Richard Wagner: Ein Leben für die Bühne 9783412211356, 9783412209193

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Richard Wagner: Ein Leben für die Bühne
 9783412211356, 9783412209193

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Martin Knust

Richard Wagner Ein Leben für die Bühne

2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Richard Wagner. Gemälde nach einem Foto von Franz Hanfstaengl, ca. 1871 (Foto: akag-images)

© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D–50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat: Kornelia Krones, Wien Umschlaggestaltung: Judith Mullan, Wien Satz: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Druck und Bindung: Finidr s.r.o., Český Těšín Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the Czech Republic ISBN 978-3-412-20919-3

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Wagners Kindheit und Jugend – Der Mimus erwacht (1813–1832) . 13

Der familiäre Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schauspiel und Theater im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Eindrücke im Theater: Sprechkunst und Gestik in Wagners Jugendzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wagner als Kind und Jugendlicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Späte musikalische Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 14 16 23 27

2. Der junge Theaterkapellmeister – Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

Erste Schritte als Kapellmeister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die erste Oper: Die Feen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zukunftsträchtige Begegnungen, erste Schriften und eine zweite Oper: Das Liebesverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Intermezzo: Wagners vergebliche Bemühungen in Berlin und Königsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbannt an die Peripherie: Wagners Rigaer Jahre . . . . . . . . . . . . . . Rigaer Begegnungen und ihre unkorrekte Darstellung in Wagners Lebenserinnerungen: Heinrich Dorn und Karl von Holtei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Paris – Ein Wendepunkt (1839–1842) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Baldige Ernüchterung: Wagners Ankunft in Paris . . . . . . . . . . . . . . Deutsche und französische Aufführungspraxis und die Erfindung des Sprechgesangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Holländer-Monolog: Eine Detailbetrachtung . . . . . . . . . . . . . Ein Ende in Paris – und ein Neuanfang als Musikdramatiker . . . .

55 59 64 71

Inhalt  5

4. Dresden – Ein Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849) 73

Eine alte Bekanntschaft und die Dresdner Inszenierungspraxis: Ferdinand Heine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wagners berühmte Dresdner Primadonna: Wilhelmine Schröder-Devrient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wagners Probenarbeit und Ausbildung seiner Dresdner Sänger: Anton Mitterwurzer und Johanna Wagner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wagner und Eduard Devrient: Über Regie, Sprechkunst und Theaterreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73 77 84 90

5. Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung – Das erste Schweizer Exil (1849–1859) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

Wagners Lebensmitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Die Entstehung des Ring aus dem Geiste der Revolution . . . . . . . . 95 Wagners Schaffensprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Wagners große Zürcher Kunstschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Musikalisiertes „Drama“: Die Entstehung der ersten Ring-Teile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Der Einbruch das Metaphysischen: Die Musik des Tristan . . . . . 111 6. Noch einmal Ahasverus – Wagners letzte Wanderjahre (1859–1864) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Von Zürich über Venedig und Luzern nach Paris: Der Abschluss des Tristan und die Überarbeitung und Einstudierung des Tannhäuser auf Französisch . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Wagners Begnadigung und die Wiener Tristan-Proben . . . . . . . . 122 Stetig wachsende Sorgen und Nöte vor der Berufung nach München . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 7. Kunst, Politik und Rückzug: Wagners zweites Schweizer Exil, seine Entfremdung vom Theater und die Bayreuther Gründung (1864–1876) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

6  Inhalt

Weitreichende Pläne für München: Die sogenannten ‚Musteraufführungen‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein eigenes Theater: Von Sempers Münchner Opernentwürfen zum Bayreuther Festspielhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Euphorie und Katastrophe: Die triumphale Uraufführung des Tristan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche Kunst und deutsche Politik: Wagner, Die Meistersinger und die Reichseinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Bayreuther Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wagners Entfremdung vom Theater seiner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . Der erste Ring als der Versuch zur Begründung einer neuen Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 127 129 132 136 139 142

8. Ausklang: Theater und Religion (1876–1883) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

Summe und Synthese: Die Entstehung des Parsifal . . . . . . . . . . . . 148 Die Uraufführung des Parsifal 1882: Eine Rekonstruktion . . . . . 151 9. Wagners Konzept des dramatischen Kunstwerks – Das Nachleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

Inhalt  7

Einleitung

Wagners Leben ist oft beschrieben worden. Niemand anderer als er selbst hat hiermit den Anfang gemacht. Insgesamt vier autobiografische Schriften1 hat Wagner zu seinen Lebzeiten veröffentlicht, von denen Mein Leben die am meisten gelesene und zitierte sein dürfte. Sie hat auf viele seiner Biografen eine starke Anziehungskraft ausgeübt, was nicht erstaunt, denn sie ist streckenweise recht unterhaltsam geschrieben und gibt sich durch ironische Momente den Anschein von Objektivität. Tatsächlich ist Wagners Gedächtnis enorm präzise gewesen; das zeigt sich, wenn man seine Lebenserinnerungen mit seinen Briefen vergleicht, die er nicht zur Hand hatte, als er seine Memoiren diktierte. Umso auffallender sind daher einige Stellen, an denen er eine andere Geschichte erzählt als diejenige, die in den zeitgenössischen Quellen zu finden ist. In der vorliegenden Biografie soll daher, zugespitzt gesagt, nicht eine weitere Paraphrase auf Mein Leben vorgelegt werden, sondern die mittlerweile in kritischer Ausgabe veröffentlichten zahlreichen Briefe Wagners wie auch die Zeugnisse seiner Zeitgenossen sollen herangezogen werden, um seine Lebensdarstellung kritisch zu beleuchten und zu ergänzen. Den Leitfaden dieser Beschreibung soll dabei Wagners Verhältnis zu derjenigen Institution bilden, die ihn und sein Werk am stärksten geprägt hat: das Theater. Unter dem Blickwinkel seiner Auseinandersetzung mit dem Theater seiner Zeit werden Seiten seiner Persönlichkeit und seines Denkens sichtbar, die uns der Essenz seines Werkes denkbar nahezukommen erlauben. Wie gezeigt werden wird, ist sowohl seine Dichtung als auch seine Musik in einer Weise vom Theateraufführungsstil seiner Zeit geprägt wie bei kaum einem anderen Dramatiker und Komponisten. Nietzsches Behauptung, Wagner sei „der grösste Mime, das erstaunlichste Theater-Genie, das die Deutschen gehabt haben“,2 gewesen, ist vor diesem Hintergrund keine Übertreibung. Hinzu kommt, dass auch sein Leben und seine Persönlichkeit theatralische Züge haben, die sich oft auf das Umfeld, dem er entstammte, zurückführen lassen.

Einleitung  9

Wenn Wagners Leben und Werk also unter diesem Aspekt betrachtet werden sollen, geht es dabei weder darum, in der Tradition des 19. Jahrhunderts die Geschichte eines Geisteshelden zu erzählen und ihm zu huldigen, noch, in der Tradition der Nachkriegszeit Wagner und sein Werk als hypertroph oder sogar gefährlich zu brandmarken und sich von ihm zu distanzieren. Wie Wagner sich im Alltag verhielt, wie er in seinem Bekanntenkreis auftrat, davon wird der Leser dieses Buches ebenso einen Eindruck bekommen wie von seinen gewagten künstlerischen Vorhaben, seinem musikalischen Denken und seinen politischen Aktivitäten. Hauptabsicht ist dabei, das Besondere wie auch das Gewöhnliche, das Visionäre wie auch das Zeitgebundene seines künstlerischen Konzepts zum Vorschein kommen zu lassen. Wie schuf er seine Werke? Wie war es, Wagner als Kollegen zu haben? Was waren die wichtigsten Einflüsse, die er vom Theater erhielt? Mit welchen Theaterleuten hatte er zu tun? Wie sang und spielte man seine Werke zu seiner Zeit und wie wollte er sie aufgeführt haben? Das sind einige der zentralen Fragen dieses Buches. Die insgesamt neun Kapitel zerfallen dabei in zwei Teile: Die Darstellung von Wagners erster Lebenshälfte, während der er gegenüber Einflüssen von außen offen war, konzentriert sich auf die Beschreibung seines biografischen Hintergrunds und Umfeldes. Bei der Beschreibung seiner zweiten Lebenshälfte, in der er sich weitgehend Einflüssen von außen verschloss und mit Vehemenz ausschließlich das eigene Schaffen vorantrieb, soll es hingegen um sein Wirken auf seine Umwelt gehen, d. h., um sein theoretisches wie praktisches Schaffen als Schriftsteller, Komponist, Regisseur und Organisator. Das letzte Kapitel stellt einen knappen Ausblick auf die Wirkungsgeschichte seines Werkes dar, das im Kulturleben der Gegenwart unvermindert präsent ist, wenn auch in anderer Weise als das Wagner selbst vorgeschwebt hat. Zur Übertragung der Quellen und dem Gebrauch von Anführungszeichen ist Folgendes anzumerken: Zitate stehen immer in doppelten Anführungszeichen; desgleichen Wörter, bei denen es um die Begriffsdefinition geht. In dem vorliegenden Text werden alle Quellen unverändert in der originalen Orthografie zitiert. Jegliche Hervorhebungen in den Quellen – Unterstreichung, Sperrung, Fettdruck, Kursivierung etc. – sowie Werktitel werden kursiv wiedergegeben. Anführungszeichen in Zitaten haben ein einfaches Anführungszeichen bekommen ebenso wie Begriffe in anachronistischer, ironischer oder distanzierender Verwen10  Einleitung

dung, z. B. im Falle der sogenannten ‚realistischen‘ Schauspielschule in Deutschland, die für unsere Begriffe alles andere als realistisch war. Das Literaturverzeichnis stellt beileibe keinen vollständigen Überblick über die Wagnerliteratur dar, sondern verweist lediglich auf Texte, die für das vorliegende Buch relevant sind oder darin zitiert werden.

Einleitung  11

1. Wagners Kindheit und Jugend – Der Mimus erwacht (1813–1832)

Der familiäre Hintergrund Richard Wagner wurde in eine Theaterfamilie hineingeboren. Die Umstände, unter denen dies geschah, waren, wie bekannt ist, ausgesprochen bedrohlich: Fünf Monate vor der sogenannten Dreivölkerschlacht bei Leipzig, bei der die napoleonischen, österreichischen und preußischen Streitkräfte aufeinandertrafen und über hunderttausend Tote und Verwundete zu beklagen waren, war seine Mutter Johanne Rosine am 22. Mai 1813 mit ihm, ihrem siebten Kind, niedergekommen. Sie war die Frau des Leipziger Polizeiaktuars Karl Friedrich Wagner, der wenig später am Lazarettfieber starb, einer Epidemie, die sich im Gefolge großer Gefechte im 19. Jahrhundert des Öfteren ausbreitete und zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung forderte. Auch wenn Wagner überhaupt keine Erinnerungen an seinen leiblichen Vater gehabt hat, bestimmte dieser seinen Werdegang entscheidend, indem er sich als Laienschauspieler betätigte – eine Freizeitbetätigung, die um 1800 im deutschen Bürgertum eine regelrechte Mode erlebte – und so seine Familie in Kontakt mit dem Theater brachte. Vielleicht gab es aber ohnedies schon davor Verbindungen von Wagners Familie zum Theater. Beispielsweise ist kaum etwas über Wagners Mutter und ihr voreheliches Leben bekannt. Es ist möglich, dass sie aus dem Theatermilieu stammte, eine mehrjährige Ausbildung als Schauspielerin erhalten hatte und als junges Mädchen auf einer kleinen Bühne in Weißenfels aufgetreten war, doch fehlen die endgültigen Beweise dafür einstweilen noch.3 In jedem Fall war es ihr vergönnt, kurz nach dem Tode ihres Mannes einen neuen Gatten zu finden, der bereits seit etwa zehn Jahren zum Freundeskreis der Familie gehört hatte und die Verantwortung für sie und ihre große Kinderschar übernahm: Ludwig Geyer. Wenige Jahre zuvor hatte er sich, nachdem er eine Ausbildung als Maler und Jurist erhalten hatte, dafür entschieden, professioneller Darsteller zu werden.4 Geyer war Schauspieler und Sänger in der Secondaschen Truppe, die jeweils ein halbes Jahr Der Mimus erwacht (1813–1832)  13

in Dresden und Leipzig auftrat, und als im Jahre 1814 das Dresdener Hoftheater gegründet wurde, erhielt er dort eine Anstellung als Königlich Sächsischer Hofschauspieler. Er hatte gute Kontakte zu den umliegenden Theatern. Beispielsweise hatte er in Breslau die Bekanntschaft des berühmten Schauspielers Ludwig Devrient gemacht, bei dem später sein Stiefsohn Albert, Wagners ältestes Geschwister, in die Lehre gehen sollte. Geyers Einfluss dürfte es zu verdanken sein, dass vier von Richards sechs älteren Geschwistern eine Karriere als dramatische Darsteller einschlugen: Albert, Rosalie, Clara und Luise. Damit wurde das Theater zur Lebensgrundlage der meisten Mitglieder der Familie Wagner-Geyer. Wie sah aber der Beruf eines Schauspielers damals genau aus?

Schauspiel und Theater im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts An dieser Stelle ist ein knapper Exkurs über die damaligen Schauspieler und Sänger in Deutschland angebracht, weil sich die Profile dieser Berufe erheblich vom heute Üblichen unterschieden haben. Es gab im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts nämlich keine strikte Trennung zwischen der Tätigkeit eines Schauspielers und der eines Bühnensängers, sondern ein Darsteller hatte in dieser Zeit beides zu können. Das heißt konkret, dass ein Akteur beispielsweise in der Lage sein musste, dem Publikum an einem Abend eine Sprechpartie und am nächsten eine Opernpartie darzubieten. Hinzu kommt, wie weiter unten näher ausgeführt werden wird, dass das damalige Repertoire zum größten Teil aus Stücken bestand, in denen vom Darsteller ebenfalls beides verlangt wurde, Singen und Sprechen, beispielsweise im Singspiel, das gesprochene Dialoge enthält. Von dieser damals im deutschen Theater dominierenden Gattung sind heute nur noch einzelne Werke wie Mozarts Entführung aus dem Serail im Repertoire zu finden. Es erübrigt sich zu sagen, dass die damaligen musikalischen Standards der Sänger kaum unseren heutigen hohen Ansprüchen genügt haben werden. Auch ging man mit den Stücken, die aufgeführt wurden, alles andere als im Sinne heutiger Werktreue um: Es war vollkommen selbstverständlich, dass man Akte und Szenen kürzte oder ganz ausließ, und wenn einem Sänger eine Partie nicht gut in der Stimme lag, änderte man sie einfach, 14  Wagners Kindheit und Jugend

indem man einzelne Töne nach oben oder unten verlegte; diese sogenannten Punktierungen5 waren selbst für bekannte Opernsänger keine Schande, und auch Wagner gestattete sie seinen Sängern Zeit seines Lebens. Auch von den institutionellen Bedingungen her unterschieden sich die Gegebenheiten im frühen 19. Jahrhundert erheblich vom heute Üblichen. Es gab beispielsweise noch keine staatliche Ausbildung zum Sänger oder Schauspieler in Deutschland, sondern man lernte Gesang bei Privatlehrern – im Falle von Wagners Geschwistern bei dem ehemaligen Opernsänger Johann Aloys Miecksch in Dresden6 – und das Agieren auf der Szene durch Nachahmung und Schulung durch seine Kollegen auf dem Theater. Durch das Fehlen einer systematischen Ausbildung war der darstellerische Nachwuchs also weitgehend auf sich allein gestellt. Es ist keine Übertreibung, damalige Darsteller nach heutigen Maßstäben als Autodidakten zu bezeichnen. Hinzu kam, dass die Sänger im frühen 19. Jahrhundert in Deutschland in der Regel sehr jung ihre Bühnenlaufbahn begannen, oft schon bevor sie zwanzig Jahre alt waren, und diese häufig auch nicht lange währte, weil sich stimmliche Probleme einstellten, die sicherlich zu einem guten Teil von ihrer mangelhaften technischen Ausbildung herrührten, mit der die schweren italienischen und französischen Opernpartien, die sie zu singen hatten, nicht zu bewältigen waren. Auch Wagners Geschwister blieben davon nicht verschont.7 Schließlich ist noch zu erwähnen, dass das Rollenrepertoire und Lernpensum eines Schauspielers in dieser Zeit verglichen mit heutigen Maßstäben immens war. Ein bekanntes Beispiel ist das des seinerzeit bekannten Schauspielers Emil Devrient, der während seines elf Monate währenden Engagements am Theater in Bremen im Jahre 1822 ganze 111 Auftritte hatte, für welche er 89 neue Rollen einstudieren musste, unter denen sich 20 Opernpartien befanden.8 Der Grund für diese hohe Anzahl lag in der seinerzeit in Deutschland verbreiteten Ansicht, dass Wiederholungen von Stücken schädlich für die Finanzen seien. Dementsprechend musste ein Theater in erster Linie viel und viel von allem bieten, um ökonomisch erfolgreich zu sein. Im Gegensatz dazu war es seinerzeit in Frankreich üblich, über längere Zeit hinweg nur ein Stück zu spielen, das gründlich einstudiert wurde, was natürlich einen höheren Grad an Professionalität zur Folge hatte. Diese Unterschiede zwischen der deutschen und französischen Probenpraxis blieben bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen.9 Der Mimus erwacht (1813–1832)  15

Erste Eindrücke im Theater: Sprechkunst und Gestik in Wagners Jugendzeit Diese Andeutungen mögen genügen, um zu zeigen, dass das Theatermilieu, in dem Wagner aufwuchs und mit dem er während seiner ersten Lebenshälfte in ständiger Verbindung blieb, nur wenig mit unseren gegenwärtigen Verhältnissen gemein hatte. Das ist insofern von Belang, als Wagners theatralisches und damit eben auch sein musikalisches Denken und Empfinden von dieser Epoche entscheidend geprägt wurde. Man kann bei ihm ohne Einschränkungen von einer frühkindlichen theatralischen Prägung sprechen, d.  h., Wagner wuchs buchstäblich im Theater auf. Es gibt in seinen Lebenserinnerungen und Briefen keinen Hinweis auf seinen ersten Theaterbesuch, was sich wohl daraus erklärt, dass er ausgesprochen früh stattgefunden haben wird.10 Geyer nahm seinen Stiefsohn zu Aufführungen und Proben in das Theater mit, sodass der junge Richard zugleich bei seinem ersten Kontakt mit der Bühne einen Blick für das Geschehen hinter den Kulissen bekam.11 Dieser erste Kontakt muss in etwa in Wagners fünftem Lebensjahr erfolgt sein oder sogar noch früher, da Geyer starb, als Wagner erst sieben Jahre alt war und er davor mit sechs Jahren von seiner Familie für eine Weile in die Obhut einer auswärtigen Pfarrersfamilie nach Possendorf gegeben wurde.12 Zuvor wirkte Wagner bereits an Aufführungen mit,13 und als Achtjähriger sah er sich von einem Platz in der Proszeniumsloge Vorstellungen in Dresden an. Bei dieser Gelegenheit konnte er u. a. Carl Maria von Weber die Musik zu Preziosa und Der Freischütz dirigieren sehen.14 Wagner kam also in Dresden zum ersten Mal mit dem Theater in Berührung. Im Alter von fünf Jahren kannte er beide Dresdner Opernspielstätten, die Hofoper und die deutsche Oper, die auf dem Linckeschen Bade untergebracht war. Ganz kurz soll auf die außergewöhnliche Theatersituation in dieser Stadt eingegangen werden, die sich von der in anderen europäischen Städten unterschied. Die sächsischen Herzöge – die seit dem späten 17. Jahrhundert auch Könige waren – zeichneten sich durch ihre enorme höfische Prachtentfaltung aus. Hinzu kam eine einmalige konfessionelle Gegebenheit, nämlich der Umstand, dass das sächsische Königshaus dank der Personalunion mit Polen seit dem späten 17. Jahrhundert katholisch war, und das mitten in Sachsen, dem Kernland der lutherischen Reformation, wo Kurfürst Friedrich der 16  Wagners Kindheit und Jugend

Weise Martin Luther seinerzeit Schutz und freie reformatorische Wirksamkeit gewährt hatte. Durch die Konversion der sächsischen Kurfürsten zum Katholizismus anderthalb Jahrhunderte später ergab sich eine enge kulturelle Orientierung des Dresdner Hofes nach Italien, von wo viele Musiker, Architekten und Maler, die in Dresden wirkten, stammten. Viel länger als in anderen deutschen Residenzstädten favorisierte man hier die italienische Oper, die das Repertoire bis in die 1830er Jahre hinein bestimmte und gegen die Wagner – anscheinend aus politischen Gründen – eine Abneigung hegte, weil sie für ihn der Inbegriff des adeligen Kunstgeschmacks war. Bezeichnenderweise war es gerade nicht die Hofoper, sondern die neu gegründete deutsche Oper, die mit einem vergleichsweise bescheidenen Budget ausgestattet war, von der Wagner und seine Familie abhängig waren und in der er seine frühesten Erfahrungen im Bereich des Theaters hauptsächlich sammelte. Hier traten keine Gesangsspezialisten wie in der italienischen Oper auf, sondern eben jene Schauspieler/Sänger, wie sie für die deutschen Verhältnisse damals kennzeichnend waren, und hier durften nicht die durchkomponierten, mit Rezitativen versehenen italienischen und französischen Opern aufgeführt werden, die man unter Webers Ägide auch konsequent mied,15 sondern nur solche theatralische Gattungen, die Sprechpartien enthielten. Laut Mein Leben will Wagner in seiner Jugendzeit bereits einen starken Widerwillen gegen die italienische Opern entwickelt haben,16 ein Umstand, der, wenn er der Wahrheit entspricht, einige Besonderheiten seiner ästhetischen Anschauungen wie auch seiner künstlerischen Entwicklung zu erklären vermag. Möglicherweise liegt z. B. seine regelrechte Abscheu vor dem Rezitativ, von der im vierten Kapitel noch die Rede sein wird, darin begründet, dass er sozusagen bei den Sängern/Schauspielern der Dresdner deutschen Oper, an die er sich im Alter noch gut zu erinnern vermochte,17 in die Schule ging. Es ist bei diesem zeitigen und intensiven Umgang mit dem Theater kaum überraschend, dass es die Phantasie des jungen Wagner nahezu vollständig ausfüllte. Bei sich zu Hause konnte er erleben, wie sich sein älterer Bruder Albert und seine Schwestern Luise, Clara und Rosalie, die eine hervorragende Schauspielerin werden sollte, gemeinsam mit ihrem Stiefvater auf ihre Rollen vorbereiteten und von ihm im dramatischen Sprechvortrag und der Gestik unterwiesen wurden. Geyer, der selber keine große Stimme besaß, zeichnete sich laut Ludwig Tieck, der eine Der Mimus erwacht (1813–1832)  17

Autorität in Fragen der Dramenrezitation war, durch seinen überlegenen Umgang mit seinen stimmlichen Ressourcen aus,18 und angesichts der Tatsache, dass das damalige Rollenrepertoire um einiges größer war als heute und aus Zeitmangel nur recht wenig auf der Bühne geprobt wurde, hatten damalige Darsteller einen großen Teil ihrer Arbeit daheim zu erledigen, z. B. ihre Partien zu lernen. Ebenfalls in Heimarbeit wurden die Kostüme gefertigt, in denen sie auftraten. Die Bühnenbekleidung lag damals ganz in der Verantwortung des jeweiligen Darstellers. Wagners Kindheit dürfte also durchweg von solchen Vorbereitungen wie auch den Sprech- und Gesangsübungen seiner Geschwister und seines Stiefvaters erfüllt gewesen sein. Darüber hinaus scheint er als Kind unzählige Abende im Theater verbracht zu haben, wobei die allermeisten Stücke, die er sah, heute vollkommen vergessen sind, ja, z. T. wahrscheinlich gar nicht auffindbar sein dürften.19 Abgesehen von seiner vorübergehenden Unterbringung in Possendorf und Eisleben bei Verwandten hielt sich Wagner bis zu seinem 14. Lebensjahr in Dresden auf, wo er durch seine Familie die Möglichkeit hatte, das Theater zu besuchen. Nach seiner Übersiedelung nach Leipzig, wo seine Schwester Rosalie, die nach Geyers Tod die Versorgung der Familie übernommen hatte, am Stadttheater auftrat, stand ihm der Zutritt zu der dortigen Spielstätte ebenfalls offen. Auch in anderer Form beschäftigte sich Wagner bereits als Kind ausgiebig mit dem dramatischen Sprechvortrag. Zu seiner Zeit war das Deklamieren, also das zumeist feierliche auswendige Vortragen von Gedichten, vorzugsweise Balladen, ein fester Bestandteil des schulischen Unterrichts, vor allem auf dem Gymnasium. Es erstaunt nicht, dass Wagner gerade in diesem Fach brillierte. Darüber hinaus pflegte sein von ihm geschätzter Onkel Adolph Wagner, mit dem er als Kind und Jugendlicher in Leipzig viel Zeit verbrachte, eine Freizeitbeschäftigung, die auch zu Wagners eigener werden sollte und im 19. Jahrhundert sogar eine Zeit lang den Status einer eigenen künstlerischen Präsentationsform besaß: die Dramenrezitation. Im Gegensatz zur Deklamation handelte es sich hierbei um einen minder ausdrucksvollen Vortrag aller Rollen eines Dramas durch einen Sprecher mit dem Buch in der Hand. Etabliert wurde die Dramenrezitation als Kunstform von Ludwig Tieck in Dresden in den 1820er Jahren. Hier handelte es sich gleichwohl noch um halböffentliche Veranstaltungen, bei denen nur geladene Gäste 18  Wagners Kindheit und Jugend

anwesend waren.20 Es ist möglich, dass Wagners Schwester Rosalie zu ihnen gehörte, die als Schauspielerin in dem von Tieck als Dramaturg betreuten Dresdner Ensemble arbeitete. Zu einer regelrechten Profession, mit der man seinen Lebensunterhalt verdienen konnte, wurde die Dramenrezitation dann durch Karl von Holtei, der als Rezitator viele Jahrzehnte lang kreuz und quer durch die deutschsprachigen Gebiete reiste und zwei Jahre lang Wagners Vorgesetzter in Riga war. Neben solchen reinen Vorleseveranstaltungen war es im 19. Jahrhundert außerdem noch üblich, im Rahmen von Konzerten Gedichte oder kleine Dramolette zum Vortrag zu bringen. Und damit nicht genug: Zusätzlich zur Dramenvorlesung hatte sich zur Zeit von Wagners Kindheit und Jugend noch eine weitere Veranstaltungsform in Deutschland etabliert, bei der das gesprochene Wort im Mittelpunkt stand: das Deklamatorium. Dabei handelte es sich um das Aufsagen von Gedichten durch einen Deklamator vor einem größeren Publikum, der mitunter von Instrumenten begleitet wurde. Diese Veranstaltungen waren halbtheatralisch, d. h., Requisiten oder unterschiedliche Kostüme konnten zum Einsatz kommen.21 Insbesondere in Sachsen zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfreute sich diese Veranstaltungsform großer Beliebtheit. Der bekannteste Deklamator dieser Zeit war Carl Friedrich Solbrig,22 mit dem der junge Wagner in Verbindung stand: Im Rahmen von drei Deklamatorien Solbrigs in den Jahren 1830, 1831 und 1832 erfolgten die ersten öffentlichen Aufführungen von Orchesterkompositionen Wagners.23 Dieser kurze Überblick möge genügen, um einige wichtige sprechkünstlerische Veranstaltungs- und Darbietungsformen zu benennen, die es heute nicht mehr gibt und die Wagner, wie gezeigt werden wird, nachhaltig prägten. Zu den formalen Unterschieden in der Wiedergabe von dramatischen und halb-dramatischen Dichtungen kommen nun aber auch eine Menge von inhaltlichen und ästhetischen, d. h., die Art und Weise, wie man damals einen Text deklamierte oder rezitierte, hat kaum etwas mit dem gemeinsam, was wir für angemessen halten würden. Nur ein paar Beispiele dafür: Wir besitzen zum einen eine recht große Anzahl von deutschen Deklamationslehrbüchern aus dem frühen 19. Jahrhundert und können uns zusätzlich durch die ersten erhaltenen Tonaufnahmen von Schauspielern, die um 1900 entstanden, ein ungefähres Bild von den damaligen Gepflogenheiten machen. Was den Sprechstil dieses Zeitraums vor allem auszeichnet ist ein für unsere Der Mimus erwacht (1813–1832)  19

Ohren ungemein schweres und wuchtiges Pathos. Mit Überdeutlichkeit gestaltete man die Affekte und geschilderten Ereignisse eines Gedichts durch den Stimmklang. Beliebt – und für uns befremdlich – war damals etwa die Tonmalerei. Die Rezitatoren und Deklamatoren stellten über den Stimmklang oder die Sprechtonhöhe einzelne Wörter dar. Bei dem Wort „hoch“ wurde die Stimme erhoben, bei dem Wort „tief “ gesenkt, bei dem Wort „schlafen“ ein gähnender Tonfall angeschlagen, bei dem Wort „Donner“ mit grollender Stimme gesprochen usw. Alte und schwache dramatische Figuren wurden durch einen larmoyanten, brüchigen Stimmklang charakterisiert, während Heldendarsteller mit lauter, kräftiger, für unsere Ohren vielleicht schon fast ‚singender‘ Stimme ihre Verse vortrugen. Uns würde die Naivität der Rollenauffassung und –wiedergabe dieser Zeit zweifelsohne peinlich berühren, wenn wir unvorbereitet mit ihr konfrontiert würden. Zu diesen schematischen klanglichen Illustrationen des Wortinhalts und der Figuren kamen entsprechende verdeutlichende Gesten, die sich ebenfalls durch ihr großes Pathos wie auch ihren weiten Umfang auszeichneten: Man erhob die Hände hoch über den Kopf, wenn man starke Affekte zu verkörpern hatte, drohte seinem Gegenüber mit der erhobenen Faust, wenn Meinungsverschiedenheiten zwischen Personen auszudrücken waren, hielt sich mit beiden Händen die Brust und richtete den Blick entzückt aufwärts, wenn zwei Figuren sich ineinander verliebten usw.24 Doch zurück zu Wagner. Man kann sich fragen, weshalb nicht auch er so wie seine Geschwister und sein Stiefvater eine Karriere als Schauspieler und Sänger in Angriff nahm. Tatsächlich scheint er eine starke Neigung dazu verspürt zu haben, wie aus etlichen späteren Äußerungen hervorgeht. So heißt es in einem Brief vom Jahresende 1849: „Wäre ich jetzt in seinem [Karl Ritters] alter [19 Jahre] und das, was er ist, und hätte ich soviel stimme als ich damals hatte, – unbedingt wäre ich darsteller geworden: als darsteller, und dichter und musiker zugleich, hätte ich – selbst bei voller windstille – das ganze drama revolutioniren wollen; denn wer hätte dazu die praktische kraft als einzig der darsteller?“25 In Das Kunstwerk der Zukunft, einer theatertheoretischen Schrift, die zur selben Zeit geschrieben wurde, äußert sich Wagner mit definitorischer Deutlichkeit: „Wer also wird der Künstler der Zukunft sein?

20  Wagners Kindheit und Jugend

Abb. 1a und 1b Wagners mimische Wandlungsfähigkeit lässt sich auf diesen Fotografien aus den Jahren 1867 und 1871 wenigstens erahnen. Das Foto oben zeigt ihn mit seiner Tochter Eva in Tribschen. Seit den 1860er Jahren trug er gerne die von ihm selber entworfene Meistermütze, eine Art Kostüm, die seine Besessen­heit vom Schauspielerischen unterstreicht und sein Markenzeichen wurde. (Foto oben: akg-images) Der Mimus erwacht (1813–1832)  21

Ohne Zweifel der Dichter. [Anmerkung: Den Tondichter sei es uns gestattet als im Sprachdichter mit inbegriffen anzusehen, ob persönlich oder genossenschaftlich, das gilt hier gleich.] Wer aber wird der Dichter sein? Unzweifelhaft der Darsteller.“26 Ohne Zweifel fühlte sich Wagner als Schauspieler befähigt; ihm hätte von seinem Auffassungsvermögen und seiner Kenntnis der Materie her theoretisch eine Karriere offen gestanden. Zwei Dinge standen dem jedoch im Wege: Nach seinem Stimmbruch stellte sich seine Stimme als nicht sonderlich wohlklingend heraus und sein verhältnismäßig kleiner Wuchs machte ihn für eine Schauspiellaufbahn ungeeignet. Man erwartete nämlich damals, auf der Theaterbühne ausschließlich hoch gewachsene Personen zu sehen, wie nicht zuletzt Wagners eigene Bemerkungen in dieser Sache belegen. So hielt Angelo Neumann anlässlich eines Theaterbesuchs Wagners in Leipzig fest: „Über eine mitwirkende, etwas miniaturartig gebaute Schauspielerin äußerte er sich: ‚Wenn man so klein ist, darf man nicht zum Theater gehen.‘“27 Seine Auswahl von Sängern für die Uraufführungen seiner Stücke belegt ebenfalls, dass sich Wagners Präferenzen in dieser Hinsicht innerhalb der für seine Zeit typischen Kategorien gehalten haben (s. Kapitel 7), und ihm muss bereits frühzeitig klar gewesen sein, dass er mit seiner „schlechten Figur“28 niemals eine Chance gehabt hätte, Darsteller zu werden. Ohne Zweifel war diese Verhinderung für ihn eine herbe Enttäuschung. Man kann sogar so weit gehen wie Friedrich Nietzsche, sie als Ursache für Wagners zeitige Beschäftigung mit dem Schreiben von Dramen zu sehen, das damit quasi zum Ersatz für eine Schauspielkarriere wurde.29 Wie noch zu zeigen ist, war das dramatische Agieren und Sprechen ein wichtiger Teil seines Schaffensprozesses, ja, zeichnete sich seine Art Dramen zu schreiben eben dadurch aus, dass er sie als Akteur entwarf und ausführte, nicht aus der Perspektive eines übergeordneten Erzählers und auch nicht als Musiker. Neben der Beschäftigung mit dem Theater hatte Wagner selbstverständlich auch die Schule zu besuchen. Doch scheint er sich hier nicht übermäßig angestrengt zu haben. Diejenigen Fächer, die ihn interessierten, wie z. B. Griechisch, fielen ihm leicht, und an der Dresdner Kreuzschule hatte er das Glück, einen Pädagogen zu finden, der seine Neigungen zu fördern verstand, den Magister Sillig: „Dieser erlaubte mir, ihn 22  Wagners Kindheit und Jugend

öfter zu besuchen, und ihm meine Arbeiten, die in metrischen Übersetzungen,30 sowie in eigenen Gedichten bestanden, mitzutheilen. Namentlich schien er bei den Declamationsübungen mich lieb gewonnen zu haben, und was er mir zutraute, mag daraus erhellen, dass er den damals etwa zwölfjährigen Knaben veranlasste, nicht nur Hektor’s Abschied aus der Ilias, sondern auch den berühmten Monolog des Hamlet vom Katheder herab zu zitiren.“31 Als er später auf die Nicolai- und die Thomasschule nach Leipzig wechselte, fand er keinen Lehrer, der ihm in gleicher Weise entgegengekommen wäre, und so verließ Richard Wagner – einer der belesensten Komponisten, die es je gegeben hat – die Schule im Jahre 1830 ohne Abschluss. Auch sein Studium, das er kurz danach in Leipzig begann, führte er nicht zu Ende. In intellektueller wie auch musikalischer Hinsicht wird man Wagner also zum Teil als einen Autodidakten bezeichnen können.

Wagner als Kind und Jugendlicher Was kann man neben seinem großen Interesse für alles Theatralische über Wagners Charakter als Kind sagen? Wir besitzen als zeitgenössische Quelle über seine Kindheit neben Wagners eigenen Erinnerungen die eines seiner Dresdner Schulkameraden, Ferdinand Praeger. Zwar ist schon lange bekannt, dass Praeger, aus welchem Grund auch immer, ein paar gefälschte Wagnerbriefe veröffentlicht hat,32 doch passen seine Beschreibungen von Wagner als Knaben so gut mit Wagners eigenen zusammen, dass sie zumindest in Teilen der Wahrheit entsprechen dürften. Demnach war der kleine Richard ein gelinde gesagt recht aktives Kind, das – bei einer so großen Geschwisterschar nicht überraschend – darauf bedacht war, auf sich aufmerksam zu machen. Geyer nannte ihn liebevoll seinen „Kosaken“,33 und tatsächlich entwickelte Wagner eine Vorliebe dafür, andere mit wagemutigen Aktionen zu verblüffen, die er ein Leben lang beibehielt. Praeger berichtet, Wagner sei als Schuljunge auf dem Dach der Kreuzschule herumgeklettert, um seine Schulkameraden zu beeindrucken. „Seine Lebhaftigkeit und körperliche Geschicklichkeit, eine Behendigkeit ohne Gleichen – verleiteten ihn oft zu allerlei kühnen und gefährlichen Streichen. […] Richard fing eines anderen Schülers Mütze auf, und mit einer Machtanstrengung warf er sie auf das Der Mimus erwacht (1813–1832)  23

Dach der Schule, zum grössten Jubel aller Schüler, ausgenommen desjenigen, dem die Mütze gehörte, und der bitterlich zu weinen anfing. Wagner konnte niemals jemand weinen sehen, und mit seiner charakteristischen Entschlossenheit war er gleich bereit, aufs Dach zu klettern […]. Hinauf zur Treppe, hinaus zur Dachluke kletterte er bis zur Mütze, die Jungen jubelten unten, doch hielten sie den Athem ein, als der tollkühne Richard auf allen Vieren heruntergleiten musste zur Luke. […] Behende kroch er hinter eine Thüre und kam heraus, als eben der Custos die Leiter anlegte, um aufs Dach zu sehen. – Richard that halb aus Angst, halb aus Spass, als ob er von nichts wisse, und frug: ‚was wird gesucht? Etwa ein Vogel?‘ Ja wohl, ein Galgenvogel! War die bissige Antwort des wüthenden Custos“.34 Solche Dinge tat der reife Wagner auch noch gerne, etwa bei einer Probe seines Ring des Nibelungen in Berlin im Jahre 1881: „Mit der Behendigkeit eines Akrobaten schwang sich der achtundsechzigjährige Wagner auf die Logenbrüstung, und lief auf dem schmalen, luftigen Rampenvorsprung geschickt balancirend voll Ungeduld bis zur ersten Proszeniumsloge vor, um sich von da auf die Bühne zu schwingen: Dort nahm er Siegmunds Schwert und führte mit Hunding hoch oben am Joch den Kampf aus. Dann ließ er sich bei dem gegebenen Stichworte hart an der Grenze des Abgrundes niederfallen“.35 Eine gewisse Risikofreude oder sogar Leichtsinnigkeit angesichts wirklicher Gefahren ist Wagner nicht abzusprechen. So berichtet er in Mein Leben, wie er sich als Heranwachsender mit seiner eher schwächlichen Körperkonstitution leichtfertig auf drei Duelle, wie sie unter den studentischen Burschenschaftern damals üblich waren, einließ.36 Im Gegensatz zu heutigen Mensuren korporierter Studenten waren die damaligen ausgesprochen gefährlich und noch nicht einheitlich geregelt. Man forderte sich nicht nur auf Hieb-, sondern auch auf Stoßwaffen. Nicht selten führten solche Duelle unter den Studenten daher zu schweren Verletzungen oder sogar zum Tode. Durch etliche Zufälle sollte Wagner jedoch seinen drei Forderungen entgehen. Daneben machte sich bereits beim jugendlichen Wagner ein sorgloser Umgang mit dem Geld bemerkbar, der seinen späteren berüchtigten Hang, ständig und offenbar ohne sonderlich schlechtes Gewissen über seine Verhältnisse zu leben, vorausnahm. So verspielte er als Student eine Menge Geld und machte bereits auf seiner ersten längeren Reise als 19jähriger in Wien Schulden, die er noch als 30jähriger abzuzahlen 24  Wagners Kindheit und Jugend

hatte.37 Und in noch einer Hinsicht machte sich der umtriebige Charakter Wagners, der ihn als Erwachsenen auszeichnen sollte, bereits in seiner Jugend bemerkbar. 1830, als im Gefolge der Juli-Revolution in Frankreich auch in Deutschland Aufstände stattfanden, schloss er sich den durchaus rabiat vorgehenden Revolutionären an, unter denen sich viele Leipziger Studenten befanden, und nahm an vandalischen Aktionen teil. „Ich entsinne mich mit Grauen der berauschenden Einwirkung eines solchen unbegreiflichen, wüthenden Vorgangs, und kann nicht leugnen, dass ich […] an der Wuth der jungen Leute, welche wie wahnsinnig Möbel und Geräte zerschlugen, ganz wie ein Besessener mit theilnahm.“38 Zurück blieb eine Faszination für revolutionäre Ereignisse, die dann wieder zwei Jahrzehnte später, während der Zeit der Märzrevolution und dem Dresdner Maiaufstand, zum Vorschein kam, in dem Wagner im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen alles riskierte und schließlich auch alles verlor. Doch davon später mehr. Wagners Prägung durch das Theater war, um es knapp zusammenzufassen, fundamental und erfasste alle seine Lebensbereiche. Als Kind sah er Proben und Aufführungen, als Schüler stellte er mit ein paar Freunden spielerisch eine Freischütz-Aufführung nach, er war ein guter Deklamator in der Schule und las bei seinem Onkel Dramen oder ließ sie sich vorlesen. Auch seine erste Beschäftigung mit dem Komponieren stand von Anfang an im Zeichen des Theaters. So schrieb er mit 17 Jahren kurze Nummern für Bühnenmusiken, etwa zu Goethes Faust WWV 15. Wahrscheinlich hoffte er, seine Schwester Rosalie, die damals das Gretchen am Leipziger Theater spielte, hätte ihm bei der Annahme dieser Musik behilflich sein können.39 Bereits zuvor, mit gerade einmal 15 Jahren, hatte er ein vollständiges erstes eigenes Drama, Leubald WWV 1, geschrieben, das von Shakespeare inspiriert war. In Leubald ist schon wie in vielen späteren Werken Wagners Hang zum Überbieten alles bisher Dagewesenen zu erkennen. Die große Anzahl der Figuren – insgesamt einundzwanzig40 – und die ausgesprochen düstere Handlung – neben vielen anderen sterben auch die beiden Titelfiguren – sind hierfür ein Beleg. Außerdem bediente er sich in seinem ersten Drama einer drastischen Sprache, indem er sich sichtlich angestrengt bemühte, möglichst viele Derbheiten aneinanderzureihen. „Die Kühnheit des schwülstigen und bombastigen Ausdruckes setzte namentlich meinen Oheim Adolph in Schreck und Staunen. Er Der Mimus erwacht (1813–1832)  25

konnte nicht begreifen, wie ich aus dem Lear und Götz von Berlichingen gerade nur diese exorbitanten Redensarten, und zwar noch mit der unglaublichsten Uebertreibung herausgelesen und verwendet hatte.“41 Davon, dass Wagner mit dieser Selbsteinschätzung vollkommen recht hat, kann der Leser sich selber überzeugen. Nur eine Kostprobe: Flamming: „Ich laure auf das Paar unten im Wald […]. – Ei, der Kerl fängt an zu würgen, und will mir den Garaus machen. Hui, raff ’ ich mich zusammen […] – Zum Teufel, Wein! – Ich dreh’ mich ’rum […] und schlag’ dem Kerl vor’s Gesicht; – ei, ich sag’, wir wechselten die Stelle; ich mach den Kerl verrecken. Dass dich!“ – Bäringer: „Wie ward’s mit dem Mädel, Kerl?“ – Flamminger: „Lausekerl, mit dem Mädel? – Hei, die Fräulein’s seien spröde? […] Ei, ich sag’, wir verstanden uns, sobald der Rekel die Augen zugedrückt; – juch, das war’s beste! Der Waldboden war weich genug; – wenn von dem Spasse kein Rundbauch wird, so will ich das Ding nicht verstehen. Ich gab dem Bärting die Dirne für sein Bett“.42 Der komplette Text dieses wirklich pubertären Jugenddramas ist mittlerweile veröffentlicht worden.43 Sein theatralischer familiärer Hintergrund scheint in diesen Jahren Wagners gesamtes Denken und Handeln durchdrungen und seine Persönlichkeit geformt zu haben. Sein Schaffen und auch seine freien Stunden, in denen er gerne Dramen rezitierte, standen für den Rest seines Lebens ganz im Zeichen des Theaters. Er eignete sich als Kind die ausdrucksvollen Sprechtechniken sächsischer Schauspieler an und nutzte sie dann als Erwachsener, um seine Gesprächspartner in mitunter despotischer Weise buchstäblich an die Wand zu reden. „‚Ich bin gar nicht für die sokratische Weise gemacht, ich überpoltre immer die Leute und oktroyiere ihnen meine Ansichten‘“, teilte er beispielsweise Cosima mit.44 Und Wilhelm Kienzl berichtet über einen Ausbruch Wagners, er habe bei dieser Gelegenheit das „schwer zu bändigende cholerische Temperament des Meisters“ kennengelernt, „das es zu geradezu elementaren Explosionen kommen ließ, die an dramatischer Wucht nicht zu überbieten waren“.45 Generell scheint Wagner sich demnach eher monologisch denn in lebhafter Diskussion mit seiner Umwelt auseinandergesetzt zu haben. Wie ein Akteur auf der Bühne war er sehr auf sein äußeres Erscheinungsbild bedacht, was sich in seinem Auftreten wie auch seinem Hang zu teurer Kleidung zeigte. Er setzte seine Mimik und Gestik in Alltagskonversationen, aber auch als Dirigent mit Bedacht ein.46 Ja, 26  Wagners Kindheit und Jugend

man kann sogar so weit gehen wie Paul Bekker, der behauptete, Wagners Leben trage Züge des Theatralischen an sich, weil es ihm nur als Mittel zum Zweck diente. Und dieser Zweck bestand darin, als Dramatiker von Weltrang in die Geschichte einzugehen. In seiner umfangreichen Monografie Wagner – Das Leben im Werke stellt Bekker die These in den Mittelpunkt, Wagner habe sich auch als Mensch mit Haut und Haar dem Theater verschrieben: „[…] es wurden dadurch alle Ekstasen seines Lebens nur zum Mittel, Theater zu spielen“.47 Wie auch immer man zu Wagner stehen mag, so ist seine eminente Bedeutung für das Theater des 19. Jahrhunderts sicherlich unbestritten. Doch ist bemerkenswert, dass er heute weniger als Dramatiker, sondern eher als Komponist wahrgenommen wird. Wie am Ende dieses Buches noch darzulegen ist, war gerade das jedoch nicht seine Absicht.

Späte musikalische Anfänge Was kann man über Wagners erste Beschäftigung mit der Musik sagen? Soviel ist deutlich: Ein musikalisches Wunderkind war er nicht, und sein Interesse für Musik scheint von Anfang an seinem Interesse für das Drama untergeordnet gewesen zu sein. Zwar sind wir in dieser Sache ausschließlich auf seine eigenen Darstellungen angewiesen, d. h. in erster Linie auf seine Autobiografie Mein Leben, die er als Fünfzigjähriger diktierte, doch scheinen seine Erinnerungen in den wichtigsten Punkten der Wahrheit zu entsprechen. Demnach begann Wagner erst relativ spät, etwa im Alter von 16 Jahren, sich näher mit der Musik zu beschäftigen, und zwar bemerkenswerterweise nicht als Interpret, sondern mit einer beinahe schon seltsam berührenden Ausschließlichkeit als Komponist.48 Er hatte zuvor als Kind zwar ein paar Klavierlektionen erhalten, bemühte sich aber nie um die Aneignung einer gediegenen pianistischen Technik. Zeit seines Lebens konnte er kein Instrument gut spielen, und als Sänger taugte seine Stimme lediglich dazu, im privaten Kreise, vor Freunden, Familienmitgliedern oder Verehrern etwas vorzuführen – oder besser gesagt: etwas anzudeuten. Man bewunderte gemeinhin die Ausdruckskraft seines Vortrags, die über das vollständige Fehlen jeglicher Gesangstechnik hinwegzutäuschen vermochte.49 Bemerkenswert ist neben dem späten Zeitpunkt des Erwachens seines Musikinteresses auch der Anlass, Der Mimus erwacht (1813–1832)  27

der Wagner zum Komponieren führte. In späteren Jahren erzählte er seiner Frau Cosima, er habe sein Jugenddrama Leubald mit Schauspielmusik versehen wollen. „[…] ‚nur so viel wollt ich erlernen, um Leubald und Adelaide zu komponieren; und so ist es geblieben, nur die Sujets sind anders geworden‘“, bemerkte er selbstironisch, als er gerade mit der Instrumentation des dritten Aufzugs von Siegfried beschäftigt war.50 Bereits drei Jahrzehnte zuvor, in seiner 1842 veröffentlichten Autobiographischen Skizze, berichtete er, sein Vorbild dafür sei Beethovens Schauspielmusik zu Goethes Trauerspiel Egmont op. 84 gewesen. Bemerkenswert ist, dass es nicht eine Aufführung des Egmont, sondern das Studium eines Klavierauszuges war,51 das für Wagner den Anstoß gab, sich mit dem Komponieren zu beschäftigen, und dass es sich hier um ein Sprechschauspiel mit Bühnenmusik handelte, nicht um eine Oper. Leubald hätte – wenn Wagner das Stück mit Musik versehen hätte – in die gleiche Kategorie gehört,52 wäre also keine durchkomponierte Oper geworden. Angesichts von Wagners späterer Entwicklung, die ihn dann allerdings zur durchkomponierten Oper führte, und in Anbetracht des von Musik wie vom gesprochenen Wort gleichermaßen bestimmten Theaterrepertoires seiner Jugend erscheint Wagners Darstellung durchaus plausibel. Schauspielmusiken, Singspiele und dergleichen müssen für ihn als Kind und Heranwachsender den Normalfall, die durchkomponierte Oper hingegen die Ausnahme dargestellt haben. Auch wenn Wagner in seiner Autobiografie Mein Leben untertreiben dürfte, wenn er die Länge seines Kompositionsunterrichts mit nur wenigen Monaten angibt, war seine Ausbildung in jedem Fall nicht besonders umfangreich. Er erwähnt zwei Lehrer, Christian Gottlieb Müller und den Thomaskantor Theodor Weinlig, die ihm in den Jahren 1829 und 1831 Unterricht im Tonsatz erteilten, wobei es sich weniger um einen regelrechten Lehrgang denn um vereinzelte Konsultationen gehandelt zu haben scheint, die sich im Falle der Studien bei Weinlig lediglich über einen Zeitraum von zwei Monate erstreckten. Ohne Zweifel hatten sie einen talentierten Schüler vor sich, der es innerhalb von kurzer Zeit verstand, kontrapunktische Sätze zu schreiben und einen Klavierauszug von Beethovens 9. Symphonie zu erstellen, den er selbstbewusst den renommierten Verlagen Schott und Breitkopf & Härtel zur Veröffentlichung anbot. Die Antwort der Verlage fiel jedoch

28  Wagners Kindheit und Jugend

negativ aus. Tatsächlich zeigt der Klavierauszug etliche Mängel, die Wagners pianistischer Unfertigkeit geschuldet sind.53 Bei aller Bewunderung für die Symphonien Beethovens lag es wohl nie in Wagners Absicht, Konzertliteratur zu schreiben. Neben ein paar Ouvertüren und zwei Symphonien aus seiner Jugendzeit hat sich Wagner mit ganz wenigen Ausnahmen nicht auf dem Gebiet der nichtdramatischen Musik betätigt. Die Arbeit an seiner Zweiten Symphonie WWV 35, deren Abbruch als Entscheidung für eine Karriere als Musikdramatiker angesehen werden kann, gab Wagner im Alter von einundzwanzig Jahren auf.54 Ein Jahr zuvor hatte sich ihm die Frage der Berufswahl gestellt, und es überrascht nicht, dass er sich entschloss, ans Theater zu gehen. Dabei war ihm sein Bruder Albert behilflich, der Wagner als Chorleiter an das kleine Theater nach Würzburg holte, an dem er selber als erster Tenor engagiert war. Nicht zum letzten Mal sollte Wagner damit auf die zahlreichen guten Kontakte, über die seine Familie in der deutschen Theaterlandschaft verfügte, zurückgreifen, um seine eigene Karriere zu befördern.

Der Mimus erwacht (1813–1832)  29

2. Der junge Theaterkapellmeister – Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)

Erste Schritte als Kapellmeister Wagners Laufbahn als Theaterkapellmeister währte insgesamt zwölf Jahre, bestand aus fünf Engagements und begann unspektakulär an ein paar kleinen deutschen Theatern in der Provinz, um dann nach einer Unterbrechung von dreieinhalb Jahren auf dem renommierten Posten des Sächsischen Hofkapellmeisters zu enden. Gleichsam als Vorbereitung auf seine Tätigkeit als Dirigent versah er die Spielzeit 1833/34 über in Würzburg die Pflichten eines Theaterchorleiters. Über seine Arbeit dort informiert Wagner uns in seinen Memoiren und Briefen nur kursorisch. Er scheint hier sowohl mit der Einstudierung von Chorsätzen als auch mit der individuellen Stimmbildung zu tun gehabt haben, auch wenn er selber, wie erwähnt, kein ausgebildeter Sänger gewesen ist. Bei dieser Gelegenheit knüpfte er erste zarte Bande: „Um so unschuldiger ist meine Erinnerung an eine erste Liebschaft. Es war ganz natürlich, dass eine der jungen Choristinnen, welchen ich täglich ihre Stimmen einzustudieren hatte, meine Augen auf sich zu ziehen verstand. Therese Ringelmann, eines Totengräbers Tochter, verführte mich durch ihre schöne Sopranstimme zu der Annahme, sie zur großen Sängerin bilden zu müssen. Seitdem ich ihr hierüber Eröffnungen gemacht, kleidete sie sich in den Chorproben mit besondrer Aufmerksamkeit […]. Als ich im Sommer allein zurückgeblieben war, erteilte ich Theresen regelmäßigen Gesangsunterricht nach einer mir bis jetzt noch unklar gebliebenen Methode. […] Ein innigeres Liebesverhältnis erzeugte sich zu Friederike Galvani […]. Sehr musikalisch und mit lieblicher, leicht bildsamer Stimme begabt, hatte sie mein Bruder unter seinen Schutz genommen und ihr zu einem Debut am Theater verholfen, in welchem sie sich glücklich bewährte.“55 Diese beiden sind die ersten Sänger, mit denen Wagner probte und von denen wir die Namen kennen. Auch seine erste Frau Minna, eine Schauspielerin und Sängerin leichter Partien, war eine seiner Kolleginnen. Wagner ging also – mit Ausnahme seines ersten 30  Der junge Theaterkapellmeister

Parisaufenthaltes – als junger Mann beruflich wie auch privat vollkommen im Theatermilieu auf.

Die erste Oper: Die Feen Das wichtigste Ereignis dieser Spielzeit 1833/34 war für ihn zweifelsohne die Vollendung seiner ersten eigenen Oper, Die Feen WWV 32, zu der er seiner späteren Gewohnheit entsprechend das Libretto selbst geschrieben hatte. Die Entstehungsgeschichte dieser Oper ist interessant, denn sie zeigt, dass Wagner seine ersten Stücke in Teilen gemeinsam mit seinen Geschwistern bzw. nach deren Wünschen gestaltete. Zur Vorgeschichte: Nachdem Wagner beschlossen hatte, seinen Leubald nicht weiter textlich oder musikalisch auszuarbeiten, machte er sich im Herbst 1832 an die Niederschrift seines ersten Opernlibrettos, Die Hochzeit WWV 31. Wir können nur in Umrissen rekonstruieren, wie die Handlung dieser Oper ausgesehen hat, denn Wagner zerstörte das Textbuch, nachdem es das Missfallen seiner von ihm sehr geschätzten Schwester Rosalie erregt hatte.56 Wie ein Brief an sie, den Wagner am 11. Dezember 1833 aus Würzburg schrieb, belegt, scheint sie für den jungen Wagner eine große Autorität in dramatischen Fragen besessen zu haben. In diesem Brief verleiht er seiner Freude Ausdruck, seiner Schwester bald die gerade abgeschlossene Musik von Die Feen präsentieren zu können, um ihr Urteil darüber zu hören. In der für seine frühen Briefe typischen, überspannt wirkenden Art und Weise teilte er ihr mit: „Wie soll ich Dir aber beschreiben, mit welcher Stimmung ich in der letzten Zeit immer gearbeitet habe! – Wie hab’ ich doch fast bei jeder Note an Euch – ach, an Dich! – gedacht, – und es war dieß ein Gefühl, das mich wohl oft recht antrieb […]. […] ich habe es immer für ein freudiges Vorgefühl gehalten, ach, und wie hat es mich entzückt, dass Dein Brief von einer gleichen Sympathie Zeuge ist! – O Gott gäbe, dass ich Dich in Deinen freudigen Erwartungen nicht täusche; – […] Was sprech’ ich Dir doch da von all den Sachen! – Es ist nur die Sehnsucht, Dir Alles ganz mit zu theilen!“57 Rosalie war zeitgenössischen Zeugnissen zufolge eine außergewöhnlich gute Schauspielerin. Dass ihr Gebärdenspiel, an welches sich noch der alte Wagner gut zu erinnern vermochte, außerordentlich gewesen sein muss, geht aus der Tatsache hervor, dass sie in der pantomimischen Titelrolle von Aubers Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  31

Oper Die Stumme von Portici Erfolge feiern konnte.58 Sie verfügte über gute Verbindungen zu den Theatern in Dresden, Prag und Leipzig, an denen sie aufgetreten war. Sicherlich spielte bei Wagners Versuch, ihren Wünschen zu entsprechen, der Umstand eine Rolle, dass sie ihm hätte helfen sollen, seine ersten Werke in Leipzig zur Aufführung zu bringen59 und ein Projekt wie die ihr unsympathische Hochzeit damit von vorneherein lediglich für die Schublade geschrieben worden wäre. Wagners eigenen Schilderungen nach zu urteilen nahm sich die Handlung dieser unvollendeten Oper Die Hochzeit in etwa so aus: Zur Hochzeit seiner Tochter hat ein alter Burgherr eine ehemals seinem Hause verfeindete Familie eingeladen, um die Heirat gleichzeitig zu einem Versöhnungsfest werden zu lassen. Deren Anführer entflammt in wilder Leidenschaft für die Braut, sucht sie in ihrem Gemach heim, bedrängt sie und wird von ihr in Notwehr vom Balkon gestoßen. Als seine Leiche gefunden wird, schwören seine Familienmitglieder Rache, doch bietet der Burgherr an, ihn festlich in seiner Burg aufzubahren und Gott um die Aufdeckung des Mörders zu bitten. Die Braut, bei der sich Züge des Wahnsinns zeigen, sinkt bei der Totenfeier am Sarg des von ihr Getöteten tot zusammen, während dessen Verwandte herbeistürmen, um ihn zu rächen.60 Es handelte sich also um ein nach Wagners eigenen Worten „Nachtstück in schwärzester Farbe“,61 zu dem das Sujet von Die Feen in scharfem Kontrast steht. In Die Feen kommen humoristische Momente wie das schelmische Spiel seiner Freunde mit Arindal im ersten Akt oder das Duett Drolla/Gernot im zweiten mit Elementen der romantischen Oper und der sogenannten Rettungsoper zusammen. Die Handlung schließt mit einem guten Ende: Die beiden Liebenden Ada und Arindal überwinden alle Widerstände, obwohl Arindal eigentlich durch seinen Unglauben ihr gemeinsames Leben verwirkt hat, dank des Zauberers Groma, der mit der Figur des Eremiten im Freischütz oder dem Deus ex machina der Oper des 18. Jahrhunderts vergleichbar ist, auch wenn Groma nicht physisch, sondern nur durch seine Stimme präsent ist. Am Ende wird dann der menschliche Königsohn Arindal durch den Feenkönig sogar als einer der ihren in die Feenwelt aufgenommen. Mit diesem im wahrsten Sinne des Wortes apotheotischen – also vergöttlichenden – Ausklang enden Die Feen. Wiederum kommt in seiner ersten vollendeten Oper Wagners Hang zum Überbieten zum Tragen, formal wie inhaltlich: 665 beschriebene 32  Der junge Theaterkapellmeister

Seiten hatte die Originalpartitur.62 In den Feen verschmilzt er drei dramatische Ebenen – eine tragisch-heroische, eine lyrische und eine komische –, in Gestalt der drei Protagonistenpaare. Daran ist ersichtlich, dass er so viele Vorbilder wie möglich in seinem ersten eigenen Werk aufzunehmen bestrebt war. Die Ouvertüre zeigt Ähnlichkeiten mit einer berühmten Schauspielmusik, nämlich mit Felix Mendelssohns Ouvertüre zu Shakespeares Sommernachtstraum op. 21, sowohl hinsichtlich der Tonart E-Dur als auch der eröffnenden Takte, die von Akkorden in den Holzbläsern bestimmt werden. Etliche dramatisch-musikalische Momente sind als Referenzen an bekannte Opern zu verstehen, etwa die Wahnsinnszene Arindals – ein Gegenstück zu der des Masianello in Aubers Die Stumme von Portici –, die nachträglich eingefügte Szene und Arie der Ada in der fünften Szene des zweiten Akts „Weh’ mir, so nah’ die fürchterliche Stunde“ – die wahrscheinlich von Leonores „Abscheulicher! Wo eilst Du hin?“ aus Beethovens Fidelio inspiriert ist63 – oder die drei Proben, die Arindal am Ende der Oper zu bestehen hat, um seine in Stein gefangene Ada zu befreien, die Ähnlichkeiten mit den Proben Taminos und Paminas in Mozarts Zauberflöte aufweisen. Darüber hinaus sind Wagners Feen ein unerhört langes Werk. Das gilt insbesondere für die umfangreichen Chorsätze, die ein Reflex seiner Tätigkeit als Chorleiter sind.64 Und in noch einer Hinsicht entschloss sich der debütierende Komponist zu einem ungewöhnlichen Schritt, als er seine erste Oper schrieb: Sie wurde von ihm als eine „Romantische Oper“ bezeichnet und sollte damit in eine Linie mit Werken der deutschen Opernliteratur gestellt werden, die mit Fidelio, Freischütz, Marschners Vampyr und Spohrs Faust knapp zu umreißen ist. Doch handelt es sich bei all diesen Werken formal um singspielartige Stücke mit gesprochenen Dialogen,65 wohingegen Wagners Feen mit Rezitativen versehen sind, ganz wie eine französische oder italienische Oper. Dieser Umstand erregte offenbar Befremden bei der Leitung des Leipziger Theaters, als Wagner Die Feen dort einreichte, und nachträglich, wohl um diesen Bedenken entgegenzukommen, stattete er sein Erstlingswerk 1834 mit gesprochenen Dialogen aus.66 Damit sind die Feen in ihrer zweiten Fassung jedoch die einzige Oper Wagners mit gesprochenen Dialogen geblieben, was nicht heißt, dass er sich nicht weiterhin, wie für einen deutschen dramatischen Komponisten seinerzeit vollkommen üblich, an allen möglichen anderen dramatischen Gattungen mit Musik versuWürzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  33

chen sollte, darunter auch solchen, die Sprechtext enthielten. Bis zur Zeit seines Engagements als Dresdner Hofkapellmeister im Jahre 1843 weist Wagners Schaffen in dieser Hinsicht eine enorme Breite, ja beinahe schon Buntscheckigkeit auf und erstreckte sich von Sing- und Liederspielen, Schauspielmusiken, romantischer und komischer Oper über Possen, Vaudevilles, Einlagen zu anderen Stücken bis hin zur Großen Oper Pariser Prägung. Wagners unmittelbares – d. h. in erster Linie sein familiäres – Umfeld hatte also damals einen starken Einfluss auf ihn als Dramatiker. Nicht nur seine Schwester Rosalie, die bei der Wahl seines Feen-Sujets wohl ein gewichtiges Wort mitzureden hatte – welches wiederum auf ein Stück Carlo Gozzis zurückging, den sein Onkel Adolph sehr schätzte –, sondern auch sein Bruder Albert nahm an der Entstehung von Wagners erster Oper teil, und zwar bei der kompositorischen Gestaltung der Solopartien. Wagner berichtete darüber in einem Brief an den am Leipziger Theater tätigen Sänger und Regisseur Franz Hauser:67 „Ich hatte an meinem Bruder, auf den ich hierbei nur als praktischen Sänger Rücksicht nehme, den strengsten, ich möchte sagen, den grausamsten Kritiker: er bekämpfte lebhaft die theilweise Unausführbarkeit meines Gesanges, unter seinen Augen habe ich verbessert und eingerichtet, was ich gerade konnte, und ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich mich in diesem Bezug zu jedweder Veränderung bereit halte, die der Sänger von mir wünscht“.68 Angesichts dieser Tatsache lohnt es sich, einen kurzen Blick auf Alberts sängerische Qualitäten zu werfen. Sie waren repräsentativ für seine Zeit. Albert war zwar erster Tenor am Theater in Würzburg, doch scheint seine Gesangstechnik nicht besonders solide gewesen zu sein, denn bereits während seiner Würzburger Zeit gab es Klagen über seinen Gesang.69 „Herr Wagner, erster Tenor, besonders Spielpartien, […] gefällt stets, doch leidet er öfters an der Stimme,“ hieß es etwa in einer Rezension vom Januar 1833.70 Albert hatte in Dresden Gesangsunterricht bei Miecksch erhalten und war daneben auch von Geyer, der ihn vor der Überanstrengung seiner Stimme warnte,71 und dem berühmten Ludwig Devrient in Breslau im Schauspiel instruiert worden. Man kann angesichts der Dokumente über Albert Wagner davon ausgehen, dass sein eigentliches Interesse – wie bei seinem jüngeren Bruder – mehr im Bereich des Darstellerischen als des Gesangstechnischen lag – er führte z. B. in Würzburg auch Regie72 –, was sich für ihn schließlich jedoch als 34  Der junge Theaterkapellmeister

fatal erweisen sollte, denn im Alter von 42 Jahren verlor Albert seine Singstimme vollständig. Er konzentrierte sich in den folgenden Jahren auf die Unterweisung seiner Adoptivtocher Johanna, die eine spektakuläre sängerische Laufbahn haben sollte, die sie u. a. an die Hofoper nach Berlin führte; doch auch bei ihr machten sich nur allzu bald stimmliche Probleme bemerkbar, die schließlich zum Verlust ihrer Sopranstimme führten. Dessen ungeachtet war und blieb Alberts darstellerische Fertigkeit für Richard bis zu seinem Lebensende maßgeblich.73 Gemeinsam unterwiesen sie Johanna im dramatischen Spiel, als sie 1845 die Elisabeth in Tannhäuser kreierte, und noch der alte Wagner erinnerte sich mit Respekt an die dramatischen Leistungen seines Bruders. So wenig wir nun über Alberts exakte Beteiligung an der Komposition der Feen wissen, scheint er doch Richards spezielle Art, Musik zu schaffen, beeinflusst zu haben, indem der Sänger – und zwar der darstellerisch versierte Sänger – zum Ausgangspunkt für seine musikalischen Schöpfungen wurde.

Zukunftsträchtige Begegnungen, erste Schriften und eine zweite Oper: Das Liebesverbot Wagner war trotz seiner starken Prägung durch die Familie auch Einflüssen von anderer Seite gegenüber offen. Nach Abschluss der Feen begann er, seinen eigenen Weg als Komponist und Dramatiker zu suchen. Man kann hier von einer regelrechten ästhetischen Kehrtwende sprechen, die von einem überwältigenden theatralischen Erlebnis angeregt wurde. Wagner sah um 1834 zum ersten Mal Wilhelmine Schröder-Devrient auf der Bühne, die er stets als diejenige Künstlerin bezeichnete, die für seine Entwicklung am wichtigsten gewesen sei. Es gibt keinen Grund, dieses Urteil, das Wagner über sich selbst abgab, anzuzweifeln. Allerdings hat er in seinen Memoiren, wahrscheinlich mit Absicht, behauptet, er hätte sie zuerst als Leonore in Beethovens Fidelio gesehen. Tatsächlich handelte es sich wahrscheinlich jedoch um eine ihrer anderen Paraderollen, nämlich den Romeo in Vincenzo Bellinis Oper I Capuleti e il Montecchi, die im deutschsprachigen Raum unter dem Titel Romeo und Julie lief.74 Wie Giuseppe Verdi hegte Wagner stets eine besondere Vorliebe für Bellini, die er allerdings nicht öffentlich machte. So sprach er Cosima gegenüber Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  35

in späteren Jahren davon, „daß Bellini solche Melodien gehabt, wie sie schöner nicht geträumt werden können“ und er von ihnen als Komponist profitiert habe.75 Was auch immer ihn bewog, in seinen Lebenserinnerungen diese erste Begegnung mit Wilhelmine Schröder-Devrient zu verschleiern, so zeitigte sie alsbald künstlerische Konsequenzen. Wagner machte sich nämlich, ein paar Monate nachdem er letzte Hand an seine Feen gelegt hatte, an seine nächste Oper, die sich inhaltlich und musikalisch vollkommen von ihrem Vorgängerwerk unterscheidet: Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo WWV 38. Die Feen gab er hingegen für immer auf und hat sich nie wieder um eine Aufführung bemüht, ja, hat sie in späteren Jahren auch gar nicht mehr gewollt. Ihre Uraufführung erlebte Wagners erste vollendete Oper erst fünf Jahre nach seinem Tode. Wiederum hatte Wagners theatralisches Umfeld, in diesem Falle jedoch nicht seine Familie, sondern sein Bekanntenkreis, starken Einfluss auf die Wahl und Gestaltung seines neuen Sujets. Eine Begegnung, die weitaus wichtiger für Wagner gewesen ist, als bisher angenommen, war die mit dem Regisseur und Literaten Heinrich Laube. Was Laube vor allem für den jungen Wagner interessant gemacht haben wird, war seine politische Umtriebigkeit. Laube war sieben Jahre älter als Wagner und als ein Vertreter des „Jungen Deutschland“ bekannt, d. h. einer – nach unseren heutigen politischen Maßstäben – linken Bewegung, die sich für die Einigung der vielen kleinen deutschen Staaten zu einer Republik einsetzte und sich gegen die Restauration nach dem Wiener Kongress wandte. Wegen seiner politischen Aktivitäten war Laube aus Dresden ausgewiesen worden und saß eine Weile in Berlin in Haft. Inwieweit er als Theatermann für den jungen Wagner von Bedeutung gewesen ist, ist nur wenig erforscht. Es ist vorstellbar, dass er, der – wie übrigens auch später Wagner – an der Definition und Entwicklung des modernen Regisseurs mitwirkte, auch über das Politische hinaus für Wagner eine interessante Person war. Beispielsweise bevorzugte Laube die italienische Oper gegenüber der deutschen romantischen, und Wagner machte sich bei ihrer ersten Begegnung, wie seine ersten erhaltenen theoretischen Texte über das Theater zeigen, einen ähnlichen musikästhetischen Standpunkt zu eigen. Statt der seines Erachtens allzu gelehrten, zu dick orchestrierten und unsanglichen romantischen Oper – wozu er nun augenscheinlich auch seinen eigenen Opernerstling zählte – sollte den deutschen Komponisten nun die italienische Kantilene als 36  Der junge Theaterkapellmeister

Vorbild dienen, wie Wagner in seinem ersten veröffentlichten Artikel Die deutsche Oper von 1834 provokativ schrieb. Mit diesem Artikel leitete er seine äußerst produktive Tätigkeit als Theoretiker des Musiktheaters ein.76 Es ist bekannt, dass er mit seiner zweiten Oper genau den darin beschriebenen kompositorischen Weg einschlug. Doch auch in anderer Hinsicht wendete er seinen bisherigen ästhetischen Idealen rigoros den Rücken: Das Liebesverbot ist im Gegensatz zu den Feen eine komische Oper, die sich neben einigen politischen Spitzen – die als südländisch imaginierte Leichtfertigkeit des Claudio oder Luzio wird der als deutsch charakterisierten Prinzipienreiterei und Humorlosigkeit des Statthalters Friedrich gegenübergestellt – durch einen ziemlich frivolen Grundton auszeichnet, denn bei dem nämlichen Liebesverbot handelt es sich um nichts anderes als eine Untersagung aller sexuellen Aktivitäten während des Karnevals bei Todesstrafe. Allein schon der Titel Das Liebesverbot ist also, wie seinen Zeitgenossen nicht entging, nicht frei von einer gewissen Schlüpfrigkeit, und Wagner wurde polizeilich dazu aufgefordert, ihn zu ändern. Deswegen lief seine zweite Oper am Ende der Saison 1836 in Magdeburg unter dem Titel Die Novize von Palermo vom Stapel,77 im Übrigen allerdings mit dem gleichen Inhalt. Wagner geht in diesem Text mit Anzüglichkeiten nicht gerade sparsam um: Luzio, der Isabella aus dem Kloster lockt, um ihren Bruder Claudio vor der Hinrichtung zu retten, wohin ihn seine Übertretung des Liebesverbotes gebracht hat, zögert nicht, der Novizin den Hof zu machen. Der strenge deutsche Statthalter Friedrich von Sizilien, der das Liebesverbot um jeden Preis durchsetzen will, ist ein Ausbund von Doppelmoral. Er hat Isabellas Ordensschwester Mariana als Geliebte gehabt, aber bald das Interesse an ihr verloren. Nun verlangt er von Isabella, sich ihm hinzugeben, um ihren Bruder zu befreien, und am Ende wird Isabellas Plan, das Nonnengelübde abzulegen, von Luzios erfolgreichem Werben um sie erfolgreich durchkreuzt. Die Musik, mit der Wagner diese Handlung unterlegte, ist eine Mischung aus italienischen und französischen Vorbildern, wobei neben Bellini die komischen Opern Aubers, z. B. der bis ins 20. Jahrhundert hinein populäre Fra Diavolo, eine wichtige Rolle gespielt haben; Einflüsse Rossinis sind hingegen kaum auszumachen. Man kann aus der Betonung des Sexuellen im Liebesverbot Rückschlüsse auf Wagners damalige private Situation ziehen, die, einem Brief an seinen Jugendfreund Theodor Apel nach zu urteilen, ziemlich chaoWürzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  37

tisch gewesen sein muss. 1833 hatte er sein erstes Engagement als Kapellmeister übernommen, und zwar am Theater Magdeburg, das im Sommer in Bad Lauchstädt gastierte. Bei dieser Gelegenheit traf Wagner mit seiner späteren ersten Ehefrau Minna Planer zusammen, die in Magdeburg als Schauspielerin und Sängerin auftrat. Es scheint so, als habe er sich von Anfang an für sie interessiert, doch in dem erwähnten Brief an Apel ist recht unverhohlen noch von weiteren Liebschaften am Theater die Rede. So versuchte er seinen Freund mit zweideutigen Anspielungen zu einem Besuch nach Rudolstadt zu locken: „Du sollst auch die [Minna] Planer haben, – sie hat mich ein paar Mal recht sinnlich verklärt, – es war mir dabei prächtig zu Muthe. – Gegenwärtig bin ich ziemlich ohne Liebschaft, ich habe keine Zeit dazu; – mit der Toni hänge ich noch etwas“.78 Generell stand das Theater im frühen 19. Jahrhundert in keinem guten Ruf, was die Moral der Schauspielerinnen anbelangte, ein Umstand, der in Wagners Memoiren hier und da Erwähnung findet. Mit wenigen Ausnahmen war es beispielsweise für eine ehrbare Frau vollkommen undenkbar, nach ihrer Hochzeit weiterhin öffentlich auf dem Theater aufzutreten. Mit ihrer Heirat war in der Regel auch das Ende ihrer Karriere gekommen. In vielen zeitgenössischen Quellen ist die Anrüchigkeit des Theaters wie auch der Oper während des 19. Jahrhunderts deutlich zu erkennen. Dafür nur ein Beispiel: Es fiel dem selber aus einer bekannten Schauspielerfamilie stammenden Eduard Devrient überaus schwer, seiner Tochter Marie sein Placet zum Beginn einer Bühnenlaufbahn zu geben. Er schrieb in seinem Tagebuch davon, ihr Ansinnen „jahrelang mit Entrüstung von sich gewiesen zu haben“, weil es ihm „im Herzen so zuwider“ gewesen war – und auch blieb, nachdem er sein Einverständnis dazu gegeben hatte.79 Als verantwortungsvoller Vater gab man seine Tochter nur sehr ungern zum Theater. Wagners Magdeburger Engagement war für seine weitere künstlerische Entwicklung sehr bedeutsam. Zum einen hatte er hier zum ersten Mal Gelegenheit, sich die Sänger für sein Ensemble selber auszusuchen. Am Ende der Saison 1834/35 verließen nämlich alle Sänger und Schauspieler das Theater, weil es bankrott gegangen war. Das sollte sich am Ende der nächsten Spielzeit wiederholen. Wagner begab sich am Ende seiner ersten Saison auf eine Reise, die ihn u. a. über Leipzig, Dessau und Bad Kösen nach Nürnberg, Frankfurt und Wiesbaden führte. Auf dieser Reise hörte er sich Sänger an und versuchte, wenn ihm jemand gefiel, ihn zu überre38  Der junge Theaterkapellmeister

den, nach Magdeburg zu kommen. Dass seine Wahl dabei weder besonders glücklich – er engagierte einen Sänger Gräf aus Karlsbad, der sich als keine gute Erwerbung herausstellte – bzw. von familiären Interessen beeinflusst war – er holte seine Schwester Clara mit ihrem Mann Heinrich Wolfram nach Magdeburg – steht auf einem anderen Blatt.80 Zum anderen leitete er erstmals selber ein Ensemble und begann seine Fähigkeiten als Dirigent und Regisseur zu entwickeln. Er berichtet in Mein Leben von seiner Art der Orchester- und Ensembleleitung, die er sich damals aneignete und die zu einem guten Teil auch der stets knappen Probenzeit geschuldet gewesen sein dürfte. Man gab ihm beispielsweise zur Einstudierung seines just vollendeten Liebesverbots ganze zehn Tage Zeit, sodass die Sänger ihre Partien nur oberflächlich lernen konnten: „[…] da […] es rein unmöglich war, zu einiger bewusster Sicherheit, namentlich auch des Gedächtnisses, bei den Geplagten zu gelangen, so rechnete ich schliesslich auf ein Wunder, welches meiner bereits erlangten Geschicklichkeit im Dirigieren gelingen sollte.“ Diese ging denn aber auch über die reine Orchesterleitung weit hinaus: „Welche eigenthümliche Fähigkeit ich besass, den Sängern zu helfen, und sie, trotz höchster Unsicherheit, in einem gewissen täuschenden Fluss zu erhalten, zeigte sich wirklich in den wenigen Orchesterproben, wo ich durch beständiges Souffliren, lautes Mitsingen und drastische Anrufe betreffs der nöthigen Aktion, das Ganze so im Geleis erhielt, dass man glauben konnte, es müsse sich ganz erträglich ausnehmen.“81 Zum Dritten hatte Wagner in Magdeburg erstmals dienstlich mit der von ihm hochverehrten Wilhelmine Schröder-De­ vrient zu tun, die hier 1835 ein Gastspiel gab. „Ich […] genoß die begeisternde Erregung, zweimal die Opern, in welchen sie sang, zu dirigieren und so mit ihr im unmittelbaren künstlerischen Zusammenwirken mich zu befinden. Sie trat als Desdemona [in Rossinis Otello] und Romeo auf “ und in einem Konzert unter seiner Leitung, in dem seine ColumbusOuvertüre WWV 37 und Beethovens Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria op. 91 zur Aufführung kamen, deren Lärm das Publikum wie auch die Sängerin in Angst und Schrecken versetzte.82 Wagners Bestreben, auch seinen Konzerten einen dramatischen Anstrich zu geben, das sich in späteren Jahren wiederfindet, ist hier bereits unverkennbar. Mehrere Begegnungen mit Sängern, die in dieser Zeit stattfanden, sind von Interesse. Mit etlichen von ihnen sollte er in späteren Jahren wieder zu tun haben, und möglicherweise haben sie, da er mit ihnen Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  39

seine im Entstehen begriffenen Opern dieser Jahre durchging, auch seine Musik mit geformt. Zunächst ist hier Friedrich Schmitt zu nennen.83 Schmitt war ein lyrischer Tenor, hatte an den Häusern in Darmstadt und München seine Ausbildung erhalten und 1833 an der Münchner Hofoper debütiert, deren Ensemble er dann bis 1834 angehörte. Die Saison 1834/35 führte ihn an das Stadttheater Magdeburg, zu Wagner. In der nächsten Saison ging Schmitt an die Leipziger Oper, als Nachfolger des ersten Tenors Josef Eichberger, den Wagner schätzte,84 und wechselte dann an die Dresdner Hofoper. 1837 zwang ihn der Verlust seiner Singstimme dazu, seine Opernkarriere aufzugeben. Seine Bühnenlaufbahn währte also gerade einmal fünf Jahre. Er wirkte fortan als Gesangspädagoge in Berlin, München und Wien. Auch wenn wir nichts Näheres über seine Arbeit mit Wagner in Magdeburg wissen, scheinen die beiden gleichaltrigen Musiker sich gut verstanden zu haben.85 Schmitt und Wagner hatten noch zweimal miteinander zu tun: 1837 in Königsberg, wo Wagner gerade Musikdirektor geworden war und Schmitt ans Theater holte,86 und dann knapp dreißig Jahre später, 1864/65 in München. Hier arbeiteten sie u. a. bei den Proben zur Uraufführung des Tristan zusammen, an denen Schmitt als gesangstechnischer Assistent teilnahm. Damals plante Wagner, ihn als Gesangslehrer an der neu zu gründenden Münchner Musikschule anstellen zu lassen, doch kurz danach kam es zwischen beiden zum Zerwürfnis.87 Bei der Vorbereitung der 1876er Festspiele in Bayreuth griff Wagner auf Schmitts Schüler Julius Hey als gesangstechnischen Assistenten zurück.88 Schmitts Große Gesangschule für Deutschland von 1854 ist ein wichtiges Dokument für die Entwicklung einer speziell auf das Deutsche zugeschnittenen Gesangstechnik, die es bis dahin noch nicht gab.89 Schmitts Bemühungen um die Systematisierung der Lautbildung des gesprochenen Deutschen machen ihn zu einem Vorläufer der Sprecherziehung, ein Unternehmen, das von seinem Schüler Hey fortgesetzt wurde. Wagners Wirken hat damit zwei wichtige Begründer der Logopädie beeinflusst. Tatsächlich scheint Schmitts eigentliches Talent als Sänger auf dem Gebiet des Musikalischen und weniger auf dem der dramatischen Darstellung gelegen zu haben. Wagner erwähnt seine „vorzüglich schöne Tenorstimme“ und fügt einschränkend hinzu: „Daß er vollständig ohne theatralisches Talent war, sich ungeschickt und befangen auf der Bühne benahm, legte seiner Entwicklung bald Fesseln an“.90 40  Der junge Theaterkapellmeister

An zweiter Stelle ist von seinen Magdeburger Sängern seine spätere Schwägerin Amalie Planer zu nennen, die er in seiner zweiten Magdeburger Saison dorthin holte und die sich laut Wagner durch ihren „pompösen Alt“ auszeichnete.91 In seinen Briefen aus dem Herbst 1835 geht Wagner im Einzelnen auf seine Sänger ein. Er berichtet darin davon, dass er mit ihnen auch über das reine Partiestudium hinaus an ihrem Vortrag übte: „Wer hatte an Minna’s Schwester [Amalie] gedacht, die in Braunschweig ganz unbedeutend dastand? Ich engagire das Mädchen mit ihrer schönen Alt-Stimme, u. habe ihr jetzt den Romeo einstudirt; – eine solche Sensation, wie sie, hat wol noch selten eine Anfängerin gemacht; […] – einen kleinen Tenoristen Schreiber habe ich ebenfalls so herausgesucht u. bilde ihn zum größten Dank des Publikums aus. Das macht Freude!“92 Man kann angesichts von Wagners großer Sensibilität für die Bühnengestik, für die der Grund in seiner Kindheit und Jugend gelegt worden war, davon ausgehen, dass sich seine Vortragsschulung nicht nur auf die musikalische Seite des Bühnengesangs beschränkte, sondern auch die dramatische Darstellung mit einschloss. Darüber, welches Vorbild er hatte, als er mit Amalie den Romeo in Bellinis Oper übte, kann kein Zweifel bestehen: Es muss Wilhelmine Schröder-Devrients Verkörperung dieser Rolle gewesen sein, über die ihr Kollege Eduard Genast folgende Einzelheiten zu berichten weiß: „Ich habe außer ihr keine Sängerin gesehen, die das reine Seelenleben Romeo’s an der Leiche Julia’s [2. Akt, 3. Szene] so zur Anschauung zu bringen wußte […]. Nachdem sie das Fläschchen geleert, trat sie von den Stufen des Sarkophags herab und ging während des Paukenwirbels, der so lange ausgedehnt werden mußte, bis sie das gegenüberliegende Denkmal erreicht hatte, auf welches sie sich stützte, langsamen Schrittes über die Bühne. Die Haltung des Körpers war erschlafft, der Kopf gesenkt, sie richtete ihn aber bei dem Aufseufzen Julia’s rasch empor, und bei den Worten ‚Welcher Seufzer?‘ sah man ihren Augen und Zügen an, daß sie den Laut für eine überirdischen nahm. Bei dem Namen ‚Romeo‘ blickte sie freudestrahlenden Auges empor, und mit zitternder Stimme sang sie ‚Gott, ihre Stimme!‘ und als der Ruf Julia’s zum zweiten Mal erscholl, malte sich in ihren Zügen ein seliges Entzücken, und mit ausgebreiteten Armen rief sie: ‚Sie ruft mich, Giuletta ruft mich!‘ Wer aber vermag das Entsetzen zu schildern, das sich in ihren Zügen aussprach und in dem zitternden Körper fortpflanzte, als sie Julia lebend vor sich sieht? Ihren Augen nicht trauWürzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  41

end, stürzte sie wankend auf Julia zu, umfasste sie, um sich zu überzeugen, daß es kein Traum sei, und als sie von Julia erfährt, daß diese nur zum Schein im Tode lag, war der Ausruf ‚Ha, was sagst Du?‘ markerschütternd. […] bei den Worten ‚Laß mich ans Herz Dich drücken‘ wurde ihre Stimme schwächer, und durch momentanes Zucken ihrer Züge und des Körpers deutete sie die Wirkung des Giftes an. Bei der Stelle ‚Ein einzig Wort von Dir‘ raffte sie sich nochmals empor, und mit steigender Angst Julia fest umklammernd, sang sie mit Kraft, als wenn das Leben noch einmal den Tod besiege: ‚Ach, Holde, gedenke mein‘, bis sie beim letzten Takt dieses kleinen Duos erschöpft zusammenbricht. Ihre Darstellung eines an Gift Sterbenden war in physischer Hinsicht ein Meisterstück der Kunst“.93 Nach diesem Vorbild dürfte Wagner mit Amalie Planer an ihrer Partie gearbeitet haben, in der sie nicht nur in Magdeburg, sondern später auch noch in Riga Erfolge feiern konnte.94 Doch war Wagner von ihren Fähigkeiten als Darstellerin nicht so überzeugt wie das Publikum. In seinen Erinnerungen spricht er davon, sie sei zwar mit einer schönen Stimme begabt gewesen, aber ungünstigerweise auch von „sehr kleiner Gestalt, und bei nicht weit reichendem Darstellungstalent“ stets in ihrem „Wirkungskreis beschränkt“ geblieben.95 Beide hatten noch ein weiteres Mal beruflich miteinander zu tun. Er verschaffte ihr zwei Jahre später ein Engagement nach Riga, bemerkenswerterweise diesmal jedoch als Primadonna, d.  h. als Sopranistin, obwohl sie eigentlich eine Altistin war. Inwieweit mit diesem Fachwechsel stimmliche Schwierigkeiten einhergingen, ist nicht überliefert. Es war Amalie Planers letztes Engagement, denn in Riga sollte sie den russischen Offizier Carl von Meck kennenlernen und 1839 heiraten, womit, wie ihrerzeit gemeinhin üblich, das Ende ihrer Bühnenlaufbahn gekommen war.96 Bevor dies geschah, wirkte sie in Riga bei etlichen musikalischen Abenden bei Wagners zu Hause, wo sie wohnte, mit. Bei diesen Gelegenheiten sang sie die Partie des Adriano aus der im Entstehen befindlichen Großen Oper Rienzi, die ihr Schwager zu dieser Zeit schrieb,97 genauer: aus den ersten beiden Akten, zu denen Wagner vor ihrem Auszug aus seinem Haus und seiner Flucht aus Riga die Musik komponierte.98 Adriano ist wie Romeo in Bellinis Oper eine Hosenrolle, d. h. ein männlicher Charakter, der von einer Frau gesungen und dargestellt wird. Darüber hinaus ist die Partie des Adriano darstellerisch die abwechslungsreichste und anspruchsvollste der gesamten Oper Rienzi. 42  Der junge Theaterkapellmeister

Wagner wird folglich bei der Ausführung dieser Partie neben seiner Schwägerin Amalie wiederum die Leistung der Schröder-Devrient als Romeo vor Augen gestanden haben, denn wie er in seinem oben zitierten Brief an Franz Hauser dargelegt hatte, hatte die sängerisch-darstellerische Praktikabilität seiner Stücke für ihn höchste Priorität. D. h. im Umkehrschluss: Je mehr wir über die Sänger wissen, mit denen der junge Kapellmeister zusammenarbeitete, desto besser können wir abschätzen, wie er seine Opern dargestellt und gesungen haben wollte. An dritter Stelle seiner zukunftsträchtigen Magdeburger Begegnungen steht diejenige mit Karoline Pollert. Auch sie sollte er im Laufe seines Lebens noch mehrfach wiedertreffen, und zwar zunächst in Berlin, wo sie nach dem Magdeburger Bankrott 1836 am Königstädtischen Theater ein Engagement erhalten hatte, dann wieder im folgenden Jahr in Königsberg und 1838 in Riga, wo sie am deutschen Theater auftrat.99 „Sie trat am 25. Februar als ‚erste Sängerin vom k. k. Hoftheater am Kärntnertor zu Wien‘ vor das Rigaer Publikum und gewann sich mit ihren sehr tüchtigen Mitteln im Laufe weniger Wochen als Agathe, Pamina, Emmeline in der Schweizerfamilie, Norma und Julia dessen ausgesprochenen Beifall.“100 In einer Rezension, die in der Dresdner Abendzeitung vom 24. und 25. Februar 1836 erschien, lobte der Kritiker ihr sängerisches und darstellerisches Können in höchsten Tönen: „Volubilität der Stimme, reine Intonation und die großartige Kraft, welche sie in der dramatischen Situation zu entwickeln versteht, setzen sie den besten deutschen Sängerinnen an die Seite.“ Zu Recht habe „sie stürmischen Beifall erworben, um so mehr, als sie auch durch ihr Spiel beweist, dass sie weiß, was sie singt. Ihre Persönlichkeit, obgleich nicht groß, ihre seelenvollen Augen, ihre durchdachte Aktion und ihre geschmackvolle Toilette machen diese hübsche junge Frau zu einer angenehmen Erscheinung auf der Bühne“.101 Bei ihrer ersten Begegnung hatte Wagner sich ähnlich euphorisch über sie geäußert: „Mad. Pollert […], ein junges, geistreiches Weib mit grossen Augen, – eine himmlische Stimme, vollkommene Sängerin u. geniale Künstlerin“.102 Zwanzig Jahre später sahen sich Wagner und seine ehemalige Magdeburger und Rigaer Primadonna dann in Zürich wieder. Karoline Pollerts wichtigsten Stationen in der Zwischenzeit von 1841 bis 1856 waren die Theater in Breslau, Hannover, Olmütz, Würzburg und Trier gewesen. 1856/57 wurde sie Sängerin am Zürcher Theater,103 wo sich Wagner als politischer Flüchtling aufWürzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  43

hielt. Gemeinsam mit ihren Töchtern ging sie die Gesänge der Rheintöchter aus Rheingold und als Brünnhilde den letzten Akt der Walküre mit Wagner durch, der den Wotan sang und Franz Liszt darüber triumphierend berichtete: „[…] mit einer hiesigen Theatersängerin [Karoline Dreßler-Pollert] […] studirte ich die letzte grosse Scène aus der Walküre [3. Aufzug, 3. Szene] ein; Kirchner accompagnirte; ich traf famos, und diese Dir so ärgerliche Scene hat alle meine Erwartungen von ihr vollständig erfüllt. Wir haben Sie dreimal bei mir gemacht“.104 Damit zeigt sich, vor welcher Instanz Wagner sich als Komponist zu verantworten müssen glaubte: Nicht das Urteil eines bekannten Musikers wie Liszt, sondern die praktische Aufführung mit einem ausgebildeten dramatischen Sänger war für ihn ausschlaggebend dafür, was ihm gelungen sei und was nicht.

Intermezzo: Wagners vergebliche Bemühungen in Berlin und Königsberg Wagners Magdeburger Engagement endete 1835 nach zwei Spielzeiten mit dem erneuten Bankrott des Theaters. Das war im 19. Jahrhundert in den kleinen deutschen Städten keine Seltenheit. Nicht alle Spielstätten wurden damals ökonomisch solide geführt, und den Sängern und Musikern eines Theaters blieb so immer das Risiko, auf einem Teil ihrer Forderungen sitzen zu bleiben. Auch privat war Wagners Zukunft derzeit alles andere als gewiss. Seinen flammenden Briefen, die er an Minna in diesen Jahren schrieb, ist zu entnehmen, dass er sie gerne geheiratet hätte, doch scheint sie gezögert zu haben. Während Minna im fernen Königsberg ein Engagement am Theater angenommen hatte, tat Wagner sich in Berlin nach einer Anstellung als Theaterkapellmeister um. Er war realistisch genug, dies nicht an der renommierten Hofoper zu tun, sondern an dem Königstädtischen Theater am Alexanderplatz, das die Sparte der Possen, Melodramen, Sing- und Liederspiele, also der nicht durchkomponierten und mitunter auch musikalisch nicht so ambitionierten Stücke, bediente.105 Wie in größeren Städten mit mehreren Bühnen üblich waren den kleineren Häusern die Aufführungen großer tragischer Werke – Schauspiele wie Opern – untersagt.106 Wagner hatte Kontakte zu diesem Haus über seine dort in den 1820er Jahren tätige 44  Der junge Theaterkapellmeister

Schwester Luise107 sowie seine Magdeburger Sängerinnen Limbach und Pollert, die die beiden weiblichen Hauptrollen im Liebesverbot, Mariana und Isabella, kreiert hatten und nach der Magdeburger Theaterpleite nun dort als Sängerinnen auftraten.108 Wagners Bemühungen um eine Anstellung am Königstädtischen Theater sind insofern bemerkenswert, als sie belegen, wie wenig festgelegt er zu dieser Zeit in dramatischer wie musikalischer Hinsicht noch war. Er bot dem Chef des Hauses, Karl Friedrich Cerf, sein Liebesverbot zur Aufführung an, das er zu diesem Zweck – und möglicherweise auch unter dem Eindruck der Magdeburger Uraufführung – überarbeitet hatte.109 Doch seine Hoffnungen zerschlugen sich. Hätte er Erfolg gehabt und wäre er als Kapellmeister hier tätig geworden, hätte er in den nächsten Jahren eine Menge musikalisch eher schlichter Stücke, z. B. Vaudevilles und ihr deutsches Pendant, die Liederspiele, die heute vollkommen von den Spielplänen verschwunden sind, einzustudieren und auch zu schreiben gehabt. Diese Stücke waren meist heiteren oder parodistischen Inhalts. Am ehesten mögen dem heutigen Hörer vielleicht noch die Spielopern Albert Lortzings einen Eindruck von diesen damals populären, wenn auch recht kurzlebigen Stücken zu geben. Mit solchen Werken hätte Wagner sich dann auch als Komponist und Textdichter zu etablieren versucht. Das mag bei dem Schöpfer des Ring, Tristan und Parsifal sicherlich befremdlich anmuten, passt aber mit Wagners lebenslanger privater Vorliebe für diese Genres gut zusammen. Es ist kaum bekannt, dass er sich Zeit seines Lebens und in späteren Jahren sogar mit Vorliebe Vaudevilles, Volksschauspiele und damals so genannte ‚niedrig-komische‘ Stücke im Theater ansah, und das auch im Ausland, beispielsweise in England, Frankreich oder Italien, obwohl er dort die Sprache nur unzureichend verstand.110 Ob er bei diesen Besuchen Ideen für sein eigenes, mit Ausnahme von Liebesverbot und Meistersingern ja ganz auf die Tragödie konzentriertes Schaffen empfing, wäre näher zu untersuchen. Wagners Versuch, in Berlin Fuß zu fassen – der nebenbei bemerkt sein einziger in der preußischen Hauptstadt blieb – schlug fehl, und er sah sich gezwungen, sich weiter auf die Suche nach Anstellungsmöglichkeiten zu begeben. Sie führte ihn nach Königsberg, zu Minna, die nun seinem heftigen Drängen nachgab und mit Wagner die Ehe einging. Vertraut man Wagners eigenen Darstellungen in Mein Leben, war es keine gute Ehe, die am 24. November 1836 in der Tragheimer Kirche in Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  45

Königsberg geschlossen wurde. Doch sollte man seiner Darstellung hier nicht allzu viel Gewicht beimessen, denn er diktierte bekanntlich seine Autobiografie seiner zweiten Gattin Cosima. Man wird unter diesen Umständen und nach all den schweren Konflikten zwischen Wagner und seiner ersten Frau, die schließlich nach mehr als zwanzig Jahren zur Trennung führten, seine Erinnerungen an Minna als nur bedingt objektiv anzusehen haben. Seinen und Minnas erhaltenen Briefen dieser Jahre ist jedenfalls ein anderes, differenziertes Bild ihrer gewiss nicht unproblematischen Beziehung zu entnehmen. Demnach war Wagner von Anfang an in einer für Minna vielleicht befremdlichen Weise von ihr emotional abhängig, stets eifersüchtig und bombardierte sie ständig mit Bitten und Forderungen. Seine ersten Briefe an Minna vermögen einen Eindruck von seiner wortreichen und stürmischen Art, die er ihr gegenüber an den Tag legte, zu geben. Es ist nicht verwunderlich, dass sie es mit ihrem überaus dominanten Lebenspartner nicht immer aushielt und ein paar verzweifelte Versuche unternahm, sich ihm zu entziehen. Kurz nach ihrer Trauung brannte sie beispielsweise mit einem Kaufmann Dietrich nach Dresden durch.111 Angesichts seiner vielen nicht gehaltenen Versprechen, seines unbedenklichen – oder vielmehr bedenklichen – Umgangs mit Geld und seines mitunter tyrannischen Naturells war dies ein letztlich missglückter Befreiungsschlag, ihrer bedrückenden privaten Lage zu entkommen. Auch nach ihrer reumütigen Rückkehr zu Wagner nahmen die Schwierigkeiten, wie zu erwarten, kein Ende. Als verheiratete Frau entsprach sie der Sitte ihrer Zeit und Wagners Forderung und gab ihre Theaterlaufbahn auf. Fortan blieb sie der Bühne fern und fiel damit als Versorgerin aus. Und zu versorgen hatte sie nicht nur ihren Gatten, der nach wie vor auf ein Engagement in Königsberg hoffte, sondern auch ihre uneheliche Tochter Natalie, die sie im Alter von 16 Jahren heimlich zu Welt gebracht hatte und ihr Leben lang als ihre jüngere Schwester ausgab; Natalie lebte in Königsberg mit dem jungen Ehepaar unter einem Dach.112 Wagners Lebenserinnerungen an sein Jahr in Königsberg sind auffallend knapp. Man kann sich des Eindruckes nicht erwehren, als wolle er hier über eine unrühmliche Episode in seinem Leben mit Schweigen hinweggehen bzw. einige Fakten mit Absicht unerwähnt lassen. So sind seine Erinnerungen an seine damaligen künstlerischen Projekte nicht vollständig. Beispielsweise erfährt man weder aus Mein Leben noch aus der Autobiographischen Skizze etwas über seine 46  Der junge Theaterkapellmeister

Schauspielmusik zu J. Singers Die Heidenverschwörung der Preußen WWV 41, die fragmentarisch erhalten ist und zu Anfang des Jahres 1837 in Königsberg entstand.113 Sie war für eine Aufführung am Königsberger Theater bestimmt, wo Minna in der weiblichen Hauptrolle dieses Stückes auftrat.114 Auch Wagners Behauptung in Mein Leben, er habe in Königsberg 1837 sein komisches Werk Frauenlist größer als Männerlist oder: Die glückliche Bärenfamilie WWV 48 zu schreiben begonnen,115 entspricht nicht der Wahrheit. Dieses zweiaktige Stück wurde in Riga aller Wahrscheinlichkeit nach als Liederspiel konzipiert – laut Wagner hätte es nicht mit Rezitativen, sondern mit gesprochenen Dialogen versehen werden sollen116 – und von seinem damaligen Chef Karl von Holtei, der etliche erfolgreiche Beiträge zu dieser Gattung geschrieben hatte, angeregt. Welche Gründe Wagner für diese offensichtliche Fehldatierung hatte, soll im nächsten Abschnitt dargelegt werden.

Verbannt an die Peripherie: Wagners Rigaer Jahre Über Wagners Rigaer Zeit sind wir wesentlich besser informiert als über die Königsberger. Es gibt ein paar Briefe und Werke Wagners und zudem Erinnerungen von Zeitgenossen aus seinen Rigaer Jahren von 1837 bis 1839, die immerhin in Umrissen ein Bild seiner Persönlichkeit zu geben und seine Darstellung in Mein Leben zu ergänzen bzw. in Teilen zu korrigieren vermögen. Demnach hatte man es bei dem 25jährigen Wagner mit einem äußerst ehrgeizigen, in seiner Arbeit gewissenhaften, wenn auch in Geldfragen zur Verschwendung neigenden, despotischen Musikdirektor zu tun, der sich mit seinen großen künstlerischen Vorhaben und seinem enormen Selbstbewusstsein in der livländischen russischen Provinz vollkommen fehl am Platze fühlte, was schließlich zu seiner ersten – aber beileibe nicht seiner letzten – heimlichen Flucht aus dem Lande führen sollte. Seine erste veröffentlichte Komposition, das Klavierlied Der Tannenbaum WWV 50, entstand in dieser Zeit in Riga.117 Dabei handelt es sich um ein ausgesprochen persönliches und für Wagners gesamtes Schaffen sehr untypisches Stück. Wagner erklärte in einem Brief an August Lewald, den Herausgeber der Zeitschrift Europa, in der das Lied erschien, dass ihn sein Leben im hohen Norden entgegen seinem eigentlichen Naturell zum Melancholiker habe werden lassen. Der Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  47

Text des Liedes ist eine schon beinahe eines Andreas Gryphius würdige, barock anmutende Meditation über die Vergänglichkeit des Lebens. Die Töne, die Wagner dafür fand, erinnern so sehr wie keine andere seiner Schöpfungen an die Musik Franz Schuberts. Mehr als dreißig Jahre später erschien dieses Lied ein weiteres Mal in Wagners Leben. Und zwar schenkte er es Cosima zu ihrem 31. Geburtstag am ersten Weihnachtstag 1868. Sie war zu dieser Zeit bereits das dritte Mal von Wagner schwanger, hatte gerade ihren Mann Hans von Bülow in München endgültig verlassen und war zu Wagner nach Tribschen bei Luzern gekommen. Es war das erste Weihnachtsfest, das beide allein miteinander feierten, nach einer ungefähr fünf Jahre währenden heimlichen Liebesbeziehung. Doch scheint die Stimmung in Tribschen alles andere als heiter gewesen zu sein, wie das Geschenk des Tannenbaum-Liedes belegt. Wagner war nämlich durch Cosimas Flucht zu ihm nun dazu gezwungen, ihr illegitimes Verhältnis, über das schon lange hinter vorgehaltener Hand geredet wurde, öffentlich zu machen, womit er zum einen seine finanzielle Sicherheit, die ihm der bayerische König gewährte, gefährdete – Wagner hatte Ludwig II. in dieser Frage mehrfach angelogen –, zum anderen aber auch seine großen künstlerischen Projekte aufs Spiel setzte: Wie aus den zeitgenössischen Dokumenten hervorgeht, war niemand so gut zum Dirigieren seiner Werke befähigt wie Hans von Bülow, der nun, nachdem er in aller Öffentlichkeit als gehörnter Ehemann dastand, förmlich dazu gezwungen war, sich von seinem ehemaligen Mentor Wagner mitsamt seinem Werk zu distanzieren. Das Lied Der Tannenbaum taucht also an zwei Punkten in Wagners Leben auf, an denen er sich in einer Sackgasse befand und sich seine Zukunft vollkommen ungewiss gestaltete. Das ist im Winter 1868 ganz offensichtlich und legt eine ähnliche Lesart der Fakten auch für den Herbst 1838 nahe. Doch zunächst die Vorgeschichte: Nach Monaten des Wartens auf ein Engagement in Königsberg hatte Wagner schließlich doch noch den Posten des Musikdirektors erhalten, im Frühjahr 1837. Zu diesem Zeitpunkt war das Theater jedoch bereits dem Bankrott nahe, und es war klar, dass er hier nicht würde bleiben können. Wagner hatte sich bereits andernorts nach Vakanzen umgehört und zum noch weiter nördlich gelegenen deutschen Rigaer Theater in der russischen Ostseeprovinz Livland Kontakte geknüpft, die vielleicht durch Heinrich Dorn hergestellt worden waren. Ein paar Ausführungen zu dieser vielseitigen und 48  Der junge Theaterkapellmeister

damals bekannten Musikerpersönlichkeit sind hier angebracht, zumal er mit Wagner etliche Male zu tun hatte.

Rigaer Begegnungen und ihre unkorrekte Darstellung in Wagners Lebenserinnerungen: Heinrich Dorn und Karl von Holtei Heinrich Dorn stammte aus Riga und wirkte als Kapellmeister, Komponist, Organisator und Musikschriftsteller. Er war der erste Dirigent, der ein Orchesterwerk des damals gerade 17jährigen Wagner aufführte: die Ouvertüre B-Dur WWV 10 im Jahre 1830; wahrscheinlich leitete er auch die nächste Uraufführung eines Wagnerschen Orchesterwerks, der Ouvertüre d-Moll WWV 20, ein Jahr später.118 Wagners Beschreibung der ersteren in Mein Leben ist nicht zu trauen, denn sie ist von seiner Abneigung gegen Dorn geprägt, die allem Anschein nach auf seine letzten Wochen in Riga zurückgeht. In seiner Autobiografie behauptet Wagner, Dorn habe sein frühes Werk ironisch und despektierlich zu Gehör gebracht, so als hätte er sich über die Unfähigkeit des jungen Komponisten lustig machen wollen. Tatsächlich wird es so gewesen sein, dass Dorn als sein Mentor fungierte – Wagner bezeichnet ihn in Mein Leben als „meinen ehemaligen Protektor“119 – und ihm den Weg nach Riga bahnte. Wir wissen nichts darüber, ob und inwieweit beide in den Jahren nach 1831 möglicherweise indirekt in Verbindung miteinander gestanden haben; immerhin korrespondierte Wagner in diesen Jahren regelmäßig mit Dorns Stiefbruder, dem Kapellmeister Louis Schindelmeißer. Auf jeden Fall muss Wagner sich darüber im Klaren gewesen sein, dass er mit seinem Rigaer Engagement den Wirkungskreis Dorns betrat. Aus Königsberg schrieb Wagner Dorn einen Brief, in dem er ihn über seine Anfänge als Theaterkapellmeister unterrichtete und ihn um eine Empfehlung für Riga bat.120 Möglicherweise kam Dorn dieser Bitte nach.121 Er hatte in den Jahren 1832 bis 1834 das Orchester des Theaters in Riga dirigiert, was er auch nach Wagners Flucht wieder tun sollte, er hatte sich außerhalb seiner Vaterstadt als Dirigent und Musikschriftsteller einen Namen gemacht und 1836 das erste Sängerfest in den russischen Ostseeprovinzen organisiert, womit er eine lange und bis in die Gegenwart hineinreichende wichtige musikalische Tradition begründete.122 Dorn war Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  49

ein Jahr vor Wagner, 1836, nach Riga gekommen, um dort als Schul- und Kirchenmusiker zu wirken. Zu Beginn von Wagners Zeit in Riga kam es zu einem offenbar recht freundlichen, vielleicht sogar freundschaftlichen Umgang beider miteinander. Dorn war mehrfach Gast im Hause Wagners und hörte Teile des Rienzi, an dem Wagner gerade arbeitete, und Wagner studierte die Uraufführung von Dorns Oper Der Schöffe von Paris gewissenhaft in Riga im Jahre 1838 ein und leitete sie mehrfach auch noch im folgenden Jahre. Wenn sie sich auch anfangs gut verstanden zu haben scheinen, so betrachtete Wagner Dorn seit seiner Flucht im Frühjahr 1839 als Feind. Laut Wagner war der Grund dafür, dass Dorn hinter seinem Rücken mit Erfolg gegen ihn intrigiert hatte, um an die Stelle des Theatermusikdirektors zu kommen.123 Doch ist bei Wagners Darstellung seiner gesamten Rigaer Zeit in Mein Leben Vorsicht angebracht. Ein letztes Mal hatte Wagner mit Dorn 1852 unmittelbar zu tun. Dorn war mittlerweile Generalmusikdirektor an der Berliner Oper geworden, und Wagner weigerte sich, ihn die Berliner Erstaufführung seines Tannhäuser dirigieren zu lassen und bestand stattdessen auf Franz Liszt als musikalischem Leiter. Wagners Unnachgiebigkeit in dieser Sache führte schließlich zum Scheitern der Verhandlungen mit der Berliner Oper. Möglicherweise wurde Dorn erst zu dieser Zeit Wagners Aversion bewusst, die, wie seine späten Wagner-kritischen Auslassungen zeigen, spätestens von nun an auf Gegenseitigkeit beruhte. So kritisierte er in seinen Lebenserinnerungen Wagners Meistersinger nicht ohne einen gewissen Anflug von Gehässigkeit.124 Es ist möglich, dass seine Entlassung als Generalmusikdirektor im Jahre 1869 auf das Betreiben von einflussreichen Berliner Wagnerianern hin zustande kam.125 Unmittelbar nach Wagners Flucht aus Riga scheint er hingegen noch ein großes Interesse daran gehabt zu haben, die Werke seines ehemaligen Schützlings zur Aufführung zu bringen. Unter Dorns Leitung erklang am 22. Mai 1843 – das war, wenn auch nach russischem Kalender, Wagners 30. Geburtstag – Der Fliegende Holländer zum ersten Mal in Riga. Das dortige Theater war damit das erste überhaupt, das dieses Stück nach der Dresdner Uraufführung, die fünf Monate zuvor stattgefunden hatte, ins Programm nahm.126 Im Großen und Ganzen gilt das Gleiche, was über Wagners Schilderungen seines Verhältnisses zu Dorn zu sagen ist, auch für die seines Verhältnisses zu seinem Chef in Riga, Karl von Holtei. Mit ihm stand Wag50  Der junge Theaterkapellmeister

ner laut einem Brief aus den ersten Wochen seiner Anstellung „auf dem besten Fuße“,127 um dann nach seiner Flucht aus Riga kein gutes Haar mehr an ihm zu lassen. Cosima Wagner gegenüber bezeichnete er Holtei als „das allerwiderwärtigste“, was ihm in seinem Leben begegnet sei,128 unterstellte ihm – wie im Übrigen auch sein späterer Kollege Eduard Devrient129 – in moralischer Hinsicht vollkommen verdorben gewesen zu sein und spielte in Mein Leben recht unverhohlen auf eine homosexuelle Neigung seines Chefs an.130 Wie bei Dorn ist auch bei Holtei davon auszugehen, dass er in späteren Jahren nichts mehr mit Wagner zu tun haben wollte. Es ist etwa bezeichnend, was Holtei über Wagner in seinen Lebenserinnerungen Vierzig Jahre schrieb: nämlich gar nichts. Das ist angesichts ihrer Entstehungszeit – zwischen 1843 und 1850 – umso erstaunlicher, als sein ehemaliger Musikdirektor in diesen Jahren mit einer steilen Karriere als Dirigent wie auch als Revolutionär von sich reden machte. Nirgendwo in Holteis Schriften wird Wagner auch nur einmal namentlich erwähnt. Auch wenn an dieser Stelle keine ausführliche Darstellung ihrer gemeinsamen Jahre erfolgen soll,131 sei wenigstens darauf hingewiesen, dass es anscheinend erst in den letzten Monaten von Wagners Anstellung als Musikdirektor zum Bruch zwischen ihnen gekommen ist. Auf die Begegnung dieser beiden interessanten Theaterpersönlichkeiten soll hier wenigstens so weit näher eingegangen werden, wie sich potenzielle Einflüsse auf Wagner daraus ergeben haben können, denn Holtei hat in Wagners zukünftigem Schaffen und Denken wahrscheinlich Spuren hinterlassen. Beginnen wir mit Holteis organisatorisch-künstlerischer Arbeit in Riga. Er übernahm die Leitung des dortigen Theaters zu Beginn des Jahres 1838 auf eigene Rechnung,132 d. h., er war an einem finanziellen Erfolg seines Unternehmens interessiert. Zugleich war er wie seine Frau Julie Schauspieler und außerdem Autor von Theaterstücken, zu denen er nicht nur die Texte, sondern – wenn auch mit Hilfe professioneller Komponisten – einen Teil der Musik selber geschrieben hatte. Es ist denkbar, dass er sich auch in Fragen der Regie mit einmischte, kurz: Er befand sich in einer ähnlich beherrschenden Stellung wie Wagner viele Jahre später in Bayreuth, wo er künstlerisch wie organisatorisch die alleinige Verantwortung als Dichter, Komponist, Regisseur, Chef und Initiator des gesamten Projekts hatte. Im Gegensatz zu Wagner in Bayreuth war Holtei in Riga dabei wirtschaftlich erfolgreich. Unter Holteis Leitung wurde ein zweiter Kapellmeister Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  51

zu Wagners Entlastung angestellt, Franz Löbmann, der es Wagner erlaubte, sich nun ausschließlich den großen und schweren Opern zu widmen. Außerdem war Holtei, wie bereits erwähnt, als Dramenvorleser über die Grenzen der deutschen Staaten hinaus berühmt, und Wagner hatte mehrfach die Möglichkeit, ihn in Riga zu hören.133 Es wäre angesichts seines großen Interesses für die Dramenrezitation überaus merkwürdig, wenn er keine von diesen Gelegenheiten ergriffen hätte. Holteis Rezitationsstil unterschied sich dabei erheblich von dem introvertierten Ludwig Tiecks oder Adolph Wagners und zeichnete sich durch theatralische Wucht und starke Charakterisierung der einzelnen Figuren aus, was es ihm erlaubte, mit seinen Vorlesungen große Auditorien über einen ganzen Abend hinweg zu unterhalten. Wagners eigene Dramenvorlesungen ähnelten in dieser Hinsicht weit mehr denen Holteis als denen seines von ihm sehr geschätzten Onkels. Auch Wagner rezitierte mit großem dramatischem Nachdruck und differenzierte die auftretenden Charaktere stimmlich deutlich voneinander. Wendelin Weißheimer hörte Wagner mehrfach den Prosaentwurf zum Meistersinger-Textbuches rezitieren: „Trotz der Prosa riß ihr poetischer Inhalt die Versammlung bald mit sich fort. Gar possierlich nahmen sich schon David und der Merker aus, während Eva, Sachs und der Ritter von Stolzing, der noch Konrad hieß, bereits in dem ihnen eigenen lieblichen Lichte glänzten.“134 Cosima hielt über Wagners stimmliches Charakterisierungsvermögen fest: „Am Schluß liest er aus Hamlet mit einer solchen ergreifenden Eindringlichkeit, daß mir’s ist, als ob niemand auf der Welt den herzlichen, vornehmen, bitteren, ironischen, zurückgehaltenen und expansiven Ton des Helden haben konnte außer ihm.“135 Da, wie in Kapitel 5 gezeigt wird, die äußerst engagierte Vorlesung seiner Textbücher durch Wagner den ersten Schritt zur Musikalisierung seiner Stücke darstellte – spätestens seit dem Lohengrin (1845 bis 1848 geschrieben) oder vielleicht schon von Anfang an, seit seinem Leubald – stellt sich also kurz gesagt die Frage: Welche Elemente von Holteis Rezitationstechniken sind in Wagners Dramenvorlesungen und damit in seine Musik eingeflossen? Bereits erwähnt wurde, dass Holtei Wagner dazu brachte, ein Sing- oder Liederspiel Frauenlist größer als Männerlist zu schreiben, was Wagner in Mein Leben zu verschleiern versuchte. Es ist ganz offensichtlich, dass er jeglichen Einfluss Holteis auf ihn selber unterschlagen wollte. Holtei hatte am Königstädtischen Theater in Berlin gearbeitet 52  Der junge Theaterkapellmeister

und selber die Gattung des Liederspiels mit etlichen Beiträgen bereichert. Die Handlung von Wagners Frauenlist größer als Männerlist ist im Übrigen in Teilen womöglich autobiografisch, denn der Juwelier Julius Wander, der darin vorkommt, hatte sein Gegenstück in Wagners Bruder Julius, der Goldschmied war136 und über den wir sonst so gut wie gar nichts wissen. Von der Musik zu diesem Stück ist nichts erhalten.137 Auch darüber hinaus war Wagner seinem Chef als Komponist zu Diensten. So hat Wagner kurz nach seinem Dienstantritt in Riga eine Bassarie WWV 43 als Einlage zu dem Liederspiel Holteis Mary, Max und Michel geschrieben.138 Ein Grund für die Spannungen zwischen Wagner und der Theaterdirektion, die zum Ende seines Engagements auftraten, war sicherlich seine finanzielle Unsolidität. Wie wir aus einem Brief an Johann Hoffmann wissen, der wohl vom Februar 1839 stammt, hatte Wagner von Holtei Vorschüsse auf sein Gehalt bekommen und war nicht imstande, sie wieder zurückzuzahlen.139 Und trotz seiner gründlichen Arbeit mit den Sängern und dem Orchester erfüllte er die Erwartungen, die man im 19. Jahrhundert gemeinhin an einen Musikdirektor stellte, nicht. So schrieb er mit Ausnahme von ein paar kleinen Einlagen keine vollständige Schauspielmusik oder irgendein anderes Werk für sein Theater.140 Wahrscheinlich mangelte es ihm hierfür an Zeit, denn Wagner hatte mittlerweile Großes vor mit seinem seit Sommer 1837 im Entstehen befindlichen Fünfakter Rienzi, der Letzte der Tribunen WWV 49. Angeregt worden war seine Große Oper von zwei aufwendigen Aufführungen, einer der Jüdin von Halévy in Dresden – ein Werk, das Wagner zeitlebens schätzte –, und einer des Fernand Cortez von Spontini in Berlin. Auch mit den anderen wichtigsten Werken dieses Genres, allen voran Aubers Die Stumme von Portici und möglicherweise auch mit der Musik zu Meyerbeers Die Hugenotten141 war Wagner zu dieser Zeit schon vertraut. Große Opern wie diese wurden, trotz ihrer immensen Anforderungen an Sänger, Orchester und Bühnenmaschinerie, schon bald nach ihrer Uraufführung an der Grand Opéra in Paris überall in Deutschland, selbst in den kleinen Theatern in der Provinz, gespielt, sodass Wagner sie sowohl als Zuschauer als auch als Ausübender kannte. Giacomo Meyerbeer war denn auch derjenige Komponist in Paris, zu dem Wagner eine Verbindung herzustellen versuchte, und zwar schon während seiner Zeit in Königsberg,142 ebenso wie zu dem Librettisten, Würzburg, Magdeburg, Königsberg, Riga (1832–1839)  53

der wie kein anderer das Genre der Großen Oper mitbestimmt hatte: Eugène Scribe. An ihn hatte sich Wagner bereits zuvor mit der Bitte gewandt, seine Partitur des Liebesverbots durchzusehen und sie an Meyerbeer zur Begutachtung weiterzureichen.143 Sie blieb unerfüllt. Bereits vor seinem Engagement in Riga hatte Wagner also ehrgeizige Pläne, indem er sich an der ambitioniertesten musiktheatralischen Gattung seiner Zeit zu versuchen begann. Rienzi wäre allein schon von der Besetzung her niemals in Riga aufzuführen gewesen. Hier standen Wagner gerade einmal 24 Orchestermusiker,144 und dazu noch in einem räumlich eng begrenzten Lokal, zur Verfügung, während seine Partitur allein für die Bühnenmusik schon 12 Blechbläser und 14 Trommeln vorsieht, von den prunkvollen Bühneneffekten, dem Ballett im zweiten Akt, den langen Chorszenen und der großen Anzahl von Solisten, die ihre langen und schweren Partien gegen ein großes Orchester anzusingen haben, einmal ganz abgesehen. Trotz dieser Unmöglichkeiten setzte Wagner die Arbeit an diesem großen Projekt, das ihn für ungefähr dreieinhalb Jahre als Komponist voll und ganz in Anspruch nahm, unbeirrt fort. Es ist nicht ganz klar, ob sich seine Hoffnungen dabei von Anfang an auf Paris gerichtet hatten oder ob er dieses Werk ursprünglich der Berliner Hofoper anzubieten gedachte. Während seiner Zeit in Riga wurden die Pariser Pläne dann aber immer konkreter. Wagner begann französisch zu lernen und übersetzte Teile seines Rienzis selber ins Französische.145 Mit anderen Worten: Seine Flucht von der Peripherie mitten hinein ins Zentrum des Opernlebens war wohlvorbereitet, vielleicht sogar von langer Hand geplant. In jedem Fall fand sie in aller Heimlichkeit statt.

54  Der junge Theaterkapellmeister

3. Paris – Ein Wendepunkt (1839–1842)

Baldige Ernüchterung: Wagners Ankunft in Paris Wagners Flucht von Riga über die russische Grenze nach Ostpreußen, über die Ostsee nach Norwegen und die Nordsee nach London und schließlich nach Paris kann wie sein gesamtes Vorhaben, das er damit verfolgte, mit einem einzigen Wort umschrieben werden: abenteuerlich. Wagner setzte alles auf eine Karte, genauer gesagt, auf eine noch nicht einmal annähernd vollendete Oper, die, wie er hoffte, am damals besten und exklusivsten Opernhaus der Welt, der Grand Opéra in Paris, zur Uraufführung kommen sollte. Er hinterließ in Riga etliche Schulden und begab sich mit seiner Frau auf diese Reise, ohne über irgendwelche konkreten Zusagen oder persönlichen Kontakte in der Pariser Opernszene zu verfügen, ohne die französische Sprache gut zu sprechen und ohne wirkliche Referenzen; Wagner konnte zu diesem Zeitpunkt weder auf eine Oper noch ein anderes dramatisches oder musikalisches Stück aus seiner Feder verweisen, das den Parisern bekannt gewesen wäre; selbst in Deutschland hatte er sich ja noch keinen Namen gemacht. Bis auf die missglückte Magdeburger Uraufführung seines Liebesverbots war keine seiner Opern überhaupt jemals zur Aufführung gelangt. Kein weiteres Theater hatte sich, trotz seiner Bemühungen, seitdem für seine zweite Oper interessiert, und für seine erste Oper interessierte sich Wagner wiederum nicht mehr. Angesichts seines verwegenen Versuchs verwundert es nicht, dass ihm und Minna in Paris harte Jahre bevorstanden, die von chronischem Geldmangel, Rückschlägen und Misserfolgen gekennzeichnet waren. Wagners längster Parisaufenthalt war zugleich sein schwerster, und dennoch sollte es diese Stadt sein, in die er immer wieder gerne zurückkehrte und die ihm von allen Großstädten, die er kannte, die liebste war.146 Dabei ließen sich die Dinge zu Anfang gar nicht so schlecht an. Zufällig traf Wagner bei seiner Ankunft in Frankreich in Boulogne-surmer auf seinen berühmten Landsmann Giacomo Meyerbeer und durfte ihm bei dieser Gelegenheit sogar aus seinem Rienzi vorlesen. Meyerbeer Ein Wendepunkt (1839–1842)  55

stellte Wagner in den folgenden Jahren Empfehlungen aus und war auch eine wichtige Autorität im Hintergrund, als man sich 1842 in Dresden entschloss, die Uraufführung von Rienzi in Angriff zu nehmen. Wagners Briefe an Meyerbeer aus diesen Jahren sind von Bewunderung und Re­spekt gekennzeichnet. Umso krasser stechen seine Attacken gegen Meyerbeer, die er nach der Märzrevolution lancierte, von dem schon fast unterwürfigen Tonfall in diesen Briefen ab, von denen Wagners bekanntester und berüchtigtster Ausfall Das Judentum in der Musik ist. Wie ein Tagebucheintrag Meyerbeers belegt, war er über Wagners plötzliche Feindseligkeit ehrlich erschüttert und hatte keine rechte Erklärung dafür.147 In der Tat fällt es schwer, eine solche zu finden. Ein möglicher Grund könnte gewesen sein, dass Wagner nach der Rienzi-Uraufführung in Deutschland als ein Epigone und Günstling Meyerbeers angesehen wurde, wie beispielsweise Kritiken in der von Robert Schumann herausgegebenen Neuen Zeitschrift für Musik zeigen.148 Dieses Bild entsprach zumindest während Wagners Pariser Jahren den Tatsachen. Meyerbeer war Wagner z. B. nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland behilflich, beispielsweise indem er sich für die Uraufführung des Fliegenden Holländer in Berlin einsetzte, auch wenn diese letztlich nicht zustande kam.149 Möglich ist auch, dass sich Wagner, dessen fulminanter Durchbruch als Librettist und Komponist in Deutschland mit der Dresdner Uraufführung des Rienzi im Jahre 1842 erfolgte, sich mit seiner Polemik lautstark von der Großen Oper distanzieren wollte, wobei er seine drastischen Urteile mit antisemitischen Ressentiments durchsetzte und das auf eine giftige und hämische Art und Weise, die vor dem Hintergrund der grausamen Ereignisse des 20. Jahrhunderts beim heutigen Leser nur Entsetzen auszulösen vermag. Neben seinem mächtigen Beschützer Meyerbeer war Wagner sogleich nach seiner Ankunft in Paris darum bemüht, mit den Kräften der Grand Opéra und anderer Bühnen in Verbindung zu treten, und versuchte, wenn auch vergeblich, sein Liebesverbot zur Aufführung zu bringen. Es gab Pläne, das Stück am Théâtre de la Renaissance aufzuführen, nachdem Wagner von Deutschland aus versucht hatte, die Opéra comique für seine komische Oper zu interessieren, jedoch ohne Erfolg. Bei dem Théâtre de la Renaissance handelte es sich zum einen um eine bescheidenere Spielstätte, an der das Vaudeville seine Heimstatt hatte, zum anderen um ein vom Bankrott bedrohtes Haus, wie Wagner, entgegen seiner 56  Paris

Angaben in Mein Leben, schon eine Weile vor der dann tatsächlich eingetretenen Zahlungsunfähigkeit wusste, die seine Pläne durchkreuzte. Im Übrigen war ihm Meyerbeer dabei behilflich, mit dem Direktor dieses Theaters, Anténor Joly, in Verbindung zu kommen.150 Zusätzlich zu Meyerbeer machte Wagner in dieser Zeit offenbar auch die Bekanntschaft eines weiteren prominenten Komponisten der Großen Oper, nämlich Jacques Fromenthal Halévys, der Komponist der Jüdin, sowie Franz Liszts und des Textbuchverfassers Théophile Marion Dumersan. Gemeinsam mit Letzterem machte sich Wagner an ein neues musikdramatisches Projekt, freilich keine Oper, sondern ein Vaudeville, also eine nach heutigen Maßstäben eher der Revue als der Oper verwandte ‚leichte‘ dramatische Gattung, für die Wagner spätestens bei diesem er­sten Parisaufenthalt eine Vorliebe entwickelte: „Mehr [als die großen] gefielen mir die kleineren Theater, welche mir das französische Talent in seinem rechten Lichte zeigten“.151 Dumersan war für dieses Vorhaben ohne Zweifel der rechte Mann, denn er verfügte über hervorragende Kontakte und „war Verfasser einiger 100 Piècen für die kleinen Vaudeville-Theater.“152 Wagners Musik zu Dumersans Vaudeville La descente de la courtille beschränkte sich dann lediglich auf eine Chornummer, Descendons gaiment la courtille WWV 65, die er als Kostprobe für das Théâtre des Variétés schrieb, welches Wagners Musik als zu schwer ablehnte.153 Ebenso erging es Wagner mit seinen in Paris geschriebenen französischen Liedern WWV 53 bis 58 und 61. Zwar versuchte er hier wie bei seinem Vaudeville, so einfach wie möglich zu komponieren, musste dann aber erkennen, dass die Lieder „trotz meiner entgegengesetzten Absicht zu ungewohnt und schwer erschienen, um endlich gesungen zu werden.“154 Wagner war mit diesen Gesangskompositionen bei so berühmten Pariser Sängern wie Pauline Viardot und Alexis Dupont vorstellig geworden, die damit jedoch nicht viel anfangen konnten;155 generell war Wagner auch in Paris um persönliche Kontakte zu Sängern bemüht – er schrieb etwa an Julie Dorus-Gras wegen einer Probeaudition mit Ausschnitten aus dem Liebesverbot156–, indes blieben seine Versuche allesamt erfolglos. Zum ersten Mal in seinem Leben stand er damit nicht mehr im direkten Austausch mit Theatersängern und Schauspielern, so wie er es im Prinzip von Geburt an getan hatte. Der Grund, weshalb er in dieser Hinsicht und auch als Komponist nicht in Paris durchdringen konnte, liegt auf der Hand: Wagner hatte mit der Ein Wendepunkt (1839–1842)  57

französischen Sprache viel zu wenig Erfahrung, um sich als Komponist von Vokalmusik in Frankreich profilieren oder Sänger für seine Lieder und Opern interessieren zu können. Seine Kompositionen auf französische Texte konnten den Konventionen allein schon deshalb nicht genügen, weil er sich bisher mit der französischen Oper nur in deutschen Übersetzungen beschäftigt hatte. Er muss schmerzlich empfunden haben, dass er mit seinen mangelnden Sprachkenntnissen und trotz seines mächtigen Protektors und seiner zweifelsohne hochgesteckten Erwartungen in Paris ziemlich außen vor blieb. Wagner sah sich deswegen gezwungen, jeden auch noch so bescheidenen Auftrag, der ein wenig Geld versprach, anzunehmen, bei dem Französischkenntnisse nicht vonnöten waren. Neben Arrangements von Opernmelodien für das damals populäre Cornet à pistons – eine Art Trompete –, für Klavier solo und andere Besetzungen, von denen möglicherweise nur noch ein Teil nachweisbar ist, weil er sie ohne Nennung seines Namens veröffentlicht haben wollte,157 schrieb Wagner auch Rezensionen für die deutsche Zeitschrift Europa, die in Dresden erscheinende Abendzeitung und Maurice Schlesingers Gazette musicale, um sich finanziell über Wasser zu halten. Und er schrieb einen Entwurf für ein neues Opernlibretto, den er bei der Grand Opéra einreichte und der sogar angenommen wurde. Es handelte sich dabei um einen Entwurf zum Fliegenden Holländer, den dann jedoch nicht Wagner, sondern Philippe Louis Dietzsch mit dem Titel Le vaisseau fantôme vertonen sollte, da man sich in Paris schwerlich einen komponierenden Librettisten vorstellen konnte. Selbstverständlich übertrug man auch die Ausarbeitung des vollständigen französischen Opernlibrettos nicht Wagner. Doch nicht nur im professionellen, auch im privaten Bereich stellten seine mangelnden Sprachkenntnisse eine nahezu unüberwindliche Hürde dar. Wagner baute sich in dieser Zeit einen Kreis von Bekannten auf, der fast nur aus deutschen Emigranten bestand. Unter ihnen befanden sich Heinrich Heine, Heinrich Laube, der Maler Ernst Benedikt Kietz, der Schriftsteller Samuel Lehrs sowie die Familien seiner Schwestern Luise Brockhaus und Cäcilie Avenarius.

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Deutsche und französische Aufführungspraxis und die Erfindung des Sprechgesangs Trotz vieler unterschiedlicher Versuche blieb Wagner in Paris ein wirklicher Erfolg verwehrt. Offenbar scheint er schon wenige Monate nach seiner Ankunft von der Realität eingeholt worden zu sein und gab sich keinen Illusionen mehr hin, es hier noch zu etwas bringen zu können. Dafür gibt es mehrere Indizien: Er vollendete seinen Rienzi, von dem noch drei Akte zu vertonen waren, nicht auf Französisch, sondern auf Deutsch und wählte sich auch als nächstes großes Projekt eine Oper in deutscher Sprache und dazu noch eine romantische Oper, die, wie er in seiner Rezension einer französischen Freischütz-Aufführung von 1841 bemerkte, als Gattung in Frankreich weder verstanden noch sonderlich geschätzt, sondern vielmehr als ein kurioses exotisches Phänomen betrachtet wurde. Er scheint also seit 1840 in Paris mehr oder weniger abgewartet zu haben, dass sich ein deutsches Theater an seinen Rienzi wagen würde. Aus seinen in Paris geschriebenen Novellen Eine Pilgerfahrt zu Beethoven und Ein Ende in Paris spricht ein schon beinahe reumütig anmutendes Bekenntnis zu seiner deutschen Heimat, für die stellvertretend die Musik Beethovens steht, und Wagners Pariser Rezensionen wie auch seine Lebenserinnerungen lassen darauf schließen, dass das, was er an der Grand Opéra in Paris hörte und sah, wo er ja ursprünglich seinen Rienzi hatte aufführen lassen wollen, ganz und gar nicht seinen Erwartungen entsprach. Das ist insofern erstaunlich, als dieses Haus die besten Sänger, das größte und wohl auch technisch versierteste Opernorchester und die avancierteste Bühnentechnik der Welt beherbergte. Wie lässt sich Wagners Enttäuschung also erklären? Es gibt etliche Hinweise darauf, dass er mit dem Bühnenvortrag der Sänger an der Großen Oper nicht zurechtkam. Nehmen wir z. B. seine Kritik des bekannten Tenors Giovanni Battista Rubini in der Rolle des Don Ottavio im Don Giovanni. Wagner macht sich in einer seiner Pariser Rezensionen über dessen Gesang und gestische Ausdruckslosigkeit lustig, und dies mit einer nur beim jungen Wagner so zu findenden ironischen Eleganz, sodass es sich lohnt, dem Leser an dieser Stelle mit Hilfe eines längeren Zitates einen Eindruck davon zu geben: „Da kam er, der nüchterne, solide Mann, von der göttlichen Donna Anna leidenschaftlich am Arme herbeigezogen, und stand mit betrübter GemüthsEin Wendepunkt (1839–1842)  59

ruhe an der Leiche des verhofften Schwiegervaters, der ihm nun seinen Segen zur glücklichen Ehe nicht mehr geben sollte. Einige behaupteten, Rubini sei ein Schneider gewesen, und sähe auch noch so aus; ich hätte ihm dann aber mehr Gelenkigkeit zugetraut: wo er stand, da stand er, und bewegte sich nicht weiter; denn er konnte auch singen, ohne eine Miene zu verziehen; selbst die Hand brachte er nur äußerst selten nach der Stelle des Herzens. Dießmal berührte ihn nun der Gesang vollends gar nicht; seine ziemlich gealterte Stimme mochte er füglich zu etwas Besserem aufsparen, als seiner Geliebten hier tausendmal gehörte Trostworte zuzurufen. Ich verstand dieß, fand den Mann vernünftig, und da es durch die ganze Oper, sobald Don Ottavio dabei war, mit ihm so fortging, so vermeinte ich endlich, nun sei es aus, und frug mich immer dringender nur nach dem Sinne, dem Zwecke dieses sonderbaren abstinenzvollen Theaterabendes. Da regte es sich unversehends: Unruhe, Rücken, Winke, Fächerspiel, allerhand Anzeichen der plötzlich eingetretenen gespannten Erwartung eines gebildeten Publikums. Ottavio war allein auf der Bühne zurückgeblieben; ich glaubte, er wolle etwas annonciren, weil er hart an den Souffleurkasten vortrat: aber da blieb er stehen, und hörte ohne eine Miene zu verziehen dem Orchestervorspiele zu seiner B dur-Arie zu. Dieses Ritornel schien länger als sonst zu dauern; doch war dieß nur eine Täuschung: denn der Sänger lispelte die ersten zehn Takte des Gesanges nur so vollständig unhörbar, daß ich, als ich dahinterkam, daß er sich dennoch den Anschein des Singens gab, wirklich glaubte, der behagliche Mann mache Spaß. Doch blieben die Mienen des Publikums ernst; es wußte was vorging; denn auf dem eilften Gesangstakte ließ Rubini die Note F mit so plötzlicher Vehemenz anschwellen, daß die kleine zurückleitende Passage wie ein Donnerkeil herausfuhr, um mit dem zwölften Takte sogleich wieder im unhörbarsten Gesäusel zu verschwinden. Ich wollte laut lachen, aber Alles war wieder todtenstill: ein gedämpft spielendes Orchester, ein unhörbar singender Tenorist; mir trat der Schweiß auf die Stirn.“158 In Mein Leben behauptet Wagner, all die großen Opernbühnen von Paris gemieden zu haben, weil ihm die Art der dramatischen Darstellung ihrer prominenten Sänger nicht zusagte: „Die meist sehr berühmten Namen dieser Künstler [der italienischen Oper], welche seit langen Jahren beständig gewisse vier Opern sangen, konnten mich für den wahrgenommenen Mangel jeder selbst gemeinen theatralischen Wärme, welche ich doch so ungemein bei den 60  Paris

Leistungen der Schröder-Devrient genossen hatte, nicht entschädigen. Ich sah wohl ein, dass hier eben Alles im Verfall begriffen sei“.159 Bei seinem Urteil ist in Anschlag zu bringen, dass Wagner vor seinem Parisaufenthalt mit wenigen Ausnahmen kaum mit nicht-deutschen Sängern zu tun gehabt hatte. Man kann daher annehmen, dass es der im ersten Kapitel näher beschriebene Typus des deutschen Sänger/Schauspielers war, der seine Anschauungen prägte, der sich durch sprecherische und darstellerische Versiertheit auszeichnete. Es ist überaus bezeichnend, dass Wilhelmine Schröder-Devrient seinen Referenzpunkt bei der Beurteilung dramatischer Darstellung in Paris bildete, die ihrerseits in Frankreich mit ihrer Art des dramatischen Ausdrucks nicht auf Zuspruch stieß. Als sie in den 1830er Jahren ein Gastspiel in Paris gab, bemängelte ein Kritiker: „[…] ihr Spiel ist den Regeln der Kunst durchaus nicht angemessen.“160 Möglicherweise war es das erste vollständig nicht-deutsche Opernensemble, das Wagner bei seinem ersten Besuch der Oper in Paris zu Gesicht bekam. Seine Urteile, wie er sie in seinen Briefen und Rezensionen dieser Jahre niederlegte, passen mit denjenigen eines seiner deutschen Theaterkollegen zusammen, der ebenfalls zu genau dieser Zeit in Paris weilte und dessen familiärer und beruflicher Hintergrund demjenigen Wagners stark ähnelt: Eduard Devrient. Seine später veröffentlichten Briefe aus Paris, die unabhängig von Wagners Aufzeichnungen entstanden, sprechen genau die gleiche Sprache. Aus Wagners und Devrients Zeugnissen geht hervor, dass sich der deutsche und der französische Bühnenvortrag im Theater und der Oper fundamental voneinander unterschieden haben. Nimmt man noch ein paar französische Dokumente aus dieser Zeit hinzu, welche die deutsche Vortragspraxis zum Gegenstand haben, ergibt sich folgendes Bild: Im Hinblick auf das Ensemblespiel, also die von einem Regisseur gelenkte Interaktion zwischen den einzelnen Akteuren, gestanden Wagner wie Devrient die vollständige Überlegenheit der französischen Verhältnisse ein. Beide sollten sich als Regisseure und Theatertheoretiker nach ihrer Zeit in Frankreich gegen das in Deutschland vorherrschende sogenannte ‚Virtuosentum‘ wenden, d. h. gegen die Tradition, im Theater dem bekanntesten Darsteller einer Produktion im Hinblick auf den Text, die Ausstattung und auch im Zusammenspiel mit seinen Kollegen große Freiheiten für seine Auftritte einzuräumen, was dazu führte, dass eher diese ‚Stars‘ als ihre Rolle oder das Stück im Zentrum des Publikumsinteresses standen. Ein Wendepunkt (1839–1842)  61

De­vrient wie Wagner traten stattdessen für die Schaffung einer Instanz ein, die dem französischen Regisseur entsprach, also dafür, dass ein an der Aufführung nicht beteiligter, mit den Intentionen des Autors vertrauter und natürlich schauspielerisch kompetenter Betreuer die Proben überwachte und das Zusammenspiel der Akteure verbindlich festlegte. Etwas derartiges gab es zu dieser Zeit in Deutschland noch nicht; dort hatte jemand, der als „Regisseur“ bezeichnet wurde, lediglich auf die äußere Probendisziplin zu achten, etwa auf den pünktlichen Beginn der Proben, aber keinerlei Macht, den Darstellern ihr Spiel vorzuschreiben. Zumeist waren es alte ehemalige Schauspieler, die in Deutschland diese Funktion übertragen bekamen. Abgesehen von dieser Einrichtung des Regisseurs erschien aber weder Wagner noch Devrient der französische Vortragsstil, vor allem der in der Tragödie, als nachahmenswert. Beide empfanden ihn als zu „kalt“, also als zu wenig empfunden und ausdrucksvoll, als manieriert und zu sehr kalkuliert. Umgekehrt sprechen die französischen Quellen von dem rohen oder groben deutschen Vortragsstil dieser Zeit, der nach französischen Maßstäben beängstigend pathetisch, ungehobelt und lärmend war.161 Für diese Unterschiede in der gegenseitigen Wahrnehmung von deutschem und französischem Theater mögen in der Hauptsache zwei Dinge verantwortlich gewesen sein: Zum einen gab es in Paris schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts eine institutionalisierte und spezialisierte Schulung von Schauspielern und Sängern. Die Gesten und Mienen der Darsteller wurden normiert und folgten, wie man annehmen darf, den Regeln des gesellschaftlich höheren Anstandes. Es ist möglich, dass das Ballett hier als wichtiges Vorbild diente, das ja in Frankreich eine lange höfische Tradition hatte; sie lässt sich bis auf den ‚Sonnenkönig‘ Louis XIV., der selber Balletttänzer war, zurückführen, seit dessen Regentschaft das Ballett auch einen Platz in der französischen Oper bekommen hatte. Demgegenüber herrschte in Deutschland relativer Wildwuchs auf dem Theater. Es gab keine reguläre Ausbildung zum Sänger und Schauspieler – wie bereits gezeigt wurde noch nicht einmal eine Trennung dieser beiden Berufe –, und das Publikum schien hier eher auf spektakuläre Einzelleistungen bekannter Darsteller und großen Ausdruck Wert zu legen. Zum anderen sind auch Unterschiede der Sprachmelodie des Französischen und Deutschen zu berücksichtigen. Im Deutschen spielt die scharfe und deutliche Akzentuierung von Wörtern eine viel größere Rolle als im 62  Paris

Französischen. Wie Devrients in Paris gesammelte Erfahrungen und desgleichen Wagners Ausführungen in Oper und Drama zeigen, war es für beide überaus irritierend, dass die Hauptbetonungen im Französischen schematisch stets am Satzende platziert werden, nicht auf den von Wagner so bezeichneten „Wurzelsilben“ wie im Deutschen.162 Mit den Betonungen zentraler Wörter waren in der deutschen Deklamation des frühen 19. Jahrhunderts aber auch die Gesten rhythmisch verbunden, beispielsweise bei lautmalerischen Hervorhebungen. So war es üblich, ein Wort wie „erhebt“ bei starker Betonung der zweiten Silbe mit einer entsprechenden Handbewegung zu begleiten, das Wort „öffnen“ mit einem Öffnen der Arme usw. Außerdem ist der Konsonantenreichtum und die kräftige Aussprache der Konsonanten, die der gesprochenen deutschen Sprache ein expressives Moment verleihen, wie Wagner richtig erkannte, im Französischen nicht gegeben. Das klangliche Potenzial dieser Eigenschaft des gesprochenen Deutschen sollte er sich dann im Stabreim seines Ring zunutze machen, der von Zeitgenossen Wagners als wirkliche und willkommene Bereicherung der deutschen Dichtung begrüßt wurde,163 auch wenn er bereits damals zu Spott Anlass gab und die Euphorie seiner Mitwelt heutzutage nur noch schwer nachvollziehbar erscheinen mag. Es waren also Beobachtungen wie diese, die Wagner in Paris machte, und sie haben sich in grundlegender Weise in seiner Art zu komponieren niedergeschlagen. Es ist davon auszugehen, dass sein Ohr hinsichtlich des Sprech- und Gesangsvortrages fein genug war, um schnell zu erkennen, dass er, der er im Französischen nicht sonderlich firm war, keine Chance haben würde, einen französischen Text den dortigen Gepflogenheiten entsprechend zu vertonen. Das war aber für einen Opernkomponisten natürlich essenziell. Als er sich an seinen französischen Liedern und dem Vaudeville versuchte, fand er diese Befürchtungen bestätigt. Dennoch ließ sich Wagner nicht den Mut nehmen und scheint sich vorgenommen zu haben, seine deklamatorische Begabung produktiv zu nutzen, als er dieser Unterschiede innewurde. Man kann eine gewisse trotzige Attitüde bei ihm in diesen Jahren nicht verkennen. Seine Rezensionen für die deutschen Zeitschriften wie auch seine beiden in Paris geschriebenen Novellen können als demonstrative Huldigungen der deutschen Musik und des deutschen Theaters gelesen werden, das er, trotz seiner Mängel, in einigen Punkten dem französischen Ein Wendepunkt (1839–1842)  63

gegenüber als überlegen erachtete. Mitten in Frankreich vollendete er eine Große Oper, Rienzi, und schrieb eine romantische Oper, Der fliegende Holländer WWV 63, auf Deutsch; die romantische Oper als solche wurde von Wagner als genuin deutsche Gattung aufgefasst, wie seine ironische Rezension der französischen Aufführung des Freischütz belegt. Die Worte, mit denen er sie einleitet, sind in dieser Hinsicht unmissverständlich: „Sie haben ihn nicht todt machen können, unseren lieben herrlichen Freischützen!“164 Es war in Paris, als Wagner eine Erfindung machte, die für sein Schaffen von großer Bedeutung wurde und die auf das Innigste mit der klanglichen Gestalt der gesprochenen deutschen Sprache verbunden ist: den Sprechgesang. Wagner beschrieb in seinem autobiografischen Text Eine Mittheilung an meine Freunde diese Erfindung im Rückblick mit den Worten, er habe im Fliegenden Holländer zum ersten Mal Gesangsmelodien „aus der gefühlvoll vorgetragenen Rede […] entstehen“ lassen.165 Unter „gefühlvoll vorgetragener Rede“ ist hier nichts anderes als die Wagner geläufige, ausdrucksvolle deutsche Art der Deklamation zu verstehen, die an sich bereits einige musikalische Qualitäten aufweist und im ersten Kapitel näher beschrieben wurde. Lässt sich diese Beobachtung, die Wagner an seinem eigenen Werk machte, auch durch eine Analyse der Partitur bestätigen? Oder anders gefragt: Wie und wo lassen sich die Einflüsse dieses vergangenen Deklamationsstils im Fliegenden Holländer greifen?

Der Holländer-Monolog: Eine Detailbetrachtung Die Frage nach dem Ort ist leicht zu beantworten. Der Fliegende Holländer ist der Sprachvertonung nach zum allergrößten Teil noch eine konventionelle Oper. D. h., es kommen im Gesang operntypische Versund Abschnittwiederholungen, Dreiklangs- und Skalenmelodik, Melismen – also mehrere Töne pro Silbe –, Arien, Ensembles usw. vor. Ganz grob vereinfacht gesagt, wird an solchen Stellen die menschliche Stimme nach Art eines Instrumentes eingesetzt, also mit Verzierungen, virtuosen Läufen, weiten Sprüngen, extremen Lagen, spektakulären dynamischen Effekten, bestimmten Floskeln – vor allem am Schluss einer Nummer –, was zur Folge hat, dass eher die musikalische Substanz als der Textvortrag im Vordergrund steht. Lediglich ein Abschnitt fällt im Fliegen­den 64  Paris

Holländer hierbei aus dem Rahmen: der sogenannte Monolog des Holländers im ersten Akt „Die Frist ist um“. Eine nähere Betrachtung dieses Abschnitts zeigt, dass Wagner hier die Tonhöhenverläufe, die Betonungen, das Verhältnis von langen zu kurzen Silben, von Laut und Leise sowie die Pausen exakt nach dem Vorbild der gesprochenen deutschen Sprache gestaltet hat. Der erste Vers „Die Frist ist um“ ist auf einem Ton – und damit im übertragenen wie im wörtlichen Sinne monoton, eintönig – zu singen, in relativ tiefer Lage und ohne Orchesterbegleitung, was dem Sänger erlaubt, so leise wie möglich anzuheben. Den ersten Auftritt des Holländers stellte sich Wagner, wie weiter unten ausgeführt wird, als den eines völlig Erschöpften vor, womit seine Wahl der kompositorischen Mittel zu erklären ist. Das trifft auch auf den nächsten Vers „und abermals verstrichen sind sieben Jahr“ zu. Hier hat Wagner die langen Silben „ab-[ermals]“ und „sie-[ben] Jahr“ mit den längsten Tönen der Phrase versehen, nämlich mit Achteln, während der Rest der Phrase aus Sechzehnteln besteht. Gerade in Hinsicht dieser Verhältnisse von Längen und Kürzen nach dem Vorbild des gesprochenen Deutschen ist Wagner in all seinen späteren Werken enorm gründlich gewesen. Aus der Ruhe der ersten Verse sticht dann der im Forte zu singende Ausruf „Ha! Stolzer Ozean!“ hervor. Er wird als Ruf musikalisch charakterisiert, nicht nur durch die Lautstärke, sondern auch die plötzlich höhere Lage, die bis hierhin noch nicht erklang, und bekommt durch das eine Achtelnote vorgezogene „Ha!“, das synkopisch zu singen ist, etwas rhythmisch Vorwärtsdrängendes. Dieser Ausruf imitiert das leichte Sinken der Stimme: Viermal hintereinander ist das c’ zu singen, an das zweimal h anschließt. Einen ersten klanglichen Höhepunkt erreicht diese Einleitung bei den Worten „Dein Trotz ist beugsam“. Hier wird zur lauten Orchesterbegleitung das höchste Register der Baritonstimme berührt, das es’, die Note auf „Trotz“ ist recht lang – eine punktierte Viertelnote –, und erlaubt dem Interpreten, sie breit und laut voll auszusingen. Im Gegensatz zu dieser sich förmlich aufbäumenden Passage, bei der jeder Sänger sich unwillkürlich strecken wird – was von Wagner mit aller Wahrscheinlichkeit berücksichtigt wurde, als er sie schrieb166 –, stellt die nächste ein musikalisiertes In-sich-Zusammensinken dar. Der Vers „doch ewig meine Qual“ fällt wieder in das mittlere und tiefe Register zurück, wird decrescendo, also leiser werdend, begleitet und endet mit einem Halbtonschritt nach unten. Bemerkenswert ist das lautmaleEin Wendepunkt (1839–1842)  65

2a und 2b. Notenbeispiel: Monolog des Holländers im ersten Akt

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risch komponierte „e-[wig]“. Hier hat Wagner die längste Note dieser Einleitung vorgesehen, womit durch die lange Dauer des Tons die Bedeutung des Wortes „ewig“ versinnbildlicht wird; in dieser Art hat man schon im Barock den Gehalt einzelner Wörter musikalisiert.167 Alle Verse sind durch Pausen voneinander getrennt. Wagner hat auch in späteren Werken stets darauf geachtet, dass alle syntaktischen Zeichen wie Punkte, Kommata usw. durch Pausen verdeutlicht werden, was der sprecherischen Praxis seiner Zeit entsprach. Goethe veröffentlichte ein entsprechendes Schema für Schauspieler.168 Diese Art von Pausen bei Wagner verdeutlichen also die Syntax. Es gibt darüber hinaus in Wagners Vokalmelodien eine andere Kategorie von Pausen, die stockende oder kraftlose Rede imitieren, indem sie eine eigentlich zusammenhängende musikalische Phrase zerteilen. Das ist beispielsweise bei der Partie des Amfortas im Parsifal oder des siechen Tristan im dritten Aufzug des Tristan der Fall, die gewissermaßen nach Atem ringen. Dieser musikanalytische Exkurs möge genügen, um die Grundzüge des Sprechgesangs zu skizzieren. Im weiteren Verlaufe wird nur noch vereinzelt auf bestimmte musikalische Merkmale dieser für Wagner typischen Art der Sprachvertonung eingegangen.169 Doch damit nicht genug: Nicht nur die hörbare, auch die sichtbare Seite der Deklamation, die Gebärden und Bewegungen des Darstellers, hat Wagner im Monolog des Holländers exakt vorgegeben, wie seine 1852 verfasste Schrift Bemerkungen zur Aufführung der Oper ‚der fliegende Holländer‘ beweist. Wagner wollte mit dieser Schrift gewissermaßen Fernregie führen. Als politischem Flüchtling war es ihm damals nicht möglich, nach Deutschland zu reisen, und so versuchte er aus seinem Schweizer Exil heraus mit Hilfe dieses Textes allen den Theatern, die den Fliegenden Holländer aufführen wollten, seine Intentionen als Regisseur zu verdeutlichen. Bevor er diesen Text schrieb, hatte Wagner selbst die Oper 1843 in Dresden uraufgeführt und 1852 die Zürcher Erstaufführung betreut. Seine Erfahrungen aus diesen beiden Regiearbeiten dürften in seine Schrift eingeflossen sein, und man bekommt einen guten Eindruck davon, wie genau er mit seinen Sängern als Regisseur gearbeitet haben muss, auf welche Dinge er achtete und welche unterschiedlichen Strategien er anwendete, um die Sänger in eine bestimmte Richtung zu lenken. Doch lassen wir hier der Anschaulichkeit halber Wagner selbst ausführlich zu Wort kommen: „Sein [des Hol68  Paris

länders] erster Auftritt ist ungemein feierlich und ernst: die zögernde Langsamkeit seines Vorschreitens auf dem festen Lande möge einen eigenthümlichen Kontrast mit dem unheimlich schnellen Daherlaufen des Schiffes auf der See bieten. Während der tiefen Trompetentöne (H-moll) ganz am Schlusse der Introduktion, ist er, auf einem von der Mannschaft ausgelegten Brete [sic!], vom Bord des Schiffes bis an eine Felsplatte des Ufers vorgeschritten: die erste Note des Ritornells der Arie (das tiefe Eis der Bässe) wird vom ersten Schritte des Holländers auf dem Lande begleitet; das schwankende seiner Bewegung, wie bei den Seeleuten, die nach langer Seefahrt zum ersten Male das Land betreten, begleitet wiederum musikalisch die Wellenfigur der Violoncelle und Bratschen: mit dem ersten Viertheile des dritten Taktes tut er den zweiten Schritt, immer mit verschränkten Armen und gesenktem Haupte; der dritte und vierte Schritt fällt mit den Noten des achten und zehnten Taktes zusammen. Von hier an folgt seine fernere Bewegung der Unwillkür des weiteren Vortrages, doch nie möge sich der Darsteller zu auffallender Lebhaftigkeit im Hin- und Herschreiten verleiten lassen: eine gewisse grauenhafte Ruhe in der äußeren Haltung, selbst bei der leidenschaftlichsten inneren Kundgebung des Schmerzes und der Verzweiflung, wird das Charakteristische seiner Erscheinung zur geeigneten Wirkung bringen. Die ersten Phrasen werden ohne die mindeste Leidenschaftlichkeit, wie von einem Übermüden (fast genau im Takte, wie überhaupt das ganze Rezitativ) gesungen; bei den, mit bitt’rem Grimme gesungenen Worten: ‚ha, stolzer Ozean‘ u.s.w. bricht er noch nicht in eigentliche Leidenschaft aus: mehr wie mit schrecklichem Hohne wendet er nur den Kopf halb nach dem Meere zurück. Während des Ritornells, nach: ‚doch ewig meine Qual‘, senkt er wieder, wie müde und traurig, das Haupt; die Worte: ‚euch, des Weltmeers Fluthen u.s.w. singt er so vor sich hinstarrend. Für die mimische Begleitung des Allegro’s: ‚wie oft in Meeres tiefsten Grund‘ u.s.w. will ich den Sänger nicht allzu eng in der äußeren Bewegung beschränken, doch halte er auch hierbei immer noch meine Hauptweisung fest, bei größter und ergreifendster Leidenschaftlichkeit, beim schmerzlichsten Gefühle, mit dem er den Gesangvortrag zu beleben hat, für jetzt noch die möglichste Ruhe in der äußeren Haltung zu bewahren: eine, jedoch nicht zu breite, Arm- und Handbewegung genüge für die einzelnen heftigen Accente des Vortrages. Selbst noch die Worte: ‚Niemals der Tod, nirgends ein Ein Wendepunkt (1839–1842)  69

Grab!‘, die allerdings mit gewaltigster Betonung gesungen werden müssen, gehören mehr nur noch der Schilderung seiner Leiden an, als einem wirklichen, unmittelbaren Ausbruche seiner Verzweiflung: zu diesem kommt er erst mit dem Folgenden, wofür daher die höchste Energie der Aktion aufgespart werden muß. Mit der Wiederholung der Worte: ‚dieß der Verdammnis Schreckgebot!‘ hat er den Kopf und die ganze Haltung des Körpers etwas tief geneigt: so verbleibt er während der ersten vier Takte des Nachspieles; mit dem Tremolo der Violinen (Es) vom fünften Takte erhebt er, bei dauernder tiefer Haltung des übrigen Körpers, den Blick aufwärts gen Himmel; mit dem Eintritt des leisen Paukenwirbels, im neunten Takte des Nachspieles geräth er in ein schauriges Zittern, die niedergehaltenen Fäuste ballen sich krampfhaft, die Lippen beben ihm, als er endlich (den starren Blick durchweg gen Himmel gerichtet) die Phrase: ‚Dich frage ich‘ u.s.w. beginnt. Diese ganze, fast unmittelbare Anrede an den ‚Engel Gottes‘ muß, bei dem furchtbarsten Ausdrucke, mit dem sie gesungen wird, in der angegeben Stellung (ohne auffallende andere Veränderung derselben, als der nothwendige Vortrag es an einzelnen Stellen erfordert) ausgeführt werden: wir müssen einen ‚gefallenen Engel‘ selbst vor uns sehen, der aus fürchterlichster Qual heraus der ewigen Gerechtigkeit seinen Grimm kundgiebt. Endlich aber bei den Worten: ‚Vergeb’ne Hoffnung‘ u.s.w. macht sich die ganze Kraft seiner Verzweiflung Luft: wüthend richtet er sich auf, und mit der energischsten Aktion des Schmerzes stößt er, das Auge immer noch auf den Himmel gerichtet, alles ‚vergeb’ne Hoffen‘ von sich: er will nichts mehr von der verheißenen Erlösung wissen, und sinkt nun (mit dem Eintritte des Paukenwirbels und der Bässe) wie vernichtet zusammen. Bei dem Eintritte des Allegro-Ritornells beleben sich seine Züge wie zu einer neuen, grauenvoll letzten Hoffnung, der Hoffnung auf den Weltuntergang, an welchem doch auch er vergehen müsse. Dieses Schluß-Allegro bedarf jetzt der schrecklichsten Energie im Gesangsvortrage, wie in der mimischen Aktion; denn hier ist Alles unmittelbarer Affekt. Der Sänger mache es aber doch möglich, dieß ganze Tempo, trotz aller Gewalt des Vortrages, nur wie ein Zusammenfassen aller Kraft erscheinen zu lassen, die ihren stärksten, zermalmendesten Ausbruch erst auf den Worten: ‚Ihr Welten! Endet euren Lauf !‘ u.s.w. erhält. Hier muß die Erhabenheit des Ausdrucks auf ihrem höchsten Gipfel sein. Nach den Schlußworten: ‚ewige Vernichtung, nimm mich auf !‘ bleibt er in großer Stellung, fast wie eine 70  Paris

Bildsäule, während des ganzen Fortissimo’s des Nachspieles, stehen: – erst mit dem Eintritte des Piano’s während des dumpfen Gesanges aus dem Schiffsraume, läßt er allmählich in der Kraft der Stellung nach; die Arme sinken ihm; bei den vier Takten espressivo der ersten Violine senkt er matt das Haupt, und wankt unter den letzten acht Takten des Nachspieles nach der Felsenwand zur Seite hin: hier lehnt er sich mit dem Rücken an, und verbleibt nun, die Arme auf die Brust verschränkt, lange in dieser Stellung. – Ich habe diese Scene so ausführlich besprochen, um an ihr zu zeigen, in welchem Sinne ich den Holländer dargestellt verlange, und welches Gewicht in der sorgfältigsten Übereinstimmung der Aktion mit der Musik liegt“.170 Diese lange Textpassage wie auch die Sprachvertonung dieser Verse zeigen vor allem eines: dass Wagner bis ins kleinste Detail hinein von einer ganz bestimmten sprecherisch gefärbten musikalischen und gestischen Repräsentation seines Textes ausging. Das tat er immer, wenn er Regie führte, und, wie im übernächsten Kapitel gezeigt werden wird, auch, wenn er seine Musik komponierte. Im Holländer-Monolog ist buchstäblich jeder einzelne Schritt exakt vorgegeben, jede Kopfbewegung, der Habitus der Figur, der Gesichtsausdruck, aber auch die Emotionen, die der Sänger bei dem Vortrag dieser Passage zum Ausdruck bringen sollte.

Ein Ende in Paris – und ein Neuanfang als Musikdramatiker Wagners Pariser Hungerjahre brachten ihn als Komponist wie auch als Dramatiker ein gehöriges Stück weiter. Ohne Übertreibung kann man von einem Wendepunkt in seiner musikalischen und theatralischen Entwicklung sprechen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Neben dem neuen und – wie sich später zeigen sollte – zukunftsträchtigen Verfahren der Gewinnung seiner Musik aus dem theatralischen Sprechen markieren seine Pariser Jahre das Ende seiner in stilistischer Hinsicht ausgesprochen offenen und im Hinblick auf die Gattungen experimentierfreudigen Jahre. Wagner hatte sich vor seiner Rückkehr nach Dresden im Jahre 1842 an allen möglichen musiktheatralischen Genres versucht: der Schauspielmusik, der Oper, dem Liederspiel, dem Vaudeville und das Ein Wendepunkt (1839–1842)  71

sowohl im tragischen als auch im komischen Genre. Damit war nun einfür allemal Schluss. Er konzentrierte sich fortan auf die romantische Oper – allerdings nicht der Tradition folgend mit gesprochenen Dialogen, sondern in durchkomponierter Form –, zu der seine nächsten drei unmittelbar nacheinander geschriebenen Werke Der fliegende Holländer, Tannhäuser und Lohengrin gehören, um danach in seiner zweiten Lebenshälfte nichts Geringeres als die Schaffung eines neuen musikalisch-dramatischen Genres ins Visier zu nehmen. Die Stoffe, derer er sich bediente, tragen von nun an mythologische Züge, und seit dem Holländer überarbeitete Wagner seine literarischen Vorlagen so sehr, dass man hier nicht mehr wie bei seinen drei ersten Opern von Handlungen nach einem bestimmten Autor sprechen kann, sondern von eigenständigen Dichtungen, die sich lediglich einzelner bereits vorhandener literarischer Motive, Stoffe oder Symbole bedienen. Außer Die Meistersinger von Nürnberg gehören, von ein paar Entwürfen abgesehen, außerdem alle seine reifen Werke in die Kategorie der Tragödie. Wagner hat in Paris seinen Weg als Musikdramatiker gefunden.

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4. Dresden – Ein Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)

Eine alte Bekanntschaft und die Dresdner Inszenierungspraxis: Ferdinand Heine Die Nachricht, dass Rienzi zur Aufführung an der Sächsischen Hofoper angenommen worden war, muss für Wagner und seine Frau eine Erlösung gewesen sein. Es war das erste Mal, dass ein Werk Wagners an einer bedeutenden deutschen Bühne aufgeführt werden sollte, was Renommee und Einnahmen versprach. Damit rückte ein Ende ihrer harten Pariser Zeit in Sicht. Bereits zuvor hatte Wagner wieder alte Bekanntschaften in Dresden aufgefrischt, unter denen sich diejenige mit Ferdinand Heine, einem Freund seines Stiefvaters Ludwig Geyer, als besonders wichtig erweisen sollte. Mit Heine korrespondierte Wagner von Paris aus über seine Besetzungswünsche für Rienzi und ließ sich über die Entscheidungen der Direktion unterrichten. Heine war gemeinsam mit Geyer als Schauspieler aufgetreten, bevor er sich als Bühnenbildner zu betätigen begonnen hatte. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Heine ein Büchlein über die Deklamation verfasste, das für den schulischen Gebrauch bestimmt war, betitelt Grundzüge eines Unterrichtsplanes in der Kunst des mündlichen Vortrages von 1859, in dem er fordert, der Sprechvortrag auf den deutschen Theaterbühnen solle als Grundlage einer noch zu definierenden deutschen Hochsprache dienen.171 Diese Forderung erwies sich als zukunftsträchtig, denn als man am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland Versuche unternahm, eine dialektfreie Aussprache des Deutschen festzulegen, war es tatsächlich die Theaterdeklamation, an der man sich orientierte;172 bis dahin hatte es als Folge der jahrhundertealten deutschen Kleinstaaterei noch kein normiertes Hochdeutsch gegeben. Heine gibt ein paar Beispiele für das Sprechen auf der Bühne, und man kann annehmen, dass er dabei auf seine eigenen Erfahrungen als Schauspieler zurückgreift, also Einzelheiten des Dresdner Deklamationsstils im frühen 19. Jahrhundert beschreibt, der auch Wagners war. Laut Heine ist „der künstlerisch vollEin Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  73

endete Redevortrag immer nur eine Art natürlicher Gesang“,173 d. h., ihm seien gewisse musikalische Qualitäten zu eigen. Tonmalereien seien zulässig, und Interpunktionen seien unbedingt durch Pausen deutlich zu machen,174 wie es Wagner in seiner Musik ja auch konsequent tat. Dieses Büchlein ist ein Dokument für den Dresdner Theatersprechstil im frühen 19. Jahrhundert, wo einerseits Elemente der sogenannten ‚realistischen‘ Richtung, wie sie etwa Ludwig Devrient in Breslau vertrat, vorzufinden waren,175 andererseits aber auch die Versmaße nach dem Vorbild der Weimarschen Schule schematisch kenntlich gemacht wurden.176 Im Zusammenhang mit Wagner ist außerdem noch Heines bühnenbildnerisches Wirken von Interesse, denn er erstellte die Kostüme und Szenendekorationen zu Wagners Tannhäuser anlässlich der Dresdner Uraufführung 1845, die in Form eines sogenannten Szenariums vervielfältigt und anderen Theatern, die sich an die Aufführung wagten, zugänglich gemacht wurden. Es war das einzige Mal während seiner gesamten Laufbahn, dass Wagner mit dem Bühnenbild eines seiner Werke restlos zufrieden war. Daher stellte er allen deutschen Theatern, die den Tannhäuser ins Programm nahmen, das Szenarium Heines zusammen mit seiner Regieschrift Über die Aufführung des ‚Tannhäuser‘ – dem einzigen Nachfolger seiner Schrift über die Aufführung des Holländer – zu, und zwar auf eigene Rechnung,177 und griff auch bei der von ihm betreuten berühmten Pariser Erstaufführung des Tannhäuser auf Heines Szenarium zurück. Es ist klar, dass es ihm darum ging, sein Werk nur in einer ganz bestimmten szenischen Realisierung auf die Mit- und Nachwelt kommen zu lassen. Ein paar dieser Tannhäuser-Szenarien Heines haben sich erhalten,178 sodass es uns vergönnt ist, uns ein ungefähres Bild von einer Opernaufführung zur Mitte des 19. Jahrhunderts zu machen. Was lässt sich dem Szenarium darüber entnehmen? Das Bühnenbild der 1845er Tannhäuser-Premiere an der Dresdner Hofoper entsprach technisch und ästhetisch dem damals Üblichen. Es gab auf den Szenen im 19. Jahrhundert bis in die 1880er Jahre hinein normalerweise nur zweidimensionale Elemente, d. h., das Bühnenbild bestand ausschließlich aus bemalter Leinwand, die von oben heruntergelassen oder von den Seiten als Kulisse hereingeschoben werden konnte; hinzu kamen ‚Spezialeffekte‘ wie Versenkungen in den Bühnenboden usw. Die Gesamtwirkung dieser bereits seit dem Barock gängigen Art 74  Dresden

der Szenenausstattung sollte illusionistisch sein. Der Zuschauer sollte also glauben, beispielsweise im ersten Akt des Tannhäuser einen Blick in die Venusgrotte oder auf die Wartburg zu werfen. Die Sehgewohnheiten des Publikums waren damals allerdings vollkommen andere als heute. Was uns neben der Statik des Bühnenbildes wahrscheinlich am meisten überraschen würde, wenn wir einer Inszenierung im 19. Jahrhundert beiwohnen könnten, wäre die schwache Beleuchtung. Elektrisches Licht wurde zwar erstmals seit den 1850er Jahren als Effektbeleuchtung eingesetzt, etwa bei dem berühmten Sonnenaufgang in Meyerbeers Prophet. Bis zu Wagners Lebensende erfolgte die Beleuchtung der gesamten Bühne ansonsten jedoch normalerweise mit Gas, was ein für unsere Sehgewohnheiten trübes und nur wenig variables Licht auf der Bühne erzeugte. Um das Geschehen auf der Szene, so gut es ging, sichtbar werden zu lassen, war es außerdem notwendig, den Zuschauerraum auch während der Vorstellung zu beleuchten. Die gewaltigen Kronleuchter in den traditionsreichen Opernhäusern erinnern noch an diese Zeiten, auch wenn sie heute schon längst nicht mehr diese Funktion haben, sondern beim Aktbeginn verlöschen. Im 19. Jahrhundert las das Publikum hingegen während der Aufführung in den Textbüchern und sah sich selber viel deutlicher als heute, und wenn man zeitgenössischen Berichten trauen darf, verhielt es sich auch weniger passiv. Zwischenrufe, Szenenbeifall für bestimmte Akteure und Diskussionen untereinander während und nach der Vorstellung waren im Theater und der Oper des 19. Jahrhunderts die Regel.179 Doch zurück zu Ferdinand Heines Szenarium zum Tannhäuser. Es enthält neben Abbildungen des Bühnenbildes auch solche der Darsteller im Kostüm, sogenannte Figurinen, die neben der Kleidung auch die zeittypischen Haltungen der Akteure deutlich werden lassen. Auffallend ist die ballettartige Stellung der Beine und Füße, die mindestens bis ins späte 19. Jahrhundert hinein von deutschen Schauspielern praktiziert wurde. Auch die Haltung der Arme und Hände ist stark stilisiert. Die Kostüme sind historisierend, d. h. mittelalterlichen Darstellungen nachempfunden; Wagner hielt sie für überaus gelungen.180 Über einzelne ‚Spezialeffekte‘ gibt das Szenarium Heines ebenfalls Auskunft. So benutzte man Kinder im Kostüm der Pilger, die durch den Bühnenhintergrund liefen und so die Illusion großer Tiefe des Raumes erzeugten;181 Cosima Wagner tat das Gleiche noch in den 1890er Jahren bei der WieEin Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  75

deraufnahme des Ring in Bayreuth. Ein zeitgenössisches Foto zeigt Kinder, die als Walküren kostümiert auf Pferden aus Holz oder Pappmaché sitzen und im dritten Aufzug der Walküre die durch die Luft reitenden Walküren darstellten.182 Schließlich enthält Heines Szenarium auch noch einige Stellungsskizzen, die die Positionen der Darsteller in den jeweiligen Szenen dokumentieren. Hier zeigt sich – ebenfalls ein Erbe der frühen Oper – eine klare Tendenz zu geometrisch regelmäßigen Gruppierungen. Die Darsteller der Schlussszene des ersten Aktes stehen in gleichen Abständen nebeneinander und in drei Reihen hintereinander; nur Heinrich von Ofterdingen und Reinmar von Zweter machen hier eine Ausnahme und lockern diese strikte Anordnung etwas auf.183 Das Gleiche gilt auch für die Aufstellung der zahlreichen Sänger im zweiten Akt, beim Sängerkrieg. Hier dominieren ebenfalls gleichmäßige Abstände und zeigt sich ein nur leicht aufgebrochener Hang zur Symmetrie. Wie sich an diesem und anderen zeitgenössischen Zeugnissen erkennen lässt, erwartete man also in der Oper trotz aller illusionistischen Grundtendenzen ein gewisses Maß an Idealisierung. Das galt für das Bühnenbild wie das Auftreten der Akteure gleichermaßen. In dieser Weise wurden also alle drei Dresdner Uraufführungen von Wagners Opern gestaltet. Dabei nahmen sich nach damaligen Maßstäben die Dekorationen zum Tannhäuser und zum Rienzi, der hier 1842 uraufgeführt wurde, als besonders aufwendig aus. Eduard Devrient berichtet von „Pferden, Brand und Tanz“, mit denen Wagners Große Oper, die sich trotz ihrer enormen Länge als durchschlagender Erfolg erwies und Wagner den Posten als Königlich Sächsischer Hofkapellmeister einbrachte, in Dresden über die Bühne gegangen war.184 Auch die Ausstattung der Tannhäuser-Uraufführung fiel üppig aus. Der Rezensent F.W.M. berichtet in der Neuen Zeitschrift für Musik davon, in der Inszenierung seien Pferde und großes Jagdgefolge im ersten Akt auf der Bühne zu sehen gewesen.185 Tatsächlich waren Tiere auf der Theaterbühne des 19. Jahrhunderts keine Seltenheit. Und es gab Sänger, die auf der Bühne ihre Reitkünste unter Beweis stellten. Der Star der RienziAufführung war beispielsweise der Primo uomo der Sächsischen Hofoper, der Tenor Joseph Tichatschek. Er hatte sich für seine Rolle als Letzter der Tribunen eine glänzende Rüstung anfertigen lassen, besaß eine unverwüstliche, kraftvolle Tenorstimme – man kann ihn als den ersten Heldentenor im Wagnerschen Sinne ansprechen – und ritt im 76  Dresden

dritten Akt wie von den Regieanweisungen im Libretto verlangt tatsächlich im vollen Harnisch auf einem Pferd auf die Bühne, auf dessen Rücken er „Der Tag ist da, die Stunde naht“ sang. Auch andere bekannte Wagnertenöre wie z. B. Albert Niemann machten mit solch einem Auftritt Furore, wie Eduard Hanslick aus Wien zu berichten wusste: „[…] er reitet [im 3. Akt] als Sieger ein und haranguirt vom Pferde herab das ihn umgebende Volk. Wir hegen keine Sportpassionen, […] aber wie die Hünengestalt Niemann’s in Panzer und Helmbusch hoch zu Roß erscheint, das Thier mit sicherer Faust bald rechts bald links lenkend (Andere danken Gott, wenn sie nicht zugleich aus dem Tact und aus dem Sattel fallen), das thut jedem Auge wol und macht die dramatische Illusion vollständig.“186 Derartige für unsere Begriffe schon fast zirkusartig anmutende Elemente gehörten im 19. Jahrhundert als regulärer Bestandteil zu Opernaufführungen und wurden für die Gestaltung mancher Passagen in seinen Stücken von Wagner sogar als unentbehrlich erachtet. Beispielsweise wurde er 1867 sehr ungehalten, als er erfuhr, dass man in München auf Geheiß Ludwig II. die Überleitungsmusik zur dritten Szene des dritten Lohengrin-Aktes, bei der die unterschiedlichen Heerhaufen aufmarschieren, ohne Pferde und nicht einmal mit dem seines Erachtens unabdingbaren Hufgetrappel aufführte. Er schrieb in dieser Sache an Hans von Bülow, den Dirigenten dieser Produktion: „[…] so fordere ich dich hiermit auf, auch die ganze Musik, welche diese Zusammenkunft begleitet, auszulassen, da sie so keinen Sinn hat.“187 Es ist bekannt, dass man sich Wagners Forderungen in dieser Frage jedoch nicht beugte. In der Münchner Erstaufführung der Walküre 1870 kamen dann aber Pferde ebenso zum Einsatz wie im Bayreuther Ring von 1876.188

Wagners berühmte Dresdner Primadonna: Wilhelmine Schröder-Devrient Vergleichsweise wenig ist über die Dresdner Uraufführung von Wagners Fliegendem Holländer in Erfahrung zu bringen, die unter seiner Leitung zu Beginn des Jahres 1843 stattfand. Wagner war wie das Publikum mit dem Resultat nicht sonderlich zufrieden, sowohl was die szenische als auch die musikalische Realisierung anging, und nahm in der Folge an Ein Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  77

der Partitur Änderungen vor. Über die Probenarbeit mit seinen Sängern ist seinen Erinnerungen und Briefen aus dieser Zeit allerdings einiges zu entnehmen, was ein relativ ungeschöntes Licht auf die damaligen sängerischen Gegebenheiten in Dresden wirft. Hierher gehört vor allem Wagners Zusammenarbeit mit seiner Dresdner Primadonna, der von ihm wie von vielen anderen Jungdeutschen verehrten Wilhelmine SchröderDevrient. Auf diese Sängerin soll im Folgenden näher eingegangen werden, weil sie in mehrfacher Hinsicht als außergewöhnlich zu gelten hat. Keiner Sängerin hat Wagner in gleicher Weise gehuldigt wie ihr. Das gilt nicht nur für seine Lebenserinnerungen, sondern auch für seine theatertheoretischen Schriften. „[…] alle meine Kenntniß von der Natur des mimischen Wesens verdanke ich dieser großen Frau“,189 heißt es überschwänglich in Über Schauspieler und Sänger, einer Schrift, die er ihr widmete. Wagner übertrieb mit dieser emphatischen Äußerung nicht. Tatsächlich taucht ihr Name oft in seinen Briefen, Schriften und Lebenserinnerungen auf, und zwar häufig zu dem Zwecke, durch ihr Beispiel sein mimisches Ideal zu erläutern. Ihre Kunst der dramatischen Darstellung inspirierte Wagner nachweislich zu mehreren Opernrollen. Außer dem Adriano in Rienzi, der wahrscheinlich von ihrer Ver­ körperung des Bellinischen Romeo angeregt wurde (s. Kapitel  2), entwarf er während ihrer gemeinsamen Jahre in Dresden Partien für sie, die vor allem ihrer mimischen Fertigkeit wie auch ihren musikalischen Schwierigkeiten entgegenkommen sollten: Venus in Tannhäuser, eine in der ursprünglichen Fassung nur recht kurze, aber natürlich zentrale Partie, und Ortrud in Lohengrin,190 die ja abgesehen von einer kurzen Ensemblepartie den gesamten ersten Akt über stumm bleibt und sich lediglich durch ihre Gebärden als intrigante Gegenspielerin Elsas und Lohengrins dem Publikum präsentieren soll; die Verkörperung beider Figuren ist vom Schauspielerischen her eine anspruchsvolle Aufgabe. Nach seiner Flucht aus Dresden kam es zu keiner Zusammenarbeit mehr mit Wilhelmine Schröder-Devrient, da sie kurz davor ihre Bühnenkarriere beendet hatte; sie war zu diesem Zeitpunkt 45 Jahre alt und hatte schon seit längerem mit ernsthaften stimmlichen Problemen zu kämpfen gehabt. Doch blieb ihr dramatisches Spiel Wagner nach wie vor gegenwärtig, wenn er sich an das Entwerfen einer neuen Handlung machte, beispielsweise als er den Tristan entwarf, und zwar in der Rolle des Tristan. Cosima Wagner hielt einen Ausspruch darüber in ihrem 78  Dresden

Tagebuch fest: „‚Wie ich nur zu der Überschwenglichkeit des 2ten Aktes gekommen bin, ich weiß, durch die Schröder-D. als Romeo, und es ist gar nicht so dumm, eine Frau für solch eine Rolle zu nehmen, denn diese Stöpsel von Männern und namentlich Tenoristen können nie dieses schöne Rasen von Liebkosungen haben‘“.191 In Anbetracht all der lobenden Worte, die Wagner für Wilhelmine Schröder-Devrient in seinen Briefen und vielen anderen Texten fand, mutet es umso erstaunlicher an, wenn man seine Äußerungen über sie unter dem Aspekt ihrer musikalischen Leistungen durchsieht. In seinen Briefen aus der Dresdner Zeit finden sich etliche Klagen über ihren Gesang. Schonungslos fasste er in einem Brief an seine Frau Minna die musikalische Darbietung des Adriano durch die Schröder-Devrient in die Worte: „Du kennst meinen Jammer“.192 Wagners Kritik findet ihre Entsprechung in der zeitgenössischen Presse – „Die Schröder-Devrient schreit abscheulich“ hieß es knapp in der Presse über ihren Auftritt als Rezia in Webers Oberon193 – , und auch retrospektiv war Wagner ehrlich genug festzuhalten: „In Betreff dieser Künstlerin wurde immer wieder die Frage an mich gerichtet, ob denn […] ihre Stimme wirklich so bedeutend gewesen wäre […]. Nein! Sie hatte gar keine ‚Stimme‘ […]. Außerdem verstand sie es, einen Komponisten dazu anzuleiten wie er zu komponieren habe, wenn es der Mühe werth sein solle, von einem solchen Weibe ‚gesungen‘ zu werden; das that sie durch das von mir gemeinte ‚Beispiel‘, was dießmal sie, die Mimin, dem Dramatiker gab, und welches unter allen, denen sie es gab, einzig von mir befolgt worden ist.“194 Hier gibt Wagner einen deutlichen Hinweis darauf, was ihn und seine Zeitgenossen so sehr an ihr faszinierte: ihre Darstellungskunst. Nur kurz soll ihr Werdegang in Ausschnitten beschrieben werden, um diese Faszination, die eben nicht von ihrer herausragenden Musikalität herrührte, erklärbar werden zu lassen. Wilhelmine Schröder-Devrient war die Tochter der bekannten Wiener Schauspielerin Sophie Schröder. Wagner hatte als Kind in Dresden Gelegenheit gehabt, sie bei einem ihrer Gastspiele zu sehen.195 Anlässlich eines Konzertes in Leipzig hatte er zusammen mit Felix Mendelssohn mit der alten Sophie Schröder zu tun: „Zur Ehre der Wahrheit sei aber hiermit erwähnt, dass weder er noch ich an diesem Abend den eigentlichen Erfolg erstritten; wir verschwanden gänzlich vor dem ungeheuren Eindruck, welchen die greise Sophie Schröder mit der Rezitation der Bürgerschen ‚Lenore‘ hervorEin Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  79

brachte. […] so standen wir musikalische Helfershelfer um dieses von der fast schon zahnlosen hochbetagten Frau mit wahrhaft erschreckender Schönheit und Erhabenheit gesprochene Bürgersche Gedicht wie wahre müßige Gaukler da.“196 Laut Wagner war ihre Art der Versdeklamation durch die Anwendung gewisser musikalischer Mittel die Verwirklichung von Schillers Ideal einer didaktischen Art des Textvortrags.197 Was wir über ihren Vortrag wissen, ist, dass er überaus deutlich in der Textaussprache und dabei sehr pathosgesättigt war.198 Ludwig Tieck gefiel beispielsweise ihr Einsatz von „Pausen, Aufschrei und übertriebenen Accenten [„Accent“ bedeutet hier „Tongebung“ oder „Tonfall“]“ gar nicht.199 Darüber hinaus ist bekannt, dass sie sich in jüngeren Jahren mit dem Stellen von Attitüden – einer dem Lebenden Bild verwandten Gattung von Posen nach dem Vorbild antiker Plastiken – beschäftigt hatte und über eine ausdrucksvolle, an der Bildenden Kunst geschulte Körpersprache verfügte.200 Sie hatte in Hamburg ihr Handwerk erlernt,201 wo man im 19. Jahrhundert von einer sogenannten ‚realistischen‘ Schule sprach. Dies alles ist insofern von Bedeutung, als sie die wichtigste Lehrerin ihrer berühmten Tochter war.202 Wie ihre Mutter begann auch Wilhelmine eine Bühnenlaufbahn, zunächst als Schauspielerin, später, seit 1821, als Sängerin.203 Bereits zwei Jahre später wurde sie an die Dresdner Oper verpflichtet, wo sie bis 1847 blieb, wenn sie auch zahlreiche auswärtige Gastspiele gab204 und in jeder Spielzeit nur etwa 30 Mal in der Sächsischen Hofoper auftrat.205 Von Anfang an scheint sie sich durch ihr enormes Darstellungsvermögen ausgezeichnet zu haben, das die Zuschauer in seinen Bann schlug. Carl Maria von Weber war beispielsweise von ihrer Agathe beeindruckt.206 Laut Wagner und seinen Zeitgenossen war das Hauptcharakteristikum ihres Spiels darstellerische „Wahrhaftigkeit“,207 was man wohl – innerhalb gewisser Grenzen – als einen realistischen Zug verstehen und damit vielleicht auf die Hamburger ‚realistische‘ Schule ihrer Mutter zurückführen darf. In ihrer Mimik und Gestik wollten ihre Zeitgenossen das Vorbild antiker Plastiken wiedererkennen,208 die sie tatsächlich in den Galerien studierte und auch ihren Kollegen am Theater zu studieren empfahl.209 Ihre Textaussprache und Phrasierung war deutlich und wohlüberlegt und dem alten Wagner noch so gegenwärtig, dass er sie demonstrieren konnte: „[…] die große Szene zwischen Kundry und Pars. [im zweiten 80  Dresden

Aufzug des Parsifal] wird wohl kaum je so wiedergegeben werden, wie er sie schuf. R. klagt es, wie ahnungslos die Darsteller dessen, was darin sei, blieben und gedenkt der Schröder-Devr., wie sie würde das gesprochen haben: ‚So war es mein Kuß, der hellsichtig dich machte.‘“210 Gleichzeitig gab es Klagen über ihre stimmlichen Mängel, mit denen sie offenbar vom Beginn ihrer Opernkarriere an zu kämpfen hatte. Wagner wusste bereits 1837 zu berichten, dass sie lediglich durch eine Nachschulung in Paris vor dem völligen Verlust ihrer Singstimme bewahrt wurde: „Die größte jetzt lebende deutsche dramatische Sängerin, die Schröder-De­ vrient, stand in den Jahren ihrer Jugendblüthe im Begriff, ihre Stimme […] total zu verlieren, was denjenigen, die sie im Fidelio und in der Euryanthe gesehen und gehört hatten, wo sie eben über Alles, über mehr oder weniger Rundung der Töne, über Eilen und Nachlassen, ja über das Brechen des Tones – was zuweilen in den höchsten Momenten an die Grenze des Harten und Schneidenden führte – nur den Affekt gebieten ließ“.211 Was er damit meint, geht aus seinen Ausführungen in Über die Bestimmung der Oper wie auch aus etlichen zeitgenössischen Kritiken hervor. Demnach hat sie wie einige andere Sänger die Angewohnheit gehabt, „ein gewisses entscheidendes Wort mitten aus dem Gesange heraus zu sprechen. Hierzu sah sich z.B. die Schröder-Devrient durch eine auf das Furchtbarste gesteigerte Situation der Oper Fidelio gedrängt, wo

3 Wilhelmine Schröder-Devrient als Leonore im zweiten Akt von Fidelio. Ein Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  81

sie, dem Tyrannen das Pistol vorhaltend, von der Phrase: ‚noch einen Schritt, und du bist – todt!‘, das letzte Wort mit einem grauenvollen Accente der Verzweiflung wirklich – sprach.“212 Eduard Genast erinnerte sich, dass sie außerdem noch die Worte Fidelio/Leonores: „Nichts! Nichts! Ich habe nichts gelitten!“ gesprochen habe.213 In dieser Partie mochte an den entsprechenden Stellen dieses Mittel nun noch hingehen. Auch im Rezitativ war es dem damaligen Geschmack gemäß angebracht, und wenig überraschend beherrschte bereits die junge Schröder-Devrient den Vortrag des Rezitativs besonders gut.214 Doch wenn es um italienische oder französische Opernarien ging, stieß sie schnell an ihre Grenzen, was sie mit Hilfe ihrer deklamatorischen Künste zu überspielen versuchte. In Mein Leben berichtet Wagner von der Aufführung der Vestalin unter Spontinis eigener Leitung an der Dresdner Hofoper. Wilhelmine Schröder-Devrient sang die Titelpartie der Julia, für die ihre stimmlichen Mittel nicht ausreichten, was zum Versagen ihrer Stimme führte, weswegen sie stellenweise begann „völlig zu sprechen statt zu singen“. Was sie im Fidelio mit Glück als Effekt eingesetzt hatte, nämlich die klangliche „Annäherung an den reinen Sprachaccent“, erschien Wagner hier als Beispiel für einen „unschönen Exceß“.215 Auch in anderen Partien, einschließlich der Wagnerschen, griff sie zu diesem Mittel. Hector Berlioz sah sie 1843 in der Partie der Senta und bezeichnete ihre Leistung insgesamt als ordentlich, „ungeachtet einiger affectirten Stellungen und gesprochenen Interjectionen, die sie sich überall einzuflechten verpflichtet hält“.216 Auch in einem Brief äußerte sich Berlioz kritisch über ihre Art des Gesangsvortrags: „Mad. Devrient untermischt ihren Gesang mit gesprochenen Sätzen und Ausrufungen von greulicher Wirkung, in der Art der Vaudevilleschauspieler beim Absingen ihrer Strophen.“217 Wenn man also anhand der erhaltenen Zeugnisse versucht, sich ein möglichst objektives Bild von ihrem Gesang zu machen, ergibt sich Folgendes: Wilhelmine Schröder-Devrient vermochte ihren Stimmklang nach dem Vorbild der gesprochenen Sprache in vielen Schattierungen changieren zu lassen und schöpfte das Spektrum zwischen Sprechen und Singen in ihren Interpretationen voll aus. Aus den Erinnerungen ihres Kollegen Eduard Genast erfahren wir Genaueres über die Beschaffenheit ihrer Stimme: Wilhelmine Schröder-Devrient hatte demnach Schwierigkeiten, schnelle Passagen und Koloraturen zu singen,218 abstei82  Dresden

gende Phrasen nahm sie intonatorisch oft zu tief und rhythmisch unsicher – ein Problem vieler Laiensänger – und ihr Tonumfang, der nie besonders groß gewesen war – gerade einmal eine Oktave am Beginn ihrer Sängerlaufbahn –, verengte sich zum Ende ihrer Karriere hin in den 1840er Jahren auf den Bereich einer Quinte.219 Ihr Ansatz war kehlig und – ein Indiz für mangelhafte Gesangstechnik – es war ihr nicht möglich, dynamisch zu differenzieren, sondern sie sang stets laut. Das hohe Register klang nie besonders gut bei ihr, das tiefe ging ihr völlig ab.220 D. h., es war im Prinzip immer notwendig, ihre Partien zu verändern, worüber auch Wagner in Mein Leben berichtet. Ebenfalls dort ist auch von ihrem schlechten musikalischen Gedächtnis die Rede, welches dazu führte, dass sie recht lange für das Einstudieren neuer Partien brauchte221 und sich daher am liebsten auf das kleine Repertoire ihrer Paraderollen beschränkte.222 Man kann also zusammenfassen: Ihrer musikalischen Virtuosität war es nicht zu verdanken, dass sie zu einer Berühmtheit wurde. Hingegen scheint sich ihre markante, deutliche Aussprache und ihre Phrasierung der Melodien von der ihrer Kollegen abgehoben zu haben, was auf die sprecherische Schulung durch ihre Mutter zurückzuführen war. Am stärksten wirkte jedoch ihre Körpersprache auf die Zeitgenossen,223 und dies dürfte es auch gewesen sein, was Wagner zu seinen theoretischen Überlegungen über die Schauspielkunst und das Theater wie auch zu etlichen seiner Werke inspiriert hat. Und noch ein Umstand ist bemerkenswert: Wilhelmine Schröder-Devrient engagierte sich politisch. Sie sympathisierte offen mit der bürgerlichen Märzrevolution224 und verstand sich als eine Demokratin. In ihren Lebenserinnerungen, die Claire von Glümer aufzeichnete, findet sich so manche antiaristokratische Anekdote, wie beispielsweise diese: Ein nicht näher genannter adeliger „Widersacher“ aus dem Umkreis des preußischen Königshofes verhinderte ihre Berufung an die Berliner Hofoper, nachdem er sich ihr in ungebührlicher Weise genähert hatte und von ihr zurückgewiesen worden war. „Der Fürst wollte jedoch nicht verstehen, und zum Äußersten getrieben nahm Wilhelmine endlich ihre Zuflucht zu – einer Ohrfeige. Als der ‚hohe Herr‘ voll Zorn und Bestürzung den Rückzug antrat, entfiel ihm sein Crachat; die Künstlerin hob es auf und rief dem Forteilenden nach: ‚Ihre Orden, Hoheit, vergessen sie nicht – die sind doch das Beste an Ihnen!‘“225 Solche Begebenheiten dürfte sie unter ihren Kollegen, zu denen ja auch Wagner gehörte, gerne zum besten gegeben Ein Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  83

haben, und es war mit Sicherheit kein Zufall, dass ihre Anhänger zur sich damals herausbildenden bürgerlichen Mittelklasse gehörten, die mehr politische Macht für sich zu fordern begann. Das gilt für Wagner ebenso wie für ihre anderen Bewunderer: Heinrich Laube, Clara und Robert Schumann und vielleicht sogar schon für Carl Maria von Weber und Ludwig van Beethoven. Wilhelmine Schröder-Devrient ist also nicht nur künstlerisch, sondern auch in ihrer Funktion als Ikone der sich emanzipierenden, für ein Ende der aristokratischen Alleinherrschaft eintretenden Kräfte des Vormärz von Bedeutung gewesen. Wagners Huldigung dieser Sängerin hat somit einen politischen Unterton.

Wagners Probenarbeit und Ausbildung seiner Dresdner Sänger: Anton Mitterwurzer und Johanna Wagner Auf zwei weitere Dresdner Sänger, mit denen Wagner in seiner Dresdner Zeit als Hofkapellmeister viel zu tun hatte, soll ebenfalls näher eingegangen werden, denn sie haben ebenso wie Wilhelmine Schröder-Devrient ihre Spuren in Wagners Schaffen hinterlassen, dergestalt, dass er sich selber als Regisseur in der Arbeit mit ihnen vervollkommnete und Partien eigens für sie entwarf und schrieb. Es handelte sich bei den beiden Sängern um Nachwuchskräfte, die von ihm herangebildet wurden, eine Tätigkeit, mit der er bereits in Magdeburg – oder möglicherweise sogar schon in Würzburg – begonnen hatte und die nur in diesen beiden Fällen so gut dokumentiert ist, dass man Aussagen über Wagners Forderungen als Dirigent und Regisseur während seiner Dresdner Zeit treffen kann. Dies ist insofern von besonderem Interesse, als man über seine Tätigkeit in Dresden nicht sonderlich viel weiß; ein Grund dafür ist, dass Wagner in diesen Jahren nur wenige Briefe schrieb. Der eine dieser beiden Sänger war der Bariton Anton Mitterwurzer. Mit ihm erarbeitete Wagner Stück für Stück die Partie des Wolfram anlässlich der Uraufführung von Tannhäuser. Mitterwurzer beging dabei einen Fehler, der aufschlussreich für die Aufführungspraxis von Musik zu Wagners Zeit ist. Er verstand nämlich die sparsam begleiteten Passagen seiner Partie als Rezitative, und die wurden im 19. Jahrhundert anscheinend mit großer rhythmischer Freiheit gestaltet. Wagner unterrichtete in einem Brief Franz Liszt darüber, wie seine Musik zu singen sei 84  Dresden

– bzw. eben gerade nicht: „[...] die Sänger haben sich daran gewöhnt, im Recitativ nur eine gewisse herkömmliche folge von tonreihen zu erblicken die sie je nach belieben zerren und dehnen können, wie sie lust haben. Wenn in der oper das Recitativ anfängt, so heißt das für sie soviel als: ‚Gott sei dank, nun hört doch das verfluchte Tempo auf, das uns ab und zu noch zu einem vernünftigen vortrage nöthigt; nun können wir der länge und breite nach schwimmen, auf dem ersten besten tone uns so lange aufhalten, bis uns der Souffleur die nächste phrase wieder zugebracht hat, und der dirigent hat uns gar nichts mehr zu sagen, sondern für seine prätensionen können wir uns dadurch rächen, daß wir ihm diesmal commandiren, wann er niederschlagen soll! u.s.w.‘ 226 [...]. Nirgends habe ich in meiner partitur des Lohengrin über eine gesangstelle das wort: ‚Recitativ‘ gesetzt; die sänger sollen gar nicht wissen, daß Recitative darin sind.“227 Dem Sänger oblag es laut Wagner seinerzeit also, im Rezitativ ganz nach eigenem Gutdünken einzelne Töne zu dehnen oder zu betonen, sodass der Rezitativgesang nach unseren Begriffen im Tempo rubato ausgeführt wurde. So wollte Wagner seine Musik aber nicht gesungen haben. Bereits 1837, in einem Entwurf zu einer Aufführung von Bellinis Norma, hatte er sich gegen diese Art des Rezitativvortrags gewandt,228 hatte ihn dann auch in Paris vorgefunden und bemängelt,229 um fortan in allen seinen Stellungnahmen zu diesem Thema seine Kritik daran immer wieder zu erneuern. So wiederholte er in seinen Regieschriften wie auch seinen mündlichen Anweisungen an seine Sänger ständig, bei seinen Werken sei alles rhythmisch exakt so wie von ihm vorgegeben und streng im Tempo zu singen, das Notenbild folglich als absolut verbindlich aufzufassen. Diese Forderung stellte er auch 1845 an Mitterwurzer. Der sang nämlich „die anscheinend recitativische Phrase [im sogenannten Sängerkrieg in Tannhäuser II, 4] mit gewissen beliebigen Inflexionen, welche je nach dem Bedarf der Stimmgebung, nach reinem Operngesangsbelieben, so oder auch anders gegeben werden konnten.“230 Damit ist gemeint, dass Mitterwurzer der alten Operntradition entsprechend seine Vokallinien verzierte, also Vorhalte, Appogiaturen und vielleicht auch Umspielungen der Töne – z. B. Triller – einfügte. Hinsichtlich der Disziplinierung der rhythmischen Gestaltung griff Wagner zu einem einfachen Mittel, indem er Mitterwurzers Partie in den Proben am Klavier „durchweg mit Akkorden in Viertelbe-

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wegung accompagnirte. So lehrte ich ihm [sic!] die Ruhe und die nicht schleppende Bewegung zugleich mit der richtigen Declamation.“231 Was Wagner anstrebte, war eine notengetreue Wiedergabe, eine Sache, die uns heute selbstverständlich erscheint, es jedoch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nicht war. Ähnlich wie in außereuropäischer Musik oder dem Jazz war es bis dahin in der europäischen Musik üblich, seine solistischen Partien als Sänger, Instrumentalist oder bei Musik für Orgel und Klavier solo stets mit einem gewissen improvisatorischen Spielraum wiederzugeben, d. h. innerhalb bestimmter Grenzen rhythmisch und auch melodisch vom Notentext abzuweichen. Hierin zeigte sich die Könnerschaft eines Interpreten. Eine sich lediglich auf die Noten des gedruckten Textes beschränkende Wiedergabe galt im 18. Jahrhundert als ein Zeichen für schlechten Geschmack.232 Wagners Forderung bedeutet also einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel fort von der jahrhunderte-, wenn nicht jahrtausendealten Tradition relativ großer interpretatorischer Selbständigkeit hin zu einer vollkommenen Dominanz der Wünsche und Forderungen des Komponisten. Weshalb er darauf bestand, dass der Sänger seiner Partien sich keinerlei Freiheiten erlauben sollte, wird von ihm in Über Schauspieler und Sänger erklärt. Hier behauptet Wagner selbstbewusst von sich, „durch die musikalischen Zeichen meiner Partitur dem Sänger die richtigste Anleitung zu einer natürlichen dramatischen Vortragsweise, wie sie selbst dem rezitirenden Schauspieler gänzlich verloren gegangen ist, gegeben zu haben“.233 Dieses seit dem Fliegenden Holländer praktizierte Verfahren, die Musik aus der Rede zu gewinnen, setzte voraus, dass der Sänger den Redetonfall als solchen erkannte, um ihn auch dem Zuhörer vermitteln zu können. Das ist der Kern der Anweisungen in dem eben erwähnten Brief an Liszt, der gerade dabei war, die Uraufführung des Lohengrin vorzubereiten: „Dagegen habe ich mich bemüht, den sprechenden ausdruck der rede so sicher und scharf abzuwägen und zu bezeichnen, daß die sänger nur nöthig haben sollten, in dem angegebenen tempo genau die noten nach ihrem werthe zu singen, um dadurch allein schon den sprechenden ausdruck in der hand zu haben. Ich ersuche daher die sänger inständigst, jene redenden stellen in meiner oper zu allernächst genau im tempo – wie sie geschrieben stehen – zu singen; sie mögen sie durchgehends lebhaft, mit scharfer aussprache vortragen, so haben wir schon viel gewonnen; wenn sie von dieser basis aus weitergehen mit verständiger freiheit 86  Dresden

[…] das peinliche des tempo’s ganz verschwinden lassen und nur noch den eindruck einer erregten poetischen redeweise hervorbringen können, – so haben wir Alles gewonnen.“234 Wagner schwebte also ein ganz bestimmter Redevortrag vor, wenn er seine Partien niederschrieb, der sich, wie erwähnt, vom schauspielartigen Sprechen herleitete und bei der Ausführung durch die Sänger wieder zum Vorschein kommen sollte. Dass er trotz seiner strikten Forderungen natürlich pragmatisch genug war, seinen Sängern Änderungen ihrer Partien zu erlauben, wenn sich Schwierigkeiten einstellten, sei nur am Rande bemerkt. Das betraf aber in der Regel nur Veränderungen der Lage einzelner Töne oder Kürzungen, nicht den Rhythmus. Wagners Arbeit mit seinen Sängern ging neben dem Gesang auch auf die korrekte darstellerische Verkörperung der Rollen aus, die Anton Mitterwurzer nach einem ausführlichen Selbststudium vollauf gelang. Seine Darstellung des Wolfram, „für dessen richtige Wiedergabe der ganze Mensch in Haltung, Blick und Miene sich vollkommen umgewandelt und neu geschaffen hatte“,235 war laut Wagner schlichtweg vorbildlich. Um ihm seine Intentionen zu verdeutlichen, hatte Wagner ihm die gewünschte Verkörperung der Partie mehrfach vorgemacht in der Weise, in der auch heute Regisseure verfahren. Auch von anderen wurde Mitterwurzers darstellerisches Spiel gelobt;236 in diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass er auch als Schauspieler gearbeitet hatte, bevor er sich ganz auf eine Karriere als Opernsänger festlegte.237 Wagner war so überzeugt von Mitterwurzers Fähigkeiten, dass er ihn zwanzig Jahre später nach München holte, um dort die Partie des Kurwenal zu kreieren. Zwar gibt es keine Hinweise darauf, doch kann man annehmen, dass er diese Partie vielleicht sogar für Mitterwurzer geschrieben hat, denn er entwarf und komponierte noch zwei weitere gewichtige Rollen eigens für ihn: Friedrich von Telramund und Wotan.238 Zeit seines Lebens hielt Wagner große Stücke auf Mitterwurzer. 1875 erwähnte er ihn lobend gegenüber Julius Hey: „Tichatschek und Mitterwurzer waren die einzigen, welche meinen Anforderungen verständig entgegenkamen und sich ehrlich mit meinem Opernstil befreundeten.“239 Zwei Jahre nach Mitterwurzers Tod hielt Cosima in ihrem Tagebuch fest: „Er gedenkt Mitterwurzer’s mit hoher Anerkennung.“240 Ebenfalls viel am dramatischen Vortrag feilte Wagner gemeinsam mit seinem Bruder Albert bei seiner Nichte Johanna, die im Alter von gerade Ein Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  87

einmal 18 Jahren 1845 die erste Elisabeth sang. In Mein Leben heißt es hierzu, sie sei „mit ihrer, gerade um jene Zeit hinreissend schönen Stimme und glücklichen Begabung für theatralischen Accent“ ihm als ideale Sängerin für diese Partie erschienen, auch wenn sie dann aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung – die Elisabeth war erst ihre zweite Opernrolle in Dresden – nicht alle seine Erwartungen zu erfüllen vermochte. Darüber hinaus zeigten sich Grenzen „ihres unverkennbar theatralischen, wenn auch nicht dramatischen Talentes“.241 Als Beispiele dafür nennt er ihre Darstellung in der Wartburgszene und im dritten Akt: „Wunderlicher Weise hörte ich […] fast immer nur ihr mannichfaltiges und höchst einnehmendes Spiel beim Empfang der Gäste auf der Wartburg rühmen: ich erkannte darin den Erfolg unglaublicher Bemühungen, welche ich und mein sehr erfahrener Bruder uns im Betreff dieses Spieles gegeben hatten. Leider ist aber für alle Zeiten es unmöglich geblieben, ihr den richtigen Vortrag des Gebetes im 3. Akte beizubringen.“242 Auch von Eduard Devrient wurde sie in dramatischer Darstellung unterwiesen.243 Die Verkörperung der Elisabeth gelang ihr dabei nicht durchweg, wenn man nach den erhaltenen Rezensionen ihrer Leistung geht. Demnach wirkte „ihr Spiel […] zu forcirt beweglich […], wie angelernt, nicht natürlich genug, zu schauspielmäßig“.244 Dennoch muss Johanna Wagner als Sängerin eine beeindruckende Bühnenpräsenz besessen haben. Anlässlich ihres Gastspiels in Karlsruhe 1858 notierte Eduard Devrient, der an eine dramatische Leistung ähnliche Maßstäbe wie Wagner anlegte, in seinem Tagebuch: „Geschmacklos in ihren Verzierungen und Fermaten, aber imponierend in der Erscheinung und den Stimmitteln der tiefen Lage.“245 Möglicherweise überließ Wagner die musikalische Einstudierung der Elisabeth weitgehend seinem Bruder Albert, so wie er in späteren Jahren Musiker wie Peter Cornelius oder Wendelin Weißheimer und Gesangspädagogen wie Friedrich Schmitt und Julius Hey die Aufgabe übertrug, mit den Sängern seiner Werke ihre Partien einzustudieren, bevor er sich selber in Fragen der Interpretation und dramatischen Darstellung an seinen Inszenierungen beteiligte. Johannas Stimme und Gesangstechnik waren dabei von Anfang an nicht fehlerfrei, sondern ihr sängerisches Kapital scheint in erster Linie in einer lediglich „starken und vollen Stimme“ bestanden zu haben.246 Dem Bericht ihres Sohnes Hans Jachmann zufolge verblüffte sie 1846 Manuel Garcia in Paris mit der großen 88  Dresden

Lautstärke ihres Gesangs. „Als ich meinen ersten Ton mit aller Macht ansetzte, um ihm zu imponieren, drehte er sich sofort zu mir um und stierte mich an. […] Mit aller mir zu Gebot stehenden Kraft vollendete ich mein Allegro und nach dem glänzend gesungenen H sprang er auf, riß mich ans Fenster, bat mich den Mund zu öffnen, schaute begierig in meinen Hals und meinte, das wäre keine Halle, das wäre ein Dom (une chathedrale [sic!]), was sich da über meiner Zunge wölbe; er habe solche Stimme in seinem Leben nicht gehört“.247 Ihr relativ gewaltsamer Umgang mit ihrer Stimme und ihre unvollkommene technische Ausbildung wurden schon zu Beginn ihres Dresdner Engagements bemerkt und bemängelt.248 Nachdem sie in Berlin elf Jahre lang als Sängerin an der Hofoper aufgetreten war, machte sich alsbald eine Verschlechterung ihrer Stimme bemerkbar, die schließlich 1861 zum endgültigen Verlust ihrer Sopranstimme führte.249 Sie arbeitete seitdem als Schauspielerin, trat von 1870 an aber auch wieder als Sängerin, und zwar als Altistin, auf. Ihr Onkel Richard hatte zuvor große Hoffnungen in sie gesetzt und zwei wichtige Rollen für sie entworfen, da er offenbar damit rechnete, mit ihr in Dresden auf absehbare Zeit zu tun zu haben. An seinen Bruder Albert schrieb er 1845, Johanna werde in seinem gerade begonnenen Lohengrin die Partie der Elsa bekommen.250 Tatsächlich kann man diese Partie als ein Zugeständnis an die junge Sängerin sehen, die mit der Elisabeth überfordert gewesen war, denn darstellerisch ist die Rolle der Elsa einfacher zu bewältigen. Und wie wir einem Brief Wagners an Johanna entnehmen können, hatte er außerdem die Partie der Brünnhilde in der unvertonten Oper Siegfried’s Tod für sie geschrieben;251 diese Heldenoper wurde später in mehreren Schritten zum vierteiligen Dramenzyklus Der Ring des Nibelungen erweitert. Doch dann kam es nach seiner Flucht in die Schweiz in den 1850er Jahren zum Zerwürfnis zwischen ihm und Johanna, da sie, wie er sich ausdrückte, in Berlin in Heinrich Dorns Oper Die Nibelungen mitgewirkt hatte, die Wagner als „Parodie“ seines derzeit noch im Entstehen begriffenen Riesenwerkes betrachtete.252 Bei der 1876er Uraufführung des Ring wirkte Johanna schließlich trotzdem mit, allerdings nicht als Brünnhilde, sondern nur in den kleineren Rollen der Schwertleite und Ersten Norn, die keine Sopran-, sondern Altpartien sind.

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Wagner und Eduard Devrient: Über Regie, Sprechkunst und Theaterreform Von Wagners halb privatem, halb dienstlichem Kreis von Bekannten der Dresdner Zeit ist vor allem Eduard Devrient erwähnenswert. Mit ihm tauschte sich Wagner anscheinend intensiv über die ihres Erachtens fällige Reform des deutschen Theaters aus und ließ sich – zum letzten Mal in seinem Leben – auch in Fragen des dramatischen Aufbaus seiner eigenen Werke so manchen Rat geben. Devrient war für Wagner in Fragen des Theaters anscheinend eine Autorität, auch wenn er in späteren Jahren kaum mehr ein gutes Wort über ihn verlor aus Enttäuschung darüber, dass Devrient, der mittlerweile Intendant in Karlsruhe geworden war, es 1859 ablehnte, dort den Tristan zur Uraufführung anzunehmen. Devrients dramaturgische Autorität zeigt sich darin, dass Wagner 1849 und 1850 zwei seiner Vorschläge beherzigte, nämlich zum einen, den Gralsmonolog Lohengrins im dritten Akt der gleichnamigen Oper zu kürzen,253 und zum anderen, sein Drama Siegfried’s Tod so zu erweitern, dass dem Zuschauer die Handlung weniger in Form von Berichten als durch szenische Aktionen vorgeführt wurde.254 Das erste greifbare Resultat dieser Erweiterung war das Vorspiel der späteren Götterdämmerung, und die zog noch zwei Erweiterungen nach sich: die erste zum Doppeldrama Der junge Siegfried und Siegfried’s Tod und schließlich zur Ring-Tetralogie bzw. – nach Wagners eigener Definition – zur Erweiterung auf drei Bühnenfestspiele und einen Vorabend. Devrients Bedeutung für Wagner in dieser Zeit ist nicht zu unterschätzen. Beispielsweise empfahl Wagner Liszt, Devrient als Regisseur für die Weimarer Lohengrin-Uraufführung heranzuziehen.255 Theaterreform und Regie waren die wichtigsten Gesprächsthemen, wenn beide sich trafen, wie Devrients Tagebücher belegen. Wagner ließ sich von Devrient über dessen im Entstehen begriffene voluminöse Geschichte der deutschen Schauspielkunst berichten und zur Abfassung einer eigenen Schrift über Theaterreform anregen. Sein Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen aus dem Revolutionsjahr 1848 ist Wagners erste Schrift dieser Art, der noch weitere folgten. Er gab sie Devrient zum Durchlesen, der sogleich mit Zufriedenheit Einflüsse seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst in Wagners Text bemerkte.256 90  Dresden

Es ist allerdings ein wenig verwunderlich, dass Devrient sich überhaupt auf einen näheren Umgang mit Wagner einließ. Ursprünglich war er 1844 nach Dresden gekommen, um dort die Regie in Oper und Schauspiel zu übernehmen, und stieß von Anfang an auf Wagners erbitterten Widerstand. Devrients Tagebucheinträge zeigen sein aufrichtiges Erstaunen darüber. Bereits bei seinem Dienstantritt bemerkte er: „Ich besuchte Kapellmeister Wagner, der mir ein wenig kalt vorkam; es war auffallend, daß er mir wiederholentlich das Schauspiel als das Gebiet bezeichnete, das meiner Sorgfalt am meisten bedürfen werde. Bin ich ihm im Wege?“257 Drei Tage später bestätigte sich dieser erste Eindruck: „Wagner lehnte meine Ansichten entschieden ab und verfolgte seinen Weg wie jemand, der gar nicht auf mich zu hören habe.“258 Einen Monat später verspürte Devrient immer weniger Neigung, es auf eine Machtprobe mit dem Hofkapellmeister ankommen zu lassen259 und gab nach nicht einmal vier Monaten auf: „Sie [d.  h. Wagner und Wilhelm Fischer] mögen ihre Oper brauen nach ihrem Geschmack.“ 260 Das beweist, wie einige andere Quellen aus dieser Zeit auch, dass Wagner als Hofkapellmeister de facto die Dresdner Opernregie führte. Nachdem Devrient auch als Schauspielregisseur gescheitert war – pikanterweise am Widerstand seines eigenen Bruders Emil261 –, zog er sich ganz aus dem Dresdner Theaterbetrieb zurück. Nun erst begann Wagner, wie Devrient mit anfänglichem Befremden bemerkte, sich ihm anzunähern. In den Jahren von 1847 bis 1849 war ihr persönlicher Umgang am intensivsten. Tatsächlich verband die beiden auch viel: Beide kamen aus Schauspielerfamilien, beide hatten die zeitgenössischen Pariser Theaterverhältnisse ausgiebig studiert und dort die gleichen Beobachtungen gemacht, beide hatten reformerische Ambitionen und beide hatten sich ausführlich mit der gesprochenen und gesungenen Sprache beschäftigt, Devrient als Sänger und – nach dem Verlust seiner Singstimme – als Schauspieler sowie als Vorsitzender eines von ihm ins Leben gerufenen „Vereins dramatischer Künstler“ zur Pflege der Bühnenaussprache. Und schließlich waren sie beide begeisterte Dramenrezitatoren. Devrient ließ es sich nicht nehmen, an der ehemaligen Wirkungsstätte Tiecks, dem die Erfindung der Dramenrezitation zugeschrieben wurde, mit dieser Tätigkeit fortzufahren.262 Wagner berichtet darüber: „Öfters lud er eine gewählte Zuhörerschaft zu dramatischen Vorlesungen in seinem Hause ein, denen ich gerne beiwohnte, da hierbei zu meiner Überraschung die Ein Opernkapellmeister als Revolutionär (1842–1849)  91

Begabung, welche dem Vorleser auf der Bühne selbst abging,263 wohlerkenntlich hervortrat.“264 Es ist unklar, inwieweit Wagner, wie er es in seinem Bekanntenkreis sonst gerne tat, in ihrer Dresdner Zeit Devrient aus seinen Dramen vorlas. Vorgesungen hat er ihm damals nichts, sondern erst anlässlich eines Besuches Devrients in Wagners Schweizer Exil im Jahre 1857 überraschte Wagner ihn mit einer musikalischen Vorführung von Das Rheingold. Möglicherweise wurde er dabei von jemand anderem am Klavier begleitet. Er sang aber in jedem Fall alle Rollen selber, und Devrient, der Wagners ästhetischen Standpunkt sonst überhaupt nicht teilte, schrieb nicht ohne Bewunderung: „Es ist in den verschiedenen Figuren der Nixen, Zwerge, Riesen, des Locke [Loge] eine […] außerordentliche Kraft der Charakteristik zu bewundern, und Wagner trägt sie mit einer Virtuosität der Darstellung vor, die ich noch gar nicht an ihm kannte.“265 Dieses Urteil stammt von einem der profiliertesten deutschen Theatertheoretiker und Regisseure des 19. Jahrhunderts. Es beweist, wie sicher Wagner im heimischen Rahmen als Aufführender seiner eigenen Werke agierte. Und noch mehr: Es gibt uns einen Hinweis darauf, wie er diese Werke schuf. Für die Zeit nach seiner Flucht aus Dresden ergibt sich in dieser Hinsicht ein recht klares Bild, das dem Leser im folgenden Kapitel präsentiert werden soll.

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5. Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung – Das erste Schweizer Exil (1849–1859)

Wagners Lebensmitte Wagners Flucht im Frühjahr 1849 von Dresden über Freiberg, Chemnitz, Weimar – wo Franz Liszt den politischen Flüchtling mit falschen Papieren ausstattete –, Jena und das bayerische Lindau in die Schweiz, durch die er einer langjährigen Haftstrafe oder vielleicht sogar dem Tode entging, markiert relativ genau die Mitte seines Lebens und zugleich etliche tiefgreifende Veränderungen, die seine gesamte zweite Lebenshälfte bestimmen sollten: Wagner verlor durch seine Teilnahme an der Märzrevolution 1848 und an dem Aufstand in Dresden im darauf folgenden Frühjahr seinen angesehenen Posten als Hofkapellmeister und sollte sich nie wieder um eine Anstellung an einem Theater bemühen. Seine Dirigentenkarriere endete in Dresden, denn nach 1849 stand Wagner nur noch bei wenigen Gelegenheiten vor einem Orchester. Wenn er das tat, so dirigierte er zumeist nur Konzerte, jedoch fast keine Opern mehr. Vor 1849 hatte Wagner eine Vielzahl von Opern einstudiert, nach 1849 kümmerte er sich nur noch um das eigene Werk, sei es als Textdichter, Komponist, Schriftsteller oder Aufführender. Bei jeder Inszenierung, die er betreute, trat er von nun an als Regisseur, jedoch praktisch nicht mehr als Dirigent in Erscheinung. Es gibt Hinweise darauf, dass Wagner sich von jeher schon gerne in Fragen der Regie eingemischt hatte. Offenbar interessierte dieser Teil seiner Arbeit am Theater ihn mit den Jahren stärker als die musikalische Einstudierung, sodass seine ausschließliche Hinwendung zur Bühnenwirksamkeit als Regisseur nach 1849 als Endpunkt einer kontinuierlichen Entwicklung erscheint. Sein Vorbild waren wahrscheinlich die Regisseure an den französischen Theatern, die in aller Regel mit den Autoren der jeweils aufgeführten Theaterstücke identisch waren. Man glaubte in Frankreich nämlich, den Intentionen des Verfassers bis hinein in die szenische Realisierung verbindlich Folge leisten zu müssen, ein Gedanke, der Wagners Ambitionen vollkommen entsprach. Wir werden im vorletzten Kapitel sehen, Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  93

wie eine Inszenierung unter Wagner, in diesem Fall die Uraufführung des Parsifal, sich im Detail ausnahm. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Wagners Wirken als Regisseur die moderne Theater- und Opernregie in Deutschland vorweggenommen, ja sie vielleicht sogar begründet hat, wie Carl Dahlhaus annahm.266 Weitere wichtige biografische Einschnitte sind bei Wagner für die Jahre nach 1849 zu konstatieren. Sie betreffen neben seinem professionellen auch sein privates Leben. Nachdem er in seiner ersten Lebenshälfte – wenn auch mehr schlecht als recht – versucht hatte, seinen Lebensunterhalt selber zu bestreiten, war er in seiner zweiten durchgängig von dem Geld abhängig, das ihm Freunde und Gönner zur Verfügung stellten; seine Einnahmen durch Veröffentlichungen von Texten und Musik, Aufführungshonorare und seine vereinzelten Auftritte als Dirigent allein hätten nicht dazu ausgereicht, ihn und seine Frau Minna zu ernähren. Wagner hatte dadurch Zeit und Muße, sich nahezu ausschließlich mit dem eigenen Schaffen zu beschäftigen, und ließ diese Möglichkeit nicht ungenutzt. Wir sehen ihn in seinen ersten Jahren in der Schweiz mit dem Entwerfen ehrgeiziger Werke und deren umfassender theoretischer Fundierung beschäftigt. Zunächst drängte es ihn, seine ästhetischen und politischen Überzeugungen in einer Reihe umfangreicher Schriften niederzulegen, die als Nachhall seiner Erfahrungen während der Revolutionszeit zu werten sind. Dazu gehören neben Die Kunst und die Revolution auch seine großen Zürcher Kunstschriften Das Kunstwerk der Zukunft, Oper und Drama und die autobiografische Schrift Eine Mitteilung an meine Freunde. Daran anschließend schrieb er die Textbücher zu den vier Ring-Dramen, deren Anfänge ebenfalls in die Revolutionszeit zurückreichen. Dieser nicht nur vom Umfang, sondern auch vom Inhalt her gewaltige Dramenzyklus wurde von Wagner stets als sein Hauptwerk betrachtet, und das mit Recht, denn in seinem dramatisch-musikalischen Schaffen nach 1849 ist eine enorme Dynamik in seiner künstlerischen Entwicklung zu beobachten, die sich in den jeweiligen Ring-Teilen niedergeschlagen hat. Wir werden uns die unterschiedlichen Schichten, die sich in Dichtung und Musik des Ring aufgrund seiner langen Entstehungszeit bildeten, in den folgenden Kapiteln näher ansehen.

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Die Entstehung des Ring aus dem Geiste der Revolution Nimmt man Wagners Aktionen während der Revolution in den Blick, also etwa sein Auftreten als politischer Redner, die Veröffentlichung seines Aufsatzes Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königthume gegenüber? und schließlich seine aktive Teilnahme am bewaffneten Widerstand gegen die vorrückenden sächsischen und preußischen Truppen in Dresden, so liegt der Verdacht nahe, er habe es auf einen Bruch mit seinem adeligen Dienstherren, dem König von Sachsen, regelrecht angelegt. Seine 1848, im Jahr der Revolution, vollendete letzte romantische Oper Lohengrin entpuppt sich bei näherem Hinsehen als ein politisches Werk, das Wagners Sensibilität für politische Fragen am Vorabend der Märzrevolution klar zutage treten lässt und in dieser Zeit nicht ohne Brisanz war. Man war sich im nachrevolutionären Sachsen dieser Tatsache bewusst, und nicht umsonst wurde diese für Dresden komponierte Oper erst mehr als elf Jahre nach ihrer Vollendung und nachdem sie schon an etlichen anderen Theatern gelaufen war an der Sächsischen Hofoper erstmals inszeniert.267 Betrachten wir die Handlung des Lohengrin unter diesem politischen Aspekt: Ein Unbekannter, dessen Ursprung wie sein sozialer Status vollkommen im Dunkeln liegen, wird entgegen jeglicher Tradition und jedes überkommenen Gesetzes qua Gottesurteil zum mächtigsten Mann in Brabant; dass er sich selber als „Schützer“ tituliert, verdeckt nur wenig den Umstand, dass er im Grunde den Herzog von Brabant bis auf weiteres in seiner ganzen Machtfülle vertritt. Dass ihm diese mächtige Position durch Elsa, die junge, unmündige Tochter des Herzogs, und nicht durch ihren Vormund Heinrich von Telramund, dem die Regentschaft eigentlich zugestanden hätte, zukommt, macht den gesamten Vorgang nicht weniger anstößig. Wagners Vorstellungen einer neuen politischen Ordnung, die hier zum Ausdruck kommen, bewegten sich in damals zeittypischen Kategorien und passen am ehesten mit der damals kursierenden Vorstellung eines „Volkskönigtums“ zusammen.268 Nach Wagners Auffassung ging es darum, alle Volksklassen am politischen Leben teilhaben zu lassen. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass er die Monarchie als solche infrage stellte. Vielmehr ging es ihm um eine Art der demokratischen Legitimierung der adeligen Herrschenden, als er seinen Lohengrin schrieb. Lohengrin ist ja selber, wie man allerdings erst am Ende der Oper erfährt, adeliger Abstammung und dazu Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  95

noch von Gott gesandt, besitzt also jegliche nur erdenkliche Berechtigung zur Führung Brabants wie auch zur Ehe mit der Herzogstochter Elsa. Man kann dieses Werk also als ein Dokument politischer Überlegungen und Diskussionen des Vormärz interpretieren, als ein Stadium in Wagners politischer Entwicklung. Zur Zeit der Revolution wurden Wagners Anschauungen radikaler. Er hatte viel Umgang mit dem russischen Anarchisten Michail Bakunin, den er im Rückblick in Mein Leben wie folgt beschreibt: „Alles an ihm war kolossal, mit einer auf primitive Frische deutenden Wucht.“269 Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Held seiner genau zu dieser Zeit entworfenen Oper Sieg fried’s Tod – die, wie gesagt, zur Keimzelle des Ring wurde – einige anarchistische oder zumindest antiautoritäre Züge aufweist, etwa in seinem respektlosen Umgang mit seinem Erzieher Mime. Und Siegfried’s Tod wie auch die Götterdämmerung – also der gesamte Ring – schließt mit nichts anderem als dem von Bakunin und anderen Anarchisten ersehnten Weltenbrand, einem Symbol für die Auflösung aller überkommenen politischen Ordnung, dem Ende des einstmals mächtigen Göttergeschlechts. Es ist hier aus Raumgründen nicht angebracht, detailliert auf Wagners Teilnahme am Dresdner Aufstand einzugehen, da hierzu eine Menge Material vorliegt und sich etliche Wagnerforscher mit diesem Teil seiner Biografie gründlich auseinandergesetzt haben.270 Nur so viel ist sicher: Die z. T. recht unterhaltsam zu lesenden Abschnitte in Mein Leben über die Ereignisse von 1849 berichten nicht die ganze Wahrheit; schließlich ist diese Autobiografie für einen Monarchen, Ludwig II. von Bayern, geschrieben worden. Allerdings muss man über Wagners Ehrlichkeit in mancher Hinsicht staunen, etwa wenn er davon berichtet, wie die gewaltsamen Auseinandersetzungen ihn zutiefst faszinierten. So schreibt er über das Läuten der Glocken der Annenkirche, das das Signal zum Aufstand gab, es habe seine Sinneswahrnehmung in eigenartiger Weise geschärft: „Es war an einem sehr sonnigen Nachmittag […]. Der ganze Platz vor mir schien von einem dunkelgelben, fast bräunlichen Licht beleuchtet zu sein, ähnlich wie ich es bei einer Sonnenfinsterniss […] wahrgenommen. Die dabei sich kundgebende Empfindung war die eines grossen, ja ausschweifenden Behagen’s; […] so gerieth ich […] zunächst auf den Einfall, in Tichatschek’s Wohnung den von ihm, als passionirtem Sonntagsjäger, gepflegten Schiessgewehren nachzufragen“.271 96  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

Wie auch immer im Einzelnen sich seine Teilnahme an der Revolution gestaltete, muss Wagner sich in jedem Fall darüber im Klaren gewesen sein, dass er, wenn nicht schon im Jahre 1848, so spätestens im Mai 1849, alles aufs Spiel setzte: seine gesellschaftliche Stellung, sein Einkommen und sogar sein Leben. Beispielsweise wurde sein Bekannter aus der Revolutionszeit August Röckel, der sich ebenso wie Wagner öffentlich politisch engagierte, nach der Niederschlagung des Aufstandes verhaftet und zum Tode verurteilt. Er wurde später zu lebenslänglichem Gefängnis begnadigt und kam nach dreizehn Jahren wieder frei. Wagner, der nur durch einen Zufall einem ähnlichen Schicksal entkam,272 hätte mit Sicherheit weder den Ring noch den Tristan geschaffen, wenn es ihm wie Röckel ergangen wäre. Nach seiner Flucht in die Schweiz beschäftigten Wagner die zurückliegenden Erfahrungen. Er verfasste eine Schrift über Die Kunst und die Revolution und weitere theoretische Texte, darunter Oper und Drama, seine umfangreichste theoretische Schrift, meditierte über das Kunstwerk der Zukunft – und zugleich auch über zukünftige gesellschaftliche Veränderungen – und beschäftigte sich mit seinen auch politisch zu deutenden Opernentwürfen Achilleus, Sieg fried’s Tod und Wieland der Schmied.273 Schließlich entschloss er sich, nur eines von ihnen in Musik zu setzen, allerdings in stark erweiterter Form. Aus Siegfried’s Tod wurde der Ring des Nibelungen, eine Allegorie über Macht und Besitz und das gewaltigste Bühnenprojekt, das es bis dahin im neuzeitlichen Musikthea­ ter gegeben hatte. Vorab versuchte Wagner, mit seinen Schriften die theoretische Grundlage dafür zu liefern, auch wenn das Werk dann während seiner langen Entstehungszeit seinen eigenen Entwicklungsgang nahm und Wagner sich nicht mehr strikt an seine eigenen theoretischen Vorgaben hielt. Am Anfang, als er im Jahre 1853 das Rheingold zu schrei­ben begann, beschränkte sich Wagner auf die konsequente Entwicklung seiner bisherigen musikalischen und dramatischen Errungenschaften. Das Rheingold ist das erste seiner Werke, das er nicht mehr als „Oper“ klassifizierte, nachdem er diese Gattung in seiner Schrift Oper und Drama als veraltet, dramatisch unnatürlich und durch ihren höfischen Ursprung als nicht mehr zukunftsträchtig verworfen hatte;274 auch hier kann man unschwer einen Reflex seiner revolutionären Anschauungen erkennen. Unverkennbar drängte es Wagner nach fünf Jahren musikalischen Schweigens zur Komposition. Das Rheingold wurde innerhalb Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  97

von nur zehn Monaten vertont. Doch Wagners Absichten, die er mit dem Ring verfolgte, veränderten sich im Laufe der Zeit. Am Anfang stand die Vision eines kathartischen Dramenzyklus, ein Konzept, das von einem pädagogisch-politischen Grundgedanken getragen war. Als er mehr als zwanzig Jahre später sein Riesenwerk mit der Götterdämmerung abschloss und 1876 den gesamten Ring zum ersten Mal auf die Bühne stellte, waren seine Ansprüche ins Enorme gewachsen, denn nun glaubte er, eine neue dramatische Kunstform begründet zu haben. Wenn man die Dokumente aus den Jahren dazwischen betrachtet, erscheint diese auf den ersten Blick vielleicht maßlos anmutende Behauptung nicht einmal vollkommen abwegig. Darüber in Kapitel 7 mehr.

Wagners Schaffensprozess An dieser Stelle erlauben uns die erhaltenen Dokumente einen tiefen Einblick in Wagners Werkstatt als Dramatiker und Komponist. Aus seiner Zeit in Zürich sind so viele Briefe und Skizzen Wagners sowie Dokumente von Zeitgenossen erhalten, dass wir uns von seinem hochspezifischen Schaffensprozess, der in den Jahren zuvor ähnlich ausgesehen haben dürfte, ein detailliertes Bild machen können. Im Folgenden wird eingehend rekonstruiert, wie Wagner vorging, wenn er ein neues Werk schuf. Dabei wird es neben anderem auch um die Frage gehen, in welchem Verhältnis die unterschiedlichen Künste – Dichtkunst, Musik, szenische Aufführung – in seinem Schaffensprozess zueinander stehen. Diese drei sollten laut Wagner einst das „Kunstwerk der Zukunft“ bzw. das „Gesamtkunstwerk“ konstituieren. Seit seiner 1845 vollendeten Oper Tannhäuser ließ sich Wagner mit Vorliebe von mittelalterlichen Stoffen anregen. Seine in Dresden zurückgelassene Bibliothek wie auch später angeschaffte Bücher, die in seinem Haus Wahnfried in Bayreuth vorzufinden sind, belegen sein starkes Interesse für diese historische Epoche. Generell war das Mittelalter für die literarischen Romantiker wie Wilhelm Heinrich Wackenroder oder Joseph von Eichendorff eine Periode, in die sie ihre Sehnsüchte idealisierend projizierten, und auch die Jungdeutschen und deutschen Burschenschafter pflegten diese historische Epoche, die von der Aufklärung im 18. Jahrhundert als finster und irrational angesehen wurde, zu verklä98  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

ren. Doch Wagner ging über diese möglicherweise etwas sentimentale Sichtweise auf das Mittelalter hinaus, denn ebenfalls seit dem Tannhäuser brachte er sein literarisches Material – also Sagen, Legenden, mittelalterliche Romane, Epen und dergleichen – in eine neue Form, die sich so nicht in den ursprünglichen Texten findet und am besten mit dem Begriff „mythologisch“ zu bezeichnen ist. Wagners Dramen sind Paradebeispiele für die Schöpfung moderner Mythen, d. h. von Handlungen, die sich auf vielerlei Weise deuten lassen und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet einen Sinn ergeben. Beispielsweise kann man Lohengrin als Paraphrase auf das älteste Märchen überhaupt lesen, nämlich das von Amor und Psyche aus dem Goldenen Esel des Apuleius aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert, in dem die Unvereinbarkeit der menschlichen und göttlichen Sphäre im Mittelpunkt steht. Oder als ein politisches Werk, wie oben gezeigt, oder als die Fantasie eines heranwachsenden Mädchens.275 Als Konflikt zwischen männlicher und weiblicher Weltanschauung, als Gleichnis über die menschliche Sucht nach Macht, die auch vor dem Göttlichen nicht Halt macht, oder über die menschliche Fehlbarkeit, die angesichts jedes starr rationalen Prinzips zutage treten muss usw. Wie einige Schriften Wagners aus seinen letzten Dresdner Jahren zeigen, beschäftigte er sich in dieser Zeit viel mit dem Mythischen wie dem Politischen. Er veröffentlichte z. B. eine Broschüre Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage und schrieb einen Entwurf zu einem Drama Jesus von Nazareth, in dem er Christus weniger als Erlöser denn als Sozialrevolutionär darstellte; man kann sich kaum ausmalen, was für einen Sturm der Empörung Wagner ausgelöst hätte, wenn er dieses Drama tatsächlich vollendet hätte. Es ist kurz gesagt nicht zu übersehen, wie Wagner in den späten 1840ern in unterschiedlichsten Richtungen nach Stoffen für sein nächstes Werk suchte. Dabei ist auffallend, dass er sich in Dresden bereits mit all denjenigen Materialien beschäftigt hatte, die er dann in seiner zweiten Lebenshälfte nach 1849 ausarbeiten sollte: mit dem Nibelungenlied, der Edda, dem Tristan Gottfried von Straßburgs, dem Parcival Wolfram von Eschenbachs276 und auch zu den Meistersingern hatte er in Dresden bereits 1845 einen Entwurf angefertigt, den er dann allerdings beiseite legte und erst fast zwei Jahrzehnte später wieder hervornehmen sollte. Wagner war also vor allem in den 1840ern und 1850ern auf der Suche nach dramatischen Motiven, um sie vorerst als knappe Entwürfe zu ordnen und in eine Form zu bringen. Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  99

Solche Entwürfe las er vor oder besprach sie ausführlich mit seinen Besuchern, Freunden oder seiner Frau. Es handelte sich dabei in diesem allerersten Stadium der Werkentstehung lediglich um ein paar Zeilen, nicht mehr als eine ganz grobe Skizze von entscheidenden dramatischen Momenten. Typisch für Wagner ist, dass er seine Stoffe von Anfang an in drei Akte gruppierte. Sofern ein solcher knapper Entwurf Wagner vielversprechend genug erschien, machte er sich an eine umfangreichere Ausarbeitung, den sogenannten Prosaentwurf. Diese Art der Wagnerschen Textskizze konnte mehrere Seiten Umfang haben, auf denen die Handlung im Detail und auch bereits einige Repliken der Charaktere festgehalten wurden.277 In dieser Form trug Wagner seinen Prosaentwurf etliche Male im privaten Kreise vor, bevor er sich entweder dafür entschied, ein vollständiges Textbuch in Versen daraus zu machen, oder aber das Projekt fallen ließ. Dieses Stadium war somit die entscheidende Hürde, die ein Projekt zu nehmen hatte, denn wenn Wagner einmal beschloss, ein Textbuch zu schreiben, vertonte er es in der Regel auch; die einzigen Ausnahmen sind Die hohe Braut WWV 40 und Wieland der Schmied WWV 82, die über das Textbuchstadium nicht hinauskamen.278 Man kann davon ausgehen, dass Wagner seine Prosaentwürfe suggestiv zum Vortrag brachte, dass er möglicherweise Repliken improvisierte und seinen Zuhörern zentrale Aktionen vormachte. Nachweislich geschah dies bei seinen vollständig ausgearbeiteten Textbüchern. Hier ging Wagner stets nach einem festen Muster vor: Wie die Datierungen in seinen Handschriften und seine Briefe belegen, brauchte Wagner bei der Versifizierung eines Textbuches pro Akt etwa eine Woche zur Niederschrift. Während dieser Zeit unterhielt er sich bereits ausgiebig mit seinen Gästen oder seiner Frau über die jeweils vollendeten Abschnitte. Sobald ein Textbuch abgeschlossen war, drängte es ihn jedoch mit aller Macht dazu, es im Ganzen und wenn möglich sofort vor einem etwas größeren Auditorium vorzulesen. Dazu rief er in großer Eile alle seine Bekannten vor Ort zusammen und machte sich an die Rezitation, im Falle des Textbuches zum Tristan sogar noch am Tage des Abschlusses. Diese Rezitationen wurden, wie seine Zeitgenossen berichten, von ihm mit großer dramatischer Ausdruckskraft gestaltet, stimmlich wie auch gestisch. Wagner sprach seinen Text teilweise sehr laut und singend und setzte Gesichtsausdruck und Körpersprache nach der Art deutscher Schauspieler ein, also mit weit ausgreifenden Gebärden, die Arme oft100  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

mals über den Kopf erhoben, und stilisierten Stellungen seiner Hände, wie sie heutzutage am ehesten noch im klassischen Ballett zu finden sind. Und Wagner charakterisierte die Figuren durch ihren Tonfall, d. h., er ließ bereits in diesem Stadium, das wir deshalb als ersten Schritt der Musikalisierung bezeichnen können, Teile der späteren Vokallinien erklingen. Alberich und Mime werden sich durch ihren scharf artikulierten, sprecherischen Tonfall, die Wälsungen hingegen durch eine kraftvolle, gedehnte, dem Singen angenäherte Sprache ausgezeichnet haben. Das geschah zwar ohne Begleitung eines Instrumentes, aber offenbar mit derartiger Sicherheit in der Wahl des Tonfalles, dass Wagner, wie die Skizzen zeigen, überhaupt keine Schwierigkeiten bei der Niederschrift der Musik hatte, wenn es um Sprechgesangspassagen ging. Betrachtet man beispielsweise die Skizzen zum Rheingold, fällt auf, wie Wagner etwa die Partie des Alberich in der ersten Szene, die dem Sprechtonfall durchweg sehr nahe ist, in einem Zuge, ohne nennenswerte Korrekturen und mit großer Sicherheit gleich in der endgültigen Fassung niederschrieb, trotz der oft komplexen rhythmischen und melodischen Verläufe. Diese Fertigkeit, den Sprechtonfall in Noten zu bringen, hatte er während der Vertonung des Lohengrin perfektioniert, bei der es ihn noch einige Mühe gekostet hatte. Beim Vergleich der Lohengrin-Skizzen mit der Partitur sind eine Menge Stellen zu entdecken, an denen die skizzierte Vokalmelodie von der endgültigen Version abweicht, und Korrekturen an den Singstimmen sind in der Lohengrin-Skizze nicht so selten wie in der zum Rheingold. Allerdings besteht das letztgenannte Werk zum überwiegenden Teil aus Sprechgesang, beispielsweise im Falle der Partien des Alberich, Mime, Loge, Fasolt, Fafner, und auch Wotans Part wartet mit einem hohen Anteil rezitatorischer Passagen auf. Die Skizzierung solcher Stellen ging Wagner nach dem Lohengrin recht leicht von der Hand. Demgegenüber häufen sich die Korrekturen an den kantablen Stellen, bei denen das Orchester stärker in den Vordergrund tritt und der Akteur gewissermaßen im Stile einer Opernarie eine Passage breit auszusingen hat. In extremem Maße ist dies bei dem Lenzeslied Siegmunds „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ im ersten Aufzug der Walküre der Fall. Die entsprechende Seite in den Skizzen, der bereits Vorarbeiten vorangegangen waren, ist von Korrekturen beinahe schon bis zur Unleserlichkeit übersät. Wagner war sich weder darüber im Klaren, wie lang, noch, wie hoch bestimmte Töne dieses Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  101

Abschnittes von Siegmunds Partie sein sollten. Möglicherweise kam er hier auch mit der Gestaltung des Orchesterparts in Konflikt, d. h., er wusste nicht, ob er zuerst die Singstimme skizzieren und sie dann mit Orchestermusik versehen sollte oder ob er hier den orchestralen Teil zuerst entwerfen und dann die Singstimme nachträglich einfügen sollte. Kurz: Je weiter sich die Vokallinien vom Sprechtonfall entfernen, desto schwieriger war es für Wagner, sie zu entwerfen. Noch etwas ist an Wagners Schaffensprozess auffällig: Wagner rezitierte seine neu geschriebenen Textbücher etliche Male in Folge, mitunter auch vor größeren anonymen Auditorien wie etwa im Falle der Mei­ stersinger vor einigen Professoren in Leipzig.279 Man kann mitunter von regelrechten Vorlesetourneen sprechen, die er mit seinen neugeschriebenen Texten unternahm. Jedes Mal aber, wenn er im Anschluss daran mit der Skizzierung der Musik begann, brach seine intensive Rezitationstätigkeit vollständig ab. Wagner konzentrierte sich nun ausschließlich auf die musikalische Ausarbeitung und gab, wenn überhaupt, seinen Bekannten und Freunden fortan nur etwas von dem neu Komponierten zum Besten, nicht jedoch mehr den Text in rezitierter Form. Auch die Form seiner Skizzen, derer er sich seit dem Lohengrin bis zu seinem Lebensende bediente und die in der Wagnerforschung als „Gesamtentwürfe“ bezeichnet werden – die Tannhäuser-Skizzen sind eine Vorstufe hierzu –, ist aufschlussreich. Wagner vertonte alle seine Werke nämlich so, wie ein Rezitator rezitiert: von vorne nach hinten. So naheliegend dieses Verfahren auch erscheinen mag, so ungewöhnlich ist es für einen Opernkomponisten. Als solcher konzentrierte man sich bis zu Wagners Zeit normalerweise zuerst auf die Ausarbeitung der musikalisch zentralen und komplexen Stellen, also z. B. die Arien, Ensembles oder Chorszenen, um dann als letzten Schritt die Rezitative und musikalisch weniger anspruchsvollen Stücke zu schreiben. In dieser Weise hatten Händel und Mozart ihre Opern komponiert, und so verfuhr auch Giuseppe Verdi, der beispielsweise bereits Musik zu seiner Traviata entworfen hatte, bevor das Libretto überhaupt vorlag.280 Bei Wagner entstand seine Musik hingegen sukzessiv auf den fertigen Text, also ein Abschnitt nach dem anderen, auch wenn er sich bei satztechnisch besonders anspruchsvollen Stellen oft ein separates Skizzenblatt zum Entwerfen nahm und in Einzelfällen Motive oder Themen schon notiert hatte, bevor er an die

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4a und 4b Der Gesamtentwurf zu Walküre I, 3. Signatur NA (A III a 3) 14v (vollständig) und 15r (Ausschnitt). Siegmund: „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ usw.]

jeweilige Stelle im Text gelangt war; das war jedoch die Ausnahme von der Regel. Von besonderem Interesse bei der Skizzenauswertung sind die ersten Gesamtentwürfe Wagners, weil man an ihnen seine Vorgehensweise recht unverhüllt beobachten kann; in den zweiten Gesamtentwürfen, bei denen es sich zumeist um sauber und leserlich mit Tinte geschriebene, mit gewissen Einschränkungen auf dem Klavier spielbare, fortgeDas erste Schweizer Exil (1849–1859)  103

schrittene Stadien der Werkentstehung handelt, sind Korrekturen und Veränderungen recht selten zu finden und dementsprechend ist von dem eigentlichen Arbeitsprozess auf ihnen nur wenig zu sehen. Die ersten Gesamtentwürfe sind hingegen eilig mit Bleistift hingeworfene Skizzen und entstanden wenigstens zum Teil am Klavier. Wagners Hast bei der Niederschrift ist oft gut zu erkennen. Auf ihnen sind häufig unterschiedliche Schriftschichten auszumachen, d. h. man sieht, was Wagner zuerst aufschrieb und was nachträglich in einem zweiten oder dritten Arbeitsschritt hinzukam. Über die Reihenfolge der Arbeitsschritte beim Entwerfen der Musik zu Rheingold, Walküre und den ersten beiden Aufzügen des Siegfried lassen sich anhand der ersten Gesamtentwürfe recht präzise Aussagen treffen: Wagner lernte den Gesangstext auswendig, bevor er eine Stelle skizzierte. Wie man an dem zwischen die Noten gequetschten Gesangstext sehen kann, war dessen Einfügung in die Skizze der letzte Arbeitsschritt. Dabei kamen recht häufig Änderungen des Textes vor,281 die an mancher Stelle darauf zurückzuführen sind, dass Wagner beim Auswendiglernen Fehler machte. Normalerweise notierte er in seinen Skizzen die Singstimme auf einem eigenen System und die Begleitung auf einem oder zweien darunter. Mit dem Text und – wie man angesichts seiner sprecherischen Versiertheit und der vielen vorangegangenen Rezitationen wohl vermuten darf – dem theatralischen Sprechtonfall einer Passage im Kopf schrieb Wagner nun als Erstes die Vokallinie nieder und deutete den Orchesterpart, wenn überhaupt, lediglich durch ein oder zwei Töne in dem System darunter an, was dazu diente, die Harmonien grob zu fixieren. In einem nächsten, vielleicht sogar erst nach der Niederschrift des Gesangstextes liegenden Schritt fügte Wagner hier und da mit kleinen Noten Figuren und Motive in die unter der Singstimme liegenden Systeme ein. Möglicherweise geschah das, nachdem er sich selber oder anderen mehrfach die betreffenden Passagen vorgespielt hatte. Es ist auffallend, dass der Orchesterpart in den ersten Gesamtentwürfen nur in allergröbsten Umrissen und mitunter auch ganz anders skizziert wurde, als er später in der Partitur zu finden ist. Die Singstimmen sind hingegen so gut wie immer in ihrer endgültigen Fassung vorhanden, d. h., Wagner veränderte an seinen Vokallinien nach der Ausarbeitung des ersten Gesamtentwurfes nichts mehr. Das bedeutet, dass die Singstimmen bei Wagner in dieser Periode seines Schaffens als Erstes entstanden und dass der Orchesterpart aus ihnen 104  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

hervorging bzw. ihnen gegenüber sekundär war. Dieser Befund mag angesichts des mächtigen und farbigen Orchesters, das Wagners Musik zum Ring kennzeichnet, eigenartig anmuten und wirft einige Fragen auf, auf die in den nächsten Kapiteln näher eingegangen wird. Um schon an dieser Stelle vorzugreifen: Wagner ging beim Entwurf seiner Musik nicht nur von dem kunstvollen Sprechtonfall aus, der in seinem Fall vom Stil der sächsischen Schauspieler der 1820er und 1830er Jahre geprägt war, sondern auch von deren Art zu agieren, die er sich wie das theatralische Deklamieren von Versen als Kind und Jugendlicher angeeignet hatte. Diese Gesten waren häufig der Ausgangspunkt für die Gestaltung des Orchesterparts in seinen Werken. Der Primat der Vokallinie in den ersten Gesamtentwürfen dieser Jahre ist also auch ein Indiz dafür, dass Wagner vom Ganzen des Schauspielvortrags, also vom Tonfall wie von den Gesten einer bestimmten Figur, ausging, wenn er Musik schrieb. Das war die wichtigste Stimulanz für ihn, wenn es darum ging, zu komponieren. Wenn sie ihm fehlte, weil er nicht-dramatische Musik zu schrei­ben hatte, beispielsweise den Kaisermarsch WWV 104 oder den Großen Festmarsch WWV 110, hatte er stets große Probleme mit dem Komponieren, sowohl was den eigentlichen Kompositionsprozess282 als auch die Resultate dieser mühevoll geschaffenen Werke betrifft; wie auch immer man zu Wagner steht, wird man diese beiden Märsche mit Sicherheit nicht zu seinen stärksten Schöpfungen rechnen. Dasjenige Werk, in dem Wagner das eben beschriebene Verfahren am konsequentesten anwendete, ist Das Rheingold. Hier dominiert der Sprechgesang, und es gibt vergleichsweise wenige Monologe, sondern schnelle Wortwechsel zwischen den Figuren bestimmen das Geschehen. In der Walküre macht sich demgegenüber stellenweise eine (Wieder-) Annäherung an das emphatische, vielleicht als ‚opernmäßig‘ zu bezeichnende Singen bemerkbar, während in den ersten Aufzügen des Siegfried mit Ausnahme der sogenannten Schmiedelieder Siegfrieds wiederum der Sprechgesang viel Raum einnimmt. Hinsichtlich der Anwendung dieses musikalisch-rezitatorischen Mittels geben die Skizzen und Entwürfe Wagners aus dieser Zeit also recht genauen Aufschluss über die Werkentstehung bzw. über die Entstehung seiner Partituren und seine unterschiedlichen Strategien bei der Niederschrift der Musik. Um Wagners eigentlicher künstlerischen Absicht in diesem Zusammenhang noch näher zu kommen, ist es jedoch unumDas erste Schweizer Exil (1849–1859)  105

gänglich, ein wenig auf seine theoretischen Überlegungen einzugehen, die er in seinen umfangreichen Zürcher Schriften formulierte. Die Schwierigkeiten, auf die man stößt, wenn man sich mit Wagners theoretischen Schriften auseinanderzusetzen beabsichtigt, sind erheblich, aber in dieser Sache auch der Mühe wert.283

Wagners große Zürcher Kunstschriften Wagners Prosa als Theoretiker – das weiß jeder Wagnerenthusiast, der sich ein erstes Mal unvorbereitet daran versucht hat – ist wahrhaft schwere Kost. Ganz im Gegensatz zu seinen flüssig und pointiert geschriebenen Briefen oder auch seiner Autobiografie Mein Leben, die z. T. kurzweilig zu lesen sind, bedient sich Wagner in seinen theoretischen Schriften eines umständlichen, nicht immer auf Klarheit angelegten, oft nur aus Andeutungen bestehenden Stils, der die Lektüre stellenweise zu einer echten Geduldsprobe machen kann. Man bekommt den Eindruck, als habe er sich im Bestreben, seine Gedanken möglichst umfassend, präzise und vollständig zu formulieren und ihnen einen Anstrich von Allgemeingültigkeit zu geben, in einen ihm vielleicht wissenschaftlich erscheinenden Stil geflüchtet, der allerdings seine mangelnde Erfahrung als Schriftsteller theoretischer Texte recht deutlich zutage treten lässt. Vielleicht wurde ihm dies selber klar, denn Wagner hat sich nach seinen umfangreichen Zürcher Schriften nicht mehr in der gleichen Ausführlichkeit und Vehemenz als Kunsttheoretiker betätigt. Mit Sicherheit sind diese Texte nicht als sonderlich leserfreundlich anzusehen. Dennoch zeichnen sich in ihnen relativ deutlich einige wiederkehrende Themen und Argumente ab, die auch in späteren Schriften anzutreffen sind. Sie vermögen Aufschluss über sein Werk zu geben. Vorab ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass er in allen seinen Schriften nur wenig auf Musik im Allgemeinen oder seine eigene Musik im Besonderen eingeht. Stattdessen stehen Reflexionen über das Theater im Zentrum der meisten seiner theoretischen Texte, insbesondere derjenigen aus seiner Zürcher Zeit. Wagners Schriften sind also nicht die eines Musik-, sondern die eines Theatertheoretikers, was wiederum für sein künstlerisches Selbstverständnis bezeichnend ist. Wagner sah sich

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in erster Linie nicht als Komponist, sondern als komponierender Dramatiker. Nehmen wir als Beispiel für die Schwierigkeiten, die sich bei der Lektüre von Wagners Schriften einstellen, sein theoretisches Hauptwerk Oper und Drama aus dem Jahre 1851.284 Viele Exegeten haben versucht zu definieren, was es mit dem Begriff „Drama“ in diesem Text auf sich hat. So viel ist unstrittig: Wagner benutzt ihn hier auf eine höchst individuelle Weise. Es handelt sich dabei nicht – oder nicht nur – um eine simple Gegenüberstellung von Musiktheater (d. h. Oper) und Sprechtheater (d. h. Drama), wie der Titel vielleicht vermuten lassen könnte. Die Schrift ist, wie übrigens auch fast alle Wagnerschen Dramen, in drei Abschnitte unterteilt. Im ersten geht er auf die Oper ein, die er als Gattung verwirft, u. a. weil sie aristokratischen Ursprungs sei und die Dominanz des Sängervirtuosen im zeitgenössischen Musiktheater, wie sie beispielsweise bei Rossini gegeben sei, die Handlung als zweitrangig gegenüber der Musik erscheinen lasse. Laut Wagners oft zitierter Definition soll es aber genau umgekehrt sein: „[…] der Irrthum in dem Kunstgenre der Oper bestand darin, daß ein Mittel des Ausdrucks (die Musik) zum Zwecke, der Zweck des Ausdrucks (das Drama) aber zum Mittel gemacht war“.285 Daher, aufgrund ihrer dramatischen Unnatürlichkeit, sei die Oper als Gattung erledigt.286 Diese Sichtweise der Dinge ist, ungeachtet Wagners Anspruchs auf Allgemeingültigkeit, natürlich hochsubjektiv und gewährt weniger Einblicke in den behandelten Gegenstand, die Oper, als in die individuellen künstlerischen Ansichten und Vorhaben des Autors. Im zweiten Abschnitt von Oper und Drama gibt Wagner einen wiederum sehr subjektiven Überblick über die Entwicklung des Schauspiels, und im dritten entwirft er wie in seiner vorausgegangenen Schrift Das Kunstwerk der Zukunft ein Bild eines noch zu schaffenden Typus des Dramas, der den Anforderungen der sich gerade verändernden Gesellschaft dereinst entsprechen würde. Die Definition von „Drama“, mit der Wagner in Oper und Drama operiert, ist höchst aufschlussreich für sein künstlerisches Denken in Fragen der Musik wie des Theaters und lässt sich in Verbindung mit seinen anderen Schriften bringen. So definiert er ein „Kunstwerk“ in seiner Schrift Das Kunstwerk der Zukunft wie folgt: „Wahr und lebendig ist aber nur, was sinnlich ist und den Bedingungen der Sinnlichkeit gehorcht. […] Das wirkliche Kunstwerk, das heißt das unmittelbar sinnlich dargestellte, in dem Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  107

Momente seiner leiblichen Erscheinung, ist daher auch erst die Erlösung des Künstlers, […] die unzweifelhafte Bestimmtheit des bis dahin nur Vorgestellten, die Befreiung des Gedankens in der Sinnlichkeit“.287 Es lohnt sich, den letzten Satz zweimal zu lesen, denn was Wagner hier entwirft ist nichts weniger als eine Ästhetik des Erlebens, welche die Aufführung über das schriftliche Produkt, die dramatische Aktion über das gedruckte Schauspiel, die erklingende Musik über die Partitur stellt. In Oper und Drama findet sich eine weitere Konkretisierung dieses Gedankens: „Drama“ ist demnach definiert als „das unmittelbar zur Anschauung gebrachte, sinnlich dargestellte dramatische Kunstwerk“.288 In einem umfangreichen Brief an Liszt aus der Zeit der Abfassung von Oper und Drama wird der Begriff „Drama“ synonym für „sinnliche Repräsentation eines Dramas“ verwendet.289 Aus Wagners Schriften und Briefen spricht die Überzeugung, es hier mit einer ästhetischen Kategorie zu tun zu haben, die bisher von den Theoretikern vernachlässigt wurde, deren Gegenstand traditionell aus schriftlichen Resultaten eines künstlerischen Schaffensprozesses bestand, d. h., die das „Werk“ mit einem Buch oder einer Partitur gleichsetzten. Damit stellt sich die Frage nach Wagners Werkbegriff. Die Partitur war für ihn eben nicht das „Werk“, sondern, wie er selbst formulierte, das (musikalisch-)dramatische Kunstwerk im Moment seiner Aufführung. In Eine Mitteilung an meine Freunde bezeichnete er das Studium einer Partitur als eine reine Verstandestätigkeit, welche niemals die „sinnliche Erscheinung“ eines Kunstwerkes ersetzen könne, auf die es doch eigentlich ankomme.290 Damit nimmt Wagner unter den Kunsttheoretikern seiner Zeit einen durchaus als extrem zu bezeichnenden Standpunkt ein. Ihm geht es nicht so sehr um das Schaffen eines strukturell komplexen und eben dadurch gediegenen schriftlichen Produkts – auch wenn seine Partituren dies ohne Zweifel sind –, sondern darum, dem Zuschauer und Zuhörer ein optisch und akustisch überzeugendes Ergebnis zu liefern,291 einschließlich dem nicht geschulten Zuschauer und Zuhörer. In diesem Gedanken liegt etwas Demokratisches, Anti-Elitäres. Wagner glaubte, wie seine Zürcher Kunstschriften zeigen, die Zukunft würde solchen dramatischen Gebilden gehören, in denen die Mienen und Gebärden eines Schauspielers in Verbindung mit Musik das Gefühl des Zuschauers ansprechen würden, während ihr Text und die Handlung seine rationale Seite in Anspruch nehmen sollten und somit der Gesamteindruck auf Verstand und Emo108  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

tion gleichermaßen abzielen würde. Angesichts des ungeheuren Siegeszuges des Mediums Film, von dem um 1850 noch nicht einmal primitivste Vorformen existierten, mag diese Vision, die Wagner damals vorschwebte, beinahe schon als prophetisch erscheinen.

Musikalisiertes „Drama“: Die Entstehung der ersten Ring-Teile Wenden wir uns nach diesem theoretischen Exkurs nun wieder Wagners Schaffen zu. Nachdem er in den Jahren zwischen 1848 und 1852 die vier Ring-Dramen in umgekehrter Reihenfolge entworfen und ihren Text niedergeschrieben hatte – beginnend am Ende mit der Heldenoper Siegfried’s Tod, aus der dann später Götterdämmerung wurde, und Der junge Siegfried, woraus dann Siegfried wurde, und abschließend mit den ersten beiden Dramen Die Walküre und Das Rheingold –, begann er den gesamten Zyklus von 1853 an von vorne nach hinten zu vertonen. Die Arbeit hieran ging bis auf wenige kurze Pausen kontinuierlich vonstatten, bis er nach der Skizzierung des zweiten Siegfried-Aufzuges im August 1857 die Arbeit am Ring für einige Jahre unterbrach. Ganz offensichtlich versuchte er mit diesem Werk seine theoretischen Prämissen, wie sie eben dargelegt wurden, in die Praxis umzusetzen. Wie er später Cosima berichtete, war im Ring für ihn das „Drama“, also die dramatische Aktion, für die Gestaltung der Musik ausschlaggebend. Das lässt sich, wie gezeigt, gut an den Skizzen zu diesen ersten Ring-Teilen verifizieren. Wagner muss die Dauer und das Timing der wichtigsten Aktionen und szenischen Effekte detailliert vor Augen gehabt haben, so detailliert, dass er mitunter gar keine Noten in die Skizze schrieb, sondern nur ein paar Takte leer stehen ließ, deren Anzahl dann, wie beispielsweise bei der Verwandlungsmusik zwischen zweiter und dritter Rheingold-Szene, exakt derjenigen in der definitiven Fassung der Partitur entspricht.292 Die Dauer dieser Verwandlung stand also fest, bevor er die Musik dafür zu Papier brachte. Das galt auch für die Bewegungen der Darsteller. Wenn man Wagners musikalische Skizzen zur Hand nimmt, finden sich darin nur sehr gelegentlich schriftliche Bemerkungen zur Regie. Seine Partituren enthalten dagegen eine ganze Menge Regieanweisungen. Dieser Umstand hat einige Forscher zur der AnDas erste Schweizer Exil (1849–1859)  109

nahme verleitet, die Regieanweisungen seien erst in einem recht späten Stadium der Werkentstehung hinzugekommen. Das Gegenteil ist der Fall: Vergleicht man nämlich die Textbücher Wagners in ihrer noch unvertonten Fassung293 mit den Partituren, so stellt sich heraus, dass dort der weitaus überwiegende Teil der Regieanweisungen – konkret zwischen 70 und 80% – bereits an genau der gleichen Stelle und meistens auch in genau dem gleichen Wortlaut im Text steht. Nur wenige Regieanweisungen, etwa 10 %, übernahm er nicht in die Partituren. Wie bereits erwähnt wurde, rezitierte und sang Wagner seine Dramen viele Male, bevor er eine Partitur abschloss, d. h., er ging selber als Darsteller immer und immer wieder seine eigenen Texte mitsamt den darin enthaltenen Aktionen durch; der Großteil seiner Regieanweisungen zielt auf das darstellerische Spiel ab. Mit anderen Worten: Da er selber mit dramatischem Ausdruck und mit den für seine Zeit typischen Gebärden alle Partien in seinen Werken regelmäßig spielte, waren ihm diese Aktionen regelrecht in Fleisch und Blut übergegangen, so sehr, dass er sich mit jedem seiner Charaktere identifizieren konnte.294 Wagner schrieb also die Regieanweisungen nicht in die Skizzen, weil er sie vollkommen verinnerlicht hatte. Und mehr noch: Wenn er eines seiner Werke selber inszenierte, waren die Regieanweisungen exakt so, wie in den Partituren verzeichnet, von den Sängern umzusetzen. Daraus ergab sich eine Synchronität mit der Musik, die Wagner einmal als dasjenige, „was bei mir die Hauptsache ist“, bezeichnete.295 Da nun in seinen ersten Entwürfen eines Stückes bereits etliche Ideen für die szenische Aktion enthalten sind, die stets auch so in der Partitur – und damit schließlich in seinen eigenen Inszenierungen – wieder erscheinen, kann man so weit gehen, die szenische Aktion des Darstellers als die wichtigste Inspirationsquelle Wagners zu bezeichnen. Die Gebärde ist der Ausgangspunkt seiner gesamten Werkkonzeption, denn die Gesten standen bereits fest, bevor der genaue Wortlaut der Verse oder die Musik feststanden. Der Geste bzw. der szenischen Aktion kommt in seinem Werk der Primat vor der Musik zu, sowohl ästhetisch als auch von der Reihenfolge in der Werkentstehung her. Sie existierte bereits, bevor die Musik dazu entstand, und selbst der Text ist nach Wagners eigener Auffassung bloß ein Teil der Aktion und besitzt keinen eigenständigen Wert als Literatur.296 Wagners Besessenheit vom dramatischen Spiel, die ihm etwa Friedrich Nietzsche nach seinem Bruch mit Wagner ankreidete, hat seine Musik durch und 110  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

durch geformt. Eine Erkenntnis, die Nietzsche aus seinem intensiven persönlichen Umgang mit Wagner gewonnen hatte, begegnet uns in einem seiner letzten Texte Nietzsche contra Wagner aus dem Jahre 1888, in dem er jenen berühmten, oben zitierten Passus aus Oper und Drama aufgreift: „Und, beiläufig gesagt, wenn es Wagners Theorie gewesen ist ‚das Drama ist der Zweck, die Musik ist immer nur das Mittel‘ –, seine Praxis dagegen war, von Anfang bis zu Ende, ‚die Attitüde [die dramatische Pose] ist der Zweck, das Drama, auch die Musik, ist immer nur ihr Mittel‘. Die Musik als Mittel zur Verdeutlichung, Verstärkung, Verinnerlichung der dramatischen Gebärde“.297 Trotz ihrer Polemik ist diese Passage eine im Kern vollkommen zutreffende Kurzbeschreibung von Wagners Schaffensprozess.298

Der Einbruch das Metaphysischen: Die Musik des Tristan Wagner ging vom dramatischen Schauspiel-Sprechvortrag aus, wenn er komponierte, mit all seinen Komponenten: Tonfall, Haltung, Gebärde und Aktion des Darstellers. Auf diese Weise entstand in den Jahren zwischen 1853 und 1857 die Musik von Rheingold, Walküre und den ersten beiden Siegfried-Aufzügen. Nachdem er nun vier Jahre lang Musik für den Ring geschrieben hatte, ohne dass ein Ende der Komposition, eine Veröffentlichung der Partituren oder gar eine Aufführung in Sicht gewesen wäre, machte sich bei ihm der Wunsch bemerkbar, sich nach dieser ganz auf das Szenische fixierten Kompositionstätigkeit „musikalisch auszurasen, wie wenn ich eine Symphonie geschrieben hätte“.299 Für Wagners gesamtes Schaffen als Komponist ist sein ständiges Bestreben nach Fortentwicklung bezeichnend. Auch wenn er seine Methode, Musik zu einem „Drama“, also einer szenischen Aktion, zu komponieren, gründlich ausgearbeitet, in seinen Schriften theoretisch fundiert und in mehrjähriger Praxis in den ersten Ring-Dramen verwirklicht hatte, drängte es ihn jetzt zu neuen Ufern. Dieser auf ständige Weiterentwicklung angelegte Zug seiner Persönlichkeit ist bereits in seinem frühen Schaffen erkennbar, als er, wie in den ersten Kapiteln gezeigt wurde, abrupt von einem zum anderen musikdramatischen Genre wechselte.

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Diese Bevorzugung der musikalischen Komponente, diese Tendenz hin zur Musik – und damit in gewissem Sinne fort vom „Drama“ – wurde in den nächsten anderthalb Jahrzehnten bestimmend für sein Schaffen. Ausgelöst wurde diese Akzentverschiebung in seiner Ästhetik, die jedoch nie dazu führte, der Musik gänzlich den Vorrang vor dem Drama zu geben, von der Lektüre von Arthur Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung. Darin entwirft Schopenhauer eine vom fernöstlichen Buddhismus und Hinduismus inspirierte Philosophie des Willens, der sich im Belebten wie Unbelebten zeige, das nach Dasein strebe. Dieses Streben nach Dasein führe zum Widerstand gegen anderes, was existiere, zum Kampf mit der Umwelt, zu Sorgen und Leid, und müsse deshalb überwunden werden. Der „Wille“ bei Schopenhauer hat also eine denkbar weite Bedeutung, da man ihn z. B. mit dem Lebens- oder Selbsterhaltungswillen, mit physikalischen Naturgesetzen oder mit einem gewissermaßen blinden Drang, der alles Existierende beherrscht, gleichsetzen kann. In seinem philosophischen System beschreibt der „Wille“ kurz gesagt die grundlegende Kraft im Universum. Hierbei kommt nun der Musik eine herausragende Rolle zu, weil sie immateriell sei. In den Bildenden Künsten zeige sich der „Wille“ wie in allen anderen sichtbaren Taten und Geschehnissen nur indirekt durch die Formung von Materie, als ein Abbild des unsichtbaren und dennoch allbeherrschenden „Willens“ im Sichtbaren. Die Musik hingegen stelle nicht sein Abbild dar, sondern den „Willen“ an sich, untransformiert und unverfälscht. Schopenhauers Idee, die Musik sei deshalb als die höchste unter den Künsten anzusehen, fiel bei Wagner auf äußerst fruchtbaren Boden. Er beschäftigte sich in der Folge mit dem indischen Hinduismus und Buddhismus und entwarf neben dem Tristan ein Drama mit dem Titel Die Sieger WWV 89, in dem es ähnlich wie im Tristan um Liebe, Entsagung und die Überwindung des Lebenswillens ging und dessen Handlung im Indien zur Zeit Buddhas spielte, der auch selber als ChakyaMuni auf der Bühne auftauchen sollte. Nach der Vertonung des Tristan erschien Wagner eine Ausarbeitung dieses Stoffes, der über das Stadium der Prosaskizze nicht hinauskam, wahrscheinlich wegen der zu großen inhaltlichen Nähe dieser beiden Dramen zueinander als überflüssig, auch wenn er bis zu seinem Lebensende immer wieder auf den SiegerEntwurf zu sprechen kam.300

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Wagners Ansicht nach unterscheidet sich der Tristan also fundamental von seinen Vorgängerwerken durch die wichtige Rolle, welche die Musik darin einnimmt. Insbesondere der zweite Aufzug ist nach Wagner als ein reines „Musikstück“ anzusehen.301 Auch wenn man generell Äußerungen von Komponisten über ihr Werk mit kritischer Vorsicht begegnen sollte, ergibt eine musikalische Analyse des zweiten TristanAufzuges einen denkbar eindeutigen Befund, der Wagners Aussage bestätigt und erklärt, was genau er damit meinte: In diesem Aufzug, genauer gesagt in der umfangreichen zweiten Szene, ist die szenische Aktion auf ein Minimum beschränkt. Im Grunde geschieht nichts, außer dass Tristan und Isolde, unterbrochen von den Wachtgesängen Brangänes, ihre Liebe besingen. Diese Gesänge sind nun aber musikalisch regelmäßig geformt und nehmen bestimmte Verse und musikalische Themen einer strengen Ordnung folgend mehrfach auf. Sie stellen gewissermaßen mehrere Anläufe zu einem klanglichen, konsonanten Höhepunkt dar, der im 2. Aufzug allerdings noch ausbleibt und erst in Isoldes Schlussgesang am Ende des dritten Aufzugs seine Fortsetzung und Auflösung findet. Im Gesangstext der großen Liebesszene hat Wagner Wiederholungen von Versen- und Verskomplexen komponiert,302 die im Folgenden näher betrachtet werden sollen. Es handelt sich dabei um die Wiederholung jener Verse, mit denen der zweite und der dritte große Zwiegesang – aus verschiedenen Gründen soll der Begriff „Duett“ hier vermieden werden – anheben: „Laß mich sterben!“, „Nie erwachen!“ und „Laß den Tag dem Tode weichen!“, einmal von Tristan,303 das andere Mal einen halben Ton höher von Isolde gesungen.304 Im ersten Zwiegesangskomplex, der Brangänes erstem Wachtgesang vorausgeht, singen beide dieselben Verse einander zeitlich versetzt echoartig nach, wobei Rhythmik und Intervallstruktur von „löse von der Welt mich los“ an dieselben sind.305 Die Wiederholung in der anderen Singstimme erfolgt dabei immer auf einer anderen Tonstufe. Im zweiten Zwiegesangskomplex, der mit dem zweiten Wachtgesang Brangänes endet, werden in Tristans Singstimme Themen und Text eines Abschnittes präsentiert („So starben wir, um ungetrennt“ usw.),306 der dann von beiden Singstimmen abwechselnd textlich und musikalisch identisch auf gleicher Tonhöhe wiederholt wird;307 dieser Abschnitt antizipiert den Beginn von Isoldes Schlussgesang im letzten Aufzug „Mild und leise wie er lächelt“. Vor Beginn des zweiten Wachtgesanges wird dieses Schema Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  113

durchbrochen: Isolde singt hier die von Tristan vorgegebenen Verse in dieser Form zu Ende, während Tristan erst ab „in Lieb umfangen ganz uns selbst gegeben“ sekundierend einsetzt.308 Der Zwiegesang endet in Oktavparallelen.309 Wir hören in diesen Passagen gewissermaßen, wie sich die Seelenregungen beider Protagonisten immer ähnlicher werden bis sie zuletzt vollkommen übereinstimmen, sodass, wie im Text angedeutet, beide Individuen sich auflösen und ineinander fließen (Isolde: „Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Isolde!“ – Tristan: „Tristan Du, ich Isolde, nicht mehr Tristan!“)310 in dem Wunsch, nicht mehr zu sein. Die strenge formale Struktur der Musik hat im Übrigen ihren Gegenpart in der beinahe schon schematischen Dramaturgie dieses Werkes.311 Das Stillstehen der Handlung und die Konzentration auf die Schilderung psychischer Vorgänge – gewissermaßen der Regungen des „Willens“ – sind für diese lange Szene zentral. Sie unterscheidet sich insofern vollkommen von allen anderen Szenen Wagners, in denen immer sichtbare dramatische Aktionen vorkommen, die die Musik in irgendeiner Form begleitet. Das gilt beispielsweise für die beiden Rahmenakte des Tristan und in noch höherem Grade für den Ring, wo er, wie er Cosima gestand, „durch das Drama gezwungen gewesen war, sehr oft den musikalischen Ausdruck einzuengen.“312 Eine Sache ist an dieser Szene jedoch bemerkenswert. Zwar ist durch das große Orchester und die gedehnte Gesangsmelodik der Gesangstext nicht überall gut zu verstehen, doch hat Wagner hinsichtlich einiger musikalischer Parameter selbst hier die Sprachvertonung nach deklamatorischen Gesichtspunkten gestaltet. Brangänes Wachtgesänge beispielsweise, die man als ‚realistisch‘ gesungene Musik auffassen kann, weil Brangäne hier eine singende Person vorstellt – in der Filmmusikforschung hat sich für solch eine Art von Musik der Begriff „diegetisch“ eingebürgert –, sind extrem gedehnt, ja vielleicht sogar die langsamsten Vokalpassagen in Wagners Gesamtwerk überhaupt. Als kompositorische Faustregel gilt: Je gedehnter eine Vokallinie ist, desto mehr nähert sie sich klanglich dem Instrumentalton an, je kürzer, desto mehr dem Sprechtonfall. Doch im Fall der Wechselgesänge Isoldes und Tristans sowie der Wachtgesänge Brangänes in der zweiten Szene des zweiten Aufzugs geht Wagner einen nur im Musiktheater möglichen Kompromiss ein: Die Stimmen sind fest mit dem Orchesterklang verschmolzen, sie scheinen sogar ein Teil davon zu werden und tragen damit zu der entrückten, träumerischen Stimmung in dieser 114  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

Szene bei. Gleichzeitig sind aber die Längen und Kürzen, so wie sie in der gesprochenen deutschen Sprache vorkommen, in ihren Partien minutiös beachtet worden. Obgleich in ihnen die Geschwindigkeit getragenen Sprechens um ein Vielfaches gedehnt wird, verliert Wagner die Verteilung von Längen, Kürzen und Betonungen, so wie sie in deklamierter Form vorkommen, nirgends aus den Augen. Die mit einer im Vergleich zu den übrigen Silben relativ langen Note versehenen Silben werden im Folgenden unterstrichen: „O sink hernieder Nacht der Liebe, gib Vergessen daß ich lebe, nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los.“313 und „Einsam wachend in der Nacht, wem der Traum der Liebe lacht, hab der Einen Ruf in acht“ usw.314 Das jambische Versmaß wird hier von Wagner sowohl hinsichtlich des Verhältnisses von Längen zu Kürzen als auch der Akzentstufenzuordnungen der Taktzählzeiten berücksichtigt. Im Wachtgesang fallen die unbetonten kurzen Silben nie auf die erste Zählzeit, die betonten dagegen immer. Diese vom Sprechen ausgehende rhythmische Organisation der Musik erschließt sich jedoch nur bei einem Blick in die Partitur und dürfte hörend kaum wahrnehmbar sein. Noch ein weiteres Beispiel soll illustrieren, wie sich im Tristan stellenweise die Gewichtungen fort vom Sprechgesang verschoben haben. Isoldes berühmter Schlussgesang knüpft, wie gesagt, an die Musik der großen Liebesszene im zweiten Aufzug an und führt sie, die dort durch den Auftritt Markes und seines Gefolges jäh unterbrochen wurde, zu Ende. Es ist äußerst bezeichnend, wie Wagner beim Entwerfen dieser Stelle vorging. Im ersten Gesamtentwurf ist stellenweise noch gar nichts von der Orchestermusik zu sehen, sondern Wagner skizzierte die Singstimme und schrieb die Worte in die leeren Begleitsysteme: „Hier können sich die Kinder selbst Begleitung machen!!“315 Was war an der Skizzierung dieser Musik nun aber so kinderleicht? Wahrscheinlich zielt diese Notiz auf den Umstand ab, dass Wagner vorhatte, einen großen Abschnitt aus dem zweiten Aufzug noch einmal zu verwenden, und zwar einen Teil der Orchestermusik, die er nun hervornahm und in die er die Singstimme an dieser Stelle einpasste, ohne den Instrumentalpart eigens hinzuschreiben. Ganz so leicht war es dann aber doch nicht, denn die in Isoldes Schlussgesang wiederverwendeten Abschnitte aus dem zweiten Aufzug kommen im ersten Gesamtentwurf in einer anderen Reihenfolge vor als nachher in der Partitur.316 Dennoch ist klar, in welDas erste Schweizer Exil (1849–1859)  115

cher Reihenfolge Wagner hier beim Skizzieren vorging: Die Singstimmen sind an diesen beiden entscheidenden Stellen des Tristan – zweiter Aufzug, zweite Szene und Schluss des dritten Aufzugs – erst nach dem Orchesterpart geschrieben worden. Wagner kehrte damit die Entstehungsreihenfolge in der Skizzierung der Musik um. Im Falle der ersten Ring-Dramen war er, wie gezeigt, von den Vokallinien ausgegangen und hatte aus ihnen oder zu ihnen nachträglich die „Begleitung“ – angesichts des üppigen Wagnerschen Orchesters fällt es schwer, von bloßer Begleitung zu sprechen – ausgearbeitet. So dürfte er auch in seinen früheren Werken verfahren sein. An einigen Stellen des Ring scheint er jedoch mit dieser Methode nicht zurechtgekommen zu sein, und so entschied er sich, bei dem Schluss der Walküre einmal davon abzuweichen. Bei einem Teil von Wotans Schlussgesang „Leb wohl, du kühnes herrliches Kind“ usw. stand der Orchesterpart vor der Singstimme fest. Wagner änderte hier nämlich nach dem ersten Gesamtentwurf einiges am vokalen Part und behielt den instrumentalen bei.317 Wotans Abschied wurde damit zugleich zu Wagners Abschied von der herkömmlichen Art und Weise, dramatische Musik zu schreiben, denn wie er hatten alle Opernkomponisten bis dahin Arien und andere vokale Soloabschnitte von der Singstimme ausgehend entworfen. Wagner sollte sich jedoch mit dem Tristan und dann vollends mit den Meistersingern von dieser Vorgehensweise abwenden. Dass dabei das Orchester, das laut Wagners Ästhetik das „Allgemeine“ gegenüber der das „Individuum“ repräsentierenden Solostimme verkörpert,318 eine wichtige Rolle spielt, ist als ein durchaus traditioneller romantischer Zug zu werten. Bereits im frühen 19. Jahrhundert hatten Schriftsteller wie Wilhelm Heinrich Wackenroder, Ludwig Tieck und E. T. A. Hoffmann der Instrumentalmusik den ästhetischen Vorrang vor der Vokalmusik gegeben; das geschah zum ersten Mal in der europäischen Musikgeschichte. Zugleich kommt bei Isoldes Schlussgesang, der irrtümlicherweise oft als „Liebestod“ bezeichnet wird,319 noch ein historisierendes Moment hinzu. Im Gegensatz zu einer traditionellen Opernarie ist der Schluss des Vokalparts dieses Gesanges alles andere als spektakulär. Die Sängerin hat weder eine besonders hohe noch eine besonders forcierte Schlusspassage zu singen, sondern die Singstimme verklingt in mittlerer Lage und im Piano bis Pianissimo zu den Versen „ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust“. Die Sopranstimme versinkt gleichsam klanglich 116  Bruch, Flucht, Abstand und Neubesinnung

und satztechnisch in den Fluten des Orchesterklanges, und so wie die Syntax dieser letzten Verse aufgelöst wird – Isolde spricht hier wie im Zwiegesang mit Tristan im zweiten Aufzug keine vollständigen Sätze mehr, sondern nur noch einzelnen Wörter – löst sich gewissermaßen auch die Individualität der Figur, die Singstimme, in dem „klingenden All“ des Orchesters auf. Diese Art der kompositorischen Aufnahme eines textlichen Sachverhaltes, die sich vor allem im Notenbild zeigt, kann auf eine lange Tradition zurückblicken, die mindestens bis in die Spätrenaissance zurückreicht und die gemeinhin mit dem Begriff der „musikalischen Rhetorik“ bezeichnet wird. Diese Art der musikalischen Rhetorik ist hier und da in allen Werken Wagners zu finden. Ihr kommt seit dem Tristan besonderes Gewicht zu, weil er sich danach besonders intensiv mit alten Satztechniken auseinanderzusetzen begann, was zu einer größeren Komplexität seiner Musik nicht nur in klanglich-orche­ stratorischer, sondern vor allem in struktureller Hinsicht führte. Das beste Beispiel für diese Tendenz ist sein nächstes vollständiges Drama, Die Meistersinger. Hier von „Polyphonie“ im traditionellen Sinne zu sprechen geht – mit Ausnahme der bekannten Prügelfuge im zweiten Aufzug – sicherlich zu weit. Doch ist unverkennbar, dass es vor allem barocke polyphone Musik war, die Wagner hier inspirierte. Bevor er sich jedoch an dieses Werk machte, das ihn von all seinen reifen Dramen als Komponist am meisten Mühe kostete, sollte er sich zunächst noch einmal ausführlich mit seiner eigenen kompositorischen Vergangenheit beschäftigen und, was in dieser Form nur ein einziges Mal in seiner Karriere vorkam, eines seiner früheren Werke dramatisch und musikalisch gründlich überarbeiten: den Tannhäuser.

Das erste Schweizer Exil (1849–1859)  117

6. Noch einmal Ahasverus – Wagners letzte Wanderjahre (1859–1864)

Von Zürich über Venedig und Luzern nach Paris: Der Abschluss des Tristan und die Überarbeitung und Einstudierung des Tannhäuser auf Französisch Nach einigen produktiven und ruhigen Jahren in Zürich sah sich Wagner gezwungen, dort seine Zelte abzubrechen. Der Grund dafür war privater Natur. Zwischen Wagner und der Frau seines Zürcher Mäzens Otto Wesendonck hatte sich bereits seit ungefähr 1855 eine Liebesaffäre abzuspielen begonnen. Wie weit diese Affäre ging, ist mit Hilfe der erhaltenen Dokumente nicht zu entscheiden. In jedem Fall erfuhr Wagners Frau Minna im Sommer 1858 davon, als sie einen Brief Wagners an Mathilde Wesendonck abfing. Das Ehepaar Wagner lebte zu dieser Zeit in einem Haus auf dem Grundstück Otto Wesendoncks denkbar eng mit dessen Familie zusammen, ein Zustand, der nun nicht länger aufrechtzuerhalten war. Wagner und Minna trennten sich, und während der nächsten sechs Jahre führte Wagner wieder ein unruhiges Wanderleben, das ihn kreuz und quer durch Europa führte. Das war nicht ganz unproblematisch, denn nach wie vor hatte er wegen seiner Beteiligung am Dresdner Maiaufstand den Status eines politischen Flüchtlings. Deswegen hielt er sich nur vorübergehend, während des Winterhalbjahres 1858/59, in Venedig auf, das damals von Österreich-Ungarn kontrolliert wurde und wo er den zweiten Akt des Tristan komponierte. Da sein Aufenthalt hier nur vorübergehend geduldet wurde, musste er sich bald wieder nach einem neuen Ort umsehen, um das Werk zu vollenden.320 Wagner kehrte in die Schweiz zurück, jedoch nicht nach Zürich, sondern nach Luzern, wo er in einem Hotel den dritten Akt des Tristan vertonte. Nach dem Abschluss der gesamten Partitur richtete sich Wagners Augenmerk auf Paris. Abgesehen von seinen beiden Zürcher Inszenierungen des Fliegenden Holländer und Tannhäuser in den Jahren 1852/53 und 1855 hatte Wagner schon lange kein Werk mehr szenisch 118  Noch einmal Ahasverus

aufgeführt; seine regelmäßige Dresdner Tätigkeit als Dirigent und Regisseur lag bereits zehn Jahre zurück. Als sich ihm nun die Möglichkeit eröffnete, an der Grand Opéra, dem nach wie vor renommiertesten Opernhaus der Welt, seinen Tannhäuser auf die Bühne zu bringen, ergriff Wagner die Gelegenheit beim Schopfe und begab sich nach Paris, um den Proben zur französischen Erstaufführung eines seiner Werke beizuwohnen und Tannhäuser im Zuge dessen einer Überarbeitung zu unterziehen. Wagners Pariser Revisionen beschränken sich hinsichtlich der Handlung auf die Venusbergszene im ersten Akt, die er erweiterte und mit gänzlich neu komponierter Musik versah, in der deutlich die Chromatik und subtile Orchestrierung des Tristan durchscheinen. In den übrigen Szenen der Oper nahm er nur stellenweise musikalische Retuschen vor, ließ den Text aber unverändert; die unterschiedlichen Versionen des Schlusses sind marginal und brauchen hier nicht erörtert zu werden. Dass er damit bloß ein weiteres Werkstadium erreichte, den Tannhäuser aber als nach wie vor unvollendet betrachtete, hielt Cosima in ihrem Tagebuch fest. Wenige Tage vor seinem Tod sagte Wagner, „er sei der Welt noch den Tannhäuser schuldig“.321 Seine Schwierigkeiten mit dieser Oper waren allerdings kein Hindernis dafür, dass sie im 19. Jahrhundert sein populärstes und am meisten gespieltes Werk wurde, mit dem er in den 1850er Jahren seinen ersten großen Durchbruch in Deutschland hatte. Wagner sah sich bei der Überarbeitung wie der Einstudierung des Tannhäuser in Paris mit ungewohnten Schwierigkeiten konfrontiert. Es handelte sich dabei um Wagners erste – und dann auch einzige – Inszenierung, die nicht im deutschsprachigen Bereich stattfand. Das allergrößte Problem bei den Proben stellte die Übersetzung des Textes ins Französische dar. Betrachtet man Wagners aufs Engste mit dem Sprechtonfall der deutschen Sprache verknüpftes Kompositionsverfahren, so wird klar, weshalb es Monate dauerte und etliche Übersetzer, die ihre Arbeit aufgaben, bis er zu dem französischen Text sein Einverständnis gab. Das Resultat von Überarbeitung und Übersetzung, die sogenannte ‚Pariser Fassung‘,322 stellte ihn dennoch nicht zufrieden, und nach diesen Erfahrungen323 sollte Wagner nie wieder einen Versuch unternehmen, an der Übersetzung seiner Textbücher mitzuwirken. Davon abgesehen sollte Wagner von dieser Aufführung jedoch viel lernen. Er erwähnte in mehreren Schriften, er habe in den Jahren 1860 Wagners letzte Wanderjahre (1859–1864)  119

und 1861 die Probenpraxis der Pariser Oper kennengelernt, die sich durch enorme Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit in der Erarbeitung von Text und Musik auszeichnete.324 Diese Äußerung wirkt angesichts der für deutsche Verhältnisse ungeheuer hohen Probenanzahl schon beinahe wie eine Untertreibung. 163 Proben fanden statt, 325 bevor das Werk in Wagners Überarbeitung ganze drei Mal über die Bühne ging. Schuld an dieser kleinen Aufführungsanzahl war der legendäre Skandal der Pariser Tannhäuser-Erstaufführung, der sich dann an zwei weiteren Abenden wiederholte, sodass er sich schließlich gezwungen sah, sein Stück zurückzuziehen. Der Lärm im Publikum wurde im Laufe der drei Abende immer wieder derart stark, dass man von den Sängern nichts hören konnte, denen und sich Wagner eine solche Demütigung nicht länger zumuten wollte. Der Hintergrund dieses Eklats ist durchaus vielschichtig und nicht auf reine Boshaftigkeit des Pariser Publikums zurückzuführen. Zunächst gilt es zu beachten, dass es die Fürstin Pauline Metternich war, auf deren Wunsch diese Aufführung zustande gekommen war. Sie hatte Kaiser Napoleon III. überredet, sie anzuordnen.326 Wagner erschien damit als ein Günstling des europäischen Hochadels, was einem Teil des bürgerlichen Publikums nicht zusagte. Hinzu kam, dass er sich in fast schon demonstrativer Weise nicht um die Gepflogenheiten der Grand Opéra scherte. Wagner gab den Sängern zu Beginn des revidierten ersten Aktes, in dem das Orchester stark in den Vordergrund tritt, und auch im weiteren Verlauf der Oper kaum die Möglichkeit, nach Art der Großen Oper stimmlich zu brillieren; die sängerischen Beiträge im Sängerkrieg im 2. Akt sind – möglicherweise in historisierender Absicht – musikalisch schlicht. Es gibt, vielleicht abgesehen von der sogenannten Hallenarie Elisabeths, kaum einen sängerisch spektakulären Auftritt. Auch Wolframs Lied an den Abendstern, das sein Pariser Sänger nach Art einer Arie singen wollte, hatte Wagners Forderungen entsprechend wie ein realistisch für sich selbst gesungenes Stück Musik zu wirken: „[…] er durfte sich durchaus nicht von der Felsbank entfernen, von welcher aus er, dem Publikum halb zugewandt, der Scheidenden seinen Gruss nachzusenden hatte. Der Gehorsam war ihm hier schwer angekommen, da er behauptete, es sei gegen allen Gebrauch der Oper, dass der Sänger eine so wichtige Gesangsstelle nicht ganz am Pro­ scenium, dem Publikum unmittelbar zugewendet, singe.“327 Derartige sängerische Bräuche wie die Harangue, d. h. das ins Publikum gerichtete 120  Noch einmal Ahasverus

Hineinsingen der Schlusskadenz einer Arie oder einer ähnlichen solistischen Passage, die in der Regel mit einem Applaus quittiert wurde, pflegte Wagner in seinen Schriften als unzulässigen Illusionsbruch zu kritisieren.328 Wagner ignorierte jedoch nicht nur die darstellerischen, sondern auch die formalen Operntraditionen in Paris. So weigerte er sich standhaft, ein Ballett in den Tannhäuser einzufügen, das in Frankreich eine Gattung von hohem nationalem Prestige war; der Einzug der Gäste in der Wartburg hätte sich hier zu einer solchen Erweiterung angeboten, was für Wagner jedoch gar nicht infrage kam. Ihm ging der Realismus der Handlung über alles, und außerdem scheint ihm das französische Ballett als Gattung nur wenig zugesagt zu haben, denn auch das Bacchanal im ersten Akt, das der berühmte Ballettmeister Marius Petipa choreographierte, wollte er nicht mit Ballettschritten und -posen dargestellt haben: „[…] ich forderte Unerhörtes, vom gewohnten Balletwesen gänzlich Abliegendes“; diesem Wunsch kam man allerdings nicht nach.329 Das Bacchanal sollte eine Art Kompromiss sein, es steht allerdings direkt am Beginn der Handlung und nicht als Einlage in einem der mittleren Akte wie in Paris üblich. Wagner glaubte damit wohl dem Bedürfnis nach einem Ballett Genüge getan zu haben. Man kann sich vorstellen, wie er mit seiner für Pariser Verhältnisse ungewöhnlichen Oper, die die dortigen Hör- und Sehgewohnheiten enttäuschte, das Publikum vor den Kopf gestoßen haben muss. Während der Aufführungen wurde gezischt und gepfiffen, und der Jockey Club, ein Verein junger Männer, machte sich sogar einen Spaß daraus, möglichst lautstark und organisiert die Vorstellung zu stören: „[…] es hatte sich gefunden, dass die Jockeys sich […] eingestellt hatten, um auch nicht eine Scene ohne Tumult vorübergehen zu lassen. Es war, […] bereits im ersten Akte, zu einer zweimaligen gänzlichen Unterbrechung der Vorstellung durch fünfzehn Minuten lang andauernde Kämpfe gekommen.“330 Aus der Zeit dieser Proben stammen ein paar Briefe Wagners an Albert Niemann, der den ersten französischen Tannhäuser sang. Es war die erste Zusammenarbeit zwischen Wagner und dem seinerzeit als besten und ersten Wagnersänger angesehenen Niemann; ihnen sollten noch weitere folgen. Dabei war ihr Verhältnis, wie Wagners Briefe belegen, von Anfang an nicht frei von Spannungen. Offensichtlich hielt der Sänger nicht allzu viel von Wagners Vorschlägen und Anweisungen, wie er seine Rolle als Tannhäuser, die er schon seit Jahren mit großem Erfolg Wagners letzte Wanderjahre (1859–1864)  121

überall in Deutschland sang, aufzufassen und darzustellen habe. Wagners Forderungen sind unter gesanglichem Gesichtspunkt z. T. durchaus als prekär zu bezeichnen, wenn er z. B. verlangte, Niemann solle sich in den ersten beiden Akten stimmlich so verausgaben, dass er im dritten Akt ein wenig heiser sei, sodass man ihm seine Erschöpfung nach der Romfahrt auch wirklich abnehme.331 Trotz seiner Spezialisierung auf Wagnersche Partien legte Niemann bei dieser und allen folgenden Zusammenarbeiten mit Wagner eine gewisse Widerspenstigkeit an den Tag, die wiederum Wagners Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft umso deutlicher zutage treten lässt. Wenn er einmal, was selten vorkam, einen Sänger gefunden hatte, der seinen Vorstellungen entsprach, war er zu Zugeständnissen bereit, die heutzutage sicherlich kaum ein Komponist seinem Sänger machen würde. Von Niemann persönlich hielt Wagner allerdings nicht viel.332

Wagners Begnadigung und die Wiener Tristan-Proben Während der Proben in Paris bekam Wagner die Nachricht, dass seine Verbannung aus Deutschland ein Ende hatte. Er erhielt im Sommer 1860 politische Amnestie und durfte sich von nun an frei in Österreich und Deutschland mit Ausnahme Sachsens bewegen.333 Damit standen ihm die deutschsprachigen Gebiete wieder offen, um dort seine Werke persönlich aufzuführen. Es war naheliegend, dass er sich jetzt vor allem um die Uraufführung seines Tristan kümmerte, denn die erste Aufführung des Ring hatte er offenbar als eine des vollständigen Zyklus vor, nicht nur seiner einzelnen Teile, und die letzten vier Aufzüge waren ja noch zu komponieren. Allerdings stellten sich bei der Vorbereitung der Einstudierung von Tristan und Isolde – wahrscheinlich für Wagner nicht ganz unerwartet – Schwierigkeiten ein. Ein Problem waren zunächst die beiden enorm anspruchsvollen und langen Titelpartien, aber natürlich auch die harmonisch komplexe Musik.334 Wagner war mit der Musik zum Tristan über die Grenzen alles bisher Dagewesenen hinausgegangen, sowohl was die Länge dieser Rollen als auch die schwer zu memorierende, chromatische Musik betraf. Und dann sollten beide Sänger auch noch in der Lage sein, beim Singen ihrer Partien durch ihre Darstellung das Publikum zu fesseln. Dabei ging die erste Szene des dritten 122  Noch einmal Ahasverus

Aufzugs hinsichtlich der Intensität und des Realismus von Tristans fieberndem Leiden weit über den Rahmen des damals für einen männlichen Charakter auf der Bühne Üblichen hinaus. Wagner erhielt im Herbst 1859 zunächst eine Absage von Eduard Devrient aus Karlsruhe, der befürchtete seine Sänger mit diesen Partien zu überfordern.335 Bei seinem ersten Wienaufenthalt nach seiner Amnestierung glaubte Wagner dann, die beiden Sänger für dieses Werk gefunden zu haben. Er hörte in Wien im Jahre 1861 zum ersten Mal seinen Lohengrin, mehr als zwölf Jahre nach der Vollendung der Partitur, und zeigte sich vom ersten Tenor der Hofoper, Alois Ander, der die Titelrolle sang, begeistert. Ander zeichnete sich durch seine ungewöhnlich hohe Stimme aus, die ihn für einen Lohengrin, doch nicht unbedingt für einen Tristan geeignet machte. Wagner versuchte dem zu begegnen, indem er Wendelin Weißheimer und Peter Cornelius, denen er das Partiestudium mit Ander anvertraut hatte, zu Punktierungen autorisierte und einige Abschnitte der Partie ganz strich.336 Als Isolde hatte Wagner Louise Dustmann im Auge, die er für sängerisch und darstellerisch überragend hielt,337 über deren Beschäftigung mit ihrer Partie jedoch nichts Näheres bekannt ist. Diese vorbereitenden Proben zogen sich über mehrere Jahre hin, und es scheint, als habe Wagner sein Vorhaben, Tristan in Wien aus der Taufe zu heben, insgeheim schon bald aufgegeben. Zusätzlich zu den stimmlichen Schwierigkeiten mit der Tristan-Partie stellten sich bei Ander nämlich Anzeichen einer psychischen Erkrankung ein, die zu seinem Ausscheiden aus dem Opernensemble führte, wonach er bald verstarb.338 Wagners Tristan-Projekt lag für die nächsten Jahre auf Eis. Seine Maßstäbe für die Probenarbeit waren durch die zurückliegenden gründlichen Pariser Tannhäuser-Proben verschoben worden. Von nun an nahm er sich die dortige Probenpraxis zum Vorbild, wie etliche Dokumente belegen. In einer während der Wiener Tristan-Proben abgefassten Schrift Das Wiener Hof-Operntheater schlug Wagner 1863 etwa eine Reform der dortigen Hofoper nach dem Vorbild der Grand Opéra vor. Natürlich war er nicht in der Position, seine Vorschläge dort auch durchsetzen zu können. Es überrascht wenig, dass eine solche Reform, hätte sie denn stattgefunden, dem Regisseur, der nach Pariser Tradition zumeist der Verfasser des jeweiligen Dramas war, mehr Macht bei der Probenarbeit gegeben hätte, also niemand anderem als ihm selber. Noch zwei weitere Male sollte Wagner in den nächsten Jahrzehnten versuchen, Wagners letzte Wanderjahre (1859–1864)  123

seine in Paris empfangenen Anregungen in die deutsche Theaterorganisation und Probenpraxis hineinzutragen: 1865 schrieb er eine weitere Theaterreformschrift Bericht an Seine Majestät den König Ludwig II. von Bayern über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule, als man in München nach seinen Vorgaben das Konservatorium umzugestalten beabsichtigte. Damit zielte Wagner vor allem darauf ab, Sänger für seine Werke auszubilden, was er als entscheidend betrachtete, um seine theatralischen Vorhaben adäquat umsetzen zu können. Und auch sein Bayreuther Projekt kann als Versuch gewertet werden, die französische Probenpraxis in Deutschland einzubürgern.339 Wagner war im Bayreuther Festspielhaus de facto allmächtig und beherrschte während der Proben der beiden Uraufführungen von 1876 und 1882 gemäß seinem Wunsch das Ganze der Inszenierung, Musik wie Szene. Nach den ersten Festspielen machte er sich Gedanken über eine Bayreuther Stilbildungsschule, in der Bühnensänger eine zusätzliche Ausbildung in den unterschiedlichen Traditionen der Oper – einschließlich italienischer und französischer Oper und natürlich auch des Wagnerschen Werkes – hätten erhalten sollen.340 Aus keinem dieser Schulvorhaben wurde jedoch etwas.

Stetig wachsende Sorgen und Nöte vor der Berufung nach München Wagners Leben blieb in den Jahren nach seiner Amnestierung ausgesprochen unstet. Er fand nicht die Zeit, kontinuierlich an seinen noch unvollendeten bzw. uninstrumentierten Teilen des Ring bzw. seinem nächsten, seit Ende 1861 in Angriff genommenen großen Werk, den Meistersingern, weiterzuarbeiten. Um zu Geld zu kommen, unternahm Wagner ausgedehnte Tourneen als Dirigent seiner eigenen Musik durch ganz Europa. 1863 gab er Konzerte in Budapest, Prag, Wien, St. Petersburg und Moskau, wohnte kurzzeitig in Biebrich bei Mainz und auch in Wien, war auf der ständigen Suche nach neuen Geldquellen, hatte Affären mit Mathilde Maier und Friederike Mayer341 und möglicherweise auch schon mit Cosima von Bülow und hielt weiterhin nach Sängern für den Tristan Ausschau. Die Ereignisse spitzten sich zu. Wieder einmal hatte er einen Berg Schulden angehäuft, da er sein Domizil in Wien, bei 124  Noch einmal Ahasverus

dem es sich um eine opulente 13-Zimmer-Wohnung mit Salons und Personalräumen handelte, über die Maßen mit teuren Stoffen dekoriert und möbliert hatte,342 ohne dafür zahlen zu können. Erneut blieb ihm schließlich nichts anderes als die heimliche Flucht. Wagner strandete ein weiteres Mal in der Schweiz, bei der Familie der ihm aus seinen ersten Zürcher Jahren bekannten Eliza Wille. Seine Situation erschien ausweglos: Überall warteten unbeglichene Rechnungen auf ihn, ein regelmäßiges Einkommen war nicht in Sicht – und schon gar keines, das seinen Hang zur Verschwendung hätte abdecken können –, seit sechzehn Jahren, seit dem Abschluss seiner Lohengrin-Partitur, hatte er kein Werk vollenden können, das ein Theater aufzuführen bereit gewesen wäre, seine übrigen Projekte steckten fest, und er hatte neben seiner eigenen Existenz nach wie vor für seine von ihm getrennt in Dresden lebende Frau Minna zu sorgen. Wagner befand sich in einer Sackgasse, und auch seine Zürcher Wirtin begann nach ein paar Wochen anscheinend ungeduldig zu werden und mahnte ihren ungebetenen Gast zum Aufbruch. Die Intervention des gerade gekrönten, 18-jährigen bayerischen Königs Ludwig II., die ihn just in dieser verzweifelten Situation Anfang Mai 1864 antraf, hätte sich der Dramatiker Wagner nicht spektakulärer ausdenken können. Sie entledigte ihn zumindest seiner schlimmsten privaten Geldsorgen für immer und gab ihm die Möglichkeit, alle seine begonnenen Werke zu Ende zu schreiben. Wagner standen zudem, auch wenn er es nicht öffentlich werden lassen wollte, enorme Mittel aus dem bayerischen Staatshaushalt zur Verfügung, um seine künstlerischen Vorhaben mustergültig zu verwirklichen. Doch sollten selbst die nicht ausreichen, seine seit den Pariser Proben gestiegenen Ansprüche an eine gelungene Inszenierung zu befriedigen.

Wagners letzte Wanderjahre (1859–1864)  125

7. Kunst, Politik und Rückzug: Wagners zweites Schweizer Exil, seine Entfremdung vom Theater und die Bayreuther Gründung (1864–1876)

Weitreichende Pläne für München: Die sogenannten ‚Musteraufführungen‘ Das Jahr 1864 markiert wie das Jahr 1849 einen wichtigen biografischen Einschnitt im Leben Wagners. Mit einem Schlag veränderte sich seine private wie auch seine professionelle Situation grundlegend. Ludwig II. beglich seine Schulden und versprach, dafür Sorge zu tragen, dass Wagner sich hinfort ungestört seinem Schaffen widmen können würde. Wagner konnte nun auf ein Theater zurückgreifen, die Hofoper in München, um dort seine Werke – die vollendeten wie die noch zu schreibenden – aufzuführen. Seinen Wünschen bei der Wahl der Sänger, Dirigenten und Assi­ stenten bei den Einstudierungen wurde Folge geleistet. Es ist verständlich, dass er sich damit eine Menge Feinde machte. Die großzügige Unterstützung durch seinen königlichen Gönner, die in dieser Form in der Geschichte des 19. Jahrhunderts ihresgleichen sucht, ließ ihn, den ehemaligen Revolutionär, als gewissenlosen Opportunisten erscheinen. Die öffentliche Meinung über ihn war nicht gerade positiv, als er sich 1864 in München niederließ und einige Leute seines Vertrauens hierher holte, die ihm bei der Aufführung seiner Werke behilflich sein sollten. Unter ihnen befand sich Hans von Bülow, den Wagner bereits seit seinem 16. Lebensjahr kannte und gefördert hatte und der sich nach einer Ausbildung bei ihm und Liszt zu einem der herausragenden Dirigenten und Pianisten seines Jahrhunderts entwickelt hatte.343 Bülow war nach Wagners Dafürhalten der mit Abstand fähigste Dirigent für seine Werke. Sein musikalisches Gedächtnis muss enorm gewesen sein. Beispielsweise dirigierte Bülow den Tristan, das harmonisch komplexeste musikalische Werk seiner Zeit, bereits bei der Uraufführung im Jahre 1865 auswendig.344 Unmittelbar nach seiner Ankunft in München machte sich Wagner an die Betreuung von bereits existierenden Inszenierungen seiner Werke an der Hofoper. Es ging ihm darum, dem jungen Monarchen zu zeigen, 126  Kunst, Politik und Rückzug

wie er seine Werke eigentlich aufgeführt haben wollte, z. B. ohne die seinerzeit üblichen Striche, und anfangs sprachen beide in diesem Zusammenhang von „Musteraufführungen“. Allerdings verlor Wagner nach einigen solcher Versuche in München die Lust daran und bestand darauf, erst auf eigens für ihn ausgebildete Sänger zu warten wie auch seine Werke selber von A bis Z selber zu inszenieren, also nicht bloß bereits im Programm befindliche Produktionen zu ‚überarbeiten‘. Den Anfang machte eine Betreuung der Münchner Holländer-Inszenierung im Herbst 1864, bei der Wagner der Bühnentechnik Anweisungen gab, die er in einen Klavierauszug hineinschrieb und die zeigen, wie er einige Passagen seiner Musik szenisch gedeutet haben wollte. Demnach sind die bereits in der Ouvertüre zu hörenden schnellen auf- und abwärtslaufenden chromatischen Skalen in den Streichern als Wellenfiguren zu verstehen. Wenn z. B. beim Lied des Steuermanns solche Figuren erscheinen, sollte laut Wagners Eintragungen immer eine Welle auf der Bühne zu sehen sein.345 Es folgten Betreuungen der Münchner Tannhäuser- und Lohengrin-Inszenierungen in den Jahren 1865 und 1867, die Wagner unbefriedigt ließen, sowie die Uraufführungen von Tristan und Meistersinger 1865 und 1868, die ihn begeisterten, und schließlich von Rheingold und Walküre 1869 und 1870, letztere jedoch gegen seinen Willen. Ursprünglich hätten auch die beiden anderen Ring-Dramen sowie der schon entworfene, aber noch zu schreibende Parsifal hier in München ihre Uraufführung erleben sollen. Doch es kam anders.

Ein eigenes Theater: Von Sempers Münchner Opernentwürfen zum Bayreuther Festspielhaus Es gab zahlreiche Gründe dafür, weshalb Wagner sich schließlich von der Münchner Hofoper abwendete und auf die Idee kam, ein neues eigenes Festspielhaus zu errichten. Ein paar der wichtigsten sollen hier benannt werden. Zunächst gab es private Gründe. Wagner hatte mit Hans von Bülows Frau Cosima eine langjährige Affäre, aus der zwei Töchter hervorgingen und die schließlich dazu führte, dass sie 1868 Bülow verließ und Wagners zweite Frau wurde. Doch bereits zuvor scheinen Details aus ihrem Privatleben an die Öffentlichkeit gelangt zu sein, wie eine zeitgenössische Karikatur belegt. Wagners letzte Wanderjahre (1859–1864)  127

5 Karikatur von M. Schultze aus dem Jahre 1864: Wagner, Cosima, Hans von Bülow (v.l.n.r.).

Es galt, diese Beziehung so lange wie möglich vor dem König geheim zu halten, da sowohl Wagners als auch Bülows Zukunft von dessen Gunst abhängig waren. Hinzu kamen hochfliegende Pläne des Königs, ein neues Theater in der bayerischen Hauptstadt zu errichten, zu dem Gottfried Semper bereits Modelle entwarf. Wäre es verwirklicht worden, hätte Ludwig II. Wagners Werken eine wahrhaft imposante architektonische Kulisse verschafft. Doch wuchsen die Widerstände und machten schließlich einen Verbleib Wagners in München unmöglich. Seit seiner Ankunft in München ging das Gerücht, Wagners Verschwendungssucht werde vom König finanziert, ohne dass dieser irgendeine Gegenleistung dafür erhalte. Tatsächlich ist bemerkenswert, dass Wagner trotz seines Gehaltes von 4000 Talern jährlich keinerlei Aufgaben bei Hofe hatte. Nachdem außerdem ein einmaliges großes Geldgeschenk Ludwigs, das sich auf die stattliche Summe von 40000 Talern belief, von Cosima im Auftrag Wagners aus der Königlichen Kabinettskasse abgeholt worden war, wo man ihr den Betrag teilweise in Münzen ausgezahlt hatte, die sie in mehreren Säcken mit zwei Droschken fortschaffte, machte außerdem 128  Kunst, Politik und Rückzug

das Gerücht die Runde, Ludwig bezahle Wagners Geliebte aus der bayerischen Staatskasse.346 Und schließlich verdächtigte man Wagner auch noch, politisch auf den König Einfluss zu nehmen. Wagner hatte also die öffentliche Meinung in München bereits kurz nach seiner Ankunft vollkommen gegen sich, und Ludwig sah sich bereits ein Jahr nach Wagners Umzug nach München dazu genötigt, ihn aufzufordern, die Stadt wieder zu verlassen und sich einen Wohnort außerhalb Bayerns zu suchen. Wagner begab sich auf eine Reise nach Südfrankreich, wo er sich nach einem Haus umsah, in dem er seine Meistersinger und seinen Ring fertig komponieren wollte. Auf dieser Reise erreichte ihn die Nachricht vom Tod Minnas in Dresden. Ihre Bestattung wurde von ihren Familienmitgliedern und dem mit Wagner befreundeten Arzt Anton Pusinelli organisiert. Wagner fuhr fort, nach einer Wohnstatt zu suchen. Seine Wahl fiel ein weiteres Mal auf die Schweiz, diesmal auf ein großzügiges Haus in Tribschen bei Luzern. Hier vollendete er die Meistersinger, Siegfried und einen Teil der Götterdämmerung, und hier gründete er sozusagen eine eigene Familie. Zwar war Cosima bereits vor ihrer Flucht nach Tribschen mit zwei seiner Kinder niedergekommen, Isolde und Eva, doch sollten sie erst hier ihre Liaison öffentlich machen. Von hier aus zog Wagner mit seiner Familie im Jahre 1872 wieder zurück nach Bayern, diesmal jedoch nicht nach München, sondern in die fränkische Provinz, nach Bayreuth, wo seine Vision eines eigenen Theaters in die Tat umgesetzt wurde.

Euphorie und Katastrophe: Die triumphale Uraufführung des Tristan Auch herbe künstlerische Rückschläge hatte Wagner neben einigen Erfolgen während seiner kurzen Zeit in München einzustecken. Hierher gehören die Ereignisse aus der Zeit der Tristan-Uraufführung im Sommer 1865, die eine nähere Betrachtung verdienen. Wagner hatte nämlich nach langer Suche endlich die beiden Sänger für seinen Tristan gefunden: das Ehepaar Malvina und Ludwig Schnorr von Carolsfeld. Zwar war ihm von anderen schon viel über ihr Können berichtet worden, doch brauchte es eine persönliche Begegnung, um Wagner – dann allerdings auf Anhieb – vollauf von ihren Fähigkeiten zu überzeugen.347 Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  129

Ludwig Schnorr von Carolsfeld war der Sohn eines Malers und scheint sich, wenn man zeitgenössischen Berichten vertrauen darf, durch eine relativ altertümliche Art der Verkörperung seiner Rollen ausgezeichnet zu haben. Im frühen 19. Jahrhundert war es, wie erwähnt, für dramatische Akteure üblich gewesen, ihre Gesten und Stellungen antiken Bildern und Plastiken nachzuempfinden; beispielsweise ist das für Sophie Schröder und ihre Tochter Wilhelmine Schröder-Devrient überliefert. Schnorr von Carolsfeld dürfte möglicherweise durch das Werk seines Vaters dazu angeregt worden sein, dieser Tradition zu folgen. Weiterhin bildeten ihn seine ein wenig ältere Frau Malvina und auch Eduard De­vrient in Karlsruhe im dramatischen Spiel aus.348 Malvina Schnorr von Carolsfeld war aus Kopenhagen gebürtig,349 und ihre außergewöhnliche Befähigung, die Rolle der Isolde zu übernehmen, wurde bisher in der Wagnerliteratur nicht ausreichend gewürdigt, weil es zwischen ihr und Wagner später zum Bruch kam. Denkbar ist, dass sie und ihr Mann einen Stil der Darstellung praktizierten, der vielleicht konservativer als sonst im zeitgenössischen Deutschland war350 und gerade deswegen Wagners Zuspruch fand. Für Wagners Geschmack in Fragen der dramatischen Darstellung ist jedenfalls seit den 1860er Jahren ein konservativer Zug zu konstatieren. Als Sänger waren sie hingegen, wie Wagner selber zugab, nicht frei von Fehlern.351 Da es sich bei der Münchner Tristan-Uraufführung um einen Höhepunkt von Wagners Tätigkeit als Aufführender gehandelt hat, lohnt es sich, das Sängerehepaar etwas genauer in den Blick zu nehmen. Ludwig Schnorr von Carolsfeld hatte sich bereits früh auf Wagnersche Rollen spezialisiert. Er hatte seine Karriere als Opernsänger in Karlsruhe begonnen. Mit 26 Jahren wechselte er dann als erster Tenor an die Dresdner Hofoper. Wagner wandte seine gesamte Überredungskunst auf, um ihn und seine Frau dazu zu bringen, sich in Dresden für ein paar Monate beurlauben zu lassen, und stellte ihnen in Aussicht, als Lehrer an seiner noch zu schaffenden Hochschule für Musik und Theater wie auch als Vorsänger des Königs in Bayern ein glänzendes Auskommen zu finden, wenn sie sich zu einem Bruch ihres Vertrages mit der Sächsischen Hofoper durchgerungen hätten. Nach den entmutigenden Erfahrungen bei den Wiener Tristan-Proben nahm sich die Arbeit mit diesen beiden Sängern für Wagner traumhaft leicht aus. Wiederum hatte er mit dem musikalischen Teil des Partiestudiums nichts zu tun, 130  Kunst, Politik und Rückzug

das die Sänger selber und Hans von Bülow übernahmen,352 sondern brauchte ihnen lediglich Anweisungen für ihr dramatisches Spiel und ihren Vortrag zu erteilen. Schnorr von Carolsfeld, der Wagner zutiefst verehrte, erwies sich als außergewöhnlich empfänglich für seine Wünsche, wie Wagner im Rückblick auf die Münchner Probe des Tannhäuser mit ihm im Jahre 1865 festhielt.353 Darin beschreibt er bezeichnenderweise kaum die Stimme, sondern fast ausschließlich die gute mimische und psychologische Auffassungsgabe seines Sängers. Tatsächlich scheint Wagners Zusammenarbeit mit Schnorr von Carolsfeld auf den Bereich der dramatischen Verkörperung beschränkt gewesen zu sein und genuin musikalische Fragen außen vor gelassen zu haben. Schnorrs Stimme war nicht besonders wohlklingend und technisch nicht einwandfrei geschult, wie Friedrich Schmitt feststellte.354 Nach Cosima Wagners Erinnerungen klang sie baritonal dunkel,355 was darauf hindeutet, dass er – wie viele Wagnertenöre im 19. Jahrhundert – eigentlich kein echter Tenor, sondern ein hochgezwungener Bariton war. Doch war das für Wagner Nebensache. Schnorrs Leistung und Devotion begeisterten ihn so sehr, dass er den seit Jahren liegen gebliebenen Siegfried wieder hervornahm und ihn für seinen ersten Tristan zu vollenden gedachte.356 Viermal ging der Tristan im Frühjahr 1865 in München über die Bühne. Wie schockierend die hochexpressive, dissonante Musik vor allem der sogenannten Fiebermonologe Tristans im dritten Aufzug auf das Publikum gewirkt haben muss, davon können wir uns heute kaum noch eine Vorstellung machen. Wagner nahm sich nach der Premiere vor, sie zu kürzen, ein Vorhaben, das er jedoch nie umsetzte. Man kann davon ausgehen, dass sich für ihn mit seinen beiden Sängern, die er in seinen Briefen stolz als seine „Löwen“ bezeichnete, 1865 neue Perspektiven eröffneten, zumal Schnorr gerade erst 29 Jahre alt war, ein gutes Stück seiner Laufbahn also noch vor sich hatte. Wäre nichts dazwischen gekommen, hätte er nach Wagners Willen den Siegfried, Walther von Stolzing und Parsifal kreieren sollen.357 Umso unerwarteter traf alle Beteiligten dann die Nachricht von Schnorrs plötzlichem Tod in Dresden im Juli, kurz nach der Tristan-Uraufführung. Wagner schrieb erschüttert in einem Brief: „Tristan wird nie wieder aufgeführt. Das wird meines edlen Sängers Denkmal sein!“358 Die Aussichten auf eine mustergültige Aufführung seines noch zu vollendenden Ring wurden damit zunichte gemacht, und auch sein gutes Verhältnis zu Malvina Schnorr von Carolsfeld sollte alsZweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  131

bald mit einem gespenstischen Nachspiel ein böses Ende nehmen. Vom Tode ihres Mannes zutiefst erschüttert suchte sie Trost in okkultistischen Sitzungen. Im November 1866 wurde sie dann mit einer jungen Dame, Isidore von Reutter, die sich als Medium bezeichnete, bei Wagner in Luzern vorstellig, welche behauptete mit dem Geist des verstorbenen Sängers in Verbindung zu stehen. Was genau beide von Wagner verlangten, wird sich wohl nie exakt ermitteln lassen. Ihre Mitteilungen hatten wohl ungefähr folgenden Inhalt: Schnorr habe sein Leben für Wagners Kunst gegeben und fordere von ihm deshalb, nun die Verantwortung für seine Witwe zu übernehmen. Das Ganze gipfelte möglicherweise sogar in der Andeutung, Wagner habe die Pflicht, Malvina zur Frau zu nehmen.359 In jedem Fall wusste Malvina über Wagners illegitimes Verhältnis mit Cosima von Bülow Bescheid und drohte ihm damit, Hans von Bülow und den König darüber in Kenntnis zu setzen, wenn er es nicht sofort beende.360 Wagner brach den Kontakt zu seiner ersten, ehemals von ihm so hochgeschätzten Isolde vollständig ab. Das war insofern besonders misslich für seine weiteren Aufführungspläne als er sie in Briefen auch selbst nach dem Bruch mit ihr als die einzige ihm bekannte lebende Sängerin bezeichnete, die seine Hauptrollen zu bewältigen imstande sei.361 Wäre es nicht zu diesem Bruch gekommen, hätte sie höchstwahrscheinlich als Erste die Partien der Eva und der Brünnhilde gesungen.

Deutsche Kunst und deutsche Politik: Wagner, Die Meistersinger und die Reichseinigung Schließlich kam noch ein weiterer wichtiger Umstand hinzu, der es Ludwig II. geraten erscheinen musste, Wagner dauerhaft aus München entfernt zu sehen. Auch wenn Wagner möglicherweise nicht vorgehabt hatte, nach seiner Amnestierung wieder politisch aktiv zu werden, blieb es bei der großen Nähe und seinem starken Einfluss auf den jungen bayerischen Monarchen nicht aus, dass er in politischen Fragen Ludwig gegenüber zumindest Stellung bezog, wenn nicht sogar konkrete Ratschläge erteilte. Die Mitte der 1860er Jahre war eine politisch turbulente Zeit: Das geeinte Deutschland, das von der 1848er Revolution angestrebt worden war, war nach wie vor nicht verwirklicht, hatte sich aber 132  Kunst, Politik und Rückzug

zu einer politischen Vision entwickelt, die so selbstverständlich war, dass ihre Realisierung – mit Ausnahme von den ultrakonservativen Kreisen – allgemein erwartet wurde. Um die kleinen deutschen Staaten herum lagen drei konkurrierende Großmächte, die in diesen Jahren immer stärkere Begehrlichkeiten zeigten: Preußen, Österreich und Frankreich. Die Frage war also nicht, ob eine deutsche Reichseinigung zustande kommen sollte, sondern unter wessen Ägide dies geschehen würde. Würden Preußen und Österreich gemeinsam in einen deutschen Staatenbund eingehen oder nur eines der beiden Reiche? Besonders brisant war diese Frage im relativ großen Bayern, das wegen seiner katholischen Konfession eher nach Süden tendierte. Wagner, der keine sonderlich großen Sympathien für Preußen oder Bismarck hegte, den er mit anderen Politikern einmal als „schlechte Copien des undeutschesten Wesens“ bezeichnete,362 wurde laut Briefen an Julius Fröbel und August Röckel nach seiner Ankunft in Bayern von österreichfreundlichen Adeligen wie dem Fürsten von Thurn und Taxis und den von ihm als „Jesuiten“ klassifizierten klerikalen Kreisen zu vereinnahmen versucht.363 Welche Gründe er auch immer hatte, gegen Bismarck zu sein – möglicherweise sind hier seine Erfahrungen aus dem Dresdner Aufstand, der mit Hilfe von preußischen Truppen niedergeschlagen wurde, prägend gewesen –, so erwies er sich gegen diese Versuche doch als immun und sollte aus diesen Jahren eine tiefe Aversion gegen die katholische Kirche davontragen. Nach Wagners Ankunft in München überschlugen sich die politischen Ereignisse, und es kam im Sommer 1866 zum kurzen Deutschen Krieg zwischen Preußen und dem Deutschen Bund, der für Bayern mit einer militärischen Niederlage endete. Wagner komponierte zu dieser Zeit gerade an seinen Meistersingern, genauer an der sogenannten Prügelfuge, mit der der zweite Aufzug schließt, und am Wahnmonolog des Hans Sachs, mit dem der dritte Aufzug beginnt und in dem die politische Geschichte als ein Wirrwarr von ständigen Konflikten und Gewalt beklagt wird. Zwar hatte Wagner diese Textpassagen schon Jahre zuvor gedichtet, doch gewannen sie durch den innerdeutschen Krieg an Aktualität. Auch Sachs’ Schlussworte, am Vorabend der deutschen Reichseinigung durch den deutsch-französischen Krieg 1870/71 vertont, die der Chor begeistert wiederholt, sind in diesem Zusammenhang zu einem Kommentar zu den Ereignissen des Sommers von 1866 geworZweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  133

den: Genauso wie Sachs betont, eine deutsche Identität lasse sich eher kulturell denn politisch formulieren – „Zerging in Dunst das heil’ge röm’sche Reich,/ uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst!“–, schreibt Wagner in seinen Briefen an Ludwig II. und seinen ehemaligen Kampfgefährten aus Dresdner Tagen August Röckel, zu dem er nun wieder in engeren Kontakt trat, alles Politische sei für ihn nur zweitrangig, da er gerade dabei sei, die deutsche Einigung auf künstlerischem Gebiet voranzutreiben. Damit zielte er neben den Meistersingern natürlich auch auf sein bald zu vollendendes Hauptwerk Der Ring des Nibelungen ab, mit dem er nun nichts Geringeres vorhatte, als der jungen Nation eine neue, eigene Kunstform zu geben. Hierüber im nächsten Kapitel mehr. In jedem Fall veränderte der preußische Sieg im Deutschen Krieg die Lage nicht nur in Bayern dramatisch. Nun ließ sich auch Wagner nicht mehr halten und gab Ludwig II. in mehreren Briefen seine Sicht der Dinge unverhüllt zu erkennen: Auch wenn er kein Freund der Preußen sei, stelle seiner Meinung nach ein Bündnis mit Preußen derzeit das kleinere Übel dar. Sein wichtigstes Argument war, dass Österreich, das Bayern kulturell so ähnlich sei, versuchen würde, sich das Königreich einzuverleiben, während Preußen aufgrund seiner kulturellen Distanz zu Bayern von derartigen Versuchen abstehen würde. Außerdem begann Bismarcks geschicktes Taktieren in politischen Fragen Wagner in diesen Jahren mehr und mehr zu imponieren, insbesondere wie er es verstand, die antifranzösische Stimmung in den deutschen Staaten für die Reichseinigung zu nutzen. Diese Bewunderung erreichte bei Wagner fünf Jahre später während und nach dem deutsch-französischen Krieg ihren Höhepunkt, als er in den allgemein grassierenden Hurra-Patriotismus der Deutschen mit einstimmte, der bei ihm in den folgenden Jahren wieder abflaute. Im Übrigen kam es nur einmal zu einem persönlichen Zusammentreffen Wagners mit dem Reichskanzler, am 3. Mai 1871, bei dem sich beide anscheinend nicht sonderlich viel zu sagen hatten. Cosima Wagner notierte Wagners Bemerkungen über diese Begegnung: „[…] wir können uns nur gegenseitig beobachten, jeder in seiner Sphäre, mit ihm etwas zu tun zu haben, ihn für mich zu gewinnen, meine Sache zu unterstützen ihn zu bitten, käme mir nicht bei.“364 Trotz ihrer Verschiedenheit wurden dann aber beide – jeder auf seine Art – zu Ikonen der jungen deutschen Nation und schon zu ihren Lebzeiten gerne in Parallele gesetzt,365 auch 134  Kunst, Politik und Rückzug

wenn Bismarck so wenig für Wagners kühnes Bayreuther Unternehmen übrig hatte366 wie Wagner für den preußischen Militarismus. Wie dem auch sei, Wagners Einfluss auf den jungen Ludwig II. war vor allem in den Jahren nach 1864 recht groß, und da er in dieser Zeit mit ehemaligen Revolutionären wie Röckel oder Julius Fröbel umging, ja sie sogar nach München zu holen versuchte, und sich öffentlich in einem langen Aufsatz über Deutsche Kunst und deutsche Politik ausließ, konnte es nicht ausbleiben, dass man Wagner politischer Machenschaften zu verdächtigen begann, dergestalt, dass er den König von seinen revolutionären Ansichten zu überzeugen versuche. Tatsächlich war Wagner bestrebt, Ludwigs Ansichten und Entwicklung in eine bestimmte Richtung zu lenken, mit dem Ziel, aus ihm einen idealen Herrscher zu machen, der den deutschen „Volksgeist“ verkörpern solle.367 Unter diesem Gesichtspunkt können auch die Meistersinger als programmatisches Werk verstanden werden, dem zuliebe Wagner in diesen Jahren den Abschluss seiner Ring-Tetralogie zurückstellte.368 Betrachten wir die Handlung einmal unter diesem Gesichtspunkt: Ein junger Adeliger, Walther von Stolzing, begehrt Aufnahme in eine bürgerliche Vereinigung, was sowohl aus aristokratischer wie auch aus bürgerlicher Perspektive einen Traditionsbruch, einen nie da gewesenen Vorgang darstellt, den Konrad Nachtigal dementsprechend als „merkwürdiger Fall“ klassifiziert. Doch damit nicht genug. Der Zugang zu dieser Vereinigung, die sich in pedantisch geregelter Weise mit Musik und Dichtung beschäftigt, erfolgt eben durch die Beherrschung der Sangeskunst, in der sich Dichtung und Musik vereinen; Ludwigs ‚Schwärmerei‘ für die Oper und für Wagner insbesondere war ja kein Geheimnis. Die Vereinigung von adeligen und bürgerlichen Interessen wird also über die Kunst erreicht und gegen die Widerstände und Vorbehalte beider Seiten durch einen alten Handwerker – Sachs, mit dem sich Wagner in diesen Jahren unverkennbar identifizierte – vermittelt. Am Ende steht eine zugegebenermaßen utopische Aussicht auf eine gegenseitige Befruchtung von Adel und Bürgertum, von Intuition und Regelhaftigkeit, im Dienste der gemeinsamen Sache, als welche sich in den Jahren um 1866 die Schaffung einer deutschen Nation darstellte. Recht deutlich spricht Wagner dies in seinem Programm zum Meistersinger-Vorspiel aus dem Jahre 1863 an. Hier deutet er das Vorspiel, das damals bereits ein Jahre alt war und möglicherweise in seiner Form und Themenbildung Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  135

ursprünglich aus anderen Erwägungen heraus entstand, so: Ein junger Adeliger und ein alter Handwerker reichen einander die Hand und marschieren dem Zug der Meistersinger voran, um das Volk feierlich zu begrüßen.369 Die Vertonung und Uraufführung der Meistersinger kann also als eine Botschaft an den bayerischen König angesehen werden. Dabei ging es selbstverständlich um Wagners eigenes großes künstlerisches Vorhaben, das der König mit Nachdruck förderte und das, wäre es in der Form wie beide es in den 1860er Jahren planten zur Ausführung gekommen, einen erheblichen Teil des bayerischen Staatshaushaltes verschlungen hätte. Wagner und Ludwig wollten nämlich nicht nur das von Semper geplante Theater in München errichten, sondern Wagner bestand darüber hinaus immer wieder auf der Gründung einer seinen Werken zuträglichen Musik- und Theaterschule. Soweit seine Bemerkungen hierzu ein Urteil darüber erlauben, kann man annehmen, dass er versucht hätte, gewissermaßen ein theatralisches Konservatorium zu errichten, also eine Anstalt, welche die Funktion der Bewahrung der dramatischen Darstellung unterschiedlicher Nationen und Epochen gehabt hätte. Wagner ließ in Vorbereitung der Gründung dieser Schule etliche ihm loyale Kräfte nach München holen und mit Pensionen oder Posten versehen, unter ihnen Malvina Schnorr von Carolsfeld, Hans von Bülow, Peter Cornelius, Hans Richter und Heinrich Porges. Auch Friedrich Schmitt stand für ihn als Gesangslehrer bereit. Da diese Berufungen wie auch Wagners großzügige finanzielle Ausstattung durch den König Gegenstand öffentlicher Diskussionen waren, blieben kritische Reaktionen in Bayern natürlich nicht aus. Zwar kam es zu einer Umgestaltung des Münchner Konservatoriums, doch mit einem anderen Ergebnis als von Wagner anvisiert. Es ist ohnedies fraglich, ob er die Zeit und Energie aufgebracht hätte, sich über längere Zeit hinweg am Aufbau und Lehrbetrieb einer solchen Hochschule zu beteiligen.

Das Bayreuther Projekt Alle diese Gründe, die negative öffentliche Meinung über ihn in München, die Beschränkungen eines Repertoiretheaters, in dem naturgemäß nur ein bestimmtes Budget und eine festgelegte Probenzeit für die Erarbeitung seiner Werke mit Sängern und Orchester zur Verfügung stan136  Kunst, Politik und Rückzug

den, die Entstehung eines geeinten Deutschlands wie natürlich auch der außergewöhnliche Umfang seines Hauptwerkes ließen in Wagner den Entschluss reifen, mit dem bereits zu Beginn seiner Ring-Konzeption geäußerten Vorhaben, für dieses Werk eigens ein Theater zu errichten, Ernst zu machen. Doch hatten sich seine Visionen mittlerweile ins Gewaltige erweitert: War es im Jahre 1850 noch ein provisorisches Thea­ter aus Holz gewesen, zu dem es freien Eintritt geben und das nach der Aufführung des Ring abgerissen werden sollte,370 so bildete sich zu Beginn der 1870er Jahre, die jenen Wirtschaftsaufschwung in Deutschland einleiteten, den wir heute als „Gründerzeit“ zu bezeichnen pflegen, in ihm der Wunsch aus, ein regelrechtes Festspielhaus zu errichten. Es wurde von dem Architekten Paul Otto Brückwald entworfen.371 Dieses Projekt wirkt etwas weniger prätentiös, wenn man Wagners Ästhetik in Anschlag bringt, derzufolge nur das aufgeführte dramatische Kunstwerk auch wirklich existiert (s. Kapitel 5). Dem eigentlichen Akt der Aufführung sollte so vor den Augen der jungen, sich gerade formierenden Nation eine vorher nicht gekannte herausragende Stellung unter den Künsten gegeben werden. Zugleich spielten dabei Erwägungen eine Rolle, ein nationales Festspiel nach dem Vorbild der attischen Tragödie zu begründen, das identitätsstiftend wirken sollte. Damit griff Wagner bewusst bis auf die Anfänge des Theaters zurück. Im antiken Athen hatten zyklische Aufführungen von tragischen Trilogien, deren einzige vollständig erhaltene die Orestie des Aischylos ist, das abendländische Drama begründet. Oper und Drama wie auch der Geburt der Tragödie des jungen Friedrich Nietzsche, der in Wagners Tribschener Zeit oft bei ihm zu Gast war und dessen Begegnung mit Wagner wohl als dessen letzte Freundschaft bezeichnet werden kann, ist zu entnehmen, wie in etwa man sich seinerzeit eine Aufführung im antiken Griechenland vorstellte, der man nun mit dem Bayreuther Unternehmen nachzueifern gedachte: Das Publikum sollte einander als homogene Masse erscheinen, d. h., anders als in den alten europäischen Opernhäusern mit ihren vielen Rängen sollte die Sitzordnung nicht die sozialen Hierarchien widerspiegeln; üblicherweise saßen in den alten Theatern die sozial höheren Stände erhöht, während das breite Publikum sich auf der untersten Ebene, dem Parkett, aufhielt. Die Sitze im abschüssigen Parkett des Bayreuther Festspielhauses haben nach antikem Vorbild eine amphitheatralische Anordnung bekommen, die zum einen von vielen Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  137

Plätzen eine gute Sicht erlaubt, zum anderen aber – trotz der auf der Rückseite des Zuschauerraums vorhandenen Balkons – die sozialen Unterschiede im größten Teil des Publikums buchstäblich einebnet. Die das Festspielhaus umgebende Natur, die man in den langen, einstündigen Pausen zwischen den Akten erkunden kann, und das fern von großen Städten gelegene Bayreuther Theater betonen den therapeutischen Charakter, den Wagner ebenfalls nach antikem Vorbild seinen Aufführungen geben wollte. Die Aufführung einer Tragödie zu erleben verfolgte zur Zeit des Aischylos und Sophokles den Zweck der seelischen Reinigung, der sogenannten Katharsis. Man mag von daher bereits in der Anlage von Wagners Festspielhaus einige jener spirituellen oder religiösen Züge erkennen, die dann in seinem letzten Drama Parsifal deutlich zum Vorschein kamen. Gleichzeitig ist jedoch bei aller Kühnheit in der Planung und Ausführung seines Vorhabens nicht zu übersehen, dass Wagner in Bayreuth in vielem an seine Grenzen stieß. Als sein Umzug in die fränkische Provinz beschlossene Sache war, ließ er sich dort für seine Familie ein großes Haus errichten, die Villa Wahnfried, deren Eingang bezeichnenderweise nicht von Portraits großer Dichter oder Musiker, sondern denen zweier Sänger geziert wird, denen Wagner damit wie mit seinen Schriften ein Denkmal setzen wollte: Wilhelmine Schröder-Devrient und Ludwig Schnorr von Carolsfeld. Er bezeichnete beide mehrfach öffentlich provokativ als Vorbilder für die gegenwärtigen Sänger, was aber ohne greifbare Folgen blieb. Wagner wurde hier für ein paar Jahre sesshaft, zog es dann aber nach den ersten Festspielen 1876 vor, gemeinsam mit seiner Familie große Teile des Jahres in Italien zu verbringen. Bayreuth sollte also nicht die letzte Station auf seinem Lebensweg werden, auch wenn er das 1871 noch vorgehabt hatte. Finanziell waren die ersten Festspiele von 1876 ein Desaster, in dessen Folge das Festspielhaus nach nur drei Aufführungen des Ring für fünf Jahre gänzlich ungenutzt blieb. Doch selbst nach den in ökonomischer Hinsicht gut verlaufenden zweiten Festspielen im Jahre 1882 äußerte Wagner den Wunsch, sein Festspielhaus wieder loszuwerden, und bot es dem damaligen Leipziger Intendanten Angelo Neumann, der sich mit seinem reisenden Wagner-Theater sehr um sein Werk verdient gemacht hatte, zum Kauf an.372 Für Wagner war das Bayreuther Unternehmen ein Misserfolg, und zwar nicht aus finanziellen Gründen – die ihn persönlich stets wenig küm138  Kunst, Politik und Rückzug

merten –, sondern aus künstlerischen. Es lohnt sich, dieser Unzufriedenheit Wagners auf den Grund zu gehen, weil sie zum einen sein dramatisches Konzept und zum anderen dessen Begrenzungen zum Vorschein kommen lässt.

Wagners Entfremdung vom Theater seiner Zeit Zunächst gilt es, sich ins Gedächtnis zurückzurufen, wie Wagners Verhältnis zum Theater sich nach 1849 entwickelt hatte. Wie bereits erwähnt hatte er als Kind, Jugendlicher und später als Kapellmeister einen großen Teil seines Lebens im Theater zugebracht, sei es als Ausführender oder als Zuschauer. Mit seiner Flucht aus Dresden waren ihm mit Ausnahme der damals recht bescheidenen, kleinen Theater in der deutschsprachigen Schweiz, die ihn nicht interessierten, keine deutschen Theater mehr zugänglich. Abgesehen von seiner Vorliebe für technisch anspruchslose komische Stücke und Volksschauspiele begab er sich während seines Exils kaum als Zuschauer ins Theater, und auch in der Zeit nach seiner Amnestierung kann von einem starken Interesse am zeitgenössischen Theater keine Rede sein. Weder Opernaufführungen noch Tragödien im Schauspiel sah er sich in den zwei Jahrzehnten seit seiner Flucht aus Dresden in nennenswerter Zahl an. Für den Zeitraum von 1849 bis 1872 sind lediglich 25 Opernbesuche Wagners nachzuweisen, die vor allem in der Zeit nach 1861 stattgefunden haben und meist eigenen Werken galten.373 Gleichzeitig hielt Wagner sich in Fragen der dramatischen Aufführungspraxis für sehr beschlagen,374 ja, hatte die schauspielerische Aktion sogar zum Kern seines musikalisch-dramatischen Kunstwerks gemacht. Für die Aufführungen seiner Werke in München konnte er auf ein gutes Opernensemble zurückgreifen und bekam hinsichtlich der Hauptrollen auch Sonderwünsche erfüllt, d. h., man engagierte gastspielweise renommierte Sänger, beispielsweise aus Wien oder Dresden. Als die Uraufführung des Ring in Bayreuth näher rückte, hatte Wagner wieder einmal Sänger anzuwerben bzw. erst einmal auszusuchen. Zu Beginn der 1870er Jahre, als sich ein Ende der Vertonung der Götterdämmerung abzeichnete, machte sich Wagner deshalb mehrere Male auf die Reise durch Deutschland, um sich einen Überblick über die vorhandenen Kräfte zu verschaffen. Das Ergebnis dieser Reisen war Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  139

jedoch für ihn gänzlich niederschmetternd. Cosima berichtet beispielsweise über Wagners Erfahrungen mit dem Leipziger Theater: „[…] er hat keine Sieglinde gefunden und überhaupt nur den Eindruck von Gespenstern gehabt, er sagt: ‚Man geht in einem vollständig fremden Land in seinem eigenen Lande umher; die Alten verschrumpft, die Jungen vollständig leblos.‘“375 Im Schauspiel bot sich für Wagner das gleiche Bild wie in der Oper: „Die Schauspieler unter jeder Kritik, Roheit, Dummheit, etc. etc. sind jetzt auf dem deutschen Theater zu Haus. Trauriger Eindruck.“376 Vollends deutlich wurde am 11. September 1881, was genau Wagner Kopfzerbrechen bereitete. Er besuchte gemeinsam mit Cosima eine Aufführung des Freischütz in Dresden und kommentierte die Darstellung der Ariette des Ännchen: „Eines aber verwundert R. sehr, daß die Tradition für die Darstellung dieser Werke so verlorengegangen ist (mit der Schürze, Begleitung der Klarinette [gemeint ist die Oboe]).“377 Wir erinnern uns: Als Kind hatte er Weber selber in Dresden dirigieren gesehen und eine Aufführung des Freischütz mit seinen Schulkameraden nachgestellt. Schon im Alter von fünf Jahren imitierte er die Wolfsschluchtszene.378 Er sah als Kind Julie Zucker in der Rolle des Ännchens,379 und es ist davon auszugehen, dass das von Wagner gewünschte dramatische Spiel des Ännchens auf sie und damit auf Weber zurückging, der verlangte, der Dirigent solle sich auch in Fragen der Regie einmischen.380 Das tat Wagner als Kapellmeister auch, und es kann als absolut sicher gelten, dass er als Dresdner Hofkapellmeister bei den Proben des Freischütz von den Sängern exakt dasjenige dramatische Spiel verlangte, das ihm aus Kindheitstagen noch im Gedächtnis war. Mit anderen Worten: Wagner ging davon aus, selber eine authentische, auf den Urheber des Freischütz zurückgehende Tradition fortgeführt zu haben. Nun jedoch, 1881, erhielt er den Beweis für seinen wahrscheinlich schon seit den 1860er Jahren aufkeimenden Verdacht, dass nämlich das darstellerische Spiel an sich tiefgreifenden Wandlungen unterworfen war und die Konservierung einer bestimmten Form der Darstellung schlechterdings unmöglich war. Der Vortragsstil, mit dem er und seine Geschwister aufgewachsen waren, war nicht mehr vorhanden. Damit war jedoch nichts Geringeres als der Kern seiner eigenen Kunstwerke betroffen, der sich als flüchtig erwies. Wir können heutzutage ohne weiteres durch alte Filme nachvollziehen, dass und wie sich die Körpersprache der Akteure im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Im 19. Jahrhun140  Kunst, Politik und Rückzug

dert war das aber nur durch langjährige Erfahrung möglich. War Wagners Erschütterung von 1872 noch einer trotzigen Einstellung gewichen, seinen Sängern dann eben alles und jedes im Detail vormachen zu müssen,381 blieb nach dem Freischütz-Besuch von 1881 nichts als Resignation zurück. Es war Wagners letzter Opernbesuch. In seinen letzten Lebensjahren gedachte er nicht ohne Anflüge von Nostalgie der guten Darsteller seiner Kindheit und Jugend382 und verwünschte das moderne Theater, das er am liebsten nach dem Vorbild seines Orchesters in Bayreuth hätte unsichtbar werden lassen wollen.383 Kurz: Wagner hatte sich nach seiner Flucht aus Dresden im Laufe seiner zweiten Lebenshälfte weitgehend von der theatralischen Praxis in Deutschland entfremdet. Seitdem hatte sich auf institutioneller Ebene einiges getan: Die Opernsänger traten nun nicht mehr selbstverständlich auch als Schauspieler auf, sondern verstanden sich eher als Musiker denn als Darsteller. Sie konnten an den neu gegründeten Konservatorien Gesang studieren und hatten ein musikalisch anspruchsvolleres Repertoire zu bedienen als ihre Vorgänger im frühen 19. Jahrhundert. Für Wagner ging es jedoch bei seinem Ring darum, wie er bereits 1852 an seine Nichte Franziska schrieb, Schauspieler zu finden, keine auf den Gesang spezialisierten Opernsänger: „So ist mir auch – das weisst Du – mit bloßen ‚Sängern‘ gar nicht gedient; ich will tüchtige Schauspieler, die singen können, und so lange ich die nicht finde, wird die Aufführung meiner Werke immer auch nur ein Schatten bleiben.“384 Seine Suche nach solchen Darstellern gestaltete sich dann im Vorfeld der Ring-Uraufführung auch entsprechend langwierig und endete mit so mancher umstrittenen oder sogar unglücklichen Entscheidung, die überaus aufschlussreich für Wagners Anforderungen ist. Eine solche war beispielsweise die Verpflichtung von Georg Unger als Siegfried, eine Rolle, für die er offenbar in kaum einer Hinsicht geeignet war. Seine Stimmtechnik war derart prekär, dass Wagner ihn zur Nachschulung bei Julius Hey schickte, einem Schüler des ihm seit Magdeburger Zeiten bekannten Friedrich Schmitt. Ein Jahr lang übte Hey mit Unger an seiner Gesangstechnik und seiner immens schweren Partie. Unger scheint auch kein sonderlich versierter Schauspieler gewesen zu sein, entsprach aber immerhin in einer Hinsicht der Grundanforderung, die im 19. Jahrhundert jeder heroische Darsteller zu erfüllen hatte: Er war eine sehr hochgewachsene Person385 wie auch die anderen Sänger des Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  141

Ring im Jahre 1876, beispielsweise Amalie Materna, die die Brünnhilde kreierte, oder Johanna Jachmann-Wagner, für die Wagner diese Rolle ursprünglich geschrieben hatte und die als Schwertleite und Erste Norn mitwirkte. Man kann dies als einen zeittypischen Hang zur Idealisierung auffassen, dergestalt, dass man sich Götter und Helden als hünenhafte Wesen vorstellte, vielleicht fiel diese Entscheidung aber auch aus der Notwendigkeit heraus, dass die Sänger bei relativ schwacher Beleuchtung und einiger Entfernung vom Publikum immer noch deutlich in ihren Mienen und Gebärden sein sollten.

Der erste Ring als der Versuch zur Begründung einer neuen Kunst Wagners Bayreuther Inszenierungen mitsamt den Proben sind so gut und ausführlich dokumentiert wie keine anderen seiner Regiearbeiten. Zur Uraufführung des Parsifal im Jahre 1882 existiert noch wesentlich mehr Material als zum Ring, weshalb erst im nächsten Kapitel ausführlich darauf eingegangen werden wird, wie genau eine Inszenierung unter Wagners Leitung aussah. Die 1876er Uraufführung des Ring wird hingegen nur in Ausschnitten geschildert, die dem Leser zumindest einen ungefähren Eindruck davon vermitteln sollen, wie man unter Wagner Theater spielte. Die Bühnenbilder sowie ausführliche Beschreibungen der Kostüme und Bühnentechnik haben sich erhalten.386 Hinzu kommen Aufzeichnungen mehrerer Beteiligter von den Proben unter Wagners Leitung, unter ihnen Richard Fricke, Julius Hey und Heinrich Porges.387 Die Proben mit den Sängern wie auch die Anfertigung der Bühnenmaschinerie begannen ein Jahr vor der Uraufführung oder schon früher. Wagner hieß im Sommer 1875 alle seine Sänger bei sich willkommen, um mit ihnen den Vortrag ihrer Partien durchzugehen. Diesen Proben waren etliche persönliche Vorstellungen von Sängern vorangegangen, die nach Bayreuth gekommen waren, um Wagner vorzusingen, sowie viele briefliche Anweisungen Wagners. Es ist davon auszugehen, dass sie ihre Partien zu diesem Zeitpunkt bereits ausführlich studiert hatten. In diesen Vorproben mit seinen Sängern, die zuerst am Klavier und dann auch auf der Bühne im Festspielhaus stattfanden, beschränkte sich Wag142  Kunst, Politik und Rückzug

ner nur auf das Üben am Vortrag, d. h., er machte den Sängern ihre Gebärden vor und arbeitete mit ihnen an stimmlichen Nuancierungen. Bezeichnend ist, dass er dabei seinen Sängern gegenüber praktisch nie auf ein genuin musikalisches Vokabular zurückgriff, also etwa italienische Tempobezeichnungen oder musikalische Begriffe für dynamische Schattierungen verwendete, sondern sie mit solchen Hinweisen auf den rechten Weg zu bringen versuchte: „mit schmerzliche erbebender Stimme“, „mehr gesprochen“ oder „fast leise verachtend“ sollte eine bestimmte Passage gesungen werden.388 Wie der Gesangspädagoge Julius Hey überrascht feststellte, ging Wagner bei seiner Arbeit mit den Sängern oft vom Sprechtonfall aus. Er ließ beispielsweise Unger Verse, die ihm sängerisch nicht gelangen, so oft deklamieren, bis er den entsprechenden Tonfall auch in seinen Gesangsvortrag mit aufnahm, etwa bei der zweiten Szene des dritten Siegfried-Aufzuges: „‚Drum sprich, sonst spreng ich Dich fort!‘ Hier machte der Meister Halt und ließ den Sänger den Satz einigemale mit kräftiger Betonung zuerst langsam, dann allmählich rascher, mit schärfster Artikulation sprechen, während die Begleitung, rhythmisch gut ausgeprägt, die melodische Linie auf dem Instrument auszuführen hatte.“389 Tatsächlich empfahl Wagner seinen Sängern häufig, sich ihre Partie zuerst durch das Deklamieren ihres Textes anzueignen und hatte die Angewohnheit, ihnen als Einführung in ihre Rolle das komplette Textbuch vorzulesen.390 Hey war derart beeindruckt von diesem Verfahren, dass er daraus eine gesangspädagogische Methode machte. Sein zwei Jahre nach Wagners Tod veröffentlichter dreibändiger Deutscher Gesangs-Unterricht. Lehrbuch des sprachlichen und gesanglichen Vortrages geht genau den gleichen Weg: Bevor der Gesangsschüler sich an das Entwickeln seiner Singstimme macht, soll er zunächst das ausdrucksvolle Sprechen üben, dessen Erlernung der gesamte erste Band gewidmet ist. Die Sänger, die Wagner nach Bayreuth einlud, gehörten zum großen Teil zu den besten ihres Faches. Amalie Materna war an der Wiener Hofoper engagiert, Albert Niemann, der den Siegmund spielte, war international als Wagnersänger berühmt, Franz Betz, der den ersten Bayreuther Wotan sang, war langjähriges Mitglied der Berliner Hofoper, und Heinrich Vogl, dessen Loge zu den in der Presse 1876 am meisten gefeierten Leistungen zählte, kam von der Münchner Hofoper. Am meisten stellte Wagner jedoch die Leistung seines Alberich, Karl Hill, zufrieden, der Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  143

6 Wagner während der Bayreuther Bühnenproben von 1875. Zeichnung von Adolph Menzel.

mehr als zwei Jahrzehnte lang an dem kleinen Hoftheater in Schwerin engagiert war. Hills Auftreten entsprach derart gut Wagners Intentionen, dass er für ihn die Rolle des Klingsor entwarf und ausführte.391 Es war das letzte Mal, dass er einem Sänger eine Partie auf den Leib schneiderte. Hills dämonische Ausdruckskraft wurde auch in zeitgenössischen Rezensionen lobend erwähnt. Es mag sein, dass sich dahinter vielleicht schon jene psychische Erkrankung verbarg, die Hill Anfang der 1890er Jahre in eine Pflegeanstalt brachte, wo er seine letzten Jahre verlebte.392 Was die szenischen Effekte betrifft, war man 1876 um möglichst großen Realismus bemüht. Siegfried schmiedete tatsächlich ein glühendes Stück Eisen an einem richtigen Feuer.393 Der spektakulärste Effekt erwartete die Zuschauer gleich zu Beginn, als sich der Vorhang zum Rheingold hob. Hier schienen die drei Rheintöchter förmlich durch die Luft zu gleiten, während sie sangen. Dahinter verbargen sich die sogenannten ‚Schwimmwagen‘, bei denen es sich um drei Fahrzeuge mit einer langen Stange handelte, auf deren Spitze die Sängerinnen festgeschnallt waren und in verschiedene Richtung gedreht werden konnten. 144  Kunst, Politik und Rückzug

Die Stangen waren durch Schleier dem Blick des Publikums verborgen, und die drei Wagen fuhren einer festen, genau eingeübten Choreografie folgend auf der Bühne hin und her. Damit diese Bewegungen im Einklang mit der Orchestermusik stattfanden, war auf jedem der drei Wagen ein Kapellmeister mit dabei, um die Steuerung der Fahrzeuge und ihrer Mechanik zu überwachen.394 Dieser Teil der Inszenierung war für alle Beteiligten vollauf geglückt. Anders sah es mit den Effekten in den drei nachfolgenden Ring-Dramen aus. Hier hatte es sowohl an den Mitteln als auch an der Zeit gemangelt, Wagners Vorstellungen überzeugend umzusetzen. Der Walkürenritt im dritten Aufzug der Walküre wurde mit Laterna-magica-Projektionen angedeutet; das waren im Grunde nichts anderes als bemalte Folien, die Bilder von reitenden Walküren zeigten.395 Der Drache für den zweiten Siegfried-Aufzug wurde bei einer englischen Firma in Auftrag gegeben und kam aufgrund eines Versehens nur unvollständig an.396 Generell sollte die Inszenierung von Fafners Auftritt in Siegfried für die RingAufführungen der folgenden Jahrzehnte ein Problem darstellen, denn schließlich soll diese Bühnenmaschine den Eindruck erwecken, es handele sich um ein singendes Wesen. Gänzlich missglückt war aufgrund der zu knapp bemessenen Probenzeit das Schlussbild der Götterdämmerung, bei dem außer ein paar „bengalischen Weltuntergangsfackeln“ nicht viel von Wagners Regieanweisungen umgesetzt wurde.397 Auch in vielen anderen Punkten entsprachen das Bühnenbild und vor allem die historisierenden Kostüme, die nach dem Vorbild archäologischer Funde aus dem Frühmittelalter gestaltet wurden, Wagners Erwartungen nicht. Er fand die von Carl Emil Doepler entworfenen „Kostüme, namentlich das des Alberich, beinahe lächerlich“.398 Hinzu kam die fehlende Routine aller Beteiligten, die zu mancher Panne führte. Als sich der Vorhang zum ersten Mal im Festspielhaus hob, ging beispielsweise etliches schief: „[…] erste Rheingold-Aufführung mit vollständigem Unstern, Betz verliert den Ring, läuft zweimal in die Kulissen während des Fluches, ein Arbeiter zieht den Prospekt zu früh bei der ersten Verwandlung heraus und man sieht die Leute in Hemdsärmeln da stehn und die Hinterwand des Theaters, alle Sänger befangen etc. etc.“399 Man darf bei der Beurteilung der von Wagner und seinen Zeitgenossen konstatierten Mängel des ersten Bayreuther Rings jedoch nicht außer Acht lassen, dass es sich bei diesem gesamten Unternehmen um ein höchst gewagtes Experiment Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  145

7 Die Schwimmwagen der Rheintöchter aus der ersten Rheingold-Szene der Bayreuther Ring-Uraufführung 1876. Bei den Sängerinnen handelt es sich um Lilli und Marie Lehmann und Minna Lammert.

handelte. Es galt hier, innerhalb von ein paar Wochen vier neue und schwer auszuführende Dramen mit einem Mal – im Gegensatz zum heute Üblichen gab man damals alle Dramen an vier aufeinanderfolgenden Tagen – zur Aufführung zu bringen. Dass dabei nicht alles technisch und musikalisch perfekt ablief, ist kein Wunder. Möglicherweise hätte eine Wiederholung dieser Aufführung über ein paar Sommer hinweg einigen dieser Schwierigkeiten abhelfen können. Wir wissen jedoch nicht, ob Wagner so etwas wie jährlich stattfindende Festspiele mit seinen Dramen überhaupt angestrebt hat; deren Etablierung geschah erst unter der Ägide seiner Witwe Cosima. Selbst wenn er so einen Plan gehabt hätte, ließ doch das gewaltige Defizit, mit dem die ersten Festspiele schlossen, keine Wiederholung zu. Wagners Reaktion auf die Ring-Uraufführung berührt eigenartig. Ernüchterung und Resignation blieben als Eindrücke zurück400 und verleiteten viele Wagnerforscher zur der Annahme, Wagner sei zu diesem Zeitpunkt die Unmöglichkeit und Überspanntheit seines künstlerischen Vorhabens aufgegangen und seine Regieanweisungen, die sich in seinen Partituren, Dokumenten und mündlichen Äußerungen finden, seien eher als Pedanterie denn als realistische – oder überhaupt realisierbare – Forderungen anzusehen. Dem widerspricht jedoch Wagners umfangreiche Tätigkeit als Regisseur, die im nächsten Kapitel ausführlicher zur Darstellung kommen soll, wie auch seine Art, zu komponieren. Es 146  Kunst, Politik und Rückzug

scheint vielmehr so, als habe Wagner 1876 erkannt, dass er viel mehr Zeit für die korrekte Einstudierung brauchen würde, als er ursprünglich gedacht hatte, und dass er die 1876er Ring-Aufführung lediglich als einen allerersten Anfang sah, wobei ihm wahrscheinlich bewusst wurde, dass seine eigenen Kräfte und seine ihm verbleibende Lebenszeit nicht ausreichen würden, die von ihm angestrebte Realisierung noch selber umzusetzen.401 In diesem Sinne ist ein Eintrag in Cosima Wagners Tagebüchern zu verstehen: „[…] von seinem Wirken sagt er: es sei alles vergebens gewesen.“402 Diese Bemerkung kann sich weder auf den fehlenden Erfolg seiner Stücke, die zu dieser Zeit die Bühnen in aller Welt zu erobern begannen, noch auf seine mangelnde Anerkennung als Komponist und Schriftsteller beziehen, da er besonders unter der jungen Generation von Komponisten damals immens geschätzt wurde, sondern ausschließlich auf sein praktisches Wirken. Dafür, dass er gerade den inszenatorischen Teil seines künstlerischen Vermächtnisses als den wichtigsten ansah, gibt es etliche Hinweise. Nachdem sich der Vorhang nach der dritten und letzten Aufführung des Ring gesenkt hatte, trat Wagner vor das Publikum und hielt im Festspielhaus eine kurze Ansprache, die in die Worte mündete: „Sie haben gesehen, was wir können. Nun ist es an Ihnen zu wollen. Und wenn Sie wollen, so haben wir eine Kunst!“403 Die journalistischen Reaktionen darauf ließen nicht auf sich warten. Man warf Wagner vor, sich in maßloser Selbstüberschätzung zum Schöpfer einer neuen Kunstform aufspielen zu wollen und implizit zu behaupten, die Deutschen hätten bis dahin noch keine eigenständige Kunst besessen. Wagner ging wenig später auf diese Vorwürfe ein und erläuterte in einer Rede anlässlich eines Festbanketts, genau dies, die Schaffung einer nationalen Kunstform, die für die Deutschen charakteristisch sein sollte, sei sein Anspruch und Anliegen gewesen.404 Wie haben wir diese Äußerung zu lesen? Handelte es sich dabei wirklich um nichts weiter als puren Größenwahn, wie etliche Zeitgenossen monierten? Auf diese Fragen vermögen die Dokumente der nächsten Bayreuther Premiere eine Antwort zu geben.

Zweites Schweizer Exil und Bayreuther Gründung (1864–1876)  147

8. Ausklang: Theater und Religion (1876–1883)

Summe und Synthese: Die Entstehung des Parsifal Es war Wagner vergönnt, sein Schaffen als Dramatiker und Komponist zu dem gewünschten Abschluss zu bringen. Bereits Mitte der 1860er Jahre hatte er einen ersten umfangreicheren Prosaentwurf zu Parsifal geschrieben. Wagners „Weltabschiedswerk“ war als sein letztes Wort gedacht und wurde es tatsächlich auch. Nach der Uraufführung im Sommer 1882 machte Wagner keinerlei Anstalten, irgendein neues Stück, sei es dramatisch oder musikalisch, zu beginnen. Das ist insofern auffallend, als er praktisch während seiner gesamten Karriere mit Ideen zu neuen Werken schwanger gegangen war, mochten sie auch noch so unausgegoren sein. Doch nun, nach dem August 1882, fehlen auch nur die leisesten Ansätze dafür. Wahrscheinlich fühlte er, dass seine Zeit gekommen war. Bereits seit den späten 1870er Jahren plagten ihn ernsthafte gesundheitliche Probleme, u. a. mit dem Herzen, die zu seinem Tod im Alter von 69 Jahren führten und anscheinend familiär bedingt waren. Von seinen Geschwistern wurden nur wenige so alt wie er. Die Musik zu Parsifal entstand, wie die Skizzen zeigen, sehr langsam: Die Arbeit an dem ersten Gesamtentwurf des Lohengrin hatte möglicherweise nicht mehr als ungefähr zwei Monate in Anspruch genommen,405 und die gesamte Musik für Das Rheingold hatte er innerhalb von zehn Monaten niedergeschrieben. Als er den Parsifal komponierte, entwarf er hingegen höchstens zehn Takte pro Tag,406 und vom Beginn der Skizzen bis zum Abschluss der Partitur brauchte er ungefähr viereinhalb Jahre.407 Da Wagner mit diesem Werk sein Schaffen abzuschließen gedachte, können wir davon ausgehen, dass er damit eine Art Summe aus seinem Lebenswerk ziehen wollte, also bewusst auf all die kompositorischen Errungenschaften aus seinen älteren Werken zurückgriff, die ihm für seinen dramatischen Gegenstand geeignet erschienen. Eine Analyse der Parsifal-Musik bestätigt diese Annahme. Verglichen mit den unmittelbar vorangegangenen Werken, die sich wie die Meistersinger durch ihre dichte motivisch-thematische Faktur und wie die letzten vier 148  Ausklang

Aufzüge des Ring zusätzlich noch durch den durchgehend recht massiven Orchestersatz auszeichnen, wirkt die Parsifal-Musik transparenter im Klang und klarer in der Struktur. Die Motive und Themen in der Götterdämmerung hatten auch auf die Singstimmen übergegriffen und im Verbund mit dem dichten Orchesterklang den Sprechgesang nahezu vollständig verdrängt.408 Auch die Musik des Parsifal wurde wie die der Vorgängerwerke seit dem Tristan zum allergrößten Teil vom Orchesterpart ausgehend entworfen. Wie beim Tristan und bei den Meistersingern entstand das Vorspiel des Parsifal als erster Teil der Musik, womit Wagner die traditionelle Vorgehensweise von Opernkomponisten, die bis zum Lohengrin auch die seine gewesen war, umkehrte: Normalerweise schrieb man nämlich die Ouvertüre als Letztes und nahm in ihr zentrale musikalische Momente aus den folgenden bereits vollendeten Akten auf.409 Seit dem Tristan verfuhr Wagner jedoch vollkommen anders, indem er die instrumentalen Vorspiele zuerst komponierte und dann ihre Themen und Motive zu den musikalischen Keimzellen für alles weitere machte; im Fall der letzten vier Aufzüge des Ring hatte er ein großes Reservoire an musikalischem Material in Gestalt von Rheingold, Walküre und den beiden ersten Aufzügen des Siegfried zur Verfügung, auf das er zurückgreifen konnte. Im Parsifal ist verglichen mit den Vorgängerwerken die motivisch-thematische Struktur ausgedünnt. Wagner war sichtlich darum bemüht, den Singstimmen an vielen entscheidenden Stellen wieder den Charakter der Rede, des Sprechgesangs zu verleihen. Im zweiten Aufzug, bei der Beschwörung Kundrys durch Klingsor, ging er in dieser Hinsicht sogar über sein gesamtes bisheriges Schaffen hinaus, indem er zum ersten Mal eine längere, melodramatisch frei zu gestaltende Passage einfügte. „Melodramatisch“ meint hier die musikalische Gattung des Melodrams, die sich um 1800 und dann wieder am Ende des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit erfreute und bei der es sich um eine Kombination von Deklamation und instrumentaler Begleitung handelt.410 Auch in die Oper hatte das Melodram zu Beginn des 19. Jahrhunderts Eingang gefunden. Hier diente es zur Schilderung des Unheimlichen, beispielsweise am Beginn der Kerkerszene in Beethovens Fidelio, in der Leonore mit Rocco spricht („Wie kalt ist es in diesem unterirdischen Gewölbe!“), oder in der Wolfsschluchtszene des Freischütz bei der Beschwörung Samiels durch Caspar oder in der Schauer­ oper Der Vampyr von Heinrich Marschner bei der gespenstischen HeiTheater und Religion (1876–1883)  149

lung Ruthvens durch das Mondlicht und seiner Beschwörung des Vampyrmeisters. Kundrys Beschwörung durch Klingsor mit ihren Schreien und unartikulierten Lauten ist ein Nachfolger dieser Opernmelodramen. Neben der Partie der Kundry wurde auch die des Amfortas von Wagner mit deklamatorischer Realistik komponiert. Bei den Proben erklärte er: „A. hat keine große Kraft mehr, daher die kurzen Noten in der Höhe.“411 Und noch so manches andere kleine Detail der ParsifalPartitur ist sprecherisch geprägt, wenn auch nicht immer sprechkünstlerisch. Parsifals verlegene Antworten auf Kundrys Erzählungen über seine Kindheit im ersten Aufzug sollen nach Wagner nämlich in einem Ton gehalten sein, den er seinen eigenen Kindern abgelauscht hatte: „Neulich sagte mir R., daß er das ‚ja‘ von Parsifal’s und Kundry’s Gespräch (I. Akt) aus den Kindergesprächen her hätte, das wichtig eifrige Ja!“412 Das Vorhandensein von Sprechgesang und komplexer thematischer Arbeit, von ausgedehnten Chorpassagen – Chöre kommen im Ring und Tristan im Gegensatz zu Wagners Frühwerken nur am Rande vor – und solistischen Abschnitten aller möglichen Art, deklamatorischen und kantablen, wie auch von ruhig-statuarischen und lebhaft aktionsreichen Szenen, von statischer, diatonischer Gralstempel-Sphäre und nervöser Zaubergarten-Chromatik lassen Parsifal musikalisch als das Werk einer abschließenden Synthese erscheinen, in dem Wagner die gesamte Breite seiner kompositorischen Entwicklung präsentiert. Musikalische Zitate und Anspielungen auf eigene Werke kommen vor, und auch die Handlung versammelt einige Motive aus seinen früheren Dramen. In einem Entwurf zum Tristan hatte Wagner Jahrzehnte zuvor einen Auftritt des von der Kundry verfluchten Parsifal vorgesehen, der auf seiner Suche nach dem Gral den siechen Tristan auf seinem Krankenbett betrachten sollte. Diesen Entwurf führte Wagner nicht aus. Er zeigt aber, dass es inhaltliche Verbindungen zwischen beiden Werken gibt, die musikalisch beispielsweise im zweiten Aufzug, in der Szene Kundry/Parsifal, durch die mit der diatonischen Musik der Gralsritter kontrastierende üppige Chromatik sinnfällig werden. Wie bei Tristan auf seinem Krankenbett wird das Leiden an der Liebe bei Amfortas durch seine Wunde sichtbar. Auch zum Lohengrin gibt es Verbindungen. In seiner Gralserzählung berichtet Lohengrin davon, dass Parsifal sein Vater sei; das Schwanen-Motiv des Lohengrin – ein Pendeln zwischen der Dur-Tonika und der Moll-Mediante – wird im ersten Aufzug 150  Ausklang

des Parsifal zitiert, als Parsifal den Schwan getötet hat. In beiden Werken ist die Hauptfigur zu Beginn namenlos: Lohengrin, weil er seine Identität nicht preisgeben darf, Parsifal, weil er sie nicht kennt. Wie Siegfried ist Parsifal Waise. Gurnemanz weist stimmlich und charakterlich viele Parallelen mit Hans Sachs auf. Die Figur der Kundry hat Gemeinsamkeiten mit der des fliegenden Holländers: Beide sind durch einen gotteslästerlichen Fluch dazu verdammt, für alle Zeiten durch die Welt zu irren, und haben die Hoffnung auf Erlösung aufgegeben. Und noch weitere Bezüge auf das eigene Schaffen sind zu entdecken.

Die Uraufführung des Parsifal 1882: Eine Rekonstruktion Wagners letztes großes Vorhaben vor seinem Tod in Venedig am 13. Februar 1883 war die Bayreuther Uraufführung seines letzten Werkes. Sie wurde gründlicher geprobt als die des Ring, und zu Wagners Probenarbeit wie auch zu den Aufführungen sind eine Menge Dokumente erhalten, die eine nahezu lückenlose Rekonstruktion dieser Uraufführung erlauben. Zwei Gründe sind für die gute Dokumentenlage verantwortlich: Zum einen hatte Wagner nur eines statt vier Dramen einzustudieren, und zum anderen waren die Hauptrollen mit Ausnahme des Amfortas mit mehreren Sänger besetzt, sodass Wagner sie mehrfach mit seinen Sängern üben musste. In dieser Mehrfachbesetzung kann man einen letzten Versuch erkennen, seine Intentionen als Regisseur einer möglichst großen Menge von Bühnenkünstlern zu vermitteln, damit sie diese an die nächste Generation weitergeben sollten, da ja alle seine Versuche zu Gründung einer Theaterschule im Ansatz stecken geblieben waren. Wie sahen aber Wagners Intentionen als Regisseur konkret aus? Zunächst lassen sich anhand der erhaltenen Proben- und Aufführungsprotokolle, die von Heinrich Porges, Anton Schittenhelm und vielen anderen angefertigt wurden, folgende allgemeine Beobachtungen machen:413 Zum einen realisierte Wagner alle in der Partitur gedruckten Regieanweisungen. Alle dort geforderten szenischen Aktionen fanden genau so statt, wie sie dort notiert sind. Zum anderen geschah dies in exakter Übereinstimmung mit der Musik, d. h. die Körperbewegungen der Akteure wurden von Wagner sowohl mit ihren Gesangslinien als auch mit der Orchesterbegleitung rhythmisch koordiniert. Dafür werTheater und Religion (1876–1883)  151

den im Folgenden ein paar Beispiele gegeben werden. Zum Dritten gab Wagner zusätzliche Aktionen vor, die nicht in der Partitur stehen, aber in der gleichen Weise rhythmisch mit der Musik koordiniert wurden und die uns z. T. in dieser Form bereits in früheren Inszenierungen begegnen. Dazu gehören bestimmte feste Topoi, wie das Zittern oder die ersten Schritte einer Figur bei ihrem Auftritt, bei denen bei Wagner stets sehr ähnliche musikalische wie darstellerische Mittel zum Einsatz kamen. Zum Vierten sind die Nuancen, die er für den Gesang forderte, allesamt eher sprecherischer denn musikalischer Natur. Zum Fünften gab Wagner psychologische Anweisungen, die den Ausführenden die Stimmungsnuancen bestimmter Stellen verdeutlichen, ihnen gewissermaßen das Innenleben der von ihnen zu spielenden Charaktere nachvollziehbar machen sollten. Zum Sechsten begegnen uns bestimmte Vortragsregeln aus seinen früheren Inszenierungen wieder, z. B. der Stellungswechsel in Dialogen, der dem gerade singenden Darsteller die Möglichkeit gibt, sich ein wenig in Richtung des Publikums zu drehen, ohne die szenische Illusion zu stören. Singender und Angesungener sollten ihre Position immer so wechseln, dass ersterer ins Publikum gewandt stand.414 Wenn im weiteren Verlauf dem Leser eine Rekonstruktion zentraler Momente der Parsifal-Inszenierung gegeben werden soll,415 ist dabei immer im Auge zu behalten, dass die Gesten, Kostüme und auch der Gesangsstil sich stark von den heutigen Gepflogenheiten unterschieden haben. Wie und wo man sich ein Bild von diesen Unterschieden machen kann, darauf soll gleichfalls kurz eingegangen werden. Begeben wir uns nun in den Zuschauerraum des Festspielhauses im Sommer 1882. Im Gegensatz zum Jahre 1876 ist der Andrang diesmal enorm und der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Der Zuschauerraum verdunkelt sich ein wenig. Bei dem ersten Ring-Zyklus 1876 hatte das völlige Verlöschen der Lampen in der Presse für Aufsehen gesorgt, denn man vermutete Wagners Absicht dahinter, weil normalerweise der Zuschauerraum in der Oper im 19. Jahrhundert erleuchtet blieb. Tatsächlich war bei der ersten Ring-Aufführung 1876 die Gasbeleuchtung in diesem Teil des Gebäudes schlichtweg noch nicht fertig eingebaut gewesen, sodass man das Licht nicht dämpfen konnte, sondern es ganz abschalten musste. Bei allen folgenden Vorstellungen unter Wagners Ägide brannte die Gasbeleuchtung im Zuschauerraum, jedoch so 152  Ausklang

schwach, dass ein Mitlesen der Textbücher nicht möglich war.416 Und das reduzierte Licht in Bayreuth hatte noch einen negativen Nebeneffekt: Vor dem Einbau elektrischer Bühnenbeleuchtung im Jahre 1888, also fünf Jahre nach Wagners Tod,417 gab es bis auf einzelne elektrische Lichteffekte auf der Bühne nur die trübe Gasbeleuchtung. Sie war nach den Erinnerungen Siegfried Wagners so schwach, dass es unmöglich war, die jeweiligen Akteure voneinander zu unterscheiden, sobald sie sich nur ein paar Schritte von der Rampe entfernten.418 In die Stille und Dunkelheit hinein beginnt nun ohne vorherigen Beifall das unsichtbare Orchester zu spielen. Das langsame Parsifal-Vorspiel gibt das Tempo für die Geschwindigkeit und Art der szenischen Aktionen der Aufführung vor. Alles ist in gemessenem Tempo und mit reduziertem Ausdruck darzustellen. Drastische oder hektische Gebärden hat Wagner seinen Sängern mit Ausnahme des 2. Aufzuges generell untersagt. Oft hat das Bühnenbild die Tendenz zum Stillstand oder, wie später in Berichten von den Festspielen zu lesen sein wird, man bekommt den Eindruck von Lebenden Bildern. Ein solches Lebendes Bild stellt die erste lange Erzählung des Gurnemanz dar. Er ist mit einem schlichten Gewand kostümiert und hat einen langen weißen Bart und weiße Haare. Um ihn herum sitzen die Knappen in einem abstrahierenden, keinem historisierenden Kostüm; Wagner hatte nach den schlechten Erfahrungen mit zu großer historischer Treue bei den 1876er Festspielen seinen Bühnenbildner Paul von Joukowsky eigens darauf hingewiesen, dass er keine historisch ‚korrekten‘ Kostüme wolle. 419 Als Gurnemanz zu der Verheißung des „reinen Toren“ gelangt, springen die Knappen einer nach dem anderen bei ihren kurzen Repliken vom Boden auf: „Vor Allem nun: der Speer kehr’ uns zurück!“ – „Ha! Wer ihn brächt’, ihm wär’s zu Ruhm und Glück!“ Das Parsifal-Motiv bricht in das Motiv vom „reinen Toren“ ein, während der tödlich verwundete Schwan im Bühnenhintergrund herabstürzt. Parsifal, ohne Bart und mit langen Haaren, wird mit dem toten Schwan zu Gurnemanz gebracht. Während der ihn mit vorwurfsvollen Gebärden über seine Untat belehrt, lernt Parsifal das ihm bisher unbekannte Mitleiden mit anderen Kreaturen, was sich in für unsere Begriffe überdeutlichen Gebärden kundtut. Mit weit aufgerissenen Augen bedeckt er sein Haupt und öffnet den Mund dabei. Bei all seiner Betretenheit tritt der Sänger des Parsifal jedoch wie ein heroischer Charakter auf. D. h., er macht ein Hohlkreuz und hält die Theater und Religion (1876–1883)  153

Arme weit nach hinten, die Brust herausgestreckt, und steht dabei stets ein wenig nach hinten übergelehnt. So traten Heldenfiguren seit Goethes Zeiten in Deutschland auf.420 Gurnemanz wird wenig später seine Vermutung äußern, es handele sich bei diesem Jungen, der nicht einmal seinen Namen weiß, um den Nachfahren einer noblen Familie: „Doch adelig scheinst du selbst und hochgeboren“. In dem Moment, als sich beide zu den Klängen des sogenannten Gralsmarsches in Bewegung setzen, um der geheimnisvollen Zeremonie im Gralstempel beizuwohnen, wird die Bühnentechnik in Gang gesetzt und sorgt im Saal für Erstaunen. Der Dirigent Felix Weingartner berichtet darüber: „Als Gurnemanz sich anschickte, Parsifal zur Gralsburg zu geleiten, ergriff mich ein leiser Schwindel. Was geschah? Mir war es, als ob sich das Haus mit allen Zuhörern in Bewegung setzte. Die durch die Wandeldekoration bewerkstelligte Umgestaltung der Szene hatte begonnen. Die Illusion war vollkommen. […] Auf je zwei oder drei beiderseits der Bühne hintereinander aufgestellten Säulen wickelten sich entsprechend abgestimmte Prospekte ab, bis die letzte Felswand sich vorbeischob und das in herrlichen Dimensionen gemalte Innere der Gralsburg vor uns stand. Genau auf dem C-Dur-Akkord ergoss sich das Licht über das majestätische Bild. Eine beispiellose Wirkung war mit den einfachsten Mitteln hervorgebracht.“421 Das Verfahren, das hier zum Einsatz kam, war im Grunde relativ simpel und auch nicht neu. Wie im 19. Jahrhundert üblich bestand das Bühnenbild des Parsifal aus einer großen bemalten Leinwand im Hintergrund, die hier mittels zweier Walzen abgespult werden konnte. Im Vorder- und Mittelgrund kamen mehrere kleinere Leinwände auf Walzen zum Einsatz. Im Hintergrund bewegte sich der Waldsee langsam von links nach rechts und wurde von dem Bild einer Felsenlandschaft abgelöst, während die kleineren Rollen abwechselnd Pflanzen und Steine zeigten.422 Diese Verwandlung ging langsam vonstatten, langsamer als von Wagner geplant, da sich die Bühnentechniker mit der Dauer der Verwandlungsmusik verrechnet hatten; Wagner sah sich deswegen 1882 dazu gezwungen, „mit der Uhr in der Hand“ diese Musik zu verlängern, und zwar durch die Wiederholung eines Abschnittes.423 In die Partitur hat diese Verlängerung, die in Bayreuth später eliminiert wurde, keinen Eingang gefunden. Unter den Klängen dieser erweiterten Verwandlungsmusik und zwischen den sich drehenden Kulissen gingen nun Gurnemanz und Parsifal extrem langsam mit klei154  Ausklang

nen Schritten von rechts nach links über die gesamte Breite der Bühne. Immer auf den ersten Ton des Gralsglocken-Motives hatten sie einen Fuß vor den anderen zu setzen, d. h. nur bei jedem zweiten Takt. Ob Wagner dies schon zur Zeit der Vertonung so vorgehabt hatte, ist unklar; einige Zuschauer empfanden dieses bis zum Äußersten gedehnte Schreiten jedenfalls als „parodistisch“.424 Nachdem die große abgerollte Leinwand zum Stillstand kommt, wird sie in der Mitte aufgezogen und gibt den Blick auf das Innere der Gralsburg frei, die auf Wagners Wunsch dem Dom von Siena nachempfunden wurde. Zugleich versinken die Felsdarstellungen im Vordergrund. Die Chöre der Gralsritter bewegen sich feierlich langsam in streng geometrisch gruppierten Zügen. Amfortas wird ein weiteres Mal auf die Bühne getragen. Wenn das Portraitfoto des Sängers Theodor Reichmanns das Kostüm dieser Inszenierung korrekt wiedergibt, sahen die Zuschauer Amfortas bei seinem ersten Auftritt, bei dem er auf der Bahre getragen wird, nur mit einem schmucklosen, langen hellen Hemd bekleidet wie einen Kranken.425 Bei seinem zweiten hingegen trug er ein Kostüm mit Kappe wie die anderen Gralsritter.426 Seine „Erbarmen!“-Rufe werden von den Choristen mit starken, pantomimischen Aktionen begleitet: Alle erheben die Hände – was im 19. Jahrhundert üblicherweise sehr deutlich und weit nach oben geschah – und bedecken ihr Gesicht mit ihren Händen, um ihrem Jammer Ausdruck zu verleihen. Bei der Zeremonie der Gralsenthüllung stellen sich die Ritter in einen Kreis um Amfortas, der erhöht steht. Nun leuchtet der von Hugo Bähr hergestellte, schlichte, schalenförmige Gral rot auf dank einer elektrischen Lampe im Innern der Requisite.427 Synchron knien alle Choristen nieder und erheben sich wieder. Ebenso synchron nehmen sie ihre Gläser zur Hand, trinken und setzen sie zeitgleich ab. Als Parsifal und Gurnemanz am Ende des Aufzugs allein im Saal zurückbleiben, greift sich Parsifal „krampfhaft am Herzen und schüttelt dann ein wenig mit dem Haupte“, und dies Wagners Anweisung gemäß exakt auf die Akkorde der Streicher mit dem Sforzato. Gurnemanz wirft ihn zur Tür hinaus – die Musik lässt hier nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig, was das Tempo dieser Aktion betrifft – und geht mürrisch „mit stockenden Schritten auf die andere Seite“ zu den Tönen des karikierten, wie vor sich hingemurmelt wirkenden „Durch Mitleid wissend“-Motives in den Bratschen. Nachdem sich der Vorhang langsam geschlossen hat, bleibt das Publikum verTheater und Religion (1876–1883)  155

unsichert zurück. Soll man angesichts der religiösen Handlung und Wagners Verbot des Herausrufens von Darstellern zwischen den Aufzügen, das er 1876 ausgesprochen hatte, nun Beifall klatschen? Oder wäre das unangemessen? Bei diesen Festspielen bürgerte sich die bis heute respek­tierte Sitte ein, nach dem ersten Aufzug des Parsifal in Bayreuth nicht zu applaudieren. Ein anderes Bild empfängt die Zuschauer zu Beginn des zweiten Aufzugs. Von Dämpfen umhüllt steigt Kundry laut stöhnend und sich wie eine Schlafwandlerin bewegend vor Klingsor aus dem Boden. Klingsor singt – oder spricht beinahe – mit eigentümlicher, zynischer Ruhe seine Verse, in denen seine Bösartigkeit zum Ausdruck kommt. Erst bei Kundrys „so grell als möglich“ hervorgestoßener Frage, ob sie mit ihren Verführungskünsten keine Macht über ihn habe, weil er „keusch“ sei, verliert er die Fassung. Das äußert sich in seinem heftigen Zittern, das von den Streichern mit einem Tremolo untermalt wird. Der Gesangstext erklärt an dieser Stelle nicht, weshalb diese Beleidigung Klingsor bis ins Mark trifft; nur dem Kenner des Parsifal-Stoffes erschließt sich ihre volle Bedeutung, denn Klingsor hatte, wie Gurnemanz im ersten Aufzug lediglich andeutet, in seiner Zeit als Gralsritter im Streben nach dem Höchsten „an sich die Frevlerhand“ gelegt, soll heißen: sich selbst entmannt. Dieser nach Wagners Worten „furchtbare Dialog“ geht in die Blumenmädchenszene über, bei der die Sängerinnen sich mit wiegenden Bewegungen in einem fantastisch bunten Garten Parsifal nähern. Sie laufen zu Anfang verwirrt auf die Bühne und schmücken sich mit ihrem Kopfputz, als sie Parsifal sehen, bewegen sich mit wiegenden Schritten auf ihn zu und umschmeicheln ihn mit erhobenen Armen, die sie alle gemeinsam bei dem Halbvers „und sterben dahinnen“ fallen lassen. Aus ihrer Gruppe lösen sich zwei heraus und schmiegen sich an Parsifal, bis aus dem Hintergrund der Ruf Kundrys – und damit zum ersten Mal der Name der Titelfigur – ertönt: „Parsifal!“ Die Blumenmädchen sehen einander betreten an und beginnen, sich von ihm zurückzuziehen. Der folgende Dialog zwischen Kundry und Parsifal wird mit pointiert eingesetzten Gesten gestaltet, die den Text und den eigenartigen Vorgang, der hier stattfindet, optisch sinnfällig werden lassen. Während Kundrys Erzählung „Ich sah’ das Kind an seiner Mutter Brust“, die ohne großes Pathos vorgetragen wird, hört ihr Parsifal mit fragendem Gesichtsausdruck zu. Beim Bericht vom Tode seiner Mutter wird er hef156  Ausklang

tiger in seinen Bewegungen und sinkt zu Kundrys Füßen nieder. Er befindet sich während ihrer Ausführungen so vor Kundry, dass sie schräg in den Zuschauerraum hinein singt, ohne die Augen von ihm zu lassen. Als sie damit aufhört, wendet er sich um, ohne den Blick ins Publikum zu richten, und beginnt sich selbst für seine Torheit zu schelten. Das Ende seiner Selbstanklagen singt er wie einen Monolog, den Blick zur Erde gerichtet: „Nur dumpfe Thorheit lebt in mir!“ Bevor Kundry ihm seinen ersten Kuss gibt, schließt er die Augen und legt sich auf den Rücken. Der Kuss dauert provozierend lange bis Parsifal zu den dissonanten Akkorden im Orchester „mit energisch stockenden Schritten nach vorwärts“ geht, wobei sich seine seelische Pein durch lautes Ächzen und Stöhnen äußert. Er stellt sich „ganz starr und steif “ in den Vordergrund, bevor er wie „mit einem Schrei“ den Namen des Amfortas hervorstößt. Sein gestisches Spiel ergänzt und untermalt im Folgenden den Gesangstext. Bei seinem Ausruf „Die Wunde!“ fasst er sich an die Seite, als wenn ihm dort eine Wunde brennen würde, und deutet bei seinem Vers „Fliesse ihr Blut in Strömen dahin“ an, sich einen Verband von der Seite reißen zu wollen. Dies ist die letzte Aktion Tristans, bevor er sterbend Isolde in die Arme sinkt, und Wagner macht damit in seiner Inszenierung auf eine Parallele zwischen den Figuren des Tristan und des Amfortas aufmerksam: Beide haben von ihrer Begegnung mit der Liebe eine schwere Wunde davongetragen, die sie selber nicht zu heilen vermögen. Beide haben für ihre ‚Schwäche‘ gegenüber einer Frau bitter zu leiden. Die physische Wunde steht hier also stellvertretend für eine seelische Verletzung. Parsifal muss würgen und geht mit plötzlich unterbrochenen Bewegungen in Richtung der Zuschauer. Der Höhepunkt seiner Klage wird bei den Worten „‚erlöse, rette mich aus schuldbefleckten Händen!‘“ erreicht. Hier werden seine Bewegungen wilder und weit ausgreifend. Am Ende seiner Klage kniet Parsifal wiederum nieder und lässt den Kopf tief sinken. Nun ist es an Kundry, den Zuschauern stimmlich und gestisch zu verdeutlichen, dass ihr so etwas in den hunderten von Jahren ihres Lebens noch nie geschehen ist und dass sie sich in Parsifal, ihren Überwinder, verliebt: „Gelobter Held! Entflieh’ dem Wahn!“ Parsifal wehrt sie ab, und zwar mit großen Gesten, mit weit über den Kopf erhobenen Händen und sie drohend von sich zurückweisenden, ausgestreckten Armen. Kundrys Vortrag wird jetzt ebenfalls heftiger in den Bewegungen und im Tonfall. Ihre Augen Theater und Religion (1876–1883)  157

sind weit geöffnet, ihr Kinn erhoben. Sie erkennt, dass sie keine Macht über ihn hat und bietet ein letztes Mal alle ihre verführerischen Kräfte auf – „Lass’ mich dich Göttlichen lieben“ –, doch vergebens. Als sie ihm berichtet, dass bisher noch keiner ihr widerstehen konnte, auch nicht Amfortas, tritt Parsifal erschrocken mit weit nach oben gestreckten Armen in den Vordergrund, weil er erkennt, dass die Zukunft der gesamten Gralsritterschaft hier auf dem Spiel steht: „Vergeh’, unseliges Weib!“ Er stößt Kundry von sich. Ihr Fluch, den sie rasend sich auf die Brust schlagend singt, erfolgt zur selben Zeit wie die plötzliche Attacke Klingsors mit dem heiligen Speer. Parsifal nimmt den Speer, der über seinem Haupt in der Luft schweben bleibt, schlägt mit ihm das Kreuz und der üppige Blumengarten versinkt zu den Fortissimo-Takten am Ende des zweiten Aufzuges. Zurück bleibt eine öde Landschaft, in deren Vordergrund Kundry ihm nachschaut. Wie in der Partitur angegeben, schließt sich der Vorhang schnell während der letzten drei Takte. Der dritte Aufzug des Parsifal ist eine Ausnahme in Wagners Schaffen. In all seinen Bühnenwerken befolgte er zumindest in Grundzügen die aristotelische Forderung nach der Einheit der Zeit. Das bedeutet, dass eine Handlung auf der Bühne so weit wie möglich den Zeitabläufen in der Realität angenähert sein soll und somit zwischen den einzelnen Akten nicht allzu große Zeitabstände der Handlung liegen dürfen. Die Handlung des Rheingold spielt sich beispielsweise an einem Tag ab, die des Siegfried an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, die der Götterdämmerung an dreien, die der Meistersinger an zweien usw. Im Parsifal gibt es hingegen einen großen Zeitsprung. Zwischen der Handlung im ersten Aufzug und der im dritten sollen in etwa zehn Jahre liegen,428 in denen Parsifal durch den Fluch der Kundry zum Umherirren verdammt ist und den Gral nicht finden soll. Das schildert das langsame, fahle Vorspiel zum dritten Aufzug, das bei geschlossenem Vorhang stattfindet und in dem das Grals-Motiv wie ein Trugbild mehrfach aufscheint, um dann immer wieder zu verschwimmen. Der Vorhang öffnet sich. Das Bühnenbild entspricht in etwa dem ersten Bild des ersten Aufzugs. Gurnemanz tritt sichtlich gealtert auf. Laut Wagners Anweisung soll er hier wie ein Neunzigjähriger aussehen. Er findet die schlafende Kundry im Gebüsch und weckt sie. Sie stößt einen Schrei aus, erhebt sich und macht sich nach ein paar unsicheren ersten Schritten, die genau mit einer stotternden Figur in den Celli und zwei 158  Ausklang

auftaktig gespielten Akkorden in den Hörner zusammenfallen, „gleich einer Magd, die sich verschlafen hat, wie stupid“, an ihre Arbeit. Wenig später erscheint ein Ritter in voller Rüstung mit einem netzartigen Visier, das geschlossen ist, sodass sein Gesicht verdeckt bleibt. Das dumpfe Motiv in den Hörnern, Trompeten und Posaunen ist dem Charakter dieses Auftritts entsprechend eine beim ersten Hören als solche unkenntliche, maskierte Variante des Parsifal-Motives. Wie zuvor bei Kundrys ersten Schritten bewegt auch er sich genau synchron zur Musik, schreitet jedes Mal, wenn diese Variante erklingt, erschöpft vorwärts und hält dazwischen inne. Als er seinen Helm abnimmt, erkennt ihn Gurnemanz und zugleich auch den heiligen Speer. Die daran anschließende Salbungsszene fand, wenn eine erhaltene Fotografie aus dem Jahre 1882 der originalen Gruppierung entspricht,429 wie folgt statt: Parsifal, der im Gegensatz zum 1. Aufzug nun einen Bart hat, sitzt in heller Kutte mit andächtig verklärter Miene – sein aufwärts gerichteter Blick ist für Heiligendarstellungen charakteristisch –, die Hände zum Gebet gefaltet, ihm zu Füßen an seiner linken Seite kniet Kundry in einem dunklen Gewand mit demütig vor ihrer Brust gekreuzten Armen, während Gurnemanz hinter ihm stehend zum Himmel aufschaut und die Arme zu seinem Segen ausstreckt. Bei dem ersten kräftigen Tuttiakkord des Orchesters nach Gurnemanz’ Vers „die letzte Last entnimm nun seinem Haupt!“ streckt er sie ganz nach oben, beim zweiten Akkord lässt er seine Arme passend zur abnehmenden Lautstärke langsam sinken. Dabei bleiben sein und Parsifals Blick stets nach oben gewendet, während Kundry in die Weite schaut. Ein weiteres Mal sollte nun die Wandeldekoration zum Einsatz kommen, diesmal jedoch in umgekehrter Laufrichtung, sodass Parsifal, Kundry und Gurnemanz von links nach rechts vorschreiten sollten. Doch gab es 1882 technische Probleme damit und auf Wagners Wunsch schließt sich während des instrumentalen Zwischenspiels der Vorhang, um dann ein zweites Mal den Blick auf das Innere des Tempels freizugeben. Was die Schlussszene des dritten Aufzuges betrifft, vermag zusätzlich zu den erhaltenen Fotografien, Szenenmodellen, Proben- und Aufführungsprotokollen ein frühes filmisches Dokument vielleicht den besten Eindruck von Wagners Inszenierung zu geben. Es handelt sich dabei um den Film Richard Wagner von Carl Froelich und William Wauer, eine aufwändige filmische Biografie aus dem Jahre 1913. Zu dieTheater und Religion (1876–1883)  159

ser Zeit durfte der Parsifal noch nirgendwo anders als in Bayreuth gespielt werden, ein Verbot, an das man sich aus Respekt vor Wagners Vermächtnis bis dahin hielt. Da sich die Filmemacher in jeglicher Hinsicht um Authentizität bemühten und ihr Film laut Vorspann eine Huldigung an den „Meister“ sein sollte, kann man davon ausgehen, dass der kurze Ausschnitt aus Parsifal, der darin vorkommt und eben diese Schlussszene darstellt, Details aus der Bayreuther Produktion wiedergibt. Er währt nur wenige Sekunden, passt im Detail mit den genannten Beschreibungen von 1882 zusammen und sei in Kürze beschrieben: Amfortas weist mit weit ausgestreckten Händen und verneinendem Kopfschütteln die Forderung der Gralsritter von sich, den Gral zu enthüllen. Die Ritter sind im Begriff, auf ihn einzudringen, als Parsifal aufrecht und erhobenen Hauptes von rechts eintritt, Amfortas’ Wunde mit der Speerspitze heilt und sich an seiner Stelle in der Mitte des Kreises der Ritter positioniert und ernst in die Richtung des Zuschauers blickt. Amfortas erhebt mit geöffnetem Mund und erstauntem Gesichtsausdruck die Hände mit geraden, nach oben gestreckten Armen. Dabei spreizt er – eine alte Schauspielergebärde, die aus dem 18. Jahrhundert oder sogar von noch früher stammt und mittlerweile ganz verloren gegangen ist – die Finger auseinander, was traditionell als Geste des Erschauerns galt. Auch die Ritter erheben in gleicher Weise ergriffen die Hände, während sie die gleiche Kreisordnung wie im 1. Aufzug einnehmen, und Kundry mit dem Rücken zum Publikum gewendet im Vordergrund ihre rechte Hand mit weit ausgreifender Gebärde auf den Kopf legt und so ihre tiefe Erschütterung zum Ausdruck bringt. Sie erhebt die Linke allmählich weit nach oben. Auch ihre Finger sind gespreizt. Dann fällt sie während der von Parsifal vollzogenen Gralszeremonie in sich zusammen, während eine Taube auf seinen Kopf herabschwebt. Der Vorhang schließt sich unterdessen langsam. In dieser Form lief Parsifal viele Sommer in Bayreuth. Natürlich dürften sich nach Wagners Tod aufgrund des Eingreifens seiner Witwe Cosima wie auch des Auswechselns von Sängern bald Änderungen in der Regie ergeben haben. Doch ist nicht zu übersehen, dass man diese Inszenierung als ein Erbe betrachtete, das es zu bewahren galt, auch wenn das über die Jahrzehnte hinweg nur in vielleicht äußerlichen Details möglich war. Während 27 Festspielen lief diese Inszenierung insgesamt 205 Mal.430 Die legendäre Bayreuther Wandeldekoration blieb – 160  Ausklang

trotz ihrer technischen Anfälligkeit – bis 1933 in Gebrauch, also ein halbes Jahrhundert lang. Das dürfte in der Geschichte des Theaters einen einsamen Rekord darstellen.

Theater und Religion (1876–1883)  161

9. Wagners Konzept des dramatischen Kunstwerks – Das Nachleben

Nimmt man Wagners Art, ein dramatisches Kunstwerk zu schaffen – d. h., es zu dichten und zu vertonen –, es aufzuführen und es theoretisch zu beschreiben, ergibt sich ein recht klares Bild von seinen Intentionen. Er begann seine Karriere als Dramatiker und blieb es auch für den Rest seines Lebens. Er entwarf seine Stücke ausgehend von darstellerischen Aktionen, die er im Laufe der Niederschrift von Text und Musik nicht mehr veränderte und so schließlich auch auf die Bühne brachte. Man könnte so weit gehen, solche zentralen Aktionen als die Kristallisationskeime seiner Werke zu betrachten. Wie gezeigt ging Wagner bei der Vertonung seiner Werke vom dramatischen Sprechvortrag aus, der sich in seinem zeittypischen, von heutigen Standards gänzlich abweichenden Gepräge einerseits als akustisches Phänomen in den Vokallinien, andererseits in seiner optischen Erscheinungsform im Orchesterpart niedergeschlagen hat. Als Regisseur ging es Wagner darum, bestimmte Gebärden exakt mit dem Orchestersatz zu koordinieren, die er selber viele Male im Laufe der Niederschrift der Partitur erprobt hatte. Und so, wie er sie seinen Sängern vormachte, sollten seine Inszenierungen – zumindest die zentralen Momente davon – für alle Zeiten gespielt werden. Das ist jedoch nichts weniger als ein neues Konzept des dramatischen Kunstwerks, in dem die Aktion im Mittelpunkt steht und die Musik bei aller Komplexität und Ausdruckskraft im Wesentlichen nichts anderes als tönende Regieanweisung ist. Man könnte analog zu den im 19. Jahrhundert populären Lebenden Bildern hier von ‚Lebenden Filmen‘ sprechen, d. h. von exakt determinierten dramatischen Handlungen auf der Bühne mit Musikbegleitung. Wie aber Wagner selber einsehen musste, war ein solches Kunstwerk mit den derzeitigen Mitteln, die nur eine ungefähre verbale oder rhythmische Beschreibung durch Musik und Text zuließen, nicht möglich, sondern nur durch von ihm persönlich betreute Aufführungen. Doch auch diese konnten nicht zu sicheren Trägern einer Tradition werden, da sich, wie er in den 1870ern bemerkte, die Gestik der Sänger und Schauspieler im Vergleich zu dem Stil seiner Jugend, der sei162  Wagners Konzept des dramatischen Kunstwerks

nen festen Referenzpunkt bildete, grundlegend verändert hatte. Wagner ist also mit seinem für ihn wohl wichtigsten und verwegensten künstlerischen Vorhaben gescheitert. Was dann im weiteren Verlauf der Geschichte nach seinem Tode geschah, dürfte seinen Intentionen geradewegs entgegengelaufen sein. Wagners Werke wurden seit der Jahrhundertwende zunehmend als musikalische Kunstwerke aufgefasst, an deren Musik man seit der Zeit zwischen den Weltkriegen die Maßstäbe der sogenannten absoluten Musik, also beispielsweise der Symphonien Beethovens oder Brahms’, anlegen zu können glaubte. Das war aber, wie er selber Cosima gegenüber äußerte, eben gerade nicht seine Absicht gewesen: „‚Ach! ich bin kein Komponist‘“.431 Wagner verstand sich selbst hingegen primär als Dramatiker. Er hat weder Kompositionsschüler noch den Anspruch gehabt, als Komponist vom Range eines Bach oder Mozart angesehen zu werden. Dass man den theatralischen Kern seiner Werke nach und nach vergaß, dürfte in erster Linie mit der Veränderung des Bühnenvortrags zusammengehangen haben. Durch die Einführung der elektrischen Bühnenbeleuchtung waren die pathetischen, ‚telegrafischen‘ Mienen und Gebärden des 19. Jahrhunderts nicht mehr vonnöten, und im Laufe der Zeit änderte sich auch der Sprechvortrag im Theater, sodass dessen Verwandtschaft mit Wagners Sprechgesang, die seinen Zeitgenossen noch ganz deutlich gewesen war, bald nicht mehr zu erkennen war. Singen und Sprechen lagen auf der deutschen Bühne des 19. Jahrhunderts enger beieinander als heute. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kommt dann in Deutschland ein schon seit längerem vorhandener Differenzierungsprozess zum Tragen. Dramatischer Gesang und dramatische Deklamation folgten nun ihren jeweils eigenen Gesetzen. Eine für die Gestalt von Wagners Musik entscheidende Schicht seines kompositorischen Denkens geriet damit in Vergessenheit. Wie weit wir mittlerweile von den aufführungspraktischen Gepflogenheiten und Vorstellungen seiner Zeit entfernt sind, davon kann sich der Besucher einer beliebigen Wagneraufführung überall ein Bild machen. Nur noch ausnahmsweise werden die Regieanweisungen Wagners befolgt, aus vollkommen unterschiedlichen Erwägungen. Gleichwohl dürfte es für die Ausführenden und Zuschauer von Interesse sein, dass in seiner Musik Spuren eines alten, mittlerweile verschwundenen Vortragsstils zu finden sind, der einst die eigentliche Substanz seiner Dramen ausgemacht hat. Wagners Leben, Das Nachleben  163

Denken, Wirken und seine Kunst sind durch und durch Produkte des Theaters seiner Zeit. Was von seinem Werk bis heute überlebt hat ist die musikalische Schicht, nicht aber die theatralische. Gleichwohl hat sein Konzept des dramatischen Kunstwerks, das wie kein anderes des 19. Jahrhunderts den Film vorweggenommen hat, mittlerweile die Welt erobert. Wagners Besessenheit vom Mimischen und seine Verehrung bestimmter Sänger und Schauspieler mag unter seinen Zeitgenossen eine Ausnahme, vielleicht sogar eine etwas exzentrische, gewesen sein. Heute gehört sie zum Handwerkszeug jedes Regisseurs und – befördert von den audiovisuellen Medien der Gegenwart – zum regulären kulturellen Bestandteil unseres Alltags. Ungeachtet aller Makel und problematischen Seiten von Wagners Persönlichkeit liegt hierin ein wichtiger Grund für die anhaltende Aktualität seines Werkes, mit dem er die Grundlagen für „das Kunstwerk der Zukunft“ zu legen hoffte, ein Werk, das seiner Definition gemäß zwischen „Oper“ und „Drama“ angesiedelt ist. Es ist seine Vieldeutigkeit in inhaltlicher Hinsicht – seine mythologische Struktur – wie auch in der Form, die Wagners Werk unerschöpflich macht. In ihm bündelt sich der Geist seiner Epoche, und zugleich weist es auf die ästhetischen Entwicklungen, Fragen und Anschauungen künftiger Generationen voraus. In den unterschiedlichsten kulturellen Bereichen – nicht bloß im Musiktheater, sondern ebenso in Film, Literatur, Kunst, Philosophie, Psychoanalyse usw. – trifft man auf seine Spuren. Da Wagners Werk außerdem dem Experten wie dem Laien gleichermaßen etwas zu bieten imstande ist, kann man es mit vollem Recht als klassisch bezeichnen.

164  Wagners Konzept des dramatischen Kunstwerks

Anmerkungen 1 Von ihm selber veröffentlicht wurden seine Autobiographische Skizze (1842/43), Eine Mittheilung an meine Freunde (1851), Mein Leben (1864–80) und The Work and Mission of my Life (1879); nach seinem Tode erschienen seine autobiografischen Notizen in der „Roten Brieftasche“ (in Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 81–84) sowie im „Braunen Buch“ (hg. von Joachim Bergfeld). Mit der Publikation der Tagebücher Cosima Wagners ist die biografische Wagnerforschung in den Jahren 1976/77 auf eine völlig neue Grundlage gestellt worden. 2 Friedrich Nietzsche: Der Fall Wagner in: Nietzsche: Werke VI, 3, S. 24. 3 Westernhagen 1979, S. 26; Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 1175. 4 Bournot, S. 19 ff. 5 Thomas Seedorf: Oper und Vokalmusik in: Handbuch der Musikwissenschaft Bd. XI. Musikalische Interpretation, S. 326. 6 Wagner: Mein Leben, S. 38; Kapp 1927, S. 21; auch andere berühmte Sänger hatten bei ihm Unterricht genommen, z. B. Wilhelmine Schröder-Devrient oder Anton Mitterwurzer (Göthel, S. 91; A. von Wolzogen, S. 97). 7 Knust 2007, S. 186 f. 8 Newman I, S. 149 f. 9 Hagemann, S. 327. 10 Bauer 1996, S. 19. 11 Koch I, S. 41; Chamberlain, S. 44. 12 Wagner: Mein Leben, S. 12. 13 Wagner: Mein Leben, S. 11. 14 Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 721 und II, S. 414. 15 Hans Schnoor/Karl Laux: Dresden in: MGG III, Sp. 777. 16 Wagner: Mein Leben, S. 38. 17 Knust 2007, S. 120 ff. und 198 f. 18 Bournot, S. 34 ff. 19 Das Repertoire der Dresdner Hofoper der Saison 1814/15 ist teilweise in Prölss, S. 373 ff. und 616 ff. erfasst. Eine Zusammenstellung der aufgeführten Stücke nach Prölss und unter Zuhilfenahme der Theaterzettel dieser Saison, die in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek (SLUB) aufbewahrt werden, findet sich in: Knust 2007, CD-ROM, S. 291 f. Anmerkungen  165

20 Weithase 1940, S. 131 ff., 141 f. und 210 ff. 21 Jean Paul gibt in Doktor Katzenbergers Badereise eine ironisch-distanzierte Beschreibung eines solchen Deklamatoriums ( Jean Paul: Sämtliche Werke Abteilung I, Bd. VI, S. 202 und 206). 22 Weithase 1961, S. 545 f. 23 Wagner Werkverzeichnis, S. 69, 80 f. und 97. 24 Eine ausführlichere Beschreibung der Unterschiede in der theatralischen Körpersprache findet sich in: Knust 2011. 25 Brief an Theodor Uhlig vom 27. Dezember 1849 (Wagner: Sämtliche Briefe III, S. 199 f.). 26 Wagner: Gesammelte Schriften III, S. 161; vgl. Brief an Franz Brendel von Anfang Januar 1852 (Wagner: Sämtliche Briefe IV, S. 267). 27 Neumann, S. 193. 28 Lehmann 1913, S. 287. 29 „Wenn man versucht hat, die grossartigsten Entwickelungen aus inneren Hemmungen oder Lücken herzuleiten, wenn zum Beispiel für Goethe das Dichten eine Art Auskunftsmittel für einen verfehlten Malerberuf war […] – : wenn man in ähnlicher Weise Wagner’s Entwickelung mit einer solchen inneren Hemmung in Verbindung setzen wollte, so dürfte man wohl in ihm eine schauspielerische Urbegabung annehmen, welche es sich versagen musste, sich auf dem nächsten, trivialsten Wege zu befriedigen und welche in der Heranziehung aller Künste zu einer grossen schauspielerischen Offenbarung ihre Auskunft und ihre Rettung fand.“ (Nietzsche: Vierte Unzeitgemäße Betrachtung: Richard Wagner in Bayreuth in: Nietzsche: Werke IV, 1, S. 39 f.). 30 Laut Curt von Westernhagen soll Wagner drei Gesänge der Odyssee komplett übersetzt haben (Westernhagen: Wagner, Wilhelm Richard in: MGG XIV, Sp. 89). 31 Wagner: Mein Leben, S. 22. 32 Da schwer zu sagen ist, inwieweit Praeger, der auch einige authentische Briefe Wagners besaß, im einzelnen seine Quellen erfand oder manipulierte, hat man sich entschieden, die von ihm veröffentlichten Briefe dennoch in die Ausgabe von Wagners Sämtlichen Briefen aufzunehmen (Wagner: Sämtliche Briefe XVI, Kommentar S. 510). 33 Glasenapp I, S. 57. 34 Praeger, S. 14 f. 35 Neumann, S. 154; vgl. Einträge vom 28. September 1879 und 6. Mai 1881 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 416 und 735. 36 Wagner: Mein Leben, S. 60 ff. 166  Anhang

37 Ibid., S. 64 ff. und 79. 38 Ibid., S. 54. 39 Wagner Werkverzeichnis, S. 75; laut Geck, S. 8 handelte es sich dabei um die Leipziger Erstaufführung von Goethes Faust. 40 Personenverzeichnis in: Wagner: Gesammelte Schriften XVI, S. 179. 41 Wagner: Mein Leben, S. 37. 42 Wagner: Sämtliche Werke XXXI, S. 98. 43 Ibid., S. 95–143. 44 Eintrag vom 30. Oktober 1879 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 434. 45 Sittner, S. 97 ff. 46 Inwieweit der moderne Typus des Dirigenten, der neben anderen auf Wagners Wirken zurückgeht, auch von seiner schauspielerischen Verhinderung geprägt worden ist, wäre eine eigene Erörterung wert. Ein paar Ansätze dafür finden sich in: Knust 2007, S. 251 ff. 47 Bekker, S. 43. 48 Wagner: Mein Leben, S. 46 f. 49 Reinhard von Seydlitz erwähnt „die schwache, aber so phänomenal ausdrucksvolle“ Singstimme Wagners und bemerkte dazu: „Stimme – im Sinne eines Sängers – hatte er ja absolut nicht.“ (Seydlitz, S. 279). 50 Eintrag vom 31. Januar 1870 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 193. 51 Wagner: Mein Leben, S. 41; Eintrag vom 16. November 1873 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 751. 52 Voss 1996, S. 15. 53 Christa Jost: ‚… mit möglichster Klarheit und Fülle‘ Zu Wagners Klavierauszug von Beethovens neunter Symphonie in: Dahlhaus/Voss, S. 47–58. 54 Wagner Werkverzeichnis, S. 122 ff. 55 Wagner: Mein Leben, S. 95 f. 56 Wagner Werkverzeichnis, S. 105. 57 Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 138 f. 58 Burk, S. 590; Eintrag vom 13. Mai 1879 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 348. 59 Knust 2007, S. 130 ff. und 200 f. 60 Eine Inhaltsangabe findet sich in: Wagner: Mein Leben, S. 85 f. 61 Ibid., S. 86. 62 Otto Strobel: Richard Wagners Originalpartituren. Nebst einem unveröffentlichten Brief des Meisters an Franz Liszt, in: Allgemeine Musik-Zeitung 55/12 (1928), S. 307. 63 Deathridge 1978, S. 209. Anmerkungen  167

64 Zu mehr Details über diese Oper s. Martin Knust: Die Feen in: Laaber Wagner-Lexikon (Druck in Vorb.). 65 Döhring/Henze-Döhring: Das Singspiel und die Idee des ‚Romantischen‘ in: Handbuch der musikalischen Gattungen Bd. XIII. Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert, S. 97 f. 66 Wagner Werkverzeichnis, S. 118. 67 Hauser war ein erfahrener Sänger und wirkte auch als Gesangspädagoge; Einzelheiten zu seiner Karriere und seinen Veröffentlichungen s. in: Thomas Seedorf: Hauser, Franz Frantisek (Xaver) in: MGG2, Personenteil VIII, Sp. 880 f. 68 Brief an Franz Hauser vom März 1834 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 153. 69 Gregor-Dellin, S. 97. 70 Rezension in Allgemeine Theater-Chronik vom 14. Januar 1833 zitiert in: Bauer 2004, S. 90. 71 Newman I, S. 31. 72 Ibid., S. 98. 73 Hierfür gibt es über seine gesamte zweite Lebenshälfte hinweg eine Menge Belege, z. B. in Briefen an Hans von Bülow vom 27. Juni 1858 (Wagner: Sämtliche Briefe IX, S. 315) oder Johanna Wagner vom 3. Juni 1857 (Wagner: Sämtliche Briefe VIII, S. 340 f.), in Mein Leben, S. 269 und den Tagebüchern Cosima Wagners (z. B. Einträge vom 16. September 1878 und 28. September 1882 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 176 und 1008). 74 In der Forschungsliteratur ist zumeist das Datum 1829 zu finden. Wagner behauptete zeitlebens, er habe sie damals zuerst in der Titelrolle des Fidelio auf der Bühne gesehen (Wagner: Mein Leben, S. 49); doch ist für 1829 keine Leipziger Vorstellung des Fidelio mit ihr nachzuweisen und es könnte sich somit bei Wagners Angabe um eine bewusste Rückdatierung handeln. Wahrscheinlich hat er sie erst 1834 als Romeo zum ersten Mal in einer Aufführung erlebt (Dahlhaus/Deathridge, S. 15). Dazu passt eine Bemerkung Wagners vom 16. Januar 1871, wonach unmittelbar nach Vollendung der Feen-Partitur der Romeo der Schröder-Devrient für ihn zum musikästhetischen Schlüsselerlebnis geworden sei: „[…] ‚daran habe ich so recht empfunden, daß alles an den dramatischen Vorgang sich knüpft […]‘“ (Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 342). 75 Einträge vom 3. August 1872 und 7. März 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 557 und II, S. 54.

168  Anhang

76 Die von Wagner selber begonnene Ausgabe seiner Gesammelten Schriften und Dichtungen umfasst zehn Bände, welche von ihm ausgewählte Texte enthalten. Daneben wurden Anfang des 20. Jahrhunderts noch weitere zwei Bände mit zumeist kurzen Texten, z. B. Rezensionen, die aus seiner Feder stammen, zusammengestellt. Seitdem sind weitere Texte und Textentwürfe aufgetaucht. 77 Wagner: Mein Leben, S. 144. 78 Brief an Apel vom 13.–15. September 1834 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 164. 79 Eintrag vom 19. Januar 1846 in: Devrient 1964 I, S. 325 f. 80 Wagner: Mein Leben, S. 134. 81 Ibid., S. 139. 82 Ibid., S. 121 ff. 83 Details in Martin Knust: Schmitt, Friedrich in: Laaber Wagner-Lexikon (Druck in Vorb.). 84 Brief an Rosalie Wagner vom 11. Dezember 1833 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 140 f. In späteren Jahren bezeichnete er die Kräfte des Leipziger Ensembles dieser Zeit hingegen als „kalte und matte Sänger“ (Wagner: Mein Leben, S. 102). 85 Ibid., S. 111. 86 Ibid., S. 166; Brief an Minna Wagner vom 26. Juni 1836 (Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 313). 87 Hey 1911, S. III f. 88 Ibid., S. 119 und 151. 89 Weitere Publikationen Schmitts sind: Einleitung zur Großen Gesangschule für Deutschland, München 1853, Die Auffindung der voix mixte, München 1868, Vorschlag zu einem verbesserten Lese-Unterricht in den Schulen nebst einer Einteilung des ABC, Wien 1870, in 2. Auflage erschienen als System zur Erlernung der deutschen Aussprache, München 1874. 90 Wagner: Mein Leben, S. 111. 91 Brief an Theodor Apel vom 25. November 1835 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 251. 92 Brief an Theodor Apel vom 26. Oktober 1835 in: ibid., S. 225. 93 Genast 1865, S. 148 ff. 94 Glasenapp I, S. 291. 95 Wagner: Mein Leben, S. 178. 96 Ibid. 97 Zitiert in: Glasenapp I, S. 309 f.

Anmerkungen  169

98 Der Gesamtentwurf ist von Wagner mit Datums- und Ortsangaben versehen worden, denen zufolge der Entwurf zum zweiten Akt im April 1839 in Riga beendet und der zum dritten im Februar 1840 in Paris begonnen wurde (Wagner Werkverzeichnis, S. 180). 99 Glasenapp I, S. 250 und 256. 100 Ibid., S. 298; dem Rigaer Carl Friedrich Glasenapp standen seinerzeit in seiner Vaterstadt viele, nun anscheinend nicht mehr vorhandene Dokumente zur Verfügung. 101 Ibid., S. 500 f. 102 Brief an Theodor Apel vom 25. November 1835 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 250. 103 Kutsch/Riemens, S. 2774 f. 104 Brief an Liszt vom 8. Mai 1857 in: Wagner: Sämtliche Briefe VIII, S. 319. 105 Johns I, S. 21 und 218 ff. 106 Ein Repertoireverzeichnis findet sich in: Eylitz. 107 Koch I, S. 174. 108 Glasenapp I, S. 264. 109 Wagner: Mein Leben, S. 148 f.; Brief an Minna Planer vom 22.–26. Juni 1836 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 309 f. 110 Für Einzelheiten s. Martin Knust: Volkstheater, Reform und Revolution: Der junge Richard Wagner in Wien in: Österreichische Musikzeitschrift 1/2013 (Druck in Vorb.). 111 Die einzige detaillierte Quelle für die näheren Vorgänge ist Wagners Autobiografie Mein Leben, S. 166 ff. Die große Freimütigkeit, mit der sie an Stellen wie diesen geschrieben ist, ist daraus zu erklären, dass sie für seinen Gönner Ludwig II. gedacht und im Grunde nicht zur Veröffentlichung bestimmt war. Eine andere Lesart der Vorgänge wird präsentiert in: Rieger 2003, S. 60 ff. Sie fußt im Wesentlichen auf einem Brief Wagners an Minna vom 18. Mai 1859, als beide in Trennung lebten (Wagner: Sämtliche Briefe XI, S. 88 ff.). 112 Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 320. 113 Die Entwürfe und Skizzen dazu sind veröffentlicht worden in: Richard Wagner: Sämtliche Werke Bd. XV. 114 Wagner Werkverzeichnis, S. 151. 115 Wagner: Mein Leben, S. 164. 116 Ibid. 117 Auch bei diesem Stück nahm Wagner in seiner Autobiografie Mein Leben möglicherweise mit Absicht eine Fehldatierung vor, indem er 170  Anhang

behauptete, es sei in Königsberg entstanden. Da der Text, auf den er es komponierte, nicht vor Ende des Jahres 1837 veröffentlicht wurde, kann es nur in Riga geschrieben worden sein (Wagner Werkverzeichnis, S. 194). 118 Ibid., S. 69 und 81. 119 Wagner: Mein Leben, S. 174. 120 Brief vom 7. August 1836 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 314 ff. 121 Rauh, S. 3. 122 Bis heute sind diese Sängerfeste ein zentraler Bestandteil des musikalischen Lebens in den baltischen Staaten. Sie werden dort als der Ausgangspunkt für die in den 1990er Jahren stattgefundene sogenannte ‚singende Revolution‘, die zu der Unabhängigkeit der drei baltischen Staaten führte, angesehen. 123 Wagner: Mein Leben, S. 186 ff. 124 Dorn 1875, S. 3–42. 125 Willi Kahl/Dietrich Sasse: Dorn, Heinrich Ludwig Egmont in: MGG III, Sp. 691. 126 Brief Wagners an Franz Löbmann vom 9. Dezember 1843 in: Wagner: Sämtliche Briefe II, S. 341 f. 127 Brief an Louis Schindelmeißer vom 17. September 1837 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 335. 128 Eintrag vom 3. März 1872 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 496. 129 Devrient 1929, S. 360. 130 Hierin ist davon die Rede, Holtei habe demonstrativ hübschen Frauen – darunter auch Minna – nachgestellt, „um hierdurch […] von ungleich befleckenderen Verfehlungen abzulenken“ (Wagner: Mein Leben, S. 185). 131 Dies ist geschehen in: Knust 2010. 132 Glasenapp I, S. 73. 133 Knust 2010, S. 122 ff. 134 Weißheimer, S. 85. 135 Eintrag vom 23. März 1881 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 716. 136 Er erlernte sein Handwerk bei einem Bruder Geyers in Eisleben (Wagner: Mein Leben, S. 13). 137 Wagner Werkverzeichnis, S. 163. 138 Ibid., S. 155 f. 139 Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 361. 140 Arro, S. 133.

Anmerkungen  171

141 Seine erste Aufführung dieser Oper sah Wagner erst später in Paris (Wagner: Mein Leben, S. 236). 142 Brief vom 4. Februar 1837 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 323 ff. 143 Ibid., S. 324 und Brief an August Lewald vom 12. November 1838 in: Wagner: ibid., S. 351 ff. 144 Einleitung zu Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 39. 145 Brief an seinen Rigaer Französischlehrer Henriot vom Juni 1839 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 364 f. 146 Brief an Ludwig II. vom 18. Juli 1867 in: Wagner: Sämtliche Briefe XIX, S. 186 f.; Eintrag vom 31. Oktober 1879 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 435. 147 Eintrag vom 24. November 1851 in: Meyerbeer: Briefwechsel und Tagebücher V, S. 454. 148 Kirchmeyer 1972, S. 181–188. 149 Wagner Werkverzeichnis, S. 238. 150 Ibid., S. 142 f. 151 Wagner: Mein Leben, S. 237. 152 Ibid., S. 208; in der Autobiographischen Skizze wird Dumersan von Wagner als „einer der fruchtbarsten Theaterdichter“ bezeichnet (Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 106). Er verfasste Texte für Vaudevilles (MGG III, Sp. 21 und 617) und Opern (MGG X, Sp. 555). 153 Wagner Werkverzeichnis, S. 243. 154 Wagner: Eine Mittheilung an meine Freunde in: Wagner: Gesammelte Schriften IV, S. 261. 155 Wagner: Mein Leben, S. 210. 156 Brief an Giacomo Meyerbeer vom 3. Mai 1840 in: Wagner: Sämtliche Briefe I, S. 387. 157 Wagner Werkverzeichnis, S. 218 ff. 158 Wagner: Der Virtuos und der Künstler (1840) in: Wagner: Gesammelte Schriften I, S. 177 f. 159 Wagner: Mein Leben, S. 237. 160 Friedrich Kummer: Dresden und seine Theaterwelt, Dresden 1938, S. 127 (zitiert in: Bauer 1996, S. 61). 161 Für mehr Informationen über den französischen Vortragsstil dieser Zeit s. Knust 2007, S. 187 ff. 162 Wagner: Gesammelte Schriften IV, S. 109; Devrient 1846, S. 14 und 218 f. 163 „Kapellmeister Wagner las mir sein fertiges Operngedicht ‚Siegfrieds Tod‘ vor. Der Kerl ist ein Poet durch und durch. Eine schöne Arbeit. Die 172  Anhang

Alliteration, wie er sie gebraucht, ein wahrer Fund für das Operngedicht; sie sollte zum Grundsatz dafür erhoben werden.“ (Eintrag vom 2. Dezember 1848 in: Devrient 1964 I, S. 457). 164 Rezension Le Freischutz für die Dresdner Abendzeitung vom 6. Juli 1841 in: Wagner: Gesammelte Schriften XII, S. 94. 165 Wagner: Gesammelte Schriften IV, S. 325 f. 166 In Oper und Drama forderte er, dramatische Komponisten hätten die „physisch notwendigen“ Bewegungen von Sängern „in Übereinstimmung mit dem Sinne des dramatischen Ausdrucks“ einzusetzen (Wagner: Sämtliche Schriften IV, S. 218; Kropfinger, S. 380). 167 Zwar ist die Bedeutung sogenannter ‚rhetorischer‘ Figuren in der Barockmusik mittlerweile umstritten, doch braucht man in einem Stück Vokalmusik beispielsweise von Heinrich Schütz oder Johann Sebastian Bach nicht lange nach Beispielen für eine derartige, in Teilen vielleicht ‚esoterische‘ Umsetzung von Worten in Musik zu suchen. 168 In ihm fordert er, jedes Satzzeichen solle eine Pause bekommen, je nach Gewicht. Ein Komma sei dabei mit einer kürzeren Pause als ein Doppelpunkt zu versehen, der wiederum eine kürzere Pause als ein Punkt erhalte usw. (Weithase 1949, S. 121 f.). 169 Eine ausführliche Analyse aller Solopartien von allen Werken und Werkfragmenten Wagners findet sich in Knust 2007, CD-ROM. In dieser Analyse werden nicht nur die Partituren, sondern auch die Skizzen Wagners mitsamt biografischen Zeugnissen von Zeitgenossen ausgewertet. 170 Wagner: Gesammelte Schriften V, S. 161 ff. 171 Heine, S. 5 ff. 172 Das erste Regelwerk für eine Normierung der Aussprache des Deutschen ließ noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf sich warten. Es handelt sich dabei um: Theodor Siebs: Deutsche Bühnenaussprache. Ergebnisse der Beratungen zur ausgleichenden Regelung der deutschen Bühnenaussprache, die vom 14. bis 16. April 1898 im Apollosaale des Königlichen Schauspielhauses zu Berlin stattgefunden haben, Berlin 1898. 173 Heine, S. 19. 174 Ibid., S. 39 f. 175 Weithase 1949, S. 45. 176 Heine, S. 47. 177 Wagner: Mein Leben, S. 579. 178 Veröffentlicht in: Steinbeck 1968; bei der Überlieferung solcher Szenarien kommt erschwerend hinzu, dass sie nicht gedruckt, sondern abgeschrieben und abgemalt wurden und dass man sie an den Theatern nicht Anmerkungen  173

unbedingt archivierte. Steinbeck konnte dementsprechend nur auf mehrere fragmentarisch erhaltene Szenarien zurückgreifen. 179 Näheres dazu in: Knust 2011, S. 340 f. 180 Wagner: Mein Leben, S. 359. 181 „Wenn der Pilgergesang [1. Akt, 3. Szene ] einige Tacte pianissimo begonnen, kommen rechts über den Hügelgang d aus der 6ten Coulisse 24 bis 28 Knaben als ältere Pilger gekleidet mit Bärten und ziehen langsam, theils paarweise, theils einzeln, weiter vorn in die 5te Coulisse wieder ab.“ (zitiert in: Steinbeck 1968, S. 36). 182 Wiedergegeben in: Olivier, S. 64. 183 Wiedergegeben in: Knust 2011, S. 329. 184 Eintrag vom 28. Mai 1845 in: Devrient 1964 I, S. 264. 185 Neue Zeitschrift für Musik vom 14. November 1845, S. 160 zitiert in: Kirchmeyer 1968, Sp. 654. 186 Hanslick, S. 285. 187 Wagner: Briefe an Bülow, S. 254; vgl. Wagners Brief an Liszt vom 2. Juli 1850 anlässlich der Uraufführung des Lohengrin in Wagner: Gesammelte Schriften XVI, S. 72; dieser Brief ist nicht in Wagner: Sämtliche Briefe aufgenommen worden. 188 Kügler, S. 34; Saint-Saëns, S. 84. 189 Wagner: Gesammelte Schriften IX, S. 221. 190 Durch Wagners Flucht aus Dresden konnte die Uraufführung dieser Oper nicht mehr unter seiner Leitung in Angriff genommen werden. Doch hatte er bereits z. Z. der Werkentstehung geäußert, diese Partie mit ihr besetzen zu wollen (Burk, S. 183). 191 Eintrag vom 23. März 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 67. 192 Brief vom 17. März 1844 in: Wagner: Sämtliche Briefe II, S. 379. 193 Rezension in: Die Ameise vom November 1844, S. 517 f. wiedergegeben in: Kirchmeyer 1967, Sp. 502 f. 194 Wagner: Über Schauspieler und Sänger in: Wagner: Gesammelte Schriften IX, S. 221 f. 195 Knust 2007, S. 198. 196 Wagner: Mein Leben, S. 285 f. 197 Wagner: Über Schauspieler und Sänger in: Wagner: Gesammelte Schriften IX, S. 190. 198 Devrient 1846, S. 235 f.; Eduard von Bamberg: Karoline Hagemann: ‚Erinnerungen‘, Dresden 1926, S. 476 zitiert in: Morschel-Wetzke, S. 39. 199 Ludwig Tieck: Kritische Schriften IV, Leipzig 1848–52, S. 28 zitiert in: Morschel-Wetzke, S. 116. 174  Anhang

200 Holmström, S. 207. 201 Laube, S. 147 ff. 202 Genast 1865, S. 156; A. von Wolzogen, S. 56; Glümer, S. 19 ff. 203 Genast 1904, S. 259. 204 Hans Kühner: Schröder-Devrient, Wilhelmine in: MGG XII, Sp. 81. 205 Prölss, S. 540; A. von Wolzogen, S. 313. 206 Kühner in: MGG XII, Sp. 81. 207 Wagner: Über Schauspieler und Sänger in: Wagner: Gesammelte Schriften IX, S. 219 ff.; Genast 1865, S. 163. 208 Genast 1904, S. 263. 209 A. von Wolzogen, S. 96. 210 Eintrag vom 9. Juli 1882 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 977; vgl. Eintrag vom 22. September 1879 in: ibid., S. 412. 211 Wagner: Der dramatische Gesang in: Wagner: Gesammelte Schriften XII, S. 17. 212 Wagner: Gesammelte Schriften IX, S. 152; in Mein Leben schreibt Wagner, dass sie dieses Wort „mehr sprach als sang“ (S. 340). 213 Genast 1904, S. 264. 214 Ibid., S. 262; vgl. S. 260 und Genast 1865, S. 146. 215 Wagner: Mein Leben, S. 340. 216 Berlioz: Musikalische Reise in Deutschland: V. Dresden in: Deutsche Allgemeine Zeitung vom 28. September 1843 zitiert in: Kirchmeyer 1967, Sp. 237. 217 Briefe von Berlioz. Aus dem Französischen von August Gathy, Hamburg und Leipzig 1844, S. 60 zitiert in: A. v. Wolzogen, S. 105; vgl. Berlioz: Memoiren, S. 305. 218 Genast 1865, S. 142; Genast 1904, S. 262. 219 A. von Wolzogen, S. 101 f. 220 Ibid.; Genast 1904, S. 264. 221 Wagner: Mein Leben, S. 290. 222 Das Repertoire der Schröder-Devrient umfasste im Wesentlichen folgende Partien: Pamina, Donna Anna, Sextus (Mozart), Leonore (Beethoven), Norma, Romeo (Bellini), Lady Macbeth (Chélard), Armida (Gluck), Iphigenia auf Tauris (Gluck), Vestalin (Spontini), Lucrezia Borgia (Donizetti), Maria (Grétry), Emmeline (Weigl) und Agathe (Weber). Darüber hinaus behauptete sie noch etwa achtzig weitere Partien in ihrer Laufbahn gesungen zu haben; ihre Biografin Claire von Glümer konnte nur etwa fünfundfünfzig nachweisen (Verzeichnis bei: Glümer, S. 174 ff.). Anmerkungen  175

223 Ein Beispiel dafür wird in Kapitel 2 gegeben, nämlich Eduard Genasts Beschreibung ihrer Verkörperung des Romeo. 224 Sie traf mit ihrer späteren Biografin Claire von Glümer das erste Mal 1849 in der Frankfurter Paulskirche beim Besuch des deutschen Parlaments zusammen (Glümer, S. 7). 225 Glümer, S. 35 f. 226 Wagners polemische Schilderung entspricht den Tatsachen. Diese Art der Rezitativgesangspraxis war ein Erbe aus dem 18. Jahrhundert. 227 Brief an Liszt vom 8. September 1850 in: Wagner: Sämtliche Briefe III, S. 387 f. 228 Lippmann, S. 375 ff. 229 Wagner: ‚Der Freischütz‘ in: Wagner: Gesammelte Schriften I, S. 216. 230 Wagner: Mein Leben, S. 365 f. 231 Brief an Heinrich Esser vom 27. September 1859 in: Wagner: Sämtliche Briefe XI, S. 259. 232 „[…] einer mäßigen Composition kann durch sie [die Manieren] aufgeholfen werden, da hingegen der beste Gesang ohne sie leer und einfältig […] erscheinen muß.“ (Carl Philipp Emanuel Bach: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen, S. 51). 233 Wagner: Gesammelte Schriften IX, S. 212. 234 Brief an Liszt vom 8. September 1850 in: Wagner: Sämtliche Briefe III, S. 387 f. 235 Wagner: Mein Leben, S. 366. 236 Das belegen Rezensionen von Rezensent W.J.S.E. in den Beiblättern zu den Correspondenz-Nachrichten der Abend-Zeitung (Dresden) vom 8. Februar 1844, S. 22 (zitiert bei: Kirchmeyer 1967, Sp. 341) und in der Neuen Zeitschrift für Musik vom 30. September 1844, S. 106 (ibid., Sp. 487). 237 Eintrag vom 13. August 1844 in: Devrient 1964, I, S. 228. 238 Burk, S. 183; Brief an Mitterwurzer vom 28. Februar 1853 in: Wagner: Sämtliche Briefe V, S. 208. 239 Hey 1911, S. 134. 240 Eintrag vom 26. Oktober 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 211. 241 Wagner: Mein Leben, S. 366. 242 Ibid., S. 366 f. 243 Eintrag vom 28. November 1844 in: Devrient 1964 I, S. 236.

176  Anhang

244 Rezension der Uraufführung von W.J.S.E. in der Abend-Zeitung (Dresden) vom 23. Oktober 1845, S. 917 zitiert in: Kirchmeyer 1967, Sp. 630. 245 Eintrag vom 18. Oktober 1858 in: Devrient 1964 II, S. 290 f. 246 Rezensent C. Braun in der Allgemeinen Theater-Chronik vom 23. Oktober 1848, S. 518 zitiert in: Kirchmeyer 1968, Sp. 483. 247 Kapp/Jachmann, S. 135. 248 Z. B. vom Rezensent W.J.S.E. in den Beiblättern zu den CorrespondenzNachrichten der Abend-Zeitung (Dresden) vom 30. Mai 1844, S. 87 zitiert in: Kirchmeyer 1967, Sp. 437. 249 Kutsch/Riemens, S. 3638. 250 Brief vom 4. August 1845 in: Wagner: Sämtliche Briefe II, S. 446; vgl. Brief an Liszt vom 13. Januar 1853 in: Wagner: Sämtliche Briefe V, S. 161. 251 Brief an Hans von Bülow vom 9. Februar 1857 in: Wagner: Sämtliche Briefe VIII, S. 260. 252 Brief an Johanna Wagner vom 3. Juni 1857: „Ich verfolgte Dich [seit 1849] nur noch in Deinem weiteren wunderlichen Repertoire, musste es erleben, dass diejenige, für die ich meine Brünnhilde entworfen, in [Heinrich] Dorn’s Machwerk [Die Nibelungen op. 73, uraufgeführt 1854] die Parodie davon zuvor zum Besten gab“ (Wagner: Sämtliche Briefe VIII, S. 342). 253 Vgl. Eintrag vom 7. Februar 1848 in: Devrient 1964 I, S.  415, wo De­vrient nach einer Lektüre des Lohengrin-Textbuches bemängelte, dass diese lange Schlusserklärung Lohengrins „erkältet“ und Wagners Brief an Liszt vom 2. Juli 1850, die letzten 56 Takte davon sollten fortgelassen werden, da „dieser zweite abschnitt der erzählung [Lohengrins] einen erkältenden eindruck hervorbringen muß.“ (Wagner: Sämtliche Briefe III, S. 344 f.). Es war das letzte Mal, dass Wagner eines seiner bereits publizierten Werke auf diese Weise verbindlich kürzte. 254 Wagner: Mein Leben, S. 451 f.; Eintrag vom 27. Oktober 1848 in: De­vrient 1964 I, S. 451. 255 Wagner: Sämtliche Briefe IV, S. 55. 256 Eintrag vom 4. Mai 1848 in: Devrient 1964 I, S. 435. 257 Eintrag vom 2. Juni 1844 in: ibid. I, S. 219. 258 Eintrag vom 5. Juni 1844 in: ibid. I, S. 220. 259 Eintrag vom 20. Juli 1844 in: ibid. I, S. 224. 260 Eintrag vom 28. September 1844 in: ibid. I, S. 236. 261 Willi Kahl: Devrient, Eduard in: MGG III, Sp. 382. Anmerkungen  177

262 Weithase 1961, S. 520 f. und Weithase 1940, S. 262. 263 In Mein Leben, S. 404 bezeichnet Wagner den Schauspieler Eduard De­vrient als „offenbar sehr beschränktes Talent“. 264 Ibid., S. 452; Wagner scheint sogar mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu diesen Vorlesungen gekommen zu sein (Brief an Eduard Devrient vom 18. Januar 1847 in: Wagner: Sämtliche Briefe II, S. 539). 265 Brief an seine Frau Therese vom 1. Juli 1857 in: Devrient 1909, S. 282. 266 Carl Dahlhaus: Wagners Konzeption des musikalischen Dramas in: Handbuch der Musikwissenschaft VI, S. 162. 267 Wagner: Sämtliche Briefe XIX, Kommentar S. 452. 268 Mehr Informationen über diese zeittypische Erscheinung gibt: Soden, S. 103 f. 269 Wagner: Mein Leben, S. 456. 270 Verwiesen sei neben vielen anderen auf die entsprechenden Abschnitte in den Standardbiografien Newmans oder Gregor-Dellins. 271 Wagner: Mein Leben, S. 464. 272 Ibid., S. 487. 273 Wieland, der am Hofe des Königs Neidings verkrüppelt wird, um für diesen Waffen zu fertigen, und sich heimlich Flügel schmiedet, mit denen er schließlich seinem Gefängnis entflieht, kann als eine Parabel auf die deutsche Volkserhebung gelesen werden. Auch Siegfried, der naive, urwüchsige Held, der an den Intrigen der aristokratischen, ‚zivilisierten‘ Gesellschaft am Gibichungenhofe zugrunde geht, kann als Symbol für die schließlich gescheiterte Revolution betrachtet werden. Wie Siegfried ist der Held Achilleus, den Wagner in diesen Jahren zur Hauptfigur eines seiner Dramen machen wollte, nur an einer bestimmten Stelle verwundbar. 274 Wagner: Gesammelte Schriften III, S. 225 passim. 275 So geschehen in Harry Kupfers Inszenierung des Lohengrin an der Staatsoper Berlin. 276 Westernhagen 1966, S. 110. 277 Etliche dieser Prosaentwürfe sind veröffentlicht, z. B. in Wagner: Gesammelte Schriften XI oder in Wagner: Das Braune Buch. 278 Im Falle der Hohen Braut, die wie Rienzi als fünfaktige Große Oper konzipiert wurde, ist Wagners in Kapitel 3 beschriebene Abwendung von dieser Gattung dafür verantwortlich, dass er das Libretto nicht vertonte – er bot es mehreren Kollegen zur Komposition an, von denen es Johann Friedrich Kittl unter dem Titel Die Franzosen in Nizza vertonte –, im Falle von Wieland der Schmied die wohl zu große Nähe der dramati178  Anhang

schen Motive zu dem Siegfried-Projekt; dennoch schätzte Wagner dieses Textbuch so sehr, dass er es in seine Gesammelten Schriften aufnahm (Wagner: Gesammelte Schriften III, S. 178–206). 279 Wagner: Mein Leben, S. 824. 280 Döhring/Henze-Döhring: Verdis Drame bourgeois: ‚La Traviata‘ in: Handbuch der musikalischen Gattungen Bd. XIII: Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert, S. 186. 281 Textänderungen, die im Verlauf der Vertonung von Rheingold und Walküre vorkamen, hat Norbert Heidgen in seiner Dissertation zusammengestellt. 282 Eintrag vom 9. Februar 1876 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 969. 283 Der interessierte Leser, der mehr über die im folgenden umrissenen Aspekte von Wagners Theorien über Theater und Musik wissen möchte, sei verwiesen auf: Knust 2007, S. 20–50. 284 Mit wenigen Ausnahmen sind Wagners Schriften derzeit noch nicht in kritischer Ausgabe verfügbar. Eine solche Ausnahme stellt Klaus Kropfingers Ausgabe von Oper und Drama dar, auf die im Folgenden zusätzlich zu Wagners Gesammelten Schriften verwiesen wird. 285 Im Original ist diese Passage im Satz mehrfach hervorgehoben. Sie ist gesperrt, eingerückt und fett gedruckt (Wagner: Gesammelte Schriften III, S. 231; Kropfinger, S. 19); wie schon seit Langem bekannt ist, stellt dieser Passus ein Zitat aus Ignaz Franz Mosels Versuch einer Ästhetik des dramatischen Tonsatzes von 1813 dar, ein Beleg dafür, dass sich Wagner zu Beginn seiner Zürcher Zeit Kenntnis über die bereits auf diesem Gebiet vorhandenen kunsttheoretischen Texte zu verschaffen suchte. 286 Wagner: Gesammelte Schriften III, S. 230; Kropfinger, S. 18. 287 Wagner: Gesammelte Schriften III, S. 45 f. 288 Wagner: Gesammelte Schriften IV, S. 1 f.; Kropfinger, S. 127 f. 289 Brief an Liszt vom 8. Mai 1851 in: Wagner: Sämtliche Briefe IV, S. 34 f. und 38; dass Wagner diesen Brief nicht nur als private Mitteilung, sondern als Kommentar zu seiner Schrift Oper und Drama betrachtete, ist aus dem Umstand ersichtlich, dass er ihn in seine Gesammelte Schriften V, S. 5 ff. aufgenommen hat. 290 Wagner: Gesammelte Schriften IV, S. 232 ff. 291 Kurz und bündig legte er in einem Brief an Hans von Bülow vom August 1854, den er der Rheingold-Partitur beilegte, dar, dass man diese Maßstäbe selbstverständlich auch an seine eigenen Partituren anlegen sollte: „Es ist alles nur für die Aufführung berechnet: das vergiß nie!!“ (Wagner: Sämtliche Briefe VI, S. 206). Anmerkungen  179

292 Weitere Beispiele in: ibid., S. 394. 293 Ein paar davon ließ Wagner sogar drucken, bevor er mit der Vertonung fertig war oder sie überhaupt erst begonnen hatte. Das Textbuch zum Ring erschien im Februar 1853, ein Dreivierteljahr bevor er mit der Komposition von Das Rheingold begann (Wagner Werkverzeichnis, S. 352 ff.). Ende des Jahres 1862 erschien das Meistersinger-Textbuch bei Schott; Wagner war zu diesem Zeitpunkt noch nicht über die Skizzierung der dritten Szene des ersten Aufzugs hinausgekommen (ibid., S. 474 ff.). Ende des Jahres 1877 wurde das Parsifal-Textbuch ebenfalls bei Schott gedruckt, das Wagner zwei Monate zuvor zu vertonen begonnen hatte; der erste Gesamtentwurf zum ersten Aufzug wurde Ende Januar 1878 abgeschlossen (ibid., S. 540 ff.). 294 Nach dem Besuch einer Aufführung des Tristan notierte Cosima in ihrem Tagebuch: „R. sehr ergriffen, teilt uns mit, wie er mit jeder Gestalt empfände, mit Marke, mit Kurwenal, es sei, wie wenn er jeder wäre.“ (Eintrag vom 7. November 1880 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 618). 295 Anton Seidl berichtete Wagner von der Leipziger Erstaufführung von Rheingold und Walküre: „[…] niemals sei Musik und Handlung zusammengegangen, ‚davon, was bei mir die Hauptsache ist, wissen sie überall nichts‘, sagt R.“ (Eintrag vom 1. Mai 1878 in: ibid., S. 90). 296 „[…] ‚ich bin kein Dichter, und es ist mir ganz gleich, ob man meiner Diktion Vorwürfe macht, bei mir ist Alles Aktion‘“ (Eintrag vom 22. Januar 1871 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 345). 297 Nietzsche: Werke VI, 3, S. 417. 298 Der Leser, der sich für eine eingehende Beschreibung von Wagners Schaffensprozess interessiert, sei verwiesen auf: Knust 2007, S. 352– 403. 299 Eintrag vom 28. September 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 185. 300 Wagner Werkverzeichnis, S. 425 f. 301 Brief an Eduard Devrient vom 20. Dezember 1858 in: Wagner: Sämtliche Briefe X, S. 190. 302 Solche Übernahmen von musikalischem Material bei gleichem Text sind in den anderen Szenen so gut wie nicht vorhanden. Eine Ausnahme ist Brangänes „O tiefstes Weh! O höchstes Leid!“ (Wagner: Sämtliche Werke VIII, 1, S. 116 f.), das eine wörtliche Zitierung von Isoldes unmittelbar vorausgehendem „für höchstes Weh, für höchstes Leid“ (ibid., S. 116) ist. Die zweite Ausnahme stellt der Refrain von Kurwenals 180  Anhang

Schmählied dar, das der Chor aufgreift (ibid., S. 49 f.). Die dritte ist die wörtliche Wiederholung von Isoldes Forderung an Kurwenal „Sollt ich zur Seit ihm gehen“ (ibid., S. 106 f.) bzw. „nicht werd ich zur Seit ihm gehen“ (ibid., S. 107 f.). 303 Wagner: Sämtliche Werke VIII, 2, S. 169 ff. 304 Ibid., S. 189 ff. 305 Ibid., S. 147 f. 306 Ibid., S. 179 f. 307 Ibid., S. 182 ff. 308 Ibid., S. 183 f. 309 Ibid., S. 184 f. 310 Ibid., S. 209 ff. 311 „Die Handlung beschränkt sich auf wenige Personen: von episodischen Figuren abgesehen, auf Tristan, Marke, Isolde und ihre für die Struktur der Tragédie classique typischen ‚confidents‘ Kurwenal, Melot und Brangäne“ (Borchmeyer, S. 259). „Drei streng gebaute Akte. Zuerst steht Isolde im Mittelpunkt; spät erst tritt der Herr Tristan vor sie hin. Der dritte Akt ist Tristans. Der Mittelakt gehört dem liebenden Paar: Tristan und Isolde. Die Rahmenakte stehen im Zeichen des Tages. […] Der Mittelakt als Vereinigung der Liebenden gehört der Nacht.“ (Hans Mayer: Richard Wagner. Mitwelt und Nachwelt, Stuttgart/Zürich 1978, S. 119 f. zitiert in: ibid., S. 259). 312 Eintrag vom 1. Oktober 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 188. 313 Wagner: Sämtliche Werke VIII, 2, S. 145 ff. 314 Ibid., S. 158. 315 Schmid, S. 327 (Übertragung) und 367 (Faksimile). 316 Ibid., S. 324 f. 317 Knust 2007, CD-ROM, S. 124. 318 Knust 2007, S. 24 f. 319 Irrtümlich ist diese Bezeichnung deshalb, weil Wagner nicht den Schluss des Dramas, sondern das Vorspiel zum ersten Aufzug als „Liebestod“ bezeichnete und weil aus den Regieanweisungen wie auch Wagners anderweitig dokumentierten Bemerkungen zu dieser Szene nicht hervorgeht, dass Isolde am Ende stirbt. Dort heißt es lediglich: „Isolde sinkt, wie verklärt, in Brangänes Armen sanft auf Tristans Leiche.“ (Wagner: Sämtliche Werke VIII, 3, S. 178). 320 Newman II, S. 517 ff. 321 Eintrag vom 23. Januar 1883 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 1098.

Anmerkungen  181

322 Die zahlreichen Überarbeitungen des Tannhäuser durch Wagner können an dieser Stelle nicht dargestellt werden. Lediglich erwähnt soll werden, dass das Wagner Werkverzeichnis vier Werkstadien unterscheidet, dass Wagner auch nach der Pariser Aufführung am Tannhäuser weiterarbeitete und dass die Fassung, die 1861 tatsächlich in Paris zur Aufführung kam, nicht mehr zu rekonstruieren ist (s. hierzu: Abbate). 323 Details dazu in: Knust 2007, S. 169 f. 324 Wagner: Mein Leben, S. 739 und Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen in: ders.: Gesammelte Schriften IX, S. 269. 325 Newman III, S. 110. 326 Einzelheiten dazu im Kommentar zu: Wagner: Sämtliche Briefe XII, S. 365 f. 327 Wagner: Mein Leben, S. 751. 328 Z. B. behauptet Wagner in Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen aus dem Jahre 1872, deutsche Sänger hätten mittlerweile die aus Frankreich stammende Praxis der Harangue übernommen, welche unbedingt zu verwerfen sei (Wagner: Gesammelte Schriften IX, S. 265 ff.). 329 Wagner: Mein Leben, S. 744. 330 Ibid., S. 752. 331 Brief an Niemann vom 21. Februar 1861 in: Wagner: Sämtliche Briefe XIII, S. 58 f. 332 In einem Brief an Ludwig II. vom 1. Mai 1866 heißt es: „Niemann ist ein roher, wenn auch in Einzelnem begabter Effecthascher, der mir in tiefster Seele zuwider geworden ist.“ (in: Wagner: Sämtliche Briefe XVIII, S. 143). Dennoch hat Wagner mit ihm danach noch in Berlin und Bayreuth zusammengearbeitet. 333 Brief an Mathilde Wesendonck vom 22. Juli 1860 in: Wagner: Sämtliche Briefe XII, S. 224. 334 Auch wenn der sogenannte Tristan-Akkord bereits von Liszt in seinem Lied Ich möchte hingehen verwendet wurde, das älter als das Tristan-Vorspiel ist, hat er sich unlösbar mit Wagners Drama verbunden. Über ihn ist eine beträchtliche Menge musiktheoretischer Literatur veröffentlicht worden; erwähnenswert ist v. a. Kurths umfangreiche Monografie. 335 Eintrag vom 21. Oktober 1859 in: Devrient 1964 II, S. 322. 336 Cornelius I, S. 603 f; Weißheimer, S. 230; Anders Exemplar der TristanSingstimme mit den Änderungen ist erhalten. In der ersten Szene des dritten Aufzugs kürzte Wagner 142 Takte und viele Töne wurden höher

182  Anhang

gesetzt, um der hohen Stimme Anders entgegenzukommen (Newman III, S. 139). 337 Ibid., S. 139. 338 Kutsch/Riemens, S. 71. 339 Knust 2007, S. 196 f. 340 Eintrag vom 8. Juni 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 112; bereits in Das Wiener Hof-Operntheater hatte er entsprechende Überlegungen zur Gründung einer Schule für dramatische Sänger angestellt (Wagner: Gesammelte Schriften VII, S. 288 ff.). 341 Rieger 2009, S. 108 ff. und 214. 342 Einem Brief an Mathilde Maier vom 25. Mai 1863 legte Wagner eine eigenhändige Zeichnung des Grundrisses sowie eine Beschreibung der jeweils verwendeten Einrichtung bei (wiedergegeben in: Wagner: Sämtliche Briefe XV, S. 357). 343 Isolde Vetter: Bülow, Hans (Guido) Freiherr von in: MGG2, Personenteil III, Sp. 1251 f. 344 Moulin-Eckart, S. 350. 345 Mehr Details in: Istel. 346 Über dieses Gerücht unterrichtet ein Brief Wagners an Ludwig II. vom 9. Juni 1866 in: Wagner: Sämtliche Briefe, S. 175 ff. 347 Eintrag vom 27. Mai 1862 in: Devrient 1964 II, S. 403. 348 Weißheimer, S. 119; Tagebucheinträge vom 4. und 9. November 1854, 20. Juni 1855, 3. Januar 1857 in: Devrient 1964 II, S. 107 ff. 349 Kutsch/Riemens, S. 3131. 350 Ein Nachruf in der Allgemeinen musikalischen Zeitung Nr. 39 vom 27. September 1865, Sp. 635 f. beschreibt sein Spiel als idealisierend und damit als den damaligen realistischen Tendenzen im Schauspiel entgegengesetzt. 351 Brief an Friedrich Schmitt vom 3. Juli 1865 in: Wagner: Sämtliche Briefe XVII, S. 192 f. 352 Bereits seit dem Sommer 1862 hatten sich beide Sänger gemeinsam mit Wagner und Bülow ausführlich mit den Titelpartien von Tristan beschäftigt (Knust 2007, S. 283). 353 Meine Erinnerungen an Ludwig Schnorr von Carolsfeld von 1868 in: Wagner: Gesammelte Schriften VIII, S. 181 f. 354 Hey 1911, S. 84. 355 Dietrich Mack (Hg.): Cosima Wagner – Das zweite Leben, München 1980, S. 154, zitiert in: Breckbill, S. 38. 356 Hey 1911, S. 81 und 99. Anmerkungen  183

357 Eintrag vom 26. Juni 1882 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 970. 358 Brief an Anton Pusinelli vom 2. August 1865 in: Wagner: Sämtliche Briefe XVII, S. 230. 359 Newman IV, S. 20–29. 360 Brief an Malvina Schnorr vom 19. November 1866 in: Wagner: Sämtliche Briefe XVIII, S. 255 f. 361 Ibid., Kommentar S. 628. 362 Brief an François Wille vom 20. Juni 1865 in: Wagner: Sämtliche Briefe XVII, S. 185. 363 Briefe an Fröbel vom 15. und an Röckel vom 16. Dezember 1865 in: ibid., S. 372 und 375. 364 Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 384. 365 Newman IV, S. 548. 366 Ibid., S. 374. 367 Kommentar in Wagner: Sämtliche Briefe XVII, S. 432 ff. 368 Unmittelbar nach seiner Berufung nach München machte er sich daran, die bisher nur in Skizze vorliegenden ersten beiden Aufzüge des Siegfried zu instrumentieren. Es wäre naheliegend gewesen, danach mit der Vertonung der noch zu komponierenden verbleibenden vier Ring-Aufzüge fortzufahren, was Wagner jedoch erst 1869 tat. Demgegenüber war es bis dahin mit der Vertonung seiner Meistersinger nur sehr schleppend und mit vielen Unterbrechungen vorangegangen: In den Jahren von 1862 bis 1866 kam Wagner nicht weiter als bis zur Skizzierung des ersten Aufzugs (Knust 2007, CD-ROM, S. 194 ff.), sodass es nicht sonderlich erstaunlich gewesen wäre, wenn er dieses Werk, das ihm musikalisch so große Mühe bereitete, aufgegeben hätte. 369 Wagner: Gesammelte Schriften XII, S. 346 f. 370 Brief an Theodor Uhlig vom 20. September 1850 in: Wagner: Sämtliche Briefe III, S. 425 f. 371 Für Einzelheiten zur Baugeschichte dieses einmaligen Theaters sei verwiesen auf: Kiesel. 372 „R.s Stimmung ist wechselvoll, doch im ganzen gegen Bayreuth gerichtet, ja, er spricht davon, Parsifal und Bühnenfestspielhaus H.[errn] Neumann zu übergeben!“ (Eintrag vom 11. August 1882 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 989); Neumann lehnte Wagners Angebot ab (Neumann, S. 243). 373 Knust 2007, S. 179. 374 So heißt es in seinem Epilogischen Bericht über die Umstände und Schicksale welche die Ausführung des Bühnenfestspieles ‚Der Ring des Nibelun184  Anhang

gen‘ bis zur Veröffentlichung der Dichtung desselben begleiteten von 1871: „Gerade ich besaß unter allen mir Bekannten die bedeutendste praktische Erfahrung auf dem Felde der musikalischen Dramaturgie, sowie das unbestrittenste Geschick in der Anwendung dieser Erfahrung. Die hieraus gewonnene Befähigung war es zum großen Theile mit, welche meine weitgehende Konzeption [des Ring] ermöglicht hatte“ (Wagner: Gesammelte Schriften VI, S. 259). 375 Eintrag vom 21. Dezember 1874 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 878 f. 376 Eintrag vom 23. April 1871 in: ibid., S. 380. 377 Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 793. 378 Eintrag vom 24. Dezember 1880 in: ibid., S. 645. 379 Eintrag vom 4. April 1879 in: ibid., S. 326; eine zeitgenössische Darstellung dieser Szene von Johann Heinrich Ramberg aus dem Jahre 1824 hat sich erhalten (wiedergegeben in: Bauer 1996, S. 30). 380 Newman I, S. 367; Prölss, S. 390 f. 381 Brief an Friedrich Feustel vom 14. November 1875 (zitiert in: Lindner, S. 433). 382 Knust 2007, S. 182 ff. 383 Eintrag vom 23. September 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 181. 384 Brief vom 21. März 1852 in: Wagner: Sämtliche Briefe IV, S. 323. 385 Für mehr Details über Wagners erste Bayreuther Sänger sei verwiesen auf: Martin Knust: ‚… eine tüchtige Stimme und ergreifendes Spiel‘ – Die ersten Bayreuther Sänger, in: wagnerspectrum 3 (2007), Nr. 2, S. 115– 137. 386 Veröffentlicht u. a. in: Mack und Olivier. 387 Zusammengefasst in: Knust 2007, S. 290–319. 388 Eine ergiebige Quelle zu Wagners Regieführung bei den ersten Bayreuther Festspielen sind die Probenprotokolle von Heinrich Porges, erstmals komplett und im originalen Wortlaut übertragen in: Knust 2007, S. 438–470, hier S. 439 f. 389 Hey 1911, S. 130. 390 Knust 2007, S. 261–351. 391 Eintrag vom 19. März 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 63. 392 Kutsch/Riemens, S. 1591. 393 Saint-Saëns, S. 86. 394 Für mehr Einzelheiten zu den Schwimmwagen und Abbildungen s. Mack, 94 ff. und Knust 2007, S. 305 ff. Anmerkungen  185

395 Sie sind abgebildet in: Baumann, S. 232 ff. 396 Kommentar in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 1243. 397 So beschrieb Max Kalbeck das Schlussbild ironisch in seiner Rezension der ersten Festspiele in der Schlesischen Presse (zitiert in: GroßmannVendrey I, S. 196). 398 Eintrag vom 2. August 1876 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 997; zeitgenössische Fotografien und Figurinen sind wiedergegeben in: Olivier, S. 40 ff. 399 Eintrag vom 13. August 1876 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 998. 400 Z. B. Eintrag vom 9. September 1876 in: ibid., S. 1001 f. 401 In diesem Zusammenhang bemerkte er über die ersten Festspiele: „‚Ich glaube, vor 25 Jahren hätte ich meine Sache besser zu Stande gebracht.‘“ (Eintrag vom 18. März 1881 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 506). 402 Eintrag vom 25. Januar 1880 in: ibid., S. 484. 403 Zitiert nach Gregor-Dellin, S. 722. 404 Kalbeck, S. 99. 405 Wagner-Werkverzeichnis, S. 324. 406 Einträge vom 24. November 1878 und vom 7. und 9. Januar 1879 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 239 und 284 ff. 407 Wagner-Werkverzeichnis, S. 535. 408 Für Details s. Knust 2007, CD-ROM, S. 193–252. 409 Darüber unterrichtet z. B. Wagners Aufsatz Über die Ouvertüre aus dem Jahre 1840/41 (in: Wagner: Gesammelte Schriften I, S. 194–206). 410 Die Erfindung dieser Gattung wird Jean Jacques Rousseau zugeschrieben. Eine regelrechte Mode erlebte diese Gattung in den 1770er Jahren, als Georg Anton Benda sich ihrer annahm. Seine Melodramen Medea und Ariadne auf Naxos beeindruckten neben anderen Wolfgang Amadeus Mozart derart, dass er in dieser Gattung ein großes Potenzial für die zukünftige Musikdramatik zu erkennen glaubte (Monika SchwarzDanuser: Melodram in: MGG2, Sachteil VI, Sp. 71). 411 Notiz Heinrich Porges’, näher erläutert in: Knust 2007, S. 331. 412 Eintrag vom 19. März 1878 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 64. 413 Näheres dazu in: Knust 2007, S. 261–351. 414 Wagner: Das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth 1882 in: ders.: Gesammelte Schriften X, S. 302 f. 415 Die folgende Rekonstruktion basiert auf den in Knust 2007, S. 321–339 und 470–482 ausgewerteten Quellen. Eine vollständige Übertragung von Heinrich Porges’ Probenprotokoll findet sich in: Pohl. 416 Baumann, S. 257. 186  Anhang

417 Ibid., S. 209. 418 Mündliche Mitteilung Wolfgang Wagners an den Verfasser am 5. August 2004. 419 Eine eilig hingeworfene Zeichnung Wagners von der Kappe der Gralsritter hat sich erhalten (Mack, Abb. 57). 420 Zur Körpersprache der Akteure im 19. Jahrhundert s. Goethe: Regeln für Schauspieler § 37, 43 und 52 in: Goethes Werke XL, S. 139 ff. und Knust 2011, S. 333 ff. 421 Weingartner 1923, S. 165 f. 422 Eine zeichnerische Rekonstruktion dieser Bühnenmaschinerie ist wiedergegeben in: Baumann, S. 158 f. 423 Eintrag vom 12. März 1881 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 709. 424 Leopold Schmitt: Rezension Bayreuth in Berliner Tagblatt Nr. 367 vom 6. August 1904, S. 1 f. (zitiert in: Breckbill, S. 594). 425 Wiedergegeben in: Mack, Abb. 62. 426 Blätter in „Aquarellmanier“, veröffentlicht bei Edwin Schloemp, Leipzig 1882, wiedergegeben in: Mack, Abb. 50. 427 Baumann, S. 246 ff. 428 Eintrag vom 22. Juli 1882 in: Cosima Wagner: Tagebücher II, S. 982 f. 429 Wiedergegeben in: Drusche, Abb. Nr. 194; zu Wagners Lebzeiten konnten noch keine Szenenfotografien erstellt werden, sondern die erhaltenen Bilder entstanden in Studios. 430 Mack, S. 16. 431 Eintrag vom 31. Januar 1870 in: Cosima Wagner: Tagebücher I, S. 193.

Anmerkungen  187

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190  Anhang

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Literaturverzeichnis  191

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196  Anhang

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Literaturverzeichnis  197

Personenregister Abbate, Carolyn, 182 Aischylos, 137 f. Ander, Alois, 123 Apel, Theodor, 37 f., 169 f. Apuleius, 99 Aristoteles, 158 Arro, Elmar, 171 Auber, Daniel François Esprit, 31 ff., 37, 53, 150 Austin, Gilbert, 188 Bach, Carl Philipp Emanuel, 176 Bach, Johann Sebastian, 163, 173 Bähr, Hugo, 155 Bakunin, Michail, 96 Bauer, Oswald Georg, 165, 168, 172, 185 Baumann, Carl-Friedrich, 186 f. Beethoven, Ludwig van, 28 f., 33, 35, 39, 59, 81 f., 84, 149, 159, 163, 168 Bekker, Paul, 27, 167 Bellini, Vincenzo, 35 ff., 41 f., 78, 85, 175 Benda, Geor Anton ( Jiři Antonín), 186 Bergfeld, Joachim, 165 Berlioz, Hector, 82, 175 Betz, Franz, 143, 145 Bismarck, Otto von, 133 ff. Borchmeyer, Dieter, 181 Bournot, Otto, 165 Brahms, Johannes, 163 Breckbill, David, 183, 187 Breitkopf und Härtel, 28 f. 198  Anhang

Brendel, Franz, 166 Brockhaus, Ottilie geb. Wagner, 58 Brückwald, Paul Otto, 137 Bülow, Cosima von s. Wagner, Cosima Bülow, Eva von, 129 Bülow, Isolde von, 129 Bülow, Hans von, 48, 77, 126 ff., 131 f., 136, 168, 174, 177, 179, 183 Bürger, Gottfried August, 79 f. Burk, John N., 167, 174, 176 Cerf, Karl Friedrich, 45 Chélard, Hippolyte André, 175 Cornelius, Peter, 88, 123, 136, 182 Dahlhaus, Carl, 94, 167 f., 178 Deathridge, John, 167 f. Devrient, Eduard, 38, 51, 61 ff., 76, 88, 90 ff., 123, 169, 171, 173 ff., 176 f., 180, 182 f. Devrient, Emil, 15 Devrient, Ludwig, 34, 74 Dietrich (Kaufmann in Königsberg), 46 Dietsch, Philippe Louis, 58 Döhring, Sieghart, 168, 179 Doepler, Carl Emil, 145 Dorn, Heinrich, 48 ff., 89, 171, 177 Dorus-Gras, Julie, 57 Dreßler-Pollert, Karoline, 43 ff. Drusche, Esther, 187 Dumersan, Théophile Marion, 57 Dupont, Alexis, 57

Dustmann, Louise, 123 Eichberger, Joseph, 40 Eichendorff, Joseph Freiherr von, 98 Esser, Heinrich, 176 Fischer, Wilhelm, 91 Fricke, Richard, 142 Friedrich August II. von Sachsen, 95 Froelich, Carl, 159 f. Fröbel, Julius, 133, 135, 184 Galvani, Friederike, 30 García, Manuel, 88 Geck, Martin, 167 Genast, Eduard, 41, 82, 169, 175 f. Geyer, Ludwig, 13 f., 16 ff., 23, 34, 73, 171 Glasenapp, Carl Friedrich, 166, 169 ff. Gluck, Christoph Willibald, 175 Glümer, Claire von, 83, 175 f. Goethe, Johann Wolfgang von, 25, 28, 68, 74, 166 f., 187 Gottfried von Straßburg, 99 Gräf (Magdeburger Sänger), 39 Gregor-Dellin, Martin, 168, 178, 186 Großmann-Vendrey, Susanna, 186 Gryphius, Andreas, 48 Haase, Julie s. Zucker, Julie Hagemann, Carl, 165, 174 Halévy, Jacques Fromental, 53, 57 Hanslick, Eduard, 77, 174 Hauser, Franz, 34, 43, 168 Heidgen, Norbert, 179 Heine, Ferdinand, 73 ff., 173

Heine, Heinrich, 58 Henze-Döhring, Sabine, 168, 179 Hey, Julius, 40, 87 f., 141 ff., 169, 176, 183, 185 Hill, Karl, 143 f. Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus, 116 Holmström, Kirsten Gram, 175 Holtei, Karl von, 19, 49 ff., 171 Homer, 23 Istel, Edgar, 183 Johns, Susanne, 170 Joly, Anténor, 57 Joukowsky, Paul von, 153 Kalbeck, Max, 186 Kapp, Julius, 165, 177 Kienzl, Wilhelm, 26 Kiesel, Markus, 184 Kietz, Ernst Benedikt, 58 Kirchmeyer, Helmut, 172, 174 ff. Kittl, Johann Friedrich, 178 Koch, Max, 165, 170 Kropfinger, Klaus, 173, 179 Kügler, Ilka-Maria, 174 Kupfer, Harry, 178 Kurth, Ernst, 182 Lammert, Minna, 146 Laube, Heinrich, 36, 58, 84, 175 Lehmann, Lilli, 146, 166 Lehmann, Marie, 146 Lewald, August, 47, 172 Lindner, Erwin, 185 Lippmann, Friedrich, 176

Personenregister  199

Liszt, Franz, 44, 50, 57, 84, 86, 90, 93, 108, 126, 167, 170, 174, 176 f., 179, 182 Löbmann, Franz, 52 Lortzing, Albert, 45 Louis XIV., 62 Ludwig II. von Bayern, 48, 77, 96, 124 ff., 128 ff., 132, 134 ff., 138, 170, 172, 182 f. Mack, Dietrich, 183, 185, 187 Maier, Mathilde, 124 Marschner, Heinrich, 149 f. Materna, Amalie, 142 f. Mayer, Friederike, 124 Mayer, Hans, 181 Meck, Carl von, 42 Mendelssohn, Felix, 33, 79 Metternich, Pauline von, 120 Meyerbeer, Giacomo, 53, 55 ff., 75, 172 Meyer-Dustmann, Luise, s. Dustmann, Louise Miecksch, Johann Aloys, 15, 34 Mitterwurzer, Anton, 84 ff., 165, 176 Mosel, Ignaz Franz, 179 Mozart, Wolfgang Amadeus, 14, 33, 102, 163, 175, 186 Müller, Gottfried Christian, 28 Napoleon III., 120 Neumann, Angelo, 22, 24, 138, 166, 184 Newman, Ernest, 165, 168, 178, 181 ff. Niemann, Albert, 77, 121 f., 143, 182

200  Anhang

Nietzsche, Friedrich, 9, 22, 110 f., 137, 165 f., 180 Olivier, Philippe, 174, 185 Paul, Jean, 166 Petipa, Marius, 121 Planer, Amalie, 41 f. Planer, Minna s. Wagner, Minna Planer, Natalie, 46 Pohl, Rüdiger, 186 Pollert, Karoline s. Dreßler-Pollert, Karoline Porges, Heinrich, 136, 142, 151, 185 f. Praeger, Ferdinand, 23 f., 166 Prölss, Robert, 165, 175, 185 Pusinelli, Anton, 129 Reichmann, Theodor, 155 Reutter, Isidore von, 132 Richter, Hans, 136 Rieger, Eva, 170, 183 Ringelmann, Therese, 30 Ritter, Karl, 20 Röckel, August, 97, 133 ff., 184 Rossini, Gioacchino, 37, 39, 107 Rousseau, Jean Jacques, 186 Rubini, Giovanni Battista, 59 f. Saint-Saëns, Camille, 174, 185 Schiller, Friedrich, 80 Schindelmeisser, Louis, 49, 171 Schittenhelm, Anton, 151 Schlesinger, Maurice, 58 Schmid, Manfred Hermann, 181, 192 Schmitt, Friedrich, 40, 131, 136, 141, 169, 183

Schnorr von Carolsfeld, Ludwig, 129 ff., 138, 183 Schnorr von Carolsfeld, Malvina, 129 ff., 136, 184 Schopenhauer, Arthur, 112 Schott, Franz, 28 f., 180 Schröder, Sophie, 79, 130 Schröder-Devrient, Wilhelmine, 35 f., 39, 41, 43, 61, 77 ff., 81 ff., 130, 138, 168, 175 Schubert, Franz, 48 Schumann, Clara, 84 Schumann, Robert, 56, 84 Scribe, Eugène, 54 Seidl, Anton, 180 Semper, Gottfried, 127 f., 136 Seydlitz, Reinhard von, 167 Siebs, Theodor, 173 Shakespeare, William, 23, 33 Sillig (Dresdner Lehrer), 22 Soden, Michael von, 178 Solbrig, Carl Friedrich, 19 Sophokles, 138 Spohr, Louis, 33 Spontini, Gasparo, 53, 82, 175 Steinbeck, Dietrich, 173 f. Strobel, Otto, 167 Tichatschek, Joseph, 76, 87, 96 Tieck, Ludwig, 17 ff., 52, 80, 91, 116, 174 Thurn und Taxis, Maximilian Karl von, 133 Uhlig, Theodor, 166, 184 Unger, Georg, 141, 143 Verdi, Giuseppe, 35, 102 f., 179 Vetter, Isolde, 183

Viardot, Pauline, 57 Vogl, Heinrich, 143 Voss, Egon, 167 Wackenroder, Wilhelm Heinrich, 98, 116 Wagner, Adolph, 18, 25, 34, 52 Wagner, Albert, 14, 17, 29, 34 f., 87 ff. Wagner, Clara s. Wolfram, Clara Wagner, Cosima, 26, 28, 35, 46, 48, 51 f., 75, 78, 87, 100, 109, 114, 119, 124, 127 ff., 131 f., 134, 140, 146 f., 160, 163, 165 ff., 171 f., 174 ff., 179 ff., 183 ff. Wagner, Johanna, 35, 84, 87 ff., 142, 168, 177 Wagner, Johanna Rosine, 13 Wagner, Karl Friedrich, 13 Wagner, Luise, 14, 17, 45, 58 Wagner, Minna geb. Planer, 30, 38, 41, 44 ff., 55, 79, 94, 100, 118, 125, 129, 169 ff. Wagner, Richard (Schriften und Werke) Schriften: –– Autobiographische Skizze, 28, 46, 165, 172 –– Bemerkungen zur Aufführung der Oper ‚Der fliegende Holländer’, 68 ff. –– Bericht an Seine Majestät Ludwig II. von Bayern über eine in München zu errichtende deutsche Musikschule, 124 –– Das Bühnenweihfestspiel in Bayreuth 1882, 186 Personenregister  201

–– Das Judentum in der Musik, 56 –– Das Kunstwerk der Zukunft, 20, 22, 94, 97 f., 107, 164 –– Das Wiener HofOperntheater, 123, 183 –– Deutsche Kunst und deutsche Politik, 132 ff. –– Die deutsche Oper, 37 –– Die Kunst und die Revolution, 94 –– Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage, 99 –– Ein Einblick in das heutige deutsche Opernwesen, 182 –– Ein Ende in Paris, 59 –– Eine Mittheilung an meine Freunde, 64, 165, 172 –– Eine Pilgerfahrt zu Beethoven, 59 –– Entwurf zur Organisation eines deutschen Nationaltheaters für das Königreich Sachsen, 90 –– Epilogischer Bericht, 184 f. –– Meine Erinnerungen an Ludwig Schnorr von Carolsfeld, 130 f., 183 –– Mein Leben, 9, 17, 24, 27, f., 39, 45 ff., 49 ff., 57, 60, 82 f., 88, 96, 106, 165 ff., 182 –– Oper und Drama, 94, 97, 107 ff., 111 f., 137, 173, 179 –– Über die Aufführung des ‚Tannhäuser’, 74 –– Über die Bestimmung der Oper, 81

202  Anhang

–– Über Schauspieler und Sänger, 78, 86, 174 f. –– Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königthume gegenüber?, 95 Werke: –– Achilleus (WWV 81), 97 –– Chorsatz Descendons gaiement de la courtille (WWV 65), 57 –– Das Liebesverbot (WWV 38), 35 ff., 39, 45, 54 ff. –– Das Rheingold (WWV 86 A), 44, 92, 97, 101, 104 f., 109, 111, 127, 144 ff., 148 f., 158, 179 f. –– Der fliegende Holländer (WWV 63), 50, 56, 58, 64 ff., 77, 86, 118, 127, 151, 173 –– Der junge Siegfried, 90, 109 –– Der Ring des Nibelungen (WWV 86), 24, 18, 44 f., 63, 76 f., 87, 89 f., 92, 94 ff., 101 ff., 109 ff., 114, 116, 122, 124, 127, 129, 131 f., 134 f., 137 ff., 148 f., 151 ff., 158, 177 ff., 184 f. –– Der Tannenbaum (WWV 50), 47 f. –– Die Feen (WWV 32), 31 ff., 55, 168 –– Die Hochzeit (WWV 31), 31 f. –– Die hohe Braut (WWV 40), 100, 178 –– Die Meistersinger von Nürnberg (WWV 96), 45,

–– ––

–– –– –– –– –– ––

––

–– –– –– ––

50, 52, 72, 99, 102, 116 f., 124, 129, 131 ff., 148 f., 151, 158, 180 Die Walküre (WWV 86 B), 44, 76 f., 101 ff., 109 ff., 116, 127, 145, 149, 179 Götterdämmerung (WWV 86 D), 90, 96, 98, 101, 109, 122, 129, 131, 145, 149 f., 158, 184 Großer Festmarsch (WWV 110), 105 Jesus von Nazareth (WWV 80), 99 Kaisermarsch (WWV 104), 105 Klavierauszug von Beethovens 9. Symphonie (WWV 9), 28, 167 Leubald und Adelaide (WWV 1), 25 f., 28, 52 Lohengrin (WWV 75), 52, 72, 77 f., 85 ff., 89 f., 95 f., 99, 101 f., 123, 125, 127, 148 ff., 174, 177 f. Männerlist größer als Frauenlist oder Die glückliche Bärenfamilie (WWV 48), 47, 52 f. Ouvertüre B-Dur (WWV 10), 29, 49 Ouvertüre d-Moll (WWV 20), 29, 49 Ouvertüre und Theatermusik zu Theodor Apels ‚Columbus’ (WWV 37), 39 Parsifal (WWV 111), 45, 68, 81, 94, 124, 127, 131, 138, 142, 148 ff., 180, 184

–– Rienzi (WWV 49), 42, 50, 53 ff., 59, 64, 73, 76 ff., 178 –– Siegfried (WWV 86 C), 28, 90, 101, 104 f., 109, 111, 122, 129, 131, 141, 143 ff., 149 ff., 153, 158, 178 f., 184 –– Siegfried’s Tod, 89 f., 96 f., 109, 178 f. –– Symphonie C-Dur (WWV 29), 29 –– Symphonie E-Dur (WWV 35), 29 –– Tannhäuser (WWV 70), 35, 50, 72, 74 ff., 78, 84 ff., 98 f., 102, 117 ff., 127, 131, 182 –– Theatermusik zu J. Singers ‚Die letzte Heidenverschwörung der Preußen’ (WWV 41), 47 –– Tristan und Isolde (WWV 90), 40, 45, 68, 78, 87, 90, 97, 99 f., 111 ff., 122 ff., 126 ff., 149 f., 157, 180 ff. –– Wieland der Schmied (WWV 82), 97, 100, 178 Wagner, Rosalie, 14, 17 ff., 25, 31, 34, 169 Wagner, Siegfried, 151 Wagner, Wolfgang, 187 Wauer, William, 159 f. Weber, Carl Maria von, 16 f., 25, 32 f., 59, 64, 79 ff., 84, 140 f., 175 f. Weigl, Joseph, 43, 175 Weingartner, Felix, 154, 187 Weinlig, Theodor, 28 Weißheimer, Wendelin, 52, 88, 123, 171, 182 f. Weithase, Irmgard, 166, 173, 178 Personenregister  203

Wesendonck, Mathilde, 118, 182 Wesendonck, Otto, 118 Westernhagen, Curt von, 165 f., 178 Wille, Eliza, 125

204  Anhang

Wolfram, Clara geb. Wagner, 14, 17, 39 Wolfram von Eschenbach, 99 Wolzogen, Alfred von, 175 Zucker, Julie, 140

Dagny R. BeiDleR

Für richard Wagner! DIE »ROSENSTöckE-BILDER« SEINER TOchTER ISOLDE

Zum 67. Geburtstag malte Isolde von Bülow , Richard Wagners älteste Tochter , ihrem Vater einen Bilder-Zyklus. Diese als »Rosenstöcke-Bilder« bekannt gewordenen Aquarelle zeigen wichtige Ereignisse aus dem Leben Wagners. Das Buch bildet die »Rosenstöcke-Bilder« erstmals vollständig ab. Isoldes Enkelin , Dagny R. Beidler , sorgt für die sachkundige Beschreibung und Kommentierung. Die Auswahl der Sujets lässt erkennen , aus welchen Quellen Isolde ihr Wissen schöpfte und welche Lebensbezüge ausgespart blieben. Während sie viel aus Wagners Autobiographie „Mein Leben“ übernahm , klammerte sie alles Unangenehme und Belastende sowie alle privaten Konflikte aus , die auch von Wagner selbst verschwiegen oder verfälscht wurden , wie z. B. seine Liebe zu Mathilde Wesendonck. 2013. 160 S. 66 FaRB. aBB. gB. MiT SU. 210 X 210 MM | iSBn 978-3-412-20996-4

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HARTMUT KRONES, CHRISTIAN MEYER (HG.)

MOZART UND SCHÖNBERG WIENER KLASSIK UND WIENER SCHULE SCHRIFTEN DES WISSENSCHAFTSZENTRUMS ARNOLD SCHÖNBERG, BAND 7

Der Band „Mozart und Schönberg. Wiener Klassik und Wiener Schule“ versammelt die Referate des vom 10. bis 13. September 2006 aus Anlass der Wiener Veranstaltungsserie „Mozartjahr 2006“ gemeinsam vom Arnold Schönberg Center sowie vom Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg durchgeführten gleichnamigen Symposions. Er nimmt nach allgemeinen Be­ trachtungen des kulturellen Ambientes im Wien des späteren 18. und des späteren 19. Jahrhunderts sowie nach der Hinterfragung des „Schule“­Be­ griffs für die drei Meister der Wiener Klassik (Haydn, Mozart, Beethoven) zunächst vor allem das an diesen Komponisten ausgerichtete Traditionsbe­ wusstsein der Wiener Schule in den Blick. Dabei werden insbesondere die hier wie dort vorherrschende sprachanaloge Bauweise der Musik, die Einbe­ ziehung „außermusikalischer“ Inhalte, die grundlegende Basierung auf kont­ rapunktischer Linienführung sowie die vorrangige Bedeutung des „Themati­ schen“ als Ausgangspunkt für die musikalischen Entwicklungen analytischen Betrachtungen unterzogen. Auch das Wiederaufgreifen traditioneller For­ men, die Vorliebe für „wienerische“ Elemente sowie Überlegungen zur Auf­ führungspraxis bei den Hauptvertretern der Wiener Schule erfahren grund­ legende Darstellungen. böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

DANIEL BRANDENBURG, FRIEDER REININGHAUS (HG.)

RICHARD WAGNER IN ÖSTERREICH ÖSTERREICHISCHE MUSIKZEITSCHRIFT, JG. 67, HEFT 6/2012

Kein Komponist vor ihm hat das Publikum und die Fachwelt dermaßen polarisiert wie Richard Wagner (1813–1883). Zu seinen Lebzeiten war Wien ein Zentrum dieser Auseinandersetzungen, zumal glühende Wagner-Anhänger wie Anton Bruckner und Hugo Wolf das Musikleben hier ebenso prägten wie seine Gegner rund um Eduard Hanslick und Johannes Brahms. Diese Ausgabe der ÖMZ verfolgt Wagners Ansätze, in Wien Fuß zu fassen, und untersucht seinen Einfluss auf die hier ansässigen Musiker. Darüber hinaus stellt sie die Frage nach einer spezifischen österreichischen Wirkungsgeschichte des Bayreuther Komponisten, wobei den Wagner-Verbänden besonderes Augenmerk geschenkt wird. 2012. 128 S. ZAHLR. S/W-ABB. BR. 165 X 235 MM | ISBN 978-3-205-78810-2

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