Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften: Vom Religionsprivileg des Vereinsgesetzes zum Vereinigungsverbot [1 ed.] 9783428514731, 9783428114733

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Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften: Vom Religionsprivileg des Vereinsgesetzes zum Vereinigungsverbot [1 ed.]
 9783428514731, 9783428114733

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KATHRIN GROH

Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften

Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Herausgegeben von Otto Depenheuer • Alexander Hollerbach · Josef Isensee Joseph Listi · Wolfgang Loschelder · Hans Maier · Paul Mikat Stefan Muckel · Wolfgang Rüfner · Christian Starck

Band 44

Selbstschutz der Verfassung gegen Religionsgemeinschaften Vom Religionsprivileg des Vereinsgesetzes zum Vereinigungsverbot

Von Kathrin Groh

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld hat diese Arbeit im Jahre 2002 / 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7247 ISBN 3-428-11473-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 9706 θ

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mutter und meinem Vater

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist im Wintersemester 2002 / 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Bielefeld als Dissertation angenommen worden. Das Manuskript wurde im Februar 2003 abgeschlossen; die Nachweise in den Fußnoten sind für die Drucklegung aktualisiert worden. Mein besonderer Dank geht in erster Linie an die beiden Gutachter meiner Arbeit, Herrn Prof. Dr. Joachim Wieland (Frankfurt) und Herrn Prof. Dr. Christoph Gusy (Bielefeld). Während meiner Tätigkeit an ihren Lehrstühlen haben sie die Entstehung meiner Dissertation stets gefördert und mit ständiger Bereitschaft zum kontroversen Gespräch begleitet. Herrn Prof. Dr. Norbert Simon und Herrn Prof. Dr. Wolfgang Rüfner danke ich dafür, daß sie meine Arbeit in die „Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen" aufgenommen haben. Dank schulde ich ferner meinen Kollegen Dr. Michael Droege und Heiko Bollmeyer, mit denen ich viele lange, intensive und instruktive Diskussionen habe führen dürfen. Mehr als herzlich danken möchte ich auch meinem Freund, Rechtsanwalt Thomas Schmidt, für seine nahezu unerschöpfliche Geduld und seinen stets abrufbaren technischen Sachverstand. Und auch beim Bibliothekspersonal der Universität Bielefeld, das vieles möglich gemacht hat, möchte ich mich bedanken. Die Arbeit wurde vom Bundesministerium des Innern gefördert und von der „Juristischen Gesellschaft OstwestfalenLippe" mit dem Dissertationspreis 2004 ausgezeichnet. Vielen Dank! Bielefeld, im Sommer 2004

Kathrin Groh

Inhaltsübersicht Einleitung

21

§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

30

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen I. Kurze Apologetik der funktionalen Betrachtungsweise

30 30

II. Der Dienst der Religion am Staat: Die Legitimierungsfunktion der Religion

32

III. Der Dienst der Religion am einzelnen: Die Sinnstiftungsfunktion der Religion

42

IV. Das Dilemma

45

B. Staatsraison ist Verfassungsräson I. Ragion di Stato II. Die Selbstbehauptung als Staatszweck

48 49 51

III. Staatszwecke im Verfassungsstaat

56

IV. Die Arten des Verfassungsschutzes

61

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung I. Die „zivilreligiöse" Formel der freiheitlich demokratischen Grundordnung II. Antithetischer Fundamentalismus

64 64 69

§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften: Ein historischer Aufriß - zurück zu den Anfangen?

82

A. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit in Preußen und im Reich ..

83

I. Der Zeitraum des ALR (1794 bis 1850) II. Die Preußische Verfassung von 1850

83 87

III. Die Rechtslage im Deutschen Reich

92

IV. Das Joch der staatlichen Aufsichtsbefugnisse und seine theoretische Fundierung

98

V. Ergebnis

100

10

Inhaltsübersicht Β. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik I. Die staatliche Kirchenaufsicht

100 101

II. Die Schranken der religiösen Assoziationsfreiheit: Die Geltung der Vereinsgesetze 103 C. Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz: Die vereinsrechtliche Gleichstellung

110

I. Das Ende der besonderen Staatsaufsicht: Die Umcodierung des Körperschaftsstatus

110

II. Die Parität in der staatlichen Gefahrenabwehr: Das Vereinsgesetz von 1964 114 § 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit A. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit I. Die Vorfindlichkeit des Religionsbegriffs: Quis interpretabitur? II. Die religiöse Assoziationsfreiheit

118 118 121 127

III. Religionsgemeinschaften als Trägerinnen des Grundrechts aus Art. 4 GG 131 IV. Der Begriff der Religionsgemeinschaft B. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften I. Der Regelungsgehalt des Vereinsgesetzes

137 196 198

II. Das Verhältnis der Schrankenregelung des Art. 9 I I GG zu Art. 4 GG: Das Vereinsverbot als übertragene Schranke der religiösen Vereinigungsfreiheit 208 III. Der Brückenschlag: Die Schranke des Art. 137 III WRV

218

IV. Das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 137 III WRV

230

V. Art. 136 I WRV - Gesetzesvorbehalt der Religions(ausübungs)freiheit oder kollidierendes Verfassungsrecht? 294 VI. Die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts 305 VII. Die freiheitlich demokratische Grundordnung als kollidierendes Verfassungsrecht 317 VIII. Zum Gewaltvorbehalt der Verfassung und dem aktiven, aggressiv kämpferischen „Sich-Richten" gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung 405 IX. Verfassungskonforme Auslegung des Vereinsgesetzes X. Ein Wertungswiderspruch?

437 440

Inhaltsübersicht

11

XI. Zur Praxis des Verfassungsschutzes: Legalität oder Moralität, „Glaubensschnüffelei" und Bewertungsverbot? 443 XII. Die weiteren Verbotsgründe des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG XIII. Zusammenfassung C. Schlußbemerkung: Einfaches Gesetz oder de constitutione ferenda

450 455 456

Thesen der Arbeit

460

Literaturverzeichnis

465

SachWortverzeichnis

529

Inhaltsverzeichnis Einleitung

21

§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

30

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen I. Kurze Apologetik der funktionalen Betrachtungsweise II. Der Dienst der Religion am Staat: Die Legitimierungsfunktion der Religion

30 30 32

1. Ethisch-rechtliche und soziologische Legitimitätsvorstellungen

32

2. Institutionelle Verbindung von Staat und Religion

34

3. Partnerschaftliche und Staat

36

Kooperation zwischen Religionsgemeinschaften

a) Legitimitätsbeschaffung in der Gesellschaft

37

b) Die Rollenzuschreibung an die Religionsgemeinschaften (und an andere gesellschaftliche Verbände)

38

c) Veränderte Vorzeichen

41

III. Der Dienst der Religion am einzelnen: Die Sinnstiftungsfunktion der Religion

42

IV. Das Dilemma

45

B. Staatsraison ist Verfassungsräson I. Ragion di Stato II. Die Selbstbehauptung als Staatszweck

48 49 51

III. Staatszwecke im Verfassungsstaat

56

IV. Die Arten des Verfassungsschutzes

61

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung I. Die „zivilreligiöse" Formel der freiheitlich demokratischen Grundordnung II. Antithetischer Fundamentalismus

64 64 69

1. Totalitärer, fundamentalistischer und extremistischer Hubbardismus ..

70

2. Feindbild Islam

74

3. Die Theorien des gesellschaftlichen Fundamentalismus

76

4. Zusammenfassung

81

14

Inhaltsverzeichnis

§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften: Ein historischer Aufriß - zurück zu den Anfängen?

82

A. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit in Preußen und im Reich ..

83

I. Der Zeitraum des ALR (1794 bis 1850) II. Die Preußische Verfassung von 1850

83 87

1. Die Gemeinsamkeiten religiöser und politischer Vereinigungen

89

2. Ergebnis

91

III. Die Rechtslage im Deutschen Reich 1. Die Reichsverfassung von 1871

92 92

2. Die Gesellschaft Jesu im Kulturkampf

93

3. Das Reichsvereinsgesetz von 1908

95

4. Ergebnis

97

IV. Das Joch der staatlichen Aufsichtsbefugnisse und seine theoretische Fundierung V. Ergebnis B. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik I. Die staatliche Kirchenaufsicht II. Die Schranken der religiösen Assoziationsfreiheit: Die Geltung der Vereinsgesetze

98 100 100 101 103

1. Der Schutz der Republik gegen Vereinigungen

106

2. Der besondere strafrechtliche Schutz der Republik

108

3. Ergebnis

110

C. Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz: Die vereinsrechtliche Gleichstellung

110

I. Das Ende der besonderen Staatsaufsicht: Die Umcodierung des Körperschaftsstatus

110

II. Die Parität in der staatlichen Gefahrenabwehr: Das Vereinsgesetz von 1964 114 1. Das Gleichbehandlungsgebot

114

2. Ergebnis

117

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit A. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit I. Die Vorfindlichkeit des Religionsbegriffs: Quis interpretabitur? II. Die religiöse Assoziationsfreiheit

118 118 121 127

III. Religionsgemeinschaften als Trägerinnen des Grundrechts aus Art. 4 GG 131

Inhaltsverzeichnis IV. Der Begriff der Religionsgemeinschaft

137

1. Die Akzessorietät von Religion und Religionsgemeinschaft 2. Ist Scientology eine Religionsgemeinschaft?:

139

Die Plausibilitäts-

prüfung

142

a) Der geistige Gehalt der Glaubenslehren

142

aa) Mitgliedermotivation 142 bb) Das scientologische Sinnsystem: Religion oder Weltanschauung? 145 cc) Ist die Unterscheidung zwischen Religion und Weltanschauung relevant? 149 b) Das äußere Erscheinungsbild der Religionsgemeinschaft

151

aa) Dauerhafter Zusammenschluß mehrerer natürlicher Personen 152 bb) Der gemeinsam gelebte Glaube

153

cc) Der konsentierte Glaube

154

dd) Ergebnis

156

3. Immanente Begrenzungstendenzen im Schutzbereich der Religionsfreiheit 156 a) Wirtschaftliche Betätigung der Religionsgemeinschaften

158

aa) Der Idealverein als ideale Vereinsform

159

bb) Die verfassungsrechtlichen Abgrenzungstheorien

162

(1) Die Schwerpunkttheorie

164

(2) Alles nur eine Frage der Auslagerung?

165

(3) Die Theorie der Zentralität des religiösen Bekenntnisses 167 (4) Die Vorwandtheorie

168

(5) Die Probe aufs Exempel: Scientology - Wirtschaftskonzern oder Religionsgemeinschaft?

170

b) Politische Betätigung der Religionsgemeinschaften aa) Der Öffentlichkeitsanspruch der Religionsgemeinschaften ...

173 176

bb) Die „Politikadäquanz"

181

cc) Ergebnis

185

c) Die Verfassungskonformität der religiösen Freiheitsbetätigung

185

aa) Grundrechtsimmanente Schranken

186

bb) Der Grundrechtsmißbrauch

188

cc) Kritische Diskussion

189

dd) Ergebnis

195

4. Zusammenfassung

196

Inhaltsverzeichnis Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften I. Der Regelungsgehalt des Vereinsgesetzes 1. Das Vereinsgesetz als Konkretisierung des Art. 9 II GG

196 198 198

2. Entschließungs- und Auswahlermessen: Vereins- oder Betätigungsverbot? 201 II. Das Verhältnis der Schrankenregelung des Art. 9 II GG zu Art. 4 GG: Das Vereinsverbot als übertragene Schranke der religiösen Vereinigungsfreiheit 208 1. Schrankenleihe

209

2. Ein Fall der Grundrechtskonkurrenz?

211

3. Analoge Anwendung?

216

4. Ergebnis

218

III. Der Brückenschlag: Die Schranke des Art. 137 III WRV

218

1. Die Stellung des Art. 137 III WRV im Grundgesetz

219

2. Der Begriff der „für alle geltenden Gesetze"

220

a) Die Heckeische Formel und ihre subordinationsrechtliche Antagonistin 221 b) Die Gleichsetzung der „für alle geltenden" mit den „allgemeinen" Gesetzen 223 aa) Die Bereichslehre

224

bb) Die Abwägungslehre

225

cc) Das Vereinsverbot (Art. 9 II GG i.V.m. § 3 VereinsG) als ein für alle geltendes Gesetz? 228 dd) Zwischenfrage IV. Das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 137 III WRV

230 230

1. Das Vereinsverbot am Scheitelpunkt von individueller, kollektiver, korporativer und institutioneller Religionsfreiheit 232 a) Das religionsverfassungsrechtliche Quartett: individuelle, kollektive, korporative und institutionelle Religionsfreiheit 232 b) Die Auflösung der Vereinigung und die Sicherungsfolgen des Verbots 237 aa) Der Eingriff in die korporative und der Durchgriff der Auflösung auf die individuelle Religionsfreiheit 240 bb) Das unmittelbare Ausgreifen der Sicherungsfolgen auf die individuelle Religionsfreiheit: Das Recht auf religiösen „Begleitschutz" 241

Inhaltsverzeichnis cc) Die Beeinträchtigung der kollektiven Ausübung der Religionsfreiheit durch Versammlungsverbote 244 (1) Die Versammlungsverbote

244

(2) Die Konkurrenz zwischen Versammlungs- und Religionsfreiheit 247 (3) Private Versammlungen in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel 250 dd) Perpetuierende Nebenfolgen für die korporative Religionsfreiheit c) Ergebnis

252 254

2. Braucht die Religion eine Organisation? Oder: „Unus Christianus Nullus Christianus" 255 a) Religionssoziologische Theorien

257

b) „Extra ecclesiam nulla salus"

263

c) Verfassungs- und ideengeschichtliche Untermauerung der Religionssoziologie 267 d) Ergebnis

272

3. Ein möglicher Ausweg: Kassation nur der Rechtsform?

275

a) Die „kleine Verbotslösung" nach dem Vereinsgesetz

275

aa) Die verfassungsrechtliche Garantie der rechtlichen Existenz 276 bb) Vereinigungsbegriff und Zweck des Vereinsgesetzes

278

b) Die „kleine Verbotslösung" nach bürgerlichem Recht

279

c) Ergebnis

280

4. Die Reichweite der Schrankenregelung des Art. 137 III WRV: Existenz· oder Selbstverwaltungsschranke? 280 a) Das selbständige „Ordnen" und „Verwalten" der eigenen Angelegenheiten: Die Binnenorganisation der Religionsgemeinschaften .. 284 b) „Magna Charta" und „lex regia" des Staatskirchenrechts

288

aa) Materiell eigenständige Freiheitsgewährleistung

289

bb) Auslagerung mit eigenständigem Gesetzesvorbehalt

291

c) Ergebnis 5. Zusammenfassung

292 293

V. Art. 136 I WRV - Gesetzesvorbehalt der Religions(ausübungs)freiheit oder kollidierendes Verfassungsrecht? 294

2 Groh

1. Die Entstehungsgeschichte

296

2. Das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 1361 WRV

299

Inhaltsverzeichnis 3. Wortlaut, Telos und Systematik des Art. 1361 WRV

301

4. Ergebnis

305

VI. Die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts 305 1. Die verfassungsimmanenten Schranken des Art. 4 GG: Kollidierendes Verfassungsrecht 306 2. Das Erfordernis eines einfachen Gesetzes

308

3. Strenge Akzessorietät des Vereinsgesetzes zu Art. 9 I, I I GG: Ist das Vereinsgesetz eine taugliche Ermächtigungsgrundlage zur Einschränkung der Religionsfreiheit? 311 4. Die Verbietbarkeit der Kirchen und anderen „Religionskörperschaften" des öffentlichen Rechts a) Der Körperschaftsstatus als formales Verbotshindernis

312 313

b) Verfassungsrechtliche Bestandsgarantie für altinkorporierte Religionsgemeinschaften? 314 c) Zweistufigkeit des Verbotsverfahrens: Feststellungswirkung des Verleihungsaktes? 315 5. Ergebnis VII. Die freiheitlich demokratische Grundordnung als kollidierendes Verfassungsrecht

317 317

1. Inhalt und Form / Ziele und Mittel der „Verfassungsstörung"

317

2. Zur Terminologie des Bundesverfassungsgerichts

319

3. Die freiheitlich demokratische Grundordnung, einer der (obersten) Grundwerte der Verfassung 320 a) Die Grund(werte)ordnung und der Grundkonsens

321

aa) Das Grundgesetz als Wertordnung

321

bb) Konsens und gesellschaftlicher Grundkonsens

327

(1) Prozessualer und ordnungspolitischer Konsens

327

(2) Kritische Würdigung der Konsenstheorien

332

(3) Ergebnis

337

cc) Die freiheitlich demokratische Ordnung als Grundkonsens in der Verfassung? 337 dd) Ergebnis

343

b) Der Mehrwert des Wertbegriffs und dessen Ersetzung durch das „Prinzip" 343 aa) Zur Funktion des Wertbegriffs

343

Inhaltsverzeichnis bb) Zur Einheit der Verfassung

19 345

(1) Vornehmstes Prinzip der Verfassungsinterpretation oder simple Auslegungsmethode neben anderen? 347 (2) Präventives Verfassungsschutzrecht als Ausnahmeregelung des Grundgesetzes 352 (3) Ergebnis cc) Die Ablösung des Wertes durch das Prinzip c) Ergebnis 4. Der Verfassungsvorbehalt der Streitbarkeit a) Die drei Phasen der Streitbarkeit

355 355 356 357 358

b) Bonn ist nicht Weimar: Die streitbare Demokratie - eine Lehre aus Weimar? 361 c) Die streitbare Demokratie - ein „zeitbezogener Irrtum"?

371

d) Die streitbare Demokratie - Sammelbezeichnung oder Verfassungsprinzip?

376

e) Ergebnis

390

5. Der „einfache" Verfassungsvorbehält der freiheitlich demokratischen Grundordnung 391 a) Die Schranken anderer Freiheitsrechte und die Ewigkeitsklausel ..

393

b) Die Kompetenznormen

396

c) Ergebnis

401

6. Der Vorbehalt der „Demokratie"

401

7. Zusammenfassung

404

VIII. Zum Gewaltvorbehalt der Verfassung und dem aktiven, aggressiv kämpferischen „Sich-Richten" gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung 405 1. Das Gewaltverbot des Grundgesetzes

406

a) Das Gewaltmonopol: Der Staat als Alleininhaber faktischer oder legitimer Gewaltausübung? 407 b) Verfassungsrechtliche Verankerung des Gewaltmonopols

410

c) Die Friedenspflicht des einzelnen als grundrechtsimmanente oder verfassungsimmanente Schranke? 418 d) Zum Inhalt des Gewaltverbots

425

2. Die aktive, aggressiv kämpferische Haltung oder das aktive, aggressiv kämpferische Verhalten der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft .. 427 3. Ergebnis IX. Verfassungskonforme Auslegung des Vereinsgesetzes 2*

436 437

20

Inhaltsverzeichnis X. Ein Wertungswiderspruch?

440

XI. Zur Praxis des Verfassungsschutzes: Legalität oder Moralität, „Glaubensschnüffelei" und Bewertungsverbot? 443 XII. Die weiteren Verbotsgründe des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 VereinsG

450

1. Volkerverständigung und völkerrechtliche Friedenspflicht als Ausdruck kollidierenden Verfassungsrechts? 450 2. Die Schranken der Strafgesetze XIII. Zusammenfassung C. Schlußbemerkung: Einfaches Gesetz oder de constitutione ferenda

453 455 456

Thesen der Arbeit

460

Literaturverzeichnis

465

Sachwortverzeichnis

529

„Die Religionen müssen alle tolerirt werden und muß der Fiscal nur darauf das Auge haben, dass keiner der anderen Abbruch tue; denn hier muß ein jeder nach seiner Facon selich werden." (Friedrich der Große, 1740)1

Einleitung Die Welt wird nach dem 11. September 2001 nie wieder so ein, wie sie einmal war. Seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center in New York ist dies ein resignatives und oft zu hörendes Fazit. In der Tat scheint die Welt in mehrere Teilwelten zerfallen zu sein und immer weiter auseinanderzurücken. Die Fronten erhärten sich. A u f der einen Seite steht das Abendland, seine westliche Kultur und seine westlichen Werte. A u f der anderen Seite stehen das Morgenland und der Islam. Den Westen treiben zum wiederholten Male die alten Fragen um: Wie gefährlich ist der Islam? Sind die Grundlagen der westlichen Demokratien durch den islamischen Fundamentalismus bedroht? Wann mutiert der „religiöse Islam" zum „politischen Islam", wann zum islamistischen Terror? Oder ist all das gleichzusetzen 2 ? Nicht auf alle diese Fragen soll versucht werden, eine Antwort zu finden. I m Vordergrund steht vielmehr das Thema des religiösen Fundamentalismus und seines Wirkens auf die Fundamente des demokratisch verfaßten Staates. Dem Phänomen des religiösen Fundamentalismus lassen sich dabei nicht nur islami(sti)sche Religionsgemeinschaften 3 zuordnen; sondern auch andere, üblicherweise als „neue 1

Quelle: www.preussen.org/page/zeit_45.html. Dazu ein Interview Hans-Ulrich Wehlers mit der Tageszeitung (taz) vom 10. September 2002 mit dem Titel „Muslime sind nicht integrierbar". Für Wehler steht der Islam für einen „militanten Monotheismus, der seine Herkunft aus der Welt kriegerischer arabischer Nomadenstämme nicht verleugnen kann". 2

3 Aufgrund der besonderen Struktur des Islam bestehen für die Muslime theologische und praktische Schwierigkeiten mit dem Begriff der Religionsgemeinschaft. Anstelle von Religionsgemeinschaften gliedert sich der Islam eher in verschiedene Schulen. Trotzdem soll der Begriff der Religionsgemeinschaft durchgehend auch für moslemische Glaubensgemeinschaften benutzt werden. Ein Ordnungsprinzip, wie es der Gemeindebildung der christlichen Kirchen zugrunde liegt, ist dem Islam aber grundsätzlich fremd, vgl. A. Albrecht, in: Essener Gespräche 20 (1986), S. 82 (95 ff.). Die Moslems sind auf unterer Ebene zumeist in Moscheevereinen organisiert. Insbesondere fehlt es nach islamischem Selbstverständnis aber an Religionsinstanzen, die legitimiert sind, für den Islam oder seine „konfessionellen" Zweige verbindlich zu sprechen. Diese Schwierigkeit hat sich vor allem in der Frage der Erteilung schulischen Religionsunterrichts ausgewirkt, die eine Religionsgemeinschaft als zuverlässigen Ansprechpartner für die Schulbehörde voraussetzt, vgl. A. Hollerbach, in: HStR VI, § 139 Rn. 6; C. Langenfeld, AöR 123 (1998), S. 375 (401 ff.); H.-M. Pawlowski, ZevKR 46 (2001), S. 376 (378); F.: Fechner, NVwZ 1999, S. 735 (736 f.); OVG Berlin NVwZ 1999, S. 786 (787 f.), das einem islamischen Verein den Status einer Religionsgemeinschaft zuerkennt. Ablehnend, weil ein verläßlicher Ansprechpartner fehle, vgl. VG Düsseldorf NVwZ-RR 2000, S. 789 (791 ff.); so auch W. Rüfner, NWVB1. 2001, S. 426; dagegen L. Renck, NWVB1.2001, S. 425 f.

22

Einleitung

Jugendreligionen" bezeichnete Gemeinschaften wie zum Beispiel die Scientology Organisation fallen unter diesen Begriff. Die gesellschaftliche Realität der Bundesrepublik Deutschland wird durch ein buntes Durcheinander an Pluralismus, Multikulturalität und Multireligiosität gekennzeichnet. Es werden die unterschiedlichsten - religösen - Wahrheitsansprüche in die Öffentlichkeit getragen. Nicht jeder dieser Wahrheitsansprüche ist mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Staates kompatibel. Einige besonders extremistisch erscheinende Lehren wirken sogar bedrohlich. Sind sie dies aber auch tatsächlich? Wie kann der Staat sich gegen diese religiöse Bedrohung zur Wehr setzen? Darf er das überhaupt tun und wenn ja, was ist der zulässige Rahmen, welches das zulässige Instrumentarium? Wann überschreiten Religionsgemeinschaften die Grenze des legitimen Grundrechtsgebrauchs? Liegt eine Grenzüberschreitung schon in der Verbreitung antidemokratischen Gedankengutes, oder wo sonst zieht das Grundgesetz die Eingriffsschwelle für die staatliche Gefahrenabwehr gegen die Religionsfreiheit? Dürfen alle religiösen Weltsichten am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen oder einige besonders krasse bereits als Glaubenslehren selbst unterdrückt werden? „Vom demomokratischen Standpunkt aus", so schreibt Arnold Brecht, „muß man hoffen, daß der Tag kommen wird, an dem auch die Anhänger ( . . . ) absoluter Bekenntnisse ( . . . ) sich im Staats- und Gemeinschaftsleben demokratischen Prinzipien der Toleranz unterwerfen. Die historische Erfahrung, daß die Anhänger selbst der intolerantesten religiösen Ansichten schließlich politisch demokratisiert werden konnten", zeige, so fährt Brecht fort, „daß das nicht bloß eine romantische Spekulation zu sein braucht" 4. Sekten, Kulte und „kulturfremde" Religionen üben in diesen scheinbar unsicheren und von religiös motivierter Gewalt scheinbar durchdrungenen Zeiten eine praktische integrative Funktion aus, indem sie sich als gemeinsame Feinde geben. Ihnen wird die Rolle als gefährliche „Neinsager" zu allen Werten wie beispielsweise denen des Friedens und der Freiheit, welche neben anderen die westliche Gesellschaft ausmachen, zugeschrieben. Gegen sie kann die Allgemeinheit sich sammeln und sich der gemeinsamen Glaubensinhalte und Normen versichern 5. Damit erhält die These Günter Dürigs: „Nicht Differenzen vernichten das Gemeinsame; es tötet nur die Indifferenz" 6, einen neuen Sinn. Diese „moral panics", wie das Phänomen in der Soziologie bezeichnet wird, gibt es natürlich nicht ohne Grund 7. Vielleicht ist die Welt tatsächlich bedrohlicher und bedrohter zugleich geworden. Zumindest der Grad an „gefühlter" Bedrohung durch universalistische und gewaltbereit erscheinende Religionen hat spürbar zugenommen. Dennoch wird 4 A. Brecht, Politische Theorie, S. 408. 5

G.W Allport, Die Natur des Vorurteils, S. 52 ff., 55: „Feindseligkeit gegen Fremdgruppen hilft, unser Zugehörigkeitsgefühl zu bestärken ( . . . )". 6 G. Dürig, in: Summum ius summa iniuria, S. 80 (81). 7

sim).

M. Introvigne,

in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren I, S. 78 (82 u. pas-

Einleitung

vor einem zeitgeistbedingten und überhasteten Gesetzesaktivismus, der das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit einseitig auflöst, auch gewarnt 8. Um in die Religionsfreiheit einzugreifen, bedarf es wohlabgewogener Maßnahmen, damit die Fundamente, auf denen die Demokratie aufruht, bei dem Versuch ihrer Verteidigung keinen Schaden nehmen. Gerade im Hinblick auf Religionsgemeinschaften geht es deshalb auch darum, zwischen Realität und Rhetorik, expressio und actio, wirklichem Gefahrenpotential und verbaler Bedrohung zu unterscheiden9. Der Grad, auf dem der Gesetzgeber und andere Verfassungsinterpreten dabei zu wandern haben, ist zugegebenermaßen schmal und kantig; steht doch auf der einen Seite der Bestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung in Frage und schlägt doch auf der anderen Seite die Religionsfreiheit als eines der integralen Elemente demokratischer Freiheit zu Buche. Beide gilt es gleichermaßen zu schützen. Die Abwehrmaßnahmen gegen Religionsgemeinschaften, über deren Ergreifung diskutiert wurde, sind zahlreich. Schon früh wurde die Forderung erhoben, ein „Anti-Sekten-Gesetz" zu erlassen 10. Auf der Eingriffsskala eine Stufe niedriger wurde vorgeschlagen, zunächst einmal zentrale „Religionskontrollbehörden" als „Glaubens-TÜV" 11 zum Beispiel bei den Kultusministern der Länder einzurichten, die dann Positivlisten für alle Religionsgemeinschaften führen sollen 12 . „Scheinreligiöse Subkulturen" sollen überwacht und gegebenenfalls als verfassungswidrig etikettiert werden. Eine Qualitätsprüfung der Religionsgemeinschaften, so dieser Vorschlag, sei geboten. Naturgemäß hätten die etablierten Religionsgemeinschaften diese Prüfung im Gegensatz zu „den anderen" nicht zu fürchten. Dieser Vorschlag wurde in entschärfter Form auch von der Enquête-Kommission des Bundestages mit der Bezeichnung „Sogenannte Sekten und Psychogruppen" aufgegriffen 13 . Das Bundesverwaltungsamt, so lautet deren Vorschlag, solle gesetzlich unter der Firma: Dokumentationsstelle für „neue religiöse und ideologische Gemeinschaften und Psychogruppen" als Datensammel- und Auskunftstelle über neue religiöse Bewegungen eingerichtet und ausgestattet werden 14.

s E. Denninger, KritJ 2002, S. 467 (468 ff.); W. Sofsky, in: Hoffmann / Schoeller (Hrsg.), Wendepunkt 11. September 2001, S. 27 (33 f.); W. Hassemer, in: Vorgänge 3/2002, S. 10 ff.; J. Seifert, in: Vorgänge 3/2002, S. 16 ff.; H. Franti Verdächtig, S. 11: In einem „maßlosen Staat" gibt es vielleicht mehr Sicherheit, dafür aber immer weniger Freiheit. Auch bereits T. Oppermann, VVDStRL (1975), S. 23: „permissiver Zeitgeist". 9 J. Isensee, Das Parlament, 1976, S. 17: „Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben des Rechtsstaats, die Wölfe im Schafspelz des Grundgesetzes zu erkennen und sich nicht an den Schafen im Wolfspelz des Verbalradikalismus zu vergreifen". 10 W. Schatzschneider, BayVBl. 1985, S. 321 (327); T. Gerste, Die Zeit v. 4. 9. 1981, S. 55. 11 H. Apel, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren I, S. 270 (276 ff.); J. Neumann, in: ebda., S. 228 ff.: Wenn Juristen „Schutzengel" spielten, sei die Religionsfreiheit in Gefahr. 12 K. Obermayer, ZevKR 27 (1982), S. 253; A. v. Campenhausen, DVB1. 1980, S. 578 (579) und ZevKR 25 (1980), S. 135 (167); R. Scholz, NVwZ 1992, S. 1152 (1154). 13 Eingesetzt durch Beschluß des Bundestages v. 9. 5. 1996, BT-Drs. 13/4477.

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Im Zentrum der gesetzgeberischen Bemühungen um ein adäquates Mittel, die freiheitlich demokratische Grundordnung und den einzelnen gegen ihre Bedrohung durch islami(sti)sche Religionsgemeinschaften und „neue Jugendreligionen4' zu verteidigen, steht aber das Verbot von Religionsgemeinschaften. Bislang war es aufgrund des sogenannten Religionsprivilegs des Vereinsgesetzes (§ 2 II Nr. 3 VereinsG a.F.) ausgeschlossen gewesen, per Auflösungsverfügung gegen diese vorzugehen. Die allgemeinen Vorschriften des Vereinsgesetzes hatten Religionsgemeinschaften von dem Anwendungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen. Während noch zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode kolportiert wurde, um der „gefährlichen" Religionsgemeinschaften Herr zu werden, sei eine Änderung des Vereinsgesetzes nicht vorgesehen15, hatte sich der Bundesinnenminister Otto Schily aber bereits zur Mitte des Jahres 2001 hin dazu entschlossen, auf eine „tour d'églises" zu gehen, um die christlichen Großkirchen von seinem Vorhaben, nämlich der Streichung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz, zu überzeugen16. Nach den Anschlägen auf die Türme des World Trade Centers, die seither als Metapher die gesamte westliche Welt (und ihre Verwundbarkeit) symbolisieren, beschlossen Bundestag und Bundesrat auf Initiative der Bundesregierung 17 im Rahmen eines ersten Sicherheitspaketes zur Terrorbekämpfung, das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes ersatzlos zu streichen 18. Bereits vier Tage, nachdem diese im Eilverfahren verhandelte Gesetzesänderung am 8. 12. 2001 in Kraft getreten war 19 , wurde die als „Kalifatstaat" (Hilafet Devleti) bekannte islami(sti)sche Vereinigung des Kalifen von Köln, Metin Kaplan, verboten. Das Bundesverwaltungsgericht, das am 27. November 2002 über die Rechtmäßigkeit der Verbots Verfügung entschied20, hat diese, in der Sache sicherlich richtig, gehalten. Verfassungsdogmati-

14 BT-Drs. 13/10950, S. 151; A. v. Campenhausen, ZevKR 44 (1999), S. 105 (132); sehr kritisch M. Kriele, ZRP 1998, S. 231 ff.; ders., ZRP 1998, S. 349 ff. Beanstandet wird insbesondere die unüberbrückbare Distanz zwischen der gleichermaßen festgestellten Ungefährlichkeit dieser Gruppen für die Psyche des einzelnen und den Vorschlägen zur Gefahrenabwehr. Auch in Frankreich war ein solcher Vorschlag gemacht worden: Assemblée Nationale, Rn. 2468 Paris 1995 „Les sectes en france", und von der dortigen Wissenschaft verworfen worden, vgl. H. Willms, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren I, S. 211 (223). 15 BT-Drs. 14/4541, S. 7. 16 O. Schily, Der Spiegel 19/2001, S. 17. 17 BT-Drs. 14/7026; BT-Drs. 14/7354. is Zur Beurteilung der beiden „Anti-Terror-Pakete", vgl. M. Nolte, DVB1. 2002, S. 573 ff., der die ersatzlose Streichung des Religionsprivilegs (1. Anti-Terror-Paket) ohne weitere Überprüfung für begrüßenswert und verfassungsrechtlich unbedenklich hält (S. 574, 578). Das 2. Anti-Terror-Paket (v. 14. 12. 2001, BGBl. I S. 361-395) dagegen sei verfassungsrechtlich bedenklich. Hier werde Sicherheit zu rechtsstaatlichen Höchstpreisen erkauft, die man in Ruhe hätte noch einmal überprüfen müssen (S. 578). Kritisch auch B. Krause, in: FS Forndran, S. 229 ff. ι 9 BGBl. I S. 3319; kritisch zu derartigen Eilverfahren und Gesetzespaketen, vgl. A. Büro, in: Vorgänge 3/2002, S. 82 ff.; E. Denninger, StV 2002, S. 96; W. Hoffmann-Riem, ZRP 2002, S. 497 (498). 20 BVerwG DVB1. 2003, S. 873 ff.

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sehe Unklarheiten zum Verhältnis von Art. 4 GG, Art. 9 I I GG und Art. 137 III WRV hat das Gericht dagegen mit einem überaus fragwürdigen Analogieschluß, der die Anwendbarkeit der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 14 VereinsG für das Verbot von Ausländervereinen auch auf deutsche Religionsgemeinschaften befürwortet, sollte § 3 VereinsG als Eingriffsgrundlage ausscheiden müssen, überspielt. Das Bundesverfassungsgericht wiederum hat die Urteilsverfassungsbeschwerde des Kalifatstaats wegen mangelnder verfassungsrechtlicher Bedeutung nicht zur Entscheidung angenommen21 - ein Beschluß, der sich neben vielen ungeklärten Fragen zur grundrechtlichen Dogmatik (ζ. B. ob die weitergehenden Verbotstatbestände des § 14 VereinsG für Ausländervereine mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 3 III GG vereinbar sind) und zur verfassungsrechtlichen Stellung von Religionsgemeinschaften nicht zuletzt auch deswegen anzweifeln läßt, weil mit der Änderung des Vereinsgesetzes eine lange Tradition des Staatskirchenrechts, nämlich diejenige, Religionsgemeinschaften vereinsverbotsfest zu stellen, zu Ende geht und von nun an tiefgehende Eingriffe in die Religionsfreiheit erlaubt sein sollen. Über das Verbot weiterer Religionsgemeinschaften wie das der „Islamischen Gemeinschaft Milli Görus" (IGMG) und das der „Scientology Church" wird seit geraumer Zeit nachgedacht22. Bereits im Jahre 1971 hatte das Bundesverwaltungsgericht über das von einigen Bundesländern23 ausgesprochene Verbot gegen den „Bund für Gotterkenntnis (HL) e.V." zu befinden. Jene Gemeinschaft, die sich im Jahre 1951 neu gegründet hat, vertritt mit der Adaption der ariosophischen Lehren Mathilde Ludendorffs (1877 — 1966) neben antisemitischem Gedankengut ein rassisch eingefärbtes, sozialdarwinistisches Menschenbild24. Die Verbots- und Auflösungsverfügungen der verschiedenen Bundesländer stützten sich daher im wesentlichen auf den Verbotsgrund der verfassungsfeindlichen Äußerungen und Bestrebungen des Bundes für Gotterkenntnis. Da weder die Behörden noch die Tatsachengerichte aber den Umfang verfassungsfeindlicher Betätigung ausreichend ermittelt und in Relation zu dem Umfang an verfassungsrechtlich unbedenklicher „Weltanschauung" der Gemeinschaft gesetzt hätten, hob das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichtshofs in München auf und verwies die Sache an die Vorinstanz zurück 25 . Die Verbots verfahren gegen den Bund für Gotterkenntnis verliefen daraufhin im Sande.

21 BVerfG, 1 BvR 536/03 vom 2. 10. 2003. 22 Zur IGMG, vgl. Innenministerium NRW, Quelle: http://www.im.nrw.de/sch/37.htm; zur Scientology Church, vgl. Plenarprotokoll des nordrhein-westfälischen Landtags 12/14, Sitzung v. 29. 11. 1995, S. 817 ff. 23 OVG Bremen v. 15. 5. 1964 - II A 381/62, a BA 6/64; BayOVG BayVBl. 1965, S. 170 ff.; HessVGH DÖV 1961, S. 831 ff. 24 F. Schnoor, Mathilde Ludendorff und das Christentum, passim; femer BayOVG BayVBl. 1965, S. 170 (172 f.). 25 BVerwGE 37, 345 (360 f., 368).

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Während die wissenschaftliche Resonanz auf diesen eher mißlungenen Schachzug staatlicher Religionspolitik im Inland begrenzt blieb, wird seither das deutsche „anti-cult-movement" aus anderen Ländern argwöhnisch beäugt. Seine staatliche Einbindung unterscheidet es wesentlich von den privat getragenen Maßnahmen gegen Religionsgemeinschaften vor allem des englischsprachigen Auslands26. Als Erklärungsmodelle des deutschen Sonderwegs27 im Umgang mit kleineren, neueren oder „kulturfremden" Religionsgemeinschaften werden dort vor allem zwei Argumente ins Feld geführt: ein „verfassungspsychologisches" und ein verfassungsrechtliches. Der staatliche Umgang mit kleineren Religionsgemeinschaften und Sekten stelle, so wird behauptet, einen nachgeschobenen Wiedergutmachungsversuch früherer (vermeintlicher) Unterlassungen dar 28 . Er fuße ferner auf der „hinkenden Trennung" 29 oder auch der freundlichen Nähe 30 von Staat und Kirche unter dem Grundgesetz, die eine staatlich getragene Religionspolitik erlaube. Das abwehrrechtliche Verhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat in Vergangenheit und Gegenwart soll Thema dieser Arbeit sein. Wie reagierten der absolute und der konstitutionelle Staat auf Religionsgemeinschaften, die durch ihre Glaubenslehren seine Fundamente in Frage stellten? Auf welches Abwehrinstrumentarium darf sich der demokratisch verfaßte und pluralistische Staat der Gegenwart bei gleicher Sachlage stützen? Der Begriff des Pluralismus fehlt in kaum einer gesellschafts- oder staatstheoretischen Arbeit der Gegenwart. Pluralismus selbst ist allerdings kein verfassungsrechtlicher Begriff, sondern ein verfassungstheoretisches Konzept, dessen Normativität im faktischen Pluralismus einer differenzierten Gesellschaft wurzelt. Den Begriff des Pluralismus kennzeichnet deshalb ein doppelter Aspekt. Zum einen wird er soziologisch als Strukturfrage der Gesellschaft behandelt: Sein empirischer Inhalt ist derjenige der Gliederung der Gesellschaft in unterschiedliche Gruppen und Gruppierungen mit unterschiedlichen Interessen. Zum anderen versinnbildlicht er die Schwierigkeit, das staatliche Prinzip der Einheit mit dem der gesellschaftlichen Vielfalt abzugleichen 31 . In letzterem Sinne 26 Hierzu und zum folgenden I. Hexham /K. Poewe, Nova Religio 1999, Vol. 2 No. 2, S. 208 ff.; Κ. Gratta, in: Hermann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 82 (96). 27 Zu den von privat getragenen Aktionen des Auslands, vgl. K. Gratta, in: Herrmann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 82 (96). 28 B. Sauzay, Die rätselhaften Deutschen, S. 244: „Eine Form von Bewältigung der Vergangenheit liegt auch darin, daß man sie ständig zur Deutung der Gegenwart heranzieht und vorgibt, sie lebe in der Bundesrepublik wieder auf, um so wenigstens im Nachhinein die rettende Geste des Widerstandes vollziehen zu können". 29 U. Stutz, Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. Nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata, Abh. der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Jhg. 1925, Phil.-Hist. Klasse, Nr., 1926, S. 54 F Anm. 2; A. Hotterbach, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 121 (130): Die Gegensätze von Einheit und Trennung pendeln sich in einem System des Ausgleichs ein. Auch W. Leisner, in: FS Heckel, S. 385 (386 ff.): „Trennung von Kirche und Staat - eine demokratische Unvollziehbarkeit". 30 M. Brenner, VVDStRL 59 (2000), S. 264 (275 ff.).

31 W. Bauer, Wertrelativismus, S. 62 f.

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steht er als Synonym für die kollektive Wahrheitsunfähigkeit einer Mehrzahl an vertretenen Interessen und Ideen, die durch ihre jeweiligen Gegensätze (Feindbilder) erst ins rechte Licht gerückt werden 32. Wie aber gehen Staat und Gesellschaft mit diesen Ideen um, wenn es hart auf hart kommt? Was sagt die Verfassung? Die Probe aufs Exempel soll am Beispiel des tradierten Staatskirchenrechts des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemacht werden 33. In einem ersten Schritt soll dabei aufgezeigt werden, warum die Religionen seiner Bürger und Einwohner sowie deren Religionsgemeinschaften für den religiös neutralen Staat zu einem gefahrenrechtlich anzugehenden Problem werden können. Sodann wird der rechtliche Rahmen (Staatsraison oder Verfassungsräson) vermessen, innerhalb dessen der Staat gegen Religionsgemeinschaften, die sich mit seinen Fundamenten in Widerspruch setzen, vorgehen darf: Es ist dies, soviel darf vorweggenommen werden, die Verfassung, die den Staat zu ihrem Schutz ermächtigt. Hieran schließt sich ein historischer Überblick über den rechtlichen Zugriff des absoluten und des konstitutionellen Staates auf diejenigen Religionsgemeinschaften, welche sich nicht ohne weiteres in seine Koordinatensysteme einpaßten. Dabei soll der Frage nachgegangen werden, wie und warum staatstragende wie die christlichen Hauptreligionen zumindest vordergründig bessergestellt waren als die Religionsgemeinschaften von „Dissentern". Die Bearbeitung dieses Themas rechtfertigt sich nicht zuletzt unter dem Aspekt, daß die Beantwortung der Gretchenfrage: „Nun sag, wie hast du's mit der Religion?" Rückschlüsse auf den Grad des grundrechtlichen Freiheitsgebrauchs, der in einem Staat verwirklicht ist, nahelegt. Am Beispiel des Kulturkampfes des konstitutionellen Staates mit der katholischen Kirche und den Mitteln (insbesondere dem Verbot der Gesellschaft Jesu), die dieser Staat einsetzte, um den Kampf für sich zu entscheiden, soll die Problematik angedeutet werden, daß der Staat des Grundgesetzes, wenn er mißliebige Religionsgemeinschaften verbietet, im vermeintlichen „Kampf der Kulturen", der auf seinem Boden ausgetragen zu werden scheint, möglicherweise seinen verfassungsrechtlich noch näher zu beleuchtenden Wächterposten verläßt, um Partei zu ergreifen. Schließlich soll anhand der Weimarer Republik aufgerissen werden, warum trotz weitestgehender verfassungsrechtlicher Gleichstellung von privatrechtlich organisierten und öffentlich-rechtlich verfaßten Religionsgemeinschaften ein einfachgesetzliches Ungleichgewicht im gefahrenrechtlichen Umgang nach dem öffentlichen Vereinsrecht zwischen diesen Vereinigungen herrschte. Dieser Ausflug in die Geschichte mündet in der Feststellung, daß das Vereinsgesetz von 1964, das sowohl die öffentlich-rechtlichen Körperschaften als auch die privatrechtlichen Religionsgemeinschaften gleichermaßen von seinem Verbotstatbestand ausnahm, einen folgerichtigen, aber nur vorläufigen Schlußpunkt unter die be32 M. Morlok, Selbstverständnis, S. 298 ff. 33 So führte bereits P. Häberle, DÖV 1976, S. 73 (73 f.), aus, daß am Staatskirchenrecht grundsätzlich die Grundfragen vom freiheitlich demokratischen Gemeinwesen „durchgespielt" würden: „Die ,Sache Staatskirchenrecht' zwingt in besonderer Weise dazu, die Hand am Puls der verfassungsrechtlichen Entwicklung zu halten".

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wegte Geschichte des abwehrrechtlichen Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften setzte. Sodann wendet sich die Arbeit den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Religionsfreiheit, insbesondere der religiösen Assoziationsfreiheit, zu. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit wird abgesteckt, wobei im Mittelpunkt die Beantwortung der Frage steht, welche Merkmale eine Vereinigung von Verfassungs wegen erfüllen muß, damit sie sich unter den Begriff der von Art. 4 GG geschützten Religionsgemeinschaft subsumieren läßt. Da seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lumpensammler-Fall 34 eine stetige Entgrenzung der Religionsfreiheit beklagt wird, lassen sich zunehmend Tendenzen in Lehre und Rechtsprechung ausmachen, die eine klare Abgrenzung grundrechtlich geschützter Religionsgemeinschaften von pseudo-religiösen Vereinigungen mit anderweitigen, aber verdeckten Zielsetzungen fordern. Anhand einer Analyse der Scientology Organisation soll dabei aufgezeigt werden, unter welchen Bedingungen ihre wirtschaftliche Betätigung einer Vereinigung den Charakter einer Religionsgemeinschaft nimmt; anhand einer typologisierenden „Draufsicht" insbesondere auf den Islam soll dagegen verdeutlicht werden, wann die politische Instrumentalisierung einer Religion in die Aberkennung des Status einer Religionsgemeinschaft umschlägt. Am Ende dieses Kapitels stehen Ausführungen zu den sogenannten grundrechtsimmanenten Schranken der religiösen Freiheitsbetätigung: der Verfassungskonformität religiösen Freiheitsgebrauchs. Haben Religionsgemeinschaften diese Schutzbereichshürden genommen, unterliegen sie den Schranken des Grundrechts der Religionsfreiheit. Art. 4 GG ist ein verbaliter vorbehaltlos gewährleistetes Freiheitsrecht. Deshalb wird weiter geprüft, ob das Vereinsgesetz und sein Verbotstatbestand - nach ersatzloser Streichung der Ausnahmeregelung für Religionsgemeinschaften - als Konkretisierung der Schrankenregelung des Art. 9 II GG mit der Religionsfreiheit zusammengebracht werden können. Hier ist also das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 9 I, II GG zu klären. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt dabei auf der Anwendbarkeit der Schrankenregelung des Art. 137 III WRV als Brückennorm vor allem auf die korporative Religionsfreiheit. In einem ersten Schritt werden - statt der üblichen drei - vier Dimensionen der Religionsfreiheit unterschieden: die individuelle, die kollektive, die korporative und die institutionelle. Um den Umfang des Eingriffs eines Vereinsverbotes und seiner rechtlichen Nebenfolgen in diese Dimensionen des Grundrechts auf Religionsfreiheit auszuloten, wird sodann von den Rechtsfolgen des Vereinsverbotes her argumentiert. Es soll insbesondere aufgezeigt werden, daß sich der Eingriff durch ein Verbot nicht auf die korporative und die institutionelle Dimension der Religionsfreiheit beschränkt. Hieran schließt die grundsätzliche Frage, wieviel Organisation eine Religion braucht, um zu überdauern. Die Bearbeitung dieser Fragestellung mit Hilfe religionssoziologischer Theorien soll noch einmal verdeutlichen, daß mit dem Verbot einer Religionsgemeinschaft nicht allein die organisatorischen 34 BVerfGE 24, 236.

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Strukturen der betreffenden Religionen, sondern - ein Stück weit - auch diese selbst betroffen werden. Nach einem Streifzug durch die alternativen Vorschläge des staatskirchenrechtlichen Schrifttums zu einem umfassenden Verbot einer Religionsgemeinschaft, das dieses Problem sehr wohl zur Kenntnis nimmt, soll ein Schlaglicht auf die Reichweite der Schrankenregelung des Art. 137 III WRV geworfen werden. Dabei steht zur Debatte, ob die weitreichenden Konsequenzen des Verbots einer Religionsgemeinschaft für die Religionsfreiheit durch diese Schrankenregelung abgedeckt sind. In diesem Abschnitt wird vor allem die Frage aufgeworfen, inwieweit Art. 137 III WRV allein die institutionelle Seite der Religionsfreiheit, die Selbstverwaltungsgarantie der Religionsgemeinschaften, betrifft oder auch den grundsätzlich durch Art. 4 GG geschützten Bestand einer Religionsgemeinschaft kassieren will. In einem letzten Schritt in diesem Kapitel wird geprüft, ob das Vereinsgesetz als einfachgesetzliche Schranke der Religionsfreiheit über Art. 1361 WRV anwendbar ist. Damit ist die Arbeit bei ihrem letzten Kapitel, nämlich der Frage, ob der Verbotstatbestand des Vereinsgesetzes als Ausdruck der Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts auf Art. 4 GG angewandt werden kann, angelangt. Gegenstand dieses Kapitels ist die Untersuchung, ob sich in den einzelnen Tatbestandsmerkmalen des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG und derjenigen Auslegung, welche sie in Lehre und Rechtsprechung gefunden haben, kollidierendes Verfassungsrecht materialisiert. Dabei steht das Tatbestandsmerkmal der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Vordergrund. Dieser Abschnitt umfaßt eine kritische Auseinandersetzung mit der Wertordnungsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts, dem Erfordernis eines materialen Grundkonsenses in der Gesellschaft, den die Theorie des Neopluralismus postuliert, sowie der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts und eines Großteils der Lehre zur Streitbarkeit der Verfassung. Er mündet in einer Stellungnahme zu der immer wieder aktuellen Frage, ob die Verfassung in umfassender Weise die Verfolgung bestimmter Ziele oder nur den Einsatz bestimmter Mittel zur Verfolgung dieser Ziele verbietet. Aus dem in letzter Zeit „ins Gerede" 35 gekommenen Gewaltmonopol des Staates soll dann versucht werden, äußerste Grenzen des Grundrechtsgebrauchs abzuleiten, deren Überschreitung das Verbot einer Religionsgemeinschaft ausnahmslos rechtfertigt. Ein Abgleich zwischen der höchstrichterlichen Konkretisierung des vereinsgesetzlichen Tatbestandsmerkmals des „Sich-Richtens" gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und den verfassungsrechtlichen äußeren und äußersten Grenzen, die das Grundgesetz dem Gebrauch der Religionsfreiheit zieht, führt zu der Frage, ob die vereinsrechtliche Ermächtigungsgrundlage verfassungskonform ausgelegt werden kann oder ob es angezeigt ist, eine gesetzliche Grundlage für das Verbot von Religionsgemeinschaften neu zu schaffen, äußerstenfalls gar die Verfassung zu ändern.

35 H. J. Faller, in: FS Geiger, S. 3.

§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen Die Diskussion über die sogenannten „neuen Jugendreligionen", über islamistische Religionsgemeinschaften und damit über das zunehmende Aufkommen an Glaubensgesellschaften, die zum Teil eine äußerste Distanz zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes hegen, hat die Sensibilität des Staates gegenüber den religiösen Vereinigungen geschärft. Die Zuordnung dieser Gemeinschaften zu den Phänomenen des „religiösen" Fundamentalismus wiederum hat den Boden bereitet für die Diskussion über die Aufhebung des sogenannten Religionsprivilegs des Vereinsgesetzes. Gegen Religionsgemeinschaften, die insbesondere die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes ablehnten, sich gegen die Völkerverständigung richteten oder deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen, müsse die wehrhafte Seite der Religionsfreiheit mobilisiert werden. Inwieweit darf der Staat aber in gesellschaftliche, insbesondere in religiöse Freiheiten eingreifen, um sich selbst zu schützen?

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen Um in die Problemstellung dieses Themenkomplexes einzuführen, wird zunächst die Frage nach denjenigen Diensten aufgeworfen, welche die Religionen auf der einen Seite am Staat zu leisten vermögen und auf der anderen Seite dem einzelnen gegenüber erfüllen können. Diese Fragestellung impliziert eine funktionale Betrachtungsweise von Religion. Diese funktionale Betrachtungsweise rechtfertigt sich vor allem vor dem Hintergrund, daß im folgenden verfassungstheoretische wie verfassungsrechtliche Erörterungen zum Verhältnis von Staat und Religion sowie zum Verhältnis von Staat und religiöser Dimension der Gesellschaft angestellt werden.

I. Kurze Apologetik der funktionalen Betrachtungsweise Funktionale Theorien sind entwickelt worden, um Handlungsabläufe in fremden Kulturen aus der Perspektive Außenstehender interpretieren zu können. Sie eröffneten die Möglichkeit, diese Abläufe zu begreifen, ohne daß der Beobachter selbst Teil dieser Kultur werden oder sie in ihrer Substanz vollständig begreifen mußte. Unter der Prämisse, daß der freiheitliche Verfassungsstaat mit seinen säkularen Be-

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

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grifflichkeiten das Wesen der Religion als solches nicht durchdringen kann, gleichwohl aber mit ihr umgehen muß, bietet sich die funktionale Betrachtung von Religion an, um einige ihrer Wirkweisen von den Strukturen und den Wirkgesetzlichkeiten des Gemeinwesens sowie den Bedürfnissen des einzelnen her zu erfassen. Gegen die funktionale Betrachtung von Religion ist aber Kritik laut geworden. Diese Kritik kulminiert in der These, daß mit der Frage nach ihrer Funktion die Religion selbst in Frage gestellt werde 1. Sie erhellt daraus, daß dem Funktionsbegriff das Mitdenken funktionaler Äquivalente immanent ist 2 . Eine Reduktion auf ihre Funktion führe, so die Kritiker, nicht zuletzt deshalb zur Relativierung des Absoluten in der Religion. Die Relativierung des Absoluten wiederum führe zur Destruktion ihres Wesens und damit von Religion selbst. Diese Kritik wäre sicherlich zutreffend, wenn behauptet würde, das Wesen der Religion erschöpfe sich in ihrer Funktion. Weder der Eigenwert noch das eigene Wesen von Religion, die ihr insbesondere aus einer Innenperspektive zukommen, sollen aber mit der funktionalen Betrachtung in Frage gestellt werden. Religion ist keine Funktion, sie erfüllt nur auch bestimmte Funktionen. In diesem Sinne sollen hier auch nur einzelne Aspekte von Religion, nämlich ihre für die hier aufgeworfene Fragestellung wesentlichen Funktionen dargestellt werden. Der Streit um die Zulässigkeit funktionaler Betrachtung von Religion ist hier daher so paradox wie „ein Streit zwischen Innen- und Außenarchitektem ( . . . ) , ob ein Haus nur Fassade oder nur Zimmer sei" 3 . Funktionale Theorien befassen sich grundsätzlich mit der Bestandserhaltung eines Systems4. Im Sinne der vorliegenden Untersuchung fragen sie also danach, was Religion für das zu betrachtende System zu leisten vermag. Der Systembegriff der funktionalen Betrachtung selbst kann sich hierbei auf so unterschiedliche Systeme wie das der Gesamtgesellschaft erstrecken oder sich auf den einzelnen als komplexes psycho-soziales System konzentrieren. Über die Bestandserhaltungsthese betont die funktionale Theorie vor allem die integrative Seite von Religion: Religion fungiere als Stützpfeiler sozialer Systeme5. Sie sei sowohl ein Phänomen, das mithelfen könne, den Staat zu legitimieren, liefere aber auch Strategien, mit denen der einzelne Kontingenzkrisen bewältigen könne. Betrachtet die Religionssoziologie also die Funktion der Religion für den einzelnen, überschneidet sie sich deshalb zum Teil mit den Fragestellungen, die die Religionspsychologie an die Religion heranträgt 6. Auch diese Disziplin soll daher im folgenden nicht außer acht bleiben. 1 R. Spaemann, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 9 (17 ff.). 2 N. Luhmann, AöR 94 (1969), S. 1 (9). 3 W. Ch. Zimmerli, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 54. 4 N. Luhmann, AöR 94 1969, S. 1 (8). 5

T. Luckmann, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 26. K.-F. Daiber, Art. Religionssoziologie, in: EvStL II, Sp. 2974 (2975); zu den einzelnen Zweigen der Religionswissenschaften, vgl. H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 35 ff. 6

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

II. Der Dienst der Religion am Staat: Die Legitimierungsfunktion der Religion Die freiheitlich demokratische Grundordnung beherbergt als eine „unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft ( . . . ) rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes"7 die obersten Grundwerte und Strukturprinzipien des Grundgesetzes. Die Bedeutung der freiheitlich demokratischen Grundordnung gipfelt in der Kernthese, daß das Grundgesetz selbst durch sie legitimiert werde. Mit der religiös motivierten Infragestellung ihrer Grundwerte und Strukturprinzipien wird also die Verfassung und mit dieser wiederum die Legitimität des Staates selbst in Zweifel gezogen. Ein Konflikt zwischen den Werten, die eine Religion vermittelt, und den „Werten" der staatskonstituierenden Verfassung wiegt deshalb schwer. Die Schärfe des Konflikts liegt nicht zuletzt in der Rolle begründet, welche der zunächst allein von den christlichen Kirchen verkörperten Religion hinsichtlich der Legitimierung staatlicher Herrschaft auch nach dem Aufbrechen des ontologischen Kosmos noch zugeschrieben wird.

1. Ethisch-rechtliche und soziologische Legitimitätsvorstellungen Legitimität hinterfragt entweder als normativ bestimmter Begriff den rechtmäßigen Anspruch des Staates auf Anerkennung und Beachtung seiner selbst8, oder sie beschreibt als empirisches Konzept den Grund seiner tatsächlichen Akzeptanz. Heute steht die Legitimität staatlicher Herrschaft vor allem am Ende eines stetigen, erfolgreichen Legitimationsprozesses9. Letzterer konstituiert sich insbesondere aus all denjenigen rechtlich eingebundenen Verfahren, die darauf abzielen, den Staat an den Volks willen rückzubinden 10. Sowohl in soziologischer als auch in juristisch-ethischer Perspektive ist unter der Legitimität der staatlichen Ordnung aber auch deren außerrechtlicher Geltungsanspruch zu verstehen. Als umfassender Sammelbegriff umfaßt die Legitimität daher alle Leitprinzipien, soziologischen und psychologischen Grundlagen, welche die politische Ordnung im Innersten zusammenhalten und staatliche Herrschaftsgewalt rechtfertigen 11.

7 BVerfGE 2, 1 (12); 5, 85 (140). 8

W. Hennis, in: Kielmannsegg (Hrsg.), Legitimationsprobleme, S. 9 (12); T. Würtenberger, JuS 1986, S. 344 f. 9 C. Gusy, Legitimität, S. 63; J. Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung, S. 75; R. Mehring, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, S. I l l ; K. Wolf, Art. Legalität, Legitimität, in: EvStL, Sp. 1989 (1990 f.). 10 Bereits M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 19 f.; O. Brunner, in: ders., Neue Wege, S. 64 (65 ff.). 11 T. Würtenberger, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, S. 21 (23).

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

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Der ethisch-rechtliche Ansatz verweist hierbei zur Letztbegründung staatlicher Herrschaft auf deren ideengeschichtlichen Hintergrund und damit auf Faktoren, die im wesentlichen außerhalb der staatlichen Herrschaft selbst liegen. Er leitet die Rechtfertigung des Staates insbesondere auch aus der jeweiligen Verbindlichkeit sittlicher und damit gleichfalls theologischer Wertvorstellungen ab 12 : Wenn auch in geringerem Maße, prägen selbst heute noch die religiösen Überzeugungen der Bürger ihre wesentlichen Wertvorstellungen und damit auch die Grundlagen der Rechts- und Staatsordnung selbst13. Die juristisch-ethische Antwort auf die Frage nach der ΒilligungsWürdigkeit des Staates wird ergänzt durch soziologische Theorien zur tatsächlichen Anerkennung staatlicher Herrschaft 14. Letztere stellen diejenigen Motive in den Vordergrund, aus welchen heraus die staatliche Ordnung von der Rechtsgemeinschaft faktisch akzeptiert wird. In die Typologisierung derartiger Motivationsmuster fließen überwiegend auch religiöse oder religions verwandte Kategorien 15 ein: so insbesondere bei Max Weber Dieser unterteilte den Glauben an die Legitimität der Herrschaft in drei Kategorien. Den drei reinen Typen der Herrschaft unterfallen die traditionale und die charismatische Herrschaft kraft Glaubens an die Heiligkeit oder Berufung eines Herrschers und seine Gnadengaben sowie die Herrschaft kraft Glaubens an die Legitimität von Satzungen selbst16. Die Wirkmächtigkeit des Glaubens an den Staat hatte auch bereits Baruch Spinoza dahin zusammengefaßt, daß eine dauerhaft gelungene Ausübung von Herrschaft die Macht über die Herzen der Menschen voraussetze. Der französische Enzyklopädist Paul Heinrich Dieter Holbach spitzte das innige Verhältnis von Religion und Staat dagegen auf die kritische Aussage zu, daß „die Religion die Kunst" sei, „die Menschen durch Schwärmerei trunken zu machen, um sie daran zu hindern, sich mit den Übeln zu befassen, mit denen ihre Herrscher sie hinieden plagen" 17 .

•2 H. Hofmann, Art. Legalität, Legitimität, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), HWdPh, Bd. 5, Sp. 162 ff.; W. v. Simson, in: FS Löwenstein, S. 459 (460 ff.); T. Würtenberger, Art. Legitimität, Legalität, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe III, S. 677 (709); R. Zippelius, Staatslehre, S. 111. 13 E.-W. Böckenförde, Der Staat 21 (1982), S. 481 (500 ff.); B. Rüthers, Rechtsordnung und Weitordnung, S. 46. 14

T. Würtenberger, Legitimität staatlicher Herrschaft, S. 14 ff. E. Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, S. 27 f., 558 ff., 573 ff.; C. Starck, JuS 1993, S. 889 ff. m. w. N. 16 M. Weber, Politik als Beruf, S. 9 f.; M. Weber, in: ders., Staatssoziologie, S. 99 ff.; ders., Wirtschaft und Gesellschaft, S. 19 f.; E.-W. Böckenförde, in: Taubes (Hrsg.), Der Fürst dieser Welt, S. 16(17 f.), der den Glauben an die Legitimität bei Weber in den Vordergrund stellt. J. Winckelmann, DVB1. 1955, S. 577; C. J. Friedrichs, PVS (1960), S. 119 (126), der die religiöse Legitimation neben der juristisch-philosophischen, der traditionalen und der Legitimation durch Erfolg nennt, und R Graf Kielmannsegg, PVS (1971), S. 367 (368 ff.). 15

17

3 Groh

Zitiert nach H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 24.

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Religion diente und dient insgesamt aber nicht nur als Mittel vertikaler, sondern auch als Mittel horizontaler Integration des Staates. In den je vorherrschenden religiösen Weltanschauungen findet nämlich nicht allein die staatliche Ordnung Platz. Religiöse Lehren halten zugleich handlungsbestimmende Leitmotive für den einzelnen vor. Das Bild von der vorgefundenen und gesollten Welt, das eine Religion malt, ermöglicht(e) es so, Menschen zu größeren Organisationseinheiten zusammenzuführen 18.

2. Institutionelle Verbindung von Staat und Religion Der Staat wurde zunächst ausschließlich in einen metaphysischen Zusammenhang gestellt. Irdische Herrschaft wurde auf göttlichen Ursprung zurückgeführt 19. Die Welt galt als eine von Gott vorgegebene, dem Menschen deshalb unverfügbare Ordnung, in die irdische und päpstliche Herrschaft als verschiedene Ämter einer religiös-politischen Einheitsordnung eingegliedert waren 20. Der Gedanke einer universalen geistlich-weltlichen Einheit, einer organischen Verbindung zwischen Staat und christlicher Kirche, war in Deutschland bis ins späte Mittelalter lebendig. Beide Ordnungsgewalten, das imperium und das sacerdotium, waren im corpus christianum miteinander verschmolzen. Die Trennung von Staat und Kirche, durch die Reformation eingeleitet und durch die Aufklärung vorangetrieben 21, führte zu einer stufen weisen Ablösung der Einheit der politischen Ordnung von der Einheit des religiösen Bekenntnisses. Sie mündete zwar vordergründig in einer Liberalisierung des Verhältnisses des Staates zu anderen Religionsparteien als den christlichen Hauptkonfessionen, nicht jedoch in einer Entchristlichung des Staates selbst. So blieb das „konstantinische"22 Bündnis von Thron und Altar zunächst erhalten. Die Religion war weiterhin in das Wertsystem des Staates integriert. Hatte es zuvor aber als wesentlicher Beruf der weltlichen Gewalt gegolten, sich der Fürsorge für das Seelenheil ihrer Untertanen durch deren Bekehrung zum wahren Glauben zu verpflichten 23, wechselte im Zuge von Konfessionskriegen und des Auseinanderdriftens beider Gewalten die Perspektive. Die Wahrheitsfrage wurde suspendiert. An die Stelle des Seelenheils traten säkulare Friedens- und Gemeinwohlfunktionen des „Not- und Verstandesstaates" der Auf18 R. Zippelius, Staatslehre, § 7 S. 37 ff. 19 T. Würtenberger, Art. Legitimität, Legalität, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe III, S. 677 (682 ff.). 20 E.-W. Böckenförde, in: FS Forsthoff, S. 75 (78); M. Heckel, ZRG KA 80 (1963), S. 261 (290 ff.); K. Hesse, in: ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (346 f.); C. Starck, JZ 2000, S. 1. 21 M. Heckel, ZevKR 45 (2000), S. 173 (176 ff.); ders., ZevKR 44 (1999), S. 340 (345 f.). 22 Vgl. aber auch A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 6: Erst Theodosius sei den von Konstantin eingeschlagenen Weg zu Ende gegangen und habe den Schritt zur christlichen Staatsreligion gemacht. 23 H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 408.

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

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klärung 24 . Dieser machte sich die Religion zur Erreichung seiner Zwecke gleichwohl aber weiterhin dienstbar 25. Das Aufbrechen der mittelalterlichen Einheitsordnung ertrotzte vom Staate zwar letztlich, daß dieser mehrere „Kirchengesellschaften" auf seinem Territorium akzeptierte. Der absolutistische Anspruch der polizeilichen Wohlfahrtspflege verlangte aber gleichzeitig danach, jene nach ihrer Nützlichkeit für den Staatsgedanken zu instrumentalisieren - und deshalb auch zu klassifizieren. Dieser Anspruch mündete nicht nur in einer Ungleichbehandlung der verschiedenen Religionsgesellschaften untereinander, sondern auch in einer unterschiedlichen Gewähr von bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten an die Mitglieder der verschiedenen Glaubensgemeinschaften 26. Die Auffassung, der Glaube sei Ausdruck eines „rechtsartigen Treueverhältnisses" 27 zwischen Herrschern und Beherrschten, wirkte hier - allerdings im Sinne der Staatsraison - fort. In das Verhältnis von Staat und Kirche flössen insgesamt zunehmend staatspolitische Erwägungen ein 28 . Insbesondere hatten die Kirchen als Anstaltskirchen und andere geduldete Religionsgesellschaften die ihnen ureigenen Aufgaben gleichfalls als Pflichten dem Staate gegenüber zu erfüllen 29 . Auch als der Gedanke der Herrschaft kraft menschlichen Auftrags bereits Gestalt angenommen hatte, gerierte sich die Kirche als eine der wichtigsten Stützen des Staates. Aufgrund ihres theokratischen Weltbildes, das die Welt auf den einen göttlichen Ursprung zurückführt, trug sie zum Beispiel dazu bei, die Erbmonarchie zu legitimieren 30. Nach der Theorie der Erbmonarchie übte nämlich der Monarch sein Amt von Gottes Gnaden und nicht dank „usurpatorischer Machtkonstellation"31 aus. 24

G.W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 183 S. 165; hierzu das Postulat Immanuel Kants, Metaphysik der Sitten, § 49 S. 437: Das Heil des Staates liege nicht im Wohl und in der Glückseligkeit, sondern im Zustand größtmöglicher Übereinstimmung mit den Rechtsprinzipien, als nach welchen zu streben die Vernunft durch einen kategorischen Imperativ verbindlich mache. 25 G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 312 f., 319; K. Schiaich, Neutralität, S. 31. 26 U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 3 f. 27 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (49). Zur Verknüpfung von religiösem Gehorsam und Untertanenpflicht auch K. Blaschke, Der Staat 9 (1970), S. 347 (349 ff., 360); H. Dreier, JZ 2002, S. 1 (8). 28 Risch, Art. Bekenntnisfreiheit, in: Bluntschli (Hrsg.), Deutsches Staatswörterbuch, Bd. 1, S. 274 (275 ff.). 29 ALR II 11 § 13: „ ( . . . ) Ehrfurcht gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat ( . . . ) einflößen". Hierzu R. Sohm, Kirchenrecht, Bd. 1, S. 692 ff. 30 Diese traditionalistische Staatslehre zusammenfassend T. Würtenberger, Art. Legitimität, Legalität, in: Geschichtliche Grundbegrife III, S. 677 (701 ff.); vgl. ferner C. Schmitt, Politische Theologie, S. 34: Mit Analogien aus der theistischen Theologie versuchte man, die persönliche Souveränität des Monarchen ideologisch zu stützen. 31 E. G. Mahrenholz, Die Kirchen, S. 17; O. Brunner, in: ders., Neue Wege, S. 160 (170 ff.); ganz entschieden auch F. J. Stahl, Die Philosophie des Rechts, Bd. I I /1, S. 7 ff., Bd. II/2, S. 131 ff., der in der Person Gottes das Prinzip der Welt (und des Staates) verortet. 3*

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Die symbiotische Beziehung von Staat und Kirche wies auf die überdauernde Vorstellung, die institutionelle Ordnung des Staates müsse die göttliche Weltstruktur widerspiegeln. Der Staat - und darin bestand sein christlicher Charakter - instrumentalisierte deshalb Kirche und Religion und machte sie auch weiterhin zu seiner Angelegenheit32. Denn wo die Religion mit dem kulturellen System des Gemeinwesens koinzidiert, kann sie ihre Funktion, den Staat zu integrieren, in hohem Maße erfüllen. Als Gesinnungsfundament untermauert sie auf der einen Seite die Legitimität von Setzungen der politischen Herrschaft und verstärkt damit auf der anderen Seite die politische Herrschaft selbst33. Die lange vorhaltende Verschmelzung von Staat und Kirche hatte also den Vorteil, daß Einheit prästabiliert und ansonsten scheinbar leicht herzustellen war. Verstand der Staat sich als weltlicher Arm des wahren Glaubens und der aus diesem zu deduzierenden göttlichen Ordnung, war der Feind dieser Homogenität schnell ausgemacht: der religiöse Dissenter, der, wenn es für ihn günstig ausging, nur des Landes verwiesen wurde.

3. Partnerschaftliche Kooperation zwischen Religionsgemeinschaften und Staat Im Zuge von Aufklärung und Vernunftrecht waren erstmals die Ideen der Autonomie und der Selbstbestimmung des Individuums formuliert worden. Nicht länger in den unabdingbaren Lauf der metaphysischen Ordnung eingebunden, wurde das Individuum sich selbst zum Zweck und damit zum Bezugspunkt der Ordnung erklärt. Neben die Entdeckung individueller Autonomie trat die der Verfügbarkeit der weltlichen Ordnung. Die Auflösung der göttlich vorherbestimmtem Seinsordnung und die folgende Entlassung des Menschen in ein nicht mehr ausschließlich religiös bestimmtes Weltgefüge wird mit dem Begriff der Säkularisierung umschrieben 34. Die Erträglichkeit staatlicher Gewalt und damit auch ihre Legitimität begannen nun auf demokratischer und grundrechtlicher Freiheitsidee aufzuruhen 35. Die hieraus folgende institutionelle Trennung von Staat und Religion verpflichtet ersteren zu religiöser Neutralität. Das vorrangige Kennzeichen dieser Neutralität wiederum war und ist dasjenige der Nicht-Identifikation des Staates mit dem Besonderen, 32 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (44). 33 H. Dreier, JZ 2002, S. 1 (10); H. Geser, in: Krüggeier u. a. (Hrsg.), Institution, Organisation, Bewegung, S. 39 (52). So insbesondere auch G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 222. 34 E.-W. Böckenförde, in: FS Forsthoff, S. 75 (76); H. Lübbe, Säkularisierung, S. 23 ff.; zur multivalenten Begriffsgeschichte vgl. G. Marramao, Art. Säkularisierung, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), HWdPh, Bd. 8, Sp. 1138. 35 j m Isensee, Der Staat 20 (1981), S. 161 ff.; C. Starck, in: HStR II, § 29 Rn. 2.

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

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dem Religiösen36. Eine bestimmte Religion fungiert nun nicht länger als Grundlage der politischen Ordnung. Dieser Ablösungsprozeß führte dahin, daß die Religionen, hier insbesondere die christlichen Kirchen, aus dem staatlichen in das sozietale Umfeld entlassen wurden 37 . Anders ausgedrückt wurden sie „aus dem Gemeinwesen als Gemeinwesen exiliert" 38 . Die auxiliare Funktion, die die Religion mittlerweile im Rahmen der staatlichen Legitimitätsbeschaffung übernimmt, paßte sich diesen veränderten Vorzeichen an.

a) Legitimitätsbeschaffung

in der Gesellschaft

Die Erkenntnis, daß die staatliche Ordnung nicht vor-, sondern aufgegeben ist, beschwört in einer pluralistisch verfaßten demokratischen Gesellschaft die Gefahr von Orientierungsunsicherheit herauf. In einem Staatswesen, dessen Legitimität auf der Idee des Gesellschaftsvertrages fußt, beruht staatliche Herrschaft nicht auf ihrer Selbstverständlichkeit. Sie hängt vielmehr von dem Konsens der ihr Unterworfenen ab. Der demokratische Verfassungsstaat als voraussetzungsvollste aller Staatsformen 39 ist damit vorinstitutionellen Gelingensbedingungen ausgeliefert, die der Staat nicht zu garantieren vermag, ohne daß er dadurch seine Freiheitlichkeit verlöre 40 . Die Berechtigung von Herrschaft ergibt sich nunmehr aus der Einordnungsbereitschaft der Bürger und der Akzeptanz der staatlichen Ordnung durch sie 41 . Einordnungsbereitschaft und Akzeptanz müssen selbst aber hergestellt und reproduziert werden: Der demokratische Staat als freie Schöpfung des Menschen legitimiert sich genauso über die Repräsentation des Volkes wie er sich auf dessen Fähigkeit stützt, sich selbst zu organisieren. Er ist dem Volke daher zu eigenverantwortlicher Wahrnehmung und Gestaltung aufgegeben. So wie in diesem Rahmen Verantwortlichkeiten bewußt gemacht werden müssen, muß auch Konsens hergestellt werden. Beides setzt voraus, daß die Internalisierung der Staats- und Gesellschaftsordnung gelingt 42 . 36 H. Krüger, DVB1. 1951, S. 361 (363); Κ Schiaich, Neutralität, S. 236 ff.; E.-W. Bökkenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (55 ff.); vgl. aber auch BVerfGE 52, 223 (237); G. Dirksen, Staatskirchenrecht, S. 103 ff. 37 BVerfGE 53, 366 (387); 70, 138 (160 f.); 102, 370 (387). 38 K. Marx, Zur Judenfrage, in: ders., Die Frühschriften, S. 183. 39 Vgl. J.-J. Rousseau, Du contrat social, Buch III, Kap. 4, S. 13 :„S'il y avait un peuple de dieux, il se gouvernerait démocratiquement". Dagegen befindet I. Kant, Zum ewigen Frieden, in: Werke Bd. VI, S. 223, zur Meinung vieler, daß die Demokratie lediglich für Engel, nicht aber für Menschen tauge, daß alles allein auf eine gute und vernünftige Organisation des Staates ankomme. 40 Vgl. E.-W. Böckenförde, in: FS Forsthoff, S. 75 (93 f.); ders., in: Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (60); J. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 233. 41 E.-W. Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, S. 51 u. passim.

38

§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Das gesellschaftliche Umfeld wird in diesen Bewußtmachungs- und Herstellungsprozeß eingebunden. Denn der säkulare, plurale und sektorale Staat, der auf gesellschaftliche Kohärenz angewiesen ist, muß, um seinen Neutralitätspflichten zu genügen, insbesondere kohärenzbildende Wahrheiten und Werte von außen einholen 43 . Er wird damit auf gesellschaftliche Vorgegebenheiten verwiesen.

b) Die Roilenzuschreibung an die Religionsgemeinschaften (und an andere gesellschaftliche Verbände) Im Zusammenhang mit der Bewußtmachung von Verantwortlichkeit und der Herstellung von Konsens wird das Augenmerk insbesondere auf die gesellschaftlichen Verbände gelenkt. Die Leistungen, die von ihnen hier im wesentlichen erbracht werden, lassen sich als eben diese notwendige Beschaffung von Konsens oder aber Massenloyalität44 beschreiben. Im Ergebnis wird die Beschaffungsleistung der Verbände als systemstabilisierend wahrgenommen, da sie den Staat von eigenen Legitimationsproblemen entlastet45. Insbesondere das Verbandsmodell des Neokorporatismus beschäftigt sich mit der Verflechtung von Staat und Verbänden zu gegenseitiger Vorteilsgewähr. Es betrachtet den Staat auch als Nutznießer der Verbände. Die Integrationsleistungen letzterer führten dazu, so diese Theorie, daß der Staat seinerseits Akzeptanzgewinne verbuchen könne 46 . Die staatskirchenrechtliche Literatur hat sich vor dem Hintergrund, den Korporationsstatus des Art. 137 V WRV rechtfertigen zu müssen, lange Zeit gesträubt, insbesondere die Kirchen in einen Zusammenhang mit anderen gesellschaftlichen Verbänden zu stellen47. Auch nach eigener Wahrnehmung beziehen die Kirchen im Verhältnis zu den „gesellschaftlichen" Verbänden einen diese überlagernden Stand42 Vgl. schon H. Kelsen, Demokratie, S. 30: „Die Erziehung zur Demokratie wird eine der praktischen Herausforderungen der Demokratie selbst". 43 H. Steiger, in: FS Kriele, S. 105 (109 ff.); J. Isensee, in: Essener Gespräche 25 (1991), S. 104(115). 44 Zum Teil wird Massenloyalität als manipulierter Konsens und damit als unechte Legitimität beschrieben. Die Loyalität der Massen sei ζ. B. unvollständig, da nicht alle Interessen thematisiert würden. Zudem werde sie von den politischen Instanzen selbst inszeniert durch eine Synthese von „Mitteln positiver Loyalitätssicherung mit Mitteln politischer Abschrekkung". Dies habe mit dem legitimatorischen Konsens der freien Zustimmung zur politischen Herrschaftsordnung nichts mehr zu tun. Vgl. W.-D. Narr/C. Offe (Hrsg.), Wohlfahrtsstaat und Massenloyalität, S. 35. Was an der systemstabilisierenden Funktion von Massenloyalität aber nichts ändere. 4 5 U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 22; zu Talcott Parsons „agir'-Schema, das auch die Legitimierungsfunktion der Religion hervorhebt, S. Brandt, Religiöses Handeln, S. 118. 46 R. G. Heinze, Verbändepolitik, S. 86. 47 R. Smend, ZevKR 16 (1971), S. 241; U. Scheuner, ZevKR 6 (1957/58), S. 1 (23); E. Friesenhahn, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 352 (357); E. G. Mahrenholz, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 385 ff.; K. Schiaich, ebda., S. 425 (428 f.).

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

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punkt, da sie den Menschen in seiner Ganzheitlichkeit ansprechen48. Doch relativiert diese Haltung nicht den Part, der gerade den Kirchen bei der Legitimierung des Staates von staatlicher Seite her angetragen wurde. Im Gegenteil: Dem Loccumer Vertrag von 1955 läßt sich entnehmen, daß der konkordatschließende Staat den Kirchen eine spezielle Mitträgerschaft an der öffentlichen Ordnung zuschrieb. Auch im Jahre 1973 ließ die Bundesregierung noch verlautbaren, daß sie die Kirchen aufgrund ihrer besonderen Leistungen nicht als eine Gruppe unter den vielen in der Gesellschaft betrachte 49. Heute dagegen wird auch im staatskirchenrechtlichen Schrifttum ein offener Verbandsbegriff benutzt. Mit seiner Hilfe gelingt es weitestgehend, auch inkorporierte Religionsgemeinschaften zu erfassen, ohne daß damit ihr Eigenwert angetastet würde 50 . Welches sind aber nun die spezifischen Leistungen, die das System „Religion", das lange durch den Alleinvertretungsanspruch der christlichen Kirchen als „Volkskirchen" überlagert wurde, in den Prozeß der Legitimitätsbeschaffung zugunsten des Staates einschleusen könnte? Nicht wenige Stimmen aus der Religionssoziologie verorten die Religion in ihrer spannungsbewältigenden Kraft funktional auf der Achse des Legitimationssystems des Staates. Religion - hier repräsentiert durch die verschiedenen Religionsgemeinschaften - könne auch heute noch ganz erheblich dazu beitragen, die normative Ordnung und damit letztlich den Staat zu legitimieren 51. Habe die Frage nach der Legitimität staatlicher Herrschaft in der frühen Neuzeit noch mit dem Hinweis auf die Autorität des Rechts, dessen Bewahrung und Durchsetzung sie diene, beantwortet werden können, so sei das Recht infolge der Demokratisierung der politischen Willensbildung selbst kontingent geworden. Durch seine Veränderbarkeit verliere es, so die Annahme, damit die Fähigkeit, als unabhängiges Kriterium staatlicher Legitimität zu fungieren. Das Rechtssystem und mit ihm der Staat liefen daher Gefahr, als eine äußere Gewalt zu erscheinen, die individuelle Freiheiten willkürlich beschränkten. Beide bedürften deshalb der Berufung auf eine aller menschlichen Willkür vorgegebenen Instanz. Wer könnte diese Instanz aber besser besetzen als die Religion 52 ? 48 H. Maier, Art. Kirche, in: StL III, Sp. 460. 49 „Wir betrachten sie (die Kirchen) nicht als eine Gruppe unter den vielen der pluralistischen Gesellschaft ( . . . ) " . Regierungserklärung des Bundeskanzlers Willy Brandt v. 18. 1. 1973, Bulletin 1973, S. 56; wiederholt in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Helmut Schmidt v. 17. 5. 1974, Bulletin 1974, S. 604. Auch BVerfGE 42, 312 (331). so A. Hollerbach, S. 238 (249).

VVDStRL 26 (1968), S. 128 f.; P. v. Tilling,

ZevKR 14 (1968/69),

51 Vgl. nur T. Parsons, Gesellschaften, S. 23; auch A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 97 ff.; J. Isensee, in: HStR III, § 57 Rn. 169, 176 f.; C. Starck, JZ 2000, S. 1 (5); E.-W. Böckenförde, in: Thierse (Hrsg.), Religion, S. 173 (180 ff.). 52 W. Pannenberg, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 63 (68); O. Depenheuer, in: FS Isensee, S. 3 (6 u. passim): Religion als „ethische Reserve der säkularen Gesellschaft".

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Zunächst machten insbesondere die jenseitsbezogenen Religionen staatliche Herrschaft erträglich, indem ihre Glaubenslehren die Kontingenz staatlicher Entscheidungen kompensierten. Gleichzeitig ermutigten die sittlichen Ordnungsvorstellungen, welche die Religionen über ihre Glaubenslehren aufzuzeigen imstande seien, den einzelnen, trotz aller Kontingenz staatlichen Handelns das Gemeinwesen verantwortungsvoll mitzugestalten53. Ferner könne, so eine viel vertretene Auffassung, die Religion zur Anerkennung staatlicher Herrschaft beitragen. Ihre Aufgabe sei es hier, die Grundwerte, auf denen der Staat beruhe, in der moralischen Überzeugung der Staatsbürger zu verankern 54. Daneben binde sie als sittlich moralische Erzieherin 55 des Menschen und Bürgers auch die prinzipiell unbegrenzte gesellschaftliche Freiheit des einzelnen im Sinne höherer Gemeinschaftswerte vor 5 6 Damit entlaste sie den Staat jenseits seines Anspruchs auf Gesetzesgehorsam von der Notwendigkeit, Entscheidungen mit Zwang durchzusetzen. Die Religion zeichne in diesem Rahmen als eine Bürgin für den ethischen Konsens in der Gesellschaft und trage damit auch zur Stabilisierung und Erhaltung des politischen Systems bei 57 : Religion als Statthalterin und Übermittlerin des Wertkonsenses, den der Staat selbst nicht mehr stiften kann. Allerdings übernehmen die Religionsgemeinschaften als Akteurinnen des Gesellschaftssystems „Religion" diese Aufgabe als Funktionsträgerinnen als eine freiwillige. An die Stelle der organischen oder institutionellen Verbindung von Staat und Kirche ist daher die (partnerschaftliche) Kooperation zwischen Staat und Religion getreten. Im Rahmen dieser Kooperation partizipiert der Staat mittelbar an der Werte Vermittlung durch die Religionsgemeinschaften 58.

53 R L. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 29 ff.; M. Heckel, ZevKR 44 (1999), S. 340 (359 f. Fn. 10); K. Hesse, ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (356); R Mikat, in: FS Kunst, S. 105 (122); kritisch bereits E. G. Mahrenholz, Die Kirchen, S. 39 ff.; BVerfGE 5, 85 (204 f.): „Der Einzelne soll vielmehr in möglichst weitem Umfange verantwortlich auch an den Entscheidungen für die Gesamtheit mitwirken". 54 J. Isensee, NJW 1977, S. 545 (546); C. Starck, Vom Grund des Grundgesetzes, S. 12. 55 J. Isensee, in: Essener Gespräche 25 (1991), S. 104 (124): „Zu den affirmativen Diensten der Förderung des Staates gehört die sittliche Erziehung der Staatsbürger, die darauf ausgeht, daß sie die Notwendigkeit des Staates einsehen und ihre legitimen Pflichten erfüllen". 56 M. Bullinger, VVDStRL 59 (2000), S. 338, P. Saladin, Verantwortung, S. 67 ff. 57 O. Depenheuer, in: Essener Gespräche 33 (1998), S. 5 (24); K. Obermayer, Staat und Religion, S. 5 (22): Eine religionslose Ethik sei eine „contradictio in adjecto". J. Isensee, in: Essener Gespräche 25 (1991), S. 104 (108); G. Robbers, VVDStRL 59 (2000), S. 231 (237); H. Ottmann, in: FS Gebhardt, S. 99 (101 ff.). 58 Zur Kritik, die Religion allein aus ethischen Funktionen heraus zu rechtfertigen, vgl. R. Spaemann, in: Koslowski (Hrsg.), Religiöse Dimension, S. 9 ff.

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

c) Veränderte

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Vorzeichen

Diese mittelbar staatserhaltende Funktion staatsbejahender Religionen galt und gilt als weitestgehend unbestritten. Die soziale Bedeutung der entsprechenden Religionsgemeinschaften und die Wertschätzung der sozialen Kräfte der Religion sowie ihre Bedeutung für das öffentliche Leben gilt als „commun accord" der Mütter und Väter des Grundgesetzes59. Heute ist allerdings fraglich, ob Anspruch und Wirklichkeit hier nicht weit auseinanderklaffen. Bislang mußte ein substantieller Verlust des religiösen Einflusses in der Gesellschaft konstatiert werden. Mit Beginn der 1960er Jahre ließ sich eine stetig zunehmende Indifferenz der Bevölkerung gegenüber den von den Großkirchen gelehrten Glaubensbekenntnissen beobachten. Gleichzeitig konnte auch eine fortschreitende Paganisierung aufgezeigt werden. Der Zahl der Kirchenaustritte stand nämlich keine vergleichbare Zahl an Eintritten in andere Religionsgemeinschaften gegenüber60. Daß die funktionale Wertzuschreibung entkonfessionalisierter Religion daneben aber ungebrochen schien, läßt sich an der Debatte um die „Einführung" einer sogenannten Zivilreligion 61 veranschaulichen. Der Begriff der Zivilreligion umschreibt eine staatlich codierte „Ersatzreligion", die als funktionales Äquivalent von den historischen Religionen verschieden ist. Die Debatte setzte ein, als die christlichen Kirchen wegen des zunehmenden Religionspluralismus nicht länger in der Lage schienen, mit ihrer Legitimierungsfunktion die gesamte Bevölkerung zu erreichen und der religiöse Grundkonsens zerbrach 62. Die Zivilreligion bedient das Bedürfnis eines wertgebundenen Fundamentes auch der politischen Ordnung der Gegenwart, damit diese von den einzelnen als verbindlich erlebt werde. An der Schaffung dieses auch religiösen Fundamentes dürfe sich, so die übereinstimmende Auffassung, der freiheitliche und religiös neutrale Staat beteiligen, damit die religiöse Thematik nicht gänzlich seinen Gegnern überlassen bleibe 63 .

59 Ausführlich P. Kirchhof, in: HdbStKirchR I, § 22 S. 656 ff.; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 19 ff.; auch K -Ε. Schlief, Staat und Kirche, S. 38 ff., 65 ff. 60 W. Manti, VVDStRL 59 (2000), S. 351; H. Maier, in: HdbStKR I, § 3 S. 86. Dieses Phänomen wird unter dem Begriff der Säkularisierung (oder Entkirchlichung) beschrieben. Der Begriff der Säkularisierung hat drei Bedeutungsinhalte. Als Säkularisation bezieht er sich auf die Auflösung des Kirchenguts nach dem Reichsdeputationshauptschluß von 1803. Daneben umfaßt er die „innere Säkularisierung", die die Ablösung einer weltlichen Lebensführung von religiösen Ordnungssystemen meint. Und schließlich beschreibt er die Umorientierung der Menschen von religiösen auf andere Deutungssysteme, die ihr alltägliches Leben leiten. Hierzu H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 20 f., 86 ff. 61 J.-J. Rousseau, Du contrat social, Buch IV, Kap. 8, der ein bürgerliches Glaubensbekenntnis nicht nur als moralische, sondern auch als Rechtspflicht kannte. Näher /. Fetscher, Rousseaus politische Philosophie, S. 189. 62 Näher N. Luhmann, in: Kleger/Müller (Hrsg.), Religion des Bürgers, S. 175 ff.; H. Lübbe, in: ebda., S. 195 ff.; auch W. Pannenberg, Art. Zivilreligion, StL V, Sp. 1170 f.

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Für die Einführung einer staatszentrierten Zivilreligion ließ sich optieren, da im Zusammenhang mit der Rückläufigkeit der verpflichtenden Breitenbandwirkung religiös-christlicher Weltevermittlung in der Gesellschaft zwei weitere gesellschaftliche Entwicklungsprozesse offenbar wurden: Zunächst fand eine Binnendifferenzierung des Religiösen selbst statt. Die Lücke, welche die Entkirchlichung der Gesellschaft letzterer hinterlassen hatte 64 , konnte unterdessen von anderen Religionen gefüllt werden. Da die Religion der Gesellschaft deshalb mit dem christlichen Bekenntnis mittlerweile nicht mehr deckungsgleich ist, konkurrieren nun religiöse Deutungssysteme untereinander. Unter ihnen finden sich, so der vorherrschende Eindruck, zunehmend auch Religionen oder Ableger von Religionen, deren Wertevermittlung dem Grundgesetz entgegenläuft. Daneben tritt das religiöse Deutungssystem in Konkurrenz zu anderen gesellschaftlichen Sinnsystemen, die mit eigenen Wertmaximen in das zurückgelassene Wertvakuum vorstoßen. Die „Verbände", die diese Sinnsysteme repräsentieren, reklamieren jeweils für sich ebenfalls sowohl ein verbindendes Gesamtinteresse als auch ein Proprium 65. Diese Konkurrenz der Religionen zu anderen Lebensmächten wird gemeinhin als „Segmentierung" 66 des Religiösen bezeichnet. Trotz der bedeutsamen Weitvorstellungen, welche die Religionen in den gesellschaftlichen Diskurs einzuschleusen vermögen, versteht die Gesellschaft ihre Beiträge zunehmend als einen - wenn auch besonderen - Beitrag unter vielen. Das religiöse System ist also weit davon entfernt, als alleinbeliehener Unternehmer in Sachen Sinnund Wertstiftung aufzutreten. Die veränderten Umweltbedingungen des Verhältnisses von Staat und Religion provozieren trotz rückläufigen Einflusses der Bekenntnisse auf die Legitimität des Staates geradezu die Frage, inwieweit sich diese Entwicklung auf den staatlichen Umgang mit Religionen und denjenigen sie verkörpernden Gemeinschaften auswirken muß, die andere Werte vermitteln als diejenigen Grundwerte, auf denen der Verfassungsstaat fußt.

III. Der Dienst der Religion am einzelnen: Die Sinnstiftungsfunktion der Religion Oder sollte der Staat nicht vielmehr sein Augenmerk ohne Ansehen der Inhalte eines bestimmten Glaubens allein auf den Dienst der Religion am einzelnen len63 M. Droege, Staatsleistungen, S. 148 ff.; W. Pannenberg, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 63; zur Künstlichkeit der Zivilreligion, vgl. H. Ottmann, in: FS Gebhardt, S. 99 (100 f.). 64

V. Krech, Religionssoziologie, S. 5, 61 ff. 65 E. G. Mahrenholz, Die Kirchen, S. 41 ff.; J. Müller-Volbehr, ZRP 1991, S. 345 (347); U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 23. 66 A. Gehlen, zit. nach H. Maier, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 130 (139).

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

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ken? Denn die Einsicht in die Notwendigkeit ihres Dienstes am Menschen hat nicht zuletzt zur grundrechtlichen Privilegierung der Religionsfreiheit geführt 67. Auch scheinen die Prophezeiungen der Religionskritiker des 19. Jahrhunderts mittlerweile an eine innere Grenze gestoßen zu sein. So wurde menetekelt, Religion werde, sobald sie hinterfragt und kritisiert worden sei, aus der Gegenwart verabschiedet68. Oder es wurde orakelt, die Religionen lösten einen Entzauberungsprozeß der Welt aus, dessen Ende durch ihr eigenes Verschwinden aus der Öffentlichkeit markiert würde 69 . Auch aus der Perspektive der Philosophie des Positivismus gilt Religion als durch die Moderne und ihre „exakten" Wissenschaften hoffnungslos überholt 70. Zur Überraschung vieler Säkularisierungstheoretiker zeichnet sich nun jedoch die Tendenz ab, daß an die Stelle des Verschwindens der Religion aus der modernen Gesellschaft ihre zunehmende Revitalisierung in zum Teil radikaler Form tritt 71 . Ihr Wiedererwachen wird nicht zuletzt wohl gespeist aus den tief empfundenen Defiziten, die der Modernisierungsprozeß der Gesellschaft hinterläßt. Die Diskrepanz zwischen Säkularisierung auf der einen und religiösem Wiedererwachen auf der anderen Seite zu erklären, fällt dennoch schwer. Die Religionssoziologie hat hierzu verschiedene Ansätze entwickelt, die von ihrem jeweiligen Ausgangspunkt jedoch im wesentlichen zu demselben Ergebnis kommen: Anstelle der „totalen" Säkularisierung der Gesellschaft setze sich nun eine immanente Gegenbewegung in Gang. Säkularisierung und Modernisierung der Gesellschaft hätten selbst zu einem gesteigerten Bedürfnis des einzelnen nach kognitiver und emotionaler Selbstversicherung, oder anders ausgedrückt: nach dem Wissen um die Erlösung von und die Versöhnung mit der Wirklichkeit geführt. Dabei verbirgt sich hinter dem Begriff der „neuen Religiosität" allerdings ein breites Spektrum, das Phänomene wie „neue Jugendreligionen", Sekten, „alternative religions" und die Zivilreligion beherbergt, denen allen aber gemeinsam ist, daß sie die Lücke füllen, die die Entkirchlichung hinterlassen hat 72 .

67 Nach der Rspr. des BVerfG ist insbesondere die Religionsfreiheit als Grundrecht auch Ausdruck der in Art. 1 I GG verankerten Personenwürde oder gar eine Konkretisierung der Menschenwürde. Vgl. BVerfGE 12, 45 (53 ff.); 32, 98 (106 ff.); 35, 366 (376); 48, 127 (163); J. Listi, in: Essener Gespräche 3 (1967), S. 34; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 11 f. 68 F. Nietzsche, Fröhliche Wissenschaft, § 343 S. 271: Das größte neuere Ereignis ist, daß „Gott todt ist". Hierzu H. Zirker, Religionskritik, S. 120 ff. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde von der Religionssoziologie daher auch die Säkularisierung als das entscheidende Moment angesehen, unter dem das Problem der Religion betrachtet wurde. Vgl. J. Matthes, Religion und Gesellschaft, S. 74 ff.

69 M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. 1, S. 93 ff.; M. E. Marty/ R. S. Appleby, Herausforderung Fundamentalismus, S. 20 f. 70 So das „Dreistadiengesetz" von A. Comte, Geist des Positivismus, S. 5, 17 ff.; hierzu H. Zirker, Religionskritik, S. 56 ff. 71 Vgl. G. Kepel, La revanche de Dieu, S. 2 ff., 14 ff. u. passim; M. Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen, S. 48 ff. u. passim.; U. Willems/M. Minkenberg, in: dies. (Hrsg.), Politik und Religion, S. 13 ff., 18 ff.; auch S. R Huntington, Kampf der Kulturen, S. 143 ff.

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Religiöse Systeme haben immer erfolgreich dazu beigetragen, Kontingenzsituationen unter Rückgriff auf überweltliche Versprechungen aufzulösen (Kompensationsfunktion der Religion). Deshalb ist die Feststellung Emile Dürkheims auch weiterhin aktuell, daß nämlich eine Institution dieses Alters und von dieser Ganzheitlichkeit nicht auf Irrtum und Trug beruhen könne 73 . Es läßt sich vielmehr ein zwar entkirchlichtes, aber doch zunehmendes Interesse des einzelnen an Transzendenz und Religiosität diagnostizieren 74. Zum Teil wird der Stellenwert der Religion für den einzelnen an einem anthropologischen Bedürfnis des Menschen nach Sinn und Ordnung, mithin nach letzten Begründungen festgemacht. Da Religion imstande sei, dieses Bedürfnis zu befriedigen, sei der Mensch in diesem Sinne fundamental religiös. Religion als Kontingenzbewältigung sei, so die ermutigende These, in ihrem Kern aufklärungs- und säkularisierungsresistent 75. Mit anderer Betonung wird Religion als Katalysator im Individualisierungsprozeß des einzelnen betrachtet. Da sie zwischen Individuierung und Sozialisierung vermittle, habe die Religion eine zentrale Bedeutung für die Konstruktion personaler und sozialer Identität. Durch Internalisierung von Glaubensinhalten erhalte der einzelne Erklärungsmuster und Verhaltensmodelle an die Hand, die ihn in die Lage versetzten, durch ein konsistentes Welt- und Selbstbild Krisensituationen im Alltag zu meistern 76. Insbesondere der Zusammenhalt in einer religiösen Gemeinschaft stärke seine Identität und erlaube ihm eine identitätswahrende Distanzierung gegenüber Vereinnahmungsprozessen seitens der Gesellschaft 77. Identität und Selbstverwirklichung seien daher „quasi religiöse Metaphern" 78. Ferner wird die Rolle der Religion für den einzelnen als subjektiv empfundene Kontrolle des Außeralltäglichen beschrieben. Religion und religiöse Praktiken seien eine emotionale Bewältigungsstrategie für Erfahrungen und Risiken, die sich 72 S. J. Hunt, Alternative Religions, S. 9 ff.: „religions of the gaps"; W. Ch. Zimmerli, in: Oelmüller (Hrsg.), Wiederkehr von Religion?, S. 9 ff. 73 E. Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, S. 18: Eine derartige „menschliche Einrichtung kann nicht auf Irrtum und auf Lüge" beruhen, denn sonst könnte sie nicht überdauern. 74 P. L. Berger, Auf den Spuren der Engel, S. 18, 44 ff. u. passim. 75 P. L. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 22 ff. u. passim; H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 127 ff. So schon David Hume, der bereits 1757 schrieb, daß die Religionen sich den natürlichen Bedürfnissen der Menschen wie der Schwäche, der Furcht, der Hoffnung und dem Drang, an unsichtbare, intelligente Mächte zu glauben, verdankten. D. Hume, in: The Philosophical Works, Bd. 4, S. 309. H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 22; H. Lübbe, in: Besier/ Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren I, S. 28 (30 ff.); H. W. Alberts, ZRP 1993, S. 432. 76

G. Dux, in: Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie, Bd. VIII (1973), S. 7 (20 ff.). 77 A. Flammer, in: Klosinski (Hrsg.), Religion als Chance oder Risiko, S. 20 (27 f.); N. G. Holm, Religionspsychologie, S. 20 ff.; V. Krech, Religionssoziologie, S. 28 f. 78 F.-X. Kaufmann, Religion und Modernität, S. 193.

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durch die Modernisierung der Gesellschaft potenzierten. Diese Risiken erschienen als menschlich nicht beherrschbar und würden daher einer höheren Macht zugeschrieben. Indem man aber im Einklang mit den höheren Mächten lebe und mit ihnen kommuniziere, verschaffe man sich den Eindruck, das Unkontrollierbare in mittelbar Beherrschbares zu transformieren 79. Ein behavioristischer Ansatz dagegen überführt das Wiedererwachen der Religion in eine Theorie des Marktes. Der Mensch müsse seine Deprivationserfahrungen kompensieren. Zwar böten auch andere kulturelle Systeme entsprechende Kompensationsleistungen an. Diese führten jedoch nicht zu einer vollständigen Bedürfnisbefriedigung. Deshalb suche der einzelne verstärkt Ersatzbefriedigung auf dem religiösen Markt 80 . Verschiedene religionspsychologische Ansätze gehen letztlich ebenfalls davon aus, daß eine Religion dem einzelnen Halt zu geben und ihn in der Bewältigung seines Lebens zu unterstützen vermag 81. Obwohl auch andere gesellschaftliche Gruppen derartige Funktionen übernähmen, liege die steigende Relevanz der Religion in ihrer besonderen Semantik. In ihrem seelsorgerischen Anspruch betone der überwiegende Teil der Religionen die „Sorge um den Menschen"82. Mit den ihnen eigenen Mechanismen von Sündenbekenntnis und Absolution übernähmen diese Religionen dem einzelnen gegenüber eine Entlastungsfunktion, die anderen gesellschaftlichen Systemen verschlossen bleibe 83 .

IV. Das Dilemma Der demokratische und pluralistische Staat als „Heimstatt" 84 aller Bürger begreift die Religionsfreiheit als eine seiner wesentlichen Lebensbedingungen85. Fordert die für den freiheitlichen Rechtsstaat ebenso essentielle Unterscheidung von Moralität und Legalität dann nicht aber, daß unterschiedliche religiöse Überzeugungen der Bürger und der Religionsgesellschaften, zu denen sie sich zusammen79 M. Riesebrodt, in: Bielefelds Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 67 (71 ff.); U. Beck, Risikogesellschaft, S. 67 ff.; N. Luhmann, in: Dahm/Luhmann/Stoodt (Hrsg.), Religion, S. 15 (21 f.), zur soziologischen Kontroverse, ob Religion die Angst und die Unsicherheit behebe, oder ob sie beide erst erzeuge. Für Luhmann trifft beides gleichermaßen zu. so S. Warner, in: American Journal of Sociology 98 (1993), S. 1044 (1048 ff.). 81

N. G. Holm, Religionspsychologie, S. 138 u. passim; zu den verschiedenen Ansätzen, vgl. A. Bucher/F. Oser, in: Frey / Hoyos / Stahlberg (Hrsg.), Angewandte Psychologie, Kap. 23 S. 466 (469 ff.). 82 V. Drehsen, in: Dahm/Drehsen/ Kehrer (Hrsg.), Das Jenseits der Gesellschaft, S. 281 (315). 83 N. G. Holm, Religionspsychologie, S. 21. 8 4 BVerfGE 19, 206 (216). 85 W Fiedler, in: VVDStRL 59 (2000), S. 199 (213); W Rüfner, NJW 1974, S. 491 (492); M. Jestaedt, in: Rüther (Hrsg.), Politik und Gesellschaft, S. 148 (149 f.).

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

geschlossen haben, keine Gefahr für die politische Ordnung darstellen sollten, die es abzuwehren gälte? In diesem Sinne ließe sich ferner die fortschreitende Differenzierung der Gesellschaft 86 fruchtbar machen. In einer ausdifferenzierten Gesellschaft seien, so wird geltend gemacht, die auf die unterschiedlichen Kontexte zugeschnittenen Rollenverständnisse allenfalls lose untereinander verbunden: Das, „was jemand im ausdifferenzierten religiösen Kontext denkt und macht, (müsse also) für die anderen, die politischen ( . . . ) Kontexte der Gesellschaft keine Rolle" spielen87. Ganz ähnlich lesen sich die Ausführungen Ulrich K. Preuß', wenn er kommentiert, daß „keine Religion oder Weltanschauung ( . . . ) unter Verweis auf ihre behauptete soziale Schädlichkeit oder Nützlichkeit mit staatlichen Zwangsmitteln behindert ( . . . ) werden (dürfe)" 88 . Im Hintergrund dieser Ausführungen steht seine Konstruktion der Religionsfreiheit als regulatives Sozialprinzip der freien Gesellschaft. Grundrechte insgesamt, so Preuß, seien als rechtlich verbindliche Versuche zu deuten, gesellschaftliche Beziehungen zu organisieren. Die geistigen Wirkungen eines Glaubens sollen, so der Anspruch, ungehindert durch staatliche Zwangsmittel „den gesellschaftlichen Lebensprozeß ( . . . ) durchdringen und beeinflussen können". Preuß gelangt zu dem Schluß, daß insbesondere die Religionsfreiheit aufgrund ihrer impersonalen Formulierung weniger die individuelle Entfaltungsfreiheit schütze als die „Integration der Religion als eine der bedeutsamsten Institutionen der menschlichen Gesellschaft in ein freies und demokratisches Gemeinwesen". Die primäre objektiv-rechtliche Dimension der Religionsfreiheit verortet er darin, daß verfassungsrechtlich ein Ordnungsprinzip mit dem Inhalt anerkannt werde, daß unterschiedliche religöse Überzeugungen der Staatsbürger keine Störung der öffentlichen Ordnung bedeuten könnten. Dies gelte insbesondere deshalb, weil die Religion im Laufe der Zeit aus der staatlichen in die gesellschaftliche Sphäre abgewandert sei. Die Religionssoziologie geht aber gemeinhin davon aus, daß die Funktion von Religion in der Vermittlung sowohl zwischen Individuum und Gesellschaft als auch zwischen Individuum und Staat liege 89 . Im Ergebnis bestehen daher dialektische Verknüpfungen zwischen der Sinnstiftungsfunktion von Religion für den einzelnen und der Legitimierungsfunktion, welche die Religion für den Staat übernimmt. Die Brisanz und das verfassungsstaatliche Dilemma lassen sich deshalb daran anknüpfen, daß religiöse Überzeugungen den einzelnen in besonderem Maße und auch in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen umfassend verpflichten wollen. Dort, wo die Religion den Staat also von seinem Legitimierungsdruck entlasten und eine Synthese zwischen dem Weltbild eines Volkes und seinem politischen 86 87

N. Luhmann, in: ders., Soziologische Aufklärung, Bd. 1, S. 113 (123 ff.). B. Schlink, in: FS Roellecke, S. 301 (311).

88 Hierzu und zum folgenden U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 9 ff. Kritisch zu dieser Konzeption bereits G. Lübbe-Wolff, Der Staat 24 (1985), S. 615 (616): Die Idee der Freiheit der einzelnen, also die liberale Wurzel der Grundrechte, verkümmere hier zu einem bloßen Reflex eines ansonsten objektiv-rechtlichen Prinzips. V. Krech, Religionssoziologie, S. 28 ff.

A. Religion im Dienste am Staat und am einzelnen

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Ethos herstellen soll 90 , kann sie anstatt integrativ in hohem Maße auch dissoziativ wirken. Zur gesellschaftlichen Desintegration trägt insbesondere ein religiöser Rigorismus bei, der andere Werte vermittelt als diejenigen, auf denen Verfassung und Staat aufbauen. Religionen mit unbedingt verpflichtenden Wahrheiten, die denen des demokratisch verfaßten Staates widersprechen, schaffen Gegenwelten, die den einzelnen in Abstand zu den Fundamenten seines Gemeinwesens bringen. So kann insbesondere die Sinnkrise des einzelnen, in der er sich jenen Religionen zuwendet, wird sie auf das soziale System hochgezont, leicht in eine Legitimitätskrise des Staates umschlagen. Das demokratische Gemeinwesen des Grundgesetzes steht in der Tradition des abendländischen Kulturkreises. Bei seiner Errichtung haben christliche Wertvorstellungen eine herausragende Rolle gespielt. Die Verfassung baut auf ihnen auf, so daß ihre christlichen Wurzeln den Staat auch heute noch nähren 91. Obwohl also der plurale Staat nicht der erweiterte konzentrische Kreis eines in seiner Religion geeinten Volkes ist 9 2 . liegt ein ausgewogenes Verhältnis von Verfassungs- und religiösen Weiten im kulturellen Befriedungs- und Erhaltungsinteresse des Staates93. Als säkularem Staat liegt ihm ausdrücklich auch daran, seine aufgrund der Trennung von Staat und Religion - säkularen Grundbedingungen gegenüber antilaizistischen Bestrebungen zu bewahren. Eine freie Gesellschaft kann aber auf der anderen Seite nicht ohne ein gewisses Maß an Religiosität und damit auch an freier Wahl und Ausübung einer Religion bestehen. Diese Polarität wirft die Frage auf, inwieweit es dem Staat erlaubt sein kann, um seiner Selbstbehauptung willen religiöse Freiheiten zu beschneiden. In diesem Spannungsverhältnis zwischen gesellschaftlicher Freiheit und staatlicher Selbstbehauptung sind die Fragestellungen dieser Arbeit angesiedelt. Aufgrund der ihm auferlegten Verpflichtung zur Neutralität darf der Staat für keine der verschiedenen Religionen Partei ergreifen 94. Das folgt a majore ad minus aus dem seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität 95 entfließenden Prinzip der 90 C. Geertz, Dichte Beschreibung, S. 47 f. 91 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (51); P. Häberle, Das Menschenbild, S. 10; J. Müller-Volbehr, ZRP 1991, S. 345 (347); K. Obermayer, in: BK GG, Art. 140 Rn. 13; O. Depenheuer, in: FS Isensee, S. 3; vorsichtiger H. Dreier, JZ 2002, S. 1 f. m. w. N.; W. Huber, Rechtfertigung und Recht, S. 12 ff. 92 Vgl. aber 7. Isensee, in: Essener Gespräche 25 (1991), S. 104 (106): „Die Kirche festigt und erneuert die Fundamente der geistigen Homogenität der Gesellschaft, auf die sich staatliche Einheit stützt und ohne die grundrechtliche Freiheit und gesellschaftliche Pluralität auf Dauer nicht lebensfähig wären". 93 G. Robbers, in: VVDStRL 59 (2000), S. 231 (237); H. Hofmann, JZ 2003, S. 377 ff. 94 Std. Rspr. vgl. BVerfGE 19, 1 (8); 24, 236 (247 f.); 30, 415 (421 f.); 44, 37 (52); 93, 1 (16 f.); auch K. Schiaich, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 427 (430). 95 A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt / Klein / v. Campenhausen, GG, Art. 140 Rn. 19, mit Hinweis auf BVerfGE 41, 29 (50); M. Brenner, VVDStRL 59 (2000), S. 264 (270 ff.); umfassend K. Schiaich, Neutralität, passim.

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Nichtidentifikation 96. Darf er aber, wenn jene Religionen durch ihre Glaubenslehren seine verfaßte Existenz(berechtigung) negieren, gegen sie Stellung beziehen? Wie weit ein legitimes Selbstbehauptungsinteresse des verfaßten Staates reicht und welche Bindungen ihm bei der Verfolgung desselben auferlegt sind, soll im folgenden untersucht werden.

B. Staatsraison ist Verfassungsräson Unter dem Grundgesetz ist die Staatsraison ein selten aus der Feder der authentischen Verfassungsinterpreten fließender Begriff, obwohl doch die Substanz der Staatsraison in Form von beispielsweise dem Staatsnotrecht oder der „streitbaren Demokratie" aktuell bleibt. Die Frage nach dem Ob und Wie der Staatsraison unter dem Grundgesetz konfrontiert erstmals in dieser Arbeit die zwei grundsätzlich konfligierenden Positionen der Verfassungstheorie: die „Staatsrechtslehre" und ihre etatistische Vorprägung, für die der Staatsbezug konstitutiv wirkt 1 , und die „Verfassungs(rechts)lehre" 2. Erstere, welche den Gegenstand des Schutzes: den Staat, jenseits der Verfassung oder dieser vorgeordnet verortet, kann auch ein extrakonstitutionelles Schutzrecht des Staates als Rechtsgrundlage postulieren3. Dagegen bleibt letztere, welche den Staats- und Verfassungsschutz in eins setzt, auf die konstitutionellen Rahmenbedingungen verwiesen. Darüber hinaus mündet auch eine staatsphänomenale Überlagerung des positiven Verfassungsrechts in einer staatsgerichteten teleologischen Methode der Verfassungsinterpretation. Normativität und Positivität des Verfassungsrechts können ihr leicht zum Opfer fallen, wie sich an der Lehre der Staatsraison im folgenden gut veranschaulichen läßt. 96 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 178 ff.; C. Link, in: FS Thieme, S. 95 (99 f.); zu den verschiedenen Aspekten des Prinzips der Nichtidentifikation, deren Nuancen sich im wesentlichen auf der leistungsrechtlichen Seite des Staatskirchenrechts auswirken, Κ Schiaich, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 427 (437); P. Mikat, in: HdbVerfR II, § 29 Rn. 10: Die Nichtintervention sei nur ein segmenthafter Abschnitt des Neutralitätsgebots. 1 So M. Morlok, Verfassungstheorie, S. 27 f.; vgl. dazu J. Isensee, HStR I, § 13 Rn. 1, für den die Verfassung ohne den zugrundeliegenden Staat undenkbar ist: „Verfassung ist nicht zu verstehen ohne Staat. Dieser ist ihr Gegenstand und ihre Voraussetzung". 2 Vgl. H. Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 32 (1999), S. 241 (248 u. passim); E. Pache, DVB1. 2002, S. 1154 (1162 f.). Die Polarisierung der Welt macht scheinbar auch vor dem öffentlichen Recht nicht halt. So werden die Vertreter des Staatsrechts in zwei Lager eingeteilt: Sie seien entweder „staatstrunken" oder „verfassungstrunken", tertium non datur. So bei G. F. Schuppert, StaWi / StaPrax 2 (1991), S. 122 (127 f.): Die eine „Heerschar" scharre sich um das Banner des Staates, die andere schwenke die Fahne der Verfassung. Zugleich wird ein Schwenk der Öffentlichrechtler in Richtung auf den Staat konstatiert. Vgl. J. Isensee, DÖV 1989, S. 1077; oder formuliert, daß es scheinen wolle, „als ob sich gegenwärtig im staatrechtlichen Zeitgeist zumindest die Akzente ersichtlich im Sinne einer „neo-etatistischen" Morgenröte verschöben". So H. Schulze-Fielitz, StaWi / StaPrax 1 (1990), S. 223 (230). 3 Zur Lehre vom (ungeschriebenen) Staatsnotrecht vgl. U. Scheuner, in: FS Kaufmann, S. 313 (318 f.);

Β. Staatsraison ist Verfassungsräson

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I. Ragion di Stato4 Unter den Begriff der Lehre der Staatsraison wird die Lehre gefaßt, daß, was immer für die Erhaltung eines Staatswesens erforderlich ist, auch gemacht werden darf und muß: Da Not kein Gebot kenne, heilige in gewissem Sinne der Zweck das Mittel. Insbesondere der Erfolg legitimiere es aber in der Retrospektive. Auf das Ganze betrachtet ist die Staatsraison allerdings ein ambivalenter Begriff. Er kann sowohl die rein machtstaatliche Durchsetzung des einseitig verstandenen Staatswohls als auch ein prinzipiell ethisch und rechtlich gebundenes Suchen nach dem jeweils konkreten Staatswohl bedeuten5. Der Begriff der Staatsraison stellte einen zunächst nach innen gerichteten politischen Begriff der Neuzeit dar. Er nahm seinen Ausgang in der Ausdifferenzierung des politischen Denkens zu einem von der geistlichen Gewalt geschiedenen und deshalb eigenen System. Innerhalb desselben wurden politische Interessen fürderhin autonom definiert und zu der Arkan-Formel der „ragion di stato" verdichtet 6. Die zuvorderst induktiv gewonnen Erkenntnisse effektiven Staatshandelns wurden der jeweiligen Herrschaftsgewalt zunächst in Form taktischer Anleitungsbücher mit auf den Weg gegeben. Letztere enthielten praktische Ratschläge, welche klugen Maßnahmen die Herrschaftsgewalt zu ergreifen habe, um sich in den Besitz der Herrschaftsmacht zu bringen, in ihm zu verbleiben und ihn zu mehren7. Da der Staat vielerorts als Selbstzweck betrachtet wurde, ging es insbesondere darum, seine Raison erst gegen die kirchlichen Gebote und dann gegen die Raison des Rechts zu feien 8. Insbesondere beim Einschreiten des Staates gegen Ketzer wurden Lockerungen der sonst geltenden politischen Bindungen gebilligt 9 . Die Radikalität voraussetzungsloser Politik stieß aber alsbald auch auf Widerspruch. Dieser verband sich mit der Bewertung der Staatszwecke10. Wo das bonum commune aber der Definitionsmacht des Staates selbst überlassen war 11 , blieb auch dessen zielsetzendes und zielverfolgendes Handeln von externen, insbeson4 G. Botero, Della Ragion di Stato, 1589. 5 M. Schröder, JA 1975, S. 345 (346 f.). 6

M. Stolleis, in: ders., Staat und Staatsräson, S. 7(12). N. Machiavelli, Der Fürst, V ff. Zur Freiheit von moralischer Rechtfertigung der angedienten Mittel, vgl. G. Eisermann, Der Staat 32 (1993), S. 87 (89 ff., 106); R. Zippelius, in: FS Küchenhoff, S. 359 (360 ff.). 8 M. Stolleis, in: HRG IV, Sp. 1827 f. Da Machiavelli den Staat als überragenden Wert und Quell aller übrigen Werte verstand, wird hier eingewandt, daß für ihn dieses für die Staatsraison typische Problem gar nicht bestand. Vielmehr bedurfte die Notwendigkeit, dem Nutzen des Staates entsprechend zu handeln, keiner weiteren Rechtfertigung. Vgl. C. J. Friedrich, Staatsräson, S. 35. 9 M. Stolleis, in: HRG IV, Sp. 1827. 7

10 W. Conze, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe VI, S. 12 (13). h Umfassend W. Merk, in: FS Schultze, S. 451 (460 f., 480 f., 502 ff., 509 f.); C. Link, in: FS Deiger, 1974, S. 277 (281); J. Isensee, in: HStR III, § 57 Rn. 1 ff. 4 Groh

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

dere individualrechtlichen Bindungen grundsätzlich freigestellt 12. Denn die Schranken staatlichen Handelns waren und sind immer auch ein Ausdruck gesellschaftlicher Macht. Unter der Formel der Staatsraison wurden Handlungsziele und Handlungsschranken des Staates zusammengefaßt. Sie wurde zum Eingriffstatbestand in das Recht und diente dazu, politische Ziele zu legitimieren. Die Staatsraison mauserte sich daher zu einer juristischen Rangordnungsregel für die Kollision von Rechtsgütern und Interessen: Die wirklichen oder vermeintlichen Interessen des Staates gingen im Konfliktfall nicht nur allen anderen - individuellen - Interessen oder Rechtspositionen vor, es wurde auch die Wahl der Mittel zu ihrer Verfolgung freigegeben. In äußerster Zuspitzung rechtfertigte die Berufung auf die Staatsraison die Durchbrechung der allgemeinen Rechtsordnung und anderer allgemein anerkannter Regeln. Dem Staat waren um seiner selbst willen Handlungen gestattet, die, wären sie von seinen Untertanen verübt worden, als Verbrechen hätten geahndet werden müssen. Selbst dort, wo die Staatsraison aber nicht als universeller Rechtfertigungsgrund schrankenniederreißenden Staatshandelns überhöht wurde, wurde für die Fälle, in denen nicht allein die Verfolgung untergeordneter Interessen des Staates gefährdet war, sondern sein Bestand insgesamt auf dem Spiel stand, ein Anklageverzicht anempfohlen. Vor dem Hintergrund, vor dem er seine Souveränitätslehre entwickelte, konnte selbst Jean Bodin daher, obwohl er in Fragen der Religion sonst für die Toleranz optierte 13, dem Staat vorsichtig zuraten, jedes Disputieren über Glaubenswahrheiten zu verbieten und Sekten notfalls mit Gewalt zu beseitigen, wenn dies ohne Gefährdung des inneren Friedens möglich scheine14. Die deutsche Rezeption des aus Italien und Frankreich herüberschwappenden Begriffs überführte die Lehre von der Staatsraison in ihre Disziplinen. Obwohl über die Verwendung des Begriffs selbst in Deutschland kein Konsens erzielt wurde, wurde er in juristischen Teilkonzepten vielfach als normativer Terminus verwandt 15. Mit der Entstehung der Naturrechtssysteme entwickelte sich eine Phalanx an deduzierten Rechtsgründen, mit denen individuelle Rechtspositionen zugunsten der Allgemeinheit aufgehoben werden konnten16. Ohne daß die Staatsraison selbst preisgegeben wurde, sollte sie also domestiziert werden 17. Sie trat „als rechtliche Formel für 12 R-L. Weinacht, in: Schnur (Hrsg.), Staatsräson, S. 65 (70); O. Kirchheimer, S. 126(131 u. passim).

ZfPol 1964,

13 H. Denzer, in: Maier/Rausch/Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, S. 321 (331). 14 Hierzu H. Quaritsch, in: Schnur (Hrsg.), Staatsräson, S. 43 (54 ff., 62); ders., Staat und Souveränität, S. 284 ff.; F. Meinecke, Die Idee der Staatsraison, S. 60 ff.; kritisch M. Stolleis, in: ders., Staat und Staatsräson, S. 134 ff.; R. Schnur, Der Staat 13 (1974), S. 111 (119 ff.) 15 So C. Link, Herrschaftsordnung, S. 326. 16 M. Stolleis, in: ders., Staat und Staatsräson, S. 37 (60 ff.); S. 134 (155); umfassend zur Rezeption Machiavellis, vgl. R. Mohl, Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, Bd. 3, S. 521-591. 17 Zu den Gründen R-L. Weinacht, in: Schnur (Hrsg), Staatsräson, S. 65 (68 ff.).

B. Staatsraison ist Verfassungsräson

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Grenzsituationen in Konflikten zwischen Individualrecht und Gesamtheit ( . . . ) in den Vordergrund" 18. Obwohl auch hier - je nachdem, ob die Lehre der Volkssouveränität zu den einzelnen Autoren durchgedrungen war oder nicht - das Untertanenwohl an dasjenige der Herrschaftsgewalt geknüpft wurde. In diesem Sinne konnte die Förderung des ersteren ohne Rücksicht auf die Erhaltung des Staates an sich als Rebellion definiert werden 19. Aber auch dort, wo das aufgeklärte Naturrecht ein instrumentalisierendes Zweckdenken des Staates angestoßen hatte, wurde das Gemeinwohl, in dem sich alle Zwecke bündelten, den Rechten der einzelnen übergeordnet. Da Individualrechte allein im Naturzustand als unbegrenzt wirksam galten, konnten selbst staatsgerichtete Nützlichkeitserwägungen zu deren Aufhebung führen. Auch wenn die Staatszwecke durch die gesellschaftsvertraglichen Staatslehren letztlich auf das Individuum rückbezogen wurden 20 . Die Sicherung der Existenz des Staates stellte mindestens mittelbar einen legitimen Grund zur Einschränkung individueller Rechte dar. Da die Individuen zu ihrer eigenen Sicherheit ein Staatswesen gegründet hatten, galt es, dieses (in seiner konkreten Form 21 ) zu schützen, damit es seine Aufgabe wiederum, nämlich den Schutz der einzelnen zu gewährleisten, erfüllen könne. Je weiter sich seine Rechte ausdehnten oder der Selbstzweck des Staates das gesellschaftsvertragliche Denken überlagerte, desto mehr standen auch hier die individuellen Rechte zur Disposition. Die Formel der Ragion di Stato war als „Universal-Staats-Medizin" 22 insgesamt ubiquitär einsetzbar; sowohl in den Fällen, in denen sie rein politisch-pragmatisch verwandt wurde, als auch in den Fällen, in denen sie - vom Staatszweck aus formuliert - als wertgeladene Formel verstanden wurde 23 .

II. Die Selbstbehauptung als Staatszweck Im Hinblick auf den Inhalt der Staatsraison war insbesondere auch durch die deutsche Rezeption der Konnex zwischen sowohl der Staatsform, der konkreten Verfassung, dem Umfang als auch den legitimen Mitteln der Staatsraison anerkannt - hier allerdings, um die gute von der schlechten Staatsraison bezogen auf die Natur des Staates, dem zu dienen sie bestimmt war, zu unterscheiden24. is M. Stolleis, in: ders., Staat und Staatsräson, S. 134 (155). 19 M. Stolleis, in: ders., Staat und Staatsräson, S. 106 (117 f.). 20 c Enders, Der Staat 35 (1996), S. 351 (362 ff.); C. Link, Herrschaftsordnung, S. 167 ff. m. w. N. 21 Aus heutiger Sicht differenzierend, G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 236: „Die Lehre vom Rechtfertigungsgrunde des Staates konnte nur die Institution des Staates schlechthin rechtfertigen, nicht aber den Staat in seiner individuellen Ausgestaltung". 22 J. J. Moser (1764), zitiert nach M. Stolleis, in: HRG IV, Sp. 1828. 23 W. Conze, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe VI, S. 12 (14); zum Verfassungsschutz als Staatsaufgabe unter dem Grundgesetz, vgl. Ρ Badura, in: Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 27 ff. 4*

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Viele der großen Vordenker der Verfassungstheorie kamen zwar zu dem Schluß, daß der Verteidiger einer Verfassungsordnung berechtigt sei, alles zu tun, was die Situation verlange 25. Unter den heutigen theoretischen Vorbedingungen der verfaßten Demokratie und des Rechtsstaates scheint dieser Schluß von der (behaupteten) Befugnis auf das zulässige Mittel aber fraglich. Können Terminus und Substanz der Staatsraison im juristisch-politschen Repertoire des Staatshandelns überhaupt noch einen eigenen Platz beanspruchen26? Zu Recht wird hier die Karte der Zeitgebundenheit des überkommenen Staatsraisongedankens ausgespielt27. Im freiheitlich demokratischen Verfassungsstaat erscheint ein Staatshandeln nämlich suspekt, das die staatlichen Interessen an der Selbstbehauptung den Bindungen des Staates durch Verfassungs- und einfachgesetzliche Rechtsordnung vorordnet 28. Begriffe wie der der „Verteidigung der Verfassung" oder der der „streitbaren Demokratie" sind deshalb formal an die Stelle der Staatsraison getreten. Trotz der verstärkten Einsicht in die durch eine elaborierte Verfassungstheorie aufgedeckte Antinomie zwischen Verteidigung und Bewahrung des demokratisch verfaßten Staates werden dennoch aber vergleichbare Probleme angesprochen. Staatsraison ist auf Staatserhaltung gerichtet. Sie ist identisch mit den „Lebensinteressen der herrschenden Ordnung" 29 . Inwieweit können in einem demokratisch verfaßten Staat aber die Lebensinteressen der herrschenden Ordnung gegen dissentierende Minderheiten geltend werden? Nicht so sehr die Frage, ob diese Lebensinteressen der herrschenden Ordnung verteidigt werden dürfen, steht dabei zur Debatte, sondern mehr noch die Frage, welchen Bindungen die staatliche Selbstbehauptung unterliegt. Auch hier schwankt die Beurteilung je nachdem, ob der Staat instrumentell betrachtet oder mit einem eigenem Wesen versehen wird. Das Bild zum Beispiel, welches die organische Staatslehre vom Staat als realem Organismus malte, überhöhte ihn als einen lebendigen und wachsenden Körper jenseits des Staates als Produkt menschlicher Zwecksetzung. Er habe eine ihm eigentümliche Lebensidee, die Staatsraison, die Wege und Ziele des Wachstums angebe. Als natürliches, organisches Wesen habe er kraft seiner Natürlichkeit und Lebendigkeit das Recht auf Existenz, Entfaltung, Betätigung und Schutz, als wirkli24 G. Lenz, AöR 48 (1925), S. 261 (283 ff.); F. Meinecke, Idee der Staatsräson, S. 147 ff.; C. J. Friedrich, Staatsräson, S. 42; M. Stolleis, in: ders., Staat und Staatsräson, S. 106 (116, 119). 25 C. J. Friedrich, Staatsräson, S. 77. 26 Als Ersatzbegriff wird das Gemeinwohl vorgeschlagen. Vgl. P. Häberle, DÖV 1969, S. 150 f.; dagegen 7. Isensee, in: HStR III, § 57 Rn. 22: Das Gemeinwohl sei zwar die raison d'être des Staates, nicht aber dasselbe wie die Staatsraison. 27 C. Schmitt, Positionen und Begriffe, S. 45 (51); ferner R. Dahrendorf, Staatsräson, S. 18 f., der die Selbstbehauptung des Staates als Grundsatz der Staatsräson als Hegelismus verwirft. 28 ρ Häberle, DÖV 1969, S. 150 (151); F. Knöpfte, DVB1. 1969, S. 442 (443 f.). 29 M Weber, Politik als Beruf, S. 28.

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cher und lebendiger Organismus sei er sich selbst Zweck 30 . Organologisch ließ sich derart ein „Recht" auf Selbsterhaltung deduzieren. Die organischen Staatslehren untersuchten ihre Apotheose wie ein Arzt seinen Patienten. Sie forschten nach Entwicklungsgesetzen, Krankheitsursachen und Heilmethoden31. Mehr als die Summe seiner einzelnen Teile war es dabei - um einer möglichen Infizierung seines gesamten Organismus vorzubeugen - die erste Pflicht des Staates, sich die kranken Glieder nötigenfalls zu amputieren. Denn genetisch ging er seinen Einzelteilen vor. Auch die Gegner des Positivismus in der Weimarer Republik lehnten die vertragsrechtlichen Fundierungen des Staates als Diffamierung seines höheren Wesens ab 32 . Weniger als Instrument denn als Selbstzweck, dem die Bedürfnisse und Rechte des einzelnen nicht nur ein-, sondern untergeordnet seien, sollte er sich entfalten können. Hieran Schloß in gewisser Weise der Dezisionismus Carl Schmitts33, der als politische Theorie das Recht und den Staat auf das Prinzip der Selbstbehauptung verpflichtete. Der Staat als Ausdruck der substantiellen politischen Einheit des Volkes sei ein Faktum und gehe seiner Verfassung sowohl chronologisch als auch von seiner Wertigkeit voraus. Die Verfassung brauche den Staat nur noch in Form zu bringen. Zugunsten einer anfänglichen Dezision, nämlich der „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit" 34 und der diese erhaltenden souveränen politischen Entscheidungen des Staates, löste Schmitt die normative Bindung der Staatsgewalt an das geschriebene Verfassungsrecht ein Stück weit auf 35 . Der Topos der politischen Einheit des Staates wurde zum Ausgangspunkt seiner weiteren Überlegungen: So stellt er in seiner Verfassungslehre den „positiven Verfassungsbegriff 4 und die positivierte Verfassung einander gegenüber. Beide Verfassungsbegriffe bauen, sowohl was ihre Chronologie als auch ihre Geltungskraft betrifft, auf30 O. Kimminich, in: FS Gasser, S. 319 (329); R. Thoma, in: Elster u. a. (Hrsg.), HBdStW VII, S. 724 (753); Vgl. ζ. Β. Ο. v. Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, S. 8, 13 ff.; H. Triepel, Die Staatsverfassung, S. 36 f.; F. J. Berber, Das Staatsideal, S. 388; R. Zippelius, Staatslehre, § 4 S. 27 ff.; U. Volkmann, JuS 1996, S. 1058 (1060). 31 O. Kimminich, in: FS Gasser, S. 319 (320). 32 C. Schmitt, Der Wert des Staates, S. 85 u. passim; R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (165 f.); H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, S. 157: „Man spricht von einem Staatsnotrecht und argumentiert etwa in der Weise: der Staat muß leben, und wenn dies auf rechtmäßigem Wege unmöglich ist, sind die höchsten Organe des Staates und vor allem das höchste Organ, der Monarch, verpflichtet, alles zu tun, um den Staat zu erhalten. Dabei handelt es sich natürlich nur um ein politisch-naturrechtliches Räsonnement, das sich - wie gewöhnlich - als positives Recht zu geben versucht." Vgl. auch E.-W. Böckenförde, NJW 1978, S. 1881 (1883 f.). 33 Hierzu C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 28, 39, 47; ders., Verfassungslehre, S. 9 f., 21, 99. 34 So und zum folgenden C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 20 ff.; kritisch hierzu H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, S. 125 ff. 35 Hierzu G. F. Schuppert, AöR 120 (1995), S. 32 (40 f.); D. Grimm, Art. Verfassung, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe VI, S. 863 (895).

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einander auf. Während ersterer als Entscheidung über die Art und Form der politischen Einheit in dem politischen Teil der Verfassung fort- und als eigentlicher Grund des geschriebenen Verfassungsrechts absolut wirkt 3 6 , sind die in dem „Verfassungsgesetz" selbst positivierten Regelungen, insbesondere diejenigen, welche der politischen Einheit des Staates Grenzen setzen, als relative zu betrachten. Obwohl die Verfassung auch als Schranke leichtfertiger Änderungen des Verfassungsgesetzes heruntergelassen werden konnte, war in diesen Ausführungen doch ebenfalls angelegt, daß das relative Gesetz der absoluten Verfassung im Konfliktfalle weichen mußte. Bei Schmitt liegt die Lebensberechtigung des Staates als politischer Einheit bereits in seiner Existenz. In Existenzfragen, so Schmitt, setze sich daher die politische Entscheidung gegen das auf ihr aufbauende Verfassungsgesetz durch. Das Recht auf Selbstbehauptung des Staates wurde durch das Verfassungsgesetz also weder legitimiert noch limitiert, sondern ging diesem voraus. Im Anschluß hieran markiert Schmitts Schrift über den Begriff des Politischen in der Lehre der Staatsraison einen Höhepunkt37. In kategorialer Zuspitzung des Machtmoments der Politk galt ihm als deren Wesen die Unterscheidung von Freund und Feind. Der Feind wurde als der die eigene politische Existenz durch sein Anderssein in Frage stellende Fremde umschrieben 38. Er sei existentiell und in einem besonders intensiven Sinne etwas Fremdes, mit dem es im äußersten Falle auch zu existentiellen Konflikten kommen könne. Wenn das Anderssein die Negation der eigenen Existenzart impliziere, müsse der Feind bekämpft, abgewehrt, letztlich vernichtet werden 39. Um den privaten (Konkurrenten) vom öffentlichen Feind im Sinne des Politischen beispielhaft abzugrenzen, findet sich in seiner Schrift ein Hinweis auf die Bibel und die Unterscheidung von „hostis" und „inimicus". Für ersteren, den politischen Feind, wird zur Erläuterung der politische Gegensatz zwischen Christentum und Islam bemüht40. Für Schmitt stand der (ideale) Staat in der Tradition des Kaiserreiches des 19. Jahrhunderts. Er stellte die höchste überindividuelle (nicht interindividuelle) Einheit mit eigenem legitimatorischen Charakter dar und hatte die Macht, sich über alle gesellschaftlichen Größen zu erheben 41. Man hatte es hier zu tun mit einem wesenhaften Staat eigenen Wertes, der seiner Negation mit der Negation seiner Negation begegnete. Mag dies innenpolitisch auch nicht für den Normalzustand der grundsätz36 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 121: „Vor jeder Norm steht die konkrete Existenz des politisch geeinten Volkes". 37

O. Brunner, Land und Herrschaft, S. 3 Anm. 1; ferner V. Neumann, in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 155 (156 ff.). 38 So H Hofmann, in: ders., Recht - Politik - Verfassung, S. 212 (218). 39 Hierzu und zum folgenden C Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 27 ff.: Liquidierung des „existentiell Anderen". Dazu G. Maschke, Der Staat 33 (1994), S. 286 (288 u. passim). Auch C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, S. 14; U. Volkmann, JuS 1996, S. 1058 (1062). 40 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 29. C. Schmitt, Politische Theologie, S. 19 f.; C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 62 f.

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lieh befriedeten politischen Einheit Staat gegolten haben: Denn faktisch gibt es den Staat allein als innere Friedenseinheit, in der die Freund-Feind-Gruppierung aufgehoben ist 42 . So haftet doch auch der innerstaatlichen Lage diese Gruppierung als Latenz an. Denn auch innere Konflikte vermögen sich zu einem Intensitätsgrad an Dissoziation derart zu steigern, daß die politische Einheit auf der Grundlage ihrer substantiellen Homogenität aufgespalten (quod erat demonstrandum)43 und der Staat daher in Pflicht genommen wird, sie wiederherzustellen 44. Trotzdem stellte Schmitt zumindest in den 1920er-Jahren der Republik den Begriff der Verfassung in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Auf dem Gipfel der Verfassungskrise der Republik formulierte er, daß die Substanz der Verfassung in klarer Unterscheidung von Freund und Feind auf Kosten ihrer liberaldemokratischen Elemente gerettet werden müsse45, um den Staat: die Kräfte des deutschen Volkes, seiner Einheit zuliebe zu stabilisieren. Die Legitimität des Staates wurde gegen die formale Legalität der Verfassung also ausgespielt. Dies vor dem Hintergrund, daß Normativität Normalität voraussetze46. Die Formen der Verfassung bänden, so Carl Schmitt, daher denjenigen nicht, der ihre Substanz verteidigen wolle. Vor dem Hintergrund, daß die Weimarer Verfassung in Wahrheit aus zwei Verfassungen bestehe, gehe der politische, mit der politischen Einheit des Staates zu identifizierende Teil der Verfassung dem rechtsstaatlichen, und das heißt, dem die politische Einheit relativierenden Teil vor 4 7 . Diejenigen Regelungen der Verfassung nämlich, in welchen sich der Selbsterhalt wie auch die Verteidigung der politischen Einheit widerspiegle, hätten Präponderanz vor denjenigen, welche dem staatlichen Handeln zugunsten gesellschaftlicher und privater Freiheit Schranken zögen. Denn rechtsstaatlich gesicherte Freiheit konstituiere keine politische Assoziation, sondern trage im Gegenteil eher zu deren Dissoziation bei 48 . Die einheits42 C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 63. Die Abhandlung über den Begriff des Politischen ist zwar vornehmlich an der Außenpolitik orientiert, es war aber durchaus ihr Ansinnen, daß die dort vorgenommene Unterscheidung auch auf die inneren Verhältnisse angewandt wurde. K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 266 Fn. 51. 43 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Recht, Freiheit, S. 344 (347 ff.). 44

C. Schmitt, Die Diktatur, S. 215 ff.: Sinn der Diktatur sei die Verteidigung der Verfassung als eines Ganzen durch Suspendierung einzelner verfassungsgesetzlicher Bestimmungen. 45 C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 97 f.; hierzu H. Hofmann, in: ders., Recht Politik - Verfassung, S. 212 (236); ders., Legitimität gegen Legalität, S. 114 f., 118, 130 f. 46 C. Schmitt, Politische Theologie, S. 18 ff. 47

Zur Unterteilung der Verfassung in einen politischen und einen rechtsstaatlichen Teil, vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 123 ff., 221 ff.; ders., Legalität und Legitimität, S. 47; hierzu D. Grimm, Art. Verfassung, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe, S. 863 (896). Schmitt ordnete das Prinzip der Freiheit nicht der politischen, sondern liberal-rechtsstaatlichen Seite der Verfassung zu und postulierte die Gleichheit als das demokratisch-politische Prinzip. M. Kraft-Fuchs, ZÖRIX (1930), S. 511 (523 ff.). 4 8 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Recht, Freiheit, S. 344 (354); K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 266; H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 39 ff., 50 ff.

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bildende Leistung könne nur von dem politischen Teil der Verfassungsordnung übernommen werden. Die Erhaltung der staatlichen Einheit sei deshalb jenseits dessen zu suchen, was mit dem Begriff des Rechtsstaates verknüpft werde 49. Um diesen Teil, und damit letztlich auch die Substanz des Staates, zu erhalten, könne (oder müsse) auch der innere Feind zum hostis erklärt werden. Als „abgeschwächte Formen der hostis-Erklärungen" ständen dabei, so Schmitt, „Konfiskationen, Expatriierungen, Organisations- und Versammlungsverbote ( . . . ) " zur Verfügung. Eine Feinderklärung in Form einer „Friedloslegung" könne, so Schmitt, auch dadurch geschehen, „daß für Angehörige bestimmter Religionen ( . . . ) der Mangel friedlicher oder legaler Gesinnung vermutet" werde 50 . In Anlehnung an Gottfried Wilhelm Friedrich Hegels Philosophie, daß der Staat keine höhere Pflicht, als sich selbst zu erhalten, habe51, wird auch unter dem Grundgesetz formuliert, daß am „Anfang einer praktischen Staatszwecklehre" der klassische Staatszweck der Selbstbehauptung stehe. Das Ziel des Staates - hier wohl in seiner Bedeutung als politische Einheit und damit Geltungsgrund für die Rechtsordnung52 - sei sein Selbsterhalt. Zu dessen Verfolgung könne er den Herrschaftsapparat samt seiner Sanktionsbefugnisse einsetzen53. Was legitimiert ihn aber dazu, und wie weit kann diese Selbstverteidigung gehen?

I I I . Staatszwecke im Verfassungsstaat Durch die obengenannte Verknüpfung wird die Selbstbehauptung des Staates in die klassische Staatszwecklehre eingebunden. Letztere manifestiert sich als ein Produkt des Vernunftrechts, in dessen Rahmen von den Bedürfnissen der Menschen induktiv auf die Zwecke des Staates und ihre begrenzende Funktion rückgeschlossen wurde 54 . Staatsgewalt wurde über die Lehre der Staatszwecke legitimiert. Auch seine Selbstbehauptung wurde mittelbar Daß Carl Schmitt deshalb an der Konjunktur des zweiten Hauptteils der WRV (Freiheitsrechte) mitwirkte, erscheint insoweit zumindest inkonsequent, war aber nicht von dem Bestreben getragen, der Freiheit den Primat einzuräumen, sondern die Freiräume des parlamentarischen Gesetzgebers zu beschneiden, vgl. M. Stolleis, Geschichte III, S. 105. 49 C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 64. Das Defizit der wertrelativistischen Legalität der Weimarer Verfassung bestand für Carl Schmitt deshalb gerade darin, nicht zwischen Staatsfeind und -freund, Volksgenossen und Artfremden unterscheiden zu dürfen. C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 16. 50

C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, S. 48 (Hervorhebung nicht im Original), S. 47. 51 G.W. F. Hegel, Die Verfassung Deutschlands, (1802), S. 37 u. passim. 52 J. Isensee, in: HStR I, § 13 Rn. 69. 53 J. Isensee, VVDStRL 48 (1990), S. 136 (137). 54 G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 56 (63); W Brugger, NJW 1989, S. 2425 ff. Zu den Staatszwecken im Verfassungsstaat umfassend, H. Bethge, DVB1. 1989, S. 841 (842 ff.); H.P. Bull, NVwZ 1989, S. 801 (802 ff.); auch U. Scheuner, in: FS Forsthoff, S. 325 (340 ff.).

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an den elementaren Zweck der Gründung des Staates, nämlich an den effektiven Schutz von Frieden und Freiheit der einzelnen gekoppelt und dadurch legitimiert. Wie stellt sich aber die Selbstbehauptung des modernen, demokratischen Staates zu seiner Verfassung? „Kann das Ziel der Existenzerhaltung des Staates es rechtfertigen, im gegebenen Fall Verfassung und Gesetze auf Grund besonderer Rechtfertigung außer Acht zu lassen? Mit anderen Worten: Muß das hohe Ziel des Schutzes unseres Staates noch als über der Verfassung stehend angesehen werden? 4'55 Die Beantwortung dieser Fragen hängt sicherlich von der Beantwortung der fundamentaleren Vorfrage nach dem Verhältnis von Staat und Verfassung ab. Denn an der Frage der Ableitung von Staatsaufgaben scheint „brennglasartig das dahinterliegende Problem des Verhältnisses von Staat und Verfassung" auf 56 . In der Unterscheidung von Staatszwecken, Staatszielen und Staatsaufgaben wird zum Teil gefolgert, daß Staatszwecke sich von vornherein nicht auf verfassungsrechtliche Vorgaben reduzieren ließen. Sie bildeten einen Kanon von Gründen, aus denen sich die Legitimität des Staates (allerdings des Abstraktums „Staat" der Staatslehre) und seiner Rechtsordnung ergebe, und ständen daher vor dem Recht, auch dem Verfassungsrecht. Zum Teil mündet diese Vorrangstellung des Staates in die vermeintliche „Notwendigkeit, aus einem vorgegebenen Staatsbegriff Rechtssätze des Verfassungsrechts abzuleiten, die so im Grundgesetz nicht enthalten sind" 57 . Wird der Staat als Wesen seinerseits der Verfassung vorausgehend und diese ihrerseits als den Staat voraussetzend betrachtet 58, bewirkt dieses Apriori des Staates also auch ein Apriori seiner Zwecke. Staat und Verfassung werden in ein Stufenverhältnis gestellt. Denn Verfassungsvoraussetzungen bezeichnen Strukturen, die selbst nicht in der Verfassung normiert sind, dennoch aber Rückwirkungen auf den dogmatischen Gehalt des Verfassungsrechts nehmen können: Die Verfassung könne die Staatlichkeit nicht urknallartig entwerfen 59, so die zugehörige Prämisse, sondern die Struktur des vorgefundenen Staates lediglich modifizieren. Der Staat 55 So fragt K. Doehring, in: FS Carstens, S. 527 (529). Vgl. ferner Doehring, VVDStRL 48 (1990), S. 115: Man schwöre nicht Treue zur Verfassung, sondern zum Staat. 56 G.-F. Schuppert, StaWi/StaPrax 2 (1991), S. 122 (126). Von anderer Warte aus auch E. Denninger, in: HdbVerfR I, § 16 Rn. 10: „Schutzeinrichtung und Schutzgut stehen in einem wechselseitigen Funktionszusammenhang. Schutz der Verfassung ist nur zu begreifen als ein »reflexiver Mechanismus' ( . . . ) , kurz: als ,Verfassung' der Verfassung. Hieraus folgt notwendig, daß der Begriff von Verfassung, welchen der Interpret voraussetzt, und die Methoden der Verfassungsauslegung, die er anwendet, auch seinen Begriff vom »Schutz der Verfassung' mitbestimmen". 57 A. Bleckmann, Staatsorganisationsrecht, S. 6; C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 192 ff. m. w. N.; vgl. aber auch P. Häberle, AöR 111 (1986), S. 595 (600 ff.). 58 Zu den Verfassungsvoraussetzungen umfassend H. Krüger, in: FS Scheuner, S. 285 (286 ff., 292 f.); J. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 163 ff.; zum Staat als Verfassungsvoraussetzung ferner J. Isensee, in: HStR I Rn. 1, 144; ders., in: StL V, Sp. 130 (150): „Der Staat ist vor der Verfassung". Auch E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 15; P. Kirchhof, in: FS Graßhof, S. 3 (8); ders., in: HStR I, § 19 Rn. 51. 59 ρ Kirchhof, in: HStR I, § 19 Rn. 16 ff., 51.

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sei als „präkonstitutioneller Grundtypus" konzeptioniert 60. Die zweifelsfreien Elemente seiner „modernen Staatlichkeit" nähmen maßgeblichen Einfluß auf seine Zwecke 61 . Die Verfassung sei aus seiner Sicht mindestens zu interpretieren 62. Aus dem Staat als Verfassungsvoraussetzung folge, so die Konsequenz in der Sache, grundsätzlich das verfassungsrechtliche Gebot zu seinem Schutze63. Das führt zu der Schlußfolgerung, der Schutz seiner Existenz erlaube es dem Staat, auch auf nicht positivierte Befugnisse zurückzugreifen. Sein Existenzschutz markiere zugleich eine ungeschriebene in- oder externe Schranke jeglicher Grundrechtsausübung. In letzter Konsequenz dürfe sich, so diese Auffassung im Extrem, der Staat von der Rechtsordnung befreien, wenn seine Grundlagen negiert würden 64 . Es fragt sich aber, ob der Prämisse eines so verstandenen Staatsschutzes, dem Staat als Voraussetzung seiner Verfassung, mit allen dogmatischen Konsequenzen zugestimmt werden kann. Denn unter Zugrundelegung dieser Prämisse steht das Verfassungsrecht mit dem Staat als seiner unerläßlichen Bedingung unter dem Vorbehalt eines vorverfassungsrechtlichen und wesenhaften Abstraktums „Staat" und wird dadurch relativiert 65 . Dieses Ergebnis widerspricht dem Anspruch der Verfassung, von Anfang an und stets das Staatshandeln normativ zu steuern und Staatsgewalt hierdurch zu legitimieren 66. Gerade das Grundgesetz hat der Selbstzweckund Selbstwerthaftigkeit des Staates aber eine Absage erteilt. Es unterstreicht vielmehr dessen dienende Funktion für den einzelnen67. Darüber hinaus werden Staat 60 J. Isensee, in: Das Volk als Grund der Verfassung, S. 10 ff.; ders., JZ 1981, S. 1 (3 f., 6, 8); ders., in: Möhler (Hrsg.), Wirklichkeit als Tabu, S. 11 (20, 30); ders., in: HStR I, § 13 Rn. 8 ff., 13; ders., VVDStRL 48 (1990), S. 136 ff. Wo Genus und Spezies des Staates voneinander getrennt betrachtet werden, können sich Dialoge entspinnen wie: Jedermann müsse bestraft werden, der „gegen den Staat" vorgehe. Zuruf: „Gegen die Republik". Antwort: „Jawohl, gegen unseren heutigen Staat und seine Verfassung". Zuruf: „Gegen die Republik, das ist das Entscheidende". Antwort: „Der Staat ist zufällig eine Republik, und der Staat als solcher muß geschützt werden". Vgl. Protokolle der Weimarer Nationalversammlung, Bd. 8 (26. 6. 1922), S. 11315, zitiert nach Jasper, Schutz der Republik, Fn. 16 S. 61. 61 G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 56 (68). 62 J. Isensee, in: HStR I, § 13 Rn. 20 ff., 144, 174. ΰ3

Hierzu C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 257. 64 So G. Anschütz, VerwArch. 14 (1906), S. 315 (339): „Das Staatsrecht hört hier auf, aber nicht der Staat, er ist stärker als sein Recht". Diese klassische Formel war seine Stellungnahme zum preußischen Verfassungskonflikt. Insg. auch H. Oberreuter, Notstand und Demokratie, S. 110 ff.; E.-W. Böckenförde, NJW 1978, S. 1881 ff. 65 H. Schulze-Fielitz, Die Verwaltung 32 (1999), S. 241 (250 ff.); ders., in: Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben, S. 9 (14 ff.); ders., StaWi/ StaPrax 1 (1990), S. 223 (236): „Verfassungsunabhängige Staatszwecke können im Verfassungsstaat nicht zusätzlich legitimieren, sondern allenfalls durch Abwertung des Verfassungsrechts das Gegenteil bewirken". G. Haverkate, Verfassungslehre, S. 40 f.; G.-F. Schuppert, StaWi/StaPrax 2 (1991), S. 122 (130 ff.). 66

D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 12 f. 67 Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, in: Der Parlamentarische Rat II, S. 580 (Entwurf eines Grundgesetzes Art. 1); BVerfGE 50,

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und Staatlichkeit durch die Verfassung erst konstituiert 68. Die Verfassung stellt deshalb nicht nur einen Aspekt des Staatlichen, sondern umgekehrt stellt das Staatliche einen Aspekt der Verfassung dar 69 . Staatszwecke nehmen ihre konkrete Gestalt daher erst in dem Augenblicke an, in dem die Verfassung sie dem Staat zu eigen macht 70 . Der Wandel des Staates hin zum demokratisch verfaßten Staat läßt die eigentliche Funktion der Staatszweckerörterungen deshalb insoweit leerlaufen, als die Frage nach der Legitimität des Staates in das positive Verfassungsrecht eingegliedert wurde. In den Entscheidungen des Grundgesetzes für bestimmte fundamentale Staatszwecke verkörpert sich die historische Idee von deren Richtigkeit 71 . Das Grundgesetz zieht dem Staat daher den Rahmen, innerhalb dessen seine konkrete Politik sich zu verhalten hat 72 . Ein Ausgriff über Tellerrand der Verfassung auf einen substanzhaft vorausliegenden Staat bleibt deshalb verwehrt 73. Das Grundgesetz hat keine virtuell umfassende Staatsgewalt mit Kompetenz-Kompetenzen gegenüber dem sie konstituierenden Volke verfaßt 74. Mit den Grundrechten in ihrer liberalen Ausprägung als Abwehrrechte zieht es dem Staat ferner äußerste Grenzen, die er bei eingreifendem Staatshandeln zu beachten hat. Auch den Staatszweck der Selbstbehauptung hat das Grundgesetz in Umfang und ΒindungsWirkung also fixiert. Da es aber nur so viel Staat gibt, wie die Verfas166 (175); 54, 341 (357); P. Häberle, in: HStR I, § 20 Rn. 66; R.-U. Kunze, Der Staat 40 (2001), S. 383 (394 ff.). 68 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 29 (43); H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (743 m. w. N.); D. Grimm, in: StL V, Sp. 634; ders., Verfassungsgeschichte, S. 12; U. K. Preuß, Revolution, Fortschritt, Verfassung, S. 26. Zur „Münchhausiade" des Staates, der sich an seinem eigenen Rechtszopfe aus dem Sumpfe zieht, vgl. G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, S. 23, zitiert bei P. Kirchhof, in: HStR I, § 19 Rn. 20; C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 262: „Staatlichkeit erweist sich nicht als Verfassungs-, sondern als Verfassunggebungsvoraussetzung". 69

D. Grimm, Art. Verfassung, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe VI, S. 863 (890 ff.). Zu den funktionalen Unterschieden der begrenzenden „konstitutionalistischen" Verfassung und der staatsanleitenden Verfassung, vgl. R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, S. 9; E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 29 (42 f.); G. Dilcher, Der Staat 27 (1988), S. 161 (172, 177 ff.); D. Grimm, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, S. 315 (318); ders., StaWi /StaPrax 1990, S. 5 ff.; Κ Hesse, Grundzüge, Rn. 16 ff.; U. Karpen, Die geschichtliche Entwicklung des liberalen Rechtsstaates, S. 37 ff. 70 Ρ Häberle, VVDStRL 48 (1990), S. 128 f.; ders., AöR 111 (1986), S. 595 (600 ff.); C. Link, VVDStRL 43, S. 7 ff.; H. Meyer, ebda., S. 152 f.; R. Bartlsperger, ebda., S. 153 f.; Κ Α. Schachtschneider, ebda., S. 158 f.; H. Schulze-Fielitz, NJW 1990, S. 31. 71 R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, S. 17; vgl. aber auch Η. P. Bull, NVwZ 1989, S. 801 f. 72 R. Zippelius, Staatslehre, S. 132 f. 73 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 9. 74 BVerfGE 42, 312 (332); vgl. aber auch J. Isensee, in: HStR III, § 57 Rn. 116; G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 56 (72).

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sung ihn konstituiert 75, wird unter dem Grundgesetz die Selbstbehauptung des Staates daher umbesetzt durch die Selbstbehauptung der Verfassung 76. Die herkömmliche Staatsraison ist deshalb in der Verfassung aufgegangen. Sie hat sich zur Verfassungsräson gewandelt77. Da die Verfassung also allein über den notwendigen Selbstschutz „des Staates" bestimmt, kann entweder sie als „erstarrte" Staatsraison78 oder aber die Staatsraison umgekehrt als Verfassungsschutz begriffen werden 79. Verfassungs- und Staatsräson sind weder antinomische noch inkongruente Größen. Dies gilt vor allem für den Fall, daß man sich vor Augen hält, daß dabei auf die Räson des in bestimmter Weise verfaßten Staates und nicht des Staates „an sich" rekurriert wird 80 . Die von Herbert Krüger und Hans Hugo Klein stammenden Aussprüche, daß es die Aufgabe der Verfassung sei, den Staat in Form und nicht umzubringen 81, und deshalb „jede Verfassung ( . . . ) begriffsnotwendig alle Staatsorgane primär zur Erhaltung des von ihr konstituierten Staatswesens" verpflichte 82, muß daher mindestens mit dem Bundesverfassungsgericht in seiner Terminologie dahin eingeschränkt werden, daß die „Staatsräson ( . . . ) kein vorrangiger Wert" ist 83 . „Mit der Gewißheit, daß es keinen Primat der Politik vor dem Recht geben kann, steht und fällt der Rechtsstaat"84. Die Legitimität der Demokratie ist ihre Legalität. Der demokratische Verfassungsstaat trägt seine Legalität nicht als Farbfleck, der sich im Schleudergang abwäscht, um darunter die „eigentliche" Staatlichkeit erstrahlen zu lassen. Es ist deshalb nicht unbedenklich, wenn in der obergerichtlichen Rechtsprechung formuliert wird, daß Feinde der Verfassung, auch wenn sie sich formal im Rahmen der Legalität bewegten, nicht toleriert werden könnten85. Denn hier scheint die freiheitlich demokratische Grundordnung als Demarkations75 R Häberle, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 271 (276). 76 Ähnl. C. J. Friedrich, Staatsräson, S. 123. 77 A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (899); H. Ridder, in: Gesellschaft, Recht und Politik, S. 305 (311); H.-R Schneider, in: Narr (Hrsg.), Wir Bürger als Sicherheitsrisiko, S. 93 (123 f.); vgl. aber auch die Sondervoten (Geller, Schlabrendorff und Rupp) zu BVerfGE 30, 1 (33, 45): „Die ,Staatsraison' ist kein unbedingt vorrangiger Wert". 78 M. Schröder, AöR 103 (S. 129 ff.); H. Ryffel, Rechts- und Staatsphilosophie, S. 216 ff. 79 Differenzierend H. H. Klein, Staatsraison, 1968, S. 33 ff., um dem Staat mit der Staatsraison eine Ermächtigungsgrundlage an die Hand zu geben, damit er Maßnahmen contra legem scriptam ergreifen könne. Kritisch F. Knöpfle, DVB1. 1969, S. 442 (443): Damit werde ein ungeschriebenes Verfassungsprinzip höchsten Ranges anerkannt. 80 H. H. Klein, Staatsraison, S. 33 Fn. 108 a. 81 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 705. 82 H. H. Klein, Staatsraison, S. 36 f.; ferner E.-W. Böckenförde, NJW 1978, S. 1881 (1883): „Auch für diejenige Auffassung, der ich selbst zuneige, nach der die Verfassung die staatliche Handlungsmacht nicht erst konstituiert, sondern bindet und limitiert, hat die Verfassung jedenfalls eine verbindliche begrenzende Wirkung und Funktion". 83 BVerfGE 30, 1 (45). 84 A. Arndt, NJW 1961, S. 897 (899). 85 OVG Lüneburg DVB1. 1972, S. 961; U. Κ Preuß, Legalität und Pluralismus, S. 9 ff.

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linie von Feind- und Freundschaft in die Sphäre einer vor der Legalität zu schützenden Legitimität entrückt. Nicht weniger bedenklich ist es ferner, wenn das Bundesverfassungsgericht von der Aufgabe, die Verfassung zu schützen, auf die zum Schutze der Verfassung zulässigen Mittel schließt, ohne daß letztere ihrerseits eine Verankerung in der Verfassung gefunden hätten86. Denn der moderne Verfassungsstaat hat mit der historischen Entwicklung der Staatsraison gebrochen. Weniger als legitimierendes Prinzip rechtsbrechenden Staatshandelns denn als Auslegungsbzw. Normanwendungsprinzip im Rahmen der Verfassung bewegt sich die „Staatsraison" heute auf dem Boden der verfassungsrechtlichen Rechtsordnung87. Die Saint Justsche Revolutionsparole „keine Freiheit den Feinden der Freiheit" 8 8 gilt also nur bedingt und auch nur insoweit, als die Verfassung diese Folge statuiert. Durch einen folgenden ersten kursorischen Überblick über die „Arten des Verfassungsschutzes" läßt sich aber feststellen, daß das Grundgesetz zumindest keine „unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit" 89 bereithält.

IV. Die Arten des Verfassungsschutzes Wo liegen aber die Grenzen des Freiheitsgebrauchs, und wie schützt sich das Grundgesetz vor seiner eigenen Überwindung? Im folgenden soll ein kursorischer Überblick über die Arten des Verfassungsschutzes gegeben und das sie verknüpfende Element, die freiheitlich demokratische Grundordnung, benannt werden. Die Verfassung, der Bestand und die Sicherheit des Staates werden nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zu dem Zweck geschützt, die Freiheit der einzelnen zu gewährleisten. Unter dem Eindruck des Scheiterns der Weimarer Republik und der „legalen" Überwindung ihrer Verfassung durch die Nationalsozialisten war, darin sind sich Rechtsprechung und Literatur einig, der Parlamentarische Rat darauf bedacht, sowohl die Normativität des Grundgesetzes als auch dessen Identität und damit einen unabänderlichen Bestand grundgesetzlicher Fundamente institutionell abzu-

86 BVerfGE 30, 1 (19 f.). 87 M. Schröder, JA 1975, S. 345 (348). Zum Verhältnis staatsrechtlicher Notstand und Rechtsstaatsprinzip, vgl. E.-W. Böckenförde, NJW 1978, S. 1881 (1882 ff.); A. Arndt, in: Arndt/Freund, Notstandsgesetze, S. 13: „Alles Spekulieren mit einem ,überverfassungsgesetzlichen Notstand' als einer Erlaubnis zu Maßnahmen, die nicht von der urkundlichen Verfassung gerechtfertigt werden, ist nichts als eine verwerfliche Beschönigung des Verfassungsbruchs, des Verfassungsverrats". G. Ress, VVDStRL 48 (1990), S. 56 (63). 88

Aufgenommen von Κ. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 12. 89 BVerfGE 5, 85 (138); J. Kersten, NJ 2001, S. 1 (2); R. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 21 Abs. 2 Rn. 213; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 21 Rn. 136; H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (215). Gleichgelagerte „Slogans" lauten zum Beispiel: „Demokratie nur für Demokraten", vgl. J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 10.

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sichern, um die Freiheit künftig zu bewahren. Zu diesem Zwecke hob er ein umfassendes Verfassungsschutzkonzept aus der Taufe 9 0 . Der Verfassungsschutz wird - an die unterschiedlichen Gefährdungen angelehnt, denen eine Verfassung ausgesetzt ist - systematisch in mehrere Arten untergliedert. Die gängige Unterscheidung ist die eines weiten und eines engen Begriffs des Verfassungsschutzes. Während die allein dem weiten Begriff des Verfassungsschutzes zuzuordnenden Normen und Institutionen des Grundgesetzes in Form zum Beispiel des Staatsorganisationsrechts oder auch der Einrichtung der Verfassungsgerichtsbarkeit 91 die „normative Kraft der Verfassung" 92 in ihrer Normallage stärken und sichern sollen, zielen diejenigen, die dem engen Begriff des Verfassungsschutzes unterfallen, darauf ab, willentliche Angriffe auf die Grundlagen der Verfassung abzuwehren 9 3 . Der Schutz der Verfassung i m engeren Sinne wiederum läßt sich unterteilen in repressive, präventive und konstruktive Elemente 9 4 . Dabei bedient der konstruktive Verfassungsschutz den seit der Antike stetig wiederkehrenden Topos der Erziehung zur Verfassung 95 . Das Instrumentarium des repressiven Verfassungsschutzes wird zur Verfolgung bereits begangener Verletzungen der Verfassung eingesetzt, sein präventives Pendant dagegen dazu, die „Entstehung und Ausbreitung verfassungsfeindlicher Strömungen" zu verhindern und den „Verfas90 Unter dem Verfassungsschutz werden von U. Scheunen in: FS Erich Kaufmann, S. 313 (321), Einrichtungen oder Obliegenheiten verstanden, die dem „Zwecke der Sicherung der Verfassung gegen Angriffe von außen und innen, gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen von oben oder von unten und gegen die innere Funktionsunfähigkeit dienen, und über die allgemeine Pflicht zur Wahrung der Verfassung hinaus besondere Pflichten oder Zuständigkeiten begründen, insbesondere Rechtsnachteile für Verletzungen der Verfassung verhängen oder organisatorische Vorsorge für ihren Schutz treffen". Ferner H.-U. Evers, in: EvStL, Sp. 3779. Zur Unterscheidung von Staats- und Verfassungsschutz, vgl. Ρ Badura, in: Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 27 (36 ff.); H. J. Schwagerl, Verfassungsschutz, S. 10 ff. Der Begriff des Verfassungsschutzes ist der jüngere und zutreffendere Begriff. Vgl. K. Stern, in: ders., Staatsrecht I, S. 182, 552 f.; ferner BVerfGE 30, 1 (19); 49, 24 (56 f.). 91

Umfassend D. Rauschning, Die Sicherung der Beachtung von Verfassungsrecht, S. 14 u. passim. 92 Κ. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Tübingen 1959. 93 Ausführlich E. Denninger, in: HdbVerfR I, § 16 Rn. 17; U. Scheuner, BayVBl. 1963 S. 65 (65); T. Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 272 ff. 94 So U. Scheuner, in: FS Erich Kaufmann, S. 313 (326 ff.). 95

Dieser konstruktive Schutz ist im Grundgesetz nicht geregelt. Über die Erziehung zur Demokratie als wirksamsten Schutz gegen deren Überwindung und damit als Verfassungsvoraussetzung besteht in der Staatsrechtslehre jedoch Konsens. Vgl. nur E. Denninger, in: HdbVerfR I, § 16 Rn. 9, mit Hinweis mi Aristoteles Politik, V, 1310 a: „Das Wichtigste aber für den dauerhaften Bestand der Staatsform ( . . . ) ist eine der Verfassung angemessene Erziehung. Die heilsamsten Gesetze ( . . . ) fruchten nichts, solange nicht Sorge getragen wird, daß die einzelnen sich in sie hineinleben und im Geiste der Verfassung erzogen werden." J. Isensee, in: Das Parlament 26. Jahrg./Nr. 3; C. Starck, Vom Grund des Grundgesetzes, S. 35, 55 u. passim; P. Häberle, in: FS Hans Huber, S. 211 (220 ff.); K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, S. 8 ff.; K. Stern, in: ders., Staatsrecht I, S. 184; J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 40, 78; A. Spiegel, Die Möglichkeiten eines effektiven Schutzes, S. 130 ff.; G. Jasper, Der Schutz der Republik, S. 211 ff.

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sungsfrieden" zu erhalten 96. Im Regelungsbereich des engen Begriffes des Verfassungsschutzes ist damit der „Wille zur Verfassung" ein ausschlaggebendes Merkmal. Im Sinne des konstruktiven Verfassungsschutzes soll er edukatorisch gefördert werden. Damit das Instrumentarium des auch als spezifisch und in Art. 73 Nr. 10 lit. b GG legaldefinierten Verfassungsschutzes aktiviert werden kann, wird sein Fehlen dagegen unterstellt 97. Im Reich dieses spezifischen Verfassungsschutzes regierte auf der Seite der Vorsorge lange Zeit die wehrhafte Demokratie: ein Begriff zunächst, der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die herrschende Staatsrechtslehre der Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf das Selbstverständnis des Parlamentarischen Rates nach und nach als Verfassungsprinzip inthronisiert wurde 98 . Sowohl das Grundgesetz als auch einfache Gesetze enthalten damit eine Vielzahl an Bestimmungen, die einen dicken „Schutzpanzer" 99 um Verfassung und Staat ziehen. Während der repressive Staats- und Verfassungsschutz vornehmlich im Strafrecht verortet wird, fällt unter den präventiven oder spezifischen Schutzbegriff die durch das Grundgesetz selbst positivierte Abwehr von absichtsvollen Angriffen auf die Grundlagen von Verfassung und staatlicher Existenz. Regelungen, durch deren Einsatz dieser Gefahr vorgebeugt werden soll, finden sich insbesondere in den Art. 5 III, 9 II, 10 II, 11 II, 18, 21 II GG und auch in Art. 79 III GG. Alle diese Normen werden durch die freiheitlich demokratische Grundordnung explizit oder implizit verklammert. Dem Schutzgut der freiheitlich demokratischen Grundordnung kommt beim vorsorgenden Verfassungsschutz, der für diese Arbeit zentral sein wird, damit im Ergebnis eine Schlüsselrolle zu.

96 u. Scheuner, in: FS Erich Kaufmann, S. 313 (326). 97 E. Denninger, in: HdbVerfR I, § 16 Rn. 17; ders., in: VVDStRL 37 (1979), S. 8 (20 ff.). 98 Erstmals BVerfGE 28, 36 (48 f.): „Dieses Prinzip der streitbaren Demokratie gilt auch für die innere Ordnung der Bundeswehr. ( . . . ) Ein auf das Prinzip der streitbaren Demokratie gegründetes Gemeinwesen ( . . . ) " . Ebenso BVerfGE 28, 51 (55). BVerfGE 30, 1 (20), stellt die wehrhafte Demokratie als Grundentscheidung der Verfassung auf eine dem Rechtsstaatsprinzip vergleichbare verfassungsrechtliche Ebene. Zustimmend J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 39; ferner BVerfGE 13,46 (50); 25,44 (58); 30, 1 (19); 39, 334 (349). 99 O. Kirchheimer, ZfPol 1964, S. 126 (140).

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C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung I . Die „zivilreligiöse" Formel der freiheitlich demokratischen Grundordnung Als dogmatischer Ansatzpunkt für ein Selbstschutzkonzept des Grundgesetzes, das mit der Institutionalisierung eines im Bereich der Gefahrenvorsorge angesiedelten Abwehrinstrumentariums neue Wege beschritten hat, dient also insbesondere der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Welche Verfassungsrechtsgüter werden aber unter dieser Sammelbezeichnung zusammengefaßt, und wie und gegen wen entfalten die Normen, die zum Schutze des Grundgesetzes bestimmt sind, ihre Wirkung? Diese Fragen sollen im folgenden untersucht werden. Zunächst zur inhaltlichen Auffüllung der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes: Von seiner Struktur her verkörpert der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung einen unbestimmten Verfassungsbegriff 1 . Seine authentische Interpretation war dem Bundesverfassungsgericht angetragen worden 2. Die letztendliche Definition des Verfassungsgerichts orientierte sich an den Verfassungsgrundsätzen, die durch das politische Strafrecht (§ 88 II a.F./92 II n.F. StGB) auf einfachrechtlicher Ebene unter Schutz genommen werden3. Das Gericht bestimmt die freiheitlich demokratische Grundordnung als „eine Ordnung ( . . . ) , die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition"4. Die weniger im Wege der Deduktion als im Wege der Subtraktion gewonnene Formel, die die freiheitlich demokratische Grundordnung aus1 M. Ruland, Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung, S. 25 ff.; G. Lautner, Die freiheitlich demokratische Grundordnung, S. 5 ff.; zur Entstehungsgeschichte vgl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 557 f.; /. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 21 Rn. 88: „Klammerbegriff'. 2 E. Kaufmann, 39. DJT (1952), A 17 (30). 3 W. O. Schmitt, DÖV 1965, S. 433 ff. 4 BVerfGE 2, 1 (12 f.); E. Denninger, in: HdbVerfR I, § 16 Rn. 37; R. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Abs. 2 Rn. 225 f.; H. Peters, in: FS Giacometti, S. 229 (234 ff.).

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füllt 5 , wird zuweilen als Kompilation all dessen bezeichnet, „was wir von »früher' und von ,drüben' als politische Ordnung unbedingt nicht wollen" 6 . Sie wurde und wird damit vor allem als Absage an einen rechten und linken Totalitarismus7 sowie als Absage an einen rechten oder linken Extremismus verstanden. Aufgrund der Allgemeinheit des ausfüllenden Prinzipienkatalogs und seiner Offenheit ist die freiheitlich demokratische Grundordnung im Ergebnis jedoch flexibel und multifunktional einsetzbar. Daher liegt es auch in ihrer Natur begründet, daß die freiheitlich demokratische Grundordnung bisweilen als melting pot der jeweiligen Bedürfnisse der politischen Praxis betrachtet wird 8 . Wie wird die Notwendigkeit des Schutzes der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch das Grundgesetz aber begründet, und welche Rechtsfolgen produziert ihre Geltendmachung? Der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch das Grundgesetz gehört zu denjenigen Lehren, welche die Schöpfer des Grundgesetzes aus dem Scheitern der Weimarer Republik gezogen haben. Die überwiegende Auffassung der Verfassungsrechtslehre kommt deshalb zu dem Ergebnis, daß der Verfassunggeber mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung einen unverbrüchlichen Kern demokratischer Grundwahrheiten normiert habe, damit die Demokratie des Grundgesetzes sich nicht in einen spielregelhaften Formalismus hinein auflöse und ungehinderter Freiheitsgebrauch die Demokratie letztlich „legal" überwinden könne. Die genannten Verfassungsschutzbestimmungen werden daher auf die eine oder andere Weise durch die freiheitlich demokratische Grundordnung verklammert. Zwar fehlt die textliche Erwähnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowohl in Art. 9 II GG als auch in Art. 79 III GG. Es ist jedoch nahezu unstreitig, daß auch die abweichenden Formulierungen beider Artikel auf die freiheitlich demokratische Grundordnung Bezug nehmen. So entspricht der Terminus der verfassungsmäßigen Ordnung des Art. 9 II GG nicht den wortlautgleichen Schranken des Art. 21 GG. Letztere umfassen dem Elfes-Urteil des Bundesverfassungsgerichts gemäß die gesamte allgemeine, verfassungsgemäße Rechtsordnung9. Im Regelungsbereich des Art. 9 II GG machte es jedoch wenig Sinn, die gesamte verfassungsgemäße Rechtsordnung unter den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung 5 Kritisch C. Gusy, AöR 105 (1980), S. 279 (282): Pragmatismus statt abschließender Klärung; J. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 37: „Theorielosigkeit"; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 21 Rn. 140: unvollständige und ungeordnete Aufzählung; F. Stollberg, Grundlagen, S. 33. 6

G. Diirig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 (1964) Rn. 48, abgedr. bei E. Denninger, Freiheitlich demokratische Grundordnung I, S. 155 ff. 7 H. Copie, Grundgesetz, S. 6 ff., mit Hinweis auf die These von F. Meinecke, Nationalsozialismus und Bürgertum, in: ders., Werke II, S. 444: Kommunismus und Nationalsozialismus seien die beiden Mühlsteine gewesen, zwischen denen sich Staat und Gesellschaft aufgerieben und die diesen antitotalitären Grundkonsens präfiguriert haben. 8 G. Böhme, in: Denninger, Grundordnung I, S. 67 (70). 9 BVerfGE 6, 32 (37 f.). 5 Groh

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zu subsumieren. Teile dieser Ordnung, so die Strafgesetze, werden von seinem Tatbestand nämlich gesondert aufgeführt. Dies wäre überflüssig, wären die Strafgesetze bereits in der zweiten Verbotsalternative enthalten. Vielmehr wird dieser Verbotstatbestand auf „gewisse elementare Grundsätze der Verfassung" 10 beschränkt. Allerdings werden diese „elementaren Grundsätze der Verfassung" zum Teil verschieden besetzt. Nach einer Auffassung sollen zu ihnen neben der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auch das Sozialstaatsprinzip, das Bundesstaatsprinzip und der Bestand der Bundesrepublik Deutschland zählen11. Eine andere Auffassung subsumiert unter diesen Begriff die Gesamtheit der Verfassungsordnung12. Die Verfassung selbst läßt für diese erweiternde Interpretation des Begriffs der verfassungsmäßigen Ordnung allerdings keine Anhaltspunkte erkennen. Insbesondere die Verbindung der freiheitlich demokratischen Grundordnung mit einzelnen weiteren Prinzipien des Grundgesetzes könnte einer willkürlichen Auslegung dieser Verfassungsnorm Tür und Tor öffnen 13. Die Verengung des Tatbestandsmerkmals der verfassungsmäßigen Ordnung auf die freiheitlich demokratische Grundordnung ergibt sich schließlich daraus, daß Art. 9 II GG als Bekenntnis zur „streitbaren Demokratie" des Grundgesetzes zu den Instrumenten des präventiven Verfassungsschutzes zu zählen ist 1 4 . Aus der Einordnung des Art. 9 II GG in das System des präventiven Verfassungsschutzes folgt, daß dessen Regelungsgehalt dem der gleichgerichteten anderen Verfassungsschutznormen anzupassen ist: den Art. 18 und 21 I I GG. Da dort die freiheitlich demokratische Grundordnung gegen aggressiv kämpferischen Mißbrauch geschützt wird, ist auch die verfassungsmäßige Ordnung des Art. 9 II GG mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung sinnidentisch15. Ebenso umfaßt Art. 79 III GG Verfassungsgüter, die von essentieller Bedeutung für die geschichtlich konkrete Ordnung des Grundgesetzes sind. Ihr normativer Schutz soll den „Selbstmord" der Verfassung verhindern 16. Dies entspricht der Intention des Art. 108 HchE, der Vorläufernorm des Art. 79 III GG. Art. 108 HChE lautete: „Anträge auf Änderung des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und io BVerfGE 6, 32 (38); BGHSt 7, 222 (227); 9, 285 (286). h R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 127. 12 M. Kemper, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Abs. 2 Rn. 160; H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 17; BVerwGE 1, 186. 13 So auch M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG Art. 9 Abs. 2 Rn. 160. 14 BVerfGE 80, 244 (253), Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 206, 216; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 9 Rn. 40. 15 BVerwGE 47, 330 (351 f.); W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 44; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 749; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 41; A. v. Mutius, Jura 1984, S. 193 (200); D. Murswiek, JuS 1992, S. 116 (121); D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 74; M. Kutscha, Verfassung, S. 71; Κ Stern, in: Stem, Staatsrecht I, S. 217; BVerwGE 61, 218 (220 f.); /. v. Münch, in: BK GG, Art. 9 Rn. 67 f.; H Copie, Grundgesetz, S. 62; H Ridder, DÖV 1963, S. 325; restriktiver H. Ridder, in: AK GG, Art. 9 Abs. 2 Rn. 33 ff., unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Auffassung. 16 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 701 f.

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demokratische Grundordnung (und damit praktisch das Grundgesetz als solches) beseitigt würden, sind unzulässig"17. Ob man sich nun für eine vollständige Identifizierung der freiheitlich demokratischen Grundordnung mit den in der Ewigkeitsklausel genannten Schutzgütern ausspricht 18. Oder, was aufgrund von Entstehungsgeschichte der Norm und Schutzzweck der freiheitlich demokratischen Grundordnung plausibler erscheint, nicht alle in Stein gemeißelten Prinzipen 19 als Bestandteile derselben betrachtet 20. Deutlich wird, daß die freiheitlich demokratische Grundordnung eine weitestgehende Kongruenz mit den Grundsätzen des Art. 79 III GG aufweist 21. Die Unabänderlichkeitssperre des Art. 79 III GG spielt daher auch eine zentrale Rolle im Rahmen des Selbstschutzkonzeptes der Verfassung 22. Ihre Aporie liegt auf der einen Seite darin, daß sie sich an der Schwelle des juristisch Normierbaren bewegt23. Auf der anderen Seite stellt sie das Volk als demokratischen Souverän ein Stück weit unter verfassungsrechtliche Quarantäne, indem sie bestimmte Essentialia des Grundgesetzes der rechtlichen Disposition nachfolgender Generationen entzieht24. Es gehört zum Allgemeingut der Verfassungsrechtslehre, daß neben der Aushöhlung der Verfassung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber, an den er sich explizit richte, Art. 79 III GG aber auch einer Revolution vorbeugen wolle, die sich in das Gewand der Legalität zu kleiden versuche 25. Die Norm macht damit Anlei17

Hierzu auch der Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, in: Der Parlamentarische Rat II, S. 604. is So W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 55; H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (56 ff.). 19 Zu denen auch die Bundesstaatlichkeit, das Sozialstaatsprinzip und die republikanische Staatsform zählen. 20 E.-W. Böckenförde, in: VVDStRL 37 (1979), S. 138; E. Denninger, in: HdbVerfR I, § 16 Rn. 36; H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (210): „weitgehende Kongruenz". 21 Ausdrücklich H. Peters, in: FS Giacometti, S. 229 (234): „Dem Sinne nach wird durch Art. 79 Abs. 3 GG. die freiheitliche demokratische Grundordnung zum unabänderlichen Bestandteil des GG. erhoben". H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 99; G. Leibholz, DVB1. 1951, S. 554. Die Streitbarkeit der Demokratie dagegen ist Ausfluß, nicht Inhalt von freiheitlich demokratischer Grundordnung und Unabänderlichkeitssperre, M. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 14. 22 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 691 ff.; G. Roellecke, DÖV 1978, S. 457 (460). 23 E. Forsthoff, Der Staat 2 (1963), S. 385. 24 Ρ Badura, in: FS Scheuner, S. 19 (25); E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (99 ff.); H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 3 Rn. 14; W. Jellinek, Verfassungsgesetzgebung, S. 4, 7: „autonome Schranke der Verfassung"; H. Quaritsch, Der Staat 17 (1978), S. 421 (427); zur sog. „aufgeklärten Demokratie", vgl. T. Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 782.

25 Verfassungspolitisch stellt sich Art. 79 III GG damit als „Antwort auf die historische Erfahrung der scheinbar legalen Beseitigung der WRV im Jahre 1933" dar. Vgl. H. U. Evers, in: BK, Art. 79 Abs. 3 (Zweitbearb.) Rn. 66; U. Scheuner, in: FS Kaufmann, S. 313 (317 f.). JöRN.F. 1 (1951), S. 585 ff. 5*

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

hen bei der insbesondere von Carl Schmitt dem Positivismus der Weimarer Verfassungslehre26 antithetisch entgegengesetzten Aufspaltung der Reichsverfassung in eine absolute, der Dispositionsbefugnis des Gesetzgebers entzogene Verfassung und ein relatives Verfassungsgesetz 27. Allerdings ohne einen Rekurs auf eine vorverfassungsrechtliche Dimension der Legitimität des Staates erforderlich zu machen, geschweige denn zu erlauben 28. Mit Art. 79 III GG geht die Legitimität des Grundgesetzes als freiheitlich demokratische Grundordnung nämlich in der verfassungsrechtlichen Legalordnung auf 29 . Über ihre Grenzziehungsfunktion den Staatsorganen gegenüber hinaus soll nach überwiegender Ansicht der Grundgedanke des Art. 79 III GG, die Ewigkeitsgarantie, ihre Wirkung damit auch gegenüber den einzelnen und deren Freiheitsrechten entfalten. Die juristischen Zwirnsfäden der Norm sollen - anders als dies ihr Wortlaut nahelegte - nicht allein den Staat zügeln, sondern suchen als absolute Werte und damit als Fundament der „wehrhaften Demokratie" des Grundgesetzes nach dieser Auffassung auch das Volk zu umspinnen. Aus dem Postulat der zu wahrenden Identität des Grundgesetzes, welche sich in den zentralen Grundentscheidungen des Art. 79 III GG und ihrer gesteigerten Geltungskraft ausdrückt, wird vielfach geradewegs auf die Wehrhaftigkeit der Verfassung als der Staatsidee der Bundesrepublik Deutschland geschlossen30. Im Verbund mit den Verfassungsbestimmungen der Art. 9 II, 18, 21 II GG manifestiere sich, so die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur, in Art. 79 III GG ein umfassendes Verfassungsschutzkonzept. Es wolle sowohl den Gefahren, die Verfassung und Staat „von oben", also aus den Reihen oberster Bundesorgane, drohten, als auch Gefahren, denen sie „von unten", nämlich von Seiten des Volkes selbst ausgesetzt seien, begegnen31. Als Rechtsfolgen halten die präventiven Verfassungsschutznormen die Möglichkeit der Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen bereit. Auf ihrer Grundlage können vor allem Vereine und Parteien verboten sowie die Verwirkung von Grundrechten ausgesprochen werden. Die freiheitlich demokratische Grundordnung fungiert dabei als Trennscheibe zwischen zulässigem und unzulässigem Freiheitsgebrauch. Die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes ist deshalb bisweilen als zivilreligiöse Formel rousseauistischer Prägung markiert worden 32 . In der 26 Exemplarisch hierzu G. Anschütz, Reichs Verfassung, Art. 76 S. 401, 403. 27 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 20 ff., 103; R. Mußgnug, in: Complexio Oppositorum, S. 517 (518 ff.). 28 R. Mehring, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, S. 111 (117 ff.). 29 Vgl. aber auch U. K. Preuß, in: ders., Legalität und Pluralismus, S. 9 (17 ff.): „SuperLegalität". 30 j. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 16; P. Kirchhof, in: HStR I, § 19 Rn. 34 ff.; M. Kutscha, Verfassung, S. 133; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 558; T. Würtenberger, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, S. 21 (32 ff.). 31 Kritisch zu dieser vermeintlichen Allgemeinverbindlichkeit des Art. 79 III GG, vgl. H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (211 f.). 32 D. Merten, VVDStRL 55 (1996), S. 7 (39); H. Mandt, in: FS Sternberger, S. 233 (241); K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 418: ,,'theologica civilis'"; E. Denninger,

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung

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Tat weist Jean Jacques Rousseaus Beschreibung des idealen bürgerlichen Glaubensbekenntnisses Ähnlichkeiten mit dem Inhalt und der Wirkweise der freiheitlich demokratischen Grundordnung auf. So schriebt Rousseau, daß es ein rein bürgerliches Glaubensbekenntnis gebe, dessen Inhalte festzusetzen dem weltlichen Souverän zukomme. Es ziele in seiner Wirkweise auf die soziale Gesinnung, ohne die der einzelne kein guter Bürger sein könne. Und obwohl der Souverän niemanden ernsthaft zwingen könne, die Dogmen zu glauben, so könne er doch jeden aus dem Staat verbannen, der sie nicht glaube. Zu den positiven Inhalten dieser Zivilreligion zählte Rousseau explizit und vor allem anderen die Heiligkeit des von allen geschlossenen Gesellschaftsvertrags 33. Eine zivilreligiöse Wirkung könnte der Formel der freiheitlich demokratischen Grundordnung im Ergebnis also deshalb nachgesagt werden, weil es im rousseauistischen Sinne der Zivilreligion anhand der freiheitlich demokratischen Grundordnung gelingen kann, den (Verfassungs)Freund vom (Verfassungs)Feind zu unterscheiden und mindestens von denjenigen Freiheitsrechten des Grundgesetzes auszunehmen, die durch die freiheitlich demokratische Grundordnung explizit eingeschränkt werden 34. Damit stellt sich die Frage, welche verfassungsrechtlichen Auswirkungen der durch die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes legitimierte Verfassungsschutz auf Religionsgemeinschaften hat, die dieser Grundordnung ablehnend gegenüber stehen.

I I . Antithetischer Fundamentalismus Gegen einige Religionsgemeinschaften wird in zunehmendem Maße der Vorwurf erhoben, sie setzten sich mit ihren Glaubenslehren in Widerspruch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Dieser Vorwurf trifft unter den Schlagworten des Totalitarismus oder des Fundamentalismus35 vor allem die Scientology Staatsrecht, S. 87; C. Leggewie/H. Meier, Republikschutz, S. 211, 215, 219; ferner auch H. Dubiel, Niemand ist frei von der Geschichte, S. 10: „Soziologen verwenden diesen klassischen Begriff (seil.: der Zivilreligion) für jene fundamentalen Wertpositionen, die Politiker gerne anrufen, wenn sie - angesichts einer dramatischen Krise - den Grundkonsens der Gesellschaft für gefährdet halten". 33 j. J. Rousseau, Die Krisis der Kultur, S. 283 (290); E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 25 Fn. 30; M. Forschner, in: FS Gebhardt, S. 21 (33): In der religion du citoyen bilden Religion und politisches Gesetz eine Einheit. 34 E. Denninger, Staatsrecht I, 1973, S. 87; C. Gusy, AöR 105 (1980), S. 279 (303 ff.); Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 426: „Wegscheide, die Verfassungsfeindschaft von Verfassungstreue trennt". W.-D. Narr, in: ders. (Hrsg.), Wir Bürger als Sicherheitsrisiko, S. 53; H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (59); C. Schmitt, in: FS Forsthoff, S. 37 (60): „ ( . . . ) wertlogisch muß immer gelten, daß für den höchsten Wert der höchste Preis nicht zu hoch ist und gezahlt werden muß".

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Church und diverse islami(sti)sche Religionsgemeinschaften. Beide Begriffe, der des Totalitarismus sowie der des Fundamentalismus, werden fruchtbar gemacht, um die verfassungsfeindliche Einstellung dieser Gemeinschaften zu untermauern und sie so auf lange Sicht für die anschauungsarme36 Extremismusforschung zugänglich zu machen. Im folgenden soll deshalb untersucht werden, woran sich dieser Vorwurf inhaltlich festmacht und welche Tragkraft er besitzt. Dabei soll zunächst etwas ausführlicher auf das scientologische System und seine totalitären Tendenzen eingegangen werden. Hierauf folgt ein Überblick über die Punkte, mit denen der fundamentalistische Charakter islamischer Religionen üblicherweise dokumentiert wird. Zum Schluß sollen die Theorien des gesellschaftlichen Fundamentalismus näher ausgeleuchtet und damit eine Erklärung für den rigiden Umgang mit Religionsgemeinschaften angeboten werden, welche andere Wahrheiten als die klassisch abendländischen für sich reklamieren und diese dann im Sinne des Totalitarismus oder des Fundamentalismus absolut setzen.

1. Totalitärer, fundamentalistischer und extremistischer Hubbardismus Der Hubbardismus der Scientology Church wird zum Teil in eine Reihe gestellt mit Bolschewismus und Nationalsozialismus als neue Bewegung des Übermenschen37. Gegen die Scientology Church zementiert sich deshalb der Vorwurf der Bedrohung der Freiheit von Gesellschaft und Demokratie. Diese Bedrohung, so wird angeführt, mache sich insbesondere auch an den Versuchen der Organisation fest, Wirtschaft und Gesellschaft zu infiltrieren. Die Infiltration insbesondere der Wirtschaft diene dazu, sich an die Schaltstellen der Macht zu manövrieren. Als Endziel werde hierdurch verfolgt, letztendlich in den Besitz der politischen Macht zu gelangen und durch die Scientologisierung der Gesellschaft ein antidemokratisches, totalitäres oder militärdiktatorisches Überwachungsregime zu etablieren 38 . Als politisches System, welches die Scientology Church in den Augen 35

Sehr kritisch hierzu R. Spaemann, in: FS Lobkowicz, S. 41 (43): „Das Wort,Fundamentalismus' erfüllt heute ungefähr die Funktion des Wortes ,Fanatismus' im 18. Jahrhundert. Die Totschlagvokabel »Fanatiker' diente damals dazu, Hunderttausende von Menschen moralisch zu vernichten, ehe die Guillotine sie dann auch physisch ,entsorgte'". 36 C. Leggewie/H. Meier, Republikschutz, S. 226; zur Abgrenzung der verschiedenen Begrifflichkeiten wie verfassungswidrig, verfassungsfeindlich und extremistisch, vgl. W. Ganßer, BayVBl. 1980, S. 545 ff. 37 N. J. Potthoff, Scientology Analyse, S. 44. 3 » K. Hartmann, in: Beckers / Kohle (Hrsg.), Kulte, Sekten, Religionen, S. 293 (296); R. Hartwig, Scientology, S. 9 f.; H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 13 ff. Das ist kein auf die Scientology Organisation beschränkbares Vorgehen. Zum Beispiel hat sich die weltweite Gruppierung des „Opus Dei" zum Ziel genommen, exponierte Positionen in gesellschaftlichen und politischen Institutionen zu besetzen, um von hier aus im Sinne des katholischen Fundamentalismus auf Gesellschaft und Staaten einzuwirken. Vgl. P. Hertel, in: Beinert (Hrsg.), „Katholischer" Fundamentalismus, S. 148 (155 ff.).

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung

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ihrer Kritiker darstellt, sei die „Kirche" mit den demokratischen Grundwerten der Gesellschaft inkompatibel39. Auf die Einordnung der Scientology Church in die Raster der Verfassungsschützer wirkt sich allerdings erschwerend aus, daß sich die Organisation weder eindeutig dem rechts- noch dem linksextremistischen Lager zuschlagen läßt 40 . Dies sind aber die Begriffe oder politischen Richtungen, mit denen der Verfassungsschutz vorwiegend arbeitet. Was bleibt, ist, daß die Scientology Church überwiegend dem älteren Begriff des Totalitarismus und gleichzeitig dem des Fundamentalismus zugeordnet wird, ohne daß dadurch die Bestimmung ihres Standortes in der Debatte um Verfassungsfeindlichkeiten wesentlich anders ausfiele. Die Fragen, anhand derer die Standortbestimmung der Organisation nachvollzogen, vielleicht aber auch relativiert werden könnte, lassen sich wie folgt formulieren: Was wird unter dem Terminus des Totalitarismus verstanden? Wie manifestiert er sich bei der Scientology Organisation? Und sind diejenigen Punkte, an denen die totalitaristischen Merkmale der Organisation im wesentlichen festgemacht werden, Scientology-spezifisch? Gängigerweise werden die Ursprünge des Phänomens „Totalitarismus" erklärt als eine unheilige Allianz von Vereinzelung und Vermassung, in deren Rahmen eine totalitäre Doktrin die Funktion erfülle, dem verunsicherten einzelnen die Welt total und simplifiziert zu erklären 41. Es lasse sich, so wird geltend gemacht, bei Scientology an sieben Punkten ablesen. Diese sieben Punkte bildeten dabei gleichzeitig das tertium comparationis aller totalitären Organsiationen. Aus diesem Katalog sind einige Punkte als neuralgisch hervorzuheben: zu allererst der an einer absoluten Wahrheit ansetzende Alleinvertretungsanspruch 42 totalitärer Organisationen. Auf dem Glauben an diese Wahrheit und damit auch an die prophetischen Gaben eines diese Wahrheiten erkennenden unangefochtenen Führers 43 beruhe die hermetisch abgeschlossene Weltanschauung der Scientology 39 R. B. Abel, Gutachten, S. 16 ff.; U. Müller, in: Herrmann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 169 (177); umfassend A. Diringer, Scientology, S. 23 ff., 203 ff.; A. Klump, Extremismus, S. 58 ff., 87 ff., 99 ff. 40 H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 41: Es " scheint sich ( . . . ) eine neuartige Form des politischen Extremismus anzubahnen". 41 Die Begriffe Totalitarismus und Extremismus werden eingehend erörtert bei Ε. Κ Scheuch, in: Löwenthal / Schwarz (Hrsg), Die Zweite Republik: 25 Jahre Deutschland - eine Bilanz, S. 433 ff.; H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, S. 514 ff. u. passim; C. J. Friedrich, Totalitäre Diktatur, S. 19, 25 ff.; P. Graf Kielmannsegg, PVS 1974, S. 311 (326 ff.); E. Topitsch/K Salamun, Ideologie. Herrschaft des Vor-Urteils, passim. 42 Vgl. nur L. R. Hubbard, Handbuch des ehrenamtlichen Geistlichen, S. 695: „Wir sind die einzigen Menschen und die einzige Religion auf der Erde, die die Technologie und den Ehrgeiz haben, eine Klärung von Situationen zu versuchen, ( . . . ) nämlich ( . . . ) der Verfall und die Verwirrung der Gesellschaften". Oder L. R. Hubbard, Einführung in die Ethik der Scientology, S. 117: „Die Scientology ist das einzig funktionierende System, das der Mensch hat". 43 H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 28 ff.

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

Church 44. Mit dem vermeintlichen Besitz der absoluten Wahrheit verbunden, stehen auf der anderen Seite die kategorischen Unterscheidungen von Gut und Böse, Richtig und Falsch. Diese binären Codes ließen das Weltbild der Mitglieder einer totalitären Organisation in einem simplifizierenden Freund-Feind-Denken 45 aufgehen. Hieraus resultierten in aller Regel Verschwörungstheorien, die grundsätzlich zu einer defensiven Rechtfertigung von Gewalt 46 in Form von Selbstverteidigung nach außen gegen Andersdenkende und nach innen gegen Abweichler führten 47. Herauszustellen, weil dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gegenläufig, sei ebenfalls das interne „Rechtssystem" der Scientology. Ihre Gerichtsbarkeit diene ohne verfahrensrechtliche Sicherungen dem Zweck der bedingungslosen „Wahrheitsfindung". Ihre absolut gesetzte „Rechtsordnung", die sich als straffes System von Überwachung, Sanktion und Belohnung im Dienste der Gemeinschaftsloyalität beschreiben lasse, sei aber allenfalls dazu gedacht, den reibungslosen Ablauf dieses Systems zu garantieren 48, und habe weder mit Gerechtigkeit noch mit Rechtsstaatlichkeit irgendwelche Berührungspunkte. Scientology verfolge ferner das Endziel, einen geklärten Planeten zu schaffen. Dies sei ihre totalitäre Doktrin. Der „geklärte Planet" als Gesellschaft der Zukunft basiere auf einer identitären Gesellschaftstheorie, welche die Homogenität der Gesellschaft voraussetze und Andersdenkende mindestens ausgrenze. Die zunächst auf den einzelnen bezogene Doktrin, daß Demokratie ein Denkmuster des reaktiven Gedächtnisses darstelle, das durch das „clearing" ausgetrieben werden müsse, lasse sich nach Hubbardscher Fiktion ohne weiteres auch auf den Staat hochzonen. Da „gesellschaftliche Organismen ( . . . ) sich in jeder Beziehung" so verhielten, als seien sie Individuen 49 , sei in der Überwindung des reaktiven Gedächtnisses des einzelnen zugleich die Überwindung des demokratischen Staates angelegt. In der Zivilisation des geklärten Planeten stünden schlußendlich allein den „clears" Bürger- und Menschenrechte zu. 44 H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 20 f. 45 Zu den sogenannten „Suppressive Persons", den „Potential Trouble Sources", den „Aberrierten" und „Clears", vgl. H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 23 ff., 30 ff. 46 Zu den Gewalttendenzen in der Lehre der Scientology Organisation, vgl. H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 24 f., mit Verweis auf L. R. Hubbard, Einführung in die Ethik von Scientology, S. 70: „ ( . . . ) daß einer seiner Feinde in der Dunkelheit beseitigt wird oder daß das ganze feindliche Lager als Geburtstagsüberraschung in Flammen aufgeht". Bislang sind außenstehende Kritiker aber vor allem durch Spionage und Druck versuchsweise unschädlich gemacht worden. W. Thiede, in: AusPuZ 43 (1993), Β 41 - 4 2 , S. 25 (28 f.). 47 Weitere Punkte sind die Herausbildung eines eigenen Begriffssystems durch Umbesetzung bestehender Begriffe, die bei Scientology sehr ausgeprägt ist, und die Mißachtung von Freiheitsrechten innerhalb der Gemeinschaft. Hierzu H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 30 ff. 48 Was ist Scientology?, S. 245; R. Β. Abel, Gutachten, S. 17 f.; ferner H. Arendt, Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft, S. 730: „Es läuft in jedem Fall auf ein Gesetz zur Ausscheidung von ,Schädlichem' oder Überflüssigem zugunsten des reibungslosen Ablaufs einer Bewegung hinaus ( . . . )". 49 L. R. Hubbard, Dianetik, S. 488.

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung

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Zusammenfassend läßt sich also festhalten, daß die Zuordnung der ScientologyOrganisation zu den totalitaristischen (und auch extremistischen) Organisationen gerechtfertigt wird zum einen über den absoluten Wahrheitsanspruch, mit dem die Scientology Church an die Öffentlichkeit und ihre Mitglieder herantritt, zum anderen über die aus diesem Absolutheitsanspruch folgenden absoluten Lehren und innerorganisatorischen Strukturen der „Kirche". Keine unwesentliche Rolle spielt hierbei der auf Identität und Homogenität50 basierende zukunftsgerichtete Inhalt ihrer absoluten Lehren. Zur Scientology-Spezifizität des Totalitarismus läßt sich zunächst sicherlich sagen, daß das antidemokratische Staatsbild, welches die Organisation in die weltliche Zukunft hinein entwirft, allerdings spezifisch für ihre Lehre ist. Während andere Erlösungsreligionen ihr nicht weniger ausschließendes Augenmerk mittlerweile vor allem auf das Jenseits werfen können, stellt Scientology eine auf das Diesseits konzentrierte Religion oder Weltanschauung dar. Ihre Zukunftsvision widerspricht den Grundgedanken der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Diese Schlußfolgerung wird vor allem aus dem „Clear-PlanetKonzept" der Scientology Church gezogen, einem Konzept, das gleichzeitig für die Verfassungsschutzbehörden der Länder dazu diente, ihren für die verdeckte Beobachtung der Gemeinschaft erforderlichen Anfangsverdacht i.S.v. §§ 8, 9 BVerfSchG zu begründen 51. Viele der anderen wesentlichen Punkte, die genannt werden, um die Scientology Organisation als totalitaristisch zu klassifizieren, sind dagegen übertragbar. Wenn vor allem geltend gemacht wird, ein totalitäres Kennzeichen von Scientology sei die hermetische Weltanschauung, die den quasi-religiösen Charakter aller totalitären Strukturen ausmache52, so ließe sich dieses Argument auch umkehren: Absolute, nicht-negotiable Wahrheiten und Totalität sind ein Kennzeichen des überwiegenden Teils der religiösen Sinnsysteme53. Im Ergebnis scheint der Erkenntnisgewinn, den man sich von der Einordnung einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft in bekannte politische Kategorien verspricht, daher als eher geringer zu veranschlagen zu sein.

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Identität und Homogenität sind die klassischen Ingredienzien eines totalen Staates. O. Luchterhand, Der verstaatlichte Mensch, S. 24 ff.; E. Forsthoff, Der totale Staat, S. 42 ff. si So jetzt auch VG Berlin NVwZ 2002, S. 1019 (1020 f.); J. Engelmann, BayVBl. 1998, S. 358 (359 ff.). Das VG Berlin hat der Klage der Scientology auf Unterlassung verdeckter Informationsbeschaffung durch den Verfassungsschutz stattgegeben. Für das Gericht war es dem Verfassungsschutz nicht gelungen, plausibel darzulegen, daß die Scientology konkrete verfassungsfeindliche Bestrebungen unternimmt. Es sei weder ersichtlich, gegen welche Verfassungsgrundsätze Scientology vorgehen wolle, noch daß überhaupt verfassungsfeindliche Aktivitäten geplant oder vorgenommen würden. Auch A. Klump, Extremismus, S. 99 ff., 104 ff., 127 ff.; a.A. C. Leggewie/H. Meier, in: Jahrbuch Extremismus & Demokratie 11 (1999), S. 371 ff. 52 E. Voegelin, Die politischen Religionen, passim. 53 J. Neumann, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren, S. 228 (235 f.).

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2. Feindbild Islam Als Prototypen des Fundamentalismus dagegen gelten in vereinfachender und westlicher Sichtweise der Islam 54 , insbesondere aber diejenigen islami(sti)schen Religionsgemeinschaften 55, bei denen der vielleicht nicht unbegründete Verdacht besteht, daß sie den Islam zur Erreichung ihrer politischen Zielsetzungen instrumentalisieren. Gemeint ist also der auch als „politischer Islam" bezeichnete Islam 56 . Obwohl viele der Erscheinungsformen des Islam vor allem in seinen Ursprungsländern kritikwürdig sind und bedrohlich wirken, scheint das Gesamtbedrohungszenario, welches gezeichnet wird, aber weniger mit dem Islam und seinen vielen unterschiedlichen Ausprägungen selbst zu tun zu haben, als vielmehr eine Synthese des westlichen Denkens über den Islam zu sein. Die Politisierung der religiösen Tradition des Islam, so wird überwiegend argumentiert, sei neben ihrer Ideologisierung der Kernbestandteil aller Formen des islamischen Fundamentalismus57. Scharia (das religiöse Gesetz) und sunna (das Vorbild des Propheten und seiner Gefährten, in schriftlichen Überlieferungen - hadithen - dokumentierte Aussprüche und Taten des Propheten) bildeten den Grundstock der Religion und stellten für den Muslim den Fluchtpunkt von Theologie, Recht und Ethik dar. Die Einheit von Sinnstiftung und Handlungsanleitung, von Religion und Politik werde dem der islamischen Theologie immanenten Prinzip der Einheit Gottes, dem tauhid, entnommen58. Islamistische Religionsgemeinschaften strebten daher, so üblicherweise die Zusammenfassung, nach einem Staat, in dem alle gesellschaftlichen und staatlichen Bereiche aus dem Geist bzw. den Buchstaben des Koran zu regeln seien. Ferner wird häufig die Aggressivität der Religion und ihrer Anhänger in den Vordergrund gehoben. Aggressivität und Gewaltbereitschaft seien, so heißt es, eine psychologische Grunddisposition aller Muslime, die sich aus der kriegerischen Grundtendenz der Religion selbst er54 A. Lueg, in: Hippler/Lueg (Hrsg.), Feindbild Islam, S. 14 ff. Zur Identifizierung des islamischen Fundamentalismus mit dem Islam überhaupt, vgl. M. Riesebrodt, in: AusPuZ Β 33 (1993), S. 11. Die Zusammenordnung der Begriffe Islam und Fundamentalismus wird in der Literatur aber auch problematisiert. Es wird geltend gemacht, daß damit Erscheinungsformen zusammengeführt und pauschalisiert würden, die nichts miteinander zu tun hätten. Vgl. im einzelnen A. Bishara, (ebda.), S. 92 (93); B. Tibi, in: AusPuZ Β 33 (1993), S. 3 (5 f.). Zu den verschiedenen Strömungen des Islam, vgl. A. Hartmann, AusPuZ Β 28/97, S. 3 (4 ff.). 55 Einen Überblick über islamische Glaubensrichtungen und Zahl der muslimischen Glaubensangehörigen gibt BT-Drs. 14/4530, S. 4 ff. 56 B. Tibi, in: AusPuZ Β 33 (1993), S. 3 (6). 57 F. Büttner, in: BielefeldsHeitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 188 (201). Zum Teil werden Islam und Fundamentalismus in eins gesetzt. Es wird behauptet, daß der Islam notwendigerweise Religion und Staat zu einem gemeinsamen System verbinde und sie gar miteinander identifiziere. So A. G. Ghassuy, in: Meyer (Hrsg.), Fundamentalismus in der modernen Welt, S. 83 f.; kritisch A. Bishara, in: Hippler/Lueg (Hrsg.), S. 92 (94 ff.). 58 F Büttner, in: Bielefelds Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 188 (202); M. Riesebrodt, in: AusPuZ Β 33 (1993), S. 11 (12 f.); Α. Albrecht, in: Essener Gespräche 20 (1986), S. 82 ff.

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung

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kläre 59 . Im Grunde geriere sich der Islam als Aggressor gegen westliche Werte. Eine Aussage, die üblicherweise den Dschihad (Heiligen Krieg) in Bezug nimmt und suggeriert, daß dieser zu den erlaubten Hilfsmitteln einer islamischen Eroberungsstrategie der westlichen Welt gehöre 60. Oft wird weiter darauf hingewiesen, daß der Islam menschenrechtsfeindlich sei 61 . Zu den Vertretern dieses islamistischen Fundamentalismus in Deutschland zählt der Verfassungsschutz insbesondere die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) 62 , einen der verbotenen türkischen Refah-Partei und ihren Nachfolgeorganisationen nahestehenden Dachverband, der sich selbst als Religionsgemeinschaft beschreibt, und den mittlerweile verbotenen Kalifatstaat (ICCB) 63 . Insgesamt, so scheint es, ist die Diskussion um den islamischen Fundamentalismus in Deutschland dadurch gekennzeichnet, daß die Bilder, die aus den Ursprungsländern des Islams in die westliche Welt übermittelt werden, zur Schablone für die hier ansässigen Religionsgemeinschaften werden 64. Zudem wird, so scheint es weiter, dem monolitisch gedachten Islam insgesamt das historische Entwicklungspotential abgesprochen. Er wird vielmehr simplifiziert und auf der Basis seiner frühesten Geschichte sowie ausschließlich durch den Koran und die Prophetentradition definiert 65 . Aber es erhoben sich zumindest vor dem 11. September 2001 auch Gegenstimmen, die meinen, es sei für die Zukunft angezeigt, gegenüber dem Islam mehr „Gelassenheit und Nonchalance" zu zeigen66.

59

J.-C. Barreau, Die unerbittlichen Erlöser, S. 79. A. Lueg, in: Hippler/Lueg (Hrsg.), Feindbild Islam, S. 14 (17); kritisch auch H. Bielefeldt, EuGRZ 1990, S. 489. 61 Ausführlich und kritisch hierzu H. Bielefelds EuGRZ 1990, S. 489 (490 ff.); differenzierend auch A. Petersohn, ZRP 2002, S. 521 ff.; nach B. Tibi, in: AusPuZ Β 33 (1993), S. 3 (6 f.), ist eine an der Scharia orientierte islamische Gemeinde nicht mit dem Grundgesetz konform. 60

62 Verfassungsschutzbericht 2000, S. 205 ff.; zu den insgesamt 20 als fundamentalistisch eingestuften Religionsgemeinschaften, vgl. BT-Drs. 14/4530, S. 66 f. 63 Verfassungsschutzbericht 2000, S. 203 ff. 64 Nach B. Tibi, in: AusPuZ Β 33 (1993), S. 3 (5 f.), ist dagegen der Islam tatsächlich die einzige Religion, die auf der islamischen Lehre vom Universalismus ein neo-islamisches Konzept einer vom Islam beherrschten Weltordnung entwirft. Sehr restriktiv auch C. Hillgruber, JZ 1999, S. 538.

65 A. Lueg, in: Hippler/Lueg (Hrsg.), Feindbild Islam, S. 14 (21 f.). Zu den verschiedenen Bewegungen, die sich in den islamischen Ländern gebildet haben - konservative, fundamentalistische, reformerische - und in ihrer Haltung zum Verhältnis von Recht, Politik und Religion zum Teil erheblich voneinander abweichen, vgl. R. Peters, in: Ende / Steinbach (Hrsg.), Der Islam in der Gegenwart, S. 91 ff. 66 M Brenner, VVDStRL 50 (2000), S. 264 (281).

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

3. Die Theorien des gesellschaftlichen Fundamentalismus Der Begriff des Fundamentalismus ist zunächst ein Emblem, dessen Gebrauch die Einordnung religiöser Gruppierungen wie der Religionsgemeinschaften vereinfachen soll. Deren Etikettierung als fundamentalistisch impliziert üblicherweise eine ganz bestimmte Stoßrichtung: Fundamentalistische Gemeinschaften sollen als dialogunfähig aus den staatlichen und gesellschaftlichen Diskursen mindestens ausgegrenzt werden. Was ist aber unter dem schillernden Phänomen „Fundamentalismus"67 zu begreifen? Um dies nachzuvollziehen, soll den folgenden Fragen nachgegangen werden: Was wird in der wissenschaftlichen Literatur an Entstehungsbedingungen für den Fundamentalismus und sein Erstarken angegegeben? Welche Kennzeichen und Wirkweisen werden dem Fundamentalismus zugeschrieben? Ab wann soll oder muß der Staat ihn als Gefahr wahrnehmen? Und welches sind die konkreten Schlußfolgerungen, die für Religionsgemeinschaften und das Grundrecht der Religionsfreiheit über die Ausgrenzung der betreffenden Gemeinschaften aus dem Diskurs hinaus aus der Etikettierung als fundamentalistisch gezogen werden? Zunächst zu den Entstehungsbedingungen: Fundamentalistische und damit in gewisser Weise auch totalitäre Orientierungen werden im wesentlichen über den umweltbezogenen Forschungsansatz der Modernisierungs(opfer)theorie erklärt. Dieser Ansatz legt die Genese des Fundamentalismus vorwiegend in gesellschaftlich und politisch problemhaften Konstellationen an, läßt die damit verbundenen sozialpsychologischen Erklärungsmuster jedoch nicht außer acht. Neben dem Modell der Modernisierungsdefizite in der Gesellschaft spielen Faktoren wie ein geglaubtes Systemversagen, das psychische Dispositionen des einzelnen ebenfalls nicht vernachlässigt, eine Rolle. Mit diesen Deutungsversuchen mischen sich sowohl die sogenannte „Identitätshypothese" als auch die sogenannte „Reaktionshypothese". Beide gelten im wesentlichen für die Migranten und beziehen sich daher auf den islamischen Fundamentalismus. Die Identitätshypothese geht davon aus, daß denjenigen Migranten, die sich entschließen, in westeuropäischen Gesellschaften zu verbleiben, ein zureichendes Identitätsangebot durch die Mehrheitsgesellschaft verweigert würde. Diese Verweigerungshaltung führe zu einer Kompensation der ethnisch-territorialen Zugehörigkeit durch die religiös-kosmopolitische (Muslime). Die Reaktionshypothese kommt zu demselben Ergebnis. Sie geht davon aus, daß die Fremdenfeindlichkeit, auf welche die Migrantengesellschaft in Deutschland treffe, ihre Mitglieder zur Flucht in andere - religiöse - Wir-Gruppen veranlasse68. Alle diese Versuche, das Erstarken fundamentalistischer Orientierun67

Zur Begriffsgeschichte, vgl. M. Riesebrodt, Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung, S. 11 ff. 68 W. Heitmeyer, in: Heitmeyer/Dollase (Hrsg.), Die bedrängte Toleranz, S. 31 (38). Daneben wird die sogenannte „geopolitische Hypothese" vertreten. Dieser zufolge wird aus den islamisch geprägten Heimatgesellschaften ein nicht zu gering zu veranschlagender Druck auf die Migranten ausgeübt.

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung

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gen in der Gesellschaft zu erklären, unterstützen sich gegenseitig. Sie erklären zugleich, daß die Fundamentalisierung der Gesellschaft nicht allein eine Abwehrreaktion auf die Defizite der Moderne darstellt, sondern in den Strukturen modernisierter und globalisierter „offener" Gesellschaften als solche bereits angelegt ist und sich dieser Strukturen auch selektiv bedient69. Das Erstarken des Fundamentalismus70 wird von westlicher Warte 71 aus insbesondere als eine reaktive Resonanz auf bestimmte soziale, geistige und ethische Veränderungen betrachtet. Es seien dies Veränderungen, so die allgemeine Annahme, die durch die Komplexität der Moderne und deren Krisen ausgelöst würden: Weil soziale Beziehungssysteme auseinanderbrächen, sei in der Welt der Moderne nicht nur die Bewahrung individueller und kollektiver Identität zur Anstrengung geworden. Insbesondere müsse auch der vom einzelnen so empfundene Bedeutungsverlust kompensiert werden 72. Der Fundamentalismus setze diese Moderne seinerseits also notwendig voraus. Er sei gleichermaßen eine Reaktion auf sie, wie er auch ihr Produkt und Bestandteil sei. Als „Gegenmoderne" stelle er ein „integrales Konstruktionsprinzip der Moderne" dar, mit dessen Hilfe allen Infragestellungen des Bewährten Fraglosigkeiten entgegengehalten würden 73 . Mit seinen Entgegensetzungen berühre der Fundamentalismus Zentralfragen der offenen Gesellschaft 74. Sein ambivalenzreduzierendes Differenzmuster („wir" und „die") wirke auf der einen Seite identitätsklärend. Auf der anderen Seite reduziere der Fundamentalismus durch sein binäres „Entweder / Oder"-Schema widersprüchliche Erwartungen 75. Der Rationalismus der modernen Gesellschaft mute es dem Menschen zu, die Unsicherheit und Offenheit aller alternativen Geltungsansprüche, Herrschaftslegitimationen und Lebensformen, die zur Disposition stehen, durch eigenverantwortliches „Selberdenken" unter intellektuelle Kontrolle zu bringen. Hinzu trete die Unsicherheit der Zukunft. Diese „flüchtigen Identitä69 B. Tibi, AusPuZ Β 33 (1993), S. 3, 6: „Traum von einer halben Moderne", „Ausgeburt der Moderne". 70 Kritisch zu dem Begriff wegen der überwiegend negativen Konnotationen, vgl. H. Bielefeldt/W. Heitmeyer, in: dies. (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 11 ff. Zu den „basics" des Fundamentalismus T. Meyer, in: ebda., S. 37 (54 f.). 7 1 Zur islamischen Selbstsicht, vgl. A. Hartmann, AusPuZ Β 28/97, S. 3 (7 ff.). 72 Zur „Modernisierungslogik" (Rationalisierung - Individualisierung - Universalisierung), vgl. R. Münch, Die Kultur der Moderne I, S. 11 ff. Zum Teil wird sehr unterschiedlich beurteilt, ob der Fundamentalismus eine geistige Kampfhaltung gegen die Moderne insgesamt sei, vgl. M. E. Marty /R. S. Appleby, Herausforderung Fundamentalismus, S. 19 ff., 23 f.; T. Meyer, Fundamentalismus in der modernen Welt, passim, oder sich gegen bestimmte Erscheinungsformen der Modernisierungsprozesse richtet. So F. Büttner, in: Bielefeldt/Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 188 (195). 73 R. Burger, Leviathan 1997, S. 173 (182 f.); Β. Β. Lawrence, Defenders of God, S. 27, 31 f., 40 f. Zu den Mechanismen der Gegenmoderne, vgl. U. Beck, Risikogesellschaft, S. 96 ff. u. passim. Zur Kontroverse, ob islamischer Fundamentalismus eine Defensiv- oder Offensivbewegung ist, vgl. G. Kepel, La Revanche de Dieu, S. 26 f. u. passim.

™ M. Riesebrodt, in: AusPuZ Β 33 (1993), S. 11 (14). 75 W. Heitmeyer w. a. (Hrsg.), Verlockender Fundamentalismus, S. 41.

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

ten" 7 6 hat Ulrich Beck mit dem Begriff der „Risikogesellschaft" emblemiert 77. Von der Situation des „Relativen" latent überfordert, suche der in seinem Selbstbild gebeutelte Mensch vor der „metaphysischen Heimatlosigkeit" nicht ungern emotionale Zuflucht in der vermeintlichen Sicherheit geschlossener Systeme. Buchstabengläubigkeit und Ausschließlichkeitsdenken, die zu den Kennzeichen fundamentalistischer Wahrheiten gehörten, verschafften hier Zusammenhalt78. Wo der selbstbestimmten Freiheit die Freiheit der Wahl und damit oftmals auch die Qual immanent sei, setze der Fundamentalismus der „Furcht vor der Freiheit" (Erich Fromm) nämlich ein auf einfache Wahrheiten reduziertes Weltbild entgegen. Die Einfachheit dieses Weltbildes liege darin, daß fundamentalistische Sinnsysteme mit eben jenen binären Gegenüberstellungen von Gut und Böse, Richtig und Falsch operierten 79. Als weitere Ursache für das Erstarken fundamentalistischer Bewegungen wird der Verlust des Vertrauens in die politischen Systeme angeführt. Dieser durchziehe die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und werde dem moralischen Niedergang der Politik angelastet80. Für das Aufflammen islamisch-fundamentalistischer Bindungen wird hierbei vor allem das folgende Argument ins Felde geführt: Die Gesamtheit der Einwanderer, die auf der einen Seite keine Statuserfolge erringen könnten und auf der anderen Seite fremdenfeindlichem Gebaren ausgesetzt seien, wendeten sich aufgrund dieser Ausgrenzungserfahrungen verstärkt dem Angebot extremer religiöser Vorstellungen zu, damit ihnen über diese Schiene eine Re-Integration bzw. Re-Homogenisierung in bzw. zu irgendeine(r) Gemeinschaft gelinge 81 . Als Kennzeichen immanent sei, so die Fundamentalismusforschung, dem Fundamentalismus die Diskursrenitenz. Er entziehe selbst gesetzte fundamentale Wahrheiten jeglicher Infragestellung und immunisiere sie so gegen rationale Kritik. Fundamentalistische Systeme bauen auf einer absoluten Wahrheit auf. In der Logik des Absoluten liege es, so wird gefolgert, daß nach außen Kompromißunwilligkeit produziert und nach innen bedingungsloser Gehorsam verlangt werde 82. Auf diesem absoluten Wahrheitsanspruch basiere auch die für den einzelnen wirkende identitätsschaffende Kraft fundamentalistischer Sinnsysteme. Denn um dem einzelnen in seiner rationalismus- und relativismusbedingten Sinnkrise Halt zu geben, brauche es ein System mit Bindungskraft, das sich seinerseits nicht als Pro76 u. R. Haltern, KritV 2000, S. 153 (169). 77

U. Beck, Risikogesellschaft. A. Hartmann, AusPuZ Β 28/97, S. 3; T. Meyer, Fundamentalismus, S. 24. 7 9 F. Hufen, StaWi / StaPrax 3 (1992), S. 455 (456). so A. Hartmann, AusPuZ Β 28/97, S. 3 (9 f.); M. Riesebrodt, in: BielefeldsHeitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 67 (78 ff.). 78

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F. Sen, in: Heitmeyer/Dollase (Hrsg.), Die bedrängte Toleranz, S. 261 ff. O. Depenheuer, in: Essener Gespräche 33 (1998), S. 5 (12 ff.); R Häberle, in: FS Esser, S. 49 (60 ff.). 82

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung

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dukt individueller Willkür darstellen dürfe, sondern als objektiv wahr beschreiben müsse. Wie immer religiöser Fundamentalismus deshalb auch definiert wird, in jedem Fall wird mit diesem Begriff ein bestimmter Modus der Verbindung von Religion und Politik beschrieben. Dies ist der Modus der Unmittelbarkeit. Ein Kennzeichen fundamentalistischer Religionen sei es, religiöse Wahrheiten unmittelbar in politische oder rechtliche Forderungen zu transformieren. Erscheine dieser „natürliche" Fundamentalismus aber zunächst nicht nur einleuchtend, sondern gar anthropologisch zwingend, so die Fundamentalismusforschung weiter, avanciere er als sogenannter „integralistischer" Fundamentalismus zum verfassungstheoretischen Problem und gleichzeitig auch zu einer Gefahr für den Staat. Diese Gefährlichkeit des Fundamentalismus für Verfassung und Staat hängt mit dem Expansionsdrang und dem Wahrheitsanspruch des Fundamentalismus zusammen: Zwar wird in der wissenschaftlichen Literatur ein unangefochtenes Nebeneinander verschiedener absoluter Wahrheiten, eine „Gewaltenteilung im Absoluten" 83 , zunächst für möglich gehalten. Das Nebeneinander funktioniert nach dieser Ansicht aber nur solange, wie die vertretene Wahrheit nicht universalistisch gedacht werde und aus einem für jedermann Gültigkeit verlangenden Gewißheitsanspruch in missionarischem Expansionsstreben münde. Dieser auf Mission und Expansion ausgerichtete Fundamentalismus wird in der wissenschaftlichen Literatur auch als integralistischer Fundamentalismus bezeichnet. Dem integralistischen Fundamentalismus, so wird gefolgert, sei deshalb die Tendenz immanent, auch auf die Politik auszugreifen. Aus der Erkenntnis der universellen Wahrheit resultiere nämlich notwendig ein Anspruch auf universelle Veränderung in deren Sinne 84 . Warum werden aber gerade der islamische Fundamentalismus und das totalitärfundamentalistische Gebaren von Scientology als Gefahren für Verfassung und Staat wahrgenommen, denn der beschriebene, vom Inhalt der Wahrheit unabhängige Drang nach Verbreitung wohnt zumindest wohl verschiedenen Teilströmungen aller Religionen inne 85 . Insbesondere universalistische Religionen sind ihrem Wesen nach missionarisch. Aus ihrem theoretischen Universalismus folgen zwangsläufig Gebote für die praktische Lebensführung ihrer Anhänger. Dabei erachten diese Religionen es für jeden Menschen als Erfüllung, ihre Einsicht zu teilen und entsprechend zu handeln86. Indes, so scheint es, birgt der Fundamentalismus solange keinen Kon83

Ο. Marquard, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, S. 100. 84 F. Hufen, StaWi / StaPrax 3 (1992), S. 455 (459); zum „Opus Dei", vgl. P. Hertel, in: Beinert (Hrsg.), „Katholischer" Fundamentalismus, S. 148 (155 ff.); zur „Christian Coalition", vgl. B. Ostendorf, in: Bielefeldt/Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 157 ff. 85 Ein Gegenbeispiel ist das Judentum, das zwar einen universalen Gott hat, seinen Glauben aber auf sein Volk beschränkt. R. Spaemann, in: FS Lobkowicz, S. 41 (42). M. Riesebrodt, in: Bielefeldt /Heitmeyer, Politisierte Religion, S. 67 (77 f.), demzufolge sich nicht alle fundamentalistischen Bewegungen in dem Sinne politisieren, daß sie entweder die staatliche Herrschaft anstreben oder zumindest ihre Ethik in Herrschaft umsetzen wollen. 86 R. Spaemann, in: FS Lobkowicz, S. 41 f.

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§ 1 Zum Problem und zu seinem Rahmen

fliktstoff, wie die Inhalte der jeweiligen religiösen Wahrheiten auf ein kompatibles kulturelles und verfassungsrechtliches Resonanzfeld stoßen. Religionen dagegen, die „fremde" Werte mit abweichenden Staatskonstruktionen verbinden, werden als gefährlich eingestuft. Der bei ihnen mitzudenkende Totalitätsanspruch disqualifiziert dann die entsprechenden Religionsgemeinschaften schnell zu Feinden politischer Systeme, die auf anderen Fundamenten ruhen. Für den islamischen und scientologischen Fundamentalismus wird nun angenommen, daß sein Bestreben darin liege, seine jeweils eigene religiöse „Ethik" auch politisch absolut zu setzen, sie für das Gemeinwesen verbindlich zu machen und damit die westlichen Verfassungswerte sowie den säkularen Rechtsstaat ersatzlos streichen zu wollen. Dabei erhebe er jeweils den Anspruch, den demokratischen Regeln der politischen Konsensfindung und dem Pluralismus nicht nur enthoben zu sein, sondern er wolle sich auch an deren Stelle setzen. Als religiöse Heilslehre optiere er für die Aufhebung der Trennung von Staat und Religion und wolle damit die säkularen Bedingungen des freiheitlichen Verfassungsstaates selbst beseitigen87. Sowohl die funktionale Differenzierung der Gesellschaft 88 als auch die Autonomie des politischen Systems harrten damit ihrer Ersetzung durch einen unmittelbar religiösen Einheitsstaat, der seinerseits auf der Homogenität seiner Gesellschaft basiere. Der Widerspruch dieser konkurrierenden Legitimitätskonzepte zu den Vorstellungen des demokratischen Verfassungsstaates kann - da allen Legitimitätsvorstellungen grundsätzlich auch die Tendenz innewohnt, absolut gesetzt zu werden - augenscheinlich nur als Angriff auf eigene Wertvorstellungen gewertet werden 89. Und so wird der Ruf laut, auch die offene Gesellschaft müsse sich gegen ihre Feinde wehren. Die Religionsfreiheit des Grundgesetzes habe ihre wehrhafte Seite zu mobilisieren. Ausdruck dieser Wehrhaftigkeit müsse es sein, diejenigen Religionsgemeinschaften, welche Gegengesellschaften erzögen 90, durch ein konsequentes Verbot in ihre Schranken zu weisen. Der Freund müsse vom Feind getrennt und letzterer durch die Hintertür der kulturellen Inadäquanz aus der offenen Gesellschaft ausgeschlossen werden. Dies gelte um so stärker vor dem Hintergrund, daß - so wird unter Verneinung der Dynamik kultureller Veränderung und Lernfähigkeit nach Maßgabe des sozialen Umfeldes behauptet - die verschiedenen Kulturen zu einer versöhnlichen Verständigung in Kernfragen nicht fähig seien91. 87 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (43 ff.). Obwohl aber die Säkularität der politisch-rechtlichen Ordnung den Rahmen des friedlichen Zusammenlebens unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Orientierungen bildet, wird gleichzeitig davor gewarnt, den Säkularismus nicht seinerseits mit einem fundamentalistischen Impetus zu versehen. Vgl. H. Bielefelds in: Bielefeldt/Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 474 ff. 88 N. Luhmann, Soziale Systeme, 1984, S. 623 ff.; ders., Das Recht der Gesellschaft, 1995, S. 679 ff., 707 ff. 89 C. Gusy, Legitimität im demokratischen Pluralismus, S. 91 ff. 90 Vgl. BT-Drs. 14/4530, S. 2.

C. Religionsgemeinschaften und die freiheitlich demokratische Grundordnung

81

4. Zusammenfassung Im Ergebnis setzt die Ausgrenzung des den Fundamenten des Grundgesetzes feindlich gesonnenen Fremdartigen verfassungsdogmatisch damit an den Grundrechten an. In Schutzbereichs- und Schrankenlehre des Art. 4 GG lassen sich gleichermaßen Tendenzen ausmachen, mit denen der hypertrophischen Entgrenzung der Religionsfreiheit entgegengesteuert werden soll. Eine dieser Maßnahmen, mit denen der fundamentalistischen Gefahr andersartiger Religionen gewehrt werden soll, ist deren Verbot. Das Verbot von Religionsgemeinschaften setzt auf der Schrankenebene des Grundrechts der Religionsfreiheit an und soll durch die Streichung des Religionsprivilegs des Vereinsgesetzes ermöglicht worden sein. Was hier also im Ergebnis als Maßnahme zur Bekämpfung religiös-fundamentalistischer Herausforderungen von Staat und Gesellschaft vorgeschlagen wird, entspricht der soziologischen Theorie der In- und Exklusion. Zwar ist die für die freiheitliche Demokratie typische Ebene, auf der mit Dissentern umgegangen wird, die der Inklusion 92 . Die Demokratie stellt diejenige Staatsform dar, in welcher die Vielfalt und Vielheit regiert. Ihre regelmäßigen Mittel, Andersdenkende wieder auf Kurs zu bringen, sind die der Diskussion, der Überzeugung und des Kompromisses, jedenfalls aber der Wahrnehmung. Ohne daß damit eine religiöse oder kulturelle Assimilation verbunden wäre, werden die Dissenter so zumindest auf den Weg des Mitmachens und des Mitmachen-Dürfens geführt. Sie bleiben Adressaten der verfassungsrechtlich verbürgten Religionsfreiheit. Sie werden ferner dazu gebracht, demokratische Spielregeln zu tolerieren, bestenfalls diese anzuerkennen, und damit verwirklicht sich letztlich ihre Einbeziehung in das demokratische System. Diese von Integrationsabsicht getragene Inklusion stößt bei integral-fundamentalistischen Religionen aber anscheinend auf strukturelle Grenzen. Die Ebene der Inklusion, das ist im Ergebnis die Schlußfolgerung der Theorie des integralistischen Fundamentalismus, bricht in diesem Falle deshalb weg. Hier kann, so heißt es, nur mit Exklusion, das meint: Ausschluß aus der gleichberechtigten und legalen gesellschaftlichen Interaktion, verfahren werden. Im Ergebnis werden die betreffenden Religionsgemeinschaften durch ihren Ausschluß vom Zugang zu den Grundrechten der Religions- und Vereinigungsfreiheit damit in diesem besonders geschützten Freiheitsbereich „hors la constitution4' gestellt.

91 S. P. Huntington, Kampf der Kulturen, S. 42 ff., 136 ff., 524 ff.; ders., Foreign Affairs 72 (1993), S. 22 (22, 25 ff.); kritisch T. Meyer, in: Bielefeldt/Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 37 (42 f.); A. Lueg, in: Hippler/Lueg (Hrsg.), Feindbild Islam, S. 14 (19). 92 Zur Theorie der Inklusion, vgl. N. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 618 ff. (624, 632); R. Stichweh, in: Mayntz (Hrsgin), Differenzierung und Verselbständigung, S. 261 ff.; ders., in: Beri. J. für Soz. 8 (1998), S. 539 ff. Beide beziehen diese Theorie jedoch auf die Individuen, nicht auf Organisationen. Dies tut dagegen A. Bora, in: Hellmann/ Schmalz-Bruns (Hrsg.), Theorie der Politik, S. 60 (66 ff.). 6 Groh

§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften: Ein historischer Aufriß - zurück zu den Anfängen? Bevor nun geprüft wird, ob Schutzbereich und Schranken der Religionsfreiheit des Grundgesetzes das vereinsrechtliche Verbot von Religionsgemeinschaften oder von Gemeinschaften, die sich als solche bezeichnen, zuläßt, soll im folgenden Kapitel die historische Situation von Religionsgemeinschaften, die nicht zu den christlichen Hauptkonfessionen zählten, aufgerissen werden. Es soll dargelegt werden, wie zunächst der absolute, dann der konstitutionelle Staat und später die Republik mit diesen Vereinigungen umgegangen sind und wie sowohl die verfassungs- als auch die einfachrechtliche Situation dieser kleineren und zum Teil schlecht gelittenen Religionsgesellschaften im Vergleich zu den (heutigen) Großkirchen aussah. Dieser Aufriß beginnt mit der gesetzlichen Lage zur Zeit des preußischen Allgemeinen Landrechts (1794-1850). Er zieht sich über die preußische Verfassung von 1850, die Reichsverfassung von 1871 und die Weimarer Republik (1919-1933) bis hin zum Erlaß des ersten bundesrepublikanischen Vereinsgesetzes von 1964. Im Vergleich zu der dann anschließenden Diskussion über die Möglichkeiten und Motive, „gefährliche" Religionsgemeinschaften entweder von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG auszuschließen oder über das Vereinsgesetz zu verbieten, lassen sich dabei erstaunliche Parallelen aufzeigen 1. Die heute herrschende Meinung wendet den Verbotstatbestand des Art. 9 II GG über die Brückennorm des Art. 137 III WRVauch auf die Religionsfreiheit an. Deshalb lohnt ein Blick sowohl auf die ideengeschichtliche Entwicklung dieser staatskirchenrechtlichen Regelung als auch auf die Verknüpfung der privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften mit dem öffentlichen Vereinsrecht. Der Primat des öffentlichen Vereinsrechts und seines Abwehrinstrumentariums erfaßte die Religionsgemeinschaften zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlicher Weise. Der Weg hin zur grundgesetzlichen Parität der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, nicht nur was ihre Kultusausübung, sondern auch ihre Gesamtstellung zum und im Staat betraf, verlief auf dem Papier zwar kontinuierlich. Aufgrund der Wirklichkeitsbedingungen, in welche sich die Religionsfreiheit gestellt sah, verpaßte ihre einfachgesetzliche Ausformung jedoch weitestgehend den Aufschluß zu 1

„Den Vereinigungen einzelner Untertanen zum Zwecke der gemeinsamen Gottes Verehrung hat jeder Staat von jeher seine besondere Aufmerksamkeit widmen müssen. Denn die Lehren, die solche Vereine aufstellen und weiterverbreiten, können leicht derart sein, daß durch sie die wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Verhältnisse des Staates bekämpft und zerrüttet werden". So bereits die Einleitung einer Dissertation aus dem Jahre 1915 von A. Gurau, Die Stellung der nicht öffentlich aufgenommenen Religionsgemeinschaften, S. 13.

Α. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit

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ihrer verfassungsrechtlichen Ideengeschichte2. Trotzdem läßt sich folgende, nicht immer geradlinige Entwicklung aufzeigen: Dem Abbau staatlicher Einwirkungsbefugnisse auf die von den vereinsgesetzlichen Regelungen freigestellten Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus entspricht die schrittweise Immunisierung ihrer privatrechtlich organisierten Pendants gegen das vereinsrechtliche Abwehrinstrumentarium, bis der Vereinsgesetzgeber der Bundesrepublik im Jahre 1964 schließlich nicht zuletzt aus Gründen der Parität beide Organisationsformen aus dem Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes und seines Verbotstatbestandes ausnahm. Dies setzte zwar einen folgerichtigen, jedoch nur einen vorläufigen Schlußpunkt unter die in diesem Zusammenhang sehr bewegte Geschichte des Verhältnisses von Staat und kleineren Religionsgesellschaften. Die einzelnen Stationen dieser Geschichte sollen im folgenden näher ausgeleuchtet werden.

A. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit in Preußen und im Reich Preußen spielte im Hinblick auf die Entwicklung der religiösen Toleranz eine Vorreiterrolle 1. Die religiöse Assoziationsfreiheit ging hier auf das Religionspatent vom 30. 3. 18472 zurück. Seine Grundideen sind in die preußische Verfassung von 1850 eingeflossen. Art. 12 VU gewährleistete die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und die der Vereinigung zu Religionsgesellschaften, verwies letztere gleichzeitig aber auf das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit und seine Grenzen - die historischen Vorläufer des Art. 9 II GG. Erstmals kodifiziert worden war die Neubildung religiöser Vereinigungen in Form eines Konzessionierungssystems aber bereits in den §§ 10 ff. II 11 ALR (1794)3. I . Der Zeitraum des A L R (1794 bis 1850) Zunächst hatte das Woellnersche Religionsedikt 4, ein anti-aufklärerisches und sicherheitspolizeiliches Kirchengesetz aus dem Jahre 17885, die Öffentlichkeit an2 R. Wahl, Der Staat 18 (1979), S. 321 (328 ff.). 1

H. Fürstenau, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 180; W. Kahl, Lehrsystem des Kirchenrechts und der Kirchenpolitik, Erste Hälfte, 1894, S. 325; C. Mirbt, Die Religionsfreiheit in Preußen unter den Hohenzollern, 1897, S. 10. 2 GSS. 121. 3

Auf Reichsebene sprach erst § 63 RDHS (1803) den Landesherren das Recht zu, entgegen den Grundsätzen des Art. VII IPO auch „andere Religionsverwandte zu dulden", vgl. J. Listi, in: ders., Kirche im freiheitlichen Staat, S. 237 (240 f.). 4 Vom 25. Juli 1788, abgedr. in: C. L. H. Rabe, Sammlung Preußischer Gesetze und Verordnungen, Bd. 1, VII Abt. (1782-1789), 1823, S. 726 ff.; hierzu auch M. Friedrich, in: Brakelmann / Friedrich / Jähnichen (Hrsg.), Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 13 (15 m. w. N.). 6*

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

derer als der drei christlichen Hauptkonfessionen und einiger weiterer öffentlich geduldeter christlicher Sekten 6 verboten 7 . Das A L R dagegen (§§ 10 ff. I I 11), dessen kirchenpolitisches System sich an der protestantischen Kirchenrechtswissenschaft, der Kollegialtheorie und den Naturrechtslehren des 18. Jahrhunderts orientierte 8 , sah als Wurmfortsatz des ius reformandi des Westfälischen Friedens ein Konzessionierungssystem für die Neubildung religiöser Vereinigungen vor (ius recipiendi) 9 . Während das Landrecht „Privatmeinungen in Religionssachen" 10 (§ 3 I I 11 A L R ) respektierte und hier die devotio domestica simplex (einfache Hausandacht) grundsätzlich erlaubte, unterwarf es religiöse Assoziationen aus sicherheitspolizeilichen Gründen einem Kastenwesen 11 . Der Gesetzes Wortlaut differenzierte zwischen aufgenommenen Kirchengesellschaften 12 , rechtlich geduldeten und unerlaubten Kirchengesellschaften insbesondere i m Hinblick auf das exercitium religionis publicum 13. Zu den öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften zählten die Parochien der drei christlichen Konfessionen. Da ihre Stellung i m Staate privilegiert war, sicherte sich der Staat ihnen gegenüber eine umfassende Oberaufsicht (§ 32 I I 11 A L R ) . Zwischen die öffentlich rezipierten und die bloß geduldeten Religionsgesellschaften drängte sich in der tatsächlichen Praxis eine weitere Gruppe von Kir5 F. Valjavec, HJb 72 (1953), S. 386 (392 ff.). 6 Zu diesen Sekten zählten wegen ihrer offensichtlichen Nähe zur confessio augustana u. a. die Herrenhuter, aber auch die Mennoniten. Zum folgenden R. Schueck, Religionsfreiheit, S. 18 ff., 53 ff. 7 Vgl. § 2: „So lange ein jeder ruhig als ein guter Bürger des Staates seine Pflichten erfüllt, seine jedesmalige besondere Meynung aber für sich behält". Und § 3: „Alles Proselytenmachen wird verboten". Die Staatspraxis ließ dagegen kleinere unbedeutende Gemeinschaften wie z. B. die Unitarier und Hussiten unbehelligt. E. Hubrich, VerwArch 20 (1912), S. 309 (327); H. F. Jacobson, ZfKR 1 (1861), S. 392 ff.; C. Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte, S. 323 ff.; zu weiteren geduldeten Sekten, vgl. F. Besch, Der Begriff der anerkannten Religionsgemeinschaft, S. 29 ff. Auch die Mennoniten besaßen nur das exercitium religionis privatum, vgl. R. Schueck, Religionsfreiheit, S. 26.

s H.-W. Strätz, Civitas 11 (1972), S. 156 (164 f., 171 Fn. 99). Zu den einzelnen Ausprägungen vgl. W. Kahl, Lehrsystem, S. 316 ff. 10 R Landau, JZ 1995, S. 909 (910).

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11 Ausführlich zu den einzelnen Klassen der Religionsgesellschaften und welche Bekenntnisse den einzelnen Klassen zuzuordnen waren, vgl. R. Schueck, Religionsfreiheit, S. 181 ff. 12 Der Begriff der Kirchengesellschaft meint nicht die Gesamtorganisation einer Religionsgemeinschaft, sondern nur deren Einzelgemeinden, vgl. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 199; C. Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte, S. 321 f. Der heutige Begriff der Religionsgemeinschaft als oberste zusammengefaßte Organisation eines Bekenntnisses läßt sich am ehesten mit der Bezeichnung der Religionspartei gleichsetzen. H.-W. Strätz, Civitas 11 (1972), S. 156 (168 ff.). Da diese Begrifflichkeiten im Laufe der Zeit eine erhebliche Inhaltsverschiebung erfahren haben, soll hier der Vereinfachung halber dennoch grundsätzlich von Religionsgemeinschaften oder -gesellschaften gesprochen werden. 13 Ausführlich zu den verschiedenen Arten der Religionsausübung, vgl. F. Besch, Der Begriff der anerkannten Religionsgemeinschaft, S. 14 ff.; R. Schueck, Religionsfreiheit, S. 29 ff.

Α. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit

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chengesellschaften, die zwar durch Aufnahme und Konzessionierung über den bloß geduldeten Sekten stand, nicht aber privilegiert w a r 1 4 . Die Bildung neuer Religionsgemeinschaften war in Abkehr von einem ersten Entwurf, den Svarez zuvor eingebracht hatte 1 5 , ausdrücklich unter staatlichen Genehmigungsvorbehalt gestellt. Der Staat behielt sich die Befugnis vor, die Lehren der antragstellenden Vereinigungen auf ihre Kompatibilität mit seinem Werthorizont hin zu taxieren. Er genehmigte allein diejenigen, welche die Gewähr gaben, ihren Mitgliedern Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat und sittlich gute Gesinnungen „einzuflößen" (§§ 21, 13 I I 11 A L R ) 1 6 . In dieser Rechtslage spiegelt sich die dienende Funktion, die der absolute Staat dem Vereinswesen auch insgesamt zudachte. Die (öffentliche) Verbreitung anderer als der den genannten Grundsätzen entsprechenden Lehren wurde aus Gründen der Staatsraison und mit Mitteln des vorbeugenden Staatsschutzes, dem die korporative Religionsfreiheit weichen mußte, zugleich mit den Vereinigungen selbst untersagt. Die betroffenen Bekenntnisse wurden auf die Hausandacht verwiesen 1 7 . 14 R. Schueck, Religionsfreiheit, S. 33 ff.; H. Fürstenau, Religionsfreiheit, S. 79 f.; Η F. Jacobson, ZfKR 1 (1961), S. 392 (394 ff.); P. Landau, in: Dölemeyer/Mohnhaupt (Hrsg.), Allgemeines Landrecht, S. 145 (165 f.); C. Mirbt, Religionsfreiheit, S. 18 f.; M. Schulz, PrVwBl. 1906, S. 727 (728 ff.); E. Schwartz, Verfassungsurkunde, S. 76 f. Es waren dies insb. die Herrenhuter, Mennoniten und Böhmische Brüdergemeinde des Wöllnerschen Edikts. Ihre rechtliche Stellung richtete sich nach den erteilten Konzessionen. 15

„Jede Kirchengesellschaft, welche vom Staat nicht ausdrücklich verworfen worden ist, hat die Rechte geduldeter Gesellschaften", zit. nach F. Besch, Der Begriff der anerkannten Religionsgemeinschaft, S. 33. 16 Zu den in Preußen inkorporierten Gemeinschaften zählten die Gemeinden der Altkatholiken (4. Juli 1875, GS S. 333 f.), Separierten Altlutheraner (23. Juli 1845, GS S. 516), die Parochien der Mennoniten (12. Juni 1874, GS S. 238/§ 1: „können ( . . . ) Korporationsrechte erlangen"), Baptisten (7. Juli 1875, GS S. 374/§ 1: „können ( . . . ) Korporationsrechte erlangen") und die einzelnen jüdischen Synagogengemeinden (23. Juli 1847, GS S. 263 Titel II). Zu den nicht inkorporierten Religionsgemeinschaften in Preußen gehörten dagegen die Anglikaner, apostolische Gemeinden, Darby sten, Deutschkatholiken, Irvingianer (Neuapostolische Kirche), Methodisten, Nazarener, Quäker und weitere freireligiöse Gemeinden. Hierzu W. Kahl, Lehrsystem, S. 343; zu den Verboten freireligiöser Vereinigungen näher F. Heyer, in: Heyer/Pitzer (Hrsg.), Religion ohne Kirche, S. 23, 31; V. Pitzer, in: ebda., S. 123. Die amerikanischen Priester der Latter Day Saints (Mormonen), zu denen in Deutschland im Jahre 1903 etwa 2000 Mitglieder zählten, wurden wegen aufrührerischen Betragens und einer Lehrtätigkeit, die wider die deutschen Gesetze und die Gesellschaftsmoral (Polygamie) laufe, aus Preußen ausgewiesen. Vgl. MinErl. v. 26. April 1853, A I 3381 und v. 30. April 1902, zit. nach H Delius, Vereinsrecht, S. 537 f.; ferner T. G. Alexander, Mormonism in Transition, S. 226 ff.; E. Kalb, in: ders. (Hrsg.), Kirchen und Sekten, S. 512. Während das Phänomen der Opferbereitschaft der Anhänger dieser Sekten insgesamt argwöhnisch beäugt wurde, wurden diejenigen Sekten als besonders gefährlich eingeschätzt, die aufgrund ihrer exorbitanten Geldmittel die „rührigste" Propaganda betreiben konnten (Sieben-Tags-Adventisten und Ernste Bibelforscher (Zeugen Jehovas). Näher Κ Algermissen, Christliche Sekten, S. 27, 31, 5 f. „So forderte ζ. B. Rüssel, der Begründer der „Ernsten Bibelforscher", von seinen Mitarbeitern, daß sie sich voll und ganz dem Dienste der Sache weihten. Sie ( . . . ) bekamen außer Kost und Logis nur ein bestimmtes monatliches Taschengeld für Frau und Kinder ( . . . )".

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

Mit dem Religionspatent von 184718 wurde unterhalb der Kaste der rechtlich geduldeten Religionsgemeinschaften der Status faktischer Duldung 19 geschaffen. Durch stillschweigende „Genehmigung" religiöser Assoziationen seitens der Verwaltung konnte diese von dem für den Erhalt der rechtlichen Duldung vorgeschriebenen Anerkennungsverfahren, die in der Exegese der Glaubenslehren bestand, abrücken 20. In dem Religionspatent paarte sich letztlich ein Stück religiöser Toleranz mit der Bewahrung der politischen Einheit des Staates, seiner wirtschaftlichen Prosperität und dem innerstaatlichen, religiösen Frieden. Um insbesondere letzterem flexibel dienen zu können, hielt sich der Staat allerdings ein Hintertürchen offen: Das Patent verband den vorbeugenden Staatsschutz gegen religiöse Assoziationen klarstellend mit dem allgemeinen Vereinsrecht des ALR (§ 4 II 6 ALR), auf das es implizit Bezug nahm. Damit gewährte der Staat in verklausulierter Form die religiöse Assoziationsfreiheit in demselben Maße, in dem die Vereinigungsfreiheit überhaupt gewährleistet war - also insoweit, als daß weder das öffentliche Wohl noch die gemeine Ruhe, Sicherheit und Ordnung zu leiden hatten21. Der Begriff der religiösen Assoziation stellte eine Unterform der Legaldefinition der „Gesellschaft" (ALR II 6 § 1) dar. Neben dem Sonderrecht für religiöse Vereinigungen, das geschaffen wurde, um ihrer Eigenartigkeit als subordinierte staatsinterne Verbände und ihrem besonderen Einfluß auf die bürgerliche Gesellschaft und den Staat in angemessener Weise begegnen zu können, war deshalb das allgemeine Gesellschaftsrecht subsidiär anwendbar 22. Mit seiner ausdrücklichen Inbezug17 Ausführlich Η. F. Jacobson, ZfKR 1 (1861), S. 392 (406 ff.); P. Landau, in: Dölemeyer/Mohnhaupt (Hrsg.), Allgemeines Landrecht, S. 145 (152 ff.); M. Friedrich, in: Brakelmann/Friedrich/Jähnichen (Hrsg.), Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 13 (19). 18

Umfang und Rechtswirkung des Patents waren umstritten. Vgl. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 187; A. Gurau, Die Stellung der nicht öffentlich aufgenommenen Religionsgemeinschaften, S. 18 f. 19 Faktisch war die Duldung dieser Gemeinschaften deshalb, weil sie von der Voraussetzung abhing, daß die dissentierenden Gläubigen mitgliedsrechtlich weiterhin ihrer bisherigen Religionspartei zugehörten, soweit ein besonderes Gesetz nichts anderes bestimmte. Ihnen fehlte daher eine eigene rechtliche Existenz. 20 H. Fürstenau, Religionsfreiheit, S. 143 ff.; H. F. Jacobson, ZfKR 1 (1861), S. 392 (413: Baptisten, 418 ff.); P. Landau, JZ 1995, S. 909 (913); ders., in: Dölemeyer/Mohnhaupt (Hrsg.), Allgemeines Landrecht, S. 145 (166); L. v. Rönne, Staatsrecht, S. 153 ff. R. Schueck, Religionsfreiheit, S. 193 ff. Diese Regelung sollte auf eine vorübergehende Ausnahmesituation reagieren, da der Ausgang der wenig gefestigten, neu sich bildenden Religionsgemeinschaften ungewiß war. Glaubenslehren, die den Grundsätzen des § 13 II 11 ALR widersprachen, durften jedoch nicht verbreitet werden. 21 P. Landau, JZ 1995, S. 909 (913); a.A. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 187. Hierauf wurde das Verbot einer Magdeburger Dissidenten-Gemeinde gestützt, vgl. H. F. Jacobson, ZfKR 1 (1861), S. 392 (421 f.). Zum Recht der häuslichen Gottesdienste, die verboten werden konnten, wenn sie sich als Zusammenkunft erwiesen, „welche der Ordnung und Sicherheit des Staates gefährlich werden konnten" (§ 9), vgl. M. Friedrich, in: Brakelmann/ Friedrich/Jähnichen (Hrsg.), Auf dem Weg zum Grundgesetz, S. 13(17).

Α. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit

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nähme behielt sich der spätabsolutistische Staat damit aber auch die Möglichkeit vor, an sich nach der besonderen Religionspraxis faktisch geduldete Gesellschaften in dem Augenblicke zu verbieten, „sobald sich findet, daß dieselben (seil.: auch an sich nicht unzulässige Gesellschaften) anderen gemeinnützigen Absichten oder Anstalten hinderlich oder nachteilig sind" 23 . Offen bleibt, ob zu diesen Anstalten auch die korporierten Religionsgesellschaften, insbesondere die christlichen Kirchen zu zählen waren. Erstmals tauchte hier auch eine Vorform der Formel von den Schranken der für alle geltenden Gesetze auf, welchen nach dem späteren Art. 137 III WRV auch die Religionsgesellschaften unterstehen. § 27 II 11 ALR bestimmte, daß sich die Kirchengesellschaften „in allen Angelegenheiten, die sie mit anderen bürgerlichen Gesellschaften gemein haben, nach den Gesetzen des Staates richten" müssen24.

I I . Die Preußische Verfassung von 1850 In der Hoffnung, „religiöse Verwirrungen" erledigten sich früher oder später von selbst25, erlaubte Art. 12 VU dagegen grundsätzlich die freie Bildung von Religionsgemeinschaften 26. Er unterschied allein die inkorporierten Religionsgemeinschaften von solchen, die keine Korporationsrechte erhalten hatten. Zu den inkorporierten Religionsgesellschaften zählten vor allem die bereits nach dem ALR öffentlich aufgenommenen Kirchengesellschaften. Diese wiederum rekrutierten sich in der Hauptsache aus den christlichen Hauptkonfessionen. Nach dem zur Zeit des Konstitutionalismus gängigen Korporationsbegriffes war mit der Verleihung von Korporationsrechten zunächst allein die Anerkennung einer Rechtspersönlichkeit verbunden 27. Es bot sich demnach folgendes Bild der religiösen Assoziationsfreiheit: Die Bildung religöser Gemeinschaften war zwar freigegeben worden, die Erlangung der 22 H.-W. Strätz, Civitas 11 (1972), S. 156 (169, 171 Fn. 99), mit Hinweis auf Ausführungen von C. G. Svarez. 23 H.-W. Strätz, Civitas 11 (1972), S. 156 (178 f.), wiederum mit Hinweis auf die Kronprinzenvorträge von C. G. Svarez; kritisch auch R. Schueck, Religionsfreiheit, S. 150 ff. 24 So J. Listi, in: Kirche im freiheitlichen Staat, S. 237 (247 f.). 25 Erläuterungen, die Bestimmungen der Verfassungsurkunde vom 5. Dez. 1848 über Religion, Religionsgesellschaften und Unterrichtswesen betreffend, S. 6, abgedr. bei L. v. Rönne, Staatsrecht, S. 157. 26 Dem Begriff der Religionsgemeinschaften (in Patent und Verfassungen als Religionsgesellschaften bezeichnet), unterfielen diejenigen religiösen Vereinigungen innerhalb des Staatsgebiets, die über eine eigene Lehre sowie ein eigenes Bekenntnis verfügten. Η. Α., vgl. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 200; A. Gurau, Die Stellung der nicht öffentlich aufgenommenen Religionsgemeinschaften, S. 21; a.A. Staudinger, EGBGB, Art. 84 Rn. 3: Sprachgebrauch dem ALR entnommen = Gesamtheit aller religiösen Vereine. 27 A. Endrös, ZRG KA 100 (1983), S. 292 (300 f., 310).

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

Rechtsfähigkeit dagegen bedurfte eines gesetzlichen Verleihungsaktes. Diese vordergründig nur für das Zivilrecht bedeutsam erscheinende Unterscheidung wirkte sich ganz erheblich auch auf den gefahrenabwehrrechtlichen Umgang mit den religiösen Assoziationen nach dem (öffentlichen) Vereinsrecht aus: Den naturrechtlichen Staatsvertragslehren, denen der preußische Staat lange Zeit verhaftet blieb, galt die Sicherung des Staates und seiner Funktionsfähigkeit als legitime Konsequenz aus dem Zweck des Staates selbst. Zum Staat hatte man sich verbunden, damit dieser die Rechte und Freiheiten seiner Bürger schütze. Zum (Hilfs)Zweck des Staates wurde daher als seine Sekundärpflicht proklamiert, daß er nicht nur seine Bürger, sondern gleichfalls sich selbst zu schützen habe: „Aufrechterhaltung dieser Verbindung (seil.: der einzelnen zum Staat) selbst durch alle dazu notwendigen Mittel" 2 8 . Denn die durch den Staat versprochene Sicherheit setze voraus, daß der Staat als „Sicherungsinstrument seinerseits gesichert und seiner Aufgabe gewachsen"29 sei. Die Rückbindung des Staates an die Sicherung der Freiheit der einzelnen legitimierte gleichzeitig die Beschränkung letzterer zugunsten des ersteren: Der deutsche Konstitutionalismus war durch die Erfahrungen mit Revolution und Religionskriegen von einem äußersten Mißtrauen sowohl gegen ein politisches als auch gegen ein religiöses Vereinigungswesen beseelt. Er wob, eingedenk der Gefahr der Zersetzung der politischen Einheit des Staates, ein engmaschiges System präventiver und repressiver polizeilicher Befugnisse sowie Kontroll- und Verbotsmöglichkeiten um beide Arten von Vereinigungen 30. Da mit der einengenden Interpretation der Grundrechte dem omnipotenten Staat von der Staatsrechtslehre überwiegend das Recht zugebilligt wurde, diejenige Grenze „freiheitsrechtlicher" Aktivität zu markieren, deren Überschreiten eine Gefährdung für ihn bedeuten konnte 31 , wurde insbesondere die politische Vereinigungsfreiheit in der Preußischen VU einem umfassenden Gesetzesvorbehalt unterstellt 32 . Infolge dessen einfachgesetzlicher Ausformung durch das Preußische Vereinsgesetz33 wurde das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit und mit diesem auch die religiöse Assoziationsfreiheit der polizeilichen Gefahrenabwehr überantwortet.

28 C. G. Svarez, Vorträge über Recht und Staat, S. 7 f. 29 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 79 S. 322. 30 G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 516 ff.; J. Baron, Das deutsche Vereinswesen, S. 31 ff.; Altmann, PrVwBl. 1908, S. 361 (362); vgl. aber auch H. Krüger, NJW 1956, S. 1217, der das Motiv der Reglementierung des Vereinswesens in der Überzeugung verortet, die Interessen der Bürger würden am besten durch den Staat erkannt und gepflegt. 31 R Caspar, Versammlungs- und Vereinsrecht, S. 1 ff.; U. Scheuner, in: FS Huber, S. 139 (156). 3 2 Vgl. Art. 30 Preuß. VU 1850, abgedr. bei E. R. Huber, Dokumente I, S. 501 ff. 33

„Verordnung über die Verhütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des Versammlungs- und Vereinsrecht" v. 11. März 1850, in: GS S. 277; H. Ridder, in: AK GG, Art. 9 Abs. 2 Rn. 5.

Α. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit

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Der Verweis in Art. 12 VU unterstellte nämlich die Religionsgemeinschaften dem Art. 30 III VU. Damit unterlag die religiöse Vereinigungsfreiheit zum einen der Möglichkeit von Beschränkungen und Verboten im Wege der Gesetzgebung. Zum anderen konnte, da den religiösen und insbesondere vereinsrechtlichen Freiheiten ganz überwiegend die Bedeutung staatlicher Gewährleistungen beigemessen wurde 34 , von der herrschenden Rechtslehre und der Rechtsprechung gebilligt sowie durch den Verweis in das Vereinsrecht ermöglicht, das präventive Konzessionierungssystem des ALR in modifizierter Weise fortgeführt werden. Das verheißungsvoll erscheinende religiöse Assoziationsrecht wurde also einfachgesetzlich ausgehöhlt35. Auf dem Papier der Verfassungsurkunde kam deshalb zwar die liberale Auffassung, Kirchen und andere Religionsgemeinschaften gehörten zu den Privatgesellschaften, zum Ansatz. Zum Teil wurde sie von dem eher frommen als realitätsnahen Wunschdenken, alle Religionsgemeinschaften mögen auf den „Standpunkt des gemeinen Rechts aller Gesellschaften und Vereine" versetzt werden 36, begleitet. Im Ergebnis sind aber weder die authentische Interpretation der Verfassung noch die durch sie sanktionierte Staatspraxis diesem Ansatz gefolgt. Das Vereinsrecht galt für neu sich bildende religiöse Assoziationen eo ipso. Die evangelischen Landeskirchen dagegen wie auch die katholische Kirche (und nach und nach weitere christliche Dissidentengemeinschaften) wurden hiervon eximiert.

1. Die Gemeinsamkeiten religiöser und politischer Vereinigungen Zwar verfügte Art. 12 VU, daß jedes Bekenntnis sich gesellschaftlich müsse organisieren können, ohne hierzu einer staatlichen Genehmigung zu bedürfen. Das Vereinsgesetz und diesem folgend der Großteil der Lehre und der Praxis stellte die neu sich bildenden Religionsgemeinschaften ohne Korporationsrechte, also die nichtrechtsfähigen Vereine im Sinne des späteren § 54 BGB, aber den politischen Vereinen im weiteren Sinne gleich. Damit waren sie nicht nur der gesetzgeberischen Verbotsmöglichkeit ausgeliefert, sie wurden auch im Vorfeld weitgehenden Überwachungs- und Auflösungsrechten (§§ 4 - 6 , 8 PrVG) durch die Polizei unterstellt. Religionsgesellschaften mit Korporationsrechten dagegen waren vom Geltungsbereich des Vereinsgesetzes ausgenommen (§ 2 III PrVG) 37 . Die Degradierung der Religionsgemeinschaften ohne Korporationsrechte zu einem Unterfall politischer Vereine im weiteren Sinne war nicht gänzlich unumstritten geblieben. Nach der Legaldefinition des Preußischen Vereinsgesetzes galt als 34 u. Scheuner, in: FS Huber, S. 139 (148 ff.). 35 A. Gurau, Die Stellung der nicht öffentlich aufgenommenen Religionsgemeinschaften, S. 45 ff.; L. v. Rönne, Staatsrecht, S. 159. 36 G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 290. 37 G. Schiller, ZevKR 48 (2003), S. 257 (261 ff.).

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

politisch ein jeder Verein, der eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten bezweckte. Weitestgehend gleichgestellt waren Vereine, in denen öffentliche Angelegenheiten erörtert werden sollten. Was man aber genau unter einem politischen Verein oder einem solchem, der öffentliche Angelegenheiten verhandelte, zu verstehen hatte, blieb bis ins spätere Reichsvereinsgesetz hinein unklar. Dies lag nicht zuletzt daran, daß der Gesetzgeber bewußt auf eine Legaldefinition verzichtet und diese der Justiz überlassen hatte. Die Begriffe der politischen und der öffentlichen Angelegenheiten wurden zunächst in ganz allgemeinem Sinne auf die polis und damit das Gemeinwesen bezogen. Sie wurden als Angelegenheiten definiert, die den Staat in irgendeiner Weise betrafen. Diese denkbar weite Fassung der Begriffe hielt die Möglichkeit offen, Religionsgemeinschaften unter selbige zu subsumieren38. Unklar blieb allerdings, ob Religionsgesellschaften unter die Kategorie der politischen Vereine oder aber unter die Kategorie derjenigen Vereine, die sich auf die bloße Erörterung öffentlicher Angelegenheiten beschränkten, zu fassen waren. Zwar wollte der gemäßigte und kleinere Teil der Lehre, für den religiöse Thematiken grundsätzlich als Privatangelegenheiten zu qualifizieren waren, die Anwendung der Sonderbestimmungen für politische Vereine von einer Einzelfallprüfung abhängig machen39. Die Vertreter dieser Ansicht waren der Meinung, die Ausnahme der inkorporierten Religionsgemeinschaften von den Regelungen über politische und öffentliche Vereine erlaube nicht den Umkehrschluß, religiöse Vereinigungen ohne Korporationsrechte seien per se unter diese Begriffe zu subsumieren. Sie sollten hiernach dem Regime des politischen Vereinsrechts nur unterworfen sein, soweit sich aus Zweck und Tätigkeit die Absicht der Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten ergab. Hierbei waren Spontan- und Nebenzwecke aber mit in die Waagschale zu werfen. Die Prüfung sollte sich insbesondere darauf erstrecken, herauszufiltern, ob die Verfolgung religiöser Zwecke („wie dies allerdings nur allzu häufig der Fall ist" 4 0 ) als Deckmantel für Bestrebungen anderer Art mißbraucht wurde. Die Motive des Vereinsgesetzes sprachen demgegenüber aber eine ganz andere Sprache: nämlich die der unbedingten Unterwerfung der Religionsgesellschaften ohne Korporationsrechte unter die Repressalien des politischen Vereinswesens41.

38 H. Delius, Deutsches Vereinsrecht, S. 246, 380 ff. 525 ff.; F. Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, S. 72 ff., 77; enger P. Caspar, Versammlungs- und Vereinsrecht, S. 29 ff., 40; W. v. Calker, Der Begriff des politischen Vereins, S. 296; H. Fürstenau, Religionsfreiheit, S. 223 Fn. 1 ; zur engeren Auslegung unter der WRV, vgl. A. Brecht, in: v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze, Bd. 2, S. 167 (191 f.), mit Hinweis auf Erk. des Kammergerichts v. 2. März 1885, Jahrb. f. Entsch. des Kammerger. Bd. V Nr. 109 S. 272 ff.; Nr. 116 S. 304; v. 9. Juni 1890, ebda. Bd. X Nr. 99 S. 250; OVG v. 21. November 1891, PrVwBl. 1891/92, S. 375 (377 f.). Zur Schließung einer freien ev. Gemeinde, vgl. Pr. OTr., Bd. 25, 355 (v. 22. Juni 1853). 39

G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 205 ff. 40 H. Delius, Deutsches Vereinsrecht, S. 525, mit Hinweis auf ein Zirkular-Reskript des M. d. J. v. 1. August 1850, MB1. der Inneren Verwaltung, S. 205. 41 Ministerialblatt der Inneren Verwaltung, Jahrg. 1850, S. 205.

Α. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit

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Zum Teil wurde neben der Anwendung des politischen Vereinsrechts gar die modifizierte Fortgeltung von Bestimmungen des ALR, die dem Vereinsrecht nicht ausdrücklich widersprachen, für nicht-inkorporierte Religionsgemeinschaften postuliert: hier insbesondere die Verschiebung der Treuepflicht des § 13 II 11 ALR als stillschweigender Voraussetzung einer Religionsgesellschaft von der präventiven auf die repressive Seite des Staatsschutzes. Gegen eine Religionsgemeinschaft, deren Glaubenslehren sich in Widerspruch zum Werthorizont des Staates und der herrschenden Gesellschaftsmoral setzten und die ihren Verpflichtungen, Treue gegen den Staat zu predigen, nicht nachkäme, sollte der Staat das Recht, wenn nicht gar die Pflicht zur Auflösung haben42. So findet sich in den Motiven zu den Art. 11 ff. der oktroyierten Verfassung von 1848 die Aussage, daß eine Religionsgesellschaft, sollte „sie unter dem Schein der Religion die Verfassung des Staates angreifen", sich „vergeblich gegen die repressiven Maßregeln der Staatsgewalt auf die (seil.: Religionsfreiheit berufen" würde 43 . Der Schritt zu einem Verbot von Religionsgemeinschaften wegen des Inhalts ihrer religiösen Unterweisungen war hier nicht weit 44 .

2. Ergebnis Die zunächst augenfällig erscheinende Disparität im Umgang des Staates mit inkorporierten und nicht-inkorporierten Religionsgemeinschaften wurde insoweit von der Verfassung nicht angefochten. In beredtem Schweigen hatte die preußische Verfassung - anders als die Reichsverfassung von 1849 - das Verbot der Bevorrechtigung einzelner Religionsgemeinschaften nicht in die Verfassung aufgenommen. Die von der Verfassung offengehaltene Möglichkeit der Ungleichbehandlung der verschiedenen Bekenntnisse bedeutete aber nicht, daß nicht nach dem Prinzip der Parität vorgegangen worden wäre. Die damalige Vorstellung von Parität Schloß sich nämlich noch an die Überbleibsel ihrer historisch gewachsenen engen Bedeutung an und bezog sich trotz fortschreitender säkularer Neutralität in erster Linie auf das Verhältnis der drei christlichen Hauptkonfessionen in einem christlich fundierten Staat45. 42 H. Fürstenau, Religionsfreiheit, S. 218 ff.; H. F. Jacobson, ZfKR 1 (1861), S. 392 (433). Wann welche Normen des ALR, insbesondere auch die des § 13 II 11 ihre Geltungskraft für das staatskirchenrechtliche System Preußens verloren haben, ist umstritten. P. Landau, in: Dölemeyer/Mohnhaupt (Hrsg.), Allgemeines Landrecht, S. 145 (183): 7. Mai 1874. 43 Vgl. die vom preuß. Kultusminister von Ladenberg veröffentlichten Motive zu Art. 11 ff. oktroyierte Verfassung vom 5. Dezember 1848, zit. nach T. Woltersdorf, Staatsgrundgesetz und Kirche, S. 336. 44 H. Delius, Deutsches Vereinsrecht, S. 530, mit Hinweis auf eine Entscheidung des preuß. OVG v. 21. November 1891, PrOVGE 22, 396. 45 Zur alten Reichsparität, vgl. M. Heckel, ZRG KA 80 (1963), S. 261 (287 ff.); zur Idee des christlichen Staates, vgl. C. Link, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, S. 527 (534).

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

Obwohl der religiösen Assoziationsfreiheit als Grundrecht grundsätzlich unmittelbare Bedeutung beigemessen wurde, faßte man sie praktisch im Sinne der älteren Interpretation der Grundrechte als Weisungen für eine künftige gesetzgeberische Tätigkeit auf. Hinzu trat die Auffassung, Grundrechte seien objektive Normen und damit ohne Abwehrqualität dem Staate gegenüber. Der einzelne könne keine subjektiven Rechte gegen den Staat haben. Der fehlende Vorrang der Verfassung tat sein übriges, so daß an zahlreichen Vorschriften, die nicht-inkorporierte Religionsgemeinschaften benachteiligten, festgehalten werden konnte 46 . Die Bekenntnisneutralität des Staates war für diesen ein verfassungsrechtliches Stichwort nur in Bezug auf die individuelle Glaubensfreiheit. Die Gleichstellung, die den Religionsgemeinschaften untereinander zuteil wurde, beschränkte sich dagegen auf die Kultusausübung47. Daß aber auch die inkorporierten Religionsgesellschaften wie die christlichen Kirchen von staatlicher Bevormundung nicht freigestellt waren, wird sich weiter unten zeigen. Trotz des verfassungsrechtlich verbürgten Rechts der freien Bildung religiöser Assoziationen unterlagen im Ergebnis die kleineren nicht-inkorporierten Religionsgesellschaften also mannigfaltigen Beschränkungen. Am auffälligsten und für die heutige Diskussion bemerkenswertesten ist es, daß nicht-inkorporierte Religionsgesellschaften mindestens in die rechtliche Nähe der politischen Vereine gerückt wurden, um sie auf diese Weise dem präventiven und dem repressiven Abwehrinstrumentarium des Vereinsgesetzes zugänglich zu machen. Auch die in der heutigen Diskussion überaus wichtige Frage, wann eine religiöse Betätigung nur einen Deckmantel darstellt, mit dem die Vereinigung andere Ziele verschleiert, wurde bereits damals aufgeworfen.

I I I . Die Rechtslage im Deutschen Reich 1. Die Reichsverfassung von 1871 Mit Art. 4 Ziff. 16 der Reichsverfassung von 1871 wurde dem Reich ein Rechtstitel zur einheitlichen Regelung des Vereinsrechts, das bis dato Ländersache gewesen war, an die Hand gegeben. Es machte hiervon erst im Jahre 190848 umfassenden Gebrauch. Die Reichverfassung selbst enthielt keinen Grundrechtskatalog, die Vereinigungsfreiheit wurde gleichwohl aber erweitert. Der Rechtstitel zum Erlaß von Vereinsverboten wurde durch das neue Vereinsgesetz auf die Strafgesetzwidrigkeit von Vereinen beschränkt ( § 2 RVG) - eine Großzügigkeit, die das Reich 46 U. Scheuner, in: FS Huber, S. 139 (157). 47 G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 246, 284; H. F. Jacobson, ZfKR 1 (1861), S. 392 (431 ff.). 48

Vom 19. April 1908, RGBl. I S. 151. Das spätere Reichsvereinsgesetz wurde aber bereits im Jahre 1873 durch diverse Gesetzgebungsanträge vorweggenommen. F. StierSomlo, Reichsvereinsgesetz, S. 6 f., 12.

Α. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit

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nicht anfocht, nachdem es zuvor versucht hatte, mit den Jesuiten den politischen Katholizismus des Landes zu verweisen 49.

2. Die Gesellschaft Jesu im Kulturkampf Die Verfassungspraxis vor Erlaß des Reichsvereinsgesetzes hatte aber eine ganz andere Sprache gesprochen. Dies soll das Beispiel des Jesuitenordens verdeutlichen. Bereits im Jahre 1872 wurde der Orden der Gesellschaft Jesu, auf den verfassungsrechtlichen Kompetenztitel zur Regelung des Vereinsrechts gestützt, verboten 50 . Zwar fußte dieser Eingriff in die religiöse Assoziationsfreiheit auf einem Sondergesetz. Ferner wurde mit dem Jesuitenorden ein religiöser Verein und keine Religionsgemeinschaft betroffen. Dennoch wirft dieses Beispiel auf paradigmatisch-prägnante Weise ein Schlaglicht auf die Motive des Staates, mit abträglichen religiösen Lehren ins Gericht zu gehen: Werden die Fundamente eines Staates angekratzt, wehrt sich letzterer gegen die vermeintlich staatsgefährdenden Kräfte, um sie zur Raison zu bringen. So geschehen am Beispiel des Jesuitenorden. Der Jesuitenorden, von Ignatius von Loyola gestiftet und im Jahre 1540 durch die päpstliche Bulle Regimini militantis ecclesiae anerkannt, konnte zu dieser Zeit auf eine wechselvolle Geschichte von staatlicher Begünstigung und Anfeindung sowie kirchlicher Auflösung und Wiederherstellung zurückblicken 51. Als Arm der streitbaren Kirche gegründet, hatten sich die Jesuiten den unbedingten Gehorsam dem Papste gegenüber in ihre Statuten geschrieben52. Sie galten während der Kulturkampfzeit daher als Speerspitze des katholischen Lagers. Im Laufe seiner Entwicklung wuchs sich der kirchliche Orden jedoch auch zu einem weltlichen Kulturträger aus und verstrickte sich tief in die Ränke von Macht, Politik und Handel 53. Seine Haupttätigkeit verlagerte sich aber ins Schulwesen. Zuletzt besaß der Orden einen nicht geringen Einfluß auf diejenigen Schaltstellen in Staat und Gesellschaft, wie Katheder, Beichtstuhl und Kanzel, die eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung erleichterten 54. Diese Verquickung von Religion und Politik wurde dem Orden letztlich zum Verhängnis. Die Motive, die 49 H. Ridder, in: AK GG, Art. 9 Abs. 2 Rn. 6 ff.; A. Brecht, in: v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze, Bd. 2, S. 167 (179). 50 „Reichsgesetz betreffend den Orden der Gesellschaft Jesu" v. 4. Juli 1972, in: RGBL, S. 253. Die religiöse Assoziationsfreiheit der Verfassung (VU Art. 12) soll hierdurch nicht berührt worden sein, da Orden nicht zu den Religionsgesellschaften zählten. Vgl. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 203. Dennoch war das Verbotsansinnen zunächst auf rechtsstaatliche Bedenken gestoßen. W. Loth, Kaiserreich, S. 56. H. Boehmer, Die Jesuiten, S. 153 ff. u. passim. 52 H.-J. Fischer, Der heilige Kampf, S. 16 ff. 53 Den Zeitgenossen erschien es durchaus anstößig, daß die Jesuiten-Patres mit den Usancen des Bank- und Geldverkehrs so vertraut waren. Vgl. H. Boehmer, Die Jesuiten, S. 149. 54 H. Boehmer, Die Jesuiten, S. 130.

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Bismarck dazu veranlaßten, den Orden zu verbieten, sind vielfältig 55 . Sie ranken sich jedoch sämtlich um den Kulturkampf, der sich zur Zeit des Verbotes auf seinem Höhepunkt befand: Der Kulturkampf wurde im wesentlichen zwischen dem Staat und der katholischen Kirche ausgefochten. Letztere saß gewissermaßen zwischen allen Stühlen. Auf der einen Seite galt sie dem erstarkenden nationalliberalen Bürgertum als reaktionär, hinderlich und illiberal, da sie weiterhin das Schild der Christianitas als Glaubens- und Kulturgemeinschaft hochhielt. Das Bürgertum dagegen war bestrebt, letzte Bindungen an überzeitliche Werte, Normen und damit auch an religiöse Autoritäten zugunsten einer parlamentarisch gebundenen Staatshoheit über Bord zu werfen. Auf der anderen Seite stand der konstitutionelle Staat, der um einen Verlust seiner Kompetenz-Kompetenz gegenüber der Kirche fürchtete. Er verstand sich trotz fortschreitender Säkularisierung und Liberalisierung auch weiterhin als ein Förderer und Wächter sowie ein Organ der Kultur und pochte auf seine staatliche Kultur- sowie Rechts Verantwortlichkeit 56. Der Anspruch staatlicher Souveränität griff damit auch auf die Religion als Teil des kulturellen Systems aus. Hier wollte der Staat sich von der Kirche, mit der er jahrhundertelang verflochten gewesen war, emanzipieren. Der Konflikt spitzte sich mit dem zunehmenden Selbstverständnis des Staates als Nationalstaat weiter zu. Dieses forderte die vorbehaltlose Treue der Untertanen und mußte deshalb mit den ultramontanen Einflüssen in Konflikt geraten. Der Gegenversuch der katholischen Kirche, ihre Besitzstände zu bewahren, erklomm in diesen Jahren mit dem Syllabus errorum (1864) und dem Dogma der päpstlichen Infallibilität (1870) durch Pius IX. zwei Gipfel. Ferner wurde das Zentrum als eine von der katholischen Kirche unterstützte Partei gegründet, dessen katholische Abgeordnete im Reichstag sich nicht in die antiparlamentarischen Bestrebungen Bismarcks einpassen ließen57. Die Kulturkampfmaßnahmen wie das Verbot des Jesuitenordens, die der Staat hier seinerseits entgegenhielt, waren deshalb sämtlich auch Ausdruck des Selbstschutzes einer säkularen Staatsorganisation58. Als ein beherrschendes Motiv für das Verbot der als staatsfeindlich bezeichneten Jesuiten läßt sich die unbedingte Loyalität des Ordens gegen den Papst anführen 59. Neben der Volksmission hatte jener es sich zur Aufgabe gemacht, auf die innere Politik des Staates im Sinne der katholischen Kirche Einfluß zu nehmen60. In die 55 Hierzu auch H.-U. Wehlen Kaiserreich, S. 96 ff. 56 E. R. Huber/W Huber, Staat und Kirche, Bd. II, S. VII.; H. Bornkamm, Kulturkampf, S. 14 ff.; M. Heckel, in: FS Mikat, S. 545 (547 ff.). 57 R. Morsey, in: Essener Gespräche 34 (2000), S. 5 (8). 58 M. Heckel, in: FS Mikat, S 545 (552). 59 Bismarck schob hier nationalstaatliche Argumente vor. Vgl. H.-J. Fischer, Der heilige Kampf, S. 189; zur begrenzten kirchlichen Loyalität dem Staat gegenüber, vgl. P. Mikat, in: HbdStKirchR I, § 4 S. 122. 60 H. Boehmer, Die Jesuiten, S. 165.

Α. Die Entwicklung der religiösen Assoziationsfreiheit

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gleiche Richtung wirkte es sich aus, daß die Jesuiten an der Seite des Zentrums als Vorreiter des politischen oder parlamentarischen Katholizismus gehandelt wurden. Mit dem Zentrum wurden sie, da sie die Souveränitätsansprüche des Staates in Frage zu stellen schienen, als eine das neugegründete Reich gefährdende Allianz eingestuft 61. Dem Verbot des Jesuitenordens folgte wenige Jahre später im Mai 1875 ein generelles Verbot katholischer Orden in Preußen62. Insgesamt sind die Kulturkampfmaßnahmen Bismarcks jedoch ohne Erfolg geblieben. Eher noch haben sie das Gegenteil von dem, was durch sie erreicht werden sollte, erreicht: Kirche und Kirchenvolk schlossen sich enger als zuvor aneinander an. Das Zenrum wurde zeitweilig zur stärksten Fraktion im Reichstag. Seit dem Jahre 1878 schließlich begann Bismarck seinen Kampf aufzugeben. Das Jesuitengesetz dagegen hatte Bestand bis zum Jahre 191763.

3. Das Reichsvereinsgesetz von 1908 Im Jahre 1908 wurde das Reichsvereinsgesetz erlassen. Die vereinsrechtliche Rechtslage der Religionsgemeinschaften änderte sich dadurch aber nicht wesentlich, wie im folgenden dargestellt werden soll. Durch das Reichsvereinsgesetz sollte im ganzen Reich eine Rechtseinheit hergestellt werden. Trotzdem enthielt das Gesetz Regelungen, über die gewisse landesrechtliche Bestimmungen weiter gölten. So wurde mit § 24 RVG die Fortgeltung landesrechtlicher Regelungen verfügt. Diese Verfügung betraf mit § 24 I RVG die Vorschriften des Landesrechts über kirchliche und religiöse Vereine sowie geistliche Orden und Kongregationen. Der Begriff der kirchlichen und religiösen Vereine wurde in dem Gesetz als Oberbegriff für jedwede religiöse Assoziation verstanden 64 . Aufgrund des kollegialistischen Verständnisses religiöser Zusammenschlüsse wurden hierzu offensichtlich auch die Religionsgesellschaften und Großkirchen 65 gezählt. Ihr Verweis in das Landesrecht sollte der verschiedenartigen Stellung der Bundesstaaten zu den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften Rechnung tragen 66. Die landesrechtlichen Unterschiede beruhten nämlich darauf, 61 H. Raab, Art. Kulturkampf, in: StL, Bd. 3, Sp. 758. 62 „Preußisches Gesetz, betreffend die geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche" v. 31. Mai 1875, GS, S. 217. Ausgenommen hiervon waren die Orden, die sich in der Krankenpflege betätigten. Zu weiteren Entscheidungen, die sich auf dieses Gesetz stützten, vgl. H.-J. Wichardt, Die Rechtsprechung des Königlich Preußischen Oberverwaltungsgerichts, S. 74 ff. 63 R. Morsey, in: Essener Gespräche 34 (2000), S. 5 (15 f.). 64 A. Gurau, Die Stellung der nicht öffentlich aufgenommenen Religionsgemeinschaften, S. 45. 65 A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 24: „theologisch bedenkliche(s) Verständnis der Kirche als menschlichem Zusammenschluß".

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daß das Staatskirchenrecht mit Untergang des alten Reiches im Jahre 1806 in die Kompetenz der Länder gefallen war. Umstritten blieb in der Lehre, ob nicht-inkorporierte Religionsgemeinschaften nach wie vor in vollem Umfang dem repressiven Regime der landesrechtlichen Sonderregelungen für politische Vereine unterfallen sollten 67 , die Anwendbarkeit der liberaleren und engeren Bestimmungen des RVG also überhaupt ausgeschlossen war. Zum Teil wurde der Verweis in das Landesrecht so ausgelegt, daß er sich allein auf diejenigen Bestimmungen der Landesgesetze beziehe, die spezielle und damit vom RVG abweichende Regelungen über das kirchliche und religiöse Vereins- und Versammlungswesen trafen. Hier wurden die repressiven landesrechtlichen Klauseln über das politische Vereinswesen außen vor gelassen, da diese sich nicht explizit auf Religionsgemeinschaften bezogen. Religionsgemeinschaften galten in der Weise als bessergestellt zur überkommenen Rechtslage, daß sie allein bei Strafgesetzes Widrigkeit verboten werden konnten. Die präventiven Beschränkungen des RVG gegenüber politischen Vereinen (§§ 3, 5, 17 RVG) sollten aber auch für nicht-inkorporierte Religionsgemeinschaften Gültigkeit beibehalten. Dies, so wurde vertreten, sollte insbesondere für den Fall gelten, daß religiöse Vereine neben ihrem Hauptzweck ein Einwirken auf politische Angelegenheiten bezweckten. Der oben erwähnte Streit, was als politisch anzusehen sein sollte, wurde vor diesem Hintergrund fortgesetzt, obwohl die Definitionsversuche, die dem Landesgesetz zugrundelagen, nicht übernommen werden konnten, da das RVG den Begriff des politischen Vereins enger zog als das preußische Vereinsgesetz 68 . Für die inkorporierten Religionsgemeinschaften dagegen blieb alles beim alten 69

66 H. Delius, Deutsches Vereinsrecht, S. 523 ff.; F. Stier-Somlo, Reichs Vereinsgesetz, § 24 S. 234 f. 67 H. Rempe, Geltung des Reichsvereinsgesetzes, S. 68: „Es unterliegt keinen Bedenken festzustellen, daß durch den Aufruf (seil.: des Rates der Volksbeauftragten) nun auch die im § 24 R.V.G. vorbehaltenen Landesgesetze beseitigt wurden, soweit sie eine Beschränkung ( . . . ) enthielten". 68 Staudinger, BGB, § 61 Ziff. IV S. 277 ff.; G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 208 ff.; F. Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, § 24 S. 234 f.; H. Rempe, Geltung des Reichsvereinsgesetzes, S. 68 f.; W. v. Tzschoppe, PrVwBl. 1913, S. 749 (750); vgl. aber auch H. Delius, Deutsches Vereinsrecht, S. 523 ff.; ders., PrVwBl. 1910, S. 435 f. m. w. N.; T. Wolzendorff, VerwArch. 18, S. 480 ff., 517 ff.; G. Schiller, ZevKR 48 (2003), S. 257 (272); zum Begriff des politischen Vereins, insb. W. v. Calker, Der Begriff des politischen Vereins, S. 289, 295 ff.; PrOVGE 20, 432 (435 ff.). 69 F. Stier-Somlo, Reichsvereinsgesetz, § 24 S. 235: „Diese Vereine (mit Korporationsrechten) und deren Versammlungen sind also, auch wenn sie als politische gelten müssen, von den Vorschriften der §§3 und 5 VG ( . . . ) befreit".

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4. Ergebnis Diese erste Phase der Entstehung der religiösen Assoziationsfreiheit war also dadurch gekennzeichnet, daß dissidentische Religionsgemeinschaften von dem Joch der repressiven religionsrechtlichen Sonderbestimmungen nach und nach befreit und den allgemeinen Vereinen mehr oder weniger gleichgestellt wurden. Eine umfassende Parität der Bekenntnisse und Konfessionen untereinander wurde jedoch nicht hergestellt. Ehemalige öffentlich aufgenommene und rechtlich geduldete Religionsgemeinschaften blieben in diesem Sinne weiterhin privilegiert. Ihre Privilegierung stellte sich als eine doppelte dar. Sie bestand sowohl gegenüber den nichtinkorporierten Religionsgemeinschaften als auch gegenüber den profanen Vereinen des Vereinsrechts. Ihr Privileg lag darin, daß sie von der Kuratel des politischen Vereinswesens großflächig befreit waren. Sie mußten zum Beispiel weder ihre Satzungen noch ihre Mitgliederverzeichnisse über ihren Vorstand bei den Behörden einreichen (§ 3 RVG) oder „politische Versammlungen" anzeigen (§ 5 RVG). Aber auch untereinander waren die inkorporierten Religionsgesellschaften privilegiert. Je nachdem, in welchem Umfang ihnen mit der Inkorporation bestimmte Rechte durch den Staat gewährt worden waren, besaßen sie im Einzelfall untereinander Vorrechte. Insbesondere nahmen die heutigen christlichen Großkirchen als öffentlich inkorporierte Gemeinschaften ihrerseits eine Sonderstellung unter den inkorporierten Religionsgemeinschaften ein: Aufgrund ihrer überkommenen Verpflichtungen und ihrer institutionellen Verbindungen, Zwecke des eudämonischen Anstaltsstaates zu erfüllen (§ 13 I I 11 ALR), wurden sie als öffentliche Genossenschaften behandelt und mit einem fest geschnürten Privilegienbündel ausgestattet 70 . Trotz der in Art. 15 VU implizit enthaltenen gegenseitigen Befreiung voneinander war die Trennung von Staat und (Landes-)Kirche nämlich in eine einfache Unterscheidung beider Gemeinwesen auf gleichem Territorium gemündet71. Wie die politischen Vereine waren auch die nicht-inkorporierten Religionsgemeinschaften Assoziationen zweiter Klasse, weil dem bonum commune latent abträglich. Ihnen schlug das Mißtrauen des in religiösen Angelegenheiten biparitätischen Staates entgegen. Rechtsfähigkeit konnten sie in den Ländern zum Teil nur aufgrund besonderer Gesetze erlangen (Art. 13 VU). Einer zivilrechtlichen Umgehung dieser bevormundenden Schutzmaßnahmen des Staates beugten die Vorschriften des Art. 84 EGBGB und § 61 II a.F. BGB vor, die - je nach landesrechtlicher Konzeption - eine konstitutive Eintragung religiöser (und politischer) Vereine in das Vereinsregister nicht zuließen72. 70

Die Frage nach dem öffentlichen Status der Kirchen wurde bereits damals äußerst kontrovers diskutiert. Vgl. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 300 f.; W. Kahl, Lehrsystem, S. 329 ff.; P. Schoen, VerwArch 6 (1898), S. 101 (122 ff.); H. Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, S. 14, 18 ff., 35 ff. u. passim; ferner G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 298 f.: „ ( . . . ) läßt diese (seil.: Landes-)Kirchen als etwas von jedem Privatverein gänzlich Verschiedenes erscheinen". Zu den einzelnen Privilegien, vgl. A. Endrös, ZRG KA 100 (1983), S. 292 (309); P. Schoen, VerwArch 29 (1922), S. 1 (17 ff.). 71 G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 297 ff.; G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 45. 7 Groh

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Im Ergebnis wurde der Gurt, den der Staat um die religiöse Assoziationsfreiheit - so wie die Vereinigungsfreiheit insgesamt - gelegt hatte, damit zwar gelockert. Eine gesetzliche Parität zwischen inkorporierten und nicht-inkorporierten Religionsgesellschaften läßt sich jedoch nicht feststellen.

IV. Das Joch der staatlichen Aufsichtsbefugnisse und seine theoretische Fundierung Fraglich ist aber, ob diese Imparität sich tatsächlich in einer greifbaren Privilegierung der inkorporierten Religionsgemeinschaften manifestierte. Die (scheinbare) Privilegierung der inkorporierten Religionsgemeinschaften beruhte nämlich ihrerseits auf den vielfältigen Mechanismen des überkommenen Staatskirchentums. Dieses war entgegen dem mutmaßlichen Zweck des Art. 15 VU in eine qualifizierte Staatsaufsicht gemündet73. Mit ihr konnte der Staat praktisch in die Kirchen hineinregieren und sie auf seine Interessen ausrichten. Denn als Polizeistaat wollte er keine völlig autonomen Gemeinwesen in seiner Mitte dulden. Hinzu traten überkommene Schutz- und Aufsichtsbefugnisse des Staates. Diese konnte er sich aufgrund der weiterbestehenden Staatskirchenhoheit und als Ausfluß seines ius reformandi auch bei der Verleihung der Rechtsfähigkeit (Inkorporation) an neue Religionsgemeinschaften vorbehalten 74. Zusätzlicher repressiver Abwehrinstrumentarien bedurfte der Staat deshalb nicht. Die politischen Zweckmäßigkeitserwägungen, die die Imparität von inkorporierten und nicht inkorporierten Religionsgemeinschaften erklären, liegen damit auf der Hand. Zwar war es dem Staat verwehrt, das Bild der Kirche als einer seine Zwecke erfüllenden Staatsanstalt zu zeichnen. Doch band er sich weiterhin eng an die christliche Religion an. Seine enge Bindung drückte sich in Preußen insbesondere darin aus, daß der Staat bestimmten seiner Einrichtungen den christlichen Glauben zugrunde legte. Dies stellte einen Vorbehalt gegen die volle religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates dar, da letzterer seine christliche Grundlage erhielt 75 . Auch deshalb hatte er ein positives und damit einmischendes Interesse 72 Staudinger, BGB, § 61 Ziff. IV; ders., EGBGB, Art. 84 Ziff. 4 ff. 73 G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 47 ff.; W. Kahl, Lehrsystem, S. 349 ff.; zu den Auswüchsen der Staatsaufsicht, vgl. P. Landau, in: Dölemeyer/ Mohnhaupt (Hrsg.), Allgemeines Landrecht, S. 145 (154 ff.). 74 Im Rahmen von preußischer VU und BGB wurde es für zulässig erachtet, dem Gesetz (VU Art. 13), das der Religionsgemeinschaft die Rechtsfähigkeit verlieh, besondere Regelungen über deren Verfassung und Beaufsichtigung beizufügen. Vgl. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 245 f.; O. v. Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. I, S. 847 ff., 862 ff.; W. Kahl, Lehrsystem, S. 324 f., 380 ff. (zum ius advocatiae); H. Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, S. 36 ff.; C. Link, Herrschaftsordnung, S. 322 ff. 75 Vgl. Art. 14 VU: „Die christliche Religion wird bei denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsausübung im Zusammenhange stehen, unbeschadet der in

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daran, sich insbesondere die Kirchen, aber auch die anderen inkorporierten Religionsgemeinschaften dienstbar zu machen. Das Interesse, das der Staat dagegen gegenüber dissidentischen Religionsgemeinschaften verfolgte, lag in der Abwehr von Gefahren, die seine Legitimität bedrohten. Parität zeigte sich daher allenfalls in Form einer „Stufen-Parität" 76. Diese entsprach dem Kastensystem, in das die Religionsgemeinschaften je nach staatlicher Beurteilung ihrer Dienlichkeits-, Dignitäts- und Gefährlichkeitsgehalte eingepaßt wurden. Wie aber wurden diese Befugnisse, mit denen der Staat die christlichen Kirchen beaufsichtigen konnte, theoretisch begründet? Während die evangelischen Kirchen mit theologischer und staatstheoretischer Rechtfertigung des landesherrlichen Kirchenregiments 77 im „Gravitationsfeld" des Staates feststeckten, war die theoretische Begründung derselben praktischen Konsequenzen in der auf das Papsttum zugeschnittenen katholischen Kirche allein staatstheoretischer Natur. Insbesondere das Territorialsystem, das in Anlehnung an den Cäsaropapismus der byzantinischen Kirche und Bodins Lehre von der staatlichen Souveränität das staatliche Recht der Kirchenleitung aus der fürstlichen Territorialgewalt legitimierte, wurde auch in den katholischen Staaten fruchtbar gemacht78. Neben dem Territorialsystem versuchte die protestantische Lehre des Episkopalsystems das Summepiskopat des Staates einerseits zu legitimieren, andererseits aber als zusätzliche Gewalt zur ursprünglichen Staatsgewalt auch zu limitieren 79 . Nach dieser Lehre wurden die geistlichen Kompetenzen des weltlichen Landesherren als ein diesem bis zur Wiedervereinigung der Konfessionen treuhänderisch durch die Kirche verliehenes Laiennotrecht qualifiziert. Die Kollegialtheorie so als Dritte im Bunde verfolgte den Zweck, die Bipolarität im Verhältnis von Staat und Kirche zu überbrücken: der absolutistischen Zusammenfassung aller Hoheitsrechte - auch der kirchlichen - in der Hand des Fürsten einerseits und dem Art. 12 gewährleisteten Religionsfreiheit zugrunde gelegt". Auch E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (42 f.); PrOVGE 43, 300 (302 f.), das die Aufführung des Theaterstückes „Maria von Magdala" (Paul Hense) verbot, da „ein Stück, dessen Aufführung einen derartigen Eindruck auf den Zuschauer machen muß, ( . . . ) sich als ein Angriff auf die christliche Religion" darstelle. „Diese aber bildet im Preußischen Staate nach seiner geschichtlichen und verfassungsmäßigen Gestaltung einen Teil der öffentlichen Ordnung". 76

M. Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 1, S. 227 ff. 77 Hermann, Art. Landesherrliches Kirchenregiment, in: EvStL, Sp. 1952 ff. 78 A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 25; C. Bornhak, Preußische Staats- und Rechtsgeschichte, S. 230 ff.; M. Heckel, ZevkR 12 (1966/67), S. 1 (18, 29 ff. u. passim). 7 9 B. Jean d'Heur, Der Staat 30 (1991), S. 442 (444 f.); M. Heckel, Art. Episkopalsystem, in: EvStL, Sp. 728 ff.; zur Entstehung des Summepiskopats ausführlich, vgl. J. Heckel, in: ZRG KA 44 (1924), S. 266 ff.; H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte II, S. 294 f. 80 C. Link, Herrschaftsordnung, S. 322 ff.; zu den geschichtlichen Wurzeln, vgl. H.-W. Strätz, Civitas 11 (1972), S. 156 (162 ff.); K. Schiaich, Kollegialtheorie, S. 133 ff.; 302 ff.; ders., Art. Kollegialismus, in: EvStL, Sp. 1810 ff. 7*

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Verständnis der Kirche als einer mindestens gleichwertigen Parallelgewalt zum Staate andererseits. Hierfür schleuste sie die Theorie der sozial vertraglichen Begründung menschlicher Verbände in das religiöse Vereinigungswesen ein und begründete so eine zumindest theoretische Unterscheidung von Kirchenhoheit und Kirchengewalt. Letztere bedeutete die „vereinsinterne", also auf kirchlichen Rechtstiteln beruhende Übertragung des Summepiskopats auf den Staat. Erstere dagegen wurde der allgemeinen Vereinshoheit gleichgestellt. Die das allgemeine Vereinswesen dennoch überragende Stellung der inkorporierten Kirchen läßt sich auf der Basis der Kollegialtheorie nur aus den - trotz zunehmend verwirklichter Trennung von Staat und Kirche 81 - überkommenen Verflechtungen der Kirchen mit dem Staat und der hieraus resultierenden praktischen Beherrschung der Organisation und Verwaltung der Kirche durch den Staat erklären.

V. Ergebnis Im Ergebnis hatten auch die heutigen christlichen Großkirchen ihr Päckchen am Staate zu tragen. Sie waren zwar auf der Ebene des Vereinsrechts besser gestellt als die nicht-inkorporierten Religionsgesellschaften und dank ihrer Inkorporierung auch rechtsfähig. Doch unterlagen sie gleichfalls mannigfaltigen Kontrollbefugnissen des Staates.

B. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik Im folgenden Abschnitt soll untersucht werden, wie sich die religiöse Assoziationsfreiheit in der demokratischen Republik von Weimar weiterentwickelte. Fraglich ist dabei insbesondere, wie die Weimarer Republik, die in ihrer Verfassung den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche formulierte (Art. 137 I WRV: „Es besteht keine Staatskirche."), mit den staatlichen Kirchenaufsichtsbefugnissen umging. Es soll gleichfalls untersucht werden, ob in der Weimarer Republik eine rechtliche Gleichstellung zwischen den Religionsgesellschaften mit und denjenigen ohne Korporationsrechte erreicht wurde, was die vereinsrechtliche Rechtslage betraf. Im Anschluß daran wird die Frage aufgeworfen, wie sich die Republik zu Religionsgemeinschaften stellte, die antidemokratisches Gedankengut verbreiteten.

si Zum Trennungssystem Preußens, vgl. G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 296 ff.: Unterscheidung, nicht Trennung; zur historischen Entwicklung, vgl. M. Heckel, ZevKR 45 (2000), S. 173 (180 ff.).

Β. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik

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I . Die staatliche Kirchenaufsicht Fraglich ist also zunächst, wie sich der Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche (Art. 137 I WRV) auf die Begründung und die Ausübung staatlicher Aufsichtsbefugnisse über die inkorporierten Religionsgemeinschaften auswirkte. Hierzu ist folgendes festzustellen: Der staatliche Anspruch auf eine über die allgemeine Vereinshoheit des Staates hinausgehende Kirchenaufsicht, der die Exemtion der Religionskörperschaften vom öffentlichen Vereinsrecht folgte, wurde in Gestalt der herrschenden Korrelatentheorie in die Weimarer Reichsverfassung transportiert, obwohl diese mit Art. 137 I WRV den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche explizierte und die Parität aller Religionsgemeinschaften postulierte. Die Korrelatentheorie verband mit dem Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften und ihrer entsprechenden Heraushebung aus der Masse der übrigen Vereine ein gesteigertes Abhängigkeitsverhältnis gegenüber dem Staat. Die auf Wilhelm Kahl zurückgehende Theorie stellte die inkorporierten Religionsgemeinschaften den anderen öffentlich-rechtlichen Rechtssubjekten gleich und unterwarf diese, wie jene auch, einer gesteigerten Staatsaufsicht. Als Begründung diente die Korrelativität von Recht und Pflicht. Den besonderen Hoheitsbefugnissen inkorporierter Religionsgemeinschaften sollten (notwendig1) besondere öffentliche Pflichten korrespondieren, deren Erfüllung der Staat sollte überwachen können. Im Interesse des Staates und insbesondere seiner Sicherheit wurde damit eine Kontrollbefugnis der verliehenen und daher gleichzeitig auch beschränkbaren Machtbefugnisse der Korporationen rechtlich konstruiert 2. Ermöglicht wurde dieses Vorgehen nicht zuletzt dadurch, daß sich die Konnotation des Körperschaftsbegriffes geändert hatte. Er wurde nicht länger mehr als Anerkennung der Rechtspersönlichkeit begriffen, sondern zog die inkorporierten Religionsgemeinschaften in die Sphäre des „Öffentlich-Rechtlichen" 3. Die Kritik an dieser Theorie hatte sich zu Recht vor allem an dem Widerspruch der Korrelativität zum Verfassungsgrundsatz der Trennung von Staat und Kirche entzündet. Ihre mit dem kirchenpolitischen System Weimars nicht kompatible Grundannahme rekurrierte nämlich auf das überkommene Begriffsverständnis des Staatskirchentums, in dessen Rahmen die gesteigerte Staatsaufsicht allerdings weniger rechtlich begründet war, als daß sie auf staatspolitischen Zweckmäßigkeits1 Zu dieser noch weitergehenden Auffassung, die eine Pflicht des Staates, die inkorporierten Religionsgemeinschaften der besonderen Staatsaufsicht zu unterwerfen, konstruierte, vgl. P. Schoen, VerwArch 29 (1922), S. 1 (20 f.). 2 W. Kahl, in: Harms (Hrsg.), Recht und Staat im neuen Deutschland, Bd. I, 1929, S. 353; ihm folgend die herrschende Meinung, vgl. G. Anschütz, Reichsverfassung, S. 636 ff. 3 Ein Überblick über die Bedeutung des Körperschaftsbegriffes findet sich bei G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 189 ff.; P. Kirchhof, in: HdbStKirchR I, § 22 S. 658 ff.; E. Forsthoff, Die öffentliche Körperschaft, S. 8 ff.

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erwägungen beruhte. Die Kirchen waren hier zur Wahrnehmung staatlicher Ziele verpflichtet worden und sollten zu deren Erfüllung auch angehalten werden können. Die Aufsichtsrechte waren also der besonderen Pflichtenstellung der Kirchen zum Staate entsprungen4. Der Fortfall der symbiotischen Verbindung des Staates mit der christlichen Religion bedeutete einen Schritt hin zur Vollendung eines Staatswesens, das in der Folge religiös-neutral und nicht mehr christlich-paritätisch auftrat. Folglich hätte auch die Bastion der gesteigerten Aufsicht über die Kirchen fallen müssen. Diese Auffassung wurde unter der Weimarer Reichsverfassung insbesondere von Godehard Josef Ebers vertreten. Ebers ging von der Kollegialtheorie aus und votierte dafür, daß sich die besondere Staatsaufsicht über die Religionsgemeinschaften erledigt habe. Dem Staat, dies war seine Schlußfolgerung, dürfe es allein erlaubt sein, das aus seiner Souveränität und seinen Staatszwecken fließende Aufsichtsrecht in Form einer allgemeinen Vereinsaufsicht auszuüben. Kirchen und Religionsgemeinschaften seien, so Ebers weiter, wie jedes andere Rechtssubjekt im Staat den Staatsgesetzen unterworfen, als Verbände also den allgemeinen Vereinen weitestgehend gleichgestellt. Die Religionsaufsicht, forderte er, solle sich gleich der allgemeinen Vereinsaufsicht darin erschöpfen, sicherzustellen, daß Religionsgemeinschaften das Gemeinwohl nicht gefährdeten oder verbotene Zwecke verfolgten 5. Nach Ebers sollte die Religionshoheit also im Sinne einer allgemeinen Vereinsaufsicht für alle Religionsgemeinschaften, gleich ob inkorporiert oder nicht, gleichermaßen Geltung haben. Die Diskussion um die (ausschließliche) Anwendbarkeit vereinsrechtlicher Regelungen hängte sich insgesamt, also auch für privatrechtlich organisierte oder in der Entstehung begriffene Religionsgemeinschaften, an Art. 137 III WRV auf. Aus der Perspektive dieser Verfassungsnorm ging es nämlich darum, den besonderen positiven Gewaltanspruch des Staates über inkorporierte Religionsgemeinschaften in eine allgemeine „negative" Staatsaufsicht zu überführen und Parität zwischen den verschiedenen Klassen der Religionsgemeinschaften zwar nicht auf der leistungsrechtlichen, wohl aber auf der abwehrrechtlichen Seite herzustellen. Das Regime des Vereinsrechts als Ausdruck des für alle geltenden Gesetzes über privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften war allgemein anerkannt (sie firmierten zivilrechtlich als rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Vereine (§§ 21, 54 BGB)). Verwaltungsrechtlich fielen sie unter die gültigen Reste des Reichsvereinsgesetzes. Die Anwendung dieser vereinsgesetzlichen Fragmente auf Religionsgemeinschaften, die den Status öffentlich-rechtlicher Körperschaften erhalten oder 4 G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 121, 129 ff. 197 ff. 299 ff.; ders., in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 362 f.; B. Jean d'Heur, Der Staat 30 (1991), S. 442 (460 f.). 5 G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 294 ff.; so bereits zur preußischen Verfassungsurkunde, in der zum Ausdruck gekommen sei, daß alle Religionsgemeinschaften auf den „Standpunkt des gemeinen Rechts aller Gesellschaften und Vereine versetzt" werden, G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 290; J. Schmitt, AöR 42 (1922), S. 1 (7, 15 f.)

Β. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik

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bewahrt hatten, war dagegen umkämpft. In der von der herrschenden Lehre gebilligten Staatspraxis hat sie sich nicht durchsetzen können6. Im Ergebnis wurden die inkorporierten Religionsgesellschaften trotz des Trennungsgrundsatzes also weder theoretisch noch praktisch aus der kirchenrechtlichen Aufsicht des Staates entlassen.

I I . Die Schranken der religiösen Assoziationsfreiheit: Die Geltung der Vereinsgesetze Fraglich ist weiter, inwieweit die nicht-inkorporierten Religionsgemeinschaften von dem sie benachteiligenden Sonderrecht befreit wurden und welchen Schranken sie unterlagen. Da ohne Staatskirche alle Nebenkirchen „gleicher Ehre" sein sollten, verwarf die Weimarer Verfassung das System der landesrechtlichen Konzessionierung von Religionsgesellschaften, statuierte die freie Bildung religiöser Verbände7 und erreichte damit mindestens deren Gleichstellung mit den profanen Assoziationen des Privatrechts. Zu den Verfassungen des Konstitutionalismus und der einfachgesetzlichen Rechtslage des konstitutionellen Staates ergaben sich entscheidende Unterschiede, die sich in den folgenden Regelungen manifestierten: So wurde verfassungsrechtlich insbesondere zwischen Religionsgemeinschaften und religiösen Vereinen differenziert. Anders als die Verfassungen des Konstitutionalismus unterstellte der Text der Reichsverfassung die religiöse Assoziationsfreiheit nicht ohne weiteres der allgemeinen Vereinigungsfreiheit und deren Beschränkungen. Die Reichsverfassung differenzierte zumindest verbaliter zwischen religiösen Vereinen und Gesellschaften sowie Religionsgesellschaften. Die Freiheit des Zusammenschlusses zu religiösen Verbänden insgesamt wurde zwar als Teil der individuellen Religionsfreiheit in Art. 135 WRV angesiedelt, ihre Gewährleistung nahm von dort an aber einen unterschiedlichen Verlauf 8. Hier deutete sich der Gebrauch der Terminologie im heutigen Sinne an: Als Religionsgesellschaften wurden diejenigen Assoziationen bezeichnet, die sich der umfassenden Pflege eines Bekenntnisses widmeten, als religiöse Vereinigungen dagegen diejenigen, die eine lediglich parikulare Zielsetzung hatten. Der religiöse Verein fand seine Gleichstellung mit den allgemeinen Vereinen in Art. 124 I 3 WRV. Diese Vorschrift übertrug die Bestimmungen über die Vereinigungsfreiheit auch auf religiöse Vereine und Gesellschaften. Obwohl nach herrschender Meinung Teil der allgemeinen individuellen Religionsfreiheit, wurde die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgesellschaften text6 G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 168 ff.; C. Link, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 4, S. 450 (457 f.); C. Gusy, WRV, S. 324 f. 7 R Schoen, VerwArch 29 (1922), S. 1 (27 f.); F. Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (41 ff.),

s G. J. Ebers, in: HdbDStR, Bd. 2, S 361 (373).

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lieh dagegen aus Art. 135 WRV aus- und dem Art. 137 WRV als Absatz 2 angelagert. Die individualschützende Freiheit, Religionsgesellschaften zu gründen, galt daher nicht als besondere Form der Vereinigungsfreiheit, sondern grundsätzlich als rechtlich verselbständigter Teil der Religionsfreiheit 9. Die Verlagerung des Rechts der Religionsgemeinschaften hatte einen doppelten Sinn: Zum einen sollte sie klarstellen, daß auch die Gründung von Religionsgemeinschaften keinen anderen Beschränkungen unterliegen dürfe als die der profanen Vereine 10. Darüber hinaus sollte sie die Religionsgemeinschaften gleichzeitig aber ein Stück weit aus dem Kreis der profanen Vereine herausheben. Der Zweck dieser Regelungen lag deshalb grundsätzlich darin, die Religionsgesellschaften aus dem einschnürenden Korsett des auf sie bis dato angewandten Sonderrechts zu schälen und mindestens eine Gleich-, wenn nicht gar eine Besserstellung mit den allgemeinen Vereinen auf verfassungsrechtlicher Ebene zu gewährleisten. Die Besserstellung erreichte allerdings nur die inkorporierten Gemeinschaften 11. Unklar bleibt nämlich nach Sichtung der zeitgenössischen Literatur, ob der „religiöse Verein" weiterhin als Oberbegriff für alle Arten religiöser Assoziationen fungierte, oder ob durch die Gegenüberstellung von Vereinen und Religionsgesellschaften letztere insgesamt vom Regime des Vereinsrechts ausgenommen sein sollten. So läßt sich in der führenden Kommentierung zur Weimarer Reichsverfassung der Satz finden: „Unberührt bleibt jedoch die Möglichkeit, daß ein religiöser Verein, der die Eigenschaft einer ,Religionsgesellschaft 4 im Sinne des Art. 137 hat ( . . . ) , gemäß Abs. 5 das. die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit eine Sonderstellung gegenüber anderen religiösen Vereinen behält oder erhält" 12 . Ein Stück weiter in demselben Kommentar ist dann aber die Aussage zu lesen, daß „Art. 137 Abs. 2 demgegenüber keine Wiederholung (sei), denn »religiöser Verein' (,religiöse Gesellschaft 4) und ,Religionsgesellschaft 4 seien nicht dasselbe"13. Sie unterschieden sich, wie dies auch die heute gängige Auffassung ist, grundsätzlich in der Ganzheitlichkeit oder Partikularität ihrer Ziele. Fraglich ist deshalb, ob und wie die Schranken des öffentlichen Vereinsrechts auf die nicht-inkorporierten Religionsgesellschaften angewendet wurden.

9 L. Waldecker,

in: HdbDStR, Bd. 2, § 104 S. 637 (650).

10 G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 137 S. 632 ff. h Grundlegend R. Smend, ZevKR 2 (1952/53), S. 374 ff.; ders., ZevKR 16 (1971), S. 241 (243 ff.); G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 119. Zu den Beratungen in der Nationalversammlung, vgl. K. Müller, ZevKR 2 (1952/53), S. 139 (153 ff.). Allerdings wird das „Kastensystem" insoweit durchlässig, als es nach Art. 137 V WRV neben der sozialen Bedeutung einer Religionsgemeinschaft allein auf ihren subjektiven Willen ankommt, welcher „Kaste" sie angehört. Vgl. M. Heckel, in: HdbStKirchR I, § 20 S. 604 ff.; J. Listi, in: Kirche im freiheitlichen Staat, S. 237 (284). 12 G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 124 S. 577. 13

G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 137 S. 633.

Β. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik

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Obgleich für die Religionsgesellschaften kein direkter Verweis mehr in das öffentliche Vereinsrecht führte, bestand im Hinblick auf privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften aber kein Zweifel an der Geltung vereinsrechtlicher Regelungen. Im Gegenteil besaßen nicht inkorporierte Religionsgemeinschaften grundsätzlich keinerlei Vorzugsstellung gegenüber nichtreligiösen Vereinen 14. Obwohl mit dem Art. 137 III WRV im Gegensatz zu der streng individualistischen Auffassung der allgemeinen Vereinigungsfreiheit unter der Reichsverfassung 15 ein Stück korporativer Freiheit, also eine Freiheit der Vereinigung, für Religionsgesellschaften normiert wurde 16 , scheint der Weg in das Vereinsrecht in zweifacher Hinsicht eröffnet gewesen zu sein: Während das Ent- und Bestehen religiöser Assoziationen über Art. 135 WRV durch das öffentliche Vereinsrecht in Form der allgemeinen Staatsgesetze beschränkt war, stand die Betätigungsfreiheit bestehender privatrechtlicher Religionsgemeinschaften über Art. 137 III WRV unter seiner Kuratel. Im Ergebnis gestaltete sich die dogmatische Konstruktion des Primats des öffentlichen Vereinsrechts auch über privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften unter der Weimarer Verfassung damit viel einfacher als später unter dem Grundgesetz. Dies läßt sich nicht zuletzt auf den Umstand zurückführen, daß wegen des Odiums eines vielschichtigen Parteienkompromisses die systematisierenden Ansätze, mit deren Hilfe eine verbindliche Grundrechtstheorie der Weimarer Reichsverfassung und aus dieser heraus eine Grundrechtsdogmatik zu entwickeln gewesen wäre, erst zur Mitte der Zwanzigerjahre hin und damit recht spät aufkamen. Die Rechtspraxis waltete darüberhinaus auch dann noch von der Verfassungslehre weitestgehend unbeeinflußt: Sowohl der Vorrang der Verfassung als auch das richterliche Prüfungsrecht blieben nämlich umstritten 17. Die Art. 135 und 137 II, III WRV waren darüber hinaus aber auch ohne weiteres miteinander kompatibel, da beide unter dem (qualifizierten) Gesetzesvorbehalt der allgemeinen Staatsgesetze standen. Insoweit galt der Grundsatz: „Staatsgesetz geht vor Religionsgebot". Die Staatspraxis konnte sich daher an folgender Maxime orientieren: Was ein einfaches Reichsgesetz als staatsgefährlich verbot, war nicht deshalb erlaubt, weil zu seiner Rechtfertigung die Religionsfreiheit bemüht wurde 18 . 14

H. Delius, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, S. 138 (159). 15 C. Gusy, WRV, S. 315 f.; J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 1; C. Schmitt, in: HdbDStR II, § 101 S. 572 (594). 16 Insgesamt wurde allerdings der innere Zusammenhang zwischen dem Grundrecht der individuellen Religionsfreiheit und der Freiheit der Religionsgesellschaften selbst nicht als rechtlich erheblich erkannt. J. Listi, in: Essener Gespräche 3 (1967), S. 34 (73). 17 RGZ 111, 320 (322 ff.); R. Wahl, Der Staat 18 (1979), S. 321 (346 ff.); C. Gusy, Richterliches Prüfungsrecht, S. 74 ff.; E. v. Hippel, in: HdbDStR II, § 99 S. 546 (549 ff.); Η Maurer, DÖV 1963, S. 683 ff. Zur Grundrechtsdogmatik ferner C. Schmitt, in: HdbDStR II, § 101 S. 572 (590 ff., 602 f.); H. Krüger, DVB1. 1950, S. 625 (626): „Grundrechte nur im Rahmen der Gesetze". Vgl. aber auch R. Thoma, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, S. 1 (31 ff.); C. Gusy, ZNR 15 (1993), S. 163 (167 ff.); ders., WRV, S. 275 ff. 18 G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 135 S. 621; H. Mirbt, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, S. 319 (350). Die spätere Sonderstellung der Religionsfrei-

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

Im Verhältnis von inkorporierten Religionsgemeinschaften zu solchen, die keine Korporationsrechte erhalten hatten, zeichnete sich im Ergebnis damit die folgende Konstellation ab: Obwohl auch auf der Schrankenseite die inkorporierten Religionsgemeinschaften bessergestellt schienen, da das öffentliche Vereinsrecht auf sie keine Anwendung fand, erwies sich diese formalrechtliche Privilegierung als janusköpfig. Das Fehlen der vereinsrechtlichen Kuratel wurde auf der einen Seite in Praxis und Lehre durch die besondere Staatsaufsicht kompensiert. Hätte die Praxis hier so stark agiert wie die Theorie formulierte 19, hätten die unterschiedlichen Rechtsregime durchaus auch zu einer faktischen Benachteiligung der Korporationen führen können.

1. Der Schutz der Republik gegen Vereinigungen Die Weimarer Republik war der erste demokratische Staat auf deutschem Boden - ein Experiment, das zunächst scheiterte. Nicht zuletzt wird für dieses Scheitern die Massivität des „antidemokratischen Denkens" verantwortlich gemacht, das bei der Bevölkerung der Republik sehr populär war 20 . In der Weimarer Republik waren auch Religionsgemeinschaften anzutreffen, die antidemokratisches Gedankengut vertraten. Dabei wird den sogenannten ariosophischen „Sekten" 21 , wie beispielsweise dem Germanenorden oder der Thüle-Gesellschaft 22, die maßgeblich auf der Theosophie Madame Blavatskas23 fußten, ein nicht unerheblicher Anteil an der Fundierung der nationalsozialistischen Ideologie 24 zugeschrieben. Überhaupt heit im Kanon der Grundrechte des Grundgesetzes deutete sich aber bereits in der Weimarer Verfassung an. Das Grundrecht der Religionsfreiheit wurde nämlich diktaturfest gemacht. Von den nach Art. 48 II, III WRV unmittelbar einschränk- und aufhebbaren Freiheiten war es grundsätzlich ausgenommen. Die assoziative Seite der Religionsfreiheit scheint aber mittelbar über das Recht der Vereinigungsfreiheit, das nicht zu den diktaturfesten Grundrechten zählte, einschränkbar gewesen zu sein. R. Thoma, Grundrechte und Polizeigewalt, passim. Zur Reichweite der Diktaturfestigkeit der Religionsfreiheit, vgl. G. Anschütz, in: HdbDStR, Bd. 2, § 106 S. 675 (683); H. Mirbt, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, S. 319 (330). 19

Beispiele bei P. Mikat, in: ders., Religionsrechtliche Schriften, S. 163 (167). K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 12 ff. u. passim. 21 Hierzu ausführlich N. Goodrick-Clarke, The occult roots of nazism, S. 51 ff., 64, 123 ff., 149 u. passim, sowie S. 192 ff., zu dem Einfluß der Ariosophie auf Hitler selbst. 22 N. Goodrick-Clarke, The occult roots of nazism, S. 128: „Aryan-Germanic religious revival". 23 H.-J. Ruppert, Theosophie, S. 18 ff.; H. Zinser, Der Markt der Religionen, S. 37 ff. 20

24 Zum religiösen Charakter der Nazi-Ideologie, vgl. E. Voegelin, Die politischen Religionen, S. 52 ff. Der Nationalsozialismus wird hier als eine auf der Rassenideologie aufbauende innerweltliche Religion verstanden. An die Stelle des Reiches Gottes treten die innerweltliche Volksgemeinschaft und ihre sakrale Substanz, der durch den Führer vermittelte Volksgeist. Auch K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 259 f.; E. Wolf rum, Geschichte als Waffe, S. 45.

Β. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik

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fiel vor allem ariosophisches, semi-religiöses Gedankengut auf fruchtbaren religiös-völkischen Boden 25 und war gleichzeitig wenig geeignet, das demokratische Denken in der Weimarer Republik zu fördern. Fraglich ist deshalb, wie die Republik im Gegensatz zum konstitutionellen Staat mit diesen Religionsgemeinschaften, die nicht zu den staatstragenden gezählt werden konnten, umging. Wie dargestellt, waren auf die Religionsgemeinschaften der Weimarer Republik die öffentlich-rechtlichen Regelungen des Vereinsrechts anzuwenden. Deshalb soll in der gebotenen Kürze dargelegt werden, wie die immer mehr in Bedrängnis kommende Republik sich gegen „gefährliche" Vereinigungen rechtlich schützte und inwieweit die zum Schutze der Republik ergangenen Gesetze auch auf Religionsgemeinschaften anwendbar waren oder angewandt wurden. Die Republik teilte das antizipierte Mißtrauen des spätabsolutistischen Staates gegenüber seinem Volke und dessen Vereinigungen als latent staatsfeindlich nicht. Sie entließ das Vereinigungswesen in eine zuvor nicht dagewesene Freiheit. Der Aufruf des Rates der Volksbeauftragten 26 hob alle Beschränkungen der Vereinigungsfreiheit auf 27 . Mit einer als überwiegend selbstverständlich verstandenen und daher als deklaratorisch erachteten Klausel wurde die Vereinigungsfreiheit später dagegen in Art. 124 WRV durch die Strafgesetzeswidrigkeit eines Vereins eingegrenzt. Der strafrechtswidrige Zweck des Vereins, der zu seinem Verbot führen konnte, mußte sich aus dessen Satzung und/oder seinem tatsächlichen Verhalten ergeben 28. Auch der Staat selbst war durch Strafrechtsnormen geschützt. Der strafrechtliche Staatsschutz, der deshalb hier interessiert, umfaßte in der Hauptsache den Versuch der gewaltsamen Änderung der Verfassung in Form des Hochverrats (§§ 81 ff. RStGB). Er zielte also in erster Linie auf das Mittel der Gewalt, das ein Verein einzusetzen bereit war, um seine Ziele zu verfolgen 29.

25 Zur Religiosität der verschiedensten völkischen Bewegungen wie auch der Ludendorffianer, vgl. E. Hieronimus, in: Cancik (Hrsg.), Religions- und Geistesgeschichte, S. 159 ff.; ders., in: Taubes (Hrsg.), Der Fürst dieser Welt, S. 316 ff.; zur „Arbeitsgemeinschaft der (arteigenen) Deutschen Glaubensbewegung" und den in ihr organisierten Gruppen, vgl. H. Cancik, in: ders. (Hrsg.), Religions- und Geistesgeschichte, S. 176 ff. 26 Vom 12. November 1918, RGBl. S. 1303; näher hierzu C Gusy, WRV, S. 43 ff. Die Gesetzesqualität des Aufrufes war umstritten. H. Delius, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, S. 138 (139); L. Waldecker, in: HdbDStR, Bd. 2, § 104 S. 637 (641); A. Brecht, in: v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze, Bd. 2, S. 167 (169 f.). 27 Zur Frage des „Ob" und des „Inwieweit" der Fortgeltung des RVG, vgl. G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 124 S. 575; L. Waldecker, in: HdbDStR, Bd. 2, § 104 S. 637 (642 ff.); K.-H. Seifert, DÖV 1954, S. 353.

28 Näher A. Brecht, in: v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze, Bd. 2, S. 167 (189 f.). 29 Vgl. PrOVG Bd. 89, S. 391 ff., das die Verfassungsfeindlichkeit der NSDAP damit verneinte, daß der Nachweis nicht erbracht worden sei, daß die NSDAP den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung herbeizuführen plane. Andererseits läßt sich eine zunehmende Entgrenzung des Gewaltbegriffes des Hochverrats feststellen. Vgl. C. Leggewie/H. Meier, Republikschutz, S. 186 ff.; M. Böttger, Der Hochverrat in der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Weimarer Republik, passim.

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

Im Ergebnis konnte eine Vereinigung also verboten werden, wenn sie als solche einen strafbaren Zweck verfolgte. Bezweckte eine Vereinigung, Verfassung und Republik abzuschaffen, griffen die Staatsschutzdelikte des Strafrechts. Diese verlangten aber zunächst, daß die Vereinigung als solche gewaltsam handelte, um ihr Ziel zu verfolgen.

2. Der besondere strafrechtliche Schutz der Republik Als die Republik mehr und mehr in die innenpolitische Krise geriet, schufen die Republikschutzgesetze (RSG) von 1922 und 1930 30 besonderes Strafrecht, das sich auch gegen Vereinigungen richtete und den Erlaß von Verboten gegen sie erleichtern sollte. Die Republikschutzgesetze sind nicht unumstritten geblieben. Obwohl beide Gesetze mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossen worden waren, war vor allem ihre Verfassungsmäßigkeit bis zuletzt heftig umstritten 31: Sie schnitten ohne textliche Änderung der Verfassung und damit als Verfassungsdurchbrechung 32 tief in die Freiheiten der Art. 123, 124 WRV ein. Die strafrechtlichen Bestimmungen beider Gesetze beschränkten sich im wesentlichen aber darauf, Strafschärfungen bereits inkriminierter Verhaltensweisen auszusprechen, ohne grundsätzlich selbst umstürzlerische Bestrebungen vereinsrechtlich zu unterdrücken 33. Insbesondere das 2. Gesetz zum Schutze der Republik enthielt jedoch kein materielles Vereinsrecht mehr. Vielmehr knüpfte es an strafbare Bestrebungen der in den § § 1 - 8 RSG genannten Arten ein in das Ermessen der zuständigen Behörde gestelltes Vereinsverbot an (§ 14 I I RSG I, § 9 RSG II). In der Hauptsache bezogen sich die Regelungen des Republikschutzes also auf Strafbestimmungen, deren Tatbestände regelmäßig gewaltsame oder ungesetzliche Mittel in Bezug nahmen. Eine besondere Regelung stellte aber der Schutz der verfassungsmäßig festgestellten republikanischen Staatsform vor Untergrabung dar (§ 7 II Nr. 4 RSG I, § 4 Nr. 1 RSG II). Mit dieser Regelung wurde zum Ausdruck gebracht, daß sich der Republikschutz vom klassischen Staatsschutz durch das Strafrecht abheben wollte 34 . Auf diesen Tatbestand stützte sich ein Großteil der gegen Vereinigungen ausgesprochenen Vereins verböte 35. Diese Schutzvorschrift 30 Vom 21. Juli 1922 RGBl. I S. 585, und vom 25. März 1930, RGBl. I S. 91. 31 E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 664; W. Kiesow/E. Zweigert, Gesetz zum Schutze der Republik, S. 178; Κ Niclauß, Demokratiegründung, S. 112. 32 Diese „Verfassungsdurchbrechungen" wurden gewohnheitsrechtlich begründet, vgl. C. Gusy, WRV, S. 146 ff.; H. Triepel, AöR 39 (1920), S. 456 (542 f.). 33 A. Brecht, in: v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze, Bd. 2, S. 167 (171); /. Hueck, Der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik, S. 188. 34 /. Hueck, Der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik, S. 135; Everting, DJZ 1930, Sp. 289 f.: „ ( . . . ) ein Gesetz, das gegen frühere Zeiten differenzieren will". 35 G. Jasper, Der Schutz der Republik, S. 132; zur Praxis der Vereinsverbote, vgl. C. Gusy, WRV, S. 317 ff.; E. Kern, NJW 1950, S. 405 (406).

Β. Die religiöse Assoziationsfreiheit in der Weimarer Republik

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setzte zunächst keine Legalitätsfeindlichkeit voraus. Sie wollte insgesamt nicht nur den Schutz einzelner Verfassungsbestimmungen oder Einrichtungen des Reiches sicherstellen, sondern zielte auch auf den Erhalt des der demokratischen Republik zugrunde liegenden Ideengerüsts und damit auf die materielle Verfassung ab. Letztere hatte bis dato keinen strafrechtlichen Schutz genossen. Die Vorschrift füllte also offensichtliche Lücken des RStGB aus36. Was sollte aber mit dem Tatbestandsmerkmal des Untergrabens beschrieben werden? Das Merkmal des Untergrabens war bewußt gewählt worden, um klarzustellen, daß die Verwirklichung des Tatbestandes nicht von dem Einsatz gewaltsamer oder rechtswidriger Mittel abhänge37. Gleichwohl wurde die Bestimmung eng verwoben mit denjenigen Strafnormen, die geheime oder staatshemmende Vereinigungen betrafen (§§ 128, 129 RStGB 38 ). Durch deren Inbezugnahme wurde an eine legalitätsfeindliche und gewalttätige Einstellung rückangeknüpft 39, wobei der Terminus der Legalitätsfeindlichkeit ausschließlich auf vollziehbare Gesetze rekurrierte und damit nicht Verfassungsfeindlichkeit meinte 40 . „Nur" verfassungsfeindliche Ziele konnten also allenfalls subsidiär, d. h. nach vorhergehender Feststellung der Illegalität der Vereinigung zu deren Verbot führen. Der legalen Verfassungsfeindlichkeit als Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung war allein über die Ausnahmegewalt des Reichspräsidenten beizukommen. Wie aber standen die Republikschutzgesetze und ihre Handhabung zu den „republikfeindlichen" Religionsgemeinschaften? Dem historisch bedingten Ausnahmecharakter der Republikschutzgesetzgebung entsprechend richtete sich deren Impetus im wesentlichen gegen genuin „politische" Betätigungen und Vereine 41 und damit nicht unmittelbar gegen religiöse Ver36 E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 6, S. 655; E. Leffmann, Gesetz zum Schutze der Republik, S. 75 ff.; A. Brecht, in: v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze, Bd. 2, S. 167 (227); RGSt 57, 209 (211): „ ( . . . ) vielmehr begreift es (seil.: das RSG) unter der gewählten Bezeichnung den Ideen- und Gedankenkreis, der in der geltenden Verfassung seinen rechtlichen Niederschlag gefunden hat ( . . . )". Zur Entwicklung der Rechtsprechung, vgl. /. Hueck, Der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik, S. 136 ff. 37 Diese Ausweitung war während des GesetzgebungsVerfahrens umstritten, vgl. L Gutheim, Republikschutzgesetz, S. 80 ff.; E. Leffmann, Gesetz zum Schutze der Republik, S. 76 f.; W. Kiesow/E. Zweigert, Gesetz zum Schutze der Republik, S. 101 f. 38 Die Verfassungsmäßigkeit dieser Strafbestimmungen selbst, die die Teilnahme an geheimen und staatsfeindlichen Vereinigungen inkriminierte, wurde angezweifelt. Die herrschende Meinung ging schließlich davon aus, daß Art. 124 WRV wohl die Bildung, nicht aber die Teilnahme an einer Vereinigung schütze. Vgl. E. Leffmann, Gesetz zum Schutze der Republik, S. 72. A. Brecht, in: v. Brauchitsch, Verwaltungsgesetze, Bd. 2, S. 167 (230). 39

RepSchStGH v. 15. März 1923 zur NSDAP, nach K. Stein, Parteiverbote, S. 157. 40 RGSt 40, 383 (383 f.); G. Jasper, Schutz der Republik, S. 133; E. Leffmann, Gesetz zum Schutze der Republik, S. 73 f.; vgl. aber auch L. Gutheim, Republikschutz, S. 118 f. 41 Besonders deutlich läßt sich dies anhand der Diskussion um die Erste Verordnung zum Schutze der Republik vom 26. Juni 1922 (RGBl. I S. 521) nachweisen, die nach der Erklärung von Gustav Radbruch, Verh. d. RT., Bd. 356, S. 8050, gegen die politische Rechte gerichtet war.

§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

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bindungen, die mit dem Niedergang des Kaiserreiches von dem Odium des Politischen befreit worden waren. Obwohl das Verbot auf einer Verwechslung mit dem Jungdeutschen Orden beruhte, scheute sich Thüringen aber nicht, die christlichen Pfadfinder, die sich aus der evangelischen Jugendorganisation CVJM generiert hatten 42 , also einen religiösen Verein nach § 124 WRV, im Jahre 1922 aufzulösen. Das Verbot wurde bedenkenlos und unter eben diesen falschen Voraussetzungen von Schaumburg-Lippe übernommen 43. In beiden Fällen mag das Vorgehen nicht zuletzt daran gelegen haben, daß sich nach den ersten Verboten republikfeindlicher Vereinigungen der Usus abzeichnete, legalitätsfeindliche Vereine unter einem Namen firmieren zu lassen, der ihre wahren Ziele möglichst verschleierte.

3. Ergebnis Im Ergebnis blieben die Religionsgesellschaften insgesamt von den Instrumentarien des Republikschutzes der Weimarer Republik unbehelligt. Die inkorporierten Religionsgemeinschaften unterlagen ihm nach herrschender Meinung von vornherein nicht.

C. Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz: Die vereinsrechtliche Gleichstellung Im nächsten Abschnitt soll untersucht werden, ob und wie unter dem Grundgesetz die gefahrenabwehrrechtlichen Unterschiede zwischen inkorporierten und nicht-inkorporierten Religionsgemeinschaften eingeebnet wurden. Dazu soll zunächst dargestellt werden, welche Rechtsfolgen unter dem Grundgesetz mit dem Körperschaftsstatus der inkorporierten Religionsgemeinschaften verbunden werden. Anschließend soll mit Hilfe des Gleichbehandlungsgebotes die einfachgesetzliche Rechtslage, die seit dem Vereinsgesetz von 1964 bis zu dessen Änderung am 8. Dezember 2001 für inkorporierte und nicht-inkorporierte Religionsgemeinschaften galt, geklärt werden.

I. Das Ende der besonderen Staatsaufsicht: Die Umcodierung des Körperschaftsstatus Der Parlamentarische Rat hat die staatskirchenrechtlichen Normen der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz als vollgültiges Verfassungsrecht überschrieben. Zu diesen gehört auch Art. 137 V WRV, der die Verleihung von Körper42

M. Ajfolderbach,

Art. Jugendorganisationen III, in: StL III, Sp. 260.

« G. Jasper, Schutz der Republik, S. 131.

C. Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz

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schaftsrechten an Religionsgemeinschaften regelt. Fraglich ist aber, ob mit der Norm zugleich auch die kirchenrechtlichen Aufsichtsbefugnisse des Staates über inkorporierte Religionsgemeinschaften übernommen wurden. Von der ganz herrschenden Lehre des Staatskirchenrechts wird dies abgelehnt: An die Stelle der Übertragung besonderer Machtbefugnisse, die trotz aller sonstigen Unklarheiten über den Begriff 1 mit der Verleihung des Körpersschaftsstatus von der herrschenden Lehre der Weimarer Republik verbunden und zur Begründung der Korrelatentheorie angefühlt worden war, ist unter dem Grundgesetz die Auffassung des öffentlich-rechtlichen Status als nützliche „Dreingabe" und verfassungsrechtliche Organisationshilfe zur Stützung der grundrechtsabgeleiteten Präsenz der Religionsgemeinschaften in der Verfassungswirklichkeit, aber auch als „Qualitätssiegel", getreten 2. Was aber wird genau mit dem Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften verbunden? In der Diskussion um Inhalt und Berechtigung ihres Körperschaftsstatus finden sich eine Reihe vor allem beschreibender Formulierungen, die gleichzeitig auf einen - schwer faßbaren - materiellen Gehalt des Status hindeuten sollen. Zu diesen Formulierungen gehört die Umschreibung des körperschaftlichen Status als eines „rätselhaften Ehrentitels" 3 oder einer „Schlüsselbezeichnung für die Anerkennung der Religionsgemeinschaften in ihrer Bedeutung als geistig soziale Faktoren des öffentlichen Lebens". Ferner zählt zu diesen Beschreibungen auch die Rede von ihrer gemeinwohldienlichen Staatszugewandtheit4. Eher nüchtern und formell dagegen wird der Körperschaftsstatus zusammengefaßt als eine Kurzformel für die Gewährleistung und Absicherung einer Reihe staatsabgeleiteter Befugnisse 5. Allein an der Fülle von Umschreibungen läßt sich ersehen, daß sich also auch weiterhin Unklarheiten um die Art der Verbindung, die der Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts mit den Religionsgemeinschaften eingegangen ist, ranken 6. Die herrschende Lehre des Grundgesetzes ist aber mittlerweile davon abgerückt, einen ihr Wesen beschreibenden gemeinsamen staatlichen Nenner der Körperschaft in den vielfältigen Gestalten, die sie gefunden hat, finden zu wol1 Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (30); Κ Hesse, ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (356): „Crux der staatskirchenrechtlichen Problematik der Gegenwart"; P. Kirchhof, in: HdbStKR I, S. 651 (661 ff.); Κ Schiaich, Neutralität, S. 177 ff. 2 Κ Meyer-Teschendorf, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 498 (528); W. Weiß, KritV 2000, S. 104 (105). 3 R. Smend, ZevKR 1 (1951), S. 4 (9). 4 U. Scheuner, ZRP 1969, S. 195 f.; Albrecht, KuR 1995, S. 25 (26); Ρ Kirchhof, in: HdbStKR I, § 22 S. 655 ff.; BVerwGE 105, 117 (119 ff.); BVerfGE 42, 312 (330 f.); S. Muckel, Der Staat 38 (1999), S. 569 (581 ff.); G. Robbers, in: FS Heckel, S. 411 (415 ff.). 5 Η Weber, Religionsgemeinschaften, S. 56 u. passim; D. Ehlers, ZevKR 32 (1987), S. 158 (166); B. Schlink, NVwZ 1997, S. 633 (637 f.); zu den einzelnen Privilegien, vgl. C. Link, ZevKR 43 (1998), S. 1 (12 f.); S. Muckel, Der Staat 38 (1999), S. 569 (575 ff.). Ferner zur Diskussion um formelle und/oder materielle Funktion des Status ebda., S. 580 ff. m. w. N. 6 U. Scheuner, ZevKR 6 (1957/58), S. 1 (11); P. Kirchhof, in: HdbStKR I, § 22 S. 660 f., 664 ff.; H. Weber, Religionsgemeinschaften, S. 46 ff.

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften

len. Dies wirkt sich gerade auch auf den Begriff der Religionskörperschaft aus: Obwohl der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts Staatlichkeit signalisiert, lassen sich den Religionsgemeinschaften, denen er zuteil wird, nicht länger Attribute wie das der Erfüllung staatlicher Zwecke oder der Staatsaufsicht beifügen. Im Gegensatz zu anderen Körperschaften des öffentlichen Rechts rangieren sie nicht als Trägerinnen der mittelbaren Staatsverwaltung. Ohne daß damit eine rechtsdogmatische Anomalie begründet würde, nehmen sie eine aus der Kulturstaatlichkeit zu begreifende Sonderstellung ein 7 . Sie sind der Staatsverwaltung nicht funktionell eingegliedert 8, sondern Körperschaften sui generis. Ebensowenig aber wird der Staat ihnen als koordinierter öffentlicher Gewalten gewahr 9. Mit der Bewahrung und dem Angebot der Inkorporation kommt die Verfassung dem in Art. 4 GG angelegten Ausgestaltungsauftrag korporativer Religionsfreiheit nach. Im Rahmen dieses Auftrags entspricht die Organisationsform der Körperschaft den Bedürfnissen und Strukturen einiger Religionsgesellschaften in besonderem Maße 10 . Die Inkorporierung stellt deshalb (auch) eine Effektuierung der organisationsrechtlichen Bedingungen der Grundrechtsausübung von Korporation und Individuum dar und trägt somit zur Optimierung von Grundrechtschancen bei 11 . Da die Verfassungsnorm also Grundrechtssubstanz organisiert, beläßt sie gleichzeitig die von ihr umfaßten Korporationen als Grundrechtsträgerinnen mit allen ihren Besonderheiten in Tuchfühlung mit der Riege der gesellschaftlichen Verbände und hält sie im Inneren frei von staatlicher Ingerenz 12. Diese Staatsfreiheit impliziert ferner, daß dem Staat zumindest ein umfassendes besonderes Aufsichtsrecht gegenüber inkorporierten Religionsgemeinschaften nicht (mehr) zusteht. Aus Art. 137 V WRV läßt sich kein öffentlich-rechtlicher 7 K. Meyer-Teschendorf, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 498 (508 ff.); M. Morlok/M. Heinig, NVwZ 1999, S. 697 (701); K. Schiaich, Neutralität, S. 242 ff.; P. M. Huber, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 117 (128 ff.); vgl.aber auch G. Schmidt-Eichstaedt, Der Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, S. 69, 128 ff. 8 BVerfGE 18, 385 (386 f.); 19, 1 (8); 19, 129 (133 f.); 42, 312 (321); BVerwGE 68, 62 (64). 9 Die „Koordinationslehre" lehnte die staatliche Aufsichtsbefugnis ab, da die Kirchen als dem Staat gleichgeordnete öffentliche Gewalt ihre Hoheitsbefugnisse vom Staat nicht ableiteten, sondern aufgrund eigener Souveränität besäßen. Vgl. A. Albrecht, Koordination von Staat und Kirche, S. 32 ff.; H. Marré, DVB1. 1966, S. 10 ff.; H Peters, in: VVDStRL 11 (1954), S. 177 (181 f., 187 f.); H Weber, Religionsgemeinschaften, S. 24 f. 10 A. Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), S. 57 (87); BVerfGE 83, 341 (357).

h M. Morlok/M. Heinig, NVwZ 1999, S. 697 (700 ff.). 12 S. Korioth, in: FS Jean d'Heur, S. 221 (224, 231, 233): „ ( . . . ) ohne sie auf eine Stufe mit Verbänden und Interessengruppen zu stellen"; K. Meyer-Teschendorf, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 498 (507 u. passim); H. Weber, in: HdbStKR I, S. 573 (578); K. Schiaich, Neutralität, S. 178 ff.; ferner an den Öffentlichkeitsanspruch der Kirchen angelehnt, vgl. E. G. Mahrenholz, Die Kirchen in der Gesellschaft, S. 40 u. passim; ders., ZevKR 20 (1975), S. 43 (47 u. passim); hiergegen am Selbstverständnis der Kirchen orientiert, R. Smend, ZevKR 16 (1971), S. 241 (245 f.).

C. Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz

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Gesamtstatus der inkorporierten Religionsgemeinschaften herleiten 13. Die Körperschaftsform wird ihnen vielmehr zur Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben verliehen. Abgesehen von ihren enumerativ aufzählbaren hoheitsrechtlichen Befugnissen haben die Religionskörperschaften nicht teil an der staatlichen Gewalt. Die Aufsichtsbefugnisse des Staates beschränken sich daher auf die Einzelüberwachung genuin hoheitlicher Tätigkeiten, zu denen die Körperschaften punktuell eingesetzt werden: vergleichbar mit der Delegation hoheitlicher Befugnisse an einen Beliehenen14. Der öffentlich-rechtliche Status, der nach der bekannten Formel des Bundesverfassungsgerichts die „Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche vom Staat bekräftigen" 15 soll, beschert den inkorporierten Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz damit eine Selbständigkeit, die der verfassungsrechtlich gewährleisteten Vereinsautonomie16 nicht nachsteht. Gleichwohl wird der Verlust staatlicher Kontrollmöglichkeiten nicht durch ihre Unterstellung unter das Regime des öffentlichen Vereinsrechts ausgeglichen. Zwar können sie - formal genommen und ohne das Selbstverständnis der Kirchen oder ihre historisch gewachsenen und in Form des Körperschaftsstatus verfassungsrechtlich garantierten Strukturen zu berücksichtigen - unter die vereinsrechtliche Legaldefinition der Vereinigung (§2 1 VereinsG 17) subsumiert werden 18. Sie bleiben dennoch aber weiterhin vom Geltungsbereich des Vereinsgesetzes ausgenommen. Im Ergebnis hat das Grundgesetz damit die staatskirchenrechtliche Ordnung der Weimarer Verfassung im Wortlaut zwar als vollgültiges Verfassungsrecht überschrieben. Trotzdem wurden Bedeutung und Rechtsfolgen des Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften umcodiert. Die bereits im Verfassungstext der Reichsverfassung angelegte Distanzierung zwischen Religionsgesellschaften und Staat schritt unter der bundesrepublikanischen Verfassung fort und sicherte ersteren ein höheres Maß an religiöser Freiheit und Eigenständigkeit, ohne sie auf der gefahrenabwehrrechtlichen Seite dem Regime des Vereinsgesetzes zu unterwerfen. 13 D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 18; so aber noch nach der Koordinationslehre, vgl. R. Smend, ZevKR 2 (1952/53), S. 374 (376): Die Kirchen seien Mitträgerinnen des öffentlichen Gesamtstatus des deutschen Gemeinwesens. 14 G. Held, Religionsgemeinschaften, S 101 ff. Wobei durchaus vertreten wird, nur die Großkirchen seien aus der umfassenden besonderen Staatsaufsicht entlassen worden, kleine öffentlich-rechtliche oder neukorporierte Religionsgemeinschaften dagegen nicht. M. Heckel, in: HdbStKR I, § 20 S. 589 (595 f.). Zu den Unterschieden in der Beleihung Privater und der Verleihung des Körperschaftsstatus an Religionsgemeinschaften, vgl. M. Morlok/M. Heinig, NVwZ 1999, S. 697 (702 f.). 15 BVerfGE 30,415 (428). 16 Palandt-Heinrichs, BGB, § 25 Rn. 7; S. Muckel, in: HdbStKR I, § 29 S. 827 (832 ff.). 17 „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck dauerhaft zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat." is W. Löwer, in: BK, Art. 74 Nr. 3 Rn. 35.

8 Groh

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II. Die Parität in der staatlichen Gefahrenabwehr: Das Vereinsgesetz von 1964 Da die Bastion der kirchenrechtlichen Aufsichtsbefugnisse des Staates unter dem Grundgesetz also gefallen ist, ohne daß die inkorporierten Religionsgemeinschaften im Gegenzug dem Regime des öffentlichen Vereinsrechts unterstellt wurden, fragt es sich weiter, ob das allgemeine Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 I GG und das besondere Gleichheitsgebot des Art. 3 III GG es nicht geradezu verlangten, die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften ebenfalls vom Vereinsgesetz zu eximieren. Dies soll im folgenden untersucht werden. Es erscheint nämlich auf einen ersten Blick nicht abwegig, einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot zu vermuten, wenn der Vereinsgesetzgeber dem alten Schema verhaftet bliebe und die aus der Staatsaufsicht entlassenen inkorporierten Religionsgemeinschaften auch weiterhin vom öffentlichen Vereinsrecht ausnähme, ohne dies auch für die privatrechtlich organisierten zu verfügen.

1. Das Gleichbehandlungsgebot Sedes materiae der an den Staat adressierten allgemeinen Gleichbehandlungspflicht ist Art. 3 I GG. Die Vorgaben dieser Norm lassen sich auch im Staatskirchenrecht grundsätzlich fruchtbar machen19. Fraglich ist aber, wie weit das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes reicht, denn das Grundgesetz beruht gleichzeitig auf der Anerkennung von Verschiedenheiten. Es respektiert sowohl die Sachgesetzlichkeiten der freiheitsrechtlich geschützten Lebensbereiche als auch die Unterschiede, die sich aus dem autonomen Gebrauch menschlicher Freiheiten ergeben. Der allgemeine Gleichhheitssatz ist in dieses Konzept eingebettet. Er verlangt daher grundsätzlich keine unterschiedslose Egalisierung aller Religionsgemeinschaften im Sinne ihrer schematischen Gleichbehandlung. Insbesondere in seiner Ausprägung als Rechtsanwendungsgleichheit kann das ihm innewohnende formale Element bei ungleichen Ausgangsvoraussetzungen zu verfassungsrechtlich zwar gebilligten, dennoch aber ungleichen faktischen Wirkungen führen 20. Doch ist - anders als unter der Weimarer Verfassung - auch die gesetzgebende Gewalt per constitutionem an die Grundrechte gebunden (Art. 1 III GG). Deren unmittelbare Geltung auch für den Gesetzgeber schlägt sich in dem Gebot der Rechtssetzungsgleichheit als weiterem Ausfluß des allgemeinen Gleichheitssatzes nieder. In seiner Ausprägung als Rechtssetzungsgleichheit tritt das formale Element der Gleichbehandlung ein Stück weit in den Hintergrund. Wo „gerechte" gesetzliche 19 M. Heckel in: HdbStKR I, S. 589 (589 f.); a. A. H. Mayer-Scheu, Grundgesetz und Parität, S. 87 ff., 275 f.; zur Bedeutung des Gleichheitssatzes der WRV, vgl. K. Hesse, AöR 109 (1984), S. 174 (175 ff.). 20 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Rn. 135; M. Heckel, in: HdbStKR I, S. 589 (599, 625); H. M. Heinig, Religionsgesellschaften, S. 180 ff.

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Regelungen erst geschaffen werden sollen, hat es keinen Aussagewert, da aus dem Prinzip der Allgemeingültigkeit des Gesetzes keine inhaltliche Determination des Gesetzestatbestandes folgen kann. Spätestens an dieser Stelle weist das Gebot der Gleichbehandlung damit über sich hinaus auf einen materiellen Maßstab gleicher Rechtssetzung21. Welche Maßstäbe dabei aber anzuwenden sind, wird in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. In der Anfangsphase seiner Gleichheitsjudikatur fand das Bundesverfassungsgericht einen Maßstab zunächst im sogenannten Willkürverbot und ließ die Gleichheit damit mehr oder weniger in einem allgemeinen Gerechtigkeitspostulat aufgehen 22 . Nach der Willkürformel ist der Gleichheitssatz in dem Augenblicke wegen des Fehlens einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung verletzt, in dem sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt. Das Gericht überprüft nur, ob die Ungleichbehandlung evident ungerecht erscheint. Nach der sogenannten „neuen Formel" tritt - wie im Verfassungsrecht insgesamt - auch bei Art. 3 I GG die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Ungleichbehandlung in den Vordergrund - , ohne daß damit die Willkürformel allerdings aufgegeben worden sei 23 . Die immanente Unbestimmtheit des allgemeinen Gleichheitssatzes verhilft dem Gesetzgeber zu einem weiten Gestaltungsspielraum. Dieser Spielraum des Gesetzgebers ist aber umso enger, je mehr sich die Ungleichbehandlung, wie hier, den Anknüpfungsverboten des Art. 3 III GG annähert und je größer die Gefahr deshalb ist, daß eine differenzierende Behandlung zur Diskriminierung einer religiösen Minderheit führt 24 . Da sich Freiheit und Gleichheit komplementieren, wird aber anerkannt, daß vor allem bei gesetzlichen Regelungen, die insgesamt eingreifend wirken, der verfassungsrechtliche Kontext als geronnene politische Wertung dem Gesetzgeber justiziable „Gestaltungsschranken" zieht 25 . Wie in jedem Gleichheitsverstoß grundsätzlich ein freiheitsrechtlicher Eingriff liegen kann, kann umgekehrt in jedem freiheitsrechtlichen Eingriff grundsätzlich auch ein Gleichheitsverstoß liegen. Freiheits- und Gleichheitsschutz sind wechselseitig 21 K. Hesse, AöR 77 (1951 /52), S. 167 (176), und AöR 109 (1984), S. 174 ff. 22 Grundlegend G. Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 72 ff.; ders., DVB1. 1951, S. 193 (199); seit BVerfGE 1, 14 (52); 3, 58 (135) std. Rspr.; Κ. A. Bettermann, Hypertrophie der Grundrechte, 1984, S. 13; P. Kirchhof, in: HStR V, § 124 Rn. 193, 250 ff.; zur „neuen Formel" der Rspr., vgl. S. Huster, JZ 1994, S. 541 (542 ff.); M. Sachs, JuS 1997, S. 124 (125 ff.). 23 BVerfGE 12, 326 (333); 89, 132 (142); 55, 72 (88); 82, 126 (146); 95, 39 (45); W. Weiß, KritV 2000, S. 104 (108 ff.). 24 W. Weiß, KritV 2000, S. 104 (110), mit Hinweis auf BVerfGE 88, 87 (96). 25 Zum Recht als „geronnener Politik", vgl. D. Grimm, JuS 1969, S. 501 (502). Zur neueren Dogmatik insbesondere S. Huster, JZ 1994, S. 541 (542 ff.); M. Sachs, JuS 1997, S. 124 (125 ff.); J. Ipsen, Grundrechte, Rn. 767 ff.; M. Krugmann, JuS 1998, S. 7 ff.; M. Heckel, in: HdbStKR I, S. 589 (644); L. Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 5 ff., 17 f.; M. Sachs, JuS 1997, S. 124 (127); BVerfGE 92, 53 (69).

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verschränkt. Freiheitsrechte haben daher für die gleichheitsrechtliche Abwägung eine besondere Bedeutung26. Der verfassungsrechtliche Kontext, in dem das Vereinsgesetz steht, ist der der umfassend gewährleisteten Religionsfreiheit. Betroffen ist die abwehrrechtliche Seite der Glaubensfreiheit, da das Vereinsgesetz unmittelbar in die religiöse Assoziationsfreiheit eingreift 27 . Ein sachlicher Grund, dessen es als Mindestvoraussetzung für eine Differenzierung zwischen Körperschaften und privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften bedarf, war aber nach dem Wegfall der Aufsichtsbefugnisse des Staates über die inkorporierten Gemeinschaften nicht mehr ersichtlich. Der Körperschaftsstatus selbst konnte deshalb nicht mehr als formale verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer Differenzierung auf der abwehrrechtlichen Seite des Art. 4 GG angeführt werden. Art. 4 GG, auf dessen Maßstab es ankommt, differenziert nicht zwischen Körperschaften und anderen Religionsgesellschaften. Das Grundrecht spricht allen Religionsgemeinschaften gleichermaßen die Fähigkeit zu, es als seine Trägerinnen geltend zu machen. Obwohl die Großkirchen bisweilen als „geborene Körperschaften des öffentlichen Rechts" bezeichnet werden 28, darf diese Formel nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Inkorporation zunächst nur eine dem Leistungsstaat zuzuschlagende Dreingabe des Religions Verfassungsrechts darstellt 29. Sie trifft keine Vorentscheidung, aus der für den gefahrenabwehrrechtlichen Umgang mit ihnen deduziert werden könnte: Die Form der Körperschaft stellt nur ein Mittel zur Entfaltung der grundrechtlichen Glaubensfreiheit selbst dar. Sie ist zwar verfassungsrechtlich garantiert, als besondere Organisationsform einer religiösen Korporation aber von Art. 4 GG nicht geboten. Auf Drängen der christlichen Lobby und aufgrund befürchteter Schwierigkeiten bei der Entflechtung der Verschränkungen der evangelischen Landeskirchen mit dem Staat hatte die Weimarer Nationalversammlung den Körperschaftsstatus der Kirchen ehedem „verfassungsfest" gemacht. Aus paritätischen Erwägungen hatte sie ihn gleichzeitig aber für alle weiteren Religionsgemeinschaften geöffnet, die die Tatbestandsmerkmale des Art. 137 V WRV erfüllen sollten. Auch wenn der „Mantelbegriff 4 der Körperschaft 30 mehr als nur eine leere Hülle darstellt, weil er den Religionsgemeinschaften eine besondere Rechtsstellung vermittelt, beinhaltet diese Rechtsstellung doch nur eine die Religionsausübung selbst erleichternde Vergünstigung 31. Insgesamt verweist der Körperschaftsstatus damit auf den Leistungsstaat. Mag er dort als Differenzierungskriterium gelten 32 , um den Körperschaften auch andere als die in Art. 137 V I WRV 26 L. Osterloh, in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 15 ff. 27 Näher unten Kapitel C § 2IV. 1.) b). 28 Kritisch H. Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 175/289 (315 ff.). 29 Näher D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 17 ff. 30 BVerfGE 83, 341 (357). 31 Wobei diese besondere Rechtsstellung allein in der Übertragung bestimmter hoheitlicher Befugnisse besteht. Vgl. BVerfGE 102, 370 (388). 32 K. Schiaich, Neutralität, S. 208 ff., 219 ff. u. passim.

C. Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz

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selbst genannten Leistungen einzuräumen, die Körperschaften damit gegenüber privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften besserzustellen und mittelbar faktisch in deren Religionsfreiheit zu beschränken. Für unmittelbare Eingriffe durch oder aufgrund Gesetzes in die religiöse Assoziationsfreiheit gilt dies nicht. Im Gegenteil, spricht doch das Bundesverfassungsgericht davon, daß es „nicht einsichtig (wäre), daß Vereinigungen, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, insoweit weniger festen Bindungen unterliegen sollten, als private Vereinigungen"33.

2. Ergebnis Daß also nicht allein die Großkirchen und andere inkorporierte Religionsgesellschaften von der Geltung des Vereinsrechts ausgenommen bleiben konnten, sondern die privatrechtlich organisierten „nachfolgen" mußten, erscheint deshalb konsequent. Mit der Novelle des Vereinsgesetzes34 im Jahre 1964 wurde das Reichsvereinsgesetz, das fragmentarisch auch unter dem Grundgesetz weitergegolten hatte, abgelöst. Die lange Zeit vorherrschende separate but (only to a certain extend) equal - Doktrin, mit der sich das umfassende „Einwirkungskonzept" des Staates auf Religionsgemeinschaften jeglichen Status umschreiben läßt, hatte mit der Neuregelung des Vereinsgesetzes im Jahre 1964 zumindest vorläufig seinen gefahrenabwehrrechtlichen Abschluß gefunden. Mit § 2 II Nr. 3 VereinsG wurde die Exemtion aller Religionsgemeinschaften verfügt, gleich ob sie Korporationsstatus erlangt hatten oder privatrechtlich organisiert waren. Zwar setzt das geschriebene staatskirchenrechtliche System des Grundgesetzes im Ergebnis wenige andere Paritätsakzente als das der Weimarer Reichsverfassung. Insbesondere sind die speziellen Gleichheitssätze letzterer, welche die Verschiedenheit der Bekenntnisse und Religionsgemeinschaften betreffen, gleichsam als tradierter und sicherer Bestand übernommen worden. Doch korrespondiert dem Abbau staatlicher Einwirkungsbefugnisse auf die inkorporierten Religionsgemeinschaften eine zunehmende Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften und ihrer Belange in tatsächlicher wie einfachrechtlicher Hinsicht. Auf der gefahrenabwehrrechtlichen Seite sind die nicht-inkorporierten den inkorporierten Religionsgemeinschaften unter dem Grundgesetz damit letztendlich gleichgestellt worden.

33 BVerfGE 102, 370 (390); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 Rn. 37 ff. 34 BGBl. I 1964, S. 593. Der Gesetzgeber von 1964 war der Auffassung, so werde zum Teil hervorgehoben, daß das Verbot von Religionsgemeinschaften verfassungswidrig sei. Insbesondere die Unterstellung der Großkirchen habe, so lautet eine Begründung, gegen die herrschende koordinationsrechtliche Sicht auf das Verhältnis von Staat und Kirche verstoßen. Kritisch W. Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 33, 35: man dürfe nicht den casus Irrealis zum Anlaß nehmen, den casus realis zu verhindern.

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit Bis hierher mag der Eindruck entstanden sein, als stellte die vormalige Herausnahme der inkorporierten Religionsgesellschaften aus dem Geltungsbereich des öffentlichen Vereinsrechts eine der „viele(n) Regelungen und Erscheinungen im Verhältnis von Kirche und Staat" dar, die „bezüglich ihrer gegenwärtigen Legitimation nur auf dem Boden der geschichtlichen Entwicklung verstanden (und gerechtfertigt) werden" 1 kann. Ihre langjährige Eximierung scheint sich als anachronistische Nachzeichnung einer geschichtlich gewordenen und begründeten Rechtslage zu präsentieren, welcher die Exemtion privatrechtlich organisierter Religionsgesellschaften aus paritätischen Gründen nur nachgefolgt war. Nun mag es sein, daß historisch überkommene Besonderheiten, die sich allein traditional, nicht aber aus der Systematik und dem Telos der Verfassung rechtfertigen lassen, „verjähren" oder als „antiquierte" Relikte überkommener Zeiten zur Disposition des einfachen Gesetzgebers stehen2. Daß aber handfeste dogmatische Gründe dafür sprechen, daß die Exemtion der Religionsgemeinschaften insgesamt vom öffentlichen Vereinsrecht auch in modifizierter Form weitergilt, nachdem das Religionsprivileg gestrichen wurde, soll im folgenden dargelegt werden. Das Verbot von Religionsgemeinschaften auf der Grundlage des Vereinsgesetzes stellt aber nur eine der Maßnahmen und auch nur die ultima ratio dar, mit denen Religionsgemeinschaften im Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG begegnet werden soll. Die Ansätze, über die einem Ausufern der Religionsfreiheit entgegengewirkt werden soll, finden sich auch bereits im Schutzbereich des Grundrechts selbst. Im folgenden soll daher zunächst ein Überblick über den Schutzbereich der Religionsfreiheit gegeben werden, bevor die Schranken des Art. 4 GG im Hinblick auf die Freiheit von Religionsgemeinschaften näher beleuchtet werden.

A. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit Das Bundesverfassungsgericht und der Großteil des Schrifttums werten die in Art. 4 GG genannten Verbürgungen der Religionsfreiheit als ein einheitliches 1

P. Mikat, Das Verhältnis von Kirche und Staat, S. 12. 2 K. Meyer-Teschendorf, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 498 (500); ferner die Anmerkung O. Schilys, das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes sei „antiquiert", Der Spiegel 19/2001, S. 17.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Grundrecht, welches - umfassend ausgelegt - dem Grundrechtsträger das Recht gewährleistet, sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln1. Die Verschmelzung der in Art. 4 I und II GG separat genannten religiösen Freiheiten zu einem einheitlichen Grundrecht ist nicht zuletzt deshalb gerechtfertigt, weil es unmöglich ist, die Einzelgewährleistungen ihrem rechtlichen Gehalt nach mit aller Schärfe voneinander abzugrenzen2. Das Anliegen, das gemeinhin mit der Aufspaltung der einheitlich gewährleisteten Religionsfreiheit in mehrere isoliert voneinander stehende Schutzbereiche verfolgt wird, ist das einer Schrankendifferenzierung zwischen der das forum internum schützenden Glaubensfreiheit und der Religionsausübungsfreiheit 3, auf die Art. 136 I WRV letztlich als Gesetzesvorbehalt zuzutreffen scheint4. Auch wenn die auf die Beschränkbarkeit der Freiheiten durchschlagende Unterteilung des Art. 4 GG in mehrere eigenständige Schutzbereiche hier nicht nachvollzogen wird, sei doch an dieser Stelle darauf aufmerksam gemacht, daß dem forum internum als geistigem Prozeß und Kernbereich der Religionsfreiheit effektiv eine größere „Nettofreiheit" 5 zuteil wird als dem forum externum. Vor dem Hintergrund der Entgrenzung der Religionsfreiheit in einer bis dato relativ homogenen christlichen Gesellschaft wird an der zunehmenden Pluralisierung des religiösen Lebens mit steigender Tendenz die Gefahr eines uferlosen Grundrechtssubjektivismus festgemacht. Der notwendig scheinende Rekurs auf das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers, was dessen religiöses oder religiös motiviertes Verhalten anbelange, beschwöre die Gefahr einer Hypertrophie des Grundrechts. Letztendlich, so wird eingewandt, öffne das Grundrecht der Möglichkeit einer verfassungsrechtlich sanktionierten Mißachtung der objektiven Rechtsordnung Tür und Tor.

ι BVerfGE 24, 236 (246); 32, 98 (106); 33, 23 (28); 41, 29 (49); 83, 341 (354 ff.); A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 36; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 38, 52, 55; U. Scheuner, DÖV 1967, S. 585 ff.; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 53; U. Mager, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 9. Mit Hinweis auf den differenzierenden Wortlaut der Norm und deren Entstehungsgeschichte dagegen, vgl. S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 3 ff.; F. Schock, in: FS Hollerbach, S. 149 (157); vgl. auch BVerfG JZ 2002, S. 500 (501): Dort wird das Schächten der Berufs- bzw. allgemeinen Handlungsfreiheit zugeordnet, Art. 4 GG aber zur „Verstärkung" des anderen Freiheitsrechts als Prüfungsmaßstab mit herangezogen. Kritisch K.-H. Kästner, JZ 2002, S. 491 (492 ff.). 2 J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 454; A. v. Campenhausen, in: HStR V I § 136 Rn. 36: „Betätigungsfeld für im wesentlichen folgenlosen Scharfsinn"; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 31: „nur mit Klügelei sind die Teilgehalte voneinander abzugrenzen". 3 Welche Handlungen allerdings wiederum der Religionsausübungsfreiheit unterfallen, wird unterschiedlich beurteilt. Zum Teil wird jedes religiös motivierte Verhalten als Religionsausübung betrachtet, zum Teil allein kultische Handlungen. Vgl. J. Hellermann, in: Grabenwarter (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte, S. 129 (137). 4 Näher unten § 3 Β. V. 5 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 89; ders., Das Selbstverständnis, S. 400 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Eben jene Gefahr zeichnet sich auch bereits bei der fundamentaleren Vorfrage ab, wie nämlich eine Religion begrifflich einzufangen und damit rechtlich faßbar zu machen sei. Sie setzt sich fort auf der korporativen Seite des Grundrechts. Dort hängt an der Macht, den Begriff der Religion zu definieren und materiell zu verfiillen, auch die Kompetenz zur Beantwortung der Frage, ob eine Vereinigung den Status einer Religionsgemeinschaft für sich reklamieren kann und damit den Schutzbereich des Art. 4 GG in Anspruch nehmen darf. Derzeit haben Versuche, bereits den Schutzbereich der Religionsfreiheit zu begrenzen, Konjunktur. Möglichst frühzeitig sollen Schutz und Schirm des Art. 4 GG denjenigen Religionen und Religionsgemeinschaften versagt werden, die gefährlich erscheinen6. Zu ihnen zählen „Sekten und Psychogruppen" genauso wie „extremistische" und fundamentalistische Religionsgemeinschaften. Die Gefahren, die von ihnen ausgingen, beträfen - alternativ oder kumulativ - Leib, Leben und Menschenwürde des einzelnen („Es ist ja wahr: Auch religiös kann sich der Mensch zugrunde richten."7) sowie Verfassung und Staat. Die dogmatischen Ansätze, den Schutzbereich der Religionsfreiheit für diese Religionen und Religionsgemeinschaften zu verschließen, sind vielfältig. Sie beginnen damit, daß den Lehren, die von den genannten Gemeinschaften vertreten werden, die Subsumtion unter den Begriff der Religion verwehrt wird. Ferner wird versucht, die Gemeinschaften selbst aus dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit auszugrenzen. Hier wird der Begriff der Religionsgemeinschaft gleichsam mit negativen Tatbestandsmerkmalen wie der wirtschaftlichen und (verfassungskonformen) politischen Betätigung angereichert. Von Aktualität ist hier auch die dogmatische Figur der grundrechtsimmanenten Mißbrauchsschranken, über die insbesondere verfassungsfeindliche Gemeinschaften aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG ausgegrenzt werden sollen. Zunehmend wird auch die Dogmatik der staatlichen Schutzpflichten virulent. Nach der neueren Grundrechtsdogmatik verlangt die Verfassung vom Staat, daß dieser Grundrechtsgefährdungen auch von Seiten Dritter dann schützend entgegentrete, wenn ein erst an der Grundrechtsverletzung ansetzender Schutz zu spät käme8. Die hohen Wertigkeiten der Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie der Menschenwürde verpflichteten den Staat, sich dort vor den einzelnen zu stellen, wo dieser seine Interessen nicht allein wahrnehmen könne. Ge6

Einen soziologischen Ansatz („moral panics") zur Erklärung der „Feindfunktion" von Sekten bietet M. Introvigne, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren I, S. 78 (82 ff.). 7 H. Lübbe, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren I, S. 28 (29). Allerdings wurde im Zwischenbericht der Enquête-Kommission festgestellt, daß die Sozialwissenschaftler es übereinstimmend für nahezu ausgeschlossen hielten, eindeutige Verursachungsketten zwischen den von den „neuen Jugendreligionen" angewandten psychischen Techniken und psychischen Störungen herzustellen, vgl. BT- Drs. 13/8170, S. 29. Hierzu und zu gleichlautenden Ergebnissen in anderen Ländern, vgl. D. Osterhagen, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren II, S. 439 ff. « BVerfGE 39, 1 (42); 88, 203 (251 ff.); 46, 160 (164); J. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 35 ff.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

rade auf dem Feld der „sogenannten Sekten und Psychogruppen"9 und ihrer vermeintlich gehirnwäscheartigen Praktiken findet daher ein Rekurs auf jene staatlichen Schutzpflichten statt. Ihre rechtlichen Konsequenzen sollen bis hin zu einem Verbot entsprechender Vereinigungen reichen 10. Eine Aufarbeitung des Themenkomplexes der staatlichen Schutzpflichten gegenüber dem einzelnen und ihrer Folgen für die in die Diskussion geratenen religiösen Assoziationen11 drohte den Rahmen dieser Arbeit zu sprengen. Im übrigen entwickelt sich auch der Trend in der wissenschaftlichen Literatur in eine andere Richtung, nämlich weg von einer Betrachtung des einzelnen „religiös Verführten" hin zu einer Debatte über politische und antidemokratische Wirkweisen dieser Religionen 12 . Die folgenden Ausführungen werden sich daher allein auf die nachstehenden Fragestellungen konzentrieren: Steht Vereinigungen wie beispielsweise der Scientology Church der verfassungsrechtliche Schutz der Religionsfreiheit zu? Und wie vermögen sich Verfassung und Staat gegen diejenigen Religionsgemeinschaften zu behaupten, denen ein verfassungs- und staatsgefährdendes Potential unterstellt wird?

I. Die Vorfindlichkeit des Religionsbegriffs: Quis interpretabitur? In diesem Abschnitt soll versucht werden, Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: Wem kommt die Macht zu, den Begriff der Religion zu definieren und damit die Schutzbereichsgrenzen des Grundrechts abzustecken? Läßt sich das, was als „Religion" unter das Grundrecht aus Art. 4 GG fällt, allein formell erfassen, oder darf das, was unter der grundrechtlichen Religionsfreiheit zu verstehen ist, auch inhaltlich festgelegt werden? Welche Rolle spielt dabei das Selbstverständnis der Grundrechtsträger? Auch der Begriff der Religion zählt zu den unbestimmten Verfassungsbegriffen. Die Verfassung definiert den Begriff nicht, sondern setzt ihn voraus. Zwecks seiner rechtlichen Handhabbarkeit verlangt er aber nach einer konkretisierenden Defini9 Allerdings hat sich anhand des Berichts der Enquête-Kommission „Sekten und Psychogruppen" (BT- Drs. 13/10950) ergeben, daß die Gefahren, die von diesen Gemeinschaften ausgehen, weit hinter den Erwartungen zurückbleiben. So auch G. Czermak, ZRP 2001, S. 565 (570); A. Klump, Extremismus, S. 187 ff.; vgl. ferner „La Scientologie en Suisse", S. 132; M. Introvigne, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren, S. 78 (84); Ε. Κ Scheuch, in: ebda., S. 281 ff.; M. Kriele, ZRP 1998, S. 349 ff.; ders., ebda., S. 231 ff.; A. v. Campenhausen, ZevKR 34 (1999), S. 105 (132); 10 J. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (127 ff.).

n Vgl. hierzu aber F. Hufen, StaWi / StaPrax 3 (1992), S. 455 (473 ff.). 12 H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 17.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

tion desjenigen Ausschnitts der Wirklichkeit, den zu schützen er bestimmt ist. Bereits auf dieser ersten Stufe setzt daher der Zwist um die Kompetenz, Religion zu definieren, ein. Hervorzuheben ist hierbei das Dilemma des Staates, der auf der einen Seite die Schutzbereichsdefinition weitestgehend offenzuhalten hat, damit eine Orientierung an der menschenrechtlichen Provenienz der Religionsfreiheit gelingt, während er auf der anderen Seite den eigenen Regelungsanspruch bedienen muß, um zu verhindern, daß der einzelne unter Berufung auf die Glaubensfreiheit einen verfassungsrechtlichen Joker zücken und nach Belieben gegen die objektive Rechtsordnung ausspielen kann. Umstritten ist insbesondere dreierlei: nämlich erstens, ob der Staat eine Definitionsmacht ausüben darf; zweitens, wie er Religion definieren darf: formell oder inhaltlich, und drittens, welchen Bindungen seine Definitionsmacht unterliegt 13. Der Staat findet den Begriff der Religion im gesellschaftlichen Leben bereits vor. Die Religionsfreiheit steht nämlich in der Tradition von Naturrecht und Aufklärung als eine dem Staat vorausliegende Freiheit. Der Staat muß aber den Gebrauch aller Freiheiten koordinieren. Daher entzieht sich die Religion in dem Umfange nicht der staatlichen Definitionsbefugnis, wie sie nicht als natürliche Freiheit betroffen wird, sondern ihre Gewährleistung als ein innerhalb des verfaßten Staates durchsetzbares subjektiv-öffentliches Recht in Rede steht14. Denn im Rechtsverkehr sind auch grundrechtliche Freiheiten rechtliche Freiheiten. Als rechtliche Freiheiten müssen sie stets inhaltlich bestimmt sein 15 . Dies verlangt die Logik des Rechts, nach der die Festlegung normativer Gehalte zu den Begriffselementen jeder Rechtsnorm zählt 16 . Doch ist hiermit nicht mehr gesagt, als daß Grundrechte und damit auch das der Religionsfreiheit einen objektiv feststellbaren Inhalt haben müssen. Gleichermaßen begründbar zeigt sich die Notwendigkeit eines staatlich-objektiven Zugriffs auf den Begriff der Religion durch die Einordnung des Staatskirchenrechts in das staatliche Verfassungsrecht. Hier ermächtigt die Unterscheidung von weltlich und religiös den Staat zu Differenzierungen 17. Ferner läßt sich als dogmatisches Argument die Schrankensystematik der Grundrechte anführen. Diese liefe 13 E.-W. Böckenförde, in: Essener Gespräche 19 (1985), S. 156 ff. 14 R. Zippelius, Art. Grundrechte, in: EvStL, Bd. 1, Sp. 1212 (1221); AT. Hesse, Grundzüge, Rn. 308: „Grundrechtliche Freiheiten sind rechtliche Freiheiten und als solche stets inhaltlich bestimmt, d. h. aber begrenzt". W. Hamel, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte I V / 1 , S. 37, 43; C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 f.; H. Wilms, in: FS Kriele, 1997, S. 431 (344); A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 105 ff.; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 41 ff. 15 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 308; G. Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, S. 124: Denn im juristischen Kontext sind an die Anwendbarkeit oder Nichtanwendbarkeit des Begriffs der Religionsausübung Rechtsfolgen geknüpft. 16 H. Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (17); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 S. 529 f.; M. Nierhaus, AöR 116 (1991), S. 72 (82 ff.); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/ 2, S. 41, 56; A. v. Campenhausen, ZevKR 25 (1980), S. 135 (167 ff.). 17 So insbesondere H. Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 175 (188 ff.); ders., Der Staat 5 (1966), S. 451 ff.; kritisch M. Heckel, ZevKR 18 (1973), S. 22 (48).

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leer, wenn die vorbehaltlose Glaubensfreiheit allein subjektiv und selbstverständnisgeleitet in ein alle menschlichen Verhaltensweisen umspannendes Muttergrundrecht mutierte 18. Die „Rechtsqualität" des Grundrechts bedeutet bisher aber nicht viel mehr als die Selbstverständlichkeit, daß auch die Religionsfreiheit genauso feststellbaren wie feststehenden inhaltlichen Mindestanforderungen genügen muß 19 . Fraglich bleibt aber, welches diese inhaltlichen Anforderungen sind, die an die Geltendmachung des Grundrechts der Religionsfreiheit gestellt werden dürfen. Eine weitestgehende Übereinstimmung in Literatur und Rechtsprechung besteht allein im folgenden: Als Verfassungsbegriff mit einem stark subjektiven Einschlag („Glauben ist das Fürwahrhalten aus einem Grunde, der zwar objektiv unzureichend (sein kann), aber subjektiv zureichend ist." 20 ) verweigert sich die Religion aber einem materiellen juristisch-definitorischen Zugriff. Es überstiege zudem schlicht die Kompetenz des Staates, aus der Fülle der parallelen Definitonsversuche in Philosophie, Theologie oder Sozialwissenschaft den einen Begriff als Maß aller Dinge herauszugreifen. Das hierzu erforderliche Wissen über Religion besitzt der Staat nicht 21 . Ebensowenig ist es den genannten Wissenschaften bisher aber gelungen, einen Begriff von Religion zu bilden, der in der Lage ist, ihre verschiedensten Ausprägungen erschöpfend zu erfassen 22. Richtigerweise muß hier eine Balance zwischen dem subjektiven Selbstverständnis der Religionen, der sie verkörpernden Religionsgemeinschaften sowie dem sie ausübenden einzelnen als inhaltlichem Orientierungskriterium und der objektiven Gemein wohl Verantwortung des souveränen Staates23 gefunden werden. Deshalb wird dem Staat überwiegend zumindest eine definitori sehe Grenzziehungskompetenz zugewiesen. In ihrem Rahmen definiert er die säkulare Hülle der Religions- und Weltanschauungsfreiheit 24 . Die materielle „Unbeschriebenheit" 25 des Religionsbegriffs versteht sich ι« K.-H. Kästner, AöR 123 (1998), S. 408 (409); J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 14; A. Hense, Glockenläuten, S. 207 f.; M. Heckel, Gleichheit und Privilegien, S. 47, 61, 65 f. u. passim; M. Morlok, Selbstverständnis, S. 409 ff. 19 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 530. 20 I. Kant, zit. nach R. Zippelius, in: BK, Art. 4 Rn. 29 (Vorauflage). 21 Als ein an den Staat gerichtetes Definitions gebot wird Art. 4 GG verstanden von A. Hense, Glockenläuten, S. 205 ff.; S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 6. 22 G. Dux, in: Internationales Jahrbuch für Religionssoziologie Bd. VIII (1973), S. 7 (35). Die verschiedenen Ausprägungen von Religion richten sich nach der jeweiligen Kultur, in der eine Religion gelebt wird, und nach dem Stand ihrer geschichtlichen Entwicklung. 23 Den Zusammenhang zwischen der Souveränität des Staates und seiner Kompetenz in religiösen Angelegenheiten beschreiben M. Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts, Bd. 1, 1988, S. 174 ff.; D. Pirson, in: HdbStKirchR I; § 1 S. 13 ff.; R. Herzog, in: Maunz/ Dürig, Art. 4 Rn. 104: „Verlagerung der Kompetenz-Kompetenz ( . . . ) , die der ( . . . ) Staat ( . . . ) gegenüber der Gesellschaft beansprucht". 24 M. Heckel, in: FS Kriele, S. 281 (286); ders., Gleichheit oder Privilegien, S. 47, 61, 65 f. u. passim; J. Müller-Volbehr, DÖV 1995, S. 301 (302 ff.); ders., in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (114); M. Heckel, in: HdbStKirchR I, § 20 S. 606: „säkulares Rahmenrecht";

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dagegen als Axiom von Pluralismus und Multikulturalität subjektiver Gewißheiten 26 . Ferner komplementiert sie die unbedingte Verpflichtungswirkung der Gebote der Offenbarungsreligionen. Die verfassungsrechtliche Definition von Religion umfaßt aus Gründen der Immanenz des Staatlichen daher allein ein ζ formelle „Draufsicht" auf den Glauben. Als rechtlicher Mantelbegriff verlangt der Verfassungsbegriff „Religion" letztlich ein einheitliches und normatives Konzept, das eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn der menschlichen Existenz beinhaltet, die Beziehung des Menschen zu höheren Mächten und tieferen Seinsschichten beleuchtet, wesentliche Lebensprinzipien und -maximen bereithält sowie letzte Fragen thematisiert 27. Mit anderen Worten beschreibt Religion eine den Menschen umgreifende transzendente Wirklichkeit, die dieser als ein seiner Disponibilität entzogenes, sein irdisches Dasein lenkendes Gegenüber für wahr nimmt. Die materielle Unbeschriebenheit des Begriffs der Religion wird von einigen Autoren aber als ein wenig befriedigendes Konzept erarchtet, um der Hypertrophie des Grundrechts zu begegnen. Denn diese weitgehende, weil ihrerseits inhaltlich notwendigerweise unbestimmte Auslegung des Begriffs der Religion verlagert naturgemäß die Problematik der Begrenzbarkeit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Religionsfreiheit durch staatlichen Zugriff auf die Ebene der Schranken. Um einer Schrankenkonstruktion die grenzenziehende Last zu nehmen, verlangen einige Teile von Lehre und Rechtsprechung daher, bereits am Tatbestand der Religionsfreiheit anzusetzen und diesen inhaltlich zu beschränken28. Um trotz der weitestgehenden Gleichstellung von Religion und Weltanschauung durch die Verfassung eine Abgrenzung vornehmen zu können, die rechtserhebliche Differenzierungen rechtfertigt 29, wird vertreten, daß ein religiöses Bekenntnis traditionell die Gottesfrage in den Mittelpunkt zu stellen habe30. Das an die Interpret s . , in: VVDStRL 59 (2000), S. 303 (306): „säkularer Mantelbegriff'; Η Wilms, in: FS Kriele, 1997, S. 341 (353). 25 Η Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 506. 26 Ähnl. Κ Schiaich, Neutralität, S. 234 f. 27 BVerwGE 89, 368 (370 ff.); 90, 112 (115); J. Listi, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, 1971, S. 362; Κ Obermayer, in: BK, Art. 140 Rn. 40 ff.; U. Κ Preuß, in: AK GG; Art. 4 Rn. 14; zu den einzelnen Ansätzen in der Lit., vgl. T. Fleischer, Der Religionsbegriff, S. 55 ff. 28 W Loschelder, in: Essener Gespräche 20 (1986), S. 149 (152 ff.); grundsätzliche Plädoyers zugunsten weiter Schutzbereiche finden sich bei R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 278 ff.; W Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 175 ff.; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 152 ff. 29 Zum Problem des Geistlichenprivilegs (§§ 11 I, 12 II WPflG), vgl. BVerwGE 61, 152 (156); A. v. Campenhausen, DVB1. 1980, S. 578 ff.; F. Kopp, NVwZ 1982, S. 178 ff.; Κ Obermayer, DVB1. 1981, S. 615 (618 f.); ferner Art. 7 III GG, der ausdrücklich nur den Religionsunterricht, nicht aber die Unterweisung in einer Weltanschauung garantiert. 30 BVerwGE 61, 152 (154 f.); G. Held, Religionsgemeinschaften, S. 112; Κ Obermayer, ZevKR 27 (1982), S. 253 (260 f.); A. v. Campenhausen, ZevKR 25 (1980), S. 135 (153 f.);

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

tation der Weimarer Reichsverfassung rückanknüpfende 31 Erfordernis einer personifizierten Gottheit führte aber dazu, daß sowohl den anerkannten ostasiatischen Weltreligionen, den auf ihnen basierenden neuen „Jugendreligionen" sowie den Naturreligionen der Schutzbereich der Glaubensfreiheit verschlossen bliebe. Ungeachtet des unzertrennlichen Schicksals von Philosophie und Religion 32 judizieren dennoch einige Gerichte im Einklang mit dieser Schutzbereichsbegrenzung, daß Scientology aufgrund ihrer fehlenden Jenseits- und Gottesbezüglichkeit keine Religion, sondern eine immanente Philosophie mit religiösen Elementen, mithin also eine Weltanschauung sei 33 . Es fragt sich jedoch, ob diese theozentrische Definition des Religionsbegriffs haltbar ist. Um die theozentrische Definition des Religionsbegriffes verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, wird zum Teil auf die Präambel verwiesen. Diese müsse, so lautet die Argumentation, ihre Bedeutung als Interpretationsmaxime auch im Rahmen des Art. 4 GG entfalten 34. In seinem Präludium bekennt sich der Verfassunggeber zu seiner Verantwortlichkeit gegenüber „Gott". Fraglich und umstritten ist aber, wie die invocatio dei durch die Präambel verfassungsrechtlich zu würdigen ist. Zum Teil wird der Präambel insgesamt eine Funktion nur als schmückendes Beiwerk der Verfassung selbst beigelegt35. Zum Teil wird betont, sie sei mehr als ein nur rhetorischer Vorspruch, sondern ein „wesentliches Element des Grundgesetzes"36. Nach herrschender Lehre jedenfalls erstreckt sich der normative Gehalt der Präambel nicht auf die Inbezugnahme Gottes. Dies zumindest nicht in dem Sinne, als daß sich aus der invocatio dei eine anti-atheistische oder pro-christliche Auslegungsmaxime für das Grundgesetz entnehmen ließe 37 . Wo nämlich (rechts)wissenschaftlich fungible Unterscheidungskriterien fehlen, weil die Vorstellungen von Immanenz und Transzendenz zunehmend ins Wanken geraten 38, muß auch ein Rückgriff auf die Präambel versagen. Die theistische Schutzbereichskonturierung verengt außerdem die Maßgeblichkeit der Frage des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaften unzulässigerweise vor allem auf dasjenige der traditionell abendländischen, also christlichen Kirchen. Sie kollidiert mit dem Menschenwürdegehalt der Glaubensfreiheit kritisch zu den Versuchen, Religion und Weltanschauung voneinander abzugrenzen, vgl. M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 31: „Klügelei". 31 W. Apelt, Geschichte der Weimarer Reichsverfassung, S. 329 ff.; G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 137 S. 633 Fn. 1. 32 R Koslowski, in: ders. (Hrsg.), Die Religiöse Dimension, S. 1. 33 VG Darmstadt NJW 1983, S. 2595 (2596 f.). 34 A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 83 ff. 35

Vgl. nur P. Lerche, in: Tomandl (Hrsg.), Einfluß des katholischen Denkens, S. 86: „Dekor, nicht einmal Programm". 3 6 P. M. Huber, in: Sachs, GG, Präambel, Rn. 8. 37 H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Präambel Rn. 4; weitergehend M. Zuleeg, in: AK GG, Präambel Rn. 14. 3 8 R. Zippelius, in: BK, Art. 4 Rn. 29; Κ Obermayer, in: BK, Art. 140 Rn. 36, 42.

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und scheitert letztlich an der unüberwindbaren Hürde, den Gottesbegriff mit rational bestimmbaren Bewußtseinsinhalten zu verfüllen 39 . Neben der Auffassung, die einen theozentrischen Religionsbegriff vertritt, lassen sich weitere Tendenzen ausmachen, die auf die eine oder andere Weise ebenfalls zu einer inhaltlichen Beschränkung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit kommen. Zu nennen ist zunächst diejenige Auffassung, die den Inhalt der Religionsfreiheit an ihre historischen und damit vorwiegend christlichen Wurzeln rückzubinden vorschlägt. Sie führt jedoch nicht weiter, da das Freiheitsrecht der Religionsfreiheit ursprünglich als Freiheit zur Distanzierung oder zum Abfall von den herrschenden Konfessionen und damit als Minderheitenschutz verstanden worden war 40 . Außerdem gerät sie in eine Konfliktlage mit dem Menschenwürdegehalt der Glaubensfreiheit, da sie die Religionsfreiheit über die Gebühr auf die klassisch abendländischen Religionen beschränkte. Gleiches gilt für die Verengung des Religionsbegriffs auf Lehren, die sich „bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der Geschichte herausgebildet" 41 haben. Die „Kulturvölker-Formel" widerspricht ebenfalls der Offenheit des Grundgesetzes gegenüber dem Pluralismus der religiösen Anschauungen und ist vom Bundesverfassungsgericht selbst, das hier üblicherweise als Referenzquelle angegeben wird, nicht aufrechterhalten worden 42 . Ein ähnlich neutralitätswidriges Ergebnis erzielt auch die Forderung, bestimmte Lehren aus dem Anwendungsbereich des Art. 4 GG auszugrenzen. Betroffen sind hiervon solche Religionen, denen ein theoretischer Unterbau, der in seiner Komplexität demjenigen der traditionellen abendländischen Religionen vergleichbar wäre, fehlt 43 . In einem weitaus ausgrenzenderen Sinne operiert Christian Hillgruber mit der Kulturadäquanzformel, wenn er fragt, ob dem Verfassungsrecht, insbesondere der Religionsfreiheit, ein verdeckter „Kulturvorbehalt zugrunde liegt und letztlich eben doch nur das Christentum den Verfassungsstaat westlicher Prägung als Ergebnis einer jahrhundertelangen abendländischen Kulturentwicklung zu tragen vermag", der Islam folglich von der Religionsfreiheit des Grundgesetzes ausgeschlossen sei 44 . 39 K. Obermayer, in: BK, Art. 140 Rn. 74 m. w. N. 40 M Heckel, in: FS Kriele, 1997, S. 281 (296); H Kelsen, Demokratie, S. 12: „So fungieren die Grundrechte der Demokratie als Minoritätsschutz und sichern die Gleichberechtigung auch demjenigen, der nicht die politische, religiöse oder nationale Überzeugung der Mehrheit teilt". 41 BVerfGE 12, 1 (4); in eine ganz ähnliche Richtung zielt die Einschränkung der Glaubensfreiheit durch die „nationale Identität" als Verfassungsgut. Kaiser, in: Essener Gespräche 20 (1986), S. 188. 42 BVerfGE 41, 29 (50), B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 511; P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 41 ff. 43 BVerwGE 89, 368 (371); C. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein /Starck, GG, Art. 4 Rn. 10. 44 C. Hillgruber, JZ 1999, S. 538 (540, 547).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Im Ergebnis geraten die Versuche, den Begriff der Religion über die Mindestanforderung der Transzendenz hinaus durch weitere inhaltliche Elemente zu verengen, in eine Konfliktlage zum Menschenwürdegehalt der Religionsfreiheit selbst, wie auch in eine Konfliktlage zur Verpflichtung des Staates, in Religionsdingen Neutralität zu bewahren 45. Um zu einem auch inhaltlich bestimmbaren Begriff der Religion zu gelangen, bleibt allein der Verweis auf die komplementierende subjektive Eigen Wahrnehmung der Religionsgemeinschaften. Ihr Selbstverständnis holt an der Schnittstelle von der formell zur materiell bestimmten Religionsfreiheit die soziale Wirklichkeit in den Schutzbereich des Grundrechts. An diesem Punkt stellt das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften damit sowohl seine lückenfüllende als auch seine integrative Berechtigung unter Beweis. Die plurale Dynamik einer religiösen Gesellschaft bedarf nämlich einer entsprechend offenen, im Dialog zu entwickelnden Begriffsbildung 46. In diese Richtung ist es auch zu verstehen, daß das Bundesverfassungsgericht, welches als staatliche Instanz berufen ist, die Verfassung authentisch zu interpretieren, bislang eine Definition dessen, was das Grundgesetz unter einer Religion inhaltlich-normativ verstanden wissen will, schuldig geblieben ist. Der Rahmenbegriff der Religion verweist notwendig auf die religiösen Gehalte der Religionsgesellschaften. Die Pilatusfrage 41 : „Was ist Religion?" aufwerfend, überläßt der Staat deren Beantwortung also ein Stück weit den Religionsgesellschaften selbst.

I I . Die religiöse Assoziationsfreiheit Da in dieser Arbeit die Religionsgemeinschaften im Vordergrund stehen, sollen in den nächsten Abschnitten die verschiedenen Aspekte der religiösen Assoziationsfreiheit behandelt werden. Zunächst ist dabei auf die religiöse Assoziationsfreiheit selbst einzugehen. Was wird unter der religiösen Vereinigungsfreiheit verstan45

Η. M. Heinig, Religionsgesellschaften, S. 36 ff. 46 M. Heckel, ZevKR 44, S. 340 (356 ff.); ders., in: FS BVerfG II, S. 379 (401 f.); P. Häberle, JZ 1975, S. 297; ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 121, 124, der von „Selbstinterpretation" spricht. Auch ders., in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 452 (457): Das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften und dasjenige freiheitlicher Gemeinwesen sind für das Verhältnis zueinander wechselseitig relevant. W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 95 f.; G. Robbers, in: VVDStRL 59 (2000), S. 231 (236); weitergehend M. Morlok, Selbstverständnis, S. 395 ff. u. passim; P. Häberle, JZ 1975, S. 297 ff.; A. Bleckmann, Staatsrecht II, § 8 Rn. 17: „Parallelwertung in der Laiensphäre"; A. Arndt, NJW 1966, S. 25 (28); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 4 Rn. 105, 159 ff.; J. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte, S. 31 ff., 38 ff. (35): „Was der Staat nicht definieren kann, das kann er auch nicht schützen". Ders., in: FS Winkler, S. 367 ff.; K.-H. Kästner, JZ 1998, S. 974 ff.; S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 4. 47 Joh. 18, 38: „Pilatus sagte zu ihm: ,Was ist Wahrheit?4 "

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den, und wo wird sie im Grundgesetz verbürgt? Diese beiden Fragen sollen im folgenden Abschnitt näher beleuchtet werden. Der Begriff der religiösen Vereinigungsfreiheit umschreibt zunächst das Recht der einzelnen, sich zum Zwecke der gemeinsamen Betätigung und Pflege eines religiösen Glaubens zu religiösen Vereinen und Religionsgemeinschaften zusammenzuschließen und in ihnen zu verbleiben 48. Von der Freiheit des einzelnen zum organisatorischen Zusammenschluß ist die Freiheit des organisatorischen Zusammenschlusses selbst zu unterscheiden. Wie beide Freiheiten miteinander zusammenhängen, wird weiter unten aufgezeigt werden. Zur Frage, an welcher Stelle des Grundgesetzes die religiöse Vereinigungsfreiheit verbürgt wird, werden in Literatur und Rechtsprechung zwei unterschiedliche Meinungen vertreten. Zwar wird die Freiheit der Gründung von Religionsgemeinschaften nahezu übereinstimmend in den Art. 4 GG und/oder 140 GG i.V.m. 137 II, IV WRV angesiedelt49. Allein das Verhältnis von grundrechtlicher und damit im Kern individueller Freiheitsverbürgung zu der im Zusammenhang mit den institutionellen Kirchenartikeln stehenden Freiheit des Art. 137 II, IV WRV ist umstritten 50. Das grundsätzliche Verhältnis von Art. 4 GG zu den kirchenrechtlichen Gewährleistungen der Weimarer Reichsverfassung, das auch bei der Frage nach der Verortung der religiösen Assoziationsfreiheit zum Tragen kommt, wird im wesentlichen von zwei Meinungen dominiert. Als kleinster gemeinsamer Nenner beider Auffassungen läßt sich die gegenseitige Befruchtung der grundrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Normen ausmachen. Art. 4 GG, so die übereinstimmende Auffassung, stehe mit den Garantien der Weimarer Verfassung in einem Verhältnis gegenseitiger Ergänzung und Wechselwirkung. Ohne daß hier ein Verdrängungseffekt einsetze, stelle die grundrechtliche Religionsfreiheit dasjenige Element dar, welches alle weiteren Regelungen gleichermaßen durchziehe 51. Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fügen sich beide Teile des Religionsverfassungsrechts 52 zu einem „organischen Ganzen" zusammen. Als vollgültiges Verfassungsrecht seien die Weimarer Kirchenartikel mit der Religionsfreiheit grundsätzlich in einem Atemzug zu nennen, insbesondere aber dann, wenn es um die Auslegung der institutionellen Seite des Religionsverfassungsrechts gehe53. 48

S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 40. 49 Zu Art. 9 I GG siehe unten § 3 Β. I. 50

R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 4, 24 ff.; A. v. Campenhausen, in: HdbStKR I, § 2 S. 53.

si Τ Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 Rn. 9. 52 Die Begriffe des Staatskirchenrechts und des Religionsverfassungsrechts werden im folgenden als Synonyme verwendet. Zum Literaturstreit um den adäquateren Begriff zur Bezeichnung der Materie, vgl. G. Czermak, NVwZ 1999, S. 743 f.; C. Görisch, NVwZ 2001, S. 885 (887 f.); A. Hense, in: Religion und Weltanschauung, S. 9 (11 ff.).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Die beiden unterschiedlichen Ansatzpunkte differieren daher zunächst darin, daß sie ihr Augenmerk entweder mehr auf Art. 4 GG als „Magna Charta" 54 des Staatskirchenrechts legen oder die eigenständige Bedeutung der institutionellen Gewährleistungen betonen. Auf der einen Seite wird also die grundrechtlich geschützte Religionsfreiheit als umfassende Garantie allem staatskirchenrechtlichen Argumentieren zugrunde gelegt 55 . Dies geschieht vor dem Hintergrund, daß, so die Voraussetzung und die Konsequenz der ersten Auffassung, in dem Grundrecht bereits alle Einzelgewährleistungen angelegt seien. Auf der anderen Seite wird das sogenannte „effet utile"-Prinzip der Verfassungsnormen fruchtbar gemacht56. Auch wenn Reichweite und Begründungen der zweiten Auffassung im einzelnen voneinander abweichen, führt der Grundsatz, daß jede Verfassungsnorm soweit als möglich zur Geltung gebracht werden müsse, dazu, daß den institutionellen Einzelgewährleistungen eine über Art. 4 GG hinausgehende Rolle beigemessen wird 5 7 . Welche Schlußfolgerungen ziehen die Vertreter der beiden Auffassungen aus ihren unterschiedlichen Ansätzen? Dem ersten Ansatz entsprechend wird die Garantie religiöser Assoziationsfreiheit umfassend dem Schutzbereich des Art. 4 GG zugewiesen. Angesichts der Zuordnung der religiösen Assoziationsfreiheit zur individuellen Glaubensfreiheit 58 besticht dieses Vorgehen. Da Gründung und Bestand einer Religionsgemeinschaft zusammen zu lesen sind 59 , fällt letzterer ebenfalls unter Art. 4 GG. Der deckungs-

53 BVerfGE 19, 206 (219); 84, 341 (354); K. Hesse, ZevKR 3 (1953/54), S. 188 (198); J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 38; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 41; B. Jean d'Heur, JuS 1992, S. 830 (833); P. Mikat, in: HdbVerfR II, § 29 Rn. 3; U. Scheuner, in: HdbStKirchR I (Vorauflage), § 1 S. 52 f., 79 f. 54 H Simon, ZevKR 42 (1997), S. 155 (165): „Religionsfreiheit als Fundament und zentrales Kriterium des Staatskirchenrechts". Auch E. Stein, in: FS Röbbelen, S. 237 (239); A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 108: „Schlechterdings fundamental ist die Gewährleistung des Grundrechts der Religionsfreiheit"; A. v. Campenhausen, in: HdbStKirchR I, § 2 S. 58. 55 BverfGE 19, 206 (216 ff.); 24, 236 (246); 42, 312 (322); 53, 366 (401); K. Schiaich, in: Grimm /Papier (Hrsg.), Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, S. 704 (713); kritisch U. Scheuner, DÖV 1967, S. 585 (587). 56 A. Bleckmann, DÖV 1983, S. 808. Daß Verfassungsbestimmungen möglichst so auszulegen sind, daß sie zu eigenständiger Geltung gebracht werden, ist std. Rspr., vgl. BVerfGE 1, 14 (32); 49, 24 (56). 57 A. v. Campenhausen, in: HdbStKR I, § 2 S. 54; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 164 f. 58 BVerfGE 19, 206 (215); 83, 341 (354 f.); A. v. Campenhausen, in: HStR V I § 136 Rn. 74 f.; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 81; J. Jurina, in: HdbStKR I; § 23 S. 699 f.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 517. 59 C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 46; so auch für die Vereinigungsfreiheit, vgl. BVerfGE 3, 383 (391 f.); 6, 273 (277); 13, 174 (175). 9 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

gleiche Regelungsgehalt des Art. 137 II WRV dagegen reduziert sich folglich auf eine deklaratorische Funktion 60 . Auf der anderen Seite wird aus dem effet utile-Prinzip dagegen gefolgert, daß Art. 137 II WRV eine rechtsverbindliche Konkretisierung der allgemeinen Glaubensfreiheit darstelle. Mit ihrem eigenständigen Regelungsgehalt stehe die institutionelle Norm des Staatskirchenrechts als lex specialis im Vordergrund 61. Hierfür spricht insbesondere der Textbefund der Verfassung. Denn Art. 4 GG enthält keine ausdrückliche Garantie der religiösen Vereinigungsfreiheit. Ferner ist auch auf die Differenz zwischen der Religionsfreiheit als eines individuellen Abwehrrechts gegen den Staat und den hiervon verschiedenen verbandsrechtlichen Garantien der Kirchenartikel hinzuweisen. Auf der anderen Seite verbirgt sich hinter dem Hinweis auf die fehlende textliche Garantie der religiösen Vereinigungsfreiheit in Art. 4 GG ein nur formales Argument. Auch die Geltendmachung der Nähe zwischen der religiösen Assoziationsfreiheit selbst und den verbandsrechtlichen Garantien der Weimarer Kirchenartikel zwingt nicht, wenn man in Betracht zieht, daß das Recht, sich zu einer Vereinigung zusammenzuschließen, ein individuelles Freiheitsrecht ist. Die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes streitet dagegen eher für die Verortung der religiösen Assoziationsfreiheit in dem Grundrecht der Religionsfreiheit selbst62. Zwar erhielt der spätere Artikel 4 des Grundgesetzes in seiner ersten Lesung im Hauptausschuß den Zusatz, daß das Recht, sich zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu vereinigen, anerkannt werde. Diese Episode spielte allerdings, bevor die Inkorporierung der Weimarer Kirchenrechtsartikel in das Grundgesetz beschlossen wurde. Die religiöse Vereinigungsfreiheit zu erwähnen, erschien damals notwendig, um klarzustellen, daß die bundesrepublikanische Gewährleistung religiöser Freiheiten nicht hinter den Umfang, welchen die Glaubensfreiheit nach jahrhundertelanger geschichtlicher Entwicklung in der Weimarer Reichsverfassung gefunden hatte, zurückfallen wolle. Als die Inkorporation der Weimarer Kirchenrechtsartikel in das Grundgesetz dann feststand, wurde der Zusatz über die Vereinigungsfreiheit aus Art. 4 I GG gestrichen 63. Seine Herausnahme aus dem Grundrecht läßt sich deshalb weniger als dogmatische denn als 60

A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/v. Campenhausen, GG, Art. 137 WRV Rn. 17; E. Fischer, Trennung von Staat und Kirche, S. 214; K.-H. Kästner, AöR 123 (1998), S. 408 (418 ff.); J. Listi, Religionsfreiheit, S. 355 ff., 368 ff., 423 ff.; ders., in: Essener Gespräche 3 (1967), S. 34 (83); J. Lücke, EuGRZ 1995, S. 651 (652); T. Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 140/137 Rn. 7; J. Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), S. 385 (400); K. Obermayer, in: BK, Art. 140 Rn. 71; K -Ε. Schlief, Staat und Kirche, S. 166, 219. 61

K. D. Bayer, Religions- und Gewissensfreiheit, S. 73; D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG /137 WRV Rn. 3; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 380; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 164; U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 20; Art. 140 Rn. 44. 62 A.A. B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 81; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 164. 63 JöR N.F. 1 (1951), S. 73 (78 f.); Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, 57. Sitzung vom 5. 5. 1949, S. 745.

Α. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

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kosmetische Operation begründen. Man wollte schlicht die (überflüssige) Doppelgewährleistung der religiösen Assoziationsfreiheit vermeiden 64. In ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts werden die Art. 4 GG und Art. 137 II WRV denn auch als einander überlagernde Freiheiten erwähnt. Art. 4 GG, so das Bundesverfassungsgericht, beziehe sich für die Gewährleistung der religiösen Vereinigungsfreiheit auf Art. 140 GG /137 II WRV und umfasse sie in deren normativen Gehalt mit 6 5 . Im Ergebnis sprechen also die besseren Gründe dafür, die religiöse Assoziationsfreiheit im Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG selbst zu verorten. Materiellrechtliche oder prozessuale Auswirkungen produzieren die unterschiedlichen Zuweisungen indes nicht, da beide Normen, sowohl Art. 4 GG als auch Art. 137 II WRV, vorbehaltlos gewährleistet werden.

I I I . Religionsgemeinschaften als Trägerinnen des Grundrechts aus Art. 4 G G In diesem Abschnitt steht die Frage zur Beantwortung an, ob die Religionsgemeinschaften selbst sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen können. Während im vorherigen Abschnitt im Vordergrund stand, an welcher Stelle das Grundgesetz die Freiheit der einzelnen, Religionsgemeinschaften zur organisierten Durchsetzung der Religionsfreiheit zu bilden, schützt, soll nun thematisiert werden, wo die Verfassung die organisierte kollektive Grundrechtsausübung durch die Religionsgemeinschaft selbst garantiert. Dafür ist zu klären, was unter einer Religionsgemeinschaft üblicherweise verstanden wird, ob Religionsgemeinschaften als solche grundrechtsfähig sind und wie ihre Grundrechtsfähigkeit verfassungsrechtlich begründet wird. Es fragt sich zunächst, wie der Begriff der Religionsgemeinschaft in Rechtsprechung und Literatur definiert wird. Eine Religionsgemeinschaft wird in Rechtsprechung und Literatur als ein freiwilliger Zusammenschluß mehrerer Personen definiert, der den Zweck der umfassenden gemeinschaftlichen Pflege und Bezeugung eines gemeinsam geglaubten Glaubens verfolgt. Eine Religionsgemeinschaft kann auch aus einem Zusammenschluß mehrerer juristischer Personen hervorgehen, sofern deren Mitglieder wiederum natürliche Personen sind und ein personales Substrat hinter dem Dachverband erkennen lassen66. Als Ziel muß sich der Zusammenschluß die allseitige Er64 C. Pageis, Aspekte der Religionsfreiheit, S. 58; R. Smend, ZevKR 1 (1951), S. 4 (11): „Verlegenheitsergebnis verfassungsgebender Parlamentsarbeit". 65 BVerfGE 83, 341 (355). 66 H. Weber, ZevKR 34 (1989), S. 337 (347); Β. Pieroth/C. Görisch, JuS 2002, S. 937 (940 f.); F. Fechner, NVwZ 1999, S. 734 (736); Eiselt, DÖV 1981, S. 205 (206). Ferner die *

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

füllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben gesetzt haben 67 . Über das Merkmal der umfassenden Pflege des religiösen Bekenntnisses (Universalität von Religionsgemeinschaften) werden Religionsgemeinschaften von den religiösen Vereinigungen abgegrenzt. Letztere zeichnen sich hinsichtlich der Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder durch eine nur partielle Zielsetzung aus. Religiöse Vereinigungen widmen sich nicht den umfassenden Aufgaben, die sich aus dem Anspruch der Religionsgemeinschaften, alle wesentlichen Fragen des menschlichen Daseins abzudecken, ergeben. Sie beschränken sich vielmehr darauf, einzelne Aufgaben, die aus einem religiösen Bekenntnis erwachsen, zu erfüllen. Aus dem kirchlichen Bereich bekannt sind die Organisationen der Caritas, aber auch die Trägerschaft von Kindergärten und Krankenhäusern 68. Der Zusammenschluß zu einer Religionsgemeinschaft muß ferner organisatorischen Minimalbedingungen genügen. Diese Minimalbedingungen orientieren sich nach allgemeiner Meinung nicht an den strengeren zivilrechtlichen Voraussetzungen des bürgerlichen Vereinsrechts, sondern am verfassungsrechtlichen Vereinigungsbegriff des Art. 9 II GG. Insbesondere der Umfang der organisierten Willensbildung als Tatbestandsvoraussetzung einer Vereinigung wird dabei auf minimale Anforderungen reduziert. In Abgrenzung zum Augenblicksverband der Versammlung ist hier lediglich das Erfordernis einer organisatorischen Stabilität gemeint. Um eine organisatorische Stabilität anzunehmen, reicht es aus, daß die Vereinigung zumindest einige ihrer Mitglieder namentlich benennen kann, die Mitglieder sich als solche erkennen und der Verband zumindest das Ziel einer Gesamtwillensbildung hat. Ein geregeltes Entscheidungsverfahren ist hierfür ebensowenig notwendig wie eine Vereinssatzung, Vereinsorgane, oder daß regelmäßige Versammlungen stattfinden, auf denen Beschlüsse gefaßt werden 69. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es auch für den öffentlich-rechtlichen Vereinsbegriff erforderlich, daß sich mindestens drei Personen auf Dauer zusammenschließen70. Diese Anforderungen werden für Religionsgemeinschaften in der Literatur aber weiter entschärft. Die Existenz einer Religionsgemeinschaft wird grundsätzlich auch für den Fall bejaht, daß sich zwei Personen zur gemeinschaftlichen Religionsausübung ähnlich gelagerte Regelung des Art. 137 V 3 WRV, nach der ein Verband, zu dem sich mehrere öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zusammengeschlossen haben, eine öffentlich-rechtliche Körperschaft bleibt. Auch ein Dachverband wie die IGMG kann deshalb eine Religionsgemeinschaft sein. OVG Berlin NVwZ 1999, S. 786 (787); VG Düsseldorf NWVB1. 2001, S. 110 (113). Vgl. aber auch - allerdings im Hinblick auf Art. 137 V WRV - S. Muckel, DÖV 1995, S. 311 (312). 67 Λ. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 42; J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 691 ff.; W Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 33 ff.; BVerwG DÖV 1972, S. 288; BVerwG NVwZ 1996, S. 61 f. 68 Näher S. Muckel, in: HdbStKirchR I, § 29, S. 827 f. 69 W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 8, 15; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, Art. 9 Rn. 32; /. v. Münch, in: BK, Art. 9 Rn. 34; A. Rinken, AK GG, Art. 9 Abs. 1 Rn. 49; B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 3017; VGH München NVwZ 1995, S. 502 (503). 70 BGHSt 31, 204 (205).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

zusammengeschlossen haben71. Die Organisationsstruktur darf sich insgesamt an dem Glaubensbekenntnis der Gemeinschaft orientieren 72. Strukturen, die dem christlich-hierarchischen Kirchenaufbau vergleichbar sind, werden nicht gefordert, damit nicht durch die Hintertür der organisatorischen Anforderungen das christliche Glaubensbekenntnis einseitigt bevorzugt wird. Auch auf die Rechtsform der Gemeinschaft kommt es im Ergebnis nicht an 73 . Religionsgemeinschaften, die nicht den Status als Körperschaften des öffentlichen Rechts erhalten haben, sind aber üblicherweise als eingetragene Vereine (§21 BGB) oder als nichtrechtsfähige Vereine im Sinne von § 54 BGB organisiert 74. Religionsgemeinschaften sind als Trägerinnen des Grundrechts aus Art. 4 GG grundrechtsfähig. Sie können sich als Korporationen auf den Schutz der Religionsfreiheit berufen. In diesem Zusammenhang von der kollektiven Religionsfreiheit zu sprechen, ist allerdings zumindest unspezifisch. Da hier zwischen einer Personenmehrheit vom Typus einer Versammlung und einer Personenmehrheit vom Typus einer Organisation unterschieden werden muß, scheint der Begriff der korporativen Religionsfreiheit präziser 75. Als terminus technicus impliziert er bereits eine organisatorische Verfestigung des Kollektivs. Zur Herleitung der korporativen (kollektiven) Religionsfreiheit werden im wesentlichen zwei Ansätze vertreten. Beide stehen unvermittelt nebeneinander. Eine in Literatur und Rechtsprechung verbreitete Ansicht geht den konstitutiven Weg über die Norm des Art. 19 III GG. Sowohl die Existenz dieses speziellen Artikels als auch die individuelle Schutzfunktion der Grundrechte ließen, so diese Ansicht, eine unmittelbare Berufung der Religionsgemeinschaften auf Art. 4 GG nicht zu 76 . Die Konsequenz, die in der Konstruktion der Grundrechtsfähigkeit über den Pfad des Art. 19 III GG liegt, besteht darin, daß jeweils zu prüfen ist, inwieweit das Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 GG von einer Religionsgemeinschaft geltend gemacht werden kann. Art. 19 III GG bestimmt nämlich, daß die Grundrechte für inländische juristische Personen nur soweit gelten, wie sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind 77 . Andere Teile des Schrifttums sowie der Jurisdiktion vertreten dagegen die Theorie des Doppelgrundrechts 78. Und bereits an dieser Stelle deutet sich an, dass die 71 7. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 690; J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 40 (42). 72 BVerfG 83, 341 (358). 73 BGH NJW 2000, S. 1555 (1556). 74 J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23, S. 707 f.; B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 2947. 75 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 56; P. Mikat, in: HdbVerfR II, § 29 Rn. 13, 7. 76 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 34 f.; V. Neumann, in: FS Jean d'Heur, S. 247 (251 ff.); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 517. 77 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 19 Abs. III Rn. 5 ff. 78 J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 33, 38 ff.; J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 461; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 76; C. Pageis, Aspekte der Religionsfreiheit, S. 64 f.;

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Religionsfreiheit nicht nur ein Grundrecht ist, das gemeinschaftlich ausgeübt werden kann, sondern ein Grundrecht, dessen kollektive Aspekte so stark ausgeprägt sind, daß es auch ohne das Vehikel des Art. 19 III GG bemühen zu müssen, einer „Gruppe" zusteht79. Sowohl der einzelne als auch die Korporation, so diese Ansicht, könne sich unmittelbar auf die Freiheitsgarantien des Religionsgrundrechts berufen. Art. 19 III GG sei insoweit nur von klarstellender Bedeutung80. Als textlicher Anknüpfungspunkt für diese Auffassung wird Art. 4 II GG, die Religionsausübungsfreiheit, aufgeboten. In der Tat streitet der entstehungsgeschichtliche Ursprung der Religionsausübungsfreiheit des Art. 4 II GG aus dem korporativ geprägten exercitium religionis publicum zumindest bei Annahme eines einheitlichen Grundrechts der Religionsfreiheit für die Möglichkeit einer unmittelbaren Berufung der Religionsgemeinschaften auf die durch Art. 4 GG gewährleisteten Freiheiten 81. Die von der Gegenmeinung geltend gemachte Unterscheidung zwischen der Glaubensfreiheit als (rein geistiger) Denkfreiheit und der Glaubensfreiheit als Handlungsfreiheit, von denen allein letztere den Religionsgemeinschaften zustehen könne, da erstere ihrem Wesen nach nicht auf ein Kollektiv anwendbar sei 82 , verfängt dagegen nicht als Argument, um die Theorie des Doppelgrundrechts abzulehnen. Die Möglichkeit, auch ohne einen Rückgriff auf Art. 19 III GG auf diese Weise im einheitlichen Schutzbereich der Religionsfreiheit zu differenzieren, macht es weder erforderlich noch plausibel, die Religionsfreiheit den Religionsgemeinschaften als juristischen Personen nur insoweit mittelbar zuzubilligen, als jene ihrem Wesen nach auf diese anwendbar ist. Die Auffassung vom Vorrang des Art. 19 III GG aufgrund seiner Spezialität relativiert im übrigen das, worauf Religion drängt: nämlich die Betätigung dessen, was aus tiefster Überzeugung als absolut verpflichtend angenommen wird. Eine erhöhte Verbindlichkeit für die praktische Lebensgestaltung entfaltet eine religiöse Überzeugung deshalb, weil sie für den einE. Stein, in: FS Röbbelen, S. 237 (241); BVerfGE 24, 236 (245 f.), wohl auch U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 11; Α ν. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 62. Vgl. aber auch C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 41, 68, der die Grundrechtsträgerschaft von Religionsgemeinschaften wohl aus dem Zusammanhang von Art. 9 I GG mit Art. 4 I, II GG ableitet. Die Rechtsprechung des BVerfG ist insoweit etwas uneinheitlich. Vgl. auf der einen Seite BVerfGE 53, 366 (386); 70, 138 (160). Die überwiegende Zahl der Urteile geht jedoch von einem Doppelgrundrecht aus, vgl. BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (245 f.); 42, 312 (321 f.); 46, 73 (83); 83, 341 (353). 79 S. Rademacher, in: Bertschi (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, 1999, S. 1 (7 ff.). so BVerfGE 19, 129 (132); 42, 312 (321 f.); 46, 73 (83); Η Bethge, Die Grundrechtsberechtigung, S. 40 f. 81 BVerfGE 19, 129 (132); 24, 236 (245 f.); 30, 112 (120); 42, 312 (323); 70, 138 (160 f.); J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 441, 461. 82 So insb. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 35, 77: Religionsgemeinschaften stehe allein das Grundrecht der Bekenntnisfreiheit zu. C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 4 Rn. 67; A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 78; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 169; U. Steiner, JuS 1982, S. 157 (159); a.A. K. D. Bayer, Religions- und Gewissensfreiheit, S. 28 f.; /. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 10.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

zelnen elementare Fragen nach Herkunft und Ziel seines Daseins, mithin dem Sinn seines Lebens beantwortet 83. Die Verbindlichkeit einer und die Sinnstiftung durch eine Religion werden aber durch den Organisationseffekt verstärkt, wenn nicht erst ermöglicht 84. Mag die Religionsgemeinschaft als juristische Person auch kein eigenes Gewissen und keinen eigenen Glauben haben, so ist sie aber doch deren organisatorische Trägerin. Für die gemeinschaftliche Religionsausübung jedenfalls ist sie unentbehrlich 85. Dabei ist unter der juristischen Person nicht der stark formalisierte technische Begriff des Zivilrechts zu verstehen, sondern der des Art. 19 III GG. Im Rahmen dieses Artikels fungiert die Bezeichnung „juristische Person" als eine gewollt „ungenaue Sammelbezeichnung"86 für den großen Kreis grundrechtsfähiger Organisationen, der für den Verfassunggeber nicht genau abzustecken war. Unter Art. 19 III GG fallen daher neben den vollrechtsfähigen juristischen Personen des Privatrechts wie zum Beispiel den eingetragenen Vereinen auch die teilrechtsfähigen juristischen Personen wie die nicht eingetragenen Vereine nach § 54 BGB. Daneben wird die Grundrechtsfähigkeit aller anderen Organisationen bejaht, soweit sie zu einer eigenständigen Willensbildung und zu eigenständigem Handeln in der Lage sind, also als organisierte Einheiten auftreten 87. In der Regel erfüllen Religionsgemeinschaften die Voraussetzungen der Grundrechtsfähigkeit nach Art. 19 III GG. Obwohl sie also unter das Tatbestandsmerkmal „juristische Person" der Verfassungsnorm subsumiert werden können, braucht der Umweg über Art. 19 III GG im Falle der Religionsgemeinschaften aber dennoch nicht gegangen zu werden, um ihre Trägerschaft des Grundrechts der Religionsfreiheit zu konstruieren: Sowohl die besondere Nähe der Religionsgemeinschaften zu diesem Grundrecht als auch die korporativen Wurzeln des in Art. 4 II GG garantierten exercitium religionis publicum ma83

S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 10; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 506; A. hak, Das Selbstverständnis, S. 187; S. Veelken, Das Verbot, S. 29; Ρ Badura, Der Schutz von Religion, S. 40. 84 Das BVerwG ist in einer ähnlich gelagerten Frage der Ansicht, daß eine Religionsgemeinschaft, um als solche überhaupt gelten zu können, gerade in der Lage sein müsse, ihre Mitglieder zwingenden Vorschriften zu unterwerfen, vgl. BVerwG NVwZ 1996, S. 61 (62). ss W. Rüfner, in: HStR V, § 116 Rn. 40; ders., AöR 89 (1964), S. 261 (289 ff.); J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 444: „wesensmäßiger innerer Zusammenhang" zwischen der individuellen und der korporativen Religionsfreiheit; M. Heckel, ZevKR 44 (1999), S. 340: Zwischen der korporativen und der individuellen Religionsfreiheit besteht ein innerer Zusammenhang, der in der Rechtsprechungspraxis oft zu kurz kommt. Vgl. aber auch BVerfGE 53, 366 (401). Besonders plastisch kommt diese Verbindung zum Ausdruck in Art. 27 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966. Dort wird ausgeführt, daß in „Staaten mit ( . . . ) religiösen Minderheiten ( . . . ) Mitgliedern solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden (darf), im Zusammenwirken mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe ( . . . ) ihre Religion zu bekennen und auszuüben ( . . . )". 8 6 W. Rupp-v. Brünneck, in: FS Arndt, S. 349 (361); BVerfGE 68, 193 (212): Die Rechtsform hat nur indizielle Bedeutung. S7 BVerfGE 6, 273 (277); 10, 89 (99); H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 19 Rn. 14; H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 60; K.-H. Ladeur, in: AK GG, 2. Aufl., Art. 19 Abs. 3 Rn. 24 ff.; H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 19 Abs. 3 Rn. 27.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

chen dies überflüssig. Die besondere Nähe der Religionsgemeinschaften zum Grundrecht der Religionsfreiheit, die dessen unmittelbare Anwendbarkeit auf sie rechtfertigt, komme ferner, so wird unterstützend geltend gemacht, darin zum Ausdruck, daß Art. 137 III WRV klarstelle, daß die Religionsgemeinschaften auch als Organisationen einen besonderen Schutz genössen88. Das Bundesverfassungsgericht differenziert deshalb richtigerweise nicht zwischen den einzelnen Freiheiten des Art. 4 GG. Vielmehr geht es ihm bei der Frage, ob sich eine Religionsgemeinschaft als juristische Person auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen kann, darum, ob die Gemeinschaft den Zweck verfolgt, das religiöse Bekenntnis ihrer Mitglieder zu pflegen und zu fördern oder den Glauben ihrer Mitglieder zu verkünden 89. Den Umweg über Art. 19 III GG schlägt es daher nicht ein. Vielmehr betont es, daß es geradezu die Funktion des Art. 4 II GG sei, das religiöse „Daseins- und Betätigungsrecht" der Religionsgemeinschaften selbst zu schützen90. Warum kann aber Art. 4 II GG als textlicher und dogmatischer Anhaltspunkt für die Konstruktion eines Doppelgrundrechts der Religionsfreiheit herangezogen werden? Gegen diese Vorgehensweise könnte nämlich sprechen, daß Art. 4 II GG sich ausdrücklich nur auf die Religionsausübungsfreiheit bezieht und allein für diesen Fall die religiösen Kollektive zu unmittelbaren Grundrechtsträgern erklärt - die korporativen Wurzeln der exercitium religionis publicum immer mitgedacht. Mit der Annahme eines einheitlichen Grundrechts der Religionsfreiheit, wie sie hier vertreten wird, wird die Religionsausübungsfreiheit und damit auch der korporative Gehalt des Grundrechts aber in dessen umfassenden Gewährleistungsgehalt hineingesogen. Gegen die Annahme eines einheitlichen Grundrechts der Religionsfreiheit wird dagegen formaliter eingewandt, mit dieser Konstruktion werde negiert, daß durch den Verfassungstext eben kein einheitliches Grundrecht konzipiert worden sei, sondern die Religionsausübungsfreiheit gesondert erwähnt würde. Diese Erwähnung müsse ernstgenommen und mit einem eigenständigen Rechtsgehalt gefüllt werden. Bei der Annahme eines Doppelgrundrechts der einheitlich gefaßten Religionsfreiheit besteht die eigenständige Funktion des Art. 4 I I GG dann freilich darin, klarzustellen, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit auf Personengemeinschaften unmittelbar anwendbar ist. Im Ergebnis sind Religionsgemeinschaften als solche Trägerinnen des Grundrechts der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG. Entweder mittelbar über die Transpositionsnorm des Art. 19 III GG oder - wie dies hier vertreten wird - unmittelbar aus dem Grundrecht selbst heraus.

88 M. Morlok in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 76. 89 BVerfGE 19, 129(132). 90 BVerfGE 24, 236 (345 f.); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV/140 GG Rn. 43.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

IV. Der Begriff der Religionsgemeinschaft Die eher formalistische Minimaldefinition der Religionsgemeinschaft des vorstehenden Abschnitts bedarf zunehmend der Anreicherung mit Inhalten, die entweder bereits in der Definition selbst angelegt sind oder aber von außen an sie herangetragen werden. Dies gilt, so scheint es, vor allem vor dem Hintergrund, daß neuere oder in unserer Wahrnehmung verstärkt auftretende Religionsgemeinschaften Erscheinungsbilder und Konflikte produzieren, mit der es das Staatskirchenrecht in dieser Form bislang nicht hat zu tun bekommen. Zwar wurde in Analogie zur Begriffsdefinition des Glaubens auch die Wortbedeutung der Religionsgemeinschaft aus einem christlich-traditionellen Verständnis herausgelöst. Martin Heckel schreibt dazu: „Die Rechtsform der ,Religionsgesellschaft 4 ist keineswegs nach dem religionssoziologischen Modell der christlichen Kirche, geschweige denn nach dem theologischen Kirchenverständnis der katholischen bzw. evangelischen Theologie konzipiert. Ihre Offenheit und Ausfüllungsbedürftigkeit gewährleistet den Religionsgemeinschaften die Freiheit der eigenen theologischen Sinndeutung und die Freiheit zur hierarchischen Organisation nach ihrem theologischen Verständnis der göttlichen Offenbarung; das ist ihnen als ,eigene Angelegenheit' ( . . . ) garantiert" 91. Was in der Außen Wahrnehmung jedoch zunächst blieb, war aber eine genauso pejorative 92 wie unzutreffende phänomenologische Unterteilung der Religionsgesellschaften in Kirchen, andere Religionsgemeinschaften, neue Jugendreligionen und Sekten93. Juristische Schärfe wurde mit diesen Differenzierungen nicht gewonnen. Im Gegenteil bestanden gegenüber den neuen Religionen zunächst keinerlei ernsthafte Zweifel, daß diese das typologische Erscheinungsbild aller Religionsgemeinschaften widerspiegelten. Ihrer Struktur nach weisen sie nämlich drei Elemente auf, die mehr oder minder ausgeprägt allen großen Weltreligionen zu eigen sind 94 : Sie wähnen sich im Besitz eines kosmischen „rettenden Prinzips", mit dessen Hilfe sie die Welt neu zu ordnen gedenken. Sie formieren sich ferner als eine „Gerettete Familie", als eine Gemeinschaft also, die sich vorbehaltlos in den Dienst jenes Prinzips stellt. Und sie führen sich letztlich zurück auf einen (lebenden) Stifter, dessen Autorität unbedingter Gehorsam zu zollen ist. 91 M. Heckel JZ 1999, S. 741 (752). 92 E. Troeltsch , Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, S. 362: „ ( . . . ) haben umgekehrt die Sekten die Beziehungen zu den Unterschichten oder doch zu den gegen Staat und Gesellschaft im Gegensatz befindlichen Elementen der Gesellschaft ( . . . )". 93 Zum Begriff der Sekten, vgl. G. König, Art. Sekten, in: StL IV, Sp. 1147 ff.; H. Langel, Kulte und Sekten, S. 16 ff.; M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 227 (259 ff.), der den Kirchen Amtscharisma und Professionalisierung der Ämter zuordnet, während sich die Sekten für ihn durch persönliches Charisma und „Laienpredigertum" auszeichnen. Zumindest für die „Sekten", die jenseits ephemerer Randerscheinungen stehen, stellt die Begrifflichkeit aber nicht mehr als die Beschreibung eines Übergangsstadiums dar. H. Weber, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren I, S. 174 ff. 94 F.-W. Haack, Die Jugendreligionen, in: Engstfeld/Haack (Hrsg.), Juristische Probleme, 1981, S. 23 (23 ff.).

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Das Grundgesetz benutzt nun zwar den Begriff der Religionsgemeinschaft. Daß Art. 7 III GG von Religionsgemeinschaften spricht, während Art. 136 ff. WRV den Terminus der Religionsgesellschaften verwenden, stellt allein eine unterschiedliche Bezeichnung derselben Sache dar 95 . Es definiert aber an keiner Stelle seine Elemente. Letztere näher zu bestimmen, war deshalb Lehre und Rechtsprechung überlassen geblieben. Mittlerweile verschaffen sich die kritischen Stimmen Gehör, die von der vorgenannten Typologie zugunsten der Subsumtion neuer Gemeinschaften unter diejenigen Merkmale abrücken wollen, die die verfassungsrechtlichen Begriffe „Religion" und „Religionsgemeinschaft" konkretisieren sollen. Ziel dieser Rückbesinnung auf den Gebrauch genuin juristischen Handwerkszeugs ist es nicht zuletzt, einige der neueren Religionsgemeinschaften aus dem Anwendungsbereich des Art. 4 GG auszugrenzen. Mit der zunehmenden Wahrnehmung bestimmter Religionsgemeinschaften als für Staat und Gesellschaft gefährliche Organisationen wurden deshalb in Rechtsprechung und Lehre Kriterien entwickelt oder näher ausgeführt, mit denen sich juristisch genauer definieren läßt, ob eine Organisation eine Religionsgemeinschaft darstellt und folglich in den Genuß des Grundrechts der Religionsfreiheit kommt. Zu diesen Kriterien gehören insbesondere die staatliche Überprüfung des geistigen Gehalts der Lehren einer Gemeinschaft und ihres äußeren Erscheinungsbildes auf deren religiöse Plausibilität. Ferner wird von den Gerichten geprüft, ob wirtschaftliche und politische Nebenbetätigungen den Charakter der betreffenden Religionsgemeinschaft derart dominieren, daß von einer Religionsgemeinschaft nicht mehr gesprochen werden kann. Und schließlich soll auch die Verfassungskonformität der Betätigung einer Gemeinschaft zu einer Hürde werden, die sie nehmen muß, um den Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit für sich reklamieren zu können. Am Beispiel insbesondere der Scientology Organisation soll deshalb im folgenden Kapitel anhand der vom Bundesverfassungsgericht und der Lehre formulierten Merkmale die Probe aufs Exempel gemacht werden. Wann kann eine Organisation, die sich selbst und selbstverständlich als Religionsgemeinschaft tituliert, als solche auch verfassungsrechtlich bezeichnet werden? Läßt sich die Scientology Organisation unter die Begriffsdefinition der Religionsgemeinschaft subsumieren? Um diese Fragen beantworten zu können, wird zunächst die verfassungsgerichtliche Verhältnisbestimmung von dem Selbstverständnis der jeweiligen Vereinigung zu den objektiven Tatbestandsmerkmalen, die nach der Verfassung vorliegen müssen, referiert. Sodann werden geistiger Gehalt und das objektive Erscheinungsbild der Scientology Organisation mit diesen Merkmalen abgeglichen. Im Vordergrund der dann folgenden Abschnitte stehen das Maß an zulässiger wirtschaftlicher Betätigung und das Maß an zulässiger politischer Betätigung von Religionsgemeinschaften. Während sich ersteres gerade für Scientology als Stolperstein erweist, wird letzteres vor allem zum Prüfstein für islami(sti)sche Organisationen. Zum Ab-

95 Allg. Meinung, vgl. nur J. Müller-Volbehr, 2002, S. 937.

JZ 1981, S. 41; B. Pieroth/C.

Görisch, JuS

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

schluß des Kapitels soll ferner auf die Frage eingegangen werden, ob die Verfassungskonformität der religiösen Freiheitsbetätigung ein Merkmal darstellt, mit dem Religionsgemeinschaften der Zutritt zum Schutzbereich des Art. 4 GG verschlossen werden kann.

1. Die Akzessorietät von Religion und Religionsgemeinschaft Im folgenden Abschnitt sollen also die Parameter von Rechtsprechung und Lehre dargelegt werden, innerhalb derer üblicherweise geprüft wird, ob eine Gemeinschaft sich zu Recht als Religionsgemeinschaft bezeichnet. Fraglich ist hier, wie auch bereits oben, wo untersucht wurde, welche Rolle das Selbstverständnis des Grundrechtsträgers bei der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der Religion spielt, inwieweit auf das subjektive Selbstverständnis der Gemeinschaften als Religionsgemeinschaften abgestellt werden muß, oder ob objektive Gesichtspunkte den Ausschlag geben. Dürfen die Normanwender den Vereinigungen, die als Religionsgemeinschaften das Grundrecht der Religionsfreiheit für sich in Anspruch nehmen wollen, in die unter objektiven Gesichtspunkten zu subsumierenden Canones schauen? Oder sind sie darauf beschränkt, die subjektive Selbstwahrnehmung dieser Vereinigungen als rechtsverbindlich abzunicken? Fest steht auch hier, daß das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften bei der staatlichen Beurteilung ihrer selbst und damit ihrer Zuordnung zum personalen Schutzbereich des Art. 4 GG nicht völlig außen vor gelassen werden darf. Denn auch hier gilt wie oben, daß aus der Diskrepanz zwischen subjektiver und objektiver Überzeugungsfähigkeit die Schwierigkeit erwächst, subjektiv verbindliche Gedankengebäude objektiv nachvollziehbar darzulegen. Der Eigenwahrnehmung der Gemeinschaften muß deshalb zumindest ein Platz bei der Zuordnung zum Grundrecht eingeräumt werden. Inwieweit die staatliche Subsumtionskompetenz das Selbstverständnis der Gemeinschaften aber überlagert, wird - in Parallele zur staatlichen Befugnis, den Religionsbegriff zu definieren - nicht einheitlich beurteilt. Fraglich ist zunächst, ob sich Eckdaten benennen lassen, innerhalb derer sich die Subsumtion der Vereinigungen unter den Begriff der Religionsgemeinschaft zu verhalten hat. Zu denken ist dabei zunächst an das Prinzip der religiösen Neutralität des pluralistischen Staates. Die Vielfalt der Verständnisse von Neutralität und Pluralismus aber, die in der staatskirchenrechtlichen Literatur anzutreffen ist, bietet entsprechend vielen Stufen Raum, auf denen das Verhältnis von Selbstverständnis auf der einen und staatlicher Subsumtionskompetenz auf der anderen Seite angesiedelt wird. Es wird zum einen die Ansicht vertreten, daß das Selbstverständnis der Grundrechtsträger nur für die Bestimmung des Umfangs der Religionsausübung selbst, nicht aber für die Frage, wann eine Religionsgemeinschaft vorliegt, maßgeblich sein könne. Auf der anderen Seite dagegen steht die Auffassung, das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften stelle einen verbindlichen Topos der Grund-

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rechtskonkretisierung dar 96 . Zwischen diesen beiden Polen wird das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften weiterhin entweder als ein berücksichtigungsfähiger oder als ein berücksichtigungsbedürftiger Gesichtspunkt aufgefaßt 97. Das Bundesverfassungsgericht vertritt eine vermittelnde Auffassung. Es orientiert sich dabei am Gedanken der objektiven Rechtsschutzaufgabe der Gerichte. Hier wird das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften zwar als maßgeblich anerkannt, seine Reichweite aber unter der Berücksichtigung der Diskrepanz zwischen objektiver Überzeugungskraft und subjektiver Gewißheit begrenzt: Das Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft, so das Bundesverfassungsgericht, sei zwar indiziell maßgebend, gleichzeitig aber einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Diese Authentizitätskontrolle umfaßt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Frage, ob es sich „auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und (seil.: damit letztlich auch um eine) Religionsgemeinschaft handelt" 98 . Die gerichtliche Beurteilung wird ihrerseits an den von der Verfassung vorausgesetzten Religionsbegriff rückgebunden. Weder spielen also die zahlenmäßige Stärke noch die soziale Relevanz der Gemeinschaft 99 noch eine Bewertung 100 von Sinn, Unsinn oder Skurrilität des Inhalts ihrer religiösen Lehren eine Rolle bei der Prüfung der Plausibilität 101 .

96

In diese Richtung wohl Κ H Friauf, Unveröffentlichtes Gutachten zur Scientology Kirche Hamburg e.V. (1994), S. 6 zitiert nach S. Veelken, Das Verbot, S. 33: „Deshalb ist hier vom maßgeblichen Selbstverständnis der Scientology Kirche als Religionsgemeinschaft auszugehen4'. Hierzu auch A. hak, Selbstverständnis, S. 161 ff., 210, 219 ff.; M. Morlok, Selbstverständnis, S. 67 f., 78 ff., 271 ff. 97 Siehe oben § 3 Α. I. Zur ersten Auffassung, vgl. U. Scheuner, HdbStKirchR I (Vorauflage), § 1 S. 80 u. passim; W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 42 ff.; J. Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), S. 385 (399): Das Selbstverständnis der Gemeinschaften darf nicht allein den Ausschlag geben. H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art 4 Rn. 24: Das Selbstverständnis spielt eine wichtige Rolle. M. Heckel, in: FS BVerfG II, S. 379 (400 ff.): Die objektive Interpretation könne nicht den Selbstverständnissen anheim gestellt werden. M. Borowski, in: Religion und Weltanschauung, S. 49 (56 ff.). 98 BVerfGE 83, 341 (353): Das Vorliegen einer Religion und Religionsgemeinschaft im „Streitfall zu prüfen und zu entscheiden obliegt ( . . . ) den staatlichen Organen ( . . . ) , die dabei freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde zu legen haben". K.-H. Kästner, AöR 123 (1998), S. 408 (409 ff.). Nach V. Neumann, VSSR 1993, S. 119 (121), stellt dieses Urteil einen Bruch des BVerfG mit seiner bisherigen Rechtsprechung dar. Ferner BVerfG, NVwZ 1993, S. 357 (358); BVerwGE 42, 128 (132); BVerwG, NVwZ 1996, S. 61 (62): Eine Religionsgemeinschaft ist „nach außen eindeutig abgegrenzt und nach innen in der Lage ( . . . ) , ihre Mitglieder zwingenden Vorschriften zu unterwerfen". 99 BVerfGE 32, 98 (106); 33, 23 (28). 100 Eine objektive Bestimmung der Phänomene Religion und Religionsgemeinschaft hat dort ihre Grenze, wo staatliche Definitionsmacht in inhaltliche Bewertung umschlägt. A. hak, Das Selbstverständnis, S. 281 ff. Als ein Beispiel gerichtlicher Bewertung religiösen Glaubens liest sich die abweichende Meinung von Schlabrendorff, BVerfGE 33, 23 (35 ff.): „kein Glaubensakt (seil.: des Bf.), sondern eine Fehlinterpretation (seil.: der Bergpredigt)".

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Die Plausibilitätsprüfung der geistigen Lehren der Gemeinschaften durch die Gerichte folgt dem nachstehenden Muster: Zu Erkenntniszwecken wird auch hier allein auf äußere Merkmale abgestellt werden. Als Erkenntnisquellen für die Gerichte bieten sich deshalb die schriftlichen Äußerungen der Vereinigungen in Kodizes und Satzungen an 1 0 2 . Daneben kommen sonstwie fixierte oder mündlich überlieferte Aussagen der „Obersten" oder der Mitglieder der Gemeinschaft in Betracht. Auf ihre tatsächliche Bedeutung hin hinterfragt, sollen sich diese Teile am Ende zu einem Bild zusammenfügen, das die Umfänglichkeit des Sinnsystems der Gemeinschaft wiedergibt. Das Sinnsystem selbst wird dann inhaltlich auf seine transzendenten Bezüge abgeklopft. In Anlehnung an die Definition Ε. B. Tylors 103 meint Transzendenz in diesem Zusammenhang, daß das Bekenntnis der Gemeinschaft auf dem Empfinden eines absoluten Gegenübers aufbauen muß. Das absolute Gegenüber wiederum kann als Gott oder Gottheiten, Materie, Nichts oder Sein sowie generell Überlegenes bezeichnet sein 104 . Das Sinnsystem muß ferner von den Mitgliedern geglaubt werden, sich in Ritualen und Symbolik ausdrücken und zum Objekt gemeinsamer Kommunikation und Bezeugung gemacht worden sein. Insbesondere muß es bei der Prüfung der Plausibilität aber auch auf das Verhältnis der Mitglieder der Glaubensgemeinschaft zu dieser selbst ankommen. Hier haben die Gerichte zu fragen, welchen Stellenwert deren Sinnsystem für die Lebenswirklichkeit der Mitglieder hat. Ferner ist Auskunft auch über die institutionelle Eingliederung der Mitglieder in die Gemeinschaft einzuholen 105 . Gerade die letzten beiden Kriterien sind geeignet, Aufschluß über das äußere Erscheinungsbild der Religionsgemeinschaft als Gemeinschaft zu geben. Im Ergebnis spielen damit bei der Prüfung, ob eine Organisation eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes darstellt, sowohl das subjektive Selbstverständnis als auch das objektive Erscheinungsbild der Organisation eine Rolle. Das Selbstverständnis stellt dabei einen allerersten Anhaltspunkt dar, der auf seine Plausibilität hin hinterfragt wird. Zur Verdeutlichung des Sinns der Plausibilitätsprüfung soll noch auf einen Ausspruch des Bundesverwaltungsgerichts hingewiesen werden, den dieses in einem anderen Zusammenhang tätigte. Das Gericht führte aus, daß die Annahme des Vorhandenseins einer Weltanschauung nicht notwendig davon abhänge, daß es eine diese Weltanschauung umspannende Weltanschauungsgemeinschaft gebe 106 . Es kann, so die positive Wendung dieser Aussage, 101 BVerfGE 33, 23 (28 f.); J. Jurina, in: HbdStKirchR I, § 23 S. 698. 102 BVerfGE 24, 236 (247 f.): Als Erkenntnisquellen dienen dem Gericht das Neue Testament, die kirchliche Lehre, das kirchliche Recht und Verträge zwischen Staat und Kirche. i° 3 Religion setze als Minimalbedingung den Glauben an „spiritual beings" voraus. Zit. nach A. Hahn, in: StL IV, Sp. 837. 104 j, Müller-Volbehr, JZ 1981, S 41 (42). 105 M. Morlok, in: Dreier, GG I, Art. 4 Rn. 42; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 8; vgl. auch F. Kopp, NJW 1989, S. 2497 (2502 Fn. 50), der nicht ganz zu Unrecht bemängelt, daß am Wortlaut der relevanten Äußerungen nicht gehaftet werden darf. 106 BVerwGE 89, 368 (371 f.); dagegen die Vorinstanz VGH München NVwZ 1991, S. 1101 ff.

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also eine Weltanschauung auch ohne eine zugehörige Weltanschauungsgemeinschaft geben. Kann es aber, so die hier zu beantwortende simple Frage, eine Religionsgemeinschaft ohne Religion geben? Und wie verhalten sich Religion und Religionsgemeinschaft zueinander? Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, kombiniert mit dem Sinn der Plausibilitätsprüfung des Bundesverfassungsgerichts, wird man wohl in diesem Zusammenhang zu dem umgekehrten Regelsatz umformulieren dürfen, daß dort, wo eine Religion in organisierter Form bezeugt wird, notwendigerweise eine Religionsgemeinschaft besteht. Denn insgesamt läßt sich die Antwort auf die Frage nach dem Sein oder Nichtsein einer Religionsgemeinschaft auf die einfache Formel bringen: Religion plus (organisierte) Gemeinschaft gleich Religionsgemeinschaft. Die Akzessorietät von Religion und Religionsgemeinschaft verlangt neben dem Selbstverständnis der Gemeinschaft daher zunächst nach der Feststellung eines Glaubens in Form eines religiösen Sinnsystems, welches dann nicht nur als theoretisch ausformuliertes im Räume stehen darf, sondern auch praktisch von den Mitgliedern in Gemeinschaft gelebt werden muß 1 0 7 .

2. Ist Scientology eine Religionsgemeinschaft?: Die Plausibilitätsprüfung Anhand der Scientology Organisation soll im folgenden Abschnitt die Plausibilitätsprüfung des Bundesverfassungsgerichts einmal durchgespielt werden; das Selbstverständnis der Vereinigung also mit den objektiven Kriterien zu geistigem Gehalt ihrer Lehren und ihrem äußeren Erscheinungsbild abgeglichen werden. Denn nach ihrer mittlerweile in die Öffentlichkeit getragenen Eigenwahrnehmung ist Scientology eine Religionsgemeinschaft. Können die Lehren von Scientology aber tatsächlich als Religion und Scientology selbst damit als Religionsgemeinschaft bezeichnet werden? Diese Prüfung unterteilt sich in mehrere Schritte: Im Rahmen des geistigen Gehalts der Lehren von Scientology wird gefragt, was diejenigen, die sich entschließen, der Gemeinschaft beizutreten, dort suchen (Mitgliedermotivation). Hieran knüpft sich die Frage, was sie letztendlich dort finden (Sinnsystem). In einem letzten Schritt wird dann das äußere Erscheinungsbild von Scientology untersucht und ferner gefragt, wer dieses zulässigerweise konstituiert. a) Der geistige Gehalt der Glaubenslehren aa) Mitgliedermotivation Was also suchen diejenigen, die in eine Gemeinschaft wie Scientology eintreten, in dieser Gemeinschaft? Was versprechen sie sich von ihrer Mitgliedschaft dort, 107 BVerfGE 83, 341 (353); K. Schiaich, Neutralität, S. 207.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

und befriedigt Scientology diese Erwartungshaltungen? Diese Fragen sollen vornehmlich anhand von Aussteigerberichten sowie deren Rezeption in der soziologischen und religionspsychologischen Literatur untersucht werden. Ihre Beantwortung erscheint nicht unwichtig. Sie gibt Aufschluß darüber, ob die geistigen Lehren der Scientology Church als religiöse wahrgenommen und als solche in Gemeinschaft auch gelebt werden. Gleichzeitig fungiert die Antwort als ein Indiz dafür, ob Scientology den Schutz der Religionsfreiheit überhaupt „verdient". Religion und Religionsgemeinschaften gelten dem Grundgesetz als besonders schutzwürdig. Ihre Schutzwürdigkeit erklärt sich aus der Annahme, daß Religionen in der Lage sind, dem einzelnen eine höchst verbindliche Sinngebung für sein Dasein zu vermitteln und auf diese Weise auch identitätsstiftend zu wirken. Gemeinschaften wie der der Scientology Church wird nun vorgeworfen, daß sie die Identitäten ihrer Mitglieder eher auslöschten, indem sie ihre Mitglieder einer Gehirnwäsche unterzögen 108. Dies schädige, so das Argument, die Persönlichkeit des einzelnen mehr, als daß es ihr nütze. In der Tat lassen sich die allseits als persönlichkeitsschädigend und damit als Verstoß gegen die Menschenwürde eingestuften Phänomene wie die radikale Opferbereitschaft und die gesteigerte Tendenz zur Selbstpreisgabe auch (und gerade) an den Mitgliedern von Scientology nachvollziehen. In der Einschätzung einiger religionssoziologischer oder -psychologischer Wissenschaftler haben diese Phänomene ihre Ursache aber weniger in gehirnwäscheartigen Praktiken der Gemeinschaft oder einer ihr spezifischen Verführungstaktik als in der von etablierten Großkirchen ungestillten Sehnsucht nach außer- bzw. überweltlicher Erlösung von empfundener gesellschaftlicher Dissoziation 109 . Dieses Ergebnis wird folgendermaßen erklärt: Während sich der Zulauf, dessen sich die „Jugendreligionen" der Siebzigerjahre erfreuen durften, aus der Studentenbewegung speiste, die aus Protest gegen die mißlungene Veränderung der Gesellschaft nun ihr Selbst neu gestalten wollte 1 1 0 , habe sich, so die Beobachtung, das sozietale Resonanzfeld für Religionsgemeinschaften mittlerweile 108 T. Guber, „Jugendreligionen", S. 56; J. Keltsch, in: Bauhofer (Hrsg.), Sekten und Okkultismus, S. 159 (163 ff.). 109 Hierzu und zum folgenden J. R. Gascard, Neue Jugendreligionen, S. 46 ff., 54 f., 75 f., 81 f., 94; D. G. Bromley /M. L. Bracey Jr., in: Zellner/Petrowsky (Hrsg.), Sects, Cults and Spiritual Communities, S. 141 (152 ff.); N. G. Holms, Religionspsychologie, S. 102 ff.; H. Alberts, NVwZ 1994, S. 1150 (1151 f.). So im Ergebnis auch der Schlußbericht der Enquête-Kommission, BT- Drs. 13/10950, S. 59 f., 163: Es lasse sich keine generelle Schädlichkeit dieser Sekten zuverlässig feststellen. Brainwashing-Effekte oder gewaltsame Manipulationen ließen sich bei den jeweiligen Mitgliedern nicht ausmachen, auch eine „Sektenpersönlichkeit" gebe es nicht. Vielmehr müsse auf therapeutische Effekte erkannt werden. Sekten böten dem einzelnen ein soziales Bezugsfeld, das er sonst entbehren müßte. Hierzu auch D. Osterhagen, in: Besier/ Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren II, S. 439 (440 ff.). 110 Dieses Motivbündel ließ sich Ende der 1970er Jahre auch beschreiben als modernitätskritische eschatologische Endzeiterwartung, no-future-Stimmung und mystischer Eskapismus. K.-W. Brand/D. Büsser/D. Rucht, Aufbruch in eine andere Gesellschaft, S. 19; H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 10 f.

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verschoben. Die Motivation der Einsteiger in neue Religionsgemeinschaften wie Scientology wird zurückgeführt auf eine durch die Individualisierung 111 verursachte, genuin religiös verstandene Suche nach Seelenheil und -heilung. Das Verlangen nach religiöser Geborgenheit und nach der Erfahrung des Göttlichen in sich selbst werde hierbei, so die Schlußfolgerung, gerade durch extrem „fundamentalistische" Religionen mit ihren absolut gesetzten Prinzipien und Weltgewißheiten gestillt 112 . In der Sozialpsychologie werden die zwei Seiten des „Glaubens" an eine Religion folgendermaßen beschrieben: Der Glaube könne entweder ein lebensbejahender Ausdruck innerer Wertverbundenheit sein oder sich, wie dies bei den als gefährlich eingestuften Religionsgemeinschaften wie Scientology überwiegend der Fall zu sein scheint, aus der Reaktion gegen ein tiefliegendes Gefühl des Zweifels bilden. Letzteres entspringe der Isolierung des Individuums 113 . Versuche, die Dialektik der Individuation, insbesondere die Vereinsamung, die mit der Selbstwerdung einhergeht, zu durchbrechen, nähmen, so diese Ansicht weiter, deshalb notwendigerweise den Charakter von Unterwerfungen unter ein System an. Jenes Eins-Sein mit einer Religionsgemeinschaft verschaffe dem „Vereinzelten" dann mit dem entsprechenden Dazugehörigkeitsgefühl den verloren geglaubten „sicheren" Platz in der Welt. Das Leben in Abhängigkeitsstrukturen ermögliche es ihm nämlich, Verantwortung und Problemlösungen in die Hände einer Autorität zu legen. Eine weitere Beobachtung schreibt den „Sekten-Boom" Begleiterscheinungen wie der sozialen und finanziellen Verarmung vieler Menschen in der westlichen Welt zu. Sekten sorgten hier für ein neues Statusgefühl, eine religiöse Privilegierung, das Gefühl, dazu zu gehören, sich identifizieren zu können und konstruierten ein dringend benötigtes „new set of values". Während also üblicherweise das Phänomen der Sekten verbunden wird mit sozialer Desintegration und Exklusion, gesellschaftlichen Aussteigern und gehirnwäscheartigen Praktiken, gibt es ebenso Stimmen in der soziologischen Literatur, die den Sekten die Funktion zuschreiben, dabei zu helfen, Menschen, die ohne den Rückhalt in einer streng geführten Organisation ins soziale Abseits rutschen würden, in die Gesellschaft dadurch zu reintegrieren, daß sie ihnen einen Platz in ihrer Organisation zuwiesen und sie so zu einem „vollwertigen" Mitglied einer Gemeinschaft machten 114 . Diese Beobachtungen treffen auch auf die Scientology Organisation und die Motivation ihrer Mitglieder, ihr beizutreten, zu. Gemeinschaften wie Scientology bieten den Suchenden eine sich zunächst und vordergründig als gelungen darstellende Mischung aus Psychotherapie und Religion an. Sie eröffnen ihren Mitgliedern einen Weg, ihr tägliches Leben in Übereinstimmung mit einem Glauben füh111

Zum theoretischen Modell der Individualisierung, vgl. H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 11. T. Meyer, in: ders. (Hrsg.), Fundamentalismus, S. 263. 113 Hierzu und zum folgenden E. Fromm, Furcht vor der Freiheit, S. 84, 37, 43, 141 ff. Diese Motivation gilt im übrigen auch für den Glauben an eine politische Ideologie. 114 S. J. Hunt, Alternative Religions, S. 37 ff. 112

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ren zu können 115 . Als Gründe für die Wanderungsbewegungen hin zu den kleineren Religionsgemeinschaften wie Scientology werden von den Mitgliedern oder von Aussteigern daher überwiegend auch folgende Sachverhalte angefühlt: Ausschlaggebend für einen Beitritt seien der Wunsch, sich selbst zu erfahren, die Suche nach einem Ausweg aus Konfliktsituationen, psychische Defizite und nicht zuletzt das Gefühl eines religiös-weltanschaulichen Vakuums 116 . Obwohl der religiöse Überbau ihrer eher wissenschaftlich fundierten Erlösungslehre fraglich erscheinen mag, wird im Ergebnis die identitäts- und sinnstiftende Funktion der neuen „Religionen" wie Scientology nicht zu verneinen sein und auch von staatlicher Seite aus zu Recht nicht mehr negiert 117 . Die mindestens zu vermutende Motivation derjenigen, die sich Scientology anschließen, spricht also für den religiösen oder auch weltanschaulichen Gehalt der scientologischen Lehren. Der manchmal etwas unkritische Gebrauch des Schlagworts der Gehirnwäsche sollte also nicht dazu verführen, wegen ihrer geringeren Schutzwürdigkeit den Gemeinschaften wie Scientology vorschnell das Grundrecht der Religionsfreiheit abzusprechen. bb) Das scientologische Sinnsystem: Religion oder Weltanschauung? Mangels transzendenter oder ausgereifter immanenter Bezüge, so die vorherrschende Ansicht in der Rechtsprechung, sollen diejenigen Gemeinschaften keinen Platz unter dem Schirm der Religionsfreiheit finden, deren ausschließliches Ziel in der Leistung praktischer Lebenshilfe vermittels geistiger Techniken liegt 1 1 8 . Diese als instant religions bezeichneten „Gebrauchsreligionen", mit denen die Scientology Church durchaus Berührungspunkte aufweist 119 , lassen sich den Religionsgemeinschaften anscheinend anhand objektiver Kriterien nicht eindeutig zuordnen. Zum Teil wird gar bestritten, daß Gemeinschaften wie auch Scientology dann aber jedenfalls Weltanschauungsgemeinschaften darstellten. Es sei bei derartigen For115 Es darf aber auch nicht geleugnet werden, daß die einzelnen in Religionsgemeinschaften wie der SO dadurch, daß sie in einer bereits begrifflich anders definierten Gegenwelt leben, durch die Spirale von Isolation von der Außenwelt und folgender starker Anbindung an die Organisation diese Lebensphase zumindest in der Retrospektive als Entdemokratisierung und Beherrschung durch totalitäre Strukturen empfinden. H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 10. us H. Langel, Kulte und Sekten, S. 186 ff.; T. Voltz, Scientology, S. 17 ff., nennt ein religiöses Experimentierungsbedürfnis als sein Motiv für die Mitgliedschaft. 117 Landtag Rhl-Pflz, LT-Drs. 12/7000, S. 3 f.; R. B. Abel, Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit, S. 21 f.

us BVerwGE 82, 76 (78 f.); P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 68; R. Scholz, NVwZ 1992, S. 1152; für Scientology wird dies tendenziell angenommen vom VG Hamburg NVwZ 1991, S. 806 (810). 119 D. G. Bromley /M. L. Bracey Jr. , in: Zellner /Petrowsky (Hrsg.), Sects, Cults and Spiritual Communities, 1998, S. 141 (142 ff.); G. Thüsing, ZevKR 45 (2000), S. 592 (592 f.). 10 Groh

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men der Psychagogie, Meditation und ähnlichem, so die Begründung, nicht ohne weiteres erkennbar, ob allein eine bestimmte Methode ohne tiefergehenden Sinn vermittelt werde oder eine individuelle Sinngebung im Vordergrund stehe 120 . Oftmals findet sich aber auch hinter der Methode, die derartige Gemeinschaften anbieten, eine bestimmte - religiöse oder nicht-religiöse - Weltsicht. Aufgrund der Verbindung von jen- oder diesseitiger Ethik mit diesseitigen psychologisch-therapeutischen Praktiken zu einer einheitlichen Anleitung zur Lebensbewältigung, die die betreffenden Gemeinschaften leisten, läßt es sich deshalb pauschal weder ausschließen, daß derartige Vereinigungen Religionsgemeinschaften darstellen, noch daß sie unter den Begriff der Weltanschauungsgemeinschaften zu subsumieren sind. Letzteres ist vielmehr eine Frage der genauen Untersuchung der Lehrinhalte dieser Gemeinschaften. Wie steht es nun aber tatsächlich um den geistigen Gehalt des Sinnsystems, das Scientology anbietet? Hat es eine ausreichende religiöse Fundierung, um als Glaube bezeichnet zu werden? Vom Anspruch her muß das scientologische Sinnsystem, will es den Bedürfnissen der Mitglieder der Gemeinschaft entsprechen, notwendigerweise ein totalitär-religiöses sein und keinen Lebensbereich aussparen. Ob es sich durch diese Ganzheitlichkeit aber auch tatsächlich auszeichnet, ist eine Frage seiner inhaltlichen Auslegung. Als erste Erkenntnisquellen zur Beurteilung des theoretischen Sinngebildes von Schriftreligionen, zu denen Scientology gezählt werden kann, sind insbesondere Kodizes, Lehrbücher und offizielle Verlautbarungen heranzuziehen. Da sich Scientology als eingetragene Vereinigung konstituiert hat, leisten aber auch die jeweiligen Satzungen der Gemeinschaft entsprechende Erkenntnisdienste. Anhand jener Aufzeichnungen soll im folgenden der religiöse Gehalt der scientologischen Kernlehren untersucht werden. Zunächst gilt es jedoch noch einmal, die Parameter für das Erfordernis der Ganzheitlichkeit des scientologischen Sinnsystems abzustecken. Fraglich ist deshalb an dieser Stelle, welchen Grad an Komplexität der verfassungsrechtliche Religionsbegriff verlangt und ob das scientologische Sinnsystem mit ihm korrespondiert. Lehre und Rechtsprechung sind sich weitestgehend einig, daß weder an die inhaltliche Qualität noch an die Ausgestaltung des Inhalts einer religiösen Lehre besondere Anforderungen geknüpft werden dürfen. So reicht es nach übereinstimmender Meinung aus, daß metaphysische Vorstellungen von einer gewissen Geschlossenheit existieren. Als hinreichend geschlossen gilt weiterhin ein Gedankengebäude, das eine umfassende Stellungnahme zur Welt als Ganzer und damit zu der Herkunft wie auch dem Sinn des menschlichen Lebens beinhaltet 121 . Fraglich ist also, ob sich bei Scientology ein derart geschlossenes metaphysisches Gedankengebäude ausmachen läßt. 120 a. V. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 43. 121 A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 42; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 67; J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 692; T. Fleischer, Der Religionsbegriff, S. 154.

Α. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

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Das sich ständig erweiternde Sinnsystem der Scientology Organisation hat in dem Buch der „Dianetik" 1 2 2 seinen Ausgang genommen. Der Begriff der Dianetik setzt sich zusammen aus den griechischen Worten „dia" (durch) und „nous" (Verstand). Er kennzeichnet damit eine „wissenschaftliche" Methode, mit Hilfe derer ein besserer Mensch erschaffen werden soll. Diese Methode war zunächst in der Nähe der Psychotherapie anzusiedeln. Auch L. Ron Hubbard bezeichnete seine „Dianetik" zu Beginn noch als eine systematisch aufgebaute Wissenschaft vom Denken, die eine therapeutische Technik vermitteln wolle 1 2 3 . Ursprünglich verstand sich die Gemeinschaft daher nicht als Religion. Heute dagegen sieht sie sich mindestens als „angewandte religiöse Philosophie" an 1 2 4 . Im Laufe der Zeit haben sich Inhalte und inhaltliche Ansprüche der scientologischen Lehren jedoch gewandelt. Mit der „Entdeckung" der Geistseele „Thetan" als des unsterblichen und wahren Ichs stößt Scientology tiefer in religiöse Gefilde vor. Nun verbindet sie ihre Techniken mit ihrem Wissen um die Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Anstelle einer sich im Jenseits erfüllenden Heilsverkündung offenbart sich in der scientologischen Lehre die Ewigkeit aber als Objekt neuzeitlich-technologischer Machbarkeit 125 . Vollkommenheit könne, so Scientology, bereits im diesseitigen Leben selbst verwirklicht werden 126 , denn der menschliche Geist sei göttlich. Die Selbstfindung des Thetans sei Selbsterlösung. Genuin Transzendentes wird damit von Scientology in die Immanenz geholt und in ihr eingeschlossen. An die Stelle des Heils im Jenseits tritt das Heil durch geistige Erleuchtung und Selbstverwirklichung bereits im Diesseits. Berührungspunkte mit dem Jenseits und der Metaphysik werden dadurch aber nicht gekappt. Denn der Thetan ist eine immaterielle Seele, die im menschlichen Körper wohnt. Nach dem Tod des einen Körpers kann der Thetan in einen anderen Körper umsiedeln. Da der Thetan im Körper eines Menschen zuweilen von seiner wahren Natur entfremdet ist, soll anhand der scientologischen Methoden, wie dem Auditing, versucht werden, ihn bereits im diesseitigen Leben desjenigen Menschen, der ihn beherbergt, seiner göttlichen Natur näherzubringen 127. Präexistenz, Reinkarnation und Un122 L. R. Hubbard, Dianetik. 123 L. R. Hubbard, Dianetik, S. 19 ff.; umfassend A. Klump, Extremismus, S. 58 ff. 124 Was ist Scientology?, S. X 4. In den Rundschreiben, mit denen Scientology auf Anfrage „ersten Kontakt" aufnimmt, scheinen die Selbstbezeichnungen dagegen widersprüchlich. Dort beschreibt sich Scientology einmal als „Scientology Religion" oder „angewandte religiöse Philosophie", ein anderes Mal schreibt die Organisation, Scientology sei „not a belief system. It doesn't require blind faith". Abzurufen unter http. / / info.scientology.de. 125 W. Thiede, in: Herrmann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 65 (66, 73 f.). Beim sogenannten „clearing" geht es darum, den menschlichen Geist von seinen Fesseln zu befreien. Die Entfesslung, d. h. die Reinigung von sogenannten „Engrammen", soll nach Hubbard im Wege elektrisch-energetischer Entladungen passieren. Daher die Auditing-Sitzungen mit Hilfe eines „Elektropsychometers" (E-Meter). 126 W. Thiede, in: Herrmann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 65 (66, 73 f.); zum Phänomen der Umbesetzung von Transzendenz in einer Gesellschaft, die sich auf „subjektiven" Individualismus gründet, auch N. Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, S. 109 ff. 127 S. Veelken, Das Verbot, S. 81. 10*

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Sterblichkeit der Seele gelten der Scientology Church als bewiesene Wahrheit. Damit werden ebenfalls letzte Fragen des Menschseins thematisiert 128. Scientology beschäftigt sich also, und dies korrespondiert mit den Informationsbriefen, die die Gemeinschaft versendet, mit der menschlichen Seele 129 . Daß eschatologische Vorstellungen nicht ausgereift sind und es an der Anbetung eines höchsten Wesens mangelt, läßt deshalb nicht den Schluß auf das völlige Fehlen transzendenter Bezüge zu 1 3 0 . Auch in der Resonanz der überwiegenden (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit umfaßt das scientologische Sinnsystem eine mit Absolutheitsanspruch versehene Heilsverkündung. Wissenschaftliche Betrachtungen, die zu einer gegenteiligen Auffassung gelangen, lassen in ihr Ergebnis dagegen oftmals ihre Bewertung von Scientology als gefährlicher und unerwünschter Organisiation einfließen, die den Schutz des Art. 4 GG nicht verdient habe. Ferner wird die Echtheit oder Lauterkeit der schriftlich fixierten Lehren angezweifelt und auf diese Weise begründet, warum Scientology weder eine Religion noch eine Weltanschauung sein könne 131 . Dies ist an dieser Stelle der Plausibilitätsprüfung insofern ein unzulässiges Vorgehen, als für die Plausibilitätsprüfung zunächst weitungsfrei diejenigen Quellen von Scientology selbst heranzuziehen sind, aus denen sich ihr Sinnsystem ergibt. Im Ergebnis wird deshalb wohl davon auszugehen sein, daß das Gedankengebäude der Scientology Organisation die erforderliche Komplexität erreicht, damit Scientology als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft bezeichnet werden kann. Ihr Sinnsystem steht nämlich in der Tradition humanistisch-gnostischer Erlösungsreligionen 132 . Die Suche nach eigener Identität, nach der Erfahrung des wahren Selbst der Mitglieder, gipfelt vorwiegend in einer kompensierenden Teilhabe an der vermeintlichen Wissens- und Heilsmacht ihres religiösen Führers. Scientology verlangt grundsätzlich eine totale Identifikation und mündet letztlich in einer Identitätsanleihe. Selbst mit Vorsicht zu genießende Aussteigerberichte ehemaliger Scientologen geben daher Zeugnis von einer persönlichen religiösen Durchdringung durch den Glauben an die unsterbliche Seele (Thetan), der den Dreh- und Angelpunkt der scientologischen Lehre ausmacht. Aufgrund der zuvor untersuchten 128

Deshalb wird die Eigenschaft einer Religionsgemeinschaft ζ. B. von folgenden Gerichten bejaht: BGHZ 78, 274 (278); VG München GewArch. 1984, S. 329 (331 f.); LG Hamburg NJW 1988, S. 2617; VG Frankfurt NVwZ 1991, S. 195 (197). 129 Abzurufen unter http: / / info.scientology.de. 130 N. J. Potthoff, in: Herrmann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, 1991, S. 16 (28 f.). Das Fehlen transzendenter Bezüge bemängeln T. Masuch, StaWi / StaPrax 1998, S. 623 (633 f.); H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 8; R. Sieper (Hrsgin.), Psychokulte, S. 126. 131 BAG JZ 1995, S. 95 I f f . 132 Ausführlich W. Thiede, in: AusPuZ 43 (1993), Β 41-42, S. 25, 28; ferner S. Veelken, Das Verbot, S. 81. Das Wort „Gnosis" bezeichnet in der Religionswissenschaft eine mystisch-mythologische Strömung vor allem in der Spätantike. Heute wird damit ein Religionstyp logischer und seelischer Experimente an den Grenzen der Welt oder auch eine religiöse Psychotherapeutik beschrieben. Vgl. P. Sloterdijk/T. H. Macho (Hrsg.), Weltrevolution der Seele, Bd. 1, S. 27 ff., 46 ff.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Mitgliedermotivation der Scientologen und den von Scientology angebotenen transzendenten Lehrsätzen läßt sich das Gedankengebäude der Vereinigung eher in die Nähe religiöser Heilsverkündung denn weltanschaulicher Sinngebung rücken. Wegen seines Umfangs und der Antworten, die sich in den scientologischen Glaubenssätzen finden lassen und Antwort auf Herkunft und Ziel des menschlichen Daseins geben können oder wollen, stellt das Gedankengebäude der Scientology daher im Ergebnis eine Religion, sicherlich aber eine Weltanschauung dar 1 3 3 .

cc) Ist die Unterscheidung zwischen Religion und Weltanschauung relevant? So wie sich die Beurteilung der religiösen oder weltanschaulichen Qualitäten von Scientology in Rechtsprechung und Lehre als nicht einheitlich darstellt, scheint - je nach Bedarf - auch das Selbstverständnis von Scientology selbst zu schwanken. Bezeichnet sie sich in ihren Satzungen als Kirche, hat es den Anschein, als gehe sie beispielsweise in ihrem Antrag, eine eigene Schule errichten zu dürfen, davon aus, eine Weltanschauungsgemeinschaft zu sein 134 . Welche Relevanz für die Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 GG hat aber die Unterscheidung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften? Dies soll im folgenden Abschnitt untersucht werden. Zur Beantwortung der Relevanz-Frage ist es notwendig, zunächst zu referieren, was das Grundgesetz unter einer Weltanschauung versteht, um dann weiter zu prüfen, ob die verfassungstextliche Differenzierung zwischen Religion und Weltanschauung deren unterschiedliche Behandlung im Rahmen des Art. 4 GG rechtfertigt. Wie die Religion wird auch die Weltanschauung allgemein als ein sozial geteiltes Sinnsystem begriffen 135 . Unter der Weltanschauung wird allseits ein subjektiv 133

In der Rechtsprechung wird deshalb vielfach offengelassen, ob es sich bei Scientology um eine Religion oder um eine Weltanschauung handelt. Vgl. VG München GewArch 1984, S. 329 (331); BVerwG NJW 1992, S. 2496 ff. Bei BVerwGE 89, 368 fehlt eine Subsumtion unter die Begriffsmerkmale. Ferner BVerwGE 61, 152 (162): „religiöse Bezüge". Ansonsten schwankt die Rechtsprechung bei der Einordnung von Scientology zwischen einer Religionsund einer Weltanschauungsgemeinschaft. Vgl. BGHZ 78, 274 (278, 280); VGH Baden-Württemberg NJW 1996, S. 3358; BGH NJW 1981, S. 675; OVG Hamburg NVwZ 1995, S. 498 (499 ff.); Thiede, AusPuZ 43 (1993), Β 41 -42, S. 25 ff.; R. Zuck, NJW 1997, S. 697. Ähnlich sehen die Beurteilungen auch hinsichtlich anderer Religionsgemeinschaften aus. Vgl. OVG Münster NVwZ 1985, S. 123 (Bhagwan/Osho); OVG Hamburg NVwZ 1986, S. 406 (Bhagwan/Osho); BVerwGE 90, 112 (Bhagwan/Osho); BVerwGE 82, 76 (78 f.) (Transzendentale Mediation); BVerfG NJW 1989, 3269, u. NJW 1996, S. 2085 (Transzendentale Mediation); OVG Münster NVwZ 1986, S. 400 (Tranzendentale Meditation). 134 BVerwGE 89, 368. 135 c. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 10, nutzt den Begriff der Weltanschauung als Oberbegriff für religiöse und nicht-religiöse Sinnsysteme.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

verbindliches Gedankensystem verstanden, das sich durch die Ordnung der Weltsicht nach umfassenden Prinzipien mit Fragen nach dem Sinnganzen der Welt, insbesondere des Lebens der Menschen in dieser Welt, befaßt und so zu sinnentsprechenden Werturteilen führt 136 . Der Unterschied zum religiösen Bekenntnis liegt dabei darin, daß die Weltanschauung als Gegenstand menschlicher Überzeugung solche Anschauungen von der Welt und dem menschlichen Leben in ihr umfaßt, die eine außerweltliche oder überirdische Bindung des Menschen an einen „Gott" entweder negieren oder gar nicht aufgreifen, und deshalb auf immanenten Erklärungen zur Stellung des Menschen in der Welt fußen 137 . Der Begriff der Weltanschauung wird daher überwiegend als Gegenbegriff zur Religion verstanden. Er ist gekennzeichnet durch seine a- und möglicherweise antireligiösen Inhalte 138 . Eine feinziselierte Trennung zwischen „mehr Immanenz" oder „mehr Transzendenz", die an neue Gedankengebäude wie das der Scientology herangetragen werden, erscheint aber aus folgendem Grund müßig: Weltanschauungsgemeinschaften sind den Religionsgemeinschaften grundrechtlich grundsätzlich gleichgestellt. Beide genießen den vollen Schutz der Religions- und Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4 GG 1 3 9 . Die Gleichstellung beruht darauf, daß sich hier wie dort der Mensch über seine Stellung in der Welt und den Sinn seines Daseins Gewißheit zu verschaffen sucht. Denn Art. 4 GG erfordert und schützt dann auch eine Überzeugung, die für den Betroffenen in besonderem Maße verbindlich und für seine personale Identität prägend ist. Relevanz scheint die Unterscheidung zwischen Religions- und Weltanschauungsfreiheit aber dennoch im Hinblick auf den Schutz der Ausübungsfreiheit eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses zu erlangen. In diesem Zusammenhang wird vertreten, daß Art. 4 II GG zwar die Religionsausübungsfreiheit schütze, nicht aber die Freiheit, eine Weltanschauung auszuüben. Dies stelle zum einen der Wortlaut des Art. 4 II GG klar, der ausdrücklich nur davon spreche, daß die ungestörte Religionsausübung gewährleistet werde. Zum anderen ergebe sich der fehlende Schutz der Ausübung der Weltanschauungsfreiheit aus einem systematischen Vergleich mit Art. 4 I GG. Letzterer erwähne die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses ausdrücklich neben der des religiösen, während Art. 4 II GG zur Weltanschauung schweige 140 . 136 H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 6; B. Casper, Art. Weltanschauung, in: StL V, Sp. 924 (925 f.); A. Hollerbach, Art. Weltanschauungsgemeinschaften, in: StL V, Sp. 927 f. »37 R Badura, Der Schutz von Religion, S. 38 f. 138 BVerwGE 61, 152 (154 f.); A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 43; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 43.

139 BVerfGE 12, 1 (3 f.); J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 692; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 43; K. Obermayer, DVB1. 1981, S. 615 (618); C. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 30; D. Ehlers, ZevKR 45 (2000), S. 201 (207). Die Differenzierungen im WPflG (§§ 11 I, 12 II, Geistlichenprivileg) und bei der Erteilung von Religionsunterricht (Art. 7 III GG) fallen hier nicht ins Gewicht.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Zählt man die Freiheit, sich zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft zu vereinigen, zu den allein über Art. 4 II GG geschützten Ausübungsmodalitäten des Grundrechts und nicht zu den Bekenntnisakten, könnte sich auf diesem Wege die Konsequenz einer unterschiedlichen Behandlung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, was ihren grundrechtlichen Schutzstandard anbelangt, ergeben. Die Folge wäre, daß die Vereinigung zu Religionsgemeinschaften von Art. 4 GG, diejenige zu Weltanschauungsgemeinschaften allein von Art. 9 I GG geschützt wäre. Indes geht auch die genannte Auffassung nicht soweit. Zum einen konzediert sie, daß der Schutz des weltanschaulichen Bekenntnisses in Art. 4 I GG nicht hinter dem Schutz der Religionsausübung des Art. 4 II zurückbleiben dürfe. Zum anderen verweist sie zutreffend auf Art. 137 II WRV, der die Religionsgemeinschaften den Weltanschauungsgemeinschaften gleichsetzt 141 . Ferner stellt diese Auffassung einen Ausfluß der These des jeweils einzeln gewährleisteten religiösen und weltanschaulichen Freiheitsspektrums dar. Hier dagegen wird vertreten, daß Art. 4 GG als einheitliches Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit zu lesen ist, Art. 4 II GG daher insoweit eine nur klarstellende Funktion hat. Das Bundesverfassungsgericht, das ebenfalls von einem extensiv ausgelegten, einheitlichen Grundrecht ausgeht, kommt deshalb auch zu der Überzeugung, daß die Ausübungsfreiheiten des Art. 4 GG auch Äußerungen des weltanschaulichen Lebens umfassen 142. Im Ergebnis werden Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften im Schutzbereich des Art. 4 GG also weitestgehend gleichgestellt. Für die vorliegende Arbeit könnte es daher sogar offengelassen werden, ob der Scientology Organisation eine Religion oder eine Weltanschauung als geistiges Fundament zugrunde liegt, wenn sie nur die übrigen Voraussetzungen erfüllt, die vorliegen müssen, damit Scientology als Religions- oder Weltanschauungsgemewsc/iö/i klassifiziert werden kann 143 .

b) Das äußere Erscheinungsbild der Religionsgemeinschaft Nachdem dargelegt wurde, daß das Sinnsystem der Scientology Organisation sowohl die erforderliche Dichte als auch die notwendigen transzendenten Bezüge einer Religion aufweist, soll im folgenden Abschnitt geprüft werden, ob das äußere Erscheinungsbild der Organisation dafür spricht, daß Scientology eine Religionsgemeinschaft darstellt. 140 /. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 42, 45. 141 I. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 45; M. Morlok, in: GG, Art. 4 Rn. 54. 142 BVerfGE 24, 236 (246). 143 Auch die Rechtsprechung läßt die Beantwortung dieser Frage bisweilen dahingestellt, vgl. ζ. B. BVerwG NJW 1992, S. 2496 (2497 ff.); H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 6.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

aa) Dauerhafter Zusammenschluß mehrerer natürlicher Personen Fraglich ist zunächst, was das Grundgesetz formal unter dem Begriff der Religionsgemeinschaft verstanden wissen will. Eine Religionsgemeinschaft setzt begriffslogisch voraus, daß sich mehrere natürliche Personen zu einer solchen zusammengeschlossen haben. Dieser Zusammenschluß muß ferner auf Dauer angelegt sein und ein Minimum an organisatorischer Verfaßtheit aufweisen. Heute ist nicht mehr bestritten, daß eine Anzahl von zwei Personen ausreicht, um dieses Tatbestandsmerkmal zu bejahen 144 . Zu den organisatorischen Minimalbedingungen wird weiter gezählt, daß sich eine Religionsgemeinschaft zumindest mit dem Ziel längeren Bestehens zusammenschließen muß. Die Gewähr der Dauerhaftigkeit, wie sie Art. 137 V WRV von einer Körperschaftsaspirantin fordert, ist damit nicht gemeint 145 . Weitergehende Anforderungen an die Organisation können sich aus konkreten Regelungszusammenhängen ergeben 146. Über die Zahl der Mitglieder und die Größe von Scientology genaue Angaben zu machen, fällt schwer. Die offiziellen und die von Scientology selbst mitgeteilten Zahlen weichen erheblich voneinander ab. Daß Scientology aber über einen ausreichenden Mitgliederstamm verfügt, um dieses Tatbestandsmerkmal zu erfüllen, steht in Rechtsprechung und Lehre außer Frage. Wie steht es aber mit den organisatorischen Mindestanforderungen? Scientology ist überwiegend (noch) in der Form von eingetragenen Vereinen nach bürgerlichem Recht organisiert. Das Amtsgericht als zuständige Stelle nach § 55 BGB prüft bei der Anmeldung zur Eintragung ins Vereinsregister nach BGB, ob organisatorisch zwingende Mindest- und nicht zwingende Sollerfordernisse von der einzutragenden Vereinigung erfüllt werden. Zu diesen zählen nach den §§ 56 ff. BGB zum Beispiel die Mindestmitgliederzahl der Vereinigung (hier 7 Mitglieder) oder auch satzungsmäßige Regelungen über den Erwerb und den Verlust der Mitgliedschaft (§ 58 Nr. 1 BGB), über die Bildung des Vorstandes und die Beschlußfassung der Vereinigung (§ 58 Nr. 3, 4 BGB) 1 4 7 . Diese Anforderungen gehen zum Teil weiter als diejenigen, welche die Verfassung an Religionsgemeinschaften stellt. Insgesamt, das steht deshalb in Rechtsprechung und Literatur außer Frage, ist der auf Dauer angelegte organisato144 J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 690; P. Pieroth/C. Görisch, JuS 2002, S. 937 (938); S. Veelken, Das Verbot, S. 13 f. Die Höhe der Zahl der Mitglieder des Zusammenschlusses hat Bedeutung allein für die Zuerkennung von Körperschaftsrechten an Religionsgemeinschaften nach Art. 137 V WRV. Hier entfaltet sie Indizfunktion für die Gewähr der Dauer einer Gemeinschaft. Allein aus Gründen der Parität ist es nämlich mit der Verfassung nicht vereinbar, kleine Gemeinschaften gerade wegen ihrer zahlenmäßig geringen Größe aus der Riege der Religionsgemeinschaften zu stoßen und unter das Regime des profanen Vereinsrechts zu stellen. J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (42). 145 B. Pieroth/C. Görisch, JuS 2002, S. 937 (939); zu den Minimalbedingungen femer VG Düsseldorf NWVB1. 2001, S. 110 (112); OVG Berlin NVwZ 1999, S. 786 (787). 146 Fechner, NVwZ 1999, S. 735 (736). 147 Näher K. Stöber, Vereinsrecht, S. 287 ff.; B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 2691 ff.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

lische Zusammenhalt der Scientology Church ausreichend und die Zahl der Mitglieder hoch genug, so daß Scientology formal unter den Begriff der Religionsgemeinschaft subsumiert werden kann.

bb) Der gemeinsam gelebte Glaube Zum Begriff der Religionsgemeinschaft gehört es weiterhin, daß sich sowohl diese Gemeinschaft, also die Zusammengehörigkeit der Mitglieder der Vereinigung, nach außen hin dokumentiert als auch der umfassende Anspruch des jeweiligen Glaubens demonstriert wird. Fraglich ist hier aber, auf welche Art und Weise diese religiöse Gemeinschaft nach außen getragen werden muß. Von einigen Autoren wird geltend gemacht, der tägliche Lebensvollzug der Gemeinschaft müsse, wie man dies von den christlichen Religionen kenne, in kultischen Akten zum Ausdruck kommen 148 . Wenn aber kultische Akte verlangt werden, dann dürfen die Anforderungen an ihre Inhalte oder das sie umgebende Zeremoniell nicht allzu hoch gehängt werden. Denn die Modi der Bezeugung eines Glaubens werden wesentlich vom Selbstverständnis der Gemeinschaft und dem ihr zugrunde liegenden Glauben selbst geprägt 149 . Wichtig scheint deshalb allein, daß der Glaube auf eine ihm angemessene Weise kommuniziert wird 1 5 0 . Fraglich ist also, ob die Mitglieder von Scientology ihrem gemeinsamen Glauben Ausdruck verschaffen. Das scientologische Sinnsystem wird von den Mitgliedern der Gemeinschaft in kultischen Handlungen wie (neuerdings) in gemeinsamen Gebeten, Eheschließungen und auch dem Auditing 151 bezeugt. Damit geben die Mitglieder der scientologischen Gemeinschaft ihrer individuellen Überzeugung Ausdruck, daß die Sinnund Wertordnung von Scientology wahr sei. Daß sich kultische Rituale im Sinne der Mystik tradierter Religionen rar machen, spielt keine ausschlaggebende Rolle, zumal Scientology eine Art technisierten Glauben lehrt. Die Einbindung der Mitglieder mit Haut und Haaren in das System, dem sie sich eingegliedert haben, steht aber auch gerade im Hinblick auf die kleineren Gemeinschaften wie Scientology, die ihr Profil durch Enklavenbildung zu erreichen trachten, außer Frage. Als Ergebnis läßt sich deshalb festhalten, daß in der Scientology Organisation ein gemeinsamer Glaube gelebt und nach außen hin dokumentiert wird.

•48 A. v. Campenhausen, ZevKR 25 (1980), S. 135 (152). 149

A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 283; G. Held, Religionsgemeinschaften, S. 111 f.; J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (43). 150 So auch S. Veelken, Das Verbot, S. 75. 151 D. G. Bromley /M. L. Bracey Jr., in: Zellner/Petrowsky (Hrsg.), Sects, Cults and Spiritual Communities, 1998, S. 141 (142, 147).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

cc) Der konsentierte Glaube Weiterhin erweist sich das Erfordernis eines konsentierten Glaubens auf Seiten der Mitglieder von Scientology als eine Hürde, an der die Eigenschaft letzterer als Religionsgemeinschaft scheitern könnte. Der Begriff der Religionsgemeinschaft verlangt nämlich, daß über den Glauben der Gemeinschaft, der den Fluchtpunkt für die Mitgliedschaft in dieser Gemeinschaft bildet, zwischen den Mitgliedern zumindest ein Minimalkonsens besteht. Minimalkonsens wiederum bedeutet, daß das einheitliche Bekenntnis der Mitglieder sich auf die grundlegenden Überzeugungen des Glaubens beschränken darf 152 . Das Erfordernis dieses Minimalkonsenses könnte dann unerfüllt bleiben, wenn durch die betreffende Vereinigung eine oder mehrere Mitgliedschaften in anderen Religionsgemeinschaften gebilligt werden. Scientology läßt ausdrücklich Mehrfachmitgliedschaften in anderen Religionsgemeinschaften zu 1 5 3 . Daß sie keinen Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber ihren Mitgliedern erhebt, stellt also einen weiteren Ansatzpunkt dar, um ihr die Eigenschaft einer Religionsgemeinschaft abzusprechen. Als solche nämlich, so wird geltend gemacht, müsse sie ihren Mitgliedern wesensmäßig mit dem Anspruch absoluter Verbindlichkeit entgegentreten. Dies tue sie nicht, so eine Argumention, wenn sie ihren Mitgliedern erlaube, gleichzeitig Mitglied einer anderen Religionsgemeinschaft zu sein 154 . Deshalb ist fraglich, ob der fehlende Ausschließlichkeitsanspruch von Scientology, was die Mitgliedschaften betrifft, Rückschlüsse auf das Fehlen eines Mindestkonsenses der Mitglieder oder einer erhöhten Verbindlichkeit der Glaubenssätze der Gemeinschaft zuläßt. In Lehre und Rechtsprechung herrscht heute aber eine weitestgehende Einigkeit darüber, daß einer religiösen Gemeinschaft, welche die Zulässigkeit von Mehrfachmitgliedschaften vorsieht, grundsätzlich der Charakter einer Religionsgemeinschaft erhalten bleibt 155 . Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Sie orientiert sich sowohl an empirischen Tatsachen als auch an rechtlich Möglichem. Betrachtet man die Wirklichkeit, ist die Häufigkeit an Doppelmitgliedschaften groß. Nicht selten scheuen die Mitglieder kleinerer Religionsgemeinschaften zunächst davor zurück, 152 B. Pieroth/C. Görisch, JuS 2002, S. 937 (938); A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 284; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 48, 51; K. Obermayer, in: BK GG, Art. 140 Rn. 40. Näher zum Mindestkonsens in Bezug auf islamische Religionsgemeinschaften, vgl. OVG Berlin NVwZ 1999, S. 786; R. Scholz, NVwZ 1992, S. 1152 (1152 f.). 153 Vgl. § 3 IV der Vereinssatzung der „Scientology Kirche Hamburg e.V.", abgedr. bei BAG NJW 1996, S. 143 ff. 154 Gegen Doppelmitgliedschaften insb. G. Thüsing, ZevKR 45 (2000), S. 592 (616 ff.): „Agnostizismus"; C. D. Classen, Religionsfreiheit, S. 25 f.; E. Bopp, DÖV 1952, S. 516 (518); VG Darmstadt NJW 1983, S. 2595 (2596). 155 A. v. Campenhausen, ZevKR 25 (1980), S. 135 (152 f.); J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (43); R. Mayer, ZevKR 7 (1959/60), S. 156 (165 ff.); C. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 51; S. Veelken, Das Verbot, S. 76 ff.; BGH KirchE 2, 189 (192); VG Frankfurt NVwZ 1991, S. 195 ff.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

ihre Bindungen zu den Großkirchen zu lösen 156 . Dieses vor allem in der Entscheidungsphase für sie vielleicht wichtige Refugium wird ihnen von den kleineren Religionsgemeinschaften wie Scientology oftmals gewährt. Verfassungsrechtlich betrachtet dagegen gehört es zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften nach Art. 137 III WRV, darüber zu entscheiden, ob Mehrfachmitgliedschaften ausgeschlossen oder zugelassen werden. Daher ist es dem Staat aufgrund seiner Neutralität verwehrt, den Status einer Religionsgemeinschaft direkt an dieses Merkmal anzuknüpfen 157. Allein ausnahmsweise ließe sich, so die herrschende Lehre weiter, über die Zulässigkeit von Mehrfachmitgliedschaften auf einen fehlenden Minimalkonsens und das Fehlen des notwendigen Absolutheitsanspruchs der betreffenden Gemeinschaft schließen. Dies sei aber allenfalls in Extremfällen von beliebiger Doppelmitgliedschaft möglich 158 . Konkrete Zahlen werden jedoch nicht genannt. Selbst wenn aber eine Religionsgemeinschaft wie Scientology beliebig viele Mehrfachmitgliedschaften billigt, stellt sich hier die Frage, ob dieses Indiz für einen fehlenden Minimalkonsens oder Absolutheitsanspruch nicht durch andere Elemente aus dem Erscheinungsbild der Religionsgemeinschaft entkräftet wird. Zu denken ist dabei an die Tatsache der extremen Anbindung der Mitglieder an die Gemeinschaft und ihre Lehren, aus der genauso die persönliche Abschottung des Mitglieds der Gemeinschaft wie seine gesteigerte Opferbereitschaft resultiert. Das nur formale Fehlen eines ausdrücklich erklärten Austritts 159 aus einer der Kirchen oder anderen Religionsgemeinschaften wird durch dieses „materielle" Zeichen tiefer Verbundenheit mit der kleineren Religionsgemeinschaft deshalb überlagert. Im Ergebnis ist die Gepflogenheit der Scientology Church, Mehrfachmitgliedschaften zuzulassen, daher unschädlich für ihre Einordnung als Religionsgemeinschaft.

156 R. Mayer, ZevKR 7 (1959/60), S. 156 (166 ff.); J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (43). 157 τ. Masuch, StaWi/ StaPrax 1998, S. 623 (627). Nach J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (43), gehören Religionsgemeinschaften, die Mehrfachmitgliedschaften zulassen, zu den überkonfessionellen Religionsgemeinschaften. Eine rechtliche Schranke im Rahmen von Art. 137 III WRV, so sein Argument, daß es keine überkonfessionellen Religionsgemeinschaften geben dürfe, existiere aber nicht. Auch R. Mayer, ZevKR 7 (1959/60), S. 156 (165): „Der Staat ist an dieser Frage nicht interessiert und auch nicht für sie zuständig". 158 C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 51 ; T. Masuch, StaWi/StaPrax 1998, S. 623 (627). 159 Denn nach den Kirchenaustrittsgesetzen der Länder endet die Mitgliedschaft in der einen öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft nicht automatisch durch den Eintritt in eine andere. Der Austritt muß vielmehr ausdrücklich erklärt werden. Die förmliche Kirchenmitgliedschaft ist ferner eine rechtliche Zugehörigkeit, die sich mit der persönlichen Überzeugung nicht unbedingt zu decken braucht. A. v. Campenhausen, in: HdbStKirchR I, § 26 S. 755. Die Rechtsquellen sind aufgelistet bei A. v. Campenhausen, in: HdbStKirchR I, § 27 S. 783 ff.

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dd) Ergebnis Das objektive Erscheinungsbild einer Religionsgemeinschaft manifestiert sich maßgeblich in dem beobachtbaren Gemeinschaftsleben und dem gemeinsam gelebten Glauben ihrer Mitglieder. Bei Scientology ist beides vorhanden. Zieht man dies auf der einen Seite mit dem Gefährdungspotential, das Religionsgemeinschaften wie Scientology für ihre Mitglieder aufweisen, weil sie diese mit Haut und Haaren in ihr Glaubenssystem einbinden, zusammen, und addiert man auf der anderen Seite die Dichte des mittlerweile „ausgereiften" Glaubenssystems, ergibt sich, daß nach dem äußeren Erscheinungsbild und dem geistigen Gehalt ihrer Lehren Scientology eine Religionsgemeinschaft darstellt. Dieses Ergebnis deckt sich bis hierher mit dem Selbstverständnis dieser Religionsgemeinschaft und auch einigen europäischen oder amerikanischen Gerichtsentscheidungen, die die Tendenz erkennen lassen, Scientology als Religionsgemeinschaft anzuerkennen 160.

3. Immanente Begrenzungstendenzen im Schutzbereich der Religionsfreiheit Bisher wurde also festgestellt, daß sowohl der geistige Gehalt der Lehren von Scientology als auch ihr objektives Erscheinungsbild dafür sprechen, Scientology den Status einer Religionsgemeinschaft zuzuerkennen: Von den Mitgliedern der scientologischen Gemeinschaft wird in derselben ein religiöses Sinnsystem gesucht, gefunden, gelebt und damit auch bezeugt. Die Summe aus diesen objektiven Kriterien stellt ein notwendiges Begriffsmerkmal einer Religionsgemeinschaft dar. Reicht dieser Befund aber aus? Gegen die Einordnung von Scientology als Religionsgemeinschaft wird nämlich insbesondere eingewandt, diverse Äußerungen ihres Gründers L. Ron Hubbard ließen nur den Schluß zu, daß die religiöse Bemäntelung der Organisation ein großer Bluff sei, hinter dem sich rein wirtschaftliche Zielsetzungen verbergen. In diesem Zusammenhang wird regelmäßig auf zwei Äußerungen L. Ron Hubbards verwiesen. Beide Äußerungen lassen in der Tat eher auf ein wirtschaftlich-taktisches Ansinnen denn auf ein religiöses Sinnsystem der Scientology Organisation schließen. Zu diesen Äußerungen zählt einmal der Ausspruch: „Es ist lachhaft, für einen Hungerlohn Zeit zu schinden. Wer Millionen scheffeln will, gründet am besten eine Religion" 161 . Zum anderen soll L. Ron Hubbard, nach den Zielen von Scientology befragt, geäußert haben: „Make money - make more money - make other people 160 Schweizer Bundesgericht EuGRZ 2000, S. 59 ff.; US Supreme Court, Founding Fathers of Scientology of Washington v. United States, 369 U.S. 963 (1969). 161 Zitiert nach R. Sieper (Hrsgin.), Psychokulte, S. 116. Diese Äußerung fällt in eine Zeitspanne, als Scientology in den USA um ihre Anerkennung als gemeinnützige Organisation und damit um Steuerbefreiung kämpfte.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

produce so as to make money" 162 . Neben die Zitate ihres Gründers treten mit derselben Stoßrichtung besondere Verhaltensweisen, die Scientology an den Tag legt. So verkauft die Gemeinschaft Kurse und Gerätschaften für scheinbare Wucherpreise an ihre Mitglieder und Dritte 1 6 3 . Diese entgeltlichen Leistungen - religionstypische und religionsatypische - seien, so der Vorwurf, allein darauf angelegt, der Gemeinschaft finanzielle Gewinne zu erwirtschaften. Letzteres sei überhaupt der wahre Zweck der Gemeinschaft, die religiöse Verbrämung dagegen nur Tarnung. Der Schutzbereich des Art. 4 GG könne dieser Gemeinschaft folglich nicht zugestanden werden. Außer dem Vorwurf der eigentlichen wirtschaftlichen Zielsetzung trifft die Scientology Organisation in neuerer Zeit auch derjenige, eine politische Gruppierung anstelle einer Religionsgemeinschaft zu sein. Mit diesem Vorhalt müssen sich vor allem aber auch die islami(sti)schen Gemeinschaften auseinandersetzen. Welches sind jedoch die Kriterien, anhand derer sich nach vollziehen läßt, ob sich hinter einer zumindest vordergründig als Religionsgemeinschaft in Erscheinung tretenden Vereinigung in Wahrheit ein Wirtschaftskonzern oder eine politische Gruppierung verbirgt? Um auf diese neueren Fragestellungen angemessen reagieren und Vorgetäuschtes von Tatsächlichem unterscheiden zu können, haben Literatur und Rechtsprechung dem Begriff der Religionsgemeinschaft weitere Elemente entnommen: Unter der Prämisse, daß das Handeln einer Religionsgemeinschaft und ihrer Mitglieder durch ihre religiöse Überzeugung bestimmt sein müsse, fragen die Gerichte nunmehr nach der Intention, die effektiv die Verhaltenssteuerung der Vereinigung und ihrer Mitglieder übernimmt. Kristallisiert sich die Auseinandersetzung mit letzten Fragen der menschlichen Existenz lediglich als bemäntelndes Blendwerk eigentlich anders gelagerter - wirtschaftlicher oder politischer - Tätigkeiten heraus, versagen die staatlichen Organe nicht nur diesem Verhalten, sondern der Gemeinschaft selbst den Zugang zum Schutzbereich der Religionsfreiheit. Der weiten und selbstverständnisgeprägten Fassung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit stehen insgesamt mehrere Ansätze gegenüber, diesen immanent zu begrenzen. So werden insbesondere der Umfang der wirtschaftlichen Betätigung einer Religionsgemeinschaft und ihre Geneigtheit, Einfluß auf den politischen Diskurs zu nehmen, zur Nagelprobe ihres Status. Fragen der wirtschaftlichen und politischen Betätigung werden zwar dem objektiven Erscheinungsbild der Religionsgemeinschaften zugeordnet 164, sollen im folgenden Abschnitt aber als eigenständige negative Tatbestandsmerkmale oder auch immanente Beschränkungen der Religionsfreiheit diskutiert werden. Sie nehmen nämlich zum Teil unabhängig davon, 162

Zitiert nach „Die Scientology-Organisation" (hrsg. v. Bundesverwaltungsamt), S. 8; weitere Anweisungen zur Gewinnvermehrung sind zitiert bei T. Masuch, StaWi / StaPrax 9 (1998), S. 623 (635 f.). 163 T. Starosta, Religionsgemeinschaften, S. 25 ff. !64 A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 84.

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ob eine Religion objektiv erkennbar in Gemeinschaftsform betrieben wird, auf die Anerkennung einer solchen Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft Einfluß. Über die Fragen wirtschaftlicher und politischer Aktivitäten hinaus erfährt auch die Theorie der immanenten Mißbrauchsschranken eines Grundrechts aktuelle Geltung, wenn aufgrund der fehlenden Verfassungskonformität der religiösen Lehren der betreffenden Religionsgemeinschaften diesen der Schutz des Art. 4 GG vorenthalten wird. Zum Abschluß dieses Abschnitts soll daher kurz das dogmatische Für und Wider dieser grundrechtsimmanenten Schranken diskutiert werden. a) Wirtschaftliche

Betätigung der Religionsgemeinschaften

Kann eine Vereinigung auch dann als Religionsgemeinschaft angesehen werden, wenn sie sich wirtschaftlich betätigt? Und bis zu welchem Grade darf sie sich wirtschaftlich betätigen, damit sie als Vereinigung noch unter den Schutzbereich des Art. 4 GG fällt? Diese Fragen sind zunächst auf dem Gebiet des bürgerlichen Vereinsrechts diskutiert worden. Dort ging es um die Eintragungsfähigkeit sogenannter „religiöser Wirtschaftsvereine" 165 als Ideal vereine nach § 21 BGB. Die wirtschaftliche Betätigung einer Religionsgemeinschaft beeinflußt aber nicht allein die Wahl ihrer Rechtsform. Um die wirtschaftliche Betätigung herum wird in Literatur und Rechtsprechung vielmehr die Grenze des plausiblen geistigen Gehalts der religiösen Lehren und des äußeren Erscheinungsbilds der Gemeinschaft gezogen. Religionsgesellschaften, so wird argumentiert, denen infolge eines bestimmten Grades ihrer wirtschaftlichen Betätigung die Ganzheitlichkeit des religiösen Anspruchs abhanden komme, unterfielen per definitionem nicht dem Schutzbereich der Religionsfreiheit. Über die vereinsrechtlichen Implikationen wirtschaftlicher Betätigung hinaus wird an dieser Stelle somit die Weiche dafür gestellt, ob eine Vereinigung Schutz und Schirm des Art. 4 GG zu Recht für sich reklamieren kann. Auf einem noch näher zu bestimmenden Scheitelpunkt wirtschaftlicher Betätigung soll das Ruder schließlich umschlagen. Angesichts des weitreichenden Schutzbereichs der Glaubensfreiheit ergeben sich hier aber erhebliche Wertungsprobleme, die sich in der uneinheitlichen Rechtsprechung und Literatur zu diesem Thema deutlich widerspiegeln 166. Im folgenden Abschnitt soll daher zunächst die zivilrechtliche Situation von Religionsgemeinschaften, die sich wirtschaftlich betätigen, kursorisch referiert werden. Die vereinsrechtliche Handhabung von Religionsgemeinschaften, die viele und teure entgeltliche Leistungen an Mitglieder oder Dritte erbringen, hat insoweit Indizfunktion für die verfassungsrechtliche Frage, ob und wann derartigen Gemeinschaften der Schutzbereich des Art. 4 GG verschlossen bleiben muß. 165 K. Schmidt, NJW 1988, S. 2574. 166 R. B. Abel, NJW 1996, S. 91 (94); ders., NJW 1999, S. 331 (332 f.); S. Veelken, Das Verbot, S. 47 ff.; H. Weber, in: Besier/Scheuch (Hrsg.), Die neuen Inquisitoren, S. 174 (191 ff.).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

aa) Der Idealverein als ideale Vereinsform Religionsgemeinschaften werden über Art. 137 IV WRV für den Erwerb ihrer Rechtsfähigkeit auf das bürgerliche Recht verwiesen. Wenn sie nach den zivilrechtlichen Vorschriften Rechtsfähigkeit erlangen wollen, materialisieren sie sich auf dem Boden der staatlichen Rechtsordnung. Damit begeben sie sich in den Bereich des für alle geltenden Gesetzes, also des staatlichen Rechtsregimes. Die Voraussetzungen des bürgerlichen Vereinsrechts gelten deshalb auch für sie. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muß eine Religionsgemeinschaft bei der Wahl ihrer Rechtsperson aber grundsätzlich auf eine Organisationsform zurückgreifen können, die dem für ihren Status konstitutiven Kriterium der umfassenden Pflege eines religiösen Bekenntnisses Rechnung trägt 167 . Die zivilrechtliche Rechtslage stellt sich daher wie folgt dar: Vollrechtsfähigkeit erlangen Religionsgemeinschaften, die nicht nach Art. 137 V WRV den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten haben, in der Regel durch die Rechtsform des Idealvereins nach § 21 BGB. Der Ideal verein wird im BGB von einem Verein abgegrenzt, dessen Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 22 BGB) gerichtet ist. Während für die wirtschaftlichen Vereine aus Gründen des Gläubigerschutzes neben dem handelsrechtlichen Typenzwang ein subsidiäres staatliches Konzessionierungssystem gilt 1 6 8 , erlangen Idealvereine ihre Rechtsfähigkeit durch ihre konstitutiv wirkende Eintragung im Vereinsregister. Zwar hat jede Religionsgemeinschaft, welche die Voraussetzungen für die Erlangung der Vollrechtsfähigkeit nach § 21 BGB erfüllt, einen Anspruch auf Eintragung in das Vereinsregister. Ein von diesen Tatbestandsvoraussetzungen völlig unabhängiges, verfassungsmäßiges Recht auf Eintragung und damit auf Erlangung der Vollrechtsfähigkeit steht den Religionsgemeinschaften dagegen nicht zur Seite 169 . Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in neuerer Zeit die vereinsrechtlichen Kautelen des bürgerlichen Rechts aufgeweicht. Diese Abweichungen von den (zwingenden) Vorschriften des bürgerlichen Vereinsrechts, die das Gericht nunmehr zuläßt, um dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften Rechnung zu tragen, beziehen sich aber im wesentlichen auf das Innenverhältnis dieser Religionsgemeinschaften. Sie haben sämtlich die Vereinsautonomie zum Gegenstand170. Eine großzügige Handhabung der tatbestandlichen Voraussetzungen der verbandsrechtlichen Normativbestimmung des § 21 BGB dagegen nähme Einfluß auf extern liegende Gesichtspunkte des handelsrechtlichen Gläubigerschutzes. Denn insbesondere bei einer nach außen

167 BVerfGE 83, 341 (355 f.). 168 B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 103; Κ Schmidt, NJW 1983, S. 543 (544). 169 BVerfG NJW 1991, S. 2623 (2624); a.A. LG Hamburg NJW 1988, S. 2617 f.; F. Kopp, NJW 1989, S. 2497 (2499); B. Jean d'Heur, JuS 1992, S. 830 (833 f.). 170 BVerfG NJW 1991, S. 2623 (2625 f.), unter Aufhebung von OLG Stuttgart NJW-RR 1986, S. 995; kritisch W. Flume , JZ 1992, S. 238 (239 f.); weitergehend B. Jean d'Heur, JuS 1992, S. 830 ff.; M. Schockenhoff, NJW 1992, S. 1013 ff.; ferner OLG Köln NJW 1992, S. 1048 (1049 f.); LG Oldenburg JZ 1992, S. 250 (251 f.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

gerichteten wirtschaftlichen Haupttätigkeit werden durch das Recht der Kapitalgesellschaften und Genossenschaften geschützte Gläubigerinteressen in besonders hohem Maße berührt. Wegen der vorrangig zu gewährleistenden Sicherheit des Rechtsverkehrs dürfen die Eintragungsvoraussetzungen des § 21 BGB deshalb nicht von den Privilegierungen verfassungsrechtlich garantierter Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften außer Kraft gesetzt werden 171 . Wollen Religionsgemeinschaften also Vollrechtsfähigkeit nach § 21 BGB als Ideal vereine erlangen, setzt dies voraus, daß ihr Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Ist er dies doch, dann darf die Religionsgemeinschaft nicht in das Vereinsregister eingetragen werden (§ 22 BGB) 1 7 2 . Als Ideal verein wird zunächst jede Personenvereinigung definiert, die einen gemeinnützigen, wohltätigen, geselligen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zweck verfolgt. Unter den Begriff fällt aber auch jeder andere Verein, der sich die Erfüllung nicht-wirtschaftlicher Zwecke zur Aufgabe gemacht hat. Religionsgemeinschaften zählen in der Regel zu diesen Vereinen 173. Wie werden im bürgerlichen Vereinsrecht aber nicht-wirtschaftliche von wirtschaftlichen Vereinen unterschieden? An Abgrenzungstheorien im Zivilrecht werden die objektive Theorie, die subjektive Theorie, die objektiv-subjektive Theorie und eine Theorie, die sich an der spezifischen Typologie wirtschaftlicher Vereine ausrichtet 174, vertreten. Während bei der objektiven Theorie das Augenmerk darauf gelegt wird, ob eine wirtschaftliche oder nicht-wirtschaftliche Vereinstätigkeit im Vordergrund steht, hebt die subjektive Theorie darauf ab, ob der Vereinszwc/: auf einen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil, insbesondere die Gewinnerzielung, gerichtet ist oder ein ideelles Ziel verfolgt wird. Die objektiv-subjektive Theorie variante kombiniert dagegen beide zuvor genannten Abgrenzungstheorien. Sie betrachtet sowohl die Tätigkeit des Vereins als auch seinen Zweck. Grundsätzlich wirtschaftlich ist nach dieser Theorie ein Verein, der planmäßig und auf Dauer auf einem äußeren Markt πι BVerwG NJW 1998, S. 1166 ff.; K. Schmidt, NJW 1988, S. 2574 (2575 f.); BGH NJW 1983, S. 569 (570); kritisch F. Kopp, NJW 1989, 2497 (2500 f.). 172 Ändert sich der Zweck in einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, so kann der Religionsgemeinschaft nach § 43 I I BGB die Rechtsfähigkeit entzogen werden, vgl. BVerwGE 105, 313. In Rechtsprechung und Literatur wird ferner diskutiert, inwieweit es den Religionsgemeinschaften zumutbar ist, sich dann dem Rechtsformzwang für die Handelsgesellschaften unterwerfen zu müssen. Hierzu LG Hamburg NJW 1988, S. 2617 (2618): Unzumutbarkeit der Offenlegung intemer Angelegenheiten; F. Kopp, NJW 1989, S. 2497 (2498); BVerwGE 58, 26 (31 ff.); A. v. Campenhausen, NJW 1990, S. 887 (888); Κ Schmidt, NJW 1998, S. 1124

(1126).

173 B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 99, 102. 174 Hierzu insbesondere Κ Schmidt, AcP 182 (1982), S. 1 (16 ff.); ders., Verbandszweck, S. 103 ff. Hiemach bestehen drei Grundtypen wirtschaftlicher Vereine: Der Verein, der planmäßig Waren oder Dienstleistungen an Dritte verkauft (äußerer Markt), um Vorteile zu erzielen, wobei er nicht auf Gewinnerzielung angelegt sein muß. Der Verein, der Wirtschaftsgüter auf einem inneren Markt, also seinen Mitgliedern, anbietet. Und schließlich ein Verein, der genossenschaftsähnliche Kooperationsstrukturen aufweist, seine unternehmerischen Tätigkeiten aber ausgelagert hat. Auch VG München GewArch 1984, S. 329 (330).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit entgeltliche Leistungen anbietet. Ob die feilgebotenen Waren und Dienstleistungen dabei in den materiellen oder immateriellen Bereich des Vereins fallen, ist nicht maßgeblich. Entscheidend ist aber wohl, ob die Leistungen üblicherweise unabhängig von mitgliedschaftlichen Beziehungen auch von anderen Vereinigungen angeboten werden 1 7 5 . Der subjektive Zweck spielt insoweit in die Beurteilung hinein, als der Verein ein ideeller bleibt, wenn trotz entgeltlicher Tätigkeit auf dem äußeren Markt diese nur eine wirtschaftliche Nebentätigkeit darstellt und der Verwirklichung der ideellen Zwecke d i e n t 1 7 6 . Oder wenn der ideelle Zweck gegenüber der wirtschaftlichen Tätigkeit ein Übergewicht h a t 1 7 7 . Gerade dieses sogenannte Nebenzweckprivileg ist auch für die spätere verfassungsrechtliche Beurteilung interessant. Nach dem Nebenzweckprivileg sind wirtschaftliche Tätigkeiten eines Idealvereins nämlich unschädlich, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Die Vereinigung muß in ihrer Satzung einen ideellen Hauptzweck festgelegt haben und diesen auch tatsächlich verfolgen. Die entgeltlichen Leistungen müssen mit diesem Zweck vereinbar und ihm zugeordnet sein. Sie müssen dem Zweck funktionell untergeordnet sein, das heißt Hilfsmittel für die Verfolgung des ideellen Zwecks darstellen und für ein funktionsfähiges Vereinsleben notwendig s e i n 1 7 8 . 175

Deshalb ist bislang nicht wirklich geklärt, ob Scientology auf dem „Markt der entgeltlichen Lebensführungshilfe" einen wirtschaftlichen Betrieb errichtet hat. B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 118 Fn. 105. Das BVerwG (NJW 1998, S. 1166) hat ein entsprechendes Urteil des VGH Mannheim (NJW 1996, S. 3358) zurückverwiesen. Auch BVerwGE 105, 313 (317 ff.). Vgl. ferner die Definition des BGH NJW 1983, S. 589, nach der ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb voraussetzt, daß es sich um „planmäßige, auf Dauer angelegte und nach außen gerichtete, d. h. über den vereinsinternen Bereich hinausgehende, eigenunternehmerische Tätigkeiten handelt, die auf Verschaffung vermögenswerter Vorteile zugunsten des Vereines oder seiner Mitglieder abzielen". Ob es auf das Erwerbsstreben des Vereins ankommen darf, wird insbesondere von Karsten Schmidt bestritten. Vgl. K. Schmidt, NJW 1983, S. 543 (544 f.). 176 RGZ 83, 231 (234 ff.); BGHZ 15, 315 (319 f.): Nur dann, wenn die wirtschaftliche Betätigung eines Vereins Selbstzweck ist, ist auch der Verein ein wirtschaftlicher. K. Stöber, Vereinsrecht, S. 39 ff. 177 RGZ 133, 170 (176 f.); OLG Düsseldorf NJW 1983, S. 2574 (2576); B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 104 ff. 178 B. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, Rn. 133; BGHZ 85, 84 (93): auf die Entgeltlichkeit einer Vereinstätigkeit kommt es nicht entscheidend an. BGHZ 45, 395 (397); Η Hemmerich, Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung von Ideal vereinen, S. 101 ff.; Κ Schmidt, Verbandszweck S. 107 ff., 183 ff., 331 f. Wobei im Zivilrecht allerdings umstritten ist, ob es für das Nebenzweckprivileg in erster Linie auf die Quantität entgeltlicher Tätigkeit ankommt, oder ob es ausschlaggebend ist, daß nach funktionaler Betrachtungsweise die entgeltliche Tätigkeit ein Mittel zur Erreichung eines ideellen Hauptzwecks darstellt, vgl. VG München GewArch 1984, S. 329 (331). In Anbetracht des Nebenzweckprivilegs stellt es eine unangemessene Verkürzung des Sachverhalts dar, wenn einige Gerichte urteilen, daß es bei der Bemessung der wirtschaftlichen Betätigung nicht darauf ankomme, ob Scientology überhaupt der Status einer Religionsgemeinschaft und damit der eines ideellen Vereines zukomme. So aber BVerwG NJW 1998, S. 1166 (1168); OVG Bremen GewArch 1997, S. 290 (291); OVG Lüneburg NVwZ-RR 1996, 247 (248); VG Stuttgart NVwZ 1994, S. 612 (615); OVG Hamburg, NVwZ 1994, S. 192; in anderem Zusammenhang auch OVG Münster NVwZ 1997, S. 302; ferner/?. B. Abel, NJW 1999, S. 331 (332 f.). 11 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

bb) Die verfassungsrechtlichen Abgrenzungstheorien Wurden im vorhergehenden Abschnitt die zivilrechtlichen Abgrenzungskriterien zusammengefaßt, die dazu dienen, im bürgerlichen Vereinsrecht wirtschaftliche Betriebe von ideellen Vereinen zu unterscheiden, sollen im folgenden Abschnitt die verfassungsrechtlichen Parameter diskutiert werden. Denn auch im Verfassungsrecht tut sich ein ähnlich gelagertes Problem auf Während es im Vereinsrecht aber darum ging, ob eine Religionsgemeinschaft, die sich entgeltlich betätigt, als Ideal verein nach § 21 BGB Rechtsfähigkeit erlangen kann, spitzt sich die verfassungsrechtliche Problemstellung daraufhin zu, ob eine Religionsgemeinschaft, die sich wirtschaftlich betätigt, eine Religionsgemeinschaft und als solche Trägerin des Grundrechts aus Art. 4 GG ist. Der religionsverfassungsrechtliche Vereinigungsbegriff ist wesentlich weiter gefaßt als der Begriff des Ideal Vereins in § 21 BGB. Insbesondere entscheidet letztlich nicht die einfachrechtliche Ausgestaltung der Rechtsformen darüber, ob eine Vereinigung als Trägerin des Grundrechts aus Art. 4 GG anzusehen ist. Im Verhältnis zwischen einfachem Gesetzesrecht und der Verfassung selbst gilt nämlich der Grundsatz des Vorrangs letzterer. Zivilrechtliche Eintragungsvoraussetzungen können daher über den grundgesetzlichen Begriff der Religionsgemeinschaft nicht verfügen 179 . Die „Bemessungsgrundlage", die als Trennlinie zugrunde gelegt werden muß, um im Verfassungsrecht zwischen Wirtschaftsbetrieb und Religionsgemeinschaft zu differenzieren, darf sich daher nicht aus den genuin zivilrechtlichen Maßstäben zusammensetzen, die an die Abgrenzung wirtschaftlicher und ideeller Vereinigungen angelegt werden, wenn diese dem Verfassungsbegriff der Religionsgemeinschaft nicht entsprechen. Die Kriterien, die im Vereinsrecht entwickelt wurden, entfalten aber durchaus eine indizielle Wirkung. Zunächst jedoch kurz zu der grundsätzlicheren Frage, ob Religionsgemeinschaften sich überhaupt wirtschaftlich betätigen dürfen, ohne daß sie ihren Status als Religionsgemeinschaften und damit den Schutz von Art. 4 GG verlieren. Im Hinblick darauf, ob wirtschaftliche Tätigkeiten dem Schutzbereich des Art. 4 GG unterfallen, wird nämlich vertreten, daß aus der geistesgeschichtlichen und daher wirtschaftsfernen Provenienz des Grundrechts der Religionsfreiheit folge, daß jedwede Verknüpfung von entgeltlicher Geschäftigkeit mit religiösen Bezügen den Schutzbereich des Art. 4 GG sprenge 180. Eine wirtschaftliche Betätigung war, so 179 Im Gegenteil wäre hier zu überlegen, ob aufgrund der objektiven GestaltungsWirkung der Grundrechte auf das Zivilrecht das Grundrecht der Glaubensfreiheit in seiner korporativen Dimension auf das Vereinsrecht zurückwirken muß. So auch VGH Mannheim NJW 1996, S. 3358 (3361); VG Hamburg NJW 1996, S. 3363 (3364 f.); a.A. T. Guber, NVwZ 1990, S. 40 (41 f.). 180 R. Bergmann, in: Seifert/Hömig, GG (Vorauflage), Art. 4 Rn. 5: „Ein geistesgeschichtlich wirtschaftsfernes Freiheitsrecht wird durch den Schutz straff organisierter wirtschaftlicher Konzerne in Gestalt von Jugendreligionen, Jugendsekten und Meditationsvereinen mit einem partiell,ideellen' Programm ad absurdum geführt". Insbesondere auch W. LoscheIder,

Α. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

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das Gegenargument, den etablierten Großkirchen aber nie fremd 181 . Dennoch, so eine weitere Meinung, schließe es das Grundrecht der Religionsfreiheit aus, daß gleichgelagerte Tätigkeiten neuerer Religionsgemeinschaften unter seinen Schutzbereich fielen. Denn die christlichen Großkirchen hätten sich einen zeitlichen Vorsprung erarbeitet, der es rechtfertige, ihre wirtschaftliche und karitative Betätigung als traditionellen Wirkbereich der Nächstenliebe unter den Schutz der Religionsfreiheit zu ziehen, wirtschaftliche Tätigkeiten neuerer Religionsgemeinschaften aber außen vor zu lassen 182 . Gegen diese Auffassung spricht jedoch die Offenheit des Schutzbereichs der Religionsfreiheit für andere, auch nicht-christliche Religionen, denen derselbe Schutzstandard wie jenen zuteil werden muß. Der Schutzbereich des Grundrechts der Religionsfreiheit ist kein „closed shop" für einen gewissen christlich-kulturellen Bestand an religiösen Freiheiten eines bestimmten „Normaljahres". Es scheint deshalb im Ergebnis zumindest undifferenziert, aus einzelnen Verhaltensweisen einer Gemeinschaft, die unbestreitbar von dem Willen getragen sind, finanzielle Gewinne zu erwirtschaften, auf den Gesamtcharakter dieser Vereinigung zu schließen und ihren Status als Religionsgemeinschaft zu verneinen 183. Ein privatrechtlich verfaßter Verein, auch in Form einer Religionsgemeinschaft, bedarf eines gewissen Maßes finanzieller Mittel, damit er sich umfassend um die Bedürfnisse seiner Mitglieder kümmern kann. Vereins- und staatskirchenrechtliche Autonomie der Religionsgemeinschaften verlangen es dann aber, daß es diesen Organisationen ein Stück weit selbst überlassen bleibt zu bestimmen, woher ihre finanziellen Mittel fließen 184 . Grundsätzlich wird daher angenommen, daß nicht jedes wirtschaftliche Tätigwerden einer Vereinigung zur Aberkennung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit führt. Wann schlägt aber das Ruder um, so daß aufgrund der wirtschaftlichen Betätigung nicht mehr von einer Religionsgemeinschaft gesprochen werden kann? Wie letztlich zwischen Wirtschaftsbetrieb und Religionsgemeinschaft zu unterscheiden in: Essener Gespräche 20 (1986), S. 149 (156), der für die wirtschaftliche Tätigkeit neuerer Religionsgemeinschaften eine Anknüpfungsmöglichkeit an geschichtlich gewordene Formen der Glaubensäußerung verneint. Kritisch W. Heintschel v. Heinegg /O. Schäfer, DVB1. 1991, S. 1341 (1343), mit Hinweis auf die calvinistische Prädestinationslehre; ebenso H. W. Alberts, NVwZ 1985, S. 92 (94). 181 Zu den Vermögenswerten, welche die katholische wie auch die evangelische Kirche im Laufe ihrer Geschichte angehäuft haben, vgl. C. Frerk, Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland. iS2 S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 11; vgl. aber auch BVerfGE 24, 236 (248). 183 So aber BAG NJW 1996, S. 143 ff.; VG Stuttgart NVwZ 1994, S. 612 (614); S. Mukkel, Religiöse Freiheit, S. 133, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; W. Schatzschneider, BayVBl. 1995, S. 321 (322); kritisch auch Η Alberts, NVwZ 1994, S. 1150 (1152). 184 R. Zuck, NJW 1997, S. 697 (698). Das OVG Bremen GewArch 1997, S. 290 (292 f.), attestiert der Scientology, daß diese sich zulässigerweise ausschließlich über den Verkauf von Waren und Dienstleistungen finanziere. 1*

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ist, wird in Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert. Vertreten werden die Schwerpunkttheorie, die Theorie der Zentralität des religiösen Bekenntnisses und die Vorwandtheorie 185. (1) Die Schwerpunkttheorie Sowohl die Schwerpunkttheorie 186 als auch der Grundsatz der Zentralität des religiösen Bekenntnisses187 stellen den Umfang der wirtschaftlichen Betätigung einer Gemeinschaft in den Mittelpunkt ihrer Argumentation. Sie beleuchten dabei das Verhältnis des wirtschaftlichen Gebarens zur Pflege des religiösen Bekenntnisses selbst. Auch die Höhe der Entgelte, die für Leistungen verlangt werden, spielt eine Rolle. Die Schwerpunkttheorie setzt vordergründig an den Begriffsmerkmalen der Religionsgemeinschaft, hier insbesondere an der Akzessorietät von Religion und Religionsgemeinschaft, an. Gleiches tut der Grundsatz der Zentralität. Beide gehen davon aus, daß das religiöse Bekenntnis und seine Pflege im Fokus der vereinsmäßigen Tätigkeit zu stehen habe. Da Religion final auf den Sinn menschlicher Existenz bezogen sei, müsse ihr eine zentrale Bedeutung im Leben der Gemeinschaft zukommen. Die Schwerpunkttheorie läßt nun den Fels der finalen Sinnstiftung mehr und mehr ins Bröckeln geraten, je tiefer er in der Brandung wirtschaftlicher Tätigkeit steht. Das „Sowohl als Auch" religiöser und wirtschaftlicher Betätigung schlägt an einem Kulminationspunkt in ein „Entweder/Oder" um. Diesen Punkt bestimmt die Schwerpunkttheorie durch das Überwiegen wirtschaftlicher Betätigung. Sie nähert sich damit stark den im bürgerlichen Vereinsrecht vertretenen Abgrenzungstheorien an. Letztlich zont sie das vereinsrechtliche Nebenzweckprivileg auf Verfassungsebene hoch. Ob die Vereinigung bei Überwiegen der wirtschaftlichen Tätigkeit auch Raum und Lehre bietet, damit ihre Mitglieder ihren Glauben umfassend leben können, ist von diesem Punkt aus nicht weiter von Interesse. Trotz ihrer Orientierung an den zivilrechtlichen Maßstäben fragt die Schwerpunkttheorie aber nicht weiter nach, welche entgeltlichen und daher wirtschaftlichen Waren und Dienstleistungen in einem inneren Bezug zur Pflege und Bezeugung des Bekenntnisses stehen, weil sie an die Mitglieder der Gemeinschaft erbracht werden und deshalb der 185

Umfassender Überblick bei G. Brauser-Jung, Religionsgewerbe, S. 221 ff. Zu den Vertretern zählen P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 54 ff.; A. v. Campenhausen, ZevKR 37 (1992), S. 405 (410 ff.); ders., HStR VI, § 136 Rn. 73; ders., Staatskirchenrecht, S. 82 ff.; W. Heintschel v. Heinegg/O. Schäfer, DVB1. 1991, S. 1341 (1343): „wirtschaftliche ( . . . ) Betätigungen das Gesamterscheinungsbild der Gruppe deutlich dominieren."; J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (45); ders., in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (120 f.); Scholler, in: FS Kriele, S. 321 (334). ι 8 7 R. Poscher, Der Staat 39 (2000), S. 49 (62 ff.); ähnl. S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 135. 186

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Erfüllung der ideellen, also religiösen Ziele dienen 188 . Je nach Grad der nachweisbaren wirtschaftlichen Tätigkeit unterteilt die Schwerpunkttheorie die entsprechenden Vereinigungen dadurch in echte und unechte Religionsgemeinschaften. Dieser Differenzierung hatte das Bundesverwaltungsgericht aber bereits in den Siebzigerjahren eine Absage erteilt 189 . Unter den Begriff der unechten Religionsgemeinschaften waren bis dato diejenigen Vereinigungen gefaßt worden, die sich mit ihrer Tätigkeit zu weit in ein weltliches Betätigungsfeld - sei es das der Wirtschaft oder das der Politik - hineingewagt hatten und damit, statt das Weltganze rein spirituell erkennen und bewerten zu wollen, auch andere Zwecke verfolgt hatten 190 . Eindeutige Bemessungskriterien, anhand derer zwischen einer „Noch-Religionsgemeinschaft" und einer „Nicht-Mehr-Religionsgemeinschaft" unterschieden werden kann, bietet die Schwerpunkttheorie nicht an. Aufgrund der vermutet hohen finanziellen Gewinne und der internen Verpflichtung der Scientology-Mitglieder, diese weiter zu vermehren, werten die Vertreter der Schwerpunkttheorie Scientology deshalb als Wirtschaftsunternehmen. (2) Alles nur eine Frage der Auslagerung? Fraglich scheint jedoch im Hinblick auf die Schwerpunkttheorie, welche verfassungsrechtlichen Konsequenzen es haben könnte, wenn eine Religionsgemeinschaft wie Scientology begönne, ihre unternehmerischen Tätigkeiten auf verschiedene Tochtervereine zu verteilen. Würde die Auslagerung den vermeintlich wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb auch nach der Schwerpunkttheorie neutralisieren, oder infizierte ein ausgelagerter Geschäftsbetrieb die Religionsgemeinschaft gleichwohl mit dem Virus des Wirtschaftsbetriebs 191? Anlaß zu dieser Frage gibt ein zum Teil vertretenes paradoxes Ergebnis, das die Vertreter der Schwerpunkttheorie erzielen. So gehen sie davon aus, Scientology sei aufgrund ihrer geistigen Lehren eine Religion (oder zumindest eine Weltanschauung). Die einzelnen, die 188 F. Kopp, NJW 1989, S. 2497 (2500 ff.); ders., NJW 1990, S. 2669; J. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (48); ders., in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (120), C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 50; T. Starosta, Religionsgemeinschaften, S. 69 ff.; VG München GewArch 1984, S. 329 (331); VG Hamburg NVwZ 1991, S. 806 (809 f.); VG Berlin GewArch 1986, S. 171. So zählen nach dem Selbstverständnis der alteingesessenen Religionsgemeinschaften entgeltliche Veranstaltungen, Vorträge oder Kurse und der Verkauf von Schriften, mit denen die Pflege der Religion gefördert wird, ohne weiteres zu den Verhaltensweisen, die an der verfassungsrechtlichen Garantie der Religionsfreiheit teilnehmen. Vgl. BVerfGE 19, 129 (133); P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 60; A. v. Campenhausen, ZevKR 37 (1992), S. 405 (412 f.). 189 BVerwGE 37, 345 (362 ff.); aufgegriffen von BVerwGE 90, 112 (117); R. B. Abel, Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit, S. 173 ff.; S. Veelken, Das Verbot, S. 53; W. Cremer IT. Keim, NJW 1997, S. 832 (834). 190 BVerwGE 37, 345 (362 f.); J. Listi, DÖV 1973, S. 181 ff.; BT-Drs. 4/430, S. 11; A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 140 Rn. 218; vgl. aber auch schon G. Schnorr, Vereinsrecht, § 2 Rn. 39. 191 Dies bejaht G. Brauser-Jung, Religionsgewerbe, S. 248 f.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

zusammen diese Religion bekennten und sie in Gemeinschaft lebten, dürften deshalb als Individuen den Schutz der Glaubensfreiheit je für sich in Anspruch nehmen. Jedoch sei dies nicht dem Kollektiv selbst gestattet, da eine Religionsgemeinschaft gleichwohl nicht gegeben sei 1 9 2 . Für die zivilrechtliche Seite des Vereinsrechts gilt, daß die Gründung und Ausgliederung eines wirtschaftlichen Tochterunternehmens aus einem Idealverein keinen Wirtschaftsbetrieb macht, solange das unternehmerische Risiko mit abgewälzt wird und der unternehmerische Zweck dem Verein dadurch nicht mehr zurechenbar ist 1 9 3 . Der Bundesgerichtshof spricht in dieser Frage wie folgt Recht: Wird ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb von einem Verein auf eine Kapitalgesellschaft ausgelagert, die ihren Gläubigern alle mit einer solchen Rechtsform verbundenen Sicherheiten bietet, so kann deren Geschäftsbetrieb grundsätzlich nur dieser Kapitalgesellschaft und nicht dem Verein selbst zugerechnet werden. Auch im Verfassungsrecht scheinen ausgelagerte wirtschaftliche Unternehmen den Status einer Religionsgemeinschaft, der sie zugeordnet sind, grundsätzlich nicht anzutasten. Das ergibt sich daraus, daß es einer Religionsgemeinschaft gestattet ist, einzelne Aufgaben aus dem Kanon ihrer umfassenden Bekenntnispflege auszulagern und auf religiöse oder andere Vereine umzuverteilen. Die partikularen Zwecke, zu deren Erfüllung religiöse oder andere Vereine von Religionsgemeinschaften gegründet werden, sind vielfältig. Insbesondere die wirtschaftliche Betätigung dieser Vereine fällt nicht aus dem Rahmen der religiösen Zwecksetzung. Mehr noch: Dienen die Erlöse aus dieser Betätigung der Förderung und Pflege des zugeordneten religiösen Bekenntnisses selbst, nehmen derartige Vereine zudem einen nicht abgeleiteten Schutz aus Art. 4 GG für sich in Anspruch 194 . Auch einem wirtschaftlich orientierten Unternehmen in Form einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, das einer Religionsgemeinschaft mittelbar oder unmittelbar dient, kann deshalb die Berufung auf Art. 4 GG zustehen. Das gilt gerade für den Fall, daß die Vereinigung der Religionsgemeinschaft institutionell verbunden ist 1 9 5 . Für die Beurteilung, ob Scientology eine ideelle Vereinigung und damit eine 192 H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 29; T. Masuch, StaWi / StaPrax 9 (1998), S. 623 (636). 193 BGH NJW 1983, S. 589 ff.; Palandt-Heinrichs, BGB, § 21 Rn. 3: Die Beteiligung an einem Unternehmen anderer Rechtsform oder die Ausgliederung von unternehmerischer Tätigkeit durch die Gründung von Tochtergesellschaften begründet keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Verein auf die Tochtergesellschaft einen beherrschenden Einfluß ausübt. So auch BVerwGE 105, 313 (320); femer Β GHZ 85, 84 (89 ff.); Η Hemmerich, Möglichkeiten und Grenzen wirtschaftlicher Betätigung, S. 119 ff., 134 f.; dies., BB 1983, S. 26 ff.; anders K. Schmidt, NJW 1983, S. 543 (545): Zurechnung für den Fall des beherrschenden Einflusses des Vereins auf das ausgelagerte Unternehmen in Form geschäftsleitender Funktionen. 194 BVerfGE 24, 236 (246 f.). 195 W. Riifner, in: HStR V, § 116 Rn. 41, unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Auffassung, in: ders., AöR 89 (1964), S. 261 (298 ff.). Eine institutionelle Verbindung besteht bei personellen Überschneidungen, bei der Übereinstimmung der Zielsetzung und Einflußnahmemöglichkeiten seitens der Religionsgemeinschaft.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Religionsgemeinschaft oder ein Wirtschaftsbetrieb sei, war es dem VG Stuttgart daher wichtig festzustellen, daß Scientology zwar angedeutet habe, „den Buchverkauf auf eine noch zu gründende GmbH zu übertragen", dies bis zum Zeitpunkt des Urteils aber noch nicht geschehen sei 1 9 6 . Im Ergebnis scheint es damit möglich, durch die Ausgliederung wirtschaftlicher Betätigung eine „Religions-Rumpfgesellschaft" zu schaffen, die auch nach der Schwerpunkttheorie dann als Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 4 GG betrachtet werden müßte. (3) Die Theorie der Zentralität des religiösen Bekenntnisses Die Theorie der Zentralität des religiösen Bekenntnisses versucht nun, die Scheidelinie, an der die Religionsgemeinschaft sich in einen Wirtschaftskonzern verwandelt, anders zu ziehen. Die Quantität der wirtschaftlichen Geschäftigkeit, so die Prämisse, entfalte hier allenfalls eine Indizwirkung. Vielmehr solle es auf den qualitativen Stellenwert des religiösen Bekenntnisses und seiner Pflege für das Leben der Gemeinschaft und der einzelnen in ihr ankommen. Das Bekenntnis, seine Pflege und seine Bezeugung müsse im Zentrum der Aktivitäten der Gemeinschaft stehen und dürfe nicht als Randerscheinung lediglich an deren Peripherie dümpeln. Das Religiöse muß nach dieser Ansicht den ausschließlichen Endzweck des Schaffens der Gemeinschaft bilden, den letzten Zweck, „dem alles andere Wirken der Organisation untergeordnet ist" 1 9 7 . Aber auch hier besteht die Notwendigkeit, meßbare Schwellen zu formulieren. Wann stellt das Bekenntnis eine Randerscheinung dar? Wann dagegen steht es im Zentrum? Wieviel wirtschaftliche Tätigkeit verträgt es, und läßt sich diese vielleicht in Zahlen ausdrücken? An dieser Stelle streckt auch die Theorie der Zentralität ihre Waffen, und ihre Vertreter beginnen, strukturell zu argumentieren. Infolgedessen wird dann das Merkmal der Zentralität des Bekenntnisses durch das Merkmal seiner „Konsistenz" ersetzt. Vereinfachend ausgedrückt, mündet das Merkmal der Konsistenz des Bekenntnisses in die Frage, was denn nun für die Gemeinschaft wirklich wichtig und damit prägend sei: die wirtschaftliche Betätigung oder die Pflege eines religiösen Glaubens. Da der Grund für die Privilegierung der Religionsfreiheit ihre identitätsbildende Funktion für den einzelnen sei, müsse, so diese Theorie, gefragt werden, ob das religiöse Bekenntnis, das eine Gemeinschaft zu lehren meine, diese seine Funktion gegenüber den Mitgliedern der Gemeinschaft vorrangig erfülle und sich deshalb auch in deren Lebenspraxis äußere. Hier nähert sich dieser Grundsatz stark der sogenannten Vorwandtheorie an. 196 VG Stuttgart NVwZ 1994, S. 612 (613). 197 G. Thüsing, in: FS Krüger, S. 351 (378); R. Poscher, Der Staat 39 (2000), S. 49 (65 f.); B. Schlink, in: Busch (Hrsg.), Integration und Religion, S. 52 (63 ff.); B. Pieroth/C. Görisch, JuS 2002, S. 937 (939), mit Hinweis auf BVerwGE 61,152 (156,159 f.); BVerwGE 89,368 (370 f.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

(4) Die Vorwandtheorie Die Vorwandtheorie fragt nämlich nicht danach, wie wirtschaftliche Betätigung und religiöses Bekenntnis im Verhältnis zueinander stehen, sondern ob in einer Gemeinschaft ein solches gelehrt, gepflegt und bezeugt wird. Sie zieht sich darauf zurück, einer Vereinigung erst in dem Augenblick den Schutzbereich des Art. 4 GG durch Aberkennung ihres Status zu versagen, in dem diese ausschließlich wirtschaftlichen Interessen nachgeht. Die religiöse Verbrämung der Gemeinschaft diene dann, so das Argument, nämlich allein dem Verschaffen wirtschaftlicher und rechtlicher Vorteile gegenüber Konkurrenten am Markt und sei ein Vorwand 198 . Die bloß überwiegende wirtschaftliche Betätigung der Religionsgemeinschaft ist dagegen für ihre Statusbestimmung unschädlich. Allein die von der Vorwandtheorie gestellte Frage danach, ob in der zu beurteilenden Gemeinschaft ein Glaube gelebt wird oder ob sie allein und damit ausschließlich wirtschaftlich tätig wird, entspricht derjenigen Konkretisierung des Begriffs einer Religionsgemeinschaft, die dieser in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung erfahren hat. Die Untersuchung des wirtschaftlichen Gebarens einer Vereinigung ist nämlich als ein unselbständiger Teil der Plausibiltätsprüfung des Selbstverständnisses einer Religionsgemeinschaft zuzuordnen. Stellte man hier auf einen zu beziffernden relativen Grad wirtschaftlicher Tätigkeit ab, etablierte man das zusätzliche und eigenständige Begriffsmerkmal „Quantität der wirtschaftlichen Betätigung" als ungeschriebenes negatives Tatbestandsmerkmal im Schutzbereich des Art. 4 GG, um bestimmten Vereinigungen diesen streitig zu machen 199 . Die verfassungsrechtliche Gebotenheit eines solchen Vorgehens erscheint indes zweifelhaft. Das Grundgesetz nennt weder den Begriff der wirtschaftlichen Betätigung noch den des Wirtschaftsunternehmens im Zusammenhang mit den Religionsgemeinschaften. Vielmehr läßt es aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der jeweiligen Religionsgemeinschaft sowie der notwendigen finanziellen Ausstattung derselben die wirtschaftliche Betätigung zu, ohne daß die betreffende Religionsgemeinschaft deswegen vom Genuß des Grundrechts der Glaubensfreiheit ausgeschlossen würde 200 . Außerdem erscheint der Schluß, eine Gemeinschaft, die sich überwiegend wirtschaftlich betätige, könne nicht gleichzeitig den umfassenden Ansprüchen eines religösen Bekenntnisses genügen, nicht zwingend. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang deswegen eine Theorie, die den Gerichten Kriterien 198 BVerwGE 90, 112 (118); BVerwG NJW 1992, S. 2496 (2498); BVerfG DVB1. 2002, S. 1351 (1352); R. Bergmann, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 4 Rn. 5; R. B. Abel, in: Herrmann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 138 (140 f.); J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 18; F. Kopp, NVwZ 1982, S. 178 (179); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 46; Μ.-Ζλ Dostmann, DÖV 1999, S. 993 (994 ff.); BT-Drs. 14/4541, S. 4: Der Bundesregierung liegen zumindest keine Erkenntnisse vor, daß sich die Scientology Organisation unzulässige Wettbewerbsvorteile verschafft. 199 Zu den negativen Tatbestandsmerkmalen als ungeschriebene Grundrechtsbegrenzungen, vgl. M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (984 f.). 20° G. Brauser-Jung, in: Religion und Weltanschauung, S. 151 (153).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

an die Hand gibt, nach denen sichergestellt wird, daß die Subsumtion einer Vereinigung unter den Begriff der Religionsgemeinschaft aufgrund ihrer wirtschaftlichen Betätigung ausgeschlossen ist 2 0 1 . Nur auf diese Weise lassen sich sowohl paradoxe Ergebnisse als auch solche, die sich durch geschickte Aus- und Untergliederungen grundsätzlich umgehen lassen, vermeiden: wie beispielsweise dasjenige, die Existenz einer Religion und eines verkollektivierten individuellen Glaubens der Mitglieder einer Vereinigung bejahen, gleichzeitig aber das Vorliegen einer Religionsgemeinschaft verneinen zu müssen. Für die Vorwandtheorie spricht ferner der folgende verfassungsrechtliche Befund: Das Grundgesetz schließt die Möglichkeit nicht aus, zwischen dem Status einer Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft nach Art. 4 GG und ihren Verhaltensweisen, die anderen Grundrechten zugeordnet werden können oder müssen, zu unterscheiden. Ob eine wirtschaftliche Betätigung dem Schutzbereich des Art. 4 GG unterfällt oder ob die wirtschaftliche Betätigung eine Statusaberkennung nach sich zieht, sind nämlich zwei Paar Schuhe. Trotz der einheitlichen Fassung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit bleibt es den Verfassungsinterpreten nicht verwehrt, diesen Schutzbereich näher zu konturieren. Religiöses Handeln kann im Schutzbereich der Religionsfreiheit insbesondere von einem religionsneutralen Verhalten unterschieden werden, das zwar religiös motiviert erscheint, gleichwohl aber entweder nur bei Gelegenheit der Religionsausübung stattfindet oder in nur äußerem Zusammenhang mit dieser steht. Dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit unterfällt es deshalb zwar nicht, läßt sich aber einschlägigen anderen Grundrechten wie ζ. B. den Art. 12, 14 oder 2 GG zuordnen 202 . Auf dieser Grundlage kann ferner differenziert werden nach dem Status einer Gemeinschaft und ihren diversen Betätigungen. Betätigt sich eine Religionsgemeinschaft wirtschaftlich, kann diese Tätigkeit nach der Schrankenregelung des Art. 137 III WRV denjenigen Normen aus dem Kreise der für alle geltenden Gesetze unterworfen werden, welche wirtschaftliche oder gewerbliche Tätigkeiten regeln, ohne daß notwendigerweise immer das Grundrecht der Religionsfreiheit eine dominierende Rolle spielen muß 2 0 3 . 201 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 S. 546; im Ergebnis auch T. Guber, „Jugendreligionen", S. 87; T. Fleischer, Der Religionsbegriff, S. 148 ff.; T. Starosta, Religionsgemeinschaften, S. 43 ff.; S. Veelken, Das Verbot, S. 50 f. 202 F. Müller, Die Posititivität, S. 99 f.; BVerfGE 19, 129 (133); BVerwGE 105, 313 (321); A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 72; C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 55 ff.; F. Schoch, in: FS Hollerbach, S. 149 (157). Diese am Näheverhältnis der fraglichen Tätigkeit zum Religionsvollzug ausgerichtete Schutzbereichsbegrenzung entspricht neueren Tendenzen in der Literatur, vgl. U. Κ . Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 26 f.; H. Fehlau, JuS 1993, S. 441 (442 f.); weitergehend J. Hellermann, in: Grabenwarter (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte, S. 129 (137 f.). Tendenzen, hier zwischen alteingesessenen und neueren Religionsgemeinschaften zu differenzieren, macht H. W. Alberts, NVwZ 1994, S. 1150 (1152 f.), aus. 203 c. D. Classen, Religionsfreiheit, S. 34 f.; P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 54 ff.; H. Goerlich, JZ 1995, S. 955 ff.; F Kopp, GewArch 1987, S. 209 f.; J. Müller-Volbehr, DÖV 1995, S. 301 (303); J. Neumann, ZRP 1995, S. 381 (381 f.); W. Cremer/T. Keim, NJW 1997, S. 832 (834 f.); vgl. aber auch BVerwG GewArch 1998, S. 416; BVerwG GewArch 1995,

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Im Ergebnis ist allein die Vorwandtheorie dazu in der Lage, diese verfassungsrechtlichen Vorgaben aufzugreifen und umzusetzen, da sie diejenige Theorie ist, die danach differenziert, ob in der Vereinigung ein religiöses Bekenntnis gelehrt und gelebt wird oder ob sich die Vereinigung ausschließlich wirtschaftlich betätigt. (5) Die Probe aufs Exempel: Scientology Wirtschaftskonzern oder Religionsgemeinschaft? Damit stellt sich abschließend die Frage, ob Scientology, legt man die Vorwandtheorie als Maßstab an, einen Wirtschaftskonzern darstellt oder unter den Begriff der Religionsgemeinschaft, die sich auch wirtschaftlich betätigt, subsumiert werden kann. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu prüfen, auf wessen Gebaren es ankommt, um die religiöse Verbrämung von Scientology als möglichen Vorwand zu entlarven - das der Gründungs- und Führungsriege oder das der einfachen Mitglieder? In diesem Rahmen gilt zunächst einmal, daß die Beweiskraft der schriftlichen Fixierungen von Scientology wie die offiziellen Verlautbarungen und vor allem die Satzungen der Vereinigung zunehmend in Zweifel gezogen werden. Zwar bezeichnet sich Scientology in ihren Satzungen, die aus zivilrechtlicher Perspektive als zweckgebende Verfassungen von Vereinen definiert werden 204 , als Religionsgemeinschaft. Papier gilt aber gemeinhin als geduldig und diese Satzungen daher als objektiv wenig aussagekräftig 205. Als erste Indizien, um Scientology den Vorwand der Religiosität nachzuweisen, werden daher in der Regel die oben zitierten Aussagen ihres Gründers L. Ron Hubbard herangezogen. Sein „make money"-Anspruch mache es, so die Beweisführung, geradezu offensichtlich, daß Scientology ein Wirtschaftskonzern sei. Deshalb ist also zu prüfen, inwieweit es auf diese Aussagen des „founding father" L. Ron Hubbards bei der Einordnung der Scientology Organisation ankommen kann. Geht es um das Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten einer Religionsgemeinschaft, dann wird im Staatskirchenrecht grundsätzlich dasjenige als nach außen und innen verbindlich betrachtet, was die maßgeblichen und verantwortlichen „Amtspersonen" verbindlich machen 206 . Im Zusammenhang mit der S. 152 (154); OVG Hamburg NVwZ 1994, S. 192 f.; VGH Bad.-Württ. GewArch 1989, S. 378 f.; VG Karlsruhe GewArch 1989, S. 373 ff.; R. Scholz, NVwZ 1992, S. 1152; B. Pieroth/C. Görisch, JuS 2002, S. 937 (940); U. Mager, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 15; G. Brauser-Jung, Religionsgewerbe, S. 166 f. 204 BGHZ 21, 370 (373); 47, 172 (179). 205 w. Heintschel v. Heinegg/O. Schäfer, DVB1. 1991, S. 1341 (1344); F. Kopp, NVwZ 1982, S. 178; zur Unterscheidung von theologischem und verwirklichtem Selbstverständnis, vgl. J. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte, S. 61; K. Schiaich, Neutralität, S. 207. 206 A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 146: „Da zum Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften stets auch ihre Binnenstruktur gehört, muß diese bei der Ermittlung dieses Selbstverständnisses strikt beachtet werden. Maßgebend ist also allein die Überzeugung der

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Frage nach dem „Ob" einer Religionsgemeinschaft geht es aber weniger um die Aufstellung und authentische Auslegung oder die Umsetzung von Glaubenssätzen in verbindliches Binnenrecht einer Religionsgemeinschaft 207 als vielmehr um die Beurteilung, ob nach geistigem Gehalt und tatsächlichem Erscheinungsbild der Gruppe von einer Religionsgemeinschaft gesprochen werden kann oder von einem Wirtschaftskonzern gesprochen werden muß 2 0 8 . Hier, so wird zu Recht geltend gemacht, müsse es auf eine Gesamtbetrachtung der betreffenden Gemeinschaft ankommen. Es fragt sich allerdings, ob der Akzent dieser Gesamtbetrachtung analog zur Versammlungsfreiheit mehr auf die Organisationsebene209 oder eher auf die Teilnehmerebene gelegt werden muß. Gegen die Übertragung versammlungsrechtlicher Kriterien im Maßstab eins zu eins auf die Frage, ob eine Vereinigung den Status einer Religionsgemeinschaft für sich reklamieren kann, sprechen die strukturellen Unterschiede zwischen Versammlungen und Vereinigungen. Während erstere lose Augenblicksverbindungen darstellen, die im wesentlichen durch die Vorstellungen ihrer Organisatoren geprägt werden, steht im Mittelpunkt letzterer der gemeinschaftliche, maßgeblich durch die Mitglieder und Vereinssatzungen geprägte dauerhafte Zusammenhalt einer Gemeinschaft. In diesem Zusammenhang allein auf Äußerungen eines mittlerweile verstorbenen Gründers abzustellen, würde bedeuten, die Konstituierung des Gesamterscheinungsbildes - wirtschaftlich oder religiös - einer Vereinigung von einer oder auch wenigen Personen abhängig zu machen. Gerade das objektive Erscheinungsbild einer Gemeinschaft stellt aber ein Einfallstor für die organisierte Gesamtheit der tatsächlich gelebten religiösen Selbstverständnisse der Mitglieder dieser Gemeinschaft dar. Geht es also darum zu entscheiden, ob eine Vereinigung von ihrem äußeren Erscheinungsbild her eine Religionsgemeinschaft oder ein wirtschaftliches Unternehmen darstellt, muß vor allem nach der Vorwandtheorie auf die gesamte Gemeinschaft abgestellt werden 210 . Der Status einer Vereinigung als Religionsgemeinschaft kann also nicht unabhängig davon beurteilt werden, ob für die Mitglieder dieser Vereinigung der Schutzbereich der individuellen Glaubensfreiheit einschlägig ist, weil sie nach ihrem subjektiven Verständnis und weiteren objektiven Anhaltspunkten einen als religiös nach der Binnenstruktur der jeweiligen Religionsgemeinschaft zuständigen Personen von dem, was dem religiösen Auftrag der Gemeinschaft entspricht" (Hervorhebung im Original). 207 Hierzu eine Entscheidung des OVG Münster NVwZ 1991, 176 (178), welches Schriften und Niederschriften von Reden des Bhagwan-Begründers Rajhneesh zur Grundlage seiner Feststellungen über das Selbstverständnis hinsichtlich der sich im Tragen der Mala und roter Kleidung äußernder Religionsausübung gemacht hat. Vgl. auch H. W. Alberts, NVwZ 1985, S. 92. 208 BVerfGE 83, 341 (353). 209 So R. Poscher, KritV 2002, S. 298 (308): Es mache wie beim Versammlungsrecht einen Unterschied, ob ein beliebiges Mitglied oder das Haupt einer Vereinigung zum politischen Mord aufrufe und damit den wesentlich auf das konkrete politische Handeln gerichteten Charakter einer Vereinigung zum Ausdruck bringe. 210 Das OVG Bremen GewArch 1997, S. 290 (291), spielt in seiner Entscheidung explizit das Verständnis der Mehrheit der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft gegen die möglicherweise wirtschaftlichen Interessen eines kleineren Kreises von „Eingeweihten" aus.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

einzuordnenden Glauben haben und teilen. Es reicht demnach nicht aus, wenn eine Führungsriege das Ziel verfolgt, sich an der und durch die Gemeinschaft zu bereichern. Betätigt sich die Gemeinschaft insgesamt nicht ausschließlich wirtschaftlich, sondern auch oder vor allem religiös, stellt sie eine Religionsgemeinschaft dar. Außerdem spricht dagegen, die Äußerungen L. Ron Hubbards als untrügliches Zeichen ausschließlich unternehmerischer Tätigkeit zu werten, daß mündliche Verlautbarungen kontextual zu interpretieren sind. Ferner ist fraglich, inwieweit sie in die Zukunft hineinwirken 211 . Auch wenn Scientology also einmal als Weltraummärchen eines findigen Geistes, der Geld verdienen wollte, begonnen hat, kommt es darauf an, als was sich Scientology heute präsentiert. Denn für die rechtliche Würdigung zählen nicht die entlegenen Ursprünge einer Religion, sondern ihr äußeres Erscheinungsbild, so wie es sich im Zeitpunkt einer (fiktiven) mündlichen Gerichtsverhandlung präsentiert. Heute zeichnet sich Scientology durch ein verhältnismäßig ausgereiftes Gedankengebäude aus, das religiöse Züge trägt. Die Lehren der Scientology-Church stehen im Zeichen ihres Anspruchs als Erlösungsreligion. Sie formulieren eine Antwort auf die Fragen des Woher und Wohin des Menschen, gehen von der Unsterblichkeit der menschlichen Geistseele (Thetan) aus und werden in kultischen Handlungen wie gemeinsamen Gebeten und dem (entgeltlichen) Auditing bezeugt. Das Auditing - im Sinne von geistlicher Beratung - dient gleichzeitig der Pflege des Bekenntnisses. Letzterer dienen gleichfalls die (entgeltliche) Abhaltung von Kursen und Seminaren, durch die die Mitglieder in die Lehre eingeführt und in ihr bestärkt werden, bis sie ihr Ziel, eine höhere Daseinsstufe zu erreichen, verwirklicht haben 212 . Zudem wähnt sich die Scientology Organisation im Besitz der Wahrheit der Welt: ein Exklusivitätsanspruch, der typischerweise von Religionsgemeinschaften geltend gemacht wird und vor welchem auch besonders gewarnt wird 2 1 3 . Vor diesem Hintergrund wird der vielzitierte Ausspruch L. Ron Hubbards „make money - make more money - make other people produce so as to make money" 2 1 4 relativiert 215 . Die wirtschaftlichen Aktivitäten werden zwar vom Verbands willen der Scientology Organisation getragen, genauso aber deren Einsatz zu missionarischen Zwecken und der Heilsfindung ihrer Mitglieder. Die Mitglieder von Scientology leben in dieser Gemeinschaft, sie bekennen ihren Glauben in diversen Ritualen und orientieren sich im täglichen Leben an den Lehrsätzen der Gemeinschaft. Daneben werden sie wirtschaftlich tätig. Nach der hier vertretenen Vorwandtheorie 211

Ähnl. A. hak, Das Selbstverständnis, S. 145 ff. m. w. N. 212 BVerwGE 105, 313 (318); W Thiede, in: AusPuZ 43 (1993), Β 41 - 4 2 , S. 25 (31). 213 Die Scientology-Organisation, 1998, hrsg. vom Bundesverwaltungsamt, S. 6. 214 Zitiert nach Die Scientology-Organisation, 1998, hrsg. vom Bundesverwaltungsamt, S.8. 215 J. Herrmann, in: ders. (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 7 (10 f.); L. v. Billerbeck/ F. Nordhausen, Der Sektenkonzern, S. 26. Nach der dort vertretenen Auffassung umgibt sich Scientology nur mit einem religiösen Mäntelchen, was eine besondere Form von Zynismus darstelle.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

reicht dieser Befund aber nicht aus, Scientology als Wirtschaftskonzern zu brandmarken 216 . Im Ergebnis ist die Scientology Organisation damit kein Wirtschaftskonzern, sondern insoweit unter den Begriff der nach Art. 4 GG geschützten Religionsgemeinschaft zu subsumieren.

b) Politische Betätigung der Religionsgemeinschaften Eine weitere Frage, die sich im Zusammenhang mit dem Status einer Religionsgemeinschaft stellt, ist die nach der politischen Betätigung der betreffenden Gemeinschaft. Wie eine religiöse Verbrämung nicht als Vorwand für eine ausschließlich wirtschaftliche Zielsetzung dienen darf, ohne daß eine Religionsgemeinschaft diesen ihren Status verliert, so sind auch solche Vereinigungen aus dem Schutzbereich der Religionsfreiheit auszugrenzen, die unter dem Deckmantel des Religiösen Politik betreiben. Im Rahmen der politischen Betätigung als „negatives Konkretisierungsmerkmal" des Begriffs der Religionsgemeinschaft sind zwei Problemfelder voneinander zu unterscheiden: Das erste betrifft die Frage, ob sich Religionsgemeinschaften ohne Verlust ihres Status überhaupt in politische Bereiche einmischen dürfen, und wenn ja, in welchem Maße. Das zweite Problemfeld dagegen bezieht sich auf den zulässigen Inhalt der politisch-religiösen Gesamtziele einer Religionsgemeinschaft. Es ist von der allgemeineren Fragestellung der grundrechtsimmanenten Schranken des Freiheitsgebrauchs nicht völlig zu trennen, soll als spezifisches Problem der Abgrenzung von Religionsgemeinschaften und politischen Gruppierungen aber eigenständig an dieser Stelle bereits angeschnitten werden. Die Klassifizierung „neuerer" Religionsgemeinschaften als politische Organisationen stellt eine Tendenzwende in der kritischen Auseinandersetzung beispiels216 OLG Düsseldorf NJW 1983, S. 2574 (2575); LG Hamburg NJW 1988, S. 2617; OVG Hamburg NVwZ 94, S. 192; VG Frankfurt NVwZ 1991, S. 195 (196 ff.); VG Berlin NJW 1989, S. 2559 f.: „zumindest weltanschaulich"; ebenso VG Darmstadt NJW 1985, S. 2595 (2596 ff.); W. Franz, NVwZ 1985, S. 81 (83); H. Kremser, ZevKR 39 (1994), S. 160 (173); a.A. Κ D. Bayer, Religions- und Gewissensfreiheit, S. 146 f.; BAG NJW 1996, S. 143 (146 ff.). Das BAG stützt seine Argumentation zwar formal auf die Vorwandtheorie, läßt eine Auseinandersetzung mit transzendenten Bezügen der Gemeinschaft aber vermissen. Ebensowenig aber wie aus einer der christlichen Kulturtradition widersprechenden Kommerzialisierung von Mitgliedschaft und religiösen Diensten darauf geschlossen werden kann, eine überweltliche Kausalität sei nicht vorhanden, vermag die Annahme wirtschaftlicher und psychischer Gefährdung der Mitglieder insbesondere bei Aus- und Wiedereintritt in die Gemeinschaft das Vorliegen eines rein wirtschaftlich ausgerichteten Unternehmens zu begründen, vgl. BVerwG NJW 1998, S. 1166 (1167). Der vielzitierte Vorwurf der Wirtschaftskriminalität hat sich bisher nicht nachweisen lassen. Hierzu L. v. Billerbeck/F. Nordhausen, Der Sektenkonzern, S. 118 ff. u. passim; Κ Hermann, in: Herrmann (Hrsg.), Mission mit allen Mitteln, S. 99 ff.; BT-Drs. 13/10950, S. 100/171 f.; Stellungnahme des Ministers für Kultus und Sport in Baden-Württemberg, LT-Drs. 11/4350; J. Winter, ZevKR 42 (1997), S. 372 (390).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

weise mit Scientology dar. Darüber hinaus findet sie großen Anklang auch in der Neudefinition des Umgangs mit sogenannten extremistischen oder fundamentalen islami(sti)schen Religionsgemeinschaften wie Milli Görus (IGMG) oder dem Kalifatstaat. Inwieweit treffen diese Vorwürfe aber zu? Scientology beschreibt sich selbst als geradezu apolitisch 217 . Von ihren Kritikern wird sie jedoch als politischer Konzern wahrgenommen. Seit dem Tode L. Ron Hubbards habe, so wird geltend gemacht, diese Vereinigung eine grundlegende Wandlung vollzogen, nämlich weg von einer lose gefühlten Gruppe, die sich aus Idealisten und Laien zusammensetzte, hin zu einer straff und autoritär geführten politischen Sekte 218 . Aus dem (verdeckten, vermeintlichen und durchsetzbaren?) Anspruch der Religion auf Weltherrschaft, dem nach Meinung der Kritiker von Scientology durch Unterwanderung des Wirtschaftssystems Vorschub geleistet werde, wird auf die Politikgeneigtheit dieser Vereinigung rückgeschlossen 219. Und zwar auf eine Neigung zur religiösen Politik, die wegen ihrer Bezogenheit auf die absolute Wahrheit mit dem Operationsmodus moderner, demokratischer Politik geradezu unvereinbar sei 2 2 0 . Ebenso wird beim fundamentalistischen Islam das ihm nachgesagte immanente Ausgreifen auf die Politik als Grund aufgewartet, um ihn aus dem Schutzbereich der Religionsfreiheit auszuschließen. Ab wann kann eine Religionsgemeinschaft trotz ihrer Einmischung in politische Themen aber noch als Religionsgemeinschaft gelten, ab welchem Punkt muß sie dagegen als politische Gruppierung mit religiöser Verbrämung betrachtet werden? Was in diesem Zusammenhang unter dem Begriff des Politischen oder dem der Politik verstanden wird, bleibt in der Literatur zu den Religionsgemeinschaften weitgehend im Dunkeln. Um zu versuchen, ein wenig Licht in dieses Dunkel zu bringen, werden nachstehend daher einige Positionen referiert, die ihrerseits danach trachten, Religion und Politik voneinander abzugrenzen und Kriterien für denjenigen Augenblick anzugeben, in dem das Religiöse in das Politische umschlägt. Einen an der Bereitschaft, physische Gewalt einzusetzen, orientierten Begriff des Politischen vertritt zum Beispiel Carl Schmitt. Schmitt verortet das Wesen des Politischen, also den Begriff des Politischen, in der letzten Unterscheidung von Freund und Feind 221 . Wenn ein Antagonismus religiöser Art stark genug werde, so argumentiert Schmitt, um die Menschen nach Freund und Feind zu gruppieren, 217

H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 35. Eine politische Ausrichtung wird wohl aus dem Grund verleugnet, daß politische Ambitionen sich auf das „standing" der Gemeinschaft auf dem „Psychomarkt" geschäftsschädigend auswirkten. 218 M. J. Potthoff, Scientology Analyse, S. 44. 2 *9 „Was ist Scientology?", S. 449; hierzu Κ. Hartmann, in: Beckers / Kohle (Hrsg.), Kulte, Sekten, Religionen, S. 293 (296); R. Hartwig, Scientology, S. 9 f.; H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 8; N. J. Potthoff, Scientology Analyse, S. 101. 22

0 tf v. Prittwitz,

22

in: AusPuZ Β 18/2002, S. 33 (35).

1 C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 26.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

dann verwandle sich dieser religiöse Gegensatz in einen politischen. Eine religiöse Gemeinschaft, die als solche Kriege führe, werde über ihren religiösen Charakter hinaus im Augenblicke der Kriegserklärung zu einer politischen Einheit, da für den Begriff des Politischen die reale Möglichkeit des Kampfes - als Staatenkrieg nach außen oder als Bürgerkrieg nach innen - immer vorhanden sein müsse. Aber auch ohne Kriege tatsächlich führen zu müssen, ist nach Schmitt eine religiöse Gemeinschaft in dem Augenblicke eine politische Größe, in welchem sie die Definitionshoheit über den Begriff des Freundes oder den des Feindes ausübt und in der Lage ist, ihre Angehörigen auf diesem Wege von einer bewaffneten Auseinandersetzung ab- oder zu einer bewaffneten Auseinandersetzung anzuhalten222. Weniger drastisch, aber mit einer ähnlichen Stoßrichtung, wird auch formuliert, daß eine Religion in dem Moment politisch-religiös werde, in welchem sie zur Offensive übergehe und zum Sturm auf die politische Macht im Staate blase 223 . Im Vereinsgesetz selbst wird die politische Betätigung einer Vereinigung dagegen funktional verstanden. Sie wird über die Ziele und Mittel der Vereinigungen definiert. Unter der politischen Betätigung einer Vereinigung versteht man dort jede Aktivität zur Erringung, Änderung oder Bewahrung von Macht und Einfluß auf die Gestaltung staatlicher oder gesellschaftlicher Daseinsformen durch Äußerungen, Diskussionen und Veranstaltungen zu politischen Themen. Gleichzeitig fallen aber auch gewaltsame Auseinandersetzungen und Angriffe mit politischen Zielsetzungen unter diesen Begriff 224 . Während die beiden letzteren Positionen eine Definition dafür anbieten, wann die Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft als (auch) politische bezeichnet werden kann oder muß, scheint Schmitt mit seiner Definition des Politischen einen Punkt aufzuzeigen, an dem aus einer Religionsgemeinschaft eine politische Gruppierung - oder auch ein Feind - wird. Fraglich ist aber, ob diese Freund-Feind-Unterscheidung ein rechtswissenschaftlich fungibles Kriterium darstellt, mit dem Religionsgemeinschaften, die den Schutzbereich des Art. 4 GG zu Recht für sich reklamieren, von politischen Gruppierungen, die aus diesem Schutzbereich herausfallen, geschieden werden können. Denn mit der Einführung der Kategorien von Freund oder Feind und der Möglichkeit des bewaffneten Kampfes verläßt die juristische Prüfung den Boden der sicher definierten rechtlichen Tatbestandsmerkmale und begibt sich auf den unsicheren Untergrund der Einschätzung von politischen Lagen und Gefahren 225. Die wissenschaftliche Literatur nimmt zu dieser Frage jedenfalls keine Stellung. Sie überträgt vielmehr die zur wirtschaftlichen Betätigung von Religionsgemeinschaften entwickelten Maßstäbe auch auf das Problemfeld der politischen Betätigung dieser Vereinigungen.

222 c. Schmitt, Der Begriff des Politischen (1932), S. 32 f., 36 ff. 223 A. Bishara, in: Hippler/Lueg (Hrsg.), Feindbild Islam, S. 92 (101 f.). 224 ρ, Dolde, Die politischen Rechte der Ausländer, S. 108, 20. 225 B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Im folgenden soll daher anhand dieser Kriterien untersucht werden, wann eine Vereinigung den Status einer Religionsgemeinschaft und damit den Schutzbereich der Religionsfreiheit aufgrund ihrer politischen Betätigung verliert.

aa) Der Öffentlichkeitsanspruch der Religionsgemeinschaften Im folgenden Abschnitt soll zunächst geprüft werden, inwieweit religiöse und politische Betätigung einander ausschließen, und damit, ob eine Religionsgemeinschaft sich also überhaupt politisch betätigen darf. Das für den Staat des Konstitutionalismus idealtypisch überzeichnete Erscheinungsbild war das der Gegenüberstellung von Gesellschaft und Staat. Gleichzeitig mit dieser Gegenüberstellung wurde der Begriff des Politischen entweder mit „Staatlich" gleichgesetzt oder doch irgendwie mit dem Staat in Zusammenhang gebracht. Die Gesellschaft dagegen, die als Sammelbezeichnung für alle nichtstaatlichen Strukturen stand, wurde als System des Unpolitischen beschrieben 226. Der Staat hatte - zumindest in der Theorie - das Monopol auf das Politische inne. Da die Religion der Seite der Gesellschaft zugeschlagen wurde, konnte sich das begriffliche Gegensatzpaar religiös-politisch herausbilden. In dem Maße, wie Gesellschaft und Staat sich in dem demokratischen Gemeinwesen des Grundgesetzes gegenseitig durchdringen, ist aber auch der Antagonismus von religiös und politisch aufgehoben worden. Zwar geht das Grundgesetz mit dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche (Art. 1371 WRV) davon aus, daß eine Unterscheidung von Religion und Politik möglich ist 2 2 7 . Dieser „one-way "-Grundsatz statuiert zunächst aber nur ein säkulares Staatsgebilde. Für den Staat als Hauptakteur auf dem Sektor des Politischen folgt aus dem in oben genannter Norm angelegten Gebot religiöser Neutralität das Verbot der Vermengung politischer mit religiösen Inhalten. Dieser Richtsatz läßt sich jedoch weder in eine Pflicht der Religionsgemeinschaften zu politischer Neutralität noch in eine Pflicht zu politischer Abstinenz umformulieren 228. Denn der 226 E.-W. Böckenförde, in: StL V, Sp. 228 ff.; W. Conze, in: Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, S. 37 ff.; N. Luhmann, in: ders., Soziologische Aufklärung 4, S. 71; H. H. Kupp, in: HStR I, § 28 Rn. 3 ff.; grundlegend G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 187 ff. S. 167 ff. Hegel bescheibt dort als Gesellschaft denjenigen menschlichen Verband, der gerade nicht an der Politik teilhabe. Zum religiösen Erbe des Politischen, vgl. D. Bogner, in: Thierse (Hrsg.), Religion, S. 255 (258): „Sie (die Religion) ist nicht mehr Hauptredner, wenn es um die öffentliche Sinnansage geht! ( . . . ) Ihren einstmaligen Status als Institution für globale Sinnansage hat sie an die Politik abgegeben". 227 w Schmitt Glaeser, BayVBl. 1995, S. 577 (578). 228 Dafür spricht insbesondere, daß unter politischen Grundrechten solche zusammengefaßt werden, denen ein auf Verwirklichung von Demokratie abzielendes Element innewohnt. Zu diesen Grundrechten zählt auch Art. 4 GG, vgl. P. Kunig, in: HStR II, § 33 Rn. 17: Die Parteien haben kein Monopol auf Mitwirkung am politischen Willensbildungsprozeß. Sie stehen in verfassungsgewollter Konkurrenz zu u. a. den Kirchen. G. Dürig/H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 34 mit Fn. 36: „Es gibt im Grundrechtskatalog immer nur graduelle Unterschiede von „politischen" und „apolitischen" Rechten".

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Staat hat kein Monopol (mehr) auf die Gestaltung des „Öffentlichen" 229 . Mit dem Trennungsgrundsatz kann den Religionsgemeinschaften daher nicht der Zugang in den politischen Kommunikationsraum versagt werden 230 . Das Grundgesetz geht deshalb auch nicht davon aus, daß Religion und Weltanschauung auf den privaten Bereich zu begrenzen seien. Der Begriff der Politik in seinem urprünglichen Sinne als alles, was die Öffentlichkeit angeht, legt nahe, daß nur wenige Bereiche menschlichen Zusammenlebens aufführbar sind, deren Politikresistenz sich aus der Natur ihrer Sache ergibt. Wie sich das Feld des Religiösen als Recht, das ganze Leben an einem Glauben auszurichten, also nicht als politikresistent erweist, hat sich umgekehrt das „Segment" des Politischen auch nicht hermetisch gegen religiöse AusΛΛΙ

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griffe abgeriegelt . Im Gegenteil fehlt eine „Demarkationslinie" zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, denn Religion und Politik sind von einer „strukturellen Ähnlichkeit" 233 . Dies führt zu einem ständigen Spannungsverhältnis, das von beiden Seiten ausgehalten werden muß 2 3 4 . Der Durchlässigkeit der Membran zwischen Politik und Religion trägt der verfassungsrechtlich verankerte Öffentlichkeitsanspruch 235 der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften Rechnung. Mit ihm soll ausgedrückt werden, daß die Religionsgemeinschaften und die in ihnen versammelten Gläubigen ein Stück Verantwortung für ihre Gesellschaft wahrnehmen, in ihr wirken und sie ihren Vorstellungen gemäß umgestalten wollen 236 . Er stellt eine „Projektion (insbesondere des) kirchlichen Selbstverständnisses in die Ebene staatlicher Rechtsordnung" dar 2 3 7 . In Sinne dieses Öffentlichkeitsanspruches hat das Bundesverwaltungsgericht judiziert, daß eine Religionsgemeinschaft diesen ihren Status nicht dadurch verliere, daß sie sich im politischen Raum betätige 238 . Allein dies entspricht auch dem Anspruch der Religionsgemeinschaften. Denn für eine Religion ist es spezifisch, daß sie die Alltagswirklichkeit aus ihrer religiösen Dimension heraus konstituiert 239 , dann aber auch auf die Konstituierung dieser Alltags229 M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 8. 230 κ. Schiaich, in: HdbStKirchR II, § 44 S. 166; D. Pirson, in: EvStL II, Sp. 2278 f.: „Die christl. Verkündigung bliebe auch inhaltlich unvollkommen, wenn sie davon absähe, zu den Verhältnissen und Vorgängen in der Welt Stellung zu beziehen". E.-W. Böckenförde, in: Thierse (Hrsg.), Religion, S. 173 (176 u. passim): „Sie (seil.: die Religion) entbehrt daher auch nicht des potentiell öffentlichen Charakters". 231 H. Bielefeldt/W. Heitmeyer, in: dies. (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 11 (13 ff. m. w. N.); J. Isensee, in: Essener Gespräche 25 (1991), S. 104 (128 ff.). 232 R. Smend, ZevKR 1 (1951), S. 4 (9). 233 D. Bogner, in: Thierse (Hrsg.), Religion, S. 255 (260). 234 S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 111. 235 Näher K. Schiaich, in: HdbStKirchR II, § 44 S. 160 ff. 236 K. Schiaich, in: HdbStKirchR II, § 44 S. 131 f. 237 W. Conrad, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche, S. 127; J. Kremsmair, in: FS Listi, S. 157 (158 f.). 238 BVerfGE 37, 345 (362 f.). Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob es den Anziehungskräften der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften zuträglich ist, wenn sie sich mit dem Politischen einlassen, vgl. K. Schiaich, in: HdbStKirchR II, § 44 S. 143 ff. 12 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Wirklichkeit durch ihre Lehren hinwirkt, es den Gläubigen also ermöglichen will, ihr ganzes Leben an dem Glauben, den sie lehrt, auszurichten: Religion ist nicht nur Kontingenzbewältigung, sie ist gleichfalls Handlungsorientierung. Damit wirkt sie zwangsläufig in die Politik hinein. Nach ganz herrschender Meinung ermöglicht der Öffentlichkeitsanspruch den Religionsgemeinschaften damit im Ergebnis den Zugang zum politischen Kommunikationsraum. Sie dürfen zu politischen Fragen Stellung beziehen und sich politisch positionieren. Eine Einmischung in die Politik jenseits des rein geistig-religiösen Raumes kassiert deshalb zunächst nicht ihren Status als Religionsgemeinschaften 240. Auch hier gilt wie bei der wirtschaftlichen Betätigung, daß im „Dunstkreis" des politischen Engagements zu differenzieren ist zwischen dem Status einer Religionsgemeinschaft und ihren Aktivitäten. Letztere müssen nicht allein aufgrund des Status einer Vereinigung gleichfalls dem Grundrecht des Art. 4 GG zuzurechnen sein. Wie oben besteht die grundsätzliche Möglichkeit, ohne daß elementare Statusfragen damit verbunden wären, zwischen religiösem und religionsneutralem Verhalten zu unterscheiden und letzteres den einschlägigen Grundrechten wie z. B. Art. 5 I und 8 GG zuzuweisen. Die Tätigkeit der Religionsgemeinschaften muß nämlich nicht generell der Religionsfreiheit als Grundrecht zugeschlagen werden 241 . Nachdem die Frage beantwortet wurde, ob sich Religionsgemeinschaften überhaupt politisch betätigen dürfen, ohne ihren Status zu verlieren, soll im folgenden Abschnitt dargestellt werden, wo die Grenzen politischer Betätigung liegen. Welches Maß an politischer Betätigung ist also für Status- und damit Schutzbereichsfragen unschädlich? Hierzu werden verschiedene Auffassungen vertreten. Die Grenzen politischer Betätigung werden zum Teil dort gezogen, wo sich der „Hauptzweck" einer Gemeinschaft als die Einmischung in politische Themen darstellt 242 . Das Abgrenzungskriterium „Hauptzweck" erinnert stark an die zur wirtschaftlichen Betätigung vertretenen Theorien des Schwerpunktes oder der Zentralität des religiösen Bekenntnisses. Zum Teil wird in neuerer Zeit der Grundsatz der Zentralität des religiösen Bekenntnisses deshalb auch explizit dafür fruchtbar gemacht, Religionsgemeinschaften, die sich auch politisch betätigen, von allenfalls religiösen Vereinigungen, in deren Zentrum der politische Kampf steht, auf verfassungsrechtlich relevante Weise voneinander zu unterscheiden. Durch Amalgamierung der Schrankenregelung des Art. 9 II GG und der Schutzbereichsdefrnition des 239

W. Pannenberg, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 52. 40 C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 49. 241 K. Schiaich, in: HdbStKirchR II, § 44 S. 163. 2

2 2 ^ N. Rudroff, Vereinigungsverbot, S. 23 f.; ähnl. VGH München BayVBl. 1965, S. 170 (171): Von Religionsgesellschaften seien Vereinigungen zu unterscheiden, deren Hauptzweck darin liege, Staat, Gesellschaft und Rechtsordnung nach ihren Wertungen umzugestalten. Ebenso S. Muckel, in: FS Listi, S. 239 (244); S. Veelken, Das Verbot, S. 60; G. Püttner, in: Engstfeld/Haack (Hrsg.), Juristische Probleme, S. 98 (104 f.).

Α. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

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Art. 4 GG wird solchen Gemeinschaften der Status einer Religionsgemeinschaft von vornherein abgesprochen, deren (zentraler) Zweck auf den aktiven Kampf gegen die verfassungsrechtliche Ordnung gerichtet ist 2 4 3 . Im Rahmen der politischen Betätigung einer Religionsgemeinschaft gilt analog zu ihrer wirtschaftlichen Betätigung aber folgendes: Die relative Quantität des Politischen als Maßstab einer Differenzierung zwischen Religionsgemeinschaften und politischen Gruppierungen führt im Ergebnis zu einer unzulässigen Unterscheidung von echten und unechten Religionsgemeinschaften 244. Vor dem Hintergrund, daß der Drang zu missionieren und sich in alltägliche Fragen einzumischen den universalistischen Heilsreligionen wesensmäßig immanent ist, wiegt diese Unterscheidung bei der Politik aber vergleichsweise schwerer als bei der Wirtschaftlichkeit. Sie ist deshalb mit dem Bundesverwaltungsgericht abzulehnen245. Ob sich die „Politik", die von einer Religionsgemeinschaft betrieben wird, dagegen als Kampf gegen die verfassungsmäßige Grundordnung darstellt, ist keine Schutzbereichs-, sondern der herkömmlichen Dogmatik des Grundgesetzes zu Art. 9 II und 21 II GG entsprechend eine Frage der Schranken der Religionsfreiheit. Über den Status einer Religionsgemeinschaft kann dieses Merkmal daher nicht richten. Im Zusammenhang mit der politischen Betätigung einer Religionsgemeinschaft gilt, daß die Frage, wann diese unter dem Deckmantel religiöser Verbrämung in Wahrheit ausschließlich politische Ziele verfolgt, anhand desselben Maßstabes beantwortet werden muß wie diejenige nach der wirtschaftlichen Betätigung 246 . Letztlich sind deshalb auch hier die Kriterien der Vorwandtheorie heranzuzuziehen, damit entsprechende Vereinigungen aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG ausgegrenzt werden können 247 . Eine Vereinigung, die unter Vortäuschung religiöser Vorstellungen ausschließlich Politik betreibt, fällt sicherlich nicht mehr als Religionsgemeinschaft unter den Schutzbereich des Art. 4 GG. Solange aber noch strukturelle Unterschiede zwischen einer Gemeinschaft, die den Status des Art. 4 GG für sich reklamiert, und einer politischen Partei oder Vereinigung bestehen, muß eine Organisation, die neben der umfassenden Pflege eines religiösen Bekenntnisses auch auf die Politk ausgreift, als Religionsgemeinschaft durchgehen. Der entscheidende strukturelle Unterschied besteht nämlich darin, daß ζ. B. konfessionsgebundene Parteien, auch wenn sie ihren Versammlungen eine Gebetsstunde vorschalten mögen, nicht den Rahmen für eine umfassende religiöse Betätigung ihrer Mitglieder bilden. Sie stellen vielmehr nur den „politischen Arm" einer Religion, die in einer von der Partei verschiedenen Religionsgemeinschaft gelehrt, bezeugt und gelebt wird, dar.

243 244 245 246 247 1*

R. Poscher, KritV 2002, S. 298 (304 ff. u. passim). Vgl. oben § 3 Α. IV. 3. a) bb). BVerwGE 37, 345 (362 ff.); J. Listi, DÖV 1973, 181 (183). im Ergebnis auch S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 133 ff. Vgl. oben § 3 Α. IV. 3. a) bb) (4).

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Im Ergebnis kassiert deshalb das politische Engagement nach der Vorwandtheorie den Status einer Religionsgemeinschaft nur für den Fall, daß die Vereinigung sich ausschließlich politisch betätigt. Damit bleibt die Frage zu beantworten, ob beispielsweise Scientology oder Milli Görus sich ausschließlich politisch engagieren und dieses Engagement durch eine religiöse Verbrämung nur kaschieren wollen. Im Hinblick auf Scientology wurde bereits ausführlich dargelegt, daß sich die Gemeinschaft zum einen durch ein verhältnismäßig ausgereiftes Gedankengebäude auszeichnet, das religiöse Züge trägt. Zum anderen wird dieser religiöse Glaube von den Mitgliedern der Scientology Organisation in umfassender Weise bezeugt und in der Gemeinschaft auch gelebt. Daß Scientology sich ebenfalls politisch engagiert, nimmt der Vereinigung also nicht den Status einer Religionsgemeinschaft. Daß der Gemeinschaft als eigentliches Ziel das Streben nach Weltherrschaft, oder weniger drastisch formuliert: nach Veränderung der bestehenden politischen Verhältnisse, vorgeworfen wird, um sie aus dem Kreis der Religionsgemeinschaften auszuschließen248, fällt auf dieser Stufe dagegen nicht ins Gewicht. Denn daß eine Religionsgemeinschaft, die sich im Besitz der rettenden Wahrheit wähnt, diese auch verbreiten und die Umwelt in ihrem Sinne gestalten will, scheint nur allzu offensichtlich aus dem Absolutheitsanspruch der religiösen Wahrheit zu resultieren. Die Veränderung des politischen Systems ist jedoch ein Problem, das im Zusammenhang mit der Politikadäquanz und der Verfassungskonformität des Grundrechtsgebrauchs wieder auftaucht. Ähnlich sieht das Ergebnis für die islami(sti)sche Gemeinschaft Milli Görus (IGMG) aus. Ihr wirft der Verfassungsschutz vor, durch die Ausrichtung auf die ehemalige Refah- und Fazilet-Partei in der Türkei ein eigentlich politisches Ziel zu verfolgen, nämlich auf die Ablösung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei hinzuarbeiten und ferner die weltweite Islamisierung anzustreben 249. Nach ihrer Selbstbeschreibung 250 hat sich die IGMG jedoch als Dach verband einer Vielzahl von Moscheegemeinden organisiert und kümmert sich umfassend um das religiöse Leben wohl ausschließlich der türkischen Muslime in Deutschland. Sie unterhält zahlreiche Einrichtungen auf dem religiösen, kulturellen und sozialen Dienstleistungssektor. Ist sie damit grundsätzlich die Religionsgemeinschaft, als welche sie sich bezeichnet? Daß der Islam selbst als Religion anerkannt ist, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Auch als Dachverband freier Trägervereine von Moscheen kann die IGMG eine Religionsgemeinschaft sein. Art. 137 II S. 2 WRV erwähnt ausdrücklich die Möglichkeit des Zusammenschlusses mehrerer Religionsgesellschaften. Als Dachverband kümmert sich die IGMG umfassend um die Pflege des Islam selbst sowie um die Bedürfnisse der Gläubigen. Es scheint sogar so, als hät248 s. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 135; S. Veelken, Das Verbot, S. 62. 249 BMI, Verfassungsschutzbericht (2000), S. 205 ff.; BMI, Verfassungsschutzbericht (1999), S. 163 ff. 250 Quelle: http.//www.igmg.de.

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ten sich die unabhängigen Moscheegemeinden aus eben diesen Gründen zur IGMG zusammengeschlossen. Nach der Darstellung der IGMG war die treibende Kraft für den Zusammenschluß nämlich das allgemeine Bedürfnis, die vielen „Hinterhof-Moscheen" zu verlassen, mit vereinten Kräften organisatorische Probleme zu überwinden und den Bau größerer Moscheen, die Abhaltung gemeinsamer Gottesdienste und Pilgerreisen in Angriff zu nehmen. Entsprechend kümmert sich die IGMG. Sie organisiert gemeinsame Gebete, das Freitagsgebet, Andachten, den Ramadan und Pilgerreisen. Sie richtet Korankurse ein und Hochzeiten wie Beerdigungen aus. Sie bildet Imame aus und unterhält nach eigenen Angaben eine Familienberatung und eine Krankenhausseelsorge, bedient also umfassend die religiösen Bedürfnisse ihrer Mitglieder und zahlreicher Muslime, die in keiner Gemeinde offizielles Mitglied sind. Daß sich die Vereinigung auch in der Türkei politisch engagieren mag (was im übrigen nicht unumstritten ist, da viele der jüngeren IGMGMitglieder hoffen, die IGMG könne sich aus ihrer Verflechtung mit der ErbakanIdeologie lösen 251 ), nimmt ihr deshalb im Ergebnis nicht den Charakter einer nach Art. 4 GG geschützten Religionsgemeinschaft. Im Ergebnis reichen damit weder das politische Engagement der Scientology Organisation noch dasjenige der IGMG aus, um beide Vereinigungen den politischen Gruppierungen zuzuordnen.

bb) Die „Politikadäquanz" Wie zuvor bereits angedeutet, wird Vereinigungen wie der Scientology Organisation und den islami(sti)schen Gemeinschaften der Status als Religionsgemeinschaften mit dem Argument streitig gemacht, die politischen Ziele, die sie verfolgten, seien darauf gerichtet, das politische System der Bundesrepublik Deutschland von Grund auf zu verändern. Im folgenden Abschnitt soll deshalb untersucht werden, inwieweit die Forderung nach „Politikadäquanz" geeignet ist, Einfluß darauf zu nehmen, ob eine Vereinigung als Religionsgemeinschaft unter dem Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit steht. Soweit mit einer den Schutzbereich des Art. 4 GG übersteigenden und folglich zur Aberkennung des Status einer Religionsgemeinschaft führenden „Politik" gemeint ist, daß alle diejenigen (fundamentalistischen) Religionsgemeinschaften aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG auszuklammern seien, die eine Veränderung der bestehenden politischen Verhältnisse anstrebten 252, so lehnt sich die entsprechende Unterscheidung von Religionsgemeinschaften mit systemadäquaten oder systeminadäquaten Zielen an die Formel der „Kulturadäquanz" religiösen Verhaltens an. Nach dieser Formel sollen nur solche Glaubensbetätigungen geschützt sein, die 251 BMI, Verfassungsschutzbericht (2000), S. 206. 252 s. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 13 f.; O. Depenheuer, in: Essener Gespräche 33 (1998), S. 5 (24); J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 449, 464 f.

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sich „bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet" 2 5 3 haben. Hier wird - anders als oben - nicht die Auseinandersetzung um jeweils aktuelle politische Themen virulent. Vielmehr liegt das Augenmerk auf der generellen „Kampfbereitschaft" bestimmter Religionen gegen den säkularen Staat, der als Produkt am bisherigen Ende der geschichtlichen Entwicklung des Staatswesens in Deutschland und den meisten der übrigen westlichen Demokratien steht. Fraglich ist aber, ob die „Politikadäquanz" ein zulässiges Differenzierungskriterium innerhalb des Schutzbereichs des Grundrechts der Religionsfreiheit darstellt. Die Formel der Kulturadäquanz ist mittlerweile vom Bundesverfassungsgericht aufgegeben worden. Zum einen widersprach sie der Offenheit des Menschenrechts der Glaubensfreiheit, zum anderen der Neutralitätspflicht des pluralen Staates. Sie stellte nämlich inhaltliche Anforderungen an die Qualität der geschützten Glaubensüberzeugung. Ferner beschränkte sie die Religionsfreiheit auf bereits etablierte Religionen 254 . Diese Parameter lassen sich auf die Forderung nach „Politikadäquanz" übertragen: Auch der Forderung nach der „Systemadäquanz" politischer Ziele liegt sowohl eine ihrerseits fundamentalisierte Auffassung von staatlicher Säkularität als auch eine inhaltliche Bewertung der betreffenden Religion zugrunde. Zwar führt die Politisierung der Religion, sei es durch die „umma-Demokratie" (islamische Gemeinde) oder die Fiktion eines „geklärten Planeten" bei einer erfolgreichen Durchsetzung letztlich zu einer Aufhebung der säkularen Trennung zwischen Staat und Religion. Auch läßt sich das Streben nach einem Ordnungssystem, das dem politischen Pluralismus und den liberalen Freiheiten als Antagonist gegenübersteht, gleichermaßen als totale Sakralisierung der Politik wie auch als totale Politisierung der Religion beschreiben 255, die als Staatsform zwangsläufig derjenigen des Grundgesetzes widerspricht. Dadurch, daß der Islam geradezu als das Paradigma einer politischen Religion dargestellt wird, gerät er in den Verdacht, daß zwischen ihm und der säkularen Staatsverfassung der Bundesrepublik Deutschland ein unüberwindbarer Antagonismus bestehe. Fraglich ist aber, ob die Vertretung derartiger Glaubenslehren oder der Versuch, selbige umzusetzen, in eine Frage des Seins oder Nichtseins einer Religionsgemeinschaft umformuliert werden kann. Anzusetzen wäre hier an dem Begriff der Religion selbst. Wenn zu Recht postuliert würde, daß derartige „Ideologien" keine 253 BVerfGE 12, 1 (4); 24, 236 (245 f.); zustimmend BVerwGE 61, 152 (160); J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 461; sehr kritisch J. Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), S. 385 (397). 254 BVerfGE 41, 29 (50); T. Fleischer, Der Religionsbegriff, S. 85 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 511; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 52; T. Guber, „Jugendreligionen", S. 16 ff.; S. Veelken, Das Verbot, S. 69; W. Schatzschneider, BayVBl. 1985, S. 321 (322); J. Müller-Volbehr, DÖV 1995, S. 301 (304 ff.); vgl. aber auch P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 41 ff. 255 Anders der Kemalismus in der Türkei, der in Deutschland von der „Türkisch-Islamischen Union des Amtes für Religion" (DITIB) vertreten wird. Zu säkularen Tendenzen im Islam, vgl. T. Nagel, in: FS Spuler, S. 275 (276 ff.).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

Religionen darstellten, dann wäre auch eine Gemeinschaft, in der sie gelehrt würden, keine Religionsgemeinschaft. Gerade dem freiheitlich-säkularen Staat, dem die religiös-weltanschauliche Neutralität 256 als Kehrseite der Religionsfreiheit und dem daraus fließenden Verbot der Staatskirche zur Struktur gemacht wurde, könnte es aber verwehrt sein, bereits im Schutzbereich des Art. 4 GG auf die materiellen Inhalte von Glaubenslehren zurückzugreifen, um sie am Maßstab seiner Säkularität zu messen und zu bewerten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere fraglich, ob der Staat das Recht und die Pflicht hat, seine verfassungsgebotene Säkularität gegen anderslautende, gesellschaftliche Vorstellungen aktiv zu verteidigen, indem er Gemeinschaften, in denen sie als Ziel einer Religion formuliert werden, den Schutzbereich der grundrechtlichen Religionsfreiheit abspricht, oder ob er nicht vielmehr darauf verwiesen ist, diese andersartigen Vorstellungen über das Verhältnis von Staat und Religion zunächst nur zu registrieren. Für letztere Auffassung spricht zunächst vor allem eine Gegenüberstellung von Grundrechten und Grundwerten unter dem Dach des demokratischen Mehrheitsprinzips des Grundgesetzes. Nach dem liberalen Grundrechts Verständnis 257 eröffnet der Schutzbereich der Grundrechte die Freiheit, die verschiedensten Auffassungen, Überzeugungen und Glauben zu bilden, zu haben, sie zu äußern und demgemäß zu handeln. Freiheit ist nach der liberalen Grundrechtstheorie nicht vorgebunden. Der religiös neutrale Staat als Garant dieser Freiheit hat folglich weder ein eigenes Ethos noch eine eigene Ideologie 258 und darf deshalb auch keine bestimmte Wertordnung oder Ideologie unter Negierung einer abweichenden zur allein verbindlichen erklären. Für das Ethos oder die Ideologie zuständig ist vielmehr die pluralistische Gesellschaft. Ihre Gruppen haben die Aufgabe, es zu formulieren und materiell zu verfüllen. Der Staat dagegen registriert dies zunächst nur 2 5 9 Als „Rechtsorganisation zur Gewährleistung des allgemeinen Wohls aller 256 A. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/v. Campenhausen, GG, Art. 140 Rn. 19, mit Hinweis auf BVerfGE 41, 29 (59); E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 119 (129 f.). Zu einem Verfassungsprinzip der Neutralität, vgl. K. Schiaich, Neutralität, S. 44, 226 f. Die Neutralität als Begrenzung des staatlichen Machtanspruchs gegenüber der Pluralität der Wertvorstellungen seiner Bürger insgesamt und als Pflicht, die gleichen Rahmenbedingungen für alle zu schaffen, versteht P. Mikat, in: HdbVerfR II, § 29 Rn. 9 f. Die Berechtigung des „inhaltsleeren" Neutralitätsbegriffs bezweifelt A. Holzke, NVwZ 2003, S. 903 ff. 257 Hierzu und zu abweichenden Grundrechtstheorien, vgl. unten § 3 Β. IV. 3. c); umfassend S. Huster, Die ethische Neutralität des Staates, S. 6 ff., 47 ff., 85 ff., 122 ff. u. passim. 2 58 J. Isensee, NJW 1977, S. 545 (546); E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (56), der sich fragt, ob aufgrund der demokratischen Mitwirkung aller am Staate es nicht konsequent wäre, jeden einzelnen ohne Ausnahme auch den staatlichen Entscheidungen zu unterwerfen. Er verneint diese Frage dann aber unter Rückgriff auf das Prinzip der Gewährleistung und Sicherung individueller Freiheiten, welches das demokratische Prinzip relativiert und in seiner Tragweite begrenzt.

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Bürger" stellt der neutrale und säkulare Staat nicht mehr ein Machtinstrument in den Händen der „herrschenden Klasse" zur Durchsetzung derer Weltanschauungspositionen dar. Hier ist er vielmehr an die Grundrechte, die auch Schutzrechte der Minderheit sind, gebunden. Denn die staatliche Neutralität beruht normativ auf dem Grundsatz der gleichen Freiheit. Zumindest auf der Schutzbereichsebene der Grundrechte ist er deshalb weltanschaulich, damit aber auch religiös offen 260 . Im Ergebnis steht der Staat den Grundrechtsträgern - auch den Religionsgemeinschaften - deshalb auf Schutzbereichsebene als „Unparteiischer" gegenüber. Er beruht zwar auf einem verfassungrechtlich fixierten Ethos oder einer ebensolchen Ideologie, ist aber nicht Träger eines umfassenden eigenen Ethos oder einer umfassenden eigenen Ideologie. Insoweit ist der Begriff der Neutralität ein paradoxer. Ohne daß er nach den Maßstäben seiner säkularen Vorstellungen über das Verhältnis von Staat und Religion die entsprechenden Glaubenslehren begütesiegeln darf, achtet der Staat daher erst nur auf die Einhaltung gewisser äußerer Formalitäten des Religionsbegriffs. Zumindest im Schutzbereich der Religionsfreiheit greift er deshalb nicht schon als Verteidiger seiner eigenen ideologischen Fundierung ein. Hier hat er den Grundrechten zunächst Respekt zu verschaffen. Das Erfordernis staatlicher Zurückhaltung erhellt zum anderen insbesondere auch aus einem Vergleich der Religionsgemeinschaften mit den Weltanschauungsgemeinschaften. So kann die Forderung, Politik und Weltanschauung zu trennen, weder zu einem inhaltlichen Kriterium schutzwürdiger (ideologischer und damit politischer) Weltanschauungen noch zu einer Tatbestandsvoraussetzung von Weltanschauungsgemeinschaften, die unter den Schutzbereich des Art. 4 GG fallen, gemacht werden. Genausowenig ist dies aber auch für die Religion hinnehmbar. Wäre es im Zusammenhang mit Religion und Religionsgemeinschaften zulässig, solche Religionen und Religionsgemeinschaften aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG auszugrenzen, die eine Trennung von Religion und Staat ablehnen, würden - abgesehen von der Unterscheidung Immanenz / Transzendenz - weitere und nicht vorgesehene Differenzierungskriterien zwischen Weltanschauung und Religion im Schutzbereich des Art. 4 GG aufgerichtet. Eine schutzwürdige Weltanschauung läge dann auch für den Fall vor, daß diese die Indienstnahme des Staates für ihre Zwecke und die Umformung der Gesellschaft in ihrem Sinne anstrebte; eine schutzwürdige oder überhaupt eine Religion dagegen in eben jenem Falle nicht. Die Schlechterstellung der Religionsgemeinschaften gegenüber Weltanschauungsgemeinschaften wäre angesichts der Gleichstellung beider in diesem Schutzbereich die unzulässige Folge 261 . 259 H. Schmidt, in: Gorschenek (Hrsg.) Grundwerte, S. 13 ff., 16 f. 22, 26: Der Staat ist nicht Träger eines eigenen Ethos. Α. Α. H Maier, in: Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte, S. 172 (174 ff.): Der Staat sei kein bloßer Wert-Notar. So auch J. Isensee, NJW 1977, S. 545 (546). 260 W. Maihofer, in: Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte, S. 88 (92 ff.); ähnl auch S. Huster, Neutralität, S. 98 ff.: Begründungsneutralität des Staates. 261 Ähnlichen Problemen begegnet man im Schutzbereich der Kunstfreiheit unter dem Stichwort des Differenzierungsverbots. Hier ist es den Grundrechtsinterpreten verwehrt, in

Α. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

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cc) Ergebnis Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß auf Schutzbereichsebene die Differenzierung zwischen Religionsgemeinschaften, die systemadäquate politische Ziele verfolgen, und Religionsgemeinschaften, die das nicht tun, unzulässig ist. Das Grundrecht der Religionsfreiheit ist menschenrechtlicher Provenienz und Ausdruck von Menschenwürde und Mündigkeit. Auf deren Anerkennung ist der Staat festgelegt und hat sich - unter Respektierung der unterschiedlichsten Überzeugungen der Menschen - einer bereits im Schutzbereich der Religionsfreiheit ansetzenden Auslese zulässiger und unzulässiger Religionen zu enthalten. Die Rolle des Unparteiischen wurde ihm deshalb angetragen, damit sich religiöse Überzeugungen nach Maßgabe gleicher Freiheit sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Leben gleichermaßen entfalten können. Diese Haltung läßt sich als Achtung der gleichen Würde aller Menschen beschreiben 262. Auch fundamentalistische Religionen, die letztlich die Aufhebung der Trennung von Staat und Religion anstreben, sind damit auf der Schutzbereichsebene des Art. 4 GG geschützte Religionen; Gemeinschaften, die die umfassende Pflege eines derartigen Glaubens betreiben, Religionsgemeinschaften. Hiervon unterscheidet sich die Frage, ob fundamental-islamische Religionsgemeinschaften oder Scientology einen Anspruch auf Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Erfolg geltend machen könnten. Vor dem Hintergrund, daß sie den verfassungsrechtlichen Ordnungsrahmen, der gleichzeitig als Grundlage der Religionsfreiheit fungiert, zu beeinträchtigen versuchen, indem sie auf die Verwirklichung einer theokratischen Herrschaftsordnung hinwirken 263 , ist dies zum Teil verneint worden. Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

c) Die Verfassungskonformität

der religiösen Freiheitsbetätigung

In unlösbarem Zusammenhang mit der Ausgrenzung politisch aktiver, gleichwohl aber religiös fundierter extremistischer Gruppierungen aus dem Gewährleistungsumfang der Religionsfreiheit steht ferner die Überlegung, bereits den Schutzbereich des Art. 4 GG durch seine restriktive Auslegung immanent einzugrenzen. Es wird gefordert, denjenigen religiösen Assoziationen, deren wesentliche Lehren und Praktiken mit den tragenden Grundprinzipien der Verfassung unvereinbar erscheinen, den Schutz der Religionsfreiheit von vornherein zu versagen 264. einem material-qualitativen Sinne zwischen guter und schlechter Kunst zu differenzieren, vgl. W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 30 m. w. N. 262 H. Bielefeldt, in: ders./Heitmeyer (Hrsg.), Politisierte Religion, S. 474 (486 f.). 263 BVerfGE 102, 370 (392, 394). 264 BVerwGE 61, 152 (161); OVG Münster NVwZ 1986, S. 400; R. Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 4 Rn. 97; W. Loschelder, in: Essener Gespräche 20 (1985), S. 149 (159);

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Einem negativen Tatbestandsmerkmal ähnlich setzt dieser sogenannte Verfassungsvorbehalt als grundrechtsimmanente Schranke 265 oberhalb der geschriebenen Grundrechtsschranken, nämlich bereits im Tatbestand des Freiheitsrechts, der Ausübung religiöser Freiheiten Grenzen. Auf die Religionsfreiheit könne sich insbesondere nicht berufen, so wird geltend gemacht, wer selbige mißbrauche 266. Im folgenden Abschnitt soll deshalb untersucht werden, ob die Verfassungskonformität des Freiheitsgebrauchs, entweder als grundrechtsimmanente Schranke oder als Verbot des Grundrechtsmißbrauchs, ein zulässiges Kriterium darstellt, um Religionsgemeinschaften, deren Lehren der Verfassung nicht konform sind, bereits aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG auszuschließen.

aa) Grundrechtsimmanente Schranken Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob eine Freiheitsbetätigung, die nicht mit den Grundsätzen der Verfassung konform geht, über die grundrechtsdogmatische Figur der sogenannten grundrechtsimmanenten Schranken aus dem Schutzbereich eines Grundrechts ausgeklammert werden kann. Die Theorie der grundrechtsimmanenten Schranken soll deshalb im folgenden dargestellt und auf die Spielart des Grundrechtsmißbrauchs zugespitzt werden. Die dogmatische Figur der grundrechtsimmanenten Schranken zählt zu den sogenannten Immanenzlehren der Grundrechte. Deren Anliegen ist es, bestimmte, jeweils aber unterschiedlich formulierte „Schädlichkeitsgrenzen" 267 im Schutzbereich eines Grundrechts zu ziehen. Wird durch Freiheitsgebrauch eine bestimmte Schädlichkeitsschwelle überschritten, verfängt, das ist die Konsequenz, eine BeruJ. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (128 ff., 167 f.); W. Lipphardt, in: ebda., S. 164 (165); K. Obermayer, ZevKR 27 (1982), S. 253 (251); R. B. Abel, Inhalt und Grenzen der Religionsfreiheit, S. 113 ff.; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 15, 204 ff.; K.-A. Schwarz, BayVBl. 2003, S. 326 (328); R. Scholz, NVwZ 1992, S. 1152 ff.; M. Brenner, DÖV 1995, S. 60 (63). Hingewiesen sei an dieser Stelle darauf, daß namhafte Verfassungsrechtslehrer noch im Jahre 1965 beklagten, daß es den beiden Großkirchen nicht gelungen sei, eine „tiefere innere Beziehung" zur demokratischen Grundordnung der Verfassung zu entwickeln oder den Staat in seiner Eigenständigkeit wahrzunehmen, vgl. K. Hesse, ZevKR 11 (1964/ 65), S. 337 (343 ff. m. w. N.). 265

Die gebräuchlichen Ausdrücke der grundrechtsimmanenten oder verfassungsunmittelbaren Schranken sind insofern widersprüchlich, als hier das Grundrecht nicht eingeschränkt, sondern sein Schutzbereich näher bestimmt wird. Über Begriff und Bedeutung der immanenten Grundrechtsschranken herrscht in der Literatur keine Klarheit, vgl. insb. H. v. Nieuwland, Grundrechtsschranken, S. 10 ff.; Η-I. v. Pollern, JuS 1977, S. 644 (465 if.); W. Heyde, in: FS Zeidler II, S. 1429 (1433); F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (733); K. Stern, in: FS BVerfG II, S. 1 (11 f.). 2 66 BVerfGE 12, 1 (4). 267 Κ . Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen, S. 84; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, Art. 2 Abs. I (Vorauflage) Rn. 74: Art. 4 I I GG gewähre wegen seiner immanenten ethischen Schranken ζ. B. nicht das Recht, eine Sekte mit Nacktkultur aus Glaubensüberzeugung zu bilden (Sittengesetz).

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit fung auf das betreffende Grundrecht nicht mehr. Dieses Vorgehen entspricht verfassungsdogmatisch auch der sogenannten engen Tatbestandstheorie der Grundrechte 2 6 8 . Unter Berufung insbesondere auf das Argument der Redlichkeit, daß man nämlich dem Grundrechtsträger nicht erst auf Schutzbereichsebene ein Königreich versprechen könne, um es ihm auf Schrankenebene sogleich wieder wegzunehmen, richtet diese Theorie objektive Barrieren bereits i m Schutzbereich grundrechtlicher Freiheiten auf. Die Figur der grundrechtsimmanenten Schranken bietet den Vorteil, so wird geltend gemacht, daß sich wegen eines dann fehlenden Eingriffs in den Schutzbereich der Religionsfreiheit die spezifische Fragwürdigkeit extern an das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht herangetragener Schranken und Eingriffsermächtigungen nicht mehr s t e l l t 2 6 9 . Das Anliegen, insbesondere den Grundrechtsmißbrauch auch aus dem Schutzumfang des Art. 4 GG auszuklammern, findet seine Grundlage in zwei frühen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 270 . Es speist sich ferner aus der Annahme, das Schrankensystem des Grundgesetzes sei unzureichend ausgestaltet 271 . Vorbehaltlose wie auch andere Grundrechte müßten, so die Prämisse dieser Ansicht, neben den ausdrücklichen Schranken auch äußersten ungeschriebenen Grenzen unterliegen. Diese ergäben sich, so die weitere Argumentation, insbesondere aus ausdrücklichen oder unausgesprochenen Wertentscheidungen des Grundgeset268 Überblicke bei R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 278 ff.; W. Höfling, Jura 1994, S. 169 (170 f.). Zum Teil wird aber auch geschlußfolgert, daß der Verfassunggeber durch seine Regelungstechnik bereits eine Vorentscheidung zugunsten einer offenen Interpretation bestimmter Grundrechte getroffen habe. So entfaltet nach dieser Auffassung die Existenz oder das Fehlen von Gesetzesvorbehalten eine wichtige Indizfunktion. Bei vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsrechten zeige der Verfassungstext schon an, daß „die legislatorische Konkretisierung der jeweiligen Freiheit ihren Abschluß bereits mit der bloßen Benennung des Grundrechtsthemas gefunden" habe. Wegen ihrer primären Persönlichkeitsorientierung sei, so diese Ansicht, die Inanspruchnahme dieser Grundrechte weniger konfliktträchtig, vgl. W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 95. 269 Dezidiert F. Müller, in: ders., Rechtsstaatliche Form - Demokratische Politik, 1977, S. 48 ff.; ders., Die Einheit der Verfassung, 1979, S. 203 f., der allerdings einen dogmatisch anderen Weg über eine Normbereichsbegrenzung der grundrechtlichen Schutzbereiche einschlägt. Femer M. Kriele, in: ders., Recht - Vernunft - Wirklichkeit, S. 604 (620 ff., 625). 270 BVerfGE 12, 1 (4 f.); 24, 236 (249). Hier schnitt das Gericht die Frage an, ob die Grenzen der Religionsfreiheit „unter Berücksichtigung gewisser immanenter Schranken des Grundrechts" zu bestimmen seien, ließ sie dann aber unbeantwortet. Femer BVerfGE 32, 22 (29). In dieser Entscheidung wird der Schutzbereich der glaubensgeleiteten Lebensführung von Außenseitern und Sektierern darauf beschränkt, daß „sie nicht in Widerspruch zu anderen Wertentscheidungen der Verfassung geraten und aus ihrem Verhalten deshalb fühlbare Beeinträchtigungen für das Gemeinwesen oder die Grundrechte anderer erwachsen". Im Gegensatz zu diesen Entscheidungen steht die sonstige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Prüfungsabfolge bei grundrechtsrelevanten Beschränkungen. Grundsätzlich geht das Gericht nämlich davon aus, daß „zunächst die materielle Substanz des Grundrechts zu ermitteln; erst danach ( . . . ) die rechtsstaatlich vertretbaren Schranken der Grundrechtsausübung zu fixieren" sind, vgl. BVerfGE 32, 54 (72); 85, 386 (397); J. Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 45. 271 Κ. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 3: „Schrankenwirrwarr".

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

zes, deren Implantation in den grundrechtlichen Schutzbereich zu Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit entscheidend beitrage: Da ohne die Möglichkeit subjektiver Abwägungsentscheidungen durch einen Richter fest im Tatbestand des Grundrechts etabliert, könne der einzelne die rechtlichen Folgen seines Tuns nun sicher abschätzen. An die Stelle der willküranfälligen Abwägung im Einzelfall trete nämlich hier die objektivere Subsumtion eines Verhaltens unter den im Lichte der Verfassungswerte ausgelegten Schutzbereich des Grundrechts 272. Der Loyalitätsvorbehalt gegenüber der Verfassung, über den religiöse Assoziationen, die mit verfassungsfeindlichen Tendenzen behaftet sind, aus dem Schutzbereich des Art. 4 GG ausgegrenzt werden sollen, orientiert sich hierbei an der Immanenztheorie des Rechtsmißbrauchs. Die Rechtsfigur des Rechtsmißbrauchs wurde im Zivilrecht entwickelt 273 . Ihre Übertragbarkeit auf die Grundrechte ist äußerst umstritten geblieben 274 . Aus verfassungspolitischen Gründen dagegen findet diese Immanenzlehre eine Reihe von Befürwortern. Diese ziehen es vor, die Tore vor dem Danaergeschenk einer allzu extensiven Auslegung des Grundrechts auf Religionsfreiheit, das auch systembedingt mißbräuchliches Verhalten dulde, zu verschließen, damit das Recht selbst nicht der Diskreditierung preisgegeben werde 275 .

bb) Der Grundrechtsmißbrauch Im folgenden soll daher die Figur des Grundrechtsmißbrauchs und ihr Einsatz als probates Mittel, Religionsgemeinschaften den Schutzbereich des Grundrechts der Glaubensfreiheit zu verwehren, kritisch überprüft werden. Ein Grundrechtsmißbrauch wird als funktionswidrige Ausübung eines Freiheitsrechts und damit als ein Handeln ohne (Grund)Recht definiert. Als Mißbrauch im weitesten Sinne, so wird ausgeführt, erscheine jeder Gebrauch eines Rechts, für den dieses nicht gedacht und daher gewährt sei. Er soll immer dann vorliegen, wenn der Gebrauch einer grundrechtlich verbürgten Freiheit die Interessen eines anderen Verfassungsadressaten tangiert und diese Interessen durch höherwertige Verfassungsnormen, vorverfassungsrechtliche Grundideen oder überpositive Rechtsgedanken gewährleistet werden 276 . Zu den Verfassungsadressaten, deren In272 So S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 197 ff., 202 f., vgl. aber auch W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 180 ff.; ders., JZ 1995, S. 26 (32). 273 W. Schmitt Glaeser, AöR 95 (1970), S. 320. 274 Η. v. Nieuwland, Grundrechtsschranken, S. 68 ff.; H. Krüger, DVB1. 1953, S. 97. 275 K.-H. Kästner, JZ 1998, S. 974 (975); S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 196 ff.; a.A. C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 14 f.; M. Kriele, JA 1984, S. 629; zu den vielfältigen Versuchen, die Grundrechte immanent zu begrenzen, vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/ 2, S. 528 ff. 276 Umfassend H. U. Gallwas, Mißbrauch, S. 35 ff.; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 955 ff.; W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 133; H. Krüger, DVB1. 1953, S. 97 (98); kritisch zur Nutzbarkeit dieses am zivilrechtlichen Verwirkungsbegriffs als Lehre

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

teressen mit dem Grundrechtsgebrauch anderer kollidieren können, wird auch der Staat gezählt 277 . Daß der Staat in diesen Adressatenkreis einzubeziehen sei, erhelle, so die Vertreter dieser Ansicht, aus der besonderen Funktion der Grundrechte als Faktoren gesellschaftlicher wie auch insbesondere staatlicher Integration 278 . Hiernach sollen die Grundrechte sowohl gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen erhalten als auch eine Harmonie zwischen Staat und einzelnem herstellen. Die Folge dieser Auffassung ist, daß bestimmte Verhaltensweisen oder Ziele, die der Grundrechtsträger mit seinem Freiheitsgebrauch intendiert, von vornherein nicht in den Schutzbereich der Religionsfreiheit fallen. Spezifische Wertungen, die die Verfassung an anderer Stelle tatsächlich oder allein dem subjektiven Vorverständnis des Interpreten gemäß getroffen hat, werden als Filter in den Schutzbereich des Art. 4 GG eingebaut. Die Konsequenz ist, daß Gegenläufiges pauschal nicht passieren darf 279 . Damit soll also das Grundgesetz selbst bereits essentielle Rechtsgüter, die als Ausdruck eines gesellschaftlich verbindlichen Verfassungskonsenses erscheinen, der Disposition der Grundrechtsträger durch den Gebrauch ihrer religiösen Freiheit von vornherein entzogen haben. Zu diesen essentiellen Verfassungsgütern zählen die Vertreter der Theorie des Grundrechtsmißbrauchs auch die freiheitlich demokratische Grundordnung 280 und versagen gegenläufigen Verhaltensweisen sowie opponierenden Verbänden von vornherein den Schutz des Grundrechts. In diesem Sinne steht auch die fehlende Verfassungstreue oder auch der fehlende Verfassungskonformismus von Religionsgemeinschaften als eine ihre Grundrechtstauglichkeit von Beginn an beschneidende Schutzbereichsbeschränkung zur Diskussion.

cc) Kritische Diskussion Fraglich ist aber, ob die Theorie der grundrechtsimmanenten Schranken, vor allem die des Grundrechtsmißbrauchs, ihrerseits mit dem Grundgesetz kompatibel ist. Zwar hatte Friedrich Carl von Gerber noch gelehrt, daß die öffentlichen Rechte dem einzelnen nur in seiner Verbindung mit der Gesamtheit zuständen, also nur in der „unzulässigen Rechtsausübung" orientierten Mißbrauchsbegriffs für die Grundrechtsdogmatik, vgl. G. Dürig/H. Η. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 (1997), Rn. 22, mit Hinweis auf G. Düng, JZ 1952, S. 513 ff.; H. v. Mangoldt/F Klein, Das Bonner Grundgesetz (1966), Art. 18 S. 522 ff. 277 Kritisch D. D. Hartmann, AöR 95 (1970), S. 567 (572 f.); F. Müller, Positivität, S. 33 f. 278 Diese inhaltliche Ausrichtung, die den Grundrechten hier beigegeben wird, nimmt ihren Ausgang in der Integrationslehre, vgl. R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (189 ff., 264 ff.). 279 Kritisch auch J. Isensee, in: FS Sendler, S. 39 (40): Der „Schutzbereich des Grundrechts (ist) wertindifferent gefaßt". 280 Dieser Verfassungsvorbehalt war bereits während der Beratungen zum Grundgesetz diskutiert, dann aber verworfen worden. Nachweise bei M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht I I I / 2 S. 501.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

der Weise ausgeübt werden dürften, wie sie nach dem Bedürfnis der Gesamtheit ausgeübt sein wollten 281 . Ob diese organische Auffassung von der Reichweite der öffentlichen Rechte aber mit dem neueren Verständnis der Grund- und Freiheitsrechte kompatibel ist, erscheint heute indes zweifelhaft. Die berechtigte Kritik in der wissenschaftlichen Literatur nähert sich dem Grundrechtsmißbrauch deshalb sowohl von der Seite der Grundrechtstheorie als auch von der Seite der Grundrechtsdogmatik her. Grundrechtstheoretisch ist dabei folgendes geltend zu machen: Die Annahme des Grundrechtsmißbrauchs vor allem im Verhältnis zum Staate als Bewahrer der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowie zu den Fundamenten des Staates überhaupt läßt darauf schließen, daß die Vertreter der Theorie des Grundrechtsmißbrauchs einen Funktionsvorbehalt der Grundrechte zugunsten der verfaßten Staatlichkeit annehmen. Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, daß der Mißbrauch als „funktionswidriger" im Gegensatz zum „funktionsgerechten" Gebrauch eines Grundrechts bestimmt wird 2 8 2 . Grundrechtstheoretisch muten die Immanenzvorbehalte damit als ein Ausfluß der Lehre einer funktional verstandenen Werttheorie der Grundrechte an 2 8 3 . Den Grundstein für eine Werttheorie der Grundrechte hat Rudolf Smend gelegt. Im Rahmen seiner Integrationslehre betrachtet er die Grundrechte als konstituierende Elemente zur Hervorbringung des Staates als Wertgemeinschaft 284. Den Grundrechten wird dadurch ein objektiver Charakter beigelegt. Dessen Inhalt ergibt sich aus den Wertentscheidungen, die das Gemeinwesen durch Verfassunggebung einst für sich getroffen hat. Grundrechtliche Freiheiten liegen dem staatlichen Ganzen nicht mehr voraus, sondern werden in dieses und die ihm zugrunde liegenden Wertentscheidungen hineingesogen und auf sie bezogen. Damit wird zugleich auch der Inhalt der grundrechtlichen Freiheit beschränkt, nämlich auf die Realisierung entweder des Eigenwerts des Grundrechts selbst oder der Wertentscheidungen des Gemeinwesens als solcher. Wird von der grundrechtlich verbürgten Freiheit Gebrauch gemacht, läßt sich so differenzieren nach einem wertverwirklichenden oder einem wertgefährdenden Freiheitsgebrauch. Diese Differenzierung trägt die Logik der Auf- und Abwertung des Gebrauchs eines Grundrechts bis hin zu dem Verdikt seines Mißbrauchs in sich. Damit löst die dem Grundrechtsmißbrauch zugrundezulegende 281 F. C. v. Gerber, Grundzüge des deutschen Staatsrechts, S. 7: Die Ausübung öffentlicher Individualrechte ist „nicht der individuellen Willkür preisgegeben, sondern sie steht unter der höheren Fügung des organischen Zusammenhanges, in welchem und für welchen sie zur Lösung einer bestimmten Aufgabe berufen sind". 282 BVerwGE 49, 202 (209): „Die Sicherheit des Staates als verfaßter Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet". So auch BVerfGE 49, 24 (56 f.); hierzu D.-D. Hartmann, AöR 95 (1970), S. 567 (571). 283 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (129 ff.). 28 4 R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (189 ff., 264 f.); H Krüger, Staatslehre, S. 540 ff.; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. III Rn. 99.

Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

funktionale Betrachtungsweise 285 der Grundrechte die durch die Freiheitsrechte gewährleisteten Freiheiten aus ihrer entstehungsgeschichtlichen Dimension als subjektive Abwehrrechte gegen den Staat heraus und versieht sie mit einem neuen Impetus. Zwar wird keine unmittelbare Inpflichtnahme der Grundrechte auf die Interessen des Staates und der staatlichen Gemeinschaft hin verfügt, doch steht die Freiheitsausübung von vornherein nicht mehr im subjektiven Belieben des Grundrechtsträgers. In seiner schützenswerten Existenz fällt der Freiheitsgebrauch vielmehr unter das Regime seines Nutzens bzw. seiner Verderblichkeit für das öffentliche Interesse. Der Freiheitsgebrauch unterliegt damit von vornherein der Schranke seiner Funktionalität: Die grundrechtlich geschützte Freiheit des einzelnen wandelt sich von einer Freiheit um der Freiheit selbst willen in eine Freiheit „um zu". Dagegen ist einzuwenden, daß die Entscheidung, ob und zu welchen Zwecken der einzelne von seiner grundrechtlichen Freiheit Gebrauch macht, nach dem liberalen Verständnis der Freiheitsrechte ihm selbst überlassen ist und grundsätzlich keinen Anknüpfungspunkt für rechtliche Differenzierungen des Freiheitsumfangs bietet. Nach der Werttheorie der Grundrechte dagegen wird die Freiheit des einzelnen von vornherein nur im Rahmen der bestehenden Wertordnung gewährleistet. Infolge dieser vorgebundenen Freiheit schützen die Grundrechte dann auch nur denjenigen, der ihres Schutzes gar nicht bedarf: nämlich den Konformisten. Der Außenseiter oder Dissident, für den ihr Schutz wirklich relevant wäre, wird dagegen nicht geschützt286. Dieses Ergebnis widerspricht aber sowohl dem Ursprung und der vorrangigen Funktion der Grundrechte als subjektiver Abwehrrechte gegen den Staat als auch ihrer Konzeption als ausgewiesene Schutzrechte zugunsten der jeweiligen Minderheit. Nach der liberalen Theorie der Grundrechte liegt die grundrechtliche Freiheit dem Staate nämlich voraus. Sie wird durch ihn nicht konstituiert. Der Staat hat infolgedessen auf die Substanz der Freiheit, ihren Inhalt, keinen regelnden Zugriff. Vielmehr bestimmt zunächst der einzelne, zu welchen Zwecken oder aus welchen Motiven er von seiner Freiheit Gebrauch machen will. Freiheit - auch grundrechtliche Freiheit - ist damit Freiheit schlechthin und nicht Freiheit zur verfassungskonformen Verwirklichung von „höheren" Werten 287 . 285

Zur demokratisch-funktionalen Grundrechtstheorie, vgl. H. Krüger, Staatslehre, S. 542; BVerwGE 14, 21 (25); kritisch E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115(133 ff.). 286 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (132); vgl. aber auch Η. H. Klein, Der Staat 10 (1971), S. 145 (165 f.). 287 BVerfGE 102, 370 (395); E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (119 ff.); W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 64 ff., 75 f.; D. Suhr, EuGRZ 1984, S. 529 (532 f. u. passim); J. Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 2 ff., 21 ff.; K. Kröger, Grundrechtstheorie, S. 34 ff.; Η. H. Klein, Grundrechte im demokratischen Staat, passim; J. Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, S. 11 ff.; B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 ff.; F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (730); C. Starck, JuS 1981, S. 237 (239); C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 167; BVerfGE 7, 198 (204 f.); 21, 362 (369); 50, 290 (336 f.); 68, 193 (205).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

In diesem Sinne macht des weiteren ein Großteil des Schrifttums zu Recht geltend, daß die Lehre der grundrechtsimmanenten Schranken wegen ihrer generalklauselartigen Unbestimmtheit eine „orphische Immanzlehre" 288 ist. Da sie zur Beschränkung des Schutzbereichs eines Freiheitsrechts sowohl unspezifisch auf höherwertige Verfassungsnormen als auch auf vorverfassungsrechtliche Grundideen und überpositive Rechtsgedanken rekurriert, gibt sie in der Tat die Grenzziehung zwischen geschütztem und ungeschütztem Freiheitsgebrauch ein Stück weit der Metaphysik preis. Zudem beruht die immanente Beschränkung von Grundrechten auf der abzulehnenden Annahme einer apriorischen Rangordnung der Verfassungswerte. Für eine solche Ordnung lassen sich jedoch keinerlei Anknüpfungspunkte im Grundgesetz nachweisen289. Im Ergebnis widerspricht die dogmatische Figur der grundrechtsimmanenten Schranken damit dem der Verfassung zugrundeliegenden theoretischen Verständnis der Grundrechte als subjektiver Abwehrrechte gegen den Staat. Aber auch die herrschende Grundrechtsdogmatik wird von den Kritikern der grundrechtsimmanenten Schrankenlehre fruchtbar gemacht, um diese Lehre letztlich zu Recht abzulehnen. In diesem Zusammenhang wird geltend gemacht, daß eine vorbeugende Beschränkung grundrechtlicher Freiheitsausübung auf einen systemgerechten Freiheitsgebrauch der Systematik der Verfassung selbst widerspreche. Die Verfassung habe vielmehr mit den Art. 5 III, 9 II, 18, und 21 II GG spezifische „Mißbrauchs"regelungen geschaffen, die eine Sperrwirkung gegenüber anderen, ungeschriebenen Mißbrauchsschranken entfalte. Das Problem der Sperrwirkung der genannten Normen wird in der Literatur in der Regel anhand des Art. 18 GG diskutiert, wobei die Konkurrenzsituation der verfassungsrechtlichen Norm zum einfachen Gesetzesrecht im Mittelpunkt der Betrachtung steht 290 . Gegen eine Sperrwirkung des Art. 18 GG im Verfassungsrecht dagegen wird geltend gemacht, daß Art. 18 GG, soweit er den Mißbrauch bestimmter Grundrechte zum Kampfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung verbiete, eine ohnehin jedem Grundrecht bereits immanent gezogene Grenze nur verdeutliche. Allein der Verwirkungsausspruch für die Zukunft habe einen eigenständigen rechtlichen Eingriffscharakter. Die Notwendigkeit des Verwirkungsausspruchs durch das Bundesverfassungsgericht habe nur die Funktion, 288 H. Wehrhahn, AöR 82 (1957), S. 250 (274); E. Schmitt Glaeser, AöR 95 (1970), S. 320 f.; F. Müller/R. Christensen, Methodik, S. 86/Rn. 73: rechtsstaatlich unkontrollierter und unkontrollierbarer Einlaß für Wertungen der verschiedensten Art. 289 Näher unten § 3 Β. VII. 3. b); ferner G. Roellecke, in: FS Thieme, 1993, S. 681 (682); U. Scheuner, DÖV 1971, S. 505 (509). 290 Zusammenfassend K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 976 ff. Umstritten ist, ob nur Regelungen gesperrt sind, die nach Tatbestand und Rechtsfolge mit Art. 18 GG übereinstimmen, oder auch solche, die allein den Tatbestand des Mißbrauchs enthalten, dann aber eine andere Rechtsfolge anordnen.

Α. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

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eine latent allen Grundrechten anhaftende Mißbrauchsschranke zu aktualisieren 291. Beschränkt man die Analyse aber nicht auf Art. 18 GG, dessen Grundrechtskatalog im übrigen nach ganz herrschender Meinung eine enumerative Aufzählung verwirkbarer Grundrechte enthält 292 , allein, so ergibt sich insbesondere für den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung folgendes: Die oben genannten Vorschriften verdeutlichen in ihrer Gesamtheit zunächst, daß sich der Verfassunggeber des Problems mißbräuchlicher Verhaltenweisen bewußt war und diese als singuläre Ausnahmetatbestände geregelt wissen wollte 2 9 3 . Dieser Befund spricht dagegen, daß das Grundgesetz jedes Grundrecht mit gleichlautenden, aber ungeschriebenen immanenten Mißbrauchsschranken zugunsten der freiheitlich demokratischen Grundordnung versehen hat. Vor allem machen diese Regelungen aber deutlich, daß die Mißbrauchsschranken von außen an die Grundrechte herangetragen werden. Sie sind nicht Teil ihres Schutzbereichs. Aus ihrer systematischen Stellung auf der Schrankenseite der Grundrechte läßt sich deshalb der Grundsatz ableiten, daß auch der Mißbrauch einer grundrechtlich verbürgten Freiheit Teil ihres Gebrauchs ist, ihres Mißgebrauchs nämlich, an den spezifische, zum Teil prozedural besonders gesicherte Sanktionen anknüpfen 294. Insbesondere verdeutlicht aber ein Rekurs auf Art. 18 GG, daß der Grundrechtsmißbrauch solange nicht aus dem Schutzbereich des mißbrauchten Grundrechts fällt, wie das Bundesverfassungsgericht die Sanktion der Verwirkung nicht verfügt hat 2 9 5 . Insgesamt stellt es eine

291 M. Brenner, DÖV 1995, S. 60 (63); P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 105 f.; W: Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 251; U. Gallwas, Mißbrauch, S. 19 ff.; R. Stettner, DVB1. 1975, S. 801 (802 ff.). 292 w. Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 18 Rn. 7; W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 116 f. 293 H. Copie, Grundgesetz, S. 38; H. Krüger, DVB1. 1953, S. 97 (99); F. Müller, Die Positivität, S. 28; G. Willms, Staatsschutz, S. 15, 22 ff.; ders., NJW 1964, S. 225 (227). 294 κ. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 955 f. Aus dem Entscheidungsmonopol des BVerfG und den ex-nunc einsetzenden Sanktionen in Art. 18 und 21 II GG leitet H. Copie, Grundgesetz, S. 98 ff., weiterhin her, daß auch eine verfassungsfeindliche Betätigung Grundrechtsverwirklichung sei. Dazu J. Isensee, DÖV 1982, S. 609 (613); vgl. aber auch W. Schmidt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 257. 295 Dezidiert H. Copie, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 98 f.: Eine „verfassungsfeindlichen Zielen dienende Grundrechtsbetätigung im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung (ist) von Verfassungswegen weder verboten noch auch nur ein verfassungsunmittelbare Ausübungsschranken überschreitendes (und folglich grundrechtloses) Handeln ( . . . )". In der Parallele zu den Parteien erachtet das BVerfG auch das Handeln einer verfassungsfeindlichen Partei bis zum Bannspruch des BVerfG als legal, vgl. BVerfGE 12, 296 (304 ff.); J. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 195; vgl. aber auch M. Brenner, DÖV 1995, S. 60 (63), der zwar zunächst schreibt: Der „Grundrechtsmißbrauch fällt daher so lange nicht aus dem Schutzbereich der Einzelgrundrechte heraus, wie das BVerfG die Grundrechtsverwirkung nicht verfügt hat", um dann aber nahtlos anzuschließen: „Ungeachtet dessen bringt Art. 18 GG zum Ausdruck, daß mißbräuchliches Verhalten vom Schutz der Grundrechte von vornherein nicht erfaßt wird". Kritisch auch G. Dürig/H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 (1997) Rn. 22: „Was Art. 18 ,Verwirkung' nennt, ist eine ausdrückliche, konstitutive Aberkennung' auf Grund eines streng geregelten bundesverfassungsgerichtlichen Verfahrens". 13 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

„dogmatische Überfrachtung" des Art. 18 GG dar, ihn als Kronzeugen für die Theorie der immanenten Mißbrauchsschranken der Grundrechte vorzuladen. Der Schluß von dem Begriff des „Mißbrauchs" in Art. 18 GG auf einen vom Grundgesetz vorausgesetzten zulässigen „Grundrechtsgebrauch" ist nämlich alles andere als zwingend, zumal Art. 18 GG die von der zivilrechtlichen Lehre entwickelten Termini des Rechtsmißbrauchs und der Verwirkung in ihrer rechtstechnischen Bedeutung nicht übernommen hat 2 9 6 . Zu kritisieren ist ferner, daß der immanent eingeschränkte Schutzbereich des betreffenden Grundrechts seine Konturen verliert: Legt man dem Freiheitsgebrauch immanente Beschränkungen auf, läßt sich die Reichweite der jeweiligen Freiheitsverbürgung im vorhinein nicht mehr einheitlich feststellen. Vielmehr machen es die Immanenzlehren notwendig, den Umfang der grundrechtlichen Freiheiten im Einzelfall nach Maßgabe der konkret kollidierenden Rechtsposition zu bestimmen 297 . Die Immanenztheorien bewegen sich ferner von dem durch die bürgerlich-rechtsstaatliche Grundrechtstheorie vorgegebenen und durch die textliche Fassung der allermeisten Grundrechte gestützten Eingriffs- und Schrankendenken fort. Aus dem grundrechtlichen Vorbehalt des (verhältnismäßigen) Gesetzes ergibt sich nämlich, daß die Schranken, die der Staat dem Freiheitsgebrauch seiner Bürger ziehen darf, gesetzlich ausformulierte Schranken sein sollen. Eingriffe in grundrechtliche Freiheiten können nur durch oder aufgrund eines Gesetzes gerechtfertigt werden 298 . In diesem Zusammenhang kann die pauschalierende immanente Verkürzung der Schutzbereiche der Grundrechte zu einer Umgehung derjenigen Anforderungen führen, die gemeinhin an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen gestellt werden. Über das Einfallstor der Immanenz würden die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte in die Funktionslosigkeit geleitet. Der Grundrechtsträger ginge damit gewisser rechtsstaatlicher Sicherungen verlustig: so ζ. B. dem aus der Verhältnismäßigkeit fließenden Gebot der Güterabwägung im Einzelfall. Denn der vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung immer weiter verfeinerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 299 verlangt, daß das mit dem staatlichen Eingriff in ein Grundrecht geförderte Gut und die von diesem Eingriff betroffene Freiheit in einem wohlabgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssen. Unter dem Stichwort der „Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" muß stets ein vergleichendes und gewichtendes Werten und Abwägen im Einzelfall stattfinden. Nur so kann der Faustregel, daß 2% w. Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 18 Rn. 5; Κ Hesse, Grundzüge, Rn. 711; M. Winkler, Kollisionen, S. 231 f. 297 H. Krüger, DVB1. 1953, S. 97 (99); W. Heintschel v. Heinegg/O. Schäfer, DVB1. 1991, S. 1341 (1344); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 352 f. 298 Ausdrücklich B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 (457 f., 549 f.). 299 BVerfGE 3, 383 (399); 7, 377 (405, 407 f.); 48, 396 (402); 67, 157 (158); 89, 69 (84); 90, 145 (173); E. Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 (360 ff.); L. Clerico, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, S. 74 ff.; B. Schlink, in: FS BVerfG II, S. 445 (445 u. passim); R. Wahl, Die Verwaltung 13 (1980), S. 273 (279 ff.).

Α. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit

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je wertvoller der Freiheitsgebrauch und je intensiver die Freiheitseinschränkung ist, desto bedeutsamer das mit dieser Einschränkung beförderte Rechtsgut sein muß, Geltung verschafft werden 300 .

dd) Ergebnis Im Ergebnis stellt die Lehre der pauschal mitzudenkenden, weil ungeschriebenen grundrechtsimmanenten Schutzbereichsbegrenzungen innerhalb eines Systems von feinjustiert erscheinenden und positivierten externen Grundrechtsschranken daher einen Fremdkörper dar. Die etatistische Vorstellung einer immanenten Begrenzung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit durch eine Loyalitätspflicht der religiösen Assoziationen gegenüber Verfassung und bestehender Staats- wie Gesellschaftsordnung findet damit im Grundgesetz keinen Halt 3 0 1 . Vom Staat aus betrachtet stellen sich grundrechtliche Freiheiten im Sinne der liberalen Grundrechtstheorie und des aus ihr folgenden rechtsstaatlichen Verteilungsprinzips als formale Freiheiten dar. Den Grundrechtsträgern wird von der Verfassung nicht aufgegeben, ihr Handeln materiell an den (übergeordneten) Interessen von Staat und Gesellschaft auszurichten. Genausowenig unterliegen sie aber auch einer umfassenden, rechtlich relevanten Unterlassungspflicht. Die vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit einiger Religionsgemeinschaften verliert durch diese Feststellung jedoch nicht an Relevanz, wird aber auf die Ebene der Eingriffsrechtfertigung verwiesen 302 . Die Gebundenheit der Grundrechte wird grundsätzlich besonders hervorgehoben, wenn wie hier mit der Legitimität von Staat und Verfassung die Existenzbedingungen des Gemeinwesens auf dem Spiel stehen303. Die Bejahung vermeintlich staatsgefährdender Ziele entbindet aber nicht von der Aufgabe, Existenzsicherungsklauseln 304 oder kollidierende Rechtsgüter mit Verfassungsrang aus dem Grundgesetz zu extrahieren, die in der Lage sind, zur Lösung dieser freiheitsrechtlichen Spannungslage beizutragen. Als Ansatzpunkt für eine angemessene Bereinigung verfassungsrechtlicher Zielkonflikte zwischen einem grundrechtlichen Freiheitsgebrauch und einem Verfassungsgrundsatz oder einer verfassungsrechtlichen Grundentscheidung kommt allein die Verfassung 300 G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 87 ff.; J. Müller-Volbehr, DÖV 1995, S. 301 (307); Β. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (843); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 321 ff.; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht, III/ 2, S. 526 (550 ff., 571 ff.); ders., JuS 1995, S. 984 (985); C. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 14; kritisch zur Verhältnismäßigkeit i.e.S., vgl. B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 (461 ff.); ders., in: FS BVerfG II, S. 445 (460 u. passim). 301 Im Ergebnis auch S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 208; H. W. Alberts, ZRP 1996, S. 60 (62). 302 H. Fehlau, JuS 1993, S. 441 (443); B. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (843); J. Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), S. 385 (397). 303 Η. v. Nieuwland, Grundrechtsschranken, S. 96 m. w. N. 304 H. Krüger, NJW 1955, S. 201 (204). 13=

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

selbst in Betracht 305 . Sie entscheidet über deren Bestand und die Art und Weise ihrer Durchsetzung gegenüber den Freiheitsrechten. Dieser Vorbehalt der Verfassung ergibt sich grundsätzlich aus dem Prinzip ihrer Einheit 306 . Dem Aufspüren kollidierenden Verfassungsrechts vorgeschaltet ist hierbei allerdings die Frage der spezifischen Eingriffsmöglichkeiten in die religiöse Vereinigungsfreiheit.

4. Zusammenfassung Der Schutzbereich der Religionsfreiheit ist weit gefaßt und unter Beachtung des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaften weit auszulegen. Letztere sind Trägerinnen des Grundrechts der Glaubensfreiheit. Wann eine Vereinigung den Status einer Religionsgemeinschaft zu Recht für sich reklamieren kann, entscheidet sich aufgrund einer Plausibilitätsprüfung ihres Selbstverständnisses und ihres objektiven Erscheinungsbildes danach, ob eine Religion in gemeinschaftlicher und organisierter Form „gelebt" wird. Ob sich die Vereinigung wirtschaftlich oder politisch betätigt, fällt erst dann ins Gewicht, wenn die betreffende Vereinigung dies nicht nur neben der Pflege einer Religion, sondern ausschließlich tut. Das Grundgesetz verlangt ferner nicht, daß sich eine Religionsgemeinschaft verfassungskonform betätigen muß, um in den Genuß des Grundrechts der Glaubensfreiheit zu kommen.

B. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften Für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften hatte es also bislang durch ihre Exemtion vom Vereinsgesetz, dem sogenannten Religionsprivileg, an einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung für ein Verbot gefehlt. Auch die Möglichkeit, auf dem Umweg über den § 39 II BVerfGG i.V.m. Art. 18 GG, die beide als Vorschriften nach § 30 II Nr. 1 VereinsG unberührt bleiben, ihre Auflösung zu verfügen, hatte nicht bestanden. Art. 4 GG gehört nämlich nicht zu den in Art. 18 GG enumerativ aufgezählten Grundrechten, die verwirkbar sind. Zum Teil war daher der Erlaß eines der behördlichen Entscheidung vorzuschaltenden Einzelfallverbotsgesetzes für den Fall vorgeschlagen worden, daß die Voraussetzungen des Art. 9 II GG in einer Religionsgemeinschaft vorlägen 1. Dieser Vorschlag stützte sich auf die Grundsätze der lex posterior bzw. der lex specialis. Von der Frage, ob ein solches Gesetz an Art. 4 GG gemessen materiell verfassungsmäßig gewesen wäre, ab305 BVerfGE 28, 243 (260 f.). 306 BVerfGE 1, 14 (32); 55, 274 (300); kritisch G. Roellecke, in: FS BVerfG II, 1976, S. 22 (32 ff.). ι D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 16 a.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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gesehen, hätten gegen diesen Lösungsansatz auch formelle Einwände vorgebracht werden können. Insbesondere wäre hier die Unzulässigkeit eines Einzelfallgesetzes nach Art. 19 I GG zu überdenken gewesen. Bei aller Souplesse, mit der das Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Art. 19 I I GG zwar eine ganz formale Prognose genügen läßt, muß ein Gesetz, das dem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt genügen will, zumindest aber so gefaßt sein, daß sich jedenfalls „nicht genau übersehen läßt, auf wieviele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet, ( . . . ) also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolge möglich ist" 2 . Ob diese formelle Mindestvoraussetzung in dem vorgeschlagenen Verbotsgesetz erfüllt gewesen wäre, erscheint doch mehr als fraglich. Im Rahmen eines Sicherheitspaketes zur Terrorbekämpfung, das auf die Anschläge vom 11. September 2001 folgte, haben Bundestag und Bundesrat auf Initiative der Bundesregierung 3 beschlossen, das Religionsprivileg sowohl für die körperschaftlich als auch für die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften ersatzlos zu streichen. Die Gesetzesänderung trat am 08. 12. 2001 in Kraft 4 . Mit der Streichung des vereinsgesetzlichen Religionsprivilegs scheinen auf einen ersten Blick alle Unklarheiten beseitigt. Auf der Grundlage des Vereinsgesetzes ein Verbot gegen Religionsgemeinschaften auszusprechen, die den Verbotstatbestand des Art. 9 II GG erfüllen, scheint nun möglich zu sein. Ob es aber tatsächlich zulässig ist, vereinsrechtliche Verbote gegen Religionsgemeinschaften auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts auszusprechen, soll im folgenden untersucht werden. Die dogmatischen Schwierigkeiten, die sich hierbei ergeben, sind handgreiflich. Sie gründen zum Teil darin, daß Art. 4 GG verbaliter als vorbehaltloses Grundrecht gewährleistet wird. Ferner sieht sich das geltende Staatskirchenrecht, welches textlich unverändert aus der Weimarer Republik herrührt, vor eine religionssoziologische Situation gestellt, auf die es nicht zugeschnitten ist. Die christliche Kontinuität, die das Staatskirchenrecht maßgeblich prägte, wird zunehmend von „abweichenden Koordinatensystemen" nichtchristlicher Religionsgemeinschaften überlagert 5. Ob sich die staatskirchenrechtliche Dogmatik angesichts des veränderten gesellschaftlichen Umfelds, in dem sie sich zu bewähren hat, beibehalten läßt, erscheint oftmals zweifelhaft 6. Die Entgrenzung der Religionsfreiheit wird immer suspekter. Die Stimmen, die, wenn schon keine Schutzbereichsverkürzung der Religionsfreiheit, so doch eine rigidere Handhabung ihrer Schranken forderten und fordern, haben mit der Streichung des Religionsprivilegs einen scheinbaren Durchbruch erzielt, was die korpo2

Zu den Anforderungen an ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz, vgl. BVerfGE 25, 371 (396); 36, 383 (401). 3 BT-Drs. 14/7026; BT-Drs. 14/7354. 4 BGBl. IS. 3319. s W Loscheiden in: Essener Gespräche 20 (1986), S. 149 (150). 6 So auch Η. Weber, in: Essener Gespräche 33 (1998), S. 39 (40); 7. Isensee, in: FS Listi, S. 67 (80 f.); M Brenner, in: VVDStRL 59 (2000), S. 264 (266).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

rative Freiheit der Religionsgemeinschaften betrifft. Die rigidere Handhabung der Schranken der Religionsfreiheit beschränkt sich aber nicht allein auf das Vereinsrecht. Um alle Möglichkeiten, mit denen einer Entgrenzung der Religionsfreiheit entgegengesteuert werden kann, auszuschöpfen, wird ebenfalls eine Reaktivierung des Gesetzesvorbehalts des Art. 136 I WRV geltend gemacht7. Ferner kanalisiert sich die Forderung, religiöse Freiheiten zu begrenzen, auch in dem Appell, die Schranken des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften im Hinblick auf ein gesteigertes Ordnungsbedürfnis durch den Staat neu zu definieren 8. Alle diese Möglichkeiten, dem Grundrecht der Religionsfreiheit Grenzen zu setzen, haben Auswirkungen auf die Frage, ob auf der Grundlage des geltenden Vereinsrechts Religionsgemeinschaften verboten werden können. Sie sollen deshalb in den folgenden Abschnitten untersucht werden. Zunächst stehen dabei der Regelungsgehalt des grundgesetzlichen Vereinigungsverbotes und seine einfachgesetzliche Ausgestaltung durch das Vereinsgesetz im Vordergrund. Wie Art. 9 II GG und das Vereinsgesetz mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit zusammengebracht werden können, schließt sich an diese Untersuchung an. Der Schwerpunkt dieser Prüfung liegt dabei auf der Frage, ob der von der herrschenden Meinung favorisierte Weg, das Vereinsgesetz auf Religionsgemeinschaften über die Schranke des für alle geltenden Gesetzes des Art. 137 III WRV anzuwenden, gangbar ist. Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Rechtsfolgen, die ein Vereinsverbot für die Religionsfreiheit insgesamt produziert. Neben Art. 137 III WRV ist vor allem die Auslegung der „wiederentdeckten" Regelung des Art. 136 I WRV als Gesetzesvorbehalt der Religionsfreiheit von Interesse. Stellt sie eine Möglichkeit dar, die korporative Religionsfreiheit einfachgesetzlich zu beschränken?

I. Der Regelungsgehalt des Vereinsgesetzes Fraglich ist also, wie das grundgesetzliche Vereinigungsverbot und die einfachgesetzlichen Regelungen des Vereinsgesetzes zusammenspielen.

1. Das Vereinsgesetz als Konkretisierung des Art. 9 I I GG Zunächst ist zu klären, gegen wen sich das vereinsrechtliche Abwehrinstrumentarium richtet. Beide Regelungen, das Vereinsgesetz und Art. 9 II GG, dienen der vorbeugenden Abwehr von Gefahren, die von „Gruppen" ausgehen. Diese „GrupV K.-H. Kästner, JZ 1998, S. 974 (981 f.); M. Heckel, ZevKR 44 (1999), S. 340 (354 f.); S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 224 ff.; ders., NWVB1. 1998, S. 1 (3 f.); ablehnend U. Hemmrich, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 140 Rn. 7 ff.; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 110 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 90. s H. Weber, NJW 1983, S. 2541 (2553); Κ Obermayer, ZevKR 27 (1982), 259 ff.; A. v. Campenhausen, DVB1. 1980, S. 578 (579 f.); ders., ZevKR 25 (1980), S. 135 (167 ff.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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pen" werden als Vereine spezifiziert und in § 2 I VereinsG legaldefiniert. Da Art. 9 II GG sich auf Art. 9 I GG bezieht und das Vereinsgesetz die grundgesetzliche Bestimmung ausführt, ist dem Verbotstatbestand des Vereinsgesetzes der verfassungsrechtliche Begriff der Vereinigung zugrunde zu legen. Die herrschende Meinung faßt den verfassungsrechtlichen Vereinigungsbegriff denkbar weit 9 . Unter einem verbietbaren oder zu verbietenden Verein versteht sie ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und damit einer organisierten Willensbildung unterworfen hat. Auch Religionsgemeinschaften unterfallen grundsätzlich diesem Vereinsbegriff 10. Wie wirken die Verfassungsnorm und ihre einfachgesetzliche Konkretisierung aber zusammen? Das Grundgesetz bestimmt zunächst in Art. 9 II GG, daß Vereine, deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Völkerverständigung richten, verboten „sind". Das Vereinsgesetz greift diese Regelung in seinem § 3 VereinsG auf und bestimmt weiter, daß ein Verein erst dann als verboten behandelt werden darf, wenn durch eine Verfügung der zuständigen Verbotsbehörde festgestellt wurde, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 9 II GG vorliegen. Wenn aber das Grundgesetz bereits verfügt, daß Vereinigungen, die die Voraussetzungen des Art. 9 II GG erfüllen, verboten sind, zu welchem Zweck bedarf es dann der einfachgesetzlichen Regelung? Denn die Formulierung des Art. 9 II GG scheint anzudeuten, daß die unter den dort genannten Tatbestand fallenden Vereinigungen „ohne weiteres verboten" 11 sind, es also einer nur bestätigenden Verfügung nicht wirklich bedarf. Die Beantwortung dieser Frage hängt auch davon ab, ob Art. 9 II als Grundrechtsschranke oder als Verkürzung bereits des Schutzbereichs der Vereinigungsfreiheit aufgefaßt wird, verfassungswidrige Vereinigungen also von vornherein aus dem Schutzumfang des Grundrechts ausgeschlossen sind. Nach einer früher vertretenen Lehre enthielt die Vereinigungsfreiheit mit Art. 9 I I GG eine Gewährleistungsbereichsverkürzung des Grundrechts. Bei Erfüllung der Voraussetzungen seines Tatbestandes war den Vereinigungen der Schutzbereich des Art. 9 I GG von vornherein verschlossen, ohne daß diese Rechtsfolge einer auch nur feststellenden Verfügung bedurft hätte 12 . Diese Auffassung widersprach allerdings dem Gedanken der Rechtssicherheit aus Art. 20 III GG, da daraufhin jede beliebige Behörde 9 W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 27. 10 Vgl. oben § 3 Α. VI. h BVerfGE 2, 1(13). Zum Verhältnis von Art. 21 II GG zu Art. 9 II GG stellte das Gericht in dieser Entscheidung fest, daß Parteien durch ihre Zugehörigkeit zu den Vereinigungen „unter den dort bezeichneten Voraussetzungen ohne weiteres verboten sein (würden) und somit dem Zugriff der Exekutive schlechthin unterliegen" würden. 12 So noch BVerfGE 2, 1 (13); BVerwGE 1, 187 (190); 1, 266 (268); 4, 188 (189); LG Frankfurt NJW 1953, S. 1748; vgl. auch noch BVerfGE 80, 244 (253): Art. 9 I I GG sei „dahin auszulegen, daß Abs. 1 die Vereinigungsfreiheit lediglich mit der sich aus Abs. 2 ergebenden Einschränkung" gewährleiste. Zur früheren Auffassung, vgl. R. W. Füßlein, in: Neumann/

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

beurteilen durfte, ob die Voraussetzungen des Art. 9 II GG vorlagen, um die entsprechende Vereinigung als verboten zu behandeln. Mit Erlaß des Vereinsgesetzes von 1964 hat der Gesetzgeber deshalb klargestellt, daß es einer konstitutiven Feststellung der Verfassungswidrigkeit der jeweiligen Vereinigung durch die zuständige Behörde und der damit verbundenen gestaltenden Auflösungsverfügung bedarf, damit eine Vereinigung aufgelöst und als verboten behandelt werden kann. Der Verbotstatbestand des Art. 9 II GG stellt daher nach ganz überwiegender Auffassung keine Schutzbereichsbegrenzung dar. Das Verbot eines Vereins tritt also im Ergebnis nicht schon von Verfassungs wegen von selbst ein, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 9 II GG erfüllt sind 13 . Obwohl also mittlerweile allgemein anerkannt ist, daß es einer behördlichen Verbotsverfügung bedarf, wird weiterhin diskutiert, ob ein behördliches Vorgehen nach der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 3 VereinsG für ein Vereinsverbot unumgänglich ist oder ob eine entsprechende Verbotsverfügung auch unmittelbar auf Art. 9 II GG gestützt werden kann 14 . Nach heute herrschender Meinung ist das Vereinigungsverbot des Art. 9 II GG dem Schrankenbereich des Grundrechts zuzuordnen. Es stellt entgegen seinem apodiktischen Wortlaut („sind verboten") lediglich einen Regelungsvorbehält an die Adresse des einfachen Gesetzgebers auf 15 . Denn verfassungsdogmatisch beinhaltet Art. 9 II GG als Grundrechtsschranke eine Verfassungsermächtigung zum Erlaß grundrechtseinschränkender Vorschriften. Für ein konkretes Verbot erfordert der Verfassungsgrundsatz des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts nämlich grundsätzlich eine einfachgesetzliche Eingriffsgrundlage 16 . Dies wird für Art. 9 II GG umso deutlicher, als dort zwar die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen für ein Verbot benannt werden, zur formellen Seite eines Grundrechtseingriffs wie zum Beispiel der behördlichen Zuständigkeit, dem Verfahren und der Form eine Stellungnahme jedoch fehlt. Die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit verlangen aber grundsätzlich das Vorhandensein bestimmter Verfahrens- und Zuständigkeitsregelungen, unter deren Einhaltung erst in grundrechtliche Freiheiten eingegriffen werden darf 17 . Als unmittelbare Ermächtigung zum Erlaß einer Verbotsverfügung neben oder anstelle des Vereinsgesetzes kommt die Schrankenregelung des Art. 9 II GG daher im ErNipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, S. 425 (435); zur ex-lege-Theorie, vgl. zusammenfassend T. Schmidt, Parteien und Vereinigungen, S. 73 f.; umfangreiche Nachweise auch bei M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 23 Fn. 63. 13 BVerwGE 55, 175 (177); B. Reichert, HdbVereins- und Verbandsrecht, Rn. 3026; N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 32 f. 14 So Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 9 Rn. 10. 15 BVerwGE 4, 188 (189); 47, 330 (351); 55, 175 (177); OVG Bremen DVB1. 1964, S. 771 (772 f.); P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 36 ff.; A. v. Mutius, Jura 1984, S. 193 (199 f.); R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 113; H. Ridder, AK GG (Vorauflage), Art. 9 Abs. 2 Rn. 23 ff. 16 H. Maurer, Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 3 f f ; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 745; R Kunig, Jura 1995, S. 384 (385). π Ähnl. D. Murswiek, JuS 1992, S. 116 (121); N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 33.

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gebnis nicht in Betracht 18. Die Auffassung, Art. 9 II GG enthalte keinen Eingriffsvorbehalt, sondern sei ein verfassungsunmittelbarer Ausspruch des Verbots, der durch Verwaltungsakt zu konkretisieren sei 19 , kommt hier zu keinem anderen Ergebnis. Denn sowohl nach dieser Auffassung wie auch nach der herrschenden Meinung sind die Modalitäten des Verbots aus Gründen von Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit im Vereinsgesetz vereinheitlicht und handhabbar gemacht worden 20 . Auf seiner Grundlage hat eine verbindliche, d. h. konstitutiv wirkende Verfügung der zuständigen Behörde zu ergehen. Sie enthält in der Anordnung, den Verein aufzulösen, die Feststellung, daß der Verein verboten ist 21 . Neben solchen Normen, die die Verbotstatbestände konkretisieren, umfaßt das Vereinsgesetz auch die erforderlichen Verfahrens- und Vollzugsregeln für ein Verbot. Im Ergebnis stellt das Vereinsgesetz als Ausführungsgesetz der Schrankenregelung der Vereinigungsfreiheit daher die erforderliche Konkretisierung der Verfassungsnorm des Art. 9 II GG dar.

2. Entschließungs- und Auswahlermessen: Vereins- oder Betätigungsverbot? Fraglich ist ferner, welche Handlungsmöglichkeiten sich der zuständigen Behörde auftun, wenn eine Vereinigung die Tatbestandsvoraussetzungen der Verbotsnormen erfüllt. In diesem Zusammenhang ist es umstritten, ob und inwieweit der Behörde bei Vorliegen der Verbotsvoraussetzungen ein Ermessensspielraum eingeräumt ist, ob also im Rahmen des Verbotsverfahrens das Legalitäts- oder das Opportunitätsprinzip gilt. Muß sie bei „Mißbrauch" der Vereinigungsfreiheit ein Vereinsverbot aussprechen oder hat sie Entschließungsermessen? Vor allem aber: Kann sie anstelle einer Verbotsverfügung auch ein einfaches Betätigungsverbot erlassen? Für die Eröffnung behördlichen Ermessens bei der Frage, ob gegen eine Vereinigung vorgegangen wird, welche die Tatbestandsvoraussetzungen der Verbotsnormen erfüllt, könnte folgendes sprechen: Für Parteien, eine besondere Form von Vereinigungen, gilt anstelle des Art. 9 I I GG die Spezialregelung des Art. 21 I I GG. Ebenso wie Vereinigungen dürfen auch Parteien für den Fall verboten werden, is OVG Bremen DVB1. 1964, S. 771 (772); H. W. Alberts, ZRP 1996, S. 60 (61); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 48; J. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 130 f., 146, der die Schwierigkeiten ebenfalls an der Unbestimmtheit der Verfassungsnorm hinsichtlich Verbotsbehörde und Verfahren festmacht. Auch Κ Obermayer, ZevKR 27 (1982), S. 253 (258 f.); W Schatzschneider, BayVBl. 1985, S. 321 (323); M. Planker, Das Vereinsverbot, S. 39 ff.; unklar/. Listi, DÖV 1973, S. 181 (185); T. Guber, „Jugendreligionen", S. 107 ff. 19 So M Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 148 ff. 20 BVerwGE 4, 188 (189); 6, 333 (334); K.-H. Seifert, DÖV 1954, S. 353 (354 ff.). 21 BVerwGE 47, 330 (351); 55, 175 (176 ff.).

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daß sie verfassungswidrig sind. Ähnlich apodiktisch wie Art. 9 I I GG bestimmt auch Art. 21 I I GG, daß Parteien verfassungswidrig sind, wenn sie darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen. Die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei wird allerdings dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Ihr muß ein Antrag der in § 43 I BVerfGG genannten Antragsberechtigten (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung) vorausgehen. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, ob die Antragstellung im „pflichtgemäßen Ermessen" oder auch im „politischen Ermessen" der Antragsteller steht. Das Bundesverfassungsgericht bejaht dies 22 . Auch im Schrifttum ist die Auffassung, daß den Antragsberechtigten ein Antragsermessen zustehe, herrschend. Zur Begründung wird überwiegend angeführt, daß den zuständigen Organen Raum gelassen werden müsse, die politischen Auswirkungen eines Parteiverbots zu prognostizieren und entscheiden zu können, ob diese in Kauf genommen werden sollen 23 . Die Gegenmeinung vertritt dagegen, daß die antragsberechtigten Organe grundsätzlich verpflichtet seien, den entsprechenden Antrag zu stellen. Zumindest dann gelte aber das Legalitätsprinzip, wenn hinreichendes Beweismaterial vorliege, auf das ein Parteiverbot gestützt werden könne 24 . Die Pflicht zur Antragstellung wird dabei insbesondere dem Wortlaut der Parteiverbotsnorm des Grundgesetzes entnommen. Diese Argumentationsmuster wiederholen sich im Zusammenhang mit den Vereinigungsverboten gemäß Art. 9 I I GG. So wird zugunsten des Entschließungsermessens der Verbotsbehörde geltend gemacht, aus dem Telos der (politischen) Verfassungsschutznorm ergebe sich, daß es der Behörde gestattet sein müsse, zu prüfen, ob ein Vereinigungsverbot politisch opportun sei. Die Behörde habe vor allem abzuschätzen, ob ein mögliches Vereinigungsverbot seinen Zweck erfüllen könne oder aber ins Leere liefe und dadurch mehr Schaden anrichte, als daß es nutze. Ferner gelte im Recht der Gefahrenabwehr grundsätzlich das Opportunitätsprinzip. Dies sei, so ein weiteres Argument, auch bei der Auslegung des Art. 9 I I GG zu berücksichtigen 25.

22 BVerfGE 5, 85 (113); 40, 287 (291). 23 R Kunig, in: HStR II, § 33 Rn. 43; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 130; H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (225); H. Meier, Parteiverbote, S. 227. 24 C. Gusy, in: AK GG, Art. 21 Rn. 128; J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 173; A. Sattler, Streitbare Demokratie, S. 86 f. Eine vermittelnde Ansicht geht von der Möglichkeit einer Ermessensreduzierung aus. Sie macht eine Antragspflicht vom Vorliegen weiterer Voraussetzungen wie ζ. B. einer besonderen Gefährdungslage oder der Evidenz der Verfassungswidrigkeit einer Partei abhängig, vgl. F. Stollberg, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen, S. 76. 25 BVerwGE 1, 184 (187); N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 94 ff.; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 134; W. Spiller, Das Vereins verbot, S. 91; im Ergebnis auch Ρ Kunig, Jura 1995, S. 384 (385). Das Entschließungsermessen diskutiert ausdrücklich für den Fall des „Sich-Richtens" der Vereinigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 69 ff. Zumindest für die Strafrechtswidrigkeit der jeweiligen Vereinigung bejaht er das Legalitätsprinzip.

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Gegen die Eröffnung behördlichen Entschließungsermessens spricht aber zum einen der Wortlaut sowohl des Art. 9 II GG als auch der des § 3 11 2. HS VereinsG. Nach der Verfassungsnorm sind Vereine, welche die dort genannten Tatbestandsmerkmale erfüllen, verboten; nach der einfachgesetzlichen Vorschrift bedarf dies lediglich einer feststellenden Verfügung. Ein Ermessen besteht insbesondere nicht für den Fall, daß Art. 9 II GG als Verfassungsanweisung verstanden wird, die von der zuständigen Behörde per feststellender Verfügung nur zu vollziehen ist 26 . Auch ist nicht ersichtlich, woran ein Entschließungsermessen sonst anknüpfen könnte. Die grundsätzliche Geltung des Opportunitätsprinzips im Recht der Gefahrenabwehr würde für ein Vereinsverbot bedeuten, daß die zuständige Behörde, also die gesetzesvollziehende Exekutive, gehalten wäre, politische Folgeerwägungen anzustellen. Denn der Verfassungsschutz ist (auch) eine politische Angelegenheit27. Dies könnte mit rechtsstaatlichen Prinzipien konfligieren. Eine einfachgesetzliche Regelung wie § 43 I BVerfGG („Der Antrag ( . . . ) kann ( . . . ) gestellt werden"), der sich an die obersten (politischen) Bundesorgane richtet und diesen möglicherweise ein Ermessen einräumt, fehlt im Zusammenhang mit den Vereinigungsverboten deshalb. Die unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 9 II GG, welche von § 3 I VereinsG lediglich wiederholt werden, eröffnen daher jedenfalls grundsätzlich nur einen Beurteilungs-, nicht aber einen Ermessensspielraum der Behörde. Im Ergebnis besteht damit die behördliche Pflicht, im Falle des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG gegen die betreffenden Vereinigungen vorzugehen. Klärungsbedürftig wird damit im Anschluß aber die Frage, ob die Verbotsbehörde im Hinblick auf die ihr zustehenden Mittel ein Auswahlermessen hat. Muß sie die Vereinigung insgesamt verbieten, oder eröffnen ihr das Grundgesetz und das Vereinsgesetz die Möglichkeit, einzelne Betätigungen der Vereinigung zu unterbinden, wenn sie dies als ausreichend erachtet? Das Vereinsgesetz sieht die Möglichkeit, gegen Inländervereinigungen Betätigungsverbote auszusprechen, nicht explizit vor. Für Ausländervereine oder ausländische Vereine, deren Vereinigungsfreiheit sich im übrigen nach Art. 2 I GG richtet, sieht dies dagegen anders aus. Nach den §§ 14 II, 15, 18 VereinsG kann die Verbotsbehörde diesen gegenüber anstelle eines Vereinsverbots auch Betätigungsverbote erlassen. Ferner können gegen bestimmte Arbeitnehmer- und Arbeitgebervereinigungen nach § 16 I, IV VereinsG per einstweiliger Anordnung durch ein Gericht Betätigungsverbote ausgesprochen werden, bis das Gericht die Rechtmä26 M. Kemper, in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, Art. 9 Rn. 147; T. Schmidt, Parteien und Vereinigungen, S. 128 ff.; E.-W. Böckenförde, VVDStRL 37 (1979), S. 138 (139); ders., in: Koschnick (Hrsg.), Extremistenbeschluß, S. 76 (78): „Jedenfalls für Vereinigungen muß es (seil.: das Opportunitätsprinzip), wenn der eindeutige Wortlaut des Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes etwas gilt, ausgeschlossen sein." So auch H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (78 f.), mit Hinweis auf E. Forsthoff, in: FS Gehlen, S. 50: „Wenn Worte etwas bedeuten", sind verfassungswidrige Vereinigungen kraft Verfassungsgesetzes verboten. 27 Ähnl. P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 70.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ßigkeit der eigentlichen Verbotsverfügung bestätigt. Fraglich ist aber, ob von diesen Regelungen auf die grundsätzliche Möglichkeit von Betätigungsverboten anstelle von Vereinigungsverboten geschlossen werden kann. Die Notwendigkeit, Betätigungsverbote anstelle von Verbotsverfügungen auszusprechen, wird im wesentlichen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gefolgert. Dieser, so wird geltend gemacht, beanspruche als verfassungsrechtliches Prinzip bei jeder grundrechtlichen Eingriffsprüfung Geltung 28 . Er sei deshalb auch bei einem Einschreiten gegen „verbotene" Vereine nach Art. 9 II GG, § 3 I VereinsG zu beachten. Mit Hinweis auf eine gleichlautende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wird deshalb das Ermessen der Verbotsbehörde in der Auswahl derjenigen Mittel, mit denen sie gegen eine „verbotene" Vereinigung einschreiten will, überwiegend bejaht. Diese herrschende Meinung stützt sich dabei allerdings auf Urteile, deren Verallgemeinerungsfähigkeit zweifelhaft erscheint. So brachte das Bundesverwaltungsgericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erstmals in der Ludendorff-Entscheidung mit dem öffentlichen Vereinsrecht in Zusammenhang. Insbesondere bei Religionsgemeinschaften sei, so das Gericht, darauf zu achten, daß die religiöse „noch weniger als die allgemeine Vereinigungsfreiheit beschränkt werden" dürfe 29 . Ein Verbot scheide als verfassungsmäßige Maßnahme aus, so das Gericht weiter, wenn die verfassungsfeindliche Tätigkeit der Religionsgemeinschaft auch mit milderen Mitteln wirksam unterbunden werden könne. In diesem Fall mußte jedoch zum einen ein Sachverhalt beurteilt werden, der vor Erlaß des Vereinsgesetzes von 1964 lag. Zum anderen wird aus dem Urteil selbst deutlich, daß das Gericht mehrere entscheidende Differenzierungen vornimmt. Auf der einen Seite differenziert es zwischen Religionsgemeinschaften und anderen Vereinigungen. Auf der anderen Seite stellt es dem Sinn des Vereinsverbots entsprechend für ein Betätigungsverbot darauf ab, ob es tatsächlich nur einzelne Tätigkeiten des Vereines sind, die dieser gegen die verfassungsmäßige Ordnung unternimmt, oder ob der Verein mit seiner Zielsetzung als solcher der freiheitlich demokratischen Grundordnung widerspricht. Nur im letzteren Falle könnte er überhaupt nach Art. 9 II GG und dem Vereinsgesetz verboten werden. Das Gericht führt hierzu aus, daß für den Fall, daß die „verfassungsfeindlichen Bestrebungen für die Vereinigung einen wesentlichen, untrennbaren Teil des Gedankenguts ihrer Weltanschauung (seil.: oder Religion) darstellen oder ( . . . ) so tief im Denken ihrer Mitglieder verwurzelt sind, daß sie sich nicht verhindern lassen, solange der Zusammenhalt besteht, ( . . . ) Verbot und Auflösung gerechtfertigt" 30 sind. Aus diesen Ausführungen des Bundesverwaltungsge28

Nach der Rechtsprechung des BVerfG stellt der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein Prinzip von verfassungsrechtlichem Rang dar. Schon BVerfGE 3, 383 (399); 7, 377 (405 ff.); zuletzt BVerfGE 76, 1 (50 f.); 89, 69 (84); 90, 145 (173). 29 BVerwGE 37, 345 (360 f.). Für ein Βetätigungsverbot als milderes Mittel optiert deshalb auch/. Müller-Volbehr, JZ 1981, S. 41 (45). 30 BVerwGE 37, 345 (366); 61, 218 (220 ff.).

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richts zum Zusammenspiel von Vereinigungsverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz läßt sich deshalb ebensogut schlußfolgern, daß, soweit also die Rechtsgüter des Art. 9 II GG durch die Zielsetzung der Vereinigung insgesamt gefährdet werden, ein Organisationsverbot bereits das mildeste Mittel darstellt. Oder anders ausgedrückt: daß immer dann, wenn ein Einschreiten gegen eine Vereinigung aufgrund von Art. 9 II GG, § 3 I VereinsG überhaupt erlaubt ist, ein Vereinigungsverbot auch zwingend erforderlich ist, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz also durch die ausdrücklichen Regelungen des Vereinsgesetzes hinreichend beachtet wurde. In diesem Sinne läßt sich auch ein neueres Urteil des Bundesverfassungsgerichts auslegen. Das Gericht hatte in dieser Entscheidung zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit es erlaube, durch die sofortige Vollziehbarkeit des Verbots (§ 3 IV 3 VereinsG) eine Vereinigung sofort und gänzlich zu beseitigen, noch ehe über die Rechtmäßigkeit des Verbots abschließend befunden sei. In diesem Zusammenhang führte das Bundesverfassungsgericht aus, daß selbst die „unverzügliche Auflösung solcher Vereinigungen", die die Tatbestandsmerkmale des Art. 9 II GG erfüllen, „in aller Regel die erforderliche Maßnahme sein (wird), solche Gefahren für die durch Art. 9 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter abzuwehren" 31. In seinem Urteil zur Auflösung der „Wehrsportgruppe Hoffmann" stellt das Bundesverwaltungsgericht ein weiteres Mal auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ab. Anstatt daß das Gericht aber nähere Ausführungen dazu machte, warum der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz es erlaube, trotz fehlender gesetzlicher Anhaltspunkte auf Betätigungsverbote anstelle einer Auflösung des Vereins auszuweichen, verwies das Bundesverwaltungsgericht pauschal auf seine eigene Rechtsprechung. Es legte dar, daß ein Vereinsverbot nur dann in Betracht komme, wenn ein bloßes Betätigungsverbot zum Schutze der durch die Verbotsvorschriften geschützten Rechtsgüter nicht ausreiche. Dies, so das Gericht weiter, sei insbesondere dann der Fall, wenn diese Rechtsgüter durch die Zielsetzung und Organisation der betroffenen Vereinigung als solche gefährdet würden 32 . Zur Begründung seiner Ausführungen rekurrierte es auf eine frühere Entscheidung. Diese war allerdings gegenüber einem Ausländerverein ergangen. Sie war auf § 14 VereinsG als Ermächtigungsgrundlage gestützt worden 33 , der in seinem Absatz 2 Betätigungsverbote ausdrücklich vorsieht. In seinen Beschlüssen zu den Verboten der „Nationalistischen Front" und der „Wiking-Jugend" nimmt das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage in der Hauptsache dagegen überhaupt keine Stellung zur Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips 34 .

31 BVerfGE 80, 244 (254). 32 BVerwGE 61, 219 (220 f.). 33 BVerwGE 55, 175 (181); zum Verbot von Ausländervereinen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, vgl. ferner BVerfG DVB1. 2000, 1515 (1518). 34 BVerwG NJW 1993, S. 3213 ff.; BVerwG NJW 1995, S. 2505 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Ob daher gegen Vereinigungen, die den Verbotstatbestand des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG erfüllen, anstatt einer Auflösungsverfügung ein Betätigungsverbot als milderes Mittel ausgesprochen werden kann, erscheint zweifelhaft. Das Vereinsgesetz scheidet in dieser Hinsicht als Ermächtigungsgrundlage jedenfalls aus 35 . Sein Wortlaut ist insofern eindeutig. Als Ausführungsgesetz konkretisiert es die Regelung des Art. 9 II GG. Diese Verfassungsnorm spricht davon, daß Vereine, deren Ziel es ist, die dort genannten Rechtsgüter zu beeinträchtigen, verboten sind. Die vereinsgesetzliche Regelung bestimmt in dieser Hinsicht, daß in der feststellenden Verfügung der Verbotsbehörde die Auflösung der betreffenden Vereinigung anzuordnen ist, läßt der Behörde also keinen Spielraum. Die Verbindung von Feststellungsverfügung und Auflösungsanordnung im Rahmen des § 3 I VereinsG ist zwingend. Im übrigen bliebe auch offen, welche behördliche Stelle für den Ausspruch eines Betätigungsverbotes zuständig sein sollte und ob eine Anfechtung durch die betroffenen Vereinigungen gemäß den strengen Regelungen des Vereinsgesetzes möglich ist. Auch wenn es wünschenswert erscheinen mag, das behördliche Vorgehen gegen Vereine, die eine Gefahr für die in Art. 9 II GG genannten Schutzgüter darstellen, insgesamt auf ein spezielles Gesetz wie das Vereinsgesetz zu stützen, läßt sich die in diesem Gesetz fehlende Regelung bezüglich der Betätigungsverbote nicht durch Erst-Recht-Schlüsse oder Richterrecht ersetzen 36. Fraglich ist dann aber weiter, ob Betätigungsverbote anstelle von Vereinsverboten auf andere Ermächtigungsgrundlagen als das Vereinsgesetz gestützt werden können. Dies wird von der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur vertreten 37. Die Anwendbarkeit der Grundsätze des Übermaßverbotes wird dabei in der Regel mittels eines Rekurses auf Altbewährtes aus der Grundrechtsdogmatik, nämlich mit einer vereinigungsrechtlichen „Drei-Stufen-Theorie", begründet 38. Die Möglichkeiten, das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit verfassungsgemäß zu beschränken, müßten sich, so wird argumentiert, an den verschiedenen Gewährleistungsgehalten des Art. 9 I GG ausrichten. Art. 9 I GG habe, so diese Auffassung, im wesentlichen drei Gewährleistungsgehalte: die Freiheit der Bildung der Vereinigung, ihre Existenzfreiheit sowie die externe Betätigungsfreiheit der Vereinigung. Diese Gewährleistungsgehalte bildeten zugleich die drei Stufen der Vereinigungsfreiheit in der Rangfolge ihrer Auflistung. Ein Eingriff in die Betätigungsfreiheit geschehe, so die Schlußfolgerung dieser Auffassung, folglich auf der niedrigsten Stufe und sei als punktuelles Verbot bestimmter Verhaltensweisen das mildeste Mittel. 35 OVG Bremen DVB1. 1964, 771 (773). 36 B. Reichert, HdbVereins- und Verbandsrecht, Rn. 3027. 37 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 113 ff.; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 54 m. w. Ν.; M. Planker, Das Vereinsverbot, S. 122 ff.; N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 105; C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 137 ff.; T. Schmidt, Parteien und Vereinigungen, S. 211 f.; vgl. aber auch ders., DÖV 1981, S. 872 (874). 38 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 113 ff.

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Dagegen, das Übermaßverbot auf diese Weise zugunsten eines Betätigungsverbots ins Spiel zu bringen, könnte zunächst sprechen, daß die in Art. 9 II GG statuierte Verbotsregel, dem Parteienprivileg ähnlich, eine Sperrwirkung zuungunsten anderer Maßnahmen gegenüber einer nicht verbotenen Vereinigung entfalten könnte 39 . Die „Polizeifestigkeit" des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit könnte daneben als weitere „Sperrklausel" eingewandt werden. Denn jenseits des Anwendungsbereichs des Art. 9 II GG ist die Vereinigungsfreiheit polizeifest 40. Mit anderen Worten darf gegen den „Mißbrauch" des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit nur nach Maßgabe des Vereinsgesetzes eingeschritten werden (§ 1 I I VereinsG). Trotz seines stringenten Wortlauts statuiert Art. 9 II GG aber keine „Sperrwirkung" gegen Betätigungsverbote - weder als „Vereinigungsprivileg" noch durch seine Polizeifestigkeit. Das Fehlen der Sperrwirkung erhellt in beiden Fällen aus der verfassungsrechtlichen Dogmatik zu Art. 9 I, II GG. Nach ganz überwiegender Auffassung stellt Art. 9 I GG eine Art formelles „Hilfsrecht" dar, welches die äußere Form des materiellen Gebrauchs anderer Grundrechte organisiert. Art. 9 I GG trägt der Erkenntnis Rechnung, daß zur Effektuierung der grundrechtlichen Freiheitsbetätigung die Verkollektivierung der einzelnen angezeigt sein kann. Da die Freiheit einer Vereinigung aber nicht weiter reichen kann als die des einzelnen, hat sich der Schutz der vereinsrechtlichen (externen) Betätigung an den Parametern zu orientieren, die dasjenige Grundrecht definiert, welches den Zweck der kollektiven Grundrechtsausübung setzt. Über Art. 9 I GG wird daher nicht die gesamte Vereinsbetätigung geschützt, sondern im wesentlichen nur das Ent- und das Bestehen der jeweiligen Vereinigung 41. Das Herzstück vereinsrechtlicher Betätigung bilden also andere Grundrechte als Art. 9 I GG 4 2 . Nach diesen betreffenden Grundrechten richtet sich dann der Schutzumfang externer vereinsrechtlicher Betätigung. Die Schranken dieser Grundrechte regieren deshalb auch die Möglichkeit, Betätigungsverbote zu erlassen. Im Ergebnis wird die externe Vereinsbetätigung damit nicht von dem Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit selbst erfaßt, sondern von demjenigen Grundrecht geschützt, welches den Zweck für die kollektive Ausübung setzt. Wird die vereinsexterne Zweckverwirklichung aber nicht über das Grundrecht der Vereinigungsfreiheit geschützt, kann letzteres auch keinerlei Sperrwirkung gegenüber behördli39 Eine weite Sperrwirkung des Art. 9 I I GG, allerdings beschränkt auf die Verbotsalternativen des „Sich-Richtens" gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung und die Völkerverständigung, wird vertreten von P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 36 f., 99. 40 W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 54; zur Polizeifestigkeit, vgl. E. Rasch, DVB1. 1987, S. 194 (197 ff.). 41 BVerfGE 13, 174 (175); 30, 227 (241); 50, 290 (354); 84, 372 (378). Zum Schutz des in seiner Reichweite unklaren Kernbereichs oder der internen Vereinstätigkeit durch Art. 9 I GG, vgl. BVerfGE 80, 244 (253); 70, 1 (25); BVerfG NJW 1992, S. 549; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 16; D. Murswiek, JuS 1992, S. 116 (117). 42 Zur Akzessorietät der Vereinigungsfreiheit zum zweckbildenden Grundrecht, vgl. D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 30, 50 f., 76; M. Kemper, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Rn. 16 f., 21 ff.

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chem Einschreiten gegen diese Tätigkeit entfalten. Betätigungsverbote als mildere Mittel zum Vereinigungsverbot sind deshalb zulässig. Als einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen, aufgrund derer Betätigungsverbote auch gegen Verhaltensweisen ausgesprochen werden können, die ansonsten dem Verbotstatbestand des Art. 9 II GG zuzuordnen wären, kommen daher grundsätzlich die Polizeigesetze der Länder und die Strafgesetze in Betracht 43. Nach Art. 9 II GG i.V.m. dem Vereinsgesetz als Ermächtigungsgrundlage können gegen Inländervereinigungen allerdings allein Verbotsverfügungen ergehen.

II. Das Verhältnis der Schrankenregelung des Art. 9 I I GG zu Art. 4 GG: Das Vereinsverbot als übertragene Schranke der religiösen Vereinigungsfreiheit Nachdem dargelegt wurde, wie die zuständige Verbotsbehörde gegen Vereinigungen vorgehen kann, welche die in Art. 9 II GG und § 3 I VereinsG genannten Rechtsgüter gefährden, soll im folgenden Abschnitt untersucht werden, ob im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts Art. 9 II GG und § 3 I VereinsG auf die Religionsfreiheit Anwendung finden. Können also, nachdem der Ausnahmetatbestand des § 2 II Nr. 3 VereinsG, der Religionsgemeinschaften von der Anwendung des Vereinsgesetzes eximiert hatte, ersatzlos gestrichen wurde, aufgrund der Ermächtigungsgrundlage des § 3 I VereinsG Religionsgemeinschaften verboten werden? Ob diese Frage bejaht werden kann oder verneint werden muß, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Art. 9 II GG, die verfassungsrechtliche Schrankenregelung der Vereinigungsfreiheit, und das sie ausführende einfachrechtliche Vereinsgesetz gleichzeitig auch als Beschränkung der Religionsfreiheit aufgefaßt werden können. Obwohl die damalige Staatspraxis den Zauberlehrlingsgedanken der bis dato gängigen Unterscheidung von echten und unechten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften hinter dem damaligen Ausnahmetatbestand vermuten läßt 44 , scheint der Vereinsgesetzgeber von 1964 überzeugt gewesen zu sein, mit der Eximierung aller Religionsgemeinschaften von dem Anwendungsbereich des öffentlichen Vereinsrechts ein verfassungsrechtliches Gebot klarstellend nachvollzogen zu haben45. In der Regierungsbegründung zum Vereinsgesetz von 1964 heißt es näm« R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 118. 44 K.-H. Seifert, DÖV 1964, S. 685 (687). 45 Im Ergebnis auch K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17, S. 523; a.A. G. Schiller, ZevKR 48 (2003), S. 257 (258 f.). In der Begründung zum Vereinsgesetz findet sich femer der Hinweis, daß der Gesetzgeber den materiellen Teil desselben insgesamt als einen Vollzug verfassungsrechtlicher Vorgaben betrachtet hat, vgl. BT-Drs. 4/430, S. 8: „Der Gesetzgeber ist daher nicht imstande, Inhalt und Grenzen der Vereinsfreiheit enger oder weiter zu ziehen als im Grundgesetz selbst. ( . . . ) Im übrigen ist der Gesetzgeber darauf beschränkt, Inhalt und Grenzen der Vereinsfreiheit zu verdeutlichen, wo es im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit geboten erscheint".

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lieh, daß die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit den Art. 140 GG, 137 ff. WRV und 4 GG eine „eigene" Regelung gefunden hätten, welcher ein Verbot, wie es Art. 9 II GG vorsehe, unbekannt sei 46 . Der damalige Vereinsgesetzgeber hat die Herausnahme der Religionsgemeinschaften aus dem Verbotstatbestand durch § 2 II Nr. 3 VereinsG systematisch deshalb in einen Zusammenhang mit den in eben dieser Norm formulierten weiteren Ausnahmetatbeständen gestellt. Die weiteren Ausnahmen benennen Parteien und Fraktionen. Weder für Parteien, die in Art. 21 GG eine eigenständige Regelung gefunden haben, welche den Normgehalt des Art. 9 I, II GG vollständig verdrängt 47, noch für Fraktionen, die aufgrund ihrer kompetentiellen Legitimation parlamentarischen Sonderregelungen unterfallen 48, hätte es einer ausdrücklichen, d. h. konstitutiven Exemtion bedurft. Fraglich ist deshalb, wie das Verhältnis der (korporativen) Religionsfreiheit zur allgemeinen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 I, II GG verfassungsrechtlich ausgestaltet wurde. Dies soll im folgenden Abschnitt untersucht werden. Die religiöse Assoziationsfreiheit wird insgesamt im wesentlichen im Schutzbereich der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG selbst und/oder in Art. 137 II WRV verortet. Art. 4 GG so wie auch Art. 137 II WRV stellen zunächst verbaliter vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsrechte dar. Das Vereinsverbot dagegen ist Ausdruck der Schranken des Art. 9 II GG. Damit über die vereinsgesetzliche Regelung auch Religionsgemeinschaften verboten werden können, müssen deshalb beide, die Regelung der religiösen Assoziationsfreiheit und die vereinigungsrechtliche Schrankenregelung, zusammengebracht werden. Die Lösungen, die zu diesem Problem vertreten werden, sind vielfältig. Sie reichen von der ausschließlichen über die gleichzeitige oder analoge bis hin zur vermittelten Anwendung des Art. 9 II GG über die Brücke der Schrankenregelung des Art. 137 III WRV auf Art. 4 GG. Diese verschiedenen Lösungswege sollen im folgenden diskutiert werden. 1. Schrankenleihe Eine Möglichkeit, Art. 4 GG mit den Schranken des Art. 9 II GG zusammenzubringen, ist die der direkten Schrankenübertragung. Vornehmlich in der Literatur wurde früher in diesem Sinne die Auffassung vertreten, daß dort, wo Gesetzesvorbehalte bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten fehlen, das Problem wild46 BT-Drs. 4/430, S. 11. 47 Im einzelnen ist das Verhältnis des Parteienprivilegs zu Art. 9 II GG umstritten. Zur Spezialität, vgl. T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 38 ff., 53; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 75; für ein aliud-Verhältnis, vgl. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 409; ders., in: VVDStRL 17 (1959), S. 11 (52, LS III 3 d); BVerfGE 17, 155 (166); 25, 69 (78); P. Mikat, in: HdbVerfR II, § 29 Rn. 4, 7; kritisch insgesamt D. Lorenz, AöR 101 (1976), S. 1 (10 ff.); zu den historischen Hintergründen, vgl. D. Mertens, in: HStR VI, § 144 Rn. 6. 48 BVerfGE 2, 143 (169); 20, 56 (104); 43, 142 (147); 80, 188 (219); W Henke, BK GG, Art. 21 Rn. 120 ff.; W. Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 28. 14 Groh

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wüchsigen Freiheitsgebrauchs nur durch die Übertragung der Schrankenregelungen anderer Grundrechte und ihrer Schutzgüter auf das vorbehaltlose gelöst werden könne 49 . Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis im Sinne einer allgemeinen Schrankenklausel aller Grundrechte kommt eine weitere Auffassung, die befindet, das Problem der Grundrechtsschranken durch die im Grundgesetz geschrieben stehenden Vorbehaltsbestimmungen lösen zu wollen, sei eine „Illusion". Vielmehr, so diese Meinung, müsse die allgemeine Formel Anwendung finden, daß „jede Grundrechtsnorm nur (gelte), wenn und soweit dem geschützten Freiheitsinteresse keine höherwertigen Interessen (Rechtsgüter) entgegenstehen"50. Fraglich ist aber, ob es unter dem Grundgesetz zulässig ist, die Schranken des einen Grundrechts auf ein anderes zu übertragen. In ständiger Rechtsprechung weist das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der Schrankenleihe zu Recht zurück 51 . Denn Schrankenregelungen wirken auf die Reichweite der Freiheitsgarantien, zumindest jedoch auf den Umfang der Pflicht, Eingriffe zu rechtfertigen, ein. Je weiter die Schranken eines Grundrechts gefaßt sind, desto eher ist ein Eingriff in seinen Schutzbereich verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Das System der feinjustierten Grundrechtsschranken des Grundgesetzes bringt damit auch die unterschiedlichen Bedeutungen der verschiedenen Grundrechtsverbürgungen zum Ausdruck. Die direkte Übertragung der Schranken des einen Grundrechts auf ein anderes würde deshalb die grundrechtlichen Gewährleistungen in ihrer Bedeutung nivellieren. Sie würde weder dem Stellenwert spezieller Grundrechtsverbürgungen noch dem Stellenwert der Spezialität im Recht überhaupt gerecht. Zwar sind dem Grundgesetz Ermächtigungen, die zu einem Eingriff in alle oder in einzeln aufgelistete Grundrechte berechtigen, nicht unbekannt. Doch entfaltet ihre Existenz keine Indizwirkung zugunsten der Übertragbarkeit von Grundrechtsschranken, wie hier des Art. 9 I I GG. Durch die besondere Regelungstechnik der Verfassung wurden derartigen Eingriffsermächtigungen nämlich grundsätzlich eigenständige Normen (z. B. Art. 17 a, 18 GG) zugewiesen52. Sie stehen deshalb wie dies Art. 9 II GG tut - gerade nicht im Zusammenhang mit einem Grundrecht, als dessen spezielle Schranken sie vornehmlich anzuwenden sind. Im Ergebnis ist die These, Schranken anderer Grundrechte seien im allgemeinen unmittelbar auf vorbehaltlose Grundrechte übertragbar, die der Vereinigungsfreiheit auf das der Religionsfreiheit im speziellen, daher abzulehnen. 49 Einen Überblick gibt A. v. Mutius, VerwArch. 63 (1972), S. 75 (76 ff.). 50

Ε. v. Hippel, Grenzen und Wesensgehalt der Grundrechte, S. 25 f. si BVerfGE 32, 98 (107); femer 30, 173 (191 f.); 83, 130 (139); T. Wülfing, Gesetzesvorbehalte, S. 105 ff. u. passim; M. Winkler, Kollisionen, S. 88 f.; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 116; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 315 ff.; K -Η. Kästner, AöR 123 (1998), S. 408 (434 f.); F. Müller/R. Christensen, Methodik, S. 82 f./Rn. 70: methodisch unvermittelter und unbegründbarer „Schrankenschluß". 52 B. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (844).

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2. Ein Fall der Grundrechtskonkurrenz? Fraglich ist jedoch weiter, ob die Schranke des Art. 9 II GG über die dogmatische Figur der Grundrechtskonkurrenzen auf Art. 4 GG anwendbar ist. Wie die Ausgestaltung der Grundrechtskonkurrenzen zwischen Art. 9 I, II GG und Art. 4 GG aussehen kann, läßt sich für den zu untersuchenden Komplex zunächst an dem ähnlich gelagerten Beispiel der religiösen Vereine verdeutlichen. Anders als Religionsgemeinschaften werden religiöse Vereine 53 nicht aus dem Verbotstatbestand des Vereinsgesetzes ausgeklammert. Da für religiöse Vereine zumindest die Sonderbestimmung des Art. 137 II WRV nicht einschlägig sei, könnten sie, so eine starke Meinung in Literatur und Rechtsprechung, bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen über die Ausführungsbestimmungen zu Art. 9 II GG verboten werden. Inwieweit Art. 9 I I GG und das ihn konkretisierende Vereinsgesetz auf religiöse Partikularvereine anwendbar ist, wird deshalb als klassischer Fall konkurrierender Grundrechte betrachtet. Welche Norm aber diejenige sein soll, die das Feld regiert, ist auch hier nicht unumstritten. Das Meinungsspektrum reicht von der Religionsfreiheit als verdrängender lex specialis über ein idealkonkurrierendes Verhältnis von Glaubens- und Vereinigungsfreiheit bis hin zur Spezialität von Art. 9 GG selbst54. In der Auseinandersetzung um das Verbot von Religionsgemeinschaften klingt zum Teil eine sehr stark an der Dogmatik zu den religiösen Vereinen orientierte unmittelbare Anwendbarkeit der Schrankenregelung des Art. 9 II GG an 55 . Das Spektrum an Meinungen, welche Art von Konkurrenz zwischen Art. 9 I, II GG und 4 GG im Hinblick auf Religionsgemeinschaften letztendlich vorliegt, ist ähnlich weit gefaßt wie das zuvor bei den religiösen Vereinen genannte. Zum Teil wird die umfassende Freiheit, religiöse Vereinigungen und damit auch Religionsgemeinschaften zu gründen, nämlich nicht in Art. 4 GG, sondern an seiner Stelle in Art. 9 I GG selbst angesiedelt. Damit wird nicht nur die Begrenzbarkeit jener Freiheit über die Schranken dieses Grundrechts impliziert, sondern darüber hinaus die Einschlägigkeit des Art. 4 GG für die korporative Seite der Religionsfreiheit ganz verneint 56. Diese Ansicht ist jedoch abzulehnen. Sie übersieht nicht nur die Sonderregelung des Art. 137 II WRV für Religionsgemeinschaften, 53 K. Hesse, in: EvStL II, Sp. 2972; K. Obermayer, in: BK GG, Art. 140 Rn. 48 ff.; S. Muckel, in: HdbStKirchR I, § 29 S. 828. 54 Vgl. BVerfGE 24, 236 (244 ff.); 83, 341 (356 ff.); Η Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 5; T. Würtenberger, ZevKR 18 (1973), S. 67 (70): Art. 4 GG lex specialis; A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 74; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 165 ff.; ders., in: HdbStKirchR I, § 29 S. 828; M. Planker, Vereinsverbot, S. 28; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. I l l : Art. 9 GG lex specialis; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 97, (der hier trotz Erwähnung des Art. 137 III WRV offensichtlich nur religiöse Vereinigungen im Blick hat); B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 83: Idealkonkurrenz. 55 J. Listi, DÖV 1973, S. 181 (185); kritisch H. W. Alberts, ZRP 1996, S. 60 (61). 56 So wohl S. Ott, DÖV 1971, S. 763 (763 f.). 14*

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sondern ebenso den erweiterten Regelungsbereich des Art. 4 GG. Letzterer ist auch in seinem assoziativen Gehalt als Menschenrecht gefaßt. Art. 9 I GG steht dagegen nur den Deutschen zu 5 7 . Die Freiheit, sich zu Religionsgemeinschaften zusammenzuschließen und den Schutz der Religionsfreiheit für sich in Anspruch zu nehmen, können daher auch Ausländer für sich reklamieren. Dafür, daß das Grundgesetz die ansonsten als Menschenrecht formulierte Glaubensfreiheit in ihrer korporativen Dimension zuungunsten der Ausländer beschneiden wollte, finden sich keine Anhaltspunkte in der Verfassung 58. Zum Teil wird aber auch für eine Anwendung des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit neben den Gewährleistungen der Religionsfreiheit votiert. Diese Auffassung wird in zwei Varianten vertreten: Die erste Variante geht von einer Spezialität des Art. 4 GG für die korporative Religionsfreiheit bei gleichzeitiger Subsidiarität des Art. 9 GG aus. Als Rechtsfolge statuiert diese Auffassung die subsidiäre, aber ausschließliche Einschlägigkeit der Schranken des Art. 9 II GG bei einer religionsgemeinschaftlichen Verbindung 59. Die zweite Variante geht von einem idealkonkurrierenden Verhältnis der Grundrechte der Art. 4 GG und 9 I GG aus. Über die Theorie des Schutzmaximums gelangt sie im Ergebnis dazu, daß ein Verbot von Religionsgemeinschaften sowohl an den Schranken des Art. 9 II GG als auch an denen des Art. 4 GG überprüft werden müsse60. Die These des Schutzminimums bei idealkonkurrierenden Grundrechten wird im Zusammenhang mit Religionsgemeinschaften dagegen - soweit ersichtlich - nicht vertreten. Im folgenden soll untersucht werden, ob einer dieser Ansichten gefolgt werden kann. Insgesamt geht eine große Meinungsgruppe in der Literatur davon aus, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG in seiner korporativen Dimension zu dem der allgemeinen Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 I GG spezieller sei 61 . Nach Ansicht der allgemeinen juristischen Methodenlehre produziert die Spezialität der einen Rechtsnorm gegenüber der anderen jedoch die Rechtsfolge, daß die allge57 Vgl. BVerfGE 83, 341 (354 f.); J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 702. 58 W. Riifner, in: FS BVerfG II, S. 453 (478 f.); S. Veelken, Das Verbot, S. 127. 59 M. Planker, Vereinsverbot, S. 35 f.; ders., DÖV 1997, S. 101 (102 f.); J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 465: „Art. 9 Abs. 1 GG ist wegen der speziellen Regelung des Art. 4 Abs. 1 und des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 2 WRV nicht einschlägig. Auch die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unterliegen aber den Beschränkungen - und damit auch der Auflösungsmöglichkeit - des Art. 9 Abs. 2 GG". 60 S. Veelken, Das Verbot, S. 135 ff. 61 C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 135, 81; T. Würtenberger, ZevKR 18 (1973), S. 67 (72); A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein/v. Campenhausen, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 17; D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 3 (für 137 II WRV); T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 8; D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 67 (für Art. 137 II WRV); W Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 36.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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meinere Norm hinter der spezielleren zurücktritt. Der Grundsatz der lex specialis derogat legi generali umfaßt nach dieser herrschenden Auffassung nicht allein den Grundtatbestand der allgemeineren Norm, sondern gilt genauso für diejenigen Regelungen, die an die Erfüllung des allgemeineren Grundtatbestandes anknüpfen. Sie alle kommen infolge der Spezialität der anderen Rechtsnorm nicht zur Anwendung 62 . Diese Rechtsfolgen werden grundsätzlich auch für die Grundrechtsspezialität im Verfassungsrecht angenommen und in dieser Form auf das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 9 I, I I GG übertragen 63. Um also trotz der Annahme, Art. 4 GG stehe zu Art. 9 GG in einem Verhältnis der Spezialität, dahin zu gelangen, die Schrankenregelung des Art. 9 II GG anstelle der des Art. 4 GG anzuwenden, wird entgegen dieser herrschenden Methodik die vermeintliche Spezialität der Religionsfreiheit nicht im Sinne einer vollständigen Verdrängung des Art. 9 I, II GG ausgelegt. Vielmehr wird die Vermutungswirkung, der Verfassunggeber habe eine spezielle Norm geschaffen, damit die Rechtsfolge der allgemeineren nicht zum Tragen komme, dadurch überwunden, daß eine nur partielle Überdeckung beider Normen behauptet wird 64 . Diese Annahme wirkt sich insbesondere auf die Schrankenebene beider Grundrechte aus: Die religions verfassungsrechtlichen Regelungen seien deshalb, so die Behauptung, nur soweit imstande, diejenigen der allgemeinen Vereinigungsfreiheit zu verdrängen, wie ihr spezieller Regelungsgehalt reiche. Da eine spezielle Schrankenregelung jedoch fehle, werde von der Verfassung Raum gelassen für ein Aufleben der allgemeinen Schrankenregelung des Art. 9 II GG 6 5 . Fraglich ist, ob dieser Auffassung gefolgt werden kann. Die nur implizit mitzudenkenden Schritte, die zu dem von ihren Vertretern erzielten Ergebnis führen 62 K. Larenz, Methodenlehre, S. 256 f.; BVerfGE 17, 155 (166): Art. 21 II GG sei lex specialis gegenüber Art. 9 II GG und schließe damit auch eine subsidiäre Anwendbarkeit dieser Norm aus. Verweis auf BVerfGE 2, 1 (13); 12, 296 (304). 63 L. H. Fohmann, EuGRZ 1986, S. 49 (57); R. Heß, Grundrechtskonkurrenzen, S. 59; A. Bleckmann, Staatsrecht II, § 14 Rn. 7 ff.; W. Berg, Konkurrenzen, S. 162 f.; BVerfGE 13, 290 (296); 30, 292 (336); 51, 97 (105); 58, 358 (363); 68, 193 (223 f.); zum Spezialitätsverhältnis der korporativen Religions- zur Vereinigungsfreiheit im besonderen, vgl. R. Poscher, KritV 2002, S. 298 (299 f.). 64 F. Müller, Positivität, S. 53; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 331; K. Larenz, Methodenlehre, S. 257 f.; kritisch R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Rn. 36. 65 M. Planker, Das Vereinsverbot, S. 35 f.; ders., DÖV 1997, S. 101 (102 f.); A. Diringer, Scientology, S. 246 ff.; Α. ν. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 131; impliziert auch in BVerwGE 37, 345 (364 f.): „Art. 137 WRV enthält gegenüber dem Art. 9 GG eine Spezialregelung für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nur insoweit, als etwas Besonderes erkennbar in Art. 137 WRV bestimmt ist oder sich aus dem Wesen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften notwendig ergibt". W. Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 36 Fn. 147: Die Frage, ob die religiöse Vereinigungsfreiheit insgesamt von Art. 9 I erfaßt werde, sei irrlevant, da Art. 9 II GG auch dann Geltung beanspruche, wenn Art. 9 II GG durch Spezialität verdrängt sein sollte. Insoweit verfängt das Argument, Art. 21 II GG erhelle, daß das Grundgesetz Sonderregelungen für besondere Arten von Vereinigungen kenne, auf die die Vorschriften der Vereinigungsfreiheit nicht anwendbar seien, und spreche deshalb gegen eine Schrankenübertragung, nicht. So aber B. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (844).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

könnten, sind voraussetzungsvoll und umstritten. So muß diese Ansicht einerseits unterstellen, daß die Möglichkeit, bestimmte Vereinigungen nach Art. 9 II GG zu verbieten, dem Schrankenbereich des Grundrechts zugewiesen ist, und nicht, wie dies noch vereinzelt angenommen wird, als grundrechtsimmanente Schranke bereits den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit begrenzt 66. Weiter geht sie offensichtlich von einem einfachen Schweigen des Verfassunggebers zur Vorbehaltlosigkeit des Grundrechts der Religionsfreiheit aus. Diese Voraussetzung läßt sich angesichts der Entstehungsgeschichte des Religionsverfassungsrechts des Grundgesetzes und der Auslegung, die es durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfahren hat, aber gerade nicht bestätigen67. Bereits auf einer grundsätzlichen Ebene wird zudem bestritten, daß, abgesehen von der Subsidiarität der allgemeinen Handlungsfreiheit den spezielleren Freiheitsrechten gegenüber, die letzteren untereinander überhaupt in ein Verhältnis der Spezialität treten können68 . Für das Verhältnis der Spezialität zwischen der Vereinigungsfreiheit und der korporativen Religionsfreiheit im besonderen fehlen des weiteren aber auch die erforderlichen Voraussetzungen. Eine Spezialität wird im allgemeinen angenommen, wenn die speziellere Norm vollständig in der allgemeineren aufgeht und darüber hinaus noch mindestens eines der Merkmale der allgemeinen Norm näher ausgestaltet69. Dies ist im Verhältnis von der Religions- zur Vereinigungsfreiheit nicht der Fall. Zwar wird der Zweck der Vereinigung, der in Art. 9 I GG allgemein gehalten ist, in Art. 4 GG durch die Merkmale der Religion und der Weltanschauung näher spezifiziert. Insoweit ist die Religionsfreiheit enger und damit spezieller gefaßt. Jedoch enthält das Grundrecht der Religionsfreiheit an anderer Stelle Erweiterungen zur allgemeinen Vereinigungsfreiheit. Es gewährt die Freiheit, sich zu Religionsgemeinschaften zu vereinigen, nämlich als Jedermann- und damit als Menschenrecht. Die profane Vereinigungsfreiheit dagegen stellt ein Deutschengrundrecht dar 70 . Die Religionsfreiheit in ihrer korporativen Dimension ist daher im Ergebnis keine spezielle Ausprägung der allgemeinen Vereinigungsfreiheit. Die Auffassung, die Schranken der Vereinigungsfreiheit seien unmittelbar und ausschließlich über die Figur der Grundrechtsspezialität auf die korporative Religionsfreiheit anzuwenden, ist daher im Ergebnis abzulehnen. Fraglich ist also weiter, ob durch die Annahme einer Idealkonkurrenz zwischen der Vereinigungsfreiheit und der korporativen Religionsfreiheit die Schranken des Art. 9 II GG zumindest neben denen des Art. 4 GG anwendbar sind.

66 So wohl F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (730); BVerfGE 80, 244 (253); dagegen H. Jarass, in: Jarass /Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 15. 67 Siehe unten § 3 Β. V. 68 H. Dreier, in: Dreier, GG I, Vorb. Rn. 97; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 1392 ff.; L. H. Fohmann, EuGRZ 1986, S. 49 (52). 69 K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1400; W. Berg, Konkurrenzen, S. 162 f.; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 326 f.; K. Larenz, Methodenlehre, S. 256 f. 70 So im Ergebnis auch S. Veelken, Das Verbot, S. 129.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Das Speziflkum der Idealkonkurrenz besteht im Unterschied zur Spezialität darin, daß die Schutzbereiche mehrerer Grundrechte gleichzeitig betroffen sind und deshalb auch nebeneinander zur Anwendung kommen 71 . Fraglich ist dann aber, nach den Schranken welchen Grundrechts ein Eingriff letztlich verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist. Hierzu werden im allgemeinen mehrere Auffassungen vertreten; nämlich zum einen die Auffassung, daß die Schranke desjenigen Grundrechts einschlägig sei, welches dem Zweck des Eingriffs näher stehe; zum anderen die Thesen des Schutzminimums72 und des Schutzmaximums. Für das vermeintliche Konkurrenzverhältnis von Religions- und Vereinigungsfreiheit im besonderen wird dagegen, soweit ersichtlich, allein die Theorie des Schutzmaximums herangezogen. Diese Theorie geht im wesentlichen von einer Schrankenkumulation aus. Sie besagt, daß, wenn die Schutzbereiche zweier Grundrechte betroffen sind, der Eingriff auch anhand der Schranken beider Grundrechte zu rechtfertigen ist 73 . Es fragt sich allerdings zunächst, ob zwischen der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 GG und der profanen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 I GG überhaupt der Fall einer Idealkonkurrenz angenommen werden kann. Das wird zum Teil - ohne nähere Begründung - vertreten 74. Gegen die Annahme einer Idealkonkurrenz bei gleichzeitiger Schrankenkumulation zwischen Art. 9 I, II GG und Art. 4 GG spricht aber folgendes: Auf der konkreteren Tatbestandsebene beider Grundrechte ist die korporative Religionsfreiheit als „aliud" zur profanen Vereinigungsfreiheit, und damit als allein durch Art. 4 GG geschützt, zu erachten. Die besondere Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die diesen durch die grundgesetzlichen Bestimmungen des Staatskirchenrechts eingeräumt wird, rechtfertigt es, sie von der profanen Vereinigungsfreiheit gänzlich abzuheben. Die „aliud-These" trifft ferner die staatskirchenrechtliche Konstruktion der „freundlichen Nähe" zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, welche durch die Verfassung statuiert wird, eher als die Annahme einer Idealkonkurrenz zwischen weltlicher und religiöser Vereinigungsfreiheit. Letztere stellte die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften nämlich auf die Ebene aller privaten Vereine, auf der sie nach dem Grundgesetz gerade nicht stehen. Sie beförderte damit das staatskirchenrechtliche System einer strikten Trennung von Staat und Kirche, welches das Grundgesetz nicht beinhaltet 75 . Wenigstens aber regeln die Bestimmungen über Religionsgemeinschaf-

71

R. Heß, Grundrechtskonkurrenzen, S. 68 ff.; K. Stern, in: ders., Staatsrecht III/2, S. 1391; H Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Vor Art. 1 Rn. 18; M. Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 136 f. 72 Hierzu W. Riifner, Der Staat 7 (1968), 41 (58): Die zusätzlichen Beschränkungen des anderen betroffenen Grundrechts sollen vom „ersten" Grundrecht aus wie „allgemeine Gesetze" zu behandeln sein und hingenommen werden. 73 Allgemein: A. Bleckmann/C. Wiethoff, DÖV 1991, S. 722 (726 ff.); J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 361; Κ . Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 1391; Berg, Konkurrenzen, S. 82 ff.; W. Riifner, in: FS BVerfG II, S. 453 (477); speziell zu Art. 4 und 9 GG: S. Veelken, Das Verbot, S. 135 ff.; B. Lindner, ZevKR 47 (2002), S. 121 (122). 74

S. Veelken, Das Verbot, S. 135.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ten - einschließlich der Schranken dieser Freiheitsrechte - den Teilbereich des religiösen Verbandswesens abschließend76. Dies ergibt sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte des Grundrechts der Religionsfreiheit 77 als auch aus dem Eigenverständnis der Religionsgemeinschaften (zumindest dem der Großkirchen), das jedes kollegialistischen Zuges entbehrt. Eine Idealkonkurrenz zwischen der religiösen Vereinigungsfreiheit des Art. 4 GG und der profanen des Art. 9 I, II GG besteht daher nicht. Damit ist im Ergebnis auch diejenige Auffassung abzulehnen, welche im Wege der Idealkonkurrenz und der Schrankenkumulation die Schranken des Art. 9 II GG unmittelbar auf die korporative Religionsfreiheit des Art. 4 GG anwenden will.

3. Analoge Anwendung? Fraglich ist ferner, ob die Schranke der profanen Vereinigungsfreiheit im Wege des analogen Lückenschlusses auf die korporative Religionsfreiheit übertragen werden kann. Auf kleinere, privatrechtlich organisierte Religionsgesellschaften, so wird in diesem Zusammenhang geltend gemacht, sei die vereinigungsrechtliche Schrankenregelung analog anzuwenden. Auf Großkirchen und andere inkorporierte Religionsgemeinschaften dagegen sei - wegen des Verfassungsgebots der paritätischen Rechtsposition aller Religionsgemeinschaften - Art. 21 II GG im Wege der Analogie zu übertragen 78. Zu prüfen ist daher, inwieweit dieser analoge Lückenschluß zwischen den beiden Grundrechten, Art. 9 I, II GG und Art. 4 GG, vom Grundgesetz zugelassen wird. Die Rechtsfrgur der Analogie ist im Verfassungsrecht kaum gebräuchlich 79. Da sie auf Rechtsschöpfung angelegt ist, würde sie zu einer Ergänzung des positiven Verfassungsrechts führen. Die Zulässigkeit eines verfassungsrechtlichen Analogieschlusses wird wegen der Rigidität des Verfassungsrechts deshalb zum Teil sogar von vornherein verneint 80. Außerdem setzt auch die analoge Anwendung einer Norm eine vom beredten Schweigen des Verfassunggebers zu unterscheidende planwidrige Regelungslücke voraus. Diese Regelungslücke, hier in Gestalt einer 75 K. Hesse, in: HbStKR I, § 17, S. 522 f.; J. Listi, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 367; ders., DÖV 1973, S. 181 (186); L. Michael, JZ 2002, S. 482 (484). 76 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 111. 77 Dazu unten § 3 Β. V. 78 So T. Würtenberger, ZevKR 18 (1973), S. 67; kritisch J. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (167). 79 Hauptsächlich taucht sie im Verfahrensrecht auf, vgl. BVerfGE 21, 52 (53); 4, 27 (29 ff.); 13,54 (91 f.). so F. Ossenbühl, DÖV 1965, S. 649 (650).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Rechtslücke81, muß sich ferner aus der zuvor zu treffenden Feststellung ergeben, daß ohne entsprechenden Lückenschluß die Wertung, die die Verfassung an dieser Stelle getroffen hat, widersprüchlich bliebe 82 . Zum einen wird gegen diese moderne Lückentheorie geltend gemacht, daß nicht erst die Ergänzung des Grundgesetzes, sondern bereits die Feststellung einer Lücke in der Verfassung selbst auf einer (unzulässigen) Weitung des Interpreten beruhe 83. Zum anderen wird eingewandt, daß nicht hinreichend gesichert gesagt werden könne, was eine planwidrige Lücke im Verfassungsrecht meine 84 . Vorverständnisgeprägten Weitungen werde damit Tür und Tor geöffnet. Letztlich scheitert die analoge Anwendung des Art. 9 II GG auf Art. 4 GG aber daran, daß durch die fehlende Verbietbarkeit von Religionsgemeinschaften keine unerträgliche Lücke ins Verfassungsrecht gerissen wird. Daß im Zusammenhang mit der fehlenden Möglichkeit, per Ausnutzung eines Gesetzesvorbehalts in die korporative Religionsfreiheit einzugreifen, kein unerträglicher Verfassungswiderspruch vorliegt, im Gegenteil einer dem Art. 9 II GG adäquater, bei Art. 4 GG aber fehlender Gesetzesvorbehalt als „planmäßige" Lücke zu betrachten ist, wird sich weiter unten zeigen85. Zudem käme es einer unzulässigen Schrankenübertragung gleich, wenn statt eines unmittelbaren Abstellens auf die Schrankenregelung des Art. 9 II GG deren Anwendung durch analogen Lückenschluß befürwortet würde 86 . Im Ergebnis ist deshalb auch der Weg, über eine verfassungsrechtliche Analogie die Schranken des Art. 9 II GG auf die korporative Religionsfreiheit zu übertragen, nicht zu beschreiten.

81 Das Lückenproblem ist hauptsächlich für Normen unterhalb der Verfassung diskutiert worden. Nach G. Roellecke, in: FS BVerfG II, S. 22 (32), hat das BVerfG nie angedeutet, das Grundgesetz könne Lücken enthalten, obwohl es das Grundgesetz auch als förmliches Gesetz verstehe. Nach der Interpretation des Grundgesetzes als Einheit durch das BVerfG könne das Lückenproblem auf Verfassungsebene letztlich gar nicht auftauchen. Zur Frage, ob die Möglichkeit von planwidrigen Rechtslücken die Einheit der Verfassung voraussetzt, durch sie ausgeschlossen wird oder am Bedürfnis der Gesellschaft nach einer verbindlichen Regelung zu messen ist, vgl. F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 95 ff. 82 H.-M. Pawlowski, Methodenlehre, Rn. 203 ff.; F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 97: „planwidrige Unvollständigkeit innerhalb des positiven Rechts". S3 D. C. Göldner, in: FS Larenz, S. 199 (200 f.); J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, passim; Κ. Hesse, Grundzüge, Rn. 60: „Das auslegende Tun bleibt an die Norm gebunden". Und ebda., Rn. 77: „Deshalb liegen die Grenzen der Verfassungsinterpretation dort, wo keine verbindliche Setzung der Verfassung vorhanden ist". Auch F. Müller, Normstruktur und Normativität, S. 160 f. 84 D. C. Göldner, in: FS Larenz, S. 199 (203 ff.). ss Dazu unten § 3 Β. X. 86 Unter der WRV ist die Schrankenleihe, mit deren Hilfe vorbehaltlose Grundrechte durch die Schranken anderer Grundrechte begrenzt werden sollten, ausdrücklich als Analogie bezeichnet worden, vgl. G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 142 Anm. 2; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 500.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

4. Ergebnis Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß eine direkte oder analoge Übertragung der Schrankenregelung der profanen Vereinigungsfreiheit auf die korporative Dimension der Religionsfreiheit als Möglichkeit ausscheidet.

III. Der Brückenschlag: Die Schranke des Art. 137 I I I WRV Es läßt sich dann aber die Frage aufwerfen, ob das Staatskirchenrecht des Grundgesetzes nicht selbst Bestimmungen vorhält, die es ermöglichen, die vereinsverbotsrechtlichen Regelungen auf Religionsgemeinschaften zur Anwendung zu bringen. Nach herrschender Meinung liegt die Kompatibilität der Verbotsregelungen des Vereinsrechts mit der korporativen Religionsfreiheit in der Formulierung des Art. 137 III WRV. Diese Bestimmung unterstellt die Religionsgemeinschaften in der Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten (dem sogenannten Selbstbestimmungsrecht) dem für alle geltenden Gesetz. In der Literatur wird Art. 137 III WRV auch als „verfassungsmittelbare Vorbehaltsschranke" bezeichnet, da die Verfassungsbestimmung selbst keine besonderen Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts benennt, sondern auf andere verweist 87 . Diese Verfassungsnorm bringe damit, so die herrschende Meinung, eine Begrenzung zur Geltung, welche die Reichweite der korporativen Religionsfreiheit maßgeblich bestimme. Sie lasse es nämlich zu, daß über die in ihr erwähnten für alle geltenden Gesetze auch solche gesetzlichen Bestimmungen auf die korporative Religionsfreiheit angewandt werden könnten, durch welche die entsprechenden Religionsgemeinschaften aufgelöst werden können. Das Selbstbestimmungsrecht und seine Schranken sind nach allgemeiner Auffassung auch auf Religionsgemeinschaften anwendbar, die nicht den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten haben. Religionsgemeinschaften mit privatrechtlichem Status haben an der Gewährleistung des institutionellen Status der Kirchen in vollem Umfang teil, unterliegen damit jedoch gleichzeitig auch seinen Schranken. Ihnen wird eine verfassungsunmittelbare Rechtsstellung zuerkannt, die erst in zweiter Linie durch ihren privatrechtlichen Status beeinflußt wird. Der Staat erkennt neben den Kirchen auch die privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften als Institutionen mit einem Recht auf Selbstbestimmung an. Als derartige Institutionen sind sie „ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat" und leiten ihre Gewalt nicht von diesem her 88 . Sie partizipieren daher paritätisch mit den 87 K.-E. Schlief, Staat und Kirche, S. 252 f. 88 BGH NJW 2000, S. 1555 (1556). Die Religionsgemeinschaften besitzen eine Religionsgewalt, die nicht vom Staate abgeleitet ist, vgl. BVerfGE 18, 385 (386); A. Hollerbach, in:

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts sowohl an dem Recht freier Religionsausübung als auch an dem durch Art. 137 III WRV gewährleisteten Recht auf freie Selbstbestimmung. Da jedoch die Eigenrechtsmacht des Staates und die der Religionsgemeinschaften koexistieren müssen, unterliegen letztere notwendig den Schranken des Art. 137 III WRV. Von der Definition dieser Schranke hängt es daher maßgeblich ab, in welchem Umfang die Religionsgemeinschaften bei der Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten dem staatlichen Recht unterliegen. Denn „jenseits ihrer,eigenen 4 Angelegenheiten" sind sie „dem Staat und dem staatlichen Recht genauso eingeordnet wie jeder weltliche Verband" 89. Fraglich ist aber, ob diese Norm auch ein Verbot von Religionsgemeinschaften abdeckt. Zu prüfen ist daher in den folgenden Abschnitten, ob Art. 137 III WRV als eine Verfassungsnorm, die auf einen ersten Blick zur Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts von Religionsgemeinschaften dient, die korporative Religionsfreiheit auf eine derart umfassende Weise begrenzt, daß über sie als Brückennorm das vereinsrechtliche Verbotsinstrumentarium gegen Religionsgemeinschaften eingesetzt werden kann.

1. Die Stellung des Art. 137 I I I WRV im Grundgesetz Art. 137 III WRV gehört zu denjenigen Weimarer Kirchenrechtsartikeln, welche - da sich im Parlamentarischen Rat keine Mehrheit für die Neuregelung des Verhältnisses von Staat und Kirche unter dem Grundgesetz finden ließ 90 - textlich unverändert durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporiert wurden. Trotz formellen Gleichklangs der betreffenden Normenkomplexe beider Verfassungen hat sich die Auslegung des Weimarer Staatskirchenrechts unter dem Grundgesetz entscheidend gewandelt. Der Auslegungswandel, den auch Art. 137 III WRV erfahren hat, wird bedingt durch die Wechselwirkung von einem veränderten normativen Kontext der Verfassung und der sie umgebenden sozialen Wirklichkeit. Das einverleibte Staatskirchenrecht der Weimarer Verfassung ist heute daher unter dem Aspekt der Einheit der bundesrepublikanischen Verfassung auszulegen. Die staatskirchenrechtliche Dogmatik hat ihr Verständnis des Verhältnisses von Staat und Kirche den Parametern des Grundgesetzes angepaßt und weiterentwikkelt 91 . Die organische Beziehung, die die staatskirchenrechtlichen Artikel mit der vorbehaltlos gewährleisteten Religionsfreiheit des Grundgesetzes eingegangen HStR VI, § 138 Rn. 115; K. Stern, in: Staatsrecht I I I / 1 S. 820; J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 696 f.; zur Koordinationslehre wiederum BVerfGE 18, 385 (386), nach der die Kirchen „ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm herleiten". 89 K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 556. 90 So BVerfGE 19, 206 (218). 91 Zur umfangreichen rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung über den Bedeutungswandel des Staatskirchenrechts, vgl. zusammenfassend A. v. Campenhausen, in: HdbStKirchR I, § 2 S. 55 ff.: „Interpretationswandel". Ferner die sprichwörtliche Formulierung: „Wenn zwei

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

sind, hat insgesamt zu einer grundrechtlichen Aufladung des institutionellen Staatskirchenrechts geführt. Diese grundrechtliche Aufladung der Weimarer Staatskirchenartikel ist deshalb im Ergebnis bei der Auslegung der institutionellen Schrankennorm maßgeblich zu berücksichtigen. 2. Der Begriff der „für alle geltenden Gesetze" Die Subsumtion des Vereinsgesetzes unter den Begriff des „für alle geltenden Gesetzes" stellt zunächst formal keinen größeren Aufwand dar. Das Vereinsgesetz, so scheint es, gilt für alle Vereinigungen und ist daher ein für alle geltendes Gesetz. Für diesen Befund mag ferner auch ein Stück weit die historische Entwicklung des Art. 137 III WRV streiten. In der Weimarer Reichsverfassung beherrschte ein eher wörtliches Verständnis der Schrankenklausel die Auslegung der Norm. Unter ihren Text wurde schlechthin jedes für alle Personen verbindliche Gesetz subsumiert 92. Das Regime des Vereinsrechts als Ausdruck des für alle geltenden Gesetzes war allgemein anerkannt - allerdings mit der Beschränkung auf privatrechtlich organisierte Religionsgesellschaften. Nur diese unterfielen den gültigen Resten des Reichsvereinsgesetzes, nicht aber die kirchlichen Körperschaften 93. Diese Auslegung findet heute unter dem Grundgesetz keine Fürsprecher mehr, da sie von dem eigentlichen Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften wenig übrigließ 94 . Unter dem Grundgesetz ergeben sich aus der Möglichkeit, über Art. 137 III WRV und die dort genannten für alle geltenden Gesetze Verbote gegen Religionsgemeinschaften aussprechen zu können, nicht wenige materiellrechtliche Ungereimtheiten. Diese rühren nicht zuletzt auch aus der grundrechtlichen Aufladung der staatskirchenrechtlichen Normen her und sollen im folgenden aufgezeigt werden.

Grundgesetze dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe", von R. Smend, ZevKR 1, (1951), S. 4. Auch P. M. Huber, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 117 (118) ff.); offen gelassen noch in BVerfGE 6, 309 (343); allgemein F. G. Schwegmann, Der Bedeutungswandel als juristisches Argument in der staatskirchenrechtlichen Literatur nach 1949, S. 37 ff. 92 G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 137 Anm. 5; RGZ 114, 220 (224); K.-E. Schlief, Staat und Kirche, S. 51 ff. 93 Ausführlich hierzu oben § 2 B.; femer G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 229 ff.; ders., in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 361 (399), der das für alle geltende Gesetz als den (umfassenden) Bestand an Gesetzen formulierte, der für jedermann Geltung habe, wie insbesondere auch das Vereinsrecht. 94 B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 198; A. lsak, Das Selbstverständnis, S. 231: „Vor allem aber entstünde eine unerträgliche Diskrepanz gegenüber Art. 4 GG, der ja teilweise denselben Bereich umfaßt wie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Denn daß Art. 4 GG nicht durch das für jedermann geltende Gesetz bzw. das allgemeine Vereinsrecht eingeschränkt werden kann, steht außer Zweifel". Ähnl. auch K. Hesse, JöR N.F. 10 (1961), S. 3 (25 f.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Um zu klären, ob die Regelungen zum Vereinsverbot unter die institutionelle Schrankennorm des Art. 137 III WRV subsumiert werden können, ist zunächst aber zu untersuchen, was das Grundgesetz unter dem Begriff des für alle geltenden Gesetzes verstanden wissen will. Welche Gesetze gehören zu denjenigen, die für alle gelten, und wie wirken sie sich auf die korporative Religionsfreiheit aus? Je nach Blickrichtung auf das Verhältnis von Staat und Kirche erhält der Begriff des für alle geltenden Gesetzes verschiedene Inhalte, die in Reichweite und Bindungswirkung divergieren. Die Auffassungen, die zum Begriff des für alle geltenden Gesetzes vertreten wurden und werden, sollen im folgenden referiert werden 95, bevor im Anschluß eine kritische Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung erfolgt.

a) Die Heckeische Formel und ihre subordinationsrechtliche Antagonistin Nach der sogenannten Heckeischen Formel wurde unter einem für alle geltenden Gesetz ein Gesetz verstanden, „das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als sachlich notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muß, mit anderen Worten, jedes für die Gesamtnation als politische, Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches"96. Die Heckeische Formel verstand sich aus der unter der Weimarer Verfassung vorherrschenden Koordinationslehre zum Verhältnis von Kirche und Staat. Nach dieser Lehre wurde der Staat der Kirchen als ihm koordinierter öffentlicher Gewalten gewahr. Mit Aufgabe der folglich auf die partnerschaftliche Loyalität zwischen Staat und Großkirchen abstellenden Koordinationslehre nahm die Kritik an dieser überelastischen Formel Heckeis überhand 97. Heute wird sie nicht zuletzt auch 95 Umfassender Überblick bei G. Neureither, Recht und Freiheit im Staatskirchenrecht, S. 41 ff.; 237 ff.; Η M. Heinig, Religionsgesellschaften, S. 142 ff. 96 J. Heckel, VerwArch 37 (1932), S. 280 (284); zustimmend E. R. Huber, AöR 62 (1933), S. 1 (64 Fn. 110). Die Grundgedanken der Heckeischen Formel wurden unter dem Grundgesetz insbesondere aufgegriffen von A. Hollerbach, in: VVDStRL 26 (1968), S. 57 (61); ders., in: HStR VI, § 138 Rn. 118; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 117 f., die die Schrankenregelung als „ordre-public-Klausel" auf diejenigen Gesetze reduzieren, die für ein friedliches Zusammenleben von Staat und Kirche „zwingend" erforderlich sind. Die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung des Art. 9 II GG mit der Heckeischen Formel setzt gleich, R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 97. Vgl. ferner B. Jean d'Heur/ S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 199 ff.; K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 544 ff.; W. Weber, in: FS Huber, S. 181 (182 ff.); K.-E. Schlief, Staat und Kirche, S. 232 ff.; U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 25; D. Ehlers, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 10; auch BGHZ 22, 383 (387 f.); hierzu W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 54 ff. 97 A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 124; K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 449 ff.; W. Weber, in: FS Huber, S. 181 (182 ff.); B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 201; W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 207 ff., 279 u. passim; zur Koordinationslehre ferner näher H. Marré, DVB1. 1966, S. 10.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

deshalb nicht mehr vertreten, weil sie verfassungsfremde, metapositive Vorgaben macht und deshalb die Normativität der Verfassung düpiert. Insbesondere aber stellt sie durch ihre extreme Auslegungsbedürftigkeit das verfassungsrechtliche Kompetenzgefüge, hier vor allem die Befugnisse des Gesetzgebers, in Frage 98: Wann ist ein Gesetz unentbehrlich für die Kulturnation, und wer bestimmt dies, wenn nicht der Gesetzgeber durch den Erlaß des Gesetzes selbst? Die Verbindlichkeit einschränkender Gesetze sollte ferner an der freiwilligen Unterwerfung der Großkirchen hängen. Die auf Freiwilligkeit basierende Geltung staatlicher Gesetze ist aber dazu geeignet, die Souveränität des Staates zu unterminieren. Zudem sollten sich allein die altinkorporierten christlichen Großkirchen auf die Freiwilligkeit berufen dürfen - eine Einschränkung, die den Grundsatz der Parität aller Religionsgemeinschaften negierte. Die Zwei Reiche-Lehre, die Koordinationstheorie und die Heckeische Formel läßt folgender Vorschlag aus neuester Zeit wieder aufleben: Art. 137 III WRV sei, so wird geltend gemacht, als eine Kollisionsnorm im (übertragenen) Sinne des IPR zu lesen99. Das IPR besteht aus Kollisionsnormen, mit deren Hilfe das in der Sache anzuwendende Recht ausgewählt wird, wenn ein Sachverhalt Auslandsbezug hat. Trotz größerer Sachnähe, so der Aussagegehalt des Art. 6 EGBGB, ist die Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn damit eine Entscheidung produziert würde, die mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar wäre. Eben jener „ordre public"-Vorbehalt zugunsten der wesentlichen Grundsätze des Verfassungsrechts soll nach der oben genannten Auffassung auch dem Art. 137 III WRV zu eigen sein 100 . Das kirchliche Selbstverständnis, so die Schlußfolgerung ihrer Vertreter, werde durch diesen „ordre public"-Vorbehalt zwar relativiert, der „ordre public"-Vorbehalt dagegen aber „durch das Selbstverständnis (auch) mitbegründet, soweit es nämlich das Kontinuum des abendländischen Ethos" repräsentiere 101. Hiergegen läßt sich jedoch grundsätzlich anführen, daß der Topos des „ordre public" vornehmlich genutzt wird, um fundamentale Prinzipien der Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten, nicht jedoch, um verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten einzuschränken 102. 98 H. Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 175 (290 ff.); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 137 WRV /140 GG Rn. 56; H. Weber, Religionsgemeinschaften, S. 39; ders., NJW 1983, S. 2541 (2552); T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 22. 99 Befürwortend A. Janssen, in: FS Hollerbach, S. 707 (713 ff.); zum ordre public-Vorbehalt des Staatskirchenrechts auch bereits A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 118; R. B. Abel, NJW 1997, S. 2370 (2372). 100 Zur ordre public auch BVerfGE 25, 44 (54 ff.); W. Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 35; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 114; ähnl. E. G. Mahrenholz, Die Kirchen, S. 102 ff.: Schrankengesetze seien nur unter zwei Gesichtspunkten zulässig, nämlich einmal im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs und ein anderes Mal unter dem Aspekt der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. ιοί J. Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte, S. 62 f.; C. Starck, JZ 2000, S. 1 (7). 102 Hierzu BVerfGE 101, 239 (258 f.); 92, 26 (49); 91, 335 (340); 75, 1 (19); 63, 343 (371 f.); 31, 58 (72 ff.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Die etatistische Gegenposition103 machte die Subordination aller Religionsgemeinschaften - auch die der Großkirchen - unter den staatlichen Souveränitätsanspruch fruchtbar. Die rechtliche Überordnung des Staates über alle Religionsgemeinschaften, so diese Auffassung, ergebe sich aus dem Grundsatz der Souveränität der Staatsgewalt als der rechtlich höchsten Gewalt in einem bestimmten Staatsgebiet. In ihren Grundzügen dem zum Teil wörtlichen Schrankenverständnis der Weimarer Staatskirchenlehre 104 äquivalent, zählten die Vertreter der Subordinationslehre neben der Verfassung selbst „jede vom staatlichen Parlament oder - im Rahmen parlamentarischer Ermächtigung - von der staatlichen Exekutive geschaffene verfassungsmäßige Rechtsnorm" 105 zu den für alle geltenden Gesetzen. Diese Formel erinnert an die Schrankenregelung des Art. 2 I GG. Sie hätte zur Folge, daß, ähnlich wie unter der Weimarer Reichs Verfassung, jede Rechtsnorm das Selbstbestimmungsrecht beschränken und damit auf ein Minimum zurückschneiden könnte.

b) Die Gleichsetzung der „für alle geltenden " mit den „allgemeinen" Gesetzen Heute besteht eine ganz überwiegende Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur, daß die Auslegung des Begriffs des für alle geltenden Gesetzes bei der Schrankendogmatik zu Art. 5 II GG mindestens Anleihen macht. Ob und inwieweit das für alle geltende Gesetz mit den Schranken der Meinungsfreiheit aber identisch ist, wird dagegen nicht einheitlich beurteilt 106 . Die Anlehnung an Art. 5 II GG dient wie die frühere Jedermann-Formel des Bundesverfassungsgerichts zunächst dazu, das für alle geltende Gesetz formal als 103 insb. H. Krüger, in: Quaritsch / Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen, S. 139 (140 ff.); R. Zippelius, in: ebda., S. 311 (322 ff.); H. Quaritsch, in: ebda., S. 358 (360 ff.); E.-W. Fuß, DÖV 1961, S. 734 ff.; Κ Obermayer, DÖV 1967, S. 9 (12 ff.); ders., Staat und Religion, S. 8; insg. W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 92 ff.; ferner J. Wieland, Der Staat 25 (1986), S. 321 (328). 104 Statt aller G. J. Ebers, Staat und Kirche, S. 229 ff.; ders., in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, Bd. 2, S. 361 (399), der das für alle geltende Gesetz als den (umfassenden) Bestand an Gesetzen formulierte, der für jedermann Geltung habe, wie insbesondere auch das Vereinsrecht. Kritisch hierzu A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 230 f.; K. Hesse, JöR N.F. 10 (1961), S. 3 (25 f.). los Vgl. nur H. Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 175 (299); kritisch gegen die „Reinform" beider Varianten, vgl. K -Η. Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 145 ff.: Es gehe im Staatskirchenrecht nicht um die Ausweitung oder Eingrenzung von Herrschaft des Staates, sondern um die Zuordnung von Kirche und Staat. Deshalb gälten beide Prinzipien gleichermaßen. 106 Bejahend U. K. Preuß, AK GG, Art. 140 Rn. 28; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 115; W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 184 f., 272, 276 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 57; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 202; ferner die Nachweise bei W. Weber, in: FS Huber, S. 181 (188).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ein allgemeines Gesetz zu identifizieren 107 . Sondergesetzgeberische Tätigkeiten gegen Religionsgemeinschaften wie ζ. B. das zuvor erwähnte Jesuitengesetz werden damit von dem Begriff des für alle geltenden Gesetzes von vornherein ausgeschlossen. Fraglich ist aber, wie Rechtsprechung und Lehre die Prüfung, ob ein allgemeines Gesetz vorliegt und inwiefern es geeignet ist, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften einzuschränken, weiter gestalten. Unterschieden werden die sogenannte Bereichslehre und die sogenannte Abwägungslehre.

aa) Die Bereichslehre Die Bereichslehre herrschte insbesondere in der Rechtsprechung vor 1 0 8 . Nach besagter Jedermann-Formel maß das Bundesverfassungsgericht lange Zeit allein denjenigen einfachgesetzlichen Bestimmungen den Status eines für alle geltenden Gesetzes bei, die für die Religionsgemeinschaften dieselbe Bedeutung hatten wie für jedermann sonst. Ein Gesetz, das eine Religionsgemeinschaft in dieser ihrer Besonderheit härter traf als den „jedermann", weil es ihr Selbstverständnis touchierte, bildete insoweit überhaupt keine taugliche Schrankenregelung 109. Darüber hinaus hatte das Bundesverfassungsgericht zunächst mit Billigung der Literatur die Jedermann-Formel mit der sogenannten Bereichslehre kombiniert. Als Annex zur früher vertretenen Koordinationslehre bejahte es mit der Bereichslehre einen inneren Bereich eigener Angelegenheiten der Religionsgesellschaften, der vom Regnum des staatlichen Rechts gänzlich freigestellt blieb. Dem Wortlaut des Art. 137 III WRV gegenläufig, aber mit dem Proprium der Kirchen begründet, variierte der staatsfreie Bereich innerkirchlicher Angelegenheiten zudem. Je nachdem, ob dem kirchlichen Selbstverständnis die umfassende, aber beweispflichtige Definitionskompetenz der eigenen Angelegenheiten zugewiesen110 107 A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 117; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 276; K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 552; W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 277 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 58; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 21; auch D. Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (285); A. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 84. 108 BVerfGE 18, 385 (388); 24, 236 (246 ff.); 42, 312 (334, 338); 46, 73 (95); 53, 366 (391 ff.); 66, 1 (20); 72, 178 (189); BVerwG NJW 1983, S. 2580; BVerwG NVwZ 1993, S. 672; BAG ZevKR 32 (1987), S. 88 (90); BAG ZevKR 37 (1992), S. 66 (67); ausführlich K.-H. Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 85 ff.; W. Geiger, ZevKR 26 (1981), S. 156 (159 ff.); S. Grundmann, JZ 1966, S. 81 (82 f.); H. Weber, in: HdbStKirchR I, § 19 S. 575 ff.; ders., Grundprobleme des Staatskirchenrechts, S. 43 ff.; H. Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 175 (295 f.)/S. 289 (319). 109 BVerfGE 42, 312 (334); 83, 341 (356); dazu A. Hollerbach, AöR 106 (1981), S. 218 (238 f.); A. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 96 ff.; M. Morlok, Selbstverständnis, S. 434 ff.; U. Hemmrich, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 140 Rn. 20; C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 123. no BVerfGE 18, 385 (386 ff.); 42, 312 (330 ff.); 46, 73 (95); 66, 1 (20 f.); 42, 312 (332 f., 334); 72, 278 (289); H. Weber, Grundprobleme, S. 43 ff.; ders., in: HdbStKirchR I,

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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oder der Anspruch verfassungsstaatlicher Souveränität betont wurde 111 , war er größer oder kleiner zu fassen.

bb) Die Abwägungslehre Ohne daß das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich von seiner Kombination aus Jedermann-Formel und Bereichsscheidungslehre abgerückt wäre, trifft seine neuere Rechtsprechung sich in weiten Teilen mit der in der Literatur überwiegend vertretenen Abwägungslehre zu Art. 137 III WRV 1 1 2 . Die Abwägungslehre trägt dem veränderten Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz Rechnung. Nach Aufgabe des Grundsatzes von der Gleichstellung der Kirchen als öffentliche Gewalten kann auch im Verfassungsrecht nicht länger eine „saubere" Scheidung gemischtrechtlicher von rechtsfreien geistlichen Bereichen im Vordergrund stehen. Den Religionsgemeinschaften soll ihr durch Art. 137 III WRV gewährleistetes Selbstbestimmungsrecht gleichwohl aber unbenommen bleiben. Die strikte Scheidung der Bereiche kirchlicher Angelegenheiten in äußere, die dem Staat zugänglich, und innere, die ihm unzugänglich sind, wandelt sich nunmehr zu deren allseitiger, aber behutsamer Unterordnung unter das verfassungsrechtliche Gesamtsystem. Nach herrschender Meinung bezieht sich das für alle geltende Gesetz deshalb auf alle religionsgemeinschaftlichen Angelegenheiten und nicht nur auf einige von ihnen 113 . Die Abwägungslehre verzichtet folgerichtig auf eine Unterscheidung von innerem und äußerem Bereich der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften. Unter diesen Voraussetzungen ist § 19 S. 575 f.; kritisch J. Wieland, Der Staat 25 (1986), S. 321 (327 ff.); A. Isak, Selbstverständnis, S. 234; W Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 70 f., 181 f.; K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 550 f.; K.-H. Kästner, JuS 1977, S. 715 (717): Willkürlichkeit und Unklarheit bei der Abgrenzung der Bereiche. Die Argumente gegen die Bereichsscheidungslehre faßt zusammen K. D. Bayer, Religions- und Gewissensfreiheit, S. 83 ff. Ein Überblick über die Abgrenzung von eigenen Angelegenheiten und die Unterscheidung von nur staatlichen, nur kirchlichen und gemeinsamen Aufgaben bei A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/ Klein/v. Campenhausen, GG, Art. 140 GG/137 III WRV Rn. 30 ff.; B. Jean d'Heur/ S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 182 ff. m H Quaritsch, Der Staat 1 (1962), S. 175 (185 f.); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140GG/137 WRV Rn. 59 m. w. N.; W Leisner, Essener Gespräche 17 (1982), S. 9 (17 ff.). "2 Seit BVerfGE 53, 366 (400); 70, 138 (167); T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 20; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 203; vgl. aber auch BVerfGE 72, 278 (289 ff.): Dort hat es den Anschein, als wechsle das Gericht mittels der Berücksichtigung des Selbstverständnisses der Kirchen im Abwägungsvorgang wieder in die Scheidung innerer und äußerer Bereiche kirchlicher Betätigung. Hierzu auch ausführlich W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 139 ff. Die Bereichsscheidungslehre in ihrer praktischen Konsequenz ist von der Literatur auch als „verkappte Abwägungslehre" bezeichnet worden, vgl. M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/ 137 WRV Rn. 59. 113 Ausführlich Κ Hesse, ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (348 ff.); M. Heckel, FS Kriele, 1997, S. 281 (283); D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 11. 1

Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

nach der herrschenden Meinung grundsätzlich jedes allgemeine staatliche Gesetz, das der verfassungsmäßigen Ordnung entspricht, imstande, das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften zu beschränken 114. Dies unter der Prämisse, daß das einschränkende Gesetz dem „Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Religion zu schützenden Rechtsguts"115 dient. Der Schwerpunkt der Prüfung des konkreten Einzelfalls verlagert sich dem Gesetzesbegriff des herrschenden Lehre entprechend in den Abwägungsvorgang 116. Hier wird die Kirchenfreiheit in eigenen Angelegenheiten situativ gegen das Rechtsgut, welches durch das in Rede stehende Gesetz geschützt wird, abgewogen. Obwohl die Ermittlung der jeweiligen Wertigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts im einzelnen umstritten bleibt 117 , gilt es als weitgehend konsentiert, daß bei der Auflösung einer Kollisionslage nach der zu Art. 5 II GG entwickelten Wechselwirkungslehre des Lüth-Urteils zu verfahren ist 1 1 8 . Den Ausgang des Abwägungsvorgangs, so die Literatur, markiere die Herstellung praktischer Konkordanz 119 . In der Bilanz habe deshalb eine verhältnismäßige Zuordnung der beteiligten Rechtsgüter zu stehen. Die Abwägung wiederum orientiert sich nach mittlerweile überwiegender Auffassung an der allgemeinen Dogmatik zu den grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen. Obwohl dem Art. 137 III WRV wie allen Bestimmungen der Weimarer Kirchenartikel die Grundrechtsqualität abgesprochen wird 1 2 0 , ist der Verfassungsnorm ein freiheitsrechtlicher Charakter zu eigen. Die gegenteilige Auffassung, die Π4 κ. Hesse, ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (356 f.): „Stück heutiger verfassungsmäßiger Gesamtordnung"; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 208; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 121. 115

W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 281; ähnl. auch S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 276 f.; D. Ehlers, ZevKR 32 (1987), S. 158 (169). 116 D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 11; ders., ZevKR 27 (1982), S. 269 (284 f.); K. Schiaich, Neutralität, S. 175; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 60; A. Hollerbach, VVDStRL 26 (1986), S. 57 (62); P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 76 ff.; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 122: „Konkordanz/ verhältnismäßige Zuordnung"; grundsätzlich kritisch hierzu F. Müller, Die Positivität, S. 17 ff.; H. Weber, ZevKR 17 (1972), S. 386 (417); A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 236 m. w. N. 117 B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 205. us BVerfGE 7, 198 (208); A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 119; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 60; K. Schiaich, Neutralität, S. 174 ff.; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 278 ff., plädiert für eine weniger am Einzelfall orientierte Entscheidungsfindung und bevorzugt aus dem Grund der objektiven Gerechtigkeit eine abstrakt-typologische Abwägung. Auch W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 252 ff.; BVerfGE 18, 385 (388). 1 19 P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 76 ff.; W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 143 ff., 281; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 118 ff.; D. Ehlers, ZevKR 27 (1982), S. 269 (283 ff.); ders., ZevKR 32 (1987), S. 158 (170); A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 235 ff.; tf Neumann, in: FS Jean d'Heur, 1999, S. 247 (259 ff.); BVerfGE 53, 366 (LS 1,2); 70, 138(167). 120 BVerfGE 19, 129 (135); J. Lücke, EuGRZ 1995, 651 (652); J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 9.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Art. 137 III WRV dem objektiven Verfassungsrecht zuordnet, verortet einen strukturellen Gegensatz zwischen Art. 137 III WRV und einem Freiheitsrecht darin, daß die staatskirchenrechtliche Norm eine „Abgrenzung der Regelungsbefugnisse von Staat und Religionsgesellschaften" darstelle. So sehr diese Auffassung auch der Realität und vor allem dem Selbstverständnis der Großkirchen entsprochen haben mag, in der staatskirchenrechtlichen Literatur ist sie doch auf einhellige Kritik gestoßen. Ihr Ausgangspunkt liegt nämlich in der durch Art. 137 I WRV mittlerweile überholten Gleichrangigkeit von Staat und Kirche als zweier Gewalten, zwischen denen eine objektiv-rechtliche Grenze zu ziehen sei 1 2 1 . Mit der Trennung von Staat und Kirche sowie der Entlassung letzterer in das gesellschaftliche Umfeld dagegen befinden sich die Religionsgemeinschaften insgesamt, denen die Verfassungsgewährleistung gilt, in einer Position gegenüber dem Staat, in welcher es nicht mehr um die gegenseitige Abgrenzung zweier öffentlicher Gewalten, sondern um die Gewährleistung von Freiheit gegenüber dem eingreifenden Staat geht. Dieser Befund gilt und galt vor allem für die kleineren, privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften, die sich nie wirklich in einer dem Staat gleichrangigen Position befunden haben. Vor allem im Hinblick auf diese ist die staatskirchenrechtliche Bestimmung des Art. 137 III WRV deshalb wie ein Freiheitsrecht nach Schutzbereich und Schranken getrennt aufzubereiten 122. Die dogmatische Nähe zu den grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen wirkt sich insbesondere auch in der Prüfung der Zulässigkeit von Eingriffen aus. In Art. 137 III WRV gebe es wie sonst in jedem Grundrecht, so die überwiegende Auffassung, neben einem Kernbereich auch Randbereiche der Freiheitsgewährleistung. Diese reagierten mit unterschiedlicher Sensibilität auf ihre Beschränkung. Je weiter das eingreifende Gesetz daher an den Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts heranreiche, desto höherwertiger müsse das von ihm geschützte kollidierende Rechtsgut sein, damit der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei. Vor allem die Nähe des selbstbestimmten Bereichs, in den eingegriffen werde, zu dem zentralen Auftrag einer Religionsgemeinschaft aus Art. 4 GG, so die Literatur, entscheide über die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs mit 1 2 3 . Im Ergebnis kann damit nach der mittlerweile herrschenden Lehre in Literatur und Rechtsprechung durch jedes Gesetz in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften eingegriffen werden, das es ermöglicht, jenes Selbstbestim121 J. Wieland, Der Staat 25 (1986), S. 321 (327 f., 347 f.); dagegen ausführlich S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 186 ff.; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 122; M. Heckel, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (14 f.); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 41 mit Fn. 98; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 184 mit Fn. 25. 122 M Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 41; M. Morlok/M. H. Müller, JZ 1997, S. 549 (553); D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 Rn. 3 f.; J. Müller-Volbehr, ZevKR 44 (1999), S. 385 (400); A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 319; H. Goerlich, NVwZ 1991, S. 751 (752); auch Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, S. 819 f. 123 R. Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 (446 f. u. passim); Α. ν. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 123; Α. Hollerbach, AöR 92 (1967), S. 99 (108); vgl. aber auch W Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 286. 1*

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

mungsrecht mit den von dem betreffenden Gesetz geschützten Rechtsgütern in ein Verhältnis praktischer Konkordanz zu bringen.

cc) Das Vereinsverbot (Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG) als ein für alle geltendes Gesetz? Für den konkreten Fall ist zu prüfen, ob und wie diese herrschende Auffassung nun die verfassungsrechtliche Schrankenregelung des Art. 9 I I GG und die sie ausführende Bestimmung des § 3 I VereinsG, aufgrund derer Religionsgemeinschaften verboten werden können, unter den Begriff des für alle geltenden Gesetzes subsumiert. Denn obwohl unter den genannten Umständen eine erschöpfende Aufzählung der für alle geltenden Gesetze nicht möglich ist 1 2 4 , ist sich die herrschende Meinung dennoch einig, daß zu diesen jedenfalls das Vereinsgesetz als Ausdruck der Schrankenregelung des Art. 9 II GG zu zählen ist. In diesem Zusammenhang ist zunächst aber auf folgende Besonderheit hinzuweisen: Das Vereinsgesetz ist als Ausführungsgesetz zu Art. 9 II GG ergangen. Der materielle Tatbestand, bei dessen Erfüllung die Vereinigungsfreiheit eingeschränkt wird, ergibt sich daher bereits aus der Verfassung selbst. Außer für Ausländervereine und ausländische Vereine enthält das Vereinsgesetz als solches kein originär materielles Vereinsrecht. Hier steht also zumindest auch eine Schrankenregelung als ein „für alle geltendes Gesetz" auf dem Prüfstand, die sich aus der Verfassung selbst ergibt. Fraglich ist deshalb, ob über Art. 137 III WRV dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften auch solche Einschränkungen entgegengesetzt werden können, die sich als Schrankenregelungen anderer grundrechtlicher Freiheitsrechte entpuppen. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht zu der Frage, ob Normen der Verfassung generell als das Selbstbestimmungsrecht beschränkende allgemeine Gesetze in den Umfang der Schranken des Art. 137 III WRV einzubeziehen sind, keine abschließende Stellung bezogen. Es hat vielmehr judiziert, daß es in jedem Einzelfall der Prüfung bedürfe, ob eine Verfassungsvorschrift das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften beschränken könne 125 . In dem vom Bundesverfassungsgericht positiv beschiedenen Fall ging es um das verfassungsrechtliche Leistungsrecht 126 eines Kirchenbeamten. Genauer gesagt hatte das Gericht die Vereinbarkeit von Amt und Mandat zwischen Pfarrhaus und Parlament zu prüfen, die aufgrund einer kirchenrechtlichen Inkompatibili124

A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 121. 125 BVerfGE 42, 312 (326). 126 s. Magiera, in: Sachs, GG, Art. 48 Rn. 1 ff.; zur Bremischen Mandatsklausel selbst, vgl. H. Goerlich, Der Staat 18 (1979), S. 102 (118 ff.); Müller-Volbehr, DÖV 1975, S. 495 ff.; E. Stein, ZevKR 22 (1977), S. 117 (121 ff.); U. Steiner, Der Staat 14 (1975), S. 491 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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tätsvorschrift eingeschränkt worden war. Es stützte seine Entscheidung dabei auf Art. 48 II GG, eine Anspruchsnorm, die auch gegenüber der leistungsverpflichteten Kirche unmittelbare Drittwirkung entfaltet. Das Bundesverfassungsgericht sah weder den Anwendungsbereich des verfassungsrechtlichen Verbots der Abgeordnetenbehinderung durch die in Rede stehende Urlaubsklausel als berührt an, noch erachtete es den Art. 48 II GG als Schranke der Kirchenfreiheit. Das Gericht befand vielmehr, in der Regelung der Verfassungsnorm liege ein Gebot an die Kirchen vor, dem diese durch ihre eigene Gesetzgebung begegnen dürfe 127 . Es mußte daher nicht entscheiden, ob Art. 137 III WRV auf andere Verfassungsnormen als Schranken verweist. Die Dinge liegen im Falle eines Vereinsverbots und der Verfassungsnorm des Art. 9 II GG allerdings anders. Art. 9 II GG ist keine Anspruchsnorm, sondern eine mit dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit verbundene Schrankenregelung. Die Implementierung der Schranken der Vereinigungsfreiheit als ein für alle geltendes Gesetz in Art. 137 III WRV erscheint aufgrund des rigiden Kurses, den das Bundesverfassungsgericht zur Übertragung der Schranken eines Freiheitsrechts auf ein anderes grundsätzlich einschlägt, bereits fraglicher. Zu ihrer Rechtfertigung wird zum Teil der Grundsatz der Einheit oder der Widerspruchslosigkeit der Verfassung als Begründung bemüht 128 . Nach allgemeiner Auffassung lassen sich die Grundsätze der Einheit und der Widerspruchslosigkeit der Verfassung aber nicht so weit dehnen, als daß sie eine allgemeine grundrechtliche Schrankenleihe ermöglichten 1 2 9 . Ferner, so wird geltend gemacht, widerspreche es der Logik, wenn angenommen würde, Art. 137 III WRV verweise auf eine andere Verfassungsnorm. Der Weimarer Kirchenartikel und die „für alle geltenden Gesetze" hätten vielmehr nur den Sinn, einfachrechtlichen Vorschriften verfassungsrechtliche Bedeutung einzuräumen 130 . Trotz dieser Bedenken scheitert die Anwendung des Art. 9 I I GG i.V.m. § 3 I VereinsG als ein für alle geltendes Gesetz an dieser Stelle im Ergebnis aber nicht. Art. 137 III WRV hat zwar einen freiheitsrechtlichen Anstrich und wird wie ein Grundrecht geprüft, ist aber keines. Zudem ist die Schrankenregelung des Art. 137 III WRV allgemein gehalten und so umfassend formuliert, daß sie die Übertragung verfassungsrechtlicher Schrankenregelungen und der diese ausfüllenden einfachen Gesetze nicht ausschließt.

127 BVerfGE 42, 312 (329, 341). 128 5. Veelken, Das Verbot, S. 182, der - da beide Regelungen in der verfassungsrechtlichen Normhierarchie auf einer Stufe stünden - für diese Fälle von einem Selbstwiderspruch der Verfassung ausgeht. Ähnl. T. Guber, „Jugendreligionen", S. 73, 108. 129 Dazu oben § 3 Β. II. 1. 130 L. Michael, JZ 2002, S. 482 (484); zum Erfordernis eines formellen Gesetzes auch M. Morlok/ M. H. Müller, JZ 1997, S. 549 (553); BVerfGE 57, 220; E. Niebier, BayVBl. 1984, S. 1 (4).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

dd) Zwischenfrage Wie bringt aber die herrschende Meinung bei einem Verbot einer Religionsgemeinschaft das Selbstbestimmungsrecht letzterer mit den durch die vereinsrechtlichen Regelungen geschützten Rechtsgüter in praktische Konkordanz? Denn in dem Verbot einer Religionsgemeinschaft sieht nun auch die herrschende Lehre das Selbstbestimmungsrecht derselben in elementarer Weise betroffen. Gleichwohl befindet sie, daß allein aus Gründen des Übermaßverbots der Ausnahmetatbestand des Vereinsgesetzes verfassungsrechtlich nicht geboten gewesen war. Zugunsten der Religionsgemeinschaften, so die Literatur, könne die Legislative Gesetzen, die das Selbstbestimmungsrecht in hohem Maße berührten, sogenannte Berücksichtigungsklauseln beifügen und es so aus dem Kanon der für alle geltenden Gesetze herausnehmen. Dies habe der Gesetzgeber vormals mit § 2 II Nr. 3 VereinsG getan 1 3 1 . Da sich Notwendigkeiten, tatsächliche Gegebenheiten und Prognosen aber ändern könnten, sei der Gesetzgeber an vormalige Lagebeurteilungen nicht gebunden. Nach der ersatzlosen Streichung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz seien deshalb Verbotsmaßnahmen gegen Religionsgemeinschaften zulässig. Denn in der Spanne zwischen einer noch verhältnismäßigen und einer nicht mehr verhältnismäßigen Maßnahme sei dem Gesetzgeber, so die Literatur, grundsätzlich ein Gestaltungsspielraum eingeräumt. Diesen dürfe er nach Gutdünken ausfüllen 1 3 2 . Nach Streichung des Religionsprivilegs, so versucht die herrschende Meinung der verhältnismäßigen Zuordnung von Selbstbestimmungsrecht und vereinsrechtlichem Rechtsgüterschutz Rechnung zu tragen, kämen Verbote auf Grundlage des Vereinsgesetzes im Ergebnis allerdings nur als ultima ratio in Betracht 133 .

IV. Das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 137 I I I WRV Es fragt sich jedoch, ob der aus der Dogmatik zu Art. 137 III WRV entwickelten Auffassung der herrschenden Literatur, Religionsgemeinschaften könnten als Vereinigungen über die Schrankenregelung zu ihrem Selbstbestimmungsrecht verboten werden, gefolgt werden kann. Das Vereinsverbot greift, wie Art. 137 III WRV dies zu erlauben scheint, in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemein131 M. Heckel, in: VVDStRL 26 (1968), S. 5 (45 f.); A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 122; BVerfGE 46, 73 (95); B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 206; W Weber, in: FS Huber, S. 181 (190 ff.). 132 Β. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 206: „In diesem Fall kann der Gesetzgeber, wenn er dem Selbstbestimmungsrecht besonderes Gewicht beimißt, ( . . . ) Ausnahmetatbestände zugunsten der Religionsgemeinschaften vorsehen". 133 A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 123; W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 286; ders., Jahresbericht der FEST, S. 2; J. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 110 (131); ders., JZ 1981, S. 40 (44); K. Obermayer, ZevKR 27 (1982), S. 253 (258 ff.); W. Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 35; BVerwGE 37, 344 (366).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Schäften ein. Nur: Das Selbstbestimmungsrecht verschwindet zusammen mit der betroffenen Religionsgemeinschaft selbst von der staatskirchenrechtlichen Projektionsfläche. Ist diese Rechtsfolge aber tatsächlich in der Bestimmung des Art. 137 III WRV angelegt? Darf eine Religionsgemeinschaft über die Brückennorm des Art. 137 III WRV in ihrer Existenz betroffen werden, wenn dort nur von einer Einschränkung der Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten die Rede ist? Grundsätzlich jedenfalls gilt: Pauschales Abwägen von Rechtsgütern gegeneinander - hier das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gegen die von den Vereinsverbotsnormen geschützten Rechtsgüter - ersetzt nicht die Antwort auf die dogmatisch vorrangige Frage nach einer schrankenkonformen Beschränkungsregelung, an deren Vorhandensein der nachfolgende Abwägungsvorgang erst anknüpft 134 . Sind also die Vereins Verbotsregelungen einschränkende Gesetze, deren Anwendung von der Schrankennorm des Art. 137 III WRV gedeckt wird? Oder ist mit der Beseitigung einer Religionsgemeinschaft nicht vielmehr ein religionsverfassungsrechtlicher Bereich angesprochen, der dem Art. 4 GG zugewiesen ist? Selbst die Betonung des Art. 137 III WRV als „lex regia" 135 des Staatskirchenrechts entbindet nicht davon, sprachlich und vor allem auch rechtlich zu differenzieren zwischen den Ausprägungen des institutionellen Staatskirchenrechts und der grundrechtlichen Religionsfreiheit als solcher. Letztere enthält als „Magna Charta" des Religionsverfassungsrechts zudem Vorgaben, die auch die Auslegung des institutionellen Staatskirchenrechts dominieren 136 . Welche Schrankenregelung letztlich einschlägig ist, die des Art. 137 III WRV oder die des Art. 4 GG, hängt an mehreren Voraussetzungen, insbesondere aber an dem Verhältnis der beiden religionsverfassungsrechtlichen Regelungen zueinander. Dieses Verhältnis soll in den folgenden Abschnitten untersucht werden. Eine besondere Rolle wird dabei im Hinblick auf den konkreten Fall des Verbots von Religionsgemeinschaften spielen, welche Rechtsfolgen an dieses Verbot geknüpft sind oder werden können. Ferner ist zu klären, welchen Stellenwert die organisierte Religionsausübung, oder anders ausgedrückt: eine Religionsgemeinschaft, für die Religionsfreiheit des Grundgesetzes insgesamt hat.

134 So ausdrücklich auch in anderem Zusammenhang, vgl. G. Roellecke, in: FS Thieme, S. 681 (682). 135 j m Heckel, in: FS Kaufmann, S. 83 (85); A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 114. 136 BVerfGE 53, 366 (400); 70, 138 (167); S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 1; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 73; D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 Rn. 2; C. Hillgruber, DVB1. 1999, S. 1155 (1172); H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 2; H. Simon, ZevKR 42 (1997), S. 155 (165); J. Isensee, in: Essener Gespräche 34 (1999), S. 146; Κ D. Bayer, Religions- und Gewissensfreiheit, S. 63; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 88 u. passim; M. Morlok/ M. Heinig, NVwZ 1999, S. 697 (700); M. Heckel, ZevKR 44 (1999), S. 340 (348); K. Stern, in: Stem, Staatsrecht I I I / 1 S. 819 f.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

1. Das Vereinsverbot am Scheitelpunkt von individueller, kollektiver, korporativer und institutioneller Religionsfreiheit Um den Blick dafür zu schärfen, wie sich Art. 4 GG und Art. 137 III WRV im Falle eines Verbots überschneiden, lohnt es sich, zunächst diejenigen rechtlichen und tatsächlichen Auswirkungen auf das Grundrecht der Religionsfreiheit zu betrachten, die das Verbot einer Religionsgemeinschaft nach sich zieht. Wie alle vier Dimensionen der verfassungsrechtlich geschützten Religionsfreiheit von dem Verbot einer Religionsgemeinschaft selbst und den sich an dieses anschließenden Sicherungsfolgen betroffen werden, soll im folgenden aufgezeigt werden. Dazu steht es an, zunächst zu klären, welche Dimensionen der Religionsfreiheit an welcher Stelle des Grundgesetzes geschützt werden.

a) Das religionsverfassungsrechtliche Quartett: individuelle, kollektive, korporative und institutionelle Religionsfreiheit In der Regel werden drei „Dimensionen" der Religionsfreiheit, die sich untereinander ergänzen, verstärken und bedingen, voneinander unterschieden: die Religionsfreiheit in ihrer Dimension als individuelles Grundrecht des einzelnen, in ihrer Dimension als Kollektiv- oder Gruppengrundrecht und in ihrer Dimension als korporatives Grundrecht 137. Die ersten beiden Dimensionen lassen sich den „klassischen" Grundrechtsfunktionen zuordnen. Grundrechte schützen den einzelnen gegen den Staat und gewährleisten auch ihre gemeinsame Ausübung durch mehrere Einzelpersonen gleichzeitig. Die individuelle Religionsfreiheit wird in Art. 4 GG geschützt. Als Korporationsgrundrecht erfaßt die Religionsfreiheit dagegen die religiöse Assoziation selbst: nicht als Treuhänderin der Freiheitsrechte ihres personalen Substrats, sondern als Eignerin eigener, nicht abgeleiteter Freiheitsgarantien 138. Der letzte Zweck der Grundrechtssubjektivität der „corps intermédiaires" liegt jedoch grundsätzlich im Schutz der individuellen menschlichen Persönlichkeit und der Effektuierung ihrer grundrechtlichen Gewährleistungen 139. Insbesondere die Existenz von Religionsgemeinschaften wird durch Art. 4 GG auch deshalb mitgarantiert, weil diese als Gemeinden der Gläubigen eine notwendige Institution zur fortlaufenden Erneuerung der Glaubensüberzeugungen der einzelnen darstellen 140. 137 So M. Heckel, ZevKR 44 (1999), S. 340 (372 ff.); S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 41; A. v. Campenhausen, in: HdbStKirchR I, § 2. 138 J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 3; R Badura, Der Schutz von Religion, S. 46; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 84; A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 76 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 72; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 108. 139 W Riifner, in: HStR V, § 116 Rn. 30; J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 5. 140 W. Geiger, ZevKR 26 (1981), S. 156 (160); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 71 ff.; M. Heckel, ZevKR 44 (1999), S. 340 (373 f.); A. Hense, Glockenläuten, S. 188; S. Muckel, in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 41.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Zwar ist eine jede Vereinigung als impermeable Einheit grundrechtlich von den in ihr organisierten Grundrechtsträgern unabhängig, setzt also nicht bloß deren Grundrechte im Kollektiv durch. Doch werden ihr durch die Verfassung grundsätzlich auch nicht mehr oder andere Freiheitsrechte eingeräumt als den Individuen selbst. Ein eigenständiges Verbandsrechtssystem kennt das Grundgesetz nicht. Im Staatskirchenrecht ist das ein Stück weit anders. Dort werden zumindest textlich eigenständige Freiheitsgewährleistungen der religiösen „Verbände" formuliert 1 4 1 . Den eingangs genannten drei Dimensionen der Religionsfreiheit ist damit eine vierte hinzuzufügen. Diese nimmt das „religiöse Verbandsrecht" in den Blick. Zu ihr sind insbesondere die in den Weimarer Staatskirchenartikeln geregelten Beziehungen der Religionsgemeinschaften zum Staat zu rechnen. Ganz besonders gilt dies für das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften aus Art. 137 III WRV. So judiziert das Bundesverfassungsgericht 142, Art. 137 III WRV sei eine „notwendige, wenngleich rechtlich selbständige Gewährleistung", welche der Religionsfreiheit die „verbandsrechtliche" „Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung" hinzufüge. Diese textlich gesondert aufgeführten verbandsrechtlichen Freiheiten der Weimarer Kirchenartikel sollen hier als institutionelle Freiheiten bezeichnet und als eigenständiger Bereich wiederum der korporativen Dimension der Religionsfreiheit zugeschlagen werden, da sie die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften als Institutionen betreffen. Fraglich ist aber, was mit den Begriffen der Religionsgemeinschaften als Institutionen, den institutionellen Freiheiten und dem institutionellen Kirchenrecht genau umschrieben wird. Hier tut eine Klärung not, da über den Begriff der Institution im Verfassungsrecht und die Zusammenhänge, in denen er benutzt wird, einigermaßen Verwirrung herrscht 143 . Auf der freiheitsrechtlichen Seite der Grundrechte werden zwei institutionelle Grundrechtslehren vertreten, die hier nicht zugrunde gelegt werden sollen (oder können), da sie den Kern der institutionellen Freiheiten der Religionsgemeinschaften als Korporationen nicht treffen 144 . Es sind dies die Häberlesche Codierung aller Grundrechte als Institute 145 und die Lehre von den Grundrechten als Einrichtungsgarantien 146. Während Peter Häberle mit seinem soziologischen Institutionenbe141 Vgl. auch J. Isensee, Der Staat 20 (1981), S. 168: „Die Kirchen werden von Verfassungs wegen als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannt und in ihrer institutionellen Besonderheit eingehend wie kein anderer Verband gewürdigt". 142 BVerfGE 53, 366 (401); 72, 278 (289). 143 B. Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 18 ff. 144 Zu diesem Ergebnis kommen letztendlich auch zwei Dissertationen, die sich mit der korporativen Religionsfreiheit beschäftigen, vgl. H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit, S. 38 ff., 51 f.; C. Pageis, Aspekte der Religionsfreiheit, S. 89 ff. 145 ρ Häberle, Die Wesengehaltgarantie, S. 122 ff. 146 Grundlegend C. Schmitt, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 140 ff.; umfassend K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III /1, S. 755 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

griff die Grundrechte zuvorderst als objektive Ordnungsprinzipien für die von ihnen geschützten Lebensbereiche auffaßt, nach deren Maßgabe die Freiheit in diesem Bereich durch gesetzliche Ausgestaltung vermittelt wird 1 4 7 , versucht die Lehre der Grundrechte als Einrichtungsgarantien aus den Schutzbereichen einiger Freiheitsrechte wie ζ. B. dem des Art. 6 I GG oder dem der Pressefreiheit (Art. 5 I GG) Normenkomplexe mit unantastbaren Ordnungskernen zu extrapolieren 148. Einige Grundrechte verbürgten, dies ist die zugrundeliegende Annahme, nicht allein subjektive Rechte des einzelnen, sondern gewährten auch objektive Einrichtungen. Ziel der auf Carl Schmitt zurückgehenden Lehre von den Grundrechten als Einrichtungsgarantien war es, unter der Weimarer Reichsverfassung eine „Firewall" gegen den einfachen Gesetzgeber aufzurichten. Letzterer hatte über die weitgefaßten Gesetzesvorbehalte der Grundrechte nämlich umfassende Eingriffsbefugnisse in die einzelnen Freiheitssphären, ohne seinerseits in ausreichendem Maße an die Freiheitsrechte der Verfassung (deren Vorrangstellung in Weimar unterentwickelt war) rückgebunden zu sein 149 . Diese vormals fehlende Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte wird unter dem Grundgesetz über Art. 1 III GG verfügt. Die Lehre der Einrichtungsgarantien scheint von ihrer Stoßrichtung daher mittlerweile zu einer „dogmatisch überflüssige(n) Konstruktion" geworden zu sein 150 . Sie wird unter dem Grundgesetz dennoch, wenn auch in abgewandelter Form, fortgeführt. In der eingebürgerten Terminologie Schmitts werden Institutsgarantien von den institutionellen Garantien unterschieden. Erstere entziehen sich als privatrechtliche, letztere als öffentlich-rechtliche Einrichtungen der umfassenden Disposition des Gesetzgebers. Die Lehre von den Einrichtungsgarantien zeitigt insbesondere im Wechselspiel mit der einfachen Rechtsordnung Konsequenzen: Indem nämlich die einfachgesetzliche Ausgestaltung des betreffenden Grundrechts als notwendig beigeordneter Normenkomplex dem Kerngehalt des jeweiligen Grundrechts zugeschlagen wird und deshalb an dessen erhöhter Bestandskraft teilhat 151 . Auch die 147 Kritisch E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (124 ff.): „Hier ist in der Tat die rechtlich Undefinierte liberale Freiheit als Inhalt der Grundrechte nicht mehr gemeint. An ihre Stelle tritt eine »objektivierte', bereits normativ und institutionell gestaltete und geordnete Freiheit". Auch E. Wolf in: Schelsky (Hrsg.), Theorie der Institution, S. 77 (83 ff.); B. Rüthers, Institutionelles Rechtsdenken, S. 32 ff. BVerfGE 10, 59 (66); 10, 118 (121); 12, 205 (260); 20, 162 (175); 66, 116 (133). Zum „Institut" der freien Presse, das ein gesellschaftlicher Befund und damit weder privatrechtliches Institut noch öffentlich-rechtliche Institution sei, vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 72. 149 Schmitt sah dabei allerdings im Parlament und damit im demokratischen Gesetzgeber die Quelle aller Gefahren für den Staat (Parlamentsabsolutismus). Die Intention, die Grundrechte zu objektiven Garantien umzuformen, war deshalb im wesentlichen eine zweifache: Zum einen sollten die liberalen, individuellen Freiheitsmomente gegenüber der Ordnung zurückgedrängt und zum anderen der demokratische Gesetzgeber von einer stetigen Umbildung des status quo abgehalten werden. Dazu näher M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts III, S. 111 f. 150 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 442 ff.

151 E.-W. Böckenförde,

in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 11 (128).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden des Art. 28 II GG wird dieser objektiv-rechtlichen Ebene zugeordnet. Art. 28 I I GG enthalte, so die herrschende Meinung, sowohl eine institutionelle Rechtssubjektgarantie in dem Sinne, daß zwar nicht jede existierende Gemeinde, wohl aber die Institution Gemeinde an sich gewährleistet werde, als auch die objektive Rechtsinstitutionsgarantie der kommunalen Selbstverwaltung, hier eines unantastbaren Kernbereichs 152. Diese Rechtsfolgen des institutionellen Grundrechtsverständnisses führen an der hier zu beleuchtenden Fragestellung aber vorbei. Zwar werden die Kirchen und Religionsgemeinschaften des Grundgesetzes zu Recht auch als Institutionen mit den Gemeinden des Art. 28 I, II GG verglichen und insbesondere Art. 137 III WRV als institutionelle Norm des Staatskirchenrechts und als der Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden verwandt aufgefaßt. Diese Norm ist jedoch zugleich, wenn nicht gar vorrangig, eine „verbandsrechtliche" Freiheitsgarantie der Kirchen und Religionsgemeinschaften als „Institutionen" gegenüber dem Staat 153 . Dies soll im folgenden näher dargelegt werden. Für den hier zugrunde gelegten Institutionenbegriff sind Institutionen zunächst zu verstehen als normative Verhaltensordnungen, die für und in unterschiedlichen Lebensbereichen Geltung beanspruchen. Sie stellen folglich Untereinheiten der Gesellschaft dar. Mit imperativer Kraft strukturieren diese Untereinheiten ζ. B. soziales Verhalten mit, ohne daß sich in dem (virtuellen) Begriff der Institution zunächst irgendwelche „dinglichen" Formvorstellungen manifestieren müßten 154 : „Institutionen sind auf Dauer angelegte unter einem Ordnungsprinzip (Zweck) zusammengefaßte Verhaltenserwartungen (Regelsysteme), die von der überwiegenden Mehrheit der betreffenden Gemeinschaft geteilt werden und deren Verletzung sanktioniert wird". In der Rechtstheorie wird der Begriff der Institution verbunden mit Ordnungsvorstellungen, die sich auf ganz elementare Verhältnisse wie ζ. B. die Ehe, den Staat, aber auch die Kirche beziehen. Die Kirche (damit aber auch jede andere Religionsgemeinschaft) sei, so wird geltend gemacht, eine institutionell zu verstehende Ordnung. Im institutionellen Sinne wird sie als Konglomerat der Ordnungsprinzipien eines bestimmten Bekenntnisses begriffen 155 . Eine Institution als „Ausdruck eines Kollektivbewußtseins wie zugleich als Inbegriff quasi dinghafter Realisation und Organisation elementarer Ordnungsgedanken" 156 oder „geordneteis) Ensemble von persönlichen und sachlichen Mitteln und Interaktionen ( . . . ) 152 Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 409 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: ders., Besonderes Verwaltungsrecht, S. 1 (14); M. Nierhaus, in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 34 ff., 49 ff. 153 Dazu A. Hollerbach, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (14 f.); Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht III /1, S. 820.

1 54 W. Lipp, in: StL III, Sp. 99; P. Berger/T. Luckmann, Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit, S. 76; H. Schelsky, in: ders. (Hrsg.), Theorie der Institution, S. 9 (25): Eine Institution ist nicht nur (aber auch) ein soziales oder politisches Gebilde oder organisiertes Gruppenverhalten. 155 F.-X. Kaufmann in: StL III, Sp. 409. 156 H. Hofmann, in: StL III, Sp. 103.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe" 157 wird sich als soziale Erscheinungsform in der Regel aber auch zu einer Organisation im Sinne einer Anstalt oder Körperschaft, einer Einrichtung oder eines Verbandes verdinglichen. So geschehen auch mit den Religionsgemeinschaften: Insbesondere hat sich der Begriff der Kirche zur Kennzeichnung dieser verdinglichten Institutionen als Sozialformen der christlichen Religion mittlerweile durchgesetzt. Deswegen konnte er auch dem verfassungsrechtlichen Begriff der Religionsgesellschaft gleichgesetzt werden. Im Ergebnis meint der Begriff der institutionellen Freiheit des Staatskirchenrechts daher folgendes: Er bezieht sich auf diejenigen Normen, die die Religionsgemeinschaften als Institutionen, Organisationen oder besser: „Verbände" betreffen 1 5 8 . Durch die institutionelle Dimension der Religionsfreiheit wird deren korporative Seite damit durch einen weiteren Aspekt angereichert, der anderen Verbänden durch das Grundgesetz nicht eingeräumt wird. Dies wird insbesondere auch von Paul Mikat vertreten. Er beschreibt die institutionelle Seite der Religionsfreiheit als (auch) diejenigen Normen, die das gesamte Grundverhältnis zwischen Staat und Kirche ordnen. Daneben beschreibe die institutionelle Seite der Religionsfreiheit den verfassungsrechtlichen Bedingungszusammenhang zwischen individueller und korporativer Grundrechtsverbürgung. Institutionell betrachtet sei, so Mikat, Religionsfreiheit im wesentlichen Kirchenfreiheit. Kirchenfreiheit wiederum sei als objektiver Grundwert mit Einrichtungscharakter zu verstehen. Als solche begründe sie eine selbstbestimmte Freiheit mit normativ-öffentlicher Wirksamkeit kirchlichen Handelns nach außen 159 . Die Weimarer Kirchenartikel konkretisieren also die grundrechtliche Religionsfreiheit vor allem durch institutionelle Festlegungen. Dieser Befund trifft insbesondere auf die vermeintliche Brückennorm für die Anwendung der Vereinsverbotsregelungen zu: Art. 137 III WRV. Diese „Fundamentalnorm" des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 137 III WRV) regelt die „institutionelle Kirchenfreiheit in einem umfassenden, den organisatorischen und funktionellen Aspekt akzentuierenden Sinne" 160 . So sind es auch weniger die Angelegenheiten, die der Erfüllung des religiösen Auftrags dienen und als sichtbarer Vollzug des Glaubens bereits vollständig durch Art. 4 GG geschützt werden, auf die Art. 137 III WRV abzielt, als vielmehr organisatorische „Hilfstätigkeiten". Der 157

G. Ellscheid, in: Kaufmann / Hassemer (Hrsg.), Rechtsphilosophie, S. 143 (191). Mit dem Wort „Verbände" soll keinesfalls eine Gleichstellung der Kirchen mit allen profanen Verbänden gefordert werden. Der Terminus „Verband" wird als Synonym für die der Organisation oder Institution gebraucht. So auch Ρ Mikat, in: HdbVerfR II, § 29 Rn. 13, der von einer verbandsrechtlichen Aktualisierung des Art. 4 GG spricht. 159 R Mikat, in: HdbVerfR II, § 29 Rn. 13, 19; A. Hollerbach, in: Essener Gespräche 28 (1994), S. 120: „institutionell umhegte (Religions)Freiheit"; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 4. 160 A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 114; P. Mikat, in: HdbVerfR II § 29 Rn. 19; A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 140 Rn. 3; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183; H. Weber, in: Essener Gespräche 17 (1983), S. 35. 158

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Staat erkennt deshalb im Ergebnis mit dieser Verfassungsnorm die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften als Institutionen sui iuris an und räumt ihnen als „Verbänden" ein verfassungsrechtlich umgrenztes Recht ein, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu ordnen und zu verwalten. Die verschiedenen Dimensionen der Religionsfreiheit hängen damit im Ergebnis untereinander insgesamt wie folgt zusammen: Die korporative Religionsfreiheit dient der besseren Verwirklichung der individuellen Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG. Nach dem (vorläufigen) Befund stellt Art. 137 III WRV des weiteren eine Norm dar, die einen Aspekt der institutionellen Kirchenfreiheit regelt und wiederum die korporative Seite der Glaubensfreiheit verstärken soll. Vor allem sollen die inkorporierten Weimarer Kirchenartikel die grundrechtliche Religionsfreiheit in ihrer „komplexen gleichermaßen individualrechtlichen und korporativ-institutionellen Ausprägung" konkretisieren und verdeutlichen 161.

b) Die Auflösung der Vereinigung und die Sicherungsfolgen des Verbots Stellt Art. 137 III WRV eine Norm des institutionellen Staatskirchenrechts dar, gewährt sie den Religionsgemeinschaften als „Verbänden" mit dem Selbstbestimmungsrecht eine institutionelle Freiheit, die sie gleichzeitig durch den Zusatz „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" wieder begrenzt. Es fragt sich deshalb, ob und wie das Verbot einer Religionsgemeinschaft in diesen institutionellen Rahmen einzuordnen ist. Betrifft es allein die institutionelle und korporative Seite der Religionsfreiheit oder reichen seine Rechtsfolgen weiter? Welche Rechtsfolgen zu welchen Zwecken mit einem Vereinsverbot verbunden werden können, soll im folgenden Abschnitt dargelegt werden. Das Verbot einer Religionsgemeinschaft führt nach § 3 I VereinsG zu ihrer Auflösung. Nach § 3 III VereinsG erstreckt sich das Verbot und damit auch die Auflösung grundsätzlich auf alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, daß sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung des Vereins erscheinen (Teilorganisationen). Eines besonderen Nachweises, daß auch in den Teilorganisationen die Verbotsgründe vorliegen, bedarf es grundsätzlich nicht. Über die gesetzliche Vermutungswirkung, daß sie in die verbotsauslösenden Bestrebungen der Vereinigung eingegliedert sind, werden die Teilorganisationen in „Sippenhaft" genommen162. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch für diejenigen Teilorganisationen von Religionsge161 J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 447; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 229; A. v. Campenhausen, in: HdbStKirchR I, § 2 S. 60; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 88. 162 BVerwG NJW 1986, S. 2654 (2655); BVerwG NJW 1989, S. 996 (997); BVerwG NVwZ 1995, S. 590 (591); K.-H. Seifert, DÖV 1964, S. 685 (688); M. Deres, VR 1992, S. 421 (425); B. Reichert, HdbVereins- und Verbandsrecht, Rn. 3044; N. Rudroff, Vereinigungsverbot, S. 77.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

meinschaften, die, selbst wiederum Religionsgemeinschaften, die religiöse Vereinigungsfreiheit aus Art. 41, II GG, Art. 137 I I WRV für sich reklamieren könnten 163 . Trotz des ausdrücklichen Willens des Vereinsgesetzgebers, der in der Begründung zum Vereinsgesetz bekundete, daß die einem Dachverband eingegliederten Mitgliedsorganisationen keine Teilorganisationen i. S. d. § 3 III VereinsG seien und folglich allein aufgrund selbst verwirklichter Verbotstatbestände verboten werden könnten 164 , entscheidet das Bundesverwaltungsgericht diese Fälle differenzierter. Zwar erkennt das Gericht an, daß zwischen einem Dachverband, dem mehrere Mitgliedsorganisationen („Gemeinden") angehören können, die diesem mehr oder weniger locker angeschlossen sind und ihm gegenüber ein gewisses Maß an Autonomie bewahren, und einem Gesamtverband mit unselbständigen Teilorganisationen ein vereinsrechtlich relevanter Unterschied besteht 165 . Solange der Dachverband aber seine Mitgliedsorganisationen im wesentlichen beherrscht oder seinen Mitgliedsvereinen seinen Willen aufzwingen kann, was sich in der Regel darin äußert, daß „über die geistliche Führung durch die übergemeindliche Organsiation hinaus eine hierarchische Verbandsstruktur mit einer Organisation vorliegt, die der Umsetzung der Entscheidungen des Zentralverbandes auf der Ebene der Gemeinden dient", gelten diese Mitgliedsvereine als Teilorganisationen eines Gesamtverbandes, die mit diesem „automatisch" verboten sind 166 . Würde also eine Dachorganisation wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görus verboten, und ergäbe die Sachverhaltsermittlung, daß die ihr angegliederten Moscheevereine von ihr beherrscht oder ihrem Willen unterliegen würden, könnte ein Verbot automatisch auf diese erstreckt werden. So geschehen in der Verbotsverfügung gegen den Kalifatstaat und seine „Teilorganisationen", verschiedene Muslimgemeinden, auf die das Verbot automatisch erstreckt wurde und denen die Möglichkeit einer Distanzierung von ihrem Verband, dem Kalifatstaat, mit folgenden, zum Teil zirkulär anmutenden Argumenten verwehrt wurde: Hätte eine Muslimgemeinde des Kalifatstaats die Möglichkeit, sich von der Zentrale des Kalifatstaats abzukoppeln, ohne daß sie dabei ihre Identität verliere, sei sie keine Teilorganisation. Eine von den gegen das Verbot klagenden „Teilorganisationen" geforderte sogenannte „Distanzierung" käme dann einer (verdeckten) „Neugründung" einer anderen Vereinigung gleich. Im übrigen könnten selbständige Gemeinden des Kalifatstaats nicht existieren, da dieser seinen angegliederten Organisationen mit Absolutheitsanspruch gegenüber auftrete und es daher praktisch ausgeschlossen sei, daß einer in den Verband aufgenommenen Muslimgemeinde ein anderer Status als der einer Teilorganisation zukommen könne 167 . 163 BVerwG, 6 A 1.02 vom 27. 11. 2002, S. 4 ff. 164 BT-Drs. IV/430, S. 10; K.-H. Seifert, DÖV 1956, S. 5 ff.; ders., DÖV 1962, S. 408 ff.; H. Roewer, DVB1. 1984, S. 1202, zu selbständigen Nebenorganisationen. 165 BVerwG, 6 A 1.02 vom 27. 11. 2002; BVerwG, Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 18 S. 17. 166 BVerwG NVwZ 1995, S. 590 (591); G. Schnorr, Vereinsrecht, § 3 Rn. 32 ff.; C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 90 ff. 167 BVerwG, 6 A 1.02 vom 27. 11. 2002, S. 5 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Neben der Feststellung des Verbots enthält die behördliche Maßnahme also auch die Anordnung der Auflösung der Vereinigung. Die Auflösungsverfügung hat rechtsgestaltende Wirkung, indem sie die Vereinigung „illegalisiert" 168 . Sie setzt sich zusammen aus dem Verbot, die Vereinstätigkeit fortzusetzen, und dem Gebot an die Mitglieder der Vereinigung, ihren organisatorischen Zusammenhalt aufzugeben. Ferner kann das Vermögen des Vereins eingezogen werden. Diese Maßnahmen wirken zusammen, um die Strukturen der Vereinigung nachhaltig zu zerschlagen und ihr die Existenzgrundlage zu nehmen. Mit anderen Worten: Über Art. 9 I I GG i.V.m. §§ 3 ff. VereinsG wird die betreffende Religionsgemeinschaft umfassend beseitigt. Der Sinn des Vereinsverbots als Organisationsverbot liegt darin, den Gefährdungen der in Art. 9 II GG genannten Verfassungsgüter durch ein Kollektiv nachhaltig entgegenzutreten, vor allem aber, ihnen vorzubeugen. Auch nach ihrer behördlichen Auslöschung kann es notwendig sein, Maßnahmen zu treffen, um zu verhindern, daß sich die verbotene Vereinigung den Wirkungen des Verbotes entzieht. Zu diesem Zwecke geben sowohl das Vereinsgesetz als auch andere Gesetze dem Staat Mittel an die Hand, mit denen dieser das Vereinsverbot zusätzlich absichern kann. Zu nennen sind hier insbesondere das Verbot, Ersatzorganisationen ins Leben zu rufen (§ 8 VereinsG), die diversen Strafbewehrungen, die mit dem Vereinsverbot verbunden werden, und die versammlungsrechtlichen Rechtsfolgen. Ein kursorischer Überblick über die strafrechtlichen Folgen ergibt folgendes Bild: Die verwaltungsrechtliche Verbotsentscheidung des Vereinsgesetzes ist strafbewehrt. Das Kompendium der Staatsschutzvorschriften des Strafgesetzes sieht neben den §§ 9, 20 VereinsG - eine Reihe an Straftatbeständen vor, die das Verbot einer Vereinigung absichern. Die Tatbestände sind samt und sonders dazu gedacht, dem Staat effektive Mittel an die Hand zu geben, durch deren Einsatz er die weitere Aufrechterhaltung und Betätigung der Vereinigung verhindern kann. Zu ihnen zählen außer § 20 I Nr. 1, 2, 3 und 5 VereinsG insbesondere die §§ 85, 86, 86 a StGB. Der Unterschied zwischen dem Sonderstrafrecht des Vereinsgesetzes und den Straftatbeständen des Strafgesetzbuches liegt zum einen in dem Zeitpunkt, zu dem der strafrechtliche Schutz des Vereinsverbots einsetzt. Während nach den §§ 85 ff. StGB die Verbots Verfügung unanfechtbar sein muß, reicht für § 20 VereinsG ihre Vollziehbarkeit aus, um Zuwiderhandlungen mit Freiheits- oder Geldstrafe zu bestrafen 169. Die Straftatbestände des Strafgesetzbuches schneiden zum anderen einen bestimmten Anwendungsfall des Vereinsverbotes aus dem Gesetz heraus. Sie benennen als Tatbestandsvoraussetzung das unanfechtbare Verbot einer 168 W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 51; C.-F. Gastroph, Die politischen Vereinigungen, S. 197. 169 Zur Verfassungsmäßigkeit des § 20 VereinsG kritisch, vgl. H. Copie, Grundgesetz, S. 175 f.; P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 92 ff.; BVerwGE 80, 244 (249 ff.): Der zur Rechtsverfolgung notwendige organisatorische Zusammenhalt wird von § 20 VereinsG nicht umfaßt. W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 51; C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 165 ff.; W. Spiller, Das Vereinsverbot, S. 107; BVerfGE 25, 44 (54), zu den Parteien.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Vereinigung, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Völkerverständigung richtet. Nur auf deren Propagandamittel, Kennzeichen, Mitglieder und Rädelsführer sind sie anwendbar. Relevanz erhalten sie daher für Religionsgemeinschaften, die vor allem auch wegen ihrer fundamentalistischen oder extremistischen und deshalb verfassungsfeindlichen Lehren verboten werden. Neben den Strafbewehrungen finden sich Verbotsfolgen im Versammlungsgesetz. Versammlungen verbotener Vereine - ob in geschlossenen Räumen oder unter freiem Himmel - können verboten und aufgelöst werden. Neben der schlichten Beseitigung einer Vereinigung halten das Vereinsgesetz und diverse Bestimmungen anderer Gesetze im Ergebnis damit also Maßnahmen vor, über die der Zweck des Vereinsverbots weiter abgesichert werden kann. Auch in dieser Beziehung scheint ein Blick auf deren Auswirkungen auf die verschiedenen Dimensionen der Religionsfreiheit lohnend. Diese Sicherungsmaßnahmen greifen nämlich auf allen Ebenen der religionsfreiheitlichen Dimensionen. Dies soll in den folgenden Abschnitten näher ausgeführt werden.

aa) Der Eingriff in die korporative und der Durchgriff der Auflösung auf die individuelle Religionsfreiheit Es fragt sich zunächst, ob und inwieweit mit der vereinsgesetzlich begründeten Auflösung einer Religionsgemeinschaft gleichzeitig auf die individuelle Religionsfreiheit durchgegriffen wird. Zur Beantwortung dieser Frage trägt ein Vergleich mit der zu den Vereins verboten entwickelten Dogmatik des Art. 9 I, II GG bei. Denn die religiöse Assoziationsfreiheit des Art. 4 GG gilt als aliud oder doch zumindest als abschließende Regelung gegenüber der profanen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 I GG. Als Parallelrecht der Vereinigungsfreiheit gewährleistet sie deshalb jedenfalls nicht weniger an Rechten als Art. 9 I GG selbst. So wie sich das Verbot einer profanen Vereinigung also zu dem Grundrecht der allgemeinen Vereinigungsfreiheit verhält, verhält sich deshalb auch das Verbot einer Religionsgemeinschaft zu dem individuellen Grundrecht der religiösen Vereinigungsfreiheit. Der Schutzbereich des Art. 9 I GG garantiert zunächst das Recht des einzelnen, sich mit anderen zu einer Vereinigung zusammenzuschließen. Er umfaßt nicht allein die Rechte der Vereinigung auf Ent- und Bestehen, sondern gleichzeitig auch die individuellen Entscheidungen der Vereinigungswilligen auf Beitritt, Verbleib und Austritt, also über ihre Mitgliedschaft in der Vereinigung 170. Art. 9 II GG stellt daher nach herrschender Dogmatik nicht allein eine Eingriffsgrundlage in die Rechte der Vereinigung, sondern gleichzeitig einen Vorbehalt dar, über den die inno BVerfGE 10, 89 (102); 13, 174 (175); 30, 227 (241); 50, 290 (354); 80, 244 (252 f.); 84, 372 (378); M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 21; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 39 f.; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 18; B. Pieroth/ B. Schlink, Grundrechte, Rn. 726 f.; D. Murswiek, JuS 1992, S. 116 (117); A. v. Mutius, Jura 1984, S. 193 (195 ff.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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dividuelle Vereinigungsfreiheit beschränkt werden kann 171 . Denn die Auflösung einer Gemeinschaft, insbesondere auch diejenige, welche unter staatlichem Zwang geschieht, macht als „actus contrarius" den vorangegangenen anderslautenden Entschluß der einzelnen, sich nämlich zu vereinigen und in der Vereinigung zu verbleiben, rückgängig. Ebenso gewährleistet Art. 4 GG nicht nur das Recht der Korporation auf ihren Bestand 172 , sondern gleichfalls diejenigen Rechte des einzelnen, die mit dem Zusammenschluß zu einer Religionsgemeinschaft verbunden sind. Wie Art. 9 I GG schützt also auch Art. 4 GG die Mitglieder einer Religionsgemeinschaft vor einer ohne ihren Willen erfolgenden Auflösung letzterer 173 . Mit der Auflösung einer Religionsgemeinschaft wird damit im Ergebnis die individuelle Religionsfreiheit in ihrer Ausprägung als religiöse Vereinigungsfreiheit genauso betroffen wie mit dem Verbot eines profanen Vereines die allgemeine individuelle Vereinigungsfreiheit. Daß mit der Auflösung der Religionsgemeinschaft naturgemäß auch deren Recht auf Bestehen aus Art. 4 GG vernichtet wird, bedarf keiner besonderen Erwähnung.

bb) Das unmittelbare Ausgreifen der Sicherungsfolgen auf die individuelle Religionsfreiheit: Das Recht auf religiösen „Begleitschutz" Es fragt sich weiter, ob nicht auch die Sicherungsfolgen des Vereinsverbots in den Schutzbereich der individuellen Religionsfreiheit eingreifen. Besonders erwähnenswert erscheinen in dieser Hinsicht die diversen Strafbewehrungen des Vereinsverbots. Um zu klären, inwieweit die strafrechtlichen Nebenfolgen der Auflösung einer Religionsgemeinschaft in den Schutzbereich der individuellen Glaubensfreiheit hineinragen, ist zunächst auf eine Besonderheit dieses Freiheitsrechts hinzuweisen: Religiöse Überzeugungen stellen regelmäßig dynamische Komplexe dar. Die Bedürfnisse des einzelnen können mit seiner jeweiligen Lebenssituation selbst ins Schwanken geraten. Mit der Freiheit, eine religiöse Überzeugung zu haben, ist deshalb gleichzeitig die Freiheit, diese zu entwickeln und zu verändern, durch Art. 4 171 H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 49; ähnl. W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 51; H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 9. 172 J. Listi, in: Essener Gespräche 3 (1967), S. 34 (77); Κ. E. Schlief, Staat und Kirche, S. 212 ff.; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 46; zum Bestandsschutz von Vereinigungen nach Art. 9 I GG, vgl. D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 49; zur Frage, ob der Schutz der Vereinigung über Art. 9 I GG als Doppelgrundrecht oder über Art. 19 III GG gewährleistet wird, vgl. BVerfGE 13, 174 (175); 50, 290 (354); 80, 244 (252); H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 29; W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 26; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 731; W. Schmidt, in: FS Mallmann, S. 233 ff. 173 /. v. Münch, in: BK GG, Art. 9 Rn. 46. 1

Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

GG gewährleistet. Die Freiheit zur Neu- und Umbildung einer religiösen Überzeugung ist daher als ein ebenfalls geschützter Aspekt der individuellen Religionsfreiheit an dieser Stelle hervorzuheben. Zur Glaubensfreiheit gehört nämlich auch notwendig die Glaubenswahlfreiheit mit ihren sämtlichen Vorstadien. Zu diesen zählt auch die Befugnis, sich einer Glaubensgemeinschaft suchend zuzuwenden, Informationen über sie zu sammeln und sich mit ihrer Lehre vertraut zu machen. Diese Seite das Grundrechts gewinnt vor allem deshalb eine eigenständige Bedeutung, als sie sich auch auf die notwendigen Hilfsmittel zur Verwirklichung dieser Freiheit bezieht. Insbesondere wird der Zugang zu und der Gebrauch von einschlägigen religiösen Schriften vom „Begleitschutz" für die individuelle Religionsentwicklung erfaßt. Deshalb können die Errichtung von Tabus oder die Erzeugung von Angst (vor Strafe) eine Verletzung des Schutzbereichs des Art. 4 GG darstellen, „wenn sie geistige Reflexionen in einer bestimmten Richtung blockieren" 174 . Wie wirken sich nun die Strafbewehrungen des Vereinsverbots, insbesondere die strafrechtlichen Propaganda- und Kennzeichenverbote, auf diesen Aspekt der individuellen Glaubensfreiheit aus? So wird zum Beispiel nach § 86 StGB bestraft, wer „Propagandamittel" einer verbotenen Vereinigung im räumlichen Geltungsbereich des Strafgesetzbuches verbreitet oder zur Verbreitung herstellt 175 . Damit will der Staat der vermeintlichen „Ansteckungsgefahr" durch verfassungsfeindliches Agitieren begegnen. Diese Strafbestimmung spiegelt in besonderem Maße den Zweck des Vereinsgesetzes wider, das mit der Zerschlagung der Strukturen einer verfassungswidrigen Vereinigung auch die sozialschädliche, weil eine verbotene Organisation unterstützende Verbreitung ihres Gedankenguts bekämpft wissen will. Als Propagandamittel werden legaldefiniert: Schriften, Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen, deren Inhalte sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Völkerverständigung richten. Außer daß die aktive und aggressiv kämpferische Tendenz der Vereinigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder die Völkerverständigung auch in den verbotenen Medien selbst zum Ausdruck kommen muß 1 7 6 , entnimmt die Rechtsprechung dem Begriff des „Propagandamittels" kein zusätzliches Merkmal 177 . Umstritten ist allerdings, ob mit der Tathandlung des Verbreitens die körperliche Übergabe der Propagandaträger gemeint ist oder ob deren inhaltliche Bekanntgabe ausreicht 178. 174 M Morlok in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 36; U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 16; J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 455; für überflüssig erachtet diese Kategorie /. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 4 Rn. 21, da sie ohne weiteres bereits in der Glaubensfreiheit angelegt sei. 175 Zur Verzichtbar-, weil Wirkungslosigkeit des § 86 StGB, vgl. B.-R. Sonnen, in: AK StGB, § 86 Rn. 14. 176 BGHSt 23, 226; 23, 64 (72 f.): Wie der verständige Durchschnittsleser den Inhalt verstehen muß. 177 Vgl. aber G. Kohlmann, JZ 1971, S. 680 (681): Die Legaldefinition des Propagandamittels sei unvollständig. Es müsse ihr das Tatbestandsmerkmal der beabsichtigten Werbewirkung hinzugefügt werden.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Auch die Schriften einer Religionsgemeinschaft können daher unter diese Strafrechtsnorm subsumiert werden. Mit Blick auf Religionsgemeinschaften, die sich aufgrund ihrer integralistischfundamentalistischen Lehren im Netz der Verbotsbehörden verfangen, stellt sich damit die Frage, ob das strafbewehrte Verbot auch die Verbreitung ihrer fixierten Glaubenslehren betrifft. Das Problem, das in diesem Zusammenhang auftaucht, erhellt insbesondere durch einen Blick auf islamische Glaubenslehren. Diesen ist nach allgemeiner Auffassung eine Abgrenzung von weltlicher und geistlicher Sphäre fremd 179 . Wie soll unter diesen Umständen aber insbesondere ein verfassungsfeindlicher von einem (noch) verfassungskonformen Inhalt getrennt werden, wenn beides sich zu einer Glaubenslehre verbunden hat? Subjektiv genügt für die genannten Tatbestände bedingter Vorsatz. Hier soll es aber nach der Parallelauffassung des BGH zu Vereins- und Parteiverboten ganz besonders nahe liegen, daß jemand, der sich von den religiösen Lehren einer verbotenen Religionsgemeinschaft anziehen läßt und dies durch den Gebrauch ihrer Symbole ausdrückt, auch mit verfassungsfeindlicher und die Organisation unterstützender Zielsetzung handelt 180 . Je nach Handhabung des § 86 StGB im Zusammenhang mit dem Verbot einer Religionsgemeinschaft besteht damit im Ergebnis die Gefahr eines Eingriffs in den Schutzbereich der individuellen Glaubensfreiheit in seiner Ausprägung als ein Recht auf religiösen Begleitschutz. Beeinträchtigungen der individuellen (wie auch der kollektiven) Religionsfreiheit können auch von den §§ 86 a StGB, 20 I Nr. 5 VereinsG ausgehen. Hier wird es mit Strafe bedroht, Kennzeichen einer bestimmten verbotenen Vereinigung zu verbreiten oder öffentlich oder in einer Versammlung zu verwenden. Zu den Kennzeichen i. S. d. Vorschrift gehören sichtbare oder hörbare Symbole der Vereinigung, so insbesondere auch das Liedgut und Grußformen. Bei der Tathandlung des Verwendens ist umstritten, ob hier „irgendein" Gebrauch ausreicht, oder das Benutzen und Zeigen der Symbole als „Bekenntnis zu den Zielen (und Lehren?) der verbotenen Organisation" 181 muß aufgefaßt werden können. ι 7 « Näher B.-R. Sonnen, in: AK StGB, § 86 Rn. 28. So ist strittig, ob das Vorlesen aus Büchern unter den Straftatbestand fällt, oder auch das Aufbringen eines Aufklebers. 179 S. Muckel, DÖV 1995, S. 311 (312); W. Wanzura/F.-G. Rips, Der Islam, S. 11 f.; B. Johansen, in: Essener Gespräche 20 (1986), S. 12 (18 f., 21 ff. u. passim); W. Loschelder, in: ebda., S. 149. 180 So BGHSt 18, 246 (256); 19, 51 (59). Auch Strafbestimmungen sind aber im Lichte des Grundrechts, das sie einschränken, auszulegen. Mit Blick auf den einzelnen und sein Recht, sich über einen für ihn neuen Glauben zu informieren, käme daher als Überlegung in Betracht, ob er nicht - abgesehen von den klandestinen Wegen, auf die er verwiesen würde, um sich seine Konterbande zu verschaffen - die Sozialadäquanzklausel des § 86 III StGB unter der Rubrik der „ähnlichen Zwecke" für sich reklamieren können müßte. 181 W. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, § 86 a Rn. 6; B.-R. Sonnen, in: AK StGB, § 86 a Rn. 10; vgl. aber auch BGHSt 23, 267 (268 f.); 25, 30 (32); ferner B. Reichert, HdbVereinsund Verbandsrecht, Rn. 3058. 1*

244

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Der Großteil aller Religionen als das Wissen vom nicht Erklär- und Visualisierbaren lebt nun aber ganz entschieden davon, daß er eine ritualisierende Symbolik verwendet 182 . Denn Symbole, angefangen von der gesprochenen Sprache und anderer auditiver Medien über Schriftsysteme bis hin zu visuellen Medien, stellen die religiöse „Wirklichkeit" her 1 8 3 und grenzen sie gegenüber anderen - religiösen oder nichtreligiösen - Deutungsschemata ab. Auch dem Kennzeichenverbot läßt sich daher die Tendenz entnehmen, in die individuelle Religionsfreiheit des Art. 4 GG einzugreifen. Im Ergebnis beschränkt sich damit weder das Verbot einer Religionsgemeinschaft durch ihre Auflösung unmittelbar auf einen Eingriff in die korporative Religionsfreiheit, noch bleiben die Sicherungsfolgen dieses Verbots ausschließlich auf der korporativen Seite der Religionsfreiheit verhaftet. Vielmehr findet durch die Auflösung der Gemeinschaft und die Strafbewehrung dieser Auflösung auch ein Durchgriff auf die individuelle Glaubensfreiheit statt.

cc) Die Beeinträchtigung der kollektiven Ausübung der Religionsfreiheit durch Versammlungsverbote Es fragt sich ferner, welche Auswirkungen die Sicherungsfolgen des Vereinsverbots auf die zweite Dimension der Religionsfreiheit, die kollektive Religionsfreiheit, haben. Die Folgen für die kollektive oder gruppenmäßige Ausübung der Religionsfreiheit sind zunächst in der Verbindung von Vereins- und Versammlungsrecht zu finden und sollen im folgenden Abschnitt dargelegt werden. Dafür werden zunächst die Rechtsfolgen der versammlungsrechtlichen Maßnahmen auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit selbst beleuchtet, bevor durch die Aufbereitung der Dogmatik zu den Konkurrenzen zwischen der Versammlungs- und der Religionsfreiheit die Auswirkungen auf die kollektive Religionsfreiheit dargestellt werden. ( 1) Die Versammlungsverbote Die versammlungsrechtliche Rechtslage einer verbotenen Vereinigung stellt sich grundsätzlich wie folgt dar: Nach § 1 II Nr. 4 VersammlG verliert eine verbotene 182 M. Morlok, in: VVDStRL 59 (2000), S. 341 (342). Vgl. auch eine in der Religionssoziologie sehr bekannte Definition von Clifford Geertz. Dieser verortet die Besonderheit der Religion darin, daß sie „ein Symbolsystem" sei, welches darauf abziele, „starke, umfassende und dauerhafte Stimmungen und Motivationen in den Menschen zu schaffen ( . . . )". C. Geertz , Dichte Beschreibung, S. 44 (48). So auch schon M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 227 (230 ff.). 183 E. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen I, S. 43: Symbole sind nicht einfache Abbildungen einer vorhandenen Wirklichkeit, sondern sie stellen die großen Richtlinien der geistigen Bewegung, des ideellen Prozesses dar, in dem sich für uns das Wirkliche als Eines und Vieles konstituiert.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

245

Vereinigung das Recht, sich öffentlich zu versammeln. Die Versammlungsbehörde kann nach § 5 Nr. 1 VersammlG die Abhaltung einer öffentlichen Versammlung der verbotenen Vereinigung in geschlossenen Räumen unterbinden, die Polizei nach § 13 I Nr. 1 VersammlG öffentliche Versammlungen verbotener Vereinigungen in geschlossenen Räumen auflösen. Gleiches gilt nach § 15 i.V.m. § 1 II Nr. 4 VersammlG für öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel. Daneben bleibt es den Behörden unbenommen, aufgrund von strafrechtlichen Verstößen gegen das Vereinsverbot gegen die öffentlichen Versammlungen einzuschreiten (§ 13 I Nr. 4 bzw. § 15 VersammlG). Wie wirkt sich diese Rechtslage aber auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit selbst aus? Hier ist insbesondere zweierlei zu berücksichtigen: Im Verhältnis von Vereins- und Versammlungsrecht ist grundsätzlich klärungsbedürftig, ob durch diejenigen Maßnahmen, die aufgrund des Versammlungsgesetzes gegen die Versammlungen einer verbotenen Vereinigung getroffen werden können, nur diese Vereinigung selbst betroffen wird, oder ob gleichzeitig auch in die Rechte aller versammelten Mitglieder dieser Vereinigung eingegriffen wird. Zwar bestimmt § 1 II Nr. 4 VersG, daß die Versammlungsfreiheit nicht mehr für die verbotene Vereinigung selbst gilt. (Aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 7 I I 2 VersG wird klargestellt, daß eine juristische Person im Sinne des Art. 19 III GG zumindest als Veranstalterin einer Versammlung unter den Schutzbereich des Art. 8 I GG fällt. Daß juristische Personen daneben Trägerinnen des Grundrechts der Versammlungsfreiheit seien, wird überwiegend abgelehnt184.) Die versammlungsrechtliche Regelung des § 1 II Nr. 4 VersG schweigt aber darüber, ob damit gleichzeitig auch die Freiheit ihrer Mitglieder, sich zu versammeln, beschränkt sein soll. Aus dem Zweck des Vereinsverbots, mit dem gegen Gefahren, die sich aus dem kollektiven Vorgehen gegen die in Art. 9 II GG genannten Rechtsgüter ergeben, vorgegangen werden soll, ergibt sich insoweit wenig. Auf der einen Seite ließe sich anführen, daß durch regelmäßige Versammlungen der ehemaligen Mitglieder einer verbotenen Vereinigung das Vereinsverbot selbst umgangen werden könnte und deshalb auch das Versammlungsrecht der einzelnen eingeschränkt werden sollte. Auf der anderen Seite sollen die Vereinsverbote aber in erster Linie die Korporation selbst treffen. Ein Blick in Art. 18 GG bestätigt zudem, daß mit dem Verbot einer Vereinigung nach Art. 9 II GG den einzelnen ehemaligen Mitgliedern dieser Vereinigung ihr Recht, sich zu versammeln, nicht aberkannt werden kann. Dies ist unter den in Art. 18 GG genannten Voraussetzungen, dem Mißbrauch der dort abschließend185 aufgezählten Grundrechte, dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.

184 Vgl. M Kloepfer, in: HStR VI, § 143 Rn. 34; C. Gusy, JA 1993, S. 321 (323); aber auch Ρ Kunig, in: v. Münch /Kunig, GG, Art. 8 Rn. 11. 185 W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 116 f., 119; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 18 Rn. 7; H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 13.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Im Ergebnis, so lautet die nicht unproblematische Schlußfolgerung der herrschenden Auffassung, da die verbotene Vereinigung rechtlich nicht mehr existent ist, soll durch die Formulierung des § 1 II Nr. 4 VersG nur der verbotene Verein betroffen sein 186 . Die versammlungsrechtlichen Folgen beschränkten sich, so also die allgemeine Auffassung, auf die verbotene Vereinigung selbst. Der einzelne werde hiervon zumindest nicht unmittelbar betroffen. Verbots- und Auflösungsverfügungen könnten nur ergehen, so werden die Voraussetzungen dieser versammlungsrechtlichen Maßnahmen spezifiziert, wenn die Veranstalterin einer Versammlung die verbotene Vereinigung selbst sei 1 8 7 . Die von den einschlägigen Tatbeständen des Versammlungsgesetzes gewählten Formulierungen machten hier deutlich, so die Begründung dieser Auffassung, daß allein der Schutzbereich des Art. 8 I GG zuungunsten der Vereinigung als Grundrechtsträgerin eingeschränkt werde. Durch das Verbot verliere allein sie die Fähigkeit, Zuordnungssubjekt des Versammlungsrechts zu sein 188 . Diese Einschränkung erhelle teleologisch auch daraus, so diese Auffassung weiter, daß die versammlungsrechtlichen Maßnahmen nur Sicherungen des vereinigungsrechtlichen Organisations Verbots darstellten. Ein Versammlungs verbot sei daher nur zulässig, soweit sich in der Versammlung der Ersatzcharakter für die verbotene Vereinigung manifestiere und zur punktuellen, aber permanenten Umgehung des Vereins Verbotes geeignet scheine189. Die Frage, die sich in tatsächlicher Hinsicht geradezu aufdrängt, lautet dann aber: Wie ist es in Erfahrung zu bringen, daß die verbotene Vereinigung eine Versammlung veranstaltet, wenn sie dies nicht in deren Anmeldung angibt? Über die personelle Identität von Versammlungsteilnehmern und früheren Vereinsmitgliedern oder die personelle Identität von Leitern und früheren Vorstandsmitgliedern der Vereinigung hinaus werden deshalb weitere Anhaltspunkte gefordert. Aufgrund derselben müßte indiziert sein, so die Prämisse, daß die Versammlung den verbotenen Verein weiterführe 190. Welche weiteren Anhaltspunkte hierfür notwendig vorliegen müssen, bleibt dann aber im Dunkeln. Grundsätzlich müßte es nach der Weitung des § 3 VereinsG ausreichen, daß durch die Versammlung diejenigen verfassungswidrigen Bestrebungen weiterverfolgt werden, aufgrund derer die Vereinigung verboten wurde. Würde es deshalb für eine versammlungsrechtliche Maßnahme also genügen, daß 186 So C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 162; TV. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 149; W. Spiller, Das Vereinsverbot, S. 99. 187 Allerdings wird hier zum Teil geltend gemacht, daß die Versammlung der verbotenen Vereinigung als Veranstalterin bereits dann zuzurechnen ist, wenn „die (offiziellen) Veranstalter überwiegend Mitglieder" der verbotenen Vereinigung sind, vgl. C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 162; vgl. aber auch W. Spiller, Vereins verbot, S. 98. 188

A. Dietel/K. Gintzel/M. Kniesel, Versammlungsfreiheit, § 1 Rn. 151. 189 w. Spiller, Vereinsverbot, S. 99. 190 So N. Rudroff, Vereinigungsverbot, S. 148 f.; W. Spiller, Vereinsverbot, S. 99.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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sich die Mitglieder einer verbotenen Religionsgemeinschaft unter der „Leitung" ihrer früheren Oberen treffen, um ihrem Glaubensbekenntnis, welches wiederum als extremistisches oder fundamentalistisches den Anknüpfungspunkt für ein Verbot geboten hatte, öffentlich Ausdruck zu verschaffen? Nach der zuvor referierten Auffassung müßte es dies, da sie zu dem Ergebnis kommt, daß ein Versammlungsverbot oder die Auflösung einer Versammlung nach §§ 5 Nr. 1, 13 I Nr. 1 i.V.m. § 1 II Nr. 4 VersG dann zulässig ist, wenn die Versammlung Ersatzcharakter für das Vereinigungsverbot hat 1 9 1 . Im übrigen richten sich die Maßnahmen, die zu treffen die Versammlungsbehörde durch das Versammlungsgesetz befugt wird, aber auch gegen die geplante oder stattfindende Versammlung als solche. Sie sollen deren Durch- bzw. Weiterführung und damit auch das öffentliche „sich versammeln" in diesem Rahmen hindern. Während durch das Versammlungsverbot nach § 5 Nr. 1 VersammlG nur das Veranstaltungsrecht als Teilrecht des Versammlungsrechts betroffen wird, betrifft die Auflösung nach § 13 I Nr. 1 VersammlG die gesamte Versammlung mit allen ihren Beteiligten. Sie beeinträchtigt damit auch die Rechte der Teilnehmer 192 . Diese haben nach § 13 II VersamlG die Pflicht, sich sofort zu entfernen. Gleiches gilt nach § 15 i.V.m. § 1 II Nr. 4 VersammlG für Versammlungen unter freiem Himmel. Im Ergebnis greift damit zumindest die Maßnahme der Auflösung einer Versammlung, die von einer verbotenen Vereinigung durchgefühlt wird, unmittelbar in die individuelle Versammlungsfreiheit ein. (2) Die Konkurrenz zwischen Versammlungs- und Religionsfreiheit Für die Beurteilung, ob in diesen Maßnahmen zugleich Eingriffe in die kollektive Religionsfreiheit gesehen werden können, ist das Verhältnis der Versammlungs- zur Religionsfreiheit entscheidend. Es fragt sich also, wie beide Grundrechte einander zugeordnet oder voneinander abgegrenzt werden. Bei der Ausübung der Versammlungsfreiheit aus religiösen Gründen kann es grundsätzlich zu tatbestandlichen Überschneidungen mit der kollektiven Religionsfreiheit kommen, da letztere auch das Recht gewährleistet, einen Glauben in gemeinschaftlicher Form zu bekennen. Nach dem sogenannten erweiterten wie auch nach dem weiten Versammlungsbegriff reicht es aus Gründen der Garantie der Persönlichkeitsentfaltung in Gruppenform für den verfassungsrechtlichen Versammlungsbegriff des Art. 8 I GG aus, daß eine Mehrheit an Personen zusammenkommt, um jedwedem Zweck 1 9 3 und damit auch religiösen Zwecken nachzugehen. 191 N. Rudrojf, Vereinigungsverbot, S. 148; W. Spiller, Vereinsverbot, S. 99. 192 A. Dietzel/ Κ Gintzel/M. Kniesel, Versammlungsfreiheit, § 13 Rn. 8 ff. 193 Zum Versammlungszweck, vgl. M. Kloepfer, in: HStR VI, § 143 Rn. 16 ff.; B. Pieroth/ B. Schlink, Grundrechte, Rn. 690 ff.; H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 8 Rn. 2; W. Κ Geck, DVB1. 1980, S. 797 ff.; BVerfGE 69, 315 (343 ff.); 73, 206 (231 ff.); C. Gusy, JuS

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

In diesem Ausschnitt konkurrieren beide Grundrechte also miteinander. Zur Lösung der Grundrechtskonkurrenz werden im wesentlichen folgende Meinungen vertreten: Da insbesondere die Regelung des Art. 4 I I GG als religiöse Betätigungsfreiheit den Art. 8 GG verdränge, sei, so die ganz überwiegende Auffassung, die kollektive Religionsausübung in Form einer Versammlung lex specialis zur Versammlungsfreiheit 194 . Dennoch wird die Anwendung des Versammlungsgesetzes, soweit es selbst keine Ausnahmen vorsieht (§ 17 VersammlG), auf diese Komponente der Religionsfreiheit zum Teil befürwortet. Pate steht hier die Unterscheidung von verfassungsrechtlichem und versammlungsgesetzlichem Versammlungsbegriff. Das Versammlungsgesetz erfasse, so die Prämisse dieser Ansicht, das Versammlungswesen über den Schutzbereich des Art. 8 GG hinaus. Seine Anwendung auf religiöse Versammlungen stelle daher den grundsätzlichen Vorrang der Religionsfreiheit nicht in Frage 195 . Zur Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes auf die kollektive Religionsausübungsfreiheit kann ferner auch die Auffassung kommen, die das Verhältnis der beiden Grundrechte nicht als Spezialität, sondern als Idealkonkurrenz versteht. Das Spezifikum der Idealkonkurrenz besteht darin, daß die Schutzbereiche der nebeneinander betroffenen Grundrechte grundsätzlich auch nebeneinander anzuwenden sind. Die Schranken welches der betroffenen Grundrechte dagegen letztlich einschlägig sind, um einen Eingriff verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, wird unterschiedlich beurteilt. Eine Auffassung, die sich häufig lesen läßt, vertritt die These, daß die Entscheidung, welche Schranken letztlich anzuwenden seien, erst im nachhinein, nämlich durch einen Wechsel in die Eingriffsperspektive, getroffen werden könne. Der Zweck, den der Eingriff verfolge, gebe den Maßstab, also die Schranke, der er entsprechen müsse, vor. Würden - wie wohl hier - Eingriffe auf spezifisch versammlungsrechtliche Gesichtspunkte gestützt, seien sie insgesamt nach Art. 8 II GG zu rechtfertigen 196. Neben dieser Theorie werden ferner die folgenden Ansätze zur Lösung einer Idealkonkurrenz fruchtbar gemacht. Zunächst die These des Schutzmaximums: 1986, S. 608 (612); ders., JA 1993, S. 321; zum sachlichen Schutzbereich der Versammlungsfreiheit, vgl. aber auch P. Kunig, in: v. Münch /Kunig, GG, Art. 8 Rn. 14. 194 w. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rn. 76; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 136; H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 5; A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136, Rn. 89; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 52, 164; zu dem ähnlich gelagerten Problem des Verhältnisses von Art. 8 GG zu Art. 5 I GG, vgl. W.-D. Drosdzol, JuS 1983, S. 409 (410); BVerfGE 90, 241 (246 f.); BVerfG, 1 BvQ 13/01 v. 24. 3. 2001 Abs. 23 ff. 195 C. Starck, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 134. 196 So insb. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 96; M. Kloepfer, in: HStR VI, § 143 Rn. 72; kritisch R. Heß, Grundrechtskonkurrenzen, S. 65 ff., 78 ff., 227, 232; zu den Konkurrenzen von Art. 8 und 5 I GG, wo sich dasselbe Problem stellt, vgl. A. v. Mutius, in: Jura 1988, S. 30 (34), W.-D. Drosdzol, JuS 1983, S. 409 (410); W. Müller, Versammlungsfreiheit, S. 84 ff.

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Hier richtet sich die Eingriffsrechtfertigung nach den Schranken der stärkeren Grundrechtsnorm, also derjenigen mit den engeren Schranken 197. Dann die These des Schutzminimums: Hier werden genau umgekehrt die Schranken des schwächeren Grundrechts herangezogen 198. Schließlich die These der Schrankenkumulation: Hier ist der Eingriff anhand der Schranken beider Grundrechte zu überprüfen 199 . Daß Art. 8 GG lex specialis zur religiösen Versammlungsfreiheit sei, wird, soweit ersichtlich, dagegen nicht vertreten. Ob und wie immer man die Anwendbarkeit der versammlungsrechtlichen Verbote auf die religiöse Versammlungsfreiheit rechtfertigt: Fest steht im Ergebnis, daß durch eben diese Versammlungsverbote grundsätzlich auch in den Schutzbereich der kollektiven Religionsfreiheit aus Art. 4 GG eingegriffen werden kann. Eine Einschränkung ist allerdings zu machen für religiöse Versammlungen unter freiem Himmel. Nach § 17 VersammlG sind die §§ 14-16 VersammlG nicht anwendbar auf Gottesdienste im Freien, religionsgemeinschaftliche Prozessionen, Bittgänge und Wallfahrten, solange diese nicht zum Vorwand für andere Zwecke genommen werden 200 . Als Grund für diese „Privilegierung" wird der genannt, daß diese „Aufzüge" dem versammlungsgesetzlichen Typus der Versammlung unter freiem Himmel gerade nicht unterfallen 201 . Fraglich ist daher, ob gegen derartige „Versammlungen" überhaupt vorgegangen werden kann. Das Versammlungsgesetz schließt als Spezialgesetz bei Gefahridentität den Rückgriff auf das allgemeine Polizeirecht aber nur insoweit aus, wie Maßnahmen gegen Versammlungen getroffen werden sollen, die dem versammlungsgesetzlichen Versammlungsbegriff entsprechen 202 . Ein Einschreiten nach den allgemeinen Befugnisnormen des Rechts der Gefahrenabwehr könnte deshalb in Betracht kommen. Hier ist aber zweierlei zu bedenken: Zum einen wirkt der Gefahrenbegriff des §15 VersammlG auf die Auslegung und Anwendung der polizeirechtlichen Generalklausel zurück. Hier muß eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicher197 w. Riifner, in: FS BVerfG I, S. 454 (476 f.); A. v. Mutius, Jura 1988, S. 30 (34). 198 Früher W. Rüfner, Der Staat 7 (1968), S. 41 (58 ff.): Die zusätzlichen Beschränkungen des anderen betroffenen Grundrechts sollen vom „ersten" Grundrecht aus wie „allgemeine Gesetze" zu behandeln sein und hingenommen werden. 199 A. Bleckmann/C. Wiethojf, DÖV 1991, S. 722 (726 ff.); J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 361 ff. 200 A. Dietzel/K. Gintzel/M. Kniesel, Versammlungsfreiheit, § 17 Rn. 9, auch W. Κ Geck, DVB1. 1980, S. 797 (802). Nach S. Ott/H. Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17 Rn. 9, ist diese Regelung verfassungswidrig. 201 U. Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 97 ff. 202 Zum Versammlungsgesetz als Spezialgesetz, vgl. A. v. Mutius, Jura 1988, S. 79 (88); C. Gusy, JA 1993, S. 321 (323 f.); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 710; auch BVerwGE 64, 55 (58); 82, 34 (38); BVerwG NVwZ 1988, S. 250; VGH Mannheim DVB1. 1998, S. 837; W. Müller, Versammlungsfreiheit, S. 132 ff.; U. Schwäble, Versammlungsfreiheit, S. 175 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

heit bejaht werden können 203 . Zum anderen handelt es sich beim Einschreiten gegen die genannten Versammlungen nach der gesetzlichen Weitung offensichtlich nicht um eine typische Versammlung oder eine versammlungstypische Gefahrenabwehrmaßnahme. Anstelle der Schranken des Art. 8 GG kommen dann aber auch nach den oben genannten Auffassungen zur Grundrechtskonkurrenz die Schranken des Art. 4 GG zum Zuge. Bei der Auslegung des gefahrenabwehrrechtlichen Tatbestandes der öffentlichen Sicherheit ist deshalb die Vorbehaltlosigkeit des Art. 4 GG zu beachten204. Im Ergebnis kann durch die das Vereinsverbot sichernden versammlungsrechtlichen Maßnahmen auch in die kollektive Religionsfreiheit eingegriffen werden. (3) Private Versammlungen in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel Nun werden durch die versammlungsrechtlichen Folgen des Vereinsverbots aber allein öffentliche Versammlungen der verbotenen Vereinigung betroffen. Fraglich ist daher, wie der Eingriffshorizont gegenüber privaten religiösen Versammlungen abgesteckt ist. Private Versammlungen fallen zwar in den Schutzbereich des Art. 8 I GG 2 0 5 . Sie werden aber von den allermeisten Regelungen des Versammlungsgesetzes nicht betroffen, da dessen Versammlungsbegriff ein anderer ist. So sprechen auch die Tatbestände der Versammlungsverbote allein von öffentlichen Versammlungen. Fraglich ist aber, was unter dem Begriff der öffentlichen Versammlung zu verstehen ist. Der Begriff der öffentlichen Versammlung soll nach der versammlungsgesetzlichen Literatur eine doppelte Bedeutung haben: Öffentlichkeit beziehe sich, so die Literatur, zum einen auf den Zugang zu der Versammlung, zum anderen auf ihren Zweck. Solange jedermann die Möglichkeit habe, sich an der Bildung der Personenmehrheit zu beteiligen, diese folglich nicht auf einen individuell beschränkten, vielleicht gar persönlich eingeladenen Personenkreis begrenzt sei, sei die Versammlung, so die Schlußfolgerung, öffentlich. Einstimmig werden Mitgliederversammlungen von Vereinigungen (auch von verbotenen?) als nicht öffentlich charakterisiert 206. Ferner wird vertreten, das Kriterium der Öffentlichkeit beziehe sich auf den Zweck der Versammlung. Insbesondere, so wird geltend gemacht, legitimiere sich das Versammlungsgesetz aus der Gleichzeitigkeit, der Wichtigkeit 203 A. Dietzel/K. Gintzel/M. Kniesel, Versammlungsfreiheit, § 17 Rn. 18. 204 5. Ott/H. Wächtler, Versammlungsgesetz, § 17 Rn. 14; Offczors, in: Ridder (Hrsg.), Versammlungsrecht, § 17 Rn. 9; BVerfGE 44, 37 (49 f.). Zu einer „systematischen" Beschränkung bereits des „Gewährleistungsgehalts" des Art. 4 GG gelangen in diesen Fällen v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. (1957), Vorb. Β XV 2 b S. 125 f. 205 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8 Rn. 54; C. Gusy, JA 1993, S. 321 (324). 206 R Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 8 Rn. 16; A. v. Mutius, Jura 1988, S. 79 (80); C. Gusy, JA 1993, S. 321 (324); OVG Bremen DÖV 1972, S. 101 (102).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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und der Gefahrträchtigkeit kollektiver Meinungsbildung wie kollektiver Meinungskundgabe. Es habe einen politisch-demokratischen Hintergrund und erfasse, so die Schlußfolgerung, mit den öffentlichen Versammlungen nur solche, deren Zwecke auf Meinungsbildung und -äußerung über öffentliche Angelegenheiten ausgelegt seien. Kulturelle und religiöse Veranstaltungen erfüllten daher im Regelfall überhaupt nicht den versammlungsrechtlichen Versammlungsbegriff 207. Fraglich ist deshalb, wie gegen nicht-öffentliche Versammlungen vorgegangen werden kann. Hierzu werden zwei Auffassungen vertreten. Nach der einen soll das Versammlungsgesetz als Ermächtigungsgrundlage in derartigen Fällen analog anwendbar sein 208 . Die andere Auffassung macht geltend, daß ein Einschreiten gegen private Versammlungen verbotener Vereinigungen nur aufgrund der allgemeinen polizeirechtlichen Befugnisnormen in Betracht komme 209 . Soweit hierfür allerdings als Begründung angeführt wird, das Polizeirecht sei anwendbar, da das Versammlungsgesetz ein Einschreiten gegen private Versammlungen gar nicht regle 210 , ist auf die §§ 3, 21, 23 und 28 VersG zu verweisen, die durchaus auch Regelungen für nichtöffentliche Versammlungen enthalten. Ausschlaggebend ist vielmehr folgendes: Da mit dem Versammlungsrecht andere Gefahren abgewendet werden sollen, als sie durch private Versammlungen in geschlossenen Räumen entstehen, scheidet eine analoge Anwendung dieses Gesetzes aus. Bedenken bestehen ferner im Hinblick darauf, daß eine analoge Anwendung des Versammlungsgesetzes dem Grundsatz des grundrechtlichen Gesetzes Vorbehalts nicht genügt 211 . Einschlägig sind also im Ergebnis die polizeirechtlichen Befugnisnormen. Um aber die merkwürdige Konsequenz zu vermeiden, daß die gefahrträchtigere öffentliche Versammlung mit dem Versammlungsgesetz geringeren Beschränkungen unterläge als die weniger gefahrträchtige private Versammlung, ist zu beachten, daß das 207 Aus neuester Zeit, vgl. BVerfG 1 BvQ 28/01 u. 1 BvQ 30/01 v. 12. 7. 2001, Rn. 16: „Irgendein" Zweck reiche nicht aus (Love Parade). Auch A. Dietzel/K. Gintzel/M. Kniesel, Versammlungsfreiheit, § 1 Rn. 201; M. Kniesel, NJW 1992, S. 857 (862); VGH München DVB1. 1979, S. 737; aber auch E. Denninger, ZRP 1968, S. 42: Es mache nicht den geringsten Unterschied, ob ein Menschenzug durch eine verkehrsreiche City eine Monstranz mit sich führe oder aber rote Fahnen. 208 Hierzu insg. Drews /Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 176: (Polizeifestigkeit, kollidierendes Verfassungsrecht); M. Kniesel, NJW 2000, S. 2857 (2865 f.); G. Ketteier, DÖV 1990, S. 954 (955 ff.); U. F. H. Rühl, NVwZ 1988, S. 577 (580 f.): polizeifest; W.-R. Schenke, in: Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 135; M. Oldiges, in: Grimm/ Papier (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht, S. 236 (247 ff., 265). 209 w.-D. Drosdzol, JuS 1983, S. 409 (410); C. Gusy, JA 1993, S. 321 (324); R. Krüger, DÖV 1997, S. 13 (14 ff.); OVG Lüneburg NVwZ 1985, S. 925; dass. NVwZ 1988, S. 638; OVG Saarlouis OVGE 13, 208 (211 f.); VG Minden NVwZ 1988, S. 663; BVerwG NVwZ 1999, S. 992: Einschreiten nach den Polizeigesetzen der Länder aufgrund eines polizeilichen Notstandes; auch VG Frankfurt a.M. NVwZ 1998, S. 770. 210 So insb. OVG Lüneburg NVwZ 1985, S. 925; dass. NVwZ 1988, S. 638; OVG Saarlouis OVGE 13, 208 (211 f.); VG Minden NVwZ 1988, S. 663. 211 M. Kniesel, NJW 2000, S. 2857 (2865); C. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 8 Rn. 63; O. Konzak, NVwZ 1997, S. 872 (873); BVerfG NJW 1996, S. 3146.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Polizeirecht vor seiner Anwendung verfassungskonform auszulegen ist. Dabei spielt eine ausschlaggebende Rolle, daß weder Art. 4 GG noch Art. 8 II GG für diese Versammlungen einen Gesetzesvorbehalt vorhalten. Beschränkungen aufgrund des Polizeirechts dürfen also insoweit nur zum Schutze kollidierenden Verfassungsrechts ergehen. Im Ergebnis wird durch versammlungsrechtliche Sicherungsmaßnahmen damit zwar in die kollektive Religionsfreiheit eingegriffen. Diese können aber zum Teil auf die verfassungskonform ausgelegten polizeirechtlichen Befugnisnormen gestützt werden. Da diese Eingriffe nach ganz überwiegender Ansicht ferner lediglich dann in Betracht kommen, wenn kollidierendes Verfassungsrecht geschützt werden soll, entspricht die verfassungsrechtliche Rechtfertigung dieser Eingriffe den Schranken des Grundrechts der Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG.

dd) Perpetuierende Nebenfolgen für die korporative Religionsfreiheit Daß das Verbot einer Religionsgemeinschaft in die korporative Religionsfreiheit eingreift, ist unstreitig. Diesen unstreitigen Eingriff perpetuieren jedoch insbesondere diejenigen strafgesetzlichen „Ungehorsamsdelikte", die ein verdecktes oder offenes Fortführen der verbotenen Vereinigung verhindern wollen. Zu nennen ist hier die Vorschrift des § 85 StGB. Sie stellt Tätigkeiten unter Strafe, die dazu bestimmt sind, den organisatorischen Zusammenhalt der wegen Verfassungsfeindlichkeit verbotenen Vereinigung aufrechtzuerhalten. Von der Strafbewehrung des Vereinsverbots sind hier im wesentlichen folgende Verhaltensweisen betroffen: Bestraft wird, wer den organisatorischen Zusammenhalt einer verbotenen Vereinigung als „Rädelsführer" oder „Hintermann" aufrechterhält oder aufrechtzuerhalten versucht, und wer sich in einer solchen Vereinigung als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt unterstützt, ohne daß er ein Mitglied der Vereinigung gewesen zu sein braucht oder sein muß. Es fragt sich, welche Verhaltensweisen von diesen Tatbestandsmerkmalen im einzelnen umschrieben werden. Da sich die Strafbestimmung des § 85 StGB an dem Zweck des Vereinsverbots ausrichtet, ist es ihr Sinn, Versuche, das Vereinsverbot zu umgehen, abzustrafen. Es soll den Gefahren begegnet werden, die von einer „typisch verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeit ausgehen"212. Die Auslegung der Tatbestandsmerkmale orientiert sich folglich an Handlungen, die in der Absicht vorgenommen werden, die verbotene Vereinigung fortzuführen 213. Die Auslegung dieses Paragraphen durch den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht soll im folgenden Abschnitt kasuistisch aufgezeigt werden. 212 BVerfGE 25, 44 (56). 213 Ähnl. auch P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 94 ff.; N. Rudroff, Vereinigungsverbot, S. 149; W. Spiller, Vereinsverbot, S. 100; zur Entwicklung näher F.-C. Schroeder, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat, S. 219 ff.

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Mit dem Tatbestandsmerkmal des Aufrechterhaltens des organisatorischen Zusammenhalts wird eine Tätigkeit umschrieben, die darauf hinwirkt, mindestens einen Teil des Mitgliederstamms und seiner Verknüpfung zu erhalten oder zu erneuern. Denn die Rechtsprechung definiert den organisatorischen Zusammenhalt als „Pflege und Wiederanknüpfung der Verbindungen der Mitglieder untereinander und mit ihren Führern um der bisherigen" 214 Zwecke willen. Es spielt keine Rolle, ob der Zusammenhalt sich räumlich mit dem früheren Wirkungskreis der Vereinigung deckt 215 . Als Grund für die Strafbarkeit wird genannt, daß sonst der verfassungsfeindliche Zweck der Vereinigung bei den Beteiligten fortbestehe 216. Die Erhaltung oder Erneuerung kann offen oder geheim geschehen, mit Hilfe bisheriger oder neuer Mitglieder, und zwar auch ohne daß die Tätigkeit nach außen dringt. Da jedes Minimum an weiterer Organisation verhindert werden soll, reicht bereits der Aufbau einer fünfköpfigen Gruppe aus, damit das Tatbestandsmerkmal erfüllt ist. Da aber gleichzeitig auch der Organisationsgefährlichkeit Rechnung getragen werden soll, langt zum Beispiel das bloße Bestehenlassen der Mitgliedschaft dagegen nicht hin 2 1 7 . Zu der Sanktionsschwelle in dem parallel gelagerten Fall der Unterstützung einer verbotenen Partei führte das Bundesverfassungsgericht zu §§ 42, 47 und 46 III BVerfGG aus, daß es für die Entstehung einer echten Gefahr nicht ausreiche, wenn der Außenstehende allein die gleichen Ansichten wie die verbotene Partei vertrete. Sein Handeln werde erst gefährlich durch die von der Organisation selbst ausgehende Wirkung. Die Abwehr dürfe sich deshalb nicht isoliert gegen die Handlung des einzelnen richten, sondern müsse sich gegen die mit ihr verbundene Stärkung der Organisation selbst wenden. Als objektive Gefahr im Sinne des Telos der genannten Normen könne es aber gelten, so das Gericht, wenn zu der Handlung äußere Umstände hinzuträten, die der Handlung einen unmittelbaren Förderungseffekt verliehen 218 . In diesem Sinne entscheidet auch der Bundesgerichtshof, daß um eine Strafbarkeit nach § 85 StGB zu begründen - zu den Handlungen des einzelnen ein die Vereinigung selbst fördernder Charakter hinzutreten muß. Dieser könne aber beispielsweise darin liegen, so das Gericht, daß Veranstaltungen für die Mitglieder organisiert 219, sie mit Informationen und Instruktionen versorgt 220 oder die Ziele der Vereinigung beworben würden 221 . Insgesamt fallen alle diejenigen Handlungen unter den Tatbestand, von denen eine integrierende oder verfestigende Kraft zugunsten der verbotenen Organisation ausgeht. 214 215 216 217 218 219 220

BGHSt 20, 287 (289); 20 74 (75). W. Stree, in: Schönke / Schröder, StGB, § 84 Rn. 9. W. Stree, in: Schönke / Schröder, StGB, § 84 Rn. 12. BT-Drs. V/2860, S. 6 f. BVerfGE 25, 44 (57 ff.). B.-R. Sonnen, in: AK StGB, § 84 Rn. 25. E. Rudolphi, in: SK StGB, § 84 Rn. 9.

221 BGHSt 26, 258 (261); kritisch B.-R. Sonnen, in: AK StGB, § 84 Rn. 32.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Ist eine Religionsgemeinschaft damit erst einmal verboten, besteht im Ergebnis keine Möglichkeit, den Verband der Mitglieder aufrechtzuerhalten oder ihre Glaubenslehren neuen „Mitgliedern" nahezubringen. Denn alle Verhaltensweisen, die dazu dienen könnten, stehen unter Strafe. Die Strafbewehrungen des Verbots einer Religionsgemeinschaft verlängern daher den Eingriff in die korporative Religionsfreiheit über das Verbot selbst hinaus. Gleichzeitig betreffen sie die individuelle Religionsfreiheit in ihrer Ausprägung als religiöse Assoziationsfreiheit, da sie auf den Entschluß des einzelnen, sich zu einer entsprechenden Religionsgemeinschaft (wieder) zusammenzuschließen, einwirken.

c) Ergebnis Innerhalb des Grundrechts der Glaubensfreiheit lassen sich also im Ergebnis vier Dimensionen unterscheiden, die sich untereinander ergänzen und verstärken: die individuelle, die kollektive, die korporative und die institutionelle Religionsfreiheit. Die institutionelle Religionsfreiheit wiederum ist ein eigenständiger Teil der korporativen Religionsfreiheit, da sie bestimmte Freiheiten der Religionsgemeinschaften als „Verbände" oder Korporationen gegenüber dem Staate regelt. Insbesondere der institutionellen Religionsfreiheit sind die staatskirchenrechtlichen Normen der inkorporierten Weimarer Verfassungsartikel zugeordnet. Art. 137 III WRV und seine Schrankenregelung stellt also eine auf die institutionelle Religionsfreiheit zugeschnittene Verfassungsbestimmung dar. Das Verbot einer Religionsgemeinschaft dagegen zielt weniger auf diese institutionelle Seite des Grundrechts der Glaubensfreiheit ab. Es beschränkt zu allererst die korporative Religionsfreiheit, wirkt sich selbst oder in seinen Sicherungsfolgen aber auch auf die individuelle und die kollektive Dimension der Glaubensfreiheit aus: Das Verbot einer Religionsgemeinschaft greift auf die individuelle religiöse Assoziationsfreiheit aus Art. 4 GG durch. Seine Strafbewehrungen greifen in das Recht des einzelnen auf „religiösen Begleitschutz" in Form von allgemein zugänglichen Informationen über die verbotene Glaubensgemeinschaft und ihre Lehren ein. Über einzelne Versammlungsverbote kann umfassend in die kollektive Religionsfreiheit eingegriffen werden. Das strafbewehrte Verbot des Fortführens einer verbotenen Vereinigung perpetuiert den auflösenden Eingriff in die korporative Religionsfreiheit. Während also Art. 137 III WRV eine ausgewiesene Norm des institutionellen Staatskirchenrechts darstellt, weckt der Blick auf die umfassenden Rechts- und Sicherungsfolgen, die mit dem Verbot einer Religionsgemeinschaft in allen vier Dimensionen der Religionsfreiheit ausgelöst werden, erste Zweifel an der Tauglichkeit der staatskirchenrechtlichen „Verbandsfreiheit" als taugliche Ermächtigungsgrundlage für das Verbot einer Religionsgemeinschaft.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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2. Braucht die Religion eine Organisation? Oder: „Unus Christianus - Nullus Christianus" 222 Es fragt sich aber weiter, ob die Folgen des Verbots einer Religionsgemeinschaft für das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht noch viel tiefer reichen. Hier soll das Zusammenspiel der individuellen mit der korporativen Religionsfreiheit in den Blick genommen werden. Deren innerer Zusammenhang kommt in Lehre und Rechtsprechung oft zu kurz. In der Regel wird das Grundrecht der Religionsfreiheit als Individualgrundrecht verstanden, dem dann das Korporationsgrundrecht der Religionsgemeinschaften als den einzelnen bedrohender Gruppenmächte gegenübergestellt wird, gegen die er sich auch zu verteidigen hat. Damit wird der Sinn der umfassenden Religionsfreiheit aber verkürzt, denn die korporative Seite der Religionsfreiheit stellt gleichzeitig ein „Hilfsrecht" für den einzelnen Gläubigen dar, seine Religion zu leben. „Krisen" zwischen dem einzelnen und seiner Religonsgemeinschaft kommen zwar vor, bestimmen jedoch nicht den Charakter diese Verhältnisses 223. Der überwiegende Teil der Religionsausübung vollzieht sich nach theologischem Anspruch und religionssoziologischer Wirklichkeit in der Gemeinschaft der Gläubigen. Rein tatsächlich kommt Religion ohne Religionsgemeinschaft nicht vor. Über die Effektuierung des Grundrechtsschutzes in einer Gruppe hinausgehend, wird im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit deshalb die These vertreten, daß Religion von einem Menschen nicht als Einzelwesen realisiert werden könne, sondern der organisierten Gemeinschaft bedürfe. Religionen seien, so die Prämisse, sozial geteilte Sinnsysteme. Eine Religion habe man folglich nicht alleine (was aber nicht ausschließen soll, daß nach Art. 4 GG ein einzelner eine Privatreligion und den entsprechenden Schutz des Grundrechts für sich muß reklamieren können dürfen 224 ). Sie setze vielmehr eine soziale Basis, die Möglichkeit zur und ein Mindestmaß an Kommunikation voraus 225 . Ist Religion nur als kollektives Phänomen denkbar? Sind Religionsgemeinschaften für die Glaubensfreiheit des Grundgesetzes also unentbehrlich? Daß sie auch für die individuelle Glaubensfreiheit und deren Umfang zumindest prägend sind, ließe sich aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Frage der 222

Zum christlichen Gemeinschaftsideal näher, vgl. M. Scheler, Vom Ewigen im Menschen, S. 381 ff., 388 u. passim. 22 3 M. Heckel ZevKR 44 (1999), S. 340 (372 f.). 224

P. Badura, Schutz von Religion, S. 13; H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 6. 5 So auch P. Badura, in: VVDStRL 59 (2000), S. 319 (320); ders., in: HbdStKirchR I, § 6 S. 211; C. D. Classen, Religionsfreiheit, S. 22 ff.; F. Klein, in: v. Mangoldt/ Klein, Das Bonner Grundgesetz, (2. Aufl.), Art. 4 Anm. V0.2 S. 224; U. Scheuner, DÖV 1967, S. 585 (591); V: Neumann, in: FS Jean d'Heur, S. 247 (252); K. Weinzierl, ArchKathKR 132 (1963), S. 30 (57); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 42 f.; M. Heckel, ZevKR 44 (1999), S. 340 (373); U. Scheuner, DÖV 1967, S. 585 (589); C. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein / Starck, GG, Art. 4 Rn. 58: „Zum Glauben ( . . . ) gehört zumeist eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten; wenn diese noch nicht besteht, soll sie wenigstens geschaffen werden". 22

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Schächterlaubnis und dem Erfordernis zwingender Glaubensvorschriften 226 zumindest herleiten. Aus der geschichtlichen Erfahrung und so, wie sie sich gegenwärtig präsentiere, sei, so diese Auffassung, Religion angesichts ihres Ursprungs und ihres Wesens als überindividueller Sinngebung des Daseins auf ihre Bezeugung in einer organisierten Gruppe angelegt. Damit sie überdauere, bedürfe es ihrer Institutionalisierung, sie dränge auf Vergemeinschaftung 227. Ein Blick in ihre Entwicklungsgeschichte zeige, so die Untermauerung, daß die Religionen als historische Vergemeinschaftungen zunächst subjektiver Transzendenzerfahrungen entstanden seien 228 . Anders als dies in der Verbändediskussion üblich ist (deren Schwerpunkte liegen auf der einen Seite auf den demokratischen Funktionen und Dysfunktionen des Verbandspluralismus 229 und dem freiheitsrechtlichen Schutz des mediatisierten Individuums gegen die soziale Übermacht des einzelnen Verbandes auf der anderen Seite 230 ), seien vielmehr, so die Schlußfolgerung, im Rahmen der Glaubensfreiheit die religiöse Assoziation einerseits als Überlebensbedingung der betreffenden Religion selbst und damit auch andererseits als elementare Verwirklichungsbedingung individueller religiöser Freiheit zu betonen 231 . Zu beachten ist in diesem Zusammenhang allerdings, daß auch bei einer gebündelten Ausübung von Individualgrundrechten nicht ipso iure von einer überindividuellen Organisation im Sinne einer organisierten Gemeinschaft gesprochen werden kann. Doch ist der Übergang von ersterer zu letzterer fließend und scheint immer nur eine Frage der Zeit zu sein. Die Spielart der „bloß" gemeinsamen oder zeitgleichen Ausübung eines Grundrechts wird gemeinhin als Gruppengrundrecht bezeichnet232. Von einer Korporation auch im Sinne des Vereinsrechts und seines Verbotstatbestands dagegen kann erst in dem Augenblick gesprochen werden, in dem sich aus der Grundrechtsausübung der einzelnen eine Organisationseinheit formiert hat, die als solche entscheidungs- und handlungsfähig ist. Denn erst in dem Faktum eigener, d. h. nicht mit den natürlichen Willen ihrer einzelnen Mitglieder identischen Willensbildung erhält das Kollektiv eine Substanz, in die auch mit einem Verbot eingegriffen werden kann. Allerdings ist hier wiederum einschränkend zu konstatieren, daß der vereinigungsrechtliche Vereinsbegriff des 226 BVerwGE 99, 1. 227 ζ Ο 'Dea, in: Fürstenberg (Hrsg.), Religionssoziologie, 1964, S. 231 ff.; V. Krech, Religionssoziologie, S. 33 f.; H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 149 ff. 228 τ. Luckmann, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 26 (37). 229 Vgl. J. Weber/R. Steinberg, Art. Verbände, in: StL V, Sp. 593 ff.; femer R. G. Heinze, Verbändepolitik, S. 65 ff.; J. H. Kaiser, in: HStR II, § 34 Rn. 15 ff. 230 p. Häberle, ZHR 145 (1981), S. 473 (489 ff.); D. Suhr, EuGRZ 1984, S. 529 (543 f.). 231 So weist zu Recht W. Rüfner, in: HStR V, § 116 Rn. 73, darauf hin, daß es von allen Personen des öffentlichen Rechts gerade die Kirchen sind, die dem einzelnen bei der Verwirklichung seiner individuellen Grundrechte dienen. Vgl. auch E. Denninger, in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, S. 95 (106). 232 J. hensee, in: HStR V, § 118 Rn. 28 m. w. N.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

257

Grundgesetzes an die Organisiertheit einer Gemeinschaft und an ihre gemeinsame Willensbildung nur ganz minimale Anforderungen stellt. So reicht nach herrschender Lehre die Verbindung von zwei Personen, damit von einer Religionsgemeinschaft im Sinne von Grundgesetz und einfachgesetzlichem Vereinsrecht gesprochen werden kann 233 . Durch das Verbot einer Religionsgemeinschaft und die dieses sichernden Rechtsfolgen soll nun gerade jener Organisiertheit entgegengewirkt werden. Die vereinsmäßige Organisation soll nachhaltig zerschlagen werden. Damit stellt sich die Frage, inwieweit eine - wie auch immer - verfaßte Organisation zur Pflege eines gemeinsamen Glaubens grundsätzlich unabdingbar ist 2 3 4 . Hier geht es - in christlicher Terminologie - um Vergemeindung der Anhänger eines Glaubensbekenntnisses zumindest als „kleinster" religiöser Organisationseinheit 235. Im folgenden Abschnitt soll daher die These, daß Religion einer organisierten Gemeinschaft bedarf, anhand von religionssoziologischen Beobachtungen und entwicklungshistorischen Aspekten der Glaubensfreiheit überprüft werden.

a) Religionssoziologische

Theorien

Inwieweit können religionssoziologische Theorien dazu beitragen, die oben gestellte - juristisch relevante - Frage zu beantworten? Der Empirie als solcher kann zunächst keine normative Aussage abgerungen werden. Allerdings tritt die soziale Wirklichkeit in den Grundrechten normativ überformt in Erscheinung und kann daher als normativ bewertete auch für die Grundrechtskonkretisierung relevant werden 236 . Die Religionssoziologie beobachtet als empirische Wissenschaft die Religion in der Gesellschaft. Obwohl sie zunächst religiöse Phänomene nur beschreibt, versucht sie doch gleichzeitig, diese mit den Methoden der Wissenschaft zu erklären. Sie betrachtet die innerweltliche Seite der Religion, ihre empirischen Erscheinungsformen und Funktionen. Auch die Institutionen der Religionen, die soziologische „Hardware" 237 der Religion, zählt zu den Phänomenen, mit denen sich die Religionssoziologie auseinandersetzt. Sie untersucht religiöse Organisationen und registriert nicht nur, daß es sie gibt und wie sie funktionieren, sondern ist bemüht, Erklärungen dafür zu finden, warum sie existieren. Auf diese Erklärungen soll im folgenden Abschnitt zurückgegriffen werden. Sie können insofern zur Lö233 Vgl. oben § 3 Α. IV. 234 Das Erfordernis einer verfaßten Organisation für die Weltanschauungsfreiheit verneinen BVerwGE 89, 368 (371 f.); M. Morlok in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 43; vgl. aber auch R Tiedemann, Der Staat 26 (1987), S. 371 (373): „Wenn auch jedes Individuum zumindest in gewissen Grenzen eigene Erkenntniskompetenz beansprucht, so ist es doch zugleich auch auf Bestätigung der eigenen Überzeugung durch Mitmenschen angewiesen". 235 Hierzu A. v. Campenhausen, in: HdbStKirchR I, § 12 S. 386. 236 D. Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, S. 39 (37 f.). 237 H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 18. 17 Groh

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§

Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

sung des verfassungsrechtlichen Problems beitragen, als daß sie die tatsächlichen Auswirkungen, die das Verbot einer Religionsgemeinschaft auf den einzelnen und die betreffende Religion selbst hat, näher beleuchten, und Recht und Wirklichkeit in einer dialektischen Wechselbeziehung zueinander stehen. Entwicklungsgeschichtlich, so die religionssoziologischen Beobachtungen, beginnen die Religionen mit Gebilden, in denen die religiöse mit der sozialen Organisation identisch ist 2 3 8 . Gemeint sind hiermit Gruppen wie Familien oder Stämme, deren Verbandsstrukturen als zugleich religiös und natürlich beschrieben werden können. Auch in diesen natürlichen „Religionsgemeinschaften" waren schon immer die essentiellen Formen des Ausdrucks des Religiösen zugegen: die Lehre und der Kult. Im theoretischen Glaubensbekenntnis wurde formuliert, was sich in kultischen Akten vollzog. Religiöse Zeremonien fungierten dabei aber nicht nur als Ausdruck des Gemeinschaftsgeistes, sondern gleichfalls als Mittel zur Erhaltung der religiösen (und der natürlichen) Gemeinschaft selbst. Mit der funktionalen Differenzierung komplexerer Gesellschaften änderte sich das anfängliche Bild. Die Religion wurde nun in Institutionen ausgegliedert, die sich als spezifisch religiöse formierten. Durch den Vorgang der funktionalen Differenzierung erhöhte sich aber naturgemäß das Organisationsbedürfnis der Religionen. Auch dort, wo nach streng individualistischer Auffassung zunächst bestritten wurde, daß religiöses Erleben teil- und mitteilbar sei, wurden selbst unter Mystikern und Eremiten „Religionsgemeinschaften" gebildet. („So scheint es tatsächlich im Menschen eine tief verwurzelte Neigung zu geben, die ihn zwingt, sich mit anderen zur Verehrung des Numinosen zu vereinigen" 239 .). Die Form der Organisation richtete sich danach, von welcher Art „Charisma" das Sprachrohr des Numinosen zehrte 240 . Der historische Vorgang der Ausdifferenzierung der Gesellschaft verlief nicht als geradliniger Prozeß. Er ging aber einher mit der Konzentration religiöser Deutungsschemata an bestimmten Stellen der Sozialstruktur - bis Religion schließlich vollständig institutionell spezialisiert wurde. Die religiösen Deutungsschemata werden nun durch Expertengruppen systematisiert, theoretisiert, bewahrt und an Gläubige vermittelt. Nach Ausgrenzung des Sakralen beschränkt sich also der autorisierte Umgang mit Transzendenz immer ausschließlicher auf Experten („Professionalisierung der Religion") 241 . Ohne einen gewissen organisatorischen Zu238

Hierzu und zum folgenden J. Wach, Religionssoziologie, S. 21 ff., 123. 9 J. Wach, Religionssoziologie, S. 377. 240 J. Wach, Religionssoziologie, S. 375 ff. 23

241

Zur Evolution der Religion, vgl. insg. R. N. Bellah, in: Sprondel / Seyfarth (Hrsg.), Religion, S. 267 ff.; T. Luckmann, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 26 (36 ff.); N. Luhmann, in: Dahm / Luhmann / Stoodt (Hrsg.), Religion, S. 11; zur Notwendigkeit der Professionalisierung der Religion als Bedarf, kollektive Verbindlichkeiten herzustellen, vgl. B. Gladigow, in: Brugger/Huster (Hrsg.), Kreuz in der Schule, S. 203 (209 ff.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

sammenhalt einer religiösen Gruppe (Religionsgemeinschaft) kann dieser Prozeß aber nicht vonstatten gehen: „Die institutionell spezialisierte Religion bleibt in der Form von Kirchen und Sekten die wichtigste und sichtbarste, wenn nicht (gar) die einzige soziale Form des Religiösen" 242 . Die Diffusion religiöser, aber nicht institutionell spezialisierter Sinnstiftungen, die an dem Prozeß der Entkirchlichung der Gesellschaft zu beobachten war, ist dagegen aus immanenten Gründen des Religiösen rückläufig. Warum aber benötigt jedes Religionssystem ein Mindestmaß an Organisation? Einen allerersten Eindruck verschafft hier die Religionssoziologie Emile Dürkheims. Sie geht in seiner Gesellschaftstheorie auf, denn er stellt die Religionssoziologie in den Mittelpunkt seiner Theorie der Gesellschaft. Diese Quasi-Gleichsetzung von Religion und Gesellschaft erklärt sich aus dem Religionsbegriff, den Durkheim verwendet. Religion sei, dies ist seine Prämisse, durch den Gegensatz von Heilig und Profan bestimmt. Das Heilige sei das, was dem einzelnen unbedingten Respekt abringe. Der verpflichtende Charakter der Glaubenslehren und Riten, mit denen die Religionen ihren Anhängerschaften entgegenträten, bilde gerade die Grundlage für den religiösen Vergemeinschaftungszwang. Denn die kultischen Praktiken, so Dürkheims Beobachtung, bänden das Individuum gleichzeitig an die Gesellschaft, in der es lebe. Die Konstituierung von Alltagswirklichkeit vollziehe sich, so Durkheim weiter, grundsätzlich nur in einer „Gesellschaft", die die Macht und die Mittel habe, als übergeordnete Einheit Imperativisch auf den einzelnen einzuwirken. Hieraus ergibt sich nach Durkheim ein entscheidender gesellschaftlicher Aspekt der Religion. Religion, so Durkheim, zeichne sich durch Verpflichtungen, Regeln und Normen aus, welche das Kollektiv erschaffe und welche das Individuum an das Kollektiv bänden. Alle Religionen seien daher Symbole für die Gesellschaft, da der einzelne die Gesellschaft als diejenige übergeordnete Macht wahrnehme, deren Normen und Werte für ihn verbindlich seien. Religion stelle sich zwangsläufig als ein „solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken" 243 , ein „fait sociale" 244 dar. Sie sei grundsätzlich „kollektiv" verfaßt 245 . Ihr Ursprung liege nicht im individuellen Bewußtsein. Sie sei vielmehr 242 T. Luckmann, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 26 (37 f., 39). Der konstruktivistische Ansatz von Luckmanns Religionssoziologie geht allerdings noch viel weiter. Er tritt ein für eine Religionssoziologie, die bereits in den Konstitutionsbedingungen des Menschen, also seiner Fähigkeit, die Wirklichkeit sprachlich zu begreifen und damit zu schaffen, und in der Möglichkeit, sich selbst zu transzendieren, Religion gegeben sieht. Religion sei also überall da schon gegeben, wo der Mensch als Mensch symbolisch seine Welt errichte, vgl. K.-F. Daiber, in: EvStL II, Sp. 2974 (2978). 243 É. Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, S. 75. 244 É. Durkheim, Zur Definition religiöser Phänomene, in: Matthes (Hrsg.), Religion und Gesellschaft, S. 120 (137 ff.). 24 5 É. Durkheim, Erziehung, Moral und Gesellschaft, S. 151: „Die Gottheit ist der symbolische Ausdruck der Kollektivität". Hierzu auch T. Luckmann, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 26 (35); H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 61 ff.; kritisch B. Malinowski, Magie, S. 44 u. passim. *

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

in kollektiven Anschauungen zu finden, denn allein diese hätten die Kraft der Zwangswirkung auf den einzelnen. Er kommt zu dem Schluß, daß religiöse Glaubenslehren sich dadurch auszeichnen, daß sie kollektive Vorstellungen sind, die das Individuum überschreiten. Emile Durkheim stellt damit die These auf, daß die Menschen seit jeher ihre eigene Gemeinschaft in Form von rituellen (religiösen) Kulten verehrten, um sich ein Gemeinschaftsgefühl zu erschaffen. Obwohl Dürkheims Untersuchungen (er untersuchte nichteuropäische „primitive" Kulturen) vorwiegend so interpretiert werden, daß er festgestellt habe, die „Religion (sei) ein metaphorisches Spiegelbild der Gesellschaft" 246, er also die Integrationsfunktion der Religion für die Gesellschaft hervorgehoben habe, ist in seinen Aussagen doch im Ergebnis auch deijenige Umkehrschluß angelegt, daß Religion grundsätzlich in vergemeinschafteter Form existiert. In diesem Sinne schreibt Durkheim in seinen „elementaren Formen des religiösen Lebens", daß uns in der Geschichte keine Religion ohne Kirche begegne. Selten werde eine religiöse Zeremonie ohne Leiter ausgeführt. Überall dort, wo man ein religiöses Leben beobachten könne, habe es als Unterbau eine bestimmte Gruppe. Selbst die sogenannten privaten Kulte genügten diesen Bedingungen, da sie regelmäßig in Gemeinschaft gefeiert würden 247 . Ähnlich ist in diesem Zusammenhang eine Beobachtung, die bereits von Georg Simmel formuliert wurde. Zwar fragt Simmel nicht, welche sozialen Funktionen die Religion für die Gesellschaft erfüllt. Sein Ansatzpunkt ist es vielmehr zu untersuchen, welche Bedürfnisse des einzelnen durch die Religion gestillt werden. Er kommt im Rahmen dieser Untersuchung zu dem Ergebnis, daß die Religion eine individuelle Wurzel habe. Diese liege in psychologischen Tatbeständen, den sogenannten religiösen Trieben. Bei dieser individuellen Wurzel der Religion bleibt Simmel allerdings nicht stehen. Er führt vielmehr aus, daß es bestimmter Voraussetzungen bedürfe, damit aus einer religiösen Bedürfnisbefriedigung eine Religion werde. Hierzu sei vor allem eine menschliche Interaktion notwendig. Eine Religion, so Simmel, müsse eine bestimmte Form annehmen. Diese Form gewinne sie in der Wechselwirkung zwischen den Menschen. Aus dieser Wechselwirkung, so Simmel weiter, bildeten sich bestimmte Muster aus, die Ziele und Mittel der Bedürfnisbefriedigung lenkten 248 . Religion, so wird Simmel interpretiert, ist deshalb im Ergebnis eine „Kulturform, die ( . . . ) aus dem kontinuierlichen Zusammenwirken vieler Personen objektiviert wird" 2 4 9 . Unter den Mustern, von denen Simmel spricht, werden im allgemeinen Institutionen, genauer gesagt: „die objektiv-religiösen Gebilde der Kirche und die Dogmatik als verfestigte Lehre" 2 5 0 verstanden. 246

H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 65; kritisch N. Luhmann, in: Dahm/Luhmann/ Stoodt (Hrsg.), Religion, S. 15 (20): „Es wäre empirisch unrichtig, eine volle Koinzidenz von Religion ( . . . ) und Gesellschaft anzunehmen". 247 E. Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens, S. 71. 248 G. Simmel, Gesammelte Schriften, S. 38 ff., 126 u. passim. 24 9 H J. Helle, in: Simmel, Gesammelte Schriften, S. 34. 250

H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 67.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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So ist im Ergebnis auch in den Beobachtungen Simmeis der Schluß angelegt, daß eine Religion nur in organisierter Form besteht. Aber auch andere, handlungstheoretisch fundierte oder konstruktivistische Ansätze der Religionssoziologie erachten die (organisatorisch verfestigte) Gemeinsamkeit im Religiösen als deren wesentliches Konstituens. Wo ein heiliger, das Einzelleben überdauernder absoluter Kosmos sowohl die Brüchigkeit der sozialen Welt kitten und Sinnhaftigkeit erzeugen als auch der Selbstfindung des einzelnen dienen solle, sei es notwendig, so diese Ansätze, sich dieser obersten Wirklichkeit sowie seiner selbst im sakralen Ritual mit anderen stetig zu vergewissern 251. Auch funktioniere die Konstituierung von Sinn sowie die Stiftung von Identität nur im Rahmen einer institutionalisierten Religion 252 . Der Begriff der Institutionalisierung sei hierbei zu verstehen als eine durch Habitualisierung verdichtete objektive Wirklichkeit, die das Verhalten des einzelnen strukturiere und von ihm nicht weiter hinterfragt werde 253 . Grundsätzliche OrdnungsVorstellungen würden sowohl gesetzt als auch eingeübt. Allein durch normative Vorstrukturierung im Rahmen einer Organisation könnten, so die Schlußfolgerung, Wertvorgaben institutionalisiert, also sinn- und dauerhaft gemacht werden. Eine systemtheoretisch fundierte Betrachtungsweise erblickt die Funktion der Religion in einem Angebot von Sinn. Indem sie einen selektiven - religiösen - Zugriff auf das komplexe und kontingente Geschehen in der Welt bereitstelle, so die Systemtheorie, reduziere eine Religion deren Komplexität und gebe dem einzelnen Sicherheit in der Orientierung. Dies gelinge ihr dadurch, daß sie vieles, was undurchschaubar erscheine, durch das Transzendente erkläre 254 . Damit strukturiere die Religion gleichzeitig Handlungsmöglichkeiten vor 2 5 5 . Niklas Luhmann beschreibt die Funktion der Religion damit vor dem Hintergrund einer Welt, die kontingent ist, das heißt: je nach Blickrichtung anders ist, und ordnet eine Religion ebenfalls in den oben beschriebenen Zusammenhang von Identitätsstiftung und Stabilisierung ein. Mit anderen Worten besteht die Funktion von Religion nach der Systemtheorie darin, daß sie Bewältigungsstrategien für Kontingenzerfahrungen formuliert 256 . Anders ausgedrückt: Sie definiert das Undefinierbare, was insbeson251 T. Luckmann, Die unsichtbare Religion, S. 83. Luckmann geht davon aus, daß der Mensch erst unter anderen Menschen zum Menschen und zum Individuum wird, denn „die Individuation des menschlichen Bewußtseins wird allein in gesellschaftlichen Vorgängen realisiert". 2 2 $ So zwei der beschriebenen Funktionen von Religion bei F.-X. Kaufmann, Religion und Modernität, S. 88; auch B. Malinowski, Magie, S. 50 f. u. passim; Η. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 74 f. 253 P. L. Berger/T. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 56 ff. u. passim. 254 Eingehend zu dieser „Paradoxieentfaltung", vgl. N. Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, S. 31 u. passim. 25 5 Zum Begriff dieses Sinns, vgl. N. Luhmann, in: Dahm / Luhmann / Stoodt (Hrsg.), Religion, S. 15 (18 f.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

dere im Zeitalter von Identitätskrisen Sinn macht, und federt Enttäuschungen ab. Alles das, was zunächst als Produkt des Zufalls und als chaotische Abfolge kontingenter Ereignisse erscheint, erhält durch die Religion, so die Systemtheorie, eine stimmige Erklärung. Die Systemtheorie ist eine operative Theorie. Sie geht davon aus, daß ein System nicht aus einer irgendwie gearteten wesenhaften Substanz, sondern aus einer Vielzahl an beobachtbaren Ereignissen, den Operationen des Systems, besteht. Die Operationen eines Systems wiederum werden als die Kommunikation, die in einem System stattfindet, definiert. Systeme wie ζ. B. eine Religion bestehen deshalb ausschließlich aus Kommunikation. Kommunikation ist ferner immer als rekursiv zu begreifen: Alle Kommunikation bezieht sich auf eine Vorläufer-Kommunikation und bereitet eine anschließende vor. Ferner muß Kommunikation beobachtbar sein. Eine einzelne Kommunikation für sich alleine kann nicht vorkommen, sie muß sich vielmehr auf eine vorhergehende beziehen. Nur so wirkt Kommunikation systembildend. Mit dem Vorgang der Kommunikation ist deshalb stets eine interaktive Beziehung impliziert. Dadurch stiftet die soziale Kommunikation soziale Beziehungen. Kommunikation setzt deshalb die Existenz und die Berührung mindestens zweier Menschen voraus 257 . Sie würde sofort zum Erliegen kommen, wenn nicht diese Mindestanzahl an Personen an ihr beteiligt wäre. Diese Regel, so der kommunikationstheoretische Ansatz, gelte ganz besonders für religiöse Deutungsschemata der Welt: Religion konstituiere Sinn. Sie schaffe Sinnvertrauen und helfe bei der Suche nach Identität durch Beschreibung und damit Abarbeitung von Erfahrungsbereichen, die menschlicher Beobachtung und Beweisführung nicht zugänglich seien. Ihr Spezifikum liege darin, so diese Theorie, daß sie diese Bereiche auf das Transzendente beziehe. Die der Sinnkonstitution dienenden religiösen Lehren und Erklärungen bedürften deshalb in hohem Maße der dauerhaften Kommunikation. Sie müssten hergestellt, legitimiert, weitergetragen, tradiert und erinnert werden. Ihre Kommunikation in der komplexen Gesellschaft verlange daher, so die Schlußfolgerung, in hohem Maße nach einer Vorstrukturierung durch entsprechende Organisationen und einer möglicherweise in die Organisation eingebetteten (kreativen) Autorität, die anstelle aller einzelnen Entscheidungen über das theoretische Bekenntnis und seine praktischen Notwendigkeiten treffe 258 . Unter der Organisation, welche diese Funktionen der Religion ausübt, versteht Luhmann die Kirche (damit aber auch jede andere Religionsgemeinschaft). Letztere sind nach der

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So auch H. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 127 ff.; F. Becker/E. ReinhardtBecker, Systemtheorie, S. 115; N. Luhmann, in: Dahm/Luhmann/Stoodt (Hrsg.), Religion, S. 11: „Die spezifische Funktion der Religion liegt in der Bereitstellung letzter, grundlegender Reduktionen, die die Unbestimmtheit und Unbestimmbarkeit des Welthorizonts in Bestimmtheit oder doch Bestimmbarkeit angebbaren Stils überführen". 257 G. Kneer/A. Nassehi, Theorie sozialer Systeme, S. 68 f. 258 So auch die soziologische Organisationstheorie, vgl. N. Luhmann, Soziologische Aufklärung 3, S. 335 f., 360 u. passim; P. L. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 16 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Systemtheorie als verdichtetes und abgegrenztes Kommunikationssystem zu begreifen. Sie zeichnen sich auf der einen Seite durch geistliche Kommunikation, Rituale und Theologie aus, weisen auf der anderen Seite aber die formalen Merkmale wie jede Organisation auf. Zu diesen zählt insbesondere die Mitgliedschaft 259 . Im Ergebnis kann auch nach dieser Theorie keine Religion darauf verzichten, „sich mit einem ganzen Set von speziellen Praxisformen zu umgeben, die die abstrakten Glaubensinhalte auch konkret,erlebbar' machen und damit gleichzeitig innerhalb der Glaubensgemeinschaft das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken" 260 . Auch das sogenannte Akkomodationsmodell geht davon aus, daß Religionen der formalen Organisation bedürfen, um unter den überaus komplexen und variablen Umweltbedingungen der modernen Gesellschaft ihren inneren Zusammenhalt und ihre äußere Handlungsfähigkeit herstellen und erhalten zu können 261 .

b) „Extra ecclesiam nulla salus" Die organisierte Religionsgemeinschaft dient nach den voranstehenden Theorien im Ergebnis nicht nur mittelbar dem einzelnen und seiner Freiheit als homo religiosus, sie ist auch eine Überlebensstrategie der Religionen selbst. Extra ecclesiam nulla salus. Im Ergebnis ist deshalb die (geordnete und institutionalisierte) Kommunikation religiöser Sinndeutungen in einer und durch eine Organisation nicht nur ein Regulativ, sondern vielmehr ein konstitutiver Bestandteil des Religiösen. Ohne eine dauerhafte Organisation wird eine Religion letztlich selbst kaum überdauern. Eine Bestandsaufnahme der verschiedenen Religionen zumindest in den westlichen Gesellschaften ergibt deshalb, so unterschiedlich die Glaubenslehren und die sie vertretenden Kirchen, Freikirchen, Denominationen und Sekten auch sein mögen, daß sie sich allesamt durch eine mehr oder weniger komplexe Organisationsstruktur auszeichnen. Selbst religiöse Bewegungen wie die New Age-Bewegung, die sich zum Teil ausdrücklich einer starken Organisierung widersetzen, kommen ohne einen vergleichsweise niedrigen und deshalb als diffus bezeichneten Organisationsgrad nicht aus 262 . Eben jene Organisationsnotwendigkeit ist aber auch unter der Bezeichnung „Kontinuitätsprinzip" einer der - rechtswissenschaftlich anerkannten - wesentlichsten Zwecke der Verbandspersonen des Verfassungsrechts. Deren Zweck besteht nämlich in der Gewährleistung von Kontinuität geistiger Substanzen, die von der vita brevis der natürlichen Personen abgekoppelt und so dauerhaft gestellt werden sollen 263 . 259

So H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 136. F. Becker/E. Reinhardt-Becker, Systemtheorie, S. 119, N. Luhmann, in: Dahm/Luhmann/Stoodt (Hrsg.), Religion, S. 15 (18 f.). 261 H. Geser, in: Krüggeier u. a. (Hrsg.), Institution, Organisation, Bewegung, S. 39 (65); H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 208 ff. 262 H. Knoblauch, Religionssoziologie, S. 170 u. passim. 260

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Unter einer anderen Fragestellung hat auch bereits Hermann Heller das Entstehen und den Bestand sozialer (und politischer) Einheiten im Zusammenleben der Menschen untersucht 264. Soziale Einheiten, dies ist sein Befund, ent- und bestehen als Wirkungs- und Handlungseinheiten. Sie kommen erst durch geregelte Organisationsvorgänge zustande. Fehlt es an einer angeleiteten Zusammenordnung und Ausrichtung der einzelnen, bleibt es bei ihrem ungeordneten Nebeneinander. Eine Gruppe, oder wie hier eine Religionsgemeinschaft als eine durch ihren Glauben abgegrenzte Einheit, wird erst gebildet durch zielgerichtete und aufeinander bezogene Interaktion. Allein durch diese organisierte Interaktion wird die Einheit der Gruppe bewirkt, hergestellt und fortgetragen und es ihr ermöglicht, ihre Inhalte dauerhaft zu stellen. Daß derartige Wirkungseinheiten Zustandekommen und überdauern, hängt an der Existenz und Tätigkeit von leitenden Organen. Diese übernehmen die Funktion, die einzelnen unter einem gemeinsamen Dach zu vereinheitlichen und zusammenzuordnen. Heller stellt dabei vor allem heraus, daß der grundlegende Wille zur Einheit noch keine Einheit als Handlungs- und Wirkeinheit mache. Vielmehr bedarf es nach Heller immer auch zusätzlich der Entscheidung über die Art und das Ziel der planmäßigen Zusammenordnung, den Inhalt und den Zweck der Gemeinschaft sowie die Mittel, diese Inhalte und Ziele umzusetzen und zu fördern. Dies setze aber, so das Ergebnis der hellerschen Untersuchung, eine organisierte Verfaßtheit voraus. Damit soll jedoch keineswegs der individualschützende Charakter der Religionsfreiheit verkannt werden. Zwar wird vertreten, dass Religion sich allein dadurch auszeichne, dass sie von einer Personenmehrheit getragen werde und es bei der Bestimmung des Inhalts der Religion und damit auch bei der Bestimmung des Umfangs der Religionsfreiheit des einzelnen ausschließlich darauf ankommen könne, was von der jeweiligen Personenmehrheit als Religion verstanden werde. Art. 4 GG als Freiheit der Religion gewährleiste dem einzelnen also nur insoweit Schutz, als er zwingende Gebote einer Religionsgemeinschaft geltend machen könne 265 . Könne er dies nicht, sondern stehe er mit einer „Einzelmeinung" da, greife für ihn ausschließlich das Grundrecht der Gewissensfreiheit 266. Während in 263 J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 11 m. w. N. 264 Zum folgenden H. Heller, Staatslehre, S. 81 ff., 231 ff. 265 Wobei durchaus einleuchtend die Meßlatte für das Zwingende an diesen Geboten niedrig gehängt wird und gleichzeitig die Anforderungen an das Vorhandensein einer Religionsgemeinschaft heruntergeschraubt werden, um vor allem auch der abweichenden „Religion" einer Minderheit von Mitgliedern einer „eigentlichen" Religionsgemeinschaft den Schutz des Art. 4 GG zusprechen zu können - die Minderheit der Mehrheitsreligionsgemeinschaft soll für diesen Fall dann eine eigene Religionsgemeinschaft bilden, vgl. C. D. Classen, Religionsfreiheit, S. 54 ff. u. passim. 266 Da auch die Motivation für eine Gewissensentscheidung im religiösen Bereich liegen kann, bleibt diese Schutzbereichsdifferenzierung zwischen der Glaubens- und der Gewissensfreiheit dann ohne rechtliche Auswirkungen (auch wenn sie dem Selbstverständnis des Grundrechtsträgers widersprechen mag), wenn, wie dies in Rechtsprechung und Lehre häufig geschieht, Glaubens- und Gewissensfreiheit einander gleichgestellt und demselben Schutz-

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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der vorliegenden Untersuchung also davon ausgegangen werden soll, daß auch ein einzelner eine Religion als einzelner ganz allein für sich haben kann, diese Religion ihn als Person wohl aber nicht überdauern wird, geht der dargestellte Ansatz davon aus, daß ein einzelner als einzelner für sich definitions gemäß keine Religion haben kann und deshalb auch nicht durch das Grundrecht der Religionsfreiheit geschützt ist, seine Religionsfreiheit ihm vielmehr immer nur durch eine Gemeinschaft als Trägerin der Religion gemittelt wird. Und so wie seine Religionsfreiheit dem einzelnen nur gemittelt wird, wird ihm sein Glaube durch den organisatorischen Zusammenschluß von Menschen auch ausschließlich vermittelt. Die Möglichkeit einer unmittelbaren Beziehung des einzelnen zum Transzendenten wird damit genauso in Abrede gestellt wie die Möglichkeit, daß es nicht unbedingt eines „autoritären" Überbaus durch eine von Menschen gegründete Religionsgemeinschaft bedarf, damit ein einzelner die Gebote eines höheren Wesens als für sich absolut verpflichtend begreift. Mit dieser Auslegung sowohl des Begriffs der Religion als auch des Umfangs der Religionsfreiheit wird, so hat es den Anschein, die empirische Beobachtung, daß rein tatsächlich Religion in Religionsgemeinschaften praktiziert wird, in eine schutzbereichsbeschränkende normative Dogmatik übersetzt, die letztlich folgende Konsequenzen hat: Da ist zunächst der hypothetische Fall des Religionsstifters, der sich erst dann auf seine Religionsfreiheit berufen kann, wenn es ihm gelungen ist, zwei oder drei im Namen desjenigen höheren Wesens, an das er glaubt, zu versammeln. Die Möglichkeit von Eremiten, sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit zu berufen, besteht nicht. Ferner werden „Dissidenten", die grundsätzlich einer Religionsgemeinschaft angehören, in einzelnen Fragen des Glaubens und den sich hieraus ergebenden verpflichtenden Geboten für ihre Lebensführung aber von den Vorgaben ihrer Religionsgemeinschaft abweichen, vor die Wahl des „Entweder/Oder" gestellt. Entweder berufen sie sich in diesen Fragen auf ihre durch das dargestellte Konzept weniger geschützte Gewissensfreiheit oder sie haben oder gründen eine eigene Religionsgemeinschaft mit denjenigen Abweichlern, die in eben diesen Fragen ebenfalls ihrer Auffassung sind 267 . Mit der Folge, daß sie - da die dargestellte Auffassung Mehrfachmitgliedschaften in Religionsgemeinschaften wegen des dann zerschnittenen Bandes von Religion und unbedingter Verpflichtung nicht zuläßt - aus ihrer ursprünglichen standard unterstellt werden. Auch zum Gewissen gehört die Freiheit, seine Gewissensüberzeugung zu verwirklichen. Dazu BVerwGE 7, 242 (246); BayVGH DVB1. 1989, S. 110 (111); U. Scheuner, ZevKR 15 (1970); S. 242 (254); H. Bethge, in: HStR VI, § 137 Rn. 14. Beschränkt man den Schutz des Gewissens allerdings, wie C. D. Classen, Religionsfreiheit, S. 23, dies tut, gleichzeitig auf einen inneren Zwang, der derart verbindlich ist, daß ein Zuwiderhandeln gegen diesen Zwang die sittliche Persönlichkeit des Grundrechtsträgers zerbrechen würde, dann wäre der Schutz des einzelnen „Religionsträgers" geringer als derjenige, den die (konformen) Mitglieder einer Religionsgemeinschaft genössen. Eine Konsequenz, für die sachlich einleuchtende Gründe nicht ersichtlich sind und die religiösen Fundamentalismus privilegieren, da für alle anderen, den einzelnen nicht zerbrechende Gewissenskonflikte wohl allein das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) bereitstünde. Auch Η. M. Heinig, Religionsfreiheit, S. 125 ff. 267 So der Vorschlag von C. D. Classen, Religionsfreiheit, S. 58.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Religionsgemeinschaft austreten müßten 268 . Es soll hier nicht verkannt werden, daß die Auslegung des Art. 4 GG als primäres Gruppengrundrecht durchaus praktische Vorteile in der Beweisführung bringt, wenn es darum geht, daß die Gerichte prüfen müssen, inwieweit das geltend gemachte Glaubensgebot oder der Glaube an sich plausibel ist. In diesen Beweisführungsfragen könnten sich die Gerichte an „zwingenden", d.h. grundsätzlich praktizierten Geboten einer Religionsgemeinschaft orientieren. Allerdings sollten diese praktischen (und zum Teil durch die Rechtsordnung, wie z. B. § 4 a TierSchG angeordneten) Fragen nicht zum rechtlichen Ausschluß der Anwendbarkeit des Grundrechts der Religionsfreiheit auf (dissentierende) einzelne führen. Denn auch ein solitärer Glaube, wie im übrigen auch eine ebensolche Gewissensentscheidung, bei der per definitionem dieselben Beweisprobleme auftauchen müssen, kann plausibel gemacht werden - auch wenn der Aufwand für den Grundrechtsträger hier höher sein mag. Der dieser Untersuchung zugrunde gelegte Ansatz bei der Frage der Organisation von Religionen will deshalb differenzieren zwischen der Notwendigkeit einer Religionsgemeinschaft für das Überdauern einer Religion und dem Erfordernis einer Religionsgemeinschaft für die Aktivierung des Grundrechtsschutzes aus Art. 4 GG. Zwar wird das Verwiesensein des einzelnen auf eine religiöse Organisation sicherlich nicht in gleichem Maße für die „Flickschuster" auf dem Markt der Religionen gelten wie für diejenigen, die Gleichgesinntheit suchen und auf die freie Assoziation mit ebenso Gesinnten zur Sinn- und Selbstbilderhaltung angewiesen sind 269 . Aber auch für die erstgenannte Gruppe gilt, daß ohne eine erinnernde Gemeinschaft die immateriellen Produkte des Menschen weder in der Zeit sein noch diese überdauern können 270 . Ohne Außenstützung durch eine Organisation fallen Transzendenzerfahrungen meist in die Subjektivismen „kleiner" Transzendenz, d. h. auch allein zu bewältigender Kontingenzerfahrungen, zurück 271 . Der Wettbewerb, in dem die verschiedenen Religionen heute untereinander stehen, entspringt der Pluralisierung des religiösen Angebots. Er läßt sich faktisch durchaus mit einem Markt vergleichen, auf dem die Religionen versuchen, die Menschen für diejenigen Wahrheiten zu gewinnen, die sie ihnen übermitteln möchten. Können Religionen ohne eine organisierte Gemeinschaft die Zeit aber nicht überdauern, wird der religiöse Markt auch für die „Flickschuster" ausgedünnt. Insbesondere diejenigen aber, die von vornherein Gleichgesinntheit suchen, fordern verständlicherweise einen Rückhalt in Organisationen ein, die fähig sind, Exklusivität durch Ausgrenzung zu erzeugen, Verpflichtungen auszusprechen, Res268 C. D. Classen, Religionsfreiheit, S. 25 f. 269 M. Morlok, Selbstverständnis, S. 74 ff. 270 ρ, L. Berger, Zur Dialektik von Religion und Gesellschaft, S. 3 ff., 40. 271 T. Luckmann, in: Koslowski (Hrsg.), Die religiöse Dimension, S. 26 (41).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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sourcen zu beschaffen und Leistungen sicherzustellen. Und die ferner durch ihre organisierte Struktur dazu beitragen, Unsicherheiten (autoritär) in Gewißheiten zu verwandeln, um so dem Gläubigen Halt zu verschaffen 272. Denn der Zugang zu einer nicht verifizierbaren Transzendenz liegt grundsätzlich bei intervenierenden Instanzen wie Priestern oder Kirchen, die mit dem Sakralen kommunizieren und religiöse Heilsbotschaften in allgemeingültige Regeln übersetzen 273. In der Religion verkörpert sich ein spezifischer Anspruch auf überweltliche Wahrheit. Von wissenssoziologischer Warte aus ist der Mensch aber vor allem dann bereit, etwas für wahr zu halten, wenn es die Anerkennung derer hat, auf deren Urteil er Wert legt und die er in diesem Punkte für zuständig hält. Und selbst dort, wo er auf eigene Einsicht baut, ist er doch darauf angewiesen, daß er in seinem Vertrauen auf die „erkannte" Wahrheit gestützt wird 2 7 4 . Der einzelne begreift sich dann als konkretes Mitglied einer „Wir-Gruppe" mit einem spezifischen Wertekanon und spezifischen Bedürfnissen, die ihm das Bewußtsein seiner zugleich individuellen wie auch kollektiven Identität vermittelt 275 . Die in der Überschrift dieses Abschnitts gestellte Frage: „Bedarf eine Religion einer organisatorischen Rahmung?" kann daher mit einem deutlichen: Ja, eine Religion bedarf, will sie ihrer Funktion für den einzelnen nachkommen und dessen Leben überdauern, einer gewissen organisierten Verfaßtheit; beantwortet werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, daß die Religionsfreiheit nicht als Garantie der Religion, ihres Bestands oder Fortbestands ausgelegt, sondern nur als die Garantie der Möglichkeit, daß Religion bestehen und fortbestehen kann, begriffen wird 2 7 6 . Denn zur Bedingung der Möglichkeit von Religion zählt die Freiheit, eine Religion zu bilden, zu ergreifen, zu haben und diese fortzutragen, und damit ein Angebot religiöser Deutungsmuster.

c) Verfassungs- und ideengeschichtliche der Religionssoziologie

Untermauerung

Fraglich ist ferner, ob das Ergebnis der Religionssoziologie, daß sich die Religion nämlich im Laufe der Zeit immer mehr ausdifferenzierte und sich die verschiedenen Religionen letztlich zwangsläufig zu Organisationen verdichteten, eine Entsprechung in der ideengeschichtlichen Entwicklung des heutigen Grundrechts auf Religionsfreiheit des Art. 4 GG findet. Genauer gesagt soll untersucht werden, 272 N. Luhmann, Die Religion der Gesellschaft, S. 239. 273 H. Geser, in: Krüggeier u. a. (Hrsg.), Institution, Organisation, Bewegung, S. 39 (42); N. Luhmann, in: Dahm / Luhmann / Stoodt (Hrsg.), Religion, S. 15 (39 ff.). 274 />. L. Berger/T. Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit, S. 24 ff. 275 E. Denninger, in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, S. 95 (106). 276 So E.-W. Böckenförde, in: Thierse (Hrsg.), Religion, S. 173 (174), der wenig später von der lebendigen, betätigten religiösen Überzeugung der Bürger als Glieder ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft spricht.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

inwieweit die korporative Dimension der Religionsfreiheit von der Ideengeschichte her in dem Grundrecht der Glaubensfreiheit angelegt ist. Hat Art. 4 GG also korporative Wurzeln, die bei seiner heutigen Auslegung zu berücksichtigen wären? Es fragt sich in diesem Zusammenhang aber zunächst, inwieweit ideengeschichtliche Aspekte bei der Auslegung eines Grundrechts berücksichtigungsfähig sind. Grundrechte sind grundsätzlich weit formulierte Rechtssätze und damit für den konkreten Fall meist auslegungsfähig und -bedürftig. Zur Auslegung von Rechtssätzen hat die Rechtswissenschaft eine allgemeine juristische Methode entwickelt, die sich an dem klassischen Interpretationskanon orientiert, den F. C. Savigny in die Gesetzesauslegung eingeführt hat. Zu den Auslegungsmitteln dieses Kanons zählen insbesondere die grammatische, die teleologische, die systematische, die genetische, aber auch die historische Interpretation. Die historische Auslegungsmethode ermittelt den Aussagegehalt eines Rechtssatzes in seiner Geschichtlichkeit oder auch: historischen Verwurzelung. Sie steht der entstehungsgeschichtlichen Auslegung einer Norm sehr nahe, geht zeitlich über diese aber hinaus 277 . Obwohl allgemein angenommen wird, daß die Verfassungsauslegung einer besonderen Interpretationsmethode bedürfe 278 , hat das Bundesverfassungsgericht diese vor allem im Zivilrecht entwickelten Auslegungsmittel, auch die historische Interpretation, in seine Verfassungsexegese überführt 279 . Allerdings, so wird zum Teil eingewandt, schieße es über die gängigen Kanones der Auslegung hinaus, wenn das Gericht „auf weiter zurückliegende Entwicklungen als die unmittelbare Entstehungsgeschichte der Norm" zurückgreife 280. Eine Bresche für die historische Auslegung im Verfassungsrecht, genauer: der Grundrechte, schlug dagegen bereits früh Hans Peters 281. Die historische Ausle277 K. Stem, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 125 f.; F. Müller/R. Christensen, Methodik, S. 275/Rn. 360 ff.; A. Bleckmann, JuS 2002, S. 942 (945 f.). 278 Grundlegend E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 ff.; ders., ebda., S. 115 ff.; K. Larenz, Methodenlehre, S. 347, dessen Auffassung nach die herkömmlichen Auslegungsmittel auch auf die Verfassungsinterpretation prinzipiell anwendbar sind. 279 BVerfGE 11, 126 (130); BVerfGE 50, 177 (194): „Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung"; BVerfGE 57, 250 (262): Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte; zur Kritik vgl. E. Forsthoff, Verfassungsauslegung, S. 22 ff.; H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 ff.; die breite Kritik faßt zusammen B. Schlink, Der Staat 19 (1980), S. 73 (74 ff.). Vgl. auch BVerfGE 62, 1 (45): „Mehr als die Interpretation der Gesetze hat die der Verfassung mit dem Problem der Offenheit des Normtextes zu tun ( . . . )". 280 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 58. Beispiele aus der Rechtsprechung des BVerfG sind: BVerfGE 12, 205 (230 ff.); 61, 149 (175 ff.). 281 H. Peters, Hist. Jahrb. 1953, S. 457 (460 ff.); F. Klein, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz (1957), Einleitung IV und Vorb. Β XIV; H.-P. Schneider, in: FS Stem, S. 903 (911 ff.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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gung der Grundrechte sei, so meint er zu Recht, insofern berechtigt, als sie aufzeigen könne, wes Geistes Kind ein Freiheitsrecht sei. Denn die Grundrechte des Grundgesetzes sind keine Zufallsprodukte, sondern stehen inmitten ihrer Entwicklungsgeschichte. Auch ihre Regelungstradition kann daher eine Rolle bei der Auslegung der Grundrechte spielen 282 . Allerdings, so wird zu Recht gewarnt, besteht die Gefahr, unrichtige Auslegungsergebnisse zu erhalten, wenn die einzelnen Grundrechte und ihre Formulierungen strikt als Endpunkt einer historischen Entwicklung genommen würden, ohne daß der Wandel oder die Eigenart der gesellschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Epochen in die Überlegungen miteinbezogen würden 283 . Die Auslegung eines Grundrechts aus der Geschichte ist daher so zu behandeln wie ihre nahe Verwandte, die Auslegung aus dem Entstehungszusammenhang. Das Bundesverfassungsgericht urteilt im Hinblick auf die entstehungsgeschichtliche Interpretation der Verfassung überwiegend, daß sie dazu da sei, die anhand der übrigen Auslegungsmittel gefundene Interpretation zu korrigieren 284 . Über die Materialien zum Grundgesetz hinaus sind deshalb im Ergebnis auch die geschichtlichen Rahmenbedingungen der fortwirkenden Einflüsse früherer Epochen bei der Auslegung eines Grundrechts zu berücksichtigen 285. Diese entwicklungshistorischen Aspekte der Religionsfreiheit sollen daher unter dem Gesichtspunkt zumindest ihrer Indizfunktion dargelegt werden und den religionssoziologischen Befund untermauern. Fraglich ist also, welche entwicklungsgeschichtlichen Wurzeln das heutige Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG hat. Als Recht religiöser Minderheiten entwickelte sich die Religionsfreiheit zwar von ihrer individuellen Seite her, hier als Gewährung der Hausandacht. Diese sogenannte devotio domestica simplex wurde bereits als Folge des Westfälischen Friedens tradiert. Der Terminus umschreibt das Recht des Hausherrn, sich mit seiner 282 Hierzu insg. R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, S. 16 ff.; C. Starck, in: HStR VII, § 164 Rn. 20, 57; E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (36) für die Gewissensfreiheit. 283 κ. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 1649. 284 BVerfGE 62, 1 (44): „Die Entstehungsgeschichte steht der gefundenen Auslegung nicht entgegen". Std. Rspr., vgl. auch BVerfGE 10, 285 (299 f.); 12, 205 (244); 20, 56 (109); 25, 269 (289); 26, 338 (398); 58, 202 (205); 75, 201 (220); 78, 249 (280); 82, 236 (270); vgl. aber auch BVerfGE 1, 117 (134); 10, 302 (318 ff.); 80, 315 (334 ff.). Obgleich in der neueren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung einige Entscheidungen den Stellenwert der entstehungsgeschichtlichen Auslegung einer Verfassungsnorm erhöhen (BVerfGE 74, 51 (57); 88, 40 (56)), bleibt das Gericht doch grundsätzlich bei seiner Anlehnung an die „objektive Auslegungstheorie", vgl. BVerfGE 1, 299 (312). Auch G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 210 f.; P. Schneider, VVDStRL 20 (1963), S. 1 (6 ff.); W. D. Eckardt, Gesetzesauslegung, S. 18 ff.: Nachrangigkeit der historischen oder genetischen Methode der Verfassungsinterpretation. Insg. H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (57 f.); kritisch M. Sachs, DVB1. 1984, S. 73 (74 ff.): verbale Abwertung der entstehungsgeschichtlichen Auslegung bei gleichzeitig hoher Relevanz für das Auslegungsergebnis. 285 So auch M. Sachs, in: Sachs, GG, Einführung Rn. 41.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Familie und seinem Gesinde im Hause zum gemeinsamen Gebet zu versammeln. Die Berechtigung zur Beiziehung oder Teilnahme eines Priesters oder Predigers des eigenen Bekenntnisses bestand dabei nicht. Mit der Beschränkung gewisser Religionen auf die einfache Hausandacht trachtete der absolutistische Staat damals danach, das Nachaußentreten anderer als der zugelassenen Bekenntnisse zu verhindern. Sein Ziel war es, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten 2 8 6 . Andere Religionsgemeinschaften als die drei christlichen Hauptkonfessionen galten lange Zeit als staatsschädliche Conventicula (vgl. Art. VII § 2 S. 4 IPO). Deshalb konnte der Staat in den Fällen nicht genehmer Religionen auch nur das Individualrecht der devotio domestica simplex gewähren. Dieses Recht wird im übrigen eher dem forum internum, also der Gewissensfreiheit zugeordnet 287. Das sehr verkürzte Glaubensrecht der Hausandacht erklärt sich also ebenso wie das verzögerte Nachfolgen der religiösen Assoziationsfreiheit Andersgläubiger aus der Staatsraison. Einem freien Assoziationswesen an sich schlug ein tiefes Mißtrauen entgegen. Dieses hatte sich aufgrund der Erfahrungen der vorangegangenen Jahrhunderte gegen religiöse Verbindungen potenziert. Der Staat erkannte hier klar, daß er - um das Enstehen neuer und damit per se staatsgefährdender Bekenntnisse zu unterminieren - deren organisierte Verbreitung unterbinden mußte. Insgesamt stellt sich individuelle Religionsfreiheit aber zum Teil als ein Minus, zum Teil als ein Anhängsel zur Freiheit der Religionsgemeinschaften dar. Denn religiöse Freiheitstatbestände knüpften zunächst grundsätzlich nicht an die individuellen Aspekte eines Glaubens an, sondern waren mit seiner korporativen Seite verbunden. Sowohl die Entstehung des modernen Staates als auch die Verfassungsentwicklung ist geprägt von den mannigfaltigen Beziehungen zwischen Kirche und Staat, sacerdotium und imperium, in der jahrhundertelang als civitas Christiana und corpus christianum begriffenen Gemeinschaft der christlichen Welt. Mit der Anerkennung individueller Grundrechte ist die Religionsfreiheit sicherlich in eine neue Entwicklungsphase eingetreten. Ihre korporativen Wurzeln verödeten jedoch nicht. Sie lassen sich zurückführen auf die Formel des cuius regio, eius reli-

gio, dem später so bezeichneten ius reformandi des Augsburger Religionsfriedens (1555) 288 . Dieser hatte den Territorialgewalten bekanntlich zunächst erlaubt, über die Konfessionszugehörigkeit in ihren Territorien alternativ zu entscheiden. Über die Koexistenz der zugelassenen Konfessionen im Reich waren aber keine anderen unmittelbaren Rückschlüsse auf die individuelle Glaubensfreiheit gezogen worden als das Recht auf Auswanderung Andersgläubiger.

286 Vgl. oben § 2 Α.; femer M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 243 f. m. w. N.; H. J. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 52 ff., 64 ff.; P. Tiedemann, Der Staat 26 (1987), S. 371 (374 f.). 287 E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (36 ff.); umfassend auch K. Schwarz, ZRG KA 74 (1988), S. 495 (509 f.); D. Pirson, in: HdbStKirchR I, § 1 S. 41. 288 Dazu M. Heckel, Art. lus reformandi, in: EvStL I, Sp. 1416 ff.; M. Heckel, ZevKR 12 (1966/67), S. 1 (13 ff.); J. Heckel, Art. Augsburger Religionsfriede, in: EvStL I, Sp. 113 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Das staatliche Recht schichtete sich um die Parität der anerkannten Bekenntnisse. Die Untertanen selbst blieben mittelbare Adressaten. Über den Institutionenschutz der Bekenntnisse vermittelt, stellte sich die Religionsfreiheit des einzelnen als die eines Anhängers seiner Konfession dar. Erst mit der rechtlichen Überantwortung der Religion in die Verfügbarkeit des einzelnen kristallisierte sich auch die individuelle Glaubensfreiheit heutiger Prägung heraus 289 . Die korporative Schutzrichtung der Religionsfreiheit bestätigt sich auch in den Regelungen des Westfälischen Friedens (1648), der die anerkannten Religionsparteien zu Trägern von Rechten und Pflichten bestimmte 290 . Diese Tendenz setzte sich in Art. 16 der Bundesakte von 1815 als Gleichbehandlungsgarantie der Bekenner der christlichen Religionsparteien fort 2 9 1 und wurde in den § 147 der Frankfurter Reichs Verfassung (1849) aufgenommen 292. Zu unterscheiden ist ferner zwischen der Freiheit des religiösen Bekenntnisses, die sich als das individuelle Recht, religiöse Überzeugungen auch in der Öffentlichkeit zu bekennen, erstmals als Art. 11 in der oktroyierten preußischen Verfassung manifestierte 293, und der Kultusfreiheit, die seit dem Augsburger Religionsfrieden als alleiniges Recht des religiösen Verbandes betrachtet wurde 294 . Die Religionsfreiheit stellt sich aus verfassungs- und ideengeschichtlicher Perspektive im Ergebnis damit als ein Recht dar, dessen korporative Prägung eine große Rolle spielte. Ihre individuelle Garantie, die im wesentlichen erst dem Liberalismus und dem Vernunftrecht entsprungen ist, trat neben die entstehungsgeschichtlichen korporativen Wurzeln der Religionsfreiheit 295. Letztere klingen auch im Grundgesetz noch nach 296 . Beredtes Zeugnis hiervon gibt der bei keinem anderen Grundrecht geführte Diskurs um die Ansiedlung der Grundrechtsträgerschaft religiöser Korporationen 297.

289 M. Heckel ZRG KA 80 (1963), S. 261 (321, 350, 371 ff.). 290 Hierzu D. Pirson, in: HdbStKirchR I, § 1 S. 25 f., 40; K. Schiaich, Art. Westfälischer Friede, in: EvStL II, Sp. 3970 ff. 291 Abgdr. bei E. R. Huber, Dokumente I, S. 84 ff.; ferner M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 Rn. 9; vgl.aber auch H. Fürstenau, Religionsfreiheit, S. 114 ff. 292 Abgdr. bei E. R. Huber, Dokumente I, S. 375 ff. 293 w. Hamel, in: Bettermann/Nipperdey / Scheuner, Die Grundrechte, I V / 1 , S. 37, 62; J. Listi, in: Essener Gespräche 3 (1967), S. 34 (43). 294 j. Listi, in: Essener Gespräche 3 (1967), S. 34 (64). 295 D. Pirson, in: HdbStKirchR I, § 1 S. 40; A Hense, Glockenläuten, S. 188; U. Steiner, JuS 1982, S. 157: Die Herauslösung des Grundrechts der Glaubensfreiheit aus dem religionsgesellschaftlichen Umfeld durch das Grundgesetz wird als Klarstellung verstanden, „daß die Inanspruchnahme des Freiheitsrechts unabhängig von der Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft" ist. BVerfGE 33, 23 (33). 296 Ähnl. U. Scheuner, DÖV 1967, S. 585 (588 f.). 297 Vgl oben § 3 A. III.; ferner noch H. Bürkle, Art. Religionen, in: StL IV, Sp. 799 (804); H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit, S. 221 m. w. N.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

d) Ergebnis Mit Hilfe der religionssoziologischen Theorien und der entwicklungsgeschichtlichen Aspekte der Religionsfreiheit läßt sich damit im Ergebnis näher beleuchten, wie sich das Verbot einer Religionsgemeinschaft auf das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG auswirkt. Dieses Fazit soll im folgenden Abschnitt gezogen werden. Nachdem der Staat sich aus der Sorge um das religiöse Wohlergehen seiner Untertanen zurückgezogen hat und fürderhin verfassungsrechtlich auf religiöse Neutralität verpflichtet wird, liegt die Pflege einer Religion und der sich zu ihr Bekennenden in den Händen der Kirchen und anderen Religionsgesellschaften 298. Als anthropologisches Phänomen muß ein Glaube sich artikulieren können, indem er zu einer Glaubenslehre gerinnt, welche sich dann wiederum Ausdruck in gemeinsamen kultischen Handlungen und Symbolen verschafft. Die vergleichende religionswissenschaftliche Forschung zeigt auf, daß keine Religion ohne ein Mindestmaß an Verfaßtheit zu existieren vermag: Eine Religion tritt mit ethisch-moralischen Sollensforderungen an die Menschen heran und fordert diese zu einer spezifischen Lebensgestaltung auf. Es gehört daher zu ihrem Wesen, daß sie authentisch dogmatisiert und durch gemeinsame rituelle Bezeugung fortwährend vergewissert wird. Zieht man nun alle rechtlichen und tatsächlichen Folgen des Vereinsverbots und der dieses sichernden Gesetze von den Gewährleistungen der grundgesetzlichen Religionsfreiheit ab, bleibt auf den verschiedenen Schutzbereichsebenen, nämlich der individuellen, der kollektiven und der korporativen Ebene dieser Freiheit nicht viel übrig. Vor allem aber läßt sich feststellen, daß durch das Verbot einer Religionsgemeinschaft nicht allein die kollektiven und korporativen Formen der Religionsfreiheit betroffen sind, sondern auch erhebliche Auswirkungen auf die individuelle Glaubensfreiheit produziert werden. Von letzterer scheint in ihrer Gewährleistung als Ausübungsfreiheit der Religion (auch) einer verbotenen Religionsgemeinschaft allenfalls die devotio domestica simplex zu bleiben. Die Konsequenzen für die Religion der verbotenen Religionsgemeinschaft selbst sind ebenfalls eklatant. Um dies zu verdeutlichen, sollen daher im folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) einige Beispiele aufgelistet werden, die zeigen, in welchen Bereichen sich das Fehlen einer Religionsgemeinschaft negativ bemerkbar machen kann. Die Religionsfreiheit gewährleistet dem einzelnen das Recht, sein Leben umfassend nach den Grundsätzen seines Glaubens auszugestalten. Verbindliche Grundsätze aufzustellen, ist dabei die archetypische Aufgabe einer Religionsgemeinschaft selbst. Zu beachten ist ferner auch, daß ein Gutteil an individuellen Rechten, die unter Berufung auf die umfassende Religionsfreiheit geltend gemacht werden 298 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 23; G. Scherer, in: Essener Gespräche 2 (1969), S. 12 (19 ff.); C. Starck, JZ 2000, S. 1 (5).

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können, die Objektivierbarkeit eines Glaubens und damit mindestens eine Gruppe, die einen gemeinsamen „religiösen Willen" gebildet hat, voraussetzt 299. Mag es auch für eine geringe Zahl an gleichgesinnten Personen ausreichen, als „lose religiöse Gruppe" ohne Vereinigungscharakter verbunden zu sein 300 , so sind die Übergänge zu einer Religionsgemeinschaft mindestens fließend. Zwar werden vor allem gesteigerte Anforderungen an die Verbandsstruktur von Religionsgemeinschaften gestellt, die schulischen Religionsunterricht erteilen möchten. In seiner jüngsten Entscheidung zu § 4 a I I Nr. 2 TierschG hat das Bundesverfassungsgericht es für den Begriff der Religionsgemeinschaft aber als ausreichend gelten lassen, „daß der Antragsteller einer Gruppe von Menschen angehört, die eine gemeinsame Glaubensüberzeugung verbindet" 301 . Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, daß nach allgemeiner Auffassung neben einem konsentierten Glauben keine allzu hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an den organisatorischen Verfestigungsgrad einer Religionsgemeinschaft zu stellen sind und bereits die Verbindung von zwei Personen ausreicht, damit von einer solchen gesprochen werden kann 302 . Im einzelnen läßt sich folgendes festhalten: Mag auch die simple Hausandacht nach dem Verbot einer Religionsgemeinschaft weiterhin möglich sein (Bundesverwaltungs- und Bundesverfassungsgericht zählen sie, gleichzeitig aber auch das Gebet und den Gottesdienst in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen, zu demjenigen „religiösen Existenzminimum", dessen Nichtgewähr in anderen Staaten den Tatbestand der politischen Verfolgung erfüllt 303 .), bereits die private, trotzdem aber überhäusliche Vereinigung der Gläubigen zu gemeinsamer Gottesverehrung wie auch die devotio domestica qualificata unter Leitung eines Geistlichen setzen grundsätzlich eine Religionsgemeinschaft voraus 304 . Denn für die Ausbildung einer Priesterschaft als „Experten" sowohl für die autorisierte Verkündigung eines einheitlichen und verobjektivierten Bekenntnisses als auch für die Unterweisung der Gläubigen in diesem Bekenntnis bedarf es in den allermeisten Religionen, insbesondere in den dogmatischen und ritualisierenden, einer Organisation. Auch kann die regelmäßige gemeinsame Bezeugung eines Glaubens auf Dauer nicht in Form von „Spontanversammlungen" vonstatten gehen. Den Aufruf oder die Einladung hierzu im Wege „stiller Post" zu verbreiten, ist auf Dauer und je nach Größe des Personenkreises nicht zumutbar. In die Aufzählung der Vermittlungstätigkeiten des Religiösen, die ohne einen organisatorischen, wenn auch losen Zusammenhalt einer Gruppe nicht möglich erscheinen, ist auch die Erteilung von Religionsunterricht, oder weniger voraussetzungsvoll: der Unterweisung in den Glaubenslehren, einzufügen. Ritualisiertes religiöses Verhalten wie das Zelebrieren von Hochzeiten 299 BVerwGE 42, 128 (132), jetzt auch BVerfG NJW 2002, S. 663 (665). 300 BVerwGE 42, 128 f. 301 302 303 304

BVerfG NJW 2002, S. 663 (665). Vgl. oben § 3 Α. IV. BVerfGE 76, 143 (158 f.); BVerwGE 74, 31; 74, 41. w Kahl, Lehrsystem, S. 318.

18 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

oder Beerdigungen nach den Grundsätzen des eigenen Glaubens bedürfen ebenfalls eines organisatorischen Rahmens. Auch das „Überleben" der betreffenden Religion selbst läßt sich auf Dauer nur bewerkstelligen, wenn feste Strukturen vorhanden sind, innerhalb derer die Glaubenslehren von Generation zu Generation weitergetragen werden können. Im Ergebnis kommt das Verbot einer Religionsgemeinschaft dem Quasi-Verbot der zugrundeliegenden Religion deshalb sehr nahe 305 . Zwar wird im Zusammenhang mit dem Verbot von Parteien von der herrschenden Lehre vertreten, daß weder mit dem Verbot einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht noch durch die dieses Verbot flankierenden strafrechtlichen Vorschriften ein Verbot von Meinungen oder Ideen verbunden sei 3 0 6 . Zur Begründung dieser Bewertung wird angeführt, daß sowohl die Parteiverbotsnorm als auch die strafrechtlichen Bestimmungen es lediglich verhindern wollen, daß bestimmte politische Ziele verfolgt und in die zur Entscheidungsfindung berufenen staatlichen Organe hinein getragen werden. Das Parteiverbot, so lautet das Fazit, sei deswegen kein Gedanken-, sondern ein Organisationsverbot. Diese Begründungskette trifft indes auf Religionsgemeinschaften, die nicht wie die Parteien unmittelbar an der Schnittstelle von Staat und Gesellschaft und über ihre Fraktionen bei der Staatswillensbildung, sondern außerhalb der Staatsorgane wirken, nicht zu. Die „Ideen und Meinungen" der Religionsgemeinschaften verbleiben zunächst innerhalb der Gesellschaft. In einer Zeit, da der einzelne in zunehmendem Maße auf Fertigprodukte und vorgehaltene Dienstleistungen zurückgreift, während Glaubenslehren immer seltener über informelle Kanäle wie ζ. B. über die familiäre Sozialisation transportiert und tradiert werden 307 , wiegt das Verbot einer Religionsgemeinschaft daher sehr schwer. Zwar wird der einzelne sich auch weiterhin auf seine Religion, die als solche ja nicht verboten sein soll, und damit auch auf das Grundrecht der Religionsfreiheit berufen können, er sieht sich zum einen aber vielfältigen Ausübungs- und Beweisproblemen ausgesetzt, und zum anderen wird seine Religion ihn nicht überdauern 308.

305 H. Mirbt, in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten, S. 319 (324): „Ein religiöser Glaube ist gefährdet ( . . . ) , wenn seinen Trägem verwehrt ist, sich mit anderen andächtig zusammen zu finden". Ausdrücklich auch J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 712. 306 h. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 485 ff.; U. Κ Preuß, FAZ v. 22. August 2000, S. 51. Das BVerfG (BVerfGE 2, 1 (73)) hat dagegen formuliert, daß es mit dem Parteienverbot auch darum gehe, bestimmte Meinungen und Ideen aus dem Prozeß der politischen Willensbildung auszuschalten. Vgl. aber auch BVerfGE 25, 44 (56 ff.); 9, 162 (165): Art. 21 I I GG sei eine „Norm, die die Parteiorganisation als solche trifft". 307 H. Geser, in: Krüggeier u. a. (Hrsg.), Institution, Organisation, Bewegung, S. 39 (49). 308 wird dagegen die Auffassung vertreten, die Möglichkeit des einzelnen, das Grundrecht der Religionsfreiheit zu aktivieren, setze das Vorhandensein einer Religionsgemeinschaft voraus, in die er eingebettet ist, (so C. D. Classen, Religionsfreiheit, passim), läuft mit dem Fortfall dieser Religionsgemeinschaft und damit der Trägerin seines Glaubens auch das Grundrecht der Glaubensfreiheit für diesen einzelnen leer.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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3. Ein möglicher Ausweg: Kassation nur der Rechtsform? In Anbetracht der Gefahr eines Quasi-Verbots einer Religion wurde deshalb darüber nachgedacht, ob es anstelle der Beseitigung der religionsgemeinschaftlichen Existenz und ihrer Grundlagen nicht auch mildere Mittel einzusetzen gäbe. Als Ausweg schien sich die Möglichkeit, über das Vereinsrecht i.V.m. der Schrankenregelung des Art. 137 III WRV nur die Rechtsform der Vereinigung zu kassieren, anzubieten. Als Ermächtigungsnorm für ein derartiges Vorgehen käme neben dem einschränkend ausgelegten § 3 I VereinsG auch der zivilrechtliche Weg der Rechtsentziehung nach § 43 I BGB für den Fall in Betracht, daß die Religionsgemeinschaft durch gesetzeswidriges Verhalten das Gemeinwohl gefährden würde 309 . Ob diese beiden Wege, auf denen einer Religionsgemeinschaft, statt sie als solche zu verbieten, lediglich die Rechtsform entzogen wird, rechtliche und tatsächliche Alternativen zu einem Verbot darstellen, soll im folgenden kritisch geprüft werden.

a) Die „kleine Verbotslösung"

nach dem Vereinsgesetz

Der Entzug der Rechtsfähigkeit als ausreichende Minusmaßnahme für Religionsgemeinschaften wird zum Teil in Form einer entsprechenden Reduzierung der Rechtsfolgen des Vereinsverbots nach dem öffentlich-rechtlichen Vereinsgesetz als Alternative ins Spiel gebracht. Um die Rechtsfolgen, die das Vereinsgesetz im Zusammenhang mit der Auflösungsverfügung statuiert, zu umgehen, wird die Möglichkeit eines vereinsrechtlichen Verbots religiöser Assoziationen daher zum Teil so ausgelegt, daß die Religionsgemeinschaft mit ihrer Inhibition allein in ihrem rechtlichen Status als eingetragener Verein betroffen werden dürfe. Im Hintergrund dieser These steht anscheinend eine einengende Auslegung des Regelungs- und Schutzgehalts des Art. 9 II GG. Letzterer beziehe sich, so die Prämisse dieser Auffassung, allein auf die nach bürgerlichem Recht rechtsfähigen Religionsgemeinschaften. Er rechtfertige ihr Verbot deshalb nur insoweit, wie diese sich über ihre Existenz als solche hinaus in die Hände jenes Rechtsgebiets begeben hätten 310 . Bei diesem Lösungsvorschlag stellen sich jedoch die folgenden Fragen: Inwieweit steht die Verfassungsgarantie der rechtlichen Existenz einer Religionsgemeinschaft dem Entzug ihrer Rechtsfähigkeit entgegen, und wie sinnvoll ist es, allein die Rechtsform einer Religionsgemeinschaft als eingetragene Vereinigung zu kassieren? Hinzu tritt die Frage, ob das Vereinsgesetz den Entzug der Rechtsfähigkeit als Minusmaßnahme tatsächlich vorsieht. 309 Palandt-Heinrichs, BGB, § 44 Rn. 1. 310 J. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (130 ff. insb. Fn. 92, S. 146); ähnl. auch M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 33; J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 712. 18*

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

aa) Die verfassungsrechtliche Garantie der rechtlichen Existenz Fraglich ist also zunächst, inwieweit die Möglichkeit einer Religionsgemeinschaft, als rechtsfähige Vereinigung am Rechtsverkehr teilzunehmen, verfassungsrechtlich garantiert ist. Zunächst ist deshalb zu klären, wie sich die zivilrechtliche Rechtsform einer Religionsgemeinschaft zu deren verfassungsrechtlicher Existenz verhält. Aus einer Zusammenschau des bürgerlich-rechtlichen Vereinsrechts und der korporativen Religionsfreiheit ergibt sich dabei folgendes: Obwohl die Grundrechte dem einzelnen unmittelbar zustehen, kommen sie nicht auf ganzer Linie ohne ein zumindest einfachgesetzliches Beiwerk aus 311 . Um tatsächlich ausgeübt werden zu können, müssen sie oft unterverfassungsrechtlich ausgestaltet werden. Zu diesen sogenannten Grundrechtsvoraussetzungen zählen auch organisatorische Rahmenbedingungen, die der Staat schafft, damit die einzelnen durch eine Organisation ihre grundrechtlichen Freiheiten effektuieren können 312 . In diesem Sinne stellt der Staat den Religionsgemeinschaften das rechtliche Formenrepertoire des Gesellschaftsrechts zur Verfügung, aus dem auch sie sich bedienen dürfen. Die Auslegung des rechtlichen Regelungsgehalts des Art. 137 IV WRV lehnt sich hieran an. Durch die Verbindung von Art. 137 II und IV WRV, die beide die Religionsgemeinschaften in zivilrechtlichen Statusfragen auf das bürgerliche Recht verweisen, ist, so die allgemeine Auffassung, ein die verfassungsrechtlichen Regelungen konstitutiv ergänzendes Organisationsrecht geschaffen worden 313 . Der Regelungsbereich des Art. 137 IV WRV ist damit ein normgeprägter. Grundsätzlich hat der einfache Gesetzgeber die Befugnis zur Ausgestaltung derjenigen grundrechtlichen Schutzbereiche, die normgeprägt sind 314 . Insbesondere die Vereinigungsfreiheit „ist in mehr oder weniger großem Umfang auf Regelungen angewiesen, welche die freien Zusammenschlüsse und ihr Leben in die allgemeine Rechtsordnung einfügen ( . . . ) " 3 1 5 . Begibt sich eine Religionsgemeinschaft durch die Wahl einer religionsindifferenten zivilrechtlichen Rechtsform auf das Gebiet des bürgerlichen Rechts, so die allgemeine Meinung, dann unterliegt sie grundsätzlich auch den für alle geltenden weiteren einfachrechtlichen Anforderungen, die damit verbunden sind. Einfachgesetzliche Vorschriften stehen aber nicht unverbunden neben den höherrangigen verfassungsrechtlichen Garantien. Letztere haben vielmehr eine Ausstrahlungswirkung auch auf das einfache Gesetzesrecht 316. Obwohl sie also zu 311 D. Merten, in: HStR V, § 144 Rn. 17; P. Häberle, Die Wesengehaltgarantie, S. 184. 312 j. Isensee, HStR V, § 115 Rn. 137, 152. 313 Vgl. nur T. Würtenberger, ZevKR 18 (1973), S. 67 (73). 314 D. Merten, in: HStR V, § 144 Rn. 17: Dem Art. 9 I GG ist die „staatliche Verpflichtung zu entnehmen, ein Mindestmaß an Regelungen für die Gründung und für die Betätigung in Vereinen und Gesellschaften vorzuhalten". Grundlegend dazu, daß Grundrechte zwecks ihrer Ausübung oft unterverfassungsrechtlich ausgestaltet werden müssen, vgl. P. Häberle, Wesengehaltgarantie, S. 180 ff. u. passim. 315 BVerfGE 50, 290 (354). 316 BVerfGE 90, 1 (18 ff.); 85, 1 (13); 89, 276 (285 f.); Η Dreier, Jura 1994, S. 505 (509 ff.); K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/1, S. 923 ff. und III/2, S. 1730 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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den Grundrechtsvoraussetzungen zählen und damit von der Grundrechtsgarantie selbst verschieden sind 317 , wird deshalb im Rahmen des Verweises der Religionsgemeinschaften auf die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Frage virulent, welche inhaltlichen Vorgaben das Grundrecht der Religionsfreiheit für die zivilrechtliche Ausgestaltung des Status einer Religionsgesellschaft macht. Kann den Religionsgemeinschaften, so die vordringliche Frage, über Art. 137 III WRV und die entsprechenden vereinsrechtlichen Regelungen, bürgerlichrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur, die Rechtsform entzogen werden? Das Bundesverfassungsgericht leitet das Recht, sich im Rahmen der religiösen Vereinigungsfreiheit umfassend zu organisieren, bereits aus dem Gewährleistungsgehalt des Art. 4 GG ab 3 1 8 . Ob und wie das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften nach Art. 137 III WRV die Rechtsformwahl ergreift, wenn diese als materialer Ausdruck des Glaubensbekenntnisses erscheint, ist dennoch nicht abschließend geklärt 319 . Zwar habe die Religionsgemeinschaft, so die ganz überwiegende Ansicht, keinen Anspruch auf eine bestimmte Organisationsform, jedoch müsse ihr „die Möglichkeit einer irgendwie gearteten rechtlichen Existenz einschließlich der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr" eingeräumt werden 320 . Entgegenstehendes Recht muß damit also insoweit weichen, wie der Staat den Religionsgemeinschaften einen modus vivendi bereitstellen muß, der diesen Gemeinschaften den Zugang zum Rechtsverkehr ermöglicht. Wird einer eingetragenen Vereinigung die Rechtsfähigkeit durch Löschung im Vereinsregister entzogen, besteht sie als nicht rechtsfähige Vereinigung fort. Gleiches gilt für die Religionsgemeinschaften. Nach weiten Teilen der Literatur und Rechtsprechung wird der nichtrechtsfähige Verein dem rechtsfähigen auf den Gebieten des Zivil- und öffentlichen Rechts jedoch weitestgehend gleichgestellt und ist damit in Wahrheit teilrechtsfähig 321. Inwieweit der Entzug der Rechtsfähigkeit über das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft nach Art. 137 III WRV möglich ist, braucht daher nicht entschieden zu werden, denn eine „verbotene" Religionsgemeinschaft hat, solange ihr „nur" die Rechtsfähigkeit entzogen, sie als solche aber nicht aufgelöst wurde, im Ergebnis das Recht, als nichtrechtsfähiger Verein weiter zu existieren und unter dem Schutz des Art. 4 GG - dem vollrechtsfähigen Verein größtenteils gleichgestellt - am Verfassungsleben teilzunehmen. Dieser Lösungsvorschlag schien damit im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigung, wo es darum ging, der betreffenden Religionsgemeinschaft den Schein des ideellen Zwecks und die rechtsgeschäftlichen Vorteile des Vereinsrechts zu nehmen, zwar noch sinnfällig, macht aber unter dem Blickwinkel des Vereinsgesetzes 317 318 319 320

j. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 144. BVerfGE 83, 341 (354 f.). Β. Jean d'Heur, JuS 1992, S. 830 (833 f.). BVerfGE 83, 341 (355 f.).

321 Palandt-Heinrichs, BGB, § 54 Rn. 1 ff.; Κ Stöber, Vereinsrecht, Rn. 379 ff. Insbesondere kann sich auch der nichtrechtsfähige Verein auf Grundrechte berufen, vgl. J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 23; H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 19 Rn. 57.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

keinen Sinn mehr. Auch nach dem Entzug der Rechtsfähigkeit besteht die Vereinigung nämlich als nicht rechtsfähiger Verein fort. Das Ziel, die Strukturen einer „gefährlichen" Religionsgemeinschaft nachhaltig zu zerschlagen, wird von dieser Maßnahme daher nicht bedient. Ohne daß der Zweck des Vereinsgesetzes immanent entleert würde, läßt sich die genauso pragmatische wie einschränkende Auslegung der Rechtsfolgen des Vereinsverbots auf den Entzug der Rechtsfähigkeit im Ergebnis jedoch nicht begründen.

bb) Vereinigungsbegriff und Zweck des Vereinsgesetzes Der „kleinen" Verbotslösung steht tatbestandlich deswegen auch der Begriff des Vereins entgegen, auf den sich ein Verbot naturgemäß bezieht. Die herrschende Meinung betrachtet § 2 I VereinsG als einfachgesetzliche Legaldefinition des verfassungsrechtlichen Vereinigungsbegriffs 322. Ein verbietbarer oder zu verbietender Verein ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und damit einer organisierten Willensbildung unterworfen hat. Da die Rechtsform also keine Rolle spielt, erfaßt die Legaldefinition des Vereinsgesetzes damit auch nichtrechtsfähige Vereine und läßt sich nicht, wie dies die zuvor genannte Auffassung anzunehmen scheint, auf rechtsfähige Vereine reduzieren. Ferner muß es als Zweck des Vereinsverbots gelten, alle Strukturen, in denen eine Gesamtwillensbildung stattfinden kann und die die Vereinigungsfreiheit i. S. d. Gesetzes „mißbrauchen", zu zerschlagen. Denn das Vereinsgesetz schaut nicht lediglich „formal" auf große Organsiationen, sondern hat „materiell" die nachhaltige Ausschaltung staatsgefährdender Bestrebungen, die in Korporationsform verwirklicht werden, im Blick 3 2 3 . Deshalb greift auch die Auffassung zu kurz, das Vereinsverbot erfasse „lose Strukturen" wie beispielsweise die „Free Zone" nicht 3 2 4 . Worin sollte auch der Sinn zu finden sein, eine verfassungsfeindliche Religionsgemeinschaft durch Entzug ihrer Rechtsfähigkeit vom Grundbuchverkehr auszuschließen325, ihr aber gleichzeitig die Möglichkeit der „Indoktrination" ihrer derzeitigen oder noch zu missionierenden Mitglieder zu belassen? Art. 9 II GG stellt ein Instrument des präventiven Staatsschutzes dar. Sein Zweck ist es, denjenigen Gefährdungen von Verfassung und Staat vorzubeugen oder entgegenzuwirken, die aus den kollektiven Wirksamkeiten bzw. Verfassungsfeind322 Oben § 3 Β. I. 323 Fröhlich, DVB1. 1964, S. 799 (801). 324 So aber S. Veelken, Das Verbot, S. 221. Die „Free Zone" entstand am Anfang der 80er Jahre aus einem Zusammenschluß ehemaliger Mitglieder der SO, die aus dieser ausgeschlossen wurden oder sie wegen organisatorischer Differenzen verließen. Mittlerweile ist die „Free Zone" im übrigen als „Freie Zone e.V." registriert. Vgl. http: //www.freezone.org . 325 Dies ist strittig, vgl. im einzelnen Palandt-Heinrichs, BGB, § 54 Rn. 8.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Schäften erwachsen 326. Kollektive Verfassungsfeindschaft beschränkt sich aber nicht auf den eingetragenen Verein. Im Ergebnis wird also der Entzug der Rechtsfähigkeit als „kleine", weil verhältnismäßigere Verbotsmaßnahme vom Vereinsgesetz weder vorgehalten noch macht sie Sinn. Der Zweck des Vereinsgesetzes, die Organisation eines gefährlichen Vereines nachhaltig zu zerschlagen, wird durch sie nicht erreicht.

b) Die „ kleine Verbotslösung " nach bürgerlichem Recht Gleiches gilt auch für die sogenannte „kleine Verbotslösung" nach dem bürgerlichen Vereinsrecht: Der Erwerb der Rechtsfähigkeit nach BGB materialisiert die Religionsgemeinschaften auf dem Boden der zivilrechtlichen Rechtsordnung, deren zwingende Vorschriften zumindest grundsätzlich auch auf sie Anwendung finden. Konstitutiv wirkt die Eintragung der Religionsgesellschaft ζ. B. als Idealverein (§21 BGB) in das Vereinsregister. Hieran orientiert sich der folgende Lösungsvorschlag. Er optiert für eine sogenannte „kleine Verbotsmaßnahme" über den Entzug der Rechtsfähigkeit. Die Möglichkeit des Entzugs der Rechtsfähigkeit müsse, so die Prämisse dieser Auffassung, als „actus contrarius" zu deren Verleihung in Art. 137 II und IV WRV immer mitgedacht werden 327 . Als Ermächtigungsgrundlage für den Entzug der Rechtsfähigkeit wird § 43 BGB herangezogen 328. Es fragt sich jedoch, ob § 43 BGB auf Religionsgemeinschaften angewandt werden kann. Die zivilrechtliche Ermächtigungsgrundlage des § 43 BGB fügt sich in die verfassungsrechtlichen Rechte der Religionsgemeinschaften nach den genannten Weimarer Kirchenartikeln wie folgt ein: Der Regelungsbereich des Art. 137 IV WRV ist ein normgeprägter. Entstehungsgeschichtlich lag sein Ziel in der Aufhebung der privilegia odiosa und der Gleichstellung der nicht-inkorporierten Religionsgemeinschaften mit anderen privatrechtlichen Vereinigungen. Über Art. 84 EGBGB hatte nämlich bis dato ein verschleiertes Konzessionierungssystem gegolten. Dieses war von einer grundsätzlichen Gefährlichkeit religiöser wie auch insbesondere politischer Vereinigungen für das Allgemeinwohl ausgegangen und hatte die Erlangung der Rechtsfähigkeit nach den §§61-63 BGB a.F. von einem staatlichen Verleihungsakt abhängig gemacht 329 . Mittlerweile besteht allerdings allein ein Einspruchsrecht der Verwaltungsbehörde gegen die Eintragung eines Vereins, wenn dieser nach öffentlichem Vereinsrecht verboten werden könnte. Nach § 43 I BGB kann dem Ver326 R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 113. 327 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 33; D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 16 a. 328 Wegen dieser eingeschränkten Rechtsfolge wird § 43 BGB als sinnwidrige Vorschrift ohne jede praktische Bedeutung beschrieben, vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, § 44 Rn. 1. 329 Näher G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 235 ff.; A. v. Campenhausen, NJW 1990, S. 887; ders., NJW 1990, S. 2670.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ein dagegen auch nachträglich die Rechtsfähigkeit entzogen werden, wenn er durch gesetzeswidrige Beschlüsse oder gleichgelagertes Verhalten (des Vorstandes) das Gemeinwohl gefährdet. Diese Norm findet auch auf Religionsgemeinschaften Anwendung. Wie zuvor bereits ausgeführt, wird mit dieser Maßnahme, dem Entzug der Rechtsfähigkeit, aber nicht gewonnen. Denn eine Auflösung eines Vereins oder einer Religionsgemeinschaft kommt über diese Vorschrift nicht in Betracht 330 . Diese kleine Verbotsmaßnahme ist deshalb weder mit dem Vereinsverbot identisch noch setzt sie sich an dessen Stelle. Sie flankiert es vielmehr als relativ verhältnismäßigeres Vorgehen gegen Religionsgemeinschaften. Auch nach dem Entzug der Rechtsfähigkeit besteht die Vereinigung allerdings als nicht rechtsfähiger Verein fort. Das Ziel, die Strukturen einer „gefährlichen" Religionsgemeinschaft nachhaltig zu zerschlagen, wird von dieser Maßnahme daher nicht bedient. c) Ergebnis In der Zusammenfassung läßt sich damit folgendes festhalten: Das Verbot einer Religionsgemeinschaft und die dieses sichernden Rechtsfolgen greifen auf alle vier Dimensionen der Religionsfreiheit aus. Sie haben Auswirkungen auf die individuelle, die kollektive, die korporative und mit dieser auch auf die institutionelle Religionsfreiheit. Besonders schwer wiegt das Verbot der Religionsgemeinschaft als Organisation letztlich auch auf den der Gemeinschaft zugrundeliegenden Glauben selbst. Da Religionen einer Organisation bedürfen, um zu überdauern, kommt das Verbot einer betreffenden Organisation dem mittelbaren Verbot des jeweiligen Glaubens sehr nahe. Verhältnismäßigere Maßnahmen mit einer dem Vereinsverbot ähnlichen Zielrichtung wie ζ. B. der Entzug der Rechtsfähigkeit als Minusmaßnahme zum Vereins verbot scheiden mangels Sinnhaftigkeit aus.

4. Die Reichweite der Schrankenregelung des Art. 137 I I I WRV: Existenz- oder Selbstverwaltungsschranke? Vor dem Hintergrund des Organisationserfordernisses von Religion einerseits und den rechtlichen Auswirkungen des Vereinsverbots auf die individuelle, die kollektive und die korporative Seite der Religionsfreiheit andererseits stellt sich damit die Frage, inwieweit diese Folgen und Folgen-Folgen von der Schrankenregelung des Art. 137 III WRV gedeckt sind. Genauer gefragt: Sind unter den Begriff des für alle geltenden Gesetzes allein solche Vorschriften zu fassen, deren Auswirkungen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften beschränken, oder erlaubt diese Norm auch die Beseitigung der Existenz ihrer Nutznießer? 330 Palandt-Heinrichs, BGB, §§ 43, 44 Rn. 1; UüKo-Reuter, §§ 43, 44 Rn. 1; befürwortend W. J. Habscheid, in: Engstfeld/ Haack (Hrsg.), Juristische Probleme, S. 64 (68).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Obwohl die korporative Religionsfreiheit diejenige des einzelnen ein Stück weit bedingt, ist der Verfassunggeber aufgrund der strukturellen Unterschiede zwischen dem einzelnen und einer Korporation grundsätzlich nicht gehindert, die Schranken beider Freiheitsbereiche unterschiedlich zu ziehen 331 . Mit anderen Worten: Weil Art. 4 GG in seiner vorrangigen Eigenschaft als Individualgrundrecht vorbehaltlos garantiert wird, läßt dies nicht den per se-Schluß darauf zu, daß auch die korporative Dimension der Religionsfreiheit keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt. Denn in ihrer realen Substanz unterscheiden sich die natürliche und die juristische Person 332. Auf der einen Seite steht der Mensch als Person und dem Recht daher un verfügbar vorgegeben, auf der anderen Seite die juristische Person als Schöpfung des Rechts und von diesem damit grundsätzlich auch regelbar. So betrifft auch die Schranke des für alle geltenden Gesetzes die Religionsgemeinschaften mit ihrem Selbstbestimmungsrecht in ihrer Eigenart als Verbände 333 . In welche Rechte der Korporation über diesen Gesetzesvorbehalt aber tatsächlich wie eingegriffen werden darf, bedarf näherer Erörterung. Fraglich ist insbesondere, ob über die Zulässigkeit eines Vereinsverbots, wie die herrschende Meinung dies annimmt, erst die Abwägung zwischen Selbstbestimmungsrecht und kollidierendem Rechtsgut entscheidet. Zur Einführung in dieses Problemfeld sei noch folgendes bemerkt: Art. 137 III WRV ist eine überkommene Vorschrift des Staatskirchenrechts, die, wie sich ihrer Entstehungsgeschichte entnehmen läßt 3 3 4 , in erster Linie auf die Großkirchen zugeschnitten wurde. War früher streitig, ob die Garantien der Selbstordnung und der Selbstverwaltung nur für diejenigen Kirchen und anderen Religionsgesellschaften gelten sollte, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten hatten 335 , geht die allgemeine Meinung heute davon aus, daß diese Gewährleistung allen, auch den privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften, in gleicher Weise zugute kommt. Hierfür spricht zum einen der Wortlaut der Norm, die das Selbstbestimmungsrecht „jeder" Religionsgemeinschaft zukommen lassen will. Ferner verlangen die Einwirkung des Art. 4 GG auf der einen und die Parallele zu Art. 138 II WRV auf der anderen Seite, die privaten mit den öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften gleichzusetzen. Aber auch aufgrund der strikten Gleichstellung der Großkirchen und kleinen Religionsgemeinschaften im System der 331

H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit, S. 79 ff.; P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 50 f.; H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 3; A. Bleckmann, Grundrechtslehren, S. 77. H. Weber, NJW 1983, S. 2553, warnt - allerdings in anderem Zusammenhang - davor, daß durch eine zu enge Definition der Schranke des „für alle geltenden Gesetzes" die Regulierungsmöglichkeiten des Staates gegenüber Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften untergraben werden. 332 J. Isensee, in: HStR V, § 118 Rn. 10. 333

Ähnl. C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 123; zur verbandspluralistischen Konzeption, vgl. ferner E. G. Mahrenholz, Die Kirchen, S. 42 u. passim; U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 13 ff., 30. 334 Näher H. Zwirner, ZRG KA 104 (1987), S. 210 ff. 335

G. Anschütz, Reichs V e r f a s s u n g , Art. 137 Anm. 3.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

staatlichen Gefahrenabwehr und nicht zuletzt auch aufgrund des Rechtsstaatlichkeitsgebots der Verfassung bleibt dem Staat der Weg verschlossen, der Schrankenklausel des Art. 137 III WRV verschiedene Inhalte beizumessen, je nachdem, auf welche der beiden Formationen er sie anzuwenden gedenkt 336 . Trotz aller Unstimmigkeiten bei der inhaltlichen Auslegung der Schrankenklausel des Art. 137 III WRV sind sich Literatur und Rechtsprechung mittlerweile einig, daß auch Kollisionslagen, die über die Schrankenbestimmung des Art. 137 III WRV gelöst werden müssen, nach der hergebrachten Grundrechtsdogmatik zu lösen sind 337 . Obwohl dem Art. 137 III WRV wie allen Bestimmungen der Weimarer Kirchenartikel die Grundrechtsqualität abgesprochen wird 3 3 8 , ist der Verfassungsnorm ein freiheitsrechtlicher Charakter zu eigen. Die gegenteilige Auffassung, die Art. 137 III WRV dem objektiven Verfassungsrecht zuordnet, verortet einen strukturellen Gegensatz zwischen Art. 137 III WRV und einem Freiheitsrecht darin, daß die staatskirchenrechtliche Norm eine „Abgrenzung der Regelungsbefugnisse von Staat und Religionsgesellschaften" darstelle. Diese Auffassung geht von der durch Art. 137 I WRV überholten Gleichrangigkeit von Staat und Kirche als zweier Gewalten aus, zwischen denen eine objektiv-rechtliche Grenze zu ziehen sei 3 3 9 . Mag dies auch der Realität und dem Selbstverständnis der Großkirchen entsprechen, für kleinere, privatrechtlich organisierte Religionsgemeinschaften, die ebenfalls unter den Schutzbereich dieser Norm fallen, hat eine derartige Abgrenzungsregel nie gegolten. Mit der Trennung von Staat und Kirche sowie der Entlassung letzterer in das gesellschaftliche Umfeld dagegen befinden sich die Religionsgemeinschaften insgesamt, denen die Verfassungsgewährleistung gilt, in einer Position gegenüber dem Staat, in welcher es nicht mehr um die gegenseitige Abgrenzung zweier öffentlicher Gewalten, sondern um die Gewährleistung von „Kirchen"freiheit gegenüber dem eingreifenden Staat geht. Die dogmatische Nähe zu den grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen wirkt sich insbesondere auch in der Prüfung der Zulässigkeit von Eingriffen aus. Die staatskirchenrechtliche Bestimmung des Art. 137 III WRV ist deshalb wie ein Freiheitsrecht nach Schutzbereich und Schranken getrennt aufzubereiten 340. Das Selbstbestimmungsrecht fungiert in diesem Rahmen 336 D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG /137 WRV Rn. 5.; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 16; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 126, 129 f.; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 88: Partizipation am gleichen „konstitutionellen Grund-Status" der Verfassung. Auch K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III /1, S. 819 f. 337 Vgl. oben Kapitel § 3 B. III. 2. b). 338 BVerfGE 19, 129 (135); J. Lücke, EuGRZ 1995, S. 651 (652); J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 9. 339 7. Wieland, Der Staat 25 (1986), S. 321 (327 f., 347 f.); dagegen ausführlich S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 186 ff.; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 122; M. Heckel, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (14 f.); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 41 mit Fn. 98; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 184 mit Fn. 25, Rn. 205. 340 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG /137 WRV Rn. 41; D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 Rn. 3 f.; J. Müller-Volbehr, ZevKR44 (1999), S. 385 (400); A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 319; A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 115; ähnl. ders., in: HdbStKirchR I,

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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als Freiheitsrecht, die Schrankenklausel als Gesetzesvorbehalt. Die herkömmliche Dogmatik zu Eingriffen in Freiheitsrechte verlangt deshalb zuvorderst eine zweistufige Prüfung. Zunächst ist der Gewährleistungsgehalt des zu prüfenden Freiheitsrechts zu umreißen. Wird in den Gewährleistungsgehalt dieses Freiheitsrechts eingegriffen, löst der Eingriff sodann einen Rechtfertigungszwang auf Seiten des Staates aus. Auf dieser zweiten Stufe zählt eine Eingriffsermächtigung, die dem Gesetzesvorbehalt des Freiheitsrechts entspricht, zu den unerläßlichen Eingriffsbedingungen 341 : Um der jeweils eigenständigen Funktion sowohl der divergierenden Schrankensystematik des Grundgesetzes als auch der des Übermaßverbotes Rechnung zu tragen 342 , muß sich die beschränkende Regelung zunächst mit dem Vorbehalt, aufgrund dessen das Freiheitsrecht eingeschränkt werden kann, als vereinbar erweisen. Sie muß Ausdruck der Schranken der einzuschränkenden Freiheitsgarantie sein. Ist sie dies nicht, bleibt für eine Abwägung anhand des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, dessen Aktivierung als sogenannte Schranken-Schranke das Erreichen der zweiten Stufe voraussetzt, kein Raum. Das heißt mit anderen Worten, daß allein eine schrankenkonforme Beschränkungsregel den Abwägungsvorgang auslöst. Wann eine Beschränkungsregelung schrankenkonform ist, wird nach allgemeiner Auffassung folgendermaßen geprüft: Schranken sind grundsätzlich an dasjenige Freiheitsrecht gebunden, dessen Begrenzung sie erlauben. Ein Gesetzesvorbehalt darf niemals 343 ohne die Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen der Freiheitsgewährleistung und der sie begrenzenden Norm gesehen werden. Er ermächtigt die Legislative nämlich zum Erlaß von Normen, welche die zuvor verbürgte Freiheit in deren spezifischen Regelungsgehalt einschränken sollen. Auf diese Weise bilden auch die Freiheitsgarantie und die Schrankenformel des Art. 137 III WRV eine innere Einheit 344 . Zu klären ist deshalb, ob die gesetzlichen Bestimmungen über das Vereinsverbot Beschränkungsregelungen darstellen, die der Schranke des Art. 137 III WRV entsprechen. Dazu soll zunächst der Gewährleistungsgehalt der Norm, an den ihre Schrankenregelung dann anknüpft, herausgearbeitet werden.

§ 2 S. 53; Η Goerlich, NVwZ 1991, S. 751 (752); J. Isensee, in: HdbStKirchR II, § 59 S. 725: „Grundrecht im materiellen Sinne". 341 Näher Η Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (46) m. w. N. 342 Hierzu R. Wendt, AöR 104 (1979), S. 414 (424 f.); vgl. aber auch B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 51 ff., 201 ff.; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 420. 343 A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/Klein, Das Bonner Grundgesetz, Art. 140 GG/ 137 WRV Abs. 3 Rn. 127. 344 κ. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 524; A. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 79 f.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

a) Das selbständige „ Ordnen " und „ Verwalten " der eigenen Angelegenheiten: Die Binnenorganisation der Religionsgemeinschaften Art. 137 III WRV gewährleistet den Religionsgemeinschaften, daß sie ihre eigenen Angelegenheiten selbständig ordnen und verwalten können. Mit den Begriffen des „Ordnens" und „Verwaltens" der eigenen Angelegenheiten umschreibt die Verfassung den gesamten Bereich des sogenannten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften. Die freiheitsrechtliche Garantie erfaßt ihre erforderlichen Wirkmöglichkeiten auf den und im öffentlichen Bereich, damit die Religionsgemeinschaften ihrem Selbstverständnis entsprechend ihren Auftrag in der Welt erfüllen können 345 . Was ist mit den Termini des „Ordnens" und „Verwaltens" aber im einzelnen gemeint? Die „Ordnung" der eigenen Angelegenheiten bezieht sich nach allgemeiner Auffassung auf den gesamten Bereich der Rechtssetzung von Religionsgemeinschaften in eigenen Angelegenheiten. Diese Rechtssetzungsmacht steht unter dem Grundgesetz nicht (mehr) unter dem Vorbehalt staatlicher Genehmigung. Verbleiben die Auswirkungen der Rechtssetzungsakte im innerorganisatorischen Bereich der Religionsgemeinschaften, dann gilt nach allgemeiner Auffassung, daß letztere ihr Binnenrecht kraft originärer oder anders ausgedrückt: nicht vom Staat abgeleiteter, sondern qua Verfassung als eigenständig eingeräumter Regelungskompetenz erlassen haben 346 . Das Recht des eigenständigen „Verwaltens" der eigenen Angelegenheiten dagegen umfaßt „die freie Betätigung der Organe (Religionsgemeinschaften) zur Verwirklichung der jeweiligen Aufgaben" 347 . Der Begriff des „Verwaltens" ist nach allgemeiner Ansicht weit auszulegen. Die Tätigkeiten, die gemeinhin unter ihn subsumiert werden, sind die Rechtsprechung, die vollziehende Verwaltung und die Bestimmung über die Organisation 348. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: Zur verbandsmäßigen Wahrnehmung der sich aus dem Glaubensbekenntnis ergebenden und aus diesem herauszulösenden Aufgaben wird den Religionsgemeinschaften die unerläßliche Freiheit gewährleistet, über Rechtsetzung und Rechtsprechung sowie die vollziehende Verwaltung 345

A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt / Klein / v. Campenhausen, GG, Art. 140 GG /137 Abs. 3 WRV Rn. 29. 3 46 BVerfGE 18, 385 (386); B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 179 f.; U. Hemmrich, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 140 Rn. 16; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 17; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 139 Rn. 10 f. Kirchliche Rechtsakte, die den rein innerorganisatorischen Rahmen dagegen sprengen, bleiben zwar auch autonome, jedoch keine eigenständigen Setzungen, da die Religionsgemeinschaften hier aufgrund staatlicher Übertragung von Regelungsbefugnissen tätig werden. K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 535 f. 347

A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 108 f. 8 K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 537; D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 6; H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 22; umfassend P. Mikat, in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte IV/1, S. 111 (171 ff.). 34

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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in eigenen Angelegenheiten selbst zu befinden und sich eine innere Ordnung zu geben 349 . Art. 137 III WRV zielt damit im Ergebnis vor allem auf die innerorganisatorische Struktur der Gemeinschaften. Diese Verfassungsbestimmung ist eine Regelung, die die Binnenorganisation der Religionsgemeinschaften betrifft 350 . Sie gibt ihnen besondere Regelungsbefugnisse gegenüber dem Personenkreis an die Hand, der - im weitesten Sinne - näher mit ihnen in Kontakt tritt. Ihnen wird ein verfassungsrechtlich geschütztes Eigenleben zugestanden, welches auf ihrem Selbstverständnis gründet und nicht den Bedürfnissen der in ihnen organisierten Grundrechtsträger entsprechen muß 3 5 1 . Die Gründe für die Existenz dieser institutionellen Regelung, die für das Verfassungsrecht einmalig ist, sollen im folgenden näher dargelegt werden, um das Bild von der Reichweite der Schrankenklausel abzurunden. Art. 137 III WRV will als Vorschrift des institutionellen Religionsverfassungsrechts folgenden Umständen Rechnung tragen: Die rechtsförmige Existenz und das Handeln einer Religionsgemeinschaft stehen in den Traditionen ihres Glaubensbekenntnisses. Ihre inneren Strukturen, Ziele und Entscheidungsprozesse lassen sich nicht unbegrenzt an die unterverfassungsrechtliche Gesetzeslage anpassen, ohne daß mit der einfachrechtlichen Nivellierung sowohl ein Verlust ihrer Identität als auch eine suboptimale Erfüllung ihres religiösen Auftrags verbunden wäre. Auch können die aus einem dogmatisierten Glaubensbekenntnis erwachsenden inneren Entscheidungsstrukturen, der Verbandszweck und die anderen Notwendigkeiten nicht unbeschränkt der freien Entscheidungsgewalt der Mitglieder überantwortet werden 352 . Die Religionsgemeinschaften sind in ihrer Gleichzeitigkeit als Stiftungen und Mitgliederverbände, als „anstalts- und stiftungsartige" sowie „genossenschaftliche" Konstrukte ambivalent 353 . Die staatliche Wahrnehmung der Re349 Vgl. nur BVerfGE 42, 312 (332); 53, 366 (401); A. v. Campenhausen, in: FS Unruh, S. 977 (984 f.); D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 6; A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 114 ff.; Η Weber, NJW 1983, S. 2541 (2551); J. Jurina, in: HdbStKirchR I, § 23 S. 703; K. Schiaich, Neutralität, S. 173 ff.; P. Badura, Der Schutz von Religion, S. 51; W Geiger, ZevKR 28 (1981), S. 156 (161). 350 υ. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 1; B. Pieroth/T Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (845 f.); Η Goerlich, JZ 1995, S. 955 ff. 351 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn 29 ff.; ders., in: VVDStRL 26 (1968), S. 122; zur Divergenz von Verbandszwecken und Mitgliedermotiven, vgl. G. Teubner, Organisationsdemokratie und Verbands Verfassung, S. 58 ff. 352 s. Magen, NVwZ 2001, S. 888 (889), mit Hinweis auf O. W. Gabriel, in: Krüggeier (Hrsg.), Institution, Organisation, Bewegung, S. 19 ff.; U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 29. 353 s. Grundmann/M. Honnecker, Art. Kirche, in: EvStL (Vorauflage), Sp. 1117 (1123); R. Smend, ZevKR 16 (1971), S. 241 (245); R. Dreier, Das kirchliche Amt, S. 266 f. u. passim; ferner zur Unterscheidung zwischen Innen- und Außenperspektive des Kirchenbegriffs als Einschluß aller Konfessionsangehörigen und als amtskirchliche Organisation, vgl. F.-X. Kaufmann, Art. Kirche, in: StL III, Sp. 409.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ligionsgemeinschaften als eben diese ambivalenten Paradoxa spiegelt sich in den verschiedenartigen Regelungen des umfassenden Religionsverfassungsrechts deutlich und vor allem: differenzierend wider. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung religionsgesellschaftlicher Selbstbestimmung bezieht sich nämlich auf die staatliche Anerkennung der besonderen verbandsmäßigen Eigenart der Religionsgemeinschaften. Ihnen wird der Staat über Art. 137 III WRV zuvorderst in dieser ihrer Sozialgestalt als Institutionen und nicht in erster Linie in ihrer Gestalt als Hort der gemeinsamen Religionsausübung ihrer Mitglieder gewahr 354 . In denjenigen Bereichen ihrer eigenen Angelegenheiten, in denen keine Überlappungen mit staatlichem Recht im Räume stehen, werden den Religionsgemeinschaften nicht allein autonome, d. h. von staatlicher Seite verliehene Handlungsformen zur Verfügung gestellt, sondern eigenständige. Hier können sie kraft originärer, d. h. nicht vom Staat verliehener Regelungskompetenz schalten und walten 355 . Jenseits ihrer eigenen Angelegenheiten sind die Religionsgemeinschaften dem Staat und seiner Rechtsordnung zwar genauso eingeordnet wie jeder andere weltliche Verband auch. Ihre besondere verfassungsrechtliche Anerkennung, die sich auch in der Gewährleistung eines institutionellen Eigenlebens nach Art. 137 III WRV manifestiert, würde aber verkannt, wenn die Religionsgemeinschaften als („quasi-gesamthänderische") Trägerinnen der kollektiven Komponente der Religionsfreiheit ihrer Mitglieder aufgefaßt und damit vor allem die das personale Substrat im Hintergrund betreffenden Religionsfreiheiten aus Art. 4 GG betont würden 356 . Hierin läge die Gefahr, entgegen den Vorschriften des institutionellen Staatskirchenrechts die Religionsgemeinschaften grundrechtlich zu atomisieren 357. Verfassungsrechtlich ergibt sich daher der folgende Befund: Religionsgemeinschaften versichern sich ihrer inneren Verbandsautonomie nicht allein nach den Maßstäben des Art. 9 I GG. Vielmehr hält das Grundgesetz mit der Inkorporierung des institutionellen Weimarer Staatskirchenrechts Verfassungsbestimmungen vor, die die „verbandsrechtliche" Eigenart der Religionsgemeinschaften erfassen und regeln. Die doppelte Bedeutung des Art. 137 III WRV liegt darin, die Kirchen auf der einen Seite als eigenständige Institutionen, „die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staate sind und ihre Gewalt nicht von diesem herleiten 358 ", anzuerkennen. Ihnen wird deshalb auf der anderen Seite die Freiheit eigenständigen Wirkens jenseits von Art. 9 I GG eingeräumt 359. 354 u. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 29; W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 227 ff. u. passim; zum Verständnis der Kirchen als Verbände, vgl. femer E.-G. Mahrenholz, Die Kirchen, S. 40 f. u. passim; Κ. Hesse, ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (360 ff.); J. H. Kaiser, Die Repräsentation, S. 122 ff., 149 ff.; Ρ v. Tilling, ZevKR 14 (1968/69), S. 238 (244, 249, 251 ff.); W. Huber, Kirche und Öffentlichkeit, S. 501. 355 B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 179 ff. 356 υ. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 17, 30; R. Herzog, VVDStRL 26 (1968), S. 121

(122).

357 j. Isensee, in: Essener Gespräche 25 (1991), S. 104 (112). 358 BVerfGE 18, 385 (386).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Der soziologische Befund des Auftretens von „Emergenzphänomenen" 360 organisierten Handelns hat damit durch Art. 137 III WRV einen normativen Anklang in der Verfassung gefunden. Die Gehalte der Verfassungsvorschrift schließen zumindest ein Stück weit zu der in der Verbändediskussion herausgearbeiteten Problematik des Verbandsrechts einer freiheitlich und pluralistisch verfaßten Gesellschaft auf 3 6 1 . In die Verfassungsdogmatik übersetzt bedeutet dies folgendes: Als institutionelle Regelung komplementiert Art. 137 III WRV die grundrechtliche Religionsfreiheit. Die Vorschrift ist Teil eines institutionell-organisatorischen Gerüstes, mit dem die Verfassung alle Religionsgemeinschaften umkleidet. Das Grundgesetz erkennt die Religionsgemeinschaften als „sich institutionell verfestigende Wirkeinheiten" an und kommt ihnen in ihrer institutionellen und damit eigenständigen Betätigungsfreiheit entgegen. Insofern begreift das Bundesverfassungsgericht den Regelungsgehalt des Art. 137 III WRV darin, daß er der „Freiheit religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgesellschaften die ( . . . ) Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt"* 62. Unabhängig davon, worin die Besonderheit der Religionsgemeinschaften gegenüber anderen Massenverbänden zu suchen ist, in der Unverfügbarkeit ihres Zwekkes durch ihre Mitglieder 363 oder in ihrem sachlich gebotenen verfassungsrechtlichen Sonderstatus, der ihrem geistig-religiösen Auftrag Tribut zollt 3 6 4 , ihr verbandsrechtlicher Schutz in Art. 137 III WRV geht deshalb im Ergebnis über denjenigen des Art. 9 I GG hinaus. Der Zweck des Art. 137 III WRV, die Religionsgemeinschaften über die Verbände des Art. 9 I GG zu erheben, läßt einen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Eingriff in ihren Bestand über Art. 137 III i.V. m. Art. 9 II GG, § 3 I VereinsG deshalb wenig plausibel erscheinen. Denn der Zweck der inkorporierten Verfassungsbestimmungen liegt, wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen, gerade nicht in einer Schmälerung ihres ansonsten vorbehaltlos gewährleisteten grundrechtlichen Schutzes. 359 κ. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 15 S. 531 f.; U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 30; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 47 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 Rn. 41. 360 Unter dem Stichwort der „Emergenz" werden in der Soziologie Eigenschaften eines Systems verstanden, die nicht mehr aus der Summe der Systemteile ableitbar oder erklärbar sind. Quelle: http: / / www.sociologicus.de / lexikon / lex_soz / a_e / emergenz.htm. 361 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 Rn. 26; U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 1, 16 ff.; K. Hesse, ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (350 ff.); J. Listi, HdbStKirchR I (Vorauflage), § 8 S. 403, 405; K. Schiaich, Neutralität, S. 178 ff. u. passim. Schiaich meint zwar, das positive Staatskirchenrecht könne schwerlich als Teil eines Verbandsrechts angesehen werden, bezieht dies aber auf den überkommenen Verbandsbegriff, der die Kirchen in ihrer Besonderheit nicht erfasst. Ansonsten plädiert er für die Öffnung des Verbandsbegriffs, damit auch Kirchen unter diesen gefaßt werden könnten. Vgl. aber auch G. D. Belemann, Kirchliche Beteiligung, S. 122; allgemein J. H. Kaiser, in: HStR II, § 34 Rn. 18 ff. 362 BVerfGE 53, 366 (401); 72, 278 (289) - Hervorhebung nicht im Original. 363 υ. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 29. 364 Hierzu W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 241, 251.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Im Ergebnis betrifft Art. 137 III WRV damit vor allem die Binnenorganisation der Religionsgemeinschaften. Mit deren verfassungsrechtlicher Garantie hebt er sie aus dem Kreis der übrigen Verbände hervor. Die Binnenorganisation des Art. 137 III WRV, genauer: Die eigenständige Rechtssetzung, Rechtsprechung und Verwaltung der eigenen Angelegenheiten, steht der Selbstverwaltung, die Art. 28 I I GG den Gemeinden gewährleistet, sehr nahe. Insbesondere seine textliche Fassung erinnert an die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 II GG 3 6 5 . Die Schrankenregelung des Art. 137 III WRV zielt auf diese Selbstverwaltung ab. Mit anderen Worten: Art. 137 III WRV gewährleistet und beschränkt gleichzeitig ein Stück Betätigungsfreiheit der Religionsgemeinschaften. Die Schranke des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG dagegen greift in den Bestand einer Vereinigung ein, indem sie deren Beseitigung verfügt. Deshalb können Art. 9 II GG und das diesen ausführende Vereinsgesetz im Ergebnis nicht als schrankenkonforme Beschränkungsregelungen des Art. 137 III WRV aufgefaßt werden 366 . Zu einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, wie die herrschende Auffassung dies meint, kommt es daher im Ergebnis nicht mehr.

b) „Magna Charta" und „lex regia u des Staatskirchenrechts Es fragt sich weiter, ob dieses Ergebnis nicht auch durch die Bestimmung des Verhältnisses von Art. 137 III WRV zu Art. 4 GG bestätigt werden kann. Wie ausgeführt, greift das Verbot einer Religionsgemeinschaft mit der Beseitigung der Existenz derselben nicht nur in die hauptsächlich von Art. 137 III WRV umfaßte institutionelle Seite der Religionsfreiheit ein, sondern ergreift auch die individuelle, die kollektive und die korporative Seite des Art. 4 GG, mithin die Religion selbst. Es ist deshalb klärungsbedürftig, ob und wie tief über die Schrankenregelung des Art. 137 III WRV in die Freiheitsgewährleistungen des Grundrechts der Glaubensfreiheit eingegriffen werden kann. Dazu ist es notwendig, das Verhältnis beider Normen unter dem Aspekt des Verbots einer Religionsgemeinschaft zueinander zu klären. Die Auffassungen, die zu diesem Verhältnis vertreten werden, sollen daher im folgenden Abschnitt zunächst referiert werden, bevor konkrete Schlußfolgerungen im Hinblick auf das Verbot gezogen werden. Im wesentlichen werden zu der Frage der Verhältnisbestimmung von Art. 4 GG zu Art. 137 III WRV zwei Auffassungen vertreten. Beide stellen die maßgebliche 365 So auch S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 187; M. Heckel, VVDStRL 26 (1968), S. 5 (14 f.): Autonomie der Kirchen nach dem „Modell der Kommunalfreiheit"; kritisch K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III /1, S. 820, der ausführt, der Vergleich mit der Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen sei deshalb hinkend, weil Art. 137 III WRV stärker eine Freiheitsnorm als eine Institutionsnorm sei. 366 i m Ergebnis auch S. Veelken, Das Verbot, S. 173 ff.; B. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (844); L. Michael, JZ 2002, S. 481 (484); R. Poscher, KritV 2002, S. 298 (300 f.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Beeinflussung der institutionellen Garantien des Staatskirchenrechts durch die religionsrechtliche Grundnorm des Art. 4 GG in den Vordergrund ihrer Argumentation, sprechen jedoch der institutionellen Norm eine eigene normative Funktion nicht ab. Allein die Beurteilung des Umfangs der eigenständigen Normativität des Art. 137 III WRV und seiner Schrankenklausel divergiert.

aa) Materiell eigenständige Freiheitsgewährleistung Die erste Auffassung verneint die Deckungsgleichheit der Schutzbereiche beider, der grundrechtlichen und der institutionellrechtlichen, Freiheitsgewährleistungen: Das Selbstbestimmungsrecht in eigenen Angelegenheiten stelle, so diese Auffassung, keine unmittelbar aus der Religionsfreiheit fließende Selbstverständlichkeit dar. Es stehe zwar auf dem Fundament des Art. 4 GG und beziehe von daher seine Legitimation, sei jedoch mit der Religionsfreiheit nicht kongruent 367 . Der eigenständige Regelungsgehalt des Art. 137 III WRV manifestiere sich, so diese Auffassung weiter, in einer bereits tatbestandlichen Erweiterung der in Art. 4 GG enthaltenen Gewährleistungen auf der institutionell-korporativen Seite der Religionsfreiheit. Den verschiedenen Facetten des Selbstbestimmungsrechts, das als solches allenfalls abstrakt und in seinem Kern von der Glaubensfreiheit umfaßt sei, werde durch die institutionelle Regelung eine eigenständige normative Geltung verschafft. Gleichzeitig werde diese aber dem dort statuierten Gesetzesvorbehalt unterworfen 368. Art. 137 III WRV sei deshalb, so die Schlußfolgerung, insgesamt, in Gewährleistungsbereich und Schrankenregelung, lex specialis zu Art. 4 GG 3 6 9 . Zu diesem Ergebnis gelangt insbesondere diejenige in der Literatur vertretene Auffassung, welche die Verbürgungen der grundrechtlichen Religionsfreiheit als einschränkend auszulegende und selbständige Einzelgewährleistungen ansieht. Ihre Sichtweise auf Art. 4 GG bringt es mit sich, daß auch die Religionsausübungs367 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 28 ff.; E. Stein, ZevKR 22 (1977), S. 117 (118); V. Neumann, in: FS Jean d'Heur, S. 247 (255); zur grundrechtlichen Fundierung des Rechts der religiösen Organisationen, vgl. M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 Rn. 32. 368 BVerfGE 42, 312 (332); 53, 366 (367 LS 3, 401); 72, 278 (289): Art. 137 III WRV ist eine „notwendige, wenngleich rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung dieser Aufgaben unerläßliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt". B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, S. 174 f.; 5. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 191; J. Lücke, EuGRZ 1995, S. 651 (653): Zumindest ein Kern der Betätigungsfreiheit ist durch Art. 4 GG geschützt. Ähnl. C. Starck, in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, Art. 4 Rn. 32; A. Hollerbach, in: Essener Gespräche 1 (1969), S. 144; A. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 74; E. Fischer, Trennung von Staat und Kirche (1971), S. 188 ff. 369 H.A., vgl. nur U. Scheuner, in: HdbStKirchR I (Vorauflage), § 1 S. 79; P. Häberle, ZevKR 19 (1974), S. 206 (209 f.); G. Neureither, Staatskirchenrecht, S. 134 ff.; ferner BVerfGE 32, 98 (108); 33, 23 (29): funktionale, aber innere Beziehung zwischen Art. 4 GG und Art. 137 III WRV. Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

freiheit als genuin korporatives Recht mindestens auf die gemeinsame Ausübung des Glaubens selbst beschränkt wird. Die Selbstbestimmung der Korporation über ihre „innerkirchliche" Organisation und Ordnung ist folgerichtig in dem Grundrecht nicht - oder jedenfalls nicht zur Gänze - enthalten. „Jedenfalls nicht zur Gänze enhalten" will in diesem Falle heißen, daß auch hier die Trennlinie zwischen Art. 137 III WRV und Art. 4 GG nicht millimetergenau gezogen werden kann. Denn auch diese Auffassung siedelt Gewährleistungsbereiche, die sowohl in Art. 137 III WRV enthalten als auch von Art. 4 GG umfaßt sind, simultan in beiden Freiheitsrechten an. Zu diesen zählen unter der Terminologie der „eigenen Angelegenheiten" zum Beispiel die Glaubenslehre (Dogma), das Bekenntnis und die Kultusordnung (Liturgie) 370 . Um die Schutzbereiche beider Freiheitsrechte dennoch voneinander trennen zu können, unterscheidet sie Angelegenheiten, die in unmittelbarer Erfüllung des religiösen Auftrags einer Gemeinschaft erfolgen und die sich deshalb als „sichtbarer Vollzug des Glaubens" 371 manifestieren, von solchen, die allein mittelbar zur Vorbereitung und Unterstützung dieses Auftrags dienen. Erstere werden hier zumindest auch dem Schutzbereich des Art. 4 GG zugeordnet. Als Beispiele für letztere dienen die kirchliche Grundstücksverwaltung 372 oder der Kauf von Kugelschreibern, mit denen die Sonntagspredigten niedergeschrieben werden. Das dieser Auffassung zugrundeliegende Verhältnis von Art. 4 GG und Art. 137 III WRV beschreibt eine Stufenfolge von grundrechtlichem zu institutionellrechtlichem Schutz. Es zeichnet damit die durch die Wesensgehaltsgarantie bereits ein Stück weit vorgegebene Relation von vorbehaltlosem Kern- zu vorbehaltsbehaftetem Randbereich nach 373 . 370 β. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 186; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 47; A. Höllerbach, in: HStR VI, § 140 Rn. 1; A. Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 77; S. Grundmann, JZ 1966, S. 81 (84); A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 83; zu dem klassischen Fixbild eigener Angelegenheiten der Großkirchen, vgl. A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 111 ff.; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 40; H. Weber, NJW 1983, S. 2541 (2552); G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 137 S. 635 f.; H. Zwirner, ZRG KA 104 (1987), S. 210 (225); C. Link, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte III, S. 527 ff., 532 ff.; zum Auf und Ab bei der Bestimmung der eigenen Angelegenheiten, vgl. K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 538 ff.; femer BVerfGE 18, 385 (387); 42, 312 (334); 46, 73 (85 ff.); 57, 220 (243); 70, 138 (162 ff.); 72, 278 (289); insbesondere BVerfGE 53, 366 (398 f., 391): Zu den eigenen Angelegenheiten zählen solche Angelegenheiten, die „nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück Auftrags der Kirchen wahrzunehmen und zu erfüllen". 371 S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183. 372 c. Pagels, Aspekte der Religionsfreiheit, S. 68; 5. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 183; B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 176. 373 K. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 525, 551; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 4; K. Meyer-Teschendorf, Staat und Kirche, S. 203 ff., mit Hinweis auf die Sphärentheorie des BVerfG zu Art. 2 I GG; J. Lücke, EuGRZ 1995, S. 651 (653 ff.); femer zum Inhalt des Kernbereichs, vgl. U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 13, 26, 30, Art. 140 Rn. 16, 28 f.; ähnl. auch T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG /137 WRV Rn. 18; U. Steiner, JuS 1982, S. 157 (166).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

Damit erschließen sich im Ergebnis aber auch Bedeutung und Reichweite des Gesetzes Vorbehalts. Dieser hat die Funktion, das „Mehr", welches in Art. 137 III WRV an normativer Eigenständigkeit zu Art. 4 GG gewährleistet wird, bei Bedarf einzuziehen.

bb) Auslagerung mit eigenständigem Gesetzesvorbehalt Wie dies insgesamt zum Verhältnis zwischen grundrechtlicher und staatskirchenrechtlicher Religionsfreiheit vertreten wird, sieht die andere Auffassung den materiellen Gehalt des selbstbesimmten Ordnens und Verwaltens eigener Angelegenheiten bereits vollständig von Art. 4 GG erfaßt 374 . Art. 137 III WRV schaffe, so diese Meinung, keine über Art. 4 GG hinausgehenden subjektiven Rechte der Religionsgemeinschaften. Worin liegt dann aber die vom Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretene normative Eigenständigkeit des Art. 137 III WRV? Die normative Eigenständigkeit des Art. 137 III WRV, so die Konsequenz dieser Auffassung, erschöpfe sich in der Statuierung des besonderen Gesetzes Vorbehalts. Ein Teil der bereits in Art. 4 GG umfassend enthaltenen korporativ-institutionellen Freiheiten werde, so die Prämisse dieser Auffassung, nach Art. 137 III WRV ausgelagert. Die Auslagerung habe den Zweck, die nun gesondert aufgelisteten „Kirchenfreiheiten" einer besonderen Schrankenregelung zu unterwerfen. Unterschiede zwischen grundrechtlicher und institutioneller Freiheit bewirke diese Norm daher allein bei der Grenzziehung. Das Verhältnis der institutionellen Vorschrift des Staatskirchenrechts zum Grundrecht der Religionsfreiheit lasse sich, so die Schlußfolgerung, als Schrankenspezialität identifizieren 375 . Gerechtfertigt, so diese Auffassung weiter, sei diese eigenständige Schranke der institutionellen Religionsfreiheit wegen des nicht mehr unmittelbar gegebenen Persönlichkeitsbezugs des institutionellen Selbstbestimmungsrechts auf der einen und des erhöhten staatlichen Steuerungsbedarfs vor allem gegenüber den Großkirchen auf der anderen Seite. Im Ergebnis wirkt sich auch hier die verfassungsrechtlich positivierte Unterscheidung zwischen der institutionellen und der korporativen Religionsfreiheit auf die Reichweite des Gesetzesvorbehalts des Art. 137 III WRV und folglich auf die Tauglichkeitsprüfung von Schrankengesetzen in seinem Rahmen aus.

374 So insbesondere J. Listi, in: Essener Gespräche 3 (1967), S. 34 (87); J. Lücke, EuGRZ 1995, S. 651 (653 ff.); B. Jean d'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 174; ferner BVerfGE 83, 341; Κ Machanek, JuS 1985, S. 440 (441 ff.). 375 j m Listi, in: HdbStKirchR I (Vorauflage), § 8 S. 401, 403; ders., Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 360 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 74 f. 19*

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

c) Ergebnis Im Kontext der institutionellen (Zusatz-)Freiheiten zur korporativen Religionsfreiheit und ihrer gleichzeitigen Beschränkbarkeit wird deutlich, daß die Regelung des Art. 137 III WRV nach beiden zum Verhältnis der Art. 4 GG und 137 III WRV vertretenen Ansichten kein dogmatisch taugliches Einfallstor für die Beseitigung der Existenz von Religionsgemeinschaften aufschließt. Beide Ansichten gelangen auf verschiedenen dogmatischen Wegen nämlich zu der Auffassung, daß allein das institutionelle „Mehr", welches die staatskirchenrechtliche Regelung gewährt, auch ihrer Schrankenbestimmung unterliegt. Konkreter gefragt: Worin besteht aber dieses „Mehr", und warum werden damit die Folgen des Verbots einer Religionsgemeinschaft auf Glauben und Glaubensfreiheit nicht umfaßt? Die Antwort auf diese Frage ergibt sich bei beiden Ansichten aus einem Blick auf die von Art. 137 III WRV benannten „eigenen Angelegenheiten", denen das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften gilt. Zu den eigenen Angelegenheiten sind zwar primär die Lehre und der Kultus zu rechnen. Lehre und Kultus werden aber auch von den oben referierten Auffassungen bereits dem Schutzbereich des Art. 4 GG zugewiesen, der verbaliter die Möglichkeit gesetzlicher Beschränkung nicht kennt. Der Staat kann auch über Art. 137 III WRV nicht auf Glaubensinhalte zugreifen. Zumindest aber können „staatliche Einwirkungen auf den geistlichen Kern der Kirchen und Religionsgemeinschaften ( . . . ) niemals verhältnismäßig' sein" 3 7 6 . Daher sind nach beiden Auffassungen zumindest gedankliche Schnitte zu machen zwischen der Glaubenslehre, auf die sich eine Religionsgemeinschaft gründet, dem hieraus resutierenden Kultus sowie ihrer in Art. 137 III WRV enthaltenen Befugnis, den Glauben und den Kultus in eigene Regelungen umzusetzen. Allein die letztere Befugnis ist Gegenstand der Vorschrift des Art. 137 III WRV. Aus diesem Felde sind es grundsätzlich einzelne Akte und Regelungen oder Regelungsbereiche, die anhand der Schrankenbestimmung auf ihre Kompatibilität mit der staatlichen Rechtsordnung und damit auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und in einem nicht anders zu lösenden Kollisionsfalle einkassiert werden. Im Ergebnis betrifft der Gesetzesvorbehalt als Eingriffsermächtigung sowohl von der Teleologie der Norm aus betrachtet als auch von deren Wortlaut her allein diejenigen institutionellen Präzisierungen der korporativen Religionsfreiheit, die in Art. 137 III WRV gesondert aufgelistet werden 377 . Die Schrankenklausel des Art. 137 III WRV erlaubt dem Staat daher ein Eingreifen nur in den innerorganisatorischen Bereich der Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften, nicht jedoch das Verbot einer Religionsgemeinschaft.

376 κ. Hesse, in: HdbStKirchR I, § 17 S. 555, 543 f.; A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt / Klein / v. Campenhausen, GG, Art. 140 GG / 137 Abs. 3 WRV Rn. 33 Fn. 21 m. w. N. 377 Ähnl. auch U. Steiner, JuS 1982, S. 157 (166).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Zurück zur eingangs gestellten Frage heißt dies: Art. 137 III WRV formuliert eine Selbstverwaltungs- und keine Existenzschranke. Mit Art. 9 II GG und dem auf ihm beruhenden Vereinsgesetz läßt sich nicht über den Umweg des Art. 137 III WRV in die Existenz einer Religionsgemeinschaft eingreifen. Die Schrankenklausel des Art. 137 III WRV hat allein die Aufgabe, die mit dem Ordnen und Verwalten der eigenen Angelegenheiten zusätzlich gewährleisteten institutionellen Betätigungsfreiheiten der Religionsgemeinschaften im Falle eines Konflikts mit der staatlichen Rechtsordnung zu kassieren. Weitergehende Eingriffe in die übrigen Dimensionen der Religionsfreiheit werden durch diesen Gesetzesvorbehalt nicht gerechtfertigt. 5. Zusammenfassung Das Verbot einer Religionsgemeinschaft und seine Folgen greifen nicht nur in die korporative Religionsfreiheit ein, sondern wirken sich auf alle Dimensionen des Schutzbereichs des Art. 4 GG aus. Besonders schwer wiegt dabei die Tatsache, daß eine Religion grundsätzlich einer organisatorisch verfestigten Struktur - auch in Form einer Religionsgemeinschaft - bedarf, um von den einzelnen Gläubigen ausgeübt werden zu können und das Leben eines Menschen zu überdauern. Die Frage, die eingangs dieses Kapitels gestellt wurde, lautete daher, ob Art. 137 III WRV, der als Norm des institutionellen Staatskirchenrechts das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften unter den Vorbehalt der für alle geltenden Gesetze stellt, auf die Schrankenregelung des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG verweist und das Verbot einer Religionsgemeinschaft durch seinen Gesetzesvorbehalt ermöglicht. Obwohl die herrschende Meinung die vereinsrechtlichen Verbotsnormen zu den für alle geltenden Gesetzen des Art. 137 III WRV zählt, hat sich bei näherer Betrachtung der Dogmatik zu Art. 137 III WRV herausgestellt, daß diese Verfassungsnorm das Verbot einer Religionsgemeinschaft nicht umfaßt. Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG stellt keine schrankenkonforme Beschränkungsregelung des Art. 137 III WRV dar. Während das Vereinsverbot nämlich den Bestand einer Religionsgemeinschaft betrifft, gewährleistet und beschränkt Art. 137 III WRV damit gleichzeitig bestimmte Betätigungsfreiheiten der Religionsgemeinschaften als „Verbände". Die Schrankenregelung der staatskirchenrechtlichen Norm ist daher nicht als Existenzschranke, sondern als Schranke der „Selbstverwaltungsgarantie" der Religionsgemeinschaften zu lesen. Das Verhältnis des Art. 137 III WRV zu Art. 4 GG bestätigt diesen Befund. Über Art. 137 III WRV kann nur das „Mehr" an institutionellen Freiheiten, die diese Norm im Vergleich zu Art. 4 GG gewährleistet, kassiert werden, nicht aber das Verbot einer Religionsgemeinschaft verfügt werden. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, daß allein Art. 4 GG den Maßstab der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in den Bestand einer Religionsgemeinschaft bereithält. Das bestandsvernichtende Vebot einer Religionsgemeinschaft aufgrund des Vereinsgesetzes kommt folglich nur dann in Betracht, wenn die vereinsrechtlichen Ermächtigungsnormen sich als von den Schranken des Art. 4 GG gedeckt erweisen 378 .

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

V.Art. 1361 W R V Gesetzesvorbehalt der Religions(ausübungs)freiheit oder kollidierendes Verfassungsrecht? Das Verbot einer Religionsgemeinschaft auf der Grundlage des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG ist also vor dem Grundrecht der Religionsfreiheit nur zulässig, wenn es von den Schranken des Art. 4 GG gedeckt ist. Art. 4 GG seinerseits ist ein verbaliter vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Der Text des Freiheitsrechts selbst enthält keinen Gesetzesvorbehalt. Es fragt sich daher, wie die Religionsfreiheit eingeschränkt werden kann. Gerade in der Frühphase des Grundgesetzes wurde vertreten, daß vorbehaltlose Grundrechte eine contradictio in adjecto darstellten 379. Um ihnen den Schein unbeschränkbarer Freiheiten zu nehmen, wurden mehrere Vorschläge diskutiert. Einmal, so wurde vorgeschlagen, sollte die Schrankentrias des Art. 2 I GG auf vorbehaltlose Grundrechte wie die Religionsfreiheit übertragen werden. Dieser Vorschlag wurde dogmatisch im wesentlichen auf zweierlei Weise begründet. Zum einen, so wurde geltend gemacht, sei Art. 2 I GG kein eigenständiges Grundrecht, sondern ein „Freiheitsrechtsleitsatz"; seine Begrenzungen folglich nicht die besonderen Schrankenbestimmungen eines bestimmten Freiheitsrechts, sondern eine allen, auch den vorbehaltlosen Grundrechten gemeinsame allgemeine Begrenzungsregelung 380 . Diese These fiel jedoch der allgemeinen Erkenntnis zum Opfer, daß Art. 2 I GG eine grundrechtliche Freiheitsgewährleistung ist 3 8 1 . Dennoch, so das weitere Argument, sei die Übertragung dogmatisch gerechtfertigt, weil sich „die einzelnen Grundfreiheiten, die das Grundgesetz aufzählt, als Anwendungsfälle des allgemeinen Grundrechts auf Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1)" darstellten 382. Nach der von der herrschenden Lehre begrüßten Absage des Bundesverfassungsgerichts an diese sogenannte Schrankenleihe scheidet eine Übertragung der Schrankentrias des Art. 2 I GG auf das Grundrecht der Religionsfreiheit, was eine Schrankennivellierung auf unterster Stufe bedeutet hätte, aber aus. Die Differenzierungen, die das Grundgesetz hinsichtlich der Schranken aller Freiheitsrechte macht, würden sonst hinfällig 383 . Gleiches gilt für den Vorschlag, 378 Im Ergebnis ebenso B. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (846). 379 H. Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 260. 380 F. Klein, in: v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz (2. Aufl. 1957), Art. 2 Anm. III 4, 5 b; ähnlich auch G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I (Vorauflage) Rn. 71 ff.: „objektivrechtliche Auslegungsregel"; D. Haas, DÖV 1954, S. 70 (71); W Wertenbruch, DVB1. 1958, S. 481 (484 f.); H. Wehrhahn, AöR 82 (1957), S. 250 (253 ff.). 381 H. L. Graf, Die Grenzen der Freiheitsrechte, S. 111 f.; H. v. Nieuwland, Grundrechtsschranken, S. 20 ff.; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 547 f.; zu Art. 2 I GG ferner BVerfGE 6, 32 (37 ff.); 80, 137 (152 ff.). 382 H. Krüger, DVB1. 1950, S. 625 (626); H. Scholtissek, NJW 1952, S. 561 (563); Η. P. Ipsen, DVB1. 1956, S. 358 (362); H. Peters, in: FS Laun, S. 669 (677). 383 Vgl. oben § 3 Β. II.; ferner BVerfGE 32, 98 (107); 30, 173 (191 ff.); H. v. Nieuwland, Grundrechtsschranken, S. 25; W. Berg, Konkurrenzen, S. 88; T. Wülfing, Gesetzes vorbehalte,

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den Gesetzesvorbehalt des Art. 5 II GG auf das Grundrecht der Religionsfreiheit zu übertragen 384. Als Möglichkeit, das Vereinsgesetz mit der Religionsfreiheit des Art. 4 GG dennoch zusammenzubringen, bietet sich aber weiterhin die Regelung des Art. 136 I WRV an, die sich als vermeintlicher Gesetzesvorbehalt des Art. 4 GG zunehmender Beliebtheit in Rechtsprechung und Lehre erfreut. Der lange Zeit herrschenden Meinung galt die Religionsfreiheit als ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht. Nach dem Grund des Fehlens eines Gesetzesvorbehalts befragt, wurden in der Regel zwei Antworten gegeben: Zum einen wurde die Religionsfreiheit als ein eng mit der Menschenwürde verhandeltes Grundrecht und damit als besonders schützenswert erachtet. Zum anderen schien das Störungspotential dieses Freiheitsrechts gering. Fand sich über Jahrzehnte kaum ein Zweifler, der die Vorbehaltlosigkeit des Art. 4 GG in Frage gestellt hätte, geht aufgrund der zu befürchtenden Hypertrophie des Freiheitsrechts bei gleichzeitiger Erhöhung seines Konfliktpotentials durch fremd wirkende Religionen eine neuere, erstarkende Tendenz in Literatur und Rechtsprechung dahin, auf Art. 136 I WRV als Gesetzesvorbehalt des Art. 4 GG zurückzugreifen 385. Ob Art. 136 I WRV, eine Vorschrift des inkorporierten Weimarer Staatskirchenrechts, als Gesetzesvorbehalt des Art. 4 GG angesehen werden kann, wird in Literatur und Rechtsprechung kontrovers diskutiert. Ob sich Art. 136 I WRV als Schrankenregelung der Religionsfreiheit fruchtbar machen läßt, ist eine Frage der Verfassungsauslegung. Im folgenden Abschnitt soll deshalb anhand der entstehungsgeschichtlichen, der systematischen, der teleologischen und der grammatikalischen Auslegungsmittel sowie dem verfassungsrechtlichen Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 136 I WRV die Bedeutung des Art. 136 I WRV für das Grundrecht der Religionsfreiheit untersucht werden.

S. 106 ff.; P. Lerche, in: HStR V, § 121 Rn. 49; M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 548 f.; Müller/ Christensen, Methodik, S. 82 f./Rn. 70: methodisch unvermittelter und unbegründbarer „Schrankenschluß". 384 So insb. R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 89 ff., 111 ff., der die Bekenntnisfreiheit in einem Erst-Recht-Schluß den Schranken des Art. 5 II GG unterwerfen und die religiöse Handlungsfreiheit den Schranken des Art. 2 I GG unterstellen will. Hierzu auch W. Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (465); M. Fehlau, JuS 1993, S. 441 (445). 385 BVerwG NJW 2001, S. 1225 (1226 f.); W. Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (462 ff.); A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 82; D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/136 WRV Rn. 1; Η Jarass, in: Jarass /Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 17; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 224 ff.; Η Η. Klein, in: FS Doehring, S. 479 (500 Fn. 121); B. Guntau, ZevKR 43 (1998), S. 369 (381). Früher schon, ohne dies aber näher zu begründen, vgl. W. Martens, in: FS Wacke, S. 343 (352); M. Stolleis, JuS 1974, S. 770 (774); Κ Vater, Die Schranken der Religionsfreiheit, S. 50 f.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

1. Die Entstehungsgeschichte Obwohl nach ständiger Rechtsprechung der Entstehungsgeschichte einer Norm für die Auslegung dieser Norm eine eher untergeordnete Stellung im Kanon der Auslegungsmittel eingeräumt wird - sie dient nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich als Raster, mit deren Hilfe die Richtigkeit der nach den anderen Interpretationsmitteln gefundenen Auslegung überprüft wird 3 8 6 - , steht die entstehungsgeschichtliche Auslegung bei der Frage: Art. 136 I WRV, Gesetzes vorbehält ja oder nein?, im Vordergrund. Im folgenden soll daher überprüft werden, welches Ergebnis die genetische Auslegung dieser Verfassungsvorschrift für das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 136 I WRV ergibt. Bei der Beantwortung dieser Frage geht es weniger darum herauszuarbeiten, welche Inhalte der Norm im einzelnen beigelegt wurden. Vielmehr konzentriert sich der Meinungsstreit auf eine vorgeschaltete Frage, nämlich ob Art. 136 I WRV als explizite Schranke des Freiheitsrechts aus Art. 4 GG vom Verfassunggeber in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Für die Auffassung, Art. 136 I WRV sei vom Verfassunggeber als Gesetzesvorbehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit in die Verfassung inkorporiert worden, werden im wesentlichen folgende Argumente aus der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes geltend gemacht: Schon die juristische Diskussion im Parlamentarischen Rat habe, so wird argumentiert, zwar zwischen der Installierung eines Gesetzesvorbehalts bei Art. 4 GG und der vorbehaltlosen Gewährleistung seiner Freiheiten geschwankt, im Grunde aber zu einer Schrankenregelung hin tendiert. Nachdem der in Art. 21 III HChE 3 8 7 vorgeschlagene Allgemein vorbehält, dem alle Grundrechte unterliegen sollten, abgelehnt worden sei, sei auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion im Grundsatzausschuß auch der Vorbehalt des späteren Art. 4 GG gestrichen worden. Dieser hatte vorgesehen, die Freiheit der Religionsausübung allein „im Rahmen der allgemeinen Gesetze4' zu gewähren 388. Die Streichung des Vorbehalts ist allerdings nicht von einer weitreichenden grundrechtsdogmatischen Klarsicht begleitet worden. Ob überhaupt und wenn, dann welchen Schranken die Religionsfreiheit fürderhin unterliege sollte, wurde im Parlamentarischen Rat nämlich nicht einheitlich beantwortet. Zwar, so wird geltend gemacht, sei die Streichung des Allgemeinvorbehalts beschlossen worden, weil man sich gleichzeitig einig gewesen sei, daß die Freiheit der Religionsausübung der Schrankentrias des Art. 2 I GG unterliegen sollte 389 . Im Gegenteil war man sich jedoch 386 BVerfGE 1, 299 (312); 8, 274 (307); 11, 126 (130); 13, 261 (268); 21, 209 (218); 48, 246 (260); 54, 277 (297 f.); 59, 128 (153); K. Hesse, Grundzüge, Rn. 54; M. Sachs, DVB1. 1984, S. 73 ff. 387 Abgedruckt in: Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee v. 10. bis 23. August 1949, in: Der Parlamentarische Rat II, S. 582. 388 24. Sitzung des Grundsatzausschusses v. 23. 11. 1948, in: Der Parlamentarische Rat V / 1, S. 625 ff.; ferner JöR N.F. 1 (1951), S. 74 f. 389 s. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 226; C. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 130 ff.

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auch nach den Beratungen zum Grundgesetz nicht sicher, ob die Schranken des Auffanggrundrechts aus Art. 2 I GG auf textlich vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte übertragen werden könnten 390 . Ferner herrschte über den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung selbst, den die Schrankenklausel des Art. 2 I GG nennt, keine Einigkeit 391 . Dennoch, so wird ausgeführt, lasse sich ein über eine bloße Rechtsansicht hinausgehender Konsens der Verfassungsväter und -mütter hinsichtlich der Beschränkbarkeit der Religionsfreiheit feststellen. Fraglich bleibt aber, ob sich dieser vermeintliche Konsens gerade auf die Geltung des Art. 136 I WRV als Gesetzesvorbehalt der Religionsfreiheit bezog. Obwohl die subjektive Vorstellung der an der Verfassunggebung beteiligten Organe oder ihrer Mitglieder für die Ermittlung des verobjektivierten Willens des Verfassunggebers nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht ausschlaggebend ist 3 9 2 , soll hier zumindest als Indiz für das Fehlen eines allgemeinen Konsenses über die Reichweite des Art. 136 I WRV auf eine Äußerung des Abgeordneten H. v. Brentano hingewiesen werden. Aus den stenographischen Berichten des Parlamentarischen Rates geht nämlich hervor, daß zumindest für den Abgeordneten Brentano die Anwendung des Art. 136 I WRV als Gesetzesvorbehalt der Religionsausübungsfreiheit nicht in Betracht kam 3 9 3 . Trotzdem, so wird weiter ausgeführt, seien mit der Inkorporierung des Art. 1361 WRV alle bis dato bestehenden Unklarheiten über die Beschränkbarkeit der Religionsfreiheit ausgeräumt worden. Zwar sei weder im Redaktionsausschuß noch im Hauptausschuß über den sachlichen Gehalt des Art. 136 I WRV und seine Bedeutung für das Grundrecht der Religionsfreiheit gesprochen worden. Dieses Schweigen des Verfassunggebers müsse aber so interpretiert werden, daß mit der Inkorporierung dieser Vorschrift die mehrheitlich angenommene Geltung der allgemeinen Gesetze als Schrankenbestimmung der Glaubensfreiheit bekräftigt werden sollte 394 . Ob sich dem Schweigen des Verfassunggebers zum Bedeutungsgehalt des Art. 136 I WRV diese Rechtsfolge für das Grundrecht der Religionsfreiheit aber 390 M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 547 ff. 391 S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 227 Fn. 21. Die verfassungsmäßige Ordnung wurde zum Teil als „jedes nach den Vorschriften der Verfassung ergangene Gesetz" aufgefasst; zum Teil wurden „nur die elementaren Verfassungsgrundsätze und Grundentscheidungen des Verfassungsgesetzgebers" hierunter verstanden. Ferner BVerfGE 6, 32 (37 f.), das ausführt, nur in anderem Zusammenhang als mit Art. 2 I GG könne die verfassungsmäßige Ordnung in letzterem Sinne aufgefaßt werden. 392 Std. Rspr., vgl. BVerfGE 1, 299 (312); 6, 55 (75); 62, 1 (45). Die objektive Gesetzesauslegung zählt seit Gustav Radbruchs These, daß das Gesetz klüger sei als der Gesetzgeber (Rechtsphilosophie, S. 211), zu den Grundwahrheiten der Gesetzesauslegung. Kritisch A. Leisner, in: Demel (Hrsg.), Funktionen und Kontrolle der Gewalten, S. 33 (37 ff.). 393 Η. v. Brentano, in: Parlamentarischer Rat, Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes, erstattet von den Berichterstattern des Hauptausschusses für das Plenum, Bonn 1948/49. (Anlage zum stenographischen Bericht der 9. Sitzung des Parlamentarischen Rates am 6. Mai 1949), Drucksachen Nr. 850, 854, S. 61, 74 f. 394 s. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 227 f.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

tatsächlich entnehmen lassen kann, ist fraglich. Gegen die Annahme, dem Verfassunggeber sei klar gewesen, was er mit der Inkorporierung des Art. 136 I WRV in das Grundgesetz tat, sprechen vor allem folgende Überlegungen: So hatte insbesondere die Debatte um die Schranken der Religionsfreiheit bereits ihren Abschluß gefunden, als aus dem Grund, den Aussagegehalt der Absätze 3 und 4 des Art. 136 WRV in das Grundgesetz zu überführen, dessen Inkorporierung en bloc beschlossen wurde 395 . Während die Streichung des Vorbehalts der allgemeinen Gesetze bereits in der Sitzung des Grundsatzausschusses vom 23. 11. 1948 beschlossen worden war, fehlte die Inbezugnahme des Art. 136 I WRV während der gesamten Debatte um die Inkorporierung der Weimarer Kirchenartikel. Erst in letzter Lesung schlug der Redaktionsausschuß vor, auch Art. 136 WRV aufzuführen. Diesem Vorschlag folgte der Hauptausschuß in letzter Lesung am 5. 5. 1949. Die Inbezugnahme des Art. 136 I WRV rundete also im letzten Moment die Inkorporierung der Weimarer Staatskirchenartikel in ihrer Gesamtheit ab. Die Triebfeder hierfür waren eher gesetzestechnische Gründe und eine diffuse Besorgnis, man könne aus einem geschlossenen Ganzen, dem Art. 136 WRV, nicht nur einzelne Stücke herausnehmen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, etwas völlig neues und ungewolltes zu erschaffen. Überhaupt sind umfassende positive Rückschlüsse aus der Inkorporierung der Weimarer Kirchenartikel auf den historischen Willen des Verfassunggebers, was die Begrenzung der Religionsfreiheit als Grundrecht betrifft, mit besonderer Vorsicht zu beurteilen: In dem vorgerückten Stadium, in dem sich die Verhandlungen über das Grundgesetz befanden, als die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel anstand, hat der Verfassunggeber die Frage der Auswirkungen einzelner Artikel der Weimarer Reichsverfassung und ihrer Formulierungen auf die grundrechtlichen Freiheiten in ihrer ganzen Tragweite nicht mehr erschöpfend behandeln können 396 . Dennoch spricht in diesem Zusammenhang eine historische Bewandtnis dagegen, daß dem Art. 136 I WRV die Bedeutung eines Gesetzesvorbehalts für das Grundrecht der Religionsfreiheit unterlegt werden kann. Innerhalb der Weimarer Reichsverfassung hatte Art. 136 I WRV, so er als Gesetzesvorbehalt der Religionsfreiheit zu lesen ist, keinen eigenständigen Regelungsgehalt. Er war redundant formuliert und besaß lediglich eine deklaratorische Bedeutung, denn sein normativer Gehalt entsprach - als Gesetzesbefolgungspflicht - der ausdrücklichen Schrankenreglung des Art. 135 S. 3 WRV, dem Grundrecht der Religionsfreiheit der Weimarer Reichs Verfassung 397. Der Verfassunggeber des Grundgesetzes hätte sich also bei der Übernahme dieser Vorschrift bewußt sein müssen, daß er deren deklaratorische in eine konstitutive Bedeutung wandeln 395 Zur Chronologie, vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 73 (78), 899 (905, 907); Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschuß 1948/49, 57. Sitzung v. 5. 5. 1949, S. 745; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/136 WRV Rn. 4 Fn. 8; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 227 f.; W. Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (462 ff.). 396 K.-E. Schlief, Staat und Kirche, S. 80. 397 G. Anschütz, Reichs Verfassung, Art. 136 S. 623; N. Janz/S. Rademacher, NVwZ 1999, S. 706 (709).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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wollte. Die Zeit zu und die Eile, in der stillschweigend über die Inkorporierung des Art. 1361 WRV entschieden wurde, spricht daher gegen dessen dogmatischen Platz auf der Schrankenseite des Art. 4 GG 3 9 8 . Im Ergebnis spricht die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes damit eher dagegen, dem Art. 136 I WRV die Bedeutung eines Gesetzesvorbehalts der Religionsfreiheit beizumessen399. Das Argument, nur die isolierte Fortgeltung des Art. 136 I WRV mache es einsichtig, daß im unmittelbaren textlichen Zusammenhang des Grundrechts der Religionsfreiheit eine Schrankenregelung fehle 400 , verfängt nicht 4 0 1 : Weder hält die Entstehungsgeschichte eindeutige Anhaltspunkte dafür bereit, noch sind dem Grundgesetz vorbehaltlose Grundrechte neben dem der Religionsfreiheit unbekannt402.

2. Das Verhältnis von Art. 4 GG zu Art. 1361 WRV Fraglich ist, ob die systematische Auslegung des verfassungsrechtlichen Zusammenhanges zwischen dem Grundrecht der Religionsfreiheit und den Weimarer Kirchenartikeln, zu denen Art. 1361 WRV zählt, zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt. Grundsätzlich bilden die grundrechtliche und die staatskirchenrechtlichen Vorschriften trotz ihrer weit auseinandergezogenen Stellung im Grundgesetz einen unlösbaren Zusammenhang. Sie stellen bewußt und gewollt ein organisches Ganzes dar, ohne daß dem Grundrecht dabei ein unbedingter Vorrang vor den Artikeln der Weimarer Reichsverfassung eingeräumt worden wäre. Institutionelles Staatskirchenrecht und Grundrecht werden vielmehr als gleichwertig betrachtet 403. Dies könnte dafür sprechen, daß Art. 136 I WRV trotz seiner Zuordnung zur staatskir398

S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 228; zur „unnötigen Verdoppelung des Regelungsgehalts von Art. 135 S. 3 WRV", vgl. M. Winkler, Kollisionen, S. 250 f.; M. Mayer, NVwZ 1997, S. 561 (563); J. Winter, ZevKR 42 (1997), S. 372 (379 f.); T. Guber, „Jugendreligionen", S. 38 f.; S. Veelken, Das Verbot, S. 187. 3 99 Im Ergebnis auch T. Fleischer, Der Religionsbegriff, S. 25 ff., 167 ff.; A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 255 f.; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 110; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/136 WRV Rn. 12; R. Poscher, KritV 2002, S. 298 (301). 400 C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 76; femer H Nawiasky, Die Grundgedanken des Grundgesetzes, S. 24, der davon ausgeht, daß gewisse, an sich gebotene Schranken fehlen, weil sie schlichtweg vergessen wurden. Für die Vorbehaltlosigkeit einiger Grundrechte wird femer ein Redaktions versehen des Verfassunggebers ins Feld geführt, vgl. M. Kriele, JA 1984, S. 629 f. 401 W Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (467 Fn. 81). 402 Für Versammlungen, die nicht unter freiem Himmel stattfinden, enthält das Grundrecht des Art. 8 GG keinen Gesetzesvorbehalt. Auch die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft in Art. 5 III GG sind vorbehaltlos gewährleistet. Femer sind zu erwähnen Art. 9 III, 17, 16 II a.F. GG. 403 A. Hollerbach, in: HStR VI, § 138 Rn. 108; P. Badura, in: HdbStKirchR I, § 6 S. 241; J. Listi, in: HdbStKirchR I, § 14 S. 445; U. Scheuner, DÖV 1967, S. 585 (587); M. Kleine,

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chenrechtlichen Nomenklatur des Grundgesetzes als Gesetzesvorbehalt des Art. 4 GG in Betracht zu ziehen wäre 404 . Nach allgemeiner Auffassung setzt das Grundgesetz gleichzeitig jedoch andere Akzente als die Weimarer Reichsverfassung. Da es insbesondere die Gewährleistung grundrechtlich verbürgter Freiheiten betont, haben die überschriebenen Weimarer Kirchenartikel einen Bedeutungswandel erfahren. Dies wird zu Recht in ständiger Rechtsprechung vom Bundesverfassungsgericht hervorgehoben. Das Gericht führt deshalb in Sachen Grundrechtsbeschränkung durch Art. 136 I WRV aus, der Grundgesetzgeber habe die Glaubensfreiheit aus dem Zusammenhang der institutionellen Weimarer Kirchenartikel gelöst und ohne jeden Gesetzesvorbehalt in den Kanon der an der Spitze der Verfassung stehenden grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen gestellt. Die gegenüber der Weimarer Verfassung erheblich verstärkte Tragkraft der Grundrechte führe dazu, so das Bundesverfassungsgericht, daß das Gewicht der Glaubensfreiheit den Art. 136 WRV insgesamt „überlagere" 405 . Fraglich ist aber, was mit der Bezeichnung des „Überlagerns" gemeint ist. Das Bundesverwaltungsgericht, das seinerseits grundsätzlich für die Anwendung des Art. 136 I WRV als Gesetzesvorbehalt der Religionsfreiheit plädiert, lehnt es ab, ohne dafür nähere Gründe zu nennen, das „Überlagern" im Sinne eines generellen Zurücktretens oder der Nichtanwendbarkeit einfachgesetzlicher Regelungen gegenüber der Religionsfreiheit zu verstehen. Es interpretiert das Urteil des Bundesverfassungsgerichts also nicht in dem Sinne, daß bereits auf der ersten Stufe, nämlich der Frage, ob Art. 136 I WRV eine Schrankenregelung des Art. 4 GG darstellt, das Gewicht des Grundrechts die staatskirchenrechtliche Regelung zurückdrängt. Vielmehr ist das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung, der Terminus des „Überlagerns" könne erst auf der Stufe der Schranken-Schranken des Grundrechts seine Wirkung entfalten. Aber auch dort sei, so das Gericht, das „Überlagern" nicht als Apodiktum zu begreifen. Vielmehr deute der Terminus nur an, daß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ähnlich der Wechselwirkungslehre das einschränkende einfache Gesetz im Lichte der Religionsfreiheit ausgelegt und Religionsfreiheit und kollidierendes Rechtsgut gegeneinander abgewogen werden müßten. Am Ende dieses Prozesses könne, müsse aber nicht Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 146; K. Hesse, JöR N.F. 10 (1961), S. 3 (14, 17); BVerfGE 19, 206 (219); 19, 226 (236); 53, 366 (400); 66, 1 (22); 70, 138 (167). 404 So insb. S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 228 ff.; W. Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (470). 405 BVerfGE 33, 23 (29 ff.); zum Begriff der Überlagerung, vgl. auch M. Winkler, Kollisionen, S. 249 f.; C. Link, in: FS Thieme, S. 95 (108), demzufolge die Positionierung des Weimarer Staatskirchenrechts „mehr als eine Verlegenheitslösung" war. Auch E.-W. Bökkenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (46 ff.), dazu, daß es zumindest fragwürdig erscheint, ein Grundrecht mit einer Schranke zu belasten, die außerhalb des Grundrechtsteils der Verfassung liegt. Ebenso M. Fehlau, JuS 1993, S. 441 (446); S. Veelken, Das Verbot, S. 185 f.; kritisch M. Stolleis, JuS 1974, S. 770 (774 Fn. 30); R. Bäumlin, in: VVDStRL 28 (1970), S. 147 f.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

zwangsläufig das Ergebnis stehen, daß im konkreten Fall die Religionsfreiheit das einschränkende Gesetz überlagere 406. Fraglich ist jedoch, ob diese Ausführungen des Gerichts zum Begriff des „Überlagerns" den Kern dessen treffen, was das Bundesverfassungsgericht in seiner etwas enigmatischen Entscheidung meinte. So spricht das Bundesverfassungsgericht nicht davon, daß die Glaubensfreiheit das in einer einfachgesetzlichen Rechtsnorm geschützte Rechtsgut überlagere oder überlagern könne. Es führt vielmehr auf der grundsätzlichen Ebene des Gesetzesvorbehalts aus, daß durch Art. 4 GG die staatskirchenrechtliche Norm des Art. 1361 WRV als Norm überlagert werde. Das deutet darauf hin, daß das Gericht die Anwendbarkeit des Art. 136 I WRV als Schranke des Grundrechts der Glaubensfreiheit hat ausschließen wollen 407 . In der Literatur ist das Bundesverfassungsgericht auch überwiegend so verstanden worden, was ihm den Vorwurf einbrachte, daß es sich mit seiner eigenen Rechtsprechung zu den Weimarer Kirchenartikeln, die als vollgültiges Verfassungsrecht mit Art. 4 GG auf einer Stufe ständen, in Widerspruch gesetzt und Art. 136 I WRV für bedeutungslos erklärt habe 408 . Dieser Einwand fußt indessen auf der Prämisse, Art. 136 I WRV enthalte von seinem Telos und seinem Wortlaut her tatsächlich einen Gesetzesvorbehalt. Dies soll im folgenden überprüft werden.

3. Wortlaut, Telos und Systematik des Art. 1361 WRV Nach dem Wortlaut des Art. 136 I WRV werden die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt. Fraglich ist, inwieweit diese Verklausulierung als Vorbehalt zum Eingriff in die Glaubensfreiheit ausgedeutet werden kann. In jedem Falle besteht eine sprachliche Diskrepanz zu den für die übrigen Freiheitsrechte üblichen Gesetzesvorbehalten. Diejenigen, die für die Anwendung des Art. 136 I WRV als Schrankenklausel votieren, sehen die Kompatibilität in der Nennung der staatsbürgerlichen Pflichten. Zu diesen gehöre, so die Vertreter der Ansicht, die allgemeine Pflicht zum Gesetzesgehorsam 409. Daß die Pflichten durch die Religionsausübung nicht bedingt 406 BVerwG NJW 2001, S. 1225 (1226 f.); H. Jarass, in: Jarass /Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 17; A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 82. In einer kurz darauf ergangenen Entscheidung rekurrierte das BVerwG dann allerdings nicht mehr auf Art. 136 I WRV, um einen Eingriff in die Religionsfreiheit zu rechtfertigen, sondern zog kollidierendes Verfassungsrecht zu seiner Rechtfertigung heran, vgl. BVerwG NJW 2001, S. 1365 (1366). 407 So auch BVerfGE 93, 1 (21): „Das Grundrecht der Glaubensfreiheit ist vorbehaltlos gewährleistet". 408 S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 226; S. Veelken, Das Verbot, S. 185 f. 409 BVerwGE 112, 227 (231); U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 38; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 230; ders., in: Berliner Kommentar, Art. 4 Rn. 47; K.-H. Kästner, JZ 2002, S. 491 (493); W. Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (471); U. Mager, in: v. Münch/Kunig, GG,

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

noch beschränkt seien, heiße ganz einfach, daß sie vollständige rechtliche Wirkung unabhängig vom religiösen Status des einzelnen entfalteten. Damit werde aber, so fährt diese Ansicht fort, kein einfacher Gesetzesvorbehalt statuiert, sondern ein qualifizierter. Dieser mache die Ausübung der Religionsfreiheit von der Beachtung der allgemeinen Gesetze abhängig 4 1 0 . Fraglich ist aber, ob die Pflicht zum Gesetzesgehorsam als Schranke der allgemeinen Gesetze i m Wortlaut des Art. 1361 W R V angelegt ist. Inhaltlich, so wird gegen die oben angefühlte Auffassung gehalten, lasse sich die Verklausulierung des Aussagegehalts des Art. 136 I W R V nämlich nur so verstehen, daß ohne Ansehen der Religion jeder einzelne die gleichen Rechte und Pflichten habe 4 1 1 . Damit sei aber ein umfassendes Differenzierungsverbot und kein Gesetzesvorbehalt des Grundrechts der Religionsfreiheit gemeint 4 1 2 . Das Differenzierungsverbot sei nicht allein auf die Rechte, die Art. 136 I W R V benennt, zugeschnitten, sondern auch für die Pflichtenstellung des einzelnen sei die Vorschrift als Gleichheitssatz formuliert 4 1 3 . Diese Auslegung als umfassendes Differenzierungsverbot paßt eher zum Wortlaut der Norm als ihre Interpretation als Gesetzesvorbehalt. Denn Art. 136 I W R V nimmt sowohl auf die Unbedingtheit als auch auf die Unbeschränktheit der RechtsArt. 4 Rn. 47 f.; S. Veelken, Das Verbot, S. 185; dagegen T. Kuhl/P. Unruh, DÖV 1991, S. 94 (99); H.-H. Trute, Jura 1996, S. 462 (466). 410 A. v. Campenhausen, in: HStR VI, § 136 Rn. 82; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 230 f.; als einfachen Gesetzesvorbehalt legen Art. 136 I WRV aus: B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 538; R. Poscher, KritV 2002, S. 298 (301 f.); ähnl. D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 Rn. 4; S. Veelken, Das Verbot, S. 184 f. Auch die Schrankenregelung des Art. 135 S. 3 WRV, mit der der Art. 1361 WRV kongruierte, wurde aber bereits als Vorbehalt des allgemeinen Gesetzes ausgelegt, vgl. G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 135 S. 621. Einen ganz eigenen Begriff des „allgemeinen Gesetzes" hat U. K. Preuß, in: AK GG, Art. 4 Rn. 28 ff., entwickelt. Seiner Grundrechtstheorie zufolge organisieren die grundrechtlichen Freiheitsrechte den Bereich derjenigen gesellschaftlichen Freiheit, dem sie zugeordnet sind. Sie werden allein durch die Reichweite ihrer begrifflichen Elemente begrenzt. Hiernach stellt sich Art. 136 I WRV als „immanente Schranke" dar. Art. 4 GG ist für Preuß aber insoweit vorbehaltlos gewährleistet, als er den geistigen Prozeß in Glaubensfragen schützt. Nach dieser Auffassung wird ein allgemeines Gesetz nicht bereits dadurch qualifiziert, daß es kein Sondergesetz gegen die Religionsfreiheit schafft, sondern liegt erst dann vor, wenn es sich nicht gegen die Integrität des vorbehaltlos geschützten geistigen Prozesses richtet. Seiner strikten Scheidung von Moralität und Legalität entsprechend erlaubt Art. 4 GG vorbehaltlos die ideelle Einwirkung auf alle Rechtsgüter und stellt allein die materielle unter Schranken. Differenzierende Konsequenzen für die Qualifizierung des Vereinsgesetzes als Schranke der Religionsfreiheit zieht Preuß hieraus nicht (ebda. Rn. 20). 411 U. Hemmrich, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 140 Rn. 10. 412 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 437; J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 113; G. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 140 GG/136 WRV Rn. 2 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/136 WRV Rn. 11 f.; R. Faller, KritV 2002, S. 222 (232); J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 113; T. Fleischer, Der Religionsbegriff, S. 36 ff.; J. Winter, ZevKR 42 (1997), S. 372 (379); A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 255. 413 A. A. W Bock, AöR 123 (1998), S. 471; U. Κ Preuß, in: AK GG, Art. 140 Rn. 37: Schrankenvorbehalt hinsichtlich der Pflichten, Diskriminierungsverbot hinsichtlich der Rechte.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

pflichten des einzelnen Bezug. In diesem Rahmen erklärt er die Religion zu einem unzulässigen Differenzierungskriterium und statuiert ein Anknüpfungsverbot. Staatsbürgerliche Pflichten dürfen nicht von der Religion abhängen. Die in der Norm formulierte Pflicht zur Gleichbehandlung schafft damit - ohne daß ihr Wortsinn in ihr Gegenteil verkehrt würde - keinen Eingriffsvorbehalt in die Religionsfreiheit 414 Ferner spricht auch die systematische Beziehung des Art. 136 I WRV zu der Religionsfreiheit des Art. 4 GG dagegen, daß Art. 136 I WRV eine taugliche Schrankenregelung darstellt. Art. 136 I WRV wäre als Begrenzungsregelung der Religionsfreiheit eine Schrankennorm, die explizit nur die Religionsausübungsfreiheit beschränkte 415. Aus der Begrenzung der Vorschrift auf die Religionsausübungsfreiheit ergeben sich aber eine Reihe an systematischen Folgeproblemen, die gegen die Anwendung des Art. 136 I WRV als Gesetzesvorbehalt des Art. 4 GG sprechen. Zunächst ist zu bemerken, daß die Dogmatik der Weimarer Verfassung eine korporative Seite der Grundrechte nicht kannte. Bliebe man der Entstehungsgeschichte der potentiellen Schrankennorm verhaftet, ergäbe sich daher folgendes Bild: Art. 136 I WRV bezöge sich nur auf individuelle Rechtspositionen und käme daher allenfalls als Schranke der religiösen Individualrechte in Betracht 416 . Für die korporative Religionsfreiheit hätte Art. 136 I WRV dann keine Bedeutung 417 . Ferner erfaßt Art. 136 I WRV von seinem Regelungsgehalt her allein die Religionsfreiheit an sich, nicht aber die ebenfalls in Art. 4 GG anzusiedelnde Gewissensfreiheit. Das Grundgesetz hält aber auf der einen Seite keine rechtfertigenden Anhaltspunkte dafür bereit, daß es die Gewissensfreiheit und deren Ausübung stärker hat schützen wollen als die Religionsfreiheit. Auf der anderen Seite verbietet es eine Schrankenübertragung 418. Auch wenn das Gewissen als ethische Konstante heute in vielen Punkten nicht mehr untrennbar mit der Religion verbunden ist, wird konstatiert, daß eine für alle Fälle passende Abgrenzung beider Freiheiten nicht möglich sei 4 1 9 . Art. 136 I WRV fehlt daher auch in dieser Hin414 /?. Poscher, KritV 2002, S. 298 (301): „Diskriminierungsverbote werden auch sonst nicht als Gesetzesvorbehalt herangezogen". 415 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 536 ff. 416 Im Ergebnis K. Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen, S. 46. 417 Ähnl. auch S. Veelken, Das Verbot, S. 192; H.-H. Trute, Jura 1996, S. 462 (466). 418 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 309: „Die Grenzen dieser Gewährleistungen (können) ihre Grundlage allein in der Verfassung (Hervorh. im Original) finden." Ferner M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 90; vgl. aber auch M. Herdegen, Gewissensfreiheit, S. 289; H. Jarass, in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 4 Rn. 50: analoge Anwendung des Art. 136 I WRV auf die Gewissensfreiheit; dagegen W. Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (469 f.); zur Zulässigkeit der Schrankenübertragung femer oben § 3 Β. II. 419 C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 4 Rn. 13; E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (49 ff.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

sieht das Potential, als Grundlage der Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 4 GG zu fungieren 420 . Gegen die Annahme eines allgemeinen und umfassenden Gesetzesvorbehalts der Religionsfreiheit, der in Art. 136 I WRV anzusiedeln wäre, spricht ferner dessen Regelungstechnik selbst. So werden potentielle Konflikte zwischen Religionsfreiheit und staatlichen Interessen in den folgenden Absätzen dieser Verfassungsnorm gesondert geregelt. Ferner ist zu beachten, daß Art. 136 I WRV aus den Nachwehen des Kulturkampfes geboren wurde. Er sollte die religiösen Freiheiten nicht beschränken, sondern bestärken. Auch deshalb läßt er sich nicht in Richtung auf einen Gesetzesvorbehalt auslegen421. Es stellte zudem einen Bruch des grundgesetzlichen Systems dar, wenn die im Grundrechtskatalog gewährleistete Freiheit der Religion, die dort keinem ausdrücklichen Gesetzes vorbehält unterliegt, über den durch Art. 140 GG rezipierten Art. 136 I WRV gleichsam durch die Hintertür zur gesetzgeberischen Disposition gestellt würde 422 . Gerade im Hinblick auf die korporative Religionsfreiheit in ihrem Verhältnis zur profanen Vereinigungsfreiheit ergäbe sich ferner der befremdliche Befund, daß es über die staatskirchenrechtliche Norm gelänge, die religiöse Assoziationsfreiheit durch ein allgemeines (oder einfaches) Gesetz in weit höherem Maße einzuschränken als die profane Vereinigungsfreiheit, welche das Verbot einer Vereinigung allein in den drei genannten Fällen der Strafgesetzeswidrigkeit, der Verfassungswidrigkeit und der fehlenden Völkerfreundlichkeit vorsieht. Daß im Ergebnis also die Vorschrift des Art. 136 I WRV als umfassendes Differenzierungsverbot auszulegen ist, verurteilt den Art. 136 I WRV nicht zur Funktionslosigkeit. Seine vorgeschlagene Lesart führt vielmehr dazu, daß sein Aussagegehalt einen Ausschnitt derjenigen Gewährleistungen, welche die Art. 3 III und 33 III GG enthalten, bekräftigt. Für die Systematik des Grundgesetzes, das mit den Art. 136 I I WRV und 33 III GG deckungsgleich formulierte Normen kennt, ist dies kein der Verfassung fremdes Auslegungsergebnis 423. Da Art. 136 I WRV also als Differenzierungsverbot und nicht als Schrankenregelung zu lesen ist, setzt sich das Bundesverfassungsgericht in seiner „Überlagerungs-Entscheidung" auch nicht mit seiner eigenen Rechtsprechung zum Staatskirchenrecht als vollgültiges und gleichwertiges Verfassungsrecht in Widerspruch.

420 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 90; K. Fischer/T. (936 f.); a.A. W. Bock, AöR 123 (1998), S. 444 (469 f.).

Groß, DÖV 2003, S. 932

421 B. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (844). 422 N. Janz/S. Rademacher, NVwZ 1999, S. 706 (709); M. Fehlau, JuS 1993, S. 441 (445 f.). 423 K. Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen, S. 51 , S. Veelken, Das Verbot, S. 186.

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4. Ergebnis Art. 136 I WRV beschränkt, wie die entstehungsgeschichtliche, die grammatikalische, die teleologische und die systematische Auslegung der Bestimmung sowie das Verhältnis der Norm zu Art. 4 GG ergeben haben, das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht 4 2 4 . Das Grundrecht der Religionsfreiheit unterliegt damit im Ergebnis keinen geschriebenen Schranken, sondern kann unmittelbar nur durch die Verfassung selbst, also durch kollidierendes Verfassungsrecht, eingeschränkt werden. Der Befund der Vorbehaltlosigkeit des Art. 4 GG kann vor allem aber nicht mit der Auffassung umgangen werden, die Vorschrift des Art. 136 I WRV sei zunächst keine Schrankenregelung, sondern Teil des kollidierenden Verfassungsrechts, durch das die Garantie der Religionsfreiheit beschränkt werden könne. Als kollidierendes Verfassungsrecht enthalte, so macht diese Ansicht geltend, Art. 136 I WRV einen Gesetzesvorbehalt, der es mittelbar erlaube, Art. 4 GG durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zu begrenzen, ohne daß das einschränkende Gesetz seinerseits Ausdruck oder Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts sein müsse 425 . Da in diesem Vorgehen eine verdeckte Schrankenübertragung liegt, ist es im Ergebnis als systemwidrig abzulehnen. Festzuhalten bleibt daher, daß das Grundgesetz mit der Inkorporierung dieser unter der Weimarer Verfassung nur deklaratorisch wirkenden Vorschrift den Art. 136 I WRV nicht im Sinne eines konstititutiv wirkenden Gesetzesvorbehalts zu Art. 4 GG umcodiert hat. Art. 4 GG ist und bleibt ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, das allein durch die Verfassung selbst beschränkbar ist. Da Art. 4 GG also keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt enthält, bleibt für eine Anwendung des Vereinsgesetzes in diesem Rahmen kein Raum.

VI. Die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts Daß das Grundrecht der Religionsfreiheit keinen ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt enthält, bedeutet nicht zwangsläufig, daß das Verbot einer Religionsgemeinschaft über die Ermächtigungsgrundlage des Art. 9 II GG i.V.m § 3 I VereinsG von 424 So auch insb. E.-W. Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 (181); ders., VVDStRL 28 (1970), S. 33 (35, 46 f.); Κ Fischer/T. Groß, DÖV 2003, S. 932 (937); Η. M. Heinig, Religionsgesellschaften, S. 142; B. Pieroth/T. Kingreen, NVwZ 2001, S. 841 (844); M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 140 GG/136 WRV Rn. 12; B. Jeand'Heur/S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 15 f.; T. Fleischer, Der Religionsbegriff, S. 33; A. Isak, Das Selbstverständnis, S. 255; S. Veelken, Das Verbot, S. 193; M. Fehlau, JuS 1993, S. 441 (445 f.); N. Janz/ S. Rademacher, NVwZ 1999, S. 706 (709); J. Listi, Das Grundrecht der Religionsfreiheit, S. 58; J. Neumann, ZRP 1995, S. 381 (384); T. Guber, „Jugendreligionen", S. 38 f.; A. Hollerbach, in: HStR V, § 138 Rn. 20; BVerfGE 44, 37 (49 f.). 425 D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 Rn. 4. 20 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

vornherein ausgeschlossen wäre. Zu klären ist vielmehr, ob durch diese vereinsrechtlichen Vorschriften kollidierendes Verfassungsrecht konkretisiert und das Verbot einer Religionsgemeinschaft auf diesem dogmatischen Wege erlaubt wird. Die Religionsfreiheit ist ein verbaliter vorbehaltlos verbürgtes Freiheitsrecht. Als ausgeübte Religionsfreiheit manifestiert sich insbesondere das religiös motivierte Verhalten aber in der Sozial- und Rechtsordnung und kann mit ihr konfligieren. Da aus diesem Grunde die Vorbehaltlosigkeit eines Grundrechts nicht auch die Schrankenlosigkeit seiner Freiheitsgewährleistungen bedeuten kann, unterliegen auch die Freiheiten des Art. 4 GG gewissen Beschränkungen. Diese allerdings sind aus der Verfassung selbst zu ziehen. Art. 4 GG - hier in seiner Ausprägung als korporative Religionsfreiheit - läßt sich also lediglich unmittelbar aus der Verfassung selbst heraus beschränken. Der Begriff der verfassungsunmittelbaren oder verfassungsimmanenten Schranken wird gemeinhin durch den Terminus des kollidierenden Verfassungsrechts näher umschrieben. Stellt sich ein Gesetz als Ausdruck dieses kollidierenden Verfassungsrechts dar, taugt es in der Regel als gesetzliche Grundlage, um einen Eingriff in den Schutzbereich der Religionsfreiheit verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Zur Beantwortung der Frage, ob das Vereinsgesetz als Ausdruck verfassungsimmanenter Schranken des Art. 4 GG tauglich ist, die korporative Religionsfreiheit zu begrenzen, wird daher in einem ersten Schritt der Begriff des kollidierenden Verfassungsrechts näher beleuchtet und gefragt, ob das Vereinsgesetz grundsätzlich tauglich ist, als Ermächtigungsgrundlage für das Verbot einer Religionsgemeinschaft zu dienen, bevor dann in einem zweiten Schritt geprüft wird, ob die Alternativen des vereinsgesetzlichen Verbotstatbestandes je für sich genommen kollidierendes Verfassungsrecht konkretisieren.

1. Die verfassungsimmanenten Schranken des Art. 4 GG: Kollidierendes Verfassungsrecht Das sogenannte kollidierende Verfassungsrecht stellt eine verfassungsimmante Schranke der Grundrechte dar 4 2 6 . Auch Eingriffe in vorbehaltlos gewährleistete Freiheiten sind dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn durch den Eingriff kollidierendes Verfassungsrecht konkretisiert wird. Wie wird aber kollidierendes Verfassungsrecht gewonnen und welche Regelungen der Verfassung taugen dazu, den Begriff des kollidierenden Verfassungsrechts auszufüllen? Die Terminologie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einschränkbarkeit vorbehaltlos, gleichwohl aber nicht schrankenlos gewährleisteter 426 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 325; Ρ Lerche, in: HStR V, § 122 Rn. 14, 23 f.; M. Kriele, in: HStR V, § 110 Rn. 69; M. Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 120 ff.; Κ Hesse, Grundzüge, Rn. 312; H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. Art. 1 Rn. 37 f.; H. Dreier, in: Dreier, GG, Vor Art. 1 Rn. 88 ff.; für die Religionsfreiheit, vgl. B. Jean d'Heur/ S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 127.

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Grundrechte zeichnet sich weder durch ihre Einheitlichkeit noch durch ihre begriffliche Bestimmtheit aus. Beginnend mit der Formel, den vorbehaltlosen Grundrechten seien allein durch „kollidierende Grundrechte und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Weitordnung" 427 des Grundgesetzes Schranken gezogen, schwankt die Terminologie in den folgenden Entscheidungen. Sie pendelt zwischen dem Erfordernis der Ableitbarkeit begrenzungstauglicher Verfassungsgüter aus der geschriebenen Verfassung selbst 428 und der Betonung der grundgesetzlichen Weitordnung oder des grundlegenden Weitsystems der Verfassung 429, das der Freiheitsträger zu beachten habe, bis hin zu den anderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes 430, zu denen der Freiheitsgebrauch sich nicht in Widerspruch setzen dürfe. Ferner werden die obersten Grundwerte 431, die Grundwerte, Strukturprinzipen und Staatszielbestimmungen der Verfassung 432 sowie andere Rechtsgüter mit Verfassungsrang 433 für tauglich befunden, dem Freiheitsgebrauch Schran1

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ken zu setzen . Das Konzept der verfassungsunmittelbaren Schranken vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte ist insgesamt in die Schußlinie literarischer Kritik geraten. Im Hintergrund dieser Kritik stehen nicht allein der Wortlaut der Verfassung und der bestrittene Wille des Verfassunggebers, die vorbehaltlosen Grundrechte aufzuwerten. Vor allem die Unbestimmtheit derjenigen Verfassungswerte, die als schrankenziehende Verfassungsgüter in Betracht kommen, rücken das Konzept in das Zentrum kritischer Auseinandersetzung. Hier wird die Aufweichung der Normativität der Verfassung moniert: Was alles in den Rang eines Rechtsweites der Verfassung erhoben werden könne, sei, so die kritischen Stimmen, allein durch den Erfinder dieser Formel selbst beantwortbar. Ferner mache das Konzept des Bundesverfassungsgerichts, wie sich dies zumindest an einigen Formulierungen zur Beschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte ablesen lasse, so ein weiterer Kritikpunkt aus anderer Richtung, Anleihen an der bereits aufgegeben geglaubten verwaltungsgerichtlichen Lehre des Gemeinschaftsvorbehalts der Grundrechte. Schlußendlich 427 BVerfGE 28, 243 (260 f.). 428 BVerfGE 30, 173 (193): keine Relativierung durch unbestimmte Klauseln „ohne verfassungsrechtlichen Ansatzpunkt"; BVerfGE 67, 213 (228): „Grenzen unmittelbar in anderen Verfassungsbestimmungen"; auch BVerfGE 81, 278 (293); 41, 29 (50); 44, 37 (49 f.); 44, 59 (67); 47, 327 (369); 49, 24 (55 ff.); 52, 223 (246 f.); 57, 70 (99); 67, 213 (228); 77, 240 (255); 83, 130 (139); 84, 212 (228); 92, 26 (41); 93, 1 (21); 94, 268 (284); BVerwGE 37, 265 (267 ff.); 49, 202 (209); 83, 358 (365); OVG NW NWVB1. 1994, S. 144 (146). 429 BVerfGE 32, 98 (108). 430 BVerfGE 33, 23 (29). 431 BVerfGE 33, 52 (70 f.). 432 BVerfGE 81, 278 (292). 433 BVerfGE 83, 130(139). 434 Zur Religionsfreiheit, vgl. insb. BVerfGE 32, 98 (108); 33, 23 (29); 41, 29 (50); 44, 37 (49 f.); 44, 59 (67); 52, 223 (246 f.). 20*

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mißachte es auch den Gehalt der Grundrechtsbindungsnorm des Art. 1 III GG 4 3 5 . Daß Freiheitsrechte, auch vorbehaltlos garantierte, in einer auf Sozialverträglichkeit fußenden Gesellschaft begrenzt werden müssen, steht dabei aber grundsätzlich außer Zweifel 436 . Der Staat, der als Ordnungsmacht die Freiheit und die Gleichheit seiner Bürger sichert, hat dafür Sorge zu tragen, daß die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zusammenklingt. Letztlich ist jedoch differenzierend danach zu fragen, welchen verfassungsrechtlichen Vorgaben freiheitslimitierende Funktionen und Inhalte beigemessen werden können. Als Basissatz der herrschenden Literatur und Rechtsprechung gilt in diesem Rahmen zunächst, daß Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtsgüter zur Begrenzung vorbehaltloser Freiheitsverbürgungen in Betracht kommen 437 . Die Herleitung grundrechtsbegrenzender Rechtsgüter muß also im Ergebnis an das Verfassungsrecht selbst rückgebunden werden.

2. Das Erfordernis eines einfachen Gesetzes Auch im Rahmen der Einschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte entfalten zwei Grundsätze ihre Wirkungen. Es sind dies der Grundsatz des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts und der rechtsstaatliche Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes. Beide werden zuweilen mit einem unterschiedlichen normativen Gehalt versehen: hier das Verbot eines Eingriffs ohne Gesetz, dort die Erlaubnis eines Eingriffs durch oder aufgrund eines Gesetzes; sie werden zuweilen als Synonyme gebraucht und zuweilen zu einer Synthese verbunden 438: Daß auch der gezielte rechtliche Eingriff in vorbehaltlose Grundrechte einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedarf, die kollidierendes Verfassungsrecht konkretisiert, folgt eben aus diesen beiden Grundsätzen, dem Grundsatz des grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts und dem rechtsstaatlichen Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes439. Welche Argumente aus beiden Grundsätzen fruchtbar ge435 w. Schmidt, AöR 106 (1981), S. 497 (498); M. Kriele, in: HStR V, § 110 Rn. 69 ff.; ders., in: Recht, Vernunft, Wirklichkeit, S. 604 ff.; J. Isensee, in: HStR I, § 13 Rn. 142; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 316: „Das Fehlen eines Gesetzesvorbehalts deutet nicht ohne weiteres auf eine erhöhte Schutzwürdigkeit des gewährleisteten Rechts hin". 436 c. Bamberger, Der Staat 39 (2000), S. 355 (357); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 249 ff.; C. Bumke, Der Grundrechtsvorbehalt, S. 152 ff. 437 c. Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 35 ff.; K. Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen, S. 229 ff.; U. Mis-Paulußen, Zur Frage der Begrenzung, S. 7 ff. 438 Zur Unterscheidung der normativen Grundgehalte beider Grundsätze, vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 370 ff. m. w. Ν.; H. Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (27 f.); als Synthese, vgl. BVerwGE 90, 112 (122); zum synonymen Gebrauch, vgl. F. Ossenbühl, in: HStR III (Vorauflage), § 62 Rn. 12. 439 Gerade für die Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht wird das Erfordernis, dieses kollidierende Verfassungsrecht durch einen legislatorischen Akt zu konkretisieren, um einen Eingriff zu rechtfertigen, in neuerer Zeit zunehmend

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macht werden, um das Erfordernis einer einfachgesetzlichen Bestimmung für einen unmittelbar rechtsförmlichen Eingriff in ein vorbehaltloses Grundrecht wie den des Verbotes einer Religionsgemeinschaft als Eingriff in Art. 4 GG zu begründ e n 4 4 0 , soll i m folgenden referiert werden. Als formelle Erlaubnissätze eximieren die Gesetzesvorbehalte der Grundrechte den Gesetzgeber ein Stück weit von seiner Bindung an sie (Art. 1 I I I GG). Sie lassen an sich verbotenes Staatshandeln z u 4 4 1 . Da die in ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Verfassungsrecht selbst abzuleitenden Begrenzungen vorbehaltloser Grundrechte wie Schranken grundrechtlicher Freiheiten wirksam werden 4 4 2 , ist auch bei der textlich, keineswegs aber tatsächlich schrankenlos gewährleisteten Religionsfreiheit ein ungeschriebener Gesetzesvorbehalt mitzudenken. Der für alle Grundrechte geltende grundrechtliche Gesetzesvorbehalt folgt für vorbehaltlose Grundrechte außerdem aus dem nachfolgenden Erst-Rechtin Zweifel gezogen. Verfassungsunmittelbare Schranken gälten nach ihrem Begriff und ihrer dogmatischen Konstruktion gerade unmittelbar (ex constitutione) und dürften von allen rechtsanwendenden Organen auch ohne gesetzgeberische Ermächtigung zur Anwendung gebracht werden. Dies enthebe die Dogmatik von der Entscheidung, ob es sich bei verfassungsunmittelbaren Schranken bereits um Begrenzungen der Schutzbereiche der Grundrechte oder um Rechtfertigungsmöglichkeiten für Eingriffe in ihre Schutzbereiche handele. Dieses Problem soll hier nicht ausführlich diskutiert werden, vgl. dazu E.-W. Böckenförde, Der Staat 42 (2003), S. 165 (169 ff.). 440 Auf die Diskussion, wann schlichtes Verwaltungshandeln einen Grundrechtseingriff darstellt, und die Problematik um Erfordernis und Ausgestaltung einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bei indirekten oder mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffen, die sich insbesondere im Hinblick auf behördliche Warnungen vor den sogenannten „neuen Jugendreligionen" entwickelt hat, braucht dagegen nicht eingegangen zu werden. Es ist unbestritten, daß es für das Verbot einer Religionsgemeinschaft als zielgerichtetem und unmittelbar-rechtlichem Eingriff in das Grundrecht der Religionsfreiheit einer einfachgesetzlichen Eingriffsgrundlage bedarf. Aus dem umfangreichen Schrifttum und der Rechtsprechung zum Problem der behördlichen Warnungen sowie der Warnungen staatlich geförderter Vereine gegenüber den „neuen Jugendreligionen", zum Problem des mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffs und der Rolle der Wesentlichkeitslehre, vgl. nur BVerwGE 82, 76 (81): gesetzesfreier Grundrechtseingriff; BVerwG NJW 1991, S. 1766 (1769); OVG NW NVwZ 1991, S. 176 (177); OVG NW NVwZ 1997, S. 302; OVG NW NJW 1996, S. 3355 f.; OVG NW NJW 1996, S. 2114: Kollidierendes Verfassungsrecht als solches reicht aus, eine einfachgesetzliche Eingriffsermächtigung ist nicht erforderlich. Ähnl. auch J. Kokott, in: Sachs, GG, Art. 4 Rn. 105: geringere Anforderungen an die gesetzliche Eingriffsgrundlage; kritisch Κ Hesse, JZ 1991, S. 744 (746): Ablösung des Rechtsstaates gegen den Schutzstaat. Für eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage bei tatsächlichen Eingriffen in Grundrechte, vgl. BVerwGE 90, 112 (122 ff.); F. Schock, DVB1. 1991, S. 667 (670 f.); B. Jean d'Heur/ S. Korioth, Staatskirchenrecht, Rn. 144 ff., 149; S. Muckel, JA 1995, S. 343 ff.; H. W. Alberts, CR 1995, S. 422 (425 ff.); ders., ZRP 1993, S. 432 (433 ff.); zur Warnung der Bundesregierung vor „destruktiven, pseudoreligiösen und manipulativen Jugendsekten" (Osho), vgl. jetzt auch BVerfG DVB1. 2002, S. 1351 (1355): Eine gesetzliche Grundlage bei mittelbar faktischen Eingriffen ist nur dann erforderlich, wenn der mittelbar faktische Eingriff ein funktionales Äquivalent zum imperativen Eingriff darstellt. 441 M. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 113. 442 β. Pieroth, AöR 114 (1989), S. 422 (442 ff.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Schluß: Das Grundgesetz ist weit davon entfernt, die Möglichkeit zu eröffnen, daß in seine vorbehaltlosen Grundrechte unter formal geringeren Voraussetzungen eingegriffen werden darf als dort hinein, wo es die Notwendigkeit von Konfliktlösungen selbst gesehen und deren formale Voraussetzungen geschaffen hat 4 4 3 . Eine gesetzliche Eingriffsgrundlage, die begrenzungstaugliches Verfassungsrecht konkretisiert, ist für Eingriffe in das Grundrecht der Glaubensfreiheit auch bereits aufgrund des aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatzes des Vorbehalts des Gesetzes erforderlich. Das an die Staatsgewalten gerichtete Verbot, ohne gesetzliche Grundlage unmittelbar rechtlich eingreifend tätig zu werden, erstreckt sich auch auf vorbehaltlose Grundrechte. In diese darf allein durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes, das im parlamentarischen Verfahren durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber beschlossen wurde, gezielt eingegriffen werden. Dieser Grundsatz erhellt aus der Aufgabe der Gesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat: Die „offene Verfassung" 444 hat grundlegende Fragen des Zusammenlebens im Gemeinwesen unbeantwortet gelassen oder nur angedeutet. Detaillierte Regelungen mit konkreten Rechtsfolgen sind nicht nur aufgrund des fehlenden Konsenses der an der Verfassunggebung beteiligten Personen selten. An ihnen mangelt es auch nicht zuletzt deshalb, weil die Verfassung als Grundgesetz zustimmungs- und zukunftsfähige Grundsätze der Gestaltung von Staat und Gesellschaft aufstellt. Sie hat deren detaillierte Regelung in die Hände des demokratisch legitimierten Parlaments als Gesetzgebungsorgan gelegt, damit dieses im freien demokratischen Staatswillensbildungsprozeß konkrete Lösungen aushandeln kann. Klassisch grundlegende Fragen, wie unmittelbar-finale rechtliche Eingriffe in „Freiheit und Eigentum", und auch wesentliche Fragen 445 sind daher dem Parlament zur Lösung überantwortet. Aufgrund seiner von außen kommenden demokratischen Legitimation und wegen seiner prozeduralen Binnendemokratisierung ist die Kompetenz, verfassungsrechtliche Spannungsverhältnisse durch eine erforderliche Abwägung widerstreitender Rechtspositionen zu lösen, in erster Linie dem Gesetzgeber zugewiesen446. 443 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 333. 444 Der Begriff der Offenheit der Verfassung hat mehrere Bedeutungen. Im Sinne eines Rahmenverständnisses der Verfassung für den politischen Prozeß und der Lückenhaftigkeit der Verfassung wird er benutzt von C. Gusy, JöR N.F. 33 (1984), S. 105 (113, 117, 120 u. passim) und R. Wahl, Der Staat 20 (1981), S. 485 ff.; im Sinne der Offenheit der Verfassung für Konkretisierungen versteht ihn M. Morlok, Verfassungstheorie, S. 106 f.; im Sinne der Lernbereitschaft der Verfassung und ihrer Aufgeschlossenheit für den sozialen Wandel wird er gebraucht von R. Steinberg, JZ 1980, S. 385. 445 Das BVerfG mißt dem Parlamentsvorbehalt auch die Funktion zu, kollidierende Verfassungspositionen zum Ausgleich zu bringen. BVerfGE 57, 295 (320 f.); zur Wesentlichkeitslehre, vgl. BVerfGE 34, 165 (192 f.); 40, 237 (249); 49, 89 (127); 58, 257 (278); 61, 260 (275); 76, 1 (75 f.); 77, 170 (230 f.); 84, 212 (226); 95, 267 (307 f.); BVerfG NJW 1998, S. 2515 (2520 ff.); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 264 ff.; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 503 ff.; M. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 117; D. C. Umbach, in: FS Faller, 1984, S. 111; zur Komplementärfunktion des Parlaments- zum Gesetzesvorbehalt, vgl. H. Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (31 ff.); BVerwGE 42, 331 (335); 72, 265 (266); 90, 112 (122).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

Ohne konkretisierenden Akt des Gesetzgebers läßt sich deshalb die Schrankenziehung durch kollidierende Rechtsgüter nicht zur Eingriffsermächtigung hochzonen. Denn kollidierendes Verfassungsrecht auch in Form von objektiven Verfassungsprinzipien ist als verfassungsunmittelbare Eingriffsermächtigung zu vage formuliert, als daß es einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen ersetzen könnte. Das Verfassungsgesetz belastet weder unmittelbar den Bürger noch ermächtigt es den Staat zu unmittelbaren Eingriffen 447 . Für den unmittelbaren und rechtsförmlichen Eingriff in das vorbehaltlose Grundrecht der Religionsfreiheit durch das Verbot einer Religionsgemeinschaft ist damit im Ergebnis eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich, die kollidierendes Verfassungsrecht konkretisiert.

3. Strenge Akzessorietät des Vereinsgesetzes zu Art. 91, I I GG: Ist das Vereinsgesetz eine taugliche Ermächtigungsgrundlage zur Einschränkung der Religionsfreiheit? Zunächst ist dafür zu klären, ob das Vereinsgesetz in diesem Rahmen überhaupt auf das religiöse Vereinswesen, welches durch Art. 4 GG und Art. 137 II WRV erfaßt wird, Anwendung finden kann 448 . Das Vereinsgesetz ist als Ausführungsgesetz zu Art. 9 II GG ergangen. Art. 9 II GG normiert nicht nur abschließend sämtliche materiellen Voraussetzungen des Vereinsverbots, sondern enthält auch von Verfassungs wegen bereits die Rechtsfolge, daß nämlich Vereinigungen von Deutschen, die seine materiellen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllen, verboten sind. § 3 I VereinsG dagegen enthält keinen eigenständigen materiellen Eingriffstatbestand für Deutschenvereine. Die einfachgesetzliche Regelung scheint die Anwendbarkeit des Art. 9 I GG vielmehr vorauszusetzen449. In seinem § 3 I 1 VereinsG nimmt es die Verfassungsnorm sogar ausdrücklich in Bezug. Diese Inbezugnahme legt eine strenge Akzessorietät des Vereinsgesetzes zu dem Grundrecht der Vereinigungsfreiheit nahe. Mit anderen Worten: Es liegt nicht fern, daß der Regelungsbereich des vereinsgesetzlichen Verbotstatbestandes von vornherein nur solche Vereinigungen erfaßt, die direkt unter den Schutzbereich und die Schranken des Art. 9 I, I I GG fallen. Religionsgemeinschaften tun dies nicht. Werden sie aber von vornherein nicht vom Verbotstatbestand des Vereinsgesetzes erfaßt, bricht die spezielle einfachgesetzliche Eingriffs446 BVerfGE 41, 29 (50). 447 M. Heintzen, VerwArch. 81 (1990), S. 532 (554 f.); J. Isensee, in: FS Kriele, S. 13 f.; T. Wülfing, Gesetzes vorbehalte, S. 40. 448 Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers zur Erstreckung des Vereinsrechts auf Religionsgemeinschaften wird verneint von G. Schiller, ZevKR 48 (2003), S. 257 ff. 449 Zum Teil wird daher die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf Religionsgemeinschaften von Deutschen ganz ausgeschlossen, vgl. L. Michael, JZ 2002, S. 482 (488); C. Gusy, Die Polizei 2002, S. 185 (191).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

grundlage für ein Verbot von Religionsgemeinschaften weg. Die Folge wäre das subsidiäre und bei Gefahridentität 450 höchst zweifelhafte „Must", über die polizeiund ordnungsbehördlichen Generalklauseln, denen das Übermaßverbot eine ausdrückliche Grenze zulässiger Maßnahmen ist, gegen den Bestand von Religionsgemeinschaften vorzugehen. Aus dem Willen des Vereinsgesetzgebers ergibt sich aber die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf Korporationen aller Art, gleich ob sie dem Art. 9 I GG unterfallen oder von anderen Freiheitsrechten regiert werden. Dies läßt sich ablesen aus der ausdrücklichen, wenn auch deklaratorischen Ausnahme der in § 2 II VereinsG genannten Zusammenschlüsse aus dessen Regelungsbereich. Ferner manifestiert sich die gesetzgeberisch gewollte Ausdehnung des Anwendungsbereichs des einfachgesetzlichen Vereinsgesetzes vor allem in der Streichung des Religionsprivilegs selbst. Dieser offensichtliche gesetzgeberische Wille hat das Bundesverwaltungsgericht dazu veranlaßt, für den Fall, daß § 3 VereinsG als Eingriffsgrundlage für Religionsgemeinschaften von Deutschen ausscheiden muß, eine unbeabsichtigte und planwidrige Lücke des Vereinsgesetzes festzustellen 451. Den kreativen Lückenschluß vollzieht das Gericht deshalb durch eine analoge Anwendung des speziellen Verbotstatbestandes für Ausländervereinigungen aus §141 1 VereinsG, da diese für Ausländer geltende Norm nicht auf das Deutschengrundrecht aus Art. 9 I GG zugeschnitten ist. Im Ergebnis wird die Anwendbarkeit der vereinsrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen als Ausdruck kollidierenden Verfassungsrechts auf Religionsgemeinschaften damit nicht von vornherein ausgeschlossen. Deshalb stellt sich die Frage, ob das Vereinsgesetz, das zu einem Verbot einer Vereinigung ermächtigt, wenn deren Zwecke oder Tätigkeiten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Völkerverständigung richten oder den Srafgesetzen zuwiderlaufen, mit diesen Tatbeständen kollidierendes Verfassungsrecht konkretisiert und mithin tauglich ist, die Verwaltung zu Eingriffen in die Religionsfreiheit zu ermächtigen.

4. Die Verbietbarkeit der Kirchen und anderen „Religionskörperschaften" des öffentlichen Rechts Im Anschluß an die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes stellt sich im Zusammenhang mit den inkorporierten Religionsgemeinschaften noch die (ganz hypothetische) Frage, ob die Religionsgemeinschaften mit Körperschaftsstatus formell dem Vereinsgesetz überhaupt unterfalle, oder ob ihnen - auch nach Streichung 450

Grundsätzlich umfaßt das Vereinsgesetz die allgemeine Gefahrenabwehr auf dem Gebiet des Vereinigungswesens und läßt bei Vorliegen einer Gefahrenidentität ein Vorgehen gegen Vereine aufgrund der polizeirechtlichen Generalklausel nicht zu, vgl. K. Petzold, NJW 1964, S. 2281; zum früheren Streitstand, vgl. M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 23 Fn. 63. 451 BVerwG DVB1. 2003, S. 873 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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des Ausnahmetatbestandes - zunächst ihr Körperschaftsstatus aberkannt werden müßte, bevor sie - als privatrechtlich organisierte Vereinigungen - verboten werden könnten 452 . Dieser als casus Irrealis bezeichnete Fall 4 5 3 ist in der Literatur dogmatisch bisher eher beiläufig diskutiert worden. Im Zuge der Gesetzesänderung kommt dieser Frage allerdings insofern Bedeutung zu, als daß die fehlende Möglichkeit, inkorporierte Religionsgemeinschaften (Kirchen) nach dem Vereinsgesetz verbieten zu können, zu einer unzulässigen Privilegierung dieser Körperschaften gegenüber privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften führen müßte 454 .

a) Der Körperschaftsstatus

als formales Verbotshindernis

Es fragt sich also, ob der öffentlich-rechtliche Status einer Religionsgemeinschaft ein grundsätzliches Verbotshindernis darstellt. Zunächst ist deshalb zu klären, ob Kirchen und Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts überhaupt in den Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes und seines Verbotstatbestandes fallen. Vereinzelt wird dazu in der Literatur vertreten, der Grund für eine rechts satzunabhängige Exemtion der Religionsgesellschaften mit Körperschaftsstatus vom Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes sei in ihrer öffentlich-rechtlichen Rechtsform zu finden 455 . Dies klingt jedoch weder in der Regierungsbegründung zum Vereinsgesetz von 1964 an 4 5 6 noch wird sie durch dessen Wortlaut suggeriert. Im übrigen wird zunehmend die formelle Grundregel in Zweifel gezogen, daß öffentlich-rechtliche Organisationen allein aufgrund ihrer Rechtsform nicht unter den Begriff der Vereinigung des Art. 9 I GG zu subsumieren und deshalb per se vom Geltungsbereich des Vereinsgesetzes auszuschließen seien. Ein Ausschluß öffentlich-rechtlicher Rechtsformen vom Anwendungsbereich des Art. 9 I, II GG wird im allgemeinen nur dann angenommen, wenn deren Existenz als Zwangsgemeinschaften nicht vom Willen der Mitglieder getragen wird, sondern auf staatlichem Gestaltungsakt beruht. In diesen Fällen drückt der Körperschaftsstatus eine kompetenzrechtliche Entscheidung des Staates aus und beruht gerade nicht auf dem grundrechtlich verbürgten Freiheitsgebrauch des Art. 9 I GG 4 5 7 . 452

Ausführlich H. M. Heinig, Religionsgesellschaften, S. 363 ff. 453 w. Löwer, in: BK GG, Art. 74 Nr. 3 Rn. 34 f.; A. v. Campenhausen, in: v. Mangoldt/ Klein/v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Art. 140 GG/137 V WRV, Rn. 147,150. 454 G. Schiller, ZevKR 48 (2003), S. 257 (278 f.). 455 Fröhlich, DVB1. 1964, S. 799 (800); Κ Meyer, in: Erbs/ Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 2 Anm. 3 S. 10. 456 K.-H. Seifert, DÖV 1964, S. 685 (687). 457 A. Rinken, in: AK GG, Art. 9 Abs. 1 Rn. 50; E. Stein, Staatsrecht, S. 327: alle Körperschaften des öffentlichen Rechts, in denen der gesellschaftliche Einfluß überwiegt, unterfallen Art. 9 I GG. G. Held, Religionsgemeinschaften, S. 39 Fn. 14: „Der häufig betonte

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Indes lassen sich die inkorporierten Religionsgemeinschaften wie dargelegt nicht auf der Seite staatlicher Gestaltungsmacht ansiedeln. Zudem werden ihre Mitglieder weder zwangsvereinnahmt noch am Austritt gehindert 458 . Sowohl der Erwerb der Mitgliedschaft als auch der Austritt beruhen grundsätzlich auf ihren freiwilligen Entscheidungen459. Während die Zugehörigkeitsregelungen an religionsgemeinschaftliches Binnenrecht wie die Taufe anknüpfen (die katholische Kirche hat dieses Taufband lange Zeit als unlösbar erachtet 460), regeln staatliche Kirchenaustrittsgesetze die freiwillige Aufgabe der Mitgliedschaft zumindest mit bürgerlich-rechtlicher Wirkung. Das Parochialrecht dagegen erfaßt allein die zuziehenden Mitglieder protestantischer Kirchengemeinden 461. Auch die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften mit öffentlich-rechtlichem Körperschaftsstatus sind damit Ausdruck grundrechtlichen Freiheitsgebrauchs und dem Grundrecht der religiösen Vereinigungsfreiheit zuzuordnen. Da ihr öffentlich-rechtlicher Status nicht per se ein Verbotshindernis darstellt, fallen auch sie nach Streichung des Religionsprivilegs unter das Vereinsgesetz.

b) Verfassungsrechtliche B e stands garantie für altinkorporierte Religionsgemeinschaften? Gegen die Möglichkeit, eine Religionskörperschaft auf einfachgesetzlicher Ermächtigungsgrundlage zu verbieten, könnte sprechen, daß das Grundgesetz zumindest für altinkorporierte Kirchen und Religionsgemeinschaften mit Art. 137 V WRV eine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie ausspricht. Die Folge wäre, daß, bevor eine solche „geborene" Religionsgemeinschaft verboten werden könnte, ihr per verfassungsänderndem Gesetz der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts entzogen werden müßte. Dies wird zum Teil so vertreten 462 . Gegen die Notwendigkeit eines verfassungsändernden Gesetzes sprechen aber Parallelüberlegungen zum freiwilligen Verzicht oder unfreiwilligen Verlust des Körperschaftsstatus einer Religionsgemeinschaft. Hierzu wird in der Regel vertreten, daß zum Beispiel der Austritt aller Mitglieder aus einer auch altinkorporierten Religionsgemeinschaft ohne weiteres zu deren Auflösung führe 463 . Ferner könne in diesem Umstand, daß der öffentlich-rechtliche Status die Religionsgemeinschaften aus der Masse der Privatvereine heraushebt, ist rechtlich bedeutungslos". A. A. D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 67. 458 BVerfGE 30, 415 (423). 459 Anders ist dies grundsätzlich bei israelitischen Gemeinden, die die Zugehörigkeit an die Abstammung knüpfen, vgl. BVerwGE 21, 330 (334); VG Frankfurt KirchE 11, S. 274 und E 20, S. 97 ff.; BVerfGE 19, 206 (216); A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 163, 170 ff.; C. Link, ÖAKR 22 (1971), S. 299 (308). 460 Schreiben Pius IX. (7. August 1873), abgdr. bei E. R. Huber/W. Huber, Staat und Kirche II, S. 616 f. 461 Näher Λ. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, S. 174 ff. 462 D. Ehlers, in: Sachs, GG, Art. 140 GG/137 WRV Rn. 20 a.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Falle, so diese Auffassung weiter, also dem Wegfall der Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft, der Körperschaftsstatus auch entzogen werden 464 . Diese Auffassung wird flankiert durch das allgemeine Recht zu den Korporationen. Dort gilt es als Grundsatz, daß ein Verein ohne Mitglieder als „herrenlose Hülle" undenkbar ist 4 6 5 . Wenn also ein freiwilliger Verzicht oder ein unfreiwilliger Verlust des Körperschaftsstatus auch bei „geborenen" Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts möglich ist, erscheint es im Ergebnis zumindest sehr zweifelhaft, daß einem Verbot derselben Religionsgemeinschaft zunächst eine Verfassungsänderung vorausgehen müßte.

c) Zweistufigkeit des Verbotsverfahrens: Feststellungswirkung des Verleihungsaktes? Es fragt sich ferner, ob ein Verbotsverfahren gegen eine Religionsgemeinschaft mit öffentlich-rechtlichem Status zweistufig ausgestaltet sein müßte; zur Auflösung inkorporierter Religionsgemeinschaften insbesondere also ein den Verleihungsakt aufhebender actus contrarius notwendig ist 4 6 6 , bevor die betreffende Religionsgemeinschaft dann als privatrechtliche Vereinigung verboten werden könnte. Aufgrund der Bestandskraft und der Tatbestandswirkung des Verleihungsaktes nach Art. 137 V WRV, der als Verwaltungsakt zu klassifizieren ist, richtet sich der Entzug der Körperschaftsrechte gegen den Willen zumindest einer unter dem Grundgesetz neuinkorporierten Religionsgemeinschaft grundsätzlich nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts über die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten (§§ 48, 49 VwVfG). Die Körperschaftsrechte könnten also grundsätzlich nur im Falle ihrer Erschleichung oder bei späterem Wegfall der Tatbestandsvoraussetzungen aufgehoben werden 467 . Im Falle eines Vereinsverbots aufgrund der in der Ermächtigungsgrundlage genannten Tatbestandsmerkmale könnten die Dinge allerdings anders liegen. Fraglich ist nämlich insbesondere, ob die Rechtswirkung der mit der Statusverleihung verbundenen materiellen „Aner463 G. Held, Die kleinen Religionsgemeinschaften, S. 144 f.; Η. Weber, ZevKR 34 (1989), S. 337 (362); BVerwG NJW 1998, S. 253 ff.; VG Berlin NVwZ 1995, S. 513 ff.; H.Weber, NJW 1998, S. 197; G. Anschütz, Verfassungsurkunde, S. 260 - allerdings vor Inkrafttreten der WRV. 464 G. Held, Die kleinen Religionsgemeinschaften, S. 145 ff.; J. Lehmann, Religionsgesellschaften, S. 134; W. Weber, in: FS Jellinek, S. 101, 112; unklar E. Friesenhahn, in: HdbStKirchR I (Vorauflage), § 11 S. 557. 465 BGHZ 19, 51 (61); ausführlich P. Kunig/R. Uerpmann, DVB1. 1997, S. 248 (250 ff.). 466 R Kunig, Jura 1995, S. 384 (385). 467 R Kunig/R. Uerpmann, DVB1. 1997, S. 248 (250 f.); G. Held, Die kleinen Religionsgemeinschaften, S. 144 ff.; J. Lehmann, Religionsgesellschaften, S. 134.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

kennung" einer Religionsgemeinschaft so weit reicht, daß sie ein „Sofort"-Verbot ausschließt. Dies wäre nur dann der Fall, wenn mit der Statusverleihung zugleich die Anerkennung der Verfassungsmäßigkeit, der Völkerrechtsfreundlichkeit und der Strafgesetzmäßigkeit der Religionsgemeinschaft verbunden wäre. Eine derartige Verbindung wiederum könnte sich über die Tatbestands- oder die Feststellungswirkung des Verleihungsaktes konstruieren lassen. Die Feststellungs- und die Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes bezeichnen die Reichweite seiner Bindungswirkung. Mit Erlaß eines Verwaltungsaktes sind damit grundsätzlich alle staatlichen Organe an diejenigen seiner Bestandteile gebunden, die von seiner Bindungswirkung erfaßt werden. Es fragt sich jedoch, wie weit letztere, insbesondere im Hinblick auf die Feststellungswirkung eines Verwaltungsaktes, reicht. Im Gegensatz zur Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes bezieht sich seine Feststellungswirkung zwar nicht nur auf die getroffene Regelung selbst, sondern auch auf diejenigen Entscheidungselemente, welche der Regelung vorausliegen. Zu diesen Entscheidungselementen zählen insbesondere die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, auf denen der VA beruht 468 . Eine mögliche Feststellungswirkung des Verleihungsaktes reichte also soweit, wie der Tatbestand des Art. 137 V WRV selbst dies tut. Zu den Feststellungen, die die Verleihungsbehörde zu prüfen hat, damit sie entscheiden kann, ob die Verleihungsvoraussetzungen vorliegen, könnten nun sowohl die Rechtstreue (Strafgesetzwidrigkeit) als auch die Verfassungstreue (Verstoß gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung) der Religionsgemeinschaften gehören. Beide Tatbestandsmerkmale müßten dann als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung, da in Art. 137 IV WRV nicht explizit erwähnt, der Statusverleihung zugrunde liegen. Die authentische Interpretation der Tatbestandsmerkmale des Art. 137 V WRV durch das Bundesverfassungsgericht orientiert sich, was die Voraussetzungen der Verleihung der Körperschaftsrechte betrifft, indes im wesentlichen an der Positivität der Verfassung: Das Merkmal der Verfassungstreue zähle nur bedingt zu den Voraussetzungen des Körperschaftserwerbs. Es beziehe sich allein auf die NichtGefährdung der in Art. 79 III GG niedergelegten Verfassungsprinzipien 469. Übrig bliebe daher im wesentlichen eine Feststellungswirkung der Rechtstreue der inkorporierten Gemeinschaften. Gegen die ΒindungsWirkung von Verfassungs- und Rechtstreue spricht dann aber die verwaltungsrechtliche Dogmatik zur Feststellungswirkung von Verwaltungsakten überhaupt. Ein Verwaltungsakt entfaltet nämlich nur für den Fall eine Feststellungswirkung, daß dies durch besonderes Gesetz angeordnet wird 4 7 0 . Ein derartiges Gesetz läßt sich hier jedoch nicht ausmachen. 468 F. Kopp, VwVfG, vor § 35 Rn. 25 ff. 469 BVerfGE 102, 370 (395 ff.). 470 H. Maurer, Verwaltungsrecht, § 11 Rn. 8.

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Im Ergebnis macht ihre Inkorporierung die Religionsgemeinschaften nicht vereinsgesetzesfest. Die „Anerkennung" einer Religionsgemeinschaft, die mit ihrer Inkorporierung regelmäßig verbunden wird, beruht auf einer Momentaufnahme der geschriebenen und ungeschriebenen Verleihungsvoraussetzungen des Art. 137 V WRV. Diese entfalten keine Feststellungswirkung. Religionskörperschaften werden wie ihre privatrechtlich organisierten Pendants daher von allen Fragen, die sich rund um die Möglichkeit, Religionsgemeinschaften nach dem Vereinsgesetz zu verbieten, stellen, gleichermaßen betroffen. Auch Religionsgemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhalten haben, können daher bei Vorliegen der Verbots Voraussetzungen aufgelöst werden.

5. Ergebnis Grundsätzlich kommt das Vereinsgesetz damit als Ermächtigungsgrundlage in Betracht, um behördlich gegen Religionsgemeinschaften, öffentlich-rechtliche wie privatrechtliche, vorzugehen und diese nötigenfalls aufzulösen.

VII. Die freiheitlich demokratische Grundordnung als kollidierendes Verfassungsrecht Als ein Tatbestandsmerkmal, bei dessen Erfüllung das Verbot einer Vereinigung rechtmäßig ist, nennen Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG das „Sich-Richten" der Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Nach heute nahezu allgemeiner Meinung wird die verfassungsmäßige Ordnung, wie sie Art. 9 I I GG benennt, mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes gleichgesetzt 471 . Soll über dieses Tatbestandsmerkmal die Auflösung einer Religionsgemeinschaft verfügt werden, fragt es sich, ob die freiheitlich demokratische Grundordnung ein von der Verfassung geschütztes Rechtsgut, mithin also kollidierendes Verfassungsrecht, darstellt, das dem Grundrecht der Religionsfreiheit entgegengehalten werden kann. Dies soll im folgenden Abschnitt untersucht werden. Zunächst soll jedoch der Rahmen der Untersuchung abgesteckt werden:

1. Inhalt und Form/Ziele und Mittel der „Verfassungsstörung" Die Schrankenbestimmung des Art. 9 II GG erklärt Vereinigungen für verboten, deren Zwecke oder Tätigkeiten sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Wie im Rahmen der Parteiverbotsnorm des Art. 21 II GG lassen sich damit grundsätzlich zwei Verbotsalternativen unterscheiden: die Verfassungs471 Vgl. oben § 1 C. I.

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Störung durch Zwecke, oder besser: durch Ziele, und die Verfassungsstörung durch Tätigkeiten, oder besser: durch Verhalten 472. Die erste Verbotsalternative hat damit Vereinigungen im Blick, die nach ihrer Propaganda oder ihrer Zielsetzung darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Die zweite Verbotsalternative meint dagegen Vereinigungen, deren Anhänger diese Grundordnung durch „handfeste" Aktionen bekämpfen. Auf Religionsgemeinschaften umgemünzt heißt dies, daß von der ersten Alternative des Art. 9 II GG diejenigen Glaubenslehren einer Religionsgemeinschaft selbst erfaßt werden, die im Gegensatz zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes stehen und diese Grundordnung daher inhaltlich negieren; von der zweiten Alternative des Art. 9 II GG dagegen Religionsgemeinschaften erfaßt werden, deren Mitglieder bestimmte Mittel einsetzen, in diesem Falle: aggressiv kämpferisch vorgehen, um ihren gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Glauben in die Welt zu tragen. Die erste Verbotsalternative, so ließe sich vorläufig räsonieren, knüpft damit an die Glaubensinhalte oder, wie dies für den politischen Meinungskampf vertreten wird, an die innere Gesinnung an 4 7 3 ; die zweite Verbotsalternative dagegen an ein äußeres Verhalten oder anders ausgedrückt: die Form der „Religionsausübung". Wie der Terminus der WtTboisalternative schon andeutet, reichte es für das Verbot einer profanen Vereinigung wie dann auch einer Religionsgemeinschaft bereits aus, daß eine dieser Alternativen erfüllt wird: Art. 9 II GG kombiniert beide Alternativen durch das Wort „oder" 4 7 4 . Die Nutzbarkeit beider Tatbestandsalternativen als kollidierendes Verfassungsrecht für das Verbot einer Religionsgemeinschaft steht damit auf dem Prüfstand. In einem ersten Schritt soll deshalb untersucht werden, ob die freiheitlich demokratische Grundordnung als solche ein kollidierendes Rechtsgut mit Verfassungsrang darstellt, was zur Folge hätte, daß eine Religionsgemeinschaft, die mit einer aggressiv-kämpferischen Haltung und dem Willen auftritt, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen oder zu beeinträchtigen, verboten werden könnte. In einem zweiten Schritt soll dann geprüft werden, welche Verhaltensformen oder Formen des Freiheitsgebrauchs allgemein das Grundgesetz nicht duldet. Mit anderen Worten: Den Einsatz welcher Mittel verbietet die Verfassung, welche dagegen sind legal, so daß sie den Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft nicht im Wege des kollidierenden Verfassungsrechts entgegengehalten werden können. Mit diesem Befund sollen die Tätigkeiten der Mitglieder in Form des aggressiv-kämpferischen Verhaltens dann abgeglichen werden, um herauszustellen, ob die Ziel-Mittel-Kombination des aggressiv-kämpferischen Vorgehens gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung allgemein von der Verfassung verboten wird. 472 H. Meier, in: Leggewie/ Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 14 (15); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 42 f. Die Auslegung der Vereinsverbotsnorm wird an diejenige der Parteiverbotsnorm rückgekoppelt, vgl. BVerwG NJW 1993, S. 3213 (3215). 473 F. A. v. d. Heydte, in: Neumann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte II, S. 457 (491). 474 V. Neumann, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 155 (168).

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2. Zur Terminologie des Bundesverfassungsgerichts Zunächst ist also fraglich, ob das Grundgesetz die freiheitlich demokratische Grundordnung als solche umfassend gegen ihre Infragestellung oder den Wunsch und Willen, sie zu beseitigen, schützt. Stellt die freiheitlich demokratische Grundordnung also begrenzungstaugliches kollidierendes Verfassungsrecht dar, das die Religionsfreiheit einschränkt? Die Frage nach der Begrenzungstauglichkeit der freiheitlich demokratischen Grundordnung als geschütztes Gut mit Verfassungsrang beschäftigte das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen. Sie wird von diesem, anders als von weiten Teilen der Literatur, bejaht. Ohne daß die Ausführungen zu den tragenden Gründen der Entscheidung zu zählen gewesen wären, sah sich das Bundesverfassungsgericht in einer frühen Entscheidung bemüßigt, den rechtlichen Hinweis zu geben, daß der Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlich demokratischen Ordnung denjenigen obersten Grundwerten der Verfassung angehöre, durch die auch ein vorbehaltloses Grundrecht eingeschränkt werden könne 475 . In seinen späteren Ausführungen präzisierte es diese Aussage insoweit, als die Einschränkung eines vorbehaltlosen Grundrechts nicht mit der pauschalen Formel des Schutzes der Verfassung begründet werden könne. Ein kollisionstaugliches Verfassungsgut sei vielmehr mit Hilfe einzelner Grundgesetzbestimmungen, in jenem Fall der Art. 9 II, 18, 21 II GG, aus der Verfassung zu schöpfen 476. Mit dem Schluß, grundrechtliche Freiheitsverbürgungen setzten eine funktionierende staatliche Ordnung voraus, welche die Effektivität des Grundrechtsschutzes erst sicherstelle, erachtete es Verfassungsbestimmungen aller Art als begrenzungstauglich, so sie denn auf die freiheitlich demokratische Grundordnung zurückführten oder diese zum Ausdruck brächten 477 . Als Schranke grundrechtlicher Freiheitsverbürgungen findet die freiheitlich demokratische Grundordnung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Begrenzbarkeit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte also mehrere Einfallstore: Als beschränkendes Verfassungsgut wird sie den vorbehaltlosen Grundrechten sowohl als (oberster) Grundwert der Verfassung entgegengesetzt als auch an das Strukturprinzip der Streitbarkeit der Verfassung geknüpft oder unmittelbar festgemacht an denjenigen Verfassungsnormen (Art. 5 III, 9 II, 10 II, 11 II, 18, 21 II, 79 III GG), die sie entweder konkret benennen oder im weitesten Sinne von ihr handeln. Das Problem der freiheitlich demokratischen Grundordnung als beschränkendes Verfassungsgut wird üblicherweise ohne weitere Differenzierungen abgehandelt. Wegen der besseren Übersichtlichkeit zu den Detailfragen soll die freiheitlich 475 BVerfGE 33, 52 (71); W. Geiger, BayVBl. 1974, S. 297 (298 f.). 476 BVerfGE 77, 240 (255). 477 BVerfGE 81, 278 (292 f.); 81, 298; kritisch C. Gusy, JZ 1990, S. 640 (641); Kluge, ZRP 1992, S. 141 (145).

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demokratische Grundordnung als begrenzungstaugliches kollidierendes Verfassungsrecht jedoch im folgenden in die genannten Kategorien: als (oberster) Grundwert der Verfassung, als Prinzip der streitbaren Demokratie und als „einfaches" Verfassungsgut, auseinandergezogen und innerhalb dieser verschiedenen Kategorien auf seine Tauglichkeit als schrankenziehendes Rechtsgut mit Verfassungsrang überprüft werden.

3. Die freiheitlich demokratische Grundordnung, einer der (obersten) Grundwerte der Verfassung Vorbehaltlos gewährleistete Freiheiten wie die der Religionsfreiheit, so eine Grundlinie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, können nur durch andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung ausnahmsweise eingeschränkt werden 478 . Zu dieser Wertordnung zählt das Bundesverfassungsgericht auch die zu der Formel der freiheitlich demokratischen Grundordnung zusammengefaßten „obersten Grundwerte des freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaates"479. Die enge Beziehung zwischen der freiheitlich demokratischen Grundordnung und einer weitorientierten Verfassungsauslegung durchzieht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einem rotem Faden gleich. Denn dem Bundesverfassungsgericht als „Hüter der Verfassung" wurde schon früh die Aufgabe, gerade auch den allgemeinen, realen und nicht nur institutionellen Grundkonsens zu hüten, angetragen 480. In den 1970er-Jahren schlug die Debatte um Grundkonsens und Grundwerte dann hohe Wellen. Wo es zunächst und vordergründig um die Auseinandersetzung mit tagespolitischen Fragen ging, wurde schließlich zunehmend die Verfassung selbst in den Mittelpunkt der Kontroversen gestellt. Damit wurde die Diskussion um politisch bedingte Wertdifferenzen vor allem zwischen den Parteien auf Verfassungsebene hochgezont. Sie uferte in einen Streit um die Schwächung eines präexistenten Wertkonsenses sowie der verfassungsrechtlichen Sicherung und Bewahrung von Grundwerten in Staat und Gesellschaft aus 481 . Aus diesem Disput konnte sich das Bundesverfassungsgericht, vor dem die politischen Kontrahenten ihren Streit regelmäßig fortsetzten, schwerlich heraushalten, ging es doch um einen Ausgleich zwischen Bürgerrecht und Staatsraison und damit um die Bestimmung der verfassungsrechtlichen Grenzen des Rechtsstaates.

478 BVerfGE 28, 243 (261 ff.); 32, 98 (108): „Vielmehr ist ein im Rahmen der Garantie der Glaubensfreiheit zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen". 479 BVerfGE 2, 1 (11 ff.); 5, 85 (133 ff.). 480 E. Benda, DÖV 1979, S. 465 (470); umfassend dazu jetzt auch die Aufsätze aus G. F. Schuppen/ C. Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens. 481 Zu den politischen Debatten näher H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 8 ff.

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Im folgenden soll deshalb kritisch überprüft werden, inwieweit der Verweis auf die Grundwerte der Verfassung, ihren Grundkonsens und die freiheitlich demokratische Grundordnung einen Eingriff in die Religionsfreiheit trägt.

a) Die Grundwerte jordnung und der Grundkonsens Eine staatliche Gemeinschaft, so wird geltend gemacht, könne ohne ein Mindestmaß an Einigkeit über die Grundformen des menschlichen Zusammenlebens nicht existieren. Die Grundformen menschlichen Zusammenlebens, der Grundkonsens, bestehe in der Regel aus bestimmten Werten und Leitideen, die in einem Volk wirksam seien. Diesen Grundkonsens festzuschreiben, sei Aufgabe der Verfassung - ihrer Einigungsfunktion - , um so das Gemeinwesen davon zu entlasten, die Fragen seiner Existenz ständig neu zu thematisieren. Ihrer Einigungsfunktion werde die Verfassung dadurch gerecht, daß sie die Einigkeit des Volkes über diese Fundamentalnormen nicht allein dokumentiere, sondern sie für unbezweifelbar und unabstimmbar erkläre. Denn jede echte Staatsform setze einen festen Bestand von politisch-materialen Weiten voraus, ein bloc des idées incontestables , durch die die staatliche Gemeinschaft glaubensmäßig legitimiert und zusammengehalten werde 482 . Damit drängen sich mehrere Fragen auf: Wie hängen Werteordnung und Grundkonsens zusammen? Wofür ist ein Grundkonsens überhaupt vonnöten? Was bedeutet er - ist er als realer oder als gewünschter zu denken? Was ist sein Inhalt - umfaßt er lediglich die grundlegenden Verfahrensprinzipien der Demokratie oder auch materiell-absolute Festlegungen? Und wie geht das Grundgesetz mit ihm um? Entzieht es ihn umfassend und als Grenze jeglichen Freiheitsgebrauchs der Diskussion? Anhand dieser Fragen soll die eingangs genannte These im folgenden einer kritischen Prüfung unterzogen werden.

aa) Das Grundgesetz als Wertordnung Zunächst fragt es sich also, was unter der Wertordnung des Grundgesetzes zu verstehen ist und wo ihre Wurzeln liegen. Die geistige Vaterschaft der Wertordnungsjudikatur des Bundesverfassungsgerichts483 wird Rudolf Smend zugeschrieben 484. Seine allgemeine, auf der Integra482 H.-P. Schneider, in: Grimm (Hrsg.), Einführung in das öffentliche Recht, S. 1 (18); U. Karpen, JZ 1987, S. 431 (435); D. Schindler, Verfassungsrecht und soziale Struktur, S. 141 f.; H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 32. 483 in der „Wertordnungsjudikatur" des BVerfG begreift das Gericht die Verfassung als materielle Einheit, die zwar weltanschaulich neutral, nicht aber wertneutral sei, vgl. BVerfGE I, 14 (32 ff.); 2, 1 (12); 3, 225 (233); 5, 85 (134 ff.); 6, 32 (40 f.); 7, 198 (205); 10, 59 (81); 21 Groh

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tionslehre fußende Staatslehre fand den eigentlichen Sinn der Verfassung in der Integration der heterogenen Gesellschaft zu einer homogenen Gemeinschaft 485. Die Gesellschaft sei dann vollständig integriert, so Smend, wenn sie als Wertgemeinschaft erlebt werde. Die Volksgemeinschaft gründe auf der Einheit in sachlichen Werten 486 . Der Staat als Vergemeinschaftungsform des Volkes sei, so Smend weiter, in seiner Substanz als Wertverwirklichung zu begreifen 487. Nach dem Zusammenbruch'des Dritten Reiches und der als wertelos zu begreifenden Ideologie des Nationalsozialismus erfuhr dieses Wertdenken großen Auftrieb 488 . Es wurde fruchtbar gemacht, um den positivistisch-relativistischen Fluchtpunkten von Macht, Gewalt und Dezision einen inhaltlich aufgeladenen Antipoden zu schaffen 489. Hierbei spielte der konstitutionelle Zeitstrahl, auf dem das Grundgesetz liegt, eine entscheidende Rolle. So hat dieses nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Abgrenzung zur Weimarer Reichsverfassung und deren vermeintlich wertagnostischem Standpunkt490 seine Rolle als neutraler Unparteiischer im gesellschaftlichen Diskurs modifiziert: Indem es nämlich aus dem anarchischen Pluralismus möglicher Ziele und Wertungen gewisse Grundprinzipien staatlicher Gestaltung herausgenommen und als demokratisch gebilligte absolute Werte anerkannt habe, die es entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt wissen wolle. Dies komme, so das Bundesverfassungsgericht, insbesondere in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG sowie den ausdrücklichen Verfassungsschutzbestimmungen zum Ausdruck: Nach authentischer Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht will das Grundgesetz deshalb keine wertneutrale Ordnung sein. „Das Grundgesetz hat also bewußt den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung unternommen 491. Dem 12, 1 (4); 12, 45 (51); 13, 46 (51); 14, 288 (391); 21, 362 (371 f.); 27, 253 (283); 30, 1 (19); 49, 24 (56). 484 C. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber, S. 58\M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts III, S. 200. 4 »5 W. Bauer, Wertrelativismus, S. 273. 4 »6 R. Smend, VVDStRL 4 (1928), S. 44 (48). 487 R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (160 u. passim). Da Smend seiner werterlebenden Gemeinschaft selbst keine bestimmten Werte zum Inhalt machte, wird angeführt, daß er das „Dogma der wertfreien Normlogik" in das „Antidogma der normlosen Werttotalität" verwandelte, vgl. W. Bauer, Wertrelativismus, S. 275 m. w. N. 488 Näher C. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber, S. 59 ff.; eine Aufbereitung der Wertordnungsjudikatur des BVerfG findet sich bei H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 31 ff. 489 K. Sontheimer, Antidemokratisches Denken, S. 13 u. passim; H. Steinberger, in: FS Geiger, S. 243 (244 ff.); ders., Konzeption und Grenzen, S. 243 ff., 260 f. 490 Zur „Legende" der Wertelosigkeit Weimars, vgl. C. Gusy, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Art. 18 Rn. 4; zur Einordnung des Weimarer Wertrelativismus, vgl. H. Dreier, Staatssoziologie, S. 259 ff. u. passim. 49 1 BVerfGE 5, 85 (138 f.); 7, 198 (204 ff.).

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Gericht scheint es, anders formuliert, darum zu gehen festzustellen, daß der Verfassunggeber gewisse Werte aufgestellt und verrechtlicht habe, die nicht nur im demokratischen Willensbildungsprozeß nicht angetastet werden dürfen, sondern auch gegen sonstige Bestrebungen, sie auszuhöhlen oder zu überwinden, zu schützen sind. Nicht erst eine darauf abzielende Verfassungsänderung, welche von Art. 79 III GG direkt erfaßt würde, soll verboten sein, sondern bereits das gesellschaftliche Vorfeld soll geschützt werden 492 . Die freiheitlich demokratische Grundordnung wird vom Bundesverfassungsgericht daher auch als „letztes Prinzip" bezeichnet, das als „Basis" für alle politischen Kräfte dienen muß 4 9 3 . Auch in der Literatur wird vertreten, daß das Grundgesetz als „absolut" anerkannte Grundwerte der Staatsordnung und damit auch des Wertsystems der Verfassung in Form eines gemeinsam geteilten ideellen Fundamentes dem gesellschaftlichen Diskurs entzogen, jenseits seiner verortet habe und damit diejenigen habe exkludieren wollen, die aus kulturellen, religiösen oder anderen Gründen die objektiv vorgegebenen Grundwerte nicht bejahten 494 . Der Weimarer Verfassung und vielen ihrer positivistischen Staatsrechtslehrer wird dagegen vorgeworfen, sie hätten neben der Statuierung eines bloß formellen Spielregelkonsenses keinerlei Standpunkt bezogen und die verfassungsrechtlichen Zügel derart schleifen lassen, daß die Verfassung sich letztlich selbst überwunden habe. In der Tat scheinen die Formulierungen Hans Kelsens: „Die Demokratie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten gegen ihre Gegner wehrt. ( . . . ) Ob eine Demokratie sich nicht selbst verteidigen soll, auch gegen das Volk, das sie nicht mehr will ( . . . ) . Diese Frage zu stellen, heißt schon, sie zu verneinen" 495 . Oder: „Die Demokratie ist diejenige Staatsform, die sich am wenigsten ihrer Gegner wehrt ( . . . ) . Bleibt sie sich selbst treu, muß sie auch eine auf Vernichtung der Demokratie gerichtete Bewegung dulden" 4 9 6 , Rückschlüsse auf die vermeintliche Standpunktlosigkeit der Weimarer Reichsverfassung zuzulassen. Insbesondere, so wird übereinstimmend angenommen, sei der Relativismus der Weimarer Reichsverfassung schrankenlos gewesen, indem er jedes (politische) Ziel, auch die Selbstaufhebung der Demokratie, als zulässig anerkannt habe 497 . 492 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 6; M. Brenner, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 95 (98); K. Stern, in: Stem, Staatsrecht I, S. 195. 493 BVerfGE 5, 85 (317 f.). 494 Isensee, NJW 1977, S. 545 (546 f., 551); P. Kirchhof, in: HStR XI, § 221: „Der demokratische Rechtsstaat - die Staatsform der Zugehörigen". Femer W. Schäuble, in: Teufel (Hrsg.), Was hält die moderne Gesellschaft zusammen?, S. 63 ff.; H.-P Schneider, in: Grimm (Hrsg.), Einführung in das öffentliche Recht, S. 1 (18); F. Hufen, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 61 (68). 495 H. Kelsen, in: ders., Demokratie und Sozialismus, S. 60 (68); ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 36 f.; ders., Allgemeine Staatslehre, S. 321 ff.; R. Thoma, HdbdDStR II, § 71 S. 153 f. 496 H. Kelsen, in: ders., Demokratie und Sozialismus, S. 60 (68). 497 So H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 196 u. passim. Hierzu auch die höhnischen Worte Joseph Goebbels aus dem Jahre 1928: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um 21

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Der „Mehrheitsfunktionalismus" 4 9 8 , der der Weimarer Verfassung vorgeworfen wurde, weil sie keine präexistenten materialen Werte, sondern allein formale Verfahrenserfordernisse normiert habe, ist indes weder ein Ausdruck ihrer Standpunktlosigkeit noch ihres anarchischen Wertrelativismus. Hier werden allzu schnell die der Demokratie zugrundeliegenden Werte selbst und die demokratische Funktion von Verfahren übergangen. Die sogenannte „formale" Demokratie ist so formal nicht. Sie stellt selbst - und gerade in einer heterogenen und komplexen Gesellschaft - einen eigenen, materialen Wert dar. Der Eigenwert der „formalen" Demokratie ist der Grundsatz der Offenheit 4 9 9 . Freiheit und Gleichheit schließen sich a n 5 0 0 . Auch vordergründig formelle Werte sind deshalb i m Grunde materielle Werte, denn auch der Sinn des Formalen liegt letztlich i m Materialen 5 0 1 .

uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freikarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Uns ist jedes Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren". Zitiert nach W. Tormin, Die Weimarer Republik, S. 204. Auch wenn das Zusammenspiel von Grundnorm (Reine Rechtslehre), Positivismus und Wertrelativismus bei Kelsen ζ. Β. H. Ehmke, Verfassungsänderung, S. 30 f., schlußfolgern läßt, daß eine Verfassungsänderung, durch die eine neue Grundnorm an die Stelle der alten, die Diktatur ζ. B. an die Stelle der Demokratie, gesetzt werden müsse, auch für Kelsen selbst einen Verfassungsbruch darstellte, der Grundsatz der Volkssouveränität also auf legalem Wege auch für Kelsen unabänderbar gewesen sei, verneinte letzterer doch standhaft die abwehrbereite Demokratie. Wie Ehmke auch M. Kraft-Fuchs, ZöR IX (1930), S. 533: „ ( . . . ) wäre das eine Verfassungsänderung, die nicht von Rechts wegen erfolgen kann. Das Entscheidende ist, daß der ,Wille des Volkes' als Gesetzgeber eingesetzt bleibt". Ebenso H. Brunkhorst, in: Waschkuhn/ Thumfart (Hrsg.), Weimarer Staatsdiskussion, S. 81 (93): Auch die Kelsen-Schule sei von einem Apriori der Unveräußerlichkeit der Demokratie ausgegangen. 498 c. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 27 f., 30 ff.; ders., Verfassungslehre, S. 23,163. 499 H. Kremendahl, Pluralismustheorie, S. 458: „ ( . . . ) wertvoller jedenfalls als allzu starke apriorische Fixierungen von notwendigen Konsensusinhalten". 500

So insb. zu Kelsen, vgl. H. Dreier, Staatssoziologie, S. 252: „Dieser Basiswert der Demokratie ist - neben dem eng damit zusammenhängenden Prinzip der Gleichheit -: die Freiheit, und die Demokratie ist bei all ihrer Formalität und Wertneutralität als Veranstaltung zur Erhaltung der größtmöglichen Freiheit des Einzelnen zu begreifen". Ebenso zum Wertrelativismus, vgl. C. Gusy, ARSP 1982, S. 503 (511); ders., JZ 1989, S. 505 (508 ff.): Daß das Recht nicht aus außerrechtlichen Werten begründet werden könne, besage nicht, daß die Rechtsordnung einerseits und außerrechtliche Werte andererseits völlig beziehungslos nebeneinanderstünden. „Das elementarste ethische Fundament einer Rechtsnorm folgt somit aus positivistischer Sicht aus jener Ethik, welche der jeweiligen Staatsform zugrundeliegt". 501 C. Enders, Menschenwürde, S. 62 Fn. 245: „Allgemein entspricht die Entscheidung für die Normierung in einer Verfassungsnorm der Objektivierung eines ,Gesolltseins' und damit der Wertschätzung, die der Verfassunggeber bestimmten Handlungsweisen, Zuständen und sonstigen Lebenssachverhalten ( . . . ) entgegenbringt". U. Karpen, JZ 1987, S. 431 (433): „Letztlich ist jede Verfassung - ob explizit oder implizit - eine materiale Wertordnung, welche die obersten Werte und Leitbilder angibt, in deren Anerkennung sich das Volk einig ist oder die der Träger der Staatsgewalt verwirklicht sehen will". Bis zu einem gewissen Grade sind Werte im Recht unvermeidbar, vgl. C. Starck, in: FS Geiger, S. 40 (44 ff.).

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Auch wenn der Vorwurf des Formalismus oder der des Wertagnostizismus gegenüber der Weimarer Reichsverfassung in diesem Punkt nicht unbedingt haltbar erscheint, fungierte die Reichsverfassung doch als Negativfolie, gegen die das Grundgesetz sich abgegrenzt hat. Aufgrund der Erfahrungen, die im Anschluß an die Weimarer Republik mit einem totalen Staatswesen gemacht wurden, hat nämlich das Grundgesetz nach Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht nun jedenfalls einen „dritten Weg" eingeschlagen: Es positioniert sich, so auch das Bundesverfassungsgericht, zwischen den compromis indompté de tous les jours und die identité de tous les jours , zwischen den vermeintlichen Wertagnostizismus und die totalitäre Reglementierung 502. Diejenigen Normen, über die das Grundgesetz seinen eigenen Bestand und seine Identität als freiheitlich demokratische Grundordnung des Staates verteidigt, konstituieren demgemäß ein materiales verfassungsrechtlich geschütztes „Wert"system. An dieser Stelle ist allerdings darauf aufmerksam zu machen, daß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wertgemeinschaft unter dem Grundgesetz ein bestimmtes Menschenbild zugrunde liegt: das des gemeinschaftsgebundenen Bürgers; eines Menschen also, der in einer bestimmten Gemeinschaft lebt, die auf Werten gründet, welche wiederum als objektiv verbindliche Werte gedacht werden 503 . Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Gemeinschaftsbezogenheit des einzelnen und dem Menschenbild des Grundgesetzes ist indes in sich nicht konsistent. Vor allem auch im Zusammenhang mit dem Demokratieprinzip judiziert das Bundesverfassungsgericht zwar, daß im Mittelpunkt der Demokratie des Grundgesetzes das „geistig, sozial und politisch ( . . . ) relativ homogene" Volk stehe 504 . In anderen Entscheidungen insbesondere zur Religionsfreiheit 505 und zu den kommunikativen Grundrechten vertritt das Bundesverfassungsgericht dagegen ein ganz anderes Menschenbild. Dort wird der einzelne weniger als Teil einer wertorientierten Gemeinschaft wahrgenommen als vielmehr in seiner Individualität. So judiziert das Bundesverfassungsgericht ebenfalls, daß der Sinn von Grundrech502 K. Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 18 ff., 31; W. Bauer, Wertrelativismus, S. 272; Ρ Tillich, Die Philosophie der Macht, S. 23, der meint, daß dann, wenn alles unentschieden wäre, die Welt in ein Chaos versinke; wenn dagegen alles entschieden wäre, die Welt tot wäre. 503 BVerfGE 4, 7 (15 f.): Das Menschenbild des Grundgesetzes „ist nicht das eines isolierten souveränen Individuums; das Grundgesetz hat vielmehr die Spannung Individuum Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person entschieden, ohne dabei deren Eigenwert anzutasten." Auch BVerfGE 8, 274 (329); 30, 173 (193 ff.); 50, 290 (353); 65, 1 (44); 83, 130 (143); BVerfGE 12, 45 (51): Das „Menschenbild des Grundgesetzes ist nicht das eines selbstherrlichen Individuums, sondern das der in Gemeinschaft stehenden und ihr vielfältig verpflichteten Persönlichkeit". Hierzu U. Becker, Das ,Menschenbild des Grundgesetzes4, S. 41 ff., 63 ff.; C. Enders, Menschenwürde, S. 45 ff.; P. M. Huber, Jura 1998, S. 505 ff.

504 BVerfGE 89, 155 (186); BVerfGE 83, 37 (51); B.-O. Bryde, StaWiStaPrax 5 (1994), S. 305 ff.; A. Rinken, KritV 79 (1996), S. 282 (291 ff.). 505 BVerfGE 32, 98 (109 f.); 33, 23 (29 f.); C. Bumke, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 197 (202 ff.).

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ten im besonderen und verfassungsstaatlicher Ordnung im allgemeinen darin liege, es dem einzelnen zu ermöglichen, sein Leben gemäß seinen Überzeugungen und Vorstellungen zu planen. Verfassungsrechtliche Freiheit, so das Bundesverfassungsgericht, sei Freiheit als „Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug" 506 . Dieses Prinzip personaler Freiheit umfaßt auch die in der Volkssouveränität wurzelnde kollektive Gestaltung der politischen Ordnung durch die Staatsbürger. Die Geschicke der Demokratie werden durch das Bundesverfassungsgericht gerade im Zusammenhang mit der für die Demokratie schlechthin konstitutiven Meinungsfreiheit der ungebundenen „Urteilskraft" und „Aktivität" der Bürger anvertraut 507. In Verfassungstheorie übersetzt könnte dies bedeuten, daß von den Grundrechten nicht allein die liberale Freiheit vom Staat angesprochen, sondern gleichfalls die Freiheit zum Staat abgedeckt wird. Diese Rechtsprechung könnte daher gegen die These sprechen, daß das Grundgesetz ideelle Werte, die Gegenstand einer Meinung sein könnten, dem gesellschaftlichen Diskurs entzogen habe. In diesem Sinne wird zum Teil vertreten, daß insbesondere die Bestandsschutznormen des Grundgesetzes und damit auch die freiheitlich demokratische Grundordnung kein materiales Wertsystem konstituierten, da sie nicht von vornherein inhaltliche Aussagen zum politisch Möglichen träfen, sondern vielmehr Grenzmarken seien, innerhalb derer der Wertrelativismus der Verfassung bewahrt würde 508 . Dabei wird jedoch übersehen, daß zumindest in den Fundamentalnormen des Bestandsschutzes der Verfassung, den Art. 9 II, 18, 21 II und 79 III GG, sehr wohl eine Aussage über das politisch Vertretbare getroffen wird. Werden dessen Grenzen auch möglicherweise weit gesteckt, geht es dennoch um die Wahrung der Identität der Verfassung mit ihren unverbrüchlichen Inhalten. Darin liegen dann aber auch materiale Vorentscheidungen für den politischen Prozeß 509 . Wie weit diese materialen Vorentscheidungen des Grundgesetzes aber auf den gesamten Kanon der Freiheitsrechte der Verfassung einwirken, ob sie vor allem objektiv verbindlich sind, aus sich heraus gelten und damit absolute Geltung auch denjenigen Freiheitsrechten gegenüber beanspruchen, bei denen sie nicht als Schranke 506 BVerfGE 63, 243 (347); 60, 253 (268); 65, 1 (41 ff.); H. Dreier, JZ 1994, S. 741; M. Morlok, Selbstverständnis, S. 375 ff., 380 ff.: grundrechtliche „Freiheit als rechtlich gewährleistete personale Selbstbestimmung". 507 BVerfGE 20, 52 (103); 7, 198 (208); 62, 230 (247); 21, 362 (369): „Die Grundrechte sollen in erster Linie die Freiheitssphäre des einzelnen gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt schützen und ihm soweit zugleich die Voraussetzungen für eine freie aktive Mitgestaltung im Gemeinwesen sichern". E.-W. Böckenförde, in: HStR I, § 22 Rn. 36 ff.; P. Badura, in: FS Simon, S. 193 ff.; H. Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 38 ff. 508 y. Perels, KJ 10 (1977), S. 375 (387 f.). 509 Deutlich kommt dies zum Ausdruck in BVerfGE 5, 85 (139, 198 ff., 224 ff.). Hier sondert das Gericht eine politische Partei u. a. wegen der Unvereinbarkeit ihrer inhaltlichen Zielsetzung mit den demokratischen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aus dem politischen Prozeß aus. Noch deutlicher BVerfGE 2, 1 (73), wo das Gericht formuliert, daß es mit dem Parteiverbot auch darum ginge, bestimmte Meinungen und Ideen aus dem politischen Prozeß auszuschalten.

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genannt werden, ist damit noch nicht geklärt. Die verfassungsrechtliche Wirkkraft dieser Werte soll weiter unten untersucht werden. An dieser Stelle jedenfalls ist festzuhalten, daß das Grundgesetz, vor allem was die Verfassungsbestimmungen zu seinem Bestandsschutz betrifft, materiale Werte in sich aufgenommen hat. bb) Konsens und gesellschaftlicher Grundkonsens Damit stellt sich die Frage, wie diese materialen Werte des Grundgesetzes mit dem gleichfalls in diesem Zusammenhang auftauchenden Begriff des Grundkonsenses zusammenhängen. Obwohl die Verfassung weit entfernt davon ist, eine politische Lebensversicherung des Volkes zu sein 510 , hat das Bedürfnis, das Unbeständige und Wandelbare durch das Beständige und Unwandelbare zu ersetzen, den sogenannten Grundkonsens generiert. Symptomatisch für dessen vorausgesetzte Existenz war die damals neuaufflackernde Wertediskussion der Siebzigerjahre, die, angestoßen durch die Grundwertedebatte 511, in dem Postulat der Notwendigkeit gemeinsamer Werte als Existenzgrundlage der Demokratie mündete 512 . Überwiegend bemühte man sich dort, einen unverrückbaren, verfassungsmäßig gesollten Konsensbereich von einem politischen Dissensbereich zu trennen. Der Konsensbereich, also dasjenige, worin Übereinstimmung bestehen sollte, wurde entweder als Grundkonsens im Sinne eines vorgegebenen Wertkonsenses bezeichnet513 oder als Minimalkonsens beschrieben 514. Insbesondere was letzterer aber umfassen sollte - einen Spielregelkonsens oder einen materiell-absoluten Wertkonsens - blieb ein Stück weit im Dunkel. Nahezu einhellig waren (und sind) jedoch die Schlußfolgerungen: Wer nicht zumindest mit den Minimalbedingungen des Konsenses konform geht, dem sei auch nicht zuzutrauen, daß er sich an die Spielregeln und die aus deren Einhaltung resultierenden Entscheidungen halte. (1 ) Prozessualer und ordnungspolitischer

Konsens 515

Was wird durch den Begriff des Grundkonsenses impliziert? Was hat man sich unter dieser Bezeichnung vorzustellen, und wird die freiheitlich demokratische Grundordnung des Grundgesetzes von diesem Grundkonsens umfaßt? 510 Ρ Häberle, in FS Haug, S. 81 (103); Κ Stern, JuS 1985, S. 329 (330 ff.); M. Kriele, VVDStRL 29 (1971), S. 46 (59); B. Even, Unantastbarkeitsgarantie, S. 40, 94. 511 Zu der Terminologie bereits W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung, S. 63 ff., der die Grundwerte als Gegenbegriff zum „funktionalistischen Legalitätssystem" der Demokratie und der formalistischen Chancengleichheit setzt. 512 Vgl. die Beiträge in G. Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte; insb. W. Maihofer, ebda., S. 88 ff.; Isensee, NJW 1977, S. 545. 513 U. Scheuner, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 33 ff. 514 Η Schmidt, in: Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte, S. 13 (16 f.). 515 Diese Begriffe lehnen sich an H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 223 ff., an.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

In der politischen Theorie werden ganz unterschiedliche Konsensbegriffe vertreten, von denen im folgenden zwei gegenübergestellt werden sollen: Konsens wird zum einen als ordnungspolitischer Konsens im Sinne objektiv verbindlicher Werte, zum anderen als prozessualer Konsens beschrieben. Stellvertretend für den prozessualen soll im folgenden der Konsensbegriff von Niklas Luhmann vorgestellt werden, stellvertretend für den (auch) ordnungspolitischen steht dagegen Ernst Fraenkel. Luhmann geht von der in den Sozialwissenschaften überwiegend akzeptierten Beobachtung aus, daß in modernen Gesellschaften eine Konsensknappheit grassiert. Er beschäftigt sich mit der Notwendigkeit und der Herstellung von Konsens vor allem im Rahmen der Geltungsvoraussetzungen des gesatzten Rechts in komplexen Gesellschaften. Aufgrund der Komplexität einer Gesellschaft, in der es unzählige Möglichkeiten, Denk- und Handlungsalternativen gebe, so Luhmann, sei ein faktischer Konsens, also die tatsächliche Übereinstimmung aller oder auch nur mehrerer, ein knappes Gut 5 1 6 . Es komme deshalb darauf an, Konsens zu institutionalisieren und von der Verlegenheit, als tatsächlicher hergestellt werden zu müssen, zu befreien. Dieser entschlackte, sogenannte institutionelle Konsens müsse die Akzeptanz bindender Entscheidungen des politischen Systems garantieren. Wie soll aber dieser institutionelle Konsens aussehen? Nach Luhmann liegt die adäquate Methode der Konsensbildung in komplexen Gesellschaften in den demokratischen Verfahren. Durch die Institutionalisierung von Verfahren, in denen jeder die Chance habe, dabei zu sein, so Luhmann, werde Konsens fingiert. „Die Legitimation durch Verfahren und durch Gleichheit der Chance, befriedigende Entscheidungen zu erhalten, tritt dann an die Stelle älterer naturrechtlicher Begründungen oder tauschförmiger Methoden der Konsensbildung" 5 1 7 . Institutionalisierung bedeutet dabei allein, daß die Konsensverfahren auf Dauer gestellt werden. Das Auf-Dauer-Stellen geschieht vor allem auch durch ihre Verrechtlichtung. Letztere sorge, so Luhmann, dafür, daß Konsens, oder besser: Duldungsbereitschaft sich nicht nur zufällig erneuere, sondern konstant machbar sei. Inhaltliche oder objektiv verbindliche Zielvorgaben für die Freiheitsbetätigung des einzelnen werden von dieser Konsensmethode damit ausgeklammert. Hieran und daran, daß Luhmann insbesondere nicht erklärt habe, ob und wie die Verfahren der Konsensbildung selbst konsentiert sein müßten, entzündete sich die Kritik an der Theorie der Legitimation durch Verfahren. Luhmann, so die Kritik, erkläre also nicht, wie und warum denn wenigstens der sogenannte 516 N. Luhmann, Rechtssoziologie, S. 67; G. Jakobs, in: Hattenhausen Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, S. 23 (42 f.); F. Neidhardt, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 15 (16 ff.); M. Lendi, in: FS Huber, S. 487 (489 ff.); C. Gusy, in: ZfP 1985, S. 133 (141). Zu den sozialwissenschaftlichen Belegen, daß Gesellschaften tatsächlich nur auf ein bescheidenes Ausmaß an Konsens angewiesen sind, vgl. A. Etzioni, in: Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, S. 147 (160 ff. u. passim). 517 Ν. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 30, 196 f. u. passim.

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„Spielregelkonsens" bestehe oder ob er (als Minimalbedingung) überhaupt bestehen müsse. Außerdem sei sein Konzept des institutionellen Konsenses auf die jeweils im politischen System herzustellenden Einzelentscheidungen gemünzt, so daß der Bezug zur Verfassung und einem verfassungsrechtlichen Grundkonsens fehle 518 . Gegen den Einwand des fehlenden Erkenntnisgewinns für einen auch in der Verfassung enthaltenen Konsensbegriff lassen sich aber folgende Gedankengänge anführen: Der Systemtheorie geht es sowohl um die Reduzierung von Komplexität als auch darum, die Entlastungsfunktion institutionalisierter Verfahrensweisen für die zu treffenden Entscheidungen herauszustellen 519. Das setzt aber zumindest voraus, daß in laufenden Verfahren die Verfahrensregeln selbst außer Frage stehen müssen. Denn ohne die Erwartung gemeinsamer Regelunterworfenheit läßt sich auch ein späterer Konsens nicht erwarten. Dieses Außer-Frage-Stehen der Verfahrensregeln kann zumindest in herkömmlicher Terminologie ebenfalls mit Konsens gleichgesetzt werden. Die Unterworfenheit unter die Verfahrensregeln beruht nämlich auf Konsens oder ist durch ehemaligen Konsens entstanden 520 . Weiterhin ist für die Systemtheorie der Begriff der Rekursivität entscheidend. Mit diesem wird ausgedrückt, daß jede Entscheidung: und damit auch die rechtliche Institutionalisierung von demokratischen Verfahren, vor dem Hintergrund einer bereits getroffenen Entscheidung gefällt wird. Ersetzt man im Hinblick auf die demokratischen Verfahrensregeln die bereits getroffene Entscheidung durch die Verfassung und nimmt man hinzu, daß die Verfassung durch Selektion, also durch Ausschluß anderer Möglichkeiten, das politische System bestimmt, läßt sich der Grundsatz des Konsenses durch Verfahren zumindest implizit auf die von der Verfassung festgelegten Ordnungsprinzipien zurückführen. Die Verfassung hat damit dann die Funktion, die Verfahrensregeln der Diskussion selbst zu entziehen. Zudem aber, so wird weiter eingewandt, lenke Luhmann am Ende seiner Ausführungen selbst ein, daß „Verfahren ( . . . ) eine notwendige, wenn auch allein nicht ausreichende Einrichtung der Legitimierung von Entscheidungen"521 seien. Woher diese die Verfahrensregeln übersteigende Konsensreserve dagegen komme, führe 518 Zur Kontroverse, vgl. E. Benda, DÖV 1982, S. 877 ff.; H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 198 ff. Zur Frage, ob demokratische Verfahren eine vorbestehende Ordnung bereits voraussetzen, vgl. auch U. Scheuner, Mehrheitsprinzip, S. 54. 519 Zur Entlastungsfunktion institutionalisierter Verfahren, vgl. R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, S. 43; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 28; D. Grimm, in: ders., Die Verfassung und die Politik, S. 21: „Die Verfassung installiert aber eine Differenz zwischen den Grundsätzen für die Herstellung politischer Entscheidungen und den politischen Entscheidungen selbst. An die Veränderung dieser Grundsätze werden höhere Anforderungen gestellt als an die Entscheidungen. In der Regel verlangen sie einen breiteren Konsens. ( . . . ) Zugleich entlastet die Aufspaltung der Rechtsordnung in Verfassungsrecht und Gesetzesrecht die Politik von ständiger Prämissensuche und -diskussion ( . . . )". 520 G. Jakobs, in: Hattenhauer/Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, S. 23 (27 f.). 521 N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 199.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

er nicht weiter aus 522 . Denn auch Legalität sei stets nur eine abgeleitete Form der Legitimität 523 . Diese angemahnte Verbindung zwischen Spielregelkonsens und Konsensreserve, die beide auch als prozessualer und ordnungspolitischer Konsens bezeichnet werden können, kann durch die Pluralismustheorie Ernst Fraenkels näher beleuchtet werden. Die Pluralismustheorie Fraenkels soll deshalb im folgenden dargestellt werden. Die Rezeption Fraenkels nach dem Zweiten Weltkrieg hat in Deutschland zu einer Neukonzeption der Pluralismustheorie geführt, die - in Abgrenzung zu früher vertretenen Ansätzen - als Neopluralismus bezeichnet wird. Auch die Benutzung des Begriffs des Grundkonsenses, eines wesentlichen Begriffes des Neo-Pluralismus, hat sich deshalb im wesentlichen an Fraenkels Besetzung dieses Terminus orientiert. Der Ausgangspunkt von Fraenkels Begriff des Grundkonsenses ist dabei der folgende: Der Begriff des „Konsens" wird im allgemeinen Sprachgebrauch genutzt, um die Übereinstimmung von zwei oder mehr Personen in ihren Wertungen zu umschreiben. In Verbindung mit dem Staat deutet er auf das Legitimierungsmuster staatlicher Herrschaft durch Zustimmung und damit auf die Konzeption des Gesellschaftsvertrages, wie sie heute auch wieder der Verfassung unterlegt wird 5 2 4 . In einem umfassenden Sinne wird dabei geltend gemacht, daß eine aus den Erfahrungen der Vergangenheit resultierende „geläuterte" Erkenntnis die Einsicht in die Notwendigkeit verbindlicher regulativer Ideen sei, auf denen Gesellschaft und Staat fußten. Die pluralistische Gesellschaft sei, so lautet die Prämisse, gleichermaßen durch Konsens und Dissens, Streitiges und Unstreitiges geprägt. Auf eine prägnante Weise läßt sich diese Spannungslage, innerhalb derer sich die Theorie des Neopluralismus bewegt, deshalb so formulieren: „Pluralismus geht aus vom Recht auf Dissens und fragt nach der Notwendigkeit von Konsens" 525 . In diesem Rahmen bedeutet Konsens zweierlei. Zum einen ist der Konsens ein Weg der Ge522 Insb. auch P. Häberle, in: Friedrich (Hrsg.), Verfassung, S. 418 (445): Der Preis der Luhmannschen Theorie liege in „ihrem technisch-formalen Charakter, der nicht den gegebenenfalls notwendigen Widerstand gegen Inhumanität" leiste, da „die Inhalte der Verfahren beliebig" seien. Ferner H Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 198 ff.; R. Niebuhr, PVS 3 (1961), S. 204; U. Scheuner, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 33 (61); 5. Eisel, Minimalkonsens, S. 82; E. Pache, DVB1. 2002, S. 1154 (1156), der davon ausgeht, daß gemeinsame Grundwerte als sogenannte kollektive Identität die Grundlage für die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen bilden. 5 23 Ρ Häberle, ZfP 21 (1974), S. 11 (115); J. Habermas, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, S. 243. 524

P. Koller, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, S. 361 ff.; A. Podlech, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 9 (20); U. Scheuner, ebda., S. 33 (37 ff.); E. Benda, DÖV 1982, S. 877 (878). Zur Kritik an und Konjunktur der vertraglichen Begründungen staatlicher Herrschaft, vgl. B. Jean d'Heur, ARSP 1995, S. 453 (455 ff.). 5 25 W. Steffani, in: Grube/ Richter (Hrsg.), Die Utopie der Konservativen, S. 58 (81 Anm. 18).

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meinwohlbildung in einem interessenheterogenen Staat, zum anderen die gemeinsame Basis für dessen Gemeinwohlauftrag 526. Dem so verstandenen Konsensbegriff wohnen damit sowohl prozessuale wie auch ordnungspolitische Elemente inne. Die prozessuale Seite, die Herstellung des Konsenses, bezieht sich dabei auf die jeweiligen Einzelentscheidungen, die im Namen des Gemeinwohls getroffen werden; die ordnungspolitische Seite auf die gemeinsame Basis aller an diesem Herstellungsprozeß Beteiligten. Deshalb kommt die Theorie des Neopluralismus zu ihrer Aussage, daß Konsens an den Fundamenten nötig 5 2 7 , Dissens dagegen an der Oberfläche möglich sei. In Form des „consensus omnium" 528 , des „underlying consensus" oder des „agreement on fundamentals" 529 bezeichne der Sektor des Unstreitigen der ansonsten auf die Aushandlung von Entscheidungen festgelegten demokratischen Gesellschaft, so diese Theorie weiter, einen als allgemeingültig postulierten und damit objektiven Wertkodex 530 . Insbesondere die Vielfalt der vom Grundgesetz anerkannten Gruppen sei es, die einen unter diesen Gruppen bestehenden Konsens über die gemeinsamen Grundlagen notwendig mache 531 . Dieser Konsens wiederum enthalte ein unerläßliches Minimum an in der Regel abstrakten Werten oder Prinzipien, mit deren Geltung der Selbstüberwindung und der Hypertrophie der verfaßten Gesellschaft entgegenzusteuern sei. Der Grundkonsens ist damit im Ergebnis weniger als Konsens im allgemeinen zu verstehen, da es innerhalb des Grundkonsenses allein um die grundlegenden Fragen einer Gesellschaft geht 532 . Diese müssen nach der Fraenkelschen Theorie des Neopluralismus aber konsentiert sein, damit eine durch die Auflösung der Weimarer Republik einst real gewordene Desintegration des Staates verhindert werde könne 533 . Was genau aber ist nach Fraenkel Bestandteil dieses unabdingbaren Grundkonsenses? Was genau soll dem Konflikt also entzogen sein? 526

H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 223. 527 E. Fraenkel, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 32 (45 ff.): Sobald die Fundamente selbst in Streit gerieten, verliere die Verfassung ihre Integrationskraft. H. Oberreuter, in: Hättich (Hrsg.), Zum Staatsverständnis der Gegenwart, S. 19 (21); ders., in: ders. (Hrsg.); Pluralismus, S. 24 f.: Der Inhalt des Konsensus sei die Chance zum Dissens. 528

Zu den naturrechtlichen Vermischungen Fraenkels im consensus omnium, vgl. U. R. Haltern, JöR N.F. 45 (1997), S. 31 (37). 529 H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 161. 530 Zu naturrechtlichen Bezügen dieses Grundkonsenses, vgl. H. Grebing, Konservative gegen die Demokratie, S. 313 f.; /. Detjen, Neopluralismus und Naturrecht, 1988. 531 E. Fraenkel, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 173 (184 ff.); dazu A. Waschkuhn, Demokratietheorien, S. 78 f., 83 ff.; U. Scheuner, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 33 (50); I. Ebsen, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 83 (83 f.). 532

C. Starck, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 227. H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 230. Eine Folgerung hieraus ist, daß der Staat deshalb die institutionellen Gewährleistungen dieses Grundkonsenses vorhalten müsse, vgl. W. Brugger, in: ders., Liberalismus, S. 220 (235). 533

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Trotz wechselnder Terminologie und der Tatsache, daß die Frage, was zum nicht-kontroversen Bereich gehören soll, in der Literatur selbst kontrovers diskutiert wird, läßt sich der Grundkonsens Fraenkels in zwei - miteinander verknüpfte - Bereiche einteilen: in einen prozeduralen „Form"- und einen materialen „Wert"konsens534. In seiner Strukturanalyse der Verfassung kommt Ernst Fraenkel insbesondere zu dem Schluß, daß Art. 79 III GG einen Hort dieses unerläßlichen Wertkodexes darstelle. An anderer Stelle nennt er Prinzipien oder Werte als Inhalt seines Grundkonsenses, die mit denen der freiheitlich demokratischen Grundordnung kongruieren 535. Da zu den inhaltlichen Konkretisierungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung aber auch die demokratischen Verfahrensregeln zählen, in denen Entscheidungen hergestellt werden, überlappen sich also im Ergebnis auf der einen Seite prozessualer und ordnungspolitischer Konsens. Obwohl auch das Konsensverständnis des Neopluralismus eine Absage an alle Versuche darstellt, einen allumfassenden Konsens anzustreben, geht der ordnungspolitische Grundkonsens über den prozessualen jedoch hinaus, da er nicht nur das Prinzip des demokratischen Verfahrens, sondern über dieses hinaus weitere Werte der Verfügungsgewalt der demokratischen Mehrheit entziehen will. Im Ergebnis läßt sich daher festhalten, daß Grundwerte und Grundkonsens im Hinblick auf die freiheitlich demokratische Grundordnung wie folgt zusammenhängen: Sowohl der Begriff der Grundwerte als auch der des Grundkonsenses nehmen die freiheitlich demokratische Grundordnung in Bezug. Beiden Spielarten geht es um die Herstellung und Bewahrung der politischen Einheit des Volkes. Die unter dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung geschützten grundgesetzlichen Werte sind im Ergebnis deshalb, genauer betrachtet, nur eine andere Bezeichnung für einen vorhandenen oder postulierten, prozessualen oder ordnungspolitischen Grundkonsens 536. (2) Kritische

Würdigung der Konsenstheorien

Auch die Theorie des „materialen", objektiven oder ordnungspolitischen Grundkonsenses ist nicht ohne kritische Würdigung geblieben. 534 E. Fraenkel, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 32 (46 f.); ders., ebda., S. 48 (64); ders., ebda. S. 197 (199 ff., 220); W. Brugger, StaWi / StaPrax 1990, S. 529 (537 ff.); P. Massing, Interesse und Konsensus, S. 136; S. Eisel, Minimalkonsens, S. 56 ff. 535 Fraenkel spricht von „Regeln eines fair play" sowie „Mindesterfordernisse(n) der sozialen Gerechtigkeit", oder „Spielregeln eines fair play" und einem „allgemein anerkannten Wertkodex" oder von „Verfahrens- und materiellrechtlichen Normen", vgl. E. Fraenkel, in: ders.; Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 48 (49); 197 (199 f., 220). Dazu W. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 207; S. Eisel, Mimimalkonsens, S. 46 f.; E. Benda, DÖV 1982, S. 877 (877, 879): „ ( . . . ) die das Gemeinwesen prägenden Werte und Strukturprinzipien ( . . . ) und das verfassungstheoretische Vorverständnis"; auch W. Henke, JZ 1973, S. 293: „Der Konsens heißt,freiheitliche demokratische Grundordnung'". 556 E.-W. Böckenförde, in: FS Gmür, S. 7 (19).

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In dem Zusammenhang, in dem Fraenkel seine Theorie des Neopluralismus entwickelte, wird zum Beispiel darauf hingewiesen, daß sich Gruppenpluralismus auch ganz anders definieren ließe, nämlich als „coexistence of organized religious groups with incompatible beliefs 537 ' 4 . Aufgrund der Absolutheit des religiösen Glaubens der Mitglieder dieser Gruppen erscheint dann ein geforderter materialer oder objektiv verbindlicher Grundkonsens eher kontraproduktiv, um die staatliche Einheit her- oder sicherzustellen. So verhält sich auch die Kritik an Fraenkels deskriptiv-normativer Theorie des Pluralismus und wirft ihm vor, die Gruppen und Verbände, die er vor Augen hatte, nicht identifiziert zu haben. Denn wäre er von verschiedenen weltanschaulichen (oder religiösen) Verbänden ausgegangen, hätte er sehen müssen, daß das Minimum an substantieller Homogenität, das er beschreibt und fordert, ständig in Frage stehe 538 und weniger vor- als aufgegeben sei. Deshalb ist an dieser Stelle zumindest anzudeuten, daß sich das gesellschaftstheoretische Verständnis der Unverrückbarkeit eines materialen Grundkonsenses angesichts der verschiedensten gruppenpluralistischen Interessen in einer heterogenen Gesellschaft verschiedenen tatsächlichen Schwierigkeiten gegenübersieht. Es erscheint fraglich, ob dieser „materiale" Grundkonsens der gesellschaftlichen Diskussion entzogen sein und als Konsequenz seiner Infragestellung die verfassungsrechtlich sanktionierte Exklusion religiöser Vereinigungen vom Verfassungsleben produzieren sollte. Oder ob es nicht vielmehr als selbstverständliches und erforderliches, aber auch ausreichendes Minimum zu begreifen ist, wenn sich diese Gruppen - obwohl ihr Fernziel ein anderes ist - ohne innerliche Bejahung zumindest an die sich aus dem demokratischen Grundkonsens ergebenden Spielregeln halten 539 . 537 G. Lenski, Int.Jb.f.RelSoz. 1 (1965), S. 25; /. Ebsen, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 83 (86); S. Smid, Der Staat 24 (1985), S. 3 (8 ff.); H. Meier, Parteiverbote, S. 342: Die indiskutable Verfassungssubstanz ruhe auf dem Sockel naturrechtlich-statischer Vorstellungen, wie sie in den Nachkriegsjahren verbreitet waren. Der objektive verbindliche werthafte Grundkonsens stelle eine Rückbesinnung auf ein idealistisches und zeitlos-normativ entrücktes Reich der Werte dar, das so nicht existiere. H. Huba, Der Staat 24 (1985), 581 (585, 584): „Denn konsequent formal im gebotenen Sinne wäre nur ein Konsens, dessen Inhalt die Chance zum Bürgerkrieg ist". So erachtet auch G. Sartori, Demokratietheorie, S. 98 ff., den Verfahrenskonsens als notwenige, den Grundkonsens allein als begünstigende Bedingung von Demokratie. 538 p. Pasquino, in: Müller/Staff (Hrsg.), Staatslehre in der Weimarer Republik, S. 114 (125); E. Denninger, in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, S. 95 (112). Zum wissenschaftsgeschichtlichen Hintergund, vgl. B. Blanke/U. Jürgens/H. Kastendiek, Kritik der Politischen Wissenschaft 1, S. 80 u. passim: Politikwissenschaft konnte sich in Deutschland zunächst nur als Demokratie Wissenschaft etablieren und verstand sich bewußt als wertende Wissenschaft, „und zwar im Sinne einer moralphilosophischen Disziplin". 539 Die empirische Konsensforschung hat herausgefunden, daß sich die Annahme einer allgemeinen demokratischen Orientierung einer großen Anzahl der Bürger nicht nachweisen läßt. Hieraus wurde dann die Schlußfolgerung gezogen, daß Demokratie auch ohne den breit angelegten Fundamentalkonsens aller funktionieren kann, vgl. F. Neidhardt, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 15 (16 ff.); H. McClosky, Consensus and Ideology in American Politics, in: American Political Science Review 54 (1960), S. 361 (376): Es müsse nur ein gewisser Konsens zwischen den relativ aktiven Mitgliedern

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Diese auch in der Sozialwissenschaft vertretene Alternative von Grundkonsens wird als konfliktorientiertes Modell bezeichnet. Es geht wie der systemtheoretische Ansatz Luhmanns davon aus, daß realer Konsens - ebenfalls der über demokratische Verfahrensregeln und die in den demokratischen Verfahren hergestellten Entscheidungen - knapp ist. Auch die demokratischen Spielregeln würden in diesem Falle nicht gewollt, sondern als ein unvermeidbarer Nachteil, denn man wolle schließlich mitmachen und mitentscheiden können, geduldet 540 . In Anbetracht der Tatsache, daß wenig für eine „Massenharmonie aus Einsicht" 541 auch bezüglich der demokratischen Verfahrensregeln spreche, so dieser Ansatz, und auch die faire, wenngleich ergebnislose Chance, an Entscheidungsverfahren teilhaben zu dürfen, weder tatsächliche Übereinstimmung mit dem Ergebnis noch mit den Verfahren, die zu diesem geführt haben, produziere, bleibe allein der Grundkonsens qua Duldung des Staates aus Befolgung von Klugheitsregeln 542. Ein anders besetzter Begriff des Grundkonsenses dagegen, so die Schlußfolgerung, würde schnell dahinschmelzen543. Eine neuere, starke Tendenz auch in der juristischen Literatur geht deshalb zumindest dahin, einen Verfahrenskonsens für ausreichend zu halten und die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne dieses Verfahrenskonsenses zu interpretieren 544 . Zwar sei, so diese Auffassung, dem Erfordernis materialer Werte und bestehen. A. Etzioni, in: Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels, S. 147 ff. Es sei deshalb falsch, von einem consensus omnium zu reden. Beim „Basic Agreement" sei eher von „Formen stillschweigenden Verhaltenskonsenses in der Gesamtbevölkerung auszugehen, der deshalb angenommen werden kann, weil und solange Widerstand ausbleibt", vgl. H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 253. Daß die viel berufene Homogenität eine soziale Konstruktion sei, auch E. Pache, DVB1. 2002, S. 1154 (1158 f.); femer F. Scharpf, Demokratietheorie zwischen Utopie und Anpassung, S. 34: Die Partizipationsforschung habe gezeigt, „wie wenig die Vorstellung von einem breiten Grundkonsens über die Grundwerte und Spielregeln der pluralistischen Demokratie der Wirklichkeit entsprach". 540 W. Heun, Mehrheitsprinzip, S. 186: „diffuse Loyalität"; E Neidhardt, in: Schuppert/ Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 15 (18 f.): Zu den funktionalen Äquivalenten des knappen Konsenses gehören Zwang und Loyalität als konsensunabhängige Bindung, aber auch Austauschleistungen, bei denen die Einstellungen und Motive des Tauschpartners uninteressant werden, „wenn er mir gibt, was ich brauche". Zum „,moralinfreien' Recht des »pluralistischen' Staates", vgl. J. Braun, in: Rechtstheorie 23 (1992), S. 97 (100 ff.). 541 G. Jakobs, in: Hattenhauer/Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, S. 23 (37); H. J. Laski, in: Nuscheier/Steffani, Pluralismus, S. 62 (63 ff., 75). 542 Ähnl. auch G. Roellecke, ZRph 2003, S. 58 (60). 543 G. Jakobs, in: Hattenhauer/Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, S. 23 (41 f.); zur ähnlichen Kritik am Kommunitarismus, vgl. H. Rosa, in: Brodocz / Schaal (Hrsg.), Politische Theorien II, S. 55 (75 f.). 544 c. Bumke, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, 214, 217; /. Ebsen, ebda., S. 83 (85); U. K. Preuß, Leviathan 5 (1977), S. 450 (451 ff., 457 ff.); E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 143; S. Smid, Der Staat 24 (1985), S. 3 (8 ff.); J. Pereis, KJ 10 (1977), S. 375 (387 f.); Ρ Häberle, in: Friedrich (Hrsg.), Verfassung, S. 418 (436); C. Gusy, in: AK GG, Art. 21 GG Rn. 115 ff.; M. Lendi, in: FS Huber, S. 487 (494); aber auch C. Starck, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 227

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Ziele, wie sie in zahlreichen totalitären Staaten als einzig vertretbare erlaubt seien 545 , eine Absage zu erteilen. Die Demokratie, so die Ausgangsthese, zu deren konstitutierenden Elementen die individuelle politische Freiheit und die Pluralität zählten, müsse sich vor allem aber gegen diejenigen Gruppierungen schützen, die auf der einen Seite selbst demokratische Rechte für sich in Anspruch nähmen, ohne diese auf der anderen Seite auch ihren Konkurrenten zugestehen zu wollen. Dissens und Wertrelativismus seien zwar grundsätzlich zu billigen. Der Wertrelativismus fußt dabei auf der Anerkennung der Trennung individueller und kollektiver Ethiken. Er setzt zwar die Existenz von Werten voraus, verneint aber, daß die umfassende subjektive Anerkennung vorgegebener und letztverbindlicher Werte durch alle Betroffenen der Geltungsgrund kollektiver Wertsysteme sein könne, und bejaht stattdessen den partikularen Charakter der je eigenen Standpunkte. Auch das politisch organisierte Gemeinwesen muß nach der Theorie des Wertrelativismus davon ausgehen, daß seine Mitglieder unterschiedlichen Wertsystemen anhängen. Da sich über deren „Richtig" oder „Falsch" kein Beweis führen lasse, habe das Gemeinwesen zunächst von der Gleichberechtigung aller dieser Wertsysteme auszugehen546. Dissens und Wertrelativismus seien aber, so die Prämisse, zwar möglich, aber nur solange erträglich, wie Mehrheitsentscheidungen abänderbar seien. Das demokratische Verfahren, die Mehrheitsregel, sei zwar die Methode der Demokratie, Entscheidungen zu produzieren, die grundsätzlich jeden beliebigen Inhalt haben könnten. Ausgeschlossen müsse es jedoch sein, die Mehrheitsregel gegen ihren eigenen Geltungsgrund, die Idee der individuellen Freiheit innerhalb eines gesellschaftlichen Verbandes zu kehren. Entscheidungen diesen Inhalts seien daher verboten. Damit werden zwei Ebenen unterschieden: differenziert wird zwischen der Idee und der Methode der Demokratie, wobei die Idee die Grenze der Methode markiert: Das demokratische Verfahren dürfe, so lautet das Gesetz, niemals sein eigenes Fundament, nämlich die Idee freier Selbstbestimmung zerstören. Unter dem Grundgesetz wird deshalb auch vertreten, daß zumindest die Offenheit des demokratischen Verfahrens mit Absolutheit zu verteidigen sei. Da die Demokratie im wesentlichen die Chance der Minderheit, zur Mehrheit zu werden, postu(229); U. Scheuner, Mehrheitsprinzip, S. 55. Auch die Schule Kelsens soll unter der WRV die Unaufhebbarkeit der Grundnorm der Volkssouveränität durch das souveräne Volk verfochten haben. Vgl. H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 27 ff.; W. Steffani, Pluralistische Demokratie, S. 43; W. Hennis, Merkur 1976, S. 28 f.; G. Roellecke, in: FS Kriele, S. 593 (607). 545 E.-W. Böckenförde, Die Rechtsauffassung im kommunistischen Staat, passim. 546 Ausführlich A. Brecht, Politische Theorie, S. 148 ff.; C. Gusy, ARSP 1982, S. 503 (504 ff.); H. F. Zacher, Der Staat (1970), S. 161 (162 ff.); I. Ebsen, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 8 (85); W. Bauer, Wertrelativismus, passim. Ob innerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung plurale Überzeugungen dem Neutralitätsprinzip entsprechend im Wettstreit der Ideen wechselseitig und staatlicherseits respektiert werden müssen, wird auch unter dem Stichwort der „Toleranz" im politischen Bereich diskutiert, vgl. M. Ronellenfitsch, in: FS Heckel, S. 427 ff.; A. Debus, Das Verfassungsprinzip der Toleranz, S. 179 f.; M. Winkler, in: Erbereich (Hrsg.), Frieden und Recht, S. 53 (73 ff.); G. Püttner, Toleranz als Verfassungsprinzip; M. Sichert, DVB1. 2001, S. 671 (673).

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liere, habe die jeweilige Mehrheit kein Recht, sich selbst oder ihre Herrschaft durch Abschaffung der demokratischen Spielregeln zu perpetuieren 547. Zur Rechtfertigung dieser Beschränkung des politisch Mach- und Vertretbaren wird angeführt, daß dieser „legitimierende Konsens der politisch organisierten Gesellschaft" demokratische Politik durch Bändigung der politischen Gewalt erst ermögliche. Gerade weil nicht alles möglich sei, könne die Offenheit und die Pluralität der politischen Willensbildung gewahrt werden 548 . Anstatt daß zukünftige Generationen durch diesen postulierten Konsens übermäßig und ungerechtfertigt gebunden würden, so das entscheidende Argument, würden ihnen vielmehr alle Möglichkeiten offengehalten. Die Selbstbindung an das Mehrheitsprinzip, also die Verfahrensregel der Demokratie, sei ihrerseits eine Klugheitsentscheidung des Verfassunggebers, der damit habe verhindern wollen, daß eine Generation sich selbst und durch die fehlende Revidierbarkeit ihrer Entscheidungen auch folgende Generationen versklave. Oder anders ausgedrückt: Verfassungen werden als Ketten betrachtet, mit denen sich die Menschen in lichten Augenblicken binden, um in der Raserei nicht selbstmörderisch handeln zu können. Oder noch anders mit Friedrich Hayek: Verfassungen spiegeln den Gedanken wider, daß Peter, wenn er nüchtern ist, tätig werden kann, um Peter, wenn er betrunken ist, Beschränkungen aufzuerlegen 549. 547 H. Dreier, Staatssoziologie, S. 270; M. Lendi, in: FS Huber, S. 487 (494); E.-W. Bökkenförde, in: HStR I, § 22 Rn. 39, 53 ff.; W. Heun, Mehrheitsprinzip, S. 222 ff., 227; E. Jesse, Streitbare Demokratie, S. 16. Dies wird vor allem im Zusammenhang mit der Rechtfertigung des Art. 79 III GG diskutiert. Denn Art. 79 III GG schränkt die Volkssouveränität künftiger Generationen ein. (Anders z. B. Art. 28 der Erklärung der Menschen und Bürgerrechte der französischen Verfassung v. 24. 6. 1793: „Ein Volk hat stets das Recht, seine Verfassung zu revidieren, zu verbessern und zu ändern. Eine Generation kann ihren Gesetzen nicht die künftigen Generationen unterwerfen". Zit. nach H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (748 Fn. 99)). Zur gleichlautenden „Jefferson-These": „Die Erde gehört den Lebenden, nicht den Toten", vgl. T. Jefferson, in: Writings (hrsg. v. Merrill Peterson), S. 993. Umfassend S. Holmes, in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, S. 133 (140 ff.); W. Heun, HZ 238 (1994), S. 359 (384 f.); H. H. Klein, in: FS Carstens, S. 645 (651). Zum Recht der Minderheit, selbst Mehrheit zu werden, vgl. C. Gusy, AöR 106 (1981), S. 329 (342 ff.); H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 53, 101 f U . Scheuner, Mehrheitsprinzip, S. 61. 548 p. Badura, in: FS Scheuner, S. 19 (24); U. K. Preuß, Revolution, Fortschritt, Verfassung, S. 73 ff.; A. Hollerbach, in: Maihofer (Hrsg.), Ideologie und Recht, S. 36 (46); zusammenfassend H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (747, 751). 549 Ausführlich S. Holmes, in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, S. 133 (149 ff.); zur Selbstbindung, vgl. auch K. Offe, in: Honneth (Hrsg.), Zwischenbetrachtungen, S. 739 (748 ff.), der den Mythos des Odysseus fruchtbar macht, welcher sich, um den Sirenengesang hören zu können ohne gleichzeitig mit Mann und Maus untergehen zu müssen, an den Masten seines Schiffes festbinden ließ. Ebenso J. Elster, in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, S. 37 (38); W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung, S. 185 f. u. passim. Zur Grundaporie des Art. 79 III GG, der trotz der Volkssouveränität als fundamentalen Prinzips eines demokratischen Staates das Volk in das einmal errichtete Gehäuse der Verfassung bannt, vgl. H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (748 f.); P. Badura, in: FS Scheuner, S. 19 (25); U. K. Preuß, Revolution, Fortschritt, Verfassung, S. 18, 28; H. Hofmann, in: ders., Recht, Politik, Verfassung, S. 261 (293 ff.); N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 103 f., 474: „Selbst-

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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(3) Ergebnis Ob nun der Grundkonsens als „formaler" Spielregelkonsens oder als „materialer" Wertkonsens in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung postuliert wird - für die zu untersuchende Frage des Verbotes von Religionsgemeinschaften macht dies keinen grundsätzlichen Unterschied. Diejenigen Religionsgemeinschaften, die nämlich in das Visier der Verfassungsschützer geraten sind, stellen in ihren Staats- und Gesellschaftskonzepten sowohl die „materialen" Werte der Demokratie als auch das demokratische Verfahren in Frage und haben den gesellschaftlichen Grundkonsens damit ein Stück weit aufgekündigt.

cc) Die freiheitlich demokratische Ordnung als Grundkonsens in der Verfassung? Wenn ein gesellschaftlicher Grundkonsens, sei es als prozeduraler oder als ordnungspolitischer, aber für verbindlich erklärt wird, ohne daß für seine Geltung sein tatsächliches Vorhandensein von Interesse ist, ist der Schritt dahin, ihn gegen seine Gegner auch rechtlich möglichst umfassend durchzusetzen oder zu verteidigen, erfahrungsgemäß nicht groß 550 . Das gesellschaftstheoretische Konzept des Grundkonsenses oder der Wertgemeinschaft liegt der Verfassung aber grundsätzlich voraus und läßt sich nicht unmittelbar in ein verfassungsrechtliches Gebot ummünzen 551 . Es fragt sich deshalb weiter, wie das Postulat des gesellschaftlichen Grundkonsenses in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung in das Verewigung"; H. Quaritsch, Der Staat 17 (1978), S. 421 (427 ff.); E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 90 (98 ff.); W. Leisner, Demokratie - Selbstzerstörung einer Staatsform, S. 14 ff. 550

U. Scheuner, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 33 (50, 54): „ ( . . . ) gemeinsame in der Verfassung niedergelegte Grundlage, die in der Verschiedenheit die grundlegende Einheit der staatlichen Ordnung sichert und möglicherweise auch bestimmten, dieser Ordnung gegnerischen Kräften in der politischen Entfaltung Begrenzungen auferlegt". H.-D. Rath, JöR N.F. 33 (1984), S. 131 (132 f.); E. Werthebach/B. Droste-Lehnen, DÖV 1992, S. 514 (520). Inwieweit der Verfassungsstaat neben dem Einsatz von Zwangsmitteln auch um den Konsens werben muß, da die freie Zustimmung zu ihm mit Zwangsmitteln nicht substituierbar ist, ist eine andere Frage, die im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden kann. Kritisch dazu H. Mommsen, in: Dowe/Gosewinkel (Hrsg.), Lernen aus der Vergangenheit!?, S. 43 f.: „ ( . . . ) Konsens als Selbstzweck. Das nenne ich eine kritische Entwicklung". 551 J. Isensee, NJW 1977, S. 545 (551); E. Fraenkel, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, S. 173 (187); F. Hufen, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 61 (68); H. Kremendahl, Pluralismustheorie, S. 32: „Der Pluralismus ist ein Strukturprinzip, das nicht auf eine spezifische Gesellschaftsformation historisch-zwingend festgelegt ist". Zur Unsicherheit der Pluralismustheoretiker, den Grundkonsens zu verfüllen, vgl. U. R. Haltern, JöR N.F. 45 (1997), 31 (41 f.). Zur freiheitlich demokratischen Ordnung im speziellen als eine der Verfassung vorausliegende Erwartung, vgl. J. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 195: „Eine negative Verfassungserwartung findet sich in den Tatbeständen des Grundrechtsmißbrauchs in Art. 18 und 21 II GG ( . . . )". 22 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Verfassungsrecht des Grundgesetzes übersetzt wurde. Oder anders ausgedrückt: Was wird mit den Begriffen und Inhalten der Wertordnung und des Grundkonsenses für die Beschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht gewonnen? Hat jeder einzelne, der Gedichte schreibt, in denen er sich beispielsweise für die Rückkehr der Monarchie ausspricht, mit verfassungsrechtlich gebilligten (oder gar geforderten) Sanktionen zu rechnen? Kann (muß) die Einfuhr und anschließende Aufführung von Filmen verboten werden, die ein kommunistisches Regime verherrlichen 552? Haben Religionsgemeinschaften, in deren Glaubenslehren demokratische Verfahren und/oder Werte abgelehnt und durch gottesstaatliche oder streng hierarchische Mechanismen ersetzt werden, mit ihrem verfassungsrechtlich gebilligten (oder gar geforderten) Verbot zu rechnen? Hat der demokratisch verfaßte Staat also ein verfassungsrechtliches Mandat, das notwendige Maß an Grundkonsens zu sichern, wenn dies nicht mehr vom freien gesellschaftlichen Konsens getragen wird 5 5 3 ? In einer verfaßten Demokratie erfüllt die Verfassung die Funktion, eine Konsensgrundlage für den Austrag von (politischen) Konflikten darzustellen 554. Zudem geht es bei der Frage um das Verbot einer Religionsgemeinschaft aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht um gesellschaftstheoretische, sondern um verfassungsrechtliche Problemstellungen. Deshalb stellt sich die folgende Anschlußfrage: Was genau hat also die Verfassung auf welche Weise dem gesellschaftlichen Diskurs entzogen, indem sie es dem Grundkonsens der Weitgemeinschaft zugeordnet und für allgemein verbindlich erklärt hat? Der Begriff des Grundkonsenses, in welcher Spielart auch immer, taucht indessen in der Verfassungsurkunde nicht auf. Ohne daß sich das Bundesverfassungsgericht ausführlich mit ihm befaßt, läßt es vor allem in seiner älteren Rechtsprechung jedoch durchblicken, daß es von der Normierung (?), dem Vorhandensein (?) und der Notwendigkeit eben jenes Konsenses auch im Verfassungsrecht ausgeht. Es betrachtet ihn als das „weitgehende Einverständnis der Bürger mit der vom Grundgesetz geschaffenen Staatsordnung" 555. Als theoretischem Ordnungskonzept für eine pluralistische Gesellschaft ist dem gesellschaftstheoretischen Postulat des Grundkonsenses gleichwohl eine normative Dimension zu eigen 556 . Er wird als notwendig postuliert, soll sein, und deshalb 552 BVerfGE 33, 52 (71). 553 Ähnlich fragt J. Isensee, NJW 1977, S. 545 (546). 554 E. Benda, DÖV 1982, S. 877 (879); I. Ebsen, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 83 (87); C. Bumke, in: ebda., S. 197 (215 ff.); F. Hufen, in: ebda., S. 61 (67); H.-P. Schneider, in: Grimm (Hrsg.), Einführung in das öffentliche Recht, S. 1 (18); J. Isensee, NJW 1977, S. 545 (548); U. R. Haltern, in: JöR N.F. 45 (1997), S. 32 (46, 71 u. passim). 555 Ausdrücklich zum Grundkonsens, vgl. BVerfGE 44, 125 (147); 63, 230 (242 f.). 556 H. Vorländer, Verfassung und Konsens, S. 240; S. Eisel, Minimalkonsens, S. 48; zur institutionstheoretischen Begründung eines normativen Konsenses, vgl. auch P. Massing,

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werden für seine Beachtung institutionelle und rechtliche Sicherungsmechanismen gefordert. Da der notwendige Wertkodex einer pluralistischen Gesellschaft sowohl von Gesellschaft zu Gesellschaft als auch innerhalb derselben Gesellschaft zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich ausfallen kann 557 , werden sein verbindlicher Inhalt und seine Reichweite deshalb zu Fragen der Setzung und in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft erst durch das Verfassungsrecht konstituiert. Denn die „Verfassung sucht einen festen Bestand dessen zu schaffen, was als entschieden anzusehen ist, stabilisierend und entlastend zu wirken" 5 5 8 . In der Verfassung wird der Fundamentalkonsens der sich verfaßt habenden Gesellschaft positivrechtlich fixiert. Ihre Funktion ist die eines gesellschaftlichen Konsensprinzips, auf das sich das souveräne Volk einmal verständigt hat. Insbesondere auch Peter Häberle hat es unternommen, die Pluralismustheorie Fraenkels - kombiniert mit der Wissenschaftstheorie des Kritischen Rationalismus von Karl R. Popper - in eine Verfassungstheorie der pluralistischen Gesellschaft zu überführen. Seine Theorie soll als Beispiel an dieser Stelle deshalb in der gebotenen Kürze dargestellt werden. Unter der Prämisse, daß es keine absoluten, sondern nur relative Wahrheiten gebe, so Häberle, müsse die Verfassung einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft so strukturiert sein, daß sie in der Hauptsache Verfahren zur Verfügung stelle, die die Suche nach relativen Wahrheiten, die er mit Konsens gleichsetzt, ermögliche 559 . Diese zunächst sehr an der prozessualen Konsenstheorie eines Niklas Luhmann orientiert zu sein scheinende These wird von Häberle dadurch ergänzt, daß die Verfassung gleichzeitig aber auch ein Minimum an Inhalten bereit zu halten habe, an denen sich die Konsensfindung müsse orientieren können. Denn die Verfassung, so Häberle weiter, sei eine normative Rahmenordnung auch für die pluralistische Gesellschaft. Der Rahmen, der durch sie verbindlich festgesetzt würde, bestehe aus „inhaltlich und verfahrensmäßig unverzichtbaren Konsensbedingungen". Erst diese Konsensbedingungen, zu denen er insbesondere die in Art. 79 III GG niedergelegten Grundsätze zählt, ermöglichten „zugleich Konkurrenz und Dissens" 560 . Interesse und Konsensus, S. 29 ff., 138, 179 ff.; zur Entlastungsfunktion der Verfassung und eines Verfassungskonsenses, vgl. insb. D. Grimm, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, S. 399 (425 ff.). 557 W. Maihof er, in: Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte, S. 88 (91): „Relativitätstheorie der Grundwerte". 558 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 25; E. Benda, in: Hattenhauer/Kaltefleiter (Hrsg.), Mehrheitsprinzip, S. 61 (71); J. Isensee, NJW 1977, S. 545: Die in der Verfassung normierten Grundwertentscheidungen seien der „gemeinsame sozialethische Nenner der pluralistischen Gesellschaft". U. Scheuner, Mehrheitsprinzip, S. 54: „Diese grundlegende Einigung, die ( . . . ) in der Gegenwart durch die Verfassungsordnung eine normative Fixierung erhält ( . . . ) " ; ders., in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 33 (61 f.). 559 R Häberle, in: Friedrich (Hrsg.), Verfassung, S. 418 (436). 560 R Häberle, in: ders, Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 121 (141 ff.); ders., Die Verwaltung 1993, S. 421 (437): Es müsse ein einigendes Band (in Form der Grundwerte) geben, 22*

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Für den ordnungspolitischen Grundkonsens und sein Verhältnis zu dem gleichfalls erforderlichen prozessualen Konsens unter dem Grundgesetz ergibt sich deshalb im Ergebnis folgendes: Die Verfassung als politische Entscheidung über die grundlegende Ordnung unserer Gesellschaft enthält notwendigerweise inhaltliche Entscheidungen für oder gegen politische Alternativen 561 . In diesen Zusammenhang ist auch ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu stellen, nach der das Grundgesetz bestimmte Grundprinzipien staatlicher Gestaltung als demokratisch konsentierte „absolute" Werte anerkannt habe 562 . Der demokratische Konsens, der sich im geltenden Verfassungsrecht abbilden muß, bestimmt also über den Inhalt, vor allem aber auch über die rechtliche Reichweite des dem Diskurs entzogenen unstreitigen Sektors 563 . Der gesellschaftstheoretisch geforderte Grundkonsens löst Rechtsfolgen damit allein in dem Rahmen aus, wie er verfassungsgesetzlich rezipiert wurde. Entscheidend ist also die Normativität des Verfassungsrechts. Sowenig wie eine jenseits des Wortlauts des Grundgesetzes liegende Verfassungswirklichkeit herangezogen werden darf, um dessen Normativität aufzuweichen, so wenig darf auch auf einen Grundkonsens aus überschießenden, der Verfassung vorausliegenden „Notwendigkeiten" ausgewichen werden, um das Fehlen dieses Grundkonsenses letztlich zu sanktionieren. Insoweit ist der Justiziabilität des Verfassungsrechts ein „positivistischer" Ansatz zu eigen. Diesem positivistischen Ansatz wiederum ist immanent, daß die Suche nach der Reichweite des Grundkonsenses „freiheitlich demokratische Grundordnung" zunächst dem Verfassungstext verbunden bleiben muß. Über Tatbestand und Folgen der gegen diesen Grundkonsens optierenden Verfassungsfeindschaft oder Verfassungsuntreue entscheidet also letztlich das Grundgesetz selbst 564 . Deshalb ist in einem abschließenden Schritt zu untersuchen, inwieweit das Grundgesetz auf den Grundkonsens in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung eingeht. „das als Rahmenordnung alle zentrifugalen Ideen und Interessen umschließt". Auf eine Darstellung der Schlüsse, die Häberle für eine Beteiligung der pluralistischen gesellschaftlichen Kräfte an der (authentischen) Interpretation der Verfassung zieht, wird verzichtet. Vgl. hierzu P. Häberle, in: JZ 1975, S. 297 ff.: „Wer die Norm ,lebt\ interpretiert sie auch (mit)". Zur Kritik an Häberles Konzept der Verfassung als eines öffentlichen Prozesses, vgl. E.-W. Bökkenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 (66 ff.): „ ( . . . ) nahezu vollständige^) Auflösung der Verfassung als Norm". 561 A. Podlech, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 9 (22 f.); U. Scheuner, ebda., S. 33 (45, 61 ff.); zum Erfordernis eines permanenten Konsenses, vgl. auch U. Karpen, JuS 1987, S. 593 (594 f.). Aus soziologischer Sicht: Funktion der Verfassung als selektive Selbstfestlegung der Identität des politischen Systems, dem sogenannten „Verfassen durch Negationen", vgl. N. Luhmann, Der Staat 12 (1973), S. 1 (21), 165 (172); G. Sprenger, in: Brugger (Hrsg.), Legitimation des Grundgesetzes, S. 219 (224 ff.). 562 BVerfGE 5, 85 (139); 7, 198 (204 ff.). 563 Zur institutionstheoretischen Begründung eines normativen Konsenses, vgl. P. Massing, Interesse und Konsensus, S. 29 ff., 179 ff.; zur Entlastungsfunktion der Verfassung und eines Verfassungskonsenses vgl. insb. D. Grimm, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, S. 399 (425 ff.). 564 M. Ronellenfitsch, in: FS Heckel, S. 427 (432): „Das Grundgesetz selbst ist alleiniger Maßstab für die von ihm begründete Wertordnung".

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Ausdrücklich entzieht es die freiheitlich demokratische Grundordnung als Teil dieses Grundkonsenses dem Diskurs in folgenden Verfassungsbestimmungen: in Art. 79 III GG dem verfassungsändernden Gesetzgeber, in Art. 9 II GG den profanen Vereinigungen, in Art. 21 II GG den Parteien und in Art. 5 III GG der Wissenschaft. Für den Fall seiner Gefährdung läßt das Grundgesetz in den Art. 10 I I und 11 II GG weitere Freiheitsbeschränkungen zu, die insgesamt bis hin zu einem Verlust der in Art. 18 GG genannten Grundrechte bei Mißbrauch dieser Freiheiten zu Ungunsten des einzelnen reichen. Speziell für Art. 4 GG ergibt sich aus dem Verfassungstext dagegen nicht, ob und in welchem Rahmen der Grundkonsens die religiösen Freiheiten limitiert. Fraglich ist aber, inwieweit die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG auch auf die grundrechtliche Freiheit des Art. 4 GG einwirkt. Denn Art. 79 III GG bringt zum Ausdruck, daß das Grundgesetz einen „legitimierenden Konsens der politisch organisierten Gesellschaft" schlicht voraussetzt, den Prozeß der politischen Willensbildung limitiert und die Verfassung in ihrer Identität bewahren will, weshalb zum Teil die Höherrangigkeit dieser Verfassungsnorm gegenüber anderen grundgesetzlichen Bestimmungen postuliert wurde. Deshalb wird auch gefolgert, daß zur Rechtfertigung eines Eingriffs in alle Grundrechte diejenigen Inhalte des Grundgesetzes in Betracht kämen, die dieses selbst dem Alltag des Verfassungslebens entzöge und ausnahmsweise als unberührbar deklarierte, wie die von Art. 79 III GG geschützten Rechtsgüter 565. Von seiner grundsätzlichen Intention her will Art. 79 III GG die Möglichkeit der legalen Beseitigung der Verfassung ausschließen. Zwar errichtet Art. 79 III GG keine effektive Barriere gegen den revolutionären Umbruch, denn dies kann keine Rechtsnorm leisten, er unterbindet aber zumindest den Schein rechtlicher Kontinuität zwischen der alten Ordnung und einer neuen, welche die von Art. 79 III GG geschützte freiheitlich demokratische Grundordnung abschafft. Insbesondere kommt Art. 79 III GG in dieser Hinsicht eine Warn- und Appellfunktion zu 5 6 6 . Das appellative Verbot des Verfassungsumbruchs richtet sich aber ausschließlich an den verfassungsändernden Gesetzgeber. Seiner Disposition entzieht es die freiheitlich demokratische 565 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 334; P. Badura, in: FS Scheuner, S. 19 (24); A. Hollerbach, in: Maihofer (Hrsg.), Ideologie und Recht, S. 36 (46); P. Häberle, in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, S. 121 (141 ff.); Η Dreier, JZ 1994, S. 741 (747); W v. Simson, VVDStRL 29 (1971), S. 3 (13 ff.): „Vorabbestimmung des Willens"; Ρ Kirchhof, in: HStR I, § 19 Rn. 10 ff. Im Zusammenhang mit der Einheit der Verfassung wurde Art. 79 III GG wegen seiner Unantastbarkeit als eine höherrangige Verfassungsnorm deklariert. Die Höherwertigkeit der Grundsätze des Art. 79 III GG hatte zur Folge, daß andere Verfassungsnormen „grundsatzkonform" ausgelegt werden mußten. Hierzu ausführlich F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 38, 57, 191 u. passim; Η Η Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (68); M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (987); Κ Hesse, Grundzüge, Rn. 691: „Verfassungsrecht muß nicht nur die Gewähr seiner Durchsetzung, sondern auch die Gewähr seines Bestandes in sich selbst tragen". 566 BVerfGE 30, 1 (24 f., 38); 84, 90 (120 f.); K. Stern, JuS 1985, S. 329 (330): Art. 79 III GG kann den „revolutionären Ernstfall nicht ausschließen". Auch Ρ Kirchhof in: HStR I, § 19 Rn. 34 ff.; H. Huba, Der Staat 30 (1991); S. 367 (372); H.-J. Wipfelder, BayVBl. 1983,

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Grundordnung und stellt ihm damit unübersteigbare materielle Hürden in den Weg 567 . Die Verfügungsgewalt der Staatsorgane über den Grundkonsens in Form der freiheitlich demokratischen Ordnung wird „nach unten" erst ergänzt durch die genannten Grundrechtsbeschränkungen. Nur diese reglementieren den gesellschaftlichen Willensbildungsprozeß. Sie unterbinden bestimmte Freiheitsausübungen und entziehen die freiheitlich demokratische Grundordnung dem gesellschaftlichen Diskurs. Aus Art. 79 III GG läßt sich daher keine Grundrechtseinschränkung ableiten. Diesen Befund spiegelt auch ein Urteil aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in welchem es in einem obiter dictum erklärt, daß Art. 21 II GG dem Bürger die Freiheit belasse, „diese verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen und sie politisch zu bekämpfen, solange er es ( . . . ) mit allgemein erlaubten Mitteln" 5 6 8 tue. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in jüngster Zeit zum Versammlungsrecht noch einmal bestätigt. In seiner Kontroverse mit dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bekräftigte es, daß die Wertungen des Grundgesetzes die eine Sache seien, die Freiheit der Bürger die andere. Es tenorierte, daß die einzelnen frei seien, „grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, soweit sie dadurch die Rechtsgüter anderer" nicht gefährdeten 569. Im Ergebnis wird die freiheitlich demokratische Grundordnung, sei es als „materialer" Wertkonsens oder „formeller" Spielregelkonsens, durch die verfassungsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes selbst dem gesellschaftlichen Diskurs damit zunächst nicht in umfassender Weise entzogen. Das Grundgesetz hat aber zumindest stellenweise den Grundkonsens in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung in sich aufgenommen, ihn damit verrechtlicht und seine Verletzung letztlich sanktionierbar gemacht 570 .

S. 289 (292); K. Hesse, Grundzüge, Rn. 701; E.-W. Böckenförde, in: HStR I, § 22 Rn. 39, 53 ff.; zur Appellfunktion, vgl. P. Häberle, in: FS Haug, S. 81 (103); H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (749); E. Denninger, Staatsrecht I, S. 117: Die Legislative sei „in ein normatives Netz des institutionalisierten Mißtrauens eingebunden" worden. B. Schlink, Der Staat 12 (1973), S. 85 (94); E. Forsthoff, Verfassungsauslegung, S. 26; U. Scheuner, in: FS Kaufmann, S. 313 (317 f.); F. R. Allemann, Bonn ist nicht Weimar, S. 91. 567 G. Dürig, in: FS Maunz, S. 41 (47); K. Hesse, Grundzüge, Rn. 702; P. Häberle, in: FS Haug, S. 81 (81 ff., 103); U. di Fabio, Der Staat 32 (1993), S. 191 (210); B. Even, Unantastbarkeitsgarantie, S. 31 ff.; H. Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision, S. 241 f.; H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 III Rn. 11; B.-O. Bryde, in: v. Münch /Kunig, GG, Art. 79 Rn. 1; H. Ridder, in: AK GG (Vorauflage), Art. 79 Rn. 37. 568 BVerfGE 39, 334 (359). 569 BVerfG NJW 2001, S. 2069 (2071). Vorangegangen war OVG Münster NJW 2001, S. 2111, 2114; hierzu V. Neumann, in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 155 (164 ff.). 570 H. Maier, in: Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte, S. 172 (178 ff.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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dd) Ergebnis Im Ergebnis läßt sich deshalb festhalten, daß - wird der Grundkonsens mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung gleichgesetzt - die Verfassung selbst an einigen Stellen ausdrücklich von seiner Unverbrüchlichkeit ausgeht und ihn insoweit sowohl dem (aggressiv kämpferischen) gesellschaftlichen Diskurs (Art. 9 II, 18, 21 I I GG) als auch der Disposition des Gesetzgebers (Art. 79 III GG) entzieht und - bei seiner Gefährdung - Eingriffe in grundrechtliche Schutzbereiche zuläßt. Für das Grundrecht der Religionsfreiheit dagegen läßt sich dieses verfassungsrechtliche Außer-Frage-Stellen des Grundkonsenses in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung positivrechtlich nicht feststellen.

b) Der Mehrwert des Wertbegriffs und dessen Ersetzung durch das „ Prinzip " Zu fragen ist daher weiter, auf welchen verfassungstheoretischen und verfassungsdogmatischen Wegen der das Grundrecht der Religionsfreiheit textlich nicht beschränkende Grundkonsens in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung dieses letztlich doch noch einschränken können soll. An dieser Stelle kommen Begriff und Funktion des Wertes im Verfassungsrecht ins Spiel. Der Grundkonsens, so lautet die diesbezügliche Ausgangsthese, baue auf das Vorhandensein eines unantastbaren letzten Wertkodexes, welcher sich auch in ungeschriebener Form durch das gesamte Verfassungsrecht ziehe. Dieses Wertbündel stehe nicht zur gesellschaftlichen Disposition und müsse nötigenfalls durch den Staat verteidigt werden. Diejenigen Werte, gleich ob sie unter der Bezeichnung „material und letztverbindlich" oder „formell und Spielregeln" firmieren, aus denen sich der Wertkodex zusammensetzt, seien daher im Verbund mit der Einheit der Verfassung als kollidierendes Verfassungsrecht tauglich, auch vorbehaltlose Grundrechte wie die Religionsfreiheit zu beschränken. Als ein weiterer Weg, der hin zu einer Beschränkung auch vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte wie der Religionsfreiheit durch an anderer Stelle ausdrücklich genannte Verfassungsgüter bzw. den Grundkonsens führe, wird vorgeschlagen, die Verfassungsgüter, die als diesem Grundkonsens zugehörig betrachtet werden, als eben jene Werte zu deklarieren und über das Prinzip der Einheit des Grundgesetzes allen Freiheitsrechten entgegenzusetzen. Im folgenden soll dieser Weg abgeschritten und kritisch beleuchtet werden.

aa) Zur Funktion des Wertbegriffs Über das Für und Wider irrationaler Werte im täglichen Geschäft des rationalen Richtens ist vieles geschrieben worden, das hier nicht in aller Breite wieder-

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

holt zu werden braucht 571 . Von Interesse ist allerdings der Mehrwert, der sich insbesondere für die Rechtsprechung durch die Verwendung des Wertbegriffes ergibt. Trotz der vorrangigen Kritik, ein Wert allein könne Rechtsfolgen nicht begründen, da sein missing link das Fehlen jeglicher Information über seine rechtliche Bedeutung und seine Rechtsfolgen sei 5 7 2 , scheint das Geheimnis des Wertes in seiner auch für das Kollektiv geltenden Letztverbindlichkeit zu liegen 573 . Aus seinem Anspruch auf Allgemeingültigkeit wird gemeinhin als sekundäre Norm das Mindesterfordernis seines unbedingten Schutzes abgeleitet. Grundgesetzliche Werte, so die Argumentation, seien gesollt, mindestens aber zu verteidigen 574 , da ihnen die Logik der Negation ihrer Negation immanent sei 5 7 5 . Die Grundrechte, vor allem die vorbehaltlosen, in ein grundgesetzliches Wertsystem einzuordnen, bietet also den folgenden Vorteil: Unter der Prämisse, das Grundgesetz habe eine Wertordnung errichtet, gehen die grundgesetzlichen Wertentscheidungen den einzelnen Grundrechten voraus. Denn als Rechts verbürgungen stellen diese Ausflüsse der Wertordnung dar: „Der Wert ist der Grund und das Recht ist die Folge" 576 . Alle Grundrechte, auch die vorbehaltlosen, werden auf diese Weise mit den anderen Weitentscheidungen der Verfassung systematisch verschränkt. Diese Verschränkung bedeutet zugleich auch ihre Relativierung, da ihre Vorbehaltlosigkeit nur im Rahmen des behaupteten Wertsystems besteht. 571

Zu den philosophischen, methodologischen und dogmatischen Einwänden im einzelnen, vgl. R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 134 ff.; B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 43 ff., 128 ff., 154 ff.; ders., EuGRZ 1984, S. 457 (462 ff.); M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (986 f.); E.-W. Böckenförde, in: FS Spaemann, S. 1 (5 ff.); ders., VVDStRL28 (1970), S. 33 (58 f.); H. M. Pawlowski, in: FS Michaelis, S. 235 (244 f.); G. Roellecke, in: FS Pawlowski, S. 137 (156); zur Weitphilosophie und Entlastungsfunktion der Werte, vgl. ders., in: FS Duden, S. 349 ff., 360 ff. 57 2 H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 42; K. Stern, in: ders., Staatsrecht III / 1, S.913f. 573 Allein hiergegen opponiert der Wertrelativismus. Er geht davon aus, daß Werte dem subjektiven Empfinden entspringen und sowenig intersubjektiv vermittelbar sind, wie sie beweis- oder reproduzierbar seien. Sie könnten deshalb keine Begründung leisten, im Gegenteil sei eine Berufung auf sie der Begründung bedürftig. Hierzu umfassend C. Gusy, ARSP 1982, S. 503 ff.; A. Podlech, AöR 95 (1970), S. 185 (204 ff.). Ferner unterlägen sie daher der Tageswertung und öffneten Tür und Tor für ihre Auf-, Um- und Abwertung, vgl. E.-W. Bökkenförde, in: FS Arndt, S. 53 (74); ders., in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (129 ff.): speziell für die objektive Wertordnung der Grundrechte; E. Forsthoff, in: FS Schmitt, S. 35 (54 ff.); ders., in: FS Schmitt, S. 185 (209); dazu A. Hollerbach, in: AöR 85 (1960), S. 141 (253 ff. u. passim). 574 E. Denninger, JZ 1975, S. 545 (547). 575 Zu diesen Folgerungen aus der klassischen Wertphilosophie, vgl. A. Podlech, AöR 95 (1970), S. 185 (202 ff.); C. Schmitt, in: Schelz (Hrsg.), Die Tyrannei der Werte, S. 11 (18, 22, 29); E.-W. Böckenförde, in: FS Spaemann, S. 1 (4, 8): „Die Form ihres Bestehens (seil.: der Werte) ist der Modus des Geltens. Dieses Gelten bringt eine Übergangsbeziehung zwischen Sollen und Sein zum Ausdruck; es drängt zum Wirklichwerden im aktualen Handeln oder in gesetzten bzw. anerkannten Normen". Das Gelten „begründet den fordernden, antreibenden, ja aggressiven Charakter der Werte". Sie sind „notwendig angelegt und angewiesen auf Verwirklichung und Durchsetzung". ™ B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457 (464).

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Der universale Geltungsanspruch eines Wertes führt damit grundsätzlich zu einer Entgrenzung der Wertverpflichtungen des Grundgesetzes auf alle in diesem verbürgten Freiheiten. So erlangt die Wertordnung des Grundgesetzes eine Staat und Bürger in allen Lebenslagen gleichermaßen verpflichtende Kraft. Sie wird zu Voraussetzung, Motor und Ziel staatlicher Integration. Die Freiheit desjenigen, der Ideen vertritt, und mögen dies auch religiöse Ideen sein, die jenseits des wertkodierten Grundkonsenses liegen, kann dagegen verkürzt werden 577 . Die freiheitlich demokratische Grundordnung als eine Kompilation oberster Grundwerte der Verfassung wandelt sich so in einen Argumentationstopos, der auch im Rahmen von denjenigen Freiheitsrechten fruchtbar gemacht wird, welche die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht als schrankenziehendes Rechtsgut benennen. Als Wert deklariert, kann die freiheitlich demokratische Grundordnung damit ein begrenzungstaugliches Rechtsgut im Rahmen der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG darstellen. Gegen diese Letztverbindlichkeit grundgesetzlichen Wertdenkens wird zu Recht eingewandt, daß sie dem liberalen und rechtsstaatlichen Geist des grundrechtsverbürgenden Grundgesetzes widerspreche: Freiheit, die von vornherein nur im Rahmen der Weitordnung gewährleistet wird, schützt dann nämlich allein denjenigen, der ihres Schutzes nicht bedarf, da er sich bereits im Einklang mit den herrschenden Wertvorstellungen befindet 578 . Dem Dissenter dagegen nützt seine Freiheit wenig 579 . Dennoch soll der Weg, über die Wertordnung des Grundgesetzes vorbehaltlosen Grundrechten kollidierendes Verfassungsrecht entgegenzusetzen, weiter abgeschritten werden.

bb) Zur Einheit der Verfassung Die Ausdehnung der verpflichtenden Kraft der freiheitlichen Weitordnung auf grundrechtliche Freiheiten, welche weder die freiheitlich demokratische Grundordnung als geschriebene Begrenzung noch überhaupt einen Gesetzesvorbehalt enthalten, erscheint wie selbstverständlich. Sie bedarf allerdings eines sich aus dem 577 c. Gusy, AöR 105 (1980), S. 279 (301 ff.). 578 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (132); E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (31). Der Weg, durch einen Rückgriff auf die Wertordnung oder das Wertsystem Kollisionslagen zu lösen, wird deshalb zum Teil auch als verschlossen erachtet. Die Wertordnungsjudikatur, so ein weiteres Argument, leide an ihrem Rationalitätsdefizit sowie an einer fehlenden Rangordnung der Werte. Die kollidierenden Werte wären auch hier nicht mehr als ein Abwägungsposten im Einzelfall und damit eine Verhüllungsformel für einen irrationalen Dezisionismus, vgl. E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (132). Zur mangelnden Transparenz richterlichen Entscheidens und dem „Arcanum" einer Verfassungsinterpretation, die auf Werten fundiert, vgl. H. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 189 u. passim. 579 Die in die Subjektivität gebundene Freiheit werde durch die Objektivität des Wertes ersetzt; der liberale Freiheitsgedanke trete folglich zurück, vgl. E. Forsthoff, Zur heutigen

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Wertbegriff ergebenden, vordergründig aber methodologisch erscheinenden zusätzlichen Kunstgriffes, um die Konfliktlage zwischen dem Gebrauch grundrechtlicher Freiheit und der freiheitlich demokratischen Grundordnung in die praktische Konkordanz hinein aufzulösen: Insbesondere der vorbehaltlos gewährleisteten Religionsfreiheit läßt sich der Stempel der freiheitlich demokratischen Grundordnung nur über die Hilfskonstruktion der „Einheit der Verfassung" aufprägen 580. Denn zunächst stehen sich hier zwei Positionen in ihrer außer über die Verfassungsurkunde selbst vermittelten Unvermitteltheit gegenüber: auf der einen Seite die Freiheit des Glaubens und auf der anderen Seite die freiheitlich demokratische Grundordnung. Beide werden in Literatur und Rechtsprechung zuweilen über das globale Verständnis der Verfassung als Wertsystem und dem sich daraus erschließenden Systemgedanken zusammengeführt 581. Als Interpretationsprinzip hat der Ausdruck der Einheit der Verfassung deshalb zumindest dort eine eigenständige Funktion in der Rechtsprechung beider Senate des Bundesverfassungsgerichts erhalten, wo die Begrenzbarkeit von Verfassungsnormen untereinander, insbesondere die von kollidierenden vorbehaltlosen Freiheitsrechten mit dem Kollisiongut „Verfassungswert", auf dem Prüfstand steht. Dabei verwundert es nicht, daß sich der „Zaubermantel 582 " der Einheit der Verfassung vor allem im Zusammenhang mit der Wertordnung des Grundgesetzes und ihrer integrierenden Kraft ausbreitet. Da der Gedanke der Einheit vom Ganzen her gefaßt ist, wird auch hier die maßgebliche Vorbereitung zur Gewinnung dieses „vornehmsten Interpretationsprinzips" Rudolf Smend 583 sowie dem Bedürfnis, an eine prä- und poststabilierte innere Harmonie zu glauben, gutgeschrieben. Was aber bei einer Kollision von einzelnen Grundrechten untereinander selbstverständlich erscheint, da aufgrund seiner Friedensfunktion der Staat und seine Rechtsordnung dafür Sorge zu tragen haben, daß die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zusammenklingt584, verliert aufgrund der historischen Abwehrfunktion der Grundrechte seine unmittelbare Plausibilität, wenn ein Freiheitsrecht mit „GemeinSituation der Verfassungslehre, S. 190 u. passim; M. Stolleis, JuS 1974, S. 770 (773): „Indem die ,streitbare Demokratie4 mit einer »geschlossenen Wertordnung 4 gepanzert wird, entwickelt sie Tendenzen zum Weltanschauungsstaat, dessen Gegenbild sie gerade sein will 44 . Ausführlich in Verbindung mit der Essenz des Demokratieprinzips, nämlich der Chance der Minderheit, zur Mehrheit zu werden, vgl. U. Preuß, Leviathan 5 (1977), S. 450 ff. 580 m. Ronellenfitsch, in: FS Heckel, S. 427 (432); F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 59 ff.; ders./R. Christensen, Methodik, S. 288/Rn. 383 ff.; K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1651 f. 581 K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1752. 582 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 10 f. 583 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 179 f. u. passim; ders., Methodik, S. 258; R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (233 ff.): Das Verfassungsrecht sei als „eine geistige Totalität und die staatsrechtlichen Einzelheiten sub specie dieser Sinntotalität44 zu erfassen. 584 w. Brugger, in: Brugger /Huster (Hrsg.), Das Kreuz in der Schule, S. 109 (140 f. u. passim), der auf John Rawls hinweist, für den das Prinzip der größtmöglichen Freiheit aller in der persönlichen Lebensführung liege, die der Staat nur dann beschneiden dürfe, wenn sie

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schaftswerten" wie der freiheitlich demokratischen Grundordnung konfligiert. Kommt es in diesem Falle, wie dies von den Apologeten der Einheit der Verfassung als vornehmstem Interpretationsprinzip des Grundgesetzes angenommen wird, unter allen Umständen darauf an, beide Rechtspositionen einander zuzuordnen; über die Einheit der Verfassung also zuerst zusammenzuführen und dann zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen? Oder geht es hier nicht doch um eine Ab- und Ausgrenzung des Staates aus der individuellen Freiheitssphäre? Kollidiert ein Grundrecht nicht mit einem anderen Grundrecht, sondern mit Verfassungsgütern, die nicht dem Grundrechtsteil des Grundgesetzes angehören, wird dies in der Regel als eine unechte Kollision bezeichnet. Im Unterschied zu einer echten Grundrechtskollision konfligieren bei der unechten Individualrechtsgüter mit Gütern der Gemeinschaft oder des Staates. Deshalb entsteht nicht das übliche Dreiecksverhältnis, in dem der Staat zwei individuelle Grundrechtspositionen miteinander ausgleichen muß, sondern die „klassisch-liberale" Konfrontationslage, in der die individuelle Freiheit gegen den Staat steht und diesen abwehren w i l l 5 8 5 . Es fragt sich deshalb, ob in diesem Falle der unechten Grundrechtskollisionen das „Must" der Harmonisierung verfassungsrechtlicher Antinomien, gleichgültig ob sie „zwischen Vorschriften des organisatorischen Teils oder des Grundrechtsteils oder wechselweise bestehen"586, an Überzeugungskraft nicht einbüßt. Zur Beantwortung dieser Frage trägt es bei, Inhalt und Reichweite des Prinzips der Einheit der Verfassung näher und kritisch zu beleuchten. Was wird also unter der Formel der Einheit der Verfassung in Rechtsprechung und Literatur verstanden, respective: Wie darf sie verstanden werden, und welche normativen Folgerungen lassen sich aus ihr deduzieren? (1) Vornehmstes Prinzip der Verfassungsinterpretation simple Auslegungsmethode neben anderen?

oder

Die Einheit der Verfassung läßt sich sowohl in einem formalen als auch in einem materialen Sinne begreifen. Als formales Argument beschränkt sich der Begriff der Einheit der Verfassung darauf, entweder die Lücken- und Widerspruchslosigkeit 5 8 7 der Verfassung zu postulieren, die Texteinheit des Grundgesetzes in den Blick zu nehmen oder auf die Rangordnungsgleichheit des positivierten Verfassungsrechts hinzuweisen588. sich negativ auf die gleiche Freiheit aller anderen auswirke. Rawls verstehe, so Brüggen dieses Prinzip als höchstes Prinzip der Gerechtigkeit und Basis der Abwehrrechte. 585 κ. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 657; M Lepa, DVB1. 1972, S. 161 (166). 586 K. Stern, Staatsrecht III/2, S. 1743; dagegen ausdrücklich D.-D. Hartmann, AöR 95 (1970), S. 567 (572): „Grundrechte sehen keine grundsätzliche Harmonie zwischen Mensch und Staat und weisen das Denken in Antinomien nicht der Vergangenheit zu". 587 BVerfGE 44, 249 (273); D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, S. 168 ff. 588 Hierzu und zu weiteren formalen Verständnissen, vgl. F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 92 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

In Rechtsprechung und Literatur ist der Begriff der Einheit der Verfassung dagegen vorwiegend in einem eigenständigen, materialen Sinne fruchtbar gemacht worden 5 8 9 . Ablesen läßt sich die Materialisierung der Formel vor allem an der in den Sechzigerjahren gebräuchlichen Begriffsscheidung zwischen Prinzipien der Verfassungsinterpretation und simplen Auslegungsmethoden. Es wurde geltend gemacht, daß Prinzipen der Verfassungsinterpretation, zu denen auch das der Einheit der Verfassung gehöre, stets an eine Verfassungstheorie rückgekoppelt seien. Als „Hilfsmittel im hermeneutischen Geschäft" seien diese Prinzipien, so die allgemeine Meinung, Ausdruck eines verfassungstheoretischen Vorverständnisses 590. Das verfassungstheoretische Vorverständnis, das sich hinter der Formel der Einheit der Verfassung als vornehmstem Prinzip der Verfassungsinterpretation verbirgt, läßt sich als dasjenige der Gemeinschaftsgebundenheit der Grundrechte identifizieren. Denn inhaltlich wird im Hinblick auf die Auslegungsmaxime der Einheit der Verfassung die alte (und grundsätzlich unentschiedene: gilt ζ. B. der Grundsatz des in dubio pro liberiate 591 oder gilt der der Gemeinschaftsgebundenheit der Grundrechte?) Frage nach dem Telos von Staat und Verfassung aufgeworfen, zugunsten der zweiten Alternative beantwortet und in ein Interpretationsprinzip gekleidet 592 . Plakativen Ausdruck hat diese Verbindung zwischen Verfassungsinterpretation und Verfassungstheorie in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur badischen Kirchenbausteuer gefunden. Dort heißt es: „Die Einheit der Verfassung als eines logisch -teleologischen Sinngebildes" sei deswegen das vornehmste Interpretationsprinzip, „weil das Wesen der Verfassung darin besteht, eine einheitliche Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens der staatlichen Gemeinschaft zu sein" 593 . In diesem Sinne wird auch in der Literatur geltend gemacht, daß die Verfassung zwar keine in sich abgeschlossene, logisch axiomatische oder werthierarchische, systematische Einheit sei, jedoch erst das Zusammenspiel aller ihrer Elemente das „Ganze der konkreten Gestaltung des Gemeinwesens durch die Verfassung" 594 ergebe. Sie könne erst dann richtig verstanden werden, wenn sie in diesem Sinne als Einheit begriffen werde. Zudem sei, so die Literatur, eine Verfassung weniger auf Aus- und Abgrenzung denn auf Zusammenordnung ihrer Elemente und damit auf die Herstellung praktischer Konkordanz unter ihnen angelegt. Die 589 BVerfGE 1, 14 (32 f.); 1, 208 (227 f.); 2, 380 (403); 3, 225 (231); 5, 85 (112); 6, 309 (361); 7, 198 (205); 19, 206 (220); 30, 1 (19); 34, 165 (183); 49, 24 (56); 55, 274 (300); F. Ossenbühl, DÖV 1965, S. 654. 590 H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (72); E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 53 (61 u. passim), der den wechselseitigen Zusammenhang von Interpretationsmethode und Verfassungsbegriff aufzeigt. 591 Mit diesem Beitrag hat P. Schneider, in: FS Deutscher Juristentag, 1960, S. 263 (279 ff.), die Schleusen für zahlreiche Stellungnahmen geöffnet. Vgl. nur R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 517 f.; F. Ossenbühl, DÖV 1965, S. 649 (657); A. Keller, Die Kritik, Korrektur und Interpretation des Gesetzeswortlauts, S. 279; M. Kriele, in: HStR V, § 110 Rn. 2. 592 M. Drath, VVDStRL 20 (1963), S. 106 f. 593 BVerfGE 19, 206 (220). 594 κ Hesse, Grundzüge, Rn. 20; U. Scheuner, VVDStRL 20 (1963), S. 125 f.

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Grundrechtsauslegung müsse deshalb, so diese Auffassung, „von dem Gedanken der interpretativ herzustellenden Einheit und Harmonie der Verfassung ausgehen", da eine Verfassung „ihrer Intention nach ein auf politische Einigung und Übereinstimmung angelegtes Dokument" sei. Daraus folge, so diese Auffassung weiter, daß durch die Auslegung der Verfassung der Zustand und die Ordnung politischer Einheit nicht in Frage gestellt werden dürfe 595 . Mit diesem Holismus, der durch das Postulat einer vor- und aufgegebenen Einheit von Staat und Gesellschaft in die Nachbarschaft einer geschlossenen Weltanschauung rückte, wurde also Verfassungstheorie auf die Ebene der Verfassungsmethodik heruntergebrochen. Mehr noch: Durch die Vorrangstellung der Einheit der Verfassung als vornehmstes Interpretationsprinzip wurden diesem die gängigen Auslegungsgrundsätze des Rechts untergeordnet und so konnte, so die Beobachtung vor allem Friedrich Müllers, letztlich die Normativität des Verfassungsrechts selbst unterspült werden 596 . Das Auslegungsprinzip der Einheit der Verfassung wurde in eine eigenständige Norm umgemünzt, an der sich die gesamte Auslegung des Grundgesetzes zu orientieren hatte. Nicht von ungefähr betraf der überwiegende Teil der Argumente aus der Einheit der Verfassung Fallkonstellationen, in denen Grundrechte über die Brücke dieser Einheit in stärkerem Maße beschränkt werden sollten, als dies positivrechtlich angezeigt war 5 9 7 . Diese Zuschreibungen an die Auslegungsmaxime der Einheit der Verfassung sind in der Literatur aber nicht unangefochten geblieben. Denn sowohl theoretisch als auch von seiner tatsächlichen Entstehungsgeschichte her, so wurde dagegengehalten, sei das Grundgesetz ein vertragliches Konstrukt mit Kompromißcharakter 598. Sein „Wesen" ist nach seiner Entstehungsgeschichte und wie im übrigen im Rahmen einer demokratisch legitimierten Verfassung auch üblich, in der Tat weit von einer geschlossenen Ganzheit entfernt 599 . Es wurde legiert von 595 u. Scheuner, VVDStRL 22 (1965), S. 1 (53); H-R Schneider, in: Grimm (Hrsg.), Einführung in das Öffentliche Recht, S. 1 (13); J. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 41, 102 f.; W. Böckenförde, in: ders., Staat, Recht, Freiheit, S. 344 (349). 596 Die extensive Anwendung des Prinzips der Einheit der Verfassung führte dazu, daß Rangunterschiede zwischen den einzelnen Verfassungsnormen behauptet wurden. Hier wurde insbesondere wegen ihrer Unantastbarkeit die Höherwertigkeit der Art. 79 III - Grundsätze postuliert und hatte zur Folge, daß andere Verfassungsnormen „grundsatzkonform" ausgelegt werden mußten. Dazu ausführlich R Müller, Einheit der Verfassung, S. 38, 57, 191 u. passim; Η. Η Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (68); M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (987). 597 R Müller, Einheit der Verfassung, S. 195; C. v. Pestalozza, Der Staat 11 (1972), S. 161 (182); H. Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (17): Die Einheit der Verfassung sei kein Allheilmittel. 598 Vgl. aber noch H. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 137 ff., der davon ausgeht, daß der Verfassunggeber bei der Konzipierung des Grundgesetzes sein Interesse nicht auf die einzelnen Normen, sondern auf ein vorverfassungsmäßiges Gesamtbild des Grundgesetzes gelegt habe, in dessen Lichte die einzelnen Vorschriften zu interpretieren seien. 599 c. v. Pestalozza, Der Staat 2 (1963), S. 425 (437 ff.); Κ Hesse, Grundzüge, Rn. 20; Η Peters, FS Arnold, S. 117 (119); F. Ossenbühl, DÖV 1965, S. 649 (654 f.): keine „praestabilierte Einheit".

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einer „ehrenwerte(n) Versammlung ( . . . ) aus Christen und Laizisten, aus Konservativen und Liberalen, Sozialisten und Kommunisten" 600 , die sich im Parlamentarischen Rat zusammengefunden hatte, um pragmatische und realisierbare Lösungen auszuhandeln601. Das Grundgesetz hält ferner eine hochgradig ausdifferenzierte Gesellschaft zusammen. Seine Normen fügen sich zu einer Collage aus normierenden, freiheitlich aussparenden und thematisch offenhaltenden Elementen 6 0 2 , die jeweils vor dem Hintergrund bestimmter politischer Entscheidungen und Zielsetzungen in die Zukunft hinein formuliert worden sind. Die einzelnen Grundrechte, die in differenzierender Weise ihre jeweiligen und eigengesetzlichen Freiheitsbereiche regeln, sprechen hiervon Zeugnis. Zudem hat das Grundgesetz (auch) einen freiheitsrechtlichen Ansatz erfahren, mit dem sich eine ganzheitliche Verfassungsargumentation nicht ohne weiteres verträgt. Tatsächlich feststellbare Lücken im Verfassungswerk oder das Schweigen des Verfassunggebers verbieten es daher, alle diese Bereiche verfassungsrechtlich zu funktionalisieren und auf Kosten methodischer Klarheit über die Konstruktion der Einheit und Geschlossenheit der Verfassung in die festgemauerte Gußform der Lebenstotalität des Staates fließen zu lassen. Die (politische) Einheit des Staates mag zwar die Voraussetzung und das Ziel der Verfassung sein, bleibt aber eine herzustellende Wirkung und ist nicht der Inhalt des Verfassungsrechts. Die Einheit des Staates steuert nicht die Auslegung der Verfassung: „Auch das Verfassungsziel, den Staat als Zustand politischer Einheit zu wahren und zu fördern, deckt eine Anpassungsstrategie nicht ab" 6 0 3 . An dem Kompromißcharakter der Verfassung scheitert im übrigen ebenso die (formale) These der Lücken- und Widerspruchslosigkeit des Grundgesetzes 604. Im Ergebnis, so diese nicht unberechtigte Kritik der Literatur, ist es einem Verfassunggeber also erlaubt, innerhalb desselben Regelwerkes auch Ausnahmen zu seinen eigenen Grundsätzen zu positi vieren 605 . Diese aus dem Regelwerk herauszufiltern, so die Kritik, sei eine vorrangige Aufgabe, bevor mit dem breiten Pinsel der Einheit der Verfassung ein differenzierendes Gesetzeswerk übertüncht würde.

600 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 185. 601 Zum Kompromißcharakter gerade des Grundgesetzes, vgl. R.-U. Kunze, Der Staat 40 (2001), S. 383 (391, 393); M. F. Feldkamp, Die Entstehung des Grundgesetzes, S. 133 ff., 169 ff. 602 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 108, 112; C. Gusy, ÖZöR 35 (1984), S. 81 (107 f.); W. Sörgel, Konsensus und Interessen, S. 93 f. u. passim: Das Grundgesetz sei ein Institut zur Sicherung und Abgrenzung von Interessensphären. 603 7. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 106; F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 102; W. Schmidt, AöR 106 (1981), S. 497 (510 f.). 604 Kritisch hierzu auch G. Roellecke, in: FS BVerfG II, S. 22 (31 ff.); F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 100 u. passim; Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 132 f. 605 BVerfGE 3, 225 (231 ff., 247 f.). Diese Ausnahmen sind dann nach der Regel vom Vorrang der speziellen gegenüber der allgemeinen Norm auszulegen, vgl. F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 51; C. Starck, in: HStR VII, § 164 Rn. 19; M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (985); T. Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte, S. 122.

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Das „Prinzip" der Einheit der Verfassung besagt nach dieser Auffassung, der hier gefolgt werden soll, daher im Ergebnis nicht mehr, als daß es zu Zielkonflikten zwischen einem Grundrecht und einem anderen Verfassungssatz kommen kann. Die Lösung dieses Zielkonflikts dagegen wird in die konkrete Fallentscheidung verwiesen und dort dann nach den neben der Einheit der Verfassung gleichgängigen Regeln der Auslegung des Verfassungsrechts behandelt. In neuerer Zeit ist eine noch weitergehende Kritik an der Auslegungsmaxime der Einheit der Verfassung laut geworden. Ein neuerer Ansatz leitet aus Art. 1 III GG gar die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit her, vorbehaltlose Grundrechte durch Verfassungsgüter zu beschränken, die außerhalb des Grundrechtsteils des Grundgesetzes selbst genannt werden. Während die herrschende Meinung in Art. 1 III GG eine lex specialis zu Art. 20 III GG sieht, mit der Aussagen über die Bindung der verfaßten Staatsgewalten an die Grundrechte getroffen werden 6 0 6 , wird dieselbe Norm von den Vertretern dieser Auffassung als ein qualitativ eigenständiges Grundrechtssicherungskonzept identifiziert. Sie regele, so der Ausgangspunkt ihrer Argumentation, nicht nur das Verhältnis der Grundrechte zu den Staatsgewalten, sondern auch das der Grundrechte zu den übrigen verfassungsrechtlichen Prinzipien. Art. 1 III GG lege insgesamt und umfassend das Vorrangverhältnis des grundrechtlichen Achtungsanspruchs des einzelnen gegenüber dem organisationsrechtlichen und kompetenziellen Handeln des Staates fest. Nicht-grundrechtliche Prinzipien oder Verfassungswerte könnten, so dieser Ansatz weiter, niemals mit den vorbehaltlosen Grundrechten kollidieren, weil ihnen kraft ausdrücklicher Anordnung des Art. 1 III GG kein normativ grundrechtsbeschränkender Gehalt zukomme. Zwar werde zur Rechtfertigung der Beschränkung auch vorbehaltloser Grundrechte durch kollidierende Verfassungsgüter von außerhalb des Grundrechtsteils zuweilen auf Art. 19 I, II GG verwiesen: Diese Verfassungsnorm zieht die Grenze der Grundrechtsbegrenzung durch Gesetz oder aufgrund eines solchen erst dort, wo der Wesensgehalt des Grundrechts tangiert wird. Dieser Verweis, so die Absage, gehe jedoch fehl. Art. 19 I, II GG verstärke zwar die Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt, gebe dem Staat als diesbezügliche Schranken-Schranke aber keinerlei Befugnis, in vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte einzugreifen 607. Es fragt sich jedoch, ob dieser Auffassung in Ergebnis und Beweisführung zugestimmt werden kann. Sicherlich begünstigt durch die ehemalige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum geschlossenen Grundrechts(werte)system 608 und die (nicht vollständig durchgeführte) redaktionelle Zweiteilung des Grundge606 W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1 Rn. 74; H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 63. 607 c. Bamberger, Der Staat 39 (2000), S. 355 (370). Zur dualistischen Betrachtungsweise von Grundrechtsteil und organisatorischem Teil der Verfassung sowie der Einheit der Verfassung, vgl. auch D. C. Göldner, Integration, S. 20 u. passim. 608 BVerfGE 7, 198 (204 f.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

setzes in einen grundrechtlichen und einen staatsorganisatorischen Teil wird durch diese Ansicht die formale und im Grundsatz zumindest auch materiale Einheit der Verfassung durch die strikte Trennung in zwei Verfassungssubsysteme aber konterkariert. Dieser Schritt wird entgegen dessen Wortlaut und Sinn auf Art. 1 III GG gestützt. Der Regelungsgehalt des Art. 1 III GG erschöpft sich nämlich - anders als dies die oben genannte Auffassung animmt - als konkretisierende Klarstellung zu Art. 20 III GG in der normativen Aussage, daß die Staatsgewalten die Grundrechte unmittelbar und nicht erst in ihrer Vermittlung durch das vom Gesetzgeber geschaffene einfache Recht zu beachten haben 609 . Zudem wird durch die strikte Trennung der Verfassung in zwei Teile überspielt, daß weder die Grundrechte noch das Organisationsrecht zwei je für sich geschlossene Systeme einer grundgesetzlichen Ordnung bilden, sondern sich gegenseitig beeinflussen 610. Damit ist dieser neuere Ansatz sowohl im Ergebnis als auch in der zu diesem Ergebnis führenden Begründungskette abzulehnen. Vorbehaltlose Grundrechte können grundsätzlich auch durch Verfassungsrechtsgüter, die nicht im Grundrechtsteil der Verfassung zu verorten sind, beschränkt werden, so diese Verfassungsgüter denn selbst zur Begrenzung eines Grundrechts taugen. Allein die Begründung ihrer Begrenzungstauglichkeit ausschließlich über den Wertbegriff im Verbund mit dem Prinzip der Einheit der Verfassung war in Frage zu stellen. Im folgenden soll deshalb anhand der neben der Einheit der Verfassung gleichgängigen Auslegungsregeln des Verfassungsrechts dargestellt werden, daß die freiheitlich demokratische Grundordnung auch als kollidierender Verfassungswert über die Einheit der Verfassung nicht zu einer Schranke des Art. 4 GG zusammengezogen werden kann. (2) Präventives Verfassungsschutzrecht als Ausnahmeregelung des Grundgesetzes Die Vorschriften des Grundgesetzes, in denen die freiheitlich demokratische Grundordnung geschützt wird, könnten, so die Ausgangshypothese, verfassungsrechtliche Ausnahmeregelungen darstellen. Stellen sie Ausnahmeregelungen dar, könnte dies wiederum zur Folge haben, daß die Verfassung selbst den Konflikt zwischen dem grundrechtlichen Freiheitsgebrauch und dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung restriktiv zugunsten ersterem ausdrücklich geregelt hätte. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Rechtsnormen könnte in diesem Falle das Prinzip der Einheit der Verfassung verdrängen. Diese Annahme soll, da die Frage der Verallgemeinerungsfähigkeit der präventiven Verfassungsschutznormen vor allem im Hinblick auf das Prinzip der Wehrhaftigkeit der Verfassung eine ausschlaggebende Rolle spielt, an dieser Stelle vor dem Hintergrund der oben genann609 ρ Kunig, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1 Rn. 50, 67; M. Nierhaus, AöR 116 (1991), S. 72 ff. 610 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 142; H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (89); J. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 42.

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ten Kritik an der Auslegungsmaxime der Einheit der Verfassung nur in der gebotenen Kürze überprüft werden. Das Verfassungsganze, dies ist das Ergebnis des voranstehenden Abschnitts, ist als solches nicht normativ 611 . Um vielmehr die Normativität der einzelnen Verfassungssätze zur Geltung zu bringen, sind diese einzelnen Verfassungssätze zunächst auch als solche zu behandeln. Daß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Norm der Verfassung von den anderen Normen isoliert betrachtet, allein aus sich heraus ausgelegt oder gegen andere Normen ausgespielt werden soll 6 1 2 , muß nicht zwangsläufig und in jedem Falle auf die Herstellung praktischer Konkordanz zwischen allen Grundgesetzartikeln hinauslaufen. So kann zum Beispiel die Religionsfreiheit des Art. 4 GG zu einem Teil der Verfassung gehören, aus dem sich ganz andere Werte ableiten lassen als aus den Grundgesetzartikeln, die die freiheitlich demokratische Grundordnung schützen. Nach wie vor stellt sich zunächst die Frage der Anwendbarkeit einer Norm auf einen konkreten Fall. Die Einheit der Verfassung kann im Rahmen eines methodologisch korrekten Vorgehens nichts weiter bedeuten als die Feststellung, daß alle Normen der Verfassung formal gleichrangig nebeneinander stehen und daß dem Ausgleich vermeintlicher Normwidersprüche im Einzelfall mit den herkömmlichen Mitteln der rechtsstaatlich-transparenten Auslegung zu Leibe gerückt werden muß. Zu diesen Auslegungsmitteln zählt dann auch die systematische Betrachtung des Grundgesetzes 613. Die möglichste Harmonisierung der einzelnen Verfassungsnormen untereinander kann dabei allerdings nur ein Ziel, nicht der Maßstab der Normauslegung sein 614 . Die Einheit der Verfassung herzustellen, bildet deswegen nicht die oberste Prämisse der Verfassungsauslegung. Ihrer Herstellung kann nur insoweit nachgekommen werden, wie die Verfassung im Verhältnis einzelner Normen zueinander nicht Abweichendes selbst bestimmt. Denn anstatt direkt den Abwägungsvorgang zweier miteinander konfligierender Verfassungsgüter anzusteuern 615, bleibt immer zu erwägen, ob das Grundgesetz den Konflikt zwischen einem Grundrecht und einem entgegengesetzten Rechtsgut der Verfassung nicht bereits selbst gelöst hat. Dabei bestimmt zwar der Gegenstand die Methode. Trotz des grundsätzlich politischen Charakters des Verfassungsrechts bestehen aber nur graduelle Unterschiede zwischen Verfassungs- und allgemeiner Rechtsauslegung. So finden insbesondere 611

F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 157. 612 BVerfGE 1, 14 (15); 3, 225 (231). 613 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 57, 144, 150, 177 ff. u. passim; F. Ossenbühl, DÖV 1965, S. 649 (654 ff.); C. Pestalozzi Der Staat 11 (1972), S. 161 (180 ff.). Zum Teil wird die Interpretation der Verfassung aus ihrer Einheit heraus bereits zu den systematischen Auslegungsmitteln gezählt, zum Teil als etwas qualitativ Verschiedenes betrachtet, vgl. einerseits F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 9: „anspruchsvoller Name für systematisches Auslegen"; andererseits W. Krebs, Vorbehalt des Gesetzes, S. 50 f. Fn. 104. 614 Ähnl. C. v. Pestalozza, Der Staat 2 (1963), S. 425 (438); 7. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 106. 615 F. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 105; B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 200 f. 23 Groh

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die herkömmlichen Kollisionsregeln auch im Verfassungsrecht Anwendung 616 . Hier gelten die Vorzugsregel der Spezialität genauso wie das Regel-AusnahmeVerhältnis von Verfassungsnormen. Ausnahmeregelungen bleiben auch im Verfassungsrecht Ausnahmen, die in den ausdrücklich geregelten Ausnahmefällen Anwendung finden, deren Schutzgüter und Schutzstandard nicht aber als regelmäßig schrankenziehende Verfassungswerte jeglichem Grundrechtsgebrauch entgegengehalten werden können. Letzteres läßt sich plastisch am Notstandsrecht des Grundgesetzes veranschaulichen, das nicht auf die Normalität des Verfassungslebens, sondern auf den Ausnahmefall des staatsrechtlichen Notstandes zugeschnitten ist 6 1 7 . Zwar stellen die Normen des vorbeugenden Verfassungsschutzes, mithin also auch die freiheitlich demokratische Grundordnung, kein Notstandsrecht dar, sondern sind vielmehr darauf zugeschnitten, dem Notstand vorzubeugen und damit den Normalzustand zu erhalten. Doch verfügt das Grundgesetz den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung gegen oben zwar als Regel, gegen unten aber als Ausnahme 618 . Daß der Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung als oberstem Grundwert der Verfassung gegen unten als Konglomerat an Ausnahmevorschriften formuliert wurde, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Eine Ausnahme liegt nach herkömmlicher Methodik immer dann vor, wenn ein zusammenhängendes Gesetzeswerk eine Regel, der es in möglichst umfassender Weise Geltung zu verschaffen sucht, für meist eng umhegte Fälle durchbricht, weil dem Gesetzgeber die strikte Durchführung jener Regel für diese Fälle unangebracht erscheint 619. Genauso verhält es sich mit den Normen des präventiven Verfassungsschutzes. Das Grundgesetz ist grundsätzlich darauf bedacht, die Freiheit des einzelnen in möglichst weitem Umfang zur Geltung zu bringen. Den Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung durch deren Immunisierung gegen den gesellschaftlichen Diskurs hat es dagegen an wenigen prägnanten Stellen formuliert. Aus der Motivation des Verfassunggebers - abzulesen auch insbesondere an Art. 18 GG - erschließt sich ferner, daß diese Ausnahmen abschließend gemeint waren, so daß die „pseudo-normative Regel" des Übertragungsverbotes von Ausnahmen hier Anwendung finden muß, damit die Regelungsabsicht des Verfassunggebers nicht in ihr Gegenteil verkehrt wird. Dieses Ergebnis wird mittelbar dadurch gestützt, daß sich der Verfassunggeber explizit dagegen entschieden hat, eine im Parlamentarischen Rat angedachte620 616

M. Winkler, Kollisionen verfassungsrechtlicher Schutznormen, S. 244 ff.; U. Karpen, Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes, S. 42 ff.; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 55 ff. 617 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 137 f. 618 Näher unten § 3 B. VII. 5. 619 Κ. Larenz, Methodenlehre, S. 337 ff.; F. Müller, Methodik, S. 252. 620 Grundsatzausschuß, 6. Sitzung v. 5. 10. 1948, in: Der Parlamentarische Rat V / 1 , S. 151 f.

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allgemeine Verfassungstreuepflicht als Unterlassungspflicht im Grundgesetz zu positivieren. Eine derartige Pflicht ergibt sich auch nicht als immanente aus einer Zusammenschau der Art. 5 III 2, 9 II, 18, 21 II GG 6 2 1 . Insbesondere das Bundesverfassungsgericht entnimmt der Verfassung keine allgemeine Loyalitätspflicht des einzelnen gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Vielmehr könne sich dieser die Freiheit nehmen, „die verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen und sie politisch zu bekämpfen, solange er es ( . . . ) mit allgemein erlaubten Mitteln" tue 6 2 2 . Welche Mittel den „allgemein erlaubten" unterfallen, wird weiter unten zu klären sein. (3) Ergebnis Abschließend läßt sich daher festhalten, daß auch als objektiver Wert und Teil des gesellschaftlichen Grundkonsenses die freiheitlich demokratische Grundordnung daher nur dort „absolute" Wirkung entfaltet, wo sie benannt wird, nicht also im Rahmen der vorbehaltlos gewährleisteten Religionsfreiheit.

cc) Die Ablösung des Wertes durch das Prinzip Es fragt sich, ob das Ergebnis ein anderes sein kann, wenn von der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht als Verfassungswert, sondern als Verfassungsprinzip gesprochen wird. Die Lehre von den Prinzipien macht es sich zur Aufgabe, die „vielgeschmähte" Werttheorie des Bundesverfassungsgerichts zu rehabilitieren. Weil dies einen Rationalitätsgewinn verspricht, wird der Begriff des Verfassungswertes deshalb zunehmend durch den des Verfassungsprinzips ersetzt. Wie sich an den vielfältigen Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts auch zur freiheitlich demokratischen Grundordnung ablesen läßt, stellen Prinzipien und Werte auswechselbare Termini dar 6 2 3 . Zwar wirken Prinzipien grundsätzlich direktiv und nicht determinativ, bestimmen also keine Rechtsfolgen. Aus dem Fehlen dieser Rechtsfolgenvorherbestimmung erwächst paradoxerweise aber die potentielle Rechtsfolgenvielfalt der Verfassungsprinzipien. Sie reicht hin bis zum Einsatz der Verfassungsprinzipien als Grundrechtsschranken 624. Insbesondere Robert Alexy ordnet die Prinzipien daher auch der Deontologie zu. Der formale Unterschied, den Alexy bei der Zuordnung der Prinzipien zur Deontologie (Sollen) und der Werte zur Axiologie 621 O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem, S. 471 ff.; W. Schmitt Glaeser, DVB1. 1966, S. 6 (10, 16 ff.); K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1059 f. 6 22 BVerfGE 39, 334 (358 f.); OVG Koblenz DVB1. 1973, S. 816 ff. 623 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 125; F. Müller/R. Christensen, Methodik, S. 131 /Rn. 140; C. Enders, Menschenwürde, S. 62 Fn. 245: „Prinzipien meinen insofern nichts anderes als Rechtsgüter, Werte im herkömmlichen Sinne". 624 F. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 258 ff.; W. Brugger, NJW 1989, S. 2425 (2431).

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(gut) 6 2 5 zunächst macht, hebt sich vor dem Hintergrund, daß die Wertediskussion aus dem einzelnen Wert ebenfalls ein Sollen folgert, später auf. Ob alle diejenigen Einwände, die gegen die Werttheorie vorgebracht werden, auch auf das Prinzipienmodell zutreffen 626 , braucht hier nicht entschieden zu werden. Von Interesse ist vielmehr, welche Wirkweise den Prinzipien des Prinzipienmodells von Alexy zugrunde liegt. Prinzipien, so Alexy, können sich sowohl auf individuelle Güter, wie sie den Grundrechten zu entnehmen sind, oder auf kollektive Güter der übrigen Verfassung beziehen. Zu letzteren zählt er insbesondere auch die freiheitlich demokratische Grundordnung 627. Prinzipien wirken sich Alexy zufolge als Optimierungsgebote aus 628 : Kollidieren ihrer zwei, so Alexy, dann sind sie durch Güterabwägung in ein Verhältnis praktischer Konkordanz zu bringen. Damit die Prinzipienkollision aber in den Vorgang der Abwägung einmünden kann, ist auch bei diesem Modell ein Konflikt zweier Verfassungsgüter mitzudenken, den das Grundgesetz nicht bereits nach anderen Regeln gelöst hat. Das Denken in Prinzipien wird deshalb bevorzugt und ebenfalls pauschal mit der These der Einheit der Verfassung verbunden 629. Diese Symbiose von Einheit und Prinzip führt zu keinem anderen Ergebnis als dem oben genannten. Sie unterliegt daher denjenigen Bedenken, die auch bereits gegen die Theorie der grundrechtsbeschränkenden Verfassungswerte geltend gemacht wurden und soll deshalb hier abgelehnt werden. c) Ergebnis Im Ergebnis ist daher der Weg, die Werte oder Prinzipien, aus denen sich der Grundkonsens des Grundgesetzes in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung konstituiert, über das Auslegungsprinzip der Einheit der Verfassung auch auf das verbaliter vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Religionsfreiheit anzuwenden, versperrt, da die Reichweite dieses Auslegungsprinzips dort endet, wo die Verfassung selbst die Lösung von möglichen Konfliktfällen ausdrücklich anders geregelt hat. 625

R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 126 ff.; F. Reimer, Verfassungsprinzipien, S. 259 ff. ™ R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 134 ff. 62? BVerfGE 30, 1 (18 ff.); H. Schneider, Die Güterabwägung des Bundesverfassungsgerichts, S. 133 ff.; R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 98. 628 R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff.; kritisch C. Bumke, Der Grundrechts vorbehält, S. 166 ff. w F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 191 f., S. 193: „Norm- und Methodenklarheit, Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit als geschriebene oder ungeschriebene Gebote unter dem Grundgesetz erlauben es nicht, Prinzipien pauschal ins Spiel zu bringen, wobei der Hinweis auf die Einheit der Verfassung nichts besser macht". (Hervorhebung nicht im Original) R. Dreier, in: FS Maihofer, S. 87 (100): „Die Prinzipientheorie bezieht in den Rechtsbegriff ein, was der juristische Positivismus, um der strikten Trennung von Recht und Moral willen, aus ihm ausschließen will". E. Denninger, KritV 2002, S. 5(18).

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4. Der Verfassungsvorbehalt der Streitbarkeit Das unerschöpflich erscheinende Reservoir an Rechtsfolgen, das die Figur des Verfassungsprinzips vorhält, läßt sich sogleich auch an dem Streitbarkeitsvorbehalt des Grundgesetzes verdeutlichen, den letzteres nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und einem Großteil der Literatur jedem Freiheitsgebrauch, der darauf abzielt, die Identität des Grundgesetzes mit seinen unverbrüchlichen Inhalten zu verändern oder ganz zu beseitigen, entgegensetzt. Das über die Wertordnungsidee noch hinausgehende Konzept der Wehrhaftigkeit der Demokratie 630 ermögliche es ebenfalls, so die mit ihm verknüpfte Vorstellung, insbesondere denjenigen gesellschaftlichen Kräften Steine in den Weg zu legen, welche die Demokratie dazu benutzen wollen, demokratische Freiheiten in Unfreiheit und demokratische Offenheit in Zwang zu verwandeln. Alle Konzepte, auch das der Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes, mit denen eine Demokratie ihre Existenz gegen ihre Gegner zu verteidigen sucht, werden in der Regel als demokratische Aporie oder demokratisches Paradoxon beschrieben. Sie versuchen sich an der Quadratur des Kreises: Ob und inwieweit darf nämlich der demokratische Staat für die Demokratie konstitutiv wirkende Freiheiten einschränken und dabei riskieren, sein demokratisches Gewand abzustreifen. Oder ob und inwieweit muß er auch die Feinde der Demokratie von seinen demokratischen Grundwahrheiten profitieren lassen und es dabei riskieren, seine eigene Existenz aufs Spiel setzen631. Wie kann sich also eine demokratische Ordnung gegen ihre Feinde verteidigen, ohne dabei Mittel einzusetzen, die ihr eigenes Wesen aushöhlen? Wo die Grundsätze der Volkssouveränität: der Minderheitenschutz und das Mehrheitsprinzip, mit dem der Kontinuität von Staat und Verfassung konfligieren, fragt es sich, ob die Passage legitimerweise näher an der „Scylla eines Zuviel an Freiheit" oder an der „Charybdis eines Zuwenig" 632 vorbeiführen sollte. Dem Ziel, die freiheitlich demokratische Grundordnung gegenüber dem verfassungsfeindlichen Gebrauch von Freiheitsrechten zur Geltung zu bringen und damit lieber Charybdis als Scylla zu passieren, dient nach Rechtsprechung und überwiegender Lehre vor allem das Konzept der streitbaren Demokratie. In langjähriger Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht jenes Konzept vereinzelten Normen des Grundgesetzes entnommen, es normativ überhöht und zu einem Ver630 H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (752). 631 H. Jahrreiß, in: FS Thoma, S. 71 (78 f., 87 f.); K. Stern, in: Aufgaben und Kontrolle des Verfassungsschutzes (hrsg. v. BMI), S. 9 (17); H.-G. Jaschke, in: Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 223 (227); K. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 348 f.; K. R. Popper, Die offene Gesellschaft I, S. 360; vgl. aber auch C. J. Friedrich, The new belief in the common man, S. 177 ff., der mit der Unterscheidung zwischen Normal- und Ausnahmezustand argumentiert: Im Normalzustand brauche sich die Demokratie nicht zu verteidigen. Im Ausnahmezustand könne sie Intoleranz gegen Intoleranz setzen. Dies sei kein Dilemma. 632 F.-A. v. d. Heydte, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte II, S. 457 (483).

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fassungsprinzip ausgebaut. Die Terminologie, die seine Einordnung in den Gesamtzusammenhang der Verfassung verdeutlicht, reicht von einem Bekenntnis der Verfassung 633, einem Grundzug der Verfassung 634 über einen dem Grundgesetz eigenen Wesenszug635, einer verfassungspolitischen Entscheidung oder Grundentscheidung des Grundgesetzes 636 bis hin zu seiner Erhebung als optimierungsbedürftiges Prinzip 637 , das dem Auslegungsgrundsatz der Einheit der Verfassung gemäß alle Arten des grundrechtlichen Freiheitsgebrauchs ergreife. a) Die drei Phasen der Streitbarkeit Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur wehrhaften Demokratie läßt sich in insgesamt drei Phasen aufteilen, in denen das Gericht das Streitbarkeitskonzept des Grundgesetzes immer mehr verdichtete. Die einschlägigen Urteile des Bundesverfassungsgerichts sollen im folgenden in gebotener Kürze vorgestellt und diesen drei Phasen zugeordnet werden. Während es in der Entscheidung zum KPD-Verbot noch u. a. darum ging, die Verfassungsmäßigkeit des Art. 21 II GG anhand der Streitbarkeit des Grundgesetzes als abstrakten Wesenszug der freiheitlichen Demokratie der bundesrepublikanischen Verfassung nachzuweisen und mit dem aktiven, aggressiv-kämpferischen Verhalten einer Partei oder deren Anhänger die Gefahrenschwelle zu bennenen, die überschritten sein muß, damit sich das Abwehrinstrumentarium der streitbaren Demokratie aktivieren läßt 6 3 8 , verneinte das Bundesverfassungsgericht in einer folgenden Entscheidung eine Verpflichtung der Staatsorgane, selbst bei begründeten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Partei ein Verbotsverfahren gegen diese anzustrengen 639. Von einer eigenständigen normativen Bedeutung, gar einer mit dem Rechtsstaatsprinzip vergleichbaren, wie dies später angenommen wurde 640 , schien die streitbare Demokratie hier noch weit entfernt 641 . Sie wurde 633 BVerfGE 5, 85 (139). 634 BVerfGE 25, 44 (58). Als prägenden Grundzug der Verfassung rechtfertigen die streitbare Demokratie auch Κ Stern, Verfassungstreue, S. 71 f.; H. H. Klein, in: FS Huber, S. 75 (81); H. Schneider, in: FS Maunz, S. 345 f.; G. Willms, Staatsschutz, S. 28 f.; R. Arnold, BayVBl. 1978, S. 520 (522); M. Schultz, MDR 1979, S. 807 (809); H. Quaritsch, VVDStRL 37 (1979), S. 142. 635 BVerfGE 25, 88 (100). 636 BVerfGE 28, 36 (48); 30, 1 (19 f.); 39, 334 (349). 637 BVerfGE 28, 36 (48); 28, 51 (55); R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75 ff., 407 u. passim; zu diesen Aspekten des Prinzips, vgl. H. J. Wolff, in: FS Jellinek, S. 33 (47 ff.). Einen Überblick über die relevanten Entscheidungen geben auch J. Lameyer, JöR N.F. 30 (1981), S. 147 (152 ff.) und A Sattler, Streitbare Demokratie, S. 11 ff. 638 BVerfGE 5, 85 (112); 25,44 (58). 639 BVerfGE 40, 287 (291 f.). 640 BVerfGE 30, 1 (20); J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 39. 641 A. Sattler, Streitbare Demokratie, S. 17.

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vielmehr als abstrakter Wesenszug der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes schlechthin aus der Verfassung herausgeschält und benannt. Die zweite Phase der Streitbarkeitsrechtsprechung, in der das Konzept sein normatives Eigenleben zu entfalten begann, wurde eingeläutet mit einem Urteil zum Bundesentschädigungsgesetz642 und endete mit den Soldatenbeschlüssen des Bundesverfassungsgerichts 643. Unter Betonung der Verpflichtungswirkung der freiheitlich demokratischen Grundordnung für den einzelnen 644 judizierte das Gericht dort, daß das Prinzip der streitbaren Demokratie sowohl bei der Auslegung des grundrechtsbeschränkenden einfachen Rechts und dem folgenden Abwägungsvorgang wie auch bei der Interpretation des Verfassungsrechts selbst zu berücksichtigen sei 6 4 5 . Mehr noch: Im Falle einer Kollision zeichne, so das Gericht, dieses Prinzip das Abwägungsergebnis vor 6 4 6 Ferner stellte das Gericht klar, daß die Normen, in denen die streitbare Demokratie des Grundgesetzes zum Ausdruck komme, insbesondere Art. 18 GG, keine Sperrwirkung für den einfachen Gesetzgeber enthielten. Vielmehr könne, so das Gericht unter Betonung der „Zweigleisigkeit des Sanktionssystems", die Wehrhaftigkeit der Demokratie auch durch einfachrechtliche Sanktionen, in diesem Falle durch Berufsverbote, präventiv flankiert werden. Dies gelte insoweit, wie das Grundgesetz im übrigen die Sicherung der Verfassung mit strafrechtlichen Mitteln gestatte647. Für die ebenfalls in diese 642 BVerfGE 13, 46 (50 ff.). 643 BVerfGE 28, 36 (48 f.); 28, 51. 644 BVerfGE 28, 36 (48 f.): Die Bundesrepublik Deutschland sei eine Demokratie, die von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung erwarte. In der Literatur besteht allerdings insoweit Einigkeit, als daß das Grundgesetz vom Bürger keine auch zwangsweise durchsetzbaren Reaktionen erwarten kann, vgl. J. Lameyer, JöR N.F. 30 (1981), S. 147 (163); H. Maurer, NJW 1972, S. 602. Die Inpflichtnahme des einzelnen auf die freiheitlich demokratische Grundordnung wird später in der Begründung zum Radikalenbeschluß entschärft. Während das Grundgesetz von einem Beamten verlange, so das BVerfG, daß dieser für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintrete, lasse Art. 21 II GG dem Bürger die Freiheit, die verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen, solange er dies mit erlaubten Mitteln und innerhalb einer nicht verbotenen Partei tue. Der Grundsatz der Treuepflicht zur Verfassung wird in diesem Urteil nicht primär als Grundrechtsschranke, sondern als Element der Institution des Berufsbeamtentums ausgelegt, vgl. BVerfGE 39, 334 (358 f.); zustimmend J. Isensee, JuS 1973, S. 265 (266 f.); R. Dreier, in: FS Klein, S. 86 (89). Vgl. aber auch K. Stern, in: Stem, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 419, der die Identifikation eines jeden einzelnen mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung fordert: „Im Verhältnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung darf es keine Distanz, sondern nur Identifikation geben". 645 BVerfGE 28, 36 (48 f.); 28, 51 (55); auch BVerfGE 13, 46 (47): „Die der freiheitlichen Demokratie innewohnende politische Toleranz und ihre in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG aufgezeichneten Grenzen sind auch im Bereich des Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen". Dazu J. Becker, HStR VII, § 167 Rn. 24; J. Lameyer, JöR N.F. 30 (1981), S. 147 (158 f.). 646 BVerfGE 28, 36 (48 f.); kritisch die Sondervoten (Geller, v. Schlabrendorff und Rupp) zu BVerfGE 30, 1 (33, 45 f.). 647 BVerfGE 25, 88(100).

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Phase fallende Formel, daß das Grundgesetz eine Demokratie errichtet habe, „die von ihren Bürgern eine Verteidigung der freiheitlichen Ordnung" erwarte und „einen Mißbrauch der Grundrechte zum Kampf gegen diese Ordnung" nicht hinnehme 648 , mußte das Bundesverfassungsgericht dogmatisch in das Zwielicht der ungeschriebenen Verfassungsvoraussetzungen, der Verfassungserwartungen und der Grundpflichten des einzelnen abtauchen649. Insgesamt begann das Gericht der Entscheidung des Grundgesetzes für eine streitbare Demokratie eine Wirkung beizumessen, die über die erstmals im Zusammenhang genannten Regelungsbereiche der Art. 9 II, 18 und 21 II GG hinausreichte. Die dritte Phase war durch eine Erweiterung der vorangegangenen Rechtsprechung gekennzeichnet. Mit einem Schluß von der Aufgabe auf die Mittel gab das Bundesverfassungsgericht im Abhörurteil sein Placet zu der Änderung des Art. 10 GG 6 5 0 . Da das Grundgesetz dem Staat die Aufgabe des Verfassungsschutzes zuweise, so begründete es seine Entscheidung, könne es ihm die hierzu erforderlichen Mittel nicht verweigern. Ferner sei es den Feinden der Verfassung verwehrt, sich auf die Freiheiten, die diese ihnen garantiere, zu berufen, um sie im Gegenzug zu deren Gefährdung, Beeinträchtigung oder Zerstörung einzusetzen. Schließlich sei, so das Gericht, es diese Verfassungsordnung, die den Schutz der Freiheit erst sicherstelle 651. Die streitbare Demokratie des Grundgesetzes erwies sich damit in der von der Mehrheit des Senats getragenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als eine allen Grundrechten gemeinsame Ausübungsschranke 652. 648 BVerfGE 28, 36 (48); 30, 1 (19 f.). 649 BVerfGE 28, 36 (48 f.): „Es ist deshalb eine Grundpflicht der Soldaten, durch ihr gesamtes Verhalten für die Erhaltung der freiheitlichen Ordnung einzutreten". Dazu E. Denninger, in: VVDStRL 37 (1979), S. 8 (21). Zum Für und Wider von Grundpflichten in der Verfassung sowie zu Verfassungserwartungen und Verfassungsvoraussetzungen, vgl. H. Krüger, in: FS Scheuner, S. 285 (286 ff.); J. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 163 ff.; V: Götz, in: VVDStRL 41 (1983), S. 7 ff.; H. Hofmann, in: HStR V, § 114 Rn. 20; O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem, S. 463 ff.; R. Stober, NVwZ 1982, S. 473 (474 ff.); ders., in: FS Scupin, S. 643 (657 ff.); C. Gusy, JZ 1982, S. 657 ff.; J. Isensee, DÖV 1982, S. 609 (613 f.); T. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 71 ff., 181 ff. Zum Teil wird die Verknüpfung der Inpflichtnahme auf die freiheitlich demokratische Grundordnung bejaht, die Existenz von Grundpflichten im Grundgesetz gleichzeitig aber abgelehnt, vgl. H. H. Klein, in: FS Huber, S. 75 (81 ff.); ders, Der Staat 14 (1975), S. 153 ff. Dies wird ihm als Widerspruch vorgeworfen von B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (361 Fn. 76). 650 BVerfGE 30, 1 (18 ff., 25); kritisch H.-U. Erichsen, VerwArch 1971, S. 291 (293 ff.); P. Häberle, JZ 1971, S. 145 (156): „verfassungswidrige Verfassungsrechtsprechung"; H. H. Rupp, NJW 1971, S. 275 ff.; B. Schlink, Der Staat 12 (1973), S. 85 (103). 651 BVerfGE 30, 1 (19 f.). 652 Zustimmend H. H. Klein, VVDStRL 37 (1978), S. 59 (67 ff.); K. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 12; ähnl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 175; kritisch J. Lameyer, JöR N.F. 30 (1981), S. 147 (178, 170): „In ihrem allein freiheitsverkürzenden Sinne wird das Prinzip der streitbaren Demokratie nun bezeichnenderweise nur noch auf Art. 9 Abs. 2, 18 und 21 Abs. 2 GG gestützt ( . . . ) . Es fungiert hier als deus ex machina für die Korrektur des GG iSe vermeintlichen Staatsraison".

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Die Begriffe der streitbaren oder auch wehrhaften Demokratie sind zwar in ihrer Klangfärbung offensiv, gleichwohl, so urteilt das Bundesverfassungsgericht, zeichne sich dieses Bestandssicherungskonzept durch seinen defensiven Charakter aus 653 . Waren die der streitbaren Demokratie zugrundeliegenden Normen zunächst als reaktives Instrumentarium gedacht, mit dem Front gemacht wurde gegen Extremismus, Faschismus und Terrorismus 654, erfuhr das Konzept selbst in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seine Aufwertung zu einer politischen Steuerungsnorm. In mehreren Phasen verselbständigte sich die streitbare Demokratie von einer die ihr zugrundeliegenden Verfassungsnormen lediglich zusammenfassenden Bezeichnung zu einem Prinzip mit eigenständiger normativer Bedeutung. Im Ergebnis dient die streitbare Demokratie damit wie Art. 79 III GG der Wahrung der „Identität der Verfassung mit ihren unabänderlichen Inhalten" 655 . Anders als Art. 79 III GG wirkt sie aber nicht allein „gegen oben", also den demokratisch legitimierten (verfassungsändernden) Gesetzgeber, sondern auch ganz umfassend „gegen unten", indem sie den widersprechenden Grundrechtsgebrauch einzelner oder von Korporationen vorbindet oder verbietet. Am Ausgang der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht mit der streitbaren Demokratie des Grundgesetzes also ein Verfassungsprinzip da, eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung, die allen Freiheitsrechten, auch den vorbehaltlosen, als interne oder externe Schranke entgegengehalten werden kann. Denn: Wer die Grundrechte beseitigen wolle, so das Gericht und die zustimmende Lehre, könne sich dafür eben nicht auf die Grundrechte berufen 656 .

b) Bonn ist nicht Weimar: Die streitbare Demokratie eine Lehre aus Weimar? Wie aber wird die Entscheidung des Grundgesetzes, eine streitbare oder wehrhafte Verfassung sein zu wollen, abgeleitet und gerechtfertigt? Im Vordergrund der Ableitung der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes stehen historische Abgrenzungsfragen. Die streitbare Demokratie versinnbildlicht ein Bestandssicherungskonzept des Grundgesetzes, welches, damit es die ver653 BVerfGE 5, 85 (141). Die Begriffe (militant democracy / streitbare Demokratie) gehen auf Loewenstein und Mannheim zurück, vgl. K. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 348 ff.; Κ . Mannheim, Diagnose unserer Zeit, S. 9 (13 ff., 17 f.). Um die Defensivität der Streitbarkeit herauszustreichen, bevorzugen Η. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 490 und H. Maurer, Staatsrecht, § 23 Rn. 4, den Begriff der abwehrbereiten Demokratie. 654 j, Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 33 ff.; C. Gusy, AöR 105 (1980), S. 279 (287). 655 p, Kirchhof, in: HStR I, § 19 Rn. 31 ff. 656 /. y. Münch, Staatsrecht I, Rn. 277; ders., NJW 2001, S. 728 (729); BVerfGE 30, 1 (19 f.): „Verfassungsfeinde sollen nicht unter Berufung auf Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören dürfen". Auch K. Stern, in: Staatsrecht I (Vorauflage), S. 175; T. Schmidt, Parteien und Vereinigungen, S. 220.

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meintlich unantastbaren Grundwerte der Verfassung immunisieren kann, selbige instrumentalisiert: Sie präsentiert sich als Kehrseite der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Die Werthaftigkeit des Grundgesetzes schlägt, so wird regelmäßig angeführt, an dieser Stelle in seine Wehrhaftigkeit um 6 5 7 . Die Projektionsfläche für diese eher wertabsolute Begründung des Streitbarkeitskonzeptes der Verfassung bildet in der Regel die Weimarer Republik, deren Scheitern, so die Ausgangsthese, historisches Anschauungsmaterial liefere, aus dem gelernt werden müsse, wie man es nicht machen dürfe. In einem internationalen Verfassungsvergleich erweist sich das Streitbarkeitskonzept des Grundgesetzes als Ausnahme 658 . Diese Ausnahme erklärt sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte und der Zeit, in die hinein die Verfassung gegeben wurde. Denn Verfassungen stellen als politische Dokumente des Ist- und SollZustandes eines Gemeinwesens Zeugnisse der Geschichte dar. Sie antworten auf diejenige historische Situation, in welche hinein ein Volk sich verfaßt 659 . Nach der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes befragt, wird deshalb vor allem von der älteren Staatsrechtslehre in der Regel die Antwort gegeben, sie sei eine Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik und eine Reaktion auf all das, was wir „von ,früher 4 und von ,drüben4 als politische Ordnung unbedingt nicht wollen 44660 Mit dem Umschlag der Wert- in die Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes wird insbesondere also auf die Abkehr des Grundgesetzes, seine „kopernikanische Wende 44061 , von dem wertrelativistischen Standpunkt angespielt, den ein Großteil 657 H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (750 f.); R. Dreier, in: FS Klein, S. 86 (98). Dies war die Konsequenz, die die Verfassungsmütter und -väter aus dem Scheitern der Weimarer Republik gezogen haben, vgl. F. K. Fromme, Weimarer Verfassung, S. 182 ff., 189, 221 f. Zur immanenten Aggressivität als „die fatale Kehrseite der Werte", vgl. C. Schmitt, in: Schelz (Hrsg.), Die Tyrannei der Werte, S. 11 (34); H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 243 ff. u. passim; G. Leibholz, Verfassungsstaat, S. 111 f.: „Die freiheitliche Demokratie wächst sozusagen insofern über sich hinaus, als sie zugleich für eine Wert- und Lebensordnung steht, die die bunte Mannigfaltigkeit des Lebens, die die Wirklichkeit des ,westlichen Menschen' ausmacht, zu einem personalen Ganzen zusammenschließt, das sie dem modernen Totalitarismus gegenüberzustellen vermag". 658 G. Willms, Staatsschutzkonzept, S. 5: „typisch deutsch". Allein Korea hat in Anlehnung an das Grundgesetz einen streitbaren Charakter seiner Verfassung normiert, vgl. Y. S. Chang, Streitbare Demokratie, S. 211 ff.; G. P. Boventer, Grenzen politischer Freiheit, S. 236 ff. 659 Umfassend hierzu R. Bäumlin, Staat, Recht und Geschichte, S. 17 ff. u. passim; R. Mußgnug, in: FS Thieme, S. 141 (143); E. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (346); K. Hesse, Die normative Kraft, S. 13. 660 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 (1964) Rn. 48, abgedr. bei E. Denninger, Freiheitlich demokratische Grundordnung I, S. 155 ff.; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 195. 661 K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 468; E. E. Brunner, Die Problematik der verfassungsrechtlichen Behandlung extremistischer Parteien, S. 72, 97: „Durch die Verwurzelung im Werthaft-Ausschließlichen wird die Demokratie zur »streitbaren'". Auch A. Spiegel, Die Möglichkeiten eines effektiven Schutzes, S. 6 u. passim.

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der Weimarer Staatsrechtslehrer seinem Anschauungsobjekt, der Weimarer Reichs Verfassung, unterlegt haben soll: Die Verteidigungsbereitschaft der demokratischen Grundwahrheiten ergebe sich also, so die Begründung, aus einer Gegenüberstellung von wertrelativistischem und werthaftem Denken. Das Grundgesetz, das wurde als Lehre aus dem Untergang der Weimarer Republik gezogen, gehe nicht mehr so weit, aus schlichter und falsch verstandener Unparteilichkeit heraus auf die Aufstellung und den Schutz eines eigenen Wertsystems zu verzichten. Aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen habe es vielmehr gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung herausgegriffen und - demokratisch gebilligt - als „absolute Werte anerkannt", die es deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigen wolle. „Soweit zum Zwecke dieser Verteidigung Einschränkungen der politischen Betätigungsfreiheit der Gegner erforderlich sind, werden sie in Kauf genommen" 662 . Damit soll verdeutlicht werden, daß die grundlegende politische Ordnung einer Gesellschaft - abgebildet in ihrer Verfassung - nicht allein formelle Elemente enthält, wie zum Beispiel die Spielregeln, nach denen die einzelnen (und inhaltlich ungebundenen) politischen Mehrheitsentscheidungen gebildet werden, sondern auch inhaltliche Elemente, die als materielle „Grenzmarken der Verfassung" 663 fungieren. Diese Grenzmarken schützen und limitieren den innerhalb ihrer Elemente stattfindenden offenen demokratischen Prozeß auch innerhalb der Gesellschaft, da sie, so die Forderung, im demokratischen Willensbildungsprozeß nicht angetastet werden dürfen. Zusammengefaßt mündet diese Materialisierung des verfassungsrechtlichen Konsenses in der Feststellung, daß „jede grundlegende Ordnung eine inhaltliche Entscheidung für oder gegen politische Alternativen" 664 enthält. Demokratische Freiheit könne nach den Erfahrungen, die mit ihrer radikalen Variante in Weimar gemacht wurden, nicht länger die Freiheit zur Selbstpreisgabe, oder krasser: zum Selbstmord der demokratischen Staatsform 665, beinhalten.

662 BVerfGE 5, 85 (138 f.); U. Scheuner, BayVBl. 1963, S. 65 (68): Die Demokratie ist kein Staatswesen, in dem jede politische Meinung die gleiche Bedeutung und den gleichen Wert hat. ( . . . ) Die demokratische Form setzt vielmehr gewisse sittliche Überzeugungen voraus und bekennt sich zu bestimmten Werten, die sie als absolut empfindet ( . . . )". 663 J. Perels, KJ 10 (1977), S. 375. 664 Vgl. oben § 3 Β. VII. 3.; femer K. Stern, in Stem, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 163; A. Podlech, in: Jakobs (Hrsg.), Rechtsgeltung und Konsens, S. 9 (23 f.), der aber wenig später konstatiert, daß eine „realistische Betrachtung gesellschaftlicher Verhältnisse ( . . . ) dabei allerdings im Gegensatz zur frühbürgerlichen Vertragstheorie davon ausgehen (muß), daß Herstellung von Basiskonsens kein einmaliger Vorgang ist und die Kontroversen, auf die er sich beziehen kann, nicht fixiert sind. Selbst grundlegende Verfassungsentscheidungen fixieren nichts, sondern definieren in den Grenzen variable Interpretationspielräume: Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung des Jahres 1975 ist nicht mehr die des Jahres 1949". 665 κ. D. Erdmann, in: Erdmann/ Schulze (Hrsg.), Weimar, S. 346; G. Leibholz, in: ders., Strukturprobleme der Demokratie, S. 132 (139); K. Stern, in: Stem, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 176; C. Gusy, ZfP 1993, S. 393; R. Thoma, Wesen und Erscheinungsformen, S. 38 f. Zur Entstehung der Maxime „Demokratie als Selbstmord", vgl. H. Meier, Partei verböte, S. 146 ff.

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So haben sich insbesondere in der Streitbarkeitskonzeption des Grundgesetzes diejenigen Lehren niedergeschlagen, die der Verfassunggeber aus dem Untergang der Weimarer Republik gezogen hat 6 6 6 . Um einer Wiederholung der Geschichte vorzubeugen, hat der Parlamentarische Rat sein sich im Grundgesetz niederschlagendes demokratisches Selbstverständnis der „unvollendeten Demokratie" der Weimarer Verfassung in bewußter Abkehr entgegengesetzt. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben die wehrhafte Demokratie der „suicidal lethargy" der Weimarer Reichsverfassung als „gewollten Gegensatz" entgegengestellt667; nicht zuletzt, weil sie den demokratischen Tugenden des Volkes der ungelernten Republik mißtrauten 668. Mehr noch aber wollten sie ein verfassungsrechtliches Gegenkonzept zum Weimarer Wertrelativismus entwerfen. Der Wertrelativismus war die herrschende Auffassung der Weimarer Staatsrechtslehre. Außer in den oben genannten Zitaten Hans Kelsens 669 wird dieser vor allem in Art. 76 WRV verortet. Art. 76 WRV regelte die Möglichkeit, die Weimarer Verfassung zu ändern. Anders als dies heute durch die Anerkennung des Vorranges der Verfassung und Art. 79 III GG ausgeschlossen wird, ging die herrschende Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit davon aus, daß Verfassungs- und einfaches Gesetz auf der gleichen Stufe in der Normenhierarchie rangierten, die Verfassung nur schwerer abänderbar war als ein einfaches Gesetz. Erstere stand wie letzteres also nicht über der Legislative, sondern zu ihrer Disposition. Die Dispositionsbefugnis des verfassungsändernden Gesetzgebers der Weimarer Reichsverfassung umfaßte nach herrschender Staatsrechtslehre Verfassungsänderungen aller Art „ohne Unterschied des Inhalts und der politischen Tragweite" 670 . Vor diesem

666 BVerfGE 5, 85 (139); H. Peters, in: FS Giacometti, S. 229 (229 f.); a.A. T. Ramm, JZ 1968, S. 41 (43): Das Grundgesetz sei eine revolutionäre Verfassung, die ausschließlich aus sich selbst verstanden werden müsse. Dagegen R. Herzog, in: EvStL, Art. Grundgesetz, Sp. 1204 ff.: Die Auseinandersetzung mit Weimar sei ein wichtiger Ansatzpunkt für die Auslegung der Verfassung. 667 M. Brenner, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 95 (96); H. Mandt, AusPuZ Β 3/78, S. 3 (5); Κ. Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 194; J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 11 ff.; zur „suicidal lethargy" der WRV, vgl. K. Loewenstein, in: The American Science Review 31 (1937), S. 417 (423 f., 428, 431). 668 κ. Sontheimer, Von Deutschlands Republik, S. 110 ff. 669 Vgl. oben § 3 Β. VII. 3.; auch R. Thoma, in: HdbdDStR I, § 16 S. 193: „Gewiß kann diese Freiheit (seil.: der Selbstbestimmung) demagogisch mißbraucht werden - wie wäre sie sonst eine Freiheit?". 670 G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 76 S. 403; R. Thoma, in: HdbdDStR I, § 15 S. 182 f.; § 16 S. 193 f.: Die Weimarer Verfassung beruht „immer gegenwärtig auf einer frei widerruflichen Duldung der Mehrheit der Nation". Ders., in: HdbdDStR II, § 71 S. 153 ff.; ders., in: Nipperdey (Hrsg.), Grundrechte und Grundpflichten I, S. 1 (31 ff.); W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung und ders., in: HdbdDStR II, § 73 S. 185: Nur das Wahlrecht sei nicht abänderbar. Namentlich von Carl Schmitt wurde diese Auslegung des Art. 76 WRV kritisiert. Er war der Auffassung, die Änderung grundlegender politischer Entscheidungen der Verfassung, welche die Substanz derselben ausmachten, sei nicht Sache des verfassungsändernden Gesetzgebers, sondern des Volkes. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 20, 103 f. u.

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Hintergrund ist die These aufgestellt worden, daß das „Ermächtigungsgesetz" vom 24. 3. 1933 auf eine Weise zustande gekommen sei, welche nach der Weimarer Reichsverfassung nur als verfassungsgemäß bezeichnet werden könne. Die Weimarer Reichsverfassung sei, so die Schlußfolgerung, verfassungsrechtlich legal abgeschafft worden, habe sich letztlich also selbst umgebracht 671. Eine mögliche Wiederholung müsse durch das Grundgesetz bereits im Keime erstickt werden. Die historische Rechtfertigung des Streitbarkeitskonzeptes des Grundgesetzes fußt damit auf drei sich wechselseitig bedingenden Annahmen: Zum einen unterstellt sie, daß es Konstruktions- oder Strukturfehler der Weimarer Reichsverfassung waren, die letztlich zum Untergang der Republik geführt oder doch zumindest wesentlich zu ihm beigetragen haben. Zum anderen geht sie davon aus, daß die Republik aufgrund fehlender theoretischer und dogmatischer Anknüpfungspunkte in ihrer Verfassung keinerlei Selbstschutzkonzept hatte entwickeln können, auf das sie zu ihrer rechtlichen Verteidigung hätte erfolgreich zurückgreifen können: Deshalb sei die Republik an den Feinden der Demokratie und weniger am Fehlen von demokratischen Kräften schlechthin zugrundegegangen. Aus der unzureichenden verfassungsrechtlichen Verteidigungsbereitschaft zieht sie dann den Schluß, daß die Machtübernahme Hitlers legal, d. h. verfassungsrechtlich gebilligt gewesen sei 6 7 2 . Die Frage nach den Gründen des Untergangs der Weimarer Republik gehört zu den kontroversesten Themen der zeitgeschichtlichen Forschung. Die zwei Positiopassim; hierzu auch W. Bauer, Wertrelativismus, S. 275 ff. u. passim; P. Badura, in: Beiheft 11 /Der Staat, S. 133 (144 ff.); J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 4 ff. 671 So ausdrücklich bereits C. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk, S. 8: „Die deutsche Revolution war legal, d. h. gemäß der früheren Verfassung formell korrekt". Auch BVerfGE 2, 1 (18 f.); H. Schneider, in: Jasper (Hrsg.), Von Weimar zu Hitler, S. 405 (405 ff., 421 ff.); U. Scheuner, in: Hirsch/Majer/Meinck (Hrsg.), Nationalsozialismus, S. 112 f.; H. Triepel, in: ebda., S. 116 (117); K. Stern, in: Stem, Staatsrecht I, S. 194: „selbstzerstörerischer Irrtum" der Verfassungsväter; G. Diirig/H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 7: „Es ergab sich die absurde Situation, daß sich die Gegner des Weimarer Rechtsstaates im Schutze der Freiheitsrechte ungehindert zum Angriff sammeln konnten, daß sie im Zeichen der Freiheitsrechte und unter Berufung auf sie diesen Rechtsstaat unterlaufen, schmähen, bekämpfen und schließlich zerstören konnten, um dann eben jene Grundrechte zu beseitigen, die man früher im Rechtsstaat für das Zerstörungswerk am Rechtsstaat mißbraucht hatte". K. Loewenstein, American Political Science Review 31 (1937), S. 417 (423 f., 428, 431); M. Brenner, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 95 (101); H. Mandt, AusPuZ B3/78, S. 3 (4); R. Wassermann, in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Das Verbot der NPD, S. 98 (100 f.); E. Werthebach/B. Droste-Lehnen, DÖV 1992, S. 514 (518 f.); Y.-S. Chang, Streitbare Demokratie, S. 112; C. Schmitt, Der Staat 17 (1978), S. 333 f. Ganz so vereinfachend wurde dies im Parlamentarischen Rat aber nicht gesehen, vgl. T. Heuß, zit. bei R. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Abs. 2 Rn. 212 Fn. 10: „Heute hat man die Angewohnheit zu sagen: Weil Hitler an die Macht gekommen ist und von den Paragraphen der Weimarer Verfassung nicht daran gehindert werden konnte, ist die Verfassung schlecht gewesen. So primitiv ist die Motivenreihe des Geschichtsprozesses nicht". 672 So ζ. Β. E. Friesenhahn, in: Erdmann/ Schulze (Hrsg.), Weimar, S. 81 (92 f.); Κ D. Erdmann, in: ebda., S. 354 f.

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nen, die sich im wesentlichen gegenüberstehen, zeichnen sich vor allem durch die Annahme unterschiedlicher Kausalzusammenhänge aus. Auf der einen Seite steht die These, die Weimarer Republik sei an der internen Qualität ihrer Regelungen zugrunde gegangen. Auf der anderen Seite wird geltend gemacht, die Verfassungswirklichkeit habe die Verfassung überrollt; die Gründe des Scheiterns seien somit verfassungsexterner Natur 673 . Dieser „Historikerstreit" kann und soll im Rahmen der vorliegenden Arbeit weder in aller Breite und Tiefe aufgerollt, noch entschieden werden. Vielmehr sollen die drei genannten Grundannahmen, auf die sich das Konzept der wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes stützt, im folgenden in der gebotenen Kürze kritisch hinterfragt werden. Die Weimarer Verfassung hatte ein klassisch liberales Marktmodell der Demokratie verfochten 674. Demokratie fungierte dort im wesentlichen als eine Methode, eine soziale Ordnung zu erzeugen, und weniger als eine politische Steuerungsnorm. Die innere Rechtfertigung dieser prozeduralen Demokratiekonzeption ist in dem damals vorherrschenden Wertrelativismus zu finden, dem alle konkurrierenden Anschauungen gleich viel galten 675 . Die Weimarer Verfassung hatte deshalb ihre Substanzen, die Gleichheit und die autonome Freiheit des einzelnen, zu einer festen Plattform gegossen, auf deren Boden grundsätzlich jeder Überzeugung die gleiche Möglichkeit zustand, sich im freien Wettbewerb um die „Gemüter der Menschen" in Position zu bringen 676 . Dieses von normativen Einschränkungen freie Konkurrenzmodell erlaubte es, alle in einer Gesellschaft vertretenen Werte ungeachtet ihres Inhalts als gleichrangig und gleichberechtigt zu betrachten, und es verlangte weiter, auch Bestrebungen zu dulden, die auf eine Abschaffung eben 673 Zu dieser Kontroverse, vgl. K. D. Bracher, Die Auflösung der Weimarer Republik, passim; W. Conze, HZ 183 (1957), S. 378 ff.; H. Huba, Theorie der Verfassungskritik, S. 181 ff.; D. Grimm, Die Bedeutung der Weimarer Verfassung, S. 31; A. Rödder, in: ders. (Hrsg.), Weimar, S. 11 (17), der sich fragt, welche von beiden, die Verfassungsnorm oder die Verfassungswirklichkeit, die entscheidende Kraft im historisch-politischen Prozeß gewesen sei. Den Forschungsstand faßt zusammen D. Gessner, Die Weimarer Republik, S. 97 ff. 674 G. Diirig/H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 8, sehen darin die „große geistesgeschichtliche Fehlleistung", daß die Weimarer Republik „ein ökonomisches Denkmodell zum verfassungsrechtlichen Prinzip machte". 675 D. Grimm, Die Bedeutung der Weimarer Verfassung, S. 19 f.; ders., in: Winkler (Hrsg.), Die deutsche Staatskrise, S. 183 ff., der davon ausgeht, daß die Interpretation der WRV durch die Staatsrechtler wesentlich zu ihrem Scheitern beigetragen habe: Das Schicksal einer Verfassung ergebe sich aus dem Zusammenwirken von Konstruktion, Situation und Interpretation. 676 H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 36 ff. Auch unter dem Grundgesetz wird das Bild der Verfassung als Forum gezeichnet: „Das Grundgesetz verzichtet nicht auf Wertentscheidungen. Es schafft keinen leeren Platz (im Sinne des politischen Relativismus), sondern strukturiert ihn als Forum, es setzt Strukturen (die etwas mit Wertsetzung zu tun haben, aber im historischen Prozeß entstanden, jedoch keinesfalls absolute Werte sind und erst recht nicht ein verselbständigtes Wertsystem), die den Rahmen bilden für politische ( . . . ) Auseinandersetzungen", vgl. J. Seifert, in: Habermas (Hrsg.), Stichworte zur „Geistigen Situation der Zeit", S. 339.

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dieser Demokratie hinwirkten 677 . Trotzdem gab es auch unter der Weimarer Reichsverfassung eine Grenze des (verfassungs)rechtlich Erlaubten: Die Gegner der Demokratie durften sich nicht des Mittels der physischen Gewaltsamkeit bedienen, um ihren Zielen Nachdruck zu verschaffen. Der repressive oder präventive Verfassungsschutz, der sich vor allem auch in den beiden Republikschutzgesetzen niederschlug, setzte also grundsätzlich in einem Zeitpunkt ein, da Gesetze gebrochen oder die Schwelle zur Gewalt überschritten wurde 678 . Die demokratischen Spielregeln der Weimarer Reichsverfassung galten damit aber auch für die Gegner der Republik, und sie galten auch im Kampf um die Republik und ihre Verfassung, in der sich der Staat zeitlebens befand 679 . Unterhalb der Gewaltschwelle bot die Weimarer Reichverfassung nach ihrer herrschenden Lehre tatsächlich weder einen theoretischen noch einen dogmatischen Anknüpfungspunkt für einen Schutz der Demokratie, wie das Grundgesetz ihn gewährleistet. „Solange die Verfassungsfeinde sich der Gewalt enthielten, war ihnen nicht beizukommen, da es nur verfassungswidrige Methoden, nicht aber verfassungswidrige Ziele gab" 6 8 0 . Festzuhalten bleibt aber, daß das „Ob" des Republikschutzes auch in Weimar keine Frage war, nur das „Wie" strukturell anders gelöst wurde, als es unter dem Grundgesetz geschehen ist. Anstatt daß Ziele verboten wurden, operierten die Republikschutzgesetze mit einer Ziel-Mittel-Kombination. Ihr Schwerpunkt lag auf verbotener Gewalt gegen die Staatsform. 677 Zur Lage unter dem Grundgesetz, vgl. U. Scheuner, BayVBl. 1963, S. 65 (68): „Die Demokratie ist kein Staatswesen, in dem jede politische Meinung die gleiche Bedeutung und den gleichen Wert hat". 678 PrOVG Bd. 89, S. 391 ff., das die Verfassungsfeindlichkeit der NSDAP damit verneinte, daß der Nachweis nicht erbracht worden sei, daß die NSDAP den gewaltsamen Umsturz der bestehenden Staatsordnung herbeizuführen plane. Es läßt sich aber auch eine zunehmende Entgrenzung des Gewaltbegriffes des Hochverratsparagraphen feststellen, der im Republikschutz eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Insgesamt wurde der Gewaltbegriff von den Gerichten zuungunsten kommunistischer Bestrebungen weit, zugunsten der Nationalsozialisten eng gefaßt, vgl. C. Leggewie/H. Meier, Republikschutz, S. 186 ff.; O. Kirchheimer, ZfPol 1964, S. 126 (141); Ζλ Grimm, in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 138 ff.; H. Mommsen, in: ebda., S. 145 ff.; /. Hueck, Der Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik, S. 147 ff., 184 ff., 188 ff.; H. Mandt, in: FS Sternberger, S. 233 (238 f.): „Abkehr vom Wertrelativismus". Den Republikschutzgesetzen haftete der Makel der Verfassungsdurchbrechung an. Näher zu den Republikschutzgesetzen, vgl. F. K. Fromme, Weimarer Verfassung, S. 178 f.; G. Jasper, Der Schutz der Republik, S. 88 ff.; C. Gusy, Weimar - die wehrlose Republik, S. 128 ff., 139 ff.; A. z. Dohna, in: Thoma/Anschütz (Hrsg.), HdbdDStR I, § 17 S. 204 ff. 679 c. Gusy, Weimar - die wehrlose Republik, S. 27 ff. 680 κ, . Stern, in: Stem, Staatsrecht I, S. 181; H. Schneider, in: HStR I, § 3 Rn. 73; R. Dreier, in: FS Klein, S. 86 (98); H. Peters, in: FS Giacometti, S. 229; W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 25 f.; E. Jesse, Streitbare Demokratie, S. 10 ff. Vgl. auch folgendes Zitat Adolf Hitlers vor dem Leipziger Reichsgericht: „Die Verfassung schreibt nur den Boden des Kampfes vor, nicht aber das Ziel. ( . . . ) Wir werden dann allerdings, wenn wir die verfassungsmäßigen Rechte besitzen, den Staat in die Form gießen, die wir als die richtige ansehen". Zitiert nach W. Tormin, Die Weimarer Republik, S. 202.

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Es fragt sich jedoch, ob diese Beschränkung des Verfassungsschutzes auf gewaltsame Angriffe gegen die Republik letztlich zu deren Untergang geführt hat und dieser deshalb wiederum einem Verfassungsversagen angelastet werden kann. Gegen diese These sprechen mehrere Gründe: Zum einen wurden die Republikschutzgesetze erst erlassen, als die Demokratie bereits am Boden lag, weil sie seit Beginn an von rechts und links gleichermaßen in die Zange genommen worden war 6 8 1 . Entscheidend ist aber, daß der einfachgesetzliche Republikschutz weniger an der fehlenden Verteidigungsbereitschaft der Republik als an der mangelnden Vollzugskonsequenz der zuständigen Behörden litt 6 8 2 . Das Volk wollte die Demokratie nicht (mehr). Was hätte die Verfassung, deren Legitimität von Beginn an bezweifelt wurde, anderes und besseres tun können? Wie für die Bundesrepublik Deutschland Ernst-Wolfgang Böckenförde, so hatte bereits Gerhard Anschütz für die Weimarer Republik formuliert, daß es Verhältnisse gebe, die keine Verfassung schaffen könne, die vielmehr jede Verfassung, vollends die eines demokratischen Staates, voraussetzen müsse 683 . Diese Verfassungsvoraussetzungen waren in der Weimarer Republik, zumal zu deren Ende hin, nicht mehr gegeben. Das Volk hatte sein Vertrauen in die Staatsform verloren. Der Vertrauensverlust lag aber nicht allein im Verfassungswerk selbst begründet, sondern ist multikausal zu erklären. Zu seinen Faktoren zählen von Links vor allem der Vorwurf der nur „halben" oder gescheiterten Revolution. Ansonsten gehören zu diesen Faktoren der Versailler Vertrag und die Unvernunft der Siegermächte des Ersten Weltkrieges; die Dolchstoßlegende, die der Führungsriege der jungen Republik das Stigma der Vaterlandsverräter bescherte; die Verantwortungsscheu und Kompromißunfähigkeit der politischen Parteien; die Weltwirtschaftskrise und die ideologisch-politische Zerrissenheit der Bevölkerung 684 . Diese Faktoren haben letztlich auch den rettenden Einsatz der konstruk681 R. Ritter, Schweizer Monatshefte 25 (1945/46), S. 14 (17); D. Grimm, Die Bedeutung der Weimarer Verfassung, S. 18: „Die Weimarer Verfassung blieb zeit ihrer Existenz Streitobjekt ( . . . ) . Dadurch konnte sie diejenige Funktion, die ich als allerwichtigste Funktion einer Verfassung überhaupt betrachte, nämlich die Konsensfunktion, nicht erfüllen". 682 F. K. Fromme, Weimarer Verfassung, S. 178 ff.; G. Jasper, Der Schutz der Republik, S. 88 ff., 128 ff.; M. Grünthaler, Parteiverbote; K. Stein, Parteiverbote, S. 69 ff.; dies., ZfParl 2001, S. 536 (548 f.); ausdrücklich auch H. Mommsen, in: Leggewie/ Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 145 (147): „Tatsächlich scheiterte die Republik nicht wegen fehlender Sanktionsmöglichkeiten gegen ihre Gegner, sondern am fehlenden Konsensus der bürgerlichen Parteien ( . . . )". Ferner W. Schön, Verbote politischer Parteien, S. 26 ff. 683 G. Anschütz, Drei Leitgedanken, S. 33. Konkret bezogen ist diese verfassungstheoretische Erkenntnis allerdings auf das Problem der Bestenauslese durch die Demokratie. Voraussetzung für diese sei, so Anschütz, „letzten Endes ein ganzes Volk, das politisch denkt und fühlt". Vgl. auch E. Forsthoff, Der totale Staat, S. 23: „Jeder Staat hat eine Substanz, die er nicht schafft, sondern voraussetzt, aus der er seine Kraft bezieht, die seine Formen mit Leben füllen". 684 Vgl. im einzelnen die Beiträge in: K. D. Erdmann/H. Schulze (Hrsg.), Weimar; auch E.-W. Böckenförde, in: Bracher (Hrsg.), Die Weimarer Republik, S. 42; F. Fischer, in: ders., Hitler war kein Betriebsunfall, S. 174 (176 ff.); C. Gusy, ZfP 1993, S. 393 ff.; W. v. Simson,

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tiven Schutzmechanismen der Verfassung konterkariert 6 8 5 . Die neue Republik wurde schnell zum Feindbild. Alles Übel wurde schließlich auf Staatsform und Verfassung geschoben. Zwar kann eine Verfassung durch ihre Steuerungsfunktion sicherlich einen Teil der ihr vor- oder nebengelagerten Bedingungen beeinflussen. Ein großer Teil der Verfassungsvoraussetzungen wird sich ihrer Steuerungskraft jedoch prinzipiell entziehen. Für eine autopoietische Systemtheorie, wie Niklas Luhmann sie entworfen hat, ist dies kein Befund, der verwundern müßte. Auch der Systemtheorie zufolge baut jedes System auf Voraussetzungen auf, die es selbst nicht zu garantieren vermag. Wenn ein solches System scheitert, kann dieses Scheitern zwar auch auf interne Faktoren zurückgeführt werden, genauso aber an äußeren Bedingungen liegen, die aus der Systemumwelt auf das System selbst e i n w i r k e n 6 8 6 . Das Scheitern einer Staatsform muß deshalb keineswegs zwangsläufig auf Konstruktionsfehler der Verfassung zurückgeführt werden; dasjenige der Weimarer Republik sollte es n i c h t 6 8 7 . Vielmehr, so ergibt die Retrospektive, war das Klima für eine demokratische Staatsform mehr als ungünstig, die Zeit für eine Republik noch nicht reif. Weimar ist die zu früh gekommene und deswegen gescheiterte Demokratie. Für das Wagnis Demokratie war das Volk noch nicht b e r e i t 6 8 8 .

Der Staat als Teil und als Ganzes, S. 72 u. passim; Η. A. Winkler, Weimar, S. 87 ff.; C. Gusy, WRV, S. 403 ff.: „die leerlaufende Verfassung". 685 Zum konstruktiven Verfassungsschutz der WRV umfassend, vgl. F. K. Fromme, Weimarer Verfassung, S. 61 ff.; C. Gusy, Weimar - die wehrlose Republik, S. 30 ff.; E. Friesenhahn, in: Erdmann/Schulze (Hrsg.), Weimar, S. 81 ff.; E.-W. Böckenförde, DÖV 1981, S. 946 (947). 686 So explizit W. Pauly, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 1 (2); H. Krüger, in: FS Scheuner, S. 285 (286); N. Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 470, 143 u. passim: Jedes System sei darauf ausgelegt, „seine Funktion eigenständig zu gewährleisten. Selbstverständlich kann dies nicht in der Weise geschehen, daß alle empirischen Bedingungen für eine Reproduktion der Operation des Systems im System selbst erzeugt werden; denn das hieße: die Welt ins System einzuschließen". Vgl. auch K. Hesse, Die normative Kraft, S. 10 f., mit Hinweis auf Humboldt: „Staatsverfassungen lassen sich nicht auf Menschen, wie Schößlinge auf Bäume propfen. Wo Zeit und Natur nicht vorgearbeitet haben, da ists, als bindet man Blüten mit Fäden an. Die erste Mittagssonne versengt sie". Auch C. Gusy, WRV, S. 372 ff.: „die überlastete Republik", und „der schmale Verfassungskonsens". 6S7 So explizit schon H. Schulze, in: Erdmann / Schulze (Hrsg.), Weimar, S. 23 (30): „Wer aber die Wertneutralität des Verfassungsrahmens in erheblichem Ausmaß für die Schwäche der demokratischen Kräfte der Republik hält, der zäumt doch wohl das Pferd von der falschen Seite auf; der mangelnde Machtwille und das unterentwickelte Selbstbewußtsein der machtausübenden Demokraten dürften doch ausschlaggebend gewesen sein, der Verweis auf die ausufernde Liberalität des Verfassungsrahmens war nicht mehr als ein Alibi". Ausdrücklich auch H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 497: Die Abwehrschwäche der Weimarer Republik „hatte viele Ursachen. Der Mangel eines zur Unterdrückung umstürzlerischer Bestrebungen geeigneten rechtlichen Instrumentariums gehörte dazu nicht". 6ss E.-W. Böckenförde, DÖV 1981, S. 946 (949): „Und wie steht es mit ( . . . ) dem Volk selbst? Sollte und mußte es anders sein als es war? Dahinter verbirgt sich eine entscheidende ( . . . ) Frage: Muß eigentlich das Volk den Wirksamkeitsbedingungen seiner politischen Ver24 Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Auch die Legalität der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes von 1933 wird zunehmend als Mythos identifiziert. So wurden beispielweise die Abgeordneten der KPD mit Gewalt von ihrem Erscheinen in der entscheidenden Reichstagssitzung abgehalten. Ferner waren die Nationalsozialisten bereit, so wird berichtet, so viele „Neinsager" wie nötig zu inhaftieren, damit die Annahme ihres Gesetzes gesichert war. Obwohl die implizite Aufhebung der republikanischen Verfassung inhaltlich von der Weimarer Reichsverfassung und ihrer herrschenden Lehre akzeptiert gewesen sein mag, darf doch zu Recht bezweifelt werden, daß dieses Vorgehen formal dem Legalitätskonzept der Weimarer Reichsverfassung entsprochen h a t 6 8 9 . fassung entsprechen und eventuell dahingehend ideologisch-mentalitätsmäßig umgeschaffen werden, oder ist es vielmehr, gerade auch vom demokratischen Standpunkt, Sache der Verfassungen, dem Geist, d. h. der politischen Kultur und Mentalität des Volkes angemessen zu sein?". Auch G. Roellecke, Der Staat 35 (1996), S. (599): Die „verfassunggebende Versammlung in Weimar (hätte) eben ein anderes Volk wählen müssen". Dazu ferner T. Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, S. 267: „Reif für die Demokratie? Reif für die Republik? Welch ein Unsinn! Einem Volke ist die oder jene Staats- und Gesellschaftsform gemäß, oder sie ist ihm nicht gemäß". So auch W. Pauly, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 1 (3 ff.); K. D. Bracher, in: Rödder (Hrsg.), Weimar, S. 55 (57 ff.). Im Ergebnis auch W. Abendroth, Das Grundgesetz, S. 36 f.: Die Lehre vom Konstruktionsfehler der WRV sei eine monokausale „Illusion der Juristen". R. Dreier, in: FS Klein, S. 86 (99); K. F. Fromme, Weimarer Verfassung (1. Aufl. 1960), S. 228 ff.; C. Gusy, in: AK GG, Art. 18 Rn. 4; D. D. Hartmann, AöR 95 (1970), S. 567 (579 f.): „Die Weimarer Republik ging nicht an ( . . . ) mangelndem Wertbewußtsein zugrunde". H. Meier, Parteiverbote, S. 319 ff.; K.-H. Seifert, Die politischen Parteien, S. 453; H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (207); W. Henke, JZ 1973, S. 293: „Die Weimarer Verfassung war daran zugrundegegangen, daß der Konsens des Volkes und der Parteien zu schwach war und ( . . . ) ein gemeinsamer Wille des pouvoir constituant nicht mehr bestand". J. Kersten, NJ 2001, S. 1: „Die Weimarer Reichsverfassung war keine mißglückte, eher eine glücklose Verfassung". So auch D. Grimm, FAZ v. 14. 8. 1999, S. III; ders., in: Winkler (Hrsg.), Weimar im Widerstreit, S. 151 (152 f. u. passim); M. Stolleis, FAZ v. 11. 8. 1999, S. 7; E. Jesse, Streitbare Demokratie, S. 14; K.-H. Seifert, DÖV 1961, S. 81 f. Anm. 4; E. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (344): Der Weimarer Staat ist „eher am Fehlen der erforderlichen demokratischen Gesellschaftsstrukturen als an den wirklichen oder vermeintlich verfassungsorganisatorischen Unzulänglichkeiten zugrundegegangen". K. D. Bracher, Der Untergang der Weimarer Republik, passim; deutlich auch I. v. Münch, in: FS Baudissin, S. 39 (39 f.): „Die Ohnmacht der Weimarer Reichsverfassung ( . . . ) zeigt, daß geschriebenes Recht nichts nützt, wenn das Rechtsbewußtsein bei den Bürgern und/oder bei den Regierenden verlorengegangen ist". Differenzierend H. Huba, Theorie der Verfassungskritik, S. 183, 187, 189: Die WRV sei nicht ohne eigenes Zutun gescheitert. Sie hätte den bekannten Mangel an demokratischer Gesinnung ihrer Bürger durch rechtliche Regelungen ausgleichen müssen. Denn jede Verfassung habe es selbst in der Hand, inwieweit sie sich von externen Faktoren abhängig mache. Daher sei die WRV wegen dieser selbstgewählten Abhängigkeit als unglückliche, weil mißglückte Verfassung zugrunde gegangen. 689

Ausführlich K. D. Bracher, in: Bracher/Schulz/Sauer (Hrsg.), Die nationalsozialistische Machtergreifung, S. 21, 85: „pseudolegale Machtergreifung", die Realität spreche „eindeutig gegen die ( . . . ) legale(n) Kontinuität", „klares Signum des Rechts- und Verfassungsbruchs". Auch H. Mommsen, in: Dowe/Gosewinkel (Hrsg.), Lernen aus der Vergangenheit!?, S. 7 (8 ff.), der beklagt, gerade bei den Verfassungsjuristen habe sich das Bild der legalen Machtergreifung bis heute halten können. Ferner R. Ritter, Schweizer Monatshefte 25 (1945/ 46), S. 14 (31); H. Schneider, in: Jaspers (Hrsg.), Von Weimar zu Hitler, S. 405 (426 ff.); F. K.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Im Ergebnis ist daher vor allem festzuhalten, daß die Weimarer Republik nicht, zumindest aber nicht vorwiegend, an den Konstruktions- oder Strukturfehlern und dem Wertrelativismus ihrer Verfassung zugrunde gegangen ist. Mit einer Demokratie ohne Demokraten ist eben kein demokratischer Staat zu machen. c) Die streitbare Demokratie - ein „ zeitbezogener Irrtum " 690? Die streitbare Demokratie lag zwar zunächst einem Zauberbesen gleich, mit dessen Hilfe die Krisen demokratischer Gründertage ausgekehlt werden sollten 6 9 1 , in der Hand der Verfassungsrichter. Aufs Ganze gesehen ist der Einsatz des Abwehrinstrumentariums der streitbaren Demokratie bisher jedoch eher wirkungslos geblieben. Es sind zwei Parteien verboten worden, von denen die eine nicht lange Zeit nach dem Urteil der Bundes Verfassungsrichter unter anderem Namen auf die politische Bühne zurückkam 692 . Es wurden wenige Verfahren zur Grundrechtsverwirkung durchgefühlt, die vor dem Gericht allesamt scheiterten 6 9 3 . Vereinigungen wurden einige verboten, in neuerer Zeit aber eher solche, die bereits auch strafrechtlich in Erscheinung getreten waren 694 . Zum Teil wurde daher vor allem zu Beginn der Streitbarkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefordert, die politische Führung möge sich durch eine Ausschöpfung des verfassungsrechtlichen Instrumentariums ihrer Verantwortung für die Demokratie stellen, bevor es zu spät sei 6 9 5 . Fromme, Weimarer Verfassung, S. 147; U. K. Preuß, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 104 (108); H. Ridder, in: Mück (Hrsg.), Verfassungsrecht, S. 85 (134 ff.): Scheinlegalität; E. Forsthoff, Verfassungsauslegung, S. 26: „Hitler huldigte dem Wortlaut der Verfassung mit dem Legalitätseid und hielt die Machtübernahme in Formen, welche aller Anzweiflungen im einzelnen unerachtet das Odium der Illegalität fernhielten, jedenfalls für das allgemeine öffentliche Urteil(Hervorh. nicht im Original) F. Hase/K.-H. Ladeur/H. Ridder, JuS 1981, S. 794: „Ein auf die Verfahrensratiomlität rekurrierendes politisch informiertes Konzept von formaler politischer und gesellschaftlicher Demokratie kann ein solches Verfahren natürlich nicht als verfassungsmäßig anerkennen". E. Wadle, JuS 1983, S. 170 ff.; /. Maus, in: FS Carlo Schmid, S. 124 (133). Vgl. ferner die eindrucksvollen Schilderungen von Baade, in: Der Parlamentarische Rat II, S. 425 (427); K. D. Bracher, Die nationalsozialistische Machtergreifung, passim. 690 F. K. Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, S. 249. 691 Zum „crisis government", vgl. Κ. D. Bracher, Das deutsche Dilemma, S. 412 ff.; ders., Art. crises government, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, S. 514 ff. 692 a. v. Brünneck, Politische Justiz, S, 325 f.; H.-D. Genscher, NJW 1967, S. 1647; K.-H. Seifert, DÖV 1961, S. 81 (91); K. Zweigert, JZ 1959, S. 677; W. Henke, JZ 1973, S. 293 (294 ff.); auch BGHSt 16, 164. 693 BVerfGE 11, 282; 38, 23. 694 Überblick bei F. K. Fromme, in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat (hrsg. v. BMI), S. 185 (189 ff.). 695 κ. Stern, in: Stern, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 173; G. Jasper, DVB1. 1978, S. 725 f.; zur Non-Obsolenz des Verfassungsschutzes, vgl. auch J. Isensee, in: HStR VII, § 162 Rn. 101: „Selbstbehauptung und ( . . . ) verfassungsrechtliches Instrumentarium sind nicht auf eine bestimmte Bedrohungslage fixiert". E. Werthebach/B. Droste-Lehnen, DÖV 1992, S. 514 ff. 24*

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Gegen das Konzept der wehrhaften Demokratie werden gerade in jüngerer Zeit jedoch eine Reihe von verfassungspolitischen Einwänden geltend gemacht. Diese beziehen sich zunächst auf die Möglichkeit, über jenes Konzept den Bestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung tatsächlich sichern zu können. Sie verbleiben aber nicht im Bereich des politischen Argumentierens, sondern vermischen sich zum Teil auch mit verfassungstheoretischen Aussagen. Auf dem Prüfstand steht dabei vor allem die Tauglichkeit eines verfassungsrechtlichen Konzeptes: nämlich desjenigen, den Bestand des Staates des Grundgesetzes durch staatlichen Zwang über die streitbare Demokratie garantieren zu können. Der überwiegende Teil der Literatur nimmt zunächst an, daß die juristischen Zwirnsfäden eines jeden normativen Konzeptes, welches der Sicherung des Bestandes von Verfassung und Staat diene, reißen müssen, sobald die Staatsbürger nicht mehr bereit seien, für ihre demokratische Ordnung einzustehen. Auch das Grundgesetz, so wird insbesondere eingewandt, schütze nämlich nicht vor einer Revolution 696 . Welche Gegenkonzepte zum zwangsbewehrten Verfassungsschutz sind aber entwickelt worden? Zunächst wird gegen den Verfassungsschutz in seiner gängigen Gestalt geltend gemacht, daß es zwar richtig sein möge, daß „der positivrechtliche Verfassungsschutz ohne einen Rückgriff auf die Verfassungstreue" 697, zumindest ohne einen formalen Rückgriff auf den Begriff der Verfassungstreue, auskomme698. Entscheidend sei aber dennoch der Wille des einzelnen, für seine geltende Verfassung einzustehen. Dieser Einstehenswille für die Verfassung ließe sich, so der Einwand, jedoch nicht erzwingen, sei aber Voraussetzung für Staat und Staatsform. Er könne lediglich und müsse deshalb edukatorisch gefördert werden 699 . Das (vorwiegend) repressive Verteidigungsinstrumentarium des Grundgesetzes müsse durch die Internalisierung der verfassungsrechtlichen Ordnung und durch eine verfassungstreue Gesinnung der Staatsbürger mindestens ergänzt, wenn nicht gar surrogiert 696 Vgl. oben § 1 C. I. und § 3 Β. VII. 3. 697 G. Roellecke, DÖV 1978, S. 457 (461). 698 E. R. Huber, Verfassungsgeschichte III, S. 1008: „Der Verfassungsschutz richtet sich nicht auf die bloße Wahrung der Verfassungsgehorsamspflichten. Seine weit höhere Aufgabe ist die Wahrung der Verfassungstreuepflicht, die den Bürgern, als Entsprechung ihrer Verfassungsrechte, obliegt". 699 y. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 40 Fn. 101; R. Tillmanns, in: Thiele (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 25 (42 ff.); Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 206; A. Sattler, Streitbare Demokratie, S. 101; A. Spiegel, Die Möglichkeiten eines effektiven Schutzes, S. 130 ff.; C. Starck, Vom Grund des Grundgesetzes, S. 35, 55 u. passim; J. Isensee, JZ 1981, S. 1 (8): „Republikanisch ist das Bewußtsein jedes Bürgers, daß der Staat sein Besitz und seine Aufgabe ist. Die Republik, die ihren Namen verdient, gründet nicht auf der Macht des Gesetzes und nicht auf dem Gesetz der Macht, sondern auf dem Gemeinsinn freier Bürger. ( . . . ) Der demokratische Rechtsstaat lebt aus der ethischen Kultur, die sich seiner Regelungsmacht weitgehend entzieht und die sogar außerhalb seines juristischen Begriffshorizonts verbleibt". R. Dahrendorf, in: Zur Sache 16/1990, S. 130 f.: Zur politischen Bildung dienten Information und Persuasion. Letztere fördere die innere Teilnahme, den Sinn für den Ort, an den man gehöre. Auch P. Häberle, in: FS Huber, S. 211 (220 ff.).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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werden. Wie eine Demokratie nicht denkbar ist ohne Demokraten, sei auch eine streitbare Demokratie nicht denkbar ohne streitbare Demokraten 700. Zusammengefaßt wurden diese Ansätze sowohl in dem Bild des Bürgers als „Vaterlandsverteidiger in Z i v i l " 7 0 1 als auch unter dem Stichwort des Verfassungspatriotismus. Mit dem Schlagwort des Verfassungspatriotismus schien das erste theoretische Konzept einer kollektiven Identität der Deutschen gefunden, da das Postulat der vorgegebenen Einheit des Volkes im Konzept des Verfassungspatriotismus durch dasjenige der herzustellenden Einheit in Freiheit durch die Verwirklichung der Verfassung ersetzt schien. Der Verfassungspatriotismus bezog sich auf den werthaften Kernbestandteil des Grundgesetzes - die freiheitlich demokratische Grundordnung. Nach der Wiedervereinigung gerieten Begriff und Inhalt des Verfassungspatriotismus allerdings ins Sperrfeuer der Kritik. Der Verfassungspatriotismus wurde als „dünnblütige, wenn auch wohlmeinende Professorenfiktion" (Hans-Peter Schwarz) oder als „ätherisches Gebilde" (Hermann Lübbe) beiseite geschoben702. In eine ähnliche Richtung wie der Verfassungspatriotismus zielen auch die Neuansätze zur Verteidigung der Demokratie durch den „Aufstand der Anständigen" und die Regeln der „Bürger- oder Zivilgesellschaft". In den Rahmen der veränderten Abwehrmechanismen der Zivilgesellschaft, so wird hervorgehoben, passe vor allem das Instrument des Parteiverbots nicht mehr recht hinein. Dieses sei nämlich auf eine von Parteien dominierte Massendemokratie zugeschnitten und könne in der individualisierten Bürgergesellschaft, in der eine Vernetzung durch Großorganisationen keinen maßgeblichen Stellenwert mehr habe, nicht mehr stechen703. Allerdings, so muß an dieser Stelle eingewandt werden, stellen auch die dekkungsgleichen Begriffe der Bürger- oder Zivilgesellschaft und der des Verfassungspatriotismus schillernde Begriffe dar und lassen reichlich Raum für die unterschiedlichsten theoretischen Ausdeutungen. Auf der einen Seite laufen sie auf eine Neudefinition der Rollen des Staates und der Bürger in einer neustrukturierten Gesellschaft hinaus, die in Richtung der Verfahrensdemokratie zielt: der Staat in der 700 e. Denninger, in: VVDStRL 37 (1979), S. 7 (20); M. Brenner, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 95 (114). 701 H. Krüger, in: FS Weber, S. 241 (250). 702 Der Begriff des Verfassungspatriotismus erhält seinen Sinn aus der Verknüpfung von Patriotismus mit der bürgerlichen Freiheit und der Verfassung, vgl. D. Sternberger, in: ders., Verfassungspatriotismus, S. 13 ff., 21; J. Gebhardt, AusPuZ Β 14/93, S. 29 ff.; Ο. Depenheuer, DÖV 1995, S. 854 (855 ff.); D. Merten, VerwArch 83 (1992), S. 283 (293); kritisch zum Verfassungspatriotismus insgesamt, weil durch die Betonung der Verfassung die Einsicht in die Notwendigkeit des vorausliegenden Staates geschwächt würde, vgl. J. Isensee, VVDStRL 48 (1990), S. 136 (137); ders., in: Möhler (Hrsg.), Wirklichkeit als Tabu, S. 11 (14, 22 ff.); auch F. K. Fromme, Weimarer Verfassung, S. 251 Fn. 60. Beide Zitate stammen aus E. Wolf rum, Geschichte als Waffe, S. 95. 703 Ob man dabei von Gemeinsinn oder Verfassungspatriotismus oder auch Bürgergesellschaft spreche, sei gleichgültig, meint P. Glotz, in: Die Zeit v. 19. 2. 1993, S. 10. Auch U. Sarcinelli, AusPuZ Β 34/93, S. 25; U. Κ. Preuß, in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 104 (114 ff.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Rolle des „Ermöglichers zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation und Selbstverteidigung". Auf der anderen Seite werden sie gleichzeitig auf eine kommunitaristisch-ethische Weise verstanden: Einheit durch Übereinstimmung. Sie werden im Sinne eines ethischen Konsenses aufgeladen, beziehen sich damit nicht nur auf ein Verhalten des einzelnen, sondern zielen in einer identifikatorischen Weise auch auf seine Gesinnung ab. Sie bergen deshalb ihrerseits als politisch-pädagogische Termini die Gefahr einer normativen Überhöhung in sich 704 . Ob diese Begriffe daher dazu beitragen, das demokratische Dilemma des Zuviel oder Zuwenig an Freiheit zu lösen oder nur eine neue Umschreibung bekannter Konzepte und Paradoxa bieten, ist fraglich und läßt an ihrer Fähigkeit, als Surrogat den repressiv-präventiven Verfassungsschutz abzulösen, zweifeln. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle aber soviel: Politische Erziehung und die Förderung diskursiver Fähigkeiten sind unerläßliche Voraussetzungen in einer Demokratie 705 . Staatlicher Zwang kann sie nicht nachhaltig ersetzen. Er bewirkt lediglich, daß bestimmte Kräfte aus dem politischen Prozeß exkludiert und in die Illegalität abgedrängt werden, ohne die auf Zustimmung und freier Aktualisierung beruhende Lebenskraft der Verfassung im Gegenzug zu stärken 706 . Die Verfassung ist aufgrund des fehlenden Sanktionsapparates hinter ihr aber ungleich stärker als einfaches Recht auf den knappen Konsens derjenigen angewiesen, die sie verwirklichen sollen 707 . Der Wille der Bürger zu ihrer Verfassung kehrt als demokratisches constituens deshalb seit der Antike stetig wieder 708 . Er ist die notwenige „komple704 u. Sarcinelli, AusPuZ Β 34/93, S. 25 (31 ff.); U. K. Preuß, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 104 (116 ff.): „Tatsächlich ist auch der heute dominierende bürgerschaftliche Typus der Demokratie gegen Se/togefährdungen keineswegs gefeit. Er ist nämlich auf ein moralisches Mindestniveau seiner Bürgerinnen und Bürger angewiesen ( . . . ) . Wo diese Voraussetzung fehlt ( . . . ) , da ist das Gemeinwesen gestört". O. Depenheuer, DÖV 1995, S. 854 (856 858): „normative, dynamische Logik". „Was bleibt ist bekannt: Umerziehung oder Ausschaltung der ,unzivilisierten Fremden'". Kritisch auch J. Kersten, NJ 2001, S. 1 (5); K.-H. Ladern in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 120 (121 ff.); B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335; zur identifikatorischen Demokratie, vgl. auch E.-W. Böckenförde, in: Koschnick (Hrsg.), Extremistenbeschluß, S. 76 ff.; H. H. Klein, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 21 Rn. 494 ff. 705 κ Stern, in: Stem, Staatsrecht I, S. 184; J. Becker, in: HStR VIII, § 167 Rn. 78; E. Denninger, in: HdbVerfR I, § 16 Rn. 9, mit Hinweis auf Aristoteles, Politik V, 1310 a: „Das wichtigste aber für den dauerhaften Bestand einer Staatsform ( . . . ) ist eine der Verfassung angemessene Erziehung. Die heilsamsten Gesetze ( . . . ) fruchten nichts, solange nicht Sorge getragen wird, daß die einzelnen sich in sie hineinleben und im Geiste der Verfassung erzogen werden ( . . . )". 706 κ Hesse, Grundzüge, Rn. 694; zur Überschätzung autoritärer Lösungen, vgl. H. Mommsen, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), S. 145 (148); U. K. Preuß, in: ebda., S. 104 (119). 707 Als „Gesetz", das die rechtliche Ordnung fundiert, muß die Verfassung ihre Verbindlichkeit „jenseits der Positivität des Verfassungsgesetzes" begründen. Als oberste Stufe rechtlicher Normierung kann das Verfassungsrecht nicht selbst durch rechtliche Zwangsmittel gesichert werden, vgl. P. Badura, in: FS Scheuner, S. 19 (36); D. Grimm, AöR 97 (1972), S. 489 (503); K. Hesse, in: HdbVerfR I, § 1 Rn. 19; R. Smend, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 119 (195): Das Verfassungsleben sei nicht heteronom zu gewährleisten.

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mentäre Kraft" 7 0 9 , die trotz des freiheitlichen Subjektivismus eine friedliche Koexistenz aller ermöglicht. Erzwingen läßt sich der Wille zur Verfassung als Teil des forum internum indessen nicht 7 1 0 . Die Verfassung und ihr Staat sind vielmehr gehalten, das Risiko, das darin liegt, daß die Veranstaltung „Staat" der Verantwortung und Urteilskraft ihrer Bürger überlassen bleibt, auszuhalten711. Eine funktionsfähige Demokratie läßt sich nicht ohne weiteres rechtlich anordnen und durchsetzen 712 . Als Ordnungsform von Staat und Gemeinwesen basiert sie zwar auch auf Rechtsnormen, gleichzeitig benötigt sie aber eine tragfähige politische Kultur oder zumindest die prinzipielle Akzeptanz auf Seiten ihrer Bürger 713 . Der freiheitliche Staat zehrt deshalb von vorkonstitutionellen Voraussetzungen714, die er selbst nicht zu garantieren vermag. Als freiheitlicher Staat kann er nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er gewährt, aus dem Innenraum der Gesellschaft her reguliert 715 . Der Staat des Grundgesetzes sollte daher eine Angebots-, nicht aber eine Zwangsdemokratie sein. Die empirische Forschung hat zudem aufgezeigt, daß die bundesdeutsche Demokratie, anders als die der Weimarer Republik, die als Menetekel zwischen den Zeilen des Grundgesetzes geschrieben steht, eine stabile ist. Das Volk - vor allem das aus dem westlichen Teil Deutschlands - hat ausreichend Zeit gehabt, demokratisches Bewußtsein zu erlernen und zu kultivieren. Denn, um Richard Thoma zu zitieren: „Die Frage, ob ein Volk reif sei zur Demokratie, führt in ein unlösbares Dilemma, denn wie man das Schwimmen nur im Wasser lernt, so lernt ein Volk den rechten Gebrauch der demokratischen Gleichheit und Freiheit nur, wenn sie ihm gegeben und aufgegeben werden" 716 . Das bundesrepublikanische Volk hat sich mittletweile frei geschwommen. Letztendlich braucht die Verankerung demokratischer Werte im Bewußtsein der Deutschen einen internationalen Vergleich nicht zu scheuen. Im Gegenteil belegen die repräsentativen Umfragen doch, daß die innere Bindung der Deutschen, der Westdeutschen genauso wie der Ostdeutschen, an die demokratische Qualität ihres politischen Systems im internationalen 708

Ζ. B. G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Theorie Werkausgabe, Bd. 12, S. 529 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 250, 269; K. Hesse, Die normative Kraft, S. 8 ff. 7 09 E. Denninger, in: VVDStRL 37 (1979), S. 7 (24); K. Hesse, Grundzüge, Rn. 43 f. 7

10 E.-W. Böckenförde,

VVDStRL 28 (1970), S. 33 (70).

™ BVerfGE 20, 56 (103); C. Leggewie/H. Meier, Republikschutz, S. 234 ff. 712 M. Brenner, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, S. 95 (96); E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 42 (60); J. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 233. ™ C. Gusy, Jura 1995, S. 226 (233). ™ C. Starck, Vom Grund des Grundgesetzes, S. 21; ders., JuS 1981, S. 237 (240). Zu diesen Voraussetzungen werden gezählt: die Freiheit von Angst, das Vertrauen und die Bereitschaft zum Engagement, vgl. E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (27 ff.); zu den Ausformungen, vgl. Η. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (106 ff.). 715 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Gesellschaft, Freiheit, S. 60. 716 R. Thoma, Über Wesen und Erscheinungsformen der modernen Demokratie, S. 32.

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Vergleich überdurchschnittlich entwickelt ist. Diese innere Bindung, die Verankerung der Demokratie im Bewußtsein der Bevölkerung, wird allgemein als der beste Schutzmechanismus gegen ihre Überwindung anerkannt 717. Im Ergebnis läßt sich die Zeitgemäßheit der streitbaren Demokratie damit zumindest bezweifeln 718 . d) Die streitbare Demokratie - Sammelbezeichnung oder Verfassungsprinzip? Das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Verfassungslehre entnehmen dem Grundgesetz über eine Gesamtschau aller derjenigen Verfassungsnormen, die die freiheitlich demokratische Grundordnung schützen, erwähnen oder ihr entfließen 719 , das Verfassungsprinzip der wehrhaften Demokratie, das einen Eingriff auch in gewaltfreie gesellschaftliche Prozesse rechtfertigt 720 . Es ist jedoch fraglich, ob über diejenigen Einzelaussagen hinaus, welche das Grundgesetz zum Schutze der freiheitlich demokratischen Grundordnung getroffen hat, in eben diesen Einzelaussagen ein verfassungsrechtliches Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Gegner der freiheitlich demokratischen Grundordnung zum Ausdruck kommt und es ihnen verwehrt, sich erfolgreich auf die Inanspruchnahme grundrechtlicher Freiheiten zu berufen. Enthält das Grundgesetz mit der wehrhaften Demokratie also eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung mit einer selbständigen rechtlichen Bedeutung? Dies soll im folgenden kritisch hinterfragt werden. Wie wird der Induktionsschluß von der Streitbarkeit einzelner Vorschriften des Grundgesetzes auf die Wehrhaftigkeit der gesamten Verfassung begründet? Seinen 7Π D. Berg-Schlosser, in: AusPuZ Β 7/90, S. 30 ff.; Ο. W. Gabriel, in: AusPuZ Β 22/87, S. 32 ff.; F. Neidhardt, in: Schuppert/Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 15 (24); M. Brenner, Das gefährdete Grundgesetz, S. 30 ff. u. passim; H. Ryffel, in: FS Eichenberger, S. 59 (66 ff., 70); H. H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153 (168): „Die Demokratie ruht sicher nur auf der Wachsamkeit ihrer Bürger ( . . . )". 718 Insb. H. Jahrreiß, in: FS Thoma, S. 71 (91), der die Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes als zeitlich begrenzte Mahnung betrachten möchte, welcher die Daseinsberechtigung abzusprechen sei, sobald das demokratische Bewußtsein des Volkes hinreichend geschult sei. F. Κ Fromme, Weimarer Verfassung, S. 249: „zeitbezogener Irrtum"; femer G. P. Boventer, Grenzen politischer Freiheit, S. 246; E. Stein, in: FS Mallmann, S. 319 (320 u. passim); KS. Chang,, Streitbare Demokratie, S. 184 ff. 7 19 Hierzu zählen insgesamt folgende Vorschriften: Art. 9 II, 10 II, 11 II, 18, 21 II, 20 IV, 28 III, 79 III, 87 a IV, 911, 98 I I GG, vgl. BVerfGE 13,46 (50 f.); 25, 88 (100); 28, 36 (48 f.); 39, 334 (349); BVerwG NVwZ 1995, S. 1134; dazu M. Thiel, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie, S. 1 (10 ff.). 7 20 Der Weg der friedlichen, aber schleichenden Systemüberwindung galt lange Zeit als der einzig effektiv gangbare, vgl. H. Schelsky, Systemüberwindung, Demokratisierung und Gewaltenteilung, S. 19 (37); G. Leibholz, DVB1. 1951, S. 554; H. Ziegler, BayVBl. 1978, S. 517; M. Ruland, Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung, S. 6; E. Kaufmann, in: DJT 39 (1952), A 17 (A 30 f.); J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 3; E,. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (342 Fn. 15).

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theoretischen Ausgangspunkt nimmt das Verfassungsprinzip der streitbaren Demokratie in der verfaßten Demokratie selbst. Die Verfassung habe, so wird geltend gemacht, Grundstrukturen festgelegt, die legal nicht zum Gegenstand politischer Gestaltung werden dürften. Dabei sei nicht erst eine entsprechende Verfassungsänderung verboten, sondern bereits im Vorfeld von Verfassungs wegen dem Staat das Recht zur Selbstverteidigung eingeräumt worden. Auch die Freiheit in einer demokratisch verfaßten Gemeinschaft, so wird betont, könne nämlich nicht grenzenlos sein. Sie sei stets eine verfaßte Freiheit um der Freiheit der anderen Willen. Das Recht zur Beseitigung dieser Freiheit der anderen könne nicht aus den verfassungsrechtlichen Freiheitsgewährleistungen legitimiert werden. Wer die Grundrechte also beseitigen wolle, so die Schlußfolgerung, könne sich dafür eben nicht auf diese Grundrechte stützen 721 . Diese Auffassung soll im folgenden einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Zunächst zur streitbaren Demokratie als Sammelbezeichnung für die streitbaren Normen des Grundgesetzes: Gegen die Berechtigung einer streitbaren Demokratie überhaupt wird zunächst und grundsätzlich aus dem Paradoxon der Demokratie geltend gemacht, daß „die Substanz freiheitlicher Demokratie sich prinzipiell nicht durch die Verkürzung von Freiheit sichern" lasse 722 . So umfassend sich dieser Einwand auch lesen mag, wendet er sich zwar gegen die normative Überhöhung der Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes, führt in der Regel jedoch nicht dazu, daß die streitbare Demokratie als Sammelbezeichnung für die positivierten Einzelentscheidungen zum Schutze der freiheitlich demokratischen Grundordnung in Zweifel gezogen wird. Auch der Vorwurf, die Wehrhaftigkeit der Verfassung stehe im Spannungsfeld einer extrem ideologieanfälligen Problematik und erweise sich dadurch als Einfallstor für Ideologien in die Verfassungsauslegung, stellt die Berechtigung der Sammelbezeichnung, die ratio constitutionis der einschlägigen Grundgesetzbestimmungen, ebensowenig in Frage, sondern fordert allein einen restriktiven Umgang mit ihnen 723 . Zwar wird auch zu bedenken gegeben, daß durch die Normierung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und des Instrumentariums zu ihrem Schutze die Legalität des Verfassungsrechts gegen eine „naturrechtliche" Legitimität der 721 K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 196 f.; /. v. Münch, Staatsrecht I, Rn. 277; ders., NJW 2001, S. 728 (729); auch BVerfGE 30, 1 (19 f.): „Verfassungsfeinde sollen nicht unter Berufung auf Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören dürfen". Auch G. Leibholz, JöR N.F. 30 (1981), S. 195; Η H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (67 ff.). 722 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 694; E. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (356 ff.); E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (9 ff.); J. Lameyer, JöR N.F. 30 (1981), S. 163 (171); K. Loewenstein, Verfassungslehre, S. 348 ff. 723 R. Dreier, in: FS Klein, S. 86 (95, 97, 100, 106); K. Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen, S. 126 f.; B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (336); vgl. ferner die Sondervoten (Ä.-v. Brünneck und Simon) zu BVerfGE 33, 78 (85 ff.); H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 599.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Verfassung ausgespielt werden könne. Denn anders als die Weimarer Verfassung, so die Begründung, scheine das Grundgesetz durch seine Schutzmechanismen mit einer die formale Verfassungslegalität übersteigenden „Superlegalität" 724 zu operieren. Die freiheitlich demokratische Grundordnung erlaube es nämlich, so diese Auffassung weiter, der Berufung auf die Freiheitsrechte der Verfassung die Berufung auf eine materielle Substanz letzterer entgegenzusetzen. Der Grundrechtsgebrauch, auch wenn er sich formal im Rahmen der Legalität der Verfassung bewege, wachse sich unter Berufung auf die Legitimität derselben zur Verfassungsstörung aus. Insbesondere die Berufung auf ein generalisiertes Streitbarkeitsprinzip diene also dazu, „das rechtsstaatliche Legalitätsprinzip aus den Angeln zu heben" 725 . Anders als in der Weimarer Reichsverfassung, wo in diesem Zusammenhang der Berufung auf das Verfassungsgesetz die Berufung auf die materielle, nicht positivierte Verfassung hätte entgegengesetzt werden müssen 726 , liegt unter dem Grundgesetz, das die freiheitlich demokratische Grundordnung positiviert hat, jedoch keine zweistufige Legalität vor. Zumindest dort, wo die Verfassung dies vorgesehen hat, fungiert die freiheitlich demokratische Grundordnung als geschriebene Schranke des Freiheitsgebrauchs. Das Grundgesetz hat dort die Legalität an die durch die freiheitlich demokratische Grundordnung umschriebenen Grundsätze seiner Legitimität gebunden727 und erlaubt es ausdrücklich, Gegner, welche die Tatbestandsvoraussetzungen der Schutznormen erfüllen, aus dem Verkehr zu ziehen. Auch dieser Einwand spricht daher nicht gegen den Gebaruch des Terminus der streitbaren Demokratie als Sammelbezeichnung für den positivierten Verfassungsschutz. Kann aber dem Grundgesetz ein Verfassungsprinzip mit eigenständiger rechtlicher Bedeutung entnommen werden, das es gebietet, die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht allein im Rahmen ihrer Normierung, sondern umfassend gegen jeden zu schützen, aus dessen Freiheitsgebrauch ihr eine Gefahr drohen kann? In diesem Zusammenhang wird zweifelnd angedeutet, daß es widersinnig erscheinen könne, verfassungsrechtlich verbürgte Freiheiten verfassungsrechtlich einzuschränken, um das politische System, welches den Rahmen dieser Freiheiten bildet, zu erhalten 728 . In der Tat scheint die Dialektik, daß Grundrechtsgewährlei724

U. K. Preuß, in: ders., Legalität und Pluralismus, S. 9 ff.; C. Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 12: „superlegalité constitutionelle"; insb. auch O. Kirchheimer, in: ders., Politische Herrschaft, S. 10; G. Leibholz, JöR N.F. 30 (1981), S. 193 (194); R. Eckertz, NJW 1983, S. 724 (725 ff.). 72 5 E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 7 (18). 726

So R. Thoma, Über Wesen und Erscheinungsformen der modernen Demokratie, S. 37: „Bedeutende Staatsrechtslehrer versuchten darüberhinaus darzutun, kraft ungeschriebenen Rechts dürften gewisse oberste Normen und Institute dieser Verfassung überhaupt nicht angetastet werden". 727 H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (63); E.-W. Böckenförde, in: Koschnick (Hrsg.), Extremistenbeschluß, S. 76. 728 C. Bamberger, Der Staat 39 (2000), S. 355 (364 f.).

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stungen als konstituierende Elemente der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes 729 den Schranken dieser durch sie konstituierten Ordnung wiederum unterliegen sollen, zirkulär zu sein. Nicht ganz zu Unrecht wird an dieser Stelle deshalb das Paradoxon „etatistischer" Verfassungswerte 730 eingewandt: Daß nämlich die Grundrechte durch die Interessen desjenigen sollen beschränkt werden können, gegen den sie sich als Abwehrrechte richten und der sie ferner schützen soll. Dies, so diese Auffassung, sei nur schwerlich mit Art. 1 III GG vereinbar, nach dem sich jede Aktivität des Staates an den Grundrechten messen lassen müsse 731 . Dem gegenüber wiederum steht das selbstreferentielle Argument der Sinnverkehrung grundrechtlicher Freiheiten. Dem einzelnen Grundrechtsträger müsse es verwehrt bleiben, so wird geltend gemacht, durch verfassungsfeindlichen Freiheitsgebrauch den Ast abzusägen, auf dem er und alle anderen säßen. Jedes Grundrecht setze, so diese Argumentation weiter, den Bestand derjenigen staatlichen Gemeinschaft voraus, durch die es gewährleistet werde. Keine Verfassungsnorm dürfe so interpretiert werden, daß sie einen Rechtsgrund biete, die Verfassung selbst aus den Angeln zu heben. Ziel des Verfassungsschutzes sei es deshalb gerade, zwar nicht den Bestand des Staates schlechthin, wohl aber die besondere Form des Staates, wie sie durch die geschriebene Verfassung fixiert sei, zu gewährleisten 732. Der Fortbestand des konkret verfaßten Staates zähle also, so die Schlußfolgerung, zu den vornehmlichen Zielen des Grundgesetzes und sei daher geradezu prädestiniert, den grundrechtlichen Freiheitsgebrauch umfassend zu beschränken. Denn der Verfassungswert der freiheitlichen Demokratie liefe leer, wenn der Staat nicht dazu in die Lage versetzt würde, ihn zu schützen733. Dieses Argument wird vor allem gegen vorbehaltlose Grundrechte wie Art. 4 GG aufgefahren, die vielerorts als Bedrohung des Staates oder existenzwichtiger 729 Zur Religionsfreiheit als konstituierendes Element der freiheitlich demokratischen Grundordnung, vgl. K. Hesse, ZevKR 11 (1964/65), S. 337 (355). 730 C. Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 123 f. 731 C Bamberger, Der Staat 39 (2000), S. 355 (365); Sondervotum (Böckenförde und Mahrenholz) zu BVerfGE 69, 1 (57, 59 f.). 7 32 BVerwG NJW 1999, S. 304; C. Bamberger, in: Der Staat 39 (2000), S. 355 (368). Zum Gegenstand des Verfassungsschutzes, vgl. Η Η. Klein, VVDStRL 37 (1979), S. 53 (67); J. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 94 ff.; R. Dreier, in: FS Klein, S. 86 (95); Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 197; J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 41; E.-W. Böckenförde, in: VVDStRL 28 (1970), S. 33 (54). 733 So insb. die Rspr. des BVerwG zum sog. Gemeinschaftsvorbehalt der Grundrechte, mit dem selbst die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG kupiert wurde, wenn die Notwendigkeit eines Eingriffs unabweisbar schien, vgl. BVerwGE 1, 48 (52); 2, 85 (87); 2, 89 (94); 4, 167 (171 f.); vgl. aber auch BVerwG 49, 202 (208); H. Quaritsch, VVDStRL 37 (1979), S. 142; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I (Vorauflage), S. 175 f.; E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (59 f.); A. Sattler, Streitbare Demokratie, S. 65 f.; BVerfGE 20, 162 (178): Sowohl grundrechtliche Gewährleistungen als auch die freiheitlich demokratische Grundordnung seien durch das höhere Ziel, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu sichern, einander zugeordnet. Auch BVerfGE 81, 278 (292 f.); 102, 370 (392 ff.); S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 206 f. m. w. N.

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§

Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Gemeinschaftsgüter gewertet werden. Aus dem Bedrohungspotential dieser Grundrechte wird dann weiter geschlossen, daß die erforderlichen Begrenzungen einfach bestehen müssen. Die Möglichkeit einer Verfassungsänderung wird dabei übergangen 734 Gegen den letztgenannten Argumentationstopos, Bestand von Staat und Verfassung als Geltungsgründe der Grundrechte taugten uneingeschränkt zu deren Beschränkung, spricht aber vor allem, daß grundrechtliche Freiheiten nach der hier vertretenen liberalen Grundrechtstheorie vorstaatlichen Ursprungs sind. Sie werden durch das Grundgesetz zwar anerkannt, nicht aber geschaffen 735. Hiergegen wird zwar wiederum eingewandt, daß sich die Frage der Vorstaatlichkeit der Grund rechte innerhalb der staatlichen Rechtsordnung nicht mehr stelle, da die Freiheiten in die Rechtsordnung integriert seien und mehr noch: diese voraussetzten. Aus der vermeintlichen Vorstaatlichkeit der Grundrechte könnten daher, so die Konklusion, keine grundrechtsdogmatischen Folgerungen abgeleitet werden 7 3 6 . Fraglich ist aber, ob diesem „Staats-, Verfassungs- oder Rechtsordnungsvorbehalt" und seinen postulierten Konsequenzen uneingeschränkt zugestimmt werden kann. Dazu ist zunächst der Begriff der Vorstaatlichkeit der Grundrechte zu klären: Ihre Vorstaatlichkeit piaziert in dem hier angenommenen Zusammenhang die Grundrechte weder in der Sphäre des Vor-Sozialen im Sinne des Fehlens ihrer Gemeinschaftsgebundenheit noch in dem Bereich des „Natürlichen" im Sinne des hobbesianischen Naturzustandes. Vorstaatlich meint vielmehr im Sinne der liberalen oder auch bürgerlich-rechtsstaatlichen Grundrechtstheorie, daß die grundrechtliche Freiheit durch den Staat nicht konstituiert wird. Sie liegt ihm - rechtlich gesehen - voraus. Aus der so verstandenen Vorstaatlichkeit wird das rechtsstaatliche Verteilungsprinzip abgeleitet. Es besagt, daß die Befugnis des Staates, in die Freiheitssphäre des einzelnen einzugreifen, prinzipiell begrenzt ist, meßbar und kontrollierbar sein muß; während die Freiheitssphäre des einzelnen im Gegenzug prinzipiell unbegrenzt ist 7 3 7 . Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in einer seiner Entscheidungen zum Menschenbild des Grundgesetzes ausdrücklich judiziert, daß 734 R Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 301 f.; aber auch ders., in: FS Mahrenholz, S. 515 (525 ff.); M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (986). 7 35 B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (361); G. Dürig/H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 3: „Unsere Charta »greift nach den Sternen' und siedelt die staatlichen Grundrechte letztlich im vorstaatlichen Recht der »unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte' an, die der Staat zwar deklarieren und affirmieren, aber nicht selbstherrlich konstituieren und negieren darf'. Femer H. Copie, Grundgesetz, S. 20; grundlegend auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 163 f. 7 36 C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 270; H. Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 263; M. Kriele, JA 1984, S. 629 ff.; P. Lerche, in: FS Mahrenholz, S. 515 (525). 737 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126, 163 f.; ders., in: HdbdDStR II, § 101 S. 590 ff.; E.-W. Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), S. 33 (48); ders., NJW 1974, S. 1529 (1530); BVerfGE 17, 306 (313 f.); 19, 342 (348 f.): „allgemeine rechtsstaatliche FreiheitsVermutung"; C. Steinbeiß-Winkelmann, Grundrechtliche Freiheit, S. 37 ff.

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wegen der Gemeinschaftsbezogenheit des Menschen die Freiheit des einzelnen gerade nicht prinzipiell unbegrenzt sei. Das Menschenbild des Grundgesetzes, so das Gericht, sei vielmehr dasjenige einer vielfältig verpflichteten Persönlichkeit 738. Doch fehlt es in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an einer Konkretisierung dieser Vielfalt an Pflichten, die sich zudem in erster Linie auf das soziale Miteinander der Menschen beziehen. In seiner Rechtsprechung zum Menschenbild des Grundgesetzes führt das Bundesverfassungsgericht nämlich weiter aus, daß der einzelne sich aufgrund seiner Gemeinschaftsgebundenheit diejenigen Schranken seiner Handlungsfreiheit gefallen lassen muß, „die der Gesetzgeber zur Förderung des sozialen Zusammenlebens " zieht 739 . Konkreter wird das Bundesverfassungsgericht an anderer Stelle, nämlich dort, wo es um kommunikative und politische Grundrechte gegenüber dem Staat geht. In diesem auch hier ausschlaggebenden Zusammenhang stellt das Gericht fest, daß die Meinungsfreiheit für den demokratischen Staat schlechthin konstituierend sei, und erklärt: „Die freiheitliche Demokratie nimmt prinzipiell die Risiken in Kauf, die darin liegen, daß die politische Willensbildung der Urteilskraft und der Aktivität der Bürger anvertraut ist" 7 4 0 . Diese Rechtsprechung reflektiert nicht die vermeintliche Vorgebundenheit der Grundrechte durch den Gemeinschaftsbezug des einzelnen, sondern sie rekurriert auf den vernunftbegabten und individuellen Bürger 741 . Gegenüber dem Staat betont das Gericht in seinem berühmten LiithUrteil weiter, daß die Grundrechte „in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers" seien. Damit zeichnet es aber neben der in diesem Urteil ebenfalls getroffenen Erweiterung der Grundrechte um eine objektive Dimension ebenso das liberale Verständnis der Grundrechte, insbesondere der politischen Freiheitsrechte nach. Daß die Grundrechte sich nicht in ihrer Abwehrfunktion erschöpfen, schmälert diesen Befund nicht. Denn ihr negatorischer Charakter wird durch ihre objektiven Dimensionen nicht aufgesogen, sondern nur um andere Funktionen erweitert 7 4 2 . Geschützt wird demnach auch, oder nach der verfassungsgerichtlichen 738 BVerfGE 4, 7 (15); 45, 187 (227); 12, 45 (51); 28, 175 (189); 33, 1 (20); 35, 202 (225); U. Becker, Das ,Menschenbild des Grundgesetzes', S. 42 f.; R Häberle, Das Menschenbild, S. 45. Zum rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip und dazu, „daß die Grundrechte im demokratischen Staat dem Staatsbürger nicht zur freien Verfügung eingeräumt (seien), sondern in seiner Eigenschaft als Glied der Gemeinschaft und damit auch im öffentlichen Interesse", vgl. ferner BVerwGE 14, 21 (25); Η. Η Klein, Die Grundrechte im demokratischen Staat, S. 34 f., 47 ff. u. passim; Η Krüger, Staatslehre, S. 537 f.: Der durch den status negativus abgeschirmte Raum sei für den Staat nicht ertragreich. 739 BVerfGE 4, 7(15); kritisch zum „Menschenbild des Bundesverfassungsgerichts", vgl. H. Ridder, DuR 1979, S. 123 ff. 740 BVerfGE 20, 52 (103); 7, 198 (208); 62, 230 (247). 741 C. Bumke, in: Schuppert / Bumke (Hrsg.), Gesellschaftlicher Grundkonsens, S. 197 (202 u. passim); P. M. Huber, Jura 1998, S. 505 (511): „Das Grundgesetz ist insoweit nur eine Art ,Wechselrahmen', in den im Grunde alle Menschenbilder passen ( . . . )". Gegen die Annahme von Grundrechtsbegrenzungen aufgrund des Menschenbildes sprechen sich auch D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 72; P. Lerche, in: HStR V, § 122 Rn. 7; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 542 und C. Bamberger, der Staat 39 (2000), S. 355 (370), aus.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Formulierung „in erster Linie" vor allem, die Freiheit des einzelnen, sich vom Staat zu distanzieren und diesen abzuwehren. Diese liberale Auffassung der Grundrechte als Abwehrrechte beruht auf einem verfassungstheoretischen Vorverständnis, nämlich demjenigen, daß Staat und Gesellschaft unterschieden werden können. Diese verfassungstheoretische (!) Unterscheidung von Staat und Gesellschaft ist nicht umsonst als „Bedingung der individuellen Freiheit" bezeichnet worden 743 . Ferner soll sich danach der Inhalt der staatlichen Ordnung von unten nach oben aufbauen und von der politischen Freiheit der Bürger legitimiert werden. Er soll nicht als bereits vorgegebene Ordnung dieser Freiheit gegenüberstehen und sie begrenzen. Das Grundgesetz hat bewußt auf allgemeine Begrenzungsklauseln verzichtet, um die Grundrechte vor dieser Relativierung zu bewahren 7 4 4 . In der Sphäre der Freiheitsrechte ist das Individuum „nach einer vielgebrauchten Formel des 19. Jahrhunderts ,Mensch4 und nicht ,Bürger 4 " 745 . Aus dieser Art Vorstaatlichkeit der Freiheitsrechte läßt sich deshalb entgegen der obigen Auffassung folgende grundrechtsdogmatische Schlußfolgerung ziehen, nämlich die der Legitimierungslast der Grundrechtsbeschränkung: Vorstaatlich ist an der grundrechtlichen Freiheit, daß der - wie immer geartete - Gebrauch dieser Freiheit durch den einzelnen nicht rechtfertigungsbedürftig ist, während der Staat hingegen die Beschneidung des Freiheitsgebrauchs durch den einzelnen rechtfertigen muß. Die Freiheit des einzelnen gegenüber dem Staate ist also der Normaltatbestand. Der Normaltatbestand muß nicht näher begründet werden. Ein staat742 BVerfGE 7, 198 (204 f.); später auch im Mitbestimmungsurteil, vgl. BVerfGE 50, 290 (337): „Nach ihrer Geschichte und ihrem heutigen Inhalt sind sie (seil.: die Grundrechte) in erster Linie individuelle Rechte ( . . . ) " . Der subjektivrechtliche Charakter der Grundrechte wird weder in der Rspr. noch in der Lit. prinzipiell bestritten. Umfangreiche Nachweise bei R. Scholz, AöR 100 (1975), S. 80 ff. Grundrechte sind auch subjektive Abwehrrechte, so D. Suhr, EuGRZ 1984, S. 529 (533); C. Starck, JuS 1981, S. 237 (238); K. Stern, in: HStR V, § 109 Rn. 41 f.; ders., in: FS BVerfG II, S. 1 (3 ff.); B. Jean d'Heur, JZ 1995, S. 161 (162 ff.); M. Holoubek, in: Grabenwarter (Hrsg.), Allgemeinheit der Grundrechte, S. 61 (64 Fn. 18); BVerfGE 6, 55 (72 ff.); 35, 79 (112); 39, 1 (41); 49, 89 (141 f.); 66, 116 (133 f., 135); 69, 315 (343); femer die Sondervoten (Rupp v. Brünneck und Simon) zu BVerfGE 39,1 (73 ff.). Zu den Grundlagen der ausgrenzenden Freiheit grundlegend, vgl. C. Link, Herrschaftsordnung, S. 152 ff. u. passim; H. H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153 (165); Kadelbach, DVB1. 1994, S. 627 ff.; umfassend zu den weiteren Funktionen, die die verschiedenen Grundrechtstheorien den Grundrechten zuschreiben, vgl. E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 ff. Die Erweiterung der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte um weitere Dimensionen spricht für die Topik als Auslegungsmethode der Verfassung, vgl. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 60 ff. 743 Dazu, daß alle Grundrechtstheorie ihren Ausgang in einer bestimmten Staats- oder Verfassungstheorie nimmt, vgl. E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (116); ders., Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, S. 35 ff. u. passim; E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 16 ff., 180 ff., 187; W. Brugger, JZ 1987, S. 633 (635 ff.); D. Bogner, in: Thierse (Hrsg.), Religion, S. 255 f. 744 E.-W. Böckenförde, in: ders. (Hrsg.), Extremisten und öffentlicher Dienst, S. 9 (11 f.); M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (985 f.). 745 H. Krüger, DVB1. 1953, S. 97 (99).

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licher Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit dagegen ist der Ausnahmetatbestand. Der staatliche Eingriff in ein Grundrecht muß folglich begründet werden, womit die Argumentationslast beim Einschränkenden und damit beim Staat liegt 7 4 6 . Diese Argumentationslast kann aber gerade nicht mit dem pauschalen Hinweis auf den Bestand von Staat und Verfassung abgegolten werden. Denn die „Beweislast" des Staates wird nicht durch eine „Vermutung" zugunsten seines Bestandes „umgekehrt". An dieser Stelle bisse sich die Katze sonst in den Schwanz: Denn dies wiederum setzte voraus, daß die Freiheit des einzelnen durch den Staat gesetzt und grundsätzlich per se begrenzt ist, was von der liberalen Grundrechtstheorie gerade abgelehnt wird 7 4 7 . Der Nachweis, daß die Verfassung eine Position, auch eine „etatistische", als Verfassungsschutzgut aufgenommen und dem grundrechtlichen Freiheitsgebrauch entgegengesetzt hat, muß vielmehr explizit geführt werden. Diese Schlußfolgerung aus der Vorstaatlichkeit der Grundrechte kommt implizit auch in einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 18 GG zum Ausdruck, wenn das Gericht formuliert: „Hängt ein Grundrecht notwendigerweise mit dem aberkannten Grundrecht zusammen, dann darf daran die Aberkennungsentscheidung nicht scheitern, es sei denn, der mitbetroffene Grundrechtsbereich gegenüber dem beabsichtigten Schutz des Staates vorrangig " 748. Gerade der Vorbehalt, der sich auf die Interessen der Allgemeinheit und den Bestand des konkret verfaßten Staates in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung beruft, könnte aber im Grundgesetz, zumal im vorbehaltlosen Grundrecht der Religionsfreiheit, schwer nachzuweisen sein. Denn „die Entscheidung, inwieweit die Interessen des einzelnen, inwieweit diejenigen der Gemeinschaft und des Staates Vorrang haben sollen, wird ja gerade durch die Grundrechte und ihre Gesetzesvorbehalte (erst) festgelegt". Fehlende Gesetzesvorbehalte kön746 c. Schmitt, Verfassungslehre, S. 126 f., 131, 158 f. u. passim; Β. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (343, 348); ders., EuGRZ 1984, S. 457 (467); W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 64 ff.; M. Kniesel, ZRP 1996, S. 482 (484 f.); J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 60 ff.; E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (119 ff.); J. Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 45 f.; W. Maihofer, in: Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte, S. 88 (96): Beweislast bei demjenigen, der die Freiheit beschränkt. Näher zu dieser sogenannten „Außentheorie", vgl. Λ. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, S. 15 ff., 38 ff.; J. Lücke, Begründungszwang und Verfassung, passim; Β. Braczyk, Rechtsgrund und Grundrecht, S. 90 ff.; G. Dürig/H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 (1997) Rn. 22. 747 M. Winkler, Kollisionen, S. 259, begründet das wohl selbe Ergebnis mit dem Hinweis auf die Menschenwürdegarantie. Das Grundgesetz gebiete dem Staat nicht um jeden Preis, an seiner Existenz festzuhalten, sondern stelle bestimmte Individualinteressen über die existentiellen Belange des Staaten Verbandes. „Als eine auf die Würde des Menschen gegründete Republik kann die Bundesrepublik Deutschland ihre Staatlichkeit gar nicht um den Preis einer prinzipiellen Aufgabe der Menschenwürdegarantie verteidigen; diese Staatlichkeit verlöre damit ihre Substanz. Für die Gefahr seines Unterganges ist das Grundgesetz insofern bewußt,konsequenzblind'". Auch H. Kratzmann, Der Staat 26 (1987), S. 187 (190); M. Herdegen, in: Meßerschmidt/Heckmann, Gegenwartsfragen, S. 161 (162); H. Ridder/E. Stein, DÖV 1962, S. 361 (365). 748 BVerfGE 25, 88 (97), Hervorhebung nicht im Original.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

nen als bewußte Dezision des Verfassunggebers deshalb nicht einfach übergangen werden 749 Der explizite Nachweis für die oben genannte Auffassung, daß nämlich das Grundgesetz das normative Verfassungsprinzip der wehrhaften Demokratie beinhalte, wird in der Regel ersetzt durch den Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Strukturprinzipien des Grundgesetzes. Was das Bundesverfassungsgericht dort ausgeurteilt habe, so wird angeführt, gelte auch für die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes, nämlich: „daß das Verfassungsrecht nicht nur aus den einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung besteht, sondern auch aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassunggeber, weil sie das vorverfassungsmäßige Gesamtbild geprägt haben, von dem man ausgegangen ist, nicht in einem besonderen Rechtssatz konkretisiert hat" 7 5 0 . An dieser gängigen Begründung entzündet sich zu Recht die Kritik gegen das Streitbarkeitsprinzip der Verfassung. Dem Bundesverfassungsgericht und der diesem folgenden Lehre wird vor allem die methodische Fragwürdigkeit ihrer Konstruktion vorgeworfen. Zunächst erscheint es fraglich, ob das Verfassungsrecht nicht allein aus einzelnen Sätzen der geschriebenen Verfassung besteht, „sondern auch aus gewissen sie verbindenden, innerlich zusammenhaltenden allgemeinen Grundsätzen und Leitideen, die der Verfassunggeber", weil sie ihm selbstverständlich erschienen, nicht in geschriebene Verfassungsrechtssätze gegossen hat, die gleichwohl aber als Quelle verfassungsrechtlicher Schlußfolgerungen dienen können. Zum Teil wird die Ableitung verfassungsrechtlicher Rechtsfolgen aus ungeschriebenen „Grundentscheidungen" der Verfassung generell verneint 751 . Aber auch dort, wo die Möglichkeit, aus dem Gesamtzusammenhang der Verfassung auch ungeschriebene Rechtsgrundsätze und verfassungsgestaltende Grundentscheidungen als Rechtsquellen zu gewinnen, grundsätzlich bejaht wird, wird bei deren Ableitung, Mehrung und Gebrauch zu äußerster Vorsicht geraten 752. Da diese ungeschriebenen 749 o. Bachof, JZ 1957, S. 334 (338); F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (732 f.); M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (985); K. Hesse, Grundzüge, Rn. 308; H Bethge, VVDStRL 57 (1998), S. 7 (17); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/ 2, § 81 S. 529 f. 750 BVerfGE 2, 380 (403); J. Becker, in: HStR VII, § 167 Rn. 43; A. Sattler, Streitbare Demokratie, S. 55 u. passim. 751 Ν. Achterberg, Der Staat 8 (1969), S. 159 ff., geht bei seinen Überlegungen zu den „Antinomien verfassunggestaltender Grundentscheidungen" nur von ausdrücklich fixierten Grundentscheidungen des Grundgesetzes aus. 752 Grundlegend Η J. Wolff, in: FS Jellinek, S. 33 (49 u. passim). Zu dieser Poblematik insg. H. Krüger, in: FS Forsthoff, S. 187 (200 ff., 207 ff.): Bei dem Rückgriff auf ungeschriebene Verfassungsgrundsätze nachvollziehe das Gericht das, was Ph. Heck als „Inversionsmethode" bezeichnet habe. „Der Konstruktion nach tun die Gerichte hier nichts weiter, als daß sie den konkreten Verfassunggeber durch Rückgriff auf den allgemeinen Verfassunggeber verfeinern oder berichtigen". Umfassend J. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 94 ff., 131: „Was faktisch angerufen wird, ist der,Geist' des Verfassungsgebers". Auch M. Winkler, Kol-

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„Verfassungsgrundsätze" durch Abstraktion aus geschriebenen Verfassungssätzen per schlichter Inversion gewonnen, eigentlich aber vorausgesetzt würden, ihnen eine besondere Dignität und mit dieser eine von einem gesetzgeberischen Zwischenakt befreite Normativkraft verliehen würde, bestehe die Gefahr der Um- und Überlagerung des geschriebenen Rechts 753 . Methodisch stelle die Berufung auf ein allgemeines Prinzip nichts anderes als eine Prinzipienanalogie, also eine analoge Rechtsanwendung dar - auch dort, wo dieser Begriff vermieden würde 754 . Insbesondere müsse aber, so diese Auffassung, der vorausgesetzte Wille des Verfassunggebers - wie der Wille des Gesetzgebers überhaupt, wenn man mit ihm argumentieren wolle - mit den Mitteln juristischer Auslegung als klarer und bestimmter Wille zu ermitteln sein. Wo sich ein derartiger klarer und bestimmter Wille nicht feststellen ließe, so diese Auffassung weiter, könne dieser auch nicht die Grundlage staatlichen Handelns bilden 755 . An dieser „offenen Flanke" der Streitbarkeit des Grundgesetzes als Verfassungsprinzip oder Grundentscheidung des Verfassunggebers setzt die Kritik an: Der Induktionsschluß von der unbestrittenen Streitbarkeit einzelner Verfassungsnormen auf die Wehrhaftigkeit der gesamten Verfassung widerspreche nämlich, so der Ansatzpunkt, sowohl dem positivierten Verfassungsrecht als auch seinen Auslegungsmethoden. Es könne keine Interpretationsmaxime sein, daß immer dann, wenn verschiedene Normen demselben Prinzip folgten, dieses Prinzip als allgemeine und ansonsten ungeschriebene Verfassungsnorm gelte und den (vorbehaltlosen) Grundrechten als Schranke entgegengesetzt werden könne. Auch der Sozialstaat sei, so ein Argument Bernhard Schlinks, ein Strukturprinzip der Verfassung, in diversen Verfassungsnormen erwähnt und durch Art. 79 III GG für unantastbar erklärt worden. Gleichwohl riefe nicht jeder „unsoziale" Freiheitsgebrauch den abwehrenden Staat auf den Plan. Denn eine Verfassung suche gerade in der wechselseitigen Beschränkung verschiedener Prinzipien einen Ausgleich. Dieser Ausgleich würde durch eine in Widersprüche führende Verallgemeinerung der verschiedenen Prinzipien gefährdet 756. Zudem müsse, bevor auf ein hinter der Verfassung liegendes vorverfassungsrechtliches Gesamtbild, das zu einem Verfassungsprinzip geronnen lisionen, S. 58 ff.; F. Müller/R. Christensen, Methodik, S. 291/Rn. 389; C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 258: „Die Referenz an das »vorverfassungsmäßige Gesamtbild' ( . . . ) (erhebt) einen vorverfassungsrechtlichen Rechtszustand, auf den die Verfassung nicht Bezug nimmt, unzulässigerweise in Verfassungsrang". 753 H. Krüger, in: FS Forsthoff, S. 187 (207 ff.); D. C. Göldner, Verfassungsprinzip, S. 30; H. J. Wolff, in: FS Jellinek, S. 33 (49): Verfassungsgrundsätze oder Prinzipien müßten im Rückschlußverfahren aus ihren Konkretisierungen herausgelöst werden. Manchmal seien sie aber auch im allgemeinen Bewußtsein unmittelbar lebendig und könnten „gefunden" werden. 754 H.-J. Papier/W. Durner, AöR 128 (2003), S. 340 (365 ff.). 755 A. Sattler, Streitbare Demokratie, S. 34; J. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 131: „Gerade das Rekurrieren auf den historischen Willen und die Autorität des Verfassunggebers zur Legitimation einer Grundentscheidung ( . . . ) dient leicht als Ersatz für eine sachliche Begründung". 756 B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (361 ff.). 25 Groh

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sei, zurückgegriffen werden könne, zunächst - den allgemeinen Auslegungsregeln folgend - auf die geschriebenen Normen des Grundgesetzes zugegriffen werden. Um ein Verfassungsprinzip „Wehrhaftigkeit der Demokratie" allen Grundrechten entgegensetzen zu können, bedürfe es deshalb, so die folgerichtige Konsequenz, einer verfassungsrechtlichen Norm, die die Schutzanordnung der Grundrechte ganz oder teilweise aufhebe 757. Ob sich die Einzelnormen der Verfassung, in denen die freiheitlich demokratische Grundordnung geschützt wird, aber zu einem Verfassungsprinzip normativ überhöhen lassen, erscheint sehr fraglich und soll im folgenden überprüft werden. Die Ableitung der streitbaren Demokratie als eines Prinzips mit eigenständiger normativer Bedeutung fußt im wesentlichen auf den Art. 9 II, 18, 21 II und 79 III GG. Gegen die Ableitung eines jeglichen Freiheitsgebrauch einschränkenden Streitbarkeitsprinzips aus diesen Normen wird zunächst eingewandt, daß deren „therapeutische Zweckbestimmung" eine ganz andere sei. Die Ableitung eines gegen den Freiheitsgebrauch der einzelnen einsetzbaren Schutzinstrumentariums setze nämlich voraus, so diese Auffassung, daß die Schutzrichtung derjenigen Normen, aus denen die Ableitung betrieben werde, sich auch (ausschließlich) gegen die einzelnen richte. Aus den genannten Normen lasse sich eine generelle Abwehrtendenz gegen den einzelnen aber nicht ablesen, da sie die freiheitlich demokratische Grundordnung gleichfalls gegen den Staat schützten und damit auch eine Sicherungsfunktion zugunsten der einzelnen übernähmen 758. Diese Sicherungsfunktion zugunsten der einzelnen käme außer in Art. 79 III GG insbesondere auch durch Art. 18 GG zum Ausdruck. Art. 18 GG sei, so diese Ansicht, keine Verfassungsschutzbestimmung. Auch sei die Grundrechtsverwirkungsnorm nicht primär als Grundrechtsschranke im Sinne einer Beschränkung der individuellen Persönlichkeitsentfaltung zu verstehen. Diese Verfassungsnorm diene vielmehr dem Schutz des einzelnen gegenüber dem Staat, stelle also ein Abwehrrecht, mithin ein „Aktivbürgerprivileg" dar. Die Normen des präventiven Verfassungsschutzes werden zum Teil insgesamt so interpretiert, als enthielten sie ausschließlich ein an den Staat gerichtetes Verbot, in ihrem Regelungsbereich, anders als dies in den Normen vorgesehen ist, für den Erhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu streiten 7 5 9 . In dieser Ausschließlichkeit erscheint die Interpretation der verfassungsschützenden Normen jedoch fraglich. 757 M Sachs, in: Stern, Staatsrecht III / 2, S. 292; C. Gusy, AöR 105 (1980), S. 279 (309 f.); E. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (348); J. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 125 ff. 758 E. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (351 f.). 759 u. Backes, Rechtsstaatsgefährdung, S. 95; H. Ridder, in: AK GG, Art. 18 Rn. 6; J. Lameyer, JöR N.F. 30 (1981), S. 147 (178); H. Copie, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 37 ff.; H. Butzer/M. Clever, DÖV 1994, S. 637 (639); K. G. Wernicke, in: Bonner Kommentar (1951), Art. 18 Erl. II vor 1; B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (363).

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Zwar könnte die systematische Position des Art. 18 GG für diese Ansicht sprechen: Art. 18 GG steht am Ende des Grundrechtskataloges. Art. 1 III GG und 142 GG verweisen auf ihn als Grundrecht. Auch ist eine gewisse Bipolarität der Verfassungsnorm nicht zu leugnen, da der Ausspruch der Grundrechtsverwirkung beim Bundesverfassungsgericht monopolisiert ist. Von seiner Intention her stellt Art. 18 GG jedoch eine Norm des präventiven Verfassungsschutzes dar 7 6 0 . Diese schützt die freiheitlich demokratische Grundordnung gegen Angriffe von unten. Andererseits kommt in dieser Verfassungsbestimmung eine eigentümliche Dialektik zwischen dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung auf der einen und dem verfahrensrechtlichen Schutz des einzelnen vor der Beschneidung seiner Grundrechte auf der anderen Seite zum Ausdruck. Die Fassung des Art. 18 GG verabsolutiert damit weder den Gedanken des Verfassungsschutzes noch den des Grundrechtsschutzes, sondern ist auf Konkordanz ausgelegt. Die Norm enthält im Sinne des demokratischen Paradoxons bereits einen wohlabgewogenen Ausgleich zwischen wehrhafter Demokratie und Freiheitsschutz 761. Neben dem verfahrensrechtlichen Schutz des einzelnen vor einer übereilten Aberkennung seiner Grundrechte durch Monopolisierung dieser Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht kommt dieser wohlabgewogene Ausgleich ebenfalls in der enumerativen Aufzählung der verwirkbaren Grundrechte zum Ausdruck. Darüber hinaus kann sich der Verwirkungsausspruch nach der im Rahmen des Art. 18 GG geltenden Identitätstheorie allein auf dasjenige Grundrecht beziehen, welches mißbraucht wurde 762 . Der in dieser Dialektik zum Tragen kommende Ausgleichgedanke zwischen Freiheitsgebrauch und den Folgen eines Freiheitsmißbrauchs läßt Art. 18 GG als Ableitungsnorm für ein einseitiges und ohne weiteren verfahrensrechtlichen Schutz bewehrtes Verfassungsprinzip der Wehrhaftigkeit, welches als allgemeine - interne oder externe - Grundrechtsschranke erneut mit den grundrechtlichen Freiheiten in praktische Konkordanz zu bringen wäre, jedoch ausscheiden. Dies käme ansonsten einer Doppelung der Staatsräson gleich. Ähnliches gilt für die Parteiverbotsnorm des Art. 21 I I GG, deren Aktivierung in den Händen der politischen Führung liegt, und deren „Exekution" ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht monopolisiert wurde. Das Verhältnis von Freiheit und Bindung, wie es in diesen und den anderen Verfassungsnormen zum Schutze der freiheitlich demokra-

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Ausführlich W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 59 ff.; W. Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 18 Rn. 2; U. Scheuner, in: FS Kaufmann, S. 313 (324, 328 f.); M. Brenner, DÖV 1995, S. 60 (62); R. Stettner, DVB1. 1975, S. 801; K. Stern, Verfassungstreue der Beamten, Fn. 41. 761 C. Gusy, in: AK GG, Art. 18 Rn. 3, 11; ders., AöR 105 (1980), S. 279 (281); ders., AK GG, Art. 21 Rn. 137; Η. H. Rupp, in: FS Küchenhoff, S. 653 (654 ff.); W. Krebs, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 18 Rn. 5; P. Häberle, JZ 1971, S. 145 (147); A. Hamann, NJW 1962, S. 1845 ff.; H. R. v. Lex, DÖV 1960, S. 281 (284); auch BVerfGE 10,118 (123); 38,23 (24 f.). 762 So die überwiegende Meinung, vgl. nur K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 960 f.; Η. v. Mangoldt/F. Klein, Das Bonner Grundgesetz (1966), Art. 18 S. 520; D. Gröschner, in: Dreier, GG, Art. 18 Rn. 24 m. w. N.; vgl. aber auch G. Dürig/H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 38 ff. 25*

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tischen Grundordnung zum Ausdruck kommt, würde durch die einseitige Überhöhung des Verfassungsschutzes daher im Ergebnis verschoben. Damit blieben zur Ableitung eines Streitbarkeitsprinzips, welches einem vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsgebrauch durch den einzelnen entgegengesetzt werden könnte, die Art. 9 II und 21 II GG, zwei Verfassungsbestimmungen also, die sich ausdrücklich auf „gefährliche" Korporationen beziehen und aufgrund ihrer Aliud-Funktion nicht den Regelungsbereich des Art. 4 GG erfassen. Geht es bei der Rechtfertigung der streitbaren Demokratie als Verfassungsprinzip um den Rückschluß vom Besonderen auf das Allgemeine, läßt sich mit CarlWilhelm Canaris das „wirkliche Problem" dieser Induktion benennen. Canaris bemerkt in diesem Sinne, daß der Rückschluß von einzelnen Normen auf ein hinter sie liegendes Prinzip nur dann legitim sei, wenn es sich bei dem abzuleitenden Prinzip „um ein allgemeines Rechtsprinzip" handele, welches in den jeweiligen Normen zum Ausdruck komme, nicht aber dann, wenn es sich bei den einzelnen Normen, die dem Induktionsverfahren zugrundelägen, nur „um eine Reihe von Sondertatbeständen" drehe 763 . Für die Ablehung der Ableitung eines umfassenden freiheitsverkürzenden Verfassungsprinzips „streitbare Demokratie" aus dem Grundgesetz sind deshalb letztlich folgende Überlegungen ausschlaggebend: Mit der Normierung des präventiven Verfassungsschutzes im Grundgesetz hat der Verfassunggeber seine Absicht kundgetan, dem Ausnahmezustand vorzubeugen und ihn verfassungsrechtlich zu bannen 764 . Die präventiven Krisenbewältigungsnormen, die Art. 9 II, 18, 21 II und 79 III GG, werden daher zum Typus der Ausnahmebefugnisse und Ausnahmeverfahren gezählt, die zwar keinen Ausnahmezustand voraussetzen, gleichwohl aber nur ausnahmsweise zur Bewältigung einer Krise im Normalzustand dienen sollen 765 . Daß das Schwert der wehrhaften Demokratie als ausnahmsweise zu gebrauchende Abwehrwaffe geschmiedet wurde 766 , läßt sich nicht nur daran festmachen, daß der Verfassunggeber es als nötig erachtet hat, die Sicherung der freiheitlich demokratischen Grundordnung nur in einzelne Verfassungsbestimmungen aufzunehmen 767. Der überwiegende Teil grundrechtlich ver763 C.-W. Canaris , Lücken, S. 97 ff. 764 H. Ridder, in: Mück(Hrsg-),Verfassungsrecht, S. 85 ( 135): „notständischerFremdkörper". 765 B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (346 f.); R v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 31; R. Schuster, ZfP 1968, S. 413 (417). 766 H. W Alberts, ZRP 1996, S. 60 (62); E. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (360); G. Jasper, DVB1. 1978, S. 725 (727); M. Kutscha, Verfassung, S. 134 ff.; J. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 157; H. Ridder, in: AK GG, Art. 21 Abs. 2 Rn. 56; ders., in: Bethge (Hrsg.), Die Zerstörung der Demokratie, S. 57 (61 f.): Die Interpretation des BVerfG sprenge die Legalität der Verfassung, weil sie aus „der rechtlich zulässigen Ausnahme ein rechtswidriges ,Prinzip' mache". Ders., in: Mück (Hrsg.), Verfassungsrecht, S. 85 ff.; H. J. Schwagerl, Verfassungsschutz, S. 23 f. 767 Zu Art. 18 GG als singulärer Ausnahmevorschrift, vgl. M. Brenner, DÖV 1995, S. 60 (64); R. Stettner, DVB1. 1975, S. 801 (802): abschließende Regelung der individuellen Verfassungsaggression; D. D. Hartmann, AöR 95 (1970), S. 567 (579): Art. 18 GG biete in der streitbaren Demokratie „keine neue Begriffshülse für den Anspruch staatlicher Selbsterhal-

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bürgter Freiheiten enthält die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht als ausdrückliche Schranke 768. Auch an den verfahrensrechtlichen Sicherungen, die mit Ausnahme des Art. 9 II GG - die verfassungsrechtliche Verantwortung für die freiheitlich demokratische Grundordnung in die Hände von Bundesverfassungsgericht und politischer Führung gelegt haben, zeugt für ihren Ausnahmecharakter. Ferner ist der Enumerativkatalog verwirkbarer Freiheiten des Art. 18 GG zu nennen. Obwohl sich der Verfassunggeber darüber im klaren war, daß sich auch unter Mißbrauch anderer Grundrechte als der in Art. 18 GG genannten die freiheitlich demokratische Grundordnung bekämpfen läßt: zum Beispiel im Gewände der Religionsfreiheit, hat er den Katalog der verwirkbaren Grundrechte in Art. 18 GG als abschließenden normiert 769 . Würde die freiheitlich demokratische Grundordnung im Rahmen der wehrhaften Demokratie als Schranke jeglichem Grundrechtsgebrauch, vor allem dem eines vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsrechts, entgegengehalten werden können, führte dies ferner zu einer Verkehrung der Intention der Verfassung. Die Gefahr, die der freiheitlich demokratischen Grundordnung von wirkmächtigen Gruppen drohen kann, wird von der Verfassung als die größte eingeschätzt. Zumindest Parteien haben von der Verfassung gleichzeitig aber auch das Privileg 770 erhalten, allein vom Bundesverfassungsgericht verboten werden zu können. Bestimmte Grundrechte benötigen für ihre Verwirkung ebenfalls das Placet dieses Gerichts. Wäre dagegen der einfache Grundrechtsgebrauch durch den einzelnen in jedem Falle mit der Schranke der freiheitlich demokratischen Grundordnung belegt, ergebe sich die eigentümliche Konsequenz, daß der Schutz der Verfassung gegen den einzelnen plötzlich der am stärksten ausgeprägte wäre, der Schutz des Freiheitsgebrauchs durch nicht verwirkbare Grundrechte dagegen der am schwächsten ausgeprägte Schutz des einzelnen 771 .

tung". Auch H. Dreier, JZ 1994, S. 741 (752). Zur Ausnahmestellung des Art. 79 III GG, vgl. die Sondervoten (Geller, Schlabrendorff und Rupp) zu BVerfGE 30, 1 (33, 38); B. Schlink, Der Staat 12 (1973), S. 85 (94); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 334. 7 68 Damit soll nicht zum Ausdruck kommen, daß die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht über die Gesetzesvorbehalte von Grundrechten, die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes einschränkbar sind, diesem grundrechtlichen Freiheitsgebrauch eine Grenze ziehen kann. Wo das Grundgesetz die Einschränkung von Grundrechten durch einen einfachen Gesetzesvorbehalt zuläßt, kann die freiheitlich demokratische Grundordnung zu den Rechtsgütern zählen, „zu dessen wirksamem Schutz Grundrechte, soweit unbedingt erforderlich, eingeschränkt werden können", vgl. BVerfGE 30, 1 (18). 7 69 W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 116 f., 119; H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 13; H.-U. Gallwas, Der Mißbrauch, S. 138 ff.; Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 957; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 (1964) Rn. 12, 22; C. Gusy, in: AK GG, Art. 18 Rn. 2; auch J. Lameyer, JöR N.F. 30 (1981), S. 147 (164, 178 ff.). 770 D. Lorenz, AöR 101 (1976), S. 1 ff.; Η. H. Klein, in: FS Huber, S. 75 (87); J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 144 f.; P. Kunig, in: HStR II, § 33 Rn. 35; R. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Rn. 215; BVerfGE 12, 296 (305); 17, 155 (166); auch BVerfGE 47, 130 (139): „sogenanntes Privileg".

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

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Insbesondere aber, so wird zu Recht geltend gemacht, bedarf ein gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteter Freiheitsgebrauch keiner besonderen Eingriffs-, Verbots- und Verwirkungstatbestände, wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung in Form der Wehrhaftigkeit der Verfassung bereits eine Schranke jeglichen Grundrechtsgebrauchs darstellte. Diese besonderen Eingriffs-, Verbots- und Verwirkungstatbestände sind daher abschließend gemeint 7 7 2 .

e) Ergebnis Die Streitbarkeitskonzeption des Bundesverfassungsgerichts trifft damit i m Ergebnis der Vorwurf ihrer Systemwidrigkeit. In einem methodisch sehr fragwürdigen Induktionsschluß hat das Gericht den vereinzelten Normen, die auch dazu bestimmt sind, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu schützen, ein umfassendes Selbstverteidigungskonzept der Verfassung entnommen und so die Ausnahme zur Regel gemacht. Wehrhaft ist das Grundgesetz jedoch allein in dem Maße, wie es Normen enthält, die seinen Schutz bezwecken: Es ist nicht streitbarer als die Summe seiner streitbaren Elemente 7 7 3 . Die vermeintliche Generalklausel der streitbaren Demokratie ist - methodologisch betrachtet - nicht mehr als eine 771

Zwar bliebe der Ausspruch der Verwirkung als besondere Sanktion weiterhin dem BVerfG vorbehalten. Jedoch wäre die Verwirkung nur mehr eine symbolische Maßnahme. Denn, da ist man sich in der Lehre einig, die Entscheidung des BVerfG wirkt zwar in der Art, daß der einzelne sich nicht mehr auf sein verwirktes Grundrecht berufen kann, um Eingriffe der öffentlichen Gewalt abzuwehren. Jedoch wird er dadurch nicht „out of law" gestellt. Von der Substanz des verwirkten Grundrechts muß zum einen immer noch etwas übrig bleiben. Zum anderen bedarf die öffentliche Hand für einen Eingriff weiterhin einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, vgl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 980; ders., in: FS BVerfG I, S. 216; W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 223; G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 63; H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 16; B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (363 Fn. 80); H. Butzer/M. Clever, DÖV 1994, S. 637 (639, 641 ff.); M. Brenner, DÖV 1995, S. 60 (62 f.); auch BVerfGE 10, 118 (123); 13, 46 (51); 25, 88 (100); C. Gusy, in: AK GG, Art. 18 Rn. 21. 77 2 B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (362 f.); M. Winkler, Kollisionen, S. 156 ff.; H. Bäumler, JZ 1986, S. 469 (474); U. Karpen, Auslegung und Anwendung des Grundgesetzes, S. 7 f. 773 So auch das Sondervotum zu BVerfGE 63, 266 (310 ff.): Der „Begriff der streitbaren Demokratie (ist) weder bestimmt noch geeignet, daraus weitergehende Einschränkungen von Grundrechten herzuleiten, als aus denjenigen Verfassungsnormen, die diesem Begriff zugrundeliegen". E. Bulla, AöR 98 (1973), S. 340 (352 f.); F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 30; ders., Blätter für deutsche und internationale Politik 1972, S. 134 (135); B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335 (360 ff.); M. Sachs, JuS 1995, S. 984 (987); U. K. Preuß, Legalität und Pluralismus, S. 25 f.; 152 ff.; C. Gusy, in: AK GG, Art. 21 Rn. 134 ff., 137 f.; OVG Berlin NJW 1978, S. 1644 (1646): „Bis zu den Grenzen der Art. 18, 21 II GG ist die Grundrechtsausübung von der Verfassung geschützt". Auch E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 5 (14 ff.); J. Lameyer, Streitbare Demokratie, S. 108 ff., 138 ff.; C. Brüning, Der Staat 42 (2002), S. 213 (230); T. Schmidt, Parteien und Vereinigungen, S. 216.

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ideologieanfällige Sammelbezeichnung774 für die ihr zugrundeliegenden Normen. Als verfassungspolitisches Konkretisierungselement ist sie den Normen der Verfassung nachgeordnet. Als deskriptiver Verfassungsbegriff kann sie Rechtsbegrenzungen, die über ihre Teile hinausgehen, nicht bewirken. Der deskriptive Begriff der streitbaren Demokratie darf damit im Ergebnis nicht ins Normative gewendet werden. Dieses Ergebnis scheint sich als „einstweilige" Tendenz auch in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Versammlungsfreiheit rechtsextremistischer Gruppen abzuzeichnen. In seiner Kontroverse mit dem Oberverwaltungsgericht Münster, das die freiheitlich demokratische Grundordnung dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit zwar auf dem Wege über das als Verfassungskonsens ausgedeutete Schutzgut der öffentlichen Ordnung des § 15 VersammlG, im Grunde aber als kollidierendes Verfassungsrecht entgegenhält, zieht sich das Bundesverfassungsgericht auf seine zur Meinungsfreiheit entwickelte Position zurück, daß die Bürger nicht daran gehindert seien, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, solange sie dadurch die Rechtsgüter anderer nicht gefährdeten. Nur für den Fall einer besonderen Gefährdung der freiheitlich demokratischen Ordnung verweist das Gericht auf die Art. 9 II, 18, 21 I I GG als Ausdruck und Inbegriff der wehrhaften Demokratie 775 . Das Streitbarkeits/?rwz//? des Grundgesetzes reicht über die Summe der positivierten streitbaren Einzelausprägungen der Verfassung damit nicht hinaus. Es läßt sich im Ergebnis also ein Streitbarkeitspositivismus des Grundgesetzes festhalten. Die Verfassung hat allerdings keinen umfassenden Streitbarkeitsvorbehalt normiert, der jeglichen grundrechtlichen Freiheitsgebrauch, vor allem den Gebrauch von Freiheiten, welche in vorbehaltlosen Grundrechten gewährleistet werden, unter sein Regime nimmt. Die Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes kann daher der vorbehaltlosen Religionsfreiheit nicht als Schranke entgegengesetzt werden und das Verbot einer Religionsgemeinschaft nicht rechtfertigen.

5. Der „einfache" Verfassungsvorbehalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung Ohne auf das Prinzip der Wehrhaftigkeit der Demokratie zu rekurrieren, stellt das Bundesverfassungsgericht in einigen seiner Entscheidungen vorbehaltlose Grundrechte unter den „einfachen" Verfassungsvorbehalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Während es zunächst noch unspezifisch formuliert hatte, daß auch ein vorbehaltloses Grundrecht dem Erfordernis des wirksamen Staatsschutzes, dem Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlich demokratischen Grundordnung 774 R. Dreier, in: FS Klein, 1977, S. 86 (95 ff.). 775 Vgl. einerseits BVerfG NJW 2001, S. 2069 (2071); andererseits OVG NW NJW 2001, S. 2111 ff.; dass. NJW 2001, S. 2986 f.; dass. NWVB1. 2001, S. 223 (224).

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zu weichen habe 776 , präzisierte es später die Anforderungen an ein schrankenziehendes Verfassungsgut dahin, daß es nicht ausreiche, die Einschränkung vorbehaltlos gewährleisteter Freiheitsrechte formelhaft mit dem „Schutz der Verfassung" zu rechtfertigen. Dem Umstand, daß das Grundgesetz auf verfassungsrechtlicher Ebene nur ganz bestimmte Vorkehrungen zu seinem Schutze treffe, werde allein, so das Gericht, eine Konkretisierung dieser verfassungsrechtlich geschützten Güter anhand einzelner Verfassungsbestimmungen gerecht 777 . Sodann destilliert das Gericht aus einer Zusammenschau der Art. 9 II, 18, 21 II GG als begrenzungstaugliches Schutzgut die freiheitlich demokratische Grundordnung. Es fragt sich daher, ob die freiheitlich demokratische Grundordnung - ohne Überfrachtung durch das Prinzip der Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes - als solche und damit als „einfaches" Rechtsgut mit Verfassungsrang tauglich ist, das vorbehaltlose Grundrecht der Religionsfreiheit einzuschränken. Es fragt sich vor allem, ob die Vorschriften, in denen die freiheitlich demokratische Grundordnung benannt wird, als Grundlage allgemein begrenzungstauglicher Verfassungsinhalte in Betracht kommen. Das Bundesverfassungsgericht entgrenzt diejenigen Vorschriften, welche die Ableitung kollidierender Verfassungsgüter tragen, auf „Verfassungsbestimmungen aller A r t " 7 7 8 . Zwar wird die Rückbindung beschränkender Verfassungsgüter an die geschriebene Verfassung von der Lehre allgemein begrüßt. Vor dem Grundsatz der Positivität des Verfassungsrechts wird darüber hinaus aber ebenso eine methodisch disziplinierte Ableitung begrenzungstauglicher Güter aus dem Grundgesetz gefordert. Diese habe sich, so die Lehre, sowohl am normativen Gehalt als auch an der verfassungsrechtlichen Funktion der zugrunde gelegten Normen zu orientieren 779. So sind die Verfassungsbestimmungen „aller Art" zunächst vor allem daraufhin abzuklopfen, ob sie sich, auch ohne daß sie auf eine allseits begrenzende Wirkung hin formuliert sein müssen, in einen Rechtsfolgensatz umdeuten lassen, der den grundrechtlichen Gewährleistungssätzen als Schranke begegnet. Zwar ließe sich an dieser Stelle einwenden, daß die Ableitung von Schranken grundrechtlicher Freiheiten des einzelnen oder gesellschaftlicher Assoziationen aus verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen und sonstigen Verfassungsgütern grundsätzlich dem Bedenken der fehlenden gesellschaftlichen Selbstbindungskraft des Grundgesetzes unterliege. Diese Klippe wird jedoch im allgemeinen mit dem Argument umschifft, daß die freiheitsbeschränkende Wirkung anderer verfassungsrechtlicher Bestimmungen nicht davon abhänge, daß diese Regelungen spezifisch gerade eine Grundrechtsbegrenzung anordneten. Sie fuße vielmehr darauf, daß sich quasi als Sekundärfunktion der Norm ein freiheitsbegrenzender Rechtssatz formulieren 776 BVerfGE 33, 52 (70 f.). 777 BVerfGE 77, 240 (255); 81, 278 (292 f.). 778 BVerfGE 81, 278 (292); 77, 240 (255); P. Lerche, BayVBl. 1974, S. 177 (180 f.). 779 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht I I I / 2 S. 555; ders., JuS 1995, S. 984 (986); Sondervotum (Böckenförde und Mahrenholz) zu BVerfGE 69, 57 (58 ff., 65 ff.).

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lasse, dessen begrenzende Wirkung zu dem primären Normgehalt der jeweiligen Verfassungsbestimmung hinzutrete 780 . Als Verfassungsstrukturprinzip höchsten Abstraktionsgrades ist die freiheitlich demokratische Grundordnung grundsätzlich wenig geeignet, konkrete Rechtsfolgen zu produzieren. Doch wird sie als Schutzobjekt mit freiheitsbegrenzender Wirkung sowohl in einigen Bestimmungen, die das Grundgesetz seit dem Akt der Verfassunggebung enthält, als auch in nachträglich eingefügten Vorschriften verortet. Entscheidend zur Beantwortung der Frage nach dem „Ob" der freiheitlich demokratischen Grundordnung als allgemein schrankenziehenden Verfassungsguts tragen aber Funktion und systematische Stellung der sie schützenden Vorschriften bei. Diese sollen im folgenden untersucht werden.

a) Die Schranken anderer Freiheitsrechte und die Ewigkeitsklausel Die freiheitlich demokratische Grundordnung findet als zu schützendes Verfassungsgut Erwähnung im wesentlichen in den Schrankenbestimmungen einzelner Freiheitsrechte oder freiheitsgleicher Rechte 781 . Fraglich ist, ob dies zu ihrer Tauglichkeit, auch andere Grundrechte einzuschränken, führt. Das Bundesverfassungsgericht bejaht dies zuweilen 782 . Dagegen spricht aber folgendes: Die freiheitlich demokratische Grundordnung wird als begrenzungstaugliches Rechtsgut mit Verfassungsrang in diesen Fällen als Destillat vor allem aus einzelnen Schrankensätzen spezieller Grundrechte gewonnen. Die Rechtfertigung eines Eingriffs in vorbehaltlose Grundrechte anhand des Schrankengutes von Freiheitsrechten, die durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes, welches die freiheitlich demokratische Grundordnung schützen will, beschränkt sind, kommt dann aber einer ansonsten auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unzulässigen Schrankenübertragung gleich, die zu einer Nivellierung grundrechtlicher Gewährleistungen führte 783 . Ferner entkräftet ein Blick auf die Verwirkungsvorschrift des Art. 18 GG das argumentum a majore ad minus, mit dem zuweilen von der Möglichkeit der Verwirkung einzelner Grundrechte bei deren mißbrauchendem Einsatz gegen die freiheit780 M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 572; K. Waechter, Der Staat 30 (1991), S. 19 (25 ff.). 781 Art. 9 II, 10 II, 11 II GG, Art. 18, 21 II GG. Zur Einordnung des Art 18 GG als Grundrechtsschranke, vgl. C. Gusy, in: AK GG, Art. 18 Rn. 12; zur Qualifizierung des Art. 21 GG als Grundrecht, vgl. J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 29. 782 BVerfGE 33, 52 (71); 39, 334 (369); vgl. aber auch BVerfGE 77, 240 (255); 81, 278 (293). 783 Herrschende Meinung, siehe oben § 3 Β. II. 1.; femer BVerfGE 32, 98 (107); 83, 130 (139); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 317; M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 549; ähnl. auch H. Ridder, in: AK GG (Vorauflage), Art. 21 Abs. 2 Rn. 56.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

lieh demokratische Grundordnung auf eine entsprechende Ausübungsschranke aller Grundrechte geschlossen wird. Art. 18 GG habe, so vertritt diese Auffassung, eine Ausstrahlungswirkung auf alle, auch die nicht in dieser Verfassungsnorm genannten Grundrechte 784. Hiergegen spricht in systematischer Hinsicht zum einen das Fehlen der Religionsfreiheit als verwirkbares Grundrecht in der enumerativen Aufzählung der Norm. Zwar war entstehungsgeschichtlich angedacht worden, daß auch derjenige „religiöse Fanatiker", der seine Religionsfreiheit zum Kampfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung einsetze, von der Verwirkung umfaßt werden müsse 785 . Aus der Diskussion um die Tatsache, daß nahezu alle Grundrechte zum Kampfe gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung eingesetzt werden können, wurde jedoch nicht auf einen allgemeinen grundrechtlichen Verwirkungsvorbehalt rückgeschlossen. Da auch den wirklichkeitsorientierten Interpreten der „offenen Verfassung" als äußerste Grenze der Auslegung jedoch der Wortlaut der betreffenden Norm gilt, wird man schwerlich gegen deren restringierende Aussage anschreiten können 786 . Auch die Diskussion um die Einbeziehung juristischer Personen in den Geltungsbereich des Art. 18 G G 7 8 7 trägt zur Beantwortung der Frage nach den Möglichkeiten eines Verbots von Religionsgemeinschaften wegen des „Sich-Richtens" gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung wenig bei. Als religiöse Korporationen fallen sie nämlich nicht unter den in Art. 18 GG genannten Art. 9 GG. Vielmehr steht ihnen sowohl für die Freiheit des Zusammenschlusses als auch für ihre Betätigungsfreiheit das nicht in den Enumerativkatalog aufgenommene Grundrecht der Religionsfreiheit des Art. 4 GG zur Seite.

784 So z. B. G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 17 ff., 22 ff. 29 ff.; Κ A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 11 ff.; D. Merten, VVDStRL 55 (1996), S. 7 (19); T. Würtenberger, ZevKR 18 (1973), S. 67 (77 Fn. 33); nicht eindeutig BVerfGE 10, 118 (122); 25, 88 (96 f.). 785 JöR N.F. 1 (1951), S. 172. Letztlich wurde aber bewußt auf eine Aufnahme des Art. 4 GG in den Enumerativkatalog verzichtet, da man sich dem Anschein verschließen wollte, den Kulturkampf mit anderen Mitteln fortzuführen, vgl. Grundsatzausschuß, 26. Sitzung v. 30. 11. 1948, in: Der Parlamentarische Rat V / 2 , S. 755 f.; G. Dürig /H. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 (1997) Rn. 17. 786 w. Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 18 Rn. 18; C. Gusy, in: AK GG, Art. 18 Rn. 14; zur Wortlautgrenze, vgl. K. Hesse, in: FS Scheuner, S. 123 (140 u. passim); F. Müller/R. Christensen, Methodik, S. 244/Rn. 304 ff.; E. Forsthoff, Verfassungsauslegung, S. 29. 787 Zwar kann der Rechtsfolgenausspruch einer Verwirkung nach Art. 18 GG die Auflösung einer Vereinigung nach § 39 I I BVerfGG umfassen. Gleichwohl ist die Anwendbarkeit des Art. 18 GG auf juristische Personen umstritten. Für die Anwendbarkeit des Art. 18 GG allein auf den einzelnen, vgl. BVerfGE 13, 174 (177); D. D. Hartmann, AöR 95 (1970), S. 567; H. Krüger, in: Sachs, GG, Art. 18 Rn. 9, 11: Keine Geltung für juristische Personen, soweit die Art. 9 II, 21 II GG eingreifen. W. Schmitt Glaeser, Mißbrauch und Verwirkung, S. 238 ff.: „verschiedene Adressatenkreise"; a.A. C. Gusy, in: AK GG, Art. 18 Rn. 13: Der Verwirkungsgedanke gilt „gegenüber allen Grundrechtsträgern unabhängig davon, ob sie natürliche oder juristische Personen im Sinne des Art. 19 Abs. 3 sind, bzw. ob sie organisiert oder individuell handeln." W. Krebs, in: v. Münch/Kunig, Art. 18 Rn. 13; H. Butzer/M. Clever, DÖV 1994, S. 637 (639): Art. 18 i.V.m. Art. 19 III GG tritt hinter die kollektivrechtlichen Parallelinstitute der Art. 9 II und 21 II GG zurück.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Letztlich entscheidend ist aber die Struktur der Schrankenbestimmungen zum Schutze der freiheitlich demokratischen Grundordnung selbst. In den Art. 18, 21 II GG und später auch in den Art. 10 I I und 11 II GG wird die freiheitlich demokratische Grundordnung nur unter formell und materiell recht restriktiven Zusatzbedingungen als grundrechtsbegrenzendes Verfassungsgut geschützt. Dies schließt „unreflektierte Postulate" ihrer grundrechtsbegrenzenden Wirkungen außerhalb derartiger Festlegungen aus 788 . Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten grundsätzlich der Schranke des grundordnungsverträglichen Gebrauchs unterliegt, scheint als Indiz ferner erwähnenswert, daß beispielsweise die unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehende Berufsfreiheit des Rechtsanwaltes, seines Zeichens ein (unabhängiges) Organ der Rechtspflege 789, nur für den Fall eingeschränkt wird, daß er die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpft 790 . Oder ferner, daß Art. 8 GG auch rechtsextremistische Demonstrationen erlaubt, solange diese friedlich verlaufen und nicht die Rechtsgüter Dritter verletzen 791 . Ebensowenig kommt die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG zur Ableitung der freiheitlich demokratischen Grundordnung als Schranke jeglicher Freiheitsausübung in Betracht 792 . Hier gibt den Ausschlag, daß jeder Rechtssatz, damit er sich in Bewegung setzt, eines Adressaten bedarf (Georg Jellinek) 793 . Art. 79 III GG stellt sich zwar als ausgewiesene Verfassungsschutznorm vor. Sie versieht die von ihr umfaßten Grundsätze mit gesteigerter Geltungskraft und verfügt so ein Stück Selbstbindung des Volkes als Souverän. Die Norm benennt als Adressaten aber ausschließlich den verfassungsändernden Gesetzgeber. Ihr normativer Gehalt beschränkt sich ferner auf die Änderung des Grundgesetzes. Die Ausschließlichkeit dieser Benennungen entspricht der Schutzrichtung der Norm. Aufgrund der Erfahrungen aus der Weimarer Verfassung wendet sie sich einzig an eben jenen „verfassungsändernden" Gesetzgeber 794. Wegen seiner Zielrichtung 788 M Sachs, JuS 1995, S. 984 (987). 789 Vgl. § 1 BRAO. 790 Vgl. §§ 7 Nr. 6, 14 II Nr. 2 BRAO. Dies betont auch BVerfGE 63, 266 (291 ff.). So auch der StGH Hessen zu der konturenlosen Verfassungstreuepflicht der LVerf (Art. 146 I). Diese könne für den einzelnen Konsequenzen nur bei ihrer strafbaren Verletzung zeitigen. E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 5 (22). 791 BVerfG NJW 2001, S. 2069(2071). 792 So auch i. E. C. Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 145 f.; K. Miser aLang, Dogmatische Grundlagen, S. 317 ff. Kritisch zur Ableitung aus Art. 79 III GG bzw. denjenigen Normen, welche die freiheitlich demokratische Grundordnung gegen die öffentliche Gewalt sichern, auch schon E.-W. Böckenförde, VVDStRL 37 (1979), S. 138. 793 Zitiert nach F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (734). 794 G. Anschütz, Reichsverfassung, Art. 76 S. 401, 403; R. Thoma, in: HdbDStR II, § 71 S. 153 f. Diese Ansicht war nicht unbestritten, vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 11 ff., 25 f. 102 ff. Die Weimarer Ansichten zusammenfassend, vgl. H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 27 ff.; umfassend und kritisch zu der ex-post-Betrachtung, die sich eingebürgerthat, vgl. C. Gusy, Weimar, S. 27 ff. Fn. 113,115 m. w. N.; ders., ZNR 18 (1996), S. 44 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

„nach oben" hat Art. 79 III GG für die Frage der Beschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte als quasi-gesellschaftlicher Selbstbindung „nach unten" daher keine Aussagekraft. Im Ergebnis läßt sich die Tauglichkeit der freiheitlich demokratischen Grundordnung, als Rechtsgut mit Verfassungsrang das vorbehaltlose Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG zu beschränken, daher weder aus den grundrechtlichen oder grundrechtsgleichen Schrankennormen noch aus Art. 79 III GG herleiten.

b) Die Kompetenznormen Die freiheitlich demokratische Grundordnung als grundrechtsbegrenzungstaugliches Verfassungsgut aus den Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes (Art. 73 Nr. 10 lit. b, 87 a IV, 91 I GG) zu extrahieren, spielt dagegen in Rechtsprechung und Lehre eine völlig untergeordnete Rolle. Das „Ob" und „Wie" der Ableitung kollidierenden Verfassungsrechts aus den Kompetenznormen des Grundgesetzes soll daher im folgenden nur in der gebotenen Kürze dargestellt werden. Im allgemeinen kommen als Kompetenznormen, aus denen ein kollidierendes Verfassungsgut abgeleitet werden könnte, wie hier vor allem Zuständigkeitsbestimmungen in Betracht. Diese verteilen die Gesetzgebungsbefugnisse zwischen Bund und Ländern und setzen grundsätzlich voraus, daß die Ausübung der Kompetenzen möglich ist. Sie benennen in der Regel Rechtsgüter, die das berufene Rechtssetzungsorgan in den Gesetzgebungsprozeß einbringen und bewahren kann 795 . Damit ist aber noch nichts über die Kollisionstauglichkeit dieser Rechtsgüter gesagt. Als äußerer Rahmen gilt vielmehr insoweit, daß auf der einen Seite die Freiheitsrechte, vorbehaltlose wie auch solche mit Gesetzesvorbehalt, nicht nur nach Maßgabe der Kompetenz Vorschriften gelten; auf der anderen Seite die verfassungsrechtliche Zuweisung von Kompetenzen aber ebensowenig bedeutungslos sein kann. Denn es wäre widersinnig, den Staatsorganen zunächst Kompetenzen zuzuweisen, die sie dann später nicht wahrnehmen könnten 796 . Mag das verwaltungsrechtliche Axiom der Unzulässigkeit des Schlusses von der Aufgabe auf die Eingriffsbefugnis deshalb auch nicht in dieser Absolutheit auf das Verfassungsrecht zu übertragen sein 797 . So bleibt doch fraglich, unter welchen Umständen aus den Kompetenznormen ein Rechtsgut mit Verfassungsrang abgeleitet werden kann, das zu einer Kollision mit einem vorbehaltlosen Grundrecht wie der Religionsfreiheit tauglich ist. Denn daß die Gesetzgebungskörperschaft tätig werden darf, bedeutet zunächst nur, daß ihr Handeln von der Verfassungsordnung nicht ausgeschlossen wird. Es enthält 795 T. Wülfing, Gesetzesvorbehalte, S. 117; P. Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 (347). 796 BVerfGE 30, 1 (20); R E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (734); C. v. Pestalozza, Der Staat 11 (1972), S. 161 (169). 797 H.-R Bull, Staatsaufgaben, S. 132 ff.; T. Wülfing, Gesetzesvorbehalte, S. 119 f.; J. Isensee, in: HStR V, § 111 Rn. 149.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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aber keine Angaben darüber, unter welchen Voraussetzungen gesetzgeberisches Handeln erfolgen kann und inwieweit anderweitig sich aus der Verfassung und ihren Grundrechten ergebende Beschränkungen maßgeblich sind 798 . Es stellt sich daher die Frage, welche materialen Rechtsfolgen aus den Kompetenznormen für die Grundrechte abgeleitet werden können. Nachdem zunächst vertreten wurde, daß Kompetenznormen außer der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern keinen weiteren materialen Gehalt besäßen, wurde später die Auffassung vorherrschend, mit den Zuständigkeitsbereichen würden zugleich Kompetenzen auch im Verhältnis Bürger/Staat übertragen. Kompetenznormen seien auch, so diese Auffassung, für den Freiheitsbereich des einzelnen bedeutsam und prinzipiell in der Lage, Grundrechte zu begrenzen 799. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat in einigen seiner Entscheidungen der Aufassung zugeneigt, Kompetenznormen enthielten materielle Rechtsgüter, die ihrerseits einen Eingriff in grundrechtliche Freiheiten rechtfertigten. So urteilte das Gericht, daß das Grundgesetz durch die Nennung von Finanzmonopolen (Art. 105 I, 106 I, 108 I GG) diese anerkannt, strukturell gebilligt und daher den Gesetzgeber ermächtigt habe, in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des einzelnen einzugreifen 800. Ähnlich tenorierte das Gericht zur Anerkennung bestehender Versicherungsmonopole (Art. 74 Nr. 11 GG) 8 0 1 . Auch die friedliche Nutzung der Kernenergie (Art. 74 Nr. 11 a GG) werde, so das Bundesverfassungsgericht in einem weiteren Urteil, durch das Grundgesetz anerkannt und könne nicht aufgrund anderer Verfassungsbestimmungen in Frage gestellt werden 802 . In seiner Entscheidung zum Staatshaftungsgesetz 803 bekräftigte das Gericht ein weiteres Mal, daß im Kompetenzrecht der Verfassung „im Einzelfall eine materiale Entscheidung zum Ausdruck kommen" könne. Im Abhör-Urteil 804 Schloß es dann von der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsnorm des Art. 73 Nr. 10 GG auf das Vorhandenseinmüssen einer gesetzgeberischen Eingriffsbefugnis samt der zugehörigen Mittel in das Grundrecht aus Art. 10 GG. Ging es in diesen Entscheidungen zumeist um die Einschränkung von Grundrechten mit Gesetzesvorbehalten, lassen sich auch Urteile anführen, in denen das Bundesverfassungsgericht die Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte durch kompetenzrechtlich genannte Rechtsgüter guthieß. Diese Entscheidungen betreffen zumeist den Bereich der militärischen Landesverteidigung. So stellte das Gericht fest, daß die „Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr" ein mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswert 798 c. Degenhart, in: Sachs, GG, Art. 70 Rn. 59. 799 H. Krüger, NJW 1955, S. 201 (203); C. v. Pestalozza, Der Staat 11 (1972), S. 161 (171); U. Battis/ C. Gusy, Staatsrecht (1986), Rn. 450. 800 BVerfGE 14, 105(111). soi BVerfGE 41, 205 (218 ff.); in diesem Zusammenhang auch noch BVerfGE 15, 126 (140 ff.), zu Art. 134IV GG. 802 BVerfGE 53, 30 (56). 803 BVerfGE 61, 149 (192); 32, 40 (46); 48, 127 (159); 46, 266 (267); 77, 170 (221). 804 BVerfGE 30, 1 (20).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

sei, der durch die Art. 12 a 1,73 Nr. 1 und 87 a 11 GG verfassungsrechtlich gewährleistet werde 805 . Die Wehrpflicht des Art. 73 Nr. 1 GG erhob es ebenfalls zu einem Rechtsgut mit Verfassungsrang. Es stellte klar, daß Art. 73 Nr. 1 GG „mehr als eine bloße Kompetenzbestimmung" darstelle 806 . Auch einem Soldaten machte es klar, daß seiner Meinungsfreiheit „der in Art. 87 a I 1 GG erteilte Verfassungsauftrag ( . . . ) , das innere Gefüge der aufzustellenden Streitkräfte so zu gestalten, daß sie ihren militärischen Aufgaben gewachsen" seien, entgegenstehe807. Jedoch läßt sich aus der Spruchpraxis des Verfassungsgerichts auch Gegenteiliges vernehmen: Zu nennen sind insbesondere die Entscheidung zum Investitionshilfegesetz 808 und diejenige zur Ausbildungsplatzförderungsabgabe 809. In diesen Entscheidungen werden nicht die Kompetenznormen als Schranken der Grundrechte ausgelegt, sondern umgekehrt den Kompetenzen Schranken durch die Grundrechte gezogen. In der Literatur ist die Ableitung materialer, grundrechtseinschränkender Gehalte aus den Kompetenznormen zum Teil auf Zustimmung gestoßen. Dort wird geltend gemacht, daß Kompetenznormen über ihre Auftragsfunktion den staatlichen mit dem gesellschaftlichen Raum verkoppelten. Als dem „Staat der Industriegesellschaft" angemessen wird zum Teil deren interpretatori scher Einsatz auf ganzer Linie, auch um Grundrechte zu beschränken, gefordert 810. Der Großteil der Literatur spricht sich derweil zu Recht gegen eine zumindest uneingeschränkte Ableitung grundrechtsbegrenzender Gehalte aus grundgesetzlichen Kompetenzbestimmungen aus. Die Kritik beschäftigt sich dabei mit den beiden Ebenen dieses Ableitungsvorganges. Sie fragt zunächst, ob es überhaupt zulässig sei, Grundrechtsbegrenzungen aus Zuständigkeitsregelungen zu radizieren. Wo das „Ob" eingriffstauglicher Rechtsgüter aus Kompetenznormen dagegen bejaht wird, hat die Lehre eine Reihe von Kriterien aufgestellt, welche die materiale Auslegung der Kompetenzvorschriften dirigieren. Zu Recht wird insbesondere eingewandt, daß die Ableitung grundrechtsbeschränkender materialer Gehalte aus den Kompetenznormen die Integrität der 805 BVerfGE 28, 243 (260 ff.). Die aus diesem Urteil abgeleitete verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Landesverteidigung hat bis in die jüngste Vergangenheit als Vorlage zur Einschränkung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung gedient, vgl. BVerfGE 32, 40 (46); 48, 127 (159); 69, 1 (21): hier wird noch Art. 115 b GG in die Ableitungskette aufgenommen. 806 BVerfGE 12,45 (50). 807 BVerfGE 28, 36 (47). 808 BVerfGE 4, 7 (15): „Die Grenzen für die Ausnutzung einer durch das Grundgesetz gewährten Gesetzgebungskompetenz werden ausschließlich durch die Grundrechte und anderen Verfassungsgrundsätze bestimmt". 809 BVerfGE 55, 274 (302); 39, 302 (315); 63, 1 (36): Art. 87 II GG sei „nur als Kompetenznorm und nicht etwa als Indiz für eine verfassungsrechtliche Garantie der Sozialversicherung zu begreifen". 810 R. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 6 ff., 10 ff., 18 ff., 29; A Bleckmann, DÖV 1983, S. 129 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Grundrechtsgeltung gefährde und das Grundgefüge einer demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassung verändere. Denn es bestehe die Gefahr, daß die Grundrechte auf diese Weise zu bloßen Abwägungsgesichtspunkten abgeschwächt würden. Ihre Relativierung kulminiere, so die Literatur, darin, diejenigen staatlichen Aufgaben oder Funktionen als grundrechtsbeschränkende Rechtsgüter heranzuziehen, gegen welche sich die Grundrechte in ihrer das staatliche Handeln begrenzenden Freiheitsverbürgung gerade richteten. Ohne ihre unzulässige interpretative Umformulierung, so diese Auffassung, beschränke sich der normative Gehalt von Kompetenzvorschriften zunächst nämlich auf die Abgrenzung von Zuständigkeiten im weitesten Sinne 811 . Aus ihnen könnten zumindest keine generellen Erlaubnisnormen in dem Sinne gezogen werden, daß im Rahmen der Gesetzgebungs- oder Verwaltungsmaterie legislatorische oder exekutivische Eingriffe in den Schutzbereich der Grundrechte uneingeschränkt denkbar wären. Zwar enthielten insbesondere die Kompetenzbestimmungen der Gesetzgebung, so das Zugeständnis, gleichzeitig eine Ermächtigung an die Adresse des Gesetzgebers, die entsprechende Materie als legitimes Ziel im Rahmen der Verfassung zu regeln. Bei der Umsetzung seiner Kompetenzen sei der Gesetzgeber jedoch seinerseits an die Grundrechte und ihre Schrankenvorgaben als „negative Kompetenznormen" 812 rückgebunden. Dies ergebe sich, darauf wird zu Recht hingewiesen, bereits aus Art. 1 III GG. Ansonsten liefen die Grundrechte Gefahr, sämtlich unter einen einfachen Gesetzesvorbehalt gestellt zu werden. Sie verkümmerten, so die Befürchtung, zu Abwägungstopoi gesetzgeberischer Entscheidungen. Nicht allein das vom Bundesverfassungsgericht selbst postulierte Ausnahme-Regel-Verhältnis zur Ableitung von Verfassungsgütern aus Gesetzgebungsvorschriften kehrte sich um, ebenso betroffen sei das Ausnahme-Regel-Verhältnis, das für Eingriffe in vorbehaltlose Grundrechte angenommen wird. Insgesamt, so die Literatur zu Recht, drohte eine Inflation von Grundrechtsschranken. Die unterverfassungsrechtliche Legalordnung würde letztendlich zum grundrechtsbeschränkenden Verfassungsgut aufgewertet 813. Über die Zuständigkeitsverteilung hinausgehende begrenzungstaugliche materielle Inhalte seien deshalb im Einzelfall, da ist sich die Literatur einig, aus der zuständigkeitsverteilenden Norm selbst anhand der gängigen Auslegungsregeln des Verfassungsrechts zu gewinnen. 811 Sondervotum (Böckenförde und Mahrenholz) zu BVerfGE 69, 1 (57 ff.); H. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. 38 zu Art. 1; M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 584; C. Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 145 ff.; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 334. 812

Zu den Grundrechten als „negative Kompetenznormen", vgl. K. Stern, in: HStR V, § 109 Rn. 41, 66. 813 BVerwG NJW 1999, S. 304; M. Kriele, JA 1984, S. 629 ff.; J. Isensee, in: FS Leisner, S. 359 (374 ff.); M. Selk, JuS 1990, S. 895 (897); T. Wülfing, Grundrechtliche Gesetzesvorbehalte, S. 120 ff.; M. Kloepfer, JZ 1986, S. 205 (207); K. Waechter, Der Staat 30 (1991), S. 19 (26); M. Kriele, in: ders., Recht, Vernunft, Wirklichkeit, S. 604 (609); C. Bamberger, Verfassungswerte als Schranken, S. 145 ff.; F. E. Schnapp, AöR 111 (1986), S. 444 f.; M. Kloepfer, JZ 1986, S. 205 (207); H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (89 f.).

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Insbesondere wird von der herrschenden Lehre anerkannt, daß Zuständigkeitsvorschriften für den Fall allgemein begrenzungstaugliche Verfassungsgüter enthalten, daß sie einen Verfassungsauftrag an den Gesetzgeber formulieren. Da aber auch in diesem Fall die Gefahr des unzulässigen Rückschlusses von der Aufgabe auf die Mittel (Grundrechtseingriff) bestehe, so die Lehre, seien weitere Einschränkungen vonnöten, denn auch ein Sollen impliziere nicht unbedingt ein Dürfen. Deshalb wird für die Ableitung grundrechtseingreifender Befugnisse aus einer Kompetenznorm weiter gefordert, daß der Gesetzgeber seine kompetentielle Ermächtigung ohne einen entsprechenden Grundrechtseingriff nicht würde realisieren können. Denn dann schließe, so die Schlußfolgerung, der Gesetzgebungsauftrag notwendig die Erlaubnis ein, die in Frage kommenden Grundrechte, auch die vorbehaltlosen, einzuschränken. Der betreffenden Norm müsse, so das Fazit, „über ihren aufgabenregelnden Gehalt hinaus auch mit hinreichender Deutlichkeit die Ermächtigung zur Einschränkung des Freiheitsraums der von der Aufgabenerledigung Betroffenen zu entnehmen" sein 814 . Fraglich ist also, inwieweit sich unter Zugrundelegung dieser Direktiven aus den genannten Kompetenznormen das kollidierende Verfassungsgut „freiheitlich demokratische Grundordnung" radizieren läßt. Die sehr formelle Betrachtung der begrenzungstauglichen materiellen Inhalte einer Kompetenznorm stößt im Hinblick auf die freiheitlich demokratische Grundordnung auf innere - systematische - Grenzen. Mag auch den genannten Normen ein verpflichtender Verfassungsauftrag an den Staat mit dem Inhalt entnommen werden können, sich schützend vor die freiheitlich demokratische Grundordnung zu stellen. Mag dieser Auftrag ferner ohne Grundrechtseingriffe nicht zu realisieren sein. So ist jedoch gerade der Schluß von dieser Befugnis auf die Rechtfertigung eines Eingriffs in vorbehaltlose Grundrechte unzulässig. Die genannten Kompetenznormen statuieren lediglich, daß Bund und Länder zu Zwecken des Verfassungsschutzes zusammenarbeiten können. Über den Umfang des Verfassungsschutzes sagen sie nichts aus. Zieht man aber den Ausnahmecharakter der materiellen Verfassungsnormen zum Schutze der freiheitlich demokratischen Grundordnung hinzu, so wird deutlich, daß die Erlaubnis, Verfassungsschutz zu betreiben, nicht notwendig zu einem entsprechenden Eingriff in die vorbehaltlosen Grundrechte ermächtigt. Im Ergebnis scheiden daher auch die Kompetenznormen als Grundlage zur Ableitung der freiheitlich demokratischen Grundordnung als kollidierendes Rechtsgut mit Verfassungsrang aus.

814 So BVerwGE 90, 112 (125); Β. Pieroth, AöR 114 (1989), S. 422 (426, 440 ff., 446 f.); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 585; ders., JuS 1995, S. 984 (987); BVerfGE 28, 36 (46 ff.); 77, 170 (221); M. Kloepfer, JZ 1986, S. 205 (207); T. Wülfing, Grundrechtliche Gesetzes vorbehalte, S. 122 ff., 128 ff.; J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip, S. 202 f.; P. Badura, Verwaltungsmonopol, S. 337.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften c) Ergebnis

Es läßt sich damit festhalten, daß die Verfassung keinen „einfachen" Verfassungsvorbehalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung kennt, der einem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht wie der Religionsfreiheit entgegengehalten werden könnte.

6. Der Vorbehalt der „Demokratie" Fraglich ist aber ferner, ob das Staatsformprinzip der Demokratie zur Ableitung verfassungsunmittelbarer Grundrechtsschranken für die Religionsfreiheit herangezogen werden kann. Die Demokratie als Staatsform ist in Art. 201 GG niedergelegt und wird durch die Bezugnahme in Art. 79 III GG unter die Fittiche der Änderungssperre genommen. Gegen die Geltendmachung des Demokratieprinzips als Schranke grundrechtlicher Freiheiten spricht zunächst die grundsätzliche Zielidentität beider Normenkomplexe. Die Grundrechte des Grundgesetzes sind als integrale Bestandteile der demokratischen Herrschaftsordnung zu begreifen 815 , welche sich wiederum aus der Freiheit der Bürger und der „Spontaneität ihres täglichen Plebiszits" 816 heraus konstituiert. Zum Teil wird dennoch befürwortend geltend gemacht, daß das demokratische Prinzip des Grundgesetzes zwar nicht auf die liberale Grundrechtstheorie selbst verändernd oder modifizierend einwirke. Denn die Verbindung, die demokratisches und rechtsstaatliches Prinzip im System der freiheitlich demokratischen Grundordnung eingegangen seien, liege „gerade darin, daß Demokratie und rechtsstaatliche Freiheit sich nicht partiell aufheben, sondern wechselseitig" ergänzten. Allerdings, so diese Auffassung weiter, werde das Demokratieprinzip im Rahmen der rechtsstaatlich ausgrenzenden Freiheitsgewährleistungen relevant. Es stelle nämlich „als tragendes Verfassungsprinzip eine immanente Schranke grundrechtlicher Freiheitsbetätigung und Freiheitsausdehnung dar" 8 1 7 . Ob das demokratische Prinzip des Grundgesetzes aber tauglich ist, ein vorbehaltloses Grundrecht wie die Religionsfreiheit einzuschränken, erscheint zweifels t E.-W. Böckenförde, in: HStR I, § 22 Rn. 37, 86; G. F. Schuppen, EuGRZ 1985, S. 525 (527). 816 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (121); Η. H. Klein, Der Staat 10 (1971), S. 145 (165 ff.); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 552; ferner BVerfGE 77, 240 (255); 81, 278 (293), zur Notwendigkeit eines Konfliktes zwischen zu beschränkendem Grundrecht und einschränkendem Verfassungsgut. 817 E.-W. Böckenförde, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, S. 115 (145), mit Hinweis auf R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 5 Abs. I, II Rn. 185, der dort meint, das Demokratieprinzip müsse im Extremfall zu einer systemimmanenten Einschränkung des Grundrechts der Pressefreiheit führen, damit der Staat ζ. B. ein Pressemonopol verhindern könne, das die Bildung der öffentlichen Meinung einschränke. 2

Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

haft. Fraglich ist vor allem, ob die Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung als allgemeiner Schranke vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte einen gleichgerichteten Rückgriff auf das Demokratieprinzip des Grundgesetzes nicht von vornherein sperrt. Die freiheitlich demokratische Grundordnung enthält bereits begriffsnotwendig, aber auch nach der konkretisierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die wesentlichen Züge des demokratischen Prinzips des Grundgesetzes. Als Sammelbegriff umfaßt sie bereits die zentralen Elemente des demokratischen Staatsaufbaus 818. Gleichzeitig wird die freiheitlich demokratische Grundordnung als Staatsstrukturprinzip, das sowohl demokratische als auch rechtsstaatlich-liberale Elemente enthält, auf einer höheren Ebene aggregiert 819. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes ist also „nur" eines der Elemente der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Hier erscheint es systemwidrig, einen Bestandteil der freiheitlich demokratischen Grundordnung, der zwar von der Verfassung gesondert hervorgehoben und unter besonderen Schutz gestellt wird, in seinem hier in Rede stehenden normativen Gehalt aber bereits in der freiheitlich demokratischen Grundordnung aufgeht, als eigenständiges kollidierendes Verfassungsgut heranzuziehen, wenn das „übergeordnete" Prinzip nicht zu einer Beschränkung vorbehaltloser Grundrechte tauglich ist. Mit gleicher Berechtigung läßt sich durch einen umgekehrten Erst-RechtSchluß die Begrenzungstauglichkeit des Demokratieprinzips als kollidierendes Verfassungsrecht bezweifeln. Dieser Erst-Recht-Schluß erhellt durch das Verhältnis der wehrhaften Demokratie zum Demokratieprinzip des Grundgesetzes: Die Wehrhaftigkeit der Demokratie intendiert die Verteidigung demokratischer Grundsätze gegen gesellschaftlichen Freiheitsgebrauch. Diese Wehrhaftigkeit ist der Demokratie nicht immanent, vielmehr hat der Verfassunggeber sich - des Paradoxons der Demokratie eingedenk - bewußt für sie entschieden. Sie stellt sich also als eine spezielle, nicht jedoch als notwendige Ausprägung des Demokratieprinzips des Art. 20 I GG dar 8 2 0 . Dieser Befund gibt folgendes zu bedenken: Wenn die Wehrhaftigkeit der freiheitlich demokratischen Grundordnung als besondere Ausprägung des Demokratieprinzips und mit dem Rüstzeug der Selbstverteidigung versehen nicht tauglich ist, vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte einzuschränken, warum sollte dies dann dem allgemeinen Demokratieprinzip des Grundgesetzes dennoch gelingen? Letztlich scheitert die Heranziehung des Demokratieprinzips des Grundgesetzes als Schranke grundgesetzlich vorbehaltlos verbürgter Freiheiten aber wiederum an der Frage nach Adressaten und Funktion dieser Staatsformbestimmung.

sis M. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 12. 819 M. Morlok, NJW 2001, S. 2931 (2933); H. Dreier, Jura 1997, S. 249; ders., JZ 1994, S. 741 (750); BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85 (139 ff.). 820 M. Sachs, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 14.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Als allgemeiner Terminus ist die Demokratie ein konturenloser Begriff, da sich mit ihr Idee, Norm, Realität und Hoffnung gleichermaßen verbinden 821 . Als Demokratieprinzip des Grundgesetzes wird die Demokratie dagegen in erster Linie als ein Ordnungsprinzip der staatlichen Herrschaftsorganisation verstanden und nicht als ein „überall gültiges Prinzip von umspannender gesamtgesellschaftlicher Relevanz" 822 . Seine Zugeschnittenheit auf die staatliche Binnenstruktur drückt sich insbesondere auch darin aus, daß die Einzelausprägungen dieses Prinzips in verschiedenen staatsorganisationsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes zu finden sind 823 . Sie wirkt als Ableitungsschwäche auf der Ebene seiner möglichen Sekundärfunktionen fort und verhindert dort eine interpretative Umdeutung in einen die Gesellschaft in die Pflicht nehmenden Rechtssatz, der gleichzeitig als Schranke grundrechtlicher Freiheitsbetätigung in Betracht käme. Das Demokratieprinzip als staatliches Organisationsprinzip hat im wesentlichen nur diesen seinen spezifischen normativen Gehalt. Sein grundsätzlich fehlender Doppelcharakter 824 zeigt sich ebenfalls darin, daß das Grundgesetz dort, wo es eine „Beschränkung" ausschließlich gesellschaftlicher Verbände und Parteien auf demokratische Grundsätze für notwendig erachtet, dies ausdrücklich fixiert hat 8 2 5 . Zudem stellt sich diese „Beschränkung" weniger als Einschränkung der Ausübung von Rechten denn als Festlegung vereinigungsrechtlicher Gestaltungsformen dar. Selbst dort, wo also ein in die Gesellschaft hineinragender Gehalt zu ermitteln ist, bezieht dieser sich auf äußere Formen und schützt weniger die demokratische Verfassung selbst als vielmehr unmittelbar die in den entsprechenden Gruppen organisierten einzelnen. Zwar ist die These aufgestellt worden, daß die „Demokratie im Privaten" eine Überlebensbedingung des demokratischen Verfassungsstaates aufrichte 826 . Doch entfaltet das Demokratiegebot der Verfassung keine normative „innergesellschaftliche Dimension". Im Gegenteil kann gerade das Demokratieprinzip selbst einer zu weitgehenden Demokratisierung entgegenstehen827. In Art. 20 II GG fixiert, ist es 821 E.-W. Böckenförde, in: HStR I, § 22 Rn. 58 ff.; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 127; P. Badura, in: HStR I, § 23 Rn. 41: „Staatsidee und Staatsideal"; E. Schmidt-Aßmann, AöR 116 (1991), S. 329 (334 ff.): „Dogma, Prinzip und Idee". 822 H. Dreier, Jura 1997, S. 249. 823 J. Isensee, Der Staat 20 (1981), S. 161 (171 ff.). 824 So das Sondervotum (Böckenförde und Mahrenholz) zu BVerfGE 69, 1 (57, 59 f.), zu grundgesetzlichen Kompetenzbestimmungen. 825 Vgl. Art. 2113 GG. Das Gebot innerparteilicher Demokratie folgt aus der den Parteien von der Verfassung zugewiesenen Mitwirkungsaufgabe im demokratischen Willensbilungsprozeß, vgl. J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 52. Der Grund für das Erfordernis einer demokratischen Binnenstruktur gesellschaftlicher Verbände wird zudem eher in der Sicherung der Grundrechte der Beteiligten verortet, vgl. R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 100 ff.; J. H. Kaiser, in: HStR II, § 34 Rn. 12; E.-W. Böckenförde, in: HStR I, § 22 Rn. 30. Insbesondere die Kirchen sind nicht kraft staatlichen Verfassungsrechts auf ein Demokratisierungsmodell verpflichtet, vgl. BVerfGE 83, 341 (357); BVerwGE 105, 117 (124). 826 So Schüle, in: FS Smend, S. 321 ff. 827 H. Dreier, Jura 1997, S. 729; U. Battis/ J. Kersten, DÖV 1996, S. 584 ff., zu BVerfGE 93, 37 (66 f., 70 ff.). *

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

bezogen auf die Ausübung von Staatsgewalt und verhält sich nicht zur Demokratie als Lebensform 828. Das Demokratieprinzip hat daher wie alle Staatsform- oder Staatsstrukturbestimmungen keinen (gesellschaftlichen) Adressaten oder bestenfalls amorphe staatliche Funktionen sowie Institutionen zum Destinatär 829. Zur Ableitung kollidierenden Verfassungsrechts, das dem Grundrecht der Religionsfreiheit umfassend entgegengehalten werden könnte, taugt das Demokratieprinzip daher im Ergebnis nicht 8 3 0 .

7. Zusammenfassung Abschließend läßt sich damit festhalten, daß die freiheitlich demokratische Grundordnung als solche kein Rechtsgut mit Verfassungsrang darstellt, das die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit als kollidierendes Verfassungsrecht aus sich heraus beschränkt. Religionsgemeinschaften können nicht deshalb verboten werden, weil sie in ihren Glaubenslehren den gesellschaftlichen Grundkonsens in Form der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht teilen oder ihn als Wert ablehnen. Ebenso wenig liefert die Wehrhaftigkeit der Verfassung einen rechtfertigenden Grund dafür, eine Religionsgemeinschaft zu verbieten. Auch die Ableitung eines „einfachen" Verfassungsvorbehalts der freiheitlich demokratischen Grundordnung scheitert an der Systematik des Verfassungsrechts. Noch läßt sich aus dem Staatsstrukturprinzip der Demokratie des Grundgesetzes die grundrechtsrelevante Folge radizieren, daß ein gegen diese Staatsform gerichteter Gebrauch der Religionsfreiheit in jedem Falle verboten und Beschränkungen frei zugänglich ist. Die zielbezogene erste Tatbestandsalternative des Art. 9 II GG, nimmt man sie zunächst einmal wörtlich als Zwecke oder Ziele der Vereinigung, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten, erweist sich damit als wenig geeignet, als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts den Staat zu einem Verbot von Religionsgemeinschaften zu ermächtigen.

828 E.-W. Böckenförde, in: HStR I, § 22 Rn. 8; speziell zur Religionsfreiheit ferner BVerfGE 93, 1 (22 ff.); R. Zuck, NJW 1995, S. 2903; K. Misera-Lang, Dogmatische Grundlagen, S. 333; J. Isensee, ZRP 1996, S. 10 (15). S29 F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (734); Κ. A. Bettermann, Grenzen der Grundrechte, S. 18. 830 Im Ergebnis auch M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 581 f.; ders., in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 15; T. Wülfing, Gesetzesvorbehalte, S. 94 f., 114; F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (734).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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V I I I . Zum Gewaltvorbehalt der Verfassung und dem aktiven, aggressiv kämpferischen „Sich-Richten" gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung „Bedenkt man schließlich noch, daß die Treue des einzelnen gegen den Staat gerade so wie seine Treue gegen Gott einzig an den Werken sich erkennen läßt, ( . . . ) so kann man unmöglich im Zweifel sein, daß der beste Staat jedem ebensogut die Freiheit zu philosophieren zugesteht, wie er ihm ( . . . ) den Glauben beläßt" 831 . Für Religionsgemeinschaften, die durch das vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Religionsfreiheit geschützt werden, gilt also insoweit das entsprechende Diktum des Bundesverfassungsgerichts, daß das Grundgesetz dem Bürger nämlich die Freiheit beläßt, „diese verfassungsmäßige Ordnung abzulehnen und sie politisch zu bekämpfen, solange er es ( . . . ) mit allgemein erlaubten Mitteln" 8 3 2 tut. Wie die einzelnen sind auch die Religionsgemeinschaften grundsätzlich frei, „grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen, soweit sie dadurch die Rechtsgüter anderer", Dritter, nicht gefährden 833. „Grundrechtliche Freiheit ist, vom Staat aus betrachtet, formale Freiheit", urteilt das Bundesverfassungsgericht. „Der Grundrechtsträger muß sein Handeln nicht an den Interessen des Staates orientieren" 834 . Die Drohung mit Legalitätsentzug wegen des „bloßen" Vertretens „verfassungswidriger" Glaubenslehren ist mit der Verfassung damit nicht vereinbar 8 3 5 . Der Einsatz unerlaubter Mittel, welche die Rechtsgüter anderer verletzen können, ermächtigt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den Staat dagegen zu einschneidenden Eingriffen in die Grundrechte. Das Verbot einer Religionsgemeinschaft muß daher bei der Religionsausübungsfreiheit der Mitglieder dieser Gemeinschaft einhaken. Fraglich ist deshalb, ob die zweite Verbotsalternative des Art. 9 II GG, die auf das Verhalten der Mitglieder einer Vereinigung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung abstellt, das verfassungsrechtliche Verbot des Einsatzes unerlaubter Mittel konkretisiert und die Ziel-Mittel-Kombination dieser Alternative damit als Ermächtigungsgrundlage dem behördlichen Verbot einer Religionsgemeinschaft zugrunde gelegt werden kann. Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst geprüft werden, welche Mittel nicht „allgemein erlaubt" sind, sondern den Einsatz welcher Mittel das Grundgesetz generell verbietet und damit als verfassungsrechtliche Beschränkung eines 831 Spinoza, Theologisch Politischer Traktat, Kap. XX S. 355 f. 832 BVerfGE 39, 334 (359); 12, 296 (306 f.): Bis zur Verfassungswidrig-Erklärung durch das BVerfG seien Tätigkeiten im Rahmen einer Partei legal, wenn sie nicht nach den allgemeinen Rechtsvorschriften verboten seien, sondern allgemein erlaubte Mittel darstellten. 833 BVerfG NJW 2001, S. 2069 (2071). 834 BVerfGE 102, 370 (395). Zur Unterscheidung von formaler und materialer Freiheit, vgl. W Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, S. 54; A. Podlech, AöR 88 (1963), S. 185 (199). 835 Ähnl. Η Meier, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 9 (15 f.); V: Neumann, in: ebda., S. 155 (164 ff.).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

jeglichen Grundrechtsgebrauchs postuliert. Allein derjenige Gebrauch eines vorbehaltlosen Grundrechts, dem die Verfassung selbst Grenzen setzt, kann vom Staat nämlich zum Anlaß genommen werden, diesen durch ein Verbot einzuschränken. Das ist eine Konsequenz der nur ausnahmsweisen Einschränkbarkeit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte durch kollidierendes Verfassungsrecht. Nachdem untersucht wurde, welches Verhalten die Verfassung auf welche Weise ausschließt, soll in einem weiteren Schritt die verfassungsgerichtliche Ausgestaltung der beiden Verbotsalternativen des Art. 9 II GG: das aktive, aggressiv kämpferische Vorgehen oder die aktive, aggressiv kämpferische Haltung einer Vereinigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, mit dem Ergebnis der Untersuchung abgeglichen werden. Es soll geprüft werden, ob dieses unter das verfassungsrechtlich eingeschränkte Verhalten subsumiert werden kann und Art. 9 II GG in dieser Hinsicht kollidierendes Verfassungsrecht konkretisiert.

1. Das Gewaltverbot des Grundgesetzes Jeder Staat - und damit selbstredend auch jede Demokratie - hat das Recht, sich selbst zu verteidigen. Die Frage ist bloß: wann und gegen wen? „Die freiheitliche Demokratie nimmt prinzipell diejenigen Risiken in Kauf, die darin liegen, daß die politische Willensbildung der Urteilskraft und Aktivität ihrer Bürger anvertraut ist" 8 3 6 . Aus dieser Feststellung des Bundesverfassungsgerichts spricht das „Wesen und die Ehre" der Demokratie, diese Gefahren auf sich zu nehmen. Denn eine Demokratie sollte sich nicht dadurch verteidigen, daß sie sich selbst aufgibt. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Andersdenkenden. Will der Staat seinen Bürgern eine „Heimstatt" bereiten und - in diesem Falle - vor allem auch seine ausländische oder andersgläubige Bevölkerung integrieren, sollte er niemanden allein aufgrund seiner religiösen Überzeugung ins Abseits stellen. Wo liegt aber die Grenze der zulässigen Ausübung der Religionsfreiheit? Sie könnte dort zu finden sein, wo Gewalt ins Spiel kommt 8 3 7 . Denn auch nach einer radikal wertrelativistischen Auffassung ist es „das Recht jeder, auch einer demokratischen Regierung, Versuche, sie mit Gewalt zu beseitigen, mit Gewalt zu unterdrücken" 838. Im folgenden Abschnitt soll daher geprüft werden, inwieweit alle Grundrechte, auch die vorbehaltlosen, einer verfassungsimmanenten Schranke jeglicher Grundrechtsbetätigung unterliegen, nämlich dem grundsätzlichen Verbot der Anwendung 836 BVerfGE 20, 52 (103). 837 Im Ergebnis auch R. Dreier, in: FS Klein, S. 86 (98 ff.); H. Arendt, Macht und Gewalt, passim. 838 //. Kelsen, Was ist Gerechtigkeit?, S. 42, wie der überwiegende Teil der Relativisten. H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 199 ff., auch dazu, daß das Verbot von Gewalt selbst nicht wertneutral sei.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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von „angreifender" Gewalt. In diesem Abschnitt geht es also nicht um Selbstschutzrechte des einzelnen, weder gegen die Gewalt Dritter noch gegen den vermeintlich „treulosen" Staat, sondern um „aggressive" Angriffe auf die freiheitlich demokratische Grundordnung selbst. Den Fragen der Positivierungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Widerstandsrechts (Art. 20 IV GG), soweit es zu einem gewaltsamen Verhalten ermächtigt, und denen der Einpassung der gewaltsamen Selbstschutzbefugnisse des einzelnen in das Gewaltmonopol des Staates soll und muß deshalb in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden: Diese Rechte stellen als Verteidigungsrechte nämlich besonders gelagerte Ausnahmen zur Regel der Friedenspflicht oder vielleicht besser: der Nicht-Angriffspflicht des einzelnen, dar. Auch die Theorie der „strukturellen Gewalt" und ihre Auswirkungen auf die Rechtfertigung von „Gegengewalt" wird daher in diesem Abschnitt nicht näher untersucht werden 839 . Inwieweit sich die Grundrechte zur Gewalt verhalten, soll vor allem anhand der folgenden Fragen überprüft werden. Wie läßt sich eine verfassungsrechtlich wirksame Verpflichtung des einzelnen zum (untechnisch gemeinten) Verzicht auf Gewalt aus dem Grundgesetz ableiten? Stellt das Verbot gewaltsamen Verhaltens bereits eine immanente Schutzbereichsbegrenzung der Grundrechte dar oder setzt es erst als verfassungsimmanente Grenze an ihren Schranken an? Welcher ist sein Inhalt?

a) Das Gewaltmonopol: Der Staat als Alleininhaber faktischer oder legitimer Gewaltausübung? Die grundrechtswirksame Verpflichtung des einzelnen, auf Gewalt zu verzichten, wird gemeinhin als Kehrseite des staatlichen Gewaltmonopols verstanden 840. 839

Zur „strukturellen Gewalt", vgl. J. Galtung, in: Senghaas (Hrsg.), Friedensforschung, S. 57 ff.; W.-D. Narr, Leviathan 8 (1980), S. 541 (544 ff.); zur Rechtfertigung politischer Gewalt zusammenfassend, vgl. S. Eisel, Minimalkonsens, S. 186 ff.; zum Widerstandsrecht, vgl. BVerfGE 5, 85 (376 ff.): überpositive Rechtsgrundlage; R. Dolzer, in: HStR VII, Rn. 4 f., 22 ff., 39 f.; H H. Klein, DÖV 1968, S. 865 (867); J. Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, S. 97 ff.; H. Dreier, FS Scupin, S. 573 (581 ff.). Umfassend auch zur Ideengeschichte, vgl. K. Wolzendorff, Staatsrecht und Naturrecht. Die Notwehrrechte des einzelnen werden in der Regel dadurch gerechtfertigt, daß der Staat in diesen Fällen sein Gewaltmonopol selbst nicht wahrnehmen kann. Sie werden als „Durchbrechungen" des Gewaltmonopols, als „Gewaltgestattung", d. h. „Gewaltübertragung", „Beleihung" oder im Falle der Notrechte als „Gewaltermächtigung" bezeichnet, vgl. D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 42, 56 ff.; J. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 58; H.-J. Faller, in: FS Geiger, S. 3 (9 f., 17 f.), der das Recht zur Selbsthilfe in Art. 2 I GG verankert sieht. Ferner C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 99 f. m. w. N.; J. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 56 ff.; A. J. Hummler, Staatliches Gewaltmonopol und Notwehrrecht. Zum status naturalis der Notwehrrechte, vgl. F. Hammer, DÖV 2000, S. 613 (615); J. Schwabe, NJW 1974, S. 670 (671 f.); C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 282: Zumindest dann, wenn man den Staat nicht mit seiner Rechtsordnung gleichsetze, könnten die Selbsthilferechte des einzelnen nicht durch faktische Zugriffsgrenzen der Staatsgewalt erklärt werden. 840 Vgl. nur/. Isensee, in: HStR I, § 13 Rn. 74.

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Unter den Begriff des Gewaltmonopols selbst wird inhaltlich in der Regel das Monopol des Staates auf legitime physische Gewaltsamkeit subsumiert. Formal wird es von der überwiegenden Literatur als das entscheidende Merkmal der Staatlichkeit begriffen. Als organisiertes Macht- und Wirkungsgefüge habe der Staat, so lautet die Begründung, die Funktion, den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit seiner Bürger zu garantieren. Zur erfolgreichen Ausübung dieser seiner Funktion benötige der Staat eine Reihe an normativen Steuerungsinstrumenten und entsprechende Machtmittel, um das normadäquate Verhalten seiner Bürger nötigenfalls zu erzwingen. Äußerstenfalls könne er physische Gewalt einsetzen. Die Möglichkeit, physische Gewalt einzusetzen, so die Schlußfolgerung, unterscheide den Staat von allen anderen gesellschaftlichen Organisationen 841. Es fragt sich aber, ob das Gewaltmonopol des Staates den Umkehrschluß auf eine rechtliche Friedenspflicht der Grundrechtsinhaber trägt. Zunächst ist das Gewaltmonopol des Staates im Schwünge der Privatisierung staatlicher Sicherheitsaufgaben sowie der Entmonopolisierung des Staates überhaupt „ins Gerede gekommen" 842 . Wird aber gefordert, daß „der heutige bürokratische Staat der Industriegesellschaft zweckmäßigerweise nicht mehr durch das Monopol legitimer physischer Gewaltanwendung definiert" werden könne, „sondern funktional als System zur Produktion verbindlicher Entscheidungen" verstanden werden müsse 843 , so beschreibt diese Beobachtung nur die eine Seite der Medaille. Dieses funktionale Verständnis des Staates und sein Gewaltmonopol ergänzen einander nämlich. Denn die Produktion kollektiv verbindlicher Entscheidungen sorgt noch nicht für deren Einhaltung und Durchsetzung zur Gewährleistung des Rechtsfriedens 844 . Letztlich wird jedoch bestritten, daß es so etwas wie ein Gewaltmonopol des Staates tatsächlich jemals gegeben habe, geschweige denn gebe oder geben werde. Was faktisch nicht (noch nie, nicht mehr) vorhanden sei, könne auch, so die Konsequenz, kein normativ relevantes Attribut moderner Staatlichkeit (mehr) sein. Insbesondere falle die „verbreitete Überzeugung, es seien Zeiten diffuser Gewalt 841 R,, Zippelius, Staatslehre, S. 52 ff.; H. Krüger, Staatslehre, S. 959; J. Isensee, JZ 1999, S. 265 (271); ders., in: HStR I, § 13 Rn. 74; Ii Götz, in: HStR III, § 79 Rn. 29; H. J. Faller, in: FS Geiger, S. 3 (10); A. Randelzhofer, in: HStR I, § 15 Rn. 8; H.-U. Erichsen, Jura 1979, S. 449 f.; R. Scholz, NJW 1983, S. 705 (707); D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 33; R. Herzog, Staatslehre, S. 181 f.; W. Schmitt Glaeser, Private Gewalt, S. 156; W.-D. Narr, Leviathan 4 (1980), S. 541 ff.; Ο. Nahodil, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Über die Gewalt, S. 32 ff.; A. Anter, StaWi /StaPrax 1995, S. 449 (451), schreibt den Ausdruck R. v. Jhering, Der Zweck im Recht (1877), Bd. I, S. 247, zu. 842 H. J. Faller, in: FS Geiger, S. 3; U. Volkmann, JuS 1996, S. 1058 (1063). 843 A. Podlech, Der Staat 6 (1967), S. 341 (347, Hervorhebung nicht im Original), mit Hinweis auf H. Heller, Staatslehre, S. 242 ff.; femer F. Hammer, DÖV 2000, S. 613 (614); R. Stober, NJW 1997, S. 889 (892 f.). Zur naturgemäßen Unvollkommenheit des Gewaltmonopols, vgl. A. Anter, StaWi / StaPrax 6 (1995), S. 449 (453 ff.): Man dürfe den Begriff des Gewaltmonopols daher nicht „im gleichen Sinne verstehen, wie etwa bei der Herstellung von Streichhölzern". 844 Ähnl. wohl auch C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 272 Fn. 6.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

von solchen einer staatlichen Monopolisierung der Gewalt klar zu unterscheiden", bei näherem Hinschauen in sich zusammen845. Die empirischen Wissenschaften belegten statt dessen, so der Einwand, daß der Staat nicht in der Lage sei, private Gewalt zu verhindern. Er könne sie lediglich im nachhinein bestrafen. Das Konzept des staatlichen Gewaltmonopols sei damit faktisch widerlegt 846 . Zwar mag es zutreffen, daß aufgrund dieser historischen Beobachtungen die empirischen Wissenschaften den Begriff des Gewaltmonopols im strengeren Sinne des Wortes für ihre Forschungszwecke nicht verwenden können. Es bleibt jedoch fraglich, welche Rückschlüsse deren Beobachtungen auf eine normative Kategorie „Gewaltmonopol" zulassen. Daß sich auch hier die Ideengeschichte nicht als Urknall im Realen auswirkt, sondern abstrahiert, überschlägig summiert und vor allem idealtypisiert, mag sie zwar zur Antagonistin der Sachgeschichte machen, entwertet ihre Einsichten jedoch nicht vollständig. Die auf die Abweichung von Ideen- und Sachgeschichte gestützte Inversion der normativen Kraft des Faktischen scheint dagegen zuweilen Ausmaß und Inhalt, tatsächliche Vorfindlichkeit und rechtlichen Anspruch des staatlichen Gewaltmonopols zu verwischen. Wie Josef Isensee nämlich zutreffend bemerkt, „mildert, zähmt und begrenzt (der Verfassungsstaat) die Gewalt - aber beseitigt sie nicht" 8 4 7 . Auch dessen historische Relativierung läßt einen Kern des „Prinzips" Gewaltmonopol unberührt 848 . Dieser „Kerngehalt" des staatlichen Gewaltmonopols läßt sich in den Terminus der „normativen Präferenz" für die staatliche Gewaltausübung kleiden. Mit dieser „Vermutungsregel" 849 wird ausgesagt, daß die staatliche Gewaltausübung zwar kein faktisches Monopol, wohl aber den gesollten Regelfall umschreibt. Physische Gewalt, die nicht vom Staate ausgeht, sondern von Privaten ausgeübt wird, ist in der Regel besonders rechtfertigungsbedürftig. Der Aussagegehalt der Gewaltmonopolformel wird damit im Ergebnis auf die legale Ausübung von Gewalt reduziert. Diese Idee des staatlichen Gewaltmonopols wurde bereits auch in der soziologischen Lehre Max Webers vom Staat formuliert. Webers Definition des Staates stellt auch auf das dem Staat eigene Mittel ab: die physische Gewaltsamkeit. Der 845 D. Willoweit, in: Randelzhofer/Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 313 (318); C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 223; F. Hammer, DÖV 2000, S. 613 (614 f.); C. Gusy, DÖV 1996, S. 573 (576); R. Herzog, in: EvStL I, Sp. 2057 (2060); zur sachgeschichtlichen Monopolisierung der Gewalt erst beim Polizeistaat des 19. Jahrhunderts, vgl. A. Funk, Polizei und Rechtsstaat; T. v. Trotha, Nähe und Distanz, S. 29; zum Ewigen Landfrieden von 1495 und seinen Auswirkungen auf das Gewaltmonopol, vgl. Η. J. Becker, NJW 1995, S. 2077 ff. 846 c. Möllers, Der Staat als Argument, S. 275; aus der empirischen Forschung, vgl. W Sofsky, Traktat über die Gewalt, S. 7 ff., 20 ff.; Η Kuhn, in: Kroker (Hrsg.), Die Gewalt, S. 11 (22 ff.); H. Popitz, Phänomene der Macht, S. 43 ff. 847 j. Isensee, in: FS Eichenberger, S. 23 (28). 848 D. Willoweit, in: Randelzhofer/Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 313 (323); R. Stober, NJW 1997, S. 889 (890). 849 Beide Begriffe bei C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 277.

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Staat sei, so Weber, „diejenige menschliche Gemeinschaft, welche innerhalb eines bestimmten Gebietes ( . . . ) das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit (mit Erfolg)" für sich beanspruche. Der Staat fungiert für Weber als grundsätzlich alleiniger Quell des Rechts auf Gewalt, denn „das der Gegenwart Spezifische ist, daß man allen anderen Verbänden oder Einzelpersonen das Recht zur physischen Gewaltsamkeit nur soweit zuschreibt, als der Staat sie von ihrer Seite zuläßt" 850 . Auch den Grund für das Monopol physischer Gewaltsamkeit des Staates deutet er an: Der Staat sei zu begreifen als ein Herrschafts Verhältnis von Menschen über Menschen. Herrschaft wiederum bedeute die Chance, für einen Befehl auch Gehorsam zu finden. Zwar sei, so Weber, diese Chance um so größer, je mehr sie aus einem inneren Glauben an die Legitimität der staatlichen Herrschaft heraus motiviert werde. Zur Not müsse aber äußerer Zwang eingesetzt werden 851 . Daß der Staat als grundsätzlich alleiniger Inhaber rechtmäßiger Gewalt beschrieben wird, impliziert also im Umkehrschluß, daß dem einzelnen die Ausübung rechtmäßiger Gewalt grundsätzlich untersagt sein muß, es sei denn, er wäre hierzu durch den Staat ausnahmsweise oder regelmäßig ermächtigt. Um heute trotz faktisch regelmäßiger Ermächtigung von Privaten zur Ausübung von Gewalt noch an dem Begriff und der Figur des deflationären Gewaltmonopols festhalten zu können, wird dieses deshalb zunehmend dem Rechtsmonopol des Staates gleichgesetzt. Allein der Staat könne, so die Schlußfolgerung, wenn er selbst auch nicht (mehr) die einzige gewaltausübende Instanz darstelle, normativ über die Rechtmäßigkeit der Gewaltsamkeit entscheiden. Wenn also überhaupt Gewaltanwendung legitim ist, dann kommt diese legitime Gewaltausübung dem Staate zu 8 5 2 . Aber auch diese Umcodierung des Gewaltmonopols besagt im Umkehrschluß nichts anderes, als daß physische Gewaltsamkeit zumindest in der Regel nicht zur freien Disposition der einzelnen steht, sondern einer staatlichen Freigabeentscheidung bedarf. Das Gewaltmonopol als Regelfall des Staates wird damit im Ergebnis nicht preisgegeben.

b) Verfassungsrechtliche

Verankerung des Gewaltmonopols

Es fragt sich jedoch, wo das Gewaltmonopol des Staates verfassungsrechtlich zu verankern ist, denn dieser Verankerung bedarf es, damit aus dem Gewaltmonopol rechtliche Schlüsse auf den Grundrechtsgebrauch der einzelnen oder von Korpora850 M. Weber, in: ders., Staatssoziologie, S. 27. 851 M. Weber, in: ders., Staatssoziologie, S. 27 (28); hierzu auch A. Anter, Webers Theorie des modernen Staates, passim; U. Scheuner, in: FS Smend, S. 225 (238); C. Gusy, DÖV 1996, S. 573 (575 f.). 852 D. Grimm, in: ders., Recht und Staat in der bürgerlichen Gesellschaft, S. 53; C. Gusy, DÖV 1996, S. 573 (576); C. Calliess, ZRP 2002, S. 1 (3 f.); weitergehend D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 42, 56 f., der jede Form privater Gewaltausübung unter den Vorbehalt staatlicher Gestattung stellt. So auch V: Götz, in: HStR III, § 79 Rn. 32.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

tionen gezogen werden können. Das Gewaltmonopol als ideengeschichtliches Attribut „moderner" Staatlichkeit läßt es zunächst jedenfalls wahrscheinlich erscheinen, daß auch das Grundgesetz seine Tradition aufgegriffen hat. Wo es in der Verfassung zu verorten ist, ist allerdings umstritten, da es keinen expliziten Eingang in den Verfassungstext gefunden hat. Auch hier sind, je nach Blickwinkel auf das Verhältnis von Verfassung und Staat, die Ansätze verschieden. Wo die Elemente moderner Staatlichkeit der Verfassung als unausweichlich vorausliegend betrachtet werden, werden das Gewaltmonopol des Staates und damit auch die spiegelbildliche Friedenspflicht des einzelnen als Verfassungsvoraussetzungen 853 postuliert. Das Gewaltmonopol des Staates, so wird geltend gemacht, liege jedem Recht der staatlichen Ordnung voraus, weil es diese Ordnung erst hervorbringe 854 . Diese Auffassung rekurriert auf die Idee der Staatsentstehung bei Thomas Hobbes und ergänzt sie durch die Souveränitätslehre Jean Bodins. Da beide Staatstheorien auch für die verfassungsrechtliche Einordnung der Friedenspflicht der einzelnen von Bedeutung sind, sollen sie im folgenden (nur ganz kursorisch) referiert werden: Die Entstehung des modernen Staates, des Leviathan, beschreibt die kontraktualistische Staatstheorie Hobbes' als Dreischritt: Naturzustand - Vertrag - Herrschaftsverband. Zum Ausgangspunkt seines Staatskonzeptes bestimmt Hobbes einen Naturzustand, in dem ein virtueller bellum omnium contra omnes herrscht. Hervorgerufen wird dieser Kriegszustand dadurch, daß jeder ein gleiches „Recht" auf alles und jeden 855 (right to all things) hat. Das Ziel des einzelnen ist seine Selbsterhaltung 856. In Abwesenheit einer zentralen Macht gilt jedoch das Gesetz des jeweils Stärkeren - eine totale Konkurrenz, die von ständiger Todesfurcht begleitet wird. Um der eigenen Selbsterhaltung willen regiert gegenseitiges Mißtrauen. Es findet ein Wettlauf statt, in dem der einzelne der Gewaltanwendung der anderen durch eigene Gewaltsamkeit möglichst zuvorkommen muß 8 5 7 . Die rechte Vernunft verhilft den Naturzuständlern aber zu der Einsicht, daß das ius in omnia et omnes jedes einzelnen ein Friedenshindernis darstelle und ein allseiti-

853 Verfassungsvoraussetzungen bezeichnen Strukturen, die der Verfassung vorausliegen und sie unerläßlich bedingen, nicht aber in ihr normiert sind, die dennoch aber Rückwirkungen auf den normativen und dogmatischen Gehalt des Verfassungsrechts haben können, vgl. H. Krüger, in: FS Scheuner, S. 285 (286 ff.); J. Isensee, in: HStR V, § 115 Rn. 163 ff.; P. Kirchhof, in: FS Isensee, S. 51 ff. 854 j m Isensee, in: FS Sendler, S. 39 (46 ff.); ders., in: FS Eichenberger, S. 23 (31); ders., DÖV 1982, S. 609 (616); ders., in: HStR I, § 13 Rn. 82; C. Starck, in: FS Huber, S. 867 (868); F. Hammer, DÖV 2000, S. 613 (615 f.); H. Bethge, JA 1985, S. 249 (256): apriorische Bedingung der Verfassungsstaatlichkeit. 855 τ. Hobbes, De Cive, Vorwort und Kap. I 12; R. Brandt, PhJb 87 (1980), S. 41 (41 f., 46); R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 100 ff.; zur ideengeschichtlichen Ableitung ferner auch G. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 315 ff. 856 K.-H. Ilting, PhJb 72 (1964/65), S. 84 (100 u. passim); M. Weimayr/M. Enzersdorf, Der Staat 35 (1996), S. 167 (169 ff.); R. Niewetberg, JuS 1983, S. 496 (498). 857 w. Kersting, in: Brunner/Conze/Koselleck, Geschichtliche Grundbegriffe VI, S. 901 (918); M. Weimayr/M. Enzersdorf, Der Staat 35 (1996), S. 167 (169 u. passim).

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ger Verzicht auf dieses Recht angezeigt sei. Als Verzichtsmittel kommt angesichts der Gleichheit aller lediglich ein omnilaterales Übereinkommen in Form eines gegenseitigen Vertrages in Betracht. Auch nach Abschluß dieses Abkommens muß aber, dies ist die Konsequenz des Hobbesschen Menschenbildes {homo homini lupus), mit Vertragsverstößen seitens der hinterlistigen Vertragsparteien gerechnet werden. Den gleichrangigen Vertragspartnern selbst stehen jedoch keine adäquaten Sanktions- oder Garantiemittel zur Verfügung, mit denen Vertragsverstöße verhindert oder geahndet werden könnten. Sie müssen daher eine über ihnen und von dem gegenseitigen Vertrage nicht umfaßte Instanz einsetzen, die eben jene Vertragsbrüche verhindern oder sanktionieren kann. Die hierzu erforderliche Vertragskonstruktion stellte sich Hobbes folgendermaßen vor: Bis auf ihr Notwehrrecht gegen diejenigen, die ihnen nach dem Leben trachten 858 , verzichten alle außer einem rechtswirksam auf ihr im Naturzustand sowieso bedeutungsloses ius naturale und übertragen - uno actu oder in einem zweiten Vertrag 859 - ihre diesbezügliche Verfügungsmacht auf den späteren Herrscher 860. Dieser ist deshalb zwar vertragsbegünstigt, nicht aber vertragsbeteiligt 861. Er soll fürderhin dafür sorgen, daß man seines Lebens künftig vor seinem Nachbarn wieder sicher ist 8 6 2 . Mit diesem Zweck wird dem so entstandenen Staat gleichzeitig das Recht auf die erforderlichen Mittel, ihn zu erreichen, übertragen. Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund wird der Staat daher als institutionalisierte Überwindung des Bürgerkrieges, als Stiftung des Bürgerfriedens legitimiert. Der gegenseitige Verzicht auf Tötungsfreiheit steht damit am Anfang der Entwicklung einer Bürgergesellschaft unter dem Vorbehalt der Herrschaftsgewalt. Die Naturzuständler legen auf der Schwelle zu ihrer umfriedeten Gesellschaft ihre Waffen nieder. „Entwaffnung schafft Zivilität: den machtvoll gewährleisteten Bürgerfrieden, den Zustand physischer Sicherheit", den modernen Staat 863 .

858 T. Hobbes, De Cive, Kap. V 5 ff.; ders., Leviathan, Kap. XIV, XVII; M. Szczekalla, Der Staat 36 (1997), S. 237 (245). Im einzelnen ist umstritten, durch welche Vertragsmodelle auf welche Rechte verzichtet wird, vgl. L. Meinken, ARSP 2000, S. 455 (458 ff.); M. Weimayr/M. Enzersdorf, Der Staat 35 (1996), S. 167 (171 ff.); P. C. Mayer-Tasch, Thomas Hobbes, S. 103 ff., 110 ff. u. passim, der zwar versucht, WiderstandsrecÄte in der Staatsphilosophie Hobbes aufzuspüren, vom Recht zum Widerstand später aber nicht mehr spricht, sondern ledglich vom tatsächlichen Widerstand. Hierzu sehr kritisch B. Willms, Der Staat 6 (1967), S. 75 (98); H. Hofmann, AöR 91 (1966), S. 122 (134 f.). 859 H. Maier, in: Maier/Rausch/Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, S. 351 (367); B. Willms, Die Antwort des Leviathan, S. 125; T. Würtenberger, Legitimität, S. 103 m. w. N.; P. C. Mayer-Tasch, Thomas Hobbes, S. 46 ff. 860 Zu den möglichen Rechtskonstruktionen dieses Unterwerfungsvertrages, vgl. L. Meinken, ARSP 2000, S. 454 (461 ff.); M. Weimayr/M. Enzersdorf, Der Staat 35 (1996), S. 167 (172 ff.). 861 W. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages, S. 97. 862 w. Kersting, Thomas Hobbes, S. 103. 863 J. Isensee, in: FS Eichenberger, S. 23 (26); ders., JZ 1999, S. 265 (271); W. Kersting, Die politische Philosophie des Gesellschaftsvertrages, S. 62; M. Szczekalla, Der Staat 36

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Einen theoretischen Ausgangspunkt nimmt die Konzentration der Gewalt in den Händen des Staates ebenso in der Souveränitätslehre Jean Bodins 864 . Den zentrifugalen Kräften der lehnsrechtlichen Herrschaftsordnung 865 setzt er den souveränen Staat entgegen. In der summa potestas oder der puissance absolue nach innen, mit denen er seinen souveränen Staat ausstattet, tut sich, so Bodin, dessen Zuhöchstsein kund 8 6 6 . Es ist das Anliegen des Souveränitätsgedankens, das Be- und Entstehen nichtstaatlicher Institutionen mit unabhängiger Befehls- und Zwangsanwendungskompetenz auszuschalten und durch eine oberste Zentralgewalt zu ersetzen 867 . Als Hauptmerkmal der Souveränität beschreibt Bodin die Rechtssetzungsgewalt des Staates868. Die Zwangsanwendungskompetenz tritt zwar erst als ein weiteres Attribut hinzu, das Gewaltmonopol fungiert jedoch auch hier als eine Bedingung staatlicher Souveränität: nämlich um Gesetz und Befehl den Untertanen gegenüber durchzusetzen und damit vornehmlich als Mittel der Selbsterhaltung des staatlichen Verbandes 869. Es fragt sich aber, ob diese Ideen der Staatsentstehung die weitreichenden normativen Folgen, die aus ihr zuweilen gezogen werden, tragen. Mit dem Dogma: „Am Anfang war das Gewaltmonopol des Staates", wird nämlich ein Element der Staatlichkeit, die Durchsetzungsmacht des Staates, als seine differentia specifica fundamentalisiert und als Quell normativer Folgerungen vor seine Verfassung gestellt. Gerade in neuerer Zeit wird der Vorgang der Staatsentstehung jedoch insbesondere von der Geschichts-, aber auch von der Rechtswissenschaft differenzierter betrachtet. Von der einseitigen Betonung seiner physischen Durchsetzungsmacht verlagert sich die tatsächliche Entstehungsgeschichte des Staates auf vielfältige Faktoren. Zum einen wird sie vom Zeitpunkt der Beendigung der konfessionellen Bürgerkriege 870 weg in die Zeit hinein gestreckt. Zum (1997), S. 237 (239): Der Staat kommt „nicht durch, sondern anläßlich des Konsenses der Individuen zustande". R. Scholz, NJW 1983, S. 705; C. Calliess, ZRP 2002, S. 1 (2 ff.). 864 H. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 243 ff., 284 ff. u. passim; M. Schulte, DVB1. 1995, S. 130(131). 865 o. Brunner, Land und Herrschaft, S. 249 ff.; H. Mitteis, in: Wunder (Hrsgin), Feudalismus, S. 79 (80); A. v. Arnim, Staatslehre, S. 18 u. passim; G. Algazi, Herrenrecht und Gewalt, passim. 866 R. Weber-Fas, Über die Staatsgewalt, S. 95 f.; A. Randelzhofer, in: HStR I, § 15 Rn. 8,16. 867 H. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 266 ff. 868 y Bodin, Six livres de la république, I Kap. 1, 8, 10; H. Denzer, in: Maier/Rausch/ Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, S. 321 (341 f.); R. Weber-Fas, Über die Staatsgewalt, S. 99; H. Quaritsch, Souveränität, S. 46 ff.; ders., Staat und Souveränität, S. 249 ff.; R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, S. 97; N. Luhmann, in: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, S. 65 (78 ff.). 869 H. Quaritsch, Staat und Souveränität, S. 255 ff., 266 f.; H.-U. Scupin, Der Staat 4 (1965), S. 1 (16 ff.); C.-Ζλ Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 109; P. Dagtoglou, in: EvStL II, Sp. 3155 (3156 f.); X. S. Combothecra, in: Kurz (Hrsg.), Volkssouveränität und Staatssouveränität, S. 1 (2 ff.); M. Ronellenfitsch, in: FS Heckel, S. 427 (429). 870 Dazu D. Grimm, in: ders., Recht und Staat in der bürgerlichen Gesellschaft, S. 53, (56 ff.); E.-W. Böckenförde, in: FS Forsthoff, S. 75 (87 ff.). Zur Entstehung des „modernen"

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

anderen wird weiteren Gesichtspunkten wie der Herausbildung eines Verwaltungsapparates, der Professionalisierung der Abgabenerhebung, der Rolle der lokalen Gewalten und der Vorbildfunktion des kanonischen Rechts für die Souveränitätsdoktrin eine ebenfalls ausschlaggebende Bedeutung in der Entwicklung des „modernen" Staates zugeschrieben 871. Eine Parallelentwicklung zwischen der Staatstheorie, der Begriffsgeschichte und der politischen Institutionengeschichte, wie sie mit der vermeintlichen Zäsur in der Entwicklung zum „modernen" Staat durch den Souveränitätsbegriff und das Gewaltmonopol zum Ausdruck kommt, wird deshalb zunehmend bestritten. Der „moderne" Staat sei, so der Einwand, durch die Konstruktion der Theorie der Souveränität noch nicht entstanden. Der „juristische Grundmythos" des Staates872, so wird wohl nicht unrichtig geltend gemacht, finde im Gegenteil keine Entsprechung in der Rechtsgeschichte. Diese entwicklungshistorische Aufladung des Staates durch sein Gewaltmonopol ist für den juristischen Umgang mit Verfassung und Staat daher nur bedingt geeignet. Sie privilegiert eine ideengeschichtliche Epoche, schreibt ihr eine herausragende normative Bedeutung auch für den heutigen Verfassungsstaat zu und setzt sie eins zu eins in verfassungsrechtlich relevante Aussagen um. Auch wenn der Staat als Verfassungsvoraussetzung postuliert wird, kann es deshalb nicht gerechtfertigt sein, aus dem Gewaltmonopol als „verfassungsrechtlicher Übernorm" normative Rückschlüsse jenseits der geschriebenen Verfassung zu ziehen. Denn „zwischen dem damit bemühten Konnex von Rechtsordnung und deren tatsächlicher Bedingung (Staat) steht (dann) eine historische Begriffsbestimmung, die auch anders gefällt werden könnte" 873 . Zudem wird, wie bereits oben ausgeführt, die These von Staat und Staatlichkeit als Verfassungsvoraussetzung: daß der Staat nämlich als unerläßliche Bedingung vor der Verfassung stehe, zurückgewiesen 874 . Das Gewaltmonopol des Staates als die entscheidende Verfassungsvoraussetzung ist damit im Ergebnis abzulehnen. Staates, vgl. femer O. Brunner, Land und Herrschaft, S. 111 ff.; O. Hintze, in: ders., Staat und Verfassung, S. 470 ff., 497 ff.; H. Heller, Staatslehre, S. 141 ff. 871 Zur Nutzbarkeit des Staatsbegriffes auch für andere Epochen, vgl. E. Kern, Modemer Staat, S. 62 ff.; J. Miethke, in: Beiheft 11/Der Staat, S. 7 ff.; W. Näf, HZ 171 (1955), S. 225 ff.; M. Trapp, PVS 1988, S. 210 ff.; W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 47 ff. u. passim; M. Drath, in: EvStL II, Sp. 3305 (3312 ff.). Dazu, daß die tatsächlichen Wurzeln des Gewaltmonopols weiter zurückreichen, vgl. auch H.-J. Becker, NJW 1995, S. 2077 ff. Zur ausschlaggebenden Ausbildung eines Verwaltungsapparates, vgl. S. Breuer, Der Staat, S. 175 ff.; A. Lüdtke, ASG 20 (1980), S. 470; A. O. Meyer, in: Die Welt als Geschichte 10 (1950/51), S. 229 (231, 236 ff.); zum kanonischen Recht, vgl. M. Stolleis, in: Beiheft 11/ Der Staat, S. 63 (69); C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 220 ff. 872 c. Möllers, Der Staat als Argument, S. 224; U. Scheuner, in: FS Smend, S. 225 (248 u. passim); ders., Der Staat 13 (1974), S. 527 (533 f.); R. Herzog, Staaten der Frühzeit, S. 11. Vgl. femer zum Leviathan als konkreten, an eine geschichtliche Epoche gebundenen Begriff, C. Schmitt, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze, S. 375 (384 Anm. 2 u. passim); Β. Willms, Der Staat 6 (1967), S. 75 (84). 873 c. Möllers, Der Staat als Argument, S. 227, 219. 874 Vgl. oben § 1 B. III.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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In keine andere Richtung als die der Verfassungsvoraussetzungen weist auch die verfassungsrechtliche Anknüpfung des Gewaltmonopls an die Staatlichkeit der Bundesrepublik, die in Art. 201 GG Erwähnung findet 875 . Mit der Staatlichkeit der Bundesrepublik setze, so das Argument, Art. 20 I GG auch das Gewaltmonopol des Staates voraus. Ohne Überschreibung der allgemeinen ideengeschichtlichen Herleitung des „modernen" Staates in den grundgesetzlichen Begriff der Staatlichkeit kann auch hier eine Verbindung zwischen Gewaltmonopol und Staat aber nicht hergestellt werden. Ferner wird von der Kritik bezweifelt, daß das Ergebnis der Verortung des Gewaltmonopols in Art. 201 GG anders ausfiele, wenn Art. 201 GG bei einem gleichen materiellen Regelungsgehalt auf das Wort „Staat" verzichtet hätte 876 . Hier stellt sich die Verknüpfung mit dem Verfassungstext und der impliziten Aussage, das Gewaltmonopol werde auf diese Weise an den Willen des Verfassunggebers rückgebunden und sei deshalb fähig, die Ableitung normativer Argumente zu rechtfertigen, damit als vordergründig dar. Es fragt sich deshalb, ob das Gewaltmonopol des Staates nicht vielmehr als Attribut seiner Rechtsstaatlichkeit im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes angesiedelt werden muß. Gegen die Zuordnung des Gewaltmonopols zum Begriff der Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik (Art. 20 I, III, 28 I GG) spricht jedoch zunächst folgendes: Auch bei dieser Zuordnung verbindet sich die Ideengeschichte mit einer Verfassungsnorm. Denn der Rechtsstaat zählt ebenfalls zu denjenigen „Schleusenbegriffen" des Grundgesetzes, welche sich für das Einströmen verfassungstheoretischer Vorstellungen öffnen 877 . Die Ableitung des Gewaltmonopols aus dem Rechtsstaatsprinzip scheitere, so wird geltend gemacht, aber insbesondere daran, daß sich das Gewaltmonopol vor dem Prinzip des Rechtsstaates entwickelt habe. Das Gewaltmonopol sei das ursprünglichere und ältere Signum der Staatlichkeit 878 . Auf einer empirischen Ebene läßt sich gegen diese Argumentation jedoch zu bedenken geben, daß es den neueren Forschungen zur Entstehung der Polizeigewalt zufolge nicht unwahrscheinlich erscheint, die Entwicklung beider Phänomene im gleichen Zeitraum anzusetzen879. Der Vorwurf, hier werde zusammengefügt, was sach- und 875 D. Murswiek, Staatliche Verantwortung S. 102 ff.; G. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 325 f.; M. Schulte, DVB1. 1995, S. 130 (132). 8 76 So C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 274. 877 E.-W. Böckenförde, in: FS Arndt, S. 53 (53 f.): Ohne dabei jedoch zur Begriffshülse zu werden. P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, passim, der den Begriff des Gewaltmonopols aus seiner Darstellung ausklammert. Zum entwicklungsoffenen Begriff des Rechtsstaats, vgl. auch C. Calliess, ZRP 2002, S. 1 (5 f.). 878

C. D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 104 ff.; M. Schulte, DVB1. 1994, S. 130(132). 879 So C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 274 f., 222 f., mit Hinweis auf A. Funk, Polizei und Rechtsstaat, passim; P. Nitschke, Verbrechensbekämpfung und Verwaltung, S. 186 ff.; zur bewegten Ideengeschichte des Rechtsstaatsprinzips, vgl. ferner E. Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24 Rn. 13 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ideengeschichtlich nicht zusammengehöre, läßt sich ferner dadurch entkräften, daß es bei der Verortung des Gewaltmonopols im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes weder darum geht, eine strikt ideengeschichtliche, noch darum, eine ebenso strikt sachgeschichtliche Akzessorietät zweier Attribute des Verfassungsstaates nachzuweisen. Oder anders gewendet: Es geht vielmehr darum herauszustellen, wie die Verfassung selbst diese beiden Prinzipien einander zugeordnet und das Gewaltmonopol konkret ausgestaltet hat 8 8 0 . Im Gegensatz zu dem Genus-Begriff der Staatlichkeit ist dem Form-Begriff des Rechtsstaates881 ein inhaltlich bestimmter Verweis auf eines der Mittel des Staates, nämlich das Gewaltmonopol, zu entnehmen. Ohne jenes Monopol fielen Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung nämlich auseinander. Der Staat hätte keine effektive Handhabe, die einzelnen zur Befolgung seiner Rechtssätze auch anzuhalten. Aus diesem Verweis läßt sich zwar nicht folgern, daß das Gewaltmonopol eine spezifische Ausprägung des Rechtsstaates sei. Was sich aus ihm aber erschließt, ist das Gewaltmonopol als notwendiges Element der verfaßten Rechtsstaatlichkeit. Hiergegen wird zwar wiederum eingewandt, die Befolgung des Rechts sei nicht das eigentliche Thema des Rechts, da das Recht nicht für die Verwirklichung seiner Entscheidungen einzustehen habe 882 . Uneigentlich ist die Rechtsdurchsetzung gleichwohl aber Thema des Rechtsstaates, denn sie ruft den die Rechtsordnung garantierenden Rechtsstaat auf den Plan. Sie gibt dem einzelnen einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten und den Justizgewährleistungsanspruch als rechtsstaatlichen Ausgleich für das Verbot von Eigenmacht und Selbstjustiz 883 . Bereits Immanuel Kant hatte die Idee des Friedens im Rechtsstaatsbegriff verortet 8 8 4 , da die Zwangsgewalt des Staates nämlich als Garantin der Herrschaft des Gesetzes fungiere. Den Rechtsschutz, den der Staat garantiert, gewährleistet er als Ausgleich für den Gewaltverzicht der einzelnen. Die dauerhafte Vorbeugung gegen möglichen Rechtsbruch legitimiert das Monopol nach innen. Denn die Durchsetzung gesetzten Rechts setzt die Vorratshaltung staatlicher Gewaltbefugnisse voraus. Auch wenn die Befolgung der positiven Rechtsordnung seitens der einzelnen 880 Ebenso zum Rechtsstaatsprinzip, vgl. K. Hesse, Grundzüge, Rn. 184. Nicht immer deutlich in BVerfGE 2, 380 (403): „vorverfassungsmäßiges Gesamtbild" des Rechtsstaates; BVerfGE 5, 85 (197): „Tradition des liberalen bürgerlichen Rechtstaats". 881 Zu formellem und materiellem Rechtsstaatsbegriff, vgl. E.-W. Böckenförde, in: FS Arndt, S. 53 (72 ff.). 88 2 C. Möllers, VerwArch. 90 (1999), S. 187 (190 f.); ders., Der Staat als Argument, S. 274, mit Hinweis auf U. di Fabio, Das Recht offener Staaten, S. 38; ähnl. P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 439 f. Dieser Streit erinnert an die zwischen Kelsen u. a. geführte Auseinandersetzung über die Frage, ob der Zwang dem Rechte wesentlich sei. Kelsen erklärt den Zwang als spezifisches Mittel des Rechts und die Rechtsordnung (auch) als Zwangsordnung, vgl. H. Kelsen, Der Staat als Übermensch, S. 1 ff. 883 C. Calliess, ZRP 2002, S. 1 (4). 88 4 I. Kant, Zum ewigen Frieden, Werke Bd. VIII, S. 366; H.-P Schneider, RuP 1985, S. 138; E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 12 f., zum Staat als Friedenseinheit.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

aus autonomen Motiven wünschenswert und vielleicht auch der Normalfall ist, bleibt sie doch gleichzeitig auch eine Utopie. Die Rechtsordnung benötigt als ultima ratio die „Nachhilfe" durch ein Erzwingungsverfahren. Ultima ratio des Erzwingungsverfahrens selbst ist wiederum die physische Gewalt. Hierbei wirkt allerdings weniger die Anwendung denn die Drohung mit Gewalt zugunsten der Rechtsbefolgung. Um die Wirksamkeit seines Mittels zu gewährleisten, vor allem aber um das Vertrauen in den Rechtsfrieden vor Erschütterung zu bewahren, ist der Staat gehalten, die Ausübung von Gewalt durch Private zu verhindern 885 . Das Gewaltmonopol des Staates erhält seine Berechtigung aber nicht einseitig aus dem Schutz des Bürgers vor privater Gewalt (Schutz durch den Staat), sondern im Rechtsstaat tritt der Schutz des Bürgers vor unkontrollierter staatlicher Gewalt ausdrücklich hinzu (Schutz vor dem Staat). Im Verfassungsstaat des Grundgesetzes wird das Gewaltmonopol deshalb durch die rechtsstaatlich begründete gesetzliche Einschränkung staatlicher Machtbefugnisse in normative Bahnen gelenkt 886 . In der Verfassungsentscheidung für den Rechtsstaat verkörpert sich deshalb eine spezifische Struktur staatlichen und vor allem auch gesellschaftlichen Lebens: die Gestaltung des Zusammenlebens nach Maßgabe des Rechts und nicht der Gewalt 887 . Das Gewaltmonopol des Staates ist damit gleichzeitig ein Rechtsmonopol888. Der Einwand, die Definition des Staates durch sein Gewaltmonopol: der Staat allein könne definieren, welche Gewaltausübung rechtmäßig sei, bei gleichzeitiger Verortung des Gewaltmonopols im Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, mache den Begriff des Gewaltmonopols zirkulär 889 , verfängt nicht. Weder soll der Staat hier allein durch sein Gewaltmonopol definiert werden: Das Gewaltmonopol stellt 885 So auch C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 109; F. Hammer, DÖV 2000, S. 613 (617); B. Jean d'Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (115), Η J. Faller, in: FS Geiger, S. 3 (6); K. Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 500 f. u. passim; BVerfGE 54, 277 (292): „So ist es ein zentraler Aspekt der Rechtsstaatlichkeit, die eigenmächtig-gewaltsame Durchsetzung von Rechtsansprüchen zwischen Privaten grundsätzlich zu verwehren. ( . . . ) In der Gerichtsbarkeit prägen sich innerstaatliches Gewaltverbot und staatliches Gewaltmonopol aus". Ähnl. auch J. Isensee, Freiheit ohne Pflichten, S. 26; O. Luchterhand, Grundpflichten, S. 479; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, S. 52 f.; ders., Das Wesen des Rechts, S. 39 f.; A. Randelzhofer, in: HStR I, § 15 Rn. 39 ff.; D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 29 u. passim; E. Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24 Rn. 11: „Der Rechtsstaat soll Sicherheit gewähren, indem er Frieden verlangt und Frieden gewährt". Femer R. Scholz, NJW 1983, S. 705 (707); S. Schuster, Die Polizei 1989, S. 6; J. Isensee, in: FS Sendler, S. 39 (54 f.): Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip zumindest als Notbehelf. 886 β. Jean d'Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (114); F. Hammer, DÖV 2000, S. 613 (616 f.) ; O. Nahodil, in: Kaltenbrunner (Hrsg.), Über die Gewalt, S. 32 ff.; M. Stolleis, in: HRG 1986, S. 367 ff.; U. Matz, in: Randelzhofer/Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt, S. 336 (339 f.). 887 Ähnl. Κ Hesse, Grundzüge, Rn. 183 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: HStR I, § 24 Rn. 21. 888 R. Scholz, NJW 1983, S. 705 (707): „Das staatliche Gewaltmonopol bedeutet also nichts anderes als das staatliche Rechtsmonopol und das staatliche Monopol zum Schutz von Recht, Frieden und Gleichheit aller Bürger". Femer B. Kirsch, in: KritV 2002, S. 233 (235). 889 c. Möllers, Der Staat als Argument, S. 276, mit Hinweis auf M. Troper, in: FS Winkler, 1997, S. 1195 (1203). Groh

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

vielmehr ein dem Staat eigenes Mittel seiner Rechtsstaatlichkeit dar. Noch soll durch die Gewaltmonopolformel ein die Rechtsordnung transzendierender Staat begründet werden, der „als Argument" in Lauerstellung hinter der Verfassung wartet, um deren Normativität, wenn nötig, durch die Berufung auf sein Gewaltmonopol zu überschießen. Das Gewaltmonopol des Staates ist verfassungsrechtlich damit im Ergebnis in der Rechtsstaatlichkeit des Staates verankert.

c) Die Friedenspflicht des einzelnen als grundrechtsimmanente oder verfassungsimmanente Schranke? Es wird allgemein angenommen, daß dem Gewaltmonopol des Staates die Friedenspflicht der Bürger korrespondiert 890. Wie kann das Gewaltmonopol des Staates aber in Grundrechtsdogmatik übersetzt werden? Hierzu werden mehrere Ansichten vertreten, die im folgenden Abschnitt dargelegt und kritisch diskutiert werden sollen. Der Grundrechtsschutz, so lautet die Prämisse der einen Auffassung, setze den Staat voraus. Der Staat wiederum könne nur solange existieren, wie er seine Aufgabe als auf den Ausschluß privater Gewalt angelegte Friedenseinheit erfülle 891 . Dies könne er aber nicht, wenn jeder das Recht auf Gewalt sein eigen nenne. Die Grundrechte stellten deshalb, so die Schlußfolgerung, selbst keinen Rechtsgrund für die Ausübung von Gewalt dar 8 9 2 . Gewalt konstituiere vielmehr ein negatives Tatbestandsmerkmal grundrechtlicher Schutzbereiche, oder anders gewendet: Die Ausübung der Grundrechte stehe unter dem apriorischen Vorbehalt der Friedlichkeit. Mit dieser Formel wird das normative Gewaltmonopol des Staates als Ausschluß der Ausübung physischer Gewalt vom Grundrechtsschutz der einzelnen begriffen 893 . 890 R. Scholz, NJW 1983, S. 705 (707, 708); C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, S. 109; J. Isenssee, in: FS Eichenberger, S. 23 (29); ders., in: HStR I, § 13 Rn. 74; M. Schulte, DVB1. 1995, S. 130 (132); H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 199 ff., 215 ff. 891 BVerfGE 49, 24 (56): „Die Sicherheit des Staates als verfaßter Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen in gleichem Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche und letzte Rechtfertigung herleitet". BVerwGE 49, 202 (209); D. Pirson, in: FS Frost, S. 383 (388); S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 213. 892 s. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 213; K.-A. Schwarz, BayVBl. 2003, S. 326 (330 f.); R. Arnold, BayVBl. 1978, S. 520 (522), weist darauf hin, daß ein Grundrecht nicht zur Zerstörung der eigenen Grundlagen benutzt werden darf. Ferner T. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 202. 893 Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 18; ders., in: HStR I, § 13 Rn. 83; H. Bethge, JA 1985, S. 249 (256): apriorische Bedingung der Verfassungsstaatlichkeit; ebenso S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 213 f.: Soweit das Gewaltmonopol gebiete, die Unfriedlichkeit zwi-

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

Tatsächlich ist der Staat gehalten, dafür Sorge zu tragen, daß die Freiheit des einen mit der Freiheit des anderen zusammenklingt894. Läßt sich hieraus aber eine grundrechtsimmanente Schranke gewaltsamen Handelns ableiten? Dies scheint zumindest nahezuliegen. Die Grundrechte schützen zunächst die Ausübung der Freiheit, nicht jedoch deren gewaltsame Beeinträchtigung 895. Hieraus wird geschlossen, daß es kein Grundrecht darauf geben könne, in den Rechtskreis eines anderen mit Gewalt einzugreifen 896. Grundrechtsvermittelte Freiheit im Verfassungsstaat sei, so diese Auffassung, stets die Freiheit des „status civilis"; die Friedenspflicht des Bürgers also apriorischer Natur. In der Tat legt auch das Vokabular, das die ideengeschichtliche Genese des modernen Staates begleitet, dieses Ergebnis nahe. Die Rede ist dort von der Staatsentstehung durch oder anläßlich des anfänglichen gegenseitigen Verzichts der einzelnen auf diejenige Gewalt, die vormals zum Arsenal ihrer natürlichen Rechte gezählt hatte. Als terminus technicus gebraucht, wirkt der Verzicht auf ein Recht oder eine Freiheit aus heutiger Perspektive im Tatbestand desjenigen Rechts oder derjenigen Freiheit, auf die verzichtet wurde 897 . Verfassungsrechtlichen Ausdruck habe, so diese Auffassung weiter um einen normativen Ansatzpunkt bemüht, der tatbestandsausschließende Verzicht auf Gewalt in Art. 8 I GG gefunden. Diese Grundrechtsbestimmung normiere den Vorbehalt der Friedlichkeit als negatives Schutzbereichsmerkmal und stehe stellvertretend für alle anderen Grundrechte 898. Es fragt sich jedoch, ob der Hinweis auf Art. 8 I GG eine normative Verortung des allseitigen Gewaltverzichts trägt. Eine textorientierte systematische Interpretation grundrechtlicher Freiheiten dagegen könnte nämlich darauf verfallen, die ausdrückliche Nennung der Friedlichkeit einer Versammlung nicht als redundante und sehen Privaten zu verhindern, richte sich der Ausschluß vom Schutzbereich der Grundrechte gegen den jeweiligen Störer. Ders., in: FS Schiedermaier, S. 347 ff.; J. Isensee, in: FS Sendler, S. 39 (60); C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 280 f.: Der Ausschluß von Gewalt inter privates wird u. a. entweder mit der Drittwirkungsfigur oder den grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates erklärt. Ausführlich B. Jean d'Heur, AöR 119 (1994), S. 107 (121 ff. m. w. N.); J. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 34 ff. 894 M. Pawlowski, in: Rechtstheorie 19 (1988), S. 409 (441): Die Freiheit sei jedermanns Sache und könne nur Bestand haben, „wenn jedermann seinen Drang beschränkt, die anderen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen". Auch W. Maihofer, in: Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte, S. 88 (94): Zwang der Gesellschaft nur dort, wo dies zum Schutze der anderen vor nachteiligen Auswirkungen unbedingt erforderlich ist. 895 G. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 453; S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 213. 896 j, Isensee, in: Essener Gespräche 22 (1988), S. 148 (150); S. Muckel, in: FS Listi, S. 239 (245); BVerfG NJW 1991, S. 1766 (1767). 897 Zum Grundrechtsverzicht, vgl. A. Bleckmann, JZ 1988, S. 57 (57 f.); G. Robbers, JuS 1985, S. 925 ff.; J. Pietzcker, Der Staat 17 (1978), S. 527 (533 ff.); G. Sturm, in: FS Geiger, S. 173 (177 ff.). 898 So J. Isensee, in: FS Sendler, S. 39 ff.; D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 44 f.; E. Schmitt Glaeser, Private Gewalt, S. 72 ff., 194 ff.; R. Scholz, NJW 1983, S. 705 (708 f.); R. Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 8 Rn. 77: allgemeines Unwerturteil. *

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

redaktionelle Besonderheit, sondern als verfassungsrechtlich intendierte Ausnahme zu lesen 899 . Als Kronzeugin ließe sich zu diesem Zwecke die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 21 GG) vorladen, die ursprünglich und profan lauten sollte: „Jeder kann tun und lassen, was ihm beliebt". Das vorhandene oder fehlende Ineinandergreifen der Grundrechte der Versammlungsfreiheit und der allgemeinen Handlungsfreiheit fungiert hier als Indikator für ein tieferliegendes Problem der Grundrechtstheorie. In eine Frage gefaßt: Fällt eine unfriedliche Versammlung zwar in den Regelungsbereich, aus dem Schutzbereich des Art. 8 I GG aber heraus, steht dann Art. 2 I GG als Auffangtatbestand bereit 900 ? Was sich zunächst in das Gewand grundrechtsdogmatischer Problematik zu kleiden scheint, entpuppt sich letztlich jedoch als eine Frage des freiheitsrechtlichen Vorverständnisses, das dem Grundgesetz zugrunde gelegt wird 9 0 1 . Hier läßt der Rekurs auf die unter Metaphysikverdacht stehende Selbstverständlichkeit 9 0 2 gewaltloser Freiheit in einer Rechtsgemeinschaft zunächst keine Rückschlüsse auf den Standort dieser Grundrechtsbeschränkung zu. Wie bereits ausgeführt, sind auch grundrechtliche Freiheiten ihrem Wortlaut und Sinn nach rechtliche Freiheiten, was nichts anderes heißt als: inhaltlich begrenzt 903 . Diese Rechtslogik führt in der Sache aber nicht weiter, da sie nichts über den Inhalt der Beschränkung selbst mitteilt. Letzterer wird dann oft in einem zweiten Schritt, der an die Rechtsqualität der Grundrechte anknüpft, aber auf gleicher Abstraktionsstufe verbleibt, aus der apriori Gemeinschaftsgebundenheit der Grundrechte oder dem Staat und seinem Gewaltmonopol als ihrer Voraussetzung gewonnen. Oder es wird auf die materielle Verfassung und damit auf ungeschriebenes Verfassungsrecht zurückgegriffen, um auf die Selbstverständlichkeit eben jenes schutzbereichsausschließenden Gewaltverzichts zu folgern 904 . Das Gemeinwesen im Verbund mit dem staatlichen Gewaltmonopol fungiert dann, und an dieser Stelle schließt sich der Kreis, als ungeschriebene, die Grundrechte tangierende Verfassungsvor899 Zweifel auch bei Κ. E. Hain, ZG 1996, S. 75 (81); C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 280 f. 900 Diese verneinen H.-U. Erichsen, in: HStR VI, § 152 Rn. 28 f.: keine undifferenzierte Überlagerung der Spezialgrundrechte durch Art. 2 I GG; C. Starck, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Art. 2 Abs. 1 Rn. 51: Art. 8 GG ist lex specialis; R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 8 Rn. 77: nur deshalb kein Rückgriff, weil sich Art. 8 I GG ein ausgesprochenes Un Werturteil entnehmen lasse; T. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 203. Bejaht wurde/wird diese Frage von Β. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, 12. Aufl. 1996, Rn. 369 f.; H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 66 Anm. 64 m.w.N; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 152 ff.; zusammenfassend A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, S. 53 ff. 901 G. Nitz, Private und Öffentliche Sicherheit, S. 453. 902 M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 S. 528 f. 903 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 308. 904 So J. Isensee, in: FS Sendler, S. 39 (56 ff.); ders., FS Eichenberger, S. 23 (31 f.); D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 44 f.; BVerfGE 27, 18 (30); 30, 1 (19). Zur Abgrenzung von formellem und materiellem Verfassungsrecht, vgl. F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 40 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

aussetzung, die letztlich den Vorrang der Verfassung, an dem auch die Grundrechte teilhaben, unterläuft 905 . Was aber ungleich schwerer wirkt: Durch die Exklusion gewaltsamen Verhaltens aus den Schutzbereichen der Grundrechte wird gleichzeitig die bei einem Grundrechtseingriff ansonsten stattfindende Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht und die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der staatlichen Gegenmaßnahme ausgeschlossen906. Die Auffassung, der Gewaltverzicht sei ein Tatbestandsmerkmal aller Grundrechte und die Anwendung von Gewalt falle deshalb von vornherein nicht in den Schutzbereich der Grundrechte, ist mit dieser Begründung daher abzulehnen. Es fragt sich jedoch, ob die juristische Einordnung der Friedlichkeit als Grundpflicht 907 einen grundrechtsdogmatischen Ausweg aus dem Reich des Vorverfassungsrechtlichen aufweist. Im Unterschied zu Verfassungsvoraussetzungen seien, so wird geltend gemacht, Grundpflichten verfassungsrechtlicher Natur. Als (symmetrisches oder asymmetrisches) Gegenstück zu den Grundrechten seien sie in der Verfassung selbst niedergelegt. Bereits die verfassungsrechtliche Einordnung der Grundpflichten bereitet jedoch Schwierigkeiten. Sie sind im Grundgesetz, anders als in einigen Landesverfassungen oder der Verfassung der Weimarer Republik, textlich in der Regel nicht erwähnt 908 . Entsprechend vielfältig fallen die Begriffsbeschreibungen der Grundpflichten aus 909 . Auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, meinen sie gemeinhin eine der Pflicht des Bürgers korrespondierende Berechtigung des Staates, die (zumeist) aus den Staatszwecken hergeleitet wird und in der Verfassung verankert sein soll 9 1 0 . 905 Vgl. oben § 1 B. III.; auch M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, § 81 S. 538 f.; C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 280. 906 κ. Kröger, JuS 1984, S. 172 (173, 176); J. Isensee, DÖV 1982, S. 609 (616); ders., in: FS Sendler, S. 39 (58 ff.); ders., Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 18, 44; R. Scholz, NJW 1983, S. 705 (709 f.); kritisch C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 280 ff.; H. J. Faller, in: FS Geiger, S. 3 (11). 907 j. Isensee, in: FS Sendler, S. 39 (48); H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 42 (76); ders., in: HStR V, § 144 Rn. 20; D. Merten, BayVBl. 1978, S. 554 (557 f.). 908 Dies wird überwiegend durch den Mißbrauch der Pflichtenthematik durch das NSRegime und die individualistische Konzeption des Grundgesetzes erklärt, vgl. R. Stober, DÖV 1998, S. 775 (776); K. Stern, in: FS Doehring, S. 969 ff.; H. H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153 (158); O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem, passim. Ausnahmen sind ζ. B. die Wehrpflicht nach Art. 12 a GG, die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 II GG und die Elternpflicht nach Art. 6 I I GG. 909 Sie werden bezeichnet als „verfassungsrechtlich geforderte Pflichtbeiträge des Bürgers zum Gemeinwohl", vgl. V: Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 7 (12); „Quasi-Grundrechte der staatlichen Gemeinschaft gegenüber den Individuen", vgl. H. Hofmann, VVDStRL 41 (1983), S. 42 (47); oder „allgemeine und gleiche Rechtspflichten, die entweder das Verhältnis der einzelnen untereinander oder das Verhältnis des einzelnen zum Gemeinwesen regeln", vgl. H. Saffert, Geschichte der Grundpflichten, S. 7. 910 τ. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 34. Ob neben dem Staat auch der Mitbürger in den Pflichtenkreis einbezogen sein soll, ist ungeklärt. Daß Grundpflichten nur gegenüber dem

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Als Staatszweck, der herangezogen wird, um eine Grundpflicht der Friedlichkeit zu begründen, wird üblicherweise auf den der Friedenssicherung und damit auch auf das Gewaltmonopol des Staates verwiesen 911. Ferner ist das Verhältnis der Grundpflichten zu den Grundrechten des Grundgesetzes ungeklärt. Zum Teil werden die Grundpflichten als der Grundrechtsdogmatik zugehörig markiert. Sie wirkten, so diese Auffassung, als Ergänzung der Grundrechte und als Unterfall der Grundrechtsschranken 912. Eine andere Auffassung dagegen versteht die Grundpflichten als eine eigenständige normative Kategorie 913 . Der Unterschied beider Auffassungen wirkt sich insbesondere im Hinblick auf die Einordnung der Grundpflicht „Friedenspflicht" in die Verfassungsdogmatik aus. Werden Grundpflichten als eigenständige Verfassungskategorie mit einer selbständigen normativen Bedeutung begriffen, kann gleichzeitig postuliert werden, daß einzelne Grundpflichten nicht wie die Schranken der Grundrechte erst extern an den Grundrechtsgebrauch herangetragen werden, sondern bereits den Schutzbereich eines (oder aller) Grundrechte begrenzen. So geschehen mit der Friedenspflicht, die nach dieser Auffassung das „wichtigste Beispiel" einer Schutzbereichsbegrenzung darstellt 914 . Ohne einen positivrechtlichen Ansatz im Grundgesetz selbst verbleiben die Grundpflichten, auch die Friedenspflicht, jedoch gleichfalls in der Dimension der ethischen Bürgerpflichten verhaftet. Letztere mögen zwar von der Verfassung vorausgesetzt werden, können auf die tatbestandliche Reichweite grundrechtlicher Freiheiten jedoch keinen unmittelbaren Einfluß nehmen, denn eine Phalanx an Grundpflichten mit einer den Grundrechten entsprechenden rechtlichen Struktur höbe die Freiheit der Verfassung auf 9 1 5 . Als immanente Beschränkung des SchutzStaat bestehen, wird vertreten von C. Gusy, JZ 1982, S. 657; H. Bethge, JA 1985, S. 249 (251); R. Stober, NVwZ 1981, S. 473. Daß sie auch gegenüber Dritten zum Tragen kommen, wird angedeutet bei K. Stern, in: FS Doehring, S. 969 (982): Sie determinieren umfassend die „Grundposition des Individuums". 911 J. Isensee, JZ 1999, S. 265 (270 ff.); P. Badura, DVB1. 1982, S. 861 (868); H. Hofmann, in: HStR V, § 114 Rn. 36: Grundpflichten „gründen in der Notwendigkeit, den Staat der Freiheit zu organisieren und zu erhalten". 912 H. Hofmann, in: HStR V, § 114 Rn. 46: Grundpflichten sind mit den Grundrechtsschranken, „speziell den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten verwandt". C. Gusy, JZ 1982, S. 657 (662); U. Battis /C. Gusy, Staatsrecht, Rn. 331; B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 192 ff.; P. Badura, DVB1. 1982, S. 861 (862, 869); R. Barzel, Grundrechte und Grundpflichten, S. 54; H. Bethge, JA 1985, S. 250. 913 E. Benda, Grundrechte - Grundpflichten, passim; R. Zippelius, VVDStRL 41 (1983), S. 127; T. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 43 ff. Zum Verhältnis von Grundrechten und Grundpflichten, vgl. Κ Götz, VVDStRL 41 (1983), S. 8 (12 f.); O. Luchterhand, Grundpflichten als Verfassungsproblem, S. 467; R. Stober, Grundpflichten und Grundgesetz, S. 12 ff.; D. Merten, BayVBl. 1978, S. 554 f.; H. Bethge, NJW 1982, S. 2145 ff.; P. Badura, DVB1. 1982, S. 861 (868 ff.). 914 So T. /. Schmidt, Grundpflichten, S. 47. 915 H. H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153 (166); D. Merten, VerwArch. 73 (1982), S. 103 (107).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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bereichs der Grundrechte unter dem Etikett der Grundpflicht obliegt die Friedenspflicht darüber hinaus den oben geltend gemachten Bedenken gegen grundrechtsimmanente Schranken überhaupt: dem Fehlen eines Abwägungsvorganges und dem einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Eingriffsseite. Grundpflichten, und damit auch die Friedenspflicht, sind vielmehr wegen ihrer Rückwirkung auf die Freiheitsrechte mit den Grundrechtsschranken, speziell den grundgesetzlichen Gesetzesvorbehalten, verwandt. Als Freiheitsbeschränkungen, die sie sind, können die Grundpflichten, und damit grundsätzlich auch die allgemeine Friedenspflicht, Rechtserheblichkeit erst durch einen Umsetzungsakt des Gesetzgebers erlangen. Dem entspricht auch die Aussage, der sachliche Schutzbereich eines Grundrechts dürfe nicht von seinen Schranken her definiert werden 916 . Grundpflichten sind dem Gesetzgeber also zur einfachgesetzlichen Konkretisierung und Realisierung überlassen und wirken als Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Freiheit folgerichtig erst auf der Schrankenseite der Grundrechte 917. Als Antagonistin steht dem vorgebundenen Freiheitsverständnis der Grundrechte, das auch in dem Postulat der Friedenspflicht als Grundpflicht zum Ausdruck kommt, folglich die dem Liberalismus verpflichtete Grundrechtstheorie gegenüber 918 . Grundrechtliche Freiheit verbleibt hiernach auch im Staatswesen vorstaatlicher Natur. „Die Grundrechte verlangen dem Staat Rechtfertigung ab und liegen ihm insofern voraus" 919 . Nicht Staat und Staatlichkeit, Friedenszweck und Gewaltmonopol geben den Grundrechten ihre Reichweite vor, sondern umgekehrt liefern die Grundrechte dem Staat, der dem Freiheitsgebrauch des Bürgers Schranken zieht, die Maßstäbe920. Nach dem rechtsstaatlichen Verteilungsprinzip ist die 916 BVerfGE 85, 386 (397). 917 H. Hofmann, in: HStR V, § 114 Rn. 46 f.; ders., VVDStRL 41 (1983), S. 42 (76); B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 193; Η. H. Klein, Der Staat 14 (1975), S. 153 (155 u. passim); C. Gusy, JZ 1982, S. 657 (661); M. Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1 Rn. 59; E. Benda, Grundrechte - Grundpflichten, S. 10, 21; A. Hencke, Grundpflichten, S. 21 ff.; D. Grimm, in: VVDStRL 41 (1984), S. 103, 130; C. Starck, ebda., S. 112; E.-W. Böckenförde, ebda., S. 115 f.; M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 537: „Ebenso wenig kann ein allgemeiner Friedlichkeitsvorbehalt als Ausdruck des staatlichen Gewaltmonopols als immanente Begrenzung der Grundrechte anerkannt werden". Ebenso C. Möllers, Der Staat als Argument, S. 283. 918 Der Gegensatz zwischen einem radikal individualistischen (atomistischen) und einem gemeinschaftsgebundenen (holistischen) Freiheitsverständnis wird heute unter den Stichworten Liberalismus / Kommunitarismus diskutiert. Hierzu A. Honneth, in: ders. (Hrsg.), Kommunitarismus, S. 7 (9 ff.); W. Brugger, in: ders., Liberalismus, S. 253 ff.; ders., AöR 123 (1998), S. 338 (340 ff.); U. R. Haltern, KritV 2000, S. 153 ff. „Theoretische Innovation besteht häufig nur in neuartigen Arrangements bekannter Versatzstücke", so W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 19; ähnl. auch W. Brugger, AöR 123 (1998), S. 338 (340): „Es stellte sich nämlich heraus, daß es mehrere unterschiedliche Auffassungen von Gemeinschaftsdenken gibt, die jedenfalls zum Teil den alten Gefechtslinien entsprechen". Femer H. Rosa, in: Brodocz/ Schaal (Hrsg.), Politische Theorien II, S. 55 ff. 919 B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte (9. Aufl.), Rn. 59; K. Stern, in: ders., Staatsrecht III/1, S. 37, 732. 920 B. Schlink, EuGRZ 1984, S. 457.

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Freiheitssphäre des einzelnen daher zunächst prinzipiell unbegrenzt. Grundgesetzliche Freiheit gilt nicht nur nach Maßgabe der Friedenspflicht. Gewalt ist vielmehr zunächst vom Schutzbereich der Grundrechte umfaßt. Insbesondere ein weit verstandenes Auffanggrundrecht aus Art. 2 I GG dient in diesen Fällen als Schutz vor formellen und untergesetzlichen Verfassungsverstößen sowie vor der Willkür von Behörden und Fachgerichten - ein Ergebnis, das auch die Lehre von der Friedlichkeit als Grundpflicht oder immanenter Schutzbereichsbegrenzung erzielt, wenn sie betont, daß auch im Falle des Vorgehens gegen gewaltsames Verhalten die Staatsgewalt an den Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gebunden sei, da dieser auch den unfriedlichen Bürger davor schütze, ohne verfassungsmäßige rechtliche Grundlage in seine Schranken gewiesen zu werden 921 . Dem steht nur scheinbar die Auffassung entgegen, daß die Grundrechte keine unbegrenzte Freiheit gewährleisten. Daß dieses Ergebnis nämlich weder dem staatlichen Gewaltmonopol Abbruch tut noch directement in den nächsten Bürgerkrieg führt, ergibt sich aus zwei aufeinander aufbauenden Überlegungen: Der grundrechtliche Schutzbereich ist nicht identisch mit dem „effektiven Garantiebereich" der Grundrechte 922. Auch eine im Schutzbereich nicht vorgebundene Freiheit artet realiter nicht in gewaltsame Beliebigkeit aus. Denn im verfaßten Staat existieren rechtliche Grenzen des nur im Naturzustand uferlosen Freiheitsgebrauchs. Effektive Freiheit ist eine Synthese aus Recht und Gegenrecht. Was konkret an individueller Freiheit gewährleistet wird, ergibt sich aus der Anwendung der zur Verfügung stehenden normativen Mechanismen, will heißen: den gesetzlichen Begrenzungen der grundrechtlichen Freiheit 923 . Diese Begrenzungen aufzuzeigen, auszuformulieren und den Grundrechten wohlabgewogen entgegenzusetzen, ist aber die Aufgabe des demokratisch gewählten Gesetzgebers. Nur dieser ist dazu berufen, komplexe Konfliktlagen durch Setzungen zu lösen. Letztere werden in einem Verfahren ausgehandelt, das legislatorische Mehrheitsentscheidungen legitimiert, und entspringen deshalb nicht allein den vielfältigen Vorverständnissen der Grundrechtsinterpreten 924. Sedes materiae eines Friedlichkeitsvorbehalts ist damit die 921 S. Muckel, in: FS Listi, S. 239 (245), weist hin auf BVerfGE 81, 278 (292), das in dieser Hinsicht ebenfalls nach dem Prüfungsmodell: Schutzbereich und Schranke, verfährt (dort zur Kunstfreiheit). H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 I Rn. 66 Anm. 264, geht davon aus, daß jedwedes Verhalten zum Beispiel in den Schutzbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit fällt. Auch M. Hochhuth, JZ 2002, S. 743 (746 u. passim); J. Isensee, in: FS Sendler, S. 39 (42, 60); M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 538 f. Hierzu auch die Kontroverse F. Müller/C. Starck aus dem Jahre 1981 um die Grenzen der Kunstfreiheit (Art. 5 III GG). C. Starck, JuS 1981, S. 237 (245 f. m. Fn. 133) und F. Müller, JuS 1981, S. 643 f. 922 Ausführlich G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 25 ff. u. passim. 923 E. Grabitz, Freiheit und Verfassungsrecht, S. 22 u. passim; G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 87, 97. Die effektive Reichweite des Grundrechtsschutzes wird einzelfallbezogen bestimmt. Auch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 250, 260, 278 ff.; J. Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 152: Der Schutzbereich einer Freiheitsgarantie ist nicht identisch mit seinem endgültigen und effektiven Abwehrschutz. A. v. Arnauld, Die Freiheitsrechte und ihre Schranken, S. 15 ff., 32 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Schrankenseite der Grundrechte, auf der die einfache Rechtsordnung mit der grundrechtlichen Freiheit des einzelnen dialogisch zusammenwirkt. A u f der Schrankenebene fällt die Entscheidung über die „Nettofreiheit" des Bürgers 9 2 5 . Der einfachen Rechtsordnung wird i m Rechtsstaat des Grundgesetzes nämlich die Funktion der Hüterin des friedlichen Zusammenlebens angetragen. Dieses Ergebnis schließt auf zu der Bedeutung des Gewaltmonopols als Entscheidungsmonop o l 9 2 6 des Staates, nämlich als Alleinbesitz der Bestimmungsmacht über legale oder illegale Gewaltausübung. Die Friedenspflicht zählt damit i m Ergebnis zu denjenigen Verfassungsgütern, die als Grundrechts schranken allgemein Beachtung finden, insbesondere auch bei denjenigen Grundrechten, die ohne verfassungsrechtlich festgelegte Gesetzes vorbehalte wie Art. 4 GG positi viert s i n d 9 2 7 .

d) Zum Inhalt des Gewaltverbots Dient das Gewaltmonopol des Staates, als dessen Kehrseite sich das Verbot privater Gewalt generiert, dem Zweck, den Bürgerkrieg zu vermeiden, liegt es nahe, den verfassungsrechtlichen Begriff der Gewalt auf die physische Gewalt zu beschränken 9 2 8 . Es fragt sich jedoch, wie physische Gewalt zu definieren i s t 9 2 9 . 924

So auch G. Lübbe-Wolff, Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 99; F. E. Schnapp, JuS 1978, S. 729 (733); W. Höfling, Grundrechtsinterpretation, S. 64 ff., 70; G. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 455. 925 M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 4 Rn. 89; ders., Selbstverständnis, S. 400 ff. 926 A. Podlech, Der Staat 6 (1967), S. 341 (347 Fn. 48), mit Hinweis auf H. Heller, Staatslehre, S. 242 ff. 927 K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1060. 928 in jedem Fall erscheint es aber fragwürdig, vom Begriff des Gewaltmonopols des Staates direkt auf den Gewaltbegriff der Verfassung zu schließen, vgl. M. Herdegen, Gewissensfreiheit, S. 200: „Das Postulat, daß das staatliche Gewaltmonopol eine nach vorgegebenen objektiven Kriterien bestimmte Schranke zulässiger Grundrechtsausübung zu bilden hat, läßt sich nicht in Abstraktion von bestimmten Staatszielen formulieren, welche einer bestimmten Rechtsordnung zugrunde liegen". 929 Insgesamt ist der Gewaltbegriff sehr umstritten. Allein im Rahmen des Art. 81 GG werden vier verschiedene Unfriedlichkeitsbegriffe vertreten. So stellt der BGH DVB1. 1951, S. 736, völlig unbestimmt auf die „Störung des staatsbürgerlichen Friedens" ab. Eine andere Definition versteht unter Unfriedlichkeit jede Rechtsverletzung und zieht die einfache Legalordnung in den Tatbestand des Grundrechts hinein, vgl. B. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 697. Wieder andere werten jeden Verstoß gegen das Strafrecht als Unfriedlichkeit, vgl. W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rn. 30. Durchgesetzt hat sich der Gewalttätigkeitsbegriff der §§ 5 Nr. 3, 13 I Nr. 2 VersammlG, vgl. BVerfGE 73, 206 (249). Dieser Begriff erfordert eine aktive, aggressive körperliche Einwirkung auf Personen und Sachen. Er ist enger als der Gewaltbegriff des Strafrechts. Auch im Strafrecht ist man sich aber an sich einig, daß der Gewaltbegriff eine körperliche Kraftentfaltung beinhalte. Allerdings nahm die Bedeutung des körperlichen Kraftaufwandes in der Rechtsprechung vor allem zu § 240 StGB im Laufe der Zeit immer mehr ab, während die Bedeutung der Zwangseinwirkung beim Opfer immer mehr

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Daß staatliche Gewalt im Sinne des Gewaltmonopols nur den engeren Begriff des körperlich wirkenden Zwanges meint, darüber herrscht, trotz fehlender Deduzierbarkeit aus einzelnen Normen der Verfassung selbst, in der Staatsrechtslehre Einigkeit 930 . Korrelativ wird die dem Bürger verfassungsrechtlich in jedem Falle verbotene Gewalt als ebendiese körperlich wirkende, unwiderstehliche vis definiert: Gewalt ist der körperliche oder körperlich wirkende Zwang gegen Personen und Sachen, die entschlossene Androhung und der unmißverständliche Aufruf hierzu 931 . Denn um mit den Worten Karl R. Poppers zu sprechen: „ ( . . . ) wenn ein Mensch entschlossen ist, zur Erreichung seiner Ziele Gewalt anzuwenden (und ihm dies nachweisbar ist), dann kann man sagen, daß er im Grunde eine gewalttätige Haltung einnimmt, ob er nun in einem besonderen Falle Gewalt anwendet oder nicht 9 3 2 . Damit zeigt die Verfassung selbst eine äußerste Grenze des Grundrechtsgebrauchs auf. Der umfassende Begriff der Gewalt ist aber insgesamt nicht frei von zeitgeistbedingter Dynamik. Seine einfachgesetzliche Ausfüllung, die in Kombination mit dem zu schützenden Rechtsgut unterschiedlich ausfallen kann, ist daher Sache staatlicher Setzung, vor allem des Strafrechts 933. Verfassungsrechtliche Vorgaben dürfen dabei jedoch nicht verletzt werden 934 . Mit dem Gewaltverbot, das als verfassungsimmanente Schranke grundrechtlicher Freiheitsbetätigung auch im Rahmen der vorbehaltlos gewährleisteten Religionsfreiheit seinen Dienst tut, werden auf ein Handlungsmittel beschränkte, (äußerste) verfassungsunmittelbare Grenzen des Grundrechtsgebrauchs aufgezeigt. Das Gewaltmonopol soll „Kommunikation in einem gewaltfreien Raum" ermöglichen und zunahm, bis das Erfordernis einer körperlichen Zwangseinwirkung beim Opfer völlig aufgegeben und der Gewaltbegriff „vergeistigt" wurde, vgl. BGHSt 1, 145 (147); 8, 102 (103); 35, 270; BVerfGE 73, 206 (233 f., 242, 257 ff.); ferner/?. Zuck, MDR 1987, S. 636 ff.; W. Schmitt Glaeser, BayVBl. 1988, S. 454 (456 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entwicklung in BVerfGE 92, 1 (17 f.), mittlerweile gestoppt. T. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 204. 930 D. Merten, in: Randelzhofer/Süß (Hrsg), Konsens und Konflikt, S. 324 (326); J. Isensee, in: FS Eichenberger, S. 23 (24); G. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 327 ff. u. passim; C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr, S. 109 ff.; W. Schmitt Glaeser, Private Gewalt, S. 200 u. passim: „Unfriedliches Verhalten ist demnach immer dann gegeben, wenn unter Verstoß gegen geltendes Recht der menschliche Körper zum Medium der Konfliktbewältigung, zum Instrumentarium der Interessenwahrnehmung gemacht wird". 931 J. Isensee, in: HStR I, § 13 Rn. 77. Hierbei ist allerdings umstritten, ob das Gewaltverbot auch Gewalt gegen Sachen umfaßt, vgl. G. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 331 f.; ähnl. S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 211; H. J. Faller, in: FS Geiger, S. 3 (15). 932 κ. R. Popper, Die offene Gesellschaft II, S. 185. 933 Zu den funktionellen Unterschieden zwischen verfassungsrechtlichem und strafrechtlichem Gewaltbegriff, vgl. G. Nitz, Private und öffentliche Sicherheit, S. 328 f.; zum strafrechtlichen, insb. dem vergeistigten Begriff der Gewalt, umfassend R. Keller, Strafrechtlicher Gewaltbegriff, S. 87 ff.; vgl. aber auch H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 597, der im Wege funktionaler Verbindung des Mittels (Gewalt) mit dem zu schützenden Rechtsgut für einen weiten verfassungsrechtlichen Gewaltbegriff plädiert. 934 BVerfGE 92, 1 (16 ff.); 71, 108(116).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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deshalb allein auf die Formen, nicht jedoch auf den Inhalt der gesellschaftlichen Kommunikation disziplinierend einwirken 935 . Der Staat organisiert durch Rechtsordnung und korrespondierendes Gewaltverbot das Zusammenleben aller derart, daß universalistisch angelegte Religionen auf die gewaltsame Durchsetzung ihrer Wahrheiten verzichten müssen. Damit eliminiert er die religiösen Wahrheiten nicht, sondern durchbricht nur eine gewaltsame „Logik" ihres universalistischen Anspruchs. Den einzelnen bleibt es weithin unbenommen, ihr Verhalten an den höheren Wahrheiten religiöser Provenienz auszurichten, für sie zu werben und auch politisch einzutreten. Der Weg, die formalen Spielregeln der säkularen Entscheidungsfindung durch Gewalttätigkeiten zu unterlaufen, bleibt ihnen aber verschlossen. Mit ihrem Verbot kann eine Religionsgemeinschaft deshalb nicht schon dann belegt werden, wenn sie legale Mittel einsetzt, um „verfassungswidrige" Ziel zu vertreten, sondern erst dann, wenn sie - religiös motiviert - „illegale" Mittel androht und anwendet: die Gewalt. Ungerechtfertigte Gewalt macht ausnahmslos jede religiöse oder religiös motivierte Aktivität verfassungswidrig 936.

2. Die aktive, aggressiv kämpferische Haltung oder das aktive, aggressiv kämpferische Verhalten der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft Nachdem ermittelt wurde, daß eine verfassungsunmittelbare Grenze eines jeden Grundrechtsgebrauchs durch die Ausübung von Gewalt, also eines unzulässigen Verhaltens, markiert wird, soll im folgenden Abschnitt überprüft werden, ob die Auslegung der beiden Tatbestandsalternativen des Art. 9 II GG durch Rechtsprechung und Literatur dieser allgemeinen Grenzmarke der Verfassung entspricht. Knüpfen die Verbotstatbestände des Art. 9 II GG überhaupt an ein äußeres Verhalten, geschweige denn an den Einsatz gewaltsamer Mittel an? Zur Beantwortung dieser Frage soll die Ausgestaltung beider Verbotsalternativen in Rechtsprechung und Literatur dargelegt und kritisch hinterfragt werden. Es fragt sich dabei zunächst, ob der Verbotstatbestand des Art. 9 II GG überhaupt verhaltensbezogen formuliert ist oder ausgelegt werden kann. Immerhin ist 935 c. Calliess, ZRP 2002, S. 1 (4). 936 o. Depenheuer, Essener Gespräche 33 (1998), S. 5 (19 ff.); S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 214; H. Ridder, in: AK GG (Vorauflage), Art. 9 Abs. 2 Rn. 34 ff. (35): Unter Hinweis auf Art. 143 GG in seiner bis zu seiner Aufhebung im Jahre 1951 geltenden Fassung legt Ridder den Art. 9 II GG von vornherein dahin aus, daß nur solche Vereinigungen verboten seien, „die eine Verdichtungsstätte von Bestrebungen sind, die zu hochverräterischen Unternehmen führen können, d. h. zur Beseitigung oder Änderung der »verfassungsmäßigen Ordnung' (= der konkreten staatlichen Ordnung auf der Grundlage der geltenden Verfassung) durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt. Auch BVerfGE 69, 315 (360): Auf die Vermeidung von Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen „muß eine Rechtsordnung, die nach Überwindung des mittelalterlichen Faustrechts die Ausübung von Gewalt nicht zuletzt im Interesse schwächerer Minderheiten monopolisiert hat, strikt bestehen".

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

das Verbot einer Vereinigung nicht schon dann gerechtfertigt, so die allgemeine Meinung, wenn diese die freiheitlich demokratische Grundordnung lediglich ablehnt und ihr andere Grundsätze entgegenstellt. Die bloße Kritik einer Vereinigung am geltenden Verfassungsrecht oder den bestehenden politischen Zuständen, auch wenn sie unsachlich oder unqualifiziert ist, reicht für ein Verbot nicht aus 937 . Die Auslegung des Tatbestandes des Vereinsverbots nach Art. 9 I I GG wird nämlich mittlerweile an die Parteiverbotsnorm des Art. 21 I I GG rückgekoppelt 938. In diesem Rahmen hat das Bundesverfassungsgericht die Tatbestandsmerkmale des Beeinträchtigens und Beseitigens der freiheitlich demokratischen Grundordnung, auf die eine Partei ausgehen muß, durch die Formel der aktiven, aggressiv kämpferischen Haltung der Partei selbst und durch diejenige des aktiven, aggressiv kämpferischen Verhaltens ihrer Mitglieder (Anhänger) konkretisiert. Die Begriffe der Aktivität, der Aggressivität und des Kampfes scheinen zunächst auf das Erfordernis gewaltsamen Verhaltens hinzudeuten. Bei näherer Betrachtung des diffusen Begriffes der Aggressivität deutet sich aber bereits an, daß dieser Schein trügt. Der Terminus der Aggressivität beschreibt einen changierenden Komplex an Verhaltensweisen und Gefühlslagen und vereinigt zweierlei: die Entgrenzung des Gewaltverdachts mit der Entgrenzung des Gewaltbegriffes. Die Disjunktion von Gewalt und gewaltfreiem Handeln wird in ein „Kontinuum der Aggressivität" hinein aufgehoben. Mit diesem Begriff soll symbolisiert werden, daß auch in der gewaltlosen Aggressivität die Latenz der Gewalt lauere 939 . Aggressivität ist deshalb ein Mißtrauensbegriff, mit dem der Vorsorgecharakter der Verfassungsschutznormen noch potenziert wird. Die Pönalisierung des aggressiven Verhaltens, mit dem dessen eigentliche Gewaltlosigkeit verschleiert werden soll, dient nicht nur der Risikominimierung, sondern zugleich auch dem Sicherheitsgefühl. Denn: Je mehr die Menschen der Gewalt mit Abscheu begegnen, desto empfindlicher werden sie gegen jede Manifestation von Aggressiviät. Und die Folge davon: Je mehr sie die Gewalt gezähmt haben, desto eher geraten sie unter den Verdacht von Aggressivität und damit ein Sicherheitsrisiko zu sein 940 . 937 BVerwGE 1, 184 (187); 37, 344 (358); 61, 218 (220); BVerfGE 5, 85 (141 ff.); BVerwG NJW 1995, S. 2505; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 42 f.; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 52; /. v. Münch, in: BK GG, Art. 9 (1966) Rn. 64; M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 156; R. Scholz., in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 128; B. Reichert, HdbdVereins- und Verbandsrechts, Rn. 3031. Zu § 90 a StGB a.F. hatte der BGH dagegen noch entschieden, daß das Tatbestandsmerkmal des „Sich-Richtens" gegen die verfassungsmäßige Ordnung auch eine Vereinigung erfasse, deren „Zielsetzung sich darin erschöpft, unter Festhalten an Gedankengängen, mit denen einer freiheitlichen Demokratie völlig entgegengesetzten Staatsauffassung gehuldigt wird, die Mitglieder in der beharrlichen Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Ordnung zu bestärken", vgl. BGHSt 9, 101 (103); 7, 219 (222). 938 BVerwG NJW 1993, S. 3213 (3215); W Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 42 f.; P. v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 30; M. Planker, NVwZ 1998, S. 113 (116). 939 τ. v. Trotha, Distanz und Nähe, S. 42. 940 τ. v. Trotha, Distanz und Nähe, S. 53.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

Dieses Bild spiegelt sich in der Konkretisierung des aggressiv kämpferischen „Sich-Richtens" gegen die verfassungsmäßige Ordnung wider, das insgesamt wenig mit aggressivem, geschweige denn: gewaltsamem Verhalten gemein hat. Zwar ist der Rechtsprechung der Umgang mit dem Begriff der Gewalt in den Tatbeständen der wehrhaften Verfassungsnormen nicht unbekannt. In seinem Urteil zum KPD-Verbot zeigte beispielsweise das Bundesverfassungsgericht auf, daß die Partei zur gewaltsamen Durchsetzung ihrer Ziele entschlossen war 9 4 1 . Auch das Bundesverwaltungsgericht geht in seinen Entscheidungen zum Verbot des Kalifatstaats auf dessen Gewaltsamkeit ein. Allerdings reduziert sich das Merkmal der Gewaltbereitschaft in diesen Gerichtsentscheidungen zu einem Indiz der Verfassungswidrigkeit. Oder, um mit Hans Hugo Klein zu sprechen, weit entfernt davon, als ausschlaggebendes Tatbestandsmerkmal zu fungieren, „begründet es (allein) die unwiderlegliche Vermutung für - die Verfassungswidrigkeit (der) Zielsetzung" 942 . Art. 9 II GG erlaubt das Verbot einer Vereinigung, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet. Das „Sich-Richten" muß auf nachweisbare Tatsachen im Zeitpunkt der Auflösungsentscheidung gestützt werden können, damit es das Verbot einer Vereinigung trägt 943 . Es fragt sich demnach, was unter dem „Sich-Richten" des Art. 9 II GG verstanden wird. Obwohl das „Sich-Richten" als alleiniges Tatbestandsmerkmal zwischen der Vereinigung und der verfassungsmäßigen Ordnung vermittelt, verbergen sich hinter diesem Terminus zwei Tatbestandsalternativen: die Ziele der Vereinigung und das ihr zurechenbare Verhalten ihrer Mitglieder. Die zweite Alternative wird durch § 3 V VereinsG klargestellt. Hiernach kann die Verbotsbehörde das Verbot auch auf Handlungen von Mitgliedern des Vereins stützen, wenn ein Zusammenhang zur Tätigkeit im Verein oder zu seiner Zielsetzung besteht, die Handlungen der Mitglieder auf einer organisierten Willensbildung beruhen und nach den Umständen anzunehmen ist, daß sie vom Verein geduldet werden. In der Formulierung des § 3 V VereinsG klingt gleichzeitig aber auch die Subsidiarität dieser Tatbestandsalternative gegenüber den Zwecken der Vereinigung an. Die Konkretisierung beider Tatbestandsalternativen, der Zwecke der Vereinigung und des Verhaltens ihrer Mitglieder, richtet sich, wie gesagt, an der Parteiverbotsnorm des Art. 21 II GG aus. Zunächst ist deshalb das „erfolgsbezogene" Tatbestandsmerkmal des „Beseitigens oder Beeinträchtigens" der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu nennen. Es meint, daß die Strukturprinzipien der Demokratie von der Vereinigung 941 BVerfGE 5, 85 (372 ff.). 942 Η. H. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 (2001) Rn. 534. In diesem Erst-RechtSinne kann auch das Kalifatstaat-Urteil des BVerwG verstanden werden, das, um die Tatbestandsmerkmale der Vereinigungsverbotsnorm zu belegen, vor allem die Gewaltbereitschaft des Kalifatstaats anführt. 943 BayVGH BayVBl. 1955, S. 63; BVerwGE 37, 344 (359); 61, 218 (220); N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 46.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

ganz oder teilweise abgeschafft und durch ein mit ihnen nicht zu vereinbarendes System ersetzt werden sollen. Beide Begriffe stehen zueinander in einem Steigerungsverhältnis, sollen aber ersichtlich gleichgewichtig sein. Insbesondere das Tatbestandserfordernis des Beeinträchtigens bedarf deshalb nach allgemeiner Auffassung einer engen Auslegung oder wenigstens einer zurückhaltenden Anwendung 944 . Es wird darum als ausreichend, aber gleichzeitig auch als erforderlich betrachtet, daß eine Vereinigung, damit sie sich nicht durch das Bekenntnis zu einigen Grundsätzen der freiheitlich demokratischen Grundordnung einem Verbot entziehen kann, auf die Beseitigung zumindest einzelner Bestandteile dieser Grundordnung ausgehen muß, um die Verbotsvoraussetzungen zu erfüllen 945 . Dieses „Darauf-Ausgehen" ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit überwiegender Billigung der Literatur näher präzisiert worden. Es muß, so die Formel des Bundesverfassungsgerichts, bei der Vereinigung „eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen". Die Vereinigung muß „planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen, im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen". Oder anders ausgedrückt: Der Kurs der Vereinigung muß dauernd tendenziell auf die Bekämpfung der Grundordnung gerichtet sein und sich deshalb als planvolle, wenn auch schleichende Unterminierung des Systems erweisen. Ein Tätigwerden der Vereinigung sei gleichwohl, so das Gericht, nicht erforderlich. Vielmehr reiche die Kundgabe ihrer Ziele aus. Jedoch müsse diese Kundgabe, so Gericht und überwiegende Literatur weiter, die Absicht der Umsetzung ihrer Ziele umfassen 946. Die

944 R. streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Rn. 228; M. Sichert, DÖV 2001, S. 671 (675); J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 158 ff.; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 21 Rn. 145; A. Zirn, Parteien verbot, S. 99: Es könne nicht genügen, daß es für eine „Beeinträchtigung" ausreiche, daß einzelne Werte oder alle untergraben, herabgesetzt oder sonst verächtlich gemacht würden. Auch T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 116; W. Henke, in: BK GG, Art. 21 Rn. 353. Aus der Tatsache, daß die Alternative des „Beeinträchtigens" ein Redaktionsversehen sei, wird dieses Ergebnis begründet von H. Meier, Parteiverbote, S. 155 ff. Daß eine Unterscheidung beider Alternativen sinnvoll sei, bezweifelt K.-H. Seifert, Die politischen Parteien, S. 461. 945 So J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 159; R. Streinz, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 21 Rn. 228; zum Vereinsverbot, vgl. M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 9 Rn. 156; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 128 f.; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 49; BVerwG NJW 1993, S. 3213 (3215); OVG Berlin OVGE 5, 46 (51). 946 BVerfGE 5, 85 (141 f.); K -Η. Seifert, Die politischen Parteien, S. 464; D. Grimm, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 138 (142): „Erst,Angriffe auf seine Grundordnung' darf der Staat" abwehren. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 184. Weiter noch P. Kunig, in: HStR II, § 33 Rn. 44: Die Formel des BVerfG sei zu weitmaschig gestrickt, da es Zielstrebigkeit und Beharrlichkeit auch ohne „Aggression" geben könne. Ferner B. Reichert, HdbdVereins- und Verbandsrechts, Rn. 3031; BVerwGE 37, 344 (358 f.); 47, 330 (351 f.); 61, 218 (220); 67, 344 (358); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 43; R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 127 f.: „Gegen diese Ordnung ,gerichtet' ist eine Vereinigung, wenn sie mit Handlungswillen, also (mindestens bedingt) vorsätzlich, tätig wird". Auch N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 45; G. Schnorr, Vereinsrecht, § 3 Rn. 18; instruktive Beispiele bei BVerwG NJW 1995, S. 2505; BVerwG NJW 93, 3213 (3214 ff.).

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verbotsträchtigen Ziele werden - wiederum in Anlehnung an Art. 21 II GG - weit gesteckt. Zwischen Nah- und Fernzielen, Haupt- und Nebenzielen, zwischen Zielen, die erst dann ernsthaft anvisiert werden sollen, wenn sich das Umfeld als günstig erweist, und verborgenen, oder wie das Bundesverfassungsgericht formuliert, „wahren Zielen", wird dort nicht wirklich differenziert 947. Es komme allein, so lautet das Argument, auf das Gesamtbild der Vereinigung an. Unter Annahme einer systematischen Grundeinstellung werden politische Einzelforderungen, die eine betreffende Vereinigung erheben mag, zu diesem Gesamtbild zusammengefügt 948. Wo die Ziele einer Vereinigung fixiert sind, spielt keine Rolle. Sie ergeben sich im wesentlichen unmittelbar oder mittelbar aus literarischen Erzeugnissen und dem gesprochenen Wort: Dokumente aller Art, mündliche Äußerungen oder andere Aktivitäten der Mitglieder, sofern diese zurechenbar sind, dienen sich dabei als Erkenntnisquellen an 9 4 9 . Insbesondere ist es aber nach Rechtsprechung und herrschender Lehre nicht unbedingt erforderlich, daß diese Ziele auch tatsächlich auf die Mitglieder der Vereinigung durchschlagen und deren individuelles Verhalten bestimmen. Denn im Rahmen eines Organisationsverbotes nach der ersten Alternative der Zwecksetzung, so die Argumentation, komme es allein auf die von dem individuellen Verhalten der Mitglieder zu unterscheidenden und diesem gegenüber auch unabhängigen Charakteristika der Organisation an 9 5 0 . Im Rahmen der ersten Tatbestandsalternative des Art. 9 II GG muß der Vereinigung - trotz der mitunter anderslautenden Formulierungen - demnach grundsätzlich nur der Wille nachgewiesen werden, daß sie die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben, zu beseitigen oder zumindest nicht unwesentlich zu beeinträchtigen trachtet. Neben der ablehnenden Haltung muß sich also allein ein Handlungswille objektiv manifestieren. Hierfür langt es grundsätzlich aus, daß der Verfassungsumbruch von der Assoziation außenwirksam als ideologisches Ziel anvisiert wird, ohne daß bereits konkrete oder erfolgversprechende ErfüMungshandlungen unternommen werden müssen951. Die Versuche der Literatur, ein Verhaltenserfordernis in dieses Tatbestandsmerkmal hineinzulesen, werden grundsätzlich zurückgewiesen, da sie sich, so die herrschende Meinung, weder aus dem Text noch dem Zweck der Verfassungsnormen ergäben 952. An die Stelle der greifbaren Möglich947 BVerfGE 5, 85 (143, 144, 208); J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 155, 167; K.-H. Seifert, Die politischen Parteien, S. 456, 464 f.; P. Kunig, in: HStR II, § 33 Rn. 38; BVerwGE 1, 184 (187); W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 42 f.; N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 45 f. 948 BVerwG NJW 1993, S. 3213 (3216); BVerfGE 5, 85 (336); BVerwGE 83, 345 (350): Verbale Bekundungen der Verfassungstreue im Parteiprogramm stehen der Annahme verfassungswidriger Ziele nicht notwendig entgegen. 949 BVerfGE 2, 1 (20); 5, 85 (144 f.); R. Streinz, in: v. Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, Art. 21 Rn. 234; M. Morlok, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 64 (74). 950 So BVerwGE 55, 175 (182), für § 14 VereinsG. 951 BVerwGE 1, 184 (189 f.). 952 So wurden als zusätzliche Kriterien gefordert ζ. B. der Versuch der Vereinigung, ihre Ziele in die Praxis umzusetzen, vgl. K.-H. Seifert, DÖV 1961, S. 81 (82 f.); M. Morlok, in:

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

keit der Zielverwirklichung durch erfolgversprechendes Tun tritt also die amorphe Absicht der Vereinigung. Dieser Winkelzug erhellt nicht zuletzt daraus, daß über einen Gefahrenbegriff in Art. 9 I I GG nicht nur keine Einigkeit herrscht, sondern insgesamt bestritten wird, daß das Konglomerat an präventiven Verfassungsschutznormen eine „clear and present danger" für die freiheitlich demokratische Grundordnung voraussetze 953 . Da ein Vereinsverbot die entsprechende Organisation grundsätzlich wegen ihrer situationsunabhängigen, generell und permanent gefährlichen Zielsetzung ausschalten soll, dies ist der Ausgangspunkt, wurde in der bisherigen Judikatur die Frage nach der konkreten Gefährlichkeit einer Vereinigung für die verfassungsmäßige Ordnung entweder nicht aufgeworfen oder aber ihre Notwendigkeit verneint 9 5 4 . Es komme eben nicht darauf an, daß eine („nach menschlichem Ermessen") begründete Aussicht darauf bestehe, so Rechtsprechung und überwiegende Literatur bislang, daß sich der Vereinigung die Chance biete, ihre Ziele auch in absehbarer Zeit zu verwirklichen. Wenn in der Gegenwart erkennbar sei, daß die verfassungsmäßige Ordnung untergraben werden solle, dann, so Rechtsprechung und Literatur, sei „der Zeitpunkt (und liegt er auch auf dem Dreier, GG, Art. 21 Rn. 142; C. Gusy, in: AK GG, Art. 21 Rn. 122; oder die „qualifizierte Vorbereitungshandlung einer versuchten Verfassungsstörung", vgl. H. Meier, Parteiverbot, S. 271 ff.; R. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Rn. 232; oder der Einsatz verfassungswidriger Methoden, vgl. H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (216); F. Stollberg, Grundlagen, S. 46 Fn. 61, der die Verneinung des Erfordernisses eines Tätigwerdens so auslegt, als sei es nur nicht erforderlich, in strafrechtlich relevanter Weise tätig zu werden. Auch G.-F. Schuppert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 46 Rn. 4 ff. Ablehnend zu diesen Konkretisierungsversuchen, vgl. J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 154; M. Sichert, DÖV 2001, S. 671 (676); M. Henkel/O. Lembcke, ZParl 2001, S. 572 (579); R v. Feldmann, Vereinigungsfreiheit, S. 31: Ein konkretes Unternehmen (§ 81 StGB) sei wegen des präventiven Charakters der Vorschrift nicht erforderlich. 953 Auch wenn das BVerfG (E 33, 71) in einem obiter dictum ausführt, daß der Rang der freiheitlich demokratischen Grundordnung als Schutzgut die Garantie der Kunstfreiheit dann zurücktreten lassen könne, wenn durch die Wirkung eines Films auf den verständigen Durchschnittsbetrachter eine unmittelbare und gegenwärtige Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Grundordnung herbeigeführt würde. Zur Ausgestaltung des „clear and present danger tests" in den USA, vgl. K. Hailbronner, JöR N.F. 22 (1973), S. 579 ff. Gerade für die Religionsfreiheit wird abweichend aber gefordert, daß Grenzüberschreitungen des Art. 4 GG eine „clear and present danger" darstellen müßten, damit Rechtsfolgen an sie geknüpft werden können, vgl. H. W. Alberts, ZRP 1996, S. 60 (63); ders., NVwZ 1994, S. 1150 (1153): Die Lehre des Religionsgründers müsse nicht den Grundsätzen der Verfassung entsprechen. Nicht nur das Haben des Glaubens, sondern auch das Handeln hiernach nehme an dem außerordentlichen Schutz des Art. 4 GG teil. Kritisch auch H. Meier, in: Leggewie /Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 14 (20 f.). 9 54 BVerwGE 55, 175 (182 f.); H. Meier, Parteiverbote, S. 93 ff.; G.-F. Schuppert, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, § 46 Rn. 16; M. Henkel/O. Lembcke, ZParl 2001, S. 572 (579 f.); R. Schuster, JZ 1968, S. 152 (156); H. Copie, Grundgesetz und politisches Strafrecht, S. 85; H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (229). Für die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Vereinsverbotsverfahren jedenfalls bei Verstößen gegen das Strafrecht, vgl. oben § 3 Β. I. 2.; ferner R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 124: „Ein Verbot der Vereinigung wäre nicht gerechtfertigt bei fahrlässigen oder gelegentlich verübten vorsätzlichen Straftaten" (Hervorh. nicht im Original). Auch I. v. Münch, in: BK GG, Art. 9 Rn. 57.

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Sankt Nimmerleinstag), in dem der angestrebte Zustand objektiv oder nach den Vorstellungen der Vereinigung eintreten kann", ohne Bedeutung955. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem für ausländische und Ausländervereinigungen einschlägigen Verbotsgrund der öffentlichen Sicherheit (§ 14 VereinsG) den Streit um das Erfordernis einer konkreten oder das Ausreichen einer abstrakten Gefahr im Sinne der ratio legis des Vereinsgesetzes mit einer Mischform beider Gefahrenbegriffe beantwortet. Es hat judiziert, daß die politische Betätigung der Ausländervereinigung jederzeit in eine konkrete Gefährdung muß umschlagen können, damit eine Verbotsverfügung gegen sie wegen der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sei. Bislang hat das Gericht dieses „Umschlagen" jedoch bereits in dem Zeitpunkt als erfüllt betrachtet, als es durch Propagierung oder Anwendung von Gewalt seitens der Vereinigung das staatliche Gewaltmonopol in Frage gestellt sah 956 . Andere Töne hat das Berliner Verwaltungsgericht nun hinsichtlich der verdeckten Beobachtung der Scientology Church durch den Berliner Verfassungsschutz angeschlagen. Für die Rechtmäßigkeit der heimlichen Informationsbeschaffung reiche es, so das Gericht, nicht aus, daß sich das Amt für Verfassungsschutz auf zum Teil Jahre zurückliegende schriftliche Äußerungen aus dem Umfeld der Vereinigung beziehe, um plausibel machen zu wollen, daß die Scientology Organisation ihre verfassungswidrigen Ziele auch durchsetzen wolle. Zum einen könnte die vorgelegte „Zitatsammlung" auch anders ausgelegt werden, teilweise seien die Zitate gar aus dem Kontext gerissen oder falsch übersetzt worden, und zum anderen müßten verfassungsfeindliche Aktivitäten substantiierter dargelegt werden 957 , da der Begriff der verfassungsfeindlichen „Bestrebungen" in § 5 II Nr. 1 BerlVerfSchG durch § 6 I 1 BerlVerfSchG legaldefiniert sei als „Verhaltensweise oder „Betätigung". Es reiche also nicht aus, daß mittels schriftlicher Äußerungen belegt werde, daß Scientology ein vorgegebenes und strikt durchorganisiertes Konzept zur Machtergreifung besitze, vielmehr müsse zur Fortsetzung der Beobachtung auch plausibel dargelegt werden, daß, wie, wann und wo Scientology dieses Konzept umsetzen wolle und es umzusetzen begonnen habe. Dennoch läßt sich für die bisherige Praxis der Vereinigungs- und Parteiverbote im Sinne des vorbeugenden Verfassungsschutzes und der Alternativstellung von Zweck und Tätigkeit festhalten, daß das Verbot einer Vereinigung bislang regelmäßig durch einen Blick auf deren Zielsetzung 958 auskommt, ohne daß Verwirklichungsversuche 955 BVerfGE 5, 85 (143); BVerwGE 61, 218 LS 1; 37, 345 (358 f.); Η Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG, Art. 9 Rn. 17; einschränkend W. Henke, in: BK GG, Art. 21 Rn. 356: Die Absicht müsse realistisch sein, das heiße, sie müsse Aussicht auf Erfolg haben. Ferner H. Maurer, AöR 96 (1971), S. 203 (229); M. Morlok, in: Leggewie /Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 64 (74): Damit wird der „Boden einer rational begründbaren Gefahrenabwehr verlassen". 956 BVerwGE 55, 175 (182 f.); BVerwG NVwZ 1995, S. 587 f.; Überblick bei C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 130 ff. 957 VG Berlin NVwZ 2002, S. 1018 (1021 f.). 958 BVerwGE 1, 184 (190); VGH München NJW 1990, S. 62 (63). Groh

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

seitens der Mitglieder hinzutreten müssen. Von primärem Gewicht waren daher bei den Verboten von Vereinigungen, die auf den Verbotsgrund der verfassungsmäßigen Ordnung gestützt wurden, bisher weniger die Mittel, welche zur Erreichung der anvisierten Ziele eingesetzt wurden oder werden sollten. An deren Stelle traten - unter die Formel des geistigen politischen Wirkens zusammengefaßt - die politischen Zielsetzungen der Vereinigung selbst. So urteilte das Bundesverwaltungsgericht, daß es nicht ausschlaggebend sei, „ob die Vereinigung ihre verfassungswidrigen Ziele gerade durch die Anwendung von Gewalt oder durch sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen" 959 suche. Daß die Androhung oder Anwendung von Gewalt keine verfassungsrechtliche Voraussetzung für ein Verbot sei, so wird in diesem Sinne überwiegend geltend gemacht, wurzele darin, daß es insbesondere die Kommunikationsgrundrechte seien, die der Verfassunggeber als mißbrauchsanfällig für den Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung betrachtet habe. Deshalb reiche, dies ist die Schlußfolgerung, die geistige Brandstiftung aus, um eine Vereinigung auflösen zu dürfen. So wird im Ergebnis eine Ereigniskette behauptet zwischen Bösem denken, Bösem hören, Bösem lesen und Bösem tun 9 6 0 . In der ständigen Praxis übernimmt damit in der Regel allein das verbale Aggressionspotential die Erkenntnisfunktion: Die wichtigsten Anhaltspunkte für eine Beurteilung dieses Aggressionspotentials liefern Programme, Publikationen, die Vorstellungswelt, öffentliche Äußerungen, die Grundeinstellungen der Funktionsträger und der Gesamtstil des öffentlichen Auftretens einer Vereinigung 961 . Um den möglicherweise getarnten Formulierungen die „wahren" Ziele der Vereinigung zu entlocken, findet eine akribische Textexegese durch Behörden und Gerichte statt 962 . Das komparative Werturteil, das am Ende dieses Vorgangs ausgeworfen wird 9 6 3 , 959 BVerwGE 1, 184 (190); 61, 218 (220); BVerwG NJW 1995, S. 2505 LS 1; kritisch G. Offczors, DuR 1982, S. 415 (416 ff.); W. Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 18 Rn. 9; M Kemper, in: v. Mangoldt / Klein, GG, Art. 9 Rn. 156. 960 c. Leggewie/H. Meier, Republikschutz, S. 251 ff. Dieser Zusammenhang ist bisher empirisch nicht nachgewiesen worden. 961 Vgl. nur C. Grundmann, Vereinsrecht, 1999, S. 116 f.; sehr kritisch auch H. Meier, in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 14 (18 f.): „Die ,Grundordnung' eines Staates läßt sich durch verbalradikale Agitation weder beeinträchtigen noch gar beseitigen". V. Neumann, in: ebda., S. 155 (168): „Die Tatbestandsvariante einer Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung allein nach den Zielen einer Partei deutet in der Tat in die Richtung eines Propagandadelikts. ( . . . ) Allein mit ,Schaum vor dem Mund' beseitigt aber niemand die Grundordnung der Verfassung". 962 Lesenswert auch der 99-seitige Antrag der Bundesregierung zum Verbot der NPD vom 29. 01. 2001, vgl. dazu V. Neumann, in: Leggewie/Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 155 (168). Die Akzeptanz der freiheitlich demokratischen Grundordnung, die von den Religionsgemeinschaften erklärt wird, wird dabei als vordergründig und taktisch eingeschätzt, vgl. Verfassungsschutzbericht 1999, S. 164; 2000, S. 207. 963 Näher hierzu R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 128 ff.; V. Kraft, Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre, S. 10 f.; H.-M. Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre, S. 92 ff.; K -Η. Nusser, Art. Werturteil, in: StL, Sp. 970; F. v. Kutschera, Einführung in die Logik der Normen, S. 85 ff.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

bescheinigt der Vereinigung, je nachdem, wie weit ihr Bekenntnis verbal von dem Bewertungskriterium der freiheitlich demokratischen Grundordnung forttendiert, ihre Verfassungsfeindlichkeit oder -Widrigkeit. Die erste Alternative des Art. 9 II GG setzt nach der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung damit im Ergebnis weder ein konkretes oder erfolgversprechendes, geschweige denn ein gewaltsames „Verhalten" in Form der Androhung oder Ausübung von Gewalt durch eine Vereinigung voraus, damit diese verboten werden kann. Es fragt sich, wie es in dieser Hinsicht um die zweite Verbotsalternative des Art. 9 II GG bestellt ist. Auf das „Sich-Richten" der Vereinigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung läßt sich ferner nämlich auch aus den Aktivitäten der Mitglieder dieser Vereinigung rückschließen 964. Nach der gängigen Rechtspraxis, welche die Ziele der Vereinigung mit dem Mitgliederverhalten in beide Richtungen kombiniert, will heißen: daß die Ziele der Vereinigung genauso auf das Verhalten der Mitglieder Aufschluß geben, wie auch das Verhalten der Mitglieder Rückschlüsse auf die Ziele der Assoziation nahelegt, ist der Einsatz von Gewalt seitens der Mitglieder jedoch kein Erfordernis des Art. 9 II GG. Vielmehr läßt sich das zuzurechnende Mitgliederverhalten in Paralelle zum Parteiverbot umschreiben als der nachweislich organisene Versuch einer Störung der freiheitlich demokratischen Grundordnung 965. Damit wird durch die zweite Verbotsalternative zwar ein handfestes Verhalten zum Anlaß genommen, eine Vereinigung zu verbieten, dieses Mitgliederverhalten muß aber im Ergebnis nicht die Schwelle zur Gewaltsamkeit überschreiten 966. Das eigentliche Problem der zweiten Verbotsalternative des Art. 9 II GG ist jedoch in der Zurechnung des Mitgliederverhaltens zu suchen. Denn eine Vereinigung haftet nicht für beliebige Handlungen ihrer Mitglieder, die von diesen bei jeder Gelegenheit begangen werden können 967 . Das Tatbestandsmerkmal des „SichRichtens" erfüllt dabei die Zurechnungsfunktion, die das „Zuwiderlaufen" gegen die Strafgesetze innerhalb der ersten Verbotsalternative des Art. 9 II GG übernimmt 9 6 8 . Das Verhalten der Mitglieder wird der Vereinigung selbst angelastet, wenn es sich als Realisierung ihres „Gruppenwillens" und damit als Versuch, die Ziele der Vereinigung zu erfüllen, darstellt. Es muß das äußere Erscheinungsbild der Vereinigung prägen und als ein struktureller Ausdruck des Gesamtwillens der Assoziation erscheinen 969. Dabei können mehrere Ebenen unterschieden werden: 964 M. Planker, Das Vereinsverbot, S. 93. 965 C. Gusy, in: AK GG, Art. 21 Rn. 123; M. Morlok, in: Dreier, GG, Art. 21 Rn. 145; /. v. Münch, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 21 Rn. 84 ff. 966 Sehr kritisch hierzu H. Meier, Partei verböte, S. 359 u. passim. 967 β. Reichert, HdbdVereins- und Verbandsrechts, Rn. 3031, 3028; W. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 42, 38; R. Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 21 Rn. 236 f.; J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 153; A. v. Mutius, Jura 1984, S. 193 (199). 968 M Planker, NVwZ 1998, S. 113 (116).

§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Die größte Indizwirkung entfaltet das Verhalten der Organe oder Funktionäre des Vereins selbst 970 . Hier wird der innere Zusammenhag zum Vereinszweck vermutet. Das Verhalten „einfacher" Mitglieder wird dagegen dann zugerechnet, wenn es von der Vereinigung nachweislich initiiert wurde, in einem inneren Zusammenhang zum Vereinszweck steht oder von der Assoziation zumindest widerspruchslos gebilligt wird 9 7 1 . Die geforderte ausdrückliche Distanzierung der Vereinigung von den Machenschaften ihrer Mitglieder, um den Zurechnungszusammenhang zu stören, erweist sich dabei jedoch als anspruchsvoll, da mündliche oder schriftliche Abstandnahmen als bloße „Lippenbekenntnisse" in der Regel nicht akzeptiert werden 972 .

3. Ergebnis Im Ergebnis läßt sich damit festhalten, daß auch das aktive, aggressiv kämpferische Verhalten der Mitglieder einer Vereinigung unterhalb der Schwelle des Gewaltverbots der Verfassung anzusiedeln ist. Zudem trägt die verschwommene Tatbestandsalternative der Zwecke der Vereinigung nicht gerade zu dem Erfordernis rechtsstaatlicher Klarheit einer Verbotsentscheidung bei. Über die Trias des aktiven, aggressiv kämpferischen Verhaltens gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung wird damit zwar vordergründig impliziert, daß die Vereinigung etwas Handfestes und Gewaltsames gegen diese Grundordnung tun müsse, damit ein rechtmäßiges Verbot gegen sie verfügt werden könne. Dieser erste Eindruck wird aber durch die Definition, mit der die triadische Tatbestandskonkretisierung selbst wieder unterlegt wird, revidiert: Der Verbotstatbestand des Art. 9 II GG setzt im Ergebnis nicht den Einsatz von Gewalt voraus. Vielmehr scheint die Kundgabe einer verfassungsfeindlichen Absicht auszureichen 973. Eine Kumulation beider Tatbestandsalternativen, wie sie im Namen rechtsstaatlicher Klarheit und Sicherheit zuweilen gefordert wird 9 7 4 , würde zwar die Ausrichtung eines Vereinigungsverbots als verhaltensbezogene Maßnahme betonen, ebenfalls jedoch unter 969 BVerwGE 80, 299 (307); VGH München NJW 1990, S. 62 (63); VGH Mannheim NJW 1990, S. 61 und NVwZ-RR 1993, S. 25 (26); U. Loose/ E Schwägerl, BayVBl. 1990, S. 577 (581); R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 123 f.; H. W. Alberts, ZRP 1996, S. 60 (62); M. Planker, NVwZ 1998, S. 113 (115). 970 M. Plancker, Das Vereinsverbot, S. 72 f. 971 M. Löwer, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 9 Rn. 41, 37; G. Schnorr, Vereinsrecht, § 3 Rn. 9; OVG Berlin OVGE 4, 179 (180 f.); VGH München NJW 1990, S. 62 (63); OVG Weimar LKV 1994, S. 65 (66); VGH Mannheim NVwZ-RR, 1993, S. 25 (26 f.); N. Rudroff, Das Vereinigungsverbot, S. 38 f.; C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 112 f.; M. Planker, Das Vereinsverbot, S. 76 ff., mit vielen Einzelbeispielen. 972 Zu den Loyalitätsbekundungen beispielsweise von Scientology, vgl. Bericht der BundLänder-Arbeitsgruppe Scientology - 1999, Kap. II. 3. 973 H. Meier, Parteiverbote, S. 271, für das gleichgelagerte Parteiverbot. 974 Für das gleichgelagerte Problem des Parteiverbots, vgl. V. Neumann, in: Leggewie/ Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 155 (168).

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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der Schwelle des für Art. 4 GG ausschlaggebenden kollidierenden Verfassungsrechts in Form des Gewaltverbots verbleiben. Insgesamt stellt sich Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG damit nicht als Ausdruck kollidierenden Verfassungsrechts gegenüber der Religionsfreiheit dar 975 . In der Konkretisierungsform, welche die Tatbestandsmerkmale der Vereinsverbotsnormen durch Rechtsprechung und Literatur bislang erhalten haben, kann das Verbot einer Religionsgemeinschaft verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden.

I X . Verfassungskonforme Auslegung des Vereinsgesetzes Es fragt sich daher, ob die vereinsrechtliche Ermächtigungsgrundlage des § 3 I VereinsG in dem oben genannten Sinne verfassungskonform ausgelegt werden könnte, so daß es gelänge, den Gewaltbegriff unter das Erfordernis des „Sich-Richtens", genauer: des aktiven, aggressiv kämpferischen Verhaltens gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, zu subsumieren. Ungeachtet mancher Abgrenzungs- und Grenzziehungsprobleme gehört der Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung einfachen Rechts zum Standardrepertoire der Gesetzesinterpretation 976. Er ist kein Spezialinstrument des Bundesverfassungsgerichts, sondern wie die Nutzung aller anderen Auslegungskriterien auch, Sache jedes Rechtsanwenders977. Der Sinn der verfassungskonformen Auslegung von Gesetzen besteht darin, eine Norm aufrechtzuerhalten. Die verfassungskonforme Auslegung trägt damit dem Prinzip: Auslegung vor Nichtigkeit, Rechnung978. Ihre Berechtigung wird unterschiedlich begründet. Mal wird 975 im Ergebnis auch S. Veelken, Das Verbot, S. 208; L. Michael, JZ 2002, S. 482 (492). 976 D. C. Göldner, in: FS Larenz, S. 199; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 79; Η Michel, JuS 1961, S. 274 ff.; H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), S. 53 (74 ff.); Η Bogs, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 24 ff.; F. Müller/R. Christensen, Methodik, S. 104/Rn. 100 ff. 977 M. Sachs, in: Sachs, GG, Einführung Rn. 53; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 1148; W.-D. Eckardt, Gesetzesauslegung, S. 17. 978 Grundlegend BVerfGE 2, 266 (282): Es gelte der allgemeine Grundsatz, daß ein Gesetz nicht für nichtig zu erklären sei, wenn es im Einklang mit der Verfassung ausgelegt werden könne; denn es spreche nicht nur eine Vermutung dafür, daß ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar sei, sondern das in dieser Vermutung zum Ausdruck kommende Prinzip verlange auch im Zweifel eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes. Seither std. Rspr., vgl. noch BVerfGE 32, 373 (383); 48, 40 (45 f.); 64, 229 (241 f.); 69, 1 (55); 88, 145 (166 f.); 90, 263 (274 f.); BVerfG NJW-RR 2000, S. 1309; umfassend zur Rechtsprechung des BVerfG, vgl. Η Spanner, AöR 91 (1966), S. 503 ff.; H. Simon, EuGRZ 1974, S. 85 ff.; R. Zippelius, in: FS BVerfG II, S. 108 (109 ff., I l l ) ; W. Löwer, in: HStR II, § 56 Rn. 111. Kritisch zur Vermutungswirkung zugunsten des Gesetzgebers, vgl. Κ. A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 24 f.; V Haack, Normenkontrolle und verfassungskonforme Auslegung, S. 184 ff.; zur teilkassatorischen Rechtswirkung der verfassungskonformen Auslegung, vgl. ders., ebda., S. 35; K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 1147.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

der Akzent stärker auf den Vorrang der Verfassung (Art. 20 III GG), also auf den Stufenbau der Rechtsordnung 979, mal stärker auf die zu bewahrende Einheit der Rechtsordnung gelegt 980 . Oder es wird der Grundsatz der Normerhaltung (favor legis) als maßgeblich ins Spiel gebracht 981. Eine funktionellrechtliche Grenze wird dem Interpretationsprinzip der verfassungskonformen Auslegung grundsätzlich dort aufgezeigt, wo die Korrektur eines Gesetzes durch ein Gericht zur Ersatzgesetzgebung mutierte. Hier sei, so die allgemeine Auffassung, der Grundsatz der Gewaltenteilung zu beachten982. Aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz ergeben sich ferner die methodischen Grenzen der verfassungskonformen Auslegung. Diese setzt nämlich voraus, daß die auszulegende Norm mehrere Interpretationsalternativen zuläßt, also mehrdeutig ist, nicht alle Alternativen jedoch der Verfassung konform sind. In Einklang mit der Verfassung wird diese Norm dann dadurch gebracht, daß der mehrdeutige oder unbestimmte Inhalt des Gesetzes durch die (zuvor ermittelten) Inhalte der Verfassung bestimmt wird 9 8 3 . Dabei wird zum Teil gefordert, daß von mehreren möglichen Auslegungsergebnissen dasjenige vorzuziehen sei, welches dem Willen des Gesetzgebers am ehesten entspräche 984. Jedenfalls aber, dies stellt die äußerste Grenze der verfassungskonformen Auslegung dar, dürfe der Wille des Gesetzgebers nicht in sein Gegenteil verkehrt werden 9 8 5 . Weitere unüberwindliche Hindernisse für die verfassungskonforme Auslegung stellen der Wortlaut des auszulegenden Gesetzes und sein Telos dar 9 8 6 .

979 W.-D. Eckart, Gesetzesauslegung, S. 11; BVerfGE 13, 46 (51); 19, 1 (8): „Beachtung der grundgesetzlichen Wertordnung"; K. A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 11 ff., 20 ff.; W. Löwer, in: HStR II, § 56 Rn. I l l ; H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 1 Abs. 3 Rn. 61; BVerfGE 51, 304 (323): „Denn das Grundgesetz ist als ranghöchstes innerstaatliches Recht nicht nur Maßstab für die Gültigkeit von Rechtsnormen aus innerstaatlicher Rechtsquelle; auch inhaltlich ist jede dieser Rechtsnorm im Einklang mit dem Grundgesetz auszulegen". 980 K. Hesse, Grundzüge, Rn. 81; D. C. Göldner, Verfassungsprinzip, S. 52 ff.; K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1147; vgl. aber auch C. Gusy, Parlamentarischer Gesetzgeber, S. 219: Die Einheit der Rechtsordnung verbiete zwar die konträre, gebiete aber nicht die verfassungskonforme Gesetzesauslegung. Auch A. Voßkuhle, AöR 125 (2000), S. 177 (183). 981 K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1147; Z.-W. Park, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 23 ff. 982 R. Zippelius, in: FS BVerfG II, S. 108 (117 ff.); J. Neuner, Rechtsfindung, S. 112 f., 129 f.; A. Voßkuhle, AöR 125 (2000), S. 177 (179); W.-D. Eckart, Gesetzesauslegung, S. 51; K. Stern, in: Staatsrecht III/2, S. 1149 f.; M. Sachs, in: Sachs, GG, Einführung Rn. 56; zur Normverwerfungskompetenz als Grenze der Kompetenz, Gesetze verfassungskonform auszulegen, vgl. K. A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 31. 983 So K. Hesse, Grundzüge, Rn. 80, mit Hinweis auf BVerfGE 11, 168 (190); 41, 65 (86); 59, 336 (350 ff.); auch E. G. Campiche, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 35 ff. 984 κ. A. Bettermann, Die verfassungskonforme Auslegung, S. 22; BVerfGE 9, 194 (200); 47, 327 (380); 49, 148 (157); 59, 360 (387); 69, 1 (55); G. F. Schuppen, Grenzen der Verfassungsinterpretation, S. 7 u. passim. 985 BVerfGE 8, 28 (30); 83, 130 (144); 88, 203 (331 f., 333); 90, 263 (275); 92, 158 (183); 93, 37 (81); 95, 64 (93); A. Bleckmann, JuS 2002, S. 942 (946 f.).

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Wortlaut, Telos und Mehrdeutigkeit der vereinsrechtlichen Ermächtigungsgrundlage stehen ihrer verfassungskonformen Auslegung nicht im Wege. Die Begriffe des „Sich-Richtens" und des aktiven, aggressiv kämpferischen Verhaltens gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung lassen, wie die vielfältigen Interpretationsvorschläge des präventiven Verfassungsschutzes andeuten, Raum für eine gewaltbezogene Auslegung. Auch der Wille des Gesetzgebers würde nicht völlig in sein Gegenteil verkehrt. Aus den Gesetzesmaterialien zur Änderung des Vereinsgesetzes ergibt sich zwar insoweit das Ziel des Gesetzgebers, obwohl er aufgrund der von ihm bejahten Anwendbarkeit des Art. 9 II GG über die Brückennorm des Art. 137 III WRV nicht lange über andere verfassungsrechtliche Vorgaben nachgedacht hat, mit der Streichung des Religionsprivileges eine dem Vereinsrecht kongruente Handhabe gegen gefährliche Religionsgemeinschaften zu schaffen 9 8 7 . Dieser Wille würde jedoch durch eine gewaltbezogene Lesart des § 3 I VereinsG nicht völlig in sein Gegenteil verkehrt, da es den zuständigen Behörden im Gegensatz zu den Zeiten vor der Gesetzesänderung überhaupt möglich wäre, gegen Religionsgemeinschaften mit deren Auflösung einzuschreiten. Der Verbotsgrund des „Sich-Richtens" gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung würde mit dieser Auslegung damit in die Nähe des strafbaren Hochverrats gerückt (§§ 81 ff. StGB), was insoweit unschädlich ist, als daß ein striktes Entweder-Oder zwischen dem klassischen Hochverrat und dem präventiven Verfassungsschutz den Misch- und Zwischentönen des Verfassungsschutzes nicht gerecht wird 9 8 8 . 986 BVerfGE 8, 28 (34); 8, 38 (41); 9, 104 (200); 85, 337 (352); 86, 288 (320); 95, 64 (93); 85, 36 (69 ff.); hierzu auch das Sondervotum (Seibert und Henschel), S. 77 (78), die eine Überschreitung der Wortlautgrenze rügen. 987 BT-Drs. 14/7026; BT-Drs. 14/7354; L. Michael, JZ 2002, S. 482 (490). 988 So H. Meier, Parteiverbote, S. 273; vgl. aber auch BVerfGE 5, 85 (141 f.). Für die Ausrichtung der Tatbestandsmerkmale des Art. 9 II GG (21 I I GG) am Hochverrat plädierte bspw. H. Ridder, in: AK GG, Art. 9 Rn. 34 ff.: Das Schutzgut des Art. 9 II GG sei das Schutzgut des klassischen Hochverrats. Unter Hinweis auf Art. 143 GG in seiner bis zu seiner Aufhebung im Jahre 1951 geltenden Fassung legt Ridder Art. 9 I I GG von vornherein dahin aus, daß nur solche Vereinigungen verboten seien, „die eine Verdichtungsstätte von Bestrebungen sind, die zu hochverräterischen Unternehmen führen können, d. h. zur Beseitigung oder Änderung der ,verfassungsmäßigen Ordnung' (= der konkreten staatlichen Ordnung auf der Grundlage der geltenden Verfassung) durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt". Vgl. ferner H. Copie, Grundgesetz, S. 216 ff. u. passim; H. Meier, Parteiverbote, S. 101 f., 272 f., der qualifizierte Vorbereitungshandlungen im Sinne eines unmittelbaren Ansetzens zur Verfassungsstörung verlangt. Auch C. Leggewie/H. Meier, Republikschutz, S. 249 ff.; H. Meier, in: Leggewie / Meier (Hrsg.), Verbot der NPD, S. 14 (16), der hier eine verhaltensbezogene Lesart des Art. 21 II GG bevorzugt und rhetorisch fragt, ob für ein Partei verbot die politische Agitation ausreiche, oder „wenigstens in Ansätzen die Grenze zur politisch motivierten Gewalt überschritten werden" muß. Er weist zudem darauf hin, daß sich eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anbahnen könne. So teilte der auch für das Verbotsverfahren gegen die NPD zuständige Berichtserstatter des Zweiten Senats, H.-J. Jentsch, mit, daß für das Parteiverbot ein angemessener Maßstab neu erarbeitet werden müsse. Man könne nicht einfach auf die Urteile der fünfziger Jahre zurückgreifen. Vgl. C. Rath, „NPD nicht gleich KPD", in: die tageszeitung (taz) v. 17. 02. 2001. Zur Geschichte der allmählichen Differenzierung zwischen erlaubten Zielen und verbotenen Mitteln bei der

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Unter welchen Umständen könnte eine Religionsgemeinschaft auf der Grundlage des Gewaltverbotes im Ergebnis also aufgelöst werden? Riefe eine Religionsgemeinschaft unmißverständlich zu Gewalt auf, die dazu bestimmt wäre, von ihren Mitgliedern auch ausgeführt zu werden, und ergäbe sich dies zuverlässig aus den ihr zurechenbaren Dokumenten, Reden und Predigten, so ließe sich ihr Verbot verfassungsrechtlich rechtfertigen. An einigen Beispielen verdeutlicht: Eine Religionsgemeinschaft, die ernsthaft den gewaltsamen Umsturz des Systems predigte, könnte verboten werden. Eine Religionsgemeinschaft, die ihre Mitglieder zu religiös motiviertem Terrorismus aufriefe, könnte verboten werden. Eine Religionsgemeinschaft, die ihren Mitgliedern für den Fall, daß sie als „Selbstmord-Attentäter-Märtyrer" stürben, das Himmelreich verspräche, könnte verboten werden. Wie steht es aber um die in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Religionsgemeinschaften, insbesondere die islamischen? Die Gewalt aus Modus der Machtausübung mit dem Orient zu verknüpfen, „ist dem Abendländer ein herkömmlicher Topos" 989 . Vor allem dem Politikverständnis der Islamisten liegt nach Auffassung des Bundestages dieses taktische Verhältnis zur Frage der Gewaltanwendung zugrunde. Der Jihad erlaube, so die regelmäßige Einschätzung, nämlich als Instrumente zur Verwirklichung der islamistischen Gesellschaftsordnung den Einsatz aller ihm zum Sieg verhelfenden Mittel 9 9 0 . Ergäbe sich also aus tatsächlichen Anhaltspunkten, daß islamistische Religionsgemeinschaften ernsthaft überlegten, den Heiligen Krieg auf deutschem Boden kämpfen zu wollen, könnten sie verboten werden.

X. Ein Wertungswiderspruch? Wird ein gewaltsames Verhalten der jeweiligen Religionsgemeinschaft und ihrer Mitglieder gefordert, damit ein Verbot gegen sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, so bedeutet dies eine verfassungsrechtliche Besserstellung der Religionsgemeinschaften gegenüber den anderen Korporationen der Verfassung: den Parteien und den profanen Vereinigungen. Es fragt sich demnach, ob sich diese Besserstellung zu einem normativen Widerspruch der Verfassung auswächst, der nicht hingenommen werden kann. Umgestaltung der verfassungsmäßigen Ordnung im politischen Strafrecht, vgl. ausführlich O. Kirchheimer, ZfPol 1964, S. 126 (126 ff., 134 f., 140 f.); F.-C. Schweden in: Verfassungsschutz und Rechtsstaat, S. 219 (299 ff.); W. Maihofer, Blätter f. dt. u. int. Politik 1964, S. 32/ 123 (125 ff., 131). 989 u. Steinbach, in: Kroker (Hrsg.), Die Gewalt, S. 150. 990 BT-Drs. 14/4530, S. 68; näher zum Konzept des „Heiligen Krieges" und sehr kritisch zur Annahme der gesteigerten Gewaltbereitschaft des Islam, vgl. U. Steinbach, in: Kroker (Hrsg.), Die Gewalt, S. 150 (163 ff.); W. Heitmeyer, Verlockender Fundamentalismus, S. 130 ff.; sehr kritisch dazu J. Schulz, Verlockendes Feindbild Islam, S. 1 (3 ff.); zu den Gewalttendenzen in den Lehren von Scientology, vgl. H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 24 f.

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Zum Teil wird die Privilegierung der Religionsgemeinschaften gegenüber Parteien und anderen Vereinigungen damit gerechtfertigt, daß von ihnen ein geringeres Gefahrenpotential für Gesellschaft und Staat ausgehe991. Mag dies indes eines der Motive der Mütter und Väter des Grundgesetzes gewesen sein, die Religionsfreiheit als vorbehaltloses Grundrecht aus dem Kanon der grundgesetzlichen Freiheitsrechte herauszuheben. Heutzutage läßt sich mit dem Hinweis auf eine geringere Gefährlichkeit religiöser Bewegungen und Motive nichts mehr begründen. Als heuristisches Argument von vornherein relativ, geht dieser Hinweis an tatsächlichem Trend und Zeitgeist vorbei. Er verarbeitet weder das Wiedererstarken religiöser Bindungen auch in den westlichen Gesellschaften 992 noch das spezifische Verhältnis von Quantität und Qualität religiöser Bindungen, das auch zu einem religiös motivierten Terrorismus führen kann. Mit anderen Worten erfaßt diese Argumentation nicht die Konsequenzen aus der Beobachtung, daß religiöse Lehren den einzelnen in weitaus stärkerer Weise zu verpflichten geneigt und geeignet sind als andere Vereinszwecke. Zum anderen liefert ihre mangelnde Gefährlichkeit zwar ein vordergründiges Motiv für die vormalige Freistellung der Religionsgemeinschaften vom Vereinsgesetz, versagt aber als (überholtes) empirisches Argument im Angesicht der Normativität der Verfassung seinen Dienst. Ausschlaggebend für die Privilegierung von Religionsgemeinschaften sind vielmehr folgende Gründe: Die Besserstellung der Religionsgemeinschaften gegenüber anderen Vereinen läßt sich nämlich, ohne auf Argumente wie das der fehlenden Gefährlichkeit zurückgreifen zu müssen, aus der Dogmatik der Verfassung im Verbund mit der oben dargelegten besonderen Korporationsprägung des Grundrechts der Religionsfreiheit erklären und ergibt sich daher aus dem Grundgesetz selbst. Sowohl die Freiheit der Verbindung zu Religionsgemeinschaften als auch deren Betätigungsfreiheit wiederum wird als religiöse Assoziationsfreiheit auf breitem Felde ausschließlich von Art. 4 GG als vorbehaltlosem Grundrecht regiert. Anders als diese Dimensionen der Religionsfreiheit bedürfen die übrigen grundrechtlichen Freiheiten, so auch die ebenfalls vorbehaltlos gewährleistete Kunstfreiheit des Art. 5 III GG, dagegen, um in organisierter Gemeinschaft ausgeübt werden zu können, des „Hilfsrechts" des Art. 9 I GG. Art. 9 I GG wird deshalb als Hilfsrecht bezeichnet, weil die Vereinigungsfreiheit einerseits nicht um ihrer selbst willen gewährleistet wird. Sie steht vielmehr im Dienste eines jeweils anderen, außerhalb ihrer selbst liegenden zwecksetzenden Grundrechts. Die jeweils anderen, zwecksetzenden Grundrechte besitzen andererseits von sich aus keine korporative Dimension des Freiheitsgebrauchs. Das Korporationsgrundrecht des Art. 9 I GG ist damit akzessorisch zu denjenigen Grundrechten, die den Zweck des Zusammenschlusses angeben. Außerhalb eines (internen) Kernbereichs der Vereinstätigkeit selbst, also im Hinblick auf ihre (externe) Vereinstätigkeit in Form der Verfolgung 991 So aber S. Veelken, Das Verbot, S. 204 ff. 992 M. Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen, S. 11 u. passim.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

des betreffenden Vereinszweckes, kann die Assoziation allein deshalb, weil sie ein Kollektiv bildet, jedoch nicht besser stehen als der jeweils einzelne, der dasselbe Ziel individuell zu erreichen versucht 993 . Für diejenigen Tätigkeiten einer Vereinigung, die zu diesen externen gezählt werden, richtet sich der Grundrechtsschutz damit (auch) nach den jeweils einschlägigen anderweitigen Grundrechtsnormen. Damit findet im Umkehrschluß gleichzeitig aber auch eine Doppelung der Schranken statt. Profane Vereine, die also nicht die religiöse Assoziationsfreiheit für sich reklamieren können, unterliegen demnach sowohl den Schranken des Art. 9 I I GG als auch den Schranken des jeweils zwecksetzenden Grundrechts 994. Schließen sich also beispielsweise Maler oder Autoren zu einem Künstlerkollektiv in Form einer Vereinigung nach Art. 9 I GG zusammen, so ist diese Vereinigung zwar auch nach dem vorbehaltlosen Freiheitsrecht des Art. 5 III GG geschützt, gleichzeitig gilt für sie aber die Schrankenregelung des Art. 9 I I GG. Die religiöse Assoziationsfreiheit dagegen unterliegt ausschließlich den Schranken des Grundrechts der Religionsfreiheit selbst. Im Hinblick auf die Vergemeinschaftungsnotwendigkeit von Religion stellt eine dem Art. 9 II GG vergleichbare fehlende Eingriffsermächtigung in die korporative Religionsfreiheit jedoch keinen Wertungswiderspruch dar: Denn der Maler kann ohne Einschränkung seiner Freiheit auch ausschließlich und zurückgezogen in der Einsamkeit der Natur malen, der Autor im stillen Kämmerlein schreiben. Sie bedürfen des Hilfsrechts des Art. 9 I GG nicht unbedingt. Der homo religiosus dagegen kann von den ihm verbürgten Rechten des Bildens, Habens, Äußerns und Ausübens seiner Religion als homo religiosus isolatus dagegen nur einen wenig effektiven Gebrauch machen. Deshalb muß es nicht verwundern, wenn sich die Verfassung selbst gegen die korporative Religionsfreiheit zurückgenommen hat. Von den Parteien unterscheiden sich die Religionsgemeinschaften durch ihre unterschiedliche Stellung und Funktion im Gefüge der Verfassung. Ungeachtet der Kritik, der sich das sogenannte Parteienprivileg des Art. 21 II GG in seiner derzeitigen Konkretisierung gegenübergestellt sieht 995 , ergibt sich die bessere Berechtigung der Möglichkeit, verfassungswidrige Parteien zu verbieten, aus den Aufgaben, die ihnen von Verfassungs wegen ausdrücklich zugewiesen sind. Als notwendige Wesensmerkmale der parlamentarischen Demokratie 996 werden die Parteien zwar nicht in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit integriert, sondern 993 Zu externer und intemer Vereinsbetätigung, vgl. BVerfGE 30, 227 (241); 50, 290 (354); 80, 244 (253); 84, 372 (378); BVerfG NJW 2000, S. 1251; ähnl. N. Nolte /M. Planker, Jura 1993, S. 635 (639); W. Schmidt, in: FS Mallmann, S. 233 (238); T. Schmidt, Parteien und Vereinigungen, S. 60, 62 ff.; D. Murswiek, JuS 1992, S. 116 (117). 994 D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 30, 50 f., 76; W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 20; M. Kemper, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Rn. 16 f., 21 ff.; H. Bauer, in: Dreier, GG, Art. 9 Rn. 40; M. Sachs, MDR 1996, S. 1197 (1200 f.); BVerfGE 54, 237 (251); BVerfG NJW 1998, S. 2269 (2270). 995 Vgl. die Beiträge in: C. Leggewie/H. Meier (Hrsg.), Verbot der NPD. 996 So bereits H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 107 f.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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bleiben in der gesellschaftlichen Sphäre verhaftet 997 . Sie agieren jedoch an der Schnittstelle zwischen Staat und Gesellschaft. Als integrierende Bestandteile des Verfassungsaufbaus 998 sind sie dazu berufen, in die institutionalisierte Staatlichkeit hineinzuwirken, wenn sie - durch Wahlen legitimiert - zum Beispiel von der Möglichkeit Gebrauch machen können, den Prozeß der Staatswillensbildung mitzugestalten und sich an der Auslese und Ausbildung des politischen Führungspersonals zu beteiligen 999 . Dies rechtfertigt ebenfalls einen anderen Umgang des Staates mit seinen Parteien als mit den Religionsgemeinschaften. Als Ergebnis läßt sich damit festhalten, daß die Privilegierung der Religionsgemeinschaften gegenüber Parteien und anderen profanen Vereinigungen keinen unerträglichen Wertungswiderspruch in der Verfassung darstellt.

X I . Z u r Praxis des Verfassungsschutzes: Legalität oder Moralität, „Glaubensschnüffelei" und Bewertungsverbot? Die bisherige Praxis der profanen Vereinsverbote wird von den Verfassungsschutzämtern aufgegriffen und ungefiltert auch auf Religionsgemeinschaften angewandt. Dies spiegeln die Verfassungsschutzberichte zu den Scientologen und Milli Görüs auf eindrucksvolle Weise wider. Die Lehren L. Ron Hubbards und diejenigen der IGMG werden dort minutiös auf ihre Vereinbarkeit mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung hin überprüft, um sie als Gründe, auf die später ein Verbot gestützt werden könnte, aufzubereiten. Wie zum Beispiel für ein Parteiverbot „eine Projektion" in die ungewisse Zukunft hinein als ausreichend erachtet wird, „welche Ziele die Partei in der höchsten denkbaren Machtfülle zu verwirklichen trachtet" 1000 , so werden derartige Projektionen auch für ein Verbot von Scientology fruchtbar gemacht 1001 . 997 BVerfGE 20, 56 (101); K. Hesse, VVDStRL 17 (1959), S. 11 (33): „Verbot einer Einfügung der Parteien in die organisierte Staatlichkeit"; D. Grimm, in: HdbVerfR, § 14 Rn. 18 ff.; J. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 9 f. 998 BVerfGE 1, 208 (225); 2, 1 (73); 5, 85 (133); 41, 399 (416): „verfassungsrechtliche Institutionen"; abgeschwächt in: BVerfGE 44, 124 (145 f.); 52, 63 (82 ff.); zur „intermediären Funktion" der Parteien, vgl. ferner C. Gusy, in: AK GG, Art. 21 Rn. 27; Κ Hesse, Grundzüge, Rn. 166 ff.; R Kunig, in: HStR II, § 33 Rn. 48 f. u. passim; Κ Stern, in: Stern, Staatsrecht I, S. 436 ff. 999 BVerfGE 52, 63 (83); 7. Ipsen, in: Sachs, GG, Art. 21 Rn. 10, 23; C. Gusy, in: AK GG, Art. 21 Rn. 28 ff. 1000 Antrag des Bundesrates im NPD-Verbotsverfahren, S. 37; BVerfGE 5, 85 (142): „Das Einschreiten gegen eine Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG ist seinem Wesen nach Präventivmaßnahme, Vorsorge für die Zukunft". Es reiche daher aus, wenn die antidemokratischen Absichten einer Partei „so weit in Handlungen (das sind u.U. auch programmatische Reden verantwortlicher Persönlichkeiten) zum Ausdruck kommen, daß sie als planvoll verfolgtes politisches Vorgehen der Partei erkennbar" würden.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Der Staat, so lautet die grundrechtsdogmatische Rechtfertigung für dieses Vorgehen, könne auf der Schrankenseite der Religionsfreiheit eine weitreichendere Definitionskompetenz für sich reklamieren, mit deren Hilfe er den Religionen diejenigen Grenzen ziehen dürfe, die zu ziehen ihm im Schutzbereich der Religionsfreiheit verwehrt sei 1 0 0 2 . Auf der Schrankenseite des Grundrechts gehe es nämlich nicht mehr darum, einen Glauben als grundgesetzlich geschützte Religion zu identifizieren, sondern einer Religion verfassungsrechtliche Grenzen aufzuzeigen. Eine schrankenlose, sektiererische und gesinnungsethische „Politik" gegen Rechtsweite mit Verfassungsrang, so das Postulat, müsse der Staat deshalb nicht hinnehmen 1003 . Die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer Religionsgemeinschaft müßten, so wird die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines Verbotes jedoch zuweilen eingeschränkt, ein untrennbarer Teil der Doktrin der Gemeinschaft und so tief im Denken ihrer Mitglieder verwurzelt sein, daß sie sich punktuell solange nicht unterbinden ließen, wie die Gemeinschaft bestehe. Verstöße gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung müßten ferner systematisch begangen werden und das Erscheinungsbild der Gemeinschaft repräsentativ und so nachhaltig prägen, daß ein Verbot letztlich allein dann gerechtfertigt sei, wenn bei keiner der gesamten Aktivitäten der Gemeinschaft von einer zulässigen Religionsausübung ausgegangen werden könne 1 0 0 4 . Im Grunde aber knüpft das auf die derzeitige Praxis zu Art. 9 II GG gestützte Verbot einer Religionsgemeinschaft, die sich nicht durch gewaltsames Verhalten hervortut, materiell an ihre Glaubenssätze an 1 0 0 5 . Es fragt sich jedoch, ob dies vor dem Hintergrund der Verpflichtung des säkularen Staates auf religiöse und weltanschauliche Neutralität zulässig sein kann. Zu dem gesicherten Bestand des ansonsten vielschichtig gebliebenen Grundsatzes religiös-weltanschaulicher Neutralit ä t 1 0 0 6 des Staates wird von der herrschenden staatskirchenrechtlichen Lehre so1001 Verfassungsschutzberichte 1999, S. 163 ff., 210 ff.; 2000, S. 205 ff., 252 ff.; ebenso das Gutachten zu Scientology, vgl. H.-G. Jaschke, Gutachten, passim; kritisch zur Beobachtung insb. der Scientology Church, vgl. H. Albert, DÖV 1997, S. 810 (811 ff.): Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden nur, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die Organisation aktiv versuchen sollte, ihre Auffassung an die Stelle der geltenden staatlichen Ordnung zu setzen. Zu diesen „Projektionen" im Falle der Scientology Church, vgl. auch H. Meier, Merkur 1999, S. 151 ff. 1002 Müller-Volbehr, DÖV 1995, S. 301 (310). 1003 BVerfGE 33, 23 (29). 1004 BVerwGE 37, 345 (366); J. Müller-Volbehr, in: Essener Gespräche 19 (1984), S. 111 (132 f.), der im übrigen für schutzbereichsimmanente Schranken votiert. Vgl. ferner K. Obermayer, ZevKR 27 (1982), S. 253 (258 ff., 262); für die Rechtslage unter der WRV, F. Giese, AöR 46 (1924), S. 1 (13): Der Staat dürfe diejenigen Auswirkungen von Bekenntnis und Kultus abwehren, die auf seine Grundlagen übergriffen. loos s. Veelken, Verbot, S. 119, demzufolge das Verbot gegen die gesamte innere Überzeugung gerichtet wird. 1006 Zur Vieldeutigkeit der Neutralität als „Schlüsselbegriff" des Staatskirchenrechts, vgl. K. Schiaich, in: EvStL II, Sp. 2239 (2242); P. Häberle, ZevKR 18 (1973), S. 420; W. Pannen-

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wohl das Verbot einer Staatsreligion gezählt als auch derjenige Aspekt, daß der Staat nicht in der Lage sei, die Glaubensinhalte eines religiösen Bekenntnisses zu bestimmen 1007 . Da er „Heimstatt" aller Bürger sein wolle, dürfe er sich weder, dies ist die einhellige Meinung, mit einer religiösen Position identifizieren noch eine religiöse Position privilegieren 1008 . Im Umkehrschluß dürfte es dann zumindest problematisch sein, daß der Staat diese religiösen Positionen von seinem Standpunkt oder dem der kollidierenden Verfassungswerte aus bewertet und durch eine Auflösungsverfügung verbietet 1009 . In einem neueren Beschluß des Bundesverfassungsgerichts reformuliert das Gericht den Grundsatz der religiös und weltanschaulichen Neutralität des Staates denn auch folgendermaßen: Der Staat sei, so das Gericht, nicht dazu gehalten, sich mit religiösen oder weltanschaulichen Fragen überhaupt nicht zu befassen. Doch gebe es gewisse Grenzen, die er dabei einzuhalten habe. Der Staat sei zwar „nicht gehindert, das tatsächliche Verhalten einer religiösen oder weltanschaulichen Gruppierung oder das ihrer Mitglieder nach weltanschaulichen Kriterien zu beurteilen, selbst wenn dieses Verhalten letzlich religiös motiviert" sei. Dagegen seien die „parteiergreifende Einmischung in die Überzeugungen, die Handlungen und in die Darstellung Einzelner oder religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften" dem Staat untersagt 1010 . In der Frage der Anwendbarkeit der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG auf Religionsgemeinschaften wird aber besonders deutlich, daß das äußere Verhalten, an das die Rechtsordnung grundsätzlich anknüpft, bei dem Verbot einer Religionsgemeinschaft aufgrund der derzeitigen Dogmatik zu Art. 9 I I GG in den Hintergrund tritt. Es fragt sich deshalb weiter, ob dies als dem demokratischen Rechtsstaat gemäß bezeichnet werden kann. Zum rechtsstaatlichen Freiheitsprinzip gehört es, daß derberg, in: Rheinischer Merkur Nr. 38 v. 22. 9. 1995, S. 24; E.-W. Böckenförde, ZevKR 20 (1975), S. 119 (130); weitergehende Positionen bei E. Fischer, Volkskirche ade!, S. 24 u. passim; M. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten, S. 149 ff. u. passim; C. Sailer, ZRP 1999, S. 455 ff.; G. Czermak, Staat und Weltanschauung, S. 267 u. passim; dazu A. v. Campenhausen, ZevKR 39 (1994), S. 370 ff.; K. Schiaich, in: Mikat (Hrsg.), Kirche und Staat, S. 427 (437 ff.). loo? BVerfGE 41, 65 (84); S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 73. loos BVerfGE 19, 206 (219). Der Staat als Heimstatt aller Staatsbürger wird als das Hauptanliegen des Neutralitätsprinzips aufgefaßt, vgl. W. Rüfner, NJW 1974, S. 491 (492); M. Jesteadt, in: Rüther (Hrsg.), Politik und Gesellschaft, S. 148 (149 f.): In der „religiös-weltanschaulichen Abstinenz des Staates" liege die Bedingung der Fähigkeit, Heimstatt zu sein. So auch S. Muckel, Religiöse Freiheit, S. 74. 1009 Ähnl. auch F. Schoch, in: FS Hollerbach, S. 149 (158). Zur unzulässigen Bewertung von Glaubenslehren im Rahmen des Art. 137 III WRV, vgl. auch W. Bock, Das für alle geltende Gesetz, S. 281; B. Jean d'Heur, NJW 1997, S. 182. Parallel dazu wird im Versammlungsrecht das Verbot, eine Versammlung inhaltlich zu bewerten, vertreten, wenn als Veranstalterin eine Partei auftritt, vgl. M. Kniesel, NJW 2000, S. 2857 (2861); BVerfG 1 BvQ 22/ 01 v. 1.5.2001, Abs. Nr. 16. 1010 BVerfG DVB1. 2002, S. 1351 (1352 f.), mit Hinweis auf BVerfGE 93, 1 (16); 102, 370 (394).

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jenige Bürger, welcher sich im Rahmen der Gesetze, also legal verhält, grundsätzlich auch als (staats- oder verfassungs)loyal einzustufen ist 1 0 1 1 . Daß rechtsstaatliche Gesetze dafür Sorge zu tragen haben, daß nur äußere Handlungen mit Strafe belegt werden, entspringt nicht zuletzt der Einsicht, daß die Imperative der Rechtsordnung für den einzelnen berechenbar sein müssen. Abweichendes Verhalten muß für den Staat dagegen beweisbar sein 1 0 1 2 . Das Anknüpfen von Rechtsfolgen an „innere Tatsachen" wurde deshalb sehr plakativ und überzogen als „Gesinnungsschnüffelei" gebrandmarkt: „Gesinnung", so hieß es, „könne nur durch Gesinnung" erkannt „und beurteilt werden. Es herrsche somit der Verdacht", die Tugend und der Schrecken 1013 . Das Prinzip, daß Gesinnungen für die Verfassungsordnung rechtlich grundsätzlich unbeachtlich sind, ist jedoch grundlegend. Vom einzelnen kann in der Regel nur ein äußeres Verhalten vom Recht gefordert werden, nicht jedoch eine innere Geisteshaltung und Einstellung, oder auf die Religionsfreiheit bezogen: ein bestimmter Glaube oder Nicht-Glaube 1014 . Dies wird insbesondere auch von ErnstWolfgang Böckenförde in seiner Schrift über den „sittlichen Staat" herausgestellt. Der Staat, so Böckenförde, sei als Gemeinwesen auf die einzelnen als Menschen und Bürger bezogen („Um-willen" des Staates), nicht jedoch auf transpersonale Güter und Zwecke. Da, so Böckenförde weiter, der Staat „als sittlicher Staat wegen seiner Anerkennung der Freiheit und sittlichen Selbstbestimmung der einzelnen gerade das Moment der Äußerlichkeit" an sich habe, könne er die Zwecke, zu deren Verfolgung er beauftragt sei, „nur in rechtlicher Weise, d. h. soweit es durch äußere Anstalten und vollziehbare Gebote möglich ist, die sich am Verhalten der ion Ähnl. W. Maihofen Blätter f. dt. u. intern. Politik 1964, S. 32/123 (36); A Arndt, NJW 1961, S. 897 ff.; R. Thoma, in: Der Parlamentarische Rat 5/1, Dok. Nr. 18, wo er in seiner Kritik am Grundrechtskatalog, insbesondere der Verfassungstreueklausel (Art. 108 HChE), ausführte: „Die übrigen Staatsbürger sind der Verfassung gegenüber nur zur Loyalität verpflichtet und diese Loyalität findet ihren Inhalt und ihre Sanktion in den Vorschriften der Strafgesetze". 1012 So schon Montesquieu, De l'esprit des lois, Buch 12 Kap. 11 S. 12; vgl. auch E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), S. 5 (29); E.-W. Böckenförde, in: Koschnick (Hrsg.), Extremistenbeschluß, S. 76 (77). 1013 G.W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Bd. 12, S. 532 f., zu Robbespierres Rechtfertigung der Politik des Schreckens, daß nämlich ohne den Terror die Tugend machtlos sei. E.-W. Böckenförde, in: Koschnick (Hrsg.), Extremistenbeschluß, S. 76 (80): Es „herrschen Vertrauen und Verdacht. Gesinnung kann nur Gesinnung beurteilen". Zum Begriff der „verfassungsfeindlichen Handlung", vgl. P. Badura, in: Verfassungsschutz in der Demokratie, S. 27 (34 mit Hinweis auf Art. 11 II 4 PAG): „Verfassungsfeindlich ist eine Handlung ( . . . ) , die darauf gerichtet ist, die verfassungsmäßige Ordnung ( . . . ) auf verfassungswidrige Weise zu stören oder zu ändern, ohne eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu verwirklichen". Sehr kritisch hierzu J. Schwagerl, ZRP 1988, S. 167 (169): Dieser Begriff erfasse die Gesinnung oder sonstige subjektive Intentionen. 1014 M. Kriele, in: Koschnick (Hrsg.), Extremistenbeschluß, S. 70 (71); J. Schapp, Ethische Pflichten, S. 19: „Gesolltheit eines Verhaltens"; G. Roellecke, Der Staat 35 (1996), S. 599 (612 f.): „Respekt vor dem positiven Recht kann man von jedem verlangen, mag er denken, was er will.

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einzelnen" orientierten, erfüllen, nicht aber auf ihre Gesinnung zurückgreifen. Vielmehr gehöre es, so Böckenförde schließlich, zum sittlichen Gehalt des neuzeitlichen Staates, daß dieser darauf verzichtet habe, eine einheitliche politische Gesinnung, einen einheitlichen Glauben oder eine einheitliche Weltanschauung seiner Bürger als sein Fundament einklagen zu können 1015 . Auf diesen Grundsatz der an äußerem Verhalten seiner Bürger orientierten Rechtsstaatlichkeit rekurriert das Bundesverfassungsgericht auch in seinen neueren Entscheidungen zu Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit, wenn es einerseits ausführt, ein Einschreiten gegen den Gebrauch des betreffenden Grundrechts käme erst dann in Betracht, wenn die Rechtsgüter anderer gefährdet würden; und andererseits darauf verweist, daß sich die Kraft eines Rechtsstaates gerade darin offenbare, daß er den Umgang mit den Gegnern seiner Verfassung den allgemein geltenden rechtsstaatlichen Grundsätzen unterwerfe 1016 . Ebenfalls grundlegend sind seine Ausführungen zu denjenigen Gründen, die es ermöglichen, einer Religionsgemeinschaft den von ihr beantragten Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Art. 137 V WRV zu versagen. Hier urteilt das Bundesverfassungsgericht, daß sich die Entscheidung über einen entsprechenden Antrag nicht nach dem Glauben richten dürfe, sondern sich an dem Verhalten der antragstellenden Religionsgemeinschaft orientieren müsse. Denn der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität verwehre es dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten. Einzig das tatsächliche Verhalten der jeweiligen Religionsgemeinschaft und ihrer Mitglieder sei nach weltlichen Maßstäben zu beurteilen. Ob Glaubensbekenntnis und Lehren, soweit sie sich nach außen manifestierten, Rückschlüsse auf das zu erwartende Verhalten zuließen, so das Bundesverfassungsgericht, sei eine Frage des Einzelfalls 1017 . Die Ambivalenz des Vereinsverbotes dagegen führt den Verbotstatbestand des Vereinsrechts in seiner derzeitigen Auslegung auf einen Schlingerkurs zwischen Moralität und Legalität, äußerem Verhalten und innerer Gesinnung. Die Unterscheidung von Moralität und Legalität geht auf Immanuel Kant zurück, der diese Termini zur begrifflichen Unterscheidung von Ethik und Recht nutzte. Es ging ihm dabei darum, unterschiedliche Motive bei der Befolgung einer Rechtsnorm, dem Verpflichtungsmodus normativer Sätze, herauszustellen. Die Moral oder Moralität ordnete er der Innensteuerung zu. Von einer Innensteuerung könne gesprochen werden, so Kant, wenn der Normadressat aus eigener, innerer Überzeugung eine Regel befolge. Die Legalität dagegen benutzte Kant, um die Außensteuerung zu beschreiben. Bei dieser komme, so Kant, der Antrieb zur Befolgung einer Rechtsnorm nicht aus der inneren Überzeugung von der Richtigkeit dieser Norm, sondern von außen, meist in Form von Zwang durch drohende Nach1015 E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 25 u. passim; zustimmend R. Steinberg, AöR 106(1981), S. 311 ff. loie BVerfG NJW 2001, S. 2069 (2070 f.); BVerfGE NJW 2001, S. 2076 (2077 f.). ion BVerfGE 102, 370 (394).

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teile für der Fall ihrer Nichtbefolgung. Am Bestimmungsgrund des Willens entschied sich für Kant, ob allein von einer äußeren Handlung (Legalität) oder von einer inneren moralischen Gesinnung (Moralität) gesprochen werden kann. Moral, das war Kants Überzeugung, lasse sich niemals erzwingen. Die Befolgung gesatzten Rechts dagegen schon, weshalb sich dieses Recht mit der Legalität zufriedengeben müsse. Für die Frage der Rechtmäßigkeit einer Handlung könne es aber auf die innere Bejahung eines Rechtssatzes nicht ankommen. Die Gesellschaft der Freien und Gleichen konstituiere sich, so Kant, nach dem Modell der zwangsweise (gesetzlich) kompatibel gemachten Inkompatibilitäten (Freiheitssphären). Entscheidend sei das Netz äußerer Zwangsgesetze, die ein friedliches, rechtmäßiges Verhalten erzwängen. Deshalb, dies ist Kants Schlußfolgerung, sei sogar „ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben)" fähig, eine rechtsstaatliche Verfassung zu begründen und sich unter ihr einzurichten 1018 . Diese so gesetzte Trennung von Recht und Moral sollte die Freiheit der einzelnen gerade durch die Vermeidung einer (schlimmstenfalls im Erziehungsterror endenden) ethischen Aufladung des zwangsbewehrten Rechts bewahren 1019 . Die weit verbreitete Rezeption hat dem Kantschen Begriffspaar Legalität/Moralität mittlerweile folgenden Inhalt zugeschrieben: Danach wird unter der Legalität die staatliche Weitung des äußeren, unter der Moralität die staatliche Wertung des inneren Verhaltens, der Gesinnung, verstanden 1020 . Indem also durch die Tatbestände, deren Erfüllung Voraussetzung für das Verbot einer Religionsgemeinschaft ist, auch an innere, vor allem an religöse Einstellungen rückangeknüpft wird, gerät das Verbot - unter Zugrundelegung dieser Terminologie - in die Nähe einer kollektiven Gesinnungs- oder Glaubensstrafe 1021, die an das Haben, Äußern und Eintreten für eine religiöse Überzeugung anknüpft. Ob dies mit dem Gebot der rechtsstaatlichen Neutralität des Staates kongruiert, erscheint jedoch zweifelhaft. Es wird zwar eingewandt, daß auch das vermeintlich neutrale und verhaltensbezogene Merkmal des äußeren Verhaltens, insbesondere der Gewalt kein wertneutraler Ausfluß des Prinzips der staatlichen Nichtidentifikation sei. Da es die Werte des Friedens und der Freiheit zum Ausdruck bringe 1022 , stelle folglich auch das an der Gewaltsamkeit anknüpfende Verbot einer Religionsgemeinschaft eine Bewertung derselben dar. lois E. Denninger, in: Preuß (Hrsg.), Zum Begriff der Verfassung, S. 95 (103 f.), mit Hinweis auf /. Kant, Zum ewigen Frieden, 2. Abschn. 1. Zusatz, in: Werke Bd. VIII, S. 366; H. Dreier, VVDStRL 55 (1996), S. 173 f.; O. Höffe, Den Staat braucht selbst ein Volk von Teufeln. 1019 H. Dreier, AöR 113 (1998), S. 450 (469); umfassend H. Böckerstette, Aporien der Freiheit und ihre Aufklärung durch Kant, S. 357 ff.; J. Braun, JuS 1994, S. 727 ff. 1020 L. Samson, in: Ritter/Gründer (Hrsg.), HWdPh VI, Sp. 179 ff.; U. Klug, in: Ferid (Hrsg.), Deutsche Landesreferate, S. 47; J. Braun, in: Rechtstheorie 23 (1992), S. 97 (98 ff.). 1021 So auch D. D. Hartmann, AöR 95 (1970), S. 567 (571); B. Schlink, Der Staat 15 (1976), S. 335. 1022 H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 597, 210 ff.

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Dieser Vorwurf an die Adresse des wertrelativistischen Denkens, einem Trugschluß aufzusitzen, wenn es glaube, mit der Gewalt ein wertneutrales Kriterium gefunden zu haben, das sich der Bewertung von Ideen und Betätigungen enthalte 1 0 2 3 , läßt sich jedoch entkräften: Wertrelativismus bedeutet, wie dargestellt, nicht Wertagnostik. Als Bewertungsmaßstab setzt auch der Wertrelativismus die Existenz von Werten voraus, verneint jedoch, daß die subjektive Anerkennung aller Betroffenen den Geltungsgrund kollektiver Wertsysteme darstelle. Letztere seien vielmehr, so die Überzeugung der Wertrelativisten, Gegenstand von Setzungen 1 0 2 4 . Beruht die Demokratie als gewaltfreier modus vivendi, dessen Spielregeln nicht gewaltsam verletzt werden dürfen, ihrerseits auf dem Wert der Freiheit des einzelnen, verstanden als Selbstbestimmung, so ist dies also eine Setzung 1025 und als solche eine Entscheidung, auf die das Volk als Souverän sich aus der Notwendigkeit, trotz gleicher Freiheit auch friedlich zusammenleben zu müssen, durch die Verfassunggebung selbst verpflichtet hat. Ferner hat in einer liberal verfaßten Gesellschaft der innere Friede eine grundsätzlich andere Qualität als die wertbezogene Einheit von Gesellschaft und Staat 1026 . Die Rückanknüpfung an die Glaubensinhalte einer Religionsgemeinschaft, die in dem Gewaltverbot begründet liegt, ist deshalb eine rein äußerliche. Sie begnügt sich damit, die säkularen Folgen möglicherweise religiös motivierten Verhaltens zu bewerten, und beschränkt sich bei dieser Bewertung deshalb auf das forum externum. Das forum internum, den Glauben selbst, läßt sie dagegen unangetastet. Allerdings ist es, das sei zugegeben, schwierig, Expression gegen Aktion abzugrenzen: Offenbart sich in einer Rede, einem Text lediglich eine Gesinnung, oder stellen sich eine Rede, die gehalten, ein Buch, das geschrieben wird, als Verhaltensweisen dar? Reicht es, daß Anzeichen der Bereitschaft, eine manifeste Gesinnung mit Gewalt auch durchzusetzen, hinzutreten, oder muß Gewalt erst ausgeübt werden 1027 , damit staatliche Sanktionen gerechtfertigt sind? Und woran ist dieser 1023 H. Steinberger, Konzeption und Grenzen, S. 210. 1024

G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 175: „ ( . . . ) vermag niemand festzustellen, was gerecht ist, so muß jemand feststellen, was rechtens sein soll". 1025 c. Gusy, ARSP 1982, S. 503 (504 ff.). Hier trifft sich der Wertrelativismus als Rechtsphilosophie mit dem Positivismus als Rechtstheorie, vgl. G. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 81. 1026 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 222. 1027 M. Kriele, in: VVDStRL 37 (1979), S. 160; ders., in: Koschnick (Hrsg.), Extremistenbeschluß, S. 70: „Gesinnung und Wille zu totalitärer Gesinnungsdurchsetzung sind zweierlei. ( . . . ) Verfassungsfeindlich ist erst der totalitäre Durchsetzungswille, also ein Akzidens, das zur Gesinnung hinzutreten kann, nicht muß". Dazu auch J. Isensee, in: Das Parlament 1976, S. 17. Eine ähnliche Problematik lag BVerfGE 39, 334 (368), zugrunde. Im Rahmen des Radikalenbeschlusses hatte sich das BVerfG damit zu befassen, ob die zuvor statuierte Treuepflicht des Beamten mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren sei, der die politische Anschauung als Anknüpfungspunkt für eine Diskriminierung oder Privilegierung verbietet. Das Gericht unterschied, um diese Frage bejahen zu können, zwischen dem Haben einer politischen Überzeugung, ihrem Äußern und ihrer Betätigung. Zur Problematik dieser schwer 29 Groh

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gewaltsame Durchsetzungswille überhaupt erkennbar? Dies sind Fragen, die schwer zu lösende Abgrenzungs- und Beweisprobleme aufwerfen. Aber, um ein weiteres Mal Hans Kelsen zu bemühen, „es mag mitunter schwierig sein, eine klare Grenzlinie zu ziehen zwischen der Verbreitung gewisser Ideen und der Vorbereitung eines revolutionären Umsturzes. Aber von der Möglichkeit, eine solche Grenzlinie zu finden, hängt die Möglichkeit ab, Demokratie aufrechtzuerhalten. Es mag auch sein, daß solche Grenzziehung eine gewisse Gefahr in sich schließt. Aber es ist das Wesen und die Ehre der Demokratie, diese Gefahr auf sich zu nehmen ( . . . ) 1 0 2 8 " .

X I I . Die weiteren Verbotsgründe des Art. 9 I I G G i.V.m. § 3 1 VereinsG Neben der freiheitlich demokratischen Grundordnung enthält Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG zwei weitere Verbotstatbestände, welche die Auflösung einer profanen Vereinigung rechtfertigen: den Gedanken der Völkerverständigung und die Strafgesetze. Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind nach Art. 9 II GG verboten. Im folgenden Abschnitt sollen diese beiden Verbotsgründe in der gebotenen Kürze dargestellt und auf ihre Anwendbarkeit gegen Religionsgemeinschaften im Schutzbereich des Art. 4 GG als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts kritisch hinterfragt werden.

1. Völkerverständigung und völkerrechtliche Friedenspflicht als Ausdruck kollidierenden Verfassungsrechts? Der Verbotstatbestand des Vereinsgesetzes umfaßt ferner auch die in Art. 9 II GG genannte Völkerverständigung. Bis zu dem Verbot des Kalifatstaates war in der Rechtspraxis zu den Vereinsverboten noch kein Verein mit der Begründung verboten worden, er sei völkerrechtswidrig 1029 . Aber auch in der Verbots Verfügung gegen den Kalifatstaat als Ausländerverein spielte seine Völkerrechtswidrigkeit eine nur untergeordnete Rolle. Da er als Ausländerverein verboten wurde, standen vielmehr neben der freiheitlich demokratischen Grundordnung die außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland (§ 14 I VereinsG) im Vordergrund. Wegen der marginalen Bedeutung dieses Verbotsgrundes soll deshalb im folgenden allein ein kursorischer Überblick über dieses Tatbestandsmerkmal des Art. 9 II GG nachvollziehbaren Trennung, vgl. J. Esser, JZ 1975, S. 555 (557 f.); Sondervotum Rupp zu BVerfGE 39, 334 (378 f.). 1028 H. Kelsen, Was ist Gerechtigkeit, S. 42. 1029 So M. Deres, VR 1992, S. 421 (428 Fn. 109); S. Veelken, Das Verbot, S. 164.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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und seine Anwendbarkeit auf Religionsgemeinschaften im Rahmen der Völkerfreundlichkeit des Grundgesetzes gegeben werden. Unter dem Terminus des „Sich-Richtens" gegen die Völkerverständigung wird zumeist verstanden, daß damit Vereinigungen umfaßt werden, die, über die bloße Kritik an fremden Staaten hinausgehend, entweder eine Störung des Friedens unter den Völkern und Staaten beabsichtigen oder beispielsweise Ansichten über die rassische oder nationale Minderwertigkeit ethnischer Gruppen vertreten 1030 . Da sich diese Schrankenformulierung des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG aber allein als Konkretisierung kollidierenden Verfassungsrechts auf Art. 4 GG und Religionsgemeinschaften übertragen läßt, fragt es sich vor allem, wie diese Verbotsalternative in den Gesamtzusammenhang der Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassung einzuordnen ist. Die Völkerfreundlichkeit, spezifischer: die Völkerrechtsfreundlichkeit der Verfassung durchzieht das Grundgesetz wie ein roter Faden 1031 . Als einschlägige Verfassungsvorschriften werden in diesem Zusammenhang vor allem genannt die Präambel, Art. 1 II, 9 II, 24, 25 und 26 GG. Aus diesem Normenkonglomerat wiederum ist Art. 26 I GG als gefahrenabwehrrechtliche Regelung herauszuheben. Diese Verfassungsnorm erklärt Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, für verfassungswidrig. Sie schneidet aus der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes die völkerrechtliche Friedenspflicht heraus und adressiert sie nicht allein an den Staat als klassisches Völkerrechtssubjekt, sondern nimmt gleichzeitig auch den einzelnen in die Pflicht. Das Gebot der völkerrechtlichen Friedenspflicht stellt daher nach übereinstimmender Meinung eine verfassungsunmittelbare Schranke auch vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte oder eine Grundpflicht dar 1 0 3 2 . Art. 9 I I GG wird deshalb zum Teil als vereinsrechtliche Konkretisierung des Art. 26 I GG betrachtet. Dies wird von der Gegenmeinung wegen des weitergehenden Wortlauts der Vereinsverbotsnorm jedoch abgelehnt 1033 .

1030 N. Rudrojf, Vereinigungsverbot, S. 47; C. Grundmann, Vereinsrecht, S. 118; M. Kemper,: in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 9 Abs. 2 Rn. 162; W. Löwer, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 9 Rn. 44 f.; /. v. Münch, in: BK GG, Art. 9 Rn. 74; R. Scholz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 9 Rn. 131; W. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 9 Rn. 45; S. Veelken, Das Verbot, S. 164. Gerade im Sinne der zweiten Alternative wird deshalb gutachterlich hervorgehoben, daß Scientology davon ausgehe, Naturvölker seien stärker aberriert als zivilisierte Volker, und sich damit gegen die Völkerverständigung richte, vgl. H.-G. Jaschke, Gutachten, S. 42. Ebenso die Verfassungsschutzberichte zu den antisemitischen Äußerungen ζ. B. von Milli Görus, vgl. Verfassungsschutzbericht 2000, S. 207 u. passim. 1031 H.-P. Schneider, RuP 1985, S. 138. 1032 R. Streinz, in: Sachs, GG, Art. 26 Rn. 32; R. Stober, Grundpflichten, S. 55 ff.; C. Gusy, JZ 1982, S. 656 (659); T. I. Schmidt, Grundpflichten, S. 205 ff.; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 26 Rn. 1, der die unmittelbar geltenden Anordnungen der Norm gegenüber ihrem programmatisch-bekenntnismäßigen Charakter als gering verortet. 29*

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Aus Art. 26 I GG ergibt sich die Pflicht der einzelnen, friedensstörende Handlungen nach außen zu unterlassen. Diese weitreichende verfassungsrechtliche Unterlassenspflicht erhellt aus der Nachkriegssituation, in die hinein das deutsche Volk sich verfaßt hat. Der Teufel steckt indes im Detail, denn mangels Gelegenheit haben sich bisher keine festen Grundsätze für die Auslegung dieser Verfassungsnorm bilden können. Die Einzelheiten zu Art. 26 I GG sind nichts weniger als geklärt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang vor allem das Schutzgut der Norm, der Frieden, und die Qualität der Störungshandlung. Zum Teil wird vertreten, Art. 26 I GG enthalte den sogenannten positiven Friedensbegriff und bringe damit die Pflicht eines jeden zum Ausdruck, sich aktiv um die Herstellung eines idealen Zustandes von Sicherheit und Gerechtigkeit in der Welt zu bemühen. Wegen der fehlenden Justiziabilität dieses ethisch aufgeladenen und interdisziplinär verschieden besetzten Friedensbegriffes geht die herrschende Meinung jedoch davon aus, daß die Friedenspflicht des Art. 261 GG auf die völkerrechtliche Friedensordnung verweise. Genauer gesagt: Er verweise auf Art. 2 (4) der UN-Charta und sei gleichzusetzen mit der Abwesenheit (bewaffneter) Gewalt 1 0 3 4 . Art. 261 GG enthält mit der Friedenspflicht damit im Ergebnis ein Gewaltverbot. Dies bestätigt grundsätzlich auch ein Blick auf die von Art. 26 I GG verbotenen Störungshandlungen. An dem Regelbeispiel der Vorbereitung eines Angriffskrieges orientiert, umfassen die Störungshandlungen von privater Seite nach einhelliger Meinung grundsätzlich zunächst nur solche Handlungen, die objektiv geeignet sind und subjektiv in der Absicht 1 0 3 5 vorgenommen werden, die Gefahr 1036 einer bewaffneten Konfliktlage herbeizuführen 1037. 1033

Als vereinsrechtliche Konkretisierung des Art. 261 GG verstehen D. Merten, in: HStR VI, § 144 Rn. 74, und H. Ridder, in: AK GG (Vorauflage), Art. 9 Abs. 2 Rn. 38, diese Alternative des Art. 9 II GG. Ablehnend R. Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 9 Rn. 131; M Kemper, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 9 Abs. 2 Rn. 162. 1034 U. Fink, in: v. Mangoldt/ Klein/Strack, GG, Art. 26 Rn. 10, 13; A. Bleckmann, DÖV 1996, S. 137 (144); R. Streinz, in: Sachs, GG, Art. 26 Rn. 9 ff. Das Völkerrecht unterlasse es, den Frieden als Ideal zu definieren, vgl. W. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 333; V. Epping, Der Staat 31 (1992), S. 39 (55 f.); W. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 342; Κ Doehring, in: HStR VII, § 178 Rn. 18. Die Abwesenheit bewaffneter Gewalt gilt im übrigen auch völkergewohnheitsrechtlich als ius cogens, vgl. ICJ Rep. 1986, S. 14 ff.; K -Α. Hernekamp, in: v. Münch /Kunig, GG, Art. 26 Rn. 4 ff.; H. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rn. 9 ff.; O. Luchterhand, Grundpflichten, S. 480; T. Maunz, in: FS Schmitt, S. 285 (287, 290): Das, was völkerfriedensrechtlich erlaubt sei, könne nicht als Störung i. S. d. Grundgesetzes angesehen werden. Femer zur Absicht des Art. 26 I GG, Kriegshandlungen zu ächten, vgl. BT-Drs. 1/1307, S. 29; zum Gewaltbegriff des Völkerrechts, vgl. H. Fischer, in: Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rn. 12 ff. 1035 Hinsichtlich der Absicht ist umstritten, ob hier Vorsatz i. S. d. dolus directus ausreicht oder ob die Störung des Friedens Beweggrund und Ziel des Handelns sein muß, vgl. einerseits K.-A. Hernekamp, in: v. Münch /Kunig, GG, Art. 26 Rn. 19; andererseits T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 26 Rn. 15 f. 1036 Zum Gefahrenbegriff des Art. 26 I GG, vgl. insb. T. Frank, AK GG, Art. 26 Rn. 16 f.; U. Fink, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 26 Rn. 27; E. Killinger, Feindliche Hand-

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Es erscheint damit zumindest sehr zweifelhaft, ob zum einen unter Einbeziehung des individualschützenden Art. 20 des UN-Paktes v. 19. 2. 1966 über politische und bürgerliche Rechte (IPBPR) 1038 „jedes Eintreten für ( . . . ) religiösen Haß, durch das zur Diskriminierung ( . . . ) aufgestachelt wird", als psychologische Vorstufe in den Regelungsbereich des Art. 26 I GG fällt 1 0 3 9 . Oder zum anderen das Verbot der Volksverhetzung, der „nationalistischen Verhetzung der Gemüter", wie dies zum Teil geltend gemacht wird 1 0 4 0 , als Schutzgegenstand und kollidierendes Verfassungsrecht unter diese Nicht-Angriffsnorm zu subsumieren ist. Im Ergebnis scheint es vielmehr näherzuliegen, auch die verfassungsrechtliche Schranke des völkerfreundlichen Verhaltens im Sinne eines Gewaltverbotes auszulegen. 2. Die Schranken der Strafgesetze Eine Vereinigung ist nach Art. 9 II GG ferner verboten, wenn ihre Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Es fragt sich deshalb, wie sich diese Verbotsalternative zu der korporativen Religionsfreiheit des Art. 4 GG verhält. Die Vereinigungsfreiheit, auch die religiöse, wird seit ihren ersten rechtlichen Ausformungen von den Schranken der Strafgesetze im weitesten Sinne überzogen 1 0 4 1 . Selbst dort, wo deren ausdrückliche Verbindung mit der Assoziationsfreiheit fehlte, wurde ihr Eingreifen als selbstverständlich, jede andere Auffassung als „unsinnig" erachtet 1042 . Frei nach Hegel ließe sich deshalb fabulieren, die umfassende Beschränkung der Vereinigungsfreiheit durch die Strafgesetze sei das geschichtlich Gewordene, damit gleichzeitig das Vernünftige und deshalb auch das lungen, S. 91 f.; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 26 Rn. 13 f.; R. Streinz, in: Sachs, GG, Art. 26 Rn. 26 f.; E. Haas-Traeger, DÖV 1983, S. 105 ff. 1037 BVerwG NJW 1982, S. 194 (195); U. Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 26 Rn. 29; T. Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 26 Rn. 10 ff.; Κ. A. Hernekamp, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 26 Rn. 16; R. W Füßlein, in: Seifert/Hömig, GG, Art. 26 Rn. 2. Unter das Gewaltverbot des Art. 2 (4) UN-Charta fällt im übrigen wohl nur Gewalt von einer gewissen Intensität, vgl. W. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 337. Als Beispiel derartiger Handlungen nannte der Parlametarische Rat die private Bildung paramilitärischer Strukturen in Form sogenannter Wehrsportvereine, vgl. JöR N.F. 1 (1951), S. 235 (239); Parlamentarischer Rat, Verhandlungen des Hauptausschuß 1948/49, 29. Sitzung v. 5. 1. 1949, S. 347 ff., 349. Insgesamt, so U. Fink, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 26 Rn. 31, verbiete Art. 261 GG es aber nicht, einen Wandel des status quo mit friedlichen Mitteln anzustreben. 1038 BGBl. I I 1973 S. 1533; hierzu K. Ipsen, in: ders., Völkerrecht, § 48 Rn. 37 ff., 43 ff. 1039 So aber T. Frank, in: AK GG, Art. 26 Rn. 60 ff.; K.-A. Hernekamp, in: v. Münch/ Kunig, GG, Art. 26 Rn. 17; C. Starck, JZ 1983, S. 405 (413). 1040 So /. v. Münch, in: FS Baudissin, S. 39 ff. 1041 E. Loening/O. Loening, in: HdWB der Staatswissenschaften VIII, S. 542 (543 ff.). 1042 Zum Aufruf des Rates der Volksbeauftragten, vgl. L. Waldecker, in: HdbdDStR II, § 104 S. 641.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Legitime 1 0 4 3 . Nun ist das Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung zunächst aber nur in einen Prozeß eingebunden, als dessen Produkt es unabhängig von seiner Faktizität auf seine (normative) Berechtigung hin untersucht werden muß. Das Resultat dieser Untersuchung kann unter veränderten gesellschaftlichen Laborbedingungen durchaus verschieden ausfallen. Trotz grundsätzlicher Anerkennung der Höherrangigkeit der verfassungsrechtlichen Regelungen wurde dagegen noch zehn Jahre nach Erlaß des Grundgesetzes wie selbstverständlich festgestellt, daß niemand daran zweifeln könne, „daß die Verbotsnormen des Strafrechts eine allgemeine Sperrwirkung gegenüber jeglicher Grundrechtsausübung haben" 1044 . Spätestens nach einigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich gerade mit der schrankenziehenden Wirkung der Strafgesetze auseinandergesetzt hatten 1045 , mußte diese Auffassung jedoch revidiert werden. Statt auf die formelle Zugehörigkeit der einschränkenden Gesetze zum Kanon des Strafrechts abzustellen, wurde daraufhin das „Crimen" als strafrechtliche Schranke jeglichen Grundrechtsgebrauchs herangezogen. Grundrechtseinschränkend sollten fortan diejenigen strafrechtlichen Gesetze wirken, welche sich im „Bewußtsein der Rechtsgenossen" als Kriminalunrecht verankert hatten 1046 . Da aber weder das Rechtsbewußtsein aller billig und gerecht Denkenden noch der Volksgeist savignyischer Prägung als geeignet befunden wurden, den Grundrechten Schranken zu ziehen, wurde auch diese Ansicht alsbald fallengelassen. Heute ist anerkannt, daß auch die Normen des Strafrechts ihrerseits im Lichte der einschlägigen Grundrechte anzuwenden und auszulegen sind. Diese Erkenntnis hat zu weiteren Einschränkungen hinsichtlich der Tauglichkeit schrankenziehender Strafgesetze geführt. Spezielle Freiheitsrechte wie auch die Religions- und die Vereinigungsfreiheit stehen grundsätzlich nur unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze. Strafgesetzliches Sonderrecht gegen die in diesen Grundrechten gewährleistete Freiheitsbetätigung dagegen ist ausgeschlossen. Der Terminus des Sonderrechts umschreibt dabei mit doppeltem Sinngehalt insbesondere dasjenige Strafrecht, welches sich inhaltlich entweder gegen eine Religion oder gegen die Assoziationsfreiheit selbst richtet1047. Sondergesetze gegen die grundrechtlich geschützten Freiheitsbetätigungen seien, so die allgemeine Meinung, ihrerseits verfassungswidrig, da die grundrechtlichen Schutzbereiche sonst zur Disposition des Gesetzgebers ständen 1048 . 1043 G.W. F. Hegel, in: Hofmeister (Hrsg.), Die Vernunft in der Geschichte, 1955, S. 28 ff.: „ ( . . . ) daß die Vernunft die Welt beherrscht, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen ist." J. Hirschberger, Geschichte der Philosophie II, S. 407 (431). Km G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I (Vorauflage) Rn. 76 ff.; kritisch R. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 108 ff. 1045 BVerfGE 1, 418 (426 ff.); 4, 352 (355); 6, 389 (420); 7, 320 (323 ff.). 1046 G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. I (Vorauflage) Rn. 76 ff.; M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 536. 1047 D. Murswiek, JuS 1992, S. 116 (121). 1048 β. Pieroth/B. Schlink, Grundrechte, Rn. 747.

Β. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften

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Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus den Siebzigerjahren 1 0 4 9 zählt weiter zur allgemeinen Dogmatik zu Art. 4 GG, daß die Religionsfreiheit nicht durch jede allgemeine Strafrechtsnorm begrenzt werden kann. Als an Art. 4 GG ausgerichteter „Schranken-Schranke" ist für das Verbot von Religionsgemeinschaften aufgrund strafrechtswidriger Betätigung vielmehr zu beachten, daß das einschlägige Strafgesetz seinerseits keinen ungerechtfertigten, also durch kollidierendes Verfassungsrecht nicht gedeckten Eingriff in den Schutzbereich der Religionsfreiheit darstellt 1050 . Im Ergebnis sind die Normen des Strafrechts damit tauglich, auch die religiöse Assoziationsfreiheit des Art. 4 GG zu beschränken, solange sie kein Sonderrecht gegen Religionsgemeinschaften darstellen und ihrerseits Ausdruck kollidierenden Verfassungsrechts sind. Religionsgemeinschaften, deren Zwecke und Tätigkeiten diesen so umrissenen Strafgesetzen zuwiderlaufen, können damit auf Grundlage des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG verboten werden.

X I I I . Zusammenfassung Der Eingriff in die vorbehaltlos gewährleistete religiöse Assoziationsfreiheit des Art. 4 GG durch das Verbot einer Religionsgemeinschaft kann einzig mit kollidierendem Verfassungsrecht gerechtfertigt werden. Art. 9 I GG i.V.m. § 3 I VereinsG als derzeit einzige Ermächtigungsgrundlage, aufgrund derer ein behördliches Verbot gegen eine Vereinigung verfügt werden kann, konkretisiert kollidierendes Verfassungsrecht nur für den Fall, daß ihre Tatbestandsalternativen verfassungskonform ausgelegt werden. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des „Sich-Richtens" gegen die verfassungsmäßige Ordnung, oder besser: die freiheitlich demokratische Grundordnung, hat sich ergeben, daß diese der Religionsfreiheit nicht als zielbezogene Verbotsalternative entgegengehalten werden kann. Als kollidierendes Verfassungsrecht läßt sie sich aus dem in seinen Einzelheiten umstrittenen Erfordernis eines Grundkonsenses nicht herleiten. Zwar stellt die freiheitlich demokratische Grundordnung einen materiellen Verfassungswert dar. Dieser kann aber auch über das dogmatische Hilfsmittel der „Einheit der Verfassung" die Religionsfreiheit als solche nicht beschränken. Ferner ist die Beschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte durch ein Verfassungsprinzip „streitbare Demokratie" abzulehnen. Auch als „einfacher" Verfassungsvorbehalt aller Grundrechte läßt sich die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht aus der Verfassung ableiten. Die entscheidende Grenze, die das Grundgesetz dem Gebrauch eines vorbehaltlosen Grundrechts zieht, liegt vielmehr in dem verhaltensbezogenen Mittel der Gewalt. Das aggressive, aktiv kämpferische „Sich-Richten", wie Art. 9 II GG durch das Bundes1049 BVerfGE 32, 98. 1050 Zur Grundrechtsmäßigkeit von Strafnormen, vgl. BVerfGE 1, 418 (426 ff.); 4, 352 (355); 6, 389 (420); 7, 320 (323).

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

Verfassungsgericht für die profane Vereinigungsfreiheit konkretisiert wird, ist deshalb im Hinblick auf die Religionsfreiheit als Verbot, zur Bekämpfung der freiheitlich demokratischen Grundordnung Gewalt anzudrohen oder einzusetzen, zu verstehen. Auch die Völkerrechtsfreundlichkeit, die in der Verbotsalternative der Völkerverständigung des Art. 9 II GG zum Ausdruck kommt, verbietet als Konkretisierung des Völkerfriedensgebots des Art. 26 I GG gewaltsames Verhalten. Die Verbotsalternative der Strafgesetze läßt sich auf die religiöse Assoziationsfreiheit insofern übertragen, als eine Religionsgemeinschaft aufzulösen ist, sofern sie gegen Strafgesetze verstößt, die kein gegen sie gerichtetes Sonderrecht darstellen und ihrerseits kollidierendes Verfassungsrecht konkretisieren.

C. Schlußbemerkung: Einfaches Gesetz oder de constitutione ferenda Das Vereinsgesetz hält also grundsätzlich als Eingriffsgrundlage auch in die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit her - allerdings nur unter der Voraussetzung, daß seine Tatbestandsmerkmale im Sinne des kollidierenden Verfassungsrechts, welches sich in ihnen manifestieren muß, verfassungskonform ausgelegt werden können. Der seinerseits nicht durch seine Konturenschärfe bestechende Verbotstatbestand des Vereinsgesetzes würde aber durch die Notwendigkeit, ihn verfassungskonform auszulegen, noch konturenärmer. Vor diesem Hintergrund lohnt die Überlegung, die religiöse Vereinigungsfreiheit qua eigenen Gesetzes, das die verfassungsrechtlichen Vorgaben für Religionsgemeinschaften nachzeichnet, einzuschränken. Der andere Ausweg, der bleibt, ist der einer Verfassungsänderung mit der Konsequenz, daß diejenigen Verbotsgründe, welche für die profanen Vereinigungen gelten, uneingeschränkt auch auf Religionsgemeinschaften anwendbar würden 1. Da aber auch die Änderung der Verfassung keinen Ausweg ohne dogmatische Hürden aufzeigt, sollen zum Abschluß die drängendsten Fragen, die sich hinsichtlich der Grundgesetzänderung stellen, aufgezeigt werden. Den Weg einer Grundgesetzänderung ist der verfassungsändernde Gesetzgeber mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts bereits gegangen, als im Zuge der Notstandsgesetzgebung dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG eine weitreichende Staats- und Verfassungsschutzklausel in den Gesetzesvorbehalt geschrieben wurde 2.

ι Hierfür plädieren ausdrücklich S. Veelken, Das Verbot, S. 219 ff.; L Michael, JZ 2002, S. 482 (491). 2 VerfÄndG v. 24. 06. 1968, BGBl. I, S. 709; vgl. auch G 10 ν. 13. 08. 1968, BGBl. I S. 949.

C. Schlußbemerkung: Einfaches Gesetz oder de constitutione ferenda

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Denn solange und soweit also dem verfassungsändernden Gesetzgeber die Möglichkeit der Disposition über grundrechtliche Freiheiten zukommt, ist er auch angehalten, diesen dogmatisch dennoch geradlinigeren Pfad zu beschreiten3. Das System des Verfassungsschutzes im Grundgesetz rechtfertigt sich dadurch, daß es seinerseits wohlabgewogen begrenzt ist. Dieser Begrenzung bedarf es in einem freiheitlichen Staat. Im Sinne von Wesentlichkeitslehre und rechtsstaatlichem Bestimmtheitsgebot ist es ferner angezeigt, daß die grundlegenden Fragen einer Grundrechtsbetätigung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber geregelt werden4. Wie im Zuge der vielen Grundgesetzreformpläne diskutiert wurde, hat der verfassungsändernde Gesetzgeber aber auch hier eine übergeordnete Rechenschaft zu geben: Sein durch Verfassungsänderung angepeiltes Ziel muß er legitimieren können. Er muß nachweisen können, daß sein Ziel mit einzelnen Verfassungsnormen kollidiert, und fundiert prognostizieren können, daß die Lösung dieser Zielkollision gerade vom Verfassungsrecht erbracht werden kann, ohne daß das Leistungsvermögen der Verfassung hierdurch tangiert wird 5 . Der Möglichkeit der Verfassungsänderung werden daneben durch Art. 79 III GG materiellrechtliche Grenzen gezogen. Der Unantastbarkeitsgarantie unterliegen die in Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze der Verfassung. Daß Grundrechte, obwohl „Eckpfeiler der grundgesetzlichen Ordnung 4'6, also abgeändert werden können, ist aufgrund des Wortlauts der Vorschrift mittlerweile unstreitig 7. Allein die Frage nach den Grenzen ihrer Abänderbarkeit steht in der Diskussion. Das Bundesverfassungsgericht judizierte in diesem Zusammenhang, daß die Verbürgungen der dem Art. 1 GG nachfolgenden Grundrechte einer Einschränkung durch Verfassungsänderung insoweit entzogen seien, als sie zur Aufrechterhaltung einer dem Art. 1 I, II GG entsprechenden Ordnung unverzichtbar seien8. Diese Urteilspassage wird zum Teil dahingehend ausgelegt, daß sich die Sperrklausel des Art. 79 III GG zumindest auf einen bestimmten Kerngehalt aller Grundrechte erstrecke 9. Wie dieser Kerngehalt zu bestimmen ist, wird in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nicht einheitlich beantwortet. Zum Teil wurde - mehr an der Provenienz der Grundrechte orientiert - ins Feld geführt, die Grenze zulässiger Änderungen und Streichungen sei dann erreicht, wenn diese die Abschaffung eines funda3 So auch M. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 577; R Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 301 f. 4 H. W. Alberts, ZRP 1996, S. 60 (62). 5 D. Grimm, AöR 97 (1972), S. 489 (508). 6 Sondervotum (Geller, Schlabrendorff und Rupp) zu BVerfGE 30, 1 (33, 39), zu Art. 1 und 20 GG. 7 Zur früheren Theorie der „Kettenreaktion", vgl. K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 1073 f. s BVerfGE 84, 90 (121). 9 So K. Stern, in: Stern, Staatsrecht III/2, S. 1110; vgl. aber auch W. Graf Vitzthum, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Bd. II, S. 3 (12); a.A. wohl H. Ridder, in: AK GG, Art. 79 Rn. 37 ff.

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§ 3 Der Schutzbereich und die Schranken der Religionsfreiheit

mentalen Menschenrechts bezweckten oder den Grundrechtskatalog, dessen geistige Essenz sich in dem Bekenntnis zu den Menschenrechten manifestiere, sinnentleerten 10. Im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nimmt die überwiegende Meinung heute an, über die Ewigkeitsklausel des Art. 79 III GG sei nur der Menschenwürdegehalt der einzelnen Grundrechte unantastbar11. Aber auch die Spezifizierung dieses Menschenwürdegehalts wird kontrovers diskutiert. Während auf der einen Seite aus einer Synthese der Art. 11, II, 19 II und 79 III GG der Menschenwürdegehalt der Grundrechte mit ihrem Wesensgehalt gleichgesetzt wird 1 2 , wird auf der anderen Seite gerade diese Identität von Menschenwürde- und Wesensgehalt verneint 13. Der Schutz des Menschenwürdegehalts setze, so diese Auffassung, bereits vor dem des Wesensgehalts eines Grundrechts an, weshalb allein auf jenen abzustellen sei 14 . Die Frage, wie sich der für Naturrechts- und Weltanschauungslehren anfällige Begriff des Menschenwürdegehalts inhaltlich zu einem rechtlich operationablen Maßstab verdichten läßt, harrt ebenfalls einer eindeutigen Antwort. Allein pauschal auf die Objektformel 15 abzustellen, griffe hier zu kurz 16 . Deshalb wird vorgeschlagen, jeweils in Ansehung des konkreten Falles die Ausstrahlungswirkung des Art. 1 GG auf jedes Grundrecht zu untersuchen und die Grenze für dessen Abänderung dort zu ziehen, wo sich bestimmte Grundrechtspositionen als Ausdruck des Menschenwürdegehaltes manifestierten. Letzterer selbst sei, so diese Auffassung, ein verfassungsrechtlicher Grundsatz, der an der Personenhaftigkeit des Menschen und seinem Eigenwert anknüpfe. Er schütze Eigenheit sowie Eigenständigkeit des einzelnen als Wurzel seiner persönlichen Identität, so daß die Änderung des Menschenwürdegehalts eines speziellen Grundrechts zugleich die Menschenwürde „entarten" ließe 17 . Gerade unter Berufung auf die fehlende Ausstrahlungswirkung der Menschenwürde auf alle übrigen Grundrechte wird von der Gegenmeinung aber bezweifelt, daß alle Grundrechte mit einem spezifischen Kerngehalt der Unabänderlichkeitsio W. Zeidler, DVB1. 1950, S. 598 (600); zur Einbeziehung des Menschenrechtsgehalts in die Ewigkeitsklausel, vgl. auch M. Sachs, in: Stem, Staatsrecht I, S. 175; ders., JuS 1985, S. 329 (337). h BVerfGE 84, 90 (126); H. U. Evers, in: BK GG, Art. 79 Abs. 3 (Zweitbearbeitung) Rn. 172 ff. ι 2 So G. Dürig, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Rn. 81; G. Dürig/T. Maunz, in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 79 Rn. 42; K. Hesse, Grundzüge, Rn. 704. 13 Vgl. B. Even, Unantastbarkeitsgarantie, S. 124 ff. Die Gleichsetzung wird u. a. deshalb abgelehnt, weil Art. 19 II GG sich nicht an den verfassungsändernden Gesetzgeber richte. 14 B.-O. Bryde, in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 79 Rn. 36; J. Lücke, in: Sachs, GG, Art. 79 Rn. 32. 15 G. Dürig, AöR 81 (1956), S. 117 (127). 16 K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III / 2, S. 1113 ff. 17 So K. Stern, in: Stem, Staatsrecht III/2, S. 1130 ff.

C. Schlußbemerkung: Einfaches Gesetz oder de constitutione ferenda

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sperre unterfielen. Erst aus Art. 1 III GG ergebe sich, daß zumindest ein Mindestbestand an Grundrechten überhaupt garantiert sein müsse. Sein Umfang wiederum, so lautet dieser Lösungsvorschlag, müsse aus einem internationalen Verfassungsvergleich ermittelt werden 18. Fraglich erscheint deshalb hier, ob die Religionsfreiheit als spezielles Grundrecht in dem genannten Komplex der Persönlichkeitsentfaltung aufgeht oder nach eigenständigem Bestandsschutz verlangt. Sodann ist umstritten, ob, da durch den Wortlaut des Art. 79 III GG lediglich die Grundsätze der Art. 1 und 20 GG einer Verfassungsänderung entzogen sind, diese Formulierung nicht auch Ausnahmen zulasse19. Für die korporative Religionsfreiheit hieße das in diesem Zusammenhang, daß geprüft werden müßte, inwieweit sich in dem Recht der Gläubigen, sich zu Religionsgemeinschaften zusammenzuschließen, der Menschenwürdegehalt des Art. 4 GG manifestiert 20. Hierbei wäre zu berücksichtigen, daß das Haben eines bestimmten Glaubens für die personale Identitätsbildung des einzelnen wesentlich sein kann, so daß das inhaltliche Verbot einer Religion einem einzelnen gegenüber verfassungsrechtlich niemals gerechtfertigt werden könnte 21 . Dem schmalen Grat zwischen dem Verbot einer Religion und dem Verbot einer Religionsgemeinschaft müßte die Verfassungsänderung Rechnung tragen.

is H. Dreier, in: Dreier, GG, Art. 79 Abs. 3 Rn. 22 ff., 26; BVerfGE 94, 49 (103): Das Grundrecht auf Asyl könne durch den verfassungsändernden Gesetzgeber ganz abgeschafft werden. 19 So BVerfGE 30, 1 (24); C. Rasenack, Der Staat 9 (1970), S. 272 (273); a.A. Sondervoten (Geller, Schlabrendorff und Rupp) zu BVerfGE 30, 1 (33, 41 f.); G. Dürig, in: FS Maunz, S. 41 (42 f.); H Ridder, in: AK GG, Art. 79 Rn. 36. 20 Die Verletzung des Menschenwürdegehalts der Religionsfreiheit hat bisher im wesentlichen nur in der Rspr. zum Asylrecht eine Rolle gespielt. Hier hat das BVerfG judiziert, daß Einschränkungen der Religionsfreiheit dann zu einem asylrechtlich relevanten Verstoß gegen die Menschenwürde führen, wenn der Gläubige dadurch als religiös geprägte Persönlichkeit in ähnlich schwerer Weise wie bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit oder die physische Freiheit in Mitleidenschaft gezogen wird, vgl. BVerfG NVwZ 1986, S. 569 (572). 2

1 R. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 4 Rn. 12; S. Veelken, Das Verbot, S. 221.

Thesen der Arbeit § 1 Das Problem und der Rahmen Oder: Warum können Religionen dem religiös und weltanschaulich neutralen Staat gefährlich werden und wie kann er sich gegen sie zur Wehr setzen? 1. Religion als Ethikreserve: Religion spielt zur Verwunderung nicht weniger Säkularisierungstheoretiker auch heute noch eine bedeutsame Rolle in Staat und Gesellschaft. Als Reservoir für ethische Wertvorstellungen befreit sie den religiös und weltanschaulich neutralen Staat ein Stück weit von dem auf ihm lastenden Legitimierungsdruck. Ihre verpflichtenden Wahrheiten und Werte begleiten den einzelnen durch die Unwägbarkeiten des Lebens. Mit der ihr eigenen Semantik von Sühne und Vergebung trägt die Religion zur Stabilisierung des einzelnen in der „Kontingenzgesellschaft" der Moderne bei. 2. Religiöser Fundamentalismus - die Kehrseite der Medaille: Religiöse Wahrheiten verpflichten in höchstem Maße. Fundamentalistische Religionen, die andere Werte predigen als diejenigen, auf denen Staat und Mehrheitsgesellschaft ruhen, vermitteln den Anschein höchster Gefährlichkeit für das Fundament der westlichen Welt - die Demokratie. 3. Staatsraison ist Verfassungsräson: Natürlich darf sich der Staat, an dessen Fundamenten eine Religionsgemeinschaft kratzt, gegen diese Religionsgemeinschaft wehren. Dem demokratisch verfaßten Staat werden dabei jedoch rechtliche Grenzen gesetzt. Der Rahmen, in dem sich seine Verteidigung verhalten muß, wird ihm durch seine Verfassung gezogen. Ein Recht zur „aufgedrängten Nothilfe" zugunsten der Verfassung existiert nicht. Nur soweit die Verfassung sich selbst gegen Religionsgemeinschaften verteidigen will, darf der Staat sie schützen. 4. Zivilreligion und freiheitliche Demokratie: Die Formel der freiheitlich demokratischen Grundordnung bildet den Dreh- und Angelpunkt des Selbstschutzkonzeptes der Verfassung. Alle Normen, die zum Instrumentarium des präventiven Verfassungsschutzes zählen, werden explizit oder implizit durch diese Formel verklammert. Die Lehren, für die eine Religionsgemeinschaft wie Scientology steht, sind mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes nicht unbedingt kompatibel. Folge: Verbot?

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§ 2 Vereinsrecht und Religionsgemeinschaften: ein historischer Aufriß - zurück zu den Anfängen? Oder: Lassen sich in der bewegten Geschichte des Verhältnisses von Staat und Religionsgesellschaften Parallelen ausmachen? 5. Sicherheitspolizei und Kirchenregiment: Dem schrittweise sich in der Evolution vom absoluten über den konstitutionellen bis hin zum demokratisch verfaßten Staat vollziehenden Abbau von Einwirkungsbefugnissen des Staates auf die von den vereinsgesetzlichen Regelungen freigestellten Religionskörperschaften entsprach die ebenfalls schrittweise von statten gehende Immunisierung ihrer privatrechtlich organisierten Pendants gegen das zum Teil sehr restriktive Abwehrinstrumentarium des öffentlichen und des privaten Vereinsrechts gegen politische Vereinigungen, denen die kleinen Religionsgemeinschaften als „staatsschädliche Conventicula" größtenteils gleichgestellt wurden. Den für die religiöse Assoziationsfreiheit folgerichtigen aber nur vorläufigen Schlußpunkt setzte der Vereinsgesetzgeber im Jahre 1964 als er mit dem sogenannten Religionsprivileg des Vereinsgesetzes die gefahrenabwehrrechtliche Parität zwischen Religionskörperschaften und privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften verfügte. § 3 Schutzbereich und Schranken der Religionsfreiheit A. Der Schutzbereich der Religionsfreiheit Oder: Können Vereinigungen wie die Scientology Church und die Islamische Gemeinschaft Milli Görus als Religionsgemeinschaften das Grundrecht der Religionsfreiheit für sich reklamieren? 6. Von Mänteln und Deckmänteln Religion als ein in der Gesellschaft bereits vorzufindender Begriff mit stark subjektiven Einschlägen wird als verfassungsrechtlicher Mantelbegriff beschrieben. Was das Grundgesetz unter Religion verstanden wissen will, ist ein Konglomerat aus einer formellen „Draufsicht" des die objektive Rechtsordnung formulierenden souveränen Staates auf den Glauben und der materiellen Verfüllung desselben durch die subjektive Eigen Wahrnehmung der Grundrechtsträger, insbesondere der Religionsgemeinschaften selbst. Trotzdem muß eine Religionsgemeinschaft den staatlichen Rechtsanwendern ihre Statusforderung sowohl nach dem geistigen Gehalt ihrer Lehren als auch nach dem äußeren Erscheinungsbild ihrer Gemeinschaft auch plausibel machen können. Scientology gebührt ein Platz in der Riege der grundrechtlich geschützten Religionsgemeinschaften. Weder verfolgt sie unter dem Deckmantel einer Religion ausschließlich wirtschaftliche noch ausschließlich politische Ziele. Gleiches gilt für islamische „Religionsgemeinschaften" wie die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs. Das Grundgesetz gewährt die grundrechtlichen Freiheitsrechte ferner um

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der Freiheit selbst willen und nicht als Freiheiten „um zu". Es verlangt daher nicht, daß religiöse Lehren verfassungskonform sein müssen, damit eine Religionsgemeinschaft Schutz und Schirm des Grundrechts der Religionsfreiheit für sich reklamieren kann. B. Die Schranken der Religionsfreiheit: Das Verbot von Religionsgemeinschaften Oder: Wie können nach der ersatzlosen Streichung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz mit dem Ziel, eine Handhabe zu schaffen, um gefährliche Religionsgemeinschaften verbieten und auflösen zu können, die Schranken des Grundrechts der profanen Vereinigungsfreiheit (Art. 9 I, II GG) mit denen der religiösen Assoziationsfreiheit (Art. 4 GG) zusammengebracht werden? 7. Aliud und Analogie: Grundrechtsdogmatische Konstruktionen wie die einer Schrankenleihe scheiden genauso aus, wie der Weg, über eine partielle Spezialität oder die Idealkonkurrenz beider Grundrechte diese in ihren Schranken kompatibel zu machen. Die religiöse Assoziationsfreiheit steht in einem Aliud-Verhältnis zur profanen Vereinigungsfreiheit des Art. 9 I, II GG. Eine planwidrige Lücke als Voraussetzung für einen der Schrankenleihe im übrigen vergleichbaren analogen Lückenschluß, der einen unerträglichen Wertungswiderspruch der Verfassung zudeckte, könnten Religionsgemeinschaften nicht aus denselben Gründen verboten werden wie profane Vereinigungen, läßt sich nicht feststellen. 8. Unus Christianus - Nullus Christianus: In der Geschichte begegnet uns keine Religion ohne Kirche. Überall dort, wo man religiöses Leben beobachten kann, hat es als Unterbau eine bestimmte Gruppe. Gott und Gottheit sind symbolische Ausdrücke für Kollektivität (Emile Durkheim). Die Religionssoziologie, seien es handlungstheoretische, kommunikations- oder systemtheoretische Ansätze, bestätigt, daß eine Religion als überindividuelle Sinngebung des Daseins auf ihre Bezeugung in einer Gruppe angelegt ist. Religion drängt auf Vergemeinschaftung. Dies gehört zu ihrer Überlebensstrategie. Ohne eine entsprechende Organisation kann eine bestimmte Religion weder die „vita brevis" des einzelnen Menschen überdauern noch ihrer Aufgabe als Sinnstifterin für den Menschen gerecht werden. Auch entwicklungshistorisch läßt sich aufzeigen, daß das Grundrecht der Religionsfreiheit zunächst von korporativen Wurzeln genährt wurde, bevor sich die individuelle Glaubensfreiheit hinzugesellte. Das Verbot einer Religionsgemeinschaft gefährdet damit auch die von dieser Religionsgemeinschaft praktizierte Religion selbst. 9. Art. 137 III WRV - Selbstverwaltungs- oder Existenzschranke?: Art. 9 II GG und Art. 4 GG sind nach herrschender Meinung durch die Brükkennorm des Art. 137 III WRV miteinander verbunden. Art. 9 I I GG stelle, so die

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herrschende Meinung, ein zwar als ultima ratio anzuwendendes, dennoch aber für alle geltendes Gesetz im Sinne der staatskirchenrechtlichen Norm dar. Wortlaut und Telos der Regelung des inkorporierten Weimarer Staatskirchenrechts sprechen allerdings eine andere Sprache. Während das Verbot einer Religionsgemeinschaft und seine dieses perpetuierenden Nebenfolgen in alle vier Dimensionen der Religionsfreiheit: die individuelle, die kollektive, die korporative sowie die institutionelle, eingreifen und auch die jeweilige Religion an sich betreffen, bezieht sich die „Brückennorm" des Art. 137 III WRV allein auf die institutionelle Seite der Religionsfreiheit. Sie gewährt den Religionsgemeinschaften als Institutionen des Verfassungslebens mit der eigenständigen Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten eine für das „Verbandswesen" sonst unübliche verfassungsrechtliche Freiheit vom Staat. Auf diese Freiheit in der Binnenorganisation bezieht sich die Schranke des für alle geltenden Gesetzes. Während das Verbot einer Religionsgemeinschaft (vor allem) in den Bestand der betreffenden Gemeinschaft eingreift, stellt die Schranke des Art. 137 III WRV sicher, daß die institutionelle Binnenorganisation der Religionsgemeinschaften kein gänzlich (staats)rechtsfreier Raum bleibt. Art. 137 III WRV ist damit eine Selbstverwaltungs- jedoch keine Existenzschranke. Sie vermittelt nicht zwischen Art. 9 II GG und der Religionsfreiheit des Art. 4 GG. 10. Traditionsbruch in schwierigen Zeiten - Art. 136 I WRV als Schranke der korporativen Religionsfreiheit?: Um der Hypertrophie eines in seinem Schutzbereich weit gefaßten und einheitlichen Grundrechts der Religionsfreiheit angemessen begegnen zu können, hat die Anwendung des Art. 136 I WRV als Schranke der Religions(ausübungs)freiheit derzeit Konjunktur. Entstehungsgeschichte, Wortlaut, Telos und innere Systematik des Religionsverfassungsrechts sprechen aber gegen die Anwendbarkeit des Art. 136 I WRV als Schrankennorm des Art. 4 GG. Art. 136 I WRV ist nicht als Pflicht zum allgemeinen Gesetzesgehorsam, sondern als umfassendes Differenzierungsverbot in Religionsdingen zu lesen. Wie das Bundesverfassungsgericht in langjähriger Rechtsprechung immer wieder bestätigt hat, ist Art. 4 GG ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, das nur verfassungsimmanent durch kollidierendes Verfassungsrecht eingeschränkt werden kann. 11. Die freiheitlich demokratische Grundordnung als kollidierendes Verfassungsrecht - Verfassungsstörung durch Zielsetzung?: Den zum Verbot anstehenden Religionsgemeinschaften wird (wohl nicht zu Unrecht) vorgeworfen, sie verfolgten als langfristiges Ziel, die freiheitlich demokratische Grundordnung durch eine dieser widersprechende andere Staats- und Gesellschaftsordnung zu ersetzen. Das Grundgesetz verbietet es den einzelnen und gesellschaftlichen Gruppen als Grundrechtsträgern indes nicht umfassend, sich zum Ziel zu setzen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen. Die freiheitlich demokratische Grundordnung ist kein kollidierendes Verfassungsrecht

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im Sinne einer Schranke auch vorbehaltloser Grundrechte. Zwar Teil des Grundkonsenses der pluralistischen Gesellschaft und der (Grund-)Werteordnung der Verfassung, trägt sie Sanktionen jedoch nur insoweit, wie das Grundgesetz selbst dies vorsieht. Im wesentlichen wird sie geschützt gegen profane Vereinigungen und Parteien; sie erlaubt die Verwirkung bestimmter, enumerati ν aufgezählter Grundrechte, zu denen die Religionsfreiheit nicht gehört, und zieht eine unüberwindbare Grenze für den verfassungsändernden Gesetzgeber. Auch als Motor eines Streitbarkeitsprinzips der Verfassung ist sie nicht geeignet, der Religionsfreiheit zielbezogene Schranken zu setzen. Wehrhaft ist die Demokratie des Grundgesetzes allein in dem Maße, wie die Verfassung es verfügt. Die „wehrhafte Demokratie" fungiert insoweit als Sammelbezeichnung für diejenigen Verfassungsnormen, in welche das Streitbarkeitsprinzip des Grundgesetzes umgesetzt wurde. Die Religionsfreiheit zählt nicht zu ihnen. Ferner läßt sich weder aus den Grundgesetzartikeln, welche die freiheitlich demokratische Grundordnung schützen, noch aus denjenigen, die Kompetenzen zu ihrem Schutze verteilen, eine „einfacher" Verfassungsvorbehalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung entnehmen. 12. Verfassungsstörung durch Verhalten - Gewalt ist die Grenze: Es ist „das Recht jeder, auch einer demokratischen Regierung, Versuche, sie mit Gewalt zu beseitigen, mit Gewalt zu unterdrücken" (Hans Kelsen). Eine verfassungsimmanente aber externe Grenze jeden Grundrechtsgebrauchs ist das Verbot, ungerechtfertigte Gewalt auszuüben. Diese Gewalt fällt aus dem „effektiven Garantiebereich" der Grundrechte heraus. 13. Gewalt und Aggression: Mag durch die Verbotsalternativen des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG auch vordergründig impliziert werden, daß eine Religionsgemeinschaft und ihre Mitglieder etwas handfestes, aggressiv-gewalttätiges tun müssen, damit ihre Gemeinschaft verboten werden kann, so trügt doch dieser Schein. Zum einen werden mit den gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichteten Zielen oder dem Verhalten der Mitglieder einer Vereinigung „echte" Verbotsalternativen benannt. Die eine oder andere „Begehungsform" genügt, damit die Auflösung einer Vereinigung verfügt werden kann. So reicht es aus, daß im Rahmen der ersten Verbotsalternative der jeweiligen Vereinigung ein Handlungsw///e nachgewiesen wird. Dieser wird jedoch in der Regel aus ihren ideologischen Verbalaggressionen deduziert, ohne daß gleichzeitig eine „clear and present danger" für die freiheitlich demokratische Grundordnung Prüfungsmaßstab wäre. Die zweite Verbotsalternative ist wohl verhaltensbezogen formuliert - sie läßt sich umschreiben als der nachweislich organisierte Versuch einer Verfassungsstörung - , verbleibt jedoch unterhalb der Gewaltschwelle. Insoweit konkretisiert das vereinsrechtliche Verbotsinstrumentarium des Art. 9 II GG i.V.m. § 3 I VereinsG also kein kollidierendes Verfassungsrecht und scheidet als Ermächtigungsgrundlage für ein Verbot von Religionsgemeinschaften aus.

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Ein Studienbuch,

- Das Wesen des Rechts, 3. Aufl., München 1973 - Geschichte der Staatsideen, 9. Aufl., München 1994 - Kirche und Staat und die Einheit der Staatsgewalt, in: Helmut Quaritsch / Hermann Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland: Staatskirchenrechtliche Aufsätze 1950-1967, Bad Homburg v.d.H. 1967, S. 311 - Über den Denkstil Niccolo Machiavellis, in: Staat und Gesellschaft, FS Günther Küchenhoff (hrsg. v. Franz Mayer), Göttingen 1967, S. 359 - Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz , FS Bundesverfassungsgericht (hrsg. v. Christian Starck), Band 2: Verfassungsauslegung, Tübingen 1976, S. 108 - Weltanschauung und Rechtsgestaltung, in: JuS 1993, S. 889 Zirker,

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Zirn, Andreas: Das Parteienverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG im Rahmen der streitbaren Demokratie des Grundgesetzes, Tübingen 1988 Zuck, Rüdiger: Scientology - na und, in: NJW 1997, S. 697 Zwirner, Henning: Zur Entstehung der Selbstbestimmungsgarantie der Religionsgesellschaften i.J. 1848/49, in: ZRG KA 104 (1987), S. 210

arverzeichnis Abhörurteil 360, 397 absolute Werte 68, 322, 363, 366 Abwägungslehre 224, 225 Aggressivität 74, 362,428 Aktivbürgerprivileg 386 Aliud 215, 240 Allgemeines Landrecht (ALR) 82 Assoziationsfreiheit 28, 83, 86 ff., 92, 93, 97, 98, 100, 103, 116, 127 ff., 209, 240, 254, 270, 304,441, 442, 453 ff., 461, 462 Auflösungsverfügung 24, 200, 206, 239, 275, 445 Augsburger Religionsfrieden 270, 271 Ausländerverein 25, 203, 205, 228, 312, 433,450 Ausnahmefall 354 Ausnahmezustand 357, 388 Autonomie 36, 80, 163, 221, 238, 288 Bereichslehre 224 Betätigungsverbot 201, 204 ff. Bürgergesellschaft 373,412 Bürgerkrieg 175, 333,413, 424, 425 consensus omnium 331, 334 Dachverband 75, 131, 132, 180, 238 Dezisionismus 53, 322, 345, 384 Dianetik 147 Doppelgrundrecht 133, 134, 136, 241 Effektive Freiheit 424 eigene Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften 155, 170, 218, 219, 224, 225, 231, 237, 284 ff., 289, 290, 292, 293, 463 Einheit der Verfassung 217, 307, 320, 341, 343, 345 ff., 356, 358,455 Einigungsfunktion der Verfassung 321 Entkirchlichung 41, 42,44, 259 3

Groh

Episkopalsystem 99 Ermächtigungsgesetz 365, 370 Erziehung 38,40, 62, 372, 374 Ewigkeitsklausel 67, 68, 322, 341, 393, 395, 458 exercitium religionis publicum 84, 134, 136 Existenzschranke 293,462,463 Exklusion 81, 333,421 Extremismus 22, 65, 70, 71, 120, 174, 185, 240, 361 freiheitlich demokratische Grundordnung 22, 23, 24, 29, 30, 32, 60 ff., 71, 73, 75, 77, 79, 81, 189, 190, 192, 202, 204, 207, 242, 316 ff., 332, 334, 335, 337, 338, 340 ff., 352 ff., 362, 363, 372, 373, 376 ff., 383, 386, 387 ff., 400 ff., 428, 429, 432 ff., 443, 444, 450, 455, 460, 463,464 Freund und Feind 54, 55, 174, 175 Friedenspflicht 407, 408, 411, 418, 419, 422, 423,425,450, 451,452 Fundamentalismus 21, 30, 69 ff., 120, 144, 174, 181,185,240, 243, 265,460 Gefahrenabwehr 22, 24, 88, 114, 202, 203, 249, 282,312,433 Gehirnwäsche 143, 145 Gemeinwohl 51, 52, 102, 275, 280,421 Gesellschaft Jesu 27, 93, 95 Gesellschaftsvertrag 37, 69, 330 Gewalt 22, 32, 34, 36, 39, 49, 50, 64, 72, 99, 107, 113, 114, 174, 218, 223, 286, 322, 336, 367, 370, 406 ff., 413, 417, 418,419, 421, 424 ff., 439, 440, 448,449, 452,453, 455,464 Gewaltmonopol 29,407 ff., 433 Gewaltsamkeit 367,408 ff., 429,435,448 Gewaltverbot 406,417,426,449,452,453 Gewaltverzicht 416,419, 420 Gewissensfreiheit 264, 270, 303

530

arverzeichnis

Glaubenslehre 22, 26, 40, 48, 69, 86, 91, 142, 182, 183, 184, 243, 254, 259, 263, 272, 273, 274, 290, 292, 318, 338, 404, 405,445 Grenzmarken der Verfassung 363 Grundkonsens 29, 41, 65, 69, 320, 321, 327, 329, 330 ff., 338 ff., 345, 355, 356, 404, 455,464 Grundpflicht 105, 360,421,422, 423, 451 grundrechtsimmanente Schranken 28, 158, 173, 186, 189, 192,423 Grundrechtskonkurrenz 211, 248, 250 Grundrechtsmißbrauch 186 ff., 193, 337 Grundrechtsvoraussetzungen 276, 277 Grundwerte 32, 40, 42, 307, 320, 321, 323, 327, 330, 332, 334, 339, 345, 362 Grundwertedebatte 327 Hausandacht 84, 85, 269, 272, 273 Heckeische Formel 221, 222 Hochverrat 107, 439 Idealverein 159, 160, 162, 166, 279 IGMG (Milli Görus) 25, 75, 132, 174, 180, 181,443 Immanenzlehre 188 in dubio pro libertate 348 individuelle Religionsfreiheit 232, 240, 241, 244, 254, 270 Inklusion 81 instant religions 145 institutionelle Religionsfreiheit 232, 254, 280 Institutionenbegriff 234, 235 Institutsgarantie 234 Integration 34, 46, 78, 189, 322, 345 Islam 21, 28, 30, 54, 70, 74 ff., 80, 126, 174, 180, 182, 440 ius reformandi 84, 98, 270 Jedermann-Formel 223 ff. Jesuitengesetz 95, 224 Kalifatstaat 24, 75, 174, 238,429,450 Kennzeichenverbot 244 Kirche 21, 26, 27, 32, 34 ff., 71, 73, 82, 87, 89, 92 ff., 112, 113, 116, 117, 118, 125, 137, 149, 155, 163, 176, 177, 178, 215,

218, 219, 221, 224, 225, 227, 229, 233, 235, 236, 237, 256, 259, 260, 262, 263, 267, 270, 272, 281, 282, 286 ff., 292, 312 ff., 403,462 Kirchenaufsicht 101 Kirchengesellschaften 35, 84, 87 Kollegialtheorie 84, 99, 100, 102 kollektive Religionsfreiheit 244, 247, 250, 252, 254 Konsensknappheit 328 Kontingenz 39,40, 44, 178, 261 kopernikanische Wende 362 Körperschaft 27, 101, 102, 104, 111, 113, 116, 132, 133, 159, 185, 218, 220, 233, 236, 281,313,314,317,447 Körperschaftsstatus 38, 83, 101, 110, 111, 113, 116, 117, 312 ff. Korporationsgrundrecht (religiöses) 232, 255,441 korporative Religionsfreiheit 28, 85, 198, 212, 214 ff., 221, 237, 244, 252, 254, 281, 293, 303, 304, 306, 442, 459 Korrelatentheorie 101, 111 Kulturadäquanzformel 126 Kulturkampf 27, 93, 94, 304, 394 Kulturvölker-Formel 126 Legalität 45, 55, 56, 60, 67, 302, 330, 370, 377, 378, 388, 443, 447,448 Legitimation durch Verfahren 328 Legitimität 32, 33, 36 ff., 42, 55, 57, 59, 60, 68, 80, 99, 195, 330, 368, 377, 378,410 Liberalismus 271, 423 Loyalität 38, 94, 221, 334, 446 Ludendorff 204 Lüth-Urteil 226, 381 Meinungsfreiheit 223, 326, 381, 391, 398, 447 Menschenbild 25, 325, 380, 381,412 Menschenwürde 125 ff., 458,459 Milli Görüs 75, 443 Modernisierung 43, 45 Moralität 45, 302,443,447,448 Moschee 180 Naturzustand 51, 411, 424 Neopluralismus 29, 330 ff.

Sachwortverzeichnis Nettofreiheit 119,425 Neue Jugendreligionen 22, 24, 43, 137 Neutralität 36, 47, 91, 98, 127, 139, 155, 176, 183, 184, 272, 444,447,448 Nicht-Identifikation 36, 48,448 Normativität 26, 48, 55, 61, 222, 289, 307, 340, 349, 353,418, 441 Normativität der Verfassung 222, 307,441 normgeprägter Schutzbereich 276, 279 Notstand 61, 251, 354 offene Gesellschaft 80 offene Verfassung 310, 394 öffentliche Sicherheit 109, 222, 250, 270, 433 Öffentlichkeitsanspruch 176, 178 ordre public 222 Organisationsrecht 276, 352 Organisationsverbot 205, 239, 274 Paganisierung 41 Parteiverbot 202, 274, 326, 373, 433, 435, 436, 443 Plausibilitätsprüfung 140, 141, 142, 148, 196 Pluralismus 22, 26, 37, 38, 47, 80, 124, 126, 127, 139, 182, 287, 322, 330, 333, 335, 337,363 Pluralismustheorie 330, 339 Politikadäquanz 180, 181, 182 politische Betätigung 120, 138, 157, 173, 175, 176, 178, 179, 363, 433 Polizeifestigkeit 207, 251 polizeirechtliche Generalklausel 249, 312 Positivismus 43, 53, 68, 322 ff., 340, 356, 449 Preußen 83, 95, 98 Preußisches Vereinsgesetz 89 Propagandamittel 240, 242 Proprium 42, 224 Rechtsformwahl 277 Rechtsmonopol 410,417 rechtsstaatliches Verteilungsprinzip 195, 380 Rechtsstaatsprinzip 61, 63, 72, 310, 358, 415,417 34*

531

Reichsvereinsgesetz 90, 92, 93, 95, 102, 117, 220 Reichsverfassung 68, 82, 91, 92, 101 ff., 110, 113, 117, 125, 128, 130, 220, 223, 234, 271, 298, 299, 300, 322, 323, 325, 363 ff., 370, 378 Religionspartei 34, 84, 86, 271 Religionspatent 83, 86 Religionspolitik 26 Religionsprivileg 24, 30, 81, 118, 196, 197, 230,312,314,439,461,462 Religionspsychologie 31 Religionssoziologie 31, 39, 43, 46, 244, 257, 259, 261, 267,462 religiöser Begleitschutz 241 ff., 254 religiöser Markt 45 religiöses Existenzminimum 273 Republikschutzgesetz 108, 109, 367, 368 Säkularisierung 36,41, 43, 94 Säkularität 80, 182, 183 Schrankenleihe 209, 210, 213, 217, 229, 294, 303, 305, 393, 462 Schrankenübertragung 209, 213, 217, 303, 305, 393 Schwerpunkttheorie 164 ff. Scientology 22, 25, 28, 69 ff., 79, 121, 125, 138, 142 ff., 161 ff., 172 ff., 180, 181, 185, 433, 436,440, 443,451,460,461 Segmentierung 42 Sekte 22, 23, 26, 43, 50, 84, 85, 106, 120, 121, 137, 143, 174, 186, 259, 263 Selbstbehauptung 47, 48, 51, 52, 53, 56, 57, 59, 371 Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften 168, 198, 218 ff., 230, 233, 236, 237, 277, 280 ff., 289, 291 ff. Selbstschutz 60 Selbstverständnis 21, 63, 94, 112, 113, 119, 121, 123, 125, 127, 138 ff., 149, 153, 156, 159, 165, 168, 171, 177, 196, 222, 224, 225, 227, 264, 282, 284, 285, 290, 364 Selbstverwaltungsgarantie 29, 235, 288, 293 Selbstverwirklichung 44, 147 Sicherungsfolgen des Vereinsverbots 232, 237, 241, 244, 254

532

arverzeichnis

Souveränität 50, 411,413 Spielregelkonsens 327, 329, 330, 337, 342 Staatsaufsicht 98, 101, 102, 106, 110 ff. Staatsraison 27, 35, 48 ff., 60, 61, 63, 85, 270, 320, 360, 460 Staatsschutz 86, 107, 108 Staatszweck 49, 51, 56, 57, 59, 422 Strafgesetze 30, 66, 199, 208, 435, 446, 450, 453 ff. Strafrecht 63, 64, 108, 425,440, 454 streitbare Demokratie 48, 52, 63, 66, 68, 320, 346, 357, 358 ff., 371, 372, 373, 376, 377, 378, 384, 386, 388, 389, 390, 402, 455, 464 Streitbarkeit der Verfassung 29, 319, 358, 385 Strukturprinzip 32, 319, 332, 337, 384, 385, 429 suicidal lethargy 364 Teilorganisation 237, 238 Territorialsystem 99 Toleranz 22, 50, 83, 86, 322, 335, 359 Totalitarismus 65, 69, 71, 73, 346, 362 Trennung von Staat und Kirche 34, 100, 101, 176,215, 227, 282 Unabänderlichkeitssperre 67,459 Ungehorsamsdelikte 252 Unterscheidung von Staat und Gesellschaft 382 Verband 38, 42, 86, 100, 102, 103, 112, 132, 189, 219, 233, 236, 237, 238, 254, 281, 286, 287, 288, 293, 333,403, 410 Verbandsautonomie 286 Vereinsgesetz 24, 27 ff., 81, 82, 83, 88, 89, 90, 92, 96, 110, 113 ff., 175, 196 ff., 211, 220, 228, 230, 238 ff., 275 ff., 288, 293, 295, 302, 305, 306, 311 ff., 433, 439, 441, 450,456,461,462 Vereinsregister 97, 152, 159, 277, 279 Vereinsverbot 28, 92, 108, 198, 200 ff., 206, 221, 228, 230, 232, 237, 239, 240 ff., 250, 252, 275, 278, 280, 281, 283, 293, 432, 447, 450 Verfahrenskonsens 334 Verfahrensprinzipien der Demokratie 321

Verfahrensregeln 329, 332, 334 Verfassungsänderung 315, 323, 377, 380, 456,457, 459 Verfassungsfeindlichkeit 107, 109, 195, 252, 367, 435 verfassungsimmante Schranken 306 verfassungskonforme Auslegung 437,439 Verfassungskonformität 28, 29, 138, 139, 158, 180, 185, 186, 196, 252, 437, 455, 456,462 verfassungsmäßige Ordnung 65, 199, 204, 221, 226, 240, 297, 312, 317, 342, 355, 359, 405,427 ff., 431,434,439, 446,455 Verfassungspatriotismus 373 Verfassungsprinzip 60, 63, 355, 358, 361, 376, 377, 378, 384 ff., 401,455 Verfassungsräson 27, 48, 49, 51, 53, 55, 57, 59 ff., 460 Verfassungsschutz 48, 51, 60 ff., 66, 68 ff., 180, 203, 354, 360, 367 ff., 378, 379, 386, 387, 388, 400, 433, 439, 443, 457, 460 Verfassungsstörung 317, 318, 378, 432, 439, 463, 464 Verfassungstreue 69, 189, 316, 372, 431 Verfassungsumbruch 431 Verfassungsvoraussetzung 57, 62, 360, 368, 411,414,415,421 Versammlungsrecht 244, 245, 251, 342, 445,447 Verwirkung 68, 192, 193, 387, 389, 393, 464 Verwirkung von Grundrechten 68, 193, 389, 390, 393, 394, 464 Völkerverständigung 30, 199, 207, 240, 242, 312, 450, 451,456 Volkssouveränität 51, 64, 324, 326, 335, 336,357 Vorrang der Verfassung 92, 105,421,438 Vorstaatlichkeit der Grundrechte 380, 383 Vorwandtheorie 164, 167 ff., 179, 180 Wahrheit 22, 73, 78, 79 Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes 68, 80, 352, 357, 359, 362, 376, 377, 385, 387, 390 ff., 402, 404

Sachwortverzeichnis Weimarer Kirchenrechtsartikel 128, 130, 219, 220, 226, 229, 233, 236, 237, 279, 282, 298 ff. Weltanschauung 25, 46, 71, 73, 124, 125, 141, 145, 148 ff., 165, 177, 184, 204, 214, 349, 447 Weltanschauungsgemeinschaft 73, 130, 141, 145, 148 ff., 184, 196, 208, 212, 213, 281 Wertagnostizismus 325 Werthaftigkeit des Grundgesetzes 362 Wertkonsens 40, 320, 327, 337, 342 Wertordnung 153, 183, 191, 307, 320, 321, 324, 338, 340, 344 ff., 438,464

533

Wertordnungsjudikatur 29, 321, 322, 345 Wertrelativismus 56, 322 ff., 335, 344, 362, 364, 366, 367, 371,406,449 Wesensgehaltsgarantie 290, 379 Westfälischer Frieden 84, 269, 271 wirtschaftliche Betätigung 28, 138, 157, 158, 161 ff., 175, 178, 179, 277, 397 Woellnersches Religionsedikt 83 Zentralität des religiösen 164, 167, 178 Zivilgesellschaft 373 Zivilreligion 41 ff., 69,460

Bekenntnisses