Sämtliche veröffentlichte Schriften: Band 7 Aristoteles und seine Weltanschauung 9783110538892, 9783110537048

Aristotle and his World View is the final word in Franz Brentano’s lifelong engagement with Aristotle. By concentrating

146 30 1MB

German Pages 174 [176] Year 2018

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Sämtliche veröffentlichte Schriften: Band 7 Aristoteles und seine Weltanschauung
 9783110538892, 9783110537048

Table of contents :
Inhalt
Vorwort der Herausgeber
Einführung
Vorwort
Sachregister
Personenregister

Citation preview

Franz Brentano Aristoteles und seine Weltanschauung

Franz Brentano Sämtliche veröffentlichte Schriften

Dritte Abteilung Schriften zu Aristoteles Herausgegeben von Thomas Binder und Arkadiusz Chrudzimski

Band VII Wissenschaftlicher Beirat Mauro Antonelli, Mailand; Wilhelm Baumgartner, Würzburg; Johannes Brandl, Salzburg; Wolfgang Huemer, Parma; Robin Rollinger, Salzburg; Werner Sauer, Graz

Franz Brentano

Aristoteles und seine Weltanschauung Mit einem Vorwort von Thomas Binder und Arkadiusz Chrudzimski zur Ausgabe der veröffentlichten Schriften, eingeleitet von Guillaume Fréchette Herausgegeben von Thomas Binder und Arkadiusz Chrudzimski

ISBN 978-3-11-053704-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-053889-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-053726-0 Library of Congress Control Number: 2018937289 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI Books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VII Guillaume Fréchette: Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Die Ziele von Aristoteles und seine Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . XVI „Philosophierend dem Philosophen entgegenkommend“ . . . . . . . . . . XIX Die Rezeption von Aristoteles und seine Weltanschauung . . . . . . . . XXVII Appendix I. F. Brentano: Selbstanzeige von Aristoteles und seine Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXI Appendix II. F. Brentano: Die Neuerungen von Aristoteles und seine Weltanschauung. Aus einem Brief an Alfred Kastil . . . . . . XXXII

Editorische Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIII Aristoteles und seine Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

Vorwort der Herausgeber Die vorliegende Ausgabe von Brentanos Monographie Aristoteles und seine Weltanschauung ist der siebte Band einer neuen Edition der Werke Franz Brentanos. Diese Edition unternimmt es zum ersten Mal, alle Schriften, die von Brentano selbst publiziert wurden, in einer handlichen, zehnbändigen Studienausgabe dem Leser zugänglich zu machen. Dazu gehören neben seinen bahnbrechenden systematischen Werken wie der Psychologie vom empirischen Standpunkte und Vom Ursprung der sittlichen Erkenntnis auch seine wichtigen Studien zu Aristoteles, dem Brentano insgesamt vier Monographien widmete, sowie viele kleinere bedeutende Aufsätze zur Psychologie (und speziell zur Sinnespsychologie), zur Geschichte der Philosophie und zu anderen Themen. Die nicht-philosophischen Schriften Brentanos (darunter neben kirchengeschichtlichen und juristisch-politischen Werken auch Abhandlungen zur Schachtheorie, Rätsel und Lyrik) sollen in einem Ergänzungsband publiziert werden, um damit die Persönlichkeit des großen Denkers abzurunden. Auf zwei Einschränkungen sei hingewiesen: 1. Nicht aufgenommen wurde unter die Druckschriften Brentanos Gutachten zur päpstlichen Unfehlbarkeit, da dieses nur in einem nicht von Brentano selbst besorgten Privatdruck vorliegt, von dem lediglich ein einziges Exemplar überliefert ist. 2. Diese Ausgabe vereint die Druckschriften, soweit sie den Herausgebern bekannt sind. Es kann nicht mit völliger Gewissheit ausgeschlossen werden, dass Brentano noch weitere Schriften veröffentlicht hat. So sei hier auf eine im Oktober 1876 in der Wiener Neuen Freien Presse von Brentano anonym publizierte Rezension hingewiesen, die den Herausgebern nur durch einen Zufall bekannt und im dritten Band dieser Reihe erstmals als Werk Brentanos veröffentlicht wurde. Brentano selbst erwähnt in einem Brief an Anton Marty einen Toast, in dem er sich anlässlich des Sylvesterabends 1876 mit der politischen Lage befasste und der in Deutschen Zeitung auch veröffentlicht wurde; bedauerlicherweise war es den Herausgebern bisher nicht möglich, ein Exemplar der entsprechenden Ausgabe aufzutreiben. Wenig wahrscheinlich ist es allerdings, dass es sich bei solchen „verschollenen“ Werken um bedeutendere philosophische Schriften handeln sollte; dass auch in Zukunft die eine oder andere bisher unbekannte Gedicht- oder Rätselpublikation Brentanos entdeckt werden könnte, ist aber durchaus vorstellbar. Die Druckschriften werden wie folgt auf die zehn geplanten Bände verteilt, wobei die Texte in Sammelbänden chronologisch angeordnet sind:

https://doi.org/10.1515/9783110538892-007

VIII

Vorwort der Herausgeber

1. Band: Psychologie vom empirischen Standpunkte Von der Klassifikation der psychischen Phänomene 2. Band: Schriften zur Sinnespsychologie 3. Band: Schriften zur Ethik und Ästhetik 4. Band: Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles 5. Band: Die Psychologie des Aristoteles, insbesondere seine Lehre vom ΝΟΥΣ ΠΟΙΗΤΙΚΟΣ 6. Band: Aristoteles Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes 7. Band: Aristoteles und seine Weltanschauung 8. Band: Kleinere Schriften zu Aristoteles 9. Band: Vermischte Schriften 10. Band: Nicht-philosophische Schriften Die Neuausgabe der veröffentlichten Schriften basiert ausschließlich auf den Erstpublikationen. Bei Texten, die in inhaltlich wie auch immer veränderter Form wiederholt publiziert wurden, werden alle Varianten vollständig abgedruckt. Da es sich um keine Edition mit kritischem Anspruch handelt, wurde auf textkritische und erläuternde Anmerkungen weitgehend, wenn auch nicht vollständig, verzichtet (dass die Texte dennoch akribisch mit den Originaltexten verglichen wurden, versteht sich von selbst). Genauere editorische Hinweise zum Text finden sich in einer separaten, dem Haupttext vorangestellten editorischen Vorbemerkung. Eine besondere Erwähnung verdient die Handhabung der Rechtschreibung. Da Brentanos Texte sowohl vor als auch nach der II. Berliner Orthographischen Konferenz von 1901 publiziert wurden, und da auch in den nachfolgenden Jahrzehnten die Rechtschreibung immer wieder „reformiert“ wurde, schien es wenig sinnvoll, diese auf einem bestimmten Stand zu vereinheitlichen: Die Texte werden also allesamt in der historischen Form abgedruckt, in der sie ursprünglich publiziert wurden. Jedem Band wird eine Einleitung vorangestellt, die den aktuellen Stand der Forschung reflektiert; schließlich sollen ein Sach- und ein Personenregister den thematischen Zugang erleichtern. Die Hauptmotivation für diese Edition liegt sicher darin, dass diese sowohl für die Geschichte der Philosophie als auch für die systematische Forschung so wichtigen Schriften oftmals schon seit Jahren aus dem Buchhandel verschwunden und damit nur noch schwer zugänglich sind. Zum Teil sind sie seit ihrer Erstveröffentlichung nicht mehr verlegt worden, zum Teil liegen sie aber auch in Ausgaben vor, die weder zeitgemäßen editorischen Standards noch dem aktuellen Stand der philosophischen Forschung entsprechen. Da die Herausgeber der festen Überzeugung sind, dass das Studium der Philosophie

Vorwort der Herausgeber

IX

Brentanos auch heute nicht nur wichtig, sondern außerordentlich lohnend ist, soll die Lücke mit dieser Ausgabe geschlossen werden. Selbstverständlich können die 10 Bände dieser Edition den Reichtum an Einzelfragen und Lösungsansätzen nicht präsentieren, die Brentanos Philosophieren in mehr als 50 Jahren intensiver Forschertätigkeit geprägt haben – diese Aufgabe muss einer kritischen Edition des äußerst umfangreichen Nachlasses vorbehalten bleiben, die aufgrund der damit verbundenen großen editorischen Herausforderungen bedauerlicherweise noch immer auf sich warten lässt. Bei den vorliegenden von Brentano selbst veröffentlichten Schriften handelt es sich aber dennoch um jene Werke, die seine Bedeutung für die Philosophie zuallererst begründet haben. Januar 2018

Thomas Binder, Arkadiusz Chrudzimski

Einführung Guillaume Fréchette

Brentanos Beschäftigung mit Aristoteles ist nicht nur eine Konstante in seinem Werk, sie erweist sich auch als unerlässlich für das Verständnis zentraler Thesen der Philosophie Brentanos und deren Zusammenhang. Bekanntlich begründet Brentano seine frühe Bindung an Aristoteles in einem späten Brief an Kraus damit, dass er sich damals „als Lehrling an einen Meister anzuschließen [hatte]“ und dass er „in einer Zeit kläglichsten Verfalles der Philosophie geboren, keinen besseren als den alten Aristoteles finden“ konnte.1 Diesen Gedanken hatte er aber schon 1911 im Vorwort zu Aristoteles und seine Weltanschauung (fortan ASW) fast wörtlich formuliert: Wie ich denn selbst nur eine Dankespflicht erfülle, wenn ich bekenne, dass, als ich mich als Jüngling in einer Zeit tiefsten Verfalls mit der Philosophie zu beschäftigen begann, ich durch keinen Lehrer mehr als durch Aristoteles in eine entsprechendere Forschungsweise eingeführt worden bin. (ASW, 3).

Die „Dankespflicht gegenüber dem philosophischen Lehrer“ (s. infra, Appendix I), die ASW erfüllen soll, ist für Brentano selbst im aristotelischen Sinne zu verstehen, und sie liefert zudem einen wichtigen Schlüssel, um Brentanos Programm in ASW zu verstehen. Sie ist aristotelisch gemeint, denn Brentano betont, dass Aristoteles selbst „am Abend seines Lebens“ in den Büchern über die Freundschaft eine Dankesschuld gegenüber Platon bekennt, die nie abzutragen ist (ASW, 8). Der Schlüssel zum Verständnis von Brentanos Programm ergibt sich aus der Grenze, die Brentano dieser Dankesschuld zieht, wenn er sagt, es müsse „gegenüber jedem anderen, auch dem innigst verbundenen Freunde, die Wahrheit immer noch als die liebere Freundin gelten“.2 So wie Aristoteles das 8. und 9. Buch der Nikomachischen Ethik, so versteht also Brentano ASW als eine edle und späte Hommage an den „innigst verbundenen Freund“, die aber nur dadurch edel zu nennen ist, dass sie die Suche nach der Wahrheit als ihr höchstes Ziel setzt. Wie wir im Folgenden noch sehen werden – und wie die Appendices I und II reichlich belegen – kann Brentanos Rekonstruktion von Aristoteles’ Weltanschauung nur an diesem Maßstab gemessen 1

Brief an Kraus, 21. März 1916, in Die Abkehr vom Nichtrealen, 1966, 291.

2

S. ASW, 8, eigentlich eine Brentanisierung von Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch 8 (1096a13): „auch wenn Freunde und Wahrheit uns beide lieb sind, ist es doch heilige Pflicht, die Wahrheit höher zu achten“.

https://doi.org/10.1515/9783110538892-011

XII

Guillaume Fréchette

werden. Gerade das macht sie einzigartig: denn sie verzichtet auf jegliche historische Rekonstruktion der Lehre und zielt lediglich darauf ab, die Fäden dieser Weltanschauung zusammenzuziehen. Somit entsteht ein Werk, das man auch, und zurecht, Brentanos Weltanschauung nennen könnte. Die Bezüge zu Aristoteles sowohl in den veröffentlichten als auch in den bisher unveröffentlichten Werken Brentanos sind zahlreich und vielschichtig. Obwohl er sich nicht als Aristoteles-Forscher verstand, ist es bemerkenswert, dass sich ein erheblicher Teil von Brentanos Veröffentlichungen direkt mit Aristoteles beschäftigt. Von den fast fünfzig Werken (Aufsätze, Bücher und Rezensionen3), die Brentano zeitlebens veröffentlicht hat, befassen sich zehn hauptsächlich mit Aristoteles,4 darunter die umfangreichsten seiner Veröffentlichungen überhaupt. Gemeinsam mit Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes (fortan ALU ) stellt ASW die letzte Aristoteles-Veröffentlichung Brentanos dar. Mit beiden Werken wollte Brentano eine allgemeine Darstellung der Metaphysik (insbesondere der Gotteslehre) des Aristoteles für ein breiteres Publikum anbieten. Eng verbunden ist die Entstehung von ASW außerdem mit einem für den ersten Band von Ernst von Asters Große Denker vorbereiteten Beitrag über Aristoteles.5 In gewisser Weise war von Asters Angebot der Anstoß, der Brentano dazu bewegte, endlich seine schon seit längerer Zeit geplante ,Aristoteles-Abhandlung‘ in Angriff zu nehmen. Als Ernst von Aster 1909 begann, ein zweibändiges Werk über die großen Denker der Philosophiegeschichte vorzubereiten, lud er am 14. Mai Brentano ein, das Aristoteles-Kapitel für dieses Werk zu schreiben. Brentano nahm die Einladung an.6 So entstand zwischen 1909 und Ende 1910 der Aufsatz mit dem schlichten Titel ,Aristoteles‘.7 Die erste Fassung, die Brentano Ende November 1910 an Aster und zum Leipziger 3

Hier sind die Zweit- und Drittausgaben sowie Selbstanzeigen nicht gezählt.

4

Brentano 1862; 1867; 1871; 1872; 1882; 1883; 1895; 1911a; 1911b; 1911c.

5

Es sollte auch erwähnt werden, dass die Veröffentlichung von Theodor Gomperz’ drittem Band der Griechischen Denker (1908) eine zusätzliche Motivation für Brentanos Projekt darstellte. Gomperz’ Auffassung von Aristoteles schien Brentano in vielen Hinsichten fehlerhaft, wie man u. a. dem Briefwechsel zwischen Gomperz und Brentano entnehmen kann.

6

Ein undatierter Auszug eines Briefes an Aster enthält wohl Brentanos Antwort auf Asters Angebot. Siehe unten.

7

Von Asters Briefen an Brentano lässt sich entnehmen, dass Brentano zwischen November 1910 und Januar 1911 eine erste Version des Aufsatzes Aster zugeschickt hat. Im Juni 1911, als der Verlag schon mit dem Setzen des Bandes begonnen hat, bittet Aster noch um die endgültige Fassung des Aufsatzes. Am 26. Juni 1911 bestätigt er den Empfang des Aufsatzes.

Einführung

XIII

Verleger Meyer & Quelle schickte, umfasste ca. 9 Bögen.8 Nach Absprache mit Aster willigte Brentano offenbar ein, die Länge des Aufsatzes auf 4 Bögen zu reduzieren.9 Schon in den ersten Briefen zwischen Aster und Brentano wird klar, dass Brentano den Aster-Aufsatz als Teil eines größeren Projektes betrachtete.10 So schreibt Aster am 15. Juni 1909 an Brentano, dass er kein Problem darin sehe, wenn Brentano eine erweiterte Fassung des Aufsatzes anderweitig veröffentlicht, und verweist ihn an den Verleger Quelle & Meyer, um diese Eventualität im Rahmen des Autorenvertrages zu ermöglichen.11 Es liegt also die Annahme nahe, dass Brentano spätestens im Frühling 1909 den Entschluss zu einer Abhandlung über Aristoteles’ Weltanschauung fasste. Da das Buch auch bei Quelle und Meyer veröffentlicht wurde, lässt sich vermuten, dass Brentano Asters Rat gefolgt ist und den Plan einer erweiterten Abhandlung bei Quelle und Meyer ins Gespräch brachte. Eine Veröffentlichung der Abhandlung bei diesem Verlag war dann wohl die beste Lösung für beide Parteien. In einer Fußnote zur Einführung von ASW (16) schreibt Brentano, das Buch sei eine ,Separatausgabe‘ des im gleichen Jahr erschienenen Aster-Aufsatz zu Aristoteles. Es ist aber fraglich, ob man in diesem Fall von einer bloßen Separatausgabe sprechen darf, denn ASW enthält insgesamt 14 Kapitel, die im Aster-Aufsatz fehlen, sowie mehrere Ergänzungen in Fußnoten und eine längere Ergänzung in Kleinschrift. Im Großen und Ganzen befasst sich der Aster-Aufsatz hauptsächlich mit Aristoteles’ Gotteslehre, während ASW die Metaphysik insgesamt behandelt sowie zusätzliche biographische und bibliographische Details bespricht. Eine einfache Konkordanz beider Werke verdeutlicht deren Beziehung zueinander: ASW S. 11–16: die Schriften S. 16–21: Ergänzung zu den Schriften S. 22–53: die Metaphysik

Aristoteles (Aster-Aufsatz) S. 156–159: die Schriften nicht vorhanden nicht vorhanden

8

Brief von Aster an Brentano, 14. Dezember 1910.

9

Brief von Aster an Brentano, 15. Januar 1911.

10

Brentano an Aster, Mai 1909: „Es würde mich freuen, etwas zu geben, was die Weltanschauung des gewaltigen Denkers in ihrer wahren Großartigkeit und Schönheit zeigte. Kein Buch, das ich kenne, tut dies“.

11

Aster an Brentano, 15. Juni 1909 : „[I]ch [glaube] nicht, dass einer durch Noten erheblich erweiterten Wiederveröffentlichung der Abhandlung in einer Reihe Aristotelischer Studien ein Bedenken seitens des Verlages entgegenstoßen würde.“

XIV

Guillaume Fréchette

S. 53–69: die Gotteslehre S. 69–70: die Gottheit S. 70–114: die Gotteslehre

S. 160–171: die Gotteslehre nicht vorhanden S. 171–207: die Gotteslehre

An den Plan einer Aristoteles-Abhandlung dachte Brentano schon seit längerer Zeit. In seinem Offenen Brief an Zeller (1883), in dem er auf Zellers Reaktion auf seine 1882 erschienene Abhandlung Über den Creatianismus des Aristoteles reagierte, erklärt Brentano seine Absicht, seine Gegenkritik an Zeller umfassender darzustellen, und zwar in einer „demnächst zu übergebenden Arbeit“ Zur Sicherung der dem Aristoteles zugeschriebenen Lehre von dem göttlichen Ursprung des menschlichen Nus in den Sitzungsberichten der österreichischen Akademie der Wissenschaften.12 Die angekündigte Abhandlung wurde allem Anschein nach nie übergeben13 und so blieb Brentanos Wunsch einer umfassenderen Abhandlung zu Aristoteles’ Philosophie unerfüllt. Anstatt dieser geplanten Aristoteles-Arbeit verfasste Brentano rasch eine Rezension eines Buches von Miklosich (1883), das eine linguistische Unterstützung der existenzialen Urteilstheorie Brentanos enthielt. Danach galt Brentanos Interesse vor allem der deskriptiven Psychologie und den damit zusammenhängenden Fragen der Sinnespsychologie. Mit der Lehre des Aristoteles beschäftigte er sich vorerst nicht mehr besonders intensiv. Deshalb kommt die Anfrage Asters zu einem denkbar günstigen Zeitpunkt: das schon 1883 formulierte Projekt einer umfassenden Replik auf Zellers Kritik des Kreatianismus-Buches erscheint nun tatsächlich, und zwar zeitgleich mit ASW bei Veit unter dem Titel Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes. Somit erfüllt sich Brentano den lang ersehnten Wunsch, seiner Interpretation des Aristoteles eine endgültige Form zu geben.14 12 13

14

S. Brentano (1883, 7). Im Grazer Franz Brentano-Archiv befindet sich das Manuskript eines erweiterten Inhaltsverzeichnisses, das sich wohl auf die von Brentano erwähnte Arbeit bezieht: Aristotelische Studien zur Sicherung der dem Aristoteles zugeschriebenen Lehre von dem göttlichen Ursprung des menschlichen Nus. Nicht nur in dieser Hinsicht stellt das Jahr 1911 das bibliographisch ertragsreichste Jahr im Schaffen Brentanos dar: die Klassifikation Psychischer Phänomene (Brentano 1911d), als ein „update“ zur Psychologie vom empirischen Standpunkt gedacht, veröffentlicht Brentano mit der Absicht, eine abschließende Version seiner Psychologie vorzulegen. In seiner Einführung zur Meiner-Ausgabe von ALU meint Rolf George, dass Brentano den Plan einer Abhandlung zu Aristoteles „1905 oder später“ schon formuliert hatte. In seiner Ausgabe mit dem Titel Über Aristoteles betont er in dieser Hinsicht, dass die Nachlassabteilung „Aristoteles“ hauptsächlich aus dem Projekt ei-

Einführung

XV

ASW erscheint Anfang November 1911. Spätestens im Januar 1911, als er feststellt, dass fast alle seine Bücher vergriffen sind, hatte Brentano einen konkreten Veröffentlichtungsplan entwickelt: Nicht nur ASW solle später im gleichen Jahr erscheinen, sondern auch eine Neuauflage der Schrift über die Psychologie des Aristoteles „mit der Zugabe anderer Abhandlungen“15, sowie die Psychologie vom empirischen Standpunkte zusammen mit einer Neuveröffentlichung der Kapitel zur Klassifikation psychischer Phänomene.16 Anfangs scheint Brentano bezüglich des Umfangs dieser ,anderen Abhandlungen‘ unschlüssig: ihm schwebt unter anderem eine Übersetzung und Analyse von Passagen aus Aristoteles’ Schriften vor sowie eine Besprechung von Theophrasts Metaphysik.17 Dagegen meint er über die noch zu erscheinende ASW, dass „die ner solchen Abhandlung entstanden ist, wobei die frühesten Dokumente mit wenigen Ausnahmen aus dem Jahr 1908 stammen. Dies alles spricht für die These, dass die Anfrage Asters den Anstoß zur Vollendung von Brentanos Interpretationen von Aristoteles gegeben hat, zumindest was ASW betrifft. Für die Veröffentlichung von Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes könnte auch die Neuausgabe von Zellers Kritik an Brentano in Zellers Kleine Schriften (1910) eine Rolle gespielt haben. Vgl. Brentanos Brief an Marty vom 25. Januar 1911. 15

Brentanos Brief an Marty vom 25. Januar 1911: „Lieber Freund! Sie wissen wohl schon durch Kraus, dass meine Psychologie vom empirischen Standpunkte vergriffen ist und hörten von ihm, welche praktische Frage sich mir hieran knüpft. Nun erfahre ich, dass auch von der Psychologie des Aristoteles die Auflage erschöpft ist. Auch sie enthält gar manche Wahrheit, die wieder und wieder geltend gemacht werden sollte, daneben aber auch einiges, was ich jetzt nicht mehr für richtig halte. Zu einer durchgängigen inneren Korrektur kann ich mir, wenn nicht andere Aufgaben unbillig zurückgesetzt werden sollen, die Zeit nicht nehmen […] ohne Zeitopfer wäre natürlich auch dies nicht auszuführen. Wer weiß, ob nicht auch mein offener Brief an Zeller vergriffen ist. Auf alles das muss ich in diesem Augenblick besonders achten, wo meine Abhandlung über Aristoteles auch separatim, dann auch mit der Zugabe anderer Abhandlungen erscheinen soll. Am liebsten freilich publizierte ich diese Schriften ganz für sich, wo sie dann wahrscheinlich raschen Absatz finden und auf weite Kreise wirken würden.“

16

S. Brentanos Brief an Marty vom 4. März 1911: „Mit Duncker und Humblot habe ich die Neuveröffentlichung der Kapitel über die Klassifikation samt Anmerkungen vereinbart. Sie wird nuierr in 600 Exemplaren stattfinden, so gering ist das Vertrauen auf den Absatz infolge davon, dass von den Untersuchungen zur Sinnespsychologie bisher nur 150 Exemplare verkauft worden sind. Die Buchhandlung kommt so nicht einmal auf ihre Kosten [...].“

17

S. Brentanos Brief an Marty vom 7. Februar 1911: „Wenn nur Pascal nicht allzu recht hätte, dass es etwas Anderes sei, beweisen, und etwas anderes, die Menschen überzeugen zu können, dann müsste meine Antwort einen leichten und vollständigen Erfolg haben. Auch eine Besprechung des metaphysischen Fragments von Theophrast und

XVI

Guillaume Fréchette

eben fertig gestellte, kleine Schrift über die erste Philosophie des Aristoteles [...] eigentlich genügen [dürfte]“.18

Die Ziele von ASW Das durch Asters Anfrage vorgegebene Format eines relativen kurzen einführenden Aufsatzes zu Aristoteles benutzte Brentano somit als Ausgangspunkt für verschiedene Projekte und legt darin nahe, dass seine eigene Erkenntnistheorie und Metaphysik in direkter Nachfolge von Aristoteles’ Philosophie zu sehen ist. Denn immer wenn er die moderne Philosophie lobend erwähnt, wie z. B. den Optimismus bei Leibniz oder die Reflektion bei Locke, fügt er hinzu, dass Aristoteles diese Entwicklung schon im Rahmen seiner Lehre vorweggenommen hat. Und dort wo er die moderne Wissenschaft preist, habe auch Aristoteles die Grundlagen für diese Entwicklungen bereits gelegt (z. B. für Lavoisiers Satz von der Erhaltung der Masse; oder für die Umwandlung einer Substanz, die durch die Entwicklungen im Bereich der Chemie z. B. bei Whewell zu einem Thema der Philosophie des 19. Jahrhunderts wurde). All das macht deutlich, dass Brentano ASW nicht nur als eine Rekonstruktion von Aristoteles’ Weltanschauung konzipiert hat, sondern als Abhandlung über die Aktualität der aristotelischen Philosophie. Dieser Plan erklärt auch, warum Brentano von dem Projekt einer ,kleinen Schrift über die erste Philosophie des Aristoteles‘ sichtlich begeistert war. Seine in Teilen noch erhaltene Antwort auf Asters Anfrage im Mai 1909 belegt dies. Da sie auch einen detaillierten Überblick über das größere, von Brentano konzipierte Projekt gibt, lohnt es sich diesen Brief ausführlich zu zitieren: Es würde mich freuen, etwas zu geben, was die Weltanschauung des gewaltigen Denkers in ihrer wahren Großartigkeit und Schönheit zeigte. Kein Buch, das ich kenne, tut dies. Wenn unsere Historiker berichten, dass Aristoteles das theoretische Leben als das allen selige gepriesen habe, so verneinen sie, dies daraus erklären zu können, dass ihm die Betätigung des Verstandes als solche der unaufrichtigen Art, in welcher Zeller darüber referiert, wäre sehr lehrreich. Und ebenso eine Übersetzung des 9. und 10. Kapitels von Met L. mit einer genauen Analyse Teil für Teil und ebenso eine des verfänglichen Kapitels De Generatione An. II, 3, dessen Missverständnis am meisten der Präexistenzlehre Vorschub geleistet hat.“ 18

Ibid., „Freilich seufze ich bei dem Gedanken an jede Arbeit, die meine Zeit anderen noch wichtigeren Aufgaben entzieht und die eben fertig gestellte, kleine Schrift über die erste Philosophie des Aristoteles dürfte für die Einsichtigen eigentlich genügen.“

Einführung

XVII

besonders genussreich gewesen sei. Doch um diese zu haben, hätte er sich auch an das Brettspiel setzen können, das damals ähnlich wie jetzt das Schach eine außerordentliche Geschicklichkeit der Kombination verlangte. Die Seligkeit seines Wesens war vielmehr dadurch bedingt, dass er zu der Erkenntnis eines unendlich vollkommenen Wesens als ersten alleinigen Grund aller Dinge gelangt ist und das Weltall sich durch das Licht dieser hohen Wahrheit verklärt. Selbst Leibniz ist nicht mehr als Aristoteles von der Überzeugung, dass das Weltall in vollkommenster Weise geordnet sei, durchdrungen. Alle Fülle des Trostes ist ihm dadurch gegeben. Wäre er dagegen zu einer pessimistischen Ansicht nach der Art des Schopenhauers etwa gekommen, so dürfen wir nicht zweifeln, dass er in seinen Leibesübungen des kontemplativen Lebens inne gehalten hätte; sagt er doch geradezu, es sei besser einiges nicht zu schauen als zu schauen [...] Dieses herrliche Bild, das sich Aristoteles von der Welt und ihrem Urgrund ausgemalt, dem Leser mit einiger Anschaulichkeit vorzuführen, würde ich mir als Hauptaufgabe setzen. Da Aristoteles nie dazu gekommen ist, seine prote philosophia ausführlich darzustellen, so würde ich zu dem Behuf die in den verschiedensten Werken gelegentlich eingestreuten Andeutungen sammeln, ja auch eine ergänzende Konjektur, die durch den Zusammenhang gefordert ist, nicht ausschließen. Nur dies bei so engem Raum in einer einigermaßen ansprechenden Weise leisten zu können, müsste ich mich aber fast ganz auf das metaphysische Gebiet beschränken. Der Seelenlehre könnte vielleicht innerhalb der Kosmologie eine Stelle zugewiesen werden. Seine deutera philosophia ist ohnehin dieses Namens nicht mehr würdig, wenn sie von der prote philosophia losgetrennt wird. Jede Philosophie sucht ja aus dem ersten Grunde zu erkennen. Und so kennt in seinen naturwissenschaftlichen Untersuchungen Aristoteles keine Frage, die ihm mehr am Herzen läge als die wegen deren Vernachlässigung Platon über Anaxagoras führt: Warum hat der göttliche Verstand dieser Einrichtung vor jener in der Natur den Vorzug gegeben? Die großartigen Leistungen des Aristoteles auf dem Gebiet der praktischen und poietischen Disziplinen müssten freilich nicht ganz unberücksichtigt bleiben, namentlich der eigentümliche Charakter seiner Ethik, der kaum richtiger gewürdigt zu werden pflegt als der seiner theoretischen Philosophie, müsste ins Klare gesetzt werden. Auf vieles, was in der Logik noch heute von ihm zu lernen wäre, irgendwie näher einzugehen, müsste ich dagegen verzichten. Bei ihr vielmehr wie bei der Rhetorik und Poetik nur in wenigen Worten erkennen lassen welch bewunderungswürdige Leistung auch hier vorliegt; ist doch sein Verdienst selbst auf dem Gebiet der Nationalökonomie so groß, dass mein Bruder, als die Münchner Universität ihn frug, welcher Name aus der antiken Zeit sie am besten repräsentiere, am liebsten Aristoteles genannt hätte und nur darum auf Solon hinwies, weil die philosophische Fakultät Aristoteles schon für sich in Anspruch genommen hatte. Darf ich hoffen, dass Sie, wo wohl die Freiheit, die ich mir bei solcher Darstellung nehme als auch die

XVIII

Guillaume Fréchette

Beschränkung, die ich in wesentlichen Beziehungen mir auferlegen würde, billigen werden?19

In diesem Zusammenhang verständlich wird auch Brentanos Auffassung, die er gegen Zeller verteidigt, dass die bevorzugte Stellung des rein theoretischen Lebens das Begehren nicht ausschließt.20 Aber auch der Optimismus des Aristoteles spielt in ASW eine wichtige Rolle, da er ähnlich wie später Leibniz die Erkenntnis eines unendlich vollkommenen Wesens mit dem Beweis des Determinismus verbindet. Kurz vor der Veröffentlichung von ASW berichtet dann Brentano in einem Brief an Ehrenfels am 21. Oktober 1911 vom Erscheinen dieser Abhandlung. Dabei betont er besonders den einheitlichen Charakter des ersten Prinzips: Ich hoffe Ihnen bald eine kurze Darstellung seiner [=Aristoteles] gesamten Weltanschauung, die bereits in Druck vollendet ist, überreichen zu können. Wer einmal erkannt hat, dass die Welt einen Ordner verlangt, wird auch bald erkennen, dass sie einen einheitlichen Ordner verlangt und weiter noch, dass wie der Ordner, so auch das Prinzip der Welt ein einziges sein müsse, woran dann der Schöpfungsgedanke beschlossen ist. Daraufhin kann auch an einer Allwissenheit, welche alles aus dem ersten Grunde erkennt, nicht mehr gezweifelt werden. Und auch die Allmacht, d. h. die Lehre, dass die Grenzen der Macht des ersten Prinzips mit den Grenzen der Möglichkeit überhaupt zusammenfallen, ist nun leicht zu sichern.21

Einige Tage später ist das Buch endlich erschienen. Am 2. November schickt Brentano eine Kopie davon an seinen Enkelschüler Carl Hennemann – einen Schüler Hermann Schells. In dem Begleitbrief erläutert Brentano, was er unter dem einheitlichen Charakter des ersten Prinzips versteht: Verehrter Freund! Mit diesen Zeilen zugleich überreiche ich Ihnen ein Exemplar meiner eben erschienenen Schrift Aristoteles und seine Weltanschauung. Wie leid tut es mir, dass unser lieber Freund Schell ihre Veröffentlichung nicht erlebte. Er vor allen wäre imstande gewesen, sie zu würdigen und die Ergebnisse, zu welchen man mich darin gelangt sieht, wären ihm gewiss überaus sympathisch gewesen. Vielleicht hätte er auch jetzt noch an der Meinung festgehalten, dass sich wie bei andern großen Denkern auch bei Aristoteles eine Art Trinitätslehre finde. Die Gottheit, im Sinne des einen Urprinzips, die Sphä19

Brief von Brentano an Ernst von Aster, undatiert.

20

Vgl. ASW, 89: das schlechthin vollkommene Prinzip „gilt ihm als Denken nicht bloß, sondern auch als Freude“.

21

Brief an Ehrenfels, 21. November 1911.

Einführung

XIX

rengeister und die Himmelsphären selbst werden ja alle drei im weiteren Sinne von Aristoteles zum Göttlichen gerechnet. Allein auch jeder menschliche Nus wird von Aristoteles mit diesem Namen beehrt, und so hätte man denn in so weitem Sinne den Namen genommen, noch eine vierte Klasse des Göttlichen. Und manchmal wird der Gebrauch des Namens noch weiter ausgedehnt, wie denn insbesondere der befruchtende Samen und die Leben gebende Wärme, das Pneuma, manchmal als göttlich bezeichnet werden. Anfangslos bestehen diese alle freilich nicht; aber danach verdient der menschliche Geist wenigstens gewiss, nach der Werttheorie des Aristoteles, höhergestellt und göttlicher genannt zu werden als der gestirnte Himmel, da diesem alles Bewusstsein fehlt. Wo aber keine Denktätigkeit, da ist nach Aristoteles überhaupt nichts Ehrwürdiges, kein σεμνός, gegeben. Dass in der Anfangslosigkeit keine besondere Auszeichnung liegt, wird daraus aufs Deutlichste erkennbar, dass nach Aristoteles auch die sublunarische Welt und die Materie, die hier der Generation und Korruption unterliegt, als anfangslos gelehrt werden. Nach Aristoteles gibt es nur eine Gottheit im eigentlichen Sinne, alles andere Wirkliche ist Folge ihrer Schöpfertätigkeit. Wenn ich sagte, die Lehre des Aristoteles wie ich sie jetzt aus dem Schutte herausgegraben, würde unseren teuren Freund sehr sympathisch gewesen sein, so gilt dies insbesondere von dem streng optimistischen Charakter derselben, von dem konsequent festgehaltenen Determinismus und von der Eschatologie, die einerseits dem Gedanken der gebührenden Vergeltung Rechnung trägt und andererseits jede Härte prädestinationischer Lehre vermeidet, vielmehr die Güte Gottes in vollem Glanze strahlen lässt.22

Den einheitlichen Charakter des ersten Prinzips scheint er also so zu verstehen, dass nicht nur Gott als unbewegter Beweger, sondern auch die Sphärengeister, die Himmelsphären und der menschliche Nus zu einer „göttlichen“ Einheit gehören. Da die Anfangslosigkeit nicht als Merkmal des Göttlichen anzusehen ist, kann auch der Mensch seinem geistigen Teile nach zu dieser Einheit gehören. Diese originale Einsicht, zusammen mit der These, dass Begehren ein Teil des theoretischen Lebens ist, wird von Brentano als Kern einer aristotelischen Weisheitslehre gegenüber seinen Freunden dargestellt.

„Philosophierend dem Philosophen entgegenkommen“ Dass es Brentano darauf ankommt, Aristoteles’ Auffassung der Weisheit zu rekonstruieren, wird schon im Vorwort von ASW deutlich. Es wäre hier überflüssig, jede Einzelheit dieser Rekonstruktion zu besprechen. Im Folgenden 22

Brief von Brentano an Carl Hennemann, 2. November 1911.

XX

Guillaume Fréchette

sollen daher nur einige Punkte thematisiert werden, die die Eigenheit seiner Aristoteles-Interpretation und seine Vorliebe für Theophrast verständlich machen. Nach verbreiteter Meinung stellt Aristoteles die Weisheit als die höchste aller Erkenntnisse dar, seine Aussagen zur Weisheitslehre werden aber von vielen Interpreten als eine widersprüchliche Lehre abgetan. Brentano geht hier einen anderen Weg und versucht die Konsistenz der Lehre darzustellen, vor allem „unter Benützung mannigfacher, in den verschiedenen Werken eingestreuter Andeutungen“ (ASW, 3). Zu diesem Zweck verwendet er die Metaphysik von Theophrast nicht nur als eine zuverlässige Quelle für seine Aristoteles-Interpretation, sondern er benutzt sie wie einen roten Faden zur Deutung von Aristoteles’ Metaphysik, vor allem von Metaphysik Λ.23 Klar zum Ausdruck kommt damit in ASW – aber auch in ALU – Brentanos Grundhaltung bei der Interpretation philosophischer Texte: Wenn ein Philosoph wie Aristoteles so viele wichtige Nachfolger und Anhänger zu Lebzeiten und danach gehabt hat, dann dürfe man sich nicht von scheinbaren Widersprüchen in seinen Aussagen aufhalten lassen. Man müsse davon ausgehen, dass es eben nur scheinbare Widersprüche sind, die im Rahmen der Weltanschauung des Denkers harmonisch nebeneinanderstehen. Diese Grundhaltung ist ein wichtiger Bestandteil seiner ,elitistischen‘ Auffassung der Methode der Geschichte der Philosophie. Diese Methode wurde schon in Grundzügen in einem 1888 gehaltenen Wiener Vortrag vorgestellt.24 Sie besteht unter anderem darin, dass man dem Gedanken des Autors philosophierend entgegenkommt. Das vorzüglich ist der Grund, weshalb nur ein Philosoph ein geeigneter Historiker der Philosophie sein kann (Brentano 1987, 88) […] Ein viertes Mittel […] besteht darin, daß man sich von dem Geiste des Philosophen, dessen Lehren man erforscht, gewissermaßen durchdringen läßt. (Brentano 1987, 90). 23

S. Brentanos Gedicht an einen Hörer seiner Wiener Vorlesungen, das er im Vorwort von ASW zitiert: „Dich, Eudemus, du frommer, begrüß ich als Bruder, und dich auch, Göttlichen Mund’s, Theophrast, süß wie der Lesbische Wein. Weil ich spät ihm geschenkt und der Jüngste im Kreise der Seinen Hat vor anderen mich zärtlich der Vater geliebt.“ Das Gedicht ist eine Anspielung an eine durch Aulus Gellius in den Attischen Nächten überlieferte Anekdote zur Wahl von Theophrast als Nachfolger von Aristoteles. Vgl. Weiss (1876, 172).

24

S. Zur Methode der historischen Forschung auf philosophischem Gebiete. Vortrag gehalten vor der Wiener philosophischen Gesellschaft (28. April 1888); ein relativ detaillierter Entwurf des Vortrages wurde in Brentano (1987, 81–105) veröffentlicht.

Einführung

XXI

Man solle zudem die ,Hyperkritik‘ vermeiden, die etwa durch Zeller und andere Philosophiehistoriker und klassische Philologen wie Theodor Gomperz verkörpert wird und die darin besteht, oft gegen jede ,innere Wahrscheinlichkeit‘ die Echtheit wichtiger philosophischen Schriften eines Autors zu bezweifeln, weil sie von anderen, deren Echtheit für sicher gilt, zu sehr abweichen. Die Abschlussbemerkung in ALU widerholt fast wörtlich die Grundgedanken des Wiener Vortrags von 1888 und bringt somit diese Grundhaltung auf den Punkt: Man muss möglichst dem Geist zu gleichen suchen, dessen unvollkommen ausgesprochene Gedanken man begreifen will. Mit anderem Worte, man muss das Verständnis anbahnen, indem man, ehe man als Historiker abschließt, zunächst selbst philosophierend dem Philosophen entgegenkommt. (ALU, 165).

Brentanos Auffassung der Methode der Geschichte der Philosophie ist deshalb elitistisch zu nennen, weil nach ihm das richtige Verständnis eines Philosophen der Vergangenheit nur dadurch erfolgen kann, indem man sich derart im Denken dieses Philosophen einübt, dass man dieses Denken eigenständig weiterentwickeln kann. So bekommen die eigentlichen Textquellen nur eine relative Bedeutung, denn sie sind nur ein Zugang zur Lehre. Der Brentanosche Philosophiehistoriker entwickelt als Philosoph weitere Zugänge zu der untersuchten Lehre, die etwa für den klassischen Philologen oder den Historiker, der keine außenordentliche philosophische Begabung besitzt, verschlossen bleibt. Es scheint daher durchaus berechtigt, Brentanos Aristoteles-Abhandlungen (vor allem ASW aber auch ALU) als eigenständige philosophische Abhandlungen zu betrachten und sie nicht lediglich als Kommentare oder zweitrangige Studien abzutun. So gesehen spielt es auch keine Rolle, dass sie als Kommentare oder Studien zu Aristoteles nicht besonders tauglich sind, da Brentano kaum die aktuelle Aristoteles-Forschung bespricht und direkte Aristoteles-Zitate auf ein bemerkenswertes Minimum beschränkt. Gleich zu Beginn rückt Brentano den Begriff der Weisheit ins Zentrum, wenn er Aristoteles folgend das Objekt der menschlichen Weisheit als das Seiende bezeichnet. Hier betont Brentano, dass das Seiende im eigentlichen Sinne gemäß aristotelischer Auffassung eine Substanz ist. Anstatt von „Substanz“ spricht er aber hauptsächlich von „Dingen“ als etwas, das nach Aristoteles „in jeder Anschauung mitgegeben“ sei (ASW, 38). Man könnte meinen, dass er hier Aristoteles zum Zeugen seines späteren Reismus machen will: Die sogenannten äußeren und inneren Wahrnehmungen bieten ihn [=den Begriff der Substanz] also nach ihm gemeinsam, und es ist eben darum klar, dass

XXII

Guillaume Fréchette

es ein Reales im akzidentellen Sinne, losgelöst von der Substanz, nicht geben kann. (ASW, 38).

Die nachfolgende Besprechung von Aristoteles’ vier Begriffen der Ursache basiert auf der Idee, dass alle vier Kausalbegriffe zumindest teilweise aus der inneren Wahrnehmung zu gewinnen sind. Ähnlich wie für Locke sei demnach auch schon für Aristoteles die Reflektion die Quelle des Begriffs der Substanz als auch des Begriffs der Ursache. Denn wir gewinnen diese Begriffe durch die innere Wahrnehmung von konkreten Erlebnissen, in welchen etwas Substanzielles oder Ursächliches erscheint. Wie schon in seiner Dissertation von 1862 vertritt Brentano auch hier die Auffassung, die er ebenfalls Aristoteles zuschreibt, dass eine ontologische Untersuchung von x nicht nur x im eigentlichen Sinne zum Gegenstand hat (x als Seiendes, i.e. als Ding), sondern auch alle uneigentlichen Bedeutungen von „x“ einschließen muss (ASW, 26). Auch die Einteilung der Erkenntnisse, mit der Brentano die Abhandlung beginnt, entspricht genau seiner eigenen Unterscheidung zwischen mittelbaren Erkenntnissen (teils durch Syllogismen, teils durch Induktion und Analogie) und unmittelbar evidenten Erkenntnissen oder Wahrheiten. Zu den letzteren gehören die unmittelbar evidenten Wahrheiten, die Brentano auch „Wahrnehmungen“ nennt, sowie allgemeine Urteile, „die etwas von vornherein als unmöglich verwerfen“. Brentano teilt hier mit Aristoteles seine Auffassung von der Evidenz der inneren Wahrnehmung und der Evidenz der Axiome, aber auch seine Auffassung von Induktion25 und die These der fehlenden Evidenz der äußeren Wahrnehmung. (ASW, 45). Brentano betont auch, dass Aristoteles die Meinung vertreten habe, dass die Substanz nur eine begrenzte Umwandlung erleiden kann, nämlich begrenzt „auf einen gewissen Individuationskreis […] worin der Glaube an den Fortbestand eines gewissen Gleichmaßes der Masse inbegriffen liegt“ (ASW, 48). Auf diese Weise gelingt es Brentano, eine Verbindung zwischen Aristoteles und Lavoisiers Gesetz der Erhaltung der Masse herzustellen, und er stützt sich auf diese Verbindung in seiner Diskussion zum Beweis der Existenz Gottes.26 Auch der Bezug zu Whewell (ASW, 49) ist in diesem Zusammenhang nicht irrelevant. Denn nach Brentano vertritt Whewell grundsätzlich die gleiche Idee wie Aristoteles, wenn er sagt, dass „man auch vor der experimentellen Feststellung die Beschränkung der Mischungen, welche zu so tiefgreifenden Änderungen 25

Mit Aristoteles und gegen Mill ist Brentano der Ansicht, dass Syllogismen erkenntniserweiternd sind. Vgl. Brentano (2013).

26

S. auch Brentano (1929, 384ff.) sowie Brentano (2016).

Einführung

XXIII

führen, im Gegensatz zu der unbegrenzten Mannigfaltigkeit der Gemenge im voraus hätte erschließen können“ (ASW, 49).27 Bemerkenswert ist auch das „Gesetz der Synonymie“, wie es Brentano nennt. Er meint damit die Beziehung zwischen dem Wirkenden und dem, was es bewirkt, also z. B. die Tatsache, dass durch die Einwirkung von etwas Kaltem auf etwas Warmes dieses auch kalt wird. In diesem Sinne sei das Wirkende „synonym“ mit dem, was es bewirkt. Brentano diskutierte solche Fälle schon in der Psychologie des Aristoteles (1867). Nun bespricht er dieses Gesetz jedoch in einer allgemeineren Form, also nicht nur in Bezug auf die Empfindungslehre, sondern auch bei psychischen Vorkommnissen abstrakterer Art, wie z. B. wenn ein Architekt ein Haus entsprechend der Idee baut, die er sich abstrakt vorstellt. Diese Erweiterung des Gesetzes resümiert Brentano auf folgende Weise: Und so geht auch bei einer Kreuzung von Kräften, welche das Gesamtresultat keinem der beiden Faktoren ganz ähnlich werden lässt, jede doch auf eine Verähnlichung aus, und man hat im letzten Grunde Fälle von natürlichem oder künstlichem Wirken. Was durch Zufall oder Glück bewirkt wird, wird per Akzidens gewirkt. Allem, was per Akzidens gewirkt wird, liegt aber ein Wirken per se zugrunde. Und so hat man es immer mit einem Wirken durch Natur oder Verstand zu tun“ (ASW, 51).

Die Existenz eines schlechthin Notwendigen wird dann aus der Notwendigkeit der Beziehungen zwischen wirklicher und wirkender Ursache abgeleitet. Damit eröffnet Brentano den zweiten, größeren Teil seiner Abhandlung, der sich mit der Kosmologie befasst, mit besonderer Berücksichtigung der Gotteslehre. Das schlechthin Notwendige, so die Konklusion, ist nicht nur unbewegt, sondern ein „einheitlicher, zwecktätiger Verstand als erste Ursache der Weltordnung“. 27

Diese Stelle bezieht sich auf die zweite Ausgabe von Whewell’s The Philosophy of the Inductive Sciences, z. B. auf Passagen wie die folgende: (1847, I: 221): „Thus, though the discovery of the First Law of Motion was made, historically speaking, by means of experiment, we have now attained a point of view in which we see that it might have been certainly known to be true independently of experience. This law in its ultimate form, when completely simplified and steadily contemplated, assumes the character of a self-evident truth. We shall find the same process to take place in other instances.“ Relevant ist auch folgende Stelle (1847, I: 385), wo Whewell über den von Brentano angedeuteten Begriff der „chemical affinity“ spricht: „the two principles just explained, that affinity is definite as to the kind, and as to the quantity of the elements which it unites, have here been states as results of experimental investigation […] but yet we may venture to say that being once known, they possess an evidence beyond that of mere experiment“.

XXIV

Guillaume Fréchette

Der kosmologische Teil von ASW ist besonders von Theophrasts Metaphysik geprägt.28 Brentano folgt hier der traditionellen Annahme, dass sie als eine Art Einleitung zu Aristoteles’ Metaphysik konzipiert wurde. Aus seiner Sicht ist Theophrast der Musterschüler par excellence des Aristoteles: seine Metaphysik ist als aristotelische Quelle daher nicht geringer einzuschätzen wie der aristotelische Korpus selbst.29 Diese Einstellung zu Theophrast wird besonders deutlich bei der Bestimmung des göttlichen Prinzips, wo Brentano auf die verschiedenen Weisen seiner Bestimmung bei Theophrast zurückgreift: erstens auf die Bestimmung durch negative Eigenschaften (z. B. Unteilbarkeit), zweitens auf die Bestimmung durch relative Beziehungen und, drittens, insbesondere auf die analogen Bestimmungen „welche Dingen zukommen, die in unsere Erfahrung fallen“30. Von dieser dritten Bestimmung macht Brentano im kosmologischen Teil seiner Abhandlung vorwiegend Gebrauch. So setzt er auf ein analoges Verständnis des unbewegten Bewegers, wie dies von Theophrast vorgeschlagen wird, wenn er sagt, dass der Unbewegte, der als erste Ursache verlangt wird, „in analoger Weise zu denken sei als ein Denkendes, das etwas um seiner selbst willen gut findet und begehrt“ (ASW, 57).31 Ähnlich verfährt Brentano, wenn er sagt, das göttliche Prinzip sei die „Liebe alles Guten und der allmächtige Wille, der das Beste will“. Auf dieser Weise erscheint Brentanos Werte- und Urteilstheorie in vollem Einklang mit der durch Theophrasts Metaphysik gestützten Kosmologie des Aristoteles: Wie es bei uns ein richtiges und unrichtiges Denken gibt, so auch ein richtiges und unrichtiges Lieben und Wollen. Bei jenem ersten Verstand ist aber, wie das Denken ohne Irrtum, so auch das Lieben und Wollen ohne Fehl; hängt doch die Richtigkeit auf dem Gebiet der Gemütstätigkeit mit der auf dem Gebiet des Denkens eng zusammen. (ASW, 65)

Diese klare Parallele zwischen Brentanos Werte- und Urteilstheorie einerseits und Aristoteles’ Lehre des göttlichen Prinzips andererseits verleiht Brentanos 28

Brentano spricht in ASW der Tradition folgend von Theophrasts „metaphysischem Fragment“. Die Forschungen des 20. und 21. Jahrhunderts (seit etwa D. Ross) tendieren mit großer Mehrheit jedoch dazu, Theophrasts Metaphysik als eigenständiges (und vollständiges) Werk anzusehen. Vgl. A. Laks und G. Most (1993) sowie Gutas (2010).

29

Vgl. Brentano (1986, 516): „Dass er [=Theophrast] von Aristoteles in wesentlichen Punkten abgewichen, hat nicht die mindeste Wahrscheinlichkeit“.

30

Brentano (1986, 523): Theophrast, Metaphysik, 9a10–24.

31

Brentano bezieht sich hier explizit auf Theophrasts Metaphysik, jedoch ohne genaue Angabe (die genaue Stelle ist 5b6–10). Es ist wohl diese Stelle von ASW, die Scheler (1923, 194) besonders beeindruckt hat. Der Autor dankt Kevin Mulligan für diesen Hinweis.

Einführung

XXV

Kritik an Zeller eine tiefere Dimension. Denn Zellers Interpretation, nach welcher der aristotelische Gott ein rein theoretisches Leben führe, passt weder zu Brentanos Auffassung des aristotelischen Gottes noch zu seiner Theorie des Urteils und der Gemütsbewegungen, die er im Einklang mit Aristoteles’ Nikomachischer Ethik entwickelt. Auch was das Verhältnis von Materie und Gottheit betrifft, zieht Brentano Theophrasts Interpretation vor. Im Gegensatz zur platonischen Teilnahme (metexis) schlägt Theophrast vor, das Begehren (orexis) der Materie solle nach der einer Verähnlichung mit der Gottheit nur im metaphorischen Sinn verstanden werden, so wie wenn man sagt, dass der abgeschossene Pfeil danach strebte, die Scheibe zu treffen (ASW, 72), wenn eigentlich gemeint ist, dass das Streben dem Schützen (und nicht dem Pfeil) zukommt. Theophrasts Bestimmung per Analogie folgend zieht Brentano den Schluss, dass „[…] in dem Fall, wo es sich um ein Streben nach Verähnlichung mit der Gottheit handelt […] nur der Wille des die ganze Natur ordnenden Gottes [aktiv] sein [kann]“ (ASW, 72). Die Bestimmung per Analogie verwendet Brentano auch zur Stützung seiner schon erwähnten These, dass das rein theoretische Leben das Begehren nicht ausschließt. Zeller vertrat hingegen die These, dass der Gott des Aristoteles ein ausschließlich theoretisches Leben führe. Dagegen führt Brentano vier Argumente an, die alle auf der Bestimmung per Analogie beruhen: 1.

2.

3.

Wie der Mensch bereits durch die bloße Suche (etwa seine Suche nach Gerechtigkeit) glückselig werden kann, ohne zu erreichen, was er anstrebt, so kann Gott in seiner Vollkommenheit eine ähnliche Tätigkeit ausüben. Dass die Gottheit kein praktisches Leben führe bedeutet nur, dass „ihr Leben nicht dem eines Mannes ähnlich sei, der in der Übung ethischer und politischer Tugendakte seine Glückseligkeit findet“ (ASW, 80). Dennoch ist die Erkenntnistätigkeit der Gottheit „apodiktisch“, und zwar auch in Bezug auf das Gute ebenso „wie in Bezug auf ihr eigentliches Objekt, nämlich das göttliche Denken selbst“ (ASW, 81). Für Gott, so könnte man daher sagen, ist die Wahrheit eines normativen Satzes apodiktisch wahr, während sie uns Menschen nur durch die innere Wahrnehmung (also assertorisch) zugänglich ist. Wenn Aristoteles meint, Gottes Tätigkeit sei nicht auf die Welt beschränkt, erwähnt er das Beispiel eines abgeschiedenen Inselstaates. Dies ist aber kein Beispiel für die Begrenztheit von Gottes Wirken, denn Aristoteles sagt auch, dass die Staaten nicht zu klein sein

XXVI

4.

Guillaume Fréchette sollen, aber auch nicht übermäßig groß, „wo dann menschliche Kraft nicht mehr ausreichen würde, ihn genugsam ordnend zu beherrschen. Wenn wir die Macht der Gottheit hätten, dann wäre freilich gegen die Ausdehnung eines Staates über die ganze Erde nichts mehr zu sagen“. (ASW, 82) Dass Gott ein theoretisches Leben führe, muss man so verstehen, dass Gott selbst der Gegenstand seiner Erkenntnis ist, was aber nicht ausschließt, sondern sogar „einschließt, dass nichts seiner Erkenntnis entzogen ist“, und dazu gehöre auch das „Wohlgefallen an der Welt in der Seligkeit, die er in dem Bewusstsein seiner selbst empfindet […]. So ist denn die Seligkeit des Lebens Gottes nur der Seligkeit unseres theoretischen Lebens vergleichbar, wenn diese auch endlich und beschränkt, die Seligkeit des göttlichen Lebens dagegen unendlich ist.“ (ASW, 84)

Brentano wendet sich nun den Aporien der Theodizee zu sowie der Frage der Teleologie der himmlischen Welt und kommt dann auf die geistige Natur des Menschen zu sprechen. Die Bestimmung durch Analogie, die Brentano von Theophrast übernimmt, spielt auch in Brentanos Behandlung des menschlichen Nus eine wichtige Rolle, wenn er annimmt, dass die Einheit des Menschen als geistig-leibliches Wesen zur Einheit des göttlichen Prinzips analog ist. Um diesen Punkt besser zu verstehen, muss man sich zuerst daran erinnern, dass Brentano in der Psychologie des Aristoteles (1867) die herkömmliche Auffassung des aktiven Nus (nous poietikos) zu widerlegen versuchte. Als einer der Hauptvertreter der traditionellen Lesart behauptete damals Zeller (1862), dass der aktive Nus keine Potenz der menschlichen Seele, sondern mit Gottes Denken identisch sei.32 Folgedessen konnte Zeller behaupten, dass Gott nur sich selbst kennt, und dass die menschliche Seele auch vor der Geburt eines Menschen schon existiert haben muss, wenn sie nach dem Tode weiterleben kann.33 Im Gegensatz dazu sprach Brentano in seiner Abhandlung Über den Creatianismus des Aristoteles (Brentano 1882) von einer Schöpfung des geistigen Teils der menschlichen Seele. In ASW gibt Brentano diese Position zum Teil wieder auf: anstatt von einer Schöpfung des geistigen Teils der menschlichen Seele zu sprechen, hätte man vielmehr 32

Vgl. Zeller (1862, 440): „Die thätige Vernunft ist mit Einem Wort nicht allein das Göttliche im Menschen, sondern sie ist der Sache nach von dem göttlichen Geiste selbst nicht verschieden“

33

Vgl. Zeller (1862, 441f.) und die Kritik in Brentano (1867, 35f ).

Einführung

XXVII

von einem Mitwirken der Gottheit zur Entstehung des einheitlichen, geistig leiblichen Menschen […] reden sollen. […] denn nicht der Geist wird von Gott und der Leib vom Vater, sondern der einheitliche geistig-körperliche Mensch durch ein Zusammenwirken beider erzeugt, in dessen einheitlichem Entstehen die Seele ihrem vegetativen, sensitiven und intellektiven Teil nach inbegriffen ist. Der Vater wie der Gott sind also Ursache des ganzen Menschen, wenn auch weder der Vater noch der Gott die ausschließliche Ursache desselben ist. (ASW, 103f.).

Auch hier wird die Bestimmung durch Analogie ins Spiel gebracht: wie der geistig-leibliche Mensch eine Einheit bildet, die nicht auf die Ursachen ihrer einzelnen Teilen zurückzuführen ist (diese wirken bloß mit, sind aber keine ausschließlichen Ursachen), so ist auch die Einheit des göttlichen Prinzips zu verstehen. Durch diese Analogie wird das, was Brentano früher den „Semimaterialismus“ des Aristoteles genannt hat, gemeinsam mit der kreatianistischen Interpretation des menschlichen Nus endgültig aufgegeben.34

Die Rezeption von ASW Es ist bemerkenswert, dass nur wenige Kritiker von ASW überhaupt den Versuch machten, Brentanos Bemühungen, Aristoteles „philosophierend zu begegnen“ zu verstehen und zu würdigen. So legt z. B. keine einzige der fünfzehn bisher bekannten zeitgenössischen Rezensionen des Werkes Wert darauf, dass Brentano seine Interpretation von Aristoteles’ Weltanschauung auf 34

Es ist deshalb verwunderlich, wenn Kastil (in Brentano 1954, 221f.), der doch die Lehren des späten Brentano systematisch bevorzugt, ihm die These unterschiebt, dass Aristoteles ein Semimaterialist gewesen wäre. Es ist wenig plausibel, dass Brentano seine Meinung nach Abfassung von ASW in dieser Hinsicht nochmals geändert hätte. In früheren Jahren, etwa in Brentano (1882), unterstellt er Aristoteles tatsächlich eine Art Semimaterialismus, aber gerade diese Unterstellung verwirft er in ASW. Die Verwirrung, die Kastil und Mayer-Hillebrand in dem von ihnen herausgegebenen Band (Brentano 1954) eingeführt haben, geht vermutlich darauf zurück, dass der dort unter dem Titel „Von der Geistigkeit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele“ abgedruckte Text nicht von Brentano, sondern wahrscheinlich komplett von Kastils Hand stammt und somit als Brentano-Quelle durchaus unzuverlässig ist. Dass Mayer-Hillebrand in einer Endnote (Brentano 1954, 265) unkritisch bemerkt, dass „die vorliegende Fassung […] von A. Kastil stammt“, zeugt nur von den Tücken, die Brentanos elitistische Methode zur Geschichte der Philosophie mit sich bringen. S. Fréchette (2015b) und mehr dazu unten.

XXVIII

Guillaume Fréchette

Theophrasts Metaphysik gründet.35 Dies ist umso erstaunlicher, als er diesen Plan klar und deutlich im Vorwort angekündigt hat. Vielmehr bemängeln Rezensenten, dass Brentanos Bemühungen, Widersprüche und Unklarheiten zu beseitigen, einen „idealisierten Aristoteles“ darstellt und nicht vorstellt, was der ‚wirkliche‘ Aristoteles gelehrt hat. Brentano leiste damit der Aristotelesforschung „keinen Dienst“, da seine Rekonstruktionen „[nichts] mit der wirklichen Lehre des Aristoteles, sondern mit ihrer Weiterbildung durch Brentano zu tun“ haben (Bokownew 1913, 135). Brentano gehe „bei der Darbietung des eigentlichen Systems […] entschieden zu weit“ (von Hagen 1913, 274). „It is controversial in tone and essence even when it purports to be simply expository“ (Heidel 1913, 220). Auch der Determinismus, den Brentano Aristoteles zuschreibt, erachten seine Kritiker als “mehr als fraglich“ (Meyer 1913, 147). Apelt (1912, 1468) bemängelt die religiöse Begeisterung, die aus Brentanos Rekonstruktion spricht: man fühlt dem Verfasser förmlich die Freude nach, die es ihm macht, den dem gewöhnlichen Bewußtsein etwas nüchtern erscheinenden für erbauliche Zwecke so wenig geeigneten aristotelischen Gottesbegriff durch allerhand Anleihen aus mehrdeutigen Stellen so reich auszugestalten, daß uns schließlich der aristotelische Gott mit einer Fülle von Kraft, Majestät und Herrlichkeit ausgestattet erscheint, die hinreicht, auch einem tiefer angelegten religiösen Bedürfnis Rechnung zu tragen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass in christlichen und vor allem in katholischen Kreisen ASW eine bessere Rezeption erfahren hat. Dies liegt wohl daran, dass aus Sicht einiger Katholiken die zeitgenössische Aristotelesforschung „gewissentlich darauf hingearbeitet hat, die Kluft zwischen Aristoteles und dem Christentum möglichst zu vertiefen“ (Kiesl 1912, 101). So bewundert z. B. Gosselin (1912, 761) die „brillante synthèse“, die Brentano gelingt, und bemerkt zugleich, dass genau diese ihm wohl auch Missachtung einbringen könnte. Kiesl36 und Picavet bemerken übereinstimmend, dass Brentano auf ein Verständnis von Aristoteles zurückgreift, das auf Thomas von Aquin zurückgeht und welches einen „christianisierten Aristoteles“ (Picavet 1913, 280) vorstellt. Mutschmann (1912, 826) betont, dass die Schrift in „populärer Form für den Gebrauch auf katholischen Priesterseminaren lebhaft zu empfeh35

Scotti Muth (1997, 54) ist wohl die erste Resenzentin, die klar gesehen hat, dass „Brentano’s reading is based on the Metaphysics of Theophrastus“.

36

Vgl. Kiesl (1912, 102): „Genau so hat auch Thomas von Aquin Aristoteles interpretiert, und so läßt sich die Doktrin des Aristoteles, welche Brentano definitiv gegen die scharf geschliffenen Waffen Zellers sicher gestellt hat, mit der kirchlichen Lehre von der Entstehung des Menschen vereinbaren.“

Einführung

XXIX

len ist“ und empfiehlt auch demjenigen das Buch, der verstehen will, welche ungeahnte Perspektive der Ruf ,Zurück zu Thomas von Aquin‘ eröffnet. Mindestens zwei Enkelschüler Brentanos haben auch Rezensionen von ASW veröffentlicht. Beide sind relativ kurz und zeigen, obwohl im allgemeinen positiv, kein detailliertes Verständnis für Brentanos Unternehmen.37 Bergmann betont, dass der Weg zur Weisheit nach Brentano bei der Erkenntnis des Besonderen anfangen muss, um davon ausgehend über die Metaphysik zu einer allgemeinen Weltanschauung zu gelangen, um welche „die Menschheit unserer Tage“ ringen sollte. Olejniczak hingegen stellt nur trocken fest: Brentano habe zwar mit Eifer gegen Zeller argumentiert, sei aber nicht immer im Recht. Nichtsdestotrotz bleibe er ein „großer Philosoph und Theologe“. Die prominentesten Rezensenten von AWS sind vielleicht Nicolai Hartmann und Heinrich Gomperz. Während Hartmann Brentanos Unternehmen positiv gegenübersteht – Hartmann bemerkt, dass Brentano durch seine Auffassung des Satzes vom Widerspruch Aristoteles auf die Seite der neuzeitlichen Rationalisten stellt, was sich mit Hartmanns eigenen Zielen deckt – fällt Gomperz’ Rezension von Brentanos Buch vernichtend aus: Brentano, der „nachgeborene Scholastiker“ (Gomperz 1912, 595) zeige sich „um systematische Strenge […] so wenig besorgt […] wie Aristoteles“. Seine Rekonstruktion von Aristoteles sei oft reine Spekulation, weshalb man sich fragt, ob nicht „eher der Verfasser des Rätselbuches ,Aenigmatias‘ [spricht] als ein Historiker der Philosophie“. Seine „willkürliche Harmonisierung“ gehe in ihrer Verleugnung „allen geschichtlichen Wirklichkeitssinns“ in die Irre (Gomperz 1912, 597).38 Für Brentano war ASW der Abschluss eines langen und reichhaltigen Kapitels seines Denkens, an dessen Beginn fast ein halbes Jahrhundert früher seine Arbeit über die mannigfachen Bedeutungen des Seienden bei Aristoteles steht. Seine Einstellung zur Geschichte der Philosophie betont einerseits mit Recht das Philosophische dieser Geschichte, propagiert aber andererseits in ihrer Radikalität einen Elitarismus des philosophischen Denkens und dessen Rezeption. Die Arbeit des Philosophiehistorikers wird dann fatalerweise für Brentano obsolet, weil seine Form der historischen Darstellung auch auf „zweitrangige“ Eigenschaften des Denkens eines Autors wert legt. Brentano ersetzt die klassische Methode der Philosophiegeschichtsschreibung durch eine Methode der philosophischen Rekonstruktion, die es ihm erlaubt, sogar die Schriften eines 37

S. Bergman (1912) und Olejniczak (1912). Bergman war Schüler von Marty, Olejniczak Schüler von Twardowski.

38

Eine Ausnahme bilden die Rezension von Nardi (1912) und die längere Studie von Brentanos Freund Puglisi (1912), beide sehr positiv.

XXX

Guillaume Fréchette

Schülers mit denen des Lehrers als gleichwertig zu behandeln. Dieser Ansatz ist nicht nur im Allgemeinen als Leitfaden für die Behandlung der Geschichte der Philosophie fatal, denn sie setzt Bedingungen der Weitergabe philosophischer Ideen voraus, die es in dieser Form in Wirklichkeit kaum gegeben hat, sondern sie erweist sich auch als ein besonders tückisches Hindernis zur Bewertung und Bearbeitung von Brentanos eigener Philosophie. Dieser Methode folgend – und von Brentano selbst dazu ermuntert39 – haben seine Schüler wichtige Teile des Werks ihres Lehrers herausgegeben und stillschweigend zu einer Art „reinen Lehre“ erweitert und vervollständigt. Diese – in gelinde gesagt suboptimaler Weise ausgeführte – elitistische Methode trägt die Hauptschuld daran, dass in der Brentano-Forschung immer noch kein Konsens besteht – weder über den genauen Inhalt seiner Theorien noch über ihre historische Entwicklung.40 Deshalb ist eine genauere Untersuchung der von Brentano selbst veröffentlichten Schriften, wie dies hier und in dieser Reihe vorgenommen wird, ein so wichtiges Unternehmen.41

39

Als Freibrief für die Anwendung dieser Methode zitieren Brentanos Schüler fast bei jeder Gelegenheit einen Brief von Brentano an Kraus, in welchem er keinen großen Wert auf eine Veröffentlichung seines Nachlasses legt und stattdessen vorschlägt so vorzugehen, wie Étienne Dumont mit Benthams Nachlass vorgegangen ist (vgl. Kraus 1929, xxiii–xxvi; Kastil 1951, 9; Mayer-Hillebrand 1970, xv). Dass sie dabei das Beispiel dieser Methode, das Brentano in ASW und ALU liefert, nirgends erwähnen, ist ziemlich merkwürdig.

40

Ich bespreche dieses Problem und seinen Ursprung in Fréchette (2015a).

41

Für sprachliche und stilistische Korrekturen und Verbesserungen bedanke ich mich bei Flora L. Brandl und Johannes L. Brandl, beim Letzteren auch für inhaltliche Anregungen. Thomas Binder vom Franz Brentano-Archiv in Graz danke ich für wertvolle Hinweise und für die zur Verfügung gestellten Kopien aus dem Nachlass von Alfred Kastil.

Einführung

XXXI

Appendix I Franz Brentano Selbstanzeige von Aristoteles und seine Weltanschauung42 Die Weisheit gilt Aristoteles als die vornehmste der intellektuellen Tugenden, und in den Betrachtungen des Weisen soll nach ihm die höchste Glückseligkeit, deren der Mensch überhaupt fähig ist, bestehen. So wird denn die Rücksicht auf sie als Zweck auch bei der Feststellung der richtigen Mitte für die moralischen Tugenden maßgebend; ja, wie die Handlungen des einzelnen, so soll auch die ganze Ordnung des Staates im letzten Grund darauf abzielen, dass in möglichst großer Allgemeinheit und Vollkommenheit die Bürger der Weisheit und der in ihrer Betätigung gegebenen Glückseligkeit teilhaftig werden. Unter solchen Umständen besteht kein Zweifel, dass Aristoteles selbst mehr als mit allen anderen mit diesen sich beschäftigte und in den Forschungen auf diesem Gebiet am meisten seine geniale Kraft bewährt hat. Dieser Teil seiner Lehre hat darum auch für uns vor allen anderen Interesse. Allein seine Darstellung unterliegt besonderen Schwierigkeiten. Es gilt hier nicht einfach, das uns Überlie[01074]ferte fasslich und in übersichtlicher Ordnung zusammenzustellen, man muss vielmehr, um die Lehre des Aristoteles mit Vollständigkeit wiederzugeben, sein System rekonstruieren. Denn Aristoteles hatte sich zwar eine ausgeführte Darstellung seiner Weisheitslehre wohl zur Aufgabe gemacht, aber deren Lösung, vielleicht gerade wegen ihrer überwiegenden Wichtigkeit, für zuletzt aufgespart. Und so ist es gekommen, dass der Tod ihn, ehe er mit dem Werk zustande gekommen, überraschte. Eine kurze Übersicht, die wir in dem 12. Buche der Metaphysik besitzen, ist so mangelhaft, dass sie den ganzen erkenntnistheoretischen Teil einfach überspringt, und gewisse breiter angelegte Abhandlungen lassen hinsichtlich der Ordnung manches vermissen und reichen an die erhabensten Untersuchungen, die theologischen und kosmologischen, die das Werk krönen sollten, gar nicht heran. So ist denn das Unternehmen einer Rekonstruktion des Ganzen, wie es Aristoteles in seinem Geist vorgeschwebt, nur unter sorgfältiger Mitbenützung aller da und dort in seinen verschiedenen Schriften eingestreuten [01075] Andeutungen, und

42

Aus Franz Brentanos Nachlass, Houghton Library (Harvard University, Cambridge MA), Sigel Ms Ger 230: A 10. Herausgegeben von Guillaume Fréchette (die in Klammern gesetzten Zahlen sind die Archivnummern der Manuskriptseiten).

XXXII

Guillaume Fréchette

unter43 sorgfältiger Aufmerksamkeit auf das, was die Konsequenz seiner Lehre verlangt, möglich. Es ist gewissermaßen dem Unternehmen Cuviers vergleichbar, als dieser darauf ausging, vorweltliche Tiere auf Grund relativ spärlicher Überreste anatomisch und physiologisch zu rekonstruieren. Manchem mochte der Versuch Cuviers überkühn erscheinen, und so wird sich vielleicht auch mancher finden, der den analogen Versuch, welchen der Verfasser als der Erste in Bezug auf die Rekonstruktion des aristotelischen Systems macht, als überkühn mit misstrauischen Blicken betrachtet44. Aber die Ergebnisse, zu denen Cuvier gelangte, wurden später durch neue Funde in glänzender Weise bestätigt. Und wenn eine solche Verifikation bei dem Versuch des Verfassers ausgeschlossen ist, so dürfen wir einen Ersatz dafür in der Tatsache finden, dass das Gesamtbild, zu dem er gelangt, ein in sich harmonisches ist und ein solches, welches ungleich besser als alle anderen bisherigen Darstellungen es begreifen lässt, [01076] wie Aristoteles in seiner Betrachtung wirklich das höchste der Erdengüter zu besitzen glauben konnte. Interessant ist es auch, wenn man sieht, wie sich die Lehre des Aristoteles als ein Optimismus herausstellt, der mit dem unseres Leibniz sich in sehr wesentlichen Beziehungen verwandt zeigt.

Appendix II Franz Brentano Die Neuerungen von Aristoteles und seine Weltanschauung. Aus einem Brief an Kastil45 Sie fragen, worin die Neuerungen bei meiner Darstellung des Aristoteles bestehen. Es ist darauf nicht leicht, durch vereinzelte Angaben zu antworten. Wenn Sie das, was ich gebe, mit dem, was sich z. B. in dem jüngst erschienenen Kompendium von Zeller findet, vergleichen, so werden Sie finden, dass alles und jedes ein ganz neues Ansehen gewonnen hat. Schon was das Leben des Aristoteles betrifft, so enthält meine Erzählung trotz aller Kürze bedeutsame Momente, die man anderwärts vermisst, wie den Hinweis auf die Stelle der 43

unter Einf. (N.d.H.)

44

betrachten gestr. betrachtet Einf. (N.d.H.)

45

Aus Franz Brentanos Nachlass, Houghton Library (Harvard University, Cambridge MA), Sigel Ms Ger 230: A 157. Herausgegeben von Guillaume Fréchette (die in Klammern gesetzten Zahlen sind die Archivnummern der Manuskriptseiten).

Einführung

XXXIII

Ethik über die Dankespflicht gegenüber dem philosophischen Lehrer und die unverkennbare Bereitwilligkeit des Aristoteles, ähnlich wie es Platon [04937] gewollt, auf eine Reform des staatlichen Lebens auch durch praktisches Eingreifen hinzuarbeiten. Wieder enthält, was ich über die Schriften sage, wesentlich Neues, indem ich mich ganz enthalte, auf das schon länger Bekannte einzugehen. Insbesondere gebe ich für die Chronologie der Schriften ganz neue Anhaltspunkte. Im Folgenden beschränke ich mich zwar auf die Darstellung der Weisheitslehre, setze aber doch auch wichtige Fragen der Ethik gelegentlich in ein helleres Licht. Wie oft ist Aristoteles verlacht worden, als bewege er sich in einem nichtigen Zirkel, wenn er die Tugend in eine richtige Mitte setzt, von dieser aber sagt, sie sei die, welche die ethisch Klugen als solche bezeichneten. Ich hörte einmal Döllinger sich darüber lustig machen, und dem leeren aristotelischen Gerede das gewichtige Wort Jesu von der Grundlegung der Moral entgegenstellen. Er hatte nicht bemerkt, was Aristoteles über die Weisheit als Ziel des ganzen menschlichen Strebens sagt, welches das Prinzip abgibt für die Bestimmung der richtigen Mitte zur Erreichung des Zieles. Doch das geschieht nur einschlägig. Die Weisheitslehre selbst aber, von der Frage nach ihrem Begriff und ihrer Einheit angefangen, wird durchwegs in neues Licht gesetzt. Die Bedeutung des V. Buches verständlich [04938] gemacht, die Erkenntnistheorie sowohl hinsichtlich der exklusiven Evidenz der inneren Tatsachen, als auch des Charakters der Axiome geklärt und berichtigt. Man vergleiche z. B. die Verwirrung, die z. B. bei Gomperz besteht, welcher sich so weit verirrt zu behaupten, nach Aristoteles leuchte der Satz des Widerspruchs nicht unmittelbar ein, sondern sei wie alle Axiome ein Ergebnis der Induktion. Auch was ich über den Ursprung der Ideen sage, enthält des Neuen vieles. Ich hebe hervor die Beziehung der drei Paare der gemeinsamen Sinnesobjekte zu den drei mathematischen [04939] Wissenschaften, mache (was vielleicht keiner getan) auf die Stelle der Nikomachischen Ethik aufmerksam, wo von dem Ursprung gewisser Ideen gesprochen wird, der demjenigen entspricht, welchen Locke als Ursprung aus der Reflexion bezeichnet hat, und gehe auf die Weise ein, wie wir nach Aristoteles zur Idee der Substanz und der Ursache in ihrem mannigfachen Sinn kommen. Ebenso ist, was ich über die Transzendenz der substantiellen Definition sage, und mit ihm die folgende kurze Darstellung der Ontologie nicht nur46 eine bloße Reproduktion von dem, was auch andere historische Schriftsteller berichten; vielmehr [04940] setze ich Satz für Satz in ein neues Licht, wie ich z. B. auf die Bedeutung der Leugnung kontinuierlicher substan46

nichts weniger als gestr. nicht nur Einf. (N.d.H.).

XXXIV

Guillaume Fréchette

tieller Umwandlung aufmerksam mache, und die Eigentümlichkeit der bloßen Erhebung einer Potenz zum Akt ohne eigentliche Umwandlung mehr als andere hervorhebe. Auch das Gesetz der Synonymie wird gemeiniglich nicht genügend in seiner Wichtigkeit erkannt, und außer Alexander von Aphrodisias ist schier niemand darauf ausgegangen, es in seiner Tragweite genau verständlich zu machen. So hat man auch so wenig den Unterschied der Begriffe von47 der wirkenden Ursache bei Aristoteles und Hume erfasst, dass man wieder und wieder es als untunlich zu bezeichnen wagte, Aristoteles die Lehre einer Verursachung von anfangslos bestehenden Substanzen zuzuschreiben. Ganz besondere Sorgfalt habe ich dann der Klärung des aristotelischen Gottesbegriffs zugewandt. Ich habe dazu nicht bloß die verschiedensten Aussprüche des Aristoteles selbst, sondern auch das Fragment des Theophrastes herangezogen, aus dem erhellt, wie Aristoteles, wenn er eine Noesis als das unbewegte Bewegende lehrt, sich an die Analogie mit dem hält, was wir in uns erfahren. Sehr schlagend scheint mir die [04941] Erörterung über das Begehren der Materie durch den Hinweis auf das, was Aristoteles über das erste Auftreten eines wahren Begehrens beim Tiere und das Denken als Vorbedingung des Begehrens sagt, und ebenso die Besprechung der Kritik von Anaxagoras. Auch die eingehende und vollständige Widerlegung des Einwands, der sich auf den Ausspruch stützt, dass das Leben des aristotelischen Gottes ein rein theoretisches sei, ist durch neue Momente bereichert; und wenn auch48 andere schon früher von mir geltend gemacht worden sind, so sind sie darum doch nicht bei anderen zur Geltung gekommen. Die Kosmologie ist aber der [04942] alleroriginellste Teil. Der Versuch, die aristotelische Lehre in diesem Teil, der nie zu einer vollständigen Aufzeichnung gelangt zu sein scheint, auf Grund von mannigfachen Andeutungen und durch Nachweis von dem, was sich mit aller Klarheit als Konsequenz der allgemeinen Prinzipien ergibt, zu rekonstruieren, ist noch von keinem Früheren gemacht worden. Nichts aber ist verkehrter, als wenn man ihn darum als eine einfache Erdichtung bemängeln will. Es erscheint dies so töricht, wie wenn man die Rekonstruktionen der vorweltlichen Tiere durch Cuvier als Erdichtungen statt als solide wissenschaftliche Feststellungen [04943] bezeichnen wollte. Selbst den kurzen, die Theodizee betreffenden Ausspruch Met Λ 10, hatte man sich nicht genügend verständlich gemacht. Auf die Aporien bei Theophrast hatte man gar nicht geachtet: dem Sehen der Sphärengeister, der Providenz, die sie üben, nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt, 47

des Begriffes gestr. der Begriffe von Einf. (N.d.H.)

48

auch Einf. (N.d.H.)

Einführung

XXXV

und man49 war so weit davon50 entfernt zu erkennen, dass jeder seine Sphäre mit schöpferischer Kraft hervorbringt, dass man nicht einmal die Gottheit selbst mit Schöpferkraft ausgestattet glaubte. So war man denn auch unfähig, den so energisch betonten monarchischen Charakter der Welt mit der Vielheit der Sphärengeister in Einklang zu bringen, und beschuldigte Aristoteles einer widerspruchsvollen, zugleich monotheistischen und polytheistischen Lehre. Und wie man nicht die Teleologie der himmlischen Welt begriffen hatte, so auch nicht die der irdischen. Dass der Nus des Menschen als der Gott in der niederen Welt bezeichnet wird, dass darum alles ihm und mehr noch seiner Weisheit als Mittel untergeordnet ist, einer Weisheit, die erst im anderen Leben zur Vollendung gelangt, erfasste man so gut wie gar nicht. Man erkannte weder, dass der menschliche Nus erst in der Entstehung des Menschen seinen Anfang nimmt, noch dass das Menschengeschlecht nicht [04944] anfangslos auf Erden bestanden hat. Ja man lehrte von beiden das gerade Gegenteil und bemerkte gar nicht, wie man dadurch die ganze aristotelische Lehre ins Absurde verunstaltete. Die Lehre vom Nus Poietikos hatte man fortgefahren, trotz meiner Ausführungen in der Psychologie des Aristoteles, zu missdeuten, und auf die Stellen, welche zeigen, dass Aristoteles eine Anschauung der Gottheit für uns möglich dachte, sie aber im Diesseits nicht für erreichbar hielt, gar nicht geachtet. So hatte man nicht die geringste Ahnung davon, dass Aristoteles wie Platon das jenseitige Leben hoch über das diesseitige stellt, [04945] geschweige, dass man erkannt hätte, wie die Vollendung im Jenseits, in welchem für unsere Seele keinerlei Veränderung mehr möglich ist, mit dem Augenblick des Todes selbst eintritt. Wie hätte man da an die Aporien denken können, welche sich an die Forderung gerechter Vergeltung knüpfen, um dann zu einer Lösung zu gelangen, welche unserem Gefühl so sympathisch ist, wie es die aristotelische Eschatologie namentlich auch in Rücksicht auf den streng festgehaltenen Determinismus wirklich ist? So hat man denn weder die innige Verwandtschaft mit Plato, noch den großen Fortschritt über ihn hinaus infolge der Verlegung des Ursprungs der [04946] Seele in das Diesseits zu begreifen und zu würdigen vermocht. Mit plumper Hand, ohne den mindesten philosophischen Sinn hatte man alles angetastet. Man hatte weder des Satzes geachtet, dass eine aktuell unendliche Vielheit unmöglich, noch des Satzes, dass kein Teil eines Wirklichen selbst in Wirklichkeit sein kann. Und man hatte ebenso wenig auf die so entschiedene Behauptung Rücksicht genommen, dass die Weltordnung die schlechthin bestmögliche ist, was, da jedes Hinzukommen 49

man Einf (N.d.H.)

50

davon Einf. (N.d.H.)

XXXVI

Guillaume Fréchette

von Gutem zu Gutem ein ‚Besser‘ ergibt, ein Überschreiten jeder Grenze verlangt. Kurzum, man hatte die aristotelische Weltordnung so gut wie gar nicht verstanden und das unbefriedigende Ergebnis, welches Folge des eigenen Unverstandes war, Aristoteles selbst zum Vorwurf gemacht. Ja, indem man keinen Teil mit dem anderen in Einklang zu bringen wusste, war man zuletzt zu der Meinung gekommen, Aristoteles glaube selbst vielfach nicht, was er sage, verwarf eine Menge von Aussprüchen, die zu den allerwichtigsten gehören, und betrachtete schließlich den Rest, der in der Deutung, die man ihm gab, noch immer Absurditäten zu enthalten schien, mit verächtlichem Achselzucken. Ich habe im Vorausgehenden nur bei der Abhandlung über die Weltanschauung des Aristoteles verweilt, und war [04947] auch hier nichts weniger als erschöpfend. Ich glaube wahrlich, dass ich kaum unbescheiden gesprochen haben würde, wenn ich gesagt hätte: ecce nova feci omnia.51 Eben dies könnte ich von der andern Abhandlung sagen, welche sich auf einen engeren Kreis von Fragen beschränkt, hier aber Einblick gibt in die ganze Mannigfaltigkeit der Mittel, welche angewendet werden mussten, um ganz ungewöhnliche Schwierigkeiten zu überwinden. Teils bestanden dieselben für die Erbringung der Beweise, teils für die Ermöglichung einer Hoffnung auf Überwindung der vorhandenen Vorurteile. Sagt doch Pascal mit Recht, dass es oft noch ungleich schwieriger sei, die Menschen zur Annahme eines erbrachten Beweises zu bestimmen, als diesen Beweis selbst zu führen. [04948] So habe ich denn Methoden zur Anwendung gebracht, welche vielfach ganz neu sind; und schmeichle mir damit, dass, wer die Abhandlung gründlich studiert, nicht bloß in Bezug auf die behandelten speziellen Fragen, sondern auch in Bezug auf die Erkenntnis, wie man schwierige Probleme der Geschichte der Philosophie in Angriff zu nehmen hat, sich gefördert sehen werde. Beim Überlesen des Briefes machte es sich mir sehr fühlbar, wie ich bei dem Hinweis auf solches, was meine Darstellung des Aristoteles von der gemeinüblichen unterscheidet, gar vieles unerwähnt gelassen, was hinter dem namhaft Gemachten keineswegs zurücksteht; so z. B. in der Ontologie die Aufklärung über die erste [04949] Materie als Individuationsprinzip und die Reduktion von Materie und Form auf ihre wahre Bedeutung durch den Nachweis, wie sie nach Aristoteles beide nur in ganz uneigentlichem Sinne sind (ist doch nicht die Form des Kompositums, sondern das Kompositum in Wirklichkeit) und wieder in der Theologie die Erklärung, warum, obwohl Gott allwissend ist, doch nur er Gegenstand seines Erkennens ist, und warum Aristoteles dies mit 51

Zitat aus der Offenbarung an Johannes, Apokalypse, 21.5: “Sehet! Ich hab alles neu gemacht“ (N.d.H.).

Einführung

XXXVII

Nachdruck geltend machen muss; und ferner die Erklärung, wie es mit der Allwissenheit Gottes vereinbar ist, einiges nicht zu sehen, statt es52 zu sehen. Keiner, auch nicht Alexander von Aphrodisias, noch auch Thomas von Aquin hatten erkannt, dass der Erklärungsgrund darin zu suchen ist, dass Gott das Böse in der Welt nur im Zusammenhang des Ganzen erkennt, in welchem seine Zulassung in vollkommener Weise gerechtfertigt und wünschenswert erscheint. So konnte denn auch St. Franziskus in seinem Sonnengesang Gott insbesondere auch wegen seines „Bruders“ (im Italienischen steht natürlich wegen des Femininums „morte“, nicht Bruder, sondern Schwester) des biblischen Todes preisen, weil er uns die Pforte zu einem höheren Leben wird. So wird der Vergleich mit Zeller oder dergleichen Sie überhaupt vollkommener unterrichten.

52

als gestr. statt es Einf. (N.d.H.)

XXXVIII

Guillaume Fréchette

Literaturverzeichnis ASW Brentano, F. (1911), Aristoteles und seine Weltanschauung. Leipzig, Quelle & Meyer. ALU Brentano, F. (1911), Aristoteles und seine Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes. Leipzig, Veit. Apelt, O. (1912). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung. Quelle & Meyer, Leipzig, 1911“, in Berliner philologische Wochenschrift, 1468–1469. Bergman, H. (1912). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung. Quelle & Meyer, Leipzig, 1911“ in Prager Tagblatt, Bd. 37, Nr. 358 (28. Dezember), 7. Bokownew, P. (1913). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung. Quelle & Meyer, Leipzig, 1911“in Archiv für Philosophie, Bd. 26, 134– 136. Brentano, F. (1862). Von der mannigfachen Bedeutung des Seienden nach Aristoteles. Freiburg, Herder. Neuausgabe als F. Brentano, Sämtliche veröffentlichte Schriften. Schriften zu Aristoteles I (M. Antonelli u. W. Sauer, Hrsg.). Berlin: De Gruyter. Brentano, F. (1867/2014). Die Psychologie des Aristoteles, insbesondere seine Lehre vom Nous Poietikos. Nebst einer Beilage über das Wirken des aristotelischen Gottes. Mainz, Kirchheim. Brentano, F. (1871). „F. Kampe: Die Erkenntnistheorie des Aristoteles.“ In Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 59, 219–238. Brentano, F. (1872). „F. Kampe: Die Erkenntnistheorie des Aristoteles.“ In Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 60, 81–127. Brentano, F. (1882). „Über den Creatianismus des Aristoteles.“ In: Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Bd. 100. Wien: C. Gerold’s Sohn, 1882, 95–120. Brentano, F. (1883). Offener Brief an Herrn Professor Eduard Zeller aus Anlass seiner Schrift über die Lehre des Aristoteles von der Ewigkeit des Geistes. Leipzig: Duncker & Humblot Brentano, F. (1895). Die vier Phasen der Philosophie und ihr augenblicklicher Stand. Stuttgart: Cotta Brentano, F. (1911a). „Aristoteles.“ In: Aster, E. v.: Grosse Denker. Bd. I. Leipzig: Quelle & Meyer, 1911, 153-207 Brentano, F. (1911b). Aristoteles und seine Weltanschauung. Leipzig: Quelle & Meyer, 1911.

Einführung

XXXIX

Brentano, F. (1911c). Aristoteles Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes. Leipzig: Veit. Brentano, F. (1911d). Von der Klassifikation psychischer Phänomene. Leipzig: Duncker & Humblot. Brentano, F. (1928). Vom sinnlichen und noetischen Bewusstsein. Hrsg. v. O. Kraus. Leipzig, Meiner. Brentano, F. (1929). Vom Dasein Gottes. Hrsg. v. A. Kastil. Leipzig, Meiner. Brentano, F. (1954). Religion und Philosophie. Aus dem Nachlass mit Zugrundelegung der Vorarbeiten A. Kastils hrsg. v. F. Mayer-Hillebrand. Bern, Francke Verlag. Brentano, F. (1970). Versuch über die Erkenntnis. Hrsg. v. A. Kastil. Hamburg, Meiner. Brentano, F. (1986). Über Aristoteles. Hrsg. v. R. George. Hamburg, Meiner. Brentano, F. (2013). „Moderne Irrthümer über die Erkenntnis der Gesetze des Schließens“, in D. Fisette und G. Fréchette (Hrsg.), Themes from Brentano, Amsterdam, Rodopi, 513–523. Brentano, F. (2016). „Die Gesetze der Wechselwirkung der Naturkräfte und ihre Bedeutung für die Metaphysik“ in Brentano Studien, Bd. 14 [im Erscheinen] Fréchette, G. (2015). „Brentano’s Concept of Intentionality. New Facts and Unsettled Issues.“ In Brentano-Studien, vol. 14, 9–21. Fréchette, G. (2015a). „Brentano’s Soul and the Unity of Consciousness.“ In Argumentos. Revista de Filosofia, Jahrgang 7, Nr. 13, 65–76. Gomperz, H. (1912). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Zeitschrift für die Österreichischen Gymnasien, 595–603. Gosselin, R. (1912). „Rezension: Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes; und Aristoteles und seine Weltanschauung.“ In Revue des sciences philosophiques et théologiques, 1912, vol. 6, 761 Gutas, D. (2010). „Introduction to the Texts.“, In: Theophrast, On First Principles. Hrsg. v. D. Gutas. Brill, Leiden, 3–103. Hartmann, N. (1914). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Deutsche Literaturzeitung, Bd. 17, 1048–1050. Heidel, W. A. (1913). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In The Philosophical Review, Vol. 22, no. 2 (March 1913), 220–222. Kastil, A. (1951). Die Philosophie Franz Brentanos. Bern, Francke. Kiesl, F. X. (1912). „Franz Brentanos Aristoteles.“ In Literarische Beilage der Kölnischen Volkszeitung. Bd. 53, Nr. 14, 101–102.

XL

Guillaume Fréchette

Kraus, O. (1928). „Einführung.“ In: Brentano (1928), i–xxvi. Laks, A. und Most, G. (1993). „Notice.“ In: Théophraste, Métaphysique (Hrsg. von A. Laks und G. Most). Paris, Les Belles Lettres, ix–lxxx. Mayer-Hillebrand, F. (1970). „Einleitung.“ In: Brentano (1970), i–xvi. Meyer, D. (1913). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Bd. 150, 147–148. Miklosich, F. (1883), Subjektlose Sätze. Wien, Braumüller. Mutschmann, H. (1912), „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Wochenschrift für klassische Philologie. 1912, Bd 29, Nr. 30–31, 824–826. Nardi, B. (1912). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Rivista di Filosfia Neo-Scolastica. Bd.4, No. 6, S. 788-796. Olejniczak, X. T. (1912). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Ruch Filozificzny. Bd. 3/5, 110–111. Picavet, F. (1913). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Le journal des savants. Jg. 11, 280. Puglisi, M. (1912). „La teologia di Aristotele secondo Franz Brentano.“ In: Annuario della biblioteca filosofica. Bd. 2, 331–385. Von Hagen, B. (1913). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In Monatschrift für höhere Schulen. Bd. 12, 274. Scheler, M. (1923). Wesen und Formen der Sympathie. Cohen, Bonn. Scotti Muth, N. (1997). „Brentano, Franz. Aristoteles und seine Weltanschauung, Quelle & Meyer, Leipzig, 1911.“ In: R. Radice und R. Davies (Hrsg.), Aristotle’s Metaphysics. Annotated Bibliography of the Twentieth-Century Literature, Brill, Leiden, 54. Weiss, F. (1876) (Hrsg.). Die attischen Nächte des Aulus Gellius. 2. Bd. Leipzig, Fues’s Verlag. Whewell, W. (1847). The Philosophy of the Inductive Sciences, Founded upon their History. Zweite Ausgabe, 1. Bd. London, John W. Parker. Zeller, E. (1862). Die Philosophie der Griechen in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Zweiter Theil. Zweite Abtheilung: Aristoteles und die alten Peripatetiker, Tübingen, Fues. Zeller, E. (1910). Kleine Schriften. Bd. I. Berlin, Reimer.

Editorische Vorbemerkung Wie schon in den bisher erschienenen Bänden wird der Text unverändert in der Rechtschreibung der Erstauflage abgedruckt. Allerdings gibt es hier eine erwähnenswerte Ausnahme: Die Publikation von 1911 ist eine der seltenen Fälle, die zwar in einer Antiqua gesetzt sind, aber dennoch durchgehend das eigentlich aus dem Fraktursatz stammende sog. „lange s“ („ſ“) verwenden. Dieses für einen heutigen Leser sehr ungewohnte Zeichen wurde systematisch durch das übliche „s“ ersetzt. In einigen wenigen Fällen wurde die Schreibweise zum besseren Verständnis modernisiert (z. B. „schlechthinnig“ statt „schlechthinig“). In der Regel werden keine Versuche gemacht, die Schreibung von Namen oder Begriffen und die Zitierweise zu vereinheitlichen. Sperrungen von Personennamen wurden entfernt, sonstige Sperrungen des Originaltextes in Kursivschrift umgewandelt. In der Originalpublikation wurden – vermutlich aus Platzgründen – im Kapitel „Schriften des Aristoteles“ die letzten Absätze in einer kleineren Type gesetzt; da solche Rücksichten in der Neupublikation keine Rolle spielen, wird der Text der besseren Lesbarkeit halber durchgehend in der Normalschriftart gesetzt. An zwei Stellen des Textes wurden offensichtliche Irrtümer von den Herausgebern korrigiert: S. 111, Z. 12 v. u.: nach „Darum“ wurde „ist“ ergänzt; S. 112, Z. 1 v. o.: nach „diejenigen“ wurde „erfahren“ ergänzt.

Franz Brentano

Aristoteles und seine Weltanschauung

https://doi.org/10.1515/9783110538892-043

Vorwort Unter den Erkenntnissen übertrifft nach Aristoteles diejenige, welche er „Weisheit“ nennt, alle anderen an Wert und Würde; ja, bei ihren Betrachtungen verweilend, sollen wir nach ihm der höchsten Glückseligkeit, deren der Mensch überhaupt fähig ist, teilhaft sein. Alle Berichterstatter sind hierin einig; aber wenn sie dann zur Darlegung der aristotelischen Weisheitslehre schreiten, so bieten sie uns etwas, was so unharmonisch und so voll von greifbaren Absurditäten ist, daß keiner sich anders als abgestoßen fühlen kann. Muß nun schon dieses Mißtrauen erwecken, so noch mehr die ganze Weise ihres Verfahrens bei der Ermittelung der aristotelischen Lehrmeinungen. Wenn sie bei ihrer Forschung auf Sätze stoßen, die aufs auffälligste einander zu widersprechen scheinen, so nehmen sie ohne weiteres an, daß hier wirklich Unvereinbares gelehrt werde, und fragen daraufhin nur noch, ob man sich bei der Darstellung mehr an diese oder jene Behauptung zu halten habe. Und doch liegt hier die Vermutung nahe, jene Stellen möchten sich auch in einem anderen Sinne deuten lassen, der die eine mit der anderen in Einklang bringt, wo dann das, was dem Verständnis eine Schwierigkeit zu bereiten schien, ihm vielmehr zur Erleichterung dient. Denn die Notwendigkeit, scheinbar entgegengesetzten Aussprüchen gleichzeitig gerecht zu werden, dient als ein wichtiger Anhalt für die Interpretation der einzelnen. Ja, noch mehr! Vielleicht verlangt die Erklärung des Zusammenhangs des einen mit dem anderen Ausspruch gewisse vermittelnde Glieder, und so enthüllt sich uns dann das Ganze der aristotelischen Lehre in viel größerer Vollständigkeit. Diesen Weg habe ich nun selbst eingeschlagen, und ich glaube so unter Benützung mannigfacher, in den verschiedenen Werken eingestreuter Andeutungen zu einem Ergebnis gelangt zu sein, welches sich einerseits schon durch seine Einheitlichkeit, andererseits insbesondere auch dadurch empfiehlt, daß man daraufhin wohl begreift, wie Aristoteles mit hoher Befriedigung bei der Betrachtung einer in dieser Weise ausgestalteten Weltanschauung verweilen konnte. Gewiß ist die Weisheitslehre des Aristoteles heute als Ganzes unhaltbar, und manche Teile erscheinen als vollständig überlebt. Dennoch bin ich überzeugt, daß man, wenn man sie richtig auffaßt, noch gegenwärtig durch ihr Studium wahrhaft gefördert werden kann; wie ich denn selbst nur eine Dankespflicht erfülle, wenn ich bekenne, daß, als ich mich als Jüngling in einer Zeit tiefsten Verfalls mit der Philosophie zu beschäftigen begann, ich durch keinen Lehrer mehr als durch Aristoteles in eine entsprechendere Forschungsweise eingeführt

4

Aristoteles und seine Weltanschauung

worden bin. Es galt freilich, das von ihm Empfangene mit einer Menge von wissenschaftlichen Errungenschaften späterer Zeiten in Verbindung zu bringen, und so erhielt vieles, wenn nicht alles, eine wesentlich veränderte Gestalt. Doch heute noch könnte ich die Zeilen unterschreiben, die ich einst einem meiner Hörer an der Wiener Universität, als er freundlich nach solchen verlangte, in seine Blätter schrieb: Welchem Geschlecht ich entsprang, ihr Wappengekrönten, vernehmet! Sokrates’ Same bin ich, welcher den Plato gezeugt. Plato zeugt’ Aristoteles’ Kraft, die nimmer gealtert, Wie nicht welkte die Braut, die er sich liebend erkor. Zwei Jahrtausende flohn, noch blüht und sprosset die Ehe; Denn nicht anderem Bund rühm’ ich mich heute entstammt. Dich, Eudemus, du frommer, begrüß’ ich als Bruder, und dich auch, Göttlichen Mund’s, Theophrast, süß wie der Lesbische Wein. Weil ich spät ihm geschenkt und der Jüngste im Kreise der Seinen, Hat vor anderen mich zärtlich der Vater geliebt. Sehr lehrreich ist schon die vielfache Annäherung, ja Übereinstimmung der aristotelischen Weisheitslehre mit der unseres großen Leibniz. Man hat dessen hochgemuten Optimismus verspottet, fängt aber heute an, die Bedeutung seiner Lehre wieder besser zu würdigen. Dem kann es nur förderlich sein, wenn man sieht, wie die Philosophie der alten Hellenen in ihrem höchsten Vertreter dieselben Überzeugungen ausspricht und hochhält, welche der eminente moderne Denker aufs eindringlichste gelehrt, und in welchen er die Grundlage eines wahrhaft menschenwürdigen Lebens erblickt hat. Ich suchte die Darstellung möglichst gedrängt zu geben; doch bei dem tiefgreifenden Gegensatz, in welchem sie sich oft zu der Auffassung, die gang und gäbe ist, befindet, war eine eingehende Begründung und eine Widerlegung der hauptsächlichsten Einwände nicht überall vermeidlich. Ja, ich hätte noch ausführlicher sein müssen, wenn ich nicht bezüglich einiger der strittigsten Lehrpunkte, wie z. B. der Lehre vom νοῦς ποιητιϰὸς und der vom Wirken des aristotelischen Gottes, sowie der von der Beseelung des Menschen und vom Ursprung des Menschengeschlechts, auf die betreffenden Erörterungen in meiner „Psychologie des Aristoteles“ und in meiner eben erscheinenden Abhandlung „Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes“ hätte verweisen können.

Franz Brentano

Inhalt Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Das Objekt der menschlichen Weisheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Verdeutlichung der Termini . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Unmittelbare Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Zwei Klassen unmittelbar evidenter Wahrheiten, von denen die erste die der unmittelbar evidenten Tatsachen ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Mittelbare Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Ursprung der Ideen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Die Transzendenz der substanziellen Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Substanzielle Umwandlungen. Materie und Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Der Mangel kontinuierlicher substanzieller Umwandlungen . . . . . . . . . . . 48 Kein Entstehen aus nichts und kein Vergehen zu nichts . . . . . . . . . . . . . . . 49 Das Gesetz der Synonymie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Existenz eines schlechthin Notwendigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Es ist unbewegt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Es ist ein einheitlicher, zwecktätiger Verstand als erste Ursache der ganzen Weltordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Dieser Verstand ist die erste Ursache nicht bloß aller Ordnung, sondern auch alles Seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Er ist, indem er sich selbst schaut, allweise und vollkommen selig, und sein Wesen ist seine Weisheit und seine Weisheit seine Seligkeit . . . . . . 62 Er ist die Liebe alles Guten und der allmächtige Wille, der das Beste will . . 64 Er ist unendlich gut und als Gutes Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Die Gottheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Die Gottheit des Aristoteles und die platonische Idee des Guten. Das „Begehren“ der Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Die Gottheit des Aristoteles und der anaxagoreische Νοῦς . . . . . . . . . . . . . 72 Die aristotelische Gottheit im Lichte seiner Lehre von den Prinzipien der Bevorzugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Gottes einheitliche Tätigkeit, sein rein theoretisches Leben . . . . . . . . . . . . 78 Die Gottheit und die angebliche Unmöglichkeit selbstlosen Wollens . . . . . 86 Aporien zur Theodicee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Die Teleologie der himmlischen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

6

Aristoteles und seine Weltanschauung

Die korruptiblen Elemente und was zur wirklichen Entfaltung ihrer Kräfte und Anlagen führt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Veredelnder und beseelender Einfluß der Gestirne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Stufen des Lebens. Überlegenheit des Menschen durch seine teilweise geistige Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Wechselwirkung zwischen Geist und Leib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Mitwirkung der Gottheit zur Entstehung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . 99 Das Auftreten des Menschengeschlechtes s. z. s. die Fülle der Zeiten . . . . 105 Das Diesseits als Vorbereitung für ein allbeseligendes und jedem gerecht vergeltendes Jenseits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Unbegrenztes Wachstum des in sich Guten. Unendliche Vervielfältigung des in Weisheit gottbeseligenden Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Teleologische Unentbehrlichkeit der Körperwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Schlußbemerkungen. Die Philosophie des Aristoteles im Vergleich mit anderen Weltanschauungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

Leben Wenn wir die wissenschaftlichen Forscher zu den hohen Wohltätern des Menschengeschlechts rechnen, den einen aber mehr als den anderen, sei es, weil er in reicheren und mannigfaltigeren Arbeiten oder auf einem erhabeneren Gebiet sich betätigt, sei es, weil er sachlich größere Erfolge erzielt oder in weiterer Ausdehnung und nachhaltiger fördernd die Mit- und Nachwelt beeinflußt hat: so hat aus allen diesen Gründen vielleicht keiner mehr als Aristoteles auf solche dankbare Verehrung Anspruch. Er war geboren 384 v. Chr. zu Stageira, einer griechischen Pflanzstadt in Makedonien, dessen Königen sein Vater und seine Vorfahren weiter hinauf als Leibärzte gedient hatten. Geistig konnte er aber viel mehr Athen seine Heimat nennen, das er als siebzehnjähriger Jüngling zum erstenmal betrat, um es erst nach zwanzig Jahren und auch dann für kaum mehr als ein Dezennium zu verlassen. Seine ganze Einführung in die Wissenschaft hat er dort empfangen, trat dort zuerst als Lehrer auf und scheint dort alle die Schriften verfaßt zu haben, die wir von ihm besitzen. Für alle edlen Anregungen, die Athen damals geben konnte, waren seine Sinne offen. Doch vor allem zog Platon ihn an, dessen Schule er sofort aufsuchte und dessen Einfluß trotz aller Aufmerksamkeit, die Aristoteles später auch den älteren Philosophen und namentlich denen der jonischen Schule schenkte, sich in seiner theoretischen wie praktischen Philosophie weit mehr als jeder andere fühlbar macht. Kein Zweifel auch, daß er sich ihm allezeit zu innigstem Danke verpflichtet fühlte. So berichtet uns Olympiodor von einer von Aristoteles zu Platons Ehren geschriebenen epideiktischen Rede, und aus dem elegischen Gedichte, worin Aristoteles seinen verstorbenen Freund, den Kyprier Eudemus, gefeiert, hebt er uns eine Stelle aus, welche in das Lob des edlen Toten den Ausdruck höchster Bewunderung für den damals noch lebenden Platon einmischt: Doch zu der Kekropsstadt strahlender Schwelle gelangt, Höhet er dem fromm ehrend den Altar heiliger Freundschaft, Welchen zu preisen sogar Themis den Bösen verwehrt, Der als der Sterblichen erster, ja einziger, klärlich erwiesen Durch sein Leben zumal und das erzwingende Wort, Wie ein Weg zu Tugend uns führt und seligem Glücke. Keinen doch findet bereit heute die Kunde des Heils.1 1

Im Zusammenhang mit dem eben gescheiterten letzten Reformversuche Platons war Eudemus in Sizilien gefallen.

8

Aristoteles und seine Weltanschauung

Und dieses Gefühl höchster Verehrung ist nie erloschen. Man kann sich nicht nachdrücklicher dem Lehrer, der in die Weisheit eingeführt, durch eine nie abzutragende Dankesschuld verbunden bekennen, als es Aristoteles am Abend seines Lebens in den Büchern von der Freundschaft tut. Es sei, sagt er, der Fall hier ähnlich wie bei den von den Eltern und von der göttlichen Vorsehung empfangenen, nie voll und eigentlich zu vergeltenden Wohltaten. Daß er bei solcher Gesinnung Platon, dessen Lehre er in seinen ersten schriftstellerischen Versuchen so gut wie durchwegs sich angeschlossen zu haben scheint, später in gar manchem, sehr wesentlichen Punkt bekämpft, erklärt er selbst mit dem schönen Wort, daß gegenüber jedem anderen, auch dem innigst verbundenen Freunde, die Wahrheit immer noch als die liebere Freundin gelten müsse; und um ihretwillen dürften wir auch der eigenen Meinungen nicht schonen. So gereicht ihm denn solche freimütige Kritik, die er in seinen reiferen Jahren auch persönlich Platon gegenüber nicht scheute, nur zur Ehre, wenn sie auch epikureischen Lästerzungen zu üblen Nachreden, die, wie ihn, auch Platon in ungünstigstem Lichte erscheinen lassen würden, den Anlaß bot. Es ist eine Erfahrungstatsache, die Aristoteles selbst gelegentlich erwähnt und erklärt, daß erwiesene Wohltaten mehr noch als empfangene den Menschen zur Liebe bewegen. Darum dürfen wir wohl nicht zweifeln, daß Aristoteles auch für Alexander den Großen, dessen Erziehung ihm König Philipp anvertraut und dessen Geist und Gemüt er vielfach aufs wohltätigste beeinflußt hatte, immer eine warme Teilnahme bewahrte. Aber auch hier hat er sich dadurch nicht verleiten lassen, die Weise, wie dieser als Herrscher waltete, in allen Stücken zu billigen. Ja, wenn man darauf achtet, so kann man kaum verkennen, daß mancher wichtige Ausspruch in seinen Büchern vom Staate wie gemacht scheint, um die Ziele, die Alexander verfolgte, als falsche und verwerfliche zu kennzeichnen. Dieser, in seiner Eroberungssucht, ging auf nichts mehr als auf Krieg und weitere und weitere Ausdehnung seines Reiches aus. Aristoteles aber erklärt, daß alle Staaten, deren Einrichtungen hauptsächlich den Krieg im Auge haben, schon im Prinzip verfehlt seien, und warnt vor einer Ausdehnung des Staates ins Unbegrenzte. Denn im Gegensatz zur Gottheit, deren Walten das unermessene Weltall zu ordnen wisse, sei der Mensch in seiner Kraft beschränkt; so habe denn der Staat, ähnlich jeder Art von Organismen, ein gewisses und relativ enges natürliches Maß, dessen Überschreitung für ihn keinen Zuwachs, sondern nur eine Abnahme der Vollkommenheit mit sich bringen müsse. Auch hat des Aristoteles und seiner Vorfahren persönliche Beziehung zum makedonischen Königshaus ihn keineswegs behindert, das Erbkönigtum für etwas der Wohlfahrt des Staates wenig Entsprechendes zu erklären.

Das Leben des Aristoteles

9

Das Leben des Aristoteles war mannigfach bewegt. Früh zur Doppelwaise geworden, hatte er das Glück, in Proxenos und seiner Gattin liebevolle Pflegeeltern zu finden, welche seine ersten Schritte auf dem Wege der Tugend leiteten und sein nicht unbedeutendes väterliches Vermögen ihm treu bewahrten. Noch in seinem Testament gedenkt er ihrer dankbar. Nach Platons Tode einer Einladung des Fürsten Hermeias nach Atarneus folgend, war er dort Zeuge des jähen Sturzes und Unterganges dieses edlen Freundes. Hermeias’ Nichte und Pflegetochter Pythias rettete er durch Flucht und nahm sie zur Gattin. Auch sie wurde ihm frühe durch den Tod geraubt. Doch obwohl er inzwischen mit Herpyllis aus Stageira eine neue Verbindung eingegangen, gedenkt er ihrer noch liebevoll in seinem Testament. Manche wollen glauben machen, jene zweite Verbindung sei ein bloßes Konkubinat gewesen; aber was immer die gesellschaftliche Stellung der Herpyllis von der, welche einst Pythias innegehabt, unterscheiden mochte, an ein Verhältnis wie das, was wir mit dem Namen zu bezeichnen pflegen, dürfen wir dabei nicht denken. Die Ungerechtigkeit, die darin für den weiblichen Teil liegt, widerspricht durchaus seinem uns bekannten Sinn für Recht und Freundschaft. Gewiß war die Erziehung einer Tochter, die ihm die erste Gattin geschenkt, Herpyllis, von der sein Sohn Nikomachus stammte, als zweiter Mutter anvertraut. Und so finden wir ihn denn auch in seinem Testament durch eine für unsere Frage sehr bedeutsame Bestimmung für die Zukunft der Verwitweten Sorge tragen. Man solle, heißt es da, falls sie es wünsche, sie abermals, doch nur mit einem Manne, der seiner würdig sei, vermählen. Wir sehen, für diese seine zweite Verbindung muß auch eine Sanktion und vor allem die des Gewissens bestanden haben. Überhaupt enthält sein Testament vieles, was uns seine edle Persönlichkeit näherbringt; so insbesondere gewisse Verfügungen auch in bezug auf die von ihm hinterlassenen Sklaven. Sie zeigen, daß, wenn er in seiner Ethik in dem Sklaven nicht bloß den Sklaven und so eine Art lebendigen Werkzeuges, sondern auch den Menschen zu erblicken gebietet, sein eigenes Verhalten dieser Lehre in schönster Weise entsprochen hat. Noch kurz vor seinem Ende wurde Aristoteles von schweren Schicksalsschlägen betroffen. Er mußte es erleben, daß Alexander seinen edlen Neffen Kallisthenes in trunkenem Zorn niederstieß; und als Alexander starb und die Nachricht Athen erreichte, da sollte er, dessen Herz so treu und für jede Wohltat dankbar gewesen, auch von dieser Stadt, zu deren Gunsten er wiederholt seinen Einfluß am makedonischen Hofe geltend gemacht, den schwärzesten Undank erfahren. Man erhob auf Grund eines uns erhaltenen Gedichtes, das seinen verstorbenen Freund Hermeias als Spiegel aller Tugend feiert, gegen ihn

10

Aristoteles und seine Weltanschauung

die Anklage, einem Menschen göttliche Ehre erwiesen zu haben. Als Kenner der Volksleidenschaft entzog sich Aristoteles dem Prozeß durch die Flucht und wurde dann auch wirklich in seiner Abwesenheit zum Tode verurteilt. Daß er der Regierung Alexanders völlig ferngeblieben, hatte nicht verhindert, daß der Ausbruch eines lang verhaltenen Hasses gegen die makedonische Herrschaft sich feindlich auch gegen die Person des großen Stagiriten kehrte. Man hat diesen Mangel jeden Versuches, praktisch in die Politik Alexanders einzugreifen, mit dem Verhalten Platons in Gegensatz gebracht, der zu wiederholten Malen nach Syrakus reiste, um dort den Staat nach seinen politischen Grundsätzen zu reformieren. Doch man hat gewiß sehr geirrt, wenn man dies aus der relativen Hochschätzung, die Aristoteles für das kontemplative gegenüber dem praktischen Leben hegte, erklären wollte. Gerade sie ist ja etwas, was bei Platon ebenso wie bei Aristoteles gefunden wird. Und wenn Platon trotzdem dafür hielt, daß der Philosoph sich um die Staatsverwaltung kümmern müsse, weil es im Staat nicht eher gut werden könne, als bis der Philosoph König werde oder der König in rechter Weise philosophiere, so war Aristoteles ausgesprochenermaßen derselben Überzeugung. Und so ist denn wohl kein Zweifel, daß er einen Teil der ihm so lieben Muße willig aufgeopfert hätte, wenn Alexander geneigt gewesen wäre, auch als Herrscher noch auf die Lehren und Ratschläge seines Erziehers zu hören. Sicher wären diese auch nicht so wie manche revolutionäre Ideen Platons von den durch die Erfahrung als wahrhaft gangbar erwiesenen Wegen abgeirrt. Hätte Aristoteles sich wirklich von vornherein ganz auf die Forschung beschränken und keinen Einfluß auf die politischen Verhältnisse nehmen wollen, wie wäre er dann so bereitwillig der Einladung König Philipps gefolgt? Nicht zum Forscher, zum Lenker des Staates sollte ja doch Alexander erzogen werden. Und sicherlich nicht wegen eines Lohnes, den er von Philipp erhoffte, ging er auf dessen Antrag ein, sondern weil ihm der Versuch aussichtsvoller schien, das Herz eines jungen Prinzen als, wie Platon es gehofft, das Gemüt eines Tyrannen auf dem Throne für seine politischen Ideen zu gewinnen. Aristoteles starb, zweiundsechzig Jahre alt, in Chalkis auf Euböa, das den Flüchtigen aufgenommen, im Sommer 322 v. Chr. Wie unter ihm selbst seine Schule im Lyceum, von dessen Wandelbahn (Peripatos) sie den Namen der peripatetischen erhielt, die Akademie unter Speusippus weit überstrahlt, so auch noch unter seinen nächsten Nachfolgern, deren erster Theophrast gewesen ist. Neben ihm ist Eudemus, der Verfasser der nach ihm benannten Ethik, als der vorzüglichste seiner unmittelbaren Schüler zu nennen.

Schriften Wenden wir uns nun zu den Schriften des großen Mannes. Schon zu Lebzeiten Platons als Schriftsteller aufgetreten, hatte er sich damals vielfach auch in der Form der Darstellung seinen Lehrer zum Muster genommen. Er schrieb mehrere Dialoge, von denen wir aber nur unbedeutende Bruchstücke besitzen. Es war ein gefährliches Verfangen, hier, auch was die Schönheit der Darstellung anlangt, Platon nacheifern zu wollen. Aber Aristoteles scheint, wenn er ihn auch nicht ganz erreichte, doch vieles von seinen Vorzügen sich eigen gemacht zu haben. Denn wohl nur auf Grund dieser uns verlorenen Schriften konnte sich Cicero veranlaßt sehen, ihn nächst Platon vor allen alten Philosophen wegen der vorzüglichen und nicht bloß didaktisch, sondern auch ästhetisch vollendeten Darstellungsweise zu rühmen. Was die uns erhaltenen Schriften anlangt, so gibt ihnen zwar die Gedrängtheit und Prägnanz des Ausdrucks außer dem sachlichen Interesse nicht selten einen eigentümlichen Reiz. Sonst aber lassen sie (und gerade die wichtigsten unter ihnen am allermeisten) unter dem Gesichtspunkt der Darstellung gar viel vermissen. Es kommt zu lästigen Wiederholungen; es hinkt eine Erörterung, die an früherer Stelle besser am Platze gewesen wäre, weit hinten nach; und selbst der ersten Forderung, welche der Leser zu machen hat, nämlich der Deutlichkeit, wird höchst ungenügend Rechnung getragen. Bald wird eine Stelle durch eine übertriebene Kürze, bald durch die Vieldeutigkeit der Ausdrücke unverständlich. Kommt es doch nicht allein vor, daß Aristoteles dasselbe Wort anderwärts in anderem Sinne gebraucht, sondern er erlaubt sich solchen Wechsel der Bedeutung sogar in derselben Erörterung, ja in demselben Satze. Ganz besonders mißlich ist es, daß jenes Übermaß von Kürze, über das wir klagten, sich gerade da am meisten bemerklich zu machen pflegt, wo es sich um die allerwichtigsten und schwierigsten Fragen handelt; ein Umstand, der manche schon im Altertum auf gar seltsame Meinungen geführt hat. Man wollte darin eine Absicht erkennen, unverständlich zu sein, indem einige meinten, er habe gewisse hohe Wahrheiten nicht zum Gemeingut machen, sondern seiner Schule vorbehalten wollen, andere aber ihn in Verdacht nahmen, als habe er sich selbst hier nicht genügend sicher gefühlt, aber statt dies einfach einzugestehen, wie ein Tintenfisch vor der Verfolgung, vor der Möglichkeit einer Kritik und Widerlegung sich dadurch zu schützen gesucht, daß er künstlich ein Dunkel um sich verbreitete. Wenn nun auch solche Annahmen, mit dem uns bekannten Charakter des Aristoteles unvereinbar, jeder Wahrscheinlichkeit entbehren, so geben sie doch dem von uns gerügten

12

Aristoteles und seine Weltanschauung

Mangel der Deutlichkeit ein sehr beredtes Zeugnis. Und diese konnte nicht dadurch gewinnen, daß mannigfache Fehler sich in den Text eingeschlichen haben, für dessen vielfache Unsicherheit schon die große Menge der Varianten in den uns überlieferten Codices spricht. Nicht selten aber findet der Interpret sich zu einer Emendation des Textes veranlaßt, in dem die so vielfach variierenden Codices sämtlich miteinander übereinstimmen; und diese kann richtig sein, selbst wenn sie durch Einschaltung eines οὐ den Sinn der Stelle geradezu ins Gegenteil verwandelt. Hierfür nun können wir den Schriftsteller nicht eigentlich verantwortlich machen, wenn wir nicht sagen wollen, bei einem Text, dessen Verständnis sich wegen der Dunkelheit der Schreibweise dem Kopisten entzieht, sei das Einschleichen von falschen Lesarten ganz besonders leicht zu erwarten gewesen. Aber auch im übrigen werden wir über den Fehler der Undeutlichkeit und die anderen in der Darstellungsweise des Aristoteles hervorgehobenen Mängel milder urteilen, wenn wir darauf achten, wann und wie die uns hinterlassenen Schriften verfaßt worden sind. Man ist heutzutage ziemlich einig in der Annahme, daß sie sämtlich in die Zeit seines zweiten Aufenthaltes in Athen, also zwischen die Jahre 335–322, fallen; und die Kürze dieser Periode steht in einem gar schlechten Verhältnis zu der erstaunlichen Fülle und Mannigfaltigkeit der Arbeiten, die in ihr entstanden sind. Gehören ihr doch außer denen, die wir von Aristoteles besitzen, noch andere, uns verloren gegangene, wie namentlich das große Werk, welches eine historische Darstellung der vorzüglichsten alten Staatsverfassungen enthielt, an. Und nun erwäge man auch noch, daß die Zeit des Aristoteles zwischen Schriftstellerei und mündlichem Lehrvortrag geteilt war, und denke an alles das, was wir von den Ereignissen des damaligen öffentlichen und seines Privatlebens kennen, und was notwendig Störungen mit sich brachte, und auch daran noch, daß uns erzählt wird, er sei von zarter Gesundheit gewesen: wird man es da nicht nur allzu erklärlich finden, daß Aristoteles, um in anderen, noch wesentlicheren Stücken der großen Aufgabe, die er sich im Dienste der Menschheit stellte, zu genügen, auf die volle Entfaltung des Talentes verzichtete, das ihm, wie er in früheren Schriften bewiesen, auch für die Darstellung gegeben war? Keine einzige der uns erhaltenen Schriften hat er selbst herausgegeben, keine einzige erscheint auch wahrhaft vollendet, wenn auch die eine ungleich mehr als die andere der Vollendung fern. Einen guten Teil davon mag er bei mündlichen Vorträgen sozusagen wie ein Kollegienheft benützt haben, die eine in öfterer, die andere in minder häufiger Wiederholung. Manche haben aber so ganz und gar den Charakter von bloßen Brouillons, daß sie selbst dazu nicht genügt haben würden.

Schriften des Aristoteles

13

Das alles also erschwert wesentlich das sichere Verständnis seiner Lehre; und die Schwierigkeit würde noch wachsen, wenn wir mit einigen namhaften Kritikern es für ausgemacht hielten, daß Aristoteles oft Dinge sage, an welche er selbst nicht glaube. Bald soll er nach ihnen gegen seine unzweifelhafte Überzeugung der gewöhnlichen Meinung die größten Konzessionen machen; bald wieder bei der Bekämpfung eines Gegners sich nicht scheuen, ihm vorzuwerfen, was er selbst ganz ebenso für wahr hält, wenn er nur Hoffnung hat auf die, zu welchen er spricht, eine für den Gegner nachteilige Wirkung zu üben; bald wieder durch seine Lust, seine dialektische Meisterschaft in helleres Licht zu setzen, um mehr noch Gründe auf Gründe häufen zu können, Angriffe auch von solcher Seite machen, auf der er selber gar nicht steht. Manche halten diese schriftstellerischen Unarten bei Aristoteles für so unleugbar, daß sie darauf ein ganzes System von methodischen Regeln aufbauen, deren strengste Beachtung geboten sei, wenn nicht die ganze Lehre des Aristoteles als ein Haufen von Widersprüchen erscheinen solle. Ja, sie gehen so weit, zu behaupten, daß, schon wenn er von einem Satze nur gelegentlich Anwendung mache, und wäre es auch, um wichtige Folgerungen daran zu knüpfen, seine Aussage nicht ebenso verlässig sei wie an einem anderen Orte, wo er sich mit der Feststellung und Begründung des Satzes selbst beschäftige. Wäre dies wahr, so hätte es bei der Störung, die sich aus der Undeutlichkeit der Schreibweise oder aus der mangelhaften Überlieferung des Textes ergeben kann, die traurigsten Folgen. Denn es ist natürlich, daß der Stellen, welche sich mit der Begründung eines Satzes beschäftigen, nur wenige sind, ja vielleicht nur eine solche sich findet, während die Gelegenheit zur Anwendung häufig wiederkehrt und der Satz, wenn er von größter Tragweite ist, den Charakter des Systems vielleicht in allen seinen wesentlichen Zügen mitbestimmt. Und es ist offenbar ungleich leichter möglich, daß durch eine Nachlässigkeit des Ausdrucks oder einen Verderb der Lesart eine Stelle, als in gleichförmiger Weise eine große Fülle von Stellen mißverständlich werde. In der Tat hat dieser Grundsatz der Auslegung dazu geführt, neben einer verschwindend kleinen Anzahl von Aussprüchen eine unvergleichlich größere Menge, die, den verschiedensten Schriften angehörig, miteinander im Einklang sind, jenen wenigen aber, wie man sie gedeutet hat, widersprechen würden, als Anhaltspunkte zu verwerfen. Glücklicherweise darf ich auf Grund langer und sorgfältiger, dem Aristoteles gewidmeter Studien, versichern, daß alle diese von vornherein so sehr befremdlichen Hypothesen durchaus ungegründet, nur aus Mißdeutungen, über die man sich in Anbetracht der schon erwähnten Schwierigkeiten des Verständnisses nicht allzu sehr verwundern darf, entsprungen sind. Wir werden also von diesen hypothetischen Hilfsmitteln keinerlei Gebrauch machen. Und

14

Aristoteles und seine Weltanschauung

wenn wir dann trotzdem zu einer ebenso harmonischen Darstellung gelangen, so wird nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit schon wegen des Entfalls solcher Komplikation der Voraussetzungen der Vorteil auf unserer Seite sein; noch mehr natürlich, wenn man beim Vergleich erkennt, daß die Lehren, zu welchen jene Interpreten mit ihren gekünstelten Annahmen geführt werden, viel weniger in sich harmonisch erscheinen und viel weniger auch mit der Lehre der historischen Vorgänger und Nachfolger verwandt, sowie denen der großen Denker anderer Zeiten, die vieles mit Aristoteles gemein haben, ähnlich sind. Ja, so handgreiflich ungereimt erscheinen sie, daß niemals wohl ein Mensch, der Aristoteles so auslegte, eine Neigung gefühlt haben dürfte, sich ihm anzuschließen. So haben denn auch nachweisbar weder die unmittelbaren Nachfolger des Philosophen, noch Alexander von Aphrodisias, der 200 n. Chr. sich den Ehrennamen des Exegeten im eminenten Sinne erworben hat,2 noch Simplicius, der gelehrteste der alten Kommentatoren, dem Aristoteles neben Platon als höchste Autorität gilt, noch die arabischen Philosophen, noch die Scholastiker, denen Aristoteles nach Dantes Wort „der Meister für die war, welche wissen“, einer ähnlichen Deutung wie jene, zu welcher unsere überkritischen modernen Exegeten gelangen, sich geneigt gezeigt. Dagegen finden wir sie bei einem Ramus auftreten, der bekanntlich selbst in der Logik mit Aristoteles gebrochen, und der auf Grund solcher bis dahin unerhörter Exegese ihn als Metaphysiker erst recht um jedes Ansehen zu bringen hoffte. Und so müßte man denn sagen, der gewaltige Einfluß, den die aristotelischen Schriften auch auf den höchsten Gebieten der Philosophie geübt, komme eigentlich nur einem mißverstandenen Aristoteles zu, sehen wir doch schon Leibniz, der, von Ramus verführt, Aristoteles in bezug auf die erhabensten Fragen eine der modernen Deutung entsprechende Auffassung zuschreibt, infolge davon gar verächtlich über die aristotelische Gotteslehre urteilen. Und wenn er trotzdem von ihm auch auf dem höchsten Gebiet mächtig beeinflußt ist, so doch nur mittelbar durch solche, welche den anders verstandenen Philosophen zum Lehrer gehabt hatten. Wie ganz anders wäre das gewesen, wenn er die wahre Lehre des Aristoteles gekannt hätte! Mit welchem Entzücken würde er dann auf so manchen mit der seinigen übereinstimmenden Zug verwiesen haben! Und ähnlich wie Leibniz sieht sich auch noch die gegenwärtige Zeit infolge der modernen Verdunkelung der aristotelischen Lehre 2

Als schlagenden Beleg dafür vergleiche man seinen unzweifelhaft echten Kommentar zum 9. Kap. des I. Buches der Metaphysik. Daß der uns unter seinem Namen überlieferte Kommentar zu dem wichtigen Buche Met. Λ unecht ist, hat Freudenthal („Die durch Averroes erhaltenen Fragmente Alexanders zur Metaphysik des Aristoteles“) in unwidersprechlicher Weise dargetan.

Schriften des Aristoteles

15

gerade auf dem höchsten Gebiet eines unmittelbaren segensreichen Einflusses beraubt, so daß nur in relativ niederen Disziplinen ein solcher sich noch geltend macht. Wenn man sich hütet, unvereinbar scheinende Aussprüche des Philosophen ohne weiteres für wirklich einander widersprechend zu halten und, indem man daraufhin die einen als minder vertrauenswürdig verwirft, ein so seltsames Verfahren durch noch seltsamere Hypothesen zu beschönigen, so wird gerade die Schwierigkeit, die einen mit den anderen in Einklang zu bringen, den so geretteten Anhaltspunkten einen noch höheren Wert verleihen, und es wird auch hier, um mit Aristoteles zu sprechen, die ἀπορία zur εὐπορία werden. Man wird nämlich notwendig nach den Bedingungen forschen, unter welchen allein die mannigfachen Äußerungen miteinander verträglich erscheinen. Und so gibt der eine Ausspruch nicht bloß für die richtige Deutung des anderen Licht, sondern man mag auch zur Kenntnis von manchen Gliedern des aristotelischen Gesamtsystems gelangen, die uns in seinen oft so knappen und fragmentarischen Mitteilungen nirgends direkt gegeben, aber nunmehr zur Herstellung des Zusammenhangs gefordert sind. Der Gedankenbau eines großen Denkers gleicht dem Organismus eines Lebewesens, wo die Beschaffenheit eines Teils die des anderen bedingt, und was Cuvier bei den Resten vorweltlicher Tiere gelang, daß er nämlich aus der Natur der gegebenen die Natur der fehlenden Teile aufs treffendste bestimmte, das wird darum auch bei einem solchen Werke der Philosophie oft recht wohl möglich sein. Und ist man so zu dem volleren Verständnis des wahren Charakters des Ganzen gekommen, so daß die Verwandtschaft dieses Denkers mit anderen, deren Werke uns vollkommener erhalten vorliegen, unverkennbar geworden ist, so wird auch der Blick auf diese neue Hilfe leisten und uns dazu führen, den einen Fall in Analogie zum anderen leichter zu begreifen. Das alles also werden wir uns zur Aufgabe setzen und hoffen so ein viel vollständigeres Bild geben zu können, ohne dabei irgendwie die Grenzen der Wahrscheinlichkeit zu überschreiten. Wenn wir dabei nirgends anzugeben unterlassen, ob etwas direkt ausgesprochen oder mit Sicherheit erschlossen oder mit mehr minder Wahrscheinlichkeit als Vermutung beigefügt ist, so wird uns von seiten eines verständigen Kritikers jedenfalls der Vorwurf mangelnder Exaktheit nicht treffen können; denn selbstverständlich werden wir, wenn wir solche neue Hilfsmittel in Anwendung bringen, auf keines der von anderen benutzten verzichten, ja sogar noch reicheren und sorgfältigeren Gebrauch von ihnen zu machen bestrebt sein. Je mehr sich infolge des Gesagten unsere Aufgabe erweitert, um so weniger dürfen wir, schon wegen der Enge des uns zugemessenen Raumes, es unterlas-

16

Aristoteles und seine Weltanschauung

sen, sie nach anderer Seite möglichst einzuschränken.3 Es muß uns genügen, wenn wir von der aristotelischen Lehre jenen Teil in allen Hauptzügen zur Darstellung bringen, den er selbst unter Weisheit begreift. Auch die Frage der Chronologie der aristotelischen Schriften und die charakteristische Eigentümlichkeit, welche diejenigen unter ihnen, die man exoterisch nennt, von den sogenannten esoterischen unterscheidet, sei hier mit kurzem Worte wenigstens berührt. Die erstere, namentlich wenn Spuren einer Fortbildung der Lehre dafür den Anhalt gäben, gewänne für das Verständnis und die Zusammenordnung der einzelnen Aussprüche gewiß eine hohe Wichtigkeit. Bei Platon ist eine allmähliche Entwicklung der Lehre ganz unverkennbar. Sollte Aristoteles nicht auch zu Änderungen veranlaßt worden sein? Sicher war dies der Fall, wenn man bis auf die Zeit, wo er seine Dialoge schrieb, zurückblickt. Selbst die wenigen uns erhaltenen Fragmente bieten dafür den Beleg. Dagegen hört man gewöhnlich sagen, daß in den uns überkommenen systematischen Schriften sich so gut wie keine Lehrdifferenzen zeigten und führt dies teils auf die Abfassung in relativ sich naheliegenden Zeiten, teils darauf zurück, daß Aristoteles, der keine dieser Schriften selbst veröffentlicht hat, nachträgliche Berichtigungen anzubringen Sorge getragen haben möge. Allein der Zeitraum von mehr als zwölf Jahren konnte denn doch einen Forscher, der gewiß nicht so töricht war, allen seinen Aufhellungen die Sicherheit mathematisch erwiesener Lehrsätze zuzuschreiben, ja, der über die Unvollkommenheit aller menschlichen Weisheit sich mit aller Demut äußert, auf manches Bedenken aufmerksam machen und zu manchem Reformversuche anregen. Und wenn kleinere Abänderungen nachträglich leicht zu treffen waren, so doch nicht solche, welche in ihrer Konsequenz weitgehende Umbildungen verlangten. Wir finden, daß Aristoteles manchmal eine Ergänzung, die er als nötig erkannt, nicht in die Schrift hinein verarbeitet, sondern sie ganz lose hinten anfügt; ja, manchmal folgen sich mehrere solche Nachträge ohne innere Ordnung kunstlos aneinandergereiht. Zu mehr als dem wollte und konnte er, den jetzt andere Fragen beschäftigten, sich die Zeit nicht nehmen. Und wie sollte er sie da immer gefunden haben, wo es sich nicht um eine bloße Ergänzung, vielmehr um eine Korrektur handelte, welche nicht ohne bedeutende Umarbeitungen hätte angebracht werden können? Zu noch nicht herausgegebenen Schriften hätte wohl auch Augustinus nicht, wie zu den von ihm schon veröf3

Die Abhandlung war ursprünglich für das von Dr. von Aster redigierte Werk „Große Denker“ bestimmt. Daher das Streben nach Gedrängtheit, das aber doch schließlich nicht ausreichte, das Ganze wirklich aufnahmefähig zu machen. Sehr wichtige Abschnitte, die dort ganz entfallen sind, finden sich in dieser Separatausgabe wieder beigefügt.

Schriften des Aristoteles

17

fentlichten, einen liber retractationum zu schreiben für gut gefunden. Doch man wird sagen, was verfangen alle diese Reflexionen, da uns ja doch die Erfahrung zeigt, daß tatsächlich solche Neubildungen in den systematischen Schriften des Aristoteles nicht vorkommen. Gerade dies, meint man, nehme uns in den meisten Fällen die Möglichkeit, ihre chronologische Folge festzustellen, lasse dies aber zugleich als einen nicht sehr fühlbaren Mangel erscheinen. Doch auch hier glaube ich mich durch einen genauen Vergleich von dem Gegenteil überzeugt zu haben. Und es war insbesondere einer, und ein sehr wichtiger Punkt, in welchem ich bei Aristoteles eine ganze Reihe sich folgender Veränderungen gefunden habe. Es ist dies die Lehre von der Definition, über die Aristoteles in der Topik, in den zweiten Analytiken, in den Büchern der Metaphysik und wieder im vierten Buch der Meteorologie und in der Schrift De Partibus Animalium Bestimmungen gibt, die keineswegs alle miteinander verträglich sind, ja sich mehrfach geradezu widersprechen. Und interessant ist es dann auch, das praktische Verfahren des Aristoteles, wenn er irgendwo eine wichtige Definition zu geben hat, zu vergleichen und zu sehen, welche von den in verschiedenen Schriften ausgesprochenen Ansichten ihm dabei maßgebend ist. Daß die Topik unter den uns erhaltenen logischen Schriften die früheste sei, wird allgemein anerkannt. Die Lehre von der Definition in den zweiten Analytiken enthält denn auch ganz neue Momente. Hier wird die Definition mit der Erkenntnis aus dem Grunde, wie sie der wissenschaftliche Beweis geben soll, in engste Beziehung gebracht und eine Rücksichtnahme auf die Ursache in ihrem vierfachen Sinn, als Materie, Form, wirkende und Endursache gefordert. Davon, daß es eigentlich nur von Substanzen eine Definition geben könne, wird aber hier so wenig als in der Topik nur mit einem Worte etwas angedeutet; im Gegenteil werden die Beispiele durchweg aus dem Gebiete der Akzidenzien genommen. So geht denn das siebente Buch der Metaphysik, indem es die Möglichkeit einer Definition im strengen Sinne auf die Substanzen beschränkt, wesentlich über die Lehre in den Analytiken hinaus. Und deutlich widerspricht es der Topik, denn hier war gelehrt worden, daß in der Definition die spezifische Differenz den Begriff der Gattung nicht enthalten dürfe, in dem Buch Met. Z dagegen wird das Gegenteil ausdrücklich gefordert. So soll auch jede folgende Differenz die vorausgehende enthalten und die letzte darum der ganzen Definition inhaltlich gleich sein. Ohne dies, heißt es in der Metaphysik, würde dem Ganzen die reale Einheit fehlen. Im Zusammenhang damit kommt aber Aristoteles zu einer weiteren merkwürdigen Bestimmung. Es gehe nicht an, meint er, daß man, nachdem man eine Klasse von Tieren als „Füße habende“ unterschieden hat, dann etwa „geflügelte, Füße habende Tiere“ als Unterart unterscheide und sie so durch die Dif-

18

Aristoteles und seine Weltanschauung

ferenz „geflügelt“ als „geflügelte, Füße habende Tiere“ spezifiziere. Denn hier würde ja eben die niedere Differenz die höhere nicht enthalten. Richtiger also sei es, an diese anknüpfend „gespaltenfüßige Füße habende Tiere“ als Unterart aufzuteilen usw., beim Fortschreiten der Definition immer an denselben Teil des Tieres sich haltend. Man wird hier etwas an die künstliche Klassifikationsmethode bei Linné erinnert. Aber die Regeln, die Aristoteles in der Schrift De Partibus Animalium für die Klassifikation uns gibt, verwerfen dies in Met. Z empfohlene Verfahren aufs ausdrücklichste und gelangen vielmehr, indem sie eine gleichmäßige Berücksichtigung aller Teile fordern, zu etwas, was dem natürlichen Klassifikationsverfahren bei Linné ähnlich ist. Und noch eine andere bedeutsame Differenz scheint hier die Schrift De Partibus Animalium von Met. Z zu scheiden, die auch schon in einer Stelle des Schlußkapitels vom vierten Buche der Meteorologie hervortritt. Met. Z, das die Definitionen im strengen Sinne des Wortes auf die einzige Kategorie der Substanz beschränkt, gibt nirgends deutlich der Überzeugung Ausdruck, daß wir tatsächlich nicht im Besitz von substanziellen Differenzbegriffen seien. Vielmehr hat es den Anschein, als meine Aristoteles in den von ihm gewählten Beispielen uns wirklich solche anzugeben. Dem entgegen lehrt die Meteorologie auf das bestimmteste, daß die substanziellen Differenzbegriffe uns durchwegs fehlten, und daß dieselben durch akzidentelle Bestimmungen, welche sie als Eigentümlichkeiten begleiten, und namentlich durch die Angabe eigentümlicher Tätigkeiten, welche die betreffende Spezies übt, ersetzt werden müßten. Diese träten bei den lebenden Wesen am markantesten hervor, und darum seien auch die Arten lebender Körper besser als die Arten lebloser von uns zu definieren. Hier hat sich in den Ansichten des Aristoteles nicht bloß ganz sichtlich bezüglich der Weise, wie man zu definieren habe, sondern, wie es scheint, auch hinsichtlich der Erkennbarkeit der Substanzen eine Fortbildung vollzogen, und wir sehen ihn nunmehr der Lehre von Locke und Leibniz in ihren Versuchen über den menschlichen Verstand sehr nahe stehen. An den gleichen Überzeugungen hält dann auch die Schrift De Partibus Animalium fest. Nicht die Differenzen der Substanzen selbst, sondern Eigentümlichkeiten, die, an sie geknüpft als für sie charakteristisch, in ihrer Gesamtheit uns eine Art Ersatz dafür bieten, sollen wir bei den Definitionen verwenden, und dabei steht nichts im Wege, daß sogar negative Bestimmungen mit zur Charakteristik herangezogen werden. Wir werden wohl nicht irren, wenn wir annehmen, daß die Studien, aus denen die Historia Animalium hervorgegangen, zu diesen mächtigen Fortschritten gegenüber der Definitionslehre in Met. Z geführt haben. Als eine Art Vorzeichen der späteren Umbildung der Lehre von Met. Z darf aber vielleicht die Stelle 3. p. 1029 a 11, betrachtet werden, wo gesagt wird,

Schriften des Aristoteles

19

wenn die Akzidenzien weggenommen würden, scheine nichts übrig zu bleiben. Ja schon gewisse Stellen der Analytica Posteriora, wo von dem Aufsuchen der Definition als letztem Grunde der Eigentümlichkeiten gesprochen wird, scheinen sie anzubahnen. So habe ich denn, glaube ich, den Wahn, als ob in den uns erhaltenen systematischen Schriften des Aristoteles nirgends eine Spur von wesentlicher Fortbildung seiner Lehre zu finden sei, zerstört, und leicht erkennt man auch aus dem Gesagten für einige seiner wichtigsten Schriften die chronologische Folge. Dabei ergibt sich im Gegensatz zu dem, was man gemeiniglich annimmt, daß gewisse naturwissenschaftliche Werke später als ein Teil der Bücher der Metaphysik geschrieben sind. Und nicht bloß für De Partibus Animalium und das vierte Buch der Meteorologie ist eine spätere Zeit der Abfassung anzusetzen, sondern, indem sie für diese gesichert, ist sie auch für die Schrift De Generatione Animalium gewiß und für die Historia Animalium wahrscheinlich geworden. Weiter noch können wir, und dies sogar mit Gewißheit, erschließen, daß auch die zu den naturwissenschaftlichen Schriften gehörigen, so überaus wichtigen drei Bücher von der Seele und dann natürlich auch die an sie sich anschließenden sogenannten Parva Naturalia später als die erwähnten Teile der Metaphysik geschrieben sein müssen. Man erkennt dies sofort, wenn man darauf achtet, wie wenig das Verfahren des Aristoteles bei der Definition der Seele den Forderungen des Buches Z der Metaphysik, wie vollständig dagegen es den Lehren im Schlußkapitel des vierten Buches der Meteorologie entspricht. Auch wäre, wenn Aristoteles, als er die Bücher von der Seele schrieb, noch auf dem in Metaphysik Z eingenommenen Standpunkt beharrt hätte, seine Lehre von den eigentümlichen und gemeinsamen Sinnesobjekten (αἰσϑητὰ ἰδια ϰαἰ ϰοιυὰ) unbegreiflich, denn da, wie wir hören werden, nach seiner Meinung alle unsere Begriffe aus der Wahrnehmung geschöpft sind, so müßten, wenn wir Begriffe von substanziellen Differenzen hätten, unter den eigentümlichen oder gemeinsamen Sinnesobjekten neben den akzidentellen auch solche substanzielle Differenzen sich aufgezählt finden. Sie fehlen aber vollständig. Indes bilden die in der Metaphysik vereinigten Abhandlungen kein einheitliches Werk, und so wäre der Gedanke nicht ausgeschlossen, daß, was von anderen Büchern, nicht ebenso von dem vor allen wichtigen Buch Λ gelten möge, das allein eingehend bei Untersuchungen über das erste Prinzip aller Dinge verweilt. Es ist sehr skizzenhaft geschrieben und enthält nichts von den die Erkenntnisprinzipien betreffenden Untersuchungen, und auch mit der Frage von der Definition finden wir es nirgends beschäftigt, so daß uns dieser Anhalt zur Zeitbestimmung fehlt. Dafür sehen wir daraus, daß neben der Astronomie des Eudoxus auch die des Kallippus berücksichtigt wird, daß es jünger sein

20

Aristoteles und seine Weltanschauung

muß als die Bücher De Coelo. Und hinsichtlich der Ordnung der in ihm und den vorausgehenden, ausführlicheren metaphysischen Untersuchungen gemeinsam behandelten Materien sehen wir es diesen überlegen. Und so möchte ich kaum bezweifeln, daß das Buch Λ der allerreifsten Zeit des aristotelischen Philosophierens angehört. Es ist aber sicher nur als Vorbereitung eines ausführlichen Werkes über denselben Gegenstand zu betrachten, zu dem es nie gekommen ist. Diesem Werk hatte Aristoteles eine entsprechend ausgeführte Behandlung gewisser Probleme vorbehalten, die er hie und da in den naturwissenschaftlichen Schriften streift, aber auf die er, da sie der ersten Philosophie angehören, betreffenden Orts nicht weiter einzugehen für gut findet. Und daraus erklärt sich aufs einfachste das, was so viel Staunen erregt und Ärgernis erweckt hat, daß Aristoteles gerade da, wo er auf die allerwichtigsten und schwierigsten Fragen zu sprechen kommt, durch Wortkargheit ganz besonders dunkel wird. Selbst in den drei Büchern von der Seele verweilt er bei ihrem vornehmsten, intellektiven Teile im Vergleich zum vegetativen und sensitiven ganz unverhältnismäßig kurz. Und über manche der einschlägigen Fragen, die wir in den Büchern von der Seele gar nicht berührt finden, gewinnen wir nur aus gelegentlichen Bemerkungen der Ethik einigen Aufschluß; und dies kommt daher, weil nach Aristoteles die drei Bücher von der Seele zu den naturwissenschaftlichen Schriften gehören sollen, der intellektive Seelenteil aber nach ihm nicht dem physischen, sondern metaphysischen Gebiete angehört. So findet sich denn auch unter den interessanten kleinen Abhandlungen, wozu die über Sinn und Sinnesobjekte, Gedächtnis und Erinnerung u. dgl. gehören, die wie ein Anhang zu den Büchern von der Seele zu betrachten sind, nicht eine einzige, welche den intellektiven Seelenteil anginge, so sehr man doch gerade hier wegen der Spärlichkeit des in den Büchern von der Seele Gesagten dafür dankbar wäre. Einmal lehnt er in den Büchern von der Seele (III, 7. Ende) es geradezu ab, in eine nahegelegte Frage einzugehen, indem er sie einer später zu führenden Untersuchung zuweist. Er dachte dabei sichtlich an die Metaphysik, und niemals ist er dazu gekommen, sein hier gegebenes Wort einzulösen. Auch dies also muß man zur gerechten Würdigung der Eigentümlichkeiten, die wir bei Aristoteles als Schriftsteller beobachten, nicht übersehen. Einige andere, denen wir insbesondere in seinen praktischen Schriften wie Ethik, Politik und Rhetorik begegnen, sind leichter verständlich. Das Ziel, das er hier im Auge hat, liegt ausgesprochenermaßen nicht eigentlich in der Erkenntnis selbst, die er mitteilt, sondern in der Frucht, die sie durch Anwendung auf das Leben des Einzelnen und der Gesellschaft tragen soll. So möchte er sie auch den weniger für Theorie Interessierten in möglichst weitem Umfang

Schriften des Aristoteles

21

zugänglich machen. Und darum nimmt er sich ausgesprochenermaßen vor, von allen tieferliegenden metaphysisch-psychologischen Problemen Umgang zu nehmen. Man hat sie wegen dieser Berechnung auf einen weiteren Kreis als exoterische bezeichnet, während diejenigen, welche eine ähnliche Popularität nicht anstreben, esoterische genannt werden. Freilich sehen wir Aristoteles seinem Vorhaben im Verlaufe der Darlegung gar oft untreu werden, sei es (was sich namentlich im Verlauf der Ethik zu zeigen scheint), daß es ihm nicht wohl möglich ist, in jenen Schranken sich zu halten, ohne auf eine volle Befriedigung auch des praktischen Bedürfnisses zu verzichten. Das Schauspiel, das Aristoteles in dieser seiner Inkonsequenz gibt, ist sehr interessant und gibt einen tiefen Einblick in sein innerstes Leben; auch wenn er die Probleme nicht festhalten will, so lassen sie ihn nicht los. Vielleicht dürfen wir neben vielem anderen aber auch hierin ein Zeichen sehen, daß diese praktischen Schriften, ähnlich den metaphysischen, wenn auch nicht in gleichem Maße, nicht zu ihrer definitiven Gestalt gelangt sind. Sie gehören unzweifelhaft den reifsten Jahren des Philosophen an; aber dies heißt eben, daß sie kurz vor seinem Lebensende ihn beschäftigt haben, und wenn ihnen als Erzeugnissen der reifsten Zeit ein besonderer Vorzug zukommt, so verbindet sich damit der Nachteil eines sichtlichen Mangels an Vollendung. Schon in der Ethik läßt die Anordnung gar viel zu wünschen übrig, und in der Politik ist sie so unvollkommen, daß Barthélemy St. Hilaire und andere die Bücher umstellen wollten. Auch ist es unverkennbar zu gewissen beabsichtigten Ausführungen gar nicht gekommen.

Weisheit Die Erkenntnis, die wir von einem Dinge haben, ist oft eine bloß tatsächliche, wie wenn ich es wahrnehmend erfasse. In anderen Fällen erkenne ich aber nicht bloß, daß es besteht, sondern kann auch einen Grund, warum es besteht, angeben. Vielleicht ist dieser Grund selbst für mich etwas bloß Tatsächliches, was in einem anderen seinen Grund hat, und wofür, solange dieser nicht erkannt ist, die Erklärung fehlt. Und so wird es sein, so lange man nicht auf etwas gekommen, was, als unmittelbar notwendig, selbst einer weiteren Erklärung weder fähig noch bedürftig ist. Erst wer eine Tatsache auf diesen ihren ersten Grund zurückgeführt, hat eine abschließende Erklärung von ihr gegeben. Mag man nun auch den, der zu einer der Zwischenstufen gelangt ist, bereits als einen einigermaßen Wissenden und dem, der bloß wahrnimmt, der Erkenntnis nach Überlegenen bezeichnen, so kommt ihm doch der Name des Weisen noch nicht zu. Die Weisheit besteht in der Erkenntnis des unmittelbar Notwendigen und der Erklärung des mittelbar Notwendigen aus ihm, was Aristoteles in der Nikomachischen Ethik mit den Worten ausdrückt, die σοφία sei νοῦς ϰαὶ ἐπιστήμη. Wir machen viele Wahrnehmungen und auch eine Vielheit von Wissenschaften läßt sich unterscheiden. Sollen wir sagen, daß es ebenso auch mehr als eine Weisheit gäbe? – Die Beantwortung der Frage wird davon abhängen, ob das, worin sein erster Grund zu erblicken ist, für alles durch etwas anderes bedingte Sein dasselbe ist. Und dies ist nach Aristoteles der Fall, denn, wie wir sehen werden, gibt es nach ihm ein einziges unmittelbar notwendiges Wesen, durch welches im letzten Grunde alles übrige Sein bestimmt ist, nämlich den göttlichen Verstand. Wer dieses Prinzip vollkommen erfaßte, der hätte darum den Schlüssel zur apriorischen Erkenntnis aller Dinge. Und so sind denn auch diesem göttlichen Prinzip, welches ein Erkennen ist, das sich selbst zum Gegenstande hat, in dieser einen Erkenntnis zugleich alle anderen Dinge offenbar. Er besitzt eine rein apriorische Allwissenheit. Darin, daß dieses unendlich vollkommene Wesen es ist, auf welches wir bei der Frage nach dem ersten Grunde überall geführt werden, liegt ganz besonders der überragende Wert der Weisheit. Aristoteles erhebt ihn über alle anderen Werte. Die höchste Seligkeit soll in ihren Betrachtungen gefunden werden und das ganze praktische Leben des einzelnen und die ganze Ordnung des Staates in letzter Hinsicht nur ihren Interessen dienen. Dennoch verkennt er nicht, daß zwischen der Art, wie sie dem Menschen, und der, wie sie der Gottheit eigen ist, ein mächtiger Unterschied besteht. Ist für sie das unmittelbar Notwendige auch unmittelbar als Gegenstand gegeben, so ist für uns vielmehr

Weisheit

23

jene Erkenntnis der Ordnung nach die frühere, die ihrer Natur nach die Spätere ist. Und für die mangelnde Anschauung eines unvergleichlich erhabeneren Wesens bildet alles, was wir aus den Elementen unserer Erfahrungsvorstellungen zusammensetzen mögen, einen gar unvollkommenen Ersatz. Wenn Gott durch die Erkenntnis seiner selbst allwissend ist, so wird darum uns, wenn wir dazu gelangt sind, alles auf ihn als ersten Grund zurückzuführen, nicht ebenso die Einsicht in alle Wahrheit erschlossen, aber das bleibt richtig, daß dadurch ein gewisses Licht auf alles und jedes geworfen wird. Und so trifft denn das, was man auch gemeiniglich unter einem Weisen sich vorstellt, mit dem, was wir über die Erkenntnis aus dem ersten Grunde gesagt haben, zusammen. Denn man denkt sich unter einem Weisen einen, der erkennt, was zu erkennen besonders schwierig ist, das aber ist das, was am meisten von den Sinnen abliegt; ferner einen, dessen Erkenntnis auf dem sichersten Grunde sich aufbaut; das aber ist das unmittelbar Notwendige, das alles andere bedingt; und wieder einen, dessen Erkenntnis irgendwie auf alles sich erstreckt; und einen, dessen Wissen gewissermaßen göttlich ist, sowohl weil es auf das Erhabenste und Göttlichste sich bezieht, als auch weil es ein Wissen von solchem ist, wovon in vollkommener Weise nur Gott ein Wissen zukommt. So ist denn die Weisheit eine. Nicht bloß im zweiten Kapitel des ersten Buches der Metaphysik, welches ich hier besonders berücksichtigt habe, auch im zehnten Kapitel des zwölften Buches erscheint sie als eine einzige, und auch die Nikomachische Ethik stellt sie als einheitliche der ebenso einheitlichen praktischen Klugheit (φρόνησις) gegenüber, um sie als die im Vergleich mit dieser vornehmere dianoetische Tugend darzutun. Allerdings hören wir Aristoteles an manchen Orten auch von einer ersten und zweiten Philosophie, von denen die eine auf die geistigen, die andere auf die körperlichen Wesen gehe, sprechen. Doch hier handelt es sich, streng genommen, nur um Teile, wie er denn gelegentlich auch noch engere Abgrenzungen macht, indem er z. B. die Astronomie als eine Philosophie, welche den mathematischen Wissenschaften vorzüglich nahe stehe, unterscheidet. Daß ein Wissen von der Natur, losgetrennt von dem Wissen, das sich auf die geistigen Wesen bezieht, noch den Charakter der Weisheit haben könne, ist dadurch aufs deutlichste ausgeschlossen, daß Aristoteles ausdrücklich lehrt, daß die geistigen Substanzen die Vorbedingungen aller, auch der ewigen körperlichen Substanzen seien, so zwar, daß, wenn jene nicht wären, gar nichts wäre.4

4

Met. E, 1. und Met. Λ, 6.

24

Aristoteles und seine Weltanschauung

Das Objekt der menschlichen Weisheit Es fragt sich nun vor allem, welches für uns das Objekt der Weisheit sei. – Würden wir so wie Gott alle Wahrheit von vornherein erkennen, so ist es klar, daß das erste Prinzip aller Dinge selbst das Objekt auch der menschlichen Weisheit sein würde. Nun aber ist das nicht der Fall. Und so werden wir denn etwas anderes als Objekt der Weisheit zu bezeichnen haben, und, da der Umkreis dessen, was von dem ersten Prinzip abhängt, allumfassend ist, so werden wir keinen anderen Begriff als den des Seienden im allgemeinen als den Begriff des Objektes der menschlichen Weisheit anzusehen haben. Doch hier ergibt sich eine Schwierigkeit, denn der Name des Seienden scheint nicht in einheitlichem Sinne gebraucht. Seiend nennt man alles, was ist, aber gerade dies bedeutet nicht in jedem Fall dasselbe. Wenn wir sagen, ein Mensch ist, eine Pflanze ist, so wird nach Aristoteles das Wörtchen „ist“ im eigentlichen Sinn gebraucht. Aber schon wenn wir sagen, ein Zweischuhiges ist, ein Tugendhaftes ist, würden wir uns nach ihm entsprechender ausdrücken, wenn wir sagten, ein Ding ist zweischuhig, ein Ding ist tugendhaft. Und dasselbe wird sichtlich, wenn wir sagen, ein Nichtmensch ist, wo wir nichts anderes sagen wollen, als irgendein Ding sei nicht Mensch. Wieder kommt es vor, daß wir, wenn einer fragt, ob ein rundes Viereck unmöglich sei, antworten: „So ist es“. Nichts offenbarer, als daß hier kein Ding anerkannt wird. Die Unmöglichkeit eines runden Vierecks ist nicht ein Ding, das außerhalb unseres Geistes bestände, aber wer ein rundes Viereck als unmöglich in Abrede stellt, urteilt richtig, und das ist, was ich mit meinem „so ist es“ ausdrücken wollte. Wenn wir von einem Körper, der die Kubusgestalt hat, sagen, er sei ein in Möglichkeit Rundes, weil es nicht unmöglich ist, ihn zur Kugel umzubilden, so weist auch hier Aristoteles darauf hin, daß man es mit einem sehr uneigentlichen Gebrauch des Wortes „Seiendes“ zu tun hat. Und auch wenn wir in abstrakten Ausdrücken von Würfelgestalt, Zweischuhigkeit u. dgl. sprechen, so bezeichnen wir nicht etwas, was in Wirklichkeit ist, und wir würden eigentlicher sprechen, wenn wir sagten, es sei etwas würfelförmig durch die Würfelgestalt und zweischuhig durch die Größe von zwei Schuh. So ist denn auch, wenn ich etwas Kaltes erwärme, nicht eine Wärme das, was entsteht, und eine Kälte das, was vergeht, sondern ein Warmes entsteht aus einem Kalten. Wenn zwei Menschen bestehen, so sagen wir vielleicht auch von beiden zusammen, es sei ein Paar Menschen, aber was ist dieses Paar? Gewiß doch nicht ein Seiendes im selben Sinn wie jeder einzelne dieser Menschen, so daß nun nicht zwei Dinge, sondern drei Dinge in gleich eigentlichem Sinn vorhanden wären. Zwei Dinge sind nie ein Ding, und umgekehrt ist darum

Das Objekt der menschlichen Weisheit

25

auch ein einheitliches Ding nicht mehrere Dinge.5 Und wenn z. B. ein Körper ein wahrhaft einheitlicher Körper ist, so sind darum die beiden Hälften zunächst nicht ebenso wirkliche Dinge wie der Körper, sondern sie können nur vielleicht zu wirklichen Dingen werden, wenn man den einheitlichen Körper in zwei zerteilt. Bis dahin sind sie nur, um einen schon gebrauchten Ausdruck zu wiederholen, in Möglichkeit seiend. Gerade dies zeigt dann aber auch recht deutlich, daß ein Ding, das hier ist, als Hierseiendes nicht so eigentlich ein Seiendes ist wie als Körper, wenn anders derselbe Körper bald hier, bald dort ist. Denn der Körper selbst ist ja ein Ding, und zwar jenes, das er war, ehe er hier war. Und dieses Ding steckt als Teil in dem Hierseienden. Da also der Teil ein wirkliches Ding ist, so kann das Ganze nicht selbst als ein einheitliches Ding betrachtet werden. Der Unterschied dieses Falles von dem früher besprochenen eines Paares von Menschen ist nur der, daß von den beiden Menschen jeder für sich sein konnte, hier aber nur der eine Teil; denn der Körper bleibt, ob er hier ist oder nicht hier ist, derselbe Körper, während das, was noch hinzukommt, nicht ein zweites Ding für sich ist, das auch getrennt von diesem Körper bestehen könnte. Entfernt sich der Körper und tritt ein anderer an seine Stelle, so haben wir nicht individuell dasselbe Hierseiende. Man sieht daraus, meint Aristoteles, recht deutlich, daß, wenn man von Hiersein redet, man nicht im selben Sinne von einem Sein redet, wie wenn man von einem Körpersein redet. Auch wenn einer ein musikalischer Grammatiker ist, kann es sich bei diesem Kompositum nicht bloß darum nicht um ein Seiendes im eigentlichen Sinne handeln, weil wir es mit Eigenschaften zu tun haben, die einem Dinge anhaften, einem Menschen nämlich, der, was er ist, schon war, ehe er sie erlangte, sondern auch weil ihnen die Einheit fehlt, indem sie nichts anderes als das zufällige Zusammentreffen in demselben Subjekt miteinander gemein haben. Dieser Musikalische ist, wie Aristoteles sich ausdrückt, ϰατὰ συμβεβηϰός (vermöge eines Mitzukommenden) ein Grammatiker und umgekehrt. Und auch das Ganze ist ein ὂν ϰατὰ συμβεβηϰός, nicht ein an sich, nicht ein als solches Seiendes (ὂν ϰαθ’ αὑτό). So ist denn das „Seiende“ vieldeutig. Im eigentlichen Sinn ist es ein wirkliches Wesen wie Mensch, Pflanze, eine wirkliche Substanz. Dagegen zeigen die anderen für die Anwendung des Namens „Seiendes“ angeführten Beispiele einen Gebrauch im uneigentlichen Sinn. Wenn wir nun sagen, das Objekt der Weisheit sei das Seiende als Seiendes, so ist selbstverständlich der Ausdruck in einer seiner vielen Bedeutungen zu nehmen. Wenn aber dies, so scheint vieles zu bleiben, was außerhalb ihres Bereiches fällt, und da auch dieses eine 5

Ein für die ganze aristotelische Philosophie höchst bedeutungsvoller Ausspruch. Met. Z, 13. p. 1039 a 3 vgl. auch Phys. VI, 5. p. 250 a 24.

26

Aristoteles und seine Weltanschauung

Rückführung auf seinen ersten Grund verlangt, so scheint der Umstand, daß dieser hier und dort dasselbe unmittelbar notwendige Wesen ist, nicht zu verhindern, daß die Aufgabe der Rückführung einer anderen Wissenschaft zufällt. Denn zur Einheit der Wissenschaft gehört nicht bloß eine Gemeinsamkeit der Prinzipien, sondern auch eine begriffliche Einheit des Objektes. Im Gegensatz zu der Einheit der göttlichen Weisheit hätten wir darum, wo es sich um menschliche Weisheit handelt, eine Vielheit zu unterscheiden. Doch wenn der Name des Seienden nicht eindeutig ist, so gleicht seine Vieldeutigkeit nicht der von Worten, mit welchen sich ganz zufällig mehrere Bedeutungen verbunden finden. Es gibt andere Fälle, von metaphorischem Gebrauch, für welchen teils die Analogie, teils eine enge Verbindung mit dem, was im eigentlichen Sinne den Namen trägt, maßgebend ist. So nennen wir gesund nicht bloß einen Menschen, der die Gesundheit hat, sondern auch eine Speise, eine Arznei, eine Gesichtsfarbe; die eine, weil sie zur Erhaltung oder Herstellung der Gesundheit dient, die andere, weil sie davon ein Zeichen ist. Zu diesen Fällen gehört nun auch der Fall der Vieldeutigkeit des Seienden; so vielfach die Bedeutungen sind, so stehen sie doch alle zu einer in Beziehung, und entfiele das, dem der Name in diesem Sinne zukommt, so würde auch alles, dem er in anderem Sinne zukommt, entfallen. Jede Wissenschaft geht zwar nur auf eine Gattung von Objekten, stellt aber für diese alles das, was ihr als solcher zukommt, fest. Und so wird denn auch die Weisheit, wenn sie das Seiende im eigentlichen Sinne zum Objekt hat, alles im uneigentlichen Sinne seiend Genannte einheitlich mit umfassen.

Verdeutlichung der Termini Der Geometer beginnt seine wissenschaftliche Darlegung mit der Erklärung gewisser Termini und der Aufhellung gewisser Sätze, die als sichere Wahrheiten vorausgesetzt werden. Auch für den Philosophen ist das eine wie andere Bedürfnis, und Aristoteles unterläßt nicht, dem Rechnung zu tragen. Der Erklärung von Terminis ist das ganze fünfte Buch der Metaphysik gewidmet, ob es auch in der Unvollständigkeit, mit welcher es die Aufgabe löst, ein recht sichtlicher Beleg dafür ist, wie wenig Aristoteles jemals zu einer vollendeten Ausarbeitung des beabsichtigten metaphysischen Werkes gelangt ist. Dabei zeigt sich zwischen der Weise, wie die Geometer, und der, wie Aristoteles verfährt, ein auffallender Unterschied. Während nämlich die Geometer der Deutlichkeit wegen es vermeiden, einen Ausdruck in mehrfachem Sinne zu gebrauchen, findet sich Aristoteles, wie er meint, außerstande, dies zu tun. Er

Unmittelbare Erkenntnisse

27

hätte zu sehr von der gemeinüblichen Sprache sich entfernen, zu viele Termini neu prägen und damit das Gedächtnis belasten müssen. Und so sucht er den Nachteil dadurch nach Möglichkeit auszugleichen, daß er von den mit einem Wort verbundenen vielfachen Bedeutungen eine Zusammenstellung macht und jede gegenüber der anderen genau präzisiert. Wir versagen es uns auf die betreffenden Erörterungen näher einzugehen, um unsere Aufmerksamkeit sogleich dem, was er von den grundlegenden Wahrheiten sagt, zuzuwenden.

Unmittelbare Erkenntnisse Wenn wir die der Natur nach erste Wahrheit nicht unmittelbar erkennen, sind wir dann wenigstens in unmittelbarem Besitze irgendwelcher anderer Wahrheiten? und welcher Art sind diese? Jede Wissenschaft setzt solche voraus; keine andere aber als die erste beschäftigt sich damit, ihren allgemeinen Charakter festzustellen und ihre Sicherheit gegen skeptische Angriffe zu verteidigen.

Zwei Klassen unmittelbar evidenter Wahrheiten, von denen die erste die der unmittelbar evidenten Tatsachen ist Wir besitzen nun wirklich unmittelbar sichere Erkenntnisse, und sie sind von doppelter Art: erstens unmittelbar evidente Tatsachen (Wahrnehmungen), zweitens allgemeine Urteile, die etwas von vornherein als unmöglich verwerfen. Die ersteren sind uns gegeben, so oft wir empfindend oder denkend tätig sind, indem wir in der psychischen Tätigkeit, worauf auch immer in erster Linie sie sich richte, stets nebenher eine untrügliche Wahrnehmung unserer selbst als psychisch Tätiger haben. Indem wir z. B. etwas Farbiges sehen, nehmen wir in dem Akte des Sehens selbst zugleich wahr, daß wir es sehen. Und nicht bloß dies geschieht, sondern wir unterscheiden auch, indem wir eine mehrfache psychische Tätigkeit üben, mit Evidenz die eine von der anderen, sowohl in anderen Beziehungen, als ihrem Objekte nach. So z. B. bemerken wir, wenn wir zugleich sehen und hören, daß das Sehen, indem es auf eine Farbe, nicht auf einen Ton, das Hören, indem es auf einen Ton, nicht auf eine Farbe gerichtet ist; und, wenn wir urteilend etwas anerkennen und etwas verwerfen, daß wir uns zu dem einen und anderen in entgegengesetzter Weise verhalten. Hinsichtlich der primären Objekte dagegen haben wir, was ihren

28

Aristoteles und seine Weltanschauung

wirklichen Bestand angeht, keine unmittelbare Evidenz. Wir mögen eine noch so starke Gesichtsempfindung haben, wir können darum nicht unmittelbar sicher sein, daß das Farbige, wie es uns erscheint, in Wirklichkeit bestehe. Und ebenso bürgt keine auch noch so lebhafte Erinnerung mit unmittelbarer Evidenz für die Wahrheit dessen, woran wir uns erinnern; nur die jetzt gegebene Tätigkeit des Erinnerns ist Gegenstand jener sekundären Wahrnehmung, von der wir sagten, daß ihr eine untrügliche Evidenz zukomme. Was die Verlässigkeit anlangt, welche Aristoteles auch in bezug auf die Außenwelt unseren Wahrnehmungen zuzuschreiben pflegt, so muß man sich wohl hüten, seine Worte zu mißdeuten. Wir hören ihn von einem Dreifachen, was wahrgenommen werde, sprechen. Das eine nennt er das ,,eigentümliche Wahrnehmbare“ (ἴδιον αἰσϑητόν), weil seine Wahrnehmung auf einen Sinn beschränkt ist, wie z. B. Farbe oder Ton; das andere das „gemeinsame Wahrnehmbare“ (ϰοινὸν αἰσϑητόν), weil wir es durch mehrere Sinne, ja durch alle wahrnehmen, wie z. B. Bewegung und Ruhe. Das dritte Wahrnehmbare ist ein solches, was uns die Wahrnehmung eigentlich nicht selbst zeigt, was wir aber auf Grund früherer Erfahrungen damit verbunden glauben, wie z. B. wenn ich sage: ich sehe den Sohn des Diares. Aristoteles nennt es „αἰσϑητὸν ϰατὰ συμβεβηϰός“. Von den beiden letzteren Arten der Wahrnehmung sagt nun Aristoteles, daß sie sehr häufig täuschten, und namentlich bei der zweiten Klasse sei dies der Fall. In der Tat scheint, wenn wir selbst bewegt sind, das Ruhende bewegt und ein Bewegtes vielleicht ruhend, und je nach der Entfernung und Lage zu uns erscheint etwas in anderer Größe und Gestalt. Dagegen sei die Sinneswahrnehmung in bezug auf das eigentümliche Wahrnehmbare immer verlässig. So könnte man denn meinen, Aristoteles habe auch der äußeren Sinneswahrnehmung, wenn auch mit gewisser Restriktion, eine unmittelbare Evidenz zugeschrieben. Freilich wäre diese unmittelbare Evidenz etwas sehr Merkwürdiges, denn, da uns in derselben Empfindung etwas als rotfarbig, irgendwie ausgedehnt und ruhend oder bewegt erscheint, so wären Evidenz und Nichtevidenz in innigster Weise verbunden. Und so hören wir ihn denn auch anderwärts in bezug auf das eigentümliche Wahrnehmbare nicht von einer allgemeinen, sondern nur der Allgemeinheit sich nähernden Wahrheit des Sinneseindrucks sprechen. Bei gesundem Sinnesorgan und bei einer passenden Entfernung sowie sonstigen normalen Bedingungen soll das eigentümliche Wahrnehmbare richtig wahrgenommen werden. Da alle diese Bedingungen nun doch nicht selbstverständlich erfüllt sind, so zeigt sich deutlich genug, daß er bei der Wahrheit, die er der Wahrnehmung in bezug auf das eigentümliche sinnlich Wahrnehmbare zuschreibt, an keine unmittelbare Evidenz gedacht haben kann. Völlig deutlich wird uns aber seine wahre Meinung, wenn wir ihn

Die unmittelbar evidenten Tatsachen

29

an verschiedenen Stellen und namentlich in der Schrift über die Empfindung und das Empfundene erklären hören, daß, wenn es kein Sehendes gäbe, keine Farbe einem Körper wirklich zukommen würde; bestehe doch sein Farbigsein in nichts anderem als darin, daß er die Empfindung von etwas Farbigem in uns errege oder sie zu erregen vermöge. Nur wenn er sie errege, sei er in Wirklichkeit, sonst in bloßer Möglichkeit farbig. Und ähnlich sei etwas, was wir als süß oder bitter oder warm empfinden, nur wenn wir es empfinden, wirklich süß und bitter und warm. Die Dinge draußen sind also unseren primären sinnlichen Phänomenen in bezug auf das eigentümliche Sinnesobjekt gar nicht ähnlich. Und wenn wir das, was wir sehen, wie es uns erscheint, als Eigenschaft einem Außendinge zuschreiben würden, so würden wir gerade in bezug auf das eigentümliche Wahrnehmbare am vollständigsten im Irrtum sein. Denn daß es in Wirklichkeit ausgedehnte, irgendwie gestaltlich begrenzte, ruhende und bewegte Körper gebe, wenn auch nicht gerade einen, der meiner Sinneswahrnehmung in allen Stücken genau entspricht, hat, wie wir sehen werden, Aristoteles nicht geleugnet. Und wir finden darum, wenn wir das, was er über den Unterschied des eigentümlichen und gemeinsamen Wahrnehmbaren lehrt, mit der Lehre von Descartes und Locke in bezug auf die sekundären und primären Qualitäten vergleichen, eine volle Übereinstimmung. Die von ihm behauptete Wahrheit der Sinneswahrnehmung in bezug auf das eigentümliche Wahrnehmbare läuft auf nichts anderes hinaus, als daß er in der Sinneserscheinung hinsichtlich dieses Momentes ein wie auch immer ganz unähnliches, doch unter normalen Umständen konstantes Zeichen für etwas außer uns Bestehendes zu besitzen glaubt. Man sieht also, daß man Aristoteles gänzlich mißdeutet, wenn man ihn auch der äußeren Sinneswahrnehmung, wenigstens in bezug auf das eigentümliche Sinnesobjekt, eine unmittelbare Evidenz zuschreiben läßt. Nichts sicherer, als daß er eine solche nur der inneren Wahrnehmung und Unterscheidung zuerkennt.6

6

Außer der Schrift De Sens. et Sensib. ist auch noch zu vergleichen Met. Γ, 5. p. 1010 b 19 u. 30, wo Aristoteles sich bei der Verteidigung gegen die Skeptiker auf das Gebiet der inneren Wahrnehmung zurückzieht, und auch De Part. An., wo er das Wärmere im Sinne dessen, was wir als wärmer empfinden, von dem, was wärmer ist, weil es anderen Körpern mehr Wärme mitteilt, und dem, was eine größere natürliche Wärme hat, unterscheidet, und De Coelo, wo er von den Gestirnen, welche nach ihm Wärme geben sollen, ohne warm zu sein, und von der Beziehung der Wärme zu gewissen bei der Reibung gegebenen Bewegungen handelt.

30

Aristoteles und seine Weltanschauung

Axiome Zu diesen unmittelbar evidenten Wahrnehmungen kommen nun aber auch, wie gesagt, unmittelbar evidente negative Urteile, die etwas nicht bloß als tatsächlich falsch, sondern als schlechterdings unmöglich verwerfen. Ein solches ist der Satz des Widerspruches in seiner allgemeinsten Fassung, in der er also lautet: es ist unmöglich, daß ein und dasselbe zugleich ein und demselben, in ein und derselben Beziehung (und was sonst noch beizufügen ist zum Ausschluß sophistischer Nörgeleien, sei auch noch hinzugedacht) zukommt und nicht zukommt. Man hat neuerdings behauptet, Aristoteles glaube, daß dieser Satz durch Erfahrung und Induktion gewonnen sei. Doch das vierte Buch der Metaphysik sagt aufs deutlichste, daß er unmittelbar von jedem eingesehen werde, und die Nikomachische Ethik lehrt von den mathematischen Axiomen, daß sie unabhängig von der Erfahrung feststehen, und erklärt daraus, warum junge Leute, die infolge mangelnder Erfahrung zu physikalischen Erkenntnissen, nicht ebenso zu mathematischen unvermögend sind. Sie alle sollen an dem Charakter des Satzes des Widerspruches partizipieren, indem sie nur in einem speziellen Fall etwas als sich selbst widersprechend verwerfen. Dies gilt auf arithmetischem und geometrischem Gebiet gleichmäßig. Wir sehen, Aristoteles teilt nicht das Bedenken von Kant, daß der Satz: keine Linie kann kürzer sein als die gerade, nicht ein Fall des Satzes des Widerspruches sein könne, weil das Merkmal „gerade“ nicht ebenso wie das Merkmal „kurz“ die Größe der Linie betreffe. Wenn die Größe nicht eine Gestalt, und die Gestalt nicht eine Größe ist, so sind die beiden Begriffe doch innigst miteinander verbunden; sonst könnte ja nicht einmal der Satz: es gibt unmöglich einen Kreis, der keine Größe hat, als Fall des Satzes des Widerspruchs einleuchten. Es ist interessant, daß Aristoteles einmal im besonderen auch auf die in neuerer Zeit viel erörterte Frage von den Parallellinien zu sprechen kommt, die sichtlich auch zu seiner Zeit schon Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte. Und auch hier steht es ihm fest, daß derjenige dem Widerspruch verfällt, welcher die Möglichkeit von geraden Linien, die in gleicher Entfernung nebeneinander fortlaufen, bestreitet. Es handelt sich also hier nicht um einen einzigen uns von vornherein einleuchtenden, angeborenen Satz, sondern um eine ins Unendliche gehende Menge von Sätzen, die, sobald ein Widerspruch zwischen Terminis bemerkt wird, mit derselben Evidenz wie der allgemein gefaßte Satz des Widerspruchs als wahr erkannt werden. Daß der Satz des ausgeschlossenen Dritten dazu gehört, hebt Aristoteles selbst hervor. Und in der Tat, wenn etwas zugleich weder A wäre, noch nicht

Axiome

31

A wäre, so wäre es Nicht-A und nicht Nicht-A zugleich. Auch der Satz, daß ein Korrelativ nicht ohne das andere sein kann, also z. B. ein Größeres nicht ohne Kleineres und eine Wirkung nicht ohne Ursache, ist ebenfalls nach ihm ein Satz, der den Charakter des Kontradiktionsgesetzes trägt. Freilich ist das eine Korrelativ nicht das andere, aber wie Figur und Größe, ohne dasselbe zu sein, doch im Denken zusammengehören, so ist es sichtlich, daß Korrelativ mit Korrelativ im Denken und, wie im Denken, auch in der Wirklichkeit unlöslich verbunden ist. Auch den Satz, den Leibniz als principium indiscernibilium aufgestellt hat, kennt Aristoteles und stimmt auch darin mit Leibniz überein, daß er ihn als einen Fall des Satzes des Widerspruches betrachtet. Gänzlich unterschiedslos und doch auch nicht dasselbe sein, widerspricht. Auch der Subjektivismus, welcher lehrt, es könne, was für den einen wahr, zugleich für einen anderen falsch sein, erscheint mit der Evidenz des Kontradiktionsgesetzes als von vornherein verwerflich. Die Wahrheit besteht ja in der Übereinstimmung mit dem, was ist, und so müßte dasselbe sein und nicht sein, wenn entgegengesetzt Urteilende beide im Recht wären. Bei einer so reichen Fülle von a priori einleuchtenden Sätzen, die Aristoteles mit dem Satz des Widerspruchs in Verbindung bringt, haben manche sich gewundert, nicht auch dem sogenannten Satze der Identität zu begegnen, welchen man jetzt in der Formel „A ist A“ auszudrücken liebt. Allein diese Formel ist zweideutig. Entweder sagt sie so viel wie „es gibt kein A, welches nicht A ist“; dann haben wir einen negativen Satz, der wahrhaft einleuchtend ist, aber mit dem Satz des Widerspruchs selbst zusammenfällt. Oder sie wird in positivem Sinne genommen; dann aber ist der Satz in seiner Allgemeinheit keineswegs von vornherein einleuchtend, da z. B. ein Pferd nur so lange Pferd ist, als es ist. Es müßte also von vornherein einleuchten, daß irgendein Pferd ist, damit es von vornherein einleuchten könnte, daß irgendein Pferd Pferd ist. Ein wichtiger Satz, den Aristoteles als einen Fall des Kontradiktionsgesetzes begreift, ist der, daß es in Wirklichkeit kein Allgemeines außer den ihm entsprechenden Einzeldingen geben könne, also z. B. nicht außer den einzelnen Löwen einen Löwen an sich, wie ihn Platon gelehrt hatte. In der Tat, was wäre unter einem solchen Löwen im allgemeinen zu verstehen, wenn nicht etwas, dem alles das zukäme, was von allen Löwen gilt, nichts aber von dem, was dem einen im Unterschied vom anderen zukommt? Aber gerade das ist allen einzelnen Löwen gemeinsam, daß sie einzelne Löwen sind. Und somit wäre der allgemeine Löwe vielmehr selbst zugleich nur ein einzelner Löwe. Und so müßte er auch an irgendeinem Ort sein, fressen und trinken und einem Stoffwechsel unterliegen, weil dies ja allen gemeinsam eigen ist.

32

Aristoteles und seine Weltanschauung

Wieder ein wichtiger Satz, dem wir schon früher einmal begegnet sind, ist der, daß ein wirkliches Ding nicht zugleich viele wirkliche Dinge sein könne. Auch diesen Satz hat Aristoteles mit Leibniz gemein; während er aber diesen zu seiner Monadologie führt, will Aristoteles wohl eine einheitliche, ausgedehnte Substanz, die teilbar ist, gelten lassen, aber von den Hälften, in die sie zerfällt, soll keine vorher ein Ding in Wirklichkeit, sondern nur in Möglichkeit gewesen sein, wie umgekehrt die Mehrheit von ausgedehnten Substanzen, in welche die eine, einheitliche zerfallen ist, nicht anders als der bloßen Möglichkeit nach ein Ding zu nennen wäre.7 Auch daß es eine in Wirklichkeit unendliche Zahl von Dingen gebe, hält Aristoteles als sich selbst widersprechend für ausgeschlossen. Nur eine ins Unendliche wachsende Menge von Dingen ist nach ihm möglich; wie denn auch kein Widerspruch darin läge, wenn ein Körper endlos in kleinere und kleinere Teile zerteilt würde, während die Annahme einer wirklich vollzogenen unendlichfachen Teilung in unendlich kleine Teile widerspricht. Wie der Begriff einer unendlichen Zahl von wirklichen Dingen, so ist auch der eines einheitlichen grenzenlos ausgedehnten, wirklichen Körpers von vorherein als sich selbst widersprechend zu verwerfen. Dagegen müht er sich viel, die berühmten Zenonischen Argumente, welche jeden Gedanken einer Bewegung als widersprechend dartun wollen, zu entkräften. Wie verdienstlich es aber auch war, hierbei an die Unterschiede der Teleiose bei ruhigem Verweilen und Durchlaufen eines Ortes und an die Unterschiede der Plerose, je nachdem ein Grenzpunkt nach einer oder mehreren Richtungen Grenze ist, gerührt zu haben, zu einer fehlerfreien, voll befriedigenden Lösung der Schwierigkeiten ist er wohl nicht gekommen. 7

Wenn es absurd ist, mit Leibniz das Kontinuum als eine unendliche Vielheit wirklicher Punkte zu fassen, so geht es doch auch nicht an, mit Aristoteles bei einem wirklich einheitlichen Kontinuum einen Teil seiner Wirklichkeit nach einfach dadurch wechseln zu lassen, daß der andere entfällt. Recht deutlich sieht man dies an den Konsequenzen, die sich für ein einheitliches Zeitkontinuum ergeben würden. Auf die erste Hälfte eines Verlaufes kann der Unterschied von Fortsetzung oder verfrühtem Ende durch Entfall der zweiten Hälfte unmöglich einen Einfluß üben. Kaum minder befremdlich aber würde es sein, wenn einer bei einem einheitlichen, Millionen von Meilen sich erstreckenden, räumlichen Kontinuum mit dem Entfall eines, eine Kubiklinie großen Teils an der einen Grenze einen solchen Einfluß für die entfernteren Teile an der anderen unmittelbar gegeben glaubte. So sind denn hier Aristoteles und Leibniz gleichmäßig im Irrtum. Doch sei dies hier nur eben erwähnt. Die Darlegung der Weise, wie man über das Kontinuum, wenn man es von jedem Widerspruche freihalten will, zu denken habe, würde hier viel zu weit führen.

Axiome

33

Auch bei dem Streben, alle von vornherein einleuchtenden Sätze als Fälle des Kontradiktionsgesetzes zu begreifen, ist er wohl sicher zu weit gegangen, wenn er die sämtlichen Sätze von positiver Opposition einfach dem Satz des Widerspruchs zu subsumieren sucht. Er stützt sich dabei auf den Gedanken, daß wie bei laut und leise, so auch bei hell und dunkel und in allen anderen Fällen positiver Opposition das eine weniger positiv sei als das andere; was vielleicht selbst für schwarz und weiß und sichtlicher noch für zwei gesättigte Farben, wie z. B. ein gleich helles Violett und Grün, nicht richtig ist. Aber auch hier finden wir später Leibniz demselben Fehler verfallen. Immerhin bleibt Aristoteles das nachzurühmen, daß ihm die unmittelbare Evidenz der Sätze von positiver Opposition so wenig als die der Sätze von kontradiktorischer entgangen ist. Auch den Satz, daß nicht zwei Dinge zugleich denselben Raum einnehmen können, hält er für von vornherein sicher und muß ihn darum als einen Fall des Kontradiktionsgesetzes gedacht haben, während es schwer zu verstehen ist, wie er von seinem Standpunkte aus auch nur als ein Fall positiver Opposition zu begreifen sein soll. Hält er doch die Ortsbestimmtheit für ein Akzidens des betreffenden Körpers, und wie sollte ein Akzidens, das in dem einen Körper ist, ein gleiches Akzidens, das in dem anderen Körper ist, durch positive Opposition unmöglich machen? Der Gedanke, das alles, was unmöglich ist, vermöge einer Kontradiktion unmöglich sei, steht Aristoteles so fest, daß er, wie er die mathematischen Axiome sämtlich für Fälle des Kontradiktionsgesetzes hält, nicht bezweifelt, daß auch die Naturgesetze, die wir nur etwa durch Induktion feststellen, sicher uns nur darum nicht von vornherein auf Grund des Satzes des Widerspruchs einleuchten, weil wir die eigentliche Natur der Dinge nicht anschaulich zu erfassen vermögen. Sonst würden uns die induktiv konstatierten Eigentümlichkeiten so notwendig mit dieser Natur verknüpft erscheinen wie mit dem Begriff des Dreiecks die Eigentümlichkeit, daß es zur Winkelsumme 2 R hat. Auch hier volle Übereinstimmung mit dem, was Leibniz in neuerer Zeit gelehrt hat. Auch die Gesetze über das, was um seiner selbst willen als gut und besser zu betrachten ist, können nach Aristoteles nur Fälle des Kontradiktionsgesetzes sein; natürlich aber wieder auf Grund von gewissen Anschauungen und Begriffen, zu denen wir durch Wahrnehmung gelangen. Auch auf dem Gebiet des Begehrens gibt es nach Aristoteles ein Richtig und Unrichtig, und die Richtigkeit eines Begehrens macht sich in gewissen Fällen als ein ihm eigentümlicher Zug bemerklich. Und wenn ein Begehren von etwas um seiner selbst willen ohne weitere Bedingung richtig ist, so kann es nicht anders als allgemein richtig sein. Das betreffende Begehrte ist liebwürdig und gut. Es wäre ein Widerspruch, wenn es jemals nicht so wäre. Und ähnlich kommt es

34

Aristoteles und seine Weltanschauung

zu Erkenntnissen von einem mehr und minder Guten, wofür Aristoteles in der Topik und Rhetorik mancherlei Gesetze ausgesprochen hat, die er bei seinen erhabensten Untersuchungen in entscheidender Weise zur Anwendung bringt. Aristoteles spricht aufs klarste das allgemeine Kausalgesetz aus. Wo die sämtlichen Bedingungen, welche ein Ereignis ermöglichen, gegeben sind, da tritt dieses Ereignis ausnahmslos sofort ein.8 Ja, er kennt auch den Leibnizschen Satz der ratio sufficiens in seinem doppelten Sinne. Auch hier muß die Notwendigkeit im tiefsten Grunde in einem Kontradiktionsgesetze wurzeln. Eine andere Frage aber ist die, ob er uns als notwendig von vornherein einleuchtet oder ob wir wegen Mangels der dazu erforderlichen Anschauungen vielmehr auf den Weg der empirischen Bewährung verwiesen sind. Wir werden später darauf zurückkommen, wie wir denn auch Aristoteles’ Begriff der wirkenden Ursache uns noch etwas zu verdeutlichen haben werden. Noch einige Bemerkungen zu der Lehre des Aristoteles von den unmittelbar als notwendig einleuchtenden Wahrheiten scheinen nötig. Da sie alle den Charakter des Kontradiktionsgesetzes tragen sollen, so erscheinen sie den Sätzen verwandt, welche Kant als analytische Urteile a priori bezeichnet hat. Doch sollte es nach Kant auch affirmative Urteile a priori geben. Ja, diese vor allem entsprechen seinem Gedanken, daß beim analytischen Urteil das Prädikat im Subjektsbegriff enthalten sei; gerade darin soll nach ihm die Erklärung für die Möglichkeit ihrer apriorischen Evidenz liegen. Da ist es nun interessant zu sehen, wie wenig diese Erklärung genügt, indem, wie Aristoteles mit Recht erkannt hat, der Satz „A ist A“, im affirmativen Sinne genommen, gar nicht von vornherein als allgemeine Wahrheit ausgesprochen werden kann. Aber auch noch etwas anderes ist bei der Lehre, daß nur negative Urteile von vornherein als notwendig wahr einleuchten, nicht mit Stillschweigen zu übergehen. Es ergibt sich nämlich daraufhin als notwendige Folgerung, daß, wenn uns nur einzelne positive Tatsachen gegeben sind, um sie neben den allgemeinen negativen Sätzen bei einem Schlußverfahren als Voraussetzungen zu benützen, wir überhaupt nie allgemein und nie affirmativ schließen könnten, wenn nicht die Regeln des Schlußverfahrens wesentlich andere wären, als Aristoteles sie in seiner Syllogistik dargelegt hat. Endlich sei auch noch des Tadels gedacht, den Kant über die aristotelische Fassung des Kontradiktionsgesetzes ausspricht, nämlich daß sie durch Aufnahme der Bestimmung „zugleich“ das Gesetz restringiere, indem sie es nur auf das, was in der Zeit ist, einschränke. Gerade für den aristotelischen Standpunkt erscheint dieser Vorwurf wohl berechtigt; denn nicht alles, was 8

Eth. Nic. X, 4.

Mittelbare Erkenntnisse

35

ist, soll nach Aristoteles in der Zeit sein. Aber bei einer richtigeren Auffassung der Zeit, als er sowohl als Kant sie gehabt haben, erweist sich vielleicht das Gegenteil als wahr, und die Einfügung des „zugleich“ erscheint dann vielmehr als eine Entschränkung, indem es andeutet, daß der Satz nicht bloß für das, was ist, und mit dem Temporalmodus der Gegenwart, sondern auch für das, was mit einem beliebigen Temporalmodus der Vergangenheit oder Zukunft vorgestellt wird, Geltung hat.

Mittelbare Erkenntnisse Wenden wir uns nun zu seiner Lehre von den mittelbaren Erkenntnissen. Wir gewinnen sie teils durch Syllogismen, teils durch Induktion und Analogie. Von dem Syllogismus sei hier nur gesagt, daß Aristoteles darunter ein Verfahren versteht, durch welches auf Grund zweier sicherer Urteile ein drittes festgestellt wird, dessen Leugnung mit der Annahme der Prämissen in Widerspruch stehen würde. Hier zeigt sich, daß die heute so verbreitete Behauptung, ein solches Verfahren könne zu keiner Erweiterung der Erkenntnis führen, schon im Altertum aufgetreten war. Schon damals hatte man gesagt, die Leugnung des Schlußsatzes könne nur dann mit der Annahme der Prämissen im Widerspruch stehen, wenn, was jener sage, in diesen ebenfalls enthalten sei. Dann aber erscheine er nicht als ein wahrer Zuwachs der Erkenntnis. Doch wir sehen auch, wie Aristoteles, der in der Überzeugung von der Fruchtbarkeit des Syllogismus mit Leibniz übereinstimmt, sie treffend mit dem kurzen Wort widerlegt, daß der Widerspruch zwischen dem Schlußsatz, und den beiden Prämissen vereinigt, nicht ebenso zwischen ihm und je einer der Prämissen bestehe. So war denn, was der Schlußsatz sagt, weder in dem einen noch anderen Urteil und somit noch gar nicht geurteilt und erkannt worden. Was die Induktion anlangt, so erkennt Aristoteles wohl, daß ihre Beweiskraft geringer ist als die des Syllogismus. Ja, er stellt das Verfahren der Induktion per enumerationem simplicem als einen allgemeinen Schluß in der dritten Figur dar, in welcher doch nach ihm nur partikulär zu schließen erlaubt ist. Hienach müßte man also konsequent alle solche Schlüsse als regelwidrig verwerfen, und es scheint geradezu befremdend, daß Aristoteles es nicht tut. Er schreibt dem Induktionsschluß durch enumeratio simplex eine mit der Zahl der Fälle wachsende Wahrscheinlichkeit zu, und es leitet ihn dabei der Gedanke: „mit der Wahrheit ist alles im Einklang; dem Falschen aber widerspricht alsbald das Wahre“. Das „alsbald“ ist ein sehr verschwommener Ausdruck, und Aristoteles hat sich sogar getäuscht, wenn er auf Grund des Zeugnisses, daß

36

Aristoteles und seine Weltanschauung

seit Menschengedenken Sonne und Mond und der Fixsternhimmel dieselbe Regelmäßigkeit der Bewegung gezeigt hätten, auf die Notwendigkeit dieser gleichförmigen Bewegung, mit deren Annahme so lange wiederholte Beobachtungen nicht im Widerspruch standen, schloß. So hat ihn das übergroße Vertrauen auf die Induktion durch einfache Aufzählung ausnahmslos gleichförmiger Vorkommnisse noch gar vielfach getäuscht. In den zweiten Analytiken verweilt er da und dort beispielsweise bei einem Induktions- oder Analogieschluß, der berechtigter ist, wie bei dem Schluß von den Phasen des Mondes auf seine Kugelgestalt; und auch ihm dürfte das, was dem Schlusse hier eine so außerordentlich hohe Wahrscheinlichkeit gibt, denselben eindrucksvoller gemacht haben. Aber zu einer vollen Verdeutlichung durch logische Analyse ist es dabei nicht gekommen. Gewiß war es einer viel späteren Zeit vorbehalten, mit der Ausbildung der Wahrscheinlichkeitsrechnung in die Lehre von dem Maß des berechtigten Vertrauens auf Induktion und Analogie das volle Licht zu bringen, wenn dies dann auch das Urteil des sogenannten gesunden Menschenverstandes, welches der mathematischen Analyse vorausgegangen war, vielfach bestätigt hat.

Ursprung der Ideen Da nach Aristoteles alle apriorischen Prinzipien der Erkenntnis den Charakter des Satzes des Widerspruchs tragen, so fällt es ihm natürlich nicht ein, nach Grenzen, innerhalb deren sie Gültigkeit haben, zu fragen. Dagegen können sie nicht angewandt, ja gar nicht gedacht werden, wenn die betreffenden Begriffe nicht gegeben sind. Und wir haben Begriffe nur, insoweit wir sie aus den Wahrnehmungen schöpfen. Denn, daß uns einer angeboren wäre, wie Platon geglaubt hat, ist nicht richtig. Und so entfällt denn für den von Geburt an Blinden auch die Möglichkeit des Begriffs der Farbe und aller Axiome, denen Farbenbegriffe zugrunde liegen. Ähnlich ist überhaupt unser Wahrnehmungsvermögen für die Grenzen der uns möglichen Erkenntnis von wesentlicher Bedeutung, und es gilt der Satz, daß nichts im Verstande ist, was nicht irgendwie der Wahrnehmung entstammt. Wollen wir eine Übersicht der elementaren Begriffe gewinnen, welche uns als Baumaterial bei allen unseren Gedankenkonstruktionen dienen, so haben wir darum auf ihren Ursprung aus den Wahrnehmungen zu achten. Aristoteles erkennt dies sehr wohl, und wir finden auch bei ihm die ersten Keime jener Untersuchungen, mit welchen sich in neuerer Zeit Locke und Leibniz so eingehend beschäftigt haben; doch ist er zu einer ähnlich sorgfältigen Behandlung der Frage nicht gekommen. Wohl finden wir ihn in

Ursprung der Ideen

37

den Büchern von der Seele Ideen unterscheiden, welche uns durch einen Sinn allein, und andere, welche uns durch alle Sinne gemeinsam vermittelt werden, und es ist deutlich, daß er dabei an die primären Objekte der Empfindung denkt, also an solches, was nach Locke nicht zu der Reflexion, sondern Sensation gehören würde. Daß er uns aber auch in der inneren Wahrnehmung begriffliche Elemente finden läßt, welche, zu den vorgenannten hinzukommend, das Bereich unserer Begriffselemente wesentlich erweitern, ist außer Zweifel. In den Büchern von der Seele hat er von dem durch die Sinne gemeinsam uns Gegebenen drei Paare von Klassen unterschieden, von welchen je eines einer der mathematischen Disziplinen entspricht: Arithmetik, Geometrie, welche sich auf das Räumliche beschränkt, und eine dritte Meßkunst, welche mit dem Räumlichen auch noch die zeitliche Kontinuität berücksichtigt; Einheit und Vielheit, Raumgröße und Figur und Ruhe und Bewegung. In der Nikomachischen Ethik9 bemerkt er aber, daß es noch andere gemeinsame Wahrnehmbare gebe außer jenen mathematischen Elementen. Und er deutet hier auf solches hin, was dem Gebiet, das Locke später als das Gebiet der Reflexion bezeichnet hat, angehört. So findet sich hier noch manches andere Interessante und Anregende, worauf wir nur im allgemeinen aufmerksam machen können. Nur einige wenige Bemerkungen können wir uns nicht ersparen. So denn vor allem die, daß man irren würde, wenn man glaubte, Aristoteles habe in seinen Kategorien, Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeit, Tun, Leiden, Stellung und Bekleidung10, zehn Klassen von einfachen Ideen aufstellen wollen. Nichts ist sichtlicher, als daß die „Bekleidung“ eine solche nicht sein kann. Und ebenso erscheint nicht bloß die „Stellung“ (Θέσις), sondern auch die Orts- und die Zeitbestimmung, wie sie in der Kategorientafel aufgenommen sind, sehr kompliziert. Für den Ort wird das Merkmal „auf dem Markt“ als erläuterndes Beispiel gegeben. Die Zeitbestimmung soll eine Maßbestimmung für das Später und Früher sein, die man in Rücksicht auf die stets gleichmäßige Drehung des obersten Himmelsgewölbes gewinnt. Und so erscheint auch das, was er „Leiden“ nennt, keineswegs als ein einfaches Begriffselement. Jede Bewegung und auch das Denken werden von ihm als ein „Leiden“ betrachtet, weil es zu ihrer Natur gehört, von einem Wirkenden 9

Eth. Nic. VI, 8 Schluß.

10

Aristoteles erklärt diese Kategorie durch: ist beschuht, ist bewaffnet. Man könnte fragen, ob nicht auch ist umrahmt, ist vergoldet, ist bemoost, ist bewaldet, ist beritten, ist befrachtet, ist bemannt, ist bespannt, ist gefüllt, ist bewohnt, ist bevölkert, ist begleitet, ja, ist begütert und ist beweibt dem „ἔχειν“ irgendwie subsummiert werden könnten. Sie sind alle, ähnlich dem „ist beschuht“, zu dem zu rechnen, was die Scholastiker als denominatio extrinseca bezeichneten.

38

Aristoteles und seine Weltanschauung

produziert zu werden. Und diese Beziehung, die in der Anschauung von Bewegung und Denken sich gar nicht darstellt, erscheint in dem Prädikat „Leiden“ mit aufgenommen. So kommt denn hier zu dem, was die eine Anschauung zeigt, noch ein anderes Moment hinzu, und man muß diesem Umstand einer Komplikation von absoluter und relativer Bestimmung Rechnung tragen und auch der Sorglosigkeit gedenken, mit welcher Aristoteles beim Gebrauch eines Namens die Bedeutung variiert, um es zu verstehen, wie er dazu kommen kann, das „Leiden“ (und ähnlich dann das „Tun“) als eine Kategorie neben der Relation aufzuführen, der sie mancher untergeordnet erachten möchte, und obwohl er das Denken für ein „Leiden“ erklärt, wohl das Denkende als solches, nicht aber das Leidende als solches bewirkt werden läßt. Bei den Kategorien hat man es mit den höchsten Klassen von positiven Prädikaten zu tun, welche sich schon in der Frageform in ihrer Verschiedenheit verraten, und von welchen manche (wie es nach dem, was das Buch der Kategorien über eine vierfache Bedeutung der Qualität lehrt, Aristoteles wohl bewußt ist), noch äquivok sind, und manche als sehr kompliziert erscheinen. Sie mögen recht wohl dienen, die Mannigfaltigkeit der Bedeutung des Seienden darzutun. Wie könnte sie mehr in die Augen springen, als wenn einer einmal als Mensch, ein anderes Mal als „auf dem Markt befindlich“ als seiend bezeichnet wird? Aber über die letzten einfachen Ideen geben sie uns keine Belehrung. So sehen wir ihn denn auch im zweiten Buch von der Seele, wo er von dem eigentümlichen und gemeinsamen Wahrnehmbaren spricht, gar nicht auf sie Rücksicht nehmen. Nach dem, was wir von dem Mangel einer ausführlichen Erörterung des Ursprungs der elementaren Vorstellungen aus der Wahrnehmung gesagt haben, scheint es mißlich, zu fragen, wie Aristoteles hinsichtlich gewisser Begriffe gedacht, die in dieser Beziehung in neuerer Zeit ganz besonderes Interesse erregt haben: über den Begriff „Substanz“ und über den Begriff „Ursache“. Den Begriff der Substanz im allgemeinen glaubt er in jeder Anschauung mitgegeben. Die sogenannten äußeren wie inneren Wahrnehmungen bieten ihn also nach ihm gemeinsam, und es ist eben darum klar, daß es ein Reales im akzidentellen Sinne, losgelöst von der Substanz, nicht geben kann. Der Begriff, den wir mit dem Worte „Ursache“ verbinden, ist aber nach Aristoteles ein mannigfacher, und wollen wir nach seinem Ursprung forschen, so wird die Frage für jede der Bedeutungen aufzuwerfen sein. Aristoteles spricht von einer Ursache, die er „Materie“ nennt; über den Ursprung dieses Begriffes gibt er uns genau Aufschluß. Wir gewinnen ihn im Hinblick auf den Wechsel, den wir auf physischem und psychischem Gebiet wahrnehmen, wie wenn ein Körper sich bewegt oder in der Seele Gedanken

Ursprung der Ideen

39

beginnen und aufhören. Wir erkennen aus der Tatsache wechselnder Bestimmungen, daß es nicht unmöglich ist, daß ebensowohl die eine als andere Bestimmung dem Körper oder der Seele zukommt. So bekommen wir den Begriff der Fähigkeit zu Entgegengesetztem, und eben das ist, was Aristoteles materielle Ursache nennt. Sie findet sich analog in jeder anderen Gattung des Seienden. Durch den Hinweis auf die Erkenntnis, daß etwas nicht unmöglich ist, sehen wir uns auf das Gebiet des Urteils, wo die Negation und der modale Charakter der Unmöglichkeit gefunden wird, verwiesen. Es kommt also dieser Begriff nicht ohne Benützung von dem, was die innere Wahrnehmung bietet, zustande. Gilt dies von dem Begriff der Ursache im Sinne der Materie, so offenbar auch von dem im Sinne der Form, die zu ihm in nächster Beziehung steht. Soll sie doch nichts anderes sein als die Wirklichkeit, wodurch jenes in Möglichkeit Seiende ein Wirkliches ist, das, was ihm inwohnend, es zum wirklichen Dinge ergänzt. Nach dem, was wir schon über die Unmöglichkeit gehört haben, daß ein Teil eines wirklichen Dinges selbst ein wirkliches Ding sei, ist die Form so wenig in Wirklichkeit als die Materie. Nur das Kompositum aus beiden ist in Wirklichkeit. Und so könnte man denn recht wohl sagen, daß beide, und darum auch ihre Zusammensetzung, eigentlich Fiktionen seien, die Aristoteles macht, indem er dem gemeinen Sprachgebrauch folgt. Bedienen wir uns doch neben den konkreten auch der abstrakten Namen, wie z. B. neben dem Namen „groß“ des Namens „Größe“ und sagen, das Große sei durch seine Größe groß, und ebenso, wenn ein Großes wächst oder abnimmt, es höre auf, die eine, und fange an, die andere Größe zu haben. Daß der Begriff, den Aristoteles in einem dritten Sinn mit Ursache verknüpft, nämlich der der Zweckursache, ebenfalls dem Gebiet der inneren Wahrnehmung entnommen ist, bedarf kaum erst bemerkt zu werden. Wie aber verhält es sich mit dem Begriff der Ursache im Sinne des wirkenden Prinzips, einer vierten Bedeutung, die Aristoteles mit dem Namen verbindet? Es ist dies bei ihm ein Begriff, der sich keineswegs mit der Gesamtheit der zeitlichen Antezedenzien, auf welche ein zeitliches Konsequens ausnahmslos folgt, deckt. Dies liegt schon in dem Vorgesagten; hörten wir doch von einer Fähigkeit sprechen, die, als eines der Antezedenzien vorhanden, doch nicht als Teil der wirkenden Ursache, sondern als materielle Ursache bezeichnet wird. Und wie nach Aristoteles eine Fähigkeit zwar in anderem Sinne Ursache werden, aber keineswegs wirken oder mitwirken kann, so kann es auch nicht ein Negatives oder Privatives als solches, während wir negative Bestimmungen in Menge zu dem rechnen, was wir als regelmäßiges Antezedens bezeichnen. Noch mehr.

40

Aristoteles und seine Weltanschauung

Nach Aristoteles kann das, was einmal wirkt und als einzige wirkende Ursache wirkt, ein andermal geradeso gegeben sein, ohne zu wirken; darum eben, weil zu seinem Wirken die Erfüllung gewisser Mitbedingungen, welche nicht wirkende Ursachen sind, erforderlich sein mag. Und so kann es allerdings geschehen, daß es sogar beträchtlich in der Zeit der Wirkung vorangeht; allein es ist dann auch noch nicht wirkende Ursache. Als solche ist es nach Aristoteles nie vor der Wirkung. Es wäre darum nach ihm schlechterdings falsch, die wirkende Ursache als solche auch nur in einem einzigen Falle als zeitliches Antezedens anzusehen, selbst wenn das Ding, das später wirkende Ursache wird, vorher bestanden hatte. Und andererseits ist auch dies gar nicht allgemein der Fall. Sind vielmehr die sämtlichen Mitbedingungen schon vorhanden, wenn das, was wirkend verursacht, ins Dasein tritt, so tritt nach Aristoteles die Wirkung zugleich mit ihm ein. Und würde die Wirkung selbst wieder etwas wirkend verursachen können und auch für diese Wirkung keine der nötigen Mitbedingungen fehlen, so würde sogar die zweite, mittelbare Wirkung mit der ersten, mittelbaren Ursache in ein und demselben Zeitpunkte beginnen. Wir sehen also, wie wenig die Analyse von David Hume auf das, was Aristoteles unter seiner wirkenden Ursache denkt, sich anwenden ließ, und der Aufweis von besonderen Wahrnehmungen, aus denen er den Begriff geschöpft glauben kann, ist darum bei ihm, der ja weder Begriffe für angeboren, noch sonstwie für a priori gegeben hält, unerläßlich, um uns seine Meinung deutlich zu machen. Glaubte Aristoteles den Begriff „wirkendes Prinzip“ vielleicht einfach dem Gebiet der äußeren Wahrnehmung entnehmen zu können? – Da, wo er im zweiten Buche von der Seele das aufzählt, was durch einen Sinn allein und das, was gemeinsam durch alle wahrgenommen wird, finden wir „leiden“ und „tun“ nicht erwähnt. Und wenn man danach vermuten möchte, er glaube auch diesen Begriff nur unter Zuhilfenahme von solchen, was die innere Wahrnehmung zeigt, gewonnen, so stimmt es dazu recht wohl, wenn er uns durch das Denken zum Begehren bewegen läßt. Man ist sich ja dabei des Motives sehr wohl bewußt. Und auch die Art und Weise, wie er von der Notwendigkeit spricht, mit welcher sich der Glaube an das Kontradiktionsgesetz jedem, der es denkt, aufdränge, scheint zu zeigen, daß er auch hier in dem Denken der Termini, aus welchen der Satz uns einleuchtet, das, was jenen Glauben bewirke, als solches wahrzunehmen glaubt. Dann aber dürfte er auch in dem Denken der Prämissen, wenn aus ihnen der Schlußsatz einleuchtet, eine wirkende Ursache anschaulich vor sich zu haben glauben, wie denn einer der berühmtesten Peripatetiker des Mittelalters, Thomas von Aquin, in seinen Kommentaren zu Aristoteles dies geradezu ausspricht. Wenn nun dies, so sehen wir auch hier Aristoteles mit Leibniz in einer Stelle der Nouveaux Essais sich berühren.

Ursprung der Ideen

41

Die erwähnten vier Bedeutungen des Namens „Ursache“ sind die, welche Aristoteles am häufigsten zur Anwendung bringt. Genau besehen freilich ist bei ihm gar manchmal von einer Weise ursächlicher Beziehung die Rede, die sich mit keiner von ihnen vollkommen deckt. Eine solche ist die der Substanz als Trägerin der Akzidenzien und zunächst gerade auch jenes akzidentellen Vermögens, welches beim Wechsel akzidenteller Wirklichkeiten als Materie zugrunde liegen soll. So ist die Seele Subjekt des Verstandes, eines Denkvermögens, dem bald dieses bald jenes Denken als Wirklichkeit innewohnt. Der Begriff des substanziellen Subjekts ist nicht der der Materie der Akzidenzien, aber auch es ist Vorbedingung für sie, so zwar, daß Aristoteles einmal geradezu sagt, daß die Ursachen der Substanzen Ursachen von allem, auch der Akzidenzien, seien, weil diese ohne die Substanz nicht bestehen könnten. Ein anderes ursächliches Verhältnis, welches, wenn man es einigermaßen genau besieht, von dem der Materie im eigentlichen Sinn sehr verschieden ist, ist das einer Wirklichkeit, welche, in der Materie vorhanden, sie zum Entstehen eines wirklichen Dinges aus ihr prädisponiert, zu diesem Dinge. Der Hengst erzeugt ein wesentlich anderes Tier, je nachdem er mit einer Stute oder einer Eselin sich paart. Und bei dem Prozeß der Erwärmung oder Abkühlung ist der vorbestandene Wärmegrad nicht gleichgültig. Hier handelt es sich nicht um etwas, was, wie die Materie im strengen Sinne des Wortes, als bleibend dem Wechsel der Formen unterliegt. Und wieder haben wir etwas wie eine Ursache, welche aber mit keinem der schon erwähnten Begriffe sich recht decken will, vor uns, wo es zu einer von den Bewegungen kommt, die Aristoteles als natürliche Bewegungen der Elemente von dem, was er gewaltsame Bewegungen derselben nennt, unterscheidet. So soll z. B. ein gewaltsam in die Luft geworfener Erdklumpen durch eine der Erde natürliche Bewegung nach unten zurückkehren. Fragt man nach dem wirkenden Prinzip dieser Bewegung, so will Aristoteles ein solches nur in dem erkennen, was, die Erde erzeugend, ihr mit ihrer Natur auch eine Tendenz zu dem ihr natürlichen Ort gegeben hat, infolge deren sie, wenn sie dort ist, ruht, wenn sie aber an einem anderen Ort sich findet und nicht behindert wird, sich zu ihm hin bewegt. Daß Aristoteles diese Bewegung ohne gleichzeitiges wirkendes Prinzip zu denken scheint, da er doch ein solches für die gewaltsame Bewegung fort und fort verlangt, erinnert etwas an die Weise, in welcher man in der Zeit der Aufstellung des Gesetzes der Trägheit über den durch sie charakterisierten Fortbestand der Bewegung dachte.11 Von dem wirkenden 11

Vielleicht wird mancher jetzt geneigt sein, bei dem Fortbestand einer Bewegung nach dem Gesetz der Trägheit von den zeitlich aufeinanderfolgenden Teilen der Bewegung selbst den einen den anderen bewirkend zu denken. Nach Aristoteles wäre dies eine

42

Aristoteles und seine Weltanschauung

Prinzip, das den Körper neu in diese Bewegung versetzt hatte, nahm man an, daß es eine Tendenz zur Fortsetzung dieser Bewegung, ohne daß noch weiter etwas gewirkt werde, gegeben habe. Auch bei elastischen Körpern sprach man manchmal, als kehrten sie, gewaltsam in ihrer Form verändert, vermöge ihrer natürlichen Tendenz von selbst wieder zur alten Form zurück. Dies hatte noch größere Ähnlichkeit mit der uns jetzt so befremdlichen Vorstellung der aristotelischen Physik. Stellen wir uns nun aber auf ihren Standpunkt, so wird man nicht leugnen können, daß, wenn hier nicht von dem fortdauernden Eingreifen eines gegenwärtig bestehenden wirkenden Prinzips, doch von einem fortdauernden Einfluß der Natur des Körpers, an welchen diese Tendenz sich knüpft, gesprochen werden muß.12 Und auch daß diese nicht einfach mit dem Verhältnis des Subjekts zu den Eigenschaften, die es trägt, zusammenfällt, ist nicht zu verkennen. Vielleicht wird sich mancher wundern, daß ich mit längeren Worten mich bei dieser veralteten Vorstellung des Aristoteles verweilt habe; aber wir werden im Verlaufe der Betrachtungen finden, daß ihre Kenntnis zum Verständnis sehr wichtiger Momente der aristotelischen Lehre unentbehrlich ist. Daß es sich hier nicht um Begriffe handelt, die aus äußeren Wahrnehmungen geschöpft werden konnten, daß vielmehr zu ihrer Konstruktion auch wieder Elemente verwendet worden sind, welche dem psychischen Gebiet entstammen, wäre unschwer darzutun. Nur mit kurzem Wort sei erwähnt, daß Aristoteles den Namen „Ursache“ auch auf jene allgemeine Bestimmung eines mehrgliederigen Begriffs anwendet, an welchen etwas zunächst als untrennbare Eigentümlichkeit geknüpft ist. So ist bei einem gewissen rechtwinkeligen Dreieck die Bestimmung, daß es ein Sache der Unmöglichkeit, da, wie wir eben auseinandersetzten, Verursachen und Gewirktwerden gleichzeitig sind, und so die ganze Bewegung vom Anfang bis zum Ende kein zeitliches Nacheinander zeigen würde. Mit unseren Erfahrungen bekannt, würde er den Vorgang so haben deuten müssen, daß der angestoßene Körper eine gewisse Qualität (eine ἕξις) bekomme und, wenn nichts alterierend auf ihn einwirke, bewahre, woran eine konstante Tendenz zu geradliniger und gleichmäßig schneller Fortbewegung geknüpft sei, ähnlich wie er, wir werden noch sehen, an die Natur seiner Himmelssphären eine Tendenz zu gleichmäßiger zirkularer Bewegung geknüpft gedacht hat. 12

Wir werden später hören, daß Aristoteles den Bestand der Dinge durch einen fortwährenden Einfluß der Gottheit bedingt sein läßt; und so ist denn allerdings der Erde und jedem anderen Element nicht bloß von etwas, was vielleicht selbst nicht mehr ist, seine Natur gegeben worden, sondern es wird auch, solange es sie hat, von etwas wirklich Bestehendem wirkend darin erhalten. Und hiedurch erscheint die Lehre in etwas anderem Licht.

Die substanziellen Definitionen

43

Dreieck ist, Ursache davon, daß es zur Winkelsumme 2 R hat, während die Bestimmung, daß es ein rechtwinkeliges Dreieck ist, Ursache davon ist, daß das Quadrat der Hypotenuse gleich ist der Summe der Quadrate der Katheten. Und ähnlich ist beim Cajus die Bestimmung als lebender Organismus Ursache davon, daß er sterblich ist, die des tierischen Lebewesens Ursache davon, daß er ein Begehrungsvermögen hat, und die des Menschen Ursache davon, daß er ein Vermögen zu schließen besitzt. Mit dem Entfall der Bestimmung als rechtwinkeliges Dreieck würde auch die dafür von Pythagoras nachgewiesene Eigentümlichkeit entfallen, und darum sagt auch Aristoteles, wessen Sein die Ursache für das Sein, dessen Nichtsein sei die Ursache für das Nichtsein. So erlaubt er sich auch einzelne Male zu sagen, das Fehlen der wirkenden Ursache für etwas bewirke das Fehlen der betreffenden Wirkung, ein Fall, den spätere Peripatetiker als Fall der causa deficiens von dem Fall der causa efficiens unterschieden. Auch das sei noch erwähnt, daß Aristoteles wie die Materie auch die Privation als ein Prinzip des Werdens bezeichnet,13 womit er nichts anderes sagen will, als daß, wenn das Fähige schon in Wirklichkeit das wäre, was es zu sein fähig ist, es dasselbe nicht werden könnte. All unser Denken muß sich aus Elementen aufbauen, die der Erfahrung entnommen sind; doch schließt das nicht aus, daß wir zur Erkenntnis gelangen, daß es etwas gibt, was in sich selbst für uns unvorstellbar ist, und daß wir auch darüber manches mit Wahrheit und Sicherheit aussprechen. Dies wird sofort deutlicher werden, wenn wir uns nach den vorangegangenen Betrachtungen über die Erkenntnislehre des Aristoteles zu seinen ontologischen Untersuchungen wenden.

Die Transzendenz der substanziellen Definition Wir haben gesehen, daß nach Aristoteles der Begriff der Substanz direkt in unseren Anschauungen gegeben ist, ja, daß keine Vorstellung eines Akzidens ohne ihn sein kann. Auch wenn wir uns als empfindend und denkend selbst erfassen, erfassen wir uns als empfindende und denkende Substanz. Die Existenz von Substanzen ist daher keine hypothetische Annahme, sondern durch unmittelbare Evidenz gesichert. Allein ebenso sicher scheint es Aristoteles, daß wir diesen Begriff nur in äußerster Allgemeinheit erfassen während uns alle spezifischen Differenzen für ihn fehlen. Die Akzidenzien, die der Substanz 13

Vgl. z. B. Met. Λ, 2. Ende.

44

Aristoteles und seine Weltanschauung

anhaften, dürfen nicht als solche betrachtet werden. Obwohl nun aber die substanziellen spezifischen Differenzen uns nicht ebenso wie der Gattungsbegriff in einer Anschauung vorliegen, so können wir an ihrer Existenz doch nicht zweifeln, da ja, wie wir gesehen haben, die wirkliche Existenz eines bloßen Universale ohne Absurdität nicht angenommen werden kann. Und so gelangen wir denn hier zu der Erkenntnis von etwas Transzendentem. Und Aristoteles begnügt sich nicht damit, dieses erschlossen zu haben, sondern er glaubt auch noch manches Weitere über seine eigentümliche Natur feststellen zu können, indem er dabei einesteils den Gedanken, daß die induktiv von uns konstatierten allgemeinen Naturgesetze in den substanziellen Differenzen ihren Grund haben, so zwar, daß sie, falls die Substanz uns anschaulich wäre, als Fälle des Kontradiktionsgesetzes sich erweisen würden, und anderenteils die Analogie mit den Akzidenzien als Anhaltspunkte verwertet. So kam Aristoteles zu seiner Lehre von den substanziellen Definitionen, die in der vom letzten Kapitel der zweiten Analytiken angegebenen Weise mit Hilfe der Induktion ermittelt werden. Das siebente Buch der Metaphysik erklärt die in den Analytiken gemachten Bemerkungen für unvollständig und geht tiefer in die Frage ein. Wir lernen hier in der substanziellen Definition eine vielgliederige Reihe von mehr und mehr sich spezifizierenden Begriffen kennen, in der jede folgende spezifische Differenz den vorhergehenden Begriff enthält, und somit die letzte Differenz der ganzen Definition gleich ist; ähnlich wie es bei der akzidentellen Begriffsreihe: sinnliche Qualität, Farbe und Röte, der Fall ist. An einer Stelle14 tritt dabei auch nicht undeutlich hervor, daß wir von diesen substanziellen Differenzen nicht eigentlich eine Vorstellung haben, was sich im letzten Kapitel der Meteorologie und in den Büchern De Part. An. als Überzeugung des Aristoteles ausspricht. Und so greift er denn auch in den Büchern von der Seele, wo es sich um eine substanzielle Definition handelt, zu dem Mittel, die sukzessiven Glieder durch Gruppen von Tätigkeiten, welche sich daran knüpfen, nämlich der vegetativen, die der Mensch auch mit der Pflanze, der sensitiven, die er auch mit dem Tier gemein hat, und der intellektiven, die ihm allein eigentümlich sind, ersatzweise zu charakterisieren. Wie in anderen Teilen seiner Lehre, so ist Aristoteles auch in diesem meist nicht genügend verstanden worden, und man wollte daraufhin in seiner Lehre von der induktiven Feststellung der Prinzipien in den Analytiken einerseits und seiner Lehre von der unmittelbaren Evidenz des Kontradiktionsgesetzes in der Metaphysik anderseits unversöhnliche Gegensätze erblicken. Wie für substanzielle Definitionen, muß auch für manche akzidentelle, die uns transzendent sind, aber 14

Met. Z, 3 p. 1029 a 11.

Substanzielle Umwandlungen

45

sich durch Gruppen von Eigentümlichkeiten, die sich an die einzelnen Glieder knüpfen, verraten, ein Ersatz gesucht werden. Die uns transzendenten Definitionen von Substanzen unterscheiden sich in einem Punkt von den akzidentellen, die, wie in dem oben gegebenen Beispiel, uns anschaulich vorliegen. Jeder akzidentelle Begriff schließt, wie schon gesagt, den Substanzbegriff ein und hält sich darum in seinen Bestimmungen nicht durchwegs in einer Gattung. Bei den substanziellen Definitionen ist das der Fall, und so ist hier allein der Definitionscharakter in vollkommener Weise gewahrt. Aristoteles versäumt nicht, im siebenten Buch der Metaphysik (Met. Z) dies hervorzuheben.

Substanzielle Umwandlungen. Materie und Form Folgen wir Aristoteles noch etwas weiter bei diesen seinen transzendenten Untersuchungen! Da nach ihm, wie wir sahen, nur die innere Wahrnehmung evident ist, so hätte er, wenn er den ganzen vermittelnden Weg uns hätte darlegen wollen, eigentlich überall von ihr den Ausgang nehmen müssen. Da der allgemeine Begriff der Substanz in der Vorstellung eines jeden Akzidens, also auch der Akzidenzien, die uns die innere Wahrnehmung zeigt, beschlossen ist, so war es auf Grund ihrer leicht, zu jenem seinem Schlusse auf die Existenz einer transzendenten substanziellen Differenz zu gelangen. Auch hätte er, auf ihre Grundlage allein bauend, alsbald die Existenz von einer doppelten Klasse von Substanzen, von denen die eine körperlich, die andere geistig ist, erschließen können; denn wie aus gewissen Erörterungen der Bücher von der Seele zu ersehen ist, scheint es ihm widersprechend, daß ein Akzidens, welches kontinuierliche Teile unterscheiden läßt, in einer unausgedehnten Substanz und ein unausgedehntes Akzidens in einer ausgedehnten Substanz als Subjekt sich finde. Unsere Sinneswahrnehmungen, wie z. B. das Sehen, zeigen aber kontinuierliche Teile; denn jedem anderen Teil des gesehenen Bildes entspricht ein anderer Teil des Sehens. Also, schließt er, ist das substanzielle Subjekt unseres Sehens ausgedehnt. Umgekehrt ist, wenn ich einen allgemeinen Begriff, wie den des Dinges, der Verneinung u. dgl. denke, das Denken so wenig aus kontinuierlichen Teilen zusammengesetzt als das Objekt, wie es von mir gedacht wird. Und somit ist das Subjekt dieses Denkens in uns geistig. Allein Aristoteles zieht es vor, sofort an die Existenz einer körperlichen Außenwelt als an etwas, was keiner ernstlich in Abrede stelle, anzuknüpfen. Die erdrückende Fülle von Erfahrungen, die dafür spricht, scheint ihm mächtiger zu wirken als unsere besten Beweise; wie er denn aus ähnlichem Grunde denen gegenüber,

46

Aristoteles und seine Weltanschauung

welche sagen, daß man nicht zwischen Traum und Wachen zu unterscheiden vermöge, nur auf das Zeugnis ihres eigenen Benehmens verweist: „Keiner, der in Lybien geträumt hat, er sei in Athen, geht daraufhin ins Odeon.“ So hat er denn die Existenz von räumlich ausgedehnten Substanzen auch außer uns als etwas von allen Zugestandenes unbedenklich schon bei der Lehre von der substanziellen Definition benützt und bleibt diesem Verfahren auch noch im weiteren treu. Ebenso nimmt er es für zugestanden, daß sie mannigfachen, akzidentellen Umwandlungen unterliegen; so nach dem Ort, nach dem Maß der Ausdehnung, indem sie wachsen und abnehmen, und nach der Qualität. Aber auch der Substanz nach, meint er, können wir vernünftigerweise nicht an einem Wechsel zweifeln. Die substanziellen Differenzen verraten sich ja durch die an jede von ihnen geknüpften eigentümlichen Tätigkeiten. Und was kann da mächtiger sein als der Wechsel, welcher infolge von chemischen Umwandlungen und noch auffälliger bei der Umwandlung von Leblosem in Lebendiges, vegetativ oder zugleich vegetativ und sensitiv Tätiges, und umgekehrt beim Tode und der Auflösung eines Organismus auftritt?15 Die Lehren der Atomisten, welche alles aus bloßen örtlichen Umlagerungen erklären wollen, scheinen ihm also vollkommen ungenügend, und auch bloße Veränderungen der Ausdehnung oder den Wechsel von qualitativen Akzidenzien 15

Man beachte hier die Beschränkung der Umwandlung auf die vier hier angegebenen Kategorien. Gewiß findet sich ein Wechsel auch in betreff aller anderen, wie z. B. hinsichtlich der Relation, wenn etwas einem anderen bald näher, bald ferner ist, oder wenn jemand seine Stellung oder Kleidung wechselt. Allein zur Änderung jener örtlichen Relationen kommt es nicht durch einen besonderen Umwandlungsprozeß, vielmehr einfach infolge der absoluten Änderung, die wenigstens an einem der beiden Körper, die in örtlicher Relation stehen, vollzogen wird. Und ähnlich sind es denn bloße Translokationen, welche zugleich in bezug auf Stellung oder Bekleidung eine Änderung zur Folge haben. Man sieht daraus, daß Aristoteles sich sehr wohl bewußt ist, daß es sich nicht bloß in der Kategorie, die er πρός τι nennt, sondern auch in den anderen, welchen er eine besondere Umwandlung abspricht, um eine Einmengung relativer Bestimmungen handelt oder um eine Mehrheit, welche, wenn die Einheiten entstehen, ohne weiteres mitgegeben ist. Diese drei akzidentellen Kategorien stehen also nach Aristoteles’ Meinung derjenigen, welche im ersten und eigentlichen Sinne seiend ist, am nächsten. Was unter die Kategorie des „Leidens“, fällt, mit Abstraktion von der Beziehung zum Wirkenden, immer auch zugleich in eine der genannten Kategorien, wie z. B. die Ortsbewegung in die Kategorie des Ortes, und unser Denken, das nach Aristoteles auch ein „Leiden“ ist, würde vielleicht bei solcher Abstraktion noch zu den Qualitäten gerechnet werden können. Doch ist das Denken kein „Leiden“ im Sinn einer eigentlichen Umwandlung von Wirklichem in Wirkliches, sondern nur in dem einer fortdauernden Aufnahme eines Einflusses, der etwas, was in Möglichkeit ist, zum Wirklichen macht. Vgl. De An. II, 5 p. 417 b 2. Wir werden sofort darauf zurückkommen.

Substanzielle Umwandlungen

47

anzunehmen, genügt nicht; vielmehr müssen wir eine analoge Umwandlung der Substanz selbst erschließen. Und so kommt denn der substanzielle Wechsel bei diesen Körpern als eine vierte Klasse zu den drei angegebenen akzidentellen Umwandlungen hinzu. Wo bei den Akzidenzien eine Umwandlung statthat, finden wir, daß Entgegengesetztes an die Stelle von Entgegengesetztem tritt, und solches ist entschieden auch bei der substanziellen Umwandlung anzunehmen. Ferner finden wir beim akzidentellen Wechsel, daß bei ihm etwas bleibend dem Wechsel unterliegt. Es ist dies die Substanz, insofern sie fähig ist, den einen oder anderen akzidentellen Gegensatz in sich aufzunehmen. Und sie bestimmt die Individualität; denn, wenn ein Körper auch an genau denselben Ort kommt, den ein anderer verlassen hat, so ist das Hierseiende doch individuell ein anderes Hierseiendes. Und wenn zwei völlig gleich denken, so sind sie doch auch als Denkende nicht individuell derselbe. Dem substanziellen Wechsel kann nun freilich nicht wieder eine wirkliche Substanz als bleibendes Subjekt unterstehen. Dennoch werden wir auch hier sagen können, daß die Fähigkeit zu beiden Gegensätzen nach wie vor gegeben sei; und zwar zu diesen individuellen Gegensätzen, denn wird das Wasser in Feuer und das Feuer wieder in Wasser verwandelt, so bekommt man individuell dasselbe Wasser, das man früher hatte, während aus einem gleichen Wasser, welches ebenfalls in Feuer verwandelt wurde, bei der Rückwandelung nur eben wieder dieses individuelle Wasser, aus dem es geworden, unmöglich aber das wird, zu dem die Umwandlung jenes anderen Feuers geführt hat. So hat denn hier wie dort die Fähigkeit, von der wir sagen, sie bleibe, eine Beziehung zu einem besonderen Individuationskreise.16 Es bleibt die Fähigkeit zu denselben Individuen, und darum kann man von einem Fortbestand der Fähigkeit in individuo sprechen. Natürlich nur in jenem ganz uneigentlichen Sinne des Bestandes, in welchem er einer bloßen Fähigkeit zukommen kann, die ja nichts in Wirklichkeit ist. Ich erinnere daran, daß es sich, wie wir früher sagten, hier eigentlich nur um Fiktio16

Ein Akzidens kann auch ein anderes werden, indem es nicht seine Spezies wechselt, sondern nur individuell ein anderes wird. Dies wird dann der Fall sein, wenn die Substanz korrumpiert, da die Individualität des Akzidens durch das Subjekt bedingt ist. Was die Substanz anlangt, so könnte es dagegen scheinen, als ob bei ihr, die kein korruptibles Subjekt hat, nur spezifische Umwandlungen vorkommen könnten; und in der Tat faßt Aristoteles diese hier allein ins Auge. Aber was sollen wir sagen, wenn, was nach Aristoteles vorkommen kann, ein einheitlicher wirklicher Körper in zwei zerteilt wird, die dann zu derselben Spezies wie der vorher wirkliche Körper gehören, wie z. B., wenn ein Tier oder eine Pflanze in zwei gleichartige zerlegt wird? – Hier zeigt die Theorie des Aristoteles eine Lücke. Wir haben schon auf das Bedenkliche seiner Lehre über Einheit und Vielheit beim Kontinuum aufmerksam gemacht.

48

Aristoteles und seine Weltanschauung

nen, die durch die Natur der Sache nahegelegt sind, handelt. Wir würden die dadurch ausgedrückte Meinung unverfälscht wiedergeben, wenn wir sagten, daß Aristoteles, obwohl er nicht wie die Atomisten eine Substanz bleibend der Umwandlung unterliegen denkt, doch ganz wie sie an die Beschränkung der Umwandlungen auf einen gewissen Individuationskreis glaubt, worin der Glaube an den Fortbestand eines gewissen Gleichmaßes der Masse inbegriffen liegt. Würde er in diesem Stücke nicht ebenso wie die Atomisten gedacht haben, so hätte es ja auch dazu kommen können, daß, wenn aus einem Feuer ein gewisses individuelles Wasser geworden und ein anderes Feuer zu demselben individuellen Wasser würde, dasselbe Individuum zweimal bestände.17

Der Mangel kontinuierlicher substanzieller Umwandlungen So entschieden Aristoteles sich für eine Umwandlung auch auf dem substanziellen Gebiet ausspricht, so denkt er sie doch in einer Beziehung von den drei genannten akzidentellen Umwandlungen verschieden. Diese, wie z. B. die örtliche, finden kontinuierlich statt; auf substanziellem Gebiet dagegen soll eine kontinuierliche Umwandlung nicht vorkommen, vielmehr soll sie sich in einem oder auch in einer Reihe sich folgender Momente abrupt vollziehen, durch dazwischen liegende kontinuierliche akzidentelle Veränderungen angebahnt. Was Aristoteles zu dieser Lehre führt, ist unschwer zu erkennen. Gäbe es eine kontinuierliche substanzielle Umwandlung, wie es eine örtliche gibt, so wäre die Menge der substanziellen Arten unbegrenzt, ja, es wäre gar nicht zu erwarten, daß uns die Erfahrung jemals zwei substanziell wahrhaft 17

Die Kritik könnte dagegen hier wohl unschwer zeigen, daß in Rücksicht auf den besonderen Individuationskreis, für den sich die Fähigkeit erhält, eine besondere Klasse von wirklichen, transzendenten Bestimmungen hätte angenommen werden müssen, welche in ihren letzten spezifischen Differenzen so vielfach gedacht werden müßte, als Individuationskreise unterschieden werden können. Das Individuum ergäbe sich daraufhin aus der Verbindung zweier sich kreuzender, letzter, spezifischer Differenzen, und gegenseitig würden sie durch einander individualisiert. Wir hätten dann ähnliches, wie wenn in unserem Gesichtsfeld zwei Punkte, die gleichmäßig rot sind, doch durch die Verschiedenheit der Stelle des Gesichtsfeldes als zwei erscheinen, während ein blauer Fleck, der an die Stelle eines roten Flecks tritt, darum ein anderer ist, weil die Farbenspezies eine andere ist. Die Feststellung einer solchen Kreuzung von Differenzen, die doch beide substanziell wären, würde aber dann zu einer tiefgreifenden Umbildung der ganzen Kategorienlehre nötigen; ein Gedanke, der hier nur angedeutet und nicht bis ins einzelne ausgeführt werden kann.

Kein Entstehen aus nichts und kein Vergehen zu nichts

49

spezifisch gleiche Individuen zeigte. Ähnlich wie wir auch heute nur darum in der Chemie es zu völlig gleichartigen Verbindungen kommen sehen, weil sich die Elemente nur in gewissen, nicht aber ebenso auch in jedem beliebigen, dazwischen liegenden Verhältnis mischen. Whewell hat daraufhin gesagt, daß man auch vor der experimentellen Feststellung die Beschränkung der Mischungen, welche zu so tiefgreifenden Änderungen führen, im Gegensatz zu der unbegrenzten Mannigfaltigkeit der Gemenge im voraus hätte erschließen können. Es ist nun interessant zu sehen, daß Aristoteles in seiner Lehre von den diskreten, momentanen substanziellen Umwandlungen verrät, daß er eine Erwägung, wie sie Whewell als von vornherein möglich bezeichnet, wirklich angestellt hat. Sein Schüler Theophrast, der ihm hier nicht treu geblieben, hat offenbar die hohe Bedeutung dieses Momentes nicht erkannt.

Kein Entstehen aus nichts und kein Vergehen zu nichts Daß Aristoteles, wenn er über das transzendente substanzielle Gebiet nach Analogie des auf akzidentellem Gebiet der Erfahrung Gefundenen urteilt, nicht ohne weiteres eine Wiederkehr ähnlicher Verhältnisse annimmt, wird auch noch in einem anderen Beispiel sichtlich. Aristoteles findet auf akzidentellem Gebiet Fälle von Werden, welche nicht Fälle von Umwandlung im engeren Sinne sind18. Es hört vielmehr hier entweder ein wirkliches Akzidens einfach auf, so daß in dem Subjekt nur noch die Fähigkeit dazu fortbesteht, oder es fängt einfach an, indem vorher kein entgegengesetztes wirkliches Akzidens, sondern nur die betreffende akzidentelle Fähigkeit in dem Subjekt bestanden hatte. So ist es z. B., wenn, nachdem wir gehört haben, Stille eintritt, oder ein Ton die Stille unterbricht. Und nicht bloß nicht in diesem Falle, auch in keinem anderen, wo Hören dem Hören folgt, haben wir es, genau besehen, mit einer Verwandlung von Wirklichem in Wirkliches zu tun. Das folgende Hören wäre geradeso aufgetreten, wenn das vorausgehende nicht gewesen, und dieses hätte gerade so aufgehört, wenn jenes nicht gefolgt wäre. Aristoteles nennt diese Fälle, Fälle von einfacher Vollendung und Verwirklichung dessen, was der Möglichkeit nach gegeben war, und von einfacher Privation. Daß aber auch zu diesen Vorgängen auf substanziellem Gebiet ein Analogon sich fände, stellt er entschieden in Abrede. Was bliebe denn auch bei dem Eintreten einer einfachen substanziellen Privation zurück? – Kein Akzidens, denn die18

Vgl. Anm. 15 S. 46.

50

Aristoteles und seine Weltanschauung

ses hat die wirkliche Substanz zur Voraussetzung; also ein reines Nichts, und wie könnte mit diesem irgendwelche Fähigkeit zu einem Individuationskreise mehr als zu einem anderen verbunden sein? Mit dem einfachen Entfall jeder wirklichen Substanz wäre also ein völliges Zu-nichts-Werden, wie denn auch umgekehrt mit dem einfachen Beginn einer Substanz ein völliges Aus-nichtsWerden gegeben. Das aber sind Geschehnisse, für welche die Erfahrungen, die wir machen, nicht ebenso wie für die substanziellen Umwandlungen sprechen. Und wir werden bald erkennen, warum Aristoteles sie für schlechterdings ausgeschlossen halten muß.

Das Gesetz der Synonymie Noch etwas anderes bemerken wir auf akzidentellem Gebiete. Wir finden, daß etwas Kaltes warm wird durch den Einfluß von etwas, was selbst warm ist. Ebenso wird etwas Warmes kalt durch die Einwirkung von etwas Kaltem, etwas Trockenes durch den Einfluß von Feuchtem feucht, etwas Feuchtes in der Berührung mit Trockenem trocken. Das Wirkende ist also hier dem, was es bewirkt, synonym. Bei den Gruppen von Akzidenzien, welche für eine gewisse Art lebender Substanz charakteristisch sind, finden wir nun auch, daß sie dieselbe charakteristische Gruppe in einem Körper, der sie bis jetzt nicht zeigte, durch ihre Einwirkung entstehen lassen, und wir müssen daraus schließen, daß auch diese Substanzen ihnen synonyme Substanzen erzeugen; ein Pferd erzeugt ein Pferd, ein Löwe einen Löwen. Neben dieser Weise der Synonymie zwischen Wirkendem und Gewirktem finden wir in der Erfahrung noch eine andere bei Prozessen, die Aristoteles von den eben betrachteten als Werden durch Kunst oder Verstand im Unterschied vom Werden durch Natur unterscheidet, wie z. B., wenn ein Baumeister ein Haus baut entsprechend der Idee, die er in seinem Verstande hat. Auch da bringt in gewissem Sinne das Haus, welches im Verstand des Künstlers ist, ein ihm gleiches, wirkliches Haus hervor. Und ähnlich ist es auch, wenn einer mit Absicht ein Feuer entzündet. Freilich bestehen zwischen der Synonymie beim Werden durch Natur und durch Verstand bedeutende Differenzen. Etwas anderes ist ja, als allgemeiner Begriff im Verstande sein, und als wirkliches Individuum unter den Begriff fallen. Und so macht denn auch das einen großen Unterschied, daß der, welcher den Begriff der Gesundheit im Verstande hat und mittels seiner die Gesundheit einem kranken Körper gibt, ein anderes Mal vermöge seiner vielmehr einem Gesunden die Gesundheit raubt. Das eine wie andere hängt von der Wahl des Wirkenden ab. Es kann aber zu dieser

Das Gesetz der Synonymie

51

kommen, weil wir, indem wir wissen, was dazu gehört, gesund zu sein, durch eben diese Kenntnis auch wissen, was dazu gehört, der Gesundheit beraubt zu sein. Und so geschieht auch das letztere Wirken immer noch unter Herstellung einer gewissen Synonymie. Aristoteles spricht oft, als glaube er, sie sei ein allgemeines Gesetz. Selbst in jenen Fällen, wo wir nicht von natürlichem, noch künstlichem Werden sprechen, sondern von Entstehen durch Zufall oder durch Glück reden, findet er es bei näherer Betrachtung gewahrt. So sagen wir z. B., wenn ein Kranker durch eintretende warme Witterung gesund wird, er sei zufällig und durch einen Glücksfall gesund geworden, weil es ohne das Zutun eines Arztes geschehen ist. Aber was ihm eben zur Gesundheit fehlte, war eine gewisse Wärme, und diese wurde ihm unter Herstellung einer Synonymie gegeben. Und so geht auch bei einer Kreuzung von Kräften, welche das Gesamtresultat keinem der beiden Faktoren ganz ähnlich werden läßt, jede doch auf eine Verähnlichung aus, und man hat im letzten Grunde Fälle von natürlichem oder künstlichem Wirken. Was durch Zufall oder Glück bewirkt wird, wird per akzidens gewirkt. Allem, was per akzidens gewirkt wird, liegt aber ein Wirken per se zugrunde. Und so hat man es immer mit einem Wirken durch Natur oder Verstand zu tun. Nach dem früher Gesagten ist es aber offenbar, daß es, auch im Falle der höchsten Verähnlichung der Wirkung mit der wirkenden Ursache nur zu spezifischer Gleichheit, nicht zu individueller Unterschiedslosigkeit kommt. Mensch erzeugt Mensch, nicht Sokrates Sokrates, weil ja bei allem Wechsel, dem die Substanz unterliegt, ihr Individuationskreis nicht verlassen wird oder, um der aristotelischen Ausdrucksweise uns zu bedienen, die substanzielle Materie dieselbe bleibt. Und hierauf ist es denn auch zurückzuführen, daß, wenn ein Feuer zwei Stücke Holz in Feuer verwandelt, die von ihm erzeugten Substanzen nicht ein und dasselbe, sondern zwei spezifisch gleiche Individuen sind. Nicht die umwandelnde wirkende Ursache, sondern die aufnehmende substanzielle Fähigkeit, die Materie, ist das Prinzip der Individuation.19 Trotzdem hält Aristoteles es für nicht unwichtig hervorzuheben, daß wegen der Gleichheit der Form im Wirkenden mit der im Gewirkten, statt von vier 19

Als ein schwerer Verstoß gegen seine Lehre von der Materie als Individuationsprinzip erscheint es, wenn Aristoteles in den Büchern von der Seele (De An. II) spricht, als wenn der Stoffwechsel bei Ernährung und Wachstum die Substanz des Organismus noch als individuell dieselbe bestehen ließe. Indem er sich hier an die gewöhnliche Weise, beim Organismus wie bei einem Flusse von einer individuellen Einheit zu sprechen, hält, ist er unvermerkt seinen allgemeinen Lehren über Materie und Form untreu geworden.

52

Aristoteles und seine Weltanschauung

Prinzipien, die zur Umwandlung gehören (den beiden Gegensätzen, zwischen denen der Wechsel stattfindet, der Materie, die als Fähigkeit zu beidem dem Wechsel zugrunde liegt, und dem wirkenden Prinzip), gewissermaßen auch von drei Prinzipien gesprochen werden könne, indem die Form im wirkenden Prinzip und in dem, was gewirkt wird, als eins gefaßt wird. Wir haben oben von der eigentümlichen Art gesprochen, in welcher Aristoteles sich weigert, die von ihm so genannte natürliche Bewegung eines Elements an seinen natürlichen Ort als durch die Substanz desselben bewirkt, zu bezeichnen. Vielleicht hängt dies mit dem Gedanken an das Gesetz der Synonymie zusammen. Denn was für eine Ähnlichkeit könnte zwischen dieser Art Substanz und dieser Art Ort gefunden werden? Dagegen verstößt man nicht gegen das Gesetz der Synonymie, wenn man, wo Feuer Feuer erzeugt, eine Substanz mit der Tendenz nach oben eine Substanz mit gleicher Tendenz hervorbringen läßt. Indes läßt sich der Satz der Synonymie, der wegen des wesentlichen Unterschiedes im Falle des natürlichen und künstlichen Werdens ohnehin nicht recht einheitlich erscheint, doch nicht in der Art allgemein aufrecht halten, daß er auf jeden Fall des Wirkens und bei einer Kette von Wirkungen, wenn auch vielleicht auf das erste Glied im Vergleich zum letzten, auch ebenso auf jedes unmittelbar vorausgehende im Vergleich zum unmittelbar folgenden Anwendung finden könnte. Eine Pflanze erzeugt nicht unmittelbar eine Pflanze, sondern zuvor einen Pflanzenkeim, der, wie Aristoteles anerkennt, noch nicht dieselbe Natur hat. Wir hören auch, daß, wenn es zur Umwandlung einer Substanz kommt, diese durch lokale und qualitative Veränderungen vorbereitet werde, und wie soll man dies verstehen, außer wenn man annimmt, daß auch die Qualitäten zur Umwandlung einer Substanz wirksam sind? Da nun aber die Fähigkeit zu einer Substanz von der Fähigkeit zu einem Akzidens verschieden ist, so bewirken die Qualitäten s. z. s. instrumental etwas, was ihnen nicht synonym ist. Recht auffallend sind auch Fälle wie die, welchen, wie wir sahen, gerade der Begriff des Wirkens entnommen scheint, wie z. B., wenn wir uns bewußt sind, etwas, durch diesen oder jenen Gedanken dazu bestimmt, zu suchen oder zu fliehen. Das Suchen oder Fliehen ist nicht selbst ein Denken und auch nicht wie die betreffende Wirklichkeit dem Gedachten synonym sondern man kann nur etwa sagen, daß es die Synonymie zwischen dem Gedanken und dem, was der dadurch bewirkte Wille wirkt, vermittele. So wäre noch anderes geltend zu machen; und auf dem Standpunkt der aristotelischen Lehre begegnen wir einem besonders wichtigen Fall, wo eine Substanz eine substanzielle Umwandlung bewirkt, die weder künstlich (da sie kein Bewußtsein hat) noch natürlich (weil die wirkende Substanz inkorruptibel ist, die gewirkte aber, wenn des Entstehens, auch des Vergehens fähig sein muß)

Existenz eines schlechthin Notwendigen

53

durch Synonymie zur Gleichartigkeit führen kann. Ich meine den des substanziell umbildenden Einflusses der Sonne. Es ist wahr, daß Aristoteles auch hier an eine gewisse Verähnlichung des Leidenden mit dem Wirkenden glaubt, aber zu einer eigentlichen Synonymie kann es doch nicht kommen. Und so sagt er denn Met. Λ ausdrücklich, die Sonne sei Ursache als wirkendes Prinzip, sei aber nicht eine synonyme Ursache. Wenn also Aristoteles trotzdem auch wieder von dem Satze der Synonymie als einem streng allgemeinen spricht, so liegt dabei der Gedanke zugrunde, daß die Fälle von zunächst mangelnder Synonymie nach einer allgemein gültigen Ordnung immer doch der Herstellung einer solchen dienen, sie vermitteln, wie der Wille des Künstlers die zwischen seiner Idee und dem ausgeführten Werk und der Same und Keim die zwischen dem zeugenden und erzeugten Organismus. So können wir, wo bei einem Wirken zunächst keine Synonymie zutage tritt, immer mit Sicherheit auf ein früheres Prinzip schließen, in bezug auf welches das Gesetz sich bewährt findet, wie dies das zweite Buch der Physik ausdrücklich betont.20

Existenz eines schlechthin Notwendigen Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit jenen Untersuchungen zu, welche Aristoteles zu einer anderen transzendenten Annahme, nämlich zu der eines durch sich selbst notwendigen, unendlich vollkommenen, denkenden Geistes als ersten Grundes alles Realen geführt haben! Wir werden sehen, daß er als wirkendes Prinzip erschlossen wird, und da es das erste von allen Prinzipien sein soll, so kann es sich nur um ein Wirken per se, nicht um ein Wirken per akzidens handeln, und das Gesetz der Synonymie muß aufs deutlichste in seinem Falle gewahrt erscheinen. Aristoteles hebt dies auch da, wo er im vierten Kapitel des zwölften Buches der Metaphysik21 das Gesetz der Synonymie ausspricht, ausdrücklich hervor und weist ebenso ausdrücklich im zehnten Kapitel22 darauf zurück, wie er denn auch in der Physik im zweiten Buch23, wo er vom Glück und Zufall handelt, die Wahrung des Gesetzes der Synonymie bei der ersten Ursache des Alls aufs bestimmteste behauptet. 20

Nicht ohne Interesse sind die Bemerkungen des Alexander von Aphrodisias über die Fälle, in welchen das Gesetz der Synonymie eine Ausnahme erleidet. Vgl. Freudenthal, Die uns von Averroes erhaltenen Fragmente Alexanders von Aphrodisias zur Met. Λ Kap. 4 Ende.

21

Met. Λ, 4 p. 1070 b 34.

22

Met. Λ, 10 p. 1075b 10.

23

Phys. II, 6 p. 198 a 10.

54

Aristoteles und seine Weltanschauung

Freilich wird bei diesem durch Analogie erschlossenen Falle die Weise, wie sie gewahrt wird, die schon bei den empirischen Fällen des Wirkens durch Verstand anders war als beim Wirken der Natur, wiederum ihre Besonderheit zeigen. Und so sagt er denn, nachdem er von der Weise der Wahrung der Synonymie beim Wirken durch Natur und durch künstlerischen Verstand gesprochen: „Hiezu kommt ferner auch noch die Weise, wie das allererste Bewegende alles ist.“ Vor allem ist hier folgende Erwägung von Wichtigkeit. Wenn etwas ist, aber nicht durch sich selbst notwendig ist, so muß es in etwas anderem seinen Grund haben.24 Ohne dies könnte es zu irgendwelchem regelmäßigen Verlauf der Ereignisse nicht kommen, denn, wenn das, was an und für sich ebensowohl sein als nicht sein kann, ohne jede weitere bestimmende Ursache wäre oder nicht wäre, so könnte es auch von selbst anfangen und von selbst aufhören, und es käme weder zu einem konstanten, gänzlich unveränderten Bestand noch zu einem kontinuierlichen Verlauf, vielmehr infolge der Störungen durch das, was von selbst wird und aufhört, von Moment zu Moment zu abruptem, sprunghaftem Wechsel. Nun gibt es aber auf dem Gebiet der uns umgebenden physischen Welt vieles, was seiner Natur nach sowohl sein als nicht sein kann, sehen wir es doch entstehen und vergehen. Also muß dieses in etwas anderem seine bestimmende Ursache haben. Nehmen wir an, auch diese Ursache sei des Seins wie Nichtseins fähig, so wird uns dies auf eine frühere Ursache zurückweisen, und von ihr, wenn sie nicht notwendig ist, wird dasselbe gelten. Doch wenn wir so eine Reihe von Ursachen, von denen jede an und für sich sowohl sein als nicht sein kann, sogar ins Unendliche zurücklaufen ließen, so würde dies noch keineswegs genügen. Wie jedes einzelne Glied, so erscheint ja auch jede Vielheit aufeinanderfolgender Glieder als etwas, was sowohl sein als nicht sein kann, und somit auch die ganze unendliche Reihe. Sie erschiene in ihrer Totalität als etwas Tatsächliches, aber nicht Notwendiges. Es wäre nicht absurd, wenn sie nicht bestünde. Wenn sie also trotzdem ist, so muß dafür in etwas anderem der bestimmende Grund gesucht werden. Und so gibt es denn, so gewiß es etwas Wirkliches gibt, was seiner Natur nach sowohl sein als nicht sein kann, als Ursache dafür etwas, was durch sich selbst schlechterdings notwendig ist. 24

Instruktiv für die Weise, wie Aristoteles zu dieser Überzeugung gelangt, sind insbesondere die letzten Kapitel des ersten Buches De Coelo, wo er gegen diejenigen argumentiert, welche lehren, daß die Welt einen Anfang gehabt habe. Er weist hier auf die unendliche Unwahrscheinlichkeit hin, daß, was nach der Meinung dieser Philosophen erst geschieht, nachdem es eine unendlich lange Zeit hindurch, Moment für Moment, ganz ebenso gut hätte geschehen können, in keinem der unendlich vielen Momente, die in ihr zu unterscheiden sind, schon geschehen wäre.

Es ist unbewegt

55

Es ist unbewegt Wie haben wir uns nun dieses schlechthin Notwendige zu denken? Etwa als eine ewig gleichmäßige Bewegung? Oder eine Substanz, der dieselbe natürlich ist? – Manches könnte diesen Gedanken empfehlen. Die lokale Veränderung ist bei jedem anderen Umwandlungsprozeß mitbeteiligt; sie ist entschieden die erste von allen in der Körperwelt. Bei den himmlischen Gestirnen ist sie die einzige, die sich bemerklich macht. Der Fixsternhimmel scheint wirklich in voller Gleichmäßigkeit zu rotieren, und nach den angesehensten Astronomen zu Aristoteles’ Zeit sollte die Bewegung der übrigen Gestirne sich auch aus einer Komplikation gleichmäßig rotierender Sphären begreifen lassen. Der Einfluß der Gestirne aber konnte dann die sonst an ihren natürlichen Orten ruhenden Elemente in Bewegung gebracht und zu mannigfachen qualitativen, quantitativen und substanziellen Umwandlungen geführt haben. Dazu kommt, daß Aristoteles wirklich, in Analogie zur natürlichen Bewegung, welche nach ihm die Elemente haben sollen, auch den Himmelssphären eine natürliche Bewegung zuschreibt und dieselbe als rotierende Bewegung faßt. So scheint sich denn die Hypothese, daß die himmlischen Sphären von selbst in einer ihnen natürlichen, gleichmäßigen Bewegung begriffen, die erste Ursache für alles Entstehen und Vergehen in der sublunarischen Welt seien, vor allem zu empfehlen. Dennoch verwirft Aristoteles sie aufs entschiedenste, und zwar aus folgendem Grunde. Eine Bewegung ist nie anders als unvollkommen wirklich. Es lassen sich in ihr immer Teile unterscheiden, nach welchen sie nicht ist, sondern nur war oder sein wird. Sie besteht, solange sie besteht, nur einem ihrer Momente nach, bald nach diesem, bald nach jenem. Da sie nun keinem ihrer Teile und keinem ihrer Momente nach schlechthin notwendig ist, so kann sie überhaupt nicht schlechthin notwendig sein. Sie müßte, um schlechthin notwendig zu sein, allen ihren Teilen und Momenten nach schlechthin notwendig sein, während sie offenbar nach keinem schlechthin notwendig und, einen einzigen ausgenommen, nach keinem auch nur wirklich ist. Keine Bewegung kann also das schlechthin Notwendige sein, auf welches das Entstehen und Vergehen als erste Ursache zurückzuführen ist; vielmehr muß jede Bewegung selbst eine wirkende Ursache haben. Machen wir dies noch speziell an dem Fall einer Kugelschale, welcher eine Drehbewegung natürlich sein soll, anschaulich! Ein gewisser Punkt A auf ihrem Äquator ändert fort und fort seine Stellung. Er kann also hier und nicht hier sein. Warum also ist er gerade hier? – Sagt man: weil er vorher dort war, so kehrt die Frage, warum er dort war, wieder. Und wenn ich dabei auch ins

56

Aristoteles und seine Weltanschauung

Unendliche nur immer frühere und frühere Positionen als Grund angebe, sie erscheinen doch, wie im einzelnen, so in ihrer Gesamtheit gleich unerklärt. Wir hätten etwas Tatsächliches, was weder unmittelbar notwendig wäre, noch in Rücksicht auf etwas anderes aufhörte, grundlos zu erscheinen. Die erste erklärende Ursache dafür wird also in etwas anderem als in der bewegten Sphäre selbst zu suchen sein. Das gleiche gilt augenscheinlich allgemein für jeden bewegten Körper. Und so sehen wir denn, daß nicht in einem solchen die erste Ursache der Umwandlung, welche uns die Körperwelt zeigt, liegen kann, daß wir sie vielmehr in einem völlig Unbewegten suchen müssen. Aristoteles macht hier noch die Bemerkung, die Erfahrung zeige uns, daß es Dinge gebe, die bald ruhen, bald sich bewegen und außerdem andere, er meint die Gestirne, die immer in Bewegung begriffen sind. Warum sollten da nicht auch, als dritte Klasse, Dinge angenommen werden, welche immer und ihrer Natur nach unbewegt sind? – Freilich einen naturnotwendig ewig unbewegten Körper wird einer kaum anzunehmen geneigt sein. Denn wäre selbst, wie anderen Körpern eine Bewegung, so ihm die Ruhe natürlich, so könnte er doch wie ein Erdklumpen, wenn er nach oben, ein Feuer, wenn es nach unten bewegt wird, oder eine Himmelssphäre, wenn sie dem Einfluß einer anderen unterliegt, von etwas anderem in Bewegung gesetzt werden. Und so finden wir denn auch, daß Aristoteles seine naturnotwendig unbewegte Substanz geistig denkt. Und ein Argument, das er dafür erbringt, dürfte, mit der von uns hier gemachten Bemerkung in Verbindung gebracht, verständlicher werden. Es scheint ihm nämlich die ewige Unveränderlichkeit bei einem Einfluß, der sich endlos mächtig erweist, auf eine unendlich überlegene Kraft zu deuten. Eine solche aber kann einem begrenzten Körper gegenüber einem anderen nicht zukommen, aber auch keinem unbegrenzten, weil eine wirklich unendliche Ausdehnung, ähnlich wie eine wirklich unendliche Zahl, etwas in sich selbst Unmögliches ist.

Es ist ein einheitlicher, zwecktätiger Verstand als erste Ursache der ganzen Weltordnung Blicken wir nun auf die Erfahrung und fragen, wo sich etwas zeige, was unbewegt bewege, so begegnet uns ein solches einzig und allein in dem Falle, wo etwas Gedachtes um seiner selbst willen gut befunden und begehrt wird. Dabei ist das Gedachte und Begehrte ein und dasselbe, und es zeigt sich zwar ein doppelter Fall, indem wir entweder etwas begehren, weil es uns besser dünkt, oder es uns besser dünkt, weil wir es begehren. Aber auch in diesem Falle

Ein Verstand als erste Ursache

57

muß es vor allem gedacht sein, und so ist hier durchwegs das Denken erstes Prinzip.25 Das Denken wird so zur Ursache der Wahl von Mitteln, die dann, eines um das andere, handelnd verwirklicht werden. So werden wir auf die Vermutung geführt, daß jenes Unbewegte, welches als erste Ursache für die Bewegung verlangt wird, in analoger Weise zu denken sei, als ein Denkendes, das etwas um seiner selbst willen gut findet und begehrt.26 Und was wir nach Aristoteles so vermuten müssen, findet nach ihm die reichste Bestätigung, wenn wir das, was die Erfahrung uns zeigt, näher besichtigen. Es erscheint ihm als eine kaum begreifliche Blindheit, was von den Philosophen vor Anaxagoras keinen erkennen ließ, daß die Schönheit und Ordnung des Weltalls nicht anders als die eines Kunstwerkes, das ein menschlicher Verstand hervorbringt, auf einen ordnenden Verstand hinweisen. Und die Ähnlichkeit mit dem, was wir bei menschlichen Kunstwerken finden, springt bei gewissen Erscheinungen auf dem Gebiet der lebendigen Natur noch ganz besonders in die Augen. So beim Aufbau eines Organismus, wo Stufe um Stufe zur Vollendung emporgeklommen wird, welche dann als die eigentlich angestrebte Lösung einer Aufgabe erscheint, wie das fertige Haus, um deswillen eine lange Reihe von Arbeiten ausgeführt worden sind, die nur in Rücksicht auf das Endergebnis Wert und Bedeutung haben. So schon bei der Pflanze, die doch gewiß selbst nichts mit Verstand zu einem Zwecke ordnet, da sie alles Bewußtseins ermangelt. Freilich mag das, was auf der Höhe ihrer Entwicklung erreicht ist, nicht etwas um seiner selbst willen Gutes sein.27 Das gilt aber auch beim Aufbau des Hauses; aber wenn sichere Zeichen auch nur für die Hinordnung zu einem untergeordneten Zweck vorliegen, so weisen sie mit gleicher Sicherheit auf das Streben nach einem letzten Zwecke, nach etwas, was, um seiner selbst willen geliebt, gut ist oder wenigstens gut scheint, hin. Ein Begehren, das nichts um seiner selbst willen, sondern jegliches nur um eines anderen willen begehrte, ginge als grundlos ganz ins Leere; es erschiene als völlig unmotiviert. Dies zur Verwahrung gegen den Einwand, als ob jene so sichtlich teleologischen Erscheinungen auf dem Gebiet der Natur für unseren Fall, wo es sich um den Nachweis eines um seiner selbst willen Geliebten 25

Met. Λ, 7 Anfang gewöhnlich falsch ausgelegt. Man versäumte den Vergleich mit dem dritten Buch von der Seele und insbesondere mit der Nikom. Eth. II u. VI, 5, aus welchen man ersieht, daß nach Aristoteles’ Meinung sowohl der eine als der andere Fall vorkommt, der, daß das Gutgefundene für das Begehren, und der, daß das Begehren für das Gutbefinden maßgebend wird. Die ἡδονὴ gehört ja zum Bereich der ὄρεξις im weitesten Sinne des Wortes.

26

Vgl. dazu Theophrasts metaphysisches Fragment.

27

Vgl. dazu Theophrasts metaphysisches Fragment.

58

Aristoteles und seine Weltanschauung

als ersten Grundes der Bewegung handelt, nicht brauchbar wären. Auch der Instinkt der Tiere erklärt sich nur in Rücksicht auf eine verständige Berechnung von Bedürfnissen, welche das Tier selbst anzustellen gar nicht fähig ist. So geht Aristoteles im zweiten Buch der Physik, wo er die Frage nach einer Zweckordnung in der Natur bespricht, noch mehrfach auf Erörterungen ein, welche die Ähnlichkeit der Ordnung in der Natur mit einer verständigen Zweckordnung in helleres Licht setzen. Und im zehnten Kapitel des zwölften Buches der Metaphysik sagt er, daß nicht bloß im einzelnen Organismus ein Glied dem anderen angepaßt erscheine, sondern daß auch die verschiedenen Arten von Organismen in teleologischer Beziehung zueinander stünden, ja daß alles in der Welt mit allem durch gewisse Zweckbeziehungen verknüpft sei. Und so wird denn die Hypothese, daß der unbewegte Beweger, welchen alle Bewegung in der Welt als erste Ursache verlangt, ein Verstand sei, aufs mannigfachste und glänzendste bestätigt. Die zuletzt erwähnte Tatsache, nämlich daß sogar alles zu allem in teleologischer Beziehung steht, läßt uns zugleich auch noch erkennen, daß das denkende Prinzip, von welchem die Ordnung in letztem Grunde herstammt, ein einheitliches ist. Oder könnte man trotz der Einheitlichkeit der Ordnung an eine Vielheit der ersten bewegenden Prinzipien glauben? – Sicher nicht; denn weder von einander verschieden noch völlig unterschiedslos könnten sie sein. Nicht voneinander verschieden, denn das führte zu Störungen; nicht unterschiedslos, weil es eine Vielheit ganz unterschiedsloser Dinge überhaupt nicht geben kann. Auch wenn wir das Gesetz der Synonymie in Erwägung ziehen, welches, wie gesagt, für alles Werden gilt, finden wir uns auf die Annahme eines Verstandes als ersten Grundes verwiesen. Nach diesem Gesetze geht im einzelnen zwar die Möglichkeit der Wirklichkeit voran; aus etwas, was nur erst fähig ist, ein Pferd zu werden, es aber noch nicht wirklich ist, wird das wirkliche Pferd; aber sein Werden verlangt den Vorbestand eines anderen wirklichen Pferdes, welches das, was bloß in Möglichkeit Pferd ist, zum wirklichen Pferd umbildet. Doch da dieses selbst früher in Möglichkeit als in Wirklichkeit Pferd war, so kommen wir, solange wir in der Kette der natürlichen Zeugungen verweilen, nicht dazu, den eigentlichen Grund der Tatsache, daß Pferde bestehen, einzusehen. Es kann dies nur geschehen im Hinblick auf einen Fall von Synonymie, bei welchem die Wirklichkeit des Pferdes als definitiv früher als die Möglichkeit erscheint. Und so ist es, wenn wir es als Teil des Gedankens der Weltordnung im ersten allbewegenden Verstande enthalten denken. Dann zeigt sich, daß, ob auch in der Kette der natürlichen Zeugungen im einzelnen das, was in Möglichkeit ist, dem, was in Wirklichkeit ist, doch

Die Ursache aller Ordnung und alles Seins

59

alles in allem genommen und schlechthin die Wirklichkeit der Möglichkeit vorangeht. Noch greifbarer wird die Notwendigkeit dieses Rekurses, wenn wir an die Fälle sogenannter spontaner Zeugung denken. Aristoteles war der Meinung, daß eine solche bei niederen Pflanzen- und Tierarten noch jetzt in der Erfahrung gegeben sei, und billigt, wir werden darauf zurückkommen, auch die Meinung derer, welche an ein vormaliges spontanes Entstehen auch der höchsten Arten von Organismen glauben. Doch diese beiseite gelassen, sind nicht auch die niedersten Organismen in ihrem Aufbau etwas, was allen Vergleichs menschlicher Kunstwerke spottet? Etwas Derartiges auf bloßen Zufall, ein blindes Zusammentreffen sich gegenseitig hemmender Kräfte zurückzuführen, geht sicher nicht an. Das Gesetz der Synonymie muß voll gewahrt sein. Voll gewahrt erscheint es aber nur dann, wenn wir in unseren Gedanken von den nächsten wirkenden Ursachen, die sozusagen nur Handlangerdienste tun, auf den Plan in dem Geiste des ewigen Baumeisters, in dessen Auftrag sie arbeiten, zurückblicken.

Dieser Verstand ist die erste Ursache nicht bloß aller Ordnung, sondern auch alles Seins Wir erkennen aber leicht, daß Aristoteles dieses erste unbewegte Prinzip der Bewegung auch als die erste ursachlose Ursache der Substanzen der bewegten Körper gedacht hat, und daß er es so denken mußte. Soweit es die korruptiblen Körper anlangt, steht dies schon darum außer Zweifel, weil dasselbe Argument, welches für die lokale Veränderung gilt, sich auch direkt auf die substanzielle Umwandlung anwenden läßt. Für die inkorruptiblen (und als solche galten ihm die Himmelskörper) ist es aber ebenso klar. Ihre Bewegung soll ja nach Aristoteles’ ausdrücklicher Bestimmung ihnen ebenso natürlich sein wie den niederen Elementen die Bewegung nach ihrem natürlichen Orte.28 Und hiemit ist gesagt, daß sie keine andere wirkende Ursache hat als die Ursache der Substanz. Nur das, was einem Körper die Natur des Feuers gibt, soll nach Aristoteles die wirkende Ursache für seine natürliche Bewegung nach oben sein; und so kann er denn auch nur das, was einem Himmelskörper seine Natur gibt, als Ursache seiner natürlichen Bewegung betrachten. Wir dürfen uns darum gar nicht mit Schwegler und anderen modernen Interpreten darüber wundern, wenn Aristoteles es in unzweideutigstem Worte ausspricht, daß 28

De Coelo I, 2 p. 268 b 14–16.

60

Aristoteles und seine Weltanschauung

es, wenn es eine geistige Substanz nicht gäbe, keine Himmelskörper geben würde,29 wie er denn daraufhin an anderer Stelle30 auch die korruptiblen Substanzen mit einbegreifend sagt, wenn es jenes unbewegte Prinzip nicht gäbe, so würde gar nichts sein. Es ist also auch gänzlich unzulässig, wenn man die Worte, die Aristoteles für seinen ersten Beweger anwendet: „Das Prinzip und das erste der Dinge“31, anders als in seinem nächstliegenden Sinne deuten will, indem man sagt, Aristoteles meine hier nur das Prinzip für die Bewegung und Ordnung der Dinge und spreche von einem ersten Dinge nur wegen eines Vorranges, den es vor anderen Dingen habe. Allerdings ist es richtig, daß Aristoteles die Substanz der Himmelssphären ohne Anfang bestehend denkt. Es ist mir aber schwer begreiflich, wie man dies damit unvereinbar finden kann, daß sie ihrer Substanz nach verursacht sind. Sonst müßte ja aus demselben Grunde auch ihre Bewegung nicht verursacht gedacht werden können; soll doch auch sie nach Aristoteles ohne Anfang sein. Wenn man also auch nicht die eben geführte einfache Erwägung anstellte, wonach den Himmelskörpern ihre natürliche Bewegung nur von dem, was ihnen ihre Natur gibt, gegeben werden kann, so hatte man doch nicht den geringsten Anlaß, wegen des ewigen Bestandes der Himmelssphären es für ausgeschlossen zu halten, daß sie ihrer Substanz nach verursacht seien. Wir erinnern an das früher Gesagte. Man muß sich hüten, den Begriff der wirkenden Ursache, den in moderner Zeit ein Hume mit dem Namen verknüpfte, in Aristoteles hineinzutragen.32 Nach Aristoteles enthält der Begriff der wirkenden Ursache nicht den eines zeitlichen Antezedens, und es widerspricht darum nach ihm nicht, wenn die Wirkung so lange besteht wie das, was die Wirkung übt. Wo von allen außer der wirkenden Ursache erforderlichen Bedingungen keine fehlt, muß nach ihm, sobald die wirkende Ursache eintritt, die Wirkung zugleich eintreten. Wo aber gar keine Mitbedingung verlangt ist, ist notwendig, sobald das wirkende Prinzip da ist, alles zum Eintreten der Wirkung Notwendige da; also kann sie bei einem ewigen und unveränderlichen wirkenden Prinzip in solchem Falle nicht anders als anfangslos bestehen. Sie ist ebenso von Ewigkeit wie dieses. Wie wenig tief diejenigen, welche den Verstand, den Aristoteles als erstes Prinzip für die Weltordnung bezeichnet, nur als Ursache der Bewegung und Ordnung, nicht aber als Ursache des Seins der Substanzen gelten lassen wol29

Met. E, 1 p. 1026 a 17.

30

Met. Λ, 6.

31

Met Λ, 8 p. 1073 a 23.

32

Vgl. oben S. 40.

Die Ursache aller Ordnung und alles Seins

61

len, in seinen Gedanken eingedrungen sind, mag auch aus folgendem ersehen werden. Wenn dem Verstand die Himmelssphären von ihm unabhängig gegeben vorliegen, sein Einfluß aber ihnen die Ordnung und also doch vor allem die geordnete Lage gibt, so müssen sie, an und für sich der geordneten Lage entbehrend, aus einem Zustand der Unordnung in den der Ordnung versetzt werden. Die Himmelssphären, die regelmäßig ineinander geschachtelt sind, würden also durch ihn aus irgendwelcher anderen, weniger guten Lage in diese Lage gebracht werden. Aber wie könnte dies geschehen? – Jede ist geschlossen. Wie könnte die kleinere Sphäre, wenn sie draußen ist, ins Innere gelangen? Niemals könnte es also zu dieser Ordnung kommen, wenn nicht die eine Substanz innerhalb der anderen verursacht würde. Ja eine noch einfachere Erwägung genügt. Denn offenbar müßte die Überführung von ungeordneter zu geordneter Lage entweder in einer einzelnen bestimmten Zeit stattgefunden haben oder von Ewigkeit her und unaufhörlich stattfinden. Aber im ersteren Falle wäre die Ordnung nicht von Ewigkeit, was der ausdrücklichen Lehre des Aristoteles widerspricht. Das andere aber hieße, wie Aristoteles selbst einmal hervorhebt,33 eine greifbare Absurdität annehmen; müßten doch die Sphären dann fort und fort zugleich in ungeordneter und geordneter Lage befindlich sein. So haben wir denn in jenem einheitlichen Verstande, den Aristoteles als erstes Prinzip für die Bewegung und Ordnung in der Welt erwiesen zu haben glaubt, unzweifelhaft auch die erste wirkende Ursache für die Substanz aller zu ihr gehörigen Körper und aller zu ihr gehörigen Dinge überhaupt zu erkennen, mögen sie nun einen zeitlichen Anfang haben oder nicht.34 Im letzteren Falle wird ihnen allerdings von Aristoteles ein Entstehen (denn dieser Begriff schließt ein Anfangen ein) abgesprochen, keineswegs aber darum schon ein Verursachtsein oder ein Sein infolge von Verursachung, wie man sich nach Aristoteles in gewissen Fällen, und insbesondere so oft es sich nicht um ein in Wirklichkeit Seiendes, sondern um eine dazugehörige Form oder eine daran geknüpfte Fähigkeit zu Wirklichem handelt, auszudrücken haben wird. Wir erkennen also in dem Verstand, der die erste Ursache alles Geschehens und aller Ordnung in der Welt ist, ein Wesen, welches die erste Ursache von allem ist, was außer ihm wirklich ist, so zwar, daß auch gar nichts außer ihm denkbar ist, was wäre, ohne von ihm als erster Ursache hervorgebracht zu sein. Alle andere positive Wahrheit ist von seiner Existenz als erster unmittelbar not33

Vgl. dazu De Coelo I, 10 p. 280 a 6.

34

In ausführlicherer Erörterung habe ich neuerdings in meiner Schrift „Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes“ (Leipzig, Veit & Co., 1911) II. Teil, IV. die aristotelische Gottheit als erste schöpferische Ursache aller Dinge dargetan.

62

Aristoteles und seine Weltanschauung

wendiger, positiver Wahrheit als Folge unabtrennbar und würde darum von uns, wenn uns sein Wesen anschaulich, und unser Verstand zu weitgehendster Ableitung der in dem Prinzip enthaltenen Konsequenzen befähigt wäre, von vornherein aus ihm erkannt werden können. Doch offenbar ist von diesen Bedingungen schon die erste tatsächlich nicht erfüllt, und der Gedanke an eine solche apriorische Erkenntnis alles Seienden aus seinem ersten Prinzipe darum vollständig für uns ausgeschlossen.

Er ist, indem er sich selbst schaut, allweise und vollkommen selig, und sein Wesen ist seine Weisheit und seine Weisheit seine Seligkeit Aber was für uns unmöglich ist, das, glaubt Aristoteles, sei in vollkommenster Weise wirklich in bezug auf den weltursächlichen Verstand selbst; sein Denken lasse sich nicht anders verstehen. Denn einerseits muß nach ihm der Verstand ein Objekt haben, das in Wirklichkeit ist. Nur Wirkliches ist durch sich erkennbar, während das nicht Wirkliche nur vermöge eines anderen erkannt werden kann. Und da nun der weltursächliche Verstand allem anderen Wirklichen gegenüber als das der Natur nach Frühere erscheint, so kann auch nichts anderes als er selbst sein Objekt sein. Nur er kann unmittelbar von sich erkannt werden. Ebenso klar aber ist, daß er nicht bloß sich, sondern auch das Weltall aufs vollkommenste erkennen muß. Könnte doch sonst nicht so, wie es verlangt ist, die ganze Ordnung der Welt auf sein Denken als erstes bestimmendes Prinzip zurückgeführt werden. Somit bleibt nichts übrig, als anzunehmen, daß er, indem er sich unmittelbar, alles andere aus sich als seinem ersten Grunde erkenne. Und darum bezeichnet ihn Aristoteles als weise im vollendeten Sinne des Wortes; denn die Weisheit besteht in der Erkenntnis des ersten Prinzips und der von ihm bedingten sekundären Wahrheiten aus ihm, als ihrem ersten Grunde. Sie ist darum, wie Aristoteles in der Ethik sagt, νοῦς ϰαὶ ἐπιστήμη. Da es sich im Falle des weltursächlichen Verstandes um die Erkenntnis eines Prinzips handelt, welches das einzige, erste Prinzip aller Dinge ist, so bedeutet seine Weisheit eine Allwissenheit im höchsten und vollendeten Sinne des Wortes. Wenn wir hören, daß das Erkennen des ersten Verstandes Weisheit sei, und daß die Weisheit mit der Erkenntnis unmittelbarer Wahrheit auch die von mittelbarer Wahrheit verbinde, so dürfen wir aber darum nicht glauben, daß bei ihm die letztere wenigstens eine erworbene Erkenntnis sei. Sie ist ihm mit der Erkenntnis der unmittelbaren Wahrheit anfangslos und schlechthin not-

Seine Weisheit und seine Seligkeit

63

wendig gegeben. Der weltursächliche Verstand darf ja nicht als ein Denkvermögen gedacht werden, das Gedanken in sich aufnimmt. Er ist vielmehr eine reine Wirklichkeit des Denkens. Und dieser Umstand zeigt noch deutlicher den gewaltigen Abstand zwischen unserem Denken, selbst in seinen höchsten Augenblicken, und dem jenes ersten Prinzipes. Die Augenblicke, in welchen wir zu unseren höchsten Erkenntnissen uns erheben, sind selige Augenblicke. Und solchen seligen Glückes nicht bloß für kurze Zeit, sondern ewig teilhaft zu sein, das erscheint als etwas Bewundernswertes; noch bewundernswerter aber, eines unvergleichlich vollkommeneren Erkennens in alle Ewigkeit sich zu erfreuen. Erkennen aber ist Leben, und so haben wir denn dem ersten Prinzip ein ewig seliges Leben zuzuschreiben, ja zu sagen, daß es in diesem schlechthin notwendigen, ewig seligen Leben bestehe. Von der Lust, die unser Erkennen, wenn es vollkommen ist, begleitet, lehrt Aristoteles in der Ethik35, daß sie nicht selbst ein Denken sei, vielmehr, wie immer innig mit dem Denken verbunden, eine psychische Tätigkeit von anderer Gattung. Sie ist offenbar analog zu denken der Lust auf sinnlichem Gebiete, welche Aristoteles mit anderen Affekten zu der Klasse zählt, die er „Begehren“ (ὄρεξις) nennt, und wir haben so hier einen deutlichen (zudem nicht einmal alleinstehenden) Beweis für das, was manche Interpreten noch heute leugnen, daß nämlich Aristoteles auch auf dem Gebiete des intellektiven Seelenlebens neben der Denktätigkeit eine Gemütstätigkeit angenommen hat. Indem er nun aber in Analogie zu unserem Verstande von einem ersten ursächlichen Verstand spricht und auch ihm sowohl Denken als eine mit dem Denken verbundene Seligkeit zuschreibt, identifiziert er beide, wie er bei ihm ja auch Substanz und Denken, die bei uns nicht dasselbe sind, identifiziert. Dies wäre ein Widerspruch, wenn die Begriffe des Denkens und der Gemütstätigkeit in völlig gleichem Sinn festgehalten würden, und nicht vielmehr etwas bloß Analoges, das in überragender Weise ihre Vollkommenheit einschließt, ihnen substituiert würde. Selbst von dem Begriffe der Substanz muß gesagt werden, daß er nicht im gleichen, sondern nur in analogem Sinn auf das erste Prinzip übertragen werden dürfe; sonst müßten wir ja zu ihm eine spezifische Differenz hinzutretend denken, während Aristoteles ausdrücklich leugnet, daß der Begriff jenes weltursächlichen Wesens aus Gattung und Differenz zusammengesetzt sei. Er denkt es also für uns vollständig unanschaulich und nur durch negative und analoge Bestimmungen zu charakterisieren. Theophrast verweilt in dem uns erhaltenen metaphysischen Fragment eingehend bei dieser Weise der Benennung in bloß analogem Sinne. So dürfen wir denn nicht weiter dar35

Eth. Nic. X, 5 p. 1175 b 34.

64

Aristoteles und seine Weltanschauung

an Anstoß nehmen, wenn Aristoteles, obwohl er dem ersten Prinzip Substanz und Denken und Lust und, insofern es denkt, unmittelbare Erkenntnis und Wissen zuschreibt, doch zugleich von ihm als etwas Einfachem, einer völlig einheitlichen Tätigkeit spricht. Es besteht eine Wechseldurchdringung aller ihm zugeschriebenen Attribute. Sein Erkennen der Welt gehört notwendig zu seinem Erkennen seiner selbst, ja zu seinem Wesen selbst und wird erkannt, indem dieses erkannt wird. Und so ist, wenn die Welt nicht als Objekt ihm vorliegt, doch sein apriorisches Erkennen der Welt so gewiß als Objekt für ihn gegeben, als dies von seinem Wesen gesagt werden muß. Vielleicht ist es zum Verständnis der Widerspruchslosigkeit solcher Wechseldurchdringung nicht ganz undienlich, wenn ich auf das hinweise, was uns selbst in gewissen Fällen innerer Wahrnehmung gegeben ist. Wir nehmen wahr, daß uns etwas schmerzt, und es würde uns nicht schmerzen, wenn wir den Schmerz nicht wahrnähmen; aber umgekehrt würden wir ihn natürlich auch nicht wahrnehmen, wenn er nicht wäre. Ja, man kann sagen, daß es uns schmerzt, daß wir den Schmerz wahrnehmen, wie daß wir wahrnehmen, daß das Wahrgenommene uns schmerzt. Das Verhältnis ist also hier nicht so, wie wenn wir erkennen, daß jemand gestorben ist, und über seinen Tod trauern, wo zur Erkenntnis des Ereignisses das darauf bezügliche Leid als etwas Zweites hinzukommt, das bei gleichmäßig gegebener Erkenntnis ohne Widerspruch entfallen könnte. Wenn Aristoteles die an ein Erkennen geknüpfte Lust bei uns als eine zweite hinzukommende Tätigkeit anderer Art betrachtet wissen wollte, so ist es doch gewiß nicht anzunehmen, daß er nicht wenigstens das mit der Lust verbundene Erkennen der Lust mit ihr selbst in solcher Wechseldurchdringung und darum als einheitliche Tätigkeit mit ihr gefaßt habe.

Er ist die Liebe alles Guten und der allmächtige Wille, der das Beste will Diese Erörterung bereitet uns für das Verständnis auch noch weiterer Momente der aristotelischen Gotteslehre vor. Wie nämlich Aristoteles im göttlichen Verstande mit der Erkenntnis der ersten, unmittelbar notwendigen Wahrheit auch die aller mittelbaren verbunden denkt, so auch mit der Liebe, die das erste Prinzip zu sich selbst hat, die Liebe zu allem anderen Guten. Und diese muß geradeso jedes einzelne Gute in der Welt berühren, wie die Erkenntnis jedes einzelne Seiende, und muß sich geradeso zu der Liebe des ersten Prinzips zu sich selbst als Mittelbares zu Unmittelbarem verhalten, wie die Erkenntnis

Er ist die Liebe alles Guten

65

aller sekundären Wahrheiten zur Einsicht der ersten und unmittelbaren Wahrheit. Man darf dies nicht so verstehen, als werde etwas von dem, was das erste Prinzip will und wählt, gewollt und gewählt um eines Vorteils willen, der ihm selbst erwüchse, oder gar damit es selbst erst wirklich werde. Das eine wie andere wäre absurd. Aber dennoch wird, was Gott außer sich selbst liebt, von ihm nur geliebt nach Maßgabe seiner Ähnlichkeit mit ihm. Das ihm Ähnlichere wird mehr,36 das ihm Ähnlichste am meisten geliebt und darum allem anderen vorgezogen. Es erscheint dies nicht bloß im Einklang mit seinem Verfahren auf dem Gebiet des Denkens, sondern war auch notwendig verlangt, wenn sein weltursächlicher Verstand sich irgendwie als Verstand wirksam erweisen sollte. Aristoteles hob ja, wie wir uns erinnern, da, wo er den Fall des Wirkens durch Natur dem des Wirkens durch Verstand gegenüberstellte, als für den letzteren charakteristisch hervor, daß dasselbe Denken das Prinzip entgegengesetzten Wirkens werden könne. Vermöge desselben Begriffs der Gesundheit mag ein Arzt Gesundheit geben und Gesundheit rauben, während bei der natürlichen Erzeugung das erzeugende Pferd stets nur die Natur des Pferdes gibt, nie sie raubt. Ob beim Wirken durch Verstand das eine oder andere der Fall sei, hängt von dem Willen des Denkenden ab. Und so wird es denn ohne ein Wollen in dem einen oder anderen Sinne niemals zu dem Wirken eines Verstandes als Verstand kommen können. Es war also unabweislich geboten, in Analogie zu unserem Wollen auch jenem ersten denkenden Prinzip ein Wollen und Wählen in bezug auf das, was durch es gewirkt werden sollte, zuzuschreiben und zu sagen, es müsse nicht bloß sich selbst lieben und diese Liebe in ewiger Freude an sich selbst betätigen, sondern es müsse auch, wie mit der Erkenntnis des eigenen Seins die Erkenntnis aller anderen Wahrheit, so mit der Liebe seiner selbst die richtige Wertung von allem anderen, worauf sein Denken sich bezieht, verbinden; wobei dann eines vor dem anderen bevorzugt, und das, was als das Vorzüglichste erscheint, gewollt wird. Wie es bei uns ein richtiges und unrichtiges Denken gibt, so auch ein richtiges und unrichtiges Lieben und Wollen. Bei jenem ersten Verstand ist aber, wie das Denken ohne Irrtum, so auch das Lieben und Wollen ohne Fehl; hängt doch die Richtigkeit auf dem Gebiet der Gemütstätigkeit mit der auf dem Gebiet des Denkens eng zusammen.37 Dem irrtumslos Allwissenden kann nichts anderes gut dünken, als was wirklich gut ist. Gutdünken und Begehren entsprechen aber einander, möge nun dieses für jenes oder jenes für dieses maß36

Vgl. Eth. Nic. X, 9.

37

Eth. Nic. VII, 5.

66

Aristoteles und seine Weltanschauung

gebend sein. Und so kann es denn nicht anders sein, als daß, wie die Liebe des ersten Verstandes zu sich selbst, auch seine Liebe zu allem anderen, was er liebt, auf ein wirkliches Gut gerichtet ist, daß er durchwegs das Bessere vor dem Minderguten bevorzugt und in jeder Beziehung mit seinem Willen für das Beste entschieden ist. Das ist, was wir von Theophrast in klaren Worten ausgesprochen finden, wenn er den ersten Verstand bezeichnet als „das Erste, Göttlichste, das alle besten Dinge will“ (τὸ πρὠτον Θειότατον πάντα τὰ ἄριστα βουλόμενον). Und bei der Bekämpfung einer Lehre der zeitgenössischen Platoniker weist er eine Meinung zurück, weil aus ihr etwas folge, was wohl sicher nicht der weltordnende Verstand „vorgezogen haben würde“ (προείλοιτο). Das allein ist es ja auch, woraus sich die, wie wir sehen werden, für Aristoteles unerschütterlich feststehende Überzeugung erklärt, daß die Weltordnung tadellos vollkommen ist, und jede andere ihr an Vollkommenheit nachstehen würde. Auch zeigt sich, warum Aristoteles in der Topik, wo er darlegt, daß nicht die Macht Böses zu tun, sondern nur das wirkliche Schlechthandeln etwas Böses sei, dies mit dem Hinweis, nicht bloß auf den tugendhaften menschlichen Machthaber, sondern auch auf die Gottheit begründet. Die Macht, das Böse zu tun, sagt er, habe auch der Gott und der Tugendhafte, aber sie seien nicht böse. Um böse zu sein, müßten sie nicht bloß die Macht, sondern den Willen zum Bösen haben. Denn, wenn man einen böse nenne, so beziehe sich das auf sein Vorziehen. Das entspricht ganz dem, was er von jedem Wirken eines Verstandes sagt. Derselbe Gedanke kann Prinzip für Entgegengesetztes sein, und nur von dem Wollen hängt es ab, ob das eine oder andere geschehe. Die heutigen Interpreten des Aristoteles scheuen sich nicht, hier, wie an vielen anderen Stellen anzunehmen, daß Aristoteles sage, was er selbst nicht glaube, da ja seine Lehre von der schlechthinnigen Notwendigkeit des ersten Prinzipes damit in Widerspruch stehe. Doch Leibniz behauptet ganz so wie Aristoteles, daß die Gottheit schlechthin notwendig sei, und lehrt doch auch ganz so, wie Aristoteles es hier tut, daß Gott nicht darum, weil es nicht in seiner Macht und Freiheit stehe, sondern nur wegen seiner vollendeten Güte nichts Böses tue. Der Umstand, daß diese Philosophen beide aus ihrer Gotteslehre die Lehre von einer bestmöglichen Welt ableiten, hätte, sollte man meinen, für das Verständnis ihrer Übereinstimmung auch noch in anderen Punkten vorbereiten und davor schützen müssen, bei dem einen zu behaupten, er glaube nicht, was er sagt, während von dem anderen, der dasselbe sagt, niemand den guten Glauben in Abrede stellt. Dieser wäre, wenn bei dem einen, offenbar auch bei dem anderen und aus dem gleichen Grunde, unmöglich. Er zeigt sich aber als nicht unmöglich, sobald man nur die wahre Bedeutung ihrer Aussprüche sich klar macht.

Er ist unendlich gut

67

Er ist unendlich gut und als Gutes Prinzip Als schlechthin notwendig, alle Wahrheit in seiner Erkenntnis und alles Gute in seiner Liebe, alles außer ihm denkbare Reale in seiner Macht umfassend und im Bewußtsein seiner selbst beseligt, erscheint das erste Prinzip aller Dinge nun erst recht als die unendliche Vollkommenheit. Und wenn wir darum sagten, es werte alles nach dem Maß seiner Güte, so bedeutet das nichts anderes, als es werte alles nach dem Maß der Ähnlichkeit mit ihm selbst, dem Inbegriff aller Vollkommenheit. Und so erscheint denn die Liebe seiner selbst bei ihm als maßgebend für die Liebe von allem anderen, was es liebt, wie die Erkenntnis seiner selbst als Grund der Erkenntnis aller mittelbaren Wahrheit. Und wegen dieser Beziehung alles seines Wollens zur Liebe seiner selbst als des unendlich Guten erweist es sich, daß es vermöge seiner Güte alles bewegt; ein Gedanke, dem Aristoteles in den Worten Ausdruck gibt: „Es ist schlechthin notwendig, und insofern es notwendig ist, gut und so Prinzip.“ Es ist die Ursache von allem außer ihm, des Unbewegten wie des Bewegten, des Ewigen wie dessen, was Anfang und Ende hat, im Sinne des Zweckes, d. h. im Sinne des Guten, um deswillen alles ist. Doch hiegegen könnte ein Einwand erhoben werden, und Aristoteles versäumt nicht, ihn zu berücksichtigen. Wie kann in einem schlechthin Unveränderlichen der Grund liegen, weswegen etwas geschieht? Wie kann um seinetwillen etwas erstrebt werden? Das völlig Unveränderliche kann nichts gewinnen. Somit scheint auch der Grund, weswegen etwas geschieht, nicht in ihm liegen zu können. Aristoteles erledigt das Bedenken, wie so häufig, in solcher Kürze, daß er unverständlich zu werden droht. Es gebe, sagt er, ein Weswegen in zweifachem Sinn, im Sinne dessen, wofür und im Sinne dessen, wonach begehrt wird. Im ersteren Sinn könne ein Weswegen in dem völlig Unveränderlichen nicht sein. Wenn etwas ein für allemal ist, wie es ist, kann ihm weder etwas gegeben noch genommen werden. Wohl aber könne ein Weswegen im zweiten Sinne, im Sinne dessen, wonach begehrt wird, in ihm sein. Suchen wir uns die Anwendung, die er von dieser Unterscheidung machen will, noch etwas mehr zu verdeutlichen. Zunächst könnte man meinen, es genüge dazu der Hinweis auf einen Menschen, der in selbstloser Liebe darauf ausgeht, einem Freunde eine Wohltat zu erweisen. In diesem Fall ist der, für den er tätig ist, der Freund außer ihm; in dem Tätigen selbst aber der Gedanke an das ihm zu bereitende Glück, und dieser wird als Ziel, dessen Erreichung erstrebt wird, bestimmend. Auf das, was in dem ersten unbeweglichen Weltprinzip sich findet, angewandt, würden wir hienach die Weltordnung, insofern sie in dem unendlich vollkommenen Geiste vorbedacht besteht, als Zweck-

68

Aristoteles und seine Weltanschauung

ursache für ihre Verwirklichung zu denken haben. Doch wenn Aristoteles in dem ersten Verstand den letzten Grund der Welt, der als Gutes Ursache für sie werde, gegeben denkt, so scheint er dabei nicht allein an die Güte der Weltordnung, sondern auch an das noch unvergleichlich größere Gut, als welches sich das erste Reale selbst darstellt, zu denken. Als gedacht besteht ja nicht bloß das Glück des Freundes, nach welchem gestrebt wird, sondern auch der Freund, für welchen es erstrebt wird, in dem, welcher selbstlos nach seinem Glücke verlangt. Und so hätten wir in dieser Beziehung keinen Unterschied zwischen dem Weshalb im Sinne des Wofür und dem Weshalb im Sinne des Wonach zu machen. Damit dieser hervortrete, müssen wir also zeigen, wie etwas unveränderlich real Gegebenes und nicht bloß etwas, was in ihm als gedacht besteht, aber als veränderlich gedacht wird, als das betrachtet werden kann, weshalb etwas ist oder geschieht; nicht zwar im Sinne dessen, wofür erstrebt wird, wohl aber im Sinne dessen, wonach gestrebt wird. Zunächst scheint auch dies ausgeschlossen; ist doch das völlig Unveränderliche und ewig Notwendige kein durch Handlung oder Kunsttätigkeit zu erreichendes Gut. Dennoch kann es geschehen, daß in der Liebe zu etwas, was nicht verwirklicht werden kann, der letzte Grund für ein Handeln liegt. Aristoteles in seiner Ethik spricht von der Glückseligkeit als etwas, was für jedermann Ziel des Strebens sei; wenn aber für jedermann, dann offenbar auch für solche, welchen es unmöglich ist, ihrer teilhaft zu werden. Denn nicht in jeder Lage (das gibt Aristoteles im Gegensatz zu den Stoikern zu) können wir glückselige Menschen werden. Es dünkt ihm lächerlich, daß ein tugendhafter Mann mitten in den größten Qualen für glückselig gelten solle. Doch vielleicht sieht sich ein solcher außerstande, sich ihnen zu entziehen. Und wenn nun auch für ihn gilt, daß die Glückseligkeit als letztes Ziel des Strebens ihm vorschwebe, so offenbar darum, weil er einen ihr möglichst angenäherten Zustand zu erreichen sucht. Es bleibt ganz richtig, daß nicht die Liebe zu dem Zustand, den er zu erreichen sucht, sondern die Liebe zu der als unerreichbar gedachten Glückseligkeit das letzte Motiv seiner Handlung ist. Wenn nun dies, so kann offenbar dasselbe gelten für ein Gut, dessen Verwirklichung darum ausgeschlossen ist, weil es als schlechthin notwendig von Ewigkeit wirklich gegeben ist. Denn um dieses Guten willen wird alles ihm mehr oder minder Ähnliche nach dem Maß dieser Ähnlichkeit mehr oder minder gut gefunden und geliebt, und das ihm Ähnlichste allem minder Ähnlichen vorgezogen werden können. Und wenn dies, so wird die Folge sein, daß ein solches, wenn es sich erreichbar zeigt, auch zur Wirklichkeit geführt wird, und daß dabei doch nicht im letzten Grunde es selbst, sondern etwas von Ewigkeit und notwendig Wirkliches als geliebt Ursache des Werkes wird. Die eben von uns geführte

Die Gottheit

69

Erörterung über die Liebe Gottes zu sich selbst und zu allem anderen Guten nach dem Maß seiner Ähnlichkeit mit ihm enthebt uns der Mühe, dies noch weiter auszuführen.

Die Gottheit Welches also ist das Ergebnis der ganzen Erörterung? – Wir sehen, daß Aristoteles dazu gelangt, ein schlechthin vollkommenes erstes Prinzip alles Seienden als unzweifelhaft erwiesen zu betrachten. Es ist dies ein Denken, welches Denken eines Denkens ist; denn es ist Gegenstand seiner selbst. Es ist aber, indem es sich selbst erkennt, allerkennend; denn dieses Denken gleicht nicht dem eines beschränkten Kopfes, der, im Besitze des Prinzipes, nichts von dem ahnt, was in notwendiger Folge daran geknüpft ist, sondern dem eines Weisen im vollendeten Sinn des Wortes. Aristoteles nennt es νοήσεως νόησις, sagt aber anderwärts, daß diese νόησις σοφία sei, so daß wir die erste Bestimmung durch σοφίας νόησις zu erklären ein Recht haben. Es gilt ihm als Denken nicht bloß, sondern auch als Freude. Und es gilt ihm als einziger Gegenstand seines Denkens und seiner Freude und doch zugleich als allwissend und mit seiner Liebe alles Gute umfassend, alles in sich Bessere dem in sich minder Guten vorziehend, alles Nützlichere vor dem weniger Nützlichen wählend, in seinem Willen für das beste aller denkbaren Werke sich entscheidend; wobei trotz aller Fülle der Erkenntnis und Liebe doch alles eine einzige einheitliche Tätigkeit ist. Es ist schlechthin notwendig, nicht so, wie man etwas, weil es zu etwas anderem erforderlich ist, oder gar etwas Erzwungenes notwendig nennt; vielmehr ist seine schlechthinnige Notwendigkeit zugleich die vollendetste Freiheit. Und so, wie in sich völlig ungehemmt und frei, ist es auch in seinem Wollen allmächtig. Für all sein Wirken ist aber im letzten Grunde seine Liebe zu sich selbst als dem unendlich vollkommenen Gut bestimmend. Und so ist es denn der Inbegriff alles Guten und als Gutes erstes Prinzip aller Dinge, ja alles Seienden im eigentlichen wie uneigentlichen Sinne. Daß seine Kraft unendlich ist, beweist, daß es nicht körperlich ist, und diese wie auch andere negative Bestimmungen, z. B. Unveränderlichkeit, Anfangslosigkeit, kommen ihm im eigentlichen Sinne zu. Dagegen kann keiner von allen Namen, mit welchen wir es positiv benennen, selbst nicht der der Substanz, im eigentlichen, vielmehr nur im analogen Sinne darauf angewandt werden; denn es ist für unsere Anschauung völlig transzendent, und keiner unserer Begriffe, die ja alle aus Anschauungen stammen, kann es in sich begreifen. Und darauf sind die scheinbaren Widersprüche in den Benennungen, die wir

70

Aristoteles und seine Weltanschauung

ihm geben, zurückzuführen, die, so gewiß sie, wenn man die Worte im eigentlichen Sinne nähme, vorhanden wären, beim analogen Gebrauch nicht mehr ebenso bestehen. Dieses erste Prinzip ist es, das Aristoteles allein des Namens der Gottheit würdigt, wenn er diesen in seiner erhabensten Bedeutung gebraucht.

Die Gottheit des Aristoteles und die platonische Idee des Guten. Das „Begehren“ der Materie Die Gottheit erscheint nach Aristoteles gewiß als ein idealisches Wesen, aber (Aristoteles verwahrt sich ausdrücklich dagegen) darf nicht dem Gegenstand des allgemeinen Begriffs des Guten gleichgesetzt werden. Dieser findet sich in jedem Guten verwirklicht, während der der Gottheit nur Einem zukommen kann, und sein Gegenstand besteht für sich, während solches bei dem Begriff des Guten unmöglich ist. Gäbe es aber sogar ein für sich bestehendes Gutes im allgemeinen, so würde es darum nicht mehr gut sein, als ein einzelnes wahrhaft Gutes; wie auch ein Kreis im allgemeinen, wenn er an sich bestände, nicht runder wäre als jeder einzelne wahre Kreis, der in bestimmter Größe hier oder dort sich fände. Und wenn man auch annähme, daß jener ewig und notwendig, die anderen aber zeitlich und vergänglich wären, so würde ihn dies nicht runder machen als sie.38 So protestiert denn Aristoteles gegen eine Identifikation seiner Gottheit, die als Gutes Ursache alles Seienden wird, mit der platonischen Idee des Guten.39 Diese Verwahrung konnte wohl nicht überflüssig erscheinen, da ja auch Platon seine Idee des Guten als das denkbar Beste und als dasjenige galt, wodurch alles andere durch Verähnlichung ursachlich bedingt ist. Und Aristoteles begnügt sich nicht damit zu zeigen, daß es einen solchen allgemeinen Begriff als Ding für sich nicht gibt, und wenn es ihn gäbe, kein Vorzug ihm zukommen würde, sondern betont zugleich, daß er auch darum nicht als erste Ursache zur Erklärung des Seienden würde dienen können, weil ihm jede wirkende Kraft und Betätigung abginge; denn nur das Einzelne wirkt, wie auch nur das Einzelne gewirkt wird. Es ist darum erstaunlich, wenn neuere Interpreten der aristotelischen Gotteslehre dieselbe so darstellen, als ob nicht die Liebe der Gottheit zu sich selbst und ihr allmächtiger Wille es seien, welche die Verähn38

Vgl. Eth. Nic. I, 4.

39

Vgl. zum Folgenden Met. Λ, 6.

Die Gottheit und die platonische Idee des Guten

71

lichung der Dinge mit ihr verursachen, sondern als ob nach Aristoteles eine außer ihr gegebene bloße Fähigkeit zum Sein aus Liebe zur Gottheit spontan sich ihr zu verähnlichen strebe und durch dieses Streben zum wirklichen Sein gelange. Danach würde ja die Gottheit in der Tat ganz die Rolle einer platonischen Idealursache spielen. Sie wäre etwas Gutes, welchem die der Möglichkeit nach ihm ähnlichen Dinge durch Nachahmung sich annäherten. Aristoteles sagt ausdrücklich, der Ausdruck „Teilnehmen“, den Platon an die Stelle des pythagoreischen „Nachahmen“ gesetzt, habe dem Sinne nach nichts geändert. So scheint denn heutzutage der Protest des Aristoteles gegen die Verwechslung des von ihm gelehrten göttlichen Einflusses mit dem, den Platon seinen Ideen zuschrieb, ganz besonders als Verdammungsurteil über diese modernen Mißdeutungen wertvoll. Doch unsere modernen Interpreten werden erwidern, ich verkenne eine Differenz, die zwischen der von ihnen der aristotelischen Gottheit zugeschriebenen Ursächlichkeit und der der pythagoreischen Zahlen und der platonischen Ideen bestehe; denn wenn die Pythagoreer von einer μίμησις und Platon von einer μέϑεξις gesprochen habe, so ließen sie Aristoteles lehren, daß die Dinge infolge einer ὄρεξις, eines Begehrens, das sie nach der Gottheit trügen, sich ihr verähnlichten. Aber dieselben sehen nicht, daß hier wieder nur ein unklarer Ausdruck an die Stelle eines anderen unklaren gesetzt wird, wenn man nicht noch Schlimmeres sagen soll. Denn wenn man meint, die körperliche Materie gelange zur Wirklichkeit vermöge eines eigentlichen Begehrens nach der Gottheit, so muß man annehmen, daß sie vor allem die Gottheit denke und, indem sie sie denke, gut finde, ihr ähnlich zu sein, und so nach ihr begehre; denn in dieser Weise stellt sich nach Aristoteles jeder Fall des Begehrens im wahren Sinne des Wortes dar. Man braucht hieran nur zu erinnern, um erkennen zu lassen, wie unmöglich die ganze Auslegung ist. Soll doch nach Aristoteles der ersten Materie gar kein Denken, nicht einmal das von sensiblen Dingen, geschweige denn eines von einem intelligiblen Dinge, wie die Gottheit es ist, zukommen. Ja, ausdrücklich spricht er jedes Begehren, im eigentlichen Sinne des Wortes, nicht bloß der ganzen leblosen Welt, sondern auch noch der Pflanzenwelt ab, um es erst auf dem Gebiet des tierischen Lebens in Abhängigkeit von der Empfindung auftreten zu lassen. Wenn es nun klar ist, daß Aristoteles, wenn er in der Physik von einem Begehren der Materie spricht und auch anderwärts solchem, was die Gottheit nicht zu denken vermag, ein Begehren nach ihr und nach einer Verähnlichung mit ihr zuschreibt, kein Begehren im eigentlichen Sinn gemeint haben kann, so können wir diesem Worte, wenn wir nicht zu etwas ganz so Sinnlosem wie bei den Ausdrücken μίμησις und μέϑεξις gelangen wollen, nur jenen meta-

72

Aristoteles und seine Weltanschauung

phorischen Sinn geben, von welchem Theophrast in seinem schon mehrfach angezogenen metaphysischen Fragment spricht. In diesem Sinn sprechen auch wir noch oft von einem Wollen und Streben in solchem, was von einem Verstande zu einem Ziele geordnet ist. Statt zu sagen, der Schütze, der einen Pfeil abschoß, habe das Streben gehabt, die Scheibe zu treffen, sagen wir, der von ihm abgeschossene Pfeil strebe nach diesem Ziel oder gehe darauf aus, die Scheibe zu treffen. Und statt zu sagen, der Wagner habe, um die Reibung der Räder zu vermindern, sie mit einer gewissen fetten Masse bestrichen, sagen wir, die an ihnen angebrachte Wagenschmiere suche die Reibung zu verhindern. Dieser metaphorische Gebrauch weist also deutlich auf etwas anderes hin, dem im eigentlichen Sinne das Streben zukommt, und dies kann in dem Fall, wo es sich um ein Streben nach Verähnlichung mit der Gottheit handelt, nach unserer Darstellung der aristotelischen Lehre nur der Wille des die ganze Natur ordnenden Gottes sein. Bei jenen modernen Interpreten aber läßt sich weder dieser noch etwas anderes als das im eigentlichen Sinn Begehrende angeben, und so erscheint denn, wie gesagt, das ganze Gerede von der ὄρεξις so nichtssagend wie das von der μέϑεξις und μίμησις, das Aristoteles aus diesem Grunde verurteilt.

Die Gottheit des Aristoteles und der anaxagoreische Noῦς Aristoteles hat nicht bloß auf die platonische Ideenlehre, sondern auch auf die Lehre von dem Verstand, den Anaxagoras als weltbildendes Prinzip annahm, einen kritischen Seitenblick geworfen.40 Und auch dieser ist höchst bedeutsam für die Beurteilung der Richtigkeit der in der modernen Zeit vorherrschenden Auslegung der aristotelischen Gotteslehre; und zwar sowohl durch das, was Aristoteles hier tadelt, als durch das, was er unbeanstandet läßt. Nach unseren modernen Interpreten soll das Denken des aristotelischen Gottes ganz auf sich beschränkt sein; von nichts außer ihm, weder von etwas, was ist, noch von etwas, was war oder sein wird, soll er auch nur das mindeste wissen. Dies würde ihn zum anaxagoreischen νoῦς in den stärksten Gegensatz bringen; hatte doch Anaxagoras gesagt: alles, was war, ist und sein wird, erkannte der Verstand. Hiegegen vor allem, sollte man also meinen, müsse die aristotelische Kritik sich kehren. Aber siehe da, Aristoteles beanstandet diesen Punkt mit keinem Wort. 40

Met. Λ, 10.

Die Gottheit und der anaxagoreische Νοῦς

73

Und wenn dieses Schweigen, sobald man sich auf den Standpunkt unserer modernen Interpreten stellt, höchst seltsam erscheinen muß, so schier noch mehr ein Vorwurf, den Aristoteles dem Anaxagoras tatsächlich macht. Er tadelt es nämlich, daß Anaxagoras nicht, ähnlich wie Empedokles seiner Freundschaft den Streit, seinem νoῦς ein anderes Prinzip entgegengestellt hat. Gewiß muß das zunächst sehr befremdlich erscheinen, da ja auch Aristoteles kein anderes Prinzip seinem νoῦς entgegenstellt, ja die Existenz eines solchen wiederholt und auf das entschiedenste leugnet. Da scheinen wir denn einen herrlichen Beleg für jene ihm zugeschriebene Unart zu haben, die anderen etwas zum Vorwurf macht, wovon er doch selbst gerade so wie sie überzeugt ist. Und nun gar hier dicht nebeneinander die Indulgenz gegenüber dem, was er nach den neuen Interpreten wirklich für einen Fehler halten würde und die energische Rüge für das, was er ganz ebenso wie Anaxagoras für richtig hält! Ein groteskeres Schauspiel könnte man sich gar nicht denken. Doch alles Wundersame verschwindet wie mit einem Schlage, wenn man nicht bloß in einem, sondern in zwei sehr wichtigen Punkten die jetzt übliche Auffassung der aristotelischen Gotteslehre nach Maßgabe der von uns gegebenen Darlegung berichtigt. Wir haben nämlich nicht bloß gezeigt, daß man mit Unrecht dem aristotelischen Gott die Allwissenheit abspricht, sondern auch, daß man fehlt, wenn man ihn nicht als einziges erstes Prinzip der Welt, vielmehr nur als Beweger und Ordner für unabhängig von ihm gegebene Stoffe betrachtet. So gab man seinem νoῦς hier eine Ähnlichkeit mit dem anaxagoreischen, die er nicht hat, wie man dort eine Ähnlichkeit, die er hat, ihm raubte, und alterierte die Lehre des Aristoteles von den ersten Prinzipien der Dinge in der Art, daß das Bedürfnis nach einem dem νoῦς entgegengesetzten wirkenden Prinzip für ihn selbst unabweislich zutage treten würde. Wem etwas zur Ordnung vorliegt, dem kann es nicht anders als in einer gewissen anderen Position als jener, die er gibt, vorliegen; wie wir denn sagten, wenn der aristotelische Gott die Himmelssphären nur ineinander schachtelte, so müßten sie unabhängig von ihm irgendwelche andere Position gehabt haben, aus der sie in die dem Guten mehr entsprechende versetzt werden. Insoweit hatte auch Anaxagoras richtig geurteilt und für die unendlich kleinen Körperchen, die er den Allsamen nannte, die vollkommenste Mischung als Ausgangspunkt der weltordnenden Tätigkeit des Verstandes angenommen. Aber warum waren sie in dieser Mischung, da sie doch auch getrennt sein können? – Hier fehlt bei Anaxagoras jeder erklärende Grund, und so erscheint denn Empedokles mit seiner alles einigenden Freundschaft im Vorteil. Und wenn Aristoteles für seine Lehre nicht ebenso das Fehlen eines Gegensatzes zum Verstande als einen Vorwurf fürchtet, so eben nur, weil seinem Verstand kein ungeordneter Stoff

74

Aristoteles und seine Weltanschauung

zum Ordnen vorliegt, vielmehr er selbst, wie wir zeigten, die einzige erste Ursache der Welt, wie in bezug auf Bewegung und Ordnung, so in bezug auf das substanzielle Sein ist. Auch ein anderer Vorwurf, den Aristoteles der anaxagoreischen Gotteslehre macht, der nämlich, daß sie das weltordnende Prinzip zunächst seiner Natur nach zwar als Verstand, aber nicht als von vornherein wirkliches Denken aufstellt, hängt mit der Beschränkung auf bloße Bewegung und Ordnung eines Gegebenen zusammen. Denn um das von ihm unabhängig außer ihm Bestehende zu ordnen, muß es daraufhin dasselbe vor allem erfassen, also von ihm das Objekt bewegt werden. Und so erscheint der ordnende Verstand so wenig als der zu ordnende Stoff als das verlangte schlechthin unveränderliche Prinzip. Anders der Verstand des Aristoteles, der als einzige erste Ursache nur sich selbst zu schauen braucht, um alles aus seinem ersten Grunde zu erkennen. Da haben wir einige, wie ich glaube, sehr schlagende Belege für das vollständige Mißverständnis, dessen sich die modernen Interpreten des Aristoteles selbst bei der Darlegung seiner fundamentalsten Lehre schuldig machen, um dann über ihn, als ob er den größten Unsinn spreche und als Kritiker gegen andere die gröbsten Ungehörigkeiten begehe, den Stab zu brechen. Man könnte hier wohl, die Stelle des Horaz, die von dem Wahne der Achiver Könige spricht, parodierend sagen: Interpres quidquid delirat, plectitur auctor.

Die aristotelische Gottheit im Lichte seiner Lehre von den Prinzipien der Bevorzugung Diese Belege könnten ins Unabsehbare vermehrt werden; doch will ich, wo die erbrachten mehr als genügend sind, nicht länger mehr dabei verweilen. Dagegen scheint es unerläßlich, die Argumente zu widerlegen, welche die modernen Interpreten für ihre Meinung anführen, und nachzuweisen, wie es mit ihrer angeblich zwingenden Kraft bestellt ist. Vor allem nehmen sie die unendliche Vollkommenheit der aristotelischen Gottheit, die auch von ihnen als von Aristoteles unzweideutig ausgesprochen anerkannt wird, zum Anhaltspunkte. Diese verlangt, wie er selbst betont, daß der Gegenstand ihres Denkens nicht etwas Minderwertiges, sondern das denkbar vollkommenste Wesen sei. Und so lehre er denn, sagen sie, und müsse nach den Prinzipien seiner Werttheorie lehren, daß sein Gott nichts anderes erkenne als sich selbst.

Die Prinzipien der Bevorzugung

75

Hiegegen ist vor allem darauf aufmerksam zu machen, daß Aristoteles zwischen solchem unterscheidet, was durch sich, und was durch etwas anderes erkannt wird, bei welchem letzteren nicht es selbst, sondern jenes andere das Objekt ist. So hören wir im sechsten Kapitel des dritten Buches von der Seele, daß das Negative von uns nicht durch sich, sondern gewissermaßen durch das ihm Entgegengesetzte erkannt werde. Das Positive ist für uns hier Objekt, seine Form nehmen wir im Verstande auf, kommen aber so auch zu der Erkenntnis des derselben Entbehrenden. Dies hätte von unseren modernen Interpreten denn doch einige Beachtung verdient, und sie hätten sich fragen müssen, ob nicht, wie wir durch die aufgenommenen positiven Formen, auch die Gottheit durch die reine Wirklichkeit, die sie selber ist, zugleich mit sich auch noch anderes denken und erkennen könne; deswegen, weil es mit ihr als erstem Grund in notwendigem Zusammenhang steht, so daß das eine ohne das andere ohne Widerspruch gar nicht gedacht werden kann. Alles sekundäre Positive und mit ihm selbstverständlich zugleich das Negative wird ihr dann kund sein, ohne daß sie etwas anderes zum Objekt hat als sich selbst. Und diese Erwägung wäre um so mehr zu erwarten gewesen, als Aristoteles selbst an dem betreffenden Orte41, ähnlich wie vielfach anderwärts in den Büchern von der Seele, wenn er von unserem Denken spricht, auf das göttliche Denken, das sich in manchem so wesentlich von dem unseren unterscheidet, vergleichend hinüberblickt. Der göttliche Verstand kann nicht wie der unsrige durch Aufnahme positiver Formen, im Hinblick also auf positive Objekte außer sich, auch das ihnen entgegengesetzte Negative erkennen. Wie also erkennt er das Negative? Aristoteles gibt die Antwort durch den Hinweis darauf, daß er das erste Prinzip von allem und als solches in seiner reinen Aktualität sich selbst Objekt ist. Unsere modernen Interpreten haben aber die, trotz aller Kürze des Ausdrucks, dem den Zusammenhang Überlegenden recht wohl verständliche Absicht der Bemerkung so wenig erfaßt, daß sie vielmehr meinen, Aristoteles wolle hier leugnen, daß Gott von etwas Negativem Kenntnis habe. Wie aber fände sich dies hier geleugnet? Doch wohl nicht dadurch, daß er sagt, das erste Prinzip habe sich selbst zum Objekt; denn wenn hiemit schon gesagt wäre, daß Gott keinerlei negative Kenntnis habe, so wäre dieselbe ja auch für uns ausgeschlossen, da wir, wie Aristoteles zuvor gelehrt, immer nur Positives zum Objekte haben. So hat man sich denn hier nur durch ein schon gefaßtes Vorurteil behindern lassen, hat in die Stelle hineingelesen, was gar nicht darin steht, und sie, welche geeignet gewesen wäre, über einen bei der Interpretation der aristotelischen Gotteslehre begangenen Irrtum aufzuklären, vielmehr oft 41

De An. III, 6 gegen Ende.

76

Aristoteles und seine Weltanschauung

geradezu als eine solche angezogen, welche jene aus der Mißdeutung anderer Stellen hervorgegangene Auffassung neu als richtig erhärte. Doch ist dieser Hinweis auf den Unterschied, der nach Aristoteles zwischen „Erkanntsein“ und „Gegenstand einer Erkenntnis sein“ besteht, vielleicht noch nicht für jedermann befriedigend. Vielmehr möchte einer sagen, nach den Prinzipien der aristotelischen Güterlehre würde es der Vollkommenheit Gottes nicht bloß widersprechen, wenn er etwas anderes als das Allervollkommenste zum Objekte hätte, sondern auch, wenn er, in was immer für einer anderen Weise, etwas anderes als das Allervollkommenste erkannte. Und wenn er zur Begründung des Satzes, daß es nicht gleichgültig sei, was der vollkommenste Verstand zum Objekte habe, sage, es sei ja doch besser, einiges nicht zu sehen als zu sehen, so sei er doch sicher nicht minder als andere überzeugt, daß es auch besser sei, von etwas Unliebsamem keine Kenntnis zu haben, als zu ihr, auf was immer für eine Weise, gelangt zu sein.42 So würde denn die Kenntnis von irgend etwas Schlechtem mit seiner vollkommenen Seligkeit unverträglich sein; und so gewiß es also außer dem Guten auch Schlechtes gebe, habe darum Aristoteles seinem Gott die Allwissenheit absprechen müssen. Ja, da jedes minder Gute, mit dem Besseren verglichen, bereits schlecht zu nennen sei, so habe Aristoteles nach den Prinzipien seiner Güterlehre, um das göttliche Denken und seine Seligkeit in höchster Reinheit und Vollkommenheit zu erhalten, jede Erkenntnis von etwas anderem von ihm ausgeschlossen. Damit scheinen nun aber zwei Stellen43 im Widerspruch zu stehen, worin Aristoteles die empedokleische Erkenntnislehre ad absurdum geführt zu haben glaubt, weil nach ihr sein „allerglückseligster Gott“ keine Kenntnis von dem Streite (dem bei Empedokles die Rolle des bösen Prinzips zufallen soll) haben würde. Und so haben sich denn schon im Altertum die Kommentatoren den Kopf darüber zerbrochen, wie die eine Stelle mit den anderen zu vereinigen sei. Die richtige Lösung der Schwierigkeit ist aber ohne Zweifel diese: sowohl das würde Gottes Vollkommenheit entgegen sein, wenn irgendwelche Wahrheit von seinem Wissen ausgeschlossen, als auch, wenn ihm von dem, was er erkannte, irgend etwas nicht lieb wäre; und so könnte denn der empedokleische Gott nach dem Urteil des Aristoteles in keinem Fall ganz vollkommen sein, weder wenn er von der ihm unliebsamen Existenz des Streites wüßte, noch wenn er sie ignorierte. Allein nach der Ansicht des Aristoteles gibt es eben ein solches dem guten Prinzip entgegenstehendes böses Prinzip nicht; vielmehr nichts anderes als Gott und die Welt, die als Ganzes, mit unendlicher 42

Vgl. Eth. Nic. IX, 4 p. 1166 b 13; IX, 11 p. 1171 b 4 f.

43

Met. B, 4 p. 1000 b 3 und De An. I. 5 p. 410 b 4.

Die Prinzipien der Bevorzugung

77

Weisheit geordnet, als das denkbar vollkommenste Werk erscheint. Mag immer etwas, was ihr als Teil zugehört, losgelöst vom Ganzen gedacht, tadelnswert erscheinen; im Zusammenhang mit dem Ganzen betrachtet, erscheint es aufs vollkommenste gerechtfertigt. Nur in dieser Weise aber, die allein der Wahrheit entspricht, denkt es der notwendig Allwissende. So ist es denn nicht richtig, daß Gott, wenn er allwissend ist, auch etwas ihm Unliebsames erkennen muß, da vielmehr gerade seine Allwissenheit es verhindert, daß ihm irgend etwas anders als in der begehrenswerteren Weise geordnet erscheint. Wenn aber gesagt wird, nach aristotelischen Prinzipien erscheine jedes kleinere Gut mit dem größeren verglichen schlecht, und wenn es zu diesem hinzukomme, so erscheine darum das Ganze schlechter als der eine seiner Teile, so läuft dies dem, was Aristoteles tatsächlich lehrt, schnurstracks zuwider. Das Prinzip der Summation von Gütern zu einem größeren Gut soll vielmehr nach seiner in der Topik, Rhetorik und auch sonst vielfach ausgesprochenen und geltend gemachten Überzeugung durchwegs, und möge auch der eine der Addenden noch so groß, der andere noch so klein sein, zu Rechte bestehen. Und so sieht man denn, daß, so gewiß die Welt, und infolge davon auch die Erkenntnis der Welt von Aristoteles als etwas Gutes gedacht wird, so gewiß auch die Erkenntnis Gottes von sich selbst, wenn sie nicht die Erkenntnis einer Weisheit wäre, die alle auf die Welt bezügliche Erkenntnis mit umfaßt, nicht als die allerbeste Erkenntnis gelten könnte. Ja, wie kann einer verkennen, daß auch von der Gottheit selbst derjenige eine relativ unvollkommene Kenntnis haben würde, welcher nicht wüßte, daß es als wesentliche Eigentümlichkeit ihr zukommt, erstes Prinzip aller Dinge zu sein und ihnen die vollkommenste Ordnung zu geben? Die Erkenntnis, welche die Gottheit von sich selbst hätte, erschiene so nach gewisser Seite hin sogar hinter jener, die wir von ihr haben, zurückzustehen. So schlägt denn die Reflexion auf die aristotelischen Prinzipien der Bevorzugung geradezu in das Gegenteil von dem um, was die modernen Interpreten daraus folgern wollen. Und wie in diesem Punkte, so zeigen sie auch in jedem anderen Stücke sich mit dem, was wir über seine Lehre von der Gottheit sagten, im Einklang, während jede Abweichung von dem, was wir sagten, ihnen widersprechen würde. So z. B. wäre nicht bloß eine Beschränkung der Erkenntnis auf die Gottheit allein ein Mangel, sondern als ein Mangel erschiene es auch, wenn (was freilich auch aus anderem Grunde ausgeschlossen ist) die Welt als Objekt von Gott erfaßt würde, statt von ihm in der Weise, daß er selbst sein Objekt ist, erkannt zu werden. Denn nur indem Gott die Welt auf diese Weise erkennt, erkennt er sie aus dem Grunde, und so, daß das der Natur nach Erste auch das in

78

Aristoteles und seine Weltanschauung

der Ordnung seiner Erkenntnis Erste ist. Aristoteles hatte also den triftigsten Grund, aufs energischste zu betonen, daß nicht Gott und die Welt, sondern Gott allein Gegenstand der göttlichen Erkenntnis sei; nicht bloß, weil die von seinem Erkennen bedingte Welt ihm unmöglich schon als Gegenstand mit vorliegen kann, sondern auch, um die Vollkommenheit des göttlichen Erkennens ins rechte Licht zu setzen. Ruhte doch seine Erkenntnis sonst, soweit sie die Welt betrifft, auf dem Erfassen eines bloßen Daß; nun aber ist sie von vornherein eine Erkenntnis aus dem Grunde, welche, wie Aristoteles sich einmal ausdrückt, im Vergleich mit jener etwas Ehrwürdiges (τίμιoν) ist.44 Ebenso spricht es Aristoteles aufs entschiedenste aus, daß jede Macht zum Guten gehöre, und somit würde sein Gott nicht unendlich gut sein, wenn er nicht allmächtig wäre. Er spendet einmal dem Dichter Agathon Beifall, wenn dieser sagt, nur das Eine sei selbst für die Gottheit unmöglich, Geschehenes ungeschehen zu machen. Und wie wenig es ihm einfallen konnte, geringer als dieser Dichter über die Macht der Gottheit zu denken, mag einer, dem selbst nach diesem Worte noch ein Zweifel bleibt, aus dem ersehen, was sein Schüler Theophrast in dem uns erhaltenen Bruchstück seiner Metaphysik sagt: „Wir werden doch von der Macht der Gottheit nicht Geringeres glauben, als wessen Zeus in den Versen des Homer sich rühmt: „O, wenn ich wollte, ich würde das Meer und die ganze Erde aus der Tiefe emporheben.“ Zur Macht gehört aber Wille und Freiheit, und somit würde, wenn Aristoteles diese seiner Gottheit nicht zuerkannt hätte, abermals eine Dissonanz zwischen seinen Grundsätzen für die Bestimmung des Guten und Besseren und seiner Lehre von der unendlichen Vollkommenheit Gottes bestehen.

Gottes einheitliche Tätigkeit, sein rein theoretisches Leben Doch die modernen Interpreten berufen sich noch im besonderen auf einige Aussprüche, in welchen sie der Gottheit jede Werktätigkeit abgesprochen glauben, und die Wichtigkeit der Sache nötigt uns, keinen von ihnen unberücksichtigt zu lassen. Einer davon darf wohl als bereits erledigt gelten. Aristoteles sagt nämlich, der Gottheit komme eine einzige Tätigkeit45 zu. Man wollte hieraus schließen, 44

Met. A, 1 p. 981 a 31. Anal. Post. I, 31 p. 88 a 5.

45

De Coel. II, 12 wird daraufhin die einfache Bewegung des obersten Himmels mit der Tätigkeit Gottes verglichen. Vgl. auch Eth. Nic. VII, 15 p. 1154 b 26.

Gottes einheitliche Tätigkeit

79

daß Aristoteles, da er seiner Gottheit ein Denken zuschreibt, ihr nicht ebenso ein Wollen zugeschrieben haben könne. Aus dem, was wir früher dargelegt, geht hervor, daß, wenn dies Argument zutreffend wäre, es bewiese, daß dem aristotelischen Gott nicht einmal mit dem Denken auch ein sich Freuen zugeschrieben werden dürfte; denn bei uns ist, wie Aristoteles ausdrücklich lehrt, die Freude am Denken eine andere Tätigkeit als das Denken selbst.46 Doch wir zeigten auch, daß eine Einheitlichkeit, die bei Anwendung der Begriffe Denken und Freude in dem uns anschaulichen empirischen Sinn unmöglich, bei ihrem transzendenten Analogon nicht undenkbar ist; und so denn auch nicht eine Verbindung von Wollen und Denken in einer streng einheitlichen Tätigkeit, wie Aristoteles (aber auch andere große Theisten) sie allerdings aufs entschiedenste behaupten. Wenden wir uns also zu den anderen Stellen, auf die man sich beruft! Aristoteles sagt von der Gottheit: 1. 2.

3. 4.

sie führe kein poietisches Leben, d. h. keines, das sich Werke zum Zweck setzt;47 sie führe auch kein praktisches Leben, ähnlich dem Politiker und demjenigen, welcher sich in den Tugenden der Gerechtigkeit, Tapferkeit, Enthaltsamkeit usw. übt;48 sie und das Weltall hätten keine Tätigkeit, die nach außen geht;49 ihr Leben sei vielmehr ein theoretisches, d. h. das ganze es beseligende Gut bestehe in der Erkenntnis samt der daran geknüpften Lust.50

Solche Äußerungen scheinen ihnen ein in der Art zwingender Beweis dafür, daß der Gottheit nichts unserem freiwilligen Handeln und Wirken nach außen Ähnliches zukommen könne, daß sie sich durch noch so zahlreiche dem widersprechende Stellen nicht im mindesten mehr belehren lassen. Und es muß, wenn man auf diese hinweist, wieder die Hypothese herhalten, daß Aristoteles vielfach das Gegenteil von dem sage, was er denke. Aber auch hier hätte man, wenn man nur ein wenig in den allgemeinen Geist der aristotelischen Lehre eingedrungen wäre, oder auch nur den nächsten Zusammenhang der Stellen genugsam berücksichtigt hätte, die ganze Schwierigkeit alsbald verschwinden sehen. 46

Eth. Nic. X, 5 p. 1175 b 34.

47

Eth. Nic. X, 8 p. 1178 b 20.

48

Ebend.; vgl. auch De Coel. II, 12 p. 292 b 5.

49

Pol. VII, 3 p. 1325 b 29.

50

Eth. Nic. X, 8 p. 1178 b 20.

80

Aristoteles und seine Weltanschauung

Wenn es z. B. (1) heißt, Gott führe kein poietisches Leben, so leugnet Aristoteles von der Gottheit nichts, was er nicht ebenso von jedem Menschen, namentlich von jedem, der nur einigermaßen vernünftig lebt, in Abrede stellt. Denn auch für uns kann es nicht richtig sein, wenn wir unsere Glückseligkeit in einem außer uns liegenden Werke suchen. Nicht der Besitz eines solchen Werkes, unsere eigene edle Tätigkeit, sei es die der Betrachtung oder der Gerechtigkeit im weitesten Sinne des Wortes, kann uns nach Aristoteles glückselig machen. Es ist nur selbstverständlich, daß darum Aristoteles solches auch von der Gottheit nicht annehmen kann. Ja, für sie ist es um so mehr ausgeschlossen, als bei ihr eine Rückwirkung des Werkes auf den Werkmeister unmöglich ist. Wenn Aristoteles aber (2) weiter sagt, die Gottheit führe auch kein praktisches Leben, so müssen wir uns auch hier zunächst das, was damit gesagt ist, voll verdeutlichen. Er will sagen, daß ihr Leben nicht dem eines Mannes ähnlich sei, der in der Übung ethischer und politischer Tugendakte seine Glückseligkeit findet. Die Klugheit bei der Beratung von praktischen Fragen, die zu entscheiden sind, und die Tapferkeit in Gefahren, welche am schönsten hervortritt, wo einer um des Edelschönen willen das Leben selbst dahingibt; die Enthaltsamkeit, welche sich ebenso am glänzendsten bewährt, wenn wir der mächtigsten Anlockung einer Lust aus Liebe zum Edlen widerstehen; die Gerechtigkeit, die sich am schönsten da offenbart, wo es in der Macht eines Armen läge, sich ungestraft durch Beeinträchtigung eines Anderen überschwänglich zu bereichern; die Freigebigkeit, welche am herrlichsten sich zeigt, wenn man anderen zuliebe die größten Opfer an allen niederen Gütern bringt: dieses und ähnliches sind die edlen Betätigungen, in welchen das praktische Leben seine Seligkeit findet. Aristoteles hält es nun für lächerlich, wenn man die Seligkeit der Gottheit in die Seligkeit eines solchen praktischen Lebens setzen wollte. Schriebe man ihr Tapferkeit zu, so sagte man damit, daß es auch für sie Gefahren gebe; schriebe man ihr Enthaltsamkeit zu, so sagte man damit, daß es auch Gelüste für sie gebe, welche sie zum Bösen anregten; schriebe man ihr Gerechtigkeit zu, so erklärte man damit, daß auch zu ihrer Glückseligkeit äußere Dinge beitrügen und sie, da diese nicht alle ihr gehörten, in die Versuchung komme, die Rechtsgrenze zu überschreiten, während sie, von keinem ihrer Werke eine Rückwirkung empfangend, in keinem von ihnen etwas unserem Eigentume Ähnliches besitzt, und andererseits, da ja alles außer ihr ihr Werk ist, als unbestreitbar unumschränkte Herrin von allem erscheint. Auch freigebig sie zu nennen, wäre nach Aristoteles lächerlich. Und er begründet dies mit einem in seiner Kürze manchem vielleicht rätselhaften Worte. Er sagt nämlich: wem aber sollte sie geben? – Es könnte einer sich versucht

Gottes einheitliche Tätigkeit

81

fühlen, auf sich selbst als einen hinzuweisen, der gar manches von höheren und niederen Gütern sich von ihr erbitten möchte; und spricht nicht in derselben Ethik Aristoteles von einem Geschenk Gottes (ϑεoῦ δώρημα)? Ja, lehrt er nicht darin, daß wir für alle edlen Güter und auch für die niederen, ja für die Existenz selbst, der Gottheit zum Danke verpflichtet seien? – Doch das Rätsel löst sich sofort, wenn wir erwägen, daß dieses alles, was wir von der Gottheit empfangen, nicht mit den Gütern sich vergleichen läßt, um die es sich bei der Freigebigkeit handelt. Das sind ja solche, welche bis dahin dem Freigebigen selbst als Güter angehört hatten, und deren er sich, indem er sie dem anderen schenkt, entäußert. Je größer dabei das Opfer und der persönliche Verlust, um so schöner der Akt der Freigebigkeit. Für Gott aber, wie immer er für uns der Quell der höchsten Güter ist, ist es doch unmöglich, etwas von dem, was sein Gut ausmacht, an uns abzutreten, sowohl weil er nichts verlieren, als auch (und das ist, was Aristoteles hervorhebt) weil wir des göttlichen Wesens, in welchem Gottes ganzes Gut, sein Denken und seine edle Liebe und ihre Seligkeit besteht, teilhaft zu werden nicht fähig sind. Und was von uns, muß von jedem, was außer Gott besteht, gesagt werden. So entfällt denn bei dem aristotelischen Gott die Möglichkeit eines Lebens wie unser praktisches Leben und auch einer Seligkeit, wie wir sie in unserer Opferfreudigkeit erfahren, vollständig. Aber auch ein Beraten kann man ihm nicht zuschreiben. Bezieht sich doch alle Beratung auf bloß Tatsächliches, nicht auf Notwendiges, und, wie Aristoteles in seiner Physik sagt, hat, selbst in Sachen der Kunst, der, welcher alles weiß, was das Beste ist, eine Beratung nicht mehr nötig. Wir haben nun aber gesehen, daß der aristotelische Gott, wie er in seinem notwendigen Selbstdenken notwendig alles denkt, in seiner notwendigen Selbstliebe notwendig alles nach dem Maß der Ähnlichkeit mit sich liebt und das Bestmögliche als Bestmögliches eo ipso mit Notwendigkeit am meisten liebt, und also ohne jede vorbereitende Beratung die bestmögliche Welt jeder anderen vorzieht und für sie sich von Ewigkeit entschieden findet. Seine Erkenntnistätigkeit ist also durchaus nicht unserer beratenden ähnlich. Sie ist vollendet und in aller und jeder Beziehung, um mich modern auszudrücken, so apodiktisch, wie in bezug auf ihr eigentliches Objekt, nämlich das göttliche Denken selbst. Damit, daß, wie das Denken auch die Liebe Gottes, die mit ihm identisch ist, auf alles Gute sich erstreckt und als allmächtiger Wille die Ursache von allem Guten außer ihm ist, steht es also keineswegs im Widerspruche, wenn Aristoteles sagt, daß das Leben der Gottheit nicht unserem praktischen Leben analog zu denken sei. Verlangte dieser Einwand eine etwas längere Erläuterung, so zeigt sich dagegen (3) die aus der Politik angezogene Stelle, wo Aristoteles sagt, Gott und

82

Aristoteles und seine Weltanschauung

die Welt hätten keine Aktionen nach außen, um so einfacher verständlich. Er macht nämlich diese Bemerkung zur Illustration des Gedankens, daß ein Staat auch ohne Verkehrsbeziehungen zu anderen Staaten, wie z. B. wenn er ganz abgeschieden auf einer Insel läge, recht wohl sein Selbstgenügen haben könnte. Diesen Staat vergleicht er nun mit dem von der Gottheit regierten Weltall. Das Weltall ist nicht im Verkehr mit einem anderen Weltall, zu welchem sein Fürst Beziehungen anknüpfte. Die Aktionen, die hier Gott abgesprochen werden, sind solche, die über die Grenzen seines Reiches hinausgehen würden. Dieser Vergleich mit dem Fürsten einer isolierten Insel ist nicht bloß nichts, was dem widerspricht, daß Gott mit Bewußtsein und Wille die Welt regiert, sondern etwas, was dieser Lehre Zeugnis gibt.51 Und noch deutlicher und unverkennbarer wird dieses Zeugnis durch das, was unmittelbar nachfolgt. Denn da hören wir Aristoteles von der für einen Staat wünschenswertesten Größe sprechen. Er darf nicht zu klein sein, meint er, aber doch auch nicht eine übermäßige Größe haben, wo dann menschliche Kraft nicht mehr ausreichen würde, ihn genugsam ordnend zu beherrschen. Wenn wir die Macht der Gottheit hätten, dann wäre freilich gegen die Ausdehnung eines Staates über die ganze Erde nichts mehr zu sagen; und tatsächlich bringt ja auch die Kraft Gottes, indem sie Himmel und Erde beherrscht, ein Reich von gewaltigster Ausdehnung zu vollkommenster Ordnung. Kein Wort kann klarer der Werktätigkeit Gottes Zeugnis geben als das, welches Aristoteles hier anwendet, indem er von der gottbestimmten Weltordnung sagt, sie sei „Werk einer göttlichen Macht“ (ϑείας δυνάμεως ἔργoν52)). Wie nun aber hier die von unseren Gegnern angezogene Stelle, wenn man den Zusammenhang erwägt und das unmittelbar Nachfolgende mitbeachtet, nicht bloß aufhört für sie zu sprechen, sondern geradezu gegen sie Zeugnis gibt, so gilt das Gleiche (4) auch von jener, wo Aristoteles von der Gottheit sagt, daß ihr Leben ein theoretisches Leben sei. Man will aus ihr schließen, daß der aristotelische Gott nichts wirke, oder (da dies denn doch zu auffällig seinen bestimmtesten Äußerungen auch in dem Buche Λ der Metaphysik 51

Ich will nicht unterlassen, auch noch darauf aufmerksam zu machen, daß es sich bei den ἐξωτεριϰαὶ πράξεις, von denen die Stelle spricht, um gewinnbringende Unternehmungen, vorteilhafte Verkehrsverbindungen handelt, und daß solche dem Gott nicht bloß nicht als Fürsten der Welt in bezug auf eine andere Welt, die nicht unter seiner Herrschaft stände, sondern auch nicht dem Gott für sich allein betrachtet in bezug auf die eigene Welt zukommen, so daß auch bei solcher Deutung die Stelle keinen Einwand abgeben könnte. Auch die Wirksamkeit Gottes in bezug auf die Welt ist keine Unternehmung, die darauf ausgeht, einem eigenen Bedürfnis abzuhelfen, weshalb auch De Coel. II, 12 p. 292 b 5 sagt: oὐϑὲν δεῐ πράξεως.

52

Polit. VII, 4 p. 1326 a 32.

Gottes einheitliche Tätigkeit

83

selbst, welches am eingehendsten von der Gottheit handelt, widerstreitet), ihr wenigstens jede Vorsehung und Fürsorge für etwas zur Welt Gehöriges abgesprochen wissen. Doch der Zusammenhang der Stelle ist dieser: Aristoteles will den Vorzug des theoretischen Lebens vor dem praktischen erweisen und führt dafür an, daß jenes dem Leben der Gottheit am ähnlichsten sei. Und hieran knüpft sich ihm eine doppelte wichtige Folgerung. Einmal ist immer das dem Vollkommensten Ähnlichere selbst das Vollkommenere. Dann aber liebt unzweifelhaft, ähnlich wie auch wir es tun, die Gottheit die ihr Ähnlichsten am meisten; somit wird sie diejenigen, welche das theoretische Leben führen, einer besonders liebreichen Fürsorge teilhaft werden lassen. Diese zweite Folgerung aus dem Satze, daß das Leben der Gottheit ein theoretisches sei, ist von der Art, daß sie, so möchte ich meinen, jedem die Augen öffnen muß, der versucht ist, die Lehre von dem theoretischen Leben der Gottheit so zu deuten, als ob sie die Fürsorge Gottes ausschlösse. Aristoteles hält sie so wenig für damit unvereinbar, daß er daraus geradezu zugunsten ihrer argumentiert. Nun hat man freilich die Kühnheit gehabt zu behaupten, in dieser Erörterung sei die Prämisse ernst zu nehmen, die Folgerung aber nicht. Sie sei nur eine populäre Anpassung an die Meinung derer, die nicht darüber aufgeklärt sind, daß das Leben der Gottheit ein rein theoretisches ist. Allein was ist offenbarer, als daß Aristoteles in der Folgerung zu solchen spricht, welche er in der Prämisse selbst eben mit seiner Lehre, daß das Leben der Gottheit ein theoretisches sei, bekannt gemacht hat? Und er muß doch wohl voraussetzen, daß sie die These noch im Bewußtsein haben, wenn er sie auf Grund ihrer die Folgerung selbst ziehen läßt. Den wahren Sinn der von Aristoteles so energisch geltend gemachten Behauptung, daß Gottes Leben ein theoretisches und kein praktisches oder poietisches sei, habe ich schon im Vorstehenden dargetan, will ihn aber, da von ihrem Verständnis das der ganzen Gotteslehre wesentlich bedingt ist, noch einmal wiederholen und eingehender erläutern. Aristoteles nennt ein Leben theoretisch oder praktisch oder poietisch, je nachdem es sein höchstes Gut, in Rücksicht worauf alles andere begehrt wird, in dem Erkennen oder in der Betätigung ethischer Tugend oder in Werken, die durch Kunst hervorgebracht werden, erblickt. Wäre Gottes Leben ein poietisches, so bestände sein höchstes Gut in Werken, die er hervorbringt, und diese müßten besser sein als die göttliche Tätigkeit selbst. Das scheint Aristoteles aber handgreiflich absurd. Wäre Gottes Leben praktisch, so bestände sein höchstes Gut wohl in einer gewissen inneren Seligkeit, aber in einer, die wesentlich als eine schöne Opferfreudigkeit zu begreifen wäre, wie wir sie im Falle einer edlen Entsagung gegenüber lockendem Genuß, einem mutigen Bestehen höchster Gefahren,

84

Aristoteles und seine Weltanschauung

einer Hingabe und Aufopferung von dem, was wir haben und sind, erfahren mögen. Aber auch dieses wäre absurd. Kein Gut der Gottheit kann veräußerlich sein, und Lockungen und Gefahren können für sie nicht bestehen. Sagt man dagegen, Gottes Leben sei theoretisch, also sein höchstes Gut Erkenntnis, so sagt man etwas, was vollkommen dazu stimmt, daß er selbst sein höchstes Gut ist. Denn er ist ja, wie wir hörten, eine Erkenntnis und besitzt in ihr die unendliche Seligkeit. Ihr Gegenstand ist er selbst, und nur er selbst; was aber, wie wir sahen, nicht ausschließt, sondern wegen der Vollkommenheit seines Erkennens sogar einschließt, daß nichts seiner Erkenntnis entzogen ist, vielmehr alles aufs allervollkommenste in seinem ersten Grunde erkannt wird. In Rücksicht auf seine Allmacht erkennt er alles Mögliche und liebt es mehr minder nach dem Maß seiner Ähnlichkeit mit ihm selbst und wählt und will von Ewigkeit in Rücksicht darauf die bestmögliche Welt, und ist eben dadurch das erste und totale Prinzip ihres Seins. Trotzdem die höchstmögliche Ähnlichkeit mit ihm dabei maßgebend ist, erscheint aber sein Wirken ganz selbstlos, denn er gewinnt nichts dadurch; er gibt nur, ohne wieder zu empfangen. Die Existenz der Welt macht keinen Teil seines Lebensgutes aus; und wenn er sie gewiß auch mit Wohlgefallen erkennt, so ist doch dies Wohlgefallen, wie die Erkenntnis selbst, ein apriorisches. Und wie die Erkenntnis der Welt in der Erkenntnis seiner selbst, so ist das Wohlgefallen an der Welt in der Seligkeit, die er in dem Bewußtsein seiner selbst empfindet, mitgegeben. So ist denn die Seligkeit des Lebens Gottes nur der Seligkeit unseres theoretischen Lebens vergleichbar, wenn diese auch endlich und beschränkt, die Seligkeit des göttlichen Lebens dagegen unendlich ist. Und die Ähnlichkeit besteht nicht allein darin, daß seine Seligkeit eine Freude am Erkennen ist, sondern auch an einem Erkennen, das unserem theoretischen Erkennen mehr gleicht als unserem praktischen. Denn Gott erkennt, was er erkennt, als notwendig; nicht bloß sich, sondern auch alles andere, was als Werk seines freien Willens zur Wirklichkeit gelangt. Denn es ist unmöglich, daß das unendlich vollkommene Wesen anderes als das Bestmögliche will; und wer etwas darum aus ihm als letztem Grunde erkennt, erkennt es als notwendig. Und so wird denn von Aristoteles die Erkenntnis Gottes auch nicht als τέχνη oder φρόνησις oder ἐπιστήμη πραϰτιϰή, sondern als σoφία bezeichnet, die nicht auf Kontingentes, sondern auf ewig Notwendiges geht. Ja, unsere σoφία geht sogar auf eben das, worauf die göttliche σoφία geht; sie ist die Philosophie von den göttlichen Dingen und die Philosophie und die Wissenschaft, die der Gottheit selbst zuzuschreiben ist.53 Wie also könnte 53

Vgl. Met. A, 2.

Gottes einheitliche Tätigkeit

85

man noch bezweifeln, daß der, welcher in ihren Betrachtungen seine Seligkeit findet, mehr als der, welcher in der Philosophie der menschlichen Dinge und in ihrer Anwendung im praktischen Leben sein höchstes Gut erblickt, der Gottheit ähnlich lebe? Daß der theoretisch lebende Mensch gar keine segensreiche Einwirkung auf andere habe, ist nicht die Meinung des Aristoteles. Er mag andere belehren und so ihr höchster Wohltäter werden. Wenn die Gottheit trotz ihrem rein theoretischen Leben der Quell alles Segens für die Welt wird, könnte man dies also nur eine neue Ähnlichkeit nennen. Auch ist der höchste Segen unter allem Guten, was sie spendet, nach Aristoteles eben jene Weisheit, deren die Gottgeliebtesten sich erfreuen. Und wie die ganze niedere Welt vorzüglich um des Menschen willen da ist, der wie ein irdischer Gott in ihr thront, so soll, wie Aristoteles in der Politik lehrt, die ganze menschliche Gesellschaft wieder das Leben der Weisheit zum Ziele haben, so daß die ganze Ordnung der niederen Natur in dem Leben des Weisen gipfelt. Und hiemit, so bedeutungsvoll es erscheinen muß, ist noch nicht einmal alles gesagt, wodurch man zeigen kann, daß der Vergleich der Gottheit mit dem ein theoretisches Leben führenden Menschen nach der Weltanschauung des Aristoteles der denkbar zutreffendste ist. Um dies zu erkennen, muß man wie das Diesseits auch das Jenseits berücksichtigen. Wir können dies erst an späterer Stelle tun und werden darum darauf zurückkommen. Wenn wir finden sollten, daß nicht bloß die ganze unorganische Welt und das ganze Reich der niederen Lebewesen um des Menschen willen, sondern auch das ganze diesseitige Leben um des jenseitigen Lebens willen da ist, und das jenseitige Leben ein rein theoretisches und ein Teilnehmen an der Erkenntnis Gottes selbst ist: dann werden wir es zugleich erst voll verständlich finden, wie die Absicht des Weltalls auf die größtmögliche Verähnlichung mit der Gottheit gerichtet ist, und wie das Wirken Gottes nach außen in der Tat nicht dem eines Künstlers oder Politikers, sondern nur etwa eines Lehrers vergleichbar ist, der, was er selbst erkennt, auch anderen als Erkenntnis mitteilt. Was Gott sonst noch wirkt, erscheint in ganz ähnlichem Lichte, wie beim Lehrer die Bewegung der Luft durch die Stimme oder die eines Griffels, mit dem er das lehrende Wort auf einer Tafel aufzeichnet. Doch, wie gesagt, das mag an dieser Stelle noch rätselhaft klingen und wird erst später vollkommen deutlich zu machen sein. Auch das bereits Erörterte dürfte aber wesentlich genügen, um diesen, wie gewisse andere Aussprüche des Aristoteles, die man nur etwa darum unglücklich gewählt nennen kann, weil sie zu so großen Mißverständnissen Anlaß geben sollten, zu rechtfertigen.

86

Aristoteles und seine Weltanschauung

Die Gottheit und die angebliche Unmöglichkeit selbstlosen Wollens Doch ich habe hier noch einem anderen Einwand zu begegnen und zu zeigen, wie auch er nur daraus seinen Ursprung nimmt, daß man bei der Erörterung eines einzelnen Punktes das Ganze der Lehre des Aristoteles nicht genügend vor Augen hat. Zeller meint, daraus, daß der aristotelische Gott durch das Dasein der Welt nicht das mindeste gewinne, folge nach aristotelischen Prinzipien unabweislich, daß er sie nicht wollen könne, indem jedes Motiv zu einem solchen Wollen entfalle. Man könne nach Aristoteles nichts selbstlos lieben und wollen, vielmehr immer nur, weil und insoweit es die eigene Glückseligkeit erhöhe. Man muß aber staunen, wenn man bei einem gelehrten Kenner des Aristoteles solche Worte liest, die mit seinen ausdrücklichen Erklärungen in der Ethik und insbesondere in den Büchern von der Freundschaft in Widerspruch stehen. Da lehrt er, daß man, wenn auch vielleicht sich selbst am meisten, doch auch andere um ihrer selbst willen liebe, und daß man selbstlos ihr Glück anstrebe, wie dies insbesondere bei der Mutterliebe oft ganz auffallend hervortrete. Der ist nach ihm kein wahrer Freund, der nur um seines eigenen Vorteils willen und nicht vielmehr ganz selbstlos das Gute des Freundes will und ihm dient. Wenn diese selbstlose Liebe des Freundes auch dadurch bedingt sein mag, daß er uns ähnlich und dadurch gewissermaßen unser anderes Ich zu nennen ist, so ändert dies nichts daran, daß wir nicht für uns, sondern für ihn das Gute wollen. Vielmehr heißt er gerade darum, weil wir sein Wohl als solches wie unseres als solches wollen, mit vollstem Rechte erst unser anderes Ich. Daß auch bei Gott eine solche Ähnlichkeit mit dem von ihm geliebten, bevorzugten und selbstlos mit Gütern beschenkten Werke besteht, haben wir gesehen. Diese ist aber nach dem Gesagten sicher kein Grund, seine Gaben nicht vollkommen selbstlos zu nennen, sondern macht nur deren volle Selbstlosigkeit in ihrem Einklang, ja in ihrer innigsten Einheit mit seiner Liebe zu sich selbst verständlich. Wir fanden übrigens Aristoteles ausdrücklich den Einwand, daß ihm Gott kein vernünftiges Motiv zur Hervorbringung eines Werkes sein könne, berühren und mit dem Hinweis darauf, daß es auch vorkomme, daß man selbstlos einen Zweck anstrebe, erledigen. Wir verweisen darum auf das früher Gesagte.

Aporien zur Theodizee

87

Aporien zur Theodicee Gott ist unendlich vollkommen. Er ist die alleinige, allbestimmende erste Ursache der Welt. Die Welt muß darum tadellos vollkommen, eine gleich gute oder bessere undenkbar sein. Aber wie stimmt das, was uns die Erfahrung zeigt, zu dieser Forderung? Ja, schließt nicht manches, was schon vermöge des Satzes des Widerspruches an und für sich feststeht, von vornherein den Gedanken einer bestmöglichen Welt aus? – Aristoteles hält, wie eine unendliche Vielheit, auch eine unendliche Ausdehnung für etwas Widersprechendes. Aber über jede endliche Grenze hinaus scheint Größeres möglich. Und wie sollte, wo es sich um Gutes handelt, nicht jedes Mehr auch ein Besser sein? Bietet dies von vornherein eine Schwierigkeit, so erheben sich andere auf Grund der erfahrungsmäßig gegebenen Tatsachen oder zum mindesten auf Grund dessen, was Aristoteles dafür hielt. Von dem, was zur bestmöglichen Welt gehört, sollte man meinen, müsse jegliches in sich selbst betrachtet gut sein, wo dann Gutes zu Gutem sich addiert. Oder wenn einiges nur um des Nutzens willen einen Wert haben sollte, so sollte man meinen, müsse doch das an sich Gute hinter dem bloß Nützlichen an Umfang nicht ganz und gar zurückstehen. Aber tatsächlich scheinen wir das Gegenteil zu finden. Ein in sich Gutes ist nur da gegeben, wo Bewußtsein54 ist, und insbesondere da, wo dieses seine höheren Stufen erreicht. Was im Menschen als solches Wert hat, ist darum nach Aristoteles nur das höhere geistige Leben des Weisen und Gerechten. Aber blicken wir auf die Welt, so scheint neben dem Leblosen das Lebendige in ungleich geringerem Maß gegeben, und insbesondere das Menschengeschlecht, in dem allein die Fähigkeit zu einem höheren Leben in Tugend und Wissenschaft vorhanden ist, spärlich ausgestreut. Und hier wieder, wie wenige gelangen dazu, ihre Geistesgaben entsprechend auszubilden und in ihrer Betätigung selig zu sein! Wenn wir in den Dingen natürliche Tendenzen bemerken, d. h. wenn es den Anschein hat, als seien sie von einem Verstand ihrer Natur nach hervorgebracht und zu etwas geordnet, und so ihnen eine gewisse Aufgabe gesetzt: so scheinen doch diese Tendenzen sich fort und fort zu kreuzen. Und so kommt es in den häufigsten Fällen, in der sublunarischen Welt wenigstens, zu Mißbildungen. Und dieselben müssen am meisten befremdlich sein, wenn sie sich sogar bei jenen, wie gesagt, der Zahl nach sehr zurückstehenden Wesen finden, welche allein in ihren Tätigkeiten uns etwas in sich selbst Gutes zeigen. Denn wenn da und dort ein Mensch in seinem Tun sich als ein schön-guter erweist und zu der beseligenden Betrach54

Vgl. z. B. Met. Λ, 9 und Eth. Nic. X, 6 u. 8 p. 1178 b 19.

88

Aristoteles und seine Weltanschauung

tung der Gottheit erhebt, so sehen wir bei den meisten vielmehr Untugend und Torheit. Und dazu kommt noch eine Fülle von Leid und Bedrückung, von denen gerade auch die Besten nicht verschont bleiben. Wo ist hier ein Walten der Gerechtigkeit? Wo findet sich der Satz bewährt, daß Gott mit seiner Vorsehung für die ihm Ähnlichsten mit besonderer Liebe Sorge trage? Wie erklärt sich diese Fülle von Mißständen? Etwa aus der Freiheit des Willens? Aber wenn diese Schranken setzt, wie ist dann die Gottheit noch allbestimmend? Wenn sie aber keine setzt, wie können wir dann überhaupt noch von Freiheit reden? Und erscheint dann nicht statt des Menschen der Gott als der Schuldige? Ergeben sich diese Schwierigkeiten in Betracht der sublunarischen Welt, ist dafür wenigstens der Blick auf die himmlische befriedigender? Allerdings zeigen sich hier, wenn man sie mit den Augen des Aristoteles anschaut, nicht jene so häufigen und auffälligen Störungen einer natürlichen Tendenz durch eine andere. Den Fixsternhimmel denkt er sich im Anschluß an die gerühmtesten Astronomen seiner Zeit, Eudoxus und Kallippus, als eine Kugelschale, welche die gesamte räumliche Welt abschließt und in ihrer stets gleichmäßigen Rotation für uns das Zeitmaß abgibt. Da sie regelmäßig in sich selbst sich dreht, so kann sie auch, als wenn sie ruhte, als ein Anhalt zur Ortsbestimmung betrachtet werden: man braucht nur zugleich die Zeit mit zu berücksichtigen, und nach vierundzwanzig Stunden kehrt dieselbe Lage genau wieder. Aber auch die scheinbar unregelmäßige Bewegung der Planeten glaubten jene Astronomen aus einer Kombination von mehreren in einander geschachtelten Kugelschalen, von denen jede regelmäßig rotiere, die niederen aber zugleich von der Rotation der höheren mitbestimmt würden, erklären zu können; was alles Aristoteles auf ihre Autorität hin annahm, indem er nur noch einige resolutive Sphären einfügte, wo dann der Satz, daß jede höhere Sphäre für die niederen mitbestimmend sei, allgemeingiltig erschien, und so das ganze himmlische System zu einer größeren Einheit gebracht wurde. Von der niederen Welt her sollte die himmlische einen Einfluß nicht erfahren. Aber wenn sich so am Himmel nichts zeigte, was den Mißgeburten und anderen Unregelmäßigkeiten in der sublunarischen Welt ähnlich ist, war darum der Anblick in teleologischer Beziehung schon befriedigend zu nennen? – In keiner Weise. Die Rotationen von Kugelschalen, die nur in ihrer Richtung und Winkelgeschwindigkeit sich unterscheiden, sind denn doch ein gar einförmiges Schauspiel. Und ist denn damit irgendwelches Bewußtsein verbunden? Aristoteles hatte einst in seinen Dialogen den Gestirnen noch Sehen und Hören zugeschrieben, aber in seiner reiferen Zeit war er ganz davon zurückgekommen. Und hatte er auch da wegen eines Einflusses, den jede von dem Geist, der ihr Natur und

Aporien zur Theodizee

89

Bewegung gibt, empfängt, sie zunächst noch beseelt gedacht, so verbessert er im zwölften Buch der Metaphysik auch diesen Ausspruch und setzt neben „ψυχὴ“ berichtigend den Ausdruck „νoῦς ϰαὶ ὄρεξις“55. Der bewegende Verstand als völlig leidenslos, kann nicht durch das, was er da wirkt, gewinnen, in sich selbst aber scheint die himmlische Körperwelt als unbewußt wertlos. Es bliebe also nichts als der Einfluß der großen Himmelsmaschine auf die sublunarische Welt, der sie als gerechtfertigt erscheinen lassen könnte. Aber wir sahen ja, wie es mit dieser bestellt ist; und die Armseligkeit des Erfolges erscheint dann um so jämmerlicher im Hinblick auf diesen kolossalen Aufwand von Mitteln. In der knappen Skizze, welche uns Metaphysik Λ von dem Ganzen der aristotelischen Weisheitslehre gibt, finden wir von diesen Schwierigkeiten das meiste gar nicht, anderes nur mit kurzem Worte berührt. Den eben erwähnten Unterschied zwischen Himmel und Erde erklärt Aristoteles hier durch Vergleich mit dem Unterschied der Freien und der Unfreien, wie Sklaven und Tiere in einem Hauswesen: „Zu einem ist alles geordnet. Aber es ist in der Welt wie in einem Hause, mit dem es schlecht bestellt ist, wenn die Freien aus eigner Tendenz nicht auf das Wohl des Ganzen, sondern auf beliebig anderes ausgehen, da sein Gedeihen vielmehr verlangt, daß diese bei allen oder den meisten ihrer Bestrebungen etwas ihm Dienliches im Auge haben, während Sklaven und Tiere aus eignem Antrieb wenig tun, was dem Gemeinwesen dienlich ist, mehrenteils dagegen beliebig anderes erstreben. Die Natur eines jeden Dinges ist nämlich das Prinzip für die ihm eigene Tendenz, die, in jedem Dinge vorhanden, doch bei einem Teil vielfach gehemmt, in ihrem Wirken oft nicht zum vollen Ausdruck gelangt; immer aber in gewissem Maße, wie es denn z. B., wenn auch Gleichartiges nicht immer völlig Gleichartiges erzeugt, nie vorkommt, daß nicht wenigstens irgendein wirkliches Ding entsteht, und so anderes [man denke z. B. an die oben, S. 45 f., berührte Erhaltung des Gleichmaßes der Masse und des Individuationskreises] namhaft zu machen ist, was, da die natürliche Tendenz dazu immer dem Besten des Ganzen entspricht, niemals eine Ausnahme erleidet.“ Viel mehr geht Theophrast in seinem metaphysischen Fragment auf die hier so naheliegenden Aporien ein; und wie sollten sie dem grübelnden Geist des Aristoteles fremd geblieben sein, der in der Schrift von dem Himmel sogar einmal ein Bedenken gegen die Theodicee aufwühlt, an das weder Leibniz 55

Daß das Buch Λ in der Metaphysik erheblich später geschrieben ist als die Bücher De Coelo, ist, wie schon früher (S. 19f.) bemerkt daraus ersichtlich, daß in diesen nur auf die Astronomie des Eudoxus, in jenem auch auf die seines Schülers Kallippus Rücksicht genommen wird.

90

Aristoteles und seine Weltanschauung

selbst noch sein scharfsinniger Opponent Bayle gedacht hat?56 Wäre es zu einer ausgeführten Metaphysik gekommen, wie ganz anders reiche Erörterungen würden wir hier besitzen! Gewiß hätten wir auch mit Theophrast ihn geltend machen hören, daß man von uns bei so vieler Unkenntnis nicht für jegliches die Angabe des Warum verlangen dürfe. Damit, daß wir dies nicht tun können, ist, wie auch Leibniz treffend sagt, der Optimismus nicht widerlegt. Doch wenn nicht alles, so wird wenigstens einiges in seiner teleologischen Bedeutung sich begreifen lassen, und wir wollen unter Benutzung mannigfacher gelegentlicher Andeutungen zu zeigen versuchen, wie Aristoteles dies wirklich erreicht zu haben glaubte.

Die Teleologie der himmlischen Welt Was die himmlische Welt anlangt, so hielt Aristoteles ihre Sphären auf Grund einer seit Menschengedenken ausnahmslosen Erfahrung für inkorruptibel und in keiner anderen Beziehung als dem Orte nach einer Veränderung fähig. In seiner Sprache ausgedrückt hieß dies, daß sie, der Substanz nach immateriell, nur eine örtliche Materie hätten. Eine gewisse Rotation dachte er, wie schon öfter erwähnt, jeder der Sphären natürlich und den Antrieb zu ihr mit dem Sein selbst empfangen. Aristoteles glaubte an ihre Verursachung von Ewigkeit. Es erschien ihm dies nicht bloß teleologisch besser, sondern auch als einfache logische Folge davon, daß ihre Ursache ewig, und, wo keine der nötigen Mitbedingungen zum Wirken fehlt, die Wirkung zugleich mit der wirkenden Ursache gegeben ist. Doch mochte er sich fragen, ob es wahrscheinlich sei, anzunehmen, daß die Gottheit den Himmelssphären unmittelbar oder mittelbar oder teils mittelbar, teils unmittelbar die natürliche Bewegung gebe. Und er entschied sich für die letzte Annahme als die wahrscheinlichste. Den obersten Himmel, der durch so vieles und insbesondere durch die Vielheit der Sonnen, die er trug, und die absolute Independenz seiner Bewegung vor jeder anderen sich auszeichnete, sollte die Gottheit unmittelbar bewegen, die 56

Es läuft im wesentlichen auf die Frage hinaus, ob die Welt nicht genau so vollkommen wäre, wie sie ist, wenn alles in ihr so, wie es sich in einem Spiegelbilde von ihr darstellen würde, verliefe. Aristoteles kann selbstverständlich keinen Grund überwiegender Güte ausfindig machen und hat ein deutliches Gefühl davon, wie wenig befriedigend seine Versuche in dieser Richtung sind. Doch er schreibt ihr Mißlingen ganz so, wie es Leibniz getan haben würde, einzig seiner Unfähigkeit, alles zu erklären, zu, ohne deshalb im mindesten in seiner optimistischen Überzeugung erschüttert zu werden. Nichts kann für die tiefgehende Verwandtschaft der beiden Systeme charakteristischer sein.

Die Teleologie der himmlischen Welt

91

andern aber durch sekundäre Substanzen bewegen lassen, die ebenso und aus dem gleichen Grund ewige Produkte sind, wie sie ewig produzieren. Sie sind völlig unbewegte Intelligenzen wie die Gottheit, und wie bei dieser fällt auch bei ihnen Sein und Lebenstätigkeit völlig zusammen. Auch sie sind für sich selbst Objekt; auch sie sind aber zugleich allwissend, und insbesondere sind sie auch der Erkenntnis der Gottheit, die ihr erster Grund ist, und ohne die sie selbst nicht ohne Widerspruch gedacht werden könnten, und ihres Weltplans teilhaft, zu dessen Verwirklichung sie durch ihren Einfluß auf ihre Sphäre beitragen. Um solcher Gründe willen würdigt sie Aristoteles des Namens „Götter“ in einem erweiterten Sinne und lehrt, daß wir nicht bloß der Gottheit, sondern auch den Göttern für Sein, Ernährung und Erziehung (denn das alles, wir werden es sehen, hängt bei der einheitlichen Zusammenordnung von allem mit allem auch von den die Gestirne bewegenden Geistern ab) zum Dank verpflichtet seien.57 Trotzdem besteht zwischen ihnen und der Gottheit im eigentlichen Sinn ein mächtiger Unterschied. Wenn sie ebenfalls allwissend sind, so ist doch nur bei der Gottheit die der Natur nach erste Wahrheit auch der Ordnung der Erkenntnis nach die erste; und sie erfassen nicht wie die Gottheit sich selbst als mit dem ersten Grund aller Wahrheit identisch. Wenn sie den Plan des Weltalls kennen und lieben, so doch als einen von der Gottheit erdachten, in den sie als Teile mit aufgenommen sind. Und wenn sie ewig schöpferisch wirken, so doch unmittelbar nur in bezug auf eine Sphäre, und auch dies nur kraft eines unbewegten Seins, das sie von der Gottheit empfangen.58 So bleibt denn der Charakter der Monarchie, den Aristoteles für unbedingt gefordert hält,59 trotz der Annahme jener mitwirkenden Sphärengeister vollkommen gewahrt. 57

Vgl. Eth. Nic. VIII, 14; I, 10 p. 1099 b 11. Auch die Tugend ist Geschenk der Götter.

58

Das alles läßt sich als unzweifelhafte Lehre des Aristoteles feststellen, wenn man darauf Rücksicht nimmt, daß er (wir werden noch darauf zurückkommen) auch bei unserem Verstand eine eigentliche Gotteserkenntnis nicht für unmöglich hält, und wenn man sich von dem Vorurteil freimacht, daß Aristoteles, wo er von einer Fürsorge nicht bloß der Gottheit, sondern auch der Götter für Menschen redet, sich immer nur Vorstellungen der griechischen Mythologie akkomodiere, die, wenn man die Stellen nur einigermaßen näher besichtigt hätte, sowohl in bezug auf das, was Aristoteles den Göttern zuschreibt, als, was er ihnen abspricht, keineswegs entsprechen. Denn wenn wir nach Aristoteles Sein, Nahrung und Erziehung den Göttern zu danken haben, so doch nicht einen freundschaftlichen Umgang (Eth. Nic. VIII, 9 p. 1158 b 35), während die mythischen Götter und Göttinnen mit Sterblichen selbst das Lager teilen und sich den erzeugten Kindern und anderen Günstlingen freundschaftlich nahen.

59

Vgl. z. B. Phys. VIII Ende und Met. Λ. 10 Schluß.

92

Aristoteles und seine Weltanschauung

Er fürchtete aber auch nicht den Vorwurf einer überflüssigen Annahme, da ja jede solche Intelligenz, in sich selbst wertvoll, den Wert des ganzen Weltsystems erhöhen mußte. Man könnte eher fragen: warum nur so wenige und nicht mehr? (Denn außer den Sphärengeistern soll, nach dem Satze, daß alles zu allem geordnet ist, keine solche ewig unwandelbare Intelligenz bestehen.) Doch Theophrast würde diese Frage zu jenen rechnen, von denen er sagt, daß sie zu viel verlangen. Jeder Sphärengeist muß nach den ontologischen Grundlehren des Aristoteles, weil immateriell, von anderer Spezies sein, und da wäre es denkbar, daß die Zahl der Möglichkeiten ähnlich begrenzt wäre wie die Zahl der Arten regelmäßiger stereometrischer Figuren, wo neben Tetraeder, Hexaeder, Kubus, Oktaeder, Dodekaeder, Ikosaeder und Kugel keine andere ohne Widerspruch möglich ist. Aber bei Wesen, die unserer Anschauung völlig transzendent sind, entzöge sich dieser Grund der Beschränkung unserer Analyse. Hiedurch also erschien die ewig vollendete himmlische Welt Aristoteles in einer der Gottheit würdigen Weise geadelt. Was dagegen die Himmelskörper anlangt, so kann ihr Bestehen allerdings nur durch einen Nützlichkeitswert,60 den sie haben, gerechtfertigt werden. Für wen aber sind sie nützlich? Für die bewegenden, impassiblen Sphärengeister sicher nicht, die vielmehr in der Selbstlosigkeit ihres Wirkens ganz der Gottheit gleichen. Wir haben also hier nur an eine Nützlichkeit in bezug auf die sublunarische Welt zu denken. In dieser Beziehung gibt es ihnen aber einen Vorzug, daß sie inkorruptibel sind und sich darum nicht, wie manches in der sublunarischen Welt, nur vorübergehend nützlich machen. Und dies sowohl als der Umstand, daß sie die niedere Welt nur beeinflussen, nicht aber von ihr beeinflußt werden, also ihr nur Wohltaten spenden, ohne selbst eine Förderung von ihr zu empfangen, läßt sie, trotz dem Mangel eines Wertes in sich selbst, doch noch in einer besonderen Weise der Gottheit ähnlich erscheinen. Und sie werden darum von Aristoteles als höher als die korruptiblen Elemente, ja als göttliche Körper bezeichnet. Infolge der Rotation der Himmelskörper kommt es zu periodischem Wechsel, wie Tag und Nacht, Sommer und Winter, wobei es aber doch nie60

Theophrast macht die treffende Bemerkung, daß, da die Gottheit unbewegt und das Gottähnlichere das Vollkommenere sei, eine bewegte Sphäre an und für sich nicht vollkommener sein könne als eine unbewegte. Aber das ist eben gar nicht die Vollkommenheit, um die es sich hier handelt: und nur als bewegte kann sie, wie wir sehen werden, die Dienste leisten, deren das Universum zur Erreichung des höchstmöglichen Maßes des in sich Guten bedarf. Darum erscheint auch Aristoteles die Annahme einer Sphäre ohne Zweckbeziehung zur Bewegung eines Sternes gänzlich ausgeschlossen. Vgl. Met. Λ, 8 p. 1074 a 17.

Die korruptiblen Elemente

93

mals zu einer Wiederholung derselben Gesamtkonstellation kommen wird. Und so kann es denn sowohl aus diesem Grunde, als auch weil alle früheren Einwirkungen in Nachwirkungen irgendwie fortbestehen, auch in der sublunarischen Welt nie zu einem Zustand kommen, in dem sich ein früherer genau wiederholt. Eines der „Probleme“, welches dieses behauptet, verrät sich dadurch als unecht und als Werk eines Schriftstellers, der sich, wie die Stoiker, die Naturanschauung des Heraklit zu eigen gemacht hat.

Die korruptiblen Elemente und was zur wirklichen Entfaltung ihrer Kräfte und Anlagen führt Die sublunarische Welt, die sich zum Himmel, wie Aristoteles ihn dachte, so vielfach im Gegensatze zeigt, hat doch ebenso wie er einen Bestand von Ewigkeit und da auch für sie die Gottheit die alleinige erste Ursache ist, aus dem gleichen Grunde. Wo nichts mitbedingt, kann auch nichts Mitbedingendes fehlen. Und so ist denn auch die sublunarische Welt von Ewigkeit. Von Gott allein als erster Ursache bedingt, ist sie doch nicht durch Schöpfung entstanden, da sie vielmehr anfangslos schöpferisch erhalten wird. Aristoteles unterscheidet in ihr elementare Körper und solche, die aus ihnen zusammengesetzt sind, und hält sich, wie auch Platon es getan, an die Vierzahl der empedokleischen Elemente: Erde, Wasser, Luft und Feuer. Die Atomistik des Demokrit war ja ebenso für ihn ausgeschlossen wie, als zwiefach absurd, die Lehre des Anaxagoras von unendlich vielen, unendlich kleinen elementaren Körperchen. Jedes Element hat, ähnlich wie der Himmel, ja jede Sphäre des Himmels, einen natürlichen Ort. Die dem Feuer natürliche Region liegt dem Himmel zunächst, dann folgt die der Luft und zu unterst die der Erde. Wie der Himmel gegenüber der sublunarischen Welt nur aktiv ist, und jede höhere Sphäre die niederen nur bewegt, nicht von ihnen bewegt wird, so kommt dem Feuer mehr Aktivität zu als der Luft, und am wenigsten hat die Erde. Dafür haben wir in ihr am meisten den Mutterschoß zu erblicken, in dem, wenn er von oben her befruchtet ist, sich die mannigfachsten Bildungen erzeugen. Bei den Mischungen der Elemente, die ja mehr als bloße Vermengungen sind, kommt es zu neuartigen gleichteiligen Substanzen, wie denn auch die Umwandlung eines Elementes in das andere nicht unmöglich ist. Aber auch vielgliederige und doch substanziell einheitliche Gebilde können aus den Elementen entstehen. Und so sind selbst die wunderbaren Strukturen der höchsten Organismen der Anlage nach in ihnen enthalten. Pflanzen, Tiere und

94

Aristoteles und seine Weltanschauung

Menschen, der ganze reiche Schmuck der Erde ist der Möglichkeit nach in ihnen beschlossen. Doch nichts von alledem würde ohne den himmlischen Einfluß sich verwirklichen. Denkt man den Himmel hinweg, so hätten wir, einheitlich sich erstreckend, vier abgerundete, ruhig übereinander lagernde Körper. Sie könnten nur etwa an ihrer Grenze aufeinander wirksam gedacht werden. Allein auch diese oberflächliche Berührung so gewaltiger einheitlicher Massen würde, scheint es, nach der Meinung des Aristoteles nicht ausgereicht haben, eine gegenseitige qualitative und substanzielle Änderung herbeizuführen. Noch mehr. Dächten wir sie selbst in kleinsten Parzellen miteinander aufs innigste vermengt, wo dann der Kontakt zu gegenseitigen Einwirkungen und Umwandlungen ausreichte, so würde, da dabei durchwegs die Unähnlichkeiten sich ausglichen, die Umwandlung zu einem einheitlichen Mittleren gelangen, und die ganze Entwicklung in einer Art Ähnlichkeitstod endigen, der an den von neueren Physikern gefürchteten allgemeinen Wärmetod erinnern könnte. Und wenn unter allem, was ersonnen worden ist, um ein solches Verhängnis als nicht ganz unabwendbar erscheinen zu lassen, sich nichts als haltbar erweisen will außer dem Gedanken von Maxwell und Lord Kelvin, welche die Möglichkeit eines Eingreifens von Kräften, die von seiten der Körperwelt keine Rückwirkung erfahren, ins Auge fassen: so gleicht auch dies ganz dem, was wir bei Aristoteles finden, da ja, wie wir hörten, die himmlische Welt, welche der ganzen sublunarischen die Bewegung gibt und erhält, ihrerseits von derselben nicht im mindesten leidet.

Veredelnder und beseelender Einfluß der Gestirne Dankt so die sublunarische Welt dem Einfluß der himmlischen eine fortdauernde Bewegung, welche sie dazu führt, ihre eignen Kräfte in mannigfacher Wechselwirkung zu betätigen, so ist dies doch nicht die einzige Förderung, die sie von ihr empfängt. Die Gestirne üben einen Einfluß, der die niedere Welt in gewissem Maße der himmlischen verähnlicht. Wir hörten von der Tendenz der Himmelskörper zu zirkularer Bewegung. Auf die Mitteilung von etwas ihr Ähnlichem führt Aristoteles die rundliche Gestalt der Lichtflecken zurück, wenn die Sonnenstrahlen, die durch ein Gebüsch gedrungen, die Erde berühren. Und bei dem so merklichen Einfluß, den der Unterschied der Jahreszeiten auf die ganze Vegetation hat, glaubt er, daß der veredelnden und in gewisser Weise vergöttlichenden Einwirkung der Gestirne in tieferem Grunde alle Entstehung von so viel höheren Produkten, als welche sich die Organismen in ihren Lebenstätigkeiten erweisen, zuzuschreiben sei.

Der Einfluss der Gestirne

95

Die ganze niedere Welt ist infolge der anfangslosen, nachhaltigen Beeinflussung von seiten der himmlischen irgendwie für die Entstehung lebender Wesen vorbereitet, ja kann aus diesem Grunde in einem erweiterten Sinne beseelt genannt werden; denn unter Seele versteht Aristoteles die substanzielle Wirklichkeit, die Natur eines lebenden Körpers. Doch ist diese Vorbereitung hier mehr, dort minder gegeben. In gewissen Fällen nur kommt es dazu, daß einem niederen Körper infolge seiner Verähnlichung mit den himmlischen eine Bewegung natürlich wird, die mehr der zirkulären der Sphären als der geradlinigen der niederen Elemente gleicht und sich so erhält und auf anderes, was damit in Berührung kommt, überträgt, was dann im weiteren Verlauf zur Entstehung eines lebenden Organismus führt. Aristoteles nennt eine solche Substanz πνεῦμα und spricht von einer lebenweckenden Wärme (ϑερμότης ζωτιϰή), welche von der gemeinen Wärme, wie sie dem Feuer natürlich eignet, wesentlich verschieden ist.61 Sie findet sich dagegen in der strahlenden Wärme der Sonne und findet sich auch im zeugungskräftigen Samen; unvollkommener und eigentlich nur entfernt zu der betreffenden Bewegung vorbereitet in den Katamenien und auch in anderen Teilen des Organismus. Doch werden die Katamenien mit dem Samen in Kontakt gebracht, zu der gleichen, ihm natürlichen Bewegung geführt. Aristoteles betont an gewissen Stellen so stark, daß hier etwas dem Element der Gestirne Ähnliches gegeben sei, daß manche Ausleger sich verleiten ließen zu glauben, er lehre geradezu, daß kleine Teilchen, von der Himmelssubstanz losgerissen, so in die niedere Welt hineingeraten seien, um als ein fünftes Element das Wesen der lebendigen Substanzen mit zu konstituieren. Bei der Inkorruptibilität und Immaterialität der Himmelssphären ist dies selbstverständlich ausgeschlossen. Aristoteles glaubt an das spontane Entstehen gewisser niederer Pflanzen und Tiere als an eine Tatsache noch gegenwärtiger Erfahrung. Folgerichtig mußte er dahin neigen, denen recht zu geben, welche in letzter Instanz auch den Ursprung der höheren und höchsten Arten, der vierfüßigen Tiere und des Menschen, als eine spontane Entstehung aus unorganischen Körpern begreifen wollten. In den Büchern von der Erzeugung der Tiere deuten schon gewisse Bemerkungen im dritten Kapitel des zweiten Buches darauf hin, und ganz unverblümt tritt der Gedanke im dritten Buch62 hervor, wenn er die Lehre derjenigen, welche auch die vierfüßigen Tiere und den Menschen ursprünglich aus dem Schlamm spontan hervorgehen ließen, durchaus nicht als unvernünftig abweisen will. Vielmehr beginnt er eingehend die nähere Weise, wie dies 61

Vgl. z. B. De Gen. An. II, 3.

62

Vgl. De Gen. An. III, 11.

96

Aristoteles und seine Weltanschauung

geschehen sein könne, in Erwägung zu ziehen. Eine Hypothese der Evolution der Arten, wie sie unserer Zeit geläufig ist, kommt ihm dabei wohl nicht in den Sinn. Aber dennoch zeigt sich schon eine gewisse Annäherung, denn auch er ist der Überzeugung, daß ein so vollkommener Organismus nicht unvermittelt aus dem Schlamme entstehen könne; es müssen niedere Formen die Vorbereitung gewesen sein. Und indem er vergleichend auf die Weise blickt, wie sich jetzt bei der Ontogenie eine solche Vorbereitung der höheren Formen durch niedere zeigt, einerseits durch Eier, anderseits durch eine niedere Lebensform, wie die Raupe sie gegenüber dem Schmetterling und andern Insekten darstellt, kommt er dazu, die Möglichkeiten zunächst auf diese beiden Hypothesen zu beschränken, und schließlich unter ihnen wieder der der Entstehung aus einem niederen, wurmartigen Lebewesen den Vorzug zu geben. An diese sich zu halten, erscheine als das Vernünftige.63

Stufen des Lebens. Überlegenheit des Menschen durch seine teilweise geistige Natur Dabei muß aber natürlich wegen der Vollkommenheit des Endergebnisses der Entwicklung an einen Fall gedacht werden, wo die unter dem himmlischen 63

Trotz der eingehenden Erörterung der Weise, wie die ersten Menschen aus dem Schlamm entstanden seien, wollen die Interpreten gemeiniglich nicht zugeben, daß Aristoteles an einen Anfang des Menschengeschlechtes geglaubt habe. Sie berufen sich dabei auf eine Reihe von Stellen, in welchen Aristoteles lehren soll, daß die Wissenschaften schon unendlich oft aufgebaut worden und wieder in Verfall geraten seien. Sieht man genau zu, so lehrt dies aber keine einzige von ihnen, indem vielmehr eine wie die andere nur sagt, daß jede Wissenschaft ins Unendliche oft entdeckt und wieder verloren werde; was genügt, um die Hypothese, daß unserer Periode schon eine andere vorausgegangen sei, wahrscheinlich zu machen. Die Differenz ist aber in anderer Beziehung sehr wesentlich. Da, wie wir hören werden, beim Tode des Menschen sein intellektiver Seelenteil, der sogenannte νoῦς, unsterblich fortbesteht, und kein überlebender menschlicher νoῦς zum zweiten Male sich mit einem Leib verbindet: so müßten, wenn schon unendlich viele Zeugungen erfolgt wären, gegenwärtig aktuell unendlich viele abgeschiedene Menschengeister bestehen, was nach Aristoteles eine Absurdität involviert, während die Annahme einer Vervielfältigung ins Unendliche nach ihm keineswegs absurd ist. Zu der Lehre von einem Anfang des Menschengeschlechts stimmt es auch, wenn Aristoteles in der Politik von einem Menschen spricht, der zum erstenmal einen Staat erfunden habe. Vgl. hiezu die ausführlichere Erörterung in meiner eben erscheinenden Abhandlung „Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes“, S. 95 ff., wo ich nachweise, daß in der Stelle Pol. VII, 10 p. 1329 b 26 statt „εὑρήσϑαι“ „εὑρίσϰεσϑαι“ zu lesen ist.

Stufen des Lebens

97

Einfluß entstandenen Dispositionen viel vollkommener waren als bei den, wie Aristoteles meint, von uns beobachteten spontanen Erzeugungen. Doch was hindert anzunehmen, daß, wie der Samen verschiedener Pflanzen und Tierarten,64 auch die Dispositionen bei der Urzeugung sehr verschiedenartig waren und sehr große Gradunterschiede der Vollkommenheit aufwiesen? Zu solchen, aus welchen die höheren Tierarten und die Menschen hervorgegangen sind, konnte es nur unter ganz besonders günstiger Konstellation im Zusammenhang mit den ihnen vorangegangenen Einflüssen kommen. Sie aber genügte für immer; denn wenn sie nicht zu etwas führte, was ewiges Sein hatte, so hatte die Natur dies durch die Kraft zu endlos sich wiederholender Erzeugung ersetzt.65 Von den drei Stufen: Pflanze, Tier und Mensch, besitzt jede höhere gewisse Lebensfunktionen mit der vorausgehenden niederen gemeinsam und bringt eigentümliche neue hinzu. Die Lebensfunktionen der Pflanze beschränken sich auf Ernährung, Wachstum und Erzeugung; dazu kommen beim Tier auch noch die Funktionen der Empfindung nebst Phantasie und Gedächtnis, des Begehrens, worin, in dem weiten Sinne, in welchem es Aristoteles faßt, die sämtlichen Affekte, wie sinnliche Lust und Unlust, Zorn, Hoffnung und Furcht u. dgl. mit beschlossen sind, und die willkürliche örtliche Bewegung; beim Menschen endlich auch noch die Funktionen des Verstandes, welcher begrifflich denkt, urteilt und schließt, und die höheren Gemütstätigkeiten, welche, so wie das intellektive Erkennen dem Empfinden, dem sinnlichen Begehren analog sind. Auch glaubt ihm Aristoteles, damit er zu wirklichem Denken gelange, außer der die Gedanken aufnehmenden Fähigkeit eine gewisse aktive Kraft zuschreiben zu müssen, die er ebenfalls νoῦς nennt, aber nicht, weil sie denkt (denn das Denken ist eine Art Leiden), sondern weil sie denken macht; also in ähnlich übertragenem Sinne, wie wir eine Arznei gesund nennen, weil sie die Gesundheit verleiht. Wir werden sogleich besser verstehen, welchem Bedürfnis er durch ihre Annahme genügen wollte. Jede folgende Stufe erhebt sich so hoch über die vorausgehende, daß diese ihr gegenüber leblos erscheint. Die Pflanze, der noch alles Bewußtsein fehlt, hat eben darum noch gar nicht an dem in sich selbst Guten teil;66 sie ist gut nur im Sinne des Nützlichen. Anderes gilt vom Tier, das unterscheidet, und in welchem auch der Lust nicht ganz der Charakter eines in sich Guten abgesprochen werden kann, so gewiß der ihr entgegengesetzte Schmerz, in sich 64

De Gen. An. II, 3 p. 736 b 31.

65

De Gen. et Corr. II, 10 p. 336 b 27.

66

Vgl. Theophrasts metaphysisches Fragment.

98

Aristoteles und seine Weltanschauung

selbst betrachtet, als ein Übel erscheint. Doch so hoch um dieses Umstands willen das Tier über der Pflanze steht, so ist doch der Abstand zwischen Tier und Mensch noch unvergleichlich größer. Das Tier ist nach Aristoteles wie die Pflanze allen seinen Teilen nach körperlich, der Mensch aber soll nach ihm ein teilweise körperliches, teilweise geistiges Wesen sein. Ich sage „teilweise körperliches, teilweise geistiges Wesen“ und gebe dadurch zu erkennen, daß Aristoteles den Menschen nicht für eine Verbindung zweier wirklichen Substanzen, vielmehr für eine einzige, einheitliche wirkliche Substanz hält. Wie die Vielheit von Teilen mit so tiefgreifenden Unterschieden, wie Fleisch, Knochen, Sehne u. dgl. sie zeigen, nach Aristoteles nicht damit unvereinbar ist, daß sie alle zu einer einzigen einheitlichen wirklichen Substanz gehören und keiner eine wirkliche Substanz für sich ist: so trägt er auch kein Bedenken zu glauben, daß eine so große Differenz, wie die zwischen Körperlichem und Geistigem damit vereinbar sei, daß beide als Teile zusammen eine einheitliche Substanz ausmachen. Eines der Argumente, die Aristoteles dazu führten, das Subjekt der sensitiven Funktionen für körperlich, das der intellektiven Funktionen für geistig zu halten, lernen wir im ersten der drei Bücher von der Seele kennen. Es scheint ihm widersprechend, daß ein Akzidens, welches kontinuierliche Teile unterscheiden läßt, in einer unausgedehnten Substanz, und ein unausgedehntes Akzidens in einer ausgedehnten Substanz als Subjekt sich finde. Unsere Sinneswahrnehmungen, wie z. B. das Sehen, zeigen aber kontinuierliche Teile, denn jedem andern Teile des gesehenen Bildes entspricht ein anderer Teil des Sehens: also, schließt er, ist das substanzielle Subjekt unseres Sehens ausgedehnt. Umgekehrt ist, wenn ich einen allgemeinen Begriff wie den des Dinges, der Verneinung u. dgl. denke, das Denken so wenig aus kontinuierlichen Teilen zusammengesetzt als das Objekt, wie es von ihm gedacht wird; und somit ist das Subjekt dieses Denkens in uns geistig. Zu diesem fügt das vierte Kapitel des dritten Buches noch weitere Beweisgründe hinzu, wie z. B. den, daß wir, wenn wir etwas sehr Sensibles erfaßt hätten, daraufhin unfähiger seien zum Erfassen eines minder Sensiblen, während nicht das Gleiche, vielmehr eher das Gegenteil für intelligible Eindrücke sich ergebe. Sind nun aber unsere sensitiven Eindrücke in einem Organ, die intellektiven aber geistig, so kann an der Zugehörigkeit von etwas Körperlichem und etwas Geistigem als Teilen zu ein und demselben einheitlichen wirklichen Dinge nicht gezweifelt werden, da es ja doch sonst zu keinem Vergleich der einen mit den andern kommen könnte.

Wechselwirkung zwischen Geist und Leib

99

Wechselwirkung zwischen Geist und Leib Das sensitive körperliche Organ und der geistige Teil des Menschen stehen natürlich auch in Wechselwirkung. Doch glaubt Aristoteles dieselbe nur in der Art möglich, daß der Anfang durch eine Einwirkung gemacht werde, die der geistige Teil auf den leiblichen übt. Die Körper der sublunarischen Welt können, wir erinnern uns, nicht einmal auf die Gestirne und ihre Sphären einwirken; wie sollten sie aus eigner Kraft einen Geist zu verändern imstande sein? Das körperliche Organ würde dazu so wenig ausreichen, als ein Feuer einen Geist glühend machen kann. Da ergibt sich nun aber eine Schwierigkeit. Die intellektiven Funktionen vollziehen sich alle in einer gewissen Abhängigkeit von den sensitiven; in den Phantasmen, die der sensitive Teil hat, erfaßt der menschliche Geist die darin enthaltenen Begriffe und wird so erst aus einem, der denken kann, wirklich denkend. Somit kann er denkend nicht früher auf den sensitiven Teil eine Wirkung üben, als er die erste Wirkung von ihm empfängt. Dieser Umstand nun ist es, um deswillen Aristoteles, außer der Fähigkeit zu denken und zu wollen, dem menschlichen Geist noch jene aktive Kraft zugeschrieben hat, deren wir schon erwähnten. Er nimmt an, daß vor allem Denken ein Einfluß von dem Geiste auf das sensitive Organ, in welchem die Phantasmen sind, geübt werde, welcher diesen zur Rückwirkung befähige. Das und nichts anderes ist die Funktion des νoῦς πoιητιϰός aus welchem manche ein höheres denkendes Vermögen der Seele, manche so gar eine besondere einheitliche, alle Menschengeister erleuchtende, höhere Intelligenz oder auch die Gottheit selber machen wollten, während der νoῦς πoιητιϰὸς gar nicht denkt, sondern nur durch seine zunächst auf den sinnlichen Teil gerichtete Wirksamkeit unser geistiges Denkvermögen aus einem bloß in Möglichkeit Denkenden zum wirklich Denkenden macht.67 Ist dies geschehen, so übt der Geist mit seiner Denk- und Gemütstätigkeit auch bewußt die mannigfachsten Einwirkungen auf den Verlauf der Phantasmen und der Affekte.

Mitwirkung der Gottheit zur Entstehung des Menschen Wenn Aristoteles so der Schwierigkeit Rechnung trägt, welche sich für die Einwirkung von etwas Leiblichem auf etwas Geistiges selbst dann noch zu 67

Vgl. die ausführliche Darstellung und Begründung in meiner Schrift „Die Psychologie des Aristoteles, insbesondere seine Lehre vom νoῦς πoιητιϰός“.

100

Aristoteles und seine Weltanschauung

ergeben scheint, wenn beide als Teile zu ein und derselben wirklichen Substanz gehörig gedacht werden: so konnte er um so weniger die übersehen, welche sich daraus ergibt, daß als Produkt der Erzeugung, die doch ein vegetativer Prozeß ist, beim Menschen nicht ein rein körperliches, sondern ein teilweise geistiges Wesen erscheint. Wie sollte sich dieses auch seinem geistigen Teile nach aus dem Samen und den Katamenien, die doch beide nur Überschüsse verarbeiteten Nahrungsstoffes sind, entwickelt haben? – In der Tat hält Aristoteles sowohl dies für unmöglich, als auch die Unterstützung durch andere sekundäre Kräfte für nicht ausreichend und glaubt vielmehr eine unmittelbare Mitwirkung der Gottheit selbst annehmen zu müssen. In dem durch den Zeugungssaft gebildeten, körperlichen Produkt, in welchem bei seinem Abgang vom Mutterschoß der Same des die Seele gebenden Prinzips mitabgeht, ist, lehrt er, wo es sich um eine menschliche Geburt handelt, dieser Same ein doppelter: der eine körperlich, der andere unkörperlich. Der körperliche ist der Samen des Zeugungssaftes; und dieser, da er sich auflöst und verdunstet, ist nicht als ein besonderer Teil, sondern, wie der Feigensaft in der dadurch zum Gerinnen gebrachten Milch aufgegangen, darin enthalten. Der unkörperliche dagegen ist ein göttlicher Samen und ist, da bei ihm von Auflösung und Verdunstung keine Rede sein kann, im Zeugungsprodukt als ein besonderer Teil zu unterscheiden. Es ist dies der intellektive Teil der menschlichen Seele, der sogenannte νoῦς. Damit dieses Eingreifen der Gottheit nicht zu befremdlich erscheine, versäumt Aristoteles nicht, darauf aufmerksam zu machen, daß ja schon zum Entstehen eines Lebewesens überhaupt die Kräfte der niederen Elemente nicht ausgereicht hätten, daß vielmehr die Kraft der himmlischen Substanzen in gewisser Weise vergöttlichend als Ursache mit beteiligt war. Wir haben also in dem Mitwirken der Gottheit zum Entstehen des Menschen nicht etwas, wofür die Analogie bei der Entstehung niederer Lebewesen ganz fehlte. Aber wie ist dieses Eingreifen der Gottheit zu denken? Hat sie, nachdem sie den geistigen Teil des Menschen von Ewigkeit schöpferisch hervorgebracht hatte,68 ihn nun mit einem Embryo in der Art verbunden, daß er, der bisher 68

Daß er Gott zur Ursache hat, steht nach dem, was wir früher gesehen, schon darum außer Zweifel, weil Gott die Ursache aller Dinge, die der Sphärengeister nicht minder als die der korruptiblen Wesen, ist. Auch weist Aristoteles De An. III, 5 und 7 ausdrücklich auf das ewig aktuelle, göttliche Wissen als die erste Ursache alles menschlichen Wissens zurück. Und einen ähnlichen Hinweis auf die Gottheit als das erste Prinzip der natürlichen Tendenzen des menschlichen Geistes finden wir im siebenten Buch der Eudemischen Ethik Kap. 14. Es kann sich also nur um die Frage handeln, ob der menschliche Geist von Ewigkeit oder nicht von Ewigkeit Gott entstamme.

Die Entstehung des Menschen

101

als besondere geistige Substanz für sich bestand, nun aufhörte, ein wirkliches Wesen für sich zu sein, und Teil einer menschlichen Natur wurde, oder hat sie ihn erst jetzt schöpferisch hervorgebracht? – Wenn Aristoteles das erste annahm, so mußte er glauben, daß derselbe Geist wieder und wieder mit anderen und anderen Embryonen verbunden werde; denn das Menschengeschlecht erhält sich nach ihm fortzeugend ins Unendliche, die Menge der von Ewigkeit bestehenden Geister kann aber nur eine endliche sein. Alle Ausleger sind nun darin einig, daß Aristoteles in der reiferen Zeit seines Philosophierens die Palingenese verworfen hat.69 Also ist diese Möglichkeit ausgeschlossen. Und sie scheint es auch noch aus einem anderen Grunde, den schon Theophrast geltend macht.70 Wie sollte es denkbar sein, daß ein gewisser von Ewigkeit für sich bestehender Geist so, wie es im Menschen der Fall sein würde, mit dem, was sich als Produkt einer embryonalen Entwicklung ergibt, seiner Natur nach zusammengehörig wäre? Die Seele dieses Menschen ist ja nach Aristoteles die Natur dieses Menschen, und der geistige Teil dieser Seele also ein Teil dieser Natur. Und so schließt denn Theophrast, man müsse den νoῦς nicht als fertig hinzugesetzt, sondern als im Entstehen des Menschen mitbegriffen denken. Und das stimmt zu dem, was Aristoteles ausdrücklich lehrt, wo er hinsichtlich der menschlichen Seele, zwischen Prä- und Postexistenz unterscheidend, die erstere vollständig in Abrede stellt, dagegen, als auf etwas ihm offenbar sehr Wichtiges, darauf aufmerksam macht, daß nichtsdestoweniger ein Fortbestand der Seele nach dem Tode nicht ausgeschlossen sei; nicht zwar der ganzen, wohl aber ihres intellektiven Teils.71 Aber auch der Annahme, daß Aristoteles den νoῦς des einzelnen Menschen bei dessen Erzeugung durch die Gottheit neu hervorbringen lasse, steht entgegen, daß wir ja dann ein Werden aus nichts hätten, das Aristoteles aufs entschiedenste als unmöglich in Abrede stellt. Und wir kennen ja auch den Grund, der ihm bei dieser Lehre maßgebend war. Ist das wirkende Prinzip gegeben, und fehlt keine der etwa erforderlichen Mitbedingungen, so muß die Wirkung zugleich mit ihm gegeben sein. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet scheinen also die menschlichen Geister, wenn von der Gottheit gewirkt, ebenso von Ewigkeit sein zu müssen wie die Geister der Himmelssphären. 69

Vgl. De An. I, 3 p. 407 b 21.

70

Vgl. Theophrasts Fragment aus dem fünften Buch der Physik bei Themistius zu De Anima III, 5 fol. 91 r.

71

Vgl. Met. Λ, 3 und die Weise, wie Zeller in seiner „Abhandlung von der Ewigkeit des Geistes“ sich bemüht, diese Stelle zu entkräften, und seine Widerlegung in meinem „Offenen Brief an Zeller“ 1883.

102

Aristoteles und seine Weltanschauung

Doch die ganze Schwierigkeit löst sich, wenn wir darauf achten, daß, wie immer bei der Erzeugung eines Menschen etwas neu entsteht, was einem Teil seiner Seele nach geistig ist, darum doch nicht gesagt werden kann, daß dieser geistige Teil der Seele neu entstehe; wie ja auch nicht, daß die Seele neu entstehe. Aristoteles hebt gerade auch an der Stelle, an welcher er die Präexistenz der Seele im Gegensatz zu ihrer teilweisen Postexistenz in Abrede stellt, ausdrücklich hervor, daß man nicht sagen dürfe, die Seele entstehe, sondern das wirkliche Ding, dessen Natur die Seele sei. Ein Pferd erzeugt ein Pferd, nicht die Seele eines Pferdes: und so erzeugt auch ein Mensch einen Menschen, nicht aber die Seele eines Menschen oder einen Teil dieser Seele. Und wenn er nicht allein, sondern nur unter unmittelbarer Mitwirkung der Gottheit einen Menschen erzeugt, so gilt, was von ihm gilt, ganz ebenso von der Gottheit als wirkendem Prinzip. Was von ihr gewirkt wird, genauer gesagt, was unter ihrer Mitwirkung entsteht, ist einzig und allein der Mensch, nicht aber die Seele dieses Menschen oder ein Teil dieser Seele; denn diese entstehen gar nicht, sondern sind nur als zum Menschen gehörige Teile, wenn er entstanden ist, mitgegeben. So wenig also handelt es sich hier um ein Entstehen des νoῦς aus nichts, daß es sich vielmehr gar nicht um ein Entstehen des νoῦς handelt; vielmehr um die Entstehung eines Menschen infolge eines Zusammenwirkens des väterlichen Samens und der schöpferischen Kraft der Gottheit, deren Wille hier nicht auf ein durch sie allein unmittelbar bedingtes Entstehen, sondern ein durch die Kraft des Samens und die embryonale Entwicklung Mitbedingtes abzielt. So kann denn, da der Mensch das einzige ist, was hier entsteht, dieser aber nicht aus nichts entsteht, hier keineswegs von einer Verletzung des Satzes, daß niemals etwas aus nichts entstehe, gesprochen werden. Und daß dies auch dann nicht der Fall ist, wenn nach dem Tode des Menschen der geistige Teil seiner Seele nun allerdings als ein wirkliches Ding für sich zurückbleibt, ist ebenso augenscheinlich. Will man in diesem Fall ihm deshalb, weil er nun zu einem wirklichen Dinge für sich wird, während er bisher nur Teil der Form des Menschen war, ein Entstehen zuschreiben, so doch wahrlich nicht ein Entstehen aus nichts; da er vielmehr aus dem Menschen entsteht, von dem er nach der Korruption des Leibes, ohne selbst eine Umwandlung in Entgegengesetztes zu erfahren, als inkorruptibler Rest zurückbleibt.72 So zeigen sich 72

Vergleicht man mit dieser Darlegung das, was ich in meiner Schrift „Über den Creatianismus des Aristoteles“, 1882 gesagt habe, so bemerkt man eine wesentliche Korrektur. Gerne bekenne ich, wenn ich Zellers Auffassung noch heute schon durch die damals erbrachten Gründe für vollkommen widerlegt halte, daß doch auch meine Auffassung noch mit einem Fehler behaftet war, mit dessen Berichtigung der einzige wahrhaft bedeutende Einwand von Zeller entfällt. Ich sprach mit Unrecht von einer

Die Entstehung des Menschen

103

denn die allgemeinen Prinzipien, die Aristoteles für das Entstehen der Dinge aufgestellt hat, hier in keiner Weise verletzt. Es ist für das Verständnis der ganzen aristotelischen Weltanschauung von höchster Wichtigkeit, daß man sich diesen Punkt seiner Lehre zur vollen Klarheit bringt und begreiflich macht, wie es nach ihm trotz der Leugnung jedes Werdens aus nichts zu einer nachträglichen Vermehrung der immateriellen Substanzen kommen könne. Man wird daraufhin dann sofort auch erkennen, warum Aristoteles den menschlichen νoῦς nicht schon im Samen des Vaters seinen Anfang nehmen lassen konnte, wenn er diesen Samen nicht schon geradezu für intellektiv beseelt halten, d. h. ihn schon für etwas, was der Natur des Menschen teilhaft und selbst schon ein Mensch sei, erklären wollte. Denn der νoῦς hätte ja dann anfangs als ein Ding für sich bestanden und als solches für sich und nicht bloß als Teil eines anderen seinen Anfang genommen; mit anderen Worten, wir hätten jenes von Aristoteles für unmöglich gehaltene Entstehen aus nichts. Ja, sowenig der νoῦς nach Aristoteles schon im Samen des Vaters, sowenig kann er auch noch in dem Keim vom Augenblick der Befruchtung an gegeben sein, da diesem, wie Aristoteles durch seine sehr beachtenswerten embryologischen Untersuchungen festgestellt hat, erst nach Schöpfung des geistigen Teiles der menschlichen Seele, wo ich vielmehr von einem Mitwirken der Gottheit zur Entstehung des einheitlichen, geistig leiblichen Menschen hätte reden sollen. Auch die Stelle De Gen. An. II, 3 p. 737 a 7 hatte ich mir damals noch nicht in ihrem wahren Sinne verständlich gemacht. Aristoteles sagt, unser geistiger Teil sei am meisten unser Selbst. (Vgl. Eth. Nic. X, 7 p. 1178 a 2.) Wenn unser Geist, so hätten darum wir selbst nach ihm keinen Anfang genommen, und es wäre nicht zutreffend, wenn er Eth. Nic. sagt, daß wir unseren Eltern unser Sein dankten, da sie vielmehr nur etwa zu den Ursachen unserer Einkörperung gezählt werden könnten. In Platons Munde wäre darum ein solches Wort unmöglich. Als ich dies schon früher mit geltend machte, erwiderte Zeller, daß auch nach meiner Ansicht die Eltern nicht als Ursache des totalen Seins des Kindes, sondern nur seines Leibes zu betrachten wären. Die Entgegnung erschien vielleicht auch damals wenig kräftig, immerhin hätte ja die Erzeugung des Leibes die Schöpfung des Geistes nach allgemein gültigem kosmischem Gesetze zur Folge gehabt. Nach der Art, wie ich jetzt meine Darstellung berichtige, ist sie aber gar nicht mehr am Platze; denn nicht der Geist wird von Gott und der Leib vom Vater, sondern der einheitliche geistig-körperliche Mensch durch ein Zusammenwirken beider erzeugt, in dessen einheitlichem Entstehen die Seele ihrem vegetativen, sensitiven und intellektiven Teil nach inbegriffen ist. Der Vater wie der Gott sind also Ursache des ganzen Menschen wenn auch weder der Vater noch der Gott die ausschließliche Ursache desselben ist. Ebenso erscheinen der menschliche Same und menschliche Embryo in seinen frühesten Entwicklungsstufen nicht als Menschenleib in Möglichkeit, sondern als Mensch in Möglichkeit, und es wird von ihnen gesagt, daß sie auch die intellektive Seele der Möglichkeit nach hätten. De Gen. An. II, 3.

104

Aristoteles und seine Weltanschauung

einer Reihe sehr tiefgreifender Umwandlungen die menschliche Natur zu eigen wird. Zuerst gilt er ihm auch nach der Befruchtung als im eigentlichen Sinne noch ganz unbeseelt, wenn auch zur Beseelung vorbereitet; dann soll er, einer bloß vegetativen Seele teilhaft geworden, ein bloß pflanzliches Leben führen; dann zu einer animalischen Beseelung gelangen, so zwar, daß er nunmehr sinnliche Lebenstätigkeiten übt; und abermals beträchtlich später noch der intellektiven Seele und mit ihr der wahren Natur des Menschen teilhaft werden. Hier erst wird das Zeugungsprodukt unter jener besonderen Mitwirkung der Gottheit ein geistig-körperliches Wesen.73 73

Zeller meint, nach Aristoteles sei der νoῦς schon vor der Begattung im Samen des Vaters gewesen und werde darum ebenso wie der Zeugungssaft zum väterlichen Samen gerechnet. Wenn Aristoteles ihn ϑεῖoν σπέρμα nennt, so bezeichne dies nicht ein Woher des Samens, vielmehr heiße „göttlich“ hier so viel wie geistig. Aber die Frage nach dem Woher war ausdrücklich aufgeworfen worden und findet, wenn nicht durch das „ϑεῖoν“, gar keine Beantwortung. Und wenn ϑεῖoν hier nicht mehr sagen wollte als geistig, so würden die Worte: τὸ μὲν χωριστὸν ὂν σώματoς, ὅσoις ἐμπεριλαμβάνεται τὸ (nach anderer Lesart τι) ϑεῖoν zur nichtssagenden Tautologie; hieße es doch, ein Teil des Samens sei geistig, bei jenen Zeugungsprodukten nämlich, worin der geistige (oder ein geistiger) Samen beschlossen sei. Ebenso befremdlich ist es, wenn Zeller meint, die aristotelischen Schriften kennten gar nicht den Ausdruck ϑεῖoν als Ausdruck einer kausalen Beziehung. Ich möchte doch wissen, welche andere Deutung man den Worten ϑεια εὐτυχία in der Eudemischen Ethik geben könnte als die von einem Glücke, das uns durch göttliche Fügung zuteil wird. Aristoteles müßte auch geradezu als ein Mann betrachtet werden, der mit der griechischen Sprache seiner Zeit nicht genügend bekannt gewesen, wenn er es für untunlich gehalten hätte, das ϑεῖoν jemals in kausalem Sinne zu gebrauchen. Und nun gar in der Verbindung mit σπέρμα, welches die kausale Deutung so besonders nahelegt! Daß der Ausdruck ϑεῖoν bei ihm zum eindeutigen Terminus technicus für immateriell geworden sei, kann nicht geltend gemacht werden, da bei ihm seine Bedeutung vielmehr in mannigfacher Weise wechselt. Ein für die Interpretation erschwerender Umstand liegt in einer Korruption des Textes, die sich schon aus Gründen der Syntaxe merklich machen mußte. Man hat darum in dem Satze: τὸ δὲ τῆς γoνῆς σῶμα, ἐν ᾧ συναπέρχεται τὸ σπέρμα τὸ τῆς ψυχιϰῆς ἀρχῆς, τὸ μὲν χωριστὸν ὂν σώματoς, … τὸ δ’ ἀχώριστoν, τoῦτo τὸ σπέρμα τῆς γoνῆς διαλύεται usw. das letztere σπέρμα in σῶμα emendieren wollen. Diese Konjektur ist verfehlt, vielmehr scheint zu lesen: τὸ δ’ ἐϰ τῆς γoνῆς σῶμα … ἀχώριστoν, τoύτῳ τὸ usw. Die Erklärung der so emendierten Worte liegt in dem, was ich im Texte gesagt habe. Wenn, wie Zeller meint, der νoῦς im Samen des Vaters gewesen wäre, so könnte er doch nicht ihn beseelt haben, denn dies wird wieder und wieder aufs bestimmteste geleugnet. Wie anders aber könnte er darin sein? Doch nicht wie ein Körper in einem Körper ist; er ist ja unkörperlich. Also nur etwa in dem Sinne, daß er darauf wirkte oder etwas von ihm erlitte oder beides. Wie aber und was würde er wirken, wo es sich um rein vegetative Prozesse handelt und die noetische Tätigkeit später sogar als die sensitive beginnt? Und daß er, der unkörperliche, von dem körperlichen Samen leiden könnte, ist ganz

Das Auftreten des Menschengeschlechts

105

Für Aristoteles fällt dieser Augenblick der Vollendung mit dem der Differenzierung des geschlechtlichen Unterschieds zusammen;74 also mit dem, in welchem auch Platon die von der Gottheit gebildete Seele dem Embryo einpflanzen ließ. Dieser, der nicht an die Zugehörigheit des menschlichen Geistes zur Natur des Leibes glaubte, hatte sich darum für die Beseelung durch ihn in einem so späten Stadium der Entwicklung entschieden, weil, je nach der Qualität der Seele, der einen ein männlicher, der anderen ein weiblicher Organismus zum Wohnort angewiesen werden sollte. Immerhin ist die Übereinstimmung als Beweis dafür, wie überall Spuren des Einflusses von Platon bei Aristoteles sichtbar werden, interessant.

Das Auftreten des Menschengeschlechts s. z. s. die Fülle der Zeiten Ist der Eintritt des νοῦς in den Foetus der Augenblick seiner Vollendung, so kann das Auftreten des Menschengeschlechts in der Geschichte recht eigentlich als die Fülle der Zeiten betrachtet werden. Der Mensch, und insbesondere sein geistiger Teil, durch den er so viel mehr als durch den leiblichen der Gottheit ähnlich ist, erscheint ja als das vornehmste Ziel, auf dessen Erreichung die ganze irdische Entwicklung und nach dem, was wir früher sagten, wenn diese, auch die ganze Ordnung und Bewegung der Himmelssphären ausgeht. Aristoteles bezeichnet ihn geradezu als Gott in der irdischen Welt. Wenn im Gegensatz zur Pflanze das Tier schon etwas an dem in sich selbst Guten teil hat, ausgeschlossen. Ferner, wie wäre der νoῦς, wenn er zunächst in dem Samen des Vaters war, dadurch, daß der Samen in die Katamenien einging, mit hineingegangen, wenn er nicht zur Natur des Samens gehörte, sondern ein Ding für sich war? Offenbar müßte er die Begleitbewegung auch für sich vollzogen haben; aber wie könnte er nach Aristoteles eine lokale Bewegung für sich vollziehen, da doch in der Physik bei der Erörterung der Zenonischen Argumente aufs ausdrücklichste gelehrt wird, daß nur etwas Ausgedehntes sich lokal fortbewegen könne? So erscheinen denn auch die Sphärengeister als schlechthin unbewegte und unbewegliche Substanzen. Wer dies erwägt, der sieht auch ein, wie unzulässig die Deutung des ϑύραϑεν ἐπεισιέναι (De Gen. An. II, 3 p. 736 b 28) ist, welche es als Ausdruck für ein lokales Versetztwerden von außen nach innen begreifen will. Nichts sicherer, als daß es sich um nichts anderes als um ein kausales Woher handeln kann. So müssen wir denn hier wieder den Vorwurf erheben, daß man es gänzlich vernachlässigt hat, auf den Zusammenhang eines Lehrpunktes mit dem Ganzen der Lehre zu achten. (Vgl. auch meine eben erscheinende Schrift „Aristoteles’ Lehre vom Ursprung des menschlichen Geistes.“) 74

Vgl. De Gen. An. II, 4.

106

Aristoteles und seine Weltanschauung

so verschwindet dies doch neben dem, was in dem Menschen sich verwirklicht findet. Aber dieses Gut liegt bei ihm nicht sowohl in der menschlichen Natur als solcher oder in dem ihr zugehörigen geistigen Teile, als in dessen Tätigkeit. Die Gottheit ist nach Aristoteles nicht ein bloßes Verstandesvermögen, sondern wirkliches Denken und seliges Leben. Und so ist denn auch der Mensch der Gottähnlichkeit und des in sich Guten nur teilhaft, insofern er in vollkommener Betätigung seiner geistigen Kräfte begriffen ist. Hier aber steht, wie mit der Metaphysik auch die Ethik und Politik aufs nachdrücklichste hervorheben, die Weisheit obenan. Sie erscheint in der Art als der Zweck des Menschen, daß die Rücksicht auf sie und ihre Interessen nach Aristoteles für die ganze Ordnung des menschlichen Lebens maßgebend werden soll. In der Nikomachischen wie in der Eudemischen und in der sogenannten Großen Ethik wird dies gleich energisch geltend gemacht. In gewissem Sinn, heißt es hier, sei es die Ethik und praktische Klugheit, in gewissem anderen Sinn aber die Weisheit, nach der sich alles zu richten habe. Die praktische Klugheit in dem Sinne, daß sie die Anweisungen gibt; die Weisheit aber im Sinne des Guten, auf dessen Erreichung jene Anweisungen abzielen. Die sittlichen Tugenden sollen in einer Mitte liegen zwischen zwei fehlerhaften Extremen. Fragt man aber, wie diese Mitte zu bestimmen sei, so ist im letzten Grunde die Antwort die: so, wie es am besten dem Lebenszwecke des Menschen, der in der Erkenntnis des Weisen liegt, entspricht. Auch alle geselligen Verbindungen, in die der Mensch eintritt, sollen daher im letzten Grunde zu ihr als Ziel geordnet sein. Bedarf der Mensch des Staates zur sittlichen Erziehung und Führung, so soll auch der ganze Staat seine höchste Aufgabe in der Förderung der Weisheit sehen. Die Gerechtigkeit in jenem weiten Sinn, in welchem sie die ganze Sittlichkeit in sich begreift, nennt Aristoteles „schöner als den Morgenstern und als den Abendstern“. Aber wir sehen, die Weisheit ist ihm die Sonne, die diesem Morgenstern und Abendstern den Glanz verleiht.

Das Diesseits als Vorbereitung für ein allbeseligendes und jedem gerecht vergeltendes Jenseits Aber haben wir in ihr schon den Höhepunkt der ganzen Entwicklung? Oder würde unter solcher Annahme die Welt noch weit davon entfernt erscheinen müssen, die denkbar vollkommenste, weil gottähnlichste zu sein? Der Weisheit sehen wir nur relativ wenige teilhaft werden, und auch sie nur mit Unterbrechungen bei ihren erhabenen Betrachtungen verweilen. Ja, auch diese, mit welchen Unvollkommenheiten sind sie nicht behaftet. Sagt doch das zweite

Das Diesseits und das Jenseits

107

Buch der Metaphysik, wer immer sein Verfasser sein möge, ganz im Sinne des Aristoteles, daß der Verstand des Menschen dem Auge einer Nachteule gleiche, welches da am wenigsten sehe, wo der Tag am hellsten scheine. Nur durch Analogieschlüsse rühren wir an die Gottheit, indem wir so die an und für sich unpassenden Erfahrungsbegriffe verwertbar machen, während uns eine eigentlich anschauliche Erkenntnis Gottes fehlt. Aristoteles lehrt, daß unserm Verstand auch die Fähigkeit zu dieser nicht abgehe, und daß wir darum hier nicht einem Blinden, vielmehr einem mit Sehvermögen Begabten in einer Zeit, wo er nicht wirklich sieht, zu vergleichen seien.75 Aber im dritten Buch von der Seele wirft er die Frage auf, ob ein noch nicht vom Leibe befreiter Geist zur Erkenntnis eines rein geistigen Wesens fähig sei. Und wäre es zu jener ausgeführten Metaphysik gekommen, für die er hier die Beantwortung der Frage verspart, so würde er sie im Hinblick darauf, daß alle unsere Begriffe aus den Phantasmen geschöpft werden, verneint haben. Wenn aber nicht in diesem Leben, so ist hienach im jenseitigen ohne Zweifel ein Erfassen der Gottheit durch einen menschlichen Verstand nach ihm nicht ausgeschlossen. Und mit diesem, das wie bei Gott selbst und den Sphärengeistern auch die Erkenntnis des göttlichen Weltplans mit sich brächte, wäre dann eine Seligkeit erreicht, der gegenüber alles, was das irdische Leben auch in seinen vollkommensten Erscheinungen bietet, noch unvergleichlich zurückstände. Dort sähen wir dann auch Erzeugnisse der niederen Welt zu wunderbarster Gottähnlichkeit gelangt. Und die Rücksicht auf dieses Ziel würde alles, was auf dem Wege dazu in den Mißbildungen der Pflanzen- und Tierwelt nicht allein, sondern auch im menschlichen Leben selbst zutage tritt (Leiden, Irrtum, Verbrechen, Verfall des Einzellebens wie des Lebens ganzer Völker und Kulturperioden), da das alles ja nur einer Art embryonaler Vorbereitung angehörte, von jedem Vorwurf entlasten. Wird nun diese Gotteserkenntnis im Jenseits allen oder nur einigen Auserwählten zu teil? und geschieht dies im Verlauf weiterer Entwicklung oder unmittelbar nach dem Tode? – Aristoteles läßt es auf Erden zu den mächtigsten Gegensätzen von einer unverlierbaren Tugend und einer schlechthin unheilbaren Verworfenheit kommen.76 Er glaubt aber auch an Verdienst und Mißverdienst77 und sieht etwas Schönes in der gerechten Vergeltung.78 Man könnte daraufhin vermuten, daß er auch jenseits einen Tartarus mit ewigen Strafen 75

Met. Θ, 10 p. 1052 a 2.

76

Vgl. Eth. Nic. III, 7.

77

Ebendaselbst.

78

Vgl. Eth. Nic. IV, 11 p. 1125 b 31, p. 1126 b 4; V, 7. 8; X, 9 p. 1179 a 28.

108

Aristoteles und seine Weltanschauung

lehre, zumal auch Platon dies getan hat. Doch eine Stelle in der Metaphysik79 deutet ganz anderes an, indem sie darauf anspielt, daß viele Vorstellungen über das Göttliche von den Gesetzgebern erdachte Fiktionen seien, um die Menschen durch die Furcht zu beeinflussen. Auch ist er strenger Determinist;80 was ihn so wenig als Leibniz hindert, an Freiheit und Verantwortlichkeit zu glauben. Hatten wir ihn bei der Gottheit die vollkommenste Freiheit mit schlechthinniger Notwendigkeit für nicht unvereinbar halten sehen, wie könnten wir uns darüber wundern, daß er auch eine mittelbare Notwendigkeit, wie sie für die Natur unseres Willens unter gewissen äußeren und inneren Umständen gegeben ist, nicht für etwas seiner Freiheit Widersprechendes gehalten hat? Unser Wille entscheidet sich immer frei, d. h. nach seiner Neigung, für oder wider ein Tun,81 das den Forderungen der Sittlichkeit entspricht; und so liegt dies stets in seiner Macht. Und wenn auch die Tugend keinem angeboren, und der eine zum Erwerb derselben minder gut als der andere beanlagt ist, so ist es doch ursprünglich wenigstens in die Macht eines jeden gelegt, wenn er will, die tugendhaften Dispositionen zu erwerben; eine Macht, die erst im späteren Leben infolge unseres Willensmißbrauches definitiv verloren geht, während die Macht zum gerechten Tun, von der wir gesprochen, auch dann noch zurückbleibt;82 ähnlich, wie wir ja hörten, daß nach Aristoteles dem Gotte deshalb, weil sein Wille unabänderlich auf das Gute gerichtet ist, die Macht, Böses zu tun, nicht fehle. Aber trotzdem bleibt eine mit dem Determinismus, nach welchem im letzten Grunde eine göttliche εὐτυχία oder δυστυχία, wir können sagen eine Art Gnadenwahl,83 für all unser Tun und Lassen entscheidend ist, verbundene Lehre von ewiger Verdammnis eine unerträgliche Härte. Wie also hat er sich die Sache gedacht? – Es scheint alles darauf hinzudeuten, daß er alle im Jenseits zu jener Erkenntnis Gottes und seines Weltplans und somit zu einem Gute gelangen lasse, dem sich alle irdischen Güter nicht vergleichen. Wenn aber dies, dann auch sogar unmittelbar im Augenblick des 79

Vgl. Met. Λ, 8.

80

Als ich meine „Psychologie des Aristoteles“ schrieb, hatte ich dies noch nicht erkannt und glaube einer Pflicht zu entsprechen, indem ich, was ich dort gesagt, ausdrücklich berichtige. Namentlich in der Nikomachischen Ethik, die wir vor anderen als eine gereifte Frucht betrachten müssen, zeigt sich dies aufs unverkennbarste, in Verbindung freilich mit der sorgfältigsten Bemühung, schädlichen Folgerungen, die mancher unberechtigterweise an die deterministische Lehre knüpfen möchte, vorzubeugen.

81

Vgl. Eth. Nic. III, 3. 7 gegen Ende.

82

Vgl. Eth. Nic. III, 7.

83

Vgl. Eth. Nic. I, 10 p. 1099 b 11. Die Tugend ist ϑεόσδοτος.

Das Diesseits und das Jenseits

109

Todes; denn mit der Lostrennung von dem Leibe, die, da es nach Aristoteles keine Wiedergeburt geben kann, endgültig sich vollzogen hat, ist eine Bewegung in der Seele nicht mehr möglich.84 Nähmen wir sogar in ihr eine Kette von sekundären Wirkungen an, so müßten sie nach dem, was wir über das zeitliche Verhältnis von Wirkung und Ursache gehört, vom ersten bis zum letzten Gliede zugleich eintreten. Aber wie? wird dann der Vergeltungsgedanke nicht ganz und gar zu nichte? – Man könnte es meinen, und dann wäre erklärt, warum Aristoteles im Gegensatz zu Platon in der Ethik gar nicht auf eine Vergeltung im Jenseits verweist. Doch so ist es nicht. Wir erinnern an den Unterschied, auf den wir bei den Sphärengeistern im Vergleich mit der Gottheit aufmerksam machten. Ähnlich werden denn Unterschiede auch hier bestehen, und wenn die abgeschiedenen Menschengeister den Weltplan schauen und sich selbst mit ihrem Erdenleben darein verflochten sehen, so erkennt der eine sich als identisch mit einem, der Edles übt, und ein anderer mit einem, der schmähliche Taten vollbringt. Es ist die Erkenntnis, zu der sie gelangen, zugleich ein ewiges, verherrlichendes oder verdammendes Weltgericht, und ein Weltgericht, das sich als solches für ewig vor aller Augen vollzieht. Sollte hierin nicht auch eine Vergeltung und eine dem wahren Verdienst vollkommen proportionale gesehen werden können? In jüngster Zeit hat Nietzsche, der auf Grund, ich weiß nicht welches, trügerischen Berichtes über angebliche Entdeckungen der Naturwissenschaft zu der Überzeugung gelangt war, daß alles, was in der Welt geschieht, genau so wie es geschieht, in regelmäßig wiederkehrenden Perioden sich wiederholen werde, in diesem Gedanken ein Motiv zu finden geglaubt, welches mächtig der Versuchung zu schlechtem Handeln entgegenwirken müsse. Könne es doch nicht anders als abschreckend erscheinen, durch eine niedrige Handlung, die man begeht, sich nicht bloß für einmal, sondern unendlich oft und von Ewigkeit zu Ewigkeit immer wieder neu geschändet zu sehen. Er bedachte nicht, daß der, welcher, um einer augenblicklichen Pein zu entgehen, die Sittlichkeit verletzt, sich infolge jener vermeinten unendlichmaligen Wiederholung auch sagen müßte, daß er, wenn er die ihm unleidliche Pein auf sich nähme, solches nicht bloß dies eine Mal, sondern immer und immer wieder werde tun müssen. Aber was er aus solchem Grunde unpassend sagt, scheint im Fall des Aristoteles ganz anders am Platze. Das Opfer wird ja nur einmal gebracht, aber das Bewußtsein, mit edlem Sinn der Versuchung widerstanden zu haben, wird uns in alle Ewigkeit beglücken. Und wer solche eschatologische Überzeugungen 84

Vgl. Met. Λ, 7 p. 1072 b 8. Die lokale Bewegung ist die erste von allen. Das Denken ist keine kontinuierliche Veränderung und bekommt sein zeitliches Vor und Nach nur durch die Dependenz von körperlichen Prozessen.

110

Aristoteles und seine Weltanschauung

hegt, könnte darin immer noch ein Motiv mehr erblicken, dem edlen Leben vor dem unedlen den Vorzug zu geben. Doch mit der Mißbilligung der eignen Handlungsweise wird sich die Bewunderung des Planes Gottes auch in jenen Fügungen selbst, die zu ihr führen, verbinden. Wenn der Verbrecher verbrecherisch handelt, weil er hintansetzt, was vorzuziehen ist, und umgekehrt, so zeigt der Weltplan Gottes sich als der Plan der bestmöglichen Welt, und es ist also von Gottes Seite überall dem Vorzüglichen vor dem minder Guten der Vorzug gegeben. Und so sind alle doch beseligt durch das, was sie schauen. Sie sind auch, so verworfen sie waren, s. z. s. bekehrt im Augenblicke des Todes. Wenn sie früher Schlechtes vor Gutem bevorzugten, bevorzugen sie jetzt das Bessere und Beste; in allem, wie in der Erkenntnis, vollkommen mit der Gottheit selbst in Harmonie.85 Wenn in irgendeiner religiösen Lehre, so erscheint in der aristotelischen Philosophie die Gottheit als die, welche ihre Sonne aufgehen läßt über Gerechte und Ungerechte. Auch für die eigne Persönlichkeit wird, was sie Schlechtes gewollt, vergangen sein. Jetzt ist, was sie erfüllt, die Liebe und Freude an dem wahrhaft Guten. Sollte man nicht bei solcher philosophischen Überzeugung sich den Tod zu geben versucht fühlen? – Doch hier gilt gewiß auch für Aristoteles Platons Wort: es wäre frevelhaft, den von Gott gegebenen Posten eigenmächtig zu verlassen. Es wäre eine Handlung, die wie andere verbrecherische Handlungen, für ewig unschön erscheinen würde.

Unbegrenztes Wachstum des in sich Guten. Unendliche Vervielfältigung des in Weisheit gottbeseligten Lebens Ins Unendliche wächst die Zahl der beseligten Geister, deren jeder eine Art Leibnizschen Monadenlebens führt, als ein Spiegel des Universums von seinem Standpunkt; doch ein Leben, das wie das der Gottheit ohne Wechsel ist. Und so hebt sich denn das Bedenken, daß die Welt nicht die bestmögliche sein könne, weil sie endlich sei und jede Endlichkeit eine überschreitbare Grenze darstelle. Denn so wahr dies ist, so wahr wird ja auch jede endliche Grenze 85

Vergleiche, was die Nik. Eth. VII, 5 gegen Ende über die Weise lehrt, wie es allein zur Hintansetzung des Besseren kommen könne, wo dem sokratischen Standpunkt, daß alle Bevorzugung des Schlechten ihren Grund in einer Unwissenheit habe, ein gewisses und für unseren Fall sehr bedeutungsvolles Zugeständnis gemacht wird.

Teleologische Unentbehrlichkeit der Körperwelt

111

wirklich überschritten. Die körperliche Welt freilich erfährt ein solches Wachstum nicht. Aber weit davon entfernt, daß dies ein Tadel sein könnte, erscheint es als ein Vorzug. Die körperliche Welt stellt ja nichts an sich Gutes, sondern nur Nützliches dar, und ein Überschreiten des Maßes würde als ein Überfluß erscheinen, den die schöne Ordnung der Natur nach dem Satze „natura nihil facit frustra“ auch nicht auf dem biologischen Gebiete duldet. Warum freilich gerade dieses Maß für die bestmögliche Welt das geforderte war, das ist eine Frage, die wieder zu denen gehört, die wir auf dem Standpunkt unserer jetzigen beschränkten Kenntnisse nicht zu beantworten vermögen. Genug für Aristoteles, daß auch die Gegner des Optimismus nicht imstande sein würden, ein anderes als besser oder gleich gut zu erweisen.

Teleologische Unentbehrlichkeit der Körperwelt Doch warum dann überhaupt den ganzen körperlichen Apparat? Man sollte meinen, da es ja doch so gut wie ausschließlich nur auf jene seligen Geister im Jenseits ankommt, so wäre wesentlich dasselbe erreicht, wenn die Gottheit sie sogleich in ihrem Endzustande hervorgebracht hätte. Wenn wegen der Absurdität einer wirklich unendlich großen Zahl dies nur durch eine Sukzession von Schöpfungen ermöglicht worden wäre, warum nicht diese direkt, statt auf dem Wege einer zeitweiligen Zugehörigkeit zur irdischen Welt, in welcher so viel in sich Wertloses, ja in sich betrachtet, Häßliches und Verruchtes? – Doch die Antwort darauf liegt bereits in dem früher Erörterten. Was durch den Willen der Gottheit allein unmittelbar sein erstes Dasein empfängt, das muß nach Aristoteles ewig sein wie er selbst. Darum ist ein Entstehen aus nichts unmöglich. Aber wenn alle sukzessiv in der Geschichte entstehenden menschlichen Intelligenzen von Ewigkeit wären, so würden sie nicht bloß eine sich ins Unendliche vermehrende, sondern eine geradezu wirklich unendliche Vielheit darstellen. So wahr also die unendliche Vervielfältigung allein die Gotteswelt als die bestmögliche erscheinen lassen kann, so wahr erscheint auch die körperliche Welt, als unentbehrliche Brutstätte, wie eine unabweisliche teleologische Forderung. Es kommt noch hinzu, daß hier Ähnliches gilt, wie was Aristoteles hinsichtlich der Tugend sagt, bezüglich deren es ihm als eine vollkommenere Ordnung erscheint, wenn Gott, der gewiß als Geber dieser guten Gabe zu betrachten sei, sie uns doch nicht anders denn als Folge eigner verdienstlicher Anstrengung zu teil werden läßt.86 So läßt er denn auch eine gewisse Auszeich86

Eth. Nic. I, 10.

112

Aristoteles und seine Weltanschauung

nung, welche diejenigen erfahren, die während ihres irdischen Daseins ein edelschönes Leben geführt, als etwas erscheinen, was ihnen als gerechter Lohn vor andern beschieden wird. Auch mögen wir uns hier des aristotelischen Ausspruchs erinnern, daß die Welt nicht einer schlechten Tragödie gleichen dürfe, die in lauter Episoden zerfällt.87 Die schöne Ordnung verlangt ein Zusammenwirken von allem mit allem. So sehen wir denn auch von den in sich vollendeten Sphärengeistern keinen ohne einen providentiellen Einfluß auf den Lauf der niederen Welt. Die abgeschiedenen menschlichen Geister haben ihn nicht mehr und wären darum ohne die Verflechtung damit in dem vorangegangenen Erdenleben ganz ohne jenes Zusammenwirken mit den übrigen Ereignissen, wie es nach der Überzeugung des Aristoteles die künstlerische Schönheit des Universums fordert. Nur infolge ihrer ist jetzt auch von diesen Monaden jeder recht eigentlich jener besondere Standpunkt gegeben, von dem aus sie das Weltganze betrachtet.

Schlußbemerkungen. Die Philosophie des Aristoteles im Vergleich mit anderen Weltanschauungen So sehen wir denn, wie im Geiste des Aristoteles in der Tat die Überzeugung bestehen konnte, daß die Weltordnung, wie er sie dachte, wirklich ihres idealischen Urgrundes würdig sei. Ich habe sie nun freilich in der Ausführlichkeit, wie ich sie hier darstellte und erklären und verteidigen ließ, in den Schriften des Aristoteles nicht finden können, da er selbst leider zu der beabsichtigten ausführlichen Darlegung seiner Metaphysik nicht gekommen ist. Werde ich darum den Vorwurf fürchten müssen, ich habe, ähnlich wie Platon Sokrates, Aristoteles gar vieles in den Mund gelegt, woran er selbst nicht gedacht habe? – Vielleicht wird mancher ihn machen. Doch wer dann sorgsam auf das achtet, was teils in der Konsequenz der Prinzipien liegt, teils direkt in vereinzelten, höchst bedeutsamen Bemerkungen zutage tritt, und ebenso auch auf die merkwürdigen Aporien des Theophrast hinblickt,88 von denen man nicht annehmen darf, daß sie einen 87

Met. Λ, 10 p. 1076 a 1 und N, 3 p. 1090 b 19.

88

Außer diesen Aporien ist auch die von Themistius uns erhaltene Bemerkung aus Theophrasts Physik V zu beachten, welche allen Irrtum auf leibliche Einflüsse zurückführt, was zeigt, daß er die vom Leib befreite Seele nicht mehr dem Irrtum unterworfen glaubt. Von den Aussprüchen des Aristoteles selbst ist außer denjenigen, auf welche ich im Text mich bezogen, auch die Stelle Eth. Nic. X, 7 p. 1177 b 31 erwähnenswert, wo er das betrachtende Leben des Weisen als ein ἀϑανατίζειν, soweit

Schlussbemerkungen

113

Zweifel an der Lehre seines Meisters bekundeten, deren tieferes Verständnis sie nur anbahnen sollen: der wird, so schmeichle ich mir, sein Urteil mehr und mehr in einem mir günstigeren Sinn berichtigen. Die Theodicee des Aristoteles steht hinter der anderer theistischer Denker, auch hinter der des Leibniz, keineswegs zurück. Auch der Vergleich der aristotelischen mit der christlichen Eschatologie überhaupt ist höchst interessant. Er ergibt bei starken Differenzen auch merkwürdige Übereinstimmungen.89 Und es werden die Widersprüche der indeterministischen Theologen und die Härte derer, die vor einer Prädestination zu ewigem Verderben nicht zurückschrecken, glücklich vermieden. Und auch dem Vergeltungsgedanken wird Rechnung getragen. Voll bewährt findet sich aber auch alles das, was ich zur Erklärung des so schlecht gewürdigten Ausspruches, daß das Leben der Gottheit ein rein theoretisches sei, gesagt habe. Wenn wir einen vergleichenden Blick von der Weltanschauung des Aristoteles auf die von Platon zurückwerfen, so zeigt sich eine weitgehende Verwandtschaft und doch zugleich eine in einheitlichem Sinne durchgeführte, durchgreifende Modifikation. Bei beiden ist das Gut der Kontemplation das höchste, und unser wahres Heil liegt im Jenseits. Aber bei Platon ist das jenseitige Leben dem diesseitigen vorhergegangen. Die Erkenntnisse, die wir hier gewinnen, sind nicht neu, sondern Erinnerungen an das, was wir im Jenseits geschaut. Dort, nicht hier ist die Seele gebildet, und von einer Vermehrung im Diesseits keine Rede. Nach Aristoteles empfangen wir hier unsere Begriffe neu, und auch die Seele entsteht erst im Entstehen des Menschen. Und um die Bürger des Jenseits ins Endlose zu vermehren, ziehen die menschlichen Seelen, die eine um die andere, aus dem Diesseits ins Jenseits hinüber. Nach Platon möchte man wohl fragen, wozu diese ganze Körperwelt gut sei, die so viel Jammer und Greuel enthält und den Bewohnern des Jenseits nur Anlaß der Versuchung zum traurigsten Sündenfall geworden ist.90 Nach Aristoteles ist ein solches Bedenken nicht vorhanden. Sie erscheint in ihrer Teleologie bewundernswert wie ein Embryo, wenn man auf den schließlichen Erfolg es im sterblichen Leben möglich sei, bezeichnet. Das stimmt dazu, daß ein Weisheitsleben höherer Art das Leben ist, welches wir als Unsterbliche führen werden. 89

So natürlich auch mit den religiösen Lehren des Judentums, aus denen die des Christentums erwachsen sind. Wir verstehen daraufhin leicht die Ausdrücke der Bewunderung für das jüdische Volk, denen wir bei Theophrast begegnen, worin er dasselbe geradezu als ein philosophisches Volk rühmt.

90

Nach dem Phädrus. Nach dem Timäus wäre dies nicht mehr der Fall, doch hätten wir auch nach ihm in der Körperwelt den Quell alles sittlichen Verderbens zu erblicken.

114

Aristoteles und seine Weltanschauung

blickt, auch wenn man, was, ähnlich wie ja auch bei diesem, der menschlichen Kraft zu viel zumuten würde, auf das Verständnis jeder Einzelheit verzichten muß. Daß das System als Ganzes nicht haltbar ist, würde freilich unschwer nachzuweisen sein und bei einzelnen, wenn auch keineswegs bei allen wichtigen Punkten habe ich eine kurze kritische Bemerkung nicht unterdrückt. Dennoch dürfte die bisher so unvollkommen verstandene Weisheitslehre des großen alten Denkers wohl geeignet sein, unserer pessimistisch angehauchten Zeit die Augen dafür zu öffnen, wie wenig die Hilfsquellen des optimistischen Weltgedankens in dem, was sie in ihrer Oberflächlichkeit gewöhnlich allein zu berücksichtigen pflegt, erschöpft sind.

Sachregister Absicht des Weltalls 85 Affekt 1, 63, 99 affinity, chemical xxiii A ist A 34 aistheton 19, 28 – a. idion 19 – a. kata symbebekos 28 – a. koinon 19 siehe auch Wahrnehmbare, das Akademie 10 Akt des Sehens 27 Aktualität, reine 75 Akzidens 33, 45, 47, 49, 98 – A., unausgedehntes 45, 98 – A., wirkliches 49 – Individualität des A. 47 Akzidenzien 17, 19, 41, 43–47, 50 – A., qualitative 46 Allgemeine, das 31 Allmacht xviii, 84 Allwissender 65 irrtumslos A. 65 Allwissenheit xviii, xxxvii, 22, 62, 73, 76f. – A. Gottes xxxvii – A., rein apriorische 22 Analogie xxii, 26, 34 Analogieschluß 35, 107 Analyse 36 – A., logische 36 – A., mathematische 36 Änderung 84 – Ä., qualitative 94 – Ä., substantielle 94 Anfang der Welt 54 Anfang, zeitlicher 61 Anfangslosigkeit xix, 69 Anschauung xxi, xxxv, 23, 33, 38, 43f., 69, 92 https://doi.org/10.1515/9783110538892-157

– Anschauung der Gottheit xxxv – unserer A. transzendent 69 Antezedens, zeitliches 39f., 60 Aporie xxvi, xxxf., 87, 89, 112 – A. der Theodizee xxvi Aristotelesforschung, zeitgenössische xxviii Aristoteles-Interpretation xx Arithmetik 37 Art, substantielle 48 Arten 95f. – Evolution der A. 96 Astronomie 19, 23, 89 Augenblick des Todes xxxv, 108, 110 Augenblick, seliger 63 Ausdehnung 46, 56 – A., unendliche 56 Atomisten 46, 48 Atomistik 93 Außenwelt 28, 45 – Existenz einer körperlichen A. 45 Axiom xxii, xxxiii, 30, 33 – A., mathematisches 30, 33

Baumeister, ewiger 59

Bedingung, normale 28 Bedeutung, uneigentliche xxii Bedürfnis, religiöses xxviii Befruchtung 104 Begehren xviiif., xxv, xxxiv, 33, 57, 63, 70f. – B. nach der Gottheit 71 – B.egehren von etwas um seiner selbst willen 33 – B., wahres xxxiv – Richtigkeit des B. 33 Begehrtes 56

116

Sachregister

Begriff xxi, xxxiv, 17, 33f., 36, 40, 45, 70 – B., akzidenteller 45 – B., allgemeiner 70 – B., angeborener 40 – B. a priori 40 – B. der Gattung 17 – B. der Weisheit xxi – B. der wirkenden Ursache xxxiv, 34 – B. des Dreiecks 33 – B. des Guten 70 – B. des Guten, allgemeiner 70 – B., elementarer 36 Begriffe 19, 33, 36, 44, 69, 107, 113 Bekleidung [Kategorie] 37, 46 Benennung in bloß analogem Sinne 63 Beratung 81 Beseelung 4, 104f. – B., animalische 104 – B. des Menschen 4 Bessere, das 110 – Hintansetzung des B. 110 Beste, das 64, 66 Bestimmung xxiv–xxvii, 18, 38 – B., akzidentielle 18 – B., analoge xxiv – B. durch Analogie xxv–xxvii – B. durch negative Eigenschaften xxiv – B. durch relative Beziehungen xxiv – B., negative 18 – B., relative 38 Bestmögliche, das 84 Betätigung, edle 80 Betrachtung xxxif., 22, 80, 85, 87f. – B., beseligende 87f. – B. des Weisen xxxi Bewährung, empirische 34

Bewegende, das xxxiv, 54 – das allererste B. 54 – das unbewegt B. xxxiv Beweger xix, xxiv, 58, 60 – B., erster 60 – B., unbewegter xix, xxiv, 58 Bewegung 37f., 41, 55–61, 90, 94f. – B., fortdauernde 94 – B., gewaltsame 41 – B., gleichmäßige 55 – B., natürliche 55, 59f., 90, 95 – B., zirkulare 94 – natürliche B. der Elemente 41 – Ursache der B. 60 Beweis, wissenschaftlicher 17 Bewußtsein xix, 84, 87f. – B. seiner selbst 84 Beziehung, teleologische 58 Böse, das xxxvii, 66, 108 – Wille zum B. 66 Brentano-Forschung xxx Bürger xxxi

Causa deficiens 42

causa efficiens 42 Chemie xvi, 49 Christentum xxviii, 113 Chronologie der aristotelischen Schriften xxxiii, 16

Dasein, irdisches 112

Definition xxxiii, 17, 44f. – Definition, substanzielle 44,f. – Transzendenz der substanziellen D. xxxiii Definitionslehre 18 Denken xviii, xxvi, xxxiv, 37f., 42, 57, 63–65, 69, 71f., 74–76, 79, 81, 97–99, 109 – D. eines Denkens 69 – D., göttliches xxvi, 75f., 81

Sachregister – Denken, richtiges 65 – D., unrichtiges 65 – D., wirkliches 74 – Gebiet des D. 65 – Freude am D. 79 – reine Wirklichkeit des D. 63 Denker, theistische 113 Denktätigkeit xix denominatio extrinseca 37 Determinismus xviiif., xxviii, xxxv, 108 deutera philosophia xvii Diesseits xxxv, 85, 106, 113 Differenz 17, 19, 44–46, 48, 63 – D., spezifische 17, 63 – D., substantielle 19, 46, 48 – spezifische D., letzte 48 – spezifische D., substanzielle 44 – substanzielle D., transzendente 45 siehe auch Unterschied Differenzbegriff 18 – D., substanzieller 18 Ding xxif., 25, 32f., 39, 60, 70, 89 102f. – D., einheitliches 25 – D. für sich 70, 103 – D. in Möglichkeit 32 – D. in Wirklichkeit 32 – D., wirkliches 25, 39, 102 – eigentliche Natur der Dinge 33 – Ordnung der D. 60 – Natur eines D. 89 – unendliche Zahl von D. 32 Disposition, tugendhafte 108 Disziplin, poietische xvii Disziplin, praktische xvii Dreieck, rechtwinkliges 42

Edelschöne, das 80 Einheit xix, 26, 47

117

– Einheit, göttliche xix siehe auch Weisheit, E. der göttlichen siehe auch Wissenschaft, E. der Einheitlichkeit 58 Einkörperung 103 Elemente 92f. – E., empedokleische 93 – E., korruptible 92f. – Mischungen der E. 93 Elitarismus des philosophischen Denkens xxix Embryo 100f., 103, 105 Empfinden 97 Empfindung 28f., 37 – primäres Objekt der E. 37 Empfindungslehre xxiii Empfundene, das 29 Endursache 17 Enthaltsamkeit 80 Entstehen 49, 51, 55, 59, 61, 95, 102f. – E. aus nichts 49, 102f. – E. durch Glück 51 – E. durch Zufall 51 – Entstehen, spontanes 59, 95 Entstehung 99f. – E. des Menschen 99 – E. niederer Lebewesen 100 Entwicklung, irdische 105 episteme 84 – e. praktiké 84 Erbkönigtum 8 Erde 89, 93 Erfahrung 30, 42, 56f., 87 Erfahrungsbegriff 107 Erfahrungsvorstellung 23 Erhabenste, das 23 Erinnern 28 Erinnerung 20, 28 – E., lebhafte 28

118

Sachregister

Erkanntsein 76 Erkennen 22, 62, 64, 78, 84, 97 – E., apriorisches 64 – E., das sich selbst zum Gegenstande hat 22 – E., intellektives 97 – E., praktisches 84 – E. seiner selbst 64 – E., theoretisches 84 – Volkommenheit des göttlichen E. 78, 84 Erkenntnis xviif., xx, xxii, xxvi, xxix, 17, 22f., 27, 30, 35f., 42, 62, 64f., 67, 69, 75–79, 84, 106–110, 113 – apriorische E. aller Dinge 22 – apriorische E. alles Seienden 62 – apriorisches Prinzip der E. 36 – Einteilung der E. xxii – E. aus dem ersten Grunde 23 – E. aus dem Grunde 17, 78 – E. des Besonderen xxix – E. des ersten Prinzips 62 – E. der Welt 77, 84 – E. des Weisen 106 – E. eines rein geistigen Wesens 107 – E. eines unendlich vollkommenen Wesens xvii, xviii – E. Gottes, anschauliche 107 – E. Gottes von sich selbst 77, 84 – E., göttliche 78, 108 – E., höchste xx – E., mathematische 30 – E., mittelbare xxii – E., physikalische 30 – E. seiner selbst 67 – E., tatsächliche 21 – E., unmittelbare 27, 64

– Erkenntnis, unmittelbar evidente xxii – E., unmittelbar sichere 27 – Erweiterung der E. 25 – Gegenstand einer E. sein 76 – Grenzen der uns möglichen E. 36 Erkenntnislehre, empedokleische 76 Erkenntnisprinzipien 19 Erkenntnistätigkeit der Gottheit, apodiktische xxv Erkenntnistheorie xvi, xxxiii erste Philosophie xvi siehe auch prote philosophia Erziehung, sittliche 106 Eschatologie xix, xxxv, 113 – E., aristotelische xxxv, 113 – E., christliche 113 Ethik xvii, xxxiii, 20f., 109 Evidenz xxii, xxxiii, 27–30, 34 – E., apriorische 34 – E. der Axiome xxii – E. der inneren Tatsachen, exklusive xxxiii – E. der inneren Wahrnehmung xxii – E., unmittelbare 28f., 33 – E., untrügliche 28 Evolution der Arten 96 Ewigkeit 60f., 63, 68, 93, 109 exoterikai praxeis 82 experience xxiii experiment xxiii

Fähigkeit, akzidentelle 49

Farbenbegriffe 36 Feuer 93 Figur, stereometrische 92 Fixsternhimmel 55, 88 Form xxxvi, 17, 39, 45, 51 Freie, der 89

Sachregister Freigebigkeit 80f. Freiheit 66, 69, 78, 88, 108 – F. des Willens 88 – F., vollendetste 69 Freude xviii, 79, 84 – F. am Denken 79 – F. am Erkennen 84 Freund 86 Freundschaft 73 Fülle der Zeiten 105 Funktion, intellektive 98f. Funktion, sensitive 98f. Fürsorge Gottes 83

Ganze, das 25 Gattung 17 Gattungsbegriff 44 Gedachtes 56 Gedächtnis 20 Gegenstand der göttlichen Erkenntnis 78 Geist xix, xxvii, 53, 67, 99–101, 103, 105 – G., denkender 53 – G., menschlicher xix, 99f., 105 – G., notwendiger 53 – G., unendlich vollkommener 53, 67 – Schöpfung des G. 103 Geister 101, 110–112 – G., menschliche 101, 112 – G., selige 110f. Geliebtes, um seiner selbst willen 57 Gemeinwesen 89 Gemütstätigkeit 63, 65, 97 – Gebiet der G. 65 – G., höhere 97 Generation xix Geometer 26 Geometrie 37

119

Gerechtigkeit 80, 88, 106 Geschichte 105 Geschichte der Philosophie xx, xxvii, xxixf., xxxvi Gesellschaft, menschliche 85 Gesetz xxiif., xxxiv, 41, 50, 52f., 58f., 103 – G. der Erhaltung der Masse xxii – G. der Synonymie xxiii, xxxiv, 50, 52f., 58f. – G. der Trägheit 41 – G., kosmisches 103 Gesichtsempfindung 28 Gestalt 30 Gestirne 55f., 91, 94 – Einfluß der G., beseelender 94 – Einfluß der G., veredelnder 94 – G., himmlische 55 Gleichheit, spezifische 51 Glückseligkeit xxiii, xxv, xxxi, 3, 63, 68, 80, 86 – G., eigene 86 – G., höchste xxxi, 3 Gnadenwahl 108 Gott xix, xxii, xxv–xxviii, xxxvif., 4, 23, 65f., 69, 72f., 75–82, 84–88, 100, 108, 110 – Allwissenheit G. xxxvii – Beweis der Existenz G. xxii – Erkenntnis G. 84 – G., allerglückseligster 76 – G., aristotelischer xxv, xxviii, xxxiv, 4, 72f., 79, 81f., 86 – G. die Ursache aller Dinge 100 – G. durch Erkenntnis seiner selbst allwissend 23 – G., empedokleischer 76 – G., irdischer 85 – Liebe G. zu sich selbst 69 Gottähnlichkeit 106

120

Sachregister

Götter 91 Gottesbegriff, aristotelischer xxviii, xxxiv Gotteserkenntnis 91, 107 – G., eigentliche 91 – G. im Jenseits 107 Gotteslehre xii–xiv, xxiii, 14, 64, 66, 70, 72–75, 83 – G., anaxagoreische 74 – G., aristotelische 14, 64, 70, 72f., 75 Gottheit xiv, xviiif., xxv, xxvii, xxxv, 8, 22, 61, 66, 69–2, 74f., 77–86, 88, 90–93, 99–106, 108–111, 113 – die G. des Aristoteles 72 – Eingreifen der G. 100 – G., aristotelische 61, 71, 74 – Lehre von der G. 77 – Mitwirken der G. xxvii, 103, 104 – Mitwirkung der G., unmittelbare 102 – Wille der G. 111 Göttliche, das xix, 108 Göttlichste, das 23 Größe 30 Grund xvii, 22f., 26, 53, 58, 62, 68, 75, 91 – G. aller Dinge, alleiniger xvii – G. aller Wahrheit, erster 91 – G. alles Realen, erster 53 – G. der Bewegung, erster 58 – G., erster 22f., 26, 58, 62, 75 – G., letzter 22, 68 Gut 68f., 77, 79, 83f., 106 – G., beseligendes 79 – Gut, größeres 77 – G., höchstes 83f. – G., kleineres 77 – G., unendlich vollkommenes 69

Gutbefinden 57 Güte xix, 66f. – G. Gottes xix – G., vollendete 66 Gute, das xxv, 68, 70, 86f., 105f., 110f. – Begriff des G. 70 – das an sich G. 111 – das in sich G. 87, 97, 106 – das in sich selbst G. 105 – das wahrhaft Gute 110 – Inbegriff alles G. 69 – unbegrenztes Wachstum des in sich G. 110 Gutes xxxvi, 34, 57, 64, 67, 69f., 76f., 87, 110 – in sich G. 87 – mehr und minder G. 34 – minder Gutes 110 – um seiner selbst willen G. 57 – unendlich G. 67 – wahrhaft G. 70 Güter 81, 108 – G., edle 81 – G., höchste 81 – G., irdische 108 Güterlehre, aristotelische 76 Gutgefundenes 57

Handeln 79

– H., freiwilliges 79 Harmonie 110 Harmonisierung, willkürliche xxix Hauswesen 89 hedoné 57 siehe auch Glückseligkeit Hierseiende, das 25 Himmel xix, 89f., 93f. – H., gestirnter xix – H., oberster 90 Himmelskörper 59f., 92, 94

Sachregister Himmelssphären xix, 55f., 60f., 73, 90, 95, 105 Historiker xxi

Idealursache, platonische 71

Idee des Guten, platonische 70 Ideen xxxiii, 38, 71 – I., einfache 38 – I., platonische 71 Ideenlehre, platonische 72 idion aisteton 28 Immaterialität 95 Individualität 47 siehe auch Akzidens Individuation 51 lndividuationskreis xxii, 47f., 50f. Individuationsprinzip xxxvi, 51 Individuum 47, 49 – I., gleiche 49 Induktion xxii, xxxiii, 30, 33, 35f., 44 – I. per enumerationem simplicem 35 Induktionsschluß 35f. Inkorruptibilität 95 Instinkt 58 Intelligenz, ewig unwandelbare 92 Intelligenzen, unbewegte 91 Interpretation xx, 3 – I. philosophischer Texte xx Irrtum 107, 112

Jenseits xxxv, 85, 106–108, 111,

113 – Gotteserkenntnis im J. 107 – J., allbeseligendes 106 – J., jedem gerecht vergeltendes 106 – Vollendung im J. xxxv Judentum 113

Kategorie 18, 46

121

– K., akzidentielle 46 Kategorien 37f., 46 Kategorienlehre 48 Kategorientafel 37 Kausalbegriff xxii Kausalgesetz, allgemeines 34 Kenntnis, negative 75 Klassifikation 18 Klassifikationsmethode 18 Klassifikationsverfahren, natürliches 18 Klugheit xxxiii, 23, 80, 106 – ethisch Kluger xxxiii – K., praktische 23, 106 Kompositum xxxvi Konjektur, ergänzende xvii Konsequens, zeitliches 39 Kontemplation 113 Kontinuität, zeitliche 37 Kontinuum 32, 47 – K., einheitliches 32 – K., räumliches 32 siehe auch Zeitkontinuum Kontradiktion 33 Kontradiktionsgesetz 31, 33f., 40, 44 – Evidenz des K. 31, 44 Körper 25, 29, 33, 56, 92 – K., ausgedehnter 29 – K., bewegter 56, 59 – K., einheitlicher 25 – K., ewig unbewegter 56 – K., göttlicher 92 – K., korrputibler 59 Körperchen, elementare 93 Körperwelt 55f., 89, 111, 113 – K., himmlische 89 – Unentbehrlichkeit der K. 111 Korrelativ, das 31 Korruption xix, 102 – K. des Leibes 102

122

Sachregister

Kosmologie xvii, xxiiif., xxxiv Krieg 8 Kugelschale 55, 88 Kunst 50 Künstler 85 Kunstwerk 57, 59 K., menschliches 59

Law of motion xxiii Leben xvi, xviiif., xxvf., xxxivf., xxxvii, 10, 22, 63, 71, 78–85, 87, 96, 104, 110, 112f. – L. der Gottheit 83 – L. der Gottheit ein rein theoretisches 113 – L. der Weisheit 85 – L. des Weisen, betrachtendes 112 – L., diesseitiges xxxv – L., edelschönes 112 – L., ewig seliges 63 – L., gottbeseligtes 110 – L., göttliches xxvi – L., höheres xxxvii, 87 – L., jenseitiges xxxv – L., kontemplatives xvii, 10 – L., pflanzliches 104 – L., poietisches 79f., 83 – L., praktisches xxv, 10, 22, 79–81, 83, 85 – L., rein theoretisches xviii, xxv, xxxiv – L., sterbliches 113 – L., theoretisches xvi, xix, xxvi, 78f., 82–85 – L., tierisches 71 – Stufen des L. 96 Lebensfunktionen 97 Lebewesen, niedere 85, 100 Lehre xixf., xxxivf., 17, 110 – Konsistenz der L. xx

– Lehre, aristotelische xxxivf. – L., prädestinationische xix – L., religiöse 110 – L. von der Definition 17 – L., widersprüchliche xx Lehrer 85 Leib xxvii, 99, 102 – Erzeugung des L. 103 – Korruption des L. 102 Leid 88 Leiden 107 Leiden [Katgorie] 38, 46 Liebe xxiv, 64–70, 81, 86, 88 – L. alles Guten xxiv – L. der Gottheit zu sich selbst 69f. – L. Gottes 81 – L. seiner selbst 65–67, 69, 86 – L., selbstlose 67 – L. zu sich selbst 66, 69, 86 Lieben, unrichtiges 65 Logik xvii Lohn, gerechter 112 Luft 93 Lust 63, 64, 79 Lyceum 10

Macht xviii, xxvi, 78, 82, 108

– M., Böses zu tun 108 – M. der Gottheit xxvi, 78, 82 – M. des ersten Prinzips xviii – M., göttliche 82 Materie xix, xxv, xxxiv, xxxvi, 17, 38, 41, 45, 51, 70f., 90 – Begehren der M. xxxiv, 70f. – M., erste xxxvi, 71 – M., örtliche 90 – M., substanzielle 51 Mensch xix, xxv–xxviii, xxxv, 22, 68, 95, 96–100, 102f., 105f., 113 – einheitlich geistig-leiblicher M. xxvif., 103

Sachregister – Entstehung des Menschen xxviii, xxxv, 99, 113 – geistige Natur des M. xxvi – geistiger Teil des M. xix, 100, 105 – Lebenszweck des M. 106 – M. als Gott in der irdischen Welt xxxv, 105 – M., erster 96 – M., glückseliger 68 – M. in Möglichkeit 103 – Natur des M. 103, 106 – Zweck des M. 106 Menschengeschlecht xxxv, 87, 96, 101, 105 – Anfang des M. 96 Metaphysik xiif., xvi, xx, xxiv, xxix, 20 metexis xxv, 71 Methode xxf., xxvii, xxixf., xxxvi – M., elitistische xxi, xxvii, xxx – M. der Geschichte der Philosophie xxf. – M. der Philosophiegeschichtsschreibung xxix – Methode der philosophischen Rekonstruktion xxix mimesis 71 Mißbildungen der Pflanzenwelt 107 Mißbildungen der Tierwelt 107 Mitbedingung 40 Mitte, richtige xxxi, xxxiii Möglichkeit xviii, 58f. – Grenzen der M. xviii Monade 112 Monadenleben, Leibnizsches 110 Moral, Grundlegung der xxxiii Mythologie, griechische 91

Name, abstrakter 39 Name, konkreter 39

123

Nationalökonomie xvii Natur xvii, 50f., 54, 57f., 65, 85, 104, 106 – N., lebendige 57 – N., menschliche 104, 106 – N., niedere 85 Naturgesetz 33, 44 – N., allgemeines 44 Naturwissenschaft 109 Negative, das 75 Nichtevidenz 28 noesis xxxiv, 69 Notwendiges xxiii, 22f., 53f., 68, 84 – ewig N. 68, 84 – mittelbar N. 22 – schlechthin N. xxiii, 53, 55 – unmittelbar N. 22f. Notwendigkeit xxiii, 34, 66, 69, 108 – N., mittelbare 108 – N., schlechthinnige 66, 69 nous xix, xxvi, xxxv, 4, 62, 72f., 89, 96f., 99–103, 105 – Entstehen des n. aus nichts 102 – n., aktiver xxvi – n., anaxagoreischer 72 – n., menschlicher xix, xxvi, xxxv, 103 – n. kai episteme 62 – n. poetikos xxvi, xxxv, 4, 99 Nutzen 87 Nützliches 87, 111 – bloß N. 87 Nützlichkeit 92 Nützlichkeitswert 92

Objekt 24, 27, 37, 62, 74f.

– O. der Weisheit xxi, 24f. – O. der Empfindung 37 – O., primäres 27, 37 – sich selbst O. sein 75

124

Sachregister

– zum Objekt haben 76 siehe auch Empfindung on kat’ auto 25 on kata symbebekos 25 Ontogenie 96 Ontologie xxxiii, xxxvi Opposition, positive 33 siehe auch Sätze von positiver O. Optimismus xvi, xviii, xxxii, 4, 90, 111 Ordner, einheitlicher xviii Ordnung 58–62 – Einheitlichkeit der O. 58 – O. der Welt 62 – O., natürliche 59 orexis xxv, 57, 63, 89 Organ, körperliches 99 Organismus 51, 57–59, 93–96, 105 – O., höchste 93 – O., lebender 95 – O., männlicher 105 – O., vollkommener 96 – O., weiblicher 105 Ort 37, 41, 46, 52, 55, 93 – O., natürlicher 41, 52, 55, 93 Ortsbestimmtheit 33 Ortsbestimmung 37

Palingenese 101 Peripatos 10 Pflanze 57, 59, 95, 97f., 105 Pflanzenwelt 71 Phänomen, primäres sinnliches 29 Phantasmen 99, 107 Philologie, klassische xxi Philosophie xii, xvif., xx, 20, 23, 84f. – Historiker der P. xx – P., aristotelische xvi – P. der menschlichen Dinge 85 – P. des 19. Jahrhunderts xvi – P., erste xvi, 20, 23

– Philosophie, moderne xvi – P., theoretische xvii – P. von den göttlichen Dingen 84 – P., zweite 23 – Verfall der P. xii siehe auch prote philosophia, deutera philosophia Philosophiegeschichtsschreibung xxix Philosophiehistoriker xxi phronesis 23, 84 Planeten 88 Plerose 32 pneuma xix, 95 Poetik xvii Politik 10, 20, 21 Politiker 85 Positive, das 75 Prädestination 113 Prädikat, positives 38 Präexistenzlehre xvi Prämisse 35 principium indiscernibilium 31 Prinzip xviiif., xxiv, xxvif., xxxiii, 22–24, 36, 39–42, 44, 51–53, 58–67, 69f., 72–77, 89, 101f. – Begriff wirkendes P. 40 – Einheit des göttlichen P. xxvi, xxvii – einheitlicher Charakter des ersten P. xviii, xix – P. aller Dinge, erstes 62, 69, 77 – P. alles Seienden, erstes 69 – P. alles Seienden, schlechthin vollkommenes 69 – P., apriorisches 36 – P., böses 76 – P., denkendes 58, 65 – P. der Bewegung, unbewegtes 59 – P. der Individuation 51 – P. der Summation von Gütern 77

Sachregister – P. der Tendenz 89 – P. der Welt xviii – P. der Welt, erstes 73 – P. des Werdens 42 – P., erstes xviii, 24, 57, 62–66, 70, 75 – P. für die Bewegung, erstes 61 – Prinzip für die Ordnung in der Welt, erstes 61 – P. für Entgegengesetztes 66 – P., göttliches xxiv, 22f. – P., gutes 76 – P., schlechthin vollkommenes xviii – P., unbewegtes 60 – P., unveränderliches 74 – P., weltbildendes 72 – P., weltordnendes 74 – P. wirkendes 39, 41, 52f., 60, 73, 101f. siehe auch Erkenntnis Prinzipien 44, 58, 74, 77, 86 – induktive Feststellung der P. 44 – P., aristotelische 77, 86 – P. der Bevorzugung 74 – P. der Bevorzugung, aristotelische 77 – Vielheit der ersten bewegenden P. 58 Privation 42, 49 – P., substanzielle 49 pros ti 56 prote philosophia xvii siehe auch erste Philosophie Providenz xxxiv Prozess, körperlicher 109 psyche 89 Psychologie, deskriptive xiv Pythagoreer 71

125

Qualität 29, 37, 46, 52

– Qu., primäre 29 – Qu., sekundäre 29 Quantität 37

Rationalisten, neuzeitliche xxix

ratio sufficiens 34 siehe auch Satz der ratio sufficiens Räumliche, das 37 Reales xxii, 38 Reflektion xvi, xxii Reismus xxi Rekonstruktion xii, xvi, xxviiif., xxxii – R. des aristotelischen Systems xxxii – R., historische xii – R., philosophische xxix Relation 37f., 46 Rhetorik xvii, 20 Rotation 88, 90, 92

Same xix, 100, 103–105

– S., befruchtender xix – S. des Vaters 104f. – S., geistiger 104 – S., göttlicher 100 – S., körperlicher 100, 104 – S., menschlicher 103 – S., unkörperlicher 100 siehe auch sperma Satz xxix, xxxiii, 30f., 33f., 36, 53, 87 – S., allgemein negativer 34 – S., angeborener 30 – S., a priori einleuchtender 31 – S. der ratio sufficiens 34 – S. der Synonymie 53 – S. des ausgeschlossenen Dritten 30 – S. des Widerspruchs xxix, xxxiii, 30f., 33, 36, 87

126

Sachregister

– Satz von der Erhaltung der Masse xvi – S., von vornherein einleuchtender 33 Sätze von positiver Opposition 33 Schlechte, das 110 – Bevorzugung des S. 110 Schlechtes 76 Schluß 35f. – S., allgemeiner 35 Schlußsatz 35 Schlußverfahren 34 Schmerz 64 Schönheit, künstlerische 112 Schöpferkraft xxxv Schöpfertätigkeit xix Schöpfung xxvi, 93, 103, 111 Schöpfungsgedanke xviii Schriften, esoterische 16 Schriften, exoterische 16 Schriften, metaphysische 21 Schriften, naturwissenschaftliche 19f. Schriften, praktische 20f. Seele xxvif., xxxv, 19f., 41, 95, 100– 105, 109, 112f. – Definition der S. 19 – Entstehen der S., einheitliches xxvii – Fortbestand der S. nach dem Tode 101 – geistiger Teil der S. xxvi, 102f. – intellektiver Teil der S. xxvii, 20 – Postexistenz der S. 102 – Präexistenz der S. 102 – S., intellektive 103f. – S., menschliche xxvi, 100f., 103, 113 – S., vegetative 104 – sensitiver Teil der S. xxvii, 20 – Ursprung der S. xxxv

– vegetativer T. der Seele xxvii, 20 – vom Leib befreite S. 112 Seelenleben, intellektives 63 Seelenteil, intellektiver 20, 96 Sehen 27, 45 Akt des S. 27 Seiende, das xxif., 24–26, 38f. – das S. als Seiendes 25 – das S. im allgemeinen 24 – das S. im eigentlichen Sinn xxi, 26 – das S. ist vieldeutig 25f. – Mannigfaltigkeit der Bedeutung des S. 38 – Vieldeutigkeit des S. 26 Sein 22 Selbstdenken Gottes, notwendiges 81 Selbstliebe Gottes, notwendige 81 Selbstlosigkeit 86 Seligkeit xxvi, 22, 62f., 76, 80f., 84f., 107 – S. der Gottheit xxvi, 80 – S. des Lebens Gottes 84 – S., höchste 22 – S., unendliche 84 – S., vollkommene 76 Semimaterialismus xxvii Sinn 20 Sinne, die 23, 28 Sinneseindruck 28 – Wahrheit des S. 28 Sinneserscheinung 29 Sinnesobjekt xxxiii, 19f., 29 – S., eigentümliches 19, 29 – S., gemeinsames xxxiii, 19 Sinnespsychologie xiv Sinneswahrnehmung 28f., 45, 98 – S., äußere 28f. – Wahrheit der S. 29 siehe auch aisteton, Sinneseindruck, Wahrnehmbare, das

Sachregister Sittlichkeit 106, 108f. Sklave 9, 89 Sonne 53 sophia 22, 69, 84 siehe auch nus kai episteme, Weisheit sperma 104 deion s. 104 siehe auch Same Spezies 47 Sphäre 51, 55, 90–92 – S., bewegte 92 – S., rotierende 51 Sphärengeister xviiif., xxxivf., 91f., 105, 107, 109, 112 Staat xxvf., xxxi, xxxiii, 8, 10, 82, 106 – Ordnung des S. xxxi, 22 – Reform des staatlichen Lebens xxxiii Staatsverwaltung 10 Standpunkt, sokratischer 110 Stellung [Kategorie] 37, 46 Stoff 73f. – S., ungeordneter 73 – zu ordnender S. 74 Stoiker 93 Streben xxv, xxxiii, 68, 72 – S., menschliches xxxiii – S. nach Verähnlichung mit der Gottheit xxv – Ziel des S., letztes 68 Streit 73 Subjekt 41, 47, 98 – S. des Denkens 98 – S., korruptibles 47 – S., substanzielles 41, 98 Subjektivismus 31 Substanz xvi, xxif., xxxiiif., 17f., 25, 32, 37f., 41, 44f., 47f., 50–52, 56, 59–61, 63f., 69, 90f., 98, 100f., 103

127

– Begriff der Substanz xxif., 38, 43, 45, 63 – Existenz von S. 43 – Idee der S. xxxiii – S., anfangslos bestehende xxxiv – S., ausgedehnte 32, 45f., 98 – S., denkende 43 – S., einheitliche 32, 98 – S., empfindende 43 – S., ewige körperliche 23 – S., geistige 23, 45, 60, 101 – S., himmlische 100 – S., körperliche 45 – S., korruptible 60 – S., immaterielle 103 – S., lebende 50 – S., sekundäre 90 – S., synonyme 50 – S., unausgedehnte 45, 98 – S., unbewegte 56 – S., wirkliche 25, 50, 100 – transzendente Definition von S. 45 – Umwandlung einer S. xvi, 52 – Ursache der S. 41, 59 Summation von Gütern 77 Syllogismus xxii, 35 Syllogistik 34 Synonymie 50–54, 58f. siehe auch Gesetz der Synonymie System, himmlisches 88

Tätigkeit xxv, 63f., 73, 78f.

– Gottes einheitliche T. 78 – T., einheitliche 64, 79 – T. Gottes xxv – T., psychische 63 – T., weltordnende 73 Tapferkeit 80 Tatsache, unmittelbar evidente 27 Tatsächliches 54, 56

128

Sachregister

Teil 25, 32 – T., kontinuierlicher 45 – T., unendlich kleiner 32 Teilnehmen an der Erkenntnis Gottes 85 Teilung, unendlichfache 32 Teleiose 32 Teleologie xxvi, xxxv, 90 – T. der himmlischen Welt xxvi, xxxv Temporalmodus 35 Terminus 26f., 30 – Widerspruch zwischen T. 30 Testament des Aristoteles 9 Theodizee xxvi, xxxiv, 87, 89, 113 Theologie xxxvi Theorie der Gemütsbewegungen xxv Theorie des Urteils xxv Tier xxxif., xxxiv, 58f., 89, 95, 97f., 105 Tierart, höhere 97 Tod xxxv, xxxvii – T., biblischer xxxvii Torheit 88 Transzendentes 44 siehe auch Anschauung Trinitätslehre xviii truth, self-evident xxiii Tugend xxxi, xxxiii, 23, 87, 106– 108, 111 – T., dianoetische 23 – T., intellektuelle xxxi – T., moralische xxxi – T., sittliche 106 Tun [Kategorie] 37 Tun, gerechtes 108

Übel 98 Umwandlung xvi, xxii, xxxiiif., 45–49, 52, 55, 59 – U., akzidentielle 46–48 – U. einer Substanz xvi

– Umwandlung, kontinuierliche 48 – U., qualitative 55 – U., quantitative 55 – U., substanzielle xxxiiif., 45, 47–50, 52, 55, 59 Umwandlungsprozess 55 Unart, schriftstellerische 13 Unbewegtes 56 Universale 44 Universum 112 Unmögliches, in sich selbst 56 Unmöglichkeit selbstlosen Wollens 86 Unternehmung, gewinnbringende 82 Unterschiedslosigkeit, individuelle 51 Untersuchung, naturwissenschaftliche xvii Untersuchung, metaphysische 20 Unwahrscheinlichkeit, unendliche 54 Untugend 88 Unveränderliches 67, 68 – schlechthin U. 67 Unveränderlichkeit 56, 69 – U., ewige 56 Unwissenheit 110 Urgrund xvii Urprinzip xviii Ursache xxii–xxiv, xxvii, xxxiiif., 17, 34, 38f., 41f., 53–61, 70, 74, 81, 87, 90, 93, 100 – Begriff der U. xxii, 38f. – Begriff der wirkenden U. 60 – erste U. der Welt, einzige 74 – Idee der U. xxxiii – U. allen Seins 59 – U. aller Dinge 61, 100 – U., bestimmende 54 – U. der Welt, allbestimmende erste 87 – U. der Welt, alleinige 87 – U. der Weltordnung, erste xxiii

Sachregister – Ursache des Alls, erste 53 – U. des Seins der Substanzen 60 – U., erklärende 56 – U., erste xxiv, 53, 55–59, 61, 93 – U., materielle 39 – U., ursachlose 59 – U. von allem Guten 81 – U., wirkende xxiiif., 17, 34, 39f., 42, 59f., 90 – U., wirkliche xxiii – wirkende U., erste 61 siehe auch Bewegung Ursprung xxxiii, 4, 95 – U. der höheren Arten 95 – U. der Ideen xxxiii – Ursprung des Menschengeschlechts 4 Urteil xxii, 27, 30, 34f., 39 – U., allgemeines xxii, 27 – U. a priori, affirmatives 34 – U. a priori, analytisches 34 – U., negatives 34 – U., sicheres 35 – U., unmittelbar evidentes negatives 30 Urteilstheorie xiv, xxiv – U., existenziale xiv

Vater xxvii

Verähnlichung mit der Gottheit xxv, 72, 85 Veränderung, kontinuierliche 109 Verantwortlichkeit 108 Verbindung, gesellige 106 Verbrechen 107 Verdammnis, ewige 108 Verderben, ewiges 113 Verderben, sittliches 113 Verdienst 109 Verdunkelung der aristotelischen Lehre, moderne 14

129

Verfall der Philosophie xi Vergehen 49, 55 – V. zu nichts 49 Vergeltung xix, xxxv, 107 siehe auch Jenseits Vergeltungsgedanke 113 Verlauf, kontinuierlicher 54 Verstand xvii, xxiii, 22, 41, 50f., 56–62, 64–66, 68, 72–76, 97 – Subjekt des Verstandes 41 – V., einheitlicher xxiii, 56, 61 – V., erster 61, 66, 68 – V., erster allbewegender 58 – V., göttlicher xvii, 22, 64, 75 – V., menschlicher 57 – V., ordnender 57, 66, 74 – V., vollkommenster 76 – V., weltursächlicher 62f., 65 – V., zwecktätiger 56 Verursachung xxxiv, 61 – Sein infolge von V. 61 Verworfenheit 107 Vielheit xxxv, 47, 58, 111 – V., aktuell unendliche xxxv – V., unendliche 111 Vollkommenheit xxv, 66f., 74, 76, 78, 84, 92 Inbegriff aller V. 67 V. Gottes 76 V., unendliche 67, 74 siehe auch Erkennen Vorsehung 88 Vorstellung, elementare 38

Wählen 65

Wahrheit xi, xxii, xxv, 23f., 26–29, 34f., 61f., 65, 67, 76 – Suche nach der Wahrheit xi – unmittelbar als notwendig einleuchtende W. 34 – W., mittelbare 62, 67

130

Sachregister

– Wahrheit, positive 61f. – W. sekundäre 62, 65 – W., sichere 26 – W., unmittelbare 62, 65 – W., unmittelbar evidente xxii, 27 Wahrnehmbare, das 28f. das eigentümliche W. 28f., 38 das gemeinsam W. 28f., 37, 38 siehe auch aisteton Wahrnehmung xxif., xxv, 19, 22, 27–30, 33, 36, 38–40, 64 – Verlässigkeit der W. 28 – W., äußere xxif., 38, 40 – W., innere xxif., xxv, 29, 30, 37, 39f., 45, 64 – W., sekundäre 28 – W., unmittelbar evidente 30 Wahrnehmungsvermögen 36 Wahrscheinlichkeit xxi, 35 Wahrscheinlichkeitsrechnung 36 Wärme 95 – W., lebenerweckende 95 – W., leben gebende xix Wechsel, substanzieller 47 Wechselwirkung zwischen Geist und Leib 99 Weise, der xxxi, 22f., 85, 106, 112 Weisheit xix–xxi, xxix, xxxi, 3, 16, 22–24, 62, 76f., 85, 106, 110 – Begriff der W. xxi – Charakter der W. 23 – die W. ist eine 23 – Einheit der göttlichen W. 26 – Objekt der W. 24f. – Weg zur W. xxix – W., menschliche 26 – W., unendliche 76f. siehe auch sophia Weisheitslehre, aristotelische xix, xxxi, xxxiii, 3f., 89, 114 Welt xvii–xix, xxvi, 55, 66, 68, 71,

77f., 81, 85–90, 92–95, 105, 110–112 – Dasein der Welt 86 – letzter Grund der W. 68 – W. als Objekt von Gott 77 – W., bestmögliche 66, 81, 84, 87, 110f. – W., himmlische xxvi, xxxv, 90, 92, 94 – W., irdische xxxv, 105, 111 – W., körperliche 111 – W., leblose 71 – W., niedere 94f., 112 – W., sublunarische xix, 55, 87–89, 92–94 – W., unorganische 85 – W., vollkommene 90 Weltall 8, 57, 62, 82, 85 – Absicht des W. 85 – Ordnung des W. 57 – Schönheit des W. 57 Weltganze, das 112 Weltgedanke, optimistischer 114 Weltgericht 109 Weltordnung xxxvf., 56, 58, 60, 66–68, 82, 112 – Güte der W. 68 – W., aristotelische xxxvi – W., gottbestimmte 82 Weltplan 107, 109f. W., göttlicher 107, 110 Weltprinzip, unbewegliches 67 Werden 49–52, 58, 101, 103 – W. aus nichts 50, 101, 103 – W. durch Kunst 50 – W. durch Natur 50 – W. durch Verstand 50 – W., künstliches 51f. – W., natürliches 51f. – Zu-nichts-W. 50 Werk, vollkommenstes 77

Sachregister Werktätigkeit 78, 82 – W. Gottes 82 Wertloses 111 Werttheorie xix, xxiv, 74 Wertung, richtige 65 Wesen xviif., 18, 22f., 26, 63, 84, 95, 98, 100, 104, 107 – W., geistiges 23 – W., geistig-körperliches 104 – W., lebendes 18, 95 – W., rein geistiges 107 – W., teilweise körperliches 98 – W., teilweise geistiges 98, 100 – W., unmittelbar notwendiges 22, 26 – W., unendlich vollkommenes xviif., 22, 84 – W., weltursächliches 63 Weswegen 67 Widerspruch xx, 35 – W., scheinbarer xx Wiedergeburt 109 Wille xxivf., 64, 66, 70, 78, 81, 88, 108, 111 – Freiheit des W. 88 – W., allmächtiger xxiv, 64, 70, 81 – W. der Gottheit 111 Willensmißbrauch 108 Wirken xxiii, xxv, 4, 51 – W. der Natur 54 – Wirken des aristotelischen Gottes 4 – W. durch Natur xxiii, 51, 65 – W. durch Verstand xxiii, 51, 54, 65 – W. Gottes xxv – W., künstliches xxiii, 51

131

– W., natürliches xxiii, 51 – Wirken per akzidens xxiii, 51, 53 – W. per se xxiii, 53 Wirkendes xxiii, 37 Wirkliches 62 Wirklichkeit 39, 58f., 62, 75 – in W. sein 39 – W., reine 75 Wirkung 40 – W., sekundäre 109 Wissen 23, 64, 76 – W. von der Natur 23 Wissenschaft xvi, xxxiii, 22, 26, 84, 87, 96 – Einheit der W. 26 – W., mathematische xxxiii, 23 Wohlgefallen xxvi, 84 – W. Gottes an der Welt xxvi Wollen 65–67, 69, 72, 79, 86 – W., selbstloses 86 Wortkargheit 20

Zahl, unendliche 56

Zahlen, pythagoreische 71 Zeichen, konstantes 29 Zeit 35, 37 Zeitbestimmung 37 Zeitkontinuum, einheitliches 32 Zeugung 58 – Kette der natürlichen Z. 58 – Z., spontane 59 Zufall xxiii, 51, 59 Zweck, letzter 57 Zweckordnung 58 Zweckursache 39, 67f. zweite Philosophie 24

Personenregister Agathon 78

Alexander der Große 8–10 Alexander v. Aphrodisias xxxiv, xxxvii, 14, 53 Anaxagoras xvii, xxxix, 72f., 93 Apelt, Otto xxviii, xxxviii Aster, Ernst v. xii–xvi, xviii, 16 Augustinus 16 Averroes 14

Barthélemy-St.-Hilaire, Jules 21 Bayle, Pierre 90 Bentham, Jeremy xxx Bergmann, Hugo xxix, xxxviii Binder, Thomas xxx Bokownew, P. xxviii, xxxviii Brandl, Flora L. xxx Brandl, Johannes L. xxx Brentano, Lujo xvii

Cicero, Marcus Tullius 11

Cuvier, Georges xxxi, xxxiv, 15

Dante, Alighieri 14 Demokrit 93 Descartes, René 29 Döllinger, Ignaz v. xxxiii Dumont, Étienne xxx Ehrenfels, Christian v. xviii Empedokles 73, 76 Eudemus xx, 4, 8, 10 Eudoxus 19, 88 Franz v. Assisi xxxvii Fréchette, Guillaume xxvii, xxx, xxxif., xxxix Freudenthal, Jakob 14, 53

Gellius, Aulus xx George, Rolf xiv Gomperz, Heinrich xxix, xxxix Gomperz, Theodor xii, xxi Gosselin, R. xxviii, xxxix Gutas, Dimitri xxiv, xxxix Hartmann, Nicolai xxix

Heidel, W. A. xxviii, xxxix Hennemann, Carl xviii, xix, xxxix Heraklit 93 Hermeias 9 Herpyllis 9 Homer 78 Horaz 74 Hume, David xxxiv, 40, 60

Jesus von Nazareth xxxiii Kallipus 19, 88f.

Kallisthenes 9 Kant, Immanuel 30, 34f. Kastil, Alfred xxvii, xxx, xxxii, xxxix Kelvin, William Thomson, 1. Baron 94 Kiesl, Franz Xaver xxviii, xxxix Kraus, Oskar xi, xxx, xl

Laks, André xxiv, xl

Lavoisier, Antoine Laurent de xvi, xxii Leibniz, Gottfried Wilhelm xvi– xviii, xxxi, 4, 14, 18, 31f., 35, 36, 40, 66, 89f., 92, 110, 113 Linné, Carl v. 18 Locke, John xvi, xxii, xxxiii, 18, 29, 36f.

Personenregister

Marty, Anton xv, xxix Maxwell, James Clerk 94 Mayer-Hillebrand, Franziska xxvii, xxx, xl Meyer, D. xxviii, xl Miklosich, Franz v. xiv, xl Mill, John Stuart xxii Most, Glenn W. xxiv, xl Mulligan, Kevin xxiv Mutschmann, Hermann xxviii, xl Nardi, Bruno xxix, xl

Nietzsche, Friedrich 109 Nikomachus 9

Olejniczak, Tadeusz xxix Olympiodor 8

Pascal, Blaise xv, xxxvi

Philipp v. Makedonien 8, 10 Picavet, François xxviii, xl Platon xi, xvii, xxxiii, xxxv, 4, 7–11, 16, 70f., 93, 103, 105, 108f., 112f. Proxenos 9 Puglisi, Mario xxix, xl Pythagoras 43 Pythias 9

133

Ramus, Petrus 14

Ross, William David xxiv

Scheler, Max xxiv

Schell, Hermann xviii Schopenhauer, Arthur xvii Schwegler, Albert 59 Scotti Muth, Nicoletta xxviii, xl Simplicius 14 Sokrates 4, 112 Solon xvii Speusippus 10

Themistius 101, 112

Theophrast xv, xx, xxiv–xxvi, xxviii, xxxiv, 4, 10, 49, 57, 63, 66, 72, 78, 89f., 101, 112f. Thomas v. Aquin xxviiif., xxxvii, 40 Twardowski, Kazimierz xxix

Von Hagen, B. xxviii, xl Weiss, Fritz xl

Whewell, William xvi, xxiif., xl, 49

Zeller, Eduard xivf., xxi, xxvf., xxix, xxxii, xxxvii, 86, 101f., 104 Zenon xxviii, xl, 32, 105,