an. Vgl. SKQS Zi Bu, Nr. 3041, 1 Kapitel in 1 Faszikel sowie Chen, Junmin n.d., 7:3593–3633. 24 Fang Dongshu referiert hier auf das Werk Yangzi Zhezhong 楊子折衷 (Ausgewogenheit [gegenüber den Aussagen] Meister Yangs). Das Buch stammt von Zhan Ruoshui 湛若水 (1466– 1560) aus Ganquan 甘泉, und es wird im Katalog zum Siku Quanshu als Werk der songzeitlichen konfuzianischen Gelehrsamkeit bezeichnet. Vgl. hierzu Yong Rong 1965, 810a. 25 Cai Jie 蔡節 (?–?) war ein Gelehrter, der während der Regierungsperiode chunyuo 淳祐 (1241– 1252) des Lizong-Kaisers 理宗 der Südlichen Song aktiv war. Er war Autor des Kommentars Lunyu Ji Shuo 論語集說, der sich an Zhu Xis Lunyu Ji Zhu orientiert. (ZHZ 2440; Yong Rong 1965, 297a). 26 Zum Werk Yi Shi 繹史 von Ma Su 馬驌 (1621–1673) vgl. ZHZ 65; Yong Rong 1965, 444a–b.

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 Die Vorworte und Begleittexte

wollte, habe ich mich an Ai Nanyings Ming Wen Dai Xu Yu27 ­orientiert und habe den Namen weggelassen, aber die Aussage präzise wiedergegeben, eingeleitet durch „jemand meinte“. ––

Um zu einem Topos Aussagen zu machen und um meine Absicht durchzubringen, habe ich mich um den korrekten Text bemüht, d.h. ich habe mich in Fällen, in denen es zu viel Text gab, der nicht dazu passte, am Beispiel des Gu Shi28 und des Yi Shi orientiert, und diese Teile in einem Kommentar an den Satz anschliessend untergebracht, so dass die Argumentation nicht auseinandergerissen wurde und die Texte stringent blieben.

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Wenn es bei der Erörterung von Topoi von früher her Fehler gab, die den Gelehrten nicht so geläufig sind, so habe ich mich am Beispiel des Siku Tiyao orientiert, indem ich die Probleme überprüft und erörtert habe und dies hinten angefügt habe.

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Yan Ruoqu hielt fest, dass es beim Schreiben von Büchern vorkommt, dass spätere Autoren die früheren Autoren verbessern mussten. Aber ich wage es nicht, frühere Texte zu verbessern und dies in einem eigenen Kommentar zu erörtern und richtig zu stellen. Solches kann man nur bei grossen und langen Werken tun oder bei solchen, die weit verbreitet sind, wie etwa [Zheng] Kangchengs Kommentare zu den Liedern oder den Riten. Ich habe für dieses Werk auch nach Abschluss des Manuskripts noch weiter [andere] Bücher gelesen und wenn es darin etwas gab, das die Verbesserung des vorher Geschriebenen verlangte, habe ich dies jederzeit korrigert, ohne dass ich alles von neuem aufgeteilt und damit meine eigenen Prinzipien verletzt hätte.

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In den Werken Li Fu Kanwu und Yan Fan Lu29 wird jedes Mal, wenn ein Werk zitiert wird, genau angegeben, aus welchem Kapitel und welcher Rolle [die Zitate] stammen, so dass heutige Leser diese leicht finden können. Chen Houyao und andere imitierten dies. Yu Xiaoke hat in seinem

27 Ming Wen Dai Xu Yu 明文待序語 von Ai Nanying 艾南英 (1583–1646): Über ein Werk dieses Titels liessen sich keine weiteren Angaben finden. Ai Nanying hat kein solches Werk verfasst und wenn man es anstelle eines Buchtitels als „Vorwort zum Ming Wen Dai“ auffasst, kommt man auch nicht weiter, weil es auch kein Werk dieses Titels gibt (ZHZ 353; Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 3: 287 & 616). 28 Das Werk Gu Shi 古史 stammt von Su Shis Bruder Su Che 蘇轍 (1039–1112). Vgl. dazu Yong Rong 1965, 448a–b. 29 Li Fu Kanwu 李涪刊誤 und Yan Fan Lu 演繁露 sind beides Werke, in denen sehr konkrete, aber inhaltlich unzusammenhängende Punkte in Texten besprochen werden. Im Zhongguo Congshu Conglu sind die Werke unter der Rubrik „za kao zhi shu 雜考之屬“ zusammengefasst. Das Lu Fu Kanwu – auch nur unter dem Titel Kanwu bekannt – stammt von Li Fu (?–?, fl. 888–904), einem tangzeitlichen Beamten in der Zeit des Zhaozong-Kaisers (888–904). Zu seinem Werk vgl. Yong Rong 1965, 1016; Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2: 1017. Das Yan Fu Lun stammt von Cheng Dachang 程大昌 (1123–1195), einem Zeitgenossen Zhu Xis, der eine Reihe von Werken geschrieben hat, darunter das Yan Fu Lun, welches sich auf Dong Zhongshus Chunqiu Fanlu bezieht und Eingang fand in das frühe Congshu Ruxue Jingwu 儒學警 悟. Im Katalog zum Siku Quanshu wird es als fehlerhaftes Werk bezeichnet, aber als nützlicher „Steinbruch“ für die philologischen Hilfswissenschaften (vgl. Yu Dingsun 2000, 259–370; zum Werk vgl. Yong Rong 1965, 1020b–c. Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2: 1020).



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Gujing Jie Gouchen30 eins ums andere Mal dazu geschrieben, aus welchem Buch etwas stammt. Er hat sich [zudem] das Beispiel von Zi Xia Ji31 und Longkan Shoujian32 nachgeahmt, indem er die Abfolge der Kapitel beibehalten und so seine Sorgfalt unter Beweis gestellt hat. Obwohl er sich damit von der mingzeitlichen Unsitte des Zitierens erfundener Passagen33 abgewandt hat, ist das alles doch sehr umständlich und zudem eine Zurschaustellung seiner Gelehrsamkeit. Im Altertum gab es diese Form nicht. Ich habe in diesem Werk den Text zu einem Topos Wort für Wort übernommen, habe mich dabei auf den Originaltext gestützt und nicht gewagt, etwas zu erfinden oder meine persönliche Meinung einfliessen zu lassen. Aber ich habe es dabei belassen, den Autor und Titel anzugeben, sogar das Kapitel, aber ich habe es nicht weiter verkompliziert. Wenn ich ein Buch aus anderen Werken zitiert habe, ohne dass ich das Buch selbst zu Gesicht bekommen habe, so habe ich mich am Beispiel von Hui Dong und Wang Fanhong34 orientiert und dazu geschrieben, dass ich das [Original]buch nicht eingesehen hätte. ––

Die Erörterungen in diesem Buch konzentrieren sich auf die entscheidenden Schlüsselfragen, von denen alles andere abhängt.35 Sind diese Fragen geklärt, so erkennt man beim Lesen von

30 Im Werk Gujing Jie Gouchen 古經解鉤沉 von Jiang Fans Lehrer Yu Xiaoke 余蕭客 (1729–1777) wurden fragmentarisch Glossen zusammengestellt. Die Zitierweise ist vorbildlich, aber nach Fangs Dafürhalten überkorrekt. Der Titel des Werkes lässt sich übersetzen als Lose Zusammenstellung der in Vergessenheit geratenen Erklärungen alter Klassiker. Die erste Version wurde im Jahr 1762 publiziert, später wurde eine Neuausgabe von Jiang Fan redigiert (Hummel 1943–44, 941). Da Yu Xiaoke der direkte Lehrer von Jiang Fan gewesen war, wird die Erwähnung von Yus Werk als negatives Beispiel als bishafte und direkte Provokation gegenüber Jiang Fan verstanden. 31 Das Werk Zi Xia Ji 資暇集 stammt von Li Kuangyi 李匡乂 (?–?, fl. 888–904), über den nicht viel bekannt ist. Sein Name wurde auch als Li Kuangyi 李匡義 und Li Kuangwen 李匡文 festgehalten. Zu Werk und Autor vgl. Yong Rong 1965, 1016a–b. 32 Das Longkan Shoujian 龍龕手鑑 ist ein Wörterbuch, das auf die vom zentralasiatischen Volk der Kitan gegründete Liao-Dynastie zurückgeht und das neben chinesischen Schriftzeichen die für die Kitan-Sprache geschaffenen Schriftzeichen enthält. Das Buch wurde 997 fertig gestellt. Autor war ein buddhistischer Mönch namens Xing Jun 行均, der vor seiner Zeit als Mönch den Familiennamen Yu 于gehabt haben soll (Wu Feng 1987, 221, Yong Rong 1965, 351c–352a). 33 „Zitieren erfundener Passagen“ ist die Übersetzung des Ausdrucks du zhuan 杜撰. Dieser geht auf die Songzeit zurück und bezeichnet unbelegte Behauptungen und das Fabrizieren erfundener Passagen (HYDCD 4:753). 34 Während der Yongzheng-Zeit wird Wang Maohong 王懋竑 (1668–1741) als Editor an die HanlinAkademie berufen. Er redigierte das Zhuzi Nianpu 朱子年譜 und editierte das Zhuzi Wenji 朱子文集 sowie das Zhuzi Yulei 朱子語類 (ZHZ 228). Die Erwähnung von Hui Dong als Vorbild ist bemerkenswert, denn Hui Dong war der Begründer der hanxue-Schulrichtung. Allerdings hielt er sich mit der Kritik an Zhu Xi zurück und deshalb steht Hui nicht so sehr im Fokus von Fangs Kritik wie andere. 35 Der im Original für „Die Fragen, von denen alles abhängt“ verwendete Ausdruck wangling zongzhi 網領宗旨 verwendet mit wangling eine Metapher. Das wangling bezeichnet den Rand eines Netzes, durch den eine Schnur gezogen ist, an der man das Netz zuziehen kann. Wenn diese Schlüsselprobleme geklärt sind, sind sozusagen eine Reihe von anderen Problemen im Netz gefangen und erklären sich von selbst.

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 Die Vorworte und Begleittexte

vielen Büchern schwarz und weiss, richtig und falsch leicht auf den ersten Blick. Es lässt sich damit vergleichen, dass man einem Baum die Wurzeln durchtrennt, worauf die Blätter von selbst verdorren. Wenn ich für jedes Buch von jedem Autor, was gegen die einhundert geht, für jeden Abschnitt eine eigene Replik geben würde, so wäre ich nach tausenden von Kapitel noch nicht zu Ende. Dafür reicht meine Kraft nicht aus, man muss dafür auf einen Fähigeren warten. Wenn man daher die Erörterungen ansieht, die Yang Guishan im San Jing Yi36 gibt, so kann ich mich damit nicht vergleichen. ––

Dieses Werk [Hanxue Shangdui] war ursprünglich nur ein Kapitel, durch das sich ein roter Faden von vorne bis hinten durchzog. Aber die Seiten des Kapitels waren zu zahlreich, so dass ich sie in drei Abschnitte aufgeteilt habe. Im ersten erörtere ich den Grund für die [so genannte] Theorie des Verrats am Rechten Weg und den Untergang der Lehre. Danach erörtere ich, wieso die Klassikergelehrsamkeit der philologischen Hilfswissenschaften zwar richtig scheint, aber falsch ist. Danach folgt die generelle Diskussion darüber, wieso die Verunglimpfung der früheren Konfuzianer seit der Tang und Songzeit nicht zutrifft. In meinen Erklärungen zur Moralphilosophie (yili) halte ich mich stets an die Ausgewogenheit und wage nicht, eine einseitige und vorurteilsbehaftete Sichtweise einzunehmen, weil ich sonst Schuld auf mich laden würde. Die Art aber, wie jene [d.i. die Repräsentanten der hanxue] mit ihren tausend Schulrichtungen und zehntausend Verästelungen Theorien aufstellen, ist wirklich verwirrend und undurchsichtig, schafft jedoch keine wirkliche Vielfalt. Deswegen halte ich mich an das Lun Heng, wo es heisst: „Je mehr Häuser es gibt, desto weniger klein können die bebauten Felder sein; je mehr Leute es gibt, desto weniger kann es wenig Verwaltungsdokumente geben.“37 Deshalb gilt: je mehr falsche Reden es gibt, desto mehr muss gesagt werden, um dieses hohle Gerede zu kritisieren. Das heisst, dass – der Wirklichkeit angemessen – die Worte der Erörterungen nicht knapp und simpel sein können.

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Einst sagte Sima Zichang:38 „Ich habe die Worte zusammengetragen, die unmöglich waren und habe auf der Welt die lange verlorenen Erzählungen zusammengetragen. […] Ich habe alles zwischen dem Himmel und den Menschen durchforscht, habe die Erörterungen von

36 San Jing Yi 三經義 von Yang Guishan 楊龜山: Guishan ist das Pseudonym von Yang Shi 楊時 (1053–1135), der in Gelehrtenkreisen Guishan Xiansheng 龜山先生 genannt wurde. Von Yang ist kein Werk dieses Titels bekannt. Das Achte Kapitel von Yang Shis Guishan Ji 龜山集 mit dem Titel „jing yi jie 經義解“ enthält allerdings drei Abschnitte, nämlich „Chunqiu yi 春秋義“, „Shi yi 詩義“ und „Meng Zi jie 孟子解“. M.E. meint Fang hier dieses Kapitel, denn dort werden die Belegstellen zu den Erörterungen haarklein verortet und sehr differenziert ausgeführt. 37 Dieses Zitat „宅舍多,土地不得小;戶口眾,簿籍不得少“ entstammt dem letzten Kapitel „zi ji pian 自紀篇“ von Wang Chongs Lun Heng 論衡. Wang Chong verteidigt in diesem auto­bio­graph­ischen Nachwort u.a. sein Werk gegen den Angriff, es sei zu lange. In diesem Abschnitt hält er fest, dass sich sein Werk aufgrund der Länge und nicht aufgrund des Inhalts Kritik ausgesetzt sieht. Zufferey übersetzt den hier angegebenen Satz wie folgt: „il faut beaucoup de terrain pour une grande demeure, beaucoup de registres pour une population importante“ (Lun Heng Zhu Shi 1700; Zufferey 1995, 194). 38 Sima Zichang 司馬子長 ist der Erwachsenenname von Sima Qian 司馬遷 (ca. 145–~86), dem berühmten Autoren des grundlegenden Geschichtswerkes Shi Ji 史記. Das hier wiedergegebene



Fanli 凡例 

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früher und heute durchdrungen, um so die Worte eines Autors fertigzustellen. Blicken wir zurück, so hat [Sima] Zichang das zusammengetragen, was an Ereignissen verloren gegangen war. Was ich hier zusammengetragen habe ist dasjenige, was an moraltheoretischen Lehren (yili) verloren gegangen ist. Nun formen sich die moralischen Prinzipien in den Herzen der Menschen. Wie also kann man da behaupten, dass sie verloren gegangen seien. Nun, sie sind seit vielen hundert Jahren durch unterschiedlichste [Irr]lehren v ­ erschüttet worden und somit ist der bester Rechte Weg nicht mehr klar zu erkennen. Im Shang Shu heisst es:39 „Das auf den Rechten Weg gerichtete Herz ist subtil.“ Gerade weil es so subtil ist, geht es leicht verloren und ist nur schwer zu erkennen. Im Zhuangzi heisst es: „Die ultimativen Worte können nicht gesprochen werden,“ weshalb „die gewöhnlichen Worte“40 obsiegen. Daher ist das Werk von Zichang geschaffen worden mit dem Ziel, die Worte eines Autors fertig zu stellen. Die Werke moraltheorethischer Natur aber richten ihre Worte an die gesamte Welt und verfolgen keine persönliche und eigennützige Absicht.

Zitat entstammt allerdings nicht dem Shi Ji. Es stammt aus Sima Qians Biographie im 62. Kapitel des Han Shu (Ban Gu 1962, 9:2735). 39 Diese für die daoxue zentrale Passage aus dem „da Yu mo 大禹謨“ des Shang Shu ist Gegenstand ausgiebiger Erörterung durch Fang selbst zu Beginn des zweiten Kapitels. 40 Die Passage lautet „zhi yan bu chu, su yan sheng ye 至言不出,俗言勝也“ und sie entstammt dem 12. Kapitel des Zhuangzi „tian di“. Watson übersetzt: „Superior words gain no hearing because vulgar words are in the majority“ (Watson 1968, 140).

Kontroversen gegen Dai Zhen Es folgen die Übersetzungen der Kontroversen zwischen Fang Dongshu und Dai Zhen. Seit dem Erscheinen des von Zhu Weizheng editierten Hanxue Shicheng Ji (wai er zhong) von 1998 liegt eine sehr brauchbare interpungierte Edition des Textes vor, die hier als Grundlage verwendet wurde. Die Übersetzung der zehn Kontroversen gegen Dai Zhen erfolgt in der Originalreihenfolge des Hanxue Shangdui.

Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz Die erste Kontroverse, bei der Fang Dongshu Dai Zhen direkt angreift, ist die vierte Kontroverse des zweiten Kapitels (vgl. Fang Dongshu 1998, 274–276). Das zitierte Eröffnungsstatement Dais ist ungewöhnlich kurz. Das Problem mit der hier zitierten Textstelle ist, dass sie sich in keiner der Schriften Dai Zhens ausmachen lässt. Der Text findet sich als Zitat markiert in Jiang Fans Biographie Dai Zhens im Hanxue Shicheng Ji, unmittelbar vor dem Werksverzeichnis, und wird dort als Quintessenz von Dais Schrift Yuan Shan bezeichnet (Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 105). Aber eine kursorische Lektüre beider Yuan Shan-Texte Dais Zhens ergab, dass der zitierte Text in keiner Form, auch nicht in abgeänderter Formulierung, erscheint. M.E. handelt es sich bei diesem vermeintlichen Ausspruch Dai Zhens um eine Zusammenfassung seiner Gedanken durch Jiang Fan. Das Auftaktzitat ist demnach eher eine Zuschreibung als eine wörtliche Wiedergabe. Hierfür spricht neben der Tatsache, dass sich der Text bei Dai nicht finden lässt auch, dass er bei Jiang Fan nicht als Zitat markiert erscheint.1 Bis andere Evidenzen gefunden werden, gilt der folgende Auftakttext der ersten Kontroverse also als Paraphrase der Gedanken Dai Zhens durch Jiang Fan.

1 Eine Internetrecherche zu dieser Wortkette ergab mehrere Treffer, die aber alle nur Jiang Fans Text zitieren. Bei der Popularität Dai Zhens ist schwer vorstellbar, dass eine prominente und in mindestens zwei Werken zitierte Aussage nirgends zu finden wäre.



Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz 

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Aussage Dai Zhens 戴氏震曰﹕以理為學,以道為統,以心為宗,探之茫茫, 索之冥冥,不如反而求之六經。 Herr Dai Zhen sagte:2 Wer sich die Rechte Ordnung zum Studium macht, den Rechten Weg zur Leitlinie und das Herz als Grundlage nimmt, für den ist besser als im Vagen zu forschen und im Dunklen zu stochern, sich umzuwenden und bei den Sechs Klassikern zu suchen.

Dais Aussage lässt sich in drei Abschnitte unterteilen: Ein Spiel mit den Begriffen li, dao und xin, bzw. deren Verwendung seit der Song, bzw. Mingzeit. Als zweites folgt eine Aussage zur Verwendung dieser Begriffe und als drittes folgt ein Ratschlag, der entsprechend Dai Zhens Meinung eine Alternative vorzeichnet. Von diesen drei philosophischen Begriffen thematisiert Dai Zhen in seinem Hauptwerk Mengzi Ziyi Shuzheng 孟子字義疏證 nur li und dao, nicht aber xin. Dao wird sogar als Einzelwort diskutiert (Abschnitte 32–35) und als Teil des Binoms tiandao (Abschnitte 16–19). In seiner Diskussion von dao zitiert er vor allem die klassischen Texte Yi Jing Zhong Yong und kommt dann im dialogischen Teil zur der Frage, wie er sich dazu stelle, dass „die songzeitlichen Konfuzianier die Begriffe Schicksal, menschliche Natur und Rechter Weg alle durch die Rechte Ordnung ersetzen wollten“ (宋儒於命、於性、於道,皆以理當之). Diese Auftaktfrage definiert bereits den Ton, in welchem die Diskussion stattfindet. Die Lektüre des Mengzi Ziyi Shuzheng macht deutlich, dass nicht Fang Dongshu den angriffigen und aggressiven Ton in die Diskussion brachte, sondern dass er die Vorgaben Dais aufnahm.

Li Der erste Teil zielt ab auf die drei Begriffe lixue 理學, daotong 道統 und xinzong 心宗. Die ersten beiden sind Schlüsselbegriffe der daoxue, xinzong ist ursprünglich eine Bezeichnung für den Zen-Buddhismus, sie wird hier aber als Hinweis auf die xinxue verstanden. Li, dao und xin sind Begriffe, die in den konfuzianischen Klassikern vorkommen, insbesondere auch im Mengzi. Mit der Neuinterpretation des songzeitlichen daoxue wurden sie zu zentralen Begriffen des ­Konfuzianismus, und deshalb war es auch für Dai eine Selbstverständlichkeit,

2 Dies ist die erste Attacke auf Dai Zhen. Die Attacken auf Dai Zhen sind in der westlichsprachigen Forschung relativ gut dokumentiert, so übersetzt Carsun Chang Teile dieser Kontroverse und derjenigen auf S. 278 (Chang 1962, 377). Auch sind die Angriffe des Hanxue Shangdui gegen Dai Zhen im siebten Band des Dai Zhen Quan Shu zusammengefasst und zudem gut interpungiert (vgl. Dai Zhen 1994–97, 7:299–322).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

diese zu ­thematisieren. Wogegen er sich ausspricht ist, aus li durch Hinzufügung eines xue den binomischen Begriff lixue zu prägen, also aus der Kosmischen Rechten Ordnung eine Lehre zu abstrahieren. Stattdessen will er die Rechte Ordnung in den Klassikern suchen, wo er Aussagen über deren ursprünglichen Charakter zu finden meint. Der Unterschied zwischen li und lixue ist aus der Sicht Dais ein fundamentaler: li ist ein Ausdruck der konfuzianischen Klassik, der an wichtigen Stellen der klassischen Schriften thematisiert wird, während lixue die Herangehensweise der daoxue an den Begriff li bezeichnet. Innerhalb der daoxue wird li immer als tian li 天理 verstanden, als materielles wie auch moralisches Ordnungsprinzip von universaler Gültigkeit, eben die kosmische Rechte Ordnung. Mit der Bemerkung, dass es ein Fehler sei, aus li eine lixue zu machen, verwirft Dai Zhen auch die gesamte Rezeption des Begriffes im Geist der daoxue. Analoges gilt für die Begriffe daotong und xinzong. Der Terminus li war zentrales Element des konfuzianischen Diskurses ab dem 14. Jahrhundert, und selbstverständlich wussten sowohl Dai Zhen als auch Fang Dongshu, auf welche Schlüsselstellen sich die Diskussion bezieht. Im Zusammenhang mit der Rechten Ordnung ist die Schlüsselstelle des klassischen Schrifttums daher die einzige Stelle, in der tian li (天理 => „Die kosmische Rechte Ordnung“) als Begriff expressis verbis auftaucht. Zudem wird er dort noch in Verbindung gebracht mit den weiteren Schlüsselbegriffen xin (心 => „das menschliche Herz“) und yu (欲 => „Bedürfnisse, Verlangen“, in dieser Kontroverse nicht thematisiert). Die Auseinandersetzung zum Begriff der Rechten Ordnung muss also im Zusammenhang mit der Exegese zu jener Textpassage gelesen werden. Es handelt sich dabei um eine Stelle im Buch „yue ji 樂記“ des Ritenklassikers Liji,3 wo die Rede davon ist, dass Menschen mit ihrem

3 Der Text lautet: „人生而靜, 天之性也; 感於物而動, 性之欲也。 物至知知, 然後好惡 形焉。 好惡無節於內, 知誘於外, 不能反躬, 天理滅矣。夫物之感人無窮,而人之好惡無 節,則是物至而人化物也。人化物也者,滅天理而窮人欲者也。於是有悖逆詐偽之心,有淫泆 作亂之事。是故,強者脅弱,眾者暴寡,知者詐愚,勇者苦怯,疾病不養,老幼孤獨不得其 所,此大亂之道也。“ In der durch die daoxue-Rezeption beeinflussten Übersetzung Legges: „It belongs to the nature of man, as from Heaven, to be still at his birth. His activity shows itself as he is acted on by external things, and develops the desires incident to his nature. Things come to him more and more, and his knowledge is increased. Then arise the manifestations of liking and disliking. When these are not regulated by anything within, and growing knowledge leads more astray without, he cannot come back to himself, and his Heavenly principle [meine Hervorhebung; M.W.] is extinguished. Now there is no end of the things by which man is affected; and when his likings and dislikings are not subject to regulation (from within), he is changed into the nature of things as they come before him; that is, he stifles the voice of Heavenly principle [meine Hervorhebung; M.W.] within, and gives the utmost indulgence to the desires by which men may be possessed. On this we have the rebellious and deceitful heart, with licentious and



Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz 

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Heranwachsen Vorlieben und Abneigungen entwickeln, die von einer inneren Instanz geregelt werden müssen, um nicht von einem natürlichen Weg abzuweichen und damit tian li zu zerstören. Diese Stelle wird von den beiden Kommentatoren Zheng Xuan 鄭玄 (127–200) und Zhu Xi 朱熹 (1130–1200) unterschiedlich erklärt: Der von Dai Zhen bevorzugte Zheng schreibt lediglich: „li bedeutet soviel wie die menschliche Natur.“ („li you xing ye 理猶性也“; Ruan Yuan 1980, 1529a). Damit wird tian li in der Lesart Zhengs erklärt als „die nach den Gesetzen des Himmels verliehene menschliche Natur“. Im Verständnis Zhu Xis ist die Stelle freilich anders zu lesen, denn die Begriffe li und xing können nicht einfach gleichgesetzt werden, da in der Rezeption der daoxue beiden Begriffen eine spezielle Bedeutung zukommt. In der Morallehre Zhu Xis spielt die grundsätzliche Unterscheidung zwischen renxin 人心 und daoxin 道心, dem „menschlichen Herzen“ und dem „auf den Rechten Weg gerichteten Herzen“ eine wichtige Rolle. Die Begriffe gehen zurück auf eine Aussage des Shang Shu, der „Übertragung des Herzens“4, eine zentrale Textstelle sowohl der xinxue wie auch der lixue; und thematisiert in der zweiten Kontroverse des zweiten Kapitels des Hanxue Shangdui. Die Unterscheidung zwischen renxin und daoxin ist eine sehr grundsätzliche und sowohl Cheng Yi wie auch Zhu Xi machen sie zum grundlegenden Gegenstand ihrer Philosophie. Zhu Xi verleiht ihr zudem einen prominenten Platz, indem er diese Unterscheidung aufnimmt in seinem Kommentar zur fraglichen Stelle des „yue ji“, vor allem aber, indem er die Unterscheidung in seinem Vorwort zum Zhong Yong, dem „zhong yong zhangju xu“ thematisiert.5 In der Textpassage des „yue ji“ wird die Unterscheidung zwischen, bzw. die Entscheidung für renxin oder daoxin zu einer ­Entscheidung

violent disorder. The strong press upon the weak; the many are cruel to the few; the knowing impose upon the dull; the bold make it bitter for the timid; the diseased are not nursed; the old and young, orphans and solitaries are neglected: – such is the great disorder that ensues.“ (Legge 1885, 2: 96–97). Für die Übersetzung Richard Wilhelms vgl. Wilhelm 1981, 73–74. Der Begriff tian li wird von ihm als „Himmlische Ordnung“ eingedeutscht. 4 Die Passage des Shang Shu 尚書 entstammt dem Kapitel „da Yu mo 大禹謨“. Ihr voller Wortlaut umfasst 16 Schriftzeichen, weswegen sie auch „Die Übertragung des Herzens in 16 Wörtern“ „shiliu zi chuan xin 十六字傳心“ genannt wird. Der Text lautet: „人心惟危,道心惟微,惟精 惟一,允執厥中“ (Ruan Yuan 1980, 136a; SSWJ SS:14; LJ 206). Elman übersetzt die Stelle wie folgt: „The human mind is precarious, the moral mind is subtle. Have absolute refinement and singleness of purpose. Hold fast the mean.“ (Elman 1983, 177). 5 Selbstverständlich führt er die Unterscheidung auch im Kommentar zur Ursprungsstelle im Shang Shu aus. Vgl. SSWJ „zhong yong xu“, 1; LJ:206; SS:14; Zhu Xi 2001, 17). Nachdem dieses Kapitel des Shang Shu als Fälschung entlarvt worden war, wurde auch der Unterscheidung zwischen renxin und daoxin die textliche Grundlage entzogen (vgl. hierzu Elmans ausgezeichneten Artikel von 1983).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

z­ wischen dem Nachgeben gegenüber dem menschlichen Verlangen ren yu und der Treue gegenüber der kosmischen Rechten Ordnung tian li (vgl. hierzu auch Unger 2000, 55–56). Damit wird die Stelle in der Lesart Zhu Xis zur Aussage, dass sich ein Mensch zwischen ren yu und tian li entscheiden muss und dass, im Fall der Entscheidung für das Erstere, das Letztere zerstört wird. Er nimmt so eine Gleichsetzung vor von renxin mit ren yu, und von daoxin mit tian li. Wer sich für den Weg des menschlichen Herzens entscheidet, folgt damit den menschlichen Bedürfnissen, und wer das auf den Rechten Weg gerichtete Herz wählt, erfüllt das vom Himmel verliehene Potential der Rechten Ordnung in sich selbst.

dao Die zweite Gruppe von vier Wörtern, yi dao wei tong, zielt auf die Begriffe dao, bzw. daotong ab. Das Muster des „Angriffes“ ist identisch wie beim eben beschriebenen Fall der lixue. Dao ist ein selbstverständlicher Begriff im Konfuzianismus,6 mit dem auch schon vor der Songzeit der „Rechte Weg“ bezeichnet worden war; daotong 道統 allerdings bezeichnet eine spezielle Tradierungslinie innerhalb des Konfuzianismus, die eine kontinuierliche inhaltliche Tradition von Anbeginn der Zivilisation bis zu Zhu Xi konstruiert. Der Begriff daotong bezeichnet die „orthodoxe“ Übertragungslinie der korrekten konfuzianischen Lehrmeinung, als die in der daoxue die konstruierte Kontinuität der Lehre vom hohen Altertum über die Gründer der Drei Dynastien zu Konfuzius und Menzius und bis hin zu den songzeitlichen Repräsentanten der daoxue gilt. Während der Begriff selbst erstmals in Zhu Xis Vorwort zum Zhong Yong auftaucht (dann allerdings gleich dreimal; vgl. Wei Zhengtong 1989, 661–662), ist das Bewusstsein für eine Übertragungslinie wesentlich älter (Fang Keli 1994, 681–682). Bereits in der Antike berief sich Konfuzius schliesslich darauf, dass er mit seinem Rechten Weg lediglich an eine abgerissene Tradition der Kulturheroen anknüpfe.7 Bei Menzius klang etwas Vergleichbares an, wenn er die Theorie des zyklisch wiederkehrenden weisen

6 Wie etwa A.C. Graham in seinem Werk Disputers of the Tao deutlich machte, handelt es sich bei dao um ein Grundkonzept jeglicher chinesischer Philosophie. Mit dao wird der von der jeweiligen Schule favorisierte Idealzustand der Gesellschaft beschrieben. Da es sich im vorliegenden Fall um einen Flügelkampf innerhalb des Konfuzianismus handelt, ist mit dao stets der konfuzianische Rechte Weg gemeint. 7 Der Begriff Daotong taucht im Lunyu nicht auf, aber selbstverständlich gibt es viele Anspielungen auf die Vorstellung des Konfuzius an die Traditionen des Altertums anzuknüpfen. Speziell sei hier hingewiesen auf Lunyu 20.1, wo die Worte aufgezeichnet sein sollen, mit denen Yao dem Shun das Reich übergab, und mit denen dieser es an Yu weitergab. Dieselben Worte werden zitiert für die Gründer der Dynastien Shang und Zhou: Tang und den Wu-König der



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­ errschers entwickelte, der zufolge Konfuzius in der Hanzeit als ungekrönter H König (su wang 素王) galt.8 In der Kaiserzeit griff dann als erster Han Yu 韓愈 (768–824) die Theorie wieder auf. In seinem immens einflussreichen Essay Yuan Dao 原道 wies er auf die Überlieferung der Lehre in der Antike hin und beklagte den Umstand, dass seit Menzius diese Tradition abgerissen sei.9 Die verschiedenen Autoren nannten jeweils unterschiedliche Tradierungsreihen. So gehörte für Konfuzius etwa Hou Ji 后稷 in die Tradierungsreihe, der später nicht mehr erwähnt wird. Bei Han Yu hört die Tradierung mit Menzius auf, während sein Freund oder Schüler Li Ao 李翱 (772/773–836) in seinem Werk Fu Xing Shu 復性書 den ersten Xia-Kaiser Yu und den Herzog von Zhou nicht erwähnt, dafür Schüler von Konfuzius und Menzius in seine Liste aufnimmt.10 Bei Zhu Xi schliesslich wird die Tradierungslinie im Vorwort zum Zhong Yong in ihre von da an gültige Form gebracht, nach der Konfuzius und Menzius, aber auch die Autoren des Zhong Yong sowie des Daxue, Konfuzius Enkel Zisi 子思 (eigentlich Kong Ji 孔伋, 500 v.Chr.–?) und Zeng Zi (eigentlich Zeng Can 曾參, 505–437 v. Chr.) gezählt werden. Mit ihnen bricht die Tradition ab, die erst von den Brüdern

Zhou. Weitere Beispiele wären 1.12, wo der „Weg der frühen Könige“ (xianwang zhi dao 先王之道) erwähnt wird und 3.16 mit der Erwähnung des „Wegs des Altertums“ (gu zhi dao 古之道). 8 Daotong bei Menzius: Dies bezieht sich auf 2B.13, wo es heisst: „五百年必有王者興,其間必 有名世者“ (In der Übersetzung D.C. Laus: „Every five hundred years a true King should arise, and in the interval there should arise one from whom an age takes its name“ (Lau 1984, 91)). Die Stelle — die übrigens die Grundlage für den persönlichen Namen des Tongcheng-Gelehrten Dai Mingshi darstellt — wird im Kommentar von Zhu Xi selbstverständlich auch als Hinweis auf daotong verstanden. Der Hinweis auf jene, „from whom an age takes its name“ wird dort als Anspielung auf die wichtigsten Minister der Könige gedeutet: „自堯舜至湯,自湯至文武,皆 五百餘年而聖人出。名世,謂其人德業聞望,可名於一世者,為之輔佐。若皋陶、稷、契、伊 尹、萊朱、太公望、散宜生之屬“ (Zhu Xi 2001, 292). 9 Daotong bei Han Yu: die entscheidende Stelle lautet: „「斯吾所謂道也,非向所謂老與佛之 道也。」堯以是傳之舜,舜以是傳之禹,禹以是傳之湯,湯以是傳之文武周公,文武周公傳之 孔子,孔子傳之孟軻。軻之死,不得其傳焉。荀與揚也,擇焉而不精,語焉而不詳。“ => „Das, was ich den Rechten Weg nenne, ist nicht, was jene [d.h. Daoisten und Buddhisten; M.W.] den Rechten Weg des Laozi oder des Buddhas nennen. Yao hat dies an Shun weitergegeben, und Shun hat es an Yu weitergegeben. Von Yu ging es auf Tang über, von diesem auf den Wen- und den Wu[König der Zhou] sowie auf den Herzog von Zhou. Der Wen- und Wu-König und der Herzog von Zhou haben es an Konfuzius weitergegeben und von Konfuzius ist es auf Menzius übergegangen. Mit dem Tode von Menzius wurde es nicht weiter übertragen. Xun [Kuang] und Yang [Xiong] haben zwar daran gerührt, sie waren aber nicht verfeinert genug. Sie haben darüber gesprochen, aber waren nicht differenziert genug.“ 10 Li Aos Liste des Daotong: Gemäss Fang Keli 1994, 682 lautete seine Liste: Yao – Shun –­ Wen-König – Wu-König – Konfuzius – Yan Yuan – Zilu – Zeng Zi – Zisi – Menzius – Gonsun Chou – Wan Zhang.

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Cheng Hao und Cheng Yi wieder aufgenommen wird.11 Zhu Xis Aussagen im Vorwort sind eine Synthese aller vorangegangenen Positionen. Die Neuerung Zhus besteht darin, mit den Cheng Brüdern einen zeitlich aktuellen Bezug geschaffen zu haben. Gemeinsam mit der oben erwähnten grundsätzlichen Unterscheidung von renxin und daoxin, die im Shang Shu anlässlich der Thronübergabe von Yao an Shun und von diesem an Yu zitiert wird, ergibt sich folgende Aussage Zhu Xis: Seit den frühesten Kulturstiftern Yao und Shun besteht die zentrale Botschaft des konfuzianischen Rechten Weges in der Unterscheidung zwischen dem leicht verführbaren und unsteten „menschlichen Herz“ (renxin) und dem schwer zu erlangenden „auf den Rechten Weg gerichteten Herz“ (daoxin), mithin zwischen menschlicher Begierde (yu) und Rechter Ordnung (li). Diese Botschaft wurde unverändert ins historische Zeitalter der antiken Lehrer Konfuzius, Zeng Can, Zisi und Menzius tradiert und gelangte von dort zu den songzeitlichen Philosophien Cheng Hao und Cheng Yi, die diesem Rechten Weg endlich wieder Geltung verschafften. Dai Zhens Kritik setzt an eben diesem Punkt an. Die Tradierung von den mythischen Urkaisern zu den Dynastiegründern der Shang und Zhou forderte wohl seinen Widerspruch ebenso wenig heraus wie die Feststellung, dass in der Antike Menzius der letzte Repräsentant des Rechten Wegs war. Was Dai Zhen in erster Linie bekämpfte, war das Selbstverständnis der Repräsentanten der daoxue als legitime Erben des antiken Wegs, weil er deren Lehren als Verfremdung oder sogar Bastardisierung des konfuzianischen Rechten Wegs durch den Einfluss des Buddhismus und Daoismus verurteilte.12

xin Auf dieselbe Weise, wie oben die Bildung der Binome lixue und daotong kritisiert wurde, wird mit den dritten vier Wörtern yi xin wei zong die Bildung des Terminus

11 Daotong bei Zhu Xi: vgl. Zhu Xi 2001, 17–18. Für eine Übersetzung vgl. de Bary u. Bloom 1999, 732–734. 12 Es gibt in den Schriften Dai Zhens an verschiedenen Stellen Aussagen, in denen er die daoxue als verfremdeten Konfuzianismus verurteilt, aber als knapper Beleg sei hier eine Passage eines Briefes Dais an Peng Shaosheng 彭紹升 (1740–1796) zitiert. Dieser war Fang Dongshu bekannt, denn er zitiert in der zweiten Kontroverse daraus. Es heisst dort, dass die Buddhisten, Daoisten und Konfuzianer ihren eigenen Diskurs verfolgt hätten, dass aber seit der Songzeit die konfuzianische Klassiker nicht mehr verstanden worden seien, weshalb die konfuzianischen Gelehrten Anleihen bei diesen beiden Schulen gemacht hätten: „Song yiqian, Kong Meng zi Kong Meng, Lao Shi zi Lao Shi. Tan Lao Shi zhe gaomiao qi yan, bu si fu Kong Meng. Song yilai Kong Meng zhi shu jin shi qi jie, ruzhe nan xi Lao Shi zhi yan yi jie zhi 宋以前, 孔孟自孔孟, 老釋自老釋。談老釋者高妙其言, 不似附孔孟。 宋以來孔孟之書盡失其解, 儒者雜襲老釋之言以解之。 “ (Dai Zhen 1961, 161).



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xinzong kritisiert. Dieser Ausdruck unterscheidet sich von lixue und daoxue, als dass er eine bewusste Verunglimpfung der xinxue darstellt. Die xinxue wird mit dem Zen-Buddhismus gleichgesetzt, und somit sprechen Dai Zhen den Anhänger Wang Yangmings die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Konfuzianer ab, eine Technik, auf die ja auch Fang Dongshu verfällt (Zur Bedeutung von xinzong als Kurzform von fojiao xinzong 佛教心宗 oder foxin zong 佛心宗 vgl. Ding Fubao 1984, 353c; Soothill u. Hodous 1962, 150). Es scheint aber unwahrscheinlich, dass Dai Zhen hier tatsächlich den ZenBuddhismus angreifen wollte. Viel wahrscheinlicher ist aufgrund des Kontextes, dass er mit dieser Bemerkung auf die stark vom Zen beeinflusste sog. xinxue 心學 abzielte. Wie in der Einführung angedeutet, bezeichnet der Ausdruck xinxue eine der beiden Formen der daoxue, nämlich die auch als Lu-Wang Schule bekannt gewordene kontemplativ-meditative Richtung. Indem Dai Zhen diese nicht als xue, als Lehrrichtung, bezeichnete, sondern als zong, als Religion, verwehrte er der xinxue die Anerkennung als philosophische Lehre. Er drückte so aus, dass es in seinen Augen keinen Unterschied gibt zwischen dem religiösen Zen und der philosophischen Richtung der xinxue.

mangmang und mingming Im mittleren Teil der Attacke führt Dai Zhen aus, was er davon hält, wenn aus dem li eine Lehre namens lixue wird, aus dem dao die Tradition des daotong und aus dem menschlichen Organ des Erkennens und Fühlens xin die Lehre xinxue. Seine knappe Aussage lautet: tan zhi mangman, suo zhi mingming 探之茫茫, 索之冥冥 (=> im Vagen forschen und im Dunklen stochern). Mit diesen beiden Aussagen verunglimpft Dai die zentrale philosophische Richtung der vergangenen sechshundert Jahre. Die Aussage stellt ein Zitat des songzeitlichen guwen-Autoren Su Xun 蘇洵 (1009–1066) dar, des Vaters der berühmteren Autoren Su Che und Su Shi. Es ist nicht zu entscheiden, ob Dai bewusst Su Xun zitiert, oder ob es sich bei den Formulierungen tan zhi mangmang und suo zhi mingming um allgemein verwendete Redewendungen handelt. Es scheint eher ein bewusstes Zitat zu sein, denn weder eines der Fachlexika zu festen Wendungen und Sprichwörtern hat den Ausdruck lemmatisiert, noch war eine der Formulierungen in einem der Indizes zur qingzeitlichen Literatur oder als Suchfolge im Internet zu finden. Das bedeutet wohl, dass es keine gängige Formulierung war. Der Text, aus dem Dai Zhen zitierte, ist der Abschnitt „yi lun 易論“ aus Su Xuns Liu Jing Lun 六經論. Dort schildert Su die Entwicklung des Yi Jing als Werk der Weisen Herrscher der Urzeit, geschaffen, um den Rechten Weg vor dem Untergang zu bewahren, und um das Reich vor einem erneuten Versinken

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ins Chaos zu bewahren. Er schreibt, dass sie die Einzellinien als Abbild der Erscheinungen von Himmel und Erde geschaffen haben, die Hexagramme aufgrund ihres durchdringenden Verständnisses des Wandels von yin und yang, und die erklärenden Zusatzworte, also den eigentlichen Text des Yi Jing, aufgrund ihrer Untersuchung des Gemüts der Geistwesen. Über diese drei Elemente des Yi Jing schreibt Su, was Dai dann zitiert: dass dies bloss herumforschen im Vagen sei und herumstochern im Dunklen, denn es gäbe Kleinkinder, die sie sofort erlernten, andererseits aber auch weisshäuptige Greise, die es nie verstünden.13

Rückkehr zu den Klassikern Im Gegensatz zu Su Xuns Aussagen zum Yi Jing war Dai Zhen der Meinung, dass man die Rechte Ordnung, den Rechten Weg und das menschliche Herz durchaus verstehen könne. Allerdings verneinte er den Zugang zur Rechten Ordnung li mit den Mitteln der daoxue, also mit den Kommentaren der lixue oder der Meditation der xinxue. Stattdessen lautet seine Alternative: bu ru fan er qiu zhi liu jing 不如 反而求之六經. Er schlägt vor, sich umzuwenden und sich erneut den Klassikern selbst zuzuwenden, und dort nach der Bedeutung von li, dao und xin zu forschen, die er durch mit dem Pronomen zhi 之 bezeichnet (die Pronominalisierung wird in der Replik erneut deutlich). Dies beinhaltet, die songzeitlichen Kommentare zu ignorieren, und für die Bedeutung der Begriffe die Aussagen in den Klassikern selbst zu studieren. Tatsächlich sind die Kommentare ja entstanden, weil die Klassikertexte selbst nicht mehr aus sich selbst heraus verständlich waren, was Dai Zhen natürlich auch wusste. Die Klassikertexte waren nicht mehr eindeutig verständlich, und es bedurfte einer verbindlichen Sinnstiftung in Form einer Kommentierung. Entsprechend seinen an anderen Stellen gemachten Aussagen schlägt Dai somit vor, die Klassikertexte mithilfe der hanzeitlichen Kommentare zu lesen, die weniger philosophische Ausführungen sind als philologische Glossensammlungen. Dies ist die zentrale Forderung der hanxue, die Fang Dongshu hier allerdings nur implizit zitiert. Dai impliziert, dass sich die daoxue-Kommentare so sehr von den klassischen Texten entfernt hätten, dass sie keinen Bezug zum Text mehr aufwiesen.

13 Su Xuns Text zum Yi Jing lautet: „shengren ju qi dao zhi fei, er tianxia fu yu luan ye, ranhou zuo Yi. Guan tian di zhi xiang yiwei yao, tong yin yang zhi bian yiwei gua, kao gui shen zhi qing yiwei ci. tan zhi mangmang, suo zhi mingming, tong er xi zhi, baishou er bu de qi yuan 聖人懼其道之廢, 而天下復于亂也, 然後作《易》。 觀天地之象以為爻, 通陰陽之變以為卦, 考鬼神之情 以為辭。探之茫茫, 索之冥冥, 童而習之, 白首而不得其源“. (Yu Guanying 1997, 2:2697).



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Fang Dongshus Replik Fang Dongshu eröffnet seinen Angriff auf Dai Zhen, oder vielmehr seinen Gegenangriff zur Verteidigung der daoxue wie folgt: Er verwehrt sich zunächst gegen die Angriffe und geht dann seinerseits zur Attacke auf die hanxue über. Seine Replik fällt daher – wie in seinem gesamten Werk – wesentlich länger aus als die zitierte Aussage Dais. Der erste Teil lautet: 按﹕此論乍觀之,頗似篤正,徐而詳之,實謬悠邪說。 昔程子受學於周茂叔, 亦曰反而 求之六經。 則程、 朱固未嘗舍六經而為學也。 Replik: Wenn man diese Darstellung oberflächlich betrachtet, so scheint sie äusserst gelehrt und korrekt, doch wenn man sie langsam und sorgfältig betrachtet, [erkennt man], dass es in Wirklichkeit eine abstruse und verdrehte häretische Aussage ist. Als einst Meister Cheng seine Gelehrsamkeit von Zhou Maoshu [d.i. Zhou Dunyi] erwarb, meinte dieser auch, man solle sich umwenden und sie [d.i. die zentralen Begriffe] in den Sechs Klassikern suchen“. Daher haben Cheng und Zhu14 sicher nie versucht, Gelehrsamkeit zu betreiben, und dabei die Sechs Klassiker zu verwerfen.

Fang Dongshu wendet sich zunächst gegen den Vorschlag Dai Zhens, wie man Gelehrsamkeit besser betreiben solle, nämlich indem man sich erneut den Klassikern zuwendet. Er begrüsst die grundsätzliche Aussage, schreibt aber dieses Anliegen allerdings bereits Cheng und Zhu zu, die sich auf die Sechs Klassiker als Grundlage für ihre Lehren stützten. Die Rückbesinnung auf autochthone Denktraditionen war seit Han Yu eines der zentralen Anliegen aller Schulrichtungen des Neokonfuzianismus gewesen. Fang kann daher Dais Argument nicht gelten lassen, wonach die daoxue-Kommentare keine Beziehung mehr zum klassischen Text hätten. Vielmehr betont er die Rückbesinnung auf die Klassiker, d.h. die Abkehr von früheren Kommentaren. Dadurch gelingt es ihm, gewisse ­Gemeinsamkeiten zwischen der songzeitlichen daoxue und der qingzeitlichen

14 Der chinesische Ausdruck Cheng Zhu 程朱 wird häufig als Kurzbezeichnung für die drei daoxue-Repräsentanten Cheng Hao, Cheng Yi und Zhu Xi verstanden. In der vorliegenden Untersuchung wird es aber nur als „Cheng und Zhu“ wiedergegeben werden, weil nach meiner Beobachtung der Bezug zu Cheng Hao kaum stattfindet. Cheng Hao vertrat in vielen Punkten eine von Cheng Yi leicht abweichende Meinung (vgl. Fung Yu-lan 1953, 498–532), und da nach Cheng Haos frühem Tod im Alter von 53 Jahren sein jüngerer Bruder noch 22 Jahre leben sollte, hat er auch in dieser Phase seines Lebens eine eigene Lehre entwickelt. Die Philosophie Zhu Xis war weitgehend von Cheng Yi beeinflusst (Vier Bücher, ge wu zhi zhi, renxin daoxin), und er ist es auch, den Zhu Xi meinte, wenn er „Cheng zi 程子“ (=> „Meister Cheng“) zitierte. Aus Sicht der qingzeitlichen Autoren Dai und Fang dreht sich ihre Auseinandersetzung sowieso hauptsächlich um die daoxue in der von Zhu Xi dominierten Form. Daher ist der Einfluss Cheng Haos zusätzlich vermindert.

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kaozhengxue hervorzuheben. Gleichzeitig macht er einen entscheidenden Unterschied aus zwischen der kaozhengxue und der hanxue, indem die kaozhengxue eine Rückbesinnung auf die Klassiker will, um den Einfluss der mingzeitlichen Kommentare einzuschränken, die hanxue aber in erster Linie die Kommentare der songzeitlichen daoxue bekämpft und dafür die Rückkehr zu den Klassikern mit hanzeitlicher Exegese in den Vordergrund stellt. Der Unterschied ist mehr als semantisch: Die kaozhengxue sucht nach den Klassikern, die hanxue bekämpft Zhu Xi. 且所謂求於六經者, 何也? 非謂求其道, 求其理, 求其心邪? 戴氏宗旨, 力禁言理。 而所以反求之六經者, 僅在於形聲、 訓詁、 名物、 制度之末。 譬如良農舂榖, 盡取精 鑿以去, 貧子不知, 方持穅覈以傲之, 何以異於是? Zudem: Was soll das eigentlich sein, dieses so genannte „sich umwenden und bei den Sechs Klassikern suchen“? Ist damit etwa nicht gemeint, den entsprechenden Rechten Weg zu suchen, die entsprechende Rechte Ordnung zu suchen oder das entsprechende Herz zu suchen? Das zentrale Anliegen von Herrn Dai war es, unbedingt das Erörtern der Rechten Ordnung [im Sinne der daoxue] zu unterbinden. Daher ist will er sich umwenden und in den Sechs Klassikern suchen, lediglich auf der Basis der unbedeutenden Bereiche von Schriftformen und Phonetik, Wortglossierung, Realienkunde und der [Erforschung des] Verwaltungssystems. Das kann man vergleichen mit einem geschickten Bauern, der Korn drischt und die gesamte Frucht wegnimmt und damit fortgeht. Ein armer Kerl, der dies nicht erkennt, nimmt die Spreu an sich und fühlt sich darob überlegen. Wie sollte sich dies hiervon unterscheiden?

Bereits in diesem zweiten Abschnitt weist Fang Dongshu erstmals auf die seiner Meinung nach zentrale Schwäche der hanxue hin: Das Fehlen einer inhaltlicher Interpretation der Texte. Die von Fang als „Marginalien“ (mo 末) bezeichneten Felder philologischer Tätigkeit dürfen nicht Selbstzweck sein, sondern müssen stets im Dienst einer inhaltlichen Auslegung der Texte stehen. Diese Ansicht unterstreicht Fang Dongshu mit einem Vergleich, in dem offensichtlich Zhu Xi der gute Bauer ist und Dai Zhen derjenige, der seine Unkenntnis nicht einmal erkennt. Dieser Metapher bedient sich Fang Dongshu auch im Paratext chong xu. 朱子曰: 「近年以來,乃有假佛釋之似,以亂孔、孟之真者,其法首以讀書窮理為大禁, 嘗欲注心於茫昧不可知之地,以僥倖一旦恍然獨見,然後為得云云。」據此,則凡漢學 家所持以謗程、朱者,皆竊朱子之緒論,而反以誣之。 初不尋其立言本旨, 徒取影響近 15 似, 巧以施之, 以欺末學無聞者耳。

15 Als Vorlage wurde der Text der Ausgabe Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) verwendet, der eine interpungierte Ausgabe darstellt. Der Text wurde kollationiert mit dem Text des Dai Zhen Quan Shu (Dai Zhen 1994–1997, 299–322). Im Fall von Unklarheiten wurde zusätzlich die Ausgabe des Yiwei Xuan Wenji (Fang Dongshu 1868a) zu Rate gezogen. Im oben wiedergegebenen Text



Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz 

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Meister Zhu sagte: „Seit einiger Zeit gibt es Leute, die Anleihen machen [bei Dingen], die innerhalb des Buddhismus ähnlich erscheinen [wie im Konfuzianismus], und die damit das Korrekte [der Lehre] von Konfuzius und Menzius durcheinander bringen. Ihre Vorgehensweise ist es, zuallererst das Studieren der Schriften und das Ausschöpfen der Rechten Ordnung16 zu verbieten. Dann wollen sie ihr gesamtes Herz auf absurde und nicht erfahrbare Bereiche lenken, um dann eines Tages plötzlich Klarheit und einzigartige Einsicht gewinnen und es dadurch erlangt zu haben.“ Dieser [Aussage] zufolge halten die Experten der hanxue alle in ihren Angriffen auf Cheng und Zhu an etwas fest, weil sie ignorant sind gegenüber den Ausführungen Chengs und Zhus, und deswegen wenden sie sich gegen diese und greifen sie an.17 Zunächst versuchen [die Vertreter der hanxue] nicht, die eigentlichen Anliegen zu verstehen, auf welche diese Worte gegründet sind, sie nehmen lediglich zusammen, was sie so hören und was in etwa ähnlich erscheint, verändern es und formen es um, so dass sie damit diejenigen, welche es erst später erlernen und noch von nichts wissen, beschwindeln können.

In diesem Abschnitt versucht Fang Dongshu ein weiteres Mal aufzuzeigen, dass die Anliegen Zhu Xis und jene der hanxue so unterschiedlich gar nicht sind. Der zitierte Text Zhu Xis, gemäss Fangs eigenem Kommentar eine Erörterung der Gefahren des Zen mit dem Titel „Zhuzi lun chanxue zhi hai 朱子論禪學之害“ macht deutlich, dass laut Fang die Buchgelehrsamkeit und damit das Suchen in den Sechs Klassikern einen integralen Bestandteil der Lehre Zhu Xis darstellt. Gleichzeitig kann dies als Gegenangriff verstanden werden, weil der von Fang an die Adresse Dais immer wieder geäusserte Vorwurf, dieser wolle das Erörtern der Rechten Ordnung verbieten, Dai in die Nähe des Zen rückt, der nach Wahrnehmung der songzeitlichen daoxue dasselbe Ziel verfolgte. Auch der zum Schluss des Abschnitts geäusserte Vorwurf, dass die nachwachsenden Generationen ohne die korrekte ideologische Ausstattung der daoxue erzogen würden, wenn den Lehren Dais weiterhin Gehör geschenkt würde, stellt einen Angriff dar, in dem ein Aspekt der Sorge um das Reich laut wird. Dieser Gedanke wird auch an

etwa wird im Dai Zhen Quan Shu für kang das Schriftzeichen 糠 verwendet, während in den beiden anderen Ausgaben die Schreibvariante 穅 steht. Schwerwiegender ist, dass im Dai Zhen Quan Shu anstelle von chong gu 舂榖 das unkorrekte chun gu 春榖 steht. Dadurch fehlt das Verb des Satzes, und aus „Korn dreschen“ wird „Frühlingsgetreide“. Ich halte dies allerdings lediglich für einen banalen Schreibfehler. 16 Der Ausdruck qiong li 窮理 (=> „Ausschöpfen der Rechten Ordnung“) stellt eines der zentralen Theoreme der daoxue dar. In der Erkenntnistheorie wird davon ausgegangen, dass es hinter (oder über) jedem Ding das dieses Ding ausmachende li gibt, die Rechte Ordnung, die sowohl materiell wie auch moralisch ist. Ein Ding zu erkennen heisst demnach, mit dem Organ der Erkenntnis, dem Herzen xin 心, die einem Ding oder Sachverhalt innewohnende Rechte Ordnung vollständig zu erkennen, bzw. zu beurteilen. Die Ordnung auszuschöpfen heisst aber auch, als Mensch das Potential umzusetzen, was bedeutet, sich gut zu verhalten und den Weg des daoxin zu wählen. 17 Carsun Changs Übersetzung der Kontroverse endet hier.

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anderen Stellen des Hanxue Shangdui mehrfach formuliert. Dieser Abschnitt markiert in der aktuellen Kontroverse das Ende der Verteidigung der von Dai kritisierten Punkte und den Übergang zur Kritik an der hanxue und Dai Zhen.

Gegenangriff auf Dai Zhen 考戴氏嘗言:吾「自十七歲時, 有志聞道, 謂非求之六經、 孔、 孟不得, 非從事字義、 名物、 制度, 無由通其語言文字」云云。 若是, 則與程朱固為一家之學矣, 茲何又以之 為譏邪? 蓋由其私心本志, 憎忌程朱, 堅欲與之立異, 故力闢求理之學。 Betrachten wir die Worte Herrn Dais kritisch. Er sagte: „Seit der Zeit, da ich siebzehn Jahre als war, war mein Sinn auf das Vernehmen des Rechten Wegs gerichtet, doch das bedeutete, dass – wenn ich den Rechten Weg nicht in den Sechs Klassikern gesucht hätte – ich [die Lehren des] Konfuzius und Menzius nicht verstanden hätte. [Es heisst], dass – wenn ich mich nicht der Aufgabe angenommen hätte, die Bedeutungen der Schriftzeichen, die Realia oder das Verwaltungssystem [zu verstehen] – ich nichts gehabt hätte, von dem aus ich ihre Aussagen und einzelnen Wörter hätte durchdringend verstehen können.“18 Wenn dem so wäre, so würde er sicherlich mit Cheng und Zhu eine gemeinsame Schule der Gelehrsamkeit bilden. Wodurch kam es denn dazu, dass er diese verhöhnte? Das liegt wohl an seiner eigenen eigensinnigen Natur, dass er Cheng und Zhu verabscheute und daher unbedingt in Opposition zu ihnen stehen wollte, und deshalb mit aller Kraft die Lehre bekämpfte, mit der man nach der Rechten Ordnung forscht.

Dieses erste gegen Dai Zhen gerichtete Argument baut erneut auf Fangs Überzeugung auf, dass die Lehrrichtungen der Cheng-Brüder sowie Zhu Xis das grundlegende Anliegen vertraten, sich – in Dais Worten – wieder zu den Klassikern umzuwenden. Das bedeutete in der Song wie in der Qing, die Klassiker wieder in den Mittelpunkt der gelehrten Beschäftigung zu stellen, und sie gleichzeitig durch einen Kommentar wieder verständlich zu machen. Um diese Parallele aufzuzeigen, zitiert Fang Dongshu aus Dais Biographie, in der genau diesem Unverständnis der Klassikertexte, bzw. der Texte der Vier Bücher Ausdruck v ­ erliehen wird. Fang nützt die Tatsache aus, dass es in Dai Zhens Biographie heisst, der s­ iebzehnjährige Dai

18 Der hier zitierte Text entstammt der chronologischen Biographie Dai Dongyuan Xiansheng ­Nianpu 戴東原先生年譜, kompiliert durch Dais Freund und Schüler Duan Yucai 段玉裁 (1735– 1815) und in den gängigen Ausgaben Teil der Sammlung Dai Zhen Wenji. Die Episode steht dort in der Schilderung seiner Schulzeit, die in seinem zehnten Lebensjahr angesiedelt ist (vgl. Dai Zhen 1980, 217). Gleichzeitig bildet der Text den Anfang eines bekannten Briefes, den Dai am 13.11.1777 an Duan Yucai geschrieben hat, und der unter dem Titel „yu Duan Ruoying lun li shu“ in die hier verwendet Ausgabe des Mengzi Ziyi Shuzheng aufgenommen wurde (Dai Zhen 1961, 184). Auffällig ist zudem die Parallele zwischen der Formulierung hier und der berühmten Passage 2.4 des Lunyu, in der Konfuzius von sich sagt, dass im Alter von fünfzehn Jahren sein Sinn auf das Studium gerichtet gewesen sei (吾十有五而志于學).



Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz 

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Zhen habe die Klassiker nicht verstanden und nicht etwa, ihm sei der Kommentar Zhu Xis dazu nicht verständlich gewesen. Deswegen meint er, dass Dai eigentlich mit Zhu einer Meinung hätte gewesen sein müssen, da ja dieser dasselbe Ziel verfolgt habe: die Klassiker wieder verständlich zu machen. Hiervon ausgehend spekuliert Fang weiter, was der Grund dafür gewesen sein mag, dass Dai diese Gemeinsamkeit mit Zhu nicht einfach erkannt und daher seinen Kommentaren nicht vertraut habe. Als Grund nennt er Dais eigensinnigen Charakter, wofür er den Ausdruck sixin benzhi 私心本志 verwendet. Der Begriff si xin ist in den daoxue-Kommentaren deutlich markiert. Wie Zhu Xi im Kommentar zu Lunyu 4.3 festhält, steht ein „selbstsüchtiges Herz“ der konfuzianischen Kardinaltugend der Güte oder Menschlichkeit ren 仁 entgegen. Der Text lautet: „Einzig eine menschlichgütige Person ist fähig, einen anderen zu lieben oder zu hassen“.19 Zhu Xi führt hierzu aus: „Denn erst, wenn man kein selbstsüchtiges Herz hat, entsprechen die eigenen Vorlieben und Abneigungen der Rechten Ordnung“. Er bekräftigt diese Ansicht in einer Kommentarstelle zu Menzius 6B.6, wo er ren mit praktisch denselben Worten definiert: „Menschliche Güte, das heisst ohne selbstsüchtiges Herz zu sein und stattdessen in Übereinstimmung mit der natürlichen Rechten Ordnung“.20 In diesen Kommentarpassagen ist Zhu Xi bestrebt, die ethische Verhaltensweise der Menschlichkeit mit dem kosmischen Begriff des li zu verknüpfen. Indem Fang nun Dai als „selbstsüchtig“ (man könnte auch sagen „eigensinnig“) bezeichnet, spricht er ihm die im antiken Konfuzianismus zentrale Tugend der Menschlichkeit ab, und er klassifiziert zugleich sein Verhalten als nicht mit der natürlichen Ordnung vereinbar. Mit dem letzten Satz, in dem Fang behauptet, dass sich Dai aus purer Lust an der Opposition gegen Zhus Kommentare stellte, spielt er erneut auf die Biographie Dais an, in welcher eine oft zitierte Begebenheit aus Dais zehntem Lebensjahr festgehalten wird. Dieses vielleicht anekdotische Ereignis hält ein Gespräch zwischen dem jungen Dai und seinem Lehrer fest. Dai fragt demnach, wodurch man denn wisse, dass der erste Abschnitt des Daxue von Konfuzius gesprochen und von Zeng Zi aufgeschrieben worden sei. Als ihm der Lehrer antwortet, dass dies auf Zhu Xis Aussagen zurückgehe, erfragt der kleine Dai die Dynastien, in welchen diese drei ­ erstrichen sei. Und als gelebt hatten und wie viel Zeit von der Zhou bis in die Song v der Lehrer weiter ausführt, dass dies annähernd 2000 Jahre waren, fragt Dai nach, ­ chulmeister soll gemäss Biographie woher denn Zhu Xi dies gewusst habe. Der S

19 Der Text von Lunyu 4.3. lautet: „zi yue: wei ren zhe neng hao ren, neng wu ren 子曰:唯仁者能 好人,能惡人。 “ Der Kommentar dazu sagt: „gai wu sixin, ranhou hao wu dang yu li 蓋無私心, 然後好惡當於理.“ (Zhu Xi 2001, 81). 20 Der Kommentar zu Mengzi 6B.6 lautet „ren zhe, wu sixin er he tianli zhi wei 仁者,無私心而 合天理之謂.“

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

darauf aufgeseufzt haben: „Dies ist kein normaler Junge“ („ci fei chang er ye 此非 常兒也“) (Dai Zhen 1980, 216; s.a. Chin u. Freeman 1990, 1–2 für eine Übersetzung; Auch Elman zitiert wiederholt diese Anekdote (vgl. z.B. Elman 2005, 258). Fang glaubt wohl in dieser Anekdote den ewig aufrührerischen Geist Dais zu erkennen, der sich nicht mit Erreichtem zufrieden geben will, und daher alles anzweifelt. Er nennt dies das Bedürfnis Dais, sich in Opposition zu stellen. Dies allerdings betrachtet Fang als grundsätzlich falsch, weil dadurch der Zugang zu den Texten durch Zhu Xi umgangen wird. Als nächstes beschreibt er die Folgen eines solchen Verhaltens:

Verteidigung von Grundbegriffen 大本一失, 無往不差。 然後知其所謂 „有志聞道“, 欲 「求之六經、 孔孟」 者, 持託為 重言, 以塗飾學人耳目, 使人無疑其畔六經、 孔孟耳。 非其智真能測得, 有道可聞, 六 經、 孔孟當求也。 不然理也, 道也, 心也,未有與六經分而為二者也。 程朱所學、 所宗 之道, 與理、 與心, 亦未聞別於六經之外而求之也。 斯固天下萬世學人所可共信者也。 Ist die grosse Grundlage erst einmal verloren gegangen, dann kann daraus, wie auch immer, nichts Richtiges mehr erwachsen. Wenn wir dann erfahren, dass er sagt, sein „Sinn sei auf das Vernehmen des Rechten Wegs gerichtet“, und dass er „bestrebt war, die Sechs Klassiker sowie Konfuzius und Menzius zu verstehen“, so scheinen das gewichtige Worte zu sein. Damit führt er aber einfach nur die Augen und Ohren der Gelehrten in die Irre und erreicht, dass bei den Menschen der Zweifel verschwindet, dass er Verrat an den Sechs Klassikern, Konfuzius und Menzius übt. Es ist aber nicht so, dass seine Weisheit all dies umspannen würde, dass er den Rechten Weg vernehmen und nach den Sechs Klassikern, Konfuzius und Menzius forschen könnte. Im Gegenteil verhält es sich so, dass die Rechte Ordnung, der Rechte Weg und das Herz nicht ausserhalb und unabhängig der Klassiker eine eigene Kategorie bilden. Man hätte auch noch nie davon gehört, dass der Rechte Weg, den Cheng und Zhu studierten und verehrten, wie auch die Rechte Ordnung, und wie auch das Herz [Dinge sind], nach denen diese ausserhalb der [Anleitung der] Sechs Klassiker gestrebt hätten. Aus diesem Grund sind dies Dinge, denen alle Gelehrten der Welt über zehntausend Generationen vertrauen können.

Im letzten Argument versucht Fang Dongshu Dai nachzuweisen, dass dieser nur aus einem Bedürfnis nach Opposition zu Zhu Xi die Lehre der Rechten Ordnung zu unterbinden trachtete. Dieses Abwenden bezeichnet er hier als einen Verlust der „grossen Grundlage“. Der Begriff da ben 大本 ist wiederum im Lichte der Vier Bücher zu verstehen. Er wird dort im ersten Abschnitt des Zhong Yong mit der Ausgewogenheit oder „Mitte“ zhong 中 gleichgesetzt: „Die Ausgewogenheit bildet die grosse Grundlage des Reiches“21 und Zhu Xi führt im Kommentar zu diesem

21 Im Original lautet das Zhong Yong-Zitat: „zhong ye zhe, tianxia zhi da ben ye 中也者,天下之 大本也“ (Zhu Xi 2001, 21). In der Übersetzung Weber-Schäfers: „Die Mitte ist die grosse Wurzel der Oikumene“ (Weber-Schäfer 1963, 31)



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Satz weiter aus: „Die grosse Grundlage, das ist die Natur des kosmischen Schicksals; sie ist, wodurch die Rechte Ordnung im Reich jeweils hervorgebracht wird, sie ist die Verkörperung des Rechten Weges.“22 Hier wird das staatspolitische Anliegen der Tongcheng-Gelehrsamkeit deutlich: die „grosse Grundlage“ aufzugeben, ist demnach nicht eine Entscheidung eines einzelnen Gelehrten, sondern sie hat Auswirkungen auf das gesamte Kaiserreich, bzw. die Welt tianxia. Zhu Xi zitierte im Kommentar zu Lunyu 12.20 Cheng Yi mit einer Bemerkung dazu, was es bedeutet, wenn die Grundlage verloren geht. Das Zitat passt auch genau für Fangs Anliegen, denn es bringt da ben explizit mit der Gelehrsamkeit in Verbindung: „Wenn die grosse Grundlage erst verloren ist, was soll denn dann noch zu studieren sein? Nur um des Ruhmes Willen zu studieren, das ist verlogen. Die Gelehrten von heute legen grossen Wert auf Ruhm. Etwas um des Ruhmes willen und etwas um des Profits willen zu tun, sind zwar Motive so unterschiedlich wie sauber und schmutzig, aber das [dahinter stehende] auf die eigenen Vorteile ausgerichtete Herz ist dasselbe.“23 Die Attacke auf die eben nicht an der „grossen Grundlage“ interessierten Vertreter der hanxue ist offensichtlich. Darauf folgend zitiert Fang Dongshu Dais Feststellung, dass er etwas über den Rechten Weg erfahren wollte, was er aber als Junktim mit Konfuzius und Menzius als Quellen der Weisheit verband. Fangs Argumentation hierzu spielt wiederum auf den staatspolitischen Aspekt an, hier geäussert als Sorge um die nachfolgenden Generationen von Gelehrten, die durch Dai auf den falschen Weg gebracht worden seien. Doch die Kernfrage bleibt die folgende: Wie kommt Fang dazu, den Versuch eines Verständnisses der Klassiker aus ihnen selbst heraus als „Verrat“ an denselben zu bezeichnen? Der Grund für diese Aussage ist die Erklärung des folgenden Satzes, worin Dai die Fähigkeit abgesprochen wird, eine verbindliche und wahre Interpretation der Klassiker vorzulegen. Dies deshalb, weil aus Fangs Sicht die Wahrheit über die Bedeutung der Klassiker, also ihre ureigentlichste Aussage bereits offensichtlich gemacht wurde, nämlich durch die Kommentare Zhus Xis. Indem Dai diese ablehnt, kann er nicht eine eigene Interpretation präsentieren, die gleichzeitig wahr ist. Dies ist offensichtlich eine apologetische Argumentationsweise, in der etwas nicht wahr sein darf, wenn es nicht mit dem Dogma übereinstimmt. Der Kern des Arguments lautet daher:  Cheng und Zhu

22 Zhu Xis Kommentar zur „grossen Grundlage“: „da ben zhe, tianming zhi xing, tianxia zhi li you ci chu, dao zhi ti ye 大本者,天命之性,天下之理皆由此出,道之體也。 “ (Zhu Xi 2001, 21). 23 Weiter schreibt Zhu Xi zur grossen Grundlage: „da ben yi shi, geng xue he shi? wei ming er xue, ze shi wei ye. Jin zhi xue zhe, da di wei ming. Wei ming yu wei li sui qing zhuo bu tong, ran qi li xin ze yi ye. 大本已失。更學何事?為名而學,則是偽也。今之學者,大抵為名。為名與為利雖清 濁不同,然其利心則一也。 “ (Zhu Xi 2001, 162–163).

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haben die vollständige und wahre Interpretation der Klassiker in Form ihres verbindlichen Kommentars vorgelegt, jede Weiterführung müsste hierauf aufbauen. Diese Kommentare abzulehnen, führt zur Entstehung häretischer Lehrmeinungen über die Klassiker und damit zur Gefährdung des Reiches. Aus der weiteren Argumentation wird deutlich, dass der Tongcheng-Gelehrte der Meinung war, Dai könne unmöglich eine eigene Interpretation etablieren, und dabei gleichzeitig li, dao und xin im Sinn der daoxue auslassen, denn es kann kein dao geben, das nicht im Sinn der daoxue verstanden wird. Fang spricht Dai die Möglichkeit ab, die Klassiker ausserhalb der Kategorien der daoxue erörtern zu können. Das heisst nicht, dass Fang befürchtete, Dai begründe eine eigene Interpretation, ohne die Schlüsselbegriffe zu rezipieren. Für Fang ist es vielmehr absurd, bzw. unmöglich über die Klassiker zu sprechen, und dabei nicht die daoxue-Begrifflichkeit zu verwenden. Für Fang kann es keine Klassikergelehrsamkeit ausserhalb der bekannten Begrifflichkeit geben. Es folgen mehrere Zitate, mit denen der Tongcheng-Gelehrte seine Aussagen zu untermauern sucht.

Autoritäten 1: Zhu Xi 朱子曰﹕ 聖賢說性、 命, 皆是就事實上說。 言盡性, 便是盡得三綱、 五常之道; 言養 性, 便是養得此道, 而不害 ? 至微之理、 至著之事。 一以貫之, 非虛語也! Meister Zhu sagte: Als die Weisen und Tüchtigen die ‚menschliche Natur‘ und das ‚Schicksal‘ erörterten, so waren dies alles auf den konkreten Tatsachen fussende Erklärungen. Sprachen sie davon, die Natur vollständig zur Geltung zu bringen, so meinten sie damit, den Weg der drei Verwandtschaftsbeziehungen und der fünf menschlichen Beziehungen vollständig zur Geltung zu bringen. Sprachen sie von der ‚Kultivierung der menschlichen Natur‘, so hiess das, diesen Weg zu bewahren und zu pflegen und nicht gegen die bis ins Kleinste reichende Rechte Ordnung oder die zentralen Angelegenheiten zu verstossen. Das ‚Eine alles Durchdringende‘ ist kein leeres Wort!

Diese erste Aussage sieht zwar wie ein Zitat aus, und sie wird in den konsultierten Ausgaben auch mit Satzzeichen als solche markiert, aber es handelt sich nicht um ein direktes Zitat Zhus. Die Übersetzung wird trotzdem formuliert wie eine direkte Rede, ohne sie allerdings in Anführungszeichen zu setzen. In diesem Abschnitt zitiert Fang Autoritäten der Vergangenheit, um seine oben gemachten Aussagen zu untermauern: Er möchte durch das Zitieren von Koryphäen der daoxue belegen, dass die Erörterungen der daoxue mitnichten abgehobene kosmische Spekulationen sind, wie der Vorwurf der Gegenseite lautet, sondern dass sie einen sehr konkreten Bezug zur Lebenswirklichkeit haben, indem sie diese nämlich in einem kosmischen Koordinatensystem verorten und begründen. Dazu



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erklärt Fang zunächst die Erörterung der zentralen Begriffe xing und ming. Diese Begriffe bezeichnen unterschiedliche Aspekte der Natur der Dinge und Wesen: xing meint die Natur eines Wesens im Sinne seiner Anlagen. Ming dagegen ist die Vorstellung des Himmels (d.h. der Natur), was mit diesen Anlagen anzustellen ist. So gehört es zur Natur des Menschen, das Potenzial zu besitzen, gut zu sein. Erst wenn er diese Natur auslebt, will sagen, wenn er sich wie ein guter Mensch verhält, folgt er dem daoxin, und so bringt er die Natur zur Geltung und erfüllt damit sein Schicksal. Ming ist somit weniger ein Schicksal im Sinne einer individuell vorherbestimmten Lebensbahn, als die Vorstellung, was aus den natürlichen Anlagen gemacht werden kann. Im Kommentar zur Bemerkung Konfuzius’ in Lunyu 2.4, dass er mit fünfzig erkannt habe, was tian ming sei, zitiert Zhu Xi Cheng Yi mit den Worten: „Das himmlische Schicksal zu kennen, das bedeutet, die Rechte Ordnung auszuschöpfen und die menschliche Natur vollständig zur Geltung zu bringen.“ („zhi tianming, qiong li jin xing ye 知天命,窮理盡性也。 “ vgl. Zhu Xi 2001, 64). Entsprechend betont Fang die menschliche Existenz entsprechend diesem Konzept des ming als ein Leben gemäss den Drei Beziehungen und Fünf Verhaltensweisen (sangang wuchang 三綱五常). Mit diesem Ausdruck sind die Grundregeln für die Beziehungen der Menschen gemeint, die stets in eine der drei G ­ rundbeziehungen fallen: Fürst und Untertan, Vater und Sohn sowie Ehemann und Ehefrau. Zwischen den Menschen gibt es fünf grundsätzliche Verhaltensmuster, die ebenfalls in allen Situationen Anwendung finden. Diese sind: als Vater korrektes und gerechtes, als Mutter gütiges, als älterer Bruder freundschaftliches, als jüngerer Bruder ehrerbietendes und als Kind pietätvolles Verhalten (fu yi, mu ci, xiong you, di gong, zi xiao 父義,母慈,兄友,弟恭,子孝, vgl. Wing-tsit Chan 1986, 78–79). Auch der darauffolgende Aufruf zur Kultivierung der Person weist wieder auf die Grundbegriffe zurück. Mit der „bis ins Kleinste reichenden Rechten Ordnung“ („zhi wei zhi li 至微之理“) und den „zentralen Angelegenheiten“ („zhi zhu zhi shi 至著之事“) bezieht sich Fang erneut auf Zhu Xi. Im Abschnitt 3.49 seines Jin Si Lu 近思录 erörtert Zhu den Unterschied zwischen der physischen und metaphysischen Welt mit folgenden Worten: „Principle is most subtle, whereas forms and symbols are most obvious. Substance and function come from the same source and there is no gap between the manifest and the hidden“ (Chan 1964, 109).24 Fang übernimmt diese Formulierung und ersetzt lediglich xiang durch shi. Erneut versucht er damit seine Ansicht zu bekräftigen, dass es keinen Unterschied gebe zwischen der Menschenwelt und der kosmischen Ordnung li. Damit will er Dai

24 In Jin Si Lu 3.49 heisst es: „zhi wei zhe, li ye; zhi zhu zhe, xiang ye. Ti yong yi yuan, xian wei wu jian 至微者,理也。至著者象也。体用一源,显微无间。“ (Chen Rongjie 1992, 215).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Zhen nachweisen, dass dessen Kritik an diesem Begriff und sein Versuch, Moraltheorie zu betreiben, ohne Zhu Xis Begriff des li, von Vorneherein zum Scheitern verurteilt ist. Schliesslich kommt er auf eine der am stärksten diskutierten Passagen der konfuzianischen Lehrsprüche und Konzepte überhaupt zu sprechen: das „Eine, an dem die gesamte Lehre wie an einer Schnur aufgezogen werden kann“ (yi yi guan zhi 一以貫之) aus Lunyu 4.15 ((Zhu Xi 2001, 83–84; vgl. hierzu auch die gegen Ruan Yuan gerichtete achtzehnte Kontroverse des zweiten Kapitels des Hanxue Shangdui). Der Meister sagte dort zu Zeng Can, es gäbe das „Eine, mit dem [seine] Lehre alles durchdringt“ (Konfuzius 1985, 50). Yi yi guan zhi weist also auf einen Schlüsselbegriff oder einige wenige Begriffe hin, mit denen die gesamte konfuzianische Lehre zusammengefasst werden kann. Es ist nicht überliefert, welchen Begriff der Meister selbst meinte. Lediglich sein Schüler Zeng Can (der spätere Zeng Zi) nennt seinen Mitschülern gegenüber die Begriffe zhong 忠 („eigenes Pflichtgefühl“) und shu 恕 („Verständnis anderen gegenüber“). Die Begriffe zhong und shu werden erneut im Zhong Yong thematisiert, wo es heisst: „Wer aufrecht (zhong) und mitfühlend (shu) ist, der entfernt sich nicht weit vom Weg. Was er nicht wünscht, dass man ihm zufüge, das fügt er auch anderen nicht zu.“ (Zhu Xi 2001, 27).25 Zhu Xi geht zwar auf die Begriffe zhong und shu ein, allerdings versteht er diese im Licht seiner Schule, der lixue, als Äusserungen der Rechten Ordnung li, da das eine grundlegende Wort in der Wahrnehmung der daoxue nur die Rechte Ordnung sein kann. So heisst es bei Zhu im Kommentar zu Lunyu 4.15: „Das Herz des Weisen ist ganz und gar voll mit dem einen li“ („shengren zhi xin hunran yi li 聖人之心,渾然一理“). Er differenziert diese Aussagen unter Hinzunahme von zhong und shu. Im Kommentar zur entsprechenden Stelle des Zhong Yong schreibt er dann: „Sein eigenes Herz vollständig zur Geltung bringen, das ist eigenes Pflichtgefühl; sich selbst so weit zurückzunehmen, dass man mit anderen in Kontakt tritt, das ist Verständnis anderen gegenüber“ („jin ji zhi xin wei zhong; tui ji ji ren wei shu 盡己之心為忠,推己及人為恕“). In dieser Kommentarstelle zitiert Zhu ausserdem Zhang Zai 張載 (1020–1077) mit der Aussage: „Liebt einer mit dem [gleichen] Herzen, mit dem er sich selbst liebt, auch andere, dann legt er die Menschlichkeit aus – das ist es, was da heisst: ‚Wovon man nicht wünscht, dass

25 Zhong Yong zu zhong und shu: Der Text lautet: „zhong shu wei dao bu yuan, shi zhu ji er bu yuan, yi wu shi yu ren 忠恕違道不遠,施諸己而不願,亦勿施於人。“, vgl. Weber-Schäfer 1963, 36). Der zweite Teil der Aussage ist seinerseits eine Paraphrase des identischen Satzes in Lunyu 12.2 und 15.23: „ji suo bu yu, wu shi yu ren 己所不欲,勿施於人。“ („Was Dir selbst unerwünscht ist, füge auch keinem anderen zu.“ Konfuzius 1985, 86).



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es sich auf einen selbst ausbreite, das breite man auch nicht auf andere aus‘.“26 Zusammenfassend wird deutlich, dass der Begriff des yi yi guan zhi, des einen Ausdrucks, an dem man sämtliche Lehren des Meisters wie auf einer Schnur aufziehen kann, im Lunyu selbst als die innere Haltung umgedeutet wird, mit der man sich selbst wie auch anderen gegenüber tritt. In der Exegese der daoxue wird hieraus allerdings der Begriff des li, welches sich in unterschiedlichen Formen manifestiert. Dadurch werden die relativ konkreten Handlungsanweisungen des Lunyu ersetzt durch die stärker abstrakteren Begriffe der lixue. Fang verwehrt sich dagegen, dass dies leere Begriffe sein sollen, indem er klar zum Ausdruck bringt, dass gemäss Zhus Vermittlung die Begriffe xing, ming und eben auch li einen sehr konkreten Bezug zum täglichen Leben der Menschen hätten. Dai Zhen hielt die Kommentare Zhu Xis für unzulässige Manipulationen an den Aussagen des Meisters, die er richtigstellen wollte. Er thematisierte ebenfalls Abschnitt 4.15 des Lunyu in seinem Mengzi Ziyi Shuzheng. Seine Ausführungen gehen auf dieselben Stellen zurück, allerdings versucht er sie anders auszulegen. Er fasste sein Argument als fingiertes Zwiegespräch mit einem Schüler ab, der passende Stichworte liefert. Ich zitiere hier bewusst die Übersetzung der gesamten Passage, da Dai Zhen bisher noch nicht im Rahmen eines gesamten Arguments zu Wort kommen konnte, und so ein Eindruck seiner Gedanken und Argumentationsweise vermittelt wird: „The Analects twice mentions that „there is one thread binding [Confucius’s] way.“ In his commentary to the chapter where Confucius talked with Tseng Tzu about this, Chu Tzu said, „The heart-and-mind of the sages is one principle without differentiation, yet it is able to respond extensively and appropriately to events, functioning variedly in each case. Regarding its practical application, Tseng Tzu had already investigated thoroughly the principles according to their events and made an effort in putting them into practice, but he did not know that their substance is one.“ This interpretation must be wrong. Will you please tell us the original meaning of these two passages in the Analects? Answer: „There is one thread binding [Confucius’s] way“ does not mean that „[Confucius’s] way is held together by the One:“ With regard to the way one finds differences between „studies below and understanding that gets through to what is above.“ In learning one also detects distinct tendencies between retaining the vestiges of the Way and penetrating into the essence of the Way. Confucius’s statement „There is one thread binding my way“ [merely] explains that the way

26 Die Aussage entstammt dem achten Kapitel seines Zheng Meng und bezieht sich auch auf die oben zitierte Passage des Zhong Yong (Zhang Zai 2000, 163). Für die Übersetzung vgl. Chang Tsai 1996, 57.

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which is „an understanding that gets through to what is above“ is [also] the way which is concerned with „studies below.“ When Confucius said, „I have a thread that runs through it all,“ he did not say „My teachings [have a thread].“ By omitting the word „teachings“ (hsüeh) and leaving the sentence one word short of the previous sentence, Confucius asserted that when one has penetrated the essence of the Way, what the mind understands does not rely on retaining the vestiges [of the Way] in a diffused manner. The Doctrine of the Mean says, „Doing one’s best (chung) and using oneself as a measure to gauge others (shu) are not far from the Way.“ Mencius said: „When in his conduct a person tries his best to use himself as a measure to gauge others (shu), he will find that this is the shortest way to humanity.“ When a person is able to step outside of himself, he certainly is doing his best; when he treats others as he himself would like to be treated and conducts everything in this manner, although he may commit some errors, they will be few. Those who have not yet attained the stature of the sage cannot yet be regarded as humane, and their [fulfillment of] propriety and righteousness cannot yet be without any mistakes; nevertheless, in view of what their potentials have achieved and what their knowing minds have understood, it is possible to say that they have done their best (chung) and have used themselves as a measure to gauge others (shu). The sages are humane and also wise, and when [their virtues are] expressed in action, it means that everything they do is humane and conforms to propriety and righteousness, and so it would be insufficient just to refer to them by these two words chung and shu. But since there are no other terms, we say that „doing one’s best and using oneself as a measure to gauge others“ reach the highest standard of excellence with the sages.“ (Chin und Freeman 1990, 167–168).27 Die Implikation in der Frage, dass die Auslegung Zhu Xis bestimmt falsch sein müsse, wird nicht begründet, sondern schliesst sich nahtlos an das Zitat des

27 Dai Zhen schreibt zum yi yi guan zhi-Komplex: 然則論語兩言「以一貫之」,朱子於語曾子 者,釋之云:「聖人之心,渾然一理; 而泛應曲當,用各不同;曾子於其用處,蓋已隨事精察 而力行之, 但未知其體之一耳。」此解亦必失之。二章之本義,可得聞歟?. 曰:「一以貫之」,非言「以一貫之」也。道有下學上達之殊致,學有識其跡與精於道之異 趨; 「吾道一以貫之」,言上達之道即下學之道也;「予一以貫之」,不曰「予學」,蒙上省 文,言精於道,則心之所通,不假於紛然識其跡也。中庸曰:「(中)〔忠〕恕違道不遠。」 孟子曰:「強恕而行,求仁莫近焉。」蓋人能出於己者必忠,施於人者以恕,行事如此,雖有 差失,亦少矣。 凡未至乎聖人,未可語於仁,未能無憾於禮義,如其才質所及,心知所明,謂之忠恕可也。聖 人仁且智,其見之行事,無非仁,無非禮義,忠恕不足以名之,然而非有他也,忠恕至斯而極 也。 (Dai Zhen 1961, 54–55).



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­ ommentartextes zu Lunyu 4.15 an. Dai versucht daraufhin eine alternative AusleK gung, die darin endet, dass zhong verstanden wird als „sein Bestes geben“ und shu als „sich selbst als Massstab für die Bemessung anderer verwenden“. Wenn auch dies kein „leeres Wort“ ist, so hält Dai doch daran fest, dass nur zhong und shu als Erklärung für yi yi guan zhi in Frage kommen. Hier ergibt sich eine deutliche Differenz zwischen der Auslegung der daoxue und derjenigen Dais. Die Begriffe selbst interpretiert Dai allerdings wieder ähnlich wie die daoxue: im Sinne einer im eigenen Herzen verorteten Messlatte für das eigene Verhalten. Die Erklärung Dais und jene aus Zhu Xis Zhong Yong-Kommentar sind sich in diesem Bereich sehr ähnlich.

Autoritäten 2: Lu Jiuyuan In dieser nächsten Passage zitiert Fang Dongshu erneut eine Autorität der Vergangenheit. War es oben „Meister Zhu“, so wird hier „Meister Lu“ zitiert, also Zhu Xis Zeitgenosse Lu Jiuyuan 陸九淵 (1139–1193). Die blosse Tatsache, dass Fang Lu Jiuyuan zitiert, ist bemerkenswert. Denn Lu bildet gemeinsam mit Wang Yangming das Duo der wichtigsten Theoretiker der xinxue, die der lixue antagonistisch entgegengesetzte Schulrichtung der daoxue. Wie im Überblick eingangs festgehalten, geriet die xinxue zu Beginn der Qingzeit unter massive Kritik, weil ihr die Schuld gegeben wurde am Untergang der Ming und damit am Verlust des Reiches an die ethnisch fremde Macht der Mandschuren. Daher wurde die xinxue bereits von der „Gründergeneration“ qingzeitlicher Gelehrsamkeit kritisiert (d.h. Gu Yanwu 顧炎武 (1613–1682), Wang Fuzhi 王夫之 (1619–1692) und sogar Huang Zongxi 黃宗羲 (1610–1695), der selbst eine xinxue-Erziehung genossen hatte). Die Zitate werden einzeln erörtert, ehe dann eine Gesamteinschätzung folgt. 陸子曰﹕ 「古人自得之, 故有其實。 言理則是實理, 言事則是實事, 德則實德, 行則 實行。」 又曰﹕ 「宇宙間自有實理, 所貴乎學者為能明此理耳。 此理苟明, 則自有實 行、 事實。」 Meister Lu sagte: „Die Persönlichkeiten des Altertums haben sie [d.s. Rechte Ordnung, Rechter Weg und das menschliche Herz; M.W.] noch selbst erfasst. Darum hielten sie ihre Wirklichkeiten für vorhanden. Wenn sie von der Rechten Ordnung sprachen, dann erhoben sie diese zu einer Wirklichkeit; Wenn sie von den Diensten sprachen, dann erhoben sie diese zu Wirklichkeiten; Wenn sie von der Tugend [sprachen], dann wurde die Tugend so zu einer Wirklichkeit, Wenn sie vom Handeln [sprachen], so machten sie das Handeln zu einer Wirklichkeit.“ Und [er] sagte: „Seitdem im Universum die konkrete Ordnung in Existenz getreten war, galt unter Gelehrten stets als höchstes, diese Ordnung leuchten zu lassen. Konnte die Rechte Ordnung erst einmal Leuchten gelassen werden, so entstanden daraus die konkreten Handlungen und die konkreten Angelegenheiten von selbst.“

Beide Zitate stammen aus Briefen Lu Jiuyuans. Das erste Zitat entstammt dem Brief „yu Zeng Zhaizhi 與曾宅之“, der zweite dem „yu Bao Xiangdao 與包詳

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道“ (vgl. Rolle eins mit den Briefen des Lu Xiangshan Quanji 陸象山全集). Die erste Aussage beginnt mit einem pronomischen zhi 之 als pronominalen Rückbezug auf etwas bereits Erwähntes, was aufgrund des fehlenden Kontextes nicht in Erfahrung zu bringen ist. Vom Kontext der Kontroverse her passend sind die drei Schlüsselbegriffe li, dao und xin, wobei in diesem Zitat vor allem die Rechte Ordnung im Vordergrund steht. Aufgrund der weiteren Aussagen hingegen steht als Bezugsnomen des zhi speziell das dao im Vordergrund, denn der Rechte Weg ist es, den die Persönlichkeiten des Altertums nach Auffassung der daoxue noch selbst erfahren und verstanden haben. Im Goldenen Zeitalter dieser weisen Herrscher existierte keine Trennung zwischen der Bezeichnung (ming) für die Dinge und deren Wirklichkeit (shi). Deshalb, auch wenn das Erörtern der konfuzianischen Moraphilosophie sehr theoretisch erscheinen mag, der Bezug zur Wirklichkeit ist stets gewährleistet, wenn man glaubt, dass die Persönlichkeiten des Altertums diese Begriffe bereits verwendeten. Daraus ergibt sich folgende Aussage, mit der Fang Dongshu seine zuvor bereits gemachten Behauptungen zu bekräftigen versucht: Bei den Begriffen der daoxue handelt es sich nicht um hohle oder abstrakte (xu 虛), sondern eben um konkrete und faktische (shi 實) Begriffe. Die zweite hier zitierte Aussage unterstreicht diesen Punkt: Das li ist etwas Konkretes und Faktisches, und seine Erforschung steht zu Beginn jeden Erkenntnisgewinns, der ja im durchdringenden Verstehen der Rechten Ordnung eines Objekts besteht. Die Rechte Ordnung und das diese erkennende Herz werden von Lu sogar als das einzig Konkrete in tausend hohlen Dingen bezeichnet, zumindest suggeriert dies Fangs Kompilation. 又曰﹕ 「千虛不博一實, 吾生乎學問無他,只28是一實。」 又曰﹕ 「古人皆是明實理, 做事實。」 Und [Meister Lu] sagte auch: „Die tausend hohlen Dinge können das eine Konkrete nicht abdecken; in meinem Leben und meiner Gelehrsamkeit habe ich nur dieses eine Konkrete für richtig gehalten“ und „Die Persönlichkeiten des Altertums haben es alle für richtig gehalten, die Konkretisierung der Rechten Ordnung zu klären, deshalb sind Angelegenheiten als konkrete Dinge behandelt worden.“

Diese beiden Sätze stellen sinngemässe Zitate des Xiangshan Yulu dar. (vgl. Lu Jiuyuan 2000, 24 u. 20). Der Kontext des ersten Satzes, der nicht ganz wörtlich zitiert wurde (wu sheng 吾生 anstelle des tatsächlichen wu ­pingsheng 吾平生), ist

28 In der für diese Studie verwendeten Ausgabe wird für zhi das Schriftzeichen 只 verwendet. Die Kontrolltexte in Dai Zhen Quan Shu und Yiwei Xuan Wenji verwenden dafür jeweils die Schreibvariante 祗. Es handelt sich lediglich um eine graphische Differenz, weshalb sie im Weiteren nicht mehr angemerkt werden wird.



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nicht eindeutig zu bestimmen. Er steht unmittelbar vor der bekannten Antwort Lus auf die Frage, wieso er keine Kommentare verfasse („xianshen he bu zhu shu 先生何不著書“). Seine Antwort lautete, dass es zwischen den Klassikern und den diese lesenden Menschen einen wechselseitigen Austausch gebe, den er als wechselseitiges Kommentieren beschreibt mit den zum Spruchgut gewordenen Worten: Die Sechs Klassiker legen mich aus, ich lege die Sechs Klassiker aus („liu jing zhu wo, wo zhu liu jing 六經注我, 我注六經“). In der hier zitierten Passage wägt Lu Jiuyuan die antagonistischen Begriffe xu und shi gegeneinander ab. Es handelt sich m.E. um eine Buddhismuskritik Lus, in der er die buddhistische Aussage über die jedem Ding innewohnende Leere Sýnya dem konfuzianischen konkreten li entgegenstellt mit der Bemerkung, dass die Erkenntnis des li der Erkenntnis der Leere überlegen sei. Dabei spielt er mit den Begriffen xu 虛 und kong 空. Während xu im Konfuzianismus verwendet wird um das wenig Konkrete, das Hohle zu bezeichnen, steht kong für die Leere im Buddhismus. Xu ist negativ konnotiert, die Erkenntnis, dass die Welt kong ist, ist hingegen eine fundamentale Erkenntnis des Buddhismus und damit positiv konnotiert. Lu greift hier auf xu zurück, kritisiert dabei aber kong. Der zweite zitierte Satz unterstreicht erneut die faktische Natur der konfuzianischen Erkenntnis, geboren aus der Überzeugung, dass die Persönlichkeiten des Altertums noch über einen direkteren Zugang zum Rechten Weg verfügt hätten. 又曰﹕「做得功夫實,則所說即事實,不說閑 29話,所指人病,即是實病。」又曰﹕ 「吾自幼時,聽人議論似好,而其實不如此者。心不肯安,必求其實而後已。」又曰: 「只就近易處,著著就實,無上虛見,無務高遠,一是即皆是,一明即皆明。」 Er sagte ausserdem: „Wenn man etwas mit konkretem Ernst betreibt, so bleiben auch die Dinge, über die man spricht, konkrete Angelegenheiten und man spricht keine hohlen Worte. Die hierbei ausgewiesenen Probleme der Menschen, dies sind konkrete Probleme.“ Er sagte auch: „Ich habe seit meiner Kindheit Menschen gehört, die ihren Erörterungen zufolge gut zu sein schienen, die aber in Wirklichkeit nicht so waren. Denn das Herz konnte nicht zur Ruhe kommen. Dazu müsste man erst nach dem Konkreten streben und erst dann ist es soweit.“ Auch sagte er: „Es braucht nur einen nahen und leicht erreichbaren Ort, an dem man das Konkrete findet. Es braucht keine unendlich leeren Höhen oder unerreichbare Ferne. Ist das Eine wahr, so ist alles wahr und wird das Eine Leuchten gelassen, so wird alles zum Leuchten gebracht werden.“

29 Auch hier verwenden die unterschiedlichen Texte verschiedene, aber austauschbare Schriftzeichen für xian. Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) verwendet 閑, die anderen beiden Kontrollausgaben das alternativer Schriftzeichen 閒 (vgl. HYDCD 12:69, 74). Da es sich erneut lediglich um ein alternatives Schriftzeichen handelt, wird diese auf diese Differenz zwischen den Texten nicht weiter hingewiesen.

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Diese letzten drei Zitate entstammen alle dem Xiangshan Yulu. Alle drei sind offenbar aus dem Gedächtnis zitiert, wie sich an kleinen Zitierfehlern erkennen lässt. So lautet der erste Satz im Original gleich, mit zwei kleinen Unterschieden: Im Original werden für gongfu die Schriftzeichen 工夫 verwendet anstelle von 功夫. Und im dritten Teil heisst es bu hua xian hua 不話閑話, und nicht bu shuo xian hua (Lu Jiuyuan 2000, 85). Das zweite Zitat lässt sich mit der kleinen Differenz finden, dass anstelle von bi qiu tatsächlich bi yao qiu 必要求 steht (ebd., 35). Der letzten Satz schliesslich ist nicht richtig zitiert, und Fang Dongshu lässt eine Menge Text aus. Der Schluss der Feststellung, yi shi ji jie shi, yi ming ji jie ming ist korrekt zitiert und stellt die Schlussfolgerung einer Erörterung dar, welche die Beurteilung historischer Personen im Lichte der Betrachtung anderer zum Thema hat (ebd., 96). Die zweite Hälfte des ersten Satzes hat Fang ebenfalls nicht ganz korrekt zitiert. Der Text lautet im Original: „wu shang xu jian, wu tan gao wu yuan 無尚虛見, 無貪高務遠“. Diese Zitate bekräftigen die bereits oben gemachten Aussagen. Erneut lässt Fang Lu Jiuyuan darauf hinweisen, dass die von der daoxue erörterten Probleme einen konkreten Bezug zur Lebenswirklichkeit haben, dass es sich dabei nicht um hohle Erörterungen handelt. Dieses Konkrete ist nichts, das fernab von ­Menschen zu erlangen ist, sondern, wie die beiden letzten Aussagen Lus nahelegen, sich im Herzen eines jeden Menschen abspielt. 袁絜齋言,嘗見象山讀《康誥》,有所感悟,反己切責,若無所容。據此,則是先儒雖 近禪,而所以反求之六經者,其實如此,何嘗茫茫冥冥也?茫茫冥冥,如風如影,政由 己討探不得其故而然耳,則其言不亦宜乎? Yuan Jiezhai30 sagte: „Einst sah ich, dass [Lu] Xiangshan das [Kapitel] „kang gao“ [des Shang Shu] las, und dabei zeigte er eine starke Reaktion, er war in sich gekehrt und sehr ernsthaft, und es gab danach keinen Bereich, an dem das nicht deutlich wurde.“ Demzufolge mögen die früheren Konfuzianer zwar nahe am Zen gewesen sein, aber das, womit sie nach den Sechs Klassikern forschen, das ist sehr konkret, was also soll das Gerede von „unsinnig“ und „dumm“? „Unsinnig“ und „dumm“, gerade so wie der Wind oder der Schatten.31 Dies ist präzise, was man davon hat, wenn man innerhalb seiner selbst prüft und den Grund nicht herauskriegt. Sind daher seine Worte nicht doch auch angepasst?

30 Laut einer Anmerkung Fangs handelt es sich bei Yuan Jiezhai 袁絜齋 um Yuan Xie 袁燮 (1144–1224). Fang Dongshu verwendet hier sein Pseudonym. Yuan war ein Schüler Lu Jiuyuans und machte eine grosse Beamtenkarriere (ZRBQ 582; ZHZ 1836; In der Sammlung Frankes leider nicht enthalten). 31 Die hier in der Übersetzung mit „unsinnig“ und „dumm“ wiedergegebenen Ausdrücke lauten auf Chinesisch „mangmang 茫茫“, bzw. „mingming 冥冥“. Beide Ausdrücke werden in einem übertragenen Sinn verwendet und Fang Dongshu macht hier ein Wortspiel oder eine Assoziation mit verwandten Begriffen. Im Falle von mang spielt er auf das graphisch ähnliche 芒 an, welches u.a. die Spreu von Getreide bezeichnet. Ming bedeutet „verdunkelt“ und so ergibt das Bild von



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Dieser letzte Abschnitt bildet die Quintessenz des Arguments. Dabei wird zuerst ein Schüler Lu Jiuyuans mit einem nicht zu ermittelnden Text zitiert, der sich an die heftige Reaktion des Meisters erinnert, als dieser das Kapitel „kang gao“ gelesen hatte. Der Grund für den tiefen Eindruck auf Lu kann eigentlich nur der folgende Satz dieses Kapitels des Shang Shu gewesen sein: „wang jin nai xin, wu kang hao yi yu, nai qi yi min 往盡乃心,無康好逸豫,乃其乂民。“ In der Übersetzung Legges: „Where you go, employ all your heart. Do not seek response, nor be fond of idleness or pleasure; – so may you regulate the people“ (Legge 1991, Vol III, 387). Die Begriffe jin und xin stehen hier sehr nahe beieinander, und tatsächlich verstehen alle Kommentatoren dies als eine Verb-Objekt Konstruktion. So paraphrasierte schon Kong Anguo 孔安國 (?–?; Westliche Han): „wang dang jin ru xin wei zheng 往當盡汝心為政。“ (=> „Wo immer Du hingehst, solltest Du Dein Herz möglichst zur Geltung bringen, um zu regieren“; vgl. Ruan Yuan 1980, 203c). Auch Cai Shens 蔡沈 (1167–1230) daoxue-Kommentar zum Shang Shu mit dem Titel Shu Ji Zhuan 書集傳, bestärkt diese Aussage (Sishu Wujing „Shang Shu“ (im folgenden: SSWJ SS): 87), wobei natürlich Lu Jiuyuan diesen nie gesehen hat, starb er doch lange vor dessen Vollendung. Als weiterer Grund für die Zitierung dieser Passage durch den Verteidiger der daoxue kann folgendes angenommen werden: die Aussage des Shang Shu wird eingeleitet durch eine andere, in der es heisst: „zhai xin zhi xun 宅心知訓.“ Dies bedeutet nach übereinstimmender Meinung der Tradition, dass man „sein Herz zur Ruhe bringen soll, um zu wissen, wie man das Volk unterweisen soll“ (Legge: „that you may establish your heart, and know how to instruct the people“). An erste Stelle wird also der Erkenntnisprozess gestellt, erst danach ist die Unterweisung des Volkes zu setzen. Während die erste Aussage des Shang Shu, die den songzeitlichen xinxue-Meister so begeistert hatte, erstaunlich ist, weil sie den daoxue-Ausdrucks jin xin 盡心 zu verwenden scheint, kann die zweite Aussage im gegebenen Kontext als Seitenhieb auf Dai Zhen und seine Anhänger verstanden werden. Diese werden aufgefordert, sich erst mal mit dem Herzen zu befassen, also mit der Instanz eines Menschen, in der die Rechte Ordnung li erkannt und damit konkretisiert, ausformuliert wird, ehe er das Volk belehrt. Dai hat nach Fang Dongshus Auffassung dies nicht getan, weshalb er Irrlehren verbreitete. Nach der zitierten Aussage Yuan Xies folgt Fangs eigene Anmerkung. Dort weist er darauf hin, dass die „früheren Konfuzianer“ (d.s. die songzeitlichen Meister) zwar möglicherweise nahe am Zen gewesen sein mögen, man aber trotzdem nicht davon ausgehen kann, dass sie damit automatisch dessen spekulative

Wind und Schatten einen Sinn, da der Wind die Spreu verwirbelt, in Unordnung bringt, während der Schatten verdunkelt (ming).

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Seite übernehmen. Und da sie konkrete Dinge meinten, kann man ihre Anstrengungen auch nicht als „unsinnig“ oder „dumm“ bezeichnen. Diese Prädikate wendet Fang dann allerdings auf Dai selbst an. Er drückt aus, dass dessen Kritik wie der Wind oder der Schatten wenig Handfestes biete, was er darauf zurückführt, dass Dai die Wahrheit der lixue nicht erkannt habe. Deshalb passten seine eigenen Worte auf ihn selbst. Diese polemische Schlussnote wird zudem in einer an die Fragen in Lunyu 1.1 angelehnten Formulierung präsentiert. Was wollte Fang mit diesen Zitaten Lu Jiuyuans zum Ausdruck bringen? Er wollte m.E. das Argument entkräften, dass die Lehren absurdes und abgehobenes Gerede seien, ausgedrückt durch die Begriffe mangmang und mingming. Diesen hielt er das Faktische, das Konkrete entgegen, shi. Er versuchte m.E. nachzuweisen, dass selbst die von Zhu Xi und seiner lixue kritisch rezipierte Schule der xinxue, der man seit Beginn der Qing den Verlust des Reiches an die Mandschus angelastet hatte, sehr besorgt war um Konkretheit ihrer Lehren. Dem stellt er die Absurdität der Vorwürfe der hanxue entgegen, die seiner Meinung zufolge in ihrem ikonoklastischen Eifer viel grösseren Schaden anrichtet, was den inneren politischen Zusammenhang der Gelehrten im Reich angeht. Die hier vorgebrachten Vorwürfe sind exakt dieselben, mit denen die hanxue die daoxue angriff: hohle Inhalte, absurdes theoretisches Gerede, Gefährdung des Reiches. Im Folgenden wirft Fang die Frage auf, was denn eigentlich mit der Bezeichnung „hohl“ gemeint ist, und er kritisiert an der hanxue genau das, was gemeinhin für ihre Stärke gehalten wird.

Die Wahrheit und die Tatsachen 漢學家皆以高談性命為便於空疏,無補經術,爭為實事求是之學,衍為篤論,萬口一 舌,牢不可破。以愚論之,實事求是,莫如程朱。以其理信,而足可推行,不誤於民之 興行,然則雖虛理,而乃實事矣。漢學諸人,言言有據。字字有考,只向紙上與古人爭 訓詁形聲,傳注駮雜,援據群籍,證佐數百千條,反之身己心行,推之民人家國,了無 益處,徒使人狂惑失守,不得所用。然則雖實事求是,而乃虛之至者也。 Die Experten der hanxue halten alle das [aus ihrer Sicht] hochtrabende Erörtern der menschlichen Natur und des Schicksals für leeres Gerede und ohne Beitrag für die Klassikerauslegung. Sie bekämpfen es mit der Gelehrsamkeit, welche die „Wahrheit in den Tatsachen“ sucht.32 Überall sprudelt diese Theorie als eine ernstzunehmende hervor, als ob

32 Fang erwähnt hier erstmals den Slogan shi shi qiu shi 實事求是 (=> „Die Wahrheit in den Tatsachen suchen“), der zum Motto der hanxue wurde. Diese Charakterisierung, die ihren Urspung in jener Biographie des Hanshu hat, die dem Lokalherrscher He Xian Wang gewidmet ist, bezeichnet diesen als jemanden, der die Gelehrsamkeit instandgesetzt habe und das Altertum liebte, und der das Wahre stets in den konkreten Tatsachen suche: He Xian Wang xiu xue hao gu,



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zehntausend Münder mit derselben Zunge sprächen, wodurch sie [d.i. die Theorie] stark und unangreifbar wird. Wenn ich dies nun hier erörtere, so gibt es meiner Meinung nach im Suchen der Wahrheit in den Tatsachen niemanden, der es mit Cheng und Zhu aufnehmen könnte. Vertraut man ihrem [Konzept der] Rechten Ordnung, ist das hinreichend, um alles zu erreichen, ohne dabei dem Wohlergehen des Volkes Schaden zuzufügen. Die Rechte Ordnung mag zwar hohl sein, aber sie ist trotzdem eine konkrete Angelegenheit. Die vielen Leute der hanxue haben zwar für jedes einzelne Wort eine Belegstelle und für jedes Schriftzeichen eine Überprüfung und sie streiten sich mit den Menschen des Altertums um Worterklärungen, Formen und Lesungen von Schriftzeichen, verschiedene Kommentare werden entweder bekämpft oder vermischt. Sie tragen aus allen Büchern Belege und Evidenzen zusammen, Hunderte und Tausende an der Zahl. Was auf der anderen Seite den Weg ihrer eigenen Herzen anbetrifft, und weiter zum [Nutzen für das] Volk und dem Land, so gibt es [in ihrer Tätigkeit] keinen Sinn. Sie machen so einzig die Leute verrückt oder verunsichert und es entsteht daraus nichts Nützliches. Deshalb mögen sie zwar die Wahrheit in den Tatsachen suchen, aber doch ist es im höchsten Masse hohl.

Das hier vorgebrachte Argument gegen die hanxue beinhaltet Fangs zentralen Kritikpunkt gegen diese Schule: Die qingzeitliche Gelehrsamkeit im Sinne der hanxue bemühte sich, eine exegetische Neubegründung der konfuzianischen Philosophie vorzunehmen, basierend auf einem akkurateren Verständnis der Schriften. Aus einem philologisch korrekteren Verständnis würde und sollte sich ein besseres Verständnis der antiken Schriften ergeben. So soll gemäss Fangs Befürchtungen die bis dahin den Diskurs beherrschende daoxue abgelöst werden, denn diese produziere in der Wahrnehmung von Fangs Gegnern nur „hochtrabendes Gerede“ (gao tan 高談, ein stets negativ konnotierter Ausdruck). Aus der Sicht der Tongcheng-Schule freilich ist gar nichts hochtrabend an der daoxue, vielmehr ist diese äusserst „konkret“, indem sie Handlungsanweisungen und konkrete Erklärungsmuster bietet. Doch seit Beginn der Qingzeit, als zentrale Abschnitte des Shang Shu und für die daoxue bedeutende Zusätze zum Yi Jing als Fälschungen entlarvt worden waren, und erneut seit Beginn der harschen Kritik Dai Zhens, geriet die othodoxe konfuzianische Lehre unter Rechtfertigungsdruck und ihre diskursive Dominanz wurde in Frage gestellt, was letztlich Fangs Motivation war, das Hanxue Shangdui zu verfassen. Die Textkritik (kaozheng, nicht hanxue) erschien hier zunächst als Mittel der Wahl. Mittels Textkritik wurden die Fälschungen entdeckt, also sollte sie nun zur neuerlichen Entdeckung der eigentlichen und vermeintlich

shi shi qiu shi 河間獻王 […] 修學好古,實事求是 (Ban Gu 1962, 8:2410). Dieser Ausspruch wurde in der Qingzeit und der folgenden Rezeption zur Metapher für eine aus Evidenzien aufbauende, in der Textkritik verwurzelte Gelehrsamkeit wie die kaozhengxue betrieben habe. Zu Beginn der Qing bedeutet er eine Abkehr von der xinxue. Im qingzeitlichen Diskurs wurde die Redewendung ohne klare Reflexion der konkreten Wortbedeutung verwendet, also eher wie ein Sprichwort.

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historischen Bedeutung der Klassiker herangezogen werden. Durch die kritische Betrachtung der Texte wurden allerdings manche Ungereimtheiten offensichtlich und der monolithische Block eines einzelnen „Klassikers“ wurde als Konglomerat äusserst unterschiedlicher Schriften erkannt, deren einheitliche Aussage sich in Schlüsselfragen nicht immer finden liess. Zudem kamen Zweifel an der textlichen Authentizität der Schriften auf. Dieser Prozess ist selbstverständlich nicht spezifisch für die konfuzianische Orthodoxie, sondern er ist der textkritischen Auseinandersetzungen mit kanonischen Werken grundsätzlich eigen. Bildlich gesprochen könnte man sagen, dass das scharfe Werkzeug der qingzeitlichen Philologie zur Restauration der konfuzianischen Ikonen eingesetzt werden sollte, dass es aber deutlich machte, dass diese wurmstichig sind. Die Anstrengungen der Textkritik haben immer weitere morsche Teile aufgedeckt, und Fang sieht nun den Punkt voraus oder sogar schon gekommen, an welchem die ikonische verehrte Lehre aus der Vergangenheit so sehr angegriffen sein wird, dass sie in sich zerfällt, bzw. ihre den Diskurs bestimmende Rolle eingebüsst haben wird. Indem die hanxue mehr und mehr gegen die Grundlagen der konfuzianischen Lehre vorgeht, gefährdet sie genau das, was sie letztlich beabsichtigte: den Zusammenhang der Lehre. Damit entzieht sie aber auch der Staatslehre und dem staatlichen Selbstverständnis die Basis. Die konfuzianische Lehre als verbindliche ideologische Grundlage der Dynastie garantierte die Stabilität, die Fang als Erbe der traumatisierenden Vergangenheit Tongchengs für wichtig hielt und die er verteidigen wollte. Wie oben kurz angesprochen, wendet Fang Dongshu dazu u.a. die Terminologie der hanxue gegen diese selbst. Ihr Vorwurf, die songzeitlichen exegetischen Leistungen entsprächen nicht dem Geist des ursprünglichen, d.h. antiken Konfuzianismus (vermittels der hanzeitlichen Kommentarwissenschaft) und seien daher „hohl“ wird der konkreten Leistung der Hanzeit (und ihrer Wiedergänger in der Qing) gegenübergestellt. Damit wird die „songxue“ mit dem Attribut xu versehen und die hanxue mit dem antonymischen shi, das im Slogan der gesamten Textkritik, dem ursprünglich auf die Hanzeit zurückgehenden Postulat shi shi qiu shi (=> „Die Wahrheit in den Tatsachen suchen“) sogar noch verstärkt wird.33 Diese Zuweisung von „hohl“ und „konkret“ zu den beiden Schulen hinterfragt nun Fang geschickt, indem er nicht nur – wie oben gesehen – die Konkretheit der daoxue unter Beweis zu stellen versucht, sondern auch, indem er

33 Der Ausdruck shi shi qiu shi geht zurück auf die Biographie des Xian-Königs von Hejian (河間獻王) in Rolle 53 des Han Shu, den Biographien der Lokalkönige der Regierungszeit des jing-Kaisers der Han. (Ban Gu 1962, 8:2410).



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die Bedeutung von „hohl“ und „konkret“ hinterfragt. Er hält der hanxue entgegen, dass ihre Gelehrsamkeit zwar auf Fakten basiert, nachprüfbar und ohne das geringste Mass an Spekulation auskommen mag, aber dafür lässt sie den zentralen Bestandteil einer philosophischen Lehre ausser Acht: die gesellschaftliche Relevanz und die innergesellschaftliche Sinnvermittlung. Ohne Bezugnahme auf konkrete Handlungen, etwa in form von Ratschlägen an die Regierenden bleiben kaozhengxue und hanxue „hohl“, nämlich ohne konkreten Bezug. Fang gesteht der Gegenseite zwar zu, dass die daoxue-Gelehrsamkeit möglicherweise auf ein hohles Fundament gebaut wurde, indem sie auf Texte zurückging, die später durch den Nachweis der Fälschung kompromittiert wurden, aber die auf dieser Grundlage entwickelten Lehren Chengs und Zhus stellen sehr konkrete Ratschläge für die Gesellschaft dar, die sich in den vergangenen Jahrhunderten zwar vielleicht als problematisch erwiesen haben mögen, aber trotzdem im ganzen Reich ­praktikabel waren und eine geordnete politische und gesellschaftliche Struktur ermöglichten. Dies versteht Fang Dongshu als praxisbezogen, faktisch, konkret. Nach diesem Abschnitt folgt nun in der Ausgabe des Yi Wei Xuan Wenji und in Dai Zhen 1994–1997, 7:301 ein Textteil, der in der dieser Studie zu Grunde liegenden Ausgabe nicht wiedergegeben wurde. Da er aber eine interessante Zuspitzung von Fangs Standpunkten enthält, soll er hier kurz erörtert werden: „Wenn ich versuchen soll, etwas über die „hohle“ Natur der songxue zu sagen, so lässt sie sich vergleichen damit, Ginsengsaft zu trinken, während die „Konkretheit“ der hanxue damit zu vergleichen ist, sich am Wurzelstock des chinesischen Mönchskutte34 satt zu essen, vergifteten Wein und vergiftete Trockenfrüchte zu essen, und Risse im Darm und Löcher im Magen davonzutragen: Von Sinnen heult man noch einmal auf, um dann zu sterben. Dieser Vergleich ist sowohl zutreffend wie auch übertrieben, ebenso wie ich in diesem Buch hier jeden einzelnen Satz ausführlich erörtere, und es dabei keinen gibt, der nicht wie Gift wäre. Der Leser kann dies zufrieden und eindringlich betrachten, und wird erkennen, dass ich hier nicht jemanden verunglimpfe, [sondern die Wahrheit sage].“35 Fang vergleicht hier seine Gegner mir geistigem Gift, und gleichzeitig retourniert er hier

34 Die fuzi 附子 genannte Pflanze wird englisch als „chinese monkshood“ bezeichnet und ihr biologischer Name lautet: Aconitum carmichaeli. Die Deutsche Übertragung übersetzt den englischen Ausdruck. Der hier als wutou fuzi 烏頭附子 bezeichnete Pflanzenteil des Rhizoms oder Wurzelstockes wird in der chinesischen Medizin verwendet, allem Anschein nach als Toxin. 35 Der zusätzliche Text lautet: 愚嘗謂宋學之虛, 如飲葠術之汁, 漢學之實, 如飽烏頭附子, 鴆酒毒脯, 裂腸洞胃, 狂吼以死而已。 斯言誠若太過, 然如余此一書所辨各條, 無非鴆毒 也。 觀者幸詳之, 知余非誣耳。

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bereits den später noch zu diskutierenden Vorwurf Dai Zhens, die songzeitlichen Konfuzianer töteten Menschen, 子罕言命與仁, 性與天道, 不可聞。 而中庸首言命與性道, 曰﹕「道也者,不可須臾離 也。」 又曰﹕「君子無終食之間違仁。」孟子遇人便道「性善」。 夫言各有當而已。形上 者道, 形下者事, 聖人不指「性」、「道」之名, 而所謂無非性道。 孔子教弟子以「孝 弟」, 孟子曰﹕「堯舜之道,孝弟而已。」 夫孝弟之道通於神明, 非性道而何? 君子之 道, 孰先傳焉, 孰後倦焉, 民可使由,不可使知。 以迹求之, 似聖人之教, 有隱顯耳。 Der Meister sprach selten über das Schicksal und die Menschlichkeit, über die menschliche Natur und den Rechten Weg des Himmels liess er sich nicht vernehmen.36 Trotzdem ­ chicksal, ­menschlicher Natur und dem Rechten ist gleich zu Beginn des Zhong Yong von S Weg die Rede. Es heisst dort: „Was den Rechten Weg anbetrifft, so darf man von diesem nicht ein kleines Bisschen abweichen“37 und „Der Edle verstösst nicht einmal für die Zeit, die es braucht, eine Mahlzeit zu beenden, gegen die Menschlichkeit“38 Menzius trifft [verschiedene] Leute und sagt jeweils, dass die menschliche Natur gut sei.39 Das bedeutet, dass es für alles eine passende Situation gibt. Ausserhalb der physischen Formen ist der Rechte Weg; innerhalb der physischen Formen sind die Angelegenheiten. Der Weise hat die Begriffe „menschliche Natur“ und „Rechter Weg“ nicht verwendet, und doch gibt es in dem, worüber er sprach nichts, das nicht mit diesen zu tun hätte. Konfuzius hat seinen Schülern „Kindespietät und Bruderliebe“ beigebracht, Menzius sagte: „Der Rechte Weg von Yao und Shun ist nichts weiter als Kindespietät und Bruderliebe“40 Der Rechte Weg der Kindespietät und Bruderliebe ist also vergleichbar [tong 通] mit der geistgleichen Erleuchtung; wenn das nicht der Rechte Weg der menschlichen Natur sein soll, was denn wohl dann? Der Rechte Weg des Edlen, was davon sollte man zuerst vermitteln und was kann man später erlernen?41 Dem Volk kann man den Rechten Weg weisen, aber man kann es [diesen] nicht

36 Fang vermischt hier zwei Stellen des Lunyu. zusammen. Lunyu 9.01 lautet: „zi han yan li yu ming yu ren 子罕言利與命與仁“ (=> „The occasions on which the master talked about profit, Destiny and benevolence were rare“), und am Ende von 5.13 heisst es: „fuzi zhi yan xing yu tiandao bu ke de er wen ye 夫 子之言性與天道不可得而聞也“ (=> “[…] One cannot get to hear the Master’s views on human nature and the Way of Heaven“) (D. C. Lau 1983, 77 & 41). Diese Aussage Fangs scheint sonderbar, weil die Aufnahme von ren in diese Liste verwundert, da Konfuzius im gesamten Lunyu wiederholt über ren spricht. 37 Das Zhong Yong-Zitat lautet „道也者, 不可須臾離也“. Das Zitat stellt den zweiten Satz des Textes dar (Zhu Xi 2001, 20). Weber-Schäfer übersetzt. „Den Weg darf man selbst für kurze Zeit nicht verlassen“ (Weber-Schäfer 1963, 28). 38 Entgegen Fangs Aussage findet sich dieses Zitat nicht im Zhong Yong, sondern im Lunyu 4.05: „junzi wu zhong shi zhi jian wei ren 君子無終食之間違仁“. Lau übersetzt. „The gentleman never deserts benevolence, not even for as long as it takes to eat a meal“ (D. C. Lau 1983, 29). 39 Es gibt verschiedene entsprechende Stellen im Mengzi, die ich nicht alle hier zitieren will. Vgl. etwa 3A.1, 6A.2, 6A.6. Die hier verwendete Formulierung „mengzi yu ren bian dao xing shan 孟子遇 人便道性善“ stellt ein unmarkiertes Zitat aus Zhu Xis Vorwort zum Mengzi dar (Zhu Xi 2001, 232). 40 Das Zitat entstammt dem Abschnitt 6B.2. 41 Bei diesem Ausspruch handelt es sich um ein weiteres unmarkiertes Zitat, dieses entstammt dem Lunyu 19.12. D. C. Lau übersetzt: „In the way of the gentleman, what is to be taught first and what is to be put last as being less urgent?“ (Lau 1983, 193)



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verstehen machen.42 Ihn in den Spuren der Weisen zu suchen, gleicht der Lehre der Weisen, denn es entsteht darin Verborgenes und Offensichtliches.

In diesem Abschnitt versucht Fang den von Seiten der hanxue geäusserten Vorwurf zu entkräften, die daoxue und der antike Konfuzianismus ­sprächen über unterschiedliche Sphären. Tatsächlich sind ja die Schlüsselbegriffe des antiken und des songzeitlichen Konfuzianismus unterschiedlich, und die Kommentare Zhu Xis leisten immer wieder die Arbeit, diese Begriffe aus der ­ethisch-­zwischenmenschlichen und der metaphysisch-kosmischen Sphäre miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Fang Dongshu zitiert nun eine Reihe von Sätzen aus den Vier Büchern, die jedem Leser bestens bekannt waren. Damit versucht er auch die damit verbundene daoxue-Exegese in Erinnerung zu rufen, und er meint so, die Differenzen in den Begriffen überbrücken zu können. Nach den markierten Zitaten folgt eine Reihe nicht markierter Zitate aus den Vier Büchern und den Kommentaren. Diese Reihe beginnt mit xing shang zhe dao, was eine bemerkenswerte Feststellung darstellt. In einer Reihe von kommentarischen Aussagen wird die Trennung zwischen der Sphäre „innerhalb der physischen Formen“ (xing er xia) und „ausserhalb der physischen Formen“ (xing er shang) beschrieben. Der locus classicus hierzu ist am Schluss des ersten Teils des „xi ci“-Anhangs zum Yi Jing zu finden, und die dort gemachte Aussage wird im Er Cheng Yishu ebenso bestätigt wie im Jin Si Lu. Dort steht zwar, dass der Rechte Weg ausserhalb der Formen liege, aber als innerhalb der Formen liegend wird dort qi genannt.43 Erst der weitere Text erweitert diese Bestimmung um den Begriff shi, als den das qi in der für die Menschen im Reich relevanten Form erkennbar wird. Fangs Zitat stellt also eine unkorrekte, bzw. verkürzte Ausdrucksweise dar. Als nächstes folgt die Konstruktion einer Begriffsäquivalenz zwischen shenming (geistgleiche Erleuchtung) und xiaodi (Kindespietät und Bruderliebe). Der Begriff shenming geht wiederum auf denselben Abschnitt des Yi Jing-Anhanges zurück, allerdings findet sich dort keine Erwähnung der zwischenmenschlichen Tugenden xiao und di. Diese Übereinstimmung wird erst durch die songzeitliche

42 Dieser Satz ist ein unmarkiertes Zitat aus von Lunyu 8.09. Lau übersetzt. „The common people can be made to follow a path but not to understand it.“ (D. C. Lau 1983, 71). 43 Dies ist eine zentrale Stelle des Yi Jing-Paratextes „xi ci zhuan“. Die Passage lautet: „是故 形而上者謂之道,形而下者謂之器。化而裁之謂之變,推而行之謂之通,舉而錯之天下之 民謂之事業“ (SSWJ YJ:63). In der Übersetzung Wilhelms: „Darum: Was oberhalb der Form ist, heisst der SINN, was innerhalb der Form ist, heisst das Ding. (Was die Dinge umgestaltet und zusammenfügt, heisst die Veränderung; was sie antreibt und gehen macht, heisst der Zusammenhang. Was sie aufhebt und darstellt für alle Menschen auf Erden, das heisst das Wirkungsfeld).“ (Wilhelm 1923, 246–247).

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Exegese ermöglicht. So ist als Ausspruch des Cheng Yi die Feststellung überliefert, dass Kindespietät und Bruderliebe in ihrer äussersten Form vergleichbar seien mit der geistgleichen Erleuchtung, diese aber nur die ordnende Struktur darstellten, in welcher die geistgleiche Erleuchtung sich entwickelt: „xiaodi zhi zhi, tong yu shenming. Shenming xiaodi, bu shi liang ban shi, zhi xiaodi bian shi shenming zhi li 孝弟之至,通於神明。 神明孝弟,不是兩般事,只孝弟便是神明 之理“ (Cheng Hao u. Cheng Yi 2000, 275). Zhu Xi bekräftigt diese Parallelisierung in Abschnitt 14.17 seines Jin Si Lu durch die Aussage: „xiaodi tong yu shenming 孝悌通于神明.“ Er versteht Cheng Yis Ausspruch als Aussage über Konfuzius selbst, wie Chan in seiner Übersetzung klarmacht: „His [d.i. the master’s; M.W.] filial piety and brotherly respect influenced spiritual beings“ (Chen Rongjie 1992, 558; Chan 1964, 299). Fang paraphrasiert hier also Cheng und Zhu als Beleg. Der Schluss scheint wieder Fangs eigene Aussage zu sein: Der Rechte Weg des Weisen ist in den Lehren zu suchen! Damit wendet Fang sich gegen den Ansatz der hanxue, den Rechten Weg in den Kommentaren hanzeitlicher Schriftgelehrter wie Zheng Xuan und in Wörterbüchern wie dem Shuowen Jiezi 說文解字 zu suchen. 歐陽永叔謂聖人教人, 性非所先, 已誤。 顧亭林乃以性道為末流而力闢之, 可乎? 呂 東萊《近思錄題詞》, 論首列陰陽性命之故, 曰﹕「後出晚進, 於義理本原, 雖未容聚 語, 茍茫然不識其梗概, 則亦何所底止。 列之篇端, 特使知其名義, 有所向往而已。 餘卷所載講學之方, 日用躬行之實, 自有科級, 循是而進, 自卑升高, 自近及遠, 庶 不失纂集之旨」云云。 此可破顧亭林之疑, 而為朱子雪其謗矣。 Ouyang Yongshu44 meinte, dass ein Weiser schon einen Fehler macht, wenn er jemanden unterrichtet, ohne dabei die menschliche Natur an die erste Stelle zu setzen. Für Gu Tinglin galten die menschliche Natur und der Rechte Weg als unwichtige Erscheinungen, die er vehement bekämpfte. Darf er das? Lü Donglai45 diskutierte in der „Erklärung zum Titel Jin Si Lu“ zuerst den Grund dafür, yin und yang sowie menschlicher Natur und das Schicksal an den Anfang [des Werkes] zu stellen und sagte dann: „Die Nachgeborenen und später nachrückenden [Gelehrten] sollten die Moraltheorie (yili)

44 Ouyang Yongshu 歐陽永叔 ist der Volljährigkeitsnamen Ouyang Xius 歐陽修 (1007–1072). es konnte nicht bestimmt werden, aus welchem Text das Zitat stammt. Als einer der guwen ba da jia der Literatur hatte Ouyang Xiu eine herausragend positive Stellung für den Tongcheng-Gelehrten Fang. 45 Lü Donglai 呂東萊 ist das unter Gelehrten verwendete Pseudonym für Lü Zuqian 呂祖謙 (1137– 1181). Die “Erklärung zum Titel Jin Si Lu“: Jin Si Lu Tici 近思錄題詞. Damit ist das Vor- oder Nachwort Lü Zuqians zum Jin Si Lu gemeint. Lü Zuqian verteidigt die Tatsache, dass die Fragen nach Yin und Yang sowie xingming zu Beginn des Werkes stehen, obwohl manche dies zu Beginn der Ausbildung für ungeeignet halten. Fang Dongshu geht es darum, die moralisch-ethische Themensetzung von Beginn an zu rechtfertigen, dem ja die philologisch orientierten Gelehrten die Grundausbildung in den Kategorien der philologischen Hilfswissenschaften (xiaoxue) entgegenhalten. Für den Originaltext und eine Übersetzung vgl. Chen Rongjie 1992, 577 u. Wing-Tsit Chan 1967, 3.



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zur Grundlage nehmen, obwohl sie die Worte noch nicht vollständig in sich aufgesogen haben. Doch wo soll es schlussendlich hinführen, wenn sie von diesen nicht einmal in groben Zügen Kenntnis haben? Der Grund dafür, dies als Kapitel an den Anfang zu stellen, ist speziell, um [die Studenten] schon einmal mit der ungefähren Bedeutung der Begriffe bekannt zu machen, so dass sie einen Leitgedanken erhalten. Was in den weiteren Kapiteln festgehalten ist, das sind die Methode des Lernens und die Praxis der täglichen Übung, die von sich aus klare Stufen aufweisen. Gehen [die Studenten] dem entsprechend vor, vom Niederen zum Höheren, vom nahe Liegenden zum weiter entfernt Liegenden, so sollte die Absicht dieser Kompilation nicht an ihnen vorbeigehen.“46 Dies sollte die von Gu Tinglin aufgebrachten Zweifel zerschmettern und Ruhe schaffen gegenüber der Kritik an Meister Zhu.

Dieser letzte Abschnitt der Kontroverse enthält die Schlussfolgerung, die Fang nicht selbst formuliert. Er leiht sich vielmehr eine Formulierung aus, in diesem Fall eine von Lü Zuqian. Eingeleitet wird der Abschnitt mit einem Urteil über eine Aussage Ouyang Xius. Dieses entstammt dem Vorwort zu Zhu Xis Kommentar zum Mengzi.47 Dort scheint Zhu die Aussage Ouyangs zu kritisieren, dass in der Lehre Konfuzius’ nicht die menschliche Natur an erster Stelle stehe. Wie Fang oben ausführte, ist er der Meinung, dass sich auch Lehrsprüche, die Verhaltensweisen wie die Kindespietät oder die Bruderliebe zum Gegenstand haben, im Kern mit der menschlichen Natur beschäftigen. Insofern ist diese Aussage eigentlich noch dem vorherigen Absatz zuzurechnen. Dann wendet Fang sich gegen Gu Yanwu, der sonst im Hanxue Shangdui relativ schonend behandelt wird. Er wird zwar immer wieder kritisiert, aber nie so schonungslos wie Dai Zhen, weil Fang ihm zugesteht, dass er in seiner Kritik an Zhu Xi nicht die Radikalität späterer Gelehrter offenbarte. Die Aussage, dass er xing und dao für unwichtige oder zumindest nicht grundlegende Dinge (mo liu 末流) hielt, ist m.E. kein direktes Zitat Gu Yanwus. Dieser macht allerdings in seinem Hauptwerk Ri Zhi Lu 日知錄 folgende Aussage: „Der Meister unterwies die Menschen in Kultivierung, Verhalten, Loyalität und Vertrauen, und die menschliche Natur sowie der Rechte Weg des Himmels waren darin impliziert. Deshalb

46 Wing-Tsit Chan übersetzt die Passage grundsätzlich gleich, lediglich die Passage „you suo xiangwang er yi 有所嚮往而上“ übersetzt er nicht als „Leitgedanken“, sondern wie folgt: „to have something to look forward to“ (Wing-Tsit Chan 1967, 3). Xiangwang hat die Bedeutung „sich auf etwas freuen“ aber eben auch die Bedeutung einer ungefähren Richtung. 47 Die Interpungierung im Hanxue Shangdui macht weniger deutlich, welche Teile sich bereits bei Zhu finden, weshalb hier dieser Text abgeschrieben wird: 歐陽永叔却言〈聖人之教, 性非所 先〉, 可謂誤矣 (Zhu Xi 2001, 233). Der Text Fangs stellt also ein Zitat dar, und die Einschätzung der Aussage als Fehler findet sich bereits bei Zhu Xi.

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sagte [Zigong]: ‚Das bekommt man von ihm nicht zu hören.‘“48 Demnach wäre Fang Dongshus Urteil über Gus Ansichten äusserst harsch und unfair. Das Zitat des Nachworts zum Jin Si Lu betont den kosmischen Ursprung der daoxue-Lehre, die ihre Argumente letztlich als kosmisches Gesetz darstellt. Deshalb beginnt das Zitat mit der Erwähnung von yin und yang. Die Schlüsselbegriffe der daoxue sind nicht aus sich selbst oder aus der Theorie heraus begründet. Vielmehr werden sie in einen kosmischen Kontext gestellt, und so werden sie ultimativ begründet. Da Lü Zuqian diese Rechte Ordnung als Grund für den Aufbau des Jin Si Lu nennt, zitiert Fang ihn als Kronzeugen für seine Aussage, wonach der Erörterung der menschlichen Natur eine grundlegende Stellung zukomme. Hätte Gu Yanwu dies bereits erkannt, so impliziert er weiter, dann hätte dieser sich nicht so abschätzig über das Konzept der menschlichen Natur xing geäussert und die Kritik an den Lehren Zhu Xis, die Fang zum Verstummen bringen will, hätten gar nie eingesetzt.

Zusammenfassung der ersten Kontroverse Die erste Kontroverse, in der Fang Dongshu seinen hauptsächlichen Gegner Dai Zhen direkt angreift, setzt sich mit den Grundlagen der Lehre auseinander. Sie erörtert die Richtung, die der konfuzianische Diskurs nehmen kann: zurück zu den Klassikertexten selbst, wie Dai fordert, oder als Weiterentwicklung der exegetischen Rezeption in der Tradition der daoxue. Hierbei baut Fangs Argumentation hauptsächlich auf seiner Überzeugung auf, dass kein grundsätzlicher Unterschied bestehe zwischen den Lehren der Klassikern und der Exegese durch Cheng Yi und Zhu Xi. Fang wendet grosse Mühe auf, um nachzuweisen, dass die zentralen Begriffe des antiken Konfuzianismus – Kindespietät xiao, Bruderliebe di und Menschlichkeit ren – alle ihre Gültigkeit behalten, obwohl sie nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses der daoxue stehen. Fang zitiert aus den daoxue-Kommentaren diejenigen Stellen, in denen die songzeitlichen Schlüsselbegriffe – Rechte Ordnung li, menschliche Natur xing, der Rechte Weg dao, das menschliche Herz xin und das Schicksal ming – mit den antiken Begriffen in Beziehung gesetzt werden. Damit wendet er sich gegen Dais eingangs zitierte Bemerkung, dass man sich besser wieder den Sechs Klassikern zuwenden sollte. Neben der Aussage, dass es keinen Sinn ergibt, sich wieder direkt an die Sechs Klassiker zu wenden, spricht Fang Dai auch grundsätzlich die ­Möglichkeit ab,

48 Die Aussage entstammt dem Abschnitt „fuzi zhi yan xing yu tiandao 夫子之言性與天道“ und lautet: „夫子之教人文行忠信, 而性與天道在其中矣。 故曰﹕ ‚不可得而聞也。’” Der zitierte Satz ist ein Zitat von Lunyu 5.12 (Zhu Xi 2001, 91).



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ohne die Begriffe der daoxue Klassikerexegese betreiben zu können. Denn selbst die präzise und belegbare philologische Aufbereitung der Texte, die hanzeitliche Gelehrte in ihren Kommentaren vorgenommen haben, leisten keine Sinnstiftung der Texte, weshalb Fang mehrfach erwähnt, dass Philologie ohne Exegese sinnlos sei. Er bezeichnet damit den Beitrag der hanxue zum k ­ onfuzianischen ­Gesamtdiskurs als destruktiv, denn dieser wendet sich nur gegen das bisher erreichte, bietet aber keine alternative Lehre an, sondern nur einen neuen Zugang und weitere Suche. Diesem Credo der daoxue hätte Dai Zhen wohl entgegengehalten, dass die Texte noch nicht in einem hinreichenden Mass aufgearbeitet sind. Daher kann eine Exegese guten Gewissens noch nicht betrieben werden. Es ist selbstverständlich eine Glaubensfrage, ob die unklaren Stellen der kanonischen Schriften nach den Anstrengungen der vergangenen 2000 Jahre mit den Mitteln der hanxue überhaupt eindeutig geklärt werden können. Andererseits haben die Anstrengungen Yan Ruoqus und Hu Weis der daoxue wuchtige Schläge versetzt, weil zentrale Texte dieses philosophischen Systems als Fälschungen entlarvt und damit unglaubwürdig wurden. Im Einleitungstext macht Fang Yan und Hui dafür verantwortlich, dass sich die Gelehrten von der Song ab und der Hanzeit zugewandt hätten. Hier ist der Punkt erreicht, an dem zwei Glaubenssysteme aufeinandertreffen, und keines das andere argumentativ zu überzeugen vermag. Von diesem Punkt aus geht Fang noch einen Schritt weiter und greift die Grundsätze der Überzeugungen der hanxue an. Dafür verlegt er sich auf eine andere Ebene und verlässt die philologisch-philosophische Diskussion, um von einem staatspolitischen und gesellschaftspolitischen Standpunkt aus zu argumentieren. Hierfür kritisiert er die hanxue, indem er ihren Vertretern dieselben Punkte ankreidet, welche diese zunächst der xinxue, später auch der lixue vorwarfen: wenig Substantielles und Konkretes in ihren Lehren zu vermitteln, und so den ideologischen Zusammenhang des Reiches zu untergraben. Dazu stellt er eines der zentralen Grundbegriffe der hanxue in Frage: ihre Überzeugung, die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen und damit weniger weltfremd zu sein.

Zweite Kontroverse: Menschliche Bedürfnisse und persönliche Begierde Aussage Dai Zhens Im Gegensatz zur ersten Kontroverse, in der Dais Kritik an der daoxue auf einen kurzen polemischen und nicht nachweisbaren Satz reduziert wurde, lässt Fang

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

in dieser zweiten Kontroverse Dai Zhen ein Argument ausformulieren (Fang Dongshu 1998, 278). Dais Aussage verfolgt zwei hauptsächliche Anliegen. Die Auffassung der daoxue zur Stellung der Rechten Ordnung li und ihre vermeintliche Theorie der Bedürfnislosigkeit. Beide werden gemäss Dai Zhens Rezeption dargestellt, da aber unterschiedliche Aspekte genannt werden, wird der Begriff yu 欲 in der Kritik als „Begierde“ übersetzt und in der Beschreibung der Könige des Altertums als „Bedürfnisse“. Der von Fang zitierte Text lautet: 戴氏曰﹕「程朱以『理』為如有物焉, 得之於天而具於心, 啟天下後世人人憑在己之意 見而執之曰『理』, 以禍斯民; 更淆之以無欲之說, 於得理益遠, 於執其意見益堅, 而 禍斯民甚烈。」49 「離人情而求諸心之所具, 安得不以意見當之!」 又曰﹕古聖人以體民之情, 遂民 之欲, 為得理; 「今以己之意見 不出於私為理」, 「是以意見殺人」! Herr Dai sagte:50 „Indem Cheng und Zhu „die Rechte Ordnung“ für etwas hielten, das die Dinge bei sich hat; indem sie es für etwas hielten, das man vom Himmel erhält und das in seinem eigenen Herzen zur Verfügung steht, so brachten sie alle Menschen späterer Generationen dazu, sich auf ihre eigenen Vorstellungen und Ansichten zu verlassen. Daran hielten sie fest und bezeichneten es als „Rechte Ordnung“. So haben [Cheng und Zhu] Unheil über das Volk gebracht. Was dieses dann noch mehr verwirrte, war die Theorie über das Überwinden der Begierde, denn in Bezug auf das Erlangen der „Rechten Ordnung“ geraten sie in noch weitere Ferne und in Bezug auf das Festhalten an eigenen Vorstellungen und Ansichten werden sie noch unbeirrbarer, und dadurch bringen [Cheng und Zhu] in noch schlimmerer Weise Unheil über das Volk. Wenn man sich [durch die Lehre vom Überwinden der Begierde] von den menschlichen Empfindungen (ren qing) entfernt, und diese stattdessen in etwas sucht, das im Herzen zur Verfügung steht, wie könnte es einem da gelingen, ohne den Einsatz der eigenen Vorstellungen und Ansichten [dieser Lehre] zu entsprechen?“ [Herr Dai] sagte auch, „die Weisen des Altertums schafften es, die Rechte Ordnung zu erlangen, indem sie die menschlichen Empfindungen umsetzten und sich nach den Bedürfnissen der Menschen richteten. Wenn man nun ­aufgrund der Annahme, die eigenen Vorstellungen und Ansichten „gingen nicht

49 Für ping 憑 wird in den Kontrollausgaben das alternative Schriftzeichen 凭 verwendet. Es handelt sich um rein graphische Unterschiede, weshalb im Weiteren diese Differenz in den Texten nicht mehr angemerkt wird. 50 Dies ist die zweite Attacke auf Dai Zhen. Für eine frühere Teilübersetzung vgl. Chang 1962, 378. Chang übersetzt von Dais Vorlage nur den ersten Absatz und auch von der Replik lediglich den ersten Abschnitt. Für eine vollständig interpungierte Ausgabe vgl. Dai Zhen 1994–97, 7:302. Gemäss einer editorischen Anmerkung von Zhu Weizheng stellt der zitierte Text einen Teil des Briefes „da Peng jinshi yun chu shu 答彭進士允初書“ dar. Tatsächlich sind nur die ersten beiden Zitate aus dem Brief entnommen. Die Herkunft des letzten Teils, ab „die Weisen des Altertums…“, liess sich nicht ermitteln. Der Brief wurde in die Schriftensammlung Dai Zhen Wenji aufgenommen, ist aber in der Neuausgabe von ZHSJ nicht zu finden, weil das ursprünglich achte Faszikel des Wenji bereits in die 1961er Ausgabe von Mengzi Ziyi Shuzheng eingang gefunden hatte. Für den Text vgl. Dai Zhen 1961, 169.



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aus Selbstsucht hervor, eine Rechte Ordnung erschafft“, so „bedeutet dies, mit den eigenen Vorstellungen und Ansichten Leute zu töten!“

Der erste Punkt, den Dai an der Lehre Chengs und Zhus kritisierte, ist, dass für diese die Rechte Ordnung li im Herzen jedes Einzelnen zur Verfügung stehen51 wird. Der hierzu als Beleg angeführte Satz „de zhi yu tian er ju yu xin 得之於天而具 於心“ ist ein wörtliches Zitat aus Rolle 98 des Zhuzi Yulu 朱子語錄 (Li Jingde 1994, 7:2514). Zudem bemerkte Dai kritisch, dass Cheng und Zhu die Rechte Ordnung für etwas halten, das die Dinge „bei sich hat“ („li wei ru you wu yan 理為如有物 焉“). Damit bezog sich Dai auf die Auffassung der daoxue, dass es sowohl einen universellen und einen partikulären Aspekt der Rechten Ordnung gibt, denn neben der kosmischen Rechten Ordnung ist diese auch manifest in jedem Wesen, denn auch für dieses gibt es eine Rechte Ordnung. Demnach verfügt ein jedes Wesen oder jede Art von Wesen, also jede Spezies über einen jeweils eigenen und partikulären Anteil am kosmischen li. Im Falle der Menschen steht diesem die Möglichkeit offen, die Rechte Ordnung in sich selbst auszuschöpfen und so das Potential an Menschlichkeit wahrzunehmen. Diese Ansicht fand Dai wohl in Passagen wie 1.3.9 des Jin Si Lu bestätigt, wo es heisst: „Question: Are there good and evil in the mind? Answer: What is received by man and things from Heaven is called destiny. What is inherent in things is called principle. What is endowed in man is called nature. And as the master of the body it is called the mind. In reality they are all one.“52 (Chan 1964, 29) Vgl. auch 1.15: „That which is inherent in things is principle. That by which things are managed is moral principle“ (ebd. 16). Bei seiner Kritik greift Dai nicht grundsätzlich das Konzept von li an. Er selbst hält an diesem Begriff in seinem eigenen Beitrag zur konfuzianischen Philosophie fest, versteht ihn aber anders. Fangs Darstellung der Aussagen Chengs und Zhus ist pointierter als die Originale. Er führt deren Ansichten, bzw. das daran zu kritisierende Element, auf eine Beeinflussung durch den Buddhismus zurück, wie er in einem Abschnitt in seinem Kapitel zu „quan 權“ bekräftigt: „The Sung Confucianists also knew that principles are to be sought in events and things, but, just because of their prior involvement in Buddhism, they attributed to ­principle what

51 Der chinesische Begriff für „Zur Verfügung stehen“ lautet ju 具. Wing-tsit Chan, der grosse Übersetzer von Werken der daoxue ins Englische, hat zur Übersetzung das Verb „to endow“ (=> „ausgestattet sein mit“) verwendet, der seither in der englischsprachigen Literatur verwendet wird (vgl. Chin und Freeman 1990, 73). Ich danke R. H. Gassmann für den Vorschlag, dies mit „zur Verfügung stehen“ zu übersetzen. 52 Originaltexte: 1.39: 问:心有善恶否?曰:在天为命,在物为理,在人为性,主于身为心, 其实一也。1.15: 在物为理,处物为义。(Vgl. Chen Rongjie 1992, 49).

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the Buddhists attributed to consciousness. Therefore, they looked upon principle „as if it were a thing,“ talking not only about „the principles of events and things,“ but also about the [one] principle that lies scattered throughout events and things.“ To seek principles of events and things, one must dissect and analyze the events and things in the minutest detail in order to acquire their principles. But if the one principle lies scattered throughout events and things, then one must seek it in one’s dark and profound heart-and-mind. They said, „The source is One, but its manifestations are many.“ And, „Unroll [the principle] and it fills the universe; roll it up, and it retires and lies hidden in a secret place.“ Actually they got this idea from such Buddhist expressions as „[the Buddha nature,] when universally manifested, is present throughout the dharma-realm. Collected and concentrated, it exists in a single speck of dust.“53 (Chin u. Freeman 1990, 166–167). Als nächster Punkt im Zitat seiner Kritik setzte Dai sich mit der Verbindung von kosmischer Rechter Ordnung und den eigenen individuellen Ansichten auseinander. Demzufolge habe die oben beschriebene „Aufsplitterung“ der Rechten Ordnung dazu geführt, das die Menschen sich selbst als Teil des kosmischen Ganzen betrachteten und damit ihre persönlichen, das heisst auch ihre selbstsüchtigen und schlechten Vorstellungen und Ansichten als identisch mit der kosmischen Rechten Ordnung betrachteten. Für diese persönlichen Ansichten verwendet er den Begriff yijian 意見.54 Dieser ist verknüpft mit dem Ausdruck si des Gegensatzpaares si 私 (=> „eigensüchtig“) und gong 公 (=> „gemeinschaftlich“).55 Dies geschieht in der Form, dass die „Vorstellungen und Ansichten“ jeweils der Eigensucht entstammen. Seine Kritik an den Konzepten seiner Gegner formuliert er als Antwort auf ein entsprechendes Stichwort im Mengzi Ziyi Shuzheng: „Answer: Only what all heartsand-minds commonly agree upon can be called principle and r­ ighteousness. It

53 宋儒亦知就事物求理也,特因先人於釋氏,轉其所指為神識者以指理,故視理「如有物 焉」,不徒曰「事物之理」,而曰「理散在事物」。事物之理,必就事物剖析至微而後理得; 理散在事物,於是冥心求理,謂「一本萬殊」,謂「放之則彌六合,卷之則退藏於密」,實從 釋氏所云「偏見俱該法界,收攝在一微塵」(Dai Zhen 1961, 54) 54 Der Begriff yijian kommt im Jin Si Lu gar nicht und im Er Cheng Yishu Cheng Haos und Cheng Yis gerade zweimal vor. in Dais Mengzi Ziyi Shuzheng allerdings wird der Begriff siebenundzwanzigmal verwendet. 55 Die beiden Wörter des Gegensatzpaares si und gong werden auch in der Entwicklung ihrer Schriftzeichen als Gegensatzpaar verstanden. Bereits im ersten analytischen Wörterbuch Shuowen Jiezi wird gong 公 erklärt als eine Kombination zweier semantisch bedeutsamer Elemente ba 八 (=> „trennen, aufbrechen“) und si 厶 (=> Rad. 348 „selbstsüchtig“). Das gewöhnlich für si verwendete Schriftzeichen 私 ist lediglich eine graphische Variante (vgl. Duan Yucai 1988, 436b, 48b; Winter 1998, 447–448).



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follows, then, that what is not a matter of common agreement is a matter of individual opinion and is not principle and righteousness. When one man regards something as right and the world throughout the ages says that it is unalterably so, this is what is meant by common agreement“ (Chin u. Freeman 1990, 72–73).56 Für Dai ist li demnach eine für alle Menschen gemeinsame und verbindliche Ordnungvorstellung. Die durch li bezeichnete Rechte Ordnung steht nicht in jedem Herzen zur Verfügung, eingefärbt oder verfälscht durch die menschliche Natur einer Person. Vielmehr liege sie ausserhalb der Menschen und sei somit unveränderlich.57 Daher hält er auch das Verständnis Chengs und Zhus gegenüber den persönlichen Vorstellungen und Ansichten für verfehlt. Er hält die s­ ongzeitliche Auffassung der Rechten Ordnung für ungenügend, weil menschenverachtend und zu theoretisch. Neben den daoxue-Konzepten der Rechten Ordnung und den persönlichen Vorstellungen und Ansichten wird noch ein dritter Punkt kritisiert: Die Haltung Zhu Xis und Cheng Yis zu yu 欲, den menschlichen Bedürfnissen: Nach Dais Ansicht war das daoxue-Verständnis der menschlichen Bedürfnissen wie Nahrung, Kleidung oder Gefühle zutiefst vom Buddhismus und dessen Verdammung derselben als „Begierden“ geprägt.58 Dem hielt Dai entgegen, dass die objektiv existierenden Bedürfnisse der Menschen nach Kleidung und Nahrung etc. ernst genommen werden müssten. Dies sei bei den frühen Königen des Altertums auch geschehen, weshalb diese erfolgreich und zum Wohle aller im Reich regierten. Erst durch die Bastardisierung des Konfuzianismus durch die songzeitlichen Denker und deren Affinität zum Buddhismus sei der Gedanke in die Lehre geraten, dass Bedürfnisse als Begierden zu verdammen seien. Zugleich versucht er zu beweisen, dass es keine Rechte Ordnung ohne die Befriedigung der natürlichen menschlichen Bedürfnisse geben kann. Ausserdem erwähnt er den später erneut vorgebrachten Vorwurf, die daoxue töte mit dem Beharren auf ihren Ansichten Menschen. Der Hintergrund dieses von

56 Der Originaltext lautet: „問:孟子云:「心之所同然者,謂理也,義也;聖人先得我心之所 同然耳。」是理又以心言,何也? 曰:心之所同然始謂之理。謂之義;則未至於同然,存乎其 人之意見,非理也,非義“ (Dai Zhen 1961, 3). 57 Rechte Ordnung bei Dai und Cheng-Zhu: Die hier beschriebene Differenz ist es, die in der Volksrepublik dazu führte, dass Zhu Xis Philosophie als „subjektiver Materialismus“ bezeichnet wurde, während Dai als „objektiver Materialist“ charakterisiert und entsprechend positiv rezipiert wurde. 58 Zur Stellung der Begierde als einem zentralen Bestandteil der buddhistischen Lehre vgl. Notz 1998, 67 (Begierde), 225 (kama) u. 478 (trsna), wo sehr deutlich gemacht wird, dass die „Begierde“ seit jeher als hauptsächliche Ursache für das Leiden angesehen wurde. Vgl. auch Soothill & Hodous 1962, 355.

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Dai auch an anderen Stellen geäusserten Vorwurfes, der auch bei den Protagonisten des „Vierten Mai“ wieder laut wurde, ist, dass die Lehren Chengs und Zhus suggerierten, dass die legitimen Bedürfnisse der Bevölkerung nach Wohnung, Kleidung und Nahrung übergangen werden können, weil die Entscheidungsträger der Gesellschaft unter dem Eindruck der buddhistischen „Begierde“-Lehre dem Volk diese Bedürfnisse austreiben wollten. All diese Standpunkte führte er ganz zum Schluss des Mengzi Ziyi Shuzheng in einer längeren Passage differenziert aus. Weil Dais Kritik am li-Begriff eine der grundlegenden und zentralen Differenzen zwischen hanxue und daoxue darstellt, sei die Passage hier in voller Länge wiedergegeben: „The teachings of Lao Tzu and the Buddhists advocate “embracing the One“ and “having no desires.“ Confucianists since the Sung have talked instead about the principle. In the distinction they make between principle and desires, their position is like „holding to the mean without weighing the circumstances.“ They attribute everything – hunger and cold, anxiety and resentment, food and drink, relations between men and women, universal sentiments and secret affections – to human desires, and so all their lives they find that desires are difficult to curb. Thus the principle they insist on preserving is nothing but an empty name and in the end amounts to nothing more than the eradication of the impulses of feelings and desires. But how can such impulses be eradicated? They say, „Hold to the One without deviating.“ That is the same as Lao Tzu’s idea of „embracing the One“ and „having no desires.“ Thus Chou Tzu [d.i. Zhou Duni; M.W.] regarded the One as essential to learning how to become a sage; moreover he clearly said, „[Concentrating on] the One means having no desires.“ No man can disregard the way of nourishing life and still continue to live. Everything in our lives arises from desires. Without desires there would be no action. Only when there is desire can there be action. When man’s action arrives at what is most correct and immutably so, that can be called accordance with principle. If there is no desire and no action, what is there that can be called principle? Lao Tzu, Chuang Tzu, and the Buddhists focused on „having no desires“ and „doing nothing.“ Therefore they did not talk about principles. The sages were compelled to acquire principle on the basis of desires and action. Therefore, the superior man is not only not selfish, but also not without desires. The superior man lets his desires arise from correctness and not perverseness, and so it is not necessary not to have feelings of hunger and cold, anxiety and resentment, desires for food and drink, for relations between men and women, and universal sentiments and secret affections. There are those who think that it is only after desires have been eliminated that one becomes a superior man, whereas the small man remains what he is, a



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small man, and continues to be avaricious or perverse. Those who hold on obstinately to this idea and think themselves superior men therefore said, „What does not emanate from principle emanates from desires, and what does not emanate from desires emanates from principle.“ And they talk about principle „as if it were a thing received from Heaven and existing in the heart-and-mind.“ Therefore, there is no superior man who does not regard his personal opinions as principle. Moreover, because he is convinced that his actions are not motivated by desires, he will say that „he is not ashamed.“ When the ancients said, „not to be ashamed,“ were they referring to this? If one does not realize that personal opinions are often biased and cannot be considered principles, he is bound to be stubborn in maintaining his own opinion, and when someone thinks that his opinion is wrong, he will say that that man has cut himself off from principles. Thus this distinction of principle and desires can conveniently become an instrument for a cruel form of killing. This is the harm that it creates. Yao and Shun worried that „there should be distress and want within the four seas.“ „King Wen looked on the people as if they were wounded.“ Which of them in working with his people did not try to find a way to satisfy their desires? As sage rulers attuned to their people’s needs, they guided them, letting them return to what is good. Because the Sung Confucians clearly separated principle and desires in two, they thought that, in regulating themselves, if their intention did not arise from desires, then they were in accord with principle; that, in governing others, if other people’s intentions did not arise from desires, then they were in accord with the principle. Whenever there was any mention of feelings of hunger and cold, anxiety and resentment, the want of food and drink, relations between men and women, and universal sentiments and secret affections, they regarded them as human desire, [therefore] matters of no consequence. And in the process of slighting what they considered as unimportant, they said, „We value the Heavenly principle, which is an impartial sense of rightness.“ Fine words these are, but if one were to apply them in government, they would bring disaster to people. (Chin und Freeman 1990, 173–174).59

59 Originaltext: 老、釋之學,則皆貴於「抱一」,貴於「無欲」;宋以來儒者,蓋以理(之 說)〔說之〕。其辨乎理欲,猶之執中無權;舉凡飢寒愁怨,飲食男女、常情隱曲之感,則名 之曰「人欲」,故終其身見欲之難制;其所謂「存理」,空有理之名,究不過絕情欲之感耳。 何以能絕?曰「主一無適」,此即老氏之「抱一」「無欲」,故周子以一為學聖之要,且明中 曰,「一者,無欲也」。天下必無舍生養之道而得存者,凡事為皆有於欲,無欲則無為矣; 有欲而後有為,有為而歸於至當不可易之謂理;無欲無為又焉有理!老、莊、釋氏主於無欲無 為,故不言理;聖人務在有欲有為之咸得理。是故君子亦無私而已矣,不貴無欲。君子使欲出

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Als Grundlage für diese Kritik des Begriffes yu diente Dai vermutlich eine Aussage Zhus, die dieser in Rolle 12, Abschnitt „xue liu 學六“ seines Zhuzi Yulei machte. Dort erklärte Zhu, dass verschiedene Schlüsselsätze der chinesischen Philosophie, namentlich Lunyu 12.01, Abschnitt 27 des Zhong Yong, der Ausdruck „ming ming de“ des Daxue sowie die 16 Wörter des Shang Shu, in denen die Unterscheidung zwischen renxin und daoxin gemacht wird, alle eigentlich dasselbe aussagen und beschreiben, nämlich das Verständnis der kosmischen Rechten Ordnung und einen Weg zum Überwinden der menschlichen Bedürfnisse. Dies wird als grundlegende Lehre und Quintessenz der gesamten konfuzianischen Lehre bezeichnet. Zhu Xi schreibt: „Was Konfuzius das ‚Überwinden der eigenen Person und zurückkehren zu den Riten’ nannte, was im Zong Yong ‚das Äusserste an Harmonie und Mitte‘, ‚Achtung der Wirkkraft und der menschlichen Natur‘ oder ‚Der Rechte Weg des Lernens und Fragens‘ genannt wird, was im Daxue als ‚leuchtenlassen der leuchtenden Wirkkraft‘ bezeichnet wird, heisst im Shang Shu: ‚Das menschliche Herz ist [leicht] gefährdet, das auf den Rechten Weg gerichtete Herz ist nur winzig [d.h. kaum erkennbar]; Einzig verfeinert zu sein, einzig einig zu sein, nur so kann man festhalten und die Mitte bewahren.‘ Die Tausend Worte und zehntausend Sprüche der Weisen und Tüchtigen, wollen die Menschen nur darin unterweisen, die kosmische Rechte Ordnung leuchten zu lassen und die menschlichen Bedürfnisse verschwinden zu lassen.“ : „孔子所謂「克己復禮」,中庸所謂「致中和」,「尊德性」, 「道問學」,大學所謂「明明德」,書曰「人心惟危,道心惟微,惟精惟一, 允執厥中」:聖賢千言萬語,只是教人明天理、滅人欲。“ (Li Jingde 1994, 207).

Fang Dongshus Replik Die von Dai vorgebrachten Vorwürfe sind gemäss den verfügbaren Darstellungen der qingzeitlichen Geistesgeschichte allgemein in hanxue-Gelehrtenkreisen weit ­verbreitet. Es war also nicht nur Dai Zhen, der diese Kritik an der songzeitlichen

於正,不出於邪,不必無飢寒愁怨、飲食男女、常情隱曲之感,於是讒說誣辭,反得刻議君子 而罪之,此理欲之辨使君子無完行者,為禍如是也。以無欲然後君子,而小人之為小人也,依 然行其貪邪;獨執此以為君子者,謂「不出於理則出於欲,不出於欲則出於理」,其言理也, 「如有物焉,得於天而具於心」,於是未有不以意見為理之君子;且自信不出於欲,則曰「心 無愧怍」夫古人所謂不愧不怍者,豈此之謂乎!不寤意見多偏之不可以理名,而持之必堅;意 見所非,則謂其人自絕於理:此理欲之辨,適成忍而殘殺之具,為禍又如是也。夫堯、舜之憂 四海困窮,文王之視民如傷,何一非為民謀其人欲之事!惟順而導之,使歸於善。今既截然分 理欲為二,治己以不出於欲為理,治人亦必以不出於欲為理,舉凡民之飢寒愁怨、飲食男女、 常情隱曲之感,咸視為人欲之甚輕者矣。輕其所輕,乃「吾重天理也,公義也」,言雖美,而 用之治人,則禍其人。



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lixue äusserste, vielmehr scheinen diese Ansichten bereits weit in gelehrte Kreise hinein diffundiert zu sein. Fangs Replik richtete sich somit gegen Dai Zhen im Besonderen, aber selbstverständlich auch gegen die allgemein in der hanxue herrschenden Zweifel am songzeitlichen Verständnis von li. Dazu macht er eingangs seiner Replik zunächst deutlich, dass es sich nicht um eine Auseinandersetzung zwischen einzelnen Gelehrten und ihren persönlichen Lehrmeinungen handelt, sondern dass Cheng Yi und Zhu Xi lediglich universell gültige Gesetze formulierten. In dieser apologetischen Argumentation wird vorgebracht, dass die daoxue lediglich entdeckte Naturgesetze beschrieben habe. Dai stellt sich Fang zufolge dieser objektiven Wahrheit mit seiner persönlichen Auffassung entgegen. Er nehme damit zugleich negative Auswirkungen auf die Gelehrten im gesamten Reich in Kauf. Solches Verhalten liesse sich durchaus als selbst- oder eigensüchtig (si 私) charakterisieren. Fang wirft dies Dai zwar nicht expressis verbis vor, grenzt aber die Lehre von Cheng und Zhu gegen diesen Vorwurf ab, und macht so die entsprechende Implikation deutlich. 按﹕程朱以己之意見不出於私, 乃為合乎 「天理」, 其義至精、 至正、 至明! 何謂 「以意見殺人」? 如戴氏所申, 當體民之情, 遂民之欲60, 則彼民之情,彼民之欲, 非 彼民之意見乎? 夫以在我之意見, 不出於私, 合乎天理者, 不可信; 而信彼民之情、 之欲, 當一切體之、 遂之, 是為得理, 罔氣亂道, 但取與程、 朱為難, 而不顧此為大 亂之道也。 Replik: Was den Satz angeht, dass Cheng und Zhu der Ansicht waren, dass ihre eigenen Ansichten in Überseinstimmung mit der himmlischen Ordnung seien, wenn sie nicht von Eigennutz ausgingen, so ist die rechte Bedeutung [dieser Ansicht] äusserst differenziert, äusserst korrekt und äusserst klar. Was also soll das heissen: „Deshalb töten sie mit den eigenen Ansichten andere!“ Wie Herr Dai ausführte, sollte man die menschlichen Empfindungen des Volkes nachvollziehen und sich nach den Bedürfnissen des Volkes richten. Doch sind die Empfindungen dieser Menschen, sind die Bedürfnisse dieser Menschen nicht [zugleich] deren Vorstellungen und Ansichten? Wenn man also ausgeht von eigenen Vorstellungen und Ansichten, die aber nicht aus eigensüchtigen Motiven vorgebracht werden, sondern in Übereinstimmung stehen mit der kosmischen Rechten Ordnung, so sollte man diesen nicht vertrauen. Auf der anderen Seite soll man [laut Dai] den Empfindungen und Bedürfnissen anderer Leute v ­ ertrauen und diese vollständig nachvollziehen und sich nach ihnen richten, und so könne man die Rechte Ordnung erreichen? Auf diese Weise stellt er die materielle Grundlage der Welt61 in Abrede und bringt den Rechten Weg in Unordnung.

60 Die alternativ konsultierten Ausgaben weisen ab hier und für den Rest des Absatzes einen leicht anderen Text auf. Es heisst dort: 亦必民之情欲不出於私合乎天理者而後可。 若不問理, 而於民之情欲, 一切體之遂之, 是為得理, 此大亂之道也。(Fang Dongshu 1868a, 22B u. Dai Zhen 1994–1997, 7:302). 61 Die Übersetzung „Die materielle Grundlage der Welt in Abrede stellen“ von wang qi 罔氣 scheint überinterpretiert, aber eine andere Übersetzung von qi wie „Pneuma“ oder „Odem“ würde hier m.E. zu exotistisch klingen und einfach den Terminus „Qi“ beizubehalten, erklärt die

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Dann aber versucht [Herr Dai] auch noch, dies Cheng und Zhu anlasten zu wollen und er bedenkt nicht, dass er so tatsächlich den Rechten Weg in grosse Unordnung bringt.

In einer ersten Verteidigung bezeichnet Fang Dongshu die Exegese von Cheng und Zhu als „äusserst differenziert, äusserst korrekt und äusserst klar“. Die Tatsache, dass er vor jedem Adjektiv den Marker des Elativs zhi 至 verwendet, ist auffällig. Es könnte eine Anspielung auf einen hier präzise passenden Text sein: Das Si Shu Zhangju Fukao Xu 四書章句附考序 von Wu Ying 吳英 (~1750–1820) aus dem Jahr 1811, welches im Anhang von Standardausgaben der Vier Bücher zu finden war und ist. In diesem Vorwort schreibt Wu: „Um die Vorstellungen Meister Zhus in ihrem gesamten Ausmass nachvollziehen zu können, ist es unbedingt erforderlich, differenziert zu sein und noch einmal differenzierter, doch wie soll man dies tun? Wenn man die Absicht hat, wie ein Weiser oder ein Tüchtiger zu handeln, so liegt [der Schlüssel dazu] darin, selbst stets nach den Grundsätzen [eines Edlen; Lunyu 7.32] zu handeln, und nicht darin, zu kommentieren oder eine verlässliche Textausgabe herzustellen. [Will man seine so erworbene Fähigkeit] einsetzen, um damit das Reich zu ordnen und die Welt zu befrieden [Daxue], so liegt [der Schlüssel dazu] darin, dies als Person zu verkörpern und es in der Regierungstätigkeit anzuwenden, und ebenfalls nicht darin, zu kommentieren oder eine verlässliche Textausgabe herzustellen. Denn was es braucht für die Erörterung der kanonischen Texte der Vier Bücher, das liegt in den [dort aufgezeichneten] wichtigen Grundlagen und dem grundlegenden Ursprung, und nicht in einem Sätzchen oder einem Schriftzeichen. Wie also hat unser Meister – Meister Zhu – es geschafft, dies unter grösster Anstrengung und mit aller Kraft zu bewerkstelligen? Nun, er hat die im höchsten Masse differenzierten Texte (zhi jing zhi wen) der konfuzianischen Schule bereitgestellt, um so in den Werken der vier Meister die äusserst differenzierte mustergütige Ordnung (zhi jing zhi li) zwischen den beiden Extremen62 [des Edlen und des Niedriggesinnten] zu

Metapher nicht. Was Fang Dongshu ausdrücken will ist, dass die beschriebene Vorgehensweise sich gegen alle Naturgesetze wenden würde. 62 Der chinesische Text „gai yi si zi zhi shu wei lian jian zhi jing zhi li 蓋以四子之書為兩閒至精之 理“ wird verstanden im Lichte von Zhus Kommentar zu Lunyu 2.14: „junzi zhou er bu bi, xiaoren bi er bu zhou 君子周而不比,小人比而不周“ (=> „Der edle Mensch nimmt weitherzig Partei, aber er ist nicht parteiisch; der Niedriggesinnte ist parteiisch, aber er nimmt nicht weitherzig Partei“ Konfuzius 1985, 41). Zhu nimmt dort die Gegenüberstellung zum Anlass, auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Edlem und Niedriggesinntem hinzuweisen. Er sagt, dass der Unterschied zu vergleichen sei mit demjenigen zwischen yin und yang oder Tag und Nacht, der in der Essenz der Unterschied sei zwischen gong 公 und si 私. Diese beiden Extreme nennt er liang jian 兩閒 (Zhu Xi 2001, 67).



Zweite Kontroverse: Menschliche Bedürfnisse und persönliche Begierde  

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­ erdeutlichen.“63 Durch seine Verwendung der Formulierung zhi jing lässt Fang v Dongshu dieses Nachwort anklingen. Dadurch schliesst er sich der anderen, in diesem Zusammenhang viel wichtigeren Aussage an: Die Umsetzung der Lehre hängt nicht an einzelnen Schriftzeichen oder an der Formulierung eines Satzes, sondern sie behält als Ganzes ihre Gültigkeit. Die Kritik Dai Zhens wird dadurch als Beckmesserei abgetan und er selbst wird, zumindest implizit, als Niedriggesinnter (xiao ren) bezeichnet. Einschränkend muss hier angefügt werden, dass sich für die folgenden Adjektive zhi zheng und zhi ming keine entsprechenden Stellen finden lassen. Da die Erkenntnisse Zhus diese aussergewöhnliche Klarheit haben, war es für Fang ein unüberbrückbarer Widerspruch und damit absurder Vorwurf, dass dadurch Menschen getötet würden. Im Rest des Abschnittes lässt sich Fang zum Schein auf das Argument Dais ein und versucht, die Konsequenzen seiner Argumentation aufzuzeigen. Einerseits liege gemäss Dai die Rechte Ordnung nicht in den einzelnen Wesen begründet, sondern sie liegt ausserhalb dieser. Andererseits aber sei es möglich, diese Ordnung zu erreichen, indem man sich den Bedürfnissen der Menschen des ganzen Volkes anpasst. Dabei bleibt als Schlussfolgerung, dass diese Bedürfnisse nur den subjektiven Vorstellungen der Menschen entspringen, die nun nicht einmal mehr als Elemente der Rechten Ordnung verstanden werden. Das Argument Fangs scheint zunächst ein Sophismus zu sein, doch deutet Fang damit tatsächlich auf eine Schwäche in Dai Zhens Argument hin. Dieser aufgedeckten Blösse schickt Fang nun eine Lobrede über die Differenziertheit Cheng Yis und Zhu Xis hinterher. Damit versuchte er der Leserschaft m.E. aufzuzeigen, dass Dai Zhen überhaupt nicht als ebenbürtiger, sich nur in der Meinung unterscheidender Gegner ernst genommen werden kann. 程朱所以有大功於聖道者, 政以其認理最真, 辨理最精, 而惟恐學者誤執意見以為理 也。 所以能紹孔孟之傳, 而有大功於世, 政在此! 今戴氏反即以其所精辨者。 而轉誣 之; 於其所用功而全力欲講去之者。 而轉謂不當去。 諸家著書, 紛然祖述, 益推而衍 之, 以蔑 「理」為宗。 此所謂「讒說殄行, 震驚朕師」者也! Wodurch sich Cheng und Zhu wirklich in grossem Masse um den Rechten Weg des Weisen so sehr verdient gemacht haben, das ist tatsächlich ihr im höchsten Mass korrektes Verständnis und ihre im höchsten Mass feine Differenzierung der Rechten Ordnung. Das einzige, was sie fürchteten war, dass die Gelehrten den Fehler machen könnten, an ihren eigenen Vorstellungen und Ansichten festzuhalten und diese fälschlicherweise für

63 Da Wu Ying Zitat lautet: „夫朱子之意,必欲精之又精,以造乎其極,亦何為也哉?立志於 為聖賢,在自得躬行,而不在於注之有定本也;用以治國平天下,在體諸身,施於政,亦不在 於注之有定本也;即以講論四書經文,亦在於大本大源,而不在於一句一字之閒也。然則我子 朱子之苦心瘁力於斯者,何為也哉?蓋以四子之書為兩閒至精之理,為孔門至精之文。“ (Zhu Xi 2001, 454).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

die Rechte Ordnung zu halten. Es ist eben genau diese [Erkenntnis], die ihnen ermöglichte, die Tradition des Konfuzius‘ und des Menzius‘ weitergeführt haben zu und sich im grossen Stil um die Welt verdient gemacht zu haben. Nun verdrehte Herr Dai eben die Dinge, welche jene so fein differenziert hatten,64 und wandte sie gegen jene, um sie so zu verunglimpfen. Und das, was jene mit grossem Fleiss und viel Kraft versucht haben, darzulegen und es so aus der Welt zu schaffen, das verkehrt dieser nun wieder ins Gegenteil und meint, man solle es nicht aus der Welt schaffen.65 Alle, die heute Bücher verfassen, sind solcherart verwirrt und nehmen sich diesen zum Vorbild. Sie gehen auf diesem Weg weiter, indem ihnen die Vernichtung der Rechten Ordnung als Wichtigstes gilt. Solche kann man wahrlich bezeichnen als „Verleumder und Verführer auf Abwege, die das ganze Volk beunruhigen“.

Die oben erwähnte Gegenüberstellung Dais und Cheng-Zhus wird eingebettet in einen staatspolitischen Kontext. Erneut betont Fang, dass sein Antrieb für den Angriff auf Dais Positionen sei, zukünftige Generationen von Gelehrten davor zu bewahren, sich auf diesem falschen Weg weiter zu verrennen. Der erste Teil des Arguments ist m.E. gut verständlich und bedarf keiner Erklärung. Der zweite Teil allerdings enthält anscheinend wieder eine Anspielung auf einen anderen Text. Die Aussage über die Gelehrten, die „heutzutage“ Bücher verfassten, also Kommentare schrieben und sich um eine Weiterentwicklung der konfuzianischen Lehre bemühten, lautet, diese seien fen ran zu shu 紛然祖述. Diese ungewöhnliche Formulierung ist m.E. eine Anspielung auf Zhu Xis Vorwort zum Daxue, wo der Ausdruck fen ran zur Beschreibung des verwirrten Geisteszustandes der Gelehrten seit dem Ende der Tradierung des Rechten Wegs und bis zur Songzeit verwendet wird. Auch hier versucht Fang Dongshu vermutlich, den gesamten Text anklingen zu lassen, weil er eine Parallele aufzeigen möchte zwischen der Beschreibung der hanzeitlichen Gelehrsamkeit und der hanxue. Der f­ragliche Abschnitt lautet in Übersetzung: „Thereafter [d.i. nach dem Tode Menzius’; M.W.] came the vulgar Confucian scholarship [of later times], stressing memorization and literary composition, which took double the exertion of the elementary education but was of no real use, and the quietistic and nihilistic teachings of the deviant doctrines [Buddhism and Daoism], which were loftier even than the higher learning (Great Learning) but lacked solid substance. Besides these there were the stratagems of expediency and the tactics and calculations [of the so-called Strategists and Realists], all the other theories aiming at worldly power and success, as well as the teachings of the Hundred Schools and myriad splinter groups that confused the world and misled the people, blocking the way

64 In seinem eigenen Kommentar macht Fang Dongshu erneut deutlich, dass er damit das Verhältnis von subjektiven Vorstellungen und Ansichten (yijian) und Rechter Ordnung (li) meint. 65 Auch hier verdeutlicht Fang Dongshu im Kommentar, dass er sich hier auf die menschlichen Bedürfnisse ren yu 人欲 bezieht.



Zweite Kontroverse: Menschliche Bedürfnisse und persönliche Begierde  

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to humaneness and rightness. All these were mixed together in great confusion [fen ran; M.W.], so that gentlemen [rulers], alas, could no longer hear the essential teachings of the Great Way, [and lesser men were no longer so fortunate as to enjoy the beneficial effects of the ultimate in good government. There were obscuration and obstruction; with the compounding of evils, everything became incurably diseased, until the disorder and destruction reached its extreme in the Five Dynasties [tenth century C.E.].“ (de Bary u. Bloom 1999, 724)66 Der Ausdruck zu shu 祖述 wiederum ist eine Anspielung auf das Zhong Yong, wo es heisst, Konfuzius habe sich Yao und Shun zum Vorbild genommen (zhu shu).67 Fangs Aussage lautet somit, dass ebenso wie damals Konfuzius den richtigen Vorbildern gefolgt sei, die Autoren der Zeit Fangs sich am schlechten Beispiel Dai Zhens orientierten. Diese Beobachtung des Niedergangs der Gelehrsamkeit wird abgeschlossen durch ein Zitat des Shang Shu, Kapitel „Shun dian“, also durch ein Zitat aus einem der nicht authentischen Kapitel. Dieses lautet in der Übersetzung Legges und im Originalkontext: „Lung, I abominate slanderous speakers, and destroyers or right ways, who agitate and alarm my people“ (Legge 1991, Vol. III 49).68

Interpretation Hier sollen Informationen zur Frage gegeben werden, vor welchem Hintergrund sich diese Diskussion abspielt. Politisch war das Reich im 19. Jh. im Niedergang begriffen, Korruption und Nepotismus liessen sämtliche Abläufe erstarren. Mächtige

66 Der Text lautet im Original: „自是以來,俗儒記誦詞章之習,其功倍於小學而無用;異端虛 無寂滅之教,其高過於大學而無實。其他權謀術數,一切以就功名之說,與夫百家眾技之流, 所以惑世誣民、充塞仁義者,又紛然雜出乎其閒。使其君子不幸而不得聞大道之要,其小人不 幸而不得蒙至治之澤,晦盲否塞,反覆沈痼,以及五季之衰,而壞亂極矣!“ (Zhu Xi 2001, 2). 67 Zhong Yong Abschnitt 29 lautet: „仲尼祖述堯舜,憲章文武;上律天時,下襲水土.“ (Zhu Xi 2001, 43). In der Übersetzung Weber-Schäfers: „Chung-ni machte Yao und Shun zu seinen Ahnen und setzte ihre Linie fort. Er machte Wen und Wu zu seinen Vorbildern, nach denen er sich richtete. Nach oben richtete er sich nach den Gezeiten des Himmels, nach unten folgte er Wasser und Erde“ (Weber-Schäfer 1963, 63). 68 Der Ausdruck entstammt dem Kapitel „shun dian“ des Shang Shu, wo Legge die ganze Passage „龍,朕堲參讒說殄行,震驚朕師。 “ wie oben angegeben übersetzt (Legge 1991, Vol. III, 49). Fang Dongshu meint mit seiner Anspielung ohne Zweifel die ganze Passage. So lässt er das Shang Shu für ihn sprechen, was er nicht selbst aussagen will: dass es solche gibt, die das Volk in Unruhe und Furcht versetzen. Dass „In Unruhe versetzen“ auch noch durch Dai Zhens persönlichen Namen zhen ausgedrückt wird, und der Satz damit auch als „… und Zhen versetzt unser Volk in Angst“ gelesen werden kann, ist nur noch eine glückliche Koinzidenz.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

„­Lineages“, also Erbtraditionen von Gelehrtenschulen verteilten Ämter in Verwaltung und Akademien an ihre Mitglieder oder deren Kinder. Die Beamtenprüfungen fragten Wissen ab, das für die Arbeit in der Verwaltung von keinerlei praktischem Nutzen war, das Reich war überdehnt und erschöpfte sich in der Verwaltung der riesigen hinzugekommenen Landmasse in Zentralasien und der Mongolei. Sozial gab es grosse Spannungen, u.a. wegen des starken Bevölkerungswachstums, wobei es hier auch die Möglichkeit einer statistischen Fehleinschätzung gibt, wonach die Bevölkerung nicht um eine Dimension gewachsen ist, sondern die Erhebungsmethoden in 1750 andere waren (Mote diskutiert diese Möglichkeiten, vgl. die Einleitung). Innerhalb der konfuzianischen Gelehrten war die Aufbruchstimmung aus der Anfangszeit der Dynastie verflogen, nachdem die neue Art des Umgangs mit den klassischen Texten auch keine Veränderung im Hinblick auf Textsicherheit und Eindeutigkeit der Lehre gebracht hatte. Die Klassiker standen auf nicht sehr viel stabileren Füssen als zuvor, bzw. die Befürchtung herrschte vor, dass weitere textkritische Untersuchungen die textlichen Grundlagen weiter beschädigen könnten. Ausserdem gab es offenbar unterschiedliche Auffassungen über das Selbstverständnis von Literaten. Ideale eines Spezialisten mit seiner Beschränkung auf einen Zweig (etwa Wang Niansun) stehen dem songzeitlichen Bildungsideal eines Ouyang Xiu oder Su Dongpo gegenüber, die sich in den Bereichen Kalligraphie, Poesie, Prosadichtung, Geschichte, Konfuzianismus und aktueller Tagespolitik gleichermassen kompetent fühlten. Zusammenfassend kann man festhalten, dass das Thema der Kontroverse eine ganz grundsätzliche Kollision von unterschiedlichem Selbstverständnis der konfuzianischen Gelehrten und ihrer Funktion in der Gesellschaft ist. Zentrales Thema dieser Kontroverse ist erneut die Auseinandersetzung um den Begriff der Rechten Ordnung li, allerdings in Beziehung auf die Menschlichen Bedürfnisse. Wie oben ausgeführt, versucht Dai Zhen nicht, den Begriff aus dem konfuzianischen Diskurs zu streichen, wie es ihm Fang Dongshu an mehreren Stellen vorwirft, sondern sein Argument zielt darauf ab, die daoxue-Auffassung von li zu modifizieren. Da es sich auf beiden Seiten der Kontroverse um eine apologetische Argumentation über ein metaphysisches Thema handelt, kann es nicht erstaunen, dass beide Seiten externe Autoritäten zur Stärkung ihrer Glaubwürdigkeit zitieren. Bei Dai Zhen sind dies die „Weisen des Altertums“ (gu sheng ren 古聖人), deren Regierung Dai als Ideal der daoxue entgegenhält. Diese habe sich primär an den menschlichen Empfindungen und Bedürfnissen orientiert, welche wiederum in Mengzi Ziyi Shuzheng als mit der Rechten Ordnung eng verbunden bezeichnet werden. Dai bezeichnet sie sogar als ein Ausdruck derselben: „All that exists in us and in others is called feelings. That which is neither excessive nor inadequate



Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz 

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feeling is called principle.“ (Chin & Freeman 1990, 72) (在己與人皆謂之情,無過 情無不及情之謂理). Indem Cheng und Zhu die Rechte Ordnung und die menschlichen Empfindungen als zwei getrennte Konzepte auffassten, sogar als Gegensätze, offenbarten sie für Dai ein vollkommen falsches Menschenbild, nämlich das eines Wesens, das seine Triebhaftigkeit im Zügel halten muss, was durch rationale Erkenntnis nicht zu leisten ist. Dai hält dieser Auffassung eine sachlichere, weniger idealistische entgegen, welche die „Bedürfnisse“ der Bevölkerung ins Zentrum stellen will. Fang Dongshu zitiert als externe Autorität die Kommentare der Vier Bücher und beruft sich damit einerseits auf die daoxue-Tradition, andererseits auch auf die staatliche Macht, deren Apotheose Zhu Xis im staatlichen Opfer einer weiteren Kanonisierung der daoxue-Kommentare gleichkommt. Fang geht zunächst nicht auf die Argumente Dais ein. Das heisst, er lässt sich nicht auf eine Diskussion darüber ein, was laut daoxue das Verhältnis zwischen den menschlichen Empfindungen und der Rechten Ordnung ist. Stattdessen versucht er seinerseits Dais Empfindungsbegriff zu diskreditieren, indem er diesen mit den persönlichen Ansichten und Vorstellungen yijian in Verbindung bringt. Die Auseinandersetzung der beiden Kontrahenten in dieser Kontroverse lässt sich zusammenfassen als eine Diskussion darum, ob die „Rechte Ordnung“ eine Ordnung innerhalb der Menschenwelt ist, welche menschliche Politik zu verändern und anzupassen in der Lage ist, wie Dai meint, oder ob es sich um eine kosmische Ordnung handelt, der sich der Mensch zu unterwerfen hat, wie Fang Dongshu argumentiert.

Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz Diese dritte Kontroverse dreht sich um dieselbe Problematik wie die zweite: das unterschiedliche Verständnis des Begriffs der Rechten Ordnung (li) bei Dai Zhen und bei Cheng Yi und Zhu Xi (Fang Dongshu 1998, 278–280). Als neues Argument vergleicht Dai die Auswirkungen der Anwendung der Rechten Ordnung (li) mit dem legalistischen Gebrauch des Gesetztes (fa). Der in diesem Angriff zitierte Text Dais ist eine Paraphrase des Schreibens mit dem Titel „yu mou shu 與某書“. Der Text wurde insofern paraphrasiert, als die erste von Fang zitierte Hälfte den Schluss des Briefes darstellt und der zweite Teil aus der Mitte des Textes stammt. Wie zuvor beim Text, der den Anstoss für die zweite Kontroverse lieferte, wurde auch dieser Brief vom Verlag Zhonghua Shuju nicht in Dai Zhen Wenji veröffentlicht, sondern in Mengzi Ziyi Shuzheng (vgl. Dai Zhen 1961, 173–174).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Aussage Dai Zhens 又曰﹕古人之學「在通民之欲,體民之情,故學成而民賴以生。後儒冥心求『理』, 其繩以『理』,酷如商、韓之用法」,「彼自以為『理』得,而天下受其害者眾也。」 又曰﹕「聖人之道,使天下無不達之情,求遂其欲,而天下治。後儒不知情之至於纖 悉無憾是為『理』,而其所謂『理』者,同於酷吏之所謂法。酷吏以法殺人,後儒以 『理』殺人,浸浸乎舍法而論 『理』,死矣,更無可救矣!」 Auch sagte er: Das Lernen der Menschen Altertums bestand daraus, „die Bedürfnisse des Volkes durchdringend zu verstehen und die Empfindungen des Volkes nachzuvollziehen. So wurde das Lernen umfassend und das Volk verliess sich darauf für seine Existenz. Die späteren Konfuzianer suchten in ihrem unzugänglichen Herzen nach dem Erlangen der Rechten Ordnung. Sie verknüpften [die Bedürfnisse und Empfindungen des Volkes] mit der Rechten Ordnung, so dass sie ebenso unerbittlich wurden wie Shang [Yang] oder Han [Fei Zi] in ihrem Einsatz des Gesetzes69“, „Seitdem jene meinten, die Rechte Ordnung begriffen zu haben, haben sehr viele auf der Welt davon Schaden genommen.“ Und er meinte auch: „Der Rechte Weg des Weisen führte dazu, dass es auf der Welt nichts gab, das nicht mit menschlichen Empfindungen zu erlangen gewesen wäre, daher wurde entsprechend den Bedürfnissen nach [den Dingen] gestrebt und die Welt war geordnet. Die späteren Konfuzianer verstanden nicht, dass als Rechte Ordnung nichts Anderes zu gelten hat, als den menschlichen Empfindungen in jeder Hinsicht Geltung zu verschaffen, so dass keine Wünsche mehr offen bleiben. Was sie aber für die Rechte Ordnung hielten, war dasselbe wie das, was grausame Beamte „das Gesetz“ nannten. Die grausamen Beamten töten mit ihrem Gesetz Menschen, [ebenso wie] die späteren Konfuzianer Menschen durch ihre Rechte Ordnung töteten. Ganz allmählich das Gesetz wegzulassen, dafür aber die Rechte Ordnung zu erörtern, ist ebenso tödlich, nur dass es noch weniger Rettung davor gibt.“

Dai Zhen greift wie in den vorhergehenden Kontroversen die Verwendung des Begriffes der Rechten Ordnung durch die daoxue an. Er wählt hier aber einen stärker politischen Blickwinkel, wenn er li als ein unflexibles und formalistisches Instrument bezeichnet, mit welchem das Volk regiert werde. Die darauf gegründete Regierung kümmert sich nicht um die wahren Bedürfnisse des Volkes, sondern sie verteidigt mit der Rechten Ordnung ein ausserhalb der Lebenswirklichkeit der Menschen stehendes philosophisches Konzept. Dai vergleicht ein solches Verständnis von li mit dem Verständnis von „Gesetz“ in der legalistischen

69 Mit den „späteren Konfuzianern“ bezeichnet Dai Zhen die songzeitliche daoxue. Mit Shang Yang 商鞅 (ca. 390–338 v.Chr.) und Han Fei Zi 韓非子 (~280–233 v.Chr.) sind die beiden wichtigen Vertreter des Legalismus gemeint, deren staatspolitische Auffassung auf das Gesetz fa 法 gründete (vgl. Fung Yu-lan 1952, Kapitel 13). Da die Legalisten und Konfuzianer sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten, und weil zur Zeit der Hochblüte des Legalismus, während der Qindynastie (221–206), die Konfuzianer und ihre Schriften aktiv bekämpft und ihre Schriften verbrannt worden waren, stellt die Gleichsetzung von Neokonfuzianern und Legalisten eine sehr starke Beschimpfung dar.



Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz 

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Schule (fa jia). Diese war wie die mohistische (mo jia) oder die sophistische (ming jia) eine der vorqinzeitlichen philosophischen Schulen, die im Unterschied zu diesen aber sehr konkreten Einfluss auf die Regierung eines Lehnsstaates genommen hatte – des später reichseinigenden Staates Qin. Die legalistische Regierung der ersten Dynastie Qin wurde in der späteren konfuzianischen Historiographie als unmenschlich und grausam beschrieben.70 Dais Gleichsetzung der daoxue mit der legalistischen Herrschaft ist daher hochgradig polemisch. Dai schreibt in diesem ersten Zitat, dass die Konfuzianer der Songzeit sich nicht an den Bedürfnissen des Volkes orientiert hätten, sondern „in ihrem unzugänglichen Herzen nach der Rechten Ordnung“ gesucht hätten. Der hierfür verwendete Ausdruck „ming xin qiu li 冥心求理“ wird auch im Mengzi Ziyi Shuzheng zweimal verwendet, und zwar in der bereits in der zweiten Kontroverse zitierten Passage.71 Der Ausdruck scheint wiederum einen polemischen Vorwurf zu implizieren, denn ming hat eine starke buddhistische Konnotation und der Begriff ming xin wird als definiert als „sein Herz ruhig machen“ und auch „meditieren“ (Ding Fubao 1984, 869c–870b; HYDCD 2:449; Ricci 2001, 4:465). Dai greift also die daoxue nicht nur aufgrund ihres seiner Meinung verfehlten Verständnisses von li an, der beschuldigt sie auch, über die Erlangung desselben zu meditieren und damit inaktiv gewesen zu sein. Der Vorwurf der Meditation wird für gewöhnlich gegen die mingzeitliche xinxue erhoben, aber Dai verwirft diese Differenzierung, indem er bereits die songzeitlichen Gelehrten der Meditation bezichtigt. Der zweite provokante Ausdruck in Dai Zhens Text ist „ku li 酷吏“. Dai verwendet den Begriff ku li, was die Bezeichnung für grausame Beamte im entsprechenden Kapitel der Biographien des Shiji ist.72 Er vergleicht danach die ­songzeitlichen Konfuzianer mit diesen legalistischen Beamten und behauptet, beide hätten auf ihre Weise Menschen getötet. Alleine die Tatsache, dass dieses Kapitel des Shiji mit „ku li“ überschrieben ist, reicht vielleicht noch nicht als Hinweis auf eine Anspielung. Es kann aber noch auf eine weitere Parallele ­hingewiesen werden,

70 Der konfuzianische „Backlash“ gegen die Legalisten begann mit dem Essay Guo Qin Lun 過秦論 von Jia Yi 賈誼 (200–168 v. Chr.) unmittelbar nach dem Ende der Qinzeit. Die hohe Wertschätzung gegenüber dem Text lässt sich erkennen an der Tatsache, dass er an prominenter Stelle sowohl im Wen Xuan als auch in Yao Nais Gu Wenci Leizuan erscheint (für eine Teilübersetzung vgl. de Bary & Bloom 1999, 228–231). Vgl. auch die Diskussion der Quellen in Twitchett & Loewe 1986, 90–102. 71 „But if the one principle lies scattered throughout events and things, then one must seek it in one’s dark and profound heart-and-mind.“ Original: 理散在事物,於是冥心求理. 72 Das Kapitel über „Grausame Beamte“ ist das 62. der Biographien und insgesamt Kapitel 122 von Sima Qians Werk. Parallele Formulierungen zwischen dem Kapitel und Dai Zhens Angriff liessen sich nicht finden. Für eine Übersetzung vgl. Szuma Chien 1979, 437–461.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

die ebenfalls sehr deutlich ist. In diesem Kapitel Sima Qians 司馬遷 (145–86) wird u.a. von einem besonders grausamen Beamten namens Yi Zong 義縱 berichtet. Als dieser zum Verwalter einer Provinz gemacht wurde, war sein erster Akt laut Shiji einer von enormer Grausamkeit, der in der Übersetzung von Hsien-yi und Gladys Yang wie folgt lautet: „[Yi Tsung’s] first act upon arrival was to seize two hundred and more prisoners who were in the provincial gaol for heavy and light offences, along with more than two hundred friends and relatives who had slipped in without permission to see them. Accusing them all of conniving at the escape of criminals charged with capital offences, he had all four hundred and more of them executed that same day. Then the men of that province trembled and those who were cunning began to help the officers in their tasks.“73 Der letzte Satz dieses Abschnitts lautet im textus receptus wie folgt: „hua min zuo li wei zhi 猾民佐吏為治“ (=> „Die Gerissenen begannen den Beamten dabei zu helfen, Ordnung zu schaffen“). Für diesen Text wird im tangzeitlichen Kommentar von Sima Zhen 司馬貞 (8. Jh., fl. 713–741), dem Shiji Suo Yin 史記索隱, eine Textvariante angegeben, die Dai Zhen aufgrund der frühen Entstehungszeit (und damit hohen Autorität) Dais Wortwahl beeinflusst haben mag. Bei Sima Zhen lautet der fragliche Satz „zuo li wei li 佐吏為理“ (=> „die Gerissenen begannen den Beamten dabei zu helfen, die Rechte Ordnung zu schaffen“; vgl. Sima Qian 1982, 10:3146; Takigawa Kametarô 1932–43, 2:1964.29). Dai Zhen spielt also auf eine Stelle an, in der zumindest der Kommentar eine Verbindung von grausamen Beamten und Rechter Ordnung suggeriert. Gelehrte, denen diese intertextuelle Anspielung geläufig war, empfanden die Anschuldigung, dass man „mit li Menschen tötet“ möglicherweise als noch etwas plausibler.

Fang Dongshus Replik Rechte Ordnung als Grundlage eines geordneten Staates 按﹕情之至於纖悉而無憾是為「理」。 此是「理」之極至大通處, 自古聖人之心在是, 聖人之政即在是。 堯、 舜、 禹、 湯、 文、 武、 周公之所已行, 孔孟之所講求而欲行之 者。 舍是無他事, 程朱豈反不知? 顧民之為道也, 生欲既遂, 邪欲又生。 苟不為之品 節政刑, 以義理教之, 則私妄熾, 而驕奢淫泆, 犯上作亂, 爭奮之禍起焉。 聖人知其 然, 故養欲給求, 以遂其生。 又繼之治教政刑, 以節其性。 司徒之命, 修道之教, 學 校之設, 所以明民者, 惟義理之用為急, 故曰﹕「惟天生民有欲, 無主乃亂, 惟天生聰 明時乂。」 又曰﹕「以義制事, 以禮制心。」此所以能纖悉無憾也。

73 Der Originaltext lautet: „縱至,掩定襄獄中重罪輕繫二百餘人, 及賓客昆弟私入相視亦二 百餘人。 縱一捕鞠, 曰「為死罪解脫」。 是日皆報殺四百餘人。 其後郡中不寒而栗, 猾民佐 吏為治。“ (Sima Qian 1982, 10:3146). Für die Übersetzung vgl. Szuma Chien 1979, 452.



Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz 

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今謂不當以義理為教, 而弟惟民之欲是從, 是率天下而亂也。 不知何代、 何王, 有此治法? 殆莊、 老過中皇古之說, 荒唐之言耳。 Replik: Die menschlichen Empfindungen in jedem Belang zur Geltung zu bringen, so dass keine Wünsche mehr offen bleiben, eben dies gilt als Rechte Ordnung. Dies ist der allgemeinste Begriff der Rechten Ordnung in seiner universellen Gültigkeit. Seit dem Altertum waren die Herzen der Weisen genau hierauf gerichtet, ebenso wie [auch] die Regierung der Weisen hierauf gerichtet war. Was Yao, Shun, [Shang] Tang, [Zhou] Wen [Wang], [Zhou] Wu [Wang] und der Herzog von Zhou noch persönlich umgesetzt haben, und was Konfuzius und Menzius in ihren Lehren forderten und umzusetzen wünschten, ist nichts anderes [als dies]. Wie hätten Cheng und Zhu dies nicht wissen können? Meiner Meinung zufolge ist die Art, wie das Volk den Rechten Weg beschreitet der, dass dort elementare Bedürfnisse entstehen, denen daher nachgegeben wird. Es entstehen aber zugleich auch die schlechten Bedürfnisse [d.i. „Verlangen“]. Wenn man dann diese nicht deutlich unterscheidet und durch Regierung und Strafrecht begrenzt; wenn man es [d.i. das Volk; M.W.] nicht in Moraltheorie (yili) unterweist, dann lodert der Irrsinn eigensüchtiger Interessen [erneut] auf. Und daraus entsteht dann solches Unglück wie Hochmut, Räuberei und moralisch liederliches Verhalten, die Auflehnung gegen die Obrigkeit und Aufruhr und [schliesslich] Kampf (zhengduo 爭奪). Die Weisen erkannten, dass dem so war, deshalb liessen sie das Bedürfnis nach Nehmen und Geben entstehen, um so diesem elementaren [Verlangen] zu entsprechen. Sie führten dies auch fort in ihrer politischen Ordnung, der Erziehung, ihrer Regierung und dem Strafrecht, um dementsprechend die menschliche Natur zu begrenzen. Der Befehl eines Befehlshabers, die Lehranweisung der Lehre, die Errichtung einer Schule74 ist das, womit man das Volk erleuchtet. Doch all dies sind nur Anwendungen der Moraltheorie (yili). Deshalb heisst es [im Shang Shu]: „Der Himmel hat das Volk so geschaffen, dass es Bedürfnisse hat. Wenn sie keinen Herren haben, wird es in Aufruhr verfallen; deshalb hat der Himmel auch den einsichtigen [Herrscher] geschaffen, der zur rechten Zeit eingreift.“ Und „Mit korrektem Verhalten die [gesellschaftlichen] Angelegenheiten regeln, mit den Riten das Herz regeln.“75 Auf diese Weise kann man die menschlichen Empfindungen durchdringend kennen und [sie vollkommen zur Geltung zu bringen], so dass keine Wünsche mehr offen bleiben.

74 Errichtung einer Schule ist die Wiedergabe von xiu dao zhi jiao 修道之教. Da zu Beginn des Zhong Yong xiu dao als jiao definiert wird („xiu dao zhi wei jiao 修道之謂教“), ist Fangs Formulierung zu verstehen als „die Lehre der Lehre“. Die hier gegebene Formulierung der „Errichtung einer Schule“ erfolgt, um die Parallelität zu den vorhergehenden beiden Ausdrücken beizubehalten. 75 Beide Passagen entstammt dem Kapitel „Zhong Hui zhi gao 仲虺之誥“ (Ruan Yuan 1980, 161b, 161c–162a). Die Passagen lauten im Original „惟天生民有欲,無主乃亂;惟天生聰明時乂“ und „以義制事, 以禮制心“. Die Übersetzung wurde hier Fang Dongshus Argument angepasst. Legge übersetzt: „Heaven gives birth to the people with such desires, that without a ruler they must fall into all disorders; and Heaven again gives birth to the man of intelligence whose business it is to regulate them.“ und „Order your affairs by righteousness; order your heart by propriety“ (Legge 1991, Vol III 178 u. 182).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Nun gibt es solche, die meinen, man sollte nicht die Moraltheorie unterrichten, sondern stattdessen einfach dem folgen, was die Bedürfnisse des Volkes sind, doch dies führt die Welt sicherlich ins Chaos. Ich weiss nicht, welche Dynastie oder welcher König je solche Regierungsprinzipien angewandt hätte. Einzig Zhuang Zi und Lao Zi haben gegen die alte Theorie des Regierens auf dem mittleren Weg verstossen und vollkommen absurde Worte [verbreitet].76

Dieser erste Teil der Replik reagiert auf den Vorwurf Dais, die menschlichen Bedürfnisse würden nicht gebührend berücksichtigt. Stattdessen versuche eine von der daoxue beeinflusste Regierung, dem abstrakten und lebensfernen Konzept der Rechten Ordnung zu entsprechen (was immer das heisst), während sie die objektiven Bedürfnisse der Menschen im Reich unberücksichtigt lasse. Dem hält Fang Dongshu erstens eine Definition von li entgegen, die genau Dais Forderung entspricht; er zitiert aber daneben auch die Weisen des Altertums als Beispiele einer Regierung gemäss diesem Verständnis der Rechten Ordnung. Mit anderen Worten: Fang definiert die Rechte Ordnung als eben das Regierungsprinzip, welches Dai seinem Verständnis des li-Begriffs als Ideal entgegenhält. Dadurch bewirkt er den Eindruck, Dai Zhen habe erstens die Regierung der Weisen des Altertums nicht verstanden und zweitens betont er mit der folgenden rhetorischen Frage die Kontinuität der philosophischen Anliegen und der Lehre vom Altertum zur songzeitlichen daoxue. Damit beruft er sich erneut auf die Lehre des daotong 道統, die in der ersten Kontroverse unter dem Abschnitt „dao“ bereits dargelegt wurde. Das Stichwort des folgenden Themas ist „min zhi wei dao“, was übersetzt wurde als „wie das Volk den Rechten Weg umsetzt“. Obwohl Fang dem min zhi wei dao ein gu 顧 vorausschickt, das eigentlich eine eigene Überlegung einleitet, ist es sehr deutlich, dass er im Folgenden Bezug nimmt auf Abschnitt 3A.3 des Menzius, in dem der konfuzianische Lehrer mit dem Fürsten von Teng genau diese Frage des Entstehens schlechter und guter Bedürfnisse im Volk erörterte. Er leitet dies ein durch die Worte „min zhi wei dao“. Es heisst dort (in der Übersetzung D.C. Laus): „This is the way of the common people. Those with constant means of support will have constant hearts, while those without constant means will not have constant hearts. Lacking constant hearts, they will go astray and get

76 Wie Fang Dongshu in seinem Kommentar präzisiert, gilt dieser Hinweis dem Kapitel 11 „zai you 在宥“ des Zhuang Zi 莊子. Dort wird die Meinung eines gewissen Lao Dan 老聃 zitiert, welcher traditionell als Autor des Dao De Jing 道德經 angesehen wurde. Im Kapitel wird die Ansicht vertreten, jede Form von Regierung sei abzulehnen, ob es sich dabei um einen weisen oder schändlichen Herrscher handeln mag. So wird in dem Kapitel eine Fundamentalkritik an jeglicher Regierungsform formuliert, was für Fang natürlich eine Ungeheuerlichkeit ist. Der im weiteren genannte Zhuang Zhou 莊周 bezeichnet ebenfalls den Autoren des Zhuang Zi.



Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz 

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into excesses, stopping at nothing. To punish them after they have foul of the law is to set a trap for the people.“77 Zunächst ist diese Passage aus dem Menzius ein Beleg für Fangs Behauptung, dass nicht alle Menschen dieselbe Art von Bedürfnissen entwickeln, sondern dass zusammen mit den guten auch die schlechten Bedürfnisse entstehen. Weiterhin ist aus dem Menzius-Text aber auch ein Hinweis auf das Strafgesetz zu entnehmen, welcher als Replik auf Dais Vorwurf passt, die „Rechte Ordnung“ der daoxue entspreche dem „Gesetz“ der Legalisten. Gemäss Dai setzen beide Gruppen ihren zentralen Begriff rigide und unflexibel ein, also ohne auf die Bedürfnisse des Volkes Rücksicht zu nehmen. Dieser Ansicht hält Fang durch die Anspielung auf  Menzius entgegen, dass ganz im Gegenteil erst das unkritische Eingehen auf die Bedürfnisse des Volkes ohne zusätzliche Lenkung zu einem Einsatz des Gesetzes führen muss. Fang konstruiert so eine Parallele zwischen Dai Zhens Anliegen, die Bedürfnisse des Volkes zur Richtlinie der Politik zu machen, und dem Herrscher, der gemäss Menzius sein Volk in eine Falle lockt. Nach diesem impliziten Vorwurf führt Fang Dongshu aus, an welche Art der Lenkung er denkt, um das Volk nicht in die beschriebene Falle laufen zu lassen, bzw. um selbstsüchtiges Verhalten einzudämmen: moralische Erziehung. Die verwendete Formulierung „gou bu wei zhi pinjie zhengxing, yi yili jiao zhi 苟不為之品 節政刑, 以義理教之“ enthält wiederum zwei Anspielungen auf Zhu Xis Kommentare, einmal auf den Kommentar zum ersten Satz des Zhong Yong, wo die Kultivierung xiu definiert wird als „unterscheiden und begrenzen“ („pinjie“) („脩, 品節之也“; Zhu Xi 2001, 20). Die zweite intertextuelle Anspielung bezieht sich auf Zhus Kommentar zu Lunyu 2.03, wo zhengxing als Mittel empfohlen wird, um die Menschen von Verbrechen abzuhalten: „Regierung und Strafrecht können das Volk dazu veranlassen, sich von Verbrechen fernzuhalten.“ („zhengxing neng shi min yuan zui er yi 政刑能使民遠罪而已“, Zhu Xi 2001, 63). Tatsächlich spricht sich der Meister in diesem Abschnitt gegen die Gesetze aus. Eine Führung des Volkes ausschliesslich auf der Basis von Tugend und Riten, wie es dort vorgeschlagen wird, erscheint aber im zeitgenössischen Kontext der Qing völlig unrealistisch. Die Folgen einer Regierung ohne diese Form der Lenkung beschreibt Fang danach, wobei nur Schlagworte aufgezählt werden, die das Bild eines gesellschaftlichen Zerfalles zeichnen. Auch hier gibt es mehrere Anspielungen auf die kanonischen Werke in Form markierter Begrifflichkeit, am offensichtlichsten zu sehen in „fan shang zuo luan 犯上作亂“, einer Anspielung auf Lunyu 1.02.

77 Für die Übersetzung vgl. D. C. Lau 1984, 97. Der chinesische Text lautet: „民之為道也,有恆 產者有恆心,無恆產者無恆心。苟無恆心,放辟邪侈,無不為已。及陷乎罪,然後從而刑之, 是罔民也。“ (Zhu Xi 2001, 297).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Im letzten Teil dieses Arguments zitiert Fang nun seinerseits die „Weisen“, mit denen die oben genannten bekannten Herrscher und Lehrer gemeint sind. Kernaussage des Absatzes ist, dass all die aufgezählten Einrichtungen der weisen Könige letztlich „Anwendungen“ der moralphilosophischen Lehre darstellen. Damit spielt Fang auf die in der chinesischen Philosophie (und speziell bei Dai Zhen prominenten) Dichotomie von „Substanz“ (ti 體) und „Anwendung“ (yong 用) an. Die in der Aufzählung genannten Institutionen der Weisen sind die „Anwendung“, aber die Moraltheorie bleibt deren „Substanz“. Seine Ausführungen werden abgeschlossen durch ein Zitat aus dem Shang Shu, mittels dessen Fang die Aussage bekräftigt, dass die objektiven Bedürfnisse des Volkes zwar Teil der menschlichen Natur sind, dass sie aber einer lenkende Kontrolle bedürfen, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gewährleisten. Schliesslich stellt Fang die Haltung der hanxue den Institutionen der Weisen des Altertums entgegen. Dabei behauptet er zum wiederholten Male, dass Dai Zhen schlicht die Moraltheorie abschaffen und die Menschen nur noch ihren Bedürfnissen nachkommen lassen wolle. Dies ist natürlich eine polemische Unterstellung, vor allem da Fang Dongshu in der Folge Dai mit den Daoisten gleichstellt, denen von konfuzianischer Seite oft genau diese Geisteshaltung ­vorgeworfen wurde. Ebenso wie der Vorwurf Dais, dass die daoxue und der Legalismus Parallelen aufwiesen, ist daher auch der folgende Vergleich mit dem Daoismus ein polemischer. Auch hier gibt es gewisse Formulierungen, die Zitate der Vier Bücher darstellen, aber es scheinen weniger intertextuelle Anspielungen zu sein als lediglich vertraute Formulierungen. So ist der Ausdruck „shuai tianxia 率天下“ aus Menzius 6A.1 bekannt, sowie aus verschiedenen Kommentarstellen des Zhu Xi. Durchwegs wird er als Ausdruck einer schlechten Führung verwendet, wie es Fang hier auch tut. Die „Bedürfnisse des Volkes“ („min zhi yu 民之欲“), welche Fang als Dais Leitprinzip erkennt, werden prominent in Zhus Kommentar zu Menzius 7A.12 thematisiert, einer Stelle des Menzius, in welcher gesagt wird, dass das Volk Regierung, die sie tötet, keinen Vorwurf macht, wenn es den höheren der  ­ Sinn  des eigenen Todes versteht, und wenn dadurch die Existenz des gesamten Volkes gesichert bleibt (Lau 1984, 267–269: „If the services of the common people were used with a view to sparing them hardship, they would not complain, even when driven hard. If the common people were put to death in pursuance of a policy to keep them alive, they would die bearing no ill-will towards the man who put them to death.“). Zu diesem Abschnitt des Menzius zitiert Zhu Xi Cheng Yi mit einer Aussage, welche die wahren Bedürfnisse der Menschen beschreibt, und dafür einen neuen Ausdruck verwendet: ben yu 本欲. Cheng weist die von Menzius beschriebenen Situationen als solche „eigentlichen Bedürfnisse“ aus.



Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz 

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Kritik an der hanxue-Methode 然戴氏非能有老莊玄解, 不過欲堅與程朱立異。 故其說惟取莊周言, 尋其腠理, 而析之 節者有間等語, 解 「理」字為 「 腠理」, 以闢程朱「無欲」為「理」之說, 則亦仍不 出訓詁小學伎倆。 不知言各有當, 執一以解經, 此漢學所以不通之膏盲錮疾, 又肆之以 無忌憚之言, 以汩亂聖人之經教。“ Doch Herrn Dai war es nicht möglich, so wie Lao [Zi] oder Zhuang [Zi] auf eine geheimnisvolle Erläuterung zurückzugreifen. Und doch wollte er unbedingt eine Lehrmeinung etablieren, die sich von Cheng und Zhu unterschied. Deshalb hat er nur die Wortbedeutungen übernommen, die [bei] Zhuang Zhou [gültig sind] und hat nur die „Struktur“ von Muskelfasern herangezogen. Dann hat er diese aus dem Zusammenhang herausgerissen und definierte so li [d.i. „die Rechte Ordnung“] als die Struktur einer Muskelfaser, um so die Theorie Chengs und Zhus zu kritisieren, wonach „das Verschwindenlassen von Begierden“ als „Rechte Ordnung“ gilt. Doch damit kam er nicht über die Kunst der Wortglossierung und der philologischen Hilfswissenschaften hinaus. Er erkannte nicht, dass jedes Wort eine angepasste Bedeutung haben kann, sondern hielt an einer [Bedeutung] fest und wollte damit die Klassiker erklären. Genau dies ist, was die hanxue nicht versteht und wobei sie blindlings an ihrer Verirrung festhält. Und dazu greifen sie noch mit unbedacht-furchtlosen Worten an und bringen damit die Klassiker und Lehren der Weisen in Unordnung.

Das eingangs der Passage zitierte Unvermögen Dais kann nicht restlos geklärt werden. Die Formulierung fei neng 非能 lässt zwar keinen Zweifel an seinem Unvermögen, aber die Stelle ist trotzdem nicht verständlich. Einerseits kann es als persönlicher Angriff auf Dai Zhen verstanden werden, der ihm unterstellt, im Gegensatz zu den daoistischen Gründerfiguren Lao Zi und Zhuang Zi nicht über die intellektuelle Kapazität verfügt zu haben, eine xuan jie, also eine geheimnisvolle Erläuterung, gegeben zu haben. Die andere Erklärung ist, dass es Dai eben nicht möglich war, eine geheimnisvolle Erklärung zu geben, weil der Ausdruck xuan eine stark daoistische Konnotation hat im Zusammenhang mit den Kommentaren der sog. xuanxue 玄學 aus dem dritten und vierten Jahrhundert. Fang hätte Dai in diesem Fall zwar zugestanden, die Fähigkeiten zu haben, aber er war in das Korsett der konfuzianischen Argumentation eingezwängt, die ihm einen Rückgriff auf das wenig Fassbare und Geheimnisvolle zur Erklärung von Phänomenen nicht erlaubt. Ich neige stärker der zweiten Erklärung zu. Im ersten Teil dieses zweiten Abschnitts greift Fang Dongshu trotzdem deutlicher als bisher die Person Dai Zhens an. Wie zu Beginn seiner Replik in der ersten Kontroverse greift er hier offenbar auf Informationen aus der chronologischen Biographie Dais zurück. Die erste dort wiedergegebene Anekdote aus dem Leben Dais schildert bekanntlich sein hartnäckiges Hinterfragen der Autorität Zhu Xis im Alter von zehn Jahren (Dai Zhen 1980, 216; vgl. auch Fangs Replik in der ersten Kontroverse). Aber auch sonst gibt es im Werk Dai Zhens genügend Hinweise auf seine grundsätzliche Ablehnung Zhu Xis. Vgl. etwa den Beginn des „yu mou shu

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

與某書“ in Dai Zhen 1961, 173, wo er die Leistungen der songzeitlichen Konfuzianer schmäht.78 Diesen Grundsatz der Opposition aus Prinzip meint Fang Dongshu vor allem in Dais Versuch zu erkennen, die Klassiker durch die Glossen der hanzeitlichen Kommentare zu lesen, wobei es eine sicherlich bewusst falsche Darstellung ist, dass Dai sämtliche Stellen des antiken Schrifttums, in denen li auftaucht, in der Bedeutung des Zhuangzi lesen wollte. Zudem lässt Fang vollkommen ausser Acht, dass es objektiv einen guten Anlass für das Hinterfragen der textlichen Grundlagen der konfuzianischen Lehre gab, wie die Untersuchung Yan Ruoqus und Hu Weis zu Beginn der Qing über die zentralen Texte des Shangshu und des Yi Jing ja bewiesen hatten.79 Indem die hanxue eben nicht mehr nur die textlichen Grundlagen sichern wollte, sondern einen wirklichen Angriff auf die Deutungshoheit der daoxue unternahm, bezichtigt Fang hier Dai Zhen der Fundamentalopposition.80 Fang lässt sich hier nur auf eine kurze Diskussion der hanxue-Methode ein, doch benennt er daran ein „grundsätzliches Problem“. Gemeint ist der ursprünglich auf die Gelehrtenfamilie Hui aus Suzhou zurückgehende methodische Ansatz der hanxue, die Glossen der hanzeitlichen Kommentare wie auch die hanzeitlichen Apokrypha zu den Klassikern (wei shu 緯書), aber in einem geringeren Mass auch die Kommentare aus der frühen Wei-Jinzeit, als wichtigste Hinweise auf eine „ursprüngliche Bedeutung“ (benyi 本義) von Wörtern zu verstehen. Die in diesen frühen schriftlichen Zeugnissen glossierten Bedeutungen werden als

78 Dai schreibt etwa – um nur ein willkürliches Beispiel herauszugreifen – nachdem er die Leistungen der han- und jinzeitlichen Konfuzianer lobend hervorgehoben hat, über seine songzeitlichen Vorgänger: „Die Leute der Songzeit verliessen sich einzig auf die subjektive Ansicht in ihrer eigenen Brust. Folglich war dasjenige, das sie [in ihrer Lehre] akzeptierten, weitgehend absurd, und was nicht absurd war, das verwarfen sie“ („宋人則恃胸臆為斷, 故其襲取者多謬, 而不謬者在其所棄.“). 79 Im einleitenden Text wird Hu Wei nicht genannt, dafür wird dort in einem Atemzug mit Yan der jüngere Hui Dong genannt, was bemerkenswert ist. Hui wird dort einer älteren Form des Umgangs mit den Texten zugerechnet, deren Effekt Fang beschreibt als „die Grundlagen wegwerfen und den Nebensächlichkeiten viel Aufmerksamkeit schenken duo ben qin mo 墮本 勤末“ erst als sich die hanxue von der daoxue-Morallehre lossagte, hätte sie einen schlechten Einfluss auf die „Herzen der Menschen“ ausgeübt: „Sie haben die Herzen der Menschen dazu gebracht, nur noch ihren Vergnügungen nachzugehen und die Prioritäten zu verschieben, indem sie ihre Herzen [dazu brachten,] die Song zu marginalisieren und sich auf die Han zu verlegen.“ 80 Im einleitenden Text heisst es hierzu, unmittelbar auf das vorherige Zitat folgend: „Später kamen dann Herr Dai und andere. Diese haben von Tag zu Tag mehr Zerstörung angerichtet; mit ihrer intelligenten Art, alles zu hinterfragen konnten sie absolut selbstgenügsam sein. Ihre sprachliche Formulierungsgabe und literarische Ausdruckskraft schafften es, eine ganze Generation zu verunsichern. Folglich wollten sie Cheng und Zhu zur Seite räumen und an ihre Stelle treten.“



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zentral betrachtet und die hanxue schreibt ihnen eine vorrangige Gültigkeit zu. Dies ist eine der Methoden, wie die Verwendung von Begriffen durch die daoxue diskreditiert werden soll, wobei als einziges Argument die Anciennität der hanzeitlichen Kommentare angeführt wird. Unter den vielen hanzeitlichen Quellen fanden vor allem drei grosse Beachtung: die Glossen des Kommentators Mao Chang 毛萇 (?–?; fl. 155–129 v. Chr.) zum Shi Jing, diejenigen Zheng Xuans 鄭玄 (127–200) zu Shi Jing und den Ritenklassikern sowie die Einträge Xu Shens 許慎 (58–148?) in seinem Wörterbuch Shuowen Jiezi. Dieses Prinzip lässt sich verdeutlichen anhand der ersten Diskussion des li-Begriffs in Dais Mengzi Ziyi Shuzheng, auf welche sich Fang hier auch bezieht: Dai zählt dort die Verwendung von li in verschiedenen klassischen Schriften auf und zitiert zum Schluss das Kapitel „yue ji“ des Liji, von wo aus er auf Zheng Xuans Kommentar und schliesslich das Shuowen Jiezi übergeht. Es heisst dort: „The ‚Record of Music‘ says ‚Music is [created through] an understanding of relations and differences (lun-li).‘ In his commentary Cheng K’ang-ch’eng defines li as ‚differentiation.‘ In the preface to his Explanations of Words and Elucidation of Characters (Shuo-wen chieh-tzu), Hsü Shu-chung said‚ [The inventor of the script] knew that [from the traces of birds and animals] patterns and order (fen-li) can be distinguished.‘ What the ancients called principle was never the same thing as what latter-day scholars called principle.“81 (Chin & Freeman 1990, 70). Aber auch beim anderen wichtigen Autoren der Schule, Hui Dong 惠棟 (1697–1758), findet sich diese Methode, vgl. etwa seine Diskussion philosophischer Schlüsselbegriffe in „Yi wei yan“, dem letzten Teil seines Zhou Yi Shu 周易述. So schreibt er etwa zum Begriff des „Einen, alles Durchdringenden“ („yi guan 一貫“), der in Lunyu 4.15 und 15.02 erörtert wird: „Der Rechte Weg des Einen, alles Durchdringenden ist so, dass Knaben von drei Ellen [Körpergrösse] ihn verstehen können, und dass Greise von einhundert Jahren nicht anders können, als ihm zu folgen. Wenn songzeitliche Konfuzianer behaupten, dass einzig [die Konfuziusschüler] Yan Zi, Zeng Zi und Zigong ihn erfahren hätten, so ist das falsch.“ Es folgt eine lange Reihe von Zitaten, in denen entweder yi guan oder die als Erklärung vom Schüler Zeng Zi verwendeten Begriffe zhong 忠 und shu 恕 zitiert werden, die aber keine Evidenzen für die zitierte Zurückweisung des songzeitlichen Konfuzianismus darstellen.82

81 Zitat aus Mengzi Ziyi Shuzheng: Der Text lautet im Original: „樂記曰:「樂者,通倫理者 也。」鄭康成注云﹕「理,分也。」許叔重說文解字序曰:「知分理之可相別異也。」古人所 謂理,未有如後儒之所謂理者矣。“ (Dai Zhen 1994–1997, 6:151). 82 Hui Dongs Ausführungen zum „yi guan“-Begriff lauten im Original: „一貫之道, 三尺童 子皆知之、 百歲老人行不得。 宋儒謂唯顏子、 曾子、 子貢得聞一貫。 非也。“ (Vgl. Yixue

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Indem die hanxue sich auf den Rückgriff auf frühere Glossen beschränkte, betrieb sie tatsächlich die „Kunst der Wortglossierung und der philologischen Hilfswissenschaften“. Dieser Vorwurf rührt von der Tatsache her, dass die hanzeitlichen Kommentatoren kaum inhaltliche Exegese betrieben, sondern sich weitgehend auf das Glossieren von Wortbedeutungen beschränkten. Dai Zhen bemerkte verschiedentlich, dass seiner Meinung zufolge die hanzeitlichen Exegeten, allen voran Zheng Xuan, ein akkurateres Verständnis der antiken Schriften hatten. Dafür gibt er zwei Gründe an, die beide damit zusammenhängen, dass die hanzeitlichen Exegeten zeitlich näher an der antiken Periode lebten und sich somit noch nicht so viel verändert hatte. Die Veränderungen werden nicht genau benannt, aber Dai gibt in zwei Texten folgende Gründe für seine Bevorzugung der frühen Quellen: Im Vorwort zu seinem Mengzi Ziyi Shuzheng bezieht sich Dai auf die Aussage Han Yus 韓愈 (768–824) in dessen Text Yuan Dao 原道 (Über den Ursprung des Rechten Wegs), wonach die Tradierung des Rechten Wegs (daotong) mit Menzius zu Ende gegangen sei.83 Daher müsse man zuerst Menzius richtig verstehen (Dai Zhen 1994–97, 6:148). Die andere Aussage entstammt einem Text namens Zheng Xue Zhai Ji 鄭學齋記 (Aufzeichnung über das Studio zum Studium des Zheng [Xuan]), in welchem er über das Studierzimmer Wang Changs 王昶 (1725–1806) schrieb, das eben diesen Namen trug. Dort gibt er der Meinung Ausdruck, dass die songzeitliche daoxue eben nicht eine legitime Anknüpfung an die Traditionen des Altertums darstelle. Vielmehr stelle sie eine vollkommen neue Orthodoxie dar, die dazu geführt habe, dass die Gelehrten die hanzeitlichen Kommentare und tangzeitlichen Subkommentare unbeachtet liessen (Dai 1980, 177). Dai Zhen versucht so, der daoxue die Legitimität abzusprechen, indem er ihre selbst proklamierte Anknüpfung an das Altertum negiert. 所謂生於其心, 害於其事; 作於其事, 害於其政者也。 且程朱所嚴辨 「理」、「欲」, 指人主及學人心術邪正言之, 乃最喫緊本務, 與民情通然好惡之欲迥別。 今移此混彼,

Jinghua 1990, 2512b; Meine Interpunktion; M.W.). Zu den drei genannten Schülern: Zeng Zi und Zigong werden in den beiden Abschnitten explizit genannt. Yan Zi, laut Lunyu Lieblingsschüler des Meisters, wird nirgends in den Zusammenhang mit dem yi guan genannt. Als verständigster Schüler des Konfuzius ist es für die Tradition aber undenkbar, dass er diese grundlegende Lektion nicht verstanden hätte. Dementsprechend zählt Zhu Xi Yan Zi im Kommentar zu 15.02 zur Gruppe der Verständigen hinzu (Zhu Xi 2001, 190). 83 Die Kontinuität der Lehre wird von verschiedenen Autoren unterschiedlich aufgefasst. Bei Han Yu endet sie mit Menzius, wodurch er das Buch Xunzi, aber auch die hanzeitlichen Konfuzianer Yang Xiong 揚雄 (auch 楊雄; 53 v. Chr.–18 n. Chr.) und Dong Zhongshu 董仲舒 (179– 104 v. Chr.) ausschliesst. Bei späteren Autoren werden auch die wichtigen Vertreter der daoxue wie Cheng Yi oder Zhu Xi zur daotong gerechnet. Zhu Xi selbst formulierte seine Auffassung im Vorwort zum Zhong Yong, wo Kontinuität der Lehre bis zu den Cheng-Brüdern geht.



Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz 

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妄援立說, 謂當通遂其欲, 不當繩之以 「理」, 言 「理」則為 「以意見殺人」, 此亘 古未有之異端邪說! 而天下方同然和之, 以蔑 「理」為宗, 而欲以之易程朱之統也。 Dies ist, was man nennt: Wenn etwas im Herzen entsteht, so verursacht es einen Schaden bei den [gesellschaftlichen] Angelegenheiten; was man [auf dieser Grundlage] bei den Angelegenheiten tut, hat schädliche Auswirkungen auf die [gesamte] Gesellschaft. Als zudem Cheng und Zhu die Begriffe „Rechte Ordnung“ und „Begierde“ streng unterschieden, da wiesen sie darauf hin, dass sowohl der Herrscher der Menschen als auch die Gelehrten in ihren Herzen über die ­Fähigkeit verfügen, Schlechtes und Gutes zu differenzieren. Dies ist das absolut Dringlichste und ihre zentralste Pflicht, und darin sind sie auch gleich geartet wie die Empfindungen des Volks: Auch dieses will gute und schlechte Bedürfnisse deutlich unterscheiden. Nun ändert man dies und bringt jenes durcheinander, stellt abstruse Theorien auf, wonach man grundsätzlich seinen Bedürfnissen folgen solle. Man gebietet [der Tendenz, den Bedürfnissen nachzugeben] keinerlei Einhalt durch [einen Verweis auf die] Rechte Ordnung, behauptet dann aber, [die späteren Konfuzianer] „töteten mit ihrer Rechten Ordnung Menschen“. Das ist wirklich eine sonderbare und verquere Theorie, wie es sie seit Alters her nicht gegeben hat. Aber alle auf der Welt stimmen ihr zu und nehmen sich die Zerstörung der Rechten Ordnung als Ziel vor, womit sie das Vermächtnis von Cheng und Zhu verändern wollen.

Dieser Teil der zweiten Hälfte der Replik beginnt mit einem nicht korrekt wiedergegebenen Zitat aus Menzius 2A.2. Es heisst dort: „What arises in the mind will interfere with policy, and what shows itself in policy will interfere with practice.“84 Fang hat die vier Sätze leicht umgestellt, indem er die bei Menzius vorgegebene Reihenfolge von Herz – Politik – Angelegenheiten zugunsten einer neuen Reihenfolge veränderte, bei der die Politik am Ende steht. Dies ist wohl als eine Folge der Tatsache zu betrachten, dass Fang auswendig zitierte. Denn trotz der Umstellung drückt das Zitat dieselbe Bedeutung aus: Alles, was Menschen tun, entsteht in ihrem Herzen und hat damit Auswirkungen auf ihre Handlungen. Die Stelle im Menzius ist ein Zwiegespräch mit dem Schüler Gongsun Chou 公孫丑, aber Thema des Gespräches ist Menzius’ Kritik an Gao Zi 告子. In seinem Kommentar führt Zhu Xi deutlich aus, dass das Herz als Grundlage jeder menschlichen Äusserung zu betrachten ist, und dass korrekte Äusserungen nur aufgrund eines durchdringenden Verständnisses der Rechten Ordnung möglich werden. Diese Aussage gipfelt in der rhetorischen Frage Zhus „Jemand, der nicht über ein Herz verfügt, dass den Rechten Weg durchdringend versteht, aber ohne Zweifel ist gegenüber der natürlichen Rechten Ordnung, wer hätte solches je vermocht?“85 Daher lässt sich die einleitende Aussage Fang Dongshus als gegen Dai Zhen gerichteten Vorwurf verstehen, dass dieser eben auf der

84 Der Originaltext von Menzius 2A.2 lautet „生於其心,害於其政;發於其政,害於其事。“ (Zhu Xi 2001, 271). Für die Übersetzung vgl. D. C. Lau 1984, 59. 85 Im Original: „非心通於道,而無疑於天下之理,其孰能之?“ (Zhu Xi 2001, 271).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Grundlage seines Herzen argumentierte, in welchem er ein grundlegendes Missverständnis trägt. Da Dai die Rechte Ordnung nicht richtig verstand, konnte er, entsprechend der Frage Zhu Xis, auch den Rechten Weg nicht verstanden haben. Gleichzeitig scheint Fang sich implizit mit Menzius zu vergleichen, während er Dai Zhen mit Gao Zi gleichsetzt. Dieser Vergleich wird zum Schluss der Kontroverse erneut aufgegriffen. Der folgende Hinweis auf die Ähnlichkeit der Herzen eines Fürsten, einer Gelehrtem sowie einer Person aus dem Volk erfolgt vor dem Hintergrund, dass Fang Dai unterstellt, dieser wolle die Empfindungen der Menschen zur Grundlage für die Politik machen. Dem hält Fang entgegen, dass die Empfindungen immer in gute und schlechte unterschieden werden müssten. Dies tue nicht der Kaiser als Herrscher der Menschen, sondern dies sei ein grundsätzliches menschliches Bedürfnis, wie Fang ja dann im Weiteren auch deutlich macht. Die Empfindungen der Menschen sind wichtig, ihre Bedürfnisse berechtigt, aber diese müssen erst vor der Instanz der „Rechten Ordnung“ bestehen, wo sie in gut und schlecht differenziert werden. Als textliche Basis für diesen Abschnitt liesse sich Menzius 3B.9 zitieren, wenn auch der Bezug nicht allzu deutlich scheint. Dort wird im Kommentar der auch hier zitierte Ausdruck „xin shu 心術“ verwendet, was die Fähigkeit des Herzens meint, die Unterscheidung zwischen gut und schlecht vorzunehmen.86 Zudem wird in diesem Abschnitt beschrieben, wie die schlechten Herrscher der Vergangenheit dem Volk schadeten, indem sie ihren selbstsüchtigen Bedürfnissen nachgaben, und so Wohnhäuser abreissen liessen, um künstliche Teiche zu ihrem Vergnügen anlegen zu lassen. Schliesslich endet Menzius diese längere Passage mit folgender Erklärung, die sich auch auf die Situation Fang Dongshus beziehen lässt: „I, too, wish to follow in the footsteps of the three sages in rectifying the hearts of men, laying heresies to rest, opposing extreme action, and banishing excessive views.“ 或問, 彭魯岡曰﹕陽明謂與愚夫愚婦同的, 方是同德,當乎? 曰﹕須必同夫與知與能, 不然, 愚夫愚婦之習心、 習氣, 待教化處尚多,何可與同?87

86 Im Kommentar zu Mengzius 3B.9 heisst es: „Wenn schlechte Theorien überall im Umlauf befindlich sind, so schädigt dies die Fähigkeit der Herzen der Menschen zur Erkenntnis, was schlimmer ist als die Unbill, welche Flutwasser oder wilde Tiere bringen und verheerender als das Unglück von Barbareneinfall oder Königsmord, daher fürchtete Menzius dieses zutiefst und versuchte mit aller Macht, davor zu schützen.“ („蓋邪說橫流,壞人心術,甚於洪水猛獸之災, 慘於夷狄篡弒之禍,故孟子深懼而力救之“; Zhu Xi 2001, 320). 87 Ich habe die Interpunktion der als Vorlage verwendeten Textausgabe übernommen. Die Antwort könnte auch als Antwort des Peng Dashou auf die Frage seines Schülers verstanden



Dritte Kontroverse: Rechte Ordnung und Gesetz 

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Jemand fragte mich Folgendes: Peng Lugang88 sagte: „[Wang] Yangming meinte, dasjenige, womit törichten Männern und Frauen gleichermassen [wie Weise] ausgestattet sind, sei die allen gemeinsame Tugend. Trifft dies zu?“ Darauf sage [ich]: Es ist unbedingt so, dass sie gleich sind im [angeborenen] Wissen und in ihren [angeborenen] Fähigkeiten. Aber beim erworbenen Wissen und der erworbenen [Art zu] Handeln gibt es aufgrund der Zeit und der Erziehung noch viele Punkte, die man verbessern könnte, wozu sollten sie also alle [mit den Weisen] gleich sein?

In diesem letzten Absatz, der die Kontroverse beschliesst, weist Fang mit anderen Worten darauf hin, dass nicht alle Menschen gleich sind, und dass man daher nicht für alle Menschen dieselben Regeln ihres freien Willens zulassen kann, bzw. sie bloss gemäss ihren Bedürfnissen handeln lassen kann. Wies Fang im obenstehenden letzten Absatz noch darauf hin, dass Menschen gute und schlechte Absichten haben, so kommt er hier auf die Unterscheidung zwischen weisen und törichten Menschen zu sprechen, um so zu verdeutlichen, dass es nicht nur Unterschiede bei den Interessen, sondern auch bei den Veranlagungen gibt. Er verweist hier auf Diskussionen in Wang Yangmings 王陽明 (1472–1529) Chuan Xi Lu 傳習錄, die wiederum auf einer Aussage in Abschnitt 12 des Zhong Yong fussen. Bei Wang sind die törichten Männer und Frauen das Gegenstück zum Weisen. Er sagte zur Differenzierung zwischen Weisen und Törichten in Abschnitt 139 seines Werkes (gemäss der Übersetzung Wing-tsit Chans): „In innate knowledge and innate ability, men and women of simple intelligence and the sage are equal. Their difference lies in the fact that the sage alone can extend his innate knowledge while men and women of simple intelligence cannot.“ (Chan 1963b, 108). Gleichzeitig heisst es in Abschnitt 271 desselben Buches: „Someone asked about heresy. The Teacher said, ‚what can be understood and practiced by men and women of simple intelligence is called universal virtue. What cannot be understood and practiced by of men and women of simple intelligence is called heresy‘.“ (ebd. 220).89 Fang Dongshu baut sein Argument auf eine Kombination der beiden Sprüche, indem er den törichten Menschen

­ erden, was aber gemäss Interpunktion der Ausgabe und auch der Edition im Dai Zhen Quan Shu w unwahrscheinlich erscheint. 88 M.E. meint Fang mit Peng Lugang 彭魯岡 Peng Dashou 彭大壽, (1612–1690), einen spätmingzeitlichen Gelehrten, der nach dem Beginn der Qing Studenten unterrichtete, sich dann aber zurückzog. Er hat ein Werk kompiliert mit dem Titel Lu Gang Huo Wen 魯岡或問, aus welchem Fang wohl seinen Namen ableitet. Lugang ist laut einschlägigen Nachschlagewerken allerdings keiner der Beinamen Pengs (ZHZ 2242). 89 Originaltext Wang Yangming entstammt Abschnitt 139 des Chuan Xi Lu und lautet: „良知、 良能, 愚夫、 愚婦與聖人同: 但惟聖人能致其良知, 而愚夫、 愚婦不能致, 此聖愚之所 由分也。“ Abschnitt 271: „或問: 「異端。」 先生曰: 「與愚夫、 愚婦同的, 是謂同德; 與愚夫、 愚婦異的, 是謂異端。」“ (Wang Shouren 1992, 49 u. 107).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

­ ieselben Anlagen und die universale Tugend zugesteht. Auch stimmt er Wang d insofern zu, als er andere Entwicklungsmöglichkeiten als nur in Richtung auf den Status des Weisen sieht, nämlich das praktische Wissen und Handeln der geistig einfachen Leute. Dieser Abschnitt könnte neben der oben erwähnten Illustrierung der Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen auch als Angriff auf seinen Widersacher Dai Zhen verstanden werden. Das Zitat würde dann dem Zweck dienen, Dai Zhen als töricht darzustellen, indem Fang ihm zubilligt, mit einer tugendhaften Haltung an die Problematik herangetreten zu sein. Gleichwohl kann er es einfach nicht mit dem Weisen aufnehmen, womit Fang hier natürlich Zhu Xi meint. Er stellt also Dai als Narren hin und Zhu als Weisen. Schliesslich erscheint es mir interessant zu bemerken, dass der auf Abschnitt 271 folgende Absatz 272 des Chuan Xi Lu eine Erörterung des in Menzius 2A.2 erörterten Unterschieds der Herzen zwischen demjenigen Menzius’ und dem Gao Zis darstellt. Es ist allerdings nicht möglich, darzulegen, ob Fang hier einen Rückbezug auf die eingangs des zweiten Abschnittes erwähnte Passage des Menzius beabsichtige oder nicht.

Vierte Kontroverse: Der Edle und der Rechte Weg Gemäss einer editorischer Angabe Zhu Weizhengs im Text stammt die hier zitierte Passage (Fang Dongshu 1998, 280–281) aus demselben Text Dais mit dem Titel „yu mou shu 與某書“, aus dem Fang auch Passagen für die dritte Kontroverse zitiert. Die hier wiedergegebene Passage steht in Dais Originaldokument vor dem in der dritten Kontroverse diskutieren Abschnitt des Textes (vgl. Dai Zhen 1961, 172–174). Fang hat einige Formulierungen abgeändert, was wohl erneut auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass er auswendig zitierte. So liess es sein literarisch geschulter Geist aus Tongcheng offenbar nicht zu, zwei parallele Sätze mit demselben Verb zu formulieren und entsprechend hat er in einer Überkorrektur in der zweiten Hälfte von Dai Zhens Satz „Mengzi bi Yang, Mo; Tuizhi bi Fo, Lao 孟子闢楊墨,退之闢佛老“ das zweite bi durch rang 攘 ersetzt. Die zwischen den beiden Zitatmarkierungen eingesetzten Wörter „yi ji zhi jian qiang duan xing zhi 以己之見強斷行之“ bilden eine Paraphrase des im Original „yi ji suowei li qiang duan xing zhi 以己所謂理強斷行之“ lautenden Teilsatzes. Nach dem folgenden Satz, der mit „xing shi guai 行事乖“ endet, zitiert Dai Zhen den Satz aus Menzius 2A.2, den auch Fang in der letzten Kontroverse zitierte, weshalb er ihn hier wohl nicht erneut anführt.



Vierte Kontroverse: Der Edle und der Rechte Weg 

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Aussage Dai Zhens 又曰﹕「君子或出或處,可以不見用,用則必措天下於治安。宋以來儒者,以己之見硬 坐為古聖賢立言之意,而語言文字實未之知;其於天下之事」,以己之見強斷行之,「 而事情原委隱曲實未能得,是以大道失而行事乖」。「而天下受其處」,「不知者, 且以躬行實踐之儒歸焉不疑。夫躬行實踐」,「釋氏之教亦爾」。孟子闢楊墨,退之攘 佛老,當其時,尊楊墨、佛老者,或曰﹕是聖人也,是正道也,吾所尊而守者,躬行實 踐,救人心,贊治化,天下尊之,帝王尊之之人也。然則君子何以闢之哉?愚人睹其功 而不睹其害,君子深知其害故也。 Auch sagte er: „Die [wahre] Edle tritt manchmal hervor, manchmal bleibt er am Ort. Er lässt zu, dass er unter Umständen nicht [als Amtsträger] eingesetzt wird. Wenn er benutzt wird, dann wird er unweigerlich das Reich in Ordnung und Frieden setzen. Jene, die sich seit der Songzeit als Konfuzianer bezeichnen, halten steif und fest ihre eigenen Ansichten für dasjenige, was die Weisen und Tüchtigen des Altertums mit ihren Worten im Sinn gehabt hätten, dabei fehlt ihnen sogar die [korrekte] Kenntnis von Sprache und Schrift. Ihr Umgang mit den Angelegenheiten der Welt“ ist dergestalt, dass sie diese gemäss ihren eigenen sturen Ansichten regeln, so dass „die eigentlich zentralen Punkte der Angelegenheit verborgen und verquer bleiben und nicht angegangen werden können. Auf diese Weise geht der grosse Rechte Weg verloren und das Erledigen von Angelegenheiten wird verhindert.“ Und das gesamte Reich erleidet die Konsequenzen hiervon. Jene (d.i. die daoxue) haben nichts erkannt. Und was noch dazu kommt, sie werden durch jene Konfuzianer über alle Zweifel hinaus in ihren Ansichten bestärkt, welche [die Lehren von Cheng und Zhu] persönlich in die Praxis umsetzten. Doch etwas persönlich in die Praxis umsetzen kommt auch in den Lehren Herrn Shakyamunis vor. Zur Zeit, da Menzius Yang [Zhu] und Mo [Di] angriff, und als [Han] Tuizhi90 Buddha und Laozi attackierte, da waren diese ebenfalls hoch angesehen. Wenn jemand [über Cheng und Zhu] sagte: „Dies sind Weise, dies ist der korrekte Rechte Weg. Diesen werde ich ehren und bewahren, werde ihn persönlich in die Praxis umsetzen, um so die Herzen von Menschen zu retten und zur Verbreitung von Ordnung und Kultivierung beizutragen“, so wird er zu einer Persönlichkeit vom [Typ] ‚das gesamte Reich verehrt ihn‘ oder vom [Typ] ‚Kaiser und Könige verehren ihn‘. [Vielleicht fragt man daher:] Einen solchen ‚Edlen‘, wie kann man diesen nur angreifen? [Ich antworte:] Die Törichten erkennen nur seine Leistung, aber sie erkennen den von ihm angerichteten Schaden nicht. Nur der [wahre] Edle hat tiefgehende Kenntnis der Gründe für den von diesem angerichteten Schaden.

Der Beginn des zitierten Textes, d.h. „junzi huo chu huo chu 君子或出或處“ ist eine intertextuelle Anspielung auf das „Xi Ci Zhuan“ zum Yi Jing. In der ausgezeichneten Übersetzung Lynns lautet die Passage: „In the Dao of the noble man / There’s a time for going forth / and a time for staying still, a time to remain silent / and a time to speak out.“ (Lynn 1994, 58).91 Die Anspielung enthält m.E.

90 Han Tuizhi 韓退之 ist der Volljährigkeitsname Han Yus 韓愈 (768–824). 91 Yi Jing „Xi Ci Zhuan“: „君子之道,或出或處,或默或語。 二人同心, 其利斷金。同心之言, 其臭如蘭。“ (SSWJ YJ:59). In der nachgedichteten Übersetzung Richard Wilhelms heisst es: „Das

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keine implizierte Kritik, sondern ist lediglich ein metaphorischer Verweis auf die unterschiedlichen Lebensläufe konfuzianischer Gelehrter. Die Interpretation dieses Satzes steht und fällt mit der Bedeutung von „jian yong 見用“, das ich hier verstehe als „in einem Amt einsetzen“. Demnach spricht Dai Zhen den im Geiste der daoxue ausgebildeten Konfuzianer die Fähigkeit ab, mit ihrer Ausbildung gute Beamte werden zu können, wenn das Reich nicht sowieso schon geordnet ist. Zusätzlich verstärkt wird die Kritik durch den Vorwurf, dass die Gelehrten nicht nur an der falschen Auslegung der konfuzianischen Lehre festhalten, sondern zudem nicht einmal die sprachlichen Grundlagen beherrschten. Entsprechend lässt sich dieser Absatz auch als nur geringfügig verklausulierte Kritik an der Unterstützung der daoxue durch den Kaiserhof verstehen. Der qingzeitliche Hof unterstützte bekanntlich durch die finanzielle Förderung von Akademien und Druckprojekten, sowie durch die rituelle Erhöhung Zhu Xis im Konfuziustempel die daoxue (vgl. Wilson 1995, 26–29 u. 60–69; Chow 1994, Kap. 5 u. 6). Fang Dongshu fasst es allerdings weniger als Kritik an den zeitgenössischen Gelehrten auf, als vielmehr als direkten Angriff auf Cheng und Zhu, wie aus der Replik zu ersehen ist. Im zweiten Abschnitt formuliert Dai eine Kritik, welche auch eines der letzten Argumente im Mengzi Ziyi Shuzheng bildet, und dort nur leicht paraphrasiert wiederholt wird. Was hier als „persönlich“ oder „selbst durchführen“ übersetzt wird, ist der chinesische Ausdruck gong xing 躬行, der seinen Ursprung in Lunyu 7.32 hat (SSWJ-Nummerierung), wo es heisst: „子曰文莫吾猶人也。 躬行君子。 則吾 未之有得。“Lau übersetzt: „The master said, ‚In unstinted effort I can compare with others, but in being a practising gentleman I have had, as yet, no success.‘“ (D. C. Lau 1983, 65; Wilhelm 1914, 73–74 behilft sich mit so vielen Einschüben, dass seine Version hier nicht zitierbar ist). Dies mag bei Konfuzius eine andere Bedeutung gehabt haben, etwa die politische Realisation seiner Prinzipien, aber durch die daoxue-Rezeption stand der Begriff in der späten Kaiserzeit für die persönliche Umsetzung der Lehre in die Praxis. Dies hat seit Cheng Yi auch introspektive Aspekte einer Selbstprüfung.92 Der hier verwendete Ausdruck „gong xing

Leben führt den ernsten Mann auf bunt verschlungnem Pfade. Oft wird gehemmt des Laufes Kraft, dann wieder geht’s gerade. Hier mag sich ein beredter Sinn in Worten frei ergiessen, Dort muss des Wissens schwere Last in Schweigen sich verschliessen.“ (Wilhelm 1923, 232). 92 Für die zunehmende introspektive Bedeutung vgl. Bol 1992, 327–342. Vgl. auch die Bemerkung Xie Liangzuos 謝良佐 (1050–ca.1120, (alternative Daten: 1050–~1103, nach ZRBQ)) im ­Kommentar, der die persönliche Umsetzung des Edlen als Möglichkeit zur Erlangung der Weisheit bezeichnet und sie mit den drei in Lunyu 14.30 genannten Wegen für den sheng ren gleichsetzt: „能躬行君子,斯可以入聖, 故不居;猶言君子道者三我無能焉。“ (Zhu Xi 2001, 117).



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shi jian 躬行實踐“ wird von Dai dann auch in Mengzi Ziyi Shuzheng in diesem Sinn verwendet. Dort heisst es in der Übersetzung Chins und Freemans: „Furthermore, the world thinks of them as Confucians ‚who carry out in their conduct what they profess‘ and believes them without question. But Yang Chu. Mo Ti, Iao (sic!) Tzu, and the Buddhists also ‚carried out in their conduct what they profess.‘ They also encouraged virtue, reprimanded wrongdoers, tried to save people’s minds from falling, and favored regulation and education. As a result, the whole world as well as the emperors and kings honored and trusted them. In the past Mencius and Han Tzu pointed out the fallacies in their teachings. It was only after Mencius and Han Tzu had spoken against them that the people for the first time knew that these men were different from the sages, but ultimately they did not know exactly what the difference was.“93 Ziel dieses Arguments Dais ist es, Kritik zu üben an der orthodoxen und von Seiten des Hofes geförderten Lehre der daoxue. Durch den Verweis auf Yang Zhu und Mo Di, bzw. Buddha und Lao Zi lässt Dai Phasen der chinesischen Geschichte anklingen, in denen der Konfuzianismus nicht die dominante Lehre im Reich war. Gemäss seiner Implikation waren dies Phasen der Unordnung, die durch die Besinnung auf den Rechten – will sagen konfuzianischen – Weg wieder beendet werden konnten. Als die beiden zentralen Figuren, welche diese Rückbesinnung betrieben und damit die häretischen Lehren bekämpft haben, hat die Tradition Menzius für die Vorqinzeit und Han Yu für die Tang bestimmt. Diese Darstellung ist zwar historisch ungenau, denn sie unterschlägt den Einfluss der hanzeitlichen Konfuzianer wie Dong Zhongshu 董仲舒 (179–104 v. Chr.), Yang Xiong 揚雄 (auch 楊雄; 53 v.Chr.–18 n.Chr.) oder Wang Chong 王充 (Geb. 27; gest. zwischen 89 und 104) ebenso wie denjenigen des Autors des tangzeitlichen Zhong Shuo 中說, Wang Tong 王通 (583–~618), von den Kommentatoren der Han bis Tang gar nicht zu sprechen, aber sie entspricht der Lehre der orthodoxen Tradierung des Weges daotong. Da Han Yu selbst in Yuan Dao Menzius als den letzten korrekten konfuzianischen Denker bezeichnete, muss auch Dai diese Ansicht übernehmen, da er ja keine Kanonisierungsdebatte anstrebt, sondern eine exegetische um die korrekte Auslegung der kanonischen Werke. Han Yu selbst war mit seiner Opposition gegen die Buddhaverehrung zunächst auch nicht erfolgreich, hatte mit seiner

93 Für die Übersetzung vgl. Chin und Freeman 1990, 175 oder Ewell 1990, 425. Der Text lautet im Original: „世又以躬行實踐之儒,信焉不疑。夫楊、墨、老、釋,皆躬行實踐, 勸善懲 惡,救人心,贊治化,天下尊而信之,帝王因尊而信之者也。孟子、韓子闢之於前,聞孟子、 韓子之說,人始知其與聖人異而究不知其所以異。“ (Dai Zhen 1961, 59). Für eine alternative Übersetzung vgl. Ewell 1990, 424–425.

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Kritik an Buddhismus und Daoismus aber den Grundstein gelegt für den erneuten Aufschwung der Lehre des Konfuzianismus.94 Han muss daher als Vorläufer der daoxue bezeichnet werden, weil er zu deren Gedankengerüst im engeren Sinne direkt nichts beitrug. Letztlich zielt Dais Kritik aber natürlich gegen die daoxue der Qingzeit. Weil Dai die daoxue als eine durch den Buddhismus und Daoismus bastardisierte konfuzianische Lehre verstand, teilte er den Konfuzianismus ein in folgende drei Phasen: Vorqinzeit, Han bis Tang und seit der Song. Alles dies seien Phasen gewesen, in denen der „wahre“ Konfuzianismus nicht zur Geltung kam. In den historischen Fällen sei es jeweils so gewesen, dass sich Postulate der konfuzianischen Lehre auch im Daoismus und Buddhismus finden liessen, was er durch die Zitierung von gong xing zu belegen versucht, das gemäss seiner Darstellung sowohl für eine echte (konfuzianische) wie auch falsche (daoistische oder buddhistische) Weisheit steht. Dai greift sowohl lixue wie auch xinxue an, die beide der „persönlichen Umsetzung der Lehre“ grosses Gewicht beimessen, aber im aktuellen Kontext richtet sich der Vorwurf der Falschheit gegen seine qingzeitlichen Kontrahenten, während die genuine Lehre wohl bei der hanxue zu suchen ist. Wie in der historischen Parallele, bei der beiden die Verfolgung des Wegs des Weisen für sich reklamieren konnten, gilt auch in der aktuellen Situation: Die daoxue wird letztlich einen Schaden zeitigen, den nur „wahre Edle“ wie etwa Dai selbst, zu erkennen vermögen. Damit schliesst sich zum Ende des zitierten Textes die Auseinandersetzung mit dem „Edlen“. Zu Beginn seines Arguments bezog Dai die Bezeichnung auf die gemäss den Lehren der daoxue ausgebildeten Amtsinhaber seiner Zeit, zum Schluss meint er damit die gegen diese Lehre ankämpfende hanxue und ihre Anhänger, die er somit als wahre Edle den Gelehrten-Beamten entgegenhält.

Fang Dongshus Replik Die Tradierung des Rechten Wegs 按﹕為論披猖至此,肆無忌憚,所謂獸死不擇音者也!至乃謂程朱語言文字未之知, 事理原委未能得,致大道失而行事乖,天下受其咎,與楊墨、佛老同罪;凡尊信程朱 者,皆愚人,不睹其害。惟獨漢學君子,深知而憂之,故力闢之,不容己如此。 Replik: Wenn man beim Erörtern einer Frage so durcheinandergerät, so schreckt man wirklich vor gar nichts mehr zurück. Dies nennt man: ein sterbendes Tier wählt keinen Schattenplatz mehr aus. Was die folgenden Aussagen angeht – Cheng und Zhu hätten das Wissen zu Sprache und Schrift gemangelt; die zentralen Punkte der Angelegenheiten könnten nicht angegangen werden; am Ende ginge der grosse Rechte Weg verloren und

94 Vgl. hierzu etwa Idema und Haft 1997, 132; Bol 1992, 123–136.



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das Erledigen von Angelegenheiten würde verhindert; das gesamte Reich litte unter diesem Mangel und dies sei dasselbe Vergehen wie diejenigen von Yang, Mo, Buddha und Lao [Zi]; Jene die Cheng und Zhu vertrauten und sie verehrten, seien alles Narren, welche den Schaden nicht erkennen könnten. Einzig die Edlen der hanxue, die das tiefe Verständnis hierfür aufbringen und sich darum sorgen würden, bekämpften diese daher mit aller Kraft, da es sie überhaupt nicht angehe.

Zu Beginn seiner Replik greift Fang zunächst Dai an, indem er ihn auf verschiedene Arten beleidigt. Da ist zunächst die Formulierung pichang 披猖, die so keine auffindbaren Parallelen in der klassischen Literatur aufweist. Das Wort chang wird normalerweise mit kuang zum Binom changkuang 猖狂, aber hier steht es gemeinsam mit pi. Diese Kombination ist als changpi 猖披 aus der vierten Strophe des ersten Gedichts „Li Sao“ der Chu Ci 楚辭 bekannt, wo das Wort als Beschreibung der Verwirrtheit der letzten Herrscher der Dynastien Xia und Shang verwendet wird. In der Übersetzung Hawkes’ heisst es: „And how great was the folly of Jie and Zhòu, Who hastened by crooked paths, and so came to grief.“ (Hawkes 1985, 69. Original: 何桀紂之猖披兮). Der zweite Angriff ist die hier zum wiederholten Mal verwendete Formulierung si wu ji dan 肆無忌憚 (=> „vor gar nichts zurückschrecken“). Diese ist als klassisches Zitat sehr gut bekannt, und der Ausdruck wird als feste Redewendung auch an von anderen Autoren verwendet. Da aber die Ursprungsstelle im zweiten Absatz des Zhong Yong hier passen kann, sollte sie doch erwähnt werden: Es heisst dort: „xiao ren zhi zhong yong ye, xiao ren er wu ji dan ye 小人之中庸 也,小人而無忌憚也“. Weber-Schäfer übersetzt dies wie folgt: „Für den geringen Mann bedeutet, dass er sich gegen die Anwendung der Mitte wendet, dass er ein geringer Mann ist und vor nichts zurückschreckt.“ (Weber-Schäfer 1963, 32). Indem Fang Dongshu Dais Vorgehen mit Begriffen beschreibt, die zuvor in einer literarischen Vorlage an prominenter Stelle für die Beschreibung der sagenhaft schlechten Herrscher Jie und Zhou sowie des sprichwörtlichen xiao ren, des archetypischen Gegenstücks zum konfuzianischen Edlen geprägt wurden, bezeichnet Fang Dai als einen solchen xiao ren und lässt die verheerende Wirkung auf das Reich anklingen, die Jie und Zhou der Tradition zufolge zeitigten. Die Aussagen Dais schliesslich klassiert Fang mit einer Formulierung, die nicht in allen Ausgaben enthalten ist: „shou si bu ze yin 獸死不擇音“. Diese findet sich erstmals im 4. Buch Zhuangzi „ren jian shi“. Watson übersetzt: „When animals face death, they do not care, what cries they make.“ (Watson 1968, 61). Eine praktisch identische Stelle findet sich im Zuo Zhuan „Wen gong 17“, wo von einem sterbenden Hirsch (lu si 鹿死) die Rede ist. Yang Bojun zieht hierzu die Auslegungen von Kong Yingda 孔潁達 (574–648) und Du Yu 杜預 (222–284) heran. Letzterer erklärt yin 音 als Lautentlehnung für yin 蔭. Dem folgend übersetzt Legge die Stelle wie folgt: „The deer driven to its death does not choose

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the [best] place to take shelter in“. Ich folge in meiner Übersetzung dieser Auslegung (Legge 1991, Vol V 278; Yang Bojun 1985, 626). Doch ob das sterbende Tier nun keinen Schattenplatz wählt, oder in seinem Todesschrei nicht wählerisch ist, Fang verwendet es als Metapher für einen Zustand der Verzweiflung, in dem Fang Dai Zhen wähnt. Der Rest des Beginns der Replik wiederholt aus mir nicht ersichtlichen Gründen die Vorwürfe Dais, um im Folgenden eine Antwort darauf zu geben. Die einzige Erklärung für das erneute Herunterbeten der Vorwürfe Dais kann m.E. in der folgenden Gegendarstellung gesehen werden. Indem er Dais Kritikpunkte unmittelbar auf seine Gegenargumente prallen lässt, verdeutlicht Fang zusätzlich den Abstand zwischen den beiden Positionen. 竊以程朱以前,上溯晚周,其道失行乖與否?天下受咎與否?固與,程朱無與。若程朱以 後,元、明以來,何道之失,何行之乖,天下所受何咎,是為程朱所致?事跡昭然,生民 共睹,歷歷求之,一字不讐,此真無實不祥之言也! Meiner Meinung war vor Cheng und Zhu die späte Zhouzeit die vorhergehende Blüte [des Konfuzianismus]. Ist der damalige Rechte Weg [in den Dynastien zwischen Zhou und Song] verloren gegangen und wurde seine Ausführung verhindert oder nicht? Hat das Reich unter diesem Makel gelitten oder nicht? Ganz bestimmt [wurde er verhindert und hat das Reich gelitten]! Doch Cheng und Zhu hatten damit nichts zu tun. Doch in der Zeit seit Cheng und Zhu, also seit den Dynastien Yuan und Ming: welcher Rechte Weg soll denn da verloren gegangen sein? Welche Ausführung wurde denn da verhindert? Und inwiefern soll die Welt darunter gelitten haben? Und wieso soll das etwas mit Cheng und Zhu zu tun gehabt haben? Wenn man die Geschichte richtig versteht, so hat das Volk all dies erkannt. Es hat durch die Zeiten hindurch genau dies gefordert und [Cheng und Zhu] nicht ein Wort davon verargt. Dies [d.i. die Anschuldigungen der hanxue] ist wirklich unrealistisches und nicht differenziertes Gerede.

Dieser Abschnitt bietet Fang wiederum die Gelegenheit, eine generelle Differenz in der Einschätzung der Gegner vorzunehmen. Wie in der dritten gegen Dai gerichteten Kontroverse, wo es um die grundsätzliche Sprachauffassung ging, wird hier die Fundamentalkritik der hanxue an der daoxue hinterfragt. Anlass dazu ist die Aussage, das Reich habe durch die songzeitliche Interpretation der konfuzianischen Lehren Schaden genommen. Dem hält Fang Dongshu historisch zutreffend entgegen, dass der Konfuzianismus vielmehr einen im kaiserlichen China zuvor nie gesehenen Aufschwung und Blüte erlebt habe. Dabei bezieht sich Fang Dongshu auf die Tatsache, dass der von den Vertretern der hanxue so verehrte hanzeitliche Konfuzianismus mit Beginn der Wei-Jinzeit an Bedeutung verloren hatte, womit die songzeitlichen Lehrer freilich aus chronologischen Gründen „nichts zu tun hatten“. In dieser Zeit wurden der Daoismus, bzw. der Buddhismus die vorherrschenden geistigen Strömungen, welche die Gedankenwelt und ihre Manifestationen wie Malerei oder Literatur beeinflussten. Die songzeitliche daoxue hingegen hat von der Song bis ins 19. Jh. die verbindliche



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sinnstiftende Interpretation geleistet, insofern sich auf ihrer Basis auch die mingzeitliche xinxue entwickelte. 夫躬行君子,孔子所求,今並此黜之,謂不足貴,則天下尚安有白黑也!忿設詖邪至 此,而方且自以用必措天下於治安。其徒尊之,謂之「集群儒之大成,浩氣同盛乎孟 子;精義上掩乎康成、程朱;修詞俯視乎韓歐;性與天道,了然貫徹;故吐辭為經,用 則施政利民,舍則垂世立教而無弊。」 又曰﹕「其學有功於六經、 孔孟甚大,使後之學 者,無馳心於高妙,而明察於人倫庶物之間,必自戴氏始也。」又以能衛戴氏者,為衛 道之儒。邪妄熾結,任意亂道。雖天下之大無所不有,不應誕肆至此! Was es damit auf sich hat, persönlich als Edler zu handeln, so ist das etwas, das [schon] Konfuzius [selbst] gefordert hatte (Lunyu 7.33). Heutzutage wird aber sogar dies abgelehnt und behauptet, es habe keinen Wert. Daher ist es wahrlich kein Wunder, dass es auf der Welt noch immer richtig und falsch gibt. [Dai Zhen] verabscheute [das persönliche Umsetzen in die Praxis] und stellte es so sehr verzerrt dar, und doch will er es gleichzeitig selbst anwenden, um das Reich zu ordnen. Seine Anhänger verehren ihn und meinen er „hat die grossen Errungenschaften des Konfuzianismus alle in sich gebündelt. Seine edle Gesinnung ist ebenso blühend wie diejenige von Menzius, seine Differenzierung von Wortbedeutungen übertrifft noch diejenige [Zheng] Kangchengs, Cheng [Yis] oder Zhu [Xis]. In seinem literarischen Ausdruck sieht er auf Han [Yu] und Ou[yang Xiu] hinunter. [Sein Verständnis der] menschlichen Natur sowie des Rechten Wegs des Himmels sind klar und durchdringend, so dass jedes Wort aus seinem Mund zur kanonischen Äusserung wird. Würde er ein Amt erhalten, so wäre er der Politik angemessen und dem Volk ein grosser Nutzen, würde er keines erhalten, so würde er sich von der Welt zurückziehen und seine Lehren festigen, ohne dies zu verargen.“95 Jemand anderes sagte: „Seine Gelehrsamkeit war ein äusserst wichtiger Beitrag zu den Sechs Klassikern sowie Konfuzius und Menzius. Er hat die nachfolgenden Gelehrten darauf gebracht, nicht mit ihrem Herzen schnurstracks zur metaphysischen Interpretation zu gehen, sondern erhellend das zu untersuchen, was sich zwischen den Menschen und den vielen anderen Dingen abspielt. Das hat mit Herrn Dai begonnen.“ Noch jemand meinte, indem man [die Lehren von] Herrn Dai [gegen Angriffe] beschützen könne, würde man auch zum Konfuzianer, der den Rechten Weg beschützte. Das ist alles völliger absurder Unsinn, Meinungen, die den Rechten Weg in Unordnung bringen. Obwohl es in der Grösse der Welt nichts gibt, das daran keinen Anteil hätte, so gibt es doch keine Notwendigkeit, den Ursprung ausgerechnet hier auszumachen.

Zu Beginn dieses Abschnitts versucht Fang Dai nachzuweisen, dass er widersprüchlich argumentiert, wenn er zwar das persönliche Umsetzen der Lehre im Geiste der daoxue kritisiert, es aber trotzdem fordert, vorausgesetzt, dass es nur auf der korrekten Basis geschieht. Fang hält dagegen, dass es nur gong xing im Sinne des Konfuzius’ geben kann.

95 Laut Fangs eigenem Kommentar zitierte er hier eine Aussage Duan Yucais 段玉裁 (1735– 1815). Das folgende Zitat geht auf Hong Bang 洪榜 (1745–1779) zurück, die dritte Einschätzung schliesslich geht demnach auf Jiang Sheng 江聲 (1721–1799) zurück.

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Dieser letzte Teil des Arguments besteht im Wesentlichen aus zwei Zitaten. Gemäss Fang Dongshus eigenem Kommentar zitiert er zunächst Dais Schüler Duan Yucai 段玉裁 (1735–1815). Das zweite Zitat geht demnach auf Hong Bang 洪榜 (1745–1779) zurück, einen späten Schüler Dais. Der Ursprungstext für Duans Aussage liess sich nicht ermitteln, er ist aber nicht in Duans Schriften enthalten, welche von den Editoren des Dai Zhen Quan Shu in Band 7 zusammengefasst wurden. Deshalb war es auch nicht möglich, den Umfang des Zitates abzuschätzen. Während in der als Grundlage verwendeten Ausgabe des Textes das Zitat Duans mit „ji qun ru zhi da cheng 集群儒之大成“ beginnt, stehen die Anführungszeichen in der Textvariante des Dai Zhen Quan Shu erst vor den Worten „hao qi 浩氣“. Die Einschätzung Hong Bangs stammt aus Hongs Schreiben an Zhu Yun 朱筠 (1729–1781) „shang Sihe Zhu xiansheng shu 上笥河朱先生書“ (Dai Zhen 1994–1997, 7:141). Er wurde auch von Jiang Fan im Hanxue Shicheng Ji beim Abschnitt zu Hong Bang zitiert (vgl. Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 119). In diesem letzten Abschnitt beklagt sich Fang Dongshu über die Stellung, die Dais Schüler diesem zubilligen, und über die Texte, mit denen seine Verdienste hervorgehoben werden. Diese Texte stehen, wie im Abschnitt über Fang und Dai diskutiert wurde, im Widerspruch zur Rezeption Dais durch wichtige Autoren der Qingzeit. Selbstverständlich ist diese Form der Verklärung des eigenen Lehrers in der konfuzianischen Tradition weit verbreitet, und Fang Dongshu hätte seinen eigenen Lehrer Yao Nai bestimmt mit ähnlichen Worten gelobt. Es scheint hierzu sogar einen fest etablierten Sprachgebrauch zu geben, und gewisse Formulierungen Fangs wurden zuvor bereits auf andere Personen der konfuzianischen Tradition angewendet wurden. So entstammt der Ausdruck „tu ci wei jing 吐辭為經“ einem Text Han Yus, dem Jin Xue Jie 進學解, wo er auf Xunzi und Menzius bezogen wurde (Guwen Jianshang Cidian 1997, 899–900). Obwohl diese Form der Lehrerverehrung nichts Ungewöhnliches war, mag Fang tatsächlich erstaunt gewesen sein, dass gerade einem Mann wie Dai, der in seinen Augen eine Gefahr für den Zusammenhalt im Reich darstellte, solche Zeilen gewidmet werden konnten.

Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur Diese Kontroverse (Fang Dongshu 1998, 281–283) ist die vierte in Folge im Hanxue Shangdui. Erneut ist ein grundlegender Begriff der daoxue das Thema, nämlich der Begriff des Herzens xin.96 In der Replik bringt Fang diesen in Zusammenhang

96 Die gewählte Übersetzung für Xin als „Herz“ wurde zum einen gewählt, um umständliche Alternativen wie „heart-and-mind“ oder „Herzensbewusstsein“ zu vermeiden. Zum anderen



Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur 

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mit der menschlichen Natur xing, und er verknüpft diese beiden Begriffe mit apologetischer Argumentation. Die textliche Grundlage der Kontroverse ist eine Aussage Zhu Xis im Kommentar zum Daxue.

Aussage Dai Zhens 又曰﹕《大學》開卷說 「虛靈不昧」, 便涉異學; 「以具眾理而應萬事」, 非 「心」 字之指。 《論語》開卷說「可以明善而復其初」,出《莊子》, 全非孟子 「擴充」 言學 之意。 《中庸》開卷說 「性即理也」, 如何說性即是理? Auch sagte er: Wenn es zu Beginn des Daxue [in Zhu Xis Kommentar] heisst: „Leer, beseelt und unverdunkelt“, so ist dies bereits als eine häretische Lehre einzuschätzen. [Und wenn es heisst] „wo in jedem einzelnen die in zahlreichen Formen [realisierte] Rechte Ordnung zur Verfügung steht, und man so adäquat auf die zehntausend Angelegenheiten reagieren kann“, so ist dies nicht die ursprüngliche Bedeutung des Schriftzeichens „Herz“. Zu Beginn des [Kommentars zum] Lunyu heisst es: „So kann man das Gute erkennen und zurückkehren zu seinem Ausgangspunkt“. [Dai meint hierzu:] Dies stamme alles aus dem Zhuangzi. Das Ganze entspreche nicht der Meinung von Menzius, als er die Bedeutung des Studium als [Prozess von] „erweitern und vervollständigen“ sprach. Zu Beginn des Zhong Yong heisst es: „Die menschliche Natur, das ist die Rechte Ordnung“. [Dai fragt:] Wie kann man wohl die Erklärung vertreten, dass die menschliche Natur die Rechte Ordnung sei?

Kritik 1: Daxue In dieser Kontroverse erörtert Fang Dongshu diverse Kritikpunkte, die Dai Zhen an Zhu Xis Kommentaren äusserte. Dabei zitierte Dai jeweils die ersten Kommentarzeilen, in welcher Begriffe nach seinem Dafürhalten fälschlich gebraucht wurden. Wie noch zu zeigen sein wird, bezieht Fang seine Kritik nicht nur auf diese Zeilen, sondern sieht darin eine viel grundsätzlichere Kritik an den Kommentaren Zhu Xis. Die erste dieser Kommentarstellen stellt den ersten Satz des Kommentars Daxue Zhangju 大學章句 zum Daxue dar, in welchem der Begriff „ming de 明德“ durch Zhu Xi erklärt wird. Die ganze Stelle wird bei de Bary und Bloom 1999, 725–726 übersetzt wiedergegeben. So lautet der Klassikertext dort: „The way of the Great Learning lies in clearly manifesting luminous virtue, …“ und der hierauf bezogene Kommentartext sagt aus: „‘Cleary manifesting‘ means ­clarifying. ‚­Luminous

­ erücksichtigt die Übersetzung m.E. das vormoderne Verständnis in Europa des Herzens als Sitz b der Gefühle und des Bewusstseins. Das chinesische Verständnis schliesst zusätzlich auch die Fähigkeit des Denkens ein.

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virtue‘ is what a person gets from Heaven. Open, spiritual, and unobscured, it is replete with all the principles by which one responds to the myriad things and affairs, but being hampered by the physical endowment and obstructed by human [selfish] desires, there are times when it becomes obscured. Nevertheless, the radiance of the original substance [nature] is never lost, and one who pursues learning need only keep to what emerges from it and clarify it, so as to restore it to its original condition.“97 Dais Kritik entzündet sich an der Textstelle „open, spiritual, and unobscured“ (xu ling bu mei 虛靈不昧), womit der menschliche Geist gemeint ist, dessen Erkenntnisfähigkeit es ist, die ihm ermöglicht, die in jedem Ding realisierte Rechte Ordnung zu erkennen. Diese Annahme bestätigt Dai Zhen, indem er dies als ungültige Attribute des menschlichen Herzen bezeichnet. Dass bei Zhu Xi mit xu ling bu mei das menschliche Herz gemeint ist, lässt sich durch seine Aussagen im Zhuzi Yulu verifizieren. Dort heisst es in Rolle 102, anlässlich der Erörterung von Yang Shis Meisterschüler Luo Congyan 羅從彥 (1072–1135): „Er besah sie sich still sitzend, […] leer, vergeistigt und unverdunkelt“.98 Hierbei ist der Ausdruck „still sitzen“ (jing zuo 靜坐) wiederum konnotiert, steht jing zuo doch auch für „meditieren“. Die Aussage, dass ein wichtiger Gelehrter der daoxue-Tradition mit „leerem Geist“ und erst noch meditierend eine Problematik erörtert, scheint für Dai Zhen ein eindeutiger Hinweis auf die eigentlich buddhistische Natur der daoxue-Lehre gewesen zu sein. Daher kritisiert er den Ausdruck, der als Teil des Kommentartextes zum Daxue die grösste Berühmtheit erlangt hat, als unkorrekte Beschreibung des Herzens. Der Satz aus Zhus Kommentar wird zudem in der mingzeitlichen xinxue wichtig, da er den Zusammenhang zwischen der Erkenntnisfähigkeit des Herzens und dem zu Erkennenden des Kosmos thematisiert. Wang Yangming interpretiert die Aussage im Lichte der xinxue, wenn es in Abschnitt 32 des Chuan Xi Lu heisst: „The original mind is vacuous [devoid of selfish desires], intelligent, and not beclouded. All principles are contained therein and all events proceed from it. There

97 Der Originaltext des Kommentars lautet: „明,明之也。 明德者,人之所得乎天,而虛靈不 昧,以具眾理而應萬事者也。但為氣稟所拘,人欲所蔽,則有時而昏;然其本體之明,則有未 嘗息者。故學者當因其所發而遂明之,以復其初也。“ (Zhu Xi 2001, 4). 98 Der ganze Text heisst im Original: „況羅先生於靜坐觀之, 乃其思慮未萌, 虛靈不昧, 自有以 見其氣象, 則初未害於未發.“ (Li Jingde 1994, 7:2596). Die Entscheidung, hier xu ling nicht als „mit leerem Geist“ wiederzugeben, ist in Zusammenhang mit der Rezeptionstradition gefallen. Sämtliche Quellen entsprechen der Auffassung Wing-tsit Chans, wonach beide Begriffe praktisch immer als gleichberechtigte Adjektive nebeneinanderstehen, und kein Adjektiv-Substantiv-Paar bilden (Für eine Ausnahme vgl. das Zitat Chuan Xi Lu 274 unten).



Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur 

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is no principle outside the mind; there is no event outside the mind.“99 Ebenfalls als Voraussetzung für die Erkenntnisfähigkeit des Menschen – und somit als Voraussetzung für die Existenz des Kosmos – wird xu ling in Chuan Xi Lu 274 genannt: „Chu Pen-ssu asked, ‘Man has innate knowledge because he possesses pure intelligence (meine Hervorhebung; M.W.). Have such things as plants and trees, tiles and stones innate knowledge also?‘ The teacher said, ‘The innate knowledge of man is the same as that of plants and trees, tiles and stones. Without the innate knowledge inherent in man, there cannot be plants and trees, tiles and stones. …‘“.100 Damit wird dieser erste Satz des Daxue-Kommentars durch die Rezeption seit Zhu zur zentralen Aussage der Epistemologie von lixue wie auch xinxue. Er verbindet das Motto des Daxue, die Umschreibung des Erkenntnisvorgangs ming ming de und das Herz xin als Sitz der Erkenntnis. Fang Dongshu wird in seiner Replik diese Sätze zudem mit dem ersten Satz des Lunyu in Verbindung bringen, dessen Thema ja das Lernen ist. Der Aussage, man müsse mit einem leeren, beseelten und unverdunkelten Herzen die Rechte Ordnung erkennen, hält Dai Zhen im zweiten Argument mit dem Schlagwort kuo chong 擴充 das „Erweitern und Vervollständigung“ des Herzen entgegen.

Kritik 2: Lunyu Das zweite zitierte Argument Dai Zhens geht zurück auf Zhu Xis Kommentar zu Lunyu 1.1. Auch hier bezieht sich Dais Kritik auch eine grundsätzlichere Meinungsverschiedenheit als nur die Auffassung zum ersten Satz des Lunyu. Das Zitat lautet: „keyi ming shan er fu qi chu 可以明善而復其初“, was auf das Studium bezogen ist und bedeutet „So kann man das Gute erkennen und zurückkehren zu seinem Ausgangspunkt“. Der Begriff ming shan, also „das Gute erkennen“ wird auch an anderen prominenten Stellen der konfuzianischen Literatur verwendet. So schreibt Zhu Xi ganz zum Schluss seines Kommentars zum Daxue, dass die zehn Textstücke, die er als Kommentartext zum eigentlichen Klassikertext des Daxue versteht, sich in drei logische Einheiten unterteilen lassen. Dabei bilden die Textstücke eins bis vier und sechs bis zehn logische zusammenhängende Aussagen, während die Textstücke fünf und sechs die logische „Angel“ bilden, in

99 Chuan Xi Lu 32: vgl. Chan 1963b, 33. Der Originaltext lautet: „「虛靈不眛, 眾理而萬事出」 。 心外無理。心外無事。“ (Wang Shouren 1992, 15). 100 Chuan Xi Lu 274: vgl. Chan 1963b, 221. Original: 朱本思問: 「人有虛靈, 方有良知。 若 草、木、 瓦、石之頊, 亦有良知否?」 先生曰: 「人的良知, 就是草、木、 瓦、 石的真 知: 若草、木、瓦、石無人的良知, 不可以為草、木、瓦、石矣。 (Wang Shouren 1992, 107).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

welcher der Prozess der Erkenntnis erklärt wird.101 Der Kommentar zu Lunyu 1.1 ist daher bloss eine Erinnerung an den von Studenten der Si Shu zuvor bereits verinnerlichten Text des Daxue. Damit wird ming shan zur Grösse im Zusammenhang mit dem Erkenntnisprozess, der durch Zhu Xi in zwei Phasen aufgeteilt wurde: Die erste Phase ist das „Erkennen des Guten“ (ming shan) und die zweite das daraus zwangsläufig hervorgehende „Wahrhaftigmachen der eigenen Person“ (cheng shen 誠身), was im Kommentar zum Lunyu dann als „zurückkehren zum Ausgangspunkt“ paraphrasiert wird. Der danach ins Spiel gebrachte Begriff des „Erweitern und Vervollständigens“ („kuo chong 擴充“) geht zurück auf Mengzi 2A.6. In dieser berühmten Erörterung führt Menzius aus, dass jeder Mensch ein Herz habe, dass des Mitleids fähig sei („ren ren zhi xin 忍人之心“). Als Beweis zitiert er den Fall eines Kindes, das in einen Brunnen fällt, was bei allen Menschen spontanes Mitgefühl errege. Aus den Regungen des menschlichen Herzens entstehen weiter die vier Säulen der Gesellschaft (si duan 四端) bei Menzius, ren 仁, yi 義, li 禮 und zhi 智 (Menschlichkeit, standesgemäss korrektes Verhalten, ritenkonformes Verhalten und Weisheit). Der ideale Mensch ist nun in der Lage, diese vier Tugenden weiter zu entwickeln, indem er sie „erweitert und vollständig macht“. Zur Charakterisierung dieser Lehrmeinung seiner Widersacher verweist Dai Zhen auf Zhuangzi, der eingangs Kapitel 16 eine negative Beurteilung der „Rückkehr zum Ausgangspunkt“ formuliert, welche in den Augen Dai Zhens natürlich auf die daoxue bezogen wird: „Die ihre Natur verbessern wollen durch weltliches Lernen, um dadurch ihren Anfangszustand zu erreichen; die ihre Wünsche regeln wollen durch weltliches Denken, um dadurch Klarheit zu erreichen, sind betörte und betrogene Leute.“ (Wilhelm 1969, 173).102 Zugleich betont Dai so erneut die illegitime Beeinflussung der daoxue durch den Daoismus.

101 Zhu Xi zu den zehn Textstücken: Der Text wurde übersetzt von James Legge in seiner Übersetzung des Daxue. Der hier relevante Text lautet dort: „There are thus, in all, ten chapters of commentary, the first four of which discuss, in a general manner, the scope of the principal topic of the work; while the other six go particularly into an exhibition of the work required in its subordinate branches. The fifth chapter contains the important subject of comprehending true excellence [ming shan; meine Einfügung, M.W.], and the sixth, what is the foundation of the attainment of true sincerity. Those two chapters demand the especial attention of the learner. Let not the reader despise them because of their simplicity.“ (Legge 1992, Vol. I, 381). Der chinesische Text lautet: „凡傳十章: 前四章統論綱領指趣, 後六章細論條目功夫。 其第五章乃明善之要, 第六章乃誠身之本, 在初學尤為當務之急, 讀者不可以其近而忽之也。“ (Zhu Xi 2001, 16). 102 Für eine alternative Übersetzung von Zhuang Zi 16 vgl. Watson 1968, 171. Der Originaltext lautet: „繕性於俗學, 以求復其初; 滑欲於俗思, 以求致其明; 謂之蔽蒙之民。 “ (Chen Guying 1983, 402–403).



Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur 

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Um aber auch die folgende Aussage Dai Zhens verstehen zu können, müssen die Begriffe fu qi chu und kuo chong 擴充 im Verständnis Dai Zhens betrachtet werden. Dai Zhen erörtert die Problematik ausführlicher im vierzehnten Abschnitt zu li seines Mengzi Ziyi Shuzheng. Dort stellt er das buddhistische Verständnis der Ordnung der Natur und des Erkenntnisprozesses demjenigen der antiken Weisen gegenüber und umreisst die Unterschiede. Demnach bildet der Weg des Erweiterns und Vervollständigens (des Herzens nämlich, gemäss Menzius 2A.6), den korrekten Weg der Erkenntnis, während die daoxue mit ihrer Forderung der „Rückkehr zum Ausgangspunkt“ wieder nur ihre Affinität zu Daoismus und Buddhismus verrät. Er schreibt: „The maturation of the physical form depends on the nourishment of food and drink and is a matter of daily growth, not of restoring its initial condition (fu qi chu; meine Einfügung; M.W.); and when the moral nature, nourished by learning, advances to sageness and wisdom, it is clear that this (also) is not a matter of restoring its initial condition. Humans and animals differ in kind, and since the allotment of material force which human receive is clear and bright, they differ from birds and beasts, which cannot be enlightened. But when humans are compared with each other, their differences of natural talent are all slight. The ancient worthies and sages knew that humans differed in natural talent, and on this account emphasized learning and valued expansion and fulfillment (kuo chong; meine Einfügung; M.W.); Lao, Zhuang, and the Buddhists say that all beings possessed of life are equal, and therefore emphasize getting rid of feelings and desires in order not to harm it, (holding that) it is not necessary to engage in learning to expand and fulfill it (kuo chong; meine Einfügung; M.W.).“ (Ewell 1990, 182–183).103

Kritik 3: Zhong Yong Der dritte Anfangssatz, der hier kritisiert wird, ist die Aussage Zhu Xis zum ersten Satz des Zhong Yong, der lautet: „Was der Himmel dem Menschen aufträgt, das nennt man sein Wesen. Dem Wesen folgen, das nennt man den Weg. Den Weg kultivieren, das nennt man die Lehre“ („tianming zhi wei xing, shuai xing zhi wei dao, xiu dao zhi wei jiao 天命之謂性,率性之謂道,脩道之謂教“)

103 Mengzi Ziyi Shuzheng „li“ 14: Der Text lautet im Original: „其形體之長大也,資於飲食之 養,乃長日加益,非「復其初」;德性資於學問,進而聖智,非「復其初」明矣。人物以類 區分,而人所稟受,其氣清明,異於禽獸之不可開通。然人與人較,其材質等差凡幾?古賢 聖知人之材質有等差,是以重問學,貴擴充。老、莊、釋氏謂有生皆同,故主於去情欲以勿 害之.不必問學以擴充之。“ (Dai Zhen 1961, 15). Für eine alternative Übersetzung vgl. Chin und Freeman 1990, 92).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

(­Weber-Schäfer 1963, 28; Zhu Xi 2001, 20). Zhu Xi gibt wie immer in seinen Kommentaren zunächst einige Glossen, ehe er eine Exegese des Textes unternimmt. Die beiden Glossen zu diesem Satz lauten: „ming („Auftrag“) bedeutet so viel wie ling (Befehl); xing („Wesen“) bedeutet so viel wie li (die Rechte Ordnung).“ Die gesamte Kommentarstelle wird übersetzt bei Bloom und de Bary 1999, 735: „An ‚ordinance‘ is like a command. The ‚nature‘ is principle. Heaven’s generating the myriad things through the interaction of yin and yang and the Five Phases, their becoming embodied with psycho-physical force and endowed with principle, is like Heaven’s giving a command or commission. Thus human beings, each receiving their endowment of principle, are constituted with the five constant Virtues [humaneness, rightness, ritual decorum, wisdom, and trustworthiness], which are one’s nature.“104 Aus der Sicht der daoxue ist dies die orthodoxe Lehrmeinung: die menschliche Natur ist die individuelle Manifestation der Rechten Ordnung, als deren Teil sie einen Anteil am kosmischen li reklamieren kann. Für Dai Zhen steht diese Aussage in Widerspruch zur Lehre der Klassiker und des Menzius, wie sie etwa zu Beginn von Kapitel 6A tradiert wurden. In diesen Schriften ist zwar von der menschlichen Natur die Rede, und diese wird auch beschrieben, aber im Menzius finden sich selbstverständlich keine Belege für die menschliche Natur im grösseren Zusammenhang des Kosmos’. Es gibt diese im Yi Jing, wie Dai in Mengzi Ziyi Shuzheng zitiert, aber er hat aus seiner Lektüre der Klassiker eine andere Auffassung der menschlichen Natur. Nach seiner Einschätzung erhält der Mensch den „Auftrag des Himmels“ lediglich in Form der Länge seines Lebens, bar jeder moralischen Qualität. Vor allem aber verwehrt Dai sich gegen die Auffassung der daoxue, alle Wesen hätten dieselbe Natur, was ja der Fall sein muss, wenn alle ein Stück der Kosmischen Rechten Ordnung (tianli) in sich manifestierten. So bietet er in seinem Werk zum Menzius eine ausführliche Diskussion dieser Problematik, deren Kern ich hier zitiere. Die von mir hervorgehobenen Stellen markieren die genannten Kritikpunkte: „Chu Tzu, in his explanation of the sentence in the Doctrine of the Mean „what Heaven has conferred ­[t’ien-ming] is called the nature,“ said, „The word ming [to confer] has the meaning of ling [to order], and accordingly nature is principle. Heaven through the transforming process of the yin and yang and the five elemental forces produces the ten thousand things. When ch’i completes their physical forms, principle is bestowed therein, just as if Heaven had conferred an order for this. Thus, human beings and animals at birth have principle bestowed on them, by

104 Der Originaltext des Kommentars zu dieser Stelle lautet: „命,猶令也。性,即理也。天以 陰陽五行化生萬物,氣以成形,而理亦賦焉,猶命令也。於是人物之生,因各得其所賦之理, 以為健順五常之德,所謂性也。“ (Zhu Xi 2001, 20).



Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur 

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which they can ­naturally achieve the five constant virtues. This is called their natures. […] Chu Tzu said, „When Mencius said, ‚That whereby men differ from the birds and beasts is but small,‘ he did not know why human beings differ from animals. Also, when he asked, ‚Is the nature of a dog like the nature of an ox, and the nature of an ox like the nature of a man?‘ he did not know why men are different from oxen and dogs. In these two statements an explanatory sentence seems to be missing. To be correct he should have said that the physical forms and dispositions [of living things] are not alike, and therefore their physical natures are slightly different. I suspect that Mencius had clear and direct insights regarding the sameness of human nature, but as for these other matters he did not examine them thoroughly.“ (Chin und Freeman 1990, 115).105 Bei seinem Verständnis der menschlichen Natur beruft sich Dai auf die Klassiker: „The Book of Changes, the Analects, and the Book of Mencius, in defining nature, said that allotments from yin and yang and the five elemental forces constitute the nature. After the nature is formed, a difference in allotments between human beings and animals accounts for the inequalities in completeness or incompleteness, thickness or thinness, clearness or turbidity, darkness or brightness. If a person merely says that nature is inborn, then he is making the claim that man’s nature is the same as that of a dog or an ox, and he has failed to take notice of the differences.“ (Chin und Freeman, 1990, 117)106

Zusammenfassung Zusammengenommen betrachtet zitiert Fang Dai Zhen im Auftakttext zu dieser fünften Kontroverse mit einer Kritik an der Erkenntnistheorie der daoxue. Diese vertritt die Lehrmeinung, dass sich der Mensch erst im Herzen frei bzw. leer machen muss, um dann, unverdunkelt, seine eigene Person wahrhaftig zu

105 Mengzi Ziyi Shuzheng 21: „朱子於中庸 「天命之謂性」 釋之曰﹕ 「命, 猶令也, 性, 即理也. 天以陰陽五行化生萬物, 氣以成形而理亦賦焉, 猶命令也, 於是人物之生, 因各得其所賦之理以為 健順五常之德, 所謂性也.」 […]【朱子云:「孟子言 『人所以異於禽獸者幾希』, 不知人何故與 禽獸異; 又言 『犬之性猶牛之性, 牛之性猶人之性與』, 不知人何故與牛犬異. 此兩處似欠中間 一轉語, 須著說是 「形氣不同故性亦少異」 始得. 恐孟子見得人性同處, 自是分曉起直截, 卻 於這些子未甚察.」】 是謂性即理, 於孟子且不可通矣, 其不能通於易、 論語固宜. 孟子聞告子言 「生之謂性」, 則致詰之; 程、 朱之說, 不幾助告子而議孟子歟?“ (Dai Zhen Quan Shu 1994–97, 6:182; Ewell vgl. 1990, 181). 106 Mengzi Ziyi Shuzheng 21: 易、論語、孟子之書,其言性也,咸就其 分於陰陽五行以成性 為言;成,則人與百物,偏全、厚薄、清濁、昏明限於所分者各殊,徒曰生而已矣,適同人於 犬牛而不察其殊。(Dai Zhen Quan Shu 1994–97, 6:182; Ewell vgl. 1990, 182).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

machen, wodurch er zum ursprünglichen Ausgangspunkt zurückkehrt. Diese innere Vorbereitung erlaubt es dem Menschen dann, die Rechte Ordnung in den Dingen zu erkennen, also ihr li zu verstehen. Dem stellt nun Dai Zhen sein auf Menzius 2A.6 gegründetes Verständnis des menschlichen Herzens und der Lernfähigkeit entgegen. Demnach verfügt der Mensch von Geburt an über ein Herz, das des Mitgefühls fähig ist, und das ihn erst zum Menschen macht. Dieses Herz ermöglicht dann die Entwicklung der vier Kardinaltugenden der Menschlichkeit, des standesgemäss korrekten Verhaltens, des ritenkonformen Verhaltens und der Fähigkeit zur Erkenntnis oder Weisheit. Nach Meinung Dai Zhens braucht das Herz dazu weder leer gemacht zu werden, noch muss der Lernende zu einem Ausgangspunkt zurückkehren. Vielmehr reicht es aus, das Herz zu erweitern und zu vervollständigen. Hier zeigt sich erneut, dass Dai Zhen ein menzianisches Menschenbild vertritt, das lediglich der menschlichen Natur folgt, um seine Ziele zu erreichen, während Zhu Xi und vor ihm Cheng Yi (und auch der oben erwähnte Yang Shi) eine Kultivierung des Menschen forderten, um dadurch die Voraussetzung für erfolgreiches Lernen zu schaffen. Daher ist die Diskussion um die Natur des Menschen in dieser Kontroverse inhaltlich kohärent, denn Dai Zhens Verständnis der menschlichen Natur bedarf weniger Einschränkungen und Gewaltanwendung, um „gut“ zu sein. Der gesamte Komplex der Verinnerlichung und inneren Prüfung, die eine der tragenden Säulen der daoxue ausmacht, fällt so weg. Dai ruft in Erinnerung, dass der konfuzianische Weg einst ein politischer war, und nicht ein introspektiver. Der introspektive Charakter der daoxue war unabhängig von lixue oder xinxue Teil der Lehre seit der Songzeit, diesen stellt Dai grundsätzlich in Frage, um so den gesellschaftspolitischen hervorzuheben.

Fang Dongshus Replik Das menschliche Herz 按﹕「虛靈不昧」, 狀「心」 之體, 無過此四字之確;「具眾理」、「應萬事」,說「 心」字之義, 亦無如此之確。 「明善復初」, 詁「明明德」, 亦無如此諦當。 政使出於釋 典, 用之亦無害, 況所明在「善」, 則非「船若無知」之旨, 尚何慮其為病也? 若夫「性 即是理」此句, 與孟子「性善」 同功。 皆截斷眾流說, 固非中賢小儒所及見, 況妄庸乎! Replik: „Leer, beseelt und unverdunkelt“, so ist die Beschreibung der eigentlichen Form des Herzens. Es gibt hier nichts weiter zu sagen, als die Wahrheit, die in diesen vier Schriftzeichen liegt. Auch [bezogen auf die Formulierungen] „in jedem einzelnen stehen die in zahlreichen Formen [realisierte] Rechte Ordnung zur Verfügung“ und „adäquat auf die zehntausend Angelegenheiten reagieren“ gibt es nichts Korrekteres zu sagen. „Das Gute erkennen und zum Ausgangspunkt zurückkehren“ stellt eine Erklärung dar zu „Leuchtenlassen der leuchtenden Tugend“ und auch hierzu gibt es nicht Zutreffenderes zu sagen. Selbst wenn [diese Erklärung] aus den buddhistischen Klassikern



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­ ervorgekommen wäre, so wäre es dennoch kein Schaden, sie anzuwenden, so lange das, h was man erkennt, „das Gute“ ist, und es sich nicht um einen Lehrsatz der „allerhöchsten Weisheit“107 handelt, wie kann man da noch darüber nachdenken, dass dies etwas schädlich sein sollte? Womit wir zum Satz „die menschliche Natur, das ist die Rechte Ordnung“ kommen, der dasselbe ausdrückt wie Menzius‘ „die Natur des Menschen ist gut.“108 Dies sollte den mannigfaltigen kursierenden Erklärungsversuchen ein Ende setzen, doch das können mittelbegabte Tüchtige und kleingesinnte Konfuzianer [wie Dai Zhen] nicht erkennen, und dazu verlieren sie noch die Ausgewogenheit!

Fang Dongshu muss hier zunächst die angegriffenen Formulierungen der kanonischen Kommentare verteidigen. Er tut dies, indem er die Objekte seines Angriffs durch eine weitere Differenzierung der Kritik zu entziehen sucht. Damit kann er nicht nur seine Standpunkte verteidigen, er kann vor allem auch seinem Widersacher mangelnde Feinheit in der Verwendung der Begriffe vorwerfen. Er hält sich bei seiner Verteidigung an die durch den Angriff vorgegebene ­Reihenfolge. Daher beginnt er mit Zhu Xis Aussagen über das Herz. Fang nimmt die seiner Meinung nach zentrale Differenzierung vor, indem er auch das menschliche Herz dem bipolaren Schema von ti und yong, also eigentlicher Form und aktueller Anwendung, unterwirft. Dies ist freilich nicht Fangs eigene Unterscheidung, vielmehr geht sie zurück auf den Kommentar des oben bereits angesprochenen Abschnittes 2A.6, in welchem Zhu Xi darauf hinweist, dass es ein nicht näher ausdefiniertes ti und ein yong des menschlichen Herzens gibt. Wang Yangming wird später diese Unterscheidung übernehmen und die Stille oder Ruhe (jing 靜) zur eigentlichen Form des Herzens erklären, während die Aktivität (dong 動) als ihre jeweils aktuelle Anwendung bezeichnet wird.109 Da die Unterscheidung Zhu Xis im Kommentar zu 2A.6 erfolgt, lässt sich erkennen, dass das von Dai Zhen geforderte „Erweitern und Vervollständigen“ (kuo chong) lediglich eine der aktuellen Anwendungen des Herzens

107 Der verwendete Ausdruck 般若無知 bore wuzhi (=> „Allerhöchste Weisheit“) bezeichnet laut Ding Fubao 1984, 920c gleich wie bore 般若 alleine Pranjñā, die Weisheit. Ding Fubao zitiert das Vorwort des Wei Mo Jing 維摩經 (Vimala Kirti Nirdesa Sutra) mit den Worten: „sheng zhi wu zhi 聖智無知“. Es ist eine Weisheit, über die hier in negativ-dialektischer Weise ausgesagt wird, dass sie kein Wissen mehr kennt. Fang meint hier m.E. generell die buddhistische Weisheit, die er als eine Weisheit ohne Wissen charakterisiert. 108 Die Formulierung „xing shan 性善“ findet sich im Mengzi an folgenden zwei Stellen: 3A.1 und 6A.6. 109 Für die Erwähnung Zhu Xis von ti und yong in der daoxue im Kommentar zu 2A.6 vgl. Zhu Xi 2001, 278. ti und yong werden in Bezug auf das menschliche Herz auch bei Yang Yangming thematisiert, wie Feng Youlan ausführt: „The mind is single and nothing more. Since quiescence refers to its inherent substance, to seek beyond this for yet a further basis of quiescence is to pervert its original substance. And since activity is its functioning, to be fearful of its becoming too readily active is to nullify its functioning.“ (Feng Youlan 1961, 2:966; Fung Yulan 1953, 619).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

ist, während „leer, beseelt und unverdunkelt“ Aussagen über die eigentliche Form (ti, manchmal auch: „die Substanz“) des Herzens ist. Mit dieser eleganten Abwehr macht Fang einerseits klar, dass ein Zusammenhang zwischen dem Anfang des Zhong Yong und Menzius 2A.6 besteht. Er stellt also nicht eine der Klassikerstellen über die andere, sondern lässt den kanonischen Charakter unangetastet, während er den Lesern vor Augen führt, dass Dai Zhen diesen fundamentalen Unterschied nicht beachtet habe. Dies ist insbesondere deshalb eine perfide Unterstellung, weil Dai Zhen als herausragender Theoretiker des ti-yong-Schemas der qingzeitlichen Philosophie gilt, wobei einschränkend zu sagen ist, dass er diese Stellung möglicherweise erst durch die Rezeption der Republikzeit zugewiesen erhielt. Im Argument zur Abwehr des zweiten Angriffs geht Fang zunächst apologetisch vor, indem er in einem Zirkel die orthodoxe Meinung durch eben diese ­verteidigt, wenn er den Lehrsatz wiederholt. In der Verteidigung stellt Fang Dongshu eine Verbindung her zwischen dem Kommentar zu Lunyu 1.1 und dem ming ming de des Daxue. Diese Passage, in der das „Erhellen der leuchtenden Tugend“ als Essenz des „Grossen Lernens“ Daxue genannt wird, steht wie ein Untertitel vor der bekannten Kettenargumentation, die den Frieden der Welt auf das grösstmögliche Ausdehnen des eigenen Wissens in bezug auf die Dinge (zhi zhi zai ge wu 致知在格物) zurückführt. In diesem Kommentar verwendet Zhu Xi „leer, beseelt und unverdunkelt“ zur Definition der „leuchtenden Tugend“. Fang Dongshu weist hier auf einen aus seiner Sicht vorhandenen Zusammenhang mit dem ersten Satz des Daxue hin, bei dem ming ming de weniger als „Tugend“ zu verstehen sei, denn vielmehr als Erkenntnisfähigkeit. Indem Zhu Xi schreibt, dass ming de dasjenige beschreibe, welches der Mensch natürlich erhält, das „leer, beseelt und unverdunkelt“ ist, und in welchem die Rechte Ordnung zur Verfügung stehe, meint er das Herz. In der Deutung von Dais Aussage wurde eine parallele Stelle im Zhuzi Yulu 102 zitiert, in welcher Luo Congyan bei der Betrachtung eines Dinges als „leer, beseelt und unverdunkelt“ bezeichnet wurde, hier ist von der Erkenntnisfähigkeit des Menschen die Rede, mit der er auf die Rechte Ordnung in den Dingen reagiert. In beiden geht es um das menschliche Herz, den Sitz dieser Fähigkeit, wie ja auch Dai Zhen in seinem Angriff klarmachte. Fang vollzieht diese wechselseitige Stützung durch Kommentarstellen nach, und hält es nicht für nötig, hier weiter zu argumentieren. Dann greift Fang auf ein Argument zurück, das er auch an anderer Stelle verwendet: Er stellt sich auf den Standpunkt, dass eine wahre Aussage als solche ihre Gültigkeit besitze, selbst wenn sie aus einer andern Schule oder ­Denkrichtung stammen sollte.110 Hier kann Fang den buddhistischen Einfluss

110 Dieses Argument zieht Fang auch heran zur Verteidigung der für die daoxue fundamentalen Unterscheidung zwischen renxin und daoxin, die auf das als Fälschung entlarvte Kapitel „da



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schlecht leugnen, wenngleich er an mehreren Stellen der Ansicht Ausdruck verleiht, dass die daoxue vielleicht auf der Basis des Buddhismus stehe, sich davon aber natürlich deutlich unterscheide und abgrenzen lasse. Daher versucht er hier für einmal, die Grabenkämpfe zwischen Schulen und Lehren – an denen er freilich selbst teilnimmt – als angesichts der objektiven Wahrheit seiner Schulmeinung nebensächlich erscheinen zu lassen. Den letzten Satz des Angriffs auf die Gleichstellung von menschlicher Natur und Rechter Ordnung versucht Fang erneut in einem apologetischen Zirkel zurückzuweisen. Dabei bringt er die von Dai angegriffene Aussage aus dem Kommentar zum Zhong Yong (xing ji li ye 性即理也) durch eine kleine Paraphrasierung in Zusammenhang mit einem moralischen Axiom der Klassiker, nämlich Menzius’ Aussage, dass die menschliche Natur gut sei (xing shan 性善). Die Paraphrasierung ist die Umstellung von xing ji li ye zum praktisch synonymen „xing ji shi li 性即是理“.111 Diese Formulierung ist aber bedeutsam, denn in seinem Kommentar zu Lunyu 17.02 griff Zhu Xi erneut auf die Formulierung seines Zhong Yong-­Kommentars zurück. Der Spruch des Lunyu lautet in der Übersetzung Schwarz’: „Der Meister sprach: Einander nah nach ihren Worten sind die Menschen; Gewohnheit erst entfernt sie voneinander“ („子曰:性相近也,習相 遠也。“ Übersetzung vgl. Konfuzius 1985, 115). In seinem Kommentar widmete sich Zhu Xi der Frage, wie es möglich ist, dass Menschen einander fern werden, da sie doch alle über die gleich strukturierte Natur verfügen. Er nimmt hierzu, und unter Rückgriff auf Cheng Yi, den Charakter oder das Temperament des Menschen zu Hilfe und unterscheidet zwischen der eigentlichen menschlichen

Yu mo“ des Shang Shu zurückgeht. Hier argumentiert er: „Lassen wir mal auf der Seite, ob die gefälschten Passagen des Guwen [Shang Shu] hinreichend vertrauenswürdig sind oder nicht, oder ob die aus dem Xunzi übernommene Passage hinreichend gewichtig ist oder nicht. Allein die beiden Ausdrücke [renxin] und [daoxin] sind es wert, dass man sie mit neutralem Herzen untersucht und erwägt, selbst wenn sie ihren Ursprung in der [übelsten] Gassensprache oder in Hinterhof-Sprichwörtern hätten. [Man wird urteilen müssen, dass] man ihnen vertrauen sollte, weil sie differenziert und ohne Fehler sind, und weil sie nicht gegen den Rechten Weg gerichtet sind.“ (zu diesem Thema vgl. die erste und zweite Kontroverse des zweiten Kapitels; Fang Dongshu 1998, 266). 111 Die Formulierung ying ji li ye wurde lange Zeit so analysiert, dass ye die Kopula sei, die in einer moderneren Stufe der chinesischen Sprache durch die bis heute gebräuchliche Kopula shi ersetzt wurde. Dieses Verständnis ist mehr funktional-habituell als analytisch, denn ye wird von moderner linguistischer Analyse eine andere Funktion zugewiesen. R. H. Gassmann kann überzeugend argumentieren, dass ye in Texten der Chunqiu- und Zhanguo-Zeit als Marker des Nominalsatzes aufgefasst werden muss (Gassmann 1994, 157–181). In der Auffassung der klassisch gebildeten konfuzianischen Gelehrten in China gab es aber diese Unterscheidung nicht, weshalb Fang hier nur eine Umformulierung vornimmt.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Natur (xing zhi ben 性之本), die unveränderbar ist und gut, und der persönlichen Natur oder Charakter einer Person (ben zhi zhi xing 氣質之性), der Umwelteinflüssen und Erziehung etc. ausgesetzt ist. Zhu Xi zitierte Cheng Yi mit der Aussage: „Dieser [Abschnitt des Lunyu] spricht über die charakterliche Natur. Er bespricht nicht die Grundlage der [menschlichen] Natur. Wenn wir über diese Grundlage sprechen, so ist die Natur die Rechte Ordnung, und da es in der Rechten Ordnung nichts gibt, das nicht gut wäre, so entspricht dies der Aussage des Menzius, dass die menschliche Natur gut sei.“112 Auch in diesem Argument verbindet Fang Dongshu verschiedene Stellen der Vier Bücher, namentlich Lunyu 17.01, Mengzi 6A.6 und den ersten Satz des Zhong Yong. Daraus ergibt sich folgende Aussage: Der Mensch wiederspiegelt in seiner Natur die Rechte kosmische Ordnung, indem er einen Teil dieser Ordnung als seine Natur in sich trägt. Diese ermöglicht es ihm, die Rechte Ordnung in Dingen ausserhalb seiner selbst zu erkennen, ist also Voraussetzung für den Erkenntnisprozess, und darüber hinaus ist die menschliche Natur mit der Rechten Ordnung verbunden, indem beide grundsätzlich gut sind (das sie ja die selbe Struktur haben). Im ersten Argument wehrt sich Fang gegen die konträre Auffassung zum Herzen mit dem Argument, es gehe Zhu Xi um die „eigentliche Form“ des Herzens, während Dai Zhen über dessen Anwendung spricht. Hier wird gleichermassen ein Unterschied gemacht zwischen der eigentlichen menschlichen Natur, die unveränderlich gut ist, weil sie in ihrer Anlage der Rechten Ordnung des Kosmos entspricht. Dai Zhen kritisiert somit wiederum nach Auffassung Fangs den persönlichen Charakter des Menschen, in dem es erwartungsgemäss Aspekte gibt, die nicht der Rechten Ordnung entsprechen.

Die menschliche Natur In diesem Teil seines Arguments schliesst Fang an seine Zurückweisung der Kritikpunkte Dai Zhens eine breitere Diskussion über die menschliche Natur an. Dabei geht es hauptsächlich um das menzianische Verständnis der menschlichen Natur im Vergleich zum Begriff der Rechten Ordnung und später im Vergleich mit den Aussagen des Buches Xunzi, das traditionell als antagonistisch zu den Ansichten des Menzius verstanden wurde. Obwohl das Buch Xunzi eines der argumentativ differenziertesten Werke des antiken China ist (zudem mit gesicherter Autorenschaft) werden die Unterschiede in der Lehre zwischen diesen beiden

112 Cheng Yi schreibt zu Lunyu 17.01: „程子曰: 此言氣質之性。 非言性之本也。 若言其本, 則性即是理, 理無不善, 孟子之言性善是也“ (Zhu Xi 2001, 207).



Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur 

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konfuzianischen Denkern immer nur im bipolaren Licht der Frage angesehen, ob die Natur des Menschen gut oder schlecht ist.113 且戴氏極詆程朱, 固奉康成為宗主矣。 豈知程子此語, 正用康成《樂記注》 「理即性 也」語。 彼本不知性命為何說, 又失檢鄭注, 遂輕妄立論, 漫肆詆呵。 Darüber hinaus verunglimpft Herr Dai Cheng und Zhu aufs Äusserste, derweil er stets [Zheng] Kangcheng als seine oberste Autorität verehrt. Hätte er nicht wissen können, dass Meister Cheng gerade in diesem Satz eine Formulierung von [Zheng] Kangchengs Kommentar zu den Aufzeichnungen zur Musik verwendet hat, in dem es heisst: „Die Rechte Ordnung, das ist die menschliche Natur“? Jener aber [d.i. Dai Zhen] wusste überhaupt nicht, welche Erklärungen für die menschliche Natur und das Schicksal (xing ming) gegeben wurden. Er hat es zudem versäumt, den Kommentar von Zheng [Xuan] zu konsultieren, worauf er leichterdings absurde Theorien aufgestellt hat, was seine Verleumdungen hinreichend verdeutlicht.

Wie das bereits in anderen Kontroversen zu beobachten war, begnügt sich Fang nicht mit dem Widerlegen von Dais Aussagen, er greift seinerseits die Positionen der hanxue an. Da diese so grosse Stücke auf die Belegbarkeit ihrer Aussagen hält, dreht Fang Dongshu hier für einmal den Spiess um und greift Dai Zhen und die hanxue auf deren eigenem Kompetenzbereich an: dem Wortlaut der hanzeitlichen Kommentare. Hierzu spielt Fang Dongshu auf Zheng Xuans Kommentar zum Kapitel „yue ji 樂記“ des Liji an. Es heisst dort (in der Übersetzung Wilhelms): „Der Mensch ist von Natur still, das ist seine himmlische Seele. Wenn er, durch die Aussendinge beeinflusst, sich bewegt, das sind die Triebe der Seele. Durch das Herannahen der Aussendinge entsteht das Bewusstsein; infolge des Bewusstseins gestalten sich Zuneigung und Abneigung. Wenn Zuneigung und Abneigung keinen Rhythmus in Innern haben, so verführt das Bewusstsein ins Äussere, und der Mensch findet nicht mehr zu seiner eigenen Persönlichkeit zurück, so dass die himmlische Ordnung erlischt.“ (Wilhelm 1981, 73–74; Original: „人生而靜, 天之 性也; 感於物而動, 性之欲也。 物至知知, 然後好惡形焉。 好惡無節於內, 知誘於外, 不能反躬, 天理滅矣“). „Tian li 天理“ im letzten Satz wird von Zheng Xuan wie folgt kommentiert: „li you xing ye 理猶性也“ (Ruan Yuan 1980, 1529a). Die Zitierung dieser Passage ist ein argumentatives Meisterstück. Der Text könnte jederzeit einem daoxue-Kommentar entstammen, denn eine Reihe wichtiger Punkte, die zuvor durch Dai kritisiert worden waren, tauchen hier bereits auf: zentrale Begriffe, wie die Unterscheidung zwischen Ruhe (jing 靜) und Aktivität (dong 動), die Feststellung, dass die Bedürfnisse yu 欲 als Teil der menschlichen

113 In den Prolegomena zu seiner Übersetzung des Menzius fügte Legge ganz zum Schluss eine Übersetzung des entsprechenden Kapitels des Xunzi ein, um den Gegensatz zu Menzius zu ­demonstrieren, und um die zentrale Kontroverse des Konfuzianismus adäquat einzuführen (Legge 1991, Vol 2: 79–88).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Natur entstehen, die Aussage, dass Wissen (Wilhelm: „das Bewusstsein“) „durch das Herannahen der Aussendinge entsteht“, und zur Krönung die Nennung des Begriffes tian li. Durch die Hervorhebung der Tatsache, dass hier menschliche Natur und Rechte Ordnung bereits in der Hanzeit in Verbindung gebracht wurden, entzieht Fang einer zentralen Argumentation der hanxue den Boden. 余嘗釋氏認「心」為「性」,認「意」為「心」, 固誤。 然猶說「性」。 若世俗學 者, 雖讀儒書, 然皆逞妄徇私, 全從「心」與「意」上作用。 蓋懵然不知己之有「 性」, 又安知「性」為何物? 其言「命」, 亦只以死生、 禍福、 貧富、 貴賤當之, 是 世俗之人不知己之有「性」、「命」者, 眾也, 久矣。 苟知己有四端、 五常, 則知己 有「性」, 知四端、 五常之為「性」, 則知「性」之本所從來為「命」矣。「性命」之 本, 無有不善, 使非出於「理」, 何以能善? 則「性」即是「理」, 明矣! 趙歧偁《 孟子外書》四篇, 有《性善辨》。 知此事在孟子當日, 己難與不知者言矣。 Ich würde die Meinung äussern, dass Herr Shakyamuni meint, dass aus dem Herz die menschliche Natur gebildet werde, aber [auch], dass aus dem Willen (yi 意) das Herz gebildet werde. Das ist grundlegend falsch. Da er so verfährt, stellt er gleichsam eine [verfehlte] Doktrin der menschlichen Natur auf. Darin kommt er gewöhnlichen Gelehrten dieser Zeit gleich, auch wenn sie die konfuzianischen Werke lesen. Da sie sich alle so verhalten, leben sie Torheiten aus und verfolgen Eigensinniges. In allem geben sie ausgehend vom Herz dem Willen die höhere Funktion. Sich ignorant verhaltend, erkennen sie nämlich nicht, dass die Anlagen zur menschlichen Natur in ihnen [schon] vorhanden sind – woher wüssten sie sonst, welche Dinge diese Anlagen bilden? Wenn sie vom Schicksal sprechen, setzen sie dieses auch bloss mit Tod und Leben, Unglück und Glück, Armut und Reichtum oder hoher bzw. niederer [sozialer] Stellung gleich. Der Grund, weshalb diese Leute, die nicht [zum Kreis der echten Konfuzianier] gehören [sondern eben in Wirklichkeit z.B. Buddhisten sind], nicht erkennen, dass die menschliche Natur und das Schicksal in Ihnen [schon] vorhanden sind, ist, weil sie eine Mehrheit sind – und zwar schon seit Langem! Falls diese [die gewöhnlichen Gelehrten dieser Zeit] erkannt hätten, dass in ihnen die Vier Ansätze und die Fünf Ehernen Tugenden vorhanden sind, dann hätten sie erkannt, dass in ihnen die Anlagen für die menschliche Natur [schon] vorhanden sind. Wenn sie sich bewusst gewesen wären, dass die Vier Ansätze und die Fünf Ehernen Tugenden natürliche Anlagen bilden, dann wären sie sich doch bewusstgeworden, dass dasjenige, woher die Anlagen ursprünglich herkommen, das Schicksal ist. Der Grundlage von menschlicher Natur und Schicksal (xing ming zhi ben) fehlt alles, was Schlechtes entstehen lassen würde. Angenommen, diese [beiden] würden nicht aus der Rechten Ordnung hervorgehen, wie wären sie dann fähig, gut zu sein? Dass also die menschliche Natur [dasselbe wie] die Rechte Ordnung ist, dürfte hierdurch wohl klargeworden sein. Zhao Qi empfiehlt das Mengzi Wai Shu114 in vier Kapiteln. Darin gibt es die „Erörterungen, ob die menschliche Natur gut

114 Im Zhongguo Congshu Zonglu gibt es zwar ein Werk mit dem Titel Mengzi Wai Shu 孟子外書, aber das stammt nicht vom Kommentator des Mengzi Zhao Qi 趙歧 (~108–~210), sondern von Liu Ban 劉攽 (1023–1089), einem songzeitlichen Gegner Wang Anshis und Co-Autor von Sima Guangs Zizhi Tongjian (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:149 & 3:669; ZHZ 625). M.E. unterlief Fang Dongshu hier schlicht ein Fehler, indem er den Kommentator des Mengzi auch für den



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sei“. Daraus erkennt man, dass diese Angelegenheit selbst in den Tagen des Menzius schon schwierig mit Unwissenden zu besprechen war.

Nachdem die hanxue mit ihrem zentralen Argument zunächst abgewehrt scheint, wendet sich Fang nun anscheinend der Abgrenzung vom Buddhismus zu. Tatsächlich geht es ihm darum, seine Gegner als Buddhisten zu klassifizieren und sie so zu verunglimpfen. Dazu distanziert er sich sich vom buddhistischen Verständnis grundlegender Begriffe, die er pauschal als „falsch“ bezeichnet. In seinem Kommentar schreibt Fang, dass man sich für eine weitere Erörterung der Problematik an die „Diskussionen Meister Zhus“ wenden sollte („xiang jian zhuzi lun 詳見朱子論“). In beiden konsultierten interpungierten Ausgaben wird Zhuzi Lun wie ein Buchtitel markiert, aber es handelt sich m.E. weniger um eine konkrete Schrift als vielmehr um die Diskussionen Zhu Xis in seinen diversen Schriften.115 So findet sich etwa in Rolle 101 des Zhuzi Yulu ein Zitat Xie Liangzuos, das besagt: „Was Herr Shakyamuni die menschliche Natur nennt, das entspricht dem, was wir Konfuzianer das Herz nennen; was Herr Shakyamuni das Herz nennt entspricht dem, was wir Konfuzianer die persönliche Absicht nennen.“ Hierzu bemerkte Zhu Xi nur: „Diese Erklärung ist gut“.116 Fangs Formulierung ist lediglich eine Paraphrase dieser Stelle. Während er sich vom buddhistischen Verständnis abgrenzt, macht Fang gleichzeitig klar, dass es Konfuzianer gäbe, die keinen Unterschied zwischen dem Herzen als dem Sitz ihrer Vernunft und den persönlichen Absichten als Instanz der eigensinnigen Interessen machten. Dies kann als Angriff auf Dai verstanden werden, der ja in vorherigen Kontroversen bereits mit der Forderung zitiert wurde, die Menschen sollten ohne Einschränkung ihren Bedürfnissen folgen können. Trotzdem halte ich diese Bemerkung Fangs weniger für einen Angriff als ebenfalls für eine Abgrenzung gegenüber den rein zweckorientierten konfuzianischen Gelehrten, die weniger auf der Suche nach dem Rechten Weg des Weisen sind, als dass sie versuchen, einen Beamtenposten zu erlangen. Fangs Vorwurf an diese Leute ist, dass sie nicht erkennen, dass sie in sich die menschliche Natur tragen, und damit an der kosmischen Rechten Ordnung f­ esthalten. Für sie zählt nur die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse. Sie nehmen die in ihnen vorhandene Anlage zur Erkenntnis grösserer Zusammenhänge nicht

Autoren des Mengzi Wai Shu hielt. Ob es im Mengzi Wai Shu ein Kapitel mit dem Titel „xing shan bian 性善辨“ gibt, konnte nicht überprüft werden. 115 Im Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 3: 114–115 ist auch kein Text des solchen Titels Zhuzi Lun oder einer sinnvollen Variante verzeichnet. 116 Der chinesische Text von Zhuzi Yulu 101 lautet: „「釋氏所謂性, 猶吾儒所謂心; 釋氏所謂心, 猶吾儒所謂意。」 此說好。“ (Li Jingde 1994, 7:2563).

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ernst und nicht wahr. Genau gleich behandeln sie den m.E. am schwierigsten zu fassenden Kernbegriff der daoxue: ming 命. Wenn Fang schreibt, dass die „gewöhnlichen ­Gelehrten“ (su xue zhe 俗學者) dies nur als persönliche Zuteilung von Erfolg, Ansehen und Lebensspanne verstehen, so lehnt er damit diese Auffassung nicht ab, er hält sie wohl nur für zu wenig weitreichend. Ming hat im Kontext der daoxue eine doppelte Bedeutung, so schreibt zumindest Chen Chun 陳淳 (1159–1223) in seinem philosophischen Wörterbuch Beixi Ziyi 北溪字義. Dort erfährt ming folgende differenzierende Erklärung: „When ming is spoken of in terms of material force, there are two kinds. One is with respect to wealth or poverty, honor or humble station, longevity or brevity of life, and calamity or blessing. As in the cases of [Zhong Yong Textbeginn; Meine Einfügung, M.W.] „Life and death are the decree (ming) of Heaven“ and [Menzius 7A.2 „mo fei ming ye 莫非命也“; Meine Einfügung, M.W.] „Everything is destiny (ming),“ the ming is considered from the inequality of the decree of one’s endowment of material force. It is the ming (destiny, fate) of one’s given lot (ming-fen). The other kind is the ming in Mencius’ (c.372-c.289 B.C.) saying, „The virtue of humanity in the relationship between father and son, the virtue of righteousness in the relationship between ruler and minister – these are [endowed in people in various degrees] according to fate (ming).“ This is considered in terms of the inequality of the degree of purity or impurity in the endowment of material force. They refer to whether a person is wise or stupid, virtuous or not.“ (Wing-tsit Chan 1986, 38–39). Diesen Aussagen zufolge gab es zwar die Bedeutung „Schicksal“, im Sinne von reich oder arm, glücklich oder unglücklich, was hier unterscheidend noch als „mingfen“ bezeichnet wird. Es gibt aber auch die zweite Form, die hier mit Menzius 7B.24 belegt wird. Dort unterscheidet Menzius zwischen der menschlichen Natur und ming durch eine wechselseitig exklusive Definition. In der Übersetzung Laus lautet die Stelle: „Mencius said, ‚The way the mouth is disposed towards tastes, the eye towards colours, the ear towards sounds, the nose towards smells, and the four limbs towards ease is human nature, yet therein also lies the Decree. That is why the gentleman does not describe it as nature. The way benevolence pertains to the relation between father and son, duty to the relation between prince and subject, the rites to the relation between guest and host, wisdom to the good and wise man, the sage to the way of Heaven, is the Decree, but therein also lies human nature. That is why the gentleman does not describe it as Decree.‘„ (Lau 1984, 438)117 Diese Menziuspassage ist nicht leicht zu verstehen, aber m.E. geht es darum, dass gewisse Aspekte der menschlichen

117 Menzius 7B.24 lautet: „孟子曰: 「口之於味也, 目之於色也, 耳之於聲也, 鼻之於臭 也, 四肢之於安佚也, 性也, 有命焉, 君子不謂性也。 仁之於父子也, 義之於君臣也,



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Natur angeboren und u ­ nveränderlich sind, wie eben die A ­ ffinität der Augen zu Farben oder des Mundes zum Geschmack. Andere Aspekte der menschlichen Natur sind ebenfalls angeboren, aber ein jeder ist in der Lage, sie zu kultivieren, bzw. verkümmern zu lassen, weshalb Lau sie nicht kollektiv als „Schicksal“ wiedergibt, sondern als „Bestimmung“. Durch diese Unterscheidung wird um den Menschen ein dreifacher Ring von Anlagen gezogen, die nun entweder angeboren und unveränderlich, angeboren und veränderlich oder vollkommen angeeignet (und damit veränderlich) sind, wie etwa das ritenkonforme Verhalten, welches hier nicht erörtert wird. Die erste und grundsätzlichste nennt Menzius xing, die zweite ming und die dritte Form der Anlage nennt etwa der erste Satz des Zhong Yong jiao 教. Indem Fang Dongshu hier also nicht näher genannte Gegner angreift, um ihnen vorzuhalten, dass sie ein unzureichendes Konzept von ming hätten, suggeriert er, dass die Kritik der hanxue nur durch ein falsches Verständnis erwachsen sei. Fang schlägt stattdessen im Rest des Abschnitts vor, zu erkennen und damit zu akzeptieren, dass jeder Mensch mit demselben Herz versehen sei, das es ihm erlaubt, die Vier Säulen (si duan 四端, d.i. ren, yi, li und zhi 仁義禮知) und die Fünf Ehernen Tugenden darin zu entwickeln. Dies sind Mitmenschlichkeit, korrektes Verhalten, ritenkonformes Verhalten, Weisheit und Vertrauen gemäss Zhu Xis Kommentar zu Lunyu 2.23: „五常,謂:仁、義、禮、智、信“ (Zhu Xi 2001, 69).118 Da diese Verhaltensmuster im Herzen auf ganz natürliche Art und von selbst entstehen, entsprechen sie der Rechten Ordnung des Herzens und sind damit als Teilaspekt der Rechten Ordnung a priori gut. Die eigentliche Aussage, die Fang mit diesem Abschnitt zu machen versucht ist, dass die Auffassung Dai Zhens falsch ist, wonach die Menschen eine natürliche Form des Lebens aufgeben müssen und durch das Korsett des daoxue-­Konfuzianismus dazu gezwungen werden, sich in ihren Verhaltensweisen ­anzupassen. Vielmehr stellt er Dai die Ansicht entgegen, dass es gerade die Lehren der daoxue sind, welche dem natürlichen und ungezwungenen Verhalten des Menschen entsprechen, denn diese bauen auf die Weisheit des Altertums

禮之於賓主也, 智之於賢者也, 聖人之於天道也, 命也, 有性焉, 君子不謂命也。」“ (Zhu Xi 2001, 438). 118 Der Begriff der „Fünf Ehernen Tugenden“ wird ein zweites Mal in Zhus Kommentar zum ersten Satz des Zhong Yong verwendet, und dort zur Definition der menschlichen Natur ­herangezogen. Der Satz wird bei de Bary und Bloom übersetzt als: „Thus human beings, each receiving their endowment of principle, are constituted with the Five Constant Virtues, which are one’s nature“: „於是人物之生,因各得其所賦之理,以為健順五常之德,所謂性也。“ (Zhu Xi 2001, 20).

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und die Erkenntnisse früherer Lehrer über die Beschaffenheit des menschlichen Herzen, bzw. die songzeitliche Rezeption dieser Weisheiten. 近錢氏大昕, 稱《荀子》書曰﹕「人之性惡, 其善者偽也」; 又曰﹕「不可學, 不可事 而在天者謂之性, 可學而能, 可事而成之在人者, 謂之偽, 偽即為字。」以為世人不識 字, 致使荀子蒙千載惡聲。 In jüngerer Zeit hat Herr Qian Daxin über [die Passage] „Die Natur des Menschen ist schlecht, was gut daran ist, ist künstlich gemacht“119 im Buch Xunzi gesagt: „Man kann es nicht erlernen, man kann es sich nicht durch Dienst erwerben, sondern es liegt in der Natur, das nennt man die menschliche Natur. Was man lernend sich aneignen kann, was man mit seinem Dienst vollenden kann, das liegt beim Menschen selbst. Das nennt [Meister Xun] ‚künstlich‘. Künstlich heisst [von Menschen] gemacht.“ [Herr Qian] nimmt offenbar an, dass die Menschen unserer Zeit die Schriftzeichen nicht mehr kennen, so als ob [das Buch] Xunzi ungerechtfertigterweise seit Jahrtausenden einen schlechten Ruf hätte.

In diesem Teil des Arguments zitiert Fang eine der Sprachglossen, die seit dem Beginn der Qing ein Markenzeichen der kaozhengxue und hanxue wurden. Oftmals werden diese als exegetisch neutrale Textverbesserungen verstanden, aber dieses vorliegende Beispiel demonstriert, wie sehr eine geringe Veränderung die Bedeutung eines gesamten Abschnitts verändern kann. Objekt der Auseinandersetzung ist das Werk des konfuzianischen Philosophien Xun Kuang 荀 況 (~310–238) mit dem Titel Xunzi. Der Autor wurde als Lehrer des verhassten Legalisten Han Fei Zi 韓非子 (~280–233) dämonisiert; seine Lehre um das Axiom, dass der Mensch von Natur aus schlecht sei, wurde als Antithese zum menzianischen „xing shan“ wahrgenommen und entsprechend erfuhr das Werk im Verlauf der daoxue-Rezeption des Konfuzianismus eine stark negative Konnotation. Han

119 Der Satz „人之性惡, 其善者偽也.“ bildet den Anfang des 23. Kapitels „xing e pian 性惡 篇“ des Xunzi. In der Übersetzung Knoblocks lautet das: „Human nature is evil; any good in humans is acquired by conscious exertion“ (Knoblock 1994, 150). Im Folgenden wird diese Aussage differenziert mit sehr ähnlichen Worten, wie sie später von Qian Daxin übernommen wurden: „凡性者, 天之就也, 不可學, 不可事。 禮義者, 聖人之所生也, 人之所學而 能, 所事而成者也。 不可學、 不可事而在人者, 謂之性; 可學而能、 可事而成之在人 者, 謂之偽, 是性、 偽之分也。“ In der Übersetzung Knoblocks: „As a general rule, ‚inborn nature‘ embraces what is spontaneous from Nature, what cannot be learned, and what requires no application to master. Ritual principles and moral duty are creations of the sages. They are things that people must study to be able to follow them and to which they must apply themselves before they can fulfill their precepts. What cannot be gained by learning and must be mastered by application yet is found in man is properly termed ‚inborn nature.‘ What must be learned before a man can do it and what he must apply himself to before he can master it yet is found in man is properly called ‚acquired nature.‘ This is precisely the distinction between ‘inborn‘ and ‚acquired‘ natures.“ (ebd., 152).



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Yu nahm in seinem Text Yuan Dao explizit Xun Kuang und Yang Xiong Schreibvariante; 53 v. Chr. – 18 n. Chr. aus der Tradierung des Rechten Wegs aus. Es ist der Verdienst der kaozhengxue, sich wieder den weniger bekannten Texten der Antike wie dem Xunzi zugewandt zu haben. Die textliche Auseinandersetzung, an der sich die Kontroverse entzündete, dreht sich um den oben zitierten Satz mit der Aussage, dass die Natur des Menschen schlecht sei. Da es nicht den Axiomen der daoxue entspricht, verwehrt sich Fang gegen diese Aussage, denn laut menzianischem Menschenbild ist die Natur gut, und erst die Einflüsse während der Lebenszeit eines Menschen lassen ihn schlecht werden.120 Zunächst zu Qian Daxins Text: Dieser wurde nur in Ausschnitten zitiert. Es handelt sich um den kurzen Text „ba Xunzi 跋荀子“, in dem Qian am Werk Xunzi ausschliesslich diese Problematik erörtert. Zunächst wird der Text eingeleitet durch die Bemerkung, dass die Werke Xunzi und Menzius sich zwar bezüglich ihres Menschenbild unterschieden, dass sie aber beide sich darin einig sind, dass Erziehung und Kultivierung der Weg zum moralisch guten Handeln ist121 (und nicht etwa das Gesetz, wie später bei den Legalisten). Qian geht aber noch weiter: Die hier zitierte Passage unterscheidet zwischen Dingen, die von der Natur vorgegeben sind und solchen, die sich der Mensch aneignen kann.122 Qian schreibt, dass Xun Kuang diese mit dem Wort wei 偽 bezeichnet habe, was sowohl „künstlich“ im Sinne von „vorgespiegelt, falsch“ heissen kann, wie auch „von Menschen gemacht“ als Gegensatz zur Natur.123

120 Die klassische Textstelle zum Thema der Natur des Menschen ist Abschnitt 6A.8 des Menzius. Dort bemüht Meng Ke die Metapher eines Berges mit Namen Niu Shan 牛山, der einst schön bewaldet gewesen sei. Rodung und das Sömmern von Vieh haben den Berg kahl und unansehnlich werden lassen und verhindert, dass neue Triebe sprossen. Ebenso verhalte es sich auch mit dem Menschen, der von Natur aus gut ist, dessen Anlagen aber zerstört werden können. 121 Der Satz Qian Daxins lautet im Text: „言性雖殊, 其教人以善則一也。“ (vgl. Qian Daxin 1989, 475–476). 122 Die Aussage, die gemäss der Darstellung in Fang Dongshu 1998 Qian Daxin zuzuschreiben ist, geht gemäss einer editorischen Anmerkung in Qian Daxin 1989 in Wirklichkeit auf einen nicht genannten Text Gu Guangqis 顧廣圻 (1776–1835) zurück. Indem Qian aus Gus Text zitiert, stellt er sich freilich hinter dessen Aussage. Die Aussage Gu Guangqi zuzuschreiben, übernehmen die Editoren aus Wang Xianqians 王先謙 (1842–1917) Ausgabe des Xunzi-Textes, dem Xunzi Jijie 荀子集解. In diesem Text, der in die Kompilation Zhuzi Jicheng aufgenommen wurde, konnte ich allerdings keine entsprechende Aussage finden (vgl. Zhuzi Jicheng 1954, 2:289). 123 Die Tatsache, dass wei 為 und wei 偽 wechselseitig austauschbar sind und speziell in antiken Texten ohne grosse Differenzierung verwendet wurden, ist wohl bekannt. Duan Yucai zitiert in seinem Kommentar zum Shuowen Jiezi neben dieser Xunzi-Stelle eine Reihe von parallelen Texten, die einmal mit dem einen, einmal mit dem anderen Schriftzeichen geschrieben wurden

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Schon die hier nicht zitierte Gleichsetzung der beiden konfuzianischen Philosophen auf der Ebene der Massnahmen wird Fang sauer aufgestossen sein, denn gemäss orthodoxer daotong-Tradierung wurde kein gutes Haar an Xun Kuang gelassen.124 Das Kontroverse an der von Fang zitierten Textstelle ist m.E. die Aussage, dass dasjenige, was der Mensch nicht von der Natur als Anlage erhält, vom Menschen selbst, und damit in Selbstbestimmung, gemacht wird. Gemäss den anderen Aussagen Fangs befürwortete er wohl die Sicht, dass Menschen von Geburt weg auch die Anlagen in sich tragen, welche durch Studium oder Diensterfüllung noch kultiviert werden können. Daher wehrte er sich gegen die ­Auffassung, wei stehe für „von Menschen gemacht“ und wollte weiterhin das Verständnis „künstlich“ perpetuieren, das auch eine Konnotation von „falsch“, „unecht“ und damit „gekünstelt“ in sich trägt. Denn die Xunzi-Passage ist wesentlich leichter abzulehnen, wenn man Xun Kuangs Aussage versteht als „Das Schlechte an der menschlichen Natur ist gegeben, alles Gute daran ist gekünstelt“, als wenn Xun nur gesagt hätte: „Die Natur des Menschen ist grundsätzlich schlecht, alles Gute daran hat der Mensch selbst herbeigeführt.“ Fang Dongshu beharrt auf seinem Verständnis von wei, welches er als Standardbedeutung versteht. Daher unterstellt er Qian, dieser kenne nicht einmal die Schriftzeichen, und schliesslich beruft er sich auf die Rezeptionstradition, wonach Xunzi seit Han Yu in Verruf steht. Im weiteren Verlauf seines Arguments scheinen nun die Vorzeichen umgekehrt: Fang versucht sich zunächst in einer philologisch exakten Argumentation, um das ideologisch determinierte Verständnis des Textes durch die Vertreter der hanxue argumentativ aufzuweichen. 愚謂辨「偽」與「譌」即「為」之假借字, 此為確論, 不可易矣。 然固無解於性惡之說 也。 錢氏得「偽」字訓詁一端, 詹詹自喜, 遂不暇致詳上文。 而以為足為荀子白千載 之冤, 則未然也。 荀子本意, 謂人之性惡, 其出於善者, 由人事強為。 亦略如告子杞 柳、 桮棬, 戕賊人以為仁義之旨。 錢氏何能代為之解免也。 新學小生, 耳食浮游, 執 論孟子「性善」之說為妄, 以為韓子「三品」之說本之孔子, 而孟子可以啞口矣。 豈知 聖賢言各有當, 孔孟之說, 初不異乎? 譬立馬於前, 數其百體, 而謂道馬者。 非馬, 可乎?

(etwa Guwen Shang Shu und Shiji). Auch zitiert er den songzeitlichen Kompilator des Shuowen, Xu Kai 徐鍇 (921–975) mit der Qian Daxin entsprechenden Aussage, dass wei das von Menschen Gemachte sei: „wei zhe, ren wei zhi, fei tian zhen ye 偽者, 人為之, 非天真也。 (Duan Yucai 1988, 379b). Schliesslich wird auch in einer Glosse des Thesaurus Guang Ya 廣雅 aus dem dritten Jahrhundert wei durch wei glossiert (Xu Fu 1992, 273). 124 Im Vorwort zur Menzius-Ausgabe der Vier Bücher wird Cheng Yi mit den Worten zitiert: „Xunzi is in höchstem Masse einseitig und widersprüchlich. Es gibt dort bloss einen Satz, der aussagt, dass die menschliche Natur schlecht sei, aber damit wurde bereits die grosse Grundlage verloren gegeben „ („荀子極偏駁,只一句性惡,大本已失。“; Zhu Xi 2001, 231).



Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur 

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Ich meine zur Differenzierung von „künstlich machen“ und „Fehler“, dass beides lautliche Entlehnungen sind von „[vom Menschen] gemacht“, was eine definitive Feststellung ist, an der es nichts zu rütteln gibt. Doch das bringt bestimmt keine Lösung für die Frage, ob die menschliche Natur schlecht sei. Herr Qian hat mit seiner Wortglosse über „künstlich machen“ einen Zipfel erlangt und spricht darüber ohne Unterlass und voller Freude an sich selbst, übersieht dabei aber, dass er den vorhergehenden Text nicht erklärt hat. Zudem meint er offenbar, dass [seine eine Glosse] genüge, um die Jahrtausende alte Abneigung gegen Xunzi ungeschehen zu machen. Die eigentliche Meinung von Meister Xun war, dass die Natur der Menschen schlecht ist und dass alles, was daran an Gutem hervorkommt, durch menschliche Anstrengung erzwungen wird. Im grossen Ganzen meint [Meister Xun] dasselbe wie Meister Gao mit seinen Weiden, Schalen und Bechern, nämlich, dass man die Menschen gewaltsam formen muss, um sie zu Menschlichkeit und korrektem Verhalten zu bewegen. Was kann Herr Qian wohl vorbringen, um sich hier wieder aus der Schlinge zu ziehen? Diese Grundschüler der neuen Gelehrsamkeit haben nur Flüchtiges durch Hörensagen125 erfahren und halten nun fest an der Ansicht, dass die Theorie Menzius‘, wonach die menschliche Natur gut ist, Unsinn sei. Dafür meinen sie fest, dass die Theorie der „drei Stufen“ von Meister Han eigentlich auf Konfuzius zurückgeht, Menzius hingegen den Mund halten sollte. Wie sollten sie wissen, dass die Worte der Weisen und Tüchtigen jeweils ihre praktische Umsetzung hatten und dass es zwischen den Theorien von Konfuzius und Menzius [283] ursprünglich keine Differenz gab. Ich ziehe hier einen Vergleich: Jemand stellt ein Pferd vor [sich] hin und zählt seine hundert Gliedmassen auf. Nun zu sagen, dass derjenige, der über das Pferd spricht, dieses verfälsche — ist das erlaubt?

Mit „lautliche Entlehnungen“ meint Fang Dongshu, dass die Worte wei für „künstlich“ und e für „Fehler“ beide etymologisch aus dem ursprünglichen wei 為 „vom Mensch gemacht“ hervorgegangen sind. In den Schriftzeichen lässt sich das noch deutlicher erkennen, denn sowohl das Schriftzeichen für wei 偽 als auch dasjenige für e (das heute 訛 geschrieben wird, in der früheren Schreibweise 譌 aber den semantischen Determinanten für „Sprache“ mit dem Schriftzeichen wei 為 kombiniert.126 Alle drei Schriftzeichen waren in einst nahezu homophon (Pulleyblank 1991, 86, 321–322; Karlgren 1957, Gruppe 27). Der Ausdruck jiajie zi 假借字 für „Lautentlehnungszeichen“ ist eigentlich unkorrekt verwendet, denn es handelt sich hier um das umgekehrte Phänomen, ein Schriftzeichen mit

125 Die Formulierung lautet er shi fuyou 耳食浮游. Er shi heisst eigentlich: Sie haben ihre Ohren vollgestopft mit Dingen, die sie nur gehört haben und eben nicht selbst erarbeitet. Fuyou wird verstanden als Lehnschreibung für 蜉蝣  = Eintagsfliege. Wörtlich müsste man also übersetzen: Sie haben die Ohren voll mit Eintagsfliegen. 126 Im Shuowen Jiezi wird das Element wei im Wort 譌als phonophorisches Element ausgewiesen (Duan Yucai 1988, 379b). Allerdings scheint die Versuchung, es als Zusammenstellung zweier semantisch bedeutsamer Elemente (als sog. hui yi zi 會意字) zu verstehen, sehr gross gewesen zu sein, wohl, weil man aus den Elementen „Mensch“ und „tun“, bzw. „Wort“ und „tun“ eine Reihe von Bedeutungen assoziieren kann. Daher wurde auch schon früh die Kategorisierung „hui yi zi“ für die beiden wei verwendet.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

ü ­ bertragener Bedeutung yinshen zi 引申字. Eine Entlehnung würde vorliegen, wenn 為 im Sinne von 偽 verwendet würde. Die mangelnde Differenzierung zwischen der lautlichen Entlehnung und der Bedeutungextension war in der Qingzeit aber gang und gäbe, weil man aufgrund der Vorgabe der Tradition, in der die Bedeutungsextension nicht als solches vorkommt, keinen vergleichbaren Begriff dafür zur Verfügung hatte. Fang Dongshu versucht allerdings nicht in erster Linie, sich mit den kaozhengExperten im Ermitteln alter Glossen zu messen. Vielmehr liegt ihm die Bedeutung des Xunzi-Satzes nahe. Hier versucht er, wie oben beschrieben, die durch die daoxue-Rezeption zementierte Bedeutung gegen die Angriffe der Widersacher zu festigen. Dazu wiederholt er zunächst einfach das Verständnis der Tradition: Xun Kuang wollte sagen, dass der Mensch von Natur aus schlecht ist und alles Gute an ihm nicht mit der Natur des Menschen zusammenhängt. Dieses Verständnis ermöglicht Fang dann, Xun Kuang in eine Kategorie einzuordnen, in der er nicht direkt ein Gegner des Konfuzianismus ist, wie etwa die immer wieder bemühten Mo Di und Yang Zhu, aber immerhin ein Skeptiker oder Kritiker. In diese Kategorie gehören etwa auch der im Menzius vorkommenden und hier zitierte Gao Zi 告子 (nicht zu verwechseln mit dem Menziusschüler 高子). Gao Zi ist für die daoxue weniger ein Ernst zu nehmender Gegner als ein Stichwortgeber für ­Menzius.127 Er kommt in Abschnitt 2A.2 sowie im nach ihm benannten Kapitel 6, speziell in der ersten Hälfte, vor. Die Anspielung auf Weiden und daraus zu formende Holzgefässe geht zurück auf Abschnitt 6A.1 im Mengzi, in dem Gao Zi die menschliche Natur mit einer Weide vergleicht und die Tugenden ren und yi mit Bechern und Schalen, die aus diesen Weiden hergestellt werden. In seiner Antwort weist Menzius auf den Unterschied hin, dass man Weiden gewaltsam verformen muss, um diese Geräte herzustellen, während man Menschen nicht dazu zwingen muss, gut zu sein, da dies ja ihrer Natur inhärent ist (für die Stelle vgl. D. C. Lau 1984, 222–223; Wilhelm 1921, 126). Fang geht es hier weniger um einen konkreten Vergleich der Positionen Xuns und Gaos. Er will Xun Kuang schlicht in der Kategorie behalten, in welche die Tradition ihn seit der Tang gesteckt hat. Es folgt – nach einer neuerlichen Verunglimpfung der hanxue-Gelehrten als Grundschüler – ein Hinweis auf die Theorie der drei Stufen san pin zhi shuo 三品 之說. In seinem Essay Yuan Xing 原性 (Über den Ursprung der menschlichen Natur) teilt Han Yu die Natur der Menschen in drei Gruppen ein: Jene, die grundsätzlich gut sind, jene, die weder gut noch schlecht sind, aber in beide Richtungen geführt

127 Kwong-loi Shun bezeichnet in seiner Analyse der Textstelle Gao Zi zwar als „serious thinker“, aber seine Interpretation der in diesem Zusammenhang relevanten Textstellen, vor allem aber von 2A.2, unterschiedet sich explizit von der Zhu Xis (Shun 1991, 380).



Fünfte Kontroverse: Das Herz und die menschliche Natur 

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werden können und schliesslich jene, die grundsätzlich schlecht sind: „性之品 有上中下三. 上焉者, 善焉而上矣; 中焉者, 可導而上下也; 下焉者, 惡焉而上矣.“ (Yu Guanying 1997, 1:122). Die Theorie geht nicht auf Konfuzius zurück, sondern sie stellt eine Synthese dar aus den Ansichten Menzius‘ (menschliche Natur gut), Xunzi (schlecht) Yang Xiong (gemischt), die in dem Text auch alle zitiert werden. Für eine Übersetzung des gesamten Textes vgl. Legge 1991, Vol. 2, 89–91. Ganz zum Schluss des Abschnitts folgt ein Vergleich zu einer Person, der die Teile des Pferdes durchzählt. Hierzu fragt Fang, ob es sinnvoll sei, diesem vorzuwerfen, er stelle das Pferd als Ganzes in Abrede. M.E. geht es bei diesem Vergleich um Menzius, der gegenüber der konfuzianischen Lehre Differenzierungen vorgenommen hat und eine Weiterentwicklung der Kenntnis über die konfuzianische Lehre betrieb, so wie jemand, der die 100 Gliedmassen (oder Knochen ti 體) aufzählt, und damit eine differenziertere Kenntnis über das Pferd ermöglicht. Menzius, wie auch dem Pferdeexperten, kann man aber deshalb nicht vorwefen, er kümmere sich nicht um die Lehre, bzw. das Pferd als Ganzes. 《中庸》曰﹕「率性之謂道」, 使「性」非本善, 何可率也? 何能率之而即為道邪? 「性」兼氣質, 「命」兼氣數, 與子思、 孟子所稱專言其本者, 言各有當。 先儒既精論 而詳說之, 其言備矣, 何容復倡為異說! [Unmittelbar zu Beginn des] Zhong Yong heisst es: „Was die menschliche Natur führt, das ist der Rechte Weg“. Angenommen, die menschliche Natur sei nicht von Natur aus gut, wie könnte man sie dann führen? Wie könnte man sie wohl führen und das dann den Rechten Weg nennen? Die menschliche Natur fasst die Qualitäten des qi zusammen. Das Schicksal fasst die Häufung des qi zusammen. Das entspricht Wort für Wort demjenigen, was Zisi und Menzius über die Grundlage der Weitergabe von Wörtern sagen. Die früheren Konfuzianer haben das also alles schon sehr differenziert und mit grösster Sorgfalt erörtert und ihre Worte sind umfassend. Wieso also sollte man es zulassen, das Ganze erneut durchzukauen und [jenes] zur häretischen Lehre zu erklären.

Ein Problem dieses Abschnittes ist der Umgang mit dem offensichtlich zusammenhängenden Begriffspaar qizhi 氣質 und qishu 氣數. Qizhi als Umschreibung für die menschliche Natur ist erneut eine Paraphrase von Zhus Kommentar zu Lunyu 17.02. Aber auch sonst wird der Begriff in den Kommentaren zu den Vier Büchern rund zwanzig Mal verwendet. Er wird in der Regel verstanden als die persönliche Ausformung der menschlichen Natur, also der Charakter eines Individuums. Der hier kontrastiv verwendete Begriff qishu 氣數 kommt in den Vier Büchern kein einziges Mal vor. Sein locus classicus ist in der hanzeitlichen Literatur zu suchen, nämlich im Shen Jian 申鑒 des hanzeitlichen Gelehrten Xun Yue 荀悅 (148–209) (vgl. HYDCD 6:1035). In den Lexika wird qishu als „Schicksal“ erklärt, also das persönliche Schicksal im Gegensatz zum persönlichen Charakter. Daher wurde qishu als „Häufung des qi“ wiedergegeben, um die individuell unterschiedliche Zuteilung des qi für eine Person auszudrücken.

362 

 Kontroversen gegen Dai Zhen

考戴氏生平著述之大, 及諸人所推, 在《孟子字義疏證》, 及《原善》。 《孟子字義》, 戴氏自謂「正人心」之書。 余嘗觀之, 轇轕乖違, 毫無當處。 《原善》亦然, 如篇首云云, 取《中庸》、 《論》、 《孟》之字, 標舉古義, 以刊正宋儒, 徒使學者茫然, 昏然, 不得 主腦下手處, 大不如陳北溪《字義》。 Wenn man überprüft, was Herr Dai in seinem Leben Wichtiges geschrieben hat, sowie was alle anderen in den Vordergrund rücken, so beschränkt sich das auf das Mengzi Ziyi Shuzheng und das Yuan Shan. Vom Mengzi Ziyi hat Herr Dai selbst gesagt, dass es ein Buch sei, welches „die Herzen der Menschen richtig stellt“. Ich habe einst versucht, dieses Buch zu lesen und fand es sehr wirr und enttäuschend, sowie ohne einen festen Standpunkt. Das Yuan Shan war genau gleich. Wenn man das Abschnitt für Abschnitt liest, so zieht es Wörter (Schriftzeichen) aus dem Zhong Yong, dem Lunyu und dem Mengzi heran und schreibt für jedes von diesen die alte Bedeutung auf, um so die korrekte [Erklärung] der songzeitlichen Konfuzianer als nichtig erklären zu können. In der Folge hat es Gelehrte verwirrt und verunsichert, denn man erfährt nicht, was wichtig und was unwichtig ist und es kommt bei weitem nicht an Chen Beixis Ziyi128 heran.

Die beiden hier genannten Werke Dai Zhens Mengzi Ziyi Shuzheng 孟子字義疏證 und Yuan Shan 原善 sind die beiden philosophischen Werke Dai Zhens. Er verfasste neben vielen textkritischen Werken diese beiden, in denen er versuchte, eine Synthese aus textkritischer Vorgehensweise und metaphysischem Erkenntnisinteresse zu erreichen. Das Mengzi Ziyi Shuzheng wurde erst posthum publiziert. Beide Werke wurden ins Englische übersetzt: vgl. Cheng Chung-ying, 1971 für das Yuan Shan sowie Ann-ping Chin und Mansfield Freeman 1990 und die Arbeit von Ewell 1990 für Mengzi Ziyi Shuzheng. Fang Dongshu vergleicht sie mit Chen Chuns ähnlichem Werk. In beiden Büchern werden philosophische Schlüsselbegriffe ausführlich und in ihren unterschiedlichen Aspekten erörtert, wobei Chen Chuns Werk den Standpunkt der daoxue vertritt, während Dai Zhen versuchte, die zentralen Begriffe der daoxue wie die Rechte Ordnung, das Schicksal, die menschliche Natur, den natürlichen Rechten Weg (tiandao 天道) und andere aus der songzeitlichen Interpretation zu lösen und neu, d.h. im Lichte der hanzeitlichen Exegese, zu diskutieren. Insofern sollte es aufgrund der Ausgangslage schon nicht verwundern, dass der daoxue-Gelehrte Fang Dais Werk eher konfus fand und stattdessen dasjenige Chens empfahl. Bemerkenswerter ist, dass es auch unter den qingzeitlichen Freunden und intellektuell Gleichgesinnten eine gewisse Skepsis gegenüber dem Werk gab. Immerhin ist das Eingeständnis, dass diese beiden Werke Dai Zhens als seine wichtigsten zu betrachten sein, bemerkenswert. In der Forschung wurde bisher vor allem die Preisung Hu Shis und Liang Qichaos anlässlich der Konferenz

128 Chen Beixi 陳北溪 ist der Erwachsenenname von Chen Chun 陳淳 (1159–1223), einem Schüler Zhu Xis, der das Beixi Ziyi 北溪字義 verfasste (vgl. die Übersetzung von Wing Tsit-chan 1986). Das Werk wird oben bereits einmal erwähnt.



Sechste Kontroverse: Die Lehre 

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zu Dais zweihundertstem Geburtstag als Beginn der Beachtung des Werkes angesehen (Ewell 1990, 24–27). Die Betonung der speziellen Position Dai Zhens innerhalb der Geistesgeschichte beginnt aber offenbar bereits mit Fang Dongshu. Die Bemerkung, dass mit dem Mengzi Ziyi Shuzheng die Herzen der Menschen richtiggestellt werden, geht zurück auf die Aussage des bereits todkranken Dai Zhen in einem Brief an Duan Yucai. Er bezeichnet dort sein Werk als grösstes und wichtigstes und als „erforderlich für die Richtigstellung der Herzen von Menschen.“129 Wie in der siebten Kontroverse wird auch hier der Umgang mit der Vergangenheit und das Erbe, bzw. die Verpflichtung, welche diese auf spätere Generationen überträgt, thematisiert. Fang verteidigt den orthodoxen Diskurs gegen jegliche Art der Verwässerung. Nur die Cheng-Zhu Orthodoxie kann das Kaiserreich aus dieser schwierigen Zeit führen, und nur der Angriff auf deren diskursbestimmende Stellung durch die hanxue hat überhaupt das Reich in diese schwierige Position gebracht, diese Überzeugung unterliegt der Argumentation deutlich. Die Sorge um den Rechten Weg als Grundlage der Politik, der Gesellschaft und des sozialen Friedens. Wie bereits betont, ist dies letztlich ein apologetisches Argument, denn Fang Dongshu war überzeugt, dass die daoxue die Gesetze des Kosmos richtig erklären kann.

Sechste Kontroverse: Die Lehre Die folgende Kontroverse ist die erste explizit gegen Dai Zhen gerichtete Auseinandersetzung des dritten Kapitels (d.h. des dritten Faszikels) des Hanxue Shangdui (Fang Dongshu 1998, 313–314). Da sich Fang in diesem Kapitel seines Werkes der philologischen und methodischen Differenzen zur hanxue annimmt, ist hier weniger eine Auseinandersetzung über die philosophischen Inhalte und die Interpretation gewisser Schlüsselbegriffe anzutreffen, als eine Methodendiskussion und eine kritische Überprüfung der Quellen und textlichen Grundlagen.

Aussage Dai Zhens 戴氏又曰﹕「自昔儒者,其結髮從事,必先小學。小學者,六書之文是也。《周官》保 氏掌之,以教國子;司徒掌之,以教萬民;而大行人所稱論書名, 聽聲音,又屬瞽史。 分職專司,故其時,儒者治經有法,不歧以異端。」

129 Der Text entstammt dem „yu Duan Ruoying shu 與段若膺書“ und lautet: „僕生平論述最大 者, 為孟子字義疏證一書, 此正人心之要。“ (Dai Zhen 1961, 186).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Herr Dai sagte auch: „Die Konfuzianer des Altertums mussten, ehe sie die Haare knoten und einen Dienst verrichten konnten, zunächst die philologischen Hilfswissenschaften erlernen. Diese bestehen darin, die Schrift in den sechs Kategorien der graphisch-semantischen Relation von Schriftzeichen zu erlernen.130 Gemäss dem Zhou Guan obliegt es dem baoshi, die adeligen Kinder zu unterrichten und dem situ obliegt es, das zahlreiche Volk zu unterrichten.131 Und was beim da xingren als ‚Verkünden der Namen der Schrifttypen‘ und ‚Hören der Laute‘ bezeichnet wird, gehört auch ‚in den Bereich der Musik- und Schriftlehrer‘.132 Mit der Aufteilung in Beamtenränge und der Spezialisierung der Aufgaben geschah es mit der Zeit, dass die Konfuzianer ihre Klassiker nach einem bestimmten ­Vorgehen ordneten, wobei sie sich nicht in unterschiedliche häretische Extreme aufspalteten.“

Der Text, aus dem dieser Passus zitiert wurde, ist ein Vorwort zu einem Text namens Liu Shu Lun und heisst entsprechend „liu shu lun xu 六書論序“133 In diesem Geleitwort erörtert Dai Zhen kurz die liu shu, also die sechs Kategorien der graphisch-semantischen Relation von Schriftzeichen. Der von Fang Dongshu darin erkannte Angriff bezieht sich m.E. auf die darin propagierte Erziehung. Dai Zhen führt in aller Deutlichkeit aus, wie wichtig es ist, dass die Elite zuerst die Grundlagen der Schrift kennen lernt, ehe sie Texte auf deren Inhalt zu lesen beginnt. Dai Zhen vertritt das Muster des Altertums, das er hier

130 Die liu shu 六書 genannte Theorie geht auf die Hanzeit zurück und wurde zunächst nicht ausdefiniert, sondern es gibt verschiedene Arten der Aufzählung. Im Shuowen finden sich die ersten spärlichen Angaben, was damit gemeint ist. Demnach und gemäss der Rezeption durch die weitere Tradition handelt es sich um sechs Arten der graphischen Repräsentation des semantischen Gehalts eines Schriftzeichens. Während manche Schriftzeichen als Abbild des dargestellten Begriffs zu erkennen sind (sog. xiangxing zi 象形字), bestehen 90% der chinesischen Schriftzeichen aus einem semantischem Determinanten und einem phonophorischen Element (sog. xingsheng zi 形聲字) (Vgl. hierzu Winter 1998, 109–151). 131 Zhou Guan 周官 ist eine alternative Bezeichnung für den Ritenklassiker Zhou Li 周禮. Darin obliegt die Erziehung der adeligen Nachkommen dem baoshi 保氏 und diejenige des Volkes dem da situ 大司徒. Im Klassikertext ist allerdings nicht die Rede davon, dass der da situ das Volk im Schreiben unterrichten soll, als vielmehr im Pflügen, den Riten und dem Umgang mit den natürlichen Ressourcen (Lager etc.) (vgl. Ruan Yuan 1980, 702–709a, speziell 707b & 731b). Die Aufgabe des baoshi ist es gemäss Zhou Li, die Kinder in den „Sechs Künsten“ (liu yi 六藝) zu unterrichten, was neben dem Schreiben auch die Mathematik, das Bogenschiessen, Wagenlenken, Riten und Musik beinhaltet. Fang Dongshu kommt auf die Auslassung der anderen fünf Künste noch zu sprechen. 132 da xingren 大行人 ist ein weiterer Beamtentitel des Zhou Li, der für die genannten Bereiche zuständig ist: „屬瞽史.諭書名. 聽聲音“. gushi 瞽史 ist eine Sammelbezeichnung für die blinden Musiklehrer und die Schreiber. (Vgl. Ruan Yuan 1980, 892c). 133 Der Text „liu shu lun xu“ ist offenbar ein Vorwort Dais zu einem Liu Shu Lun 六書論. Wer dieses Werk Liu Shu Lun verfasste, und ob es ein eigenständiges Werk ist, liess sich aber leider nicht ermitteln. Aufgrund Dais Datierung lässt sich das Vorwort immerhin als Text aus dem Jahr 1745 datieren. Für den vollständigen Text dieses Vorworts vgl. Dai Zhen 1980, 66.



Sechste Kontroverse: Die Lehre 

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allerdings ­verkürzt wiedergibt. Fang hat nur den Anfang des Vorworts zitiert. Unmittelbar nach der zitierten Stelle beginnt Dai Zhen das auf die geschilderte Phase der Ordnung folgende Durcheinander zu beschreiben, wie Schriftzeichen nicht mehr richtig erkannt wurden und die Lehre in Unordnung geriet, bis die Guwen-Heroen der qingzeitlichen hanxue mit ihrem Beitrag diese wieder zurecht rückten. Zum Zeitpunkt der Abfassung des Textes in der späten Kaiserzeit lernten Kinder mit speziell zu diesem Zweck kompilierten Fibeln wie dem Qian Zi Wen 千字文 oder dem San Zi Jing 三字經 lesen, in denen deutlich der ideologische Einfluss der daoxue zu erkennen ist.

Fang Dongshus Replik 按﹕ 此是門面語, 以嚇俗人耳。 考實案形, 全屬影響。 夫保氏、 司徒之教, 「六書」 僅屬一端; 行人、 瞽史之司, 乃是同文之治。 既非教法之全在是, 又不為儒者治經之 用。 且不知是時, 有何經可治? 名何等為儒者? 將謂若後世之經生乎? 陋妄無稽, 最為可笑!至於孔氏之門, 教弟子孝弟, 僅信、 愛眾、 親仁, 餘力則以學文。 今概刪去, 僅以「六藝」中「六書」一端, 提唱宗旨, 張皇門戶, 偏隘極矣! 戴氏號漢學魁傑, 諸人 推之, 以為集大成者。 而其論乃失實, 牴牾如此, 則其餘可知矣。 Replik: Dies ist eine typische Aussage dieser Schule, die dazu dienen soll, gewöhnliche Leute einzuschüchtern. Wenn man aber die Tatsachen überprüft und die effektive Situation ermisst, so gehört das alles in den Bereich des Nebulösen und Undifferenzierten. Denn in den Lehren des baoshi und des situ machen die „sechs Kategorien der graphischsemantischen Relation von Schriftzeichen“ nur einen Aspekt aus, aber die Aufgabe des xingren und der Musik- und Schriftlehrer war es, die Schrift des ganzen Landes zu ordnen. Demnach ist es nicht so, dass es hier um die Vollständigkeit der Methoden des Unterrichtens ginge oder auch um deren Anwendung beim Ordnen der Klassiker. Zudem wissen wir nicht, welche Klassiker es zur damaligen Zeit überhaupt gab, die geordnet werden mussten. Oder ab welcher Stufe [der Beamtenhierarchie] jemand überhaupt als Konfuzianer bezeichnet wurde. War es eine Bezeichnung wie in späteren Generationen für Gelehrte der Klassiker? All dies sind üble und absurde [Behauptungen] ohne feste Grundlage, die als absolut lächerlich bezeichnet werden müssen. Kommen wir damit zur Schule des Konfuzius. Dieser hatte seinen Schülern beigebracht, „Kindespietät und Bruderliebe, Präzision und Vertrauen, Liebe zu allen und eng verbunden sein mit der Mitmenschlichkeit, sowie mit der übrigen Kraft dann noch die Künste zu erlernen“ (Lunyu 1.06). Nun soll das aber alles unwichtig werden und einzig noch das eine Extrem der „sechs Kategorien der graphisch-semantischen Relation von Schriftzeichen“ innerhalb der „Sechs Künste“ wichtig sein? Dieses wird emporgehoben und zur grundsätzlichen Lehraussage erklärt, um damit die eigene Schule wichtig zu machen, was äusserst einseitig ist. Herr Dai hat die hanxue etwas Grossartiges genannt und viele Leute tragen das weiter und sind der Meinung, sie würden sich zu einer grossen Errungenschaft zusammenschliessen. Wenn er aber in dieser Erörterung von der Wahrheit mit solche einer Widersprüchlichkeit abkommt, dann ist der Rest doch ersichtlich.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Diese Kontroverse zeigt genau das, worum es in dieser Arbeit geht: eine neue Sicht auf die Gelehrtenwelt der späten Kaiserzeit. Gegenüber der Rezeptionstradition präsentiert diese Kontroverse eine verkehrte Welt: Der daoxue-Apologet Fang Dongshu argumentiert historisch-kritisch und versucht, die geschichtliche Wirklichkeit in sein Argument einfliessen zu lassen, während der hanxue-Vertreter Dai Zhen mit historischen Idealbildern operiert, die einer ernsthaften Überprüfung nie standhalten würden. Diese Kontroverse ist weniger ein Austausch von Argumenten als ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Positionen, die hier so weit auseinander scheinen, dass sich Fang gar nicht die Mühe machte, seine Position zu rechtfertigen. Er weist nur noch einmal darauf hin, dass seiner Meinung nach – und diese rechtfertigt er durch eine Anspielung auf Lunyu 1.06 – der Konfuzianismus mehr sei als nur das Studium alter Schriftzeichen: es ist für Fang eine Lebenshaltung, in der die Sozialethik und die Betonung familiärer Bande im Vordergrund stehen und nicht das Studium der Texte. Erneut ist dies eine apologetische Argumentation, in der die Grenzen der Aspekte der Lehre verwischt werden und der gesamte Konfuzianismus zu einem einheitlichen Konstrukt wird, in dem persönliche, politische, ethische und familiäre Richtlinien durch Texte vermittelt werden. Sind aber die Richtlinien deutlich, so treten in Fangs Verständnis die Texte in ihrem Wortlaut an Bedeutung zurück. Die Texte sind als gesellschaftli­ che Grundlage und einigende Lehre im gesamten Reich zu wichtig, um sie den Philologen zu überlassen, auch weil ja an den prominenten Beispielen zu Beginn der Dynastie zu sehen war, dass aus der textkritischen Prüfung nur Verwirrung und weiterer Zweifel erwuchsen. Fang und die Tongcheng Schule könnten daraus auch nichts gewinnen: Würde, im Idealfall, die Textkritik zum Schluss kommen, dass alle wichtigen Stellen in den historischen Schriften korrekt und unverfälscht sind, so müsste die Tongcheng-Schule trotzdem die daoxue-Interpretation verteidigen, denn diese stiftet in ihren Texten den Sinn und eine homogene Interpretation. Anderenfalls wären die Auswirkungen auf die Lehre so gravierend, dass man unmöglich voraussagen könnte, ob im Gebäude des Konfuzianismus noch ein Stein auf dem anderen bliebe. Und dies hätte in Fangs Verständnis Auswirkungen auf die Stabilität des Reiches. Fang Dungshu sorgte sich um den Rechten Weg im Reich, weil er überzeugt war, dass das Reich nur auf der Grundlage des herrschenden Systems florieren könne.

Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum Die siebte Kontroverse dreht sich vordergündig um den Umgang mit den alten Schriften (Fang Dongshu 1998, 319–323). Sowohl Dai Zhen als auch Fang Dongshu waren übereinstimmend der Meinung, dass die Klassiker von sich aus nicht



Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum 

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­ erständlich sind, dass es eine vermittelnde Instanz geben muss. Diese waren für v die hanxue die hanzeitlichen Glossen, für Fang aber die songzeitliche Exegese, die auch Glossen beinhaltete.134 Die Frage hier ist für die Tongcheng-Gelehrten, in welchem Ausmass die beiden Ansätze kombinierbar sind, bzw. ob sie sich gegenseitig ausschliessen. Fang Dongshu akzeptiert die hanzeitliche Glossierung der Texte als wichtige Grundlage, auf der die songzeitliche inhaltliche und moraltheoretische Exegese aufbaut. Dai Zhen lehnt die daoxue-Exegese rundweg ab, wobei er als Argument hierfür nur deren Rückgriff auf „häretische“, also buddhistische und daoistische Lehren anführt. In dieser Kontroverse geht es aber auch um eine Fundamentalkritik, das weitergehende Thema ist die Aufgabe und das Selbstverständnis von Gelehrsamkeit. Wozu soll diese dienen? Wem soll sie nützen? Kann es Gelehrsamkeit als Selbstzweck geben? Fang stellt hier weniger einzelne Lehrbegriffe zur ­Diskussion, sondern indem er die hanxue als Angriff auf den Diskurs versteht (freilich nicht mit diesen Worten) begegnet er ihrer Kritik auf dieser Ebene und entwickelt grosse und weitreichende Theorien. Der Konnex von konfuzianischer Gelehrsamkeit und historischer Wahrheit prallt hier auf jenen der Gelehrsamkeit und der Gesellschaft, die ihn trägt. Es ist Teil des modernen wissenschaftlichen Selbstverständnisses in China wie im Westen, der Gesellschaft avantgardistisch voranzustehen und Entwicklungen anzustossen. In einer vormodernen Gesellschaft wie jener Fang Dongshus aber scheint dies ein Punkt gewesen zu sein, der erörtert werden musste. Fang meinte, dass die Gesellschaft als Teil des kosmischen Gefüges dessen Gesetze ernstnehmen sollte. Diese Gesetze ergeben sich aus den Theorien der daoxue zum Kosmos und zur Ritualität, zur Politik und zur Familie, kurzum zu den Gesetzen dieses kosmischen Gefüges. Dai Zhen schickt sich aus der Sicht Fangs an, dieses Gefüge in Frage zu stellen und gefärdet damit den Diskurs, auf dem der gesellschaftliche Zusammenhalt aufbaut. Der Text, den Fang hier zu zitieren scheint, gibt es aus der Hand Dai Zhens erneut nicht in dieser Form. Er setzt sich aus zum Teil grosszügigen Paraphrasen zweier Texte Dais zusammen: Der erste Teil, bis zum Ausrufezeichen in der zweiten Zeile, paraphrasiert einen Passus aus Dais Vorwort zum Er Ya Zhushu Jianbu, dem „er ya zhushu jianbu xu 爾雅注疏箋補序“ (vgl. Dai Zhen 1980, 45–46). Der zweite Teil entstammt einem Text mit dem Titel „ti Hui Dingyu xiansheng shou jing tu 提惠定宇先生授經圖“ (ebd., 168). Der Text dieser Kontroverse

134 Glossen der Songzeit: Qian Mu hat im fünften Band seines grossen Werks zu Zhu Xi, dem Zhuzi Xin Xuean 朱子新學案, eine ausführliche Diskussion der philologischen Arbeit Zhu Xis. Vgl. vor allem das Kapitel „Zhuzi zhi kaojuxue 朱子之考據學“ (Qian Mu 1971, 5:296–341).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

ist mehr noch als die anderen überfrachtet mit literarischen Anspielungen, was die Lektüre des deutschen Textes eintönig macht. Stilistische Mittel wie starke Parallelismen und intertextuelle Anspielungen galten unter chinesischen Literaten als hohe Kunst, aber es macht eine Übertragung ins Deutsche sehr schwierig, denn der Text muss unbedingt mit den Anmerkungen gelesen werden, um seine Tiefe einschätzen zu können.

Aussage Dai Zhens 戴氏曰﹕「今人讀書,尚未識字,輒薄訓詁之學。夫文字之未能通,妄謂通其語言; 語言之未能通,妄謂通其心志。此惑之大者也!論者又謂有漢儒之經學,有宋儒之經學; 一主訓詁,一主義理。夫使義理可以舍經而求,將人人鑿空得之,系取於經乎?惟空任胸 臆之無當於義理,然後求之古經;而古今縣隔,遺文垂覺,然後求之訓詁。訓詁明,則古 經明;古經明,而我心同然之義理,乃因之以明。古聖賢之義理,非他,存乎典章制度 者是也。昧者乃歧訓詁、義理而二之,是訓詁非以明義理,而訓詁何為?義理不存乎典 章制度,勢必流入於異端曲說而不自知矣。」 Herr Dai sagte: „Jene, die heutzutage Bücher lesen, achten die Lehre der Wortglossierung und Worterklärung gering, denn sie kennen die Schriftzeichen noch nicht. Denn wenn man noch nicht einmal die Schriftzeichen durchgehend verstehen kann, ist es absurd zu behaupten, man könne die dadurch zum Ausdruck gebrachte Sprache durchdringend verstehen. Wenn man die dadurch zum Ausdruck gebrachte Sprache noch nicht durchdringend verstehen kann, ist es absurd zu behaupten, man verstehe die dadurch zum Ausdruck gebrachten Äusserungen ihrer [d.i. die Weisen: M.W.] Herzen durchdringend. Dies ist das zentrale Problem des ganzen Durcheinanders! Jene, die dies erörtern, meinen auch, es gäbe die Klassikergelehrsamkeit der hanzeitlichen Konfuzianer und es gäbe die Klassikergelehrsamkeit der songzeitlichen Konfuzianer, wobei die eine das Schwergewicht auf Worterklärungen lege, während die andere das Schwergewicht auf die moraltheoretische Interpretation lege. Wenn man aber die Klassiker verwerfen und trotzdem die moraltheoretischen Lehren erlangen könnte, so könnte sie jedermann durch an den Haaren herbeigezogene Schlüsse erlangen. Wozu würde man denn dann noch die Klassiker hinzuziehen? Wenn man einfach so den eigenen Ansichten freien Lauf lassen würde, ohne Relevanz zur Moraltheorie, so sucht man dies in den Klassikern des Altertums. Aber das Altertum und die Jetztzeit sind weit voneinander entfernt. Die Überlieferung der Texte wurde zwischenzeitlich unterbrochen und dafür sucht man dann in Wortglossierung und Worterklärungen. Sind die Wortglossierungen und Worterklärungen erst einmal verständlich, so werden auch die Klassiker des Altertums verständlich. Sind erst einmal die Klassiker des Altertums verständlich, und entsprechen sie der Moraltheorie im Herzen jedes einzelnen,135 so wird diese dadurch entsprechend verständlich werden. Die Moraltheorie der Weisen und Tüchtigen des

135 Der Satz lautet „wo xin tongran zhi yili 我心同然之義理“, also wörtlich „entsprechen sie der Moraltheorie in meinem Herzen“, wobei ich der Meinung bin, dass wo hier eine radikale Subjektivierung für jeden Leser impliziert. Es geht also nicht um Dai Zhens eigenes Herz, sondern um den Widerhall der alten Schriften im Herzen einer jeden Person.



Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum 

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­ ltertums ist nichts Anderes, und sie ist genau das, was den Schriftdokumenten (dianzhang) A und dem politischen System (zhidu) bewahrt wurde. Die Unverständigen meinen, dass es eine Aufteilung gäbe zwischen den Worterklärungen und Wortglossen einerseits und der Moraltheorie andererseits, doch wenn die Worterklärungen nicht dazu dienen, die Moraltheorie verständlich zu machen, wozu soll sie denn dann gut sein? Und wenn die Moraltheorie nicht in den Schriftdokumenten und dem politischen System bewahrt wäre, so müsste man sich in häretischen Lehren und verdrehten Lehren ergehen und von dieser Basis ausgehen und könnte es nicht selber erkennen.136“

Die Textpassagen, die Fang zu Beginn dieser Kontroverse zitiert, suggerieren in der Wahrnehmung Dais eine stärkere Trennung zwischen inhaltlicher Exegese und sprachlicher Glossierung, als dieser in Texten sonst ausdrückte. Die Trennung zwischen Wortglossierung und Textexegese sind fliessend, und wogegen sich Dai verwehrt, ist die Technik, Textpassagen zunächst aufgrund ihrer erst durch die moraltheoretische Exegese nahegelegten Wichtigkeit zu lesen, und die unverständlichen Teile danach unter Zuhilfenahme der hanzeitlichen Kommentare verstehen zu wollen. Denn auf diese Weise wird die Primärtextrezeption durch die von der Rezeptionsgeschichte bestimmten Prioritäten vorherbestimmt. Der mittlere Teil des Textes sollte im Zusammenhang des Ursprungstextes gelesen werden, da Fang ihn hier stark verkürzt wiedergebt. Im Text Dais heisst es als Vorwurf an die Gelehrten seiner Epoche: „Das, was man die Moraltheorie nennt, falls man [zu dessen Erreichung] die Klassiker wegwerfen könnte und es aus der eigenen hohlen Brust holen, so würde es wohl jeder durch an den Haaren herbeigezogene Schlüsse tun können, und wozu brauchte es dann wohl noch die Klassikergelehrsamkeit? Doch heute holen [sie alle] nur noch eine Moraltheorie aus der eigenen hohlen Brust, die absolut nichts mit derjenigen der Tüchtigen zu tun hat. Danach suchen sie [Belege dafür] in den Klassikern der Antike. Wenn sie dort auf unverständlichen Text treffen, so suchen sie [Erklärungen dafür] in den alten Wortglossierungen.“137 Die von Dai aufgezeigte Alternative allerdings bedeutet auch nicht, sich direkt an die Klassikertexte zu wagen. Vielmehr sind es die Technik der Wortglossierung (xungu 訓詁) sowie die im Ausdruck „sie kennen die Schriftzeichen noch nicht“ („shang wei shi zi 尚未識字“) angedeutete Technik der Graphemanalyse, mit der Dai hofft, die Texte verbindlicher erklären zu können. Die hierdurch von Fang nur skizzierte Auseinandersetzung um den Umgang mit den antiken Texten

136 Häretische Lehren ist ein Angriff auf die vom Buddhismus beeinflusste daoxueInterpretation der Klassiker. 137 Dai Zhens Vorwurf lautet im Original: „夫所謂義理, 苟可以舍經而空任胸臆, 將人人鑿空 得之, 奚有於經學之云乎哉? 惟空任胸臆之卒無當於賢人之義理, 然後求之古經; 求之古經 而遺文垂覺, 然後求之訓詁。“ (Dai Zhen 1980, 168).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

reicht sehr tief, und es ist in gewissem Sinn eine Methodendiskussion. Dabei stehen sich Subjektivität und Objektivität gegenüber, aber auch unterschiedliche Auffassungen von Schrift und Sprache. Die von Fang hochgehaltene Herangehensweise an die Texte baut auf die Person eines genialen (im Jargon „weisen“) Vermittlers, wie Fang ihn in der Person Cheng Yis und vor allem Zhu Xis zu erkennen lernte. Diese vermittelnde Instanz entwarf aufgrund des kanonischen Ausgangstextes ein Weltbild, in dem Zitate aus diesen Texten nur mehr als Gedächtnisstützen für den Kommentartext dienten. Widersprüchliche Aussagen in diesen Texten, textliche Fehler und sprachlich schwierige Wendungen wurden durch den Kommentar harmonisiert und somit gibt es für den Apologeten zu jedem beliebigen Thema des Lebens klar einen relevanten Passus in einem kanonischen Text mit dazu gehörigem Kommentar. Der von Dai Zhen als verbindlich für die Rezeption zu erachtende ­Textkorpus sind die Gesamtheit der Glossen der hanzeitlichen Exegeten, also zunächst die semantischen Äquivalenzglossen aus Zheng Xuans Kommentaren zu den drei Ritenklassikern und dem Shi Jing, dann aber auch die Glossen des Mao Zhuan, also des Shi Jing in der Rezeption Mao Changs. Eine weitere zentrale Rolle spielt das Wörterbuch Shuowen Jiezi des hanzeitlichen Gelehrten Xu Shen. Die Autorität dieser hanzeitlichen Quellen gründet weniger auf der Weisheit der Autoren als in erster Linie auf deren Anciennität. Da es keine älteren Kommentare gibt als diejenigen der Hanzeit, konnte es für Dai Zhen auch keine höhere Autorität zum Verständnis der Texte geben. Nun wurde aber in der Geschichte des Konfuzianismus und durch staatliche Anerkennung den songzeitlichen Exegeten, allen voran Zhu  Xi, der Status des Weisen zuerkannt, daher musste Dai Zhen sein  ikono­ klastisches Unterfangen begründen. Es musste eine Begründung gefunden werden, die Zhu seine Ausnahmestellung lässt, die aber trotzdem eine andere als dessen Textauslegung ermöglicht. Hierzu eignet sich das Shuowen Jiezi vorzüglich: Die für jedes Schriftzeichen (oder „Graphem“) angegebene Graphemanalyse, d.h. die funktionale Bestimmung der Elemente in einem Graphem erlauben ein neues und kreatives Verständnis der Schrift. Es war die lexikologische Selbstauflage des Autors des Shuowen Jiezi, die Bedeutung eines jeglichen Schriftzeichens als in dessen graphischen Elementen kodiert zu verstehen. Diese wurde dann zur „Urbedeutung“ des Schriftzeichens erklärt. Dai Zhen versuchte, genau diese Urbedeutung für das Verständnis von Schlüsselbegriffen in philosophischen Texten heranzuziehen, um so eine Grundlage zu haben, von der aus er die daoxue-Rezeption angreifen konnte.138 ­Gleichzeitig muss Dai deutlich

138 Dai Zhens Verständnis von Schlüsselbegriffen: Tatsächlich finden sich in Dais Schriften weniger Zitate aus dem Shuowen, als man vielleicht vermuten könnte. Doch zu Beginn der ersten



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machen, dass die Vorstellungen der Weisen in ihren Texten offensichtlich sind, und sich nicht nur gemäss Anleitung ein komplexen Systems von exegetischen Konstruktionen verstehen lassen, wie dies bei der daoxue der Fall ist. Daher seine Betonung, dass die Anordnungen der Weisen, und damit meint er nicht nur die politischen oder ethischen, sondern auch die moraltheoretischen, in ihren schrift­lichen Dokumenten erkennbar wären. Die Bemerkung, wonach es nicht angehen kann, dass jeder seine eigenen Schlüsse zieht, sondern dass diese begründbar sein müssen, kritisiert zwar die Exegese der Songzeit, aber gleichzeitig sanktioniert Dai diese, solange die moraltheoretische Exegese auf einem Textverständnis beruht, welches mit den hanzeitlichen Glossen übereinstimmt. Aus diesem Grund lobt Fang zu Beginn seiner Replik die Aussage seines Gegners.

Fangs Replik 按﹕ 戴氏此論最近信, 主張最有力, 所以標宗旨, 峻門戶, 固壁壘, 示信學者, 謂據 其勝理, 而不可奪矣。 若以實求之, 皆謬說也! Replik: Dies ist die Erörterung von Herrn Dai, welche der Glaubhaftigkeit am meisten nahe zu kommen scheint, und die darin ausgedrückten Überzeugungen haben die grösste Kraft. Indem sie die generelle Ansicht ausdrückt, hebt sie eine Schulrichtung empor und verfestigt damit die trennenden Wände [zwischen den Schulen]. Sie scheint den Gelehrten, die ihr vertrauen, zu signalisieren, dass sie sich auf den Sieg über die Rechte Ordnung (li) stützt und somit unangreifbar ist. Doch wenn man sie gemäss den Tatsachen hinterfragt, so sind es alles nur absurde Erklärungen.

Den Auftakt zu Fangs Replik bildet ein scheinbares Lob an die Adresse Dais, bei der Fang diesen implizit als junzi bezeichnet, denn die Formulierung jin xin 近信 spielt an auf Lunyu 8.04, wo es heisst, dass ein Edler einen korrekten Gesichtsausdruck (zheng yanse 正顏色) aufsetzt, damit man ihm so vertraue. Gleichzeitig schwingt hier auch Zweifel mit, da Dai ja diesen Gesichtsausdruck des Edlen nur „aufsetzt“ um glaubhaft zu wirken. Daher bezeichnet Fang Dais Aussage unmittelbar danach als einseitige und parteiische Äusserung, mit der dieser die Gräben noch weiter aufreisse. Gleichzeitig tut Fang gleich zu Beginn des nächsten Absatzes dasselbe, wenn er die Trennung zwischen den beiden Herangehensweisen an Texte vergleicht.

Erörterung des li-Begriffes im Mengzi Ziyi Shuzheng führt er zum Schluss die Bedeutungsangaben Zheng Xuans und Xu Shens an (Dai Zhen 1961, 1; Chin und Freeman 1990, 70). Auch in seinen Vorworten zitiert Dai immer wieder Xu Shens Werk (vgl. Dai Zhen 1980, Rollen 10 u. 11).

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Die grosse und die kleine Gelehrsamkeit 古今學問, 大抵二端, 一小學, 一大學。 訓詁、 名物、 制度, 只是小學內事。 《大學》 直從「明」、「新」說起, 《中庸》從「性」、「道」說起。 此程子之教所主, 為其已成 就向上, 非初學之比。 In der Gelehrsamkeit vom Altertums bis heute gab es stets zwei grundsätzliche Ausrichtungen: die eine ist die kleine Gelehrsamkeit, die andere ist die grosse Gelehrsamkeit. Worterklärungen und Wortglossierungen, Begriffe und Realia, das politische System, dies sind bloss interne Angelegenheiten der kleinen Gelehrsamkeit. Die grosse Gelehrsamkeit [d.h. das Daxue] beginnt mit „leuchten lassen“ und „erneuern“, das Zhong Yong beginnt mit der „menschlichen Natur“ und dem „Rechten Weg“. Dies stellt eine zentrale Aussage der Lehren Meister Chengs dar: Man muss diese Dinge selbst vollenden und dann weiter nach oben gehen und dies lässt sich nicht vergleichen mit dem Beginn des Studiums.

Hier geht es um die grundsätzliche Umgehensweise mit Texten anhand der Begriffe von kleiner und grosser Gelehrsamkeit (xiao xue und da xue). Xiao xue wird an anderen Stellen der Übersetzung als „philologische Hilfswissenschaften“ übersetzt, aber aufgrund der offensichtlichen Komplementarität der Ausdrücke in diesem Argument bin ich im vorliegenden Kontext von dieser Übersetzung abgerückt. Die xiao xue ist einerseits Sammelbegriff für philologische Hilfswissenschaften wie die Ausgabenkritik, die Wortglossierung, die Phonetik oder die Graphemanalyse, aber die Gegenüberstellung impliziert auch den Gegensatz zwischen „Grundschule“ und „Hochschule“. Denn die Disziplinen der xiao xue tragen diesen Namen, weil Lernende diese Werkzeuge zum Umgang mit der Sprache in einer ersten Phase der Schulbildung, also einer Grundschule erlernten. Die „grosse Gelehrsamkeit“ des Daxue ist auch die „Gelehrsamkeit für Erwachsene“ (wie es in Zhus Kommentar heisst: „大學者,大人之學也。“ Zhu Xi 2001, 4). Damit stellt Fang die Vertreter der xiao xue als Grundschüler dar, obwohl er die korrekten Bezeichnungen verwendet. Dies scheint seiner Überzeugung zu entsprechen, denn Fang nennt sie im Text des Hanxue Shangdui vermehrt „xin xue xiaosheng 新學小生“, also „Grundschüler der neuen Gelehrsamkeit“. Den Worterklärungen und Realia, deren Annotierung die Aufgabe der xiao xue ist, stellt Fang dann den Anfang der Texte Daxue und Zhong Yong entgegen: Die dabei zitierten Begriffe ming 明, xin 新, xing 性 und dao 道 figurieren prominent zu Beginn der beiden Texte, wobei am Anfang des Daxue eigentlich qin 親 steht anstelle von xin: „大學之道, 在明明德, 在親民“. Die Ersetzung von qin durch xin hat ihr Vorbild in einer Angabe Cheng Yis (vgl. Zhu Xi 2001, 4). 如顏子問仁、 問為邦, 此時自不待與之言小學事矣; 子夏固謂草木有區別, 是也。 漢學家 昧於小學、 大學之分, 混小學於大學, 以為不當歧而二之, 非也。 故白首著書, 畢生盡 力, 止以名物、 訓詁、 典章、 制度小學之事, 成名立身, 用以當大人之學究竟, 絕不復 求明、 新、 至善之止, 痛斥義理、 性、 道之教, 不知本末也! 明道「玩物喪志」之戒,



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久為世口實, 不知此止慮其志趣局止於是, 即致遠恐泥, 君子不多之旨。古人言各有當, 教亦多術, 同歸於是而已。 故當日特又記「讀史遂字看過」一條, 以接引來學, 可知非舍 學問, 空談義理也。 若謂舍經空談義理, 不事訓詁以求經, 則古今無有是事, 豈況程子! Als Meister Yan nach der Mitmenschlichkeit fragte und nach der Art, sich im Lehen einzubringen, da war es nicht nötig, mit ihm die Angelegenheiten der kleinen Gelehrsamkeit zu erörtern; als Zixia aber der festen Meinung war, dass Gräser und Bäume je nach ihrer Art verschieden behandelt werden müssen, durchaus. Die Experten der hanxue sind ignorant gegenüber der Unterscheidung zwischen kleiner und grosser Gelehrsamkeit und wenn sie beide miteinander vermischen und der Meinung sind, dass man diese nicht klar unterscheiden müsse, liegen sie falsch. So schreiben sie Buch um Buch, bis sie schlohweiss sind, erschöpffen darin ihr gesamtes Leben hindurch ihre Kraft. Dabei beschränken sie sich auf Angelegenheiten der kleinen Gelehrsamkeit wie Begriffe und Realia, Worterklärungen und Wortglossierungen, Schriftdokumente und das politische System. Sie machen sich einen Namen und formen ihre Persönlichkeit, und sie setzen diese ein, nur um festzustellen, dass die Lehre der Erwachsenen definitiv nicht darin besteht, wiederholt nach dem „leuchten lassen“, dem „Erneuern“ und dem „Innehalten [erst] beim höchsten Guten“ zu streben. Wenn sie stattdessen die Lehre der Moraltheorie, der menschlichen Natur und des Rechten Wegs beleidigen und verunglimpfen, so wissen sie wirklich nichts über wichtige und unwichtige Dinge. Wenn man lange genug den Rechten Weg nur unter der Einschränkung leuchten lassen will, dass man mit „Mit Dingen herumspielt [und so] die eigentliche Absicht in Gefahr bringt“, so erscheint es allen Menschen der Welt als eine konkrete Tätigkeit. Sie erkennen nicht, dass sie damit zu denken aufhören und ihre Absichten und Interessen hierauf beschränken. Und „wenn man es zu weit treibt, ist Verwirrung zu befürchten,“ daher ist dieses Interesse bei Edlen nicht häufig zu finden. Bei den Menschen des Altertums war jedes ihrer Worte angemessen, und mag sich die Lehre auch in vielerlei Ausübungen darstellen, so lassen sich letztlich doch [alle Schulrichtungen] hierauf zurückführen! Deshalb hat er damals auch noch extra den Satz aufgeschrieben, „Wenn man die Geschichte liest, so erkennt man Fehler nur, wenn man Zeichen für Zeichen vorgeht“, um damit zukünftige Gelehrte anzuleiten. Daran erkennt man, dass es ihm nicht darum ging, das Lernen und Fragen abzuschaffen, und nur hohl die Moraltheorie zu erörtern. Wenn jemand behauptet, dass [es jemanden gäbe, der] die Klassiker verwerfe, und nur hohles Erörtern der Moraltheorie betreibe und in den Klassikern suche, ohne die Worterklärungen zu berücksichtigen, so hat es so etwas seit dem Altertum und bis heute nicht gegeben, und ganz bestimmt trifft dies nicht auf Meister Cheng zu.

Zur Verdeutlichung der Unterscheidung zwischen „grosser“ und „kleiner Gelehrsamkeit“ spielt Fang Dongshu dann auf zwei Stellen des Lunyu an. Für die Bedeutung der grossen Gelehrsamkeit zitiert er eine der wichtigsten Textstellen des Lunyu überhaupt, nämlich auf 12.01, die bekannte Stelle mit dem daoxue-Schlüsselsatz „Sich selbst zu bezwingen und die Riten wiederzubeleben, das ist wahre Menschlichkeit“ (Konfuzius 1985, 85) („ke ji fu li wei ren 克己復禮為仁“).139 Zur

139 Die Übersetzung Wilhelms von 12.01 ist so weit ab vom Text, dass sie nicht mehr zitierbar ist. D. C. Lau 1983, 109 gibt die fragliche Stelle wie folgt wieder: „To return to the observance of the rites through overcoming the self constitutes benevolence.“ Diese Stelle ist ein gutes Beispiel dafür, weshalb ich die zahlreichen Belegstellen der klassischen Literatur nicht selbst übersetze.

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­ erdeutlichung der Bedeutung, die Fang der „kleinen Gelehrsamkeit“ zudachte, V zitierte er Lunyu 19.12. Dabei erwähnt Fang nur den Teil über den Unterschied zwischen Gräsern und Bäumen, möchte aber ohne Zweifel den gesamten Abschnitt für sich sprechen lassen, da Fang sich ja genau für die hier vorgenommene Unterscheidung einsetzt: „… Als Dse-hsja davon hörte, sagte er: Oh, da hat sich Dse-yo aber arg geirrt! Was bei der Anleitung zum Rechten Weg des edlen Menschen anfangs zu lernen ist und was man hinauszögern darf, gleicht in seiner Vielfalt der von Gräsern und Bäumen, die man jeweils nach ihrer Art unterscheiden und pflegen muss. Wie dürfte man da gewissenlos gegen die Ordnung der Lehrens verstossen. Anfang und Ende in einem vereinen – das kann doch nur ein Weiser.“ (Konfuzius 1985, 126).140 Indem Fang Dongshu diese Stelle auswählte, wollte er m.E. eine weitere Spitze gegen die hanxue anbringen, indem er eine Stelle wählte, die aussagt, es gäbe wichtige und unwichtige Punkte, zieht er auch einen Vergleich zur hier so genannten kleinen und grossen Gelehrsamkeit. Es ist also weniger die Meinung Fangs, dass das Wissen um Bäume und Gräser zur kleinen Gelehrsamkeit gehört, als vielmehr, dass sich die kleine Gelehrsamkeit gegenüber der grossen ausnimmt wie „Gräser“ verglichen mit „Bäumen“. Gleichzeitig spielt wohl noch Lunyu 17.09 mit hinein, wo der Meister die Schüler ermutigt, das Shi Jing zu lesen, weil sie da viele Bezeichnungen von Pflanzen lernen können. Dies entspricht dem Interesse, das Fang den Vertretern der hanxue unterstellt: lexikalisches Wissen, ohne zwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden zu können. Schwieriger zu verstehen ist die andere Anspielung auf die Stelle, an der Yan Yuan nach der Art fragte, wie man sich im Lehen einbringt, bzw. wie man den Staat ordnet. Es muss eine Anspielung auf Lunyu 15.10 sein, aber diese Stelle ist als Beleg für Fangs Aussage schwer zu verstehen. Der Text lautet: „Yän Hue fragte, wie ein Staat zu ordnen sei. Der Meister sprach: In der Festlegung der Jahreszeiten sollte man dem Kalender der Hsia folgen. Als Gefährt für den Herrscher sollte man den Staatswagen der Yin gebrauchen. Als Kopfbedeckung für Ritualhandlungen sollte man die Kappen der Dschou benutzen. Als Ritualmusik verwende man die Klänge des weisen Herrschers Shun mit den dazugehörigen Ritualtänzen. Die Melodien des Staates Dscheng müsste man ebenso abschaffen, wie man

Die Diskussion der korrekten Übersetzung kann nicht Teil der vorliegenden Arbeit sein, weil diese sich weder für Fang noch für Dai stellte. Das Verständnis der Texte war vorgegeben durch die Tradition, und daher scheint es mir sinnvoll, die für den Westen als traditionell zu erachtenden Übersetzungen zu zitieren. 140 „子夏聞之曰: 噫, 言游過矣, 君子之道, 孰先傳焉, 孰後倦焉, 譬諸草木區以別矣。 君子之道,焉可誣也?有始有卒者,其惟聖人乎!“ (Zhu Xi 2001, 223).



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redegewandte Schmeichler fernhalten muss. Denn die Melodien von Dscheng sind unzüchtig und redegewandte Schmeichler unheilringend.“ (Konfuzius 1985, 107).141 Es gibt also keine direkten Bezüge zwischen der „grossen Gelehrsamkeit“ der daoxue und Lunyu 15.10. Es gibt daher zwei Möglichkeiten der Interpretation: Zunächst ist es natürlich möglich, dass Fang einfach die grossen und moralisch schwerwiegenden Fragen wie die nach der Mitmenschlichkeit und nach der Regierung meinte. Die andere Möglichkeit ist, dass Fang eine zweideutige Anspielung machte auf die letzten beiden Sätze von Abschnitt 15.10: „fang Zheng sheng, yuan ning ren. Zheng sheng yin, ning ren dai 放鄭聲, 遠佞人。 鄭聲淫, 佞人殆“. Obwohl eindeutig die Musik des Staates Zheng gemeint ist, lässt sich zheng auch als Geschlechtsname Zheng Xuans verstehen. Die Bezeichnung „Schmeichler“ lässt sich auch auf die Gelehrten der hanxue beziehen und dann wäre der Satz mit diesem aktuellen Bezug zu verstehen als: Schafft die Äusserungen Zheng [Xuans] ab und haltet diese Schmeichler fern, denn Zhengs Äusserungen sind schlecht und die Schmeichler gefährlich. Aufgrund der konfrontativen Natur des Werkes und der an anderen Stellen gemachten gnadenlosen Angriffen Fangs scheint vorstellbar, dass er vordergründig die wichtigen Fragen meinte, aber den versteckten Angriff auf Zheng Xuan durchaus mitschwingen lassen wollte. Nach diesen drei Anspielungen macht sich Fang über die Gelehrten der hanxue lustig, indem er sie zu bemitleiden scheint. Aus der Sicht seiner Kontrahenten zieht er das Andenken von Generationen fleissiger Textkritiker in den Schmutz, wenn er sie als Narren darstellt, die ihr gesamtes Leben philologisch relevante Informationen zu Texten sammelten, die aber nichts mit dem moralischen und charakterbildenden Anliegen der kanonischen Schriften zu tun haben. Das Mitleid weicht aber bald wieder der Sorge um das Reich, denn die Gelehrten der hanxue stellten ab der zweiten Hälfte des 18. Jhs. zusehends die Orthodoxie und den herrschenden konfuzianischen Diskurs in Frage. Hierauf bezieht sich Fang mit der Bemerkung „Mit Dingen herumspielen [und so] die eigentliche Absicht in Gefahr bringen“. Der Ausdruck wan wu sang zhi 玩物喪志 entstammt dem Kapitel „lü ao“ des Shang Shu, wo es heisst: „玩人喪德, 玩物喪志“. Legge 1991, Vol. III, 348–349 übersetzt: By trifling with men he ruins his virtue, by finding his amusement in things he ruins his aims.“ Die Stelle passt perfekt zu Fang Dongshus Aussage: Die Vertreter der hanxue beschäftigten sich so lange mit Nebensächlichkeiten, dass sie den eigentlichen Sinn der Beschäftigung mit den Klassikern verloren haben. Diese Befürchtung bekräftigt er mit einem weiteren Zitat. Die Formulierung „zhi yuan kong ni 致遠恐泥 geht zurück auf Lunyu 19.05,

141 Originaltext Lunyu 15.10: „顏淵問為邦。子曰:「行夏之時, 乘殷之輅, 服周之冕, 樂 則韶舞。 放鄭聲,遠佞人。鄭聲淫,佞人殆。」“ (Zhu Xi 2001, 193).

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und in diesem Abschnitt geht es um „die kleinen Liebhaberkünste“ (xiao dao 小道), die hier natürlich parallel zur Dichotomie xiao xue – da xue dem „grossen Rechten Weg“ (da dao) der daoxue entgegengestellt wird.142 Der folgende Rückgriff auf den Gemeinplatz, dass „die Worte der Menschen des Altertums alle angemessen sind“ stellt doch noch den Versuch dar, eine methodische Gemeinsamkeit zwischen den unterschiedlichen Schulen herzustellen, indem Fang auf die philologische Sorgfalt der songzeitlichen Vorbilder hinweist. Der hier zitierte Satz „Wenn man die Geschichte liest, so erkennt man Fehler nur, wenn man Zeichen für Zeichen vorgeht“ („du shi sui zi kan guo 讀史 遂字看過“), den Fang als Beleg anführt, konnte leider nicht verortet werden. Aus dem Zusammenhang des Textes scheint es aber so gut wie sicher, dass Fang Zhu Xi meint, und tatsächlich liessen sich Äusserungen mit vergleichbarem Wortlaut im Zhuzi Yulu finden: So ist in Rolle 94 ein Passus überliefert, in dem Zhu zur sorgfältigen Lektüre von Texten aufruft: „Schriftzeichen sollte man nicht oberflächlich betrachten. Es ist erforderlich, Satz nach Satz und Abschnitt nach Abschnitt zu lesen. Wenn ein Abschnitt noch nicht differenziert verstanden wurde, und man dann einen anderen betrachtet, so wird man umso verwirrter.“143 Weiter unten in diesem Abschnitt gibt es ähnliche Formulierungen wie die von Fang zitierten und der Absatz endet mit dem Zitat einer Maxime Cheng Haos für die Lektüre von Geschichtswerken: „…wenn Mingdao die Geschichten las, [so galt:] Zeile für Zeile alle Fehler lesen und nicht ein Schriftzeichen auslassen.“144 Aus dem Jin Si Lu ist zudem eine Aussage Cheng Yis überliefert, die dasselbe ausdrückt. In der Übersetzung Chans lautet sie: „Master I-Ch’uan said: When we read, we must first of all understand the meanings of the words. Only then can we find out the ideas

142 Lunyu 19.04: Der Originaltext lautet: „子夏曰:「雖小道,必有可觀者焉;致遠恐泥,是以 君子不為也。」“ (Zhu Xi 2001, 222). Die zitierte Übersetzung geht auf Wilhelm zurück, bei dem der ganze Spruch lautet: „Dsï Hia sprach: Auch die kleinen Liebhaberkünste haben sicher etwas, das sich sehen lässt. Aber wenn man sie zu weit treibt, ist Verwirrung zu befürchten. Darum betreibt sie der Edle nicht.“ (Wilhelm 1914, 208). Da die Übersetzung Laus weniger auf Fangs Aussage passt (und den Text anders zu verstehen scheint), wurde hier Wilhelm vorgezogen. Der fragliche Satz lautet bei Lau: „…, but the gentleman does not take them up because the fear of a man who would go a long way is that he should be bogged down“ (Lau 1983, 191). Zhu Xi führt in seinem Kommentar aus, dass seiner Meinung zufolge damit Dinge wie die Landwirtschaft, die Gärtnerei, die Wahrsagerei oder die Medizin gemeint sind („小道,如農圃醫卜之屬“). 143 „文字不可泛看,須是逐句逐段理會。此一段未透,又去看別段,便鶻突去“ (Li Jingde 1994, 6:2404). 144 Das Zitat wird Xie Liangzuo zugeschrieben: 明道讀史:「逐行看過,不差一字。」(Li Jingde 1994, 6:2404).



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of the text. It has never been possible to understand the ideas without knowing the meanings of words.“145

Methodenkritik – inhaltliche und philologische Herangehensweise 漢學不窮理析義, 援引脫節, 以濟其私, 既誣前賢, 又自迷誤, 致從事差謬, 又因以 迷誤來學。 一言二失, 所以謂罪也! Die Vertreter der hanxue analysieren die Bedeutung [eines Textes] nicht, indem sie die Rechte Ordnung ausschöpfen, sondern sie ziehen willkürliche Verbindungen heran und führen diese als Beweise an. Um ihre Eigensinnigkeit auszugleichen, verunglimpfen sie die früheren Tüchtigen und führen sich dadurch immer wieder selbst in die Irre. Das geht so weit, bis sie alle Angelegenheiten nur noch fehlerhaft und auf absurde Weise durchführen und folglich zukünftige Gelehrte auf den falschen Weg und in die Irre leiten. Mit einer [falschen] Aussage gehen zwei [richtige] verloren. Das ist, was man ein Verbrechen nennt.

Der Ausdruck „qiong li“ (=> „die Rechte Ordnung vollständig ausschöpfen“) ist einer der am schwierigsten zu übersetzenden Schlüsselbegriffe der daoxue. In Chang Tsai 1996, 49 u. 54 übersetzen Friedrich, Lackner und Reimann ihn als „das Muster erschöpfen“, Wing-tsit Chan übersetzt ihn in seiner Bearbeitung des Chuan Xi Lu als „investigate the principle of things to the utmost“.146 Im Jin Si Lu wird der Ausdruck überraschenderweise nicht verwendet. Wei Zhengtong 1989, 753–757 diskutiert die unterschiedlichen Bedeutungen, die der Begriff vom Moment seiner Prägung im „shuo gua zhuan 說卦傳“, einem der Anhänge zum Yi Jing, angenommen hat. Vor allem unterscheidet er zwischen der Rezeption des Yi Jing-Spezialisten Shao Yong 邵雍 (1011–1077) und der späteren durch Cheng Yi und Zhu Xi. Gemäss dieser Darstellungen, aber auch gemäss der Diskussion des Begriffs im Zhuzi Yulu wird qiong li als Teil der Erkenntnisprozesses b ­ etrachtet. Die Erkenntnis über Dinge, die man durch ihre Erforschung (ge wu) erlangt, erreicht man nur, indem man die Rechte Ordnung innerhalb dieser Dinge zu erkennen sucht, wie in der fünften Kontroverse ausgeführt wurde. Die Aufgabe für den nach Erkenntnis Strebenden ist es, den in einem konkret zu erkennenden Ding manifestierten Anteil der kosmischen Rechten Ordnung zu erkennen. Es gilt also weniger, ein Ding in seiner individuellen und persönlichen Ausformung zu

145 Jinsi Lu 3.23: 伊川先生曰: 凡看文字, 先须晓其文义, 然后可求其意。 未有文义不晓 而见意者也。 (Chen Rongjie 1992, 193). 146 Der Ausdruck wird etwa verwendet in den Abschnitten 7, 15 und 117 des Werkes. In Abschnitt 117 gibt Wang folgende Erklärung dazu: „窮理是窮事物之理“. Wing-tsit Chan übersetzt: „Investigating principle to the utmost is investigating the principle of things and events to the utmost.” (Chan 1963b, 73).

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verstehen, als die Gemeinsamkeiten dieses Dinges mit der alles verbindenden Rechten Ordnung zu erkennen. Diesen Erkenntnisprozess treibt man so lange voran, bis der Anteil an der Rechten Ordnung in dem zu erkennenden Ding ausgeschöpft ist. Die „Rechte Ordnung ausschöpfen“ ist also eine Umschreibung für den aus einem Ding grösstmöglich zu realisierenden Erkenntnisgewinn gemäss der Epistemologie der daoxue. Die Kritik Fangs an der Vorgehensweise der hanxue ist mithin, dass ihre epistemologischen Ziele von denen der daoxue, und damit von den staatlich sanktionierten, abweichen. Ihre Vorgehensweise bezeichnet Fang daher aus apologetischer Sicht als unsystematisch. Weil die Vertreter der hanxue für ihre Schlüsse auf andere Autoritäten bauen, ziehen sie aus Fangs Sicht „willkürliche Verbindungen“ heran. Erneut wiederholt Fang Dongshu zudem den Vorwurf, dass die hanxue mit ihren Methoden und Erkenntnissen kommende Generationen von Gelehrten in die Irre zu führen droht, weshalb er sich zur Eindämmung berufen fühle. Der zum Schluss formulierte Satz yi yan er shi 一言二 失 klingt wie fester Ausdruck, er liess sich aber nirgends als solcher verifizieren. Fang Dongshu schreibt zum Ende des Abschnitts in seinem Kommentar, dass er eben das Festhalten an den Worterklärungen und das falsche Verständnis von „kleiner Gelehrsamkeit“ als „grosser Gelehrsamkeit“ erörtert hätte. In dieser Kontroverse nimmt er sich jeweils in einem längeren Abschnitt eine der Teilaussagen Dai Zhens vor und gibt seine Replik. 若謂義理即在古經訓詁, 不當歧為二; 本訓詁以求古經, 古經明, 而我心同然之義理以 明。 此確論也。 然訓詁不得義理之真, 致誤解古經, 實多有之。 若不以義理為之主。 則彼所謂訓詁者, 安可恃以無差謬也! 諸儒釋經解字, 紛紜百端。 吾無論其他, 即以鄭 氏、 許氏言之, 其乖違失真者已多矣, 而況其下焉者乎! 總而言之, 主義理者, 斷無 有舍經廢訓詁之事; 主訓詁者, 實不能皆當於義理。 何以明之? 蓋義理有時實有在語言 文字之外者。 故孟子曰﹕「以意逆志,不以辭害志,辭害意也。」漢學家專泥訓詁, 如 高子說《詩》, 所以多不可通。 故宋儒義理, 原未歧訓詁為二而廢之。 有時廢之者, 乃 政是求義理之真, 而去其謬妄穿鑿, 迂曲不可信者耳。 若其不可易者, 古今師師相傳, 碩學之徒, 莫之或徒, 宋儒何以能廢之也? 漢學之人, 主張門戶, 專執《說文》、 《 廣雅》小學字書, 穿鑿堅僻, 不顧文義之安, 正坐斥義理之學不窮理故也。 故義理原不 出義理之外, 而必非漢學家所守之訓詁, 能盡得義理之真也。 如曰不然, 試平心而論, 漢儒、 宋儒, 說經誰得古聖人語言心志多乎? So etwa die Behauptung, dass die Moraltheorie in den Wortglossierungen der Klassiker des Altertums verborgen liege, und dass es daher eine unnötige zwiegespaltene Aufteilung gäbe. Ursprünglich war es so, dass die Worterklärungen und -glossierungen dazu dienten, nach [der Bedeutung der Sprache] der Klassiker des Altertums zu forschen. Sind die Klassiker des Altertums erst einmal verständlich, so würde auch die Moraltheorie im Herzen eines jeden (wo xin) dadurch gleichermassen verständlich. Dies wäre eine korrekte Darstellung [des Sachverhalts]. Es ist aber so, dass die Worterklärungen und Wortglossen nicht an die korrekten Aussagen der Moraltheorie heranreichen. Tatsächlich ist es schon oft vorgekommen, dass [die Wortglossen und Worterklärungen] äusserst unkorrekte Erklärungen der Klassiker des Altertums gegeben haben. Demnach, wenn man nicht mit der Moraltheorie



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als hauptsächlicher [Methode] vorgeht, sondern mit dem, was jene die ­Worterklärungen und Wortglossen nennen, wie könnte man sich auf diese verlassen, um Fehler und Absurditäten zu vermeiden? Die unterschiedlichen Konfuzianer, welche die Klassiker erklärt und die Schriftzeichen analysiert haben, haben sich [in ihren philologischen Erklärungen] in hundert unterschiedliche Positionen zerfasert. Ich will hier alle die anderen gar nicht erörtern, sondern nur über Herrn Zheng und Herrn Xu sprechen, welchen sehr häufig Fehler unterlaufen sind, und denen die Wahrheit abhandenkam, ganz zu schweigen von denen, die noch unterhalb jener einzustufen sind. Wenn man im grossen Ganzen darüber spricht, so gibt es unter jenen, welche die Moraltheorie als das Wichtigste erachten, definitiv keine Sachverhalte wie „die Klassiker verwerfen“ oder „die Worterklärungen für nichtig halten (fei 廢).“ Jene, welche die Worterklärungen und Wortglossen als das Wichtige erachten, haben aber tatsächlich nicht alle etwas zur Moraltheorie beizutragen. Wie kann ich das verdeutlichen? Bei der Moraltheorie kommt es manchmal vor, dass sie sich wahrhaftig ausserhalb der Sprache und der Schriftzeichen befindet. Deswegen sagte Menzius: „Nur, wenn man mit seinen Gedanken dem Geist des Stücks nachgeht, dann trifft man’s. [Man] darf nicht um des Buchstabens Willen dem Wort Gewalt antun und nicht um des Wortlauts Willen dem Geist Gewalt antun.“ Die Experten der hanxue bleiben ausschliesslich in den Wortglossierungen und –erklärungen verhaftet, so wie Meister Gao die Lieder erklärt, und deshalb gibt es viele Stellen, die sie nicht verständlich erklären können. Denn die Moraltheorie der songzeitlichen Konfuzianer hatte eigentlich die Worterklärungen und Glossen nicht als etwas Abgespaltetes und Eigenes wahrgenommen, bzw. verworfen. Es gibt solche, die diese manchmal verwerfen, aber das ist eben genau dann, wenn sie nach der Wahrheit der Moraltheorie streben, und dazu die absurden Schlüsse und an den Haaren herbeigezogenen Verbindungen, das Verquere und Unglaubwürdige [der Worterklärungen] verwerfen. Wenn sich etwas nicht ändern lässt, weil es seit dem Altertum und bis heute von Lehrer zu Lehrer weiter tradiert wurde, und weil es unter den Schülern von umfassend Gelehrten (suo xue) keinen gibt, der Zweifel hegte, aufgrund wessen sollten es denn dann die songzeitlichen Konfuzianer für nichtig halten können?147 Die Leute der hanxue vertreten die Meinung ihrer Schule. Sie halten ausschliesslich am Shuowen und Guang Ya und den Schriftzeichen-Werken der kleinen Gelehrsamkeit (=> der philologischen Hilfswissenschaften) fest, sie beharren starrköpfig auf an den Haaren herbeigezogenen Schlüssen. Dabei bedenken sie nicht die generelle Stimmigkeit der Bedeutung eines Textes, sondern sitzen kerzengerade und schmähen die Lehren der Moraltheorie, weil sie die Rechte Ordnung nicht ausgeschöpft haben. Denn ursprünglich ging die Moraltheorie nicht über die Worterklärungen und Wortglossen hinaus. Dazu ist es aber unbedingt nötig, dass es sich nicht um die von den Experten der hanxue bewahrte (shou 守) Art der Worterklärungen und Glossen handelt. So erst kann man die Wahrheit der Moraltheorie erlangen. Wer nun meint, das sei nicht so, der soll einmal versuchen, mit einem neutralen Herzen zu erörtern, ob die hanzeitlichen oder die songzeitlichen Konfuzianer bei ihren Erklärungen der Klassiker mehr der Worte und des Herzensstrebens des Weisen erlangt haben.

147 Songzeitliche Konfuzianer und Glossen: Fang Dongshu zitiert in seinem Kommentar zu diesem Thema Zhu Xis Shi Jing Ji Zhuan 詩經集傳, in dem dieser intensiv Gebrauch machte von Glossen Mao Changs und Zheng Xuans.

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Zum Schluss dieses Abschnitts schreibt Fangs im Kommentar, er habe hier versucht darzustellen, dass sich der Bereich der Moraltheorie nicht vollkommen mit den Mitteln der Wortglossierung zu erschliessen sei. Einleitend stösst er sich ja an der nicht tatsächlich zitierten Aussage Dai Zhens, dass der moraltheoretische Gehalt der songzeitlichen daoxue in den Glossen der hanzeitlichen Sprachspezialisten enthalten sei. Daher ist dieser Abschnitt des Textes der Versuch, die Grenzen zwischen inhaltlicher und formaler Exegese eines Textes zu beschreiben. Dabei charakterisiert Fang Dongshu in mittlerweile bekannter Form die beiden Kontrahenten: Die daoxue wird als offenes System dargestellt, das eigentlich der philologischen Herangehensweise gegenüber offen war. Die hanxue wird dagegen als aggressive Konkurrenz, als Opposition um des Opponierens willen porträtiert, die als einziges Ziel hat, die integrale Interpretation der daoxue mit allen Mitteln zu torpedieren. Diese hatte ihrerseits ein stimmiges und in sich geschlossenes System ­moraltheoretischer Lehren anzubieten, die dem Reich in den vergangenen fünfhundert Jahren Wohlstand und politische Einheit verliehen hat. All dies will die hanxue aufs Spiel setzen, damit sie ihre hanzeitlichen Glossen zu Gehör bringen kann. Dabei unterlässt Fang es nicht, grundsätzliche, aus der unterschiedlichen Methodik resultierende Differenzen aufzuzeigen. Etwa wenn er schreibt: „Es ist aber so, dass die Worterklärungen und Wortglossen nicht an die korrekten Aussagen der Moraltheorie heranreichen.“ Damit meint Fang, dass es, wie er ja weiter unten noch ausführt, eine inhaltliche Wahrheit gibt, die nicht aus der Bedeutung der einzelnen Wörter erschliessbar ist. Die hanxue kann mit ihren Methoden gar nicht die von der daoxue verkündeten Lehren umfassen, meint Fang hier, und dieser Vorwurf trifft wiederum ins Zentrum der Methodik der hanxue. Die daoxue kann etwa neue Begriffe erschaffen oder die Bedeutung von Wörtern in einem moraltheoretischen Kontext abändern, und sich so neue Dimensionen des Denkens schaffen. Da sich die hanxue umgekehrt im engen Korsett der Sprachglossen bewegt, ist es ihren Vertretern nicht möglich, die Bedeutung von Begriffen zu erweitern oder anzupassen. Dieses Charakteristikum der beiden Schulen bringt Fang dann auch dazu, im zweiten Teil die deutliche Feststellung zu machen, dass die Moraltheorie manchmal ausserhalb der Sprache auszumachen sei. Demnach ist der moraltheoretische Gehalt eines Textes manchmal nicht sprachlich kodiert, sondern er ist zwischen den Zeilen zu suchen. Auch diese Ansicht ist bei Gläubigen in jeder Kultur weit verbreitet. Fang spielt hier allerdings nicht auf eine Art chinesischer Kabbalistik an, die eine versteckte Botschaft in der Komposition des Textes vermutet. Vielmehr meint er schlicht die Tradition, die, wie jede literarische Tradition, das Verständnis gewisser kanonischer Textstellen prädisponiert. ­ enzius-Zitat: „yi yi ni zhi, bu yi Diese Ansicht bekräftigt er mit dem bekannten M



Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum 

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wen hai ci, bu yi ci hai zhi 以意逆志,不以文害辭,不以辭害志.“ Dieses entstammt Abschnitt 5A.4, wobei Fang die Reihenfolge umkehrt. In Menzius-Text kommen die ersten vier Wörter yi yi ni zhi nach den anderen zehn. Es geht im Menzius um die Auslegungspraxis des Shi Jing. Die oben zitierte Übersetzung geht zurück auf Wilhelm 1921, 103. D. C. Lau 1984, 187 übersetzt gleich, mit dem Unterschied, dass er nicht das Wort „Buchstaben“ verwendet, sondern schreibt: „One should not allow the words to obscure the sentence“. Schliesslich kann noch erwähnt werden, dass James Legge diesen Satz als Leitmotiv seiner Übersetzung des Menzius voranstellte. Fang bezeichnet daraufhin die Methodik der hanxue als Gegenentwurf und vergleicht diese mit Gao Zi 高子, dessen Exegese des Shi Jing-Gedichtes „xiao pan“ (Mao Nr. 197) in Abschnitt 6B.3 des Menzius mit derjenigen des Meisters selbst verglichen wird. Meister Gao hatte dafür eine Erklärung, die Menzius für sehr beschränkt hielt und über die er sagte: „gu zai, Gao sou zhi wei Shi ye 固哉, 高叟之為詩也“ (=> „Der alte Gau ist wirklich beschränkt in seiner Behandlungsweise der Lieder“ (Wilhelm 1921, 143)). Fangs Aussage ist daher vordergründig, dass die hanxue-Vertreter ebenso beschränkt oder auch stur (gu wird bei Lau als „rigid“ übersetzt) sind, weil sie seiner Meinung nach an der Textoberfläche haften bleiben und nicht in die tieferen Schichten der Moraltheorie vordringen. Gleichzeitig ist in Menzius 6B.3 eine weitere Kritik versteckt, denn Menzius wirft dort Gao Zi vor, aufgrund mangelnder Mitmenschlichkeit (ren 仁) das Gedicht falsch zu verstehen. Parallel kann daher Fangs Vergleich leicht auch als Angriff gegen die moralische Reife der hanxue verstanden werden. In seinem eigenen Kommentar gibt Fang Beispiele. Demnach bezieht er sich auf Hui Dongs Werke mit dem Titel Gu Yi und Zang Lins Za Ji.148 Zum Schluss dieser längeren Erörterung gibt Fang dann auch Gründe für seine Abneigung gegen die hanxue an. Demnach waren es zwei Dinge, die ihn störten, nämlich zum ersten, dass die hanxue über keine eigene Lehrtradition verfügte, sondern dass sie eine alte und nicht fortgesetzte Auseinandersetzung mit den Texten revitalisierte und für die eigenen Zwecke instrumentalisierte, und zum zweiten, dass die hanxue mit ihren Forschungsergebnisse keine Rücksicht nahm auf die „generelle Stimmigkeit der Bedeutung eines Textes“ (wen yi zhi an

148 Hui Dong aus Suzhou schrieb zu den meisten Klassikern einen Kommentar mit dem Titel Gu Yi 古義. Das Zhongguo Congshu Zonglu listet entsprechende Titel zu folgenden Werken auf: Zhou Yi, Shang Shu, Mao Shi, Zhou Li, Yi Li, Liji, Gongyang Zhuan, Gu Liang Zhuan, Lunyu und ein Sammelwerk mit dem Titel Jiu Jing Gu Yi 九經古義. (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 3:676). Im Falle Zang Lins gibt es nur ein Werk, auf das Fangs Hinweis passt: Jing Yi Za Ji 經義雜記 (ebd. 3:475).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

文義之安). Dieser Ausdruck scheint nicht anderweitig belegt zu sein, vielmehr ist er anscheinend eine Neubildung durch Fang. Er wäre wörtlich zu übersetzen als „Frieden bei der Bedeutung der Texte“ und ich verstehe es als Plädoyer Fangs gegen die zweifelnde oder skeptische Grundhaltung der hanxue. Die textkritische Forschung der frühen Qingzeit hat die ehemals kanonischen Texte Guwen Shangshu und He Tu Luo Shu 河圖洛書 als Fälschungen entlarvt und damit erheblichen Aufruhr in die konfuzianische Gemeinde gebracht. Da die an diesen Texten entwickelten moraltheoretischen Lehren der songzeitlichen Meister plötzlich keine textliche Grundlage mehr hatten, gerieten Aspekte der Lehre selbst unter Rechtfertigungsdruck. Die Prüfungskurrikula wurden verändert, mit dem Aufkommen der hanxue als Nachfolgerin der Textkritik wurde die Kritik an Zhu Xi laut. Die Auseinandersetzungen zwischen Gelehrten, Schulen und schliesslich Fangs Werk selbst sind alles Hinweise auf ein Fehlen des „literarischen Friedens“.149 Alle diese Probleme lassen sich für Fang auf eine Formel zurückführen: das Fehlen von qiong li, des „Ausschöpfens der Rechten Ordnung“. Die hanxue legt es nach Meinung Fangs daher gar nicht darauf an, das „Herzensstreben der Weisen“ zu vernehmen.

Klassiker und Glossen 若夫舍經廢訓詁亦誠有之, 但須區別。 如陸子以六經為注腳, 有似舍經者, 朱子已深 斥之。 若程子擺落傳注, 所見實勝前儒, 則其廢之者, 固深當也。 至於朱子, 極尊訓 詁, 而亦有時廢之者, 廢其失真, 不得聖意, 而致貽誤來學者也。 今深疾義理, 欲伸 漢學, 恐不能勝, 乃以疑似之跡, 概誣宋儒為舍經廢訓詁, 空任胸臆言理云云。 此欲 欺天下, 使耳食無聞者, 謂為信然, 同以「莫須有」之罪歸焉, 欲以一手掩天下目也! Damit komme ich dazu, dass die Klassiker verworfen und die Worterklärungen für nichtig gehalten worden seien. Dies hat es tatsächlich gegeben, aber es ist nötig, hier eine Unterscheidung vorzunehmen. So hielt Meister Lu die Sechs Klassiker alle nur für Fussnoten. Doch wenn dies auch Ähnlichkeiten aufweist zu einem Verwerfen der Klassiker, so hat aber Meister Zhu das bereits ausgiebig kritisiert. Oder Meister Cheng, der die Überlieferungen und Kommentare abgeschüttelt hatte, und der mit dem, was er so erkannte, die frühen Konfuzianer tatsächlich überflügeln konnte. Daher war aber die Tatsache, dass er diese dadurch verwarf, unbedingt und höchst angemessen. Wenn es aber zu Meister Zhu kommt, so verehrte dieser die Wortglossierungen und Worterklärungen in höchstem Masse. Und wenn es manchmal solche darunter gab, die von ihm nicht berücksichtigt wurden, so geschah dies nur bei jenen, welche der Wahrheit abträglich waren, die Absicht der Weisen nicht erfasst hatten, und kommende Gelehrte in höchstem Masse in die Irre geführt hätten.

149 Da sich die Kritik im Text vor allem auf die Umgangsweise mit den kanonischen Texten beschränkt, und nichts über die eben skizzierten weiterreichenden Konsequenzen aussagt, habe ich die Übersetzung „generelle Stimmigkeit“ gewählt.



Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum 

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Heutzutage misstraut man zutiefst der Moraltheorie und will die hanxue ausweiten, doch ich fürchte, dass diese den Sieg nicht davontragen wird, weil es [nur] Merkmale einer scheinbaren Wahrheit150 aufweist. Stattdessen verunglimpfen [jene] die songzeitlichen Konfuzianer als solche, welche die Klassiker verwerfen und die Worterklärungen nicht berücksichtigt hätten, die aus dem hohlen Bauch heraus ihre eigene Meinung verkünden und das Prinzip erörterten usw. usf. Doch die Absicht, [die hanxue auf Kosten der daoxue zu erweitern] ist ein Betrug an der Welt, der die Ohren füllt, ohne dass es etwas zu hören gäbe. Dies nennt man Vertrauenswürdigkeit vorspielen, aber es ist gleichermassen nur eine unbegründete Anschuldigung.151 Da will man mit einer Hand die Augen der gesamten Welt zuhalten (wörtlich: drüberwischen).

In diesem Absatz verwehrt sich Fang gemäss einer Bemerkung in seinem Kommentar für Cheng und Zhu gegen den Vorwurf, diese hätten die Wortglossen verworfen. Der Absatz verwehrt sich allerdings weniger, als dass er versucht, die Haltung der songzeitlichen Konfuzianer zur hanzeitlichen Glossierung zu rechtfertigen. Fang Dongshu muss der Gegenseite zugestehen, dass sowohl für Lu Jiuyuan als auch Cheng Yi und Zhu Xi die kohärente inhaltliche Interpretation der Texte Vorrang hatte vor der Kompatibilität dieser Aussagen mit den hanzeitlichen Lexika. Er gesteht diesen Punkt abgestuft zu, indem er die songzeitlichen Gelehrten in der umgekehrten Reihenfolge seiner Verehrung für diese aufzählt. Lu Jiuyuan, dessen xinxue-Schule Fang ablehnte, wird zuerst zitiert. Der zitierte Ausspruch Lus ist dessen bekannte Aussage, wonach „die Sechs Klassiker alle nur Fussnoten“ seien. Dieser Ausspruch von Lu Jiuyuan bezieht sich darauf, dass die Klassiker als Schriftstücke nur Beiwerk sein können zum Herzen, der für Lu das zentrale Mittel der Erkenntnis darstellt. Im Kontext dieser Aussage erörtert er die Unverständlichkeit der alten Klassiker und spricht sich dagegen dafür aus, den eigenen Verstand als Massstab des Studiums zu nehmen.152 Fang selbst billigte diese Aussage ebenfalls nicht und er möchte sie kritisiert sehen, beeilt sich aber zu versichern, dass Zhu Xi selbst diese Kritik bereits vorgebracht habe.

150 “Merkmale einer Scheinwahrheit“ ist die Übersetzung der Formulierung yisi zhi chi 疑似之 跡. Der Ausdruck yisi steht für etwas Richtiges, das aber als falsch erscheint, bzw. etwas Falsches, das aber den Eindruck des Richtigen erweckt. Im vorliegenden Fall habe ich mich aufgrund des Kontextes für die zweite Version entschieden. 151 Der Ausdruck mo xu you 莫須有 wird in der für diese Studie verwendeten Textvorlage als Zitat markiert. Es liess sich aber in den konsultierten Texten kein entsprechender Passus finden, und zudem ist mo xu you ein normaler sprachlicher Ausdruck für eine unbegründete Anschuldigung (Ricci 2001, 4:508, Nr. 7969). 152 Für den Text vgl. Rolle 34 des Xiangshan Xiansheng Quanji 象山先生全集. Der Text wurde für die vorliegende Arbeit verifiziert gemäss Feng Youlan 1961, 2:931, der übersetzt wurde in Fung Yu-lan 1953, 575–576. Der fragliche Passus wurde in der ersten Kontroverse im Abschnitt Autoritäten 2: Lu Jiuyuan thematisiert.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Als nächstes kommt Fang auf Cheng Yi und dann Zhu Xi zu sprechen, bei denen sich gemäss Fang die entscheidende Zäsur zur daoxue ereignete. Die Brüder Cheng Yi und Cheng Hao, haben den Bruch mit dem zuvor betriebenen Konfuzianismus vorangetrieben, wobei für den Tongcheng-Gelehrten Cheng Yi im Vordergrund steht. Zwar gesteht Fang eine Veränderung und sogar neue Ausrichtung des Konfuzianismus zu, aber er erklärt diese sofort durch die in der Lehre inhärente Notwendigkeit zur Neuausrichtung. Cheng und Zhu waren durch ihre revolutionären Einsichten sozusagen gezwungen, den Konfuzianismus neu auszurichten, und Fang versichert leutselig, dass Zhu Xi ein grosser Anhänger der hanzeitlichen Glossen gewesen sei, der nur jene verändert habe oder unberücksichtigt liess, die er für inhaltlich falsch und damit für kommenden ­Generationen gegenüber gefährlich hielt. Hier ist eine Parallele zwischen den Anliegen Zhus und demjenigen Fang Dongshus selbst zu erkennen. Auch Fang spricht sich mehrfach für die Glossen der qingzeitlichen Gelehrten aus, die er aber nur als Grundlage für die inhaltliche Interpretation gemäss den Prinzipien der daoxue akzeptieren will. Im letzten Teil des Abschnitts beklagt Fang dann zum wiederholten Male, wie sehr die Anliegen seiner Widersacher ein Verbrechen gegen die Prinzipien des Reiches seien, wie gross der von ihnen verursachte Schaden wäre, und dass es sich um eine scheinbar wahre, in Wirklichkeit aber vollkommen falsche Sicht der Gelehrsamkeit handelt. Inhaltlich gibt es hier nichts Neues, lediglich die Formulierungen unterscheiden sich leicht.

Kritik an der hanxue-Methode 夫謂讀書尚未識字, 輒薄訓詁。 此自俗士妄人, 其於學術大局, 焉能為有亡、 輕重, 固不足論。 若古今異文, 《說文》 所引壁經古文, 多不與馬、 鄭相應, 無論後世。 古 今既遠, 傳寫脫誤, 或由先師眾說不一。 如荀悅《申鑒》、 朱國楨《湧幢小品》云云, 則亦不足為病。 但論其大體無失, 可也。 如范升所云﹕ 以年數小差, 掇為巨謬, 遺脫 纖微, 指為大尤, 則過矣! Dann zur Aussage, [wer heutzutage] Bücher lese, kenne die Schriftzeichen noch nicht, und halte Wortglossierung und Worterklärung für nebensächlich. Dies geht zurück auf vulgäre Gelehrte und absurd [daherschwafelnde] Leute, die der Gelehrsamkeit grossen Schaden zufügen, die aber bestimmt nicht einmal Existentes und Verlorenes, Unwichtiges und Wichtiges zu erörtern in der Lage gewesen wären. So gibt es etwa bei Texten seit dem Altertum und bis heute unterschiedliche Schriftformen: Das Shuowen zitierte die eingemauerten Klassiker in der Alten Schrift, entsprach dabei aber häufig nicht Ma [Rong] und Zheng [Xuan], ganz zu schweigen von späteren Generationen. Vom Altertum bis heute ist eine lange Zeit verstrichen und die überlieferten Schreibweisen wurden verfälscht und mit Fehlern behaftet oder sie entsprechen nicht mehr den verschiedenen Erklärungen der früheren Lehrer. So etwa Xun Yues Shen Jian und Zhu Guozhens Yongchuang Xiaopin und weitere, da reicht es noch nicht, diese als Fehler hinzustellen. Und doch ist es möglich,



Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum 

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dass die Erörterung der zentralen Fragen ohne Fehler [überliefert wurde], Es ist so, wie Fan Shen sagte: Mit den Jahren nehmen die kleinen Fehler zu und diese häufen sich auf zu grossen Problemen, so dass die Zusammenhänge und Feinheiten nicht überliefert werden. Erst wenn man dies als grossen Fehler darstellt, ist das [wirkliche] Problem erschaffen.

Für den Rest der Kontroverse übt Fang nun seinerseits Kritik an seinen Gegnern. Er tut dies mit unterschiedlichen Strategien: Zunächst hinterfragt er die Verläss­ erschiedenen in lichkeit der Quellen der hanxue. Dies tut er, indem er auf die v der Hanzeit kursierenden Schriftformen verweist, gemäss denen Schriftzeichen etwa im Shuowen Jiezi andere graphische Elemente in sich tragen als in den Textausgaben Ma Rongs oder Zheng Xuans (wobei es sich natürlich n.b. immer um den textus receptus handelt, es gab keine Originalmanuskripte mehr aus der Hanzeit). In einem zweiten Teil des Arguments benennt Fang dann konkrete Probleme mit Werken hanzeitlicher Gelehrter, um seine Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit hanzeitlicher Dokumente zu belegen. Er nennt die Werke Shen Jian 申鑒 des hanzeitlichen Autoren Xun Yue 荀悅 (148–209) und Yongchuang Xiaopin 湧幢小品 des mingzeitlichen Autoren Zhu Guozhen 朱國楨 (?–1632; letztes Schriftzeichen auch 禎). Leider sind die Angaben zu implizit, um seinen Gedanken nachvollziehen zu können. Die beiden Werke haben keinen offensichtlichen Zusammenhang und ihre Beschreibung im Katalog des Siku Quanshu weisen auch auf nichts Zwingendes hin (Yong Rong 1965, 1: 773a u. 1102b). Es ist dort lediglich zu erfahren, dass sich beide der Politik der Vergangenheit annehmen und in der Beschreibung von Zhus Werk heisst es, dass er darin kleinere Notizen zusammengetragen habe. Möglicherweise sind es Notizen über genau diese Art von textlichen Differenzen, die Fang hier anspricht. Ein weiteres Problem ist die unstete Textgeschichte des Shen Jian, die seriöse Zweifel an dessen Authentizität aufkommen liess.153 Möglicherweise wurde das Shen Jian hier nur als Beleg für ein besonders schwerwiegendes Textproblem angeführt. Dann zitiert er Fan Shen 范升 (?–?, Xin- u. Östliche Han) mit einen Satz aus dessen Biographie im Hou Han Shu (Fan Ye 1965, 5:1231). Gemäss diesem Satz summieren sich kleine Ungenauigkeiten, wie Fang sie bei den seinen Widersachern wichtigen Texten ausmacht, weshalb die Aussagen der qingzeitlichen hanxue nicht nur moraltheoretisch irrelevant sind, sondern auch ganz grundsätzlich mit Fehlern behaftet. 若夫頗通於訓詁, 而實不識字; 詳於制度, 而實昧於義理; 如戴聖、 馬融、 揚雄, 或不 識「節義」字, 及進退守身義理, 又何說也? 蓋忠、 孝、 信、 義、 進、 退、 取、 予、

153 Zur Textgeschichte des Shen Jian vgl. den Eintrag in Loewe 1993, 390–393.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

廉、 恥等字, 不待讀《蒼》、 《雅》、 《說文》, 而世無不明者。 古今學人, 或不識 得, 豈為不曉訓詁之故與? Doch wenden wir uns einmal denen zu, welche die Worterklärungen und Wortglossen durchdringend verstehen, in Wirklichkeit aber [ihrerseits] die Schriftzeichen nicht kennen. Denn sie wissen zwar detailliert Bescheid über [längst vergangene] Verwaltungssysteme, sind tatsächlich aber blind gegenüber dem moraltheoretischen [Gehalt eines Textes]. Wie etwa Dai Sheng, Ma Rong oder Yang Xiong.154 Diese waren zwar nicht vertraut mit der Methode [des Shuowen], mittels Zerlegen der Schriftzeichen den Sinn zu erschliessen, aber was den Sinn für angemessenes Verhalten, für korrektes Verhalten und die Moraltheorie angeht, was hätte man ihnen da noch erklären sollen? Denn Wörter wie Loyalität, Kindespietät, Vertrauen, korrektes Verhalten, vorwärts gehen, sich zurückziehen, nehmen, geben, Kompromisslosigkeit (Lunyu 17.16) oder Scham155 braucht man nicht mittels Cang [Jie Pian]156, [Er] Ya oder Shuowen [Jiezi] zu lesen, und doch gibt es niemanden, dem [ihre Bedeutung] nicht klar wäre. Und wenn Gelehrte seit früher und bis heute manchmal [deren Bedeutung] nicht erfasst haben, was ist denn da der Grund, zu meinen, sie hätten die Worterklärungen nicht gekannt?157 至謂古聖賢義理, 即存乎典章制度。 則試詰以經典所載,曰「欽」、 曰「明」、曰「 安」、 曰「恭」、 曰「讓」、 曰「慎」、 曰「誠」、 曰「忠」、 曰「恕」、 曰「仁」、 曰「孝」、 曰「義」、 曰「信」、 曰「慈」、 曰「儉」、 曰「懲忿窒欲」、曰「遷善改 過」、曰「賤利重義」、 曰「殺身成仁」; 反而言之, 曰「驕泰」、 曰「奢肆」、 曰「 苟妄」、 曰「自欺」、 曰「 讒諂」、 曰「 貪鄙」; 凡諸義理, 皆關修、 齊、 治、 平之 大實, 不必存乎典章制度, 豈皆為異端邪說與? 而戴氏《七經小記》、 《學禮篇》 中所 記冠弁諸制, 將謂即以盡天下之義理與? 震為江永弟子, 永之言曰﹕ 經籍包羅三才, 制 度、 名物, 特其間一支一節耳。 斯為儒者特平之論, 而震顧張皇若此, 不亦謬乎! Kommen wir schliesslich zur Aussage, dass die Moraltheorie der Weisen und Tüchtigen des Altertums in den Schriftdokumenten und dem Verwaltungssystem bewahrt worden sei. Überprüfen wir doch einmal, was in den klassischen Schriften aufgezeichnet ist. Da ist die Rede von:158 „hochachten qin 欽“, ­„erhellen“, „befrieden“, „Ehre erweisen“,

154 Dai Sheng, Ma Rong und Yang Xiong: Dai Sheng war der jüngere der Dai-Brüder, welche das Liji und das Da Dai Liji verfassten. Er war Kompilator des Liji. Alle drei lebten vor der Zeit, in der Xu Shen das Shuowen Jiezi verfasste und in der mit der Methode der Schriftzeichenanalyse erstmals die Bedeutung der Schrift als in den Schriftzeichen selbst kodifiziert dargestellt wurde. Trotzdem wussten sie, so Fangs Argument, viel zur korrekten Auslegung des Konfuzianismus beizutragen. 155 Die hier aufgezählten Begriffe zhong 忠, xiao 孝, xin 信, yi 義, jin 進, tui 退, qu 取, yu 予, lian 廉 und chi 恥 sind konfuzianische Schlüsselbegriffe, die sich alle im Lunyu finden lassen. 156 Cang Jie Pian 倉頡篇, auch 蒼頡篇 ist ein Wörterbuch, in dem nach der Schriftvereinheitlichung der Qinzeit die neuen Begriffe festgehalten wurden. Es bildet eine der drei Quellen, aus denen Xu Shen den Wortschatz für sein Shuowen Jiezi nahm (vgl. Winter 1998, 157–160). 157 In den letzten zwei Absätzen wendet sich Fang Dongshu gegen den Vorwurf, die daoxue „kenne die Schriftzeichen nicht“, bzw. er meint in seinem Kommentar, dass er diesen Vorwurf differenziere. 158 Fang Dongshu zitiert im Weiteren eine Reihe von Schlüsselbegriffen der daoxue, deren Ursprung nicht immer ermittelt werden konnte. Sein Argument zielt darauf ab, dass es Ausdrücke



Siebte Kontroverse: Die Tradition und das Altertum 

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„­ Vortritt lassen“, „Behutsamkeit“, „Wahrhaftigkeit“, „Loyalität“, „Wechselseitigkeit“, „Mitmenschlichkeit“, „Kindespietät“, „korrektes Verhalten“, „Vertrauen“, „Barmherzigkeit“, „Bescheidenheit“, „Zorn bändigen und Triebe hemmen“159, „Sich zum Guten hin bewegen und Fehler korrigieren“160, „den persönlichen Vorteil gering schätzen, das korrekte Verhalten hoch schätzen“ und „seinen Leib in den Tod geben, um Mitmenschlichkeit zu vollenden“161. Sprechen sie über das Gegenteil, so heisst es: „Das Unheil kommt sicher“162, „solches erzwingen“ (duo si 奪肆), „Eitelkeit und Perversion“163, „sich selbst betrügen“164, „verleumden und schmeicheln“165 oder auch „unstillbare Gier“166. Betrachtet man dies im Zusammenhang mit der Moraltheorie, so hängen sie alle eng zusammen mit der bedeutenden Realität von Kultivieren, Ausgleichen, Ordnen und Befrieden und sie sind auch nicht in den Schriftdokumenten und dem System enthalten. Wie kann man da behaupten, dies seien alles häretische Lehren und verquere Theorien? Wie also kommt Herr Dai [Zhen] in Qi Jing Xiao Ji und Xue Li Pian, in denen er alle Systeme der Beamteten aufgezeichnet hat, dazu zu behaupten, diese umfassten die gesamte Moraltheorie der ganzen Welt? Herr Dai ist ein Schüler von Jiang Yong, und [Jiang] Yong sagte: Die klassischen Schriften umfassen

gibt, die erst durch ihre Rezeptionsgeschichte mit einer bestimmten Bedeutung aufgeladen werden. Die durch die daoxue hervorgehobenen Bedeutungen lassen sich nicht mit Hilfe der sprachforscherischen Methoden der kaozhengxue ermitteln. Jeder der folgenden Begriffe wird durch das Verb yue 曰 (=> „ist die Rede von, heisst es“) eingeleitet. Aus stilistischen Gründen wurde dies bei allen Begriffen weggelassen. 159 Anspielung auf Hexagramm 41 „sun 損“ des Yi Jing, wo es heisst cheng fen zhi yu 懲忿窒欲. (Fang zitiert ein alternatives Schriftzeichen für yu: 慾). 160 Dieses Zitat qian shan gai guo 遷善改過 entstammt dem Kommentar Zhu Xis zu Lunyu 17.26 (Zhu Xi 2001, 214). 161 Anspielung auf Lunyu 15.09, wo es heisst: „you sha shen yi cheng ren 有殺身以成仁“. Die Übersetzung geht zurück auf Wilhelm 1914, 173. 162 Anspielung auf das Daxue, wo es im Kommentartext über die Befriedung der Welt heisst: „jiao tai yi shi zhi 驕泰以失之“. Für die Übersetzung vgl. Wilhelm 1981, 54. 163 Der hier zitierte Ausdruck gou wang 茍妄 taucht in der klassischen Literatur nach meinen Recherchen lediglich im Han Shi Wai Zhuan 韓氏外傳 auf. Dort heisst es: 大滅聖道,專為茍妄, 以欲速則不達利為俗,以告獵為化,而天下大亂“. Hightower übersetzt das als: „The Way of the saints was completely destroyed, and [people] devoted themselves solely to vain and perverse practices. Avarice was the usual thing, accusations and arrests were common, and the empire was in great confusion.“ (Hightower 1957, 175). Es kann nicht definitiv geklärt werden, ob Fang diesen Kontext vor Augen hatte. 164 Der Ausdruck zi qi 自欺 ist hier wohl im Kontext des sechsten Abschnitts des Daxue gemeint, wo es heisst: „Seine Absichten wahrhaftig zu machen bedeutet, den Selbstbetrug zu vermindern“ („所謂誠其意者:毋自欺也“; Zhu Xi 2001, 8). 165 Die hier zusammengestellten Verben chan chan 讒諂 werden im 41. Kapitel des Liji, „ru xing“, verwendet. Legge übersetzt es im 38. Kapitel seiner Ausgabe als „calumniators and flatterers“ (Legge 1885, 2:406). Der Ausdruck wird erneut verwendet in Zhu Xis Zitat von Xie Liangzuo im Kommentar zu Lunyu 13.15 (Zhu Xi 2001, 171). 166 Der Begriff tan bi 貪鄙 wird in dieser Bedeutung verwendet im 21. Kapitel des Xunzi „jie bi 解蔽“, Knoblock 1994, 102 übersetzt ihn dort als „covetous“. Gemäss Angaben in vgl. HYDCD 10:109 steht der Begriff sowohl für die Gier nach Geld wie auch für jene nach Macht.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

und beinhalten die drei Sphären,167 die Verwaltungssysteme, die Realien, darin aber vor allem einen Aspekt und einen Bereich (nämlich die Moral). Dies hätte für [alle] Konfuzianer als eine ausgesprochen ausgeglichene Erörterung gelten können, aber wie [Dai] Zhen [seine Schulrichtung] in verzerrter Grösse darstellte, ist das nicht auch absurd?168

Die beiden letzten Abschnitte dieser siebten Kontroverse bestehen wiederum aus einem Angriff Fangs. Nachdem er zuvor schon die Verlässlichkeit der von der hanxue so hoch geschätzten Quellen in Frage stellte, gibt er seiner Kritik hier eine neue Stossrichtung: er stellt die Frage der Sinnfälligkeit. Nachdem Fang bereits zuvor – zu Recht oder zu Unrecht – die Tatsache beklagt hat, dass die Vertreter der hanxue für philosophische Schlüsselbegriffe nur eine Bedeutung gelten lassen wollen, die im Schriftzeichen auch noch graphisch kodiert sein muss, distanziert er sich hier einen weiteren Schritt von der Diskussion einzelner Textstellen oder einzelner Texte. Fang weist darauf hin, dass es sich bei den konfuzianischen Lehren um moraltheoretische Lehren handelt. Die hierbei wichtigen positiven wie negativen Schlüsselbegriffe müssen immer wieder aufs Neue mit Bedeutung versehen werden, um die Begriffe für die jeweilige Gegenwart zu operationalisieren. Begriffe wie „Loyalität“, „Kindespietät“ oder „korrektes Verhalten“ sind Teil der konfuzianischen Geschichte seit Anbeginn. Das Problem mit diesen Begriffen war es stets, die korrekte Anwendung für die jeweilige Gegenwart zu finden. Die hanxue mit ihrem Interesse an der historischen Bedeutung leistet daher nichts für die Umsetzung konfuzianischer Lehren in der Gesellschaft. Vielmehr versteigt sie sich in akademische Diskussionen und versucht, mithilfe historischer Wörterbücher frühe Bedeutungsnuancen zu finden, als ob dies eine Lösung bieten könnte für die Probleme der qingzeitlichen Gesellschaft. Dies wirft Fang seinen Gegnern vor, und zur Verdeutlichung seiner Kritik zitiert er eine lange Reihe konfuzianischer Schlüsselbegriffe, deren Interpretation in den 2300 Jahren von Konfuzius bis Fang immer wieder umstritten war. Die zitierten Begriffe wurden in der Übersetzung angemerkt, einzig das hier als „solches erzwingen“ übersetzte duo si 奪肆 konnte keinem Text zugeordnet werden und kann daher nicht kontextualisiert werden. In dieser grundsätzlichen Kritik, die letztlich auf das Erkenntnisinteresse der hanxue und die Bedeutung der Gelehrsamkeit insgesamt abzielt, äusserst Fang sich lobend über Personen der konfuzianischen Geschichte, die in

167 Der Ausdruck san cai 三才 umfasst die Angelegenheiten von Himmel, Erde und Mensch. Der Begriff geht zurück auf den Zusatztext „shuo gua“ zum Yi Jing und steht als Sammelbegriff für alle Dinge der Welt. 168 Die Frage bu yi miu hu 不亦謬乎 erinnert m.E. bewusst an die drei Fragen zum Schluss des ersten Abschnitts des Lunyu. Es ist eine rhetorische Frage.



Achte Kontroverse: Die Philologie 

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anderen Zusammenhängen durchaus kritisiert werden, wie etwa Yang Xiong. Obschon dieser kein Vertreter der daoxue war und obwohl Han Yu ihn explizit aus der orthodoxen (zhengtong) Tradierung des Rechten Wegs ausgenommen hat, zitiert Fang ihn als gutes Beispiel, denn er ging wenigstens nicht mit den analytischen Mitteln hanzeitlicher und nach-hanzeitlicher Lexikographen vor. Auch zitiert er Dai Zhens Lehrer Jiang Yong mit der Aussage, dass in den klassischen Schriften die gesamte Welt beinhaltet sei, dass es aber ein diese alle durchdringendes Prinzip gäbe, welches die klassischen Schriften zu Ausdruck bringen, nämlich die Moral. Dieses hier Moral genannte Prinzip entspricht der daoxue-Orthodoxie. Wie Fang deutlich macht, sieht er einen direkten und kauslen Konnex zwischen dem Niedergang der daoxue-Gelehrsamkeit und dem des chinesischen Staates und der Gesellschaft. Fang führt leider an keiner Stelle aus, wie dieser Zusammenhang gemeint ist, aber dies ist auch nicht Thema des Werkes. Die vorangegangene Diskussion hat gezeigt, dass die Kontroversen des dritten Kapitels, obwohl sie sich eigentlich mehr um sprachlich-methodische Themen drehen, genauso schwerwiegende staatsphilosophisch-politisch-kosmische Implikationen haben.

Achte Kontroverse: Die Philologie Im Gegensatz zu den vorhergehenden Kontroversen ist das Thema dieser Auseinandersetzung der philologische Umgang mit den Quellen (Fang Dongshu 1998, 324–333). Es geht hier also weniger um die philosophische Auslegung als um die Haltung gegenüber den klassischen Texten. Fang beklagt generell eine zweifelnde bis skeptische Haltung der Gegenseite, die ihr Augenmerk auf die Diskussion philologischer Detailfragen legt, und weniger nach dem da yi, der generellen Bedeutung der Texte fragt. Diese Kontroverse dreht sich für moderne Leserinnern und Leser nicht um die Frage, wie sich Fang als Vertreter der daoxue zu einem historisch-kritischen Ansatz zur Auslegung der konfuzianischen Schriften stellte, denn dass er als apologetisch argumentierender Gelehrter keine Freude an einem historisch-­ kritischen und tendenziell skeptischen Umgang mit den Texten und einer daraus darauf aufbauenden verbindlichen Exegese hatte, versteht sich mittlerweile wohl von selbst. Die Frage ist daher vielmehr, ob es Fang Dongshu gelingt, aufzuzeigen, dass die textkritisch argumentierenden Schulen bewusste Fehlurteile fällen, bzw. mit Vorsatz versuchen, Texte zu verändern, um damit ihre songzeitliche Auslegung irrelevant zu machen. Er diskutiert den Ethos der Gelehrten anhand von Einzelfällen im Umgang mit dem klassischen Erbe.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Aussage Dai Zhens Ein Text, aus dem dieses Zitat im Sinne einer wörtlichen Übernahme stammt, konnte nicht ermitteln werden. Es handelt sich nicht um ein wörtliches Zitat, sondern um eine verkürzte Paraphrase von Positionen, die Dai Zhen geäussert hat. Der Text, auf den diese so paraphrasierte Aussage m.E. zurückgeht, heisst „lun yunshu zhong ziyi da Qin shangshu Hui Tian 論韻書中字義答秦尚書蕙田“ (=> „Antwortschreiben an den Minister Qin Huitian, in dem die Bedeutungsangabe einzelner Schriftzeichen in phonologischen Werken erörtert wird“) (Dai Zhen 1980, 48–50). Dort gibt es zwei Passagen, die den von Fang wiedergegebenen sehr ähnlich sind, wenn er auch deren Reihenfolge vertauscht zu haben scheint. Der eine Satz lautet: „zhuan xie zhi e, hun xiao mo bian 傳寫致譌,溷淆 莫辨“, der zweite, der die Schlussfolgerung einleitet, lautet „guxun yinyun, zi Han yi lai, mo zhi neng kao ye jiu 故訓音韻, 自漢以來, 莫之能考也久。“ Die Tatsache, dass Fang in der Erinnerung das seltenere hun 溷 durch das gewöhnlichere 混 ersetzte, entspricht den auch bei anderen Zitaten beobachteten Freiheiten. Die in der Diskussion erörterten Themen beziehen sich zudem auf das Thema dieses Briefes. 戴氏曰﹕自漢以來,不明故訓、音聲之原,以致古籍傳寫遞譌169,混淆莫辨。 Herr Dai sagte: „Seit der Hanzeit ist der [gemeinsame] Ursprung von alten Wortbedeutungen und Lautungen nicht mehr verstanden worden, so dass schliesslich die alten Schriften bei der Tradierung und [erneuten] Niederschrift leicht verwechselt wurden und Korrumpierungen entstanden. So kam es zu einem Durcheinander [von richtig und falsch], das niemand mehr entwirren konnte.“

Diese Aussage Dai Zhens wird von Fang Dongshu bereits in einer früheren Kontroverse zitiert (vgl. Fang Dongshu 1998, 300). Jene Kontroverse ist gegen Ruan Yuan gerichtet, wie die als Anstoss zitierte Passage deutlich macht. Die Aussage Dai Zhens ist wohl so zu verstehen, dass seit dem Ende der Hanzeit die alten Glossen nicht mehr verstanden werden. Es wäre widersinnig, Dais Aussage als Kritik an der konfuzianischen Schriftgelehrsamkeit seit Beginn der Kaiserzeit zu verstehen. Als Vertreter der hanxue drückte er in vielen Schreiben die Meinung aus, dass seit dem Ende der Hanzeit die philologische Bearbeitung der Klassiker zu wünschen übrig lasse. Der zweite Teil der Äusserung, in dem er die Texttradierung hinterfragt, bezieht sich nach meinem Verständnis ebenfalls erst auf die

169 In der als Grundlage verwendeten Ausgabe Zhu Weizhengs sowie in der Ausgabe von 1868 steht für e das Schriftzeichen 譌. In der Kontrollausgabe in Dai Zhen 1994–97 wird das alternative Schriftzeichen 訛 verwendet.



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Tradierung der Texte ab der Han, und meint nicht die Probleme im Zusammenhang mit der qinzeitlichen Bücherverbrennung und der zu Beginn der Han erfolgten Rekompilation.

Fangs Replik Generelle Diskussion 按﹕ 此說頗誠有之, 而亦不盡然。 蓋聲本於形, 故訓本於音聲。 音聲、 故訓, 其原合 一。 自篆文改隸, 字失其形, 因失其聲。 失其形, 則傳寫遞訛, 混淆莫辨, 而音聲、 故 訓, 隨之以失。 此顧、 江、 段、 孔諸家, 所以必研求古韻, 以復三代之音, 而正漢、 唐 以來諸儒之失, 欲使群經音、 訓得真。 又創為同聲、 同部之說。 又創為《諧聲表》, 又 創為《入聲表》, 韻學之事, 益精益密。 Replik: In diese Aussage gibt es gewisse Aspekte, die einigermassen ernst zu nehmen sind, doch auch diese sind nicht vollständig korrekt. Es ist doch so: Die Lautung [eines Schriftzeichens] hat ihre Grundlage in dessen graphischer Form. Lautung und alte Wortbedeutungen haben einen gemeinsamen Ursprung [in der graphischen Form]. Vom Zeitpunkt an, da die Siegelschrift zur Kanzleischrift abgeändert wurde, schlichen sich in den graphischen Elementen der Schriftzeichen Fehler ein, und somit entstanden Fehler bei der Aussprache. Da ihre graphische Form fehlerhaft geworden war, wurden tradierte Abschriften korrumpiert, so dass niemand dieses Durcheinander mehr entwirren konnte. So haben sich Lautungen und alte Wortbedeutungen entsprechend an [die] fehlerhafte [graphische Form] angepasst. Daher mussten die Herren Gu [Yanwu], Jiang [Yougao], Duan [Yucai] und Kong [Guangsen] unbedingt nach den alten Reimen forschen, um so die Aussprachen der Drei Dynastien zu rekonstruieren, und die Fehler der verschiedenen Konfuzianer seit der Han- und Tangzeit richtig zu stellen. Sie wollten, dass die Aussprachen und Wortbedeutungen der verschiedenen Klassiker wieder wahrhaftig würden. Ausserdem haben sie die Theorien erschaffen, wonach Schriftzeichen mit gleichen Lautträgern auch derselben Reimgruppe zuzuschlagen seien. Zudem haben sie die Xiesheng-Tabelle und die ­Rusheng-Tabelle ­erschaffen.170 Die Angelegenheit der Phonologie wird immer differenzierter, und damit auch immer verwickelter.

Zu Beginn seiner Replik gesteht Fang Dongshu Dai immerhin zu, das Verhältnis von graphischer zu lautlicher Form eines Schriftzeichens richtig darzustellen. Diese Auffassung stellt die graphische Form der Schriftzeichen in den Vordergrund, da diese zunächst eine Kodierung der Bedeutung sei. In einer späteren Phase der Schriftentwicklung sind diesen semantischen Elementen dann Phonetika (phonophorische Elemente, Lautträger) beigefügt worden, welche die Aussprache kodierten. Diese traditionelle chinesische Auffassung, dass die ­Schriftzeichen nicht in

170 Die hier wie Buchtitel markierten Begriffe xiesheng biao 諧聲表 und rusheng biao 入聲表 bilden zwei Kapitel von Jiang Yougaos Yin Xue Shi Shu 音學十書.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

erster Linie den Laut eines Wortes, sondern vielmehr dessen Bedeutung abbilden, geht zurück auf den Mythos der Schrifterfindung, wie er im hanzeitlichen Wörterbuch Shuowen Jiezi, aber auch in anderen, früheren Texten, dargestellt wird. Zudem haben die meisten Schriftzeichen der Klasse der semantisch-phonetischen Komposita ein semantisches Element in sich, welches in der liu shu-Theorie 六書 fälschlicherweise als eigentliche „Wurzel“ des Schriftzeichens ausgewiesen wird (=> „Radikal“), aber eigentlich nur einen groben semantischen Marker darstellt. Im Rahmen der Übersetzung lasse ich mich auf die Argumentation Fangs ein, doch soll hier in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, dass diese Darstellung nicht den Tatsachen entspricht (für eine historische Beurteilung der Funktion der Elemente der chinesischen Schrift vgl. William Boltz 1994 u. 1999). Es gehört ebenfalls zur traditionellen Auffassung, dass mit dem Übergang von der in ihren Formen variableren Siegelschrift (zhuan wen 篆文 oder zhuan shu 篆書) zur stärker standardisierten und graphisch abstrahierten Kanzleischrift (li shu 隸書) in der Qin- und Hanzeit graphische Elemente als Hinweise auf die Bedeutung der Wörter weniger deutlich erkennbar waren. Auch diese Auffassung geht auf das Shuowen Jiezi zurück, in dessen Nachwort der Autor Xu Shen Fälle von sprachlicher Verwirrung zitiert (vgl. Winter 1998, 571–572). Es sind diese Ambiguitäten, die er dort als Motiv für das Abfassen seines Wörterbuches anführt. Tatsächlich ist die Kanzleischrift sehr viel stärker abstrahiert als die Siegelschrift, aber gleichzeitig hat Noël Barnard schon 1978 gezeigt, dass mit der einheitlichen Siegelschrift auch eine phonologische Anpassung an die veränderte Aussprachen der Wörter vollzogen wurde, in dem der sprachliche Wandel der Chunqiu- und Zhanguo-Zeit berücksichtigt wurde (zu den Charakteristika der Schriften und dem Übergang vgl. Qiu Xigui 2000, 103–112, 126–130.). Die Passage „und somit entstanden Fehler bei der Aussprache“ heisst nicht, dass man nicht mehr wusste, wie die Schriftzeichen auszusprechen waren als vielmehr, dass die graphischen Elemente, welche die Phonophorika bilden, verwechselt wurden, wodurch es zu unkorrekten Aussprachen kam. Im zweiten Teil dieses ersten Absatzes kommt Fang dann auf die Phonologie zu sprechen, um die es in dieser ganzen Kontroverse hauptsächlich geht. Dafür zitiert er vier grosse Namen der qingzeitlichen Phonologie, die sich vor allem um die Erforschung der Reime verdient gemacht haben. Aus dem Kontext und den im folgenden zitierten Texten wird deutlich, dass mit „Herr Jiang“ Jiang Yougao 江有誥 (?–1851) gemeint ist und nicht etwa Dai Zhens Lehrer Jiang Yong 江永 (1681–1762). Unerwähnt lässt er Dai Zhen selbst und Qian Daxin, den er aber weiter unten in dieser Kontroverse noch zitieren wird. Die genannten vier Gelehrten haben die Erkenntnisse über die antiken Lesungen entscheidend vorangetrieben, indem sie sich mit der Einteilung der Schriftzeichen (d.h. natürlich deren Lesung) in Reimgruppen beschäftigten. Zu ihren Leistungen im Einzelnen



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vgl. Baxter 1992, 155–166, wo auch Dai Zhens und Chen Dis Beitrag besprochen werden. Für eine ausführlichere Darstellung vgl. hierzu ebenfalls die entsprechenden Kapitel in Wang Li 1992. Mit der Bemerkung zur Theorie, wonach gleiche Lautträger auch derselben Reimklasse zuzurechnen seien, bezieht sich Fang gemäss seinem eigenen Kommentar auf eine Theorie, die er Jiang Yougao zuschreibt („江氏曰: 古人同聲之 字, 必是同部“). Dieser machte Aussagen über die Gesetzmässigkeit der Lautträger oder Phonophorika, d.h. die in semantisch-phonetischen Komposita die Aussprache kodierenden Elemente der Schriftzeichen. Diese bilden sog. xiesheng-Serien oder phonetische Serien, bei denen eine Serie von Schriftzeichen unterschiedliche „Radikale“ aufweisen, aber die jeweils identischen phonophorischen Elemente. Die Theorie besagt nun, dass in der antiken Aussprache alle Schriftzeichen einer solchen phonetischen Serie derselben Reimklasse angehören müssen. Im Ausdruck tong sheng tong bu 同聲同部 steht also sheng nicht für die Aussprache, sondern für das phonophorische Element. Gemäss Baxter 1992, 160 u. 831 reichen die Anfänge dieser Theorie bis in die Song zurück, wo Xu Chan 徐蕆 (?–?; fl. 1167) und Wu Yu 吳棫 (~1100–1154) gewisse Evidenzen aus den xiesheng-Serien zu ziehen versuchten. Aber erst mit Duan Yucai wurde die Beobachtung der phonetischen Serien zu einer Gesetzmässigkeit, die es ihm erlaubte, auch Wörter in seine siebzehn Reimklassen einzuteilen, für die es in der antiken Sprache keinen Reim als Evidenz gibt.171 戴氏所謂, 自漢以來不明者也。 愚按﹕ 古人無韻書, 陸法言始分為二百六部, 雖未若 後人之審, 而實為前此所未有。 自吳才老始求古韻, 而有所改配。 鄭庠則分為六部。 由 是, 陳、 顧、 江、 戴、 段、 孔諸家, 遞有訂正, 皆就陸氏之部而分焉。 江氏有誥, 偁 自周、 沈四聲定而古音失, 法言《切韻》作而古音之部分失。 顧氏以來, 始知離析《唐 韻》以求合古韻。 韻學至今日, 幾於日麗中天“云云。 此說確矣。 但古人無韻書, 安得有 部分。 如謂後人之求聲分部, 較法言更精, 則可; 不得謂法言失古人之部分也。 觀顧、 江、 戴、 段諸家之書, 皆自立部, 而強聲以就我, 不無武斷。 雖曰考之三代, 有韻之 文多合, 然已自不能畫一。 且「六書」之義, 諧聲只屬一事。 許氏五百四十部之文172,

171 Baxter schreibt zu den xiesheng-Serien: „Though the connection between Old Chinese rhyming and xiesheng series had been noticed for some time, it was Duan Yucai who explicitly stated the principle that characters with the same phonetic element must be in the same rhyme group: ‚One phonetic element can harmonize [i.e. serve as phonetic element in] ten thousand characters; but the ten thousand characters must be in the same rhyme group. Characters with the same phonetic element must be in the same rhyme group.‘“ (Baxter 1992, 160–161). Diese Theorie findet sich in Duan Yucais Liu Shu Yinyun Biao zum Schluss der ersten Tabelle (vgl. Duan Yucai 1988, 817). 172 In der als Vorlage verwendeten Ausgabe des Textes hat sich hier ein Fehler eingeschlichen. In Hanxue Shicheng Ji (wai er zhong) 1998, 325 heisst es: „許氏二百四十部之文“. Da es sich beim angesprochenen Werk Xu Shens um das Shuowen Jiezi handelt, das in 540 Radikalgruppen

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固不僅諧聲也。 古人造字, 必先有諧聲之文, 而後有從聲之字。 凡從某得聲者, 從文生 字也。 故諧聲之說, 只可旋於音學審韻分部, 而不可概論文字, 而況可概論以說經乎! Was die Aussage Herrn Dais angeht, dass diese bereits seit der Hanzeit nicht mehr verständlich seien, so stelle ich dazu fest: Die Persönlichkeiten des Altertums hatten keine Reimbücher. [Erst] Lu Fayan schuf [die Aufteilung der Reime] in 206 Gruppen, und obwohl er noch nicht über die detaillierten Kenntnisse späterer Leute verfügte, so tat er tatsächlich etwas, das es zuvor noch nicht gegeben hatte.173 Seitdem Wu Cailao174 damit begonnen hatte, nach den antiken Reimen zu forschen, hat er manches verändert und angepasst.175 Zheng Xiang176 hat [die Reime] in sechs Gruppen eingeteilt. Das erlaubte es den Herren Chen [Di], Gu [Yanwu], Jiang [Yong], Dai [Zhen], Duan [Yucai] und Kong [Guangsen] dann kurz aufeinander [die Reimgruppen] festzulegen und [den Vorgänger] zu verbessern. Alle haben sich dabei nach Herrn Lus Reimgruppen gerichtet und daran weitere Differenzierungen vorgenommen. Herr Jiang Yougao177 sagte: „Seitdem Zhou [Yong] und Shen [Yue]178 die vier Töne festlegten, sind die antiken Aussprachen verloren gegangen, [gleichzeitig mit] dem Verfassen des Qie Yun durch [Lu] Fayan ist auch die Einteilung der antiken Aussprachen [in ­Reimgruppen] verloren gegangen. Erst mit Herrn Gu [Yanwu] hat man angefangen zu

e­ ingeteilt ist, und da zudem in den beiden Kontrollausgaben Fang Dongshu 1868a, 66A und Dai Zhen 1994–1997, 7:314 übereinstimmend wubai anstelle von erbai schreiben, wurde die Vorlage hier entsprechend emendiert. 173 Lu Fayan 陸法言 (562–?) kompilierte zusammen mit anderen (darunter dem bekannten Autoren des Yan Shi Jia Xun 顏氏家訓 und Kommentatoren Yan Zhitui 顏之推 (531–nach 590)) das erste Wörterbuch, welches die Lesungen der Schriftzeichen festhielt, das Werk Qie Yun 切韻 aus dem Jahr 601. Es ist ein Wörterbuch der mittelchinesischen Lautung (zhong gu yun 中古韻) und Lemmata sind darin angeordnet nach den Vier Tönen ping, shang qu und ru und innerhalb der Töne nach Reimgruppen. Pro Tongruppe gibt es um die fünfzig Reimgruppen, was insgesamt die genannten 206 ergibt. (vgl. auch Baxter 1992, 33–40). 174 Wu Cailao 吳才老 ist der Volljährigkeitsname von Wu Yu 吳棫 (~1100–1154), dem songzeitlichen Autor des Yun Bu 韻補 und einem der Pioniere der Erforschung der antiken Phonologie (Baxter 1992, 154). 175 Es gibt hierzu zwei verschiedene Textauffassungen: Während die als Vorlage verwendete Ausgabe den Text wie angegeben zitiert, gibt es bei in den Ausgaben Dai Zhen 1994–1997, 7:314 sowie Fang Dongshu 1868, 3:15b zusätzlich die Negation wei未. Der Text lautet hier: „而未有所 改配“, (=> „Er hat verändert und angepasst, was es zuvor noch nicht gegeben hat“) was keine grosse Differenz bedeutet, denn in jedem Fall wird Wu Yu die Neuerung zugeschrieben. Logisch ist es allerdings problematisch, sich Veränderungen an etwas vorzustellen, das es zuvor noch gar nicht gegeben hat. 176 Über Zheng Xiang 鄭庠 (?–?) aus der Songzeit ist kaum etwas bekannt. Er hat ein Buch verfasst mit dem Titel Gu Yin Bian 古音辨, das nicht überliefert wurde. Er lebte nach Wu Yu, also in der 2. Hälfte des 12. Jh. 177 Jiang Yougao 江有誥 (?–1851) war ein Zeitgenosse Fang Dongshus. Er engagierte sich ebenfalls im Bereich der antiken Phonologie. Er setzte die phonologische Arbeit von Duan Yucai und Wang Niansun fort und erhöhte die Anzahl der Reimgruppen auf 21. Seine Schriften zur Phonologie wurden zusammengefasst als Yin Xue Shi Shu 音學十書. 178 Hierbei handelt es sich um Zhou Yong 周顒 (?–?, fl 479–502) und Shen Yue 沈約 (441–513), denen traditionell die erstmalige Beschreibung der Vier Töne zugeschrieben wird (Baxter 1992, 303).



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verstehen, dass man das Tang Yun analysieren muss, um die antiken Reime zusammenzustellen.179 Für die Phonologie sieht zum momentanen Zeitpunkt eigentlich alles rosig aus.“ Diese Aussage ist zwar korrekt, aber wenn die Persönlichkeiten des Altertums keine Reimbücher verfasst hätten, wie wäre man dann dazu gekommen, eine Einteilung in Reimklassen vorzunehmen? Wenn man behauptet, dass die Erforschung der Aussprachen und die Einteilung in Reimgruppen späterer Personen verglichen mit derjenigen [Lu] Fayans differenzierter ist, so mag das angehen. Dann kann man aber noch nicht behaupten, mit Fayan sei die Reimeinteilung früherer Personen verloren gegangen. Betrachten wir uns die Werke der Herren Gu, Jiang, Dai und Duan, so haben diese alle ihre eigenen Reimklassen eingeteilt und haben die Lautungen einfach ihrem System entsprechend passend gemacht, was auch nicht ohne willkürliche Urteile abgelaufen ist.180 Obwohl sie [alle] sagen, dass wenn man die gereimten Texte der Drei Dynastien rekonstruiert, diese meistens übereinstimmten, so können sie sich doch nicht auf eine einheitliche [Rekonstruktion] einigen. Hinzu kommt, dass in der liu shu-Theorie die semantisch-phonetischen Komposita lediglich eine Gruppe [von sechs] ausmachen. Die Schriftzeichen der 540 Klassenhäupter181 des Herrn Xu bestehen aber bestimmt nicht nur aus semantisch-phonetischen Komposita. Die Art, wie die Menschen im Altertum Schriftzeichen erschufen war so, dass es zuerst ein Schriftzeichen geben musste, mit dem sie dann die Komposita bildeten, die dieses als Lautträger hatten. Denn generell sind die Schriftzeichen, die ihre Aussprache von einem Lautträger haben, solche, die mithilfe eines Simplex-Schriftzeichens ein Kompositum bilden.182 Somit kann man die Theorie der phonetischen Serien nur anwenden, um in der Phonologie die Reime zu untersuchen und sie einzuteilen. Man kann damit aber nicht die Schriftzeichenkunde im Allgemeinen erörtern. Wie erst sollte man denn damit versuchen, allgemeine Aussagen über die Klassiker zu machen!

Der erste Satz dieses Abschnitts wird in der als Vorlage verwendeten Ausgabe als letzter Satz des vorhergehenden Abschnitts dargestellt. In den beiden Kontrollausgaben wird er jeweils als Einleitung dieses zweiten Abschnitts dargestellt,

179 Gu Yanwu und Tang Yun 唐韻: Die vierte der fünf Schriften in Gus Yin Xue Wu Shu 音學五 書 heisst „Tang yun zheng 唐韻正“ in 20 Faszikel. Dieses Werk stellt den umfangreichsten Teil in Gus Werk dar (vgl. Gu Yanwu 1992, 223a–545a). 180 Dieser Satz lautet im Original: „er qiang sheng yi jiu wo, bu wu wuduan 而強聲以就我, 不 無武斷”. Der hierbei verwendete Ausdruck wuduan bedeutet gemäss HYDCD einerseits eine erzwungene Entscheidung, bzw. eine durchgesetzte Entscheidung, steht aber andererseits auch für Objektivität. M.E. ist es aus dem Kontext deutlich, dass Fang hier nicht die Objektivität meint. 181 Der Ausdruck „Klassenhaupt” versucht dem chinesischen Begriff bushou 部首 gerecht zu werden, der eben das erste Schriftzeichen einer Gruppe oder Klasse bezeichnet und nicht einen „Radikal”, also eine semantische „Wurzel“. Heute werden neben der wörtlichen Übersetzung „Klassenhaupt“ linguistische Termini wie „Determinant“ oder „taxonomisch-semantische Marker“ verwendet. 182 Im Shuowen wird bei Schriftzeichen die wichtige Unterscheidung zwischen Simplex (wen 文) und Kompositum (zi 字) vorgenommen. Erstere gehen in der Regel direkt auf eine bildhafte Frühform zurück (z.B. 文), während Letztere als Kombination solcher Simplex-Elemente aufgebaut sind (z.B. 字 als Kombination von 宀 und 子).

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wobei immer vor diesem Satz ein längerer Kommentar Fangs steht. Ich halte diese Aufteilung in Absätze bei Zhu Weizheng für falsch, weil der Satz m.E. eindeutig ein Thema vorgibt, das dadurch aufgenommen wird. Und da Fang in diesem Abschnitt einen Abriss der phonologischen Forschung folgen lässt, scheint mir der thematische Bezug zur Aussage Dais eindeutig. Fang versucht darzulegen, dass es mitnichten so ist, dass seit der Han die Phonologie immer schlechtere Resultate geleistet hat, als vielmehr, dass ihre Forschungserfolge ein zusehends tiefergehendes Verständnis der alten Aussprachen erlaubten. Der folgende Abriss der phonologischen Forschung beginnt mit Lu Fayan und dem Qie Yun. Weitere Stationen der Erforschung der mittelchinesischen Aussprache werden nicht erwähnt, stattdessen geht Fang bald über zur Erforschung der antiken Aussprache, welche die Spezialität der qingzeitlichen Phonologen war. Er erwähnt mit Wu Yu und Zheng Xiang 鄭庠 (?–?, fl. 2. Hälfte 12. Jh.) zwei Wegbereiter sowie mit Chen Di 陳第 (1541–1617 od. 1620) einen direkten Vorgänger der qingzeitlichen Phonologie. Beim Zitat von Jiang Yougao geht es Fang vornehmlich um einen Beleg, dass die Phonologie grosse Forschungserfolge erreicht hat. Dies wird deutlich am Schluss des Zitat, wonach alles zum Besten steht oder rosig aussieht.183 Der folgende Satz ist ein Hinweis darauf, dass es Fang vornehmlich um eine Kritik an den Leistungen der qingzeitlichen Phonologen geht, gegen die er aber nur das schwache Argument der Uneinigkeit vorbringen kann. Damit bezieht er sich auf die Tatsache, dass all die genannten Gelehrten unterschiedliche Vorschläge präsentierten, wie viele Reimgruppen es im antiken Chinesisch gegeben habe, obwohl sie sich alle auf die Daten der gereimten Texte Shi Jing und Chu Ci 楚辭 (sowie gereimte Passagen des Yi Jing und Shang Shu) stützten. Bei seiner Kritik lässt Fang Dongshu natürlich ausser Acht, dass es sich bei der Erforschung der antiken Phonologie um einen Prozess handelte, bei dem jeweils ein Phonologe auf die Vorarbeit seiner Vorgänger aufbaute. Der Prozess war ja auch mit Duan Yucai noch nicht beendet, sondern setzte sich durch die Qing und Republikzeit bis in die Gegenwart hinein fort.

183 Der Originalausdruck für „rosige Aussicht“ lautet ri li zhong tian 日麗中天, und  er bedeutet hier: Die Sonne steht mitten am Himmel. Der Ausdruck stammt aus dem daoistischen divinatorischen Text Ziwei Doushu Lun Ming Yaojue 紫微斗數論命要決. Im dortigen Zusammenhang heisst der Satz, dass die Sonne im Himmelssektor wu steht und der Gesamte Satz lautet: „太陽居午,謂之日麗中天,有專權之貴,敵國之富.“ Dieser Text ist im daoistischen Kanon Dao Zang 道藏 enthalten und es muss unklar bleiben, ob dies als intertextuelle Anspielung gemeint war, denn der Text ist im Vergleich zu den sonst verwendeten unbekannt, es könnte auch eine zufällige Ähnlichkeit in der Formulierung sein.



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Im dritten Teil dieses Absatzes wendet sich Fang m.E. gegen die phonologische Methode an sich, bzw. gegen die Bedeutung, die phonologischen Argumenten im Kontext der hanxue-Argumentation zugemessen wird. Diese Argumente werden von philologischen Kommentaren häufig vorgebracht, um Schriftzeichensubstitutionen begründen zu können. Zahlreiche solche Verbesserungsvorschläge sind aber lediglich der Versuch, die Texte kohärenter zu machen, wie schon Bernard Karlgren in Loan Characters in Pre-Han Texts in vielen Fällen ­illustrierte. Um dieses Vorgehen zu kritisieren, spielt Fang die Bedeutung der Phonologie herunter. Dazu bemüht er die sogenannte liu shu-Theorie 六書. Diese bezeichnet sechs Arten der Verbindung zwischen semantischem Inhalt eines Wortes und dessen graphischer Repräsentation. Der Begriff geht auf die Westliche Hanzeit zurück, wurde aber erst im Shuowen Jiezi erstmals etwas näher beschrieben (vgl. Qiu Xigui 2000, 151–163; Winter 1998, 109–150). Die liu shu-Theorie benennt sechs Arten, wie in Schriftzeichen die Bedeutung des dadurch verschrifteten Wortes oder Aspekte davon repräsentiert sind. Nur bei den semantisch-phonetischen Komposita xiesheng zi 諧聲字 (oder xingsheng zi 形聲字) und den Lautentlehnungzeichen jiajie zi 假借字 spielt die Aussprache des Wortes eine Rolle. Und wie Fang richtig schreibt, sind unter den 540 Grundelementen der chinesischen Schrift, die Xu Shen in seinem Wörterbuch isolierte, so gut wie keine solcher Komposita zu finden. Daher, so der implizierte Schluss Fangs, werde der Phonologie von Seiten der hanxue eine viel zu grosse Bedeutung beigemessen. Tatsächlich machen aber die semantisch-phonetischen Komposita die überwiegende Mehrzahl der chinesischen Schriftzeichen aus. Seit den ersten Schriftdokumenten gibt es diese Klasse, und ihre Bedeutung wuchs mit der Entwicklung der chinesischen Schrift immer mehr an. Im Kangxi Zidian 康熙字典, dem umfangreichsten Wörterbuch der Kaiserzeit von 1716, sind über 95% aller Lemmata solche Komposita. Angesichts dieser Tatsache wirkt das Argument Fangs doch eher konstruiert. Fang versucht unterschiedliche Ansätze, um die philologische Herangehensweise in Frage zu stellen, denn er will belegen, dass nicht die gesamte Bedeutung der Klassiker in den darin enthaltenen Wörtern verborgen liegt, speziell nicht in deren Systembedeutung. Erst eine inhaltlich interpretative Herangehensweise wie sie die daoxue praktiziert, vermag die gesamte Tiefe der Klassiker auszuschöpfen, wie er im Folgenden ausführt. Im folgenden Text ist häufig von Schriftzeichen die Rede, wenn eigentlich Wörter gemeint sind, aber die Trennung zwischen einem Schriftzeichen als der graphischen Repräsentation eines Wortes, vergleichbar der phonetischen Repräsentation durch den Laut war kein gültiges Konzept. Wort und Schriftzeichen bildeten eine Einheit. In der traditionellen Vorstellung gibt es keine Wörter, die nicht auch geschrieben werden können.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

小學之事, 其類有三﹕ 曰形、 曰聲、 曰義。 訓詁經傳, 則主於義理。 雖義理、 訓詁, 有時不出形聲之外, 然經傳既集字成辭, 則文繁字廣, 亦義遂辭成, 固不僅用諧聲之 文, 從聲之字, 足成辭也。 故諧聲之說, 只可專據《詩》、 《易》, 及有韻之文, 而不 可概論一切經文, 而況概以求全經之大義乎! Die philologischen Hilfswissenschaften kümmern sich um drei Aspekte [des geschriebenen Texts], nämlich die graphische Form, die Aussprache und die Bedeutung [der Schriftzeichen/Wörter]. Um aber die Begriffe der Klassiker und Kommentare zu erklären, braucht man hauptsächlich moraltheoretische Interpretationen. Obwohl die Moraltheorie und die Begriffserklärungen manchmal nicht über den Bereich der graphischen Form und der Aussprache hinausgehen, so ist es in den Klassikern und Kommentaren doch so, dass erst die Zusammenstellung von Schriftzeichen Sätze ergibt. Mögen auch die einzelnen Schriftzeichen noch so vielfältig und reichlich vorhanden sein, ihre Bedeutung ergibt sich erst aus der Zusammenstellung zum Satz. Und bestimmt kann man nicht nur phonetische Serien heranziehen und daraus abgeleitete Schriftzeichen, um daraus vollständig [die Bedeutung] ganzer Sätze [abzuleiten]. Denn die Theorie der phonetischen Serien hat nur eine Gültigkeit, wenn man sie spezifisch auf der Grundlage der Lieder, der Wandlungen und der Reimprosa184 verwendet. Damit lassen sich aber keine ganzen Klassikertexte erörtern, geschweige denn, dass man diese einsetzt, um nach der generellen Bedeutung eines gesamten Klassikers zu fragen.

In diesem Abschnitt spricht sich Fang mit deutlichen Worten dafür aus, dass die Philologie eine sinnvolle Methode zur Klärung von Fragen sein kann, die in ihrem Bereich liegen. Das heisst Fragen, welche die Form, Aussprache und Bedeutung eines einzelnen Wortes betreffen. Doch da ein Text mehr ist als die Summe der darin verwendeten Wörter kann man mit philologischen Mitteln nichts Inhaltliches über einen Satz, einen Abschnitt oder einen ganzen Text aussagen. Und wie er im Folgenden ausführt, sind die meisten philologischen Fragen, welche die überlieferten Texte betreffen, seit längerer Zeit gelöst. Mit der Formulierung „Obwohl die Moraltheorie und die Begriffserklärungen manchmal nicht über den Bereich der graphischen Form und der Aussprache hinausgehen“ meint Fang, dass es im Bereich der weitergehenden interpretativen Erklärungen Argumente gibt, die auf philologische Techniken zurückgreifen, und dass daher auch ein moraltheoretischer Ansatz nicht um die philologischen Grundlagen herumkommt. Er betont dann aber, dass der Vorgang, die Bedeutung eines Textes zu erschliessen, damit noch nicht beendet sei. Fang kommt dann erneut auf die xiesheng-Serien zu sprechen. Diese hält er offensichtlich für ein taugliches Mittel der phonologischen Rekonstruktion,

184 Der Begriff „Reimprosa“ wurde als Übersetzung von you yun zhi wen 有韻之文 gewählt. Gemeint sind damit vor allem die Rhapsodien (fu), aber auch die aus den Chu Ci stammenden sao-Lieder, die im hanzeitlichen bibliographischen Katalog gemeinsam unter der Kategorie fu aufgeführt sind (vgl. Nienhauser 1986, 388–389; Ban Gu 1962, 6:1747–1748).



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wirft aber der hanxue vor, damit Texte vollständig und auch inhaltlich erklären zu wollen, was wohl eine Überzeichnung ist. Fang versucht so, die phonologische Rekonstruktion als eine blosse Hilfstechnik zur Lektüre von Texten zu ­charakterisieren. Dabei lässt er bewusst die phonologische begründete Emendation von Texten unberücksichtigt. 六籍故訓, 自漢、 晉以來, 已得八九。 陸氏釋文, 每經注家之後, 又特載為音諸家。 是 漢魏、 六朝以來, 諸儒之於音義, 亦大略得之。 若夫宏綱巨義, 平心而論, 宋儒所得實 多。 故凡以音韻、 小學, 糾說經之失, 不過什一之於仟百, 而不可概詆漢唐以來儒者, 而況宋儒所發微文奧旨、 昭炳光明者乎! Die alten Worterklärungen zu den sechs alten Schriften [d.h. den Sechs Klassikern] haben bereits von der Han- und Jinzeit an [eine verbindliche Erklärung von] acht bis neun Zehntel [aller Textstellen] erreicht. Herr Lu [Deming] hat im [Jing Dian] Shi Wen nach den Anmerkungen der Kommentatoren zu jedem Klassiker auch noch eigens die phonologischen Angaben aller Experten dazu festgehalten. Diese bestehen aus dem, was die Konfuzianer seit der Han, der Wei, und den Sechs Dynastien in ihren yinyi-Kommentaren [festhielten], und auch hier haben sie es im grossen Ganzen richtig erfasst. Wenn es um die hauptsächlichen Aussagen und die wichtigsten Inhalte [der Klassiker] geht, so haben – wenn man es neutral erörtert – die songzeitlichen Konfuzianer wirklich vieles richtig verstanden. Daher [muss man sagen:] generell erreicht man mit der Phonologie und den philologischen Hilfswissenschaften bei der Korrektur von Fehlern in den Erklärungen der Klassiker nicht mehr als im zehnten Teil des einhundertsten Teils von Eintausend [aller Fälle]. Ganz sicher kann man auf dieser Basis nicht global alle Konfuzianer seit der Hanund Tangzeit verunglimpfen, geschweige denn die von den songzeitlichen Konfuzianern aufgezeigten verborgenen Lehren subtiler Texte. Das wäre ja, wie zu versuchen, mit einer Fackel das gleissende Tageslicht zu erhellen.

Lu Deming 陸德明 (~550–~630) ist der Volljährigkeitsname eines tangzeitlichen Gelehrten, der ein Werk mit dem Titel Jingdian Shiwen 經典釋文 zusammengestellt hat. Dieses bildet eine einzigartige Sammlung vortangzeitlicher philologischer Glossen zu den Neun Klassikern der Tangzeit, sowie zu Lunyu, Xiao Jing, Laozi, Zhuangzi und Er Ya. Mehr noch als Textemendationen oder Schreibvarianten werden Lesungen angemerkt: Zu jedem Schriftzeichen gab Lu eine Leseangabe nach der fanqie-Methode. Viele dieser Lautglossen waren allerdings nicht seine eigenen, sondern stellen Übernahmen älterer, grösstenteils nicht überlieferter Kommentare dar (vgl. Lu Deming 1985; Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 850). Ein in der Zeit zwischen Han und Tang populärer Kommentartyp war der sog. yinyi-Kommentar 音義, in dem einerseits die Aussprache von Schriftzeichen angemerkt wurde, andererseits auch eine Verbindung zwischen bedeutungsähnlichen Wörtern aufgrund ähnlicher Aussprachen hergestellt wurde. Daher argumentiert Fang, dass die philologische Aufarbeitung der Texte bereits weitgehend abgeschlossen sei, und dass es somit keinen Grund gäbe, diese erneut zu leisten, denn die grossen textlichen Fragen sind alle bereits seit

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Jahrhunderten gelöst. Es gibt zwei mögliche Erklärungen, welches Argument Fang Dongshu mit dem Hinweis auf Lu zu machen versucht: Zum einen könnte er mit Lu, einem von der kaozhengxue geachteten Gelehrten, versuchen, Dais Argument zu widerlegen, dass die alten Glossen seit dem Ende der Han nicht mehr verständlich seien; zum anderen kann es als Beleg seiner Behauptung verstanden werden, die philologische Aufbereitung der klassischen Texte sei weitgehend abgeschlossen. In der danach folgenden Attacke gegen die hanxue verwendet Fang einen Ausdruck zur Bezifferung des Beitrags der Philologie zum Textverständnis der Klassiker. Dieser lautet: „bu guo shi yi zhi yu qian bai 不過什一之於仟百“. Ich verstehe das als den zehnten Teil des einhundertsten Teil von Tausend, mathematisch gesprochen also den zehnten Teil des zehnten Teils, mithin ein Prozent. Es geht freilich nur um das sprachliche Bild eines verschwindend kleinen Teils. Erneut gibt Fang hier seiner Überzeugung Ausdruck, wonach die rein philologische Herangehensweise an einen Text ein untaugliches Mittel sei, um die Feinheiten und verborgenen Bezüge der Texte deutlich zu machen. Er vergleicht den Versuch, mit philologischen Mitteln die daoxue-Interpretation eines Textes zu verbessern mit jemandem, der mit einer Fackel versucht, das helle Tageslicht noch heller zu machen. Gleichzeitig vergleicht er damit implizit die hanxue mit einer Fackel, die daoxue aber mit der Sonne. 段氏於《說文》之學, 可謂集大成矣。 而其言曰﹕「經之所蘊深也, 韻其一端耳。」 斯 為篤論矣。 六籍185 遭秦火之後, 出有後先, 音有楚夏, 師承不同, 文字互異, 又加以 蘭台漆書之改, 鄉壁虛造之謬, 如許慎、 荀悅所論云云, 實不盡關訓詁、 音聲不明之 故。 自叔重作《說文》, 伯喈定石經, 而文字形聲, 既已一正矣。 Die Gelehrsamkeit des Herrn Duan [Yucai] zum Shuowen kann man als wirklich grosse Errungenschaft bezeichnen. Er schrieb dazu: „Dasjenige, was ganz tief und verborgen in den Klassikern liegt, dazu bietet die Phonologie einen Zugang“. Dies zeugt von wirklich durchdringender Gelehrsamkeit. Nachdem die sechs Alten Schriften die Feuer der Qin erlitten hatten, [waren sie in folgendem Zustand:] Sie traten mit unterschiedlicher Kapitelabfolge auf, die Lesungen waren teils südlich, teils nördlich (Chu und Xia), die Lehrtraditionen waren uneinheitlich, Schriftzeichen waren vertauscht. Und dann kamen noch hinzu: die ­Änderungen der kaiserlichen Bibliothekare an den Schrifttafeln und das Durcheinander um die gefälschten Bücher aus dem Loch in der Wand186, das schon Xu Shen und Xun

185 In der Ausgabe Fang Dongshu 1868, sowie Dai Zhen 1994–1997 steht anstelle von liu ji 六籍 liu jing 經. In der Ausgabe Zhu Weizhengs wurde dies geändert und angemerkt, ohne Gründe für die Textsubstitution zu geben. Als Grund ist wohl die im letzten Abschnitt bereits verwendete Formulierung liu ji zu sehen. Da es inhaltlich keinen Unterschied macht, behalte ich die Veränderung bei. 186 Der Ausdruck xiang bi xu zao 鄉壁虛造 geht zurück auf das Nachwort des Shuowen, wo sich Xu über die Verwirrung der Überlieferung der Klassiker beklagt (Duan Yucai 1988, 762b; Winter 1998, 571).



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Yue187 erwähnt hatten, usw. Doch damit sind die Gründe noch nicht vollständig aufgeführt, wieso alte Wortbedeutungen und Lautungen nicht mehr verstanden wurden. [Denn bereits] seitdem [Xu] Shuzhong das Shuowen verfasst und [Cai] Bojie188 die Steinklassiker festgelegt hat, sind die graphische Form und die Lesung der Schriftzeichen vereinheitlicht und ­korrigiert.

Fang äussert sich hier anscheinend zu Duan Yucais herausragendem Kommentar Shuowen Jiezi Zhu zum hanzeitlichen Wörterbuch Xu Shens, allerdings gibt es dort keinen Begleittext, aus dem das Zitat stammen könnte. Der Text, aus dem Fang hier zitiert, liess sich in den erklärenden Teilen der Liu Shu Yinyun Biao 六書音韻表 (Sechs tabellarische Schriften zur Phonologie) ebenfalls nicht finden. Duans Kommentar weist unzählige Stellen auf, in denen ein Schriftzeichen gegen ein anderes ausgetauscht wird, das älter ist, und welches irgendwann durch das jüngere verdrängt wurde. Er ist also kompromisslos philologisch, geht aber äusserst behutsam vor, wenn es um Verbesserungen am Text im Stile eines grösseren redaktionellen Eingriffes geht. Zudem gibt es keinen daoxueKommentar zum Shuowen, daher kontrastiert Duans Kommentar keine songzeitlichen Textauffassungen und Interpretationen. Dies ist die Art, wie Fang sich die Textkritik wünscht: interessiert an sauberen und bereinigten Texten, aber ohne Anspruch, die inhaltliche Interpretation zu verändern. Gleichzeitig gesteht er auch die Notwendigkeit zur Verbesserung der textlichen Grundlagen zu, wie er durch die Aufzählung der den Texten zugefügten „Gräuel“ der Qinzeit deutlich macht. Mit dem Ende der Hanzeit – und der Redaktion der hanzeitlichen Steinstelen, in welche die Klassikertexte gehauen wurden – ist gemäss Fang der Prozess der Wiederherstellung aber abgeschlossen. Indem er Duan Yucai mit dieser Aussage zitiert, der sich in der Lehrtradition Dai Zhens sah, kann er erneut die Parteilichkeit von Dais Aussage aufzeigen und ihm als „Kronzeugen“ seinen Schüler entgegenhalten. Duans Aussage entspricht insofern Fangs Haltung, als daraus hervorgeht, dass die meisten textlichen Probleme seit dem Ende der Han beigelegt sind.

187 Xun Yue 荀悅 (148–209) war ein hanzeitlicher Gelehrter, der die Werke Shen Jian 申鑒 und Qian Han Ji 前漢紀 (auch bloss Han Ji genannt), Chong De 崇德 und Zheng Lun 正論 verfasste. Als 12-jähriger erklärte er bereits das Chunqiu. In der untergehenden Hanzeit war er Bibliothekar in der Hauptstadt, zur Zeit Han Lingdis zog er sich unter dem Vorwand einer Krankheit in die Einsiedelei zurück. Er verfasste die Werke Shen Jian 申鑒,. (vgl. Twitchett & Loewe 1986, 804–806). 188 Cai Bojie 蔡伯喈 ist der Erwachsenenname von Cai Yong 蔡邕 (133–192), der gemeinsam mit Tang Xidian 堂溪典 (?–?) die Texte für die hanzeitlichen Steinklassiker redigierte (Twitchett u. Loewe 1986, 340).

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江氏有誥, 論段氏《諧聲表》曰﹕「今人通音學已鮮 [尟], 再作《說文》字體, 愈令人 難讀, 故不得不從隸。 惟《諧聲表》, 既專就《說文》論文, 則不得不遵《說文》點 畫。」 然則, 諸家之講形聲、 音韻雖精, 固不能出叔重之範圍, 而叔重非漢人乎? 何 以謂之自漢以來, 不明故訓音聲之原也? 漢儒說經, 往往膠執故訓, 而乖義理, 不可勝 舉其失, 不止不明音聲。 而漢學諸人, 輒矜其音學一得, 欲張其門戶, 言之愈精, 愈 不可奪。 世俗學者茫昧, 鮮189明其說, 則聽其高談, 震讋而不敢出聲。 若窮極本末, 辨析由來, 則知聲韻一事, 只屬偏端單義, 而非全經閎旨得失所繫, 盡在於此學也。 Herr Jiang Yougao meinte, als er Herrn Duans Xiesheng-Tabelle erörterte: „Heutzutage gibt es nur noch sehr wenige, die sich in der Phonologie auskennen. Werden dann auch noch die Schriftzeichen so geschrieben, wie sie im Shuowen stehen, so macht es dies den Menschen sehr schwer, sie zu lesen, und daher kommen sie nicht umhin, sich [nur] an der Kanzleischrift zu orientieren. Nun orientiert sich die Xiesheng-Tabelle aber ausschliesslich am Shuowen, und folgt daher unbedingt jedem Strich und Punkt der dort verwendeten Schriftart.“ Wenn das so ist, so können all diese Spezialisten über graphische Form und Aussprache [eines Schriftzeichens] sprechen, mögen sie auch in ihrem phonologischen Wissen höchst differenziert sein, doch nie über die von [Xu] Shuzhong vorgegebenen Grenzen hinauskommen. War [Xu] Shuzhong etwa keine Person der Hanzeit? Weshalb sagte [Dai Zhen] dann, seit der Hanzeit wären der [gemeinsame] Ursprung von alten Wortbedeutungen und Lautungen nicht mehr verstanden worden? Die Art, wie die hanzeitlichen Konfuzianer die Klassiker erklärten, da hielten sie sich ausschliesslich an die alten Worterklärungen und unterschlugen jegliche moraltheoretische Interpretation. Man kann gar nicht genug auf ihre Fehler hinweisen, die sich nicht darauf beschränken, dass sie nicht einmal die Phonologie verstanden haben.190 Aber alle Vertreter der hanxue werden überheblich aufgrund ihrer einen Errungenschaft der Phonologie, weil sie dadurch ihre eigene Schule grösser erscheinen zu lassen glauben. Je differenzierter sie darüber sprechen, desto weniger sind sie zu packen. [Dadurch] werden die simplen Gelehrten der Welt verblendet und verwirrt, und wenn sie auch selten deren Theorien verstehen, so lauschen sie doch deren hochtrabendem Gerede (gao tan 高談). Sie sind wie vom Donner gerührt, und trauen sich nicht, einen Laut von sich zu geben. Doch wenn man bis zum Äussersten Ursache und Wirkung (benmo 本末) ergründet, und die Ursprünge erörtert und analysiert, dann erkennt man, dass die eine Sache der Anlaute und Reime nur ein einzelner Aspekt einer Facette der Bedeutung beleuchtet, und dass es eben nicht so ist, dass man mit dieser einen Lehre vollständig die ganze Komplexität der Errungenschaft und Fehler der wichtigen Aussagen der Klassiker erfassen könnte.

Fangs Kritik richtet sich gegen die phonologische Forschungsmethodik. Die Erforschung der Phonologie geht stets vom Schriftbild aus. Da aber die

189 In den Kontrollausgaben des Textes wird anstelle des bekannteren xian 鮮 eine seltenere Schreibvariante verwendet: 尟. 190 M.E. gründet dieser Vorwurf Fangs auf der Tatsache, dass die Reimwörterbücher erst in der Wei-Jin-Zeit aufkamen. In der Hanzeit gab es natürlich Ansätze einer Phonologie, indem etwa im Shuowen Leseangaben zu finden sind (sog. du ruo 讀若) und indem auch im Maos Kommentar zum Shi Jing bereits Angaben zur Lesung zu finden sind, aber diese haben noch nicht die Systematik der Angaben im Qie Yun. Insgesamt gibt es in dieser Kontroverse genügend Hinweise darauf, dass die hanzeitliche Phonologie der späteren unterlegen war.



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­ chriftformen gezwungenermassen immer nur bis zu Xu Shen zurückgingen, S gab es in der Qing keine phonologische Forschung, die auf frühere Schriftformen zurückgreifen konnte als diejenigen, welche im Shuowen überliefert wurden. Der Bestand an früheren Handschriften und originalen Bronzeinschriften war beschränkt und oft von unsicherer Authentizität, und die Skapula- und Plastroneninschriften der shangzeitlichen Orakel waren als frühe Schriftdokumente noch gänzlich unbekannt. Daher erschien das Werk Xu Shens durch die gesamte Kaiserzeit hindurch als die zentrale und verlässliche Quelle für frühe Schriftformen, in denen die einzelnen graphischen Elemente noch besser erkennbar waren als in der stärker abstrahierten Kanzleischrift. Somit baute die ganze Forschung in diesem Bereich auf einer hanzeitlichen Quelle auf, und erreichte damit erstaunliche Ergebnisse. Diese Tatsachen stellt Fang Dais Aussage gegenüber, dass nur die hanzeitlichen Anstrengungen in diesem Bereich Gültigkeit besässen. Fang versucht also Dai einen Widerspruch nachzuweisen. Dass die Anhänger der hanxue trotzdem wichtige Aussagen über die Schriften auf phonologischen Argumenten aufbauen, interpretiert Fang als Überheblichkeit. Sie argumentieren ihm zufolge auf der Basis einer nicht ganz durchsichtigen und verlässlichen Technik, deren Grundlagen sogar Dai selbst in Zweifel zieht, und verblüffen damit geringere Gelehrte als Fang selbst, weil diese das nicht durchschauen. Er verwendet hierfür n.b. den Ausdruck gao tan, der zuvor von seinen Gegnern zur Verunglimpfung der moraltheoretischen Interpretation herangezogen wurde. Zum Schluss des Abschnitts versucht er dann, die Leistung der Phonologie in die Perspektive der gesamten inhaltlichen Interpretation der Klassiker zu setzen. Hierbei bildet diese freilich nur einen kleinen Teil, wie Fang bemerkt, eine Hilfswissenschaft, als die er ja die gesamten philologischen Disziplinen verstanden haben will. 但就音學而論, 則近世諸家所得, 實為先儒所未逮。 故今撮錄諸家要論於左, 方俾學者略 明其端緒, 因是而求五家之書之全, 固談經者所不可關之功也。 Wenn man sich aber auf die Diskussion der Phonologie beschränkt, so haben die Gelehrten der jüngsten Zeit tatsächlich etwas erreicht, was frühere Konfuzianer noch nicht geschafft hatten. Wenn man daher die wichtigsten Diskussionen der Gelehrten zusammenfasst und auf eine Seite stellt, und wenn die gemeinen Gelehrten auch nur einen oberflächlichen Eindruck davon gewinnen, und sie danach dann die Bücher der Fünf Meister [d.h. die Fünf Klassiker] in ihrer Gesamtheit zu verstehen suchen, so ist [die Phonologie] bestimmt eine nicht von der Hand zu weisende Errungenschaft für das Erörtern der Klassiker.

In dieser abschliessenden Einschätzung der Phonologie zollt Fang ihr den nötigen Respekt als eine der herausragenden Leistungen der qingzeitlichen Klassikerwissenschaft. Die Phonologie war in der Lage, die Reime in antiken Texten besser zu bestimmen, in den Kommentaren bewusst veränderte Lesungen zur

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Erreichung eines Reims (xie yun 叶韻 oder 協韻) zu isolieren und gegen diese falschen Lesungen zu argumentieren. All diese Errungenschaften gesteht Fang der Phonologie zu. Einzig die Korrektur von xie yun-Reimen in Zhu Xis Shi JingKommentar wird ihn gestört haben. Zum Schluss mahnt Fang dennoch an, dass die Phonologie nur einen kleinen Aspekt darstellt im Bemühen, die Klassiker zu verstehen. Und „gemeine“ Gelehrte seien stark gefährdet, diesen Teilansatz für die zentrale Technik zu halten. Vor allem mahnt Fang die Gefahr an, über die philologische Beschäftigung mit den Texten die wirklich zentralen Punkte zu vergessen: den moraltheoretischen Gehalt der Schriften, welche ein philologischer Kommentar naturgemäss nicht berücksichtigt.

Belege durch Zitate von kaozheng-Gelehrten Gu Yanwu Die als Vorlage verwendet Ausgabe Fang Dongshu 1998, 317 sowie die Ausgabe Dai Zhen 1994–1997, 316 fahren im Text normal weiter. Die Ausgabe Fang Dongshu 1868, drittes Faszikel, 17B aber setzt von hier an den weiteren Text dieser Kontroverse eine Reihe tiefer, so dass zum oberen Rand der Seite nunmehr zwei Typen Distanz gelassen werden. Die Bedeutung dieser drucktechnischen Unterscheidung ist unklar. Es ist allerdings festzustellen, dass von nun an eine lange Reihe von Zitaten anderer Texte folgt, die Fang erst ganz zum Schluss mit einer eigenen Bemerkung abschliesst. Es erscheint mir daher sinnvoll, die in diesem Teil der Kontroverse zitierten Texte als Belege für Fangs obige Aussagen aufzufassen. Fang zitiert dabei die Grössen der textkritischen Forschung, nämlich Gu Yanwu, Qian Daxin und sogar Dai Zhen selbst, den er offenbar mit einem widersprüchlichen Zitat zur eingangs zitierten Aussage ad absurdum zu führen hofft. 顧亭林《音學五書》敘: 「記曰﹕聲成文謂之音。 夫有文斯有音, 比音而為《詩》, 《詩》成然後被之《樂》, 此音出於天, 而非人之所能為也。 三代之時, 其文皆本於『 六書』, 其人皆出於族黨庠序, 其性皆馴化於中和。 而發之為音, 無不協於正。 然而《 周禮》『大行人』之職。 九歲屬瞽史論書名, 聽聲音, 所以一道德而同風俗者, 又不敢 略也。 是以《詩》三百五篇, 上自《商頌》下逮陳靈, 以十五國之遠, 千數百年之久, 而其音未嘗有異; 帝舜之歌, 皋陶之賡, 箕子之陳, 文王、 周公之繫, 無弗同者。 故 三百五篇, 古人之音書也。 Das Vorwort von Gu Tinglin zu den Fünf Schriften zur Phonologie lautet:191 „Im Liji heisst es: ‚Wenn Laut durch ein Schriftzeichen vervollständigt wird, nennt man das eine

191 Fünf Schriften zur Phonologie: Es folgt ein längeres Zitat aus Gu Yanwus Yin Xue Wu Shu 音學 五書. Vgl. Gu Yanwu 1982, 2–3. Die beiden Texte weisen kleinere Unterschiede in der Schreibweise



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Lautung‘.192 Das heisst, dass es ein Schriftzeichen gibt, und davon gibt es eine Lautung. Indem man solche Lautungen paarweise [d.h. als Reime] zusammengestellt hat, wurden die Lieder erschaffen. Nachdem die Lieder erschaffen waren, wurden diese mit der Musik zusammengebracht. Somit kamen die Töne193 von der Natur, und sie sind nicht etwas, was Menschen selbst hervorzubringen in der Lage waren. Zur Zeit der Drei Dynastien basierten die Schriftzeichen alle auf den liu shu, die Menschen kamen alle aus Klanverbänden und ­örtlichen Schulen und ihre angeborene Natur wurde durch Kultivierung verändert und so ausgewogen und harmonisch. Wenn sie einen Ton hervorbrachten, so gab es nichts daran, was nicht mit dem Korrekten harmonisiert worden wäre. Als im Zhou Li die Aufgaben des ‚da xing ren‘ beschrieben wurden, [hiess es daher], dass alle neun Jahre die Blinden und die Schreiber zusammengerufen werden, um die Schrift und [ihre] Bezeichnungen zu erörtern, und um die Aussprachen zu hören.194 Dies geschah, damit der Rechte Weg und die Tugend vereinheitlicht, und die Gebräuche in Übereinstimmung gebracht wurden, so dass niemand es wagen würde, diese zu beschneiden. Daher: Mögen sich die 305 Lieder des Shi Jing von den ‚Preisliedern der Shang‘ bis zum [Lied über den] Ling-[Herzog] von Chen195 auch über die Distanz von 15 Lehnstaaten und über den Zeitraum von eintausend und mehreren hundert Jahren erstrecken, die Lautungen weisen darin doch keinen Unterschied auf. Das Lied Kaiser Shuns, dessen Fortsetzung durch Gao Yao, die Feststellung des zi von Qi, die Verbindungen des Wen-Königs und des Herzogs von Zhou, bei all diesen gibt es nichts, was nicht gleichartig wäre. Somit waren die 305 Lieder die Reimwerke (yinshu 音書) der Leute des Altertums.

Der hier und im Folgenden zitierte Text aus Gu Yanwus Vorwort zu Yinxue Wu Shu lässt sich in drei Abschnitte gliedern, entsprechend der antiken, ­mittelalterlichen

auf. Vgl. auch die annotierte Ausgabe in Liu Jiuzhou 2000, 89–96. Der Beginn des Zitates wurde in der Ausgabe von Zhu Weizheng falsch interpungiert, denn der Text Gus beginnt mit „ji yue“. 192 Das Zitat entstammt dem Anfang des Kapitels „yue ji“ des Liji. Die Übersetzung wurde der folgenden Aussage Fangs angepasst. Wilhelm 1981, 72 übersetzt ihn als: „Der Laut, der nach dem Gesetz der Form gestaltet ist, heisst Ton“. Legge übersetzt den Satz: „… and when those sounds are combined so as to form compositions, we have what are called airs.“ (Legge 1885 2:93). 193 Für Töne wird hier derselbe chinesische Begriff yin gewählt, der oben mit „Lautung“ übersetzt wurde. Es handelt sich hier um ein Wortspiel, da die Töne der Musik ebenso yin heissen. Gu spielt mit der Tatsache, dass die Töne in der Musik und die Lautungen, also die Aussprachen schriftlicher Zeichen beide als yin bezeichnet werden. 194 Im Abschnitt „da xing ren 大行人“ des Zhou Li heisst es: „九歲屬瞽史諭書名聽聲音“ (Ruan Yuan 1980, 892c). Édouard Biot übersetzt: „La neuvième année, on réunit les aveugles ou musiciens, et les annalistes. Ils comparent les caractères de l’écriture, ils déterminent les sons de la prononciation.“ (Biot 1851, 2:407). 195 Chen Ling Gong 陳靈公 (612–598 v. Chr.) war ein Fürst von Chen im Range eines Hou 侯, der ermordet wurde. Sein Tod wird geschildert im Zuo Zhuan “xuan gong 10.3“ (Legge 1991, Vol. V 308). Das Gedicht „zhu lin 株林“ (Mao Nr. 144) des Shi Jing bezieht sich gemäss Vorrede zum Lied auf dieses Ereignis aus dem Jahr 598 v. Chr. (Ruan Yuan 1980, 378c; Legge 1991, Vol IV 213). Da dies das jüngste eindeutig zugeordnete Ereignis des Shi Jing darstellt, hat Gu Yanwu (wie vor ihm bestimmt schon andere) es als Endpunkt der vom Shi Jing abgedeckten Zeitspanne gewählt.

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und modernen Phonologie. In diesem ersten Teil geht es Gu darum, zu verdeutlichen, dass es schon immer Reimwerke gegeben hat, das mithin die Phonologie schon immer ein Beschäftigungsfeld der Schriftgelehrten war. Damit etabliert er die Bedeutung der Phonologie für die Sprache, die ja aufgrund der speziellen Natur der chinesischen Schrift nicht so offensichtlich im Vordergrund der Aufmerksamkeit steht. Gleichzeitig macht er klar, dass die Beschäftigung mit der Phonologie des Mittelchinesischen, wie sie aufgrund der schriftlichen Quellen betrieben wurde, unzureichend ist. Für Gu musste man in der Phonologie – ebenso wie in der Schriftkunde – so weit als möglich bis zu den Anfängen zurückgehen. Vor seine Beschreibung der Phonologie der Antike stellt Gu ein Zitat aus dem Kapitel „yue ji“ des Liji. Der Satz sheng cheng wen wei zhi yin 聲成文謂之音 findet sich aber gleichzeitig auch in der Vorrede zum ersten Teil des Shi Jing „zhou nan“ (Ruan Yuan 1980, 270a). Es gibt hier eine entscheidende Doppeldeutigkeit, nach der wen einerseits die Schrift bezeichnet, andererseits auch die chinesische Kultur als Ganzes. Der folgende Satz fu you wen si you yin 夫有文斯有音,196 oben übersetzt als „Das heisst, dass es ein Schriftzeichen gibt, und davon gibt es eine Lautung“ lässt sich in einer Doppelbedeutung ebenso verstehen als „Denn wenn es die Kultur gibt, so wird sie auch einen lautlichen Ausdruck finden“, d.h. sie wird sich eine Stimme verschaffen. Der Satz macht in diesem Verständnis deutlich, dass für Gu die Erforschung der antiken Phonologie ein Dienst an der Kultur ist. Die Kette kultureller Errungenschaften stellt sich also dar als: Schrift – Laut – Reim – Musik. Diese Argumentation wird anscheinend gestützt durch die Tatsache, dass das Shi Jing seit jeher als eines der ältesten Werke galt, während das musikbezogene Werk Yue Jing 樂經 jüngeren Datums war. Im ersten Abschnitt argumentiert Gu Yanwu, dass die Phonologie der antiken Sprache der natürlichen Grundlage entsprach und damit grundsätzlich korrekt sein muss. Damit entsprachen die Laute der Menschen ebenso der natürlichen Ordnung wie die Schriftzeichen und die Sozialstruktur, die alle als paradiesisch beschrieben werden. Der in diesem Zusammenhang verwendete Ausdruck zhonghe 中和 impliziert genau diese Verbundenheit mit der natürlichen Ordnung. Diese Aussage Gus ist insofern äusserst wertvoll, als sie Zeugnis darüber ablegt, dass im 17. Jh. offenbar noch die Meinung herrschte, die Entwicklung der Sprache

196 si wen: Die durch die bekannte Untersuchung Bols This Culture of Ours bekannte Formulierung si wen 斯文 wird hier zu wen si 文斯 umgedreht. Hier ist si lediglich eine konditionale Konjunktion zur Einleitung der Apodosis (Dobson 1976, 691). Trotzdem ist die Verwendung von wen und si gleich hintereinander auffällig und daher m.E. als Anspielung zu verstehen.



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durch die Jahrhunderte sei eine Verschlechterung. Der phonologische Wandel wird also nicht nur deskriptiv als eine Veränderung dargestellt, sondern er wird kritisch als Entfernung von einem sprachlichen Ideal betrachtet. Hierbei ist es wichtig, festzustellen, dass Gu den Einfluss der Bildung und Kultivierung betont, was seine Darstellung der Urgeschichte von einer daoistischen unterscheidet. Gemäss der konfuzianischen Auffassung sind Menschen auch in dieser „Urgesellschaft“ nicht von Natur aus harmonisch, sondern erlangen diese Ausgeglichenheit durch Erziehung. Als zweiten Beleg für die Präzision der antiken Aussprachen, bzw. für die ihnen zugemessene Bedeutung zitiert Gu Yanwu das Zhou Li mit einer bemerkenswerten Begebenheit. Demnach wurden die Schreiber als die Beherrscher der Schrift mit den Blinden zusammengebracht, welche die Herren der Töne waren. Mit den „Blinden“ sind wohl die blinden Hofmusiker gemeint, von denen manche als „Musikmeister“ gleich wie Geschichtsschreiber Beamte an Fürstenhöfen waren. Wie genau deren Zusammenarbeit vor sich ging, ist unklar, aber sie diente dazu, die Einheit von Gesprochenem und Geschriebenem zu gewährleisten. Indem Gu auf diese Textstelle anspielt, versucht er auszudrücken, wie wichtig auch die gesprochene Sprache war, und wie sehr die Übereinstimmung von gesprochener und geschriebener Sprache betont wurde. Indem die so verlaufende immer wiederkehrende Überprüfung der Lautungen eine von der Politik sanktionierte und von den Riten geforderte Tat war, erhält die Sprache den Stellenwert eines Politikums. Die Erforschung der antiken Phonologie durch Gu Yanwu war somit ebenfalls mehr als nur ein wissenschaftlicher Selbstzweck: Sie war der Versuch, Aspekte der perfekten Gesellschaft des frühen Altertums wieder zu erwecken. Dies vor dem Hintergrund, dass sich die Lesung der phonophorischen Elemente von Schriftzeichen von deren Aussprache unterscheiden. Diese Ungenauigkeit ist auf phonologischen Wandel zurückzuführen. Durch den Hinweis auf die Einheitlichkeit betont Gu zugleich die Sinnfälligkeit der phonologischen Erforschung antiker Aussprachen, wie er sie betrieb. Zum Schluss des Abschnittes erwähnt Gu dann die Einheitlichkeit der Lieder des Altertums in Bezug auf ihre phonologischen Eigenschaften. Die Beschreibung des Shi Jing bei Baxter 1992, 355–366 macht deutlich, dass die orale Überlieferungstradition des Werkes dazu geführt hat, dass Wörter entsprechend der Aussprache angepasst wurden. Entweder wurden die Reime angepasst oder die Schriftzeichen ersetzt, wobei aus dem Vergleich zwischen dem textus receptus und archäologisch gefundenen schriftlichen Quellen natürlich nur noch der letzte Vorgang nachvollziehbar ist. Auf jeden Fall scheint es eine abschliessende und die Reime vereinheitlichende Redaktion gegeben zu haben. Gu Yanwu aber scheint die phonologische Einheitlichkeit der Lieder als Hinweis darauf zu verstehen, dass die Aussprachen immer wieder überprüft wurden und dass es

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eine erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber der Einheit von Wort, Schriftzeichen, gesprochener Form und moralischem Gehalt der dadurch gemachten Aussage gegeben hat. In der Übersetzung bin ich der Interpunktion Zhu Weizhengs gefolgt. In der Kontrollausgabe Dai Zhen 1994–1997 wird der Text auf S. 316 wie folgt interpungiert: 帝舜之歌皋陶,箕子之賡陳文王、 周公之繫, 無弗同者. Diese Textauffassung lässt sich aber nicht halten, denn Shun hat nicht ein Lied zu oder für Gao Yao gesungen, vielmehr setzt Gao Yao zum Schluss des Kapitels „yi ji“ des Shang Shu einen Gesang seines Herrschers fort (vgl. Legge 1991, Vol. 3, 89–90). Der danach genannte zi von Chen ist eine Figur aus der Zeit der Zhou-Gründung, dem das Kapitel „jun chen“ des Shang Shu gewidmet ist (ebd. 535–543). Er wird dort als Nachfolger des Herzogs von Zhou in der Östlichen Hauptstadt identifiziert. Die Interpunktion bei Zhu teilt die Personen ihrem historischen Ablauf gemäss ein. Der in diesem Zusammenhang verwendete Ausdruck yinshu 音書, hier als „Reimwerke“ übersetzt, ist polyvalent. Die Lieder können – rein phonologisch – nur als Grundlage für die spätere phonologische Erforschung des antiken Chinesisch betrachtet werden, aber yinshu kann ebenso als „phonologisches Werk“ verstanden werden, womit Gu ausdrücken wollte, dass den Reimen immer schon eine literarische Bedeutung zukam. Dieses Verständnis wäre sozusagen ein literaturhistorisches. Schliesslich lässt sich yinshu auch verstehen als „Werke der Töne“, wobei „Ton“ hier im Sinne des Liji-Zitats verstanden wird: als Laut gewordener Ausdruck der Rechten Ordnung. Gemäss diesem Verständnis wäre das Shi Jing gleichermassen ein Dokument, das Zeugnis ablegt von einer vergangenen aber perfekten Ordnung der Sprache. 魏、 晉以下, 去古日遠, 辭賦日繁, 而後名之曰『韻』。 至宋周彥倫、 梁沈約, 而四聲 之譜作, 然自秦、 漢之文, 其音已漸戾於古。 至東京益甚, 而休文作譜, 乃不能上據《 雅》、 《南》, 旁摭《騷》子, 以成不刊之典, 而僅按班、 張以上諸人之賦, 曹、 劉以 下諸人之詩, 所用之音, 撰為定本。 於是今音行, 而古音亡, 為音學之一變。 Ab der Wei-Jinzeit wurde die Distanz zu den Tagen des Altertums sehr gross. Es gab von Tag zu Tag mehr ci-Gedichte und fu-Rhapsodien, und als man [dieser Literatur] im Nachhinein einen Namen geben musste, nannte man sie „gereimt“. Zur Zeit [der Nördlichen und Südlichen Dynastien], als Zhou Yanlun197 von der Song und Shen Yue von der Liang die Tafeln der vier Töne anfertigten, da [war bereits festzustellen], dass sich seit der Qin- und Hanzeit die Texte phonologisch allmählich vom Altertum zu unterscheiden begannen. Ab der Zeit der Östlichen Hauptstadt [der Han] wurde es dann noch schlimmer, so dass als [Shen und Zhou] zu diesen Texte kamen und die [phonologischen] Tafeln dazu fertigten,

197 Zhou Yanlun 周彥倫 ist der Erwachsenenname von Zhou Yong 周顒 (?–?, fl 479–502). Zu ihm wie zu Shen Yue als Urheber der „Vier Töne“ vgl. Anmerkung 10.



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sie sich nicht einmal mehr auf die Ya-Festlieder oder auf die Lieder198 stützen konnten, und auch die [Äusserungen] des Meisters der sao-Dichtung199 beiseite lassen mussten. Um ihre noch nicht veröffentlichten Werke zu vollenden, stützten sie sich daher nur auf die Lautungen, die in den fu-Rhapsodien [der Östlichen Han] der Leute bis zu Ban und Zhang,200 sowie in den shi-Gedichten der Leute seit Cao und Liu201 verwendet wurden, und so schufen sie die Grundlagen ihrer Werke. Damit kamen die modernen Laute in Umlauf und die antiken Laute gerieten in Vergessenheit, was als die erste grosse phonologische Umwälzung gelten muss.

Gu Yanwu will die phonologische Forschung der antiken Lautung vorantreiben. Dazu muss er die bestehenden frühesten phonologischen Berichte und

198 Die hier verwendeten Ausdrücke ya 雅 und nan 南 stehen stellvertretend für das gesamte Shi Jing. Ya steht für die „kleinen und grossen Festlieder“ der Abschnitte „xiao ya“ und „da ya“, nan steht für die „Landesoden“ des ersten Abschnitts „guo feng 國風“. Die ersten beiden Gedichtsammlungen des „guo feng“-Teils heissen „Zhou nan 周南“ und „Shao nan 召南“ und daher rührt die Bezeichnung nan als pars-pro-toto-Bezeichnung für den Abschnitt „guo feng“. Da die „guo feng“ allgemein als volkstümliche Lieder angesehen werden, die „da ya“ und „xiao ya“ aber als Oden vom Hof des Zentralkönigs und Lehnsherrn, markieren ya und nan also die sozialen Eckpunkte der Herkunft dieser Gedichte. 199 Die Anspielung „Der Meister der sao-Dichtung 騷子“ bezieht sich auf Qu Yuan 屈原 (~343– ~278 v. Chr.), den Autoren von Teilen der Gedichte in Chu Ci 楚辭. Qu hat das erste Gedicht “li sao 離騷“ verfasst, von dem die Gattungsbezeichnung sao-Dichtung herrührt. Die Gattung der sao war in der Hanzeit weiterhin populär und sie bildet einen Teil der Gedichte des Wen Xuan. 200 Dies weist m.E. auf berühmte hanzeitliche fu-Dichter hin. Die hier zitierten Ban und Zhang beziehen sich auf Ban Gu 班固 (32–92) und Zhang Heng 張衡 (78–139), die bekanntesten fu-Dichter der Östlichen Hanzeit, als die Gattung nicht mehr den vorrangigen Platz hatte wie noch in der Westlichen Han. (Zu Zhang vgl. Nienhauser 1986, 211–212). Seit Ban und Zhang: Der hier bei Fang Dongshu verwendete Text er jin an Ban, Zhang yi shang zhu ren zhi fu 而僅按班、 張以上諸人之賦 deutet verwirrenderweise auf die fu-Dichter vor Ban und Zhang hin. Es handelt sich hier um einen Textfehler. Sowohl in der Holzdruckausgabe von 1868 wie auch in Zhu Weizhengs Text steht yi shang. In Gu Yanwus Original allerdings steht yi xia 以 下, was Fang Dongshu wohl falsch im Gedächtnis hatte. Ich emendiere den Text der Übersetzung entsprechend. (vgl. Gu Yanwu 1982, 2; Liu Jiuzhou 2000, 90). 201 Entsprechend den eben genannten Ban und Zhang werden auch hier zwei Vertreter der gegen Ende der Han und in der San Guo-Periode populär gewordenen shi-Dichtung zitiert. Es handelt sich bei Cao wohl um Cao Zhi 曹植 (192–232), einen der bekanntesten shi-Dichter jener Tage. Sein Vater Cao Cao 曹操 (155–220) und sein Bruder Cao Pi 曹丕 (187–226), der spätere wenKaiser der Wei (Reg. 220–226) waren ebenfalls bekannte Dichter, aber Cao Zhis Ruhm als Dichter überstrahlt denjenigen seiner Verwandten (Needham 1986, 790). Mit Liu ist m.E. und nach Meinung Liu Jiuzhous einer der „Sieben Meister der Jian’an-Periode“ (jian‘an qi zi 建安七子) gemeint, nämlich Liu Zhen 劉楨 (?–217). Obwohl er in modernen Literaturgeschichten keinen hervorragenden Rang mehr zugewiesen erhält, wird er im Shi Pin 詩品 ebenso wie Cao Zhi als Dichter der ersten und höchsten Kategorie eingestuft. Gus Wertung geht demnach wohl auf das Shi Pin zurück (Needham 1986, 232 u. 701–702).

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­ ufzeichnungen beschreiben, aber auch ihre Schwachstellen klarmachen, denn A die Erforschung der antiken Lautungen baut zwar auf den aufgezeichneten mittelalterlichen Lautungen auf, bedient sich aber anderer Methoden. Die frühesten phonologischen Aufzeichnungen orientieren sich an zeitgenössischen Gedichten, nicht am Shi Jing, weshalb sie sich auch keine Mühe machten, die Phonologie der Vorqinzeit zu erarbeiten. Gu betont in diesem Abschnitt die grosse Veränderung der Phonologie zur Hanzeit. Wie in China allgemein üblich, wird diese Periodisierung mit der politischen in Übereinstimmung gebracht, d.h. mit der Abfolge der Dynastien, so dass die Qin und Westliche Han noch Ähnlichkeiten mit der Phonologie der Vorqinzeit aufweisen, mit dem Umzug der Hauptstadt von Chang’an nach Luoyang aber auch schwerwiegende phonologische Veränderungen einhergingen. Die Beobachtungen Gu Yanwus stimmen mit der Periodisierung der modernen Phonologie überein, wonach sich in der Hanzeit ein Wandel ereignete. 下及唐時, 以詩賦取士, 其書一以陸法言《切韻》為準, 雖有獨用、 同用之注, 而其分 部, 未嘗改也。 至宋景祐之際, 微有更定。 理宗末年, 平水劉淵, 始併二百六韻為一百七 韻。 元黃公紹作《韻會》因之, 以迄於今。 於是宋韻行, 而唐韻亡, 為音學之再變。 Mit dem Erreichen der Tangzeit dann wurden die Beamten aufgrund ihrer shi- und fuDichtung ausgewählt. Bei ihren [Prüfungs]schriften202 wurde einzig Lu Fayans [Werk] Qie Yun als Massstab anerkannt. Und obwohl es Kommentare gab, die auf reine und unreine Reime203 hinwiesen, wurde nie versucht, die Einteilung in Reimklassen abzuändern. Erst in der [Regierungsperiode] jingyou der Songzeit (1034–1038) gab es kleine Anpassungen. In den letzten Jahren [der Regierungszeit] des Lizong-Kaisers (1224–1264) begann Liu Yuan aus Pingshui damit, die 206 Reimgruppen zu kombinieren und daraus 107 zu machen.204 Als

202 Prüfungsschriften ist die Übersetzung von shu 書 in der substantivieren Bedeutung „Ge­ schriebenes“ zum Verb „schreiben“. Liu Jiuzhou hat das Wort kommentarlos durch yun 韻 ersetzt, aber in der Ausgabe Gu Yanwu 1982, 2 steht eindeutig shu, ebenso wie in allen Ausgaben des Hanxue Shangdui, weshalb ich die Lius Emmendierung für einen Fehler halte. 203 Als reine oder korrekte Reime oder Vollreime bezeichnet man Reime mit lautlicher Übereinstimmung zweier oder mehrerer Wörter vom letzten betonten Vokal an: mein / dein; Herzen / Schmerzen. Unreine oder trübe Reime, auch Halbreime genannt, sind entsprechend Reime mit unvollkommener vokalischer oder konsonantischer Übereinstimmung, in der Regel mit Vokalwechsel zwischen den Reimwörtern: blüht / flieht; Reden / Poeten (Schweikle 1990, 383, 481). Die Formulierung du yong, tong yong  獨用、 同用 verweist auf Reime, welche ausschliesslich (du) mit gleichartigen verwendet wurden: reine Reime (Herz / Schmerz) und auf solche, die mit mehreren Reimen verwendet werden konnten: unreine oder trübe Reime (Liebe / trübe). 204 Liu Yuan 劉淵 (?–?, fl. 1241–1252). Da es zwei Personen dieses Namens gibt (der andere lebte ?–310, vgl. ZHZ 642), hat Gu hier den Herkunftsort Lius angegeben. Zudem sind seine kombinierten 107 Reime auch als Pingshui yun 平水韻 bekannt. Fang Dongshu schreibt im Kommentar, Liu



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in der Yuanzeit Huang Gongzhao205 das Yun Hui schrieb, übernahm er dies, und so blieb es schliesslich bis heute. Als Folge hiervon kamen die songzeitlichen Reime in Umlauf und die tangzeitlichen gerieten in Vergessenheit, was als die zweite grosse phonologische Umwälzung gelten muss.

In diesem dritten Abschnitt erörtert Gu die Veränderung der Einteilung in phonologische Reimgruppen. Im Buch Qie Yun des Lu Fayan von 601 erfolgte eine Einteilung in 206 Reimgruppen, aufgeteilt nach den vier Tönen ping sheng (gleichbleibend 平), shang sheng (aufsteigend 上), qu sheng (ausgehend 去) und ru sheng (eingehend 入). Im Laufe mehrerer Redaktionen wurden manche der 206 Reimgruppen zusammengenommen, so dass sich die Zahl allmählich auf 107 reduzierte. Zu den Veränderungen und Anpassungen vgl. Baxter 1992, 38–40. 世日遠而專日訛, 此道之亡, 蓋二千有餘歲矣。 炎武潛心有年, 既得《廣韻》之書, 乃始發寤於中, 而旁通其說, 於是據唐人以正宋人之失, 據古經以正沈氏、 唐人之 失。 而三代以上之音部分秩, 如至賾而不可亂, 乃綜古今音之變, 而究考辨正, 為《 音學五書》。」 [Frühere] Generationen entschwinden von Tag zu Tag ferner, und die Tradierung [des Rechte Wegs der Weisen] wird so korrumpiert. Das geht nun schon über 2000 Jahre so. [Ich,] Yanwu, habe nun schon einige Jahre mein Herz hierauf konzentriert. Als ich daher eine Ausgabe des Buches Guang Yun erhielt, konnte ich allmählich beginnen, hierzu ein Verständnis zu entwickeln, und ich habe dessen Ausführungen oberflächlich durchdrungen. So habe ich mich auf die Menschen der Tang gestützt, um die Fehler der Menschen der Song richtig zu stellen, [und mich dann] auf die Klassiker des Altertums gestützt, um die Fehler von Herrn Shen [Yue] und der Menschen der Tang richtig zu stellen. So habe ich die Lautgruppen der Drei Dynastien und davor systematisch eingeteilt, so dass sie nun äusserst fein unterschieden sind und nicht mehr durcheinander gebracht werden können. Ich habe die Veränderungen der Laute vom Altertum bis heute aufgelistet und dies überprüft und erforscht, und daraus die Fünf Schriften zur Phonologie gefertigt.“206

Nach den oben diskutierten drei Perioden der Erforschung der chinesischen Phonologie kommt Gu hier zum Schluss seines Vorworts, in dem er das Motiv für seine Anstrengungen erläutert: die Sorge um die Bewahrung des Rechten Wegs des Altertums. Daraus geht einerseits hervor, dass – wie oben bereits ausgeführt – die Aussprache des frühen Altertums idealisiert wird. Die Veränderung der Aussprache, bzw. der gelehrte Umgang damit ist nicht als wertneutrale ­Veränderungen

Yuan habe die Vorarbeit von Han Daozhao 韓道昭 (?–?) aus der Jinzeit übernommen, der die 206 auf 160 Reimgruppen vereinfacht habe. 205 Huang Gongshao 黃公紹 (?–?, jinshi von 1265). Er war der Autor des Gujin Yunhui 古今韻會. 206 Zum Ende des Textes kürzt Fang Dongshu ab. Im Gus Text kommt noch eine kleine Beschreibung der einzelnen Schriften, die als die Fünf Schriften zusammengefasst wurden.

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zu beobachten, sondern sie stellen eine Verschlechterung dar. Sie stellen ebenso ein Abfallen von einem Ideal des Altertums dar wie die Politik, die nicht mehr das Niveau von Yao und Shun erreicht oder die Moral, die sich nicht mehr mit derjenigen etwa des Herzogs von Zhou messen kann. Dies ist die Aussage Gu Yanwus. Der Grund, weshalb Fang ihn hier zitiert, ist m.E. darin zu sehen, dass er sehr deutlich macht, dass die Erforschung der frühen Aussprachen nur auf der Grundlage der späteren Forschung möglich ist. Gu zitiert ja explizit die song- und tangzeitlichen Quellen. Mithin kann Gus Aussage als Widerspruch angesehen werden zu Dai Zhens eingangs der Kontroverse zitierten Feststellung, dass das Wissen über die Aussprache seit der Hanzeit nichts mehr tauge. Trotzdem drückt Gu eindeutig aus, dass mit der historischen Distanz auch die Qualität des Wissens abnimmt, was wiederum auch als Argument gegen die songzeitliche Exegese verstanden werden kann.

Qian Daxin 1 錢氏大昕敘段氏《六書音韻表》曰﹕「三代以前, 無聲韻之書。 然三百篇具在, 參以經、 傳、 子、 騷, 引而伸之“, 古音可分也。 文字終古不改, 音聲有時而變。 五方言語, 且 不相通, 況數千年之久乎! 而昧者乃執隋、 唐之韻以讀古經, 有所不合, 謂之叶韻, 謬 矣。明三山陳氏, 始知考《毛詩》, 屈、 宋賦, 以求古音。 近顧氏、 江氏, 考之尤審。 今段氏復因顧、 江兩家之說, 證其違, 補其未逮, 定古音為十七部」云云。 Herr Qian Daxin schrieb im Vorwort zu Herrn Duan [Yucais] Liu Shu Yinyun Biao:207 „Vor der Zeit der Drei Dynastien gab es Schriften zur Phonologie. Erst als man aber über die dreihundert Lieder [des Shi Jing] verfügte, konnte man diese als Belege heranziehen und sie mit den [Reimen aus den] Klassikern, Kommentaren, Meistern und sao-Gedichten abgleichen. Die Schriftzeichen änderten sich seit dem Altertum nicht, aber deren Lesung und Aussprache veränderte sich im Verlauf der Zeit. Die Sprachen der Fünf Regionen208, sind unter einander nicht verständlich, wie verhält es sich da erst über den Zeitraum von mehreren tausend Jahren. Die Unverständigen halten noch immer daran fest, die Klassiker des

207 Das Vorwort Qian Daxins zu Duans Werk findet sich in Duan 1988, 804a. Fang Dongshu zitiert nur einen Teil des Vorworts und zudem lässt er immer wieder Satzteile aus und ändert Wörter ab. Die Unterschiede zum Original sind zu vielfältig, als dass sie hier alle angemerkt werden könnten. Es ist auch nicht sinnvoll, weil die Auslassungen häufig nur die Formulierungen abändern, der Inhalt der Aussage aber derselbe bleibt. Im Text Zhu Weizhengs wird nur der erste Satz als Zitat markiert, als ob der Rest des Absatzes Fangs Kommentar dazu wäre. In Wirklichkeit ist der ganze Abschnitt ein Zitat von Qians Text, wie auch am abschliessenden yun yun zu erkennen ist, mit dem das Ende von Zitaten markiert wird. Im chinesischen Text wurden die Anführungszeichen deshalb beibehalten. 208 Der Ausdruck wu fang 五方 meint die fünf Himmelsrichtungen von Norden, Süden, Osten, Westen und der Mitte. Es ist eine gängige Metapher für das ganze Reich.



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­ ltertums unter Zuhilfenahme der sui- und tangzeitlichen Reime zu lesen. Wenn es dabei A etwas gibt, das nicht passt, so nennen sie das einen harmonisierten Reim, was wirklich absurd ist. In der Mingzeit erkannte Herr Chen aus Sanshan209 erstmals, dass man durch Überprüfung der Reime im Shi Jing und in den Rhapsodien Qu [Yuans] und Song [Xiang]210 nach den Lauten der Antike forschen konnte. In jüngerer Zeit haben Herr Gu [Yanwu] und Herr Jiang [Yong] dies noch eingehender erforscht. Nun hat Herr Duan die Theorien der beiden Spezialisten Gu und Jiang wieder aufgenommen, hat belegt, wo sie zu weit gegangen sind und ihre Unzulänglichkeiten nachgebessert, und hat die antiken Laute in 17 Reimgruppen festgelegt, usw. usf.“

Fang zitiert diese Aussage Qian Daxins ebenfalls, um Dai Zhens Darstellung zu widerlegen. Zwar lässt Qian keinen Zweifel daran, dass die spätere Phonologie seiner Meinung nach wenig Sinnvolles geleistet hat, aber er erwähnt auch mit keiner Silbe die von Dai so hoch geschätzte hanzeitliche Phonologie. M.E. ist dies als Grund für das Zitat anzusehen: Qian Daxin erwähnt nur die antiken Quellen und die ming- und qingzeitlichen Forschungsresultate dazu. Indem Qian Daxin die hanzeitliche Phonologie unerwähnt lässt, scheint er Fangs vorangehende Darstellung zu stärken, wonach die hanzeitliche Aussprache nicht das anzustrebende Ideal ist. Zudem ist auch bei Qian das Bewusstsein für den Sprachwandel ab der Hanzeit deutlich zu erkennen, den Dai Zhen angeblich ignoriert.

Dai Zhen Entgegen der spezifischen Angabe Fangs, wonach der folgende Text einen Teil des Vorworts zu Liu Shu Lun 六書論序 darstelle, stammt er tatsächlich, wie Zhu Weizheng in einer editorischen Anmerkung schreibt, aus Dais bekanntem Brief an seinen Lehrer Jiang Yong, in dem er die philologischen Hilfswissenschaften und die liu shu erörtert. Dieser Text heisst Da Jiang Shenxiu Xiansheng Lun Xiaoxue Shu 答江慎修先生論小學書, und der zitierte Teil stellt den letzten Absatz des Briefes dar. Das Zitat weist praktisch keine Differenzen zum Original auf, lediglich ein Wort wurde von Fang ausgelassen. Für Dais Original vgl. Dai Zhen 1980, 64 u. Dai Zhen 1994–1997, 3:333–334. Der Text Liu Shu Lun Xu findet sich in Dai Zhen 1980, 66.

209 Herr Chen aus Sanshan 三山陳氏 ist eine Anspielung auf Chen Di 陳第 (1541–1617), den Autor des Mao Shi Guyin Kao 毛詩古音考. Chen stammte aus Lianjiang 連江 in Fujian und sanshan ist eine andere Bezeichnung für Fujian. 210 Anspielung auf die Chu Ci, als deren wichtigster Autor Qu Yuan gilt. Ein weiterer Autor war Song Yu 宋玉 (~290–~223 v. Chr.), der als Autor des Abschnitts „jiu bian 九辯” gilt (Needham 1986, 348).

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戴氏《六書論序》曰﹕ 「大致造字之始, 無所馮依。 宇宙間, 事與形兩大端而已。 指其事之 實, 曰『指事』一、 二、 上、 下, 是也; 象其形之大體, 曰『象形』, 日、 月、 水、 火, 是也。 文字既立, 則聲寄於字, 而字有可調之聲; 意寄於字, 而字有可通之意。 是又文字兩 大端也, 因而博衍之。 取乎聲, 曰『諧聲』; 聲不諧, 而會合其意, 曰『會意』。 四者, 書之體止此矣。 由是之於用, 數字共一用者, 如初、 哉、 首、 基之皆為始, 卬、 吾、 台、 予之皆為我, 其義轉相為注, 曰『轉注』; 一字具數用者, 依於義以引伸, 依於聲而旁寄, 假此以施於彼, 曰『假借』。 所以用文字者, 斯其兩大端也。 六者之次第, 出於自然。」 Herr Dai schrieb im Vorwort zum Liu Shu Lun: „Wahrlich grossartig war der Beginn der Erschaffung von Schriftzeichen, denn es gab daran nichts, das grundlos geschehen wäre. Im Kosmos gibt es nur die beiden grossen Möglichkeiten von [tatsächlich abgebildeten] Dingen und [abstrahierten] Formen. [Manche Schriftzeichen] weisen auf die tatsächliche Form der [abgebildeten] Dinge hin, man nennt [diese Gruppe] „auf die Sache hinweisende“. [Die Schriftzeichen für die Wörter] „eins“, „zwei“, „oben“ oder „unten“ sind solche. [Manche Schriftzeichen] bilden die groben Formen [der dargestellten Dinge] ab, man nennt [diese Gruppe] „Die Form abbildende [Schriftzeichen]“. [Die Schriftzeichen für die Wörter] „Sonne“, „Mond“, „Wasser“ oder „Feuer“ sind solche.211 Als die Simplex-Schriftzeichen (wen) erst einmal erschaffen waren, da wurden sie mit einem [Element für] die Aussprache zu Komposita verknüpft. Nun gibt es aber Schriftzeichen, deren Aussprache sich abwandeln kann. Die Bedeutungen werden mit den Schriftzeichen verknüpft und unter den Schriftzeichen gibt es solche, die dieselben Bedeutungen haben können wie andere. Dies sind zwei weitere grosse Möglichkeiten der [Bildung von] Schriftzeichen, und damit wurden [die zuerst genannten zwei Methoden, Schriftzeichen zu generieren] erweitert. Man nahm einen [zur Aussprache des Wortes] passenden Laut, und [Diese Gruppe der Schriftzeichen] heisst „Im Ton passende [Schriftzeichen]“. Wenn der Laut nicht passt und die Bedeutungen der [Elemente eines Schriftzeichens] zusammengefügt werden, nennt man diese „[Schriftzeichen mit] zusammengefügter Bedeutung“.212 Mit diesen vier [Gruppen von Schriftzeichen] enden die [Variationen der] äusseren Form des Schreibens. Daher verschriften diese

211 Die zwei eben genannten Möglichkeiten beschreiben die beiden Formen von SimplexSchriftzeichen, also solche, bei deren Bildung nicht bestehende Elemente kombiniert werden, sondern die entweder Dinge zeichnerisch abstrahieren oder Abstrakta darstellen. Die chinesischen Termini lauten zhishi 指事 und xiangxing 象形. Vgl. hierzu Winter 1998, 117–118. Ich habe hier versucht, die chinesischen Begriffe möglichst wortgetreu zu übersetzen. Aufgrund der Beziehung zwischen den Wörtern, welches diese Schriftzeichen repräsentieren, und ihren graphischen Repräsentationen wären die Begriffe „Zodiogramme“ und „zodiographischen Darstellungen“ oder „Abstrakta“ angebracht. Auf keinen Fall aber dürfen diese Schriftzeichen als „Ideogramme“ oder „Piktogramme“ bezeichnet werden, weil sie in ein Sprach- und Schriftsystem eingebunden sind und sie, entgegen Dai Zhens unhistorischer Darstellung, nicht Bedeutungen direkt verschriften. Die von Dai Zhen gegebenen Beispiele sind dieselben, die schon Xu Shen im Nachwort des Shuowen verwendet hatte, was apologetische Gründe auf Seiten der hanxue haben kann. 212 Die beiden letztgenannten Gruppen, auf Chinesisch xingsheng 形聲 oder xiesheng 諧聲 und huiyi 會意 genannt, entsprechen wieder der im Shuowen gegebenen Reihenfolge. Der Unterschied zum Shuowen besteht darin, dass Dai den Ausdruck xiesheng verwendet, im Shuowen aber xingsheng zur Anwendung kommt. Dai Zhen diskutiert die unterschiedliche Erörterung diese Begriffe weiter oben in seinem Brief.



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[­folgenden verschiedene Wörter] durch ihren Gebrauch:213 Wenn viele Schriftzeichen alle für dieselbe Bedeutung verwendet werden [können] – wie etwa chu, zai, shou oder ji, die alle in der Bedeutung „Beginn“ verwendet werden; oder wie yi, wu, tai oder yu, die alle die Bedeutung „ich“ annehmen können214 – so wird ihre Bedeutung als Bedeutungsangabe auf das jeweils andere übertragen. Diese nennt man „übertragene Bedeutung“. Wird ein Schriftzeichen für verschiedene Bedeutungen verwendet, wobei es entweder aufgrund seiner Bedeutung [zur Verschriftung semantisch ähnlicher Wörter] ausgedehnt wird, oder aufgrund seiner Aussprache mit [anderen Wörtern] verknüpft wir, so wird es hier entlehnt und dort a ­ ngewandt, deshalb heisst es „Lehnschreibung“. In der Verwendung von Schriftzeichen gibt es diese beiden grossen Möglichkeiten. Die Abfolge dieser sechs ergibt sich aus sich selbst heraus.“

In diesem Text beschreibt Dai Zhen sein Verständnis der auf das Shuowen zurückgehenden liu shu-Theorie. Dais Ansichten zu diesem Thema sollen hier aber nicht diskutiert werden,215 sondern nur die Frage, wieso Fang diesen Text hier zitiert. Wichtig zum Verständnis der Argumente Dai Zhens ist lediglich, dass Dai Zhen keine eigene Theorie entwickelte, er war gezwungen, traditionelle Begriffe zu entwickeln, die aus der Geschichte der chinesischen Sprachbetrachtung stammen, und um die er aus Traditionsgründen nicht herumkam. Die entscheidende Frage bleibt somit, wieso Fang hier Dai so zitiert. Der Grund hierfür ist m.E. darin zu sehen, dass Dai Zhen in der als Aufhänger dieser Debatte zitierten Aussage eine Beziehung zwischen der Bedeutung eines Schriftzeichens und dessen Aussprache herstellt. In diesem Brief an Jiang Yong aber wird der phonologischen Seite eine vollkommen marginale Bedeutung zugemessen. Die Schrift wird als eine ideographische oder piktographische bezeichnet, und selbst bei der Klasse der xiesheng-Zeichen wird die traditionelle Auffassung vertreten, wonach die phonophorischen Elemente der Schriftzeichen lediglich Erinnerungshilfen zur

213 Vier der Form und zwei des Gebrauchs meint die sog. si ti er yong-Theorie, welche auf Dai Zhen zurückgeht (vgl. Winter 1998, 127–128). Hintergrund dieser Theorie ist, dass im Nachwort des Shuowen zwar sechs Gruppen genannt werden, dass sich im Wörterbuchtext selbst aber nur die vier bis eben besprochenen finden lassen. Um dieses Dilemma aufzulösen, griff man auf die Erklärung zurück, dass nur vier Gruppen tatsächlich die äussere Form eines Schriftzeichens betreffen, während die letzten beiden zur Verschriftung neuer Wörter ohne die Kreation neuer Schriftzeichen eingesetzt werden. 214 Die genannten Beispiele für übertragene Bedeutung chu 初, zai 哉, shou 首, ji 基 als Synonym von shi 始 und ang 卬, wu 吾, tai 台 und yu 予 als Synonyme für wo 我 gehen zurück auf das Er Ya. Es sind unvollständige Zitate von der ersten Gruppe von Synonymen des ersten Kapitels (Ruan Yuan 1980, 2568a) und von der ersten Gruppe des zweiten Kapitels (Ruan Yuan 1980, 2573b). Diese Beispiele unterscheiden sich im Gegensatz zu den Beispielen der ersten beiden Gruppen von denjenigen im Shuowen. M.E. ist der Grund hierfür, dass Dai Zhen unter der Bezeichnung zhuanzhu etwas Anderes verstand als Xu Shen damit gemeint hatte (vgl. Winter 1998, 133–141, wo Dai Zhens Verständnis diskutiert wird). 215 Zu Dais Auffassung der liu shu-Theorie vgl. Qiu Xigui 2000, 151–163 und Winter 1998, 109–151.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

korrekten Aussprache darstellten. Die Phonologie spielt mithin für die Bedeutung eines Schriftzeichens so gut wie keine Rolle. Daher unterstelle ich Fang Dongshu die Absicht, Dai Zhen einen Widerspruch nachzuweisen, indem er zu Beginn der Kontroverse eine Aussage zitierte, in der die Bedeutung der Phonologie als zentral eingestuft wird, während ihr in dieser Aussage kaum eine Bedeutung zukommt.

Phonologische Diskussion Die folgenden Zitate Qian Daxins und später Jiang Yougaos beschränken sich vollständig auf die Phonologie. Während in den bisher zitierten Texten stets die Beziehung zwischen Schrift und Aussprache eine gewisse Rolle gespielt hat, dreht es sich im Folgenden um rein phonologische Erörterungen.

Qian Daxin 2 錢氏曰﹕ 大凡音有天地之元音, 有古今之異音。 天地之元音者, 雙聲、 叠韻也; 古今異 音者, 輕重、 緩急、 斂侈也。 元音皆始於喉, 達於舌, 經於齒, 出於脣。 天下之口相 同也, 古今之口亦相同也。輕重、 緩急、 斂侈, 天下之口異,古今之口亦異也。 即喉、 舌、 齒、 脣之分, 而聯之以雙聲, 緯之以叠韻, 而翻切之學興焉。 雙聲昉於魏、 晉以 後, 古人未知。 其實《易》、 《書》已肇其端, 至三百篇而斯秘大啟; 至司馬相如、 揚 子雲作賦, 益暢其旨。 於是孫叔然制為反切, 以雙聲、 叠韻、 紐弄而成音, 遂大顯於 世。 後人又以雙聲類之, 而成字母之學。 雙聲在前, 字母在後, 學者反謂七音之辨始於 西域, 豈古聖賢之智, 乃出梵僧下耶! 四聲始於周、 沈, 其實古人輕重、 緩急, 即四 聲。 緩與輕者, 平上也; 重而急者, 去與入也。 漢代詞賦家, 好用雙聲叠韻太多, 讀者 聱牙。 周、 沈矯其失, 欲令一句之中相間耳。 漢人翻切、 讀若, 已是古今輕重、 緩急不 同, 故有此通。再轉而為切韻, 再轉而為四聲, 再轉而為唐韻,再轉而為宋韻。 曰「轉 音」, 曰「協句」, 曰“叶韻“。 求之不通者也, 顧氏所以有本音之求, 曰「等韻」, 曰 「字母」求之於通者也。 而守溫、 溫公等, 所以有圖也。 一字兩音, 平側異讀, 出於轉 音, 如觀、 冠、 好、 惡等。 此魏、 晉經師, 強生分別, 千餘年遵守不易。 惟魏華父論 非之, 以為未有四聲、 反切之前, 安知不皆為平聲。 大抵後人講「六書」之音, 有從偏 旁得聲, 有正音, 有轉音, 有叶音。 元音則不然, 喉、 舌、 齒、 脣, 辨之甚細, 所以 有併部、 分部也。 由平聲遂求入聲, 此又言古韻者之所以益精也。 Herr Qian sagte: Generell gesprochen gibt es unter den Lauten zwischen Himmel und Erde die ursprünglichen Laute, sowie die vom Altertum bis heute unterschiedlichen Laute. Die ursprünglichen Laute, das sind alliterierende Binome und gleiche Reime. Die im Altertum und heute unterschiedlichen Laute, sind [differenziert nach den Kategorien] leicht und schwer, langsam und schnell, sowie zurückhaltend und überschäumend.216 Die ursprüngli-

216 Qian Daxin nimmt hier Unterscheidungen vor, die nach ausführlicheren Anmerkungen verlangen, weshalb diese nicht hier in den Fussnoten erfolgen sondern in den Anmerkungen zum Text.



Achte Kontroverse: Die Philologie 

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chen Laute beginnen alle im Kehlkopf, erreichen die Zunge, passieren die Zähne und treten über die Lippen hinaus.217 Die Münder [der Menschen] sind untereinander auf der ganzen Welt gleich. Auch die Münder [der Menschen] des Altertums und der Neuzeit sind untereinander gleich. Leicht und schwer, langsam und schnell, zurückhaltend und überschäumend, dies ist, worin sich die Münder der Welt unterscheiden, und es ist auch, worin sich die Münder des Altertums und diejenigen der Neuzeit unterscheiden. Es ist die Einteilung in [die Artikulationsorte] Hals, Zunge, Zähne und Lippen, in Verbindung mit den gleichen Anlauten und den gleichen Reimen, die zur Entstehung der Methode der fanqie-Tonangaben führte.218 [Die Erkenntnis bezüglich] alliterierenden Lauten begann ab der Wei-Jinzeit, die Persönlichkeiten des Altertums wussten noch nicht darum. Tatsächlich sind die ersten Elemente davon aber schon im Yi Jing und Shang Shu zu beobachten, und mit den 300 Gedichten [des Shi Jing] kam dann zum Vorschein, was zuvor verborgen gewesen war. Zu jener Zeit, da Sima Xiangru und Yang Ziyun [d.i. Yang Xiong] ihre Rhapsodien verfassten, war die Bedeutung bereits entfaltet. Als dann Sun Shuran219 das fanqie-[System] entwarf, da nahm er jeweils alliterierende und reimende Laute zusammen und verknüpfte sie miteinander. Er vollendete so [die Beschreibung] einer Lautung, und dies wurde weithin bekannt auf der Welt. Später wurden diese dann gemäss den alliterierenden Lauten zusammengefasst, und so entstand die Lehre der Anlaute.220 Die Ordnung gemäss gleichen Anlaute kam zuerst, die Lehre über die Anlaute folgte dieser nach. Die Gelehrten behaupten auf der anderen Seite, dass die Wandlung zu „Sieben Lauten“221 in den Gebieten im Westen [des Reiches] begonnen hätten. Wie aber hätte das Wissen der Weisen und T ­ üchtigen des Alter-

217 Qian zählt hier vier wichtige Formen der Lautartikulation auf: laryngal (Kehlkopflaut), glossal (Zungenlaute), dental (Zahnlaute) und labial (Lippenlaute). Für jeden dieser Laute gibt es die Unterscheidung zwischen qing und zhong, huan und ji etc. Die ersten Versuche der Systematisierung der menschlichen Artikulation verwenden die sog. fünf Laute, wu yin 五音. Es sind dies diese vier, wobei die Dentalen aufgeteilt werden in ya yin 牙音 (Velare) und chi yin 齒音 (Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 77). 218 Die fanqie-Methode (反切, hier alternativ 翻切 geschrieben) besteht darin, die Aussprache eines Schriftzeichens anzugeben, indem man zwei andere Schriftzeichen angibt, von denen eines alliterierend und eines reimend ist. Das klassische Beispiel ist dong 東, dessen Lesung im Guang Yun als de hong fan 德紅反 angegeben wird (Baxter 1992, 33). 219 Sun Shuran 孫叔然 ist der Erwachsenenname von Sun Yan 孫炎 (?–?), einem Gelehrten der San Guo-Zeit aus Wei und Schüler Zheng Xuans. Er verfasste Er Ya Yinyi 爾雅音義, in dem gemäss der Tradition das erste Mal die fanqie-Methode verwendet wurde. 220 Der hier verwendete Ausdruck zimu 字母 bezieht sich traditionell darauf, dass Schriftzeichen gleicher Aussprache in einer Gruppe zusammengefasst werden, an deren erster Stelle dann die „Mutter“ dieser Schriftzeichen steht. Im Gegensatz zu den oben genannten shuang sheng bietet aber zimu eine Typologisierung gemäss den Artikulationsorten, behauchten und unbehauchten Lauten. etc. zimu ist ein reflektiertes und Gesetze formulierendes System, während shuang sheng nur eine phänomenologische Beschreibung der Laute darstellt (Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 80; Baxter 1992, 43). 221 Nachdem die fünf Grundlaute – laryngal, glossal, dental, velar und labial (vgl. Anmerkung 49) – nicht mehr ausreichten, erweiterte Zheng Qiao 鄭樵 (1108–1166) in Qi Yin Lue 七音略 diese auf sieben durch Hinzufügung des semi-dentalen ban chi yin 半齒音 und des semi-glossalen ban she yin 半舌音 (Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 77–78).

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tums von den Sanskrit sprechenden Mönchen222 späterer Zeiten kommen können? Die vier Töne begannen bei Zhou und Shen, aber in Wirklichkeit waren [die Artikulationsformen] leicht, schwer, langsam und schnell die vier Töne der Leute des Altertums. Langsam und leicht, entsprechen dem gleichbleibenden (ping) und aufsteigenden (shang) Tönen, schwer und schnell entsprechen dem ausgehenden (qu) und eingehenden (ru) Ton. Die Rhapsodiendichter der Hanzeit liebten es, allzu viele alliterierende und reimende Binome zu verwenden, und so erschufen sie für die Leser Zungenbrecher223. Zhou und Shen wollten deren Fehler korrigieren, und schlugen vor, innerhalb eines Satzes mehr [Wörter mit] wechselseitig einander gegenüberstehenden [Lautungen zu verwenden]. Ihre neueren [Angaben] wiesen bereits Unterschiede zu den älteren fanqie-Angaben und Leseangaben der Leute der Hanzeit auf im Bezug auf leicht oder schwer, langsam oder schnell. So kam es dazu, dass sich [die Lautkategorien leicht, schwer, schnell oder langsam] so [mit den vier Tönen] gleichsetzen lassen. Eine Wandlung, und es entstanden die Laute des Qie Yun. Eine erneute Wandlung, und es kamen die vier Töne. Eine weitere Wandlung, und es entstanden die tangzeitlichen Reime. Schliesslich eine neuerliche Wandlung, so entstanden die songzeitlichen Reime. Man nennt dies „gewandelte Laute“, „willkürlich abgewandelte Verszeilen“ oder „harmonisierte Laute“.224 Weil jene das, wonach sie suchten, nicht in Übereinstimmung bringen konnten [mit den bekannten Aussprachen], hat Herr Gu [Yanwu] nun die Suche nach dem ursprünglichen Laut aufgenommen und nannte dies „Lautgrade“ und „Anlauttypen“ (zimu), und suchte [mit diesen Kategorien] nach Übereinstimmendem. Denn Shouwen und Wengong225 und weitere hatten hierzu [zuvor schon] [Reim]tabellen verfasst. Dass ein Schriftzeichen zwei Aussprachen haben konnte, dass es sich in unterschiedliche

222 Der Ausdruck fan seng 梵僧 kann auch als generelle Bezeichnung für gelehrte Mönche nichtchinesischer Herkunft verwendet werden (HYDCD 4:1032). Wolfgang Behr wies mich in einem persönlichen Gespräch an der Ruhr-Universität Bochum darauf hin, dass es auch als Hinweis auf die Brahmanen verstanden werden kann, da fan etymologisch auf eine Bezeichnung für die Brahmanen zurückginge. 223 Der im Chinesischen verwendete Ausdruck ao ya 聱牙 bedeutet wörtlich „unebene Zähne“. Solche Gedichte zu lesen führt also dazu, dass die Zähne schief stehen. Aufgrund der ähnlichen Metaphorik bot sich „Zungenbrecher“ an. 224 Abgeänderte Laute, im Original xie ju 協句 entspricht Sätzen mit xie yun 協韻 (vgl. HYDCD 1:880), wobei hier xie 協 eine andere Schreibweise ist des normalerweise 叶 geschriebenen Schritzeichens. Unter xie yun versteht man Reime, die nach normaler Lautung nicht reimen, und bei denen ein Kommentator zum Zwecke des prosodischen Wohlklanges eine willkürliche neue Lesung anmerkt, um so den Reim zu harmonisieren. Zhu Xi wurde dies mehrfach vorgeworfen im Zusammenhang mit seinem Shi Jing-Kommentar (Baxter 1992, 152–153; Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 143). 225 Shouwen 守溫 und Wengong 溫公: Die Ausgabe von 1868 schreibt anstelle von shouwen Shao Bowen 邵伯溫, was aber falsch ist, wie Zhu Weizheng anmerkt. Tatsächlich war Shao Bowen (1057–1134) der Sohn des songzeitlichen Philosophen Shao Yong, er hat aber keinen Beitrag zur Phonologe geleistet (ZHZ 1400). Shouwen hingegen war ein tangzeitlicher Mönch, der in Anlehnung an das Sanskrit-Alphabet eine Systematisierung der Anlaute vorgenommen, und dabei 30 Laute unterschieden hat. Dieses sog. sanshi zimu 三十字母, das auch shouwen zimu 守溫字母 genannt wurde, bildete die Grundlage für die 36 Anlaute des Mittelchinesischen.



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Tonkategorien226 unterschiedlich liest, das kommt von den gewandelten Lauten, wie etwa guān/guàn, guān/guàn, hăo/hào oder wū/wù.227 Die Exegeten der Klassiker in der Wei-Jinzeit haben diese künstlichen Unterscheidungen durchgesetzt, und sie wurden für über eintausend Jahre bewahrt und nicht verändert. Einzig Wei Huafu228 hat dies alles erörtert und negiert. Er vertrat die Meinung, dass man nicht wissen könne, ob nicht vor der Zeit, da es die vier Töne und die fanqie-Angaben gegeben hat, alles im gleichbleibenden Ton ausgesprochen wurde. Er bekämpfte sehr, dass spätere Leute von den Lauten der liu shu sprachen, wonach es vorkommt, dass manche [Schriftzeichen] ihre Aussprache vom Klassenhaupt erhalten, manche die korrekte Aussprache aufweisen, wieder andere einen gewandelten Laut und noch andere einen harmonisierten Laut. Mit den ursprünglichen Lauten verhält es sich nicht so: Laryngale, Glossale, Dentale und Labiale lassen zu, dass man Reimgruppen sehr fein differenziert, wodurch man Reimklassen zusammenfasst oder aufspaltet. So hat sich der eingehende Ton aus dem gleich bleibenden heraus entwickelt. Dies heisst wiederum, dass die antiken Reimklassen immer weiter verfeinert werden.

Qian Daxin erwähnt hier eine Reihe von phonologischen Unterscheidungen. Zunächst trennt er in yuan yin und yi yin. Als ursprüngliche Laute (yuan yin) bezeichnet er shuang sheng, alliterierende Binome und die yun, gleiche Reime. Die „ursprünglichen Laute“ yuan yin 元音 und die „unterschiedlichen Laute im Altertum und der Neuzeit“ gujin yi yin 古今異音 werden genauer bestimmt durch die folgenden Begriffe: Als yuan yin bezeichnet Qian die Phänomene shuangsheng 雙聲 (alliterierende Binome) und dieyun 疊韻 (gleiche Reime). Beide bezeichnen binomische Wörter, bei denen die einzelnen Begriffe des Binoms in einer speziellen phonologischen Beziehung zueinander stehen. Als shuangsheng werden Binome bezeichnet, bei denen jede Silbe denselben Anlaut aufweist, also Alliterationen. Beispiele hierfür sind liuli 流離 oder gugao 孤高. Die B ­ ezeichnung

Später wurde der Name auch zur Bezeichnung des 36-Anlaut-Systems verwendet (ZHZ  729; Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 80 u. 992). Wengong bezieht sich m.E. auf Sima Guang 司馬光 (1019–1086), der posthum mit dem Epitheton Wengong geehrt wurde. Er galt traditionell als Autor des Lei Pian 類篇, was zwar nicht den Tatsachen entspricht, aber worauf hier wohl angespielt wird (Ji Xianlin 1988, 251). Inwiefern hier eine Verbindung zu den zimu besteht, vermag ich nicht zu sagen. 226 Die hier angesprochenen Tonkategorien ping 平 (eben) und ze 仄 (oblique) stehen im Zusammenhang mit der Dichtung, bei der Reimschemata jeweils eine Abfolge von ebenen und obliquen Silben vorschreiben. Die Tonkategorie ping entspricht dabei den ebenen Tönen, ze ist eine Sammelbezeichnung für aufsteigende, ausgehende und eingehende Töne. Vgl. hierzu auch Chinesische Literaturgeschichte 2004, 143–145; Schmidt-Glintzer 1990, 249–250; Nienhauser 1986, 682–686. 227 Die gewählten Beispiele guān/guàn 觀, guān/guàn 冠, hăo/hào好 und wū/wù 惡 zeichnen sich alle dadurch aus, dass sie mehrere Lesungen haben, mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen. Das letzte Beispiel hat zusätzlich noch die Lesungen ê/è. 228 Wei Huafu 魏華父 ist der Erwachsenenname von Wei Liaoweng 魏了翁 (1178–1237). Es ist nicht klar, in welchem Zusammenhang er diese Meinung geäussert haben soll.

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dieyun steht für binomische Ausdrücke, deren Elemente mit demselben Reim enden. Beispiele hierfür sind cangmang 蒼茫 oder xiaoyao 逍遙 (Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 148). Schwieriger zu fassen sind die Begriffe für die „unterschiedlichen Laute: qing zhong 輕重, huan ji 緩急 und lian chi 斂侈. Das Problem beim Verständnis dieser Kategorien ist, dass sie zwar lange Zeit zur theoretischen Beschreibung verwendet wurden, dadurch aber gleichzeitig das bezeichnete konkrete phonologische Phänomen unklar blieb. Die folgenden Ausführungen zu den Begriffen gehen zurück auf die Erklärungen im Zhongguo Yuyanxue Da Cidian von 1991. Gemäss dieser Darstellung bezeichnet qing und zhong („leicht und schwer“) zumeist das Begriffspaar, das vergleichbar ist mit dem Phänomen der Sonorität, also dem Grad der Stimmhaftigkeit. Zugleich aber differenziert Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 158–159 fünf weitere völlig unterschiedliche Bedeutungen von qing zhong, darunter auch eine, die sich auf langsames und schnelles Lesen bezieht, was hier als huan ji bezeichnet wird. Die Begriffe huan und ji („langsam und schnell“) bezeichnen demnach (S. 146) die Begriffe lento und allegro. Dies bedeutet im chinesischen Zusammenhang die sehr schnelle Aussprache zweier Silben, die dadurch zu einer ­Fusionsform werden. Ein Beispiel ist die Fusion von zhi 之 und yu 于/於 oder zhi 之 und hu 乎 zu zhu 諸. Als lento (in der Enzyklopädie auch als man sheng 慢聲 bezeichnet) wäre der umgekehrte Fall zu verstehen: Eine Silbe erscheint durch gedehnte Aussprache als zwei Silben, so dass dasselbe Wort durch mehrere Schriftzeichen wiedergegeben wird. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Glosse des Shuowen Jiezi zu Radikal 81, dem angenommenen ursprünglichen Schriftzeichen für „Pinsel“. Dieses wird für unterschiedliche Dialekte angemerkt, und die Glosse hält fest, dass „Pinsel“ im Dialekt von Wu nicht bi, sondern bu lü ausgesprochen werde, was von Xu Shen mit den Schriftzeichen 不律 wiedergegeben wird.229 Schliesslich wird das Begriffspaar lian chi („zurückhaltend und überschäumend“) angeführt, das gemäss Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 86–87 auch yan chi 弇侈 genannt wird. Fang Dongshu schreibt in seinem eigenen Kommentar lediglich, dass im Altertum lian vorherrschte, während in moderneren Sprachschichten chi häufiger anzutreffen sei. Bei dem Begriffspaar handelt es sich um eine Unterscheidung, die auf den qingzeitlichen Phonologen Jiang Yong zurückgeht, und die den Grad des „geöffneten Mundes“ bezeichnet. Die Kategorie kai kou 開口, bzw. ihr Gegenteil he kou 合口 differenziert Vokale in Silben. Gemäss

229 Für die Shuowen-Glosse zu Radikal 81 vgl. Duan Yucai 1988, 117a und Winter 1998, 288–289. Ich bin Wolfgang Behr dankbar für den Hinweis auf dieses Beispiel, wie generell auch für die Hilfe beim grundsätzlichen Verständnis dieser Kategorien.



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Baxter 1992, 42 geht es dabei um die Ab- oder Anwesenheit eines medialen –w– vor dem Hauptvokal. Demnach weist kai kou auf die Abwesenheit eines medialen –w– hin. Zudem hängt die Kategorie mit der Graduierung der Silben nach den vier Graden (deng 等) zusammen, die allerdings auch nicht vollkommen klare Kategorien bezeichnen. Qian Daxin macht in dieser sehr differenzierten und fachlich kompetenten Diskussion klar, dass es seit der Hanzeit sehr wohl eine Reihe von Errungenschaften gegeben hat. Die bewegte Geschichte der phonologischen Forschung und Erkenntnisse hat tatsächlich erst nach dem Ende der Hanzeit begonnen. Damit ist die Motivation für Fang, hier mit Qian Daxin einen der Meinungsführer der kaozhengxue zu zitieren, gleich wie bei den obigen Zitaten: er will widersprüchliche Aussagen nachweisen, um die Gegner zu diskreditieren. Qian war zudem mit Dai gut befreundet, hatte diesem aber auch von der Publikation philosophischer Schriften abgeraten.

Jiang Yougao Die folgenden Zitate Jiang Yougaos entstammen alle der Vorrede zu den phonologischen Tabellen seines Yinxue Shi Shu. In der von mir konsultierten Ausgabe des Werkes (Mit dem Titel Jiang Shi Yinxue Shi Shu 江氏音學十書 aus der Reihe Yinyunxue Congshu 音韻學叢書 des Taiwanesischen Verlags Guangwen Shuju, 1966) stehen diese alle im Abschnitt „Gu Yun Fanli 古韻凡例“ und nach den folgenden Zitaten wird jeweils die Seitenzahl angegeben. Auch diesen Text hat Fang offenbar auswendig zitiert, wie die wenigen Textfehler belegen, in denen jeweils grammatische Partikel ausgelassen oder hinzugefügt wurden, bzw. in denen Wörter durch Homophone ersetzt wurden. Die Differenzen zu Jiangs Text werden im chinesischen Text ausgewiesen, indem in eckigen Klammern die Art der Veränderung angemerkt wird. So keine weitere Bemerkung dabei steht, handelt es sich immer um das der eckigen Klammer vorausgehende Schriftzeichen. 江氏有誥《音學十書序例》曰﹕ 自周、 沈四聲定, 而古音失; 陸[hinzugefügt]法言《 切韻》作, 而古音之部分失。 宋吳才老首復古韻, 特未免隨文遷[qian statt 牽]就, 於 古之正音, 古之部分, 蓋茫乎未之知也。 鄭氏庠作《古音辨》, 始分六部, 雖分部至 少, 而仍有出韻, 蓋專就《唐韻》求其合, 不能析《唐韻》求其分, 宜無當也。 明陳 季立, 始知叶音即古本音, 誠為篤論, 然於[yu statt 于]古韻部分, 亦未之知也。(1A) Herr Jiang Yougao schrieb im Vorwort zu Yinxue Shi Shu: Als Zhou und Shen die vier Töne festlegten haben, gingen die antiken Aussprachen verloren. Seitdem Lu Fayan das Qie Yun verfasst hat, ist die Einteilung der antiken Aussprachen in Reimgruppen verlorengegangen. In der Songzeit hat Wu Cailao als erster die antiken Reime rekonstruiert. Allerdings konnte er nicht umhin, sich dabei an den Texten zu orientieren und so blieb er hinsichtlich der korrekten Lautungen und der Einteilung in Reimklassen des Altertums doch noch ziemlich unwissend.

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Als Herr Zheng Xiang Gu Yin Bian230 schrieb, begann er als erster eine Aufteilung in sechs Reimgruppen. Obwohl er noch in sehr wenige Reimgruppen unterteilte, gab es bei ihm doch schon Wörter, die aus dem Reim fielen. [chu yun 出韻: Worte, die sich nicht reimen]. Weil er einzig im Tang Yun nach einer Zusammenfassung [von Reimgruppen] suchte, das Tang Yun aber nicht analysieren konnte, um zu einer Einteilung in Reimgruppen zu gelangen, blieb [sein System] ohne Einfluss. Chen Jili231 aus der Mingzeit erkannte als erster, dass die abgeänderten Laute den ursprünglichen entsprachen, und er hat getreulich eine ernst zu nehmende Erörterung verfasst, aber auch er hatte von der Einteilung in antike Reimgruppen noch keine Kenntnis.

Dieser Teil des Vorworts Jiang Yougaos schildert die Erfolge der Rekonstruktion der antiken Phonologie vor der Qing. Er dient Fang m.E. dazu, erneut die lückenlose Kette von Forschungsergebnissen aufzuzeigen, die nach der Hanzeit dazu geführt haben, die Grundlage für die qingzeitlichen Leistungen der Phonologie bereit zu stellen. Die Bedeutung dieses Abschnitts wird erst nach dem folgenden verständlich, denn hier scheint Jiang ja zunächst die Leistungen der phonologischen Beschreibungen seit der Hanzeit zu kritisieren. 國朝崑山顧氏, 始能離[weggelassen]析《唐韻》以求古韻, 故得十部, 然猶牽於漢 以後音也。 婺源江氏, 始專就三百篇以求古韻,故得十三部, 然猶惑於今人近似之音 也。 金壇段氏, 始知古音之絕不同今音, 故得十七部, 古韻一事, 至今日幾於[yu statt 如]日麗中天矣。 取而譬之, 吳才老, 古音之先導也; 陳季立, 得其門而入也; 顧氏、 江氏, 則升堂矣; 段氏, 則入室矣。(1B) In unserer Dynastie war Herr Gu [Yanwu] aus Kunshan als erster in der Lage, das Tang Yun zu analysieren, und so nach den antiken Reimen zu forschen. Dadurch kam er auf zehn Reimgruppen, in die er die Laute der Nach-Hanzeit hineinzwängen konnte. Herr Jiang [Yong] aus Wuyuan hat sich als erster ausschliesslich auf die dreihundert Gedichte [des Shi Jing] konzentriert, um die antiken Reime zu erhalten, und er kam auf dreizehn Reimgruppen, aber er war weiterhin verwirrt durch die Laute, welche die Leute heutzutage sprechen. Herr Duan [Yucai] aus Jintan war der erste, der erkannte, dass die antiken Reime von den modernen Reimgruppen völlig verschieden sein müssen, und er erhielt siebzehn Reimgruppen. Diese Beschäftigung mit den antiken Lauten war bis heute ein voller Erfolg. Um einen Vergleich zu ziehen: Wu Cailao war der Wegbereiter der antiken Lauten, Chen Jili ist durch das [äussere] Tor eingetreten, die Herren Gu und Jiang sind zur Halle emporgestiegen und Herr Duan ist schliesslich in den Saal eingetreten.232

230 Zheng Xiang: Vgl. Anmerkung 8 zu diesem Kapitel. 231 Chen Jili 陳季立 ist der Erwachsenenname von Chen Di. Vgl. zu ihm Anmerkung 41 oben. 232 Die unterschiedlichen Metaphern „Wegbereiter, Tor, Halle, Saal“ dienen zur Charakterisierung des Grades von Verständnis, welches diese Gelehrten der Phonologie entgegenbrachten. Es erinnert an die Charakterisierung des Zilu durch Konfuzius in Lunyu 11.14: „Der Meister: Dse-Lu gleicht einem, der zwar zur Halle emporgestiegen, doch nicht in das innere Gemach eingetreten ist.“ (子曰:「由也升堂矣,未入於室也。」 Konfuzius 1985, 81; Zhu Xi 2001, 148)



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又曰﹕ „古有正韻, 有合韻, 有通韻 [Teilsätze statt 有通韻,有合韻]。 最近之部為通 韻, 隔一部為合韻。 《詩經》用正韻者十之九, 用通韻者百中之五六, 用合韻者百中 之一二。 計三百五篇, 除《周頌》不論其《國[qi, guo weggelassen]風》、 《大、小[da xiao weggelassen]雅》, 商、 魯《頌》, 共詩一千百十有二章, 通韻六十見, 合韻十 餘見, 不得其韻者數句而已。 知其合, 乃愈知其分。 即其合用之故, 而因以知古部 之次第, 並可知《唐韻》誤合之由。“ (7A–B) Auch sagte er: In der Antike gab es reine Reime, unreine Reime (he yun 合韻) und wechselseitig austauschbare Reime (tong yun 通韻).233 Die nahe beieinander stehenden Kategorien gelten als austauschbare Reime, jene, die eine Kategorie überspringen, nennt man unreine Reime. Im Shi Jing wurden zu neun Zehntel korrekte Reime verwendet, austauschbare Reime machen etwa fünf bis sechs Prozent aus, und unreine Reime etwa ein bis zwei Prozent. Ziehen wir von den dreihundert Gedichten die „Preislieder der Zhou“ ab, so bleiben alles in allem, egal, ob „Landesweisen“, „Festlieder“ oder „Preislieder“ von Lu und Shang, an Gedichten 1102 Verse. Davon sind 60 austauschbare und etwas über zehn unreine Reime. Das heisst, von solchen Reimen findet man nur ein paar Verszeilen und das ist alles. Wenn man um das Zusammenlegen [der Reimgruppen] weiss, so sollte man auch umso mehr um das Trennen wissen. Wenn man den Grund für ihr unreines Reimverhalten kennt, dann kennt man damit auch den Ausgangspunkt für ihre fehlerhafte Zusammenlegung im Tang Yun.

Das Motiv, diesen Text hier zu zitieren, scheint gewesen zu sein, dass die Geschichte der qingzeitlichen Erforschung darin als Erfolg geschildert wird. Das steht im Widerspruch zu Dai Zhens Aussage, dass seit der Hanzeit keine vernünftigen Aussagen mehr möglich waren. Dabei bestätigt Fang die herausragende Stellung der qingzeitlichen Sprachforschung, was aber nicht im Widerspruch zu seiner Ablehnung der hanxue gesehen werden sollte. Er lehnte an der hanxue ja die exegetischen Anstrengungen ab, nicht die philologischen Grundlagen, wie schon wiederholt zu beobachten war. 又曰﹕ „古韻無四聲。 明陳氏已發其端, 江氏申明其說者, 不一而足。 然《標準》仍分 平、 上、 去、 入四部[bu statt 卷], 則自亂其例矣。 想、 眘、 齋於去入不能配合, 故聽其各見耳。“ (2B) Auch sagte er: In den antiken Reimen gab es die vier Töne noch nicht. Deren [zeitliche] Begrenzung hat Herr Chen [Di] aus der Mingzeit bereits im Ansatz entdeckt. Herr Jiang [Yong] war derjenige, der die Theorien weiter erhellt hat, und er stimmte mit ihm nicht nur in einem überein. Doch als er dann im Biaozhun234 die Aufteilung vollzog in ­gleichbleibenden,

233 Der hier als tong yun übersetzte „austauschbare Reim“ bezeichnet den sog. Subsequenzreim, bei dem eine offene Silbe (mit vokalischer Endung) mit einer Silbe gereimt wird, die eine konsonantische Endung hat. 234 Biaozhun ist hier eine Kurzbezeichnung von Jiang Yongs Werk Gu Yun Biaozhun 古韻標準 in vier Faszikel. Im Zhongguo Congshu Zongmu wird noch ein Anhang im Umfang eines Faszikels genannt mit dem Titel Shu Yun Ju Li 詩韻舉例. Beide Werke sind im Siku Quanshu enthalten (Zhongguo Congshu Zonglu 1986, 2:210).

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aufsteigenden, ausgehenden und eingehenden Ton, da hat er selbst seine eigenen Regeln durcheinander gebracht. Weil man [in den Reimgruppen] xiang, shen und zhai den ausgehenden und eingehenden Ton nicht in Übereinstimmung bringen konnte, war damals viel Widerspruch zu vernehmen.235 又曰﹕ „古無四聲。 確不可易矣! 然以今音讀之, 則聱牙而不協。 吳氏有以少從多 之例, 施於叶韻, 未免支離牽 [qian anstatt 遷]就; 施於四聲, 自可諧於今, 無背於 古。 如一章之中, 平多上少, 則改上以從平; 上多平少, 則改平以從上。 去、 入同 此例。“ (5B) Auch sagte er: In der Antike gab die vier Töne noch nicht, das ist wahr und unumstösslich. Wenn man jedoch [antike Texte] mit der modernen Aussprache liest, so ergibt das Zungenbrecher und keine Harmonie. Bei Herrn Wu finden sich viele Beispiele, in denen er induktiv vorging, und in denen er harmonisierende Reime zuordnete. So hat er es nicht vermieden, Dinge zusammenzuführen, die besser getrennt geblieben wären. Als er das anwandte auf die vier Töne, da konnten sie von selbst mit den modernen Lesungen in Übereinstimmung gebracht werden, ohne Rückhalt in der Antike. Gab es zum Beispiel den Fall, dass in einer Textpassage viele gleichbleibende und wenig aufsteigende Töne vorkamen, so hat er die aufsteigenden Töne abgewandelt, damit sie zu den gleichbleibenden passen. Waren die aufsteigenden zahlreich und die gleichbleibenden gering, so hat er die gleichbleibenden den aufsteigenden angepasst. Beim ausgehenden und eingehenden Ton verhält es sich gleich. 又曰﹕ „顧氏謂古人一字, 止有一音。 嘉定錢氏, 譏其固滯。 然兩漢、 魏、 晉, 固有一字數音者, 若三代之文, 則無此也。 至通韻、 合韻, 不得不遷就其音, 故以叶 別之, 然亦不過百中一二而已。“ (5A) Auch sagte er [d.h. nach wie vor Jiang Yougao]: Herr Gu war der Meinung, dass für die Leute im Altertum ein Schriftzeichen auch nur eine Aussprache habe.236 Herr Qian [Daxin] aus Jiading kritisierte diese starre Haltung. Wenn in den beiden Hanzeiten, der Wei- und der Jinzeit ein Schriftzeichen bestimmt mehrere Aussprache gehabt hat, dann soll das in den Texten der Drei Dynastien noch nicht so gewesen sein? Das hiesse, dass bei den austauschbaren und unreinen Reime die Lesungen gar nicht mit Gewalt passend gemacht worden wären. Das heisst aber, dass abgeänderte und so harmonisierte Aussprachen nicht mehr als ein, zwei Prozent ausmachen. 又曰﹕ 吳氏《韻補》, 顧氏《詩本音》, 從本音轉紐為多, 亦間有不用本音者。 如角字音祿, 羹字音郎。 以一隅之方音, 改易本音, 實為未妥。“ (4B) Und er sagte: Herr Wu im Yun Bu und Herr Gu im Shi Benyin: beide haben relativ häufig von der ursprünglichen Aussprache auf einen anderen Punkt in der Lauttabelle gewechselt, es kam sogar vor, dass die ursprüngliche Aussprache gar nicht zur Anwendung kam. Wenn etwa das Schriftzeichen jiao auch lu gelesen wurde und das Schriftzeichen geng auch lang

235 Es ist nicht klar, worauf Jiang Yougao sich hier bezieht. Shen und zhai sind keine Reimgruppen, allerdings gibt es die Reimgruppen xiao 宵 und qi 齊. Für letztere wird in der einen Kontrollausgabe zudem das alternative Schriftzeichen qí 亝 verwendet (vgl. Hanyu Da Zidian Suoyin Ben 1993, 163). 236 Fang schreibt in seinem Kommentar hierzu, dass Veränderungen des Tones hier nicht zählten. Ein Schriftzeichen mit einer Lesung im ersten und einer im vierten Ton, wie die oben zitierten Beispiele 觀 und 冠 ist hier also nicht gemeint.



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gelesen wurde.237 Aufgrund einer abwegigen regionalen Aussprache gleich die ursprüngliche Aussprache [eines Schriftzeichens] zu verändern, das ist wirklich unangemessen. 又曰﹕ „陳氏《毛詩古音考》, 率用直音。 於無可音之字, 多借相近者音之, 眘亝 譏其謬誤。“ (4A) Und er sagte: Herr Chen hat in Mao Shi Gu Yin Kao häufig die Aussprache eines Schriftzeichens durch eine direkte [homophone] Lautangabe angemerkt (zhi yin 直音). Wo es kein Homophon gab, hat er sich mit einem ähnlich auszusprechenden Schriftzeichen [Homöophon] beholfen. Shen und qi zeigen diese absurden Fehler deutlich auf. 又曰﹕ 《詩集傳》之誤, 顧氏辨之詳矣。 但《詩本音》之誤, 亦復不少。 蓋顧氏 只[zhi statt 止]知古有十部,而[hinzugefügt]不知古有二十[ershi statt nian 廿]一部。 故往 往以不入韻為韻, 又泥於《唐韻》次第, 不明古部次第通用之理。[… Satz ausgelassen] 孔氏《詩聲類》, 雖有補正三家之處, 乃臆 [肊] 為陰陽九聲之說, 穿鑿武斷, 功 過相參。“ (6B) Und er sagte: Die [phonologischen] Fehler [Zhu Xis] im Shi Ji Zhuan hat Herr Gu alle fein säuberlich erörtert, aber in Shi Benyin tauchen nicht wenige davon ebenso wieder auf. Dies ist wohl so, weil Herr Gu dachte, dass es in der Antike bloss zehn Reimgruppen gegeben hat und nicht erkannt hat, dass es einundzwanzig gibt.238 Deshalb hielt er nicht reimende Dinge für Reime und blieb der Reihenfolge des Tang Yun verhaftet, ohne das Prinzip des wechselseitigen Verwendens bei aufeinander folgenden antiken Klassen erkannt zu haben. Herr Kong [Guangsen] hat in seinem Shi Sheng Lei zwar gewisse Aussagen der drei Meister [vor ihm, d.s. Gu Yanwu, Jiang Yong und Dai Zhen] ergänzt und richtiggestellt, aber er hatte persönlich eine starke Neigung zu Reimen mit offenen Silben und Reimen mir nasalen Endungen und der Theorie der neun Artikulationsarten,239 und daher hat er an den Haaren herbeigezogene Schlüsse und gezwungene Folgerungen gezogen, und so werden seine Leistungen wieder durch Fehler aufgehoben. 又曰﹕ 唐、宋人不知古韻。杜、韓、蘇[作為古謌 weggelassen]詩歌雜文,能遵[zun anstatt zhen 臻]古體,而未達古音。吳才老雖云復古,無論其部分茫如,即所注之音亦多 錯誤。良由七音未細,聲紐未精。顧氏《詩本音》,臚列《唐韻》,使學者即《唐韻》 以求古部分。然不注明音切,淺者視之,仍茫如[hinzugefügt]也。“ (7A)

237 Beispiele: jiao zi yin lu, geng zi yin lang 角字音祿,羹字音郎. Wolfgang Behr erklärte mir im begleitenden Gespräch, dass dies im Lichte des fehlenden Bewusstseins für Konsonantenkluster zu verstehen sei. Nur mithilfe der Annahme, dass es in der ursprünglichen Aussprache in Konsonantenkluster gegeben habe, lassen sich solche phonologisch weit entfernten Aussprachen wie lu und jiao erklären. Der Nachweis von Konsonantenklustern im frühen Chinesisch gelang aber erst Joseph Atkins (1823–1905). 238 Fang Dongshu schreibt hierzu bewundernd in seinem Kommentar: an ci yi yong yu zixin 此 亦勇於自信: „Dies beweist Mut aufgrund des Selbstvertrauens.“ Jiang Yougaos System der 21 Reimgruppen wurde später von Zhang Binglin auf 25 und schliesslich von Huang Kan auf 28 Gruppen erhöht. Mittlerweile unterscheidet die antike Phonologie 41 Reimgruppen. 239 Die „Neun Artikulationsarten“ jiu sheng 九聲 bezeichnen eine Theorie, wonach es neun ­Artikulationsarten gibt, nämlich neben laryngal, glossal, dental, labial und nasal die labialisierten „halben“ Formen „semilaryngal“ 半喉音“, „semiglossal“ 半舌音, „semidental“ 半齒音 und „­semilabial“ 半唇音. Zhongguo Yuyanxue Da Cidian 1991, 722 schreibt die Theorie Zhang Xingfu 張行孚 (?–?), einem jinshi der guangxu-Zeit (1875–1908) zu, der aber nach Kong Guangsen lebte.

426 

 Kontroversen gegen Dai Zhen

Und er sagte: Die Menschen der Tang- und Songzeit wussten noch nichts von den antiken Aussprachen. Die Gedichte, Gesänge und Essays von Du [Fu], Han [Yu] und Su [Dongpo] konnten der alten Form ihre Reverenz erweisen, aber sie waren nicht in der Lage, bis zu den antiken Aussprachen vorzustossen. Wu Cailao hat zwar für sich reklamiert, das Altertum zu rekonstruieren, aber ohne Zweifel ist sowohl seine Einteilung in Klassen absurd, als auch die Tatsache, dass sich viele Fehler bei der Annotation von Aussprachen ergeben haben. Zudem waren damals die sieben Artikulationsarten noch nicht differenziert und die Artikulationsstellen der Anlaute und ihre Verteilung auf Knoten in den Reimtabellen waren noch nicht klar. Indem Herr Gu im Shi Ben Yun die mittelchinesischen Reime des Tang Yun aufgereiht hat, hat er die Gelehrten dazu gebracht, sich am Tang Yun zu orientieren, um so nach der Einteilung der antiken Reimkategorien zu forschen. Aber weil er die Lautangaben nicht deutlich genug angemerkt hat, betrachteten es die oberflächlichen Gelehrten und hielten es für Unsinn. 又曰﹕ 戴氏十六部次第, 以「歌」為首, 「談」為終。 段氏十七部次第, 以「 之」為首, 「歌」為終。 孔氏十八部次第, 以「元」為首, 「緝」為終。 以鄙見論之, 當以「之」第一, 「幽」第二, 「宵」第三云云。(5B) Und er sagte: Die Reihenfolge der 16 Reimklassen Herrn Dais beginnt mit ge und endet mit tan. Die Abfolge der 17 Reimklassen Herrn Duans beginnt mit zhi und endet mit ge. Diejenige der 18 Reimklassen Herrn Kongs beginnt mit yuan und endet mit ji. Wenn ich hier meine eigene Meinung äussern sollte, so müsste es mit zhi beginnen, dann müsste you kommen, als drittes xiao usw. usw.

Reihenfolge: Die hier angemerkte Reihenfolge bezieht sich auf die Reihenfolge der Reimgruppen in Dais Werk Sheng Lei Biao. Jiang Yougao hält dem eine Reihenfolge entgegen, in der zuerst alle offenen Silben kommen und dann alle mit konsonantischen Endungen. 按歙江氏之分部, 仿小徐之作《說文序篇》, 至有意義, 又其獨絕前人者, 尤在《入聲 表》。 學者求六家全書讀之, 音學之大旨盡於是矣。 Ich [d.i. Fang Dongshu] bin der Meinung. dass die Einteilung in Reimklassen von Herrn Jiang [Yougao] aus She die Art nachahmt, wie der kleine Xu das Vorwort zum Shuowen240 geschrieben hat: Es ist in hohem Masse schlüssig und grenzt sich zudem als einziger von den Vorgängern ab, vor allem in der Rusheng-Tabelle. Gelehrte können damit die ganzen Werke der Sechs Meister [d.h. die Sechs Klassiker] lesen, und darin erschöpft sich der hauptsächliche Sinn der Phonologie.

240 Der kleine Xu ist eine gängige Bezeichnung für Xu Kai 徐鍇 (921–975), den jüngeren Bruder Xu Xuans 徐鉉 (917–992). Die beiden Brüder haben das Shuowen neu editiert und den textus receptus des zweiten Jahrtausends bereitgestellt, nachdem es in der Wei-Jin-, Sui- und Tangzeit eine weniger dominante Rolle gespielt hatte, wenn es auch für Yu Pian und Jing Dian Shi Wen eine zentrale Grundlage war. Xu Xuan schrieb das aufgrund politischer Gründe als Standard übernommene Shuowen und sein Bruder das eigentlich besser kommentierte Shuowen Jiezi Xizhuan 說文解字繫傳. Darin kommentiert er auch das Nachwort des Shuowen (vgl. Xu Kai 1987, 285–290 u. 296–298).



Neunte Kontroverse: Umgang mit den Quellen 

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Fang Dongshu versäumt es nicht, nach dieser langen Diskussion erneut darauf hinzuweisen, dass die Phonologie letztlich nur eine Hilfswissenschaft ist, deren Sinn darin besteht, die Texte für die inhaltliche Betrachtung im Sinne der daoxue vorzubereiten. Dies entspricht dem utilitaristischen Standpunkt, den Fang gegenüber den philologischen Disziplinen das gesamte Werk hindurch ­einnimmt.

Neunte Kontroverse: Umgang mit den Quellen Gegenstand dieser kurzen Kontroverse (Fang Dongshu 1998, 358) sind die Quellen und materiellen Grundlagen für das Verständniss der Klassiker. Die Kontroverse ist die fünfzehnte des dritten Kapitels, und sie schliesst thematisch an die vierzehnte an, in der von einer Aussage Zhuang Xins 莊炘 (1735–1818) ausgehend Fang ausgiebig die Frage erörtert, ob die alten Bücher in der Südlichen Song verloren gegangen sind, wie Zhuang behauptet, oder nicht. Die folgende Aussage Dai Zhens argumentiert gleich, und Fang wiederholt deshalb nicht alle zuvor sehr detailliert vorgebrachten Argumente erneut. Jene vierzehnte Kontroverse beschäftigt sich mit dem materiellen Erbe der Vergangenheit in Form der Büche, un in dieser Kontroverse gegen Dai Zhen geht es erneut um dieses Thema (Fang Dongshu 1998, 354–358). Offensichtlich herrschte unter den Gelehrten der hanxue die Meinung, dass die daoxue verantwortlich zu machen sei für die unterbrochene Tradierung vieler Bücher aus der Zeit vor der Tang. Grund für diese Annahme ist die korrekte Beobachtung, dass viele Werke, die noch in den bibliographischen Katalogen der Sui oder der Tang verzeichnet waren, im bibliographischen Katalog der Song nicht mehr vorkamen. Als Grund vermutet die hanxue die vermeintliche Geringschätzung der songzeitlichen daxoxue für das geschriebene Wort. Die Kontroverse beginnt mit den Worten: „Herr Zhuang Xin sagte: Die Bücher des Altertums gingen in der Südlichen Songzeit verloren. Von dem, was in den bibliographischen Katalogen der Sui- und Tangzeit verzeichnet ist, ist nicht der zehnte Teil erhalten, was auf den Fehler ihrer hohlen Erörterung der menschlichen Natur und des Schicksals zurückzuführen ist.“ In einer ausgesprochen umfangreichen und detailgetreuen Replik zeichnet Fang die Geschichte von bibliographischen Sammlungen nach.

Aussage Dai Zhens 戴氏曰﹕「眾家之書,亡於永嘉,師承不絕獨鄭氏。後儒不足知其貫穿群經以立言,又 苦義疏繁蕪,於是兢相鑿空。朱子嘗在朝與議父在孫為祖承重服。退居時,檢得康成答 趙商問。因謂﹕王介甫新經出,士棄注疏不讀,卒有禮文相視茫如」 云云。

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Herr Dai sagte: „Die Bücher aller Experten gingen in [der Regierungsperiode] yongjia verloren, und von den Lehrtraditionen war es einzig diejenige von Herrn Zheng [Xuan], die nicht unterbrochen wurde.241 Die späteren Konfuzianer erkannten aber nicht in hinreichendem Mass, dass er seine Aussagen auf der Basis eines durchdringenden und einheitlichen Verständnisses der verschiedenen Klassiker machte, daher entstanden unverständliche interpretatorische Subkommentare wie Unkraut, wodurch folglich die fürchterlichsten an den Haaren herbeigezogenen Schlüsse gezogen wurden. Meister Zhu versuchte, diese bei Hof [durchzusetzen], und so argumentierte er, dass wenn der Vater noch lebt, der Nachfahre zweiter Generation eine doppelte Trauer einhalten müsse.242 Als er sich [von Hof] zurückzog, suchte er sich die Antwort heraus, die [Zheng] Kangcheng dem Zhao Shang243 gegeben hatte. Daher sagte [Zhu Xi]: Als die neuen Klassiker des Wang Jiefu erschienen, haben die Gelehrten die Kommentare und Subkommentare verworfen und sie nicht weiter gelesen, so dass es am Schluss zwar die Ritentexte gab, [die Gelehrten] sich aber gegenseitig ansahen und nichts mehr wussten.“244 usw. usf.

Der Text, aus dem Fang Dongshu hier zitiert, heisst Zheng Xue Zhai Ji 鄭學齋記, und er ist enthalten im Dai Zhen Wenji (Dai Zhen 1980, 177). Die Datierung weist den Text aus als Produkt des neunten Monats des Jahres 1758. Dai schrieb ihn für

241 Es gab in der chinesischen Geschichte zweimal eine Regierungsdevise yongjia 永嘉, nämlich im Jahr 145 der Östlichen Hanzeit sowie im Zeitraum zwischen 307 und 303 der Westlichen Jinzeit. Aufgrund der Aussage, dass einzig die Lehrtradition Zheng Xuans überlebt habe, lässt sich schliessen, dass die spätere yongjia-Zeit gemeint war, denn im Jahr 145 kann aus chronologischen Gründen noch nicht die Rede sein von einer Lehrtradition Zheng Xuans. Diese Lehrtradition ist nach traditioneller Ansicht auch diejenige Xu Shens, denn dieser hatte einen starken Einfluss auf Ma Rong, den Lehrer Zheng Xuans. 242 Der Satz „Zhuzi chang zai chao yi fu zai sun wei zu chengzhong fu 朱子嘗在朝議父在孫為 祖承重服“ ist schwierig zu interpretieren. Nach meinem Verständnis ist das Schlüsselwort hier chenzhong 承重, was laut HYDCD 1:773 bedeutet, dass ein Sohn, dessen Vater gestorben ist, im Fall, dass seine Grosseltern in der Trauerperiode für den Vater sterben, eine doppelte Trauer zu beachten habe. Dies würde eine grosse Belastung bedeuten und daher ist es eine gegen Zhu Xi gerichtete Anschuldigung. Die doppelte Trauer wird im Yi Li erwähnt und offenbar von Dai Zhen auch befürwortet. Der Vorwurf gegen Zhu Xi, dieser verlange in jedem Fall eine doppelte Trauer, scheint ein polemischer Vorwurf zu sein, denn es liess sich im Zhu Xi Jia Li 朱熹家禮 nichts darüber finden (Ebrey 1991, 141–143). Dort wird der Ausdruck chengzhong verstanden als „double heir (grandson, who succeeds to his grandfather because his father is not alive)“ (ebd., 214). 243 Zhao Shang 趙商 (?–?, 2. fl. Hälfte 2. Jhs. n. Chr.) war ein Schüler Zheng Xuans, er kam mit anderen Schülern von weit her, um Zheng zu besuchen. Zhao wird erwähnt in Zhengs Biographie im Houhan Shu (5:35/1208) (vgl. De Crespigny 2007, 1105). 244 Wang Jiefu 王介甫 ist der Erwachsenenname von Wang Anshi 安石 (1021–1086). Zhus Kritik richtet sich gegen Wang Anshi und die von ihm kritisierten „neuen Klassiker” sind die neue Gesellschaftsordnung Wang Anshis. Die Beschäftigung mit dieser neuen Materie bezeichnet Zhu Xi als Grund für die Vernachlässigung der Klassikerexegese. Inwiefern dies einen Rückgriff auf Zheng Xuan darstellt, wird im Folgenden von Fang Dongshu diskutiert. In der Biographie Zheng Xuans ist zumindest keine entsprechende Unterhaltung verzeichnet.



Neunte Kontroverse: Umgang mit den Quellen 

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den Beamten und mutmasslichen Mentor Wang Chang 王昶 (1725–1806), dessen Studierzimmer in Ehrerbietung Zheng Xuans benannt war. Fang zitiert erneut nur die für ihn relevanten Teile, diese aber wörtlich korrekt. Zwischen dem Ende des ersten Satzes und dem Beginn des zweiten lässt Fang einen längeren Satz aus, in dem andere abgebrochene Überlieferungstraditionen der hanzeitlichen Gelehrsamkeit erörtert werden.

Fang Dongshus Replik 按﹕ 胡紘論甯宗為孝宗服, 止應期。 以光宗雖廢, 固尚在也。 朱子心非之, 而無以折。 後 見《鄭志》答趙商問, 乃有 「諸侯父有廢疾, 不任國政, 不任喪」之問; 而鄭答以 「天 子、 諸侯服, 皆斬」之文, 方定「父在, 為祖承重之服」。 因嘆「若無康成, 此事終未有 斷決」云云。 戴氏宗信鄭學, 此論信正無病, 亦只依傍朱子, 可知不能出朱子之教之範圍。 Replik: Als Hu Hong erörterte, wie der Ningzong-Kaiser [der Song] um [seinen Grossvater] den Xiaozong-Kaiser trauern sollte, da beschränkte sich [diese Diskussion einzig] auf [Hu] Yingqi [selbst].245 Und obwohl der Guangzong-Kaiser bereits verstorben war, tat er doch weiterhin so, als ob er noch lebte. Meister Zhu hat dies in seinem Herzen abgelehnt, aber er konnte [solches Verhalten] nicht unterbinden. Später sah er, wie im Zheng Zhi auf die Frage von Zhao Shang geantwortet wurde. Dort wird die Frage gestellt „Wenn der Vater eines Lehnsfürsten unfähig ist zur Regierung oder schwer krank, soll er sich dann nicht mehr um Regierungsgeschäfte kümmern, oder soll er sich nicht mehr um die Trauerpflichten kümmern?“ Und Zheng antwortet ihm mit den Worten: „Wenn der Himmelssohn oder ein Lehnsfürsten trauert, dann tragen alle Trauergewänder.“ Und gleich darauf präzisierte er: „Wenn der Vater noch lebt, gilt für den Grossvater doppelte Trauer.“, worauf dieser seufzt: „Wenn wir nicht [Zheng] Kangcheng hätten, wäre diese Angelegenheit ewig nicht entschieden worden.“ usw. usf.246 Herr Dai verehrt die Gelehrsamkeit von Zheng [Xuan] wie eine Religion, und diese [eben zitierte] Erörterung ist korrekt und ohne Probleme. Doch selbst wenn man sich nur hierauf gestützt an Meister Zhu annähert, so sieht man doch, dass man dem Einflussbereich der Lehre Meister Zhus nicht entkommt.

245 Hu Hong 胡紘 (?–?; fl. 1194–1201) mit Erwachsenennamen Yingqi 應期 war ein jinshi von 1163. Hu war ein Gegner Zhu Xis. Er kritisierte diesen als Anführer der falschen Gelehrsamkeit (wei xue 偽學). Auch klagte er Zhou Ruyu an und erhielt einen Posten unter Han Tuozhou. Er blieb zeitlebens ein Gegner der daoxue (ZHZ 1685). Der Ningzong-Kaiser (Reg. 1194–1224) war nicht der direkte Nachfolger des Xiaozong-Kaisers (Reg. 1162–1189). Zwischen diesen regierte der Guangzong-Kaiser von 1189–1194. Hus Beitrag zum Konfuzianismus im Kontext seiner Familie wird diskutiert in Hans van Ess’ Studie Von Ch’eng I zu Chu Hsi von 2003. 246 Fang Dongshu zitiert diese Stelle des Zheng Zhi 鄭志 wie ein wörtliches Zitat, bzw. Zhu Weizheng weist sie durch seine Interpunktion als solche aus. Es handelt sich um ein Zitat aus der Song Shi (Song Shi 122 „li zhi 75“, vgl. Ershiwu Shi 1986 7:5559a, vgl. unten).

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Historischer Hintergrund In dieser Kontroverse scheint es oberflächlich um eine rituelle Frage zu gehen, nämlich darum, wie das Trauerverhalten eines Menschen aussehen soll, wenn der Grossvater tot ist, der Vater aber noch lebt, und dann der Vater während der dreijährigen Trauerzeit verstirbt. Genau dieser Fall trat ein in der Thronfolge der drei Songherrscher mit den Tempelnamen Xiaozong, Guangzong und Ningzong. Der erste dieser Kaiser, dessen Regierungszeit für gewöhnlich als die Hochblüte der Südlichen Song angesehen wird, war der Adoptivsohn des kinderlosen Gaozong-Kaisers (er war ein entfernter Neffe). Dieser trat, wie sein Vater vor ihm, von den Regierungsgeschäften zurück (im Jahr 1167), er lebte aber noch bis 1187. Beim Tod des Gaozong-Kaisers war Xiaozong dann so von Trauer erfüllt, dass er die Geschäfte nicht mehr führen konnte und daher 1189 zugunsten seines Sohnes auf den Thron verzichtete. Auch dieser zurückgetretene Kaiser lebte nach seinem Rücktritt noch einige Jahre weiter, nämlich bis 1194. Sein Sohn, der später als Guangzong-Kaiser kanonisierte Zhao Dun war nur von 1190 bis 1194 Herrscher, war aber in den letzten zwei Jahren seiner Regierung „emotionally impaired“, wie Mote schreibt (Mote 1999, 308–310). Er starb im selben Jahr wie sein Vater, so dass sich der Ningzong-Kaiser in der beschriebenen Situation fand, gleichzeitig um seinen Grossvater und um seinen Vater trauern zu müssen. Diese Situation wird erörtert in der Abteilung „Rituelle Vorschriften für Unglücksfälle“ (xiong li 凶禮) der Dynastiegeschichte der Song (Song Shi 122 „li zhi 75“, vgl. Ershiwu Shi 1986 7:5559a). Fangs Replik stellt grossteils ein Zitat dieses Textes dar. Es wird dort berichtet, dass Zhu Xi sich an den Diskussionen dieser und ähnlicher Fragen orientiert habe, die im Zheng Zhi festgehalten sind, einem Werk Zheng Xiaotongs 鄭小同 (?–?; fl. 3. Jh.) in drei ­Faszikeln. Das Werk hält Diskussionen zwischen Zheng Xuan und seinen Schülern fest. In der Dynastiegeschichte der Song ist das von Fang zitierte Gespräch festgehalten.

Thema der Kontroverse In dieser Kontroverse geht es allerdings wohl weniger um die Frage, wie das beschriebene rituelle Dilemma zu lösen ist, als vielmehr um Dai Zhens impliziten Vorwurf, Zhu Xi sei in seiner Gelehrsamkeit nicht weiter gekommen als Zheng Xuan. Deshalb habe er auf die Ansichten Zheng Xuans zurückgegriffen, um das rituelle Problem zu erörtern. Der Rückgriff auf Zheng wird tendenziös Bankrotterklärung der songzeitlichen Gelehrsamkeit hochstilisiert. Dies zur ­ demonstriert in anschaulicher Weise, in welch einseitigem Licht die Ereignisse der Vergangenheit wahrgenommen werden. Die Tatsache, dass Zhu Xi in



Neunte Kontroverse: Umgang mit den Quellen 

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seinem Verständnis der Klassiker auch auf die Autoritäten der Vergangenheit zurückgriff, ist eigentlich nicht sonderlich bemerkenswert, denn das gehört zum Selbstverständnis jeder Exegesetradition. Zudem ist hervorzuheben, dass Zheng Xuan als Kommentator aller drei Ritenklassiker ein ausgemachter Ritenexperte war, so dass es nicht erstaunt, dass sein Urteil auch während der Song grosses Gewicht hatte. Erst im Licht der Voreingenommenheit qingzeitlicher Schulrivalitäten lässt sich Zhu Xis Rückgriff auf den hanzeitlichen Exegeten als Schwäche interpretieren. Zhu Xi hat gemäss Dai Zhens Darstellung zunächst dasselbe Verhalten befürwortet, das auch Hu Hong befürwortete, nämlich keine besonderen Massnahmen zu treffen für den Fall der doppelten Trauer. Erst in einer späteren Darstellung vertritt Zhu die Meinung Zheng Xuans, wodurch für Dai Zhen die Schwäche belegt ist. Fangs Replik beginnt mit einem Hinweis auf Hu Hong,247 den neben dem Kanzler Han Tuozhou mächtigen Mann der frühen Ningzong-Jahre. Hu Hong kam 1194 in die nationale Politik und führte ab 1195 den Kampf gegen Zhu Xi und die daoxue. Bei der fraglichen Episode der Dynastiegeschichte handelt es sich um eine Begebenheit aus dem Jahr 1196. Zu diesem Zeitpunkt waren Zhu Xi und seine Lehre bereits diskreditiert und als „falsche Gelehrsamkeit“ (wei xue 偽學) verunglimpft. Laut Aussagen der Dynastiegeschichte geht daher die Entscheidung, dem Kaiser zur normalen Trauer zu raten, einzig auf Hu Hong zurück. Daher Fang Dongshus erste Abwehr, dass der Vorwurf an Zhu ungerechtfertigt sei. In seinem abschliessenden Satz verweist Fang Dongshu dann korrekt auf die Tatsache, dass Dai die Begebenheit in einseitigem Licht erscheinen lässt. Sein abschliessender Satz ist entsprechend als Hinweis auf die Tatsache zu verstehen, dass die Meinung Zhu Xis zu dieser rituellen Frage in der Dynastiegeschichte zitiert wird, er also von den Kompilatoren des Werkes als Autorität anerkannt wurde. Die hanzeitliche Aussage Zheng Xuans wird im Kontext der songzeitlichen Diskussion und damit auch für einen Tongcheng-Gelehrten wie Fang erst validiert, indem sie aus dem Munde Zhu Xis stammt. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass die Vertreter der beiden Schulen sich in ihren Ansichten zur Politik der Songzeit eigentlich einig sind. Fang geht es darum, die von Dai formulierte Spitze gegen Zhu Xi und dessen Umgang mit Zheng Xuans Vorarbeit zu widerlegen.

247 In der Songzeit gab es zwei bekannte Männern namens Hu Hong. Der von Fang angesorochene schreibt sich 胡紘 und ist nicht zu verwechseln mit Hu Hong 胡宏 (1105–1155), dem – in Umschrift – gleichnamigen Sohn Hu Anguos, der ein Philosoph der daoxue war und ein Werk namens Zhi Yan 知言 verfasst hat.

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

Zehnte Kontroverse: Die Exegese Die zehnte und letzte der Kontroversen gegen Dai Zhen schliesst im Text direkt an die vorhergehende an (Fang Dongshu 1998, 358–359).

Aussage Dai Zhens 又曰﹕ 「後儒鑿空之說, 歧惑學者, 其弊有二﹕ 一、 緣詞生訓; 一、 守譌傳謬。 緣詞 生訓,所釋之義,非其本義; 守譌傳謬, 所傳之經, 並非其本經。」 Auch sagte er: Die auf absurden Schlüssen beruhenden Theorien späterer Konfuzianer, [mit denen sie] die Gelehrten verwirren und verunsichern, ist auf zwei Fehler zurückzuführen: zum einen die aus einer marginalen Wortbedeutung entstandene Wortglossierung, und zum anderen das Festhalten am Falschen und die Tradierung von Widersinnigkeiten. Die aus einer marginalen Wortbedeutung entstandene Wortglossierung, das bedeutet, dass es nicht ihre ursprüngliche Bedeutung ist. Festhalten am Falschen und die Tradierung von Widersinnigkeiten, das bedeutet, dass die tradierten Klassiker sicher nicht die ursprünglichen Klassiker sind.“

Es ist nicht klar, woher die in dieser Kontroverse zitierte Textpassage Dai Zhens stammt. Dafür sind die darin gemachten Vorwürfe mittlerweile wohlbekannt: Die songzeitlichen Exegeten der konfuzianischen Klassiker, allen voran Zhu Xi, werden beschuldigt, nicht auf die ursprüngliche Bedeutung der Wörter zurückgegriffen und daher nicht die ursprüngliche Bedeutung der Texte erschlossen zu haben. Dabei impliziert der Ausdruck „ursprüngliche Bedeutung“ (ben yi 本 義) im vorliegenden Kontext ein Glaubensbekenntnis zum Shuowen Jiezi und seiner Lehre, wonach die eigentliche oder eben ursprüngliche Bedeutung eines Schriftzeichens (ein alternativer Ausdruck ist der Terminus „Systembedeutung“) in diesem graphisch kodiert sei. Alle weiteren „Bedeutungen eines Schriftzeichens“, also alle anderen Wörter, die durch dasselbe Schriftzeichen verschriftet werden, werden als abgeleitete Bedeutungen, bzw. übertragene Bedeutungen yinshen yi 引申義 bezeichnet (vgl. auch die fünfte Kontroverse). Gemäss seiner immer wieder geäusserten Meinung entsprach es dem Sprachverständnis Dai Zhens, dass alle Wörter der Klassiker in ihrer ursprünglichen Bedeutung gelesen werden sollten. Dies ist freilich illusorisch, wie auch Dai sicher erkannt hat. In seinen Schriften liess sich diese Forderung zudem nicht expressis verbis festmachen. Dai ging es um das Verständnis der daoxue-Schlüsselbegriffe wie qi, li oder xin. Nach Fangs Darstellung lehnte Dai durch eine Art Sprachfundamentalismus das daoxue-Konzept der Rechten Ordnung li 理 ab, weil die ursprüngliche Bedeutung die Maserung eines Steines bezeichne, und daher eine metaphysische Sinngebung unzulässig sei. Diese Darstellung ist überspitzt, wenn Dai auch die



Zehnte Kontroverse: Die Exegese 

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Shuowen-Glosse zu li in seiner Erörterung des Begriffes zitierte. Seine Haltung gegenüber li war allerdings, dass die von der daoxue angenommene Bedeutung unzutreffend sein könne, weil die hanzeitlichen Glossen ein solches Verständnis nicht unterstützten. Was weder Fang noch Dai in dieser Kontroverse vorbringen, das ist der Hinweis auf eine mögliche Weiterentwicklung der Lehre. Dai argumentiert, dass die songzeitliche Weiterentwicklung unzulässig sei, weil in der Lehre des Meisters ursprünglich nicht vorgesehen. Fang entgegnet das gesamte Hanxue Shangdui hindurch, dass Konfuzius’ Lehre genau das gemeint habe, was Zhu Xi später in Worten ausdrücken sollte. Es entspricht den Erwartungen gegenüber einem konfuzianischen Argument, aber trotzdem ist immer wieder bemerkenswert, dass es offenbar gegen ein grundsätzliches Tabu verstossen hätte, die Tatsache zu akzeptieren, dass Zhu Xi, angeregt durch neue Fragestellungen, die konfuzianische Lehre um eine Theorie der Erkenntnistheorie und der Natur der Dinge erweitert hat. Die Theorie kann einzig dann Gültigkeit reklamieren, wenn sie sich in den Schriften der Antike verankern lässt.

Fang Dongshus Replik 按﹕ 此論是也。 而亦宜分別言之。 何者? 若去義理, 專以訓詁、 小學說經, 雖不鑿 空, 却成穿鑿。 其緣詞生訓, 守譌傳謬, 歧惑學者, 更有甚焉。 如諸漢學家所著書十 百條中, 不能一二得真得是, 然無不各自矜為得本經本義。 誠有如荀悅《申鑒》所論 云云。 必也以義理左驗, 兩者相證, 而折其衷, 庶乎其不差耳。 又諸漢學家, 皆譏義 理為鑿空, 亦是詖辭。 須知孔子繫《易傳》, 及子夏、 子貢、 孟子、 《禮記》、 《大 學》、 《中庸》諸篇, 及《孝經》等, 凡引《詩》、 《書》, 皆不拘求訓詁。 即漢儒 如費直、 匡衡亦然。 不獨程子也。 然而, 朱子訓詁諸經, 一字一句, 無不根極典謨。 不如漢學家泛引駁雜, 反指朱子引用正信者, 為鑿空也。 Replik: Diese Darstellung entspricht der Wirklichkeit, doch sollte man sie angepasst und differenziert erörtern. Was heisst das? Wenn man die moraltheoretische Interpretation weglässt und einzig mithilfe der Worterklärungen und Wortglossierungen und den philologischen Hilfswissenschaften die Klassiker erklärt, so zieht man vielleicht keine an den Haaren herbeigezogenen Schlüsse, aber es ergeben sich [gerade so] absurde Schlüsse. Und das trifft das noch viel mehr auf das zu, was er „Aus einer marginalen Wortbedeutung entstandene Wortglossierung“, „Festhalten am Falschen und Tradierung von Widersinnigkeiten“ und „die Gelehrten verwirren und verunsichern“ nennt. So ist es etwa nicht möglich, in all den Werken, welche die Experten der hanxue verfasst haben mit ihren Dutzenden und Hunderten von [glossierenden] Einträgen, auch nur ein oder zwei Zehntel an Wahrem und Richtigen zu finden. Und doch gibt es keinen [Autoren], der nicht für sich reklamiert, den ursprünglichen Klassiker und die ursprünglichen Wortbedeutung erlangt zu haben. Das ist genau so, wie es Xun Yue im Shen Jian geschrieben hat. Wirklich nötig wäre, dass sich moraltheoretische Interpretation und philologische Randnotizen (zuo yan 左驗) wechselweise bestätigen. Dabei muss man beide auseinander halten, weil sie im Kern fast keinen Unterschied zueinander aufweisen. Darüber hinaus ist die Tatsache, dass alle Experten der

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 Kontroversen gegen Dai Zhen

hanxue die Moraltheorie als an den Haaren herbeigezogene Schlüsse verunglimpfen, auch nur eine voreingenommene Beurteilung. Es ist nötig zu verstehen, dass Konfuzius beim Verfassen des Yi [Jing Xi] Zhuan, ebenso wie Zixia, Zigong, Menzius, das Liji, das Daxue, das Zhong Yong und das Xiao Jing alle das Shi [Jing] und das [Shang] Shu zitierten, sich dabei aber alle nicht auf das Heranziehen von Wortglossierungen beschränkt haben. Bei den hanzeitlichen Konfuzianern wie Fei Zhi und Kuang Heng248 verhielt es sich genauso, das war nicht nur bei Meister Cheng so. Gleichwohl ging Meister Zhu von Zeichen zu Zeichen und von Satz zu Satz vor, als er Worterklärungen zu allen Klassikern festhielt, und es ist nicht eine dabei, bei der er sich nicht auf die alten Schriften und Dokumente stützte. In dieser Hinsicht war er nicht wie die Spezialisten der hanxue. Diese kritisieren mit sehr allgemeinen Verweisen alles durcheinander, werfen ihrerseits aber Meister Zhu vor, an den Haaren herbeigezogene Schlüsse zu ziehen, indem er das [eigentlich] Korrekte und Vertrauenswürdige heranzieht und verwendet.

Diese letzte kurze Kontroverse bringt noch einmal die grundsätzlichen Unterschiede zwischen der hanxue und der daoxue zum Ausdruck. Die daoxue wird hier von Fang Dongshu vertreten, für den Zhu Xi das Alpha und Omega der konfuzianischen Exegese darstellte. Zudem pocht Fang immer wieder auf die Tatsache, dass die Kommentare Zhu Xis in der Regel einige sprachliche Glossen beinhalten, ehe die textliche Interpretation folgt. So ist der Hinweis zu verstehen, dass die Meister der Vergangenheit wie auch Meister Cheng sich bei ihrem Rückgriff auf die Klassiker nicht auf die Wortbedeutungen bezogen, sondern auf den Inhalt des Abschnitts. Zhu aber ging gleichwohl von Schriftzeichen zu Schriftzeichen vor, übertraf also an Präzision die davor Genannten. Zu Beginn seiner Replik hinterfragt Fang Dongshu die Vorwürfe Dais, indem er auf die „aus einer marginalen Wortbedeutung entstandene Wortglossierung“ eingeht. Sein nicht ausformulierter Vorwurf an die hanxue ist, dass das Einsetzen der im Shuowen angegebenen Wortbedeutungen für die Texte der Klassiker zu einem weitaus absurderen Resultat führen würde, als es mit einer daoxue-­ Interpretation je möglich wäre (wobei diese natürlich als korrekt beschrieben wird). Dieses von Fang immer wieder hervorgehobene Argument ist insofern zutreffend, dass sich mit dem starren Einsetzen der Systembedeutung für die Schriftzeichen der konfuzianischen Schlüsselbegriffe keine Texte sinnvoll lesen lassen. Fangs Gegenvorschlag wurde zuvor auch schon formuliert: Die Glossierung von Begriffen muss mit der Interpretation in einem sinnvollen ­Zusammenhang stehen, d.h.

248 Fei Zhi 費直 (?–?, Westliche Han) war ein hanzeitlicher Gelehrter und Spezialist des Yi Jing. Seine Fassung des Yi Jing wurde Fei Shi Yi 費氏易 genannt und Liu Xiang hat sie für die einzige guwen-Ausgabe gehalten. Siehe Loewe 2000, 96–97. Kuang Heng 匡衡 (1. Jh. v. Chr.) war ein Spezialist der Shi Jing-Tradition aus Qi, des sog. Qi Shi und zudem ein einflussreicher Politiker. vgl. Loewe 2000, 213–215.



Zehnte Kontroverse: Die Exegese 

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die inhaltliche Auslegung eines sprachlichen Abschnittes geht vom Verständnis der darin enthaltenen Einzelwörter aus, während diese wiederum gemäss dem ­ erständnis von einVerständnis eines ganzen Abschnitts verstanden werden. V zelnen Wörtern und dem ganzen Abschnitt gleichen sich einander näherungsweise an, bis man für jedes Wort eine Bedeutung benennen kann, die durch das ­Vorkommen in anderen Texte gestützt ist, und die mit dem Verständnis des Gesamttextes in Übereinstimmung stehen.

Nachwort Die vorliegende Forschungsarbeit untersucht diskursanalytisch die Situation in den Zirkeln der konfuzianischen Gelehrtenelite anhand von Angriffen auf den Gelehrten Dai Zhen 戴震 (1723–1777) im Werk Hanxue Shangdui 漢學商兌 von Fang Dongshu 方東樹 (1772–1851). Dazu wurden die zehn Kontroversen analysiert, in denen Fang Aussagen des zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen Dai paraphrasierte und dann im Detail kritisierte. Um die diskursive Situation in den Schulstreitigkeiten einschätzen zu können, wurde das Werk, der Autor und die im Werk angegriffenen Gelehrten dargestellt. Ein weiterer Fokus lag auf der Rezeptionsgeschichte und wissenschaftlichen Einschätzung dieser historischen Situation. Es zeigte sich, dass Aspekte der durch den „Vierten Mai“ determinierten Rezeptionstradition zu revidieren sind, um der historischen Situation adäquat Rechnung zu tragen. Diese Arbeit befasst sich mithin mit dem qingzeitlichen Diskurs wie auch dem Metadiskurs des Zwanzigsten Jahrhunderts. Es hat sich gezeigt, dass beide Schulen vom Standpunkt ihrer jeweiligen Apologie aus argumentieren. In gewissen Fällen machte es den Eindruck, als sei Fang flexibler in seinen Ansichten, und er wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass die konfuzianische Lehre kein blosser Selbstzweck ist, sondern dass sie die Grundlage des Staates bildet. Kritik am Konfuzianismus ist aus Fangs Sicht somit keine Frage der Gelehrsamkeit als vor allem eine Frage des politischen Überlebens des Reiches: Fällt die daoxue-Interpretation der konfuzianischen Klassiker, dann wird die Lehre fallen und mit ihr letztlich auch die Dynastie. Als Ergebnisse dieser Studie ist festzuhalten, dass beide untersuchten Seiten, Dai Zhens kontextualisierte Aussagen im Sinne der hanxue wie auch die ausgiebigen Repliken Fangs, bestimmt durch die Apologie des daoxue-Konfuzianismus, von ideologischen Axiomen determiniert werden. Die Bezeichnung der hanxue als einer wissenschaftlichen oder protowissenschaftlichen Weltanschauung ist somit nicht haltbar. Die Methode der Argumentation ist ebenfalls auf beiden Seiten vergleichbar, wenn auch Dai Zhen im Buch selbst weniger zu Wort kommt, aber hier haben die umfangreichen Anmerkungen zu den Texten die Einseitigkeit des Hanxue Shangdui hoffentlich wettgemacht. Beide Seiten argumentieren mit grosser Sprachlogik und einem diskursiv dominanten Duktus, ohne dabei ernsthaft auf die Gegenseite einzugehen. Die Studie hat weiter nahelegen können, dass die orthodoxe Form der Lehre, der daoxue-Konfuzianismus, wie er durch den Kaiserhof rezipiert und als Staatslehre gepflegt wurde, anscheinend Gefahr lief, die diskursive Dominanz zu verlieren. Die Gewichtung der einzelnen Teile von Beamtenprüfungen hatte sich verändert, das gigantische Siku Quanshu-Projekt und schliesslich die Veröffentlichung der „Philosophiegeschichte“ Hanxue Shicheng Ji durch Jiang Fan liessen im von



Nachwort 

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der Orthodoxie geprägten Gelehrten Fang Dongshu die Überzeugung reifen, dass die Lehre um den Rechten Weg gefährdet sei. Dies ist ein in der Tradition des Konfuzianismus häufig zitiertes Motiv für das Abfassen eines Textes, aber im Falle Fang Dongshus ging die Veränderung im konfuzianischen Diskurs einher mit einer tatsächlichen Verschlechterung der Lebensumstände und der politischen Souveränität des Reiches, und er brachte diese Dinge in Verbindung. Entsprechend scheint es glaubhaft, dass Fang aus echter Sorge um das Reich, das er weniger von innerer Korruption oder britischer Imperialpolitik bedroht sah als vielmehr vom Verlust an ihrem Anteil an der kosmischen Ordnung, sein Werk abfasste. Darin betont er wieder und wieder, dass der Sinn der Gelehrsamkeit nicht ein Selbstzweck sein könne, vielmehr müsse wie seit ewigen Zeiten das Erreichen des Grossen Friedens (tai ping 太平) im Zentrum des konfuzianischen Lernens und Lehrens stehen. Genau diesen Blick für den grossen Zusammenhang vermisst Fang bei seinen Gegnern, die mit ihrer kleinlichen Textkritik nur destruktiv auf die Lehre einwirken, indem sie die kanonischen Texte und die ebenso kanonisierten Kommentare Zhu Xis in Frage stellen. Entsprechend seiner Vorstellung hofft er durch ein Ende der Kritik an Zhu Xi auf eine Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung. Entsprechend der idealistischen Vorstellung muss der Friede im Reich mit dem Prozess der Erkenntnis jedes einzelnen beginnen, deshalb sind die Argumente, die Fang seinem Gegner Dai Zhen entgegenhält, weniger theoretisch gemeint, als sie wirken mögen. Die Erörterungen der Rechten Ordnung waren sowohl für Dai wie für Fang keine theo­retische Spielerei, denn das Menschenbild wurde genau daraus abgeleitet. Dai war ebenso überzeugt, dass Vorstellungen der daoxue darin resultieren, dass Menschen zu Tode kommen, weil deren natürliche Bedürfnisse nicht wahrgenommen werden. Durch eine detailgetreue Darstellung der unterschiedlichen Lehrmeinungen wurde so deutlich, dass beide Seiten letztlich ein politisches Anliegen verfolgen. Beide Seiten wollten die Stellung des Konfuzianismus als den gesellschaftlichen Diskurs dominierende Lehre beibehalten, stritten sich aber um die korrekte ­Ausrichtung. Das Erkenntnisinteresse darf sich natürlich nicht auf diese eine Auseinandersetzung oder die Kenntnis eines Werks beschränken. Dazu war auch das Hanxue Shangdui ein Werk mit zu unsicherer Wirkung. Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus Analyse der Umstände für die Erforschung des Konfuzianismus am Vorabend eines grundsätzlichen Umbruchs in der chinesischen Geschichte? Insbesondere auch angesichts der Tatsachen, dass dieses Werk erstens relativ spät entstand (1824–1826), und dass zweitens sein Autor in der sozialen Hierarchie der Zeit eine unbedeutende Stellung einnahm.

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 Nachwort

Die Form der Auseinandersetzungen Das Hanxue Shangdui stellt eine Auseinandersetzung „in a nutshell“ zwischen zwei Schulen des Konfuzianismus der späten Kaiserzeit dar. Das bedeutet, dass die Kritik Fang Dongshus an der hanxue formell an frühere Auseinandersetzungen innerhalb des Konfuzianismus anknüpft. Deshalb erlaubt das genaue Studium der diskursiven Methode mit allen Anspielungen und intertextuellen Bezügen in der vorliegenden Erstübersetzung ein besseres Verständnis dieser Methode. Nicht nur diese eine Auseinandersetzung zwischen hanxue und daoxue in der Qingzeit verlief nach diesem Muster, Fang reiht sich vielmehr ein in eine Tradition früherer argumentativer Texte. So wie Han Yu mit seinem Yuan Dao oder auch Ouyang Xiu mit seiner Verteidigung politischer Faktionen „pengdang lun“ tritt auch Fang seinen Gegnern selbstbewusst gegenüber und vertritt resolut seinen Standpunkt, selbst wenn er vielleicht wenig Chancen auf Erfolg sah.1 Damit beruft sich Fang auf die Vorgänger im Bereich konfuzianischer Mahner und Bedenkenträger, die letztlich bis zum Meister selbst zurückreichen, der sich seinerseits in Lunyu 7.1 auf das Vorbild des „Alten Peng“ zurückdefinierte, und ansonsten seine Vorbilder in den weisen Königen des Altertums sah. Doch nicht nur im Bezug auf seine unerschrockene Art, den Kampf mit intellektuellen Gegnern zu suchen, berief sich Fang auf frühere Vorbilder, auch in der Form der Argumentation definierte er sich zurück auf einen Vorläufertext. Im fanlie zitiert er explizit den kurzen Text Za Xue Bian 雜學辨 des Zhu Xi 朱熹 (1130–1200) als Modell für seine eigene argumentative Schrift. Wie sein literarisches Vorbild argumentiert Fang Dongshu gezielt gegen einzelne Gegner, zitiert aus ihren Texten, und legt dann ausführlich seine Gegenposition dar. Während etwa Elman Fangs Argumentationsweise dem Einfluss der gesteigerten Bedeutung der kaozhengxue zuschreibt,2 verweist Fang selbst auf das Vorbild des Za Xue Bian, und eine Betrachtung dieser Schrift Zhu Xis rechtfertigt diesen Anspruch: beide Werke zitieren die zu kritisierenden Texte, und dann

1 Am Ende des Vorwortes schreibt Fang: „Doch wenn ich zurückschaue, so habe ich zuwenig gelernt und verstanden und soll mich nun den Massen entgegenstemmen, [gerade als ob] einer am Flussufer mit einer Handvoll Erde einen Damm errichten wollte. Ich habe nicht vorher abgemessen, ob meine Kraft womöglich reichen würde, um zu gewinnen, sondern ich kann meinem innersten Verlangen nur schwer Einhalt gebieten.“ Die „Handvoll Erde“ bezieht sich natürlich als Ausdruck der Bescheidenheit auf seine angeblich nur geringen Fähigkeiten, aber die Metaphorik bleibt doch dieselbe: er versucht, eine nahende Flut aufzuhalten. 2 „Sung-Learning advocates were not purists, however. Their methods of reasoning and manner of exposition […] had been heavily influenced by evidential research.“ (Elman 1984, 246).



Die Form der Auseinandersetzungen 

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greifen Zhu wie auch Fang ihre Kontrahenten mit heftigen Worten an.3 Auch die augenscheinlichen Unterschiede zwischen den Werken stützen Elmans These in keiner Weise: Zhu Xi zitiert innerhalb einer Kontroverse immer wieder präzise Passagen der zu kritisierenden Texte, auf die er dann differenziert eingeht, während Fang Dongshu oftmals nur ein kurzes Zitat an den Anfang einer ausführlichen Kontroverse stellte. Zhus Text erscheint wie ein Zwiegespräch, ein Austausch von Argumenten, während Fang seine Gegner zu Stichwortgebern reduzierte. Im Zweifelsfall also erscheint eher Zhu Xi als derjenige Autor, der seine Gegner zu Wort kommen lässt und die Basis für seine Kritik nachvollziehbar darlegt. Ein weiterer Unterschied besteht in der Anzahl der Gegner. Zhu Xi konzentrierte seine Kritik auf die drei Autoren Su Shi 蘇軾 (1037–1101), Zhang Zishao 張子韶 (?–?) und einen nicht näher zu bestimmenden Herrn Lü, Autor des Lü Shi Daxue Jie 呂氏大學解. Das Hanxue Shangdui nimmt es mit einer weitaus grösseren Gegnerschaft auf, und viele dieser Gegner waren einflussreiche Gelehrte gewesen, die zum Teil sehr viele Schüler hatten und damit noch immer erheblichen Einfluss ausübten (z.B. Qian Daxin 錢大昕 (1728–1804)). Die den angeblich protowissenschaftlichen Zeitgeist berücksichtigende These, dass Fangs Argumentationsweise also eine Konzession an den präzise arbeitenden Zeitgeist war, lässt sich daher nicht halten. Ein Vergleich zwischen diesen Werken Zhu Xis und Fang Dongshus legt nahe, dass sich Fang in die Tradition Zhu Xis einreihen wollte. Wie dieser gegen die xinxue Lu Jiuyuans gekämpft hat und letztlich erfolgreich versuchte, seine spezifische Variante der konfuzianischen Exegese durchzusetzen, greift Fang die hanxue an, die er für die damals aktuelle Bedrohung der rechten Auslegung der konfuzianischen Lehre hielt. Fang verstand seinen Text daher als eine Herzensangelegenheit, als ein inneres Bedürfnis, das es ihm nicht erlaubte, zu schweigen. Dabei argumentiert er präzise, aber doch mit einer gewissen Nonchalance, was die Präzision seiner Stellenangaben angeht. Er tut dies im Bewusstsein, gegen die Forderung nach präzisen Angaben von Belegstellen zu verstossen, und er distanziert sich explizit von dieser Form, die er für eine „Zurschaustellung“ hält. Entgegen Elmans Aussage reichen also die formalen Vorbilder Fang Dongshus weiter in die konfuzianische Tradition zurück als bis zum Beginn der Qing. Indem er sich auf die Formen früherer Streitigkeiten zwischen Schulrichtungen

3 Formulierungen wie „bu zhi xing zhi zhen 不知性之真“ (=> „er erkannte die wahre [Bedeutung] der menschlichen Natur nicht“; Chen Junmin S. 3597) oder „ci jie buzhi dao zhi suoyi wei dao 此皆不知道之所以為道“ (=> „das kommt alles daher, dass er nicht verstand, was den Rechten Weg eigentlich ausmacht“ ebd., 3599) oder die Diffamierung der Gegner als xiao ren 小人 lassen bei Zhu Xi dieselbe vollkommene Ablehnung der Gegner erkennen, wie sie bei Fang Dongshu zu beobachten ist.

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 Nachwort

beruft, unterstreicht Fang seinen das gesamte Werk beherrschenden Anspruch, wonach der konfuzianische Diskurs nicht eine in der Qing neu erfundene Sache sei. Sein immer wieder vorgebrachter Vorwurf, dass die Gelehrten der Qing sich benehmen würden, als ob sie den Umgang mit früheren Texten eben erst erfunden hätten, wird so auch in der Form der Argumentation selbst verstärkt. Fang hält mit seiner Schrift schon formal seinen Kontrahenten einen anderen Umgang mit Quellen und der Kontinuität von Argumenten entgegen, die ebenso Teil des konfuzianischen Erbes ist wie die Auseinandersetzung um Begriffe.

Leserschaft In der Studie wurde die geringe Breitenwirkung des Hanxue Shangdui angesprochen. Tatsächlich stellt sich die Frage, welche Personen Fang Dongshus als Zielpublikum überhaupt im Auge hatte. In der Biographie Fang Dongshu heisst es, dass er das Werk Ruan Yuan 阮元 (1764–1849) übergeben habe, der es 1831 sogar drucken liess. Ruan Yuan verfügte sicherlich über die Fachkenntnis und die Vertrautheit mit den Thesen, dass er das Hanxue Shangdui lesen und verstehen konnte. Zudem war er als Herausgeber des Huangqing Jingjie 皇清經解 mit den von Fang zitierten Autoren und Texten bestens vertraut. Und neben Ruan Yuan war höchstwahrscheinlich Jiang Fan 江藩 (1761–1831) ebenfalls in der Lage, das Werk zu lesen. Doch wer ausser diesen beiden Gelehrten hätte sonst noch ein Interesse daran, das Werk zu lesen? In den modernen Ausgaben wird das Hanxue Shangdui jeweils im Kontext mit Jiang Fans Hanxue Shicheng Ji 漢學師承記 genannt. Auch die von Zhu Weizheng editierte Ausgabe, die als Grundlage der vorliegenden Übersetzung herangezogen wurde, bindet die Werke von Jiang und Fang zwischen zwei Buchdeckel. Jiangs Werk war auch unzweifelhaft der Anlass für Fang, sein Werk nierderzuschreiben. Trotzdem scheint es unwahrscheinlich, dass Fang primär Jiang Fan als Leser im Auge hatte. Wie Fang selbst war auch Jiang ein Mann von geringem Einfluss, dessen Offenheit für die Anliegen der daoxue wohl zu Recht bezweifelt werden kann. Mit seinem Hanxue Shicheng Ji ist Jiang Fan als eindeutiger Verfechter der hanxue auf den Plan getreten. Aber nicht nur im Vorwort zu diesem Werk, auch in seinen Ansichten im Songxue Yuanyuan Ji wird deutlich, dass Jiang Fan ein unversöhnlicher Gegner der daoxue war, gegen den zu argumentieren keinen Sinn ergeben würde. Somit ist Fangs Werk sicherlich eine Reaktion auf dasjenige Jiang Fans, aber es erscheint nicht als Versuch, diesen durch Argumente umzustimmen. Damit bleibt als primäre Rezipientenschaft einzig Ruan Yuan. Dieser hatte zwar offenkundige Sympathien für die kaozhengxue und er bekundete in seinen eigenen Schriften durchaus gewisse Zweifel am Anspruch der alleinigen



Leserschaft 

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­ uslegung durch die daoxue. Gleichzeitig gab es offenbar eine Verbundenheit A mit der daoxue, denn seine im Hanxue Shangdui wiedergegebene Kritik bezieht sich in erster Linie auf die Literatur.4 Abgesehen davon war es sinnvoll zu versuchen, Ruan Yuan zu beeinflussen, denn aufgrund der Tatsache, dass dieser in Hangzhou die Gujing Jingshe 詁經精舍 gegründet hatte, und aufgrund der Gründung der Xuehai Tang 學海堂 in Kanton liess sich ableiten, dass Ruan eine Verbundenheit zur Gelehrsamkeit empfand, die bei hohen Beamten nicht selbstverständlich war. Es erscheint daher als plausibelste These, dass Fang Dongshu mit seinem Werk Ruan Yuan dahingehend beeinflussen wollte, dass dieser bei der eventuellen Gründung einer weiteren Akademie oder bei der Initiierung eines weiteren Kompilationsprojektes die Orthodoxie stärker berücksichtigen würde. Entsprechend der von Fang geäusserten Ansicht zum Zusammenhang zwischen moraltheoretischer Grundlage des Staates und dem Wohlergehen des Volkes stellte sich die Lage für ihn wie folgt dar: Hätte Ruan mit derselben Verve die daoxue-­Gelehrsamkeit der Qing gefördert, mit der er den text- und daoxue-kritischen Gelehrten eine Öffentlichkeit geschaffen hat, so wäre es nie zu der beklagten Verschlechterung der Lebensumstände gekommen, weil der Rechte Weg nicht in Unordnung geraten wäre. Fang versuchte daher m.E. über Ruan Yuan eine Richtungsänderung herbeizuführen in der Ansicht gegenüber der exegetischen ­Grundhaltung. Neben den geringen Einflussmöglichkeiten Jiang Fans auf den Verlauf der konfuzianischen Gelehrsamkeit gibt es auch im Hanxue Shangdui selbst Hinweise darauf, dass Fang sich nicht an seinen „Arbeitskollegen“ wandte. Hier ist zunächst die offensichtliche Tatsache anzuführen, dass Jiang Fan im gesamten Buch lediglich zweimal angegriffen wird (fünfte Kontroverse, Kapitel 2; vierundzwanzigste Kontroverse, Kapitel drei). Es gibt zwar auch in anderen Kontroversen Angriffe auf Jiang (erstes Kapitel, sechste Kontroverse), aber Fang diskutiert dort Jiang Fans Aussagen nicht auf dieselbe Art, wie er dies mit denen anderer Gelehrter tut. Er erwähnt Jiang Fan wie ein Ärgernis, nicht wie einen ernstzunehmenden Gegner. In der 20. Kontroverse des dritten Kapitels zitiert Fang zudem Duan Yucai mit einem Zitat aus Jiangs Hanxue Shicheng Ji. Das heisst, dass Jiang Fan kritisiert wurde, aber dass die Kritik an ihm auf einem weniger prominenten Niveau verlief als jene an anderen Gelehrten. Insgesamt stellt sich also die Lage so dar, dass Jiang Fans Werke für Fang Anlass waren, sein Buch zu schreiben. Dies tat er aber nicht als eine Replik auf

4 Elman schreibt hierzu: „Juan Yuan’s interests in Sung Learning and New Text studies indicate that the intellectual atmosphere at the Hsueh-hai T’ang was not as monotonously oriented to Han Learning as Fang Tung-shu supposed.“ (Elman 1984, 246). Dies missversteht m.E. Fangs Absicht.

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 Nachwort

Jiang, sondern formulierte es als eine generelle Diskussion all dessen, was falsch gelaufen war in der Entwicklung der qingzeitlichen Gelehrsamkeit, denn er wollte weniger Jiang widerlegen als Ruan Yuan überzeugen, weil für eine Umkehr in der Entwicklung der Gelehrsamkeit ein mächtiger Meinungsführer vom Kaliber Ruan Yuans nötig war. Neben dieser Beobachtung stellt sich die Frage, ob Fang mit seinem Werk noch andere „Leser“ erreichen und überzeugen wollte. So wissen wir aus Fangs Biographie, dass er 1826 und 1836 Kontakt hatte zu Deng Tingzhen 鄧廷楨 (1776–1846), der nach seiner jinshi-Prüfung 1801 bereits in die Hanlin-Akademie berufen worden war und nach einer Reihe von Posten im Land 1826 Gouverneur von Anhui war, und 1836 sogar Nachfolger Ruan Yuans als Generalgouverneur von Guangdong und Guangxi wurde.5 Weder die chronologische Biographie Fangs noch die in der Sammlung seiner Prosaschriften abgedruckten Briefe (kein Brief an Deng) geben einen Hinweis darauf, dass Fang sein Werk auch Deng Tingzhen zukommen liess. Sollte dies den Tatsachen entsprechen, so lässt sich über die Motive natürlich nur spekulieren. Es kommen zwei Gründe in Betracht, zum einen Dengs Interesse an Phonologie. Aus Fangs chronologischer Biographie und aus der Biographiensammlung Hummels (Hummel 1934–44, 716–717) ist bekannt, dass Deng ein Interesse an der philologischen Disziplin der Phonologie hatte, und dass er sich deshalb als kaozheng-Gelehrter verstand, wodurch sich Konflikte zwischen Deng und Fang hätten ergeben können. Wie in Fangs Biographie zu sehen war, pflegten Deng und Fang eine freundschaftliche Beziehung. Deng liess beim früheren der beiden Treffen Fang eine phonologische Studie von dessen Vater namens Qu Zi Zheng Yin 屈子正音 redigieren und zum Druck vorbereiten. Dies ist einerseits eine Aufmerksamkeit und wohl auch Ehre für Fangs Vater. In Hummel heisst es zudem, dass Deng ein poetisches Interesse an der Phonologie hatte, und nicht ein philologisch-textkritisches. Sehr viel plausibler erscheint mir die These, dass Fang Deng Tingzhen deswegen nicht zu überzeugen versuchte, weil sich dieser nicht in vergleichbarem Masse wie Ruan Yuan für die konfuzianische Gelehrsamkeit engagierte. Von Deng sind keine Kompilierungsprojekte in der Art des Huangqing Jingjie bekannt, er scheint lediglich die Kompilierung der Lokalchronik Anhuis Anhui Tongzhi 安徽通志 überwacht zu haben,6

5 Als Generalgouverneur von Kanton versuchte Deng Tingzhen gemeinsam mit Lin Zexu 林則徐 (1785–1850) den Opiumhandel zu unterbinden. Er wurde 1841 für die Niederlage im Opiumkrieg verurteilt und nach Xinjiang verbannt, ehe er 1843 wieder begnadigt wurde. Vgl. seine Biographie in Hummel 1943–44, 716–717. 6 Gemäss der Angaben in Hummel wurde das Werk Anhui Tongzhi bereits 1825 von seinem Amtsvorgänger Tao Zhu 陶澍 (1779–1839) in Auftrag gegeben.



Dai Zhen 

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an der Fang Dongshu ebenfalls mitarbeitete. Da Deng keine ­Sammelwerke zur ­Gelehrsamkeit kompilieren liess, und da er offenbar auch keine Akademien gründete oder Druckereien ins Leben rief, nahm er keinen Einfluss auf die Entwicklung der konfuzianischen Gelehrsamkeit in der Art, wie Ruan Yuan dies tat. Seine Posten waren alle im Justiz- oder Finanzbereich, so dass er keine Bildungspolitik betrieb. Deshalb ergab es keinen Sinn, ihm das Hanxue Shangdui aufzudrängen und ihn in diese Auseinandersetzung zwischen den Schulen einzuspannen. Deng Tingzhen war von Fang Dongshu nicht als Leser seines Werkes beabsichtigt, weil er nichts mit dieser Thematik zu tun hatte. Ausgehend von dieser Beobachtung stellt sich die Frage erneut, wen wohl Fang Dongshu als Zielpublikum seiner Schrift betrachtete. Wenn Deng Tingzhen tatsächlich kein Exemplar dieser Schrift überreicht wurde, und mit Ausnahme von Ruan Yuan und Jiang Fan alle im Hanxue Shangdui erwähnten Gelehrten zum Zeitpunkt der Niederschrift 1824 bereits gestorben waren, so bleiben tatsächlich nur Ruan und Jiang als diejenigen Gelehrten übrig, an die sich Fang wandte. Möglicherweise gab es noch weitere konfuzianische Gelehrte, aber über die lässt sich nichts aussagen, denn sie werden im Werk selbst nicht genannt und es ist deshalb müssig, über mögliche weitere Rezipienten zu spekulieren. Daher ist als gesicherte Aussage aus den vorhandenen Informationen nur zu schliessen, dass Fang mit dieser Schrift Jiang Fan etwas entgegenhalten wollte, und versuchte, Ruan Yuan umzustimmen. Das ebenfalls geäusserte weitergehende Anliegen, zukünftige Generationen zu warnen und sie nicht vom Rechten Weg abfallen zu lassen, ist schliesslich fester Teil der konfuzianischen Rhetorik, und damit nicht speziell hervorzuheben.

Dai Zhen Wie in den vorhergehenden Kapiteln wiederholt deutlich gemacht, bin ich aufgrund der Textlektüre der Meinung, dass Dai Zhen 1723–1777 unter den angegriffenen Gelehrten eine herausragende Stellung einnimmt. Aus der Sicht Fang Dongshus war Dai der wichtigste Gegner und die Kontroversen gegen Dai Zhen beinhalten die zentralen Punkte des Hanxue Shangdui, was Thematik und Intensität der Auseinandersetzung angeht. Wie im Übersetzungsteil zu ersehen, wandte sich Fang Dongshu aber nicht nur gegen Dai Zhens Kritik am Begriff der Rechten Ordnung li oder der menschlichen Bedürfnisse, bzw. Begierden yu. Die Auseinandersetzungen mit Dai Zhen thematisieren auch immer wieder dessen Methode im Umgang mit dem schriftlichen Erbe der Vergangenheit (vgl. zum Beispiel die siebte Kontroverse gegen Dai). Fang Dongshu wirft der hanxue, und insbesondere Dai Zhen, eine methodische Vereinfachung vor, welche die Integrität

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 Nachwort

der Texte nicht berücksichtigt. Bereits im Vorwort heisst es deshalb: „Wenn wir uns betrachten, was in den Werken der [Autoren der hanxue] als zentraler Gedanke formuliert wird, […] so geht das nicht über die Wortglossierung, die philologischen Hilfswissenschaften, die Realienkunde und die [Erforschung des] Verwaltungssystems hinaus. Sie verwerfen [dafür] die Grundlagen und wertschätzen die unwichtigen Dinge und verlegen sich aufs Beleidigen und Diffamieren. Und was die vom Weisen persönlich durchgeführte Suche nach der Menschlichkeit, die Lehre vom Kultivieren, Ausgleichen, Ordnen und Befrieden [des Reiches] angeht, so haben sie all dies verworfen.“ Diese Aussage bildet den Tenor der Kritik an der hanxue und insbesondere an Dai Zhen, den Fang als einen willentlichen Zerstörer der konfuzianischen Tradition darstellt. Wie im Abschnitt zur Rezeption Dai Zhens zu sehen war, unterschied sich Fang Dongshu mit dieser Sichtweise auf Dai von seinen Zeitgenossen und unmittelbaren Vorgängern, denn diese hielten die Ansichten Dai Zhens für unkorrekt, aber offenbar auch nicht für kritikwürdig. Erst bei Fang Dongshu wird Dai als eine Bedrohung für Orthodoxie und konfuzianischer Diskurs rezipiert, und hier wird er erstmals zum hauptsächlichen Kritiker und wichtigsten Gegner der daoxue. Diese Beobachtung steht im Widerspruch zu der in der Forschungsliteratur weit verbreiteten Ansicht, dass die qingzeitliche Gelehrsamkeit sich von der anfänglichen Kritik der Gründergeneration allmählich zu einer breiten Reaktion gegen die Orthodoxie der daoxue entwickelt habe.7 Die Lektüre des Hanxue Shangdui-Textes und die Betrachtung der Stellung Dai Zhens innerhalb der qingzeitlichen Gelehrtenschaft legt eine andere Auffassung nahe, die Dai Zhen zwar auch mit Konfuzius und Zhu Xi auf eine Stufe stellt, allerdings in anderer Form. Konfuzius war ein wenig erfolgreicher politischer Berater, und erst seine Apotheose in der hanzeitlichen Rezeption machte ihn zum „Lehrer der Zehntausend Generationen.“ Dieses andere Verständnis der Stellung des Konfuzius entsprach dem politischen Bedürfnis des Wu-Kaisers der Han, seine Herrschaft auf ein moralisches Grundgerüst zu stellen. Ähnliches geschah mit Zhu Xi, der zum Ende seines Lebens als Vertreter einer „falschen Lehre“ wei xue 偽學 diffamiert worden war. Auch Zhu wurde erst durch die Notwendigkeit der Yuan-Kaiser, die Mongolendynastie im ganzen Reich durchzusetzen und als moralische Instanz mit einer Lehre zu verknüpfen, zur zentralen Figur der konfuzianischen Tradition im zweiten Jahrtausend.8 Dieses Muster scheint sich gemäss der Sachlage in der

7 Zur Frage der Entwicklung der Gelehrsamkeit verweise ich hier auf die Darstellung des Forschungsstandes im Kapitel zu Fang und Dai. 8 Das Thema des Vordringens der daoxue in die Yuandynastie ist zu komplex, um es hier in einer Fussnote abzuhandeln. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die daoxue nicht nur nach Norden



Dai Zhen 

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Qingzeit erneut wiederholt zu haben, als Dai Zhen vor der Rezeption in Fangs Buch noch wenig Bedeutung zugemessen wurde. Die Leistungen Dais konnten dafür in der Republikzeit den dem Konfuzianismus gegenüber ablehnend eingestellten Autoren als Beleg dienen, dass die Kritik an der daoxue älter ist als der Vierte Mai 1919, weil sie bereits in der Qing geäussert worden war. Doch die Rezeption Dais in der Republik schätzte dessen Position im achtzehnten Jahrhundert unkorrekt ein. Die Ansicht, dass Dai Zhens Aussagen die Gelehrsamkeit der Qing selbst wesentlich beeinflusst habe, ist unzutreffend. Wie zu sehen war, gab es bloss eine kurze Phase zwischen 1754 und 1777, in der Dais Theorien und sein Versuch einer Neudefinition intensiv rezipiert wurden. Seine Stellung als wichtigster Gegner der daoxue trifft vor allem auf die Reaktion zu, die dessen Aussagen bei Fang Dongshu hervorriefen. Somit ist Fang Dongshu entgegen seiner Absicht zu einem wichtigen Wegbereiter für den posthumen Erfolg und Ruhm Dai Zhens geworden. Erst Fangs rigorose Ablehnung der Thesen Dais machte deutlich, welche fundamentale Kritik der Ikonoklast aus Xiuning formuliert hatte. Und wenn die Kritik auch in der Zeit selbst noch wenig Wirkung hervorrief, so bereitete Fang Dongshu doch nolens volens die Stellung Dai Zhens in der Republikzeit vor. Diese wiederum war die Grundlage der Tatsache, dass Dai Zhen bis heute als wichtigste Figur des qingzeitlichen Konfuzianismus wahrgenommen wird, dass seine Schriften übersetzt wurden, und dass ein grosser Teil der Forschung sich mit diesem Autor beschäftigte. Erst durch Fang Dongshu wird Dai somit wichtig als Kritiker des orthodoxen Konfuzianismus. Mit anderen Worten: Weder Dais Kritik an der diskursiven Dominanz der daoxue noch Fang Dongshus Verteidigung derselben konnten in der Qingzeit selbst eine grosse Wirkung entfalten. Dafür bereitete die heftige Kritik Fang Dongshus den Boden für eine intensive Beschäftigung mit Dai Zhen in der Republik. Und weil es nach dem Ende der Kaiserzeit nicht mehr wichtig war, ob Dais Theorien zu den zentralen Begriffen wirklich schlüssig waren, konnte er in der Rezeption des Vierten Mai als Symbolfigur für die qingzeitliche Auflehnung gegen die Dominanz der daoxue-Orthodoxie herangezogen werden. Dai Zhens Kritik hatte ihre Tauglichkeit bewiesen, denn sonst hätte Fang Dongshu nicht so darauf reagiert. Damit hat aber Fang Dongshu das exakte Gegenteil dessen erreicht, was er eigentlich beabsichtigte: Dai Zhen wurde von einem Gelehrten, über den die Meinungen geteilt waren – in Bezug auf seine Textkritik sehr positiv ­wahrgenommen,

kam, weil Zhao Fu 趙復 (~1215–1306?) und Khubilai Khans Berater Yao Shu 姚樞 (1203–1280) so überzeugend argumentierten, sondern weil die Lehre auch ein ideologisches Vakuum füllen konnte, das nach der Eroberung Chinas existierte. Vgl. hierzu den Aufsatz von Wing-tsit Chan von 1982 und die Monographie von Tillmann von 1992.

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 Nachwort

während sein Beitrag zur Moraltheorie kritisch beurteilt wurde — zur strahlenden Figur des qingzeitlichen Konfuzianismus, dessen Person und Schriften einen profunden Eindruck auf die weitere Rezeption ausübten.

Personenbezogenheit In seinem fanli schreibt Fang Dongshu über die Anlage seines Werkes: „Dieses Werk war ursprünglich nur ein Kapitel, durch das sich ein roter Faden von vorne bis hinten durchzog. Aber die Seiten des Kapitels waren zu zahlreich, so dass ich sie in drei Abschnitte aufgeteilt habe. Im ersten erörtere ich den Grund für die [so genannte] Theorie des Verrats am Rechten Weg und den Untergang der Lehre. Danach erörtere ich, wieso die Klassikergelehrsamkeit der philologischen Hilfswissenschaften zwar richtig scheint, aber falsch ist. Danach folgt die generelle Diskussion darüber, wieso die Verunglimpfung der früheren Konfuzianer seit der Tang- und Songzeit nicht zutrifft.“ Damit macht es den Anschein, als sei das Werk themenbezogen strukturiert. Dies entspricht auch seiner Orientierung am Vorbild des Za Xue Bian, welches auch durch die in den kritisierten Texten vorgegebenen Sachthemen strukturiert ist. Fang stellt sich also explizit in die Tradition einer an Themen orientierten Auseinandersetzung mit dem intellektuellen Gegner. Dadurch grenzt er sich ab von einer Form intellektueller Geschichtsschreibung nach Huang Zongxis Ming Ru Xuean 明儒學案.9 Diese Form des xuean wählte auch Jiang Fan für sein Werk Hanxue Shicheng Ji: intellektuelle Errungenschaften einzelner Autoren werden an deren biographische Abrisse angehängt, die ihrerseits die Struktur des xuean-Werkes bilden. Dadurch wird der Fokus der Historiographie auf die Gelehrten gelegt, die mit ihrer gesamten Person für ihren Beitrag zur Geistesgeschichte einstehen. Die Protagonisten der Ideengeschichte sind immer die Gelehrten, die kraft ihres Genies diese neuen Erkenntnisse gefunden haben. Eine Veränderung in der Betrachtung eines intellektuellen Problems wird dadurch nicht als Folge veränderter politischer oder ökonomischer Umstände gesehen. Indem diese Werke auch nicht beispielsweise begriffsgeschichtlich oder chronologisch vorgehen, erschweren sie zudem einen Überblick über, und letztlich die Erkenntnis dessen, was zu einer bestimmten Zeit zu einem bestimmten Thema geschrieben wurde. Die Gedanken und Theorien werden in den Hintergrund gerückt, die Autoren werden zu den zentralen Orientierungspunkten einer Entwicklung.

9 Zu xuean als Form intellektueller Geschichtsschreibung: vgl. Elman 1984, 74–75.



Personenbezogenheit 

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Fang Dongshu versuchte, diese Form zu durchbrechen, indem er seinem Werk die Form einer ungefähren inhaltlichen Zusammenstellung gab. Und tatsächlich gibt es eine grobe inhaltliche Gruppierung. Trotzdem zeigt das Hanxue Shangdui: Fang griff die zu kritisierenden Gelehrten auf einer persönlichen Ebene an. Dies äussert sich nicht nur in den explizit an Personen gerichteten Kontroversen. Seine Kritik an deren Meinungen oder Aussagen wird erstens häufig persönlich beleidigend vorgebracht, denn die Ablehnung seiner Gegner differenziert nie zwischen Individuum und Meinung, so dass Gegner als Personen und damit vollumfänglich abgelehnt werden. Fang weist jedem der angegriffenen Gelehrten dessen eigene Position innerhalb der Entwicklung der Lehre zu, aber es gibt keinen Fall, in dem er unterscheidet zwischen dem, was dieser in den einen oder anderen Texten ausgesagt hat. Fang entwirft damit ein übermässig homogenes Bild der Geisteswelt jedes seiner Gegner, so als ob diese Autoren nie einen differenzierten oder mehrschichtigen Beitrag zum Verständnis des Konfuzianismus geleistet hätten. Wenn man sich vor Augen führt, dass viele dieser Gelehrten lebenslang eine grosse Bandbreite von Textsorten verfasst haben, die von persönlichen Briefen bis zu einem Beitrag in einer Kompilation im Auftrag des Hofes oder eines hohen Regionalbeamten reichte, dann ist es bemerkenswert, wie sehr sie bei Fang in ein fast bipolares Weltbild eingepasst werden, als dessen grundsätzliches Kriterium die Haltung zu Zhu Xis Exegese gilt. Durch diese Form der Auseinandersetzung fügt er sich also in die personenbezogene Herangehensweise ein, und sein Versuch, sich an Sachfragen zu orientieren, bleibt oberflächlich. Die Frage bleibt, wieso dies so ist. Welche Gründe haben Fang dazu bewogen, nicht beispielsweise dem Vorbild Chen Chuns 陳淳 (1159–1223) zu folgen und in der Tradition des Beixi Ziyi 北溪字義 begriffsgeschichtlich vorzugehen. Als Grund hierfür lässt sich aus der Lektüre des Werkes folgender Schluss ziehen: Das Hanxue Shangdui ist nicht ein Werk, das an einer ausgewogenen Einschätzung interessiert war. Es ist eine polemische Schrift, deren Ziel es letzten Endes war, eine Entwicklung der Gelehrsamkeit rückgängig zu machen. Um die Unterschiede zwischen seinen Gegnern und der eigenen Schule deutlich zu machen, verzichtete Fang auf keine Möglichkeit, die hanxue zu verunglimpfen. Deshalb verfasste er keine ausgewogene Auflistung und differenzierte Kritik, sondern eine wütende und höchst subjektive Anklage. Denn diese Form der Auseinandersetzung funktionierte seiner offenbaren Meinung zufolge besser, wenn sie keine ausgewogene Gegenüberstellung der Argumente war, sondern eine Darstellung, die durch Polarisierung und Reduktion Gegensätze schaffte, die eine klare Zuteilung von Freund und Feind erlaubte.

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 Nachwort

Die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit Durch diese Anklage allerdings determinierte er, wie schon im Falle Dai Zhens, die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit. Die Lektüre von Fangs Werk macht deutlich, dass als zentrales Unterscheidungsmerkmal für die Beurteilung von Gelehrten im Hanxue Shangdui und deren Klassifizierung als „guter“ und „schlechter“ Gelehrter ihre Haltung zu Zhu Xi herangezogen wurde. Von diesem einen Punkt macht Fang seine Zustimmung oder Ablehnung abhängig, wie sich am Beispiel seiner Kritik an Hui Dong 惠棟 (1697–1758) oder auch Gu Yanwu 顧炎武 (1613–1682) zeigen lässt, die im Vergleich mit anderen moderat kritisiert werden. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, Dai Zhen als hauptsächlichen Gegner zu betrachten. Die Komplexität des lebenslangen Schaffens eines Gelehrten wird durch Fang stark vereinfacht dargestellt, und einzig dessen Haltung zu einem Punkt entscheidet über Zustimmung oder Ablehnung. Diese Form der Reduktion war in dieser Deutlichkeit eine Neuerung der Qingzeit und erfolgte erstmalig durch Fang Dongshu. Während zuvor die Vereinnahmung textkritischer Gelehrter durch Jiang Fan und deren Subsummierung unter die Bezeichnung der hanxue in Jiangs Hanxue Shicheng Ji noch als grosszügige Erweiterung der Grenzen der eigenen Schule verstanden werden kann, reduzierte Fang Dongshu die Anliegen seiner Gegner auf den einen genannten Punkt. Die vollkommene Ablehnung von Gegnern ist natürlich nichts Neues in Auseinandersetzungen chinesischer Denker, aber Fang nimmt durch dieses einzige Kriterium die Kritik des Vierten Mai in umgekehrter Form vorweg. Wurde in der Rezeption des Vierten Mai die Nähe zur textkritischen Methode und die Skepsis gegenüber der daoxue zum Kriterium der Einschätzung eines Gelehrten als „wissenschaftlich“ oder „unwissenschaftlich“, so hatte Fang zuvor die qingzeitlichen Gelehrten einzig auf ihre Haltung gegenüber der spät-kaiserzeitlichen Orthodoxie reduziert. Durch diese Reduktion wurde der Weg geebnet für die vereinfachte Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit als ein Widerspruch zwischen hanxue und songxue.10 Da aus der retrospektiven Sicht eines Rezipienten immer die jüngsten Ereignisse einer historischen Entwicklung den grössten Raum einnehmen, verstellten die vereinfachten Darstellungen der komplexen qingzeitlichen Gelehrsamkeit durch Jiang Fan und Fang Dongshu den Blick auf die

10 Die Auseinandersetzungen zwischen hanxue und songxue, die in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen, werden in der chinesischsprachigen Forschungsliteratur in der Regel unter dem Stichwort „Han Song zhi zheng 漢宋之爭“ behandelt. Als Beispiel sei hier der Aufsatz „Han Song zhi zheng“ nan yi diaohe de genben qijian 漢宋之爭難以調和的根本歧見“ von Zhang Shouan 張壽安 angeführt (vgl. Lin Qingzhang u. Zhang Shouan 2002, 1:131–212).



Die Rezeption der qingzeitlichen Gelehrsamkeit 

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t­ atsächlichen Verhältnisse zu Beginn der Dynastie oder zur Zeit der Kompilierung des Siku Quanshu 四庫全書. Somit hat Fang Dongshu mit seinem Werk nicht nur wesentlich dazu beigetragen, dass Dai Zhen in den Fokus der Aufmerksamkeit der Erforschung des qingzeitlichen Konfuzianismus geriet, er hat auch die Darstellung der qingzeitlichen Gelehrsamkeit als einen Kampf zwischen Vertretern der daoxue und solchen der hanxue vorgespurt. Dasselbe gilt im Übrigen auch für die Bezeichnungen. Jiang Fan und Fang Dongshu haben mit ihrer Konzentration auf die Schule der hanxue dazu beigetragen, dass etwa in Hummel oder bei Elman praktisch alle der Orthodoxie gegenüber irgendwie kritisch eingestellten Gelehrten als Anhänger der hanxue — des „Han Learning“ — bezeichnet werden.11 Erneut ist dies ein Effekt, der entgegen Fangs eigentlicher Absicht verlief. Sein Ziel war es gewesen, die Unterscheidung zwischen den lediglich textkritisch arbeitenden Gelehrten und den hanxueAnhängern zu etablieren. Während er ausdrücklich Gelehrte von seiner Kritik ausnahm, die sich um die Bereitstellung der Texte für eine Exegese im Sinn der daoxue kümmerten, griff er jene scharf an, die sich in die Exegese und damit in den Kernbereich der daoxue vorwagten. Egal, ob diese eine grundsätzliche Erneuerung der Exegese versuchten wie Dai Zhen, oder ob sie nur an einzelnen Aspekten der Exegese Kritik übten wie Wang Zhong 汪中 (1745–1794) oder Huang Zhen 黃震 (1213–1280) bzw. Gu Yanwu, sie erfuhren von Seiten Fang Dongshus harsche Zurückweisung und deutliche Kritik. Doch auch in diesem Punkt konnte sich Fang nicht durchsetzen. Die Trennlinie wurde wieder verwischt, die Forschung nach dem eigentlichen Motiv der Arbeit eines Gelehrten zurecht aufgegeben zugunsten der Betrachtung der Wirkung dieser Arbeit, und darum trug Fangs Arbeit entgegen ihrer Absicht zu einer Wahrnehmung der Schulrichtungen hanxue, kaozhengxue und daoxue als stark polarisierte und unvereinbare Gegensätze bei. Zu Beginn der vorliegenden Arbeit wurde festgehalten, dass Fang Dongshu am Ende einer Entwicklung des konfuzianischen Diskurses stehe. Die Lektüre des Werkes und die Analyse der Kontroversen haben aber auch gezeigt, dass Fang in der eben beschriebenen Weise auch am Anfang einer Entwicklung stand. Diese Entwicklung löste sich allmählich von der introspektiven Beschäftigung mit sich selbst, und eröffnete einen Zugang zu einer wissenschaftlichen ­Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition. Es scheint also auch, als ob Fang

11 Elman lenkt mit seiner Monographie über die Changzhou-Gelehrten vermehrte Aufmerk­ samkeit auf die Schule der sogenannten Neutext-Gelehrsamkeit (jinwen 今文). Aber die Bezeichnung „Han Learning“ behält er trotzdem bei, unberührt von Fangs Versuch, zwischen Textkritik und Orthodoxiekritik eine scharfe Unterscheidung zu etablieren.

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 Nachwort

Dongshu sowohl am Ende einer Entwicklung stand als an der Schwelle zu einer neuen. Die Welt, in der Fang Dongshu lebte, ist in ihrem vollen Umfang für moderne Leser kaum mehr nachzuvollziehen. Dies gilt m.E. weder für einen chinesischen Leser aus der Volksrepublik oder Taiwan, noch für einen Wissenschafter des Westens. Antike Texte wurden verstanden im Lichte einer zur Lebenszeit Fang Dongshus bereits sechshundert Jahre währenden Exegesetradition. Diese textliche Grundlage und die daraus hervorgegangene Lehre bildeten das ideologische Fundament der kaiserlichen Dynastie, die ihrerseits einen wesentlichen Teil ihrer Legitimität aus der Unterstützung dieser Ideologie herleitete. Die landesweite Politik des Kaiserhofes, die Kompilationsprojekte lokaler Beamter wie Ruan Yuan, das Erziehungssystem der Schulen und Akademien, die Suche nach institutioneller Verankerung in diesem System durch Gelehrte, die entweder die Beamtenlaufbahn verfolgten oder ihre literarischen Fähigkeiten der Zusammenstellung einer Lokalchronik zur Verfügung stellten, die Rückzugsmöglichkeit auf eine Anstellung in einer der Akademien, all diese Lebensentwürfe scheinen fremd, aber doch auch einem Leser des einundzwanzigsten Jahrhunderts vermittelbar. Es ist die weltanschauliche Seite dieser Wirklichkeit, die uns heute fern scheint. Die konkrete Lebenswirklichkeit scheint mit ihrer idealistischen Grundlage im Konflikt zu stehen. Wieso konnte es als wichtig erachtet werden, welche Haltung jemand gegenüber der „kosmischen Rechten Ordnung“ einnahm? Was soll so entscheidend sein am „menschlichen Herzen“? Das Studium des Textes des Hanxue Shangdui und dasjenige seines Autors Fang Dongshu eröffnet daher einen innovativen und zugleich hermeneutischen Zugang zur geistigen Grundlage des kaiserlichen China im letzten Moment, da sich dort endgültig das alte Selbstverständnis auflöste, das Reich in der Mitte der Welt zu sein.

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Register Cang Jie Pian 386 Cao Xueqin 75 Chen Chun 240, 354, 362, 447 Chen Di 393, 394, 396, 413 Chen Shouqi 52 Chen Tuan 195 Cheng Hao 27, 37, 123, 186, 195, 272, 275, 298, 384 Cheng Yaotian 211, 219, 222 Cheng Yi 27, 30, 37, 42, 57, 123, 186, 195, 207, 228, 245, 269, 272, 275, 281, 283, 298, 300, 309, 315, 322, 326, 332, 337, 346, 349, 350, 358, 377, 383, 384 Chu Ci 335, 396, 409 Chunqiu 48, 185, 189, 197, 199, 254, 256, 262, 264, 349, 392, 400 Dai Mingshi 40, 136, 139, 141, 144–146, 150, 151, 163, 211, 218, 271 Dai Zhen 5, 14, 15–17, 27, 29, 32, 33, 48–50, 54, 56, 62, 63, 65–76, 78, 80, 127, 142, 143, 151, 156, 157–159, 165, 167, 168, 169, 181, 200–205, 208, 209, 213–226, 228–238, 241, 244, 246, 272, 276, 288, 304, 305, 316, 325, 328, 436, 437, 443–445, 448, 449 Daotong 44, 207, 270–272, 358 Daxue 9, 54, 188, 205–209, 243, 271, 372, 439 Deng Tingzhen 100, 115, 442, 443 Dong Zhongshu 326, 333 Duan Yucai 208, 304, 338, 357, 359, 363, 391, 393, 394, 396, 400, 401, 420, 441 Elman, Benjamin 2, 4, 27, 30, 35, 36, 38, 41, 43, 44, 45, 46, 48, 49, 50, 51, 62, 76, 77, 119, 126, 139, 163, 184, 209, 210, 212, 217, 218, 233, 269, 280, 441, 446 Er Ya 172, 204, 367, 386, 399 Fang Bao 211, 219 Fang Xuejian 140 Fang Yizhi 140 Fu Qian 52

Gong Zizhen 9, 26, 184 Gu Yanwu 203 Gu Wenci Leizuan 103, 317 Gu Yanwu 40, 41, 60, 142, 167, 168, 184, 190, 196, 200, 203, 207, 287, 299, 300, 391, 394, 395, 404–410, 422, 425, 448–449 Guang Ya 52, 357, 379 Han Shi Wai Zhuan 387 Han Shu 265, 294, 385 Han Yu 113, 138, 146, 147, 150, 179, 180, 271, 275, 326, 333, 337, 356, 358, 360, 389, 438 Hanxue Shicheng Ji 172, 183, 184, 231, 436, 440, 441, 446, 448 He Shen 176, 212 Hong Bang 190, 229, 231, 338 Hu Hong 429 Hu Shi 15, 62, 68–70, 132, 224, 362 Hu Wei 14, 41, 52, 190, 198, 207 Huang Zhen 167, 168, 251, 449 Huang Zongxi 40–45, 56, 139, 140, 143, 168, 184, 195, 200, 287, 446 Hui Dong 48, 49, 71, 107, 109, 151, 167, 169, 185, 190–198, 203–205, 220, 221, 251, 263, 324, 325, 381 Hui Shiqi 48, 185, 190, 203 Hui Zhouti 48, 194 Jia Yi 317 Jiang Fan 49, 57, 95, 97, 99, 165–192, passim 200, 208, 215, 231, 253, 263, 266, 338, 436–449 Jiang Sheng 182, 185, 337 Jiang Yong 49, 71, 219, 387, 389, 394, 413, 415, 420, 425 Jiang Yougao 391–396, 402, 416, 421, 424, 426 Jiao Xun 167, 173, 190, 208, 209, 251 Jin Bang 211, 219 Jin Si Lu 283, 297, 298, 300, 303, 304, 376, 377

476 

 Register

Konfuzius 253, 255, 270, 271, 296, 310, 325 Kong Guangsen 391, 394 Kong Yingda 196, 335 Laozi 261, 271, 306, 320, 323, 331, 399 Li Fu 210 Li Gong 42, 69, 71, 142, 210, 253 Li Guangdi 43, 142 Li Ji 256 Liang Qichao 4, 12, 15, 24, 26, 39, 47, 48, 55, 58–70, 121, 130, 132, 133, 142, 225, 246, 362 Liji 192, 204, 207, 236, 243, 268, 325, 351, 381, 386, 387, 404–406, 408, 434 Lin Zexu 100, 442 Ling Tingkan 75, 167, 180, 230 Liu Dakui 128, 132, 146, 148, 150, 155, 156, 219 Liu Zongyuan 113, 138, 147, 150, 254 Liu Zongzhou 43, 143, 195 Lu Deming 256, 399 Lu Fayan 241, 394, 411 Lu Jiuyuan 15, 23, 28, 211, 287–291, 383, 439 Lu Wenchao 87, 109, 211, 220 Lü Zuqian 298 Lunyu 60, 172, 186, 189, 226, 254, 255, 261, 270, 278, 279, 281, 283–287, 292, 296, 297, 308, 310, 321, 325, 332, 337–341, 348, 349, 350, 355, 361, 362, 365, 366, 371, 373–375, 381, 386–388, 399, 422, 438 Ma Rong 48, 192, 204, 386 Mao Qiling 57, 71, 167, 168, 188, 190, 198, 200 Mao Xinglai 167, 200 Mei Wending 207, 232 Mengzi siehe Menzius Mengzi Ziyi Shuzheng 68, 70, 72, 75, 80, 222, 226–232, 236, 240, 267, 278, 285, 302, 304, 306, 314, 315, 317, 325, 326, 332, 343, 344, 362, 363, 370 Menzius 27, 68, 79, 88, 141, 161, 204, 209, 226, 243, 252, 267, 270–272, 277–280, 296, 299, 312, 315, 319, 320, 322, 326–339, 342, 344, 346, 347, 349, 350, 352, 357–361, 379, 380, 381, 434

Mengzi siehe Menzius 267, 296, 299, 315, 326, 342, 347, 350, 352, 360 Ming Ru Xuean 56, 183, 446 Mohismus 206, 208, 317, 331 Ouyang Xiu 177, 179, 185, 257, 298, 314, 337, 438 Qian Daxin 36, 51, 75, 87, 109, 137, 151, 156, 167, 169, 184, 202, 203, 208, 220, 229, 233, 246, 356, 357, 404, 412, 413, 416, 419, 421, 439 Qian Dazhao 167 Qian Mu 5, 15, 58, 62, 67, 71–74, 121, 131, 132, 149, 168, 206, 221, 367 Qie Yun 241, 402, 411 Qin Huitian 220, 223 Quan Zuwang 56 Ruan Yuan 18, 93, 95–97, 99, 100, 107, 121, 155, 165–182, 187, 200, 201, 208, 211–215, 232, 235, 236, 260, 269, 284, 319, 351, 364, 390, 405, 406, 440, 442, 443, 450 Shang Shu 41, 48, 189, 243, 253, 255, 256, 260, 265, 269, 272, 290, 291, 293, 308, 313, 319, 322, 348, 375, 381, 396, 408, 417 Shao Yong 27, 37, 123, 195, 377, 418 Shen Jian 361, 385 Shi Ji 264, 425 Shi Jing 48, 98, 117, 188, 204, 243, 253, 255, 256, 325, 370, 374, 379, 381, 396, 402–412, 417, 418, 422, 423, 434 Shiji 254, 317, 357 Shisan Jing Zhushu 172 Shuowen Jiezi 48, 196, 228, 298, 304, 325, 359, 364, 370, 379, 384, 385, 386, 392, 394, 397, 400, 401, 415, 420, 426, 432, 434 Siku Quanshu 42, 46, 50–52, 122, 123, 127, 156, 157, 171, 184, 195, 202, 218–224, 261, 262, 385, 423, 436, 449 Sima Qian 264, 318 Song Jian 167 Song Yuan Xuean 56, 183 Su Che 262, 273

 Su Shi 130, 138, 147, 150, 177, 257, 261, 273, 439 Su Xun 273 Sun Xingyan 51, 52, 167, 171, 173, 201, 204, 205 Tao Zhu 442 Wan Sitong 15, 151, 167, 168, 200, 251 Wang Anshi 147, 185, 428 Wang Bi 191, 192, 194, 196, 197 Wang Chang 231, 326 Wang Chong 333 Wang Fuzhi 40, 168, 287 Wang Guowei 224 Wang Maohong 263 Wang Mingsheng 51, 202 Wang Niansun 52, 169, 211, 213 Wang Shouren 47, 168 Wang Tong 333 Wang Yangming 23, 29, 57, 139, 143, 145, 168, 225, 226, 273, 287, 329, 340, 347 Wang Yinzhi 52, 173, 213 Wang Zhong 167, 169, 179, 180, 205, 206, 207, 251, 449 Wei Yuan 9, 26, 224 Wen Xuan 177, 317, 409 Wenxin Diaolong 177 Wu Jing Yi Yi 52 Wu Yu 394 Xiao Jing 172, 243, 399, 434 Xie Liangzuo 332, 353, 376, 387 Xu Shen 325, 370, 386, 392, 397, 400, 415, 420 Xun Yue 361, 385 Xunzi 27, 206, 326, 338, 348–351, 356–360, 387 Yan Ruoqu 14, 41, 44, 52, 167, 203, 207, 253, 262 Yan Yuan 42, 69, 71, 142, 210, 271, 374 Yang Shi 264, 346 Yang Xiong 108, 228, 326, 333, 357, 361, 386, 389, 417 Yao Nai 36, 85, 87, 88, 90, 91, 106, 111, 126–140, 145, 146, 150–163, 201, 217, 338

Register 

 477

Yi Jing 27, 37, 41, 48, 72, 103, 119, 120, 150, 177, 178, 189–199, 256, 261, 267, 273, 274, 293, 297, 324, 331, 344, 377, 387, 388, 396, 417, 434 Yu Xiaoke 182, 185, 222, 262, 263 Yu Yingshi 29, 50, 62, 72–77, 242 Zang Lin 167, 209, 210, 251, 381 Zen Buddhismus 273, 277, 290 Zeng Zi 271 Zhang Taiyan 4, 15, 47, 55, 58, 60, 65, 66, 121, 127, 132, 139, 142, 156, 210, 225, 246 Zhang Xuecheng 33, 50, 51, 62, 70, 73, 74, 151, 242 Zhang Zai 27, 37, 123 Zhang Zishao 439 Zhao Qi 352 Zheng Kangcheng 191 Zheng Xuan 48, 108, 188, 191, 192, 196, 201, 204, 220, 228, 244, 269, 298, 325, 326, 337, 351, 375, 379, 428, 430 Zhong Yong 72, 163, 204, 206, 207, 236, 243, 254, 267–271, 280, 284, 287, 296, 308, 313, 319, 321, 326, 329, 335, 339, 343, 349, 354, 361, 362, 372, 434 Zhou Duni 306 Zhou Dunyi 27, 37, 123, 147, 154, 185, 186, 195, 275 Zhou Li 256, 364, 381, 405, 407 Zhu Gui 222 Zhu Weizheng 63, 75, 266, 396, 404, 413, 418, 429 Zhu Xi 16, 17, 21, 22, 30, 37, 41, 45, 49, 52, 54, 57, 79, 85, 94, 123, 124, 141, 143, 144, 145, 147, 163, 166, 185, 228, 245, 255, 257, 261, 263, 269–272, 275, 276, 279–284, 292, 298–300, 308, 309, 315, 321, 322, 326, 327, 330, 339, 341, 346–350, 353, 355, 370, 376, 377, 382–384, 418, 428–434, 437–439, 444, 448 Zhu Yizun 15, 167, 168, 200 Zhu Yun 220, 223, 229, 338 Zhuangzi 255, 259, 265, 306, 320, 323, 324, 335, 339, 342, 399 Zhuzi Yulu 303, 340, 348, 353, 376, 377 Zisi 271, 361