Selbstbestimmung zwischen Wunsch und Illusion: Eine psychoanalytische Sicht [1 ed.] 9783666405778, 9783525405772

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Selbstbestimmung zwischen Wunsch und Illusion: Eine psychoanalytische Sicht [1 ed.]
 9783666405778, 9783525405772

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Herausgegeben von Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Martin Teising

Selbstbestimmung zwischen Wunsch und Illusion Eine psychoanalytische Sicht

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40577-8 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: Paul Klee, nach Regeln zu pflanzen, 1935/akg-images © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort zur Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Vorwort zum Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2 Ein entwicklungspsychologischer Blick auf Selbst- und Fremdbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3 Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle . . . . 19 4 Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung .29 5 Abschied – selbstbestimmter Aufbruch oder fremdbestimmter Verlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 6 Abhängigkeit von Autorität und Lebenstatsachen . . . . . . . . . . 42 7 Selbstbestimmung als narzisstisches Bedürfnis . . . . . . . . . . . . 48 8 Suizide – Selbstbestimmung oder verzweifelte Einengung? . 51 9 Gesellschaftliche Erwartungen an Selbstbestimmung und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

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10 Selbstbestimmung im hohen Lebensalter im Rahmen generativer Gebundenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 11 Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit, in der ­Arzt-Patient-Beziehung und in der Psychoanalyse . . . . . . . . . 68 12 Abschließende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

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Inhalt

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrund­lagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich. Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 60 bis 70 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen. Themenschwerpunkte sind unter anderem: ȤȤ Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung. ȤȤ Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internet7

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basierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze. Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen. Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen. Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie. Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann. Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

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Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

Selbstbestimmung stellt in einer aufgeklärten Gesellschaft einen fundamentalen Wert dar, bildet sie doch die Basis demokratischer Entscheidungsprozesse und bietet dem Einzelnen jenen Handlungsspielraum, in dem er sein Leben in Beziehung zu anderen auszugestalten vermag. Selbstbestimmung hat auch Grenzen, die durch den Körper selbst, durch Entwicklungs- und Alterungsprozesse und durch Territorialität und soziale Institutionen definiert werden. So gibt es zwischen Menschen eine »abhängige Bezogenheit« und notwendige Fremdbestimmungen, die letztlich zu einer wechselseitigen Balance in einem »intermediären Übergangsraum« Anlass geben. Martin Teising lädt uns zu einem gedanklichen Streifzug durch das Thema ein; ein Kaleidoskop von kulturwissenschaftlichen, psycho­ dynamischen und aus dem Alltag destillierten Einzelheiten tut sich vor uns auf. Bausteine fügen sich zu einem Ganzen, das den Tenor trägt: Selbstbestimmung ist wichtig, darf aber nicht zum Fetisch werden und in Egozentrismus und Gleichgültigkeit gegenüber dem »Du« ausarten. Teising zeigt auf, wie sehr uns die Dialektik von Macht und Ohnmacht einholt: Während wir nach Autonomie streben, werden unsere Bedingtheiten und Abhängigkeiten immer größer. Nach einem entwicklungspsychologischen Blick auf Selbst- und Fremdbestimmung werden geschlechtsspezifische Differenzen her­ ausgearbeitet. Abschied und die Beziehung zu Autorität werden erörtert. Auch ein wichtiger Kommentar zu Selbstbestimmung und Suizidalität bereichert die Abhandlung. Schließlich werden die ArztPatienten-Beziehung und die therapeutische Beziehung in der Psychoanalyse in den Fokus genommen. 9

Ein Buch, das nachdenklich macht und einen aber gerade dadurch befreit, dass es nicht allein Fakten mitteilt, die als Evidenzen unwidersprochen bleiben müssen, sondern Standpunkte teilen – oder eben nicht teilen – lässt! Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

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Vorwort zum Band

1 Einleitung

Für Angehörige westlicher Gesellschaften ist es selbstverständlich geworden, dass jeder Mensch in existenziellen Fragen möglichst weitreichend über sich selbst verfügen können sollte. Diese Entwicklung wird als Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts betrachtet. Freiheitsberaubung mit Einschränkung der individuellen Selbstbestimmung ist ein Straftatbestand, Freiheitsentzug dient als Strafe. Der Einzelne hat sich in der westlichen Welt im Rahmen immer weiter fortschreitender Individualisierung in den letzten Jahrzehnten von vielen herkömmlichen gesellschaftlichen Zwängen und Normen, insbesondere von denen, die das familiäre Umfeld früher vorgab, befreien können. Die Überwindung von Abhängigkeit und die Entwicklung zur Selbstständigkeit gelten als allgemeingültige Entwicklungsziele eines jeden Individuums. Die Auflösung von Bindungen, die als einengend empfunden werden, wird als Befreiung gewertet. Die Selbstbestimmung des Einzelnen in persönlichen existenziellen Dingen hat sich zum höchsten ethischen Wert entwickelt. Diese Entwicklung kommt zum Ausdruck bei individuell zu entscheidenden Fragen der sexuellen Orientierung, manche fordern sie auch hinsichtlich sexueller Identität, der Berufswahl, der Religion, der Form zwischenmenschlichen Zusammenlebens, ja selbst bei der Gestaltung des unausweichlichen eigenen Todes. Die »Autonomie des Individuums« ist zu einem Schlagwort geworden. Der Begriff »Autonomie« bedeutet dem Wortsinne nach »Selbst-Gesetzgebung« (von »auto« und »nomos«). Da diese Bedeutung aber meist gar nicht gemeint ist, sprechen wir hier von der Selbstbestimmung des Einzelnen. 11

Menschen in postindustriell-zivilisierten Gesellschaften unterliegen, wie in allen Zeiten zuvor, aber ebenso vielfältigen Naturgesetzen wie herkömmlichen und neuartigen gesellschaftlichen Einflüssen, die in sie eindringen und von ihnen selbst mit produziert werden. Die Behauptung eines autonomen Individuums unter Negierung seiner Abhängigkeit verschleiert sein gleichzeitiges Beherrschtsein, intrapsychisch durch das Unbewusste, gesellschaftlich vor allem durch die Gesetze des Marktes in sich wandelndem Gewand. Das hat Bazon Brock (2016) treffend formuliert: »Es gibt so viele Faktoren, von denen man heute als Lebender abhängig ist, dass von Freiheit und Autonomie der Entscheidung überhaupt keine Rede mehr sein kann.« Ethische Maßstäbe, Gesetzgebung, Richtlinien und Leitbilder orientieren sich hingegen ausschließlich an der Selbstbestimmung des Individuums und immer weniger an mitmenschlicher Verantwortung und Solidarität. Zwischenmenschliche Solidarität auf der Basis der für den Menschen charakteristischen Fähigkeit, sich in den Anderen einfühlen zu können, verliert als ethischer Wert zunehmend an Bedeutung. Das Angewiesensein auf den Anderen wird reflexhaft mit hilfloser Abhängigkeit assoziiert. Fundamentale Dimensionen menschlichen Daseins werden damit verleugnet, das menschliche Beziehungs- und Bindungsbedürfnis entwertet. Die Psychoanalyse zeigt, dass der Einzelne nicht nur aufgrund äußerer, sondern aufgrund innerer seelischer Zwänge viel weniger selbstbestimmt lebt, als es ihm erscheinen mag. Das Unbewusste, dessen Bedeutung Freud herausgearbeitet hat und dessen Funktion von der modernen Neuropsychologie bestätigt wird, prägt das Wahrnehmen, Erleben und Verhalten entscheidend und begrenzt die bewusste Selbstbestimmung des Einzelnen. »Das Ich fühlt sich unbehaglich, es stößt auf Grenzen seiner Macht in seinem eigenen Haus […]. Die beiden Aufklärungen, dass das Triebleben in uns nicht voll zu bändigen ist und dass die seelischen Vorgänge an sich unbewusst sind und nur durch eine unvollständige und unzuverlässige Wahrnehmung dem Ich zugänglich und ihm 12

Einleitung

unterworfen werden, kommen der Behauptung gleich, dass das Ich nicht Herr sei in seinem eigenen Haus. Sie stellen miteinander die dritte Kränkung der Eigenliebe dar, die ich die psychologische nennen möchte« (Freud, 1917a/1947, S. 8 ff.). Freud bezeichnet diese psychologische Kränkung als die dritte große Kränkung der Menschheit und hat die kosmologische Kränkung im Auge, die ihr durch die Entdeckung des Kopernikus zugefügt wurde, nämlich dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Weltalls ist. Die biologische entstand durch Darwin, der die Abstammung des Menschen aus der Tierreihe nachwies. Indem die Psychoanalyse sich um die Entdeckung unbewusster Prozesse bemüht, die sowohl im Individuum als auch interpersonell, gesellschaftlich und kulturell wirken, steht sie im Dienste der Aufklärung und der Befreiung des Individuums und damit an der Seite derer, die jedem Menschen eine weitergehende Selbstbestimmung ermöglichen wollen. Indem sie aber das Unbewusste, das den Menschen unweigerlich bestimmt und viele seiner Wahrnehmungs-, Erlebnisund Verhaltensweisen mitbeherrscht und prägt, in den Blick rückt, zeigt sie zugleich die Grenzen individueller Selbstbestimmungsmöglichkeiten und fordert deren Anerkennung. Sie widerspricht damit dem heute vorherrschenden Optimierungsmainstream – mit der Fetischisierung individueller Autonomie. Mit dieser differenzierenden Positionierung hat sich die Psychoanalyse, wie in früheren Zeiten durch die Betonung der Bedeutung der Sexualität, nicht nur Freunde geschaffen. Allerdings erfährt sie auch öffentliche Akzeptanz, die sich sowohl in der Anerkennung von der Psychoanalyse entwickelter Therapieverfahren in den Psychotherapierichtlinien der kassenärztlichen Versorgung zeigt als auch in aktuellen Verlautbarungen staatlich autorisierter Institutionen. So stellte die Konferenz der europäischen Gesundheitsminister 2006 fest, dass man zum Verständnis psychischer Erkrankung »sich nicht nur der Notwendigkeit bewusst sein muss, sein Wissen rational zu erweitern, sondern auch der Notwendigkeit, sich mit unbewussten [Hervorhebung des Verfassers] Ideen und Einstellungen zur Prävention auseinanderzusetEinleitung

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zen« (WHO, 2006, S. 77). Es ist bemerkenswert, dass die europäischen Gesundheitsminister empfehlen, die Dimension des Unbewussten zu berücksichtigen! In den folgenden Abschnitten werden zunächst entwicklungspsychologische Aspekte der Selbstbestimmung beschrieben. Dabei werden sowohl das Angewiesensein des Menschen auf andere und sein Bindungsbedürfnis als auch sein Bedürfnis nach Expansion, Exploration und Abgrenzung herausgestellt. Dann wird der Frage nachgegangen, wie die Psychoanalyse psychische Grenzziehung konzeptualisiert. Die Durchlässigkeit oder die Abdichtung von Grenzen können Ausdruck selbstbestimmten psychischen Funktionierens, aber auch krankheitswertiger Prozesse sein. In einem nächsten Abschnitt geht es um geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung. Weiter wird untersucht, welche Bedeutung gesellschaftliche Bedingungen und Autorität für die Entwicklung eines selbstbestimmten Lebens haben. Narzisstische Kränkungen tragen wesentlich zu suizidalen Krisen bei, in denen der ultimative Akt der Selbstbestimmung, die Selbsttötung, zu einer Befreiung von unerträglicher Belastung führen soll. Im hohen Lebensalter begründen veränderte körperliche Verhältnisse oft neue Abhängigkeiten und Einschränkungen, die mit dem weitgehenden Verlust der Selbstbestimmung einhergehen können. Abschließend wird auf Abhängigkeit, Selbst- und Fremdbestimmung im Zusammenhang von Erkrankungen und Behinderungen sowie spezifisch in der psychoanalytischen Situation eingegangen.

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Einleitung

2 Ein entwicklungspsychologischer Blick auf Selbst- und Fremdbestimmung

Menschliche Existenz hängt von der Beziehung und der Entscheidung zweier anderer Menschen ab, die ihn zeugen. Diese abhängige Bezogenheit bleibt existenzieller Bestandteil der Conditio humana, ebenso wie ein dieser Tatsache entgegenwirkendes Bestreben nach selbstbestimmter Unabhängigkeit. Erste Vorahnungen des Fremdbestimmtseins und seiner potenziell katastrophischen Bedeutung entstehen wohl schon intrauterin durch unvermeidbar wahrgenommene Einschränkungen des Wohlbefindens. Der Austausch zwischen innen und außen, der Stoffwechsel, bestimmt das Leben des Menschen lebenslang, er ist und bleibt vom umgebenden Außen existenziell abhängig. Mit der Entbindung vom Mutterleib, in dem es vermutlich nicht immer nur paradiesisch zugeht, beginnt das Neugeborene seinen eigenen Austauschprozess mit der Umwelt. Es muss Luft holen und ausatmen. Von der Qualität der Luft hängt das Überleben ab. Der Körper benötigt zudem Nahrungszufuhr, um ihn zu erhalten, zu heizen, auszubauen, und es gibt Körperausgänge für die Entsorgung verstoffwechselter Endprodukte. Während dieser Austauschprozesse, prototypisch bei der Nahrungsaufnahme, beim Stillen, erfährt das Baby nicht nur Kalorienzufuhr, sondern seelischen Zuspruch, es wird still, ge-stillt, durch Gehaltenwerden, durch Wärme, durch eine sanfte Stimme. Es erlebt aber auch Mangel, Ungenügendes und Schmerz, der hoffentlich nicht überwältigend erlebt wird, sondern mithilfe der Mutter zu bewältigen ist. Säuglingsforscher deuten das Abwenden des Kopfes von der Brust als eine der ersten Äußerungen von Selbstbestimmung des Neugeborenen. 15

Mit der Erfüllung lebenswichtiger Bedürfnisse wie Nahrungszufuhr und Temperaturregulation werden zwischenmenschliche Beziehungsqualitäten vermittelt, die untrennbar mit den biologischen Vorgängen legiert sind. So werden durch »Ein-Drücke« erste Bestandteile der Psyche geschaffen, mit denen die »Grundmauern« der Persönlichkeit geschaffen werden. Diese Erfahrungen generieren Bedürfnisse, den Wunsch nach Wiederholung in zwischenmenschlicher Bindung. Das Bindungsbedürfnis wird besonders in Not- und Mangelsituationen aktiviert, wie wir ja auch bei Erwachsenen gut beobachten können. Wenn wir uns unwohl fühlen, suchen wir Anlehnung, fühlen wir uns hingegen stark, wollen wir unabhängig sein. Als »No Breast«-Erfahrungen bezeichnete Frustrationserlebnisse in der frühen Kindheit werden als Prä-Konzepte der Abhängigkeit verstanden. Sie konfrontieren mit der unvermeidbaren Tatsache, dass die Mutter, die natürliche Umwelt, von der die eigene Existenz abhängt, nicht immer und uneingeschränkt, aber hoffentlich ausreichend gut, zur Verfügung steht. Durch das Erleben eines »bewahrenden Objektes, das ganz konkret als eine Haut erfahren werden kann« (Bick, 1968, dt. 1990, S. 237), entsteht eine erste Idee von einem haltgebenden Raum. Die begrenzende, haltende und damit Kontakt vermittelnde Hauterfahrung übernimmt die Funktion eines Containers, in den projiziert werden kann mit der Vorstellung, dass die projizierten, beängstigenden Phantasien verdaut wieder zurückgegeben werden können. Eine wichtige Entwicklungsaufgabe des Säuglings besteht in der Introjektion dieser containenden, haltenden Pflegefunktion der Mutter. Entstehende Frustration wirkt entwicklungsfördernd, wenn sie nicht von überwältigender traumatisierender Qualität ist. Anzieu (1985, dt. 1996) beschreibt die Entstehung eines »Haut-Ich«. Der Säugling introjiziert die Beziehungserfahrung mit der Mutter als eine narzisstisch besetzte Hülle, die die Illusion beinhaltet, dass auf der anderen Seite der Hülle jemand unmittelbar und in einer Art ergänzender Symmetrie Signale beantwortet. Die frühkindliche Vorstellung ist wohl die einer gemeinsamen Hautfläche von Mutter und Kind. 16

Selbst- und Fremdbestimmung

An den Körperöffnungen und Sinnesorganen wird die Hülle des Körpers durchlöchert. Das Individuum wird von Geräuschen, Bildern, Gerüchen und Nahrung penetriert, die in seinen Behälter eindringen. Die Hülle selbst kann von den Objekten der Wahrnehmung angegriffen werden. Daraus entstehen dann das Gefühl der Reizüberflutung und der Verfolgung sowie die Angst, das Körperinnere könne, gar nicht selbstbestimmt, zerstört werden. Besonders dramatisch ist für das Kleinkind, dass diejenige, die die Haut pflegt, sie auch »enthäuten« kann. Sie zerreißt die Illusion einer gemeinsamen Hülle, kann sie mit all ihren Funktionen aber auch wieder reparieren. Die psychoanalytische Entwicklungspsychologie orientiert sich an Errungenschaften, die Frustrationserleben und Trennungen voraussetzen und dann neue Freiheit ermöglichen. Selbst laufen zu können setzt beispielsweise das Verlassen des mütterlichen Schoßes voraus und das Ertragen unzähliger Stürze. Dann eröffnen sich neue Räume, aber auch eine Rückkehr ist möglich. Die Bindungstheorie zeigt, dass die beste Voraussetzung zur Exploration der Umwelt eine ausreichend sichere Gebundenheit an wichtige Bezugspersonen ist. Bereits Neugeborene unterscheiden nach dem Prinzip »bekannt/ unbekannt«. Solche Ab-»grenzungen« sind Ausdruck von Urformen menschlichen Denkens, mit dem Unterscheidungen, »Ur-Teile«, getroffen werden. Der Begriff »Teile« beinhaltet die Dialektik des Abgrenzenden und des Gemeinsamen. Das Denken wird angeregt durch die »Da, nicht da«-Erfahrung des Säuglings. Ja-Nein, SchwarzWeiß, Gut-Böse sind erste, undifferenzierte Unterscheidungen von zunächst spaltendem Charakter. Durch eine erste begriffliche Ordnung solcher Erfahrungen werden Grenzen gezogen, in der Erfahrung zwischenmenschlicher Beziehungen, die intrapsychisch repräsentiert werden, und auch auf sozialer und später institutioneller oder poli­tischer Ebene. Abgrenzendes Denken ist ohne Körper nicht möglich. Der Zustand des Körpers beeinflusst das Denken. Seine Begrenzung ist eine ganz frühe Erfahrung. Bereits intrauterin kann zwischen »zum eigenen Körper gehörig« und »nicht zu ihm gehörig« unterschieSelbst- und Fremdbestimmung

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den werden, und allmählich wird gelernt, den Körper und insbesondere Ein- und Ausgänge zu beherrschen. Zugleich sind wir ohne ein »autonomes« Nervensystem, damit wird ein gerade unabhängig von unserem eigenen Willen funktionierendes Nervensystem bezeichnet, nicht lebensfähig.

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Selbst- und Fremdbestimmung

3 Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

Der Austausch zwischen innen und außen, auch der in zwischenmenschlichen Beziehungen, erfordert die Überwindung von Grenzen. Es wird etwas in den anderen hineingebracht, konkret stofflich, Milch oder Sperma; aber auch Worte, Ideen und Emotionen können nähren, befruchten, aber ebenso schädigen. Mit biologisch lebenswichtigen Vorgängen erfährt das Kind Lust und Unlust. Lustvolle Erfahrungen will es wiederholen, dazu ist der Austausch mit anderen Menschen bedeutsam, unlustvolle Erfahrungen vermeiden. An lustvollen Erfahrungen in bestimmten Körperzonen mit ihren Ein- und Ausgängen hat Freud sich bei der Beschreibung psycho­ sexueller Triebentwicklung orientiert. In der oralen und in der analen Entwicklungsphase ist von Bedeutung, dass etwas in den Körper hinein- oder herausgebracht wird. Die Ein- und Ausgänge können verschlossen und kontrolliert werden. Damit verbinden sich Lustund Unlusterfahrungen. Sie sind Erfahrungen eigener Wirkmächtigkeit, aber auch ohnmächtigen Überwältigtwerdens und damit für die Entwicklung der Persönlichkeit von zentraler Bedeutung. Als basale, persönlichkeitsprägende Erfahrungen wirken sie sich später auch auf die Ausbildung der geschlechtlichen Identität aus. Die Haut markiert die Körpergrenze und steht in lebendigem Austausch mit der Umgebung. Bei Hitze transpiriert sie, bei Kälte bildet sie eine Gänsehaut, bei Scham errötet sie und teilt so mit, dass es etwas zu verbergen gibt. Sie gewährt damit einen Blick ins Innere, der für denjenigen, der in der Haut steckt, meist unfreiwillig und unangenehm ist. Die Haut ist ein psychosomatisch rege agierendes, zwischen innen und außen vermittelndes und regulierendes Organ. 19

Ich bin auf diese körperbezogenen Austauschprozesse zwischen innen und außen eingegangen, weil sich unsere Vorstellungen über die Entstehung und Funktion einer selbstbestimmten Psyche an räumlichen Vorstellungen orientieren, die auf diesen Körpererfahrungen basieren. Die abhängige Bezogenheit menschlicher Existenz wird daran besonders deutlich. Wir er-»innern« uns, wenn wir ein Ereignis, einen Begriff, ein Gesicht aus dem Außen innen gespeichert haben und wieder abrufen, wir »äußern« uns zu uns wichtigen Angelegenheiten, wir sprechen von der Tiefe unseres Inneren, wir projizieren nach außen, wir lassen etwas an uns heran. Die »mentale Grenzbildung zwischen Innen und Außen, zugleich Urbedingung für das, was wir metaphorisch ›inneren Raum‹ nennen«, ist nach Balzer (2012, S. 730) »Voraussetzung zur Virtualität, dem eigentlich Menschlichen«. Damit ist die Fähigkeit gemeint, zu phantasieren und zu träumen, Bilder und Vorstellungen davon zu entwerfen, wie die Welt auch anders aussehen könnte. Psychische und soziale Nahrungszufuhr wird zum Überleben ebenso benötigt wie Sauerstoff, Wasser und Brot. Liebe und Anerkennung sind lebensnotwendige psychische Nahrung, Weltmeistertitel beispielsweise sind sozialpsychologische Nahrung mit offenbar massenweise anaboler, wachstumsfördernder Wirkung. Psychische und soziale Einflüsse können aber ebenso schädlich und zerstörerisch wirken wie Giftstoffe. Kränkungen, »Mortifikationen«, können tödlich sein, Niederlagen zerstören das Selbstwertgefühl. Diese Beispiele zeigen, dass die empfundene Grenze des Ich nicht immer mit der Körpergrenze übereinstimmt, sondern flexibel und erweiterungsfähig ist. Es gibt Zugehörigkeitsgefühle zu einer Gruppe mit dem regressiven Erleben erweiterter Ichgrenzen etwa bei sportlich-nationalen Identifizierungen oder bei der Identifizierung mit dem eigenen Automobil. Der Verlust des Mobiltelefons löst mittlerweile bei nicht wenigen Menschen körperliche Reaktionen wie Schweißausbrüche und Herzrasen aus, so als bedeute sein Verlust eine Amputation oder gar Kastration. Der Begriff »Handy« und der Klang des 20

Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

Wortes »I-Phone« deuten ja auch auf die körperlich empfundene Qualität dieser Instrumente. Für die Selbstwahrnehmung gibt es offenbar selbst herstellbare erweiterte Grenzen, die nicht mit der Vorstellung unserer physischen Grenzen übereinstimmen. Verhaltensbiologen sprechen mit dem Hinweis auf die Markierung des Reviers und der Territorialität von einer Weitung des Körpers in die unmittelbare Außenwelt. Grundlage für solche Grenzerweiterungen ist die menschliche Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen und sich mit ihnen zu identifizieren. Auf diesem Weg übernehmen schon Babys Beziehungserfahrungen und orientieren sich als soziale Wesen identifizierend an der Umgebung, in die sie hineingeboren werden. Institutionen ermöglichen die Funktion von Begrenzung eines sozialen Körperschemas. »Die Grenzen dieses Körperschemas werden kontinuierlich durch einen Demarkationsprozess, der durch die Interaktion mit anderen in einem zugleich körperlichen und kulturellen Raum zustande kommt, festgelegt« (Churcher, 2016, S. 67). »Sprache, Kinderreime, Nahrungsmittel, Tänze, religiöse Glaubensinhalte, Mythen, Fahnen, wichtige emotional besetzte geographische Regionen, Helden, Märtyrer und innere Repräsentationen historischer Ereignisse werden von Kindern aufgenommen, so als gehörten sie zu ihnen; auf diese Weise erweitern sie ihre innere Welt« (Volkan, 2014, S. 5). Es entsteht ein Gefühl der Gleichheit, eine Großgruppenidentität. Auch Winnicott (1988) hat sich mit der Illusion einer selbstbestimmten Grenzziehung zwischen innen und außen beschäftigt. Eine zunehmende Fähigkeit, die äußere Wirklichkeit realitätsgerechter wahrzunehmen, erfordert die Aufgabe von unbegrenzten Omnipotenzillusionen und fördert die Grenzziehung zwischen innerer und äußerer Realität: »Wir behaupten nun, dass die Akzeptierung der Realität als Aufgabe nie abgeschlossen wird, dass kein Mensch frei von dem Druck ist, innere und äußere Realität miteinander in Beziehung setzen zu müssen und dass die Befreiung von diesem Druck nur durch einen nicht in Frage gestellten intermediären Erfahrungsbereich (in Kunst, Religion usw.) geboten wird« (Winnicott, 1988, Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

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S. 23 f.). Wir erhalten uns einen Bereich, »der kaum in Frage gestellt wird, weil wir uns zumeist damit begnügen, ihn als eine Sphäre zu betrachten, in der das Individuum ausruhen darf von der lebenslänglichen menschlichen Aufgabe, innere und äußere Realität voneinander getrennt und doch in wechselseitiger Verbindung zu erhalten« (S. 11). Dieser intermediäre Übergangsraum ist ein wesentlich vom Kind geschaffenes Refugium nach dem Verzicht auf die Illusion der Omnipotenz, eine Anerkennung der Grenze und zugleich ihre Lockerung. Bei dem Versuch, den individuellen und auch den erweiterten Innenraum und seine Entstehung zu beschreiben, werden Denkmodelle entwickelt und Metaphern benutzt, die aus der anschaulichen materiellen Welt stammen, insbesondere eben der des menschlichen Körpers. Wenn etwas Zusammengehöriges getrennt wird, müssen die Produkte durch ein »Dazwischen« getrennt werden. Auch bei der Vorstellung einer Introjektion, einer Projektion, einer Internalisierung und einer Externalisierung wird etwas in etwas hinein- oder aus etwas herausgebracht und dabei eine Grenze, eine Schranke oder Barriere überwunden. Wir verwenden räumliche Sprachbilder, weil menschliche Erfahrungen von Anfang an mit Körperräumen, mit körperlichen Strukturen und Funktionen verbunden sind und nicht unabhängig davon gemacht werden können. Psychisches (Er-)Leben korrespondiert mit dem Körper-Ich, einer Vorstellung von einer wie beschrieben räumlichen und sensitiven Einheit »Körper« mit Sinnesorganen, Ein- und Ausgängen, deren Öffnung und Zugänglichkeit bzw. deren Verschluss und Kontrolle für die Beziehungen zu anderen Menschen von großer Bedeutung sind. Sind psychische Austauschprozesse zwischen innen und außen schwer gestört, so heißt es umgangssprachlich, jemand sei »nicht ganz dicht«, auch eine körperbezogene Metapher. Die in der Psychopathologie gebräuchlichen Termini Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung oder -entzug, Gedankenausbreitung und das Gefühl des von außen, von Fremden Gemachten drücken aus, dass bei einem »Nichtganz-Dichten« die Kontrolle der Durchlässigkeit, des Ein- und Ausdringens, gestört ist. Die genannten Begriffe sind Symptome der Schi22

Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

zophrenie, deren Psychodynamik als eine Störung der Funktion des »Dazwischen« verstanden werden kann und bei der es zu extremen Spaltungen, einer Auflösung der Grenzen oder auch einer totalen Abschottung kommen kann. Das erste Konzept eines »Dazwischen« hat Freud, nach anatomischen Strukturen und physiologischen Funktionen forschend, mit der Kontaktschranke in dem von ihm selbst nie veröffentlichten »Entwurf einer Psychologie« (1895) entwickelt. In dem zusammengesetzten Begriff »Kontakt-Schranke« ist die Dialektik jeder Grenze enthalten, die zwischen Unterschiedlichem differenziert, ein-»schränkt« und trennt, damit Kontakte aber ebenso erst ermöglicht wie Spaltungen. Kontakte sind nur zwischen zwei voneinander getrennten Einheiten denkbar. In der weiteren Entwicklung der Theorie Freuds ist die Kontaktschranke in der Instanz des Ich aufgegangen. Im »Abriß der Psychoanalyse« erinnert Freud noch einmal an seine kontakterzeugende und -beschränkende Funktion. »Ursprünglich als Rindenschicht mit den Organen der Reizaufnahme und den Einrichtungen zum Reizschutz ausgestattet, hat sich eine besondere Organisation hergestellt, die von nun an zwischen Es und Außenwelt vermittelt« (1938/1940, S. 67). Bion (1962, dt. 1990) hat dann das Bild der Kontaktschranke wieder aufgegriffen und das Konzept differenziert. Die Kontaktschrankenfunktion entsteht nach Bion dadurch, dass unmittelbare, körpernahe Erfahrungen, die er Beta-Elemente nennt, durch die Alpha-Funktion mit Bedeutungen versehen zu Alpha-Elementen werden. Unmittelbares, dem Verstand nicht Zugängliches wird mithilfe der Alpha-Elemente »alphabetisiert« und damit »lesbar«. Rohdaten werden in psychische Qualitäten transformiert. Aus dem körperlichen Erleben eines Mangels wird ein Gedanke entwickelt. Bedeutungen können erzeugt und bewusst werden oder unbewusst bleiben. Zu Beginn des Lebens nimmt zunächst die pflegende Mutter oder die an ihrer Stelle fungierende Bezugsperson diese Funktion psychischen Verdauens wahr, indem sie auf das Kind einströmende Reize aufnimmt, verarbeitet und darauf reagiert. Der Denkapparat des KinPsychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

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des entsteht aus einem kindlichen Anteil, der die Inhalte der Gedanken liefert, und einem mütterlichen Anteil, der den Behälter bildet. Das zunächst analphabetische Kind internalisiert allmählich die pflegende, Reize verdauende, containende Funktion der Mutter und entwickelt mit ihrer Hilfe seinen eigenen Traum und seine Funktionen einer Kontaktschranke, die das entstehende Selbst schützt, prägt und stabilisiert. Alpha-Elemente vermehren sich durch Erfahrungen und bilden untereinander ein Netzwerk, das notwendig ist, um bewusste Aufmerksamkeit auf die aktuelle äußere Realität richten zu können und dabei Irrelevantes auszuschalten. Ein geregelter »Grenzverkehr« sowohl mit Abkömmlingen des eigenen Unbewussten als auch mit den Objekten kann stattfinden, wenn die Kontaktschranke gut funktioniert. Sie schützt das Bewusstsein gegen Überwältigung und verhindert gleichzeitig, dass das Bewusstsein die Phantasie überwältigt. Mit ihrer Hilfe wird Kontakt zur inneren und äußeren Realität gehalten. »Diese Kontaktschranke, die so ständig in Bildung begriffen ist«, schreibt Bion, »kennzeichnet den Punkt von Kontakt und Trennung zwischen bewussten und unbewussten Elementen und erzeugt ihre Verschiedenheit. Die Beschaffenheit der Kontaktschranke wird von der Art der Zufuhr von Alpha-Elementen und ihrer Beziehung untereinander abhängig« (1962; dt. 1990, S. 63). Daran anschließend möchte ich nun das heute gängige Synapsenmodell als Metapher verwenden (vgl. auch Zwiebel, 2004), um Funktionen der Kontaktschranke zu beschreiben. Wenn man Bions Idee vom mütterlichen und kindlichen Anteil an ihrer Entstehung folgt, ist die Kontaktschranke als intersubjektiv erzeugte, von zwei Membranen begrenzte Synapse vorstellbar. An beiden Membranen werden Transmitter freigesetzt, die von Rezeptoren auf der Membran der Gegenseite aufgenommen und verarbeitet werden können. Es gibt einen mehr oder minder regen, den synaptischen Spalt überbrückenden und die Rezeptoren selbst auch verändernden Austauschprozess von Worten, Gesten, (unbewussten) Phantasien, Affekten, Assoziationen usw. Der aktuelle Zustand einer Synapse ist stets eine Moment24

Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

aufnahme. Bion sagt, wie oben zitiert, sie sei »ständig in Bildung begriffen«. Ihre Funktion hängt von der Menge und Art der Überträgerstoffe, den dazu passenden Rezeptoren und ihrer Erregungsbereitschaft bzw. ihrer Hemmung ab. Sowohl die Transmitter als auch die Rezeptoren werden von lebensgeschichtlichen Ereignissen geprägt. Nun sind verschiedene Funktionsweisen der Kontaktschranke vorstellbar, die ich zu ihrer Charakterisierung polar gegenüberstelle. An einem Pol dominiert die abdichtende und abschließende Funktion der Kontaktschranke. Reize werden nicht aufgenommen, weil entweder keine Rezeptoren für diese Reize vorhanden oder weil sie blockiert sind. Von außen kommende Reize können nicht ins Ich eingearbeitet werden. Die Wahrnehmung und Verarbeitung von innen kommender Reize, von Triebabkömmlingen, kann mit dieser Funktionsweise ebenfalls blockiert werden und vor Reizüberflutung schützen. In einem besonders undurchlässigen Zustand der Kontaktschranke können Zustände psychotischer Qualität entstehen, wenn der Betroffene sich weitgehend gegen die äußere Realität verschließt. Schon Eugen Bleuler (1911) interpretierte den schizophrenen Autismus als Reizabschirmung und Rückzug aus der Realität. Am anderen Pol funktioniert die Kontaktschranke sehr durchlässig, sie ist »nicht ganz dicht«. Die Rezeptoren sind entweder besonders sensibel oder von großen Reizmengen bzw. besonders wirksamen Transmitterstoffen überflutet. Informationen können nicht differenziert verarbeitet werden, vergleichbar mit einer Blendung durch gleißendes Sonnenlicht. Diese Funktionsweise erzeugt Dünnhäutigkeit und eine undifferenzierte Wahrnehmung. Es kommt zu einer fusionären Verwischung von Grenzen. Wahrgenommenes kann nur grob unterschieden und bewertet werden. Dabei wird ein undifferenziertes, spaltendes, verzerrendes Raster des Wahrnehmens und Verstehens nach dem Muster »Entweder-oder« angelegt. In diesem Funktionsmodus erzeugt die Kontaktschranke Spaltungen des Selbst und der Objekte ohne Differenzierung, wie sie der von Melanie Klein beschriebenen frühesten Funktionsweise bzw. der paranoid-schizo­ iden Position entsprechen. Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

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Sobald Neugeborene also Wahrnehmungen innerer und äußerer Reize zu be-denken beginnen, wenn sie das Denken der Gedanken entwickeln, versuchen sie zu verstehen und damit selbst zu bestimmen, Ordnung insbesondere auch durch Verortung zu schaffen, Grenzen zu ziehen. Die Säuglingsforschung zeigt eindrücklich, dass schon Neugeborene unterschiedliche Modalitäten der Wahrnehmung synthetisieren, nach dem Kriterium bekannt/unbekannt unterscheiden, das Innen vom Außen trennen und ein Vorher und Nachher erleben. Diese Fähigkeiten bilden die Grundlage psychischer Abgrenzungen, die in der primitivsten Form Spaltungsprozesse sind, mit deren Hilfe Kleinkinder sich in der Welt orientieren, differenzieren und bewerten. Das heute unter Psychoanalytikern vorherrschende Verständnis der Spaltung entspricht weitgehend diesem von Melanie Klein entwickelten. Zumeist impliziert die Verwendung des Begriffs, dass eigentlich Zusammengehörigem die Zusammengehörigkeit abgesprochen wird oder ein Zusammenhang nicht oder noch nicht erkannt werden kann. Er beinhaltet die Entweder-oder-Qualität, es gibt kein Sowohl-als-auch. Spaltung wird zur Abwehr überwältigender Wahrnehmungen und psychischer Konflikte verwendet und meist als früher Mechanismus im Dienste der Angstabwehr verstanden und mit Adjektiven wie unreif, primitiv oder rigide verbunden (Seiffge-Krenke u. Kollmar, 2017). Erhöhte Durchlässigkeit kann in einen Zustand übergehen, in dem sich die Kontaktschranke auflöst. Von innen oder von außen kommende Reize bzw. ihre Interferenzen überfluten das Individuum. Dann kann zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Phantasie und Realität nicht mehr unterschieden werden, auch dann entsteht ein Zustand von psychotischer Qualität mit produktiven Symptomen. In einem dritten Funktionsmodus, der gewissermaßen zwischen den beiden bereits beschriebenen Polen liegt, können Reize aufgenommen und verarbeitet werden, andere werden blockiert. Erregung wird zu Bedeutung verarbeitet, Wahrnehmung, Gefühl und Verstand werden miteinander verknüpft. Durch eine differenzierende Reizverarbeitung gelingt ein Sowohl-als-auch. In diesem Modus ist 26

Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

es möglich, Getrenntheit und Unterschiedlichkeit von Selbst und Objekt anzuerkennen und den Anderen als Gegenüber wahrzunehmen. Diese Abgrenzung schützt vor Überflutung durch Affekte und eröffnet einen Denkraum, in dem etwas gemeinsam Erzeugtes entstehen kann. Dieser Funktionszustand kann der depressiven Position zugeordnet werden. Schon mit Vorschulkindern üben wir die Regulierung der IchGrenzen, wenn wir mit ihnen »Schwarzer Peter« spielen, wobei sie lernen, ihren Gefühlsausdruck zu beherrschen und etwas Inneres zu verbergen. Die Kontaktschranke transformiert Reize innerer wie äußerer Herkunft. Ihre Funktionsweise oszilliert. In wohl jeder zwischenmenschlichen Begegnung sind sowohl sich verschließende als auch spaltende und sich verständigende Kontaktqualitäten zu finden. Wenn die Kontaktschranke besonders abdichtend funktioniert, sind Reizaufnahme und -verarbeitung nicht möglich, es entstehen autistoide Zustände. Ist die Kontaktschranke besonders durchlässig oder muss eine besonders große Reizmenge verarbeitet werden, erzeugt sie Blendungen, die den von Freud und Melanie Klein beschriebenen Spaltungen aufgrund innerer Konflikte entsprechen. Erzeugt die Kontaktschranke einen regulierten Grenzverkehr, wird Spaltung bedenkend überwunden, Abstand reguliert und Übersicht ermöglicht. Diese Funktionsweise ist Grundlage der reversiblen bzw. therapeutischen Ich-Spaltung. Wendet man dieses Modell einer Kontaktschranke als Synapse auf Patient und Analytiker an, tauschen beide ständig »Botenstoffe« aus. Verschlossenheit einerseits, Durchlässigkeit andererseits und Verständigung bestimmen, als Produkte der Kontaktschranke, im psychoanalytischen Prozess das Übertragungs-Gegenübertragungs-Geschehen. In wohl jeder psychoanalytischen Beziehung sind sowohl sich verschließende als auch spaltende Kontaktqualitäten zu finden. Ziel der psychoanalytischen Behandlung ist, das Geschehen an der Kontaktschranke zu alphabetisieren, also fühlbar, verstehbar und selbst bestimmbar zu machen. Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

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Interessanterweise hatte etwa gleichzeitig mit Bion der polnische Psychiater Kepinksi die Psyche als informationsmetabolistisches System konzipiert und der Psyche zellähnliche Eigenschaften zugeschrieben mit Begrenzungen, wie sie die Zellmembran bietet, einem Kontrollzentrum analog zum Zellkern, einem System zur Informationsverarbeitung analog zum endoplasmatischen Retikulum und einer Energiequelle, die der Mitochondrienfunktion entspricht. Die Psyche funktioniert wie ein permeables System, das die Informationen der Umgebung verarbeitet. Im Kern werden die erworbenen Werte konserviert. Sie können durch traumatische Reizüberflutung, wie Kepinski sie bei Krakauer Auschwitzüberlebenden in den 1950er und 1960er Jahren fand, zerstört werden. Die äußere Natur muss, um ein Überleben zu ermöglichen, Werterfahrungen bieten, die den inneren entsprechen. Es ist bezeichnend, dass wir diese Arbeiten bis heute nicht rezipiert, sondern ausgegrenzt haben (Schochow, Willer u. Steger, 2016).

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Psychische Grenzen und ihre selbstbestimmte Kontrolle

4 Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

Männliche Geschlechtsidentität imponiert in unserer Kultur durch eine Betonung unabhängiger Selbstbestimmung. Weibliche Geschlechtsidentität ist viel mehr durch Bezogenheit auf andere geprägt. Wie lässt sich diese unterschiedliche Ausprägung der Geschlechtsidentität verstehen? Die Geschlechtsidentität beruht auf körperlichen Merkmalen, Erkenntnissen, Phantasien und frühen Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen. Diese Entwicklung ist natürlich an die Bezogenheit auf den Anderen gebunden. Jungen und Mädchen erleben Unterschiedliches, schon bevor sie die Geschlechtsdifferenz kennen. Bewusste und unbewusste Erwartungen der Eltern sind schon vor der Geburt an das Geschlecht des Kindes geknüpft. Sie beinhalten das Erleben eigener Geschlechtlichkeit und damit verbundener Konflikte. Wenn ein Kind geboren wird, erkundigen wir uns zunächst anstandshalber, ob Mutter und Kind wohlauf sind, um dann sofort das Geschlecht wissen zu wollen. Bereits in den ersten Wochen werden mit Jungen heftigere Turnübungen veranstaltet und wird mit Mädchen zärtlicher umgegangen. Die Entwicklung der Identität und damit auch der Geschlechtsidentität beruht also auf der Integration von Objektbeziehungserfahrungen in das Selbst. Im zweiten Lebensjahr entsteht das Geschlechtsbewusstsein als Bestandteil der Geschlechtsidentität. Es schließt die Kenntnis des anderen Geschlechts, von dem sich das eigene unterscheidet, ein. Die männliche Geschlechtsidentität beginnt mit einer Entidentifizierung, die den Jungen von der Mutter trennt. Er nimmt wahr, dass sie, die für ihn die Welt bedeutete, anders ist als er. Mit 29

dieser Erkenntnis wird er ein in geschlechtlicher Hinsicht getrenntes Wesen, wie einst Adam, als er in Eva eine Andere »erkannte« und damit aus dem Paradies der vorgeschlechtlichen Einheit vertrieben wurde, in die Menschlichkeit mit ihrer Lust und all ihren Schwierigkeiten. Geschlechtsidentität bedeutet Beschränkung auf nur ein Geschlecht und für den Jungen also, nicht so zu sein oder werden zu können wie die Mutter (Greenson, 1968, dt. 1982). Der Verlust der omnipotenten Selbstrepräsentanz und damit einhergehend der Verlust der omnipotenten mütterlichen Objektrepräsentanz erfordert die Anerkennung von Differenz, von Getrenntheit und von Begrenzungen. Der Verlust des Gefühls ursprünglicher Ganzheit durch die Trennung von der Mutter, zu einer Zeit, in der das Beziehungserleben ganz wesentlich durch Körpererfahrungen bestimmt wird, wird vor dem Hintergrund anderer Trennungserfahrungen verarbeitet. Chasseguet-Smirgel (1974) beschreibt »den Wunsch, […] in den mütterlichen Schoß zurückzukehren und dabei alles zu eliminieren, was dieser Rückkehr im Wege steht, das heißt die Realität« (S. 954). Regressive Wunschphantasien, mit der Mutter eins zu sein, später das männliche Begehren nach einer Frau sind mit dieser frühen Trennungserfahrung verknüpft. Würde dieser Vereinigungswunsch nämlich erfüllt, würde die Trennung von Neuem drohen. Der Wunsch nach der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, die Rückkehr in das Phantasma Paradies, in seine Ruhe, würde aber auch den Tod auf Erden bedeuten. Die Spannung zwischen dem männlichen Wunsch nach Vereinigung mit dem Weiblichen, sich aber davon entfernen und differenzieren zu müssen, um eine eigene, andere Geschlechtsidentität zu entwickeln, bezeichnet Diamond (2004) als initiale männliche Geschlechtskrise. Um sie zu lösen, benötigt der Junge eine väterliche Repräsentanz. Die Identifikation mit dem Vater bietet eine Alternative, gewährt Schutz und sollte zugleich vermitteln, dass die Mutter, der gegenüber der Junge hoch ambivalente Gefühle entwickelt hat, eine wertzuschätzende und begehrenswerte Frau ist. Diese Identi30

Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

fikation fördert die Integration solcher Beziehungserfahrungen des Jungen, in denen die Mutter seine Bedürfnisse empathisch wahrnimmt, Unerträgliches verarbeitend aufnimmt und es zu transformieren versteht. Die präödipalen Aufgaben des Vaters fasst Diamond (2004) als »fürsorgliche Achtsamkeit« zusammen. Die väterliche fürsorgliche Achtsamkeit eröffnet eine Welt außerhalb der dyadischen Mutterbeziehung. Die psychische Integration väterlicher Achtsamkeit hilft, die Verbindung zur Mutter nach dem Erkennen des Geschlechtsunterschieds reparativ zu gestalten. Sie ermöglicht die Introjektion der frühen Beziehungserfahrungen, die Bestandteil eigener männlicher Geschlechtsidentität werden können. Die väterliche Funktion gewinnt umso eher haltende Qualität, je mehr das Väterliche wiederum im seelischen Raum der Mutter repräsentiert und von ihr positiv besetzt ist und nicht entwertet wird. Es geht um die Aufnahme weiblicher Anteile in die eigene Identität, im Sinne Freuds also um die Realisierung einer bisexuellen Geschlechtsidentität. Die Bewältigung der initialen männlichen Geschlechtskrise bietet dem Jungen die Chance, sich von der Mutter unabhängig zu entwickeln, stellt aber auch die Aufgabe, es zu müssen. Das bekannte Kinderlied »Hänschen klein« beschreibt diese initiale männliche Geschlechtskrise mit einfachen Worten sehr treffend. Hänschen wählt einen regressiven Lösungsversuch seines Konflikts zwischen dem Wunsch, einerseits die Welt erobern zu wollen und damit die Trennung von der Mutter hinnehmen und anerkennen zu müssen, und andererseits zur Mutter zurückkehren zu wollen, sie zu trösten und immer, also ewig, länger als lebenslang, bei ihr im Paradies zu bleiben. Ein Vater kommt in diesem Lied nur indirekt, in Form der Metapher »Stock und Hut«, vor. Freud (1910b) wies darauf hin, dass die »großmannssüchtige« Phantasie der Jungen, das Leben der Mutter zu retten, die ja auch eine des kleinen Hänschens ist, die Tatsache ins Gegenteil verkehrt, dass die Mutter dem Knaben das Leben geschenkt hat und er existenziell von ihr abhängig war und oft bleibt. Männliche GroßmannsGeschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

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sucht ist aber stets gefährdet, durch unvermeidbare Kränkungen zerstört zu werden; die Betroffenen werden dann unweigerlich mit ihrer Kleinheit und Abhängigkeit konfrontiert. Die initiale Entwicklung männlicher Geschlechtsidentität gelingt in der Regel, wenn die Mutter die Individuationskonflikte des kleinen Hänschens mit seinen zwiespältigen Gefühlen akzeptierend begleitet und ein (drittes) väterliches Objekt anwesend ist, das die ambivalente Beziehung zur Mutter absichert. Genau genommen geht es um einen Vater mit einer guten inneren Repräsentanz der Mutter. Die Identifikation mit dem Vater muss dann nicht gegen die Mutter, sondern kann mit ihr geschehen. Der Vater wird gebraucht, um in ein Stärken und Schwächen gleichermaßen verkörperndes Mannsein hineinwachsen zu können. Die Anerkennung der Mutter als getrennte Person bedeutet zugleich die Anerkennung des Vaters als ihren Partner, denn jede Störung der Phantasie einer narzisstischen Vollkommenheit von Mutter und Kind wird der Einwirkung einer dritten Person zugeschrieben. Das Kind erschließt die Existenz eines Paares, von dem es ausgeschlossen ist. Diese frühe Triangulierung ist Grundlage für eine günstige Bewältigung der späteren ödipalen Konflikte. Männliche und weibliche Anteile der Geschlechtsidentität machen die »Geschlechterspannung« aus, von der Reimut Reiche (1990) spricht. Sie besteht zwischen den Polen der Männlichkeit und der Weiblichkeit. Reiche kennzeichnet sie als gesellschaftliche Erscheinungsform des naturbedingten Geschlechtsdimorphismus: »Die Spannung wird verborgen hinter einer Maske und erscheint, soziologisch formuliert, als Verhalten oder Rolle. Maskiert wird in erster Linie die Scham über das, was nicht zu beherrschen ist, aber beherrscht werden soll, und die Kränkung über das, was nicht zu lösen ist, aber als gelöst dargestellt werden muss« (S. 187). Wie diese Thematik lebenslang wirkt, ihre Spätfolgen gewissermaßen, zeigte mir ein Patient, der wegen Angst- und Unruhezuständen vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden war. Als er am Arbeitsplatz 32

Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

neue Technologien nicht mehr bewältigen konnte, hatte er vergeblich versucht, als Kundenberater tätig zu werden. Es war ihm nicht gelungen, »etwas mit Menschen zu tun zu haben«. Er hatte in Vorgesprächen erwähnt, wie lebensgefährlich es war, als seine Mutter ihn als Dreijährigen in den Schweinestall gesperrt und er keinen Kontakt mehr zu ihr hatte. Eine Nachbarin hatte ihn aus dem Schweinestall befreit und ihn später als 14-Jährigen sexuell missbraucht. Sie beherrschte bis heute seine Onaniephantasien. Dieser Bericht hatte mich besonders berührt und ich hatte eine psychoanalytische Behandlung vorgeschlagen. Als die Krankenkasse ihm mitteilte, die Therapie nicht zu finanzieren, nahm er sich unmittelbar nach dem Telefonat das Leben. In seinem Abschiedsbrief äußerte er als letzten Wunsch, neben der Mutter begraben zu werden. Er wollte endgültig ungetrennt von ihr sein. Im Tod phantasierte er die endgültige Wiedervereinigung mit der Mutter, die tödliche Realisierung des Inzests. Eine rettende dritte Position, ein väterliches Prinzip, war nicht ausreichend repräsentiert. Er hatte seinen realen Vater ausschließlich als hirnverletzten pflegebedürftigen Mann erlebt. Die letzten Triangulierungsversuche mit mir, mit der Anfrage bei der Krankenkasse, waren vergeblich.

Männliche Geschlechtsidentität beginnt also mit der Wahrnehmung einer Differenz zum weiblichen Primärobjekt. Sie erfordert die Auseinandersetzung mit der Kastrationsdrohung und verlangt die Beschränkung auf nur ein Geschlecht, eine mögliche narzisstische Kränkung. Ihre Entwicklung wird zu einem wachstumsfördernden Gewinn, wenn die Mutter die Individuationskonflikte ihres Sohnes akzeptierend begleitet und ein drittes, väterliches Objekt die ambivalente Beziehung zur Mutter triangulierend absichert. Dann können weibliche und männliche Identifikationen und Repräsentanzen ihres Miteinanders in die eigene männliche Identität so integriert werden, dass Triebwünsche befriedigend realisiert werden können. Misslingt diese Entwicklung, verkehrt mancher Junge in der initialen Geschlechtskrise (Diamond, 2004) seine Kränkung ins Gegenteil. Mit dem oft bis ans Lebensende praktizierten philobatischen Versuch, Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

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die Welt phallisch zu erobern, soll dann letztlich das verloren gegangene Paradies, eine beherrschbare prägeschlechtliche Mutter, zurückerobert werden. Das Angewiesensein auf das andere Geschlecht wird mit vorgetäuschter Unabhängigkeit, Grandiosität und Grenzenlosigkeit bekämpft. Eine dritte Position, das väterliche Prinzip mit seiner ödipalen Bedeutung, wird zugleich geschwächt. Solch eine phallischnarzisstische Abwehr ist angesichts der sich wandelnden äußeren Realität des höheren Lebensalters oft nur schwer aufrechtzuerhalten. Die männliche »Mortification«, nie so werden zu können wie die weibliche Mutter, wird dabei nicht trauernd und integrierend bewältigt, sondern ins Gegenteil verkehrt. Männliche Macht wird übersteigert demonstriert und die Umwelt zu kontrollieren versucht. Die der phallisch-narzisstischen Ausprägung der Geschlechtsidentität zugrunde liegende Kränkung wird durch gesellschaftlich geförderte Geschlechtsrollen maskiert. Männliche Identität orientiert sich dann vorwiegend oder gar ausschließlich an äußeren Reizen um den Preis innerer Leere und Orientierungslosigkeit. Männliches Rollenverhalten, und jetzt spreche ich von der Geschlechtsrolle, ist expansiv, aggressiv und unsensibel. Ein in diesem Sinne »echter Mann« ist kaltschnäuzig im Umgang mit Gefahren; Schmerz spielt er herunter. Aktivitätsorientierte männliche Rollenmuster bewirken, wie wir aus der Sozialmedizin wissen, zwar eine subjektiv höhere Lebensqualität und Lebenszufriedenheit, allerdings um den Preis einer geringeren Lebenserwartung, unter anderem durch riskanten Umgang mit dem eigenen Körper, der als Werkzeug zum Erreichen von Zielen rücksichtslos benutzt wird. Wir wissen, dass männliche Personen von der Pubertät an erheblich häufiger Unfälle erleiden als Frauen, sie ernähren sich schlechter, üben körperlichen Raubbau. Sie verleugnen Belastungen und nehmen weniger Hilfe in Anspruch. Das männliche Motto lautet »Konkurrenz, Karriere, Kollaps« statt »Kinder, Küche, Kirche«. Verletzlichkeit, Gefühle, Hingabe, Fürsorge, Affekte und Abhängigkeit werden mit dieser Maskierung als schwächlich, minderwertig und weibisch entwertet, letztlich eine Projektion. 34

Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

Das Angewiesensein auf das andere Geschlecht, das mit der Angst vor fesselnder Abhängigkeit verbunden wird, wird mit vermeintlicher Unabhängigkeit abgewehrt. Phallische Verhaltensweisen und Symbole, die Unnahbarkeit garantieren und der Kontrolle des weiblichen Objektes dienen sollen, werden hoch besetzt. Die genannten Grundtatsachen des Lebens, Abhängigkeit, die Urszene, die eigene Endlichkeit und die Beschränkung auf ein und auf das Geschlecht, das nicht in der Lage ist, Leben in sich wachsen zu lassen, scheinen keine Gültigkeit zu haben. Was mit der Erkenntnis des Geschlechtsunterschieds kognitiv gewusst wird, wird doch nicht wirklich zur Kenntnis genommen. Chasseguet-Smirgel (1974) spricht von »einer Revolte gegen die Person, die als Ursprung der narzisstischen Kränkung erscheint, die Mutter« (S. 162 f.). Phallisch-narzisstische Männer sind aber überhaupt nicht so unabhängig, wie sie erscheinen wollen. Nicht selten sind sie auf die Bewunderung durch Frauen angewiesen, worin die verleugnete Abhängigkeit versteckt ist. Dem Phallischen wird eine Vollkommenheit zugesprochen, mit der die frühe Mutter ausgestattet zu sein schien. Mit diesem Versuch, die Welt phallisch zu erobern, soll das verloren gegangene Paradies, eine omnipotent beherrschbare und kontrollierbare prägeschlechtliche Mutter, zurückerobert werden. Die geschilderten Konflikte, die in der frühkindlichen Entwicklung männlicher Identität entstehen, müssen lebenslang unter sich verändernden psychischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen immer wieder neu durchgearbeitet werden. Im Lebenszyklus werden Fragen männlicher Identität immer wieder neu gestellt. Eine phallisch-narzisstisch gefärbte Geschlechtsidentität bleibt besonders verletzlich. Der Film »Pappa ante Portas« von Loriot stellt auf komische Weise dar, vor welchem Konflikt ein aus dem Berufsleben ausscheidender Mann steht. Die Komik des Films lebt unter anderem von der Darstellung des letztlich zum Scheitern verurteilten Versuchs, am bisher Gewohnten festzuhalten. Wenn der Protagonist, wie als Kaufmann gewohnt, große Mengen Konserven bestellt, symbolisiert das seinen Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

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Wunsch, möglichst viel Bewährtes zu konservieren und an eingefahrenen Verhaltensweisen, die sein Berufsleben lang Befriedigung, Bestätigung und Einfluss gewährten, festzuhalten. Der Zuschauer weiß von vornherein um diese Vergeblichkeit, kennt diesen Kampf aus eigener Erfahrung und übernimmt zugleich die erbarmungslose Position der Gesellschaft, die die vergeblichen Bemühungen des Alternden um Erhaltung und Anerkennung lachend entwertet. Diese Position wird von der Ehefrau süffisant dargestellt, deren Macht über den hilfloser werdenden Mann immer spürbarer wird. Wenn diese Darstellung als Ausdruck eines innerseelischen Konflikts eines alternden Mannes verstanden wird, geht es um die Frage, ob er sich einer übermächtigen Frau bzw. Mutter beugen oder ihr entrinnen kann, ob und wie eigene männliche und weibliche Anteile der Geschlechtsidentität integrierbar sind. Sie ihrerseits scheint es regelrecht zu genießen, aus dem sich wie ein Pubertierender aufblasenden Ehemann die Luft rauszulassen. Vielleicht erinnern Sie noch, dass der Film damit endet, wie der etwa 60-Jährige wie ein braver Junge an der Feier des 85. Geburtstags seiner Mutter teilnimmt, die Beziehung zur Mutter bleibt zeitlos. Der Glanz im Auge des Anderen wird in unserer Kultur selten von alten Männern erzeugt. Sie werden nicht mehr als phallische Helden gefeiert. Die männliche, narzisstisch gratifizierende Welt lässt alte Männer immer häufiger im Stich, insbesondere wenn ihre Kräfte nachlassen, sie hilfsbedürftig und abhängig werden. Die Illusion, die Umgebung sei dazu da, ihn spiegelnd zu bestätigen, zerbricht. Krisen der Männlichkeit entstehen, wenn innere Objekte mit containender Qualität nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen und die Männer sich selbst nicht mehr als die ansehen können und nicht mehr als die gesehen werden, zu denen sie sich gemacht zu haben glauben. Kein Phallus bleibt dauerhaft erigiert. Wenn versucht wurde, durch die »Kultivierung eines Autonomiewahnsinns« (Pohl, 2003) den Fallstricken des Geschlechtsdilemmas zu entgehen, so wird offenbar, dass dieser Ausweg zum Scheitern verurteilt ist.

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Geschlechtsspezifische Differenzen der Selbstbestimmung

5 Abschied – selbstbestimmter Aufbruch oder fremdbestimmter Verlust

Erste Vorahnungen von Verlusten entstehen schon intrauterin durch unvermeidbare Einschränkungen des Wohlbefindens. Unvermeidbare frühe Trennungen konfrontieren mit der unvermeidbaren Tatsache, dass die Mutter, die natürliche Umwelt, von der die eigene Existenz abhängt, nicht immer und uneingeschränkt, aber hoffentlich ausreichend gut zur Verfügung steht. Man kann auf zweierlei Weise getrennt werden. Eine erzwungene Trennung von jemandem oder von etwas, mit dem man sich verbunden und auf die, den oder das man sich angewiesen fühlt, wird als schmerzhafter Verlust erlebt, der zu betrauern ist. Gelingt das nicht, geht nicht nur das Objekt, wie wir es ein wenig technisch nennen, verloren, sondern mit ihm auch die eigene Lebendigkeit, der Antrieb, die Stimmung, der Schlaf, das körperliche Wohlbefinden, der Lebensmut; es entstehen depressive Symptome, so, als wäre ein Teil der eigenen Lebendigkeit verloren gegangen. Werden hingegen Trennungen selbst initiiert, können sie als befreiend erlebt werden, Aufbruch und neue Entwicklungen werden möglich. Wir sehen es als Kennzeichen normaler Entwicklung an, wenn Kinder sich von ihren Eltern lösen, und als bedenklich, wenn ihnen bestimmte Lösungsschritte nicht gelingen. Welch ein großes Wagnis so ein Aufbruch darstellt, können wir schon bei Einjährigen beobachten, die sich aus der Sichtweite der Mutter entfernen, sich rückversichern müssen, dass diese noch erreichbar ist, sich wieder entfernen, diesmal ein wenig weiter, und so fort. Die Adoleszenz zeichnet sich durch die Ambivalenz aus, die darin besteht, dass 37

die Jugendlichen, die von ihren Eltern, die sie zuvor idealisiert hatten, tief enttäuscht sind. Sie haben sich von diesen Eltern schon weit entfernt und bleiben doch emotional noch so sehr auf sie angewiesen. Die Selbstbestimmung ist auch hier eine vordergründige Illusion. Die zwei Seiten des Erlebens von Trennung, die erzwungene und die befreiende, beschreibt Freud mit der bekannten Deutung des Fortda-Spiels. Er beobachtete seinen kleinen Enkel, der eine Garnrolle immer wieder fortwarf und an einer Schnur wieder zu sich heranzog. Mit diesem Spiel verwandle der kleine Junge passiv Erlittenes, nämlich den Abschied von der Mutter, in aktives Wegwerfen. Zudem eröffne er sich die Möglichkeit, das Verlorene selbst wieder heranzuholen. Auf solche Weise können »die Kinder alles im Spiele wiederholen, was ihnen im Leben großen Eindruck gemacht hat, […] und dabei die Stärke des Eindrucks abreagieren und sich sozusagen zu Herren der Situation machen« (Freud, 1920/1947, S. 14). In diesem Spiel greift das Kind bereits auf die Erfahrung der Wiederkehr der abwesenden Mutter zurück. Bevor es das kann, löst das Verlassenwerden aber katastrophale Ängste aus, denn das Kind kann nicht wissen, dass die Mutter, von der es existenziell abhängig ist, zurückkehrt. Existenziell bedrohliche Verlassenheitsängste kennen wir von Säuglingen und Kleinkindern, von traumatisierten und früh vernachlässigten Patienten, deren innere Sicherheit zerstört bzw. nicht ausreichend entwickelt wurde. Für das Kleinkind wird die Mutter erst durch die wiederholte Erfahrung ihrer Rückkehr verlässlich. Das Kind kann dann an eine Rückkehr glauben, Abschiede und Trennungen werden erträglich, sie prägen die psychische Entwicklung des Kindes. Menschen leben mit und von verinnerlichten Beziehungserfahrungen, auch wenn wir von den äußeren Objekten, die wir mehr oder weniger verzerrt durch die eigene Linse innerlich als Repräsentanzen abgebildet haben, getrennt sind. Die Repräsentanzen unterliegen einer unentwegten Überarbeitung. Heute haben sie andere Gestalt als gestern. Reale äußere Verluste erzeugen eine Spannung zwischen der Erinnerung an das Objekt und seinem Fehlen in der äußeren Welt. Es gibt eine Sehnsucht, was erinnert wird, auch real zu wieder38

Abschied

holen. »Dieses Erinnern (Erinnerungsspur) lässt eine Anziehung auf das Objekt hin entstehen; und diese Bewegung auf das Objekt hin nennen wir Begehren«, formulierte Marilia Aisenstein (2014, S. 25). »Begehren ist an die Repräsentation des abwesenden Objekts gebunden, die dann auf das anwesende Objekt projiziert wird. Im Aufbau des Unbewussten regulieren daher Erinnerungsspuren die Bildung von Denkvorgängen.« Mit ihrer Hilfe halten wir es aus, wenn unsere Begierde nicht sofort gestillt wird. Die Erfahrung des Abschieds und der Wunsch nach Wiedervereinigung ohne Wiederholung des schmerzhaften Abschieds sind wohl ubiquitär, wie schon die Vorstellung der alten Griechen von einem ursprünglichen Hermaphroditismus belegt ebenso wie die vom jüdisch-christlichen Paradies, in dem Geschlechtsunterschiede noch nicht erkannt werden und keine Sehnsucht, kein Begehren, entsteht. Als im Paradies Unterschiede, zunächst die des Geschlechts und damit auch der eigenen Unvollständigkeit und Ergänzungsbedürftigkeit, erkannt werden und damit Trennungen entstehen, werden die Menschen aus dem Paradies vertrieben. Dieser Mythos der Vertreibung steht für die Notwendigkeit, anzuerkennen, dass unwiederbringliche Verluste und nicht reparierbare Zerstörungen zum Menschsein gehören, die selbst verursacht werden und in eigener Verantwortung liegen. Es gibt zugleich eine wohl allen Menschen bekannte Sehnsucht nach einem paradiesisch-ozeanischen Zustand vor dem Verlust und vor der Zerstörung, nach einem vollkommenen Glücksgefühl, das sich auch kollektiv an massenpsychologischen Phänomenen beobachten lässt. Das Unbewusste verfügt über eine weitere Fähigkeit, auf Verluste, insbesondere den größten Verlust, nämlich den bevorstehenden des eigenen Lebens, zu reagieren: Die Gesetze der Logik gelten im Unbewussten nicht. Der Mensch weiß zwar um seine eigene Sterblichkeit und nimmt zugleich unbewusst das Gegenteil an. Einem Patienten, der den tödlichen Verkehrsunfall seiner Partnerin miterleben musste, wurde in der Analyse klar, dass ihm das schreckliche Erlebnis unbewusst bestätigt hatte, dass andere, selbst nächste Angehörige sterben, Abschied

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er selbst aber dem Tod entgehe. Diese Erfahrungen bestätigen nur die Sterblichkeit anderer und die Illusion eigener Verfügungsgewalt. Freud erinnert an »die dem Ehemann zugeschriebene Äußerung: Wenn einer von uns beiden stirbt, übersiedle ich nach Paris. Solche zynischen Witze wären nicht möglich, wenn sie nicht eine verleugnete Wahrheit mitzuteilen hätten, zu der man sich nicht bekennen darf, wenn sie ernsthaft und unverhüllt ausgesprochen wird. Im Scherz darf man bekanntlich sogar die Wahrheit sagen« (1915/1946, S. 352 f.), nämlich, dass wir uns die eigene Sterblichkeit, unseren endgültigen Abschied von der Welt, doch nicht richtig vorstellen können und nicht wirklich wahrhaben wollen. Unsere Abhängigkeit von einem Unbewussten, das uns davor bewahrt, unserer Sterblichkeit gewahr zu sein, ist wohl eine lebensnotwendige Bedingung menschlicher Existenz. Wir benötigen psychische Funktionsweisen von verleugnender, von narzisstischer Qualität, um mit dem Wissen um die eigene Vergänglichkeit leben zu können. Eine zeitgemäße Ausprägung des Unsterblichkeitswunsches kommt auf einem Grabstein mit integriertem Bildschirm zum Ausdruck, von dem der Besucher des Grabes interaktive Videobotschaften des Verstorbenen erhält, der dann immer noch mit seinen Besuchern sprechen kann, sofern sie denn kommen. Der Schriftsteller George Bernard Shaw empfahl hingegen realitätsbewusst: Versuche nicht, ewig zu leben, es wird nicht gelingen. Die verbreitete tröstende Vorstellung, das Verlorene im Jenseits wiederzufinden, kann als Fortsetzung des Fort-da-Spiels mit anderen Mitteln interpretiert werden oder auch als externalisierender Ausdruck eines impliziten Wissens darüber, dass eine Wiederbegegnung nur im seelischen Innenraum möglich ist, wo uns diese wunderbare Möglichkeit ja offensteht. Wir wissen wohl als einzige Lebewesen um die Vergänglichkeit unserer Artgenossen und um unsere eigene Endlichkeit, ohne die Leben erstarren würde. Wir wissen, dass endgültige Abschiede unumgänglich sind. Wir können dieses Wissen nur aufgrund der wunderbaren Fähigkeit ertragen, nicht präsente und auch vergangene 40

Abschied

Objekte, psychisch zu re-präsentieren, auch wenn sie nicht zugegen sind. Wir können uns an sie »erinnern«, sie nach innen verlagern, sie dort lebendig halten und bei Bedarf abrufen, eben »erinnern«. Der 86-jährige Psychoanalytiker Martin Grotjahn (1994) beschrieb Träume von unbeschreiblicher Schönheit. Sie handelten vom Wandern im Gebirge mit großartigen Aussichten und fruchtbaren Tälern mit Fontänen und Wasserfällen, Blumen, Vögeln und Skulpturen. »Diese Träume«, interpretierte er, »waren Träume des Todes und versuchten mir, dem Ungläubigen, zu erzählen, dass Totsein bedeute, im Paradies zu sein« (S. 123).

Abschied

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6 Abhängigkeit von Autorität und Lebenstatsachen

Schon in der Schöpfungsgeschichte wird ein Autoritätskonflikt zwischen Selbst- und Fremdbestimmung geschildert. Gott, als Autor der Welt die absolute Autorität, hatte den Paradiesbewohnern verboten, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Mit dem Verstoß gegen das Gebot der Autorität entstand die Freiheit des Menschen und mit ihr Schuld und Scham sowie Erkenntnis, zuallererst die des Geschlechtsunterschieds, für den wir uns auch heute noch sofort interessieren, wenn wir von einem Neugeborenen hören. Mit der Erkenntnis des Unterschieds entstand die Begierde um den Preis der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies, »aus dem harmlosen und sicheren Zustand der Kindespflege, gleichsam aus dem Garten, der ihn ohne seine Mühe versorgte, […] in die Welt, wo so viel Sorgen, Mühe und unbekannte Übel auf ihn warten«, wie Immanuel Kant formulierte (zitiert nach Flasch, 2004, S. 86). Der Sündenfall eröffnet Menschen den Weg aus dem »Paradies der Unwissenheit und Knechtschaft«, so Schiller (1838, S. 389), »zu einem Paradies der Erkenntnis und der Freiheit«. Die Differenz zwischen wissender göttlicher Autorität und nicht wissenden unschuldigen Vormenschen ist damit aufgehoben und die Unendlichkeit des Paradieses durch »irdische« Vergänglichkeit ersetzt. Der Abraham-Mythos, in dem absoluter Gehorsam gegenüber göttlicher Autorität gefordert wird, wird von den monotheistischen Religionen geteilt. Letztlich wird die Tötung des Sohnes in der Abraham-Geschichte nicht vollzogen. Der Zuhörer stellt sich die Tötung des Kindes lebhaft vor, dann wird der Ablauf unterbrochen. Die Tötung des Sohnes wird auf diese Weise psychische Realität des Zuhö42

rers. Das Überleben Isaaks wird durch Gott gesichert, es entstehen Hoffnung und Zuversicht, wenn die väterliche Autorität anerkennt, dass sie sich ihrerseits höherer Autorität zu beugen hat. Das vierte Gebot fordert, Vater und Mutter zu ehren. Diese Grundlage des Generationenvertrags ist übrigens das einzige Gebot, auf dessen Einhaltung eine Belohnung ausgesetzt ist, nämlich langes Leben auf Erden. Der Ödipusmythos schließlich berichtet von wiederholtem Autoritätsmissbrauch. Laios verstößt gegen die genuine Aufgabe von Eltern und Lehrern, die nachfolgende Generation zu schützen. Er missbraucht seinen Schüler, der zugleich sein Halbbruder ist, und wird mit Kinderlosigkeit bestraft. Sollte er doch einen Sohn bekommen, würde dieser ihn erschlagen. Mit dieser Weissagung wird die natürliche Abfolge der Generationen benannt, nämlich dass eines Tages die Kinder die Eltern ablösen und damit symbolisch »erschlagen« müssen. Diese Realität will Laios nicht anerkennen und misshandelt seinen Sohn. Er durchbohrt seine Füße, bindet sie zusammen, macht ihn zum Schwellfuß und setzt den Schutzbefohlenen aus. Damit beginnt das Drama. Hannah Arendt (1955) hat Autorität als notwendig zum Erwerb der Selbstbestimmungsfähigkeiten beschrieben. Aufgabe der Autorität ist es, die Freiheit zu begrenzen, um sie zu sichern und Selbstbestimmung zu ermöglichen, was offensichtlich wird, wenn zum Beispiel der Erwachsene das Kind daran hindert, über eine befahrene Straße zu laufen. Autorität und Freiheit sind keine Gegensätze, Autorität sichert Leben in Freiheit. Autoritarismus und autoritäre Herrschaft hingegen schränken Freiheit ein, indem sie Macht missbrauchen. Sie berufen sich auf eine höhere, oft angeblich gottgegebene Macht, proklamieren ewige Dauer (»Tausendjähriges Reich«), fordern blinde Unterwerfung und fördern ebenso blinden Hass auf Opponenten. Arendts Definition der »Autorität überhaupt« folgt der Anerkennung von Lebenstatsachen, so der, dass die Eltern für das allein nicht überlebensfähige Kind verantwortlich sind, woraus sich ihre »Autorität« ableitet, auf die das Kleinkind unbedingt vertraut und vertrauen Abhängigkeit von Autorität und Lebenstatsachen

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können muss. Die Notwendigkeit elterlicher Autorität ergibt sich aus der existenziellen Abhängigkeit des Kindes sowie seiner daraus entstehenden Angst vor dem Verlassenwerden. Das Autoritätsbedürfnis des Kindes beruht auf seinem Wunsch nach Sicherheit und Stärke, welche der Autorität zugeschrieben werden. Dies wird in der ausgeprägten Autoritätswilligkeit im Latenzalter besonders offenkundig. Bereits vor sechs Jahrzehnten, also lange vor der antiautoritären Bewegung, diagnostizierte Arendt (1955) eine »Art Abdankung der Zeitgenossen […], die sich als Eltern und Erzieher gewissermaßen weigern, eine der elementarsten Funktionen in jedem Gemeinwesen, das Hinleiten derer, die durch Geburt neu in die Welt gekommen und daher in ihr notwendigerweise Fremdlinge sind, zu übernehmen und so die Kontinuität dieser gemeinsamen Welt zu sichern. Es ist, als wollten die Eltern ihren Kindern gegenüber die Verantwortung für die Welt, in die sie sie hineingezeugt und hineingeboren haben, nicht mehr übernehmen« (S. 164). Verantwortungsvoll ausgeübte Autorität des Erwachsenen äußert sich in alters- und umweltangepasster unterstützender, fördernder und fordernder Weise. Das Kind wirbt dann regelrecht um die Autorität, deren Forderungen es erfüllen möchte. Oder wie Freud sagt: »Die Gläubigkeit der Liebe wird zu einer wichtigen, wenn nicht zur uranfänglichen Quelle der Autorität« (1905/1942, S. 50). Souverän gestaltete Autorität beantwortet diese Liebe mit einem verlässlichen, aber durchaus flexiblen Umgang mit Regeln und Normen. Julia Kristeva (2014) unterstreicht die entwicklungsfördernde Funktion der Autorität, wenn sie die Identifizierung mit dem Vater »als Morgenröte der symbolischen Triade« bezeichnet, »welche die Faszination und das Grauen der dualen Mutter-Kind-Interdependenz ersetzt und verwandelt; die vertrauensvolle Anerkennung, welche mir der die Mutter liebende und von ihr geliebte Vater bietet und welche ich ihm wiederum entgegenbringe, verwandelt mein Geplapper in linguistische Zeichen, deren Wert er festsetzt« (S. 10). Dieser Vater war bereits da, ehe der »ödipale« Vater seine Verbote und Gesetze formulierte. Es ist »ein imaginärer Vater, der mich, 44

Abhängigkeit von Autorität und Lebenstatsachen

über die Mutter vermittelt, anerkennt und liebt und mir bedeutet, dass ich nicht sie, sondern ein Anderer bin, der mich glauben lässt, dass ich ›glauben‹ kann«, schreibt Kristeva (2014, S. 11) in dem Buch mit dem schönen Titel »Dieses unglaubliche Bedürfnis zu glauben«. Und weiter heißt es: »Es handelt sich um eine mit sublimierender Fähigkeit begabte, selbstlose Vaterschaft, die durch ihre Liebe, welche das symbolische Sein des Neugeborenen anerkennt, ihm seine Seinswürde verleiht. Indem sie mich anerkennt, lässt mich die liebevolle Autorität des Vaters existieren. Es handelt sich um eine grundlegende Stütze, ohne welche ich keinerlei Norm erwerben, keinerlei Frustration ertragen, keinem Verbot gehorchen, kein moralisches Gesetz oder keine Moral übernehmen könnte. Die primäre Identifikation begründet die Autorität, denn sie bricht, indem sie aus der liebevollen Anerkennung des Dritten besteht, mit dem Terror und der Tyrannei, die das hilflose, noch unreife Neugeborene bedrohen – und sie initiiert die Kultur« (S. 25). Die im Individuationsprozess dann notwendige Ablösung des Heranwachsenden von den Eltern ist eine der notwendigsten, aber auch schmerzlichsten Leistungen der Entwicklung. Sie entspricht einer symbolischen Tötung der Eltern. Freud prognostizierte bereits 1910, dass »die wenigsten Kulturmenschen fähig sind, ohne Anlehnung an andere zu existieren oder auch nur ein selbständiges Urteil zu fällen. Die Autoritätssucht und innere Haltlosigkeit des Menschen können Sie sich nicht arg genug vorstellen« (1910b/1948, S. 109). Margarete Mitscherlich sagte anlässlich ihres 90. Geburtstags: »Dieses Ende des Lebens beginnt immer lauter an Herz und Kopf zu pochen […] mit dem Verstand weiß ich, dass es keinen lieben Gott gibt, aber ich spreche oft mit ihm, das habe ich seit der Kindheit getan. Das tut mir gut, und das erlaube ich mir« (Mitscherlich-Nielsen, 2007, S. A2106). Ihre Aussage enthält die Anerkennung ihrer Ohnmacht gegenüber der Sterblichkeit ebenso wie den Wunsch, Zugang zu einem unsterblichen Objekt zu haben. »Illusionen empfehlen sich uns dadurch, dass sie Unlustgefühle ersparen und uns an ihrer statt Abhängigkeit von Autorität und Lebenstatsachen

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Befriedigungen genießen lassen. Wir müssen es dann ohne Klage hinnehmen, dass sie irgend einmal mit einem Stücke der Wirklichkeit zusammenstoßen, an dem sie zerschellen« (Freud, 1915/1946, S. 330). Freud weist darauf hin, dass es überhaupt erst die Vergänglichkeit ist, die dem Bestehenden Wert verleiht. Ohne Vergänglichkeit wäre das Kostbare nichts wert. »Wenn es eine Blume gibt, welche eine einzige Nacht blüht, so erscheint mir ihre Blüte darum nicht minder prächtig.« Und er fügt hinzu: »Wie die Schönheit und Vollkommenheit des Kunstwerks und der intellektuellen Leistung durch deren zeitliche Beschränkung entwertet werden sollte, vermochte ich ebensowenig einzusehen« (S. 359). Und Elias Canetti fragt: »Wie vielen wird es noch der Mühe wert sein zu leben, sobald man nicht mehr stirbt?« (2014, S. 27). Die rationalen Folgen einer Welt ohne Tod, meint er, seien nie zu Ende gedacht worden. Dieser Gedanke wird aber im Ahasver-Mythos vertieft. Ahasver kann nicht ruhen und nicht sterben, er ist zu rast- und endlosem Wandern durch die Jahrhunderte verdammt. Sein ewiges Wandernmüssen ist Folter, von der er nie erlöst wird. Die von Money-Kyrle (1971) beschriebenen »Facts of Life« konzeptualisieren die notwendigen Anerkennungsschritte der Abhängigkeit sehr treffend. Er benutzt psychoanalytische Metaphern, wenn er als erste Lebenstatsache von der Anerkennung der Brust als gutes und unverzichtbares Objekt spricht. Gemeint ist damit die Anerkennung von Abhängigkeit schlechthin als existenzieller Grundbedingung. Die zweite Lebenstatsache, die es anzuerkennen gilt, ist der Geschlechtsverkehr als kreativer Akt. Gemeint ist mit dieser Metapher das Erleben des Ausgeschlossenseins. Als dritte Lebenstatsache ist die Unvermeidbarkeit von Zeit und letztlich des Todes, ja des eigenen Todes, anzuerkennen. Die Anerkennung der guten Brust erfordert, demütig zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass es nur möglich ist, in Abhängigkeit von anderen zu existieren. Es muss die Tatsache anerkannt werden, dass die Mutter, im erweiterten Sinne die Umwelt, nicht immer und sofort alle Wünsche befriedigen kann, und noch bitterer, nicht immer alle 46

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Wünsche erfüllen will, dass sie eine eigene, über sich selbst verfügende getrennte Andere mit eigenständigen Interessen ist. Um die Anerkennung seines Angewiesenseins auf andere ringt ein 70-jähriger Patient, der zeitlebens aus Angst vor Trennung keine bindende Partnerschaft eingegangen ist. »Sie kennen doch die WesternFilme«, sagt er, »in denen ein Cowboy sich in eine Frau verliebt. Meist endet die Affäre damit, dass er sie am nächsten Morgen verlässt und in die Weite der Prärie reitet. In manchen Filmen aber kehrt er wieder um und bleibt bei ihr. Das kann ich kaum glauben.« Hinter der Vorstellung der Versorgungsunabhängigkeit verbergen sich illusionäre Größenvorstellungen, die bei einem anderen, 75-jährigen Patienten offen zutage traten, als er sagte: »Wozu brauche ich Medikamente, ich bin Gott!«

Diese Größenphantasie dient gerade Männern nicht selten der Abwehr einer als tief kränkend und als Gefahr erlebten Abhängigkeit von einer Frau, letztlich von der Mutter. Je sicherer Erfahrungen mit einem guten mütterlichen Objekt verinnerlicht wurden, je stärker das Urvertrauen, desto eher kann die Abhängigkeit von einem Anderen anerkannt werden und desto leichter wird es möglich, auch die zweite Lebenstatsache anzuerkennen, dass zwei Menschen etwas miteinander machen und man selbst ausgeschlossen ist, mit begrenzter oder gar ohne eigene Einflussmöglichkeit. Diese zweite Lebenstatsache begegnet uns im Lebenslauf in unterschiedlicher Gestalt, und alten Menschen begegnet sie mit besonderer Härte. Es beginnt damit, dass die Eltern uns nicht gefragt haben, ob wir in diese Welt gesetzt werden wollen. Das Kleinkind erfährt diese Tatsache zum Beispiel, wenn ein Geschwisterkind geboren wird und es sich von der innigen Beziehung des Säuglings zur Mutter ausgeschlossen fühlt. Der Jugendliche muss mit seiner rasenden Eifersucht umgehen, der Rentner ist von Entscheidungen Jüngerer am Arbeitsplatz ausgeschlossen, der Pflegebedürftige hat bei seiner Heimunterbringung und den damit verbundenen finanziellen Fragen häufig wenig mitzureden. Abhängigkeit von Autorität und Lebenstatsachen

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7 Selbstbestimmung als narzisstisches Bedürfnis

Das Selbstwertgefühl ist wesentlich von subjektiver Selbstbestimmung abhängig, aber auch von der Anerkennung, Bestätigung und Bewunderung durch andere. Die Fähigkeit, sich auf Beziehungen einzulassen, ist auch vom Selbstwertgefühl abhängig. Ein stabiles Selbstwertgefühl entsteht in prägenden Beziehungen, die ausreichend Sicherheit vermitteln und es dem Individuum erlauben, sich zu entfernen, die Welt zu entdecken und zu erobern. Der Glanz im Auge der Mutter, den der Säugling selbst erzeugen kann und wodurch er seine Wirkmächtigkeit erlebt, ist Grundlage eines stabilen verinnerlichten Selbstwertgefühls. Damit ist es möglich, auch Misserfolge, Enttäuschungen, Verluste, Unsicherheiten und das Alleinsein zu ertragen. Ist das Selbstwertgefühl aber vulnerabel, bleiben die Betroffenen mit einem tiefen Minderwertigkeitsgefühl auf ständig erneuerte Bestätigung von außen angewiesen, die tragischerweise niemals ausreichend sein kann. Wird die Anerkennung im Sinne narzisstischer Gratifikation entzogen, entstehen Kränkungen. Der Begriff Narzissmus beinhaltet eine Beziehung, die auf sich selbst beschränkt bleibt. Ich möchte einige Aspekte dieses Phänomens anhand des Narziss-Mythos darstellen. Die griechische Mythologie schildert Narziss nicht als Kind liebender, gegenseitiger Bezogenheit zweier Menschen, die sich mit Sicherheit aufeinander verlassen können, sondern als Produkt einer Vergewaltigung. Der allein auf sich selbst bezogene Flussgott Kephisos missbrauchte die Nymphe Leiriope. Narziss ist Produkt eines gewaltsamen Eindringens, wie es paranoide Persönlichkeiten fürchten. Theiresias, der blinde Seher, sagte voraus, dass der Knabe sehr alt werde, es sei denn, er erkenne 48

sich selbst. Selbsterkenntnis, die im Spiegel des Anderen stattfindet, ist damit tödlich, Beziehungen und Weltoffenheit sind lebensgefährlich. Der schönste aller Knaben, die die Welt jemals gesehen hat, weist alle Liebhaber und Liebhaberinnen, die eine Beziehung zu ihm aufnehmen wollen, zurück, darunter auch die Nymphe Echo. Er kann kein Echo, keine Resonanz, ertragen. Seine dadurch entstehende Einsamkeit wird verstärkt, weil er wegen der Zurückweisung des Ameinios mit unstillbarer Selbstliebe gestraft wird. Als Narziss sich dann aber doch im Wasser eines Sees spiegelt, erkennt er sich selbst, seine einmalige Schönheit, aber wohl auch seine auf Unsicherheit beruhende Unfähigkeit, sich auf andere Menschen liebend einzulassen, und damit seine tiefe Einsamkeit. Darauf suizidiert er sich. In einer Version des Mythos kräuselt der Wind das Wasser, Narziss sieht Falten in seinem Gesicht, erkennt seine Vergänglichkeit, eine für ihn unerträglich einschränkende Lebenstatsache. Dieser Mythos beschreibt die Selbstbezogenheit als Unfähigkeit, sich auf Beziehungen zu anderen Menschen einzulassen, was Liebe und Vertrauenkönnen voraussetzt. Bei paranoiden Menschen ist diese Fähigkeit besonders eingeschränkt oder verloren gegangen. Der Außenwelt kann nicht das notwendige Vertrauen entgegengebracht werden, die Welt erscheint bedrohlich. Kränkungen sind also zwischenmenschliche Ereignisse, die das Selbstwertgefühl und damit den Kern der Identität verletzen oder gar zerstören, die »krank machen« oder, wie im englischen Begriff »Mortification« zum Ausdruck kommt, auch tödlich verletzen können. Besonders gravierend wirken Kränkungen durch Objekte, die nach dem narzisstischen Typ besetzt worden sind. Die Differenzierung von Objektbeziehungen geht auf Freud zurück, der in »Trauer und Melancholie« den narzisstischen Typ vom Anlehnungstyp unterschied: Bei der Objektwahl nach dem Anlehnungstyp lehnt sich das Subjekt an geliebte Qualitäten des Objekts an, sie bleiben damit beim Objekt. Bei der Objektwahl nach dem narzisstischen Typ eignet sich das Subjekt die geschätzten Objekte an, sie werden zu Selbstanteilen. Der Verlust solch angeeigneter, eigentlich fremder Selbstanteile Selbstbestimmung als narzisstisches Bedürfnis

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führt zu Verletzung oder Zerstörung des eigenen Selbst, wie es für die Depression charakteristisch ist. Selbstbestimmt wirkende Menschen sind oft sehr von solchen Selbstobjekten abhängig. Ausdrucksformen des Selbstwertgefühls sind beispielsweise Stolz und Ehre, ihre Verletzung geht mit Schamgefühlen einher, wenn der Betroffene davon ausgeht, dass seine Verwundung oder seine Mängel, die er sich selbst nicht zugesteht, für andere sichtbar seien. Abschiede und Verluste, deren Bedeutung oben beschrieben wurde, beinhalten ein hohes Kränkungspotenzial. Kränkungen können auf subjektiv empfundenen Angriffen auf die Identität als Frau oder Mann beruhen, auf Einschränkungen von Macht und Einfluss und ganz besonders auf dem Erleben von Abhängigkeit bei der Versorgung alltäglicher Bedürfnisse. Jenseits des 85. Lebensjahres sind Menschen immer häufiger auf die Hilfe anderer bei zuvor fast lebenslang selbst beherrschten »Aktivitäten des täglichen Lebens« angewiesen und müssen diese Hilfsbedürftigkeit in ihr Selbstbild integrieren.

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Selbstbestimmung als narzisstisches Bedürfnis

8 Suizide – Selbstbestimmung oder verzweifelte Einengung?

Jeder Suizid betrifft andere Menschen in besonderer Weise. Dem Nahestehenden vermittelt er, dass Entscheidungen endgültigen Charakter haben, dass es kein Zurück gibt; er konfrontiert mit der Tat­ sache, dass dem Menschen diese Möglichkeit zur Verfügung steht, die auch als seine größte Freiheit verklärt wird. Menschen nehmen sich in großer Not und Verzweiflung das Leben, in Situationen, die gerade nicht als frei bezeichnet werden können. Sie lösen in den Hinterbliebenen Schuldgefühle aus, aber auch die ungeheure Konfrontation mit der Tatsache, selbst einen solchen Schritt auch gehen zu können, und nicht selten führen sie zu magischen Vorstellungen, zum Beispiel den Raum, in dem ein so schreckliches Ereignis passiert ist, nicht mehr betreten zu wollen. Insofern geht ein Suizid immer auch andere Menschen an und kann gar nicht unabhängig von anderen Menschen geschehen – eine logische Folge der sozialen Conditio humana. Die ethische Diskussion um Fragen des Suizids, insbesondere im Alter, wird stets in Bezug auf Selbstbestimmung der Betroffenen geführt. In den letzten Jahrzehnten hat sich in der westlichen Welt im Rahmen gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse auch die Einstellung zum Sterben und Tod in der Weise gewandelt, dass die autonome Selbstbestimmung des Menschen ganz in den Vordergrund gerückt wird. Der Einzelne soll sich nicht mehr auf wohlmeinende Experten verlassen, sondern zum Beispiel über die Behandlung einer Krankheit und letztlich sein Leben selbst entscheiden. Es wird postuliert, dass Menschen lernen sollten, Verantwortung für sich selbst, für ihr Leben und ihr Sterben zu übernehmen (das früher in Gottes Hand zu liegen schien). Dieses Postulat wird aus dem Grundgesetz 51

abgeleitet, denn »zur Würde des Menschen gehört eine freie Selbstbestimmung (Autonomie). So steht grundsätzlich jedem Menschen als Subjekt ein größtmögliches Selbstverfügungsrecht zu«. Der Eindruck des universal Machbaren hat die Begrenztheit menschlicher Möglichkeiten, letztlich die Begrenztheit des Lebens und damit die Sterblichkeit, verdrängt. Die gleichzeitige Verwurzelung des Menschen in und seine Abhängigkeit von zwischenmenschlichen Beziehungen, denen er letztlich seine Existenz verdankt, seine Bindungen und seine Gebundenheit und auch das intrapsychische Leben in Objektbeziehungen als Kennzeichen menschlichen Daseins treten in den Hintergrund. Die Leugnung der Bindungserfahrung durchdringt immer mehr Lebensbereiche. Schwäche und Hilfsbedürftigkeit, das Angewiesensein auf andere Menschen, das durchaus häufig der inneren Verfassung entspricht, können immer weniger zugelassen werden. Die Metapher »an Schläuchen hängen«, die nichts anderes beschreibt, als dass wir von der Zufuhr von außen abhängig sind, wird zum Horrorszenario stilisiert. Der Skandal eines passiven, hilflosen Sterbenmüssens scheint nicht mehr tolerabel. Die Einstellung zum Suizid alter Menschen unterscheidet sich von der gegenüber Suiziden jüngerer Menschen. Der Suizid eines alten Menschen wird schneller als der eines jungen Menschen als aktives, freies Beenden des Lebens und viel weniger als Ausdruck seelischer Not gesehen. Wenn die Tatsache, dass die Zahl der Suizide jenseits des 75. Lebensjahres rasant ansteigt, öffentlich überhaupt zur Kenntnis genommen wird, dann in auffallender Weise akzeptierend und scheinbar verstehend. Ausweglosigkeit und Verzweiflung der Betroffenen wie auch der Hinterbliebenen werden ausgeblendet. Betroffenheit und Erschrecken darüber, dass jemand sich gegen das biologisch tief verankerte Prinzip der Lebenserhaltung wendet, kommen seltener vor, ebenso die Beschäftigung mit der inneren Not der Betroffenen. Im Deutschen wird die akzeptierende Einstellung mit den Begriffen »Freitod« und »Bilanzsuizid«, Letzterer ausschließlich im Zusammenhang mit Alterssuiziden, im Angloamerikanischen mit »rational s­ uicide« ausgedrückt. Eine Bilanz soll aber objektive Zahlen 52

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vorweisen, sie soll Gewinn und Verlust eindeutig ausweisen, sie soll nicht manipuliert oder frisiert sein. Kann denn ein Mensch, ohne die Brille seiner jeweiligen Affekte und ohne sein Unbewusstes, die ja nun einmal in jedem Moment zur menschlichen Existenz gehören, sich jemals selbst objektiv bilanzieren? Entscheidend für den letzten Schritt in den Suizid oder zum Suizidversuch der vielen Menschen, mit denen ich gesprochen habe, war in der Regel eine tiefe Kränkung des Selbstwertgefühls, die für die Betroffenen von besonders schwerwiegender Bedeutung war. Jede Suizidentscheidung ist aber immer auch eine Entscheidung gegen diese Art zu leben. Eine therapeutische Aufgabe besteht darum nicht darin, den Suizidalen unter allen Umständen daran zu hindern, seinem Leben ein Ende zu setzen, aber ihm vielleicht zu helfen, »die Fundamentalkondition der Einsamkeit« (Améry 1983, S. 120) zu ertragen oder »die Fähigkeit, allein zu sein« (Winnicott, 1958) zu erwerben und damit in Beziehung zu anderen treten zu können. Menschen, die sich aktiv das Leben nehmen, sehnen sich nach Ruhe und Frieden. Ruhe und Frieden sind Erfahrungen aus dem Leben, mit denen die durch Verlust oder Kränkung ausgelösten Gefühle der Hilflosigkeit und Verzweiflung aufgehoben werden sollen.

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9 Gesellschaftliche Erwartungen an Selbstbestimmung und Einordnung

Der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten entspricht einem uralten Wunsch der Menschheit und ist die wohl bedeutendste Errungenschaft westlicher Zivilisation. Sie ermöglicht längere Selbstbestimmung, bevor wir gestorben werden. Schrecknisse früherer Tage wie vorzeitiger Tod durch Hunger und Seuchen sind durch verbesserte soziale und hygienische Bedingungen sowie durch medizinischen Fortschritt weitgehend gebannt. Im Prozess der Individualisierung haben wir uns von manchen gesellschaftlichen Zwängen und von Normen, die das zwischenmenschliche Zusammenleben einengen, erfolgreich befreit. Selbstbestimmung bedeutet allerdings nicht automatisch, dass individuelle Freiheit wächst, denn sie ist von der »sicherheitsspendenden Stütze anderer Subjekte«, wie Axel Honneth (2010, S. 65) schrieb, abhängig. »Die Mitglieder der westlichen Gesellschaft werden gezwungen, angehalten oder ermutigt, sich um ihrer Zukunftschancen willen zum Zentrum ihrer eigenen Lebensplanungen und Lebensführungen zu machen« (S. 70). Der »souveräne Mensch« aber ist erst »derjenige, der sich etwas widerfahren lassen kann« (G. Böhme, 2012, S. 55). Von der Selbstbestimmung des Individuums kann eigentlich immer weniger die Rede sein. Abläufe technischer, sozialer, ökonomischer und finanzpolitischer Natur, die unser Leben bestimmen, sind für den Einzelnen heute immer weniger durchschaubar, immer weniger nachvollziehbar und immer weniger mitbestimmbar. Der Umgang mit elektronisch gespeicherten Daten, dem der einzelne Nutzer völlig hilflos ausgeliefert ist, macht das besonders deutlich. 54

In diametralem Gegensatz dazu steht, dass in der öffentlichen Wertediskussion der Selbstbestimmung des Individuums ein immer größerer Stellenwert zugemessen wird. Besonders deutlich wird dies in den Diskussionen um die »End-of-Life-Decisions« (Patientenverfügung, ärztlich assistierter Suizid), in denen ein vertrauensvolles Sichverlassen auf einen wohlmeinenden, solidarischen Anderen nicht vorgesehen ist. Zwischenmenschliche Solidarität auf der Basis der für den Menschen charakteristischen Fähigkeit, sich in den Anderen einzufühlen, tritt als ethischer Wert in den Hintergrund, das Angewiesensein des Individuums auf den Anderen wird zum Skandalon. Die Abhängigkeit menschlicher Existenz von jeweils anderen Menschen relativiert die einseitige Aussage der Ottawa-Charta, nämlich dass Gesundheitsförderung qua Selbstbestimmung die Gesundheit stärke. Schon Descartes strebte danach, das »Denken dem Zugriff von Autorität und Tradition zu entziehen und ihm all die Gespenster und Stimmen aus der Vergangenheit auszutreiben […], so dass das autonome ›Ich› als vaterloses Subjekt ohne Abstammung der geschichtlichen Herkunft auftreten konnte, kurz, als von niemandem gezeugtes, fertiges, reifes Subjekt, das nur selbst gesetzten Regeln für den richtigen Vernunftgebrauch und der wissenschaftlichen Forschung gehorcht« (zitiert nach Harrison, 2015, S. 140). Der gesellschaftliche Prozess der Individualisierung in der westlichen Welt versucht den Zugriff der Gespenster und die Fesselung an elterliche Vorgaben zu lösen. Lebensläufe junger Menschen beginnen heute beispielsweise nicht mehr mit der Nennung des Namens von Vater und Mutter. In der westlich zivilisierten Gesellschaft strebt der Mensch nach individueller Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Auch die psychoanalytisch inspirierte Entwicklungspsychologie orientiert sich an Schritten in die Selbstständigkeit. Von autoritär anmutender Bevormundung befreit, soll heute jeder unabhängig von seiner Herkunft seinen eigenen Weg finden. Er soll fähig sein, sein Leben aktiv zu gestalten, statt sich auf andere zu verlassen. Er soll in allen Lebensbereichen selbst entscheiden und handeln – in Bezug auf die eigene Ausbildung, die eigene Arbeit, die Gesellschaftliche Erwartungen

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eigene Gesundheit, die eigene Krankheit, die eigene Altersversorgung und auch das eigene Sterben. Seit mit technischen Möglichkeiten nämlich immer stärker auch in den Sterbeprozess eingegriffen wird, hat die Angst vor dem Sterben zugenommen, weil es nicht mehr nur von der Natur, sondern auch von anderen Menschen abhängt, ob und wie gestorben oder das Sterben verhindert wird. In der medizinischen Diskussion hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen. Wir haben uns vom Paternalismus weitgehend verabschiedet. Das Lebensende soll verfügbar und planbar werden. Der aufgeklärte Zeitgenosse soll auch sein eigenes Lebensendszenarium selbst kontrollieren. Er sieht sich zur Selbstinszenierung einschließlich der Gestaltung des eigenen Todes gedrängt. Die technische Entwicklung bringt es aber mit sich, dass die Entscheidungen des Einzelnen immer abhängiger von Autoritäten des Wissens, nämlich von Experten, werden und der Einzelne immer weniger selbstbestimmte Entscheidungen treffen kann. Welche Informationen uns für unsere Entscheidungen zur Verfügung gestellt werden, bestimmen die A ­ lgorithmen von Google. Gleichzeitig existieren regressive Bedürfnisse, die bei Krankheit und in Notlagen evident werden. Kranke, die sich schwach fühlen, suchen tröstenden Schutz. Wir sehnen uns einerseits nach Befreiung von der Autorität und sehnen uns andererseits nach ihr, ein lebenslanges Thema. Julia Kristeva bezeichnet das »Bedürfnis zu glauben« als »Narkotikum, das leben hilft, weil es als glückliches Kindheits- und Liebestrauma unsere Fähigkeit, sprechende Wesen zu sein, begründet« (2014, S. 7). Sennett drückt dies soziologisch aus: »Die Menschen sind zu ängstlich, zu sehr auf ihre Bequemlichkeit bedacht, zu unwissend, um ohne Herren auszukommen; sie wollen Sklaven sein, um sich geborgen zu fühlen« (1990, S. 197). Im Rahmen der Globalisierung nimmt die Ohnmacht des Einzelnen ständig zu. Durkheim, der Begründer der modernen Soziologie, hat bereits 1893 gefragt: »Wie geht es zu, daß das Individuum, obgleich es immer autonomer wird, immer mehr von der Gesellschaft abhängt?« (1893/1992, S. 82). 56

Gesellschaftliche Erwartungen

Wohlwollende paternale triangulierende Strukturen werden abgeschafft, einhergehend mit der Zerstörung generationaler Bindungen, die die Grundlage menschlicher Zivilisation darstellen. Ein bedeutendes Merkmal der Flexibilität, die im Interesse blühender Märkte zunehmend nötig zu sein scheint, ist die Auflösung intergenerationaler Bindungen. Sie geht einher mit einem Verlust an Solidarität sowie der Kommerzialisierung und Digitalisierung zwischenmenschlicher und intergenerationaler Beziehungen; Sloterdijk (1996) spricht von einem »anti-genealogischen Experiment«. Der Satz »Liebe Mutter, lieber Vater, ein Leben lang habt ihr für uns gesorgt, jetzt, da ihr alt und krank seid, könnt ihr endlich für euch selbst sorgen« bringt die destruktiven Folgen dieser Entwicklung auf den Punkt, die an Goethes Zauberlehrling erinnert, der die Geister nicht mehr zähmen konnte, die er rief. Individuen sehen sich heute zunehmend gezwungen, sich selbst zu formen und ihre eigene Biografie zu inszenieren, einschließlich des eigenen Todes, und erleben dies oberflächlich noch als Befreiung. Gleichzeitig beobachten wir eine andere Entwicklung: Wir sind alle mit jedem, jederzeit und überall verbunden, jedenfalls oberflächlich. Einerseits drückt dies Bezogenheit aus, andererseits kann dieses Phänomen als Ausdruck und Symptom von Ungetrenntheit, Entdifferenzierung und Homogenisierung verstanden werden. Die Fähigkeit, allein zu ein, scheint abzunehmen. Die elektronischen Beziehungen in der virtuellen Internetwelt scheinen nicht einfach zur inneren Welt der Objektbeziehungen, wie sie von der Psychoanalyse entdeckt und beschrieben wurde, hinzugefügt zu werden, sondern scheinen sie zu ersetzen. Der bereits oben erwähnte Verlust des Mobiltelefons führt nicht nur bei psychisch kranken Patienten zu körperlichen Reaktionen. Die äußere Welt dringt subtil in das Körper-Ich ein. »Das Selbst identifiziert sich als Teil einer Maschine« (Bollas, 2015, S. 1). Es ist eine Beschleunigungsmaschine, die jeden mit jedem verbindet und vernetzt, »verwebbt«, wie man vielleicht sagen könnte, deren Tätigkeit aber auch als Ausdruck individueller Triebbedürfnisse verstanden werden kann. Das Netz ermöglicht uns schneller Gesellschaftliche Erwartungen

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und leichter, in Kontakt zu bleiben, Informationen zu finden und zu überprüfen als je zuvor, wodurch sich unendliche Möglichleiten erschließen. Mit zunehmender Entbindung von menschlicher Bezogenheit, die Laplanche (2014) als Ausdruck des Todestriebes interpretiert, lässt sich beobachten, wie neue Bindungstechniken, ja Fesselungstechniken, entwickelt werden. Die meisten von uns sind mittlerweile dauernd und weltweit online verbunden, erreich- und verfügbar. Auf diese Weise wird die durch Entbindung gewonnene Freiheit wieder gezügelt. So können wir die dauernde Verbundenheit mithilfe digitaler Netzwerke auch als Ausdruck eines menschlichen Bindungsbedürfnisses verstehen, das den Individualisierungsprozessen mit ihren genealogischen Entbindungsprozessen entgegenwirkt. Kürzlich beobachtete ich in einer U-Bahn eine vielleicht 25-jährige Frau, die während der zwanzigminütigen Fahrt per Videotelefonie offenbar mit ihrer Mutter dauerverbunden war. Die äußere Realität prägt sich als neue Autorität in Gestalt der Forderung nach ständiger Verfügbarkeit und gleichzeitiger scheinbarer Selbstbestimmung in die Psyche und in körperliches Empfinden ein. Für viele ist diese neue Autorität mittlerweile von tyrannischer Qualität.

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Gesellschaftliche Erwartungen

10 Selbstbestimmung im hohen Lebensalter im Rahmen generativer Gebundenheit

Alte Menschen können sich mit den Jüngeren, die ihre Zeit noch vor sich haben, mit deren größerer Leistungsfähigkeit und deren Entwicklungen identifizieren. Bleiben Alternde aber ausschließlich auf ständig neue äußere Anerkennung angewiesen, können starke Neid- und Eifersuchtsgefühle auf die jüngere Generation mobilisiert werden, wie sie etwa die Stiefmutter entwickelt, die Schneewittchens jugendliche Schönheit beneidet und mit tödlichem Hass verfolgt. Kulturstiftend ist, dass Kinder sich mit ihren Eltern und Lehrern identifizieren. Sie fühlen sich ihren Autoritätspersonen verbunden und verpflichtet, um sich in der Adoleszenz von ihnen zu verabschieden und doch mit ihnen verbunden bleiben. Diese Bindung kristallisiert sich intrapsychisch im Über-Ich und im gesellschaftlichen Kontext im Generationenvertrag, der im Sozialrecht abgebildet wird und bis ins 5. Jahrhundert vor Christus in Athen nachweisbar ist. Wer seine Eltern nicht unterstützte, dem wurden die Bürgerrechte entzogen. Die wechselseitige Bindung der Generationen von Eltern und Kindern manifestiert sich als Verantwortungsgefühl zunächst der Eltern gegenüber ihren Kindern und später der erwachsenen Kinder und Enkelkinder gegenüber ihren Eltern und Großeltern und zeigt sich auch in der transgenerational verbindenden Wirkung traumatischer Erfahrungen. Die enormen Entwicklungsmöglichkeiten, die das hohe Alter mit seinen Entbindungen von Verpflichtungen und seinen vielen Erfahrungen ermöglicht, sollen nicht verschwiegen werden. Für viele beinhaltet diese Möglichkeiten auch die weiter bestehende und zuweilen auch neu erworbene Anerkennung als Autorität. Hier spreche ich 59

aber von der anderen Seite des vierten Lebensalters, das wesentlich von der Befindlichkeit des Körpers, von seiner »Autorität«, diktiert wird. Das hohe Alter mit seinen körperlich bedingten Einschränkungen konfrontiert in der letzten Lebensphase in besonderer Weise mit der Abhängigkeit als Grundbedingung menschlicher Existenz. Der Körper übt als »Organisator der Psyche« (Heuft, 1994) unerbittlich anmutende Macht aus, der nicht ausgewichen werden kann. Er kann eine Abhängigkeit von pflegenden Beziehungen erzwingen, wie sie sonst nur in der ersten Lebensphase vorkommt. Der Körper erzwingt Abschiede, zum Beispiel von Aktivitäten, die Beweglichkeit erfordern, von Funktionen, deren unabhängige Beherrschung nicht selten mühsam errungen und verteidigt wurde. Er erzwingt damit auch eine Neugestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen, wenn alte Menschen bei der Nahrungsaufnahme, der Fortbewegung, den Körperausscheidungen und der Hygiene sowie beim Denken, bei der Orientierung oder Kommunikation auf die Hilfe anderer angewiesen und von ihnen existenziell abhängig sind. Der Körper wird vom beherrschten zum beherrschenden Objekt und bestimmt das Wohlbefinden. Abhängigkeit von anderen Menschen, von eigenen Kindern, Partnern, Freunden, Pflegekräften oder Wohlfahrtseinrichtungen, wird häufig als Ausgeliefertsein empfunden, und zwar umso mehr, als der Betroffene mit der »Illusion der Selbstbestimmung und der Unabhängigkeit« (Mieth, 2008) gelebt hat. Das Selbst weigert sich lange und hartnäckig, körperliche Veränderungen in das Körperselbst zu integrieren. Ein 75-jähriger Patient träumt immer noch plastisch davon, in die Fußballnationalmannschaft berufen zu werden, obwohl er natürlich weiß, dass dies aufgrund seiner körperlichen Leistungsfähigkeit unmöglich ist. Ein anderer, häufig angewandter Versuch, mit dem alternden Körper umzugehen, besteht in der Abspaltung des Körpers: »Warum kann ich nicht meine Augen, meine Knie und mein Herz zum Doktor schicken und ruhig zu Hause bleiben, ohne Schmerzen zu haben, und die verbleibende Lebenszeit genießen?«, überlegt ein älterer Patient. 60

Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

Abhängige Pflegebedürftigkeit ist die am meisten gefürchtete potenzielle Eigenschaft des hohen Lebensalters. Man möchte nicht von der Körperpflege durch eine andere Person abhängig sein, eine Abhängigkeit, aus der wir uns alle mit viel Mühe befreit haben. Pflegeabhängig zu sein bedeutet, auf die konkrete Anwesenheit eines Anderen, der über seine An- und Abwesenheit selbst bestimmen kann, existenziell angewiesen zu sein und seine Bedeutung anerkennen zu müssen. Ein 85-jähriger Patient formulierte: »Es ist notwendig, einen zweitens Gehorsam zu entwickeln«; er meinte einen Gehorsam gegenüber der letzten Autorität, eben der des Körpers. Der Gehorsam geht einher mit der Anerkennung von Generationsunterschieden, von Verlust und Tod und nicht selten mit der Anerkennung der Abhängigkeit von der folgenden Generation. Immer häufiger werden Menschen im hohen Alter nicht nur mit unwiederbringlichen Verlusten körperlicher Funktionen, sondern auch mit dem Verlust naher Angehöriger und schließlich mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert. Sie erleben das Ausgeschlossensein von Entscheidungen Jüngerer, die das eigene Leben betreffen. In dieser letzten Lebensphase werden Autoritätsbeziehungen zwischen den Generationen grundlegend umgestaltet, wenn Hilfebedarf bei Aktivitäten des täglichen Lebens wie Nahrungsaufnahme, Ausscheidung, Wahrnehmung, Orientierung und Körperpflege entsteht, wenn der erwähnte Generationenvertrag als Ausdruck menschlicher Zivilisation und Solidarität in Form von Pflege- und Versorgungsleistungen zum Tragen kommt. Bei der notwendigen Versorgung der Alten übernehmen die Kinder, nun selbst im fünften oder sechsten Lebensjahrzehnt, Autorität und müssen nicht selten Entscheidungen für ihre Eltern treffen, die deren Wohl dienen sollten. Sie überleben diejenigen, denen sie ihr Leben, mit allen Sonnenund Schattenseiten, verdanken. Sie müssen sich von immer noch erwarteten Wunscherfüllungen durch die Eltern verabschieden, ihre Nichterfüllung betrauern und selbst eine fürsorgliche, verantwortliche Position einnehmen. Nicht selten werden alte Rechnungen beglichen, sei es im Sinne der Dankbarkeit als Wiedergutmachung oder Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

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auch als Rache. Gelingt es den Kindern, die Autorität als »Autorität überhaupt« im Arendt’schen Sinne zum Wohle der Eltern auszuüben, sprechen Gerontologen von »filialer Reife«. »Das Älterwerden zwingt uns«, so Gabriele Junkers (2013), »zu begreifen, dass die Mittel zur Umsetzung von Wiedergutmachungsvorstellungen zunehmend an Grenzen stoßen. Mit dem bewussten Blick auf den Tod müssen wir der Aussicht auf die Erreichung von mehr Lust als unverzichtbarem Ziel für die Konsolidierung des Ichs immer mehr entsagen« (S. 13). Manische, phallisch-narzisstische Abwehrmechanismen, mit denen Abhängigkeit und Bedürftigkeit so kontrolliert und abgewehrt werden, dass menschliche Objekte keine Bedeutung gewinnen, verlieren an Wirksamkeit. Eine endgültige Verabschiedung aus der generationalen Gebundenheit irritiert uns sehr, weil mit einer solchen Einstellung an den Grundfesten unserer Zivilisation mit ihren generationalen Banden gerüttelt wird. Aufgrund generationaler Verbundenheit werden immer noch über 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen in Familien, vornehmlich von Töchtern und Schwiegertöchtern, gepflegt. In ihren Leistungen kommen die dankbar-schuldhafte Bindung der Subjekte an den Anderen, der nicht endgültige, nicht tödliche Abschied der Kinder von den Eltern zum Ausdruck. Fallbeispiel für körperbedingte Einschränkungen der Selbstbestimmung und das Ringen um ihre Wiedererlangung Im zweiten Jahr seiner Analyse hatte ein damals 80-jähriger Patient (geb. 1925) über die Inhalte einer Oper gesprochen. Ich hatte ihn nicht wissen lassen, dass ich nicht folgen konnte, weil mir die Oper unbekannt war. Es war aber offenkundig geworden, dass ich von der Sache keine Ahnung hatte. Bei der Verabschiedung hatte ich mich von dem Patienten abschätzig angeblickt und gedemütigt gefühlt. Zur folgenden Stunde kam der Patient nicht ganz pünktlich, was ungewöhnlich war. Als ich, ihn erwartend, aus dem Fenster sah, beobachtete ich, wie er beim Einparken mit seinem Auto Fußgänger stark gefährdete, die zum Glück geistesgegenwärtig zur Seite gesprungen 62

Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

waren, ohne dass der Fahrer, mein Patient, etwas bemerkt zu haben schien. Ich erklärte mir sein Verhalten mit einer kürzlich diagnostizierten chronisch-progredienten Einschränkung seiner Sehfähigkeit. Dies hatte der Patient mir zwar mitgeteilt, über deren Auswirkungen aber bisher nicht weiter gesprochen. Ich war Zeuge einer Gefahr geworden, die sich aus einer unumkehrbaren Einschränkung körperlicher Fähigkeiten meines Patienten ergab. Der Patient begann dann die Stunde damit, dass ein alter Schulfreund seinen Führerschein abgebe. Das finde er sehr vernünftig. Ältere Menschen sollten einsehen, wenn es nicht mehr gehe. Bewusst sprach er über andere, nicht über sich selbst, aber so, als habe er den Vorfall vor der Stunde doch irgendwie wahrgenommen. Der Patient hatte das Thema der Einschränkung nach meinem Verständnis also in projektiver Weise angesprochen. Nun wollte ich zur Sprache zu bringen, was ich vor der Stunde beobachtet hatte, und versuchte, eine Deutung seiner vermeintlichen Projektion vorzubereiten; ich wollte ihn auf das gefährliche Einparken ansprechen. Ich sagte: »Sie sprechen über Ihren Schulfreund, der seinen Führerschein abgegeben hat. Sie sind etwa gleich alt und Ihr Augenarzt hat Ihnen gesagt, dass damit zu rechnen sei, dass Ihr Augenlicht zunehmend schlechter werden wird«, begann ich. »Sie wollen mich aus dem Verkehr ziehen?«, unterbrach er mich so erbost, dass ich erschrocken war. So hatte ich ihn noch nicht erlebt. Ich wollte spontan beschwichtigen, hielt aber inne. Ich hatte ihn mit einer bitteren und traurigen Realität konfrontieren wollen, vielleicht konfrontieren müssen. Das wurde von ihm, obwohl meinerseits noch gar nicht fertig ausgesprochen, so empfunden, als solle er von mir, einem Jüngeren, aus dem Verkehr gezogen werden. Wenn ich an seiner Verkehrstüchtigkeit zweifelte und seine Lebenstüchtigkeit gemeint war, war ich ein Bote der Vergänglichkeit. Nach seiner Zornesäußerung schwieg er und blieb eine Weile unerreichbar. Es breitete sich ein Schweigen aus, das sich eiskalt anfühlte. Ich fürchtete, ihn so tief verletzt zu haben, dass er die Behandlung abbrechen könnte, und fühlte mich schuldig. Warum aber, so versuchte ich zu analysieren, hatte ich ein Schuldgefühl? Gehörte Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

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es nicht zu meiner Aufgabe, die Augen auch vor bitteren Realitäten nicht zu verschließen? Ich erinnerte mich an die Stunde zuvor, in der ich mich, wie berichtet, sehr unwohl gefühlt hatte. Ich hatte, so wurde mir klar, in der aktuellen Stunde unbewusst zu einer Umkehrung der Situation beigetragen. Jetzt war ich nicht mehr unterlegen, sondern fühlte mich überlegen. Meine Umkehrung in die überlegene Position des gut Sehenden enthielt zugleich die Spur einer latenten Abwertung des Autofahrers, was mir in diesem Moment nicht bewusst zugänglich war. Ich hatte mich auch von der Bedrohung eigener »Sehunfähigkeit« und der Wahrnehmung eigener Vergänglichkeit dadurch entlastet, dass ich sie beim Patienten lokalisieren konnte. In der Begegnung mit den Einschränkungen älterer Patienten treffen wir ja immer auch auf Aspekte der eigenen Zukunft und können sie zugleich im Patienten lokalisieren. Ich sagte nach längerem Schweigen, dass es wohl sehr schmerzhaft sei, wenn seine Schwächen für mich sichtbar würden. Am Ende der Stunde erhob er sich langsam und blickte mir bei der Verabschiedung mit gesenktem Kopf tief in die Augen. Ich werde diesen Blick nicht vergessen, er ist nur unzureichend in Worte zu fassen. Darin nahm ich tiefe Verzweiflung, aber auch einen ersten Anflug von Dankbarkeit wahr, seine Augen wurden feucht, als er ging. »Es ist ungeheuerlich gewesen«, begann er die folgende Stunde. »Es ist wahr – schon immer habe ich diese verdammte Schwäche gehasst, und wenn sie aufkam, habe ich sie überspielt, noch bevor ich sie überhaupt richtig spüren konnte. Nie habe ich mir vorstellen können, mit jemandem darüber zu sprechen. Der einzige Weg, zu überleben, ist aber wohl, sich dem jetzt zu stellen, dass es so etwas nicht nur bei anderen gibt.« Er konnte in den nächsten Stunden sehr bewegend darüber sprechen, wie sehr er sich in der beschriebenen Situation durch mich gedemütigt gefühlt hatte und wie neidisch er auf mich, den Jüngeren, geworden war. »Ich kann es nicht ertragen, daran zu denken, dass Sie morgen Ihren schnittigen Wagen fahren und ich daneben stehe.« 64

Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

Er träumte: »Ich sitze in einem Panzer, wie damals, kann ihn aber weder steuern noch bremsen und auch nicht aussteigen. Er fährt immer schneller. Schweißgebadet bin ich aufgewacht.« Wir konnten nun allmählich verstehen, weshalb es für ihn so schwer war, sich körperlichen Einschränkungen »zu ergeben«, wie er formulierte. Viele Ereignisse in seiner Lebensgeschichte hatten seinen Umgang mit eigenen Schwächen und denen anderer geprägt. Er hatte die Ideologie des autoritären Staates verinnerlicht und war als 17-Jähriger 1942 mit Begeisterung in den Krieg gezogen. »Wir waren zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl«, hatte er gesagt und damit Adolf Hitlers Maxime für die deutsche Jugend zitiert. Am Ende des Krieges war der Patient wegen einer relativ harmlosen Verwundung im Lazarett dem Tod entkommen. Diese Ereignisse hatten seine Phantasie, selbst unverletzlich zu sein und auch aussichtslose Situationen zu meistern, bestärkt. Nach dem Krieg war er nicht fähig, zu trauern (Mitscherlich u. Mitscherlich, 1967), sondern hatte sich in maniformer Abwehr dem Aufbau eines eigenen Geschäfts gewidmet, das er erfolgreich geführt und in dem er immer noch im Hintergrund das Steuer in der Hand hatte. Er hatte bis zur nun folgenden Analysephase nie darüber gesprochen, dass er als Soldat an der Tötung vieler Menschen aktiv beteiligt war. Bei der Schilderung dieser Ereignisse habe ich mich, als in Deutschland nach dem Krieg Geborener, mit der Schuld der Väter behaftet, gefragt, ob und wie ich ihn weiter behandeln könne. Ich habe meine eigenen Reaktionen mithilfe von Kollegen reflektiert. Mit der Mitteilung meiner Beobachtung hatte ich ihn mit zu erwartenden neuen Abhängigkeiten konfrontiert, nämlich nicht mehr selbst steuern zu können, sondern sich fahren lassen zu müssen. Er sagte dazu voller Verachtung: »Wie im Kinderwagen.« Er hatte stets die Bestätigung gebraucht, das Steuer selbst in der Hand zu haben. Noch während der weiteren Analyse stellte er das Autofahren ein, nachdem er einen Taxifahrer gefunden hatte, dem er vertrauen konnte und bei dem er bestimmen konnte, welcher Weg zu fahren sei. Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

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Die Konfrontation mit den Folgen körperlicher Einschränkung, die ich meinem Patienten zugemutet habe, entsprach der Ausübung fürsorglicher Autorität. »Autorität überhaupt« (vgl. S. 43) hat sich in dieser Beziehung zwischen einem jüngeren Analytiker und einem älteren Patienten hergestellt. Allerdings war meine Fürsorglichkeit in der beschriebenen Situation von Konkurrenz durchsetzt, worauf der Patient entsprechend reagierte. Die Verantwortungsübernahme von Jungen für Ältere in deren wohlverstandenem Interesse und im Rahmen des Generationenvertrags, filiale Reife, erfordert Verantwortungsbewusstsein, Distanzierung und die Durcharbeitung eigener innerer Konflikte und ist Grundlage mitmenschlicher Solidarität. Das verdrängte Bewusstsein eigener Endlichkeit drängt sich im Alter zunehmend ins Bewusstsein. Ein Ausdruck dafür ist das Gefühl, die Zeit vergehe schneller. Das Alter konfrontiert damit, dass die Verschiebung der Wunscherfüllung in die Zukunft in immer begrenzterem Ausmaß realistisch ist. Die Realität, insbesondere des eigenen Körpers, erfordert die Anerkennung von Abhängigkeit, von Ausgeschlossensein, von Generationsgrenzen, von Verlust und Tod in besonders ausgeprägter Weise. Die Realität des Alters zwingt dazu, so Roy Schafer (1968), sich von den Phantasien von unsterblichen Objekten zu verabschieden und die Jagd nach einem idealen, immer wieder zur Verfügung stehenden Objekt einzustellen. Manische und narzisstische Abwehrmechanismen, mit denen Abhängigkeit und Bedürftigkeit so kontrolliert und abgewehrt werden können, dass menschliche Objekte keine Bedeutung gewinnen, verlieren im reiferen Erwachsenenalter an Kraft und werden bei gelingendem Altern durch zunehmende Anerkennung der Realität des Abschieds ersetzt. Anerkennung der Realität bedeutet »Ent-täuschung« und Desillusionierung und ist eine bedeutende Entwicklungsaufgabe, die im höheren Lebensalter besonders geprüft wird. Wie dargestellt, geht es nicht nur um Abschiede von realen Personen, sondern auch um den Verlust von Fähigkeiten und Funktionen. In einer sich ständig beschleunigenden Gesellschaft werden Kompetenzen älterer werdender Menschen immer rascher entwertet. 66

Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

Ein auf der Basis von verlässlichen Beziehungserfahrungen ausreichend gut entwickeltes Selbstwertgefühl mit ausreichend guten internalisierten Objektrepräsentanzen ermöglicht den Verzicht auf ständig neue narzisstische Bestätigung von außen und erlaubt es in der Regel, die Abschiede des Alters ohne allzu starke Verleugnung und ohne das Gefühl vernichtender Angst erleben und adäquat betrauern zu können. Grotjahn (1994) drückt den mit dem Abschiedsschmerz verbundenen Neid offen aus: »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass meine Freunde morgen die Sonne genießen und mit Freude frühstücken werden und ich nicht dasselbe tun kann« (S. 122 f.).

Selbstbestimmung im hohen Lebensalter

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11 Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit, in der Arzt-Patient-Beziehung und in der Psychoanalyse

Wenn über den Körper nicht wie selbstverständlich und gewohnt selbstbestimmt verfügt werden kann, wenn Schmerzen und Unwohlsein herrschen oder wenn psychische Veränderungen, etwa solche der Wahrnehmung, der Stimmung, des Erinnerungsvermögens oder der Denkprozesse, auftreten, sind die Betroffenen beunruhigt und suchen nach Erklärungen für das Beunruhigende, die zur Grundlage subjektiver Krankheitskonzepte und einer subjektiven »Krankheitslehre« werden. Allein die Bezeichnung eines zuvor namenlosen Symptoms kann dieses als etwas Bekanntes und damit weniger Beunruhigendes erscheinen lassen und beinhaltet den Ansatz seines Verständnisses. Hat ein Mensch zum Beispiel heftige Bauchschmerzen und fürchtet das Schlimmste, sucht er einen Arzt auf, der ihn untersucht, und hofft, dass der Arzt seine Not versteht, die Krankheit benennen kann und Besserung in Aussicht stellt. Patient und Arzt nehmen damit basale Beziehungserfahrungen aus frühester Kindheit auf, wenn sich das Kleinkind vor Schmerz schreiend an seine Mutter wendet und dadurch Erleichterung erfährt, dass diese den Schmerz zunächst mittels Einfühlung zu lindern vermag. Die Kenntnisse, über die sie aufgrund ihrer lebensweltlichen Erfahrung verfügt und die sie in dieser Situation einsetzt, stellen eine frühe Triangulierung her und vermitteln dem Kind die Erfahrung, dass mit Einfühlung gepaartes Verstehen hilfreich ist und Not lindert. Die Erwartungen eines Patienten an einen Arzt enthalten immer Elemente dieser frühen Beziehungserfahrung, so aufgeklärt der Patient auch sein mag, so viel Information auf gleicher Augenhöhe er sich auch wünschen mag. 68

In der Arzt-Patient-Beziehung generell und in der psychotherapeutischen Beziehung im Besonderen werden Muster lebensgeschichtlich früher Beziehungsqualität mit ihren spezifischen Konstellationen von Selbst- und Fremdbestimmung wiederholt. Prototyp der Arzt-Patient-Beziehung ist die frühe Pflegebeziehung des Menschen. Der zu früh geborene Nesthocker Mensch ist existenziell darauf angewiesen und damit von Beginn seines Lebens an festgelegt, nur als soziales Wesen lebensfähig zu sein. Aus dieser frühen Beziehung erwachsen göttliche Vorstellungen. Die Pflegeperson erscheint allmächtig, von ihr ist der Säugling existenziell abhängig. Spiegelbildlich wird ihm selbst Allmacht vorgetäuscht, wenn es »His Majesty the Baby« zum Beispiel durch ein Lächeln gelingt, Entzücken in seiner Umwelt auszulösen. Diese frühen verinnerlichten Beziehungserfahrungen gehen in den Umgang mit Krankheitssymptomen, die das Bedürfnis nach Wiederherstellung der Gesundheit erzeugen, mit ein. Ärzte fühlen als menschliche Wesen unvermeidbar mit ihren Patienten mit und müssen sich zugleich distanzieren, um professionell handlungs- und überlebensfähig zu bleiben. Nähe und Distanz müssen ständig neu justiert werden. Diese unumgängliche Aufgabe des Mitfühlens und des Sichdistanzierens wird auf sehr unterschiedliche, allzu oft leider auch zynisch-abwehrende Weise gelöst. Eine sich aus diesen Erfahrungen entwickelnde taktvoll-teilnehmende und zugleich reflektierende, Distanz wahrende und Abstinenz ermöglichende, für den Anderen Verantwortung übernehmende Haltung ist eine wertvolle Basis und ein Modell für die Entwicklung einer psychoanalytischen Haltung. Das Krankheitsverständnis, das sich aus den Erfahrungen in diesen zwischenmenschlichen Begegnungen ergibt, widerspricht dem naturwissenschaftlichen Maschinenmodell ebenso wie dem Modell der nomothetischen Psychologie. In der Arzt-Patient-Interaktion geht es neben der sachlichen Abklärung nämlich auch um emotionale Bedürfnisse. Das Beunruhigende, das Angstauslösende, das mit den Symptomen, die zum Arzt führen, verbunden ist, soll aufgelöst werden. Der Patient wünscht Entlastung von Angst. Selten hört er daher Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit

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vom Arzt eine Aussage wie »Ich weiß auch nicht«. Die Sozialisation des Arztes entspricht weitgehend diesem ubiquitären Wunsch ihrer Patientinnen und Patienten. Der Arzt selbst wirkt als »Droge Arzt«, wie der Psychoanalytiker Michael Balint (1957) schrieb. Mit dieser Wirkung ist ein großer Teil der Placeboeffekte zu erklären. Als »Halbgötter in Weiß« wurden die Mediziner in den 1970er Jahren kritisch beschrieben. Trotz einer weitgehenden Überwindung patriarchaler Abhängigkeiten, oft allerdings auch um den Preis von verzweifelter Orientierungslosigkeit, ist gerade in Momenten großer Hilflosigkeit das Bedürfnis kranker Menschen nach Anlehnung groß. Auch ein benevolenter Paternalismus steht heute allerdings unter dem Generalverdacht des Machtmissbrauchs. In der Arzt-­PatientBeziehung zeigt sich jedoch sehr deutlich ein regressives Bedürfnis, das neuerdings als »human branding«, als »Personenmarke des Chef­ arztes«, versucht wird zu restituieren und zugleich auszubeuten. Seit der Aufklärung sucht man nach rationalen, logischen Erklärungen für alle Phänomene. Ein wichtiger Schritt bei der Entwicklung eines naturwissenschaftlich dominierten Krankheitsverständnisses war die Überwindung des Tabus der Leichenöffnung. Jetzt durfte nachgesehen werden, was im Körper eines Verstorbenen geschehen war und den Tod verursacht hatte. Dieser eindringende, den Leichnam des Anderen öffnende Eingriff, naturgemäß ohne Zustimmung des Leichnams, ein Tabubruch, war ein entscheidender Durchbruch zu einer enorm erfolgreichen Medizin, in der allerdings der Mensch allzu häufig rein mechanistisch, ohne Seele, verstanden wird. Die Technik- und Wissenschaftsgläubigkeit der Medizin nimmt ihrerseits wieder religiöse Züge an. Horst-Eberhard Richter (1979) hat die von Machbarkeits- und Allmachtsphantasien geprägte zugrunde liegende Haltung als Gotteskomplex beschrieben. Auch heute, lange nach der Aufklärung, im Zeitalter der Moderne und Postmoderne, mit ihrer diagnostischen Dominanz bildgebender Verfahren, denen ihrerseits wieder zauberhafte Potenz zugeordnet wird, wirken magische Erklärungsmuster von Krankheiten unterschwellig weiter. Offenbar stecken in allen von uns heute Lebenden 70

Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit

Erfahrungen unserer Vorfahren und wirken weiter. In seelischer Not folgen die einfachsten Krankheitserklärungen dualistischem Denken: gut/böse, krank/gesund. Dies entspricht frühen Spaltungsmechanismen, die in bedrohlich erscheinenden Situationen eine erste Orientierung bieten und Sicherheit vermitteln. Erkrankungen und ihre Symptome haben intrapsychisch dann zum Beispiel die Funktion böser Objekte. Sie werden mit bewussten und unbewussten Phantasien und Bedeutungszuschreibungen zu entsprechenden Repräsentanzen verknüpft, die sich auf die Lebenswelt und damit auch auf den Umgang mit der Krankheit auswirken, wie ich es an Diabetes-Patienten beobachten konnte. Durchaus aufgeklärte Patienten und Patientinnen hatten neben ihrem rationalen Wissen zum Beispiel Vorstellungen von kleinen Tierchen, die in jeder Zelle nagen, oder von einem großen Gepäckstück, das sie mit sich herumschleppen müssen, usw. Reifere Verarbeitungsmechanismen erlauben es, mit Krankheit verbundene Phänomene wie Schmerz und Angst auch als sinnvolle Warnsignale und nicht nur als lästige, sofort abzustellende Symptome zu interpretieren, was sich auf den Umgang mit Krankheiten und Therapieempfehlungen auswirkt. Mit der Überwindung der Spaltung kann Realität anerkannt und Trauerarbeit möglich werden. Sie ist insbesondere bei Krankheiten erforderlich, deren Verlauf keinen Status quo ante, keine Restitutio ad integrum, erwarten lässt. Mit ihrer Hilfe können schmerzhafte, durch die Krankheit erforderlich gewordene Separations- und Loslösungsprozesse, Erfahrungen des Verlustes und des Alleinseins, ertragen werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte 1946 Gesundheit als einen Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein als Fehlen von Krankheit und Gebrechen. Diese Definition ist sehr allgemein gehalten und enthält die Begriffe Wohlbefinden und Krankheit, die ihrerseits nicht definiert sind, was oft Kritik hervorrief, ihrer weiten Verbreitung aber nicht schadete. Ein so allgemein formuliertes Ziel entspricht einer Utopie. Psychoanalytisch betrachtet entspricht vollkommenes Wohlbefinden einem primärnarzisstischen Zustand, wobei man sich Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit

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unter Psychoanalytikern weitgehend einig ist, dass damit nicht eine Rückkehr zu einem ursprünglichen Zustand gemeint ist. Die WHO modifizierte dann 1986 in der Ottawa-Charta ihre Gesundheitsdefinition: »Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen […]. Grundlegende Bedingungen und konstituierende Momente von Gesundheit sind Frieden, angemessene Wohnbedingungen, Bildung, Ernährung, Einkommen, ein stabiles Öko-System, eine sorgfältige Verwendung vorhandener Naturressourcen, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit« (1986, S. 1 f.). Hier wird nicht mehr von Gesundheit, sondern von einem Prozess der Gesundheitsförderung gesprochen, der auch für psychoanalytische Behandlungsziele gelten kann: Der Patient soll von neurotischen Einschränkungen befreit ein höheres Maß an Selbstbestimmung erlangen, was zur Stärkung seiner Gesundheit beiträgt. Wer sich selbst als Produzent oder Koproduzent psychischer Krankheit zu erkennen vermag, hat die Fähigkeit gewonnen, Schmerzhaftes zu integrieren, und die Freiheit, sich selbst zu ändern. Dieser befreienden Einsicht geht in Psychoanalysen meist ein langer schmerzhafter Entwicklungsprozess voraus, in dem unter anderem manche Krankheitssymptome als bestmögliche und daher sinnvolle Konfliktlösungen verständlich werden. Damit erweitern sich die Selbstbestimmungsmöglichkeiten. Eine dem psychoanalytischen Krankheitsverständnis in dieser Weise inhärente sinnstiftende Kausalzuschreibung seelischer Erkrankung ist der Medizin und Psychologie weitgehend verloren gegangen. In der ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO), auch für das deutsche Gesundheitswesen über das Sozialgesetzbuch verbindlich, wurden Neurosen, die auf einen Kausalitätszusammenhang mit prägenden Lebenserfahrungen und unbewussten Konflikten verweisen, bereits 1991 gestrichen. Seither wird nicht mehr von psychischen Erkrankungen, sondern von »Störungen« gesprochen, die rein deskriptiv anhand von Symptomlisten, Symptomkombinationen 72

Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit

und Zeitdauer definiert werden. Der Anspruch, individuelle Ursachen seelischer Erkrankung zu erkennen, wurde aufgegeben. Interessanterweise wird in der ICD bei allen anderen Organsystemen der Krankheitsbegriff weiter verwendet. Ein Ohr, ein Herz, eine Lunge, ein Magen und ein Bein etwa können auch heute noch erkranken, eine Seele nach der ICD nicht mehr, sie ist »gestört«, was sonst nur noch auf das Immunsystem zutrifft. Rein phänomenologisch beschriebene Störungen von Funktionsabläufen, die behoben werden müssen, basieren auf einem mechanischen Bild der Seele. Es führt zu einer »Checklistenpsychiatrie« (Frances, 2013, S. 54). Aus kranken Menschen, die Symptome unbewusst selbst produzieren, aber nicht selbst bestimmen, werden Merkmalsträger, die von Störungen bestimmt werden. Mit Krankheit verbinden sich aber Geschichte und Leiden und damit das Erleben des Kranken, des leidenden Patienten, der sein jeweils subjektives Krankheitskonzept entwirft. Die »Ausgrenzung des homo patiens« (Schultz-Nieswandt, 2012) verfolgt das Ziel, Krankheit auszublenden. Leiden und Schmerz sind zum Beispiel im zertifizierten »schmerzfreien Krankenhaus« abzuschaffen. Mit der Pathologisierung von Trauer, wie sie das DSM-5 ab dem 15. Trauertag vornimmt, wird dem seelischen Schmerz die Würde genommen. Müller-Eckhard (1951) warnte vor dem Furor sanandi der modernen naturwissenschaftlichen Medizin, der gegen »die menschlichste, wichtigste und notwendigste Leistung, die es gibt«, nämlich das Krankseinkönnen, gerichtet ist. In der öffentlichen Wertediskussion wird der mit Störungsfreiheit verbundenen scheinbaren Selbstbestimmung des Individuums ein immer größerer Stellenwert zugemessen. Es ist nicht mehr vorgesehen, sich vertrauensvoll auf einen Anderen zu verlassen. In einem ökonomisierten Gesundheitswesen – heute wird von »Gesundheitswirtschaft« gesprochen – wird aus dem an einer Krankheit leidenden Patienten der Kunde, der eine zu behebende sinnlose Störung meldet. Aus den Heilberufen sind Gesundheitsberufe geworden. In einem medizinischindustriellen Komplex wird standardisiert, normiert, die Behandlung Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit

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automatisiert, manualisiert, zeitgetaktet und kalkuliert und immer weniger vom Subjekt selbst bestimmt oder auf es abgestimmt. Eine Kollegin betreut eine schwer kranke Patientin mit ­Anorexia nervosa in einer letalen Situation. Nach jahrzehntelangen erfolg­losen therapeutischen Bemühungen, einschließlich einer Psychoanalyse, wiegt sie heute 28 Kilogramm. Ihr ist bewusst, dass sie sterben wird. Die Therapeutin behandelte sie über viele Jahre und hat intensiv mit der Patientin über die Entscheidung zu sterben gesprochen. Sie sieht ihre Aufgabe jetzt darin, die Patientin dabei zu begleiten. Der freie Wille der Patientin wird in einer Falldiskussion von Ärzten infrage gestellt und die Notwendigkeit einer Betreuung gesehen. Es gehöre zur ethischen Verantwortung, lebensrettend tätig zu werden. Die Ärzte sehen eine Einschränkung des freien Willens der Patientin und begründen dies sowohl mit den bei diesem Gewicht eingeschränkten Hirnfunktionen als auch mit dem für diese Erkrankung charakteristischen Autonomiewahn. Andere Kollegen sehen hingegen die Autonomie der Patientin als schützenswertes Gut, das aus ethischen Gründen nicht verletzt werden dürfe.

Diesen unterschiedlichen Einschätzungen liegen unterschiedliche berufliche Entwicklungen zugrunde. Das Verständnis der Patientenautonomie, das hier vorwiegend die Einschätzung der Psychologen leitet, übergeht das selbstdestruktive, lebenszerstörende Potenzial der Patientin. Die Tatsache, dass der Erhalt des Lebens Voraussetzung für jede annähernd autonome Entscheidungsmöglichkeit ist, ist nicht im Blick. Sich für den Erhalt des Lebens einzusetzen und zerstörerischen Tendenzen entgegenzuwirken, entspricht dagegen ärztlicher Ethik. Psychotherapeutische Beziehungen sind geprägt von Projektionen, Identifizierungen und projektiven Identifizierungen. Wir wissen, dass unbewusste Verwicklungen zu Einschätzungen mit weitreichenden Folgen führen können. Die psychoanalytische Reflexion dieser Beziehungserfahrungen in existenziellen Extremsituationen ist in dieser Hinsicht besonders erkenntnisgenerierend. 74

Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit

Die psychoanalytische Beziehung ist dadurch gekennzeichnet, dass der Patient den inneren Raum seiner Gedanken, Phantasien, Träume und Assoziationen dem Psychoanalytiker mitteilt. Dieser wird auf bewusst wahrgenommener wie auch auf vielfältig unbewusster Ebene angesprochen und korrespondiert mit dem Patienten sprachlich, mimisch, gestisch und szenisch. Die in Kapitel 3 beschriebene Kontaktschranke ist Produkt dieser Begegnung. Ihre modifizierte reife Funktionsweise ermöglicht Einsichten und Veränderungen in der therapeutischen Beziehung, Einsichten, die dann auch außerhalb wirksam werden können. Um diesen einzigartigen Austauschprozess zu ermöglichen, ist die Vereinbarung eines sicheren Rahmens im Sinne eines von beiden Seiten gewollten und selbstbestimmten Behandlungsvertrags erforderlich. Dieser Rahmen schützt und muss seinerseits geschützt werden. Er ermöglicht zum Beispiel regressive Prozesse, die nicht vereinbar sind mit dem Eindringen eines Dritten, der, wie die internationalen Internetkonzerne aus kommerziellen Gründen, gerade am Innersten des Menschen interessiert ist. Es gilt, die von Analytiker und Patient vertraglich geregelte Selbstbestimmung zu erhalten und von Fremdeinflüssen und Fremdbestimmung freizuhalten. Psychoanalytiker sollten sich intensiv mit der eigenen Begrenztheit und ihren Unvergänglichkeitsphantasien auseinandersetzen (Junkers, 2013). Ihr unreflektierter Wunsch nach ewiger Jugend kann Grundlage dafür sein, die Behandlung jüngerer Patientinnen und Patienten, an deren seelischem Leben die Analytiker teilhaben, nicht zu beenden. Psychoanalytiker entwickeln die oft projektive Vorstellung, ihre Patienten könnten ohne sie nicht leben. Die Teilhabe kann eine vampirhafte Qualität annehmen, wenn der Analytiker nicht ohne Patienten sein kann. Der Verdacht, dass es eher um eigene Bedürfnisse als um die Sorge für die Patienten geht, wird durch die Tatsache erhärtet, dass nur ganz wenige Kolleginnen und Kollegen Vorsorge in Form einer Praxisverfügung für den Fall treffen, dass sie unvorhergesehen ihre Patienten morgen nicht mehr empfangen können, obwohl alle wissen, dass dies sinn- und verantwortungsvoll wäre. Selbstbestimmung und Abhängigkeit bei Krankheit

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12  Abschließende Bemerkungen

Die Selbstbestimmung des Individuums und seine eigene Wirkmäch­ tigkeit hängen von der Anerkennung des Eingebundenseins in Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten ab. Wir streben lebenslang nach selbstbestimmter Wirksamkeit und stoßen an Grenzen, die wir zu erweitern suchen. Letztlich muss die Begrenzung der Selbstbestimmung respektiert werden. Dies gilt für das Individuum, um dessen Selbstbestimmung und ihre Grenzen es in diesem Buch geht, es gilt aber ebenso für die Begrenzung des vom Menschen entwickelten technisch Machbaren in einem bedrohten Ökosystem. Bewusste Verantwortung für dieses System als Grundlage menschlichen Lebens erfordert Demut und Pflege als kulturelle Leistungen (vgl. H. Böhme, 2016). Möglichkeiten und Grenzen individueller Selbstbestimmung wurden unter psychoanalytischen Gesichtspunkten reflektiert. Ausgangspunkt waren entwicklungspsychologische Erkenntnisse, die zeigen, wie früh Selbstbestimmung in bestimmten Lebensbereichen möglich ist und gelebt wird. Wodurch ein Individuum als Teil einer Gruppe und in seiner Selbstbestimmung sowohl erweitert als auch begrenzt wird, ist eine immer wieder neu zu stellende Frage. Spannend sind auch die immer noch existierenden geschlechtsspezifischen Differenzen der Selbstbestimmung. Die Begrenzung der Selbstbestimmung wird besonders deutlich, wenn es um Abschiede, insbesondere endgültige, nicht selbst gewünschte Abschiede geht. Autoritäten sind für die menschliche Entwicklung lebenslang notwendig. Oft missbrauchen Personen, denen Autorität verliehen wird, allerdings ihre Macht. Die Befreiung aus der Unterdrückung durch 76

machtmissbrauchende Autoritäten ist zur Erweiterung von Selbstbestimmung und Wirkmächtigkeit erforderlich. Gegen sogenannte Lebenstatsachen aber ist jede Auflehnung vergebens, sie dient der Aufrechterhaltung illusorischer, narzisstischer Größenvorstellungen. Suizide, von manchen als Akt letzter und größtmöglicher Selbstbestimmung verkannt, berauben die Betroffenen jeder weiteren Selbstbestimmungsmöglichkeit. Sie sind Ausdruck seelischer Not und Verzweiflung. In gesellschaftlicher Hinsicht wird die Selbstbestimmung in westlichen Gesellschaften ständig gefordert und gefördert. Die gesellschaftlichen Normen werden immer weniger einengend und sind ständig erweitert worden. Dadurch entsteht ein Zwang zur Selbstbestimmung. Gleichzeitig steht der Einzelne gesellschaftlichen Entwicklungen und technologischen Kräften immer ohnmächtiger gegenüber. Im Alter werden Selbstbestimmungsmöglichkeiten insbesondere aufgrund körperlicher Veränderungen eingeengt, und die Gebundenheit des Einzelnen im Rahmen familiärer Beziehungen wird offensichtlich. Durch Krankheit und Behinderung wird die Selbstbestimmung häufig in besonderer Weise beeinträchtigt. In der Beziehung zum Arzt, zum Psychotherapeuten und zum Psychoanalytiker herrschen dadurch besondere Bedingungen für Selbstbestimmung, Wirkmächtigkeit und Abhängigkeit. Dieses Buch möchte dazu anregen, über diese Aspekte weiter nachzudenken.

Abschließende Bemerkungen

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Literatur

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