Sartres Sozialphilosophie: Eine Untersuchung zur “Critique de la raison dialectique 1” 9783111643359, 9783111260433

184 82 19MB

German Pages 210 [220] Year 1966

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Sartres Sozialphilosophie: Eine Untersuchung zur “Critique de la raison dialectique 1”
 9783111643359, 9783111260433

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Sartres phänomenologische Ontologie als Grundlage seiner Sozialphilosophie
II. Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus
III. Vorbegriff der Critique de la raison dialectique
IV. Die Prinzipien
V. Die Entfremdungsstrukturen
VI. Gelingende Sozialität: die Gruppe
VII. Gesellschaft und Staat
VIII. Rückblick auf die Theorie
Personen- und Sachregister

Citation preview

KLAUS

HARTMANN

SARTRES SOZIALPHILOSOPHIE EINE U N T E R S U C H U N G

ZUR

" C R I T I Q U E DE LA R A I S O N D I A L E C T I Q U E

W A L T E R

DE

G R U Y T E R

&

CO.

/

I"

B E R L I N

VORMALS G. J . GDSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG . J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG . GEORG REIMER . KARL J . TRÜBNER . VEIT & COMP.

Ardiiv-Nr. 36 23 661

© 1966 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Gösdien'sche Verlagshandlung • J . Guttentag» Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer * Karl J . Trübner • Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Str. 13 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Budi oder Teile daraus auf photomedianischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen Satz und Druck: H . Heenemann KG, Berlin 31

Vorwort Die vorliegende Untersuchung zu Sartres Sozialphilosophie, im wesentlichen also zu seinem Werk „Critique de la dialectique I " , ist aus einer Vorlesung und einer Seminarübung entstanden. Die einer Vorlesung gemäße, allgemein gehaltene Hinführung zum Thema ist bewußt beibehalten worden — ein Umstand, der vielleicht der Lesbarkeit zugute gekommen ist, aber auch der Absicht entspricht, in Sartres Lehre eine aus grundsätzlichen Problemen hervorgewachsene und eine systematische Betrachtung rechtfertigende Position zu sehen. Für die Betrachtung von Sartres phänomenologischer Ontologie als Grundlage seiner Sozialphilosophie im I. Kapitel kann sich die Untersuchung auf meine „Grundzüge der Ontologie Sartres in ihrem Verhältnis zu Hegels Logik" stützen und bietet daher in diesem Teil nur eine kurzgefaßte Interpretation. Im übrigen ist auch für die darauffolgende Behandlung der eigentlichen Sozialphilosophie Sartres deren Verhältnis zur Hegeischen Philosophie des Geistes, oder allgemeiner, deren Charakter als Hegel verwandte Transzendentalphilosophie bestimmend. Die Literatur zu Sartres „Critique de la raison dialectique" hat dem Werk im allgemeinen nicht den Charakter einer in sich geschlossenen, systematischen Transzendentaltheorie des Sozialen eingeräumt. Sie verhält sich weitgehend polemisch — wir denken an Kempski1 und Zehm2 —, wirft Sartres Eklektizismus vor — so H.Mayer® oder Schaff4 — oder greift theoretische Schwierigkeiten auf, ohne den Charakter der Gesamttheorie zu untersuchen — wir denken wiederum an Zehm, der Sartre von Bloch her kritisiert, aber auch an Nauta*, Kwant', Waidenfels7 und G. Gurvitch8. Vielfach geht die Kritik vom Marxismus aus — so bei Schaff, Garaudy', Lefèbvre 10 , und auch R. Aron bezieht Sartres Werk wesentlich auf den Marxismus und hält es von daher für unvollkommen" —, oder steht unter der verwandten vorgefaßten Jürgen von Kempski, Brechungen, Reinbek 1964, 200-217. Günter A. Zehm, Historische Vernunft und direkte Aktion, Stuttgart 1964, 175-193. » Hans Mayer, Ansichten, Reinbek 1962, 139-154, bes. 149. 4 Adam Schaff, M a r x oder Sartre?, Wien 1964, 37-49, bes. 49, 110. 5 Lolle Nauta, in Archiv für Philosophie 1 3 / 1 - 2 (Dez. 1964). « R . C . Kwant, in Tijdschrift voor Philosophie 22, 4 (Dez. 1960) 617-676. 7 Bernhard Waldenfels, in Philosophische Rundschau 12, 1-2 (Juni 1964) 25-41. 8 Georges Gurvitch, Dialectique et Sociologie, Paris 1962, 157-178, cf. 30, 182. 9 Roger Garaudy, in Marxisme et Existentialisme, Paris 1962, 27-43. 1 0 Henri Lefèbvre, Marx, sa vie, son oeuvre, Paris 1964, 2 2 - 2 7 . 1 1 Raymond Aron, in Figaro Littéraire 29. X . - 4 . I X . 1964. 1

2

Meinung, daß Sartre von Geschichte statt von Sozialphilosophie spreche — so Lichtheim12 —, so daß das systematische Thema Sartres verdeckt wird. Eine nähere Untersuchung der „Critique de la raison dialectique" als transzendentale Theorie scheint noch nicht versucht worden zu sein. Gurvitdi betrachtet allerdings Sartres Methode, und sieht sie in einer bestimmten Form der Dialektik, verurteilt aber gerade — unter dem dodi nur morphologischen Gesichtspunkt, daß die Dialektik bei Sartre „aufsteigend" sei, — die transzendentale Absicht. Kopper 13 gibt eine transzendentale Deutung des Werkes, bei ihm ist aber ein eigentümliches Verständnis leitend (wie es sich auch in anderen Werken dieses Autors findet14): das Moment des SozialPluralen tritt gänzlich zurück zugunsten einer Auslegung auf der Ebene des Selbstbewußtseins als Prinzip; das Sozialphilosophische erscheint gleichsam als Mangel der Theorie, die eigentlich nur als Theorie des Geistes zählt. Wilfred Desans neues Buch15 konnte im Text nicht mehr berücksichtigt werden, und so sei hier kurz darauf eingegangen. Desan wendet sich gegen eine hegelianisierende Interpretation Sartres16, womit er wohl auch des Verfassers früheren Versuch zu Sartres Ontologie ablehnt, zeigt sidi indessen aufgeschlossener für Hegel als in seiner früheren Sartre-Interpretation 17 . Und doch ist das neue Buch über Sartre „Critique" weniger theoretisch aufklärend als vielmehr paraphrasierend. Bei aller willkommenen Heraushebung einzelner Gedanken wird die Lehre Sartres jeweils als eindrucksvolle These oder Konzeption behandelt, dabei auch auf frühere Positionen und andere Einflüsse bezogen, aber nicht als Theorie durchleuchtet. Was uns (mit Kopper) als Inanspruchnahme eines gründenden und erklärenden Prinzips erscheint — des Menschen als Praxis —, wird als Festhalten an der Cartesianischen Subjektivität gedeutet. Unser Versuch weicht somit von dem Desans stark ab. Neuerdings hat Theunissen18 im Rahmen einer umfassenden Untersuchung zum Thema des „Andern" auch Sartres „Critique" in einem Exkurs behandelt. Dem Autor geht es in seinem Werk um Sozialontologie, die er begrenzt auf das „vorgesellschaftliche Verhältnis zum Andern" 10 , während wir uns nicht an eine solche Sozialontologie binden noch binden können, sondern Sozialphilosophie in einem weiteren, gesellschaftlichen Sinne bei Sartre zum Thema haben. Theunissen zieht bei seiner Themenstellung verständlicherweise Sartres „L'être et le néant" als Modelltext vor 20 ; sein Exkurs über die 12 13 14

15 19 17 18 19 20

G. Lichtheim, in History and Theory III, 2 (1963) 222-246. Joachim Kopper, in Kant-Studien 53, 3 (1961/62) 351-383. Cf. Dialektik der Gemeinschaft, Frankfurt a. M. 1960, Transzendentales und dialektisches Denken, Ergänzungsheft 80 der Kant-Studien, Köln, 1961. The Marxism of Jean-Paul Sartre, N e w York, 1965. a.a.O. 52, Anm. 21. The Tragic Finale, Cambridge, Mass., 1954. Michael Theunissen, Der Andere, Berlin 1965. ebda. 6 f. ebda. 230.

„Critique" pointiert entsprechend die dem Thema Idi-Anderer noch am nädisten stehenden Partien. Wir verweisen auf unsere nach Fertigstellung des Manuskriptes eingefügten Anmerkungen zu Theunissen im Text. So scheint es denn, daß eine nähere Untersuchung des Sartreschen Werkes als Sozialphilosophie, und zwar als transzendentale Sozialphilosophie, angezeigt ist, wenn auch in Kauf genommen werden muß, daß so manche aktuelleren Beobachtungen, Sartres sowohl wie seiner Kritiker, in dieser Untersuchung zurücktreten. Der Vorwurf, daß mit unserer Absicht eine rückschrittliche, von der konkreten Geschichte und von marxistischen Problemstellungen zu Unrecht sich entfernende Position bezogen ist, kann nur durch eine systematische Interpretation der „Critique" entkräftet werden. Das beabsichtigte Verständnis des Werkes erscheint dann vielleicht nicht als noch ein weiterer „Anschnitt", sondern als die sachlich geforderte Untersuchung einer Theorie, und zwar einer Theorie des Sozialen als Theorie der Praxis. Die Sekundärintention auf ein Buch über Praxis muß, wie dieses selbst, theoretisch sein. Ich möchte an dieser Stelle meinen Studenten in Bonn f ü r ihre Diskussionsbeiträge und dem Verlag für sein großes Entgegenkommen danken.

Klaus Hartmann,

Bonn, im Juli 1965.

Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Sartres phänomenologische Ontologie als Grundlage seiner Sozialphilosophie 1. Hinführung zu Sartres Ontologie 2. Der Begriff vom Menschen 3. Der Andere 4. Das Verhältnis zum Andern als Identifikation II. Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

Seite 1 8 9 13 26 32 38

III. Vorbegriff der Critique de la raison dialectique 1. Das Verstehen 2. Die Idee einer strukturellen Anthropologie 3. Das Problem des Grundes 4. Die Entfaltung des Grundes

50 52 54 57 62

IV. Die Prinzipien 1. Die Praxis 2. Reziprozität 3. Die Knappheit 4. Die träge Materie

68 68 77 86 95

V. Die Entfremdungsstrukturen 1. Die entfremdete Arbeit 2. Das Eigentum 3. Die Klasse VI. Gelingende Sozialität: die Gruppe 1. Die Gruppe als Prinzip 2. Die Stabilisierung der Gruppe als sozialen Gebildes 3. Die Konkretion der Gruppe VII. Gesellschaft: und Staat 1. Gruppe und Gesellschaft 2. Der Staat als Gruppe 3. Übergang zur Geschichte

107 107 113 123 135 135 144 151 160 160 163 170

VIII. Rückblick auf die Theorie 1. Die Theorie als immanente 2. Kritik der Theorie als immanenter 3. Die Theorie im Verhältnis zum Marxismus 4. Schluß

178 180 184 193 199

Personen- und Sachregister

202

Einleitung Das Thema „Sartres Sozialphilosophie" mag dem einen oder andern als Tribut an die Aktualität erscheinen. Muß eine Kommentarliteratur Sartre so dicht auf den Fersen folgen und zu Universitätsphilosophie machen, was er vielleicht gar nicht als Philosophie verstanden wissen will? Aber es bedarf keiner Apologie. Es ist ein Faktum, das sich äußerlich allerdings nur an der Stärke eines Buches ablesen läßt, daß Sartre eine ausführliche Sozialphilosophie entwickelt, ja man kann sagen, einen neuen Typ solcher Philosophie aufgestellt hat. Dieser Typ von Sozialphilosophie hat also über Sartres Person und schriftstellerische Tätigkeit hinaus sachliches Interesse. Wenn die Themenstellung so abgesichert ist, dann darf aber auch die Aktualität zu ihrem Recht kommen. Man spürt heute so etwas wie eine Differenzierung in eine wissenschaftliche Betrachtung der Gesellschaft an den Universitäten, in Forschungsinstituten, oder auch eine Popularisierung solcher wissenschaftlichen Betrachtung einerseits, und eine modische „linke" Unterströmung — nicht notwendigerweise nicht an den Universitäten — andererseits, die sich schwerlich durch eine eigentliche Gesellschaftslehre oder Sozialphilosophie (im Untersdiied zum offiziellen Marxismus) belegen läßt, vielmehr unsystematisch, essayistisch ist bei mehr oder weniger vager marxistischer Orientierung. Hier entspräche es also intellektueller Redlichkeit, sich solcher Perspektiven am Beispiel einer durchgeführten Sozialphilosophie erst einmal zu versichern, wodurch natürlich systematische Bemühungen in diesem Feld nicht entbehrlich gemacht sind. Sartres Sozialphilosophie hat nun die Auszeichnung, eine unter methodischen Gesichtspunkten stehende Durchführung einer „linken" Sozialphilosophie zu sein — sie übertrifft darin alles Bisherige —, und so ist sie zur Gewinnung eines Urteils über diesen ganzen Komplex „linker" Vorstellungen höchst bedeutsam und lehrreich. Darüber hinaus kann sie jedoch Anspruch machen auf einen wichtigen Platz in der philosophischen Theorie des Sozialen im allgemeinen. Es ist zweifellos — die Untersuchung wird das zu belegen haben —, daß Sartres Sozialphilosophie in der „Critique de la raison dialectique" als philosophische Theorie des Sozialen transzendentalen Charakter hat. Unter diesem Gesichtspunkt soll hier im folgenden das Werk untersucht werden. Im Hinblick auf dieses Vorhaben mag es angängig sein, eine kurze, ganz untechnische Besinnung auf Sozialphilosophie im allgemeinen anzustellen,

2

Einleitung

um uns — ohne jede Absicht, diesem philosophischen Bereich in seiner Vielfalt gerecht zu werden — dem Gedanken einer transzendentalen Behandlung des Sozialen zu nähern 1 . Wir werden uns im übrigen darüber klar sein müssen, daß Sartres „Critique" nicht in üblicherweise den Begriff der Sozialphilosophie erfüllt, sondern durch ihr Verfahren erst definiert, als was sie genommen werden will. Der Begriff „Sozialphilosophie" dient uns nur als Hilfsbegriff. Zum anderen müssen wir untersuchen, wie Sartre zum transzendentalen Gedanken Zugang hat. Wir werden dafür anknüpfen an Sartres „phänomenologische Ontologie", die im wesentlichen in „L'être et le néant" vorliegt. Es ist unsere Auffassung, daß auch diese Position transzendentalen Charakter hat, aber es ist ein transzendentaler Charakter eigner Art, den wir betrachten müssen. Vordergründig scheint es sich hier um eine Paradoxie zu handeln, insofern die Lehre von „L'être et le néant" eine individualistische Philosophie der Freiheit und Existenz genannt werden kann. Gab es einen Weg für Sartre, von dort zur Sozialphilosophie zu kommen? Kann dort schon die Vorstufe hierfür liegen? Wenn wir aber den transzendentalen Charakter von „L'être et le néant" in Rechnung stellen, müssen wir uns fragen: was für eine transzendentale Sozialphilosophie mußte sich von dort her ergeben, wenn wir eine Kontinuität des Sartreschen Denkens unterstellen? Nehmen wir unsere erstere propädeutische Frage vor. Der Begriff „Sozialphilosophie" ist ein neuerer lexikographisdier und bibliographischer Begriff. Er impliziert, daß man die Philosophie auf Gegenstandsbereiche bezieht und aufteilt nach dem, wofür sie eine philosophische „Behandlung" liefern soll. So wie es das „Soziale" als Gegenstandsbereich gibt — die Pluralität der Menschen, die irgendwie zusammenleben —, so soll, so scheint es, die Philosophie sich dazu äußern. Die Philosophie? Stellt sie also doch auch etwas Einiges dar? Könnte das Soziale durch sie in einen Zusammenhang gebracht werden mit anderem — also doch wohl mit „dem" Menschen —, und zwar so, daß die Philosophie ein Einiges bleiben könnte? Ergibt sich von daher 1

Unsere Themenstellung unterscheidet sich damit, wie sdion im Vorwort geltend gemacht, von der Theunissens, der Sozialontologie in der genannten thematisdien Beschränkung zum Gegenstand seiner (allerdings nicht auf einen Autor allein gehenden) Untersuchung macht. Man könnte sagen: wenn Theunissen eine thematische Beschränkung vornimmt — auf die Ich-Anderer-Beziehung —, aber mit dem Ziel einer Sozialontologie mehrere Methoden berücksichtigt und für Sozialontologie auswertet — Transzendentalphilosophie, Philosophie des Dialogs, Ontologie, Soziologie —, so unterwerfen wir uns, abgesehen von der Eingrenzung auf Sartre, einer methodischen Beschränkung auf die transzendentale Betrachtungsweise (die wir allerdings nicht wie Theunissen wesentlich an Husserl orientiert verstanden wissen wollen). Thematisch behalten wir die sozialphilosophische Intention auf „duale" sowohl wie gesellschaftliche Beziehungen und — wiederum im Unterschied zu Theunissen — objektive Gebilde bei, eine Absicht, gegen deren transzendentale Durchführbarkeit Theunissen Skepsis äußert (Der Andere 6). In gewisser Weise eröffnen wir am Beispiel Sartre erneut die Diskussion, ob diese Skep-

Einleitung

3

ein Hinweis auf das, was das „Philosophische" an der Sozialphilosophie wäre? Das Soziale gestattet selbstverständlich mehrere Arten der Erfassung, und also auch eine nicht-philosophische: wir können die Menschen, die das Soziale ausmachen, unter Begriffe subsumieren, ihre Gliederungen, funktionalen Abhängigkeiten usw. quantitativ erfassen — wir beauftragen damit etwa die Statistik. Schon hier k a n n eine Soziologie ihre Methode erblicken. Oder wir können das Soziale beschreiben — worin vielerlei liegt, ein u. U. komplexes Erfassen, Deuten und Verstehen — wir beauftragen damit zunächst die Literatur, dann aber auch eine (im eigentlicheren Sinne so zu nennende) Soziologie. Diese tut nun allerdings etwas arideres als die Literatur, indem sie Allgemeinheiten, Modelle und Typen erreicht, Gesetzlichkeiten, funktionale Korrelationen, Regelmäßigkeiten, Wahrscheinlichkeiten feststellt und so auch prognostisch von Bedeutung ist. Sie kann dabei an bloßen (gegebenenfalls statistisch zu bewahrheitenden) Gesetzen u n d Relationssystemen interessiert sein, aber bei aller Orientierung am Vorfindlichen auch die Forderung nach einem „Verstehen" stellen (so etwa M a x Webers „verstehende Soziologie") oder nach einer abstrakt formulierbaren Erfassung (wie etwa in G. Gurvitchs „dialektischer Soziologie"). Die Allgemeinheiten, die die Soziologie erreicht, wären keine Festlegung auf eine „wahre" oder unverrückbare Struktur des sozialen Bereichs; sie kann geschichtliche Unterschiede und Unterschiede im Selbstverständnis einer Gesellschaft hinnehmen, wie sie sind, sie beschreiben und „verstehen". Die Philosophie nun sieht den Bereich des Sozialen, der ja nicht ihr Spezialthema ist, wobei die Grenze zur Soziologie verschwimmen würde, irgendwie grundsätzlicher: sie bezieht diesen Bereich, wie wir schon vermuteten, auf „den" Menschen, etwa in der Weise, d a ß der Mensch einerseits, als ontologisdi Selbständiges, Basis f ü r das Soziale ist, andererseits erst unter Hinzunahme der sozialen Dimension voll Mensch ist. Er ist „tcpov jtoXmxov" (Aristoteles) 2 . Das Soziale könnte nun als Teilbereich der Anthropologie ver-

2

sis berechtigt ist. Dabei lassen wir die von Theunissen so eindringlidi dargetane Betrachtung des Sozialen vom Dialogisdien her unberührt; wir neigen stärker dazu, Sartres Position, schon diejenige in E N — die sich noch am ehesten für Theunissens Betrachtungsweise eignet —, als transzendental, und transzendentale Züge bei Sartre nicht als Unvollkommenheit zu verstehen. Theunissen hat in einer Sozialontologie größere methodische Freiheit, die verschiedenen Seiten einer Sadie darzustellen und erfassen, aber die Transzendentalphilosophie will eben auch im Fall dieses experimentum crucis des Anderen und, wie wir hinzufügen würden, der Gesellschaft, verstehen und begründen. Theunissen erreicht unter Einbeziehung des Dialogischen, jedoch unter Ausgrenzung des Gesellschaftlichen, eine Gegenposition zur Transzendentalphilosophie, die sie als nur eine Position erscheinen läßt und zum Ausblick auf eine Vermittlung beider führt (Der Andere, Nachschrift, 483-507). Pol. 1253 a 3. Wenn wir dem Dialogischen nodi vor dem gesellschaftlich-Sozialen Raum geben wollen, so müssen wir das (^tpov) ow8ucumx6v (Eth. Nie. 1162al7)

Einleitung

4

standen werden, wobei „Anthropologie" selbst einen in seinem philosophischen Charakter fraglichen Teilbereich der Philosophie ausmachte. Der Mensch stellte den faktischen Ausgangspunkt einer philosophischen Bemühung um das Soziale dar, der der Intention nach fix und wesensmäßig besdireibbar wäre, aber auch geschichtlich wandelbar gedacht werden könnte und müßte 3 . Es könnte nun sein, daß ein solcher faktischer Anschnitt Wesentliches verfehlt, steht doch der Mensch in Ordnungen, die nicht einfach so oder so „sind", sondern die gültigkeitsdifferent sind — in der Erkenntnis also Wahrheit und Falschheit, im praktischen Verhalten das Gute, das Erlaubte und das Böse —, und das Soziale müßte dann als eine Ordnung begriffen werden, die von einem Seinsollen her gedacht ist. Man könnte etwa sagen, die Sozialphilosophie sei eine erweiterte Ethik, oder ein Bereich der Ethik als Lehre vom Praktischen. Allerdings liegt hier doch der Unterschied zur Ethik, daß diese sich zunächst (entsprechend der von Kant formulierten Frage) damit befaßt, was ich tun soll, oder mit Werten, die für ein Subjekt verbindlich sind — was durchaus „sozial" sein kann, indem ich mich auf andere Menschen beziehe und darin Forderungen unterworfen bin oder Werte anzuerkennen habe 4 —, während die Sozialphilosophie von einer seinsollenden Ordnung von Menschen, gleichsam in ontologischer, neutraler und nicht vom jeweiligen praktischen Subjekt orientierter Perspektive handelt. Aristoteles, bei dem die Differenzierung von Ethik und „Politik" einsetzt, wenn auch die Ethik noch als Teil der „Politik" erscheint5, sieht das Gemeinwesen wesentlich von seinem Zweck her, dem tv ij?)v6, über die bloße Subsistenz hinaus, den die JtöXig ermöglicht, und für die Differenzierung der Disziplinen ist entscheidend die Betonung des Gesetzes als geistigen Ausdrucks der sozialen Ordnung, nicht so sehr unmittelbar die soziale Struktur. Das Gemeinwesen wird zum Rechtsbegriff und zum Gegenstand der Staatslehre 7 .

3

4

5 6 1

voranstellen. S. die Diskussion bei Theunissen, Der Andere 492f. In unserer allgemeinen Einführung in die Sozialphilosophie sehen wir von dieser PaarBeziehung ab. Es ist bemerkenswert, wie wenig ergiebig eine anthropologisch orientierte Philosophie für die Betrachtung sozialer Strukturen gewesen ist. Wir denken etwa an Feuerbachs „Ich und Du" (Sämtl. Werke II, 318, Grundsatz 59), an den frühen Marx (den Menschen als Gattungswesen, Marx Werke, Cotta I, 566f., 597, den gesellschaftlichen Menschen, ebda. 600ff., wobei Marx auch die geschichtliche Variabilität hereinbringt), ferner an Scheler, Heidegger, und an den Sartre von „L'etre et le neant". Zu letzterem s. jedoch unten 8. wobei die soziale Bedingtheit von Werten auch quantitativ betrachtet werden kann. Cf. Ehrenfels' Einführung der Grenznutzenstheorie in die Ethik, System der Werttheorie I, 84. Neuerdings Findlay, Values and Intentions, 240. Eth. Nie. 1 0 9 4 b l l . Pol. 1252b30. Zur „Einordnung der Politik in das ältere Wissenschaftssystem" s. Hennis, Politik und praktische Philosophie, p. 24-34. Cf. auch Strömungen im Neukantianismus

Einleitung

5

Wie es nun auch mit der genaueren Differenzierung der Disziplinen stehen mag, wir halten fest, daß die Sozialphilosophie das Soziale unter dem Gesichtspunkt der „rechten", gültigkeitsdifferenten Ordnung betrachtet, aus der auch für den Einzelnen eine Forderung hervorgeht und durch die er erst voll Mensch ist, so sehr auch andererseits der Einzelne die einzige selbständige Entität ist. Hier gibt es einen breiten Strom der Tradition, von Aristoteles über die Scholastik zu neueren naturrechtlichen Auffassungen. Gedacht ist an einen Stufenbau von Gemeinschaften: Familie, Subsistenzgemeinschaft im Kleinen, dann im Großen (Staat), orientiert am bonum commune. Die Gemeinschaften sind in einer Ordnung miteinander verbunden, die höhere Gemeinschaft ist das jiqoteqov8. Die Möglichkeit, eine solche Philosophie des Sozialen verbindlich zu machen, steht nun in Frage. Soziologie erscheint von hier aus nicht nur als ein anderer „Abschnitt" desselben Themas, sondern auch als ein bescheideneres Unternehmen, das auf philosophische Bemühung ums Soziale verzichtet. Die Soziologie möchte „wertfreie" Aussagen machen, sich nicht festlegen auf ein angeblich Gültiges, an dessen Begründung sie zweifelt, und zwar auf Grund des Wertrelativismus und der geschichtlichen Wandelbarkeit. Die Soziologie ist also immer auch Gegenspieler der Sozialphilosophie als einer Disziplin, die „systematisch" über das Soziale handeln will. Wenn wir im folgenden doch Sozialphilosophie betrachten wollen, so müssen wir uns immer auch den von dort herkommenden Einwänden bewußt bleiben'. Aber auch die Philosophie selbst ist ein Organ der Kritik an der Tradition und an der vermeintlich gesicherten oder zu sichernden Sozialphilosophie. Bleiben wir unserer Aufgabe zufolge beim Thema der Philosophie des Sozialen, und zwar näher der Richtung, die es unter den Gesichtspunkt der rechten Ordnung stellt, so müssen wir fragen: was ist der Grund für die behauptete Ordnung? Reicht es zu sagen, der Mensch sei bedürftig und eine bestimmte soziale Ordnung befriedige die Bedürfnisse, oder ermögliche einen hohen Zweck, das si £fjv, wobei das Nähere dieser Ordnung durch gesunden Menschenverstand oder eine Topik auszumitteln wäre? Oder ist die Ordnung etwas transzendent, von Gott, Gesetztes und deshalb gerechtfertigt? Wir werden auch wohl nicht die bloße Schönheit einer gestalthaften Ganzheit des Sozialen als solcher schon für einen genügenden Grund halten. Kann die behauptete, mit dem Menschen gesetzte Ordnung sich ausweisend Kann die Philosophie eine bestimmte Ordnung bekräftigen? Das bedeutet, und bei davon beeinflußten Denkern (z. B. H . Wagner, Philosophie und Reflexion § 28, w o das Ökonomisch-Soziale als eigner Geltungsbereich neben dem ethischen und dem theoretischen Bereich auftritt), und die eigentümliche dialektische Lösung einer Verbindung der verschiedenen Bereiche in Hegels Philosophie, besonders in der Rechtsphilosophie. 8 So Aristoteles, Pol. 1253a20. • Wir denken etwa an J . Habermas oder an G. Gurvitch.

6

Einleitung

die Philosophie des Sozialen müßte Theorie sein. Sie müßte nicht nur das „Bild" einer Ordnung entwerfen, sondern die Konzeption einer bestimmten Ordnung, ein „normatives Bild", entwickeln, herleiten und beglaubigen von einer Basis aus, die das gestattet, einem zugrundezulegenden „Wesen" des Mensdien etwa oder einer (im Sinne einer Wissenschaft vom Praktischen über den Menschen verfügten) Sollenscharakteristik. Die Bestimmung dessen, was der Mensch ist und sein soll, bzw. tun soll, muß irgendwie eine Bestimmung der sozialen Ordnung implizieren, beides muß begrifflich verwandt sein, eine Gemeinsamkeit oder Kontinuität des Prinzips haben. Wir denken etwa an Piatos Analogie von Mensch und Staat, oder an Hegels Geistbegriff. Hiermit läge dann, nunmehr theoretisch gestützt, eo ipso auch ein Ganzheitstheorem vor. Ein „Höheres", über den Einzelnen Hinausgehendes, wäre maßgebend, das aber in Prinzipienkontinuität mit ihm steht. Ein solcher Konnex von Prinzip und Prinzipiat darf dabei für eine kritische Theorie nicht gleichsam „von außen" gesehen werden, sondern die Fassung des Prinzips oder Grundes muß derart sein, daß „für" das so Gefaßte die Entfaltung zur Konkretion einsichtig wird und gerechtfertigt ist. Damit ist schon auf die transzendentale Fragestellung vorausgedeutet. (Diese transzendentale Fragestellung wird, wie schon antizipiert wurde, bei Sartres Sozialphilosophie zentrale Bedeutung haben10.) Wir haben mit diesen Hinweisen die Sozialphilosophie schon auf eine ihrer Richtungen eingeengt; es gibt jedoch auch andere, nicht an einer normativen bzw. ontologischen Ganzheitsvorstellung festgemachte, oder aus einem Mensch und Sozialverband vermittelnden Prinzipienbegriff hergeleitete philosophische Betrachtungsweisen des Sozialen. Wir meinen solche Philosopheme, die von aller Ganzheitsproblematik absehen und nur allgemein die Forderung nach Harmonie oder nach dem größten Glück der größten Zahl von Einzelnen aufstellen, also von einem gleichsam multiplizierten Individualziel als normativem Element ausgehen. Die dem entsprechende genauere Ordnung muß ausgemittelt werden11. Damit läßt sich die Sozialphilosophie sondern in eine ganzheitliche (unter Berücksichtigung ihres Theoriecharakters „konstruktiv" zu nennende), von einem „Begriff" des Menschen als Ausgangspunkt zu einem Ganzen fortschreitende (etwa Piatos, oder transzendentale Philosopheme wie etwa das Hegels), und in eine am Einzelnen als Einzelnen festgemachte individualistische Sozialphilosophie (etwa die englischen Systeme, eudämonistische Positionen, z.T. auch Aristoteles). So wäre einerseits der Einteilung von O. Spann 10

11

Sartres Sozialphilosophie wird ihrerseits dem Gedanken des jiqöteqov der Gemeinschaft in eigner Weise, durch die transzendental bedingte Priorität des Resultats der Dialektik, gerecht werden wollen. Wir verweisen auf die spätere Darstellung. Wir denken an die Vertragstheorien des Sozialen, konkreter etwa an die Ausbildung eines Reglements für den modernen Parlamentarismus.

Einleitung

7

in universalistische und individualistische Gesellschaftsphilosophie, andererseits dem Gedanken des Apriorischen und Empirischen Rechnung getragen. Die letztere Position wäre empirisch und weitgehend heuristisch und topisch zu entwickeln zu einer Lehre von den Strukturen der Gesellschaft, womit sie sich der Soziologie annäherte, aber auch eine parallele Staatslehre und Staatsreditlehre ausbilden kann. Im Fall der ersteren Position wäre die zu konstruierende Ordnung, bzw. deren Theorie, eine apriorische Extension des dem Menschen zugehörigen, mit ihm gesetzten Normativen, Prinzipiellen. Auch eine Verbindung beider Gedanken ist denkbar, etwa im Marxismus, wo unter der Leitung einer Idee des Menschen gewisse soziale Formen und Gebilde als dieser Idee nicht entsprechend — den Menschen „entfremdend" — angesehen werden und eine Entwicklung vorgezeichnet ist zu einer an sich individualistisch konzipierten Gesellschaft. Die Idee des Menschen bedingt hier doch zumindest eine apriorische Kritik des Sozialen, oder sogar eine apriorisch geleitete Genesis negativ akzentuierter sozialer Strukturen, wenn auch kein ganzheitlich apriorisches Ziel eines positiv strukturierten Sozialen. Sartre wird hier eine neuartige Problemstellung entwickeln — eine Verbindung von transzendental-apriorischer und individualistischer Position, eine Theorie, die im Gegensatz zum Marxismus das Apriorische nicht nur als leitende Idee zur Kritik und abstrakten Gesellschaftskonzeption verwendet, sondern explizit Strukturen aufweist. Ganz beiseite gelassen haben wir scheinbar in unserer Einteilung die Differenzierung des Sozialen nach Gesellschaft und Staat, die ein Hauptthema der Sozialphilosophie ist, zumal wenn sie gegensätzlich gesehen werden (ganzheitlich das eine, individualistisch das andere). Diese Differenz erhält typische Ausprägung in den von den jeweiligen Ansätzen ausgehenden Philosophemen, die also entweder staatsorientiert oder gesellschaftsorientiert sein werden: staatliche Integration bei Plato und Hegel; Staat als Epiphänomen der Gesellschaft bei den individualistischen Positionen und im Marxismus; „dialektisches" Verhältnis beider wiederum bei Hegel. Nun haben wir einen speziellen Fall der Theorie, den Sartres, im Auge, und entsprechend unserer zweiten propädeutischen Überlegung müssen wir uns nun fragen, was eine Philosophie wie die seiner Sozialphilosophie vorangehende, noch nicht so spezialisierte, wenn auch wiederum in umgekehrter Richtung, zum Individualismus hin einseitige Philosophie für eine Grundlage bietet, bei Voraussetzung der Kontinuität beider Stadien des Denkens über das Soziale zu handeln. Inwieweit liegen hier Grundlagen, die zu einer bestimmten Fassung der Sozialphilosophie führen? Dafür müssen wir also, auch im Sinne einer chronologischen Anknüpfung, aber wesentlich im Sinne einer Suche nach Grundannahmen, näher nach der transzendentalen Grundlage, die auch für das Spätere, die eigentliche Sozialphilosophie, verbindlich bleibt, auf Sartres frühere Philosophie eingehen.

I. Sartres phänomenologische Ontologie als Grundlage seiner Sozialphilosophie Eine Anknüpfung an Sartres seiner Sozialphilosophie vorhergehende Philosophie dient uns nicht einfach zum geisteswissenschaftlichen Verstehen, wonach ein Philosophera — hier Sartres Sozialphilosophie — als Kulturerscheinung einen Werdegang in der Geistesgeschichte und also auch in der Miniaturgeistesgeschichte eines Autors hat, die individuelle „Note" von „L'être et le néant" 1 also audi manches in der „Critique de la raison dialectique I " 2 verständlich macht; vielmehr ist eine solche Anknüpfung auch sachlich naheliegend. Wir haben schon angedeutet, daß wir Sartres Philosophie in E N wie in C R D für Transzendentalphilosophie halten 3 . Sartre entwickelt in E N eine Lehre, in der der Mensch primäres Thema ist, nicht jedoch nur im Sinne einer beschreibenden Anthropologie, sondern in transzendentaler Fragestellung und transzendentalem Theorieaufbau. So müssen wir erwarten, daß von dem dortigen — mit der Konzeption eines irreduziblen Einzelmenschen verknüpften — Transzendentalbegriff auch seine Sozialphilosophie bestimmt ist. Die Lehre vom Menschen in E N erscheint so für C R D relevant 4 . U m uns das näher klar zu machen, müssen wir auf E N kurz eingehen. 1 2 3

4

im folgenden abgekürzt mit »EN". im folgenden abgekürzt mit „CRD". Sartre bezeichnet seine Philosophie nicht als „transzendental". Transzendentalphilosophie ist für ihn mit einem Idealismus verbunden, den er ablehnt. In EN ist der transzendentale Standpunkt der des Wissens, der dem Sein nicht gerecht werden kann (zu Kant EN 279-85; zu Husserl 288-91; zu Hegel 291-301, bes. 294-5). In CRD kennzeichnet der Terminus ein Wissen „von außen", wie es für ihn etwa im dialektischen Materialismus vorliegt (CRD 124), den er auch als „dogmatischen Idealismus" bezeichnet (125). Wir meinen jedoch, daß bei einem anderen Begriff von „transzendental" Sartres Philosophie, als „transzendentalontologische" oder „transzendental-existenziale" zu Recht unter dieser Hinsicht behandelt wird. S. die folgenden Ausführungen und „Grundzüge der Ontologie Sartres" 122ff. — Da wir auch Hegel im folgenden unter die Transzendentalphilosophie redinen, sei hier gleich angemerkt, daß auch er seine Philosophie nicht als „transzendental" bezeichnet. Der Ausdruck bezeichnet für ihn Kants und Fichtes Subjektivitätsphilosophie, in der noch ein Dualismus von Subjekt und Ansich vorausgesetzt ist. Cf. Werke X V (Glockner) 581f., 573. Gurvitdi (in Dialectique et Sociologie 171) sieht darin einen Mangel: „Or, tout en constatant avec raison que les sciences humaines, et donc la sociologie, ont particulièrement besoin de la dialectique, Sartre conclut à tort qu'elles ne sont possibles que si elles se fondent sur une doctrine philosophique précise. Il transforme ainsi ce qu'il appelle 1',anthropologie humaine' en philosophie sociale".

Hinführung zu Sartres Ontologie

1. Hinführung

zu Sartres

9

Ontologie

Für Sartres Lehre in E N wollen wir zunächst eine Einstimmung und Hinführung geben und gehen dazu auf ganz allgemeine Fragen zurück. Fragt man nach der Aufgabe der Philosophie, so kommt man sofort auf mehrere Aufgaben. Philosophie kann einmal Lehre vom Seienden sein wollen. Sie kann fragen, was es alles gibt, „woraus" es ist, sie kann das, was es gibt, begrifflich fassen als Seiendes und es in Transzendentalien und Kategorien begrifflich bestimmen wollen. (Sie stellt dabei etwa auch den Menschen unter eine Kategorie, die der Substanz, als Begriff für selbständiges Seiendes.) Wir haben es mit Ontologie zu tun, oder mit metaphysica generalis, und zwar insofern wir uns der Forderung unterwerfen, „Seins"-Charakteristiken aufzusuchen, Charakteristiken von Seiendem als solchem5, während alle Rücksicht auf Sachhaltiges spezielleren Disziplinen vorbehalten bliebe®. An die Ontologie im allgemeinen Sinn wären aber noch vor aller Einzelwissenschaft spezielle Ontologien anzuschließen, metaphysica specialis und „regionale" Ontologien, wohin wir auch eine philosophische Anthropologie rechnen könnten. Die Philosophie kann auch etwa nach der Erkenntnis fragen, kann versuchen zu klären, was Erkenntnis ist, und auch, inwieweit eine Antwort innerhalb der Ontologie möglich ist. Seinsverhältnisse erscheinen als Bedingungen, an denen Erkenntnis hängt, insofern ja ein Seiendes von anderem Seienden Notiz nehmen soll. Aber Erkenntnis geht nicht in objektiven Seinsverhältnissen auf. Sind die Bedingungen im Subjekt für einen „transcensus" zum Seienden, für seine Intentionalität, eine Auszeichnung des Subjekts, sofern es Seiendes ist, oder gerade nicht? Klammern wir das Thema der Intentionalität zunächst aus, so bleiben uns etwa logische Bedingungen der Erkenntnis, einmal im weiteren Sinn von dem Erkennenden verfügbaren Bedeutungen, in denen er den Gegenstand anspricht, dann im engeren Sinn der Forderung nach Identität des Gegenstandes und der Nichtwidersprüchlichkeit des über ihn Vermeinten und Geurteilten — Bedingungen, die zur Apriorität einer ganzen Logik entfaltbar sind. Weiter wäre zu denken an Bedingungen für Aprioritäten synthetischer oder materialer Art: das Thema für transzendental-logische und transzendental-phänomenologische Philosophie, in der die Bestimmungen der Ontologie eine Begründung finden. Es bildet sich so vom Bedingungsgedanken her ein Begriff vom Subjekt, das denkend erkennt, und zwar insofern es Inbegriff der Bedingungen gültiger Erkenntnis ist. Mit dieser Wendung der philosophischen Betrachtung von Erkenntnis fällt auf, daß ein so angebahnter Begriff des Subjekts nicht im früheren Sinn ontologisdie Kategorie ist. Nicht ist gefragt, was das Subs 8

Cf. die klassischen Stellen bei Aristoteles Met. T, Kap. 2; K, Kap. 3 u. 4. Cf. die aristotelische Auffassung Met. K, 1061b30: die Physik etwa studiert die Dinge qua in Bewegung.

10

Sartres phänomenologische Ontologie

jekt „ist", sondern als was es gedacht werden muß, insofern es Bedingung der Möglichkeit, oder richtiger, als deren Inbegriff, „Grund" gültiger Erkenntnis sein soll. Welche Beziehung besteht dann noch zwischen einem solchen Insofern-Subjekt und dem Menschen als Seiendem gegenüber anderem Seienden? Diese Beziehung wird anscheinend ungreifbar — ontologisch ungreifbar —, wenn wir die Bedingungen der Erkenntnis im Erkennen soweit von seiner Seinscharakteristik wegentwickelt finden. Auf der Ebene der Theorie ungreifbar wird das Verhältnis von objektiv gerichteter Ontologie und von auf das Subjekt als Grund von Erkenntnis gerichteter Erkenntnistheorie. Entsprechendes gilt für das Verhältnis eines ontologischen Begriffs des Menschen und eines Begriffs des Subjekts als praktischem (und in diesem Sinne gültigkeitsdifferentem). Hier, in der Frage nach der Praxis liegt ja eine weitere Aufgabe der Philosophie. Soweit das Praktische ein der Erkenntnis paralleler Gültigkeitsbereich ist, besteht eine ähnliche Ungreifbarkeit des Verhältnisses von Ontologie und Ethik bzw. einer umfassenderen Lehre vom Praktischen. Das, was unterstellt wird für gültige Erkenntnis und für gültige Praxis, scheint in keinem sichtlichen Zusammenhang mit der Seinscharakteristik des Menschen zu stehen, von dem Erkenntnis und Handlung ja aktuell ausgehen. Die Bedingungen für Gültigkeit von Gültigkeitsdifferentem stehen isoliert vom Seienden, der Logos ist zu einer Gegeninstanz des Seins geworden. Die Philosophiegeschichte zeigt eine Reihe von Versuchen, diesen Hiatus von Logos und Sein, von Gültigkeitsbedingungen und Seiendem, von Subjekt" und Objektbestimmtheit, zu schließen. Eine umfassende Lösung dieses Problems findet sich bei Hegel, bei dem in der Philosophie des Geistes die kategoriale und also ontologische Charakteristik des Menschen im Zuge der Logosentfaltung, der Erkenntnis- und Praxisbegründung, „eingeholt" wird. Diese Lösung gelingt durch Hineinnahme des Seienden in den Logos. Aber es bleibt ein eignes Problem, inwiefern der Hiatus auf diese Weise vom Logos her und inwiefern er nicht innerhalb einer Lehre vom Seienden angegangen werden soll. Muß nicht die Intentionalität, der „transcensus" des Subjektes zum Seienden als Uberbriickung einer Trennung, stehen bleiben und kann nicht vielleicht doch Subjekt und Seiendes in einer Disziplin, der Ontologie, soweit damit gerade keine Logosimmanenz angezeigt sein soll, behandelt werden? Wir verfolgen also die Möglichkeit einer Verschiebung des transzendentalen Gedankens auf die Ontologie in dem bezeichneten Sinn. Wir meinen mit den genannten „Versuchen" verständlicherweise nicht Positionen, die den Menschen in einer realistischen Ontologie behandeln und also seine Beziehung zum Seienden als Seinsbeziehung „objektiv" nehmen, etwa nach einem Rezeptivitätsschema7: hier wird ja das Spezifische des Er7

etwa in Aristoteles' De anima und vielen realistischen Auffassungen, z. B., in

Hinführung zu Sartres Ontologie

11

kennens und Handelns, das von einem Subjekt ausgeht, von eben diesem Subjekt aus und für dieses unverständlich, und a fortiori jede Rechtfertigung von Gültigkeit. Erkenntnis und Praxis werden ihrem Grund nach irrational. Bei Husserl findet sich der vielleicht nur scheinbar hierher gehörige Standpunkt, daß das Subjekt als ein Seiendes zu fassen sei, aber — um der Aufgabe der Erkenntnisbegründung nachkommen zu können — als Seiendes sui generis, abgetrennt von übrigem Seienden, als sinnleistendes Seiendes. So sehr das alte Problem jetzt in einer anderen Form — in der „phänomenologischen Reduktion" — wieder auftaucht, liegt hier immerhin ein Motiv für die folgende Philosophie, die beiden Orientierungen, die ontologische und die erkenntnistheoretische bzw. axiologische, also gültigkeitsbegründende, nicht durch Immanentsetzung des Seienden im Logos (Hegel), sondern unter Belassung des Subjekts als eines durdi seine Seinscharakteristik zu Erkenntnis und Praxis und ihrer Rechtfertigung befähigten zusammenzubringen. Im Auge haben wir als einen weiteren Versuch, den transzendentalen Gedanken in die Ontologie im bezeichneten Sinn einzuführen, diejenige Philosophie, die mit Heideggers „Sein und Zeit" eröffnet worden ist8. Heidegger will in „Sein und Zeit" Ontologie geben. Hierzu muß nach ihm eine Frage erst ausgearbeitet werden: statt der Frage nach dem Seienden als solchen will er das Seiende nach dem Sein befragen, stellt er die Frage nach dem Sinn von Sein". Er sagt sich weiter, damit die Frage „vollzogen" werden kann, müsse dasjenige Seiende geklärt werden, das ein solches Verstehen leistet, wir selbst10. Die These ist also, daß der Rekurs auf ein Seiendes die Logos-Leistung des Menschen verständlich machen soll, daß ein Seiendes bestimmter Art die Bedingung für die verstehende Beziehung zu Seiendem und damit auch für die Thematisierung des Sinnes von Sein ist". Dies ist allerdings noch keine zureichende Bestimmung des Unternehmens. Das Seiende, das diese privilegierte Stellung hat, muß nun selbst „ausgelegt" werden auf dies sein Können — eine klassisch-ontologische Fassung würde nicht brauchbar sein. Heideggers Gedanke ist nun, den Menschen — sein Terminus

8

8 11

moderner Verfeinerung, bei N . Hartmann, der von einer „transkausalen Determination spricht (Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 4. Aufl., p. 323-5), woneben das umgekehrt gerichtete „Erfassen" (ebda. Kap. 44) unbefriedigt läßt, oder bei G. Jacoby, der aus der (materialistisch gedachten) Bewußtseinsimmanenz durch eine n + 1-dimensionale Deutung des Bewußtseinsinhalts herausgelangen möchte. S. auch J. Thyssens demnächst erscheinenden „Grundlinien eines realistischen Systems der Philosophie" (Bonn, Bouvier). Andere Ansätze, die einen Seinsbegriff des Subjekts fordern, etwa Hönigswald und Cramer, haben auf Sartre nicht gewirkt und können hier unberücksichtigt bleiben. Sie sind auch nicht so weit entfaltet, daß sie als theoretische Alternative betrachtet werden können. — Im folgenden gehen wir einen Weg über Heidegger zu Sartre, während wir in „Grundzüge der Ontologie Sartres" den Weg über Husserl beschritten hatten. 10 Sein und Zeit, § 2. ebda. § 5. Dies Seiende hat „ontisch-ontologischen Vorrang" ebda. § 4.

12

Sartres phänomenologische Ontologie

ist „Dasein" — auszulegen nach seiner Seinsweise im Unterschied zu einer anderen Seinsweise, die dem übrigen Seienden zukommt. Seine Seinsweise besagt, daß das Dasein nicht substanzieller Bestand, sondern relational ist, und zwar bezieht es sich in eins auf sich selbst als zeitlich gewesenes und sich bevorstehendes und auf die Welt. Es besteht als ein Strukturganzes 12 . Diese Fassung des Seienden namens Dasein ist nicht Beschreibung — diese wird auch gegeben als Ausgangspunkt für die Motivierung der genannten Fassung —, sondern Erfassung durch den Begriff von etwas Grundhaftem, Gründendem, einem „Prinzip" Dasein 13 . Aber jetzt innerhalb der Ontologie — als „Auslegung" eines Seienden, das die Auszeichnung hat, sich Seiendes begegnen zu lassen, Wahrheit zu haben und zu geben —, nicht als „Insofern"-Subjekt, als „Unterstellung" oder „Hypothesis" zu Zwecken einer Grundlegung einer Kategorienlehre oder gültiger Erkenntnis. Mit einem so verstandenen Subjekt ist der Sinn der transzendentalen Problematik, der Sinn der Gültigkeitsbegründung verändert: das nach Früherem dem Seienden entgegengesetzte Gültigsein mit seiner eignen Erstreckung von Grund zu zu-begründenden Bestimmungen wird nivelliert zu einem Entdecktsein für ein Dasein. Es herrscht ein an der unmittelbaren Intentionalität orientierter Wahrheitsbegriff. Mit dieser Abwandlung von Begründung ist es aber möglich, transzendentales, „entdeckendes" und sinnverstehendes Subjekt und übriges Seiendes innerhalb einer Ontologie zu koordinieren. Es handelt sich um einen „ontologisdien" Begriff vom Menschen und dodi nidit um seine bloße Einordnung in eine allgemeine oder regionale Ontologie. Es ist hier nicht unser Thema, auf die Besonderheiten der Heideggerschen Fassung dieses von uns isolierten Grundgedankens einzugehen. Den meisten Zeitgenossen Heideggers ist seine Philosophie in „Sein und Zeit" eher als Anthropologie erschienen, es ist, wie wenn die phänomenologische Beschreibung nur einem Leitgedanken unterworfen, insgeheim von ihm dirigiert und stilisiert wäre —, so sehr tritt die theoretische Struktur zurück. Man überzeugte sich davon, daß der Mensch die genannte „SeinsVerfassung" habe14. Uns geht es dagegen um den Grundgedanken der Theorie, durch ein Seinsprinzip der Erkenntnis- und Handlungsproblematik gerecht zu werden. Das Seinsprinzip des Daseins ist im Hinblick auf diese Aufgabe mit halbabstrakten Zügen — sog. Existenzialien, Existenzkategorien im Sinne Kierkegaards — ausgestattet: Verstehen, Rede, Gewissen u. a. Audi eine Bestimmung wie das „Mitsein", d. h. das Verhältnis zu Andern, ist aufgenommen als Existenzial. Angesichts der (transzendental - logischer Philosophie gegenüber) freien Gestalt dieser Philosophie, die das Prinzipdenken möglicherweise nur 18 15

14

Gemeint ist die „Sorgestruktur" ebda. § 39. Es handelt sidi nicht um eine „theoretisdi-ontische Verallgemeinerung", sondern um eine „apriorisdi-ontologisdie", um „transzendentale Allgemeinheit" ebda.

§ 42, p. 199. Cf. zu Seinsverfassung Sein und Zeit 221f.

Der Begriff vom Menschen

13

als Leitgedanken verwendet, ist es verständlich, wenn andere Inspirationen mitspielen, die eine andere Auslegung als die unsrige ermöglichen. Heidegger selbst zeigt in seiner Spätphilosophie, in der das Sein statt des Daseins die gründende Instanz wird, eine Entwicklung in eine Richtung, die auch die frühere Philosophie von „Sein und Zeit" noch wieder anders — weder als „transzendental-ontologisdie" Subjektphilosophie noch als Anthropologie — akzentuiert sein läßt 15 . Wir haben hier nur einen theoretischen Grundgedanken isoliert, der für Sartre relevant ist. Diese Relevanz des Grundgedankens von „Sein und Zeit" besteht für Sartre in der Tat. Sartre hat denselben Gedanken eines ontologischen Begriffs vom Menschen. Aber zwei wichtige Unterschiede machen sich geltend: einmal geht es ihm nicht nur um Seins-Sinn, der durch Auslegung des Menschen als Dasein begründet werden soll, es geht ihm nicht um einen soldien SinnIdealismus, sondern um eine Fassung der Beziehung des Menschen zum Seienden als Realität mit Hilfe des genannten Prinzips. Dadurch wird die Absicht, die mit dem ontologischen Begriff bezweckt ist, zu etwas ganz anderem, zur Theorie des „transcensus", zur Ontologie der Intentionalität. Zum andern geht es Sartre um ein theoretisches Desiderat: das als Seinsweise irreduzible Daseinsprinzip Heideggers auf einen letzten, strikten Ausdruck zu bringen, d. h. in der Fassung dieses Prinzips wie des durch es begründet zu Denkenden Rationalität zu erreichen. Überhaupt, auch für das erstere Desiderat, bedient sich Sartre in ganz anderer Weise als Heidegger rationaler Argumentation. In mancher Hinsicht ist also Sartres Philosophie in E N die rationale Artikulation der Philosophie Heideggers in „Sein und Zeit", was eine Kluft zwischen beiden nicht ausschließt. Nun aber zu Sartre selbst.

2. Der Begriff vom

Menschen

Auf dem Wege, uns Sartes Begriff vom Menschen klarzumachen, haben wir eine Verwandtschaft zu Heideggers Fassung des „Daseins" in „Sein und Zeit" behauptet. Wir müssen nun Sartres eigne Ausarbeitung des Begriffs vom Menschen näher kennen lernen. Uns interessiert dabei Sartres genauere Fassung und die dahinter stehende Theorie, aber nicht als monographischer Selbstzweck, sondern als Grundlage und mögliches Präjudiz für eine Sozialphilosophie. Es geht uns weniger um eine Ausleuchtung der existenzphilosophisdien Sinngehalte von EN, als um die theoretische Struktur, die zu Weiterem prädisponiert, das aus einem Grundbegriff des Menschen entwickelt 15

Cf. etwa M a x Müller, Existenzphilosophie im geistigen Leben der Gegenwart. — Cf. auch Sartres Mißverstehen des späten Heidegger (als Vertreter einer „materialistischen Dialektik von außen") C R D 248 Anm. — Für eine wohlwollendere und tiefer eindringende Heideggerdeutung zum Fragenkreis der Beziehung Ich-Anderer siehe Theunissen, Der Andere, 156-86.

14

Sartres phänomenologische Ontologie

werden kann und um dieser Grundlage willen „différent" sein wird in Sartres Sozialphilosophie gegenüber anderen Sozialphilosophien. Unser Augenmerk muß sein: was ist die Theorie des noch weitgehend vorsozial gedachten Menschen und was ist von daher auch in der sozialen Theorie inhaltlich différent? Bei Heidegger ist eine Sozialphilosophie nicht ausgeführt, aber es ist deutlich, daß seine Auslegung des Menschen als Daseins sozial Différentes impliziert (wir denken an seine Auffassungen über Eigentlichkeit und Alltäglichkeit, das Sein zum Tode), und zwar in einer Weise, die theoretisch wegen der absolut beibehaltenen Zentralsubjektivität des Daseins, inhaltlich wegen des aristokratischen Pathos der Eigentlichkeit, nichts Gutes erhoffen ließe für den sozialen Bereich, wenn wir nicht überhaupt sagen wollen, dieser sei von dorther nicht traktabel. Bei Sartre ist die Beziehung von Mensch und Sozialität mit größerer Explizitheit faßbar, und so kann die Frage nach dem Grund für das Soziale und nach der Prädisposition der sozialen Theorie angesichts dieses Grundes deutlicher werden. Sartres Ausgangsgedanke ist, den Menschen so zu bestimmen, daß seine Beziehung zu Seiendem, darin eingeschlossen seine Sinnverleihungen an das Seiende, verständlich wird. Sartre geht also von der Intentionalität aus. Seine These ist, der Mensch müsse seinem Sein nach bestimmt werden als ein solches Sein (bzw. als ein Seiendes von einer solchen Seinsweise)18, daß in ihm ein Sich-Absetzen von nicht so geartetem Seiendem und auch von ebenso gearteten Anderen und damit ein Bezogensein darauf begründet liegt. Dies ist seine auszeichnende Bestimmung als Subjekt. Das Subjekt wird also bestimmt als Nicht-Sein des Seins als eine eigne Weise des Seins. Es gibt demnach für Sartre, nun nicht mehr wir bei Heidegger als Sinnauslegung nach Dasein und Vorhandenheit, eine Dualität des Seins: Sein, das sich nicht absetzt von Anderem oder Sein an ihm selbst (Ansichsein), und Subjekt-Sein als dasjenige, das sich absetzt von Ansidisein (von anderem Seienden, von sich selbst als seiend und von Anderen). Mit diesem Sich-Absetzen gehört Sein, von dem es sich absetzt, zu ihm hinzu, denn es ist nur als Sich-Absetzen von Sein, es ist eine Einheit von Sein und Negation. Sartre spricht von zwei Seinstypen, wovon der eine den anderen, das Subjekt das Sein, involviert: Ansidisein als unbezügliches Sein und bezügliches Sein (was wir zunächst „Subjekt" oder „Bewußtsein" nennen wollen), das in seinem Bezug zu Seiendem des andern Typs sich davon absetzt". Sehen wir zu, was die „Verfremdung" der intentionalen Sachlage zu einem ontologischen Subjektsbegriff besagt. Sartre will, wie wir schon wissen, mit dem „Seinstyp" des Subjekts, der als Einheit von Sein und Negation bestimmt ist, ausdrücken, daß der Mensch seinem Sein nach Beziehung zum 18

17

Die mangelnde Unterscheidung zwischen Sein und Seiendem bei Sartre ist bedingt durch die französische Sprache, aber auch symptomatisch für ein ontologisdies Problem seiner Philosophie. Cf. „Grundzüge . . 1 6 , 35-41. Hier und für das folgende cf. die ausführliche Analyse in „Grundzüge . .

Der Begriff vom Menschen

15

Sein ist; der Begriff vertritt also seine Intentionalität, sein Transzendieren, sein In-der-Welt-Sein. Das wäre aber bis jetzt eine bloße abstrakte Umformulierung, eine nur scheinbare Tieferlegung ohne Konsequezen. Aber der Begriff besagt noch mehr: der Seinstyp Bewußtsein enthält auch, wie schon kurz angedeutet wurde, daß der Mensch „für sich selbst" nicht einfach ist, etwa substanzielles, in sich ruhendes und selbständiges Sein besitzt, sondern, soweit er ist, dennoch immer auch zum Sein, auch seinem eignen Sein, Distanz hat, sein Sein negiert. Dies ist eine wesentliche Verständnisschwierigkeit: Sein ist hier ganz allgemein gefaßt, so daß sowohl in sich ruhendes, aber dem Subjekt gegenüberliegendes Seiendes als auch das am Subjekt selbst mit „Sein" zu Bezeichnende gemeint ist. Der Seins-„typ" Subjekt involviert den anderen Seins-„typ", in logischer Allgemeinheit. Somit ist der Seinstyp des Subjekts auch formaler Ausdruck für die sogenannten „immanenten Strukturen" des Menschen, für sein Sich-Sich-Gegenübersetzen im Bewußtsein, und dies in mehrererlei Weise. Der Mensch ist in Distanz zu sich Zeuge seiner selbst (ein Punkt, den Heidegger nicht betrachtet, der aber als zur Intentionalität zugehörig schon phänomenologisch erschlossen werden kann; für Sartre ist diese innerbewußtheitliche Distanz zu sich auch theoretisch erschlossen von seinem Grundbegriff des Subjekts her). Mitgemeint ist auch sein Sich-Sich-Gegenübersetzen, sein Distanz-Nehmen-zu-Sich im Sich-Vorwegsein, Auf-Nächstes-Aus-Sein. In dieser letzteren Hinsicht hat die Konzeption eine Bewegtheit, eine Dynamik, die rein im Begriff schon beschlossen ist. Von all den Strukturen, die Heidegger für das Dasein herausstellt — Entwurf, Zeitlichkeit, Gegenwärtigen — gilt, daß sie in Abstraktion mitgemeint und mitfundiert gedacht sind in dem Begriff des Seinstyps Subjekt oder Bewußtsein. Die Konzeption erscheint uns wesentlich als Verarmung, als Abstraktionsprodukt, wenn auch zu sehen ist, daß sie verschiedene Strukturen „deckt", die wir beim Menschen zusammenbegreifen wollen, die also in der Abstraktion zumindest geeinigt und in dieser Einheit regressiv fundiert erscheinen. Dennoch ist diese Konzeption geheimnisvoll, es ist unklar, wieso diese möglicherweise glückliche Abstraktion das Subjekt als Grund für seine Leistungen zwingend auslegt und wie die Abstraktion sich selbst ausweist. Ist ein solcher Seinstyp verständlich? Wir geben zunächst eine systematische Orientierung. Im Seinstyp des Subjekts ist eine Beziehung des Bewußtseins zu sich und die Beziehung der Intentionalität zu anderem Seienden, also Selbststruktur und Transzendenzstruktur, gedacht durch einen dialektischen Begriff. Der Begriff enthält das, was für ein Subjekt ein Anderes ist, selbst in sich. Ohne uns hier schon auf die Dialektik einlassen zu wollen, nennen wir diesen Begriff „dialektisch", weil er eine Einheit bezeichnet, in der Eines auf ein Anderes so bezogen ist, daß es dieses selbst ist. Die Pointe dieses dialektischen Subjektbegriffs wäre dann, daß das Subjekt als „Sein" hier für das „Andere"

16

Sartres phänomenologische Ontologie

seiner selbst steht. Nach dieser Bestimmung ist das Subjekt eines, das sich im Sich-Gegenübertreten als Anderes identifiziert mit sich als Gegenübertretendem, also etwa sich mit sich als Nicht-Gegenwärtigem (Zukünftigem oder Gewesenem) identifiziert. Es wird gedacht als Einheit seiner selbst, dessen Sein aussteht, mit dem Sein seiner selbst, das es nicht ist, mit sich als Anderem. Diese Beziehung wird so wie für die Beziehung zu sich selbst auch in Anspruch genommen für die transzendierende Beziehung des Subjekts zur Welt: indem das Subjekt sich auf etwas bezieht, das es nicht ist, soll gelten, daß es dieses in eine „Immanenz" hineinholt, so daß das In-derWelt-Sein als Einheit, als Subjekt, ist. In beiderlei Hinsicht also ist es verständlich, daß Sartre ein so gefaßtes Subjekt als Seinstyp „Fürsichsein" (poursoi) nennt. Wir sehen nun vielleicht schon deutlicher, daß ein solcher Seinstyp „paßt", daß die durch ihn zu fassende Sachlage sich erschließt und nicht nur in einem schlechten Sinn verarmt wird. Aber wir sehen noch nicht, wie ein solcher Begrifb näher gedacht ist, aus welchem Räsonnement er hervorgeht — er ist ja sicherlich keine deskriptive Konzeption —, wie weit man dafür argumentieren kann, daß das menschliche Subjekt gerade durch ihn gefaßt werden muß — die Abstraktion könnte ihren Grund haben in einer nur so möglich erscheinenden methodischen Entfaltung des Subjekts zu Strukturen nach einem dialektischen „Algorithmus" —, und schließlich, wie weit von dorther, gewissermaßen „progressiv", Konsequenzen aus ihm fließen noch anderer als subjektiv-struktureller Art, die auf diesen Grund hin anzunehmen sind. Wenden wir uns zunächst der ersteren Frage zu. Der dialektische Begriff eines Seins in Einheit mit Negation oder eines Fürsichseins ist eine Konzeption, die in einen begrifflichen Zusammenhang, in eine dialektische Logik gehört, d. h. in eine Lehre von den dialektischen Verhältnissen der Begriffe und vom dialektischen Charakter der Begriffe an ihnen selbst. Eine solche Konzeption ist ja nicht einfach eine Montage, als ob sich Sein und Nichts realiter zusammenbringen ließen, wie Sartre gelegentlich suggeriert18. Wie wir noch sehen werden, gibt Sartre zwar eine Begründung für seine negativistische Auslegung des Subjekts, aber sie ist selbst ein Problem und ermöglicht keine Begründung des Subjektbegriffs an ihm selbst. Eine solche Begründung des Subjektbegriffs ergibt sich dagegen für ein nicht mehr monographisch am Bewußtsein orientiertes, sondern systematisch sich begründendes dialektisches Denken, wie Hegel es nach Fichtes Vorgang durchgeführt hat. Nähern wir uns diesem Denken. Der zugrundezulegende, noch vor-logische Gedanke ist, daß ein Subjekt aufgefaßt werden muß als etwas, das sich ein Anderes nicht physisch, sondern ideell aneignet, so daß es nicht mehr fremd ist, sondern ihm in einer Kongenialität des Ideellen zu18

Cf. die Konzeption des „ontologischen Aktes" E N 121.

Der Begriff vom Menschen

17

gehört. Das Andere geht eine Einheit mit dem Einen ein19. Dieser Gedanke läßt sich näher so zur Theorie gestalten, daß die Gegenstände des Subjekts (als Andere des Subjekts) Schritt für Schritt angeeignet oder aneigenbar gedacht werden, so daß eine Reihe von Stufen der Integration entsteht, die verschiedenen Gegenständen ihrem Begriff, d. h. ihrer Kategorie, nach, und verschiedenen Gestaltungen des Subjekts entsprechen. Die dialektische Subjektauffassung ermöglicht also, jedenfalls der Intention nach, methodische Explikation, und nicht nur einen Sprung in die These, das Subjekt sei alles, was für es ist, sei das Ganze; eine Explikation vielmehr, an deren Ende die „Erschöpfung" des dem Subjekt gegenüber Anderen steht, also eine totale Immanenz als Ausweis für eine letzte Kategorie, das Absolute als Identität aller Gegenstandsbegriffe mit dem Subjekt, das sie denkt. Der Grundgedanke, noch nicht differenziert in eine methodische Sukzession, genügt uns schon: das Subjekt bei Sartre wäre ein solches prinzipiell, nicht sukzessiv-explizit dialektisches Subjekt, das das Andere sich integriert. Allerdings meldet sich schon hier die Frage, ob denn Sartre ein ideelles Aneignen meint. Er meint nicht einen Aneignungsproze/? als Kategorienlehre, aber der Begriff des Subjekts muß die Struktur einer prinzipiellen Aneignung besitzen. Für den Standpunkt einer kategorialen Explikation auf Grund ideeller Kongenialität mag die Fassung des Subjekts durch eine dialektische Struktur als Voraussetzung des Prozesses für gesichert gelten — bewahrheitet sie sich doch in einer solchen subjektiven Dialektik der Stadien gleichsam vom Ende, vom Absoluten her wie in Hegels Phänomenologie des Geistes —, man möchte aber eine Art „Gegenprobe" haben, möchte den Weg zur Aufstellung des dialektischen Begriffs für das Subjekt, das diese Aneignung und Kongenialität ausweist, näher kennen lernen, d. h. den Grundbegriff des Subjekts seinerseits in einer Genealogie betrachten, ihn als ontologische Kategorie (im nicht mehr klassisch-ontologischen Sinn) hergeleitet sehen. Hegel hat in seiner Logik den Gedanken, daß man nicht nur bei einem eigentlichen Subjekt von einer dialektischen Einheit sprechen kann, sondern daß dies ein Paradigma für jeden Seinsbegriff darstellt. Dabei lassen sich Kategorien so ordnen, daß eine Linie zu zunehmender Synthese d. h. Subjektivität durch sie hindurchläuft. So kann, was für die Ontologie besonders bedeutsam ist, der Begriff des Seins selbst als Subjekt verstanden werden, so daß aus ihm, als Anfang eines Aneignungsprozesses, eine Dialektik des Verhältnisses zu seinem Andern hervorgeht, eine Kette von dialektischen Schritten, in deren Verlauf alles Andere ihm integriert gedacht wird, bis das, was ursprünglich „Sein" war, sich als die „Immanenz" erweist, die wir eben bei der

19

Dies ist eine schon vor-dialektische Konzeption, etwa bei Aristoteles (cf. De anima 429b31-430a9; Met. 1 0 7 5 a l - 4 , 1072bl7-23).

18

Sartres phänomenologische Ontologie

vom Subjekt ausgehenden Dialektik fanden: das Sein erweist sich als Subjekt, als Geist. Umgekehrt erweist sich das Subjekt so als ontologisch hergeleitet, verstanden, begründet. Wir können uns das Recht dieser These Hegels so klar machen: wenn das Subjekt als Denken sich als alles in sich enthaltend erweist, dann muß man erwarten, daß auch ein Begriff von Sein, das als vom Denken unbetroff en gedacht wird, falsch ist, daß Sein sich mit dem Denken seinem Begriff nach identisch erweist. Der (in der subjektiven Dialektik der Phänomenologie des Geistes geführte) Nachweis, daß Sein und Denken zusammenfallen, erlaubt es, diese Einheit in einem erneuten Anfang als Sein, als Unterschiedslosigkeit, wie sie dem Sein eigen ist, in Anspruch zu nehmen. Nachdem nun aber die Logizität des Seins, seine Denkimmanenz, schon in der vorausgegangenen Dialektik gezeigt worden ist, muß die neue Ebene der Betrachtung die Unvollkommenheit des Seins qua an ihm selbst unbetroffen aufweisen. Im Denken gedacht erweist es sich als zunehmend Anderes mitumfassend, d. h. als dialektisch mit solchem Anderen identisch, bis hin zu einer Bestimmung, die Subjekt oder Geist ist. Ein Weiteres: ein Anfang beim Sein hat die Bedeutung, daß — da ja alle Kategorien Bestimmungen des Seins sein sollen — mit den ersten Bestimmungen des Seins gleichzeitig auch „prinzipiell" Bestimmungen aller höheren, inhaltlich konkreten Kategorien aufgestellt sind. Die ersten Kategorien sind das Prinzipielle, das in den inhaltlich konkreten Kategorien als Prinzipiaten wiederkehrt. Sie regieren alles Weitere, bestimmen eine Architektonik, sind gleichzeitig Prinzipien der Methode der dialektischen Kategorienherleitung. Sie sind Seinsweisen als Prinzipien — Hegel spricht von „qualitativem Sein" — zu konkreteren Prinzipiaten, die in ihrer Art bestimmt gedacht werden können, weil sie von den Prinzipien als Seinsweisen prinzipiiert sind. Wir brauchen diesen ganzen Weg Hegels nicht mitzugehen; es reichen uns für Sartres Philosophie in E N die ersten Schritte, gibt er doch nur eine Prinzipiendeutung von Subjekt und dazu alternativem sonstigem Seiendem, indem er beides von der Seinsweise her sieht. Wenn wir die Begriffe „Sein" und „Fürsichsein" als Weisen des qualitativen Seins betrachten, so ergibt sich ihr Verhältnis nach Hegels Logik so: das Sein als das für sidi genommen Unterschiedslose erweist sich unter der Identitätsthese von Sein und Denken als das Negative sich „einbildend", als mit ihm als Anderem identisch, denn beide sind vom Denken aus betrachtet das Leere. Der damit entstandene Begriff ist (unter Vernachlässigung einer Zwischenstufe, der des „Werdens") das, was Hegel „Dasein" nennt, ein Sein, das Negation in sich aufgenommen hat, also zwar ist, aber immer als Seinsweise Eines, das Anderes eines Anderen, eines Daseienden und somit Bestimmten, ist. Das Fürsichsein ist eine weitere Konzeption, die besagt, daß ein solches Dasein sich als mit seinem Anderen zusammenfallend erweist. Oder anders: es gibt einen Begriff, der besagt, daß das Andere des Daseienden „erschöpft" ist, in es ein-

Der Begriff vom Menschen

19

gegangen ist. Damit ist ein einfachster Begriff derjenigen Einheit erreicht, der, als konkreteres Prinzipiat, das Subjekt und den Geist ausmacht20. Für Hegel handelt es sich bei den genannten Begriffen um allgemeinste Seinsbegriffe, denen gegenüber er inhaltlich reichere, konkretere Kategorien, darunter die des Subjektes und des Geistes, vorsieht, die er aus ihnen herleitet. Für Sartre werden diese Begriffe, so wie sie in ihrer Abstraktheit sind, der Sachlage der Intentionalität, dem Bewußtsein, seiner Entwurfsstruktur und seinem Transzendieren zugeordnet. Wir bemerkten schon, wie der Begriff des Fürsichseins formal all diese Strukturen „deckt". Aber wir bemerken auch sofort eine Schwierigkeit: bei Hegel war gemeint, daß im Fürsichsein als Kategorie das Sein erschöpft gedacht ist, ganz in ihm enthalten ist, kein Oppositum mehr bildet. Dies meint nun Sartre nicht. Obwohl er den Begriff des Fürsichseins wählt, stellt er nicht den Begriff des Subjekts auf als bloßen Prinzipbegriff einer dialektischen Logik, er denkt vielmehr damit ein reales Subjekt. Ein solches ist immer mit dem konfrontiert, was es intendiert, und ebenso mit sich als ausstehendem. Es erschöpft das Sein nicht, indem es selbst ist. Der Sartresche Begriff des Fürsichseins besagt also zwar, daß hier eine Immanenz vorliegt, Fürsichsein, andererseits jedoch, daß das Subjekt endlich ist, durdi Anderes bestimmt ist und bleibt. Es steht immer in der Dialektik von Einem und Anderem, die im Fürsichsein als logischem überwunden ist: das Andere steht immer als Ergänzung seiner selbst noch aus, also es selbst als Anderes. In Hegelscher Sprache ist es also Dasein21 (was sich mit Heideggers Ausdruck für das menschliche Subjekt berührt). Logisch betrachtet ist also Sartres Seinstyp „Fürsichsein" ein Doppeltes, Fürsichsein und Dasein, Subjekt in der Endlichkeit. Oder, es ist „Wesen" und nicht „Begriff"22. Was unsere Analyse rechtfertigt, ist die Tatsache, daß Sartre eine Dialektik des Subjekts annimmt, so als ob es sich um einen Begriff der Hegeischen Logik handelte; die logischen Verhältnisse sind unentbehrlich zum Verständnis dieses Seinstyps. Die logische Abstraktion ist die maßgebende Darstellungsebene. Das Subjekt als daseiendes Fürsichsein ist Immanenz, in sich gerundet, und dennoch erschöpft es das Sein nicht, ist es endlich, ist es immer mit einem Andern als Sein und einem Andern seiner selbst konfrontiert. Auch Hegel kennt diese Dialektik eines endlichen Fürsichseins innerhalb der kon-

20

21 22

Uns geht es hier nur um die allgemeine Konzeption, wie Hegels Logik den Begriff des Subjekts und sein Verhältnis zum Begriff des Seins zu denken gestattet. Wir verzichten auf eine kritische Betrachtung der dialektischen Begriffsbewegung als linearen Fortschritts etwa danach, ob die Einführung des Nichts genügt, um Andersheit zu konstituieren, entsprechend ob Hegels Begriff der Negation als Ausdruck der dialektischen Beziehung zu Anderem gerechtfertigt ist u.a.m. und zwar, konkreter, äußerliches Dasein, realphilosophisch Betrachtetes. Wir haben eine „seinslogische" Fassung des Subjekts vor uns.

20

Sartres phänomenologische Ontologie

kreteren Kategorien23, nur ist für Hegel damit eben schon wieder eine konkretere Kategorie konstituiert, während für Sartre die lapidare Fassung mit den abstrakten Begriffen 5ein, Dasein und Fürsichsein (die letzteren zu einem Begriff zusammengezogen) und die fixe Opposition von Fürsichsein und Sein maßgebend bleibt. Konkrete Bestimmungen treten von der phänomenologischen Beschreibung her hinzu. Soweit Sartre für den Menschen den Begriff des Fürsichseins in Anspruch nimmt, ist er der dialektischen Logik Hegels verpflichtet und am grundlegenden Theorem der ideellen Immanenz, der ideellen Identität von Subjekt und Objekt qua kongenial im Logos, orientiert. Soweit er ein endliches Subjekt fassen will und sich auf das Theorem des Sich-Absetzens eines endlichen Daseienden von anderem für es Daseienden, also auf die Intentionalität stützen will, soweit diese Betrachtung des Subjekts irreduzibel ist, muß er, ohne die bei Hegel vorangehende Identitätsthese, die ja erst den Fortschritt zu Negation und Andersheit gestattet, um das Recht seiner Theorie zu zeigen, einen eignen Ursprung des Negativen (als Moment des Seinstyps Fürsichsein) aufweisen. Wir müssen daher, nach der gegebenen Verständlichmachung des Sartreschen Subjektsbegriffs von Hegel her, kurz darauf eingehen, welche Begründung Sartre selbst ihm gibt, und dann weiter auch darauf, weshalb die Abstraktion im Gegensatz zu Hegel maßgebend bleibt. Wenn das Subjekt als endliches einem nicht „erschöpfbaren" Sein gegenüberstehend gedacht ist, so sehr dies Sein ihm zugehört, so kann das Subjekt seinem Begriff nach nicht, wie in Hegels Logik aus dem Sein, entwickelt werden; es bleibt ein Seiendes sui generis, wenn auch in Hegelscher Formulierung. Seine Leistung, sein Sich-Absetzen vom Seienden als Gegenstand, erscheint als irreduzible Leistung, die aus ihm hervorgeht. Die Begründung hierfür muß eine undialektische sein. Sie liegt vor in dem, was parallel zum „ontologischen Beweis" ein „meontologisdier Beweis" 24 genannt werden kann: es gibt ein Negatives in der Welt der Phänomene (sog. „negatites" wie Abwesenheit, Entfernung u. a. m.), das auf das Subjekt als seinen Ursprung bezogen werden muß. Das Subjekt ist gleichsam „Produzent" des Negativen, wozu es selbst — angesichts der Alternative des positiven Ansidiseins — negativ angesetzt werden muß. Nur durch eine Äquivokation ist damit das Subjekt auch eines, das sich vom Seienden absetzt. In der Begründung des Fürsichseins durch den meontologischen Beweis liegt eine Absage an eine kategoriale, inhaltliche Dialektik, in der das Subjekt sich mit dem Seienden schrittweise als kongenial erwiese und so Kategorien für es selbst und seine Gegenstände aufgestellt werden könnten. Sartre ist auf die abstrakte, formale Fassung mit Mitteln des qualitativen Seins 23

24

etwa Geist als endlicher (Seele, Bewußtsein, Verstand usw.). Cf. Enzyklopädie § 386, und auch § 167f. Cf. die genauere Darstellung in „Grundzüge . . . " 47 f.

Der Begriff vom Menschen

21

fixiert. Die abstrakte Fassung gestattet aber an ihr selbst schon eine Herleitung von Strukturen, die alle demselben dialektischen Begriff des Fürsichseins genügen, aber im Grunde gar nicht dialektisch verschieden sind vom „Grund" 25. Die inhaltliche Spezifizität wird von der Phänomenologie hinzugenommen und den abstrakten Ableitungen zugeordnet. Das Subjekt als „Grund" ist Selbstbewußtsein, „présence à soi", in seinen Ableitungen erscheint es als Entwurf von Möglichkeit, Wert und Zukunft und als Vergangenheitsbezug. Die Idee einer Ableitung von Strukturen der Immanenz des Fürsichseins ist allerdings selbst nicht denkbar ohne eine logische Dialektik von Dasein und Fürsidisein: das Fürsichsein bezieht sich ja auf sich, um ganz zu werden, wiewohl es nie ganz „ist". Sartre muß sich also auf Hegeische Rationalität stützen, aber sie konstituiert nur ein Ideal — das Fürsichsein als ganzes, als seiend, eben als Ideal —, hinter dem das konkrete, endliche Fürsidisein zurückbleibt. Die Konzeption hat ihre Plausibilität, ist aber nicht begründet ohne Hinzunahme der Hegeischen (logischen, idealen) Dialektik. Wir sehen die Weiterbildung Heideggers: die Charakteristik des „Daseins", die Heidegger in Existenzialien als Strukturen auslegt, ist rational gemacht, und zwar durch die Reduktion auf den dialektischen Begriff des Fürsichseins als Einheit von Negation und Sein. Das Inhaltliche ist gleichsam zur Ausfüllung des abstrakten Formalismus hinzugenommen; es ist weitgehend dasselbe wie bei Heidegger, allerdings unter Betonung des bei Heidegger unterdrückten aktuellen Selbstbewußtseins; inhaltliche Unterschiede finden sich in den konkreteren Bestimmungen (cf. Sartres Kritik am „Sein zum Tode"). Nun liegt in Heideggers Auffassung des Menschen, die wir dialektisch nachgebildet sehen, auch schon eine Beschränkung, eine Differenz zu unserem normalen Verständnis. Wir denken hier besonders an die Absolutheit der Zentralperspektive „des" Daseins, mit der einhergeht, daß Individualstrukturen (Eigentlichkeit, Mitsein als existenziales Attribut) an die Stelle sozialer Strukturen und echter Pluralität treten. Wir erwarten, schon angesichts der inhaltlichen Kongruenz des Subjektsbegriffs bei Sartre, mehr noch angesichts der von ihm vorgenommenen Dialektisierung und Reduktion auf das Fürsichsein als Prinzip, wiederum inhaltlich différente Konsequenzen für ein Gesamtverständnis des Menschen und für darauf aufbauende sozialphilosophische Auffassungen. Wir unterstellen, daß Sartre auf Grund der Reduktion auf dialektischabstrakte Strukturen von den Implikationen dieser Strukturen in ihrer Reduktion und kategorialen Armut oder Nicht-Kategorialität geleitet ist, strenger geleitet ist, als etwa Kierkegaard, der bei einer verwandten dialektischen Deutung des Menschen ethische und religiöse Gehalte einfließen läßt, strenger auch als Heidegger, der mitunter ein persönliches Ethos verallgemeinert, ja dem, zurückprojiziert von seiner Spätphilosophie her, ein Auf23

Cf. ebda. 119 f.

22

Sartres phänomenologische Ontologie

schauen zum Sein als Sinn- und Schicksalsinstanz imputiert werden kann. Die Sartresche Philosophie in E N und auch in der Existenzialismus-Schrift bleibt bei den Implikationen der Prinzipien, wobei wir nicht leugnen wollen, daß existenzielle Haltungen auch unmittelbar sich geltend gemacht haben. Wir betrachten hier diese als Konsequenz aus der ontologischen Theorie. Von der abstrakten Prinzipiendeutung der Ontologie her erscheint der Mensch in seinem dialektischen Charakter als Freiheit. Der Mensch ist Freiheit heißt jetzt: er ist Fürsichsein, immer negativ auf sich bezogen, immer über sich hinaus, nie mit sich zusammenfallend, nie sich erreichend. Wir verknüpfen sonst Freiheit mit Werten, auf die sie sich richtet, und mit der Forderung nach einer Theorie ihrer normativen Inhalte; uns interessiert im allgemeinen, ob an den behaupteten Freiheitsbegriff eine Ethik und eine Soziallehre angeknüpft werden können. Gerade angesichts der Abstraktion Sartres ist hier eine differente Konsequenz zu erwarten. Es handelt sich bei Sartre um einen ontologischen Begriff der Freiheit. Seine These ist, daß nur von seinem Begriff des Fürsichseins aus Freiheit ontologisch möglich ist. In einer reductio ad absurdum diskutiert er das Dilemma des traditionellen Determinismus und Indeterminismus, die Beispiele für monistische Theorien sind 28 , und ebenso die dualistische Auffassung von der Freiheit als einem Konflikt des Willens einerseits und von Affekten andrerseits27, eine Auffassung, die durch ihre Unverständlichkeit disqualifiziert ist: die unverstandene Beziehung des Willens zum bestimmenden Affekt oder seine gänzliche UnbetrOffenheit davon besagen nur eine Verlegung detf Determinismus-Indeterminismus-Dilemmas in den Menschen selbst. Dabei ist für Sartre der Wille immer schon ein reflektierter Entschluß, nachdem ich mich entschieden habe28, und kein ursprünglicher praktischer Bezug; er ist eine Rationalisierung, die der Analyse meines Entwurfs in Antriebe und Motive entspricht. Als verselbständigte sind sie falsch, sie sind vielmehr deriviert. Um von Antrieben und Motiven sprechen zu können, muß eine Einheitsstruktur des Fürsidiseins zugrundegelegt werden. Der Antrieb ist das subjektive Gegenstück (etwa Ehrgeiz) zum Motiv, das in der Welt gegeben ist, beide gelichtet vom Entwurf des Fürsichseins. Das Fürsichsein ist die ursprüngliche Freiheit, jeder Entwurf und Entschluß ist Leistung dieser Freiheit als existierenden Prinzips. Nun hätten wir zwar einen ontologischen, und zwar, als reduziert auf eine Seinsweise, „existenzialen", „qualitativen" Begriff von Freiheit. Die Freiheit ist die Ganzheit der menschlichen Entwurfsstruktur. Aber wie steht es mit ihrem Inhalt, mit ihrer Konkretion? Sartre sieht das In-der-Welt-Sein der Freiheit nicht als spontane Fulguration an; vielmehr betont er die Situation, in der sich die Freiheit findet 29 27 28

E N 511 ff. E N 516 ff. zu Descartes und Kant. „ . . . les jeux sont faits" E N 527.

Der Begriff vom Menschen

23

(zu spezifizieren nach ihrem Platz, ihrer Vergangenheit und Umgebung, ihrem Konfrontiertsein mit dem Nächsten und ihrem eignen Tod) Dieser Gedanke der Situation ist nur eine Konkretisierung der allgemeinen dialektischen Konzeption: ich bin auf etwas bezogen, das seine Kontingenz hat und doch von mir gedeutet wird auf meine Ziele hin. Ich kann nicht wählen, Mann oder Frau zu sein oder Freiheit zu sein. Dieser Gedanke, der identisch ist mit dem der Faktizität, abstrakt gesprochen, daß das Subjekt teilhat am Sein als seinem eignen kontingenten Moment, soll den Einwand der Willkür der Sartreschen Freiheit einschränken. Die Freiheit, die ich habe, ist immer eine Freiheit in Situation, also Freiheit, als Mann oder als Frau mein Leben zu leben. Die Freiheit ist immer schöpferisch auf dieser Grundlage, aber sie ist nidit in Beziehung auf das Vorgegebene in der Welt absurd-spontan, ist nicht innerhalb der Welt absurd. Ein Weiteres : diese Beziehung zur Welt, die eine Situation für den Menschen darstellt, denkt sich Sartre als ein Engagement30. Es liegt darin ein voluntaristischer, aktivistischer Zug, der dem formalen Gedanken entspricht, daß das Fürsichsein sich in seinem Über-Sich-Hinaus-Sein ergänzen will, indem es sich an seinem Ideal, an sich als seiender Freiheit, als Ansich-Fürsich, orientiert. Dies ist nicht ein egoistischer Bezug zu sich selbst im Sinne von La Rochefoucauld, sondern ein ekstatischer Bezug, in dem sich das Fürsichsein unter Bezugnahme auf sein Oppositum ergänzen will. Auf Grund seiner Prinzipiencharakteristik ist der Mensch immer engagiert, zum Engagement verurteilt, auch wenn er sich der Entscheidung enthalten will. Der defiziente Modus der Freiheit ist auch ein Modus der Freiheit. Stellen diese beiden Gedanken, die Situationsbedingtheit des Menschen und sein Engagement, schon so etwas wie eine Sinngebung dar, erwachsen auf dem Boden der Prinzipiendeutung des Menschen? Es liegt ein Ethos der Erfüllung des Prinzips vor, ein Ethos der Eigentlichkeit, das dem Heideggersdien ähnelt, wenn wir vom Horizont der Heideggerschen Spätphilosophie absehen. Dies Ethos erscheint als klare Konsequenz aus dem Prinzip. Für Sartre liegt damit auch schon eine „Protoethik" vor: der Mensch ist nicht reine Willkür, es gibt schon eine Justiziabilität: er ist gerechtfertigt, wenn er sidi in seinem Engagement nicht in der Einschätzung der Situation irrt oder unwahrhaftig ist 31 . Aber dies sind nur negative Kriterien. Als Fürsichsein ist der Mensch immer ein Sich-Absetzen von sich, oder, mit Heidegger, sich selbst vorweg. Sein Engagement steht damit immer wie-

!

» EN IV, ii, p. 561-638. Dies Wort ist im Französischen weiter und weniger drastisch als bei seinem terminologisch gewordenen Gebrauch im Deutschen. Es steht für ein Midi-Angehen, ein Sidi-Eingelassen-Haben oder ein Sidi-Binden. Es ist einerseits „délaissement" in eine Situation, andrerseits ein Befaßt-Sein mit dem Gegenstand eines Entwurfs. 81 L'existentialisme est un humanisme (Paris, Nagel, 1957), 80. Cf. EN p. 85-111.

30

Sartres phänomenologische Ontologie

24

der in Frage. Kann nun Sartre einen positiven normativen Entwurf theoretisch darstellen, d. h. vom Begriff des Menschen her begründen? Bisher handelt es sich nur um die Weise, wie der Mensch als Fürsichsein sein Entwurf „ist". Der Entwurf ist strukturell gedacht als eine Bewegung des Menschen zur Ergänzung seiner selbst und gleichzeitig als ein Sich-Absetzen von seinem Bestand, seinem Sein. Es bleibt dabei ganz unberührt, was das jeweilige Inhaltliche ist, das einerseits negiert, andrerseits entworfen wird. Kann es hier ein „Wohin" des Transzendierens, d. h. Zwecke der Freiheit als menschlicher Freiheit geben? Aber auch wenn das der Fall wäre, ist eine solche Zwecksetzung nicht wiederum der dialektischen Struktur des SidiAbsetzens von sich selbst unterworfen, da der Grund des Zwecks der endliche Mensch ist? Kann ich nicht immer „anders", bin ich nicht konstitutionell unstabil? Ist dies Anders-Können eine konkrete Konsequenz aus der dialektischen Seinsweise des Menschen? Vor der Frage nach den positiven normativen Inhalten stellt sich also noch diese Vorfrage. Sartre entwickelt hierzu eine eigne Theorie, die Theorie der Urwahl32. Danach ist der Mensch im allgemeinen durch sein Sein und durch das Übergreifen seines Entwurfs auf seine ganze Zukunft gebunden, seine Kontingenz bedeutet ein Sich-Schon-Gewählthaben. Er ist prinzipiell frei für Negation seiner selbst, aber das Umstoßen alles Bisherigen ist eine faktische Frage, nämlich inwieweit der Mensch zu sich so radikal Stellung nimmt (etwa in der Angst oder in der „réflexion pure") 33 , daß er eine bisherige Kontinuität negiert. Wir haben also eine Art Konstanzannahme, nicht unähnlich dem, was Kant in der Religionsschrift „Gesinnung" nennt im Unterschied zu Wille und Willkür, nämlich einen dispositionellen Willen. Frühere Entwürfe sind für den Menschen gleichsam eine Situation, die seine Freiheit mitbestimmt ' 4 . Hiermit ist die Grundlosigkeit der Freiheit als Prinzip eingeschränkt auf einen stetigen Gebrauch der Freiheit, aber nach wie vor ist diese Freiheit grundlos in dem Sinne, daß sie keinen Bestimmungsgrund außerhalb ihrer eignen Negativität hat. Kommen wir nun zu der Frage nach dem Wohin und Wozu der Freiheit, zur Frage nach einem positiven normativen Inhalt, einem mit dem Begriff des Menschen gesetzten positiven Bestimmungsgrund des Engagements, so finden wir uns in Sartres Theorie wiederum verwiesen auf die Dialektik des Fürsichseins. Als was das endliche Subjekt sich auf seine Ganzheit entwirft, hängt anscheinend von seinem konkreten, tatsächlichen Bestand und seiner Situation ab, seiner Faktizität, die es transzendieren will (etwa wenn ich Durst habe, will ich ganz Durst sein)35. Hier erscheint also der Zweck als die

32 33 34 35

EN EN Cf. EN

539; 531-4. 201-6. die Analyse zu Leibniz E N 546-8. 132, 145 f.

Der Begriff vom Menschen

25

Steigerung der Endlichkeit (nämlich des beschränkenden Prädikats) statt als Steigerung der Endlichkeit zur Unendlichkeit oder Ganzheit (als Struktur). Ein konkreter Bestand ist Ausgangspunkt für eine Extrapolation des Zwecks. Es besteht eine Verwechslung von Struktur und Inhalt 3 6 . Oder, wenn wir sagen, der Entwurf ginge voran und erschließe als Gegenstück einen negativ akzentuierten faktischen Bestand, so wäre der Entwurf des Zwecks nicht mehr vom Subjekt in seiner Strukturdeutung her verständlicher Zweck, sondern ein erfundener Zweck 37 . Bleibt man bei der Strukturdeutung, so läßt sidi kein konkreter Zweck für den Menschen begründen, es lassen sich nur konkrete vorausgesetzte Zwecke der qualitativen oder existenzialen Dialektik des Fürsichseins unterworfen denken. Audi inhaltlich-anthropologisch gefaßte Bedürfnisse und Zwecke sind nicht mit der Analyse zu verknüpfen. Der Bezug zur Welt ist nur der einer Korrelation zur subjektiven, immanenten Dialektik des Subjekts mit sich selbst als Fürsichsein. Die Welt ist nicht inhaltlich als Ermöglichung des Menschen aufzuzeigen. Was positive normative Zwecke angeht, so läßt sich das Subjekt nicht als ihr Grund dartun, noch ist es so geartet, daß sie Bestimmungsgrund f ü r es wären. Eine Theorie solcher Bestimmungsgründe ist auf der Ebene von EN nicht möglich. Wir verstehen das jetzt, schärfer als bei Heidegger, aus der Reduktion des Menschen auf existenziale oder qualitative Seinsbestimmungen im Gegensatz zu der (ebenfalls dialektischen) Theorie Hegels, die unter Ansetzung eines über das endliche Subjekt hinausliegenden Geistbegriffs das endliche Subjekt in einer Bezogenheit auf die mit dem Geistbegriff gegebenen höheren Gestaltungen entwickelt. Damit wird Hegels Theorie positiv normativ. Umgekehrt macht bei Sartre die Beschränkung auf Seinsweisen eine normative Theorie der mit dem Menschen etwa gesetzten höheren Gestaltungen und Zwecke unmöglich. (Wir kommen darauf im Zusammenhang mit der Existenzialismus-Schrift noch einmal zurück.) Das Gesagte hält sich noch im Rahmen einer Prinzipienfassung „des" Menschen38. Nun ist der Mensch jedoch auf der Welt nicht allein. Schon Heidegger, trotz seiner Sartre so verwandten Zentralperspektive des Daseins, hatte das „Mitsein" als Existenzial geltend gemacht. Könnte es nicht sein, daß von dem Bezug des Menschen zu anderen Menschen her sich dem Menschen über seine zentrale Subjektivität hinausgehende Bestimmungsgründe ergeben? Indem wir diesen Punkt untersuchen, tun wir einen ersten Schritt in Richtung auf Sozialphilosophie.

36 37

38

Cf. „Grundzüge . . 7 3 . Cf. E N 132 f., 145 f., 549 („invention spontanée", gesagt von der Entscheidung zwischen Adiaphora). Cf. L'existentialisme est un humanisme 83: „la liberté comme définition de l'homme ne dépend pas d'autrui".

26

Sartres phänomenologische Ontologie

3. Der Andere Die Entwicklung eines ontologischen Subjektsbegriffs bei Sartre gibt zunächst noch keinen Hinweis auf eine Erfassung des Andern und seines Verhältnisses zu einem zentralen Subjekt, geschweige denn einen Hinweis auf soziale Strukturen, die mit dem Menschen gesetzt wären. Der Mensch ist nur prinzipienmäßig erfaßt, durch eine Seinsweise, aber darin liegt nichts, was ein Junktim mit anderen Menschen enthielte 39 . Es besteht ein Junktim mit dem Sein, das für das Subjekt ist, also mit der Welt der Phänomene; aber das ist nicht gleichbedeutend mit der Erfassung anderer Menschen durch die ontologische Theorie. Die Prinzipienbestimmung des Menschen wäre erfüllt auch ohne andere Menschen. Der Andere ist kontingent. Audi das Sein ist an ihm selbst kontingent, aber für das zentrale Subjekt, für mich, ist es, als für mich notwendig, in Prinzipienimplikation gesichert. Der Andere ist aber für mich nicht notwendig, damit In-der-Welt-Sein sei. Läßt sich ein kontingenter Anderer, eine kontingente Pluralität von Menschen, in den Ansatz beim Fürsichsein einbeziehen? Dieses Problem stellt sich für jede begründende, transzendentale Philosophie. Ein Weg wäre, den Andern als Implikat höherer kategorialer Stufen des Geistigen und Sozialen zu sichern. Das würde bedeuten, daß der Andere durch das Prinzip der Differenz, des Einen und Anderen, also des Daseins, auf der jeweiligen kategorialen Stufe erfaßt wäre. Die Paargestalt von Herr und Knecht in der Phänomenologie des Geistes ist so Gestalt des Geistes in der Differenz, und so ständig auf den einzelnen Stufen der Philosophie des Geistes. Dieser Weg der kategorialen Implikation des Andern ist für Sartre nicht möglich, denn er müßte zu solch höheren Gestalten erst vom Menschen als verendlichtem Prinzip aus gelangen können. Wir wir gesehen haben, hat er keine Möglichkeit, von einem Vernunft- oder Geistbegriff her eine kategoriale Dialektik und damit solche dualen Gestalten des Geistes zu entwickeln. Er lehnt das von seiner Auffassung von Ontologie her sogar ab. Es geht ihm also um einen kontingenten Andern als vom Subjekt aus einerseits hinzunehmenden, andrerseits zu sichernden und zu begründenden 40 . 3

" Cf. E N 342. — Zu dem ganzen Abschnitt cf. Theunissen, Der Andere, 187-230. Für das folgende s. E N 275-364. Cf. dazu „ G r u n d z ü g e . . . " 98-112. — Theunissen betrachtet das, was wir eine „Vorfrage" nennen, die Theorie der Begegnung, als „Versuch einer Überwindung der transzendentalen Intersubjektivitätstheorie" und als Erfassung der Unmittelbarkeit des begegnenden Anderen (Der Andere 187). Das, was für uns die Hauptfrage ist, erscheint dann als Rückkehr zur Transzendentalphilosophie in pejorativem Sinn (ebda. 225 ff., auch 235). Diese Stellungnahme wird daraus verständlich, daß Theunissen die sozial-ontologische Lehre v o m Dialog im Auge hat als eine, die die Erfassung der unmittelbaren Wirklichkeit des Anderen und des „Zwischen" gestattet, während wir eine transzendentalphilosophische Behandlung des Problems, wenn auch nicht im Husserlschen konstitutionstheoretischen Sinne, bejahen und im übrigen glauben, damit auch Sartres Intention zu entsprechen.

40

Der Andere

27

Sartre stellt sich zunächst eine Vorfrage: wie begegnet mir überhaupt der Andere? Hier liegt ja ein Problem, insofern als mir im Phänomen, in der Gegebenheit, das Spezifische des Anderen, daß er eine Subjektivität ist, nicht erscheint. Entsprechend sind hier Einfühlungstheorien entwickelt worden, bei denen aber die Gewißheit, daß es sich um einen Andern handelt, nie die Wahrscheinlichkeit übertrifft, wie Phänomene sie haben. Sartre will dagegen das immer von uns schon Zugestandene klären, daß wir nicht nur vermutliche Menschen als „Objekt-Andere" vor uns haben, sondern „Subjekt-Andere", von denen wir betroffen sind. Seine These ist, daß der Andere mir einmal als Objekt erscheint, ich ihn aber schon als Subjekt verstehe, und in meiner Welt dem schon Rechnung getragen ist, indem ich um ihn einen Raum seiner Bewandtnisbezüge einräume. Dann aber kann der Andere mir auch als Subjekt — nun nicht „erscheinen", denn das hieße ja eben, daß er für mich Objekt wäre, sondern von mir erlebt werden, und zwar, wenn ich mich angeblickt erlebe. Ich erlebe dann eine Umwandlung meiner selbst zu einem Sein für ihn. Ich kann nun mich so umgewandelt erleben, auch wenn kein eigentliches Gesicht, das mich fixiert, diese Umwandlung ausgelöst hat; ein offenes Fenster kann dieselbe Reaktion in mir hervorrufen. Ich erlebe mich praktisch immer in einem Raum fremder Subjektivitäten, denen gegenüber ich Objekt bin. Gemäß der Prinzipienallgemeinheit, in der dies alles spielt, ist der SubjektAndere für mich nicht ein (gegebenenfalls) Plurales, sondern „pränumerisch'' 41, „das" andere Subjekt, das mich zum Objekt macht (z. B. die Zuhörerschaft im Hörsaal, die erst zur Vielheit für mich wird, wenn ich ihren Blick aushake und sie zum Objekt mache, sie zählen will usw.). Es besteht also eine Implikation zwischen mir und dem Anderen, die kontingent vermittelt ist, aber sich theoretisch nicht von einer apriorischen Offenheit unterscheidet, die in der! konkreten Begegnung (auch der irrtümlichen) ein Geschehen auf meiner Seite zum Inhalt hat. Der Andere ist mir apodiktisch gegeben, d. h. so wahr ich mein Objektwerden erlebe. Der zugehörige Andere zu diesem Objektwerden (etwa im Erlebnis der Scham) kann dabei aber auch nicht-existent sein, und insofern besteht ein gleitender Übergang zur apriorischen Offenheit. Ich impliziere ein mögliches Faktum. Diese von der phänomenologischen Beschreibung ausgehende Auffassung führt Sartre nun weiter in einer ontologischen Fundierung, d. h. er will zeigen, daß ein durch das Prinzip des Fürsichseins gedeutetes Subjekt Grund oder doch „Unterpfand" sein kann für eine Seinsbeziehung (zum Andern, obwohl es nicht seinem Begriff oder Prinzip nach eine solche Beziehung hat. Wie läßt sich aber die Beziehung zum Andern dann gründen? Wir müssen die Beziehung zum phänomenologisch schon gesicherten Anderen zunächst ganz so denken wie die des Fürsichseins zum Sein, die ja darin liegen soll, daß es das Sein „nicht ist". Ich beziehe mich auf den Andern, indem ich ihn „nicht 41

Cf. 84 unten.

28

Sartres phänomenologische Ontologie

bin". Ich bin meinerseits der, den der Andere nicht ist. Damit ist in einer neutralen, „objektiv-ontologischen" Perspektive ein Auftreten des Andern für midi umschrieben. Ich bin damit in einer neuen Dimension, eben der gegenüber dem Anderen, ich selbst. Wir haben selbst zu sein nicht nur, indem wir das Sein nicht sind, sondern auch, indem wir den Andern abweisen. Das Fürsichsein impliziert also den Andern durch Negation, reißt sich von ihm los, und damit „gibt es" ihn für midi. Das Fürsich begrenzt sich gegen den Andern, impliziert ihn in einem Limitationsverhältnis. In dieser Limitation ist der Andere auch „gegeben", aber das ist nicht eng, für einen konkret vorfindlidien Anderen, zu verstehen: es ist ja meine Leistung, daß ich midi „nicht" den Andern sein lasse. Dies kann im konkreten Fall, oder im Falle des Irrtums oder allgemein apriorisch gemeint sein. Die Sadilage geht über in eine logische, eben das Verhältnis der Limitation oder der Dialektik der Grenze mit dem Andern als ergänzendem Horizont. Der Andere ist nicht nur „nicht Ich", sondern auch wiederum meinesgleichen. Ich negiere ihn in der Limitation als einen, der mich negiert, beide sind wir Fürsidisein. Idi negiere den Andern als ein abzuweisendes Ich-selbst. Weiter negiere idi, indem ich den Anderen als einen negiere, der mich negiert, ihn als einen, für den ich bin. Er ist für midi ein Subjekt-Anderer. Idi realisiere, daß dasselbe wie für mich audi für den Andern gilt. Wir begrenzen und begegnen uns gegenseitig. Meine einseitige Subjektorientierung ist beibehalten und dodi auch aufgegeben. Dies alles ist nun nidit nur ein logisches Realisieren, ein logisches Verhältnis der Limitation, sondern innerhalb des logisdien Ganzheitshorizonts ein Zurückbleiben im Gegensatz. Beide sind wir faktisch. In meinem Nicht-derAndere-Sein liegt sein Nicht-Ich-Sein, denn er ist ja prinzipienmäßig dasselbe wie ich, und ich liege als faktischer Anderer prinzipiell in seinem Bereich. Aber im Gegensatz zur gelingenden logisdien Dialektik schließen wir uns als faktische aus. Ich und er bleiben unserer prinzipiellen Zentralorientierung verhaftet. Die Bedingung, daß all dies nicht doch nur ein apriorischer Horizont der Ganzheit oder der bloßen Limitation bleibt, ist also, daß eine fremde Negation meiner selbst wirklich vom Andern an mich „ergeht". Sie ist die eine kontingente Bedingung neben der anderen, daß ich meine Negation des Andern ergehen lasse. Es ist also eine mir transzendente, faktische Bedingung im Andern initerforderlich 42 . Damit ist aber f ü r Sartre die logische Wechselseitigkeit des Limitationsverhältnisses verändert. Er sagt sich: wenn ich den Andern negiere, ist er für mich Objekt. Meine faktische Negation trifft also gar nidit den Andern als einen, der mich negiert, also Subjekt ist, sondern nur als Objekt. Sartre urgiert hier, wie bei der phänomenologischen Beschreibung, das alternierende Verhältnis, daß entweder idi Subjekt und der Andere Objekt, oder ich Ob42

Kritisch hierzu „Grundzüge . . . " 111.

Der Andere

29

jekt und der Andere Subjekt ist. Es ist also keine logische Limitation oder Wechselseitigkeit, sondern eine faktisch alternierende. Soll nun aber doch die Beziehung zum Andern für midi als faktisches Fürsichsein, das auf Andere bezogen ist, eine Seinsbeziehung sein, eben eine Seinsbeziehung zum Subjekt-Andern, so muß auch die Limitation als prinzipielle in Geltung bleiben: mein Ich-selbst liegt doch darin, daß ich nicht der Andere bin und mich so auf ihn beziehe. Mache ich ihn nun faktisch zum Objekt, dann ist er nicht für mich. Ich muß also den Andern, den ich in einer auf ihn direkt gerichteten Negation nicht erreiche — er bietet sich nicht als Subjekt —, indirekt negieren, indem ich die Subjektfunktion des Andern dort negiere, wo sie mir zugänglich ist, nämlich, indem ich mein von ihm zum Objekt gemachtes Ich negiere. Ich bestimme mich als midi selbst durch Abhebung von diesem vom Andern zum Objekt gemachten Ich. Damit grenze ich mich in eins gegen den Andern (auf den ich midi implikativ oder konkret begegnend beziehe) und gegen mein Sein-für-Andere (auf das ich mich damit auch als auf meines beziehe) ab. Folglich ist mein Ich-Objekt, mein Sein-fürAndere, Unterpfand meines Selbstseins als Nidit-der-Andere-Seins. Dies Ich-Objekt, oder mein Sein-für-Andere, ist einerseits meines, andrerseits ist es das, was für den Andern ist. Es ist ein Objekt für den Andern, aber ich „bin" es, indem ich es nicht bin, da idi Fürsichsein (und also mit Sein verstrickt) bin. Als „was" dies ist, das ich bin und nicht-bin, entgeht mir, da es nur für den Andern ist, d. h. ihm gegeben ist. Für den Andern ist es „t he tisch", gegenständlich, für midi dagegen ist es nur „erlebt", nichtthetisdi. Ich bin ein Sein, das aber nicht für mich Phänomen wird, sondern für ein anderes Fürsichsein. Ich bin diese Einheit von Sein — eben Sein-fürAndere — und Fürsichsein. Dies Sein-für-Andere ist der ontologische Grund für meine Seinsbeziehung zum Andern; sonst könnte es ihn geben ohne daß ich eine Seinsbeziehung zu ihm hätte. Im Sein-für-Andere ist die gegenseitige Begrenzung von Subjekten trotz der gegenseitig ausschließenden und vergegenständlichenden Beziehung ermöglicht. Es gibt also doch eine Anweisung im eignen Sein — wenn auch nicht im Begriff — des Menschen auf den Andern, aber nicht ein Junktim im anfangs erwogenen Sinn, sondern im Sinn einer transzendental-ontologischen Konstruktion. Das Sein-für-Andere ist die Stelle, die mich das Betroffensein von fremder Negation erleben lassen muß, wo sich eine fremde Negation umsetzt in etwas mir Erlebbares, Verinnerlichtes43, ein Gefühl der Scham z. B. Der Leib wird für dies Sein-fürAndere angesetzt, und die ontologische Grundlegung wird für nähere Klärungen phänomenologische Beschreibungen hinzunehmen. Entsprechend dem alternierenden Verhältnis zwischen mir und dem Andern muß die bisher betrachtete Sachlage, mein Idi-Selbst-Sein durch Realisieren und Erleben eines Subjekt-Anderen, übergehen können in den umgekehrten 43

Cf. unten 71 Anm. 8.

30

Sartres phänomenologische Ontologie

Fall eines Transzendierens des Andern durch mich, indem ich ihn zum Objekt mache und die erstere Sachlage für ihn entsteht. Den Übergang denkt Sartre sich wiederum logisch begründet so: ich muß die Negation, durch die der Andere mich negiert und die also nicht von mir abhängt, negieren. Damit daß ich mein Negiertsein durch ihn, mein Sein-für-Andere, negiere, bin ich aber gerade ich selbst: ich reiße mich vom Andern (d.h. von seiner Negation an mir) los, indem ich meine „Begrenztheit" durch ihn negiere. Im Negieren meiner Grenze (im Sinne einer Freiheitsbeschränkung) bin ich Fürsichsein, dasselbe wie der Andere. Aber ich gelange nicht etwa, im Sinne Hegels, zu einer Einheit mit ihm und damit zu einer höheren Ganzheit, ich mache nur midi wieder zum Subjekt und den Andern wieder zum Objekt. Dies MichErgreifen, dies Negieren meines Negiertseins, ist, wie Sartre sagt, ein „explizites" Bewußtsein meiner selbst als die Möglichkeit habend, den Andern zu negieren. Das logisch-strukturelle „ich bin nicht mein Sein-für-Andere" muß explizit gemacht werden können, ein faktisches Wollen sein. Logisch sind beide Fälle zu verwechseln, und so ist durch die logische Struktur ein wechselseitiger Ubergang oder richtiger: eine Simultaneität und Limitation beider Intentionsrichtungen gezeigt; nur faktisch aktiviere ich ein von mir aus orientiertes Limitationsverhältnis, also ein Ausschließungsverhältnis zum Andern. Das formale Nachdenken über diese Sachlagen kann das faktische Moment als Faktum eines Logischen nur behaupten. Das faktische Umschlagen ist also kein logisches, kein Progreß der Dialektik, sondern eben ein faktisches Umschlagen im gegebenen Fall innerhalb des logischen Rahmens, das affektiv erlebt wird, gefühlsbedingt ist je nach der Situation. Hierher gehören die inhaltlichen Bestimmungen von Furcht (in der es mir um mein Objektsein geht), Scham (in der ich gehindert bin, reines Subjekt zu sein), Stolz (in dem ich den Andern als Subjekt anerkenne, aber mich verantwortlich fühle für mein Objektsein, den Andern durch mein Objektsein beeinflussen will, ihn also als Subjekt übergreife, so daß er Objekt wird und der Sinn meines Verhaltens durchkreuzt ist). Wir haben hier einige Beispiele, wie die formale Deutung der Beziehung Ich-Anderer ein inhaltliches Verständnis unserer menschlichen Erfahrung bestimmt. Dies ist ebenso der Fall in den Sdiilderungen der „relations concrètes avec l'autrui" 44 , die deutlich ein auf Grund der ontologischen Theorie différentes Verständnis des Menschen in seiner Beziehung zum Andern, in einer Proto-Sozialität, zeigen. Das Wesentliche und Différente, das sich aus der vorgeführten Theorie ergibt — die wir hier nicht weiter auf ihre Dignität als Grundlegungsversuch betrachten wollen —, ist die These, daß die Sozialität des Menschen grundsätzlich ein Antagonimus ist. J e zwei, eine Zentralsubjektivität und die Andern als pränumerisdie, sind sich entgegengesetzt. Die These ist, daß ich, indem ich zum Objekt gemacht werde, nicht aktive 44

E N III, iii, 431-503.

Der Andere

31

Subjektivität bleibe, sondern mein Subjektivitätspotential erst wiedergewinnen muß (alternierende Wechselseitigkeit). Dieser Gedanke kann sich auf Erfahrungen berufen, die in phänomenologischen Beschreibungen ihren Niederschlag gefunden haben. Als allgemeine ontologische These ist das differente Ergebnis schwerlich zu akzeptieren: trotz der Pluralität der Subjekte sollen Subjekt- und Objektcharakteristik des Menschen disjunktiv auf midi und den Andern verteilt sein. Das Prinzip des Menschen ist gewissermaßen in zwei Modifikationen, in Zentralperspektive und in gegenständlicher Perspektive, angesetzt, dialektisch verbunden durch ein neutral orientiertes, logisches LimitationsVerhältnis; beide Perspektiven sind wechselseitig. Mit seiner These vom prinzipiellen Antagonismus der Subjekte scheidet Sartre alle eingespielten Intersubjektivitäten von der Untersuchung aus: Anerkennung im Gespräch, aber auch Gemeinsamkeiten der Bedeutungssphäre. Wohl aber ist er in der Lage, mit seinem Schema menschliche Lagen zu erfassen, die dem Antagonismus entsprechen: es sind die genannten Situationen von Paaren. So feinsinnig diese Analysen auch sein mögen, sie stellen nur einen vom Ansatz beim Prinzip geleiteten und durch dessen kategoriale Armut bedingten Ausschnitt der zwischenmenschlichen, sozialen Wirklichkeit dar. Es handelt sich um eine Sozialphilosophie von Paaren. Der soziale Bereich ist der einer Pluralität von Freiheiten, die sich je vom Zentrum eines Subjekts aus polarisieren in Subjektfreiheit und Objektfreiheit, und das heißt Unfreiheit. Im immer möglichen Umschlagen der Polarisierung ist ein Unterpfand der grundsätzlichen Gleichartigkeit der Vielen gegeben. Logisch sind sie in ihrem Limitationsverhältnis gleich, sind Menschen. Aber die jeweilige Orientierung gestattet keine objektiv-ontologische Betrachtung des Sozialen nach strukturierten Gebilden (die als kategorial zu leistende Begründungsaufgabe nicht in den Blick treten kann). Wir können von einem Individualismus sprechen oder von einer individualistischen Sozialphilosophie: es ist nur davon die Rede, wie der Mensch als Freiheit von anderer Freiheit betroffen ist oder wie er sie betrifft. Es gibt, das sieht Sartre schon in EN, Gruppierungen von Freiheiten als Objekten für eine Subjektivität, ein Wir-Objekt — etwa das Zusammengehörigkeitsgefühl der Zuhörer, die einem Vortragenden ausgeliefert sind. Es gibt „laterale" Beziehungen von Menschen als Objekten einer fremden Freiheit, wenn auch die Begründung für diese lateralen Beziehungen als vom betroffenen Einzelnen aus orientiert nicht theoretisch befriedigend behandelt ist. Sartre rührt damit schon an das Entfremdungsphänomen als Form der Sozialität, und zwar spezifisch als „laterales" Phänomen, denn grundsätzlich ist der Prototyp von Entfremdung für ihn die frontale Konfrontation im Zum-Objekt-Gemacht-Werden durch den Andern. Wir sehen voraus, daß für Sartre maßgebende Konzeptionen für den sozialen Bereich sein werden eine absolute Freiheit des Einzelnen (und vielleicht auch absolute Freiheit in Gemeinschaft, was er in EN noch nicht zeigen kann; er lehnt ja das sog.

32

Sartres phänomenologische Ontologie

Wir-Subjekt ab, wenn auch die „équipe" schon eine Rolle spielt)45 und eine entfremdete Freiheit (individuell entfremdet durch den konfrontierenden Anderen oder sozial entfremdet durch ein laterales Verhältnis zu Anderen gegenüber einem objektivierenden Andern).

4. Das Verhältnis zum Andern als

Identifikation

Sartres Grundgedanke für die Deutung der Sozialität ist in E N der Antagonismus, die notwendige Entfremdung durch den Andern und notwendige Entfremdung des Andern durch mich. Aber auch für diese Entfremdung meiner selbst in Objektposition für einen Andern muß gelten, daß ich frei bin; ich verliere ja meine ontologische Charakteristik nur faktisch (auf der Grundlage meines notwendig-faktischen Seins), aber nicht prinzipiell, als Fürsichsein. Wir sahen ja, wie die logische Analyse eine Limitation bei beiderseitiger Identität ausweist und die wechselseitige Polarisierung eine Sache des Faktischen, wenn auch notwendig-Faktischen, bleibt. Es stehen sich gegenüber notwendig-faktische Einschränkung (prinzipielles Betroffenwerdenkönnen im Rahmen der apriorischen Implikation) und prinzipielle Freiheit, Fürsichsein. Es gibt ex definitione keine Umstände, unter denen meine prinzipielle Freiheit nicht wäre, etwa im Gefängnis, in der Beschämung oder wie und wo auch immer. Eine Einschränkung meiner prinzipiell gewahrten Freiheit ist nur durch das Objektivierungstheorem (u. U. für eine Pluralität) dargestellt, und das ist wiederum notwendig-faktisch und universell. So wenig eine nicht-entfremdete Gemeinsamkeit mit Anderen aufgezeigt ist in ihrer Möglichkeit — etwa Freundschaft, Aktionsgemeinschaft —, so wenig auch die Struktur, bei der eine Gemeinsamkeit mit Andern eigentlich entfremdend wäre (was eben nicht universell, durch notwendig-faktische Objektivierung gezeigt werden kann). Es gibt zu viel, aber nur faktische, Entfremdung bei Sartre. Wir suchen eine Vermittlung von sozialen Gebilden und Strukturen mit der Freiheit. Irgendwie muß ein bestimmtes Gegenüber meine Freiheit einschränken oder auch erfüllen können, eine bestimmte Struktur der Beziehungen muß einen nicht trivialen Unterschied machen, der Unterschied muß positiv formulierbar sein, es muß eine kategoriale Theorie der sozialen Verhältnisse als freier oder entfremdeter gegeben werden. Freiheit und Sozialität, möglicherweise entfremdende Sozialität, müssen inhaltlich-konkret, aber doch in begründeter Weise, in Beziehung gesetzt werden. Es reicht nicht zu sagen, daß die Freiheiten der Anderen mir die Lage unhaltbar machen können 46 , also andere Freiheit ggf. negativ zu sehen, oder, wie der frühe Marx, positiv, davon zu sprechen, daß „dem Menschen in der Gesell45 46

E N 303, 495-502. Cf. Matérialisme et révolution, in Situations III (Paris, N R F , 1949) 209.

Das Verhältnis zum Andern als Identifikation

33

schaft die gegenständliche Wirklichkeit als Wirklichkeit der menschlichen Wesenskräfte, als menschliche Wirklichkeit und darum als Wirklichkeit seiner eignen Wesenskräfte wird" 47 . Es müßten vielmehr Sozialformen in Kontinuität mit dem Prinzip der Freiheit entwickelt werden, aus deren Struktur die Wahrung der Freiheit bzw. die Entfremdung verständlich werden. Der prinzipielle Antagonismus der Freiheiten und das Ineinander von entfremdeter Freiheit und aktiver Freiheit reichen dafür nicht aus. Sartre will allerdings auch eine nicht-antagonistische, solidarische Beziehung von Freiheiten zueinander ansetzen. So heißt es in der ExistenzialismusSchrift: „ . . . je ne puis prendre ma liberté pour but, que si je prends également celle des autres pour but" 48 . Ist das ein ethischer Gedanke, sollte das so sein — vor der eben zitierten Stelle heißt es: » . . . mais dès qu'il y a engagement, je suis obligé de vouloir en même temps la liberté des autres" —, oder liegt hier eine strukturelle Einsicht in ein soziales Verhältnis zu Andern, das nichtantagonistisch ist? Sartre meint irgendwie einen prinzipiellen Begriff von Freiheit, unter den meine Freiheit und die Freiheit Anderer fallen, und der hier undeutlich auch für eine gemeinschaflliche Freiheit zu gelten hat 49 . Kann Sartre für eine solche gemeinschaftliche Freiheit mehr als Appell bieten? Wie wir gesehen haben, erkennt die Sartresche Freiheitslehre dem Menschen absolute Freiheit auf der Grundlage des Faktischen zu. Den Schritt zu einer konkreteren Freiheit, in der auch Andere als Bestimmungsgrund für mich eintreten können, macht Sartre in der Existenzialismus-Schrift durch den Gedanken der prinzipiellen Identität Anderer und meiner selbst qua Freiheiten50. Die Freiheit Anderer, indem sie prinzipiell mit meiner identisch ist, muß genauso mein Ziel sein wie meine. Der Gedanke klingt an, daß ich mir sonst widerspräche, denn das Ziel meiner Freiheit involviert logisch die Freiheit der Andern als mein Ziel. In recht anderem Sinne sagt Sartre, daß meine Wahl, indem sie mich engagiert, auch die ganze Menschheit engagiere51; der Andere hängt in seiner Freiheit von mir ab, wie auch ich von der Freiheit Anderer abhänge52. Hier handelt es sich um ein faktisches Verhältnis. Beide Gedanken scheinen zusammenzukommen im Gedanken der Verantwortung: was der Mensch auch tut, „il est impossible qu'il ne prenne pas une responsabilité totale en face de ce problème" 53. Damit will Sartre den Vorwurf der Willkür seiner Freiheitsauffassung und die Identifizierung mit dem acte gratuit Gides abweisen. Aber was heißt Verantwortung? Sie 47 48 49

50 51 52 5S

M a r x Werke (Cotta) I, 600. L'existentialisme est un humanisme 83. Cf. die Kritik von Lukacs, Existentialisme ou Marxisme (Paris, Nagel, 1961) 129 ff. (Die deutsche Ausgabe war mir leider nicht zugänglich.) Lukacs spricht a.a.O. 131 von einem „bond miraculeux". L'existentialisme est un humanisme 74. ebda. 83. ebda. 75.

34

Sartres phänomenologische Ontologie

ist hier ein ontologisdier Begriff und besagt im Grunde nur, daß idi an den Weiterungen meiner Wahl „schuld" bin54. Man möchte sagen: ich hätte die Weiterungen voraussehen und sie mit zum Bestimmungsgrund meiner Wahl machen müssen. Aber etwas Normatives ergibt sidi doch nur, wenn die Weiterungen für midi freiheitsdifferent sind, ich also einen Beurteilungsmaßstab für eine gemeinschaftliche Freiheit habe. Die Rede von der Verantwortung besagt also für die Frage freier Gemeinschaft nichts; im Gegenteil, sie kann Heideggersche „Entschlossenheit" sein55. Wir kommen zur ersteren Idee zurück, daß fremde Freiheit mein Bestimmungsgrund sein soll wie meine eigne. Der Gedanke erinnert uns an eine Kantische Position, besonders an diejenige Formulierung des kategorischen Imperativs, wonach idi andere Personen immer nur als Selbstzweck betrachten soll 5 ". In diesem Gedanken liegt keine Anweisung für eine soziale Struktur, es ist ein ethischer Gedanke. Aber steht auch nur er Sartre überhaupt offen? Kann Sartre eine normative Konzeption ethischer Art von seinem ontologischen Prinzipienbegriff überhaupt entwickeln? Man könnte meinen, nach Sartres ontologisdier Klärung des Verhältnisses zwischen mir und dem Andern sei jeder gerade durch das Verhältnis zum Gegen-Idi er selbst; der Andere als identisch mit mir in seiner Freiheit wäre gerade Voraussetzung für mich. Aber dies ist sozusagen nur eine „objektivontologische" oder logische Sachlage, die nun faktisch orientiert von mir und vom Andern aus gesehen werden muß. Die Identität mit dem Andern als ebenso relevanter Bestimmungsgrund für midi wie ich selbst — diese Identifikation — scheint für Sartre immer durch die faktische, jemeinige Orientierung verhindert zu sein. Nur wenn ich im Einklang mit der Theorie über meine Orientierung hinaus dem Gemeinsamen, worin wir, ich und der Andere, identisch sind, gemäß handeln könnte und zu handeln hätte, midi einordnen könnte in eine neutrale Perspektive, in der ich und der Andere Freiheiten sind, stünde Sartres Prinzipiendeutung dem Gedanken des kategorisdien Imperativs nahe. Der Mensch ist endlich, faktisch, mit Sein beschwert, an seine situierte Orientierung gebunden, so wie er bei Kant als Sinnenwesen gekennzeichnet ist. Soweit ich nun Vernunftwesen bin, würde Kant sagen, ist der Andere für mich Selbstzweck. Dies „qua Vernunftwesen" ist eine Norm gegenüber dem, was der Mensch „ist". Für Sartre ist diese Norm zwar ein apriorischer Horizont, wir bleiben aber als endliche hinter ihm zurück. Wie steht es aber mit der Verbindlichkeit der Norm als solcher? Diese horizonthafte Identität meiner selbst mit dem Anderen ist nicht im Sinne einer Norm gefaßt: das, worin wir koinzidieren, ist unser Seinsprinzip, das Für-

54

55 56

Cf. die Analyse in Hegels Rechtsphilosophie §§ 115-118. Cf. auch Heideggers Schuldbegriff in Sein und Zeit 283 f., 285, 287. Sein und Zeit 297. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Bd. IV, 429.

Das Verhältnis zum Andern als Identifikation

35

sichsein oder die Freiheit, und im Begriff der Freiheit liegt nicht schon ihre Vernunft, die Kant einführt und in der ein Geltungsmoment liegt 57 . Sartre geht in der Existenzialismus-Schrift allerdings über das ontologische Verständnis des Menschen hinaus: im Handeln, das Andere betrifft, soll ich den Andern als Freiheit, d. h. in dem, worin er sich erfüllt, ernstnehmen, wenn auch Sartres Freiheit nicht die Allgemeingültigkeit der Vernunft bei sich hat. Im Zusammenbestehen der Freiheiten ist jede von der des Anderen konkret abhängig, die Vereinbarkeit ist keine geistige, nadi einem allgemeingültigen Gesetz™, sondern als Realsystem von Pluralitäten vorzustellen (so wenig dafür strukturelle Bedingungen in bestimmten sozialen Ordnungen angegeben sind). Es bleibt bei einem vom Standpunkt der Freiheit unbegründeten Sollen. Das Verhältnis zwischen Menschen kann nidit-antagonistisch sein, sofern wir uns der Norm unterwerfen, vorausgesetzt, wir könnten es, aber die Norm der Freiheit ist in ihrer Verbindliclikeit letztlich nicht einzusehen. Es handelt sich um eine ethische Idee ab extra. Man kann nicht einmal sagen, der Mensch „unterliege" einer Norm (der der Vernunft oder der Freiheit), denn er ist nicht durch einen kategorialen Begriff, wovon er eine relative Exemplifikation wäre, gefaßt. Der Mensch ist bei Sartre nicht normativ bestimmt wie in der Kantischen und Hegeischen Philosophie. Ließe sich nun aber — wir kommen noch einmal darauf zurück — von dem mit der Seinsweise des Menschen gegebenen Begriff her ein damit kontinuierlicher expliziter Begriff des Sozialen aufstellen? Führt ein Ernstnehmen der Freiheit als so ausgelegte Norm auf eine strukturierte soziale Ordnung? Ist mit der Freiheit ein konkreter Freiheitsbegriff angelegt? Sartre denkt ganz offensichtlich an einen konkreten Freiheitsbegriff, wenn er etwa von der Einschränkung der Freiheit durch Tyrannei oder Ausbeutung spricht und Auflehnung empfiehlt. Wie beide, die prinzipielle und die konkrete Freiheit, zusammenhängen, wird aber nicht deutlich. Die prinzipielle Freiheit besitzen alle. Aber wie muß ich handeln, aber wie auch die Andern, damit die konkrete Freiheit im Zusammenleben mit Anderen auf meiner Seite und auf der Seite der Andern erfüllt ist? Sartre stellt eine solche konkrete Freiheit als möglich hin: er meint, daß mit seinem Freiheitsbegriff, wonach der Mensch sich den Sinn des Lebens erst selbst gebe, auch die Möglichkeit besteht, eine menschliche Gemeinschaft zu schaffen59. Sartre steht hier an der Nahtstelle von Ethik und Sozialphilosophie: er stellt sich vor, daß es durch Respektierung und Beförderung fremder (populär oder frühmarxistisch verstandener) Freiheit Gemeinschaft geben könne. Aber was müßte ich tun, was müßten alle tun, wie müßte das Verhältnis aller zu allen strukturiert sein, damit es freie Gemeinschaft gibt? Wäre sie nur der empirische Erfolg des Appells? 57 58 59

Cf. Grundlegung, a.a.O. 453. Cf. Kants „Reich der Zwecke" Grundlegung, a.a.O. 433. L'existentialisme est un humanisme 90.

36

Sartres phänomenologische Ontologie

Wir verstehen mit Sartre bislang ein Zusammenbestehen von Freiheiten ohne Entfremdung nidit. Aber genau ein solches Zusammenbestehen müßte verstanden werden, müßte begründbar sein, gerade wenn eine Philosophie die Hegeische Lösung für eine Theorie von sozialen Gebilden unter einer mit dem Begriff des Menschen kontinuierlichen Kategorie des Geistes ablehnen muß auf Grund ihres am endlichen Einzelnen festgemachten Grundbegriffs. (Hegel diskutiert von einem abstrakten Begriff des Menschen als Vernunft aus nur die Ethik, und nicht auch die, wie man bei Sartre sehen wird, in gewisser Weise auch mögliche, wenn auch abstrakte und daher für Hegel falsche, Sozialtheorie.) Es fehlt die Konzeption einer höheren Integration, in die sich alle einordnen; es gibt keine Konzeption eines strukturierten Ganzen, die Pluralität ist strukturlos. Die Sartresdie Lehre in EN und in der Existenzialismus-Schrift beschränkt sich auf ein Urgieren der Einzelfreiheit. Nach der letzteren Schrift soll die Freiheit wie sich selbst so auch andere Freiheit zum Bestimmungsgrund nehmen, es ist aber nicht zu sehen, wie sie von daher einen Inhalt bezieht (ethische Inhaltslosigkeit) und wie sie, durch andere Freiheiten mitbestimmt, selbst frei ist, wie sie als Gegenstand fremder Freiheit frei ist 60 (soziale Strukturlosigkeit). Angesichts des Fehlens eines höheren mit dem Prinzipienbegriff des Menschen kontinuierlichen Begriffs für soziale Pluralität ist zu fragen, was für eine auf der Einzelfreiheit aufgebaute Philosophie auf diesem Gebiet überhaupt möglich ist. Statt auf dem Wege über die idealistische Integrationsidee müßte von den Einzelfreiheiten her gezeigt werden, wie sie Gegenstand fremder Freiheit sein können und doch frei bleiben. Anders gesagt: es muß eine „relative" Freiheitsbeschränkung verständlich gemacht werden, wie sie etwa in lateralen Bindungen zu Anderen liegt, und zwar nicht nur als Korrelat eines ethischen Appells, sondern als strukturiertes Gebilde. Ein solches Gebilde, oder vielleicht mehrere subsidiäre Gebilde in einem Gesamtgebilde, müssen vom Einzelnen her konstruierbar sein, wenn der transzendentale Ansatz beibehalten werden soll. Ein solches Sozialgebilde müßte die Einheit eines sich selbst stabilisierenden Ganzen haben, das nicht zugrundegeht, wenn Einzelfreiheiten ihm nicht entsprechen. (Hier wäre, gleichsam als Abstraktion des normativen Sozialverhältnisses, eine Theorie des Rechtsverhältnisses erforderlich.) Und es wäre dann die Frage, ob das Verhältnis des Einzelnen zu einem solchen Sozialgebilde auf Grund des Ansatzes beim Einzelnen nur negativ als relative Freiheitsbeschränkung zu fassen wäre und nicht auch als Erfüllung seiner Freiheit im Sinne Hegels. Und doch müßte ein solches Sozialbegilde vom Einzelnen her konstruierbar sein. Wir sehen allerdings sofort, daß die Formulierung des Problems äußerst abstrakt ist, geht sie doch nur von der faktischen Pluralität von Prinzipienfreiheit aus, als ob die Menschen nur darauf hin zu betrachten seien, wie sie 60

Die Formulierung in Matérialisme et révolution, a.a.O. 218.

Das Verhältnis zum Andern als Identifikation

37

ihre interpersonalen, gesellschaftlichen und staatsreditlidien, Verhältnisse ordnen. Für eine auf einem ontologisdien Begriff vom Menschen aufgebaute Philosophie, und erst recht für eine Philosophie, die soziale Gebilde begründen will, ist es klar, daß noch mehr dazu gehört: das Verhältnis des Menschen zu Natur und Welt61. Auch hierin koinzidieren die Menschen ja, sind gemeinsam von Natur und Welt abhängig. Freiheiten kollidieren auch in der Natur, auf Grund des Bedürfnisses, eines Moments, das in E N nicht zur Geltung kommt. Bei Hineinnahme dieses Aspekts müssen wir also eine Modifikation der Abstraktion der bisher geschilderten Philosophie Sartres erwarten. Wenn vom Bedürfnis her, sogar unter Verzicht auf eine dialektische Fassung des Menschen und unter Verzicht auf eine transzendentale Fragestellung eine soziale Struktur aufzubauen ist (wie es etwa Aristoteles oder der Utilitarismus tun), so könnte eine transzendental aufbauende Sozialphilosophie dahinter wohl nicht zurückstehen. Kann sie, statt durch Erweiterung auf kategoriale Dialektik und höhere Einheitsbegriffe, durch Hinzunahme dieser Konkretion ihre Aufgabe lösen?

61

C. unten 191.

II. Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus Wir haben in unserer Interpretation Sartres zuletzt die Erwartung ausgesprochen, daß eine Theorie des Sozialen das reine Person-Person-Verhältnis überwinden müsse, das in E N und, in ethischer Wendung, in der Existenzialismus-Schrift vorliegt, daß vielmehr auch das Verhältnis des Menschen zur Natur, sein Bedürfnis, das durch die Natur befriedigt werden muß, und die Kollision der Menschen in der Natur werde Berücksichtigung finden müssen. Es ist nun sicherlich möglich, Sartres über das Bisherige in dieser Richtung hinausschreitende Theorie in C R D rein systematisch anzuknüpfen. Aber wir tun wohl doch gut, aus dieser systematischen Intention herauszugehen und auf eine bedeutsame philosophische Beeinflussung Sartres einzugehen, die das Weitere erhellt. Die kantianisierende ethische Lehre in der Existenzialismus-Schrift erhält eine sozialphilosophische Note — im Sinne einer größeren Bestimmtheit der ethischen Maxime und der strukturellen Konzeption des anzustrebenden Sozialen — durch eine vorgegebene Quelle: durch den Marxismus und seine Deutung der sozialen Verhältnisse der Neuzeit im Sinne von Klassenverhältnissen. Hinzu kommt Sartres eigne Anschauung, die ja, besonders, soweit sie durch den Marxismus geschärft ist, eine soziale Situation vorfindet, die unter dem Gesichtspunkt der Freiheit negativ beurteilt werden kann. Es versteht sich, die Forderungen lassen sich mit einem so abstrakten Freiheitsbegriff wie dem Sartreschen beliebig hoch treiben, die Polemik gegen die „Verhältnisse" ist nie zu begütigen. Sartre ist, biographisch gesehen, von der sogenannten sozialen Frage schon in jüngeren Jahren stark beeindruckt worden. Seine Beunruhigung darüber führte ihn nicht zu einer karitativen Haltung oder Betätigung, sondern zur Bejahung des Marxismus. Schon der frühe Aufsatz „La transcendance de l'égo" enthält Hinweise darauf 1 , und E N wie die Existenzialismus-Schrift geben sich als völlig vertraut mit entsprechenden marxistischen Begriffen und Denkschemata2. Der Essay „Materialismus und 1

2

Sartre wendet sich gegen den Idealismus und sagt von ihm (a.a.O. 122 f.), daß er eine Philosophie sei, wo das Leiden, der Hunger, der Krieg „se diluent dans un lent processus d'unification des idées" und spricht vom historischen Materialismus als von einer „hypothèse de travail . . . féconde". Nach der an die Existenzialismus-Schrift anschließenden Diskussion erscheint die Revolution als eine Aufgabe, die zu gegebener Zeit fällig ist, wie z. B. Marxens Kommunistisches Manifest zu seiner Zeit notwendig war. Sartre findet

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

39

R e v o l u t i o n " (wie die Existenzialismus-Schrift von 1946) enthält in einem zweiten Teil dann sogar eine „Philosophie der R e v o l u t i o n " die sich zum Teil als Monographie liest — mit dem Ziel, den Revolutionär auf seine Voraussetzungen zu untersuchen — , aber dann doch eine deutliche Parteinahme für die Arbeiterklasse im Sinne des Marxismus erkennen läßt 4 . Durdi eine solche, für uns noch vage Einbeziehung der marxistisch gedeuteten Sozialsphäre bekommt die Situation, in der Freiheit bestehen kann und in der sie den Imperativ, andere Freiheiten anzuerkennen, verwirklicht, eine neue Note. D e r terminus a quo der Freiheit ist jetzt inhaltlich angereichert. Das dem ethischen Imperativ entsprechende Ziel — eben die gegenseitige Anerkennung der Freiheiten, das ungeschmälerte Freiheit-Bleiben trotz Vergegenständlichung durch und Konfrontation mit Anderen 5 — muß von der klassengesellschaftlichen Situation her, die diesem allgemeinen Imperativ nicht entspricht, erst errungen werden. D i e soziale Zielvorstellung ist eine Negation der Negation. Hiermit hat sich Sartre grundsätzlich M a r x angeschlossen. Das Ziel ist die Beseitigung der Privilegien, eine klassenlose Gesellschaft, eine menschliche Ordnung, die Sartre „Antiphysis" nennt 6 , wo also der Mensch sich selbst seine eignen Gesetze gibt und weder die N a t u r noch der Mensch in Gestalt des Andern, in einer der N a t u r analogen Weise, die Freiheit beschränkt. D i e Freiheiten sollen „im Besitz ihres Schicksals sein"7. W i r sehen: diese Ziel Vorstellung besitzt nach wie vor keine Kontur, sie ist einfach ein abstrakter Gedanke, der der abstrakten E t h i k in der Existenzialismus-Schrift entspricht. U n d ganz ähnlich erscheint uns j a auch die Zielvorstellung der Marxschen Frühschriften. W i r kennen alle die Stelle in der Deutschen Ideologie vom Jagen, Fischen, Viehzucht-Treiben und Kritisieren 3 , wo M a r x sogar die Organisation der Arbeit als Zusammenarbeit der M e n schen beiseiteschiebt. M a r x denkt an eine Existenz des Menschen als Gattungswesen, zu dem gerade gehört, gesellschaftlich zu existieren: „Das Individuum ist das gesellschaftliche "Wesen . . . Das individuelle und das Gattungsleben des Menschen sind nicht verschieden..."". „Der Mensch verliert sich nur dann nicht in seinem Gegenstand, wenn dieser ihm als menschlicher oder in seiner Zeit (d. h. 1946) revolutionäre Parteien schon vor und will lieber Begriffe klären und auf die verschiedenen revolutionären Parteien einwirken (L'existentialisme est un humanisme 105). Für die politische Einstellung Sartres und ihre Wandlungen siehe Zehm, Historische Vernunft. Cf. auch Matérialisme et révolution, a.a.O. 225, und Entretiens sur la politique, Paris 1949. 3 Matérialisme et révolution, a.a.O. 176-225. 4 Cf. ebda. Cf. Zehm, Historische Vernunft 135-45. 5 Matérialisme et révolution, a.a.O. 218. • Matérialisme et révolution, a.a.O. 192. 7 ebda. 210. 8 Marx-Engels Werke (Dietz) 3, 33. » Marx, Werke I (Cotta) 597.

40

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

gegenständlicher Menscli wird. Dies ist nur möglich, indem er ihm als gesellschaftlicher Gegenstand und er selbst sich als gesellschaftliches Wesen, wie die Gesellschaft als Wesen für ihn in diesem Gegenstand wird" 1 0 . Aber: die Einordnung in eine dem programmatischen Bild vom Menschen in seiner Abstraktion gegensätzliche Wirklichkeit, eine von da her gesehen ungerechte Klassengesellschaft akzentuiert das Ziel als Ziel eines geschichtlichen Prozesses. Das Soziale erscheint als eine Leistung des handelnden Menschen, und zwar, insofern die Unterdrückung herrscht, als Leistung des Revolutionärs. Er hat einen negativen Entwurf der Gesellschaft und überschreitet die gegebene Situation der Unterdrückung. Hier ist nun (angesichts der an Marx inspirierten Deutung der Situation) zunächst für das Handeln ein deutlicherer Begriff des ethisch Gebotenen vorhanden: dem Revolutionär ist doch recht klar vorgezeichnet, was er tun muß. Er hat eine Zielvorstellung von der Freiheit oder der Pluralität von Freiheiten, die nicht mehr entfremdet sind, so abstrakt sie auch sein mag, und von daher ergeben sich Imperative für die Gegenwart, Mittel zu ihrer Verwirklichung. Im Negativen, in dem, was zu beseitigen ist, ist der Imperativ konkret: die Kapitalisten müssen umgebracht werden usw. In dieser Figur des Revolutionärs, die, wie gesagt, einerseits im Sinne einer Monographie behandelt wird, aber doch andrerseits auch Sartres eigne Forderung ausdrückt, verkörpert sich eine Einheit von Sozialem und Ethischem. Die ethische Forderung ist identisch mit einer Praxis der sozialen Umgestaltung, gelichtet vom Ziel her, inhaltlich präzisiert durch die Situationsanalyse nach Marxscher Art. Der Inhalt der Praxis kann angegeben werden, wenn auch das Ziel abstrakt und letztlich die Praxis selbst ist 11 . Nun findet Sartre eine ausgeführte Lehre vom gesellschaftlichen Prozeß aus der Klassensituacion zu einem von der Freiheit bestimmten ethischen Ziel schon vor im eigentlichen Marxismus. Hier handelt es sich nicht nur einfach um die ethische Impressionabilität des Revolutionärs, sondern um eine Theorie des gesellschaftlichen Prozesses, den historischen Materialismus, wonach sowohl die Genese der Klassensituation wie auch ihre Aufhebung einer Gesetzlichkeit folgt. An dieser vorgefundenen Theorie gelangt Sartre zu einer eignen klareren sozialphilosophischen Position. Er fragt sich: ist der Materialismus die passende Philosophie für eine solche Bewegung von der Unterdrückung zum Ziel der gegenseitigen Anerkennung der Freiheiten, oder für die Genese der vorhergehenden Entfremdung in der Klassengesellschaft? Wir müssen zur Klärung auf Sartres Marxismus-Kritik und dazu auch auf den Marxismus selbst kurz eingehen. Im historischen Materialismus findet sich die Vorstellung, daß es eine vom Wesen, Prinzip oder Gesetz des Menschen her verständliche Entwick10 11

ebda. 600. Cf. die Kritik von Habermas, Theorie und Praxis (Neuwied 1963), 299-302.

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

41

lung in der Geschichte gebe. Hegel hatte eine Sinngebung der Geschichte vom Geästbegriff her geliefert: die Geschichte stellte danach eine Abfolge von Stufen, von Prinzipiaten des Prinzips des Menschen als Vernunft oder Freiheit dar; sie führt zu einer dem Geistbegriff am besten entsprechenden menschlichen Gestaltung, dem Staat als objektiver Existenz der Freiheit. Freiheit ist also als vollendet angesehen im Staat, und zwar in demjenigen Staat, in dem Alle ihre Freiheit im Mitkonstituieren der objektiven, kategorial kongenialen „Vergrößerung" des Geistes in den Vielen haben. Von dieser allgemeinen Idee der Sinngebung der Geschichte ist Marx mitbestimmt. Aber er sieht in der Geschichtsdeutung Hegels eine Deutung im Element des bloßen Denkens. Marx hat sehr früh den Gedanken, daß die (Hegeische) Philosophie „verwirklicht" werden müsse (so schon im Anhang zur Dissertation). Die nadihegelische Zeit könne nur eine Epoche des „Weltlich-Werdens" der Philosophie, die vollendet ist, sein12. Vor aller geschichtlichen Adaptation Hegels und Übernahme der Gedanken der Hegeischen Geschichtsphilosophie liegt damit ein systematisches, grundsätzliches Umdenken seiner Philosophie: Marx gelangt dazu, das transzendental und kategorial bestimmte Ziel der Hegeischen Philosophie, die ja, von der Gesdiichtsphilosophie abgesehen, systematischen Charakter hat, zu ersetzen durdi ein anthropologisches und ontologisches, und zwar auf Anregung Feuerbachs hin. Der Mensch ist jetzt nicht bestimmt durch eine der Gestalten des Geistes (als dialektischen Begriffs und Prinzips), deren Abfolge innerideelich eingesehen werden muß aus transzendentalen Gründen. Marx scheint dies transzendentale Motiv gar nicht mehr zu verstehen; er meint ontologisierend, Hegel habe den Menschen nur als denkenden (und also nicht vollwirklichen, sondern als einseitig entfremdeten) Mensdien behandelt1®. Das transzendentale Verfahren Hegels erscheint Marx als entfremdete Deutung der Arbeit", mit welcher Auffassung Marx Hegel gleichzeitig lobt und kritisiert, aber mißversteht. Es ist ja umgekehrt: Hegel gibt der Arbeit die Deutung, eine Gestalt des Geistes zu sein — vgl. unsere früheren Ausführungen über die „Aneignung" —, d. h., er begründet einen Begriff der Arbeit mit der transzendentalen dialektischen Methode, und darüber hinaus gibt er eine mit der transzendentalen Methode nahegelegte Gesamtdeutung des Menschen als Selbsterzeugung, nicht speziell Selbsterzeugung durch die Arbeit — das wäre schon eine anthropologische Arretierung beim Menschen als arbeitendem —, sondern als Selbsterzeugung auf Grund der ideellen Kon genialität mit dem Sein, als Selbsterzeugung also, die auf den verschiedenen Stufen ihre verschiedene Gestalt hat und über den Menschen in anthropolo12

15 14

Marx, Frühschriften (ed. Landshut) 17. Cf. Marx, Werke I (Cotta) 103. Cf. ferner A. Rüge in Deutsche Jahrbücher 1841, 594, zitiert bei Zehm, Historische Vernunft 183. Siehe Marx Werke I (Cotta) 643, 647 ff., 652 ff. ebda. 645 f. (Arbeit als Selbsterzeugung des Menschen.)

42

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

gischer Arretierung hinausgeht. Das Schwergewicht für eine anthropologischontologisierende Betrachtung des Menschen im Sinn von Feuerbach und dem frühen Marx liegt demgegenüber beim Menschen mit seinen Bedürfnissen, Wesenskräften und seiner Bezogenheit auf eine reale Natur. Der Angelpunkt ist die materielle Ermöglichung des Lebens durch Praxis — Bedürfnisbefriedigung, Vergegenständlichung — und die Selbsterzeugung, das darin ErfüllungHaben, Freiheit-Sein, im Unterschied zur Entfremdung als Verdinglichung, als Nicht-Fürsidi-Sein. Entsprechend diesem grundsätzlichen ontologisierenden Ansatz verwandelt sich die These für die Geschichte von einer transzendental geleiteten Ideenabfolge in eine Abfolge von Verkehrsformen oder gesellschaftlichen Verhältnissen des Menschen je nach seinen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, d. h. Eigentumsverhältnissen 15 . Die Marxsche Auffassung der Geschichte kann nicht, wie die Hegeische Geschichtsphilosophie, vom Staat ausgehen — er wäre ja etwas ontologisch Unselbständiges, „Ideelles", und, in Marxscher Umdeutung als Organ der Gesellschaft, etwas Späteres, das nicht die maßgebende Ebene der Geschichte sein kann. Marx muß sich eine individualmenschliche und gattungsmäßige Genese, also eine von einer Pluralität von Individuen ausgehende Entwicklung, denken. (Auch Hegel hat in seiner Philosophie Stufen und Gestalten, die vor einer Bildung wie dem Staat liegen, nur gehören sie für ihn nidit in die Geschichte — zu der Konkretion gehört, und Leben ohne Staat ist abstrakt —, sondern in eine systematische Theorie der Geistgestalten: so entwickelt etwa die Phänomenologie des Geistes Begriffe von sittlicher Gemeinschaft und, in anderem Anschnitt, auch die Rechtsphilosophie. Dies ist aber nidit gemeint als zeitliche Genese, sondern eben als systematische, als transzendentaler Aufbau einer Kategorienlehre). Marx denkt sich — in einer teils unterstellten, teils historischen Vorgeschichte1* — einen einsichtigen, oder als einsichtig, d. h. sinngesetzlich gemeinten, Prozeß der Arbeit des Menschen an der N a t u r (Vergegenständlichung) und der Entfremdung auf Grund der Arbeitsteilung, des Marktes, der Entstehung der Warenform, der Geldwirtschaft, der Eigentumskonzentration, der „Konsolidation unseres eignen Produkts zu einer Gewalt über uns" 17 , der Klassengegensätze usw.18. Die Geschichte erscheint dann — wenn beide Gesichtspunkte berücksichtigt werden: das ontologische Schwergewicht der materiellen Bedingtheit des Lebens und das Sinngesetz der Freiheit — als ein gerichteter Prozeß der 15 18 17 18

Cf. Deutsche Ideologie, Marx-Engels Werke (Dietz) 3, 36; 45 ff. Cf. Deutsche Ideologie, Marx-Engels Werke (Dietz) 3, 28 ff. ebda. 33. Der Akzent liegt in der Deutschen Ideologie auf der Rolle der Arbeitsteilung; später erhält die Ware und ihre Dialektik größere Bedeutung. Cf. Zur Kritik der politischen Ökonomie, Marx-Engels Werke (Dietz) 13, 15-48; Kapital I, Marx-Engels Werke 23, 49 ff; 181 ff.

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

43

Produktionsverhältnisse 1 '. Gesdiidite ist also nicht gedacht als Abfolge von systematischen Stufen von Geistgestalten, sondern als ein ökonomisch-gesetzliches Geschehen. Dennoch ist dies Gesetz nicht einfach ein blindes Kausalgesetz, sondern ein Sinngesetz: die sich wandelnden Verhältnisse des Menschen zu seiner Umwelt und zu seinesgleichen, mit ihren Entfremdungen (eine Konzeption, die ja einen dialektischen Subjektbegriff voraussetzt), sind vom Menschen her gesetzt und als solche einsichtig: es ist „die eigne Tat des Menschen", die „ihm zu einer fremden, gegenüberstehenden Macht wird, die ihn u n t e r j o c h t . . 2 0 . Fordert der historische Materialismus einen gesellschaftlichen Entfremdungsprozeß als Vorgeschichte, so muß er, als Theorie des realzeitlichen Prozesses der Produktionsverhältnisse, auch Prognose21 sein. Hier ist nach der entwickelten Dysteleologie des zeitgenössischen Zustandes von den marxistischen Theoretikern zu zeigen, wie über diesen Zustand im Sinne eines einsehbaren Prozesses hinausgeschritten wird zu einer Korrektur, zu einer Lösung, die, obwohl wieder unter materiellen Gesichtspunkten und Gegebenheiten fortschreitend, einem Sinngesetz gehorcht, nämlich zu einer Aufhebung der Entfremdung des Menschen führt. Wir sahen schon, daß — indem die Genese und überhaupt die historische Theorie an einzelnen realen Menschen festgemacht ist — auch die Hegeische Idee einer Integration der Einzelnen im Staat und eines geschichtlichen Kulminierens der Staaten in einer optimalen Form (die dem Weltgeist entspricht), nicht als Zielvorstellung anwendbar ist. Diese Integration wäre nur in einer kategorialen Dialektik auf der Grundlage des Geistes einsichtig (wobei denn auch Hegels Geschichtsphilosophie selbst schon als Grenzüberschreitung der Transzendentalphilosophie erscheint). Für den historischen Materialismus ist die Ziel Vorstellung demgegenüber ein Verhältnis der vielen Einzelnen zueinander. Der Prozeß ist also zwar geleitet von einem übergreifenden Sinngesetz oder einem Geistbegriff, aber doch gebunden an die Realität der Einzelnen. Die Zielvorstellung beinhaltet einfach die Vereinbarkeit der Vielen ohne Entfremdung, ist also eine abstrakt bleibende Prinzipiatvorstellung des Prinzips des Menschen, eine Vorstellung von menschlicher Gemeinschaft als Beisichsein-im-Andern, eine unstrukturierte Sozialvorstellung. Als solche ist sie, sozial gesehen, eine Utopie. Der Prozeß im Unterschied von der Zielvorstellung ist recht konkret zu schildern, sowohl für die Genese der Entfremdung, wo in der zeitgenössischen Gegenwart deskriptives Detail zur Verfügung steht, als auch für überschaubare historische Perioden und eine näher auszudenkende Entwicklung der 19

20 21

Cf. Zur Kritik der politischen Ökonomie a.a.O. 8 f. (hier schon deutlich als U n terbau-Uberbau-Theorie) . Deutsche Ideologie, a.a.O. 33. Dies Problem der Prognose tritt bei der Hegeischen Geschichtsphilosophie nicht auf; sie kulminiert ja schon zu Hegels Zeit.

44

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

kapitalistischen Wirtschaft, für eine ebenfalls auszudenkende Rebellion der Arbeiter usw. Zu bedenken ist hierbei immer, daß es sich um eine geschichtliche Lehre und nicht um eine systematische Soziallehre oder Sozialphilosophie handelt. (Wir kommen an Hand von CRD näher auf diesen Gegensatz zurück). Der historische Materialismus, oder der Marxismus auf dem Sektor der Geschichte, hat allerdings die Zielvorstellung zu konkretisieren versucht. Aber es sind wiederum Vorstadien (die Diktatur des Proletariats, das Absterben des Staates, die Gewöhnung des sozialistischen Menschen usw.), Details, die um ein Ziel gravitieren, das unbeschrieben ist. Sieht man näher zu, was der Grund für den historischen Prozeß ist, so zeigen sich gewisse Schwierigkeiten. Einerseits ist der Prozeß geleitet gedacht vom Sinngesetz des Geistes (als Beisichsein, Negation im Anderssein, Negation der Negation als gesetztes Beisichsein im Andern). Andererseits wird der Prozeß ja getätigt von entfremdeten Individuen in ihrer materiellen Bedingtheit oder gar bestimmt vom Schwergewicht materieller Faktoren. Der Prozeß muß seinem Duktus nach 22 zunächst dysteleologisch verlaufen, also in dialektischer Opposition gegen das Sinngesetz, und das bedeutet ja wohl, daß die Individuen in dieser Phase nicht durch das Sinngesetz motiviert sind. Anders als bei Hegel, bei dem die soziale Wirklichkeit in Stadien der Zerrissenheit oder Differenz sich nicht als seiende von sich aus zur höheren Harmonie und Einheit entwickeln muß, sondern bei dem der Prozeß geleitet ist von einer anstehenden höheren Kategorie, deren Wirksamkeit für das Reale als „List der Vernunft" erscheint —, ergibt sidi im historischen Materialismus ein Auseinanderfallen von irreduziblem Akteur des historischen Prozesses und Prinzip des historischen Prozesses. Das Gesetz des Prozesses wird Gesetz nichtmenschlicher Faktoren, oder von Menschen als Faktoren in nicht-menschlicher Eigenschaft, ein Gesetz, das rein ökonomisch ist. Und doch soll eine Dialektik und eine Teleologie das Ganze durchwirken. Wir sehen übrigens dabei, daß auch das als Seiendes Irreduzible nicht in seiner Spezifizität erfaßt ist, in seiner Spezifizität keinen Unterschied macht, keine Abwandlungen für verschiedene Gesellschaften und Kulturen zuzulassen scheint. Es handelt sich um ein Schema23. Sartre betrachtet die Dignität dieser Lehre als Theorie 24 . Er sieht, daß die theoretische Situation seit Marx erschwert ist, da für ihn das Sein nicht aufhebbar ist ins Wissen, also irreduzibel bleibt. Wie kann man aber von etwas Irreduziblem sagen, daß es einer dialektischen Gesetzlichkeit unterliegt? Das Denken, das die Wahrheit der Geschichte denkt, kann sein transzendentales Konstituieren des Gegenstandes angesichts der Irreduzibilität nicht mehr behaupten, aber welchen andern Grund haben wir, um einzu22 23

24

Cf. unten 93, 182, 191. Cf. Marxens Verlegenheit in der Frage, ob Rußland die Industrialisierung überspringen und sofort zum Kommunismus übergehen könne. S. Brief an Vera Zasulitsdi, Marx Werke (Cotta) III, 2, 1060 f. C R D 118-20.

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

45

sehen, wie die Wahrheit der Geschichte sich selbst bestimmt? Man kann von Marx her nicht zeigen, was es im Zusammenhang mit der Geschichte heißt, die Wahrheit der Geschichte zu haben. Sartre hebt die Besonderheit der Wahrheitsfrage im Fall der Unterstellung einer Dialektik heraus: in der Naturwissenschaft ist der Wissenschaftler offen für das, was sich bietet, er präjudiziert nichts; er sucht Rationalität, Zusammenhang, Einheit in den Phänomenen. Soll es sich aber um Dialektik handeln, dann ist die Situation anders: die Dialektik behauptet, daß die Erkenntnis dialektischer Natur ist — das Subjekt ist einbezogen —, und daß die Bewegung des Gegenstandes selbst dialektisch ist. Sie ist gesetzgebend, normativ, sie sagt, wie die Welt als Geschichte und als sozialer Bereich sein muß, damit ihre dialektische Erkenntnis möglich ist — hier ist eine Lösung antizipiert, von der wir uns bei Sartre selbst noch nicht überzeugen konnten —, und erhellt wechselseitig Bewegung der Sache und unsere Gedanken über sie. Das Problem liegt darin, daß das Sein als irreduzibel angesetzt wird. Wie kann eine und dieselbe Bewegung die beiderseitigen Prozesse bestimmen? Sartres Forderung ist also die nach einer Korrektur, nämlich, daß das Prinzip des historischen Prozesses nicht vom Prozeß getrennt werden darf — es dürfen nicht wirtschaftliche Faktoren als solche sein, die die Akteure der Geschichte sind, die Einzelnen müssen in ihrer Bedeutung für den Prozeß berücksichtigt werden. Allerdings ist dies zunächst nur eine Forderung, die in einer eignen Theorie einzulösen ist. Bevor wir auf Sartres eigne Theorie eingehen, werfen wir jedoch noch einen Blick auf eine noch radikalere Lehre, den sog. dialektischen Materialismus und Sartres Kritik dazu. Der dialektische Materialismus ist einmal eine Verallgemeinerung der Gesetzesidee des historischen Materialismus — das Seiende ist dialektisch gesetzlich —, zum andern enthält er eine metaphysische These, nämlich, daß, wenn das Seiende dialektisch-gesetzlich bestimmt ist, das Bewußtsein ein Epiphänomen des Seienden, und Erkenntnis daher eine Seinsbeziehung und ein Reflex, eine Widerspiegelung von Prozessen im Seienden ist. Diese These stammt von Engels, aber auch Marx hat sich ihr mehr oder weniger angepaßt; seine geschichtliche Thematik weist auf den dialektischen Materialismus wie auf eine Radikalisierung der Prinzipien des historischen Materialismus voraus, er vertritt ihn aber nicht thematisch. Verständlicherweise steht so Marx, trotz seines geschichtlichen Determinismus, Sartre näher als Engels. Die nach der Lehre des dialektischen Materialismus im Seienden herrschende dialektische Gesetzlichkeit ist, als verallgemeinert für alle Prozesse im Seienden geltende These, ganz arm: es sind die Gesetze des Umschlagens von Quantität in Qualität und umgekehrt, von der Durchdringung der Gegensätze und von der Negation der Negation 25 . Es ist eine dem Menschen fremde Gesetzlichkeit, der er als Epiphänomen des so bestimmten Seienden gehorcht. Für die " Engels, Dialektik der Natur, Marx-Engels Werke (Dietz) 20, 348.

46

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

Geschichte heißt das, daß die Kluft zwischen Akteur und Prinzip der Geschichte radikal geworden ist. Das teleologische Prinzip selbst, an sich ein Sinngesetz des Menschen oder des Geistes, ist jetzt verfremdet zu einer Behauptung über das Sein (und zwar im Gesetz von der Negation der Negation). Der historische Materialismus erscheint jetzt als eine Ausdehnung und Anwendung des dialektischen Materialismus26. Der Mensch ist damit eine Funktion eines Naturprozesses geworden, einem radikal fremden Prinzip unterworfen. Diese Lehre des dialektischen Materialismus hat unwillkommene Konsequenzen für den Marxismus selbst: etwa die Unterstellung, daß der Mensch für die Beförderung des Kommunismus nichts zu tun brauche, da dieser von selbst, mit dialektischer Gesetzmäßigkeit, kommt 27 , in dem Sinne, wie die Gegensätze, wovon die subjektive Entfremdung Widerspiegelung ist, sich „dialektisch" werden aufheben müssen —, oder daß die geistigen Führer des Kommunismus mit ihrem Wissen nichts ausrichten können angesichts der materiellen Bedingtheit des Menschen. (Selbstverständlich sind hier Verfeinerungen und Auswege gesucht worden88, maßgebend ist aber die innere Konsequenz der Position.) Man kann auch umgekehrt zeigen, daß die These des deterministischen Verlaufs pragmatisch günstig ist, weil sie die nichtkommunistische Gesellschaft ängstigt und so selbst ein politischer, determinierender Faktor ist. Audi eine vielfach als willkommen erachtete Konsequenz ist, daß der dialektische Materialismus eine metaphysische Untermauerung des Ideologiegedankens darstellt, daß nämlich das Bewußtsein Gedanken hege, die den geschichtlichen bzw. Naturprozessen seiner Zeit und Lage entsprechen (die Philosophie einer bestimmten Epoche ist etwa Reflex des Kapitalismus), so daß eine Auseinandersetzung innerhalb des Denkens überflüssig erscheint. Auch Marx ist von diesem Aspekt des Materialismus, insofern er einen Uberbau und eine Basis unterscheidet und die Basis als ontologisch primär auch maßgebend sein läßt für das Denken, bestimmt; der Gedanke tritt denn auch schon früh, in der Deutschen Ideologie, auf 29 . In seiner eignen dreimal vorgetragenen philosophischen Kritik am dialektischen Materialismus30 geht Sartre auf die grundsätzliche Absurdität dieser Position ein. Sein zentraler Einwand (in der frühen Position von „Materialismus und Revolution") ist, daß die Lehre das Denken zerstöre31. Ontolo26

27

28 28 30

31

So Stalin, Über dialektischen und historischen Materialismus, ed I. Fetscher (Frankfurt, Diesterweg, 1957, 3. Aufl.) 58. ebda. 68, w o von „völlig natürlicher und unvermeidlicher Entwicklung" die Rede ist. Cf. ebda. 91 ff. Cf. a.a.O. 37 ff. Matérialisme et révolution, a.a.O., C R D 30-2, 115-35, Marxisme et existentialisme (zusammen mit R. Garaudy, J . Hyppolite, J . - P . Vigier, J . Orcel), Paris (Plön) 1962, 1-26, 81-3. a.a.O. 143 f., 173, 183.

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

47

gisch gesprochen: das Denken ist nicht verstanden als etwas, das sich „absetzen" und so Stellung nehmen und erkennen kann. Gültigkeitstheoretisch (transzendental) gedacht: es gibt keine Autonomie der Wahrheitsfindung und Vergewisserung des Denkens, es muß einem Fremden hörig sein. Die Kritik ist vom Grundproblem in EN her geleitet, geht aber in der Wahrheitsfrage schon darüber hinaus. Entsprechend für den praktischen Bereich: ich kann nach dieser Lehre nicht einsehen, was ich tun soll, ja wie ich überhaupt etwas soll tun können; ich kann nicht einmal freier Akteur sein32. Statt dessen ist es eine fremde Gesetzlichkeit, die mich forttreibt. Der dialektische Materialismus ist so für Sartre ein Mythos, wenn er als die Metaphysik des historischen Materialismus auftritt oder überhaupt als Metaphysik einer Theorie des dem Menschen angeblich gemäßen Sozialen38. Sartre läßt es übrigens — das ist hinzuzunehmen — in „Materialismus und Revolution" nicht dabei bewenden, den dialektischen Materialismus philosophisch streng abzuwehren: er gibt — im zweiten Teil der Schrift — eine feinsinnige Auslegung, wieso es plausibel ist, daß die Arbeiter diesen Mythos ergriffen haben34 — wenn überhaupt unterstellt werden kann, daß der dialektische Materialismus nach der jeweiligen eignen Einsicht der Proletarier ergriffen wird —, daß er also eine „Hermeneutik" der eignen Lage darstellt in dem Sinn, daß der Arbeiter als entfremdeter Mensch seine Lage in verdinglichter Form entwirft. De facto ist der dialektische Materialismus von außen induziert und es mag offen bleiben, ob er dem „Daseinsverständnis" des Arbeiters entspricht, oder nur populär ist, weil er einfach ist, und sein Determinismus Mut macht, paradoxerweise. Wichtiger ist in Sartres Kritik, wie sie in CRD gegeben wird, die Vertiefung der theoretischen Schwierigkeit, die wir schon anläßlich des historischen Materialismus erörtert haben, die aber im dialektischen Materialismus wiederkehrt: wie kann das Denken zeigen — d.h. wie kann es (transzendental würden wir sagen) begründen —, daß das Sein sich nach seinem Gesetz dialektisch bewegt, das nunmehr noch weiter von einem Sinngesetz entfernt ist, obwohl es von daher entwickelt und dann verfremdet wurde? Der Monismus des Seins im Sinne von Geschichte ist schon bei Marx dualistisch. Das Sein ist irreduzibel auf das Denken, es besteht eine Antinomie von Sein und Wahrheit. Diese Sachlage erscheint Sartre noch verschärft durch Engels. Engels legt die Dialektik in die Natur. Es handelt sich um einen Materialismus des Äußeren mit einer Dialektik, die dem Menschen von außen zukommt. Es 32 33

34

ebda. 183, 205 f., 213. Sartre konnte hierin an Lukacs anknüpfen (Geschichte und Klassenbewußtsein, Berlin 1923, 15 ff., 32 f.) und auch an Merleau-Ponty (Les aventures de la dialectique, Paris N R F 1955, 45, 49). ebda. 196-206. Cf. Habermas, Theorie und Praxis, 331 f.

48

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

gibt eigentlich nur einen Bereich, den der Naturgeschichte; Denken ist nur Widerspiegelung. Wieder gilt das schon Gesagte: es müßte ein Skeptizismus herrschen. Die Vergewisserung des Denkens gelingt nicht, die Vernunft kann sich keine Gründe für Wahrheit geben. Engels will die dialektischen Gesetze aus der Natur (worin die Geschichte mitumfaßt sein soll) ableiten, d. h. aber dann nicht durch Deduktion, sondern durch Induktion. Damit, auch wenn sich solche Gesetze finden ließen, blieben sie kontingent und somit nur wahrscheinlich. Durch die Übertragung der Gesetze auf die Natur sind sie für den Menschen irrational — d. h. sind nicht transzendental justiziabel; sie werden vielmehr als irrationale Seinsgesetze auf den Menschen als Naturstück rückübertragen (in der Widerspiegelungstheorie). Das Ganze ist eine metaphysische Hypothese. Und doch wird sie dogmatisch als Wahrheit vertreten. Also, folgert Sartre, haben wir es mit einem dogmatischen Idealismus zu tun, der einen Dualismus impliziert. Dies ist der neue Akzent von CRD. Die These, als ein Erkanntes, ist Gegenstand des „reinen" Bewußtseins, eine Wahrheit, ein Wissen, getrennt vom Sein und von der Praxis, ein Idealismus, Von hier läßt sich der Aufgabenstellung des Werkes, wie sie sich im Titel ausspricht, ein Sinn geben. CRD ist, in Parallele zur Kantischen Auffassung von „Kritik", Distanzierung von der dogmatischen Metaphysik, allerdings nun nicht als Lehrcorpus oder Naturanlage, sondern spezieller von der dialektisch-materialistischen Metaphysik, die von Sartre gerade als losgelöstes Denken begriffen wird, wie auch, in Parallele zu Hegel, Distanzierung vom analytischen und positivistischen Verstandesdenken, und Neuaufbau einer Theorie der Begründung (nunmehr nicht der Erkenntnis, sondern der Praxis). Die Sartresche Kritik ist so Kritik der Vernunft im Sinne eines genetivus objectivus (Kritik am dialektischen Materialismus und am Positivismus) und eines genitivus subjectivus (Selbsterkenntnis der praktischen Vernunft) 35 . Statt dogmatischer Metaphysik hat Dialektik, wenn es sie geben soll — und dies ist für Sartre gefordert für eine begründende Sozialtheorie — eine Begründung im Subjekt zu geben, entweder in Hegelscher, absoluter Weise, oder von einem menschlichen Subjekt aus, das als endliches dem Sein konfrontiert ist. Das Problem ist dann, wieso eine solche Dialektik verbindlich ist für irreduzibles Seiendes. Für Sartre ist das möglich, wenn die Dialektik praktisch ist, ihren Ursprung im Subjekt als praktischem hat, nur für den Bereidi der Praxis, anthropologisch-sozial und historisch gilt 36 , wenn es also offen ist, was die Wirklichkeit des Seins und der Geschichte ist, weil sie erst gemacht wird 3 7 . Rückschließend von hier aus kann man dann sagen, die

38

3i 37

Cf. zum Thema der Kritik CRD 134, 141, 147 f., 151. Ferner Kopper, a.a.O. 352, 371; Lichtheim, a.a.O. 232, 246; Waidenfels, a.a.O. 30. Cf. CRD 129. Cf. CRD 121: „L'originalité de Marx c'est d'établir irréfutablement contre Hegel que l'Histoire est en cours, que l'être reste irréductible au Savoir et, tout

Sartres Rezeption und Kritik des Marxismus

49

dialektisch-materialistische Theorie von Engels ist, schon weil sie Sache des theoretischen, theoretisch betrachteten Bezuges des Menschen zur Welt ist, eine Metaphysik. Sartre vindiziert die Dialektik der Praxis. W i r sehen an diesem Gedankengang, daß Sartre — wie ja nadi der existenzialen Dialektik von E N schon deutlich w a r — eine kategoriale Theorie der Dialektik für das Erkennen ablehnt: jetzt aber nicht nur gemeint im Sinne unseres Unvermögens, Dialektik inhaltlich zu gestalten, sondern auch im Sinne einer klischeehaften Abwertung solcher Dialektik als „idealistisch": Dialektik gibt demnadi keine Garantie, daß das fremde Seiende so ist, wie idi es entwickle. (Wie sich zeigt, besitzt Sartre keinen klaren Begriff vom transzendentalen Charakter etwa der Hegeischen Dialektik; in die Ablehnung einer solchen Dialektik geht bei ihm der Gedanke mit ein, daß eine Gesetzlichkeit — die Dialektik — , die aus dem Denken stammt, aber dem Seienden imputiert wird, eine „parallele" Realdialektik fordert) 3 3 . Wohl aber soll für den Bereich des Praktischen inhaltlich bestimmte Dialektik möglich sein, da sie die Bestimmungen im Seienden erst setzt. Dialektik soll also in jedem Fall sein — wir würden sagen: weil Begründung verlangt ist — ; schon E N kannte eine existenziale Dialektik des Subjekts, die eine Begründung der Strukturen des Subjekts ermöglichen sollte, und zwar eines Subjekts mit Vorrang des Praktischen, etwa im Sinne Heideggers. N u n aber soll Dialektik für die soziale Sphäre inhaltlich konkretisierbar sein. Auf diese Zielsetzung müssen wir uns jetzt einstellen 39 .

38

39

ä la fois, de vouloir conserver le mouvement dialectique dans l'etre et dans le Savoir. II a raison pratiquement". Halten wir uns an die Sache Transzendentalphilosophie und nicht an den Terminus — zu dem wir oben kurz Stellung genommen haben —, so zeigt sidi bei Sartre trotz feinsinniger Ausführungen zur Methode (CRD 115-162) eine gewisse Naivität gegenüber der Eigenart der Transzendentalphilosophie. Er sieht die Aufgabe einer Rechtfertigung der Erkenntnis (s. die Kritik am dialektischen Materialismus), aber die bisherige Philosophie, die eine Rechtfertigung von Erkennen und Handeln versucht hat (er diskutiert Hegel CRD 18-20), bleibt für ihn verbunden mit einer Bevorzugung des Denkens oder des Geistigen, die von seinem ontologischen Standpunkt aus (wie auch für Marx) eine Einseitigkeit ist. Sartre entwirft selbst eine Transzendentalphilosophie, ohne auf die methodische Verwandtschaft mit transzendentalen Philosophemen anders zu reflektieren als im Sinne einer Kritik am Idealismus oder auch, als Gegenposition, am Materialismus. Das Problem der transzendentalen Begründung ist wesentlich als das Problem gefaßt, „die" Dialektik (als Gesetzlichkeit der Praxis) zu retten. Cf. unten 57. Umgekehrt gilt Sartre der dialektische Materialismus Engels' als „transzendental" CRD 128. Wie oben schon klar geworden sein wird, verfolgen wir also die Ausweitung der Sartreschen Fragestellung auf das — inhaltlich bestimmte, gesellschaftliche — Soziale im Unterschied zu Theunissens Perspektive auf das Dialogische. Sartre ist demnach von einem — wenn wir Theunissens Akzent zustimmen wollen — unmittelbaren Verständnis des Verhältnisses Ich-Anderer, wie wohl immer schon mit transzendentaler Intention, übergegangen zu einer transzendentalen Fragestellung in bezug auf das gesellschaftliche Soziale.

III. Vorbegrifï der Critique de la raison dialectique Rekapitulieren wir Sartres Fazit aus seiner Auseinandersetzung mit dem Marxismus. Er bejaht ihn als Analyse der modernen sozialen Situation mit ihren Klassengegensätzen und ihrer Entfremdung, er bejaht das dem Menschen unterstellte Sinngesetz der sozialen Freiheit und also auch die Dynamik des Sozialen, der eine Sozialphilosophie Rechnung tragen muß. Er lehnt dagegen ab die dogmatisdie Dialektik des Marxismus, die dem Menschen die Verfügung über sein Sinngesetz, seine Subjektivität, nimmt und ihn zum Gegenstand einer Notwendigkeit macht. Gerade vom Mensdien als Subjekt in Situation müßte gezeigt werden, daß er seinem Sinngesetz gemäß zu einer sozialen Freiheit gelangen und sein Sdiicksal selbst gestalten kann. Man möchte vielleicht sagen, hier zeige sidi der Voluntarismus des Sartreschen Existenzialismus, der uns nötigen will, an eine teleologische Entwicklung der sozialen Wirklidikeit von der Entfremdung zur Freiheit zu glauben. Eine Entwicklung, die, als des Appells bedürftig, doch wohl nur eine Eventualität ist. Der Wunsch scheint hier der Vater des Gedankens zu sein. Aber Sartre denkt differenzierter. Hier ist nicht eine Eventualität im Blick, sondern apriorische Fundamente einer Möglichkeit. Auf der Ebene von apriorischen Fundamenten hatte schon Hegel zu zeigen versucht, daß Freiheit sich Bahn bricht, mit dem Prinzip des Geistes Freiheit auch im sozialen Bereich gesetzt ist, wenn auch Hegel darunter etwas anderes versteht als Sartre oder Marx. Aber Hegels Geschichtsphilosophie lehnt Sartre als eine zu bequeme, da idealistische, Vorwegnahme des Gewünschten a b A n d r e r s e i t s kann eine ungute Trennung von Sinngesetz, das deterministisch im Sinne einer ökonomischen oder gar Naturdialektik wirken soll, und Subjekten, die nun nur noch als Objekte des Gesetzes verstanden sind, so wie das im Marxismus nach Sartres Auffassung der Fall ist, ebenfalls nicht anerkannt werden, denn der Mensch ist, ontologisch verstanden, Subjekt, Freiheit, und soll es einen Weg zur sozialen Freiheit geben, so muß der Mensch als Instanz vernünftiger Praxis die Möglichkeit dazu einsehen. Er muß seine in ihm als Freiheit gelegene Konstitutivität im Bereich des Praktischen tätigen und verstehen können. In Anpassung an Marxens Insistenz auf einem Materialismus meint Sartre, es müßte ein historischer Materialismus, „d. h. ein Materialismus von innen" sein2. 1 2

Cf. CRD 120 f. CRD 129.

Vorbegriff der Critique de la raison dialectique

51

Das Sinngesetz, das soziale Relevanz haben soll, ist akzeptiert, aber es muß jetzt gleichsam angesichts der Pluralität der Menschen „polyzentristisdi" von den einzelnen Subjektivitäten ins Werk gesetzt werden, es muß als Ergebnis von „Entwurfskollisionen" 3 wirklich werden. Machen wir uns klar, was das bedeutet. Jeder Mensch hat von ihm aus orientiert einen Ausblick auf die Welt der andern Menschen. Sie sind für ihn seine Gegenspieler (wenn wir von der theoretisch angesetzten Situation in E N ausgehen), die ihrerseits ihn einordnen in ihren Ausblick auf ihre Welt. Ein Ins-Werk-Setzen des Sinngesetzes der gegenseitigen Anerkennung und der gemeinsamen Freiheit müßte bedeuten, daß es, von einzelnen Zentren bewirkt, Zusammenschlüsse gibt, möglicherweise verschieden hohe, verschieden strukturierte „ensembles". Wie ist das möglich? In Sartres Sprache: man muß zeigen, wie eine „Totalisierung" von Einzelnen zu einer Ganzheit der Freiheit, zu einer Freiheitsgestalt 4, die jeden Einzelnen in seinem Ausblick auf die Anderen einbegreift, möglich ist. Vergleichen wir das mit einer auf dem Begriff des Geistes als Freiheit aufgebauten Sozialphilosophie wie der Hegeischen Rechtsphilosophie, so kann man von einem dialektischen Nominalismus5 und dialektischen Realismus* sprechen. Es geht um keine begriffliche, kategoriale Progression, in der gezeigt würde, daß Freiheit höhere Gestalten haben kann, die über den Einzelnen hinausgehen, sondern um ein Ins-Werk-Setzen, um Praxis von vielen einzelnen Zentren aus, die uns zunächst als geschichtliche Totalisierung erscheint. Apriorische Fundamente für eine solche Totalisierung in der Realität, die, wie die Hegeische Rechtsphilosophie, der Geschichte voraufgehen, wie überhaupt die Konzeption solcher Fundamente im Zusammenhang der Sartreschen Philosophie, harren noch der Klärung. Die Realsetzung des Sinngesetzes und der geforderten Dialektik als Weg zur sozialen Freiheit hat ihr prinzipielles Moment, das wir schon im Zusammenhang mit Sartres Begriff vom Menschen in EN unter dem Gesichtspunkt der Irreduzibilität und Endlichkeit betrachtet haben. Sartre greift aber auch das Moment des Individuellen auf, das damit (im Gegensatz zu Hegel und Marx) erschlossen .sein soll. So lautet die Kritik etwa am Marxismus von hier aus nicht nur, daß der Mensch dort als irreduzible Subjektivität übergangen sei, sondern auch der Individualität und dem Detail nach. Der Mensch muß als Akteur des Sozialgeschehens in die Sozialphilosophie wieder Eingang finden, und zwar nicht nur prinzipiell als irreduzible Subjektivität, sondern als Individuum. In gewisser Weise ist die Ablehnung des dialektischen Materialismus die Entsprechung zur prinzipiellen Einsicht in die unabdingbare und daher auch von der Theorie zu berücksichtigende Subjektivi3 4 5 6

CRD 68 „affrontement des projets". Cf. unten 69 Anm. 2. CRD 132. CRD 133.

52

Vorbegrifï der Critique de la raison dialectique

tat des Menschen; die Kritik am historischen Materialismus die Entsprechung zur Insistenz auf individuellen Einzelheiten und Umständen im geschichtlichen Prozeß (soweit der historische Materialismus nicht auch schon das Prinzip der menschlichen Subjektivität verletzt).

1. Das Verstehen Die in C R D aufgenommene, aber schon 1957 separat publizierte, Abhandlung Question de méthode ist diesem Aspekt des Individuellen und der Forderung nach seiner Berücksichtigung gewidmet 7 . Der Grundgedanke ist hier, daß man eine Entwicklung um so eher „verstehen" könne, je mehr man das Individuelle berücksichtige8. Sartre denkt an die Unvergleichlichkeit Napoleons, die Erklärungswert für die Geschichte habe, an Kindheitseinflüsse, wie sie für Flauberts dichterische Produktion bedeutsam sind, oder an sonstige Umstände, die, wie Sartre für die französische Revolution zeigt, im Vergleich zur schematischen marxistischen Interpretation wichtige Aufschlüsse geben können. Ein solches Verstehen ist geleitet von Sartres Auffassung vom Menschen und stellt eine Erweiterung dar, die Sartre zur Methode erheben möchte. Danach müssen wir im Verstehen in zwei Riditungen vorgehen, uns einmal „regressiv" auf die Faktizitäten, die Umstände, das Erlebte und Vorgegebene richten, und zum andern „progressiv" auf die Entwürfe, die jemand auf Grund des Vorgegebenen tätigt, in denen er sich vergegenständlicht 9 . Gerade zu diesem von einem Begriff des Menschen — nach seinen Dimensionen von Faktizität und Entwurf — geleiteten Verstehen fühlt sich der Existenzialismus berufen. Er erscheint als eine Disziplin, die der Realität des Menschen als Subjekt in Situation gerecht werden kann. Die menschliche Realität — „réalité humaine", Sartres Übersetzung für Heideggers „Dasein" — verlangt einen verstehenden Rekurs auf ihre Konkretion, der sich vom Wissen unterscheidet 10 , und der Existenzialismus bietet das Instrumentarium dafür. Sartre denkt also zwar an ein Verstehen von individuellen Ereignissen und Personen in individueller Konkretion. Um faßbar zu sein, müssen aber allgemeinere Perspektiven herangetragen werden. Verstehen besagt gerade, etwas in eine Hierarchie von Bedingtheiten einstellen, die nach unten immer allgemeiner werden. Entsprechendes gilt für die Dimension des Entwurfs. So hat ein historisches Ereignis — etwa der Aufstand von Kronstadt im Jahre 1921 — für sich genommen eine konkreteste Bedeutung, die es zu verDie Schrift steht so noch nicht auf der Höhe der Theorie von C R D . Schon E N diskutiert das Verstehen 548. ' Ein anderes Verständnis der Begriffe „regressiv" und „progressiv" wird im Hauptteil von C R D gelten. Cf. C R D 134. 1 0 Cf. C R D 107 f. 7

8

Das Verstehen

53

stehen gilt, die verschieden und kontinuierlich ist mit dem weiter vorlaufenden Verständnis, das dies Ereignis in einen Gesamtentwurf der Geschichte einstellt11. Verstehen ist aber nicht nur ein gemäßes Eingehen auf geschichtliche Konkretion und Individualität, gleichsam von außen, sondern es ist, zufolge der Koinzidenz von Subjektivität und Individualität, der Zugang zu Existenz überhaupt, die jeder selbst ist. Es ist wiederum kein Wissen: was wir über Existenz sagen — im Gegensatz zu dem, was wir verstehend vollziehen —, wird von Sartre abgeschwächt zum bloßen Hinweis und zur Bezeichnung für etwas Nicht-Wißbares. Die Frage, die sich von hier aus ergibt, ist, ob Existenz etwa philosophisch gar nicht begriffen werden kann (etwa mit den Mitteln der Hegeischen Logik oder mit Sartres Prinzipbegriffen), ob also audi die folgende Theorie des Sozialen, die den Menschen als Einzelexistenz und Einzelpraxis zum Grund hat, auf „Verstehen" angewiesen ist. Dies bejaht Sartre ausdrücklich 12 . Es geht ihm um eine „existenzielle Grundlegung der Theorie" 13 und er sieht seine Lehre als Synthese von Kierkegaard, Marx und Hegel. Hierin liegt eine interessante Konsequenz für die Beurteilung Sartres, soweit wir dafür nur „Question de méthode" heranziehen. Die Schrift negiert im Grunde Theorie (es sei denn eine lockere Theorie des Verstehens selbst) und weist dem Existenzialismus die Aufgabe eines Verstehens zu, nicht unähnlich dem geisteswissenschaftlichen Verstehen, das Dilthey und seine Nachfolger gefordert und geübt haben14. Sartre erwägt den Vorwurf, daß das Verstehen (etwa eben des Aufstandes von Kronstadt) kein praktischer Bezug sei, bestreitet das aber 15 ; der Historiker entbinde die zukünftige Geschichte. Das Verstehen wäre also schon einem Gesamtentwurf verpflichtet, in dem wir Jetzige stehen; ja, es soll unseren Entwurf mitbedingen. Dennoch ist Verstehen ein kontemplativer und in diesem Sinne theoretischer, nicht praktischer Bezug zur Welt oder zu einem Detail in ihr. Wir haben nichts handelnd zu tun mit Verstehensobjekten der Vergangenheit. Sicherlich, wenn Verstehen von Konkretem in Frage steht, muß nach beiden Seiten hin, nach der „regressiven" der Bedingtheiten und nach der „progressiven" des Entwurfs, orientiert an unserem Entwurf in der Gegenwart, ein finales Verständnis leitend sein. Soweit nun aber der Existenzialismus die Realität des Individuellen verstehen, ihr „gerecht" werden will, hätte er entsprechend wenig mit der Praxis zu tun, und soweit er mit der Praxis in der Gegenwart zu tun haben möchte, müßte er auf das Individuelle verzichten. So könnte er Bedingungsfaktoren der Vergangenheit, etwa den Aufstand von Kronstadt, nur als 11 12 13 14 15

Cf. C R D 67 Anm. C R D 108. C R D 108: „fondement existentiel de la théorie". Ein Hinweis auf die deutsche geisteswissenschaftliche Schule findet sich C R D 96. C R D 67 Anm.

54

Vorbegriff der Critique de la raison dialectique

Allgemeines, auf seine Funktion in der Entwicklung zur Freiheit Deutbares, etwa als „einen" Aufstand für die Freiheit der Arbeiterklasse, aufnehmen. Der Existenzialismus — mit welchem Wort Sartre seine Position in „Question de méthode" bezeichnet, wenn er sie mit dem Marxismus konfrontiert (so auch schon in der Existenzialismuis-Sdirift) — erscheint uns im jetzigen Zusammenhang als doch nur vage philosophische Methodenlehre zur Erfassung der Individualität des Menschen und der gesdiichtlichen Konkretion, vielmehr, wenn wir die Ausführungen zur Methode in „Question de méthode" als wenig ergiebig erachten, eher als Appell zum Eingehen auf das Individuelle. Er ist aber nicht schon von daher prädestiniert, in der Sozialphilosophie als Theorie eine Rolle zu spielen. Vielmehr ist er, obwohl Sartre protestiert 16 , Aufruf zum Verstehen, zum Gerechtwerden, zur Kontemplation, so sehr hier immer ein Überschreiten der Gegenwart auf einen Zukunftshorizont hin, eben den des zu Verstehenden, vorliegt. Aber wir wissen, Sartre will auch Theorie des Sozialen, Theorie der Praxis, in Allgemeinheit mit dem Menschen begründete und begründbare Theorie der sozialen Freiheit und der geschichtlichen Totalisierung. Es ist klar, er möchte hier zwischen dem Hauptteil von CRD, der drei Jahre später erschienen ist, und „Question de méthode" keine Trennung, so deutlich auch der Akzent auf Verstehen in dem früheren Werk eine Abhebung des kontemplativen und von der Theorie (im Sinne eines Begreifens von allgemeinen Strukturen) abgekehrten Aspekts vom späteren Hauptteil gestattet. In jedem Fall soll aber für das ganze Werk die Einsicht gelten, daß die zu gebende Theorie auf dem Verstehen des Subjekts beruht. Verstehen ist so das Gegenstück zum Denken in der Hegeischen (und doch wohl auch Marxschen) Theorie, die Instanz der Einsicht und der Rechtfertigung dessen, was zu begründen ist. Dies ist ein wichtiger Punkt. Wir sehen voraus, daß sich damit der Eindruck eines Zusammenfallens der Schilderung der konkreten „verstehenden" Praxis und der ebenfalls anscheinend nur „verstehenden" Theorie der Praxis ergeben wird.

2. Die Idee einer strukturellen

Anthropologie

Kehren wir zu Sartres Aufgabe, eine Sozialphilosophie zu geben — er sagt vorsichtiger und präziser, eine „théorie des ensembles pratiques" (Untertitel des Werkes) — zurück, so wäre von ihm nunmehr darzutun, wie Gemeinschaft „entwickelt", „begründet" oder, mit dem abschwächenden Ausdruck, „verstanden" werden kann. Wenn es nun letztlich auf die allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit sozialer Freiheit, als aus einem Grund gesetzt, ankommt, und somit auf transzendentale Theorie, und wenn der Gedanke 16

C R D 133 (schon im Hauptteil): „La dialectique comme logique vivante de l'action ne peut apparaître à une raison contemplative".

Die Idee einer strukturellen Anthropologie

55

des Verstehens im Sinne eines Individualverstehens für Zwecke der Theorie abgewiesen werden kann17, Verstehen vielmehr nur als qualifiziertes Äquivalent des Denkens von allgemeinen Strukturen in Frage kommt 18 , taucht als Vorbild die Hegeische transzendentale Theorie auf, die vom Subjektbegriff als Geistbegriff aus „höhere" Gestalten des Sozialen entwickelt. Wir haben Sartres Ablehnung dieser Theorie schon berührt: für ihn ist der Mensch sinnbegabt und kontingent, während die Hegelsdie Dialektik in seinen Augen die Entwicklung schon als fertige oder logisch vorweggenommene ansieht. Es muß vom realen und einzelnen Menschen in Situation ausgegangen werden. Aber wäre das nicht ein Votum für eine Theorie im Medium der Geschidite? Der Hinweis auf die Hegeische Philosophie erinnert uns daran, wenn es dessen überhaupt bedurft hätte, daß es zwei Aufgaben gibt, eine, wie sie Hegel in der Rechtsphilosophie (und den entsprechenden Abschnitten der Philosophie des Geistes) zu lösen versucht, und eine, wie sie sich in der Geschichtsphilosophie (Hegels, aber audi des historischen Materialismus) stellt. Für Marx ist die Sozialphilosophie ganz übergegangen in Dynamik, in Theorie des geschichtlichen Sozialgeschehens. Für Sartre trennen sich diese beiden Aufgaben wieder, wie für Hegel: es gibt einen Bereich der Theorie des Sozialen, in dem noch nicht von Geschichte die Rede ist, in dem — in einer von Sartre so genannten strukturellen Anthropologie19 — nur die verständlich zu machenden, d. h. zu begründenden Gemeinschaftsformen entwickelt werden, ganz gleich, ob sie historisch in der Folge ihrer transzendentalen Entwicklung abgelaufen sind. (Wie wir noch sehen werden, können beide Folge der Anlage der strukturellen Anthropologie nach gar nicht kongruent sein)20. Und es gibt eine Geschichtsphilosophie, die Sartre allerdings nicht so nennt, deren Aufgabe es wäre, sicherzustellen, „qu'il y a une histoire humaine avec une vérité et une intelligibilité" !1 . Wir müssen diese Konzeption einer strukturellen Anthropologie verstehen lernen. Sie soll Fundierung für eine Theorie der Geschichte sein, vorerst aber geht uns an, was sie an ihr selbst ist. Wie wir schon wissen, ist sie eine Theorie der sozialen Strukturen, gedacht als Strukturen, die durch die menschliche Praxis gesetzt und begründet gedacht werden können, und zwar 17

Wir sehen also Question de méthode nicht, wie Zehm (Historische Vernunft 185), als eine methodische Fundamentierung für CRD an. Ebenso differieren wir damit von Lichtheim, der in Question de méthode „the key to Sartre's performance" (a.a.O. 227) sieht. 18 Wir halten Zehms Auffassung von Sartres Verstehen, das er undialektisch nennt und mit Husserl in Verbindung bringt (a.a.O.), für abwegig. 19 CRD 156: „anthropologie structurelle"; die Gesamtaufgabe „anthropologie structurelle et historique" 105, 156 u. ö. 20 Cf. unten 175 f., 182 f., 186 f., 195 f. 21 CRD 156. Diese Geschichtsphilosophie, als ein II. Teil des Werkes, das als ganzes den Titel „Critique de la raison dialectique" trägt, ist bisher (Sommer 1965) noch nicht erschienen. Unsere Abkürzung „CRD" vernachlässigt diesen Umstand.

56

Vorbegriff der Critique de la raison dialectique

ist sie solche Theorie auf der Ebene einer „formellen Einsichtigkeit" 22 im Gegensatz zu dem in „Question de méthode" geforderten individualisierenden Verstehen. Sartre fordert, daß der Einzelne berücksichtigt werden müsse, aber das heißt jetzt wieder nur in Allgemeinheit, daß das Irreduzible (wenn auch prinzipienmäßig als Sein Erfaßbare) und das Rationale gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Die strukturelle Anthropologie muß den Einzelnen nach seiner Unabdingbarkeit als existierendes Subjektprinzip und nach seiner Situiertheit in der Welt und mit Anderen begreifen oder verstehen. Das Insistieren auf dem Einzelnen und der realen Pluralität von Einzelnen bedeutet jetzt nicht einen Appell an das Verstehen in concreto, sondern eine Basis der Theorie. Aber es bedeutet auch wiederum mehr als in EN, wo Subjektprinzip und Kontingenz eine Theorie des Andern ermöglichten, und zwar als „pränumerisdien", eine Theorie der bloß prinzipiellen Dualität Ich-Anderer. Über die prinzipielle Dualität hinaus kommt jetzt soziale Pluralität und Partikularität hinein23. CRD ist also Theorie des Sozialen. Es muß sich in Allgemeinheit aufzeigen lassen, wie der Mensch in sozialen Verbänden steht, wie er sie und sie ihn bestimmen, in welchen Verbänden und warum er in gerade diesen „frei" ist und in welchen nicht, in welchen er also entfremdet ist; wie die verschiedenen sozialen Verbände auf Grund ihrer Strukturen zueinander stehen, wie sie verständlich in einander überführbar gedacht werden können usw. Anders ausgedrückt: C R D ist apriorische Lehre24 von den sozialen Verbänden, Gebilden25 oder „ensembles", und offensichtlich bedarf ein Apriori der Begründung. Es ist nach dem Bisherigen klar, daß Sartre als Grund für die apriorische Lehre von der Sozialität den Menschen in der Fassung als ontologisches Prinzip ansetzen wird. Die Theorie muß die sozialen Aprioritäten von diesem Grund aus dartun. Wir sehen weiter, daß die Methode, mit der sie diese Begründung und Entfaltung leistet, ihrerseits gerechtfertigt und apriori sein muß, und zwar, wie wir schon rein verbal wissen, wird es sich um ein dialektisches Verfahren handeln, mit der schon gekennzeichneten Qualifikation als „verstehende" Methode.

22 23

24 25

C R D 1 5 3 : „intelligibilité formelle". Cf. unten 83, 85, 125, 162 f., 189. Cf. ferner Kopper, der Pluralität und Partikularität nidit näher berücksichtigt (cf. etwa a.a.O. 3 7 5 ) ; nach ihm handelt es sich um Freiheit, die „für sich selbst in das Bestehen gebunden" ist. Damit scheint der soziale Aspekt, den Sartre gerade in C R D eröffnet, wieder reduziert. C R D 117 f. Wir verwenden damit einen Begriff von v. Wiese (System der allgemeinen Soziologie, 3. Aufl., Berlin, 1955, 114), schon oben und im folgenden häufig adaptiert als „Sozialgebilde".

Das Problem des Grundes

57

3. Das Problem des Grundes Sartre, von einer Diskussion der dogmatischen Dialektik als Engelsscher Naturdialektik am Anfang des Hauptteils von CRD herkommend26, stellt das Problem nicht sofort als transzendentales, sondern fragt, ob es ontologische Bereiche gibt, wo das Gesetz des Seins, und, korrelativ, des Erkennens, „dialektisch" genannt werden kann27, während wir den transzendentalen Charakter von CRD schon vorweggenommen haben, aber andrerseits nicht „die" Dialektik als Zugestandenes und Zu-Bestätigendes betrachten. Sartre gelangt von seiner Frage aus zur transzendentalen Position, indem er forden, daß die Dialektik selbst als Regel der Welt und des Wissens einsichtig sein müsse28, und sieht sich damit auf das Problem des Grundes verwiesen29. So viel ist klar: wir dürfen die geforderte Theorie nicht einfach als einen Formalismus ansehen, der gleichsam von außen bestimmten Wirklichkeiten unterstellt würde. Vielmehr geht es um Begründung, und zwar um eine transzendentale Begründung: der Grund der Theorie ist für Sartre an die Einsichtigkeit geknüpft30. Damit ist er aber nicht ein transzendentales, „reines" Denken — Logos in einer Fassung, die sich durch die Ermöglichung einer begründeten Kategorienlehre definiert, wie bei Hegel —, sondern verstehende Praxis eines daseienden Subjekts. Insofern erscheint das Denken, das die Theorie in Anspruch nimmt, als eine explizite reflektive Erfahrung einer Einzelpraxis31; transzendentale Begründung erscheint erschlossen durch Reflexion auf Leistungen einer Einzelpraxis, die für jede Praxis, auch die reflektierende, und gegebenenfalls theoretisierende, konstitutiv sind. Das einzelne Subjekt muß also Subjekt der verstehenden Praxis, Objekt der Reflexion und Prinzip des Verfahrens sein. Erst so ist die Theorie nicht mehr Unterstellung von außen, dogmatische Dialektik, die einem gewissen Seinsbereich dialek-

28 27

28

29

30

31

CRD 115-135. CRD 136. Cf. oben 49 Anm. 38; ferner die Frage nach der Dialektik bei Gurvitch, Dialectique et Sociologie. S. unten, Anm. 30. CRD 137: „Premièrement, la dialectique elle-même comme règle du monde et du savoir, doit être intelligible, c'est-à-dire . . . comporter sa propre intelligibilité". CRD 137: „En second lieu, si quelque fait réel . . . se développe dialectiquement, la loi de son apparition et de son devenir doit être — du point de vue de la connaissance — le pur fondement de son intelligibilité. Nous ne considérons pour l'instant que l'intelligibilité originelle". Die ganze Fragestellung, wie weit Dialektik im Seinsbereich des Sozialen „anwendbar" ist oder allein in der Lage ist, etwa die Bewegung in diesem Bereich zu erfassen — eine Fragestellung, wie sie etwa Gurvitch vertritt (cf. Dialectique et Sociologie 218 f.) — ist bei Sartre durch eine transzendentale Fragestellung überwunden. Cf. Sartres eigne Stellungsnahme zu Gurvitch CRD 130. CRD 140: „Quand, en effet, je dis que l'expérience doit être réflexive, j'entends

58

Vorbegriff der Critique de la raison dialectique

tische Gesetzlichkeit imputiert, sondern durch ein Subjekt für ein Subjekt gerechtfertigt; erst so ist der Gegenstand der Theorie nicht nur ein als Objekt Betrachtetes. Die Einzelpraxis ist (mit unsern Worten) transzendentales Subjekt als Grund der verstehenden Praxis und als Instanz der Explikation in der verstehenden Theorie der Praxis. Mit dieser Auffassung ist zwar die notwendige Gründung der Dialektik im Subjekt behauptet, aber eine Konzeption vertreten, in der die Ebene der verstehenden Theorie und die Ebene des verstehenden Subjekts, worüber die Theorie Theorie ist, zusammenfallen. Es gibt anscheinend keine Instanz der „höheren" Wahrheit, des transzendentalen Denkens, der gegenüber ein Subjekt in seiner Einzelheit zurückbleibt und von dort her eine Norm empfängt (etwa wie in der Anlage der Hegelsdien Phänomenologie des Geistes, wo ein philosophisches Bewußtsein = transzendentales Denken ein in seinem Dasein befangenes Bewußtsein auf Begriffe bringt). Kurz, es gibt keine Autonomie der dialektischen Vernunft. Die Theorie gilt vielmehr, auch wenn dieser Anlage in der Durchführung der Theorie zuwidergehandelt wird, als Explikation des jeweiligen Subjekts, als Reflexion seiner selbst auf sich. Das transzendentale Subjekt ist transzendental-ontologisch gedacht, als existierendes Prinzip. Es ist so kein unterstelltes reines Subjekt oder Denken. Sartre fordert vielmehr, daß die dialektische Vernunft als die Instanz, die Gebilde der Praxis (soziale und geschichtliche) verständlich macht, sich der „apodiktischen Erfahrung" 32 als der Erfahrung eines Existierenden darbiete. Dabei soll das „organisierende und schöpferische Denken" nicht seinerseits ein „letztes unverstehbares Faktum der menschlichen Spezies" 33 sein; die Praxis ist vielmehr (mit einem Ausdruck aus EN) „sich selbst transparent und . . . gibt das Modell und die Regeln ab für volle Verstehbarkeit" (sc. von Weiterem), wenn Sartre das auch nur als Forderung, damit die Theorie möglich sei, hinstellt. Es ist aber nicht zu sehen, wie eine Rechtfertigung gelingt, denn sie dürfte ja wohl nicht nur aus den durch einen solchen Grund gesetzten Konsequenzen geführt werden34. Die Auffassung von der Transzendentalität des Subjekts ist, indem sie auf die Reflexion eines Subjekt auf sich als existierendes Prinzip verwiesen ist, in gewisser Weise Cartesianisdi bzw. phänomenologisch. Transzendentalphilosophie gewinnt hier ihre Aufschlüsse über den Grund als dialektische Vernunft in „kritischer Erfahrung" 35 . Der Grund als existierendes Prinzip weist sich aus durch seine eigne Verstehbarkeit. Er ist in diesem Sinne selbst-

32 33 34 35

qu'elle ne se distingue pas plus de la totalisation en cours dans la singularité de ses moments que la réflexion ne se distingue pas de la praxis humaine". C R D 137. C R D 148. C R D 150. Cf. die Kritik an Kant 136. — Cf. unten 66 Anm. 58, 179, 180. C R D 140.

Das Problem des Grundes

59

gründend, besitzt „intelligibilité originelle" 86 , ist „intelligibilité indépassable" 37. Dieses Sich-Selbst-Gründen der dialektischen Vernunft als Praxis, dies unhinterdenkliche Grund-Sein, ist in Sartres Fassung ein Kompromiß: die Praxis ist sich selbst transparent und soll soziale Strukturen begründen; aber ist sie auf Grund dieses phänomenologischen Moments für sich selbst einsichtiger Grund für das, was sie begründet? Die phänomenologische Idee der Transparenz und Apodiktizität ist nicht bruchlos mit der Idee der dialektischen, auf Prinzipien aufbauenden Begründung zu verbinden, die ja wohl in der expliziten Theorie (wenn auch nicht im unmittelbaren Verstehen der konkreten Praxis, das hinnehmend erscheint) prinzipienmäßige Entfaltung sein soll. Abgesehen von dem Problem, daß der Grund für die Theorie nicht im reinen Denken liegt, sondern in einem seienden Subjekt, erhebt sich das Problem des Verhältnisses von Theorie und Praxis. Gerade durch die Art der Grundlegung, also durch den für die Grundlegung nötigen Rekurs auf ein seiendes Subjekt, kommt Sartre, so scheint es, darauf, für die Grundlegung den Primat der Praxis zu behaupten. (Oder anders: scheint eine praktische Philosophie dasjenige zu sein, was er an seine Grundlegung anschließen möchte und anschließen kann.) Denn ein seiendes Subjekt ist primär praktisch, oder in eins praktisch und verstehend. Und so wird die Grundlegung selbst eine Sache der Praxis. Demgegenüber ist aber geltend zu machen, daß transzendentale Rechtfertigung nicht selbst praktisch ist, sondern Rechtfertigung von Theorie und Praxis durch das Denken; sie ist als Grundlegung beiden Bereichen vorgeordnet. Nur dann ist eine Theorie streng selbstgründend. Im andern Fall muß die Theorie für ihren Grund auf „kritische Erfahrung" rekurrieren, muß für ihre Einsichtigkeit auf „Verständlichkeit" für eine Praxis podien 38 . Die Verstehbarkeit und Einsichtigkeit des Grundes der dialektischen Vernunft, darf für Sartre nicht in einer Mehrheit von dialektischen Gesetzen liegen — etwa in Engels' drei dialektischen Gesetzen39 —, wie ja schon eine Abstraktion zu reinen Gesetzen, oder einem reinen Gesetz des Denkens abgelehnt wird. Der Grund muß einer sein. Konsequent denkt sich Sartre dieses Eine, das Prinzip der Dialektik und existierendes Prinzip sein muß, als Akt der Totalisierung, als Stiftung von Einheit im Vollzug (acte en cours)40. Es 36 37 38

39 40

CRD 137. Siehe das zweite Zitat oben 57, Anm. 29. CRD 132. Cf. die Nähe zum Ansatz bei Cramer, Theorie des Geistes. Cf. ferner unten 76, 181, 184, 197, Anm. 34, 199. CRD 137. CRD 138. — Der Begriff „Totalisierung" findet sich schon bei Proudhon, De la Création de l'Ordre, §§ 246, 286, 300. Hinweis auf Proudhon bei Gurvitch, Dialectique et Sociologie 173.

60

Vorbegriff der Critique de la raison dialectique

ist ein solcher Akt, durch den etwas für uns als Einheit dasteht. Er ist nicht nur eine an Kant erinnernde Synthesis, sondern gedacht als Einigung in der Praxis, im Leben und Erfahren. Mit diesem Begriff der Totalisierung ist allerdings nur ein Formales aufgezeigt: ein Beliebiges wird geeinigt zu einem Korrelat der Praxis, ist aber damit nicht als kategorial Expliziertes dargetan. (Die Sachlage ist ähnlich wie in Sartres Analyse des „Transzendierens" in EN 41 .) Diese Deutung der verstehenden Praxis als dialektische Totalisierung hat einen nominalistischen Zug: die Einheitsstifhing bleibt formal, ein Ganzmachen von solchem, was sonst nur Ansichseiendes, gegen Ganzheit Indifferentes, wäre. Für die Deutung als praktisches In-der-Welt-Sein ist eine Sinnverleihung selbstverständlich mitgedacht (wie bei Heidegger und in EN), aber für die soziale Sphäre, die ja aus ontologisch Selbständigen besteht, gibt der Begriff der Totalisierung einen Hinweis, daß keine kategorialen Einheitssetzungen aufgestellt werden, sondern immer die Vielheit des Aggregats bestimmend bleibt. Totalisierung als verstehende Praxis eines seienden Subjekts ist nur Stiftung von Einheit als Struktur. Allerdings muß Sartre doch der Praxis Bestimmungen vindizieren, die sie als dialektische Vernunft setzt. Dies kann nun aber nidit aus dem Grund des reinen Denkens in einer logischen Dialektik geschehen, und so denkt er sich, daß der Akt der Totalisierung Universalien „hervorbringt" 42 , die die Totalisierung erhellen. Die Praxis „se donne ses propres lumières" 43. Sartre denkt hier an „Universalien der Dialektik — Prinzipien und Gesetze der Einsichtigkeit" 44 , und Begriffe von dialektischen Einheiten, die denn wohl als in einer allgemeingültigen Ordnung stehend genommen sind, denn von der Praxis, die sie hervorbringt, werden sie wiederum „singularisiert" und „verinnerlicht". Die Dialektik und ihre Einheitsbegriffe und Gesetze sind gleichsam apriorischer Horizont45 für die Konkretion. Das konkrete Allgemeine Hegels ist jetzt das vereinzelte Allgemeine. Wir sehen einen eigentümlichen Kompromiß zwischen einer Theorie der existenzialen (oder qualitativen) Dialektik und einer Theorie der inhaltlichen Bestimmungen (für die wir entweder eine kategoriale Dialektik fordern, oder andernfalls phänomenologisch vorgehen). Sartre kann aus dem Prinzip des Subjekts keine inhaltlichen Bestimmungen entwickeln — und auch keine formalen Bestimmungen einer Logik der Dialektik —, und so läßt er solche Bestimmungen aus der Selbsterfahrung der Praxis her41 42

45 44 45

Cf. E N 229 f. (der Ausdruck „totalisation" 230) und „Grundzüge . . . " 93 f. C R D 140: „ . . . elle (la totalisation) produit les universels qui l'éclairent et elle les singularise en les intériorisant (de cette façon, en effet, tous les concepts forgés par l'histoire, y compris celui d'homme, sont des universaux singularisés et n'ont aucun sens en dehors de cette aventure singulière)". C R D 133, 176 u. ö. C R D 141. Cf. unten 64, 185.

Das Problem des Grundes

61

vorgehen. Der vorgebliche Ursprung in der Praxis ist nicht der ausweisende Ursprung für die Theorie der Gültigkeit dieser Bestimmungen. In EN war diese Spaltung in logische Gesetzlichkeit und seiendes Prinzip als Ursprung der Gesetzlichkeit nicht so deutlich (wenn auch hier schon das Sich-NichtSelbst-Gründen der Dialektik als logischer merklich wurde und zu einer ontologischen Begründung führte — im „meontologischen" Beweis). Hier in CRD ist es klarer, daß für Sartre die Dialektik nidit kraft einer sich selbst gründenden Logik der Dialektik gültig ist, sondern kraft eines seienden Subjekts, das sich als gewisse Begriffe ausbildend erfährt. (Der Bereich der heranzuziehenden Begriffe ist denn hier auch weiter, mit der — wie auch immer begründeten — qualitativen Dialektik von E N wäre nicht viel erreicht.) In der Theorie von CRD, also in der Entfaltung der strukturellen Anthropologie, wird allerdings doch eine größere Stringenz sichtbar werden, als sie die in Ansatz gebrachte Begründung erwarten läßt. Sartre möchte mit seiner Begründung der dialektischen Vernunft auch die historische Relativität berücksichtigen48 und geht so weit, die Dialektik für eine historische Wahrheit zu erklären. Sicherlich ist jeder, der die genannte kritische Erfahrung vornimmt, situiert, auch der Philosoph. Und so ist die historische Relativität eine Relativität der „Fassung" und „Erfahrung" der Dialektik durch das verstehende Subjekt in seiner Verinnerlichung. So kann die Kritik der dialektischen Vernunft nicht auftreten, bevor nicht bestimmte Philosopheme die Dialektik aufgestellt und bevor nicht Mißbräuche den Begriff der dialektischen Rationalität verdunkelt haben 47 . Es fehlt allerdings eine klare Absetzung der Dialektik als Explikation in einem geschichtlich relativen Werk, oder in einer geschichtlich relativen Erfahrung, von der Dialektik als transzendentalem Grund der Praxis und damit auch der geschichtlichen Erfahrung. Sartre gibt so der historischen Relativität zu viel zu48, was — wenn wir eine Anpassung an historisch-materialistische Gedanken für zu vordergründig halten — verständlich ist von der Seinsgebundenheit der dialektischen Vernunft her, ihrer notwendigen Inkarnation, die für Sartre zu ihrem Prinzip gehört. Entsprechend vermißt man eine — auf dieser Basis nicht zu gebende — Argumentation für die Allgemeingültigkeit und Verbindlichkeit des Grundes der dialektischen Vernunft qua Grund und nicht qua seiend, wozu eine transzendental-logische Theorie in der Lage wäre. Das Werk als Theorie hält sich allerdings nicht an diese Selbstrelativierung, sondern entwickelt Strukturen in ungeschichtlicher Grundsätzlichkeit.

46 47 48

C R D 141-6. C R D 141. Cf. Zehm, Historische Vernunft 177.

62

Vorbegriff der Critique de la raison dialectique

4. Die Entfaltung

des Grundes

Wir haben Sartres Theorie des Grundes in einer kritischen Uberschau kennengelernt. Für ihn bedeutet die Grundlegung, daß die Theorie festgemacht sein muß am einzelnen Subjekt als transzendental-ontologischem Grund; die Begründung wird zur kritischen Erfahrung, und nur das einzelne Subjekt erfährt sich als Instanz des Verstehens. Die Theorie gestattet keine Begründung aus dem Grund des reinen Denkens, sondern fordert den Rekurs auf das existierende Subjekt. Von einem solchen Ausgangspunkt müssen nun alle Schritte zur Begründung sozialer Strukturen begriffen werden können, wenn die Theorie gelingen soll 4 '. Nun ist klar, daß ein einzelnes individuelles Subjekt als seiendes in einem irreduziblen Gegensatz steht zu Gestalten der Pluralität, von denen aber andrerseits gilt, daß sie von dort als ihrer Instanz der Reditfertigung aus begründbar sein müssen. Das apriori aus dem Einzelnen als Prinzip Zu-Begründende überschreitet ihn seinem Sein nach. In E N war darüber hinaus ein kontingentes und doch begründetes (pränumerisches) Paarverhältnis dargetan worden. Die Orientierung von einem Zentralsubjekt aus konnte erhalten bleiben, indem dieselbe Orientierung dem Andern imputiert wurde. Hier in CRD muß eine spezifische, partikuläre Pluralität verstanden werden und a fortiori auch ihre Irreduzibilität als spezifische, partikuläre Pluralität. Sartres These ist, wie wir schon wissen, daß die Subjekte von ihren jeweiligen Zentren aus, „polyzentristisch", durch Totalisierung von ihrer je eignen Orientierung aus soziale Gebilde konstituieren können, in denen sie frei oder entfremdet sind der apriorischen Möglichkeit nach. Es muß ein menschliches Gemeinsdiaftswerk verstanden werden, ein Werk ohne einen einzelnen Urheber — dies ist der Aspekt des Zustandekommens als wirklich, der Aspekt des Seins —, und doch muß das betreffende Sozialgebilde vom Einzelnen als vereinzeltem Prinzip aus verstanden werden können — dies ist der Aspekt der Vernunft —, sowohl in concreto als in der Theorie. Das einzelne Subjekt ist in irgendeine Partikularität verstrickt, aber es soll gleichzeitig prinzipiell die Rationalität des polyzentristischen Prozesses gewährleisten, einerseits zu seinem Teil mitkonstituieren und andrerseits das Ganze aus sich heraus verstehen, in concreto und als Grund der Theorie. In einem lockeren Sinn von Verstehen, einem Verstehen in concreto, ist das trivial. In einem strengeren Sinn, dem der Begründung in der Theorie, ist eine Forderung aufgestellt, die als erfüllbar aufgezeigt werden muß. Nun weiß der Philosoph schon, worauf er hinauswill, wohin der vom Grund aus aufzubauende Gang der Begründung führen muß, nämlich zu sozialen Gebilden, in denen dem Prinzip des Einzelsubjekts, der Freiheit oder dialektischen 49

Es sollte nicht mehr möglich sein, wie Lichtheim hierbei von „logical treadmill" (a.a.O. 233), „logical steam-engine", „machinery" (239) zu sprechen.

Die Entfaltung des Grundes

63

Vernunft, entsprochen oder widersprochen ist. Hierin, in diesem Prinzip, müssen die Einzelnen und das Gemeinsame koinzidieren. Es ist dann aber klar, daß ein Unterschied zu machen ist zwischen dem Objekt des Verstehens oder der Begründung — ein Einzelner, eine Gemeinschaft, ein geschichtlicher Vorgang, der Gesamtentwurf der Geschichte —, ferner dem, der das Verstehen leistet als Einzelsubjekt, und dem Prinzip des Verstehens oder der Begründung. Das Verstehen ist einerseits zu differenzieren in Prinzip der Rationalität und existierendes Prinzip, andrerseits ist es doch eines, die Vernunft der Einzelnen als Allgemeines, explizit gemacht also als „die" Vernunft, wie sie der Philosoph geltend macht, wie immer gebunden an die Vereinzelung der Vernunft, die er selbst darstellt. Die Vernunft ist das Prinzip für ein rationales Verstehen. (Es entsteht eine ähnliche Sachlage wie in Hegels Phänomenologie, wo der Philosoph als Zuschauer auf dem Standpunkt der Wahrheit steht und eine anfängliche Form der Wahrheit als Ausgangspunkt für die Entwicklung schildert, die ihm im Prinzip eins sind.) Der Philosoph kann sich über seine Verhaftetheit in der Einzelheit erheben, er hat nicht nur subjektiv orientiertes intentionales Verstehen (comprehension), sondern er begreift jegliche praktische Realität (intellection) 50 . Rationalität als solche, Begreifen für sich genommen, würde nach ihrem eignen Gesetz in der Sphäre des Logos bleiben und, in unserem Zusammenhang, Einzelnen und Sozialität unter einen übergreifenden Begriff stellen, von dem aus beide begreifbar sind, wie es Hegel mit seinem Geistbegriff tut. Hegels Philosophie des Geistes, und näher die Rechtsphilosophie, sind in der Tat ein Versuch zu zeigen, wie bei Ansetzung eines solchen Begriffs des Geistes der Mensch als sich zur Sozialität entfaltend — als objektiver Geist — begriffen, d. h. transzendental einsichtig erfaßt werden kann. Die sozialen Gestalten sind für Hegel immer größere Annäherungen der Existenz des Geistes an seinen Begriff. Wir denken hier besonders an die Abschnitte „Gesellschaft" und „Staat" in der Rechtsphilosophie, wo gezeigt wird, wie der Mensch in eine Differenz der Pluralität tritt und daraus eine Einheit in der Pluralität, den Staat, bildet. Es ist klar: hier ist der Tatsache, daß Geist oder Vernunft nur existent sind in Individuen, insofern nicht Rechnung getragen, als die Pluralität nur durch den logos-immanenten Prinzipiengedanken der Differenz (Dasein, Äußerlichkeit) berücksichtigt ist. Die Dialektik schreitet an ihr selbst (im Bereich des Logos) fort und gelangt zur Einheit. Die Entwicklung ist eine Bewegung des Begriffs, was nicht heißt, daß die Partikularität der Vielen sich nicht als Illustration einfügte. Dies ist für Sartre einfach nicht „konkret" 51 . Die Trennung von Wissen und Existenz (wie sie nach Sartre im Marxismus besteht) soll behoben wer50 61

CRD 160-2. Cf. Marxens Forderung des Weltlich-Werdens der Philosophie (cf. oben 41), was den Glauben an das Vollendetsein der Philosophie bei Hegel voraussetzt. Sartres Stellung zur bisherigen Philosophie ist die einer Kritik am Idealismus,

64

Vorbegrifï der Critique de la raison dialectique

den, und doch, oder gerade deshalb, soll auch nicht einfach eine „idealistische" Theorie gegeben werden, bei der der Einzelne nur unter den Geistbegriff „subsumiert" wird, aber nicht sichtbar ist, wie er handelnd, eigenzentriert, das Soziale und geschichtliche Ziel mitbefördert und erreicht (er wäre in der idealistischen Philosophie vielmehr einer List der Vernunft unterworfen). Das „Sich-Machen" der Freiheit oder Vernunft im Sozialen ist vom Sein her, ontologisch, gedacht, und also muß soziale Freiheit von der Pluralität der Einzelnen her gefaßt werden. Die Begründung des Sozialen muß der Tatsache gerecht werden, daß die Sozialität nur als Einigung Selbständiger, als Vereinigung, als „Totalisierung", nicht als begriffliche Synthese, gedacht werden kann. Eine solche Totalisierung erfolgt de facto von vielen Zentren aus, für die die Andern jeweils Objekte sind. (Auch an höhere Stufen, Totalisierungen von Totalisierungen, ist zu denken52.) So ist für Sartre der „Seinsbereich" des Sozialen dialektisch strukturiert, die Dialektik seine Gesetzlichkeit. Aber indem dieser Begriff der Totalisierung in einer Transzendentalphilosophie verwendet wird, ist schon anerkannt, daß bei aller Berücksichtigung der seienden Pluralität eine Finalität herrschen soll, eine Rationalität, die normativ ist für die Gestaltung des Sozialen, was gleichzeitig heißt: die im Verstehen der faktischen Sozialgebilde wirksam ist. Trotz der Rücksicht auf Existenz und Pluralität soll eine transzendentale Theorie (mit von der Theorie in Anschlag gebrachten kontingenten Subjekten) möglich sein. Die Schritte der Theorie erscheinen als „Machen" durch seiende Einzelne. Es bleibt dabei eine Spannung von Wissen und verstehender Praxis als einzelner Existenz. (Sartre meint, das Verhältnis von Theorie und Praxis sei selbst dialektisch.) Die transzendental-ontologische Theorie kommt nicht aus ohne einen Horizont der dialektischen Vernunft. Machen wir uns noch einmal klar, daß wir es mit einer „strukturellen Anthropologie" zu tun haben, wo die Praxis, als „Machen", nur transzendental gemeint ist, ontisch aber reversibel bleibt: es handelt sich um „conditions statiques de la possibilité d'une totalisation" 53. Diese Praxis, dies „Machen", dies praktische Innestehen in einer sozialen Struktur, das eine konkrete Verständlichkeit besitzt und doch gleichzeitig als ein transzendental Konstituiert-Sein-Lassen gemeint ist, entspricht dem dialektischen Nominalismus, von dem schon die Rede war. Dazu paßt, daß Totalisierung und nicht kategoriale Einheit dargetan werden soll, daß die Vielheit nominalistisch irreduzible Pluralität behält 54 .

52 53 54

und so ist die Forderung nach Konkretheit ohne das Argument, daß die einzige Fortsetzung der Philosophie nadi ihrer Vollendung die Praxis sein könne. So gibt er denn auch wiederum Philosophie, Sozialphilosophie. C R D 152: „atomisme en second degré". C R D 155. Inhaltlich ist dazu ein Korrollar, daß Sartres Theorie, als transzendental-ontologische, nicht, wie transzendentale Theorie des Sozialen sonst, Theorie des

Die Entfaltung des Grundes

65

Auf den möglichen Einwand, es handle sich nur um ein dialektisches „Verstehen" und nicht um dialektische Gesetzlichkeit eines „Seinsbereichs" in Sartres Sinn, ist zu antworten, daß einerseits Gestalten, Sozialgebilde, dialektische Struktur auch als nicht fortschreitende haben, und daß andrerseits das Fortschreiten in der strukturellen Anthropologie zwar zunächst ein Fortschreiten des Verstehens ist und erst in der geschichtlichen Dimension (wenn für sie die Dialektik erhärtet werden kann) als irreversible Seinsgesetzlichkeit zu denken ist, aber schon innerhalb der strukturellen Anthropologie zwischen dem Verstehen der Theorie und verstehender Praxis (als Gegenstand der Theorie) so wenig unterschieden wird, daß der Eindruck einer „exemplarischen" Realbewegung entsteht und Sartre eine dialektische „Seinsgesetzlichkeit" — eben für unter dem normativen Gesichtspunkt der Freiheit mögliche Bewegungen der Praxis — meint. Ein entsprechender suggestiver Eindruck findet sich in Hegels Philosophie des Geistes und Rechtsphilosophie, wo „Entwicklungen" dargestellt sind (z. B. die Gesellschaft im Ubergang zu Armut, Proletariat, Auswanderung usw.). Bei Hegel handelt es sich jedoch um eine Suggestion innerhalb der Illustration55, während die Dialektik plötzlich anders, nämlich begrifflich, logisch, fortschreitet, etwa nach der Entwicklung der Gesellschaft die Korporation und dann den Staat als höheren Geistbegriff einführt. Bei Sartre hat die „Illustration" als Wirklichkeit stärkeres Gewicht, Realbewegung und Begriffsbewegung sind schwerer zu trennen, was in Zusammenhang steht mit der schon gezeigten Eigentümlichkeit der Grundlegung des transzendentalen Verfahrens selbst56. Bisher haben wir in Abstraktion das Problem des Grundes (als existierendes Prinzip und als übergreifende dialektische Vernunft) und das ontologische Verständnis der dialektischen Bewegung als exemplarischer Realbewegung betrachtet. Wie ist nun aber eine Entfaltung der Strukturen als methodisches Verfahren zu denken? Es muß sich in jedem expliziten transzendentalen Verfahren um eine lineare Abfolge handeln, um eine Genealogie, in der das Spätere vom Früheren her erschlossen, verstanden, begründet ist, so wahr Mehreres zu begründen ist und nicht sofort zu einer Konkretion übergegangen werden kann, deren Mehrfältigkeit unbegriffen bliebe. Das nähere Fortschreiten werden wir in den folgenden Kapiteln, die den einzelnen sozialen Strukturen gewidmet sind, behandeln. Hier ist nur auf eine allgemeine Charakteristik dieses Fortschreitens hinzuweisen. Wir erwarten, daß eine Entfaltung von der einzelnen Praxis aus zurückgreift auf andere

85 M

Rechts ist (Fidite, Hegel). Vielmehr steht Sartre Marxens und Engels' Deduktionen des Sozialen, als eines ursprünglichen praktischen Verhältnisses von Einzelnen, das dann auch eine Rechtsordnung haben wird, näher. Die geistige Einheit (etwa eben das Recht) ist sekundär, abhängig von praktischen Strukturen der Pluralität. Cf. unten 188 f. Cf. oben 63 f. und unten 131, 186 f., 188 f., 192.

66

Vorbegriff der Critique de la raison dialectique

Einzelne (die als kontingent vorausgesetzt werden können), somit plurale, „laterale" Strukturen aufweist, und daß sidi aus dieser Differenz die Einheit des Prinzips, also eine „gelingende" Freiheitsstruktur in der Pluralität herstellt, in Entsprechung zur Hegeischen Theorie des objektiven Geistes. Dies ist in großen Zügen durchaus der Fall, aber damit treffen wir nicht das für Sartre Spezifische. Sartre denkt zunächst an Konstitute, die vom Einzelnen aus verstanden werden können (in einer „dialectique constituante"); dann an Konstitute, die ein Gegenprinzip des Seins, der Verfestigung, der Rückwirkung auf den Menschen, involvieren — es handelt sich also nicht, wie bei Hegel, um eine logos-immanente Differenz (bzw. um eine Realdifferenz, die durch eine logos-immanente Differenz als erfaßbar gilt), sondern um ein kontingentes Realprinzip, das in einer „Antidialektik" verstanden wird; und schließlich an Konstitute, die nur von mehreren Einzelnen als Gliedern einer Gemeinschaft (Gruppe) verstanden werden können („dialectique constituée" 57 ). Die Dialektik überschreitet den Einzelnen als ontologisch Selbständigen. Sie ist eine „mensdiliche Konstruktion". Im Gegensatz zur Hegeischen Dialektik, die Kategorien und Gestalten in einer Logosimmanenz entwickelt, muß eine Theorie wie die Sartresche das Thema der Kategorien des Sozialen anders behandeln. Sie will ja konstituiert denken, was unter dem Gesichtspunkt der Realität „immer schon" vorliegt und zur Situation des Subjekts gehört. Sartre kann also sagen, die Abfolge der Schritte, die Gemeinschaft oder Kollektive konstituieren, sind, obwohl sie der Praxis des Einzelnen nadifolgen, „Rückgang" zur vollen Erfassung der Situation, die immer schon „ist". So ist die ganze Bewegung von CRD (das ja nur einen I. Teil darstellt) „regressiv"58 in einem Sinn, der, wie schon angedeutet, nidit identisch ist mit dem Sinn des Wortes in „Question de méthode". Regressiv ist die Theorie, soweit sie von einem abstrakten Ausgangspunkt, der Einzelpraxis, ausgehend gleichsam die volle soziale Konkretion aufdeckt und analysiert 59 . „Progressiv" wäre dann die Theorie der Geschichte, in der ein Verstehen gerichteter Totalisierung, also einer Abfolge von Totalisierungen vorangegangener Totalisierungen, geschildert und möglicherweise als einem Sinngesetz unterworfen dargetan werden könnte 80 . Was von CRD (im I., aber auch in einem ausstehenden II. Teil) erwartet werden kann, ist eine „formale" Verstehbarkeit. Jedes 67

CRD 154, 376 f. CRD 134, 143, 155. Diese regressive Theorie ist im Sinne transzendentaler Systemtheorie dennoch „progressiv", von einem sich gründenden Grund aus vorwärtsschreitend, nidit von Zugestandenem zurücksdireitend. Cf. unten 112, 130 f., 187 ff. ; M 50 CRD 143, 155, 178. — Cf. dazu Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (Nachlaß), Marx-Engels Werke (Dietz) 13, 631 ff. « Cf. CRD 134, 155, 156, 160.

58

Die Entfaltung des Grundes

67

strukturelle Stadium ist eine Möglichkeit des Sozialen, eine begründete Struktur. Die strukturelle Anthropologie präjudiziert so anscheinend nicht die Geschichte, sondern liefert vielmehr „Prolegomena einer jeden künftigen Anthropologie"61. Bei dem geschilderten Verfahren ist bemerkenswert, was sich auch schon auf der abstrakten Ebene zeigt, auf der wir es hier betrachten, daß die Konkretion als Abschluß der Bewegung der strukturellen Anthropologie einerseits ein letztes darstellbares Konstitut, eine soziale Struktur sein muß, andrerseits die soziale Konkretion in ihrer Vielfachheu, in ihrer Vollständigkeit (als Gegenbegriff zur abstrakten Unvollständigkeit des Einzelnen und intermediärer Stufen) erreicht werden muß, unter dem Gesichtspunkt, daß die Verstehensbewegung ja nicht Begriffe aufstellen, sondern die soziale Wirklichkeit als verstehbar dartun will, und diese ist plural, pluralistisch, eine Simultaneität von Strukturen. (Das widerspricht nur scheinbar Hegels „höherer" Einheit (des Staates), denn auch in ihr müßte die Simultaneität (qua real) von sozial Pluralem gedacht werden. Der Aspekt der simultanen Realität ist aber nicht relevant für Hegels Kategorienlehre). Der Begriff des Abschlusses bzw. der Konkretion enthält somit, wie der des Grundes und der Methode, noch einmal ein Problem, das mit der transzendental-ontologischen Anlage der Theorie gegeben ist. (Wir wollen hier nur auf dies Problem hinweisen; wir kommen an späterer Stelle darauf zurück.) Wir haben jetzt einen Vorbegriff von dem, was Sartre sich in seinem Werk vorgenommen hat, einen Vorbegriff im Sinne einer Antizipation auf der Ebene der abstrakten systemtheoretischen Charakteristik. Ein Letztes ist zu erwähnen: die Lehre von CRD versteht sich als bezogen auf den Marxismus, den Sartre bejaht. CRD wäre also die tiefer begründete Soziallehre, die nach Sartre nicht im Wettbewerb zum Marxismus stehen soll, sondern ihn, der sich nicht selbst begründet, fundiert62. Also nicht „neben" — wie Lukacs von EN meint, wenn er von einem dritten Weg des Existenzialismus neben Idealismus und Marxismus spricht —, sondern „vor" dem Marxismus stehend, als Grundlegung, die integriert werden soll, will sich CRD verstehen. Diese Frage berührt das Problem, inwieweit hier doch ein Zugestandenes, von anderswoher Feststehendes — eben der Marxismus — maßgebend ist. Es scheint aber, daß, was im Marxismus These ist, in der Theorie von CRD neu entwickelt wird, so daß die Grundlegung kein bloßer Zweckansatz ist, nur um das Gewünschte zu entwickeln. Wir verweisen auf die spätere Diskussion des beiderseitigen Verhältnisses. Jetzt haben wir uns der positiven Durchführung der Theorie in CRD selbst zuzuwenden.

61 62

CRD 153. S. unten 174 f. CRD 134, 108. Cf. unten 193 f.

IV. Die Prinzipien 1. Die

Praxis

Was wir „positive Durchführung" nannten, muß nun die zum Bereich des Sozialen gehörigen Inhalte, Gestalten, Strukturen, Wirklichkeiten, Themen umfassen, die die Theorie verstehen und begründen soll. Als erstes Thema in Sartres Durchführung finden wir die Praxis. Sie galt in der systemtheoretischen Betrachtung als Prinzip der Sozialgebilde und der Theorie, und zwar einerseits als autarker Grund, andrerseits als koordiniert mit einer Pluralität von Praxeis und einem kontingenten Gegenprinzip der Materie. Nunmehr wird die Praxis monographisches Thema. Das müßte bedeuten, daß nun der Mensdi als Seiendes, das Praxis ist, noch einmal genauer betrachtet wird — und das ist auch durchaus der Fall, genauso, wie es auch für die anderen Prinzipien zur Porträtierung in exemplarischer Anschaulichkeit kommt —, aber der Mensch als Praxis soll ja in transzendentalem Verständnis als Grund oder Prinzip für weitere soziale Strukturen gelten. Stellt uns die Betrachtung der Praxis als eines Seienden auch die Praxis als Grund noch einmal deutlicher vor? Und wenn ja, ist ein Anhalt für die dann erforderliche Betrachtungsart vorhanden, wenn nach dem Früheren die Praxis selbst transzendentales Prinzip ist? Machen wir uns die gemeinte Differenz an der Folie Hegels klar. Bei Hegel fällt die Theorie des Grundes und der transzendentalen (dialektischen) Methode nicht zusammen mit den monographischen Themen des Erkennens und Handelns (welch letzteres bei Hegel übrigens aufgegliedert erscheint als Trieb, Begierde, Wollen, und, konkreter, als Arbeit, künstlerisches Schaffen usw.). Die Geistgestalten des Handelns und Erkennens treten auf als schon in einer Genealogie der Begründung stehend, nachdem das Denken als sich selbst gründend vorausgegangen ist und konkrete Realkategorien erreicht hat. Die transzendentale Betrachtung des Konkreten ist so schon in Antezedentien des Konkreten festgemacht. Bei Sartre hingegen fällt der Grund unter eine Realkategorie, Praxis ist Grund und monographisches Thema, Grund und Seiendes, Prinzip und Prinzipiat, nicht also derivierter Begriff in einer Kategorienlehre, die einen davon verschiedenen Grund hat, sondern irreduzibles existierendes Prinzip 1 . 1

Cf. dieselbe Sachlage schon in EN. S. „Grundzüge . . 1 2 0 f. Cf. audi Gurvitch, Dialectique et Sociologie 160, 171 (zu CRD 119), 174.

Die Praxis

69

Das Fortschreiten von diesem konkreten Grund aus wird somit auch auf der Höhe der monographischen Konkretion stehen. Die Praxis ist jetzt, wenn wir das terminologisch differenzieren sollen, Prinzip, aber auch „Ausgangspunkt" für verständliche Praxis, verständliche Entfaltung. Damit ergibt sich der schon angedeutete suggestive Eindruck der Konkretion der Sartreschen Transzendentalphilosophie. Die Gesetzlichkeit, die die transzendentale Betrachtung unterstellt und die wir schon als eine dialektische kennen gelernt haben, geht der monographischen Betrachtung voraus, wenn Sartre sie auch für eine Auslegung der kritischen reflektiven Erfahrung der Praxis selbst hält. Dialektische Prinzipbegriffe müssen schon im voraus ihre Verbindlichkeit haben: wir kennen sie als qualitative Seinsbegriffe, wie sie Sartre auch in EN zur Anwendung bringt (in welchem Zusammenhang wir die Herkunft dieser Begriffe schon kritisch befragt haben). Aber Sartre will in der monographischen Betrachtung der Praxis (doch nicht nur in ihr, sondern in der Betrachtung auch der prinzipiellen Pluralität, weiter des Gegenprinzips der Materie und der Verknüpfung zu prinzipiellen Gestalten2) allererst sicherstellen, daß Dialektik oder verständliche Begründung ihr Recht hat. Wir erinnern uns, daß die Ansetzung der Praxis als Grund für die Dialektik in den systemtheoretischen Überlegungen Sartres noch hypothetisch war 3 . Da eine Rechtfertigung der Praxis als Grund nunmehr auf der Höhe der Konkretion steht, scheint sie durch Beschreibung gegeben werden zu können, unter Hineinnahme gewisser konkreter Umstände, die bisher nicht in die Betrachtung einbezogen worden waren (auch in EN nicht). Aber sehen wir näher zu. Zunächst erwarten wir eine Parallele und Wiederaufnahme des Begriffs vom Menschen in EN; auch dort liegt ja schon eine Fassung des Menschen unter dem Gesichtspunkt eines Primats der Praxis vor, wie ihn jede existenzphilosophische Deutung erwarten läßt. Von der Heideggerschen Phänomenologie waren Strukturen des In-der-Welt-Seins in die abstrakte dialektische Grundlegung im Fürsichsein miteinbezogen worden — Bewandtnisverstehen, Erhellung der Situation vom Entwurf her, der ein Ganzsein-Können verspricht usw. Dies alles wird weiterhin bejaht 4 , andrerseits finden wir aber eine Verbindung alles diesen mit einer realistischen, ja materialistischen Deutung. Sartre gibt nicht mehr eine „immanente", vom Bewußtsein als Grund ausgehende und phänomenologisches Detail darin einpassende Deutung, derzufolge der Bezug zur Welt jeweils nur Korrelat von internen Strukturen des Subjekts ist, sondern betont, daß der Mensch als Praxis inmitten des Seien2

3 4

Wir verwenden den Begriff „Gestalt" im Hegelsdien Sinne. Cf. Phänomenologie des Geistes (Meiner) 476-8. Sartre versteht den Begriff von der Gestaltspsychologie her und lehnt ihn daher für lebendige Praxis, besonders im Zusammenhang mit dem späteren Gebilde der Gruppe, ab ( C R D 507). C R D 147: „S'il doit y avoir, en effet, une raison dialectique . . Cf. die Analyse des bewandtnishaften Verstehens im Beispiel vom öffnen des Fensters C R D 96 f.

70

Die Prinzipien

den gesehen werden muß. (Das war auch in E N in gewisser Weise der Fall, aber das Seiende war dort nur prinzipiell — als Ansidisein — Bezugspunkt des Subjekts, und „für es" war dann Welt als Korrelat. Jetzt ist das Seiende in seiner natur-ontologischen, regional-ontologischen Bestimmung mit dem Subjekt in eine Ebene gebradit. Wir können auch sagen, die abstrakte Transzendentalität von E N gibt einer realistisch-ontologischen Betrachtung Raum, ohne ihrerseits aufgegeben zu werden.) Sartres jetziger Grundgedanke ist, daß der Mensch Bedürfnis ist5. Als Bedürfnis verstanden geht es ihm um eine immanente selbstische Totalität, die ihm mangelt, andrerseits aber ist das Mangelnde, das Negativische, etwas Äußerliches, Mechanisches, z. B. Nahrung. Der Bezug, der im Bedürfnis gesetzt ist, ist univok, d. h. nicht überlagert von einem Gegenbezug, der von der Materie ausginge, ist also Bezug der Innerlichkeit, effektuiert von einem subjektiven Zentrum für es selbst. Bedürfnis nun erscheint Sartre als Negation der Negation, insofern es einen Mangel verrät, aber als Positives, insofern es auf die Erhaltung des Organismus gerichtet ist. (Die doppelte Negation als Affirmation hat also hier ihre erste Exemplifikation, ja ihren Grund.) Das Bedürfnis des Organismus prägt dem Anorganischen eine biologische Valenz auf, während der Organismus in sich eine Angewiesenheit auf NichtOrganisches zeigt, und Sartre sieht hier einen ersten Widerspruch von organischem und anorganischem Seienden, von Innerlichkeit und Äußerlichkeit, die dennoch in einer Einheit des Bedürfnisbezuges stehen. Der Grundgedanke ist dabei noch gar nicht spezifisch auf den Menschen gemünzt, wir stehen vielmehr bei „Organismus" und „Leben" 6 . Das Bedürfnis ist Bindung eines Organismus zur umgebenden Materie. Es totalisiert sich und die Umgebung, der Organismus findet sein „Sein" im Unbelebten als Lösung und Beibehaltung eines Widerspruchs, nämlich desjenigen der beiden mit einander verstrickten ontologischen Status von Organizität und Äußerlichkeit. Die Opposition der beiden Status ist nicht nur von der absoluten Position des Subjekts aus gedacht, sondern auch als „zwei Status derselben Materialität" 7 im gemeinsamen Feld der Realität. Die Vereinbarkeit von Ontologie und Subjektphilosophie ist nicht mehr auf einen Prinzipienkonnex beschränkt (wie in EN), sondern in regional-ontologischer Konkretion in Anschlag gebracht. Der Organismus ist nicht nur mit der Natur verknüpft, indem ihm als Organischem etwas Anorganisches fehlt, sondern auch selbst homogen mit der Natur: er ist den Naturkräften unterworfen, ist verletzlich und gefährdet, indem er selbst äußerlich ist, durch seinen Leib selbst Werkzeug zum Eingreifen in die Natur ist oder sich dazu macht. Durch die Praxis (die hier

CRD 166: „(le besoin) c'est le premier rapport totalisant de cet être matériel, un homme, avec l'ensemble matériel dont il fait partie". • Cf. Hegels Enzyklopädie § 216 ff., bes. § 219. 7 CRD 166.

5

Die Praxis

71

noch nicht terminologisch auf den verstehenden Menschen festgelegt ist) wird die Äußerlichkeit zur Verinnerlichung8, zur immanenten Ganzwerdung des Organismus überschritten. Es besteht eine Einheit von Bedürfnis, organischer Funktion und Praxis. Aber ist Praxis von Funktion schon unterschieden? Sartre möchte nicht nur vom bloßen Organismus, sondern vom Menschen handeln, wenn auch noch als Organismus betont, und so Anschluß gewinnen an den Marxschen Praxisbegriff'. Ist dieser Übergang verständlich zu machen? Sartre macht den Übergang an der Zeit klar. Auch die Zeit ist (im Gegensatz zu einer bloßen Zeitlichkeit als immanenter Struktur) regional-ontologisch ausgestaltet: der Organismus muß sich erneuern. Die repetitive Organismuszeit wird aber aufgebrochen durch das Fehlen oder die Knappheit (rareté) des Erwarteten und Benötigten10. Sie bekommt dadurch die Dimension der Möglichkeit und des Zieles, das an die Stelle des bloß zu erleidenden Schicksals tritt. Damit ist Aktion als Außenwendung der Funktion der Bedürfnisbefriedigung (fonction extériorisée) auf Grund eines Fehlens oder einer Bedrohung erschlossen, wenn auch nun Praxis an ein solches enger gefaßtes Bedürfnis gebunden erscheint. Der Organismus richtet sich nach außen, Funktion geht über in Aktion, zur Veräußerlichung der Immanenz, wenn wir diese Verstehensbewegung mitmachen. In diesem realistisdi-ontologischen Rahmen ist nun auch die frühere Dialektik von EN darstellbar: die Negation des Menschen durch die Materie und der Materie durch den Menschen ist zwar — das ist Sartres Pointe — eine Dialektik in der Materie, aber nicht eine Dialektik der Materie oder der Natur, wie bei Engels. Der Mensch muß Negation oder Freiheit sein, damit es eine Dialektik in der Materie, eine Widerständigkeit der Materie, einen Die Verinnerlichung (intériorisation) ist das realdialektische Analogon zur Hegelsdien Bestimmtheit als subjektiver und damit ideeller Synthese. Sie besagt nicht, daß ein neuer kategorialer Inhalt dialektisch konstituiert ist — der reale Einzelne bleibt irreduzible Grundlage — , sondern, daß ein Subjekt ein Fazit zieht, durch seine Bezüge qualifiziert ist. Dies aber doch in dialektischer Weise. Der Prototyp für die Verinnerlichung ist das Annehmen einer Objektivierung durch den Andern (zu E N s. oben 29). Die Konzeption der Verinnerlichung dient dann aber allgemein zur Fassung eines dialektischen Verhältnisses, in dem ein Subjekt bestimmt ist durch sein Sein, seine Äußerlichkeit, sein Oppositum. Unser gegenwärtiger Zusammenhang des Bedürfnisses ist ein Beispiel. Entspechend gibt es bei Sartre Wiederveräußerlichung (réextériorisation) oder Außenwendung, das Sich-Anweisen eines Subjekts auf das Seiende auf Grund seines verinnerlichten Mangels oder sonstigen Bestimmtheit. Die Konzeption deckt ein Sich-Realisieren des Subjekts im Seienden wie auch ein Projizieren seiner negativen Bestimmtheit in das Seiende und die anderen Menschen. Die Anschaulichkeit der beiden Konzeptionen läßt eher an ein subjektives Geschehen denn an Dialektik denken. Cf. Nauta, a.a.O. 148 ff., der eine Linie zur Psychoanalyse zieht. • etwa in der 1. These gegen Feuerbach. 1 0 C R D 168. 8

72

Die Prinzipien

Widerspruch in ihr gibt. Die Materie als solche unterliegt dem Prinzip des Ansichseins, wie es in E N dargelegt worden war. In einem gewissen Gegensatz zu E N wird nun die Rolle des Subjekts als Negation wesentlich von der Einheit und Ganzheit her gesehen und nicht so sehr sein Sich-Absetzen betont. Die Negation hat ihre Einsichtigkeit nicht aus einer obersten Prinzipiendifferenz von Ansichsein und Fürsichsein, oder aus dem meontologisdien Beweis, das Subjekt äst nicht primär Sein mit Negation, wobei die dialektische Einheit nicht so recht dargetan werden konnte und Hegeische Begriffe unbegründet übernommen wurden —, vielmehr ist die Einheit jetzt vorangehend und die Negation hat ihre Einsichtigkeit von ihr her. Die Negation ist Gegenkraft (force opposée)11 im Verhältnis zu einer ursprünglichen Kraft der Integration und zu einer zukünftigen Totalität. Letztlich ist schon der Organismus Negation, primäre Negation, und zwar Negation der Äußerlichkeit seiner selbst als Negativem gegenüber der subjektiven Einheit. Die Negation kann nur innerhalb und durch diese Einheit erscheinen, aber sie ist damit partielle Bestimmung des Ganzen, insofern sie sich für sich setzt, eine Partikularisierung bedeutet. Die Partikularität der Negation (als Ausgehen auf ein Detail) ist Hindernis der Wiedertotalisierung des Ganzen. Die Negation ist sich bewegender Bezug (rapport en cours) zwischen dem gesetzten (bisherigen) Ganzen und der setzenden (neuen) Totalisierung, d. h. Partikularisierung, Bevorzugung eines Bestimmten, im Hinblick auf eine neue Ganzheit. Von hier aus erscheint die Negation als Negation der Negation, als Affirmation, als Negation des Negativen als eines Partiellen und Affirmation des neuen Ganzen. Die neue Einheit ist Liquidation der Partikularität oder Anpassung daran durch Einstellung in eine neue Ordnung. Versuchen wir eine transzendentale Kritik. Die Analyse Sartres sieht die Negation als eine geheimnisvolle Kraft an, die zwischen Negation und doppelter Negation, zwischen Partikularität und Ganzheit, zwischen Bestimmung und Einordnung der Bestimmung in eine Finalität des Ganzen schwebt, ohne für all dies ein theoretisches Gerüst anzubieten. Sartre meint jedoch, die Bezüge, die hier behauptet sind, seien einsichtig. Ja er meint, von hier aus ließe sich eine „dialektische Logik der Negation" 12 , ein „abstraktes System von Sätzen" 13 aufstellen, die „an ihnen selbst echte Einsichtigkeit" hätten, obwohl eine solche „Logik" doch angesichts der Begründung aus einem existierenden Grund nachfolgend ist. Wäre diese Einsichtigkeit dann 11

12 13

CRD 170: „En un mot l'intelligibilité du négatif comme structure de l'être ne peut apparaître qu'en liaison avec un processus de totalisation en cours; la négation se définit comme force opposée à partir d'une force première d'intégration et par rapport à la totalité future comme destin ou comme fin du mouvement totalisateur". CRD 170. CRD 171.

Die Praxis

73

doch autonom einsichtig, oder handelt es sich bei einer solchen Schematisierung, wie Sartre sie ja selbst nach dem Obigen anwendet, eher um eine Abstraktion vom konkreten Bedürfnis und vom konkreten Handeln? Sartres Darstellung kann anscheinend das Ganze — das Bedürfnis und eine finale Beziehung zu einem neuen Ganzen — als explikabel in Anspruch nehmen, ohne ein „idealistisches" System voraussetzen zu müssen, nach dem es gedacht würde. Wie steht es mit dieser Abstraktion an ihr selbst? Der Sdilüsselbegriff der Totalisierung ist nicht ein voraussetzungsloser und letzter Begriff, vielmehr hat er logische Fundamente, und Sartres These von der Einsichtigkeit der abstrakten Reduktion einer konkreten Praxis scheint unbegründet. Diese Abstraktion fällt nicht eo ipso zusammen mit dem logischen Fundament. Der Begriff der Totalisierung ist verwurzelt im Begriff des Fürsichseins, und konkreter in einer Konzeption, in der Fürsichsein und Äußerlichkeit in Einheit gedacht sind (Hegels Begriff des „Begriffs" und des „Geistes"). Wird diese Konzeption kategorial entfaltet, so läßt sich auch die Art von Bewegung und Ganzheit verstehen, die in der Praxis vorliegt. Fragt man dagegen bei Sartre: ist das Ganze als Ursprung und Ziel der Totalisierung ein Subjektives? oder ein Objektives? oder beides „dialektisch" vereinigt? so ist man um eine Antwort verlegen. Sartres Konzeption will dem zweifachen Gegensatz gerecht werden, in dem das Subjekt steht, nämlich zu sich selbst und zur Natur als koordiniertem Seienden. Das Leben in der Hegeischen Realphilosophie ist das passende Paradigma. Während nun für Hegel das Leben vom Geist her als vorerst relative Einheit mit dem Oppositum „Natur" und also als subjektive Totalität begreiflich ist, wird bei Sartre in eigentümlicher Abstraktheit unter Verkürzung der Einsichtigkeit Hegelsdier Prägung beides, Natur und Subjektivität, als Ganzes und Unganzes in eins gedacht. Die konkreten Leistungen des Organismus sollen in dieser Fassung beschlossen sein: so ist mit der Begegnung von Mensch bzw. Organismus und Natur unmittelbar eine Bewandtnisordnung der Natur gesetzt, der Bezug schafft ein passives „Bild" des Zieles des bedürftigen Subjekts in der Materie (entsprechend der Negation als Transzendenzbeziehung in EN) 14 , eine passive Totalität. Aber wieso ist Negation Partikularisierung? Wieso führt Partikularisierung zu einem neuen Ganzen? Die logischen Hintergründe hierfür sind verdeckt. In der Abstraktion zum Schema als einer „Logik der Totalisierungen" 15 ist die Bewegung zur neuen Totalität und die Negation als Verhältnis der Totalität zu sich selbst und zum Oppositum, und somit auch als Bestimmung, nicht autonom einsichtig. Das Verhältnis von Inhalt und formaler Abstraktheit ist nicht unähnlich dem in EN, wo die phäno-

" Cf. E N 229 f. 15 CRD 171.

74

Die Prinzipien

menologische Analyse des Bewußtseins und seiner intentionalen Gegenstände trotz des Vorrangs der abstrakten Ontologie maßgebend blieb. Die Dialektisierung war dort noch ärmer, handelte es sidi doch um eine Dialektik der „immanenten" Strukturen als purer Entfaltung des Fürsichseins im Dasein. Hier in C R D ist jetzt eine Dialektik behauptet zwischen dem Subjekt und inhaltlich Bestimmten, aber dem Subjekt gegenüber Fremdem, der Natur (auch ihm selbst als Natur), deren Zusammenhang mit dem Subjekt im Bedürfnis nicht dialektisch eingesehen ist, sondern nur etwas anthropologisch Bekanntes ausdrückt. Mit der bisher exponierten Dialektik ist erst eine grundsätzliche unruhige Einheit beider Seiender, des Subjekts und der Natur, aufgestellt, ähnlich dem Transzendenzbezug in EN. Sartre meint nun weiter, daß die passive Totalität, die die Materie für den Menschen bietet, sich näher bestimmt unter der direkten Einwirkung des Menschen oder auf Grund der Gesetze der Äußerlichkeit16. Die Korrespondenz von Subjekt und äußerer, passiver Totalität wird durch die Zweckbeziehung — die eine zweite Negation involviert, als gleichsam explizitere Fassung des ursprünglichen Bezuges17 — bestimmt und dynamisch überschritten. Hier tritt nun die der Totalität entgegengesetzte Rolle des schon Partikulären hervor: sei es, daß der Mensch die passive Totalität bestimmt durch den Gebrauch eines Details als Mittel — der Mensch bestimmt in seiner Welt „Bereiche", privilegierte Objekte 18 —, sei es durch die Eigengesetzlichkeit des pluralen Details innerhalb der passiven Totalität. Die Praxis, die sich jetzt nach ihrem eigentlichen Begriff nahelegt, wird, ohne daß ein dialektischer oder logischer Schritt vollzogen würde10, bestimmter, beschränkter angesetzt, und das heißt doch wohl, wird selbst äußerlich. Es ist eine engere partielle Ganzheit in der Natur, auf die die Praxis sich jetzt bezieht. Damit hat die Materie eine innere Scheidung erfahren; Negation ist ihr eingebildet. Der Mensch setzt das Ganze und die Zerreißung des Ganzen in ein partielles Ganzes und das Übrige, das damit auch Bestimmung erhalten hat. Damit will Sartre ein Schema für die Arbeit gewonnen haben. Die Arbeit schafft einmal ein Milieu, eine ganzheitliche Umgebung, in der sie sich abspielt, dann aber bedeutet sie Negation, Ausgrenzung eines Detailbereichs, der sich vom Ganzen in der Äußerlichkeit immer mehr trennt und verselbständigt, wobei die Praxis sich auch beschränken lassen muß, d. h. ihrerseits dem Gesetz der Äußerlichkeit und Trennung unterliegt. Das Ziel der Arbeit ist dann allerdings die Zurückführung des geschaffenen Objekts ins Innere des Ganzen, zusammen mit den anderen ausgegrenzten Sektoren

18 17 18 w

CRD 172. Cf. E N 231 f. CRD 173. Cf. demgegenüber Hegels Ausführungen über Mittel und Zweck Enzyklopädie §§ 206-11; 359-60.

Die Praxis

75

unter einem neuen Gesichtspunkt der Ganzheit. Diese Rückführung ist eine Negation der Negation, d. h. Negation des Bestimmten und insofern NichtGanzen, die nach dem abstrakten Schema nicht als Schritt von der einfachen, ersten Negation unterschieden werden kann. Die Negation der Negation wäre nun nur wieder unbestimmt, es sei denn eben, sie findet im Rahmen einer Totalität statt, in der die partielle Totalität das Ganze mitbestimmt, so daß sie nidit bloße Rückkehr zum Ausgangspunkt, erneute Unbestimmtheit ist, sondern Wendung zu einem totalisierenden neuen Ziel, das die überschrittene Totalität neu organisiert. Das neue Ziel trägt dem schon Besonderten Rechnung, schafft eine Einheit in der Differenzierung. Sartre folgt also dem Hegeischen Gedanken der Einheit nach Besonderung als höherer, nächster Einheit. Es ergibt sich ein neuer Typ der Integration des Pluralen. Es geht nicht nur um ein wieder undifferenziertes Feld, sondern darum, im pluralen Feld materiale Elemente zu finden, die die organische Einheit wiederherzustellen erlauben, die es potentiell enthält. Sartre schließt also, die Arbeit sei „völlig dialektisch". Sie ist ein Konflikt zwischen dem Bezug der Innerlichkeit, der den Organismus mit der Umgebung einigt, und der Ordnung der Äußerlichkeit. Der Organismus macht sich selbst „inert" 20 . Er hat aber ein Ziel, das ihn wiederherstellen soll, d. h. aus der Verschränkung mit der Äußerlichkeit befreien soll. Dies letztere Moment, die Rückkehr, ist allerdings eher ein schlecht-unendlicher Progreß einer „totalisation en cours" oder eines „processus totalisateur", denn sie gelangt ja nur zu einer neuen passiven Totalität in der Materie. Es müssen hier jedoch „fonction" und „action" unterschieden werden. Die Funktion wäre repetitiv, die Aktion dagegen irgendwie qualitativ aufsteigend oder absteigend: vielleicht, daß sie an einem neuen „Niveau" des Lebens arbeitet, vielleicht, daß sie sich selbst immer tiefer verstrickt, bis zur Veräußerlichung des Menschen zur Maschine der Maschine (wozu Sartre dann allerdings die Gesetzmäßigkeit des Weges dahin erst aufzeigen muß). Der Zweck ist endlicher Zweck, aber doch auch prinzipieller, qualitativer Zweck der Praxis. Die geschilderte Dialektik ist für Sartre die „Logik der Arbeit"11. Dialektik ist für ihn nichts anderes als Logik der Arbeit, soweit Arbeit nicht den defizienten Modus völliger Entfremdung angenommen hat 22 . Die Dialektik ist eine verstehende: sie ist nicht in dem Sinn materialistisch, daß sie das Auftreten von Organischem auf Grund von Unorganischem dialektisch begreifen will. (Sartre hält es allerdings für denkbar, daß die Naturwissenschaft einmal eine Erklärung für die Beziehung zwischen Anorganischem und Organischem herausfinden könnte. 23 ) Sah Sartre in E N einen obersten ontologischen Hia20 21 22

29

S. unten 100. CRD 174. Der Begriff „Arbeit" (travail) wird später pejorativ verwendet. Cf. etwa CRD 256, 270. CRD 175.

76

Die Prinzipien

tus von Sein und Fürsichsein, so daß die Existenz von Subjektivem nur durch den „ontologischen Akt", als „surgissement", gedacht werden konnte, so heißt es jetzt: wenn Subjektives, wenn Organisches existiert, dann ist die Dialektik der Typ ihrer Einsichtigkeit. Die regional-ontologische Inhaltlichkeit des Organischen ist dabei dann eine vorgefundene, nicht transzendental in ein kategoriales System eingestellte. Sartres Dialektik hat in der Praxis als Prinzip der Einsichtigkeit die Möglichkeit, das, was beim Engels'schen Materialismus irrationales Gesetz ist, etwa ein Gesetz wie das der Durchdringung der Gegensätze, verständlich zu machen24, so wenig auch die Berufung auf die Einsichtigkeit des abstrakten Schemas überzeugt. Die Rationalität und Einsichtigkeit des Fundaments der Dialektik, eben des Subjekts als Praxis, bleibt, wie wir schon nach Früherem wissen, für eine transzendental-kritische Betrachtung prekär. Die dialektische Analyse ist nachfolgend, formuliert eine „praktische Intuition", hat nicht aus einer eignen, autonomen Quelle Notwendigkeit. Die Rationalität ist eine, für die die Angemessenheit der Formulierung in einer Dialektik in Frage steht; nicht das Denken ist Grund der Rationalität, sondern die Praxis, der sich die denkende Reflexion nur anmißt. Insofern wäre die Dialektik der Praxis oder der Arbeit nicht nur nicht apodiktisch — so lange die Intuition und ihre Formulierung geschichtlich mitbestimmt ist —, sondern nicht einmal im strengen Sinn einsichtig; die Praxis definiert vielmehr, was als einsichtig gelten kann. Die dialektische Formulierung dieses Grundes der Einsichtigkeit ist nicht selbst zwingend, denn das hieße ja, sie nach einer Einsichtigkeit des Denkens und der logos-immanenten Begründung zu beurteilen. Im Denken hat das, was für Sartre Fundament der Rationalität ist, noch eine Genealogie, eine Herleitung und Einsichtigmachung; für Sartre ist dagegen das Denken nachfolgender Ausdruck für die Praxis als Grund. Dennoch scheint die Formulierung der Dialektik der Praxis orientiert an einer durch das Denken gerechtfertigten und in ein Realverständnis versetzten Dialektik. Sie steht so vor uns als bloß übernommen und nicht als tragend. Wir müssen mit der geforderten Toleranz hinsichtlich der lockereren Gedankenführung an die weiteren Schritte herangehen. Bemerken wir nur abschließend, daß für ein monographisches Verständnis der Arbeit, also der Praxis in der Konkretion der Arbeit, Sartres Analyse doch sehr abstrakt bleibt. Es kann hier auf dieser Stufe seiner Analyse nicht unterschieden werden zwischen einer Mittel-Zweck-Beziehung im allgemeinen und eigentlicher Arbeit in einer Gesellschaft, in der es ja erst soetwas gibt. Es geht ihm um eine „Logik der Arbeit", oder um einen Prinzipbegriff, der, wie wir gesehen haben, immerhin eine größere Spannweite hat als der Subjektbegriff in EN. Die konkrete Situation der Praxis als Arbeit setzt aber weitere Stufen, z. B. die Erschließung von Pluralität, voraus, und so bleibt " C R D 175 f.

Reziprozität

77

die Praxis als Einzelpraxis hier ein Kompromiß zwischen Konkretion und abstrakter Prinzipiendeutung. Dies ist ein der transzendental-ontologisdien Darstellung und Begründung eigentümliches Problem: insofern ein Seiendes im sozialen Raum Thema ist, müßte die Konkretion des übrigen Seienden, das es als Individuum bestimmt, miterfaßt sein; demgegenüber ist es zwar Grund, aber dodi nur eine Abstraktion, ein für sich genommen Unselbständiges, das zur Konkretion weiterer Schritte bedarf. Wir kommen auf dies prinzipielle Problem zurück. Die transzendentale Stilisierung gibt aber doch einiges Differente, ein bestimmtes Verständnis von Praxis und, spezifischer, von Arbeit her. Sartre ist nicht entsdieidend an der These der Wiedererkennung im Gegenstand, an der Vergegenständlichung im frühmarxschen und Hegeischen Sinn orientiert, obwohl er das mitmeint (s. den späteren Abschnitt über die „träge Materie"), sondern am Bedürfnis, an der Abstellung eines Mangels, am Muß, das durdi das Bedürfnis gesetzt ist (s. den späteren Abschnitt über die „Knappheit"). Eine so verstandene Praxis ist aber kontinuierlich zu denken mit Sartres Freiheitsbegriff, den er auch in C R D nicht aufgibt. Die Freiheit wird den neuen negativischen Aspekt einer Bindung an das Materielle auch auf höheren Stufen sozialer Gebilde behalten, oder anders ausgedrückt, Sartre wird sie nur innerhalb des Arbeitslebens in ihrer Freiheit oder Unfreiheit behandeln, wozu später, in nicht-entfremdeten Gebilden jedoch auch die Herrschaft als Weise der Freiheit treten wird.

2.

Reziprozität

Wir haben eine erste thematische Struktur, die Praxis als Einzelpraxis, kennengelernt. Sie ist nicht nur Prinzip, sondern es „gibt" sie, wenn sie auch in der Schilderung abstrakt geblieben war in dem Sinne, daß es immer eine Situation gibt, ohne die sie nicht „ist". Für die Einzelpraxis als monographisches, deskriptives, anthropologisches Thema griff Sartre zurück auf den Organismus und das Leben, und entwickelte aus dieser Verstrickung des Organischen mit dem äußerlichen Anorganischen die Grundstruktur einer Dialektik der Praxis, die für ihn einer „Logik der Arbeit" gleichkommt. Wir müssen die regional-ontologische Sphäre des Organismus als Vorbild für die Arbeit nicht in dem Sinne für verbindlich halten, daß alle weitere Entwicklung der Sozialität von der Praxis her auf diese Sinngebung bezogen bleibt. Die Dialektik ist nicht eine der Natur, sondern des Menschen. Es ist jetzt Sartres Aufgabe, auf der Ebene der menschlichen Praxis menschliche Sozialität zu entwickeln, sie in Schritten von ihrem Grund, der Praxis, aus zu entfalten. Wir haben dabei jeweils das doppelte Interesse Sartres zu beachten, einerseits die monographische, deskriptive Analyse der Situation des Menschen mit anderen Menschen, andrerseits die Genealogie des Verstehens, wobei keine strenge Deduktion, sondern, wie sdion gesagt, nur eine lockerere

78

Die Prinzipien

Gedankenführung zu erwarten ist. Im Sinne einer transzendentalen Genealogie muß in der Beziehung des Menschen zu Andern eine auf die Praxis folgende zweite systematische Stufe angesetzt werden; es ist die Stufe der Wechselseitigkeit oder Reziprozität25. Damit meint Sartre, wie wir schon aus E N wissen, das Verhältnis eines Menschen zu einem Anderen, das gleichzeitig ein Verhältnis dieses Andern zu ihm ist. Es handelt sich also um eine Beziehung zueinander, die nicht eigentlich Einheit, Ganzheit oder Totalisierung auf dem Wege zu einer Ganzheit ist, denn sie hat und behält zwei Zentren. Sie ist eine Struktur, die es „gibt", wie die Einzelpraxis, aber schon einer Verständlichmachung bedarf, und von der aus höhere und komplizierter strukturierte Sozialgebilde verständlich werden sollen. Die systematische Dignität dieser Stufe leuditet ein, wenn wir bedenken, daß jede begründende, transzendentale Sozialphilosophie von ihrem Grund aus die Brücke zum Andern schlagen muß. Sartre kann, wie er es audi in EN tut, die kontingente Existenz Anderer ansetzen, ohne sie ableiten zu müssen2*. Damit ist auch ein Bezug anzusetzen (im „Blick", in Weisen der Implikation), wenn auch schon auf das theoretische Problem hinzuweisen war, das hierin liegt27. In C R D tritt nun die Reziprozitätsstruktur mit neuer Akzentuierung auf. Akzentuiert wird jetzt die Gemeinsamkeit. Ich und der Andere stehen sich — wie nach Früherem selbstverständlich ist — nicht wie Atome gegenüber, etwa im Sinne einer liberalistischen Wirtsdiaftsauffassung, wie sie auch Hegel am Anfang des „Systems der Bedürfnisse" in der Rechtsphilosophie beschwört, und erst recht nicht sind sie isolierte Objekte für eine von außen sie modulierende Gesetzlichkeit im Sinne des Materialismus, sondern sie sind Gemeinsamkeit mit zwei Zentren. Wir kennen nun aber die These zur Reziprozität aus EN: ich mache den Andern zum Objekt und er mich, jeder ordnet den Andern in seine Möglichkeitsbezüge ein. Die Gemeinsamkeit ist wechselseitige Eingemeindung, je intentionale Einheit, die gerade, weil sie von zwei Zentren aus urgiert wird, nicht ontologische Einheit wird. Im Gegenteil, es handelt sich um einen Antagonismus. Eine gelingende Einheit, ein „Wir-Subjekt", ist wegen der Polyzentrizität oder, zunächst, Dualität der Subjekte nicht möglich. Sartre hatte diese lapidare These in E N allerdings schon erweitert zur Lehre von einer Gemeinschaft für einen Dritten, so daß die beiden, die

25

26 27

Da der Begriff „réciprocité" in C R D stärker terminologisch ist (als Ausdruck für eine soziale Beziehung neben anderen) bevorzugen wir hier den Ausdruck „Reziprozität" statt „Wechselseitigkeit" (s. oben 28). — Schon Simmel stellt die „Zweierverbindung", und zwar als eine, auf die sich die objektiven Gebilde aufbauen, in seiner Soziologie heraus (Soziologie, Leipzig 1908, 76, 80-93). H i n weis auf die Vorläuferschaft Simmeis (und auch Vierkandts) bei Theunissen, Der Andere 6. Fidite in der „Grundlage des Naturrechts", § 3, stellt sich genau diese Aufgabe. S. oben 28 f., und „Grundzüge . . . " 111.

Reziprozität

79

sonst eine alternierende Reziprozität bilden, ein „Wir-Objekt" darstellen. Es ist klar, daß eine Philosophie, die „Sozial"-Philosophie sein soll, nun entweder von Sozialität nur als entfremdeter sprechen könnte, im Sinne eines von einem Dritten induzierten Selbstverständnisses als Objekt, oder von Gemeinsamkeit als Antagonismus, es sei denn, sie kann über den Aufweis dieser beiden Strukturen hinausgehen. In CRD zeigt sidi nun einerseits ein Festhalten an dieser Position von EN !S , andrerseits eine Weiterentwicklung. So ist bedeutsam die Betonung der materiellen Nähe als Gemeinsamkeit des Ortes29, also eine Beziehung der Äußerlichkeit als antagonistischen und verbindenden Moments30, was in E N nicht im Blick war 31 , aber jetzt ein wesentliches Moment der Reziprozitätsstruktur ist32. Der Gedanke des Andern als apriorischen Gegenpols tritt zurück zugunsten eines Realverständnisses einzelner erscheinender Andrer. Mit der Position von E N schon angebahnt ist der Gedanke, daß ein Dritter eine Konjunktion zwischen Menschen schaffen kann; er erhält jetzt aber einen anderen Akzent. Die These ist jetzt die, daß der Dritte instrumental ist für Reziprozität. Die Gemeinsamkeit kann danach ein „Wir-Objekt" sein, eine Gemeinsamkeit des Objekt-Seins für einen Dritten, aber gemeint ist jetzt auch, daß sich aus einem solchen prinzipiellen Dreier-Verhältnis ein Zweier-Verhältnis als Gemeinsamkeit herstellt. Nun ist es ja klar, daß Menschen sich nicht immer in Gegenwart eines Dritten begegnen, und so sagt Sartre, daß Reziprozität als eine „objektive und diffuse Möglichkeit" erlebt werde 33 ; jeder beliebige kann Dritter sein für beliebige Gruppierungen. Ist der Dritte als solcher „Horizont" dann nicht aber überflüssig? Seine strukturelle Rolle bei der Reziprozität muß allererst aufgezeigt werden. Einerseits ist die Reziprozität ohne einen Dritten darstellbar, wenn auch mit dem Vorbehalt, daß sie zu einem synthetischen Gesamt gehört, in das der Dritte einbezogen ist. Auch wenn ein Dritter eine katalysatorische Funktion für die Reziprozität hat, gibt diese sich so, als hätte sie schon vorher bestanden 34 . Der Dritte „entdeckt" sie für sie selbst35, während 28 29 30 51

32 33

34 35

z.B. CRD 186. CRD 186: „même résidence matérielle". CRD 198. Sartre spricht von „dispersion" und „adhérence". Hier war ja ein gleitender Übergang vom erscheinenden zu nur vermeinten oder vorzustellenden Anderen angesetzt. Vgl. oben 27. Cf. CRD 186. CRD 188. Was in E N vom Andern galt, gilt in CRD vom Dritten, daß er notwendig-faktischer Horizont ist. — Schon bei Simmel ist die Rolle des Dritten im Verhältnis zu einer Zweierverbindung im Blick (Soziologie 93-126). Hinweis darauf bei Theunissen, Der Andere 220, ebenso auf Litt, Individuum und Gemeinschaft, 2. Aufl. Berlin 1924, 111-114. CRD 189. CRD 195, 187.

80

Die Prinzipien

sie andrerseits, als Zweier-Formation, jeder Dreier-Formation vorangeht 39 . Inhaltlich unterscheidet Sartre jetzt positive und negative Reziprozität. Positive Reziprozität ist charakterisiert durch gegenseitige Leistung, Austausch, gegebenenfalls ein gemeinsames Ziel37, gegenseitige Anerkennung. Spätere Stellen, in denen die Entfremdung Thema ist, zeigen rückblickend, daß Reziprozität überhaupt als wesentlich positive Beziehung verstanden wird, in der die Person geachtet ist38. Das zeigt sich darin, daß es auf der Stufe der Reziprozität zwisdien Menschen keine Forderung, keinen Imperativ gibt39, und also keine Über- und Unterordnung. Zur negativen Form der Reziprozität gehören Kampf, Betrug usw.40, aber audi hier ist nicht der Antagonismus von E N wieder aufgenommen, vielmehr ist auch negative Reziprozität ein Modus eines prinzipiell Positiven. Umgekehrt handelt es sich auch im positiven Fall nicht um ein Wir-Subjekt. Es gibt zwar Solidarität41, aber es bleibt eine Pluralität der subjektiven Zentren. Andrerseits soll nun doch der Dritte maßgebend sein. Es kommt dabei nidit darauf an, daß er ein beobachtendes Subjekt ist42. Ein ethnologisches Beispiel ist das vom Gastgeschenk, das fremde Stammesangehörige bringen, um nicht feindlich empfangen zu werden, wobei der Dritte die Instanz wäre, die den gehörigen Wert des Geschenks beglaubigt 43 . Durch den Dritten sind sich die beiden Seiten eines reziproken Verhältnisses eben erst als reziprok entdeckt. Die Dreier-Relation ist die „reale" (konkrete) Beziehung der Menschen untereinander 44 ; die Mensdien stehen immer in einer Gesellschaft, in .der es Dritte gibt, für die sie sind. Vermittelt durch den Dritten schließen sich die reziproken Glieder für sich ab, sind nunmehr für sich gegen den Dritten. Eine „Quasi-Totalität" ist dennoch Voraussetzung für die Reziprozität. Und sahen wir diese immer schon gewährleistet durch ein beliebiges Außenverhältnis, beliebige Dritte, so erweitert Sartre den Gedanken, wenn er eine solche Quasi-Totalität mit der Materie in Beziehung setzt. Auch das Verhältnis zur Materie ist ein soldies Außenverhältnis, das bloße Person-Person-Verhältnis von E N ist um eine Dimension erweitert. Es kann sich etwa um eine Situation handeln, hinter der, bei Hinzunahme größerer Konkretion, Dritte stehen, etwa das gemeinschaftliche oder aufeinander abgestimmte Arbeiten mit einem Werkzeug, hinter dem Hersteller, Besitzer, Arbeitgeber usw. stehen. Mit dem für das ganze Werk typischen Akzent 36 37 38 38 40 41 42

43 44

CRD 189. CRD 207. Cf. etwa CRD 207, 253. ebda. CRD 192. CRD 194. CRD 182 ff. mit dem Beispiel vom bourgeoisen Sommerfrischler, der zwei Arbeiter beobachtet. CRD 187 f. CRD 189. — Cf. Theunissen, Der Andere 234 ff.

Reziprozität

81

auf der Praxis als Arbeit spricht Sartre von einer Quasi-Totalität, die die Materie als Gegenstand der Arbeit (matière ouvrée) darstellt45. Die Arbeit der gegenseitig Verbundenen ist „eingeschrieben" in die Materie, ihre Einheit ist eine der Materie. Aber damit ist nur wiederum ein Außenverhältnis wie das eines personalen Dritten zur Reziprozität behauptet. Die Materie stellt Forderungen und Aufgaben, an ihr selbst und auf Grund von zu unterstellenden Dritten, die dann vermittelt durch die Gegenstände eine Forderung, einen Imperativ, an die Einzelnen in Reziprozität stellen46. Dieser Imperativ als Zwang ist so nur eine Vorwegnahme von konkreteren sozialen Verhältnissen: der Dritte ersdieint als Instanz des Zwanges — etwa im Beispiel vom Zeitnehmer in der Fabrik47; er ist Exponent des ganzen entfremdenden sozialen Systems. Die beiden, prinzipiell genommen, die die reziproke Gemeinschaft bilden, unterwerfen sich — ebenfalls in Vorwegnahme konkreterer Entfremdungsverhältnisse —, dem Imperativ; das Ziel, durch den Dritten bekräftigt, verwandelt das Paar in eine konjugierte Struktur, sie arbeiten gemeinsam. Die beiden Personen verinnerlichen den Imperativ und sind so der Urtyp einer Struktur, die Sartre „Gruppe" nennt. Sartre relativiert schließlich das Verhältnis von Drittem und Paar — das ja nicht reziprok ist, wie das innerhalb des Paares, sondern eine Objektivierung des Paares durch den Dritten darstellt: die jeweilige Vorherrschaft des Dritten ist kontingent; es kann auch ein Sich-Abwechseln geben48, eine Kommutativität innerhalb der Dreierstruktur (trinité). In diesem Verhältnis kommt es aber zu keiner Totalisierung als höherem Einheitstyp, wie er etwa für gemeinschaftliche Aktion erforderlich wäre; es gibt nur ein Gewebe von Reziprozitäten, die „rotieren" können. Hier ist der systematische Ort für Privatbeziehungen. Die Gesellschaft als Inbegriff dieser Beziehungen erscheint als „substance gélatineuse", ohne daß es eine übergreifende Totalisierung gäbe. Sie ist gleichzeitig lebendiges Milieu, das uns mit allen verbindet, und mechanische Indifferenz, die uns von allen trennt, wenn die Arbeit (sie) getan ist49. Sartre meint daher, wenn es eine weitere Integration geben soll, so könne sie nicht von der Vielheit der Zentren ausgehen, sondern von der Materie. Daher muß die Dialektik den Weg über die Entfremdung gehen. Die geschilderte Stufe der Reziprozität ist im Vergleich zur Praxis schon eine komplizierte Struktur und gibt manche Probleme auf, die wir noch einmal zusammenfassend unter transzendentalem Gesichtspunkt diskutieren müssen. Als Struktur der gegenseitigen Anerkennung ist sie, nach Sartres 45 48 47 48 48

CRD CRD CRD CRD CRD

191. 193. 195 f. 197. 198 f.

82

Die Prinzipien

Position in EN, eine Quadratur des Zirkels. Mensdien sollen als auf einander bezogen und doch selbständig verstanden werden. Sie sind als selbständige in der Reziprozität gar nicht interdependent — das könnten sie nur sein, wenn in der Reziprozität eine über die Selbständigkeit als Person hinausreichende Einheit, eine kategoriale Einheit behauptet wäre, der gegenüber sie „Momente" sind. Wir hätten dann eine Hegeische Situation, wo eine Beziehung von Personen zur Konstitutierung einer neuen kategorialen Charakteristik führt: Herr und Knecht werden Selbstbewußtsein, und qua Selbstbewußtsein ist die Beziehung der einen Person zur anderen Person, die ihrerseits Selbstbewußtsein gewinnt, konstitutiv. Eine solche Gegenseitigkeit, die durch einen den Einzelnen dadurch zuwachsenden Gehalt zu kennzeichnen wäre, gibt es bei Sartre nicht. Es ist eine unmittelbare Beziehung50. Die Beziehung ist ein Bezug der Innerlichkeit, der Einzelne verinnerlicht seine Beziehung zum Andern 51 , aber mehr als eine solche formale Aussage läßt sich nicht machen. Es gibt keinen apriorischen Inhalt für diese Beziehung, sondern nur eine Reihe von möglichen, dadurch faßbaren Inhalten wie Kampf, Anerkennung usw. In ihrer Formalität ist die Beziehung irreduzibel, nicht weiter einsichtig zu machen, da ja gezeigt werden müßte, wie der Einzelne den Anderen unter Beibehaltung seiner eignen Subjektivität anerkennt, und angesichts einer solchen Konfrontation von absoluten existierenden Prinzipien hatte EN ja den universalen Antagonismus behauptet. Hinzutritt, wie wir gesehen haben, ein weiterer Gedanke, die Rolle des Dritten für die Reziprozität. Dies Motiv ist, wenn man von den konkreten Beispielssphären zurückgeht auf das Prinzipielle, festgemadit an dem Gedanken, daß der Dritte durch seine Objektivierung die einzelnen in Reziprozität Stehenden zu einer Einheit als Objekt, also zu einer „Einheit des Seins" im Sinne von Objekt-Sein, macht. Dies ist der in E N schon behandelte Fall des „Wir-Objekts". Die fremdvermittelte Einheit wird verinnerlicht, der Einzelne bezieht sie auf sich. Es kann sogar zu einer „falschen Totalität" kommen, die die Selbständigkeit der auf einander Bezogenen zerstört 52 . Eigentlich erreichen die Einzelnen, als reziprok zueinander und Objekte für den Dritten, dadurch zwar Homogeneität, aber nicht Reziprozität. Diese involviert anscheinend eine gleichzeitige Denaturierung der Beziehung als einer Beziehung zwischen Subjekten, wodurch sie in dem entsprechenden Maße gerade wieder unmöglich wird. Die Struktur hat eine „Unruhe" (inquiétude).

50

51

52

CRD 189: „La formation binaire, comme relation immédiate d'homme à homme...". CRD 186: „ . . . mais cette pluralité d'extériorité est intériorisée en ce sens qu'elle qualifie en intériorité chaque processus dialectique . . CRD 194.

Reziprozität

83

Sartre geht dem Konflikt von Subjektivitätsverhältnis in der Anerkennung und entfremdetem Verhältnis von Subjektivitäten als Objekten für einen Dritten einmal dadurch aus dem Wege, daß er die Rolle des Dritten für katalysatorisch hält. Die durch den Dritten entdeckte Beziehung der Einzelnen zu einander schließt sidi gegen ihn ab, ihre Solidarität bedarf seiner nicht. Aber damit wäre wiederum die unmittelbare innerliche Beziehung unverstanden. In einer davon unterschiedenen Gedankenkette tritt die Materie als Gegenstand der Arbeit in den Vordergrund. In einem Vorgriff auf konkretere Verhältnisse erscheint sie als Forderung, der Dritte zu unterstellen sind, und von hier aus wird Reziprozität zur Gemeinsamkeit der Arbeit; die Einzelnen werden zur équipe, zum Prototyp der Gruppe53. Hinzutritt der Gedanke der gemeinschaftlichen Objektivation, als QuasiTotalität, in der Materie. Die letztere Fassung der Reziprozität mit ihrem Gewinn an Verständlichkeit ist schon spürbar der betreffenden Beispielsphäre verpflichtet, nämlich der einer Arbeitswelt, in der es Zwang gibt, Zwang Werkzeuge richtig zu behandeln, Zwang, Arbeit zu leisten usw. Sind diese Umstände für eine Fundamentalanalyse Voraussetzung, obwohl sie dodi im Sinne der Genealogie später entwickelt werden, oder haben wir einen zentralen Gehalt der Reziprozität herauszuschälen? Wäre dann die Reziprozität noch einsichtig? Diese Frage ist bedeutsam, da die Struktur der Reziprozität, als Prinzip für menschliche Pluralität, Grundlage ist für alles Weitere54, wenn sie auch noch nicht das letzte zu exponierende Prinzip ist und auch die Materie eine Prinzipienfunktion angewiesen bekommt. Es ist für die philosophische Bemühung Sartres entscheidend, ob diese wichtige Stufe ihrerseits begründet ersdieint, andrerseits als Begründung für weitere, kompliziertere Formen der Sozialität bestehen kann. Die Stufe der Reziprozität ist nicht aus dem Subjektprinzip „abgeleitet", sondern ist eignes Prinzip, Prinzip der Kontigenz der Pluralität von Subjekten. In ihr verschränken sich also Subjektprinzip und Pluralität. In formaler Abstraktion ist hierüber keine Aussage zu machen. Das Novum der Reziprozität als Dreierstruktur müßte in einer „Logik" eingesehen werden können, ähnlich wie Sartre selbst für die Einzelpraxis von einer I.ogik spricht, die aber auf eine Intuition eben dieser Praxis gestützt wurde. In gewisser Weise hatte EN eine „Logik" der Paare gegeben, die je vom Einzelnen orientiert, polarisiert zu denken war; hier in CRD versucht Sartre aber gerade über die alternativen Perspektiven dieser „Logik" hinauszukommen55. In einem Sinn von Reziprozität, dem des losen Zusammenhangs der Gesellschaft und beliebiger Gruppierungen (adhérence indéfinie), ist der Gedanke, daß einander konfrontierende Subjekte nicht nur aus55

54 55

Zum Begriff der équipe cf. E N 303, 4 9 5 - 5 0 2 ; sie ist dort psychische, nicht ontologische Einheit von Subjekten (496). — Forderung: „exigence". Cf. C R D 179, 182, 186, 198. Cf. „Dualität" oben 56 und unten 85, 125.

84

Die Prinzipien

schließend zu einander stehen; sie sind nicht absolute Orientierungszentren, sondern haben eine gemeinsame Ebene, auf der sie sich anerkennen oder stören können. Sartre zeigt das durch den Gedanken der Uberformung der Subjekte durch ein Objekt-Sein von der Hand eines Dritten, das verinnerlicht wird. Irgendwie ist das „Vorschweben" (hanter) 5 ' dieser fremdvermittelten Einheit menschlich plausibel, wenn auch die „Logik" dieser Verinnerlichung (neben der unmittelbaren Verinnerlichung des Andern) problematisch bleibt. In einer weiteren Fassung, bei der die Materie als konstitutives Moment eintritt, wird die Reziprozität zwar mit ihrem Verhältnis zum Dritten kontinuierlidi gedacht — die Materie ist auch ein Außenverhältnis —, gleichzeitig tritt jedoch der Gedanke der Forderung der Materie und des dahinter stehenden Dritten hinzu. Diese Deutung ist, wie wir gesehen haben, ein Vorausgreifen auf den Sinngehalt späterer, konkreterer Stufen; sie ist wiederum menschlich plausibel, und wir werden später die dann hinzutretende theoretische Begründung im Prinzip der Materie verfolgen. Von unserem Zusammenhang aus gesehen haben wir es in jedem Fall mit Reziprozität in einem recht andern Sinn zu tun. Man könnte sagen, Sartre möchte zwei verschiedene Dinge unter dem Titel der Reziprozität zeigen: einmal die Gemeinschaft zweier (oder eines pränumerischen Paares) 57 und zum andern ihre Entfremdung. Zwischen beiden Momenten wird ein Junktim behauptet. Unter Gemeinschaft wird etwas verstanden, was seinerseits angelegt ist auf (und ermöglicht ist durch) die Beziehung zu einem Dritten, der die Gemeinschaft zu einer homogenen aber entfremdeten macht. Gleichzeitig bietet sich hier die Möglichkeit, die Entfremdungsgeschichte, wie Marx sie schildert, in eine Fundamentalanalyse einzubringen. Diese Konzeption ist komplexer als die einer bloßen Opposition (Reziprozität als Antagonismus) von Subjekten oder als ein bloßes „laterales" Verhältnis von Entfremdeten unter dem Blick des Dritten. Darüber hinaus spielt ein Verhältnis zur Natur hinein. In der Reziprozität als alternierender Wechselseitigkeit in E N bestand ein Konfliktverhältnis, das in der Welt sein Korrelat hat — eine gegenseitige, alternierende Eingemeindung der Gegenstände als Möglichkeitsobjekten oder Mitteln für den Einzelnen. In einer Reziprozität als Konjugation durch den Dritten besteht gegebenenfalls (hier liegt der Vorgriff auf Späteres, wenn dies eine begründete Möglichkeit sein soll) eine Identität des Objekts der Praxeis, die Einzelnen arbeiten am Selben. 56

5 7 Cf. oben 27. Das klingt paradox, wir benötigen aber ein Wort, C R D 194. das zum Ausdruck bringt, daß es Bildungen gibt, bei denen mehr als zwei in Reziprozität stehen können (wobei jeweils für Einen ,der' Andere plural sein kann), ohne daß eine spezifischere soziale Einheit angesetzt werden muß. In C R D ist es nicht nur der pränumerische „Andere", sondern die pränumerische Reziprozität, die einem Andern als pränumerischen Dritten gegenübersteht.

Reziprozität

85

Wir sehen den Gegensatz zur Hegeischen Gestalt von Herr und Knecht. Auch hier ist neben zwei Personen die Natur oder Materie mitberücksichtigt, aber es ist eine reine Reziprozität, ohne den Dritten. Die Materie spielt hier eine Rolle in der Entfremdung (und Befreiung) des Knechts, während der Herr nur mittelbar auf sie bezogen ist. (Bei Sartre ist der Dritte auf die Arbeitenden unmittelbar, auf deren Ziel nur mittelbar bezogen58.) Die Dialektik zwischen Herr und Knecht, die ein Person-Person-Verhältnis ist, wird durch eine „Sonderdialektik" zwischen Knecht und Materie tangiert, und letztlich in der Identität von Herr und Knedit als Exemplaren des Selbstbewußtseins aufgehoben. Gemeinsam ist, daß die Entfremdung (bei Hegel durch den Herrn, dem auf der Seite des Knechts dessen Vorziehen des Lebens gegenübersteht; bei Sartre durch den Dritten) sich mit Anerkennung vermittelt. Aber die Situation ist bei Hegel keine eigentlich plurale soziale Situation, sondern eine duale59, als Verhältnis eines Menschen zu einem (auf „kategoriale Kongenialität" hin betrachteten) „Dritten" (dem Herrn) ohne einen Zweiten (Kollegen) —, insofern gerade zunächst nicht reziprokes oder nur unvollkommen reziprokes Verhältnis. Sowie es reziprok wird, löst es sich im kategorialen Begriff des Selbstbewußtseins auf. Sartre stellt sich die schwierigere Aufgabe, in der Bezogenheit auf einen Dritten plurale Gebilde, hier zunächst die lapidare Zweier-Reziprozität und die équipe, zu verstehen, also das auch bei Hegel scheinbar vorkommende Verhältnis von Personen als einander konfrontierend oder opponierend als mögliche koordinierte Gemeinsamkeit darzustellen, die aber für ihn letztlich ohne Entfremdung durch einen Dritten nicht denkbar ist. Die schwierigere Aufgabe, in eine Fundamentalanalyse zurückverlegt, eröffnet jedoch den Ausblick auf Übernahme der Marxschen Entfremdungslehre. Es handelt sich um eine grundsätzlich andere und neue dialektische „Gestalt", einen zweiten Prinzipienbegriff (nach dem Urprinzip der Praxis). Sie ist wesentlich bestimmt durch die Berücksichtigung der Pluralität, insofern nicht ihrerseits aus einem letzten Prinzip, dem Subjektprinzip der Praxis, nur hergeleitet. Wir sehen vielmehr eine Irreduzibilität der Gestalt, was sich schon zeigt in der Mehrfältigkeit der Bezüge innerhalb der Struktur: ein Miteinander, ein Miteinander für einen Dritten, eine Beziehung auf die Materie, ein Geeinigtsein in der Materie. Die Gestalt ist reicher als jedes einzelne Verhältnis und somit irreduzibel, eignes Prinzip. Sie ist selbst definiens der Verstehbarkeit, wie im Fall der Praxis, nunmehr der Verstehbarkeit von Pluralität, die ihre eigne Rationalität zusätzlich zur Rationalität der Praxis besitzt. Fragen wir schließlich im Unterschied zur transzendentalen Theorie nach dem differenten monographischen, deskriptiven Gehalt, so ist das Wesent58 50

CRD 195. Cf. oben 56, 83 und unten 125.

86

Die Prinzipien

liehe schon gesagt worden. Das Prinzip der Reziprozität enthält die Paradoxie von pluraler Freiheit in sich und ist somit angelegt auf die Fundierung von Entfremdungsstrukturen, die aus ihm — zusammen mit dem folgenden Prinzip der Materie — verstanden werden. Es braucht kaum noch einmal betont zu werden, daß, wie für die Praxis selbst, so auch hier bei der Reziprozität eine Tendenz besteht, nur von der Perspektive der Arbeit her soziale Gemeinschaft zu sehen. Es bleibt so kein Raum, Reziprozität zu entfalten als mitmenschliche Beziehungen der Freundschaft, der Familie usw. Die Bestimmung der Gesellschaft — nicht als Gesamtheit der konkreten wirtschaftlichen und arbeitsmäßigen Interdependenzen, sondern als vages Miteinander Gewisser — wird in formaler Abstraktion allerdings gefaßt. Es sind Privatbeziehungen nach getaner Arbeit; Inhalte kategorialer Art werden der Reziprozität nicht zugeordnet. Es ist aber zuzugeben, daß Sartre hier im Negativen die Grenzen dessen aufzeigt, was in einer Transzendentalphilosophie verlangt werden kann. Reziprozitäten, denen nicht ein konstitutiver kategorialer Inhalt für Weiteres unterstellt werden kann — etwa wie bei Hegel der Familie für die Gesellschaft und den Staat —, so z. B. Beziehungen der Freundschaft, des nadibarschaftlichen Nebeneinanders usw., lassen sich nicht „tiefer" verstehen, ihnen kann nur konkret-menschlicher Inhalt zugeordnet werden'0. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß für den Bereich des Sozialen nur das Arbeitsleben eine transzendentale Durchführung gestattet oder auch nur primär verlangt.

3. Die

Knappheit

Die Reziprozität hat sich uns dargestellt als ein erster Gemeinschaftsbegriff, der aber eine gewisse Vagheit besitzt, auf recht verschiedene soziale Gebilde zutrifft. In ihm als solchem liegt noch keine Möglichkeit, andere, spezifischere soziale Gruppierungen zu verstehen. Reziprozität besagt ja an ihr selbst, ohne Vorgriff auf konkrete Situationen des Arbeitslebens, beliebige lose Zusammenhänge, die von Dritten zusammenbegriffen werden. Sartre kommt nun auf den Vorgriff zurück und führt jetzt thematisch den Gedanken ein — er wird gleichsam „gesetzt", während er vorher nur miteingeflossen war —, daß menschliche Gemeinschaft nicht nur ein interpersonales Verhältnis ist, sondern durch die umgebende Materie oder Natur bestimmt wird. Und zwar in zweierlei Hinsicht: einmal ist gedacht an die Materie als das, auf das sich Praxis bezieht, zum andern ist gedacht an die Tatsache, daß das zum Leben Notwendige, Materie als Gegenstand des Hier kommen wir an eine Grenze der Transzendentalphilosophie, w o eine Fassung des Sozialen vom Dialogischen her weitere Aufschlüsse, oder doch zumindest eine größere Offenheit für die soziale Wirklichkeit, ermöglicht. Wir verweisen auf Theunissen, Der Andere, Zweiter Teil.

Die Knappheit

87

Bedürfnisses, knapp ist. Betrachten wir in der Reihenfolge von CRD zunächst den letzteren Punkt. Die Knappheit ist ein kontingenter Umstand, der für unsere "Welt maßgebend ist. Die Praxis als Prinzip für alle sozialen Gebilde soll grundlegend bleiben, und somit müßte es möglich sein, eine Sozialtheorie auf ihr aufzubauen, aber Sartre sieht die Strukturlosigkeit der bisher von der Praxis her erschlossenen Gebilde und sucht in der Knappheit ein universelles Apriori, das weitere Strukturen verstehen läßt. Sie wird als ein Koeffizient verstanden, der alle Praxis in unserer Welt mitbestimmt. Die Darstellung in CRD folgt der so spezifizierten Praxis, wenn Sartre auch in Aussicht stellt, daß sich in der Folge die universellen (gemeint ist: nicht an die Kontingenz der Knappheit geknüpften) Beziehungen von Praxis und Materie herausschälen werden, gleichsam als reine Theorie gegenüber einer bedingten Theorie61. Dazu wird es jedoch in CRD nicht kommen. Die „reine" Theorie hat denn auch wenig Interesse für Sartre, da seine strukturelle Anthropologie als Fundierung der Geschichte gedacht ist und die Knappheit ihm als eine Bedingung für Geschichte erscheint; nur in ihrem Rahmen spielt sich Geschichte ab. Jedoch ist sie nicht zureichende Bedingung für Geschichte, denn, wie Sartre sieht, gibt es Gesellschaften, die repetitiv sind, stehen bleiben, obwohl sie unter dem Regime der Knappheit leben62. Knappheit bedeutet, daß es in einer Gesellschaft nicht für alle reicht. Damit ist eine Beziehung zwischen den Menschen einer solchen Gesellschaft, die faktisch abgegrenzt gedacht ist, gestiftet: jeder sieht im Andern einen Rivalen, jeder ist, bezogen auf die Gesamtheit, ein Überzähliger (excédentaire), jeder sieht im Andern denjenigen, der ihn als Überzähligen sieht. Allgemein gesprochen: jeder sieht im Andern den Andern63. Die Überzähligen sind in dieser Struktur nicht bestimmte; strukturell lassen sie sich auf dieser Stufe nicht auszeichnen. Es handelt sich um eine rotierende Struktur64, jeder ist für jeden überzählig. (Um von „jedem" reden zu können, ist, wie schon angedeutet, an eine faktisch abgegrenzte Gesellschaft zu denken, letztlich an die Menschheit, die der Knappheit unterliegt.) Es ist von hier aus möglich, daß sich, eine Gruppe bildet, die bestimmt, wer die Überzähligen sein sollen. Hierzu wäre allerdings eine Spontaneität, eine Aktion, erfordert, die von der Knappheit und den bisher exponierten Prinzipien her noch, nicht verstanden werden kann. In einer konkreten Gesellschaft sind die „Knappgehaltenen" immer schon bestimmt durch eine soziale Hierarchie, aber in CRD handelt es sich um die Ordnung des Verstehens, 61 62 63

64

C R D 202. C R D 203 f. S. die grundlegende Analyse C R D 204-8. — Inhaltlich statt transzendental orientiert spricht Schaff von „Malthusianismus" und „Sozialdarwinismus", M a r x oder Sartre? 47. C R D 2 0 5 : „ . . . la totalisation par la rareté est tournante".

Die Prinzipien

88

und so geht die Universalität der Knappheit, aus der sich dann Bereiche der Auskömmlichkeit aussondern, voran. Trotz dieser Universalität ist für Sartres Gedanken wesentlich, daß die Prägung der Menschen durch die Knappheit als Andere der Anderen nicht in der Natur des Menschen liegt, sondern in der materiellen Negation. Die neue Beziehung ist eine modifizierte Reziprozität65. Audi in der Reziprozität als solcher gab es keine Einheit von Menschen als Subjekten, wenn der Trennung auch eine ursprüngliche Unversdiiedenheit zugrundeliegt, die sich in Anerkennung und Verstehen äußert; der Andere wird, ob im positiven Fall der Zusammenarbeit, oder im negativen Fall der Auseinandersetzung, als Mensch und somit mit mir identisch angesetzt. Jetzt, in der neuen, durch die Knappheit modifizierten Beziehung der Reziprozität als Andersheit der Menschen gegeneinander, ist der andere Mensch für mich einerseits zwar mit mir identisch, andererseits aber „Gegenmensch" (contrehomme), ein Mensch, der mich mit dem Tod bedroht. Es kommt zur Verinnerlichung dieser Einschätzung durch den Anderen, zu einer „objektiven Struktur meines Seins" 66 . Ich bin real gefährlich für die Anderen, und, indem eine Totalität gegeben ist, durch die Negation, daß nicht alle befriedigt werden können, bin ich auch für mich selbst, als Teil dieser Gesamtheit, gefährlich für die Andern. Ich bin ein Anderer so wie der Andere. AndrerSein wird zur universellen Charakteristik für jeden. Der Bezug zum Andern ist damit ein Bezug der Äußerlichkeit'''. Eigentlich, so könnte man einwenden, wäre die Charakteristik der Reziprozität die einer Beziehung der Innerlichkeit. Sartre will aber sagen, daß die Knappheit, als gegenseitige Übertragung der Andersheit auf jeden, die Reziprozität verwandelt. Eigentlich müßte jeder Andere höchst bedrohlich für mich sein, mich im tiefsten tangieren in meiner Innerlichkeit, aber es ist, so argumentiert Sartre, nur ein möglicher Anderer, der eine Gefahr ist, kein bestimmter; in der Totalität der Gesellschaft gibt es beliebige Zusammenfassungen von Überzähligen, die ihrerseits alle Andern negieren, die Disjunktionen sind äußerlich, die Totalisierung ist „falsch", die Menschen sind wie Moleküle68. Damit erscheint die Materie als knappe als Grund für eine Abbildung ihrer selbst im Medium des Sozialen, als Siegel (sceau) auf den Menschen. Der Mensch verinnerlicht die Negation durch die Materie und ist so „l'homme de rareté" 69 . (Das hindert nicht, daß das Verstehen der Praxis Anderer erhalten bleibt70 und daß in konkreteren Formen dieser

65 CRD «6 CRD 67 CRD 88 CRD 68 CRD 70 ebda.

208. 206. 207. 207 f. 207.

Die Knappheit

89

Struktur auch die innerliche Beziehung zum Andern als Bedrohung in den Vordergrund treten kann.) Die Konzeption der Andersheit entspricht der der „Rolle" in EN, in der der Mensdi sein Konfrontiert-Sein mit Andern verinnerlidit, eine Andersheit, die aber (zumindest in der Fundamentalanalyse) in CRD nicht mehr als frei übernommen erscheint, sondern als induziert von der Knappheit. Man könnte auch sagen, sie stehe für das „Gesetztsein" der negativen, antagonistischen Reziprozität, die Verinnerlidiung zum „Sein" der Rivalität in jedem, und damit für die neue universelle Ebene des äußerlichen Bezuges der Menschen zueinander. Diese Struktur der Andersheit ist ein Prototyp, ist „abstrakte grundlegende Matrix für alle Formen der Verdinglichung mensdilidier Beziehungen" 71 . Entfremdung ist gedacht als Dreierverhältnis, und insofern kontinuierlich mit der schon im vorigen Abschnitt vorweggenommenen Struktur: ein Drittes, die Materie — hier als fehlende, als Knappheit — bestimmt und modifiziert die Bezüge der Reziprozität. Sartre betrachtet einige Konsequenzen — von hier aus verstehbare Konstitute —, die mit der Struktur der Andersheit auf Grund der Knappheit erschlossen sind. Wir weisen auf sie nur kurz hin. So sieht er die Ethik als Erhellung der Praxis unter den durdi die Andersheit gegebenen Umständen an; sie setzt die Andersheit voraus, insofern sie das „Böse" und den „Bösen" für ihre Wertungen benötigt 72 . Eine andere mit der Andersheit erschlossene Struktur ist die Gewalt. Sie will sich immer verstehen als Gegengewalt gegen den Andern, der gegen mich Gewalt üben will, und ist somit ein Versuch, die Struktur der Andersheit zu sprengen. Im Prinzip wird die Verdinglichung durch Gewalt und Kampf überwunden — sie ist insofern kein konstantes Schicksal —, aber sie läßt sich nur partiell beseitigen und stellt sich wieder her73. Sartre möchte die Auswirkung der Knappheit auch nodi in anderem, positivem Sinne sehen. Er stellt sie mit der Gefährdung allgemein gleich — im Beispiel von der Bedrängnis der chinesischen Bauern durch die Mongolen74 —, die zu einer solidarischen Aktion führen kann. Die Totalisierung durch die Gefährdung erscheint jetzt als verschieden von der Prägung der Einzelnen als Andere der Anderen, die sich in der Grundanalyse der Knappheit ergab, sie ist Totalisierung zum aktiven Team. Es wird auch deutlich, daß das gemeinsame Betroffensein eine Einigung des Ortes hervorruft, von dem die Gefährdung ausgeht, und auf den die gemeinsame Aktion zielt75. Das erwähnte Beispiel ist ein höherstufiges, ein Fall 71 72 73 74 75

CRD 208. Verdinglichung: „réification". CRD ebda. CRD 209 f. CRD 210 f. CRD 211: „L'unité negative de la rareté intériorisé dans la réification de la réciprocité se réexteriorise pour nous tous en unité du monde comme lieu commun de nos oppositions...".

90

Die Prinzipien

von Rivalität zwischen ganzen Gesellschaften, durdi die die Knappheit oder Gefährdung bedingt ist, eine Situation, in der Solidarität und gemeinsame Aktion verständlich werden soll. Allerdings ist jetzt die Knappheit als Gefährdung, wenn sie gemeinsame Aktionen von Menschen als solidarischen Subjekten hervorrufen kann, nicht mehr eindeutig. Es liegt ein Vorgriff auf spätere Strukturen vor. Ferner sieht Sartre die Knappheit nicht nur als Knappheit an dem zum Leben Notwendigen, sondern weitet die Konzeption aus auf sekundäre Knappheiten. So kann in einer Gesellschaft die Knappheit am Produkt — worin schon eine positive, aktive Einstellung der Gesamtheit zur Knappheit liegt, der Knappheit begegnet wird durch Produktion — übergehen zu einer Knappheit an Arbeitskräften, weiter zu einer Knappheit an Werkzeugen, ja zu einer Knappheit an Verbrauchern der Überproduktion 76 . Es ist für Sartre „völlig logisch", daß in einer gegebenen Gesellschaft gewisse Gruppen von der Konsumtion ausgeschlossen sind, obwohl keine Knappheit an Produkten besteht, diese vielmehr aus Überfluß vernichtet werden. Sartre hat hiermit die Thematik des Marxismus erreicht und versucht sie auf der bisher erreichten Stufe der Abstraktion von der Knappheit her zu erfassen. Seine These ist, vorgetragen in einer eignen Betrachtung über „Knappheit und Marxismus" 77 , daß der Marxismus soziale Vorgänge oft unverstehend schildere oder Hypothesen aufstelle, die nicht auf ein Prinzip zurückgeführt seien. Sartre zitiert einen Text von Marx 78 , in dem dieser auf die unterschiedlichen Folgen der Expropriation hinweist: die römischen Bauern wurden nach ihrer Enteignung nicht Lohnarbeiter, sondern ein faules Proletariat. Trotz der Analogie mit Fällen, in denen die Expropriation zur Lohnarbeit führt, hatte die Entwicklung angesichts des unterschiedlichen Milieus ein unterschiedliches Resultat. Aus dem Vergleich der verschiedenen Entwicklungen läßt sich aber nach Marx ein Schlüssel für die Phänomene gewinnen. Sartre macht dagegen geltend, daß hier ein Verstehen nur der Abweichung von dem, was in den einzelnen Fällen analog ist, erreicht wird, das Gemeinsame aber seinerseits fundierungsbedürftig ist, erst verstanden werden muß. Sartre greift ferner die zentrale Doktrin von der Entstehung der Klassen auf. Der Marxismus bietet hier, in den Thesen von Engels, ein positivistisches Gesetz an: wenn eine gewisse Überproduktion entstanden ist und die Produktion Warenform annimmt, vergrößern sich die Ungleichheiten in der Gesellschaft und es kommt zu Klassen79. Aber ein solches Gesetz 78 77 78

79

C R D 213 f. C R D 214-221. C R D 214 f.: Marxens nicht abgesandter, sondern später von Engels Vera Zasulitsch zugestellter Brief an Midiailowski von 1877. In: Nicolai-On, Histoire du développement économique de la Russie, Paris 1902, 507-9. Cf. Maximilien Rubel, Marx et le socialisme populiste russe, Revue socialiste, Paris Mai 1947. Engels, Anti-Diihring, Marx-Engels Werke (Dietz) 20, 150 f.

Die Knappheit

91

ist unhistorisch, meint Sartre, und erklärt nicht, wieso dieser Prozeß in manchen Gesellschaften sidi beschleunigt abspielt, in manchen aber praktisch gar nicht stattfindet. Die Geschichte muß ihre eigne Einsichtigkeit beisteuern. Sartre macht weiter aufmerksam auf eine zur genannten Theorie der Klassenentstehung gegensätzliche These von Engels80, wonach die Gesellschaft (bei einem das Erforderliche um wenig übersteigenden Ertrag) sich in Klassen teilt nach dem Gesetz der Arbeitsteilung und eine befreite Klasse die gemeinsamen Angelegenheiten der Gesellschaft besorgt. Diese Erklärung ist nach Sartre historisch (obwohl sie sich als Gesetz gibt); Engels sieht hier, daß eine Knappheit — an Zeit — der Entwicklung zugrundeliegt. Aber Engels widerspricht sich selbst, wenn er einerseits die Bildung der herrschenden Klasse aus der neuen Funktion erklärt und andrerseits anführt, daß die Sklaverei die Mehrzahl der Freien vom Arbeitszwang teilweise befreie. Er widerspricht auch der Marxschen These, daß bäuerliches Privateigentum der Expropriation vorangegangen sei, die dann erst das Proletariat der Expropriierten gegenüber der Klasse der Großgrundbesitzer geschaffen habe. Kurz: wenn einmal die Klassen vorliegen oder als gegeben angenommen werden, gibt der Marxismus eine Verstehbarkeit ihrer Gegensätze. Aber davor besteht eine V erstehensauf gäbe, die gelöst werden muß. Diese Verstehensaufgabe glaubt Sartre durch ein an den Anfang zu setzendes Negatives, also die Knappheit, gelöst. Die Knappheit macht klar, wieso in ihrer Art positive Umstände — Materie, Überproduktion, bessere Bedürfnisbefriedigung, Freistellung von Bevölkerungsgruppen usw. — vom Gesichtspunkt der menschlichen Freiheit betrachtet zu negativen Konsequenzen führen. Insofern lobt er bei aller Einschränkung Dühring, der durch seine Theorie der Gewalt habe zum Ausdruck bringen wollen, daß ein „permanentes Element der Negativität" zum Verständnis zugrundegelegt werden muß 81 . Nicht eine leise Überproduktion führt zu negativen sozialen Konsequenzen und zu entfremdeten sozialen Gebilden, sondern eine Knappheit, ein Zu-Wenig. Die Knappheit ist für Sartre die Ausgangsnegation (négation au départ) 82 , von der aus die Entwicklung der sozialen Erscheinungen möglich ist. Sie erscheint also nunmehr als eigentliches Verstehensprinzip neben Praxis und Reziprozität. Es ist klar, dies Prinzip der Knappheit hat nicht die Explizitheit der marxistischen Lehre von den Klassengegensätzen. Diese müssen also als Prinzipiate dieses Prinzips verstanden werden, d. h. die Abkünftigkeit dieser Erscheinungen vom Prinzip der Knappheit muß aufgewiesen werden. Das ist bisher nicht geschehen. Eher scheint eine Art Begriffsrealismus vorzuliegen, wenn von verschiedenen Knappheiten die Rede ist — wovon die Knappheit an Verbrauchern, also

80 81 82

ebda. 262. CRD 221. CRD 223.

92

Die Prinzipien

die Uberproduktion, nur das letzte „retournement de la dialectique de la rareté" sei83, als ob dadurch die Bedingtheit abkünftiger Knappheiten durch eine originäre Knappheit schon dargetan wäre. Es handelt sich zunächst nur um ein allgemeines Verstehensprinzip, dessen Durchführung einerseits für die Geschichte, andrerseits für die strukturelle Anthropologie erst ¡noch zu geben ist. Für die strukturelle Anthropologie werden wir ihm noch vielfach begegnen. Fraglich bleibt allerdings, inwieweit das Prinzip als Prinzip innerhalb der strukturellen Anthropologie die Erklärungen für die Geschichte beisteuern kann, die Sartre in den oben zitierten marxistischen Thesen vermißt. Es werden nicht „Erklärungen" sein, sondern ein „Grund" für die Einsichtigkeit der Geschichte, dessen Funktion für die Geschichte wir noch zu diskutieren haben werden. Die Knappheit ist eine Variante des Prinzips der Kontingenz (des Seins), das sich als Pluralität, Materie und — dies war vorgezogen worden — als Knappheit an Materie spezifiziert. Einhergehen Spezifizierungen des Subjektprinzips als Praxis, Reziprozität, Andersheit. Die damit eröffneten „Gestalten" sind nicht strenge Begriffe einer dialektischen „Logik", sondern irreduzible, durch Kontingenz mitbestimmte, aber zu Prototypen sich fügende Strukturen. Wir können die „Prinzipien" beschränken, wie wir es in der Disposition der Abschnitte tun, auf Praxis, Reziprozität, Knappheit und — als noch bevorstehendes Thema — Materie in einem positiven Sinn, oder alle „prototypischen" Strukturen des Sozialen, einschließlich des Prinzips der Praxis als Einzelpraxis, mit ihrer zugehörigen Kontingenz zusammenordnen 84 : Praxis im Zusammenspiel mit Materie als Äußerlichkeit, Reziprozität und Pluralität, Andersheit und Knappheit, Entfremdung und Materie im positiven Sinn von bestimmbarer und bestimmter Materie. Die Prinzipien und Gestalten sind, wie wir schon gesehen haben, miteinander verschränkt; die Darstellung früherer greift auf spätere vor, es handelt sich um ein Gewebe, das angesichts des nichtkategorialen Charakters der Dialektik auch nicht in eine strenge lineare sukzessive Ordnung seiner Elemente gebracht werden kann. Ganz abstrakt genommen haben wir eine Dialektik von Praxis und Sein oder Materie als Prinzipien; die exemplarisch konkretisierte Weiterentwicklung hat aber selbst Prinzipiencharakter. Sie ist einerseits durch Verstehen auf Grund der obersten Prinzipien geleitet, andrerseits definiert sie allererst das Verstehen in prototypischen Gestalten. Was das letzte bisherige Thema angeht, die Knappheit, so ist das Problem ihre maßgebliche Rolle angesichts ihrer nicht prinzipiell zwingenden Kontingenz. Sartre ist sich eines möglichen Einwandes denn audi durchaus

83

84

C R D 213. — Das Verfahren erinnert an Fourier, den Proudhon in De la Création de l'Ordre treffend kritisiert (§ 261). wobei wir von der Gruppe als eignem Prinzip noch absehen.

Die Knappheit

93

bewußt85. Die Knappheit ersdieint als ein konkreter Umstand, andrerseits als eine prinzipielle Aussage über beliebige Situationen. Es ist an eine ebenso konkrete wie prinzipielle (eben notwendig-faktisdie) Abgrenzung der Gesellschaft gedacht, in der Knappheit als Quantitativum (als Zu-Wenig an Bereitstehendem oder an Produktion auf Grund eines Naturapriori) die Menschen — also letztlich die Mensdiheit — qualitativ bestimmen kann. So schwebt die Knappheit denn auch zwischen geschichtlichem Faktum und anthropologisch-grundsätzlichem Faktum. Es gab in unserer Geschichte immer Knappheit 86 ; unsere Geschichte ist von Knappheit geprägt, und die strukturelle Anthropologie ist so — entgegen einer reinen Theorie der Praxis — durch Anerkennung der Knappheit als universellen Faktors unserer Geschichte zugeordnet als deren Fundierung. Die Knappheit ist als eine Kontingenz gedacht, die als anthropologisch grundsätzlicher und geschichtlicher Umstand nicht in prinzipieller Allgemeinheit auf „den" Menschen bezogen ist, sondern an ihr selbst sozial relevant ist. Sie ist die soziale Kontingenz (neben der noch darzustellenden sozialen Kontingenz, die der Materie in positiver Hinsicht eignet). Als solche ist sie Prinzip, transzendentale Unterstellung zum Zweck der Theorie des Verstehens, eben als Ausgangsnegation, die weitere Negativa erklärt 87 . Man verfehlt den Gedanken Sartres, wenn man meint, er wolle nur sagen, die Knappheit sei empirisch bisher maßgebend gewesen und werde es wohl auch bleiben. Für eine solche These müßte man allerdings mit ökonomischen und anthropologischen Feststellungen (über Bevölkerungsdichte, Bevölkerungsbewegung, Fruchtbarkeit des Bodens, Wachstum der Erträge usw.) etwa nach Art von Malthus Aufweise geben und für alle Menschen wahrscheinliche Schlüsse ziehen. Die Knappheit bei Sartre ist vielmehr Prinzip, das weitere mögliche Sozialstrukturen verständlich machen soll, die über die lapidare Struktur der Andersheit hinausgehen. Aus dem Gesagten ergibt sich eine weitere Beleuchtung der Knappheit. Sie erscheint einmal als eine „fixierte" Knappheit an dem zum Leben Notwendigen, Materiellen, und damit sind auch „fixierte" materielle Bedürfnisse unterstellt. Diese gibt es natürlich. Aber liegt in Sartres Prinzip dann nicht audi, daß er die Prinzipfunktion der Knappheit im Sozialen überhaupt auf solche fixierten Bedürfnisse gründet? Andrerseits ist die Knappheit flexibel gedacht: es gibt „sekundäre" Knappheiten an Werkzeugen, Arbeitskräften, Produkten und Verbrauchern. Aber audi diese Knappheiten sind zurückbezogen auf die ursprüngliche Knappheit an dem zum Leben Notwendigen. Dem kann man entgegenhalten, daß das fixierte Bedürfnis nicht absoluter Bezugspunkt sein kann, da es gleitend übergeht in vom 85 88 87

C R D 2 0 1 : „ . . . la contingence de la relation de rareté ne nous gêne pas". ebda. Waidenfels spridit von der Knappheit als einer „List der N a t u r " (a.a.O. 38).

94

Die Prinzipien

Menschen neu entwickelte Bedürfnisse88. Von daher kann es auch keine absolut zureichende Produktion geben; eine „prinzipielle" Knappheit, als Kehrseite des „offenen" Bedürfnisses, wäre also dann nicht auf eine fixierte Knappheit an dem zum Leben Notwendigen gegründet, sondern auf die Unendlichkeit des Bedürfnisses und damit auf die Unmöglichkeit, sie in der Natur zu befriedigen. Sartre stellt sich nicht die Frage, ob nicht in der genannten Weise die fixierte Kontingenz der Knappheit zu vermeiden und stattdessen zu einem „prinzipielleren" Prinzip zu erweitern wäre. Er würde wohl die „idealistische" Note dieser Auffassung kritisieren, nämlich, daß das natürliche, materielle Bedürfnis vom Geist her begriffen werden könne. Sartre ist hier von einem stärker materialistischen Aufriß bestimmt. Er harmoniert darin mit dem Marxismus, der ebenfalls fixierte materielle Bedürfnisse in Anschlag bringt. Dies kommt schon in Marxens Satz: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen"88 zum Ausdruck, der zwar Ungleichheit im einzelnen offenläßt, aber doch nur Sinn hat, wenn die Bedürfnisse letztlich fix sind, und zwar eben beim grundsätzlich gedachten, nicht-entfremdeten Menschen90. Ein Bedürfnis nach Zuviel und nach Luxus, ein offenes Bedürfnis, wäre für Sartre wie für den Marxismus ein Entfremdungsphänomen. Sartres Freiheitsbegriff, nach der der Mensch nicht grundsätzlich selbstisch ist im Sinne des Habenwollens, koinzidiert hier mit der Marxschen, von Feuerbach beeinflußten Auffassung vom Menschen. Es zeigt sich als scheinbar fernliegende Konsequenz der transzendentalen Begründung ein inhaltlich différentes, mit dem Marxismus jedoch weitgehend übereinstimmendes Bild. Der Unterschied der Position in C R D gegenüber dem Marxismus liegt in unserem Zusammenhang darin, daß Sartre die Knappheit als „dialektisches Verstehensprinzip" 91 , und das heißt sowohl innerhalb der strukturellen Anthropologie wie dadurch auch für die Geschichte, ansetzt. Entfremdung und Elend werden nicht erst durch die Produktionsformen — die ihre eigne Erklärung verlangen, wie bei Marx —, sondern diese und die mit ihnen einhergehenden Entfremdungen sind ursprünglich bedingt durch die Knappheit. Sie regiert die grundsätzliche Konkurrenzstruktur in der Wirtschaft und im Arbeitsleben, die zu sekundären Knappheiten führen kann. Die Auffassung ist eine Tieferlegung des marxistischen „Ökonomismus" bei Anerkennung der materiellen Grundlage, die sich jetzt im Prinzip der Knappheit ausprägt. Für Marx ergibt sich das typisch Widersoziale, die Knappheit im Sinne der Verelendung, erst spezifisch für die industrielle 88 89 90 91

Cf. Hegels Rechtsphilosophie §§ 185 Zusatz, 190 Zusatz, 194. Marx, Kritik des Gothaer Programms, Marx-Engels Werke (Dietz) 19, 21. Cf. dazu Lenin, Staat und Revolution, Werke (Dietz i 9 6 0 ) , 25, 4 8 2 f. C R D 221 f.: „Cela signifie que la rareté en l'homme de l'homme par la matière est un principe d'intelligibilité dialectique".

Die träge Materie

95

Produktion in einer Gesellschaft mit kapitalistischen Besitzverhältnissen. Die Erklärung für das Zustandkommen dieser Verhältnisse ist teils unsicher tastend, teils streng ökonomisch. Die wirtschaftlichen Faktoren erscheinen als maßgeblich für die sozialen Strukturen. Sartre will demgegenüber sagen, daß erst durch die Knappheit als übergreifendes Prinzip die marxistische Betonung der Produktionsverhältnisse als Basis gerechtfertigt ist: „Dans le milieu de la rareté toutes les structures d'une société déterminée reposent sur son mode de production"92. Erst durch das Prinzip der Knappheit ist für Sartre der Anschluß an die konkreteren Marxschen Analysen ermöglicht. Das heißt aber für Sartre gleichzeitig, daß auch andere Produktionsverhältnisse (was für den Marxismus Besitzverhältnisse bei Produktionsmitteln sind), etwa in sozialistischen Ländern, nicht von Entfremdung frei zu sein brauchen, ein Hinweis, daß die Entfremdung tiefer fundiert ist als in ökonomischen Verhältnissen98. Ist die Knappheit nun nur „Milieu", oder ist es einsichtig, daß die ganze Produktionsanstrengung in allen ihren sich verästelnden Gestaltungen sie zum Prinzip hat? Ist ein von Marx her gefaßtes konkretes Wirtschaftsgeschehen mit seinen sozialen Erscheinungen von ihr aus zu verstehen? Ist sie Prinzip, das z. B. die Ausbeutung und Lohndegression, das Gewinnstreben des Eigentümers, die Klassentrennung usw. verständlich macht? Ist die Knappheit Milieu und Anstoß, oder ist sie mehr, Prinzip für diese Erscheinungen und Strukturen des Sozialen? Dies ist die Frage nach dem Zureichen des Prinzips der Knappheit in Verein mit dem Prinzip der Praxis. Das Prinzip erscheint als zu abstrakt.

4. Die träge Materie Im Fortgang des Werkes erweist sich, daß die Knappheit nicht die absolute Priorität hat, wie man nach der Herleitung der Andersheit und Verdinglichung vermuten könnte, deren Prototyp ja von der Knappheit aus gezeigt wurde. Die Knappheit ist ein Faktor im Gewebe der Prinzipien, das sich zu einer Gesamtsicht des Sozialen entfaltet. Ein Prinzip wie die Knappheit kann nicht allein herhalten für die Begründung der konkreten sozialen Gebilde; sie müssen wesentlich aus der Beziehung des Menschen nicht nur zur negativ, als Knappheit gefaßten, sondern auch zur positiv bestimmten und bestimmbaren Materie verstanden werden. Die negativen Konsequenzen für den Menschen ergeben sich, wie Sartre nunmehr sieht, nicht nur aus einer „erlebten Knappheit" 94 ; das Negative erscheint vielmehr 92 93

94

CRD 225 Anm. CRD 221.

CRD 229: „rareté eprouvêe".

Die Prinzipien

96

beim Umgang mit der Materie als Positivum, einem Werkzeug, dem Acker usw. Anscheinend ist alles positiv, gerade die Materie, die eine Bedürfnisbefriedigung ermöglicht, ist als Gegenstand der Arbeit positiv, und doch führt gerade dies Positivum zu negativen Konsequenzen. Sartre kommt zu dem Schluß, es gebe eine Dialektik zwischen der Handlung — als Negation der Materie — und der Materie — als Negation der Handlung. Der positive Bewandtniszusammenhang der Materie wird als negativer Gegenschlag (retournement négatif) 95 erlebt: die Handlung schreibt etwas in die Materie ein, das sich gegen die Handlung wendet. Die Resultate, mit denen sich die Handlung in die Materie eingeschrieben hat, wenden sich gegen sie als objektive, negative Forderungen. Hiermit ist ein weiteres Prinzip der dialektischen Einsichtigkeit aufgestellt. Die Einsichtigkeit dieses dialektischen Verstehensprinzips ist mitbestimmt von den schon exponierten Prinzipien. Die früher abstrakte Praxis ist eingestellt gedacht in die anderen Strukturen. Das Prinzip soll der Marxschen These nachkommen, daß der Mensch seine eigne Entfremdung schafft, sich selbst entfremdet; aber zu einem kritischen Verständnis bedarf es eines Eingehens auf die Rolle der Materie im Verhältnis zur Praxis im Rahmen der schon aufgezeigten Strukturen". Zunächst betrachten wir die Anknüpfung des neuen Prinzips an das vorhergehende, und damit Fragen, die der theoretischen Struktur von C R D gelten, soweit sie sich vorweg aufwerfen lassen. Die Forderung nach Kontinuität des neuen Prinzips mit den früheren führt uns auf die frühere Frage, ob und inwiefern die Knappheit als kontingentes Apriori mitbegründend ist f ü r alle weiteren Herleitungen, die sich auf das neue Prinzip — als ein Prinzip der (nunmehr konkreter gedachten) Arbeit — stützen. Sartre denkt, wie wir schon sahen, nicht an eine transzendental „reinere" Begründung der Entfremdung und ihrer sozialen Strukturen allein aus der Arbeit, aber eine gewisse Unabhängigkeit der neuen Strukturen von der Knappheit wird doch deutlich werden. Kritisch können wir — bevor wir den neuen Gedanken einer Rückwirkung der Materie auf die Praxis inhaltlich genauer verfolgen —, sagen, daß dem Gang (oder „Duktus") der Konstitutionsgenealogie, also der Herleitung der sozialen Gebilde, kein univoker Begriff der Materie als negativ Wirksamen, bzw. als Entfremdungsprinzip, zugrundeliegt. Einmal ist es das Fehlen (absence) von Materie; dann ist es die positive Anwesenheit (présence positive) der Materie, also Materie in einer ganz anderen Hinsicht, die die entfremdeten Gestalten des Sozialen verständlich machen soll: „matière intériorisée" 07 ist ja nicht = „intériorisation de l'absence inerte de la matière" 98 . Beides, das Fehlen von Materie (Knappheit) und positive Präsenz 95 99 97 98

ebda. Cf. CRD 231. CRD 223. CRD 224.

Die träge Materie

97

der so und so bestimmten, geprägten Materie, ist vom Menschen zu verinnerlichen und hat einen entfremdenden Effekt auf ihn. Von der Verinnerlichung her sind beide sonst so divergierende Fälle koordiniert". So fordert denn Sartre jetzt auch eine „allgemeine Theorie der Bezüge zwischen Materie und Praxis im unausweichlichen Rahmen der K n a p p h e i t . . ."104. Zunächst schien die Materie Verstehensfaktor nur als fehlende zu sein; jetzt ist sie im Sinne eines intentionalen Gegenstandes als positiven zu berücksichtigen. Man könnte hier vorweg einwenden, daß das Prinzip der Knappheit nur in äquivoker Weise in einer Kontinuität steht mit dem Prinzip der Materie als Gegenstand und Gegeninstanz, die vom Menschen geprägt wird und auf ihn zurückwirken soll. Das neue Materieprinzip hat eine andere Dignität als das kontingente Apriori der Knappheit, ist ursprünglich impliziert im Bezug der Praxis zur Natur, der gleichurprünglich ist mit dem Bezug der Praxis zu sich selbst. Damit ist das neue Materieprinzip aber ontologisch-prinzipiell und hoch allgemein, und man kann sich fragen, ob es ohne das Prinzip der Knappheit spezifisch ist für das Verstehen von Entfremdung, oder andernfalls redundant ist. Wir werden es wiederum mit einer Prinzipienverknüpfung zu tun haben, wie das im vorigen Abschnitt auch für die Materie schon angedeutet wurde. Mit dem neuen Prinzip der Materie, mit der Berücksichtigung der Materie als positiver aber negativ zurückwirkender, erfaßt Sartre die Arbeit als Formierung, eine Betrachtungsweise, die wir schon von Hegel und Marx her kennen. Formierung war von Hegel gedacht als ideelle Aneignung und in eins damit als ein Sich-Erkennen im Produkt oder Oppositum. Der Gegenstand erschien so in seiner Formierung als etwas Positives, eine höhere Stufe des Subjekts Ermöglichendes, wenn auch Hegel die Unvollkommenheit der damit erreichten Stufe zum Ausgangspunkt für weitere dialektische Schritte innerhalb einer Kategorienlehre des objektiven Geistes nimmt. Die positive Funktion des Gegenständlichen ist also immer auch eine negative, prinzipiell als eben noch gegenständliche, spezifischer auf den einzelnen Stufen als Veräußerlichung, Entfremdung deutbare. Im konkreten Bereich der Gesellschaft sieht Hegel etwa eine Unvollkommenheit der Aneignung, des Sich-Erkennens, des im Objektiven Für-Sich-Seins in der Arbeit auf Grund der Arbeitsteilung und entsprechend eine Dysteleologie in der industriellen Produktion. Bei Marx werden diese Gedanken von „Illustrationen" 101 für 99

Cf. C R D 225 Anm.: „Ce que nous montrons, nous, c'est ceci: la possibilité que ces relations sociales deviennent contradictoires vient elle-même d'une négation inerte et matérielle que l'homme réintériorise". — Cf. auch den Sprachgebrauch C R D 210: „matière comme rareté". Cf. ferner die Stelle C R D 223: „ . . . le bien, le produit etc., a un double caractère dans sa relation à l'homme: d'une part en effet, il est rare; d'autre part ce produit-ci, par exemple, est un être réel et présent...". 100 C R D 223. "" Cf. oben 63, 65 und unten 187 f., 192.

98

Die Prinzipien

Kategorien innerhalb des Systems zu monographischen Thesen über den Menschen, der kategoriale Fortschritt zu einem geschichtlichen Fortschritt, Entfremdung und Aufhebung der Entfremdung zu einer Theorie der Produktionsverhältnisse in der Geschichte. Bei Sartre ist die Funktion der Materie im Verhältnis zum arbeitenden Menschen vom Hegeischen und Marxschen Detail auf den Stufen der bürgerlichen Gesellschaft bzw. der kapitalistischen Produktionsverhältnisse zurückgebogen zu einem abstrakten Prinzip: Materie ist schon ganz prinzipiell eine „Gegeninstanz". Sie ist zwar Positives, Sein, auf das ein Fürsichsein negativ bezogen ist — um die Abstraktionen von E N zu gebrauchen —, aber sie wirkt im sozialen Raum negativ zurück. Daß Materie in dieser Zurücktransponierung auf ein abstraktes Prinzip, ein Gegenprinzip zur Praxis, negativ auf den Menschen zurückwirkt, ihn entfremdet qua Materie, erscheint zunächst als magische These, oder, theoretisch gesprochen, als ein Zusammenfall dialektischer Stadien bei Hegel und Marx. H a t die Materie diese Charakteristik per se, oder ist in ihr nicht auch die Vergegenständlichung im positiven Sinne als Beisichsein-im-Andern angelegt? Unter welchen Umständen wirkt Materie so auf den Menschen? Ist es nur in Verwicklung mit der übergreifenden Knappheit, daß Materie entfremdet, und verstehen wir diese Verwicklung beider Prinzipien? Wie schon gesagt, möchte Sartre, wie Marx, zeigen, daß der Mensch seine Entfremdung durch sein eignes Produkt und somit durch sich selbst erzeugt. Also muß, ins Prinzipielle zurücktransponiert, die Materie, in der Praxis oder Produktion formiert, der Gegenhalt sein, von dem die Entfremdung auf den Menschen zukommt. Aber innerhalb des reinen Prinzipienverhältnisses Mensch-Materie gedacht ist die Rolle der Materie ambivalent, Veräußerlichung des Menschen, aber auch Ermöglichung des In-der-Welt-Seins und des Bei-Sich-Seins-im-Anderen in der Vergegenständlichung. Sartre verbindet nun, das ist die entscheidende Qualifizierung des Verhältnisses Mensch-Materie, den Formierungsgedanken mit der sozialen Pluralität. Dadurch, daß in diesem Verhältnis der Einzelne mit Anderen durch die Materie vermittelt und geeinigt, „totalisiert", wird, kann Materie entfremden. In dieser sozial relevanten Funktion der Materie koinzidiert Knappheit und positive Materie, oder ergänzen sie sich gegenseitig. Es sind zwei Gedankenlinien maßgebend: Materie ist einmal für viele Menschen Gegenstand der Praxis. Ein Gegenstand ist jetzt nicht einfach, im Rahmen der Knappheit, Gegenstand des Neides und so entfremdend, sondern als Behältnis, das mehrere Praxeis in sich aufbewahrt und so dem Einzelnen die Praxis Anderer vermittelt. Hinzuzunehmen ist zum andern der Gedanke der Knappheit: im mehrfach geprägten Gegenstand ist der dadurch vermittelte Andere ein Anderer als Gegenmensch. Der erstere Gedanke ist daran orientiert, daß die Materie den Einzelnen entfremdet, weil andere Praxis den Gegenstand schon formiert hat und so in die Materie Forderun-

D i e träge Materie

99

gen an andere Praxis niedergelegt hat, die ihn bestimmen. Damit Materie als Forderung erfahren wird, muß aber auch Knappheit vorliegen; der Mensch muß auf bestimmte Materie angewiesen sein, um der Forderung unterstellt zu sein. Das Verwiesensein auf Andere wie auch die Einschränkung seitens Anderer durch die plural geprägte Materie könnte nun zwar auch ein positives Verhältnis sein, eine Zusammenarbeit, die als solche im Rahmen der Knappheit sich ergibt (Solidarität). Sartres nähere Darstellung erscheint gerade in der grundlegenden Analyse als zu schematisch: da im Rahmen der Knappheit die Andern schon als Andere verinnerlicht sind, sind die durch die Materie mir appräsentierten Andern auch Andere als Andere, entfremdende und entfremdete Andere102, Es scheint, daß der Andere in der transzendentalen Ordnung schon eine „Stufe" erreicht hat, die nunmehr vorausgesetzt werden kann. Die Formierung ist also durch diese Voraussetzung der Knappheit sozial qualifiziert, aber auch an ihr selbst sozial totalisierend; das Prinzip ist selbst ein die menschliche Pluralität zusammenbindendes Prinzip, und dies im deutlichen Unterschied zu Hegels Gedanken der kategorialen Unvollkommenheit des Gegenständlichen gegenüber „dem" Subjekt. Was wir vor uns haben, ist eine neue Gestalt, ein komplexes Gebilde, das die beiden genannten Gedanken, den der Knappheit und den der Fokussierung der Pluralität in der Materie, zusammenfaßt. Ein Problem stellt hierbei nach wie vor das Verhältnis der beiden Gedanken, das Zusammentreten von Materieprinzip und Knappheit in einer Gestalt, dar, das uns noch zu beschäftigen haben wird. Die neue Prinzipiengestalt lädt ein zur Assoziation geschichtlicher Konkretion, sie versteht sich aber als vor aller Geschichte, als Verstehensprinzip der strukturellen Anthropologie. Was Marx für das Kapital gezeigt hat, seine materiellen Bedingungen, seine Entwicklung zur antisozialen Kraft, die die Einzelnen bestimmt, ist nach Sartre auf allgemeine dialektische Bedingungen zu reduzieren, auf eine Umkehrung des Bezuges zwischen Mensch und Materie, der zur Beherrschung des Menschen durch die Materie führt, und zwar durch die Praxis Aller. Auf dieser Grundlage soll Entfremdung 102

g e b e n ¿ ¡ e ganze maßgebende Stelle C R D 224: „ A ce niveau (dem der V e r gegenständlichung) paraissent les fondements réels de l'aliénation: la matière aliène en elle l'acte qui la travaille, non pas en tant qu'elle est elle-même une force ni m ê m e en tant qu'elle est inertie, mais en tant que son inertie lui permet d'absorber et de retourner contre chacun la force de travail des Autres. Sa rareté intériorisée faisait apparaître, au m o m e n t de la négation passive, chacun vis-à-vis des Autres comme Autre. A u moment du travail — c'est-à-dire au moment humain o ù l'homme s'objective en produisant sa v i e — l'inertie et l'extériorité matérielle de l'objectivation f o n t que — quelles que puissent être par ailleurs les relations humaines — c'est le produit qui désigne les hommes comme Autres et qui se constitue lui-même en autre Espèce, en contre-homme, c'est dans le produit que chacun produit sa propre objectivité qui lui revient comme ennemie et le constitue lui-même comme un Autre."

100

Die Prinzipien

verständlich sein und damit auch ein geschichtlicher Prozeß wie der kapitalistische. J a , es soll sogar die Notwendigkeit und nicht bloß Verstehbarkeit der Entstehung von Klassen dargetan werden 103 . Wir haben jetzt dies neue Prinzip, das uns bisher nur als theoretische Maßnahme in abstracto bekannt ist, noch einmal etwas näher zu diskutieren 104 . Das Prinzip, das Sartre einführt, enthält eine These über das Verhältnis des Menschen als Praxis zur Materie (oder zum Sein, was gleichgesetzt wird 105 ). Indem der Mensch Praxis ist, so lautet die uns nun schon bekannte These, schreibt er einen Sinn in die Materie ein, prägt ihr ein Siegel auf 106 . Der Sinn erhält Bestand durch die materielle inertia 107 . Der Begriff des Inerten verlangt einen kurzen Hinweis. In E N war das Sein noch kaum mit einer inhaltlichen Deutung verknüpft worden, es wurde durch abstrakte parmenideisdie Bestimmungen gekennzeichnet, aber auch etwa durch Begriffe wie „opak" und „massiv". Hier in C R D , wo dem Sein als Materie stärker Beachtung gezollt wird, verwendet Sartre einen möglichst unmetaphorischen und doch inhaltlichen Ausdruck für die Seinscharakteristik der Materie. In ihm liegt die Indifferenz gegenüber Prägungen, das Hinnehmen und Ansichtragen der Prägungen, das Passivische als positive Charakteristik, und das Bestandhaben, das sich so der Prägung mitteilt. (Die Ubersetzung im Deutschen macht Schwierigkeiten, da der Ausdruck „inert" als neulateinischer wiederbelebt werden müßte; nur „inertia" hat sich erhalten, eine adjektivische Bildung ist aber unentbehrlich. „Träge" vermittelt unerwünschte Assoziationen an die Mechanik, und zwar den Gedanken an den Widerstand gegen Bewegung, oder an die Charakterologie. Wir werden „träge" und „inert" gleichermaßen verwenden.) O f t spricht Sartre von „pratico-inerte" 108 , womit ausgedrückt ist, daß die Materie in bezug zur Praxis inert ist, Prägungen der Praxis Bestand gibt, oder auch, daß in der Umkehrung des Bezuges der Praxis zur Materie der Mensch inertia annimmt, „praktisch-inert", „praktisch-träge" wird. Die Materie läßt sidi nun vielfach, durch mehrere Praxeis und durch verschiedene Sinn Verleihungen prägen; sie vereinigt die Zudeutungen 109 . Dadurch ist es möglich, daß ein Mensch in der Materie, der er Sinn verleiht, nicht nur sein eignes Wissen wiederfindet, sondern schon bestimmt wird

103

104 105 106

107 108 109

C R D 224. — Zur Tieferlegung der Marxschen Entfremdung bei Sartre cf. auch Theunissen, Der Andere 237. S. C R D 231 ff. C R D 247. C R D 231 f. — Hegel spricht in einem verwandten Sinn von „Siegel" in der Rechtsphilosophie § 187 Anm. C R D 231. Einführung des Begriffs C R D 138; cf. 256. C R D 246 ist von „rassemblement des significations", 245 von Komposition („ . . . la matière seule compose les significations") die Rede.

Die träge Materie

101

durch fremde Sinnverleihungen. War der Gedanke der Zudeutung noch so allgemein, daß er auch für ein Betrachten gelten konnte, ist jetzt der praktische Umgang, das Formieren, die Praxis gemeint. So nötigt midi etwa das Werkzeug, mit ihm so umzugehen, wie Andere es in es hineingelegt haben. Ich treffe auf einen Zwang, eine Forderung. In gewisser Weise wird hier schon eine Einigung des Benutzers mit dem Entwerfer und Hersteller, aber weiter auch unter den Benutzern gestiftet. Sie scheint zunächst rein ideell zu sein (ein Sich-Ähnlich-Machen vor dem Werkzeug). Das kann schon anders sein, wenn als Materie nicht das Werkzeug angesetzt wird, sondern etwa die Natur als Landschaft, oder die Fabrik, wo die Einigung der Menschen als Praxeis enger, nämlich reelle Einigung im Zusammenarbeiten und Einander-Zuarbeiten ist, Solidarität, aber im Rahmen der übergreifenden Knappheit auch negative Akzente der Andersheit und Rivalität erhält. Indem das Sein oder die Materie die Bedeutungsverleihungen in sich aufnimmt, tritt menschliche Bedeutung in die Gesetzmäßigkeiten der Äußerlichkeit ein110, d. h. sie tritt in einen Bezug, und zwar der Äußerlichkeit, zum ganzen Universum. Einmal wörtlich, durch intramateriellen111 Kontakt mit anderen Naturdingen — so bedingt die Abholzung Chinas die Uberschwemmungen112 —, oder in distans, indirekt, durch innerliche Bezüge der mit der geprägten Sache konfrontierten Gesellschaft — so bedingt die Erschöpfung der südamerikanischen Bergwerke ein Nachlassen der Inflation in den Mittelmeerländern, die durch die Goldschwemme bedingt war, und damit die entsprechenden Veränderungen der Gesellschaft113 —. Sartres These ist, daß etwas von den einzelnen Praxeis Angestrebtes nicht die Wirkung haben wird, die vom Einzelnen beabsichtigt ist, sondern auf Grund der Verstrickung mit der Naturgesetzlichkeit oder Äußerlichkeit zu ungewollten Folgen führt 114 . Sartre geht aber über diesen Gedanken hinaus, indem für ihn die in der Materie fixierte Bedeutung mit ihren äußerlichen Folgen den Menschen konfrontiert als sein Milieu, als sein Gegenstand der Praxis. Der Mensch produziert mit seinem Produkt eine Rückwirkung auf sich selbst, und so schafft er sich selbst als entfremdeten. Das Produkt setzt einen Unterschied, der von dem Ziel, das mit dem Produkt beabsichtigt war, verschieden ist. Insofern die Materie eine eigne, äußerliche Gesetzmäßigkeit hat, gilt dies schon unter Abbiendung der Mitwirkung Anderer, schon für ihn hat die Materie eine Gegenfinalität (contre-finalité). Umso mehr tritt die Gegenfinalität der Materie hervor, wenn wir die soziale 110 111 112 113 114

CRD 232, 246. Der Ausdruck CRD 371. CRD 232-5. CRD 235-47. Das Vorbild ist Hegel, Rechtsphilosophie § 118 ff.; cf. auch besonders § 123. Cf. unten 125.

102

Die Prinzipien

Pluralität berücksichtigen. Es kann jetzt Rückwirkungen geben, die keiner der Handelnden überhaupt intendiert hat und die doch der Gesellschaft als ganzer eine Einheit geben als betroffen von dieser Rückwirkung. Hier spricht Sartre im eigentlichen Sinn von Gegenfinalität115. Diese Gegenfinalität besagt also, daß eine Pluralität von Menschen (und also auch jeder Einzelne) etwas in ihrer Praxis intendiert, was durch die Materie umgewandelt wird in etwas anderes, und zwar auf der Seite des praktischen Resultats in der Welt wie auf der Seite der Gesellschaft. Die Menschen werden im Status ihrer Assoziation betroffen 118 . In welcher Weise wirkt nun die Materie auf die Menschen zurück? Das scheint nicht eindeutig zu sein. Die Materie kann, wenn wir uns an das Beispiel von den chinesischen Bauern halten117, eine Bedrohung sein, vor der die Menschen zur Solidarität zusammenfinden. Voraus geht eine passive Synthese der Menschen als gegeneinander Andere angesichts der äußerlichen Gegebenheiten, der äußeren Begrenzung der Natur — jeder tut dasselbe, betreibt die Abholzung des Landes wie die Andern im Rahmen der Knappheit. Die als Kumulierung der vielen Aktionen, gleichsam in einem Umschlag von Quantität in Qualität entstehende Gegenfinalität — die Veränderung der Natur, die unbeabsichtigte Überschwemmungen zur Folge hat — provoziert dem Beispiel zufolge eine solidarische Gemeinschaftsaktion. (Diese Struktur ist in dem Beispiel ein zweites Thema und kann auf der Ebene der bisher exponierten Strukturen noch nicht verstanden werden.) — In dem anderen instruktiven Beispiel — vom Gold, das im 17. Jahrhundert von Südamerika nach Spanien kam — ist die Wirkung der Materie die, die Menschen zu einer Gesellschaft umzuformen, die molekularen Status hat: der Einzelne wird in seinem Zusammenleben mit Anderen von einer äußerlichen, fremden Gesetzlichkeit, einem Bedingtsein vom Verhalten Anderer, die alle nach dem Gold streben, heimgesucht. Sartre spricht von einer „seriellen" Vermittlung118. Sie ist nicht ein kumulatives Verändern der Materie, das ihre naturhafte Gegenfinalität hervorruft, sondern eine Entwicklung, die rein auf dem veränderten Verhalten der Menschen (als äußerlich gewordener) zum Gegenstand beruht (Preissteigerung, Inflation). Abgesehen davon, daß die nähere Form der Rückwirkung der Materie in den Beispielen verschieden ist, ist die Funktion der Materie selbst nicht ein und dieselbe. Die Beispiele führen von der ursprünglichen Fassung der 115

116

117 119

C R D 246. Cf. das Beispiel vom spanischen Gold 2 3 5 - 4 7 ; keiner der Goldkäufer will etwas anderes als seinen eignen Gewinn; die Folge ist aber die allgemeine Inflation. C R D 2 5 0 : „Les forces materielles font des actes: elles unifient d'autres dispersions inorganiques et, par là même, imposent une certaine unification matérielle à la pluralité des hommes". C R D 232-5. C R D 240. Zu „seriell" cf. unten 126 f.

Die träge Materie

103

Materie als inertia und sozial Vermittelndem fort. Schien es so, daß die Materie wegen ihrer Funktion als pluraler Bedeutungsträger auf Menschen im Sinne der Entfremdung zurückwirkt, Forderungen an sie stellt, wird nun stärker in Betracht gezogen, daß sie auf Grund ihrer Eigengesetzlichkeit als Äußerlichkeit, als Naturprozeß, dem Menschen seine Handlung entfremdet, oder daß sie, indem sie als Wertobjekt für viele begehrenswert ist, alle totalisiert und entfremdet. Diese letztere Rückwirkung ist nicht in einem materiellen Charakter der Sache begründet, oder doch nur insofern, als Wertschätzung an irgendetwas Wirklichem angreifen muß, obwohl das Geschätzte nicht qua materiell wirklich geschätzt zu werden braucht (im Fall vom Gold ist es im Grunde das Geld, das prinzipiell immaterielle Äquivalent für mögliche materielle Werte). Es handelt sich allerdings wohl um einen pluralen Bedeutungsträger: aber jetzt im Sinne einer vorauszusetzenden intersubjektiven Verständigung auf den Wert der Sache, auf ihre Setzung als wertvoll. Wegen der pluralen Wertschätzung ist Konkurrenz und Andersheit möglich. Es ist aber keine materielle Charakteristik der Sache (etwa des Goldes als Barren usw.), die die Entfremdung verständlich macht. Mit diesem Einwand stehen wir bereits in einer transzendentalen Kritik. Es ist deutlich geworden, daß das Materie-Prinzip mit seinen verschiedenen Aspekten dem Phänomen der Entfremdung nicht in eindeutiger Weise zugeordnet werden kann oder die Entfremdungsphänomene nicht auf dies Prinzip reduzierbar sind. Dieser Punkt ist bedeutsam, denn Sartres Theorie will ja die konkreteren Strukturen der Konkurrenz, des Marktes usw. begründet wissen im Prinzip der Materie, allerdings immer im Rahmen der Knappheit. Für sich genommen ist die Materie nicht universelles Verstehensprinzip, sondern ermöglicht nur in bestimmten Zusammenhängen ein Verstehen von entfremdeter menschlicher Pluralität. Die Auszeichnung der Materie als dies Prinzip hat ihren Grund einmal in der Anlehnung Sartres an den Marxismus mit seiner grundsätzlichen Bewertung des Materiellen noch vor aller ökonomischen Analyse, was mit Sartres Absicht zusammenstimmt, das Soziale allein vom Arbeitsleben, von der Praxis als Arbeit an der Materie her zu entwickeln; ihren tieferen Grund hat sie jedoch in Sartres ontologischer Position, die das Sein als Gegenprinzip zum Subjekt auffaßt, und dies in wesentlicher Übereinstimmung mit Hegel. Für Hegel sind die verschiedenen Ausformungen des Seins als Differenz gegenüber dem Subjektiven als Einheit sukzessiv gestaffelt, so daß (nach dem architektonischen Prinzip seiner Kategorienlehre) in den jeweiligen Bereichen bestimmte Charakteristika, bestimmte Konkretionen des Seins als Differenz ihre Stelle haben (Quantität, Äußerlichkeit, Verfälschung der Intention des Willens, Vielfältigkeit des Bedürfnisses, Konkurrenz gegenüber dem Objekt des Bedürfnisses, Teilung der Arbeit nach der Differenziertheit der Gegenstände usw.). Bei Sartre ist das Verhältnis zwischen Subjekt und Sein als eine unmittelbare Konfrontation zu denken, so daß der Bezugspunkt, in verein-

104

Die Prinzipien

fachender Zurücktransponierung, zur Materie und das Verhältnis des Menschen zu ihr in einem schillernden Sinn zu Entfremdung wird. Materie hat selbst in mehrererlei Hinsicht Rückwirkungen auf den Menschen, und zwar — abweichend von Hegel — nicht auf verschiedenen Stufen kategorialer Höherbestimmung, sondern als Totalisierung einer Pluralität von Menschen zu einer äußerlichen Struktur, die verschiedene konkrete Formen deckt. Eine Schwierigkeit liegt also in der abstrakten Allgemeinheit: die Materie, die geprägt wird, kann ein Werkzeug sein, ein beschränkendes Milieu, ein Produktionsmittel, ein begehrtes Wertobjekt, und entsprechend kann die Forderung, die an die Menschen ergeht, wie auch die soziale Rückwirkung, die entfremdende Umgestaltung der menschlichen Assoziation, verschieden sein. Sartre meint aber, daß diese soziale Rückwirkung eine einheitliche (wenn auch in sich komplexe) Formulierung auf Prinzipienebene erlaubt. Das Äußerlichwerden der Subjekte draußen im Gegenstand, der viele Prägungen versammelt; die Opposition zum Gegenstand, die prinzipiell auch Identifikation, ideelles Aneignen, ist; die plurale Totalisierung und Rückwirkung auf die Menschen als Gegenfinalität, die die Praxis der Einzelnen verkehrt und ihnen gleichzeitig eine innere Bindung zu Anderen als Anderen vermittelt: all dies ist von der Materie her begründet gedacht. Hinzuzunehmen ist das schon früher erörterte Zusammenspiel von Materieprinzip und Knappheit. Die Prinzipienverwebung läßt es nicht zu, der Materie, die ihrerseits in mehrere Aspekte aufgespalten ist, ihren „Anteil" an der Entfremdung eindeutig zuzuordnen. Die Knappheit ist ein „Koeffizient", der das Moment der Forderung der Materie fundiert — ohne sie brauchte es der Mensch mit der Materie, die ihn gängelt, nicht aufzunehmen oder ihr nachzujagen, um ihrer habhaft zu werden. (Das Beispiel vom spanischen Gold ist mehr ein Beispiel für die Konkurrenz angesichts der Knappheit als eines für die entfremdende Formierung der Materie.) Der Zusammenhang beider Thesen ist dennoch nicht völlig hergestellt. Das allgemein-ontologische Prinzip der Vergegenständlichung in der inerten Materie, das ein Oppositions- und Identifikationsverhältnis ist, jedoch gleichzeitig eine Totalisierung der sich in der Materie identifizierenden sozialen Pluralität, ist durch ein kontingentes Prinzip der Knappheit negativ „akzentuiert". Die Theorie der Entfremdung ist gewissermaßen „doppelt genäht". Der wesentliche Gedanke ist der der Forderung der Materie, und es ist durch die Knappheit, daß der Mensch an die Materie in ihrem Forderungscharakter gebunden ist. Die Negativität der Materie muß, zumindest zusätzlich, undialektisch klargemacht werden, durch Knappheit, schon da keine kategoriale Dialektik vorliegt, die die Negativität der Materie klarmachen könnte. Durch die Prinzipienverwebung von inerter Materie und Knappheit soll auch dem Desiderat einer transzendental einsichtigen Bewegung, einem Fortschreiten in der Befangenheit durch die Materie bis zu einer letzten Form der Entfremdung, Rechnung getragen werden. Sartre kann allerdings die

Die träge Materie

105

Entfremdung der menschlichen Praxis nicht in Stufen einer sukzessiven Dialektik einsichtig machen, sondern nur als mögliche Steigerung119 unter dem Regime der Knappheit. Die Steigerung wird nicht gleichzeitig ein Weg durch neue kategoriale Bereiche sein, sondern in derselben Arbeitswelt werden verschiedene Entfremdungsstrukturen Exemplifikationen gesteigerter Entfremdung sein. Werfen wir noch einmal einen zusammenfassenden Blick auf die von uns als solche pointierte Dimension der Prinzipien. Wir haben oben120 schon das unter transzendentalem Gesichtspunkt Wesentliche herausgestellt. Es handelt sich um ein Gewebe von irreduziblen Prinzipien, die existierende Praxis und deren Verstrickung mit der Kontingenz als Pluralität, als Knappheit und als entfremdende Materie. Die Praxis ist die sich in diesen Verstrickungen verstehende und soziale Gebilde konstituierende Instanz; sie ist Grund der verstehbaren Gebilde als Gestalten ihrer selbst, und doch nicht transzendentales Denken der Theorie, sondern existierend, betroffen von der Kontingenz der Materie und der Pluralität. Man kann uns aus der Hervorhebung der genannten Prinzipiendimension den Vorwurf machen, daß wir Sartre umdeuteten in eine auf Prinzipien aufgebaute Transzendentalphilosophie. Es scheint denn auch so, daß Sartre nach dem Programm seiner „regressiven" Methode nur einen größeren Bereich von zu betrachtenden Strukturen noch für erste abgeblendet habe. Aber es handelt sich eben nicht nur um Abstraktheit im Sinne von Unvollständigkeit der sozialen Konkretion, sondern auch um Primordialität der Grundstrukturen gegenüber weiteren Strukturen, konkreten Kollektiven (und später Gruppen), die von dort her verstehbar gedacht sind. In der Ordnung der Theorie spätere Strukturen der Entfremdung (und der Gruppe) sind nicht nur durch Einbeziehung eines weiteren Horizonts des Sozialen konkreter, sondern als Prinzipiate von Prinzipien. Wir wollen auf unserem Verständnis von C R D insistieren, gestützt auf die einleitenden Abschnitte zur Methode121. Das Eigentümliche der Sartreschen Grundlegung ist denn auch gerade ihre Konkretheit, oder richtiger, ihre auf Prinzipienebene abstrakt berücksichtigte Konkretheit, so daß wir auch von „Gestalten" statt „Prinzipien" sprechen konnten. Was wir in unserer Deutung versucht haben, ist nur, über dieser Konkretion der Prinzipien der Theorie ihre Prinzipienfunktion nicht zu übersehen. Sartre stattet schon die ersten Analysen mit solchem deskriptiven Detail aus — und dies ist abstrakt gerechtfertigt durch die These von der Irreduzibilität des Einzelnen, er läßt sich also schildern als einer, den es gibt, und entsprechend bei pluralen Bildungen der Prinzipiendimension —, so daß, wie gesagt, die Prinzipienfunktion übersehen werden kann und die Folge der Verstehensbewegung nur als ein quasi-historisches 119

Cf. unten 132, 183.

121

CRD 115—162.

lao 9 2 ) 104.

106

Die Prinzipien

Machen erscheint. (Wir haben oben122 zu dieser im Gegensatz zu Hegel auf dem existierenden Prinzip der Praxis aufgebauten Theorie das Nötige gesagt.) Die Konkretheit im Sinne des seinsmäßig irreduziblen Einzelnen geht einher mit der Nicht-Kategorialität der Theorie. Die Bestimmung, die die Menschen, als eingestellt in die geschilderten und noch zu schildernden Strukturen, erfahren, ist nur formal ausgesagt — als Andersheit, oder als Verinnerlichung der Materie. Deren konkrete Charakteristik ist zwar aus der Deskription zu entnehmen — Werkstück, Maschine, Landschaft, Wertobjekt —, gemäß ihrer prinzipiellen Charakteristik bleibt die Materie jedoch unspezifische inertia und, vermittelt durch die Knappheit, negative Rückwirkung auf die Menschen. Ihre spezifischen Formen erscheinen als Beispielsphären. Entsprechendes gilt von den sozialen Formen. Die Verstehensbewegung wird, so vermuteten wir schon, eine Steigerung der mit den Prinzipien angelegten Entfremdungsverhältnisse zum Inhalt haben, aber kein prinzipielles oder kategoriales Novum bringen. Die für die Sphäre maßgebenden Prinzipienmomente, auch das der Gegenfinalität, sind exponiert und prinzipiieren die Sphäre in gemeinsamer Verflechtung. Wir erwarten, daß es sich im einzelnen um stärkere Betonung eines Moments handeln wird. Damit ist für das kommende in gewisser Weise auch eine differente Auslegung des Menschen als Konsequenz der Anlage der Theorie nahegelegt. Die Menschen sind Praxis in verschiedener Konkretion, die von den prinzipiellen Gestalten aus zu denkende Verstehensbewegung zu konkreten sozialen Gebilden zielt aber wesentlich auf das Arbeitsleben, in gewisser Obereinstimmung mit Marxens Primat der ökonomischen Verhältnisse (die hier jedoch weniger ökonomisch, vielmehr stärker anthropologisch als „Arbeitsverhältnisse" verstanden werden). Auch dies ist schon oben angedeutet worden. Wir haben allerdings noch nicht alle Prinzipien oder prinzipiellen Gestalten kennengelernt: es wird, nach konkreten Gestalten der Entfremdung, ein weiteres Prinzip auftreten: die Gruppe, die wir Prinzip nennen, insofern sie irreduzible Gestalt des Sozialen ist. Wir haben also außer Praxis und Reziprozität als den beiden „Freiheitsprinzipien", die auch in der Struktur der Gruppe maßgebend sein werden, bisher „Entfremdungsprinzipien" (Knappheit, Materie) kennengelernt in ihrer sozialen Inzidenz. Für die Gruppe verweisen wir auf die spätere Behandlung. Zunächst haben wir die Konkretion auf Grund des bisher Exponierten zu verfolgen.

122

Cf. oben 68; auch 58.

V. Die Entfremdungsstrukturen 1. Die entfremdete

Arbeit

Mit den beiden letzteren Prinzipien innerhalb des Prinzipieninbegriffs, den wir kennen gelernt haben, hat Sartre die theoretische Grundlage für mögliche Entfremdungsstrukturen gegeben. Entfremdung ist Verinnerlichung einer Äußerlichkeit im Rahmen der Knappheit. Und da die Materie als vom Menschen formierte, geprägte diesen entfremdenden Charakter hat, ist der Mensch in der Entfremdung Produkt seines Produkts, hat er sich selbst entfremdet. Sartre denkt sich von dieser prinzipiellen Darlegung aus, die beliebige Beispielsphären zuläßt, eine Folge bis hin zu Sachlagen, wo von einem „Sein" des sozialen Gebildes zu sprechen ist1. Auf dem "Wege dorthin gibt Sartre konkretere, aber systematisch geleitete Analysen der Situation des Mensdien als bestimmt von der geprägten Materie (matière ouvrée), Analysen, die prinzipiell die Orientierung vom Einzelnen aus beibehalten 2 . Die wesentliche Charakteristik des Gegenstandes der Arbeit ist die Forderung, die von ihm ausgeht. Während in dem interpersonalen Verhältnis der Reziprozität nodi keine Forderung, kein Imperativ, bestand®, finden wir sie im Verhältnis des Menschen zur Materie. Schon das Werkzeug hat, wie wir sahen, Forderungscharakter. In einem größeren Komplex — etwa in der Fabrik — ist diese Forderung jedoch noch etwas anderes und dem bisherigen gegenüber relativ Neues. Über die schon bei Gelegenheit der Struktur der Reziprozität besprochene4 Qualifizierung der Arbeitenden durch ihr Verhältnis einerseits zur Materie, andrerseits zum Dritten, hinaus ergibt sich bei den Arbeitenden, die reell geeinigt sind in der Fabrik, in der gemeinsamen Arbeit, eine konkrete Struktur, eine Forderung der Einzelnen an jeden Andern, die als Konsequenz der Forderung der Materie begriffen werden kann. Die Solidarität wird zerstört, bevor sie sich hat bilden können. (Sie wäre, zumindest als Grenzbegriff, die Struktur, in der die Arbeit in Gemeinschaft keinen Zwangscharakter hätte.) Die Anderen erwarten etwas von mir, und so jeder von jedem. In dieser „lateralen" Struktur der gegenseitigen Erwartung 1 2 3 4

CRD 252. CRD 252-7. CRD 253. S. oben 80. S. oben 80.

108

Die Entfremdungsstrukturen

(attente) haben wir gewissermaßen eine Struktur der „Selbstausbeutung" der Arbeiter vor uns, derzufolge jeder den Andern entfremdet, obwohl jeder doch gerade für seine eigne Lebenserhaltung arbeitet. Der Imperativ, der hier von jedem an jeden ergeht, ist, wie Sartre sagt, „kategorisch."5. Es herrscht ein verfälschter, nicht mehr univoker (d. h. allein von der Orientierung des einzelnen Subjekts aus zu verstehender) Bezug der Innerlichkeit, vermittelt durch die Materie®. Genauer handelt es sich um eine Verinnerlidiung der Materie, die wieder nadi außen gewendet wird. Die Forderung an die Andern ist „réextériorisation" 7 . Die so konkretisierte Gestalt des Arbeitsteams oder der Belegschaft impliziert in entsprechender Konkretisierung den Dritten 8 als Aufseher, der wie die Maschine ein Außenverhältnis zu den Arbeitenden ausmacht. Das Verhältnis des Menschen zur Materie hat sich umgekehrt: die Materie modelt den Menschen, obwohl sie doch inert ist. Als PraktischTräges (être pratico-inerte) fordert die Maschine oder die Fabrik etwas vom Menschen, und der Mensch kommt ihren Forderungen nach, indem er sich den Status der inertia gibt und seinerseits Forderungen an die Andern stellt". Der Mensch ist Arbeiter geworden. Die Abbildung der Materie, die der Mensch darstellt, ist hier in einer radikalen Form konkretisiert. Es besteht eine unauflösliche Symbiose10, die die gegenseitige Angleichung als Dialektik verständlich macht. Andrerseits erscheint jetzt die Materie als das Maßgebliche: obwohl es der Mensch ist, der sie so prägt, daß sie diese Rückwirkung auf ihn haben kann — richtiger müssen wir im Plural von den Menschen sprechen, die durch die Rückwirkung der Materie totalisiert werden —, kann die Materie jetzt als Grund für soziale Erscheinungen verstanden werden: die Dampfmaschine „provoziert" eine Tendenz zum Großbetrieb; die schwachen Lokomotiven in der frühen Zeit der Industrialisierung „zwingen" dazu, die Bahnlinien den Flüssen und Tälern entlangzuführen usw. Die metaphorische Redeweise ist beglaubigt, die Materie als Akteur ist eingesehen. Die Entfremdung erscheint als finale Wirkung der Materie, die Materie eifert gewissermaßen für die Annäherung des Menschen an einen materiellen Status, sie schafft sich die Arbeiter, wie sie für sie „nötig" sind. Vom Menschen aus gesehen hat die Materie eine Gegenfinalität, die sich jetzt konkreter darstellt. Hinzukommt, daß eine Fabrik oder Produktionsbranche 5

CRD 255. CRD 254: „ . . . le rapport univoque d'intériorité se transforme en rapport intérieur de fausse réciprocité: à travers la matière c'est l'homme comme Autre qui affirme sa prééminence sur l'homme . . 7 CRD 256 (verbale Form). Cf. oben 71, Anm. 8. 8 S. oben 81. • CRD 256. 10 CRD 251, 256. 6

Die entfremdete Arbeit

109

einen Außenhorizont hat: sie steht ihrerseits in einer Konkurrenz zu Anderen, ist Anderer von Anderen, sie — oder der Eigentümer, wenn wir ihn als dahinterstehendes Subjekt der Fabrik ansehen — unterliegt wiederum einer, nunmehr höherstufigen Forderung. Von hier aus kommt dann Sartre zu der These, daß die Gegenfinalität der Materie gegenüber den Arbeitern dem außerhalb der Entfremdung (im primären Sinn) stehenden Eigentümer nützt, für ihn Finalität ist, Finalität gegen die Menschen, die für ihn arbeiten. Sartre will seine ontologische Analyse des Gegensatzes von Materie und Mensdi mit dem Gedanken verbinden, daß im Grunde eine Opposition menschlicher Gruppen dahinter steht, und so führt er den Eigentümer als Nutznießer der Gegenfinalität und Entfremdung ein. Sartre kann so auf zweifelhafte Art die Marxsche Auffassung übernehmen, nach der die industriellen Produktionsmittel eine Klassendifferenz schaffen und verschärfen bis zu einem Widerspruch, der sich schließlich auswirkt als Zusammenbruch der Produktionsweise und der Klassendifferenz. Schon vor aller Geschichtsnotwendigkeit soll die Gegenfinalität in der Industrie anthropologisch als Widerspruch verstanden werden, der auch den Besitzer trifft. Die Marxsche These ist dabei von Sartre aus einem Prinzipienzusammenhang begriffen. Betrachten wir diesen Punkt näher. Die Gegenfinalität ist einerseits das Werk des Menschen, die Praxis des Menschen wandelt die Materie in eine Gegenkraft — ein ganz allgemeiner Gedanke, der es noch gar nicht ermöglicht zu sagen, was Sartre gern mit Marx sagen mödite, daß die Eigentümer von Produktionsmitteln diese zu Gegenfinalitäten gegenüber den Arbeitern — und damit letztlich auch gegen sich selbst machen —, dies Dreierverhältnis Arbeiter-EigentümerMaterie (Maschine usw.) ist noch gar nicht dargetan —, andrerseits soll die Materie, durch eine relativ autonome Entwicklung an ihr selbst11, einen Widerspruch entwickeln; die Gegenfinalität, die die Praxis einer Gruppe gegen die andere gegen sich selbst auslöst — allerdings „im Rahmen des Klassenkampfes" (sie), der doch noch gar nicht in Anspruch genommen werden kann —, soll durch die Gegenfinalität der Materie selbst erfolgen 12 . Sartre meint damit etwa den Widerspruch der Uberindustrialisierung: Abwanderung vom Land, Notwendigkeit landwirtschaftlicher Importe, dadurch erhöhte Industrialisierung, kurz einen circulus vitiosus. Sartre will sagen, hier liegt, wie bei der Entropie, nur gleichsam umgekehrt, ein in sich geschlossener Prozeß vor, eine „contre-finalité universelle", „contre-finalité par ellemême" 13 , ein Widerspruch, der zu einem Höhepunkt treibt, oder — im Beispiel von der Luftverunreinigung in Pittsburgh — zu einem Gleichgewicht der Gegenfinalität mit dem Bedürfnis, so daß die Arbeiter doch weiterarbeiten usw. 11 12 13

C R D 258. C R D 258. ebda.

110

Die Entfremdungsstrukturen

Sartre äußert sich nicht deutlich genug; er exemplifiziert an dem als positives Gesetz diskutablen Beispiel der Überindustrialisierung, aber es scheint doch, daß ein eigner gegenfinaler Mechanismus gemeint ist, der grundsätzlicher — obwohl empirisch, wie die Knappheit — und weniger konkret ist, als Marxens ökonomische Analyse. Während man vom ökonomischen Standpunkt sagen müßte, ein solches sich selbst durchkreuzendes System müsse im einzelnen Fall untersucht werden, man könne nicht von vornherein sagen, daß die industrielle Produktion sich eo ipso gegen den Menschen und gegen sich selbst kehre, scheint es, daß nach Sartre eine kontingente und geradezu magische Charakteristik der Materie anzusetzen ist, eine Art Entropiegesetz der Unmenschlichkeit. So verstanden müßte man sich wundern, daß Sartre dann nicht erwägt, inwieweit derselbe, bei ihm auf einen so lapidaren Grund zurückgeführte Entfremdungsmechanismus der Materie nicht auch für den Fall von Produktionsmitteln gelten würde, die nicht in Privatbesitz sind. (Cf. den Hinweis auf die sozialistischen Produktionsverhältnisse im Zusammenhang mit der Diskussion der Knappheit 1 4 .) Plausibler scheint es, die geschilderte Auffassung Sartres von dem Klassengegensatz her zu verstehen, den Sartre in seine ontologische Analyse der Entfremdung miteinbeziehen will. Er unterstellt der zunächst allgemein auf den Menschen bezogenen Gegenfinalität menschliche Gruppen, die in ihr entweder eine Finalität — ein Interesse — oder eine Gegenfinalität — eine Entfremdung — sehen, und schon erscheint ein gegenfinaler Prozeß als Widerspruch, der sich gegen die Gruppe wendet, die in ihr eine Finalität sah. Diese Art der Einführung des Klassengegensatzes, um Anschluß an Marx zu gewinnen, ist, wie wir schon oben andeuteten, zweifelhaft oder unverstanden. In seiner Analyse der Gegenfinalität greift Sartre schon voraus auf eine Struktur — die des Eigentümers im Verhältnis zu Produktionseigentum und Arbeiter —, aus der sich eine gegenfinale Überproduktion erst verstehen läßt. Die tiefer gelegene materielle Gegenfinalität erzeugt nicht im strengen Sinn die Klassen — Sartres Gedanke kann nicht als Parallele oder Überholung von Engels' Theorie der Klassenentstehung gelten —, sondern geht H a n d in H a n d mit Besitz-, Produktions- und Klassenverhältnissen, ist in ihnen nur „exemplifiziert". Sartre will die Analyse so allgemein — ontologisch-strukturell — verstanden wissen, daß auch der Eigentümer durch die Materie entfremdet und bestimmt ist (was aber nur eine Subsumtion wäre und nicht ein entgegengesetztes Verhältnis zur Materie im Verhältnis zum Arbeiter erklärte). Eine Klassentrennung in der Gesellschaft und ein konträrer Zwang der Umstände für Arbeiter und Eigentümer, der dem Prinzip der Knappheit entspricht, ist also nicht verständlich gemacht, sondern vorausgesetzt. Mit diesem Zwang der materiellen Umstände im Rahmen der 14

S. oben 95. D a s Beispiel von der Luftverunreinigung C R D 259.

Die entfremdete Arbeit

111

Knappheit soll nun auf grundsätzlicherer Ebene als bei Marx, eben auf anthropologischer Ebene statt auf geschichtlicher und ökonomischer (mit ihren Gesichtspunkten von Gewinnmaximierung, Lohndegression, Überproduktion), die geschilderte Entfremdung und Gegenfinalität begründet sein. Noch einmal: man kann durchaus sagen, daß die vorausgesetzten Produktionsverhältnisse, wie sie die Marxsdie Analyse bringt, durch die anthropologische Darstellung auf jeder der beiden Seiten „gedeckt" sind, wenn auch in großer Allgemeinheit. Aber es scheint, daß die Polarisierung des ökonomischen Prozesses nach Klassen, nach Eigentümer und Arbeiter, nicht aus der anthropologischen Analyse hervorgeht, sondern daß ein reziprokantagonistisches Verhältnis zwischen beiden als verständlich einfach aufgegriffen wird. Marx und Engels haben dies Verhältnis in mehreren ökonomisch-genetischen Theorien in seinem Zustandekommen verständlich machen wollen, während Sartre in seiner Kritik der einzelnen Versuche einer Erklärung der Klassenentstehung, wie wir gesehen haben, für einen tieferen Grund, ein zugrundeliegendes Negatives, plädiert. Kann aber die daraus hervorgehende transzendentale Deutung nicht nur der Entfremdung im allgemeinen, sondern der Entfremdung in einer polarisierten Klassengesellschaft gerecht werden? Kann das Dreier-Verhältnis, das bei der Reziprozität aufgetreten ist, hierfür Anwendung finden? Wie ist Eigentum an Produktionsmitteln gegenüber Arbeitern verständlich? Reicht dazu die Knappheit als Begründung? Ist diese Möglichkeit transzendental ausgezeichnet gegenüber andern Formen der Produktionsverhältnisse? Offensichtlich bedarf es, bevor wir aus Sartres transzendentaler Methode Schlüsse ziehen, einer Betrachtung der Sartreschen Deutung vom Eigentum. Steht es bei Sartre in einer transzendentalen Genealogie, und ist es verständlich, daß es die Gesellschaft in Klassen polarisiert? Aber zuvor wenden wir uns einem anderen Problem zu, das mit der transzendentalen Betrachtungsweise Sartres, wenn sie das geschilderte ökonomische Verhältnis von Arbeiter und Eigentümer erfassen will, aufgeworfen ist. Kann man nicht auf der gegebenen Ebene der entfremdenden Fabriksituation Faktoren ins Feld führen, die die Gegenfinalität des ontologischanthropologisch grundgelegten Prozesses inhibieren, etwa den ausgleichenden Einfluß von Gewerkschaften, die übrigens auch Marx praktisch für seine Theorie übersehen hatte? Nimmt Sartre, etwa beim Ubergang von partieller Entfremdung zur Gesamtentfremdung im nationalen Rahmen, nicht ökonomische Faktoren und Strukturen für absolut, die zwar seinen ontologischanthropologischen Prinzipien zugeordnet werden können, aber nicht in dieser Striktheit vorkommen, sondern auf Grund weiterer Faktoren zu einem Ausgleich oder differenzierteren Antagonismus führen? Aber so müßte man im Sinne Sartres sagen, es wären Strukturen, die nur anders ausfallen, wenn eine syndikalistische Gruppe die menschliche Finalität auf ihre Fahnen schriebe und sich zur Aktion aufraffte, kurz, wenn soziale Strukturen in An-

112

Die Entfremdungsstrukturen

sprudi genommen werden können, die unter transzendentalem Gesichtspunkt auf der jetzigen Stufe noch nidit erschlossen sind, da sie eine spätere Stelle in der Systematik innehaben. Wir sind damit auf ein theoretisches Problem gestoßen, das Problem der Reihenfolge der Stufen und der Antizipation späterer Stufen, kurz das Problem der regressiven Methode15 als Methode, die zu einer linearen Begründungsordnung zwingt, obwohl sie andrerseits die Konkretion des immer schon Vorliegenden auf diese Weise erreichen will. Kann eine transzendentale Genealogie des Arbeitslebens — als Leitfaden für eine Theorie der sozialen Gebilde — das Gesuchte überhaupt leisten? Es ist, wenn auch anders als bei Hegels Progression in der Rechtsphilosophie, das Problem der Simultaneität der zu begründenden Strukturen. Sartre kann, so scheint es, in seiner Verstehensbewegung zunehmend Simultanes aufnehmen, und am Ende soll eine wirkliche Konkretion der Gesellschaft stehen. Aber auf den Vorstufen zur Konkretion besteht dennoch das Problem, daß unter Abbiendung von „transzendental späteren" Stufen primitivere Strukturen entwickelt werden, von denen man sich fragen muß, welche Dignität sie überhaupt haben: Stufen, die wirklich wären, wenn historisch eine Gesellschaft weitere Stufen nicht aktualisiert hätte? Stufen, die es systematisch gibt in dem Sinne, daß wir Begriffe für sie haben, und die auch in eine plausible Stufenordnung gebracht werden können, die es aber in der Konkretion nicht gibt, weil sie immer schon betroffen und verändert wären durch „spätere" (oder auch vernachlässigte parallele, simultane) Stufen und Strukturen? Ist konkret nicht eigentlich erst die „ganze" Gesellschaft als Reflexionsverhältnis der einzelnen Strukturen, als Gleichgewicht des Pluralismus, in dem es kein Früher oder Später, sondern nur simultane Existenzen gibt? Hegel kann Vorstufen als relativ unwahr ansehen, erst das Ganze als konkret und wahr bezeichnen, und nur in seiner Geschichtsphilosophie „gibt" es das Unwahre für sich, denn der Prozeß zur Wahrheit in der Geschichte ist ein realer Prozeß. Wie aber in einer strukturellen Anthropologie, in der doch das transzendentale Konstitut immer auch zusammenfällt mit existierenden Einzelnen, in der kategoriale „Schichten" nicht als solche Thema sind, sondern nur Gestalten von Existierenden? Welche Dignität haben dann die Vorstufen zur Konkretion strukturell? Sartre gibt seinen Vorstufen inhaltlich suggestive Konkretion als Stufen der Praxis nach Art der Marxschen konkreten Thematik. Er bedient sich der Marxschen Analyse der industriellen Wirtschaftsentwicklung als eines transzendentalen Leitfadens zum Verstehen sozialer Strukturen. Die Gesetzlichkeit der Gegenfinalität und Entfremdung erscheint als Aussage über den konkreten, quasi-gesdiichtlichen Ablauf der Gesellschaftsentwicklung. Aber strukturell-anthropologisch ist er eben nur günstigstenfalls eine unvollständige Struktur, die auf ihrer Ebene verständlich ist. Die transzendentale 15

Cf. oben 66, 77, 105 und unten 130 f., 187 ff.

Das Eigentum

113

Genealogie suggeriert, daß wegen solcher unzuträglicher Zustände und Strukturen, wie sie als quasi-historisdie geschildert werden, weitere Strukturen — die Gruppe als Befreiung — folgen müssen; die Genealogie suggeriert einen konkreten Ablauf, der zu einem systematischen Novum von ganz allgemeiner Bedeutung und schließlich zur eigentlichen Konkretion führen soll. Ist es nicht geradezu die Pointe der von Sartres transzendentalem Verfahren geforderten Analyse16, daß Unvollständiges, Negatives, das sie allerdings immer sdion als konkret hinstellt, das movens abgibt für die Herleitung von Strukturen, die das Negative, Entfremdende, wieder aufheben, was dann verwechselbar scheint in quasi-historische Aktion, verbunden mit einem an Marx, Lenin oder die Syndikalisten gemahnenden Sinn17? Aus dem konkreten Grund der Unzuträglichkeit der Verhältnisse müßte die Genealogie von der Entfremdung zur Freiheit führen? Wir machen damit einen kritischen Vorbehalt gegenüber der Sartreschen Theorie, diesmal nicht für den Grund oder die Dimension der Prinzipien, sondern für die transzendentale Verstehensbewegung von diesem Grund aus auf ein Ziel zu, bei der sich wiederum das Problem der Verknüpfung des transzendentalen Gedankens mit Existenz stellt. Unser Vorbehalt dient hier nur einer Selbstverständigung; wir stellen ihn als prinzipielles methodisches Problem zurück zugunsten des Zusammenhangs, in dem wir stehen. Sartre knüpft an die Analyse der Entfremdung als Gegenfinalität, gleichsam als menschliches Korrollar der Forderung der Materie — wie wir das schon andeuteten —, das Interesse an, womit sowohl dasjenige des Eigentümers am Eigentum, besonders am Produktionseigentum, gemeint ist, also auch das des entfremdeten Arbeiters. Wir kommen damit zu Sartres Theorie des Eigentums. 2. Das

Eigentum

Der Rekurs auf die bei sozialen Widersprüchen mitspielenden Besitzverhältnisse — denen entsprechend der Produktionsapparat eine Finalität für den Eigentümer und dessen Klasse darstellt — hat ein gewissermaßen nachzuholendes Thema erschlossen, das des Eigentums. Bisher war ja die Entfremdung in der Arbeitssituation von der Opposition Materie einerseits und Pluralität der Menschen andrerseits gesehen worden; die Materie erwies sich als immer stärkere Forderung, als immer stärkere Vergewaltigung. Aber dahinter stand ja noch eine „Sanktion", die desjenigen, der den Produktions18

17

Wir sehen hier auch einen möglichen Einwand gegen Hegel, den wir an späterer Stelle aufnehmen. Cf. unten 188 f. Auf Sartres anarcho-syndikalistisdie Züge weist besonders Zehm hin (Historische Vernunft 178, 189, 192).

114

Die Entfremdungsstrukturen

apparat laufen läßt und dirigiert. Dies wurde, wie wir schon sahen, von Sartre auf nicht einsichtige Art hinzugenommen. Nunmehr wird von ihm eine grundsätzliche Betrachtung des Eigentums nachgeholt. Sie steht unter dem Gesichtspunkt, daß Eigentum seinerseits zu den Strukturen der Entfremdung gehört. Die Situation ist kompliziert: Sartre möchte Eigentum grundsätzlich fassen, also ontologisch prinzipiell; andrerseits möchte er es als sozialen Entfremdungsfaktor behandeln, in seinem Verhältnis zur Entfremdung auf der anderen, nicht-besitzenden Seite. So erscheint dann jedes Eigentum schon auf konkretere Bestimmungen einer entfremdeten Gesellschaft bezogen. Einerseits hat Eigentum eine prinzipielle, vorsoziale Struktur, andrerseits ist es gesellschaftlich entfremdend, und so geht denn auch Privateigentum, als von der Ontologie her erschlossen, unvermerkt über in Produktionseigentum als sozialen Faktor, ist mit diesem kontinuierlich. Die ontologische oder prinzipielle, vorsoziale Struktur des Eigentums ist für Sartre nach C R D das „banale Faktum der Verdinglichung"18. Diese Beziehung zu Dingen erscheint als unnormal, während normal wäre eine Beziehung im Sinne der Bedürfnisbefriedigung, des Entwurfs, der Verwirklichung von Zwecken in der Arbeit. Es gibt für Sartre in der Grundlegung der Sozialphilosophie kein ursprüngliches „Interesse" des Menschen (intérêt). Als Folie zum Interesse hat Sartre den Gedanken des Außer-Sich-Seins (être hors de soi) beim Arbeiter, also den Gedanken der Formierung, die ja positiv bewertet wird19, aber in der industriellen Produktion nicht vorliegt. Es ist anscheinend an etwas Ekstatisches gedacht; es besteht noch keine Reflexion auf den mit der geprägten Materie Konfrontierten. Das Interesse nun gehört in ein Milieu, wo ein materielles „ensemble" von Dienlichem dem Menschen die Rolle des Bedienenden auferlegt, grundsätzlich also doch schon beim Organismus, wo das Draußen und das Sidi-Danach-Verhalten Lebensbedingung ist. „Eigentliches" Interesse tritt auf, wenn der Mensch sich auf ein bestimmtes äußeres Milieu anweist und auf seine Person die Verfestigung des Inerten überträgt20. Der Grundgedanke der Sartreschen Auffassung erinnert in gewisser Weise an Hegel, wenn es bei ihm heißt 21 : „Die Person muß sich eine Sphäre ihrer Freiheit geben, um als Idee zu sein" (d. h., in Sartreschem Sinn, um ganz zu sein). Nur daß Sartre die Beziehung zu Sachen kritischer als Verdinglichung ansieht. Eigentum als Sphäre der Freiheit ist nicht Voraussetzung für wei18 19 !0

21

C R D 262. S. oben 97. C R D 2 6 1 : „Mais l'intérêt se découvre dans le moment pratico-inerte de l'expérience en tant que l'homme se constitue dans le milieu extérieur comme cet ensemble pratico-inerte de matériaux ouvrés tout en installant dans sa personne réelle l'inertie pratique de l'ensemble". Rechtsphilosophie § 41.

Das Eigentum

115

tere, höhere Freiheit, wie bei Hegel. Sartre spricht ganz Hegelisch davon, daß das Individuum im Eigentum seine Wahrheit findet, aber mit dem interessanten Zusatz: umso mehr, je mechanischer es durch das Eigentum isoliert wird 22 . Die Wahrheit des Individuums wäre also seine Unsozialität, seine Isolierung durdi Eigentum, also die umgekehrte Konsequenz zu Hegel, für den ja die frühe Stelle des persönlichen Eigentums in seiner Rechtsphilosophie bruchlos überleitet zu den späteren Gebilden. Eigentum ist etwas Vereinzelndes, entsprechend der äußerlichen Molekularstruktur der Dinge; als solches ist Eigentum schon soziale, aber defiziente, Bestimmung. Blicken wir auf Sartres frühe Lehre vom Eigentum in EN 23 . Die Theorie ist hier noch ganz am ontologischen Gesichtspunkt orientiert. Sartre deutet die Beziehung, die der Mensch zu Gegenständen im Sinne des Eigentums unterhält, als ein Zugehören, als eine Seinsbeziehung, als ein Einbeziehen eines Ansich, das als „meines" existiert, für mich also die Existenz als Ansich ermöglicht24. War in strengerer ontologisdier Deutung der Gegenstand immer nur ein „Korrelat" meiner immanenten Bezüge, so will Sartre jetzt sagen, daß das Haben ein Bezug des Subjekts parallel zu seinem immanenten, direkten Bezug auf sich sei25, ein Bezug, der bezweckt, durch die Aneignung der Welt denselben Wert — die Ganzheit — zu verwirklichen wie der immanente Bezug, die Begierde nadi Sein. Das Habenwollen ist ein Umweg zum Ganzsein des Subjekts. Dabei ist diese Beziehung immer nur symbolisch: das Besitzen ist keine eigentliche Tätigkeit, und der besessenen Sache inhäriert daher nicht auf Grund dieser Tatsache des Besessenwerdens eine objektive Charakteristik26. Ferner ist die ontologische Deutung ambivalent: im Eigentum habe ich mich, aber in der Zerstörung habe ich mich auch, weil das außer mir Seiende dadurch wieder in mich hineingenommen wird 27 . Von hier aus erscheint das Besitzen als eine nie endende Aneignung, die mit einer ständigen Abnutzung und Zerstörung einhergeht 28 . Wir sehen: Sartres Ausführungen sind ontologisch-prinzipieller Art. Sie gestatten kein Urteil über die Funktion oder gar normative Beurteilung von Eigentum im sozialen Raum. (Sogar auf ihrer Ebene des Prinzipiellen sind die Analysen fragwürdig wegen der Äquivokation des Ansichseinsbegriffs, der allein die Interpretation des Habens ermöglicht, als Prinzip oder Seinsweise — die als Ideal auch vom Fürsidisein gelten kann — und als Materie.) Als prinzipieller am Fürsichsein orientierter steht Sartres Eigentumsbegriff zwar dem ähnlich prinzipiellen, wenn auch konkretisierten Begriff Hegels 22 23 24 25 20 27 28

CRD 262. E N 675-89. E N 678 f. EN 689. E N 683. ebda. CRD 684.

116

Die Entfremdungsstrukturen

nahe, es lassen sich aber aus ihm in der ontologischen Abstraktion keine konkreten Schlüsse für das Soziale ziehen. Die Übernahme dieses ontologischen Eigentumsbegriiis in C R D ist unverkennbar, nur erhält die dort doch auch positiv gesehene Beziehung zu Sachen, wenn auch positiv nur im Sinne der Erfüllung einer ontologisdien Struktur, jetzt einen negativen Akzent. Es handelt sich um Verdinglichung. Weitere Züge des Eigentums ergeben sich aus der sozialen Situation der dinglichen Materie. Das Eigentum steht in einem Raum der Schätzung durch Andere. Sartre hüpft hier schnell zum Gedanken des Marktes und des Marktwertes und von dort zu dem Gedanken, daß der Eigentümer seinerseits unter der durch das Eigentum bedingten Forderung steht, es zu vergrößern oder doch zu erhalten. Negativ fürchtet er um seinen Besitz, positiv will er seine Macht vermehren. Eigentliches Interesse erscheint jetzt also gegeben, wo ein Mensch persönlich bestimmt wird durch ein objektives „ensemble" und es entwickelt oder erhält auf Kosten Anderer 2 '. In diesem Bereich des Praktisch-Inerten fungiert das Eigentum als das Wesentliche, der Eigentümer als das Unwesentliche; er ist Funktion materieller Zusammenhänge, etwa der Bewegung des Marktes. Die Eigentümer werden mechanische Elemente einer Masse. Das Eigentum stellt sich dar als Selbstzweck, als Verkehrung des Organismus30; der Mensch dient dieser „menschlichen Sache" und ist so selbst verdinglicht31. Indem das Eigentum im sozialen Raum steht, ergibt sich also, daß sich die Struktur der Entfremdung der Arbeiter gegenüber der Forderung der Materie auf der Seite der Eigentümer wiederholt. Das Eigentum steht gleichsam passiv unter einer Gesetzlichkeit der Schätzung durch Andere und der materiellen Äußerlichkeit. Wenn jedoch Produktionseigentum vorliegt, dann ist das Produktionsmittel für den Eigentümer auch ein Mittel, sich innerhalb des Milieus der Andersheit und Konkurrenz durchzusetzen, aktiv einer Herausforderung zu begegnen. Der Eigentümer tritt so in ein Verhältnis auch zu den Arbeitern. Wir kommen damit zurück auf unsere früher aufgeworfene Frage32. Das spezifische Verhältnis des Eigentümers, der der Forderung der Materie — seines Eigentums — nachkommt, zu den Arbeitern, die unter den Forderungen eben dieser Materie als für sie fremden Produktionsapparats stehen, ist

29

30 31 32

C R D 2 6 3 : „A partir du moment où, dans une société définie, un ensemble objectif se pose comme définissant un individu dans sa particularité personelle et où il exige en tant que tel que cet individu en agissant sur l'ensemble du champ pratique et social le conserve (comme l'organisme se conserve) et le développe aux dépens du reste (comme l'organisme s'alimente en prélevant sur le milieu extérieur), cet individu possède un intérêt". C R D 2 6 5 : „simulacre inversé de l'organisme". C R D 266. S. oben 110 f.

Das Eigentum

117

ein Dreierverhältnis, in dem die Materie Arbeiter und Eigentümer vermittelt. Dessen Theorie, also die Theorie, wie Produktionseigentum als soziales Phänomen verständlich ist, ist nicht eigens behandelt. In der sozialen Konkretion sind Produktionsapparate vorhanden als gesellschaftliche Gegenstände. Man hat anscheinend in der Theorie, die es auf ein Verstehen von Strukturen abgesehen hat, einfach hinzunehmen, daß diese Gegenstände, als im sozialen Raum stehend, „besessen" werden. Ihre negative Wirkung auf die Arbeiter ist mehr von dem Gedanken einer zunehmenden Komplizierung der Werkzeuge zu Produktionsstätten — in einer Verstehensbewegung zunehmender Entfremdung des Arbeiters — als ökonomisch aus dem Interesse des Unternehmers oder Eigentümers hergeleitet. Es zeigt sich auch, daß Sartre die Gegenfinalität des Eigentums als privaten Produktionseigentums und damit auch dessen negativen Akzent nicht klar abheben kann vom nicht-produktiven Privateigentum als Sphäre der Freiheit, das etwa diese Gegenfinalität nicht zeigt, im Gegenteil vielleicht eingeordnet werden könnte in einen Bedingungszusammenhang, in dem es sidi als positiv erweist wie bei Hegel. (Auch Hegel kann allerdings, nach der Anlage seiner Dialektik, das Zusammenbestehen von Privateigentum und privatem Produktionseigentum, und etwa die zwischen beiden unter normativem Aspekt zu ziehende Grenze, nicht behandeln, da Simultaneität von Strukturen, die auf verschiedener kategorialer Ebene aufgetreten sind, prinzipiell nicht darstellbar ist.) Bei Sartre, in einer Dialektik, wo mit zunehmender Konkretion auch zunehmend mehr soziale Faktoren als simultane erscheinen müßten, könnte man erwarten, daß das gleichzeitig mit Produktionseigentum vorliegende unproduktive Privateigentum, das auch im sozialen Raum weitgehend „inert" ist, sich nicht entwickelt zu einem Entfremdungsfaktor wie das Produktionseigentum, abgehoben und für sich als sozial gerechtfertigt charakterisiert würde. Das Fehlen einer solchen Abhebung entspricht der theoretischen Situation bei Marx33, der einen positiven Platz für das Privateigentum nicht rechtfertigt. Bei beiden ist das erklärbar aus dem Vorrrang der Arbeit, die als individuelle zwar formierende Aneignung, aber nicht ein Besitzen ist, und die als plurale unter der Forderung der Masdiine und des Produktionseigentums von Privaten entfremdet ist und so zu einer Verurteilung solchen Eigentums führt. Das Eigentum als Sphäre der Freiheit hat keinen Ort mehr in der Theorie. Sartre unterscheidet sich von Marx darin, daß er, z. T. noch in CRD, besonders aber in EN, eine ontologische Analyse des Eigentums versucht, eine Lehre vom Bezug zu Sachen, die also hinter das Formieren zurückgeht. (EN ist denn auch noch nicht vom Arbeitsbegriff beherrscht.) Aber, wir haben schon davon gesprochen, die Analyse ist nur prinzipiell und ontologisdi 33

Cf. etwa Zur Kritik der politischen Ökonomie (Nachlaß), Marx-Engels Werke (Dietz) 13, 619.

118

Die Entfremdungsstrukturen

— dabei in sich selbst bedenklich —, und nicht Analyse des persönlichen Eigentums im sozialen Raum. Unter der Themenstellung von C R D würde man erwarten, daß dies persönliche Eigentum nicht nur in einer wieder aufgegriffenen phänomenologischen Beschreibung — wie sie sich in E N neben der ontologischen Reduktion auf abstrakte Sachlagen findet — vorgeführt, sondern daß ihm ein Ort in der sozialen Konstitutionsgenealogie angewiesen wird, worin verständlich gemacht wäre, wie es soziale Gebilde bestimmt. (Marx hatte dem Eigentum eine Stelle in einem geschichtlichen Entwurf, einer systematisierenden Rationalisierung des genetischen Prozesses, angewiesen und es mit der Arbeitsteilung und Verteilung der dadurch entstehenden Produktion in Verbindung gebracht34.) Das Eigentum ist bei Sartre nur von der Ambivalenz der Materie als positive Gegenständlichkeit und als negative Verdinglichung her betrachtet. Die Differenzierung in verschiedene Arten von Eigentum, besonders die von persönlichem und Produktionseigentum, wird auf Grund der Lapidarität der Analyse und der Orientierung am Begriff der Arbeit nicht gegeben85. Hier bleibt das Desiderat, dann wenigstens eine ökonomische Genese aufzuzeigen. Wenn solches Eigentum besteht, zeigt Sartre nur die strukturelle Analogie von Eigentümer und Arbeiter. Sartre will übrigens den Eigentümer von Produktionsmitteln nicht auf Grund des Entfremdungsgedankens dem Arbeiter in dem Sinne angleichen, daß beide zwar an ihrer vollen Menschlichkeit gehindert seien, aber nichts lieber täten, als sich von der Entfremdung zu befreien oder befreien zu lassen. Das Interesse, das der Eigentümer hat, ist für Sartre ein doch ganz anderes, als das, das der Arbeiter hat 36 . (Wir erinnern uns, daß der ganze Abschnitt in CRD, den wir hier behandeln, nicht unter der Überschrift „Eigentum", sondern „Interesse" steht.) Unter dieser Devise des Interesses sind Arbeiter und Eigentümer völlig konträr, obwohl grundsätzlich Interesse durch die beherrschende Rolle der Materie über den Menschen gekennzeichnet ist. Die zu allgemeine ontologische Auffassung vom Interesse führt gerade zu einer Angleichung37. Sartre meint, der Arbeiter objektiviere sich nicht in der Materie (als Maschine gedacht), sondern werde von ihr objektiviert. Aber wird der Eigentümer ontologisch nicht ebenfalls von der Materie bestimmt? Ist der Unterschied des Grades der Entfremdung „prinzipiell" verständlich? Sartre führt zur Differenzierung den Gedanken des Schicksals (destin) ein, das nur für den entfremdeten Arbeiter gilt und nicht für den Eigentümer (auch ein Bankrott läßt ihn weiterleben). 34 95 36

37

Deutsche Ideologie, Marx-Engels Werke (Dietz) 3, 32. Cf. jedoch die Stellungnahme zum geistigen Eigentum C R D 266 f. Cf. Marx, Deutsche Ideologie, Marx-Engels Werke (Dietz) 3, 75, wonach die Subsumtion der Individuen unter Klassen nicht eher aufgehoben werden kann, „als bis sich eine Klasse gebildet hat, die gegen die herrschende Klasse kein besonderes Klasseninteresse mehr durchzusetzen hat". Sartre spricht von einer „symetrie apparente", die uns aber nicht täuschen könne C R D 269.

Das Eigentum

119

Versuchen wir eine transzendentale Kritik, so ersdieint uns Interesse und Entfremdung nicht auf verständliche Weise zusammengebracht. Es gibt Interesse nur als Prägung durch die Materie, aber dadurch bleibt der Fall, wo ich in der Entfremdung durch die Materie ein Interesse an ihr habe, und der Fall, wo ich kein solches habe, ein Beispiel für dieselbe Definition (nämlich durch ein materielles „ensemble" geprägt zu sein). Die Definition des Interesses ist so weit und prinzipiell, daß der Arbeiter auch darunter fallen müßte. Man könnte sagen, der Eigentümer sei eben doch nicht so entfremdet wie der Arbeiter, oder er sei einfach unverstandenermaßen anders entfremdet, aber auch hier könnte ein Weg vorgezeichnet sein, sich aus der Entfremdung zu befreien, etwa indem er auf dem Markt ein Monopol erwirbt und die entfremdende Konkurrenz ausschaltet. Wie stünde es dann mit seiner Entfremdung als Eigentümer? Hätte er nicht den reinen Genuß des Eigentums, nur mit der Einschränkung, den die Naturgesetzlichkeit des Besitztums beinhaltet? Das Sich-Objektivieren ist ein ambivalentes Prinzip, Prinzip der Selbstverwirklichung und der Entfremdung. Beim Arbeiter ist — in einer Entwicklung des Verstehens — nahegelegt, daß die Selbstobjektivierung schwindet; beim Eigentümer sind die Dinge nicht so weit gediehen, die Entfremdung ist nur eine gleichsam beiherspielende der Andersheit (auf dem Markt der Konkurrenten). Es soll gezeigt werden, daß der Eigentümer das Menschliche verfehlt, aber „ontologisch" betrachtet erfüllt er es ganz gut. Das Spezifische des praktischen Bezuges beim Arbeiter ist nicht abgehoben vom Bezug zur Welt im Besitzen. Beide Male ist der Grundgedanke, das Bestimmtwerden durch Materie, ein zu allgemeiner Gedanke. „Interesse" (als dem Besitzen zugeordneter Begriff) kommt nicht der Beziehung zur Materie als solcher zu, die auf Entfremdung angelegt ist, sondern ist etwas anderes, Freies. Kann man Interesse durch diejenige Struktur bestimmen, die bei bloß gradueller Steigerung (in der Entfremdung durch die Materie beim Arbeiter) gerade das Gegenteil von Interesse involviert (nämlich Ablehnung der Maschine durch den Arbeiter, während der Eigentümer sein Eigentum bejaht)? Ist das Schema als zu abstraktes nicht widersprüchlich? Die Kritik richtet sich nicht gegen die These, daß der Arbeiter kein Interesse an der Fabrik habe, wohl aber der Eigentümer, sondern gegen die Mittel, das zu verstehen. Gerade diese Differenz bei Arbeiter und Eigentümer bleibt, so scheint es, unverstanden. Oder: sie wird, wenn nicht aus der Konkreten, so nur verstanden durch die „Steigerung" des Prinzipienmoments der Materie, die beim Arbeiter zu einer Umkehrung der Sachlage führt. Mit der Analogie von Arbeiter und Eigentümer, die gleichzeitig Gegensatz ist, kommen wir noch einmal auf das schon erörterte Problem dieses Gegensatzes zurück. Es ist nicht als in der Wirklichkeit simultaner Gegensatz des Sozialen verstanden, daß der Eigentümer etwas besitzt, woran sich der Arbeiter entfremdet, daß beide in Reflexion aufeinander stehen, einer ohne

120

Die Entfremdungsstrukturen

den anderen nicht gedacht werden kann, ja daß ein Konflikt vorliegt. Aus der Idee der Knappheit kann man jeweils prinzipiell, für Beliebige, Jeweilige, zeigen, daß es Entfremdung und Uberzähligkeit Gewisser im Verhältnis zur Materie, die nicht für alle reicht, gibt. Das Auftreten einer partikulären Gruppe, die bestimmt, wer die Überzähligen sind, konkreter: durch Produktionseigentum die Entfremdung Anderer setzt, ist nicht Gegenstand der verstehenden Herleitung. Es handelt sich um ein Faktum. So ist auch kein transzendentaler Grund angegeben, der ausreichte, den Konflikt der Interessen und die verschiedene Stellung zum Eigentum, letztlich also den Konflikt der Klassen zu begründen. Die Strukturen sind ja nur begrifflich (als Entfremdung gegenüber der Materie) für die eine oder andere Seite aufgewiesen. Die Simultaneität in der sozialen Wirklichkeit ist nicht im Blick. (Eine historische Analyse kann die Konkretion, als Interdependenz Aller, schon immer ansetzen; eine strukturelle Anthropologie muß das von Vorstufen des Konkreten her erst zeigen. Ob dann die gewünschte Konsequenz aus der transzendentalen Theorie inhaltlich bestehen kann, ist eine andere Frage. Eine ökonomische Analyse hätte näher zu zeigen, inwiefern die gegenseitige Angewiesenheit für die eine Klasse eventuell negativ ausschlägt — etwa in Form von Löhnen, die nur zur Reproduktion der Arbeitskraft reichen — oder inwieweit das Interesse der Besitzenden gerade auf höhere Löhne geht — zur Förderung des eignen Absatzes durch höhere Kaufkraft —, ob also entgegen der Konfliktthese ein stabiles Gleichgewicht möglich ist im sozialen Ganzen.) Die historische und die ökonomische Analyse hat also den Vorteil der fraglosen Konkretion, aber den Nachteil mangelnder Erklärung. Bei Sartre findet sich für ein Jeweiliges, die eine Klasse oder die andere Klasse, eine verstehende Begründung (obwohl nur unzureichend für die besitzende Klasse; der eigentliche Duktus der Theorie ist orientiert an der Arbeit und damit an der Arbeiterklasse). Es erscheint dann als Faktum, daß Arbeiter und Eigentümer am selben Gegenstand engagiert sind, daß dieselbe Materie sie vermittelt, daß mit den beiden Seiten, Arbeiter und Eigentümer, eine simultane Gestalt vorliegt, die es doch gerade erst noch zu verstehen gilt. Die eigentliche Aufgabe im Sinne der Entfremdungstheorie Sartres, den partikulären Klassengegensatz zu verstehen, gelingt durch ontologische Strukturen, soweit sie nur „Sorten" von Entfremdung auf jeder Seite verständlich machen, nicht. Das Dreierverhältnis Arbeiter-Eigentümer-Materie müßte als Ganzheit mit realen simultanen Strukturen in den Blick treten. Es ist nicht gezeigt, daß der Eigentümer in seiner Eigentums}unktion auf andere Menschen übergreift und so den Konflikt ermöglicht (wenn wir hier den marxistisch gedeuteten Zusammenhang gelten lassen). Die duale Reziprozitätsstruktur hilft hier nicht: sie ist im Grunde eine Koordination von Personen, gegebenenfalls gegenüber der Materie oder einem Dritten. Daß Menschen in Reziprozität stehen, in der einer den Anderen durch Materie,

Das Eigentum

121

die ihm zugehört, beherrscht, ist bei Sartre nicht als ursprüngliche Struktur dargetan; er hat kein Prinzip zum Verständnis des Gegenstücks zur Arbeitssituation. Er entwickelt stattdessen einen Fortschritt der Verelendung auf der einen, der Arbeiterseite, und läßt dazu dann die andere Seite hinzutreten, dort, wo sie zum Verständnis des ökonomischen Prozesses erforderlich ist. Ist einmal dieser Gegensatz zugestanden, dann kann Sartre in der näheren Deutung dieses Gegensatzes als Gegensatz des Interesses weiterfahren. Im Zusammenhang mit der Theorie des Eigentums ist schließlich die Frage aufzuwerfen, wie es bei Sartre mit dem Eigentum als Rechtsbegriff steht. Etwas für das Recht so Wichtiges wie das Eigentum ist nicht vom Gesichtspunkt des Rechts gewürdigt, Eigentum ist vielmehr ontologisch vom Haben her entwickelt und als Verfügung über Grund und Boden oder über Produktionsmittel konkretisiert. Eigentum erscheint nicht als Rechtsgut. Dies entspricht durchaus der marxistischen Auffassung. Ganz allgemein gilt hier, daß das Recht als Ideales in der sozialen Realität nicht Thema sein kann; der „Unterbau" ist das Maßgebende. Spezieller ist das Recht ein Ausfluß der Gesellschaft als konkreter, und so kann man sagen, es liegt an der Abstraktheit der bisher behandelten Gebilde und Stufen, daß das Recht und also auch die Rechtsnatur der betreffenden sozialen Gegebenheiten noch nicht erschienen sind, aber von einer konkreteren Stufe her vielleicht auf das bisher Abstrakte zurückscheinen. Antizipieren wir eine solche Stellung des Rechts in einem transzendentalontologischen Aufbau, so hat sie ihre systematische Bedeutung, ist sie eine Aussage über das Wesen des Rechts. Es ist eine Art Uberbau, eine Summe von Normen, die von gewissen Exponenten der Gesellschaft entwickelt werden zur Stabilisierung der Gesellschaft oder ihrer selbst. Das Recht wird also zurückbezogen auf das existierende Fundament, von dem es ausgeht, und dies Fundament ist die Gesellschaft oder eine Gruppierung innerhalb ihrer. Je nachdem teilt das Recht damit auch die Relativität auf eine solche Gruppierung, wäre, wenn wir die Gruppierung als Klasse ansetzen, klassengebunden. Diese Position — die wir hier antizipieren — ist völlig verschieden von einer naturrechtlichen Position, wo gewisse Rechtsgüter mit dem Menschen als solchem gesetzt sind. Auch Hegel gehört zu dieser Schule — schon rein äußerlich nennt er doch seine Rechtsphilosophie „Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse" —, aber auch „innerlich" gehört er ihr an, ist doch Recht für ihn systematisch schon vor aller Gesellschaft und institutionellen Rechtspflege erschlossen: der Mensch als Vernunftwesen hat „natur"rechtlich, wenn man will (wobei Natur = Vernunft „an sich" ist), Recht. Eigentum ist als frühester Rechtsbegriff bei Hegel eine Vernunftäußerung, und so ist es in der Weiterentwicklung die Respektierung dieses Rechts. Eine systemtheoretische Folge ist bei Hegel, daß seine Rechtsphilosophie

122

Die Entfremdungsstrukturen

Recht und Sozialität in einem entwickelt: zuerst gibt es abstraktes Recht, dann kommen soziale Formen, in denen das Recht ausgestaltet wird zum Gesetzbuch und zur institutionellen Rechtspflege, um schließlich beim Staat und beim Staatszweck zu enden, der im Staatsrecht gefaßt ist. Das Recht ist also koextensiv mit den sozialen Gebilden. Ein solches mit dem Menschen gesetztes Ideales wie das Recht erscheint bei Sartre (wie auch bei Marx) nicht. Sartre geht nicht idealen Vernunftverhältnissen nach unter dem Gesichtspunkt, wie transzendental nach dem Gesetz der Vernunft ein Weiterschreiten sowohl in der sozialen wie der Rechtsentwicklung gedacht werden muß, sondern er tastet sich an den praktischen Verhältnissen weiter — anthropologisch und nicht, wie Marx, ökonomisch —, aus denen soziale Gebilde verstanden werden können. Hierbei ist immer der existierende Einzelne Bezugspunkt. Eine Antizipation des Rechts als späterer Konzeption (etwa als Eigentumssanktion durch die Gesellschaft) wäre für den als Praxis gefaßten Menschen38 auf seiner Stufe fernliegend: Praxis ist tätig an etwas, stellt Beziehung zu Andern her, wird von Andern bedrängt; Rechtsverhältnisse treten hier nicht auf. Das Vernunftelement ist Handlungsverstehen und nicht ein Entelechiebegriff der Vernunft als objektiver Geist. So ist etwa auch die Respektierung des Andern bei Sartre kein Rechtsbegriff, sondern ein praktisches Verhalten zum Andern und ein Verstehen seiner Andersheit und Selbigkeit. Freiheit und Reziprozität sind nicht von der idealen Vernunft als Rechtsbegriffe gefaßt. Auf Grund der Bindung an die existierenden Einzelnen als ontologischen Grund kann das Recht erst mit der Konkretion der Gesellschaft erscheinen, von ihr wird es konkret aufgestellt, und so kann eine transzendentale Theorie der Gesellschaft das Recht nicht auf der vor-gesellschaftlichen Praxis antizipieren. Vor der Gesellschaft gibt es kein institutionelles Recht, und anderes wäre nicht darstellbar. Das Recht tritt auf als Sanktion einer Gruppe, und überträgt sich auf die Klasse. Man kann fragen, ob es neben solchem einseitigem Recht als Überbau einer gesellschaftlichen Klasse ein Recht für eine Gesellschaft jenseits der Klassendifferenz geben kann. Wenn wir an Marx als vielfaches Vorbild denken, so gibt es keine Kulmination der Vernunft im Staat als Rechtssetzer, und die Gesellschaft, die an seine Stelle tritt, ist vielmehr eigenartig unstrukturiert zu denken. Kann es da noch institutionelles Recht geben? Gibt es nicht nur für jeden Menschen „das Seine"? Wäre nicht jede Rechtssanktion ein Negativum, eine Einengung, Regression zum Zwang? Es scheint, soweit der Mensch nicht entfremdet sein soll, wäre der Rechtsbegriff nicht anwendbar. Er wird damit ein negativ auf die Utopie bezogener Begriff, ein Begriff der Entfremdung. Er bleibt bezogen auf eine herrschende Klasse oder Bürokratie. (Man denke an die Lehre vom Absterben des Staates und die damit 38

Cf. Kwants Kritik an der Einseitigkeit der Auslegung des Menschen als Praxis bei Sartre a.a.O. 675 f.

Die Klasse

123

gegebene Unsicherheit hinsichtlich der N a t u r des Rechts im Marxismus. Auch Sartre zeigt eine solche Vagheit des Rechtsbegriffs.) 38 .

3. Die Klasse Die verstehende Erschließung der Entfremdungsstrukturen muß noch zu weiterer Konkretion, aber damit auch zu weiterer Steigerung der Entfremdung fortgeführt werden, und zwar, wie wir schon wissen, im Bereich des Arbeitslebens. Nehmen wir die Untersuchung bei der schon betrachteten Struktur des Interesses wieder auf. In seiner Analyse des Interesses versuchte Sartre darzutun, daß die Konsequenz auf Arbeiter- und Eigentümerseite eine ganz verschiedene ist. Für die Eigentümer von Produktionsmitteln hat Sartre schon aus der Struktur des Marktes und der dort bestehenden Konkurrenz heraus die Möglichkeit, ihnen einen Status der Andersheit zu vindizieren. Andrerseits möchte er ein gemeinsames Interesse der Industriellen behaupten 40 : es gibt eine Solidarität unter ihnen, das Kapital ist sich seiner selbst bewußt. Diese Solidarität läßt sich motivieren durch eine auf der Arbeiterseite anzusetzende Kollektivbildung und eine Bedrohung durdi dies Kollektiv. Die Industriellen sind so eine Einheit, eine Klasse, aber eine Einheit in der Andersheit. Jeder hat auch ein individuelles, konkurrentielles Interesse. Ihre Einheit erhält diese Klasse durdi die Bewußtwerdung ihrer Opposition zur anderen Klasse, der der Arbeiter, gleichzeitig ist damit aber verbunden eine Andersheit ihrer Mitglieder untereinander. Der einzelne Industrielle ist auch je f ü r sich im Gegensatz zu Andern am Eigentum interessiert. Im Gegensatz dazu will Sartre den Arbeitern kein solches Eigeninteresse, sondern ein allgemeines Interesse vindizieren. Im Unterschied zu den Exponenten des Kapitals sind die Arbeiter in einer Objektposition; sie sind „Wir-Objekt" gegenüber dem Industriellen, und spezieller gegenüber der — von Marx her in die struturelle Anthropologie übernommenen — Gesetzmäßigkeit zunehmender Rationalisierung (also Entbehrlichkeit des einzelnen Arbeiters) und der auf das Reproduktionsminimum absinkenden Löhne. Sartre geht es darum, auf Arbeiterseite die Charakteristik einer Klasse herzuleiten durch konkretere Ausgestaltung der Bestimmung des „Wir-Objekts". Die Arbeiter sind den genannten Umständen gemeinsam konfrontiert, sie sind geeinigt durch ihr Schicksal. Es ist gewissermaßen die Wiederholung der Bedrohung durch die Knappheit im allgemeinen, nunmehr aber konkretisiert zur Bedrohung durch die unausweichliche Situation der Industriearbeit mit ihrer Gesetzlichkeit. Die durdi diese Situation 39

40

Cf. unten 148.

CRD 273 ff.

124

Die Entfremdungsstrukturen

geeinigten Arbeiter haben kein Interesse an der Maschine, und auch nidit an der bloßen „Negation" der Maschine, sondern ein Interesse, die Maschine als Schicksal zu negieren. Insofern haben die Arbeiter als Klasse ein Zukunftsinteresse, aber gerade darin ein ganz anderes als die Eigentümer es haben. Das Interesse des Eigentümers war zwar auch ein Klasseninteresse, aber doch auch konkurrentielles Eigeninteresse. Damit ist die Interessensituation der beiden Klassen noch einmal abgehoben: es soll nicht einfach so sein, daß auf Arbeiter- und Arbeitgeberseite bloße „Interessen" vorliegen, daß sich die Interessen gegenseitig stoßen und so Klassengegensätze entstehen, oder die Produktionsverhältnisse nur ein Vehikel der Vermittlung darstellen, dementsprechend sich der Konflikt der Interessen regelt. Sartre lehnt einesolche „irrationale" Auffassung des Interesses ab41; der Klassengegensatz ist vielmehr konstitutiv für ein Verständnis des Interesses auf Arbeiterseite; die Interessen sind also auf beiden Seiten heterogen. Es ist die Entfremdung innerhalb der Produktionsverhältnisse, die den Gegensatz des Interesses verständlich madit, nicht umgekehrt. Sartre will damit gegenüber Marx nichts materialiter Neues über das „Kapital" hinaus behaupten, ja nicht einmal einen Randkommentar dazu geben, sondern vielmehr in größerer Allgemeinheit und vor aller historischen Rekonstruktion — wie es dem Programm der strukturellen Anthropologie entspricht — aufzeigen, in welchen Bezügen der Praxis zur materiellen Umgebung ein rationales Fundament für die dialektische Erfahrung, wie Marx sie schildert, zu finden ist42. Der Gedanke eines „Schicksals" der Arbeiter in der Arbeitssituation ist ein etwas larmoyanter Ausdruck für ein weiteres Moment der Theorie: für die Erfahrung der Notwendigkeit. Der Mensch ist in keiner Weise mehr frei, sondern erfährt eine Notwendigkeit, und doch ist diese etwas von ihm Geleistetes, also nicht schlechthin Fremdes; sie läßt sich einsehen. Man muß hier allerdings die Unterscheidung machen zwischen dem Philosophen, der in der Theorie die Notwendigkeit einsieht, als Strukturmoment der Klasse, und den Mitgliedern der Klasse, die in der Situation stehen, von der Notwendigkeit ausgesagt wird. Sartre sieht selbst, daß die Bewußtwerdung unter den Arbeitern erst darzutun ist; sie wird ihrerseits als transzendentaler Schritt erscheinen. Die Notwendigkeit, die Sartre jetzt meint, ist als solche unterschieden von der Forderung, die schon beim Werkzeuggebrauch auftrat. Das Resultat der Handlung erweist sich jetzt als radikal anders; wenn es auch der Erwartung entspricht, ist es doch vom Handelnden nicht beabsichtigt43. Gerade in 41 48

43

C R D 277. C R D 276 f. Cf. oben 118, Anm. 36. Das Klasseninteresse auf Arbeiterseite ist für Sartre, wie für Marx, im Grunde Freiheitsinteresse, nicht bleibendes besonderes Klasseneigeninteresse. C R D 282; cf. oben 101.

Die Klasse

125

der Arbeitswelt, wo wir es mit vorgeformten Dingen innerhalb einer sozialen Organisation zu tun haben, wissen wir sehr wohl, was das Ergebnis unserer Handlung ist; die an früherer Stelle von Sartre aufgenommene, bei Hegel dargestellte Sachlage, derzufolge unsere Absicht auf Grund der anderen Gesetzlichkeit der Materie verkehrt wird und ein Unterschied besteht zwischen Absicht, die mit Erwartung verknüpft ist, und Erfolg, hat sich gewandelt: wir wissen im jetzigen Zusammenhang sehr wohl, was der Erfolg unserer Handlung ist, aber die Absicht entspricht dem nicht. Als Absicht wird jetzt von Sartre ein prinzipiell am Gedanken der Freiheit orientiertes Ziel unterstellt. Jeder Praxis wird existenzial-ontologisch, ohne kategoriale Weiterentwicklung zu einer sozialen Praxis und sozialen Absicht, eine absolute Freiheit als Grund unterstellt, und auf diese absolute Freiheit bezogen erweist sich die Praxis in der Arbeitssituation auf der jetzigen Höhe ihrer Entfaltung als „andere", als eine, die wir gar nicht beabsichtigen. (Es gibt nicht, wie bei Hegel, den Weg eines Denkfortschritts zur konkret-allgemeinen Freiheit.) Bezogen auf unsere absolute Freiheit sind wir absolut entfremdet. Für die pluralen Praxeis in der Arbeitssituation ist denn auch kein freiheitliches Ziel im Objektiven vorgegeben, so daß sie als nicht-entfremdete, kategorial zu Gemeinschaft heraufentwickelte, Freiheiten wären. (Es ist hier anzumerken, daß Hegel die plural gelingende Freiheit im Objekt als ein Verhältnis des objektiven Geistes und also wesentlich als Person-Person-Verhältnis, aufstellt. Für die — noch nicht „kategorial kongeniale" 44 — Konfrontation mit dem materiellen Objekt wird das Problem nicht auf plurale Freiheit hin diskutiert, sondern nur als duales Verhältnis von Subjekt und Objekt — z. B. bei der Behandlung der Arbeit in der Rechtsphilosophie, wo zwar auch ein Konkurrenzverhältnis zu anderen Personen hinzutritt, aber eben nicht plurale Konfrontation mit dem Objekt. Hier nun, wie wir schon gesehen haben, fügt Sartre eine eigne Stufe, die plurale Entfremdung als auf Freiheit hin zu diskutierende Konfrontation, ein.) Der Inhalt für die gemeinte Entfremdung wird beigestellt von der marxistisch gesehenen Situation des Industriearbeiters. Indem diese Situation aber auf das ontologische Prinzip der trägen Materie in ihrem Verhältnis zum Menschen zurückgeführt ist, von daher verstanden wird, ist zu fragen, inwiefern hier eine qualitativ neue Dimension erreicht ist. In gewisser Weise ist die Gesetzlichkeit der industriellen Produktion, indem diese auch der Marktgesetzlichkeit unterworfen ist, radikalisierte Gesetzlichkeit der Materie — man kann die ökonomischen Faktoren so auf die Materie uminterpretieren, das Ergebnis der Praxis erscheint als niemandes Wille. Doch die Beispiele, die Sartre in diesem Zusammenhang anführt45, sind wiederum die früheren — vom spanischen Gold, von der chinesischen Entwaldung — als 44

Cf. oben 85 und unten 188.

45

CRD 283 f.

126

Die Entfremdungsstrukturen

Beispiele für Praxis ohne Akteur. Sie verwischen wieder die qualitative Untersdiiedenheit der industriellen Situation, die eine Situation der Klasse sein soll, und sonstiges Betroffensein von Materie. Die Beispielsphäre der industriellen Situation ist im Grunde nur eine Konkretisierung eines ganz allgemeinen Gedankens der Entfremdung als bedingt durdi die Materie, so daß der Mensch in der sozialen Pluralität auf sich zurückkommt als Anderer. Die ontologische Verstehensbemühung ist vormarxistisch, indem sie nicht das spezifischere Phänomen der Ausbeutung im Auge hat, oder doch nur als eine Illustration beibringt, vielmehr auch durch Konfrontierung mit einer unmenschlichen Natur erfüllt sein kann. Die Entfremdung ist „ihrem Prinzip nach" nicht Notwendigkeit im signifikanten Sinn, sie ist ja nicht qua prinzipiell auch konkret unausweichlich: idi kann der Forderung etwa eines Werkzeugs oder der Natur aus dem Wege gehen. Notwendigkeit wird sie erst im Ausgeliefertsein an die Materie. Eine solche Unausweichlichkeit — als Höhepunkt einer theoretisch an ihr Ende verfolgten Entwicklung — soll nun aber in der Situation der Industriearbeiter vorliegen. Das Novum der Klasse ist gleichzeitig nur Steigerung in Konkretion; Sartre folgt einer „via eminentiae", von weniger schlimm zu schlimmer, so daß am Ende die völlige Unterworfenheit des Menschen unter die Materie und ihre Gesetzlichkeit steht. Die Konsequenz des Entfremdungsgedankens ist die Notwendigkeit als Gegenbegriff zur Freiheit. Dem realen Inhalt nach bedeutet die Notwendigkeit die Unausweichlichkeit des Schicksals der Arbeiter. Die inhaltliche Deutung entspricht Sartres Absicht, Anschluß an die Marxsche Theorie der Stadien der Industriegesellschaft zu gewinnen. Erkennen wir an, daß die Notwendigkeit als Unausweichlichkeit der Arbeitssituation auch in ihrem Inhalt ein systematisches Stadium und nicht eine beliebig illustrierbare Struktur ist, daß die Menschen in ihr und nur in ihr in einem eigentlichen Sinn ein „Sein" haben46, im Rückschlag von der Materie her „inert" sind47, so ergeben sich zwei zu diskutierende Themen: die nähere inhaltliche Analyse der Klasse, und der systematische Ort der Klasse in der Theorie, demzufolge sie nicht nur Endpunkt einer Verstehensbewegung, sondern auch Ausgangspunkt für ein transzendental verstehendes Weiterschreiten ist. Für die thematische Betrachtung der Klasse geht Sartre so vor, daß er den Duktus seiner systematischen Progression nach einigen monographischen Schilderungen unterbricht und ein Kapitel über Kollektive einschaltet, als deren letztes wieder die Klasse erscheint, nunmehr eingestellt in eine Reihe von loseren und engeren Strukturen der Andersheit, die jetzt prägnanter als Serialität ausgelegt wird. Dieser Begriff bezeichnet dasselbe wie der der Andersheit, wenn auch einige weitere Momente mitschwingen. Sartre defi" CRD 288, 290, 297, 302 ff. 47 CRD 288 und passim.

Die Klasse

127

niert die Serialität als „identité comme alterité" 49 . Sie ist, als bestimmt durch das jeweilige materielle Objekt, soziales Prinzip (raison sociale) der Trennung der Individuen 4 9 . Stärker als bei der Andersheit als solcher ist gedacht an ein Verweisungsphänomen, an eine Reihe, ein Nacheinander, das aber auf alle zurückwirkt 5 0 . Das Detail dieser Untersuchungen, das von der Konzeption der Serialität her erschlossen sein soll — über zufällige Ansammlungen, Schlangestehende an einer Haltestelle, den Markt, nicht miteinander kommunizierende Pluralitäten von Menschen als Radiohörern u. a. — ist eindrucksvoll, wenn auch die verschiedenen Formen von Kollektiven nidit eigentlich systematische Stufen, sondern unter dem Gesichtspunkt verschiedener Varianten von Entfremdung begrifflich geordnete Strukturen darstellen. Mit den ursprünglichen Prinzipien sind alle diese Strukturen möglich, die einzelne Struktur erscheint aber nicht durdi realdialektischen Übergang dargetane Verstehensvoraussetzung f ü r weitere, theoretisch relevante Strukturen. Unter unserem transzendentalen Gesichtspunkt können wir daher den größeren Teil dieses Kapitels übergehen und nehmen es erst dort wieder auf, wo Sartre zur Klasse zurückkehrt 5 1 . Für Zwecke nicht der Theorie im G a n zen, sondern als Beispiel der Praktizierung eines durch die Prinzipien eröffneten Verstehens, sind diese Untersuchungen Sartres jedoch beachtenswert. Die Klasse ist in ihrer grundsätzlichen Deutung ein soziales Gebilde von Individuen, die, als derselben Situation unterworfen, „lateral" auf einander bezogen sind, und zwar darin völlig von den Forderungen der Materie geprägt sind. Es fällt sofort auf, daß die Klasse so verstanden wird, als handle es sich um ein Arbeitsteam oder eine Belegschaft, die auch räumlich in Kommunikation miteinander steht. Gemeint ist aber, daß in einem größeren Rahmen, etwa dem des ganzen Landes, dieselbe Unausweichlichkeit besteht, ja durch sie erst die Unausweichlichkeit im Kleinen gegeben ist, daß also etwa eine Kündigung in einem unerträglichen Betrieb nichts nützte, da es

48 49 50

51

C R D 311. C R D 312. Der Begriff der Serie (série) findet sich schon bei Fourier und Proudhon (Hinweis bei Gurvitch, Dialectique et Sociologie 166), allerdings in ganz anderer Bedeutung. „Serie" bei Proudhon etwa bedeutet die Ordnung von Begriffen in einer dialektischen Progression (cf. De la création de l'Ordre Kap. III, besonders §§ 195-7, 268). S. dazu Marx, Deutsche Ideologie, Marx-Engels Werke (Dietz) 3, 519 und Brief an Annenkow, 1846, ebda. 27, 451 ff. Cf. unten 190. — Gurvitch, im Besitz seiner „heuristischen" Dialektik, moniert die Äquivokation, die im Begriff der Serialität liegt (a.a.O. 165 f.) und unterscheidet seinerseits verschiedene serielle Gebilde, die Sartre konfundiert. (Gurvitchs Kritik gilt damit allgemein dem Sartresdien Kollektivbegriff — ebda. 167 — und dem Begriff der Klasse). Er übersieht, daß der Begriff für Sartre eine transzendentale Konzeption ist, die nicht letzte Konkretion besitzt. C R D ab 344 (bis 358). Wir ziehen gewissermaßen eine realdialektische Linie von „Gestalten" durdi.

128

Die Entfremdungsstrukturen

anderswo genauso wäre, der Arbeiter aber an Lohnarbeit der betreffenden Art gebunden ist. Genauer handelt es sich aber nun darum, ob die Klasse eine ideelle Einheit ist, nadi der die Menschen nur einem selben Begriff, einer selben Charakteristik unterstehen, oder eine reelle, kommunizierende Einheit. Sartre neigt einerseits zu dem Gedanken einer ideellen Einheit 52 , denkt aber an einen Übergang, der dadurch gegeben ist, daß die Klasse sich als Milieu setzt, nämlich indem gewisse Reziprozitäten mit Arbeitskollegen bestehen, und zwar über den engeren Bereich der Kommunikation hinaus, etwa im ganzen Land. Es kommt zu einer Bewußtwerdung der Menschen als Mitgliedern der Klasse — als Wir-Objekt — und zu Reziprozitäten unter diesem Gesichtspunkt. Die Klasse nähert sich damit der reellen, kommunizierenden Einheit. Aber der Schritt dorthin ist nicht in einem weiteren graduellen Übergang zu denken, so daß schließlich die Klasse als Kollektiv zur Aktion schritte, sondern durch eine Gruppe von Akteuren. Eine solche Gruppe ist aber zunächst zum Scheitern verurteilt, solange nicht in den in ihrer Entfremdung einander angeglichenen, aber nicht aktiv solidarischen Arbeitern ein Bewußtsein ihrer Situation entsteht, eine Bewußtwerdung, die dann gewisse Reziprozitäten zwischen den Einzelnen als Bewußtgewordenen ermöglicht, als Milieu für das Entstehen einer Aktion. Sartre nimmt — an früherer Stelle53 — Gelegenheit, sich vom AnarchoSyndikalismus zu distanzieren, der sich hier, abstrakt verfremdet, nahezulegen scheint. Hier war ja an einen Zusammenschluß qualifizierter Arbeiter gedacht, der eine Aktion einleiten sollte. In Sartres Sicht führte diese Bewegung jedoch im Grunde zu einer Hierarchie innerhalb der Arbeiterklasse, einem „Rittertum", das selbst den Zwangscharakter der Materie widerspiegelt, nämlich die Differenzierung auf Arbeiterseite, die historisch durch gewisse Aspekte der maschinellen Produktion 54 entstanden gedacht wird. Indem die Aktionsgruppe selbst durch die inertia geprägt ist, bleibt sie im Rahmen der unerträglichen Situation: sie hebt sich als qualifizierte Arbeitergruppe von den Andern ab und macht diese so zu den Abgelehnten, Überzähligen, um deren Existenz willen die Situation unerträglich bleibt. Eine Humanisierung der Arbeit auf diesem Wege erscheint also nicht gangbar 55 . Was Sartre sucht, ist eine prinzipieller verstandene, in ihrer Transzendentalität für die Vielen wirksame Gruppenaktion, die aber — angesichts des 52

53 54

55

C R D 353: „Mais leur caractère commun d'être le produit de leur produit et de la société qui s'est organisée autour de ce produit, si clairement qu'il apparaisse à certains, ne peut établir entre eux qu'une identité abstraite et conceptuelle, à moins d'être vécu dans l'action". C R D 297-300. Sartre meint nicht eine grundsätzliche, sondern eine innerbetriebliche Arbeitsteilung, wie er sie sich durch nidit-spezialisierte Universalwerkzeugmaschinen zustandegekommen denkt ( C R D 295). Entsprechend würde Sartre auch das Angebot von Aufstiegschancen durch Erwerb zusätzlicher Qualifikation ablehnen, da es Überzählige schaffen würde.

Die Klasse

129

Ausgangsmilieus der Klasse — Aktion durch eine Minderheit sein muß. Insofern besteht in der inhaltlichen Suggestion eine Parallele zum Anarcho-Syndikalismus und zu russischen Revolutionstheoretikern. Die Aktion einer solchen Gruppe ist aber nun nicht a priori notwendige Herausentwicklung aus der Situation der Klasse der Existenz nach. Die Andersheit als „Sein" der Menschen in der Klasse ist nur flüchtiger Gegenstand des Bewußtseins, und nicht kollektives Selbstbewußtsein, das praktisch würde; erfahren wird nur eine Ohnmacht56. Der Übergang zur Aktion, der, wie wir nadi Früherem verstehen werden, gleichzeitig als zu fordernder quasi-geschiditlicher Übergang wie als transzendentale Stufe einer gelingenden solidarischen Kollektivität gemeint sein soll, ist nur angezeigt als Negation der Negation, als Uberschreiten des Unüberschreitbaren, des Schicksals57, aber wir sehen noch nicht, inwiefern hier eine verständliche Kontinuität im Rahmen der strukturellen Anthropologie, als realdialektischer Übergang, behauptet werden kann. Geleitet von einem unbefangenen ökonomischen Verständnis der industriellen Produktionsverhältnisse würde man annehmen, daß die Objektrolle der Arbeiter nicht prinzipiell ist, vielmehr sich ändert entweder mit einer etwa vorliegenden Knappheit an Arbeitskräften, also einem angespannten Arbeitsmarkt, oder, was auf dasselbe hinausläuft, durch einen organisatorischen Zusammenschluß, der das Potential der Arbeitnehmer als Monopol in Tarifverhandlungen zur Geltung bringt. Was für die Unbefangenheit des Ökonomen etwas theoretisch Unbefragtes, Selbstverständliches ist — die Bildung, ja das Immerschön-Vorhandensein von Organisationen der Klassen, also von Subjektivitäten der Klassen —, muß für Sartre in seiner Verständlichkeit erst gezeigt werden. Die Gruppe, als aktive Minderheit, die das Schicksal wendet, ist Prototyp für alle Organisation der Vielen, also auch für die Gewerkschaften; allerdings stellt Sartre das Verhältnis von Klasse und Gruppe gleich in eine marxistische Sicht ein. Ihn interessiert nicht eine vom Philosophen nachvollzogene Konkretisierung der Klasse, die in der Gruppe ihre Subjektivität besäße und so einen Organismus darstellte, als vom Philosophen verständlich gemachtes Thema der Soziologie. Der Zusammenschluß zu einer Gruppe ist für Sartre transzendental später — er hat sich aus den bisherigen Prinzipien nicht verstehen lassen —, aber die Gruppe ist als transzendentales Thema auch für sich zu nehmendes neues monographisches Thema, neue „Stufe", auf der die Seinseinheit mit der Klasse, ihre simultane Konkretion als Pluralität der Vielen, nicht im Blick ist. Dies erscheint als eine Konsequenz der transzendentalen Methode. Aber Sartre möchte in dieser transzendentalen Konsequenz auch die marxistische Auf-

56 57

Der Weg über die Facharbeiter erscheint Sartre denn auch historisch veraltet, da die Spezialmasdiinen eine Angleichung der Arbeiter als ungelernten bewirkt hätten. Für diese Masse müsse ein Wandel geschaffen werden können. C R D 374. C R D 357; 367.

130

Die Entfremdungsstrukturen

fassung „abbilden", daß die Entfremdung erst bis zu einer Spitze getrieben werden muß, von der aus ein Umschlag erfolgen soll. Er will beide Gedanken, das Verständlichwerden gelingender, nicht-entfremdeter Gemeinschaft (als Struktur im weitesten Sinn) und Verelendungstheorie verbinden, indem er ein Verstehen der Gruppe aus der Entfremdung oder Verelendung in der Klasse resultieren läßt. Statt zu einer soziologischen Konkretion — im Sinne einer organisierten Klasse und letztlich eines Pluralismus von sozialen Elementen — gelangt Sartre zu einer ganz andern Konkretion, der Gruppe als monographischem Thema, in dem Marxsche Gedanken von der neuen Gesellschaft mitschwingen. Mit dem Gesagten stehen wir schon mitten in einer transzendentalen Kritik. Versuchen wir, sie noch weiterzuführen. Es handelt sich an unserer Stelle um einen real-dialektischen, von der Praxis für die Praxis verständlich zu machenden Übergang zur pluralen Freiheit. Sartre weist diesen Ubergang an der Klassensituation der Arbeiter auf. Für diese Klasse, oder, dem Sein nach, einen Teil von ihr, denkt er sich einen Ubergang zu einem neuen Status, dem der Gruppe. Damit erscheint dieser Übergang angenähert an den geschichtlich sich vollziehenden Übergangs Marxens von der Verelendung und dem Klassenkampf zur sozialen Freiheit im Kommunismus, ein Übergang, der für Sartre jedoch nicht einfach gesetzlich und in toto abläuft, sondern Leistung der Praxis ist und von ihr aus verstanden werden muß. Das Marxsche Paradigma ist eine Veranschaulichung als — wenn auch wenig konkretisierter, unausgedachter — Realvorgang, ein suggestiver Inhalt; nach dem anthropologischen Grundgedanken handelt es sich um eine Struktur der Entfremdung, für die sogar die Klassensituation nur Beispielssphäre ist und die z. B. auch in der sozialistischen Industrieproduktion vorliegen könnte. Nach einer solchen prinzipiellen I.esart will Sartre mit der Theorie der Klasse und des sich anschließenden Übergangs ein transzendentales Theorem aufstellen, und zwar die Möglichkeit der Subjektivität, und damit Freiheit, einer sozialen Pluralität. Nur in einer Verstehensbewegung mit dem Duktus über absolute Entfremdung in der Materie soll Solidarität, Gemeinschaft, Ausgleidi von Freiheit und Pluralität als Möglichkeit, als Übergang für eine Praxis, aufweisbar sein. Wir werden damit wieder auf das Problem geführt, das wir schon als Problem der regressiven Methode58 betrachtet haben. Muß im Durchgang durch das soziale Gebilde der Arbeiterklasse alles Weitere erschlossen werden? Wenden wir uns noch einmal dieser Fragq zu. Die Einseitigkeit, die Arbeiterklasse als wesentliche, systematisch bedeutsame Struktur — nämlich als Ausgangspunkt für Strukturen pluraler Freiheit — zu wählen, erklärt sich aus der Auslegung des Menschen als Praxis im Verhältnis zur Materie. Sie war Anlaß zu einer Bewegung zu entfremdeter Arbeit und zur Klassensituation, während die sozialen Gegeninstanzen e

" Cf. oben 66, 112.

Die Klasse

131

im Horizont eines Ganzen sekundär blieben und freie Praxis als plurale noch keine Stelle hatte. Die Arbeiterklasse ist so zwar nur abstraktes Moment des Sozialen und nicht das Ganze, aber sie ist als Gestalt der existierenden Praxis auch konkret. Die real-dialektische, transzendentale Linie der Praxis läuft durch sie hindurch. Trotz ihrer Partikularität hat sie so grundsätzlichen Charakter, und so ist es für Sartre möglich, ihr einen Primat zu geben. Er bedeutet für ihn, daß die Marxsche Verelendungs- und Klassenkampftheorie in die transzendentale Verstehensbewegung eingefügt werden kann. Als exemplarische Konkretion der pluralen Praxis kommt so ein quasi-geschichtlidier Prozeß in die Theorie hinein. Die Verelendung erscheint als transzendentale Voraussetzung für weiteres, nidit in soziologischer Konkretion, sondern strukturell-anthropologisch Interessierendes, die aus der Klassensituation herausführende Gruppe als neue partikuläre Konkretion. Das transzendentale Verfahren Sartres, das sich an partikuläre Konkretionen der Praxis hält, schafft selbst die Suggestion, die er wünscht, indem er ja mit seiner Theorie Anschluß an den Marxismus gewinnen möchte. Die quasigesdiichtlidien Stadien der Verelendung und Emanzipation erscheinen aufgewertet zu systematischen Stadien, die auch konkret sind. Das Stadium der Klasse suggeriert in seiner Konkretion als Arbeiterklasse den Weg über Stadien der absoluten Unmenschlichkeit zur militanten Emanzipation. Dies ist nicht nur einfach gewaltsame Anlehnung an die marxistisch gedeutete Geschichte, sondern bewußte Nutzung der Suggestion, wie sie der Ansatz der transzendentalen Begründung bei der existierenden Praxis ermöglicht. Das hindert nicht — oder darin liegt gerade die Suggestion, die sich als Suggestion erweist —, daß nach vollzogenem Übergang ein neuer struktureller oder begrifflicher Standort erreicht ist, von dem aus ohne zwingende Weiterführung der geschichtlichen Suggestion, ohne Festhaltung derselben Wirklichkeit, die sich als konkrete zu entwickeln schien, weitergeschritten wird zu Formen nicht-entfremdeter Gemeinschaft. Die Verbindung des Späteren mit dem Früheren erscheint im Nachhinein als nur begrifflich vermittelt, oder als in einer strukturellen Genealogie stehend. Machen wir uns das zuletzt Gemeinte noch einmal an der Folie Hegels klar. In seiner Dialektik des Geistes findet sich, wie wir schon sahen59, ein Unterschied zwischen Entwicklungen innerhalb einer Sphäxe derselben Wirklichkeit (etwa Entwicklungen der Gesellschaft wie zunehmende Arbeitsteilung, Entstehen eines Proletariats, Auswanderung, Kolonisierung usw.) und einer begrifflichen, kategorialen Weiterführung (etwa des Übergangs von Gesellschaft zu Korporation und Staat). Bei den „Entwicklungen" in dem genannten Sinne zieht Hegel angesichts der gemeinten Wirklichkeitskontinuität historisches Material für die Verständlichkeit der Ubergänge heran; bei der begrifflichen Weiterführung, dem Übergang zur nächsten 58

Cf. oben 65.

132

Die Entfremdungsstrukturen

kategorialen Stufe, nidit; dieser ist vielmehr logisch gedacht. — Bei Sartre finden sich innerhalb des Bereichs der Entfremdungsstrukturen Steigerungen'0 von entfremdeter Arbeit über das Interesse zur Klasse (mit dem Einschub von begrifflich subsumierten Kollektiven, die nidit in einer Wirklichkeitskontinuität stehen müssen). Die Gruppe erscheint von der entfremdeten Klasse her selbst als eine Entwicklung der entfremdeten Klasse (nun gerade nicht nur als Steigerung, sondern vielmehr partielle Umstrukturierung), als ein exemplarisch real gedachter, realdialektischer Vorgang innerhalb der entfremdeten Klasse, als ein Übergang in Wirklichkeitskontinuität —, aber auf der neuen Ebene erscheint die Gruppe eben als neue Ebene, die nichts mehr zu tun haben muß mit dem Vorhergehenden, etwa mit der Arbeiterklasse, ihrem begrifflichen Gehalt wie ihrer mit der Gruppe simultanen pluralen Existenz nach. Eine neue begriffliche und strukturelle Konzeption ist erreicht, von der aus, teils in realdialektischen Übergängen mit der Suggestion der Wirklichkeitskontinuität, teils durch Strukturanalogien, weitergeschritten wird 61 . (Im Gegensatz zur Hegeischen Dialektik des Geistes, die am Ganzen orientiert ist, ist aber doch zu erwarten, daß die dem neuen Zyklus von Strukturen der Gruppe vorangehende partikuläre Wirklichkeit — die Arbeiterklasse — in ihrer konkreten Ausdeutung als terminus a quo auch den weiten Gang der Verstehensbewegung als partikulärer mitbestimmt und so, statt Illustration zu bleiben, zur maßgeblichen Basis wird. Die Sartresdie Sozialphilosophie wird Philosophie der Klasse und des Klassenkampfes sein.) Wir haben unser gegenwärtiges Problem von der Partikularität des Trägers der dialektischen Entwicklung her gesehen, die zu der neuen Struktur führen soll. Es bleibt aber die Frage, ob in dialektischer Grundsätzlichkeit Freiheit, Fürsichsein, Ganzheit, von Unfreiheit, Entfremdung, Partikularität, her erschlossen werden können ohne eine übergreifende Entelediie, wie sie Hegel besitzt. Wie läßt sich aus der absoluten Entfremdung, Unfreiheit, Undialektizität der Klasse ein Weiterschreiten als Duktus der verstehenden Dialektik aufzeigen? Was ist der Grund des Weiterschreitens? Bei Hegel ist es der Geist als übergreifendes Absolutes: Bei Sartre ist ein solcher Grund einerseits audi die dialektische Vernunft als Zielpunkt der Verstehensbewegung, andrerseits die Plausibilität einer Emanzipation von der unerträglichen Situation der Klasse, insofern ja auch die entfremdeten Mitglieder der Klasse Freiheiten sind. Die Einordnung in das Marxsche Schema soll eine quasigeschichtliche Plausibilität geben für etwas, das auch prinzipiell-anthropologisch verständlich sein soll. Wie wir noch bei der Behandlung der Gruppe sehen werden, besteht aber bei einem prinzipiellen Verständnis des Über80 41

Cf. oben 105 und unten 183. Zehm nennt die Übergänge „äußerlich", ohne daß es „zu einer realen SubjektObjekt-Dialektik" käme (Historisdie Vernunft 191).

Die Klasse

133

gangs von Entfremdung zu Freiheit eine Schwierigkeit, insofern der Übergang ja nicht nur in einer Verstehensbewegung des Philosophen folgen soll, sondern von den Einzelpraxeis getätigt gedacht werden muß, die ja gerade absolut entfremdet angesetzt worden sind. Wir verweisen hierfür auf das nächste Kapitel. Fragen wir nach dem inhaltlich differenten Gehalt, so ist ein wesentlicher Punkt die mit der Partikularität der transzendentalen Grundlage gegebene Konsequenz der Klassenverhaftetheit der Sozialphilosophie, aber auch des Menschen, wie ihn die Sozialphilosophie Sartres deutet. Aber wir stellen diese Konsequenz des transzendentalen Verfahrens zurück, bis wir den Gang der Verstehensbewegung weiterverfolgt haben62. Die Theorie der entfremdeten Klasse kann aber auch noch von einer anderen Seite inhaltlich beleuchtet werden. In Sartres Theorie der Entfremdung liegt eine These über das gesamte Arbeitsleben überhaupt, unabhängig von der Klassenthematik. Es ist kaum zu sehen, wie andere Produktionsverhältnisse, und das heißt ja Besitzverhältnisse, in Sachen Entfremdung einen Wandel schaffen würden, denn die Begründung für die Entfremdung ist letztlich nicht ökonomisch, sondern ontologisch-anthropologisch. Die ökonomische Ausbeutung der entfremdeten Klasse durch die andere Klasse ist ein illustratives Element. (Auf Grund der anthropologischen Analyse sind a fortiori andere Sozialauffassungen, die soziale Verhältnisse als Ausgleich von Freiheiten, von Interessen im Wirtschaftsleben sehen, oder auch Vertragstheorien im politischen Bereich — wohlgemerkt nidit im Sinne einer Zielvorstellung, sondern als Fundamentalanalyse — abgewiesen.) Die Frage der unausweichlichen Entfremdung im Arbeitsleben, die Sartre als konstitutiv für die Arbeiterklasse hält, wird audi später, im Zusammenhang mit der freien Gruppe — wenn sie von bloßer Aktion zur Konsolidierung zurückgekehrt sein wird —, kaum mehr thematisch behandelt, und so liegt hier ein Verdikt Sartres über die industrielle Arbeit überhaupt vor, das gegenüber Marx wie auch gegenüber dem üblichen Verständnis different ist. Sartre scheint sich der Tragweite dieser negativen Konsequenz nicht bewußt geworden zu sein. Vermutlich zeitigt für ihn eine Emanzipation der Arbeiterklasse (als menschliches Ereignis) auch in Sachen Arbeit die erwünschten positiven Folgen, ohne daß dies gezeigt wird. Weiter müssen wir, wenn wir nach inhaltlich Differentem fragen, bei Sartre eine transzendental bedingte Entscheidung zwischen Marxscher und anardio-syndikalistischer Auffassung der Emanzipation von der Entfremdung erwarten, vorausgesetzt, daß wir den exemplarischen Charakter der strukturellen Anthropologie für die Gesdiichte anerkennen. Gegenüber der Vagheit, die wir bei Marx in der Frage der Emanzipation der Arbeiterklasse finden93, der Unentsdiiedenheit hinsiditlidi eines gesamt62 63

Cf. unten 171 ff. Cf. Die Heilige Familie, Marx-Engels Werke (Dietz) 2, 37 f.; Kapital I, ebda. 23, 790 f.: „ . . . wächst die Masse des Elends, des Drucks . . . aber auch die Em-

134

Die Entfremdungsstrukturen

haften oder minderheitlichen Vorgangs, erscheint Sartre, wie wir schon andeuteten, anarcho-syndikalistischen Auffassungen näher, die die Emanzipation durch eine konkret umschriebene Minderheit fordern. Dieser These kommt Sartres ontologisch-anthropologische Position entgegen, für die eine Umwandlung der Verhältnisse von der Einzelpraxis aus verständlich gemacht werden muß, wenn er auch die These, daß das Heil vom Proletariat kommt, mit Marx teilt' 4 . Eine gesamthafte plötzliche Umwandlung der Klasse ist nicht von der Einzelpraxis aus verständlich, die Klasse kann nicht als ganze Selbstbewußtsein gewinnen; das wäre nur ein abstrakter Gedanke, der die Utopie in zu einfacher Weise vorwegnimmt. Aber wir sind vorausgeeilt. Wir haben zunächst den durch eine Minderheit bewirkt gedachten Umschlag als Ausgangspunkt für eine Theorie von nicht-entfremdeter Gemeinschaft, die sich von der historischen Suggestion wieder entfernt, zu betrachten. Die Exposition von sozialen Strukturen ist noch nicht abgeschlossen; sie weist vielmehr final über das bisher Dargetane hinaus: es gibt für Sartre nicht-entfremdete, gelingende Sozialität. Ihre ganz grundsätzliche Möglichkeit ist jetzt die Verstehensaufgabe. Hinzukommt das Verstehen konkreterer, entfalteterer Formen solcher Sozialität. Wir erwarten, daß sie teils mitbestimmt sein werden von der Vorzugsstellung der Arbeitswelt und der Klassensituation, teils aber auch anderen Gesellschaftsstrukturen gerecht werden müssen, soll doch in dem jetzt zu betrachtenden Zyklus die soziale Konkretion erreicht werden.

pörung der . . . vereinten (sie) und organisierten Arbeiterklasse. Das Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise . . . Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert". M a r x stellt sich hier nicht die Frage nach der verständlichen minderheitlichen oder gesamthaften Genese und erst recht nicht die der transzendentalen Begründung der Emanzipation. Unter dieser Aufgabenstellung ist allerdings bei Sartre eine Entscheidung zwischen Anarcho-Syndikalismus und pragmatischen Revolutionsrezepten russischer Observanz, als konkreteren Auffassungen, schwerlich zu treffen. M

Cf. Versuche, Marxens Position hierzu zu differenzieren, bei Habermas, Philos. Rundschau V (1957) 165-235 und Zehm, Historische Vernunft 183 f.

VI. Gelingende Sozialität: die Gruppe 1. Die Gruppe als Prinzip Die Gruppe hat nach dem Bisherigen ihren systematischen Ort als Ausbruch aus der Klassenverhaftetheit, die am Ende des Entfremdungszyklus stand; sie trägt inhaltliche Züge, die sich mit dem Marxismus und AnarchoSyndikalismus berühren und an eine von dorther bestimmte Weiterführung denken lassen. Aber das neue Gebilde ist zunächst als Prinzip zu betrachten: es ist eine „Gestalt" 1 von Gemeinschaft, in der plurale Freiheit möglich ist. Diese Möglichkeit ist mit den bisherigen Prinzipien nicht dargetan. Man könnte auf die Reziprozität verweisen, in der die einzelnen auf einander Bezogenen doch auch ihre Freiheit behalten. Aber hier sind mehrere Freiheiten, nicht plurale Freiheit. Die Entfremdungsstrukturen haben Einheitsstrukturen zum Vorschein gebracht, hinter die Sartre nicht mehr zurückgehen will, über die er vielmehr zu einem neuen Typ von pluraler Freiheit hinausschreiten möchte. In der Verstehensbewegung haben also die Entfremdungsstrukturen die Stelle einer Differenzstufe inne, die plurale, aber „entsubjektivierte" Einheiten beibrachte. Sie müssen gemäß einer Finalität der dialektischen Vernunft wieder zu Subjektivität und Freiheit geführt werden. Die Erschließung pluraler Einheiten soll nicht wieder aufgegeben, und doch muß auch die Einzelfreiheit wieder restituiert werden, die in den entfremdeten Einheitsstrukturen zugrundegegangen war. Die theoretische Sachlage ist so verwandt mit Hegels Opposition von Gesellschaft als Differenzstufe und dem Staat als Gestalt der Freiheit, aber auch wiederum völlig verschieden, insofern der dialektische „Nominalismus", von dem oben die Rede war, erhalten bleiben muß in der pluralen Freiheit als höherer Einheit. Wir können die Gruppe als etwas Ereignishafles fassen: hier werden nicht weitere Prägungen einer Vielheit von Menschen durch die Materie — als pervertierte Rückkehr ihrer Praxis auf sie selbst — verfolgt, vielmehr wird eine gemeinschaftliche, aber eben freie Initiative gesetzt. Die Gruppe muß „passieren". Sartre spricht, wenn er die Gruppe in ihrer Prinzipiengestalt meint, von „groupe en fusion" 2 . Somit müssen wir die Gruppe zunächst in ihrem flüssigen Zustand betrachten, denn das ist sie selbst. 1 1

Cf. Anm. 1, 69 oben. C R D 391 und passim. Die Darstellung der Gruppe ab 384; s. besonders 397-410; 417-420; 506-518.

136

Gelingende Sozialität: die Gruppe

Sartre denkt sich, daß eine Gefahr — das Schicksal des Arbeiters, aber man merkt schnell, daß er etwas Allgemeineres im Auge hat; zur Illustrierung eignet sich besonders gut die Situation, in der sich der vierte Stand am Beginn der französischen Revolution befand, womit eine Klassensituation und eine allgemeine Gefahr der Bedrängung oder Unterdrückung gleichermaßen gemeint sind — eine Änderung des entfremdeten Kollektivs hervorruft: die Gefahr macht den Einzelnen des Kollektivs zum Betroffenen, nur er kann ja erleben und erfahren. Er bezieht sie auf sich und wird damit aus seiner Andersheit den Andern gegenüber gelöst, wird Freiheit, die betroffen ist, wird „Dritter" gegenüber den Anderen, die er in der Relation der Reziprozität und Andersheit konjugiert sieht3. (Dritter ist er, insoweit die Pluralität der Andern pränumerisch durch eine Dualität erfüllt ist.) Im Fall der bisherigen Entfremdungsstrukturen konjugierte der Dritte die Andern zum Kollektivobjekt und verstand sie von ihrem Ziel her, das von seinem Ziel verschieden sein konnte 4 . Hier aber, in der Gefahr von außen — die ein Besonderes sein muß gegenüber der „normalen" Gegenfinalität der Materie — hat der Dritte dasselbe Ziel wie die Andern, es gibt ein gemeinsames Ziel: die Totalität Aller ist schon gegeben durch die Alle konfrontierenden materiellen Umstände oder eine andere Gruppe, die das Kollektiv mit Vernichtung bedroht. Der Einzelne kann seine Rettung nicht von der der Andern unterscheiden. Er kann zwar als Dritter die Vielheit der Andern in seinem Handlungsfeld überschreiten auf seine Ziele, er einigt die Andern — etwa die Bewohner des bedrohten Quartiers — als bedrohte Ganzheit und kann dazu Stellung nehmen, aber andrerseits ist er selbst Glied der bedrohten Ganzheit — die für sich eine andersheitliche, serielle ist; er ist als Bewohner des Quartiers serielles Glied, von Panik ergriffen, weil er sich angesichts der Vielheit nicht retten kann. Sartre sieht hier einen Widerspruch: der Dritte — und jeder ist Dritter, jeder hat seinen Ausblick auf die Andern — ist aktiver Entwurf, Überschreiten des Gegebenen in Reaktion auf die allen gemeinsame Gefahr, und serielles Mitglied des Kollektivs. Sartre denkt sich nun den Ausweg hieraus — daß es einen Ausweg gibt, muß transzendental in einer finalen Dialektik verstanden werden, erscheint aber hier als faktische Leistung der Einzelnen — in der Aktion. Zunächst ist unter der Gefahr jeder mit dem Andern in Serialität koordiniert — Sartre denkt an Panik und Flucht als gegenseitig ansteckende psychische Reaktionen —, aber soweit jeder nicht nur Anderer und den Andern Angeglichener ist — letzteres ist eine vage, in der Analyse der Klasse schon wieder angebahnte Reziprozitätsbeziehung —, sondern auch Dritter ist, 5

4

C R D 398 : „ . . . le danger commun . . . arradie chacun à son Être-Autre en tant qu'il est un tiers par rapport à une entière constellation de réciprocités . . . il libère la relation ternaire comme libre réalité interindividuelle, comme rapport humain immédiat". Cf. C R D 187 ff., 193 f., 195 ff.

Die Gruppe als Prinzip

137

organisiert er die ihn umgebende Konstellation, gibt ihr einen „totalisierenden freien Sinn" 5 . Es „kommt" zur gemeinsamen Aktion. Der Dritte ist damit nicht mehr einer, der die Menge von außen einigt, er gehört ja seriell mit dazu und imitiert die Andern. Der Dritte wird aber auch nicht nur serielles Glied, denn von ihm aus orientiert erfolgt ja die Einigung und er ist ja für sich ausgesondert durch das Auf-Sidi-Selbst-Beziehen der Gefahr. Aber die Einheit, die er den Andern gibt, „be-deutet" ihn selbst: sie gibt ihm seine Aufgabe vor; er eignet sich eine gemeinsame Aufgabe zu. Jeder will nun in sich seine Serialität auflösen zugunsten einer freien gemeinsamen Aktivität. Der Dritte sieht die gemeinsame Aktion als etwas an, das durch seine Praxis als organisierenden Akt, der also ein Ziel hat, geregelt sein muß. Der Dritte ist Souverän, Organisator, ist „regelnder Dritter" (tiers régulateur)8. Er ist transzendenter Einiger und immanenter Zugehöriger. Diese Analyse läßt es offen, wer denn nun als Dritter zum Zuge kommt als regelnder Dritter. Es ist eine Möglichkeit für jeden, die sich faktisch entscheidet. Die Genesis der Gruppe — die nicht nur einen genetischen, sondern vor allem einen transzendentalen Aspekt hat — muß also auch gezeigt werden für den, der nicht zum Zuge kommt, sondern sich einem Dritten als Befehlendem fügt, von ihm integriert wird, genauer: der nicht als Dritter, sondern als Objekt für den Dritten betrachtet wird. Wir sehen die Notwendigkeit, verschiedene Formen von Strukturbeziehungen der sich bildenden Gruppe zu diskutieren, wie Sartre es seinerseits tut 7 . Die Gruppe ist ein Objekt für mich als Subjekt, aber ich bin auch Teil; sie ist eine Art Subjekt, deren Objekt ich bin. Ich habe eine Gruppenexistenz, nicht hat die Gruppe eine überidhliche Existenz. Es besteht eine Reziprozität von Quasi-Subjekt und Quasi-Objekt in beiden Richtungen, es ist eine vermittelte Reziprozität. Sie ist nicht darstellbar als Zweier-Beziehung (von Einzelnem und Gemeinschaft oder Menge), sondern nur als Dreier-Beziehung. Ich sehe die Gruppe als meine gemeinschaftliche Realität und gleichzeitig als Vermittlung zwischen mir und jedem andern Dritten. Jeder hat in den Andern Reziprozitäten vor sich, und ich habe die Andern als Dritte, die alle Anderen, inklusive mich selbst, als Reziprozität vor sich haben. Die Beziehung der Dritten zueinander ist damit Reziprozität und nicht Andersheit. Die Dritten gehören zu den Reziprozitäten, die sie vor sich haben und die ja von einem andern Dritten als sie einbegreifend erfahren werden können. Im übrigen ist die Gruppe praktisches Milieu im Blick auf die gemeinsame Aufgabe. Es handelt sich um eine vermittelte Reziprozität, dargestellt durch das Doppelverhältnis des Dritten, das Doppelverhältnis der Gruppe und die auslösende Funktion der Gefahr. In einer Hinsicht vermittelt die Gruppe die Dritten, 5 0 7

C R D 4 0 1 : „un libre sens totalisant". C R D 430. Zum folgenden s. C R D 403-9.

138

Gelingende Sozialität: die Gruppe

Alle als Dritte 8 , in der andern Hinsicht vermittelt der jeweilige Dritte Gruppe und andere Dritte 9 . Der von einem Dritten der Gruppe integrierte Einzelne steht in einer Beziehung der Innerlichkeit (lien d'intériorité) mit der Gruppe durch den Dritten. Die Konkretion der Vermittlung bleibt offen: sie ist im Prinzip „rotierend" (totalisation tournante 10 ), die jeweilige Rolle des Einzelnen kann jedodi faktisch ausarten zu einem tyrannischen Festhalten an seinem Posten als Anführer oder zu einem Sich-der-Verantwortung-Entziehen. Es besteht in der Gruppe auf Grund ihrer nicht institutionell artikulierten Pluralität eine Spannung. Dies Modell einer gelingenden Einheit von Freiheiten ist ein Novum der Theorie11. Wir haben es bis jetzt mit der Gruppe im Werden (groupe en fusion) zu tun: gerade angesichts der bloß unmittelbaren Beziehung der Einzelnen zueinander, oder richtiger, angesichts der zwar vermittelten Reziprozität von nur unmittelbar als Einzelne in die Struktur eingehenden Einzelnen ist die Gruppe nur im „Schmelzzustand", im Werden, in statu nascendi. Sie ist eine „unité tournante des synthèses", eine „totalisation tournante et perpétuellement en cours" 12 . Aber sie ist audi Prinzip für weitere, stabilisierte Formen von Gemeinschaft. Es stellt sidi also das Problem, die Gruppe in ihrer ursprünglichen Gestalt als werdende Gruppe, oder dies neue Prinzip an ihm selbst, auf seine Einsichtigkeit hin zu betrachten und womöglich einer transzendentalen Kritik zu unterwerfen, bevor wir seine Funktion für Weiteres verfolgen. Die Gruppe ist einerseits transzendental motiviert durch ihre Stelle in der Verstehensbewegung als ganzer, andrerseits steht ontologisdo im Vordergrund die Gruppe als ein plurales Ereignis, motiviert durch eine Gefahr, die einen kritischen Punkt übersteigt. Danach kommt es auf das Faktum an, daß jemand als Dritter eine Einigung der Andern vornimmt, sich betroffen weiß, während die Andern genauso ihre Andern einigen. Dies Faktum ist strukturell explizierbar. Die Struktur der werdenden Gruppe muß, so wahr es sich um lauter einzelne Freiheiten handelt, die zunächst noch entfremdet sind, die Einzelnen als Einzelne belassen und doch ihre Konjunktion zeigen. In dieser Konjunktion sind für den Einzelnen die Andern in einer Gemeinsamkeit des Entwurfs — im Erfolgen und in der Zielrichtung — Bedingung, ohne daß eine kategoriale Einordnung in eine neue Einheit angegeben werden könnte. Es geht auch nicht um eine totalisierende Prägung der Einzelnen durch die Materie, allgemein: durch ein für alle gemeinsames Außenverhält8 9

10 11

12

C R D 404-8, bes. 405, Beispiel von den zur Gruppe Hinzutretenden. C R D 408-10, bes. 408, Beispiel des Dritten, der durch einen Dritten einen Befehl bekommt. C R D 411. Dies trotz des Hinweises H . Mayers auf v. Wieses Beziehungssoziologie (a.a.O. 148) und Litts Buch „Individuum und Gemeinschaft". C R D 411.

Die Gruppe als Prinzip

139

nis. Eine solche Instanz konjugiert Menschen nur als Objekte, nur in der Entfremdung. Hier gälte die Logik der Andersheit oder Serialität, nach der jeder unter den Status aller Andern subsumiert wird. Auch geht es nicht um bloße Reziprozität, bei der es genügte, daß jeweils der Eine den Andern als Freiheit anerkannte, aber es keiner Konjunktion, keiner Gemeinsamkeit des Entwurfs, bedurfte; vielmehr reichte es, daß von jedem dem Andern Rechnung getragen wurde. Gemeinsame Aktion ist demgegenüber etwas Neues. Die Kontingenz der gemeinsamen Aktion scheint hier Bedingung der Struktur zu sein, eine potenzierte Faktizität, eine Ausrichtung der Entwürfe, die sich Sartre durch die vorangehende Situation, die Gefahr und das Schicksal als Verbindendes, vorbereitet und motiviert denkt. Der Ereignischarakter ist hier Ausdruck der nicht durch Prinzipien herzuleitenden, sondern selbst ein Prinzip ausmachenden Konjunktion. Aber kann man Ereignis verstehen, oder nur Strukturf Oder beides nicht? Als Struktur ist die Konjunktion explizierbar als plural konstituierte Dialektik, als „dialectique constituée". Die Gruppe ist Objekt, geleistet von den „dialectiques constituantes" Vieler, und doch ist dies Objekt verinnerlidit von Allen in einer ereignishaften Konjunktion. Es muß uns jetzt um das Verstehbare daran gehen, und wäre das nicht nur die Struktur? Die Struktur der Gruppe mit ihren Substrukturen, Beziehungen und Vermittlungen, ist zu verstehen als Inbegriff von Bedingungen der gemeinschaftlichen Aktion, aber diese Bedingungen sind nicht zureichende Bedingungen, solange wir die Einzelne ontologisch als absolute nehmen. Mit der Struktur ist eine abstrakte Beschreibung gegeben, die zutreffen mag, wenn eine Aktion zustandekommt. Die Struktur ist ein Beziehungsgefüge, das die Einzelnen als seiende Bezugspunkte oder Relate berücksichtigt. Aber gerade als seiende sind die Einzelnen nicht Gemeinschaft. Die in der Struktur zusammengefaßten Bezüge sind die Form, aber sie lassen an ihnen selbst das Novum der Gruppe nicht verstehen, sind nicht der Grund für es. Was wäre der Grund für dies Novum? Dies wäre die Frage nach der Einsichtigkeit eines Prinzips, das einerseits noch der Einsichtigmachung bedarf, andrerseits selbst Prinzip ist. Ist der Grund in den separaten Entschlüssen einzelner Freiheiten zu suchen, die irgendwie in einer prästabilierten oder eben gerade nicht prästabilierten, rein zufälligen Harmonie stehen? Die Strukturbeschreibung kann die Arrangements zeigen, in die die einzelnen Freiheiten sich einordnen, wenn es soetwas wie Gruppe gibt. Aber was ist der Grund dafür? Es hieß, daß hier mehr erfordert sei als eine Struktur, daß eine gemeinsame Ausrichtung und ein gemeinsames Erfolgen der Entwürfe Vieler verlangt werde; daß dies geschieht, ist eben Ereignis und nicht strukturell zu zeigen, so wahr die Einzelnen selbständige Subjekte sind und nur als solche, unmittelbare gefaßt werden. Wir müssen uns hier aber vor einer genetischen Fragestellung hüten. Die Philosophie braucht nicht das Zustandekommen zu

140

Gelingende Sozialität: die Gruppe

begründen, sondern sie muß in unserem Fall soziale Gebilde verstehen oder begründen. Wenn die Gruppe als ein soziales Gebilde verstanden werden soll, heißt das nicht, daß ein Realgrund für ihr Zustandekommen gegeben werden soll. Aber wie wir sehen, ist auch eine Strukturbesdireibung als solche nicht das Gesuchte, da sie die Einzelnen als Seiende in Beziehung setzt und so gerade getrennt läßt. Das kategoriale Denken möchte das Novum der Gruppe zurückbeziehen auf sdion verstandene soziale Gebilde bzw. schon begründete Kategorien, so daß sie in einer transzendentalen Genealogie stünde und diese Genealogie fortsetzte. Wir wären befriedigt, so scheint es, wenn es einen „logischen" Übergang von Kategorie zu Kategorie gäbe, die Begründung also innerhalb von Begriffen des Sozialen spielte. Ein erneuter Blick auf eine diesem letzteren Desiderat entsprechenden Position — Hegels Philosophie des Geistes oder näher seine Rechtsphilosophie — ist vielleicht lehrreich. Ein beliebiges Sozialgebilde wird danach als Kategorie gefaßt: die Familie, die Gesellschaft, die Korporation — wir würden heute vielleicht sagen, der Interessenverband, auch die Gewerkschaften würden sidh hierunter subsumieren lassen —, der Staat. Die Fassung durch eine Kategorie — einen Allgemeinbegriff, der eine Prinzipiendeutung für Einzelnes bereithält und in einer Prinzipienverwandtschaft mit anderen und früheren begründenden Prinzipien steht — macht aus dem, wofür sie steht, eine Einheit, sieht es als Einheit. Wenn es sich um eine soziale Pluralität handelt, so wird eben diese als Seinseinheit begriffen; ihre Glieder sind „Momente" der Einheit. Ein solches kategoriales Begreifen ist nicht falsch; im Gegenteil, es ermöglidit ein Begreifen von soetwas wie sozialer Pluralität, soweit sie eine Charakteristik hat, eben Einheit ist. Aber eine soziale Pluralität ist eben immer auch Uneinheit, und das kann die Kategorie nur unter dem begrifflichen Motto des Moments, als integrierenden, daher für sich Unselbständigen, fassen. Die Schwierigkeit ist nicht die Falschheit, sondern die Isolierung der durch die Kategorie gefaßten Einheit vom übrigen Wirklichen. Man kann nun nämlich die Beziehung der Einheit zu ihren Momenten nur von der Einheit her begreifen; nicht begreifen kann man, wie sich diese Einheit verhält zu den sie dem Sein nach konstituierenden, auch an ihnen selbst bestehenden Wirklichkeiten oder zu Wirklichkeiten, die diese Einheit noch nicht aufweisen, aber — in einer Bewegung, einer faktischen Genesis, oder auch in einem exemplarischen Ubergang der Begründung — als in eine solche Einheit eingehend gedacht werden. Man kann also die Interdependenz nicht begreifen, noch wie die Einheit „von unten" gesetzt wird. Ein klassisches Beispiel hierzu ist Hegels Theorie von Gesellschaft und, Staat. Auf der Ebene des Staates etwa kann man nicht mehr begreifen, wie der Antagonismus zwischen Staat und Gesellschaft (als geringerer Integrationsform, die ja innerhalb des Staates besteht) beschaffen ist. Oder, in der Gesellschaft kann man nicht begreifen, wie ein Teil der Gesell-

Die Gruppe als Prinzip

141

schaft, ein Interessenverband etwa, der seiner Integrationsstufe nach höher steht als die Gesellschaft ihrer Kategorie nach, also schon Vorgeschmack des Staates ist dem Einheitstyp nach — simultan in der Gesellschaft steht und diese beeinflußt, in Reflexionsbestimmung mit anderen Elementen der Gesellschaft steht. Noch, schließlich, kann man begreifen, daß die Gesellschaft das „Sein" des Staates ist, seiner Konstituierung wie seiner Unterhaltung nach, oder, daß die Struktur der Gesellschaft für die jeweilige Struktur einen Unterschied macht. Diesem Mangel des kategorialen Denkens in der sozialen Sphäre steht der Vorteil gegenüber, daß die Kategorien untereinander in einer Beziehung der begrifflichen Abfolge stehen. Es gibt eine logische Bewegung — die Dialektik — von der einen zur anderen (etwa von Gesellschaft über Korporation zu Staat). Hier wäre, wenn wir den Fall auf Sartres Gruppe anwendeten, eine Notwendigkeit für die Gruppe als soziales Gebilde gezeigt; nicht, wie Menschen sie ereignishaft bilden, aber daß und wie sie eine Form der sozialen Pluralität ist, und zwar eine „gelingende", dem Menschen als Geistwesen gemäße oder im Vergleich zu anderen Formen gemäßere. Ein kategoriales Denken ist von Sartre in seiner Verstehensbewegung immer irgendwie mitgemeint. So finden wir einen Fortschritt der Begründung in den bisher behandelten sozialen Strukturen, wenn er auch immer als realdialektischer gemeint war, von der Praxis her verständlich erscheinen mußte. So verständlich gemachte Strukturen ordneten sich jeweils in eine Ordnung der Begründung ein. Die realdialektische Auffassung des Verstehensfortschritts gelangt aber bei der Gruppe zu einer Paradoxie, denn nach Sartres ontologischem Standpunkt ist der Mensch als einzelner absolut13. Er ist so nicht in höhere, seinem Begriff nach analoge Kategorien einzuordnen, sondern ist das absolute und einzig selbständige Seiende des sozialen Bereichs. Sartre spricht, wie wir schon früher sahen von einem dialektischen Nominalismus. (Auch hatten wir schon Gelegenheit, die Schwierigkeit dieser Position zu erörtern. So müßte ihr auch eine partikuläre Fassung des jeweiligen sozialen Gebildes selbst — als simultan mit anderen als koexistierenden — entsprechen, was wiederum mit der transzendentalen Verstehensbewegung in Konflikt steht. Wir sahen das Problem oben im Zusammenhang mit der Klassendifferenz.) Umgekehrt sieht Sartre ein kategoriales Verständnis sozialer Gebilde als die These, daß (etwa) die Gruppe ein überindividueller Organismus als Seinseinheit sei, was er interpretiert als plato nische Idee, die sich in individuierten Objekten inkarniere14. Das lehnt er ab. 13

14

Audi die Struktur der Reziprozität macht hier keine Ausnahme; sie blieb als Einheit eine Paradoxie. Cf. oben 85. C R D 5 0 7 ; cf. auch 381. — Wir sehen, daß Sartres Verständnis des Kategorialen nicht am transzendentalen Problem orientiert ist, sondern am Idealismus-Vroblem (cf. C R D 108; 527 und oben 49), wobei der Idealismus Gegenposition zu

142

Gelingende Sozialität: die Gruppe

Und doch scheint es gerade wieder eine kategoriale These zu sein, wenn er meint, der Einzelne könne die Gruppe nicht verstehen, wenn sie von einer andern Ordnung wäre; vielmehr sei sie der Einzelpraxis „homogen" 15 . Wir stehen vor einem Dilemma: ein kategoriales Verständnis überspielt die Existenz des Prinzips der Praxis in den Einzelnen; eine Strukturbeschreibung läßt die Einzelnen gerade als seiende Einzelne intakt und mag so Bedingungen der Gemeinschaft aufzeigen, läßt aber die Gemeinschaft nicht verstehen; die Betonung des Ereignishaften der Gruppe als Aktion schließlich legt den Akzent auf das zur Struktur hinzukommende Kontingente, ist aber als solches nicht Gegenstand des Verstehens. Sartres Lösung, zu der wir nach unserer apagogischen Problematisierung zurückkehren, die wir jetzt aber expliziter verstehen, ist eine Verbindung der Elemente des Dilemmas. Er gibt einmal Strukturbeziehungen zwischen Einzelpraxeis an. Wesentlich ist dabei die Rotation oder Verwechselbarkeit der Rollen der Einzelnen als Unterpfand der Einheit. Es wird damit eine Seinseinheit von Subjekt-Einzelnem und Objekt-Einzelnem nahegelegt. Zum anderen ist sein Hauptgedanke, daß die plurale Einheit eine Einheit der Handlung ist und nicht eine des Seins. Dies erscheint zunächst als der negative Gedanke, daß Handlung nicht Sein ist und es daher nicht gegen die Absolutheit der Einzelpraxeis „verstößt", wenn sie in ihren Handlungen geeinigt sind. Aber damit ist auch positiv eine Einheit darstellbar, eben die Einheit der gemeinschaftlichen Aktion. Die Aktion ist so nicht nur Ereignis, sondern, indem sie Zusammenklang von Praxeis ist, wird auch das Ziel der Handlungen wesentliches Moment für die Einheit. Im Ziel, wie auch in der Ausgangssituation, gibt es eine Gemeinsamkeit, die für die pluralen Handlungen verständlich ist. Die Einzelnen wollen dasselbe, insofern sie in gleichartiger Situation stehen, insofern sie in Abstraktion gleichartig, d. h. Freiheiten sind und als Ziel die Freiheit wollen. Damit ist eine Verallgemeinerung des einzelnen Ereignisses zu einer allgemeinen „Gestalt", als Möglichkeit des Ereignisses, gegeben. Es besteht ein Junktim von Handlung, Ziel, Situation und Struktur in einer Gestalt. Was halten wir von dieser Lösung unter transzendentalem Gesichtspunkt? Die Vereinigung von Einzelnen als Praxeis soll möglich sein, insofern die Vereinigung von Praxeis ontologisdi nicht gegen die Absolutheit der Einzelnen verstößt; die Vereinigung tangiert ihr Sein als Fürsichsein nicht, ist insofern ideell, Zusammenklang —, andrerseits, weil die Einzelnen sich auf dasselbe Ziel ausrichten. Diese Identität des Ziels ist plausibel gemacht durch dieselbe Situation und dieselbe Negation der Situation. Zwar ist dies Ziel

15

seinem nominalistischen Verständnis der Ontologie ist. Daß bei diesem Verständnis das kategoriale Desiderat a fortiori wegfallen muß, ist klar. So erklärt sich auch eine gewisse, oben schon berührte Naivität gegenüber transzendentalen Fragestellungen, so sehr er selbst auch wiederum transzendental denkt. C R D 509.

Die Gruppe als Prinzip

143

faktisdi von den Einzelnen urgiert, aber Sartre setzt die konkrete Überwindung der Bedrohung durch die Situation mit dem prinzipiellen Ziel der Freiheitsgewinnung gleich. Die Dialektik erscheint als Ereignis konkreter Individuen und somit als nicht final, als Sidi-Absetzen von einer Situation, und doch im prinzipiellen Verständnis eingeordnet in eine finale Bewegung. Das Novum liegt in der Realdialektik, also näher darin, daß ein Reales — ein Aggregat von Einzelnen — eine Finalität der Handlung imputiert erhält. In Hegels Dialektik war Finalität nur darstellbar als Bewegung von Kategorie zu Kategorie (wenn wir auch schon gesehen haben, daß innerhalb einer Stufe — etwa der Gesellschaft — eine real erscheinende Bewegung in Wirklichkeitskontinuität gedacht ist). Die Finalität ist vom kategorialen Fortschritt nach einer Architektonik der qualitativen Prinzipien geleitet. Sartre muß dagegen die Möglichkeit der Einheit der Praxis als Gruppe auch als ontologische — nicht final-kategoriale — Möglichkeit zeigen. Dies Zeigen ist nur plausibel, nicht zwingend. Gleichzeitig muß sich dies ontologisdi plausible Gebilde in eine finale Verstehensbewegung einordnen. Man kann also leicht die von Sartre gemeinte Dialektik auseinandernehmen in eine Gruppe „qua" ontologisch plausibel und in eine Gruppe „qua" Stufe in einer Verstehensbewegung. Aber damit sondern wir das, was er als zusammengehörig ansieht. Diese Zusammengehörigkeit ist das Verstehensinstrument einer nicht-reinen Theorie, mit ihrer schon in die Prinzipien verlegten, transzendental-ontologisch gedachten Beziehung von Sein und Denken, die Erschließungsfunktion haben soll. Das damit konstituierte Novum der Gruppe ist so zwar nicht streng begründet — kategorial begründet —, aber verständlich gemacht. Die Gruppe ist eine Gestalt, ein eignes Prinzip, das für Praxis durchsichtig ist, dessen Gründe wir jedoch als Bestandsstücke einer Einheit nur in Einheit würdigen dürfen. Das Prinzip ist trotz der in der Struktur der Gruppe wiederkehrenden früheren Prinzipien irreduzibel. Diese losere Form der Herleitung in einer Verstehensbewegung hat theoretisch gesehen den Nachteil des Nicht-Zwingenden, aber — einmal abgesehen davon, daß sie der Art nach die einzig mögliche Lehre von Gemeinschaft auf der Grundlage der absoluten Einzelperson zu sein scheint — den Vorteil, daß sie die Gruppe nicht in Isolierung dastehen läßt, wie eine kategoriale Theorie es täte. Sie ist in Beziehung zu setzen mit der sozialen Wirklichkeit. Die Theorie kann „verstehen", wie eine Gruppe sich bildet, wie Nicht-Gruppierte in eine Gruppe eingehen, und ist so eine nahe bei der Realität bleibende Lehre. „Verstehen" heißt hier natürlich wiederum, nach einem Prinzip, dem Prinzip der Praxis oder Freiheit, verstehen — die Gruppe ist „brusque résurrection de la liberté" 19 —, nach dem, was wir das menschliche Sinngesetz nannten; aber Sartre enthält sich der kategorialen 16

CRD 425.

144

Gelingende Sozialität: die Gruppe

Entfaltung des Prinzips. Das Prinzip bleibt abstrakt. Es verführt somit, als nicht zum Abschluß des Absoluten gelangende Theorie, nicht zu einer Metaphysik, oder zu der These, daß dialektische Notwendigkeit in Form einer geschichtlichen Notwendigkeit vorläge. Audi für die Prinzipiierung der Geschichte ist ein letztlich nur abstrakt-vernünftiges Sinngesetz leitend 17 . Innerhalb der strukturellen Anthropologie gestattet das Prinzip die Disposition einer Verstehensbewegung zu höheren Konstituten, ist somit methodisches Prinzip; die Konstitute sollen aber praktisch-plurale Kontingenzen sein. Sartre bedient sich der Prinzip-Prinzipiat-Beziehung, aber die Prinzipiate sind ontologisch immer Aggregate von Selbständigen. In der Entfremdung können sie als inerte Einheiten begriffen werden, in der Gruppe müssen sie aber als einander konfrontierende und sich im Werden ausgleichende Entwürfe, als Zusammenklang von Freiheiten als Praxeis, verstanden werden. Der Zusammenklang ist ein „Sich-Machen" von Einheit, die dem Prinzip der Freiheit entspricht, durch viele Freiheiten, aber es gibt keine kategoriale Dialektik, wonach die Einheit der Freiheit, das neue Prinzip, Resultat einer Entwicklung in Stufen des Geistes wäre. Ablehnung der Seinseinheit der Gruppe und Ablehnung der kategorialen Dialektik bedingen sich. Es bleibt so einerseits ein Konflikt von kategorialem und transzendental-ontologischem Denken, aber umgekehrt kann man sagen, beide seien eine Synthese, oder vielleicht eben nur einen Kompromiß, der ein Dilemma überbrücken soll, eingegangen. Auch in Sartres Gruppe wird der Einzelne als „Moment" verstanden, nur ist das nicht ontologisch, dem Sein nach, der Fall, denn er bleibt Einzelner, sondern dem dialektischen Sinngesetz nach, denn er ist als agens der „dialectique constituante" Moment der „dialectique constituée". Daher ist die Gruppe auch Einheit, aber sie ist nicht Seinseinheit, nicht Totalität, sondern praktische Einheit, gemeinsame Totalisierung.

2. Die Stabilisierung der Gruppe als sozialen

Gebildes

Wir haben die Gruppe als Prinzip und auch schon in einer Konkretion, als Aktion, als werdende Gruppe, betrachtet. In diesem Doppelcharakter ist sie nun als neuer Ausgangspunkt einer Verstehensbewegung zu weiteren Gebilden zu nehmen. Verfolgen wir die ersten Schritte dieser Bewegung. Sartre gibt zunächst gewisse plausible Präzisierungen, die sich aus der Berücksichtigung äußerer Umstände ergeben. Die Gruppe, die in einem gemeinsamen Projekt engagiert ist, enthält in sich die Anweisung zu einer gewissen Differenzierung. In der Beispielsituation einer werdenden Gruppe, die einen Kampf zu bestehen hat — Sartre denkt an das Vorspiel zur Erstürmung der Bastille —, kümmern sich die Einen etwa um die Soldaten, 17

Cf. unten 183, 195 f.

Die Stabilisierung der Gruppe als sozialen Gebildes

145

die das aufrührerische Quartier angreifen, die Andern um die Polizisten, die ihrerseits gegen die Bewohner vorgehen18. Diese Differenzierung als Andersheit der Einen gegenüber den Andern ist zunächst mit der Gruppe als Gemeinschaft vereinbar, da die Differenzierung Mittel für das gemeinsame Ziel ist. Überhaupt hat die Gruppe quantitative Züge, aber soweit ihre Mächtigkeit Mittel ist für ihr Projekt, ist dies Quantitative verinnerlidit und so Charakteristik der Gruppe. Der methodisch einfachste Fall des Verlaufs einer Gruppenaktion wäre der Sieg, das Vollbringen des Projekts. Das Erreichte — etwa die Erstürmung der Bastille — ist die objektive Realität der Gruppe 19 . Die Gruppe wendet gegen das verhaßte Objekt, den Gegner, seine Materialisation usw., Gewalt an — es ist Gewalt gegen die Notwendigkeit —, aber audi gegen ihre eignen Mitglieder, soweit diese nicht mitmachen20. Die Gruppe muß sich ja je nadi der Lage der Umstände differenzieren, und das heißt auch, sich reorganisieren (remaniement). Sie muß sich daher genauso gegen Mitglieder wenden, die dem gemeinsamen Ziel, das die Reorganisation und den bestimmten Einsatz Bestimmter verlangt, zuwiderhandeln, aus Eigenwillen Andere der Anderen sind. Die Gewalt nach innen erscheint jetzt prinzipienmäßig gedeutet als Verhinderung des Wiedererscheinens der Serialität, der schlechten, entfremdeten Kollektivstruktur. Hier ist der systematische Ort — der in größerer Differenzierung später wiederkehren wird —, wo Sartre den Konflikt von Freiheit und Gewalt behandelt. Er beeilt sich zu sagen, daß Freiheit als Souveränität der Einzelpraxis nicht Gewalt sei21. Aber die Freiheit, die unter der Ägide der Notwendigkeit aufsteht, muß die der Freiheit abgestorbenen Freiheiten22 unbarmherzig vernichten, eben durch Gewalt. Man kann hier sagen, es handle sich nodi um die Gruppe als revolutionäre Gruppe, wo nichts anders zu erwarten sei. Wir müssen den Fall noch einmal betrachten dort, wo zivilere Verhältnisse als Beispielssphäre heranzuziehen sind. Aber die jetzt behandelte Struktur hat Prinzipiencharakter für weitere differenziertere Formen, und antizipierend kann man schon jetzt feststellen, daß Sartres Theorie der Gruppe Gewalt rechtfertigt im Namen des Ziels der Gruppe, das zunächst revolutionäre Wiederherstellung der Freiheit sein soll, aber in konkreteren und komplexeren Sachlagen kein kategoriales Novum aufweist, das die Orientierung an einem absoluten Freiheitsbegriff überführte in eine Rechtsordnung. Insofern wird Gewalt immer im Namen der Freiheit gerechtfertigt sein, da sie konfrontiert ist mit dem, was angesichts des absoluten Freiheitsbegriffs Unfreiheit ist. 18 19 20 21 22

CRD 422. CRD 422 f. CRD 428. CRD 429. ebda.: „libertés ensévelies dans la nécessité pratico-inerte".

Gelingende Sozialität: die Gruppe

146

Indem die Gruppe ständige Reorganisation ist, um ihren Zielen zu entsprechen, ist sie im Sinne einer Präventivmaßnahme auch Terror23, um die Einordnung der Einzelnen angesichts des Zieles zu erzwingen. Dieser Terror wird durchaus noch als Gesamtleistung der Gruppe und nicht als die eines in eigennütziger Weise Handelnden verstanden. Wir sehen die Folie für diese Strukturen: die Gefahr für die Gruppe ist der Rückfall in die Andersheit, in die Kollektivstruktur, womit sie wieder zerfallen wäre. Aber eine Gefahr, die mit diesem Zerfall verwandt ist, ergibt sich auch aus der Tatsache, daß die Gruppe (im methodologisch einfachsten Fall) mit ihrem Projekt zu einem Ende kommt — die Bastille ist erstürmt — und nach Wegfall ihrer Daseinsberechtigung auseinandergeht (dispersion). Im Gegensatz dazu kann die Gruppe versuchen, Gruppe zu bleiben, sidi Dauer zu geben24. Die Gefahr, die ihr hier droht, wird die sein, daß die Gruppe jetzt ein inertes „Sein" bekommt, anstatt im Werden Konjunktion von Praxeis zu sein. Diese systematisch ausgezeichnete Möglichkeit haben wir jetzt zu betrachten. Die Gruppe kann mit ihrem erreichten Ziel nicht viel anfangen. In der schon genannten Beispielsituation: die Leute, die die Bastille erstürmt haben, können sie am nächsten Sonntag wieder besuchen und sich ihrer als Objekt vergewissern, aber eine Dringlichkeit, zusammenbleiben, besteht nicht. Die Gruppe erfährt eine Spannung, die ihr Bestehen bedroht, in der die Einzelnen absinken zu Einzelnen, und das Gemeinsame nur noch im Objektiven, etwa in der Bastille als Monument für die seinerzeitige Gemeinschaftsleistung, seine Stelle hat. Sartre meint nun, daß das Überleben der Gruppe jetzt zum Ziel wird: die Gruppe wird Reflexion auf sich, das Uberleben wird für sie gemeinsames Ziel, sie setzt sich selbst als unmittelbares Ziel25. Als Grund, weshalb die Gruppe zusammenbleiben will, ließe sich geltend machen, daß das Fertigsein nur empirisch ist, Freiheit aber immer einen Anwalt haben muß; und so setzt Sartre denn auch als Ziel den „Endsieg" (victoire complète)28. Was er hier also impliziert, ist eine Finalität, die über die einzelne Gruppe in ihrem Hier und Jetzt hinausgeht. Die Gruppe ist nicht nur eine empirische Einzelaktion, sondern eine quasi-geschichtliche Struktur, die aus sich, unter Annahme einer vom Sinngesetz des Menschen her gegebenen Finalität, weitere Ausgestaltungen der Freiheit entwickeln will. Die Finalität ist streng genommen jedoch noch vor aller Geschichte eine der Verstehensbewegung, die von der Gruppe als Aktion überleitet zu sozialen Gebilden, die, indem sie Dauer besitzen, weitere Strukturen eröffnen. Interessant im Verhältnis zu entsprechenden Hegeischen Gedanken einer Reflexion der Gesellschaft auf sich selbst — in der Rechtspflege, in der Polizei, in der Korporation — ist die Einbeziehung der Zeit in die 23

CRD CRD « CRD " CRD M

428. 435. 437. 438.

Die Stabilisierung der Gruppe als sozialen Gebildes

147

Reflexion bei Sartre — ein bedeutsamer Punkt. Hier liegt, abgesehen von der Pluralität, eine weitere Differenz zum kategorialen Denken: soziale Strukturen sind anders auf Grund ihrer zeitlichen Reflexion, als rein kategorial entwickelte Gebilde es wären. Hegels Staat z. B. hat strukturell keine Anweisung auf Dauer: wenn die Organizität gefährdet wäre, besäße der Hegeische Staat keine Möglichkeit, sich gegen diese Gefährdung zu versichern. Die Reflexion der Gruppe auf sich als Korrektiv gegen Auflösung berücksichtigt diesen Mangel. Die Struktur erscheint als different auf Grund des Erfordernisses der Dauer. Dies Ziel der Gruppe, zu überleben, ist nun in sich widersprüchlich, denn es bedeutet, daß die Gruppe inertes Sein hätte und dennoch freie Praxis bliebe. Die Organisation wird jetzt ja irgendwie präexistierende Grundlage für mögliche Akte und Verwandlungen. Die Freiheit muß inerte Synthese sein. In der Trennung der Einzelnen im Warten auf einen möglichen Einsatz müssen sie, die Einzelnen, doch Gruppe sein, oder: die Gruppe muß präexistierender Akteur sein für den Fall des Einsatzes. Die Aufgabe ist dann, den Verdacht der Sezession Einzelner, obwohl gar nichts zu tun ist, zu beseitigen, die Sezession zu verhindern. Es muß eine freie und doch inerte, „seiende" Dauer der Gemeinschaft „erfunden" werden: die Freiheit macht sich zur Praxis, ihre eigne inertia zu gründen. Diese Praxis und der dadurch gegebene neue Status ist der Eid!27. Wiederum gilt, daß die neue Gestalt, der Eid, hier nicht nur konkretes Thema, Zeremonie im heutigen Beamtenalltag oder der Rütlischwur ist, sondern konkret zu substituierendes Thema und grundsätzliches, strukturelles Novum, durch das die Gruppe sich Dauer geben will (serment originel), als notwendiger Ubergang von einer unmittelbaren Form zur reflexiven. Der Eid ist eine „praktische Erfindung" (invention pratique) der Gruppe, und zwar insofern, als sie sich ein Mittel erfindet, die Finalität zu bewahren: sie will zusammenbleiben, sie ist Reflexion auf sich, muß aus sich selbst heraus ihre Finalität als Reflexion auf sich setzen. Sie ist nicht unmittelbar von außen mehr bedroht, so daß sie nur gleichsam in Reaktion auf Äußeres ihre Freiheit, ihre Aktion, setzte; vielmehr muß jetzt das Ausbleiben ihrer Entwurfsfinalität, das Aufhören, als Gefahr auftreten. Die Gruppe ist sich selbst Gefahrensmoment, und der Eid ist ein Selbstgemachtes, eine Erfindung der Gruppe, um der Furcht zu steuern, daß ihre Identität und Finalität als Freiheit aufhören könnte. Die Furcht in der Reflexion der Gruppe auf sich selbst ist also das auslösende Moment des Eides. Der Eid kann nun bestimmt werden als ein Verhalten, in dem die Zukunft als Auseinandergehen der Gruppe ihr als Unmöglichkeit erscheint und der Gruppe somit sie selbst als unüberschreitbares Ziel vorgestellt wird. " CRD 439-59.

148

Gelingende Sozialität: die Gruppe

Im Eid schwören sich die Mitglieder der Gruppe die Nicht-Veränderung in der Zukunft 88 . Der Eid ist somit als gemeinschaftliche und Gemeinschaft konstituierende Praxis gemeint. In der Deutung als Maßnahme in der Reflexion der Gruppe auf sich selbst ist das Verhalten der Mitglieder der Gruppe, auf einer höheren — die ursprüngliche Gruppenzusammengehörigkeit schon voraussetzenden — Ebene, analog dem ursprünglichen Zusammentreten der Gruppe, nur daß die Gefahr, auf die sie antwortet, ihr eignes Aufhören ist. Ganz analog also stehen im Eid Menschen spontan zusammen. Es handelt sich nicht um einen „contrat social"29, wo Menschen in der Serialität stehen und sich als serielle einigen. Der Eid hat also die Struktur, daß ein Dritter das Ziel angibt und andere Dritte mitreißt, daß jeder sich von der Handlung des Andern bestimmen läßt wie bei der werdenden Gruppe. Zum Eid gehört so für Sartre keine transzendente Instanz — etwa Gott als zum Zeugen Anzurufender —, sondern er ist die Satzung des Menschen als absolute Macht des Menschen über den Menschen30. In einer religiösen Gemeinschaft kann Gott allerdings an die Stelle einer immanenten, zwischen Menschen allein spielenden Integration treten 31 . Das Verhalten der Gruppe im Eid hat nun sichtlich dieselbe Verständlichkeit wie die werdende Gruppe. So finden wir auch das Zwangsmoment wieder, das diese hatte. Der Eid ist verständlich als „Wiederentdeckung und Bekräftigung der Gewalt", die die Gruppe zu einer statutarischen Struktur der gemeinsamen Beziehungen macht32. Der Eid gibt den Andern das Recht — hier tritt dieser Begriff zum ersten Mal thematisch auf 33 , wobei Sartre sich selbst fragt, ob diese Stelle nicht noch verfrüht sei —, wenn ich Verrat übe, Gewalt gegen mich anzuwenden. Der Eid ist Garantie, aber Garantie heißt, daß Gewalt angewendet werden darf, wenn sie durchbrochen wird. Wiederum schafft dies Recht in mir und jedem einen Schrecken, einen Terror, als Verinnerlichung. Ich erlebe die Gruppe als Forderung, und im Eide übernimmt die Freiheit aus freien Stücken den Terror, die Angst vor der Verletzung der gegebenen Garantie 34 . Sartre betont also mehr das Zwangsmoment als das genossenschaftliche, das er aber auch geltend macht (fraternité) 35 . 28 29 30 31

32

33 34 35

CRD 440 f. CRD 439. CRD 449. CRD 450. Cf. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Köln, Kiepenheuer & Witsch, 1964) I, 513 f. (urwüchsige Statuskontrakte). CRD 449: „ . . . rédécouverte et affirmation de la violence comme structure diffuse du groupe en fusión et de ce qu'il la transforme ráílexivement en structure statutaire des relations communes". CRD 456-8. Cf. Max Webers „magische Selbstverfludiung" als Garantie, a.a.O. 566. CRD 453.

Die Stabilisierung der Gruppe als sozialen Gebildes

149

Sartres Lehre vom Eid zeigt in glücklicher Weise sein allgemeines Verfahren, durch eine konkret-suggestive Struktur etwas ganz Grundsätzliches, für weitere konkrete Gebilde Passendes, Erhellendes zum Ausdruck zu bringen. Der Eid ist seinerseits schon eine Wiederholung, das Prinzipiat eines Ursprünglicheren, der werdenden Gruppe. Die vereidigte Gruppe (groupe assermente) ist, wie man mit Hegel sagen könnte, die Gruppe als „gesetzte", die ihre Struktur als instabile mit ihrer kontingenten Existenz ausgeglichen hat. Entsprechend kehren Momente wie der Terror als „gesetzte" wieder. Der unmittelbare Terror der werdenden Gruppe ist jetzt statutarisdi. Für eine transzendentale Betrachtung des Sartreschen Verfahrens erscheint im jetzigen Zusammenhang maßgebend das Prinzip der Gruppe und die nunmehr plurale, gemeinschaftliche Reflexion, die früher als Verinnerlichung ein Moment der Praxis als Einzelpraxis war. Die Gruppe verinnerlicht gemeinsam ihre Gefahr. Damit ist sie selbst ein Gesetztes gegenüber ihrer Umwelt. Die hier (in der Vermeidung des eignen Aufhörens) schon vorausgesetzte Finalität der Gruppe ist von der dialektischen Vernunft der Verstehensbewegung her gedacht: die Gruppe erscheint als stabilisiert und somit bereit zu einer sozialen Existenz in ihrer Welt. Gerade die Gefahr — oder das Oppositum — besteht in allgemeiner Weise in der Umwelt fort als Außenverhältnis, dem gegenüber die Gruppe sidi zu bewähren hat, Orientierungszentrum einer Verstehensbewegung ist. Man kann so aber zum Duktus der Entwicklung im einzelnen kritisch sagen, daß die Stufe der Reflexion der Gruppe auf sich im Eid auf Grund der Gefahr ihres eignen Aufhörens künstlich ist, insofern zunächst das Oppositum konkret als einzelnes Aktionsziel angesetzt war, und durch Ubergang zu einer Stabilisierung der Gruppe gegenüber einer möglichen Gefahr erst die Ebene der grundsätzlicheren Opposition von Gruppe und Umwelt gewonnen wird. Wiederum hat dies Verfahren einen nominalistischen Zug, vom Einzelfall, der ganz konkreten Existenz in Abstraktion gefaßt, zum Allgemeinen, der Struktur, zu gehen, und auch einen transzendentalen Zug, der auf der subjektiven Finalität beharrt. Transzendental gesehen entwickelt sich die Gruppe „intern", das Außenverhältnis ist nicht als kategorial Bestimmtes für ihre eigne Bestimmung konstitutiv. In Reflexion auf sich selbst bestimmt sie sich®8. Für das transzendentale Verständnis der Gestalt der vereidigten Gruppe bei Sartre mag ein kurzer Blick auf Max Webers stärker inhaltliches Verständnis angebracht sein. Weber geht von einer Entwicklung von Ursprünglicherem zu Komplexerem aus und findet rückschreitend jeweils ursprünglichere, „urwüchsigere" Formen zu entwickelteren. So ist der Eid eine frühe, noch sakrale Form des Kontraktes, ein Statuskontrakt, und zwar „früh" 30

Cf. unten 154.

150

Gelingende Sozialität: die Gruppe

als bezogen auf ein voll entfaltetes Recht in einer voll entfalteten Wirtschaft und Gesellschaft, indem etwa Statuskontrakte in einem Übergang auch zur Sanktion von Zweckkontrakten dienten, die dann die herrschende Form werden". Im übrigen lief die Entwicklung in der historisch eruierbaren Weise, und zwar mit einer gewissen Plausibilität angesichts der Ausweitung des Marktes, der Entwicklung der Geldwirtschaft, des Obligationenrechts usw. Was den Statuskontrakt selbst angeht, so kann Max Weber ihn eigentlich nur durch das Moment des Sakralen vom Sozialkontrakt unterscheiden. Damit sehen wir einen wesentlichen Unterschied zu Sartre. Sartre will etwas anderes: er will die Verständlichkeit einer sozialen, genossenschaftlichen Struktur in Allgemeinheit zeigen. Das Stehen des Menschen in Gemeinschaft wird durch ein Institut, den Eid, allererst konstituiert, und zwar wird die Verständlichkeit des Instituts selbst Thema der Bemühung. Damit verbleibt Sartre zwar in einer Abstraktion, die jedoch durch Illustration beliebig konkretisiert werden kann und auch in einer Systematik fortläuft, im Gegensatz zu Max Weber, der frühe, aber schon bestimmte Formen (etwa Kontrakte) durchführt, nicht als transzendentalen Grund für Weiteres, sondern in einer Folge zunehmender Komplexität und Entfaltung „als" Rechtsinstitut, „als" Wirtschaftsform, „als" Herrschaftsform. So wird auch die für Weber typische, ethnologisch beeinflußte Entwicklung von einem sakralen zu einem säkularisierten Institut bei Sartre abgelehnt. Im Gegenteil, die sakrale Ordnung ist später, nicht historisch, sondern systematisch später. Eine sakrale Form ist ein Spezielleres gegenüber einem Allgemeineren, wenn Sartre auch seiner allgemeinen Konzeption metaphorisch gewisse sakrale Züge verleiht 38 . Im Grunde ist Sartres Konzeption abstrakt-sozial und weniger an Konstituten des objektiven Geistes als geistigen Konstituten (etwa Rechtsinstituten) orientiert 39 , wogegen es bei Weber z. B. eine Rechtssoziologie gibt. Wenn es hieß, daß Sartres Konzeption „abstrakt-sozial" sei, so bedeutet das, daß die Gestalt der vereidigten Gruppe wiederum neutral ist gegen den Inhalt: der Eid soll freies Engagement der Freiheiten sein; der Bezugspunkt ist, wie wir das schon bei der werdenden Gruppe sahen, eine absolute Freiheit. Der Einzelne nimmt eine Unfreiheit der Freiheit wegen auf sich, einer Freiheit wegen, die nur absolut, abstrakt, nicht kategorial — als Freiheit wozu, als Gestalt des objektiven Geistes — umschrieben ist. Insofern paßt die Analyse auch auf ungute Verpflichtungen, soweit, daß der Einzelne möglicherweise frei zustimmt, seine freie Persönlichkeit liquidieren

«7 a.a.O. 513 f. ss Hierauf weist Kwant (a.a.O. 666) hin. " Sartre möchte hier nichts ausschalten — cf. seine Ausführungen zur Kultur C R D 144 f. —, aber die Theorie bleibt bei formaler Einsiditigmachung.

Die Konkretion der Gruppe

151

zu lassen40. Wir fragen uns daher wieder, ob sich hier Bestimmtheit noch wird einführen lassen, so daß etwa klar wird, in welchen Fällen die Liquidation der Einzelfreiheit doch gegen das Interesse „der" Freiheit wäre und sehen voraus, daß Sartre keine Möglichkeit haben wird, das darzutun. Schon von hier aus ist eine Antizipation auf seine Lehre von Gesellschaft und Staat möglich.

3. Die Konkretion

der

Gruppe

Die Gruppe hat in Sartres Verstehensbewegung einen neuen Status bekommen, sie ist ein Existierendes, Stabiles, Dauerndes. In ihr gibt es jetzt anstelle der Seinscharakteristik der Andersheit oder Serialität die soziale Beziehung der Brüderlichkeit als stabilen Zustand, der einhergeht mit einem protojuridischen Zustand. Auf dieser Ebene wird nun die Gruppe als Beständiges, das sich weiter differenziert und interne Strukturen hat, sidi organisiert und reorganisiert, darstellbar41. Auf dem jetzt einzuschlagenden Weg zu größerer Konkretion ergibt sich zunächst die konkretere Fassung des Eides selbst: es handelt sich nicht immer und normalerweise um einen Entschluß; oft geht es nur um ein Hineinwachsen in eine Gruppe durch Geburt, oder sonst durch stillschweigende Übernahme einer Zugehörigkeit (serment second)41. Das Zur-FreiheitVerurteilt-Sein, von dem in EN die Rede war, ist jetzt eine konkretere Struktur des Einzelnen, ein Immer-Schon-zur-Gruppenzugehörigkeit-Verurteilt-Sein. Viele Ordnungen und Spielregeln lassen sich so als ein „sekundärer Eid" auffassen: eine ethnologisch so vielfach zu belegende komplizierte Heiratsordnung, die Regeln eines Fußballspiels und die damit gegebenen Rollen, die jedes Mitglied der Elf hat usw. Mit der prinzipiell verständlich gemachten Sanktion einer differenzierten Ordnung ist so eine Struktur der Gruppe dargetan4*. Gemeint ist eine festere Bestimmtheit: mit der Abgrenzung verschiedener Rollen der Mitglieder gibt es eine gegenseitige Bedingtheit durch Äußerlichkeit innerhalb der Freiheit in der Gruppe, eine inerte Charakteristik. Diese wird von den Mitgliedern als Bedingung der Freiheit der Gruppe unterhalten44. Es besteht somit ein Konflikt von freier Zugehörigkeit zur Gruppe und Notwendigkeit. Die Charakteristik, die der Gruppe so zukommt, ist nicht „praktisch-träge" (pratico-inerte, passive Aktivität), sondern gleichsam CRD 450, 456. Cf. die frühere Fragestellung oben 36 und 145. Cf. ferner Kwant, a.a.O. 668. 4 1 Die wichtigsten Stellen CRD 487 ff., 491-3, 543-9, 553-61, 563-73, 581-6. » CRD 491-3. 4S CRD 487 ff. 44 CRD 494 f.

40

152

Gelingende Sozialität: die Gruppe

deren Umkehrung, eine „aktive Passivität", eine Disziplin, in die man frei einwilligt. Es gibt hier freie Reziprozität und doch auch inertia — etwa die Reziprozität, die im Entgegennehmen von Befehlen liegt. Genauer lassen sich drei Aspekte der strukturierten Gruppe abheben: die konkrete Praxis, die Verhältnisse innerhalb der Gruppe von Macht und Terror bzw. von Recht und Pflicht, und schließlich die inerte Struktur, als formales Skelett dieser Verhältnisse. Mit der Strukturiertheit gibt es jetzt eine Verbindlichkeit von Kadern und Organisatoren, die im Willen der Gruppe beschlossen und anerkannt sind, eine Befehlsordnung, die als formales Gerüst aufzuzeigen ist. Dennoch ist die Gruppe nicht Totalität, sondern Totalisierung, eine „objectivation en cours", ein Auf-ein-Ziel-Losgehen, ein Verwirklichen — ihre Latenz in der Beschäfbigungslosigkeit, die zum Eid führte, war nur systematisches Stadium —, sie ist Subjekt, und wird entsprechend von innen, aus ihrer Subjektperspektive betrachtet. Als Subjektivität hat sie innerhalb ihrer selbst eine Dialektik von Freiheit und inertia. Diese ist nidit einfach schlechte Verfestigung, nicht einfach Grenze der Freiheit, sondern audi Grund der Macht. Die Gruppe in ihrer inneren Objektivität (objectivité interne) bietet, als Anders-Sein gegenüber dem Einzelnen, diesem Schutz und Freiheit, und existiert als organisierte Macht45. Dabei ist die inertia noch der Gruppe immanent, beruht auf der Einheit des Zusammenschlusses, auf einem Eid. Der Zusammenschluß im einen Eid enthält aber schon eine Vorahnung der Differenzierung, das Mitmachen ist schon ein Sich-inspezifischer-Weise-der-Gruppe-zur-Verfügung-Stellen, ermöglicht durch die Gruppe als Mittel, durch das die Einzelnen ihre Funktion erlangen und stark sind. Des näheren kann der Dritte — also jeder — auf die Gruppe als Objekt einwirken, die Ordnung der Struktur zu ändern suchen, andrerseits ist die Gruppe Grundlage für die Handlung des Gruppenindividuums. Hier besteht somit eine eigne Reflexionsstruktur: der Einzelne sieht auf die Gruppe als auf sich selbst und auf Anderes, und je spezialisierter die Einzelnen sind, umso mehr gewinnt die Gruppe Objektcharakter. Aber alles ist noch umgriffen von Selbigkeit. Der Einzelne ist als Funktionär auf die Gruppe bezogen. Die Reflexionsstruktur der Gruppe kann so als eine Selbstbewußtseinsstruktur, als ein Wissen ihrer selbst von sich selbst von den einzelnen Zentren aus verstanden werden49. Sartre möchte hierin auch ein praktisches Wissen um die Aufgabe der Gruppe beschlossen sehen, denn auch hier besteht ja die Verstehensaufgabe einer höherstufigen Einsichtigkeit (intelligibilité constituée): die Praxis bleibt Einzelpraxis und doch ist ihr Verstehen und Wissen an die Gruppe geknüpft zu denken. Es muß auch für das 45 CRD 497. « CRD 502 f.

Die Konkretion der Gruppe

153

Wissen der Praxis eine Homogeneität von Gruppe und Einzelnem behauptet werden. Sartre fragt sich selbst47, ob hier nicht eine Grenze des dialektischen Verstehens vorliege, indem die gemeinschaftliche Aktion doch nur wieder analog der ursprünglichen Handlung des Einzelnen behandelt wird, also nach einem Schema, das indifferent ist gegen die tatsächlichen Akteure. Sartre will deshalb konkret, in einer Analyse des Prozesses der Organisation und Differenzierung der Gruppe das Problem der Beziehung von Einzelnen und Gruppe neu aufrollen. In den folgenden Analysen 48 ergibt sich jedoch nichts eigentlich Neues. Sartre diskutiert noch einmal versdiiedene Differenzierungen: die Gruppe wählt sich Organisatoren, Chefs, betreibt den Ausschluß von Minderheiten, gelangt zu einer Übereinstimmung (weder hyperorganizistischen noch analytischen, ideellen Charakters): die Gemeinsamkeit des Projekts wird in der Praxis allgegenwärtig, das Verstehen ist überall dasselbe, Andersheit wird liquidiert. Obwohl hier also nichts Neues gegeben wird, sondern nur verdeutlidiende Explikation, will Sartre so die Rationalität der Gruppe bekräftigt haben, nämlich ihre Verständlichkeit von der Einzelpraxis her. Die Gruppe ist nicht nur Objekt des Einzelnen, sondern alle haben als Gruppe ein gemeinsames Ziel. Die Gruppe ist nicht Überorganismus, sondern bleibt Totalisierung. Sie ist die Allgegenwart des Einzelnen mit Hilfe der Andern, also ein neuer Status des Einzelnen; seine Handlung unterscheidet sich nicht von der, die er als Einzelner tätigte, wenn er die Gruppe als Objekt für die Ausführung seines Projekts zur Verfügung hätte. Wir sehen: es geht immer wieder um dasselbe Problem, um den Kompromiß von ontologischer und kategorialer Betrachtung, um Ablehnung einer Seinseinheit und Bejahung einer Konjunktion von Praxeis. Aber nicht aus der Aufsuchung größerer Konkretion ergibt sich die Möglichkeit der Konjunktion der Einzelnen in der Gruppe, sondern die Konkretion wird unter normativem Gesichtspunkt als verständliche Konjunktion gedeutet. Es handelt sich um ein Prinzipienverständnis, daß auf konkretere Strukturen angewandt wird. Es ist klar: die Einsichtigkeit der Gruppenpraxis ist gegenüber der Einzelpraxis, die vollendete Einsichtigkeit ist, Einsichtigkeit zweiter Ordnung, sie ist „beschwert" mit Äußerlichkeit 4 '. Im Gegensatz zur Einzelpraxis gibt es jetzt Probleme der Kommunikation, der zeitlichen Entwicklung und Streuung, eine Verfestigung durch SchonVorliegen von Gemachtem vor dem Noch-zu-Machendem 50 . Zusammengefaßt sind die Elemente der Beschwerung der Einzelpraxis im Begriff des Prozesses (processus). 47 48 49

M

CRD 517. CRD 518-34. CRD 533 : » . . . l'intelligibilité de la dialectique constituée s'alourdit et se dégrade par rapport à l'intelligibilité plénière de la dialectique constituante". CRD 538.

154

Gelingende Sozialität: die Gruppe

Der Prozeß 51 enthält in sich wiederum, wie die Gruppe selbst, die Problematik von Einheit, Organizität und Vielheit. Er ist final orientiert und dabei weder nur unwiderstehliches Gesetz für die Einzelnen noch eine Einzelpraxis. Er zeigt sidi als Objekt, dem der Einzelne unterworfen ist, ja er könnte für ihn Schicksal sein, wenn es sich nicht um einen Prozeß der Gruppe handelte. Sartre sieht hier wiederum die Gefahr einer Interpretation nach einer Dialektik „von außen", nach der der Einzelne von einem für seine Innerlichkeit fremden Gesetz bestimmt wäre. Wieder hält er entgegen, daß es keine gemeinschaftliche Praxis gibt, die ontologische Einheit wäre. Es gibt nur gemeinschaftliche Praxis als dialektische Aktivität in der Immanenz der Gruppe — als Reorganisation, um ihre Erhaltung zu gewährleisten und eine Ordnung zu schaffen, die gelingende gemeinschaftliche Praxis ermöglicht — und als transzendierende Aktivität der Gruppe auf das Ziel hin. Die Verstehbarkeit ist- also gewahrt. Sartre spricht daher von „praxis-processus" 52 , eben dieser „guten" Einheit von Gemeinschaft, inertia und Einzelnem, die nach einer „raison dialectique constituée" verstanden wird. Diese Vernunft ist die Regel der Konstruktion und des Verstehens von prozeßhafter Praxis. In ihr ist die funktionale Abhängigkeit von Verwirklichung des gemeinsamen Ziels, von organisatorischer Praxis und Einzelpraxis verständlich53. Es fällt wiederum auf, daß die Gruppe in ihrer jetzt konkreter exponierten Struktur zwar ausgelöst gedacht ist durch eine Gefahr, die ein soziales Ziel, wenn auch nur negativ, vorgibt, daß aber ihre bisherige Entwicklung zur organisierten Gruppe weitgehend ein internes Geschehen war, ein Kampf gegen ihr eignes Auseinandergehen oder gegen ihre Verfestigung zur Serialität, und nicht ihre Auseinandersetzung mit anderen materiellen und sozialen Faktoren, die für ihre eigne Struktur différent wären. Sie kämpfte gewissermaßen als soziale Minorität — was sie ja realiter ist, aber in der transzendentalen Einstellung nicht Problem wurde — für ihre eigne Nicht-Entfremdung. Ist Reorganisation so in der Immanenz der Gruppe, gleichsam aus ihrem Begriff, zu entwickeln? Bedarf es nicht über die abstrakte Korrelation hinaus einer für die Struktur spezifischen und konstitutiven Bezogenheit auf ihr Objekt und auf ihr Ziel? Kann die Reorganisation und strukturelle Differenzierung für sich behandelt werden54? Die Frage wäre weiter, ob das Ziel der Gruppe „selbstisch" ist, Abwehr der Andern, damit sie sie selbst sein kann, oder ob hier ein ideelles, letztlich kategorialen Gehalt erforderndes Ziel, die Nicht-Entfremdung und insofern Integration auch der Gegner — die ja nur als die Gruppe mit Ent51 52 53

54

C R D 543-9. C R D 549. ebda. Ein negatives Beispiel für einen Arbeits-„Prozeß" wäre der Taylorijmut 549-52. Cf. die immanent-dialektisdie Entfaltung des Subjekts in E N .

Die Konkretion der Gruppe

155

fremdung bedrohend Gegner sind —, in einer bestimmten Sozialordnung, zu unterstellen wäre. Hat die Gruppe ein agonales Ziel als soziales, aber eben konkretisierbares Ansich-Fürsich, auf Grund dessen sie nach außen drängt, bis sie ihr Ziel erreicht hat? Demgegenüber schien es, daß die Gruppe nur in Reflexion auf sich selbst Finalität besitzt. Betrachten wir die beiden Punkte, die im Grunde einer sind. In der Realdialektik Sartre muß die Gruppe nicht nur als „die" Gruppe, als Exemplifikation einer Struktur oder Kategorie, als Gestalt des Sozialen, betrachtet werden; vielmehr ist sie auch partikulär, ist realiter Minorität, Orientierungszentrum inmitten der Andern. Es muß also Beziehungen zwischen ihr und den Andern geben, was Sartre denn auch nachholt55. Im gegenwärtigen Stadium können wir aber fragen, wieso diese Beziehung als nicht-konstitutiv abgeblendet werden durfte zugunsten einer immanenten Entwicklung zur Abwehr der Entfremdung. Das Schema des Nacheinander der Verstehensbewegung hat in Sartres Realdialektik seine Schwierigkeit. Die theoretische Gefahr, die wir voraussehen, ist, daß auch weiterhin andere soziale Gruppen und Einzelne — also ein ganzes Milieu als faktisches, als Nachbarschaft, Außenhorizont und Gegensatz — nur „hinzugenommen" wird, ohne spezifisch für Neues, für weiter entfaltete soziale Gebilde, konstitutiv zu sein, vielmehr das Ganze nur nach den sich ergebenden intentionalen Beziehungen expliziert, also nach Beziehungen zwischen Gruppen oder zwischen Nicht-Gruppierten und Gruppe „strukturell" betrachtet wird. Es wären dann Faktizitäten, um die es sich handelte, ohne daß daraus ein Ziel für die Gruppe entwickelt würde — die Erreichung eines auch inhaltlich zu fassenden Ansich-Fürsich als soziale Nicht-Entfremdung und damit auch die Erreichung weiterer konkreter Strukturen. Sartres Weg ist hier ein Kompromiß zwischen der Ansetzung einer konstitutiven Rolle anderer Gruppen und Einzelner für die Gruppe und der Beschränkung auf die Gruppe an ihr selbst. Der Weg wird nicht zu einer „Über-Gruppe", als Vergemeinschaftung der Gruppe mit andern Gruppen, führen — welche Konzeption ja wieder noch zwischen kategorialem Verständnis und soziologischer Konkretion schwankt —, sondern wird nur den „Reflex" der Andern an der Gruppe betrachten. Die Gruppe bleibt im Zentrum, und insofern ist Sartres Weg ein transzendentaler. Dabei kann die Gruppe dennoch als realiter koordiniert mit andern Gruppen erscheinen — als partikuläre —, letztlich also als herrschende Minorität, und insofern eine Gesamtheit der Andern umgreifen. Damit ist die Erstreckung ihrer künftigen Entwicklung abgesteckt. Es geht also weder um ein kategorial Höheres als die Gruppe, noch geht es um inhaltlich gefaßte soziologische Vielfalt, einen Pluralismus der Gesellschaft als abschließende Konkretion. So wird es auch keinen Gesellschaftsbegriif geben, der nicht von der Gruppe " CRD 553-61.

156

Gelingende Sozialität: die Gruppe

aus gesehen ist. Die Gruppe ist Minorität und Bezugspunkt aus transzendentalem Erfordernis. Die als Illustration bevorzugte Arbeitergruppe wird „groupe dirigeant" gegenüber einer Vielheit von Andern. Aber gehen wir auf Sartres Gedanken zum Verhältnis der Gruppe zu Andern näher ein 5 '. Die Gruppe wird nach ihrer internen Entwicklung betrachtet als in einem Milieu stehend, und zwar systematisch zunächst als in einem Milieu von Nicht-Gruppierten. Sie stiftet in ihnen eine negative Einheit, die mehr oder weniger bedeutsam sein kann, je nachdem es sich um einen Taubenzüchterverein handelt oder um eine faschistische Miliz. Es gibt etwa Abhängigkeiten der Vielen von öffentlichen Diensten — die als Gruppe angesehen werden können —, ein Verhältnis von Militär und nicht-kämpfender Bevölkerung usw. Die Gruppe hat hier eine Rückwirkung auf die Nicht-Gruppierten, macht sie — etwa als Verbraucher — seriell, oder einigt sie, macht sie ihrerseits zur Gruppe oder Antigruppe. Die Gruppe ist so Vermittlung der Nicht-Gruppierten unter sich. Aber die Nicht-Gruppierten sind auch Vermittlung der Mitglieder der Gruppe unter sich: es besteht eine Reziprozität. Der Nicht-Gruppkrte betrachtet das Gruppenmitglied — etwa den Schalterbeamten an der Post — als unwesentliches Ausführungsorgan der Gruppe „Post", während sich die Nicht-Gruppierten für ein solches Gruppenmitglied als unwesentliche, austauschbare, serielle Fälle präsentieren, als Verbraucher, Benutzer, die eine Forderung haben, die das Gruppenmitglied ex officio erfüllt. Die Nicht-Gruppierten bewirken so die Auflösung des Gruppenmitglieds in der Gruppe, als Teil des Ganzen. Das Mitglied hat Befugnisse, und die Andern haben Forderungen. Die Gruppe erhält so den Status eines Seins als Innerlichkeit (être en intériorité)57, während sie gleichzeitig bezogen auf die Andern „Norm" ist, Bestimmtes erfüllen muß, für Bestimmtes Macht hat und zuständig ist. Sind diese Gedanken stark von der Beispielsphäre abhängig, so bleibt wichtig, daß die Gruppe für die Andern eine Totalität ist, und zwar, als Objekt (totalité-objet). Demnach sind die Differenzierungen der Gruppe nach Funktionen jetzt „Ausdruck" einer Totalität. Das Sein der Gruppe ist somit Norm für die Mitglieder, die diese Norm im Innenaspekt vor sich haben. Die Gruppe verinnerlidit also das, was sie für die Andern ist, sie gewinnt eine Intersubjektivität, eine innere Koordination — etwa der Beamten unter sich. Das einzelne Mitglied versteht sich vom Außenaspekt her, den die Gruppe den Andern bietet und den es verinnerlicht, als unwesentliches Glied und als Exponent einer Totalität. Hinzukommt die materielle Distanz und Ausbreitung der Mitglieder der Gruppe, die sich schon bei der prozeßhaften Praxis geltend machte. Die von den Andern in die Gruppe durch deren eigne Verinnerlichung CRD 553-61. " CRD 557.

59

Die Konkretion der Gruppe

157

hineingetragene Strukturänderung bedeutet eine Charakteristik im Milieu der Andersheit, ist eine Verinnerlichung des Milieus der Andern. Diese Verinnerlichung geschieht nicht durch die Gruppe an ihr selbst, sondern ergibt sich aus einem Zu-Tun-Haben mit den Andern. Der Andere ist Objekt für das einzelne Mitglied der Gruppe, und die verinnerlichte Charakteristik des betreffenden stellt eine implizite Regel dar für das Handeln gegenüber den Andern. Das einzelne Mitglied versteht sich nicht explizit als so inkarniert in seiner Gruppe als seiender Totalität, sondern ahnt seinen Status nur. Es veräußerlicht seine Inkarnation, seine funktionale Unwesentlichkeit, in stereotypen Handlungen. Wiewohl der Einzelne ein inneres Band zur Gemeinschaft hat, stellt er eine äußere Beziehung zur Gruppe als Objekt und zum äußeren Objekt der Gruppe dar, also eine Beziehung wie die eines Andern, die er eben verinnerlicht hat. Es ergeben sich also zwei Vermittlungen: die des Andern zwischen einzelnem Gruppenmitglied und Gruppe als Objekt; und die der Gruppe als Objekt zwischen dem einzelnen Gruppenmitglied und den Andern als Objekten seiner Handlung 58 . Damit ist ein Konflikt innerhalb der Gruppe aufgestellt: das einzelne Mitglied der Gruppe ist von innen ja auch immer wieder unentfremdetes Mitglied und nidit unwesentliches Element der Gruppe als Objekt. Die Gruppe ist auch Subjektivität, ist sich selbst Ziel im Blick auf ein äußeres Ziel. Aber sie hat eine neue „Schicht", ein Sein, angenommen, ein Sein-für-Andere, das ihr von diesem Stadium der Verstehensbewegung ab bleibt. Die Gruppe ist dargetan in ihrem neuen Status als Sein, einer verinnerliditen Charakteristik, die ihre objektive Existenz im sozialen Raum ausmacht. Von hier aus beginnt ein erneuter Zyklus der Theorie der Gruppe, in dem sie Strukturen besitzt gleichsam im Angesicht der Andern. Die spezifische funktionale Abhängigkeit solcher interner Strukturen einer Gruppe von Andern, Nicht-Gruppierten oder Gruppen kann allerdings hier nicht erfaßt werden— etwa so, daß es Zuordnungen von an bestimmten Aufgaben orientierte Gruppen gäbe, pluralistisch oder kategorial konvergierend in einer höheren Struktur — wir denken etwa an Hegels Differenzierungen von Bauernstand, Gewerbe, Beamte in der Rechtsphilosophie —, die Andern sind vielmehr immer nur „die" Andern, der Systematik halber zunächst sogar noch nicht auf Gruppenniveau stehende Andere, Kollektive, als Korrelat der Gruppe. Für die Gruppe resultiert daraus in der Theorie nur die abstrakte Charakteristik ihres Seins, die dann konkret beschreibend ausgefüllt werden kann. Wir können den neuen und letzten Zyklus von Sozialgebilden verstehen als nochmalige Wiederholung und dabei gleichzeitig auch Weiterbestimmung der schon früher dargetanen Strukturen, gleichsam als deren „Gesetztsein" im Hegeischen Sinne, eben als qua Gesetztsein auch Seiendsein, Verfestigtsein, Eines-Sein; als prinzipielle Berücksichtigung der sozialen Pluralität auf 58

CRD 561.

158

Gelingende Sozialität: die Gruppe

der Ebene der Gruppe. Entsprechend finden wir jetzt als Wiederholung der sdion in gewisser Abstraktion dargetanen Strukturen die Souveränität, die die Funktion des „regelnden Dritten" wieder aufgreift59, der jetzt „tiers indépassable" geworden ist60; das Unwesentlichwerden der Einzelnen in einer „Substanz" der Gruppe, in der sie austauschbar sind, aber nunmehr innerhalb der Gruppe für den Souverän61; ferner dann die institutionalisierte Gruppe als Wiederholung der Reorganisation der Gruppe: die inertia geht darin verstärkt hervor — wie das Beispiel von der Armee belegt62. Auf dieser Ebene sind Terror, Säuberungen, gesellschaftliche Versteinerungen verständlich. Die zur Äußerlichkeit gewordene Gruppe hat ihre Innerlichkeit in der Autorität83 als Zentrum: die Reziprozität ist ersetzt durch Zentralismus und Verkehr der Einzelnen — oder der Untergruppen — nicht miteinander, sondern über das Zentrum64. Wir sehen in dem Skizzierten zwar keine kategoriale Höherentwicklung der Gruppe zur Konkretion, sondern nur eine Ausdifferenzierung und Explikation ihrer Momente, die konkret illustriert werden. Der Weg ist der von Verinnerlichung eines Außenverhältnisses zum Gesetztsein einer dadurch bestimmten Struktur. Die Folge des so Dargetanen bleibt abstrakt, zeichnet nur prinzipiell — von der zunehmenden, sich steigernden Verfestigung her — vor, wie die Gruppe sich differenziert. Aber gerade in der NichtKategorialität der Weiterentwicklung der Gruppe kann das, was bei Hegel in seinen organologischen Strukturen unberücksichtigt bleiben muß — die différente Rolle der Einzelnheit und Pluralität der eine Einheit konstituierenden Einzelnen — berücksichtigt werden, ja sie ist Prinzip für die Weiterentwicklung: die Verfestigung zu Funktionen und Institutionen verlangt — bei Voraussetzung von Subjektivität und Finalität — einen noch höheren Organisationsgrad und bringt so noch größere Verfestigung mit sich. Was auf diese Weise entwickelt wird, sind jetzt Herrschaftsformen; es handelt sich zunehmend um das Problem von Subjektivität und Objektivität innerhalb der Gruppe. Dieser Gegensatz hat sich innerhalb der Gruppe entwickelt und führt zu einem auch inhaltlich differenten neuen Typ der Gruppe, der Gruppe als Herrschaft. Wir sehen voraus, im Sinne der schon oben gegebenen Antizipation, daß Gesellschaft und Staat, entsprechend dem geschilderten Kompromiß von transzendental erforderter Orientierung an der Gruppe und realdialektisch erforderter Berücksichtigung der Pluralität von Einzelnen in der Gesellschaft, nach dem jetzt eröffneten Modell der herrschenden

CRD 563-73; 588-91. CRD 591. 61 CRD 565-9; 580. 62 CRD 584 f. •s CRD 586 ff. 64 CRD 591. 69 60

Die Konkretion der Gruppe

159

Gruppe behandelt werden. Wir setzen diesen Typ der Gruppe entgegen Sartres gleitendem Übergang in CRD von den bisherigen Formen ab und untersuchen ihn im nächsten Kapitel. Ebenso verschieben wir eine weitere transzendentale und inhaltliche Kritik bis dahin.

VII. Gesellschaft und Staat 1. Gruppe

und

Gesellschaft

Die Gruppe hat sich nach der Systematik der Sartreschen Dialektik von einer Aktionsgruppe, in der alles noch flüssig war, gewandelt zu einem Gebilde mit festen Funktionen der Einzelnen, mit einer institutionalisierten Spitze, mit Befehlsstruktur, Koordinations- und Überwachungsorganen usw. Eine solche Gruppe ist immer irgendwelchen Andern konfrontiert, hat daher als verinnerlichtes Fazit daraus ein „Sein", ein Sein-für-Andere, eine Substanz. Die Einheit ist eine objektive, und die Strukturen sind entsprechend objektive. Die Gruppe wurde im Laufe dieser Entwicklung zunehmend größer gedacht: es müssen nidit mehr Einzelne sein, die dem „regelnden Dritten", der jetzt institutionalisierter Souverän ist, folgen, sondern es können Untergruppen sein. „Gruppe" ist ein Strukturbegriff, der auch hierauf paßt; die zunehmende Verfestigung zeigt den Weg zu immer größerer Organisiertheit und Umfänglichkeit des Gruppengefüges. Hierzu gehört weiter, daß die Gruppenmitglieder immer mehr in Andersheit gegeneinander verstrickt sind, nicht mehr in der Einheit eines Gruppenbewußtseins der Gruppe zugehören, vielmehr durdi Organe kontrolliert und zum Gehorsam angehalten werden müssen. Die Gruppe erstreckt eine Herrschaft auf die äußerlich Gewordenen. Diese sind für die Gruppe ein Oppositum, Andere, die zunächst als Nicht-Gruppierte gedacht waren, aber als Objekt der Gruppe Gegenstand ihrer Herrschaft werden. Die Gruppe imponiert sich so als Zentrum einer Peripherie, oder als Minorität einer Majorität als deren Subjektivität. Prinzipiell hat also eine Gruppe in sich die Anweisung, alle Andern zu durchwirken, auf sich hin zu zentrieren, und so kann die ganze Gesellschaft jeweils von einer Gruppe aus als Feld der Aktion oder Herrschaft betrachtet werden. Mit dieser Fassung der Gruppe ist ein eigentümlicher Wandel der ursprünglichen Konzeption eingetreten. Ursprünglich war der Gedanke, daß die Einzelnen sich zur Gruppe zusammenschlössen und daß sie, nunmehr als Mitglieder eine multilateral gestiftete Subjektivität darstellend, sich im Zuge der erforderlichen (final unterstellten) Stabilisierung und Differenzierung, kurz Verfestigung, in einen gewissen Gegensatz zu Gruppe setzten, eben als relativ inert gegenüber der Gruppe als Subjektivität. Die Entwicklung, die wir verfolgt haben, war eine Kette von zunehmend artikulierten Gegen-

Gruppe und Gesellschaft

161

maßnahmen gegen die aufgerissene Kluft zwischen Einzelnen und Einheit in der Immanenz der Gruppe. Nun aber scheint es, daß Sartre die Gruppe als Subjektivität bezogen sein läßt auf Andere, insofern sie nicht gruppenzugehörig sind, schlechthin inert sind als Nicht-Gruppierte oder Angehörige eines Kollektivs. Sartre denkt einen gleitenden Übergang von einer Gruppe mit einem Außenverhältnis zu Anderen, Nicht-Gruppierten oder Gruppierten, zu einer Gruppe, die solche in sich selbst als Beherrsdite enthält. Daß die Gruppe diese, die sich ihr nie angeschlossen hatten, als zu Organisierende und Zu-Beherrschende betrachtet, ist aus dem ursprünglichen Begriff der Gruppe nicht selbstverständlich. Hier ist ein dialektisches Modell wirksam: die Gruppe als Subjektivität, die alles Andere als „Ihres" sieht, das Modell des Fürsichseins. Die Gruppe ist prinzipiell absolutes Zentrum für alles Übrige, absoluter Orientierungspunkt. Wir können von einem Gruppenmonismus sprechen, und da der Transzendentalphilosoph die Gruppe immer von innen betrachtet, braucht immer nur von „der" Gruppe die Rede zu sein. Sie ist Subjektivität für alle übrigen, und die Subjektivität ist selbst ein Seiendes, eine institutionalisierte Souveränität. Der Übergang zur neuen Konzeption der Gruppe ist eine Folge des Sartreschen transzendentalen Verfahrens. Als transzendental verstandene ist die gerade in Rede stehende Entität absoluter Orientierungspunkt. In ontologischer Perspektive muß dagegen die Konkretion, also das plurale Seiende, das koexistiert, mit hineingenommen werden; die absolute Gruppe ist gleichzeitig partikulär. „Eine" Gruppe zentriert alles Übrige. In Sartres, trotz Partikularität transzendentaler, Perspektive ist es unwesentlich, wer die Gruppe ist. Als Strukturbegriff ist sie der Titel für viele soziale Gebilde: die syndikalistische Aktionsgruppe, die Partei, die Armee, die totale Herrschaft, und, wie wir sehen werden, den Staat. Jede solche Entität zentriert alles Übrige von sich aus, jede steht in Antagonismus zu allem Übrigen. Vom Gesichtspunkt des Seins im Unterschied zu dem der absoluten Subjektorientierung ist die Gruppe Minorität, Partikuläres im sozialen Feld. Sie kann anderen Gruppen gegenüberstehen (die Pluralität der so gegenüberstehenden Gruppen ist vom Orientierungspunkt der Gruppe unwesentlich; mehrere andere Gruppen wären für die zentrierende Gruppe „serielle" Pluralität), anderen Nicht-Gruppierten, oder, am konkretesten, einem Gemisch von all dem1. Es „gibt" einen Pluralismus von Gruppe der Gesellschaft, eben für sie zentrierende Gruppen. Hier besteht nun nicht eine Reziprozität der Gruppen untereinander, wo jede „Dritter" wäre, und ein regelnder Dritter aufstünde. Es ist ja ein Antagonismus und ein extremer Grad an inertia unterstellt, der gemeinsame Aktion verhindert.

1

C R D 608.

162

Gesellschaft und Staat

Gesellschaft ist für Sartre etwas Amorphes, ein Substrat für Gruppenbildungen und für Beziehungen von Gruppen zu Serien (Kollektiven und Pluralitäten von Gruppen, die für eine zentrierende Gruppe seriell erscheinen). Unter dem Gesichtspunkt des Seins als Einsicht in das, was es „gibt", entspricht ein solcher Pluralismus in gewisser Hinsicht Hegels Begriff der Gesellschaft. Hegel faßt aber die Gesellschaft als Ganzes: sie ist in ihrem Pluralismus Differenz einer sich zunehmend entwickelnden Einheit. Es gibt eine sich herausarbeitende Interdependenz der Einzelnen; gerade die FürSidi-Sein-Wollenden sind auf einander angewiesen, stehen in Reflexionsbestimmungen und bilden daher dem Begriff nach, im Besonderen und in der ganzen Sphäre, eine Einheit des Geistes. (Hierbei sind Reflexionsbestimmungen von Gruppierungen und Klassen nicht wesentlich im Blick; die Opposition von Besitzenden und Pöbel gehört schon dem Ubergang der Gesellschaft und nicht ihrer Einheit als Interdependenz des Differenten an.) Diese ganzheitliche, „idealistische" Dialektik kann Sartre nicht anerkennen. Seine Sicht der Gesellschaft ist orientiert an der partikulären und doch absoluten Gruppe. Die Gesellschaft ist in objektiver Sicht Inbegriff der Antagonismen von Gruppen und Kollektiven. Sie ist mehr oder weniger durchgängig in Klassen gespalten, die ihrerseits Mischgebilde sind aus leitender Gruppe und seriellen Kollektiven 2 ; all dies ist jedoch unter transzendentalem Aspekt betrachtet von einer zentrierenden Klasse her, und zwar, der Beispielsphäre entsprechend, derjenigen der Arbeiter, die jetzt Gruppenexistenz angenommen hat. Das ökonomische, die Produktionsverhältnisse 3 , sind zwar auch bei Sartre, trotz der anthropologischen Theorie der Entfremdung, maßgebend —, aber der Klassengegensatz ist immer schon zu betrachten vom Gedanken des prinzipiellen Gruppenantagonismus her, der das Spezifikum der Besitzverhältnisse nicht zum Ausdruck bringt. Für Hegel sind die Klassengegensätze illustrative Konkretisierung von Ungleichheiten der Gesellschaft, die die Dialektik auf der Stufe der Differenz sich entwickeln läßt, bis die Lösung im Staat erscheint. Sie sind partikulär nur innerhalb einer noch unvollkommenen Ganzheit. Bei Sartre sind sie partikuläre und doch absolute Gegensätze, also Subjekte in einer Realdialektik, so daß das gesellschaftliche Leben daran gebunden bleibt, sich geschichtlich als Klassendrama abzuspielen 4 . In der strukturellen Anthropologie ist der Klassengegensatz der Gesellschaft — soweit ihr Sein im Blick ist — ein kontingenter Antagonismus von Gebilden mit Subjektivität, von Gruppen. Das Bild der Gesellschaft dem Sein nach, ihre pluralistische Struktur, ist nur faktisch. Sie ist nicht, als plurale, Unterpfand ihrer eignen Einheit wie bei Hegel. Auch 2

3 4

C R D 610. Hierin liegt eine Konkretisierung und Korrektur am früheren Klassenbegriff. C R D 611. Cf. unten 175, 195 f., 198.

Der Staat als Gruppe

163

die Klassenopposition — als abstrakte Resümierung des Pluralismus — ist nicht eine Reflexionsbestimmung, die im Rahmen eines Ganzen gesetzt ist. Wir sahen schon bei der Diskussion des Eigentums, d a ß die divergente Beziehung der Menschen zur Materie (als ihr unterworfen und als sie besitzend) nicht als Reflexionsverhältnis Gegenstand der Ableitung sein konnte. Wir „verstehen" allerdings das eine wie das andere, und — einmal vorhanden — audi den Gegensatz. Sartres Theorie der Sozialgebilde k a n n auch die Gesellschaft nur zentriert sehen von einer G r u p p e her, die ein trotz ihrer Partikularität doch nur abstraktes Außenverhältnis hat, das dann illustrierbar ist etwa im Sinne des ökonomischen Klassengegensatzes. Von einer solchen Fassung der Gesellschaft, einerseits als faktischem Pluralismus, andrerseits als orientiert von einer partikulären Gruppe, können wir denn auch nicht im Staat eine „höhere" Einheit eben dieser Gesellschaft sehen wollen, die die Bürger in ihrer Gesamtheit in sidi aufnähme und jenseits der Antagonismen der Gruppen, Kollektive und Individuen stünde. Denn wer immer den Staat ausmacht, es müßte eine zentrierende Gruppe sein, die als partikuläre gegenüber anderen Gruppen absolut wäre.

2. Der Staat als Gruppe Der Staat erscheint bei Sartre als eine beschränkte Gruppe von Organisatoren, Verwaltern und Propagandisten, die sich den Kollektiven der Gesellschaft aufdrängt durch Institutionen, die als ihrerseits serielle Bindeglieder die Vielheiten einigen 5 . Der Staat — wenn auch unspezifisch gemeint —, ist also die nunmehr universelle Zentrierung der Andern, die systematisch oberste Gruppe. Er imponiert sich von oben, aus eignem Recht, als Gruppe, die diese Zentrierung vollbringen kann. Er kann so nicht als Produkt oder Ausdruck der Gesamtheit der Individuen der Gesellschaft oder ihrer Mehrheit aufgefaßt werden 6 . Der Staat ist nicht Repräsentanz der Vielen. Hier tritt ein schon Hegelsches Argument 7 ein, nämlich daß — in Sartres Terminologie — serielle Kollektive keine freie Einheit bilden können. So stellt sich f ü r den Staat auch kein Legitimitätsproblem, denn vom Zentrum der Souveränität der Gruppe „Staat" aus ist hier kein Problem; 5

6 7

C R D 608 f.: „Et parmi les nombreuses différenciations de ce lien interne (se. celui des groupes aux séries), l'une des plus immédiatement saisissables est l'ensemble institutionnel recouvert et réunifié par l'institution souveraine, par l'État, en tant qu'un groupe restraint d'organisateurs, d'administrateurs et de propagandistes se chargent d'imposer les institutions modifiées dans les collectifs, en tant que liens sériels unissant des sérialités". C R D 609. Cf. Rechtsphilosophie, die Ausführungen zu den Ständen, besonders § 303, Anmerkung, und zur öffentlichen Meinung, besonders § 316, Zusatz.

164

Gesellschaft und Staat

als Gruppe ist der Staat nur sidi selbst Legitimität schuldig8. Für die Andern, die außerhalb der Gruppe des Staatsapparats stehen — als partikulär verstanden handelt es sich um einen Apparat —, aber von ihm zentriert werden, stellt sich das Problem auch nicht, denn die Andern können nicht anders. Im Nicht-anders-Können-als-den-Staatsapparat-Hinnehmen liegt eine Anerkennung seiner Legitimität. Dabei ist der Staatsapparat nicht getrennt von der Gesellschaft als den Andern, sondern wirkt auf sie ein, „manipuliert" sie'. Der Staatsapparat ist also der Grenzfall eines innergesellschaftlichen Verhältnisses, nämlich des alle übrigen Gruppen und Einzelnen zentrierenden Verhältnisses. Nun kann man aber doch fragen, wer bildet den Staat, oder, wenn es Klassen gibt, wie steht der Staat zu den Klassen (von denen einmal angenommen werden mag, daß sie polarisiert sind in herrschende und beherrschte)? Sartre folgt der Marxschen These, daß der Staat ein Organ der herrschenden Klasse ist10, insofern er die Unterdrückung der beherrschten Klasse aufrechterhält und entsprechend auch ideologisch betrachtet werden kann als „Ausdruck" einer solchen Klassensituation. Wir sehen sofort die Schwierigkeit: für die herrschende Klasse scheint die Gruppe des Staatsapparats doch „Ausdruck" sein zu können, obwohl diese Klasse ihrerseits nicht einheitlich ist, während bei der Gesellschaft der Gedanke, daß der Staat Ausdruck sei, abgelehnt wurde. Sartre denkt sich den Staat motiviert durch innere Konflikte der herrschenden Klasse11, als Vermittlung. Die herrschende Klasse produziert ihren Staatsapparat, der ihr Allgemeininteresse verkörpert, das wiederum von den Produktionsverhältnissen bestimmt sein soll12. Sartre kommt hier einer marxistischen Auffassung entgegen. Der Staat ist aber andrerseits Gruppe auch über ihrer eignen Klasse und so auch Einschränkung des Klasseninteresses. Der Staat integriert sich die herrschende Klasse13. Der Staat entspricht somit weder der Hegeischen Idee einer Ganzheit der Gesellschaft noch einem bloßen Epiphänomen innerhalb der Gesellschaft14. Er ist Vermittlung der herrschenden und der beherrschten Klasse. Er will „national" sein; er setzt sich also für sieb15. Wir sehen hier einen Konflikt zwischen der mit der Irreduzibilität des Menschen gesetzten Partikularität — Staat als Organ der herrschenden Klasse, Staat als Apparat usw. — und der als Subjektivität verstandenen Gruppe, einer Struktur, die alles auf sich zentriert. Sartre sagt es selbst: „La contradiction réelle de CRD 609. • ebda. 10 CRD 610. Cf. Marx, Deutsche Ideologie, Marx-Engels Werke 3, 62; cf. 371. 11 CRD 611. 12 ebda. " ebda. 14 ebda. 15 CRD 612. 8

Der Staat als Gruppe

165

l'Etat, c'est que c'est un appareil de classe qui poursuit des objectifs de classe et qui, dans le même temps, se pose pour soi comme unité souveraine de tous, c'est-à-dire dans cet Etre-Autre absolut qu'on appelle la nation" 16 . Die Idee des Sich-für-Sich-Selbst-Setzens des Staates ist Hegelisch; auch bei Hegel ist die neue dialektische Stufe des Staates, die neue kategoriale Einheit der gesellschaftlichen Vielheit als Einheit, die Subjektivität, die — gemäß dem kategorialen Verständnis von ihrer eignen Einheit her — die Vielheit als ihre Momente versteht, sich, wie Hegel sagt, in ihnen „auslegt". So auch Sartre. N u r daß diese Subjektivität — die des Staates als Gruppe — an Partikularität — an Sein — gebunden ist, an eine Klasse, an jemanden, der sich in ihr für sich setzt. Eine Vorfrage zu dieser These. Ist sie eine Aussage über die Genese von soetwas wie Staat? Knüpft sie, näher konkretisiert, an an den Gedanken einer Entstehung des Staates aus der herrschenden Klasse? Oder ist sie eine Aussage transzendentaler Art in dem Sinne, daß der Staat, als verständliche Einheitssetzung von Vielen, und zwar als systematisch höhere gegenüber einer Gesellschaft, die pluralistisch ist, nur gleichsam von „oben" und nicht vom Inerten, Seriellen her als Einheit verstanden werden kann (etwa durch Repräsentation und Delegation)? Beide Aussagen treffen bei Sartre zusammen. Die Genese des Staates im soziologischen, ethnologischen und marxistischgeschichtlichen Sinn ist aber ersetzt, für Zwecke der Theorie, durch eine realdialektische Verstehensbewegung, in der es so erscheint, als ob eine Klasse in Wirklichkeitskontinuität zum Staat wird in ihrer leitenden Gruppe. Betrachten wir nun näher den Staat „für sich", als Konzeption, wie sie Sartre in seiner transzendentalen Sozialphilosophie versteht. Der Staat ist strukturell gefaßt als Beispiel f ü r die Struktur der Gruppe auf der Stufe einer weit fortgeschrittenen Serialität. Er ist dabei nicht an einem Ziel orientiert, ist nicht inhaltlich — etwa nach geistigen Gütern, die nur er ermöglicht, wie etwa dem Redit, oder durch sein Außenverhältnis zu anderen Staaten — gefaßt, kurz er ist nicht geistige Gestalt, sondern Strukturgestalt. Es handelt sich um das Wirksamsein einer herrschenden Gruppe in einem Feld derart, daß kein innergesellschaftlich entgegengesetztes Verhältnis zu berücksichtigen ist. Der Staat in seinem Verhältnis zu den Klassen bleibt beiden gegenüber heterogen, setzt sich für sich, übernimmt aber die Macht der herrschenden Klasse über die beherrschte und verinnerlicht sie, als Verhältnis beiden Klassen gegenüber, in Form des Rechts". Das Recht ist also aus einer Klassendifferenz hergeleitet, aber als Herrschaft über die Klassendifferenz gesetzt. Jede Klasse akzeptiert den Staat als legitim, denn jede Klasse ist serielles, machtloses Material für die zentrierende Gruppe — der transzendentale Standpunkt hindert die Erfassung einer Struktur wie der durch " CRD 613 f. 17 CRD 612.

Gesellschaft und Staat

166

Delegation zustandegekommenen Legislative. Auch die unterdrückte Klasse hängt dieser Legitimität an (so führt etwa ein Angriff auf den Staat seitens einer Gruppe der herrschenden Klasse im Namen der Legitimität zu einem Angriff auf diese Gruppe seitens der unterdrückten Klasse) 18 . Aus dem Verhältnis des Staates als systematisdh letzter Gruppe gegenüber einem Feld von zentrierten Serialitäten ergibt sich eine Beschreibung der zu dieser Stufe der Gruppe gehörigen Weisen der Beziehung zwischen Apparat (Souveränität, Bürokratie usw.) und Bevölkerung: es sind Praktiken der Manipulation™. Die souveräne Gruppe induziert in den Vielen das Verhältnis der Außensteuerung: jeder muß so beeinflußt sein, daß er in freier Praxis jeden andern dazu bestimmen will, wie die Andern zu sein. Jeder muß konditioniert sein in seinem Handeln auf die Andern wie alle Andern: es muß eine Totalisierung der Andersheit erreicht werden in der Propaganda 20 ; aus dem Seriellen muß eine totale Handlung hervorgehen. (Ein Beispiel hierfür auf niedrigerer Ebene ist die Werbung21.) Es entsteht ein Zustand der Andersheit als Verhalten aller wie alle Andern. Die Gruppe an der Spitze herrscht durch Induzierung der totalen Serialität. Es ergibt sich dabei eine Angleidiung der Funktionäre und Organe, die die Beeinflussung der Bevölkerung durchführen. Entsprechend sind die Funktionäre kaum unterscheidbar von ihren Objekten, sind seriell, nichts gelangt mehr von ihnen zur leitenden Spitze, die Hierarchie ist absolut in der Form der Bürokratie22. Dem Willen der Spitze steht die Ohnmacht der Beherrschten gegenüber; die Polizei als Allmacht basiert ihrerseits auf der Ohnmacht der Bevölkerung. Sartres Vision dieses extremen Falls einer Gruppe, die am Abschluß der Entwicklung steht, soll nicht dieser Form der Bürokratie das Wort reden. Sie ist für ihn vielmehr ein Bild bürgerlicher Gesellschaften. Es ergibt sich hier das Problem der Bedeutung der systematischen Ordnung der strukturellen Anthropologie für die Geschichte und auch für einen normativen Begriff von Gesellschaft und Staat. Vorerst dies letztere Problem führt uns zu einer weiteren Analyse im Sinne einer transzendentalen Kritik. Sartres Sozialphilosophie ist, obwohl nicht „idealistisch" wie die Hegels, doch Transzendentalphilosophie, und beantwortet nicht die Fragen aus dem Bereich des Sozialen, die wir, vielleicht enttäuscht von der Soziologie und vielmehr interessiert am Normativen, in einer Sozialphilosophie beantwortet sehen wollen, nämlich, vereinfachend die Frage nach einem normativen „Bild," der pluralistischen Gesellschaft einschließlich des normativen Verhältnisses von Gesellschaft und Staat. „Normatives Bild" würde heißen sollen: ein unter dem menschlichen Sinngesetz stehendes Bild, eine Ordnung des 18 w 20 21 22

CRD CRD CRD CRD CRD

613. 614. 615. 615-23. 626.

Der Staat als Gruppe

167

Sozialen, die der Stabilität fähig ist, bei der also Ganzheit und Partikularität gleichermaßen Berücksichtigung finden müssen. Hegel kann uns ein solches Bild nur als Gestalt des Geistes geben, unter der Devise eines kategorialen Verständnisses, nach dem aber, wie schon erörtert 23 , Pluralität im Verhältnis zur höheren Einheit nicht verstanden werden kann. Sartre kann hier weiter entgegenkommen, indem er den Staat als partikuläre Gruppe faßt. Aber wieder ist der Staat eine Subjektivität, die eben als solche alles, und das heißt, für die systematisch oberste, die ganze Gesellschaft von ihrem Blickpunkt her zentriert, also monopolistische Gruppe, wenn auch innerhalb der Gesellschaft, ist. Wieder ist das Verhältnis des Staates zur übrigen Gesellschaft — als funktionale Abhängigkeit, als Exponentverhältnis — und ein Gesamtbild der Gesellschaft mit dem Staat als immanenter Gruppe nicht gezeigt. Sartre kann nur, wie Hegel für eine Kategorie die Pluralitäten von der Einheit her als Momente begriff, von einer Subjektivität aus Pluralitäten als auf diese bezogen, als deren Objekte, einordnen. Reziprozität als Reflexionsverhältnis von Gesellschaft und Staat, oder, in Sartres Terminologie, von Seriellem und Gruppe (d. h. Subjektivem), ist prinzipiell nicht darstellbar. Das Verhältnis könnte entweder nur seriell sein — aber das nur für eine dritte Instanz —, oder eben antagonistische Reziprozität, subjektive Usurpation von der Einheit der Gruppe aus. Repräsentation und Delegation, eine Reflexion der Gesellschaft auf sich, sind ausgeschlossen24. Betrachten wir dies Problem noch einmal von einer anderen, systemtheoretischen Seite. Die Forderung nach Begründung zwingt Sartre dazu, immer ein Thema nach dem andern zu behandeln, und so ist der Staat als „Struktur" (als „Kategorie" bei Hegel) an gegebener Stelle der Verstehensbewegung Verstehensthema und Verstehensaufgabe. Es ist nicht aufgezeigt, wie unter Beschränkung auf die Gesellschaft — also unter Anerkennung der Realdialektik mit ihrer Partikularitätsthese — das Verhältnis von transzendental Sukzessivem, also von Gesellschaft und Staatsapparat als Gruppe der Gesellschaft, beschaffen sein soll (wobei „sein soll" hieße, daß man ein bestimmtes Verhältnis beider als in bestimmter Weise nicht-entfremdet und vernünftig verstehen kann, daß das gesuchte Verhältnis das systematisch höchste Verstehbare und Vernünftige ist angesichts der Totalität des Pluralen, nämlich Reflexion von Staat und Partikularität). Es deutet sich ein grundsätzliches transzendentalphilosophisches Problem an25, denn Transzendentalphilosophie muß im pluralen Bereich des Sozialen, wenn sie zu einer expliziten Theorie gelangen will, sukzessiv Analoga zur Subjektivität als höhere Einheitsgebilde ansetzen. Und das Normative, das Gesamtbild, wenn es 25 24

25

oben 140 f. Die vielfach (z. B. von Gurvitdi, Lichtheim, Mayer) geltend gemachte Nähe zu Hobbes ist, wie man sieht, eher irreführend. Cf. unten 183.

168

Gesellschaft und Staat

unter der Bedingung, Subjektivität zu sein, entworfen wird, muß entweder, wie bei Hegel, verfehlt werden, weil das Verhältnis der höheren Einheit zum partikulären Pluralismus der Gesellschaft unverstanden bleibt 28 , oder weil, wenn die Partikularität berücksichtigt wird, wie bei Sartre, eine usurpierende Gruppe am Ende steht27, die das Ganze sidi anmaßt von ihrem partikulären Standpunkt und Orientierungszentrum aus und trotz Totalisierung der Gesellschaft kein Gesamtbild ermöglicht. Im Duktus analog zu Hegel ist die Theorie bei Sartre im Ergebnis entgegengesetzt. Die Sartresche Theorie betrachtet nicht auf der Ebene der Gesellschaft oder des Staates echte, verstandene, d. h. der Normativität fähige Pluralität von Gruppen und Kollektiven, und also etwa spezifische Zuordnungsverhältnisse verschiedener Gruppen — der Stände, der Berufe, wirtschaftlicher Gruppen, des Staates als Gruppe — im Zusammenwirken miteinander. Hegel hat nur Ganzheit und ein nur logisches Verständnis des Verhältnisses zum Partikulären als Moment, Sartre hat nur Usurpation des Ganzen, oder des Pluralismus der Gesellschaft als abgegrenzte Einheit, durch ein Unganzes, Partikuläres. Die im Duktus des Buches liegende zunehmende Konkretion ist gleichzeitig eine zunehmende Totalität der Herrschaft von der höchsten Subjektivität aus entfaltet, als Ergebnis der Subjektorientierung bei Insistenz auf der Partikularität. Wir verstehen die Position als Ergebnis eines transzendentalen Erfordernisses (der Subjektorientierung, die sich in der sukzessiven Begründung durchhält) in seiner Verknüpfung mit dem ontologischen (nominalistischen, partikulären, existenzialen) Vorbehalt. Man könnte vielleicht sagen, Sartres Lehre habe zwar nur jeweils ein bevorzugtes monographisches Thema, Sartre gehe es aber auch um einen Pluralismus von Gruppen und Nicht-Gruppierten; ja er berücksichtige doch, unter dem Gesichtspunkt des Seins, gerade einen solchen Pluralismus in seiner Theorie, wie die Definition der Gesellschaft zeigt. Genau dies, daß der Pluralismus als bestimmter, nicht als bloßer Außenhorizont einer Gruppe aufgezeigt würde, ist nicht der Fall, wenn Sartre auch (besonders in den späteren Ausführungen) den faktischen Gegensatz der Klassen betrachtet 28 . Zu „verstehen" und also zu „begründen" sind immer nur subjektive Ein28

27

28

Instruktiv bei Hegel ist der Versuch, auf der Ebene des Staates dessen Strukturen durdi Rückgriff auf Strukturen der Gesellschaft zu entwickeln, also die politischen Stände an die gesellschaftlichen Stände anzuknüpfen, ein transzendental unmögliches Verfahren, ganz im Gegensatz zu seiner Praktikabilität in der politischen Praxis. Für eine Kritik siehe Marx, Werke (Cotta) I, 419, 417. Delegation und Repräsentation sind transzendental nicht darstellbar. Bestimmung von unten wiederspricht einer Auslegung in Momente von oben. Die Gesellschaft mag im Staat aufgehoben sein, aber die Partikularität ihrer Strukturen kann nicht wieder aufgegriffen werden. Cf. Kwants Kritik (a.a.O. 669 ff.), daß Sartres Begriff des Staates außer auf die Sowjetdiktatur, die Sartre verteidigt, auch auf andere Diktaturen passe. C R D 628 f.

Der Staat als Gruppe

169

heiten als Einheiten der Freiheit und entfremdete Kollektive. Auch mit seiner „Real"-Dialektik ist Sartre nidit in der Lage, echte soziale Pluralität in einer Theorie zu behandeln; er faßt Pluralität, soweit sie sich aus der Freiheit soll verstehen lassen, also unter normativem Aspekt steht, nur unter der Einheit der Gruppe. Diese Einheit ist zwar nicht kategorial gemeint, und es gibt keine kategoriale Dialektik zu höheren kategorialen Inhalten. Wohl aber gibt es vom Begriff (oder der Struktur) der Gruppe aus eine dialektische (vom Prinzip der inertia geleitete) Entwicklung zunehmender Serialität, eine Entwicklung, die statt kategorialer Bewegung Entfaltung eines Prinzipiengegensatzes ist, dem sich steigernde Entfremdungsgehalte zugeordnet werden. Das systematische Ergebnis dieser Entwicklung ist in einem Sinne die Konkretion — die Gruppe umfaßt jetzt die ganze Gesellschaft und zentriert sie —, in einem anderen Sinne ist sie es nicht, denn die Gruppe ist partikulär, ein Teil der Gesellschaft, ohne Reflexion auf deren Pluralität, also gleichzeitig Reflexion der Pluralität auf sich, zu sein. Sartres Transzendentalphilosophie des Sozialen gestattet es nicht, Pluralismus dennoch als Ganzes, als gesellschaftliches Universum zu verstehen. Was die Simultaneität pluraler Strukturen angeht, so müßte dieselbe Irreduzibilität herrschen, wie sie bei der Reziprozität bestand, die auch unverstanden blieb, gleichzeitig allerdings auch die soziale Vollständigkeit in den Blick kommen als Konkretion der Gesellschaft. Eine solch vollständige Gesellschaft mit irreduziblen Strukturen müßte noch wieder in Reflexion auf sich begriffen werden können, d. h. müßte verstanden werden können als Organe in sich ausbildend (Staat, Institutionen, Delegation). Auch nicht eine solche von der Gesellschaft (als pluralem Sein) ausgehende Theorie der Einheit und der Demokratie kann für Sartre gelten, eben — so können wir jetzt geradezu sagen — weil er Transzendentalphilosoph ist (während sie der frühe Marx, auch vom Nominalismus bestimmt, aber nicht transzendental orientiert, akzeptieren kann2®). Wir verstehen jetzt: dies ist bei Sartre nicht möglich, denn hier steht die transzendentale Absolutheit der menschlichen Praxis entgegen, die auch als plurale Gruppe nicht Funktion einer über sie hinausgehenden Ganzheit der Gesellschaft sein kann, sondern immer nur Subjekt der transzendentalen, praktischen und verstehenden Orientierung und zugleich monographisches Verstehensobjekt ist. Sartres Theorie erscheint so als Theorie von „ensembles" — wie sie sich ja auch im Untertitel zu C R D nennt — als geordnete und verstehende Untersuchung sozialer Strukturen in monographischer Form. Dies ist die noch einmal anders beleuchtete Konsequenz aus dem partikulären transzendentalen Ansatz. Auch die abschließende Konzeption, der Staat, der jedoch, wie wir schon sahen, nicht spezifisch zu nehmen ist, sondern überhaupt für letztzentrierenden Gruppen steht, ist monographisch partiell verstanden. » Cf. Marx, Werke (Cotta) I, 417.

170

Gesellschaft und Staat

So gesehen könnte man sagen, das Fazit für eine Theorie des Sozialen im Ganzen sei erst noch zu ziehen. Wir erwarten hier als Problemstellung einen utopischen Horizont der universellen Nicht-Entfremdung Aller, der aber im Unterschied zur bloßen Assoziation Marxens mit der Theorie der Gruppe vermittelt werden müßte. Wir kommen darauf im nächsten Abschnitt zurück. Es ist zwar eine nicht unbeabsichtigte, aber doch in ihrem Eintreten interessante Tatsache, daß Sartres nominalistische Transzendentalphilosophie des Sozialen sich trotz ihrer ganz eignen Wege inhaltlich mit Auffassungen der Gesellschaft trifft, wie sie im Marxismus, und zwar in manchem mehr dem praktischen als dem theoretischen, vorliegen. Sicherlich ist Sartre von Feuerbachs und Marxens Anthropologie beeinflußt, und ebenso im sozialen Bereich vom Anarcho-Syndikalismus und der marxistischen Praxis — die ja nicht die „Assoziation" verwirklicht hat oder auch nur überzeugend anstrebt, von der Marx im Kommunistischen Manifest spricht —, aber die Theorie kann dodi nicht einfach als Hypothese zur Erzielung dieser Ergebnisse angesehen werden. Die Philosophie von EN, die auch C R D maßgebend mitbestimmt, weist in eine ganz andere Richtung. Und doch ergibt sich, daß eine auf dieser Basis durchgeführte transzendental-ontologische Philosophie des Sozialen, wenn auch mit gewissen nicht von Willkür freien Konzessionen — einer zu bestimmten, aber nicht gerechtfertigten Auslegung der Partikularität, etwa in der Frage der Klassendifferenz — wiederum Anschluß findet an marxistische, nicht-transzendental entwickelte Konzeptionen. Hier liegt eine geheime Teleologie vor, ist doch die Position von EN nicht mit der Absicht entworfen, in einer Ausweitung zur Sozialphilosophie die gewünschten Ergebnisse zu zeitigen. Ontologische Irreduzibilität und transzendentales Programm ergeben die Konzeption von usurpatorischen Gruppen, die auf die bürgerliche Gesellschaft bezogen werden, deren systematisch letzte aber auch für die Parteiherrsdiaft stehen kann. Gegenüber der marxistischen Utopie der Assoziation liegt schon hier, auch wenn das „Fazit" noch ausstehen sollte, ein inhaltlich différentes Ergebnis. Der transzendental bedingte Mangel erscheint inhaltlich als These, als zynische Auffassung der Gesellschaft und auch des Staates, eine Auffassung, die unter normativem Aspekt zwar Strukturen der Gesellschaft verstehen kann, aber gerade das Normative wieder zurückläßt zugunsten monographischer Deutungen von Entfremdungen durch usurpierende Gruppen. Aber wir stehen noch nicht am Ende unserer Untersuchung. 3. Der Übergang

zur

Geschichte

Kehren wir noch einmal zum Staat zurück und beachten wir dabei stärker das Verhältnis von Sartres Konzeption zum Marxismus. Der Staat erscheint bei Sartre als Organ der herrschenden Klasse — eine von Marx übernom-

Der Übergang zur Geschichte

171

mene Bestimmung — , in der Theorie ist er aber einfach die oberste, alle Übrigen zentrierende Gruppe, Subjektivität Aller, dabei selbst partikulär und nicht Geist Aller. Es fiel auf, wie arm die Bestimmungen des Staates bei Sartre sind. Er schildert ihn eigentlich nur nach dem Organisationsgrad, nach der Verfestigung, der wieder restituierten Serialität. Zur Illustration dieser extremen Verfallenheit ist die Rede von Organisationen, Institutionen, Funktionären, die alle die Aufgabe haben, die Beherrschbarkeit der Vielen durchzusetzen, und zwar, indem sie ihnen Außengeleitetheit, ein In-SichRuhen der Serialität als totaler, verleihen. Der Staat hat eine negative Funktion im Verhältnis zur Freiheit, er ist im Grunde eine „besondere Repressionsgewalt" 30 , aber verallgemeinert für alle Freiheit, nicht nur für einzelne Willkür. Die Armut der Bestimmungen, die Beschränkung auf qualitative Seinsbestimmungen, läßt also keine kategoriale Fassung, keine temperierte Vermittlung von Einzelfreiheit und Gemeinschaft zu, vielmehr ergibt sich der Staat als Gegensatz zur Freiheit der Menschen. Sartre geht es wohl um diese Freiheit, wie auch Marx, aber die Verfolgung der Entwicklung der Freiheit führt ihn wieder auf Verfestigung. Der frühe Marx dachte nodi an eine Demokratie mit Selbstbestimmung aller Bürger 31 , also an eine Einheit „von unten", so wie auch manche demokratische Marxisten in späterer Zeit; bald allerdings hält Marx dann den Staat für ein bourgeoise Einrichtung und fordert eine Diktatur des Proletariats bzw. einen Staat im Sinn der französischen Kommune 32 . Eine aus der Praxis gewordene Ergänzung hierzu stellt die russische Entwicklung mit ihrer bleibenden Vorrangstellung der Partei dar, die allerdings in der Theorie noch zur Phase des Übergangs zum K o m munismus gehören soll. An diese Ordnung der Gesellschaft erinnert Sartres Staat als Gruppe, nur daß er sie, gemäß den seiner Meinung nach herrschenden Verhältnissen, der Bourgeoisie imputiert. Aber er sieht, daß eine solche Ordnung „von oben" — als Realsetzung des transzendentalen Erfordernisses — auch für die sozialistische Sozialordnung maßgebend sein muß. Der Staat als Organ der Bourgeoisie erweist sich wiederum als eine Illustration einer allgemeineren Struktur. Sartre möchte beides sagen: der Staat ist Organ der herrschenden Klasse (historisch und sozial partikulär) und allgemeine Struktur (historisch und sozial universell). Es kann keine unstrukturierte gesellschaftliche Freiheit geben und auch 30

31

32

33

Cf. Engels, Anti-Dühring, Marx-Engels Werke (Dietz) 20, 2 6 2 ; dazu Lenin, Staat und Revolution, Werke (Dietz) 25, 407 ff. Cf. Anm. 23 oben; dazu J . Derbolav, Die kritische Hegelrezeption des jungen Marx . . . ; Studium Generale 15,4, 284-8. Cf. Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, Marx-Engels Werke (Dietz) 17, 3 3 8 ; 543 (Erster Entwurf); dazu Lenin, Staat und Revolution, Werke (Dietz) 25, 431 f. C R D 6 3 0 : „Et la raison qui fait que la dictature du prolétariat n'est à aucun moment apparue . . . c'est que l'idée même en est absurde . . . " .

172

Gesellschaft und Staat

keine Diktatur des Proletariats33. Sie wäre ein Überorganismus, und den kann es nicht geben. Eine unstrukturierte Gesellschaft oder ein Proletariat, gedacht als eine Subjektivität en masse, wäre vielmehr — hier hat Sartre ein Argument auf Grund seiner Theorie — seriell und könnte daher a fortiori nicht frei und nicht Subjektivität sein. Freiheit in einer Gesellschaft hat jeweils die herrschende Gruppe. Hier ist ein letzter Antagonismus zwischen Gruppensubjektivität und Gruppenobjekten. Er bestünde in einer sozialistischen Gesellschaft genauso. Sartre sieht, daß eine sozialistische Gesellschaft nur von einer zentralen, institutionalisierten Gruppe eingerichtet und geleitet werden kann. Er denkt sich allerdings in geschichtlicher Hinsicht, zusammen mit Marx, Engels und Lenin, daß der Staat absterben müsse54, nachdem das diktatorische Regime der Gruppe die sozialistische Lebensform zustandegebracht habe (bis dies geschehen ist, sind ihm Gewaltsamkeiten und Personenkult nur allzu verständlich). Das Absterben des Staates erscheint ihm als zunehmende Umgruppierung der außengesteuerten Kollektive 35 . Von solcher Umgruppierung ist aber kurz vorher gesagt, daß sie nur eine neue Ausweitung der souveränen Gruppe darstelle38. Die Forderung, die Sartre erhebt, ist eine Entbürokratisierung, Dezentralisierung und Demokratisierung; d. h. das Monopol der Gruppe muß vom Souverän allmählich aufgegeben werden. Sartre, denkt an die Bildung von „Arbeiterkomitees" (sie)'7. Man kann also sagen, es besteht nur die Idee einer Abschwädiung der zynischen Konsequenz der systematischen Theorie durch eine Pluralisierung der Gruppen, aber das ist kein strukturiertes Konzept, keine Reflexion auf das Zusammenbestehen der Vielen. Was wir bei unseren kritischen Reflexionen auf den Begriff des Staates schon sahen: eine Reflexion auf die Pluralität, eine Bestimmung der Struktur einer Gesellschaft im Sinne eines normativen Bildes, gibt es nicht. Und doch stellt die Pluralität einer Gesellschaft im Hinblick auf die Stabilisierung ihrer Freiheit — die natürlich auch begriffen werden müßte nach ihren Interdependenzen — strukturelle Aufgaben und Forderungen. Ein Strukturkonzept für das Zusammenbestehen von Freiheiten fehlt bei Sartre wie bei Marx, obwohl Sartre gegenüber Marx eine so ein34

35

ss

37

CRD 630. — Cf. Manifest der kommunistischen Partei, Marx-Engels Werke (Dietz) 4, 482; Engels, Anti-Dühring, ebda. 20, 261 f.; Lenin, Staat und Revolution, Werke (Dietz) 25, 407-13; 469 f., 473, 476. CRD 630: „regroupements de plus en plus vastes des sérialités extéro-conditionnées". CRD 629: „II faut comprendre, en effet, par la Raison dialectique elle-même, que toute création par le groupe souverain et institutionnel d'un prétendu regroupement des individus sériels (qu'il s'agisse de syndicats ou d'autres formations encadrées) ne peut être qu'une nouvelle différenciation et qu'une nouvelle extension du groupe lui-même.. CRD 629. — Lichtheim glossiert den Gedanken mit Anspielung auf Montesquieu: „enlightened despotism is expected to reform itself" (a.a.O. 243).

Der Übergang zur Geschichte

173

gehende Theorie der sozialen Strukturen gibt. Dies negative und darin inhaltlich differente Ergebnis ist paradox, aber es erklärt sich aus der Partikularität jeglidier Einheit: es sind immer Akteure oder Gruppen als Teil der Gesellschaft, die die Übrigen polarisieren; Einheit ist immer Einheit für jemanden, der die Übrigen totalisiert. Ohne dies Erfordernis der Partikularität ließe sich eine nicht partikulär usurpierte Einheit des Ganzen aufstellen und somit ein normatives Bild geben — Hegels Transzendentalphilosophie erscheint als Alternative —, aber damit wieder keine Reflexion des Ganzen auf die reale Pluralität der Konstituentien. Bei Sartre glaubt man, daß er mit seinem Ausgang bei der Einzelpraxis und seiner Insistenz auf der realen Partikularität diese Rücksicht auf die reale Pluralität besser bewerkstelligen könne. Aber wir sehen, daß es ihm nicht möglich ist, die Gesellschaft als ganze und freie theoretisch zu erfassen. Wegen der Bindung an Realität ist Gesellschaft immer nur usurpierte Gesellschaft für eine souveräne Gruppe. Diese Konzeption paßt gut zu einer von Sartre noch negativ bewerteten historischen oder zeitgenössischen Situation, wo der Staat als Organ der herrschenden bürgerlichen Klasse gedacht ist, aber im Laufe der Geschichte die andere Klasse sich mit einer entsprechenden Organisation an deren Stelle setzt. Aber auch wenn eine solche Entwicklung historisch zuende gedacht ist — soweit sie nicht schon an existierenden sozialistischen Gesellschaften exemplifiziert werden kann — bleibt die Entfremdung der Vielen durch die Gruppe und so der Mangel, daß die philosophische Anlage der Theorie eine Gesellschaft als freie im Ganzen nicht erfassen kann. Die Theorie, unter welchen Strukturbedingungen eine ganze Gesellschaft optimal frei ist, wird nicht gegeben. Marx fordert hier „Assoziation" 38 ; die strukturelle Anthropologie versteht statt dessen immer nur Projekte von partikulären Freiheiten oder Gruppen. Der Mensch in einer sozialistischen Ordnung „versteht" die Parteiherrschaft, und so auch der Philosoph, der sie als Folge der Universalisierung der Gruppe und gleichzeitiger Verfestigung der Mitglieder als Objekten sieht. Die strukturelle Anthropologie kann Gesellschaft immer nur nach partikulären Strukturen verstehen, weil es nur partikuläre Agentien gibt, u. U. eben universell-partikuläre, wie die souveräne Gruppe in einem diktatorischen oder sozialistischen Staat. Insofern gibt es also bei Sartre weder eine Theorie des Staates noch der Gesellschaft in dem Sinne, daß deren Struktur normative Reflexion auf ihre plurale Existenz wäre. Noch gibt es aber eine eigentliche Utopie. Insofern ist Sartre „realistisch", im Gegensatz zum Marxismus. Die marxistische Forderung nach „Assoziation" steht in Widerspruch zu Sartres Einsicht in die immer nur partikuläre universell zentrierende Gruppe. Und doch wird die fehlende Reflexion auf das Ganze als normatives Bild 36

Cf. auch Proudhons „association libre", Qu-est-ce que la propriété? Première mémoire (ed. Augé-Laribé, Paris, Rivière, 1926) 346.

174

Gesellschaft und Staat

bei Sartre, wie schon bei Marx — mit einer interessanten Parallele bei Hegel, der die Geschichte beim Staat abzweigen läßt, wenn auch systematisch gerade der Staat als vollendete Konzeption aufgezeigt wird — auf die Geschichte verwiesen. In der Geschichte tummeln sich die partikulären Akteure, bis es zu einer Totalisierung kommt, die dann die schon systematisch erforderliche, aber nicht geleistete Reflexion in der Gesellschafts- und Staatstheorie ersetzt. Gehen wir diesem Übergang etwas näher nach. Sartre meint, daß er mit seiner Analyse der Gruppe als letzter Totalisierung die Konkretion erreicht habe im Sinne eines Abschlusses der regressiven Verstehensbewegung und im Sinne von pluraler Wirklichkeit. Dies erscheint noch wieder abstrakt-strukturell so, daß die Gruppe wieder in der Verfestigung angekommen ist, von der sie ausgegangen ist. Das soll konkret heißen, daß jeder Einzelne und jede Gruppe in einem Milieu stehen, in dem sie seriell und Praxis sind. Anstatt die Gesellschaft nun in ihrer „synchronen" Realpluralität theoretisch zu betrachten — im Blick auf ihre optimale institutionellen Struktur — betrachtet Sartre sie in dem Sinne, daß nun überall Mischformen und keine reinen Formen, wie er sie in seinem Budi abgehandelt hat, existieren. Es gibt nur Gebilde mit pluralem Status 39 . Das „konkrete Allgemeine" (concret absolu)40 ist also weder, wie bei Hegel, ein idealer Einheitsbegriff als Fazit aus Pluralitäten, noch ein Syndironismus von Realitäten, sondern es bleibt eine Vielfalt des Status der zentralen jeweiligen Praxis, von der die Rede ist. Alles ist immer zentriert auf ein Subjekt (Einzelpraxis oder Gruppe). Auf Mischformationen sind einfach mehrere Strukturbegriffe anwendbar, aber die Verständlichkeit einer konkreten Gesellschaft ist gewahrt 41 , die Komplikation ist nicht zu groß für das Verstehen, so heißt es. Sartre sieht, daß er sich immer noch auf einer abstrakten Ebene befindet, weil immer nur von den inneren Bezügen einer zentrierenden Gruppe die Rede war, die er übrigens jetzt statt durch den Staat wieder durch die Klasse mit ihrer zentrierenden syndikalistischen Führungsgruppe vertreten sein läßt 42 . Das heißt, die Pluralität, wenn auch unter Marxscher Perspektive eingeengt auf den Antagonismus von zwei Klassen43, wird noch einmal, nunmehr als soziale Realität, als Koexistenz, Thema. Sartre fragt sich, was ja für selbständige Pluralitäten gefragt werden kann und muß, ob die Gegenaktion der anderen Klasse verständlich sei, ob deren Rückwirkungen auf die eine (als Subjekt angesetzte) Klasse vereinbar seien mit deren Totalisierung und Finalität 44 . Es kommt aber nicht zu einer ontologisdh-neutralen 3

» Cf. CRD 643, 649. CRD 143. 41 CRD: „ . . . toutes sont des possibles intelligibles ...". 42 Cf. CRD 668 f. 48 CRD 669: „je suppose une dualité pour plus de simplicité". 44 ebda. 40

Der Übergang zur Geschichte

175

Perspektive auf die soziale Pluralität, wie sie der Soziologie entspräche — die dann vielleicht eine Balance der gesellschaftlichen Faktoren behauptete —, sondern es bleibt dabei, daß die Klasse, die als nach Freiheit strebende Sartres Sympathie besitzt, Orientierungszentrum bleibt und ihre Dialektik im Antagonismus zur andern Klasse nunmehr real, irreversibel, geschichtlich auslebt, ja die andere Klasse, entsprechend dem Modell einer universellen, alles Übrige zentrierenden Gruppe, sich integriert. (Es handelt sich um eine Verallgemeinerung der „Widersprüche" in den Produktionsverhältnissen und ihrer Überwindung durch die Arbeiterklasse, von denen Marx, Engels und Lenin sprechen.) Damit ist nun ein Problem der Geschichte angeschnitten, denn anthropologisch, strukturell-begrifflich bliebe Reversibilität, Polyzentrismus usw. offen. Was die Verstehensgrundlagen angeht, so besteht eigentlich kein Problem, es handelt sich um eine „antagonistische Reziprozität" 45 , und ein Verständnis der andern Klasse und damit des Reagierens auf sie im Sinne der eignen Finalität im Klassenkampf ist gewährleistet. In der Geschichte, die im Ausblick verständlich erscheint, entzieht sich Sartre nunmehr also dem Problem, wie eine Gesellschaft in Reflexion auf sich ihre Antagonismen lösen kann, wie es systematische Gesellschaftsordnungen geben könnte, in denen dies Problem nicht mehr bestünde. Er setzt vielmehr, so wie er die sozialen Gebilde partikulär orientiert betrachtete, diese Gebilde jetzt historischpartikulär; Geschichte ist der Ort der Reflexion auf Existenz 48 . Sartre interessiert sich bei aller Betonung der Realität nicht für die soziale Gesamtstruktur, soziologisch oder normativ, sondern für die historische Totalisierung, das Verstehen der „Gegenklasse" und das praktische Angehen gegen sie von einer im Zentrum des Interesses stehenden Klasse (die doch selbst nur Reflexionsbestimmung ihr gegenüber ist). Die verstehende strukturelle Anthropologie wird also auf Geschichte umgelegt. Der Klassenkampf ist für Sartre (wenn es ihn gibt47, und es gibt ihn48) eine „conception totalisante de la société"49, der geschichtliche Ausweg der Theorie zu einer Gesamtbestimmung der Gesellschaft, die doch schon systematisch ein Desiderat war. Wir haben hier den Umschlagspunkt der Anthropologie zur Geschichte: die Anthropologie muß noch so weit kommen, die formellen Bedingungen der Geschichte aufzustellen 50 , und das wäre die Dualität der Klassen. Diese ist allerdings für Sartres Sozialphilosophie eigentlich kein Gegenstand der Herleitung, wie wir gesehen haben, sie ist ein Faktum, das man, wie jede 45 48

47 48 49 50

CRD 735. Cf. die Analogie bei Hegel, den Staat in seinem Außenverhältnis und den Ubergang zur Geschichte. Rechtsphilosophie, §§ 321 ff., 330 ff., 340. CRD 669. CRD 730, 744. CRD 740. CRD 743.

176

Gesellschaft und Staat

bestimmte Reziprozität, aus der Konkretion aufgreifen muß. Die Dualität der Klassen interessiert Sartre denn auch nicht als solche. Es geht nicht um Erfassung der Dualität oder Pluralität als systematische, sondern um ein nunmehr historisches Verstehen einer „temporalisation de la réciprocité" 51 . Die Umlegung auf Geschichte bietet sich an, wenn man verstehend von der Dualität der Klassen (als Ebene der Konkretion) noch zu einer weitergetriebenen Einheit gelangen will, wenn man die Reziprozität noch reduzieren will, nämlidi auf eine zentrierende Gruppe (was strukturell im Staat schon vorlag, ohne daß die Theorie, in Reflexion auf die Existenz anderer Pluralitäten, Gegengruppen in die eine Gruppe einordnen konnte; der Staat hat nur den „Begriff", wonach ihm keine Gruppe gleicher Universalität entgegensteht52). Die Geschichte ist der Ort, wo eine Eindeutigkeit und Einheit der Struktur der Gesellschaft trotz Partikularität herstellbar und darstellbar sein soll (was für die strukturelle Anthropologie nur ein Verstehensthema war; der Aufruf zur Praxis gehört selbst ider geschichtlichen Dimension an). Geschichte ist so der Ort der Reflexion auf Existenz, aber nur in dem Sinne, wie sich jetzt zeigt, daß eine Gruppe die andere realiter ausschaltet (was das zweite Budi von CRD zu zeigen hätte, während das erste dies nur verstehend vorbereitet). Daß in der Geschichte der einzelne Mensch in seiner Freiheit am Ende berücksichtigt ist, kann Sartre nicht zeigen; sogar die marxistische Utopie ist ihm verwehrt. Die Geschichte ist die Fluchtdimension der partikulären Transzendentalphilosophie, um doch zu einem Gesamt, zu einer Reflexion auf das Ganze als plurales zu kommen53. Von hier aus ist der Übergang zur Geschichte theoretisch gefordert, und nicht nur die Berücksichtigung größerer Konkretion innerhalb der strukturellen Anthropologie; denn so, wie diese angelegt ist, hat sie sie ja schon erreicht. Der Übergang ist das Pendant zu Marxens Auffassung, daß die Mängel der Philosophie Feuerbachs nicht in einer systematischen Anthropologie, sondern nur im Übergang zur Geschichte überwunden werden können. Die Geschichte wird, wie wir schon sahen, nach dem Schema der Reziprozität gedacht, als Überwindung des Antagonismus zugunsten einer einzigen Zentrierung der Gesellschaft als Ergebnis des Klassenkampfes. Die geschichtliche Dimension ist nicht eine Entwicklung auf der Ebene des Staates (wie bei Hegel), sondern auf der Ebene der Klasse, die für die Freiheit steht gegenüber einer bösen Gegenklasse. Nicht der Staat als inhaltliche Konzeption, sondern als Struktur erweist sich als maßgebend: seine Einigung ist eine, wenn auch universelle, neben möglichen andern und — geschichtlich, 51 5!

55

CRD 744. Cf. die entsprechende Problematik bei Hegels Diskussion des Verhältnisses von Staat und Kirdie in der Rethtsphilosophie § 270 Anm. Cf. CRD 160: „C'est aussi dans ce moment progressif (der Gesdiidite) que nous comprendrons enfin le sens de notre problème originel: qu'est-ce que la Vérité comme praxis d'unification synthétique, qu'est-ce que l'Histoire . .

Der Ubergang zur Geschichte

177

als ausgehend von der bürgerlichen Klasse — eine ungute, die durch den Klassenkampf überwunden werden kann, um dann — der Struktur nach — allerdings wiederzukehren. Der Staat ist also Organ der herrschenden Klasse und auch Illustration für einen so allgemeinen Strukturbegriff, die universelle Zentrierung der Gesellschaft durch eine Gruppe, daß seine Struktur auch bei der obsiegenden Klasse vorliegen wird. Hier liegt ein inhaltlicher Differenzpunkt zu Marx, Engels und dem Lenin der Theorie 54 . Wir sehen: durch die geschichtliche Umlegung wird die Frage nach einem normativen Bild der Gesellschaft vermieden zugunsten einer Betrachtung — noch nicht der eigentlichen Geschichte und noch nicht der eigentlichen Prognose, aber der in der strukturellen Anthropologie liegenden Anweisung auf soetwas wie eine irreversibel von einer Gruppe zentrierte und insofern einheitliche Gesellschaft als ganze. Das systematische sozialphilosophische Problem bleibt demgegenüber zurück. Wir müssen dies Ergebnis begreifen nicht nur aus dem Bestreben Sartres, Marx nahezubleiben — hier ergibt sich ja bei aller Verwandtschaft auch eine Differenz —, sondern als Fazit aus der theoretischen Anlage der Sartresdien Sozialphilosophie als nominalistischer Transzendentalphilosophie, wie wir sie schon mehrmals diskutiert haben. Trotz aller Transzendentalität fehlt das Normative als ein für die Pluralität der Gesellschaft strukturbestimmendes Moment. Das Normative ist nur inkarniert in einer partikulären Gruppe, die Sartres Sympathie hat, der Arbeiterklasse. Wenn einmal der soziale Bereich geschichtlich homogen geworden ist, die Klasse also nicht mehr Reflexionsbestimmung ist55, dann besagt die schon betrachtete Analyse der strukturellen Anthropologie, daß auch hier wieder Hierarchie und Entfremdung in der universellen Gruppe oder im Staat herrschen werden, möglicherweise abgeschwächt zu pluralen Gruppen, die aber immer wieder zentriert werden von einer Zentralgruppe. Die Verlegung auf die geschichtliche Dimension ermöglicht so zwar von einem Ganzen der Gesellschaft zu sprechen, ohne soziologisch werden zu müssen und ohne die Partikularität der Realdialektik aufzugeben, aber die Strukturanalyse zieht den Gewinn wieder weg, indem sie zeigt, daß es nach ihren eignen Einsichten keine Konzeption einer ganzen Gesellschaft geben kann, die in Reflexion auf sich frei ist. Die Paradoxie ist eine vielleicht unfreiwillige Konsequenz, die sich in Sartres transzendentaler Nachkonstruktion des Marxismus ergibt, wenn sie auch, zwar nicht Marx, aber doch der späteren Entwicklung des Marxismus zu entsprechen scheint.

54 55

Cf. unten 196. Cf. Marx, Deutsche Ideologie, Marx-Engels Werke (Dietz) 3, 75; Die Heilige Familie, ebda. 2, 37 f. Cf. Marx, Brief vom 5. März 1852 an Weydemeyer, Marx-Engels Werke (Dietz) 28, 503-9. — Cf. oben 118 Anm.36 u. 124 Anm.42.

VIII. Rückblick auf die Theorie Wir haben den „Stoff" von Sartres Sozialphilosophie, wenn auch immer schon verbunden mit einem kritischen Blick auf die Theorie, abgeschlossen. Dabei galt uns als Stoff einmal die in E N enthaltene Soziallehre, dann die Existenzialismus-Schrifl, der Essay „Materialismus und Revolution", und schließlich als Hauptquelle CRD. Nicht sind wir eingegangen auf literarische Zeugnisse für eine „Einstellung" Sartres zum Sozialen, für ein Ethos etwa, oder ein pathetisches Engagement, das sich in ihnen ausspricht. Umso weniger, als die in den Romanen und Theaterstücken enthaltenen Gedanken zumeist noch der absoluten Freiheitsthese gelten und für unser Thema, trotz der literarischen Konkretion, unergiebig und abstrakt bleiben. Damit braucht der Sinn einer Heranziehung solcher Zeugnisse nicht bestritten zu werden. Unter einem geistesgeschichtlichen Aspekt hätten gerade diese Zeugnisse als Kulturerscheinung Bedeutung. Zur näheren Erfassung dieses geistesgeschichtlichen Phänomens hätten wir den geschichtlichen Zusammenhang für Sartres Haltung betrachten müssen — die resistance, die marxistische Zeitströmung und manches andere mehr. Letztlich hätte uns eine geistige Gestalt, ein einheitlicher Tenor von Sartres Einstellung, beschäftigen müssen, ein Porträt der Weltanschauung Sartres wäre zur Aufgabe geworden. Wir haben keine solche Betrachtung Sartres versucht, sondern uns an Sozialphilosophie als Philosophie gehalten. Aber auch hierfür bedarf es einer Unterscheidung. Es kam uns nicht einfach auf eine Darstellung dessen an, was Sartre sich für den Bereich des Sozialen „vorstellt", wie er diesen Bereich entwirft. Dies war immer auch zu behandeln — etwa die noch individualistische Lehre von EN, der Übergang zu einer marxistischen Deutung der Sozialsphäre im Materialismus-Essay, schließlich die nun nicht mehr individualistische Lehre in CRD. Schon in EN, ganz deutlich aber in CRD, will Sartre auch Begründung seines sozialen Entwurfs (soweit davon jeweils die Rede sein kann), er will Transzendentalphilosophie. Und so trat für uns Sartres Sozialphilosophie als Theorie in den Vordergrund, Untersuchung der Sartreschen Sozialphilosophie wurde wesentlich Untersuchung der sozialphilosophischen Theorie. Jede Sozialphilosophie ist auch Theorie; aber bei einer transzendental angelegten Sozialphilosophie mußte dieser Aspekt in den Mittelpunkt gerückt werden. Es gibt hier keine Trennung von „Stoff" und „Theorie". Vergegenwärtigen wir uns noch einmal diese allgemeine Sachlage.

Rückblick auf die Theorie

179

Es ist nidit so, daß eine Theorie des Sozialen nur Unterstellung von Verstehens- und Begründungsunterlagen ist für ein Festes, daß es also nur um eine immer klügere und richtigere Hypothese für das Zugestandene ginge. Eine Theorie des Sozialen ist vielmehr entwerfend und begründend. Ihr Objekt ist nicht das Soziale als Bereich positiver Feststellungen, zu denen ggf. eine Theorie gemacht wird. Man kann es allerdings so betrachten — das tut etwa die Soziologie, wofern wir sie überhaupt als Theorie ansehen wollen —, aber damit ist Normativität und Begründung ausgeschlossen. Der soziale Bereich ist ein Bereich des Willens, des Rechts und der Politik, kurz des Praktischen. Gelingt eine Grundlegung des Praktischen, so wird hier ein normatives Element seinen Platz haben. Die Theorie muß antworten auf die Frage: wie sollen Menschen handeln angesichts der Tatsache, daß es mehrere, Andere, gibt? Oder, wenn dies noch ethisch gefragt war: wie sollen menschliche Sozialgebilde strukturiert sein, damit Menschen frei sind? Das heißt für eine Theorie des Sozialen, daß sie nicht nur Grundlagen legt für ein Zugestandenes, sondern differente Folgerungen aus ihrer Grundlegung zieht für dasjenige, wovon sie Theorie ist. Sie will nicht deskriptiv sein oder nur Hypothesen suchen, die künftiges Verhalten erklären, sondern ein Normatives aufstellen, einen Anspruch erheben1. Sozialtheorie, die bewußt Grundlegungsfragen stellt, Sozialphilosophie transzendentaler Art, stellt ein eignes System dar, in der sich Grund und Begründetes bedingen und doch auch das Zu-Begründende vom Grund aus erst gesetzt wird. Das, was für eine geistesgeschichtliche Betrachtung ein weltanschauliches oder biographisches Moment ist — die Wertvorstellungen oder das Ethos Sartres, sein Arrangement mit dem Kollektivismus — erscheint in unserer Betrachtung als differenter Charakter und als differente Folge einer Theorie auf Grund einer Ausgangsposition, die zur Begründung dienen soll und dabei in sich letzte Grundlage ist. Versuchen wir nach dieser Einstimmung in an früherer Stelle schon Gesagtes einen Rückblick auf die Theorie, in dem die verstreut gemachten Bemerkungen gesammelt sind, ferner eine Kritik der Theorie und eine Betrachtung ihres Verhältnisses zum Marxismus.

1

So sagt Sartre C R D 119: „la Raison dialectique . . . ne se borne pas à orienter les recherches, pas même à préjuger du mode d'apparition des objets: elle légifère, elle définit le monde (humain ou total) tel qu'il doit être pour qu'une connaissance dialectique soit possible . . .", wobei hier allerdings das Praktische als Seinsbereich verstanden wird, den es zu erkennen gilt. — Von der Methode her blickend, die ihre Ergebnisse stipuliert, sagt Nauta (a.a.O. 155), die „Legitimität der Methode, die sich selbst als apriorisch und apodiktisch bezeichnet, (kann) vom Inhaltlichen her einfach nicht beanstandet werden".

180

Rückblick auf die Theorie 1. Die Theorie als immanente

Wenn wir Sartres Theorie des Sozialen im Überblick betrachten, so ist der bestimmende Eindruck, daß sie eine strenge Ordnung hat: sie geht aus von der Einzelpraxis, nimmt dann das Verhältnis der Reziprozität zwischen Menschen hinzu, schreitet fort zu Kollektiven der Entfremdung, proklamiert die Gruppe als gemeinschaftliche Befreiung vom Kollektiv, entwickelt dann die Gruppe als wieder verfestigten und entfremdeten Apparat. Diese Ordnung zeigt die Progression einer Geschichte, nun nicht mehr, wie bei Fichte und Hegel, einer „Bewußtseinsgeschichte", sondern einer Geschichte der menschlichen Praxis und des menschlichen Verstehens im sozialen Raum. Es scheint so, als ob „der" Mensch so handelte, ihm so mitgespielt würde, bis er sich voll entfaltet hat. Aber natürlich gibt es „den" Menschen nicht, der sich zum Kollektiv und zur Gruppe entwickelte. Dennoch liegt eine „Geschichte" vor, aber eben richtiger eine Bewegung des Verstehens von sozialen Strukturen (die für Hegel Gestalten des Geistes wären) von einem Ausgangspunkt aus, der das Verstehen gestatten soll. Die Begründung von Mehrerem, die verlangt ist, kann nur nacheinander gegeben werden, in einer linearen Bewegung, die sich von Anfang zu Abschluß erstreckt. Dabei fängt die Begründungs- oder Verstehensbewegung bei etwas an, das unter Absehung von der sozialen Gesamtheit und Konkretion, die am Abschluß stehen muß, betrachtet wird. Der Anfang soll ja (als Prinzip) das Übrige verstehen lassen und begründen, muß also, trotz aller Finalität in Richtung auf den Abschluß, für sich genommen werden können. Dies ist mutatis mutandis bei jedem relativ Früheren gegenüber einem Späteren der Fall. Die transzendentale Progression hat es dabei in ihrem Verlauf mit „Abstraktem", „Reinerem", zu tun, als es in Wirklichkeit besteht, ist aber gehalten, von daher zu einer vollständigen Exposition des Sozialen zu gelangen, in der die Konkretion getroffen ist. Die transzendentale Bewegung ist Regression zum Konkreten2. Dies erscheint nicht als höhere Einheit, als Ganzheit des Sozialen, gefaßt in einer dieses umfassenden Kategorie, sondern als Vielfachheit, als Milieu, in dem alle vorher dargetanen Sozialgebilde sind, aber mit dem weitern Gedanken, daß doch ein abschließendes Sozialgebilde das gesamte Milieu umgreift. Dies ist nur ein Aspekt der grundsätzlichen Forderung, daß die Begründungsbewegung vom Einzelnen auszugehen und sich auch im Verlauf auf den Einzelnen zu beschränken habe oder auf eine Pluralität solcher Einzelner, daß also keine Einheitskonzeption — die des Geistes als des eigentlich Wahren, als Substanz — über allem stehe. Vom Menschen als Praxis muß gezeigt werden, in welchen sozialen Gebilden er stehen kann. Wir sprachen mit Sartre von einem dialektischen Nominalismus. 2

Cf. oben 66.

Die Theorie als immanente

181

Die fortschreitende Bestimmung der Sozialgebilde ist geleitet von Prinzipien, die der nominalistisdien Forderung genügen müssen. So ist der Mensch als Praxis Prinzip und Einzelner, existierendes Prinzip, und zwar in der Simultaneität mit Anderen, also auch partikulär, und entsprechend für die andern Praxisgestalten. Nun folgt für eine Auffassung wie die Sartresche nicht einfach etwas aus etwas: es handelt sich nicht um eine Deduktion in einem theoretischen Beweis, auch nicht um eine logische Entfaltung des Impliziten in expliziten Stufen, sondern um etwas Eignes, um ein verstehendes Begründen. Angesichts der Existenz der Praxis als Grund und der andern Praxisgestalten kann — wie wir näher verfolgt haben — andere Praxis hinzugenommen werden, nicht als nur prinzipiell dual gedachte Differenzstufe innerhalb einer Einheit, sondern als partikuläre andere Praxeis, die in einer Reziprozität oder modifizierten Reziprozität stehen. Es wird keine neue kategorial faßbare Einheit begründet, sondern ein Zusammensein verstanden mit den Mitteln der verstehenden Praxis, die ich bin und die jeder ist, der in einem Sozialgebilde steht. Die Begründungsbewegung von CRD ist eine Verstehensbewegung. Die Unterscheidung von Begründen und Verstehen entspricht dem Gegensatz von rationalem Prinzip einer kategorialen Theorie und einem existierenden Prinzip, das Rationalität mit Sein verbindet. Verstehen ist somit nicht einfach Verstehen im alltäglichen Sinn — obwohl das immer mitgemeint ist, Verstehen im gemeinten Sinn muß als alltägliches Verstehen vorstellbar sein —, audi nicht im gereinigten Sinn von Max Weber als „Sinnverstehen", sondern ein eigentümliches Einsichtigsein eines Konkreten auf Grund eines oder mehrerer Prinzipien. Das Konkrete wird verstanden als Prinzipiat der verstehenden Praxis. Damit ist das Verfahren, wie der Philosoph Weiteres — als für den konkreten Menschen verständlich — anbahnt, ein lockeres Verfahren. Es kann sich nicht auf eine im theoretischen Bereich entwickelte letztbegründende transzendentale Theorie stützen3, sondern ist unter dem Gesichtspunkt der Existenz und Partikularität der Prinzipien zu entwickeln, also an ihm selbst nicht strenger als ein Verstehen es ist. Und doch ist der Ausgangspunkt und so jede Gestalt der Praxis im Sozialen „theoretisch gefaßt", so daß sich eine Richtschnur ergibt. Die Praxis ist als Prinzip gefaßt, und das heißt, es gibt eine Logik für ihre Prinzipiate. Wir müssen von einer Gemeinschaftsform sagen können, sie entspreche dem Prinzip der Praxis, sei Analogie zu Freiheit, Entwurf, Selbstsein, Handlung, Objektivation. Die Fassung der Praxis als Prinzip ist also reicher als ein formaler Fürsichseinsbegriff, und doch ist eine formale Struktur (eben die des Fürsichseins) leitend für die Aufstellung ihrer Prinzipiate. Praxis ist Vernunft, reicher gemeint als die Freiheit der Existenzialismus-Schrift, ist Verstehen von solchem, das der Praxis kongenial ist. 3

Cf. oben 59.

182

Rückblick auf die Theorie

Das Verstehen verlangt also eine Doppelcharakteristik seines Ausgangspunkts und seiner Bewegung, und zwar als Praxis und als philosophisches Verfahren. Verstehen ist Begründen aus einem Prinzip der Praxis (und weiterer Prinzipien), aber ohne kategoriale Einheitsbegriffe logisch herleiten zu wollen, sondern nur so, daß von der Einzelpraxis aus Prinzipiate ihrer selbst als Prinzips, gewissermaßen plurale „Vergrößerungen" ihrer selbst, die insofern mit ihr homogen sind, verstehend erschlossen werden. Welche „Vergrößerungen" das sind, ist aus der Konkretion näher zu bestimmen. Die Dialektik hat nur wenige Stufen — Praxis, Reziprozität, Entfremdungskollektive, Gruppe, verfestigte Gruppe —, die in verschiedenen Steigerungen als Beispielssphären konkretisiert werden. In Abstraktion handelt es sich um eine Verstrickung der Praxis mit der Materie (als knappe und als positive), die in verstehbarer Weise nach Stufen artikuliert ist. Wir brauchen die nähere Rolle der Verstehenspiunzipien in der Theorie nicht noch einmal vorzuführen. Es genügt uns hier, daß Sartre etwa die Möglichkeit hat, ein ganzes Spektrum von entfremdeten Sozialgebilden als verstehbar hinzustellen. In dem relativ freien Verfahren, was die Mittel der Herleitung angeht, kann Sartre über die Gebilde der Entfremdung hinausschreiten durch Aufstellung einer verstehbaren Praxis der Gruppe. Sie ist populär verstehbar; zu fragen war, ob sich auch ein prinzipgeleitetes Verstehen aufzeigen läßt. Hier ist das experimentum crucis der partikulären Transzendentalphilosophie in ihrem Verhältnis zur kategorialen. Mehr als die Plausibilität, die Sartre hier anbietet, werden wir nicht erwarten können; es handelt sich ja wie sdion bei der Reziprozität um die Quadratur des Zirkels, um praktische Einheit von Praxeis, die ontologisch einzelne bleiben. Wiederum recht glücklich erscheinende, aus Prinzipien einsichtige Folgeergebnisse aus der Gestalt der Gruppe — der Eid, die stabilisierte Gruppe, Institutionen, Staat, organisierte Klasse — führen zur Konkretion in dem Sinne, daß die Gesellschaft total zentrierende Strukturen — Gruppen als Herrschaft — dargetan werden, in die alle anderen Sozialgebilde eingeordnet sind. Die Konkretion zeigt ein doppeltes Gesicht: sie ist nicht Einheitsgestalt, sondern Pluralität, Milieu der Vielen — Einzelner wie Gruppen —, andrerseits ist sie aber auch Einheit als alles Andere zentrierende Gruppe. Uberschauen wir den Duktus der Verstehensbewegung, so ergibt sie sidi als ein großer Bogen oder Kreis von subjektiver Unmittelbarkeit (Praxis) über die Opposition gegen ein dem Subjekt als Praxis kategorial nicht Kongeniales, aber einer Aneignung Fähiges — die Materie, die auf den Menschen entfremdend zurückwirkt — zur Identifikation mit dem Kongenialen — in der Gruppe —, und von da aus als ein erneuter Weg zu nunmehr innerer, gesetzter Opposition des Subjekts zum Nicht-Kongenialen — der verfestigten Gruppe. Die Motivation für diesen Duktus erscheint vordergründig als ein Ins-Spiel-Treten von für die Praxis bedingenden Faktoren: Materie und Knappheit in ihrer Ausdeutung als plural entfremdend. Tiefer

Die Theorie als immanente

183

verstanden ist aber ein grundsätzlich Hegelsches Schema, wenn auch stark abgewandelt, leitend. Es ist organisierendes Schema der dialektischen Vernunft für eine explizite Bewegung der Praxis und des Verstehens. Als Schema ist es eine Kontraktion wiederholter Hegelscher Bewegungen vom NichtKongenialen zum Kongenialen (im Rahmen einer ordnenden Architektonik) zu einem Kreis, einem nun nicht kategonialen, sondern existenzialen Zusichkommen des Menschen als Freiheit. Innerhalb seiner sind die näheren Entfaltungen Steigerungen des grundsätzlich schon Bezeichneten. Wir sehen in der Durchführung, daß der Abschluß der Bewegung nicht zusammenfällt mit der Erreichung des Kongenialen in der Objektivität (Hegels objektivem Geist); die Entfaltung dieses Höhepunkts — der werdenden Gruppe — ist wieder ein Abstieg, eine Differenzstufe, die in der Differenz verharrt. Der Abschluß der Verstehensbewegung enthält dann das Problem, inwiefern Sartres Soziallehre das Ganze der Gesellschafi erfassen kann. Wie wir gesehen haben 4 , muß er die Gesellschaft dazu zentriert sein lassen von einer partikulären Gruppe aus. Damit ist eine normative Aussage über den sozialen Bereich als ganzen unmöglich. Ein seiendes Miteinander von Strukturen ist transzendental nicht erfaßbar 5 , jedenfalls schien es uns weder mit Hegel noch mit Sartre erfaßt. Vielmehr wird Sartres Theorie an dieser Stelle geschichtlich*. Die Unbefriedigung der Theorie innerhalb der systematischen Verstehensbewegung erscheint geradezu als Begründung einer transzendental zu begreifenden Geschichte. Der Ubergang zur Geschichte ist in CRD durch den partikulär-normativen Charakter angelegt. Die Praxis als Prinzip kann wieder konkret verstanden werden als Schaffen einer Einheit, wie sie die strukturelle Anthropologie nicht bieten kann. Nicht wie bei Hegel, weil systematisch das Ganze — der Staat — erreicht ist, kann nunmehr die zeitliche Entwicklung von Ganzem behandelt werden, sondern umgekehrt, weil das Ganze von der partikulären Praxis nicht systematisch gerechtfertigt, sondern nur als geschichtliche Aufgabe verstanden werden kann. Die Ganzheit, die die strukturelle Anthropologie hier allein als durch sie prinzipiierte offenläßt, ist jedoch wieder eine partikulär zentrierte, die einer herrschenden Gruppe, und keine freie Assoziation, wie man sich — mit Marx oder Proudhon — den Kompromiß absoluter Freiheit und Sozialität gern vorstellt. Versuchen wir nun, nach dieser vereinfachenden Zusammenfassung der Thematik und des Verfahrens von CRD, unsere früheren kritischen Bemerkungen zu sammeln und ebenfalls auf einen einfachen Ausdruck zu bringen.

4 5 8

Cf. oben 167 ff., 173. Cf. oben 167 f. Cf. oben 174 ff.

Í84

Rückblick auf die Theorie

2. Kritik

der Theorie

als

immanenter

Unsere kritischen Reflexionen bei Gelegenheit einer Betrachtung des Sartreschen Verfahrens — im „Vorbegriff der Critique" — und der einzelnen Schritte der durchgeführten Theorie — in den folgenden materialen Kapiteln wie auch in der obigen Zusammenfassung — führen uns immer wieder auf dieselben neuralgischen Punkte, die eng zusammengehören: den Begründungscharakter der Theorie und, damit zusammenhängend, den Primat des Praktischen, die partikuläre Existenz des Grundes, die NichtKategorialität und die Realdialektik in dem doppelten Sinne der verständlichen Handlung und des Verstehensfortschritts der Theorie. Das ontologische Moment, das bei Sartre (nach dem Vorgang von Heidegger, wenn wir nicht schon Kierkegaard nennen wollen) in die Transzendentalphilosophie eingeführt worden ist, führt dazu, daß eine Begründung für Gültigkeitsdifferentes, Zu-Begründendes aus einem Grund nicht an einem sido selbst gründenden Grund festgemacht sein kann7, der gleichzeitig autonome Instanz der Rechtfertigung ist. Wir können dies Problem unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Unvollständigkeit einer Transzendentalphilosophie sehen, die in keiner theoretischen Dimension die Rationalität fassen kann, die sie auf das existierende Prinzip und die zu entwickelnden partikulären Prinzipiate anwendet. Oder wir können das Problem sehen vom Primat des Praktischen her8, der mit der ontologischen Grundlegung bei Sartre gegeben ist. Ein existierendes Subjekt ist praktisches Subjekt. Für die Theorie gültiger Praxis steht aber kein theoretisches Organon zur Verfügung, das dem Gültigkeitsbereich des Praktischen vorgeordnet wäre, der seinerseits entweder mit dem des Theoretischen koordiniert und gemeinsam unter einer Theorie der Gültigkeitsbegründung steht (neukantianische Fassung) oder in einer linearen Progression spätere Stufe ist gegenüber dem Theoretischen als früherer (Hegeische Fassung). Wir sahen, wie Sartres Begründung vom Primat des Praktischen her zur kritischen Erfahrung wird, andrerseits abstrakte dialektische Strukturen auf das Subjekt als Praxis angewandt werden, die von Hegel stammen, aber — an ihrem Sartreschen Ursprungsort in EN — in einer undialektischen Begründung angebahnt worden sind®. Die Transzendentalphilosophie gibt ihr „reines" Verfahren wieder auf, um dem „Sein" des Grundes gerechtzuwerden — nicht als Protest gegen Theorie, wie bei Kierkegaard, sondern durchaus mit der Absicht, auf der neuen Basis wieder Theorie zu geben. Es trennt sich rationale Disposition von Prinzipien, oder Begründung, und Verstehen, oder nichtkategoriale Herleitung von pluralen Strukturen. Cf. oben 58 f. Cf. oben 59, 69. • Cf. oben 20.

7

9

Kritik der Theorie als immanenter

185

Erscheint das Gesagte als Kritik, so fragt sich, ob damit ein Plädoyer für die Hegeische oder neukantianische Philosophie gegeben sein soll. H a t nicht die Sartresche Position ihren starken Punkt darin, daß sie für den Bereich des Sozialen die ontologische Selbständigkeit der Einzelnen gegenüber dem Kategorialen doch überzeugend ins Feld führen kann10? Sicherlich wünschen wir, etwa für die Subjektsphilosophie von EN, eine reinere begründende transzendentale Theorie, der ein „Anhang" über die Faktizität des Subjekts beigeordnet werden könnte. Schon hier herrscht Unbehagen, und könnte die Erweiterung einer solchen Faktizitätsmodifikation auf den sozialen Bereich je gelingen? Oder die transzendentale Theorie müßte in Hegelscher Weise in Real- und das heißt hier Geistphilosophie übergeführt werden (mit dem bekannten Problem der Möglichkeit einer solchen Weiterführung von der Logik aus). Aber können wir, von diesem Problem abgesehen, für die pluralen Strukturen, schon für Reziprozität, aber erst recht für größere Sozialgebilde, so verfahren? Hegels Rechtsphilosophie geht in diesem Bereich mit kategorialen Einheitsbegriffen vor, es scheint aber, daß die Faktizität, die hier nur prinzipiell, als Differenz, eingeführt ist, in ihrer Pluralität strukturdifferent ist für die Einheit, die sie konstituiert. Wir können dann z. B. nicht Hegels Staat in einem „Anhang" über seine plurale Faktizität relativieren, die Gewinnung seines Begriffs aber nach der reinen Theorie Hegels vornehmen. Der Umbau des Begriffs, der erforderlich würde, käme seiner Zerstörung gleich. Der Begriff müßte, wenn wir uns der These von der konstitutiven Funktion des Faktischen beugen, als „Horizont" der Einheit maßgebend bleiben, und doch bedürfen wir einer Theorie, die dem Irreduziblen selbst eine Verständlichkeit abgewinnt 11 . Wir sagen nicht, daß Sartre eine Verbindung des kategorialen Moments und des faktischen, wie er sie offensichtlich anstrebt, auch gelungen sei; wir sehen sogar nicht, wie sie in der Theorie, eben als reiner, transzendental zu rechtfertigender und letztzubegründender, möglich wäre. Die transzendentale Rationalität wird wieder irreduzibel, kann sich nicht streng rechtfertigen, ist verwiesen auf kritische Erfahrung, auf Verstehen mit Prinzipien, die selbst eine Einheit von Irreduzibilität und Rationalität darstellen". Man kann sagen, die Ontologisierung des transzendentalen Grundes sei eine Metabasis, sei ungerechtfertigt, man kann aber auch sagen, eine Einsicht in die Unvollkommenheit des kategorialen Verfahrens, das Sartre als „Idealismus" inadäquat kritisiert, führe zur Ausbildung eines transzendentalen Verfahrens, das zwar nur auf Grund von Irreduzibilitäten Irreduzibles begründet, aber doch prinzipiengeleitet ist und so Rationalität besitzt. In diesem Sinne müssen wir Sartres Prinzipientheorie und Methodologie in 10 11 12

Cf. oben 143 f. Cf. oben 60, 64, 105 f., 143 f. Cf. oben 60, 62 ff.

186

Rückblick auf die Theorie

C R D auffassen. (Es versteht sidi dabei von selbst, daß Sartres ontologischer Begriff vom Menschen seinem ursprünglichen Ort in E N nach nicht schon für Zwecke eines Verständnisses von irreduziblen sozialen Pluralitäten entworfen war, sondern eher eine Rationalmachung eines Seinsbegriffs des Menschen bei Heidegger darstellte13, wenn auch in E N sdion dialektische Entfaltung vorkam, aber eben in subjektiver Immanenz.) Nach dem angegebenen Verständnis liegt in CRD also trotz des Eingehens auf Irreduzibles nicht Beliebigkeit, sondern ein Verfahren, eine Theorie, vor. Die Theorie nötigt uns Konsequenzen auf, die auf Grund der Begründung different sind: die alternativ zueinander stehenden sozialen Gebilde von Kollektiven und Gruppen und, vor allem, den Gedanken, daß eine ganzheitliche, normative Struktur der Gesellschaft oder des Staates sich nicht aufstellen lasse, daß vielmehr nur partikuläre Strukturen entwickelt werden können, mit dem konkreten Implikat sozialer Usurpation. Wir „verstehen", wie diese Konsequenzen bedingt sind von den irreduziblen Elementen, die die Theorie einbezieht, beurteilen sie aber gern von außen, von einer kategorialen Theorie, der Hegeischen als einziger vergleichbarer, her. Von dort aus gesehen scheint Sartre, mit der geringeren Strenge, um nicht zu sagen Willkür, seines Verfahrens im Vergleich zu Hegel, ins umgekehrte Extrem gefallen zu sein. Was ist zur Rechtfertigung des Verfahrens an ihm selbst zu sagen? Fragen wir also noch einmal zusammenfassend nach der Möglichkeit und Dignität des Verfahrens selbst auf der Grundlage der irreduziblen Prinzipien, und ob von daher eine Kritik geltend gemacht werden kann. Die anscheinende Konkretion der einzelnen Stufen, die der abschließenden Konkretion vorausgehen, ermöglicht suggestive Schilderungen von sozialen Gebilden, sie ermöglicht vor allem eine Realdialektik in dem Sinn, daß die Übergänge — soweit sie nicht nur gesteigerte Beispiele einer schon dargetanen Struktur sind — als Praxis vorstellbar sind, als in Wirklichkeitskontinuität sich abspielend. Die Verstehensbewegung ist in ihren wesentlichen Schritten — vom Einzelnen zur Reziprozität, zum entfremdeten Kollektiv, zur Gruppe, zur Verfestigung der Gruppe — jeweils in den Übergängen als wirklicher Prozeß, als exemplarische Realbewegung vorstellbar. Und doch schreitet die Verstehensbewegung nach Prinzipien weiter, nach einer Disposition der Vernunft, die ihre eigne Dignität hat. Die Realdialektik der einzelnen Strukturen ist die methodisch gewordene Korrektur eines „reinen" Verfahrens, indem sie uns zwingt, die Pluralität jeweils zu berücksichtigen, keine begrifflichen Übergänge zu vollziehen, wenn auch die Beispielssphären wechseln können und nicht ein identischer geschichtlicher Prozeß abläuft. Die anscheinende Konkretion der einzelnen Stufen bedeutet aber auch, daß die Finalität der Verstehensbewegung als Praxis, Entschluß, Handlung bzw. 15

Cf. oben 13, 21.

Kritik der Theorie als immanenter

187

als Entfremdung und Befreiung erscheint. Die Finalität wird abgelöst durch ein Geschehen, wodurch auch eine exemplarische Bedeutung für Geschichte nahegelegt ist. Die konkrete Situation der betreffenden Praxis erscheint als Grund für das Weitergehen der Bewegung. Denken wir etwa an die Entfremdungsstrukturen, so erscheint der transzendentale Duktus als konkretes Fazit aus der sozialen Entfremdung. Konkrete Entfremdungsstadien erscheinen als Motiv für die Emanzipation, wie in der von Marx behaupteten geschichtlichen Progression. Das Irritierende daran ist, daß das Konkrete — in der Verstehensbewegung konkret Illustrierte —, um konkret zu sein, im ganzen wirklichen konkreten Milieu zu nehmen wäre, in dem andere Partikularitäten und Gegenkräfte spielen, während nur in der transzendentalen Abstraktion — zu Zwecken der linearen Verstehensbewegung, die aber eben konkret illustriert wird — die Entfremdung als solche erscheint. Die transzendentale Bewegung wäre durch Hineinnahme anderer partikulärer Gebilde sofort übersprungen zur tatsächlichen, soziologischen Konkretion. Mit anderen Worten: für die Bewegung des Verstehens ist maßgebend die betreffende Praxis als abstrakte, unter Abbiendung der „lateralen" simultanen Gebilde, also der Partikularität; für die realdialektische Motivation des Weiterschreitens als eines Handelns ist maßgebend die Konkretion, die, dem abstrakten Stadium entsprechend, diesem Suggestivität gibt. Bedenken wir noch einmal diesen schon mehrmals behandelten Punkt 14 der transzendentalenTäuschung. Ist Täuschung nicht in jeder Transzendentalphilosophie, die Stufen vorsieht, unausweichlich? Auch in der „idealistischen" Transzendentalphilosophie Hegels, kann man sagen, ist die stufenweise Abhandlung der Bestimmungen ein Problem. Was den Bereich des erkennenden, theoretischen Geistes angeht, so kann hier gelten, daß alle vorläufigen Stufen Teilbestimmungen einer absoluten Wahrheit sind, die als solche so „sind", wie sie vorgeführt werden: die kategorialenBestimmungen sind ihrerseits zwar nur relativ wahr, aber unwahr ist nur ihr Seiendsein, ihre Endlichkeit gegenüber einem letzten Begriff des Ganzen. Es gibt so keine „wahren" Seienden, aber der begriffliche Abschluß im Absoluten stellt das Frühere nicht wieder in Frage. Die Kategorien gelten für Jeweiliges, das so ist, wie es in der Kategorie bezeichnet ist15. Kritischer wird das Problem für die Bestimmungen eines sozial-pluralen Bereichs, als Bereichs des praktischen Geistes. Wenn hier Pluralität des Geistes konstitutiv ist, heißt das nicht, daß alles, was es in diesem Bereich gibt, nur 14 15

C f . oben 66, 1 1 2 , 130 f. Bradley hat aus Hegels Dialektik allerdings die Konsequenz eines Monismus gezogen. — Für eine Ontologie, die ein Realsystem als Ganzes von interdependenten Entitäten (Leibniz, Whitehead) zugrundelegt, träte das im folgenden betrachtete Problem des sozialen Bereichs auf, wenn sidi solche Philosopheme nicht auf einen einheitlichen Seinsbegriff (Monade, actual entity) beschränkten.

188

Rückblick auf die Theorie

so ist, wie es ist, indem so vieles Andere, Existierende, auch so ist, wie es ist? Ist die simultane Konkretion nicht Voraussetzung für jedes Gebilde seiner Bestimmung nach? Man wird entsprechend dem transzendentalen Programm nach einer Reihenfolge der Begründung Abstraktes vor der Konkretion bringen müssen, aber müßte nicht vom Abschluß her alles wieder relativiert werden? Reicht es zu sagen, es habe relative Wahrheit? „Ist" es nicht anders, hat es seine raison d'etre nicht nur im Hinblick auf das Andere? Ist nun die Begründung im Bereich des Praktischen transzendentallogisch (oder transzendental-kategorial), wie bei Hegel, so wird sie einer Finalität gehorchen, die soziale Gebilde nach Stufen der kategorialen Kongenialität ordnet, dergemäß sich der Geist im Objektiven als Kongenialen finden kann. Die Stufen, die als Vorstufen zu einer abschließenden Einheit in Anspruch genommen werden, illustrieren nur die Vorläufigkeit seines eignen Begriffs. (Es macht dann nicht viel aus, daß im Bereich der Vorläufigkeit — Gesellschaft als Stufe der Differenz — Gleichzeitiges aufeinander folgt, also etwa die Wirtschaft schon vorgeführt ist, die Polizei aber nachfolgt.) Ob die als vorläufig vorgeführten Sozialgebilde im abschließenden Ganzen, dem Staat, so „sind", wie sie als Vorstufen waren, ob sie nicht in einer Reflexion Aller auf Alle modifiziert sein müssen, kann nicht gefragt werden. Die Dialektik ist eine Expositionsmethode für dem Sein nach zwar Gleichzeitiges, aber nicht als miteinander vermittelt Begriffenes. Die Disposition folgt einer Bewegung des Begriffs16. In einem transzendental-ontologischen Verfahren ist die Vorläufigkeit (Abstraktheit) einer Struktur gleichzeitig das konkrete Gebilde selbst. Jede Struktur ist als seiende — also im Grunde schon eingestellt in ein bedingendes Milieu — gemeint, und doch gerade in ihrer Konkretion, die Negativität — systemtheoretisch gesehen Abstraktion — ist, Grund und Motiv für die Entwicklung weiterer Strukturen. Es kommt dabei weder im Verlauf der Bewegung noch in ihrem Abschluß zu einer Ganzheit, die hier, mangels einer höheren kategorialen Einheit, als plurales, vollständiges Milieu zu denken wäre. Jede Struktur ist vielmehr jeweiliges Zentralthema, von sich aus orientiertes Subjekt, zwar Reflexion auf das Andere, Gegenstehende, aber an ihr selbst partikulär absolut. Der Pluralismus der Konkretion wird nicht, was hier notwendig wäre, in der Reflexion Aller auf Alle gezeigt, die reine-

18

Cf. oben 65 und unten 192. — Das Problem der transzendentalen Täuschung verweist uns auf Hegels Gesdiichtsphilosophie, wo auch Konkretes (Staaten) Vorstadium zu Wahrerem (freieren Staaten) ist. Cf. oben 112. In der Geschichtsauffassung Hegels ist aber eine Linie durch die Zeit gezogen, jedes Stadium ist für sich genommen und exemplifiziert den jeweils maßgebenden Staat als Form, ohne Interdependenz mit anderen. In der strukturellen Anthropologie sind Konkreta, die nacheinander entwickelt werden, simultan plural.

Kritik der Theorie als immanenter

189

ren, vorläufigen, abstrakten Strukturen erreichen nie eine begriffene Simultaneität miteinander, die für sie different wäre. Im transzendental-logischen Verfahren, wie dem Hegels, konnte durch die dialektische Einheit, in deren Rahmen sich alles abspielt, die Künstlichkeit der Exposition, die in der mangelnden Reflexion der Elemente aufeinander liegt, korrigiert werden. Zunächst ist die Reflexion der Gesellschaft auf sich selbst nur ein neues Gebilde innerhalb ihrer selbst — die Polizei, die Korporation —, ohne dargetane, begriffene Gleichzeitigkeit mit den übrigen Strukturen. Dieser Mangel erscheint aber als unwesentlich angesichts des Übergangs zu einem höheren Ganzen, dem Staat, so wenig dann auch mehr von dem Selben die Rede ist. Bei Sartre gilt einmal, daß die partikulären, konkreten sozialen Stufen, die vorläufigen und die abschließende, ebenfalls ohne eine begriffene Gleichzeitigkeit sind, nur so viele „Formen" sind der von sich aus orientierten partikulären Praxis und ihrer Verwicklungen mit der Materie. Insofern sind beide Transzendentalphilosophien im Ergebnis verwandt 17 — Interdependenz von selbständigen Seienden kann nicht gezeigt werden. Aber die Korrektur durch ein neues Ganzes, das nun simultaner Pluralismus sein müßte, fehlt damit eben auch. Die pure Negativität und Unvollendung der einzelnen Strukturen, als konkrete genommen, erscheint als Motivierung für ein Weiterschreiten zu einer immer wieder nur partikulären Struktur 18 . Die Entwicklung der Praxis in der Theorie ist gegründet in der Abstraktion und damit gerade in extrem negativ gezeichneten Konkreta. Von daher erhält die transzendentale Bewegung in CRD ihre Suggestivität. Sie scheint die konkrete, aus Not geschehende Handlung abzubilden. Sie ist Suggestion des marxistischen oder syndikalistischen Dynamismus und der revolutionären Aktion. Transzendental gesehen ist sie petitio principii (d. h. der regressiven Methode). Wir sehen: die Realdialektik, die gleichzeitig regressive Analyse ist, stellt eine Verführung dar. Soweit Hegel „Entwicklungen" kennt im Gegensatz zu eigentlich dialektischen Ubergängen, z.B. die Verschlimmerung der Armut in der Gesellschaft, trifft ein Vorwurf täuschender Realdialektik und einer Motivierung allein durch das Negative auch ihn. Die Suggestion des Motivs solcher Entwicklungen ist allerdings nur partiell, auf eine Sphäre der Differenz beschränkt, und beim Ubergang zur nächsten Stufe, dem Staat, wie weggeblasen. Bei Sartre ist aber die Fusion von konkret und abstrakt, von prinzipiell und partikulär, für die Verstehensbewegung überhaupt konstitutiv. Am Beispiel der transzendentalen Bewegung sehen wir so das Bedenken gegen eine ontologisch fundierte Transzendentalphilosophie schärfer als bei einer Betrachtung ihres Grundes, der uns vielleicht als „konkret" besticht. Ähnliches gilt für den zu diesem transzendentalen Verfahren gehörigen Ab17 18

Cf. oben 167 f. zu partikulär cf. oben 56, 83, 85, 125, 155, 161 ff.

Rückblick auf die Theorie

190

Schluß, der wiederum geprägt ist von der Partikularität; die Konkretion ist nicht das Ganze, sondern etwas Partikuläres, Minorität als Gruppensubjektivität, für die alle Anderen Objekte sind, und die darin übrigens doch wieder Dualität exemplifiziert 1 '. Die Normativität des transzendentalen Verfahrens, die dialektische Vernunft, kommt nicht zum Ziel. Das Ziel erweist sich als in der partikulären Pluralität nicht darstellbar ohne inneren Widerspruch (die Unfreiheit der Vielen im abschließenden Konstitut der sozialen Freiheit). Auch dies Ergebnis hat seine Suggestivität, es leitet über zur marxistisch verstandenen Geschichte. Unsere Kritik lautet also, daß das gewählte transzendentale Verfahren in seinem Ergebnis, in der Vorzeichnung eines Weges und in seinem partikulären Abschluß, zwar konsequent ist, zumindest im Wesentlichen, in seinen Stadien der Entfremdung und Überwindung der Entfremdung jedoch sich einer Täuschung

bedient. Diese Täuschung ist prinzipiell gesprochen der

Konflikt der Partikularitätsthese mit der transzendentalen

Begründung:

aus der ontologischen Simultaneität Herausgegriffenes soll in transzendentaler Weise ontologisch Simultanes fundieren, konkret Geschildertes, aber Negatives, Vorläufiges, Abstraktes ist Motiv und Bestimmungsgrund für das realdialektische Weiterschreiten 20 . Damit hat die Täuschung ihre inhaltliche, auf einen vorgegebenen Zweck berechnete Seite, nämlich marxistische Geschichtsstadien verstehend zu fundieren. 19

10

Cf. oben 155, 160. Es ist nebenbei interessant, daß L. Geldsetzer, im Nachwort zu seiner Übersetzung von G. Gurvitchs Buch („Dialektik und Soziologie", Neuwied 1965) sogar an der heuristischen Dialektik Gurvitchs ihr duales Verständnis von Dialektik als Einschränkung empfindet und, gleichsam in einem Aperçu, „Trialektik" und „Quadrilektik" fordert (a.a.O. 305). Marx sieht das Problem eines Nacheinander der Theorie gegenüber der gleichzeitigen Existenz der Glieder der Gesellschaft: er macht Proudhon, bei dem sich eine Vorahnung der dialektischen Problematik Sartres findet — besonders in De la Création de l'Ordre —, den folgenden Vorwurf: „Sobald man mit den Kategorien der politischen Ökonomie das Gebäude eines ideologischen Systems errichtet, verrenkt man die Glieder des gesellschaftlichen Systems. Man verwandelt die verschiedenen Teilstücke der Gesellschaft in ebenso viele Gesellschaften für sidi, von denen eine nach der anderen auftritt. Wie kann in der Tat die logische Formel der Bewegung, der Aufeinanderfolge der Zeit allein den Gesellschaftskörper erklären, in dem alle Beziehungen gleichzeitig existieren und einander stützen?" (Das Elend der Philosophie, Marx-Engels Werke (Dietz) 4, 131. S. den weiteren Zusammenhang ebda. 126 ff.). Cf. weiter Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (Nachlaß), Marx-Engels Werke (Dietz) 13, 638 zu Proudhon, und ebda. 630 ff. allgemeiner zu Totalität, Konkretheit und Bewegung der Kategorien. Cf. auch Marx, Brief an Annenkow 1846, Marx-Engels Werke 27, 456 f. Marx schließt aus der Problematik des Nacheinander der Theorie auf die Geschichte als maßgebende Ebene und negiert so eine transzendentale, aber noch eben systematische Theorie des Sozialen. Cf. Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie (Nachlaß) a.a.O. 636. — Cf. dazu auch Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein 25-9.

Kritik der Theorie als immanenter

191

Wollen wir nun nicht sagen, daß eine partikuläre Anlage der Transzendentalphilosophie als solche geradewegs zum Marxismus führt, müssen wir neben dem prinzipiell geltend Gemachten weitere Mängel der Theorie dafür verantwortlich machen: die Einseitigkeit der Beschränkung auf die Praxis, damit den Duktus der Bewegung über eine Entfremdung in der Materie und die Verbindung der Entfremdung in der Arbeit mit der Klassendoktrin. Es sind von der Methode nahegelegte, aber nicht von Willkür freie Elemente, die, zusammen mit manchen Gewaltsamkeiten im einzelnen, die Suggestion des vorgegebenen Ziels erzeugen. Wie wir jetzt verstehen, ist z. B. der Duktus der transzendentalen Bewegung insofern kritisch zu beurteilen, als sein Bogen über die Entfremdung in der Materie (als Nichtkongenialem) zum Kongenialen (der Gruppe) ein Nacheinander behauptet von etwas, was sich in der Simultaneität der Wirklichkeit zusammen behandeln lassen müßte. Zwar wird der Intention nach beides, das Person-Welt-Verhältnis und das Person-Person-Verhältnis, zusammen behandelt21. Aber ist es überzeugend, daß das Person-Materie-Verhältnis im ersten Zyklus — dem der Entfremdung — dominant ist und nicht genauso gut ein Person-Person-Verhältnis? Das letztere vielmehr erst über die absolute Entfremdung im Person-MaterieVerhältnis dominant wird? Hier liegt wiederum ein vom konkreten Verständnis des Menschen aus gesehen willkürliches Moment, ein Verständnis des Menschen von der Praxis als Praxis-Materie-Verhältnis her, das das Weitere nach sich zieht, eine Inspiration am Hegeischen Schema eines Weges vom Unmittelbar-Subjektiven über eine Opposition zum kategorial NichtKongenialen hin zum Kongenialen (was bei Hegel mehrfach wiederholt wird und auf höherer Ebene das Kongenial-Objektive — den objektiven Geist — darzustellen gestattet). Der Gang über eine Dominanz der Materie kann nur in einem kategorialen System in Anspruch genommen werden, nicht bei Sartre. Dafür tritt der Umstand der Knappheit ein, der mit der Materie als Oppositum eine Verbindung eingeht, um ihr Negativität zu geben, wie wir gesehen haben22. Wir kommen so auf eine speziellere Kritik der transzendentalen Bewegung, während wir in unserem gegenwärtigen Zusammenhang eines Rückblicks einen allgemeineren Punkt in den Vordergrund gestellt haben, die Fragwürdigkeit des transzendental-ontologischen Verfahrens als eines, das in eigentümlicher Weise ein WTEQOV-JIQÖTEQOV involviert2®. 21 22

23

Cf. oben 125 und 133. Cf. oben 81, 104. Die dialektische Motivierung des Weges über die Materie ist dann etwa, daß, wenn subjektive Zentren als reziproke sich nicht einigen können, ein Anderes, die Materie, die Mensdien in einer negativen Rückwirkung auf sie einigen kann. — Später, bei der Gruppe, ist die Materie wie vergessen. In seiner abweichenden Fragestellung im Rahmen eines Gegensatzes von Transzendentalphilosophie und Ontologie des Dialogs kommt Theunissen zu einer anderen impasse, nämlich, daß die Transzendentalphilosophie in ihrem Verständnis des Andern nidit ursprünglich sein könne, da sie ihn ursprünglich aus dem

192

Rückblick auf die Theorie

Man kann sich fragen, ob Korrekturen möglich wären. Es läge etwa nahe, zur Behebung der Täuschung zu fordern, daß die konkreten Inhalte der einzelnen Stufen nur Illustrationen einer von der dialektischen Vernunft bestimmbaren und zu rechtfertigenden Abfolge von Inkarnationen ihrer selbst wären. (Wir haben gesehen, daß Sartre sich verschiedentlich von der Beispielsphäre löst, die mit der Dominanz der Materie und also Entfremdung der Arbeit gesetzt ist, jedoch nie mit bewußter Abkehr von der Suggestion der Beispielsphäre24). Die Rolle der Materie wäre jeweils vom Menschen her zu begreifen. Durch eine solche Annäherung an eine Begriffsdialektik wäre, so scheint es, der Ausblick auf eine weniger tendenziöse, systematische, wenn auch nicht deshalb schon von prinzipiellen Schwierigkeiten freie Sozialphilosophie eröffnet und die anscheinende Zwangsläufigkeit des Übergehens in Marxismus gehoben. Und doch, das Problem, wie die Verstehensbewegung realdialektisch annehmbarer zu führen sei, liegt tiefer und scheint schier unüberwindlich. Das transzendentale Nacheinander macht ein Zusammenbehandeln von Person-Materie-Verhältnissen und Person-Person-Verhältnissen (als in Reflexion aufeinander stehend) genauso unmöglich wie ein Zusammenbehandeln von simultaner Pluralität. Und wenn dies beides nicht gelingt, ist der Duktus der Verstehensbewegung wesentlich festgelegt auf verabsolutierte Entfremdung als täuschendes Durchgangsstadium für soziale Freiheit, und diese auf partikuläre Usurpation. In dieser vom transzendentalen Erfordernis bestimmten Sachlage als letztem Motiv läge in einer Dialektik, die nicht am absoluten Begriff sondern am Sein festgemacht ist und nicht wie die Hegeische in einem Ganzen kulminiert und das künstliche Nacheinander wieder ausgleichen kann, ein unvermeidlicher Zwang zu Tendenz und Suggestion. Der Ausblick auf eine systematische Sozialphilosophie auf Sartrescher Grundlage bleibt also prekär.

„Zwischen" denken und damit voraussetzen müßte (Der Andere, 501). Es handelt sich also um eine noch grundsätzlichere Problematik eines üaxEpov-jtQÖtEQOv. Es kommt bei Theunissen zu einer höherstufigen Vermittlungsproblematik von Transzendentalphilosophie und dialogischer Ontologie, deren Vorbild das Dilemma von Subjektorientierung und objektiv-ontologischer Orientierung ist, das schon in E N sichtbar war (Cf. G r u n d z ü g e . . . 110ff., Theunissen, Der Andere 193, 196 f.). 21

Cf. oben 83, 106, 131 f. — Wenn Sartre selbst sagt, daß er aus der Arbeitergeschichte nur Beispiele entnehme, aber nicht die Arbeiterklasse als solche bestimmen wolle ( C R D 153 „exemples empruntés à l'histoire ouvrière), so meint er damit doch, daß der Weg über die Klasse zu gehen hat (ebda, „nous n'aurons d'autre but que der chercher sur ces exemples la constitution d'une classe, sa fonction de totalisation . . . " ) . Was wir hier „Illustration" nennen, deckt sich also nicht ganz mit dem, was Sartre „Beispiel nennt. Wir meinen eine freiere Exemplifikation sozialer Gebilde in einer Sozialphilosophie.

Die Theorie im Verhältnis zum Marxismus

193

Betrachten wir, nach diesen kritischen Reflexionen über die Theorie als immanente, für sich auf ihre Stimmigkeit befragte, ihr Verhältnis zum Marxismus als vorgegebener Lehre, die es für Sartre zu fundieren gilt. 3. Die Theorie im Verhältnis zum Marxismus Wir haben CRD als in sich geschlossene Theorie behandelt, als transzendentale Verstehensbemühung um soziale Pluralität, die sie von ihrem Grund aus allererst absteckt und definiert. Aber der terminus ad quem des Werkes ist nicht nur immanent gesetzt, sondern schon vorgegeben im Marxismus. Sartres Absicht, für den der Marxismus mit seiner Lehre vom Klassenkampf, also der historische Materialismus, ein schon vorgefundenes Corpus darstellt, das er in wesentlichen Stücken anerkennt, ist es, hierfür eine Fundierung zu geben. Der Marxismus bleibt anerkannt, aber er bedarf einer Einsichrigmachung aus Gründen. Die transzendentale Verständlidimachung, die wir verfolgt haben, ist als eine solche Fundierung gedacht. Sartre übernimmt es, eine transzendentale Begründung des Marxismus zu geben, ein kapitales Unternehmen, das auf marxistischer Seite der Hegelsdien Rechtsphilosophie als Gegenstück zuzuordnen ist25. Die Grundlage dieser transzendentalen Begründung ist ein ontologisdier Begriff vom Menschen, der als Praxis ausgelegt ist. Beide Motive — daß der Mensch als das, was er ist, in einem realistischen, an Feuerbach erinnernden, aber dabei in einem beim frühen Marx auf die Praxis hin pointierten Sinn genommen wird — sind dem Marxismus kongenial. Es besteht eine gemeinsame ontologisdie und anthropologische Grundlage. Man kann sagen, Sartre liefere die strengere Dialektisierung dessen, was der frühe Marx in seiner Anthropologie niedergelegt hat. Ein so von seinem Sein her verstandener Mensch gilt als Prinzip für das Verständnis seiner gesellschaftlichen und natürlichen Opposita. Der Mensch als Prinzip steht gewissermaßen für eine Kontraktion der verschiedenen dialektischen Bezüge, wie Hegel sie aufweist, zu einem konkret gemeinten Person-Person-Welt- bzw. MaterieVerhältnis26. Audi dies ist im Grundsätzlichen Auffassung zumindest des frühen Marx27. Wir sehen aber einen großen Fortschritt Sartres, oder doch Herbert Marcuse hat schon vor längerer Zeit („Transzendentaler Marxismus?" in: Die Gesellschaft, Berlin 1930, V I I . Jg., Zweiter Band, 304-26) die Frage einer transzendentalen Begründung des Marxismus im Anschluß an M a x Adlers Versuche erörtert. E r gelangt, allerdings unter Beschränkung auf den bei M a x Adler gegebenen Problemkreis Kant und M a r x und auf eine Begründung des Marxismus von Kants theoretischer Philosophie her, zu einer Verurteilung dieses Vorhabens. 2 * Cf. dagegen oben 103 f., 106, 133 und 191 (Dominanz des Person-MaterieVerhältnisses und Vernachlässigung der Arbeit bei der Gruppe). 2 7 Cf. Marx, Werke (Cotta) I, 598 ff., 651 f., 657 f. 25

Rückblick auf die Theorie

194

eine große Leistung in der expliziten Durchführung: es bleibt nicht bei der nur konkret gemeinten Abstraktion der Beziehung Mensdi-Mitmensch-Welt, sondern es wird ein verständlicher, gestufter Zusammenhang aufgestellt. Diesen hatte Marx nicht geliefert auf der Grundlage seiner frühen Anthropologie. Er hatte vielmehr, neben dieser grundsätzlichen Überzeugung von Entfremdung, Aufhebung der Entfremdung und Assoziation, die Durchführung einer solchen Lehre von Stufen von Entfremdung und Emanzipation ins Wirtschaftsleben gesetzt: eine Lehre, die nicht mehr in ihrer Verständlichkeit zurückbezogen war auf den Menschen, und die als kalte Gesetzlichkeit schließlich die dialektisch-materialistische Interpretation ermöglichte (Unterbau-Überbau-Theorie). Hier trennt sich, wie wir schon gesehen haben, Sartre vom Marxismus. Die Kongenialität von Sartres CRD und Marxismus reicht noch weiter. Sie beruht nicht nur auf der ontologischen Orientierung — als Insistieren auf Existenz und Partikularität —, wie beim frühen Marx (im Gegensatz jedoch zur Metaphysik des dialektischen Materialismus), und der anthropologischen Orientierung — als Insistieren auf Praxis —, sondern innerhalb der von Sartre eigenständig entworfenen expliziten Theorie der Stufen sozialer Gebilde als Entfremdung^- und Emanzipationsgebilde führt der partikulär-ontologische Ausgangspunkt in einer „geheimen Teleologie"28 zu mit dem Marxismus kongenialen Gedankengängen, wie wir sie schon näher verfolgt haben: der Betonung der Klasse als wesentlichen Sozialbegriffs, der Idee des Klassenkampfes und der eines revolutionären Gemeinwesens mit usurpatorischer Zentralgruppe. Nun kann man nicht global sagen, „der" Marxismus werde fundiert. Fundiert werden so zentrale Lehrstücke wie die Entfremdung auf der Grundlage einer dem Marxismus und Sartre gemeinsamen Fassung des Menschen als Praxis. Wohlgemerkt: Fundierung heißt hier nicht, diesen bei Marx geschichtlich ausgelegten, wenn auch anthropologisch gesichteten Prozeß noch näher als geschichtlichen zu verstehen, sondern vielmehr systematisch, in einer strukturellen Anthropologie, so etwas wie entfremdete Verhältnisse vom Menschen her verständlich zu machen. Es sind so denn auch nicht konkrete ökonomische Faktoren, die ihren Ablauf haben, oder eine dialektisch-materialistische Gesetzlichkeit im Sinne von Engels, sondern eine verständliche Praxis des Menschen, die jeweils solchen Gebilden zugeordnet sind. Hier liegt eine große Leistung Sartres: die Umdeutung der marxistischen „Fremdsteuerung" in „Eigensteuerung" und in vom Menschen aus verständliche Verstrickung mit Gegenkräften, so wenig auch das Verständnis der Entfremdungsstadien aus einer Steigerung der Gegenfinalität der Materie befriedigt. Die Deutung der Emanzipation 29

Cf. oben 170.

von der Entfremdung

in der Gruppe

Die Theorie im Verhältnis zum Marxismus

195

verfolgt denselben Zweck; sie ist gedacht als transzendentale Ermöglichung von geschichtlicher Emanzipation. Die Theorie kann natürlich als strukturelle nicht die konkreten Probleme der marxistischen Theorie eindeutig vorentscheiden, etwa in der Auffassung von der Emanzipation angesichts eines Spektrums von einschlägigen Theorien hierzu, von Blanqui und den russischen Revolutionstheoretikern bis hin zu Lenin, eine Theorie als begründete auszeichnen — wesentlich handelt es sich einfach um die Kader-Idee —, aber sie ist damit in jedem Fall Vorzeichnung einer minderheitlichen Aktion im Gegensatz zu einer demokratischen, „revisionistischen" Umwandlung der Gesamtheit (im Sinne von Kautsky, Bernstein und auch Marx). Wir haben schon gesehen: für den Zweck, die im Marxismus thematischen geschichtlichen Aktionen zu verstehen, ist eine Sozialphilosophie erforderlich, aber eine, die ihrer Anlage nach Revolution, partikuläre Usurpation durch eine Gruppe, verstehen kann und für die Geschichte rechtfertigt. Sartres Sozialphilosophie bringt diese Voraussetzungen mit, und statt von einem überraschenden Zusammentreffen der transzendentalen Anlage mit dem Marxismus können wir, wie wir es schon taten, von einer geheimen Teleologie und von Kongenialität sprechen. Die Suggestion, von der die Rede war, und die Verwendung der Illustration im Sinne des Marxismus, tun ihr Übriges. Die Theorie ist so nicht nur Fundierung, sondern Reproduktion, Reduplikation des Marxismus. Wichtig ist nun, daß Sartres Theorie der Gruppe nicht nur Theorie der Emanzipation mit tiefer gelegtem anthropologischem Anspruch ist, sondern auch Theorie von auf Freiheit hin betrachteten sozialen Gebilden, ganz wie Sartre auch entfremdete Sozialgebilde mit größerem Detail, wenn nicht größerer Evidenz, verstehen kann. Seine Theorie ist eine Theorie der Ordnungen des Sozialen unter dem Aspekt der Freiheit und Unfreiheit. Sie eignet sich so auch dafür, die Möglichkeiten einer marxistischen Gesellschaft strukturell abzustecken. Verstehbar ist demnach nicht eine Assoziation, wie Marx sie im Kommunistischen Manifest fordert, oder strukturlose Kollateralität, die durch „Gewohnheit" — wie es sich der Lenin der Theorie als Endstadium zu denken scheint29 — Stabilität erhält. Für Sartre ist vielmehr nur von einer Gruppensubjektivität zentrierte Ordnung möglich. Obwohl diese These der strukturellen Anthropologie nicht geschichtliche, sondern strukturelle Konzeption ist, wird, wie wir sahen30, damit der Rahmen der geschichtlichen Entwicklung abgesteckt. Wir müssen zwar vermeiden, die beiden Bereiche, die Geschichte und die Sozialität als solche, zu vermengen; die strukturelle Progression ist nicht selbst geschichtliche Progression. Trotz ihrer — wie man erwarten sollte, auf Freiheit ausblickenden — geschichtlichen Suggestion eines Zu-Sich28

30

Cf. Lenin, Staat und Revolution, Werke (Dietz) 25, 489. — Ein realistisches Element wird bei Marx spürbar, wenn er in der Deutschen Ideologie, MarxEngels Werke (Dietz) 3, 35, meint, daß der Kommunismus kein „Zustand" sei.

Cf. oben 177.

196

Rückblick auf die Theorie

Kommens der dialektischen Vernunft endet sie bei der Unfreiheit für die Vielen in einer Gestalt der Freiheit als herrschende Gruppe. Die damit immer noch offene Partikularität eines Gegensatzes zu anderen Gruppen wird in der Geschichte als Klassendrama ausgetragen gedacht, mit dem Ausblick auf eine Totalgruppe — was nicht strukturell zu zeigen ist —, die Arbeiterklasse. Aber eben für diese gelten wieder die strukturellen Einsichten der Anthropologie. Insofern ist diese doch ein Vorgriff auf die geschichtliche Endvorstellung im marxistischen Sinne. Sie ist inhaltlich different gegenüber der idealischen Vorstellung von Marx, aber wohl passend für die realeren Theorien, sowohl für die Revolution als für einen Parteizentralismus usw., wie sie sich bei den russischen Theoretikern finden, die aber Sartre in der Abstraktion seiner Theorie nicht näher differenzieren kann. Damit ist Sartre, realistischer als der frühe Marx, übergegangen zu einem im wesentlichen mit dem Lenin der Praxis zu verknüpfenden Marxismus ohne Ausblick auf letztliche „Assoziation". (Die strukturelle These läßt vielmehr Spielraum für ein zyklisches Auf und Ab von Gruppenaktivität und Erstarrung.) Sartres Gesdiiditsvorstellung ist so weniger utopisch als die des theoretischen Marxismus, vielmehr ist sie von Zynismus geprägt wie auch seine Gesellschaftsvorstellung. Der Sartre mit Marx in vielem gemeinsame anthropologische Boden — der Ansatz beim Menschen als Praxis und die Betonung der Entfremdung — wird, wenn er transzendental verarbeitet wird, zur Bekräftigung eines Marxismus zentralistischen Typs. Diese einerseits vom terminus ad quem der Theorie diese rückdeterminierende, andrerseits immanent aus der Theorie herauswachsende Abschlußvorstellung ist von Sartre als Botschaft von CRD gemeint. Wenn man nicht ein Ganzes der Gesellschaft transzendental erfassen kann und will, wenn nicht eine normative Perspektive für das Ganze vorweg feststeht, dann, so zeigt CRD, läßt sich — mit gewissen Bedenklidikeiten der Theorie — ein Marxismus leninistischer Prägung transzendental verstehen. Hat Sartres Sozialphilosophie damit auch den Charakter einer Ideologief Sartre selbst bezeichnet den Existenzialismus und sein Unternehmen in CRD als Ideologie31, dies aber wohl in dem leicht selbstkarikierenden Sinne, der von Marxens Ideologiebegriff auf Sartre zurückfällt, wenn er sich Ideen macht, wo es doch um Realverhältnisse und -Vorgänge geht. Wie aber, wenn wir den historischen Materialismus selbst als Ideologie verstehen? Wäre auch CRD in dem Sinne eine Ideologie, daß eine Gesetzlichkeit in Anspruch genommen wird, die den Menschen zu einem kommunistischen Ziel führen wird, während andere, die nicht mitgehen wollen, nur Ausdruck vergangener oder sterbender Verhältnisse sind? Wir haben schon früher gesehen, daß Sartre sich gegen eine fremde Gesetzlichkeit — die eines Materialismus von außen — wendet. Hätte aber die Ansetzung eines Sinngesetzes 31

CRD 105, 107; cf. ebda. 17 f.

Die Theorie im Verhältnis zum Marxismus

197

der Praxis, die die geschilderten Konsequenzen in der strukturellen Anthropologie und die Ausblicke auf die Geschichte mit sich bringt, nicht doch den Charakter einer Ideologie? Der zweite Band von CRD über die Geschichte liegt nicht vor, aber es erscheint als sicher, daß hier kein Determinismus vertreten, sondern eine Linie von Totalisierungen in der Geschichte — allerdings nunmehr ohne Totalisierendes, das ja, auch wenn es vom Philosophen gedacht wird, nicht wirklich ist im sozialen Raum — aufgezeigt würde 32 , die in die Zukunft auf ein mögliches, aber dennoch jeweils vom Engagement der Menschen abhängiges Ziel weisen33, so ernüchternd es auch auf Grund der Einsichten der strukturellen Anthropologie wäre. Kann eine nur strukturelle Anthropologie aber dann Ideologie sein, wenn sie noch gar nicht das Feld der Ideologien, die Geschichte, betritt? Ihr ideologischer Charakter wäre dann, wenn er vorliegt, gewissermaßen indirekt. Bei Marx und Engels gab es direkte Ideologie, denn das Thema waren geschichtliche Prozesse, denen ein Sinngesetz unterlegt wurde; die Ideologie (im Unterschied zu dem von Marx als „Ideologie" Bezeichneten) bestand darin zu sagen, das Sinngesetz setze sich geschichtlich durch auf der Grundlage oder kraft des ökonomischen Unterbaus. Die Relevanz des Sinngesetzes war nur unterstellt, z. T. fachwissenschaftlich erhärtet, aber nicht als den Menschen von ihm aus bestimmend gerechtfertigt. Oder, es trat, bei wohlwollender Interpretation, eine neue Auffassung der Einheit von Theorie und Praxis ein, die das Desiderat einer solchen Rechtfertigung vergessen machte34. Sartre selbst ist in seiner Idee vom Klassendrama der Ansicht verpflichtet, daß, wenn auch ohne ökonomische Zwangsläufigkeit, das Sinngesetz sich in historischer Aktion als kontingenter Freiheit Bahn brechen wird. Es tritt aber hinzu die Rechtfertigung der historischen Aktion durch den Gedanken aus seiner strukturellen Anthropologie, daß die sozialen Strukturen der Entfremdung verständlicher Ausgangspunkt für eine Aktion seien. So mag es zwar de facto Antagonismen geben — hier finge das Problem erst an, wie eine Gesellschaft gedacht werden muß, die ihnen Rechnung trägt und gemäß einem Strukturkonzept Freiheit ermöglicht —; die Vernunft der Sache liegt vielmehr in der zentralistischen Aktion der herrschenden Gruppe, die die sich emanzipierende Klasse ist. Die Einzelfreiheit hat gerade von der Freiheit her kein Recht auf Berücksichtigung, die Theorie braucht nicht eine Reflexion auf die Gesellschaft als konstituiert aus freien Einzelnen zu be32 33

34

Cf. etwa C R D 754 f., C R D 10: „Vérité totalisante". Cf. Merleau-Pontys Gedanken der „vérité ä faire" (Les aventures de la dialectique, 78). Cf. dazu Habermas, Theorie und Praxis, 301-6, und Zehm, Historische Vernunft, 180. Von dieser Einheit von Theorie und Praxis sagt Habermas, daß, um sie zu erreichen, die Philosophie auf Selbstbegründung und Selbsterfüllung verzichten müsse (a.a.O. 311, 314). Cf. unten 199. — Cf. dagegen Theunissen, Der Andere 499 f.

198

Rückblick auf die Theorie

inhalten. Die Einzelfreiheit wird in Herrschaftsverhältnisse eingeordnet, die eine geschichtliche Vereinheitlichung motivieren. Die transzendentale Anlage, als partikulär-transzendentale, an der Praxis orientierte, ist so ideologisch. Das Ideologische liegt darin, daß es kraft der Theorie keine Vermittlung von Existenzen, keine Reflexion auf Pluralität und auch keine Ganzheitskonzeption als geistige Einheit — Intersubjektivität, Redit, Staat — soll geben können. Das entspricht der These vom prinzipiellen Antagonismus in EN, die ebenfalls ideologisch genannt werden kann. Wir sind einer Totalisierung ausgeliefert, entweder der, die wir selbst sind, oder einer fremden. Wir sehen, das Verhältnis von C R D und Marxismus ist subtil; es ist im wesentlichen positiv, konsequent durchgeführte Fundierung, aber auch different, was die Zielvorstellung zumindest des frühen Marxismus angeht. Wesentlich ist die Kongenialität beider Gedankensysteme, sowohl auf einer oberflächlichen Ebene des Inhalts oder der Illustration, als auf der Ebene der behaupteten Polarisierung der Gesellschaft in zwei Klassen, die ein geschichtliches Klassendrama nahelegt. Weiter fanden wir die ontologische und anthropologische Gemeinsamkeit in Verbindung mit der Dialektik, und die transzendental vertiefte Fassung von Entfremdung und Emanzipation, die einer Täuschung gleichkommt. Nur bei Festhaltung des partikulären Verständnisses der Praxis entsteht ein solches Bild 35 . Sein Mangel ist seine Einseitigkeit als nichtkategoriale Theorie, die also wesentliche inhaltliche und normative Behandlung verlangende Bereiche ausklammern muß — wie auch der Marxismus, der sich mit einer naiven Überbau-Theorie hilft; die Suggestion ist also auch, daß es nichts anderes gäbe als — nun nicht Wirtschaft oder Materie, sondern — Aktion und Aktionsverhältnisse, also kein Recht — als geistigen Inhalt einer Reflexion auf Existenz der Vielen. Statt dessen bricht Aktion sich Bahn, bis sie herrschende Gruppe ist. Sartres entscheidender Gedanke ist, daß die transzendentale Fassung der Praxis auf faktischer, partikulärer Grundlage in etwa die Aktionsverhältnisse nachbilden kann, die angeblich geschichtlich eine Rolle spielen, so daß diesen eine einsichtige Fundierung gegeben ist. Die Geschichte ist von hier aus vorgezeichnet als Totalisierung der Klassen. Das gegenüber einer klassischen Soziallehre inhaltlich Differente ist Ausfluß der Grundlagen, die denen des Marxismus kongenial sind, und der daran angeknüpften transzendentalen Bewegung.

35

Cf. die Kritik Kwants (a.a.O. 675 f.) und Waidenfels' (a.a.O. 39) an Sartres zu engem Begriff vom Menschen.

Schluß

4.

199

Schluß

Ein Urteil über Sartres Versuch in CRD bestimmt sich nach dem stärker immanenten, autarken, oder stärker auf Geschichte und Marxismus bezogenen, also angewandten Verständnis des Werkes. Unter dem Gesichtspunkt, daß CRD den Marxismus fundieren will, können wir das Urteil denen überlassen, die die marxistische Lehre als zugestanden ansehen, und von daher ihr Denken so einrichten wollen, daß sie die transzendentale Begründung Sartres, weil sie auf das Zugestandene führt, anerkennen; oder denen, die die Begründungsabsicht gerade ablehnen, weil sie angesichts der orthodoxen Unterbau-Uberbau-Theorie des Marxismus nichtig ist. Sartres Absicht auf Fundierung einer vernünftigen Geschichte — soweit wir diesen Punkt vom Marxismus trennen wollen — scheint nach dem früher Gesagten, wobei wir ohne den II. (geschichtlichen) Teil von Sartres Werk urteilen müssen, rein apriorisch als Sinngesetz konzipiert, und ein Urteil bemißt sich nach der generellen Einstellung zu einer solchen These. Die Geschichte ist bei Sartre vorentworfen. Sicherlich, geschichtliche Konkretion ist so nicht darstellbar; dazu müßte auf die geschichtlichen Situationen empirisch eingegangen werden können. Wird aber an der Legitimität des apriorischen Vorentwurfs gezweifelt, so wäre dann, wie schon angemerkt, das Wesentliche nicht mehr philosophische Begründung der Geschichte, sondern Praxis; die Philosophie müßte auf Selbstbegründung und Selbsterfüllung verzichten, so scheint es3". Wir sehen allerdings audi dann nicht, wie gerade für die Einheit von Theorie und Praxis, als Uberwindung bloßer „Philosophie" von Geschichte, ein apriorischer Vorentwurf entbehrlich ist. In einem immanenten Verständnis von CRD gilt demgegenüber, daß in der Theorie als transzendentaler Theorie des Sozialen die Konstitute, die sie für verstehbar und begründbar hält, durch die Grundlegung und fortschreitende Bewegung erst abgesteckt werden, und wir möchten hier der Theorie einen systematischen Bereich sozialer Pluralität, vor aller Illustration durch marxistische Klassenthematik, zugestehen, für den sie ein Theorievorschlag ist. Ihr Überleiten zur Geschichte37 — was verschieden ist von ihrem Prinzipiieren der Geschichte — erscheint uns eher als Unvollkommenheit38. Für 3,1

37 38

Habermas, Theorie und Praxis, 311. Hier findet sich, nach dem Vorgang von Adorno, die letztlich Marxsche These, daß die Unmöglichkeit einer noch systematischen Anthropologie nur die Geschichte als Feld der Zuwendung übriglasse. Adorno hat die angebliche Unmöglichkeit systematischer Begründungstheorie allgemein in einer (allerdings eben doch wieder systematisch-theoretischen) Kritik des Begriffs des „Ersten" zu zeigen versucht (Zur Metakritik der E r kenntnistheorie, Stuttgart 1956, 12-49). Habermas dazu a.a.O. 312-4. Cf. oben 175 f. Wir glauben denn auch nicht, daß die gegebene Auslegung von C R D der Intention Sartres zuwiderläuft, so sehr er die Praxis in der Geschichte erreichen will. Daß er eine transzendentale Fundierung dafür geben möchte, heißt eben, daß

200

Rückblick auf die Theorie

den Bereich sozialer Pluralität scheint uns eine kategoriale Theorie in der Art Hegels, wenn sie auch wiederum als Einheitshorizont und als Erfassung geistiger Gehalte unentbehrlich ist, nicht zu genügen. Und doch wünschen wir begründende, transzendentale Theorie, sind also nicht mit einem „heuristischen" Gebrauch der Dialektik, wie etwa bei Gurvitch, zufriedenzustellen 3 ', so sehr eine solche allerdings kaum „Theorie" zu nennende Lehre der Verbindung von Pluralität und Dialektik nachzukommen scheint. Das Desiderat einer Theorie, die Soziologie und Ganzheitsauffassung der Gesellschaft in sich aufnimmt, aber transzendental vorgeht, also den Gegensatz von Soziologie und Hegel in die Transzendentalphilosophie selbst verlegt, ist — als Desiderat — unabweisbar. C R D ist ein großer Versuch, Vernunft und Partikularität, und zwar noch vor aller geschichtlichen Partikularität, in einer Disziplin zu verbinden. Das Auszeichnende von C R D erscheint als die These, daß eine transzendentale Theorie der noch nicht geschichtlichen aber auch nicht nur abstrakt prinzipiellen, sondern eben konkret partikulären Gebilde der Praxis möglich sein soll. Wir haben die Fährnisse dieser Theorie betrachtet, ihr Verfehlen des zu verlangenden Normativen, ihre Suggestion, ihre Willkür, aber auch ihren Wert in der Eröffnung des Verständnisses durch Prinzipien von sozialer Konstitutivität. Es mag sein, daß wir hier zu Recht von einem Dilemma der Transzendentalphilosophie sprechen müssen. An ihr selbst zur Methode gewordener Kompromiß 4 0 von Rationalität und seinsmäßiger Irreduzibilität, bliebe Sartres Theorie in Gegenstellung zu einer eigentlich begründenden transzendentalen Theorie: jeder Schritt der Theorie erscheint in einem „unreinen" Verfahren des Verstehens durch irreduzible Prinzipiengestalten ermöglicht, deren Einsichtigkeit nur verstehend zu würdigen ist. Die mit dem Ausgang beim Sein gegebene inhaltliche Einseitigkeit der Auslegung des Menschen als Praxis fügt sich in diese Gegenstellung ein. Das Dilemma, das wir hier aufgestellt haben, wäre eines zwischen einer soziologische Pluralität berücksichtigenden und einer dem T y p nach Hegeischen Transzendentalphilosophie. Zu fragen bliebe, ob von einem anderen transzendental-ontologisdien Standpunkt aus eine neue, von Hegel wie Sartre unabhängige Lösung denkbar wäre. Bisher sehen wir keine ausgeführte Theorie auf solcher Grundlage, und auch keine konkrete Erweiterung einer neukantianisch-transzendental-logi-

58

40

er eine Sozialphilosophie als systematische Disziplin voranstellt, und diese Sozialphilosophie haben wir untersucht, mag man uns das Insistieren auf der transzendentalen Fragestellung auch als Rückschritt (etwa im Verhältnis zu den darüber hinausgreifenden Intentionen Sartres oder etwa der Frankfurter Soziologenschule) auslegen. Sartre nennt seine Methode selbst „heuristisch", aber eben in Question de methode ( C R D 86). Cf. Nauta, der den apriorischen Gebrauch der Dialektik bei Sartre für zentraler hält als den heuristischen. Cf. oben 60, 144.

Schluß

201

sehen Philosophie, die des Details fähig wäre, das bei Hegel und Sartre, so verschieden es ist, behandelt wird. Die Sozialsphäre kann in soldien anderen Philosophemen als ein Feld der Prinzipiierung angesehen werden, aber ein expliziter Duktus innerhalb des Feldes, als Detailtheorie dieses Bereichs, ist entweder nicht aufgestellt oder würde auf dieselbe Problematik führen, die wir bei Sartre (und auch bei Hegel) unter dem Motto der transzendentalen Täuschung herausgestellt haben. Es bedarf also eines erneuten Nachdenkens über das Verhältnis der Sartreschen Theorie zum Horizont möglicher Theorien, die Normatives, Ganzheit und Inhalte des objektiven Geistes, aber auch Pluralität erfassen können, um abschätzen zu können, ob die Disjunktion von Transzendentalphilosophie Hegelscher Observanz und Sartrescher transzendental-ontologischer Form für den Bereich des Sozialen eine vollständige Disjunktion ist; ob also das Dilemma zwischen diesen beiden Theorien, als „reiner" und „unreiner" Theorien, für eine transzendentale Bearbeitung des sozialen Bereichs endgültig sein wird; ob eine weitere Möglichkeit der Theoriebildung offensteht; oder ob angesichts des Gegensatzes der beiden Theorien Skepsis gegenüber dem transzendentalen Verfahren überhaupt am Platz ist. Unser Interesse an Sartres Sozialphilosophie setzte allerdings die Überzeugung voraus, daß eine transzendentale Bearbeitung des sozialen Bereichs urgiert werden muß, trotz aller Unvollkommenheit der Theorie. Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, diesen systematischen Fragen nachzugehen. Innerhalb einer Sekundärintention auf Sartres Sozialphilosophie bliebe nur die abschließende Feststellung, daß sie das Paradigma einer transzendentalontologischen Gegenposition zur Hegeischen Rechtsphilosophie ist. Daß sie diesen systematischen Ort in der Philosophie einnimmt, ist ein Hinweis auf ihre Bedeutung.

Personen- und Sachregister Abschluß 67, 169, 180 f., 183, 187—190, 196 Sich-Absetzen 14, 20 f., 23 f., 47, 72,143 Abstraktion, abstrakt 12, 15 f., 19 ff., 37, 72 f., 77, 98, 104, 116, 121, 134, 144, 150, 158, 174, 180, 184, 187 ff., 196 Adler, M. 193 Anm. 25 Adorno, T. W. 199 Anm. 36 Akteur 44 ff., 51, 108, 128, 147, 153, 173 f. Aktion 71, 75, 87, 89 f., 102, 111, 128 f., 136 f., 139, 142, 144, 145, 146, 147, 160, 161, 189, 195, 197 f. Andere(r) 26—32, 34 ff., 77—86 passim, 87 ff., 98 f., 102, 107 f., 116,122,136, 138, 145, 152, 154, 156 f., 160, 166 Andersheit 88 f., 92 f., 95, 101, 103,106, 116, 119, 122, 123, 126 f., 129, 136, 137, 139, 145, 146, 151, 152, 153, 157, 160, 166 Aneignung 16 f., 41, 97, 104, 115, 117 Anfang, Ausgangspunkt 17, 66, 69, 93, 97, 126, 130, 134 f., 142, 173, 179, 180, 182, 197 Antagonismus 30, 32 f., 78, 82, 84, 111, 161 ff., 167, 174 ff., 197 f. Anthropologie 3 f., 12 f., 41 f., 67, 93, 162, 170, 175 f., 193, 194, 199 Anm. 36 strukturelle A. 55, 61, 64, 65, 67, 92 ff., 99, 112, 120, 124, 133, 144, 166, 173, 175 ff., 183, 194—197 Apriori, apriorisch 7, 9, 28, 51, 56, 82, 87, 93, 96, 98, 199, 200 Anm. 39 Arbeit 41 f., 74—77, 80 f., 83, 86, 96 f., 107 f., 114, 116 ff., 125, 193 Anm. 26 entfremdete A. 107—113, 125 Arbeitsleben 77, 86, 94, 103, 106, 133 Arbeiter 107—111, 114, 116—121, 123—134, 136, 156 Verhältnis Arbeiter, Eigentümer, Materie 109—111, 116 f., 120 f. Arbeiterklasse s. unter Klasse Aristoteles 3ff., 6, 9 f., 17 Aron, R. IV Assoziation 102, 104, 170, 173, 183, 194 ff. Äußerlichkeit 19 Anm. 21, 63, 70 ff., 74 f., 79, 88, 101, 103 f., 116, 151, 153, 158, 160

Bedürfnis 5, 37, 42, 70 f., 78, 93 f., 96, 103 Beispiele China und die Mongolen 89 die Entwaldung Chinas 101 f., 125 das spanisdie Gold 101 ff., 104, 125 Luftverunreinigung 109 Belegschaft, Arbeitsteam 108, 127 Bernstein, E. 195 Beschreibung 69, 118, 139, 140, 142 Bewegung Begriffsbewegung 19 Anm. 20, 51, 63, 65, 188 exemplarische Realbewegung, realdialektische B. 65, 127, 131, 167, 186, 189, 190 Verstehens-, Begründungsbewegung 65, 67, 104 ff., 112 ff., 117, 132, 141—144, 149, 155, 157, 165, 167, 174, 180 ff., 186 f., 189, 192 Bewußtwerdung 123 f., 128 Blanqui, L. 195 Blick 78 Bloch, E. IV Bradley, F . H . 188 Anm. 15 Brüderlichkeit 148, 151 Bürokratie 122, 166, 172 Cramer, W. 11 Anm. 8 Dasein 12 f., 14, 18 f., 25, 73 Delegation 166, 167, 169 Demokratie 169, 171, 172, 195 Denken 18, 47, 54, 57 f., 76 kategoriales D. 140—144, 153, 167, 180 ff., 185, 200 Derbolav, J . 171 Anm. 30 Desan, W. V Descartes 22 Anm. 27, 58 Dialektik, dialektisch 7, 15—21 passim, 26, 28, 30, 37, 41, 43, 45, 47—49, 56—61, 64—66, 69, 71—76, 85, 96, 99, 104 f., 108, 117, 131 f., 136, 141, 143, 152, 154, 162, 175, 180, 182, 184, 188, 192 f., 200 Antidialektik 66 dialectique constituante 66, 139, 144 dialectique constituée 66, 139, 144, 154 geschichtliche D. 175 D. der Natur 47 f.

Personen- und Sachregister Realdialektik, realdialektisch (s. auch unter Bewegung) 49, 65, 141 ff., 155, 162, 167, 169, 177, 184, 186 f., 189 f. Differenz 26, 63, 66, 103, 188 Dilthey, W. 53 Dritter 78—85 passim, (89), 108, 136 ff., 148, 152, 161 regelnder D. 137 ff., 158, 160 f. Dualität, dual 2 Anm. 1, 14, 26, 56, 78, 83, 85, 120, 125, 136, 175, 176, 181, 190 u. Anm. 19 Dühring, E. 91 Duktus (der Verstehensbewegung) 44, 96, 120, 126, 130, 132, 149, 168, 182 f., 187, 191 f., 201 Ehrenfels, C. von 4 Anm. 4 Eid 147—150, 182 ursprünglicher E. 147 sekundärer E. 151 Eigentum 42, 111, 113—121, 163 E. als Entfremdungsfaktor 114 Sartres frühe Lehre vom E. 115 f., 117 E., ontologisch-prinzipielle Fassung 114 Privateigentum 114, 117 f. Produktionseigentum 114, 116 ff. E. als Rechtsbegriff 121 Eigentümer 80, 109 ff., 113 ff., 116—121, 123 f. Einheit 14, 15, 17, 22, 37, 44, 59 f., 64 f., 72, 75, 78, 81, 84, 102, 128, 135, 140, 141, 142 ff., 154, 156 ff., 162, 165, 168 f. Seinseinheit 78, 82, 83 Anm. 53, 129, 140 ff., 144, 153 f., 157 Einsichtigkeit (s. auch Rationalität, Verstehen) 43, 56 ff., 60, 72 ff., 76, 92, 96, 138, 152, 200 Einzelner, Einzelpraxis 36, 53, 55 ff., 62 ff., 65 f., 77, 83 f., 105, 134, 135 ff., 141 f., 146, 147, 151 f., 153 f., 158, 160 f., 170, 173, 180, 197 f. Emanzipation 13, 131—135 passim, 194 f. EN V, 2, 4, 8, 9, 13—32 passim, 36 f., 38, 47, 49, 51, 56, 58, 60, 61, 62, 67, 69—76 passim, 77—84 passim, 89, 98, 100, 115, 117, 118, 151, 154 Anm. 54, 167, 170, 178, 184 f., 186, 198

203

Endlichkeit, endlich 19 f., 24 f., 34, 187 Engagement 23 f. Engels, F. 45, 48 f., 49 Anm. 38, 59, 65 Anm. 54, 110, 111, 171 Anm. 30, 172, 177, 194, 197 Entfaltung 61, 62—67, 74, 77, 95, 144, 150, 169, 186 Entfremdung 31 ff., 36, 42 ff., 79, 81, 84 f., 94, 96 f., 98, 99, 103 ff., 107— 134, 109, 125, 138, 139, 144, 154 f., 162, 168, 169, 170, 173, 182, 190, 194 f. Entfremdungsstrukturen 86, 107— 134, 168, 180, 182, 187, 197 f. Entwicklung(en) 65, 131, 189 Entwurf 15, 19, 24 f., 52, 53, 63, 95, 136, 138, 139 Enzyklopädie, Hegels 70 Anm. 6, (85) équipe, aktives Team 32, 83, 85, 89 Erfahrung, kritische, apodiktische, reflexive 57 ff., 60 f., 69, 124, 136, 184 Erkenntnis, Erkennen, Sich-Erkennen 9, 10, 12, 45, 68, 77, 97, 187 Erleben 27, 29 f., 136 Ethik, ethisch 4, 10, 21 f., 23, 33 f., 35, 39 f., 89, 179 Ethos 23, 178, 179 Existenz 53, 63 f. existenzial 22, 25, 60 Existenzialien 12, 21, 25 Existenzialismus 50, 52, 54, 67, 196 Existenzialismus-Schrift (L'existentialisme est un humanisme) 22, 23 Anm. 31, 25, 33, 35 f., 38 ff., 178, 181 Faktizität 23 ff., 32, 52, 139, 185 Feuerbach, L. 4 Anm. 3, 41, 42, 94, 170, 176, 193 Fichte, J . G. 16, 65 Anm. 54, 78 Anm. 26, 180 Finalität 64, 73, 109, 136, 143, 146 f., 149, 154, 155, 158, 160, 174, 175, 180, 186 f., 188 Gegenfinalität 101 f., 108—113 passim, 117 Findlay, J . N. 4 Anm. 4 Forderung 4, 80, 83, 96, 98 f., 101, 104, 107, 109, 113, 116, 124, 127, 148 formal, formell, Formalismus 15, 19 ff., 30, 56 f., 66, 73, 82, 150 Anm. 39, 181

Formierung 97 ff., 101, 114, 117

Personen- und Sachregister

204

Fourier, C. 92 Anm. 83 Freiheit 22—25, 30, 31, 32—37, 39, 41, 50 f., 56, 64, 71, 77, 86, 94, 114, 117, 124, 125, 132, 135, 139, 142 f., 145, 150 ff., 169, 170, 171 f., 173, 176, 179, 195, 197 Freiheitsbeschränkung, -einschränkung 30, 32, 36 Fürsichsein 16, 18 ff., 26 ff., 29 f., 32, 72, 73, 76, 97, 115, 116, 132, 161, 181, 183 Funktion 71, 75, 152, 156 f., 158, 169 Ganzheit, Ganzes (s. auch Totalität) 6, 72, 74 f., 78, 114, 115, 132, 136, 162 f., 164, 167, 168, 169, 173, 177, 187 ff., 196, 200 Garaudy, R. IV Geist 18 f., 36, 41 f., 63, 66, 68, 131 f., 140, 144, 162, 166, 167, 171, 180, 187 objektiver G. 66, 97, 122, 125, 150, 183, 191, 201 praktischer G. 187 theoretischer G. 187 Geldsetzer, L. 190 Anm. 19 Geltung, Gültigkeit, gültigkeitsdifferent 4 f., 9 f., 12, 35, 184 Gemeinschaft (s. auch Gruppe, Sozialgebilde, Solidarität) 33, 35, 42, 78, 84 Genealogie, Abfolge 17, 41, 42 f., 65 f., 68, 76, 77, 83, 96, 112, 113, 118, 131, 140, 141 Geschichte, gesdiichtlidi 40 ff., 51 ff., 55, 63, 65, 66 f., 87, 92, 93, 94, 98, 99, 100, 109, 133, 144, 146, 162, 166, 170—177, bes. 174—177, 178, 180, 183, 190, 195—198, 199 Geschichtsphilosophie 55, (175 f.), (183), (196), 199 Geschichtsphilosophie, Hegels 41, 42, 43, 50, 55, 112, 188 Anm. 16 Gesellschaft 7, 39 f., 63, 65, 76, 86, 88, 102, 112, 130, 140 f., 150, 151, 155, 158, 160—170, bes. 162 f., 164, 171 f., 183, 195, 197 Reflexion der G. auf sidi 146 f., 175, 188

repetitive G.en 87 sozialistische G. 172 f. unstrukturierte G. 172

Gestalt 42, 51, 69 u. Anm. 2, 85, 99, 105, 135, 142, 143, 165, 166, 167,180 Gewalt 89, 145, 148, 172, 180 Gewerkschaften 129, 140 Gewohnheit 44, 195 Gide, A. 33 Gott 148 Grund, Gründen, Begründung, Grundlegung 5 f., 10, 12 f., 15 f., 20 f., 25, 57—61, 62—67, 68 f., 76, 92, 96, 131, 139 f., 141, 143, 167, 168, 178 f., 181, 184 f., 188 f., 193, 199 selbstgründend 58 f., 61, 184, 199 Gruppe 81, 83, 106, 128 ff., 131, 135— 159, 160—177 passim, 182 f. Autorität der G. 158 Dauer der G. 146 Differenzierung der G. 144 f., 148, 151, 160 Einheit der G. 135, 140 f., 142, 144, 157 G. als Ereignis 135, 138 f. herrschende G. 158, 165, 172, 182 f., 195, 197, 198 inerte Gr., verfestigte G. 151—159 passim, 160, 182 institutionalisierte G. 158 Konkretion der G. 151—159 Nicht-Gruppierte 143, 155 f., 160 f. G. als Prinzip 135—144, 149 Reflexion der G. auf sich 146 f., 148, 149, 152 Sein der G. 146, 147, 156, 157, 160 Souveränität der G., Souverän der G. 137, 145, 158, 160, 166, 172 Stabilisierung der G. 144—151 Struktur der G. 138 f., 152 f., 160 f., 171 Subjektivität der G. 137, 157, 158, 160 f. Totalität der G. 156 Totalgruppe 196 Übergruppe 155 Umgruppierung 172 Untergruppen 158, 160 vereidigte G. 149 f. werdende, flüssige Gruppe 135, 138 f., 144, 149 zentrierende G., Zentralgruppe 172, 174, 176, 177, 182, 194, 195, 197

Personen- und Sachregister Gurvitdi, G. IV, 3, 5 Anm. 9, 8 Anm. 4, 57 Anm. 27 u. 30, 59 Anm. 40, 68 Anm. 1, 127 Anm. 50, 167 Anm. 24, 190 Anm. 19, 200 Habermas, J. 5 Anm. 9, 40 Anm. 11, 47 Anm. 34, 134 Anm. 64, 197 Anm. 33 u. 34, 199 Anm. 36 Hartmann, N . 11 Anm. 7 Hegel, G. W. F. (Werke unter Kurztitel) IV, 5 Anm. 7, 6, 7, 8 Anm. 3, 10, 11, 16—21 passim, 25, 30, 34 Anm. 54, 35, 36, 41 f., 43, 44, 49, 50, 51, 53, 55, 58, 63, 65, 66, 67, 68, 73, 74 Anm. 19, 75, 78, 82, 85, 86, 94 Anm. 88, 97 f., 103, 112, 114, 115, 117, 121, 125, 131, 135, 140, 143, 146 f., 149, 157, 158, 162, 163, 164, 165, 167 ff., 168 Anm. 26, 173, 174, 175 Anm. 46, 176, 180, 183—192 passim, 193, 200, 201 Heidegger, M. 4 Anm. 3, 11—13, 14, 15, 21, 23, 25, 34, 49, 52, 69, 184, 186 Herr und Knecht 26, 82, 85 Herrsdiaft 77, 158 f., 160 f., 164 f., 168, 171, 197 f. Hierarchie 166, 177 Hobbes, T. 167 Anm. 24 Hönigswald, R. 11 Anm. 8 Homogeneität 82, 84, 142, 153, 182 Horizont 28, 34, 60, 64, 79 Anm. 33, 105, 109, 185, 200 Husserl, E. 2 Anm. 1, 8 Anm. 3, 11, 55 Anm. 18 Idealismus, idealistisch 8 Anm. 3, 13, 38 Anm. 1, 48 f., 49 u. Anm. 38, 50, 63 Anm. 51, 64, 67, 73, 141 f., 141 Anm. 14, 162, 166, 185, 187 Identität 9, 20, 28, 32, 33 f., 84, 85, 147 Identifikation 16, 32—37, 104, 182 Ideologie 46, 164, 196—198 Illustration 63, 65, 97, 126, 132 f., 150, 156, 158, 162 f., 171, 177, 187 f., 192 u. Anm. 24, 195, 198, 199 Immanenz, immanent, intern 11, 16— 21 passim, 69, 70, 71, 74, 115, 149, 152, 154 f., 157, 157, 166 Imperativ 80 f., 107 kategorischer I. 34 f., 108 Implikation 21, 22, 26 ff., 29, 32, 78

205

individuell, individualistisch 2, 6, 7, 31, 51 f., 54, 56, 178 inert, inertia, träge 75, 77, 95—106 passim, bes. 100, 114, 117, 126, 128, 146, 147, 151 f., 160 f., 165, 169 inhaltlich Differentes 14, 21, 22, 30 f., 64 Anm. 54, 77, 85 f., 94, 106 f., 133 f., 158 f., 170, 172 ff., 177, 179, 186, 196, 198 Innerlichkeit, innerlich 70, 82, 138, 156, 158 Intentionalität 9, 10, 13, 14—16, 19 f. Ontologie der I. 13 Interesse 110, 113, 114, 116, 118 f., 123 f., 177 Intersubjektivität 26 Anm. 40, 31, 103, 156, 198 Irreduzibilität, irreduzibel 13, 20, 44 f., 51, 62, 64, 82, 85, 105, 143, 164, 169 f., 185 f., 200 Jacoby, G. 11 Anm. 7 Kader 152, 195 Kant, I. 4, 8 Anm. 3, 22 Anm. 27, 24, 34 f., 38, 48, 60, 193 Anm. 25 Kategorie, kategorial 8, 9, 12, 17—20, 21, 31, 32, 60, 64, 75, 82, 85, 92, 98, 140, 141, 142, 143, 147, 169, 170, 171, 180 ff., 200 k. Denken s. unter Denken Nicht-Kategorialität, nicht-kategorial 20 f., 60, 92, 106, 138, 158, 184, 198 Kautsky, K. 195 Kempski. J. von IV Kierkegaard. S . A . 53, 184 Klasse 90 f., 120—122, 123—134, bes. 127 ff., 136, 162 u. Anm. 2, 163— 170 passim, 170—177 passim, 191, 194, 197, 198 Arbeiterklasse 39, 120—122, 123, 127—134, bes. 130 ff., 162, 175, 177, 196 besitzende, herrschende K. 120, 122 ff., 133, 164 f., 170 f., 173 Klassendifferenz, -gegensatz 91, 95, 109 f., 120, 122 ff., 141, 162 f., 170, • 174 Dualität der K.en 120, 175 f. Entstehung der K.en 90 f., 100, 110 f. Klassenkampf 120, 131, 132, 162, 175 f., 194, 196, 197, 198 Koexistenz der K.en 174

206

Personen- und Sachregister

Knappheit 71, 77, 86—95, 96, 98 f., 102, 103, 104 f., 106, 110, 111, 120, 123, 129, 182, 191 sekundäre K. 90, 93, 129 Kollektiv 105, 123, 126 f., 136, 145, 146, 157, 161, 162, 163, 168, 169, 172, 182 Kollektivismus 179, 196 Kommune, frz. 171 Kommunismus 130, 171, 195 Anm. 29, 196 Kongenialität, kongenial 16 f., 20, 41, 85, 181 f., 188, 191 K. von CRD und Marxismus 94, 170, 193, 198 Konjunktion 81, 84, 136, 138 f., 146, 153 Konkretion, konkret 18 ff., 22 f., 32 f., 35, 37, 52 ff., 60, 63, 67, 68 f., 76 f., 99, 105 f., 112 f., 129 f., 151—159, 169, 174, 176, 180 ff., 186 ff., 192, 199 Kontingenz, kontingent 24, 26 ff., 55 f., 64, 66, 78, 87, 92 f., 139, 144 Kontinuität K. der Prinzipien, der Theorie u. ä. 2, 6, 7, 33, 35, 36, 53, 77, 84, 89, 96, 97, 104, 114, 129 Wirklichkeitskontinuität 131 f., 143, 165, 186 Kopper, J . V, 48 Anm. 35, 56 Anm. 23 Kwant, R. C. IV, 122 Anm. 38, 150 Anm. 38, 151 Anm. 40, 168 Anm. 27, 198 Anm. 35 La Rochefoucauld 23 lateral 31, 36, 66, 84, 107, 127, 187, 195 Lefébvre, H. IV Legitimität 163 f., 165 f. Leibniz, G. W. 188 Anm. 15 Lenin, W. I. 94 Anm. 90, 113, 170 Anm. '30, 172, 177, 195, 196 Lichtheim, G. V, 48 Anm. 35, 55 Anm. 17, 62 Anm. 49, 167 Anm. 24, 172 Anm. 37 Limitation 28 ff. Litt, T. 79 Anm. 33, 138 Anm. 11 Logik 9, 16, 19, 54 Anm. 16, 61, 72, 73, 83, 84, 92, 138, 139, 181 Logik, Hegels 17, 18, 19, 20, 53, 185 L. der Arbeit 75 ff. L. der Negation 72 L. der Totalisierungen 73

Logos 10 f., 20, 57, 63, 76 Lukacs, G. 47 Anm. 33, 67, 190 Anm. 20 Macht 152, 165 Mangel 70, 77 Manipulation, Fremdsteuerung u. ä. 164, 166, 171, 172, 194 Marcuse, H. 193 Anm. 25 Markt 42, 103, 116, 119, 123, 125, 127, 129, 150 Marx, K. 4 Anm. 3, 39—49 passim, 50, 51, 53, 59 Anm. 59, 63 f. Anm. 51, 65 Anm. 54, 71, 77, 85, 90, 94 f., 96, 97 f., 99, 107—134 passim, 164, 168 Anm. 26, 169, 170—177 passim, 183, 190 Anm. 20, 193—198 passim, 199 Anm. 36 Marxismus, marxistisch IV, 1, 7, 35, 38—49, 50 f., 63, 67, 90, 94 f., 103, 107—134 passim, 165, 170—177 passim, 178, 189 ff., 193—198, 199 Fundierung des M. 67, 193 f., 198, 199 Materie 70 ff., 80 f., 83 f., 85, 92, 95— 106, 107—110, 115, 118, 138, 163, 191 f. M. als fehlende, knappe 96 M. als anwesende 96 M. als Gegeninstanz 98 ff. geprägte, bearbeitete M. 81, 107 Rückwirkung der M. auf die Praxis 92, 96 f., 101 ff., 104, 106, 108 träge, inerte M. 95—106 Materialismus, materialistisch 13 Anm. 15, 46, 50, 69, 75, 76, 94, 196 dialektischer M. 8 Anm. 3, 45—49, 51, 76, 194 f. historischer M. 38 Anm. 1, 40—45, 47, 50, 52, 61, 196 Materialismus und Revolution, Essay Sartres 38—47 passim, 178 Mayer, H. IV, 138 Anm. 11, 167 Anm. 24 Mensch Begriff vom M.en 6, 10, 12, 13—25, 56, 69, 186, 193, 198 Anm. 35 Gegenmensch 88 Merleau-Ponty, M. 47 Anm. 33, 197 Anm. 33 Metaphysik, metaphysisch 45 f., 47, 48 f.

Personen- und Sachregister Methode, regressive 66, 105, 112 f., 130—132, 155 f., 180—183, 184— 192 Milieu 74, 81, 95, 101, 104, 114, 116, 128 f., 137, 155, 156 f., 174, 180, 182, 187, 188 Minderheit 129, 134, 153 ff., 160 f., 190, 195 Mitsein 12, 25 Montesquieu 172 Anm. 37 Müller, M. 13 Anm. 15 Mythos 47 Nacheinander (s. auch Genealogie) 17 f., 127, 155, 167, 180 ff., 186—192, bes. 190 f. Natur 37, 39, 47 f., 70, 73 f., 84, 85, 94, 97, 101, 102, 103, 119, 126 Nauta, L. IV, 71 Anm. 8, 179 Anm. 1, 200 Anm. 39 Negation, Negatives, Negativität (s. auch Sich-Absetzen) 14 ff., 18, 20 f., 24 f., 28—30 passim, 39, 44, 45, 70— 75 passim, 77, 91, 93, 95 f., 104, 129, 188 f., 190, 191 n£gatit& 20 Neukantianismus 4 Anm. 7, 184, 185, 200 f. Nominalismus, nominalistisch 60, 64, 135, 141, 149, 168, 169, 177, 180 Norm, normativ 6, 7, 24, 25, 34 f., 45, 64, 115, 117, 156, 166—170 passim, 172—177 passim, 179, 183, 186, 190, 196, 198, 200, 201 n. Bild 6, 166, 167, 172 f. Notwendigkeit 100, 124, 126, 145, 151 Objektivierung 32, 71 Anm. 8, 83, 99 Anm. 102, 118, 119, 152, 181 Ökonomismus 94 Ontologie, ontologisdi 2, 9 f., 12 f., 14, 17, 22, 27, 34 f., 37, 41, 46 f., 61, 64, 70 f., 115, 117, 141 Anm. 14 meontologischer Beweis 20, 61, 72 objektiv-ontologisdi 4, 28, 31, 34, 161 f., 174 f., 192 Anm. 23 o. Akt 17 Anm. 18 o. Beweis 20 realistische O. 10 Ordnung 4 ff., 35, 75, 145, 151, 154, 155, 166, 171, 175, 195

207

Organismus, Organisches u. ä. 70 f., 75 f., 116, 129, 154, 158 Überorganismus 141, 153, 172 Orientierung, Perspektive Orientierungszentrum, -punkt 84, 149, 155, 160 f., 168, 175 objektiv-ontologisdie P., ontologisdi neutrale P. 4, 28, 31, 34, 161 f., 174 f., 192 Anm. 23 Subjektorientierung u . a . 28, 31, 34, 62, 63, 108, 152, 161, 168, 192 Anm. 23 Zentralperspektive, -Orientierung 14, 21, 25, 28, 30 f., 62 Paar 3 f. Anm. 2, 26, 31, 62, 81, 83 Partikularität, partikulär 56, 62 f., 72 ff., 83, 85, 120, 125, 131 f., 141, 155, 161 ff., 164, 167 ff., 170, 173, 177, 183, 184—192 passim, 194, 200 Perspektive s. Orientierung Phänomenologie, phänomenologisch 11 f., 15, 20, 29, 31, 58 f., 60, 69, 73, 118 Phänomenologie des Geistes, Hegels 17, 26, 58, 69, (82), (85) p. Ontologie 2 Philosophie Geschichtsphilosophie s. dies Rechtsphilosophie s. dies Sozialphilosophie IV, 1—7 passim, 2 Anm. 1, 8 Anm. 4, 31, 44, 51, 54, 63 f. Anm. 51, 78, 79, 133, 170, 178 f., 199 f. Anm. 38, 201 Transzendentalphilosophie (s. auch transzendental) IV, 2 Anm. 1, 8 u. Anm. 3, 49 Anm. 38 u. 39, 86, 105, 166, 177, 178—201 passim Verwirklichung, Weltlichwerden der P. 41, 63 f. Anm. 51 Plato 6 f., 141 Pluralismus (s. auch Pluralität) 67, 130, 155, 157, 161 ff., 165, 166, 168, 169, (174), (182), 189 Pluralität 21, 31, 32, 35, 36, 42, 51, 56, 60, 62, 63, 64, 67, 68, 69, 75, 76, 83, 85, 98, 99, 102, 103, 104, 112, 125, 135, 138, 140, 141, 144, 147, 154, 157 f., 161, 162, 166, 168 f., 172 f., 174, 176, 177, 190, 192, 199— 201

208

Personen- und Sachregister

Politik 4, 179 polyzentristisdi 51, 62, 78, 175 pränumerisch 27, 30, 56, 62, 79, 84 Praxis (s. auch Einzelner) V, 10, 40, 42, 48, 49, 53—56, 57—61, 64 f., 68— 77, 96—101 passim, 105, 106, 125 f., 130, 135—144 passim, 147, 166, 169, 174, 180 ff., 193, 197, 199, 200 praktisch 10, 22, 47, 48, 49, 53, 59, 64, 122, 179, 182 praktisch-träge, pratico-inerte 100, 108, 151 f. Primat des P., der Praxis 59, 69, 184 Prinzip 6, 12 f., 18 f., 21, 26, 32, 36, 44, 46, 50, 56, 57—61 passim, 62— 67 passim, 68—106, bes. 68 f., 76, 83, 85, 91—95, 96—100, 104, 105 f., 115, 135—144, bes. 135, 138 f., 143 f., 145, 158, 180 ff., 193, 200 existierendes P. 22, 58, 62 f., 82, 106 Prinzipiengewebe u. ä. 92, 95, 97, 104 f., 109 Seinsprinzip 12, 34 Verstehensprinzip 63, 76, 85, 91, 94, 99, 103, 143, 181 Privatbeziehungen 81, 86 Produktionsmittel 109 ff., 118 Produktionsverhältnisse 42 f., 110 f., 133, 162, 164, 175 progressiv 16, 52, 53, 66 Proletariat, Diktatur des 44, 171 Proudhon, P.-J. 59 Anm. 40, 92 Anm. 83, 127 Anm. 50, 173 Anm. 38, 183, 190 Anm. 20 Prozeß 40, 42—46, 62, 118, 153 f., 154 u. Anm. 53, 186 f., 194, 197 qualitativ 18, 20, 22, 25, 60 f., 75, 125, 170, 171 quasi-historisch 105, 112 f., 131, 132,146 Rationalität, rational (s. auch Einsichtigkeit, Vernunft, Verstehen) 13, 21, 62 f., 76, 85, 153, 185 f., 200 Recht 4, 36, 37, 64 f. Anm. 54, 121— 123, 145, 146, 148, 150, 163, 165, 179, 198 Rechtsphilosophie, Hegels 5 Anm. 7, 34 Anm. 54, 51, 55, 63, 65, 78, 94 Anm. 88, 100 Anm. 106, 101 Anm. 114, 112, 114 Anm. 21, 115, 121 f., 140, 157, 163 Anm. 7, 173,

175 Anm. 46, 176 Anm. 52, 185, 193, 201 Reflexion 24, 57, 76, 112, 146 f., 149, 152, 162 f., 167, 169, 172, 173, 175 f., 177, 188, 192, 197 regressiv, Rückgang (s. audi Methode, regressive) 15, 52 f., 66, 174, 180 Relativität, historische 61 f. Reorganisation 145 f., 151, 154, 158 Repräsentanz, Repräsentation 163, 167, 168 Anm. 26 Revisionismus 195 Reziprozität (s. auch Wechselseitigkeit) 77—86, 88 f., 106, 107, 120, 128, 135 ff., 139, 141 Anm. 13, 152, 156, 158, 161, 167, 175 f., 180, 181, 182, 185 modifizierte R. 88, 181 negative R. 80, (175) positive R. 80 vermittelte R. 137 f. Rivalität 89 f., 101 Rotation, rotierend 81, 87, 138, 142 Rüge, A. 41 Anm. 12 sakral 149 f. Schaff, A. IV, 87 Anm. 63 Sdieler, M. 4 Anm. 3 Schicksal 89, 118, 123, 124, 129, 154 Sein, Seiendes 9—22 passim, 24, 82, 89, 92, 98, 100, 101, 107, 115, 126, 129, 136, 146, 147, 156, 161, 165, 176, 192, 201 Sein-für-Andere 29 f. Seinsbeziehung 27, 29, 115 Seinstyp 14 f., 19 Seinsweise 11, 14, 18, 24, 35, 115 Ansichsein 72, 115 Fürsichsein s. dies qualitatives S. 18, 20, 25, 171 Serialität, seriell 102, 126 f., 136, 139, 145, 148, 151, 154, 155, 156, 162, 163, 165, 166, 167, 169, 171, 172, 174 Sieg 145, 146, 177 Siegel 88, 100 Simmel, G. 78 Anm. 25, 79 Anm. 33 Simultaneität 30, 67, 112, 117, 119 f., 129, 132, 141, 169, 174, 181, 187, 188, 189, 190, 192 Sinngesetz 42 ff., 47, 50 f., 143 f., 146, 166, 196, 197, 199

Personen- und Sachregister Sinnverleihungen 14, 60, 100 f. Situation 23, 55, 66, 142 f. Solidarität, solidarisch 33, 80, 89, 99, 101, 102, 107, 123, 128, 130 Sozialgebilde, ensemble 36, 51, 54, 56, 57, 144—159 passim, 160, 169, 179, 180, 182, 185, 187, 195 Soziologie 3, 5, 175, 177, 179, 187, 200 Staat 5, 7, 42, 43, 63, 67, 86, 122, 140 f., 147, 151, 158, 160—170, 171, 176, 198 Absterben des S. 44, 122, 172 S. als Gruppe 163—170, 171 S. und Klasse 164, 171, 176 f. Staatsapparat 164 f., 166 Stalin, J . W. 46 Anm. 26, 27 u. 28 Steigerung(en) 25, 105, 106, 119, 123, 126, 132, (158), 169, 182, 183, 192 Struktur, strukturiert (s. auch Gestalt) 7, 12, 13, 15, 19, 21, 25, 32, 35 f., 51, 60, 64 ff., 66 f., 68, 77 f., 85, 87, 92, 105, 107—134 passim, 135—159 passim, bes. 138 f., 142, 151 f., 160, 165, 167, 169, 172, 174, 177, 181, 186, 195 strukturdifferent 141, 147, 154, 185 Strukturkonzept 172, 197 Strukturlosigkeit, strukturlos, unstrukturiert 36, 43, 87, 122, 171 f., 195 Subjekt, Subjektivität 9—22 passim, 27—31 passim, 51 f., 56, 57—61 passim, 62 f., 69 f., 82, 115, 129, 130, 135, 137, 139, 152, 157, 158, 160, 161, 166, 171, 172, 184 ontologischer Subjektbegriff 10, 12, 26 Zentralsubjekt(ivität) 14, 25, 30, 62 Suggestion, suggestiv 65, 69, 112 f., 129 ff., 134 f., 149, 186, 189, 192, 195, 198, 200 Syndikalismus, Anarcho-Syndikalismus 111, 113, 128 f., 134, 135, 161, 170, 174, 189 Täuschung, transzendentale 187 ff., 190, 198, 201 Terror 146, 148 f., 152, 158 Theorie V, 6, 8, 10, 13, 22, 26, 32, 53 f., 54—67 passim, 87, 93, 105, 143, 173 f., 178—193 passim, 199—201 passim

209

Theunissen, M. V, 2 Anm. 1, 13 Anm. 15, 26 Anm. 39 u. 40, 49 Anm. 39, 78 Anm. 25, 79 Anm. 33, 80 Anm. 44, 86 Anm. 60, 100 Anm. 103,191 f. Anm. 23, 197 Anm. 34 Thyssen, J . 11 Anm. 7 Totalisierung 51, 54, 59 f., 64, 66, 72, 73, 75, 78, 81, 88, 89, 98 f., 104, 137, 138, 144, 152, 153, 166, 174, 175, 197, 198 Totalität (s. auch Ganzheit) 70, 72, 73, 74, 75, 82, 88, 136, 144, 152, 156 f. Quasi-Totalität 80 f., 82, 83 transzendental (s. auch Philosophie, Transzendental-) I V , 1, 6, 7, 8, bes. Anm. 3, 10, 11 ff. passim, 47, 48, 54—67 passim, 68 f., 93, 96, 99, 122, 127, 128 f., 136, 137, 138, 141 f. Anm. 14, 149, 150, 155 f., 161, 162, 165, 166, 167, 169, 176, 177, 180 ff., 200 £. transzendentale Kritik 72—74, (76 f.), 81—85, 103—106, (113), 119—121, (129), 130—133, 142— 144, 149—151, 159, 166—170, 184— 192 transzendental-logisch 9, 12, 61, 188 f. transzendental-ontologisch 8 Anm. 3, 13, 29, 58, 64 u. Anm. 54, 67, 121, 143, 144, 188 f., 201 transzendental-phänomenologisch 9, (59) „transzendental später" 112, 129 transcensus, Transzendieren 9, 10, 13, 15, 60, 73, 74 Übergang 71, 129 f., 131 f., 133, 147, 149, 150, 160, 171, 183, 186, 189 Überzählige 87, 120, 128 Unterbau-Überbau-Theorie, Basis 46, 106, 121, 122, 194, 197, 198 Unterstellung, Hypothesis, Hypothese 9 f., 12, 42, 57, 58, 69, 83, 86, 90, 93, 170, 179, 197 Urwahl 24 Usurpation 167 f., 170, 173, 183, 186, 192, 195 Utopie 43, 134, 170, 173, 176, 196

210

Personen- und Sachregister

Verantwortung 33, 138 Veräußerlidiung, Wiederveräußerlidiung 71 Anm. 8, 97, 98, 108, 157 Verbindlichkeit 5, 34 f., 48, 61, 69 Verdinglidiung 42, 47, 89, 95, 114, 116, 118 Verelendung(stheorie) 94, 121, 130, 131 Verhältnis u. ä. Außenverhältnis 80, 108, 138, 149, 158, 163, 165, 175 Anm. 46 Dreier-V. 80 f., 83, 89, I I I , 117, 120, 137 Person-Materie-(bzw. Welt-) V. 191 f. Person-Person-Materie-(bzw. Welt-) V. 193 Person-Person-V., interpersonales V. 37, 80, 85, 86, 107, 125, 191 f. Zweier-V. 79, 80, 84 Anm. 57, 85, 137 Verinnerlidiung 29, 60 f., 71 u. Anm. 8, 84, 88, 97, 99, 108, 149, 156, 157 f., 160, 165 Vernunft 35, 57—61 passim, 63 f., 121, 154, 181, 186, 190, 196 f., 199, 200 Vertrag Vertragstheorien 6 Anm. 11, 133 Sozialkontrakt, contrat social 148, 150 Statuskontrakt 149 f. Zweckkontrakt 150 Verstehen (s. auch Bewegung, Verstehens-, Begründungs-, Einsichtigkeit) 3, 8, 11 f., 52—54, 56, 57—67 passim, bes. 62 ff., 69, 77, 85, 90 f., 92, 95, 97, 99 f., 105, 143, 146, 153,

167 ff., 175 f., 181—183, 186—190, 199 f. Vierkandt, A. 78 Anm. 25 Wagner, H . 5 Anm. 7 Waidenfels, B. IV, 48 Anm. 35, 93 Anm. 87, 198 Anm. 35 Weber, M. 148 Anm. 31 u. 34, 149 f., 181

Wechselseitigkeit, alternierende W. 28 ff., 31, 78 Werkzeug 70, 101, 104, 107, 124, 126 Wertobjekt 103 f. Whitehead, A. N . 188 Widerspiegelung 45 f., 48 Wiese, L. von 56 Anm. 25, 138 Anm. 11 Willkür 23, 33, 171 Wir-Objekt 31, 79, 123, 128 Wir-Subjekt 32, 78 Zehm, G. IV, 39 Anm. 2, 41 Anm. 12, 55 Anm. 17 u. 18, 61 Anm. 48, 113 Anm. 17, 132 Anm. 61, 134 Anm. 64, 197 Anm. 33 Zeit, Dauer 71, 146 f., 151, 153 Zentralismus 158, 172, 196 Zentrierung (s. auch Orientierung, Zentralgruppe, Zentralsubjekt) 64,160 f., 163 f., 165, 167, 169, 173 ff., 176 f., 182, 195 Ziel, Zielvorstellung 40, 43 f., 125, 132, 136 f., 142, 145 ff., 149, 152, 154 f., 165, 190, 196 Zugestandenes 27, 67, 179, 199 Zusammenarbeit 88, 99 Zweck 4, 24 f., 74, 76

KLAUS

HARTMANN

Grundzüge der Ontologie Sartres in ihrem Verhältnis zu Hegels Logik Eine Untersuchung zu „L'être et le néant" Groß-Oktav. VI, 138 Seiten. 1963. Ganzleinen D M 20 —

MICHAEL

THEUNI

SSEN

Der Andere Studien zur Sozialontologie der Gegenwart Groß-Oktav. XVI, 538 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 68,—

HEINZ

HEIMSOETH

Transzendentale Dialektik Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. 3 Teile l . T e i l : Die Paralogismen der Seelenlehre Groß-Oktav. VIII, 198 Seiten. 1966. D M 18,—

MANFRED

BRELAGE

Studien zur Transzendentalphilosophie Mit einem Geleitwort von Michael Landmann Herausgegeben von Aenne Brelage Groß-Oktav. Mit 1 Frontispiz. XII, 256 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 42,—

LOTHAR

SCHÄFER

Kants Metaphysik der Natur Groß-Oktav. VIII, 200 Seiten. 1966. Ganzleinen D M 38,— (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie Band IX)

W A L T E R DE G R U Y T E R & CO • B E R L I N

30

HANS

JOACHIM

LIEBER

Philosophie — Soziologie — Gesellschaft Gesammelte Studien zum Ideologieproblem Oktav. VIII, 247 Seiten. 1965. DM 19,80

RAINER

MARTEN

Der Logos der Dialektik Eine Theorie zu Piatons Sophistes Groß-Oktav. VIII, 260 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 52,—

GOTTFRIED

MARTIN

Allgemeine Metaphysik Ihre Probleme und ihre Methode Groß-Oktav. VIII, 358 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 48,—

H. J . P A T O N

Der Kategorische Imperativ Eine Untersuchung über Kants Moralphilosophie Groß-Oktav. X V I , 355 Seiten. 1962. Ganzleinen DM 28,—

GERD

WOLANDT

Philosophie der Dichtung Weltstellung und Gegenständlichkeit des poetischen Gedankens Groß-Oktav. X , 210 Seiten. 1965. Ganzleinen DM 32,—

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO • B E R L I N 3 0