Semantikerwerb: Ein Beitrag zu einer empiristisch-naturalistischen Bedeutungstheorie [Reprint 2013 ed.] 9783110929898, 9783484304239

The volume outlines a consistent empirical theory of semantic acquisition by combining interdisciplinary aspects of the

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German Pages 224 [228] Year 2000

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Semantikerwerb: Ein Beitrag zu einer empiristisch-naturalistischen Bedeutungstheorie [Reprint 2013 ed.]
 9783110929898, 9783484304239

Table of contents :
Vorwort
1 Einleitung
2 Bedeutung und Erwerb
2.1 Zum Gegenstand des Semantikerwerbs: Was ist Bedeutung? Linguistische, psychologische, philosophische und neurologische Aspekte von Bedeutung
2.2 Zum Erwerb früher Bedeutungen
3 Das „Logische Problem“ des Semantikerwerbs
3.1 Zu den Begriffen der Induktion und des Induktionsproblems in der Logik
3.2 ... und deren Übertragbarkeit auf psychisch reale Situationen; Präzisierungen und Analyse des Problems
4 Grundzüge eines empiristisch-naturalistischen Erwerbsmodells
4.1 Dekomposition
4.2 Bindung
5 Zusammenfassung
6 Literatur

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Linguistische Arbeiten

423

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese

Brigitte

Löbach

Semantikerwerb Ein Beitrag zu einer empiristisch-naturalistischen Bedeutungstheorie

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2000

Für Lisa

„ This is my story both humble and true, take it to pieces and mend it with glue ..." ( John Lennon, Wonsaponatime)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Löbach, Brigitte: Semantikerwerb : ein Beitrag zu einer empiristisch-naturalistischen Bedeutungstheorie Brigitte Löbach. - Tübingen : Niemeyer, 2000 (Linguistische Arbeiten ; 423) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-484-30423-5

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2000 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Inhalt

Vorwort 1

Einleitung

2 Bedeutung und Erwerb 2.1 Zum Gegenstand des Semantikerwerbs: Was ist Bedeutung? Linguistische, psychologische, philosophische und neurologische Aspekte von Bedeutung 2.1.1 Konzepte und Kategorien als elementare Einheiten der Kognition 2.1.2 Semantische und psycholinguistische Aspekte 2.1.3 Erkenntnistheoretische und psychologische Aspekte 2.1.4 Neurophysiologische und bewusstseinsphilosophische Aspekte 2.2 Zum Erwerb früher Bedeutungen 2.2.1 Traditionelle Ansätze zum Bedeutungserwerb 2.2.2 Neuere Ansätze - constraint-basierte Ansätze 2.2.3 Zur Motivation und Validität nativistischer Annahmen in der Syntax 2.2.3.1 Das Induktionsproblem in der Syntax 2.2.3.2 Die Konzeption der Parameterfixierung als induktionsfreie Lösung? 3

VII 1 9 9 11 13 22 26 31 37 38 45 45 49

Das „Logische Problem" des Semantikerwerbs 53 3.1 Zu den Begriffen der Induktion und des Induktionsproblems in der Logik 56 3.2 ... und deren Übertragbarkeit auf psychisch reale Situationen; Präzisierungen und Analyse des Problems .59 3.2.1 Die Qual der Wahl: Wie findet das Kind die „richtige" Generalisierung? .63 3.2.2 Die Ambiguität ostensiver Definitionen 74 3.2.2.1 Warum die Ambiguität kein Lernbarkeitsproblem darstellt 78 3.2.2.2 Wofür die Überlegungen trotzdem wichtig sind: Konstruktive Konsequenzen für eine Erwerbstheorie 84 3.2.2.2.1 Das Scheitern der Trigger-Konzeption als Argument für eine Rehabilitierung von Lernen 85 3.2.2.2.2 Semantische Konsequenzen 90 3.23 Das Argument mit dem Tisch - Zum Begriff der Ähnlichkeit 97 3.2.4 Das Problem induktiven Lernens 108 3.2.4.1 Darstellung der Fodorschen Argumentation 109 3.2.4.2 ... und seine Schlussfolgerungen: Fodors Programm der Jnnateness of all concepts" 112 3.2.4.2.1 Eine triviale Lesart: die Listenlesart 112 3.2.4.2.1.1 Einige Konsequenzen und Stellungnahmen 112 3.2.4.2.12 Nativismus als Notlösung 115 3.2.4.2.13 Erkenntnistheoretische Implikationen? Der Sieg des Rationalismus? 116 3.2.42.1.4 Zwischenfazit 119

vi 3.2.4.2.2 Eine alternative Lesart: Fodors Nativismus - ein Humescher Empirismus? 120 3.2.4.23 Diskussion des Lernbarkeitsarguments - Das Argument unter der Lupe 128 4

Grundzüge eines empiristisch-naturalistischen Erwerbsmodells 136 4.1 Dekomposition 144 4.1.1 Ein Argument zur Interpretierbarkeit des „Mentalesischen" 147 4.1.2 Externe Evidenz aus der Sprachverarbeitung und dem Erwerb 148 4.1.3 Argumente zur Definierbarkeit 154 4.1.4 Argumente zum Kompositionalitätsprinzip 168 4.1.5 Argumente zur Lernbarkeit und deren Konsequenz - Holismus 174 4.1.6 Ein Argument zum Sensualismus - Ist das Lockesche Programm gescheitert? 182 4.1.7 Fazit 185 4.2 Bindung 185 4.2.1 Ein Erklärungsprinzip zum neurobiologischen Bindungsproblem 186 4.2.2 Eine bewusstseinsphilosophische Analogie und eine Generalisierung des Erklärungsprinzips 189 4.2.3 Das Bindungsprinzip in der Semantik 191 4.2.4 Fazit 197

5

Zusammenfassung

200

6

Literatur

207

Vorwort

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich 1999 an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln unter dem Titel "Semantikerwerb als Ausbildung konzeptueller Strukturen. Beiträge zu einer empiristisch-naturalistischen Semantiktheorie unter besonderer Berücksichtigung des Induktionsproblems" eingereicht habe. Allen voran möchte ich mich bei meinem Doktorvater Heinz Vater herzlich bedanken, der mir, als seiner Mitarbeiterin, die Möglichkeit zu einer wissenschaftlichen Arbeit erst eröffnet hat und mir dabei größte Freiheit gelassen hat. Ohne seine persönliche und fachliche Souveränität, seinen Zuspruch und sein Vertrauen, hätte ich meine Arbeit in dieser Form nicht schreiben können. Ich freue mich, dass sie nun in den Linguistischen Arbeiten erscheinen kann. Meine Zweitgutachterin Beatrice Primus hat mir ermöglicht, meinen wissenschaftlichen Weg an ihrem Lehrstuhl fortzusetzen. Ihr möchte ich besonders für den Vertrauensvorschuss und die überzeugenden "Argumente" danken, die letztendlich zur Fertigstellung der Arbeit geführt haben. Während der langen Jahre ihres Zustandekommens haben mich auch viele Kollegen und Freunde praktisch und moralisch unterstützt: Für die nette Zeit am Lehrstuhl mit gelegentlich anschließenden Damenstammtischen, für nächtlichen Weckdienst, ebenso nächtliches Korrekturlesen, Gunpowder-of-Heaven-Tipps, Einweihung in Word-Geheimwissen, hilfreiche Anmerkungen zu meinen geistigen Ergüssen, Aufmunterungen in Krisenzeiten und ihre Diskussionsbereitschaft danke ich: Jürgen Amrhein, Manfred Consten, Boijana Dimova, Kerstin Elsenbach, Frauke Hellwig, Katharina Klein, Katja Kreutzer, Anja Werner, Steffi Wieprecht, Angelika Wöllstein-Leisten und Detlef Zaun. Martin Neef hat nicht nur das gesamte Manuskript gelesen und von zahlreichen Tippfehlern befreit, sondern hat mir auch durch seine aufmunternden Kommentare den oft dringend erforderlichen Mut zugesprochen. Besonders bedanken möchte ich mich bei Peter Indefrey, der mein wichtigster Diskussionspartner und Kritiker war. Ihm danke ich dafür, dass er sein Interesse an meinen Themen und Fragen über Jahre nicht verloren hat und dass ich auch beim Krisenmanagement in der Abschlussphase auf ihn zählen konnte. Der größte Dank geht an meine Familie und besonders Manfred Höffken, der mich die ganze Zeit über - von meinen eigenen Zweifeln unbeirrt - darin bestärkt hat, das Richtige zu tun, und mit mir durch dick und dünn geht.

1

Einleitung

„Indeed, one of the central mysteries of natural language can be couched in this way: How is it that the movement of air molecules, and attendant changes in pressure, can ultimately be treated by human beings as "meaningful?" (Feinstein/ Weisler 1987:239)

Die von Feinstein / Weisler formulierte Problematik berührt eine der grundlegendsten Fragestellungen, die in Bezug auf das Phänomen Mensch' bzw. "menschliches Denken' bis heute ungeklärt ist. Die Frage nach der Abgrenzung und der wechselseitigen Beziehung der als extern erfahrenen Welt physikalischer Realitäten und der internen, als immateriell verstandenen Welt der Bedeutung wird traditionell oft als „Körper-Geist-Problematik" oder „Körper-SeeleProblem", heute eher als „Gehirn-Geist-Problem" (Northoff 1997) oder „Psychophysisches Problem" (Nagel 1996)) bezeichnet. Lange Zeit ausschließlich der Philosophie vorbehalten, machte in jüngerer Vergangenheit die Kognitionswissenschaft eben jene Dichotomie zu ihrem zentralen Forschungsgegenstand. Diese interdisziplinäre Wissenschaft, die Methoden und Erkenntnisse aus u.a. Philosophie, Psychologie, Sprachwissenschaft, KI-Forschung und Neurophysiologie zu integrieren versucht, geht davon aus, dass der menschliche Geist kognitive Strukturen ausbildet, die in systematischen Relationen zu Gegebenheiten der äußeren Welt stehen. Da bei der Genese derartiger Repräsentationen davon auszugehen ist, dass der rezipierende Organismus selbst Einfluss auf die Resultate hat und diese also in spezifischer Weise modifiziert, ist dabei aber eine Isomorphic zwischen internen und externen Strukturen unwahrscheinlich. Andererseits sind inteme Repräsentationen der direkten Beobachtung nicht zugänglich und müssen auf der Basis theoretischer Überlegungen und deren empirischer Überprüfung rekonstruiert werden. Falls sich aber, trotz dieser Schwierigkeiten, ein derartiges Modell der Repräsentationen in einen direkten und ursächlichen Zusammenhang mit neurophysiologischen Gegebenheiten und Prozessen z.B. der menschlichen Wahrnehmung bringen ließe, wäre hiermit die Grundlage zur Überwindung der Körper-Geist-Problematik gelegt. Einen besonderen Fall dieses übergeordneten Fragenkomplexes bildet die dem Menschen speziesspezifische natürliche Sprache. Auch hier offenbart sich dieselbe Dichotomie, sucht man wie Feinstein / Weisler nach der Erklärung, wieso die Bewegung von Luftmolekülen oder spezifische Veränderungen des Drucks - die physikalische, beobachtbare Dimension einer Sprachäußerung also - vom Hörer als „bedeutsam" behandelt werden kann. In genuin linguistischer Hinsicht entspricht dem das mit der Begründung der modernen Sprachwissenschaft von de Saussure (1916) formulierte Grundprinzip von Sprache - die arbiträre Zuordnung von Ausdruck und Inhalt, die bis in die neuesten Versionen modemer generativer Grammatiktheorien im Zentrum linguistischer Modellbildung steht. Ein anderer Aspekt desselben Phänomens ist die Frage, in welchem Verhältnis mental repräsentierte sprachliche Ausdrücke und sprachexterne Entitäten, also z.B. Zustände und Ereignisse der Außenwelt, stehen bzw. wie mit Hilfe von Sprache Bezug auf Welt genommen werden kann. „Wir sind kleine, endliche Geschöpfe, doch Bedeutung ermöglicht es uns ... die ganze Welt ... zu erfassen. Das Problem besteht darin zu klären, wie dies möglich ist: Wie kann etwas Gesagtes ... etwas bedeuten ...?" (Nagel 1990:40)

2 Eine Sprachwissenschaft, die die Beantwortung solcher Fragen zum Ziel hat, versteht sich selbst als Subdisziplin der Kognitiven Wissenschaft. „Linguists are cognitive scientists who take human language as their special domain of inquiry. Their goal is to understand how linguistic knowledge is represented in the mind, how it is acquired, how it is perceived and used, and how it relates to other components of cognition." (Feinstein / W e i s l e r 1987:215)

In ganz ähnlicher Weise haben insbesondere Chomsky (zU. 1986, 1988, 1991a, Chomsky / Lasnik 1995), aber auch Bierwisch (z.B. 1987) das Forschungsprogramm der generativen Grammatiktheorie charakterisiert und damit selbst in den Rahmen der Kognitiven Wissenschaften eingeordnet. Als deren zentrale Leitfragen nennen Chomsky / Lasnik (1995:17): 1)

What does Jones know when he has a particular language?

2)

How does Jones acquire his knowledge?

3) 4) 5)

How does Jones put this knowledge to use? How did these properties of the mind/brain evolve in the species? How are these properties realized in mechanisms of the brain?

Der Forschungsgegenstand der Linguistik ist demnach das spezifische Wissen eines idealen, kompetenten Sprechers einer Sprache, d.h. die sprachliche Kompetenz, deren Modellierung in Form einer „Grammatik" einen Einblick in die entsprechenden kognitiven Strukturen und letztlich einen Einblick in die Funktionsweise des menschlichen Geistes darstellt. Damit ist die Sprachwissenschaft zugleich als Subdisziplin der kognitiven Psychologie und empirische Wissenschaft ausgezeichnet. Chomsky (1980a:4) sagt: „I would like to think of linguistics as that part of psychology that focuses its attention on one specific cognitive domain and one faculty of mind, the language faculty." Die vollständige Einpassung in die Kognitive Wissenschaft, wie sie von Feinstein / Weisler, aber auch von Schwarz (1992,1996) aufgefasst wird, ist trotz dieser fast identischen Beschreibungen ihrer Gegenstände jedoch nicht ganz unproblematisch. Hierfür sind einerseits die spezifischen von Chomsky zu Grunde gelegten Annahmen wissenschaftstheoretischer und sogar erkenntnistheoretischer Art bzw. die damit verbundenen Erklärungsansprüche, die oft weit über die rein linguistische Domäne hinausgehen, verantwortlich, da sie den von Schwarz (1992:14) als konstitutiv angesehenen „Methoden- und Theorienpluralismus" nur in eingeschränktem Maße akzeptieren können. Andererseits sind die Grundlagen zur Möglichkeit der interdisziplinären Auseinandersetzung zu hinterfragen, da der theoretische Status sogenannter „externer Evidenz" von Chomsky selbst nur recht knapp expliziert wurde. Während interner Evidenz, die aus Intuitionen nativer Sprecher über Sprache bezogen wird, (zumindest theoretisch) Relevanz für die Stützung von Modellen zugestanden wird, ist dies bei externer Evidenz, die per definitionem „außersprachliche" Daten meint (genauer: Daten, die außerhalb der Domäne grammatischer Kompetenz liegen) und folglich z.T. Sachverhalte anderer Disziplinen betrifft, unklar. Chomsky (1986:36f.) erklärt zwar, dass perzeptuelle Experimente, die Erforschung des Spracherwerbs, pathologische Sprachdefizite, Kreolsprachen aber auch Neurologie und Biochemie Evidenz für den Charakter von I-Sprache (i.e., die „internalisierte Sprache" eines kompetenten Sprechers) bereitstellen können, an anderen Stellen (1980b:45, 1982a:9) wird aber die Relevanz solcher Daten für die Postulierung der psychologischen Realität bestritten (vgl. die Argumentation von Botha 1989:182ff.). Eine solch „zögernde" Haltung ist m.E. dadurch gerechtfertigt bzw. sogar geboten, dass es sich bei der von Chomsky konzipierten

3 „Kompetenz" um eine abstrakte Beschreibungsebene des Kennlnissystems eines idealen Sprechers handelt, die logisch und theoretisch von tatsächlich existierenden Sprachkenntnissen eines Individuums in Raum und Zeit zu unterscheiden ist.1 Dies bedeutet, dass Aussagen eines Modells der Sprachkompetenz zumindest nicht in direkter Weise durch z.B. psycholinguistische Daten gestützt werden können,2 sondern dass der Rückgriff auf eine „Brückentheorie" z.B. im Sinne Bothas (1979) notwendig ist. Aus grammatiktheoretischer Perspektive formulierte Aussagen über Sprachkompetenz sind nicht identisch mit Aussagen über im Langzeitgedächtnis gespeicherte Informationen - man kann lediglich die (plausible aber nicht triviale) Hypothese vertreten, dass systematische Entsprechungen zwischen beiden Beschreibungssystemen bestehen. Gegenstand des vorliegenden Buches ist der kindliche Semantikerweib, dJi. die Frage, wie Kinder während des ErweAs ihrer Erstsprache die oben erwähnte Zuordnung von Ausdruck und Inhalt, lautlichen Repräsentationen und Bedeutungen bewerkstelligen, insbesondere aber, wie die interne Struktur solcher Bedeutungen beschaffen ist, wie diese Strukturen ausgebildet werden und welche Faktoren bei deren Ausbildung kritisch sind, d.h. zB. inwieweit bzw. in welcher Form die Gegebenheiten der außersprachlichen Wirklichkeit und der sprachliche Input relevant sind. Ziel des Buches ist es, aus ontogenetischer Perspektive zusätzliche Anhaltspunkte zur Beantwortung der eingangs skizzierten Fragestellungen der kognitiven Linguistik zu liefern. Es handelt sich um in erster Linie theoretisch ausgerichtete Überlegungen, denen es weniger um eine möglichst genaue Rekonstruktion ζ JB. der zeitlichen Abfolge des Erwerbs lexikalischer Einheiten geht, als um den Versuch, unter Berücksichtigung der bisher zur Verfügung stehenden empirischen Beobachtungen und sprachtheoretischen Erkenntnisse ein konsistentes Modell insbesondere des für die skizzierten Fragestellungen besonders vielversprechenden frühen Semantikerwerbs vorzuschlagen. Trotz der oben genannten Unklarheiten erscheinen die philosophisch-psychologischen Grundannahmen der generativen Linguistik als die geeignete theoretische Ausgangsbasis; zum Teil gravierende Abweichungen meines vorzuschlagenden alternativen Modellansatzes ergeben sich im Verlaufe der Argumentationen und sind im Einzelnen zu formulieren und zu diskutieren. Dabei stehen aufgrund des semantischen Themas eher konzeptionelle, wissenschaftstheoretische und natürlich lem(barkeits)theoretische Aspekte im Vordergrund, weniger die bisher in verschiedenen Versionen formulierten „technischen" Ausbuchstabierungen der Modelle. Dies liegt selbstverständlich nicht daran, dass sich die hier zur Debatte stehenden Fragen einer methodisch sauberen Behandlung entziehen, sondern ergibt sich schlicht daraus, dass mit der Modellierung der Grammatik ausschließlich die ,/ormale Kompetenz" gemeint ist, zu der neben Syntax und Phonologie lediglich jene Aspekte von Bedeutungen gehören, die von syntaktischen Konfigurationen determiniert sind (vgl. z.B. Chomsky 1982b:115). Aspekte, die zwar die Sprachfähigkeit konstituieren, aber nicht dem 1

2

Dabei ist es m.E. allerdings merkwürdig, dass eine auf Grammatikalitätsurteile gestützte Theorie den Informanten die Fähigkeit zu einem Zugriff auf Wissen unterstellt, der das sonst notwendige Sprachverarbeitungssystem umgehen kann, also nicht den üblichen Performanzbeschränkungen unterliegt. So resümiert Tanenhaus (1990:1) die Ergebnisse psycholinguistischer Forschung äußerst pessimistisch: contrary to what the name might suggest, psychology and linguistics have never been successfully integrated within psycholinguistics for more than short periods ...". Vgl. hierzu auch die „Warnung" Herrmanns (1997) vor einer wissenschaftstheoretisch unhaltbaren Paradigmenkontamination.

4 autonomen „computationellen" System angehören - pragmatische Kompetenz und das konzeptuelle System - werden vernachlässigt. Obwohl also der Fokus der generativen Forschungsarbeit (bisher zumindest, s.u.) auf der Identifikation des in diesem Sinne grammatischen Wissens liegt, ist klar, dass die wesentliche mit der Sprachfähigkeit gegebene Errungenschaft des Menschen („the great step in human evolution", Chomsky 1982b:20) in der Verbindung von konzeptuellem und computationellem System, der Kopplung von Form und Inhalt liegt. Der Ort, an dem eine solche Kopplung im Rahmen des generativen Modells angesetzt wird, ist das Lexikon. Dabei handelt es sich neben dem computationellen System um die zweite Grundkomponente des Modells, welche traditionellerweise die idiosynkratischen Eigenschaften lexikalischer Einheiten, wie eben die Laut-Bedeutung-Kombinationen oder die (arbiträren) Zuordnungen syntaktischer Eigenschaften, beinhaltet. In jüngerer Vergangenheit ist dem Lexikon im Bereich der theoretischen Linguistik ein stets wachsender Stellenwert - vielleicht sogar der zentrale Stellenwert - zugesprochen worden. Tendenziell werden mehr und mehr (ehemals genuin) syntaktische Phänomene aus der computationellen Komponente in das Lexikon verlagert, d.h. syntaktische Konstruktionen werden als Reflexionen von Eigenschaften lexikalischer Einheiten aufgefasst. Diese Verlagerung bleibt dabei sogar nicht bei der Ebene der „vermeintlich" idiosynkratischen syntaktischen Eigenschaften stehen, sondern bezieht sich über diese Ebene der Argumentstrukturen hinaus auch auf die der thematischen Struktur, was einer Reduktion auf die Bedeutung lexikalischer Einheiten gleichkommt .3 „It was noted ... that phrase structure rules are (largely) redundant with subcategorization, hence are ... eliminable. But now note that subcategorization follows almost entirely from theta-role specification. A verb with (obligatory) theta-roles to assign will have to occur in a configuration with enough arguments ... Further, at least in part, selectional restrictions will also be determined by thematic properties. To receive a particular theta-role, the inherent semantic features of an argument must be compatible with that theta-role." (Chomsky / Lasnik 1995:30)

Der enorme Stellenwert, der auf diese Weise dem Lexikon im Rahmen des Grammatikmodells zukommt, wird besonders sinnfällig, wenn man eine logische Konsequenz dieser Annahmen wie folgt formuliert: „[VJariation [i.e. intersprachliche Variation, B.L.] is limited to nonsubstantive parts of the lexicon and general properties of lexical items. If so, there is only one computational system and one lexicon, apart from this limited kind of variety. Let us tentatively adopt that assumption - extreme, perhaps, but it seems not implausible - as another element of the Minimalist Program." (Chomsky 1995a:169)

Wenn es tatsächlich eine plausible Annahme ist, dass es nur ein einziges invariantes speziesspezifisches „Grammatikmodul" bzw. computationelles System gibt, das - so die Hypothese in Form einer „Universalgrammatik" genetisch implementiert ist, folgt daraus, dass Spracher3

Chomsky (1995a:33) bezweifelt allerdings die Möglichkeit einer vollständigen Reduktion, vgl.:"This reduction seems quite successful for a wide range of cases, but it is important to note that formal syntactic specifications in lexical entries have not been entirely eliminated in favour of semantic ones ... Whether or not a verb assigns objective Case is, as far as is known at present, a purely forma) property not deducible from semantics. While much of c-selection follows from sselection, there is a syntactic residue, statable ... in terms of lexically idiosyncratic Case properties".

5 werb zu einem substantiellen Teil aus dem Erwerb des Lexikons bzw. den lexikalischen Einträgen desselben und aufgrund der oben erwähnten Reduktionen ihren Bedeutungen besteht. „The meaning of a word must be part of its lexical entry ... The question is whether this is all that needs to be learned" (Levin / Hovav 1991 :X)

Die Relevanz des Semantikerweibs für die grammatische Theoriebildung liegt damit auf der Hand. Obwohl ihm also besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, sind einschlägige Forschungsprojekte in diesem Bereich zumindest in Deutschland (in den USA sieht die Lage etwas anders aus) zur Zeit recht rar, während Studien zu Phonologie, Morphologie und Syntax dagegen relativ zahlreich sind.4 Symptomatisch für diese Situation ist schon die spärliche Behandlung des Semantikerweibs in Standardwerken zur Psycholinguistik bzw. Kognitiven Linguistik. So beziehen sich z.B. Schwatz (1992) und Wode (1993) lediglich auf Modelle aus den 70er Jahren (vgl. auch Fletcher 1997:64); Wode (1993:138) nennt die Merkmalstheorie Clarks (1973), die funktionale Theorie Nelsons (1973) und prototypentheoretische Ansätze Roschs (1973) und Bowermans (1973). Auch Meibauer / Rothweiler (1999) müssen noch auf diese Arbeiten verweisen. Sie konstatieren: „Wie die Bedeutung eines einzelnen Wortes entsteht ... [ist] noch immer weitgehend ungeklärt" (Meibauer / Rothweiler 1999:20). Ihre generelle Charakterisierung des Erwerbsprozesses ist entsprechend vage bis geheimnisvoll: „Der Bedeutungserwerb ist dynamisch, lang andauernd und verläuft verdeckt, und er basiert auf der komplexen Interaktion zweier sich entwickelnder Systeme, des kognitiven und des linguistischen Systems." (Meibauer / Rothweiler 1999:19). Selbst Campbell (1997:60) sieht sich an der exponierten Stelle eines internationalen Handbuchartikels zum frühen Spracherwerb genötigt, die desolate Forschungslage zum Ausdruck zu bringen und den Leser zu warnen, hier Konsens in der Forschung zu erwarten. Verantwortlich für diese äußerst unbefriedigende Lage sind vor allem zwei Problembereiche, die beide sehr grundlegender Art sind: Einerseits existieren schon bei der Bestimmung des Gegenstands der Semantik extrem heterogene Ansichten. Man ist sich z.B. weder darüber einig, ob es sich bei Bedeutung um ein mentales Phänomen oder eine Entität in der (tatsächlichen bzw. einer möglichen) Welt handelt; nach Fanselow / Staudacher (1991:65) ist selbst „die Existenz von einer Entität 'Bedeutung' schlechthin ... nicht unumstritten". Innerhalb mentalistischer Ansätze ist unklar, ob bzw. inwieweit sprachliche Bedeutungen überhaupt von konzeptuellen Einheiten bzw. enzyklopädischem Wissen zu unterscheiden sind, d Ji. ob bei der Modellierung einer Grammatik eine eigenständige Repräsentationsebene anzunehmen ist. Eine ebenso grundlegende Kontroverse besteht in der Frage, ob Bedeutungen als holistische „Monaden" oder dekomponierbare Strukturen aufzufassen sind, ob gegebenenfalls ein universales endliches Repertoire an Primitiva anzusetzen ist und wie dies genau aussehen muss. Auf der anderen Seite stehen ebenso schwerwiegende Probleme, welche die Modellierung der Lernprozesse, den Erwerb selbst betreffen. Die Lernkonzeptionen, die in den 70er Jahren zur Verfügung standen und damals relativ naiv zur Theoriebildung herangezogen wurden, sind intensivster und tiefgreifender Kritik unterzogen worden. Die Interpretation Quines (1960, 19633d) und vor allem die Argumentationen Fodors (1975,1980a/b) waren maßgeblich dafür verantwortlich, dass das „Induktionsproblem", welches für den Bereich des Syntaxerwerbs 4

Untersuchungen zur Rolle des Lexikons im Spracherwerb, die gelegentlich fälschlicherweise als Semantikerwerbsforschung gehandelt werden, beziehen sich meist lediglich auf die Akkumulation bzw. Zusammensetzung des kindlichen Wortinventars, s.u.

6 bereits identifiziert war, auch für die Semantik konstatiert wurde. Der sprachliche Entwicklungsprozess kann - so wird argumentiert - nicht allein mit einem Mechanismus der induktiven Generalisierung funktionieren. Die Geltungsansprüche der Fodorschen Kritik erstrecken sich über die Semantik hinaus auf jede Form von Lernen und implizieren radikalste Maßnahmen zur Lösung des „Problems": Ebenso wie die Lembarkeit syntaktischer Strukturen im Rahmen des generativen Paradigmas durch die Annahme einer hoch strukturierten Universalgrammatik sichergestellt wird, postuliert Fodor, dass sämtliche potentiellen (!) Konzepte angeboren, d.h. genetisch „implementiert" sind. Während Chomsky (1991a/b) diese Position offensichtlich akzeptiert: , . B a r r i n g miracles, this means that the concepts must be essentially available prior to experience, in something like their full intricacy. Children must be basically acquiring labels for concepts they already have ..." (Chomsky 1991b:29)

„... language acquisition and concept formation ... seem to have essentially the properties of growth and maturation, not of learning." (Chomsky 1991a:17) halten Autoren wie Putnam (1988) oder Lakoff (1987) eine solche Vorstellung für absurd. Tatsache ist jedoch, dass die Semantikerwerbsforschung der letzten 20 Jahre im Schatten dieser Argumentationen steht und durch sie geprägt wird. Das Induktionsproblem gilt mittlerweile in so weiten Kreisen als beinahe „universal" gültig und unbezweifelbar, dass ich befürchten muss, schon mit meiner Inangriffnahme dieses Themas auf Verständnislosigkeit zu stoßen. Dabei ergeben sich aber, auch wenn man sich durch den ersten Eindruck des Absurden nicht schon abschrecken lässt, auch bei genauerer Betrachtung erhebliche Probleme mit diesen „alternativen" Konzeptionen. Wenn der Lexikonerwerb tatsächlich in erster Linie darin besteht, sprachliche Ausdrücke und pränatal bereits existierende Konzepte aufeinander abzubilden, ist hiermit z.B. einerseits das Quine zugeschriebene angeblich logische Problem der Ambiguität ostensiver Definitionen (i.e., die Unbestimmtheit, ob ein Ausdruck beim Zeigen auf ein entsprechendes Objekt auf dieses Objekt oder Teile dieses Objektes oder anderes referiert) noch nicht gelöst - neben den a priori verfügbaren Konzepten muss, wie später genauer zu zeigen sein wird, außerdem eine ebenso fragwürdige angeborene Reihenfolge der vom Kind anzustellenden Hypothesen über mögliche Abbildungen postuliert werden - andererseits ergeben sich Widersprüche zu empirischen Befunden, die einen Einfluss der Inputsprache auf frühe semantische Kategorisierungen belegen (vgl. z.B. Bowerman 1993a), und zu gut gesicherten Nachweisen von Unter- bzw. Überextensionen. Was ist zu tun?! Eine konsistente Semantikerwerbstheorie ist nur möglich, wenn man ein halbwegs klares Bild davon hat, was eigentlich erworben wird und wie Lernen bzw. Erwerb prinzipiell funktionieren könnte. Das Anliegen des vorliegenden Buches ist es, einen Weg durch den angedeuteten „Dschungel" (Vater 19962:144) der konkurrierenden Ansätze zu finden, der eine plausible und konsistente Integration semantischer und lerntheoretischer Aspekte ermöglicht. Dass dies kein triviales Unterfangen ist, vermutet auch Bloom (1993:11): „An adequate theory of how children learn the meaning of words such as dogs and giving requires some account of what it is to possess the corresponding concepts of [DOGS] and [GIVING] - which might in turn involve nothing less than a full-blown theory of human cognition." Im Rahmen der oben motivierten Kognitiven Wissenschaften werden im zweiten Kapitel des Buches zunächst ausgewählte interdisziplinäre Erkenntnisse zum Phänomen Bedeutung disku-

7 tiert und aufeinander bezogen. Berücksichtigt werden dabei außer semantischen psycholinguistische, erkenntnistheoretische, bewusstseinsphilosophische, neurophysiologische und neuropsychologische Aspekte. Es ergeben sich einerseits einige konstante bzw. miteinander kompatible Komponenten der Beschreibung von Bedeutung, die im weiteren wichtige Grundbestandteile eines integrativen Ansatzes darstellen, andererseits werden aber auch .fallen" zu unbekümmerter Analogieschlüsse deutlich, wie die voreilige Gleichsetzung psychologischer und erkenntnistheoretischer Fragestellungen und Ergebnisse. In Kap. 2.2 werden nach den traditionellen Ansätzen zum Bedeutungserweib und der entsprechenden Kritik neuere Erweibsmodelle skizziert, die sich (vornehmlich in den USA) als Konsequenz aus dem oben erwähnten „logischen Problem" entwickelt haben und sich auf den in der vorliegenden Arbeit fokussierten frühen Bedeutungserwerb beziehen. Eine genauere Betrachtung solcher constraint-basieñen Ansätze identifiziert Inkonsistenzen in der Argumentation - Probleme, die ebenso schwerwiegend sind wie die, zu deren Lösung sie formuliert wurden. Die Aporie des gegenwärtigen Forschungstandes zwingt zu einem Überdenken des Induktionsproblems und zu einer erneuten Aufarbeitung der dazu geleisteten Argumentationen (Kap. 3). Zentrale Ansatzpunkte der Diskussion bilden dabei die Frage nach der Möglichkeit von Generalisierungen als Bestandteil von Lernmodellen (3.2.1), die Analyse des Erklärungsgehalts ostensiver Definitionen für psychologische gegenüber semantischen Fragen (3.2.2), die Besprechung und Präzisierung von Ähnlichkeitsbeziehungen als Kategorien stiftendes Prinzip (3.23) sowie die Präzisierung des spezifischen Begriffs der ,Angeborenheit" konzeptueller Strukturen, der an die Idee des „Triggers" als Auslöser solcher „blue-prints" gebunden ist (3.2.4). Fodors (1975, 1980a/b; s.o.) Konzeption „angeborener" Begriffe lässt neben der sehr offensichtlichen und trivialen eine alternative Lesart zu, die auf Hume (1967 (1758)) rekurriert und in letzter Konsequenz eher einer empiristischen Grundposition entspricht. Die Sichtung und Analyse aller dieser Widerlegungsansätze ergibt, dass es sich bei dem „logischen Problem des Spracherweibs" im Bereich des Semantikerweibs um ein Joses" Bündel erstaunlich schlecht explizierter und kurzatmiger Argumentationsfragmente handelt. Ich werde zeigen, dass das „Logische Problem" kein logisches Problem, sondern höchstens ein Bündel empirischer Probleme darstellt, für die es überdies Lösungen gibt. In diesem Zusammenhang ergibt sich ein zweiter Schwerpunkt der Argumentation in der Kontroverse zur Dekomponieibarkeit konzeptueller Strukturen bzw. dem theoretischen Stellenwert der Dekompositionshypothese bei den von Fodor identifizierten lembarkeitstheoretischen Problemen. Ergebnis der Überlegungen sind Grundzüge eines alternativen Erwerbsmodells (Kap. 4), das frühe Konzepte nicht als Kombinationen von diskreten Primitiva, sondern als zunächst (semantisch) holistische Einheiten auffasst, die erst im Verlauf des Erweibsprozesses in Komponenten analysiert werden können. Diese Komponenten stehen dann, ebenso wie die traditionellen Primitiva, für den Aufbau komplexer Strukturen zur Verfügung, verlieren allerdings ihren Status als genetisch determinierte universale Bausteine menschlicher Kognition. Mit einer solchen Lösung bleiben die enormen Vorteile, die sich unter der Dekompositionsannahme in grammatiktheoretischen wie psycholinguistischen Hinsichten eigeben und die ihre heute wieder steigende Popularität ausmachen, gesichert; die lerntheoretisch (und auch semantisch) problematischen Konsequenzen werden jedoch vermieden. Darüber hinaus wird ein Vorschlag unterbreitet, der unter Rückgriff auf Analogien in der Neurophysiologie zwei kognitive Grundoperationen zur Synthese und Analyse konzeptueller Strukturen konzipiert, die die prozedurale Voraussetzung zur Realisierung der beschriebenen Sachverhalte gewährleisten. Die sorgfältige Diskussion der grammatiktheoretischen und sprachphilosophischen Konsequenzen meiner Erklärungsaltemative be-

8 müht sich, die Konsistenz der vorgeschlagenen Bausteine einer empiristisch-naturalistischen Semantik zu prüfen und zu demonstrieren. Dabei werden auch Fragen nach der Möglichkeit sprachlicher Bezugnahme bzw. Intentionalität berücksichtigt.

2

2.1

Bedeutung und Erwerb

Zum Gegenstand des Semantikerwerbs: Was ist Bedeutung? Linguistische, psychologische, philosophische und neurologische Aspekte von Bedeutung

Wenn wir uns im Folgenden mit dem Phänomen des Bedeutungserweibs auseinander setzen wollen, müssen wir zunächst eine zumindest vorläufige und ungefähre Vorstellung vom Gegenstand dieses Erwerbsprozesses entwickeln. Was ist Bedeutung? Welche spezifische Art Wissen eignet sich ein Kind während des Bedeutungserwerbsprozesses an? Im Paradigma der Kognitiven Wissenschaften bedeutet dies, dass wir einen groben Rahmen abstecken müssen, in dem sich unsere Überlegungen bewegen sollen und der jene interdisziplinären Aspekte von Bedeutung benennt, die in einer adäquaten Theorie zum Bedeutungserwerb zu berücksichtigen sind und aus deren integrativer Betrachtung wir einen Erkenntnisfortschritt zu erzielen hoffen. Mit diesen Aspekten sind oft sehr grundlegende Fragestellungen verbunden, die von einer Semantik beantwortet werden sollten und zu deren Klärung die ontogenetische Perspektive der vorliegenden Arbeit Beiträge zu leisten versucht. Unter unserer I-semantischen Ausgangsperspektive gehören dazu neben der Frage nach den essentiellen Eigenschaften von Bedeutung als Grundelemente der kognitiven Erfassung von Welt auch Fragen nach der Beziehung dieser mentalen Einheiten einerseits zum sprachlichen System, andererseits zu Entitäten der externen Welt: Sind sprachliche Bedeutungen identisch mit konzeptuellen Strukturen oder handelt es sich um zwei verschiedene Gegenstandsbereiche, die separat modelliert und in ihrer Interaktion erklärt werden müssen? Wie lassen sich Bedeutungen zu komplexen semantischen Ausdrücken verbinden, die nicht nur komplexe Kategorien, sondern auch Aussagen bzw. Urteile über Sachverhalte in der Welt zulassen? Sind dafür sprachliche, syntaktische Strukturen, verantwortlich? Wenn wir von einer ziemlich großen - vielen Autoren zufolge unendlich großen - Menge möglicher Bedeutungen auszugehen haben, ist dann dafür ein generatives Prinzip verantwortlich, das Grundelemente regelhaft zu komplexeren Strukturen aufbaut? Wie können Bedeutungen Repräsentationen von externen Dingen oder Sachverhalten sein, so dass wir uns mit Wörtern auf sie beziehen können? Was macht Repräsentationen zu Repräsentationen von etwas? Ist dieser Bezug notwendigerweise ein vermittelter, der mit Hilfe einer zwischengelagerten Ebene der Perzeption bzw. eines Urteils gedacht werden muss? Macht es Sinn oder ist es sogar notwendig, statt dieser vermittelten Beziehung oder über diese vermittelte Beziehung hinaus eine direkte Beziehung von Bedeutungen zur Welt anzunehmen? Hat ein sprachlicher Ausdruck unabhängig von einem Sprecher Bezug? Ist der traditionelle semantische Begriff der Wahrheit in einer I-Semantik noch haltbar oder muss er z.B. im Sinne Jakkendoffs psychologisch reinterpretiert werden? Solche Fragen sind nicht mehr nur genuin psychologischer Natur, sondern eng verwandt mit sprachphilosophischen und alten erkenntnistheoretischen Fragestellungen in der Philosophie. Sind sie aber auch mit ihnen zu identifizieren? Können wir, mit unseren semantischen Antworten, wie einige Autoren anzunehmen scheinen, erkenntnistheoretische Probleme lösen? Bilden wir mit unserem Semantikerweib gleichzeitig epistemische Fähigkeiten aus?

10 Und wie ist der Bezug zur Welt bzw. die Repräsentation von Welt angesichts der Tatsache zu erklären, dass er auf der Basis eines biologischen, neurologischen Substrats zu Stande kommt? Kraft welcher neurologischer Bedingungen ist eine Bedeutung eine Repräsentation von etwas? Wie kann darüber hinaus dieselbe neurologische Basis andererseits dafür verantwortlich sein, dass wir Bedeutungen als bedeutsam empfinden? Worin konstituiert sich Bedeutung also in der subjektiven „Erste-Person-Perspektive" eines psychologischen Individuums? Schon diese kleine, unsystematische und unvollständige Auswahl an Fragen der semantischen Grundlagenforschung lässt deren enge Verflechtung mit traditionell unterschiedlichen akademischen Disziplinen deutlich werden und zeigt, dass man eine adäquate Beschreibung des Phänomens Bedeutung nur auf interdisziplinärem Wege gewinnen kann. So sind u.a. linguistische Fragestellungen mit psycholinguistischen, psycholinguistische mit psychologischen, psychologische mit philosophischen und neurologischen Implikationen verbunden und in einem konsistenten Modell mit allen diesen Konsequenzen zu berücksichtigen. Jeder Bestandteil eines solchen Modells hat Auswirkungen auf die Annahmen anderer Bestandteile. Wie aber finden wir einen systematischen und erfolgversprechenden Einstieg in dieses Geflecht miteinander verwandter Problemstellungen, mit dem wir nicht unfreiwillig und ohne es zunächst zu bemerken die Ergebnisse aller unserer weiterer Überlegungen schon determinieren? Ich halte es für den sichereren Weg, vorab nicht allzuviele der in der Literatur bereits ausbuchstabierten, aber bei weitem nicht unumstrittenen Adäquatheitsbedingungen für eine Theorie der Semantik auf Treu und Glauben zu übernehmen. Aufgrund der Fülle der damit verbundenen Implikationen und um die Zahl bloßer Stipulationen gering zu halten, ist es ratsamer, zunächst möglichst nur „konzeptuell absolut notwendige" Bedeutungsaspekte der involvierten Teildisziplinen zu mustern und dort die relevanten und gegebenenfalls empirisch gut gesicherten Erkenntnisse zusammenzutragen. Damit schaffen wir eine erste begriffliche, aber auch empirisch verlässliche Basis, die als Folie für die Diskussion meiner lembarkeitstheoretischen Überlegungen (vgl. Kap. 3) dienen kann. Im Rahmen dieser Überlegungen zum Induktionsproblem im Semantikerweib ergeben sich z.T. weitreichende Konsequenzen, die bei der Formulierung von Grundzügen zu einem Modell der semantischen Kompetenz ausgewertet werden müssen. Erst dann verfügen wir m.E. über die Kapazitäten, die uns in die Lage versetzen, konsistente Entscheidungen im Hinblick auf einige zentrale Modellkomponenten einer Semantik zu treffen und die Puzzle-Teile richtig zusammenzufügen. U.a. folgende wichtige Entscheidungen sind also vorerst noch zu vertagen:1 • Sind Bedeutungen dekomponiert oder handelt es sich um holistische Einheiten? • Handelt es sich gegebenenfalls um notwendige und hinreichende Komponenten von Bedeutung? • Gilt das Kompositionalitätsprinzip? • Existiert eine universale konzeptuelle Repräsentationsebene im Sinne einer Language of Thought? • Existiert eine auch für eine I-Semantik relevante Relation zwischen Sprachausdrücken und außersprachlichen Entitäten?2 1 2

Wir werden später sehen, dass die Fragestellungen z.T. zu modifizieren sind. Mir geht es hier um eine kritische Auseinandersetzung mit dem „Prinzip der modell-theoretischen Interpretation" (Partee 1993:13); Jackendoff (1997:539) billigt eine solche Relation ausschließlich

11 Nähern wir uns dem Begriff der Bedeutung nun also, indem wir zunächst Bedeutungsaspekte identifizieren, die für eine vorwissenschaftliche bzw. vortheoretische Auffassung desselben konstitutiv sind und die in einer wissenschaftlichen Modellierung wiederzufinden sein sollten. Eine systematische Einführung in Grundfragen der beteiligten Disziplinen ist dabei im Rahmen der vorliegenden Arbeit offensichtlich weder möglich noch zuträglich. So werde ich mich auf eine kleine Auswahl von Beobachtungen und Erkenntnissen konzentrieren, die für meine eigenen Vorschläge einer Bedeutungserweibstheorie und den darin integrierten Vorstellungen über Bedeutung wesentlich sind und in späteren Argumentationen meiner Albeit benötigt werden. Besondere Beachtung finden dabei solche Aspekte, die in bisherigen einschlägigen semantischen Arbeiten unglücklicherweise zu wenig berücksichtigt oder m.E. fehlerhaft interpretiert wurden. Als möglichst neutrale Ausgangsbasis bietet sich der Begriff des Konzepts als mentale Kategorie und eine funktionale Charakterisierung desselben besonders an, wobei ich voraussetze, dass sich Bedeutungen und Konzepte miteinander identifizieren lassen - eine Unterstellung, die ich in Löbach (1997) begründet habe.3

2.1.1

Konzepte und Kategorien als elementare Einheiten der Kognition

Konzepte sind mentale Repräsentationen des Gruppierungsprinzips psychologisch realer Kategorien. Als solche integrieren sie eine Menge von Instanzen zu einer Organisationseinheit höherer Ordnung, dJi. in gewisser Hinsicht unterschiedliche Entitäten (Objekte, Aktionen, Relationen, Geräusche, Laute, etc.) werden auf einer jeweils abstrakteren Ebene als „äquivalent" behandelt, z.B. indem dasselbe Wort auf sie angewendet wird. Indem ich auf diese Weise zwischen der mentalen Repräsentation des Gruppierungsprinzips und dessen funktionaler Kapazität unterscheide, ist es mir möglich, die schwierigeren Fragen, wie zB. welche spezifische Form der mentalen Repräsentation das Repräsentierte repräsentiert, dJi. Fragen nach einer Theorie des Gruppierung^r/nzi/w, zurückzustellen4 und die unproblematischere, aber ebenso wesentliche Charakterisierung der Kategorisierungsfunktion von Konzeptualisierungen davon unabhängig vorzunehmen: Rote und grüne Äpfel können als äquivalente Instanzen von [APFEL], Äpfel und Birnen als äquivalente Instanzen von [OBST], Obst und Gemüse als Instanzen von [LEBENSMITTEL], Lebensmittel und Möbelstücke als [DING] behandelt werden. Ebenso können verschiedene Stricktechniken als [STRICKEN], Häkeln und Stricken als [HANDARBEIT], Handarbeiten und Kochen als [PRODUKTIVE MANUELLE TÄTIGKEIT] kategorisiert werden. Verschiedene räumliche Konfigurationen von Objekten werden als [INEINANDER], andere als [ÜBEREINANDER] oder [NEBENEINANDER] identifiziert.

3

4

einer Ε-sprachlichen Semantik zu, was ich zumindest im Hinblick auf den Begriff der Intentionalität bezweifle (s.u.). Dort habe ich die alternative, von Bierwisch (u.a. 1983) konzipierte „Zwei-Stufen-Semantik" einer kritischen Überprüfung unterzogen, wobei theoretische wie empirische Unzulänglichkeiten bei der Modellierung einer solchen eigenständigen semantischen Repräsentationsebene aufgedeckt wurden. Ich werde mich mit dieser Frage, die m.E. zu den zentralen und schwierigsten Problemen in einer kognitiven Semantiktheorie gehört, in Kap. 3 . 2 3 und 4 . 2 3 ausführlicher auseinandersetzen.

12 Während in solchen Fallen verschiedene Entitäten in einer einzigen Kategorie zusammengefasst werden (vgl. Fig.la), existiert auch der umgekehrte Fall, in dem ein und dieselbe Entität verschiedenen Kategorien zugeordnet wird, d.h. auf verschiedene Art und Weise konzeptualisiert wird (vgl. Fig2b): b)

Fig.l.

Kl

K2

Das Verhältnis von konzeptueller Einheit und kategorisierten externen Entitäten kann als

eins-zu-viele- oder viele-zu-eins-Relation beschrieben werden. Die Fälle in a) entsprechen sog. „Zwillings-Fallen"; die Fälle in b) entsprechen sog. „Frege-Fällen" (siehe Text).

Ein Klavier muss nicht notwendigerweise als [MUSIKINSTRUMENT], sondern kann auch als [MÖBELSTÜCK] interpretiert werden, ein Apfel als [ETWAS, DAS EINEM AUF DEN KOPF FALLEN KANN], eine Blume als [DUFTENDER TEIL EINER PFLANZE], als [TISCHDEKORATION] oder als [TRAGBARER GEGENSTAND] (Beispiel von Rickheit 1993:201). Von E kann also nicht eindeutig auf Κ und von Κ nicht eindeutig auf E geschlossen werden. Die genannten Relationen werden in der einschlägigen Literatur in einem etwas anderen Argumentationszusammenhang auch als Frege-Fälle (Frege cases; basiert auf Freges Morgenstern- und Abendstern-Beispiel) bzw. Zwillingsfälle (Twin cases; basiert auf Putnams Zwillingserdenargument, s.u.) diskutiert (vgl. z.B. Fodor 1995:23). Laut Fodor ist die Standardinterpretation solcher Fälle die, dass Frege-Fälle zeigen, dass Referenz Sinn nicht determinieren könne und dass die Putnam-Fälle zeigen, dass Sinn Referenz nicht determinieren könne. Anders als Fodor halte ich diese Fälle allerdings nicht für besonders spektakulär, sondern, wie angedeutet, für den Ausdruck eines essentiellen Charakteristikums von Konzeptualisierung bzw. Kategorisierung. Es ist zwar richtig, dass keine eineindeutigen Beziehungen vorliegen; dies bedeutet m.E. aber nicht, dass Konzepte (bzw. Sinn) für die Determination von Kategorien (bzw. Referenten) unerheblich sind. Offensichtlich liegt es gerade im Wesen eines Konzepts, eine Menge von Entitäten als einheitliche Menge auszuweisen; Kl determiniert El oder E2. Eine spezifische Relation zu identifizieren, ist gerade nicht Aufgabe eines solchen Konzepts, sondern muss durch andere Faktoren erklärt werden. Der umgekehrte Fall, die Tatsache, dass dieselbe Entität auf verschiedene Weise konzeptualisiert werden kann, ist in der Literatur etwas weniger beachtet worden, aber m.E. ebenso wesentlich bei der begrifflichen Fassung des Konzeptbegriffs, da er die Flexibilität und Kreativität der menschlichen Kognition offenlegt. Ich vermute, dass sich hierin ein sehr grundlegender kognitiver Mechanismus manifestiert, der nicht nur individuelle Differenzen bei Konzeptualisierungen ermöglicht, sondern der vielleicht auch für intersprachlich variierende Semantisierungen verantwortlich sein könnte (s.u.). Einige dieser möglichen Konzeptualisierungen einer Entität sind im Langzeitgedächtnis eines mit einer konzeptuellen Struktur ausgestatteten Organismus gut etabliert und daher psychologisch dominanter, andere werden für Ad-hoc-Kategorien im Bedarfsfall kurzfristig generiert - neben z.B. [GIRLS LIKE CYNTHIA] (Beispiel von Levelt 1989), [WAYS TO MAKE FRIENDS], [WAYS TO ESCAPE BEING KILLED BY THE MAFIA], [IS A LIQUID], [CAN FALL ON YOUR HEAD]

(Beispiele sind experimentelle Stimuli von Barsalou 1983). Solche Ad-hoc-Kategorien sind

13 gegenüber den gut etablierten, dominanten Konzepten selten und erfordern Kreuzklassifikationen über schon bestehende Konzepte. Fragen wir uns, warum einige Konzepte im Langzeitgedächtnis besser etabliert sind als andere: Obwohl wahrscheinlich alle logisch möglichen Kategorien (d.h. jede beliebige Kombination von Entitäten) prinzipiell auch psychologisch möglich sind, sind also einige der logisch möglichen Kategorien, wie Ad-hoc-Kategorien, psychologisch selten,5 andere werden zumindest unter natürlichen Bedingungen nicht spontan realisiert; so erweist sich die Konzeptualisierung z.B. der Vorderpfoten eines Kaninchens mit dem dazwischenliegenden Erdreich (Beispiel Quine 1980 (I960)) als äußerst schwierig. Psychologische Kategorisierungen als „Gleichbehandlung von Verschiedenartigem" variieren also, trotz ihrer Flexibilität, nicht vollkommen arbiträr. Wodurch könnten der Flexibilität Grenzen gesetzt sein? Als exogene Faktoren kommen dafür die Gegebenheiten der den Organismus umgebenden natürlichen Umwelt oder soziokulturelle Anforderungen in Frage; die Beschränkungen könnten aber auch endogener Art sein und über die Struktur des kognitiven Apparates Einfluss nehmen oder - und das ist die m.E. plausibelste Möglichkeit - es könnten alle drei Faktoren relevant sein. Im Hinblick auf unsere SpracherweAsfragestellung bedeutet dies, dass auch der Erwerb von Konzepten entsprechend multifaktoriell sein wird. Konzepte könnten sich dann, wie Palermo vermutet, dadurch unterscheiden, dass einige eher biologisch, andere eher kulturell determiniert sind: ,,[C]oncepts are relatively natural and relatively acquired in the sense that some are determined primarily by the biological structure of the organism, others are acquired rather naturally in the cultural milieu, and others are acquired by rational effort devoted to dimension and rules that are less related to the biological nature of the organism." (Palermo 1982:347) Auf jeden Fall ist klar, dass die Beschreibung der Diskrepanzen zwischen dominanten und weniger dominanten Kategorisierungen eine Basis für die Identifizierung des Einflusses solcher Faktoren und evtl. Zusammenhänge zwischen diesen Faktoren bietet. Der Erörterung des relativen Anteils und der Art ihrer Wechselwirkung entsprechen zentrale Diskussionsschwerpunkte innerhalb der Kognitiven Wissenschaft in der Kontroverse zwischen Nativismus vs. Kognitivismus, Rationalismus vs. Empirismus, Modularismus vs. Holismus etc.

2.1.2

Semantische und psycholinguistische Aspekte

Wie können wir die wissenschaftliche Erfassung solcher höchst aufschlussreichen Diskrepanzen systematisch betreiben? Ein spezifisches Mittel ihrer Identifizierung bietet der Zugang über die Analyse von Wortbedeutungen. In Anlehnung an die Definition Bowermans (1993a:357) verstehe ich unter der „Bedeutung" eines Wortes oder eines anderen sprachlichen Ausdrucks zunächst das Konzept, das den Gebrauch des entsprechenden Wortes oder des Ausdrucks

5

Ich meine damit nicht, dass die Generierung von Ad-hoc-Konzepten, sondern nur, dass ein spezifisches dieser Konzepte (per definitionem) selten vorkommt. Wenn solche Konzepte tatsächlich häufiger generiert werden, etablieren sie sich mit der Zeit im Gedächtnis und verlieren damit ihren Status als Ad-hoc-Konzepte, vgl. Barsalou (1983): „Some ad hoc categories may be processed so frequently that their category concepts, concept-to-instance associations, and instance-to-concept associations all become well established in memory. At this point, these categories are no longer ad hoc...".

14 bestimmt.6 Konzepte sind zwar nicht notwendigerweise an Sprache gebunden, gemäß dem Prinzip der semantischen Offenheit natürlicher Sprachen können jedoch alle Konzepte sprachlich erfasst werden. Einige der im LZG gespeicherten Konzepte bilden mit einer arbiträr zugeordneten phonologischen Struktur Simplizia des mentalen Lexikons, andere sind als morphologisch komplexe, usuelle Wörter oder idiomatische Ausdrücke repräsentiert. Im Gegensatz hierzu werden nichtabgespeicherte Ad-hoc-Konzepte gewöhnlich durch komplexe Phrasen, rote Äpfel, girls like Cynthia, ways to make friends, oder okkasionelle Wortbildungen verbalisiert, d.h. die zugeordnete sprachliche Struktur wird mit Hilfe eines syntaktischen Regelsystems bzw. mit Hilfe von Wortbildungsregeln aus dem lexikalischen Grundrepertoire abgeleitet.7 Lexikoneinheiten

6

7

Bowerman nimmt hier allerdings eine eigene semantische Repräsentationsebene an, deren Notwendigkeit m.E. bisher aber nicht überzeugend dargelegt werden konnte. Ich bevorzuge deshalb die einfachere Annahme Jackendoffs (1983), vgl. Löbach (1997). Die Frage nach der Anzahl möglicher lexikalischer Konzepte ist m.E. problematisch. In der Literatur wird häufig eine infinite Menge angenommen (vgl. z.B. Jackendoff (1991:10), Jackendoff (1993:190), Levelt (1989:83)). Levelt begründet diese Annahme mit dem recht knappen Hinweis, dass von jedem existierenden Token-Konzept, z.B. [CYNTHIA], ein Type-Konzept, z.B. [GIRLS LIKE CYNTHIA], abgeleitet werden kann. Vorausgesetzt wird bei dieser Argumentation jedoch entweder, dass die Anzahl der Token-Konzepte infinit ist, oder dass die Ableitungsprinzipien infinit oder rekursiv anwendbar sind. Keine dieser drei Möglichkeiten ist direkt einsichtig. Die Annahme scheint insbesondere dann erklärungsbedürftig, wenn konzeptuelle Strukturen gleichzeitig als Konfigurationen von Elementareinheiten eines endlichen Repertoires verstanden werden (vgl. Jackendoff (1993:190): „... what human nature gives us - are the building blocks from which the infinite variety of possible concepts can be constructed") und wenn das Prinzip dieser Konfiguration pure Kombinatorik sein soll. Jackendoff (1991:40) bietet zwei Argumente für eine infinite Anzahl möglicher lexikalischer Konzepte. Eine finite Anzahl sei erstens deswegen unplausibel, weil neue Namen für neue Typen von Objekten und Ereignissen gebildet werden können und keinerlei Gefahr besteht, dass irgendwann keine Namen für diese neuen Typen von Dingen mehr verfügbar sein könnten. Dies ist nun aber kein relevantes Argument für eine semantische Fragestellung; die Tatsache, dass eine unbegrenzte Anzahl von Namen, also phonologischen Strukturen zur Verfügung steht, impliziert natürlich nicht, dass entsprechend viele Inhalte existieren. Das zweite Argument, welches das oben erwähnte Beispiel Levelts präzisiert, besagt, dass die Menge potentieller kategorieller Konzepte (Type-Konzepte) mindestens so groß sein muss wie die von Individuen (Token-Konzepten) und dass schwer vorstellbar sei, dass wir nur eine begrenzte Anzahl dieser Individuen zu diskriminieren im Stande sein sollten. „It is hard to believe that nature has equipped us with an ability to recognize individual things in the world that is limited to a finite number." (Jackendoff 1991:41) Ich bin hier etwas unsicherer: Wenn man von einer zugegebenermaßen sehr großen, aber dennoch finiten Anzahl von Entitäten in der Welt (bzw. diskriminierbaren Stimuli, s.u.), zumindest zu einem Jetztzeitpunkt und damit von einer finiten Anzahl von Token-Konzepten ausgeht (TokenKonzepte sind per definitionem Repräsentationen von Individuen), kann die Anzahl ihrer Kombinationsmöglichkeiten (Kategorien sind ja nichts anderes als zu einer Klasse zusammengefasste Entitäten) auch nur finit sein. Die Tatsache, dass mit Hilfe des syntaktischen Regelsystems unendlich viele Phrasen generiert werden können, erlaubt m.E. keine Schlussfolgerung auf eine infinite Anzahl möglicher Konzepte. Die formal erzeugten Strukturen sind lediglich Symbolketten, denen selbst keine Bedeutung zukommt. Die Konzepte, die ihnen zugeordnet sind, müssen nicht notwendigerweise alle voneinan-

15 bilden also eine Untermenge konzeptueller Strukturen, wovon Simplizia wiederum eine Teilmenge bilden. Die Gründe für eine solche Strukturierung des Wortschatzes sind offensichtlich nicht sprachlicher Natur. Ein Vergleich der durch moiphologisch nicht-komplexe sprachliche Formen gebundene und damit besonders ausgezeichnete Konzeptklassen mit jenen, die an komplexe Sprachformen gebunden sind und jenen, die sprachlich ungebunden sind, stellt somit ein Werkzeug für eine Systematisierung konzeptueller Strukturen und damit Einblicke in kognitive Kapazitäten bereit. So könnte man nun z.B. fragen, wodurch sich die primären Konzepte, die dem Grundwortschatz einer Sprache zugehören, auszeichnen und inwieweit sich diese im intersprachlichen Vergleich als invariant bzw. flexibel erweisen. Dabei sind die intersprachlich abweichenden Fälle die interessanteren und bei der Rekonstruktion der menschlichen Kognition wertvoller. Mit dieser Auffassung weiche ich allerdings etwas von der gängigen Lehrmeinung zu diesem Sachverhalt ab. Nach Bowerman (1993a) - wie für viele andere Autoren sind Ausschnitte des Lexikons, die relativ häufig in äquivalenter Weise realisiert sind, wahrscheinlich jene, die durch die kognitiven Kapazitäten des Menschen begrenzt sind; die Variationsbreite reflektiert dagegen das Maß an Flexibilität, das innerhalb dieser Grenzen möglich ist. „... cross-linguistic variation suggests a basic flexibility in human cognitive structure (...) whereas similarity suggests strong nonlinguistic conceptual or perceptual constraints on categorization." (Bowerman 1993a:357) Während ich der Einschätzung zur Variation zustimme, schätze ich den Erklärungsgehalt intersprachlicher Ähnlichkeit etwas geringer ein. M.E. stellt er keine besonders verlässliche Quelle dar, da die Übereinstimmungen nicht notwendigerweise durch die genannten endogenen Faktoren bedingt sein müssen, sondern ebensogut dadurch zu Stande kommen können, dass Sprecher verschiedener Muttersprachen in ein und derselben Welt leben und dass die Dinge in dieser Welt mehr oder weniger viele Eigenschaften teilen, d Ji. mehr oder weniger Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese Tatsache, dass die Übereinstimmungen entweder durch den übereinstimmenden kognitiven Apparat oder durch die übereinstimmende Umwelt erklärt werden können, wird m.E. zu sehr vernachlässigt. Setzt man, außer der Prämisse, dass alle Sprecher in derselben Welt leben, voraus, dass die konzeptuellen und perzeptuellen Kapazitäten für alle menschlichen Individuen im Prinzip identisch sind - eine ebenfalls unstrittige Annahme, die ich mit Bowerman teile „I assume that all human beings have the same basic perceptual and cognitive capacities and can in principle recognize the same similarities and differences among ... to-be-categorized referents." (Bowerman 1993a:344), ist dagegen für die beobachtbaren Abweichungen sicher, dass es sich dabei um eine kognitiv bedingte Flexibilität handeln muss. Hier liegt m.E. die wesentliche Aussagekapazität sprachvergleichender Studien. Dagegen hat die Fokussierung auf die Identifizierung der Gemeinsamkeiten und die Schlussfolgerung auf entsprechende kognitive Beschränkungen weitreichende Folgen, die den falschen Weg weisen könnten. So zum Beispiel in der Spracherwerbsforschung, wo eine verwandte Argumentation sehr prominent ist, auf die sich meine Einschränkung aber ebenfalls bezieht. Wie viele andere nativistisch orientierte Autoren in der

der verschieden sein. Die beiden Phrasen rote Äpfel und Äpfel, die rot sind sind sicherlich nicht mit diskreten Konzepten assoziiert, sie bedeuten schlicht das Gleiche.

16 Folge Chomskys, führt sie zJ3. Jackendoff (1994:448), wenn er den Standpunkt vertritt, dass jene Hinsichten, in denen Sprachen einander ähnlich sind, wahrscheinlich angeborenes Wissen reflektieren, während Unterschiede gelernt werden müssen. Ich bin (zumindest, was den Semantikerweib angeht, s.u.) aus den genannten Gründen im Hinblick auf die nativistische Schlussfolgerung anderer Ansicht und möchte kurz die Reichweite der m.E. irreführenden Konsequenzen verdeutlichen, wobei ich gleichzeitig eine zusätzliche Annahme berücksichtigen werde - die semantische Dekompositionshypothese - die zwar logisch unabhängig ist, aber faktisch stets im Verbund mit solchen Erwerbsfragen diskutiert wird und die für meine späteren Ausführungen relevant werden wird. Auch Fodor et al. (1980) betonen die Bedeutung von Simplizia in sprachvergleichenden Studien und bringen sie in Verbindung mit semantisch einfachen Konzepten, d Ji. Primitiva, die selbst wiederum - den Autoren zufolge - angeboren sein müssen. „We've argued that morphemically simple expressions are typically undefined, that undefined expressions typically express primitive concepts; and that primitive concepts must be innate. The presumption that a concept expressed by a morpheme is primitive cannot, however, be right if there are actually languages in which that same concept is expressed by a phrase. For (a) if a concept can be expressed by a phrase, then it is ipso facto definable; and (b) if a concept is in fact primitive (hence innate) for any human, it must surely be primitive (hence innate) for all humans. It would thus be extremely interesting to know how much different languages agree as to which concepts are expressed by morphologically simple expressions." (Fodor et al. 1980:313)

Fodor et al. akzeptieren hier intersprachliche Differenzen bei der Verbalisierung derselben Konzepte durch morphologisch komplexe vs. einfache Ausdrücke als eine empirische Möglichkeit, ihr eigenes Modell eines reichen angeborenen Systems konzeptueller Primitiva, das eine hohe Isomorphic voraussagt, zu falsifizieren. In dem Maße, in dem sich solche Differenzen nachweisen ließen, würde die von den Autoren abgelehnte Konzeption des Erwerbs von Bedeutung durch semantische Dekomposition unterstützt, weil Fodor (seit 1975) Dekomposition als einzige (aber inkohärente und daher abzulehnende) Möglichkeit der „Genese" konzeptueller Strukturen zulässt. Ich möchte auf die entsprechende Kontroverse zur Genese von Konzepten erst später eingehen und hier zunächst nur eine kurze Überlegung zur Aussagekapazität eines solchen intersprachlichen Vergleichs anstellen, um zu zeigen, dass eine Bestätigung der Theorie universaler primitiver Konzepte durch einen solchen Vergleich aus prinzipiellen Gründen nicht möglich ist. Anschließend werde ich an relevante Befunde sprachvergleichender Untersuchungen erinnern, die die Variationsbreite semantischer Kategorisierungen belegen und gleichzeitig deskriptive Schwierigkeiten für derartige dekompositionstheoretische Ansätze verdeutlichen. Um einen wichtigen Aspekt der Aussagekapazität intersprachlicher Vergleiche herauszuarbeiten, müssen wir zunächst überlegen, wie ein solcher Vergleich im Prinzip vonstatten gehen könnte. Um die oben angestrebte Isolation jener kognitiven Kapazitäten zu bewerkstelligen, die universal und grundlegend für intersprachliche Variationsmöglichkeiten über diese Basis sind, müssen Kriterien vorhanden sein, nach denen bestimmt werden kann, wann zwei Konzepte, die intrasprachlich jeweils durch ein Simplex kodiert werden, identisch sind. Zunächst muss dafür ein in einer spezifischen Sprache mit einem Simplex assoziiertes Konzept identifiziert werden; anschließend wird dieses Konzept dann auf Identität mit einem in einer anderen Sprache identifizierten Konzept geprüft.

17 Wie könnte dies im Einzelnen vor sich gehen? Etwas detaillierter betrachtet, könnte dies so gedacht werden, dass zunächst die „Reichweite" eines Ausdrucks einer Sprache anhand einer bestimmten Anzahl von zu klassifizierenden Entitäten ermittelt wird. Das, was in den sich jeweils ergebenden Überschneidungen bei allen Verwendungen des Ausdrucks im Denotat konstant ist, bildet den „kleinsten gemeinsamen Nenner" und ist also in dieser Sprache in einer gewissen Hinsicht primitiv. Der „kleinste gemeinsame Nenner" kann dann hypothetisch als universales Primitiv angenommen werden, das gleichzeitig die „kognitive Basis" in sehr direkter Weise reflektiert. Zur Überprüfung der Hypothese der Universalität des identifizierten „Primitive auf Probe" müsste man dann schauen, inwieweit sich dasselbe „Primitiv" auch in anderen Sprachen nachweisen lässt. Der skizzierte Sachverhalt lässt sich, wie folgt, exemplifizieren. So wird beispielsweise zunächst im Englischen die Reichweite der Präposition in anhand verschiedener räumlicher Konfigurationen von Entitäten überprüft, wobei der „kleinste gemeinsame Nenner" ermittelt und „intuitiv" als „containment"-Relation bezeichnet wird. Dieser wird hypothetisch als primitives Konzept [CONTAINMENT] behandelt, dessen Universalität sich im intersprachlichen Vergleich erweisen soll. Der kritische Punkt an der gerade skizzierten Logik des Vergleichs, auf den ich aufmerksam machen möchte, liegt dort, wo für die Konstante im Denotat eines Ausdrucks ein entsprechendes konzeptuelles Primitiv hypostasiert wird. Entscheidend ist, dass eine solche Gleichsetzung eine pure Annahme bzw. Heuristik ist, die durch die Ergebnisse der Analysen, in denen sie vorkommt, nie bestätigt werden kann, sondern zusätzlicher, unabhängiger Rechtfertigung bedarf. Mit einer solchen Konzeption des intersprachlichen Vergleichs wird die Dekompositionshypot hese, i.e. die Hypothese, dass komplexe Konzepte aus einem Repertoire primitiver Konzepte wie [CONTAINMENT] zusammengesetzt sind,8 vorausgesetzt. Bei dieser Hypothese handelt es sich aber um eine empirische Annahme, die in der einschlägigen Literatur zudem höchst kontrovers diskutiert wird (s.u). Eine „Ontologisierung" der identifizierten „Primitiva" sollte also, solange keine unabhängige Evidenz für deren psychologische Realität beigebracht ist, vermieden werden. Für eine erhöhte Vorsicht sprechen auch eindrucksvolle empirische Beobachtungen: Besonders aufschlussreich sind die von Bowerman (1993a:338ff.) besprochenen Befunde zur intersprachlichen Erfassung räumlicher Beziehungen zwischen Entitäten, von der oft angenommen wurde, dass sie in sehr direkter Weise universale, interkulturell isomorphe Konzepte reflektiert.9 Bowermans Daten zeigen aber, dass die bisher häufig als primitiv unterstellten Konzepte 8

Bierwisch (1970) etablierte den theoretischen Status semantischer Merkmale wie folgt: „It seems natural to assume that these [semantic] components represent categories or principles according to which real and fictious, perceived and imagined situations and objects are stuctured and classified. The semantic features do not represent, however, external physical properties, but rather the psychological conditions according to which human beings process their physical and social environment." „(...) all semantic structures might finally be reduced to components representing the basic dispositions of the cognitive and perceptual structure of the human organism. According to this hypothesis semantic features cannot be different from language to language, but are rather part of the general human capacity for language, forming a universal inventory used in particular ways by individual languages." (Bierwisch 1970:181)

9

Ich beziehe mich zwar im Folgenden auf Bowermans Befunde, interpretiere sie aber z.T. anders.

18 w i e [CONTAINMENT], [SUPPORT] u n d [LOWER THAN IN VERTICAL ALIGNMENT] f ü r Präpositio-

nen wie in / in, on / auf und under / unter respektive schon zur Beschreibung sehr verwandter Sprachen wie Englisch, Deutsch und Niederländisch unzureichend, da zu grobkörnig sind, während sie für das Spanische zu feine Differenzierungen treffen. So werden zJB. dieselben räumlichen Konstellationen, die im Deutschen durch die Präpositionen auf {eine Tasse [AUF] einem Tisch; ein Pflaster [AUF] der Schulter), an {das Bild [AN] der Wand; Blätter [AN] einem Zweig) und um {Serviettenring [UM] eine Serviette) erfasst werden, im Englischen ausnahmslos durch on kodiert. Bowerman (1993a) resümiert: „German is sensitive, in a way that English is not, to whether a relationship of contact between two objects involves a relatively horizontal surface (table, shoulder: auf), a vertical or otherwise nonhorizontal surface or contact point (wall, twig, leg, window: an), or encirclement (napkin: um ...)". (Bowerman 1993a:341)

Dies bedeutet also, dass schon aufgrund dieser noch sehr kleinen Datenbasis des Deutschen der „Kandidat" [SUPPORT] als Primitiv falsifiziert ist und wiederum hypothetisch durch spezifis c h e r e A l t e r n a t i v e n w i e [KONTAKT MIT RELATIV HORIZONTALER OBERFLÄCHE] ersetzt w e r d e n

müsste. Genau diese Konstellation des Denotats ist nun jedoch im Englischen nicht kritisch für die Anwendungsbereiche von on oder die Domäne einer beliebigen anderen topologischen Präposition des Englischen. Da aber, wie Fodor et al. (1980) zu Recht feststellten, ein Konzept, das für irgendeinen Menschen primitiv ist, auch für alle anderen primitiv sein muss, wäre auch dieser Kandidat für ein primitives Konzept disqualifiziert - ein Sprecher des Englischen „hat" dieses „Primitiv" nicht, also kann es auch im Deutschen keines sein. Das Englische verhält sich hier zum Deutschen wie das Spanische zum Englischen. Das Spanische ist indifferent im Hinblick auf das englische on / in -Kontinuum; dieselben räumlichen Konstellationen, die im Englischen als an apple [IN] a bowl bzw. a cup [ON] a table veibalisiert werden, werden im Spanischen durch en kodiert. D.h., jene „Primitiva", die man aufgrund der englischen Distinktionen geme annehmen würde, neben dem eben erwähnten [SUPPORT] auch [CONTAINMENT], sind auch aufgrund der spanischen Daten in Zweifel zu ziehen, da sie hier nicht identifizierbar sind und somit nicht universal sein können. 10 Neben dem oben skizzierten methodischen Vorbehalt ergeben sich also ziemlich schnell auch deskriptive Schwierigkeiten, wenn man von dem bisher zu Grunde gelegten Repertoire primitiver Konzepte ausgeht. Das Konzept [SUPPORT] wird sowohl durch stärker differenzierende als auch durch weniger differenzierende Sprachen sofort als nicht-primitiv erkennbar; gleichzeitig steht es selbst im Widerspruch zu den in diesen Sprachen .primitiven" Kategorien. Die schnelle Falsifikation der in der Literatur bisher als „gute Kandidaten" für Primitiva gehandelten Fälle wie [SUPPORT] und die Tatsache, dass auch deren Ersetzung durch empirisch identifizierte Alternativen ebenso schnell scheitert, stimmen bedenklich. Deutet dies auf eine prinzipielle Unzulänglichkeit des zu Grunde liegenden Ansatzes hin, der den empirischen Gegebenheiten nicht gerecht wird?

10

Ich möchte betonen, dass es mir hier nicht darum geht, die generelle Untauglichkeit von z ü . [SUPPORT] als Beschreibungsmittel semantischer Analysen zu zeigen; ich bestreite nicht einmal, dass es sich um konzeptuell relevante, psychologisch reale Einheiten handelt. Äußerst problematisch ist es m.E. aber, wenn ihnen der theoretische Status universaler, biologisch implementierter, pränatal verfügbarer Konzepte zugesprochen wird.

19 Ein rein formaler Lösungsansatz für das deskriptive Problem, unter dem man die grundsätzliche Annahme universaler Primitiva retten könnte, beruht auf der im Prinzip unbegrenzten Fortsetzbarkeit der Zerlegung und der Annahme eines disjunktiven Formats komplexer Konzepte. So könnte man theoretisch aufgrund der bisher in Betracht gezogenen Sprachen z.B. das im Spanischen mit en assoziierte Konzept zunächst auf der Basis der für das Englische identifizierten Dichotomie als Disjunktion aus [SUPPORT] und' [CONTAINMENT], also [[SUPPORT] ν [CONTAINMENT]], formulieren. Dieses wäre dann weiter zu differenzieren, da das im Englischen mit on assoziierte Konzept auf der Folie deutscher Daten als [[RELATIV HORIZONTALE OBERFLÄCHE] ν [VERTIKALE OBERFLÄCHE] ν [EINKREISUNG]] zu repräsentieren ist. Für en

ergäbe sich also [[[RELATIV

HORIZONTALE OBERFLÄCHE] Ν [VERTIKALE OBERFLÄCHE] V

Etwas allgemeiner gesagt - man könnte die für eine bestimmte zu klassifizierende Domäne sensibelste, dJi. „feinkörnigste" Sprache zu identifizieren versuchen und die entsprechenden Kategorisierungen anderer, weniger differenzierender, Sprachen als Disjunktionen dieser im intersprachlichen Vergleich »primitivsten Primitiva" formulieren. Damit bliebe zwar die grundlegende Hypothese, dass semantische Strukturen auf eine begrenzte Anzahl elementarer Bausteine zu reduzieren sind, unangetastet, es ergeben sich aber in psychologischer Hinsicht untragbare Konsequenzen. Eine solche Lösung ist ohne psychologischen Erklärungswert und somit im Rahmen einer kognitiven Semantiktheorie inakzeptabel, da z.B. die genannten Konzepte [SUPPORT] und [CONTAINMENT] selbst nicht mehr primitiv sind, sondern wieder als Komplexe aus „fremden" Komponenten mit höchst fragwürdigem Status beschrieben würden. Eine Theorie, die psychologisch reale Primitiva annimmt, die gleichzeitig für spezielle Einzelsprachen möglicherweise unsichtbar sind, halte ich z.B. für ausgeschlossen. Die psychologisch universale Realität eines vermeintlichen Primitive ist schon dann eindeutig widerlegt, wenn es in mindestens einer Sprache nicht existiert, dJi. dort also nicht identifizierbar ist. [EINKREISUNG]] Ν [CONTAINMENT]].

Darüber hinaus ergeben sich höchst unplausible bis abstruse Ausbuchstabierungen räumlicher Konzepte, wenn man weniger eng verwandte Sprachen in die Datenbasis miteinbezieht. Bowerman (1993a:341ff.) präsentiert unter Rückgriff auf Brugman (1983) und Lakoff (1987) Daten aus zwei mexikanischen Indianersprachen - dem Mixtekischen und dem Cora - , in denen die Apprehension räumlicher Konfigurationen von Entitäten offensichtlich auf grundlegend anderen Prinzipien beruht. Während die in Fig.2 dargestellten Konfigurationen im Deutschen, Englischen und Spanischen als jeweils einander äquivalent durch auf, on bzw. en erfasst werden, gehören diese im Mixtekischen, das zu deren Enkodierung lexikalische Mittel einer „Körperteil-Metapher" benutzt (vgl. auch Lakoff 1987313ff.), jeweils verschiedenen Kategorien an.

Fig.2. Im Englischen, Deutschen und Spanischen als äquivalent, im Mixtekischen als nicht äquivalent kategorisierte räumliche Konfigurationen nach Bowerman 1993a:342

20 Selbst wenn es sich hier lediglich um die im bisherigen Datenkorpus feinste Klassifikation handelte, wird die Untauglichkeit des Lösungsansatzes sinnfällig. Eine konsequente Beibehaltung der disjunktiven Strategie zwingt dazu, z.B. das im Deutschen mit auf assoziierte K o n z e p t als K o m p l e x a u s [[ANIMAL BACK] V [FACE] V [HEAD] V [ARM]] a u f z u f a s s e n . D i e s ist

nicht nur in der Intuition eines Deutschsprechers purer Unsinn, sondern auch psychologisch und grammatiktheoretisch gesehen untragbar. Das Knockdownargument aber besteht nun darin, dass die Kategorisierungen des Mixtekischen, laut Bowerman (1993a:342), eben definitiv nicht über feinere Differenzierungen zu erklären sind. Die Gesamtanzahl der pro Sprache zur Verfügung stehenden Kategorien räumlicher Relationen scheint nämlich im intersprachlichen Vergleich relativ konstant zu sein. Die unterschiedlichen Kategorisierungen erklären sich stattdessen aufgrund einander überschneidender Kriterien für Ähnlichkeit bzw. Unterschiedlichkeit. So wird z.B. die erwähnte m i x t e k i s c h e U n t e r s c h e i d u n g v o n [ANIMALBACK], [FACE], [HEAD] u n d [ARM] nicht n u r auf d i e

Domäne des deutschen auf, sondern auch auf jene von über angewendet. Andererseits werden die in Fig3 gegebenen räumlichen Beziehungen im Deutschen als voneinander verschieden durch in vs. unter klassifiziert - im Mixtekischen dagegen als äquivalente Fälle der Kategorie [BELLY].

Fig3.

Deutsch und Mixtekisch im Vergleich nach Bowerman 1993a:343

Bowerman (1993a:343) resümiert: „Spatial categorization ... involves classifying referents that are dissimilar in some ways on the basis of properties they share. However, the shared properties on which ... [they] focus - and the dissimilare they choose to disregard - are different."

Als Fazit aus den beschriebenen Beobachtungen ergibt sich m.E., dass die bisher vorgeschlagenen Kategorien der sprachlichen Erfassung räumlicher Relationen zwischen Entitäten nicht auf der Basis eines für alle Sprachen gemeinsamen Repertoires konstituierender Primitiva beschreibbar sind. Die Daten legen eher den Verdacht nahe, dass es sich bei den Elementen der angenommenen Dekomposition um lediglich sprachspezifische Basiskategorien handelt, die zwar in einer bestimmten Sprache, nicht aber universal primitiv sind. Wie gezeigt, existiert [SUPPORT] bzw. [CONTAINMENT] zwar im Englischen, aber nicht im Spanischen, Deutschen und Mixtekischen. Dies würde bedeuten, dass einzelsprachlich zu identifizierende primitive Kategorien lediglich an der sprachlichen Oberfläche primitiv wären, im konzeptuellen System aber nicht notwendigerweise den gleichen Status besitzen müssten. Vielleicht handelt es sich

21 bei der Theorie universaler primitiver Konzepte nicht um die richtige Abstraktionsebene, wenn man Invarianten semantisch-konzeptueller Strukturen sucht.11 Es ergibt sich der dringende Verdacht, dass die Annahme, sprachliche Kategorien bestünden lediglich aus immer neuen Kombinationen des universalen angeborenen Repertoires an konzeptuellen Primitiva, zu einfach ist. Es scheint sich - falls meine vorangegangenen Überlegungen verallgemeinert werden dürfen - bei semantischen Primitiva eher um erworbene Primitiva zu handeln, für die gerade nicht gilt, dass sie aufgrund einer biologischen Verankerung universal sind.12 Die Vorstellung „erworbener Primitiva" ist zwar in der Literatur so gut wie nicht existent, und die meisten Autoren halten sie vermutlich für unbrauchbar, Fodor und Jackendoff erkennen sogar einen Widerspruch in dieser Annahme, da etwas Erlerntes etwas Assembliertes sein müsse und etwas Assembliertes gerade eben nicht primitiv sein könne, m.E. handelt es sich aber nicht um eine contradictio in adjecto; darauf kann ich aber erst weiter unten - dann aber ausführlich - eingehen. Einen kurzen Blick aus einer zusätzlichen Perspektive möchte ich hier noch anschließen; Kommen wir in diesem Zusammenhang noch einmal auf meine eingangs bemühten Beispiele zu mentalen Kategorisierungen zurück und beziehen psycholinguistische Beobachtungen mit ein: In repräsentationaler Hinsicht stellt sich die Frage, ob die Konzepte höherer Ebenen Abstraktionen aus schwächeren Abstraktionen sind oder ob sie stärkere Abstraktionen über die gleiche Basis darstellen. Ist [LEBENSMITTEL] eine relativ schwache Abstraktion aus [OBST] und [GEMÜSE] oder eine relativ starke aus [APFEL], [BIRNE], [ERBSEN], [SPINAT] USW. oder etwa eine über die Ebene, die [ROTER APFEL], [KNALLROTER APFEL], [GRÜNE ÄPFEL], [APFEL MIT GLATTER OBERFÄCHE], [FAULENDER APFEL], [GELBE BIRNE], [BESONDERS LÄNGLICHE BIRNE] USW.

umfasst? Die skizzierte Taxonomie endet ziemlich willkürlich mit der Ebene, die [ROTE etc. umfasst. Welche ist die tatsächliche, psychologisch reale unterste Konzeptebene? Müsste dies nicht unter der oben vorgestellten Dekompositionsannahme die Ebene semantischer Primitiva sein? Ein solcher Ansatz würde die gestellten Fragen also beantworten, indem sie taxonomisch höhere Kategorien als stärkere Abstraktionen, niedrigere Kategorien als schwächere Abstraktionen über dieselbe Basis darstellt.13 Empirisch lässt sich eine solche Ebene allerdings auch in dieser Hinsicht nicht nachweisen; dagegen gibt es aber ÄPFEL], [GRÜNE ÄPFEL]

11

Auf syntaktischer Ebene hat Haider (1993:8) ganz ähnlich argumentiert: „Die Annahme beispielsweise, eine Sprache ohne jegliche Kongruenzmarkierungen müsse ebenso viele AGR-Köpfe enthalten wie irgendeine Sprache mit manifester Evidenz für mehrere solcher Elemente, gleicht der Annahme, jedes beliebige Atom enthalte eine universale Anzahl von Elektronen, von denen je nach chemischem Element einige leer seien. Dies scheint nicht die rechte Abstraktionsebene zu sein, wenn man Invarianten sucht."

12

13

Auch bei intersprachlich nicht universalen Basiskategorien handelt es sich um konzeptuelle Strukturen, die aber durch die Sprachgemeinschaft, in die ein Sprecher hineinwächst, motiviert sein könnten. (Es bleibt kaum eine andere Erklärung übrig, da, wie gesagt, sowohl die Welt als auch die kognitive Ausstattung für alle Sprecher identisch ist). Sie unterscheiden sich von anderen konzeptuellen Strukturen dadurch, dass sie nur erworben werden, wenn sprachlicher Input zur Verfügung steht, während die übrigen konzeptuellen Strukturen auch ohne diesen spezifischen Input ausgebildet werden (Ich werde unten darauf zurückkommen). Sie würde dabei allerdings auf das Konzept der Abstraktion in ihrer Theoriebildung verzichten; es handelt sich aus ihrer Sicht eher um einen dazu gegenläufigen Prozess, nämlich dem Außau komplexer Konzepte auf der Basis der primitiven Bausteine eines universalen Repertoires.

22 Indizien für eine andere elementare Ebene: Die von Rosch identifizierte „Basisebene" der Kategorisierung identifiziert eine mittlere Ebene der Taxonomie, deren Einheiten kognitiv besonders ausgezeichnet zu sein scheinen (vgl. u.a. Rosch 1977,1978, Rosch et al. 1976, Lakoff 1987, Mervis 1980). Die kognitive Priorität äußert sich darin, dass Kategorien dieser Ebene Gestalteigenschaften aufweisen und relativ zu denen anderer Ebenen besser gelernt, wiedererkannt und behalten werden. Für uns ist im vorliegenden Zusammenhang besonders wichtig, dass die Ebene ontogenetisch als erste etabliert wird und dass sie (einer Argumentation von Mervis 1980 zufolge) intersprachliche Variation zulässt, so dass in verschiedenen Kulturen verschiedene Basisebenen für dieselben externen Domänen möglich sind: „In cultures in which trees are important people are likely to pay more attention to specific types of trees and therefore to notice similarities within a type and differences across types. For these people, there will be large clusters of correlated attributes and the highest category cue validities at the birch' level. Different types of trees will be categorized at the Gestalt level. ... Thus, which level in a hierarchy is basic is determined not simply by the objectively available attribute structure of the world but by the subset of that structure that people actually notice." (Mervis 1980:291) In dem Maße, in dem sich die Priorität dieser Basisebene weiter bestätigt, ergibt sich für eine semantisch adäquate Modellierung des Spracherwerbs die Frage, ob im Gegensatz zu Vorstellungen der oben bereits erwähnten Dekompositionstheorie statt eines einzigen Prozesses der Assemblierung von Konzepten nicht zwei Prozesse anzusetzen sind, von denen der eine eine Generalisierung, der andere aber eine Spezialisierung von frühen Konzepten einer Basisebene bewerkstelligt. Ich werde weiter unten - aus unabhängigen Gründen - tatsächlich einen entsprechenden Vorschlag machen.

2.13

Erkenntnistheoretische und psychologische Aspekte

Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zur begrifflichen Fassung der Kategorisierungsfunktion von Konzepten zurück. Meine obige Formulierung, dass Äpfel und Birnen bzw. Obst und Gemüse usw., Entitäten der außersprachlichen Wirklichkeit also, als äquivalent behandelt werden können, bedeutet eine vereinfachte Darstellung des Sachverhalts, die nun etwas präzisiert bzw. wenigstens hinterfragt werden muss. Nach Meinung sehr vieler Autoren handelt es sich auch bei den zu kategorisierenden Entitäten um entsprechende, mental repräsentierte Einheiten; nicht Dinge der Außenwelt werden gegebenenfalls als äquivalent identifiziert, sondern Repräsentationen der Dinge, genauer: Repräsentationen der sinnlichen Eindrücke der Dinge, z.B. #Apfel#, #Birne#, #Obst#, #Gemüse#. Das Verhältnis von mental repräsentiertem Ding und dem Ding in der Welt sei psychologisch, d.h. subjektiv irrelevant, da nicht direkt erfahrbar, sondern ausschließlich indirekt und über einen vermittelnden Wahrnehmungsprozess zugänglich. Psychologisch real und damit relevant sei lediglich das Produkt aus der sinnlichen Rezeption externer Stimuli, die jeweiligen Repräsentationen von Wahrgenommenem, i.e. Perzepte. Eine kognitive Semantiktheorie, die diesen Gegebenheiten explizit Rechnung trägt, stammt von Jackendoff (1983). Ausgehend von Erkenntnissen der Gestaltpsychologie der 20er und 30er Jahre, die Perzepte erstmals als Resultat der Interaktion von Input und mentalen strukturgebenden Organisationsprinzipien erklärten, unterscheidet er eine „reale" Welt, die die Quelle

23 des Inputs bereitstellt, von einer „projizierten", dJi. vom Subjekt erfahrenen Welt. Auch Bierwisch (1983) formuliert hier eine ganz ähnliche Position: „Die naive Auffassung, dass die Realität eine vorgegebene Gliederung in Dinge und Klassen und Sachverhalte aufweist, die wir mit Hilfe unseres Wahrnehmungsapparates lediglich abbilden, erweist sich bei näherem Hinsehen als Irrtum. Die Strukturierung der Umwelt, die Aussonderung von Dingen mit bestimmten Eigenschaften und von Sachverhalten, in die sie eingegliedert werden, ergibt sich erst durch die vom kognitiven Gesamtsystem gesteuerte Auseinandersetzung mit der Umwelt. Um diese Auffassung etwas handhabbarer zu machen, will ich die auf die Umwelt projizierte Struktur das interne Modell nennen." (Bierwisch 1983:50f.) Eine solche Unterscheidung wird gem als direkte Entsprechung zu erkenntnistheoretischen Modellen, insbesondere der Transzendentalen Ästhetik Kants verstanden, „Such a „constructivist" view can be traced back at least to Kant" (Jackendoff 19964:159) welche .Anschauungen", also unmittelbare Vorstellungen von Gegenständen, als durch apriorische Anschauungsformen geordnete „Empfindungen" (i.e. das von den Sinnen gelieferte Rohmaterial) beschreibt, die zwar durch Gegenstände („Dinge an sich") initiiert werden, aber keinerlei Aussagen über die Beschaffenheit eben dieses Gegenstandes erlauben. Da kein Vergleich dieser „Erscheinungen" mit externen Realitäten möglich ist, ist die Frage, inwieweit der Rezeptionsprozess an der Selektion bzw. Modifikation externer Realitäten beteiligt ist, d.h., inwieweit Anschauungen durch die Architektur des Erkenntnisapparates determiniert sind, m.E. in einem erkenntnistheoretischen Paradigma letztlich nicht entscheidbar.14 M.E. ist eine solche Gleichsetzung von psychologischen und erkenntnistheoretischen Theorien nicht ganz gerechtfertigt. Fragen wir uns, inwieweit die Entsprechung tatsächlich reicht. Im Gegensatz zu den erkenntnistheoretischen Sachverhalten sieht die Wahrnehmungspsychologie (ebenso die Wahrnehmungsphysiologie) als Teildisziplin der Kognitiven Wissenschaft in der Verarbeitung externer Stimuli zu internen Repräsentationen ihren zentralen Forschungsgegenstand. Anders als die Kantische Erkenntnistheorie hält sie die Grenze von „Extern" nach „Intern" damit gerade für transparent. Als eine empirische Wissenschaft setzt sie eine real existierende objektive Welt voraus, die der empirischen Erforschung zugänglich ist. Wesentlich ist also, dass sie hiermit, zumindest hypothetisch, eine realistische Position bezieht und sich damit sozusagen auf eine erkenntnistheoretische Position festlegt. Offensichtlich werden also erkenntnistheoretische und psychologische Theorien oder Argumente zu voreilig mitein-

14

Ebenso wenig ist m.E. entscheidbar, ob den Empfindungen tatsächlich Gegenstände entsprechen, die sie auslösen. Eine solche Position ist allerdings eher von Hume (vgl. z.B. Hume (1967 (1777):192f.)), nicht aber von Kant vertreten worden. Russell (1912 (1967):73) sagt sogar über Kant, dass „seine hervorragendste Leistung" darin bestünde, „zahlreiche metaphysische Resultate über die Beschaffenheit der Welt" abzuleiten. Putnam (1982:94) bezeichnet Kant in diesem Sinne als den eigentlichen, aber nicht willentlichen Begründer des neuen Realismus. Indem Kant Raum, Zeit und den Kategorien transzendentale Idealität zuspricht, identifiziert er über eine Art Subtraktionsmethode das Rohmaterial der Empfindungen (Farbe, Härte usw.) dagegen als Eigenschaften des Gegenstands, d.h. er schreibt Letztere dem „Ding an sich" zu. Nach Russell (1912 (1967):76) nimmt er hier jedoch eine „Inkonsequenz bei der Verwendung von „Ursache" in Kauf. Entsprechend argumentiert Störig (19734:98), dass Kants Schlussfolgerung von der Empfindung auf einen diese Empfindung verursachenden Gegenstand die Kategorie der Kausalität inkonsequenterweise über den Bereich der Erscheinungen hinaus anwendet.

24 ander identifiziert. Die von Jackendoff ζ JB. angeführten gestaltpsychologischen Phänomene, wie die Müller-Lyer-Illusion, die das Wirken mentaler Organisationsprinzipien in exemplarischer Weise aufspürbar machen,

a, Fig.4.

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