Ribbentrop: Oder: Die Verlockung des nationalen Aufbruchs. Eine politische Biographie [1 ed.] 9783428539079, 9783428139071

Der Großhandelskaufmann Joachim von Ribbentrop ging 1932 als Quereinsteiger an einflußreicher Stelle in die Politik. In

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Ribbentrop: Oder: Die Verlockung des nationalen Aufbruchs. Eine politische Biographie [1 ed.]
 9783428539079, 9783428139071

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STEFAN SCHEIL

Ribbentrop Oder: Die Verlockung des nationalen Aufbruchs Eine politische Biographie

Duncker & Humblot · Berlin

STEFAN SCHEIL Ribbentrop

Ribbentrop Oder: Die Verlockung des nationalen Aufbruchs Eine politische Biographie

Von Stefan Scheil

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagbild: Joachim von Ribbentrop, 1938 (© ullstein bild – Roger-Viollet) Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: TextFormA(r)t, Göttingen Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-13907-1 (Print) ISBN 978-3-428-53907-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-83907-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Immer wieder finden wir uns bei dem Begriff ‚Nation‘ auf die Beziehung zur politischen ‚Macht‘ hingewiesen und offenbar ist also ‚national‘ – wenn überhaupt etwas Einheitliches – dann eine spezifische Art von Pathos, welches sich in einer durch Sprach-, Konfessions-, Sitten- oder Schicksalsgemeinschaft verbundenen Menschengruppe mit dem Gedanken einer ihr eigenen, schon bestehenden oder von ihr ersehnten politischen Machtgebildeorganisation verbindet, und zwar je mehr der Nachdruck auf ‚Macht‘ gelegt wird, desto spezifischer.“ Max Weber1

„Die Zeitung von heute morgen schreibt: Als der Führer rief: ‚Ich kann nur leben, wenn mein gewaltiger Glaube in das deutsche Volk wieder und wieder durch den Glauben und das Vertrauen des Volkes in mich gestärkt wird!‘, antwortete ihm ein einziger Schrei der Massen, die ihre Treue bekannten. Ich werde diesen ‚Schrei‘, dieses unmittelbare Gebrüll von 40.000 Menschen, die sich in einer einzigen Bewegung aufrichten, nicht mehr vergessen. ‚Hier beginnt eine neue Epoche….‘ Nein, es handelt sich nicht um Haß, es handelt sich um Liebe.“ Dennis de Rougemont2



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Zit. n. Weber, Sozialökonomik, S. 226. Zit. n. Rougemont, Journal, S. 61.

Vorwort Obwohl Bücher wie dieses in der Ruhe von Bibliotheken und Archiven geschrieben werden, lebt der Autor natürlich nicht im isolierten Raum. Über die wissenschaftstheoretische Unmöglichkeit einer objektiven Geschichtsschreibung und die notwendige Prägung des Autors durch literarische Neigungen, beispielsweise zur Tragödie oder zur Farce, ist in den letzten Jahrzehnten viel geschrieben worden, mit Sicherheit zu viel. Zu diesen möglichen Einflüssen gesellen sich mögliche politische Prägungen des Autors und natürlich der Eindruck aktueller politischer Entwicklungen. Während nun dies hier in den letzten Jahren geschrieben wurde, trafen praktisch täglich Nachrichten über eine Krise der Europäischen Union ein. Es war dabei die Rede von einem Deutschland, das den einen zuviel politisches und wirtschaftliches Gewicht entwickelt hatte, während bei den anderen der Eindruck entstand, die Bundesrepublik Deutschland solle geradezu von den Nachbarn wirtschaftlich ausgenutzt und als Staatswesen einflußlos werden. Demnach stand so etwas wie die „deutsche Frage“ einmal mehr im Raum und dies gelegentlich zumindest rhetorisch sogar als eine Frage von Krieg und Frieden. Der größere von zwei vergleichsweise bescheidenen Nachfolgestaaten jenes deutschen Reichs, dessen Außenpolitik vor 1945 hier im folgenden geschildert werden wird, wurde teilweise verdächtigt, eine Hegemonie in Europa anzustreben. Daß die Auseinandersetzung darüber vielleicht ins Militärische eskalieren könnte, haben ranghohe Politiker dieses Staates gelegentlich angedeutet. Ob diese Eindrücke in irgendeiner Form die Darstellung beeinflusst haben, ist schwer zu sagen. Beabsichtigt war es jedenfalls nicht. Immerhin ist der hier beschriebene politische Lebenslauf Joachim von Ribbentrops in den Jahren 1933 bis 1945 auch eine Abhandlung über gegenseitiges Mißtrauen und die daraus resultierenden Mißverständnisse. Wenn beides in der ideologisch aufgeladenen Ära der Weltkriege auch ganz anders begründet war, so ist dies in der internationalen Politik doch in gewissem Umfang ein zeitloses Problem, das mit dem drohenden Zerfall der jeweils vorhandenen internationalen Ordnung immer akuter wird. Die „realistische Schule“ der außenpolitischen Interpretationsschulen mit ihrer Grundannahme internationaler Anarchie wird in diesem Fall tendenziell zu zutreffenderen Beschreibungen kommen als die Annahmen von wertegeleiteter Außenpolitik und der allgemeinen Gültigkeit von Völkerrecht. Solche Annahmen und die daraus gewonnenen Normen stellen eben häufig lediglich den Ausdruck einer Hegemonie einzelner Staaten dar, die mit dem Verfall dieser Hegemonie fragwürdig werden. Was hier nun folgt, ist eine „realistische“ Darstellung deutscher Außenpolitik der nationalsozialistischen Ära anhand der Biographie Joachim von Ribbentrops. Mit den oben angesprochenen Problemen der Europapolitik hat dies

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Vorwort Vorwort

insofern unausweichlich zu tun, als die Europapolitik der letzten Jahrzehnte offiziell von der Grundannahme einer unprovozierten und grenzenlosen deutschen Kriegspolitik in den Jahren bis 1945 ausging, die den Krieg von 1939 verschuldet hätte. Diese Grundannahme hat sich als unzutreffend herausgestellt. Insofern ist dies unvermeidlich ein politisches Buch. Ich danke den Mitarbeitern der verschiedenen Bibliotheken und Archive, die dies erst möglich gemacht haben, namentlich natürlich der Universitätsbibliothek Mannheim sowie dem Bundesarchiv Koblenz und dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin. Besonders danke ich der Erich und Erna ­Kronauer Stiftung für die finanzielle Förderung dieser Arbeit, sowie Dr. Florian Simon für die freundliche Bereitschaft, den Text in das Verlagsprogramm von Duncker & Humblot aufzunehmen. Stefan Scheil

Inhaltsverzeichnis I.

Fakten und Mutmaßungen über Ribbentrop – Zum Forschungsstand . . . . . . . . . . . 13

II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Zur Person und wie sie die Welt sah . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Die Analogie des nationalen Aufbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Wirtschaftsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4. Ribbentrop und der frühe Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Botschafter hinter den Kulissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Zwischen London und Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Das Flottenabkommen von 1935 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Wie man einen Premier einlädt – und scheitert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 IV. Entscheidung in London . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Von Hoesch zu Ribbentrop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Londoner Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Stilfragen einer imperialen Ära . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 4. Nevile Henderson – Botschafter ohne Hausmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Allein unter Diplomaten – Ribbentrop und das Auswärtige Amt . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Hitlers „Schuttplatz der Intelligenz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Das Amt, seine Organisation und der Minister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Der Minister und sein Staatssekretär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4. Der Jurist und seine Wende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat: Das Hitler-Ribbentrop Programm 1937/38 . . 142 1. Die Bülow-Denkschrift von 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. Ribbentrops Bilanz und Prognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

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Inhaltsverzeichnis

VII. Außenminister für Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Risikogedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Prag und die Weltpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Ribbentrops Berichterstattung über den drohenden Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 4. Programm erfüllt: Großdeutscher Nationalstaat für ein Jahr . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5. Das Scheitern der Abschreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 6. Ribbentrops sowjetische Karte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 VIII. Diplomatie für’s Alibi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 1. Konferenz oder Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2. Diplomatische Hörschwächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Das Alibi – eine Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Ribbentrop vs. Chamberlain – Schlagabtausch über Schuld und Vertrauen . . . . 281 2. Amerikanische Verhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Ribbentrop, das Amt und der Kompromißfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Säkulare Verhandlungen mit der Weltrevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 5. Der zweite amerikanisch-deutsche Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 X. Zwischenbetrachtung: Das Auswärtige Amt, der Minster und der Holocaust . . . . . 319 XI. Politik in Zeiten des Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 1. Fluchtpunkt Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Stockholmer Friedenskontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 3. Goebbels vs. Ribbentrop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 4. Unter jedem Stein nachsehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 XII. Fiasko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Inhaltsverzeichnis

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Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1. Eigene Schriften, Geleitworte und Reden von Joachim von Ribbentrop . . . . . . 370 2. Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 3. Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 4. Gedruckte Quellen, Dokumenteneditionen und Lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 5. Memoiren, Erinnerungsliteratur und Tagebücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 6. Zeitgenössische politische und historische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 7. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Personenindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

Abkürzungsverzeichnis AA ADAP AJC BA BA-MA BDFA CHAR DBFP DDF DDI DDP DNB Doc. Dok. DR DVP EZI FO FRUS GWU Hrsg. hrsg. HZ IfZ IMT KTB MGFA MWT OKW OSZE PA-AA PRO SKL UdSSR VB

Auswärtiges Amt Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik American Jewish Committee Bundesarchiv Bundesarchiv-Militärarchiv British Documents on Foreign Affairs Chartwell Papers Documents on British Foreign Policy Documents diplomatiques francais Documenti Diplomatici Italiani Dokumente der deutschen Politik Deutsches Nachrichtenbüro Document Dokument Dienststelle Ribbentrop Dokumenty vneshnei politiki Encyclopedia of Zionism and Israel Foreign Office Foreign Relations of the United States Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Herausgeber herausgegeben Historische Zeitschrift Institut für Zeitgeschichte Internationales Militärtribunal Kriegstagebuch Militärgeschichtliches Forschungsamt Mitteleuropäischer Wirtschaftstag Oberkommando der Wehrmacht Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Politisches Archiv-Auswärtiges Amt Public Record Office London Seekriegsleitung Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Völkischer Beobachter

I. Fakten und Mutmaßungen über Ribbentrop – Zum Forschungsstand Am Anfang eines Forschungsunternehmens steht stets die Frage nach dem möglichen Erkenntnisgewinn. Was kann eine politische Biographie über Joachim von Ribbentrop leisten, was von anderen noch nicht geleistet wurde? Die Antwort auf diese Frage läßt sich zunächst auf zwei Ebenen geben. Eine davon betrifft das Gesamtbild der Epoche: Sowohl über die von Ribbentrop persönlich zu verantwortende Politik wie über die internationalen Verhältnisse seiner Zeit herrschen zahlreiche unzutreffende Vorstellungen. Dies wurde in den bisher vom Autor dieser Zeilen vorgelegten Veröffentlichungen bereits dargelegt und in einer mehrbändigen Gesamtdarstellung korrigiert.1 Auf dieser Vorarbeit beruht auch die jetzt hier vorgelegte biographische Studie, die diese Zeiten nun aus dem Blickwinkel einer einzelnen Person untersucht. Diese Perspektive rückt einige Fakten in den Vordergrund, die bisher weniger beachtet wurden, während andere, von denen die Person Joachim von Ribbentrop nicht berührt war, in den Hintergrund zurücktreten. Noch einmal aber wird auf dieser Ebene deutlich werden, in welchem Ausmaß deutsche Außenpolitik mit den Zielen und Bedrohungen durch andere Staaten zu rechnen hatte und daß sie viel häufiger reagierte als agierte. Die zweite Ebene ist die der Person in ihrem Umfeld. Am politischen Leben und Handeln von Joachim von Ribbentrop lassen sich gleich mehrere Phänomene und Entwicklungen aufzeigen, die zeittypisch sind. Da ist zum einen das Phänomen des Quereinsteigers in die Politik, der vergleichsweise spät und als Außenseiter in die politische Führungsschicht des Nationalsozialismus einstieg. Er hatte zu diesem Zeitpunkt als Großhandelskaufmann sein Vermögen und seine gesellschaftliche Stellung bis hin zu weitgehender Unabhängigkeit ausgebaut. Als parteipolitisch agierender Mensch war er dagegen bis dahin nicht in Erscheinung getreten. Alles spricht dafür, daß JvR – wie wir ihn gelegentlich nennen wollen – in politisch weniger aufgeregten Zeiten als den Jahren 1929 bis 1932 seine Geschäfte als Privatmann weiter betrieben hätte. Da diese Zeiten nun aber einmal aufgewühlt und unsicher waren, stellte er sich den Nationalsozialisten offenbar aus einer Mischung aus Ehrgeiz und Nationalgefühl zur Verfügung, wie sie für die damalige Zeit nicht untypisch war. Es herrschte in Deutschland verbreitet der Eindruck, daß 1 Insbesondere in den vier Bänden: Logik der Mächte – Europas Problem mit der Globalisierung der Politik, Berlin 1999; Fünf plus Zwei, Die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des Zweiten Weltkriegs, Berlin 2009; 1940/41  – die Eskalation des Zweiten Weltkriegs, Berlin 2011; Churchill, Hitler und der Antisemitismus – Die deutsche Diktatur, ihre politischen Gegner und die europäische Krise der Jahre 1938/39, Berlin 2009.

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I. Fakten und Mutmaßungen  – Zum Forschungsstand

die alten Eliten, die wilhelminische ebenso wie die der Weimarer Republik, den deutschen Nationalstaat in eine ausweglose Lage geführt hatten. Der Krieg von 1914 bis 1918 war ebenso verlorengegangen wie der Frieden von 1919 bis 1929. Die „nationale Erhebung“, als die der aufkommende Nationalsozialismus damals verbreitet gedeutet wurde und sich auch selbst empfand, schien hier einen Ausweg zu bieten. Wer dies nicht positiv empfinden konnte, sondern allenfalls als Ausdruck einer ausweglosen Lage, dessen Stimmungslage kam die Wahlkampfstrategie der NSDAP ebenfalls entgegen. „Unsere letzte Hoffnung: Hitler“ plakatierte man im Präsidentschaftswahlkampf des Jahres 1932 und zeigte auf dem Plakat graue und ausgemergelte Gestalten aller Schichten.2 Das reichte zu keinem Zeitpunkt und auch nicht in diesem Präsidentschaftswahlkampf für eine Stimmenmehrheit der NSDAP, aber es ließ die nationalsozialistische Partei tatsächlich in alle Schichten und Milieus eindringen. Sie wurde damit – wahlsoziologisch gesehen – zur ersten deutschen Volkspartei3 und für viele, unter ihnen Joachim von Ribbentrop, tatsächlich zur Verkörperung eines nationalen Aufbruchs. Der außenpolitische Aspekt dieses Neuanfangs reizte Ribbentrop offenkundig von Beginn an besonders. Die vorliegende Darstellung wird deshalb darauf beruhen, Ribbentrops Politik als Teil des von Regierungs-, Staats- und Parteichef Hitler betriebenen Versuchs aufzuzeigen, unter nationalsozialistischen Vorzeichen eine Restauration des deutschen Reichs in seinen historischen Grenzen herzustellen, also in etwa in den Grenzen des Deutschen Bundes bis 1866. Diese Absicht, einen bisher so noch nie dagewesenen deutschen Zentralstaat in Mitteleuropa zu errichten, stellte die europäische Staatenwelt natürlich vor ein Akzeptanzproblem. Sie fand auch militante Gegner, unter anderem in Großbritannien, wie Ribbentrop persönlich zu spüren bekam. Zu diesen Gegnern gehörten einflußreiche Geschichtspolitiker wie der spätere Kriegspremier Winston Churchill. In den vielfältigen Rollen als Parteipolitiker, Seelord, Minister, Regierungschef, Publizist und weltbekannter Historiker in eigener Sache, die er eingenommen hat, symbolisiert sich die bemerkenswerte Besonderheit der Weltkriegsära von 1914–1945, mehr als je eine kriegerische Auseinandersetzung zuvor Öffentlichkeitswirksam vor- und nachbereitet worden zu sein. Dies hat in Verbindung mit den dramatischen Eindrücken des europäischen Großund schließlich Weltkriegs seit 1939 die gegenseitigen politischen Absichten in der Vorkriegszeit bis 1939 weitgehend in Vergessenheit geraten lassen. Zusätzlich beschleunigt wurde diese Entwicklung durch die international koordinierte Erziehungs- und Bildungspolitik nach 1960, in der die deutsche Geschichte der jüngeren Zeit als nicht legitimierter „Sonderweg“ einen festen Platz einnahm. Eine rea 2 http://www.annefrank.org/de/Subsites/Zeitleiste-/Zwischenkriegszeit-1918–1939/AnneFranks-Geburt/1932/Ein-Naziplakat-fur-die-Wahl-des-Reichsprasidenten-Der-Text-lautetUnsere-letzte-Hoffnung-Hitler/#!/de/Subsites/Zeitleiste-/Zwischenkriegszeit-1918-1939/AnneFranks-Geburt/1932/Ein-Naziplakat-fur-die-Wahl-des-Reichsprasidenten-Der-Text-lautetUnsere-letzte-Hoffnung-Hitler/. 3 Vgl. Falter, Wähler, S. 371.

I. Fakten und Mutmaßungen  – Zum Forschungsstand

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listische Betrachtung deutscher Bedrohungslagen und Zielsetzungen hatte darin keinen Ort. Bisherige Darstellungen von Ribbentrops Persönlichkeit wie Politik leiden daher unter den üblichen Mängeln der Forschungsliteratur zur national­ sozialistischen Außenpolitik. Viele und gerade die besonders einflußreichen Darstellungen gehen von unbewiesenen, axiomatischen Annahmen über Hitlersche Stufenpläne zur Welteroberung aus. Das nationalsozialistisch regierte Deutschland hat in dieser Vorstellungswelt im Jahr 1939 einen unprovozierten Eroberungskrieg vom Zaun gebrochen. Diese Annahme durchzieht eben auch die meisten biographischen Versuche über Joachim von Ribbentrop. Zum anderen lassen sich viele Details in diesen Darstellungen des Reichs­ außenministers auf die Nachwirkungen von gezielter, persönlich wie politisch motivierter Abneigung zurückführen. Um die Folgen dieser Quellenlage in Grenzen zu halten, wird im Folgenden darauf verzichtet werden, den Informationen aus Hörensagen das Gewicht zu geben, das sie in der Literatur bisher häufig gehabt haben. Man könnte diese geringere Gewichtung für eine Selbstverständlichkeit halten, doch ist eine große Neigung vieler Autoren zu konstatieren, auf solche Informationen zurückzugreifen. Das Gerücht aus dritter, vierter oder fünfter Hand ist in der Forschungsliteratur ein häufig und an prominenter Stelle anzutreffendes Phänomen. Dies gilt auch für angeblich zentrale Quellen in Bezug auf Joachim von Ribbentrop, so etwa die Erinnerungsbücher und Aufzeichnungen Ernst von Weizsäckers oder Theodor Kordts. Es gab bisher sehr verschiedene Versuche, sich der Person JvR, seinen politischen Konzepten und seiner Politik anzunähern. Die ersten fielen naturgemäß in die Zeit bis 1945, als Ribbentrop als außenpolitischer Berater des deutschen Staatschefs und dann als dessen Botschafter und Außenminister aus aktuellen politischen Interessen vorwiegend im angelsächsischen Ausland negativ dargestellt wurde. Erstaunlicherweise gibt es aus dieser Zeit keinen deutschen Biographieversuch, der dem etwas hätte entgegensetzen wollen. Ribbentrop selbst autorisierte zwar zum Zweck der Pressearbeit gelegentlich eine kurze autobiographische Skizze, umfangreichere Darstellungen legten aber lediglich seine Gegner vor. Dem 1940 in London unter dem Titel „Ribbentrop is still dangerous“ erschienenen Pamphlet Douglas Glens folgte 1943 in New York die von Paul Schwarz mit etwas mehr Anspruch vorgestellte Biographie „This Man Ribbentrop – His Life and Times“.4 Glens „Ribbentrop“ ist, wie es Erscheinungsort, -zeit und Titel vermuten lassen, ein zu Mobilisierungszwecken verfaßtes Stück englischer Propaganda, das die Gefährlichkeit, Skrupellosigkeit und Radikalität des deutschen Außenministers anhand von Anekdoten und Unterstellungen populär zu machen sucht. Natürlich ist Ribbentrop für Glen einer der Hauptschuldigen am Krieg von 1939. Aber Ribbentrop wird von ihm auch als Saboteur und deutscher Geheimagent seit den Zeiten des Ersten Weltkriegs geschildert, dessen Aufenthalt in Kanada vor 1914 in

4 Douglas Glen: Ribbentrop is still dangerous, London 1940; Paul Schwarz: This man Ribbentrop, New York 1943.

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I. Fakten und Mutmaßungen  – Zum Forschungsstand

frei erfundener Weise als reine Spionagetätigkeit präsentiert wird. Zusammen mit Gerhard von Gunthers „Von Ribbentrop“ aus der Reihe „How they did it“, Oswald Dutchs,5 „Hitler’s Twelve Apostles“ oder H. W. Blood-Ryans „Franz von Papen“ gehört Glens Schrift zu jenen, die man mit Michael Bloch zustimmend als „kompletten Unfug“ bezeichnen kann.6 Paul Schwarz konnte als früherer deutscher Hafenkonsul in New York auf einige interne Kenntnisse und Beziehungen zum Auswärtigen Amt und zur traditionellen konservativen Führungsschicht in Deutschland zurückgreifen. Dies ermöglichte es ihm, eine detailreiche Darstellung zu verfassen, die einen großen Einfluß auf das Ribbentropbild der späteren Geschichtsschreibung ausgeübt hat. Nun ist „detailreich“ jedoch keineswegs identisch mit „kenntnisreich“ und so bleibt festzuhalten, daß Schwarz sich zwar im Deutschland der Vorkriegszeit recht gut auskannte, mit Blick auf Ribbentrop aber vorwiegend die oben bereits erwähnten Gerüchte aus dritter Hand vorbrachte. Sie waren zudem so ausgewählt, daß der von Schwarz ausdrücklich genannte Zweck einer Anklageschrift erfüllt wurde. Insofern kann auch sein biographischer Versuch nicht als objektive Darstellung eingestuft werden. Störende positive Informationen über Ribbentrop blendete Schwarz offenbar aus, so etwa die von Wolfgang Stresemann, dem Sohn des früheren deutschen Außenministers. Stresemann fühlte sich nach eigener Einschätzung imstande, Schwarz „in mancher Hinsicht zu helfen, da der spätere Nazi-Außenminister im Hause meiner Eltern verkehrte und damals keinerlei Tendenz in Richtung ‚Drittes Reich‘ erkennen ließ, und beim Tode meines Vaters einen warmherzigen Beileidsbrief schrieb.“7 In der von Schwarz schließlich vorgelegten RibbentropBiographie blieben solche Informationen außen vor. Die Geschichtswissenschaft selbst ließ sich Zeit mit der Erforschung der nationalsozialistischen Außenpolitik und des leitenden Ministers. In Deutschland lag bekanntlich bis in die 1960er Jahre nicht einmal das Archivmaterial des Auswärtigen Amts vor, das die Alliierten 1945 beschlagnahmt hatten und nur zögerlich zurückgaben. Erst die von den Alliierten vorgenommene Edition der Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik stellte Archivmaterial in veröffentlichter Form bereit – wenn man als Historiker bereit war, Auswahl und Echtheit der Edition zu akzeptieren. Zuvor mußte auf die bis dahin vorliegenden Erinnerungsbände, das Anklagematerial aus dem Nürnberger Prozeß und auf die von deutscher Seite bis 1945 veröffentlichten Akten und Dokumente zurückgegriffen werden, wozu jedoch offenbar wenig Neigung bestand. Zu Beginn der 1960er Jahre kam es dann zu den bekannten Kontroversen über den Kriegsausbruch des Jahres 1939, die wenigstens am Rande auch das Bild 5 Der Name Oswald Dutch war ein Pseudonym für Otto Erich Deutsch (1894–1983), einen 1938 nach der Vereinigung mit Österreich emigrierten NS-Gegner, der nach 1945 wieder als Journalist in der Bundesrepublik tätig war. 6 Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 459. 7 Vgl. Stresemann, Zeiten, S. 210.

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Joachim von Ribbentrops beeinflussten. A. J. P. Taylor und David Hoggan auf der einen und Walther Hofer auf der anderen Seite konzentrierten sich jedoch, soweit sie über die nationalsozialistische Entscheidungsfindung schrieben, auf die Person des Staatschefs. Der Minister Joachim von Ribbentrop trat dabei gegenüber Hitler in den Hintergrund, bei Hofer als ausführendes Organ eines angeblich feststehenden Programms, für Taylor oder Hoggan als Mitarbeiter eines schwankenden oder gar in den Krieg getriebenen Diktators. E. M. Robertson kann als der erste betrachtet werden, der Ribbentrop eine eigene Konzeption der Außenpolitik zugestand, die in gewissem Gegensatz zu diesem „Programm“ gestanden habe.8 Dies führte in Deutschland zu der prompten Kritik des akademischen Establishments, das damals in den Personen Hans-Adolf Jacobsen und Andreas Hillgruber seine herausragenden Repräsentanten hatte. Beide waren führend an dem Projekt beteiligt, in der zeitgeschichtlichen Forschung die erstaunliche Behauptung durchzusetzen, Hitler habe einen „Stufenplan“ zur Welteroberung besessen. Erstaunlich ist diese Behauptung zu nennen, da sich bei genauem Hinsehen recht schnell herausstellt, daß die Redewendung eines Stufenplans zur Eroberung der UdSSR, eines Hitlerschen „Programms“ zur Eroberung von Lebensraum oder gar eines „Weltblitzkriegs“ auf bloßen Mutmaßungen basieren. Dies wurde in einschlägigen Standardwerken gelegentlich von den Protagonisten selbst ausdrücklich eingeräumt. Es gibt keinen „quellenmäßigen Beleg“ für die von ihm angenommenen „Stufenpläne“ Hitlers zur Erreichung der Weltherrschaft, schrieb etwa Andreas Hillgruber selbst in „Hitlers Strategie“.9 Dies hinderte ihn nicht, das Phantom dieser nicht nachweisbaren Stufenpläne zum Leitmotiv seiner Habilitationsschrift zu machen, dies zusammen unter anderem mit Jacobsen als Forschungsstandard durchzusetzen und vor diesem Hintergrund den eben genannten Robertson zu kritisieren, er habe den außenpolitischen „Grundplan“ Hitlers zu wenig berücksichtigt und deshalb Ribbentrops Einfluß überschätzt.10 Wir werden sehen, daß sich der außenpolitische Grundplan Hitlers in den Jahren 1938/39 mit dem deckte, was er Joachim von Ribbentrop bei dessen Amts­ antritt als Außenminister als Aufgabe nannte. Es ging ihm um die Durchsetzung territorialer Änderungen in Bezug auf Österreich, die „Tschechei“, das Memelland und Danzig. Dies waren die substantiellen Ziele, die Ribbentrop verfolgen sollte und verfolgte. Eingebettet waren sie in den fortgesetzten Versuch, das internationale Umfeld zur Hinnahme dieser Grenzveränderungen zu bringen, wobei die Art und Weise dieser Akzeptanz nicht festgelegt war. Bilaterale Bündnis 8 Vgl. Esmonde Manning Robertson: Hitlers Pre-War Policy and Military Plans 1933–1939, London 1963. 9 Vgl. Hillgruber, Strategie, S. 37. Hitler hat zu keinem Zeitpunkt seiner Regierungszeit ausdrücklich davon gesprochen, Lebensraum in Rußland erobern zu wollen, weder öffentlich noch geheim, dies stellte auch Jürgen Förster in der Darstellung des Militärgeschicht­ lichen Forschungsamts zum Angriff auf Rußland fest. Vgl. Förster, Entscheidung, S. 16 bzw. S. 18 ff. 10 So die Besprechung von Andreas Hillgruber in: NPL 10 (1965), S. 466.

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abschlüsse mit England oder Italien wurden von Hitler wie von Ribbentrop für ebenso möglich erachtet wie multilaterale Konferenzen unter Einschluß anderer wichtiger Staaten, inklusive der Sowjetunion. Die Ambivalenz in der Haltung gegenüber der Staatenwelt zeigte sich besonders im Fall Großbritannien. Ribbentrop betrieb in den Jahren 1938/39 eine Politik, die dieses Land ausdrücklich von einem Angriff auf Deutschland abschrecken sollte. Er schloß aber auch nicht aus, nach erreichter Abschreckung und Abschluß des territorialen deutschen Revisionsprogramms doch noch ein bilaterales Bündnis zwischen Berlin und London zu schließen. Dies sei an dieser Stelle betont, da auch die weiteren vorliegenden Untersuchungen zu Ribbentrops Politik von einer starken axiomatischen Fixierung entweder Hitlers oder Ribbentrops auf einen Krieg ausgehen, die sich in den Quellen nicht nachweisen läßt und diesen daher immer wieder spekulativ über­ gestülpt wird. Zu dieser Zeit in den 1960er Jahren geriet der Name Ribbentrop auf eine neue Weise in die Schlagzeilen, da die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ihn als Stichwort zum Anlaß nahm, eine angebliche Kontinuität von Bundesrepublik und Drittem Reich zu behaupten und dies an verschiedenen Personen aus dem Auswärtigen Amt festzumachen.11 „Von Ribbentrop zu Adenauer“ wurde in sämtliche Weltsprachen übersetzt. Mit dem Amtsantritt des Bundeskanzlers Kiesinger befeuerte die DDR erneut die Debatte mit der Herausgabe einer auf den neuen Kanzler zugeschnittenen Kampfschrift, die ebenfalls auf den Namen Ribbentrop nicht verzichten wollte.12 In diesen Zeitraum fallen auch die von Ostberlin initiierten zahlreichen Neuauflagen und Übersetzungen des bereits in den fünfziger Jahren erschienenen Memoirenbandes „Unterwegs nach Deutschland“ von Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz. Putlitz hatte auch zu Ribbentrops Amtszeit einen Posten an der deutschen Botschaft in London und dort nach eigenen Angaben zusammen mit Robert Vansittart und dem früheren langjährigen deutschen Botschaftsmitarbeiter Jona von Ustinov13 aktive Spionage zum Sturz der Regierung Chamberlain betrieben. Während des Krieges arbeitete er demnach für die Propagandaabteilung Sefton Delmers.14 Seine vom „Verlag der Nation“ in Großauflagen in die Weltöffentlichkeit gebrachten Memoiren waren als Polemik gegen den westlichen, kapitalistischen Militarismus ausgestaltet, der den Nationalsozialisten ihren Aufstieg ermöglicht habe, während Stalin dank des Nichtangriffspakts mit Deutschland auch in der Ausgabe von 1967 noch als „der große Staatsmann

11 Ministerium f. Auswärtige Angelegenheiten d. Dt. Demokrat. Republik (Hrsg.): Von Ribbentrop zu Adenauer, (Ost)Berlin 1961. 12 Vom Ribbentrop-Ministerium ins Amt des Bundeskanzlers, Berlin (Staatsverl. d. DDR) 1968. 13 Jona Freiherr von Ustinov, auch Klop Ustinov, (1892–1962), geboren in Jaffa, während des Ersten Weltkriegs dekorierter deutscher Jagdflieger, Vater von Peter Ustinov. 14 Vgl. Putlitz, Unterwegs, vgl. für Vansittart-Ustinow S. 210 f., S. 229, S. 239 ff., bzw. für Sefton Delmer S. 328 ff.

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unserer Zeit“ präsentiert wurde.15 Putlitz hat einigen Einfluß auf das Ribbentropbild in der Öffentlichkeit ausgeübt.16 Einen bedeutenden Sprung in der Erforschung von Ribbentrops Politik stellte Wolfgang Michalkas Dissertation über „Ribbentrop und die deutsche Welt­politik“ dar.17 Michalka versuchte bewußt kein „politisches Porträt“ Ribbentrops zu zeichnen, sondern beschränkte sich auf die Darstellung von dessen Englandkonzeption und von deren Rolle innerhalb der Entscheidungsfindung des Dritten Reichs. Dabei skizzierte er Personen mit politischen Alternativkonzepten: Hjalmar Schacht als liberalen Imperialisten, Ernst von Weizsäcker als traditionellen Großmachtpolitiker und Hermann Göring als wilhelminischen Allerweltspolitiker. Michalka schrieb Ribbentrop schließlich eine Hauptrolle bei jener Wende Hitlers zu einer antienglischen Politik in den Jahren 1938/39 zu, die er festgestellt zu haben glaubte. Leider blendete Michalka die politischen Aktionen der Deutschland umgebenden Mächte weitgehend aus und folgte dem erwähnten fiktiven Deutungsschema Hitlers als eines Diktators mit dogmatisch fixierten Welteroberungszielen, der allerdings – in Abkehr von damaligen Vorstellungen – „niemals allein zuständig und damit verantwortlich für die deutsche Außenpolitik“ gewesen sei.18 So wurde die Politik des Diktators von anderen Konzepten umrahmt, unter anderem denen Ribbentrops, ohne daß Michalka die angeblichen Fernziele des Diktators in Frage zu stellen bereit war. Der Umbruch der Jahre 1989/90 und die deutsche Wiedervereinigung belebten die Debatte um die frühere deutsche Außenpolitik und die Rolle Deutschlands im internationalen System. Dies führte zu einer Reihe von Studien, die sich mehr als ein Jahrzehnt nach Michalka der Person Joachim von Ribbentrops widmeten. Da der Umbruch in Osteuropa zum ersten Mal seit 1939 eine wirkliche Debatte über den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt aus diesem Jahr ermöglichte, der in Ost­ europa unter dem Begriff Ribbentrop-Molotov-Pakt bekannter ist, rückte die Person Ribbentrop in mehreren fremdsprachigen Veröffentlichungen in den Mittel­punkt.19

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„Jetzt war der Spieß umgekehrt, nicht wie Chamberlain es sich auf seinen Angelpartien in Schottland vorgestellt hatte. England mußte selbst antreten, um den tollen Hund Hitler zu zerfleischen.“ Zit. n. Putlitz, Unterwegs, S. 256. 16 Der offenkundige politische Zweck und die phantasievollen Ausmalungen des Textes entwerten ihn als Quelle. So erfindet Putlitz einen „Geheimerlass“ Ribbentrops aus dem Frühjahr 1939, der von Ernst von Weizsäcker unterschrieben gewesen sei und angeblich lautete: „Wenn einer meiner Leute noch die geringste miesmacherische Äußerung tun sollte, dann werde ich ihn in mein Zimmer bestellen und mit eigener Hand erschießen.“ Zit. n. Putlitz, Unterwegs, S. 254. 17 Wolfgang Michalka: Ribbentrop und die deutsche Weltpolitik 1933–1940 – Außenpolitische Konzeptionen und Entscheidungsprozesse im Dritten Reich, München 1980. 18 Vgl. Michalka, Ribbentrop, S. 306. 19 In gewisser Weise läßt sich von einer Veröffentlichungsflut sprechen. Vgl. etwa: Karol Grünberg: Joachim von Ribbentrop, Bydgoszcz (Bromberg) 1991; Zbigniew Jerzy Hirsz: Państwo polskie po układzie Ribbentrop-Mołotov, Białystok, 1991; Ljudmila B. Čërnaja: Koričnevye diktatory, Rostov-na-Donu: Izdat. Feniks, 1999; Marek Kornat, Polska 1939 roku wobec paktu Ribbentrop-Mołotov, Warszawa: Polski Inst. Spraw Miedzynarodowych, 2002.

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Zudem änderte sich die Quellenlage. Die UdSSR gab Mitte der 1980er Jahre die bis dahin stets bestrittene Existenz des geheimen Zusatzprotokolls zum Nichtangriffspakt zu, mit seinen Abgrenzungen der gegenseitigen deutsch-sowjetischen Interessensphären. Die Studien, die diesen Punkt aufgriffen, zeigten den Außenminister in konventioneller Weise als Vollstrecker von Hitlers mutmaßlicher Angriffspolitik, der allerdings, wie es schon die Memoirenliteratur aus der sowjetischen Ära immer wieder behauptet hatte, schließlich gegen den deutschen Angriff auf die UdSSR gewesen sei. Als weitgehend irrelevant erwies sich leider die von John Weitz 1992 publizierte Studie über JvR als „Hitler’s Diplomat“. Zwar tritt der Autor mit geradezu heroischem Anspruch auf: „Diese Biographie führte mich von den Archiven des Bonner Außenministeriums zu Archiven überall in Europa. Ich jagte den Geist von Ribbentrops über die Berge Österreichs bis hin nach London, Berlin, Nürnberg, Hamburg und Washington, D. C.“20

Bei genauem Hinsehen findet sich im gesamten Buch nicht ein einziger Verweis auf eine einzige Archivquelle in irgendeiner Stadt, ja nicht einmal ein einziger Querverweis auf die veröffentlichten Akten irgendeines Außenministeriums, sei es das deutsche, britische oder das amerikanische. Weitz schrieb an den fragwürdigsten Teilen der vorliegenden Memoirenliteratur entlang und komprimierte so­zusagen die Summe der Versäumnisse und Fehler, die sich in den vorherigen Darstellungen finden. Insofern wird auf seine Studie hier im weiteren kein Wert gelegt. Der bereits erwähnte Michael Bloch unternahm Anfang der 1990er Jahre den Versuch einer umfassenden Biographie Ribbentrops.21 Als Jurist und routinierter Autor von mehreren Biographien, sowohl von Edward VIII. als auch aus dem Umfeld des abgedankten englischen Königs, gestaltete er den Stoff mit Spannung. Als Nebenwirkung dieser Gestaltungsform enthielt sein „Ribbentrop“ allerdings romanhafte Züge mit unzähligen, naturgemäß unbelegbaren Behauptungen, was sich Ribbentrop oder andere zu diesem oder jenem Punkt seinerzeit wohl gedacht hatten. Er verzichtete zudem auf eigene Archivstudien oder die Einbindung des Forschungsstands und blieb insofern wenig innovativ. Immerhin ist seine Studie trotz solcher Mängel ein beachtenswerter Versuch. Sie zeichnet aber eben wegen der offenkundigen Unkenntnis der damaligen europäischen Verhältnisse und der Nichtberücksichtigung entscheidender Dokumente, wie etwa Ribbentrops Abschluß­ bericht als Londoner Botschafter vom Dezember 1937, ein völlig falsches Bild von den Zielen der deutschen Außenpolitik in den Jahren 1938/39. Nahezu zeitgleich mit Bloch erarbeitete der Stuttgarter Historiker Stefan Kley seine schließlich 1996 publizierte Dissertation über „Hitler, Ribbentrop und die



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Zit. n. Weitz, Diplomat, S. XV. Michael Bloch: Ribbentrop, London 1994.

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Entfesselung des Zweiten Weltkriegs“.22 Anders als Bloch betrieb Kley intensive Archivstudien, insbesondere im Auswärtigen Amt. Er beschränkte sich auf die Darstellung der Jahre 1938 und 1939. Ähnlich wie Michalka betonte er Differenzen in den Konzeptionen Hitlers und Ribbentrops, hielt jedoch am Axiom eines einseitigen Willens zum Krieg fest, der nur in Deutschland vorhanden gewesen sei und dort beim Diktator zu finden gewesen wäre. Hitler habe dieses Ziel eines Kriegsausbruchs ununterbrochen verfolgt, das er laut Kley wegen dessen Brisanz aber sowohl vor sämtlichen Mitarbeitern, Ribbentrop inklusive, sowie in Reden, Weisungen und Anordnungen verschweigen mußte. So geriet Kleys Untersuchung trotz mancher Verdienste erneut zu einer Phantomjagd und „wahrscheinlich“ wurde in ihr zu einer der meistverwendeten Vokabeln, da er genötigt war, diese aus den Quellen nicht belegbare Behauptung plausibel werden zu lassen, indem Hitler seiner Ansicht nach „wahrscheinlich“ entweder etwas anderes oder das Gegenteil dessen gemeint habe, was er sagte oder schrieb. Joachim von Ribbentrop tritt in diesem Rahmen als derjenige auf, der „wahrscheinlich“ ahnte, was Hitler wirklich wollte, es ablehnte, es aber nicht verhindern konnte. Zuletzt veröffentlichte Vasilij Molodjakov eine umfassende Studie über Joachim von Ribbentrop.23 Er bezeichnet den Minister schon im Titel als generell „eigenwillig“ und arbeitet Ribbentrops Eintreten für den Kontinentalblock als Gegensatz zu anderen in der NS-Führung vertretenen Ansichten heraus. Auch dies stellt eine nicht unerhebliche Korrektur des konventionellen Bildes des Außen­ minister dar. Abgesehen von diesen Studien über Joachim von Ribbentrop ergriff auch die Familie Ribbentrop mehrfach das Wort. Ribbentrops Veröffentlichungen aus der NS-Zeit fielen 1945 zunächst vollständig unter die Rubrik der „auszusondernden Literatur“.24 JvR schrieb allerdings noch im Nürnberger Gefängnis seine Erinnerungen unter dem Titel „zwischen London und Moskau“, die sowohl seine eigene politische Tätigkeit als Diplomat wie die Lage Deutschlands überhaupt zum Thema hatten. Trotz der schwierigen Umstände, die Memoiren während des Prozesses, ohne Zugang zu Unterlagen und unter dem Eindruck des drohenden Todesurteils verfassen zu müssen, sind sie als Quelle wertvoll und mehr als nur eine reine Verteidigungsschrift. Neben Ribbentrop schrieb auch seine Frau Annelies in den fünfziger und sechziger Jahren gleich mehrere Bände, in denen sie auf seine Außenpolitik einging und auf die Verbindungen der konspirativen Kreise im Auswärtigen Amt zu den potentiellen deutschen Kriegsgegnern im Vorfeld des Kriegsausbruchs von 1939. Ihren Darstellungen ist der Eifer für den Ehemann deutlich anzumerken, doch sind auch diese umfangreichen Veröffentlichungen durchaus als sach­

22 Stefan Kley: Hitler, Ribbentrop und die Entfesselung des Zweiten Weltkriegs, Paderborn 1996. 23 Vasilij Ė. Molodjakov: Ribbentrop – uprjamyj sovetnik fjurera, Moskva 2008, 494 S.  24 Punkt 9498 der entsprechenden Liste: Ribbentrop, Joachim von: Sämtliche Schriften. http://www.polunbi.de/bibliothek/1946-nslit-r.html.

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licher Beitrag zu werten.25 Zuletzt veröffentlichte Ribbentrops Sohn Rudolf unter dem Titel „Mein Vater Joachim von Ribbentrop“ eine biographisch wie autobiographisch angelegte Skizze von Leben und Denken des Ministers und seiner Zeit, die sich auch als Darstellung seiner politischen Grundsätze versteht.



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Wolfgang Michalka bezeichnete den Wert der von Annelies von Ribbentrop veröffentlichten Dokumente als „zweifelhaft“, ohne dies näher zu begründen. Tatsächlich stuft er sie an anderer Stelle dann als „wesentliche Komplettierung“ des vorliegenden Quellenmaterials ein. Vgl. Michalka, Ribbentrop, S. 22.

II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist 1. Zur Person und wie sie die Welt sah „Ribbentrop versuchte im Gespräch mit mir zu ergründen, wer Bernadotte sei, wer hinter ihm stünde, was er letzten Endes außer der Rettung der Skandinavier aus dem zusammenbrechenden Reich noch wolle. Dieweil fand ich neben mir in den Polstern meines Sessels eine kleine mit Papieren gefüllte Ledertasche. Als ich sie hervorholte, fiel mir der Paß Bernadottes in die Hand. ‚Was haben Sie da?‘, fragte der Reichsaußenminister. ‚Die Brieftasche Ihres letzten Gastes.‘ Ich reichte sie ihm hinüber. Was würde jetzt geschehen? Ribbentrop war kein Privatmann. Er war der Außen­minister eines Staates, der auf Leben und Tod kämpfte. Sein Gast war ebenfalls kein Privatmann, sondern ein Politiker in äußerst heikler Mission. Er war, wie man sagte, kurz zuvor in London gewesen. Er ging (zuerst) nicht zum Auswärtigen Amt, sondern zum Reichsführer SS. Ribbentrop aber nahm die mit Papieren vollgestopfte Brieftasche, stand ohne Zögern auf, ging zu seinem Schreibtisch, tat die Tasche in einen großen Privatumschlag, den er verklebte und mir mit den Worten zurückreichte: ‚Bitte bringen Sie Herrn Bernadotte schnell seine Brieftasche zurück. Er wird sie vermissen.‘“ Peter Kleist1

Von denen, die ihn persönlich erlebt haben, wird Ribbentrop – je nachdem positiv oder negativ konnotiert – durchweg als emotionaler, man könnte auch sagen, sensibler Mensch mit musischen Neigungen beschrieben. Er spielte Geige und hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, dies zum Beruf zu machen. Er sprach ein auch von Gegnern anerkennend erwähntes, fließend akzentfreies Englisch und Französisch und war bei aller Sensibilität nicht ohne persönlichen Mut. So hatte er es beispielsweise im Ersten Weltkrieg auf sich genommen, sich auf abenteuerlichem Weg als blinder Passagier aus Nordamerika nach Deutschland durchzuschlagen, um dort den Kriegsdienst anzutreten.2 Das „Deutschland über Alles“,

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Zit. n. Kleist, Tragödie, S. 222 f. Ribbentrop kehrte im August 1914 nach Deutschland zurück, trat als kriegsfreiwilliger Fahnenjunker in das Husarenregiment Nr. 12, wurde 1915 zum Leutnant befördert. Er nahm bis Ende 1917 an Kampfhandlungen seines Regiments an der West- und Ostfront teil, wurde verwundet und erhielt das EK I. und II. Klasse. Vom Frühjahr 1918 bis zum Waffenstillstand war er Adjutant des Bevollmächtigten des Kriegsministeriums in Konstantinopel, wo er den späteren Reichskanzler Franz von Papen kennenlernte. Vgl. Papen, Gasse, S. 265. Anfang 1919 wurde Ribbentrop in gleicher Eigenschaft der Versailler Friedenskommission zugeteilt, „bei der er seine ersten Eindrücke von den katastrophalen Folgen des verlorenen Krieges und des Diktats von Versailles erlebte“. Vgl. PA-AA R 27157, Akten Ribbentrop persönlich, Lebenslaufvorlage für Artikel. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 30.

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das seit den Kriegen gegen Napoleon den Ribbentrops in jeder Generation das Eiserne Kreuz eingebracht hatte, hatte er zweifellos verinnerlicht. Dazu kam offenbar eine motorische Begabung, die sich nicht nur im Geigenspiel ausdrückte, sondern zugleich in eher handfesten Aktivitäten wie dem kanadischen Eishockey, das er in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Kanada kennenlernte. Im Februar 1914 soll er gar an einem Spiel des kanadischen Nationalteams gegen die Vereinigten Staaten teilgenommen haben, der „Ellis Memorial Trophy“.3 Den für einen Politiker untypisch „sportlichen“ Gesamteindruck hinterließ er auch noch zwanzig Jahre später bei manchen englischen Gesprächspartnern.4 JvR hatte sein Vermögen nach dem Krieg selbst erworben und legte beispielsweise bei seiner Ernennung zum Außenminister ausdrücklich wert darauf, von seinem neuen Amt nicht finanziell zu profitieren. Das ließ er in mehreren Erlassen festlegen: „Es soll weder das dem RAM bzw. nach seinem Ableben seiner Familie zur Verfügung stehende Privatkapital angegriffen werden, noch soll (mit Ausnahme der RAM vom Führer gegebenen einmaligen Dotation von 500.000.- RM während der Amtszeit des RAM eine Vermehrung des Privatkapitals eintreten.“5

Um letzeres sicherzustellen, hatte Ribbentrop seine Bezüge durch das Auswärtige Amt an das Betriebsergebnis seiner Großhandelsfirma geknüpft. Sie wurden bei gutem Betriebsergebnis entsprechend gekürzt.6 Natürlich fand diese finan­ zielle Zurückhaltung angesichts von Ribbentrops beachtlichem Privatvermögen und der Dotationen Hitlers, die dieser immer wieder auch an Generäle verteilte, auf einem sorgenfreien Niveau statt. Bemerkenswert ist dies dennoch, schon allein deshalb, weil es zu manchen über ihn gestreuten Gerüchten über die Herkunft sei-



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Diesen für einen Nicht-Kanadier und Neueinsteiger an sich schwer zu glaubenden Fakt behauptet Michael Bloch unter Berufung auf eine Auskunft von Dennis Bird, dem Archivar der National Skating Association of Great Britain. Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 7. Ribbentrop selbst streift seine Eishockeykarriere in den Memoiren nur mit den Worten, er habe sich mit dem „berühmten kanadischen Eishockey … vertraut gemacht“. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 20. 4 Wobei der sportliche Anschein durchaus ambivalente Wirkungen zeigte. Ribbentrop sei „geradeaus“, „unbeschwert“ und mache einen „seetüchtigen Eindruck“ notierte Henry Channon im Mai 1936, um dann zu schlußfolgern, Ribbentrop sei zu herzlich und wirke insgesamt „wie der Kapitän von jemandes Yacht“. Vgl. Channon, Diaries, S. 62. 5 Erneuerter Erlaß Ribbentrops zu diesen Eigentumsfragen vom 23. Oktober 1941. Zit n. BA Koblenz N 1163/9, Bericht Bredt vom 14. März 1943, S. 5. Die steuerfreie Dotation Hitlers für seinen Außenminister stammte vom 5. April 1939. Später schloß sich eine weitere Dotation in gleicher Höhe an. Ein Abschlußbericht der Ribbentropschen Vermögensentwicklung zwischen 1.1.1940 und 1.1.1945, stellte bei einem Vermögensvergleich für die Jahre vom 1.1.1940 bis 1.1.1945, eine „wirkliche Wertveränderung“ von Minus 7.200 RM für diesen Zeitraum fest. Nicht in diesen Zahlen enthalten waren die beiden Hitlerschen Dotationen von jeweils 500.000 RM, von denen sich zum 31.  Dezember 1944 noch 535.671 RM auf Ribbentrops Konto befanden. Vgl. BA Koblenz N 1163/4, Kontoabschluß der Deutschen Bank vom 16. Januar 1945. 6 Vgl. BA Koblenz N 1163/9, Bericht Bredt vom 14. März 1943, S. 5.

1. Zur Person und wie sie die Welt sah

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nes Vermögens,7 persönliche Bereicherungsabsichten und Luxusleben in Gegensatz steht. Ribbentrop war zudem ein Familienmensch, seinen Kindern ein offenbar guter und nach Möglichkeit präsenter Vater, seiner Frau ein treuer Ehemann. Er verriet weder Land noch Dienstherr, brachte aber als einer der wenigen sogar gegenüber dem Diktator offen seine eigene abweichende Meinung zur Sprache, auch in gefährlichen Punkten wie etwa der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Um es zusammenzufassen: Ribbentrop ist in vieler Hinsicht zunächst einmal eine sympathisch wirkende Persönlichkeit. Diese Persönlichkeit zog tatsächlich aber eine Menge Feindschaft und persönlicher Unterstellungen auf sich. Eitel, feige, dumm und anderes mehr soll er demnach gewesen sein. Obwohl sich die Gerüchte über Korruption und Luxusleben bei Ribbentrop immer wieder als unzutreffend herausstellten, kamen sie dennoch immer wieder auf, bis sie schließlich noch im Nürnberger Prozeß ein ausgiebiges Thema im Rahmen der alliierten Anstrengungen zur Diskreditierung seiner Person wurden. Obwohl er objektiv der am meisten zu offenem Widerspruch neigende und eigenwilligste Mitarbeiter in Hitlers Umgebung war, wurde er dennoch oft als kritikloser Ja-Sager gegenüber dem Diktator dargestellt. Man gewinnt den Eindruck, daß Ribbentrop als Person über ein Auftreten verfügt haben muß, das andere gegen ihn aufbrachte. Eine Analyse der Gründe für diesen Umstand kann im Rahmen einer politischen Biographie nur ansatzweise geleistet werden. Möglicherweise war es gerade der Kontrast zwischen Ribbentrops verinnerlichten Auffassungen von bürgerlichem Anstand und der Notwendigkeit, diese Auffassungen im zutiefst unanständigen Geschäft internationaler Politik – zumal der Weltkriegsära – überspielen zu müssen, die ihn zu einem vielfach unecht und überzogen wirkenden Auftreten bewog. Das wurde dann von ganz anderen Szenen unterbrochen, in denen Ribbentrop sich spontan zeigte, wie es in der eingangs zitierten Szene mit der umstandslos zurückgegebenen Brieftasche Graf Berna­dottes zum Ausdruck kommt. Augenzeuge Peter Kleist wertete dieses Verhalten übrigens überaus positiv, als „eine kleine, vielleicht bedeutungslose Geste, aber doch eine Geste der Ritterlichkeit mitten in der Auflösung eines Vernichtungskampfes, der alle Schranken niedergerissen hatte“.8 Selbstverständlich läßt sich zugleich die Frage stellen, ob es angesichts der auch von Kleist geschilderten Verantwortung Ribbentrops im Angesicht des Untergangs nicht selbstverständlich gewesen wäre, diese Papiere wenigstens durchzusehen. Dies hätte sich schon allein deshalb angeboten, weil Bernadotte nicht der erste Diplomat auf Reisen gewesen wäre, der seine Brieftasche „vergaß“, um auf diese Weise ein Dokument diskret und zeugenfrei zu übergeben. Ob das internationale Geschäft zwischen europäischen Nationalstaaten überhaupt Ritterlichkeit vertrug oder nicht grundsätzlich am besten 7 Typisch für den ungebrochenen Willen zum Gerücht in diesem Bereich ist die jüngst von Antje Vollmer kolportierte, angebliche Bemerkung Hermann Görings, über Ribbentrops Ehe: „Ribbentrop heiratete ihr Geld und sie seinen Adelstitel“. Allerdings hatte er schon vor der Hochzeit sein Geld – aber keinen Adelstitel. Vgl. Vollmer, Doppelleben, S. 190. 8 Vgl. Kleist, Tragödie, S. 223.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

eine Sache von Personen war, die man unter anderen Umständen korrekterweise als „Lumpen“ ansprechen würde, wie ‚Italiens Bismarck‘, der Staatsmann Camillo di Cavour sich einmal ausdrückte, blieb die ständige Frage.9 Faktisch blieb beides eine stete Begleiterscheinung internationaler Politik auf allen Seiten. Was Ribbentrop als Person anging, so hatten allerdings viele persönliche Unterstellungen gegen ihn einen direkten politischen Zweck, ob sie nun von außen oder aus dem Inneren des Regimes kamen. Joachim von Ribbentrop interpretierte Außenpolitik als Politikform, bei der die Beziehungen zwischen Staaten als Verhältnisse souveräner staatlicher Einheiten aufgefaßt werden, während deren innere Verfassung für diese Beziehungen als zweitrangig gilt. Den Maßstab, nach dem sich diese Beziehungen idealerweise richten sollten, faßte er immer wieder mit dem Begriff „säkular“ zusammen.10 Dieser Grundsatz setzte die Verhandlungsfähigkeit der verschiedenen Staaten ungeachtet eventueller ideologischer Gegensätze voraus und gehört somit in den vieldiskutierten Bereich der „realistischen Schule“ von Diplomatie und Diplomatie­geschichte. Außenpolitik und innere Verfassung werden darin von einander getrennt betrachtet. Das Einvernehmen in den internationalen Beziehungen wird in dieser Sicht nicht entscheidend von Werte- und Kulturgemeinschaft beeinflußt und ebensowenig von nicht-staatlichen Interessen wie etwa den Wirtschaftsverbänden. Den Vorrang hat die Staatspolitik. Ihr Ziel besteht im Erhalt und Ausbau der eigenen Machtstellung innerhalb einer prinzipiell anarchischen, also weder durch Völkerrecht noch durch Hegemonie eines Einzelnen regierten Umgebung. Diese Sichtweise stand zu dieser Zeit natürlich in Gegensatz zu der seit 1917 in den Vereinigten Staaten entwickelten Rhetorik, die Welt für ein einziges innenpolitisches Konzept, die Demokratie, „sicher zu machen“ und als Voraussetzung dafür ein verbindliches Völkerrecht und eine Organisation wie den Völkerbund zu seiner Durchsetzung zu schaffen. Die USA waren dem von ihnen mitbegründeten Völkerbund aber schließlich selbst nicht beigetreten. Er hatte sich in der Praxis auch weniger als Mittel zur Durchsetzung von gleichem Recht für alle erwiesen, sondern oft als Mittel zur bequemen Verwirklichung nationaler Eigeninteressen der einflußreichen Siegerstaaten, allen voran der beiden Westmächte Großbritannien und Frankreich. Seine Existenz schien den Ansichten der realistischen Schule daher nicht zu widersprechen, sondern ihren Wert noch einmal zu bestätigen. Die formal „idealistische“ internationale Rangordnung stand deshalb zu Beginn der 1930er Jahre wegen ihrer inneren Widersprüche und der Weltwirtschaftskrise ebenso materiell wie intellektuell vor dem Aus, was bereits den letzten Regierungen der Weimarer Zeit zu einigen außenpolitischen Erfolgen verholfen hatte.



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„Wenn wir für uns selbst täten, was wir für unser Land tun, was für Lumpen wären wir!“ Vgl. Ingrimm, Auflösung, S. 7. 10 So z. B. bei den Verhandlungen zum Nichtangriffspakt und den Molotov-Gesprächen im November 1940.

1. Zur Person und wie sie die Welt sah

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Damit wurde die Diplomatie, verstanden als Kontakt zwischen einflußreichen und verantwortlichen Personen der jeweiligen Staaten, zu dem zentralen Instrument in Ribbentrops außenpolitischer Strategie. Dies entsprach den Grundsätzen, wie sie auch das Auswärtige Amt als Institution weitgehend führte. Es führt dazu, daß sich die deutsche Außenpolitik der nationalsozialistischen Regierungszeit auf dieser Ebene beschreiben läßt. Wir können daher Ribbentrops Weg als privatem Reisediplomaten, Leiter der Dienststelle Ribbentrop und späterem Außenminister nachgehen und die vagen außenpolitischen Aktivitäten anderer nationalsozialistischer Stellen eher am Rand erwähnen.11 Dies ist im Rahmen einer Biographie ohnehin naheliegend und zudem in der Sache gut begründet. Wolfgang Michalka kam in seiner Untersuchung über „Ribbentrop und die Weltpolitik“ ebenfalls zu der Ansicht, Ribbentrop hätte ebensogut unter Wilhelm II. das Außenministerium führen können. Daran ist so viel richtig, daß er Außenpolitik nicht als Vollzug ideologischer Vorgaben betrachtete und auch nicht als Praxis der internationalen Solidarität jeweils führender Schichten oder bestimmter Klassen. Im Zentrum von Ribbentrops außenpolitischem Denken standen die Staaten als Machtstaaten. Sie handelten als Akteure auf der politischen Bühne, vertreten jeweils durch Personen, aber auch den Zwängen und Traditionen machtpolitischer Konkurrenz unterworfen. Dies hatte direkte Folgen für sein Verhältnis zu überstaatlichen Strukturen wie etwa dem damals bestehenden Völkerbund. Sie spielten gegenüber den bilateralen Beziehungen einzelner Länder in seinen politischen Konzeptionen eine nachgeordnete Rolle. Dies trug dazu bei, daß Ribbentrop beispielsweise den Antikominternpakt gegen die Kommunistische Internationale als multinationales Abkommen schließen konnte. Damit kam er zumindest scheinbar dem Selbstverständnis der Nationalsozialisten als antikommunistischer Bewegung entgegen, während er tatsächlich mit Hilfe dieses Pakts an einer anti-britischen Abschreckungskoalition arbeitete. So wurde er angesichts der weiteren englischen Politik bald darauf ein überzeugter Verfechter der Kontinentalblockskonzeption, in der die Sowjetunion neben Japan, Italien und Deutschland dann sogar als zentrales Element eingeplant war, sei sie nun kommunistisch oder nicht. Ribbentrop nannte das wie erwähnt ge 11 Hans Adolf Jacobsen erklärte umgekehrt im Vorwort seiner Monographie zur nationalsozialistischen Außenpolitik, „die diplomatischen Beziehungen des Dritten Reiches (würden) nur einen Teilaspekt des Ganzen darstellen“. Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. XVIII. Das daraufhin nicht nur von Jacobsen proklamierte Verlassen der Diplomatiegeschichte als angeblich unzureichende Methode zur Beschreibung nationalsozialistischer Außenpolitik, begleitet von der Ausklammerung diplomatischer Schritte des Auslands, ist insgesamt ein Irrweg gewesen, der die irrationalen Vorstellungen über diese Politik und die Fixierung der Forschung auf nicht nachweisbare axiomatische Vorstellungen Hitlers und seiner Umgebung stark gefördert hat. Allein bereits auf institutioneller Ebene mußte auch Jacobsen schließlich konstatieren, daß etwa die von ihm breit untersuchte Auslandsorganisation der NSDAP (AO) „den außenpolitischen Entscheidungsprozeß bis 1938 nicht beeinflußt“ habe. Tatsächlich kam der AO auch nach dieser Zeit weniger eine effektive politische Rolle zu, als die eines willkommenen Schreckgespensts einer deutschen „Fünften Kolonne“, das von der antinationalsozialistischen Öffentlichkeitsarbeit im Ausland oft und gut verwendet werden konnte. Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 602.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

legentlich eine Politik nach „säkularen Maßstäben“ und es gehörte zweifellos zur Tragik seines politischen Ansatzes, daß er in einem Zeitalter Außenpolitik treiben mußte, in dem säkulare Maßstäbe nach einer Renaissance in der ersten Hälfte der 1930er Jahre dann wieder zunehmend von ideologischen Zielsetzungen und Überzeugungen radikalster Art überlagert wurden. Mit einem Geburtsjahrgang von 1893 gehörte Ribbentrop deutlich nicht mehr der im Jahr 1900 und später geborenen „Generation des Unbedingten“ ohne Frontkriegserfahrung an, die später in der SS-Führung die ideologischen Extrem­ entscheidungen treffen sollte, angefangen bei SS-Chef Himmler persönlich.12 Gerade diese Gruppe, die für die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs nur ein wenig zu jung gewesen war, stellte die radikalsten Funktionäre des Regimes. Ribbentrop geriet auch deshalb recht bald nach Kriegsausbruch in grundsätzlichen Konflikt mit deren Methoden und Zielen. Nun lassen sich die 1930er und 40er Jahre als Übergangszeit charakterisieren, während der die Zweifel an diesen machtpolitischen Methoden im imperialistischen Westen zu wachsen begannen. Der nach dem Ersten Weltkriegs ausgerufene Völkerbund arbeitete zwar wie gesagt politisch ganz real als Vehikel des französischen und englischen Imperialismus, während dort zugleich viel von Abrüstung und von Völkerrecht gesprochen wurde. Er war daher ein durchaus zynisches und unter diesem Aspekt zu Recht vielkritisiertes Unternehmen im Rahmen der grandiosen Selbstverharmlosung des europäischen Westens. Andererseits aber hatten die Formeln von der „Demokratisierung der Welt“ und dem „Krieg, der alle Kriege beenden wird“ unter denen der Erste Weltkrieg geführt worden war, ihre Spuren hinterlassen. Der sprichwörtliche imperialistische Jingoismus der englischen Politik des 19. Jahrhunderts, der bedenkenlos Krieg geführt oder fremde Länder und Rechte an Dritte verkauft hatte, um Politik zu machen, war auf dem Rückzug. Er existierte noch, aber er war nicht mehr offen salonfähig. Das britische Empire befand sich in einer intellektuellen Krise, die innerhalb des Regierungsapparats zwar eher die jüngeren erfasst hatte, die aber die Führung einer rein interessengeleiteten Außenpolitik gegenüber der Öffentlichkeit erschwerte. Ribbentrops Pragmatismus brachte ihn aber auch in einen sich steigernden Gegensatz zu den nach 1941 zunehmend ideologisch ausgerichteten Handlungen Hitlers, etwa im Bereich der antijüdischen Politik oder möglicher Friedensinitiativen, aber auch in Konflikte mit der Nebenaußenpolitik, die sich SS-Chef Heinrich Himmler aus ebenfalls ideologischen Gründen leistete. Dieser Gegensatz nun führt zu einem weiteren Feld, auf dem sich anhand des politischen Lebens Ribbentrops ein typisches Element des nationalsozialistischen Regierungssystems aufzeigen läßt, nämlich dessen Polykratie. Als Spät- und Quereinsteiger hatte JvR das Ohr des Staatschefs und

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Ribbentrop wird bei Wildt eher am Rand erwähnt, ohne den Versuch einer Profilbildung. Unter dem Generationenaspekt weist Wildt auf den ebenfalls 1893 geborenen Hermann Göring hin, der im Reichssicherheitshauptamt „allenfalls in Arthur Nebe einen Altersgenossen gefunden hätte“. Vgl. Wildt, Generation, S. 45.

1. Zur Person und wie sie die Welt sah

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Diktators, aber eben letztlich auch nur das.13 Den Konkurrenzkampf der Ministerien und Fraktionen mußte er auf dieser Basis bestehen, was zu wechselnden Koalitionen führte. Die innere Verfassung des Regimes glich aus seiner Perspektive insofern der äußeren deutschen Lage. Deutschland war isoliert und mußte aus Ribbentrops Sicht optieren. Unter den oben skizzierten Voraussetzungen mußte die außenpolitische Lage Deutschlands in den Jahren 1932/33 bedenklich sein. Ohne Verbündete, ohne funktionierendes internationales Sicherheitssystem und mit nur rudimentären Mitteln zur Selbstverteidigung war das Staatsgebiet der Weimarer Republik mitten in Europa dem politischen Druck von allen Seiten und sogar dem drohenden und wiederholt auch durchgeführten Durchmarsch ausländischer Streitkräfte ausge­ liefert. Mit einer Wiederholung mochte nur im Extremfall zu rechnen sein, aber es hatte seit 1919 mehrere Präzedenzfälle gegeben und bereits die Möglichkeit behinderte die alltägliche Außenpolitik auch zu Beginn der 1930er Jahre auf allen Ebenen. Dazu kam, daß aus gesamtdeutscher Perspektive bedeutende Teile des eigentlich legitimen Staatsgebiets entweder abgespalten (Danzig, Saarland, Österreich) oder als Folge der Versailler Nachkriegsregelungen bereits von fremden Staaten besetzt (Oberschlesien, Sudetenland, Memelland, Südtirol, Nordschleswig) waren. Auch auf weitere, wenigstens historisch gesehen deutsche Gebiete wie das Elsaß, Böhmen und Mähren außerhalb des Sudetenlands oder Westpreußen – also den polnischen „Korridor“ – sowie die frühere Provinz Posen, erhoben bedeutende Repräsentanten der deutschen Politik aller Parteien offen oder verdeckt einen Anspruch.14 Dies gehörte zu dem innenpolitischen und außenpolitischen Umfeld, in dem der Übergang von der Außenpolitik der Weimarer Republik zur nationalsozialistischen Außenpolitik seit 1933 stattfand. Deutschland mußte es als ein kontinentaler Staat der Mitte möglichst vermeiden, von mehreren Seiten gleichzeitig bedroht oder gar militärisch bekämpft zu werden. Diese „Einkreisungsgefahr“ war trotz der besonders ausgeprägten deutschen Mittellage keine ausschließlich spezifisch deutsche Situation, sondern konnte von Frankreich über Polen bis hin zur UdSSR im Prinzip jeden kontinentalen Staat treffen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Für die internationale Politik, die in den dreißiger Jahren intensiv in historischen Analogien dachte, lagen geschichtliche Beispiele bereit. Die internationale Anarchie als Grundannahme 13 Sein Werdegang zwischen Militär und Privatwirtschaft führte dazu, daß er beispielsweise keinen Studienabschluß vorweisen konnte. Auch dies war in diesen Kriegszeiten allerdings nicht ganz unüblich. Auch sein Staatssekretär Ernst von Weizsäcker war 1920 aus dem Militärdienst ins Auswärtige Amt eingetreten, ohne über Examen oder Studium zu verfügen. Vgl. http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/WeizsaeckerErnst. 14 Die sozialdemokratische Partei zog noch in den Bundestagswahlkampf 1949 mit einem Wahlplakat, das die deutsche Ostgrenze von 1914 zeigte, also inklusive Danzigs, Memels, Westpreußens und Posens. Vgl. dazu die Präsentation im Berliner „Haus der Geschichte“: http://www.hdg.de/lemo/objekte/pict/JahreDesAufbausInOstUndWest_plakatSPDVorwaerts/ index.html.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

der realistischen Schule der Diplomatie ließ sich überall herauslesen. So hatte eine mögliche Einkreisung Frankreichs zwischen Deutschland und Spanien einmal eine große Rolle für das französische Veto gegen einen Hohenzollern auf dem spanischen Thron gespielt und mit zur Entstehung des deutsch-französischen Krieges 1870/71 beigetragen. Dennoch blieb die Aussicht eines spanisch-deutschen Koalitionskriegs gegen Frankreich eher eine theoretische Möglichkeit, die allerdings seit 1936 wegen des spanischen Bürgerkriegs wieder diskutiert wurde. Es gehörte zu Ribbentrops Aufgaben auf dem internationalen Parkett, solche Befürchtungen in einem in London extra eingerichteten „Nichteinmischungsausschuß“ der europäischen Staaten zu zerstreuen. Historisch gesehen konnte sich diese Befürchtung vor einer spanisch-deutschen Koalition allenfalls auf die Lage der Frühen Neuzeit stützen, als Spaniens Karl V. und Frankreichs König Franz I. um die deutsche Kaiserkrone konkurrierten und der schließlich erfolgreiche Karl V. als spanischer König und römisch-deutscher Kaiser das eingekreiste Frankreich tatsächlich in Bedrängnis brachte. Frankreich konterte damals, indem es die propagierte christliche Solidarität brach und die muslimisch-osmanische Türkei im Rücken des frühneuzeitlichen Kaisertums deutscher Nation ins Spiel brachte. Dies mochte als Vorbild weit hergeholt erscheinen, aber an diese Option traditioneller Machtpolitik jenseits aller ideologischen Zwänge erinnerte Edouard Herriot 1932 vor dem Parlament mit einem Bekenntnis zur traditionellen Machtpolitik: „Erinnern Sie sich, wie Franz I. sich nicht nur angesichts, sondern tatsächlich gegen die gesamte Christenheit mit der Türkei verbündete, weil die Interessen Frankreichs dies und nichts anderes verlangten.“15

Dies lag in der Tat weit in der Vergangenheit und wurde hier dennoch präsentiert, um eine sowjetisch-französische Annäherung ins Gespräch zu bringen. Etwas realistischer mochte aus der Sicht des Jahres 1932 aber eine Einkreisung der UdSSR durch eine japanisch-englische Konstellation sein, eventuell unterstützt durch Polen und Deutschland, wie sie kurz nach der Revolution zwischen 1918 und 1920 erkennbar gewesen war. Auch Polen selbst hatte eine Einkreisung durch Deutschland und die UdSSR zu fürchten, baute aber auf den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen beiden Staaten. Was Ribbentrop aber als aktuelle Drohung tatsächlich vorfand, als er sich mit Außenpolitik zu befassen begann, war die Einkreisung Deutschlands zwischen Großbritannien, Frankreich und Polen und die offene Drohung eines polnischen Einmarschs in Deutschland, sobald die Westmächte ihn politisch stützen würden.16 Es sollte ein Kennzeichen der Außenpolitik JvRs werden, die Gefahr einer deutschen Einkreisung durch den Abschluß verschiedener bilateraler und schließlich multilateraler Bündnisse aus der Welt schaffen zu wollen. Er selbst sollte dies in seinen Erinnerungen als eine Situation

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Zit. n. Gathorne-Hardy, Politik, S. 433. „Zweimal im Jahr“ habe Polens Diktator Pilsudski damals eine bewaffnete Aktion gegen Deutschland vorgeschlagen, notierte Robert Vansittart, damals als Unterstaatssekretär der Amts­ chef des Foreign Office rückblickend. Vgl. Vansittart, Procession, S. 412.

1. Zur Person und wie sie die Welt sah

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zwischen „London und Moskau“ darstellen. Das betraf die Zeit des amtierenden Außenministers Ribbentrop, aber man kann auch sagen, daß es zuvor ebenso eine Situation zwischen „Paris und Warschau“ gegeben hatte, die 1932/33 eine völlig realistische Bedrohung für einen militärischen Angriff auf Deutschland darstellte. Von Warschau aus ließ die polnische Regierung mehrfach anfragen, ob die französische Regierung polnische militärische Schritte gegen Deutschland billigen oder unterstützen würde. Hätte aus Paris und/oder London die Zustimmung vorgelegen, wäre ein solcher Angriff erfolgt, wie ihn der kommende polnische Außenminister Beck im Spätjahr 1932 in Briefen an Staatschef Pilsudski forderte. Die Lage für einen Krieg sei jetzt so günstig wie nie, ein „Krieg, um die Befreiung der polnischen Territorien vom deutschen Joch“ anzugehen. Die Armee sei bereit.17 Offenkundig hatte ein derart offenes Spiel möglicher Staatenkonstellationen zu permanenter Unsicherheit und Spannungen geführt und mußte dies weiter tun. Das „Zeitalter der kämpfenden Staaten“, wie Oswald Spengler eine vergleichbare Ära in der chinesischen Geschichte genannt hatte, fand in Europa seine Entsprechung. Einen Ausweg daraus konnte eine engere Zusammenarbeit wenigstens der größeren europäischen Staaten bieten, also etwa eine Art Viererdirektorium durch England, Frankreich, Italien und Deutschland, idealerweise mit einer Einbeziehung von Staaten der zweiten Reihe wie beispielsweise Spanien oder Polen. Dies mußte nicht notwendig zur Entwicklung einer gemeinsamen Europaidee führen, setzte aber ein allseitiges Problembewußtsein und die Absicht zu seiner Lösung voraus. Eine Alternative bestand in der Hegemonie einzelner Mächte in Europa, die in Europa um 1930 herum nur noch Deutschland wenigstens theoretisch leisten konnte, oder in der Ausübung der europäischen Hegemonie durch die Sowjet­ union oder die Vereinigten Staaten. Eine Hegemonie des Völkerrechts, wie sie der 1919 gegründete Völkerbund auszuüben beanspruchte, hatte es in der Praxis nicht gegeben. Die in der Völkerbundsakte formulierten Rechtsgrundsätze waren durch die Völkerbundsmitglieder selbst des öfteren verletzt worden, in Europa und anderswo. Der Völkerbund bot seinen Mitgliedern keinen effektiven Schutz vor Angriffen und Besetzung. Dennoch gab es wenigstens theoretisch auch ganz andere Alternativen für eine deutsche Politik. Für Ribbentrop, für Hitler, aber auch für die gesamte Elite des Auswärtigen Amts und der Weimarer Parteien galt das Axiom, Deutschland sei nur sicher, wenn es Bündnispartner habe und nur bündnisfähig, wenn es über eine gewisse Rüstung verfüge. Es gab aber auch ganz andere Sichtweisen der Dinge. Alle demonstrativ vorgezeigte Rüstung hatte das wilhelminische Kaiserreich nicht vor der außenpolitischen Isolation schützen können, vielleicht hatte sie sogar in Gestalt von Großbritannien wenigstens einen zusätzlichen Gegner auf den Plan gerufen.

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Bericht der Bundes-Polizeidirektion in Wien vom 4. November 1932 an den österreichischen Bundeskanzler Dollfuss über einen Brief von Beck an Pilsudski vom 27. Oktober 1932, inklusive Teilabschrift des Briefes, Kopie im Besitz des Verfassers, hier S. 1. Für den Hintergrund und weiteren Inhalt der Briefe vgl. Scheil, Gegner, Kap. V, F.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

Man hätte daher sagen können und manche sagten es auch,18 daß gerade die offenkundige militärische Harmlosigkeit der Weimarer Republik ganz neue Möglichkeiten der Außenpolitik eröffnete. Ohne die Kosten für eine Armee, völlig sicher vor dem Vorwurf, man bedrohe andere, gab es für die Nachbarn wenig Angriffsfläche, mit der sie eine Aggression gegen Deutschland hätten rechtfertigen können. Theoretisch hätte die Weimarer Republik Kapital aus jener (oder einer ähnlichen) Strategie schlagen können, wie sie nach 1945 den schleichenden Aufstieg der bundesrepublikanischen Großmacht ermöglichte. Schuldig gesprochen, in gewisser Weise reuig, jedenfalls abhold der anachronistischen imperialistischen Machtspiele der Nachbarn in Ost und West, hatte auch die Weimarer Republik bereits ein beachtliches politisches Kapital aufgebaut. Warum sollte es nicht möglich sein, demonstrativ auf die Wiederaufrüstung und deren immense Kosten zu verzichten, mit den gesparten Mitteln die Infrastruktur zu verbessern und die deutsche Republik wieder wirtschaftlich zum Zentrum Europas und zugleich zum Zentrum einer neuen Form der Weltpolitik werden zu lassen? So ließ sich eine moralisch überlegene, wirtschaftlich attraktive und letztlich aktive deutsche Außenpolitik aufbauen. Es waren nicht nur Waffen, die Verbündete schaffen konnten, Geld tat es auch. Viele Gründe sprachen allerdings gegen die Erfolgsaussichten einer solchen Politik für die 1920er oder 1930er Jahre. Nicht nur Schußwaffen, auch Wirtschaftskraft kann Angst, Feindschaft und Begehrlichkeiten wecken. Eine Politik der wirtschaftlichen Harmlosigkeit setzt letztlich eine aktive Hegemonie voraus, in der die Eroberungs- und Besatzungsphantasien anderer Staaten entweder gezügelt oder erfüllt sind und in der die eigene wirtschaftliche Leistung entfaltet werden kann. Beides war nicht der Fall, wie der damalige Staatssekretär im AA, Bülow noch für das Jahr 1934 feststellte. Die europäische Politik ließ eine Entfaltung der deutschen Wirtschaftskraft nicht zu und wußte dies zu nutzen: „Bei unserer Isolierung und gegenwärtigen wirtschaftlichen und Devisen-Schwäche haben unsere Gegner zunächst gar nicht nötig, sich dem Risiko, dem Odium und den Gefahren militärischer Zwangsmaßnahmen auszusetzen. Ohne einen Mann zu mobilisieren oder einen Schuß abzufeuern, können sie uns in die ärgste Notlage versetzen, indem sie eine offene oder versteckte Finanz- und Wirtschafts-Blockade gegen uns verhängen.“19

Deutschland war nach der Niederlage von 1919 verarmt und von auswärtigen Krediten abhängig, die seit 1929 zurückgefordert wurden. Diese deutsche Isolierung hatte den Regierungsantritt der Nationalsozialisten nicht zuletzt erst möglich werden lassen, war aber in wirtschaftlicher Hinsicht danach sogar noch gewachsen. Allerdings konnte im Sommer 1934, zum Zeitpunkt von Bülows Schreiben, der kritischste Punkt bereits als überwunden gelten, der im Winter 1933/34



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Vgl. etwa Willy Hellpach: Politische Prognose für Deutschland, Berlin 1928, passim. Zit. n. BA-KO N 1310/47 Nachlaß Neurath, Schreiben von Staatssekretär Bülow an Neurath vom 16. August 1934, S. 9.

1. Zur Person und wie sie die Welt sah

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fast den Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft verursacht hätte. Es war der Weimarer Republik nicht gelungen, sich als wirtschaftliche Großmacht zu etablieren. Sie konnte kaum Einfluß auf politische Entwicklungen nehmen, die den deutschen Staat existentiell bedrohten, so etwa die fortdauernde Abspaltung Österreichs und die Diskriminierung der Deutschen und schleichende Entdeutschung in Polen und der Tschechoslowakei. Daher lag die Schlußfolgerung in den Kategorien der Ära der kämpfenden Staaten auf der Hand. Eine umfassende Revision, die Sicherheit und Prosperität bringen konnte, mußte mit der politisch-militärischen Gleichberechtigung beginnen. Dies würde jedoch voraussehbar zu Spannungen führen und konnte in eine Ära der Unsicherheit münden. Es war eine Frage der deutschen Politikfähigkeit, aber auch der Politikfähigkeit anderer Staaten, ob diese Unsicherheit dann wieder überwunden werden konnte oder ob nicht sogar in verschiedenen Staaten die Neigung überwiegen würde, in der allgemeinen Unsicherheit die Chancen zur eigenen Entfaltung zu sehen, wie es dann 1938/39 in einer ganzen Reihe von Staaten der Fall sein sollte. Für die zeitgeschichtliche Forschung mit Blick auf Deutschland stellte sich die Frage nach der Friedensfähigkeit des Nationalsozialismus leider oft nur sehr einseitig. Immerhin hob Walther Hofer im Jahr 1964 seine Antwort darauf, was geschehen wäre, „wenn man nur dem weiteren Treiben Hitlers tatenlos zugeschaut hätte“, wenigstens andeutungsweise auf eine Ebene der Differenzierung: „Es wäre bestenfalls ein Frieden von deutschen, nationalsozialistischen Gnaden geworden und damit ein Frieden, der für so manche, Menschen und Staaten, ein Friedhofsfrieden gewesen wäre. Einen solchen Frieden konnten die lebendigen europäischen Kräfte 1939 allerdings nicht akzeptieren, so wenig wie sie heute, gegenüber der ähnlich gelagerten bolschewistischen Bedrohung und Erpressung, einen Frieden um jeden Preis wünschen.“20

Diese Sätze formulieren eine recht direkte Absage an die von Hofer selbst sonst polemisch vertretene These, Hitler habe 1939 um jeden Preis Krieg gewollt. Für diesen Fall würde sich nämlich die Frage gar nicht stellen, ob die „lebendigen europäischen Kräfte“ Hitlers Frieden theoretisch akzeptieren könnten. Daß man Hitlers Frieden laut Hofer nicht akzeptierte und nicht mehr „tatenlos zuschaute“, bedeutet darüber hinaus eine durchaus treffende Umschreibung, welche Partei 1938/39 – ebenfalls – die Aktivität ergriff. Mit Blick auf den von Hofer gezogenen Vergleich mit dem „Bolschewismus“ taucht schließlich die weitere Frage auf, ob ein „Friedhofsfrieden“ 1939 nicht ebensogut und zum Vorteil für die Menschen in Europa in einen Kalten Krieg hätte münden können, wie dies bald nach 1945 der Fall war. Der Nationalsozialismus stellte ebensogut wie der Kommunismus bolschewistischer Prägung, der polnische Zwischenkriegsnationalismus oder der ausgehende westliche Imperialismus keine unwandelbare Einrichtung dar. Diese Feststellung stellt keine Spekulation dar, sondern erinnert an die Eigenschaften des Geschichtsprozesses. Das Projekt, dem sich JvR mit der Bindung an den Nationalsozialismus verschrieben hatte, war für ihn in erster Linie ein patriotisch

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Zit. n. Hofer, Entfesselung, S. 460.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

nationalistisches, das in der Geschichte nicht ohne Beispiel war. Hitler verkörperte eine exzentrische Erscheinung, wie ihn aus Ribbentrops Sicht auch andere Nationen erlebt hatten. 2. Die Analogie des nationalen Aufbruchs „Ich war sehr in Versuchung, mich in irgendeiner Form nach 1933 jener Bewegung anzuschließen. Aber das hatte nicht das Geringste mit den Meinungen dieser Leute zu tun, sondern nur mit jener elementaren Reaktion auf das, was Wilhelm Kütemeyer die Pseudoausgießung des Heiligen Geistes im Jahr 1933 genannt hat.“ Carl Friedrich von Weizsäcker21

Nach dem Zerfall oder besser: der Zerschlagung Österreich-Ungarns durch die in Paris unterzeichneten Friedensverträge, stand die deutsche Frage nach dem Ersten Weltkrieg nun in ganz anderer Dimension auf der Tagesordnung als zuvor. Bis dahin konnte Österreich-Ungarn zwar als ein Staat gelten, dessen Existenz gewollt oder ungewollt für pangermanistische Zielsetzungen einsetzbar war. Aber es war nun einmal ein schwacher Staat gewesen, dessen außenpolitische Differenzen mit dem deutschen Kaiserreich erheblich waren und der gegen Kriegsende sogar versucht hatte, mit den Alliierten einen Sonderfrieden zu Lasten Deutschlands zu schließen. Es konnte also keineswegs als sicher gelten, daß Österreichs Existenz den Weg für alldeutsche Ziele bahnte. Nach 1919 stand allerdings ein ganz anderes Problem auf der internationalen Tagesordnung. Die Deutschösterreicher in der als solchen proklamierten Republik sahen die eigene politische Zukunft bevorzugt als Teil eines vereinigten Deutschland. Dies war offen erklärt worden, wurde in Probeabstimmungen mit mehr als neunzig Prozent Zustimmung bekräftigt, war also allgemein bekannt und führte zum ausdrücklichen  – und 1945 wiederholten – Verbot einer solchen Einigung, die man die Großdeutsche nannte, durch die Alliierten.22 Günther Wollstein hat vor nun schon längerer Zeit ein demokratisches Großdeutschland als „Ordnungsmodell ohne Chance“ beschrieben, chancenlos zugleich aus inneren wie aus außenpolitischen Gründen.23 Die deutschen Nachbarstaaten sahen eine solche gesamtdeutsche Vereinigung mit Mißtrauen und nicht zu Unrecht als Gefahr für die eigenen politischen Handlungsfähigkeiten. Einen

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22

Zit. n. Stern, Deutschland, S. 520. Österreichs erster Nachkriegskanzler Karl Renner registrierte es am 30. April 1945 in einer Rede im Wiener Kanzleramt mit Bedauern: „Die drei Weltmächte haben sich geeinigt, das selbständige Österreich wiederherzustellen, alle übrigen Staaten der Welt bis auf kleine Ausnahmen haben sich diesen Weltmächten angeschlossen und uns bleibt nichts übrig, als selbst auf den Gedanken eines Anschlusses zu verzichten.“ Zit. n. Rathkolb, Republik, S. 21. 23 Vgl. Wollstein: Das Großdeutsche Reich als Demokratie – Ordnungsmodell ohne Chance, in: Dülffer, Deutschland, S. 229–249.

2. Die Analogie des nationalen Aufbruchs

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zentral regierten deutschen Industriestaat in seinen traditionellen, seit dem späten Mittelalter bis 1866 bestehenden Grenzen, hatte es noch nicht gegeben. Es bestand die Aussicht, daß seine wirtschaftlichen Möglichkeiten und sein demographisches Übergewicht die Unabhängigkeit von Ländern in Ost- und Südostmitteleuropa in Frage stellen würde, ganz gleichgültig, wie seine innere Verfassung aussehen mochte. Insofern gab es geschworene Gegner einer solchen Einigungsmöglichkeit.24 Der britische Premier Benjamin Disraeli hatte die deutschen Einigungsbestrebungen einmal als „dreamy and dangerous nonsense“ bezeichnet.25 Das wird bis heute gern und viel zitiert, wobei der Schwerpunkt auf den Begriffen „verträumt“ und „Unsinn“ liegt, und weniger auf dem Begriff „gefährlich“. Gefährlich mußte ein solcher deutscher Staat aus Sicht der englischen Politik zwar werden, aber doch zumal zu ­Disraelis Zeiten, als die industrielle und demographische Explosion in Deutschland noch bevorstand, wohl nicht so gefährlich, daß seine Existenz zwangsläufig ganz zu verneinen gewesen wäre. Es gab auch insbesondere nach 1919 einflußreiche Personen in der englischen Politik, die ein Groß- oder Gesamtdeutschland ohne Flotte und Kolonien, aber mit Einfluß in seinem östlichen Vorfeld, für ein akzeptables Projekt hielten. Zu denen, die dies selbst nach 1939 noch deutlich und bei prominenter Gelegenheit zum Ausdruck brachten, gehörte zum Beispiel der frühere Regierungschef David Lloyd George.26 Wir werden im weiteren sehen, daß dies im wesentlichen das Projekt war, das JvR als Außenminister auf Anweisung und mit Billigung von Staats- und Parteichef Hitler in den Jahren 1938 und 1939 verfolgte. Das bedeutete allerdings ein Novum in der europäischen Staatenwelt und die Suche nach historischen Analogien konnte brisant ausfallen. Gegenüber seinem langjährigen britischen Gesprächspartner und Kontaktmann Ernest Tennant27 verteidigte Ribbentrop den Nationalsozialismus mit Hilfe einer solchen historischen Analogie. So jedenfalls erinnerte sich Tennant an den Inhalt des ersten Gesprächs zwischen beiden. Er selbst hätte damals die Schwierigkeiten betont, die Hitler sich selbst bereiten würde, indem er sich die Katholiken und 24 In Winston Churchills Nachlaß befindet sich ein nicht genau zu datierendes Flugblatt, das auf Basis dieser Befürchtung mit einer deutschen Bevölkerungsexplosion agitiert und „Germany in 1950“ als 250 Millionen-Einwohnerkoloß zeigt, der alle europäischen Nachbarstaaten optisch und demographisch an den Rand gedrängt hat. Vgl. CHAR 2/340 B. 25 Vgl. Holborn, History, 3, S. 66. 26 Dem stellvertretenden US-Außenminister Sumner Welles erklärte Lloyd George im Frühjahr 1940, der gegenwärtige Krieg sei „der dümmste aller Zeiten, in den Großbritannien wegen der Fehler seiner Regierungen gestürzt worden sei. … Es gebe weder aus der Sicht Frankreichs noch Englands einen Grund, warum die Deutschen nicht in einem Staat vereint sein, oder in Mittel- und Teilen Südosteuropas keinen exklusiven wirtschaftlichen Einfluß haben sollten.“ Gesprächsaufzeichnung von Welles bei seinem Londonaufenthalt im Frühjahr 1940, in: FRUS, I, S. 86. 27 Tennant gehörte später zu den Zeugen, die von der Verteidigung Ribbentrops im Nürnberger Prozeß angefordert und als angeblich irrelevant abgelehnt wurden. Vgl. Tennant, Account, S. 244, bzw. IMT, Sitzung vom 25. Februar 1946.

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Juden weltweit zu Feinden machen würde. Ribbentrop gab den Vorwurf an England zurück, das wie alle großen europäischen Länder zu Zeiten selbst seine Auseinandersetzung mit den beiden Genannten gehabt hätte: „In diesem Zusammenhang argumentierte Ribbentrop, Deutschland sei gerade in Bezug auf Juden und Katholiken Hunderte von Jahren hinter Großbritannien zurück. Großbritannien, sagte er, hätte unter Königin Elisabeth I. begonnen, sich zu einer großen Nation zu ent­ wickeln, nachdem ihr Vater, Heinrich VIII. die Macht des Vatikan gebrochen und die Klöster geschlossen hätte. Des weiteren hätte es gerade in dieser Periode des englischen Aufstiegs keine Juden in England gegeben. Edward I. hätte sie alle vertrieben und erst unter Cromwell seien die ersten zurückgekehrt. … Deutschland, so Ribbentrop, versuche nur einen Grad der Freiheit von äußeren Einwirkungen zu erreichen, den Großbritannien bereits dreihundertfünfzig Jahre früher erreicht hätte.“28

Tennant datiert dieses Gespräch und einige weitere mit Ribbentrop auf die Zeit vor dem Regierungsantritt des Reichskanzlers Hitler. Ribbentrops korrekter Verweis auf Cromwell, der in der Tat als erstes nach Jahrhunderten Unterbrechung wieder den Aufenthalt von Juden in England zugelassen hatte, mochte ihm in­ sofern etwas denkwürdig erscheinen, als Fritz Thyssen gegenüber Tennant nach Hitlers Ansprache vor dem Düsseldorfer Industrieklub erklärt hatte, Hitler hätte die Absicht, Deutschlands Cromwell zu werden. Hier stieß die Analogie deutlich an ihre Grenzen. Tennant war bei Hitlers berühmt gewordener Ansprache vor dem Industrieklub selbst anwesend,29 bei der sechshundert überwiegend skeptische Repräsentanten der deutschen Wirtschaft nach einer zweieinhalbstündigen Ansprache Hitlers30 geneigt waren, in ihm eine politische Hoffnung zu sehen, jedenfalls keine politische Unmöglichkeit. Hitler bekannte sich deutlich zum Recht auf Privateigentum und forderte einen allgemeinen nationalen Neuaufbruch. Den Antisemitismus sparte er als Thema völlig aus.31 Tennant sondierte zu dieser Zeit im Auftrag des englischen Außenministeriums offenbar allgemein die politische Landschaft in Deutschland in den Tagen vor der nationalsozialistischen Machtergreifung.32 Den National­ 28 Zit. n. Tennant, Account, S. 152. Der jüdischstämmige Historiker und Diplomat Lucien Wolf hatte 1891 darauf hingewiesen, daß Cromwell bei seiner Unternehmung auf finanzielle wie organisatorische Hilfe von jüdischer Seite rechnen konnte. Den entsprechenden Essay über „Cromwells Jewish Intelligencers“ brachte die Jewish Historical Society of England im Jahr 1934 in der Aufsatzsammlung „Essays in Jewish History“ neu heraus. 29 Tennant gibt an, die Einladung über Eugen Lehnkering erhalten zu haben, nach seinen Angaben NSDAP-Mitglied mit der Nummer 21 und ein Kontaktmann von ihm seit dem Jahreswechsel 1930/31. Vgl. Tennant, Account, S. 136 ff. Später amtierte der Reeder Lehnkering als Vorstandsvorsitzender von Ribbentrops „Deutsch-Englischer Gesellschaft“, die im Dezember 1935 gegründet wurde. 30 Geplant war ursprünglich eine einstündige Ansprache, eine Zeit, die Hitler eigenmächtig ausdehnte. 31 Vgl. Turner, Industrie-Club, S. 9 ff. 32 Vgl. den langen Bericht Tennants an das Foreign Office, den er in seinen Memoiren veröffentlicht hat. Vgl. Tennant, Account, S. 138 ff.

2. Die Analogie des nationalen Aufbruchs

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sozialisten schrieb er aufgrund von Hitlers Rede in Düsseldorf und seinen sonstigen Informationen die unbritischen, eher suspekten Eigenschaften von Eifer, Jugend und internationaler Unerfahrenheit zu. Ihre Politik sei im wesentlichen antikommunistisch, antijüdisch und antikatholisch, zudem gegen den Status quo des Versailler Vertrags gerichtet. Alles in allem schien dies Tennant vor allem wegen der antikommunistischen Stoßrichtung für die englische Politik nicht inakzeptabel zu sein, zumal wenn die Nationalsozialisten die Perspektive in manchen Dingen wechseln sollten, insbesondere der lauthals proklamierten Judenfeindschaft. Tatsächlich hatte es staatlich organisierte Judenfeindschaft mit eliminatorischem Vertreibungscharakter in Ländern wie England, Frankreich oder Spanien früher einmal gegeben.33 Wenn Ribbentrop dies gegenüber Tennant erwähnte und als Merkmal einer britischen Aufstiegsperiode bezeichnete, zeigt das die Gefahren historischer Analogiebildung auf. Zum einen ist die Geschichte voll von Dingen, die politisch zu mancher Zeit „normal“ gewesen sind, moralisch jedoch extrem fragwürdig sind. Der nationalsozialistische Antisemitismus rassistischer Art stellte zudem einen bedeutenden Affront gegen international geltende Rechts­ vorstellungen seiner Zeit dar und gegen christliche Wertvorstellungen nicht nur katholischer Art. Ribbentrop wußte das auch und beklagte sich gelegentlich darüber, sowie über die negativen politischen Folgen. Er konnte sich aber nicht dazu durchringen, sich öffentlich zu distanzieren und damit seine Bemühungen aufzugeben, an der nationalsozialistischen Politik mitzuwirken. Die Faszination des nationalen Aufbruchs in historischen Dimensionen war für ihn zu groß. Eine ganz andere Frage war die nach der Dynamik eines solchen nationalen Aufbruchs auf anderen Ebenen. Die britischen Gesprächspartner Ribbentrops brachten immer wieder zum Ausdruck, daß sie in den deutschen Vorstellungen den Anfang einer nicht beherrschbaren Entwicklung sahen. Eine saturierte Nation mit klar umrissenen Interessen zu sein, hatte man in London schon dem wilhelmi­ nischen Deutschland nicht zugetraut, so wenig wie den vorausgegangenen europäischen Konkurrenten – oder „Tyrannen“, wie man das gerne nannte – denen aus Spanien und Frankreich, von Karl V. bis Napoleon. Jedenfalls war dies das Argument auch geneigter Personen, wie Ribbentrop in seinem Hauptbericht als Botschafter in London Ende 1937 an Hitler schrieb: „Lord Londonderry scheint das auch zu glauben. Er sagte mir neulich: wenn eine machtvolle Nation sich erst einmal in Bewegung gesetzt und eine Position oder ein Land in Besitz genommen hat – z. B. Österreich usw. – müsse diese Nation in ihrer Dynamik immer weiter marschieren gegen Europa, gegen die Welt („there is no end to the moving of a nation, once it has started moving“).“34

Zwar war diese Auffassung offenkundig unrichtig und durch endlos viele historische Beispiele zu widerlegen. Sie wurde jedoch gegen Deutschland immer

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Ein Überblick findet sich in: Figl, Religionswissenschaft, S. 396. Ribbentrops Hauptbericht, hier zit. n. PA AA R 28895a, S. 15.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

wieder vorgebracht, was neben den vorausgegangenen geschichtlichen Erfahrungen zweifellos mit den umfassenden politischen Kündigungsschreiben zusammenhing, das der Nationalsozialismus vielen Stellen zugestellt hatte. Auch der von Ribbentrop erwähnte Lord Londonderry35 hatte sich zwar nach dem Verlust seines Kabinettspostens als britischer Luftfahrtminister im Frühjahr 1935 zunehmend zu einer der aktivsten deutsch-britischen Kontaktpersonen entwickelt. Er gehörte aber zugleich zu jenen, die das britische Empire als selbstverständliches Zentrum der Welt und sich selbst aufgrund persönlichen Reichtums und generationenlanger Gewohnheit als Teil  der Führung dieses Zentrums betrachteten. Sollte Deutschland diese Selbstverständlichkeiten in Frage stellen, war ein Krieg auch und gerade für Londonderry das angebrachte Gegenmittel,36 aber kein Selbstzweck. Später sollte er sich bitter über Baldwin, Chamberlain und besonders Churchill äußern. Er habe mit Staatskunst erreichen wollen, wofür letzterer habe Krieg führen wollen.37 In der Tat sollte dann bereits der Streit um Österreich die Dynamik der Entwicklung hin zur kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und dem deutschen Reich erheblich steigern. 3. Wirtschaftsfragen „Machtpolitische Verschiebungen gigantischer Art bringen Wirtschaftsumwälzungen, die auf der einen Seite Möglichkeiten zum Versiegen bringen, dagegen auf der anderen Seite Möglichkeiten eröffnen, die die Wirtschaft wieder in unerwarteter Weise beleben. Dies ist das ewige Spiel zwischen Politik und Wirtschaft. Immer aber hat die Politik das Primat.“ Joachim von Ribbentrop38

Zu den von der Forschung lange vernachlässigten Aspekten nationalsoziali­ stischer Politik gehört mit der Wirtschaftspolitik ein Kerngebiet von Politik überhaupt. Die Deutungen des NS-Regimes als charismatischer Herrschaft eines Einzelnen, psychoanalytisch zu deutender Tyrannei oder bloßem kleinbügerlich

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Charles Vane-Tempest-Stewart, 7th Marquess of Londonderry (1878–1949). Als Luftfahrtminister bis 1935 hatte Londonderry den Grundstein für die britische Luftflotte gelegt, die dann ab 1940 in der Lage war, sowohl deutsche Angriffe abzuwehren als auch Deutschland wie geplant zunehmend mit Bombenangriffen zu überziehen. Gerade über sein Verhältnis zum Einsatz der britischen Bomber, die er für das Zerschlagen von Widerständen gegen die britische Imperialherrschaft im Nahen Osten und in Indien konzipiert hatte, wofür die Vorläufermodelle in den 20er und frühen 30er Jahren auch ausgiebig eingesetzt wurden, stolperte Londonderry allerdings als Minister. Vor dem Parlament erklärte er am 22. Mai 1935 freimütig, daß „es nur der Anwesenheit der Luftwaffe zu verdanken war, daß wir diese Gebiete ohne die alten und schweren Verluste an Blut und Geld kontrolliert haben.“ Diese Konfron­ tation mit der brutalen Wirklichkeit des britischen Imperialismus verzieh ihm der öffentliche Politbetrieb nicht. Vgl. Kershaw, Freunde, S. 139 ff. 37 Vgl. Kershaw, Freunde, S. 396. 38 Zit. n. Ribbentrop, Welthandel, S. 5.

3. Wirtschaftsfragen

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proletarischen Willen zu Macht und Eroberung versperrten vor 1989 der west­ lichen Forschung regelmäßig den Blick auf den Nationalsozialismus als Sozialismus. In gewisser Weise stehen auch neuere Deutungen des Nationalsozialismus als „Gefälligkeitsdiktatur“ in dieser Tradition,39 da wirtschaftliches Handeln darin letztlich als psychologisch begründete Form der Herrschaftsausübung durch Erzeugung einer bestimmten Stimmung aufgefaßt wird. Nun ist dieses Verhalten in jeder Regierungsform üblich, um kurzfristige Problemlagen zu überwinden. Insofern ist diese Feststellung so treffend wie banal. Auf der anderen Seite stand zu ihrer Zeit die realsozialistische Auffassung, der Nationalsozialismus sei als Faschismus nichts anderes als die getarnte Herrschaft des Kapitalismus in seiner reinsten Form. Beiden Auffassungen war gemeinsam, daß sie einen wesentlichen Teil des Bildes ausblendeten. Die nationalsozialistische Regierung war nicht zuletzt als Folge einer ausgedehnten Weltwirtschaftskrise zur Herrschaft gekommen. Sie entwickelte umfassende Theorien, wie diese Krise nachhaltig zu überwinden sei, und diese Theorien liefen auf einen antikapitalistischen, devisenfreien Welthandel hinaus. Aus der wirtschaftlichen Erschließung der Welt in bisheriger Weise und der Konkurrenz um Welthandelsmärkte sei der Erste Weltkrieg entstanden, dies gehörte zu den Basisannahmen der NS-Führung. Zugleich konnte Deutschland jederzeit mit dem Mittel einer Blockade der Verkehrswege von Rohstoff- und Nahrungszufuhr abgeschnitten werden. Dies gehörte zu zentralen Erfahrungen der deutschen Kriegsgeneration zwischen 1914 und 1919. Im zuvor wohlgenährten und reichen Deutschland hatte die Blockade mehrere hunderttausend Tote gefordert, vor allem alte Menschen und Kinder.40 Auf beide Probleme, sowohl auf die drohende kriegerische Handelskonkurrenz wie auch auf die Blockadegefahr, sollte jetzt ein Modell regionalen Wirtschaftens in Mittel- und Südosteuropa eine Antwort geben. Joachim von Ribbentrop hatte als Großhandelsunternehmer in alkoholischen Getränken sein Vermögen auf eine Weise erworben, die solchen anti­kapitalistischen Aspekten nicht zu entsprechen schien. Zwar bot die Herkunft seines Vermögens ein zu seinen Amtszeiten gern benutztes Einfallstor für spöttische Bemerkungen aller Art, doch bot sie ihm andererseits augenscheinlich durchaus die Gelegenheit, informelle Kontakte zu knüpfen, die sich politisch als tragfähig und fruchtbar erweisen sollten, so etwa zu Lord Allen of Hurtwood.41 Zugleich hatte er als Botschafter und außenpolitischer Berater des Diktators auch die Wirtschafts­ politik und die Wirtschaftspraxis des NS-Staates zu berücksichtigen. Am 1. März

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Vgl. Aly, Volksstaat, 49 ff. Die Zahl der deutschen Hungertoten ist umstritten. Die Zeitgenossen gingen von achthunderttausend Menschen aus, während später eine „Mehrsterblichkeit“ von dreihundert­tausend errechnet wurde. Vgl. Weizsäcker, Papiere, I, S.  338, Jagow, Daten, S.  170 u. Mirow, Geschichte, S. 795. 41 Clifford Allen, 1st Baron Allen of Hurtwood (1889–1939), britischer Politiker und prominenter Pazifist, der als Kriegsdienstverweigerer während des Ersten Weltkriegs mehrere Jahre inhaftiert war.

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1937, also zu seiner Zeit als Botschafter in London, hielt er in Leipzig vor der Wirtschaftskommission der NSDAP eine programmatische Rede unter dem Titel „Vierjahresplan und Welthandel“, die auch in London viel beachtet wurde.42 Ribbentrops Doppelrolle als Botschafter und Hauptberater des Staatschefs zwang ihn zu solchen Auftritten, die über die Botschafterrolle hinausgingen, was man bei entsprechendem Willen in London als Mißachtung auslegen konnte und auch ausgelegt hat.43 Die Rede selbst folgte allerdings sehr eng den Linien, an denen Ribbentrop in einer Aussprache mit seinem späteren englischen Amtskollegen Halifax zwei Wochen früher entlanggesprochen hatte. Teilweise ist sie eine wörtliche Wiedergabe seiner damaligen Äußerungen, so daß in London wenigstens niemand überrascht sein konnte.44 Er zog eine demonstrativ positive Bilanz der vergangenen vier Jahre, die gezeigt hätten: „Ein unlösbares Wirtschaftsproblem für ein einiges Deutschland gibt es auf die Dauer nicht.“45 Besonders die seit 1933 vollzogene Abkehr vom Gold sei „für Deutschland das Ei des Kolumbus“ gewesen.46 Was so gut klang und fortgesetzt werden sollte, sei aber in Gefahr durch die „Kurzsichtigkeit einzelner Länder“ und die „Ausbreitung des Bolschewismus“. Deshalb habe Hitler neue Wege gesucht und im vergangenen Jahr den Vierjahresplan auflegen lassen: „Dieser Plan ist demnach Deutschland vom dem Auslande geradezu aufgezwungen worden.“47 Dies klang deutlich nach einer gewissen Unzufriedenheit mit den neuen Plänen, wobei an der Feststellung selbst so viel richtig war, daß der Handelsboykott von Seiten der USA und in der Folge auch anderer westlicher Länder die deutsche Wirtschaft hart getroffen hatte. Auch der Verweis auf die „Ausbreitung des Bolschewismus“ war regimeintern wohlbegründet, stellte doch genau diese Drohung und die Aussicht auf einen sowjetischen Großangriff auf Europa in der Tat das Hauptmotiv für den neuen Wirtschaftsplan dar, wie Hitler in einer entsprechenden „Denkschrift zum Vierjahresplan“ ausgeführt hatte.48 Wirtschaftliche Bedenken 42 Unter anderem gab es eine Erklärung Anthony Edens vor dem Unterhaus am 2. März 1937 und am 8. März 1937 eine Unterhausdebatte mit einer Anfrage mehrerer Abgeordneter an den Staatssekretär für Äußeres, Viscount Granborne, zu dem Thema, ob Botschafter fremder Länder über solche Themen nicht mit der Regierung sprechen sollten, statt „sie zum Thema politischer Reden und der Propaganda zu machen“. Vgl. PA AA, London 1594. 43 Sigismund FitzRandolph, der Verbindungsmann des Propagandaministeriums in der Londoner Botschaft will nach und wegen dieser Rede ein freundliches Streitgespräch mit einem Engländer gehabt haben, der Ribbentrops Auftritt und überhaupt die deutsche Diplomatie generell als „zu offen, zu abrupt und stets zu temperamentvoll“, sowie „zu gebildet“ charakterisierte. Immerhin seien diese Wesenszüge nachteilig, recht betrachtet also eigentlich im „British Interest“. Vgl. FitzRandolph, London, S. 90 ff. 44 Vgl. ADAP, C, VI/1, Dok. 201, S. 436 ff. 45 Vgl. Ribbentrop, Welthandel, S. 9. 46 Vgl. Ribbentrop, Welthandel, S. 10. 47 Vgl. Ribbentrop, Welthandel, S. 11. In gleichem Sinn argumentierte er zwei Wochen früher auch in einem Gespräch mit Halifax. Vgl. ADAP, C, VI/1, Dok. 201, S. 439. 48 Die Schlüsselpassagen in der Denkschrift lauteten dazu: „Der Marxismus (hat) durch seinen Sieg … eines der größten Reiche der Welt als Ausgangsbasis für seine weiteren Operatio-

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gegenüber einer weiteren Aufrüstung sollten demnach zurückgestellt werden, da die Existenz Deutschlands auf dem Spiel stand. Ribbentrop nun wagte jetzt vor der Wirtschaftskommission der NSDAP einen Spagat zwischen einem Zugeständnis an die Erfolge der deutschen Autarkie­politik und der Behauptung, dies sei kein Beweis „für eine welthandelsfeindliche deutsche Wirtschaftspolitik“, ganz im Gegenteil.49 Tatsächlich würde durch die Autarkie erst der Wohlstand geschaffen, der Deutschland wieder in die Lage versetzen würde, als Konsument auf dem Weltmarkt aufzutreten. Der Versailler Vertrag, der Deutschland beispielsweise sein gesamtes Auslandsvermögen genommen habe, sei auf diese Weise friedlich zu überwinden, wie der Redner hinzufügte. Aber, so Ribbentrop weiter, dazu gehöre auch die Rückgabe der deutschen Kolonien, aus wirtschaftlichen und politischen Gründen. Jeder militärischen Nutzung solcher Gebiete erteilte er gleich eine Absage, denn „militärisch gesehen bedeutet an sich jede Kolonie für Deutschland von vornherein eine verlorene Position.“50 Wirtschaftlich aber, so die etwas gewagte These, sei eben der Vierjahresplan praktisch die Vorbereitung für eine neue Übernahme der derzeit als „Mandate“ provisorisch vom Völkerbund an verschiedene Staaten vergebenen deutschen Kolonien. Ribbentrop bemühte sich stets, diese Kolonialforderung im politischen Tages­ gespräch zu halten. Obwohl kaum eine aktuelle Aussicht auf einen Erfolg in dieser Sache bestand, gehörte es zu den Selbstverständlichkeiten, nicht ohne Gegen­ leistung auf eine solche etablierte und im Prinzip durch die Rechtslage von Versailles begünstigte Forderung zu verzichten. Diese Haltung hatte die nationalsozialistische Außenpolitik aus der Weimarer Zeit übernommen. Die deutschen Kolonien waren 1919 in „Mandate“ umgewandelt worden, unterstanden als Völkerrechtssubjekte demnach also letztlich rechtlich dem Völkerbund, nicht den verwaltenden Staaten. Insofern konnten die Signatarmächte wie Großbritannien und Frankreich wenigstens theoretisch über den Völkerbund eine Rückgabe der Mandate an Deutschland veranlassen, ohne in den territorialen Status fremder Länder eingreifen zu müssen. Eine ähnliche Linie wie Ribbentrop verfolgte auch Hitler in Bezug auf diese aktuelle Debatte, der diese Kolonialforderung regelmäßig stellte, zugleich aber als nicht dringend bezeichnete. Würde dieser Punkt zu sehr betont, nen geschaffen …. Einer in sich selbst weltanschaulich zerrissenen demokratischen Welt tritt ein geschlossener autoritärer weltanschaulich fundierter Angriffswille gegenüber. Die militärischen Machtmittel dieses Angriffswillens steigern sich dabei in rapider Schnelligkeit von Jahr zu Jahr. Man vergleiche mit der heute tatsächlich geschaffenen Roten Armee die Annahmen des Militärs vor 10 oder 15 Jahren, um die gefährlichen Ausmaße dieser Entwicklung ermessen zu können. Man überlege sich aber die Ergebnisse einer weiteren Entwicklung in 10, 15 oder 20 Jahren, um sich ein Bild der dann eintretenden Verhältnisse zu machen. … Gegenüber der Notwendigkeit der Abwehr dieser Gefahr haben alle anderen Erwägungen als gänzlich belanglos in den Hintergrund zu treten!“ Zit. n. VfZ 1955, S. 204/205. Hervor­ hebung im Original. 49 Vgl. Ribbentrop, Welthandel, S. 12. 50 Vgl. Ribbentrop, Welthandel, S. 16 f.

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dann bestand aus Ribbentrops Sicht ohnehin die Gefahr, daß England in diesem Punkt plötzlich teilweise nachgeben und dafür den Verzicht auf Dinge wie den Anschluß Österreichs und allgemein die Anerkennung des Status quo in Mitteleuropa verlangen könnte.51 Geschickt formuliert, wäre dieses Angebot schwer zurückzuweisen und würde das Hauptinteresse der NS-Regierung, das an einer gesamtdeutschen Einheit, deutlich schädigen. Allerdings mußte die Befürchtung darüber nicht groß sein. Der Privatsekretär des britischen Außenministers, Oliver Harvey faßte die Aussichten in Sachen Kolonialverhandlungen im Mai 1937, ein paar Wochen nach Ribbentrops Rede, treffend zusammen: „Wie ist die Lage? Wir werden die einzig wertvolle deutsche Kolonie, die wir haben, nicht zurückgeben; wir werden höchstens ein paar Gebietsstreifen aufgeben. Frankreich ist nicht bereit, seine einzig gute deutsche Kolonie aufzugeben; seine Position … ist ebenso gerechtfertigt wie unsere in Sachen Tanganyika.“52

Tatsächlich waren die übrigen deutschen Kolonien nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich wertlos, wie man inzwischen nachgerechnet hat und wie es auch Zeitgenossen bereits wissen konnten. Wenn ein Gebiet gegen Ende des 19.  Jahrhunderts von den traditionellen Kolonialmächten England, Frankreich, Spanien, Portugal und Holland noch nicht in Besitz genommen worden war, dann gab es dafür gute Gründe. Diese Gebiete stellten weder nennenswerten Siedlungsraum, noch Rohstoffquellen oder Absatzmärkte dar, und die Kosten für eine Erschließung überstiegen ihren Wert erheblich. Kolonialbesitz stellte ein Prestige­ objekt der Europäer dar und wurde ja beispielsweise in der Zwischenkriegszeit auch von der polnischen Regierung und polnischen Interessenverbänden als Symbol dafür gefordert, als „Großmacht“ ernstgenommen zu werden. Mit der Absicht, als Siegermacht Kolonialbesitz zu erwerben, knüpfte man von Warschau aus im Frühjahr 1939 die Kontakte nach London. Unter anderem für sie zog man schließlich im September 1939 in den Krieg gegen Deutschland, ohne daß im polnischen Außenministerium allen so recht deutlich gewesen wäre, wie und wo dies zum Kolonialerwerb führen könnte.53 Was allerdings am Kolonialismus in langen Phasen der Neuzeit ein wirtschaft­ liches Geschäft gewesen war, befand sich, so weit es immer noch eines war, in etablierten Händen. Eine einzige Ausnahme stellte das allseits begehrte und eben

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Vgl. Ribbentrop, Botschafterbericht. Zit. n. Harvey, Diary I, S. 408, 8. Mai 1937. 53 Außenminister Becks Kabinettschef Michal Lubienski bestätigte dies ironisch: „Von unserem Großmachtstatus sollten unsere kolonialen Bestrebungen zeugen. Auf dem internationalen Parkett betrachtete man unsere Kolonialpolitik mit Ironie. Aber darum ging es gar nicht. Zur Charakterisierung unserer eigenen Stimmung möchte ich folgende Anekdote wiedergeben: Am 4. September 1939 meldete sich in unserem Büro im Außenministerium der Abteilungsleiter Zarychta und bat, ich solle bei der Ausarbeitung der Kriegsziele nicht die polnischen Kolonialforderungen vergessen. Ich fragte ihn, von wem wir unsere Kolonien fordern sollten, von den Alliierten, von England und Frankreich oder vom neutralen Italien.“ Vgl. Lubienski, Polen, S. 80.

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falls erst am Ende des 19. Jahrhunderts erworbene belgische Zentralafrika dar, der Kongo. Eben dieses Gebiet sollte nach dem Willen der Chamberlain Regierung schließlich in den Jahren 1938 und 1939 der deutschen Regierung zur Mitausbeutung angeboten werden, als Premier Neville Chamberlain einen Versuch unternahm, den Druck der Kriegspartei im eigenen Land zu überwinden. Zugleich stellte der Kolonialismus auch ein Einfallstor für jenen Gegner dar, auf den Ribbentrop im folgenden zu sprechen kam. Seit den 1920er Jahren mobilisierte die Kommunistische Internationale die Massen in den Kolonialgebieten gegen die bürgerlich-kapitalistisch-weiße Machtausübung.54 Dies geschah mit Erfolg, besonders in Asien. Warum nun gerade England beispielsweise über Indien herrschen sollte, dafür gab es in der Tat außer der Gewohnheit keinen irgendwie intellektueller Analyse standhaltenden Grund. Der selbstgefällige Rassismus, wie ihn ein Winston Churchill gegenüber den in seinen Augen des Aussterbens würdigen Indern zur Schau trug, befand sich in den westlichen Eliten auch deshalb bereits auf dem Rückzug. In Europa richtete sich diese Strategie in Form einer mit „landfremden und von dunklen Mächten abhängigen Elementen“ durchgeführten „Hetze“ formal scheinbar nur gegen Deutschland, so Ribbentrop. Es sei aber eine Einheitsfront, die von Moskau aus aufgebaut worden sei: „Getreu den leitenden Grundsätzen Lenins, alles an bestehenden bürgerlichen Institutionen, Ideologien und Mittel für die Ziele der Komintern zu benutzen, wurde ausdrücklich auf die Einbeziehung der sonst gehaßten II. Internationale und der demokratischen Parteien in diese Einheitsfront hingewiesen. Wer danach immer noch nicht sehen will, daß der Bolschewismus einzig und ausschließlich die Macht in allen noch bestehenden Ordnungsstaaten durch Aushöhlung der inneren Gesellschaftsordnung dieser Staaten an sich reißen will, dem ist nicht helfen“.55

Auch gegen diese kommunistische Strategie würde sich der nationalsoziali­ stische Vierjahresplan richten, wie der Redner betonte. Er schloß mit der Wieder­ holung seiner Argumentation, über den Vierjahresplan zu Wohlstand, über Wohlstand zum Welthandel und über den Welthandel zum Frieden kommen zu können. Diese Leipziger Rede wurde in England aus mehreren Gründen sehr bekannt. Zum einen war es ungewöhnlich, wenn ein in London akkreditierter Botschafter eines anderen Landes in seinem Heimatland programmatische Reden hielt. Dies war natürlich Ribbentrops Rolle als außenpolitischem Chefberater des deutschen Diktators geschuldet und insofern nicht überraschend. Zum anderen gelang den notorischen Gegnern einer deutsch-englischen Vertragspartnerschaft einmal mehr ein publizistischer Coup. Ribbentrops Formulierung, die deutsche Außenpolitik müsse sich auf eigene „Stärke“ stützen, wurde in der englischen Presse durchweg 54 „Der Leninismus hat dieses schreiende Mißverhältnis aufgedeckt, die Scheidewand zwischen Weißen und Farbigen, zwischen Europäern, zwischen ‚zivilisierten‘ und ‚unzivilisierten‘ Sklaven des Imperialismus niedergerissen und auf diese Weise die nationale Frage mit der Frage der Kolonien verknüpft.“ Zit. n. Stalin, Werke VI, S. 122 f. 55 Zit. n. Ribbentrop, Welthandel, S. 21.

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falsch übersetzt. Demnach hatte er gesagt, sie müsse sich auf „Gewalt“ stützen.56 Beides zusammen, ungewöhnlicher Ort und Falschübersetzung, sorgten in Kombination für einen jener kleinen Skandale, die es Ribbentrop schließlich unmöglich machen sollten, sein Anliegen in London umzusetzen. 4. Ribbentrop und der frühe Nationalsozialismus „Es ist ja ganz belanglos, wenn jemand sagt: Ich lehne das ganze nationalsozialistische System ab. Das ist ja wurscht, man mag es ablehnen, aber jetzt ist es das, was Deutschlands Schicksal entscheidet.“ Hermann Göring57

Aus der Kenntnis von Ribbentrops bekannten Konzepten, Argumentationen und Handlungen läßt sich sein Verhältnis zur nationalsozialistischen Ideologie wenigstens vage bestimmen. In seinen Memoiren weist er dem Nationalsozialismus wiederholt eine rein funktionale Bedeutung zu, die sich aus der politischen Lage der Zeit ergeben hätte. Demnach sei er im Winter 1930/31 zu der Ansicht gekommen, daß eine kommunistische Revolution angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung ein wahrscheinliches Szenario geworden sei. Er selbst hätte der liberalen Deutschen Volkspartei nahegestanden und den Verfall der bürgerlichen Parteien mit „Erschrecken“ gesehen.58 Deshalb habe er im Ausland dafür geworben, dem amtierenden Reichskanzler Brüning eine Chance zu geben, sonst würde entweder Hitler oder der Kommunismus dessen Nachfolge antreten. Aus heutiger Sicht erscheint diese Aussicht auf einen kommunistischen Umsturz unrealistisch. Die kommunistische Partei hatte in Deutschland nie den Rückhalt und den Einfluß, um aus eigener Kraft die Regierung übernehmen zu können. Der Verlauf der Revolu­ tionsjahre zwischen 1919 und 1923 hatte deutlich aufgezeigt, daß im Gegenteil der Antikommunismus in Beamtenschaft, Wirtschaft und Militär, aber auch innerhalb des politischen Spektrums bis in die Sozialdemokratie hinein, ein spontanes Mobilisierungspotential besaß, das kommunistische Aufstandsversuche trotz deren beachtlicher Organisationsstärke und ihrer Förderung durch die Sowjetunion aussichtslos werden ließ. Das dürfte auch mit der Grund dafür gewesen sein, daß man sich in Moskau etwas ganz anderes ausdachte und vor eine kommunistische Revolution in Deutschland auf die Erschütterung der deutschen Gesellschaft durch eine nationalistische Diktatur und einen folgenden Krieg setzte. Er sollte zwischen dem deutschen Nationalismus und seinen Konkurrenten in Frankreich, England, Italien und Polen ausbrechen und war ein Konzept von langer Hand, wie kommunistische Veteranen bestätigten:

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Vgl. Berber, Gewissen, S. 91. Göring bei einer Rede vor Unternehmern der Luftfahrtindustrie am 8. Juli 1938. Zit. n. IMT, XXXVIII, S. 384. 58 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 34.

4. Ribbentrop und der frühe Nationalsozialismus

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„Es war Lenin, der, als er sah, daß die Russische Revolution sich nicht entwickelte, wie er wollte, versuchte, neue Auswege zu finden durch die Mobilisierung nationalistischer Kräfte im Osten (in den ‚Kolonien‘), aber vor allem in Deutschland. … Radek sagte mir, die deutschen Arbeiter ‚müssen zwei Jahre Hitler auf sich nehmen‘. Er meinte, um Hitler Zeit zu geben, sich auf seinen Westkrieg vorzubereiten.“59

In der Tat konnte ein weiterer großer europäischer Krieg in Europa den Zielen der Sowjetunion sehr nützlich sein. Dies wurde eines der steten Standard­themen Ribbentrops als Außenpolitiker und dieses Bewußtsein trug zweifellos dazu bei, daß auch Hitlers früher geäußerte Ambitionen auf deutsche Ausdehnung nach „Osten“ in seiner Kanzlerschaft eine erhebliche Eingrenzung erfahren hatten, auf die wir später noch ausführlich eingehen werden. Hitler hatte, ebenso wie Ribbentrop und wie alle anderen seiner Generation, im Oktober 1917 zunächst aus der Ferne im zaristischen Rußland und dann im November 1918 in Deutschland selbst erlebt, wie ein scheinbar stabiles politisches System innerhalb kurzer Zeit völlig wehrlos werden konnte. Dies hatte bei ihnen wie bei anderen den Eindruck hinterlassen, der Kommunismus könnte bei weiterem Verfall des Ansehens der Weimarer Parteien doch eine Gefahr werden, wie er es angesichts des Zerfalls des wilhelminischen Herrschaftssystems 1918/19 vorübergehend gewesen war. Die steten Warnungen und Befürchtungen vor einem kommunistischen Revolutionsversuch gaben Ribbentrops Gedankenwelt insofern korrekt wieder. Sie beschrieben zudem eine tatsächlich existierende kommunistische Strategie. Allerdings entwickelten die Verhältnisse sich anders, als diese Strategie vorsah. Die Wahrscheinlichkeit eines europäischen Krieges über der Frage der deutschen nationalen Einheit war gegeben, aber einen Automatismus dafür gab es nicht. Die unmittelbare Kriegsdrohung des Jahres 1939 ließ Ribbentrop dann sogar den Versuch machen, gerade die Sowjetunion zu manipulieren und zur Stützung jener Staatenwelt einzusetzen, die Stalin eigentlich in den Krieg stürzen wollte. Solch unterschiedliche Erfahrungen über die innenpolitische Stabilität, man könnte auch sagen: die jeweilige Revolutionssicherheit, sollten die außenpolitischen Diskussionen der dreißiger Jahre massiv beeinflussen, denn gerade in dem von Ribbentrop umworbenen Londoner Establishment kannten seine Gesprächspartner ähnliche Befürchtungen nicht. Sie hielten seine stete Warnung vor der kommunistisch-sowjetischen Bedrohung nicht für ernstgemeint, sondern für ein instrumentiertes Schreckgespenst, den bald sprichwörtlichen „bolshevik bogey“, hinter dem sich ganz andere deutsche politische Absichten zu verstecken versuchten. In Großbritannien hatte es trotz der großen Herausforderungen während des Ersten Weltkriegs keine Revolution gegeben und es schien auch weiterhin keine anzustehen. Statt dessen blickte man nach Deutschland, dessen ideologische Verfassung Anlaß zu Spekulationen gab. Schließlich zeigte sich Hitler bei allem 59 Aussage des damaligen kommunistischen Funktionärs Karl August Wittfogel. Zit. n. Greffrath, Zerstörung, S. 318 f. Ausführlich zu dieser Thematik in: Scheil, Gegner, S. 127 ff., Kapitel: Wie man eine Mine unter Europa sprengt.

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d­ emonstrativen Antikommunismus auch selbst so stark staatssozialistisch orientiert, daß er den von ihm regierten Staat einmal in öffentlicher Rede als „deutsche Volksrepublik“ charakterisierte, aus Anlaß des Neubaus der Reichskanzlei: „Ich habe das Vertrauen und den Glauben an die Zukunft der deutschen Volksrepublik und ich möchte, daß sie ein würdiger Repräsentant des deutschen Volkstums ist.“60

Diese deutsche Volksrepublik nun, in derselben Ansprache auch als „Volksreich“ bezeichnet, versuchte Ribbentrop schließlich unter seiner Prämisse „wir müssen optieren“ als Außenminister in „säkulare“ freundschaftliche Beziehungen Großbritannien wie zur Sowjetunion zu setzen, also in solche unideologischer Natur. An einen bevorstehenden sowjetischen Angriff mochte er später in den Jahren 1940/41 nicht glauben; er unterstellte demnach zu dieser Zeit auch dem stalinistischen Regierungssystem die Fähigkeit zu säkularen Beziehungen. Mithin machte auch seine Einschätzung des Kommunismus verschiedene Wandlungen durch, die durch die scheinbare Absicht der stalinistischen Führung begünstigt wurden, keine weltrevolutionären Ziele mehr zu verfolgen. Bemerkenswert ist jedenfalls Ribbentrops Erklärung in seinen Erinnerungen, eine Regierung Hitler sei 1932/33 aus seiner Sicht damals die zweitbeste Möglichkeit gewesen.61 Aus seinen Bedenken über den innenpolitischen Zustand der Weimarer Republik zog Ribbentrop nach eigener Aussage den Schluß, die Nationalsozialisten an der Regierung zu beteiligen, aber nicht mit dem Ziel einer nationalsozialistischen Alleinregierung, sondern um „bei der Bildung einer nationalen Koalition zwischen den bürgerlichen Parteien und den Nationalsozialisten mitzuhelfen“.62 Aus diesem Anlaß trat er zudem in die NSDAP ein, nach einer ersten persönlichen Begegnung mit Hitler im August 1932.63 Diese persönlichen Kontakte zum Regierungschef sollten etwa ein halbes Jahr später, bald nach dem Regierungsantritt Hitlers, die Basis für den Beginn von Ribbentrops außenpolitischer Karriere legen und auch dauerhaft diese Basis bleiben. Sie veränderten das persönliche Verhältnis zwischen beiden schnell und nachhaltig. Aus dem Hitler, der die Antwort auf eine Krisensituation personifizierte, wurde in Ribbentrops Augen  – wie in denen so vieler anderer, wenn auch mit unterschiedlicher Wertung – schnell eine Person, in der sich der Sinn der deutschen Nationalgeschichte konzentrierte. Der erste Schritt in diese Richtung wurde nach Ribbentrops Schil

60 Aus der Rede Hitlers zum Richtfest der Neuen Reichskanzlei am 2. August 1938, in: Archiv Speer, Heidelberg, hier zit. n. Schönberger, Reichskanzlei, S. 179. 61 Sie widerspricht auch manchen Angaben, Ribbentrop sei stets und auch im Nürnberger Gefängnis noch „hitlerhörig“ gewesen, wie sie etwa durch den alliierten Gefängnispsychiater Gilbert vorgelegt wurden. Ribbentrop deutete Hitler aber ungeachtet eigener Skepsis zunehmend als eine besondere Figur der deutschen Nationalgeschichte, in Analogie zu Oliver Cromwell oder Napoleon I. für England bzw. Frankreich. Dieser historischen Dimension, an der er auch nach Kriegsende festhielt, glaubte er Rechnung tragen zu sollen und entwickelte den Ehrgeiz, an der deutschen Politik in der Ära dieser Person an vorderer Stelle teilzuhaben. 62 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 35. 63 Laut Roland Ray bereits am 1. Mai 1932. Vgl. Ray, Abetz, S. 123.

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derung bei einem ausführlichen Gespräch in Ribbentrops Villa gelegt, zu dem sich Hitler einige Wochen nach dem 30. Januar 1933 angesagt habe. Ein Motiv für Hitler, sich gerade zu dieser Zeit und dann in den Folgemonaten intensiver mit Ribbentrops Schilderungen über seine Eindrücke bei Auslandsreisen zu beschäftigen, dürfte in einer allgemeinen Suche nach den neuen Verbindungen zu sehen sein, die er als Kanzler benötigen würde. Ribbentrop hatte sich in der letzten Phase des Januar 1933 als wichtige Person erwiesen, in dessen Haus die politischen Verhandlungen über die Koalitionsbildung stattgefunden hatten. Einen besonderen Wendepunkt stellte das Treffen vom 24. Januar dar, an dem die „Beschlußfassung über eine nationale Front“ erging, die letztlich der Hebel wurde, mit dem die Abneigung des Reichspräsidenten Hindenburg gegen eine Kanzlerschaft Hitlers als Chef eines bloßen Präsidialkabinetts letztlich überwunden wurde: „Hier und nirgendwo anders wurde das Dritte Reich geboren. Papen war dabei und Ribbentrop, und Göring und Frick.“64 Dieses „hier und nirgendwo anders“ war Ribbentrops Villa im Berliner Vorort Dahlem. Aus diesem Umstand und dem nachfolgenden Erfolg des Regierungs­ antritts mochte Hitler den Schluß gezogen haben, Ribbentrop habe Verbindungen und Ansichten, die für ihn als Diktator wertvoll werden konnten, eben auch in den internationalen Beziehungen. Hitler erinnerte sich am 21. Mai 1941 an die Gespräche im Haus Ribbentrop: „Nachdem der in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug zu veranschlagende Wahlsieg in Lippe erkämpft worden sei, habe die Umgebung des alten Herrn (d. h. Präsident Hindenburg, d. Verf.) erneut mit ihm Fühlung genommen. Im Hause von Ribbentrops sei eine Zusammenkunft mit dem Sohn Hindenburgs und Herrn v Papen arrangiert worden. … Derartige ihn von der Arbeit in der Bewegung nur abhaltende Besprechungen habe er seinerzeit auf sich genommen, da er den größten Wert auf die legitime Übernahme der Kanzlerschaft, also auf eine gleichsam unter dem Segen des Alten Herrn erfolgende Übernahme, gelegt habe.“65

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Zit. Heinz Höhne, Die Machtergreifung, Hamburg 1983, S. 252. Zit. n. Picker, Tischgespräche, S.  463, 21.  Mai 1942 Abends. Der Grund für letzteres war nach seinen Angaben ein taktischer, denn Hitler erwartete den möglichen Widerstand der Reichswehr, besonders des amtierenden Kanzlers Schleicher und seiner Umgebung: „Der engste Mitarbeiter Schleichers und Oberbefehlshaber des Heeres, habe sich nicht einmal entblödet, bei ihm anzurufen und ihm mitzuteilen, daß ‚die Reichswehr seine Kanzlerschaft unter keinen Umständen billigen könne‘. Wenn die Herren um Schleicher sich allerdings eingebildet gehabt hätten, durch solche Mätzchen seine Entschlüsse erschüttern zu können, so hätten sie sich schwer getäuscht.“ Zit. n. Picker, Tischgespräche, S. 465, 21. Mai 1942 Abends. Das ist in­sofern bemerkenswert, als Hitler wenige Tage nach der Ernennung zum Kanzler gerade bei einem Treffen der hohen Offiziere in der Wohnung Hammersteins von außenpolitischen Grundsatzzielen gesprochen haben soll. Eine wahrscheinlich durch Hammersteins kommunistisch orientierte Tochter Helga von Hammerstein nach Moskau übermittelte Aufzeichnung von Hitlers Rede, deren Herkunft unklar ist, spricht von der möglichen Wahl zwischen einer Teilnahme am Weltmarkt oder der Eroberung von Lebensraum, die der Redner beschrieben hätte. Laut der einzigen überlieferten Aufzeichnung, die nachweislich auf Notizen während der Rede zurückgeht, der von Hammersteins damaligem Adjutanten General Horst von Mellenthin, gab Hitler an, mit diesem „Lebensraum“ Kolonien zu meinen. Vgl. Wirsching, Quelle, S. 520 f.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

Ribbentrop selbst gibt an, gegenüber Hitler in den ersten Gesprächen seine Bekanntschaft mit Gustav Stresemann hervorgehoben zu haben, was den Eindruck von Kompetenz verstärkt zu haben scheint, zumal Hitler sich danach lobend über Stresemann und dessen Außenpolitik geäußert haben soll.66 Das stand in eklatantem Widerspruch zur jahrelangen Polemik der NSDAP gegen angebliche Erfüllungspolitiker der Weimarer Zeit, zu denen öffentlich auch Stresemann gezählt wurde.67 Es mochte als Zeichen des guten Willens in Zeiten der Kontaktknüpfung gemeint sein. Hitler bat Ribbentrop an diesem Abend um eine Sondierung und einen Bericht über die Stimmung in London und Paris bei seinen kommenden Auslandsreisen. Ribbentrop hatte diesen Schritt offenbar erreichen wollen, und damit wurde das Dritte Reich in Ribbentrops Villa einen Monat später am gleichen Ort gewissermaßen noch einmal erfunden, diesmal in außenpolitischer Hinsicht. Ribbentrop ging diese Verbindung mit Hitler demnach ohne Not ein, in einer Mischung aus Nationalgefühl und persönlichem Ehrgeiz, vielleicht auch überredet von einem Hitler, der an diesem Abend über seine gesamte Außenpolitik inklusive seiner Absichten mit Blick auf England, Italien, Frankreich und die Sowjetunion sprach. Ribbentrop hätte diesen Schritt vermeiden oder sich wieder zurückziehen können, spätestens einige Monate später nach der vollständigen Entmachtung und der aufgenötigten Selbstauflösung der bürgerlichen Weimarer Parteien, denen er nach eigener Aussage nahegestanden hatte. Er erwähnt in seinen Aufzeichnungen diese innenpolitische Entwicklung jedoch nicht einmal. Das mag den Umständen und dem Druck geschuldet sein, unter denen er im Nürnberger Gefängnis zu arbeiten gezwungen war. Es passt jedoch nahtlos in das Verhalten weiter Teile der deutschen Bevölkerung, die den Nationalsozialismus zwar mehrheitlich nicht wählte, auch als er schon den Regierungschef stellte, die aber die „nationale Erhebung“ entweder mit Begeisterung oder passiv abwartend hinnahm. Ribbentrop interpretierte sie als nationale wie persönliche Chance. Einen spektakulären Schritt innerhalb der oben angedeuteten innenpolitischen Entwicklung, die von der Weimarer Republik in die faktisch persönliche Diktatur und Tyrannei eines Einzelnen führte, stellte die Erschießung Ernst Röhms und der SA-Führung am 30. Juni 1934 dar. Dieses Ereignis vermerkt Ribbentrop in seinen Erinnerungen, aber lediglich als bloße Tatsache, ohne weitere politisch-moralische Einordnung. Dies ist ein Ausdruck erstaunlicher Gleichgültigkeit angesichts eines Vorgangs, der in der deutschen Geschichte bis dahin beispiellos war. Ein deutsches Staatsoberhaupt, das Personen ohne Anklage und Möglichkeit der Verteidigung verurteilen und töten ließ und dies dann öffentlich rechtfertigte, hatte es bis dahin nicht gegeben. Dieses illegale Vorgehen selbst war insofern merkwürdig, als es zugleich zumindest auf Indizien eines tatsächlich geplanten Staatsstreichs beruhte,

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Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 44. Parteiideologe Rosenberg polemisierte gegen Stresemann als opportunistischen und – wegen der Litwin-Affäre um Parteispenden und Ämter – bestechlichen Revolutionsprofiteur. Vgl. Rosenberg, Novemberköpfe, S. 279–294, bzw. Gatzke, Litwin, S. 76 ff.

4. Ribbentrop und der frühe Nationalsozialismus

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die vielleicht eine legale Verhaftung der Betroffenen ermöglicht hätten.68 Möglicherweise standen die willkürlichen Erschießungen von 1934 in einem Zusammenhang mit der Niederlage, die das Regime mit dem Weg des legalen politischen Justizverfahrens in der Frage des Reichstagsbrands gerade in diesem Jahr erlitten hatte. Die dort wegen kommunistischer Verschwörungen angeklagten Personen waren korrekterweise freigesprochen worden.69 Das Risiko eines Freispruchs der „Schleicher-Röhm-Verschwörung“ wollte das Regime offenbar nicht eingehen. Auch hier half manchen Zeitzeugen bei der Rationalisierung des Vorgangs zum einen die historische Analogie,70 zum anderen der Eindruck der unmittelbar selbst erlebten Zeitgeschichte. Die Ära der Weltkriege ließ die herkömmliche Rechtsordnung für weite Teile auch des bürgerlichen Lagers offenkundig unangemessen erscheinen. Der „Mord als Mittel der Politik“ war in Deutschland nach 1919 durch die alliierte Besatzung und den innenpolitischen Kampf um Revolution und Konterrevolution des öfteren eingesetzt worden. Im Ausland war er in manchen Staaten längst in Massenmord übergegangen und auch das hatte negative Folgen für den Respekt vor dem Rechtsstaat in Deutschland gehabt.71 Unter diesen Umständen und trotz seiner neutralen Haltung zur Röhm-Affäre ergriff Ribbentrop dennoch gelegentlich die Initiative, um Personen Unterstützung zukommen zu lassen, die nach der neuen nationalsozialistischen Sicht der Dinge den sogenannten Nichtariern zuzurechnen waren. Betroffen war unter anderem Hans Rothfels, getaufter Professor jüdischer Herkunft, Kriegsteilnehmer, Deutschnationaler und allseits bekannter Hochschullehrer an der Universität Königsberg. Ungeachtet seiner Vorgeschichte geriet Rothfels in die nationalsozialistische Kritik, er sei als „nichtarischer“ Hochschullehrer im Fach deutsche Geschichte untragbar. Die Schüsse der Mord- und Exekutionskommandos des 30.  Juni 1934

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In diesem Zusammenhang geriet mit Konstantin v. Neurath der gleichnamige Sohn des 1934 amtierenden deutschen Außenministers in Haft und wurde erst nach drei Tagen nach einem Empfang von Hitler persönlich wieder entlassen. Als Grund für seine Handlungen gab Hitler demnach drohenden Verrat an, den er gegenüber Konstantin von Neurath mit Zitaten aus einem „Schleicher-Tagebuch“ zu belegen versuchte. Vgl. Heineman, Neurath, S. 79 und S. 274, Mitteilung Konstantin v. Neuraths an Heineman vom 7. Mai und 20. August 1968. Das „Tagebuch“ ist offenbar nicht überliefert. 69 Andererseits existierte auch keine nationalsozialistische Verschwörung zur Brandstiftung im Berliner Reichstagsgebäude, wie vielfach behauptet wurde. Als alleiniger Täter wurde richtigerweise der holländische Kommunist Marinus van der Lubbe verurteilt, das Strafmaß allerdings durch Rechtsbeugung auf die Todesstrafe erhöht. Vgl. Tobias, Reichstagsbrand, passim. 70 Albert Speer scheiterte in seinen Erinnerungen ebenfalls an diesem Problem. Er versuchte seinen Gleichmut angesichts von Röhms Erschießung in bildungsbürgerlicher Ablenkung mit einem Verweis auf Goethe zu erklären, der in „Iphigenie auf Tauris“ formuliert habe, daß „auch ‚der beste Mann‘ sich schließlich ‚an Grausamkeit gewöhnt‘ und sich ‚zuletzt aus dem, was er verabscheut, ein Gesetz‘ macht, daß er ‚aus Gewohnheit hart und fast unkenntlich‘ wird“. Vgl. Speer, Erinnerungen, S. 532. 71 Einen entsprechenden Hinweis mag Oswald Spenglers Zeitdiagnose von 1922 geben: „Wir haben in wenigen Jahren gelernt, Ereignisse kaum noch zu beachten, die vor dem Kriege die Welt hätten erstarren lassen. Wer denkt heute noch ernsthaft an die Millionen, die in Rußland zugrunde gehen.“ Zit. n. Spengler, Untergang, S. 1098.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

waren, metaphorisch gesprochen, noch kaum verhallt, als ein Beauftragter der Parteileitung vor Ort namens Brockhausen am 2. Juli 1934 den „Stellvertreter des Führers“ zum wiederholten Mal auf den Fall Rothfels aufmerksam machte. Es sei „vollkommen ausgeschlossen, daß ein Träger artfremden Blutes über deutsche Geschichte zu der kommenden Generation spricht. Die Jugend, die die Vorträge von Professor Rothfels hört, wird gerade deshalb, weil er nach außen hin eine liebenswürdige und geistreiche Form hat, in ihrer Seele zerrissen.“72

Daraufhin wurde die schon länger schwebende Aktionsbereitschaft gegen die Professur Rothfels akut und Ribbentrop seinerseits von dem in Königsberg lehrenden britischen Dozenten Thomas Conwell-Evans am 14. Juli 1934 auf den Fall aufmerksam gemacht. Rothfels sei „preußischer Offizier“ und unbestrittener Fachmann. Obwohl offiziell nicht davon gesprochen werde, hänge seine Ablösung als Professor vielleicht doch mit seiner jüdischen Herkunft zusammen.73 Ribbentrop reagierte prompt, leitete das Schreiben von Conwell-Evans an die zuständigen Stellen weiter und gab in einem Begleitschreiben vier Tage später offiziell in seiner Funktion als „Beauftragter der Reichsregierung für Abrüstungsfragen“ an, er stelle sich „wärmstens“ hinter das Anliegen des Engländers, die Entlassung von Rothfels zu überdenken.74 Es nützte einmal mehr nichts, denn die Entscheidung aus dem Büro des Stellvertreters des Führers war am 25. Juli eindeutig ausgefallen: Es sei „allerdings unhaltbar, daß ein jüdischer Professor deutsche Geschichte lehrt“. Das Kultusministerium stellte sich auf den Standpunkt, die Sache sei damit entschieden.75 Ribbentrop selbst erhielt im November eine Antwort, die neben dem Verweis auf das für einen Juden unmögliche „Weltanschauungsfach“76 Geschichte die Begründung aus dem Denunziationsschreiben des Herrn Brockhausen wiederholte. Ein Nichtarier als Geschichtslehrer müßte demnach die Jugend in einen Zwiespalt treiben. Innerhalb der Binnenlogik des nationalsozialistischen Antisemitismus war daran auch soviel richtig, daß ein gelehrter, soldatisch bewährter und patriotischer „Nichtarier“ natürlich den Sinn des ganzen, in dieser Phase des Regimes noch nicht als Gesetzesregel ausformulierten Arierumtriebs permanent in Frage stellen mußte. Was nicht sein konnte, durfte nicht sein.

72

Zit. BA-KO N 12213/20 a, Brockhausen an den Stellvertreter des Führers, Stabsleitung, vom 2. Juli 1934. 73 Vgl. BA-KO N 12213/20 a, Conwell-Evans an Ribbentrop, 14.7.1934. 74 Vgl. BA-KO N 12213/20 a, Ribbentrop an den Kultusminister, 18.7.1934. 75 Vgl. BA-KO N 12213/20 a, Stellvertreter des Führers, Reichsleiter für Kulturfragen an Kultusminister Rust, 25.7.1934 bzw. BA-KO N 12213/20 a, Antwort des Kultusministeriums an den DAAD. 76 In anderen Bereichen fielen die antijüdischen Maßnahmen lange Zeit weniger radikal und widersprüchlich aus, was vielleicht auch Ribbentrops unbefangenen Einsatz in dieser Causa Rothfels mit erklärt. Der Anteil der zugelassenen „nicht-arischen“ Rechtsanwälte in Berlin etwa sank zwischen 1933 und 1938 von 73 Prozent auf etwa 25 Prozent, Deutschlandweit im Schnitt von 27 auf 10 Prozent. Auch prominenten Gegnern des NS-Regimes wurde manchmal weiter die Ausübung des Mandats gestattet, gelegentlich trotz zwischenzeitlicher Inhaftierung. Vgl. Stiefel, Juristen, S. 111.

4. Ribbentrop und der frühe Nationalsozialismus

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Im Jahr 2002 hatte diese Affäre noch ein spiegelbildliches Nachspiel, eben weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Was Rothfels 1933 nicht vor der drohenden Außenseiterrolle und dem Berufsverbot retten konnte, ließ ihn angesichts der Umkehrung der Maßstäbe zu Beginn des neuen Jahrtausend postum erneut zum Außenseiter werden. Hans Rothfels wurde aufgrund seiner Eigenschaften als „gelehrter, soldatisch bewährter und patriotischer Mensch“ in einer Dissertation zum Faschisten abgestempelt. Die polemische Antwort Heinrich August Winklers auf diesen Versuch kennzeichnet die Irrungen und Wirrungen, denen die Zeit­ geschichtsschreibung weiterhin unterworfen ist: „Wo käme man auch hin, wenn man im Kampf gegen ‚Rothfels faschistische Geschichtskonzeption‘ auch noch Gebote der historischen Quellenkritik und der intellektuellen Redlichkeit beachten müßte. Damit würde man sich ja dem Diktat der bürgerlichen Klassenwissenschaft beugen. Und was bliebe auf der Strecke? Die gute alte Parole von 1929: ‚Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!‘“77

Der Spagat, in den Ribbentrop seine politischen Ambitionen brachten, zeigte sich schnell auch an seinem Verhältnis zur SS. Bereits die Gespräche im Vorfeld der Regierungsübernahme Hitlers hatten ihn in Kontakt mit Heinrich Himmler gebracht, der an deren Organisation beteiligt war. Auf der Suche nach regimeinterner Unterstützung wurde Himmler in den Folgejahren immer wieder Ribbentrops Ansprechpartner. Dies sprach sich herum und weckte Bedenken. Als JvR später vom diplomatischen Chefberater des Diktators offiziell zum Leiter der Amtsgeschäfte in der Außenpolitik des NS-Staates befördert wurde, wurde dieser Schritt deshalb im Ministerium als Chance für die Rückübertragung von Kompetenzen und die Gewinnung von neuem Einfluß auf die Außenpolitik durchaus begrüßt. Auf der anderen Seite sagte man dem neuen Außenminister eine große Nähe zu Himmlers Organisation nach, die als gefährlich für die Unabhängigkeit des Ministeriums und einzelner Mitarbeiter eingestuft wurde. Das zu dieser Zeit relativ nahe Verhältnis Ribbentrops zu Heinrich Himmler und der SS fand beispielsweise darin seinen sichtbaren Ausdruck, daß Ribbentrop bei seinem Amtsantritt als Minister den Empfang für die Mitarbeiter des AA in SS-Uniform absolvierte. Bereits im Mai 1933 hatte ihn Himmler zum SS-Standartenführer ernannt. Auch wechselten zusammen mit ihm etwa zwanzig Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop ins Ministerium, die ebenfalls SS-Angehörige waren.78 Bald nach seinem Amtsantritt sorgte der neue Minister zudem dafür, daß gerade die altgedienten und/oder von ihm neu geförderten Mitarbeiter auch einen SS-Rang erhielten. Dazu gehörten Ernst von Weizsäcker und Ernst Woermann, die am 20. April 1938 von Himmler in die SS aufgenommen wurden, also unmittelbar nach ihrer Ernennung zum Staatssekretär bzw. Leiter der Politischen Abteilung des AA.79



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78



Zit. n. TAZ, 29. Oktober 2002, Beitrag Heinrich August Winkler. Vgl. Döscher, Auswärtiges Amt, S. 153. 79 Vgl. Longerich, Himmler, S. 407.

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II. Mensch – Nationalist – Nationalsozialist

Dennoch galt für Himmler, was für alle anderen Institutionen und Personen im NS-Staat galt: Ribbentrop bestand darauf, alle außenpolitischen Kompetenzen möglichst im Außenministerium und bei seiner Person zu konzentrieren und lehnte jede Form von Nebenaußenpolitik durch die NS-Prominenz aller Richtungen ab. Es gelang ihm zwar zu keiner Zeit, sich völlig durchzusetzen, aber die Nähe zu Himmler fand in diesem Zusammenhang einen jähen Abschluß. Dies fiel mit einer Auseinandersetzung in einer Sache zusammen, von der die deutsche Außenpolitik unmittelbar betroffen war. Ribbentrop setzte den außenpolitischen Aktivitäten Himmlers nach dem von dessen Agenten organisierten eigenmächtigen Putschversuch in Rumänien im Frühjahr 1941 ein Ende.80 „Mit H. v. Ribbentrop und Heini ist es nun wohl aus. H. v. R. hat zu große Allüren,“ kommentierte Himmlers Frau Margarethe.81 Ribbentrop verlangte danach von sämtlichen Angehörigen der deutschen Auslandsmissionen eine ehrenwörtliche Erklärung, nicht für den SD der SS oder für die Abwehr zu arbeiten und verbot die direkte Berichterstattung von sogenannten „Polizeiverbindungsführern“ am Außenministerium vorbei an Himmler, wie es vorher gestattet war. Nach einigen Monaten Streit kam es zu einem förmlichen Abkommen, in dem sich sämtliche im Ausland tätigen Mitarbeiter von SS und Polizei verpflichteten, auf jede außenpolitische Tätigkeit zu verzichten, jedes gewonnene nachrichtendienstliche Material ans Außenministerium weiterzugeben und die Berichterstattung über die Missionschefs abzuwickeln. Insgesamt stellte dies einen Erfolg Ribbentrops dar, der die SS an diesem Punkt unter Kontrolle halten konnte. Himmler gestand dies alles zu, vielleicht weil es, wie Reinhard Heydrich zu Protokoll gab, ein „gerade menschlich für den RFSS so wichtiger Friedensschluß“ sei.82 Dies mochte seinen Grund darin haben, daß Himmler offenbar Grund zur Annahme zu haben glaubte, er selbst hätte Ribbentrop im Jahr 1932 in die Politik geholt. Jedenfalls stellte er dies Anfang des Jahres 1939 so dar.83 Sicher war allemal, daß die SS regimeintern eine Größe darstellte, die Ribbentrop zwar phasenweise benutzen, aber nur in Einzelbereichen von Einflußnahme abhalten konnte.



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81

Vgl. Longerich, Himmler, S. 523. Eintrag von Margarete Himmler in ihr Tagebuch vom 8. Mai 1941, hier zit. n. Longerich, Himmler, S. 523. Tagebuch Original in USHMM, Acc. 1999.A.0092. 82 BA Berlin, NS 19/1633, Stellungnahme von Heydrich an Wolff vom 5.  August 1941. Zu den Verhandlungen vgl. PA-AA, Inland Iig 61, Schreiben Heydrich an Weizsäcker, vom 20. Juni 1941. 83 BA Berlin, NS 19/1446, Notizen über Himmlers Äußerungen beim Mittagessen am 30. Januar 1939.

III. Botschafter hinter den Kulissen 1. Zwischen London und Paris „Deutschland muß wieder besiegt werden, und dieses Mal endgültig. Sonst werden Frankreich und England keinen Frieden haben.“ Winston Churchill (1934)1

Obwohl Ribbentrop später die Bilanz ziehen sollte, politisch „zwischen London und Moskau“ agiert zu haben, galten seine ersten Schritte auf dem europäischen Parkett dem Nachbarland Frankreich. Dort verfügte er aus dem Geschäftsleben über Kontakte und beherrschte die französische Sprache selbst ebenso fließend wie die englische. Mit dem Familiennamen Ribbentrop war die deutsch-französische Geschichte auch insofern etwas mehr verbunden als mit der deutsch-englischen, als die Ribbentrops im Dienst des Königs von Preußen in den kontinentalen Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts mitgekämpft hatten. Sie hatten es dabei zu Auszeichnungen2 sowie gelegentlicher Prominenz und schließlich zu einem Adelstitel gebracht. Der Generalkommissar der preußischen Armee, Friedrich von Ribbentrop konnte im Frühjahr 1814 in Paris die Quadriga des Brandenburger Tors wiederfinden,3 die 1806 auf Befehl Napoleons abmontiert und nach Frankreich gebracht worden war. Friedrich von Ribbentrop hatte vorher als Mitarbeiter Gerhard von Scharnhorsts dessen Reformen mitgestalten können und war auch an den innerdeutschen Aufstandsvorbereitungen gegen die französische Besatzung beteiligt gewesen.4 Diese Details lagen 1933 lange zurück, aber sie gehörten zu den Umständen, die Joachim von Ribbentrop aufgrund seiner Herkunft aus der Ebene derjenigen heraushoben, die Hitler sonst als nationalsozialistisch zuverlässig genug galten, um zunächst in den Bereichen der Nebenaußenpolitik tätig zu werden, wie er sie am Auswärtigen Amt vorbei treiben wollte. Ribbentrops Familien­geschichte

1



2

Zit. n. Brüning, Briefe, I, S. 31. Ribbentrops Sohn Rudolf spricht in seinen Erinnerungen davon, in der langen Reihe nicht zurückstehen zu wollen, die alle das Eiserne Kreuz bekommen hatten. Vgl. Ribbentrop, Erlebnisse, S. 280. 3 Vgl. BA-KO, NL 1163/13 Ribbentrop sowie Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 28, Leipzig 1889, S. 400 Artikel Ribbentrop, Friedrich Wilhelm Christian Johann. Nach dem Titel eines bibliothekarisch nicht mehr nachweisbaren Buchs soll Friedrich von Ribbentrop Freimaurer gewesen sein: Dr. Albrecht Erlenmeyer: Friedrich Ribbentrop als Freimaurer, Selbstverlag, Bendorf/Rh. 1903. Vgl. auch Gelehrtes Leben in Berlin im Jahr 1825 mit einer Lebensbeschreibung des Friedrich von Ribbentrop, Berlin 1826. 4 Ribbentrop hielt Kontakt zu Ferdinand von Schill und warnte ihn vor dessen Aufstandsversuch im Frühjahr 1809 vor der drohenden Verhaftung. Vgl. Gerd Fresser: Husarenritt in den Tod, in: „Die Zeit“ vom 12.8.2009.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

illustriert die damals verbreitete Bereitschaft, den eigenen Ehrgeiz damit zu verknüpfen, für Preußen-Deutschland unter Risiko für das eigene Leben in den Krieg zu ziehen. Sie erklärt ein Stück weit das eigene Sendungsbewußtsein von Hitlers oberstem Diplomaten. Die Republik Frankreich hatte sich seit 1919 und auch unmittelbar nach dem Regierungsantritt Hitlers als diejenige europäische Macht inszeniert, die auf vielfältige Weise den Sieg im Ersten Weltkrieg zu einer dauerhaften Ausschaltung einer deutschen Wirtschafts- und Militärmacht ausgestalten wollte. Nicht zuletzt die fehlende französische Kompromißbereitschaft in den in Genf verhandelten Abrüstungsfragen hatte den deutschen Austritt aus den Verhandlungen und dem Völkerbund politisch weitgehend folgenlos möglich werden lassen. Auf Vermittlung Ribbentrops gab Hitler danach zwei international bekannten Journalisten ein Interview, indem er diesen Schritt erläuterte – dem Engländer George Ward Price für die Rothermere-Presse („Daily Mail“) und dem Franzosen Fernand de Brinon für den Pariser „Matin“. Brinon war ein häufiger Gast in Ribbentrops Privatsphäre und wurde zu einem langjährigen Kontaktmann,5 der schließlich 1940 von Staatschef Pétain zum Botschafter in Deutschland ernannt wurde. Nach der Rückeroberung Frankreichs durch die Alliierten wurde er später verurteilt und hingerichtet. Andererseits stand die französische Regierung trotz ihres Widerstands gegen die internationale Abrüstung ebenso wie die britische den Offensivplänen gegen Deutschland ablehnend gegenüber, die Polens Diktator Josef Pilsudski 1932/33 in Paris sondieren ließ.6 Ein polnischer Marsch auf Berlin wurde zwar in Warschau geplant und in der deutschen Hauptstadt befürchtet. Er stand aber noch nicht auf der internationalen Tagesordnung. Aus Verärgerung darüber vollzog Pilsudski dann eine weitgehende Kehrtwende und ließ schließlich den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt vom 26. Januar 1934 unterzeichnen, der nach dem Austritt aus dem Völkerbund und dem Schuldendienst einen positiven Erfolg nationalsozialistischer Außenpolitik darstellte.7 Am Zustandekommen dieses Abkommens war Ribbentrop nicht beteiligt. Er versuchte zu diesem Zeitpunkt sowohl in Paris wie in London, aber eben vor allem in Paris, Gespräche der dortigen Führungen mit der neuen nationalsozialistischen Regierung in Gang zu bringen. Der langjährige französische Botschafter in Berlin und Rom, André François-Poncet entschuldigte später die aktuelle Politik des Jahres 1938 mit den vielen verpassten Gelegen­heiten aus jenen frühen Jahren des NS-Regimes, die sich mit Ribbentrops Reisediplomatie verbanden:

5 Über den Kontakt mit de Brinon versuchte Ribbentrop beispielsweise im Frühjahr 1939, eine französisch-italienische Verständigung zustande zu bringen. Vgl. Ciano, Tagebücher, S. 35, 6. Februar 1939. 6 Zu Beginn der dreißiger Jahre war auf dieser Basis eine begrenzte Offensive gegen Deutschland ausgearbeitet worden, damals eine sogenannte „Angriffshandlung mit Präventivcharakter“ gegen die Weimarer Republik. Vgl. Roos, Polen, S. 6. 7 Vgl. Text des Abkommens in ADAP, C, II, 1, Dok. 219, unterzeichnet von Außenminister v. Neurath und Botschafter Lipski.

1. Zwischen London und Paris

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„François-Poncet wies hierbei auch darauf hin, daß der Führer Ende 1933 angeboten habe, Deutschland baue ein 300.000 Mann-Heer auf und begnüge sich mit der Hälfte der französischen Luftwaffe. Er, François-Poncet, habe dieses Angebot damals sehr dringlich nach Paris weitergegeben, habe wiederholt gemahnt, aber niemals darauf eine Antwort an den Führer bekommen.“8

Es war Ribbentrops Aufgabe gewesen, solche Angebote in Hitlers Auftrag auch an den üblichen diplomatischen Kanälen vorbei in Paris und London vorzulegen. Der demonstrative deutsche Austritt aus dem Völkerbund änderte nichts am Fortgang dieser Verhandlungen, die sich zur Jahreswende 1933/34 teilweise in Berlin abspielten und die Ribbentrop einen ersten Titel eingebracht hatten. Am 20. Februar 1934 nahm er als „Beauftragter der Reichsregierung für Abrüstungs­fragen“ an einer Zusammenkunft in der Reichskanzlei teil. Anwesend waren Außen­ minister Neurath, Reichswehrminister Blomberg, der englische Botschafter Eric Phipps und William Strang, der Leiter der Völkerbundsabteilung im englischen Außenministerium, sowie der derzeitige Lordsiegelbewahrer Anthony Eden und Hitler. Die Teilnahme Ribbentrops als einziger Person ohne regierungsamtliche Position stellte eine Heraushebung dar, letztlich durch beide Seiten, denn Eden hätte sich eine solche Teilnahme einer Person ohne Regierungsrang an einem höchst offiziellen diplomatischen Treffen ohne weiteres verbeten können.9 Tatsächlich sollte dies auch der einzige Fall von Ribbentrops Anwesenheit in einer ganzen Kette von Gesprächen bleiben, die Eden bei diesem Erkundungstrip auf den Kontinent mit Hitler und dem deutschen Außenministerium führte.10 Eden unternahm eine Sondierungsreise, die ihn auch nach Rom und Paris führte, um die jeweiligen Reaktionen der Regierungen auf ein englisches Memorandum zur Abrüstungsfrage zu erkunden, das auch Italien und Frankreich überreicht worden war.11 Die Debatte verlief auch hier im aktuell üblichen Rahmen. Hitler zeigte sich bereit, den im Memorandum formulierten englischen Vorschlägen umfassend zu folgen. Er verlangte aber sofortige Zugeständnisse bei Verteidigungswaffen und die Klärung der wesentlichen Punkte vor einer Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund, zu der er bereit sei. Eden dagegen betonte wiederholt, die Verhandlungen seien seiner Ansicht nach besser im Rahmen des Völkerbunds zu führen, also nach einer deutschen Rückkehr dorthin.12 In Paris hielt man von Edens Rundreise und dem englischen Memorandum wenig. Außenminister Louis Barthou sprach zwar mit Ribbentrop einige freundliche Worte und deutete gelegentlich an, noch mehr sagen zu wollen. Gegenüber Bot

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9

PA AA R 27091, Bl. 29037, Bericht der DR vom 3. November 1938. Ribbentrop erhielt die „offizielle Eigenschaft“ eines „Beauftragten der Reichsregierung für Abrüstungsfragen“ erst zwei Monate später. Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 405, Neurath an die Botschaften in Paris und London vom 18. April 1934. 10 Die DBFP führen sechs Gespräche auf, die Eden zwischen dem 20. und 22. Februar 1934 in Berlin führte, teilweise mit Hitler in der britischen Botschaft. 11 Vgl. DBFP, Sec. Series, VI, Doc. 206, S. 214–224, 12 Vgl. ADAP, C, III/2, Dok. 271, S. 500 ff., Besprechung in der Reichskanzlei.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

schafter Köster ließ er in einem generell offenbar gereizt verlaufenen Gespräch aber deutliche Ablehnung erkennen. Barthou nahm Hitlers Einverständniserklärungen zwar grundsätzlich positiv entgegen, aber das englische Memorandum verlange französische Abrüstung bei gleichzeitiger deutscher Aufrüstung. Dies lehnte Barthou kategorisch ab und ließ nach Kösters Bericht erkennen, auf einen englischen Regierungssturz zu hoffen.13 Zusätzlich verwies er auf eine neu eingerichtete Unterkommission der französischen Regierung zur Abrüstung. Die hatte allerdings, wie Köster in Erfahrung gebracht haben wollte, neben den bekannten vagen Vorschlägen vom Frühjahr 1932 über eine Internationalisierung von Streitkräften im wesentlichen nur drei Standpunkte festgelegt: –– Keine Abrüstung Frankreichs –– Keine Aufrüstung Deutschlands –– Erhöhung der Schlagfertigkeit der französischen Armee, finanziert über eine Anleihe von einer Milliarde Francs.14 Dies wäre insofern konsequent gewesen, als für die immer wieder gescheiterten Abrüstungsverhandlungen offenbar auch finanzielle Interessen direkt verantwortlich waren. Die Entlassung etwa von Reichskanzler Brüning stand damit in Zusammenhang, daß Präsident Hindenburg „von einem deutschen Industriellen erfuhr, die französische Schwerindustrie zöge die Wiederaufrüstung Deutschlands jeder multilateralen Abrüstung aller Nationen vor.“15 Insofern bereiteten der Abbruch der Verhandlungen und die folgende allseitige Aufrüstung auch gute Geschäfte vor. Barthou ließ Köster wissen, auf Vermittlung von Graf Jean Castellane bereits mit Ribbentrop gesprochen zu haben, der ein Mann von Manieren sei, „mit dem man sich über Richard Wagner noch besser unterhalten könne wie mit dem augen­ blicklichen Botschafter in Paris“, also mit Köster selbst.16 Der so verspöttelte deutsche Diplomat reagierte gereizt und erkundigte sich in Berlin nach Ribbentrop und dessen Persönlichkeit, was scheinbar einen für Präsident Hindenburg bestimmten Kommentar des Außenministers Neurath nach sich zog. Er stellte Ribbentrop gegenüber dem deutschen Staatsoberhaupt lediglich – und falsch – als „altes Mitglied der NSDAP“ vor, das besonderes Vertrauen des Reichskanzlers besäße und mit Wissen des Auswärtigen Amts in London und Paris tätig sei. „Agenten ähnlicher Art sind schon früher und besonders seit dem Kriege wiederholt tätig gewesen. Ihr Erfolg und ihr Nutzen ist meist gering. … Jetzt hat der Herr Barthou dem Bot 13 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 301, S.  548 f., Bericht Köster an AA über ein Gespräch mit ­Barthou vom 7. März 1934. 14 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 301, S.  549, Bericht Köster an AA über ein Gespräch mit ­Barthou vom 7. März 1934. 15 Vgl. Brüning, Briefe, I, S. 370. 16 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 301, S.  550, Bericht Köster an AA über ein Gespräch mit ­Barthou vom 7. März 1934.

1. Zwischen London und Paris

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schafter Köster gegenüber die Art der Einführung des Herrn von Ribbentrop bemängelt. Aus geheimen Nachrichten geht hervor, daß Herr Barthou von dem Besuch wenig angenehm berührt war und deshalb Herrn von Ribbentrop mit betontem Sarkasmus begegnet ist.“17

Nun hatte sich Barthous Sarkasmus eher gegen die offizielle Diplomatie des deutschen Auswärtigen Amts gerichtet und jeden Nachweis der „geheimen Nachrichten“ über das Gegenteil blieb Neurath schuldig. In seiner Nachricht an ­Köster über diesen Vorgang gab er denn auch an, den Bericht an den Reichspräsidenten selbst inszeniert zu haben. Eine Anfrage Hindenburgs zu diesem Thema hatte es nie gegeben. Jetzt sollte sich der Präsident angeblich gegen die Verwendung ­Ribbentrops ausgesprochen haben. Ob wenigstens das nun stimmte und ob eine solche Äußerung durch Hindenburg bei objektiver Darlegung der Dinge wiederholt worden wäre, mag man zumindest bezweifeln.18 Mithin lag hier eine jener Intrigen aus dem Auswärtigen Amt gegen Ribbentrop vor, der später noch viele andere folgen sollten. Darüber hinaus war dies aber auch ein Versuch, den Kanzler Hitler von möglichen Informationsquellen abzuschneiden und ihm andere Einflußmöglichkeiten als das Auswärtige Amt vorzuenthalten. Dessen ungeachtet und wohl über den Vorgang auch nicht unterrichtet, beauftragte Hitler erneut Ribbentrop damit, Barthou zu einem Besuch Deutschlands einzuladen.19 Ende April erhielt Ribbentrop dann wie bereits erwähnt offiziell seinen Titel als „Beauftragter der Reichsregierung für Abrüstungsfragen“. Das benutzte Neurath aber erneut dazu, ihm in der entsprechenden Nachricht an die Pariser und Londoner Botschaften für jedwede Aktivität die vorherige Beratung durch die Botschaft vorzuschreiben und zudem die Begleitung durch den Missionschef oder einen Vertreter.20 Das Auswärtige Amt war bemüht, die deutsche Außenpolitik in den von ihm gewohnten Bahnen zu halten, wenn auch diese gewohnte Art nur wenig flexibel war und internationalen Gepflogenheiten eigentlich nicht unbedingt entsprach. Es stellte für Regierungschefs und andere Offizielle in den westlichen Ländern keinerlei Problem dar, sich mit inoffiziellen Abgesandten anderer Länder zu treffen. Entscheidend war, ob diese Besuche einen Gewinn darstellten oder nicht.21

17 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 314, S.  568, Aufzeichnung Neuraths für Hindenburg vom 10. März 1934. 18 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 343, S. 632, Brief Neuraths an Köster vom 15. März 1934. Hermann Graml geht von der Authentizität der Äußerungen aus und spricht davon, Hindenburg sei vom AA „eingespannt“ worden, nennt allerdings fälschlicherweise Hoesch als denjenigen, der von nutzlosen „Agenten“ gesprochen haben soll. Vgl. Graml, England, S. 59. 19 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 392, S. 717, Bülow an Botschaft in Paris vom 10. April 1934. 20 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 405, S. 735, Neurath an die Botschaften in Paris und London vom 18. April 1934. 21 Trotz Neuraths Wortwahl ging Ribbentrop in den Folgewochen offenbar davon aus, die Kompetenz für Anweisungen an die Botschaften zu besitzen und auch Erlässe des Außen­ ministers an die Botschaften ändern zu können. Eine Anweisung Neuraths an Leopold Hoesch in London, wie auf eine erwartete Erklärung der englischen Regierung zu reagieren sei, ist offenbar von Ribbentrop entworfen und redigiert worden. Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 63, S. 127 ff., 5. Juli 1934.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

In seiner neuen Eigenschaft reiste nun Ribbentrop gewissermaßen auf den Spuren Edens nach London und Rom, um die Abrüstungsfragen mit Eden und John Simon22 sowie Mussolini23 zu besprechen. Beide Gespräche drehten sich im wesentlichen um die Frage, wie angesichts der französischen Unnachgiebigkeit Zeit gewonnen werden konnte, ohne daß einer der Beteiligten als der Nachgebende dastand. Als unmittelbare Folge des Gesprächs ließ Mussolini in London entsprechend sondieren, was aber ergebnislos blieb, denn inzwischen hatte sich Robert Vansittart mit seiner stets negativen Linie auch in diesen gerade anstehenden Fragen durchgesetzt.24 Um jeden Stein umzudrehen, besuchte Ribbentrop daraufhin am 15. Juni den US-Botschafter in Berlin, William Dodd. Ihm gegenüber stellte er die deutsche Rückkehr in den Völkerbund und eine Aufnahme der Abrüstungsgespräche in diesem Rahmen in Aussicht, wenn es vorher nur kleine französische Zugeständnisse geben würde. Dodd fühlte sich „ausgehorcht“, hatte er doch selbst gegenüber seinem französischen Kollegen François-Poncet genau diesen Ablauf der Dinge vorgeschlagen, den Ribbentrop jetzt anbot. Der US-Botschafter antwortete also trotz der inhaltlichen Übereinstimmung lediglich ausweichend, mit einer allgemeinen Kritik an der deutschen Handelspolitik sowie der judenfeindlichen deutschen Gesetzgebung und ohne auf seine eigenen Vorstellungen weiter einzugehen. Ribbentrop „tat überrascht und zeigte sich einigermaßen besorgt, als er fortging“.25 Es schien Dodd offenbar unmöglich zu sein, positiver zu reagieren, obwohl er den entsprechenden Bericht nach Washington über die Unterhaltung mit Ribbentrop und andere Gespräche dieser Tage mit Eindrücken untermalte, die auf die Existenz einer wirklichen Verständigungschance schließen ließen. Zwar konnte der US-Botschafter sich nicht völlig in die deutsche Situation hineinversetzen,26

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Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 443, S. 787 ff., Aufzeichnung vom 10. Mai 1934. Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 456, S. 808 ff., Aufzeichnung vom 18. Mai 1934. Anwesend neben Mussolini und Ribbentrop auch Staatssekretär Fulvio Suvich und Ulrich von Hassell. 24 Vgl. ADAP, C, II/2, Dok. 464, S. 824 ff., Bericht von Hoesch an Neurath und Ribbentrop über die englisch-italienischen Gespräche und eigene Gespräche vom 25. Mai 1934. 25 Vgl. Dodd, Diplomat, S. 133, Eintrag vom 15. Juni 1934. 26 Die gesamten als Tagebuch veröffentlichten Aufzeichnungen Dodds sind durchsetzt mit abstrusen Mutmaßungen über den deutschen Nationalcharakter und geschichtliche Zusammenhänge, die ihm jede objektive Einschätzung der internationalen Verhältnisse offenbar unmöglich machten. So heißt es u. a.: „Keinem Deutschen scheint je der Gedanke gekommen zu sein, daß es ein Unrecht ist, das Gebiet eines anderen Volkes an sich zu reißen. Das ist das Ergebnis einer Tradition von Jahrhunderten.“ Dodd, Diplomat, S. 482, 18. November 1937. Daß nun gerade die von Dodd repräsentierten USA vollständig auf dem „Gebiet anderer Völker“ lagen, war dieser Selbstwahrnehmung entgangen. Objektiv gesehen war das Deutschland des November 1937 zudem ein mitteleuropäischer Kleinstaat, umgeben von gleich mehreren Imperien, die sich über alle Teile der Welt erstreckten und bestand aus Territorien, die seit dem Mittelalter einen Staatsverband gebildet hatten, bzw. aus den Resten dieses Staatsverbands, so weit andere Staaten nicht ebenso wie den Großteil der übrigen Welt „das Gebiet dieses Volkes an sich gerissen“ hatten. Diese Passage war denn auch den kommunistischen Herausgebern seiner Tagebücher zuviel, wenn auch aus ganz anderen Gründen: „Dodd übersieht hier den unermüdlichen Kampf der deutschen Antifaschisten unter Führung der KPD gegen die Annexionspolitik des deutschen Imperialismus.“ (sic) Vgl. ebd. S. 521.

1. Zwischen London und Paris

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aber er bemerkte doch ein wenig von dem Gefahrenbewußtsein auf der deutschen Seite, auch in einem Gespräch mit Staatssekretär Bülow. Erneut kam Ribbentrops Vorschlag zur Sprache: „Von Bülow fügte hinzu: „Wir möchten, daß eine Konferenz der Großmächte zustande kommt, die den Kellogg-Pakt unterzeichnet haben, und daß dort einem Friedensvertrag zugestimmt wird, der Deutschland, Frankreich, England, Italien und die Vereinigten Staaten einschließt“. Dies kommt dem Vorschlag nahe, den Ribbentrop am Freitag unterbreitete. Hoffentlich sind sich die Deutschen über die fürchterlichen Risiken ihrer Position im klaren und meinen es mit ihren Vorschlägen gegenüber Italien und Frankreich ehrlich. ­FrançoisPoncet ist noch in Paris; vielleicht erreicht er dort mehr, als er hier hätte tun können.“27

Tatsächlich hing der Fortgang der Dinge weniger von der Ehrlichkeit der deutschen Diplomatie als von der französischen Kompromißbereitschaft ab, die François-Poncet in Paris auszuloten versuchte. Ein weiterer Friedensvertrag, der den von Versailles offiziell ablösen würde und mit der Einbeziehung der USA – die den Frieden von Versailles zwar unterschrieben hatten, aber dann im Kongreß scheitern ließen – die innereuropäischen Verhältnisse auf eine neue Grundlage stellen würde, mußte aus deutscher Sicht eine Idealvorstellung sein. Zwar würden auf diese Weise auch die von Bülow selbst im Vorjahr in seiner Denkschrift entwickelten Revisionsziele in weite Ferne rücken, da in der Situation von 1934 für die deutsche Diplomatie kaum wesentlich mehr als der territoriale Status quo zu erreichen gewesen wäre. Eventuell ließ sich in einem solchen Vertrag über die Wiederherstellung von militärischer Verteidigungsfähigkeit, Streichung von Alleinschuldparagraph und verbesserte finanzielle Regelungen sprechen, vielleicht auch über Volksabstimmungen im Saarland, in Danzig und im Memelland, aber sicher nicht über die von Bülow damals geforderte „totale Lösung“ in Polen oder den Anschluß Österreichs. Die genannten fünf Staaten hatten bereits in einer Fünfmächteerklärung vom 11. Dezember 1932 Deutschlands berechtigten Anspruch „auf Gleichheit der Rechte in einem System, das allen Nationen Sicherheit garantiert“ anerkannt.28 Dieser Gedanke konnte nun weiterverfolgt werden und Ribbentrop reiste dementsprechend auf den Spuren von François-Poncet nach Paris, um die Dinge voranzubringen. Einen Tag nach der Unterredung mit Dodd, am 16. Juni, traf Ribbentrop dort erneut mit dem französischen Verantwortlichen in dieser Sache zusammen, mit ­Barthou. Inzwischen hatte auch Botschafter Köster wieder einmal eines seiner heftigen Gespräche mit dem Franzosen gehabt, der gegenüber Köster gern zu undiplomatischen Worten griff, wie „er pfiffe“ auf eine Einladung Mussolinis und werde nicht gestatten, daß „Deutschland sich mit Jugoslawien ins Bett lege“.29 Abgesehen von dieser Wortwahl gab es von Seiten Kösters wenig Neues zu berichten.

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Zit. n. Dodd, Diplomat, S. 135 f., Eintrag vom 18. Juni 1934. Die fünf beteiligten Mächte waren die USA, Frankreich, Großbritannien, England und Italien. Zit. n. Gathorne-Hardy, Politik, S. 403. 29 Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 4, S. 6 ff., Köster an AA vom 15. Juni 1934.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

Ribbentrops Besuch dagegen schien in besserer Atmosphäre stattgefunden zu haben. Barthou sprach nach Ribbentrops Aufzeichnung sogar ausdrücklich von Vertrauen in die deutsche Führung und in die Person des neuen Kanzlers, sowie von dem Wunsch, sich mit Deutschland zu verständigen. Er stellte auch einen Besuch in Berlin in Aussicht, um Hitler persönlich treffen zu können und bat um weitere Kontakte via Ribbentrop.30 Der ganze Ton der Aufzeichnung war insgesamt derart optimistisch gehalten, daß Ribbentrop sich genötigt fand, ihren Wahrheitsgehalt eigens zu betonen: „Die obige Darstellung gibt die Unterredung genau so wieder, wie sie war.“31 Dies war für Barthous sonst so frostiges Verhalten gegenüber der deutschen Diplomatie ganz ungewöhnlich und aus der Rückschau mag man diesen Auftritt auch für gespielt halten, denn mittlerweile hoffte Barthou offenbar auf Fortschritte in ganz anderer Hinsicht. Mit Moskau hatte sich – nach London – die zweite von jenen Hauptstädten europäischer Politik zu Wort gemeldet, die mit Ribbentrops Politik besonders in Erinnerung blieben. Genaugenommen hatte sich allerdings nicht Moskau zurückgemeldet, sondern war von Barthous Politik nach Europa zurückgeholt worden. Barthou arbeitete an dem Projekt eines Ostpakts, der die Sowjetunion in ein sogenanntes europäisches Sicherheitssystem mit einbeziehen sollte und den man in Berlin wohl zu Recht als Versuch empfand, den Status quo und die deutsche Verteidigungsunfähigkeit mit neuen Mitteln erneut festzuschreiben. Ribbentrop sollte später noch oft die Episode erzählen, Barthou hätte ihm gesagt, vor einem deutsch-französischen Ausgleich „nach Osten gehen“ zu müssen.32 In einem Gespräch mit Alexis ­Léger, dem Generalsekretär des französischen Außenministeriums, erfuhr Ribbentrop kurz nach dem Gespräch mit Barthou, daß diese Ostpläne eine französische Idee seien, auf die man in Moskau letztlich eingegangen sei. Léger sagte nicht nur dies, sondern stellte auch unumwunden fest, „wenn Deutschland sich diesen Plänen gegenüber ablehnend verhalten würde, … dann würde Frankreich bestimmt mit Rußland einen Pakt für sich abschließen.“33 So geschah es ein Jahr später, und mit dieser französischen Wendung begann, so könnte man sagen, eigentlich die Eskalation der europäischen Politik, die seit 1936 in einen „kalten“ und schließlich 1939 in einen „heißen“ Krieg münden sollte. Statt einen neuen Fünfmächte-Friedensvertrag auf Basis der bereits anerkannten Gleichberechtigung, wie er unter anderem von Ribbentrop ins Gespräch gebracht worden war, förderte der einseitige französische Schritt eine Kette wechselseitiger unilateraler Schritte. Hitler beantwortete den französisch-sowjetischen Vertragsschluß mit der Ankündigung, für den Fall der Ratifizierung des Vertrags seinerseits das Rheinland zu remilitarisieren, 30 Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 31, S.  73 ff., Aufzeichnung über Unterredung Ribbentrop-­ Barthou am 16. Juni 1934. 31 Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 31, S. 77. 32 So etwa gegenüber David Lloyd George im Sommer 1936. Vgl. Jones, Diary, S.  241, 30. August 1936. 33 Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 31, S. 78, Aufzeichnung Ribbentrops vom 21. Juni 1934 über das Gespräch mit Léger.

2. Das Flottenabkommen von 1935

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was dann im Frühjahr 1936 auch geschehen sollte. Barthou, der gegenüber Ribben­ trop Zweifel an diesem pro-sowjetischen Kurs der französischen Politik hatte erkennen lassen, wurde bald nach dem im Herbst 1934 geführten Gespräch ermordet, zusammen mit dem König von Jugoslawien, bei dessen Ankunft im Hafen von Marseille. Todesschütze war ein bulgarischer Kommunist, der unter vielen Namen bekannt war, unter anderem mit dem Nachnamen des damaligen Chefs der Komintern: Dimitrov.34 2. Das Flottenabkommen von 1935 „Dann wandte sich der Führer in teils scharfen, teils humorvollen Worten gegen die Schicht der Intellektuellen, die immer sagten, die deutsche Propaganda sei nicht fair; wenn man nur auf sie hörte, würde überhaupt nichts erreicht. Er habe viele Zuschriften bekommen, die dies bewiesen und nannte als Beispiel hierfür die Kritik eines Beamten in Berlin, der vor dem Abschluß des Flottenabkommens vom Juni 1935 für nur 15 % der englischen Flottenstärke als mög­ liches Ziel eintrat und jedes Mehr für unmöglich hielt. Herr von Ribbentrop habe dann 35 % herausgehandelt, worauf der betreffende Beamte wieder kritisierte, daß es nicht 40 bis 60 % waren. Er, der Führer habe dann diesen Beamten hinausgefeuert.“ Bericht der Dienststelle Ribbentrop35

Als Beauftragter für Abrüstungsfragen geriet Ribbentrop allmählich auch mehr an jenen Ort des Geschehens, an dem er später als Botschafter fungieren sollte. Die englische Regierung zeigte sich in Rüstungs- und Abrüstungsfragen im Jahr 1934 weitaus flexibler als die französische. London wurde trotz der reservierten Haltung mancher politischer Kreise folgerichtig zunächst ein eher angenehmer Aufenthaltsort für Ribbentrop. In Gesprächen mit Außenminister John Simon und Lordsiegelbewahrer Anthony Eden konnte er im November 1934 auf beinahe allen Feldern erkennbare Fortschritte erzielen. Da der Widerstand gegen ein internationales Abkommen erkennbar von Frankreich ausging, lag die entsprechende Argumentation auf der Hand und Ribbentrop nutzte sie. Deutschland sei jederzeit bereit, ein internationales Abrüstungsabkommen zu unterzeichnen, aber jetzt sehe es nicht so aus, als ob dies zustande kommen würde. Früher oder später müßte daher Deutsch 34 Über Hintergründe wurde viel spekuliert. So soll Dimitrov sich nach manchen Informationen vom Kommunismus losgesagt haben und nationaler Separatist geworden sein. Dies würde allerdings der damaligen Linie der Komintern entsprechen, den Nationalismus in Europa zu fördern. Meist wird das Attentat als Attentat auf den König gewertet und in diesem Zusammenhang gelegentlich sogar andeutungsweise als von Deutschland inspiriert bezeichnet. Der Attentäter sprang allerdings von vorn-seitlich auf den Wagen und schoß auf Barthou, den er auch von vorn traf. König Alexander dagegen wurde in den Rücken getroffen, vermutlich von Leibwächtern. 35 PA AA R 27091, Bl. 29044 f., Bericht der DR über Hitlers Rede am 10.11.38 vor der deutschen Presse im Führerbau in München.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

land reagieren, ließ Ribbentrop seine englischen Gesprächspartner wissen, offenbar ohne auf Widerspruch zu stoßen. Er konnte gleichzeitig ankündigen, daß in jedem Fall weder eine Gleichheit der deutschen Marinerüstung noch der deutschen Luftrüstung mit den englischen Streitkräften angestrebt werden würde. In beiden Bereichen konnte und sollte England die jeweils stärksten Streitkräfte in Europa unterhalten. Das mochten Eden wie Simon ohnehin für selbstverständlich gehalten haben, aber es war doch ein deutliches Signal, wenn in diesen Besprechungen vom Versailler Vertrag nicht mehr die Rede war. Die völlige Annullierung seines Teils V mit den einseitigen Rüstungsbegrenzungen hielt Ribbentrop in seinem Bericht für eine Frage, die innerhalb der nächsten Monate zu thematisieren sei.36 Tatsächlich sollte es ja nur noch wenige Wochen dauern, bis Hitler im März 1935 diese Bestimmungen öffentlich für nichtig erklären ließ – zunächst ohne weitere negative Folgen. Für einen weiteren Erfolg auf der britischen Insel sorgte Ribbentrops alter Kontakt zu Thomas Conwell-Evans. Der frühere Lehrbeauftragte an der Königsberger Universität, der ihn vor einigen Monaten auf den Fall Rothfels aufmerksam gemacht hatte, woraufhin Ribbentrop versuchte, etwas für den von Berufsverbot bedrohten jüdischstämmigen, deutschnationalen Historiker zu unternehmen, machte ihn nun in England mit Philipp Kerr bekannt, dem inzwischen zum Marquess of Lothian avancierten früheren Privatsekretär des Kriegspremiers David Lloyd George. Lothian interessierte sich für die Lage in Deutschland und wollte im Rahmen einer sowieso anstehenden Reise auf unauffällige Weise mit der Staatsführung zusammenkommen, Conwell-Evans würde ihn begleiten und bei Ribbentrops in Berlin wohnen. Botschafter Hoesch konnte die Begeisterung über diese Entwicklung erkennbar kaum unterdrücken: „Lord Lothian gehört zu den allereinflußreichsten nicht amtlichen Persönlichkeiten Englands und ist unzweifelhaft der bedeutendste nichtamtliche Engländer, der bisher um Empfang bei Reichskanzler ersucht hat. Er ist Deutschland gegenüber wohlwollend eingestellt und möchte zur Verbesserung des Verständnisses zwischen Deutschland und England beitragen. Ich möchte dringend empfehlen, daß ihm die von ihm erbetenen Audienzen gewährt werden und daß insbesondere auch der Reichskanzler ihn persönlich empfängt.“37

Hitler war ohne Bedenken geneigt, dieser Empfehlung Folge zu leisten, bot ein Treffen am 29.  Januar an und bat Außenminister Neurath um Anwesenheit. Einmal mehr fühlte sich Neurath aber offenbar durch die Einschaltung Ribbentrops um die Kontrolle in diesen Dingen gebracht und nahm am schließlich stattgefundenen Gespräch tatsächlich nicht teil, wie er auch dem britischen Botschafter Phipps in deutlichen Worten sagte.38 Beide Berufsdiplomaten schienen sich in

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37

Vgl. ADAP, C, III/2, Dok. 333, S. 624. Zit. n. ADAP, C, III/2, Dok. 445, S. 818, Hoesch an AA am 17. Januar 1935. 38 Anwesend waren Rudolf Heß als Minister, Ribbentrop und Conwell-Evans als Dolmetscher. Vgl. Zit. n. ADAP, C, III/2, S. 818, bzw. DBFP, II, Vol. 12, Dok. 391, Botschafter Phipps an Außenminister Simon, 30. Januar 1935.

2. Das Flottenabkommen von 1935

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dieser Frage einig gewesen zu sein, denn auch Phipps äußerte sich in seinem Bericht an Minister Simon mit erkennbarem Widerwillen über die englischen Privatpersonen, die hier in Berlin „in steigenden Zahlen“ als Friedensboten auftreten würden. Da sich obendrein der ständige Unterstaatssekretär des Foreign Office, Robert Vansittart ausdrücklich mit Neurath und Phipps solidarisch erklärte und alles tun wollte, um weitere Reisen dieser Art zu verhindern, stellte sich eine merkwürdige deutsch-englische Konstellation aus beruflicher Eifersucht und prinzipieller Gegnerschaft gegen Ribbentrop ein. Seine informelle Vorgehensweise zeigte Wirkungen, die nicht gern gesehen wurden. Zudem waren sich wohl alle drei, zumindest aber die beiden Briten, einig in der Ablehnung einer Forderung, die Hitler gegenüber Botschafter Phipps bereits Ende des vergangenen Jahres aufgestellt und gegenüber Lothian wiederholt hatte: Er hatte eine Zahl von fünfunddreißig Prozent Flottenstärke genannt, die Deutschland gegenüber der britischen Marine zustehen sollte.39 Phipps hatte damals so getan, als habe er nichts gehört, wie er jetzt im Bericht über die Lothianreise mitteilte.40 Hörschwierigkeiten waren ein probates Mittel, das an der Schwelle zum Kriegsbeginn 1939 von Seiten der kommenden deutschen Kriegsgegner häufiger zum Einsatz kommen sollte. Überhaupt gehörte der amtierende britische Botschafter zu jenen Diplomaten in Berlin, die den Nationalsozialismus für keinesfalls satisfaktionsfähig hielten und den Staatschef persönlich für eine Art Raubtier, von dem Phipps beim ersten Treffen mit ihm nach dem 30. Juni 1934 im November des Jahres amtlich berichtete, „hätten mich nicht meine Nationalität und mein Status beschützt, wäre ich wohl Teil seines Abend­ essens geworden.“41 Das von Ribbentrop an der gewöhnlichen Diplomatie vorbei eingeleitete Zusammentreffen Hitlers mit Lothian war dagegen in entspannter Atmosphäre verlaufen. Lothian gehörte danach dauerhaft zu jenen Personen, die einen deutsch-englischen Ausgleich prinzipiell für möglich hielten, auch unter der Regierung Hitler. Dies galt immer noch während seiner Amtszeit als britischer Botschafter in Washington im Jahr 1940, als er nach der Niederlage Frankreichs dringend die Annahme des danach in der Washingtoner Botschaft vorgelegten deutschen Friedensangebots empfahl, dessen Bedingungen er als „höchst zufriedenstellend“ bezeichnete.42 39 DBFP, II, Vol. 12, Dok. 230, Botschafter Phipps an Außenminister Simon, 28. November 1934. 40 DBFP, II, Vol. 12, Dok. 391, S. 453, Botschafter Phipps an Außenminister Simon, 30. Januar 1935. 41 DBFP, II, Vol. 12, Dok. 230, Botschafter Phipps an Außenminister Simon, 28. November 1934. Daß Phipps „das für Berlin nötige geistige und politische Format“ fehle, hielt eine Aktennotiz der Dienststelle Ribbentrop am 7. November 1936 fest. Man hoffte, seine baldige Ablösung durch entsprechende Berichte zu beschleunigen. Vgl. ADAP, C, VI/I, Dok. 8, 7. November 1936. 42 Vgl. den Eintrag in Harold Nicolsons Tagebuch nach einem Telefonat Lothians aus Wa­ shington mit dem Außenministerium in London: „22. Juli 1940: Lothian behauptet, er kenne die deutschen Friedensbedingungen; sie seien höchst zufriedenstellend.“ Zit. n. Nicolson, Tage­ bücher, S. 399.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

Lothian blieb bei dieser Position einer prinzipiellen Verhandlungs­bereitschaft, bis zu seinem Tod Ende des Jahres 1940. Trotz des Widerstands der Berufsdiplomatie beider Seiten sollte England 1935 zunächst der Schauplatz eines außergewöhnlichen Erfolgs von Ribbentrops Verhandlungstaktik werden. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit gelang es ihm, in London die britische Zustimmung zu einem bilateralen deutsch-englischen Abkommen über die Stärke der Flotten beider Länder zu erreichen. Als extrem unwahrscheinlich konnte dieser Vertragsabschluß zuvor aus mehreren Gründen gelten, von denen die zwei wichtigsten hier genannt seien: –– Flottenrüstung war nach damaligen Maßstäben keine Angelegenheit mehr, die bilateral verhandelt werden konnte oder wurde. Wegen der besonderen Natur der Flottenrüstung, die sich aus der prinzipiell weltweiten Einsatzfähigkeit der gebauten Schiffe, den Schwierigkeiten der Klasseneinteilung und der absoluten Überlegenheit des Großkampfschiffs über alle anderen Schiffsklassen ergab, war die internationale Flottenrüstung deshalb seit 1919 Gegenstand intensiver multilateraler Verhandlungen geworden. Das Flottenabkommen von Washington legte dann im Februar 1922 das Verhältnis der Flottenstärke der USA, Englands, Japans, Italiens und Frankreichs auf eine prinzipielle Größenordnung von 100:100:60:35:35 Prozent fest. –– Die Stärke der deutschen Flotte wurde zu dieser Zeit und bis 1935 durch den Versailler Vertrag bestimmt, der Teil des Völkerbundsystems war, ja eigentlich sogar sein Gründungsdokument darstellte. Mit dem Abschluß des deutsch-englischen Flottenabkommens beging die englische Regierung also einen flagranten Vertragsverstoß gegen den Versailler Vertrag und entwertete zugleich den Völkerbund. So stellt sich die Frage, warum die englische Regierung dennoch dieses Abkommen schloß, das den Kredit ein Stück weit aufbrauchte, der für eine interna­ tionale Politik unter englischer Führung im Rahmen des Völkerbundes nötig gewesen wäre. Es wurde jedenfalls eine relativ schnelle Entscheidung. Die unmittelbare Vorgeschichte dieses Flottenabkommens begann am 26. März 1935 bei einer Besprechung zwischen Hitler und einer hochkarätigen englischen Delegation, die aus dem damaligen Außenminister Sir John Simon und Anthony Eden bestand. Es fanden in den Tagen vorher und nachher mehrere Gespräche in ähnlichen Zusammensetzungen statt, bei denen Ribbentrops Anwesenheit nicht immer belegt ist. Für das Gespräch über die Flottenfrage kann man von seiner Anwesenheit ausgehen. John Simon lud bei dieser Gelegenheit eine deutsche Delegation zu vorbereitenden Gesprächen einer internationalen Flottenkonferenz nach London und brachte von sich aus die Rede auf die möglichen deutschen Flottenwünsche, die er gerne kennenlernen würde und betonte, „diesen Vorschlag ohne Präjudiz für die gegenwärtig in Geltung befindlichen Vertragsbestimmungen“ zu machen, also unter anderem ohne Festlegung auf den Versailler Vertrag.43 Simon brachte dann selbst die

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Vgl. ADAP, C, 3/II, Dok. 555, S. 1042.

2. Das Flottenabkommen von 1935

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von deutschen Diplomaten schon öfter genannte Zahl von fünfunddreißig Prozent ins Spiel, bezeichnete sie aber als zu hoch, wobei er noch einräumte, Frankreich habe inzwischen mehr als die ihm eigentlich zugestandenen fünfunddreißig Prozent gegenüber der englischen Rüstung erreicht, nämlich aufgrund von Vertragslücken mehr als fünfzig Prozent. Die Antwort Hitlers hielt an der deutschen Zahl fest: „Mit 35 % akzeptiere Deutschland die absolute Suprematie Englands auf der See. Es tue dies nicht nur für begrenzte Zeit, sondern grundsätzlich und für immer. Umgekehrt könne er nicht anerkennen eine Suprematie Frankreichs oder Italiens in den Seerüstungen.“44

In der Tat war es aus englischer Sicht gegebenenfalls nicht leicht zu argumentieren, warum eine künftige deutsche Marine auch gegenüber Frankreich und Italien schwächer ausfallen und damit im internationalen Vergleich viertklassig werden sollte. Wenn die Versailler Bestimmungen im Prinzip aufgehoben werden sollten, dann konnte man kaum eine deutsche Gleichberechtigung gegenüber diesen Ländern verweigern, zumal ja im Hintergrund gerade im Ostsee- und damit im unmittelbaren deutschen Interessenbereich die an keine Flottenabkommen gebundene Sowjetunion frei rüsten konnte und tatsächlich auch rüstete.45 Man einigte sich unter diesen Umständen auf die geplante Reise der schließlich von Ribbentrop geführten deutschen Delegation nach London. Daß daraus schließlich keine Vorbereitungsgespräche für eine Konferenz wurden, sondern ein bilateraler deutschenglischer Vertrag. war dann in der Tat auf Ribbentrop zurückzuführen. Er eröffnete die britisch-deutschen Gespräche mit zwei Forderungen: „Nach den bisherigen Erfahrungen bei Verhandlungen mit den Briten erschien es mir richtig, gleich von Anfang an die vom Führer gewünschte Relation von 100:35 für die englisch-deutsche Flottenstärke als eine ‚conditio sine qua non‘ aufzustellen. Ferner hielt ich es für notwendig, daß wir zu einem sofort gültigen festen Vertrag mit England kämen.“46

Dies war eine für deutsche Verhältnisse ungewöhnliche Verhandlungsführung, die in diesem Fall direkt zum Ziel führen sollte. Einerseits stellte sie eine gewisse Brüskierung John Simons dar, der hier statt einer Verhandlungsbasis klare Bedingungen zu einem Punkt gestellt bekam, zu dem man, wie er selbst anmerkte, sonst nur am Ende von Verhandlungen kam und nicht am Anfang. Kurz nach dieser Bemerkung verließ Simon die Sitzung mit der Entschuldigung, er müsse noch Premier MacDonald sprechen.47 Das mochte seinen Grund aber auch darin haben, daß

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45

Zit. n. ADAP, C, 3/II, Dok. 555, S. 1044 f. In der Tat ergriff Stalin bald nach dem deutsch-englischen Flottenabkommen, Ende 1935 die Initiative für den Bau einer neuen sowjetischen Großflotte, die nach den schließlich beschlossenen Plänen insgesamt 15 Schlachtschiffe, 47 Kreuzer und 198 Zerstörer jeweils verschiedener Typen, sowie 441 U-Boote umfassen sollte. Sie sprengte damit vollkommen den Rahmen der in Washington oder London vereinbarten Rüstungsbegrenzungen. Vgl. Rohwer, Fleet, S. 858. 46 Zit. n. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 62. Die Aufzeichnung über diese Eröffnungssitzung bestätigt diese Darstellung. Vgl. ADAP, C, 3/1, Dok. 131, S. 252, 4. Juni 1935. 47 Vgl. ADAP, C, 3/1, Dok. 131, S. 254, 4. Juni 1935.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

er auf der anderen Seite wie die ganze britische Delegation mit dem Angebot zufrieden war. Unter Verweis auf die tatsächliche Fünfzigprozentstärke der französischen Flotte gegenüber der englischen und auf die Sowjetunion hätte Ribbentrop theoretisch zunächst auch eine Stärke der deutschen Flotte fordern können, wie sie etwa das damit unzufriedene Japan besaß, also sechzig Prozent der englischen. Und falls man sich in diesen Verhandlungen dann nicht einigen konnte, hätte die deutsche Marine in diesen Bereich hinein theoretisch frei rüsten und den eigenen Bedarf selbst festsetzen können, wie man dies im Bereich der Land- und Luftstreitkräfte zu dieser Zeit tat. Ribbentrops doppelter Vorschlag beinhaltete in beiden Elementen also ein Zugeständnis an England, was Ribbentrop auch selbst bewußt war.48 Der schließliche Vertragsabschluß stellte zwar wie erwähnt eine Eigenmächtigkeit Englands und einen Bruch des Versailler Vertrags dar, aber er verpflichtete die deutsche Seite auch auf einen niedrigen Rüstungsstand, den man dann als Präjudiz für eine mögliche internationale Konferenz betrachten konnte. Dies war ein erheblicher Vorteil, nachdem in den vorausgegangenen zwei Jahren jede vorgeschlagene und von der britischen Regierung akzeptierte, exakte deutsche Rüstungsbeschränkung immer am französischen Widerstand gescheitert war, bis Hitler die Einführung einer deutschen Armee nach eigenem Ermessen selbst proklamiert hatte. Eine ähnliche Situation im Marinebereich war jetzt ausgeschlossen. Diesen Vorteil erkannte der frühere britische Flottenchef, Groß­admiral Earl Beatty im englischen Oberhaus ausdrücklich an: „Ich bin der Meinung, daß wir den Deutschen Dank schuldig sind. Sie kamen zu uns mit ausgestreckten Händen und erklärten, daß sie mit dem Stärkeverhältnis von 35 : 100 einverstanden seien. Wenn sie andere Vorschläge gemacht hätten, hätten wir sie auch nicht hindern können. Daß wir nun wenigstens von einem Land der Welt kein Wettrüsten zu befürchten haben, ist wahrlich eine Sache, für man dankbar sein muß.“49

Beatty spielte hier auf den drohenden Zerfall der nach dem Ersten Weltkrieg etablierten Rüstungsbegrenzung im Marinebereich an. Mit dem Auslaufen des Washingtoner Abkommens 1922 im kommenden Jahr 1936 würde es möglicherweise ein ungebremstes Wettrüsten geben. Jenseits des Atlantik und im Pazifik wurde es bereits geplant. US-Präsident Roosevelt hatte bereits kurz nach seinem Amtsantritt 1933 erhebliche Mittel für die Marinerüstung bewilligen lassen. Neue Schlachtschiffklassen wurden entworfen und seit 1936 auch gebaut, bis schließlich 1941 einhundertsiebzig amerikanische Kriegsschiffe gleichzeitig in Bau waren – ein Jahr vor dem amerikanischen Kriegseintritt.50 Der ebenfalls 1936 erlassene „Merchant Marine Act“ organisierte auch die amerikanische Handelsschiffahrt für

48 Vgl. ADAP, D, XIII/2, Anhang I, S. 824, 13. Juli 1941. Unterredung Ribbentrops mit dem Gesandten im türkischen Außenministerium, Açikalin in Anwesenheit des türkischen Botschafters Gerede. 49 Admiral Beatty am 26.  Juni 1935 vor dem Oberhaus, hier zit. n. Raeder, Mein Leben, S. 24. 50 Vgl. Time, 27. Januar 1941, S. 12 ff.

2. Das Flottenabkommen von 1935

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Zwecke „nationaler Verteidigung“ ganz neu.51 Umfangreiche Rüstungsabsichten ließen sich zu dieser Zeit auch bereits in Japan beobachten. Dies war nun wenigstens im deutsch-britischen Verhältnis formal ausgeschlossen, was aus britischer Sicht ein erster Schritt zur Beruhigung der internationalen Szene sein konnte. In der Nachkriegszeit wurde Ribbentrops Vorgehen unter Ausblendung dieser Zusammenhänge des Jahres 1935 vorwiegend kritisch gesehen, gerade in Deutschland. Das Flottenabkommen geriet aus ganz unterschiedlichen Gründen zu einem der Anlässe für Kritik an Ribbentrop als Person, wobei die Gesamtbetrachtung der verschiedenen Gründe dann wieder die Ambivalenz der Zeitumstände aufzeigt. Joachim Fest verurteilte die Verhandlungstaktik Ribbentrops in seiner Hitlerbiographie: „Anmaßend und borniert, wie er war, fehlte ihm offenbar jedes Gefühl dafür, was er der anderen Seite zumutete … Um so größer war die Überraschung, als zwei Tage später die Engländer zu einer neuerlichen Zusammenkunft baten, die sie mit der Erklärung eröffneten, die britische Regierung habe beschlossen, die Forderungen des Reichskanzlers als Grundlage weiterer Flottenbesprechungen zwischen beiden Ländern anzuerkennen.“52

Auch die weitere Literatur zum Thema begnügt sich im wesentlichen mit der Feststellung, das englische Verhalten sei überraschend gewesen und sucht die Gründe dafür in Form von Appeasement oder Schwäche. Die tatsächlichen englischen Vorteile werden kaum irgendwo gesehen. Vielleicht hilft deshalb ein Blick auf die damalige Einstufung durch das deutsche Militär weiter. Militärattaché Schweppenburg bezeichnete noch im Rückblick das von Ribbentrop 1935 geschlossene deutsch-englische Flottenabkommen als „ein für England kostenloses und günstiges Geschäft des Flottenvertrags“,53 für das die Admiralität ihre „kühle, undurchsichtige“ Steifheit für den Moment aufgegeben habe. Er erwähnte den Verhandlungsführer Ribbentrop an dieser Stelle nicht. In einem eigenen Abschnitt, der dem Botschafter gewidmet ist, heißt es dann aber ganz deutlich: „Drei Dinge sollte ein deutscher Botschafter in London wissen: Der Engländer läßt sich von niemandem auf der Welt Umgangsformen im eigenen Land vorschreiben, er läßt sich nicht unter Druck setzen, und es empfiehlt sich nicht, mit ihm Handelsgeschäfte ohne Gegenleistung (sic) abzuschließen, um dann eine entgegenkommende Allgemeinhaltung in andern Dingen von ihm zu erwarten (Flottenvertrag).“54

Schweppenburg konnte seine Abneigung gegen Ribbentrop an dieser Stelle nicht überwinden. Ein Handelsgeschäft ohne englische Gegenleistung stellte das Flottenabkommen trotz der Vorteile für Großbritannien sicher nicht dar. Ribbentrop war auch keineswegs der einzige, der sich als Folge des Abkommens ein all 51 Einleitung und „Declaration of Policy“ des Beschlusses nannten diesen Zweck gleich mehrfach und jeweils an erster Stelle. Vgl. http://www.usmm.org/mmact1936.html, zuletzt eingesehen am 25. Juni 2012. 52 Zit. n. Fest, Hitler, S. 675. 53 Vgl. Schweppenburg, Erinnerungen, S. 75. 54 Zit. n. Schweppenburg, Erinnerungen, S. 114.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

gemeines britisches Wohlwollen erhoffte. Konstantin von Neurath und Flottenchef Raeder sprachen noch drei Jahre später den britischen Botschafter Henderson in Berlin auf diesen Zusammenhang an.55 Warum es unmöglich sein sollte, in ähnlicher Weise ein deutsch-britisches Übereinkommen in anderen Fragen zu erzielen, bei dem die Nationalsozialisten ein Großdeutschland samt einer Einflußzone in Osteuropa etablieren und die britischen Imperialisten „ihr Empire und die Welt behalten“56 würden, war nach dem bisherigen Gang der Dinge und innerhalb der Kategorien, in denen in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre internationale Politik betrieben wurde, nicht erkennbar. Andere zeitgenössische Äußerungen lassen denn auch erkennen, daß das Flottenabkommen eine „win-win“ Unternehmung war, die beiden Seiten erhebliche Vorteile brachte. Deutschland überwand auf diese Weise den Versailler Vertrag und konnte eine moderne, bündnisfähige Flotte aufbauen. Die englische Marine erreichte aber zugleich ein wesentliches Zugeständnis, denn die deutsche Marine reihte sich hier, nach den Kategorien des Washingtoner Abkommens gerechnet, zusammen mit Italien und Frankreich als drittklassige Seemacht ein. 100 : 100 : 60 : 35 : 35, so lautete wie gesehen in groben Zahlen das Stärkeverhältnis laut diesem Washingtoner Abkommen zwischen den beteiligten Staaten USA:England:Japan:Frankreich und Italien. Wenn nun die deutsche Marine ihre 35 Prozent der englischen Stärke in Anspruch nahm, würde sie in etwa so stark wie die französische oder italienische sein und sich damit in das bestehende und aus britischer Sicht zu verlängernde Vertragssystem integrieren. Die genannte Höhe der Begrenzung der deutschen Marinerüstung ging offenbar auf eine Absprache Ribbentrops mit Hitler selbst zurück. Ribbentrop schreibt jedenfalls in seinen Erinnerungen, er hätte die fünfunddreißig Prozent-Quote auf dessen Wunsch gleich zu Beginn der Verhandlungen als ‚conditio sine qua non‘ benannt. Als Verhandlungspartner Ribbentrops auf englischer Seite fungierte dabei wie gesehen John Simon, der zusammen mit Anthony Eden kurz nach der Verkündung der allgemeinen Wehrpflicht einige Monate vorher nach Berlin gereist war, wobei eben Hitler seine Bereitschaft erklärt hatte, ein Abkommen für Rüstungsbegrenzung zu schließen, auch im Bereich der Flotte. Hitler jedenfalls war vom Gang der Dinge in diesem Sommer 1935 so begeistert, daß er die aktuellen außenpolitischen Ziele bereits durch die militärische Gleichberechtigung zu Was-



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Henderson antwortete laut Raeder mit dem damals als britische Sprachregelung üb­lichen vagen Hinweis auf Kolonien: „Ich fragte ihn, in welcher Weise Großbritannien sich für das großzügige Entgegenkommen Deutschlands in der Frage des Stärkeverhältnisses der Flotten erkenntlich zeigen werde, bisher habe man unser weitgehendes Angebot offenbar als etwas Selbstverständliches angenommen. Der Botschafter erwiderte ernst, daß dies durchaus nicht der Fall wäre und daß die britische Einstellung noch bei der Regelung des Kolonialproblems in Erscheinung treten werde.“ Zit. n. Raeder, Mein Leben, S. 25. 56 So Hitlers Formulierung noch in Kriegszeiten. Zit. n. Hewel, Tagebuch, 8.  September 1941.

2. Das Flottenabkommen von 1935

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ser und zu Land zu dieser Zeit erstmals als im wesentlichen erreicht ansah. Der Rest würde sich „vielleicht“ und in längeren Zeiträumen ergeben, auf Basis eines „ewigen Bündnisses“ mit England und bei „gutem Verhältnis“ zu Polen: „Führer ist glücklich. Gibt einen Abriß seiner außenpolitischen Pläne: mit England ewiges Bündnis. Gutes Verhältnis Polen. Kolonien in beschränktem Umfang. Dagegen nach Osten Ausweitung. Baltikum gehört uns. Ostsee beherrschen. Konflikte Italien-Abessinien-England, dann Japan-Rußland vor der Tür. Das heißt in einigen Jahren vielleicht. Dann kommt unsere geschichtliche Stunde. Wir müssen parat sein.“57

Der deutsche Staat hatte in der Situation des Sommers 1935 gegenüber dem Jahr 1933 eine relativ komfortable Lage erreicht, in der das Flottenabkommen ein Versprechen auf eine dauerhafte deutsch-englische Verbindung zu enthalten schien. Dies sollte nach Hitlers an diesem Tag entwickelten Zukunftsplänen nicht den Rücken für eine irgendwie fixierte Eroberungsphantasie frei werden lassen, wohl aber die Option für die Nutzung eventueller internationaler Kriege und Spannungen zum Ausbau der deutschen Macht. Mit den schließlich in letzter Konsequenz eingetretenen Konstellationen hatte das nur ansatzweise etwas zu tun. Die italienisch-britischen Spannungen über Äthiopien wurden von deutscher Seite mit Waffenlieferungen an Großbritannien und Hilfszusagen an Italien dezent gefördert, was immerhin eine gemeinsame italienisch-britische Politik in der Österreichfrage weniger wahrscheinlich machte. Hitlers Äußerungen waren ansonsten Ausdruck einer Wunschvorstellung, die Ribbentrops Außenpolitik nicht realisieren konnte. Weder kam es zu einem guten Verhältnis mit Polen noch zu einem Bündnis mit England. Den tatsächlich eingetretenen sowjetisch-japanischen Krieg führten die Sowjets 1939 kurz, energisch und erfolgreich, um Japan dann mit einem Waffenstillstand und einem Nichtangriffspakt zu neutralisieren, den sie von sich aus erst wieder brachen, als die Regierung Hitler bereits Geschichte war. Hitlers Äußerungen sind jedoch ein Beleg dafür, daß die Nationalsozialisten nicht planten, von sich aus einen großen Krieg auszulösen. Sie begriffen Krieg als eines der Phänomene, mit denen stets Weltpolitik gemacht wurde und weiterhin gemacht werden würde. Sie gingen davon aus, aus solchen Krisen den eigenen Vorteil ziehen zu können. „Stufenpläne zur Welteroberung“ lagen nicht in ihren Schubladen.



57 Hitler im Gespräch mit Goebbels, zit. n. Goebbels, Tagebücher, I, 3/I, S. 279, 19. August 1935.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

3. Wie man einen Premier einlädt – und scheitert „Der unglücklichen Liebe Wilhelms II. zu England ist die Adolf Hitlers gefolgt. Beide hätten eine Welt dafür gegeben, von dieser diskreten Nation als gesellschaftlich gleichberechtigt angesehen zu werden. Aber England hat es sich nicht versagen können, die Kandidaten für das Gentlemantum hochnäsig fühlen zu lassen, daß die Haltung des Herrn durch kein Mittel erworben werden kann. Das war ein teurer Spaß, mit dessen Abbezahlung die Welt noch lange beschäftigt sein wird.“ Friedrich Sieburg58

Seit 1933 hatte Ribbentrop versucht, seine Politik im Rahmen persönlicher Gespräche voranzutreiben. Das war teilweise erfolgreich gewesen. Ausgeblieben waren allerdings persönliche Kontakte Hitlers mit einem westlichen Regierungschef oder Außenminister. Es hatten sich bisher alle Angesprochenen entschuldigen lassen. Ribbentrop intensivierte daher im Jahr 1936 seine Versuche, ein Treffen Hitlers mit dem gegenwärtigen englischen Regierungschef möglich zu machen. Als Kontaktperson im Fall des aktuellen Premiers Stanley Baldwin setzte er dabei auf eine jener Personen innerhalb der englischen Führungsschicht, die ohne Amt agierten, doch stillschweigend am Knüpfen der Fäden entscheidend beteiligt waren. Ribbentrops Wahl fiel auf Thomas Jones,59 den er über Karlfried Graf Dürckheim60 kontaktierte, einen früheren Hochschullehrer und Freikorpskämpfer und damals Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop.61 Dürckheim war 1935 bereits am Zustandekommen eines Treffens des englischen Zeitungsverlegers Lord Beaver­brook mit Hitler beteiligt gewesen. Nun lud er Jones in den Haushalt Ribben­trops nach Berlin ein, zu einem vorläufig rein privaten Treffen. Jones gab zu, gelegentlich das Ohr von Premier Baldwin zu haben und mit ihm befreundet

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Zit. n. Sieburg, Untergang, S. 27. Thomas Jones (1870–1955), „Deputy Secretary to the Cabinet“ unter vier englischen Premierministern (Lloyd George, Bonar Law, Baldwin und MacDonald), spöttisch bezeichnet als „King of Wales“ und gelegentlich eingestuft als „einer der sechs wichtigsten Männer in Europa“. Über die Amtszeit hinaus verband ihn eine enge Freundschaft mit David Lloyd George und Familien wie den Astors. Er wirkte zudem im Bildungsbereich, so als Präsident der University of Wales in Aberystwyth. Während des Zweiten Weltkriegs war er Mitarbeiter beim Army Bureau of Current Affairs für die psychologische Betreuung der englischen Truppen. Mitglied des 1917 von George V. gestifteten Ordens „Companion of Honour“, der jeweils maximal 45 britische Mitglieder umfasst, die herausragende Leistungen auf Feldern wie Kunst, Politik, Wissenschaft oder Wirtschaft erbracht haben. 60 Karlfried Graf Dürckheim (1896–1988), bis 1933 Professor für Psychologie in Breslau und Berlin, beendete trotz seiner Unterzeichnung des „Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler“ wohl auch aufgrund seiner Abstammung seine Universitätskarriere und wechselte zur Dienststelle Ribbentrop. Dürckheim bezeichnete sich spöttisch selbst als „politisch untragbaren Vierteljuden“, konnte aber von Ribben­trop bis zum Kriegsende im Auswärtigen Amt gehalten werden, zuletzt in Japan. Träger des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse. 61 Vgl. Jones, Diary, S. 194, 11. Mai 1936.

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zu sein. Auch hatte er Ribbentrop bei einer vorausgegangenen Gelegenheit offen­ bar indirekt zur weiteren Kontaktaufnahme ermutigt, mit der Bemerkung, Bald­ win über ihn zu informieren. Wie intensiv diese Kontakte von der britischen Seite tatsächlich diskutiert wurden, konnte Ribbentrop aus dem weiteren Verlauf nicht erschließen. In seinem Erinnerungsbuch erwähnt er Jones deshalb nur kurz als „Baldwins Freund“, der schließlich eine Absage überbracht hätte, weil Bald­ win nicht wisse, „wie man mit Diktatoren redet“.62 Wie es scheint, kam Ribbentrop im Sommer 1936 seinen Zielen aber recht nah, auch wenn Baldwin sich mit seinen Äußerungen über die britische Grenze, die am Rhein liege, eigentlich schon gegen solche Kontaktversuche positioniert hatte.63 Eine informelle deutsch-englische Allianz konnte dennoch phasenweise sogar als ausgemachte Sache gelten. Jones sah in Ribbentrop den Extra- oder „Super-Ambassador“ Hitlers und wußte, daß Ribbentrops Villa, in die er jetzt von Dürckheim eingeladen wurde, im Januar 1933 als der Treffpunkt fungiert hatte, an dem entscheidend über die nationalsozialistische Machtübernahme verhandelt worden war.64 Ribbentrop kam in Dahlem ohne Umschweife zu seinem Anliegen, das neben dem Werben für ein Treffen Hitler-Baldwin in erster Linie in dem dringenden Hinweis bestand, mit einem Mann wie Botschafter Phipps könne er nicht in geeigneter Weise sprechen. Diese Feststellung begleitete er mit allgemeinen despektierlichen Bemerkungen über deutsche und britische Diplomaten, zu denen er aus seiner Sicht einigen Anlaß hatte.65 In Fragen deutscher Außenpolitik zähle nur Hitler – und Ribbentrops Beratung – nicht der Generalstab und auch nicht die Junkerklasse, nach deren Einfluß sich Jones erkundigte. Derart vorbereitet, traf Jones am folgenden Tag in Gegenwart von Ribbentrop mit Hitler selbst zusammen und machte die Beobachtung mancher englischer Gäste des deutschen Reichskanzlers in diesen Monaten: Der nationalrevolutionär ausstaffierte Staatschef wirkte aufgeräumt, war die Ruhe



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Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 67 f.. Auch in der Forschung ist diese Phase der Englandpolitik Ribbentrops wenig berücksichtigt worden, obwohl sie für die Hoffnungen, mit denen er auf die Übernahme des Londoner Botschafterpostens drängte, ein wesentlicher Grund gewesen sein dürfte. Wolfgang Michalka erwähnt sie an wenigen Stellen, unter den Aspekten der Spanienpolitik und des Anti-Kommunismus, ohne auf die grundsätzlichen deutsch-englischen Aspekte näher einzugehen. Vgl. Michalka, Ribbentrop, S.  114 ff. Etwas ausführlicher Michael Bloch, der allerdings auf die weiteren politischen Aspekte und die innerenglischen oder transatlantischen Debatten nicht eingeht. Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 100 ff. 63 Kriegsminister Duff Cooper erinnerte während Ribbentrops Kontaktversuchen in Paris an diesen Ausspruch Baldwins und feierte Frankreich und England unverblümt als Teile einer zivilisierten Schicksalsgemeinschaft gegen nicht näher bezeichnete „Barbaren“ jenseits davon. Vgl. PA AA, London 1594, Rede Coopers vom 25. Juni 1936. 64 Da ihn die Frage bewegte, was ein „Super-Ambassador“ wohl für englischsprachige Literatur las, notierte er sich ziemlich ausführlich den diesbezüglichen Inhalt von Ribbentrops Bücherschrank. Vgl. Jones, Diary, S. 196 f., 16. Mai 1936. 65 Vgl. Jones, Diary, S. 197, 16. Mai 1936.

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selbst und machte vor allem keinerlei Versuch, seinen Gesprächspartner aggressiv oder charismatisch zu beeindrucken.66 Um allzu große Erwartungen zu dämpfen, wies Jones darauf hin, zwar seinerzeit im Januar 1923 im Beisein von Premier Bonar Law eine Zeitlang erfolgreich versucht zu haben, die französische Regierung vom Einrücken ins Ruhrgebiet ab­ zuhalten. Er sei seit mehreren Jahren aber nur noch Privatier ohne öffent­liche Rolle. Immerhin übermittelte er dann doch die Nachricht, der Ausgleich mit Deutschland sei neben der Inthronisierung des jungen Königs und der Parteiarbeit der Konservativen eines von drei politischen Projekten, denen von Baldwin besonderen Wert zumessen würde – mithin das einzig genannte und damit vorrangige Ziel der gegenwärtigen britischen Außenpolitik aus Sicht des Regierungschefs. Allerdings mahnte Jones zugleich eine Beantwortung des britischen Fragenkatalogs an, der im Frühjahr nach der Rheinlandbesetzung überreicht worden war und sich nach den Ansichten der deutschen Regierung zur Gültigkeit des Versailler Vertrags und zum gegenwärtigen politischen Status quo in Europa erkundigte.67 Hitler antwortete in Sachen Fragebogen ausweichend, schloß gleichzeitig eine deutsche Rückkehr in den Völkerbund nicht aus, wollte ihn aber künftig als Konsultationsgremium verstanden wissen. Das wichtigste sei die deutsch-englische Allianz und dazu sein persönliches Treffen mit Baldwin. Jones brachte Baldwin die entsprechende Botschaft und schob den Premier ein Stück weit vorwärts. Baldwin weigerte sich zwar generell, zu fliegen oder ein Schiff zu benutzen, aber ein Treffen mit einem per Flugzeug angereisten Hitler auf dem Landsitz des englischen Regierungschefs in Chequers an irgendeinem unauffälligen Augusttag des Jahres 1936 schloß er nicht aus. Eine eigene Initiative von Baldwin war trotz solcher Ankündigungen jedoch nicht zu erwarten, dazu war der Premier zu unsicher. Also griff Jones zur Feder und beantwortete Baldwins Frage „What are we to do?“ wie folgt: „1) Es ist ein Fehler, Ribbentrops Einfluß zu unterschätzen und ihn abzuschreiben, weil er sich nicht an orthodoxe Vorgehensweisen hält. Er ist mindestens ein zuverlässiges Telefon zu Hitler und wahrscheinlich ist er viel mehr.



66 Vgl. Jones, Diary, S. 199, 17. Mai 1936. Im gleichen Sinn etwa Leopold Amery im Jahr 1935: „Ich fand weder den hypnotischen Charme, von dem ich gehört hatte, noch einen Versuch, ihn anzuwenden; aber ich mochte seine Direktheit und seinen Eifer, dem Gegenüber seine Gedanken vollständig darzulegen.“ Zit. n. Amery, Diaries, S.  397, Eintrag vom 13. August 1935. Die Begegnung wurde als Übersetzer von Dr. Paul Schmidt begleitet, der sich aber nur Notizen machte, da das Gespräch auf deutsch stattfand. 67 Die Herausgeber der Jones-Diaries erwähnen in einer Fußnote, es sei auf diese Fragen nie eine Antwort gegeben worden. Vgl. Jones, Diary, S. 195. Tatsächlich erklärte Hitler schließlich in seiner Rede zur Machtergreifung am 30. Januar 1937 die deutsche Unterschrift unter den Versailler Vertrag öffentlich für nichtig, nachdem er den von Ribbentrop ausgearbeiteten Antwortentwurf für ein Treffen mit Stanley Baldwin Mitte Juni erhalten hatte, wie Ribbentrop bald darauf Jones wissen ließ, und das Papier dann monatelang zurückgehalten hatte. Vgl. Jones, Diary, S. 224, 16. Juni 1936.

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2) Wenn es unsere Politik ist, Deutschland entgegenzukommen, dann sollte Phipps je eher, je besser versetzt werden.68 Er sollte von einem Typus wie D’Abernon oder Willington ersetzt werden, ungehemmt durch die diplomatische Tradition, natürlich mit Deutschkenntnissen ausgestattet und fähig, Hitlers Aspirationen positiv gegenüberzustehen. 3) Hitler glaubt an Sie und glaubt, daß in diesem Land nur Sie jenen Wandel in den Beziehungen Englands, Frankreichs und Deutschlands bewirken können, den er wünscht. Er will Ihnen das von Mann zu Mann sagen. Dieser geheime Besuch sollte ohne allzu große Ver­ zögerung arrangiert und kurz danach ein Kommuniqué mit der Nachricht veröffentlicht werden, daß er stattgefunden hat. Der Besuch von Halifax und die Benennung eines Nachfolgers von Phipps sollte unmittelbar danach erfolgen, die Details der neuen ‚Allianz‘ ausgearbeitet werden, sowie deren Beziehungen zum Völkerbund in dieser oder einer reformierten Form geklärt werden. 4) Ribbentrop schien deutlich mehr entflammt für das Schicksal von „deutschem Fleisch und Blut“ in der Tschechoslowakei als für jede andere Frage. Von Benesch sprach er mit besonderer Feindseligkeit. Läßt sich diplomatisch irgend etwas tun in Bezug auf diese an­ gebliche Verfolgung von Deutschen? 5) R. war überzeugt, daß Österreich keine unüberwindliche Schwierigkeit darstellen würde, wenn die Angelegenheiten mit Italien geregelt würden. „Wir haben keine fundamentalen Differenzen mit Italien“. 6) Wir sollten uns nicht mit Versuchen belasten, Österreich vor dem Fall in den deutschen Schoß zu beschützen. Wir werden für Österreich nicht mehr tun als für Äthiopien. Wir werden unter keinen Umständen irgendwelche Sanktionen gegen Deutschland unter der Flagge der ‚kollektiven Sicherheit‘ unterstützen. Hat man dies gegenüber Frankreich kristallklar zum Ausdruck gebracht?“69

Damit war Ribbentrops unkonventionelle Diplomatie in den Kernbereich der Formulierung der englischen Außenpolitik vorgedrungen und hatte dort positive Wirkung hinterlassen. Es war ein wenig ungewöhnlich, wenn sich die britische Diplomatie gegenüber Deutschland auf solche Methoden hinter den Kulissen einließ, die sonst in der Regel vorwiegend zur Meinungsfindung innerhalb der englischen Elite verwendet wurden und gelegentlich in den Beziehungen zu Ländern wie Frankreich und den Vereinigten Staaten. Ribbentrop hatte hier Türen geöffnet, die der deutschen Diplomatie auch in Weimarer Zeiten bisher verschlossen ge­wesen waren. In einem Brief vom gleichen Tag begründete Jones gegenüber Abraham Flexner,70 dem Director of the Institute of Advanced Study (IAS) in Princeton, seine strate 68 Nach dessen Ablösung hieß es in ausländischen Berliner Journalistenkreisen „Phipps sei ein Opfer des Herrn von Ribbentrop. … Der Nachfolger von Sir Eric Phipps, Henderson, werde aber für Herrn v. Ribbentrop eine Enttäuschung sein, und auch für das Auswärtige Amt. Der kommende englische Botschafter sei ein bemerkenswert hartgesottener und dickfelliger Bursche, der auch über die nötige Portion Unverschämtheit verfügt, um sich in Berlin zur Geltung zu bringen.“ Vgl. R 27090, Bl. 28753, Bericht der DR vom 10.2.37. 69 Zit. n. Jones, Diary, S. 208, 23. Mai 1936. 70 Abraham Flexner (1866–1959), US-amerikanischer Bildungspolitiker.

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gische Sicht der Dinge. Als Direktor einer Denkfabrik, die deutsch-jüdische Emigranten, Mathematiker und Physiker wie Albert Einstein und John von Neumann, aber auch emigrierte deutsche Kunsthistoriker wie Erwin Panofsky unter einem Dach vereinte, nahm Flexner an den Nahtstellen von Wissenschaftsbetrieb und Politik in den USA eine Rolle ein, die derjenigen von Jones in Britannien nicht ganz unähnlich war. Zu Beginn der 30er Jahre waren Flexners Versuche zunächst noch gescheitert, Einstein und andere mit vergleichsweise astronomischen Gehältern für die Forschung in den Vereinigten Staaten zu verpflichten. Als die anti­ jüdische Neuausrichtung deutscher Innenpolitik ihre Stellung nach dem Januar 1933 unmöglich machte, folgten die Wissenschaftler seinem Ruf. Seine Position versetzte Flexner in die Lage, die von Jones aus England übermittelte Lagebeurteilung seinerseits an maßgebende Stellen weiterzugeben. Nach Jones Ansicht stand eine Entscheidung bevor. Nicht zuletzt das Verhalten Frankreichs gegenüber Äthiopien und die französische Bündnispolitik mit der Tschechoslowakei und der Sowjetunion erzwangen nach seiner Einschätzung letztlich eine britische Zwangsauswahl: „Wir müssen zwischen Rußland und Deutschland wählen und zwar schnell. Wenn wir dies nicht tun, werden sich Deutschland und Italien bald annähern, abgesehen von Österreich haben sie keine Differenzen. Hitler fühlt sich nicht in der Lage, es allein mit Rußland aufzunehmen und er ist verschreckt über die vereinte russisch-tschechoslowakische Politik im Luftbereich. Er wünscht deshalb eine Allianz mit uns, um ein Bollwerk gegen die Verbreitung des Kommunismus zu schaffen.“71

Damit hatte Jones die Darstellung Ribbentrops und die wirklichen Gedanken des deutschen Diktators gut wiedergegeben, wie sie sich in seiner wenige Wochen danach formulierten „Denkschrift zum Vierjahresplan“ wiederfinden: Die russische Rüstung wachse in großem Tempo, es müsse daher dagegen zur Verteidigung gerüstet werden, dies ohne Rücksicht auf wirtschaftliche Verluste und mit der Zielsetzung, nach vier Jahren kriegsbereit zu sein, so lautete sein Gedankengang. Andere Berichte über die sowjetischen Taktiken in Spanien und der Mongolei hatten Jones eine ähnliche Einschätzung der Wirkung kommunistischer Propaganda unabhängig von den deutschen Darstellungen bestätigt.72 Der Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs am 18. Juli 1936, also keine zwei Monate später, verstärkte dann diesen Eindruck. Baldwin sei auf der Basis des eben ausgebreiteten Szenarios bereit, eine gewisse Allianz mit Deutschland einzugehen, dies als letztes Projekt seiner Amtszeit anzusehen und nach Abschluß der Allianz zugunsten Neville Chamberlains zurückzutreten, so schrieb Jones an Flexner. Allerdings seien die Kritiker eines solchen Schritts eine „formidable group“: nämlich Neville Chamberlains Bruder Austen, Winston Churchill, Robert Horne und Earl Winterton.73



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Zit. n. Jones, Diary, S. 209, 23. Mai 1936. Auch eine Unterhaltung mit dem amerikanischen Botschafter in Moskau, William Bullitt, bestätigte diesen Eindruck. Vgl. Jones, Diary, S. 210, 25. Mai 1936. 73 Zit. n. Jones, Diary, S. 209, 23. Mai 1936.

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Damit waren die Themen von Ribbentrops bald darauf beginnender Botschafterzeit im wesentlichen gesetzt: Dazu gehörte der Antikommunismus, den er in London öffentlich propagierte und nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs auch im eigens gegründeten internationalen „Nichteinmischungsausschuß“ zur Sprache brachte. Dazu gehörte vor allem der Versuch, im letzten Jahr von Baldwins Zeit als Regierungschef eine deutsch-englische Allianz zustande zu bringen.74 Da der britische Premier solchen Ideen selbst aufgeschlossen gegenüberstand, konnte dies kaum als aussichtslos gelten, allem zum trotz, was später gesagt wurde. Im Gegenteil schien sich Baldwin phasenweise bereits positiv entschlossen zu haben. Allerdings war noch nicht absehbar, daß Ribbentrop seine weiteren Schritte in diese Richtung überhaupt als offizieller Botschafter unternehmen mußte. Erst kurz bevor Jones diese Zeilen schrieb, war der deutsche Botschafter in London, Leopold von Hoesch verstorben. Sein überraschender Tod ließ den Posten vakant werden, den Ribbentrop im August 1936 schließlich über­nehmen wollte. Der nächste Schritt auf dem Weg zum deutsch-englischen Ausgleich sollte nun im Mai 1936 Hitlers Treffen mit Baldwin werden. Bisher hatten alle Versuche Ribben­trops und alle Bereitschaftserklärungen Hitlers zu einem Treffen mit einem westlichen Regierungschef nicht zum Ziel geführt. Bekanntlich sollte es auch dieses Mal scheitern. Hitler würde einmal mehr vor der Tür stehen und noch im Frühjahr 1945 grollen, Neville Chamberlain sei 1938 auch nur zu einem „Emporkömmling“ wie ihm geflogen, weil er schon wußte, daß die englische Kriegs­ erklärung in jedem Fall kommen würde und auf Zeit spielte.75 Von seinem eigenen Vorschlag, den Deutschen per Flugzeug in einem der Privathäuser des englischen Premiers zu empfangen, hatte Jones bereits selbst wieder Abstand genommen, als er  – nach einem Zwischenaufenthalt in den Vereinigten Staaten76  – Ribbentrop am 2. Juni 1936 mittags traf, um solche Einzelheiten zu besprechen. Er kleidete dies in die höfliche Fassung, man könne schließlich nicht verlangen, daß Hitler nach England fliege, Baldwin aber prinzipiell nicht fliegen wolle. Ohne sich lange aufhalten zu lassen, bot Ribbentrop nun seinerseits ein Treffen drei Meilen vor der englischen Küste an. Er könne eine Reise Hitlers dorthin arrangieren. Jones widersprach nicht und auch die weiteren Gespräche des Tages zwischen ihm und ­Ribbentrop, zu denen phasenweise noch Thomas Inskip und Lothian dazutraten und die sich bis nach Mitternacht hinzogen, brachten offenbar eine Einigung in diesem Punkt, wenn auch die Begeisterung für eine derart beschlossene Allianz deutlich mehr von Ribbentrop ausging als von seinen Gesprächspartnern. ­Lothian betonte gegenüber Ribbentrop noch die Notwendigkeit, daß Vertragsände 74 Recht genau ein Jahr nach dem Schreiben von Jones übernahm am 28. Mai 1937 Neville Chamberlain die Amtsgeschäfte. 75 Vgl. Trevor-Roper, Diktate, S. 99, Hitlers Äußerung vom 21. Februar 1945. 76 Er traf dort den Politologen Lindsay Rogers (1891–1970) von der Columbia Universität, der ihn dann als Repräsentant einer von Präsident Roosevelt neu eingesetzten Arbeitsgruppe nach England begleitete. Vgl. Jones, Diary, S. 216, 2. Juni 1936.

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rungen in „Österreich, Memel und dem Rest“ nur auf eine Weise erfolgen dürften, die England nicht als wortbrüchig erscheinen ließ. Daß solche Vertragsänderungen möglich waren, erschien demnach eine klare Sache zu sein.77 Wenige Tage später stand wieder alles in Frage. Baldwin hatte mit Außen­ minister Eden gesprochen und war danach zwar immer noch zu einem Treffen mit ­Hitler bereit, hatte Flugangst und Seekrankheit jedoch schlagartig überwunden. Er wollte nun zusammen mit Eden nach Berlin reisen und dies sollte in voller Öffentlichkeit stattfinden, im Gegensatz zu dem bisher geplanten veschwiegenen Treffen im kleinen Kreis. Dies war offenkundig eine vorgeschobene Idee. So gingen die Tage mit Diskussionen dahin. Was eigentlich sofort hätte stattfinden sollen, wurde stetig problematischer und die Antwort an Hitler dadurch nicht leichter zu formulieren. Ribbentrop erkundigte sich am 16. Juni, wie die Sache stehe, da sich bei Hitler langsam der Eindruck entwickeln würde, hier werde von den Briten nur mit ihm gespielt.78 Eine auf Wunsch von Jones einberufene Zusammenkunft zwischen Jones, Horace Wilson, Anthony Eden und Baldwin brachte am gleichen Tag erneut nur ein negatives Ergebnis. Eden sprach sich jetzt überhaupt kategorisch gegen ein Treffen Hitler-Baldwin aus und Jones blieb nichts anderes übrig, als Ribbentrop zu einer persönlichen Aussprache mit Eden aufzufordern, um diesen Widerstand zu überwinden. Das bedeutete einen deutlichen Rückschritt in den Bemühungen und enthielt indirekt das Eingeständnis, daß der gegenwärtige britische Premier sich gegenüber dem Außenminister nicht durchsetzen konnte.79 Auch die Begeisterung von Jones für die mit Ribbentrop besprochene Linie litt offenkundig unter den inzwischen gemachten innerbritischen Erfahrungen. Die Liste der prinzipiellen Gegner einer deutsch-englischen Konsultationsallianz war lang. Jones pflegte den regelmäßigen Umgang auch mit ihnen, mit Chaim Weizmann genauso wie mit Blanche Dugdale, Kingsley Martin, Henry Strakosch80 oder Wickham Steed, also den Mit- bzw. Hauptorganisatoren des „Focus“, der Unterstützungsfront Winston Churchills, die sich im Jahr 1936 endgültig eine organisierte Form zu geben begann. Daß Churchill aber sowieso täglich den Krieg gegen Deutschland befürwortete und teilweise predigte, blieb Jones nicht verborgen.81 Da es Ribbentrop schwerlich gelingen konnte, Anthony Eden zu einem Posi­ tionswechsel zu überreden, ging Baldwin in einen mehrmonatigen Erholungs­ urlaub und Jones nahm die Gelegenheit wahr, Anfang September 1936 den al

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Vgl. Jones, Diary, S. 216, 2. Juni 1936. Vgl. Jones, Diary, S. 224, 16. Juni 1936. 79 Vgl. Jones, Diary, S. 224, Schreiben von Jones an Ribbentrop vom 18. Juni 1936. 80 Der Bankier Strakosch rettete Churchill nach dessen Fehlspekulationen an der Börse im Frühjahr 1938 auch vor dem privaten Bankrott. In Bezug auf die Außenpolitik gegenüber Deutschland rechnete er mit dem baldigen Zusammenbruch des deutschen Finanzwesens, wie er Jones im Herbst 1936 wissen ließ. Vgl. Jones, Diary, S. 277, 21. Oktober 1936. 81 „Um noch einmal auf Politiker zurückzukommen. Du wirst nicht überrascht sein zu hören, daß Winston den Krieg sofort will – je früher, desto besser, denkt er.“ Thomas Jones in einem Brief an Lady Grigg vom 17. Oktober 1937, zit. n. Jones, Diary, S. 368.

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ternden David Lloyd George auf seiner von Ribbentrop über seinen langjährigen Kontaktmann Conwell-Evans arrangierten Deutschlandreise zu begleiten. So kam zwar kein aktueller, aber doch wenigstens ein ehemaliger britischer Regierungs­ chef nach Deutschland. Es wurde gewissermaßen der Höhepunkt dieser Phase deutsch-britischer Beziehungen, mit historisierenden Betrachtungen und erneuten gegenseitigen Versicherungen der beiderseitigen Wertschätzung, auch zwischen Lloyd George und Hitler in Anwesenheit von Jones und Ribbentrop. Etwas Konkretes kam erneut nicht heraus. Nach einem dieser Treffen nahm Thomas Jones jedoch wenigstens die Gelegenheit wahr, mit Ribbentrop und Hitler allein zu sprechen und ihnen im wesentlichen Baldwins schlechten Gesundheitszustand als Erklärung für das inhaltliche Scheitern der Gespräche anzubieten.82 Aber auch nach Baldwins „Erholung“ änderte sich nichts.83 Jones bekam statt dessen einen mahnenden Brief aus den USA, der nicht zu weiterem Optimismus in den Kontakten mit Ribbentrop Anlaß gab. Sein Briefpartner Flexner kündigte aus prinzipiellen Gründen und aufgrund von Informationen, die sein Institut in Deutschland gewonnen hatte, die kriegerische Vernichtung NS-Deutschlands an. Auch Personen, die selbst nicht von den Nationalsozialisten verfolgt seien – und beileibe nicht nur Juden – hätten dort den Eindruck gewonnen, in einem Gefängnis zu leben. Der Eindruck des 30. Juni 1934 sei nicht verblasst. „Blood will have Blood“, das sei nur eine Frage der Zeit: „Ribbentrop mag ein netter Kerl sein, aber die wirklichen Elemente, die Englands Außenpolitik bestimmen müssen, sind doch wohl zwei Faktoren: (1) England muß die Kontrolle des Mittelmeerraums behalten; (2) England kann keine Beschädigung Belgiens oder Frankreichs dulden, die Deutschland Zugang zu den Kanalhäfen bringt. Alles was Hitler daher letztlich bisher erreicht hat, ist die Förderung einer Kombination von Belgien, Frankreich, der Tschechoslowakei, Rußlands und Englands, die selbe Kombination, die vor 1914 existierte. Noch dazu hat er sich die öffentliche Meinung auf der Welt zum Feind gemacht, und es wird sehr viel weniger Anstrengung kosten, die USA in einen Krieg gegen ihn hineinzubringen als dies im Weltkrieg der Fall war.“84

Das waren Prophezeiungen, an deren Umsetzung Flexners „Thinktank“, das IAS, später durchaus beteiligt war.85 Die Informationen für solche Analysen bezog Flexner sowohl aus erster Hand, aus den Hintergrundgesprächen mit der USamerikanischen Führungselite, wie aus der Lektüre der „öffentlichen Meinung“ in Gestalt der New York Times. Dort kam weder die Tatsache vor, daß es sich bei Rußland bzw. der UdSSR um eine massenmörderische Diktatur mit offen­siven 82 Aufzeichnung von Jones über das Treffen Lloyd George-Hitler am 5. September 1936 in Berchtesgaden, vgl. Jones, Diary, S. 251. 83 Ein Treffen mit Hitler sei „nicht außerhalb des Möglichen“ ließ Baldwin gegenüber Jones am 25. November 1936 verlauten. Vgl. Jones, Diary, S. 289. 84 Flexner an Jones, 5. November 1936, zit. n. Jones, Diary, S. 283. 85 Inbesondere die Konzeption und Entwicklung der Atomwaffen wurde führend von den IAS Mitarbeitern betrieben. Schließlich traf die Gruppe um John von Neumann auch die Auswahl aus möglichen Abwurfzielen. Vgl. Macrae, Facetten, S. 212 ff.

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III. Botschafter hinter den Kulissen

Absichten handelte, noch wurde über den gänzlich fehlenden Nachweis deutscher Absichten zum Ausgreifen in Richtung Frankreich oder Belgien berichtet. Die Organisation der amerikanischen veröffentlichten Meinung bekam durch eine Reise des langjährigen, bereits vor dem Ersten Weltkrieg tätigen britischen Agenten und leitenden Focus-Mitglieds Wickham Steed im Oktober 1937 einen starken Schub.86 Ein auf NS-Deutschland konzentriertes Feindbild pflegte sie aber schon vorher. Insofern bedeutete Flexners briefliche Äußerung für Jones einen Stimmungsbericht, der ihn vorsichtig gestimmt haben dürfte. Gegen eine sich informiert wähnende Ahnungslosigkeit in Kombination mit bewußter Desinformation läßt sich nur schwer Politik treiben. Sein innenpolitischer Verbündeter Lord Astor ließ Jones nach einer Rundreise durch die Meinungs- und Entscheidungszentren der Ostküste wissen, der Informationsstand in den USA sei geprägt durch „antideutsche Propaganda von Juden und Kommunisten“. Er habe daher nur vorsichtig für ein „settlement“ mit den Diktaturen argumentieren können, was auf positive Resonanz gestoßen sei. Unter den gegebenen Verhältnissen habe er aber nicht den Gesamteindruck ändern, daß darin eine Art Kapitulation vor der Diktatur aufgrund faschistischer Einflüsse in England selbst zu sehen sei.87 Unter solchen Eindrücken konnte selbst ein informelles deutsch-britisches Gespräch auf Regierungsebene als Ausdruck britischer Schwäche angeklagt werden, wie es später nach der Münchener Konferenz geschehen sollte. Es gelang Ribbentrop daher nicht, Hitler die Reise nach Groß­britannien zu ermöglichen. Er gab allerdings nicht auf, da der Zufall ihm die Chance eröffnete, das diplomatische Feld in London im weiteren als deutscher Botschafter zu beackern. Mit der Übernahme dieses Botschafterpostens entschied sich JvR zugleich endgültig für die Rolle des Prominenten. Als Beauftragter für die Abrüstungsfragen 86 Steed traf dabei sowohl in Kanada wie in den USA Politprominenz bis hinauf zu Außen­ minister Cordell Hull und Franklin Roosevelt, dem Präsidenten persönlich. Unter seinen Gesprächspartnern waren zudem zahlreiche Repräsentanten aus Wirtschaft und Gesellschaft. Darunter befanden sich Stephen Wise, der Leiter des Zionismus in den USA, sowie Bernard Baruch, ein alter Bekannter Steeds aus den Tagen der Friedensverhandlungen von Versailles und für den früher stark antisemitisch gestimmten Steed „der einflußreichste Jude Amerikas“. Arthur Hays Sulzberger, der Eigner der New York Times, John Finlay, sein Herausgeber, John Neville Wheeler, Gründer und Präsident der North American Newspaper Alliance, Roy Howard, Präsident der Scripps-Howards Zeitungsgruppe, Edwin James, ein weiterer Repräsentant der New York Times und Arthur Krock, auch er ein Teil der New York Times-Dynastie, sowie Felix Warburg rundeten den Kreis der publizistisch einflußreichen Personen ab, mit denen Steed sowohl Einzelgespräche wie Konferenzen durchführte. Bei dieser Gelegenheit, bei der die Schwergewichte der amerikanischen Presse die generelle Ausrichtung ihrer Blätter diskutierten, wurde der Grundstein für die Gründung eines amerikanischen „Anti-Nazi-­Council“ beschlossen, der wenig später unter der Leitung von Clark M. Eichelberger, dem Direktor der amerikanischen Völkerbunds-Association auch Wirklichkeit wurde. Vgl. Steed, Notes on American Visit, in: CHAR 2/311 B, sowie Scheil, Gegner, Kapitel VI, B, Wickham Steed in Amerika. 87 Vgl. Jones, Diary, S. 390, März 1938.

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und allgemeiner politischer Berater hatte er bisher vorwiegend hinter den Kulissen der ganz großen Öffentlichkeit agiert. Schon die von ihm geführten Verhandlungen nach der Rheinlandbesetzung im Frühjahr 1936 hatten die Weltöffentlichkeit dann auf andere Weise als bisher auf ihn aufmerksam werden lassen. Dazu gesellte sich bald nach Antritt des Botschafterpostens seine Präsenz bei der ebenfalls in London angesiedelten Nichteinmischungskommission für den Spanischen Bürgerkrieg. Da sich alle beteiligten Staaten in Wahrheit doch direkt oder indirekt in diesen Bürgerkrieg einmischten und die europäische Öffentlichkeit von diesem Krieg sehr aufgewühlt war, geriet der Nichteinmischungsausschuß zur zynischen und vielbeobachteten Angelegenheit. Ribbentrop wurde eine entsprechend scharf beobachtete Person. Er ging das damit verbundene Risiko offenkundig bewußt ein. Die Annahme des angebotenen Staatssekretärpostens hätte eine stillere, aber nicht notwendig weniger einflußreiche politische Position bedeutet.88

88 Das Paradebeispiel für eine solche Rolle innerhalb des Regimes stellte Martin Bormann dar. Bormann kontrollierte aus der Anonymität heraus schließlich faktisch den Zugang zum Diktator und lehnte offenbar selbst die Ernennung zum Titularminmister aus Furcht vor größerer Öffentlichkeit ab. Dies berichtet Paul Schmidt unter Berufung auf eine Information von Heinrich Lammers, dem Chef der Reichskanzlei. Vgl. Schmidt, Tagebuch, 19. August 1946.

IV. Entscheidung in London 1. Von Hoesch zu Ribbentrop „Von Berlin aus gesehen erscheint die Aufgabe des Herrn von Ribbentrop durchaus nicht einfach. Er ist weder Berufsdiplomat, noch gehört er der ‚Alten Garde‘ der Nazipartei an und hat deshalb unter Hitlers Vertrauten wenig Freunde. Die Tatsache, daß die deutsche Presse die britische Kritik an seinem Londoner Angriff auf den Bolschewismus ungewöhnlich ausführlich und ohne Kommentare veröffentlicht hat, hat in den hiesigen diplomatischen Kreisen Erstaunen erregt.“ Bericht des Daily Telegraph vom November 19361

Das Jahr 1939 sollte eine außergewöhnliche amerikanische Filmkomödie hervorbringen. Ernst Lubitsch präsentierte Greta Garbo in „Ninotschka“ als sowjetische Kommunistin, die auf eine Mission in den Westen geschickt wurde und dort unfreiwillig das Lachen und die Liebe kennenlernt, bis sie schließlich im Westen bleibt. Bei ihrer Ankunft in Paris aber steigt sie erst einmal aus dem Zug und erklärt den dort wartenden Genossen der Sowjetbotschaft, daß die Dinge in Moskau bestens stehen würden: Nach den jüngsten Säuberungen gäbe es dort jetzt einige tausend weniger, dafür aber bessere Russen. Außergewöhnlich war dies und war der ganze Film, weil er den ersten amerikanischen Spielfilm darstellte, in dem die stalinistische UdSSR andeutungsweise als ein überernstes und sogar tödliches Unternehmen gezeigt wurde – in Form einer Komödie mit mildem Ausgang und überdeutlich pro-sozialistischen Untertönen. Die Millionen Opfer der stalinschen Politik, die es zu dieser Zeit bereits gegeben hatte,2 fanden ansonsten praktisch keine Aufarbeitung durch den amerikanischen Film, der – so weit offen oder subtil politisch orientiert – vorzugsweise nationalsozialistische Gefahren zum Thema hatte. Als Ribbentrop 1936 in London aus dem Zug stieg, um sein neues Amt anzutreten, erklärte er vor der dort wartenden internationalen Presse, als neuer Botschafter ein deutsch-englisches Abwehrbündnis gegen eben jenen Kommunismus anzustreben, wie er in der stalinistischen Sowjetunion zu sehen war. Prompt wurde 1 Beitrag des Berliner Korrespondenten des ‚Daily Telegraph‘ vom 5. November 1936 unter dem Titel: „Ribbentrops Stellung durch das Verhalten der Nazis erschwert“, hier zit. n. PA AA, London 1594. 2 Eine drastische aber sachlich richtige Feststellung wie die von Timothy Snyder, wonach „die Sowjetunion in den dreißiger Jahren das einzige Land in Europa war, das politische Massenmorde durchführte“, war auch im Jahr 2011 noch ungewöhnlich und Aufsehenerregend. Vgl. Snyder, Bloodlands, S. 12.

1. Von Hoesch zu Ribbentrop

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dies in Großbritanniens Medien vielfach als undiplomatischer Skandal präsentiert. Es war zu lesen, daß die britische Öffentlichkeit und Politik nicht zur öffentlichen Stellungnahme gegen irgendein Land bereit sei, mit dem man normale Beziehungen unterhalte, also auch nicht gegen die UdSSR. Mit dieser Reaktion auf Ribbentrops Eröffnungsadresse zeigten sich also bereits die ganzen Probleme, die er in den nächsten eineinhalb Jahren in Großbritannien haben sollte. Wurde die UdSSR in Deutschlands Führung als die tödliche Bedrohung wahrgenommen, als die Hitler sie gerade in diesen Wochen in seiner Denkschrift zum Vierjahresplan gezeichnet hatte, so galt sie in London eher als wunderliches und abseitiges Projekt. Mit den geschickt mit Blick auf den Westen ausgewählten Repräsentanten dieses Projekts vor Ort, wie Außenminister Litvinov oder Botschafter Maiskij, unterhielten die britische Gesellschaft und Politik jeweils gepflegte Beziehungen. Mochte die UdSSR im Jahr 1936 bei Ribbentrops Ankunft ein bis dahin auf der Welt nicht gesehener mörderischer Totalstaat sein, so fand dies gesellschaftlich, kulturell oder politisch in London fast keine Resonanz. Der junge König Edward VIII. stellte mit seinen gelegentlich geäußerten Befürchtungen, es könnte ihm von den Kommunisten das gleiche tödliche Ende bereitet werden wie seinem Verwandten, dem russischen Zaren, eine Ausnahme dar.3 Der König sprach sich auch lebhaft für Ribbentrop als neuen Botschafter aus, den er persönlich dem bisherigen Amtsinhaber Hoesch vorziehen würde. Hoesch sei „ebenso fleißig wie ölig“, meinte Edward VIII. Mit Ribbentrop werde dagegen ein Nationalsozialist in London anwesend sein, den sein Habitus als „selbstverständlichen Teil der ‚Gentry‘ ausweise.4 In Großbritannien gelang es vor 1945 nicht, den sowjetischen Kommunismus als Bedrohung ins Bewußtsein zu bringen. Auch wo vor dem Parlament Anläufe in diese Richtung stattfanden, versickerten sie erfolgreich in Ironie. Das galt etwa für die Anfrage verschiedener Abgeordneter an den Staatssekretär des Äußeren, Viscount Cranborne, warum die britische Regierung der sowjetischen Regierung Geld leihe, wo man doch wisse, daß von Moskau aus die Kommunistische Internationale gelenkt und bezahlt werde. Sie wurde von Cranborne nur durch die Bestätigung dieser Tatsachen und der Angabe beantwortet, da sei nichts zu ändern. Schließlich zog der kommunistische Abgeordnete William Gallacher die Sache erfolgreich ins Lächerliche und ins allgemeine Gelächter des Hauses: „Ist sich der Edle Lord (gemeint Cranborne, d. Verf.) nicht bewußt, daß es eine Beleidigung gegenüber einer befreundeten Regierung ist, wenn behauptet wird, daß sie die Kommunistische Internationale finanziert? Und ist er sich im weiteren nicht bewußt: Selbst wenn man eine Mauer bauen würde, die jeden Kontakt zwischen England und Rußland verhindert, würde ich meine revolutionären Aktivitäten weiterbetreiben?“5

Bezeichnend für die verbreiteteren gegenteiligen Ansichten zum Thema Kommunismus sind ebenfalls die geradezu abenteuerlichen Ausführungen in einem

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Vgl. Cave Brown, Servant, S. 182. Vgl. ebd. Cave Brown, Servant, S. 182. 5 Dialog berichtet in der Times, 16.2.37, hier zit n. PA AA, London 1594.

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IV. Entscheidung in London

Memorandum von Anthony Edens Privatsekretär Oliver Harvey: „So lange Großbritannien, Frankreich und die Sowjets stark und vereint in der Verteidigung der Demokratie (sic) und der kleinen Nationen sind, mit Amerika als wohlwollendem Unterstützer im Hintergrund, werden diese kleinen Nationen auf unserer Seite sein.“6 Zu eben dieser Zeit, 1937 wurden in der UdSSR im Rahmen des Großen Terrors siebenhunderttausend Menschen erschossen,7 was ein denkwürdiger Beitrag zur „Verteidigung der Demokratie“ war. Ribbentrops Appell an solche Fakten ging insofern ins Leere, als man dies in England wie in den USA nicht wissen wollte. „Blood will have blood“, wie Adam Flexner es formuliert hatte, war eben kein Universalgesetz. JvRs erster Auftritt kündigte jedenfalls bereits an, daß er auf eine schnelle Entscheidung drängte. Man glaubte in Deutschland nicht daran, noch viel Zeit zu haben. Nach der inzwischen offen erklärten Wiederaufrüstung mußten die weiteren territorialen Revisionsziele und die Etablierung einer von den europäischen Staaten akzeptierten internationalen Stellung Deutschlands als gleichwertige staatliche Macht schnell folgen. Ribbentrop war beauftragt und nach London gekommen, um zu diesem Zweck ein deutsch-englisches Bündnis auf Augenhöhe zu schließen. Die Betonung lag dabei auf letzterem. NS-Deutschland bot sich als britischer Partner an, aber Ribbentrop wollte nach Stil und Inhalt zu jedem Zeitpunkt zum Ausdruck bringen, daß diese Partnerschaft für Großbritannien zwar zu einem angemessenen, aber angemessen teuren Preis zu haben sei. Die vielbeklagte „Unruhe“ über seiner Londoner Tätigkeit war vor diesem Hintergrund eine kalkulierte Begleiterscheinung. Mit zu den ersten Schritten in diese Richtung gehörte beispielsweise der komplette Umbau des deutschen Botschaftsgebäudes, den Hitler persönlich anordnete. Aus einem bisher schon stattlichen Gebäude wurde ein von Albert Speer entworfener Repräsentationsbau im neoklassisch-nationalsozialistischen Stil Devisensparend von deutschen Handwerkern und mit deutschem Baumaterial ausgeführt wurde er in jedem Aspekt so gestaltet, daß er als der Standort einer mit Großbritannien auf Augenhöhe existentiell und exklusiv verbündeten Macht erkennbar sein sollte. Hier drückten sich die politischen Absichten in einer Architektur aus, die es außerdem noch ermöglichen sollte, den von Ribbentrop veranstalteten Empfängen der Londoner Gesellschaft einen ungewöhnlich großen Rahmen zu verschaffen. Fertigstellungstermin war die geplante Krönung Edwards VIII. im Mai 1937.8 Dies bedeutete einen erheblichen Stilbruch gegenüber den Gewohnheiten seines Vorgängers auf dem Botschafterposten, dessen plötzlicher Tod Ribbentrops Mission in dieser Form erst möglich und notwendig werden ließ. Höchstwahrscheinlich wäre Leopold von Hoesch ansonsten weiterhin der deutsche diplomatische Vertreter am Hof von St. James geblieben, trotz der königlichen Veränderungs

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Zit. n. Harvey, Diary I, S. 405, Memorandum vom 7. März 1937. Vgl. Snyder, Bloodlands, S. 9. 8 Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 117.

1. Von Hoesch zu Ribbentrop

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wünsche. Anzeichen für seine beabsichtigte Ablösung gab es jedenfalls nicht, obwohl Hoesch als ebenso leiser wie distinguierter Diplomat eher die Kontinuität der nationalsozialistischen Außenpolitik mit der Weimarer Zeit verkörperte, in der er 1932 von Paris an die Londoner Botschaft gewechselt war, damals als Nachfolger des statt dessen zum Außenminister avancierten Konstantin von Neurath, der diesen Posten 1936 ebenfalls noch bekleidete. Hoesch hatte die kleinen und größeren Demütigungen gleichmütig hingenommen, denen deutsche Diplomaten durch ihre britischen Kollegen ausgesetzt waren. Selbst der als „deutschfreundlich“ geltende Nevile Henderson hob in seinen Erinnerungen hervor, Hoesch in Paris einmal von oben herab behandelt und beleidigt zu haben, wohlgemerkt als damals erheblich rangniedrigere Person. Es gehörte offenbar zum guten englischen Ton, sich solches Verhalten wenigstens zuzuschreiben, wollte man ernst genommen werden. Hoesch reagierte kaum darauf, aber auch dieser Vorfall dürfte wie viele andere zu seiner äußerst vorsichtigen Haltung gegenüber der britischen Politik beigetragen haben. In seinen Memoiren berichtet JvR, sich mit seinem Vorgänger Hoesch recht gut verstanden und aus Anlaß verschiedener Aufenthalte in London auch mit ihm ausgesprochen zu haben. Er mußte davon ausgehen, hierbei mit jenem Diplomaten gesprochen zu haben, der für die deutsch-englischen Beziehungen der dreißiger Jahre entscheidend war und dauerhaft auf dem Londoner Posten bleiben würde. Man dachte in Berlin wie gesagt nicht an Hoeschs Ablösung. Davon ausgehend, daß Hoesch und Ribbentrop sich in der Tat ausgesprochen hatten, stellt sich die Frage, wie Hoesch die Situation in England eigentlich beurteilte und welchen Einfluß diese Sichtweise möglicherweise auf JvRs Einstellung gehabt haben könnte. Zunächst einmal fällt beim Blick in die Dokumente auf, daß Hoesch zu jenen deutschen Diplomaten gehörte, die den ständigen Intrigen und Herabsetzungen des Auswärtigen Amts gegenüber Ribbentrop auch einmal offen entgegentraten. Auf ein herablassendes Anschreiben des Staatssekretärs Bülow, Ribbentrop sei bei seinem Gespräch mit Anthony Eden und John Simon im Mai 1934 in der Frage eines Nichtangriffspakts mit Belgien vielleicht auf ein englisches Manöver „hereingefallen“ und verstehe „den Sinn und die Tragweite von Locarno nur schwer“,9 antwortete Hoesch seinerseits recht deutlich. Tatsächlich hatte Ribbentrop die Erklärung in Sachen Nichtangriffspakt bei Simon wohl eher gegen dessen Willen entlocken können: „Später hat Simon mir, nachdem er kategorisch geleugnet hatte, Ribbentrop seine Bereitwilligkeit zur Befürwortung einer Vertagung der Abrüstungsfrage durchblicken gelassen zu haben, zwar zugeben müssen, daß er in der fraglichen Unterhaltung den Gedanken eines deutsch-belgischen Nichtangriffspakts erwähnt habe, er war dabei aber beflissen, die Erwähnung als rein zufällig hinzustellen. … Wenn Sie in Ihrem Brief die Ansicht aussprechen, Simon habe die hier von Hysmanns ausgesprochenen Wünsche nach zusätzlichen Sicherheitsgarantien einfach an Ribbentrop abgeschoben, so steht dem die Tatsache entgegen, daß

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Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 73, S. 143 f., Schreiben Bülow an Hoesch vom 9. Juli 1934.

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IV. Entscheidung in London Ribbentrops Besuch am Sonnabend, dem 12. Mai sein Ende fand, während Hysmanns erst am 16. oder 17. Mai seine Aufwartung hier gemacht hat.“10

Englische Diplomaten waren in der Lage, zu „leugnen“ und deutsche Diplomaten sollten in den Kalender schauen, bevor sie Mutmaßungen anstellten. Hoeschs von vielen geschilderte Ironie kommt an dieser Stelle gut zum Ausdruck, was hier etwas ausführlicher zitiert wird, weil es die in der Sache nicht gerechtfertigte Voreingenommenheit des AA gegen die frühe Reisediplomatie Ribbentrops treffend illustriert. Es fällt bei einem Blick in die Dokumente zudem auf, daß sich Hoeschs Ansichten des Jahres 1936 mit den späteren Analysen Ribbentrops deckten. Hoesch stand vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Botschafter in Paris und London ebenso wie JvR einem deutsch-französischen Ausgleich besonders aufgeschlossen gegenüber. Was aber England anging, so tat er sein bestes, die in Berlin gehegten Erwartungen in Bezug auf eine englisch-deutsche Bündniskonstellation zu dämpfen. In einem seiner letzten Berichte aus London beschrieb er im Gegenteil die sich häufenden antideutschen Tendenzen in Großbritannien. Es sei nicht unwahrscheinlich, daß sich London schon in einem Jahr endgültig im Lager der deutschen Gegner befinden würde und in diesem Fall der Hauptinitiator einer erneuten Einkreisungspolitik werden würde. Die deutsche Politik begehe einen Fehler, so hieß es wörtlich, wenn sie mit der britischen Freundschaft rechnen sollte.11 Dies entsprach fast Wort für Wort dem, was Ribbentrop nach seinen eigenen Erfahrungen zum Jahreswechsel 1937/38 gegenüber Hitler leicht verschärft vortragen sollte: Man begehe einen Fehler, wenn man nicht mit der britischen Feindschaft rechne. Jede eigenständige deutsche Machtpolitik mußte  – wenn die Bemühungen um eine Partnerschaft fehlschlugen – mit England als möglicherweise maßgebendem Gegner rechnen, und jeder Tag wäre verloren, an dem diese Gegnerschaft nicht als möglicherweise bereits gegebene Tatsache wenigstens ins Kalkül gezogen würde.12 Die Tage der „Krimkriegssituation“ waren vorbei, als mit Rußland und England die beiden großen europäischen Flügelstaaten nach dem Krimkrieg von 1853–56 in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Entwicklung in Zentraleuropa neutral gegenüber gestanden hatten. Dies hatte den Ausgang der deutschen Einigungskriege von 1864–1871 und die Reichsgründung von 1871 begünstigt, wenn nicht überhaupt erst möglich werden lassen. In den 1930er Jahren standen beide Staaten, die UdSSR ebenso wie Großbritannien, der zentral­europäischen Entwicklung keinesfalls neutral gegenüber. Die Berliner Politik hatte demnach die Wahl zwischen Partner- oder Feindschaft mit beiden Staaten, soweit es nicht gelang, genug eigene Stärke zu entwickeln, um ihre Neutra­lität zu erzwingen. Hoesch hatte Gelegenheit, die englische Kriegsbereitschaft aus nächster Nähe zu erleben. Der deutsche Botschaftsmitarbeiter Fritz Hesse berichtet von einer Ver

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Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 94, S. 178 ff., Schreiben Hoesch an Bülow vom 17. Juli 1934. Diese Äußerungen waren in England bekannt geworden. Phipps an Sargent vom 25. April 1936 (FO 371/19904) bzw. 23. April 1936. (FO 371/19904) Vgl. Michalka, Ribbentrop, S. 211. 12 Vgl. Ribbentrop, Vorgeschichte, S. 126.

1. Von Hoesch zu Ribbentrop

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anstaltung, zu der er eine Einladung erhalten hatte. Anwesend war auch Wickham Steed, den wir bereits als Organisator der politischen Feindschaft gegen den NSStaat kennengelernt haben: „Als ich etwas verspätet in den Saal trat und Platz nahm, sagte Mr. Steed gerade: ‚Wir haben das letzte Mal die Frage der deutschen Gefahr besprochen. Vielleicht ist Mr. Churchill so freundlich, zu wiederholen, was er damals ausgeführt hat.‘ Churchill, mit der Zigarre im Mund, und den Händen in den Hosentaschen, erhob sich und begann zunächst undeutlich … dann klarer werdend, zu sprechen. ‚Nun‘, sagte er, ‚was ich zu sagen habe, kann ich eigentlich in wenigen Worten wiederholen. Wenn ein verrückter Hund mir an die Hose will, dann knalle ich ihn nieder – bevor er beißen kann!‘ Worauf sich ein allgemeines ‚Hear! Hear!‘ Gemurmel erhob.“13

Angesichts dieser Zustimmung im Publikum sei an diesem Abend, so Hesse, nicht mehr oder weniger als die Frage eines Präventivkriegs gegen Deutschland besprochen worden. Das blieb vorläufig im akademischen Rahmen, und die Kriegsgegner behielten für dieses Mal nach Hesses Angaben die Mehrheit. Dennoch waren es wichtige Personen, wie eben Winston Churchill, Wickham Steed, Robert Vansittart oder Archibald Sinclair, die einem machtpolitisch neu auf­strebenden Deutschland prinzipiell den Kampf ansagten und in der vertraulichen Atmosphäre dieser politischen Zirkel von ihren Absichten wenig Geheimnis machten. Hoesch entdeckte Hesses Anwesenheit erst nach Ende der Veranstaltung und beschwor ihn, keine Informationen darüber nach Deutschland weiterzugeben, weil der politische Schaden immens sein würde. Er selbst ließ die Gefährlichkeit der englischen Haltung gegenüber Deutschland in seinen Berichten mit den Warnungen vor Freundschaftsillusionen nur andeutungsweise erkennen. Hoesch wird in der Erinnerungsliteratur durchgängig als „Diplomat alter Schule“ beschrieben, als gebildet, diskret, vorsichtig und als anerkanntes Mitglied der jeweils besten Gesellschaft vor Ort. Dies scheint sich jedoch mit einer gewissen Naivität verbunden zu haben und auch dies wird bei allem Lob hin und wieder deutlich vermerkt, so etwa von Geyr von Schweppenburg, der zu Hoeschs Botschafterzeiten als Militärattaché an der Londoner Botschaft fungierte. So verkehrte Hoesch laut Schweppenburg „intensiv mit den Duff Coopers“, also mit den militanten Gegnern einer deutschen Machtstellung auf dem europäischen Kontinent.14 Das konnte im Prinzip den guten Sinn haben, aus erster Hand über die innereng­ lischen Entwicklungen in dieser Richtung informiert zu sein, eventuell anhand von Veranstaltungen wie der oben erwähnten, bei denen mit Wickham Steed, Winston Churchill und Robert Vansittart die Speerspitze der antideutschen Richtung in der englischen Politik versammelt war. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, daß Hoesch das Ausmaß sowohl der Gegnerschaft als auch die angewandten Methoden trotz seiner schließlich geäußerten Befürchtungen unterschätzte. So entging es der deutschen Botschaft, daß bereits ab

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Zit. n. Hesse, Spiel, S. 39 f. Vgl. Schweppenburg, Hoesch, S. 31.

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IV. Entscheidung in London „1934 unter Steuerung von Robert Vansittart eine Annäherung zwischen dem sowjetrussischen Botschafter Majskij und Churchill, daran anschließend eine solche zwischen Majskij und dem Zeitungskönig Lord Beaverbrook mit eingeleitet wurde.“15

Die Kontakte, die hier geknüpft wurden, verbesserten sich in den Folgejahren und führten in die bedeutende Rolle, die Ivan Majskij in London politisch wie gesellschaftlich einnehmen sollte. Ungeachtet aller sowjetischen Massenverbrechen galt die UdSSR deshalb als akzeptierter und berechenbarer Partner und wurde dem britischen Publikum in der Beaverbrook-Presse als solcher präsentiert, wobei häufig noch die angebliche militärische Ungefährlichkeit der Roten Armee als weitere Beruhigung erwähnt wurde. Dies stellte einen erheblichen Kontrast zu der gleichzeitig in Englands Presse und Politik betonten Gefährlichkeit Deutschlands dar, besonders auch zu den gleichzeitigen Versuchen der deutschen Regierung, der westlichen Öffentlichkeit die aus der UdSSR drohenden Gefahren ins Bewußtsein zu rufen. Doch interessierte sich die von Hoesch verkörperte traditionelle deutsche Diplomatie wenig für diese Fragen. Während der Begräbnisfeierlichkeiten für Georg V. fanden 1936 politische Gespräche zwischen Marschall ­Tuchatschevskij, dem Chef der sowjetischen Delegation und englischen Konservativen statt. Dies registrierte Hoesch zwar, maß ihm aber wenig Bedeutung zu. Insofern waren die Konservativen im Auswärtigen Amt nicht nur nicht bereit, die vom Staats- und Parteichef dringend befürwortete Politik umzusetzen,16 sondern erkannten auch objektiv vorhandene außenpolitische Gefahren nicht. Dies wirkte sich im Fall Hoesch unter anderem darin aus, den allgegenwärtigen Möglichkeiten des englischen Geheimdienstes zur Abhörung des Nachrichten­ verkehrs der deutschen Botschaft mit Nichtachtung entgegenzutreten. Als ihn Geyr von Schweppenburg darauf hinwies, es müßte ein Leck geben, durch das die verschlüsselt nach Berlin geschickten Nachrichten dem englischen Geheimdienst bekannt werden würden, räumte Hoesch ein, niemand anderen als Duff Cooper offen zu diesem Punkt befragt zu haben. Cooper hätte geantwortet, man würde den deutschen Code nicht kennen und Hoesch glaubte offenbar, die Sache damit erledigt zu haben. „Dann haben die Engländer den Code mit Sicherheit“, will Geyr von Schweppenburg geantwortet haben, offenbar ohne beim Botschafter Zweifel am Ehrenkodex eines Politikers wie Duff Cooper wecken zu können. Später stellte sich Schweppenburgs Ansicht als richtig heraus.17 Zu den Differenzen zwischen der nationalsozialistischen Führungsschicht in Deutschland und den konservativen Funktionseliten zählte unter anderem die Einsicht in solche vom konkurrierenden Ausland angewandte Methoden, die dem noch in wilhelminischen

15 Zit. n. Schweppenburg, Hoesch, S. 30. Schweppenburg selbst verkehrte nach eigener Darstellung nur in der französischen und – dank einer Ausnahmeregelung – sowjetischen Botschaft und las regelmäßig die „Iswestja“, war also eigentlich mit dafür zuständig, diese Dinge auf­ zuklären. 16 Gerade zu dieser Zeit schrieb Hitler seine „Denkschrift zum Vierjahresplan“ und erklärte die Abwehr des kommenden sowjetischen Angriffs zum Maßstab allen politischen Handelns. 17 Vgl. Schweppenburg, Hoesch, S. 31 f.

2. Londoner Verhältnisse

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Zeiten sozia­lisierten deutschen diplomatischen Personal trotz aller negativen Erfahrungen fremd waren. Man hatte sich im Auswärtigen Amt während des Ersten Weltkriegs auch keine Sorgen gemacht, für den heiklen – und verschlüsselten – diploma­tischen Schriftverkehr nach Übersee die über Großbritannien laufenden Tele­graphenkabel zu nutzen, so daß er damals ebenfalls abgehört werden konnte.18 Ähnlich gestalteten sich die Londoner Verhältnisse auch noch in den 1930ern. 2. Londoner Verhältnisse „Das Unmögliche wird von ihm erwartet werden, und wenn es ihm nicht gelingt, das Gewünschte zu liefern, dann wird das gegen ihn verwendet werden – und zwar energisch und mit ‚Schadenfreude‘ (dt. im Original) unter den Parteiextremisten, die ihn hassen.“ Robert Vansittart19

Ribbentrops Ernennung zum Botschafter in London konnte die englisch-deutschen Beziehungen aus mehreren Gründen zu einer grundsätzlichen Entscheidung bringen. Er hatte Hitler um den Posten gebeten,20 weil er etwas Spektakuläres erreichen wollte, was ihm nach den vorausgegangen Erfahrungen auch erreichbar schien. Er kam mit dem Auftrag, ein englisch-deutsches Bündnis herbeizuführen, und er kam als eine Person, die in außenpolitischen Fragen das Ohr des deutschen Staatschefs und Diktators hatte, was allgemein bekannt war.21 Sein Auftritt war 18 Zu den Folgen gehörte die berühmt-berüchtigte Affäre um das Telegramm, in dem der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Arthur Zimmermann im Januar 1917 versuchte, Mexiko für einen eventuellen Kriegseintritt gegen die USA zu interessieren. Ganz nach dem britischen Vorbild der damaligen Zeit sagte er dafür die Anerkennung eventueller Eroberungen zu, was die britische Regierung der Weltöffentlichkeit präsentieren konnte und den amerikanischen Entschluß zum Kriegseintritt wohl mit beeinflusst hat. Diese These vertrat besonders vehement Barbara Tuchman. Vgl. Tuchman, Zimmermann, passim. 19 Aufzeichnung Vansittarts über seinen Deutschlandbesuch im August 1936 und seine Einschätzung von Ribbentrops Lage, in: DBFP 2/XVII, Appendix I, S. 757 ff. 20 Dieser Punkt wurde bereits zeitgenössisch ein Gegenstand von Polemik, da JvR von seinen Opponenten nachgesagt wurde, er sei gegen seinen Willen nach London geschickt worden und hätte wegen der Enttäuschung über den neuen Posten jene oft kolportierte „Englandfeindschaft“ entwickelt, die tatsächlich eher eine Befürchtung englischer Feindschaft war. Eine Bestätigung von Ribbentrops Nachkriegsdarstellung findet sich in der Formulierung aus seinem Botschafterbericht vom Jahreswechsel 1937/38: „Als ich den Führer bat, mich nach London zu schicken,“ was er gegenüber Hitler kaum hätte behaupten können, wenn Hitler ihn gegen seinen Willen dort hingeschickt hätte. Zur Frage, ob Ribbentrop freiwillig nach London ging oder nicht, vgl. auch den Bericht der DR vom 14. Juni 1937. Darin erklärte Friedrich Berber einem Herrn Klemmt, JvR habe im Vorjahr zwischen dem Posten des Staatssekretär im AA und dem eines „außerordentlichen Botschafters“ in London wählen können. Vgl. R 27090, Bl. 28787, Bericht der DR vom 14.6.37. 21 Das Argument des „außerordentlichen“ wurde vom AA gelegentlich hervorgehoben, so von Legationsrat Braun von Stumm, der einem Berliner Vertreter der Nachrichtenagentur Reuters erklärte, es sei ein besonderer Vorzug, wenn man in London „den Berater des Führers in der

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IV. Entscheidung in London

demnach ebenso inhaltlich gewichtig wie politisch brisant. Ribbentrops Mission scheitern zu lassen, mußte auch Hitler selbst treffen. Auf die grundsätzlichen englischen Gegner einer pro-deutschen Politik – unabhängig von dessen innerer Verfassung – etwa auf Robert Vansittart, Winston Churchill oder Wickham Steed kam daher mit Ribbentrop eine große Herausforderung zu. Er mußte aus ihrer Sicht bekämpft werden und dies eben nicht nur politisch, sondern am besten auch persönlich. Wahrheit stellte dabei traditionell keine Kategorie dar, in der gedacht wurde. Steed etwa brachte bereits seit dem Ersten Weltkrieg und bis in den August 1939 gefälschte Dokumente in Umlauf, in denen in quasi beliebiger Form von deutschen Attentaten, Angriffsplänen, Teilungsplänen oder auch vom geplanten Einsatz von Giftgas die Rede war.22 Ribbentrops Ernennung fiel zufällig zeitlich mit dem Beginn jenes Unter­ nehmens zusammen, das wie gesagt als „Focus“ bekannt geworden ist, und in dem Wickham Steed ebenso wie Churchill eine politische Plattform finden sollte. Der Focus war eine locker strukturierte Vereinigung von Persönlichkeiten des öffent­ lichen Lebens, darunter Politiker der großen Parteien, Gewerkschafter, Journa­ listen, Bischöfe, Verleger, Wissenschaftler, Autoren und andere mehr. Die Ausrichtung umfasste christliche, liberale, jüdische wie konservative Strömungen. Das Ziel dieser Vereinigung bestand in der politischen Bekämpfung pro-deutscher, im Jahr 1936 also auch pro-nationalsozialistischer Einstellungen in Englands Politik und Öffentlichkeit. Die illustre Focus-Runde verwies in vielen Aspekten des öffentlichen Lebens auf die obersten Plätze. Bedeutende Industrielle und Finanziers waren ebenso vertreten wie Gewerkschaftsführer, einflußreiche Journalisten,23 Bischöfe, Frei­ kirchen24 und Regierungsbeamte. Sie wies unter anderem drei Nobelpreisträger auf, sinnigerweise einen vergangenen und einen künftigen für Frieden (Normann Angell 1933, bzw. Robert Cecil 1937) und einen künftigen für Literatur (Churchill 1953), einen ehemaligen konservativen Parteichef und Bruder des Vorkriegs­ premiers (Austen Chamberlain) und drei künftige Premiers (Churchill, Attlee, Eden). Genaugenommen wurde von 1940–1957 niemand mehr englischer Regesamten deutschen Aussenpolitik zur Verfügung habe“. Vgl. R 27090, Bl. 28725, Meldung der DR vom 31.10.37, Unterstreichung im Original. 22 Vgl. ADAP, C, III/1, Dok. 52, S. 109, 3. Juli 1934. Außenminister Neurath an die Botschaft in London über „die auf gefälschte Dokumente gestützte Veröffentlichung von Wickham Steed über angebliche Vorbereitung deutscher Giftgas- und Bakterienangriffe auf London und Paris“ in einem Artikel in der Juli-Ausgabe von „The Nineteenth Century and After“. Titel: ­Aerial Warfare: Secret German Plans“. 23 Vgl. Bavendamm, Weg, S.  310. Was den Journalismus betraf, brachte etwa Sir Walter ­Layton seinen Einfluß bei News Chronicle, Star, Economist, Manchester Guardian und Daily News mit in den Focus ein. 24 Am 17. März 1937 schrieb A. H. Richards einen zufriedenen Brief über die Entwicklung und den steigenden Einfluß des Focus an Churchill und kündigte als neue Aktivposten einen Repräsentanten der Freikirchen, Sir Arthur Salter und Sir Patrick Gower an. Vgl. CHAR 2/ 311 A.

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gierungschef, der nicht zu diesem Netzwerk gehört hatte, und da auch Harold ­Macmillan später noch für die Mitarbeit gewonnen wurde, dehnte sich diese Zeit weiter aus. Die Wichtigkeit dieser Gruppe und ihre politischen Einflußmöglichkeiten stehen daher außer Frage.25 Ribbentrop selbst registrierte dieses Unternehmen zwar, hielt es jedoch für ein sekundäres Phänomen. Er dachte, wie wir gesehen haben, in den Kategorien staatlicher Machtentfaltung und den in England selbst gern hervorgehobenen Maßstäben des europäischen Gleichgewichts. Unter diesen Voraussetzungen wollte er einen Ausgleich NS-Deutschlands mit England versuchen, der seiner Ansicht nach trotz ideologischer Gegensätze möglich war, wenn England das europäische Gleichgewicht durch einen großdeutschen Revisionismus nicht gestört sah. In seinen im Nürnberger Gefängnis geschriebenen Memoiren widmete er dieser Frage einige Zeilen, auch über den Focus: „Den dritten Grund für das Scheitern einer endgültigen deutsch-englischen Verständigung in den 30er Jahren sehe ich in den starken Einflüssen jener Kreise in England, die der nationalsozialistischen Ideologie von vornherein feindlich gegenüber standen, vor allem der Freimaurer und Juden, dann aber auch gewisser kirchlicher und gewerkschaftlicher Einflüsse. Es ist sehr umstritten, inwieweit diese Kreise, zu denen noch die indirekten Einflüsse aus den USA hinzukommen, eine maßgebende Rolle bei der Entwicklung gespielt haben. Ich selbst meine, daß sie nur von sekundärer Bedeutung waren gegenüber der ausschlaggebenden Rolle der rein imperial-britisch eingestellten Kreise.“26

Vor diesem imperialen Lager in England, das einen Krieg gegen Deutschland aus grundsätzlichen Erwägungen wegen dessen potentieller Stärke führen würde, sollte er Hitler dann später in seinem Abschlußbericht als Botschafter besonders warnen. Diesem Bereich der prinzipiellen Gegner Deutschlands läßt sich zweifellos der eingangs zitierte Robert Vansittart zuordnen, der seit 1929 und bis zum Ende von Ribbentrops Amtszeit als Botschafter den Posten des ständigen Unterstaatssekretärs im englischen Außenministerium bekleidete. Vansittart gehörte zu jener mit dem Namen Eyre Crowe verbundenen „antideutschen Gruppe“27 im englischen Außenministerium, die in der bloßen Existenz des vereinten Deutschland und dessen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum ein Phänomen sahen, das mit den englischen Interessen nur vereinbar war, wenn es eine zweitrangige Macht bliebe. Deutschlands Existenz sei zu begrüßen, weil sie eine französischrussische Vorherrschaft auf dem Kontinent verhindern würde. Alles darüber hinaus sei ein Übel. Sein natürliches Wachstum würde aber laut Crowe den Tag herbeiführen können, an dem Deutschland Forderungen an England richten würde, zumal der „Weltmacht“-Gedanke in Deutschland seiner Auffassung nach ohnehin stark sei.28 Es seien reichlich Erklärungen deutscher Staatslenker gegeben

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Vgl. Scheil, Gegner, S. 87 f. Zit. n. Ribbentrop, Erinnerungen, 27 Vgl. Wipperfürth, Imperialismus, S. 234. 28 Vgl. Text des Memorandums in: http://tmh.floonet.net/pdf/eyre_crowe_memo.pdf, hier S. 405 f.

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IV. Entscheidung in London

worden, keine offensive Politik dieser Art führen zu wollen, dies sei aber letztlich zweit­rangig. Letztlich forderte Crowe geradezu den Krieg gegen Deutschland, da England mit einem Nachgeben gegenüber seinen Forderungen eine zweitrangige Macht werden würde.29 Vansittarts Gedankenwelt, die sich ebenfalls auf solche Ansichten stützte, läßt sich allerdings dennoch nicht als eine Auffassung rein „imperialer“ Natur beschreiben. In seinem Fall kam noch ein emotionales Vorurteil gegen Deutsche dazu, das sich bald nach 1939 in Vernichtungs- und Ausrottungsplänen äußerte. Fürs erste jedoch ließ er Ribbentrop lediglich wissen, daß die nationalsozialistischen Ambitionen auf eine großdeutsche Einheit Deutschland zum dominierenden Staat in Europa werden lassen würden: „Und dies werden wir ihnen nicht erlauben.“ Wie Vansittart in der oben zitierten Aufzeichnung richtig erkannt hatte, war Ribben­trops Ernennung zum Botschafter im Auswärtigen Amt sowohl in Parteikreisen wie auch in der Botschaft mit wenig oder bestenfalls geteilter Begeisterung aufgenommen worden. Der Verbindungsmann des Propagandaministeriums in der Londoner Botschaft, Sigismund FitzRandolph gibt an, Joseph Goebbels auf dessen Nachfrage nach den möglichen Auswirkungen von Ribbentrops Ernennung letztlich abgeraten zu haben. Die Stimmung in der Londoner Botschaft und deren Umfeld sei allerdings gespalten: „Manche glauben, daß es sich sehr gut auswirken werde, Ribbentrop dort zu haben. Da er einen so engen Kontakt zum Führer hat, wird angenommen, daß es sich als nützlich er­ weisen wird, in London einen Botschafter zu haben, der an der Quelle des Berliner Geschehens sitzt. Ich vermute, daß diese Anschauung in amtlichen Kreisen wie auch in den Kreisen der deutsch-englischen Bewegung zu suchen ist. Der Botschaft wird vorgeworfen, daß wir der tatsächlichen, neuen Ideenwelt Berlins reichlich entrückt seien. Andere Menschen lehnen Ribbentrop und dessen Entsendung nach London scharf ab. Es kommt wohl darauf an, welchen Gesichtspunkten gerade die primäre Bedeutung beigemessen wird. Ich selbst kenne zum Beispiel eine junge englische Dame, die den Führer angefleht hat, Ribbentrop ja nicht nach London zu schicken. Sie ist angeblich scharf abgewiesen worden.“30

Ribbentrop blieb auch als Botschafter in London darauf angewiesen, einen engen Kontakt nach Berlin zu pflegen, um seine Stellung – und die Stellung seiner Mitarbeiter andernorts31  – nicht von regimeinternen Intrigen untergraben zu



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Ebd. http://tmh.floonet.net/pdf/eyre_crowe_memo.pdf, S. 414. Zit. n. FitzRandolph, London, S. 65. FitzRandolph legt Wert auf die Feststellung, sich gerade an dieses Gespräch und seinen Wortlaut genau erinnern zu können. Bei der „jungen eng­ lischen Dame“ dürfte es sich um Unity Mitford gehandelt haben, mit der FitzRandolph bekannt war, der einzigen Engländerin die regelmäßig persönlich mit Hitler verkehrte. Sie setzte sich intensiv für die deutsch-englischen Beziehungen ein und schoß sich nach der britischen Kriegs­ erklärung am 3. September 1939 schließlich eine Kugel in den Kopf. Nach Kriegsende starb sie 1945 an den Spätfolgen dieser Verletzung. Vgl. Schädlich, Mitford, passim. 31 Ribbentrops Frankreichbeauftragter Otto Abetz mußte sich 1937 einem Verfahren wegen angeblicher Abweichung von der nationalsozialistischen Parteilinie stellen, was sein Biograph Ray direkt mit Ribbentrops Londoner Tätigkeit in Verbindung bringt. Vgl. Ray, Abetz, S. 217 f.

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s­ ehen.32 Informationen über den Gang der Dinge dort versuchte er auf verschiedenste Art und Weise zu erhalten,33 und reiste zudem oft nach Deutschland, so daß er für einen Botschafter relativ wenig Zeit in London verbrachte. Vansittarts oben zitierte, siebzehn Druckseiten lange Aufzeichnung von seinem Deutschlandaufenthalt im Jahr 1936 stammt nicht aus den Akten des bri­ tischen Außen­ministeriums, sondern aus seinem Privatarchiv und wurde für eigene Zwecke angefertigt.34 Nicht ohne amüsierte Genugtuung registrierte Vansittart, daß seine namentliche Vorstellung in Deutschland jeweils einen sichtbaren Eindruck bei seinen deutschen Gesprächspartnern auslöste. Aus ihrer Sicht hatten sie gewissermaßen den Leibhaftigen vor sich, der sich zudem in fließendem Deutsch auszudrücken verstand. Man blieb gegenseitig höflich, aber wenig konkret. ­Vansittart monierte, auch Hitler sei bei allgemeinen Floskeln geblieben, reagierte aber andererseits selbst abwesend, als jemand dies zu ändern versuchte. Ribbentrop nämlich hätte als einziger in Berlin „seine Zähne gezeigt“ und zwar, als er einmal eine Bemerkung dahingehend getan hätte, „wenn England Deutschland nicht die Möglichkeit zum Leben einräumen würde, könnte sogar Krieg zwischen beiden Ländern entstehen und eines von beiden würde dann ausgelöscht werden.“35 Vansittart hatte laut seiner Aufzeichnung nicht gefragt, was Ribbentrop unter der „Möglichkeit zu Leben“ verstehe, weil er nicht den Anschein von Verhandlungen erwecken wollte. Dies gelang ihm vollständig. Ribbentrop selbst beschreibt in seinen Erinnerungen dieses Gespräch in der Tat so, als hätte Vansittart trotz aller Verhandlungsversuche nur den Anschein einer schweigenden Mauer erweckt: „Ich habe in meinem Leben mit Hunderten von Engländern Gespräche über dieses Thema geführt, aber niemals war eine Unterhaltung so fruchtlos, so ohne jede Resonanz, ohne das geringste Eingehen des Gesprächspartners auf das, worauf es ankam.“36 Beide Aufzeichnungen gehen hier also in diesem Punkt konform. Ob Ribbentrop in der Tat das Stichwort ‚Krieg‘ fallen ließ, wie Vansittarts Aufzeichnung behauptet und vor allem in welcher Weise, läßt sich kaum rekonstruieren. Die Behauptungen von Vansittart, Churchill und anderen Akteuren dieser Richtung 32 Ohnehin blieb auch der Botschafter Ribbentrop unter Überwachung von Otto Bene, den die NSDAP als Landesgruppenleiter und „oberste Parteivertretung“ an der Botschaft in London etabliert hatte und der, so Geyr von Schweppenburg, „abgesehen von seiner anmaßenden Haltung gegenüber dem Botschafter, diesem seine Amtsführung erschwerte“. Vgl. Schweppenburg, Hoesch, S. 36. 33 In diesem Zusammenhang gibt Ernest Tennant an, von Ribbentrop um gelegentliche Berichte aus Berlin gebeten worden zu sein. Auch er habe Ribbentrop des öfteren von der Annahme des Londoner Postens abgeraten, aber nach dem plötzlichen Tod Hoeschs sei die Versuchung für Ribbentrop wohl zu groß gewesen. Er habe Hitler um den Posten gebeten und ihn bekommen. Vgl. Tennant, Account, S. 194. 34 Vgl. Aufzeichnung Vansittarts über seinen Deutschlandbesuch im August 1936, in DBFP 2/XVII, Appendix I, S. 768. 35 Vgl. Aufzeichnung Vansittarts über seinen Deutschlandbesuch im August 1936, in DBFP 2/XVII, Appendix I, hier S. 768. 36 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 96.

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IV. Entscheidung in London

über Ribbentrops Äußerungen sind an etlichen Stellen nachweislich unzutreffend. Für die Einstufung einer solchen Anspielung war in jedem Fall die jeweilige Wahrnehmung der Gesamtsituation entscheidend. Die Versicherung, „wir wollen Politik so treiben, daß wir nie wieder Krieg gegeneinander führen,“, kann ebenso ein Entspannungsversuch in einer heiklen Situation sein, wie als latente Kriegsdrohung im Fall einer eigentlich beiderseitig unaufgeregten Situation aufgefaßt werden. Vansittart deutete an, letzteres könne möglich sein, nahm es aber andererseits nicht zu ernst und sprach das Thema Ribbentrop nach diesen wenigen Sätzen auf den rest­ lichen sechs Seiten seiner Aufzeichnungen nicht weiter an. In gewisser Weise deutete dieser fehlgeschlagene Dialog aber die Mißverständnisse an, die das deutschenglische Verhältnis in den Jahren von 1936–1939 prägen sollten. Männer wie Robert Vansittart fanden nicht, daß es über die „Lebenssituation“ Deutschlands etwas existentielles zu verhandeln gäbe, etwa über eine territoriale Revisions­ politik oder über ein Bündnis auf gleicher Höhe zwischen beiden Ländern. Wenn eine Politik mit solchen Zielen dennoch betrieben werden sollte, sah Vansittart das als Kriegsgrund. Darüber konnte Ribbentrop bald nach Berlin berichten. Sein 1937 aus Anlaß der Krönung des neuen englischen Königs verfasster Bericht trug deutliche Spuren solcher Auseinandersetzungen und widmete den psychologischen Voraussetzungen machtpolitischen Denkens ebensoviel Raum wie der Mechanik europäischer Bündnissysteme und Bedrohungsszenarien.37 Aus deutscher Sicht und aus der Perspektive Ribbentrops stellte die Gefahr eines Zweifrontenkriegs immer das Hauptproblem dar. Hitler befürchtete den sowjetischen Großangriff auf Europa und Deutschland, Ribbentrop trieb die Sorge um, ein solcher Angriff könnte sogar auf französisch-englische Unterstützung rechnen: „Wie die Dinge heute liegen, besteht die Gefahr, daß im Falle eines russisch-deutschen Konfliktes England irgendwie durch Frankreich in den Krieg gegen Deutschland hineingezogen wird (Methoden hierfür gibt es ja genug: Havas Falschmeldungen,38 falsche Angreifer­ behauptungen, Sabotageaktionen usw. usw.).“39 37 Roland Ray spricht mit Blick auf Frankreich von einer „völkerpsychologischen Vereinnahmungsstrategie der Dienststelle Ribbentrop“. Vgl. Ray, Abetz, S. 168. 38 Beispiele für solche Desinformationen gibt es reichlich. Dem Chefkorrespondenten der Havas-Agentur in Berlin gelang es etwa im Juni 1939 nicht, drei verschiedene amerikanische Journalisten zur Falschmeldung zu überreden, Hitler würde am 1.7.39 in einer großen Rede in Norddeutschland Danzig und den Korridor fordern. Havas wollte diese Meldung diesmal nicht selbst bringen, obwohl sie aus der französischen Botschaft stammte. Vgl. PA AA 27092, Bl. 29477, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 15. Juni 1939. Einen Tag später traf ein weiterer Bericht über methodische Beeinflussungsversuche der „neutralen“ Presse durch englische und französische Botschaftskreise ein. Vgl. PA AA 27092, Bl. 29479, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 16. Juni 1939. Hitler vorgelegt wurde ein Bericht über einen USJournalisten namens Sylvester Viereck, der sich auf einer Deutschlandreise befand, als deutschfreundlich galt und sich kritisch über die Politik des Präsidenten Roosevelt äußerte, die man von Deutschland aus nach seiner Ansicht am besten so wenig wie möglich beachte, bis sie abgewirtschaftet habe. Er hatte kurz darauf einen Autounfall, der ihn ins Krankenhaus brachte. Vgl. PA AA 27092, Bl. 29483 f., Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 20. Juni 1939. 39 Zit. n. ADAP, C, VI/2, Dok. 380.

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Die ungezählten Falschmeldungen der internationalen Presse aus den vergangenen Jahren hatten bei Ribbentrop sichtlich ihre Spuren hinterlassen. Vielleicht war es wirklich möglich, einen von der UdSSR ausgehenden oder mit provozierten Krieg in Europa als deutschen Angriffskrieg darzustellen, unter manchen Aspekten geschah dies ja 1939 schließlich auch. Für diesen Fall würde ein englisch-deutscher Vertrag nicht ausreichen, dessen Gültigkeit sich etwa auf einen sowjetischen Angriffskrieg beschränkte. Daraus leitete Ribbentrop einen englisch-deutschen Rückversicherungsvertrag als die wünschenswerte Gegenmaßnahme ab: „Der einzig klare Weg dies zu verhindern, wäre eine eindeutige englische Neutralitäts­ versicherung für den Fall eines deutsch-russischen Krieges. Damit wären wir aller Voraussicht nach im Westen überhaupt gesichert, denn ohne englische Waffenhilfe würde Frankreich wohl kaum die deutschen Westbefestigungen angreifen.“40

„Eindeutig“ hieß in diesem Fall, daß es keine Diskussionen oder Einschränkungen darüber geben durfte, wer den Krieg im Zweifelsfall begonnen hatte. Dies würde schwer vermittelbar sein, denn die englische Diplomatie legte offiziell recht viel Wert auf Schuldzuweisungen. Allerdings kam ein vergleichbarer Vertrag, wie Ribbentrop ihn hier andeutete, schließlich 1939 zwischen Groß­ britannien und Polen dennoch zustande. Dieser richtete sich damals ausschließlich gegen Deutschland und sagte den englischen Kriegseintritt für den Fall zu, daß Deutschland die polnische „Unabhängigkeit“ bedrohen würde, ohne zu regeln, wie eine solche Drohung auszusehen hätte. Der Vertrag legte mit anderen Worten die deutsche Kriegsschuld von vornherein fest, selbst wenn Polen einen Angriffskrieg gegen Deutschland eröffnen würde. Eine englische Neutralitätserklärung für den Fall einer sowjetischen Bedrohung der deutschen Unabhängigkeit wäre demnach eventuell möglich gewesen und hätte diesem Vorgehen von 1939 entsprochen. Im Prinzip könnte eine solche Vertragskonstruktion aus englischer Sicht die nötigen Sicherheiten bieten, wenn sie den Status quo in Westeuropa absolut garantierte. Allerdings konnte eine solche absolute Neutralitätserklärung möglicherweise eben zur Führung eines Angriffskriegs mißbraucht werden oder schlicht zur Schaffung von Tatsachen. Der französische Angriffskrieg gegen den Deutschen Bund von 1870 hatte letztlich in Paris geendet und die fortdauernde britische Neutralität hatte dann 1871 ebendort die Gründung des Deutschen Reichs ermöglicht. Auch in einem deutsch-sowjetischen Krieg mochte es – unabhängig von seinem Anlaß  – vielleicht einen eindeutigen Sieger geben, und das konnte aus englischer Sicht fatale Folgen haben, wie Ribbentrop in Erfahrung gebracht hatte: „Die Argumentation des Foreign Office ist allerdings, wie mir heute ein ganz zuverlässiger Vertrauensmann wieder erneut bestätigte, immer noch folgende: Wenn Deutschland in einem russischen Krieg siegreich bliebe, wäre es so stark, daß es mit Europa und dann auch eines Tages mit England machen könne, was ihm beliebe. Diese Argumentation, der ein an-



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Zit. n. ADAP, C, VI/2, Dok. 380.

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IV. Entscheidung in London gebliches Streben Deutschlands nach Weltherrschaft zu Grunde liegt und die Deutschland die Fähigkeit, als zufriedene, saturierte Nation zu leben, grundsätzlich abspricht, müssen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln und Argumenten widerlegen … .“41

Diese Anmahnung vertrauensbildender Maßnahmen enthielt das ganze Dilemma der deutschen Außenpolitik der kommenden Jahre. Wenn eine Revision der Grenzen im angestrebten großdeutschen Sinn notwendig, aber nicht auf dem Verhandlungsweg möglich war, dann wurden einseitige Aktionen von deutscher Seite notwendig, die dann wiederum jedes entstandene Vertrauen wieder zerstören konnten, zumal, wenn sie dem internationalen Publikum entsprechend präsentiert wurden. In welchem Umfang das britisch-deutsche Verhältnis aber auch unabhängig von noch ausstehenden Entwicklungen bereits symbolisch belastet war, zeigte sich an anderer Stelle. 3. Stilfragen einer imperialen Ära „Als wir vorfuhren, sah ich zu meinem Entsetzen, daß über dem Eingang eine riesige Trikolore wehte. Blomberg hat diese etwas eigenartige Ehrung anscheinend nicht bemerkt und ich dazu geschwiegen. Vermutlich hatte Hamilton seinem Butler den Auftrag gegeben, die deutsche Fahne zu hissen. Der mag die Fahnen verwechselt haben. Vielleicht war es ihm auch nicht weiter wichtig gewesen, welches Emblem der verschiedenen europäischen Negerstaaten auf­ gezogen wurde.“ Frhr. Geyr von Schweppenburg42

Der neue Botschafter brachte nach London die Absicht mit, ein dauerhaftes englisch-deutsches Bündnis zustande zu bringen. Dieses englisch-deutsche Bündnis mußte nun, wenn es überhaupt zustande kommen und vielleicht sogar dauerhaft sein sollte, auf gegenseitigem Respekt beruhen, einer ebenso vagen wie wichtigen Kategorie internationaler Beziehungen. Über formale und noch zu treffende Vertragsabsprachen hinaus war dafür ein Kontakt auf der Ebene politischer Kultur nötig, denn der reine Vertragstext eines zwischenstaatlichen Bündnisses allein sagt wenig über seine tatsächliche Stabilität und politische Effizienz. Die Eliten der Bündnispartner müssen zu persönlichen Kontakten und zu einem gewissen Gemeinsamkeitsgefühl kommen. Es war Ribbentrop wie gesehen gelungen, durch sein informelles Auftreten in England teilweise solche Kontakte aufzubauen.43

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Zit. n. ADAP, C, VI/2, Dok. 380. Zit. n. Schweppenburg, Erinnerungen, S. 108. 43 Vgl. Jones, Diary, S. 248, Eintrag vom 5. September 1936. Jones lobte Ribbentrops Art, „frankly and fully, and not diplomatically“ aufzutreten. Gerade an verschiedenen Bemerkungen von Jones läßt sich aber auch ablesen, daß diese Eigenschaften Ribbentrop später im Amt des Botschafters und später des Ministers zunehmend abgingen. Er wirkte wenigstens aus britischer Sicht dann steif, pathetisch und unnachgiebig, womit er sich allerdings in prominenter Gesellschaft befand: Anthony Eden verglich später das Auftreten von Charles de Gaulles mit dem von Ribbentrop. Vgl. Harvey, Diaries II, S. 164, Eintrag vom 1. Oktober 1942.

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Dieses Bündnisgefühl besaß der „Westen“ in Gestalt der USA, Frankreich und Großbritannien im Jahr 1936 weniger, als dies im nachhinein den Anschein haben mochte, aber doch in erheblich größerem Umfang als andere Staaten zu dieser Zeit. Immerhin bestand kein formales Bündnis zwischen diesen Staaten und es herrschten deutliche Interessengegensätze wirtschaftlicher wie politischer Natur. Die Vereinigten Staaten waren niemals dem Völkerbund beigetreten, den die beiden europäischen Westmächte gern als Zentrum ihrer Nachkriegspolitik eingesetzt hatten. Großbritannien andererseits betrachtete sich weiterhin als eines der wesentlichen politischen Zentren der Welt und die maßgebenden Personen der englischen Führungsschicht hätten die Aussicht energisch zurückgewiesen, Politik künftig nach den Maßstäben oder gar den Wünschen zu betreiben, wie sie aus Washington zu hören waren. Ribbentrop konnte auf machtpolitischer Ebene also etwas wesentliches bieten, als er nach London kam, die deutsche Unterstützung für eine erneuerte Machtentfaltung der imperialen englischen Politik. Ob diese Konstellation zustande kommen und halten konnte, hing allerdings auch davon ab, ob die politischen Kulturen kompatibel waren. Wie wichtig dieser politisch-kulturelle Zusammenhang war, illustriert die Geschichte jenes Bündnisses, das die englische Regierung 1939 tatsächlich schließen sollte. Die englisch-polnischen Abmachungen des Jahres 1939 stellten formal ein uneingeschränktes Bündnis dar, bei dem sich die Vertragspartner wechselseitig als Garanten des jeweiligen Imperiums anerkannten und sich uneingeschränkte Unterstützung für den Fall einer auch nur indirekten Bedrohung von vitalen Interessen eines Vertragspartners zusagten. Nun konnte jedoch die Republik Polen offenkundig kaum das Britische Empire garantieren. Auch umgekehrt funktionierte dies nicht, da die englische Regierung – abgesehen von Versprechungen auf dem Papier – den polnischen Vertragspartner keineswegs als Gleichrangig anerkannte. Sie begriff ihn lediglich als Funktion in einem politischen Unternehmen, das sich letztlich trotz der Anstrengungen Ribbentrops gegen die deutsche Politik der Jahre 1938/39 richtete. Insofern fehlten diesem Bündnis die gute Absicht und die Substanz. Es endete in englischem Verrat. Das galt in ganz ähnlicher Weise für das andere totale Bündnis, das im Frühjahr 1939 geschlossen worden war: Auch der deutsch-italienische Pakt wurde 1939 nicht erfüllt und endete 1943 in Verrat, auch hier gab es trotz der theoretisch stärkeren Annäherungkraft zweier „faschistischer“ Staaten zu wenig Gemeinsamkeiten unter den Eliten. Ein Vertrag mit England nun, in dem etwa Deutschland statt Polen die Rolle als Garant des englischen Besitzstands zu übernehmen hatte, wie er von deutscher Seite angestrebt und bis an die Schwelle des Kriegsausbruchs von 1939 ange­ boten wurde,44 sollte und mußte in der Regierungszeit des Nationalsozialismus von englischer Seite die Anerkennung des Regimes enthalten. Diese mußte über formale Vertragsabmachungen hinaus die Anerkennung des Regimes in seinen 44 Zuletzt am 25. August 1939 im Gespräch Hitler-Henderson. Vgl. ADAP, Serie D, Bd. VII, Dok. 265.

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speziellen Erscheinungsformen einschließen. Der Nationalsozialismus betrachtete sich als „neu“, das war mehr als eine bloße Propagandafloskel. Die Inszenierung des Neuen gehörte mit zur Substanz des nationalsozialistischen Regimes und das Regime macht kein Geheimnis daraus. Der parteieigene Eher-Verlag verkaufte selbst die Postkarten, auf denen Hitler dabei photographiert worden war, wie er für seine Auftritte als „Führer“ die großen Gesten im Stil eines Theaterschauspielers übte. Der besondere Stil nationalsozialistischer Herrschaftsausübung, wie er in uniformverliebten Massenaufmärschen,45 Lichtdomen, Thingstätten, neoklassizistischer Architektur, Technikbegeisterung und Lagerfeuerromantik zugleich zum Ausdruck kam, aber auch in Rassentheorien und Lagerhaftdrohung gegen Oppositionelle, mußte für einen Bündnisabschluß in England akzeptiert werden. Nun galt Letzteres vielen in England als vorübergehende Erscheinung, jedenfalls nicht als entscheidender Hinderungsgrund für eine politische Zusammenarbeit. Andererseits stießen die neuheidnischen und sozialistischen Ausdrucksformen des Nationalsozialismus, sowie die vorwiegend kleinbürgerliche Herkunft seiner Führungsschicht in England auf Mißachtung. Die vielfach versippte, immer noch anglikanisch geprägte und an ihre Führungsrolle gewohnte englische Führungsschicht vertrug dies schon stilistisch nicht. Man legte Wert auf Distanz jed­weder Art und dies demonstrativ, sonst ließ sich der elitäre Anspruch kaum aufrecht­ erhalten. Daran änderte sich auch längere Zeit nach Kriegsausbruch noch wenig. Die regierenden Schichten der beiden europäischen Westmächte glaubten sich der Klassenherrschaft nach innen wie nach außen rituell versichern zu können und zu müssen. André Maurois berichtet über eine bezeichnende Szene im Juni 1940 in Paris während eines deutschen Luftangriffs. Mit Duff Cooper war auch einer der eifrigsten Widersacher Ribbentrops und ein entschlossener Kriegsbefürworter beteiligt, der zu dieser Zeit als Informationsminister agierte. Man traf sich mit zwei französischen Ministern zum Mittagessen: „Als wir uns im Ritz zu Tisch setzen wollten, ertönte der Alarm. Sofort verschwanden die Kellner instruktionsgemäß im Schutzraum. Die Minister und ihr Gefolge waren in einer peinlichen Lage. In den Schutzraum zu gehen, schien ihnen ein Zeichen mangelnder ­Courage, sich selber zu bedienen, entsprach nicht recht ihrer Würde. Man entschloß sich am Tisch vor leeren Tellern Platz zu nehmen und zur Begleitung einer heftigen Kanonade zu warten. Aber der Alarm dauerte lange, und je hungriger die Herren wurden, desto träger schlich die Konversation dahin.“46

Vom Erhabenen bis zum Lächerlichen ist es bekanntlich nur ein kleiner Schritt. Die englisch-französische Elite suchte noch nach dem richtigen Verhältnis zu dem Krieg, den sie Deutschland am 3. September 1939 erklärt hatte. Noch wirkten die



45 Ribbentrop schenkte dem früheren britischen Luftfahrtminister Lord Londonderry bei einem Besuch in dessen Residenz in Nordirland eine 45 cm hohe Porzellanstatue eines behelmten SS-Manns mit Hakenkreuzfahne aus der Produktion der Firma Allach, die offenbar bis heute ihren Platz im Haushalt hat. Vg. Kershaw, Freunde, S. 7. 46 Zit. n. Maurois, Tragödie, S. 104 f.

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Verhältnisse nach, die im London der 30er Jahre geherrscht hatten und die dazu führten, daß Duff Cooper es nicht für nötig hielt, zur Begrüßung dem zu einem Gespräch mit ihm eintretenden deutschen Marineattaché einen Stuhl anzubieten. Er selbst blieb demonstrativ sitzen. Ein Mann wie Joachim von Ribbentrop, der es aus eigener Kraft zu Vermögen und einer gesellschaftlichen Stellung gebracht hatte, aber als „homo novus“ gelten mußte, bot aus Sicht dieser Gesellschaftskreise, die sich durch milieuhafte Geschlossenheit nach innen und außen definierten, Raum für Angriffe. Das stilistische Lob, das Edward VIII. für ihn übrig gehabt hatte, wurde von vielen nicht geteilt. JvRs Großhandel mit Getränken oder sein durch Adoption erworbener Adelstitel, dies waren nutzbare Angriffsflächen gegen seine Person, wobei davon ausgegangen werden kann, daß für andere Personen auch andere Angriffsflächen hätten gefunden werden können.47 Ribbentrop jedenfalls wurde in der Presse gezielt niedergeschrieben.48 Vor diesem Hintergrund ist sein Versuch zu sehen, in London über die normalen Aktivitäten eines Botschafters hinaus auch stilistisch als Repräsentant eines neuen Deutschland aufzutreten. Dieser Punkt ist erwähnenswert, da ihm wie geschildert eine eminent politische Relevanz zukommen sollte. Er konnte ebenso die Basis für einen Erfolg des Botschafters von Ribbentrop legen, wie jener Ausdruck des Scheiterns seiner Mission werden, als der er letztlich vielfach in die Geschichte einging. Die englische Führungsschicht lehnte diesen neuen Stil ab und die prin­zipiellen Gegner einer prodeutschen Politik verstanden dies als Angelpunkt für eine Kampagne in ihrem Sinn zu nutzen. FitzRandolph schildert eine 47 Besonders der Adelstitel blieb Gegenstand von steten Nachreden, auch in Deutschland und über 1945 hinaus. Durch Adoption eine Adelslinie zu erhalten, war an sich kein ungewöhnlicher Vorgang. Auch Ribbentrops Adoption von 1925 war keineswegs Unzeitgemäß. Sein Kabinettskollege Schwerin-Krosigk, von 1933 bis 1945 der Finanzminister des Deutschen Reichs, hatte Namen und Titel eines „Grafen von Schwerin-Krosigk“ just im gleichen Jahr 1925 ebenfalls durch Adoption seitens eines kinderlosen Onkels erworben. Vgl. Goehrke, Krosigk, S. 13. Anders als im Fall Ribbentrop hatte dies offenbar keine negativen Nachreden zur Folge, so daß die steten Affären um Ribbentrops Adelstitel eher ein Beispiel für die eigentümlichen Probleme darstellen, die Ribbentrop mit dem Neid der Gesellschaft hatte. Generalleutnant Ribbentrop hatte seinen Adelstitel auf dem Schlachtfeld erworben, im Krieg gegen Dänemark 1864 bei den Düppeler Schanzen, zusammen mit der Auszeichnung Pour le merite. (Vgl. auch seine kurze Charakterisierung als Mitglied des ‚Cercle Intime‘ der Kreuzzeitung in Theodor Fontanes Autobiographie „Von Zwanzig bis Dreißig“, S. 194.) Im Herbst 1943 kam es in der Adelsfrage zu einem Briefwechsel Ribbentrops mit Justizminister Thierack, der Ribbentrop angeschrieben hatte, weil ein „Müller und Altbauer“ namens Guido Dornbusch behauptet hätte, Ribbentrop hätte zur Adoption gedrängt. Irgendeinen Beleg für diese Behauptung gab es nicht, und die Frage, ob belanglos-despektierliche Äußerungen eines Altbauern mitten im totalen Krieg ernsthaft einen Briefwechsel zwischen zwei Ministern nötig machten, konnte eigentlich eindeutig negativ beantwortet werden. Trotzdem ließ Ribbentrop erneut Aussagen in dieser Sache einholen. Vgl. Schreiben Ribbentrop-Thierack, 9. Oktober 1943. BA KO NL Ribbentrop. 48 Vgl. Coucy, Battle, S. 22. Coucy verbindet diese Information mit einem Hochlob von Ribbentrops damals seiner Meinung nach unterschätzten Fähigkeiten und einer uneingeschränkten Verdammung dessen angeblicher Skrupellosigkeit.

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Szene, bei der ihn Ribbentrop auf einer Gesellschaft traf und ihn lächelnd mit einem gut gelaunten und „eleganteren“ deutschen Gruß aus seiner Sicht in Ver­ legenheit brachte: „Ich glaube, daß er in sich die Sendung verspürte, den Engländern zu zeigen, daß man seine Gepflogenheiten unter Deutschen ebenso unbekümmert im Ausland gelten lassen dürfe, wie es der Engländer bekanntlich mit seinen Sitten im Ausland zu tun gewohnt ist. Aber ein solches Argument ist wohl undiskutabel, hat doch der Engländer (bei allem Vorbehalt für diesen Fehler) eine ruhige und daher höchst lautlose Arroganz. Es waren diese forcierten Dinge, klein wie sie sein mochten, die der Engländer gleichzeitig als sehr komisch, „loud“, unruhig und sogar als parvenühaft empfand. In seinen Lebenserinnerungen schreibt zum Beispiel der ehemalige britische Außenminister Sir John Simon, wie man sich englischerseits einmal den Kopf über eine fulminante Einladungskarte zerbrochen hatte, die in deutscher Sprache abgefaßt war (zur Zeit Ribbentrops). … Ribbentrop hat damals, glaube ich, nicht kapiert, welche ungemein nützlichen Dienste er der auf solche Dinge ausgehenden ­Clique erwies, die ihm ohnehin in London restlos kühl gegenüberstand, wenn sie sich manchmal auch (zu einem Teil) einladen ließ.“49

Aber auch in der deutschen Botschaft traf JvRs Projekt auf ein denkwürdiges Unverständnis, das offenbar schon vor seiner Ankunft als Botschafter entstanden war. Ein gutes Beispiel für die Ablehnung von Ribbentrops Stil in der zweiten Reihe war der Militärattaché Geyr von Schweppenburg. Was immer Ribbentrop auch tat, schien auf seine Ablehnung zu treffen, obwohl er in seinen Erinnerungen betont, von Ribbentrop stets ausgesucht höflich und „wie ein Gentleman“ behandelt worden zu sein. In seinem später veröffentlichten Band zu Leopold von Hoesch, Ribbentrops Vorgänger in London, sprach er etwas windungsreich vom „unglücklichen und in seiner Härte zum Teil unverdienten Schicksal“ Ribbentrops, der „im Gegensatz zu anderen Bannerträgern um Hitler auch menschliche Seiten“ gehabt habe.50 Dennoch will er sofort heftigen Widerwillen zum Ausdruck gebracht haben, etwa gegen die neu installierten Telephone in der Botschaft, die angeblich unangebrachter Luxus gewesen seien. Ribbentrops Aufforderung an die Botschaftsangehörigen beim Amtsantritt, in Zukunft wie eine „verschworene Gemeinschaft“ zu agieren, interpretierte und kommentierte er empört als Aufforderung, in Zukunft jeden eigenen Standpunkt aufzugeben. Andeutungen des neuen Botschafters, ob man nicht vielleicht durch finanzielle Nachhilfe etwas mehr an Information über die militärischen Vorbereitungen in England beibringen könnte, hielt er offenbar für ein undenkbar unmoralisches Angebot: „Derartige Gedanken, die aus einem Vorstadtkino oder Schundroman entnommen schienen, auf Menschen mit den charakterlichen und beruflichen Eigenschaften meiner Freunde im britischen Generalstab zu beziehen, sie auch nur anzudeuten, schien mir jede weitere Er­ örterung hoffnungslos zu machen.“51



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Zit. n. FitzRandolph, London, S. 114 f. Vgl. Schweppenburg, Hoesch, S. 35. 51 Zit. n. Schweppenburg, Erinnerungen, S. 115 f.

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In der Gedankenwelt der konservativen Deutschen an der Botschaft und dem Auswärtigen Amt kam die englische Gesellschaft offenkundig nur als die intakte Versammlung ehrenwerter Personen vor, die sie vorgab zu sein, nicht als die finanziell stets anfällige, die sie in der Tat war. Die tschechische Regierung beispielsweise trieb in London zur gleichen Zeit auf breiter Ebene finanzielle Landschaftspflege, wie man deutscherseits nach dem Einmarsch in Prag 1939 anhand der entsprechenden Unterlagen herausfand und als Anklage der „Demokratenpresse“ der Öffentlichkeit präsentierte. Gerade der harte Kern der politischen Gegner einer englisch-deutschen Verbindung um Winston Churchill, Archibald Sinclair oder Wickham Steed ließ sich seinen politischen Einsatz unter anderem von Prag aus reichlich entlohnen.52 Steed bezog 1936 „für seine politischen Artikel“ sogar ein regelmäßiges Monatsgehalt der tschechischen Regierung, war aber damit wohl eine Ausnahme.53 Die bissige Bemerkung des italienischen Botschafters Attolico, die Vorstellungen der deutschen Konservativen von Beziehungen mit England auf Basis eines gemeinsamen Gentlemanbegriffs seien „dumm wie Vorstellungen von Kadettenschülern“ war deshalb nicht unbegründet.54 Wohl hatten auch die Konservativen das Problem eines notwendigen gemeinsamen „Begriffs“ zur politischen Zusammenarbeit beider Länder erkannt, doch schätzten sie die Bereitschaft der englischen Seite deutlich zu optimistisch ein und hatten ein unzutreffendes Bild der englischen Gesellschaft. Ribbentrops Versuch, unter Einsatz der Londoner Botschaft auch mit geschäftlichen Mitteln Politik zu machen, traf dort auf wenig Resonanz. Goebbels Beauftragter für die Presse an der Londoner Botschaft, Sigismund Sizzo FitzRandolph, reagierte ganz ähnlich wie Geyr von Schweppenburg auf Ribbentrops Anliegen, ob man nicht finanziell bei der Pressearbeit nachhelfen könnte. Journalismus folgte auch in England nicht selten den naheliegenden Interessen mancher Journalisten und Publizisten. So griff die englische Presse das nationalsozialistische Regime zweifellos auch wegen finanzieller Vorteile sowohl mit Wahrheit als auch mit Dichtung an, während sich die britische Regierung zugleich auf den Standpunkt stellte, sie könne auf die Presse keinen Einfluß ausüben. Ribbentrop glaubte letz

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Wickham Steed erhielt seit 1923 Zuwendungen aus Prag, damals als erster Betrag 8000.- Pfund, also etwa 160.000 Reichsmark. Vgl. Urban, Demokratenpresse, S. 97 f. 53 Vgl. Urban, Demokratenpresse, S. 108 f. Die „Friends of Europe“, eine der Organisationen dieser Richtung, die unter anderem eine anklagende Zusammenfassung von Mein Kampf herausgebracht hatte, erhielt ebenfalls Mittel aus Prag. Vgl. Urban, Demokratenpresse, S. 150 bzw. Atholl, Mein Kampf, passim. 54 So Attolico im Gespräch mit C. J. Burckhardt im Jahr 1939: „Nehmen Sie … einen Mann wie Hassell (den deutschen Botschafter in Rom; d. Verf.), er redet und schimpft drauflos, er will immer alles den Engländern sagen und meint, sie hätten nur ein einziges Interesse, eine starke, konservative, mit Ideen von Tirpitz durchsetzte nationale Regierung in Deutschland, womöglich eine Monarchie, einer solchen Regierung hätte England dann volle Sympathie entgegenzubringen, Sympathie aufgebaut auf einem gemeinsamen „Gentleman-Begriff“; all das ist dumm wie die Vorstellung von Kadettenschülern …“. Zit. n. Knipping, Machtbewußtsein, S. 118.

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teres nicht, was später noch zu Zusammenstößen mit Botschafter Henderson in Berlin führen sollte. Es war ja auch bestenfalls ein Teil der Wahrheit. Nach seiner Ernennung zum Botschafter rief Ribbentrop vor seiner Abreise noch in Berlin FitzRandolph zu sich. Nach einigen Andeutungen kam man zum Kern der Sache, der Möglichkeit einer finanziellen Beeinflussung der englischen Presse. ­FitzRandolph lehnte ab: „Dieses Pflaster war gefährlich. Vielleicht nicht für Ribbentrop, aber für mich. Außerdem würde eine solche Prozedur schon im Versuchsstadium den Interessen des Reichs schweren Schaden zugefügt haben. Auch dachte ich an meine Dienstanweisung und an meine mehrmaligen Warnungen innerhalb des Propagandaministeriums, ja nicht auf den Gedanken zu kommen, mit Millionen bei irgendwelchen englischen Presseunternehmen Gehör erschleichen zu wollen, weil es ein sinnloses Unterfangen gewesen wäre.“55

Dieser Ansatz blieb daher unerwidert. Deutsche Pressepolitik gab es auf diesem Weg nicht, jedenfalls in England nicht, obwohl Ribbentrop sie in Ansätzen versuchte. Man gründete ersatzweise eigene Medien. Schließlich drang auf dem Weg der späten Memoirenliteratur das Gerücht in die Welt, gerade Ribbentrop hätte sich trotz Beratung in diese Richtung naiverweise dagegen entschieden, mit finanziellen Mitteln in England politischen Einfluß zu gewinnen. Reinhard Spitzy56 trat mit der Behauptung auf, man hätte Ribbentrop zu einem Bestechungsversuch Winston Churchills geraten und Ribbentrop hätte dies abgelehnt, weil Churchill ein „toter Mann“ sei. Dabei wäre es laut Spitzy wichtig „gewesen, wie Philipp von Mazedonien mit Goldsäcken zu operieren! Für die Anwendung von Gold bedarf es keiner besonderen Genialität.“57 Hier offenbart sich der Memoirenautor als Phantast. Nicht nur stimmt seine Schilderung von Ribbentrops Einstellung zu Geld­ angelegenheiten offenkundig nicht. Ribbentrop hielt zudem ausgerechnet Churchill gerade nicht für einen politisch toten Mann, sondern umwarb ihn gesprächsweise. Wie gesehen sind andererseits die Probleme der politischen Landschaftspflege mittels finanzieller Unterstützung stets erheblich, die Risiken allein schon wegen drohender Indiskretionen für beide Seiten hoch. Gerade im Fall Churchill zeigt sich dies anschaulich. Tatsächlich fand Churchills politische Tätigkeit seit 1936 im

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Zit. n. FitzRandolph, London, S. 81. Zu dieser Haltung dürfte das Dienstverhältnis bei­ getragen haben, das die Presseattachés der Botschaften direkt dem Propagandaministerium unterstellte, so daß sie zuerst dorthin berichteten und die Berichte dann an das Auswärtige Amt weitergeleitet wurden. Erst als Minister versuchte JvR, dies zu ändern. Vgl. Schmidt, Tagebuch, Lebenslaufentwurf vom August 1947. 56 Reinhard Spitzy, geb. 1912, NSDAP und SS-Mitglied seit 1931, Dienststelle Ribbentrop vom 6.11.1934–12.11.1938, (vgl. Jacobsen, Außenpolitik S. 702) 1936 Abschluß an der École libre des sciences politiques in Paris, seit 1936 an der deutschen Botschaft in London als Sekretär Ribbentrops, dann seit 1938 Mitarbeit im AA, bis 1939 Referent Ribbentrops in Wien. Ab April 1939 war Spitzy Angestellter bei der Agentur Henry Mann, der Vertretung der National City Bank in Deutschland. Sein Jahresgehalt soll fürstliche 20.000 Reichsmark betragen haben. Von Nevile Henderson wurde Spitzy mit „mehrjährigem Spezialvisum“ für England aus­ gestattet. Vgl. Spitzy, Bekenntnisse, S. 361. 57 Vgl. Spitzy, Bekenntnisse, S. 155.

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Rahmen eines Unterstützernetzwerks statt, das ebenfalls mit finanziellen Mitteln arbeitete. Ab 1938 läßt sich von finanzieller Abhängigkeit Churchills von Henry Strakosch sprechen, aber dies stellte keineswegs eine Chance dar, Churchill nun mit Geld zu beliebigen politischen Einsätzen zu bewegen. Ein Versuch Ribben­ trops, mit Churchill gerade die Gallionsfigur der politischen Opposition einer deutsch-englischen Annäherung hier herauszukaufen, war in der Tat eine absurde Vorstellung – wenn der Vorschlag denn überhaupt gemacht wurde.58 Mehr Erfolg hatte Ribbentrops Strategie in Frankreich, wo die Presse aller Richtungen mit offenbar noch weniger Bedenken als die englische ausgestattet war. Der spätere Botschafter Otto Abetz hatte als Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop in Paris bis zu 350.000 Francs im Monat für die verdeckte Pressearbeit zur Verfügung. Es gelang ihm, sie effektiv einzusetzen, sowohl über Direktzahlungen an verschiedene Journalisten als auch durch Druckkostenzuschüsse für Publikationen.59 In Paris zeigte sich zudem das Personal der deutschen Botschaft diesem Vorgehen aufgeschlossener als in London.60 Dies mochte auch der Tatsache geschuldet sein, daß man sich in Paris in direkter Konkurrenz zur britischen Botschaft sah, deren Pressechef Charles Mendl nach Ribbentrops Einschätzung seit Jahren mit Millionensummen politische Landschaftspflege betrieb.61 In das Kapitel der Stilfragen fällt auch einer der bekannteren Streitfälle aus Ribben­trops Botschafterzeit. Obwohl aus heutiger Sicht der Aufregung kaum wert, soll er hier abschließend erwähnt werden. Denn die zugrundeliegende Affäre ist ganz typisch für die Art, wie Symbolpolitik in den 1930er Jahren betrieben wurde, wie Ribbentrops Gesten von den entsprechend interessierten Politikern in England gegen ihn verwendet wurden und beleuchtet zugleich die inneren Konflikte im Auswärtigen Amt. Der Anlaß: Als deutscher Botschafter in London grüßte Ribbentrop den englischen König mit dem erhobenen rechten Arm, dem Hitlergruß.

58 Spitzys Memoiren „So haben wir das Reich verspielt“ neigen zu Ausschmückungen und enthalten außer nicht überprüfbaren Gerüchten eine große Anzahl an nachweislich unzutreffenden Behauptungen, unter anderem über die Aktivitäten und Einschätzungen Ribbentrops in London. Für das SS- wie NSDAP-Mitglied und ‚Alten Kämpfer‘ Spitzy haben nicht „wir“ das Reich verspielt, also u. a. er selbst, sondern andere. Das Buch ist ein Ausdruck der Abneigung der Parteikreise gegen den Außenminister und über weite Strecken eine Rechtfertigungsschrift für „unseren nationalen Sozialismus“ und dessen „alten, ehrlichen Kampfruf ‚Friede, Freiheit, Brot‘,“ den Ribbentrop „nie begriffen“ habe. Vgl. Spitzy, S. 289. Es ist als Quelle wenig zu­ verlässig, hatte aber trotz seines offensichtlich – in eigener Sache – apologetischen wie denunziatorischen Charakters beachtlichen Einfluß auf die Forschung. 59 Vgl. Ray, Abetz, S. 202 ff. 60 Abetz arrangierte auch Deutschlandaufenthalte der französischsprachigen Publizistik. So etwa den von Dennis de Rougemont, dem er von Oktober 1935 bis Juni 1936 eine Stelle als Lektor an der Universität Frankfurt besorgte und der darüber einen vielbeachteten, subtilkritischen Aufenthaltsbericht verfasste. Der Nationalsozialismus sei ein Phänomen religiöser Art, das dem Westen fremd sei und dem mit einer Stärkung der eigenen Überzeugungen begegnet werden sollte. Vgl. Rougemont, Journal, passim. 61 So Ribbentrop im Hauptbericht, vgl. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 62.

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Diese Geste durchbrach das höfische Ritual an der englischen Königsresidenz auf ungewöhnliche Weise, denn es galt bis dahin als üblich, daß sich ausländische Repräsentanten an die englischen Vorgaben hielten. In Kleidung oder Uniform oder durch Geschenke konnten sie die eigene Kultur zum Ausdruck bringen, weniger durch eigene Stilformen der Begrüßung. Im Rahmen von Ribbentrops sonstigen Aktivitäten in Stilfragen bot dies den Gegnern einer deutsch-englischen Bündnisabsprache ein weiteres Mal die Vorlage für polemische Artikel über die angebliche Mißachtung der Krone und der Person des Königs. Tatsächlich ging die Initiative für diesen Gruß offenbar auf einen direkten Wunsch Hitlers zurück,62 insofern mochte Kritik an Ribbentrop ohnehin fehl am Platz sein. Auch reagierte der König Georg VI. kaum auf den Vorfall. Sein Protokollchef ließ die deutsche Delegation danach lediglich wissen, er wolle künftig über solche außergewöhnlichen Gesten informiert werden.63 Dennoch sah das Focus-Netzwerk um Henry Wickham Steed das Skandalisierungspotential dieser Geste und reagierte nach einer Woche Anlauf mit entsprechenden Anwürfen durch Steed selbst, der sie in einer Rede in Oxford als „Beleidigung des Königs“ bezeichnete, während eine Karikatur im Evening Standard sie gleichzeitig ins Lächerliche zog.64 Die deutsche Presse gab Antwort und bezeichnete den Gruß eines Trägers des Goldenen Parteiabzeichens als „Ehrenbezeugung“ und seine Ablehnung als Beleidigung.65 Mit diesem Punkt beschäftigte sich noch Jahre später im März 1940 ein merkwürdiger Artikel im „Irish Independent“. Der Autor Kees van Hoek bezeichnete sich als NS-Gegner und Ribbentrop als ein „Rätsel“, das beim persönlichen Zusammentreffen in ihm immer wieder das „unbehagliche Gefühl“ erweckt hätte, Deutschland könne „sich in vieler Hinsicht eine starke Stellung“ errichten: „So merkwürdige Entgleisungen wie der Nazi-Gruss bei Hofe stellen typische ‚defaults de ses qualités‘ dar. Wegen seiner überzeugungstreuen Gesinnung wollte er nicht zugestehen, daß es ratsam wäre, im Auslande auf diesen Gruß zu verzichten. Da er ein Mann der Tat ist,

62 Vgl. Tennant, Account, S.  196. Die deutsche Geschichtswissenschaft stellte sich in die Reihe der uninformierten Kritiker. Rainer Schmidt, der einen für die deutsch-englischen Be­ ziehungen so wichtigen Mann wie Tennant offenkundig nicht zu kennen scheint, vertraut an dieser Stelle dem von Reinhard Spitzy verbreiteten Gerücht, Hitler habe Ribbentrop erst später dazu „verurteilt“, beim „Deutschen Gruß“ zu bleiben. Vgl. Schmidt, Außenpolitik, S. 75. Laut der gedruckten Akten schlug Ribbentrop dies selbst vor. Vgl. ADAP, C, VI/1, Dok. 201, S. 436 f., Ribbentrop an Hitler und Neurath vom 14. Februar 1937. 63 Vgl. Putlitz, Dossier, S. 121–123, bzw. Bloch, Ribbentrop, S. 125. 64 Der berühmte, dezidiert antifaschistische Karikaturist David Low stellte den erhobenen Arm als Zeichen eines Schülers dar, auf die Toilette gehen zu wollen. Low sollte später mit Zeichnungen wie „All behind you, Winston“ vom 14. Mai 1940, die ersehnte Machtübernahme der personifizierten britischen Kriegslust begrüßen und es zum offiziellen britischen Kriegskünstler bringen. Sein Hausblatt, der „Evening Standard“ griff politisierte Skandalgeschichten gerne auf und wurde zwei Jahre später auch die Anlaufstelle für Robert Boothby, als der im Frühjahr seine selbst erfundene Geschichte eines deutschen Ultimatums an Rumänien in die Presse lancieren wollte. Vgl. Dugdale, Diaries, S. 131 f., Eintrag vom 22. März 1939. 65 Vgl. PA AA, London 1594, Ausschnitte aus dem Presseschlagabtausch vom Februar 1937.

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veranlasste ihn die dynamische Entwicklung der deutschen Revolution, mit dem Kopf gegen die steinerne Mauer der schwerfälligen britischen Tradition zu rennen; seine Verhandlungen mit den Italienern und Russen wurden dagegen durch diese Tatkraft erleichtert.“66

Dieser merkwürdig formulierten Anerkennung der „deutschen Revolution“ und ihrer Fehler war ihr Entstehungszeitpunkt deutlich anzumerken, sie wirkte in den folgenden Sätzen sogar etwas bestellt. Im März 1940, mitten im „komischen Krieg“ zwischen den Westmächten und Deutschland, schien dieser Teil der neutralen Presse jedenfalls niemanden verprellen zu wollen. Die Gruß-Szene selbst ereignete sich am 4. Februar 1937, im Rahmen eines allgemeinen Empfangs des diplomatischen Corps durch den neuen König Georg VI. Die im Dezember des Vorjahrs vorausgegangene Abdankung Edwards VIII., der ihn geradezu als Botschafter angefordert hatte und der seine Königsrolle nicht nur politisch aktiv, sondern auch zugunsten der englisch-deutschen Beziehungen interpretieren wollte, empfand Ribbentrop zweifellos zu recht als Rückschlag. Er warf den politischen Gegnern, namentlich Duff Cooper vor, die Thronkrise wegen der NS-freundlichen Haltung Edwards provoziert und beschleunigt zu haben.67 Nun mußte er sich jedenfalls einem neuen britischen Staatsoberhaupt vorstellen, dem keine prodeutschen Sympathien nachgesagt wurden. Der deutsche Botschafter samt Anhang war zu diesem Zweck vom englischen Protokollchef zwischen die UdSSR und die Spanische Republik plaziert worden. Nach einem kurzen Gespräch wandte sich der König dem deutschen Diplomaten Woermann zu, während Ribbentrop den Abschluß seiner eigenen Unterhaltung mit dem König eben mit dem erhobenen rechten Arm besiegelte. Die Zackigkeit der Form mochte in diesem ersten Fall einem Ausrutscher auf dem buchstäblich glatten diplomatischen Parkett geschuldet sein.68 Aber Ribbentrop schätzte dies offenbar als tragfähige Idee ein und wiederholte bei verschiedenen Gelegenheiten auch in Anwesenheit des Königs den Gruß, in der auch von Hitler bevorzugten lässigen Form des er­hobenen Unterarms. In einem Schreiben an Hitler und das Auswärtige Amt berichtete er, negative Reaktionen gegenüber dem damals stellvertretenden Außen­ minister Halifax zurückgewiesen zu haben: „Die selbstverständliche Ehrung des britischen Monarchen mit dem deutschen Gruß durch den ersten nationalsozialistischen Botschafter am Hofe von St. James sei von einem Teil der Presse bewußt entstellend und mit dummen Kommentaren versehen worden. … Solche Machenschaften müsse ich scharf ablehnen und nach meinen Beobachtungen in den letzten Monaten auf die Hetze unverantwortlicher Elemente gegen den Nationalsozialismus und Deutschland zurückführen.“69

66 PA-AA R 27157, Bericht der Reichspressestelle der NSDAP, München 28.3.1940. Übersetzung des Artikels „Herr von Ribbentrop, das Rätsel“ im Irish Independent vom 12.3.40. 67 Vgl. Bloch, Ribbentrop, 133 f. 68 So soll Ribbentrop gegenüber Hesse die Geste begründet haben. Vgl. Hesse, Spiel, S. 30. 69 Vgl. ADAP, C, VI/1, Dok. 201, S. 436 f., Ribbentrop an Hitler und Neurath vom 14. Februar 1937.

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Daran war so viel richtig, daß es die bekannten Namen waren, die sich auch diesmal die Gelegenheit nicht entgehen ließen. Steeds Rede versuchte Ribbentrop mit einem Artikel in der Nationalsozialistischen Parteikorrespondenz zu kontern, weil nur auf diese Weise die „immer wieder neu inszenierte Pressekampagne, die das englische Volk gegen Deutschland aufhetzen soll, allmählich abgeblasen wird.“ Neurath setzte in solche Antworten offenbar wenig Vertrauen und schrieb: „Das stimmt nicht“ an den Rand des Schreibens.70 In einem eigenen Schreiben zu diesem Thema vom gleichen Tag erklärte Ribbentrop den Gruß in der Form abgegeben zu haben, „die vom Führer und Reichskanzler durch Hebung des rechten Unterarms im allgemeinen angewandt wird.“71 Er schlug vor, dies als allgemeinen Gruß in die deutsche Diplomatie einzuführen. Einige Monate später hatte er zum vorläufigen Abschluß der Affäre die Genugtuung, daß mit Edward VIII. der frühere englische König und jetzige Herzog von Windsor seinerseits den rechten Arm auf diese Weise hob, bei einem Treffen mit Hitler in Berlin.72 4. Nevile Henderson – Botschafter ohne Hausmacht Als Chamberlain Regierungschef wurde, fand er auf dem Posten des eng­lischen Botschafters in Berlin mit Nevile Henderson einen damals gerade neu für diese Position nominierten Diplomaten vor. Er war im Jahr 1937 noch von Premier ­Baldwin ernannt worden. Für die optimistischere der von Ribbentrop skizzierten Annahmen über die kommende britische Politik sprachen beispielsweise  – ohne daß Ribbentrop dies an dieser Stelle in seinem Botschafterbericht eigens erwähnte – einige Äußerungen von Henderson. Sie signalisierten prinzipielles und sehr weitreichendes Einverständnis mit der von Hitler propagierten großdeutschen Revisionspolitik, wie sein schockierter amerikanischer Botschafterkollege Dodd notierte. Henderson hatte Hitler in einem schiefen Vergleich mit Bismarck gleichgesetzt: „‚Hitlerdeutschland wiederholt die Politik Bismarcks, alle europäischen Staaten, in denen Menschen deutscher Abstammung leben  – Österreich, die Tschechoslowakei und andere Länder –, zu annektieren.‘ Obgleich ich schon vermutet hatte, daß Henderson geneigt ist, die Annexionspolitik Deutschlands zu begünstigen, hatte ich nicht gedacht, daß er in seinen Erklärungen so weit gehen würde. Er fügte dann hinzu: ‚Deutschland muß im Donau-BalkanGebiet die Oberherrschaft haben, das heißt, es muß Europa beherrschen. England und das englische Empire werden gemeinsam mit den Vereinigten Staaten die Meere beherrschen. England und Deutschland müssen auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet enge Beziehungen anknüpfen und die Welt kontrollieren.“73

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Vgl. ADAP, C, VI/1, Dok. 201, S. 437. Vgl. ADAP, C, VI/1, Dok. 202, S. 445, 14. Februar 1937. 72 Vgl. Cave Brown, Servant, S. 186. 73 Zit. n. Dodd, Diplomat, S. 470, Eintrag vom 23. Juni 1937. Dodd hielt diese Perspektiven einer englischen Weltherrschaftspolitik auf Basis eines amerikanisch-englisch und englischdeutschen Ausgleichs ohnehin für unrealistisch. Henderson „scheint nicht zu wissen, daß in

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Dies waren recht exakt jene Vorstellungen, die der nationalsozialistischen Staatsführung vorschwebten und für die Ribbentrop in ihrem Auftrag als Botschafter in London geworben hatte. Mit Bismarcks Politik hatten sie allerdings nichts zu tun. Der preußische Ministerpräsident und Reichskanzler hatte eben gerade darauf verzichtet, deutsch besiedelte Teile des Kaiserreichs Österreich etwa in der späteren Tschechoslowakei annektieren zu wollen. Daß ein Mann wie Henderson nach Berlin geschickt worden war, der nationalsozialistische Annektions- und Vereinigungshoffnungen in Diplomatenkreisen mit lautstarken Bekundungen nährte, konnte als positives Signal in diese Richtung gedeutet werden. Genauere Kenntnis der Vorgeschichte von Hendersons Ernennung konnte daran allerdings Zweifel aufkommen lassen, denn Henderson war offenbar die Wahl der ausgewiesenen Gegner einer deutsch-englischen Vereinbarung in dieser Sache gewesen – die Wahl von Anthony Eden und Robert Vansittart. Ihr Rat hatte den trotz permanenter deutscher Angebote vor jeder sichtbaren Verhandlungsgeste zurückschreckenden Premier Baldwin dazu bewogen, Henderson nach Berlin zu schicken.74 Der frisch ernannte Berliner Botschafter konnte dabei – vorsichtig ausgedrückt – als überraschende Wahl gelten, kam er doch als aktueller Botschafter des britischen Königreichs in Argentinien nicht aus dem Zentrum der britischen Politik. Auch in seiner vorausgegangen Laufbahn hatte er keinen der wirklich relevanten Auslandsposten des Foreign Office bekleidet,75 in Bezug auf Deutschland noch nicht einmal einen untergeordneten. Hendersons einziger Kontakt mit der Problematik britisch-deutscher Beziehungen vor 1937 hatte darin bestanden, als Mitarbeiter England und Amerika eine Opposition gegen die grausame Behandlung der Katholiken, Protestanten und Juden durch die Nazis besteht.“ Vgl. ebd. S. 470. 74 So Baldwin zu Thomas Jones. Vgl. Jones, Diary, S. 314, Aufzeichnung eines Gesprächs mit Baldwin vom 15.  Februar 1937. Walford Selby, 1933–37 britischer Gesandter in Wien, 1937–1940 dto. in Lissabon, bezeichnete später Vansittart als den ausschlaggebenden Faktor für diese Ernennung. Vgl. Selby, Twilight, S. 74. 75 Folgt man der Darstellung Rudi Strauchs in seiner Henderson-Biographie, liest sich Hendersons beruflicher Lebenslauf vor seiner Berliner Mission wie eine Kette von Fragwürdigkeiten, Kurzaufenthalten und Mißerfolgen. Für sein angebliches Studium im Bonn der Jahrhundertwende findet sich in den Universitätsakten kein Beleg. Vgl. Strauch, Henderson, S. 15. An seinen beruflichen Stationen hinterließ Henderson durchweg wenig Spuren, er hatte des öfteren mit Beschwerden über seinen fehlenden Arbeitseifer zu kämpfen. Das ihm zeitgleich mit Argentinien diplomatisch anvertraute Paraguay betrat er gar nicht erst. Den einzigen persönlichen Kontakt mit den Entscheidern der internationalen Politik der 1930er hatte er vor seiner Ber­liner Versetzung offenbar im Winter 1936, als sich mit US-Präsident Franklin D. Roosevelt, Außenminister Cordell Hull und dessen Stellvertreter Sumner Welles die gesamte Spitze der amerikanischen Außenpolitik in Buenos Aires aufhielt. Anlaß war der Pan-Amerikanische Kongreß von einundzwanzig Staaten. Henderson hatte Gelegenheit, Roosevelt dort persönlich kennenzulernen und lobte den dabei gewonnen Eindruck in seinen 1945 veröffentlichten Memoiren sehr. Wenige Wochen später telegraphierte im Januar 1937 Anthony Eden in Richtung Buenos Aires und bot ihm den Posten in Berlin an. Dessen Anforderungen empfand Henderson nach eigenen Angaben „throughly uncongenial to me“ fühlte sich deshalb „very unworthy and unsuited“. Vgl. Henderson, Water, S. 206. Es sei „noch nicht möglich, die Motive darzulegen“, die zu Hendersons Ernennung geführt hatten, schließt Strauch. Vgl. Strauch, Henderson, S. 32.

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der Blockadeabteilung des Foreign Office zwischen 1916 und 1918 den gesamten norwegischen Heringsfang aufzukaufen, den man lieber auf britischen Feldern verrotten ließ, als daß er nach Deutschland exportiert werden durfte.76 In Berlin war Henderson beruflich noch nie gewesen, seine oben zitierte Unwissenheit über Bismarck daher kaum zufällig. Seine Ernennung kann vor diesem Hintergrund nach Analyse der britischen Interna trotz aller von ihm ausgesprochenen deutschfreundlichen Signale als mindestens undurchsichtiger Akt gelten.77 Außenminister Eden distanzierte sich später von dieser Personalentscheidung und bezeichnete sie auf eine Weise als Unglück, als hätte er sie nicht selbst gefördert.78 Durch Hendersons Ernennung war es ihm und Robert Vansittart jedoch gelungen, die Berliner Botschaft Großbritanniens politisch zu neutralisieren. Der bisher in Berlin amtierende, sehr nationalsozialismuskritisch auftretende Botschafter Phipps hatte mit Henderson ein diplomatisches Leichtgewicht als Nachfolger gefunden. Vorläufig würde er dort durch niemanden ersetzt werden können, den der kommende Premier Chamberlain vielleicht gerne ernannt hätte. Man konnte bereits 1937 mit etwas Mißtrauen zu dem Schluß kommen, die britische Politik schaffe sich mit solchen Schachzügen zugleich ein Alibi in den Augen der Öffentlichkeit, das letztlich eine gegen Deutschland gerichtete Politik ermöglichen konnte. „Signalisieren“ konnte Henderson viel, verbindlich anbieten konnte er nichts. Er konnte lauthals britische Konzessionsbereitschaft vorgeben, wie gegenüber William Dodd. Aus London aber kamen keine eindeutigen Signale in diese Richtung und dies war entscheidend. NS-Kritiker Phipps wurde von Berlin keineswegs seinerseits auf einen Randposten versetzt, sondern vertrat seine Ansichten fortan in Paris, beim wichtigsten europäischen Verbündeten Englands. Dies deutete ebenfalls nicht auf einen prodeutschen Kurswechsel der englischen Außenpolitik hin. Ribbentrop zog in seinem Bericht auch die möglichen Hintergründe des Verhaltens der englischen Politik in Erwägung: „Dies würde mit der traditionellen englischen Tendenz, Argumente für die Schuldfrage in einem eventuellen künftigen Kriege zu sammeln, übereinstimmen.“79 In diesem Sinn wurde in London tatsächlich gedacht. Auch ein Befürworter des deutsch-englischen Ausgleichs wie Thomas Jones begrüßte

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Vgl. Strauch, Henderson, S. 20. Von allen Beteiligten einschließlich Henderson selbst wurde bis zu seinem Tod verschwiegen, daß er unmittelbar vor der Abreise nach Berlin am 23. April 1937 noch zum Mitglied des Geheimen Staatsrats ernannt wurde, eine Ernennung durch den König auf Lebenszeit. Der Nachruf in der „Times“ vom Dezember 1942 gab dafür dann das falsche Jahr 1939 an. Vgl. Strauch, Henderson, S. 33. 78 Vgl. Eden, Dictators, S. 504. Als Henderson von Eden seine letzten Anweisungen darüber erhielt, wie er in Berlin auftreten sollte, kam es offenbar bereits zu einem Konflikt über Formen und Inhalte. Eden ließ Vansittart bitten, Henderson in einem eigenen Gespräch dessen Optimismus und den bekundeten Ambitionen abzubringen. Vgl. Harvey, Diary I, S.  41, 23. April 1937. 79 Zit. n. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 67.

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kurz nach dem Anschluß Österreichs, also kaum zwei Monate nach Ribbentrops Aufzeichnung, diesen Aspekt der neuen Politik. Premier Chamberlain hatte in­ zwischen den allzu diktatorenkritischen Außenminister Anthony Eden – der ihm kurz vor seiner Ernennung zum Premier mit der Entsendung Hendersons auch eine Per­sonalentscheidung genommen hatte – Anfang 1938 brüskiert und zum Rücktritt veranlaßt: „Ich bedauere Chamberlains Absage an Edens Politik nicht, selbst wenn sie sich als zu spät herausstellen sollte. Wir müssen die Welt überzeugen, daß wir für den Erhalt des Friedens zu absurder Geduld bereit sind. Unser Volk wird nicht kämpfen, bevor es nicht überzeugt ist, daß mit dem potentiellen Feind ein fairer Ausgleich versucht wurde.“80

Tatsächlich blieben englische Ausgleichsangebote in der von Henderson skizzierten Weise in der Folgezeit trotz aller Ankündigungen aus. Im Gegenteil versuchte die englische Politik bereits den Anfang einer Revisionspolitik in Österreich zu sabotieren, wie er sie skizziert hatte und deutsche Gegenmaßnahmen mit einer kaum verhüllten Kriegsdrohung zu verhindern. Kurz nach Ribbentrops Ankunft in London zu einem Doppelbesuch als scheidender Botschafter und neuer Außenminister trafen in der britischen Hauptstadt am Mittag des 9. März 1938 die ersten Nachrichten über eine in Österreich geplante Volksabstimmung ein. Ihre Hintergründe waren unklar. Die Initiative wurde und wird Österreichs ­Kanzler ­Schuschnigg persönlich zugeschrieben, dem allerdings die verfassungsrechtlichen Kompetenzen für einen derartigen Schritt fehlten. Organisatorisch war die Abstimmung schon wegen des fehlenden Wählerregisters in der geplanten Zeit von vier Tagen (sic)  nicht durchzuführen. Die suggestive Art der Fragestellung  – „Wollt ihr ein autoritäres, christliches Österreich?“ – und die Anweisung ­Schuschniggs, in den Wahllokalen nur Stimmzettel mit „Ja“ bereitzustellen, machten die ganze Angelegenheit eigentlich zu einem politischen Scherz. Allerdings würde dieser Scherz bei seiner Durchführung die österreichischen Angelegenheiten zunächst einmal für Jahre zementieren. Der so ermittelte „Volkswille“ würde jedem Ribben­ tropschen Versuch im Weg stehen, eine deutsch-österreichische Vereinigung durchzusetzen. Man mochte denken, daß diese Idee Schuschnigg vielleicht nicht ganz alleine gekommen war und daß er Verbündete hatte. Großbritanniens Außenminister Halifax konnte ein solcher Verbündeter sein und führte sich jedenfalls prompt in dieser Weise auf. Er ergriff die Gelegenheit und mahnte Ribbentrop einen Tag später, gleich am Morgen des 10. März 1938 bei dessen Antrittsbesuch als Außen­minister, nichts gegen die Volksabstimmung in Österreich zu unternehmen. Ribben­trop hatte sie ihm gegenüber wegen der bekannten Mängel zuvor richtigerweise als „Schwindel“ bezeichnet. Eine offene Abstimmung würde immer zugunsten der deutsch-österreichischen Einheit ausgehen, so Ribbentrop. Man wolle zwar keinen Krieg, versicherte Halifax als Antwort, aber man wisse nie, falls über solchen Fragen doch ein Krieg ausbreche, wo dieser Krieg enden könnte oder wer



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Zit. n. Jones, Diary, S. 396, 20. März 1938.

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nicht alles in ihn verwickelt werden würde.81 Das österreichische Plebiszit, von dem Halifax intern selbst zugegeben haben soll, es sei „dumm und provokant“, sollte durch diese kaum verhüllte Kriegsdrohung gleichwohl „frei und ungestört“ abgehalten werden können.82 Der Sinn war eindeutig. Die Deutschen „ver­stehen nur die Sprache der Gewalt,“ meinte Halifax zu Alexander Cadogan.83 Den ‚agreed text‘ dieser Besprechung ließ Halifax nach Deutschland übermitteln und Botschafter Henderson wurde aufgefordert, entsprechend bei Hitler aufzutreten.84 Noch deutlicher wurde tags darauf Thomas Inskip. Der Minister für die Koordination der Nationalen Verteidigung sprach gegenüber Ribbentrop von der Möglichkeit eines englischen militärischen Eingreifens, wenn Deutschland den Gang der Dinge in Österreich „mit einer gewaltsamen Lösung“ beschleunigen würde. Auch dies zielte darauf ab, die mit Hilfe der Volksabstimmung geplante Proklamation dauerhafter Unabhängigkeit der Alpenrepublik massiv abzusichern.85 Schuschnigg war ungeschickt vorgegangen. Aber dieser starke britische Rückhalt für sein Projekt, kaum vierundzwanzig Stunden nach Bekanntwerden, war zum mindesten sehr ungewöhnlich. Er deutete auf vorausgegangene Absprachen hin. Ähnliches signalisierte die Reaktion von Halifax auf die ersten Nachrichten von der Absage dieses Projekts. Er reagierte am gleichen Tag gegenüber Ribbentrop „erregt“ und mit der Forderung nach einer neuen, anders organisierten Volksabstimmung. In der Hauptsache bedeutete das für ihn ausdrücklich, „eine internationale Polizeimacht zur Gewährleistung einer unparteilichen Abstimmung nach Österreich“ zu schicken.86 Allerdings war fast zwei Jahrzehnte lang und noch wenige Stunden zuvor – trotz Ribbentrops deutlichen Einwänden gegen Schuschniggs Abstimmungsfarce – eine unparteiliche Abstimmung Österreichs für die englische Außenpolitik oder für Halifax persönlich überhaupt kein Thema gewesen. Dies war also etwa genau so lange der Fall gewesen, wie man die gemeinsamen Bemühungen der Weimarer Republik und der Republik Österreich in dieser Sache ignorieren konnte oder wie schließlich die geplante Abstimmung noch aus seiner Sicht das gewünschte Ergebnis fortdauernder Teilung zu bringen schien. Es schienen angesichts dessen eher

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Vgl. ADAP, D, I, Dok. 145, S. 210 bzw. S. 214. Diese Formulierung verwendete Halifax im weiteren immer wieder, so auch in Zusammenhang mit der bald folgenden Maikrise in der Tschechoslowakei. „Mit anderen Worten, er warnte Deutschland, daß wir bei einem Angriff auf die Tschechoslowakei unmittelbar Frankreich unterstützen würden.“ Vgl. Channon, Diary, S. 157, Eintrag vom 22. Mai 1938. Angesichts der französischen Bündnisverpflichtungen hatte dies eine passive Komponente, aber angesichts der von Prag ausgehenden und von Deutschland aus nicht beantworteten Truppenmobilisierung konnte es als Andeutung eines offensiven Vorgehens beider Westmächte nach einer tschechoslowakischen Provokation gedeutet werden. 82 Vgl. Harvey, Diary I, S. 113, 11. März 1938. 83 Vgl. Harvey, Diary I, S. 113, 11. März 1938. 84 Vgl. DBFP 3/1, Nos. 8 u. 15, sowie Bloch, Ribbentrop, S. 185. 85 Vgl. ADAP, D, I, Dok. 149, S. 225, Notiz von Ribbentrop vom 11. März 1938. Dies widerlegt auch Michael Blochs Spekulation, Ribbentrop hätte über die an diesen Tagen von der englischen Regierung ausgesprochenen Kriegswarnungen nicht ausreichend nach Berlin berichtet. Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 184 f. 86 Vgl. ADAP, D, I, Dok. 150, S. 226, Aufzeichnung Ribbentrops vom 11. März 1938.

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die britische Regierung und ihre Verbündeten zu sein, die demokratische Entwicklungen blockierten und schließlich nur Gewalt und einseitige Aktionen „verstanden“. Halifax plötzliche Erinnerung an demokratische Maßstäbe war daher derart peinlich, daß sie auch Chamberlain „nicht der Lage zu entsprechen“ schien.87 Unausgesprochen bedeutete dieser neue Vorschlag natürlich außerdem, daß die britische Außenpolitik mit dieser von Halifax ins Gespräch gebrachten internationalen Streitmacht und den zwangsläufig folgenden Verhandlungen über die genauen Abstimmungsmodalitäten auf unabsehbare Zeit ein direktes Mitbestimmungsrecht in österreichischen Angelegenheiten behalten hätte. Dies entsprach nicht den Vorstellungen der deutschen Regierung, die sich hier auf die Verhältnisse vor Ort berufen konnte und wollte. Das hatte drastische Folgen. Die Versailler Nachkriegs­ordnung begann sich damit entgegen dem britischen Wunsch nach weiterer Kontrolle jetzt auch territorial zu verändern. In gewisser Weise hatte an diesen Tagen zwischen dem 10. und dem 12. März 1938, mit diesen englischen Drohungen und der unmittelbar danach trotzdem zu deutschen Bedingungen folgenden deutsch-österreichischen Vereinigung der deutsch-englische Konflikt begonnen. Er war noch kein heißer, wohl aber ein Kalter Krieg um das Recht, die politischen Verhältnisse in Mitteleuropa zu bestimmen. Aus London kamen seit Jahren widersprüchliche Signale, die lediglich die Gemeinsamkeit hatten, daß jede Änderung des Status quo von der britischen Billigung abhängig gemacht wurde, während der Umfang dieser Billigung oder Mißbilligung für die deutsche Seite niemals genau zu ermitteln war. Als Stütze seiner Bedenken in dieser Hinsicht wies Ribbentrop in seinem Hauptbericht ergänzend auf das laufende englische Aufrüstungsprogramm hin, das zur Zeit im Jahr 1937 noch die politische und damit wirtschaftliche Beruhigung nötig hätte, die Chamberlain offenbar auch zu schaffen versuche. Noch sei der Zeitpunkt nicht gekommen, an dem England „stark auftreten“ könne. Man lese hier viel vom Jahr 1939, meinte Ribbentrop wie gesagt im „Hauptbericht“, aber er tippte auf einen späteren Zeitpunkt.88 Das könne die Äußerungen des neuen Außenministers Halifax bei seinem Gespräch mit Hitler im November 1937 erklären, daß der Status quo in Österreich und der Tschechoslowakei auf Dauer nicht aufrechterhalten werden könne.89 Angesichts der englischen Besorgnis vor einem vorzeitigen Krieg könnte diesen Sätzen

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Vgl. ADAP, D, I, Dok. 150, S. 226, Aufzeichnung Ribbentrops vom 11. März 1938. Vgl. Ribbentrop, Kriegsschuld, S.  68. Im Nachhinein wurde der Begriff des „Thirty-­ Niners“ zum geflügelten Wort. Gemeint war damit jener Personenkreis, der ganz im Sinn von Ribbentrops Bericht von einer überlegenen britischen Stärke in diesem Jahr ausging. Dieser Personenkreis umfasste nicht nur die bekannten Hardliner um Robert Vansittart, sondern ebenso Neville Chamberlain, wenn Chamberlain daraus auch etwas andere Schlüsse zog. Vgl. Newman, Guarantee, S. 29. 89 Die Halifax-Mission wurde zunächst in der englischen Presse mit der Haldane-­Mission des Jahres 1912 verglichen, die damals der endgültigen deutsch-englischen Entfremdung vorausging. Fritz Berber verfasste darüber, offenbar von Ribbentrop beauftragt, eine „wissenschaft­ liche Stellungnahme“. Kernfrage war für ihn, daß die Verhandlungen damals von deutscher

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IV. Entscheidung in London

„die Absicht zugrunde liegen, uns mit der Aussicht auf Verständnis und gar Unterstützung einer friedlichen Regelung dieser und anderer Fragen (Kolonialfrage)  durch England ab­ zuhalten, angeblich von uns beabsichtigte gewaltsame Lösungen zu einem England nicht passenden Zeitpunkt vorzunehmen.“90

Dies war ein mißtrauischer Gedankengang. Ribbentrop begründete ihn mit dem zutreffenden Hinweis auf die englische Politik vor 1914, die so doppelbödig ausgefallen war, daß man in Berlin von der englischen Kriegserklärung vollständig überrascht wurde. Die jetzige englische Rüstung konnte im Prinzip dazu dienen, zu gegebener Zeit jedes weitere Zugeständnis in der Österreich- und Sudetenfrage ebenso verweigern zu können91 wie die bisher nur angedeuteten Kolonial­angebote. Daran änderten die bisherigen bloßen Absichtserklärungen nichts, wie auch auf englischer Seite das Mißtrauen gegen Deutschland trotz der bisher abgegebenen Versicherungen über seine auf Mitteleuropa begrenzten Ziele erhalten bleiben würde, so Ribbentrop.92 Solche Argumente leuchteten „wohl liberalen Geistern ein“, könnten aber „Diehard-Politiker nicht überzeugen, denn diese haben mit ähnlichen Argumenten ein Weltreich zusammengeschmiedet und erhalten“.93 Insofern befand sich die englische Politik aufgrund ihrer eigenen Vorgeschichte in einer Mißtrauensfalle, ein Mißtrauen gegenüber den deutschen Verhältnissen, das allerdings auch von Ribbentrop durch seine früheren Vergleiche der national­ Seite mit dem Ziel einer Neutralisierung Englands geführt wurden, wofür man als Gegenleistung eine einseitige Begrenzung der deutschen Flottenrüstung anbot. Auch der damalige Lordkanzler Richard Haldane kam als „Privatbesucher“, von dem die deutsche Regierung meinte, er sei verhandlungsberechtigt, was die britische Regierung im Nachhinein bestritt. Immerhin hatte Haldane laut Berber einen Vorschlag für eine Erklärung dabei, beide Seiten sollten „keine unprovozierten Angriffe gegeneinander unternehmen, oder an einer aggressiven Koalition gegen den anderen teilnehmen“, was er dann während der Gespräche noch beachtlich weiter ausformulierte und in der Ursprungsform laut Berber auch die Billigung des Kabinetts fand. Zu einer Neutralisierung fand sich das englische Kabinett aber nicht bereit. Vgl. PA AA, London 1710. 90 Zit. n. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 68. 91 Botschafter Henderson stellte kurze Zeit später am 3. März 1938 gegenüber Hitler und Ribbentrop exakt diesen von Ribbentrop vermuteten Zusammenhang her, als er von englischer „Besorgnis“ über die deutsch-österreichischen Abmachungen des Vormonats sprach und dann erklärte, „friedliche Lösungen mit Österreich und der Tschechoslowakei“ und die „Klärung der Kolonial-Frage“ gehörten zusammen. Ob Deutschland zu einer Neuaufteilung von Kolonial­ gebieten in Afrika bereit sei? Vgl. Strauch, Henderson, S. 73. 92 Ribbentrop verwies in diesem Bericht auf ein Gespräch mit Chamberlain, ob der Premier die Artikel J. L. Garvins im Observer lesen würde. Chamberlain meinte nein, sie seien ihm zu lang. Vgl. dazu den 7-seitigen Artikel Garvins ebd. vom 12.12.1937, also zur Zeit der Ab­ fassung des Hauptberichts. Darin redet Garvin offen dem Anschluß Österreichs und DeutschBöhmens samt 10,5 Mio. Deutschen das Wort, was weltpolitisch doch kaum von Bedeutung sei. Vgl. PA AA, London 1594. Das hinderte das Propagandaministerium nicht daran, im November 1938 im Reichstagsgebäude eine „Anti-Juden-Ausstellung“ zu machen, die auch den Observer mit einbezog: „Die englischen Journalisten machen sich über diese deutsche Feststellung lustig und benutzen die Gelegenheit, ihren deutschfreundlichen Kollegen Garvin von seinem pressepolitischen Kurs abzuziehen.“ PA AA R 27091, Bl. 29052, Bericht der DR vom 14.11.38, empfiehlt Prüfung der Ausstellung auf Fehler. 93 Zit. n. PA AA R 28895a, S. 16.

4. Nevile Henderson – Botschafter ohne Hausmacht

111

sozialistischen Revolution mit den Anfängen des englischen Aufstiegs unfreiwillig mit gefördert worden war. Wenn der Nationalsozialismus den Beginn einer Politik darstellen sollte, wie ihn England mit der Gründung einer Staatskirche und der Vertreibung aller Juden vor Jahrhunderten eingeschlagen hatte – diesen Vergleich hatte Ribbentrop wie gesehen gegenüber Ernest Tennant gezogen – dann waren Ende und Umfang dieses Wegs in der Tat von außen schwer zu bestimmen. Zur Klärung dieses schwebenden Mißtrauens empfahl Ribbentrop jetzt, auf Verhandlungen zu setzen, vor allem auf möglichst präzise Verhandlungsmethoden, um sich nicht von Scheininitiativen überraschen zu lassen, aber auch, um den wirk­ lichen englischen Verständigungswillen auszukunden. Das bedeute die Möglichkeit, „auf der Achse Rom-Berlin spielen“ zu können und sich die weitere Chance offen zu halten, die Weltmeinung in Bezug auf sämtliche angesprochenen Probleme in deutschem Sinn reifen lassen zu können. Ein Punkt allerdings schien Ribbentrop sicher zu sein: „Territoriale Revision der Tschechoslowakei bedeutet m. E. den Beginn der Auflösung dieses Staatswesens und damit Krieg. Denn: die Tschechen bauen auf ihr französisches Bündnis (die russische Hilfe ist zur Zeit zumindest problematisch) und werden lieber versuchen zu kämpfen, als sich selbst aufzugeben.“94

Nur wenn Frankreich wie England den tschechischen Staat in seiner der­zeitigen Form offiziell aufgeben würden, würden die Tschechen vielleicht kampflos nachgeben und eine Autonomie der Sudetengebiete zugestehen, wenn auch keine Abtretung, so Ribbentrops Vermutung. Dies war mit einer Warnung verbunden, denn Ribbentrop hielt diese Entwicklung für praktisch ausgeschlossen: „Die Möglichkeit einer territorialen Revision der Tschechoslowakei auf dem Wege der Verhandlungen (ist) schlechthin nicht gegeben“.95 Hier wurde er von den Ereignissen widerlegt. Neun Monate später gab die tschechische Regierung angesichts des Verhaltens der Westmächte dennoch auf, ohne zu den Waffen zu greifen. Das Münchener Abkommen revidierte die Grenzen der Tschechoslowakei, ohne daß der von Ribbentrop befürchtete Krieg stattfand. Als Ergebnis von „Verhandlungen“ kann es angesichts der gegenseitigen Kriegsdrohungen und dem Ausschluß der tschechischen Regierung von der Konferenz allenfalls mit Einschränkungen bezeichnet werden. Die deutsch-tschechische Krise führte bereits an den Rand des deutsch-englischen Konflikts, und die scheinbare Lösung des Münchener Abkommens konnte das gegenseitige Mißtrauen nur kurze Zeit abbauen. Ribbentrop schloß seinen Bericht Ende 1937 mit der Empfehlung, daß „unsere zukünftige Politik mit England weiter auf Ausgleich gerichtet“ bleibt. Wichtig sei jedoch zugleich die Pflege und der Ausbau der Beziehungen zu Italien und Japan, und zwar als Selbstzweck wie „als konstante Faktoren unserer Außenpolitik in der eng­ lischen Arbeit“.96

94



95



Zit. n. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 73. Zit. n. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 74. 96 Zit. n. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 74.

112

IV. Entscheidung in London

Es scheinen einige Anmerkungen zu der Gedankenwelt angebracht, die in diesem Hauptbericht zum Ausdruck kommt. Man sieht hier den kommenden Außenminister, der dem deutschen Staats- und Parteichef Analysen und Empfehlungen gibt, die sich im Kern ausschließlich auf Revisionsziele in Mitteleuropa mit Blick auf die am Rand der deutschen Grenzen lebenden Deutschen beziehen. Kolonien sind als Verhandlungsgegenstand ebenfalls ins Auge gefaßt, aber von zweitrangiger Bedeutung. Von irgendwelchen weitergehenden Zielen mit Blick auf Einflußzonen in Osteuropa oder gar „Lebensraum im Osten“ ist nicht die Rede. Offensive Ziele in Polen oder der UdSSR hat Ribbentrop nicht und unterstellt er auch dem deutschen Staats- und Regierungschef nicht. Es geht ihm um die Möglichkeit der Vereinigung des deutschen Staates mit dem 1918 proklamierten Deutschösterreich angesichts der von ihm beobachteten und seiner Meinung nach zu erwartenden englischen Politik. Dieses Ziel zu erreichen, wird nach dem hier dargestellten Szenario die ganze Staatskunst und den vollen Einsatz der deutschen Mittel er­ fordern. Ein Krieg ist dabei möglich, wenn einzelne Staaten sich diesem Szenario gewaltsam widersetzen. Erwünscht ist er weder im Rahmen dieser großdeutschen Politik, noch soll diese Politik einen späteren, größeren Krieg vorbereiten. Die UdSSR wird nur an einer Stelle erwähnt, als mögliche gegnerische Interventionsmacht in einem militärischen Konflikt um die Tschechoslowakei. Polen wird als französischer und damit indirekt englischer Verbündeter aufgefaßt. Dies ist insofern wichtig festzuhalten, als Ribbentrop von seinen politischen Gegnern zur gleichen Zeit phantasievolle Ausführungen über einen möglichen deutschen Marsch nach Indien zugeschrieben wurden.97 Solche Blüten hinterließen auch Spuren in der Nachkriegsliteratur, als Ribbentrop unter anderem von Winston Churchill die Unterstellung zugeschoben wurde, er hätte in London die Eroberung Polens und der Ukraine angekündigt.98 Dies ist vor dem Hintergrund des Botschafterberichts ebenso in den Bereich der Legenden zu verweisen wie Churchills Falschangaben über den Inhalt des Hoßbach-Protokolls und Hitlers Vorstellungen über die kommende Politik: „Am 5. November 1937 entwickelte er (d. h. Hitler, d. Verf.) seine Zukunftsabsichten vor den Befehlshabern seiner Streitkräfte. Deutschland brauchte mehr ‚Lebensraum‘. Dieser

97 So etwa in den von Carl Goerdeler an das englische Außenministerium übermittelten „X-Documents“. Demnach hätte Ribbentrop gesagt: „Zwei, drei kleine Kriege, mein Führer“ müßten geführt werden, „einer in Richtung der Tschechoslowakei, einer in Richtung Schwarzes Meer, einer in Richtung Türkei und dann nach Indien.“ Vgl. Young, X-Documents, S. 134 bzw. S. 184 f. 98 Dazu trugen möglicherweise auch die Desinformationen bei, denen Churchill ausgesetzt war. Am 23. November 1938 etwa meldete sich der offiziell als Journalist in Deutschland tätige Informationsmann Ian Colvin mit „Geheiminformationen“ bei ihm, wonach man sich in Deutschland darauf vorbereite, der Republik Polen ihren Teil der Ukraine abzupressen. Das habe Hitler nach der Münchener Konferenz im kleinen Kreis so gesagt, in Anwesenheit der „Quelle“, die ihm dies berichtet habe. Vgl. CHAR 2/340 B, Bl. 162, Colvin an Churchill vom 23.11.38. Gerade zu dieser Zeit umwarben allerdings Hitler wie Ribbentrop Polen unter anderem durch Anerkennung exklusiver polnischer Rechte auf die Gesamtukraine als Verbündeten.

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ließ sich am besten in Osteuropa finden – in Polen, Weißrußland und der Ukraine. Dieses Ziel erforderte einen großen Krieg und nebenbei die Ausrottung der in jenen Gebieten lebenden Bevölkerung.“99

Jede dieser Behauptungen stellt eine Unwahrheit dar und man darf sie wohl in jenen Bereich der britischen Politik einordnen, den Ribbentrop in seinem Bericht eher nebenbei erwähnte. Zum Krieg nach englischer Art gehörte in seinen Augen die Vor- und Nachbereitung seiner Deutung als Verteidigungsakt. Dazu gehörte für Ribbentrop auch die Fähigkeit, die nationale wie die internationale Öffentlichkeit für einen Krieg zu mobilisieren: „Es wird der englischen Regierung nicht unmöglich sein, sowohl dem englischen Volk als auch den Dominien gegenüber eine kriegerische Entwicklung so darzustellen, als ob britische Lebensinteressen bedroht seien. Natürlich ist für eine solche Propaganda eine gewisse Zeit nötig, ehe sie wirksam wird. Eine besondere Rolle spielt hierbei jetzt noch das Schreckgespenst von einem möglichen Luftbombardement der britischen Inseln.“100

Im Grunde bedeutete diese Warnung, daß der Krieg gegen Deutschland in London wahrscheinlich bereits beschlossene Sache sei. Als beste, wenn nicht einzige Chance zur Friedenswahrung empfahl Ribbentrop den Ausbau der eigenen Stärke. Daraus ergab sich für ihn die Konsequenz, jetzt sowohl um beinahe jeden Preis die eigene Substanz zu erweitern, also die großdeutschen Revisionsziele zu verwirk­ lichen. Zugleich aber mußten sehr schnell Verbündete gewonnen werden, und zwar solche Verbündete, die gegen England eine gewisse Abschreckungswirkung entfalten konnten. Als Ribbentrop diesen Bericht schrieb, gab es solche Verbündete nicht. Weder mit Italien noch mit Japan bestand über den militärisch ganz unverbindlichen Antikominternpakt101 hinaus ein Bündnisvertrag. Italien sollte das wiederholte Bündniswerben im Jahr 1938 auch noch mehrfach zurückweisen. Erst 1939 gelang der Abschluß des italienisch-deutschen Pakts als Reaktion auf die Bildung der englisch-französisch-polnischen Dreierkoalition. Als auch dies nicht zu genügen schien, um England vom „Krieg um jeden Preis“ abzuhalten, reiste Ribbentrop schließlich nach Moskau, um die englischen Hoffnungen durch den Abschluß des Nichtangriffspakts mit der UdSSR ein weiteres Mal zu dämpfen. An diesen beiden Zielen entlang, Erweiterung der eigenen Basis und Aufbau eines eigenen Bündnissystems, konzipierte Ribbentrop in den Jahren 1938/39 seine gesamte Außenpolitik. Dabei war er nach eigener Auffassung zur Eile ge

99

Zit. n. Churchill, Weltkrieg, I/1, S. 319. Bericht („London A 5522“) von Ribbentrop an Hitler vom 28. Dezember 1937, hier zit. n. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 64 f. Das Selbstbewußtsein britischer Regierungskreise des Jahres 1937 war allerdings immer noch groß genug, um jede englische Kriegserklärung als „Verteidigung“ aufzufassen. Lord Halifax etwa erklärte in diesem Jahr ausdrücklich, daß die Schrecken eines modernen Krieges nicht so furchtbar seien wie ein Zurückschrecken vor Gewalt, wenn es um Verteidigung von Prinzipien gehe. Vgl. Newman, Guarantee, S. 67. 101 Italien trat dem Pakt etwa ein Jahr nach seiner Unterzeichnung am 6. November 1937 bei, legte aber aus Prestigegründen Wert darauf, darin ausdrücklich als „ursprünglicher Unterzeichner“ bezeichnet zu werden. Vgl. Sommer, Mächte, S. 89. 100

114

IV. Entscheidung in London

zwungen, denn die englische Rüstung und die propagandistische Kriegsvorbereitung liefen bereits in großem Stil an. Vor diesem Hintergrund war diese Politik in der Tat „gegen England“ gerichtet, wie Zeitgenossen und Historiker ausführlich dargelegt haben. Sie war dies aber nicht, weil Ribbentrop gegen England emotional voreingenommen war und daher auf einen Krieg zusteuerte, wie vielfach kolportiert wurde, sondern weil er der Ansicht war, England lehne seinerseits die deutsche Politik wie auch die Regierung ab und wolle möglicherweise grundsätzlich bei passender Gelegenheit selbst den Krieg eröffnen. Hitlers aggressives Handeln in Österreich und der Tschechoslowakei sollte diese Haltung in Rechnung stellen und folgte dabei einer Strategie oder besser: einem angenommenen Zwang. Ribbentrop hatte ihn im Januar 1938 in den Schlußfolgerungen aus dem Abschlußbericht mit besonderem Blick auf das deutliche Mißverhältnis zwischen Chamberlains fast revolutionären Absichten und der geringen Flexibilität der englischen Öffentlichkeit skizziert: „Ein klares englisches Zugeständnis in der österreichisch-tschechischen Frage in unserem Sinne könnte luftbereinigend für Europa wirken. Nach meinen bisherigen Erfahrungen halte ich aber eine solche Wendung für unwahrscheinlich und glaube, daß England höchstens eines Tages durch die Macht der Verhältnisse gezwungen eine solche Lösung dulden würde. Bestärkt werde ich in der Auffassung, daß auf dem Wege offizieller Verhandlungen mit England dieses Problem nicht gelöst werden kann, durch die Tatsache, daß Chamberlain sowohl innen- wie außenpolitisch (mit Frankreich) in einem System steckt, das große Entschlüsse unendlich schwierig macht.“102

Wenige Wochen später hielt Ribbentrop seine Ernennungsurkunde in den Händen. Hitler hatte verstanden und handelte danach,103 zumal er selbst kurz vorher in der Hoßbach-Besprechung die Ansicht zu Protokoll gegeben hatte, England habe Österreich und die Tschechoslowakei schon abgeschrieben. Es ging darum, die deutsche Basis zu erweitern, hin zu einer „nationalen Basis“, wie ein Beobachter wie Leo Trotzki im Sommer 1939 dann konzedierte. Im diplomatischen Korps in Berlin kursierten ebenfalls Gerüchte, daß dies möglicherweise in Abstimmung mit der „prodeutschen Gruppe der englischen Lords“ geschehen könnte. In diesem Sinn äußerte sich der belgische Gesandte Davignon, der Ribbentrops Ernennung als Zeichen dafür verstand, daß er das Außenministerium „im engsten Einvernehmen“ mit Chamberlain/Hoare führen würde, die im Streit mit der Gruppe Eden/ van Sitthart (sic) liegen würde.104

102

ADAP, D, I, Dok. 93, S. 132. 2. Januar 1938. Noch in den letzten Briefwechseln mit den Regierungschefs Daladier und Chamberlain im August 1939 berief er sich darauf, mit seinen Aktionen 1938 und 1939 nur eine Entwicklung auf eine Weise vollzogen zu haben, die den Westmächten und den beiden Regierungschefs die Verantwortung für die Revisionszugeständnisse abnahm. 104 PA AA, R 27157, Vertraulicher Bericht vom 18.  Februar 1938. Demnach hätte sich ­Davginon auch zu dem „Feuerwerk der Gerüchte zur Diffamierung Ribbentrops“ geäußert, die von Vansittart und Eden über die Presse ausgestreut werden würden, wobei besonders die polnische Presse willig beteiligt gewesen sei. 103

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Insofern stellte die englische Kriegserklärung vom 3. September 1939 das Scheitern von Ribbentrops Abwehrpolitik gegenüber der englischen Kriegs­drohung dar, aber auch eine eingetroffene Prophezeiung. Die prodeutschen Kräfte  – so weit es sie gab – hatten sich in England nicht durchsetzen können. Zudem gelang es Ribben­trop bis dahin nur, mit Italien wenigstens einen für England ernstzunehmenden Staat als Verbündeten für die von ihm projektierte Abschreckungskoalition zu gewinnen und auch dies nur formal und wie sich im August 1939 herausstellte: wertlos. Ein umfassendes Bündnissystem kam jedoch nicht zustande, und dies hatte Gründe, die wir im folgenden analysieren wollen.

V. Allein unter Diplomaten – Ribbentrop und das Auswärtige Amt „Er meinte, etwas verstimmt, H. v. R(ibbentrop) habe ihn erkennen lassen, daß er, R(ibben­trop) alle Diplomaten (nicht nur Köster, sondern auch ihn, F(rançois)P(oncet), für ausgemachte Trottel halte.“ Bernhard v. Bülow1 „In den Vernehmungsprotokollen zum 20. Juli wird der Komplex Auswärtiges Amt behandelt. Die Putschisten haben an der Außenpolitik Ribbentrops eine Kritik geübt, die man nur teilen kann. Im Auswärtigen Amt ist diese Kritik vielfach selbst betrieben worden. Auf die Frage, wer denn eigentlich im Auswärtigen Amt gegen den Führer stehe, hat der Legationsrat von (---) zur Antwort gegeben, es sei ihm leichter anzugeben, wer für den Führer sei. Mit Mühe hat er dann sechs Namen zusammengebracht. Welch eine furchtbare Perspektive, daß unsere Außen- und Kriegspolitik seit Jahren von Männern geführt wird, die keinen Glauben an unsere Sache besitzen!“ Joseph Goebbels2

1. Hitlers „Schuttplatz der Intelligenz“ Als JvR zum Minister ernannt wurde, erhielt er von Staats- und Parteichef Hitler die Erläuterung, es gäbe für ihn als Minister außenpolitisch vorrangig vier große Themenkomplexe zu bewältigen: den Anschluß Österreichs ans Deutsche Reich, dazu den Anschluß der Sudetengebiete, Danzigs und des Memellandes. Diese Probleme seien „nunmehr einer Lösung zuzuführen“. Seine Rolle bei diesem Projekt umschrieb Ribbentrop mit den Worten: „Meine Aufgabe war, ihm bei der Lösung dieser Probleme zu helfen.“3 Als präzise läßt sich diese Beschreibung insofern einstufen, weil der neue Außenminister in den Augen des Diktators nicht ernannt worden war, um als Minister eine eigenständige Politik zu formulieren. Was seiner Meinung nach zu tun war, hatte Ribbentrop um die Jahreswende 1937/38 klar skizziert. Er war danach ernannt worden, um nach den Vorgaben Hitlers auf dieser Basis klar umrissene Ziele zu erreichen, und er war zu keinem Zeitpunkt der einzige außenpolitische Berater oder Beauftragte, mit dem Hitler zu arbeiten

1

Zit. n. ADAP, C, III/2, S.  716, 10.  Dezember 1934, Aufzeichnung Bülow über ein Gespräch mit François-Poncet. Roland Köster war zu dieser Zeit Botschafter in Paris. 2 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 13, S. 445, Eintrag vom 9. September 1944. 3 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 124 f., bzw. Kley, Entfesselung, S. 39.

1. Hitlers „Schuttplatz der Intelligenz“

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gedachte, wenn er Ribbentrop auch anscheinend außergewöhnlich schätzte.4 Es sollte daher beispielsweise zu Ribbentrops ständigen Problemen während seiner Amtsführung gehören, daß Hitler seine außenpolitischen Informationen teilweise aus Quellen bezog, die dem Außenminister nicht zugänglich waren – und sie dem Minister vielfach vorenthielt. Aber auch die Reisediplomatie des deutschen Staates blieb nicht in der Hand des Außenministeriums konzentriert, weder zu Zeiten des Nichtnationalsozialisten Konstantin v. Neurath noch unter der Leitung von dessen Nachfolger Ribbentrop. Persönliche Beauftragte Hitlers wie sein früherer Kompaniechef und Adjutant Wiedemann oder Repräsentanten der NSDAP wie Hermann Göring hatten vielfach die Autorisation des Diktators zu Gesprächen mit dem Ausland. Nicht immer blieb für den Außenminister ersichtlich, was diese Personen äußerten oder wann sie überhaupt reisten. Wiedemann zum Beispiel fuhr 1938 nach England zu Gesprächen mit dem dortigen Außenministerium, ohne daß Ribbentrop als zuständiger Minister vorher informiert worden wäre.5 Auch der Englandflug von Rudolf Hess wurde 1941 unter Mitwissen Hitlers an Ribbentrop vorbei beschlossen und durchgeführt. In seinen Aufzeichnungen beklagte er sich über die „vielen Regierungs- und Parteistellen, die alle selbständige Außenpolitik treiben wollten“.6 Es gibt nur relativ wenige direkt überlieferte Äußerungen Hitlers, warum er gerade Ribbentrop als Minister wählte und wo er dessen Stärken und Schwächen sah. Eine Stelle aus den „Tischgesprächen“ deutet eine Übereinstimmung zwischen Ribbentrop und ihm in der Einschätzung des deutschen Außenministeriums als Sammelplatz der intellektuellen Verwirrung und des bürgerlich-adligen Berufsversagens an: „Der Chef betonte, das Auswärtige Amt sei in Deutschland vor Ribbentrops Zeit ein wahrer Schuttplatz der Intelligenz gewesen. Wer für einen anderen Beruf nicht geeignet ge­wesen sei, habe dort ebenso ein Unterkommen gefunden wie Heerscharen von Juden. Die Folge davon sei, daß unsere Diplomaten fast in jeder Operette veralbert würden und wenn man ihnen eine Uniform anziehe, die – zunächst von Männern der Waffen-SS vorgeführt – fabelhaft ausgesehen habe, auch selber operettenhaft ausschauten.



4

So geht offenbar auch die oft kolportierte (und bespöttelte) Formulierung, Ribbentrop sei „der größte deutsche Außenpolitiker nach Bismarck“ auf Hitler selbst zurück, der sie noch im Februar 1945 gegenüber Robert Ley gebrauchte – um im nächsten Satz zu erklären, die Situation für Politik sei derzeit nicht gegeben. Ribbentrop dürfe daher keine Westkontakte knüpfen. Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 15, S. 293, Eintrag vom 1. Februar 1945. 5 Wiedemann sprach unter anderem mit Außenminister Halifax und Alexander Cadogan über die Sudetenproblematik. Er stellte Ribbentrop dabei als jemanden dar, der nicht mehr in Hitlers Gunst stehen würde, was dort den Eindruck erweckte, „Ribbentrop und die Moderaten“ würden in Deutschland gegen die Parteiradikalen an Einfluß verlieren. Vgl. Harvey, Diary I, S. 161 ff., 11.–18. Juli 1938. 6 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 126. An diesem Punkt scheinen sich die oft fragwürdigen Angaben von Fritz Hesse zu bestätigen. Ribbentrop erfuhr demnach erst nach dem Flug von dem Vorhaben und der Billigung Hitlers: „Stellen Sie sich vor, er hat es tatsächlich für möglich gehalten, daß Heß doch Erfolg haben könnte.“ Vgl. Hesse, Englandberichte, S. 246.

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V. Allein unter Diplomaten

Ribbentrop habe wirklich recht, wenn er auf eine Erneuerung des Auswärtigen Amts dringe. Jedes im Ausland tätige Mitglied des Auswärtigen Amts sei Repräsentant des Deutschen Reichs. Wenn es etwas falsch mache oder auch allein schon, wenn es einen schlechten Eindruck mache oder blödele, schade das dem Reich. … Die besten Deutschen, die sich beruflich bewährt hätten und auch über ein entsprechendes Auftreten verfügten, seien daher künftig als Diplomaten zu verwenden.“7

Solche Sätze konnten offenkundig leicht auf den leidenschaftlichen Außen­ politiker Hitler zurückfallen, der schließlich ebenfalls „einen anderen Beruf nicht gefunden“ hatte und als Außenminister einen Mann beschäftigte, der jedenfalls in den Augen mancher politischer Widersacher im In- und Ausland ebenfalls „einen schlechten Eindruck“ machte. Dies waren Fragen der Perspektive. Davon abge­ sehen zeigten sie, daß die Geringschätzung vieler Spitzenbeamten des Auswärtigen Amts für die Staatsführung von dort erwidert wurde und Hitler in Ribbentrop auch deshalb den gegebenen Chef des Außenministeriums sah, weil er ihn als jemanden einschätzte, der diese Gewohnheiten innerhalb des Amts aufbrechen würde. Beiden gemeinsam konnte auch die vollendete Verachtung für die Diplomatie des wilhelminischen Deutschland sein, die Hitler in ‚Mein Kampf‘ formuliert hatte. Noch während des Krieges hatte Ribbentrop in Konstantinopel den späteren Reichswehrchef Seeckt kennengelernt, der sich zu dieser Zeit ebenfalls in scharfen Anklagen an das Auswärtige Amt erging: „Während des Krieges hat unsere Diplomatie überall versagt und trägt die Schuld, daß unser Ansehen trotz aller militärischen Kraftentfaltung nicht stärker geworden ist. Ob wir am Ende der diplomatischen Niederlagen sind, ist mir zweifelhaft. Amerika sollte eigentlich das Ende bedeuten für diese Zunft. Überall, wo unsere politische Arbeit Erfolg gehabt hat, ist es rein militärische Arbeit gewesen, die ohne und zum Teil gegen die auswärtige Vertretung geleistet wurde. Einzelheiten kann ich dir später einmal erzählen, wenn der ganze Klüngel wieder eingesetzt ist in seine Familienrechte und ich heraus bin aus der Sache.“8

Seeckt teilte auch Ribbentrops Analyse der englischen Politik, das sei nebenbei bemerkt. Schon 1915 sprach er mitten im Krieg vom „Endkampf mit England, der uns doch nicht erspart bleiben kann“ und an diesem Endkampf in einem nächsten Krieg würde sich auch noch Amerika als zusätzlicher Gegner beteiligen.9 Angesichts dessen erhob sich die Frage, inwieweit es nun tatsächlich im Handlungsbereich einer deutschen Diplomatie stehen konnte, diesen Endkampf zu ver

7



8

Zit. n. Picker, Tischgespräche, S. 606, Aufzeichnung vom 6. Juli 1942 Mittags. Seeckt in einem Brief an seine Schwester vom 24. April 1916, BA NS R. 13/67, hier zit. n. Guske, Seeckt, S. 21. 9 Vgl. Guske, Seeckt, S.  33 f. Dem entsprach auf der Gegenseite schließlich die Ansicht Winston Churchills, daß es seit 1914 einen „dreißigjährigen Krieg“ gegen Deutschland gegeben habe, die Churchill offenbar im Februar 1944 erstmals gegenüber Josef Stalin und Polens damaligem Exil-Premier Mikołajczyk zum Ausdruck brachte – als Argument, warum die im Sommer 1914 zuerst nach Ostpreußen eingedrungenen russischen Streitkräfte im Jahr 1944 einen sowjetischen Anspruch auf das nördliche Ostpreußen begründen könnten. Vgl. Jędrzejewicz, Parliament, II, S. 335 f.

1. Hitlers „Schuttplatz der Intelligenz“

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meiden, ohne kampf- und bedingungslos zu kapitulieren. Diese Frage drängte sich förmlich auf, wurde von Seeckt aber nicht abschließend beantwortet. Es blieb das Unbehagen an dem bestehenden Auswärtigen Amt, das Ribbentrop teilte, ob in diesem Punkt von Seeckt maßgeblich beeinflußt oder nicht. Eine grundsätzliche Änderung war demnach notwendig. Ribbentrop stilisierte sich auch selbst in dieser Hinsicht und traf konkrete Maßnahmen, so daß hier ein Grund für seine Er­ nennung zum Außenminister gesehen werden kann, ohne die Stelle zu überstrapazieren, denn sehr viele weitere direkte und zuverlässig überlieferte Äußerungen gibt es nicht. Wie so oft, mag auch hier ein zäher politischer Gegensatz zwischen dem Auswärtigen Amt und dem NS-Regime in Hitlers Augen eine endgültige Entscheidung unvermeidlich gemacht haben. Konstantin von Neurath hatte es niemals aufgegeben, Ribbentrops Stellung mit Hilfe von Intrigen wie von öffentlichen Auftritten untergraben zu wollen. Gegenüber Ulrich von Hassell beschwerte sich Hitler darüber wie folgt: „Im übrigen setzte er (Hitler, d. Verf.) mir wie schon bei früheren Gelegenheiten ausein­ ander, daß ein großer Fehler bei Neurath läge, der sich gegen notwendige Reformen personeller Art sträube. Gerade weil er Neurath als anständigen festen Mann schätze, der sich z. B. in der Rüstungsfrage fester gezeigt habe als die Generäle, und als ‚repräsentativ‘ geeigneten Vertreter halten wolle, bedauere er das; warum er z. B. absolut Ribbentrop nicht als Staatssekretär haben wollte, womit er doch einen gewandten Mann und vor allem der Partei gegenüber eine Persönlichkeit hineinnehmen würde, der sein, Hitlers, absolutes Vertrauen habe.“10

Im Sommer 1936 hatte Hitler dann Ribbentrop gegen Neuraths Willen zum Staatssekretär ernennen wollen, der jedoch aus eigenem Antrieb den Londoner Botschafterposten vorzog. An Neuraths Abwehrhaltung hatte das nichts geändert. Nicht nur wünschte er Ribbentrop aufrichtig das Scheitern von dessen Londoner Mission, wobei diese Haltung in diesem Fall sicher noch dadurch begünstigt wurde, daß Neurath selbst als Botschafter in London gescheitert war. Seine sämt­ lichen Versuche, dort seit November 1930 britisches Wohlwollen für die außenpolitischen Anliegen der späten Weimarer Republik aufzubauen, führten nur zu der einen „Lektion“,11 daß es solches Wohlwollen nicht gab. Einen weiteren persönlichen Grund für Neuraths Dauerstreit mit Ribbentrop mag auch dessen Bekanntschaft mit Gustav Stresemann gespielt haben, der sich bis zu seinem Tod 1929 als zäher Widersacher Neurathscher Karrierepläne erwiesen hatte.12

10 Aufzeichnung von Hassell über mehrere Gespräche mit Hitler zu grundsätzlichen Fragen, hier aus der Aufzeichnung über ein Gespräch am 22. September 1935 in Hitlers Münchener Wohnung, zit. n. Hassell, Tagebücher, S. 225. 11 So Neuraths Biograph Heineman. Vgl. Heineman, Neurath, S. 31. 12 Vgl. Heineman, Neurath, S. 37. Mögliche weitere Motive von Neuraths Ablehnung in: Heineman, Neurath, S. 126 ff.

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V. Allein unter Diplomaten

Neurath brüskierte Ribbentrop – und damit Hitler selbst – auch weiterhin bei unpassenden Gelegenheiten, etwa in den im Herbst 1936 anstehenden Verhandlungen mit Italien, zu denen Hitler auch Ribbentrop selbst aus London hatte kommen lassen. Ulrich von Hassell, selbst ein erklärter Verächter von „Ribbentrops Privatladen“,13 der Dienststelle Ribbentrop, wurde Zeuge dieses Auftritts auf dem Obersalzberg. Die deutsche Botschaft in Rom hatte offenbar Gerüchte gestreut, Ribbentrops deutsch-englischer Freundschaftskurs sei eine Gefahr für die deutschitalienischen Gespräche. Neurath hatte gegenüber Ciano in ziemlich respektlosem Tonfall vor dem eigenen Diktator gar erklärt, „sogar der Führer sei letztlich fähig gewesen zu erkennen, wie trügerisch Ribbentrops Zukunftsprognosen seien“.14 Obwohl Ciano dies als gezielte Diskreditierung Ribbentrops aus höchst persön­ lichen Gründen richtig verstand,15 entschied er sich dafür, Neurath stützen zu wollen. Das führte zu einem spektakulären Auftritt: „Sehr lustig war gleich die erste Szene bei Betreten des Hauses: Ribbentrop, den Hitler hatte kommen lassen, stand klar zur Teilnahme an der Besprechung Hitler-Ciano, als Ciano Neurath kurz und energisch sagte, wenn Ribbentrop dabei wäre, würde er kein Wort sagen. Neurath schlug Hitler daraufhin vor, ihn, Neurath auch fortzulassen und (mit dem Übersetzer Schmidt) allein mit Ciano zu sprechen. So geschah’s und Ribbentrop blieb zur Freude aller Bösen wie ein begossener Pudel stehen.“16

Die Freude aller Bösen in diesem Kindergarten lief darauf hinaus, in Ribbentrop nun gerade denjenigen erfolgreich diskreditiert zu sehen, von dem Hitler in außenpolitischen Fragen eine hohe Meinung hatte, anders als Neurath dies wahrhaben oder seinen italienischen Gesprächspartnern darzustellen versuchte. Ob in diesem Fall das Ergebnis, Hitler mit Ciano allein sprechen zu lassen, ernsthaft als Erfolg verbucht werden konnte, mußte bezweifelt werden.17 Hitler zog offen

13

Ulrich von Hassell beschreibt den offenbar ersten Eindruck von Ribbentrop in einem Brief an seine Frau vom 23. Juni 1933. In seiner fast kindlich zu nennenden Neigung, auch die harmloseste Bemerkung zu irgend einer Person mit Decknamen zu versehen, kam in Hassels Schreiben nicht nur Hitler vor, als „Inges Chef“, Hassel selbst als „Chr. Augustin“ oder „Crh. A.“, sondern neben manchen anderen auch eine „No. 5“: Joachim von Ribbentrop: „No. 5, sonderbarer Privatladen, an und für sich unmögliche Sache. Persönlich freundlich und aufmerksam. Chr. A. beschränkte sich auf sachliche Darlegung der Lage in seinem Laden.“ Zit. n. Hassell, Tagebücher, S. 36. 14 Vgl. Ciano, Papers, S. 53, Aufzeichnung eines Gesprächs Neurath-Ciano vom 21. Oktober 1936. 15 Das Duell Ribbentrop-Neurath sei allgemein bekannt, notierte Ciano am 24.  Oktober 1936. Jeder Erfolg Ribbentrops in London wäre eine Niederlage von Neuraths und dieser würde „jede Waffe“ nutzen, um das zu verhindern. Vgl. Ciano, Papers, S. 60. 16 Zit. n. Hassell, Tagebücher, S. 160, Eintrag vom 31. Oktober 1936. Ribbentrop habe sich daraufhin während des Gesprächs Hitler-Ciano auf der Terrasse gegenüber ihm gegen den Vorwurf verteidigt, anti-italienisch zu sein, notierte Hassell weiter und kommentarlos. 17 Ciano berichtete in Italien schließlich darüber, in der Wilhelmstraße „viel weniger Englandfreundlichkeit“ als erwartet angetroffen zu haben. Ribbentrop arbeite als Botschafter überzeugt an einem großen englisch-deutschen Ausgleich, der dann auch Italien mit einbeziehen solle, woran Ribbentrop ebenfalls „zweifellos ernsthaft“ arbeite. Neurath habe kein Vertrauen in solche Pläne. Vgl. ADAP, C, VI/I, Dok. 14, 6. November 1936, Botschafter Hassell an AA.

1. Hitlers „Schuttplatz der Intelligenz“

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kundig seine Schlüsse aus solchen Vorfällen, und diese Schlüsse gingen immer stärker in die Richtung, das Auswärtige Amt betreibe eine Politik ohne, wenn nicht gegen ihn, und das läge an dessen Führungspersonal. Die von Neurath vertretenen Positionen etwa in Bezug auf territorialen Revisionismus, wie er sie anläßlich der Bülow-Denkschrift vor dem Kabinett erläutert hatte, unterschieden sich nicht sehr von denen, die Hitler selbst erkennen ließ. Dagegen unterschieden sich Neuraths Vorstellungen über die eigene Rolle auf dem internationalen Parkett und seine Möglichkeiten, Hitler auf diesem von ihm beanspruchten Feld zu beeinflussen, deutlich sowohl von Hitlers Erwartungen als auch von Ribbentrops Ansichten zu diesem Punkt. Ribbentrop betrachtete sich als betont schwierigen, aber loyalen Berater mit kontroverser Meinung. Er scheute nicht den offenen Streit in Einzelfragen und stellte in dieser Hinsicht in Hitlers Umgebung eine Ausnahme dar. Er führte die Entscheidungen Hitlers dann aber aus, wie sie gefallen waren. Dieses Verhältnis gab es in dem engeren Kreis um Hitler kein zweites Mal. Die Nationalsozialisten mit Zugang zu Hitler neigten zu kritikloser Hinnahme seiner Äußerungen und Entscheidungen ihm gegenüber. Sie griffen im Fall einer anderen Meinung dann zu Verschleppungstaktik oder interpretierten seine Entscheidungen, wie sie es für angemessen hielten. Offenen Widerspruch wagten sie entweder nicht, oder er stand ganz außerhalb ihres Horizonts. Hitler bestand auf Ribbentrop als Außenminister, nachdem er ihn einmal ernannt hatte. Er deckte ihn deshalb vor der Kritik anderer. Wie er sich dabei äußerte, ist oft nur indirekt überliefert, etwa durch Nachkriegsaussagen Albert Speers vor den Alliierten: „Frage: Hatte Hitler eine hohe Meinung von Ribbentrops Fähigkeiten? Antwort: Goebbels war ein scharfer Gegner von Ribbentrop und wollte ihn unbedingt auf die Seite drücken. Er sprach gelegentlich einer Anwesenheit auf dem Obersalzberg – wohl 1944  – mit A. H. darüber und bekam zur Antwort, er würde ihn vollständig verkennen. Ribben­trop wäre ein ‚zweiter Bismarck‘. Das hat Goebbels sehr erschüttert, und uns nicht weniger, als er uns das berichtete.“18

Tatsächlich verbot Hitler seinem angeblich ‚zweiten Bismarck‘ zu dieser Zeit, im Jahr 1944 faktisch die Führung jedweder deutschen Außenpolitik, weil er sich angesichts der bestehenden Kriegskonstellation und der militärischen Lage keinen Erfolg davon versprach, weder durch Ribbentrop noch durch einen anderen. Insofern stellte die Äußerung gegenüber Goebbels, ihre Authentizität vorausgesetzt, in erster Linie den Versuch dar, in der gegebenen Situation eine denkbare Nachfolgedebatte über Personen und Inhalte der Außenpolitik zu unterdrücken. Speer konnte über das Verhältnis Hitler – Ribbentrop aus eigener Beobachtung offen­ kundig nichts aussagen, erklärte aber nach einer Suggestivfrage des verhörenden Offiziers dennoch unmittelbar darauf folgendes:



18

Albert Speer im Verhör am 7. September 1945, zit. n. Overy, Verhöre, S. 333.

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V. Allein unter Diplomaten

Frage: War es die energische und kategorische Art, in der Ribbentrop Entscheidungen traf, mit der es ihm gelang, Hitler zu bluffen? Antwort: Das ist mir unverständlich. Auf der anderen Seite hat A. H. immer wieder schlechte Eigenschaften von Ribbentrop im Gespräch geschildert. Darunter verstand er aber mehr die unangenehme Art, sich bei ihm in zäher Weise für einen Standpunkt einzusetzen und nicht nachzugeben, was für A. H., wie er angab, unbequem war. Besprechungen A. H.’s mit Ribben­trop dauerten daher zu seinem Kummer oft stundenlang, aber meistens soll (sic) es sich um ‚Zuständigkeitsfragen‘ gehandelt haben, in denen Ribbentrop mimosenhaft empfindlich war.“19

Es bleibt unklar, ob die Wertschätzung Hitlers für Ribbentrop nicht vielleicht gerade auf eben jenen stundenlangen Gesprächen beruhte, bei denen er ohne weitere Zeugen auf Ribbentrop in Fragen der Außenpolitik als hartnäckigen Gesprächspartner mit anderer und eigener Meinung zurückgreifen konnte. Dies stellte wie gesagt eine Ausnahme dar, da Hitler sich in Gegenwart von Dritten nie auf eine Debatte einließ und seine übrigen Mitarbeiter nicht dazu neigten, ihm hartnäckig zu widersprechen. Interessant ist die Differenz zwischen dem geradezu berüchtigt eigensinnigen Ribbentrop, den die Aussagen der nationalsozialistischen Elite in den Verhören vor dem Nürnberger Prozeß durchgängig aufzeigten, und der Konstruktion des willenlosen ‚Yes-Man‘ Ribbentrop, als den ihn die Nürnberger Anklage dann im Prozeß selbst darzustellen versuchte.20 Hier wurde die Taktik der Anklagebehörde erkennbar, manche Angeklagte mit unzutreffenden oder nebensächlichen Behauptungen zu überziehen. Der Auftrag für den neuen Außenminister bestand also in einer Kombination aus Abschreckung und Expansion. Sie würden Deutschland unter national­ sozialistischen Vorzeichen in seinen historischen Grenzen wieder herstellen und andere Staaten davon abhalten, dies militärisch zu verhindern. Dies war bereits der Inhalt einer Ansprache Hitlers Anfang November des Vorjahres gewesen, die in der Mitschrift von Friedrich Hoßbach vorliegt. Da JvR zu dieser Zeit noch als Botschafter in London und außenpolitischer Multifunktionär fungierte, war er bei dieser Ansprache nicht anwesend, sondern zur Aufnahme Italiens in den Antikominternpakt nach Rom gereist. Schließlich wurde er jedoch mit der Umsetzung der damals genannten Ziele beauftragt, weshalb wir einen Blick auf den Inhalt dieser Mitschrift werfen wollen, den Hitler als sein Testament bezeichnet haben soll. Zusammen mit Ribbentrops Botschafterbericht stellt sie die zentrale Quelle für die außenpolitischen Absichten dar, die 1938/39 von den in Deutschland regierenden Nationalsozialisten verfolgt wurden. Sie folgte einem kombinierten RibbentropHitler-Programm.



19



20

Albert Speer im Verhör am 7. September 1945, zit. n. Overy, Verhöre, S. 333. So im Verhör durch Oberst Amen im Zeugenstand: „Tatsächlich waren Sie ein ‚Yes-man‘ Hitlers, nicht wahr?“ Vgl. http://docusec.de/text/0736.htm, zuletzt eingesehen am 26.6.2012.

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2. Das Amt, seine Organisation und der Minister

2. Das Amt, seine Organisation und der Minister „Nie ist soviel gebrüllt und gefuchtelt worden wie im Dritten Reich, aber seine Diplomaten erhielten immer wieder die Anweisung, ‚eiskalt‘ zu sein und den Standpunkt ihrer Regierung ‚mit steinernem Gesicht‘ vorzutragen.“ Friedrich Sieburg21

Im Jahr 1936 wurde das Auswärtige Amt reorganisiert. Diese Maßnahme hatte keinen regimespezifischen Hintergrund, sondern trug der nie ganz verstummten Kritik an den unmittelbar nach Kriegsende vorgenommenen Änderungen Rechnung.22 So sollte sie unter anderem die Effektivität des Amtes durch eine andere Zusammenfassung der Zuständigkeiten verbessern. Zu diesem Zweck verloren die Länderabteilungen und das Sonderreferat W ihre Zuständigkeit für wirtschaftliche Angelegenheiten und wurden in einer einzigen „Politischen Abteilung“ zusammengefaßt. Deren Leitung übernahm zunächst Hans Heinrich Dieckhoff. Die bisherige Gruppe W erhielt eine Funktion als „Handelspolitische Abteilung“ und übernahm in diesem Rahmen die Kompetenz für wirtschaftliche Angelegenheiten von den bisherigen Länderabteilungen. Beide Maßnahmen zusammen trennten die Wirtschaftsfragen vom politischen Tagesgeschäft, das dadurch leichter führbar wurde. Diese Reorganisation blieb auch nach der Übernahme des Außenministeriums durch JvR bestehen. Überhaupt blieb Ribbentrop bemüht, die Amtsübernahme schon rein stilistisch mit den Zeichen der Kontinuität zu versehen. Ein vertraulicher Bericht darüber attes­tierte ihm, sich den Mitarbeitern ganz entgegengesetzt von dem Bild gezeigt zu haben, das man sich im Amt von ihm gemacht hatte: „Mit innerlich süffisanter Stimmung erwarteten sie ein bombastisches Feuerwerk. Statt dessen zeigte Ribbentrop ein völlig gelassenes, ruhiges und sicheres Auftreten, dazu eine erstaunliche Herzlichkeit in Ton und Gesten bei seiner Ansprache an die Mitarbeiter.“23

Dies wurde dem Minister in mehreren Varianten selbst zur Kenntnis gebracht und gibt wohl mindestens insofern zutreffend Auskunft, als Ribbentrop bei dieser Gelegenheit trotz eines Auftritts in SS-Uniform bewußt nicht als National­ sozialist neuen Stils auftreten wollte. Allerdings behauptet der Bericht im weiteren auch eine politische Deckungsgleichheit zwischen von Neurath und Ribbentrop, die eher erheiternd wirkt. Offenkundig wollte der Berichterstatter jeden mög­ lichen Konflikt zwischen „altem“ und „neuem“ Stil im Außenministerium umgehen. Das galt auch weitgehend für den neuen Minister, der sich mit Veränderungen schon aus pragmatischen Gründen zurückhielt. So wie er die Dinge sah, würden in kurzen Zeiträumen schnelle Entscheidungen getroffen werden müssen und dies würde im wesentlichen nur mit dem vorhandenen Personal durchzu­

21



22



Zit. n. Sieburg, Untergang, S. 27. Vgl. Stuby, Gaus, S. 351. 23 PA AA, R 27157, nicht unterzeichneter vertraulicher Bericht vom Februar 1938.

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V. Allein unter Diplomaten

führen sein. Allerdings machte sich Ribbentrop durchaus Gedanken darüber, wie er das Außenministerium reformieren könnte. Er setzte bei der Ausbildung der Diplomaten an und entwickelte nach einigen Monaten im Amt Pläne für ein „Nachwuchshaus des AA“, die er in einer eigenen Denkschrift zusammenfasste.24 Der Nachwuchs für das Auswärtige Amt, es waren für das erste Jahr einhundertfünfzig Personen vorgesehen,25 sollte demnach in Zukunft bevorzugt aus den Ordensburgen, SS-Führerschulen und Nationalpolitischen Erziehungsanstalten gewonnen werden. Das zielte auf einen Diplomatentypus hin, der dem nationalsozialistischen Staat weniger distanziert gegenüberstehen sollte, als dies das Auswärtige Amt des Jahres 1938 im allgemeinen tat. Dazu sollten die Anwärter ein Ausbildungsprogramm durchlaufen, daß sowohl praktische Mitarbeit im Dienst des AA vorsah (vormittags) als auch weltanschauliche und politische Schulung (nachmittags). Dazu kam die Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten, aber auch sportliche Weiterbildung (Reiten, Fechten, Schießen und anderes mehr) und schließlich zwei „Belehrungsreisen“ durch Deutschland, um den Kontakt der kommenden Elite mit der Lebenswirklichkeit und wirtschaftlich-technischen Aufbauleistungen in Deutschland herzustellen. Alle Maßnahmen zielten auf die typische nationalsozialistische Verbindung von elitären und egalitären Elementen. In die Elite der neuen deutschen Diplomaten sollten alle geeigneten Personen aufsteigen können. Eine automatische Erneuerung von Diplomatendynastien anhand von Besitz und Adel, wie sie im Kaiserreich üblich gewesen und teilweise in die Weimarer Republik herübergerettet worden war, sollte es nicht mehr geben. Für die Entwicklung der Details richtete Ribbentrop im Februar 1939 eine Kommission ein, der unter anderem Weizsäcker, Berber, Etzdorf und Luther angehörten.26 Am 1. Oktober 1939 sollte das Nachwuchshaus eröffnet werden, was wegen des Kriegsausbruchs dann schließlich offenbar unterblieb. Bereits vor diesen Aktivitäten hatte sich Ribbentrop Gedanken über die Ausbildung der künftigen Diplomaten gemacht, und sich von Hitler am 23. September 1936 eine Anweisung geben lassen, „alle erforderlichen Maßnahmen“ mit den „zuständigen Stellen zu besprechen und durchzuführen“ um die an der Universität Berlin bestehende Auslandshochschule umzuwandeln, in eine „Reichshochschule zur Ausbildung des künftigen diplomatischen Nachwuchses“.27 Die umzu­wandelnde Auslandshochschule trug diesen Namen selbst erst seit dem eben vergangenen Jahr 1935 und war ursprünglich von Bismarck im Jahr 1887 als Seminar für Orientalische Sprachen gegründet worden. Die Umbenennung sollte nach eigenem Anspruch einen Zielwechsel in der Ausbildung signalisieren, die auf ein besseres Verständnis des Auslands zielen sollte. Als allgemeiner poli­tischer Zweck 24 Vgl. die Denkschrift: Zweck und Ziel des Nachwuchshauses junger deutscher Diplomaten, Oktober 1938: PA Dienststelle Ribbentrop 14/2, Teil 2; Akte OSAF 18/1; PA Handakten Hewel, Bd. 3, Ribbentrop an Schwerin von Krosigk, 18.12.1938. 25 Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 483. 26 Vgl. PA, Akte Luther, Bd. 1 sowie Jacobsen, Außenpolitik, S. 483. 27 Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 139.

2. Das Amt, seine Organisation und der Minister

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wurde angegeben, „das fremde Volk (solle) aus seinen Eigenheiten und Bedingtheiten begriffen, … aber in seinem Verhältnis zu Deutschland gesehen werden.“28 Ribbentrop konnte mit solchen Vorstellungen an die Vorstellungswelten der Weimarer Zeit anknüpfen, als die deutsche Hochschule für Politik an der Ausbildung von Personen arbeitete, die Deutschland, das „Gegenstand des Willens fremder Mächte“ war, in einen „Kampf der nationalen Befreiung“ führen konnten. Die „Reinigung eines für einen weiten Kreis von Männern und Frauen verbindlichen politischen und nationalen Gefühls“ für einen solchen Kampf sollte die DHfP liefern, forderte der spätere Bundespräsident Theodor Heuss damals in einer Denkschrift.29 Aus der DHfP und dem mit ihr zusammenarbeitenden Politischen Kolleg gingen Mitarbeiter des Auswärtigen Amts wie Friedrich Berber oder Axel Seeberg hervor.30 Diese Personalpolitik Ribbentrops bildete einen Teil seiner Bemühungen, dem Amt und damit sich selbst eine möglichst schwer angreifbare Position innerhalb des Institutionenpluralismus des NS-Staats zu schaffen. Man geht aber wohl auch nicht fehl, in dieser Haltung bei Ribbentrop persönlich wie überhaupt im Aufwachsen dieses Institutionenpluralismus allgemein den Ausdruck von tiefgreifenden Differenzen innerhalb des Regimes zu sehen, und zwar Differenzen darüber, was Deutschland eigentlich sein sollte. Zwischen Ribbentrops Ziel einer klas­ sischen Großmachtstellung für das Deutsche Reich und den gleichzeitig vorhandenen staatssozialistischen, antisemitisch-rassistischen sowie pangermanischen oder auch antislawischen Strömungen innerhalb von Machtapparat und Partei mußte es stete Spannungen geben. Das Auswärtige Amt und die Streitkräfte als Stationen konservativ-deutschnationalen Wertbewußtseins ergänzten das Spektrum der Riva­litäten eher im Sinn Ribbentrops. In diesem Sinn scheint er jedenfalls kalkuliert zu haben, als er nach seiner Ernennung zum Minister nicht nur die Strukturen des AA weitgehend unverändert ließ, sondern auch seinen zweiten Mann, den Staatssekretär, aus dem Kreis jener Mitarbeiter auswählte, die dort ein besonderes Ansehen genossen. Es wurde ein Fehlgriff der besonderen Art. 

28 Denkschrift Scurla über die Umgestaltung der Auslandshochschule und deren Ausbau zu einer Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin, BA KO R 2, Bd. 12557, hier zit. n. Eisfeld, Angebräunt, S. 140. 29 Vgl. Heuss, Denkschrift, S. 33 f. 30 Seeberg leitete seit 1929 die Arbeitsstelle für Osteuropa am Politischen Kolleg und war Dozent an der DHfP, 1940 an deren auslandswissenschaftlicher Fakultät. Er wurde 1939 von Ribbentrop in den bis Kriegsende bestehenden interministeriellen „England-Ausschuß“ übernommen. Vgl. Eisfeld, Angebräunt, S. 70.

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V. Allein unter Diplomaten

3. Der Minister und sein Staatssekretär Anmerkungen zu den Memoiren und Privatpapieren Ernst von Weizsäckers als Quellen Vor dem eben geschilderten Hintergrund ist ein Blick auf einige Quellen nötig, die JvR für 1938 und 1939 einen Kriegskurs unterstellen und teilweise im weiteren behaupten, er habe Deutschlands Staats- und Parteichef zu wenig über die Gefahr eines drohenden Krieges mit den beiden Westmächten England und Frankreich informiert. Wie oben bereits gezeigt wurde und im weiteren noch näher ausgeführt werden wird, ist recht genau das Gegenteil zutreffend. Entsteht der falsche Eindruck aber im Fall des Hoßbach-Protokolls oder der Denkschrift zum Vierjahresplan durch unzutreffende Angaben über den Inhalt der Quelle, so gibt es für Interna angeblicher Ribbentropscher Äußerungen eine Reihe von Behauptungen ehemaliger Mitarbeiter. Diese Behauptungen wurden vorzugsweise von jenen Mitarbeitern Ribbentrops im Auswärtigen Amt erhoben, die heimliche Kontakte zu eben jenen potentiellen Kriegsgegnern aufgenommen hatten und dort zu einer unnachgiebigen Haltung gegenüber Deutschland geraten haben. Zu den Quellen, die Ribbentrop in diesem Zusammenhang anklagen, gehört beispielsweise die von Leonidas Hill herausgegebene zweibändige Edition der „Weizsäcker-Papiere“, die das Bild, das sich die zeitgeschichtliche Forschung seit den 1970er Jahren über Weizsäcker – und damit über seinen Chef Ribbentrop – machte, entscheidend beeinflußt hat.31 Zwar gab es sofort nach Erscheinen Kritik an der Art der Edition, aber dies änderte wenig an deren Einfluß.32 Passagenweise handelt es sich um eine scharfe Anklageschrift gegen Ribbentrop, der auf einem von Hill auf den 7. September 1939 datierten Notizzettel praktisch zum Alleinschuldigen am Krieg gestempelt wird: „Als am 31.8. mittags alle anderen Versuche, noch einen polnischen Unterhändler herbeizuschaffen, fehlgeschlagen waren (z. B. via H.=H.),33 blieb nur noch die Hoffnung auf unsere militärischen Kreise. Ich sagte zu Göring, es sei höchste Zeit, daß er komme. Ob wir wohl verpflichtet seien, einem geistesgestörten Berater Hitlers zulieb das III. Reich vernichten zu lassen. R. sei der erste, der baumeln werde, aber andere würden nachfolgen.“34

Zeugen für diesen Auftritt oder gar die Wortwahl, die ein Staatssekretär in Bezug auf seinen Vorgesetzten gegenüber dem zweiten Mann im Staat gebraucht ha

31



32

Leonidas Hill (Hrsg): Die Weizsäcker-Papiere 1900–1950, 2 Bd., Frankfurt 1974. Rainer Blasius etwa weist ausdrücklich auf diese Kritik hin, greift sie aber inhaltlich nicht auf und stützt statt dessen ungeachtet seine Dissertation über Weizsäckers Politik wesentlich auf eben die „Weizsäcker-Papiere“. Vgl. Blasius, Weizsäcker, S. 5. Kritische Rezensionen der Weizsäcker-Papiere etwa von H. R. Berghahn (History 61, 1976, S. 473 f.), Peter Krüger (HZ 222, 1976, S. 756 ff.) und B. J. Wendt (Das Parlament, Nr. 30, 26. Juli 1975). 33 Gemeint wahrscheinlich die Verbindung von Ulrich von Hassell zu Nevile Henderson, dem englischen Botschafter. 34 Zit. n. Hill, Papiere, II, S. 164.

3. Der Minister und sein Staatssekretär

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ben will, gibt es nicht. Sie schienen Weizsäcker wohl auch selbst so unglaubwürdig zu sein, daß er in seinen publizierten ‚Erinnerungen‘ eine andere Version gibt Demnach war nicht Göring, sondern Ulrich von Hassell der Gesprächspartner, und es gab auch mehr als einen Geistesgestörten: „Ich sagte Hassell, wir seien doch nicht verpflichtet, wegen zweier Wahnsinniger (Hitler und Ribbentrop) in den Abgrund zu stürzen. Auch Göring möge er, über dessen Schwester, Ribben­trop als den Totengräber des Reiches bezeichnen und ihm vorstellen, wie sein Karinhall in Flammen aufzugehen drohe.“35

Dies sind Weizsäckers Varianten, die mit „baumeln“ und „Geisteskrankheit“ eher die alliierten Nachkriegsdeutungen ansprechen als die Realitäten des Jahres 1939.36 Es gibt zugleich Belege, daß Weizsäcker mit unzutreffenden Unterstellungen gegenüber Ribbentrop auf einen Zustand hinarbeitete, in dem er statt dem Außenminister zum bevorzugten Ansprechpartner ausländischer Diplomaten zu werden hoffte. Daher stellt sich die Frage nach dem Zustandekommen und dem Wert, der dieser Veröffentlichung für die Beurteilung bestimmter Einzelfälle zukommt. Hill hat für seine Arbeit als Herausgeber auf den in Familienbesitz befindlichen Nachlaß von Staatssekretär Ernst von Weizsäcker zurückgreifen können. Er hat auf dieser Basis eine Mischung aus Briefzitaten, tagebuchartigen Eintragungen, Notizen und Vorlagen Weizsäckers zusammengestellt, unter anderem aus dessen Zeit als Staatssekretär im Auswärtigen Amt während der Jahre 1938/39. Dabei ließ Hill nach eigener Angabe alles weg, was den früheren Staatssekretär im Sinn der Anklage der Nürnberger Nachkriegsprozesse belasten konnte: „Ich habe mich nicht verpflichtet gefühlt, die andere Dokumentenreihe abzudrucken, von der die Anklage glaubte, und wahrscheinlich immer noch glaubt, daß sie seine kriminelle Verwicklung beweise.“37 Darüber hinaus plädierte Hill in seiner editorischen Vorbemerkung für die vollkommene Unschuld Weizsäckers auch in moralischer Hinsicht. Er habe mit dem Teufel paktiert, um einen Krieg zu verhindern, sei aber erfolglos geblieben. Deshalb sei die Auswahl der Dokumente bewußt eingeschränkt worden: „Weil die Verhinderung des Kriegsausbruches mit allen Mitteln und mit jedem nur mög­ lichen Kompromiß im Mittelpunkt seiner Bemühungen stand, ist den Dokumenten, die dies bezeugen, Vorrang vor anderen Dokumenten, die dies nicht tun, gegeben worden, ohne Rücksicht darauf (sic), wie wichtig diese anderen Dokumente in einem anderen Zusammenhang sein mögen.“38

35 Zit. n. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 259. Später habe er Göring auch selbst erreicht und vom „baumeln“ Ribbentrops gesprochen, Geisteskrankheit ist nur im Gespräch mit Hassell erwähnt. 36 Weizsäcker kannte Ulrich von Hassels 1946 publiziertes Tagebuch, das der Version der „Erinnerungen“ und der „Papiere“ in Teilen ähnlich ist, allerdings erheblich in der Beurteilung der Szene abweicht. Laut Hassell habe Weizsäcker ihm das Ribbentrop-Henderson Gespräch als „unfreundlich, aber noch nicht in Form eines Bruchs verlaufene Audienz“ geschildert. Erst danach habe nicht Ribbentrop, sondern Hitler „laut zu erkennen gegeben, nun habe sich die andere Seite eklatant ins Unrecht gesetzt“. Vgl. Hassell, Deutschland, S. 81. 37 Vgl. Hill, Papiere, II, S. 51. 38 Zit. n. Hill, Papiere, II, S. 51.

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V. Allein unter Diplomaten

Hill mag aus seiner Sicht gute Gründe für diese Einschränkung gehabt haben, aber sie läßt es unmöglich werden, sich aus seiner Edition ein wirkliches Bild der Tätigkeit Ernst von Weizsäckers zu machen, denn sie ist unter diesen Voraussetzungen als eine Verteidigungsschrift für ihn konzipiert. Es ist bekannt, daß Weizsäcker mit darauf hinarbeitete, die Eskalation der politischen Ereignisse auf die Spitze zu treiben, um das NS-Regime in der dann entstehenden außenpolitischen Krise politisch oder auch institutionell überwinden zu können. In Leonidas Hills Zusammenstellung kommen solche Belege nicht vor oder werden wenig gewürdigt. Ein Beispiel ist die Randbemerkung Weizsäckers auf einem von Hill auf den Februar 1939 datierten Papier. Weizsäcker hält dort fest, er habe Ribbentrop im Dezember 1938 empfohlen, „Polen auf das uns genehme Größenmaß als Puffer gegen Rußland zu reduzieren“ und zwar durch „Erwerb Memels und Danzigs, sowie einer festen Landbrücke nach Ostpreußen“.39 Diese Empfehlung, so sie denn wirklich gegeben wurde, bedeutete ganz sicher nicht die „Verhinderung des Kriegsausbruches mit allen Mitteln“, sondern dessen Förderung. Dies erfolgte zu einer Zeit, als Ribbentrop und Hitler mittels eines deutsch-polnischen Vertrags auf Basis der bestehenden Grenze gerade jenen „möglichen Kompromiß“ mit der Republik Polen suchten, den Herausgeber Hill fälschlicherweise Weizsäcker zuschreibt.40 Zu diesem Mangel gesellen sich weitere, denn Herausgeber Hill verfolgt sein Ziel einer Verteidigung Weizsäckers auch durch eine gezielte Zitatauswahl einzelner Sätze aus Briefen, aus denen er in angekündigter Manier nicht nur andere Inhalte privater oder für seine Zwecke nicht zielführender politischer Art wegläßt. Er teilt dem Leser zudem in den meisten Fällen nicht einmal den Adressaten mit, an den Weizsäcker den jeweiligen Brief geschrieben hat, oder geht der Frage nach, ob der Brief auch tatsächlich abgeschickt wurde.41 Diese Frage zu beantwor

39



40

Zit. n. Hill, Papiere, II, S. 150. Im gleichen Dokument findet sich Weizsäckers Vorschlag, was man neben dem Ribbentrop empfohlenen Vorgehen gegen Polen in nächster Zeit noch in Aussicht nehmen könnte. Darunter: „Ultimatum nach Prag: Annahme eines Freundschaftsvertrags, welcher der Tschechei alle Vorteile äußerer Sicherheit, innerer Selbständigkeit und kulturellen Eigenlebens gewährleiste“. Inhalt u. a.: „außenpol. Vertretung durch das Reich, Umwandlung der Armee in innere Truppe, Garantierung der Grenzen, Errichtung deutscher Enklaven, Wirtschaftliche Annäherung an das Reich nach unserer Vereinbarung. … Im Fall der Ablehnung Besetzung des Landes durch deutsches Militär, sonst lediglich (sic)  militärische Sicherung der slowakisch-tschech. Grenze durch deutsches Militär“. Zit. n. Hill, Papiere, II, S. 151. Dies ist bis in die Wortwahl hinein („kulturelles Eigenleben“) recht genau das, was dem tschechischen Präsidenten Hacha von Hitler im März 1939 als Protektoratsvertrag tatsächlich präsentiert wurde. Weizsäcker befürwortete demnach in jedem Fall eine militärische Präsenz in der Tschecho-Slowakei, notfalls im ganzen Land, wie das im März 1939 tatsächlich eintreten sollte. In seinem „Rückblickenden Bericht“ auf 1938/39 stellt er dagegen die Behauptung auf, diesen Weg „unglücklich“ gefunden zu haben. Einmal mehr sollte Ribbentrop verantwortlich gewesen sein. Er sei Weiz­säckers angeblich vorgebrachten Argumenten gegen eine Besetzung der Tschechoslowakei „wenig zugänglich“ gewesen. Vgl. Hill, Papiere, S. 174. 41 Lediglich Briefe an die Mutter Weizsäckers und seine Ehefrau sind mit „BM“ bzw. „BF“ eindeutig gekennzeichnet. Der weitaus größere Teil enthält als Angabe der Natur des zugrunde liegen Dokuments nur ein „B“ für Brief.

3. Der Minister und sein Staatssekretär

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ten, wäre um so wichtiger, als Weizsäcker zwischen 1938 und 1943 nach eigenen Angaben Berichte und Darstellungen anfertigte, die sein Tun und seine Absichten in den Jahren 1938/39 in einem günstigen Licht zeigen sollen. Auch diese Texte nahm Hill als „Notizen“ bzw. „Rückblickende Berichte“ in seine Edition auf, ohne zu hinterfragen, ob die deutlich ausgesprochene Absicht nicht Auswirkungen auf den Wahrheitsgehalt und die Vollständigkeit der Aufzeichnungen gehabt haben könnte. Im Gegenteil schreibt er ihnen zu, sie seien „eine Bestätigung von Weizsäckers Tätigkeit und der Gültigkeit der bisherigen Papiere“.42 Nicht selten gibt es in diesem Teil der Edition keine Gewißheit darüber, wann der entsprechende Text verfasst wurde. Ein loses, undatiertes Blatt, das sich in Weizsäckers Unterlagen be­ findet und die Lage des Oktobers 1939 schildert, muß keineswegs damals entstanden sein, sondern kann Jahre später geschrieben worden sein. Dies gilt schließlich auch für jenen Teil  von Weizsäckers „Papieren“, der in anderen Fällen normalerweise eine sichere Quelle wäre: die Tagebuchaufzeichnungen. Eine Tagebuchkladde, bereits gebunden gekauft und dann ohne Lücken, Seite für Seite chronologisch von einem bekannten Tagebuchschreiber in eigener Handschrift beschrieben, stellt üblicherweise eine einigermaßen fälschungs­sichere Quelle dar. Natürlich enthält sie mögliche Irrtümer des Aufzeichners, aber zugleich authentische Informationen darüber, wie die Dinge aus seiner Sicht geschehen sind. Besonders wertvoll sind Aufzeichnungen dieser Art, wenn sie nicht zur Selbstinszenierung oder späteren Erinnerung entstanden sind, sondern als aktuelle Gedächtnisstütze dienen sollten, so etwa die Tagebücher des General­stabschefs Halder.43 Andere, ansonsten authentische Tagebücher, haben den Mangel, bewußt für späteren politischen Nutzen geschrieben worden zu sein, so etwa das CianoTagebuch des italienischen Außenministers, das im Prozeß gegen Ribbentrop eine bemerkenswerte Rolle spielen sollte. Auch für die fehlende Echtheit von Tage­ büchern, die nur scheinbar die oben genannten Kriterien erfüllen, gibt es allerdings Beispiele. Das weltweit bekannteste dürfte die umfangreiche Totalfälschung der sogenannten Hitler-Tagebücher sein, die angesichts der Masse des Materials von zahlreichen bekannten Historikern zunächst für echt gehalten worden waren, weil sie sich die Energie eines Fälschers wie Konrad Kujau nicht vorstellen konnten, der Dutzende von Bänden füllte. Immerhin lag hier ein eigentlich leicht erkennbares Fälschungsmerkmal vor, denn Hitler schrieb, so weit bekannt, längere Texte schon aus gesundheitlichen Gründen zu keiner Zeit selbst, sondern diktierte sie seinen Mitarbeitern stets in die Schreibmaschine. Als weiteres Beispiel für eine Totalfälschung ließe sich der Höhere SS- und Polizeiführer Erich von dem BachZelewski anführen, der sein Tagebuch aus den Jahren 1941/42 selbst fälschte, bevor er es dem Bundesarchiv überließ.44 Zuvor hatte er mit belastenden Aussagen in den Nürnberger Nachkriegsprozessen einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht. Dank der Tendenz seiner Aussagen war er selbst straffrei geblieben – obwohl als

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Vgl. Hill, Papiere, S. 516. Franz Halder: Kriegstagebuch, 3 Bd., bearb. von H.-A. Jacobsen, Stuttgart 1962–1964. 44 Vgl. Breitman, Staatsgeheimnisse, S. 308.

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V. Allein unter Diplomaten

früherer Leiter einer Einsatzgruppe des SD der SS in der Sowjetunion mit einer Vergangenheit belastet, die jedem anderen das Todesurteil eingebracht hatte.45 Dies sind Extremfälle. Häufiger werden echte Tagebücher von wichtigen Zeitzeugen durch deren Familie aufbewahrt, die gegebenenfalls die Einsicht der Forschung beschränkt46 oder gemeinsam mit staatlichen Institutionen die Veröf­ fentlichung unerwünschter Eintragungen verhindert.47 Aber das handschriftliche Dokument selbst kann insoweit als Quelle eine anerkannt werden, die zum angegebenen Zeitpunkt entstanden ist. Schließlich können auch die Gefahren, denen ein Tagebuchschreiber in den Zeiten der totalen Staatlichkeit ausgeliefert sein konnte, das Tagebuch als Quelle beeinflussen. Inhalte und Namen können verschlüsselt sein. Ulrich von Hassell, lange Zeit deutscher Botschafter im Vatikan, legte unter Verwendung von relativ leicht durchschaubaren Decknamen ein umfangreiches Tagebuch an, das im Fall der Entdeckung trotz seiner Vorsichtsmaßnahmen für die deutschen Regimegegner einschließlich Ernst von Weizsäcker eine große Bedrohung dargestellt hätte. Walter Hewel, als Verbindungsmann des Auswärtigen Amts zu Hitler ein Mitarbeiter Ribbentrops, führte dagegen ein zwar regelmäßiges, aber äußerst sparsam dosiertes Tagebuch. Einträge, die er für heikel hielt, schrieb er sicherheitshalber in einem indonesisch-deutschen Kauderwelsch unter zusätz­ licher Verwendung von Decknamen, so daß sie bis heute keiner eindeutigen Übersetzung zugänglich waren. Diese Möglichkeiten und Beobachtungen werfen Fragen auf, was die Tagebuchaufzeichnungen Weizsäckers für unser Thema betrifft, um so mehr, als sich einige der dort in Bezug auf JvR getroffenen Aussagen aus Sicht anderer Quellen als klar unzutreffend erweisen. Auch hier überwacht und begrenzt die Familie den Zugang zum Original. Die von Herausgeber Hill im Vorwort angekündigte Übergabe der in seinem Besitz befindlichen Briefe, Abschriften und Kopien an ein zugängliches Archiv hat auch Jahrzehnte später noch nicht stattgefunden.48 Nun gehörte Ernst von Weizsäcker ebenfalls nicht zu den regelmäßigen Tagebuchschreibern. Genaugenommen schrieb er gar kein Tagebuch. 1933 machte er lediglich ein paar Eintragungen in ein schmales Notizbuch. Unter einigen Datenangaben aus den Jahren 1938 und 1939 finden sich dann in eben diesem Notizbuch einige wenige weitere Eintragungen, die Herausgeber Hill in seinen „Papieren“ 45 Hermann Göring soll ihn während der Verhandlung als „Schwein, Stinktier, als den blutigsten Mörder in der ganzen verdammten Aufführung“ beschimpft haben, womit er, wie Richard Breitman meint, „der Wahrheit nahe kam, jedenfalls im letzten Punkt“. Vgl. Breitman, Staatsgeheimnisse, S. 307. 46 So etwa die in Privatbesitz befindlichen Aufzeichnungen des englischen Diplomaten und Politikers Harold Nicolson, von denen nur ein Bruchteil veröffentlicht wurde. 47 Vgl. das Tagebuch von Alexander Cadogan, als ständiger Unterstaatssekretär im Foreign Office seit 1938 Ernst von Weizsäckers britischer Amtskollege. Dort wurden alle Hinweise auf die zahlreichen englischen Geheimdienstoperationen getilgt, ohne daß in der Edition ursprünglich darauf hingewiesen wurde. 48 Vgl. Hill, Papiere, II, S. 50.

3. Der Minister und sein Staatssekretär

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alle vollständig abdruckt, unter dem Hinweis, sie als besonders wichtig zu erachten. Weitere Eintragungen ähnlicher Art durch Weizsäckers Hand finden sich nicht, es gibt „jedenfalls keinen Hinweis, daß er ein Tagebuch geführt hätte, das sich nicht angefunden hat.“49 Es ist daher keine fernliegende Schlußfolgerung, die vorhandenen Eintragungen nicht als unmittelbar „unter dem Eindruck der Bedeutung der Zeit“ verfaßte Aufzeichnungen einzustufen, wie Hill dies tut.50 Sie ließen sich ebenfalls als Ausdruck eigener Rechtfertigungsversuche Weizsäckers deuten und ihre Authentizität damit vorsichtig in Frage stellen, nicht weil Weizsäcker sie nicht selbst geschrieben hätte, sondern weil es keinen Beleg dafür gibt, daß sie tatsächlich aus den Jahren 1938/39 stammen und/oder einen unmittelbaren Eindruck wiedergeben. Als spontan lassen sich die Aufzeichnungen bereits deshalb nicht einstufen, weil sie mehrheitlich Rückblicke sind, die zum Teil die Ereignisse mehrerer Tage und Wochen, teilweise Monate zusammenfassen. Hill weist darauf hin, daß Weizsäcker im Gegensatz zu Hassell „sehr diskret und zurückhaltend war und sich von 1933 an der großen Gefahr bewußt war, die damit verbunden war, daß er schriftliche Aufzeichnungen machte, die von der Gestapo gefunden werden konnten. Seine wirkliche Meinung vertrat er nur vor Mitgliedern seiner Familie und einigen wenigen anderen, darunter Ulrich von Hassell“.51 Ob Weizsäcker nun gerade Hassell wirklich vertraute, dessen leichtfertiger Glauben in die Ehrlichkeit der Diplomatie fremder Länder der Weizsäcker-Kollege und -Bewunderer Bernardo Attolicco als „dumm wie die Vorstellung von Kadettenschülern“ bezeichnete, kann bezweifelt werden. Viel spricht dafür, daß Weizsäcker eher die Rolle eines „zweiten Talleyrand“ einnehmen wollte, wie Weiz­säcker sich auch selbst attestiert. Der damals als Urbild des raffinierten Diplomaten geradezu legendäre Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord personifizierte sich selbst auf eine Weise mit dem Wohl Frankreichs, die keine legitime Institution anerkannte. Erstgeborener Sohn aus einer der ältesten Adelsfamilien Frankreichs und vor 1789 ein katholischer Bischof, ergriff er dann die Partei der Revolution und spielte danach in fast allen Phasen der französischen Politik bis zu seinem Tod 1838 eine entscheidende Rolle, ob die Regierung nun gerade republikanisch, konsularisch, diktatorisch, bonapartistisch-kaiserlich, restaurativ-königlich oder revolutionärbürgerköniglich war. Besonders bekannt wurde sein Verrat an Frankreichs Kaiser Napoleon, während er als dessen Außenminister amtierte und die von Napoleon angestrebten Bündnisstrukturen sabotierte. Dennoch unterstellte Talleyrand kaum jemand, nicht aus seiner Sicht zu jeder Zeit das beste für Frankreich gewollt zu haben. Man muß vor diesem Hintergrund auch Ernst von Weizsäcker gar nicht unterstellen, nicht das beste für Deutschland im Sinn von „Großdeutschland“ gewollt zu haben, als er die Politik seines Vorgesetzten Joachim von Ribbentrop sabotierte. Er versuchte lediglich einen Einfluß auszuüben, den er als Staatssekretär und Nicht

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Vgl. Hill, Papiere, S. 53. Vgl. Hill, Papiere, II, S. 53. 51 Zit. n. Hill, Papiere, II, S. 52.

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Nationalsozialist nicht aus seinem Amt heraus hatte. Die Parallele zu Talleyrand ist dabei nicht zufällig, sondern von Weizsäcker selbst gesucht: „Es fesselte mich, nachzuprüfen, wie Talleyrand es bewerkstelligt hat, sich  – nach land­ läufiger Auffassung – von seinem Herrn zu distanzieren, um ihm später untreu zu werden. Ich wollte wissen, wie dieser klassische politische Deserteur es schließlich für richtig hielt, den Dingen ihren Lauf zu lassen und Frankreich dem äußeren Feind preiszugeben, um es auf diese Weise von seinem Diktator zu befreien. … In ruhigen Stunden angesichts des Mittelländischen Meeres kam ich zur Überzeugung, daß das Talleyrand’sche Muster nur bruchstückweise anwendbar sei, nämlich: im Dienst verbleiben – ja, den Diktator abschütteln – ja, aber aus eigener Kraft. Nie hätte ich es gebilligt, ich hätte es für völlig unentschuldbar gehalten, die Katastrophe zu begünstigen, den Krieg herbeizuführen, um ihn zu verlieren und auf diese Weise Hitler loszuwerden.“52

Es kann hier nicht erörtert werden, inwieweit Weizsäckers Deutung von Talleyrands Verhalten historisch akkurat ist. Wichtig ist, daß Weizsäcker nach eigener Aussage „Bruchstücke“ von Talleyrands Methoden übernommen hat und dabei mit den in- und ausländischen Verbündeten seiner „Konspiration“53 mehrfach zu Aktionen schritt, die juristisch wohl als Hoch- wie als Landesverrat einzustufen sind. Das Motiv mochte politisch sein. Weizsäcker glaubte, außenpolitisch mehr zu können als der diplomatische Quereinsteiger Ribbentrop und die National­ sozialisten, die größtenteils das Ausland noch nie betreten hatten. Um diese Rolle einnehmen zu können, opferte er seinen Vorgesetzten, vor 1939 und noch mehr nach 1945, als eine Zielsetzung „Großdeutschland“ plötzlich generell als verbrecherisches Unternehmen galt und Weizsäcker abstritt, sie je verfolgt zu haben. Das ist moralisch nicht einwandfrei, aber „allzumenschlich“ nachvollziehbar. Für unsere Zwecke ist es wichtig, die Geheimhaltung zu berücksichtigen, die diese Strategie erforderte. Mit anderen Worten: Weizsäcker vertraute seine wirkliche Meinung keinem Papier an und verfaßte statt dessen seine Papiere so, daß sie durch Ermittlungsbeamte schadlos gefunden werden konnten. Seine Eintragungen sind nicht spontan, niemals stichwortartig, sondern sorgfältig auf einen bestimmten Zweck hin konzipiert, so daß sie sich teilweise auf subtile Weise unterscheiden, wenn Weizsäcker etwa das gleiche Ereignis mehrfach beschreibt. Dafür sei ein Beispiel gegeben: Am Abend des 30. August 1939 kam es zu jenem denkwürdigen Treffen Joachim von Ribbentrops mit dem englischen Botschafter Nevile Henderson. Auf die Einzelheiten dieser Begegnung werden wir noch eingehen. Henderson hatte jedenfalls die undankbare Aufgabe, dem deutschen Außen­ minister mitzuteilen, daß die polnische Regierung niemanden ­schicken würde, der ein deutsches Verhandlungsangebot annehmen könnte. Dies stand im Gegensatz zu dem, was sowohl die englische wie die polnische Regierung zugesagt hatten. Tatsächlich hatte die englische Regierung aber keinen Einfluß auf die polnische Regierung ausgeübt, um diese beiderseitige Zusage einzuhalten. Henderson

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Zit. n. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 197 f. Vgl. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 178.

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trat Ribbentrop also mit leeren Händen entgegen, der seinerseits jenen eigens für dieses in Aussicht gestellte Treffen entworfenen 16-Punkte-Plan in der Hand hatte, der aus deutscher Sicht die Verhandlungsbasis bilden sollte. Zum Treffen lesen wir nun bei Weizsäcker zwei Varianten der Darstellung, einmal im „Tagebuch“, einmal als „Notiz“: „Es wird darauf gewartet, ob, wie angeboten, England die Polen zur Entsendung eines Unterhändlers bewegt. Die Antwort ist nicht ungünstig, aber verzögerlich. Wir arbeiten einen vernünftigen Kompromißplan aus, die erste konstruktive Idee seit Monaten – ob aber nur for show? Um Mitternacht, als Henderson die erwähnte Antwort bringt, behandelt ihn Ribbentrop en canaille, nach R’s eigener Schilderung. Den Kompromißplan legt er H. vor, gibt ihn aber nicht aus der Hand u. sagt, er sei wegen zu langen Zögerns der englischen Antwort überholt. Damit stehen wir von Neuem vor dem Krieg. R. geht strahlend nach Hause.“54

Dies ist die Darstellung des Tagebuchs laut der Edition der Weizsäcker-Papiere. In seinen ‚Erinnerungen‘ erfindet Weizsäcker zu diesem Eintrag drei weitere Sätze hinzu, die offenbar die Glaubwürdigkeit erhöhen sollen: „Ich selbst war verzweifelt. Ich hatte noch kurz einem Gespräch zwischen Hitler und Ribben­trop beigewohnt. Ich wußte nun sicher, das war der Krieg.“55

Weizsäcker hat aber noch eine weitere Version verfasst, die man nach der Wortwahl als spätere Version auffassen könnte: „Am 30.8. war man hier in Erwartung, ob Polen einen bevollmächtigten Unterhändler ­schicken würde. Die britische Botschaft, die am 29.8. spät abends dazu aufgefordert war, ließ um 4 Uhr morgens sagen, sie mache auf die technische Schwierigkeit aufmerksam, noch am 30.8. einen Sonderbevollmächtigten aus Warschau nach Berlin zu bringen. Vormittags um 11 plädiert Henderson bei mir um Frist. Nachmittags schreibt er an Ribbentrop einen hinhaltenden Brief. Erst spät abends hat er Instruktion, gegen Mitternacht bei Ribbentrop zu erscheinen. Hierbei kommt es zu Beschuldigungen und Auftritten. Ribbentrop liest Henderson unsere ‚Vorschläge‘ auf deutsch vor. Henderson will sie, da sie lang und kompliziert seien, schriftlich haben. Ribbentrop verweigert sie, da sie ‚überholt‘ seien, und kehrt mit der freudigen Genugtuung in die Reichskanzlei zurück, Henderson eine gründliche Abfuhr erteilt zu haben.“56

Dies sind zwei oder drei Varianten einer Begebenheit, die zu den meistdiskutierten Vorgängen im Vorfeld des Kriegsausbruchs kurze Zeit später zählt. Henderson sollte später – wahrheitswidrig – behaupten, er habe die von Ribbentrop vorge­ lesenen Vorschläge akustisch wie inhaltlich nicht verstanden. Ebenso äußerte sich der polnische Botschafter Lipski, dem sie am Morgen danach ebenfalls vorgelesen 54 Zit. n. Hill, Papiere, II, S. 162. Aufzeichnung in Weizsäckers Tagebuch, Zuordnung und Datierung 30. VIII. 39 [T] von Hill. Aus der Edition geht nicht hervor, auf welche Weise das Datum im Original vermerkt ist. 55 Zit. n. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 259. 56 Zit. n. Hill, Papiere, S. 162. Aufzeichnung in Weizsäckers Notizen, Zuordnung und Datierung von Hill.

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und dann sogar schriftlich überlassen wurden, wobei er dem überbringenden britischen Beamten erzählte, er habe Anweisung aus Warschau, sich nicht für deutsche Vorschläge zu interessieren, weil die polnischen Truppen, begünstigt von inneren Unruhen in Deutschland, bald auf Berlin marschieren würden.57 Mit Blick auf das oben gesagte interessiert uns nun der Quellenwert der Darstellung, denn Weiz­ säcker verfaßte hier mehrere Schilderungen einer Begebenheit, bei der er nicht anwesend war und beschränkte sich nicht auf die Darstellung dessen, was er selbst gesehen hatte. Deutlich sind die Veränderungen in Weizsäckers Wortwahl. Sind die deutschen Vorschläge für Weizsäcker im Notizbuch ein „vernünftiger Kompromißplan“, so sind sie in der anderen Variante ironisch in Anführungszeichen nur als „Vorschläge“ bezeichnet, die zudem „lang und kompliziert“ seien. Beide Texte sind von der Erwartungshaltung in Berlin am Anfang bis zur angeblich „freudigen Genugtuung“ Ribbentrops am Ende von der Struktur jedoch so weit identisch, daß man sie als zwei unterschiedlich akzentuierte Varianten begreifen kann, gewissermaßen als zwei gleichermaßen konzipierte Darstellungsversuche. Dabei ist die Loseblatt-Notiz auf subtile Weise englandfreundlicher ausgefallen. Die leise Kritik an der englischen Reaktion auf das Aufgreifen des eigenen Vorschlags durch Berlin („zögerlich“) fehlt dort, ebenso die Erwähnung, daß die englische Regierung das Eintreffen eines polnischen Botschafters selbst angeboten hatte, dessen Herbeischaffung nun angeblich unmöglich war. In der Loseblatt-Variante scheitert dies plötzlich scheinbar nur aus logistischen Gründen. Hier ist schließlich statt einer deutschen Regierung, die in der Notizbuch-Fassung eine englisch-polnische Zusage aufgegriffen und dafür „vernünftige“ Angebote hat, eine bloß drängende, schauspielernde und sich schließlich verweigernde Regierung in Gestalt Joachim von Ribbentrops sichtbar. Ob eine dieser Darstellungen zutreffender ist als die andere und welche zeitlich den Vorrang hat, läßt sich nicht mit absoluter Sicherheit entscheiden. Eine Übersicht über die gesamten Eintragungen Weizsäckers in das von Hill als Tagebuch eingestufte Notizbuch deutet jedoch darauf hin, daß gerade diese Aufzeichnungen nicht nur dafür konzipiert waren, gefunden werden zu können, sondern auch dafür, gefunden werden zu sollen. Es sind insgesamt achtundzwanzig Einträge aus den Jahren 1938 und 1939. Sie beginnen mit dem 5. März 1938, als Ribbentrop dem kommenden Staatssekretär diesen Posten erstmals anbot und enden mit dem eben zitierten Eintrag über die Ereignisse des 30. August 1939. In diesen achtundzwanzig Einträgen gibt es – mit einer Ausnahme – kaum die leiseste Kritik an irgend einer Person oder irgend einer Maßnahme des Regimes. Ganz im Gegenteil. Die Person Hitler etwa, die aus diesen Darstellungen hervorgeht, ist die des „lieben Führers“, der das Staatsschiff vielleicht etwas emotional und unzureichend informiert, aber stramm patriotisch und durchaus kompromißbereit steuert.58 Das

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Vgl. Dahlerus, Versuch, S. 110. „Wer das Deutsche Reich und den Führer lieb hat, kann nicht zum Krieg raten“, will Weizsäcker am 22. Mai 1938 als einen „väterlichen“ Rat gegeben haben. Vgl. Hill, Papiere, II, S. 128.

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gleiche gilt für Mussolini. Ebenfalls positiv wird Hermann Göring dargestellt, etwas schwächer wird Ribbentrops Vorgänger als Außenminister, Konstantin von Neurath bewertet. Der starke Mann aber ist stets Ernst von Weizsäcker. Seine dort von ihm berichtete Wortwahl gegenüber Ribbentrop, Göring oder auch Hitler ist von Überlegenheitsbewußtsein gekennzeichnet, dann und wann von Respektlosigkeit. Er will für das Konzept der „chemischen Zersetzung“ der Tschechoslowakei verantwortlich gewesen sein, das sich schließlich gegen den Willen Ribbentrops durchgesetzt habe. Auch habe er schließlich geraten, nach dem Münchener Abkommen auf Polen „loszugehen“ und die Tschechen beiseite zu lassen, die doch entweder „die Laus im Pelz“ oder „die Krätze unter der Haut“ seien. Schließlich sei es Ribbentrop gewesen, der gegen den „skeptischen“ Hitler – und gegen Weizsäckers Rat – auf Krieg losgesteuert sei, unterstützt, wie an zwei Stellen angedeutet wird, durch Heinrich Himmler. Der „Ribbentrop“ in diesen Aufzeichnungen ist eine Karikatur. Die Aufzeichnungen selbst entlasten Hitler, Göring und vor allem Weizsäcker, der in offener Weise für ein notfalls auch durch Krieg zu erzwingendes Großdeutschland einschließlich des Korridors eingetreten sei. Dies ist höchstwahrscheinlich eine berechnete Darstellung, die auch im Jahr 1943 prozeßfähig gewesen wäre, während sie im Jahr 1945 und später vom Angeklagten Ernst von Weizsäcker aus guten Gründen verschwiegen wurde. Sie weicht teilweise weit von den nachweisbaren Äußerungen und Handlungen Joachim von Ribbentrops in den Jahren 1938/39 ab. Im Umfeld der europäischen Mai-Krise wegen der angeblichen deutschen Angriffsdrohung auf die Tschechoslowakei gibt es beispielsweise eine von jenen besonders kuriosen Eintragungen in Ernst von Weizsäckers „Tagebuch“. Demnach hätte er am 22. Mai 1938 einen Zusammenstoß mit Ribbentrop gehabt, weil Ribben­trop gefordert habe, die Tschechen zu provozieren, um einen Vorwand für einen Angriff auf die Tschechoslowakei zu haben.59 Das war nun aber gerade jener 22.  Mai 1938, an dem die Tschechoslowakische Republik nicht zuletzt auf Anregung Churchills selbst daran ging, einen Krieg mit Deutschland zu provozieren. Man ließ die eigene Armee mobilisieren, um einer angeblichen deutschen Drohung zuvorzukommen, von der man wußte, daß es sie nicht gab und verkündete hinterher stolz, die Deutschen zurückgeschlagen zu haben. Dies war in der Tat der laute Auftakt der deutsch-tschechischen Krise des Jahres 1938, und es war keineswegs nötig gewesen, die tschechische Seite zu provozieren. Es wäre auch keineswegs nötig gewesen, Ribbentrop an diesem Tag den von Weizsäcker behaupteten Rat zu geben, denn der hatte den tschechischen Botschafter ganz im Gegenteil förmlich angeschrien, die Tschechoslowakei solle mit ihren Provokationen auf­hören. Angesichts dessen ließ Außenminister Krofta am nächsten Tag den deutschen Gesandten Eisenlohr zu sich kommen und beschwerte sich über die Äußerung seines Kollegen Ribbentrop vom Vortag gegenüber tschechischen Diplomaten in Berlin. „Wenn Tschechoslowakei weiter Nachrichten über deutsche

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Vgl. Weizsäcker, Papiere, S. 128 (22. Mai 1938).

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Truppen­konzentrationen verbreite, könne dies zur Wirklichkeit werden“, hatte Ribbentrop gesagt.60 Möglicherweise stand Weizsäcker in seinen Anstrengungen für ein Großdeutschland inklusive Österreich, des Sudetenlands, Danzigs, Memels und des Korridors den Ambitionen der nationalsozialistischen Führungsriege in den Jahren 1938/39 vielleicht näher, als er dies später selbst wahrhaben wollte. Weizsäcker selbst hielt von seinen, letztlich auch als „Erinnerungen“ formulierten Darstellungen eher wenig, denn ihm war bewußt, wie sehr er sie unter dem Druck der Nürnberger Anklage in deren Sinn zurechtgeschnitten hatte. Die Lektüre der eigenen Worte machte wenig Freude: „Ich muß gestehen, daß mich heute das Wiederlesen des Sommers 39 ziemlich angegähnt hat. Nürnberger Atmosphäre.“61

Viel deutlicher mußte er kaum werden, und doch hielt er es für nötig, in den ‚Erinnerungen‘ noch an mehreren Stellen selbst auf die eigene Vorsicht bei den Aufzeichnungen hinzuweisen. Schon seine umfangreiche außenpolitische Notiz über die aus seiner Sicht notwendige deutsche Haltung zum Spanischen Bürgerkrieg, aus dem Winter der Jahre 1936/37, sei entsprechend geschrieben worden: „Die Notiz war so formuliert, daß sie allenfalls auch in die unrichtigen deutschen Hände geraten konnte – wie überhaupt fast alle meine privaten Notizen in der Hitler-Ära.“62

Diese Aussage macht klar, wie sehr Vorsicht gegenüber den einzelnen Einträgen und Notizen Weizsäckers angebracht ist. Weizsäcker erweitert sie aber an anderer Stelle noch einmal bemerkenswert: „Weshalb wurde der im September 1938 durch Chamberlains Erscheinen durchkreuzte Schritt (der Entmachtung Hitlers, d. Verf.) nun nicht im Frühjahr oder Sommer 1939 nachgeholt? Meine Notizen geben darüber keine Auskunft. Im Sommer 1938 und dann wieder in den Kriegsjahren 1940–42 habe ich öfters für mich als Gedächtnisstütze Niederschriften über das hingeworfen, was mich bewegte. Aus den ersten dreiviertel Jahren 1939 ist wenig vorhanden. Natürlich suchte ich meine Notizen so zu formulieren, daß sie mich oder Dritte und vor allem die Sache selbst nicht kompromittieren konnten.“63

Mit der Bemerkung, daß Weizsäcker hier das Jahr 1939 als Zeitpunkt für private Aufzeichnungen weitgehend ausklammert, und in den „Erinnerungen“ dennoch sehr spärlich und auch nicht ganz akkurat aus Notizbucheinträgen des Jahres 1939 zitiert wird, wollen wir diesen Exkurs an dieser Stelle beenden, indem wir Weiz

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Vgl. ADAP, D, II, Dok 177, S. 240. Brief Weizsäckers an seine Frau vom 18. September 1950 nach Lektüre seiner gerade veröffentlichten „Erinnerungen“. Zit. n. Blasius, Weizsäcker, S. 157. 62 Zit. n. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 138. 63 Zit. n. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 225. Einige Dutzend Seiten später findet sich noch einmal die Ermahnung an „wahrheitssuchende Geschichtsschreiber“, die besonderen Umstände der damaligen Zeiten bei der Analyse von Texten zu berücksichtigen. Vgl. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 264.

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säcker ein letztes Mal selbst das Wort geben. Er hat in seinen Erinnerungen von der Veröffentlichung von Dokumenten aus der NS-Zeit generell abgeraten, angeblich auch im Gespräch mit zwei amerikanischen Historikern, die ihn zur Publikation der späteren Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik befragten: „Selbst ganz private Notizen aus dieser Zeit trügen den Stempel der Sorge vor der Geheimen Staatspolizei oder waren sogar zu deren Täuschung angefertigt. Ironie, eine der besten Waffen in der Diktatur, sei vom Ernst oft nur schwer zu unterscheiden. Man laufe Gefahr, mit solchen Publikationen die Geschichte zu verwirren, statt sie aufzuklären.“64

In der Tat ist diese Gefahr gegeben und ein nicht kleiner Teil der zeitgeschichtlichen Forschung ist ihr nicht entgangen.65 Nicht nur die Gestapo läßt sich „täuschen“ und nicht nur sie sollte getäuscht werden. Mit dieser Feststellung können wir zu Betrachtungen über eine andere Person und deren Aufzeichnungen übergehen, die ganz wesentlichen Anteil an dem Bild hatte, das sich die Zeitgeschichte von der deutschen Außenpolitik vor 1945 macht. Diese andere Quelle, die das Bild Weizsäckers und damit Ribbentrops „in der historischen Forschung in hohem Maße bestimmt“,66 stellen Erich Kordts Bücher „Nicht aus den Akten“ und „Wahn und Wirklichkeit“ dar. Kordt war als Mitarbeiter des Auswärtigen Amts darum bemüht, eine wesentliche politische Rolle an der deutschen Regierung und dem Außenminister vorbei zu spielen und hat sie möglicherweise auch tatsächlich gespielt. Jedenfalls trugen seine und Weizsäckers im Jahr 1939 vor dem Kriegsausbruch nach London übermittelten Desinformationen über die Lage in Berlin und die nötige Härte gegenüber der angeblich sowohl schwachen als auch kriegsentschlossenen NS-Regierung zweifellos nicht dazu bei, die Situation zu entschärfen. Nach 1945 versuchten er und sein Bruder Theodor gemeinsam mit Ernst von Weizsäcker diese Rolle in einem positiven Licht zu zeichnen.67 Diese Anstrengungen begannen früh im Jahr 1948, noch unter der strengen Zensur der alliierten Militärbehörden,68 unter anderem in den Frankfurter Heften. Dort ergriff Erich Kordt selbst die Gelegenheit, sich als Mitglied eines antinationalsozialistischen Widerstands und einer für Großbritannien akzeptablen

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Zit. n. Weizsäcker, Erinnerungen, S. 386. Auch die Memoirenliteratur wurde teilweise zum Opfer solcher Täuschungen. So zitiert etwa Eugen Gerstenmaier, damals selbst Mitarbeiter im Auswärtigen Amt, zustimmend Weizsäckers Bedenken gegen die Verwendung von Aufzeichnungen aus dieser Zeit. „Der mani­ pulierte Bericht gehörte damals zum Handwerk“, schreibt Gerstenmaier, um unmittelbar darauf unter Berufung auf die Weizsäcker-Papiere dennoch darüber zu spekulieren, „daß Ribbentrop mehr noch als Hitler ernsten Friedensbemühungen abgeneigt war“. Vgl. Gerstenmaier, Lebensbericht, S. 126 f. 66 Vgl. Blasius, Weizsäcker, S. 7. 67 Rainer Blasius weist auf eine Abschrift im IfZ München hin, die sowohl Kommentare Erich Kordts zu Weizsäckers damals noch im Manuskript geplanten „Erinnerungen“ als auch dessen handschriftliche Gegenkommentare enthält. Vgl. Blasius, Weizsäcker, S. 6. 68 „Wahn und Wirklichkeit“ erschien „unter der Zulassungsnummer US-W-1101 der Nachrichtenkontrolle der Militärregierung“ und bediente folgerichtig sowohl die Allein- als auch die Kollektivschuldthese der deutschen Kriegsgegner. Vgl. Kordt, Wahn, S. 15 f.

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Politik zu profilieren. Das war eine Rolle, die ihm und Ernst von Weizsäcker durch seinen britischen Vorkriegsgesprächspartner Robert Vansittart inzwischen deutlich vernehmbar abgesprochen wurde.69 Unter dem Eindruck des Wilhelmstraßenprozesses, in dem sich Weizsäcker seit 1947 vor einem alliierten Gericht verantworten mußte, entstand dabei ein Bild des Staatssekretärs und seiner Gruppe als „Seher“, dem Selbstbild ganz ähnlich, das Weizsäcker in seinen Tagebuchaufzeichnungen von sich zeichnete. Kordt setzte 1950 mit „Nicht aus den Akten“ diese Selbstdarstellung für seine Person ebenfalls in Szene, wobei er, wie bereits der Titel andeutet, auf nachprüfbare Informationen weitgehend verzichtete und seinen Erinnerungsband damit zum gedruckten Gerücht in seiner vollendeten Form stempelte.70 Dessen ungeachtet wurde auch Kordt zum vielgelesenen Autor, und sein Einfluß ist in den wissenschaft­lichen Darstellungen, die sich mit dem Kriegsausbruch beschäftigen, vielfach spürbar. Generell ist es ein wenig erbauliches Unternehmen, Historikern oder Zeitzeugen im Einzelnen ihre absichtlich oder fahrlässig verbreiteten Fehlinformationen nachzuweisen. Dies wäre gerade in dieser Biographie umfassend möglich, doch soll wie bereits gesagt, das Anliegen dieser Untersuchung in der Überwindung jener zähen Klischees liegen, die Ernst von Weizsäcker 1949 bereits mit wenig Bedauern erfolgreich entstehen sah: „Merkwürdig, wie die ‚Widerstands‘-Literatur schon fast nicht mehr zu übersehen ist. Schon schreibt einer vom andern ab. Man kann gut dabei beobachten, wie geschichtliche Thesen geprägt werden. Und da sollen sich die Historiker zum Schluß herausfinden.“71

Die säuerliche Ironie, mit der Weizsäcker hier den „Widerstand“ kommentiert, läßt zusammen mit den anderen Beobachtungen in der Tat wohl den Schluß zu, daß sein „Widerstand“ 1938/39 wohl vor allem den Personen galt und dem eigenen Ehrgeiz geschuldet war. Weizsäcker glaubte, es besser zu können als Ribbentrop oder Hitler. Das politische Ziel des großdeutschen Nationalstaats hat er geteilt.

69 Vansittart unterstellte sowohl Kordt wie Weizsäcker, ihm gegenüber eigene Ambitionen auf eine deutsche Ostexpansion zu erkennen gegeben zu haben. Dies wird durch Tagebuch­ einträge Weizsäckers auch gedeckt. Vgl. Kordt, Kommentar, S. 1039 ff., Published under Military Government Information Control License Nr. US-W-2010. Die Frankfurter Hefte trugen unter dieser Aufsicht auch früh mit zur Legendenbildung im Fall Ribbentrop bei, so etwa Eugen Kogon, der dort 1946 einen Aufsatz über die britische Europapolitik publizierte, in dem er die kontrafaktische Behauptung aufstellte, Ribbentrop habe „nach einigen Aussagen“ von Zeugen, Hitler von seinem Respekt gegenüber England abgebracht und England als absteigende Macht bezeichnet. Vgl. Kogon, Europapolitik, S. 660. 70 Wo Kordts Behauptungen doch prüfbar waren, konnten ihm Ungenauigkeiten nachgewiesen werden, so etwa von Rainer Blasius. Vgl. Blasius, Weizsäcker, S. 145 ff. Auch Theo Sommer weist auf etliche „Irrtümer“ in den Darstellungen von Kordt und auch Weizsäcker hin und auch darauf, daß Kordt bestimmte Auffassungen manchmal diesem und manchmal jenem „in den Mund legte“. Vgl. Sommer, Mächte, S. 118 bzw. S. 193. 71 Weizsäcker am 8. März 1949 an seine Frau, zit. n. Blasius, Weizsäcker, S. 157.

4. Der Jurist und seine Wende

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4. Der Jurist und seine Wende Ribbentrops Entscheidung, als neuer Minister nicht umfassend in die Verhältnisse des AA einzugreifen, zeigte sich in personellen Kontinuitäten wie der Berufung des naheliegenden Kandidaten Ernst von Weizsäckers zum Staatssekretär, aber auch im Rückgriff auf altgediente Beamte in anderen Bereichen. Zu seinen wichtigsten Mitarbeitern gehörte bis 1945 Friedrich Gaus, der Leiter der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt. Friedrich Wilhelm Gaus hatte in dieser Position wesentlichen Anteil an der juristischen Begründung und Bewertung fast aller deutschen außenpolitischen Entscheidungen der 1930er Jahre, auch vor Ribbentrops Amtsantritt. Wie der Außenminister selbst dürfte sich Gaus vor 1932/33 kaum vorgestellt haben, jemals in die Verlegenheit zu kommen, unter einer nationalsozialistischen Regierung als Mitarbeiter des Auswärtigen Amts zu agieren. Ziemlich genau ein Vierteljahrhundert früher war Gaus im Jahr 1907 ins Auswärtige Amt eingetreten, als promovierter Jurist und wegen seiner Herkunft aus einer Bauernfamilie zugleich als sozialer Außenseiter.72 Im Auswärtigen Amt führte wie auch sonst im wilhelminischen Deutschland der Adel die gesellschaftliche und politische Rangliste an, allerdings bedrängt durch die Änderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse und innerhalb des Auswärtigen Amts besonders durch die neuen Anforderungen an die Außenpolitik, die durch die formal explosionsartig anwachsende Verrechtlichung der Internationalen Beziehungen entstanden war. Die wirtschaftliche und völkerrechtliche Vernetzung der Weltpolitik führte zu einem steten Bedarf an juristischer Beratung über Vertragstexte und damit zu einer vermehrten Bedeutung der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amts im täglichen Gang der Geschäfte, die sich auch in personellem Wachstum ausdrückte. Dies bedeutete kaum eine Verbesserung der moralischen Legitimität der Politik des imperialistischen Zeitalters, aber es schuf die Notwendigkeit, den jeweils aktuellen politischen Schritten wenigstens den Schein einer rechtlichen Begründung aufgrund angeblich bestehender internationaler Rechtsnormen oder bereits unterschriebener Verträge zu geben. Gaus machte Karriere und konnte 1919 als Leiter der Rechtskommission innerhalb der deutschen Delegation in Versailles beides erleben: Die exzessive Ausdehnung der rechtlichen Einzelbestimmungen auf einer Konferenz mit Tausenden von Teilnehmern verschiedenster Staaten und Interessengruppen erreichte in Versailles ein bis dahin nicht vorstellbares Ausmaß. Andererseits führten die Verhandlungen unter anderem gerade wegen dieser Dimension in vielen Fällen zu keiner Einigung, sondern zu den Willkürbestimmungen des Versailler Vertrags über Grenzziehungen, Handelsrechte und besonders die im Vertragstext unbegrenzten deutschen Reparationszahlungen. So weit Einzelpunkte noch nicht verbindlich geregelt waren, würde Deutschland später gefallene Entscheidungen anerkennen. Der „Economist“ nannte den ganzen Vertrag 1919 insgesamt „mehr 72 Allerdings kann ein Großbauer wie der Vater von Gaus mit einem Hof von fünfzig Hektar Fläche durchaus als wohlhabend bezeichnet werden, auch wenn Gerhard Stuby dies bezweifelt. Vgl. Stuby, Gaus, S. 34.

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oder weniger einen Blankoscheck“.73 Diesen Blankoscheck nun hatte Deutschland nach der Zurückweisung aller deutschen Verhandlungsvorschläge ohne Änderung und unter der Drohung von nicht nur symbolisch vorgehaltenen Waffen zu unterzeichnen. Das Völkerrecht befand sich auf einem formalen Höhepunkt und einem moralischen Tiefpunkt zugleich. Friedrich Gaus hatte dies an Ort und Stelle miterlebt, wobei sich nur darüber spekulieren läßt, welchen Eindruck dies bei ihm hinterließ. In den folgenden Jahren gesellten sich zu den Versailler Erlebnissen noch die Auswirkungen des Vertrags selbst in Gestalt von außenpolitischen Erpressungsmanövern der Siegermächte, willkürlichen Besetzungen von Teilen des deutschen Staatsgebiets und eines französischen Abrüstungskontrollregimes, das sich als Vorwand für aus­giebige Industriespionage herausstellte. Das Auswärtige Amt sah sich mit all diesen Vorgängen konfrontiert und zweifellos haben die phantasievollen Interpretationen des Friedensvertrags durch die Sieger74 auch die Methoden der deutschen Außenpolitik beeinflusst. Die Weiterentwicklung seiner Karriere innerhalb des Auswärtigen Amts ging danach jedenfalls zügig voran. Große Entscheidungen wie den Rapallo Vertrag und den Berliner Vertrag mit der UdSSR bereitete er durch juristische Stellungnahmen vor und der Locarno Vertrag mit den Westmächten von 1926 mit seinen Schiedsgerichts-Bestimmungen und seinem Doppelstatus für Deutschlands östliche und westliche Grenzen wurde im Auswärtigen Amt gern als Ausdruck eines „Systems Gaus“ bezeichnet.75 Den Regierungsantritt der Nationalsozialisten nahm er nicht als große Zäsur wahr. Im Auswärtigen Amt änderte sich lange Zeit vergleichsweise wenig. Die dortigen Spitzenbeamten trieben eine Außenpolitik, deren letzte Revisionsziele in Sachen Aufrüstung, großdeutscher Anschlußpolitik in Bezug auf Österreich und umfassender Grenzkorrektur gegenüber Polen sich von den nationalsozialistischen Absichten in diesen Punkten nicht unterschieden. Zugleich wähnte man sich im AA den Nationalsozialisten gegenüber im Besitz der besseren Einsichten über die internationalen Verhältnisse, so daß eine Differenz blieb, die gelegentlich in Sabotage der NS-Politik münden konnte, allerdings weniger aus „Widerstands-“ als aus Konkurrenzdenken und Überlegenheitsgefühl. So blieb Gaus nach 1933 auf seinem Posten und war es immer noch, als Joachim von Ribbentrop Außenminister wurde und in der Zusammenarbeit mit Gaus ein „Intimverhältnis“76 begründete. Dieser Schritt Ribbentrops deutet darauf hin, daß er sich der Schwierigkeiten seines Quereinstiegs als Chef einer Behörde mit derart ausgeprägtem elitärem Bewußtsein durchaus bewußt war. Seine Entscheidung für Ernst von Weizsäcker als Staatssekretär und die für Friedrich Gaus als engem

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Zit. n. Wüest, Vertrag, S. 45. Den Vorwand zur Besetzung des Ruhrgebiets durch belgisch-französische Truppen lieferte ein angeblicher deutscher Rückstand bei der Lieferung hölzerner Telegraphenmasten, was die englische Delegation als den übelsten Gebrauch von Holz seit dem Bau des trojanischen Pferdes bezeichnete. Vgl. Gathorne-Hardy, Politik, S. 63. 75 Vgl. Stuby, Gaus, S. 107 ff. 76 Vgl. Stuby, Gaus, S. 340.

4. Der Jurist und seine Wende

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persönlichen Berater in juristischen Fragen und Mitglied seines persönlichen Stabs erhielt die Kontinuität im Auswärtigen Amt weiter aufrecht. Gerade Gaus, der seit 1919 einen großen Einfluß auf die formalen Details und über diesen Weg auch auf die Inhalte der deutschen Außenpolitik ausgeübt hatte, stellte für den Nichtjuristen Ribbentrop einen idealen Berater dar, an dessen Kompetenz im AA niemand zweifeln konnte. Ribbentrop ließ sich konsequenterweise in der Folgezeit intensiv von Gaus beraten, sowohl im Vorfeld des Münchener Abkommens wie im Vorfeld des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts und später während des Krieges. Gaus erhielt dafür im März 1943 eine von Hitler persönlich unterschriebene Ernennungsurkunde als Botschafter zur besonderen Verwendung. Sie enthielt die Formulierung: „Zugleich sichere ich ihm meinen persönlichen Schutz zu“. Über den Grund und den Wert einer solchen Auszeichnung lassen sich unterschiedliche Meinungen vertreten. Sie war in jedem Fall ungewöhnlich und konnte sehr wirksam sein.77 Gaus kam als Teil der Funktionselite des Deutschen Reichs seit Wilhelminischen Zeiten wie so viele andere in die Situation, seit 1933 auch der nationalsozialistischen Regierung zu dienen. Zehn Jahre nach Hitlers Regierungsantritt genoß er demonstrativ Vertrauen. Ließ ihn dies trotzdem noch wenig ins Licht der Öffentlichkeit treten, so wurde er Deutschlandweit als Kronzeuge der Nürnberger Anklage bekannt. Seine früheren Kollegen schnitten ihn seitdem. Öffentlich angegriffen wurde er gar als „Hure des Auswärtigen Amts“, denn da er in Nürnberg und den Folgeprozessen straffrei blieb, unterstellte man ihm, seine Freiheit durch entsprechende Aussagen erkauft zu haben. Dies mag auch zutreffen, wobei der tatsächlich durch die amerikanische Anklagebehörde ausgeübte Druck zweifellos auf eine bei Gaus vorhandene Neigung traf, sich mit den jeweiligen Verhältnissen schnell zu arrangieren und den jeweiligen Entscheidungsträgern ein wertvoller Diener zu sein. William Donovan, der Gründer und Leiter des zentralen amerikanischen Geheimdienstes OSS, meinte eine ähnliche Mentalität bei vielen hohen deutschen Funktionären ausgemacht zu haben und plante den Nürnberger Prozeß auf der­ artigen Aussagen hochrangiger Deutscher gegeneinander aufzubauen. Er ging eine heftige Kontroverse mit Chefankläger Robert Jackson ein, der den Prozeß vorrangig auf Dokumente und nicht auf Zeugen stützen wollte. Jackson konnte sich durchsetzen. Aussagen wie die von Gaus, der sich in gewünschter Weise über die Außenpolitik des Dritten Reichs äußerte, blieben im Nürnberger Hauptprozeß die Ausnahme. Allerdings trug sein dortiger Auftritt einen Teil dazu bei, Ribbentrop als Mitverantwortlichen für einen angeblich unprovozierten Angriffskrieg zum Zweck der Welteroberung zu verurteilen. 77 Gerhard Stubys Kommentar, Hitlers Schutzerklärung habe „lediglich deklaratorische Bedeutung“ gehabt und dem Beamtenstatus „nichts hinzugefügt“, ist nicht ganz nachvollziehbar, da hiermit im Deutschland des Jahres 1943 jede behördliche Maßnahme gegen Gaus als ­Affront gegen Hitler persönlich gewertet werden konnte und damit vor schwere, wenn nicht unüberwindliche Hindernisse gestellt war. Vgl. Stuby, Gaus, S. 402.

VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat: Das Hitler-Ribbentrop Programm 1937/38 1. Die Bülow-Denkschrift von 1933 Zum Verständnis und zur historischen Einordnung von Hitlers territorialen Zielen, die der neue Außenminister Ribbentrop ab 1938 verwirklichen sollte, wollen wir einen Blick auf die außenpolitischen Vorstellungen werfen, denen die etablierten Kreise im Auswärtigen Amt während der späten Weimarer Ära nachhingen. In diesem Zusammenhang ist eine grundsätzliche Denkschrift interessant, die der damalige Staatssekretär Bernhard von Bülow im März 1933 vorgelegt hat. Sie behandelte allgemein „Die außenpolitische Lage Deutschlands“.1 Diese Lage war damals insofern ernst, als der Einmarsch fremder Staaten auf deutsches Gebiet eine ständige Drohung sei. Frankreich und Polen hätten im Vorjahr 1932 einen Krieg gegen Deutschland konkret erwogen.2 In Bezug auf Polen entsprach dies dem, was Hitler noch vier Jahre später laut der Hoßbach-Niederschrift befürchtete: Polen würde jede Schwäche zu einem offensiven Vorgehen gegen Deutschland ausnutzen. Darüber hinaus entwarf Bülow einen Katalog notwendiger Strategien für verschiedene politische Problemstellungen. Außenminister Neurath sprach diese Punkte bei einer Kabinettssitzung am 7. April 1933 ausführlich an. Er stützte sich dabei auf Bülows Denkschrift.3 Demnach beruhte die einzige Sicherheit Deutschlands vor polnischen oder französischen Angriffen im Jahr 1933 lediglich auf dem Locarno-Pakt, der Frankreich die Offensive juristisch erschwerte und der polnischen Furcht vor der Sowjetunion, die einen polnischen Angriff auf Deutschland für einen Angriff auf Polen ausnutzen könnte. Beide Staaten hätten aber in der Tat dennoch mit Präventivkrieg gedroht.4 Militärisch war diesen Plänen von deutscher Seite auf absehbare Zeit nichts entgegenzusetzen. Bülow hatte fünf Jahre angesetzt, um auch nur eine

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2

Vgl. Wollstein, Denkschrift, S. 82, sowie ADAP, C, I, Dok. 142. Vgl. Wollstein, Denkschrift, S. 84. 3 Vgl. ADAP, C, I, Dok. 142. Das Protokoll der Kabinettssitzung ist im außenpolitischen Teil im wesentlichen eine gekürzte Fassung der Bülow-Denkschrift. 4 Vgl. ADAP, C, I, Dok. 142, S. 255 f. In der Tat wartete die Moskauer Führung auf eine solche Gelegenheit, Polen anzugreifen, die sich aber ärgerlicherweise nicht einzustellen schien. „Vor drei Jahren hat man uns gesagt, daß wir zwei bis drei Jahre brauchen, dann überfallen wir selbst“, empörte sich Semjon Budjonny am Rande einer Regierungssitzung Anfang der dreißiger Jahre. „Und jetzt bitten wir um fünf Jahre. Nach dem, was hier über unsere Bereitschaft vorgetragen wird, glaube ich, daß wir dazu mit jedem Jahr immer weniger in der Lage sein werden.“ Zit. n. Musial, Angriffskrieg, S. 45 f.

1. Die Bülow-Denkschrift von 1933

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militärische Parität mit Polen zu erreichen.5 Neurath nannte ungeachtet dessen als mögliche langfristige territoriale Revisionsziele den Wiedererwerb des Saarlands über den Weg der gelassen abzuwartenden Volksabstimmung. Auf ElsaßLothringen verzichtete er bei dieser Gelegenheit ausdrücklich. Eupen-Malmedy sollte mit Hilfe von finanziellen Kompensationen eventuell von Belgien zurückgewonnen werden. Weiter nannte er den vorerst noch nicht zu verfolgenden „Anschluß Österreichs“, den ebenfalls vorerst aus taktischen Gründen gegenüber Litauen noch zu verschweigenden Transfer des litauisch besetzten Memelgebiets zu Ostpreußen und eine „totale Lösung“ bei der Umgestaltung der Ostgrenze. Eine Sonderlösung für Danzig sei abzulehnen, weil Danzig nur ein Teil des Korridorproblems sei. Bemerkenswert an diesen längeren Ausführungen sind zunächst sowohl das Fehlen der Tschechoslowakei und des damit verbundenen sudetendeutschen Problems als Programmpunkte. Die Sudetendeutschen stellten unter dem angesprochenen „Deutschtum in den abgetretenen Gebieten“ die größte Gruppe unter nicht-deutscher Verwaltung,6 aber ihre spezielle Situation wurde nicht näher betrachtet. Auffällig war dagegen der ausgesprochen antipolnische Zug, den Neurath erkennen ließ: „Eine Verständigung mit Polen ist weder möglich noch erwünscht. Die Spannung zu Polen muß schon aus dem Grunde erhalten bleiben, damit das Interesse der Welt an einer Revision der deutsch-polnischen Grenze nicht einschläft. Daß Polen mit dem Gedanken eines Prä­ ventivkriegs wegen unserer territorialen Forderungen spielt, ist bekannt. Unsere Politik muß daher mit großer Vorsicht operieren und Einzelaktionen vermeiden.“7

Was die Methoden anging, so setzte Neurath auf Einzelrevision auf den genannten Themengebieten, Man dürfe keine Gesamtrevision in alle Richtungen anstreben, sondern müßte jeden Punkt einzeln lösen. Dies ging direkt auf Bülow zurück, der sich in seiner Denkschrift von einer Abfolge von Einzelaktionen am Ende ein besseres Gesamtergebnis versprochen hatte als von einer Gesamtlösung mit der „Gefahr“ eines Kompromißcharakters.8 Allerdings hatte Bülow gegenüber Polen noch radikaler formuliert: „Nur noch eine Teilung Polens“.9 Diese Teilung dachte er sich offenkundig als eine Teilung zwischen Deutschland und der UdSSR. Die eigene „staatspolitische Einstellung“ gegenüber der Sowjetunion müsse unabhängig von dem Kampf gegen den innerdeutschen Kommunismus positiv sein. Das bedeutete gegenüber Polen notwendig Krieg, was im gedruckten Manuskript nicht ausdrücklich steht, aber aus dem Gesagten deutlich hervorgeht. Setzt man diese Planungen des Frühjahrs 1933 in Bezug zur nachfolgenden deutschen Außenpolitik sowie zur politischen Realität des Jahres 1938, als Ribbentrop das Außenministerium von Neurath übernahm, lassen sich sowohl Unter

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Vgl. Wollstein, Denkschrift, S. 83. Vgl. Wollstein, Denkschrift, S. 85. 7 Zit. n. ADAP, C, I/1, Dok. 142, S. 259. 8 Vgl. Wollstein, Denkschrift, S. 84. 9 Vgl. Wollstein, Denkschrift, S. 86, Hervorhebung im Original.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

schiede wie Gemeinsamkeiten in den politischen Konzepten Ribbentrops – Hitlers auf der einen und dem Auswärtigen Amt auf der anderen Seite beobachten. Was die Gemeinsamkeiten angeht, so konnte Neurath angesichts seines eigenen Vortrags von 1933 keineswegs grundsätzlich negativ überrascht sein, als Hitler am 5. November 1937 erklärte, in absehbarer Zeit die Phase aktiver territorialer Re­ vision einleiten und dafür notfalls auch Waffengewalt einsetzen zu wollen. Über­ raschend „aggressive Tendenzen“, wie sie Neurath vor dem Nürnberger Gerichtshof Hitler attestierte, hatte er hier selbst schon 1933 gezeigt. Überrascht sein konnte Neurath allenfalls von der Richtung, in die Hitler gehen wollte. Statt einer „totalen Lösung“ der Ostgrenzenrevision sprach der Staats- und Parteichef am 5. November 1937 und auch später von Polen als zu fürchtendem Gegner, dessen Grenzen er zu dessen Beruhigung und zum Gewinn Polens als Bündnispartner im weiteren Verlauf zu respektieren gedachte. Eine Revision strebte er nur in Bezug auf Danzig an, also genau das, was Neurath wie Bülow 1933 ausdrücklich als unerwünschte „Sonderlösung“ ausgeschlossen hatten.10 Bald nach Neuraths Vortrag tat Hitler den ersten entgegengesetzten Schritt, indem er einen Nichtangriffspakt mit Polen schloß, statt die dortigen Spannungen – wie vom Auswärtigen Amt ausdrücklich gewünscht – aufrecht zu erhalten. Im weiteren fasste Hitler schließlich 1937 Österreich und die Tschechoslowakei als Ziele territorialer Revision ins Auge, mit deren Durchsetzung er Ribbentrop beauftragte. Dagegen waren es im „Osten“ mit Danzig und Memel wesentlich geringere Ziele, als sie Bülow und Neurath 1933 vorgeschwebt hatten – der dann nach der Aufteilung der Tschechoslowakei sinnigerweise ausgerechnet der oberste deutsche Repräsentant im tschechischen Böhmen und Mähren werden sollte. Zusammengefaßt zeigen sich erhebliche Übereinstimmungen zwischen den konservativen Eliten im Auswärtigen Amt und der nationalsozialistischen Formulierung der Außenpolitik. Beide akzeptierten Krieg oder Kriegsdrohung als Mittel der Politik, beide setzten auf bilaterale Revision des Versailler Vertrags in Einzel­ fragen, beide zielten in territorialer Hinsicht auf eine – wenn auch etwas unterschiedlich akzentuierte – (groß)deutsche Vereinigung. Die Frage, warum Teile der deutschen bürgerlich-konservativen Eliten im Auswärtigen Amt sich dieser Politik zur Verfügung stellten, findet schlicht darin ihre Erklärung, daß sie diese Ziele dieser Außenpolitik teilten.11 Das galt auch noch für die Widerstandskreise um 10 Es sei noch einmal erwähnt, daß auch Ernst von Weizsäcker es für angemessen hielt, in seinen Privataufzeichnungen eine gegen Hitlers und Ribbentrops zurückhaltende Polenpolitik gerichtete Empfehlung zu hinterlassen. Auf einem von Herausgeber Hill auf den Februar 1939 datierten Papier hält Weizsäcker fest, er habe Ribbentrop im Dezember 1938 empfohlen, „Polen auf das uns genehme Größenmaß als Puffer gegen Rußland zu reduzieren“ und zwar durch „Erwerb Memels und Danzigs, sowie einer festen Landbrücke nach Ostpreußen“. Zit. n. Hill, Papiere, II, S.  150. Auch wenn die Authentizität der Weizsäcker Aufzeichnungen fragwürdig ist, ist dies ein Indiz für eine Stimmung im Auswärtigen Amt, die einem polnischen Kom­ promiß ablehnend gegenüberstand. 11 Gerhard Stuby vermutet hinter diesen Ambitionen von Bülow und Neurath „weiter ausgreifende Intentionen“, die „Weltherrschaftspläne Wilhelminischen Musters nicht ausschlie-

1. Die Bülow-Denkschrift von 1933

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­ oerdeler, die in ihrer geplanten Regierungserklärung „den Bestand, die UnabhänG gigkeit, die Lebensbetätigung und die Sicherheit des deutschen Reichs und Volks gewährleistet und gegenüber Polen im wesentlichen die alte Reichsgrenze wiederhergestellt wissen wollten“.12 Selbst die Attentäter des 20. Juli 1944 forderten in ihrem außenpolitischen Programm noch ein beachtliches Stück Vorkriegspolen. Doch trafen sich genau diese Ziele eines vereinten deutschen Staates mit gegen­ läufigen Éxpansionsabsichten, wie sie in slawischen Ländern entwickelt wurden. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts deutete sich unter dem Stichwort „Panslawismus“ an, daß diese Absichten auf eine umfassende Vernichtung deutschen Siedlungsgebiets hinauslaufen konnten. Hundert Jahre später kam man darauf zurück, denn zu den Vorbereitungen, die man in Moskau für eine kommende Auseinandersetzung mit Deutschland traf, gehörten auch Neuauflagen deutschsprachiger Schriften von Karl Marx. 1941 erschien unter anderem „Herr Vogt“, seine Polemik gegen den deutschen Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und französischen Geheimagenten Carl Vogt13, die passagenweise geradezu deutschnational gehalten war, da gerade die von Vogt vertretenen Länder Frankreich und Rußland in den Augen von Marx damals als bonapartistische und zaristische Autokratien die Hochburgen der Reaktion darstellten. Aber es ging nicht nur um die mögliche Restauration von Feudalherrschaft und Bonapartismus in Deutschland. Marx empörte sich über den damit verbundenen Angriff auf das nationale Leben selbst. Vogt hatte sich nicht gescheut, für Frankreich die Rheingrenze und ergänzend für Rußland ein weites Aus­greifen nach Westen vorzuschlagen. Geographischer Dreh- und Angelpunkt war für ihn die angeblich rein slawische Identität Böhmens und Mährens. Marx goß seinen ganzen beachtlichen Hohn über die daraus entwickelten Pläne aus, die von Deutschland wenig übrigließen, nämlich in etwa das, was 1945 tatsächlich übrigblieb: „Für den russischen Panslawisten Vogt, der Böhmen zu seiner Verfügung hat, kann da keine Frage sein, wo die natürliche Grenze des slawischen Reichs ist. Sie geht von Meseritz direkt auf Lieberose, von da südlich von dem Durchbruch der Elbe durch die böhmischen Grenzberge, und folgt weiter der West- und Südgrenze Böhmens und Mährens. Was weiter östlich ist, ist slawisch; die paar deutschen Enklaven und sonstige Eindringlinge auf sla­wisches Gebiet können der Entwicklung des großen slawischen Ganzen nicht länger im Wege stehn; ohnehin haben sie kein Recht da, wo sie sind. Dieser ‚panslawistische Zustand‘ einmal hergestellt, findet sich von selbst, daß im Süden eine ähnliche Rektifikation der Grenzen nötig ist. …

ßen“. Einen Beleg dafür gibt es nicht. Auch wird die Vorstellung, ein Deutschland in den genannten historisch-ethnischen Grenzen des Alten Reichs hätte „Weltherrschaft“ ausüben wollen oder können, durch ständige Wiederholung zwar bekannter, aber keineswegs reali­ stischer. Vgl. Stuby, Gaus, S. 320. 12 Zit. n. Hassell, Deutschland, S. 381. 13 Carl Vogt, 1817–1895, Biologe, 1848 Abgeordneter für Gießen, Radikaldemokrat, seit 1852 Professor in Genf.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

Wir Deutsche verlieren bei dieser Operation  – weiter nichts als Ost- und Westpreußen, Schlesien, Teile von Brandenburg und Sachsen, ganz Böhmen, Mähren und das übrige Östreich (sic) außer Tirol (wovon ein Teil dem italienischen ‚Nationalitätsprinzip‘ zufällt) – und unsere nationale Existenz in den Kauf!“14

Man könnte Marx aus dem Blick von 1945 fast prophetische Eigenschaften unter­stellen, so ähnlich sind die von ihm als Schreckensvision skizzierten Grenzen den damals tatsächlich gezogenen. Tatsächlich zeigen diese Zeilen jedoch einmal mehr die jahrzehntelange ideologische Vorbereitung des Vernichtungskriegs gegen die staatliche deutsche Existenz und gegen die deutsche Siedlungsstruktur, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts seit Jahrhunderten bestand. Daß Deutsche östlich dieser von Marx erwähnten Grenzambitionen „kein Recht“ hätten, gehörte zu den steten Themen panslawistischer Agitation seit dieser Zeit. Die Kriege zwischen 1914 und 1945 sollten diese Fragen im Sinn dieser aggressiven Vorstellungen entscheiden. Wenn Deutschland sich nicht als das behaupten konnte, was es laut dem von Hitler verkündeten Programm territorial sein sollte, eben das Deutschland in den Grenzen von 1860, als Marx seine Polemik gegen Vogt veröffentlichte, dann bedeutete dies den Totalverlust der deutschen Existenz, wie man sie bis dahin kannte. Wo immer sich die verschiedenen Dogmen von Grenz­ziehungen publizistisch oder politisch gegen den deutschen Siedlungsraum einsetzen ließen, wurden sie wechselweise verwendet, entweder als „natürliche Grenze“ (Brenner, Rhein), als „ethnische Grenze“ (Sorben-Wenden) oder eben als Wiedergutmachung histo­rischer Fehlentwicklungen (Oder-Neisse, Böhmen, Mähren), oder als hinzu­nehmende historische Tatsache (Elsaß). Zusammengenommen bedeutete dies das Ende Deutschlands, wie es bis dahin bestanden hatte. 2. Ribbentrops Bilanz und Prognose „Die am 31.  März 1939 ausgesprochene englische Garantie Polens war ein Bluff sondergleichen. Damit begann jenes gefährliche Spiel, sich auf diplomatisch-ökonomische Weise Verbündete zuzulegen, statt eine schlagkräftige, aber kostspielige Armee. Die Garantie Polens diente nicht der Sicherheit dieses Landes, sondern seinem sicheren Verderben in der ersten Hälfte des Septembers. Nicht als ob Großbritannien damit die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs unterstellt werden sollte. Dieser war zweifellos durch die Lebensraumstrategie Hitlers vorprogrammiert. Aber an den Umständen, die zu seinem Ausbruch führten, war London maßgeblich beteiligt.“ Lothar Kettenacker15

Als Ribbentrop im Dezember 1937 zurück nach Deutschland ging, zog er in einem persönlichen Bericht für Hitler die Bilanz, daß in England ein Angriffskrieg gegen das Deutsche Reich geplant werde, der „früher oder später“ in jedem Fall

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15

Zit. n. Marx, Vogt, S. 130 f. Zit. n. Kettenacker, Diplomatie, S. 250, in: Benz (Hrsg.) „Sommer 1939“ Stuttgart 1979.

2. Ribbentrops Bilanz und Prognose

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stattfinden würde, sobald Rüstung und Bündnisse vorhanden seien. Die Schluß­ folgerungen, die er in einem speziell und exklusiv für Hitler verfassten Papier zog, waren eindeutig: „Jeder Tag, an dem in Zukunft – ganz gleich, welche taktischen Zwischenspiele der Verständigung mit uns versucht werden sollten – unsere politischen Erwägungen nicht grundsätzlich von dem Gedanken an England als unseren gefährlichsten Gegner bestimmt würden, wäre ein Gewinn für unsere Feinde.“16

Jahre später, nach dem Kriegsausbruch von 1939 und in der Nachkriegszeit fand sich der kommende Außenminister, der hier am Jahreswechsel 1937/38 einen englischen Angriff auf Deutschland prognostiziert hatte, häufig als derjenige denunziert, der England angeblich als schwach und vollkommen unfähig zum Krieg bezeichnet haben sollte. Dies traf nicht nur bei dieser Gelegenheit keineswegs zu. Ribbentrop erläuterte Hitler zur Begründung die innenpolitischen Verhältnisse in England ausführlich, wie er sie sah und sprach dabei von England als einem starken, möglicherweise auch unprovoziert kommenden und außerdem entschlossenen Gegner. Sein „Hauptbericht London A 5522“ vom 28.  Dezember 1937 galt nach 1945 für mehrere Jahrzehnte als verschollen. Er hat bei seinem Auftauchen17 den Informationsstand über die Politik des späteren Außenministers erheblich erweitert. Die Neigung der Zeitgeschichtsforschung, das gegenseitige Abschreiben alter Vorurteile für den Ausdruck von Forschungsdiskurs zu halten, verhinderte allerdings die Umsetzung des neuen Informationsstands zu einem Informationsstandard. Das ist bedauerlich, denn der Bericht erlaubt etliche Schlußfolgerungen in Bezug auf Ribbentrops Politikverständnis, sowie über die Motive Hitlers, der ihn wenige Wochen später zum Außenminister ernannte. In diesem Text, den er im Gegensatz zu den Schlußfolgerungen daraus sowohl dem Staatschef als auch seinem Vorgesetzten, Außenminister Neurath zukommen ließ, versetzte sich Ribbentrop eingangs in die britische Situation hinein. Er skizzierte die verschiedenen Bedrohungslagen aus Sicht der britischen Inseln und kam schließlich zu der ersten Feststellung, sämtliche Länder westlich der deutschen Grenze seien unverzichtbarer Teil  des englischen Sicherheitssystems. Deutschland hätte aufgrund seiner geographischen Lage, anders als Italien und Japan, alleine die Möglichkeit, das „Herz des britischen Imperiums“, also die Inseln zu be­drohen.18 Aktuell fühle man sich in London durch alle drei genannten Staaten bedroht, wenn auch auf unterschiedliche Weise, und rüste deswegen mit einem



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17

Vgl. IMT, Bd. XXXIX, Dok. 075 TC. Erstmals vollständig im Jahr 1974 publiziert in Ribbentrop, Kriegsschuld, S.  61 ff.. Im Jahr 1994 wurde der einzig bekannte „Durchschlag für den Gesandten“ vom Foreign Office dem Auswärtigen Amt zurückgegeben und dort zusammen mit den bereits länger bekannten „Schlußfolgerungen“ aus diesem Bericht als PA AA R 28895a abgelegt. Sonstige politische Akten der deutschen Botschaft in London sind für die Jahre 1937/38 nicht überliefert, auch die Durchschläge für den Staatschef und den Reichsaußenminister sind nicht überliefert. 18 Vgl. PA-AA R 28895a, S. 3.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

„gewaltigen Rüstungsprogramm“ auf.19 Als Zugeständnis an Deutschland seien die denkbar deutschfreundlichsten Kreise vielleicht geneigt –– einige Kolonien zurückzugeben –– die Österreichfrage offen zu lassen (bzw. offen werden zu lassen) –– die Lage der Sudetendeutschen zu verbessern im Gegenzug zu –– deutschen Nichtangriffsgarantien gegenüber allen Nachbarstaaten –– Lösung weiterer Probleme ausschließlich auf dem Verhandlungsweg –– Rüstungsbegrenzung. Dies sei das Höchstmaß an Zugeständnisbereitschaft, das Ribbentrop aus­ gemacht zu haben meinte, obwohl er ausdrücklich selbst den Regierungschef ­Neville Chamberlain und den kommenden Leiter der außenpolitischen Geschäfte, Lord Halifax, nicht mehr wirklich dieser Fraktion der Friedensgeneigten zuordnen wollte. Vielleicht habe die im Vormonat durch Chamberlain gebilligte Deutschlandreise von Halifax, auf der er auch Hitler getroffen hatte, nur „Alibi“-Charakter gehabt.20 Dies hatte offenbar langfristige Auswirkungen auf Hitlers Chamberlainbild, der sich über dessen angeblich vorgetäuschte Kompromissbereitschaft während der Tschechoslowakeikrise noch 1945 in seinen letzten Diktaten er­eifern konnte: „In den Tagen von München ist es mir klar geworden, daß die Feinde des Dritten Reiches um jeden Preis unseren Kopf verlangten und daß es keine Verhandlungsbasis mit ihnen gab. Als der plutokratische Bourgeois Chamberlain mit dem friedlichen und trügerischen Regenschirm sich dazu herabließ, auf den Berghof zu fliegen, um mit einem Emporkömmling namens Hitler zu konferieren, da wußte er bereits, daß England uns einmal den Kampf bis aufs Messer ansagen würde. Er war bereit, mir das Blaue vom Himmel herunter zu ver­sprechen, um mich einzuschläfern. Es ging ihm mit seiner plötzlichen Reiselust einzig und allein um Zeitgewinn.“21

Dies war Hitlers Interpretation dessen, was Chamberlain 1938 in Deutschland eigentlich gewollt hatte. Sie wird von der Mehrheit der Forschung mit Blick auf den von Chamberlain erreichten Zeitgewinn geteilt, aber dazu später mehr. Für die

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Vgl. PA-AA R 28895a, S. 4. Vgl. PA-AA R 28895a, S. 11. 21 Zit. n. Trevor-Roper, Diktate, S.  99, Hitlers Äußerung vom 21.  Februar 1945. Trevor-­ Ropers Vorwort zu den Diktaten ist ein Beispiel für die eingefahrenen Wege und Wider­sprüche der Zeitgeschichtsschreibung. Nicht nur, daß er Hermann Rauschnings gefälschten ‚Gesprächen mit Hitler‘ attestiert, sie seien ohne Zweifel echt. (S. 19). Er stellt Hitler zugleich als gescheiterten Möchtegern-„Welteroberer“ vor, eben jenen Hitler, der in den von Trevor-Roper herausgegebenen Bormann-Diktaten einige Seiten später darüber räsoniert, ob sich mit einer härteren Haltung 1938 nicht ein Weltkrieg hätte überhaupt vermeiden lassen und der gerade hierin seinen entscheidenden Fehler sieht.

2. Ribbentrops Bilanz und Prognose

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englische Führungsschicht allgemein sei jedenfalls nach Ribbentrops 1937 formulierter Ansicht niemals die Kennzeichnung „Krämernation“ zutreffend ge­wesen, wie auch Chamberlain ja oft als angeblicher „Krämer“ gekennzeichnet wurde. Dies stimmte allenfalls insofern, als der beruflich als Großkaufmann gestartete – und in dieser Hinsicht Ribbentrop nicht unähnliche – Chamberlain an die Möglichkeit machtpolitischer Kompromisse und nicht an die Unüberwindlichkeit ideologischer Gegensätze glaubte. Dies bedeutete in Ribbentrops Sicht keineswegs eine Schwäche: „Die englische Führerschicht wird heute ebenso wie früher sowohl für die bedeutenden mate­riellen Interessen als auch für seine Machtstellung in der Welt, solange eine Chance des Gewinnens vorhanden ist, sich letzten Endes bis zum äußersten, d. h. also bis zum Kriege einsetzen. Niemals wird England einen solchen Einsatz leichtfertig wagen. Immer wird es sorgfältig die Machtverhältnisse abwägen und Entscheidungen notfalls hinauszögern. Sind die besseren Chancen einmal auf Englands Seite, wird es kämpfen.“22

Der zuvor nicht näher spezifizierten Kompromißgruppe stand für Ribbentrop demnach auch eine reiche Palette an „unbedingten Gegnern“ gegenüber, aus „ultra­konservativ eingestellten Kreisen, … Konservativen und Liberalen aller Schattierungen, … der gewerkschaftlichen Führungsschicht der Labour-Party, … feindlichen Judentums, teilweise Freimaurerei und Kirchen, (und) als vielleicht bedeutendster Faktor die traditionellen Gegner im englischen Außenministerium“.23 Dazu gesellten sich die bedingten Freunde Deutschlands, die eine Verständigung wünschen und laut Ribbentrop nicht „für grundsätzlich unmöglich halten“ würden. Hier nannte Ribbentrop etliche Namen, darunter auch Lord Buxton und Lord Allen of Hurtwood, beides Mitglieder des Oberhauses, die seinem Eindruck nach aus Idealismus handelten. Sie waren ihm von Fritz Berber als Mitglieder von dessen „Gruppe“ in England empfohlen worden, die ihre religiösen Wurzeln in der Quäkerbewegung hatte. In der Tat trat Allen of Hurtwood den Agitationen des Focus-Kreises um Henry Wickham Steed in der Folgezeit gelegentlich öffentlich entgegen.24 Während der tschechoslowakischen Krise des Sommer 1938 unternahm er eine Reise nach Berlin, wo er sich mit Ribbentrop traf und gemeinsam mit ihm den Vorschlag einer Viermächtekonferenz zur Bereinigung der Lage ausarbeitete.25 Aber auch Lord Lothian, der spätere englische Botschafter in Washington, gehörte für Ribbentrop in diesem Abschlußbericht zu den Verständigungswilligen.

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Zit. n. PA-AA R 28895a, S. 6 f. Vgl. PA-AA R 28895a, S. 7. 24 So in einem Leserbriefduell in der Times im Sommer 1938. Nachdem Steed „permanente Grenzen“ verlangte hatte, konkret den deutschen Verzicht auf Grenzkorrekturen gegenüber der Tschechoslowakei, bezeichnete Hurtwood wechselnde Grenzen als den natürlichen Lauf der Geschichte. Vgl. Times vom 4.6.1938 (Leserbrief Steed) und 8.6.1938 (Leserbrief Hurtwood), sowie Franke, London, S. 353 f. 25 Vgl. Hughes, Friend, S. 151. Allen of Hurtwood fuhr dann weiter nach Prag, wo er in Gesprächen mit der tschechischen Regierung und Sudetendeutschen Funktionären für eine Kompromißlösung eintrat. Es sollte seine letzte politische Aktivität werden. Wenige Wochen nach der Reise verstarb er in einem Schweizer Sanatorium. Vgl. ebd. Hughes, Friend, S. 151.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

An dieser Einschätzung hielt Ribbentrop später fest. In der Tat wurden Lothian dann 1940 nach dem Sieg in Frankreich die deutschen Friedensvorschläge nach Washington übermittelt, erarbeitet unter Mitarbeit von Berber und in den USA übergeben unter Einsatz eines Quäkers namens Malcolm Lovell. Lothian fand die Vorschläge „überaus befriedigend“, aber mittlerweile hatte in England die „unbedingte“ Kriegspartei die Überhand gewonnen, in Gestalt des neuen Premiers Churchill. Zur Jahreswende 1937/38 rückte die Entscheidung in dieser Sache näher. Joachim von Ribbentrop stellte sich in seinem Bericht, der aus noch nicht ab­ sehbaren Gründen, sein Abschlußbericht als Botschafter werden sollte, hinter die Vorstellungswelt Hitlers, so weit sie sich auf die unmittelbaren Ziele der deutschen territorialen Umgestaltungswünsche bezogen. Der Status quo in Mitteleuropa konnte demnach so nicht bleiben und bei seiner Änderung waren kriegerische Verwicklungen nicht ausgeschlossen. Der (groß)deutsche Nationalismus war beiden dieses Risiko wert. Dies würde unter anderem Auswirkungen auf das deutsch-englische Verhältnis haben, stellte Ribbentrop in seinen Schlußfolgerungen aus seinem Abschlußbericht als Botschafter einleitend fest: „Mit der Erkenntnis, daß Deutschland sich an den Status quo in Mitteleuropa nicht binden will und eine kriegerische Auseinandersetzung in Europa früher oder später möglich ist, wird die Hoffnung auf eine Verständigung der deutsch-freundlichen englischen Politiker – soweit sie nicht sowieso derzeit nur eine ihnen zugeteilte Rolle spielen – allmählich schwinden.“26

Generell wird hier und aus den folgenden Ausführungen erkennbar, daß die vier Hauptpunkte des nationalsozialistischen Revisionsprogramms in den Augen Ribben­trops einen Krieg möglich werden ließen. „Eine Änderung des Status quo im Osten im deutschen Sinne ist nur gewaltsam durchzuführen“, stellte er fest.27 Gemeint waren vor allem die von Hitler einige Wochen zuvor in der HoßbachBesprechung angesprochenen Revisionen gegenüber der Tschechoslowakei, die Frankreich immer zur Intervention veranlassen könnten und England wohl mit in den Krieg hineinziehen würden. Solche Revisionen gegenüber der Tschechos­ lowakei oder Österreich wollte Hitler selbst ohne großen europäischen Krieg, möglicherweise aber mit Gewalt gegen die genannten Staaten, durchsetzen. Daraus mußte und sollte auch in Ribbentrops Augen kein großer europäischer Krieg entstehen, aber als Voraussetzung für dieses Ziel nannte er einen engen Zusammenschluß der Antikomintern-Gruppe aus Deutschland, Italien und Japan. Die

26 Zit. n. ADAP, D, I, Dok. 93, S. 133/133, 2. Januar 1938. Bemerkenswert gleichlautend fiel zu diesem Punkt die wenige Tage später entstandene Stellungnahme des noch-Ministerial­ direktors Ernst v. Weizsäcker aus, der darin die französischen Versuche ablehnte, „die deutschen Kolonialforderungen dazu zu benutzen, um von Deutschland Verpflichtungen einzuhandeln, die dessen Handlungsfreiheit in Mitteleuropa einengen“. Vgl. ADAP, D, I, Dok. 96, S. 140, Weizsäcker an Papen vom 10. Januar 1938. 27 Vgl. ADAP, D, I, Dok. 93, S. 133, 2. Januar 1938.

2. Ribbentrops Bilanz und Prognose

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englische Politik würde sich nur von einem Krieg gegen Deutschland abhalten lassen, wenn ein solches Bündnis die entsprechende Gegenmacht erzeugen würde: „Steht England mit seinen Bündnissen Deutschland und seinen Freunden gegenüber stärker da, wird es m. E. früher oder später immer schlagen. Gelingt es dagegen Deutschland, seine Bündnispolitik so zu gestalten, daß eine deutsche Konstellation einer englischen stärker oder vielleicht ebenbürtig gegenübersteht, wäre es möglich, daß England lieber doch noch einen Ausgleich versucht.“28

Krieg, ob umfassend oder lokal begrenzt, lag hier als stete Möglichkeit beider Seiten in der Luft. Auch auf der Gegenseite setzte Ribbentrop die Kriegsbereitschaft als ganz selbstverständlich voraus, auch als eine Folge des gegenseitigen Mißtrauens: „Sie (d. h. die Engländer, d. Verf.) trauen dem nationalsozialistischen Deutschland alles zu, wie ja auch wir den Engländern alles zutrauen.“29 Möglich sei noch eine Vertrauensbildung, aber Ribbentrop glaubte nicht wirklich daran: „Man könnte sich vorstellen, daß ein englischer Premierminister, wenn er nicht von der Psychose der deutschen Stärke und des deutschen Machtwillens erfaßt ist, sondern grundsätzlich an die Möglichkeit einer deutsch-englischen Freundschaft glaubt, immer noch gern einen großzügigen, nüchternen Ausgleich suchen würde, der die deutschen Aspirationen befriedigt, ohne vitale, rein englische Interessen zu gefährden.“30

Ein solcher Premier war für Ribbentrop jedoch nicht in Sicht. Der gegenwärtige englische Regierungschef Chamberlain sei innenpolitisch zu sehr in ein enges System eingespannt, meinte er. Die „Psychose der deutschen Stärke“ hatte zu dieser Zeit, der Jahreswende 1937/38, in der britischen Öffentlichkeit in der Tat ein beachtliches Ausmaß erreicht.31 Man sprach über die Risiken eines möglichen Angriffs auf Deutschland.32 Was Chamberlain betraf, so sah Ribbentrop ihn im Rahmen der oben geäußerten Bedenken als buchstäblich zu allem fähigen Geschäftsmann, zum Krieg ebenso bereit wie zum Frieden. Man konnte nach sei

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Zit. n. ADAP, D, I, Dok. 93, S. 135, 2. Januar 1938. Zit. n. ADAP, D, I, Dok. 93, S. 136, 2. Januar 1938. 30 Zit. n. ADAP, D, I, Dok. 93, S. 135. 31 Als Anlage zu seinen „Schlußfolgerungen“ aus dem Hauptbericht fügte Ribbentrop einen Brief Lord Londonderrys vom Dezember 1937 bei, der ebenfalls von einer „starken antideutschen Kampagne in England“ sprach, diese aber für „berechtigt“ erklärte, weil die deutschen Endziele unklar seien: „Wenn wir bis dahin (d.h.1939, d. Verf.) nicht in der Lage sein sollten, irgendeine Verständigung über die Begrenzung der deutschen Ziele zu erreichen, sehe ich keine andere Möglichkeit als eine Wiederholung von 1914.“ Vgl. ADAP, D, I, Dok. 104, Brief Londonderrys an einen Herrn Gall. Dies wolle er dem deutschen Botschafter, also Ribbentrop, demnächst sagen und hat dies wohl auch getan, da Ribbentrop diese Haltung als Beispiel dafür erwähnt, daß „Deutschland seine Zukunft anders gestalten will, als England bereit ist, sie bei einem Zusammengehen mit Deutschland uns zuzubilligen“. Vgl. ADAP, D, I, Dok. 93, S. 135. 32 Harold Nicolson hatte Mitte November 1937 in dieser Sache lange Gespräche mit seinen Parlamentskollegen Winston Churchill und dessen Schwiegersohn Duncan Sandys. Man war sich über die eigene Stärke im Unklaren: „Wir wissen natürlich, daß wir nicht gegen Deutschland, Italien und Japan gleichzeitig kämpfen können. Wir wissen jedoch nicht, ob ein Angriff auf Deutschland für uns verhängnisvoll wäre.“ Vgl. Nicolson, Tagebücher, S. 261, Eintrag vom 18. November 1937.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

ner Auffassung einerseits den Eindruck haben, Chamberlain wolle wirkliche Verständigung mit Deutschland, etwa entlang der Linien, die auch sein Vater Joseph Chamberlain verfolgt hatte. Andererseits sei Chamberlain völlig nüchtern und unsentimental. Es könne sein, daß er nur auf Zeit spiele und auf „das Jahr 1939“ setze, von dem man hier oft höre und lese, „als dem Jahr, in dem England stärker auftreten kann“.33 Das mußte eine gewisse Eile erzwingen, sollten die Ziele erreicht werden, die Hitler Ende November 1937 proklamiert hatte. 3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll „Preußen muß seine Kraft zusammenfassen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch ­Eisen und Blut.“ Otto von Bismarck34

Am 5. November 1937 versammelte Hitler den inneren Kreis der deutschen militärischen und politischen Führung, um das Ergebnis seiner Überlegungen zur militärischen, wirtschaftlichen und außenpolitischen Situation Deutschlands vorzustellen. Anwesend war Ribbentrops unter anderem Vorgänger, der zu dieser Zeit noch amtierende Außenminister Konstantin v. Neurath. Dazu kamen Vertreter der drei Teilstreitkräfte und Hermann Göring in seiner Doppelfunktion als Chef der Luftwaffe und Beauftragter für den Vierjahresplan. Es war ein persön­ liches „Testament“,35 das seinen Nachfolgern den Rahmen ihrer Politik vorgehen sollte, das aber auch die Zielsetzung beschrieb, die er dem neuen Minister Ribbentrop einige Wochen später vorgab. Es sollte für eine bis drei Generationen gültig sein, längere Zeit könne „naturgemäß“ niemand voraussehen. So schildert es die als Hoßbach-Protokoll oder Hoßbach-Niederschrift bekanntgewordene Aufzeichnung, die der anwesende Oberst Hoßbach fünf Tage nach der Konferenz angefertigt hat. Es haben sich nur Kopien von Abschriften des Textoriginals erhalten, und die Echtheit dieser Kopien ist stets umstritten gewesen. Sowohl Autor Friedrich

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Vgl. Ribbentrops Hauptbericht in: PA-AA R 28895a, S. 12. Zit. n. Bismarck, Reden, Bd. 10, S. 139 f. 35 Hermann Göring bestritt während des Nürnberger Prozesses hauptsächlich, daß dieser Begriff gefallen sei, während laut seiner Aussage eine ganze Reihe anderer Punkte des Dokuments mit dem übereinstimmen würden, was Hitler wiederholt gesagt habe. Vgl. IMT, IX, S. 344 f. In ähnlicher Weise äußerten sich Großadmiral Raeder, IMT, XIV, S. 43 ff. und der damalige Außenminister Neurath, IMT, XVI, S. 705 ff. Laut ihren Aussagen richteten sich Hitlers Ambitionen in der Tat auf den Erwerb Österreichs und des Westens der Tschechoslowakei, also Böhmens und Mährens. Raeder erklärte einschränkend, es sei nur vom „Sudetenland“ ge­sprochen worden, was mit den Angaben Joachim von Ribbentrops über die Aufgaben über­ einstimmen würde, die ihm von Hitler genannt worden waren. Vgl. IMT, XIV, S. 45.

3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll

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Hoßbach selbst als auch Hitlers Adjutant Nicolaus von Below, dem Hoßbach das Original 1937 gezeigt hatte, sagten nach 1945 zu diesem Punkt aus. Beide erklärten, die vorliegende Kopie würde zwar die Grundgedanken Hitlers korrekt wiedergeben, sie sei aber nach ihrer Erinnerung in Teilen nicht identisch mit dem Text, den sie 1937 geschrieben und gelesen hatten.36 Dies muß einerseits betont werden, weil Historiker, so weit sie in größeren Medien für die Öffentlichkeit schreiben, häufig ausdrücklich an der falschen Behauptung des Gegenteils festhalten.37 Andererseits wirft dies die bisher nicht zu beantwortende Frage auf, wann das Dokument verändert wurde und wer dafür verantwortlich ist. Daraus ergibt sich schließlich wie bei zahlreichen Schlüsseldokumenten zur nationalsozialistischen Außenpolitik das Gesamtbild einer zugleich unsicheren Überlieferung und mög­ lichen Manipulation. Der Quellenwert des Dokuments besteht daher in seinem allgemeinen und durch Zeugen bestätigten Inhalt, nicht in zugespitzten Formulierungen, wie sie in Publizistik und Geschichtsschreibung leider häufig bevorzugt verwendet werden. Dennoch zählt das Hoßbach-Protokoll als angeblicher Fahrplan zur Welteroberung gewissermaßen zum Kernbestand dessen, was Wissenschaftler und Laien über die Zielsetzung der NS-Außenpolitik der Jahre 1938 und 1939 zu wissen glauben. Das hat Gründe. Der Inhalt dieser Ansprache gab nach 1945 Anlaß für umfangreiche Debatten, wobei er über seine oben genannten Grenzen des Beweiswerts hinaus oft direkt falsch wiedergegeben wurde. Die frei erfundenen Behauptungen Churchills über den Inhalt der Ansprache wurden oben bereits einmal kurz erwähnt: „Am 5. November 1937 entwickelte er (d. h. Hitler, d. Verf.) seine Zukunftsabsichten vor den Befehlshabern seiner Streitkräfte. Deutschland brauchte mehr ‚Lebensraum‘. Dieser ließ sich am besten in Osteuropa finden – in Polen, Weißrußland und der Ukraine. Dieses Ziel erforderte einen großen Krieg und nebenbei die Ausrottung der in jenen Gebieten lebenden Bevölkerung.“38

Tatsächlich steht im Hoßbach-Protokoll nichts von alldem, weder von Eroberungszügen im Osten noch von Ausrottung der dortigen Bevölkerung. Unter dem wiederholten Eindruck von Falschinformationen Churchillscher Art verbreitete sich dennoch die Ansicht, hier seien Eroberungspläne für „Lebensraum im Osten“ formuliert worden, wovon im Text wie gesagt nicht die Rede ist. Dieser Eindruck wurde immer wieder erweckt. Dies geschah vielfach mit falschen Angaben in

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Die Hoßbach-Niederschrift wurde offenbar in den Nürnberger Prozeß eingeführt, ohne Hoßbach vorher über den Inhalt zu befragen. Bei einer Reihe von späteren Vernehmungen durch die Alliierten erklärte Hoßbach, der Text sei „in summa“ echt, für die Echtheit der Formulierungen könnte er aus der Erinnerung aber nicht garantieren und manche Teile könne er gar nicht als seine Niederschrift anerkennen. Vgl. Affidavit Hoßbach vom 18. Juni 1946, Nürnberger Dokument OKW-210, in: IMT, XLII, S. 228 ff. 37 So zuletzt Sven Felix Kellerhoff in der „Welt“ vom 1. September 2009, wo er die HoßbachAufzeichnung als „unzweifelhaft echt“ bezeichnete. 38 Zit. n. Churchill, Weltkrieg, I/1, S. 319.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

Memoiren, wie es bei Churchill der Fall war, aber auch in der Fachliteratur. Der damit erzeugte Desinformationsstandard wurde dann durch die Umsetzung dieser falschen Angaben in populären Sachbüchern potenziert. Dazu trugen etwa die ­Hitler-Biographie Joachim Fests39 oder Henry Kissingers vielgelesene Abhandlung über die internationale Diplomatie als „Vernunft der Nationen“ bei.40 Diese Liste ließe sich umfassend erweitern. Der Umgang mit dem Hoßbach-Protokoll ist geradezu ein Musterbeispiel für die Defizite der internationalen Zeitgeschichts­ forschung. Übersehen wird dagegen regelmäßig, daß die Hoßbach-Rede den präzise begrenzten Umfang von Hitlers Zielen offenlegt. Tatsächlich begründete er hier noch einmal ausführlich seine Meinung, das Problem Deutschlands sei der Mangel an Lebensraum. Die Wirtschaft könne auf dem jetzigen Raum nicht autark werden und die Ernährung sei auch nicht sicherzustellen: „Die deutsche Zukunft sei daher ausschließlich durch die Lösung der Raumnot bedingt, eine solche Lösung könne naturgemäß nur für eine absehbare, etwa 1–3 Generationen um­ fassende Zeit gesucht werden.“41

Wo dieser Raum liegen sollte, in welchen Zeiträumen Hitler rechnete und wie er über seine eigene Rolle dabei dachte, darauf gab er an diesem Tag ebenfalls präzise Antworten. Sowohl die Ernährungsgebiete als „auch die Rohstoffgebiete seien zweckmäßiger in unmittelbarem Anschluß an das Reich in Europa und nicht in Übersee zu suchen, wobei die Lösung sich für ein bis zwei Generationen auswirken müsse. Was darüber hinausgehe, müsse nachfolgenden Geschlechtern überlassen bleiben. Die Entwicklung großer Weltgebilde gehe nun einmal langsam (sic) vor sich, das deutsche Volk mit seinem starken Rassekern finde hierfür die günstigsten Voraussetzungen inmitten des europäischen Kontinents“.42

Deutschlands Raumproblem war also zumindest in den nächsten Jahrzehnten durch Expansion inmitten Europas zu lösen. Was er sich dabei im einzelnen dachte, führte Hitler laut dem Hoßbach-Protokoll folgendermaßen aus. Der Anschluß Österreichs und der „Tschechei“ (nicht: Tschechoslowakei) ermögliche die Ernährung von 5–6 Millionen Menschen zusätzlich und bringe zwölf Divisionen ein. Damit wäre nach seiner Rechnung ein Zeitgewinn von mindestens zehn Jahren verbunden gewesen, denn er kalkulierte gleichzeitig mit einem Geburtenüberschuß von fünfhunderttausend Menschen pro Jahr.43 Für den Inhalt dieser Passa-

39 Fest attestiert Hitler, am 5. November 1937 den „Aufbau eines räumlich geschlossenen großen Weltreichs“ angekündigt zu haben. Vgl. Fest, Hitler, S. 696. Den Anschluß Österreichs habe Hitler dort als „Beginn“ zur Schaffung einer „Ausgangsbasis weitausgreifender impe­ rialer Zielsetzungen“ gekennzeichnet. Vgl. Fest, Hitler, S. 743. 40 Henry Kissinger behauptet ebenso populär wie wahrheitswidrig, Hitler habe laut Hoßbach-Protokoll „die Eroberung weiter Landstriche in Osteuropa und der Sowjetunion zum Zwecke der Kolonisation“ proklamiert. Vgl. Kissinger, Vernunft, S. 337. 41 ADAP, Serie D, Bd. I, Dok. 13, S. 26. 42 Ebd., S. 27. 43 Ebd., S. 26.

3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll

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gen findet sich eine unabhängige Bestätigung in den Notizen Generaloberst Becks, dem Hoßbach den Text zur Kenntnis gegeben habe. Beck kommentierte: „Tschechei und Österreich als Überschußländer dürften überschätzt sein (s. Anlage) – aber auch im günstigsten Fall nur eine relativ geringe Besserung unseres Ernährungs- und Rohstoffpotentials eintreten. … Die Zweckmäßigkeit, den Fall Tschechei (evtl. auch Österreich) bei sich bietender Gelegenheit zu bereinigen und dafür Überlegungen anzustellen und Vorbereitungen im Rahmen des Möglichen zu treffen, wird nicht bestritten. Die über die Voraussetzung einer solchen Gelegenheit angestellten Betrachtungen bedürfen aber einer weit gründlicheren und umfassenderen Untersuchung als sie aus der Niederschrift entnommen werden können.“44

Beiläufig bemerkt, ist diese Aufzeichnung ebenfalls ein Beweis dafür, daß nicht von „Lebensraum im Osten“ gesprochen worden war, sondern von erheblich nahe­ liegenderen und begrenzteren Zielen, die auch einem Regimekritiker wie Beck nicht an sich illegitim oder unerreichbar erschienen, sondern lediglich als politisch und militärisch bisher unzureichend vorbereitet. Beck bezweifelte gleichzeitig die historischen Analogien, die Hitler zur Begründung gebraucht hatte. Die Kriege Bismarcks gegen Österreich und Frankreich seien nicht von so „unerhörtem Risiko“ gewesen, wie Hitler behauptet hatte.45 Dessen später vielzitierte Argumentation an diesem Tag, zur Lösung des Raumproblems könne es nur den Weg der Gewalt geben, schloß an Bismarcks bekanntes Diktum von „Blut und Eisen“ an, durch deren Einsatz die deutsche Frage allein zu lösen sei. Dies war eine Ansicht, die mit guten Gründen zu bezweifeln war, aber sie war weder neu, noch stand sie in deutschen Militärkreisen trotz deren geringer Kriegslust ganz isoliert da. Generalstabschef Beck schien sie jedenfalls grundsätzlich zu teilen und äußerte sich in seinem Kommentar der Hoßbach-Niederschrift mit Respekt über Bismarcks Staatskunst. Seine Kriege seien „vielleicht die vom Staatsmann bestvorbereiteten, die es gegeben hat, und hatten daher auch Erfolg“.46 Kein Sieger glaubt an den Zufall, wie Friedrich Nietzsche einmal treffend festgestellt hat. Hitler zeichnete zugleich die Umrisse deutschen Einflußgebiets außerhalb Deutschlands. Wichtig war ihm zunächst eine gemeinsame Grenze mit Ungarn. Als weitere nützliche Folge könne nach dem Abschluß dieser Aktion auch „mit einem neutralen Verhalten Polens in einem deutsch-französischen Konflikt ge­ rechnet werden.“47 Damit war die gegenwärtige Rolle Polens als ständig drohender Risikofaktor angedeutet, denn es mußte schon eine deutliche Umorientierung der polnischen Außenpolitik erfolgen, um dessen „Neutralität“ gegenüber Deutschland zu sichern. Einstweilen ließ Hitler mehrmals Vorsicht vor Polen durch­blicken.

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Vgl. Nachlaß Beck BA-MA N 28/4, hier zit. n. Kluge, Protokoll, S. 146. Vgl. Nachlaß Beck BA-MA N 28/4, hier zit. n. Kluge, Protokoll, S. 145. 46 Vgl. Nachlaß Beck BA-MA N 28/4, hier zit. n. Kluge, Protokoll, S. 145. 47 ADAP, Serie D, Bd. I, Dok., S. 30.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

Just an diesem 5. November 1937 hatte er persönlich eine deutsch-polnische Erklärung über den gegenseitigen Schutz der jeweiligen Minderheiten unterschrieben. Das änderte nichts an den polnischen Anstrengungen, die deutsche Minderheit durch ökonomischen und politischen Druck praktisch auszulöschen. Sie wurden im Gegenteil in den Folgemonaten intensiviert. Sollte Deutschland in außenpolitische Schwierigkeiten geraten, stand Ostdeutschland wahrscheinlich auch offener Krieg ins Haus, so Hitler: „Unsere Abmachungen mit Polen behielten nur solange Geltung als Deutschlands Stärke unerschüttert sei, bei deutschen Rückschlägen müsse ein Vorgehen Polens gegen Ost­preußen, vielleicht auch gegen Pommern und Schlesien in Rechnung gestellt werden.“48

Diese Befürchtungen entsprachen durchaus den Absichten der polnischen Führung. In Warschau war es Mode geworden, gesprächsweise auf den Erwerb von „ganz Ostpreußen, auf Schlesien, ja auf Pommern“ zu hoffen.49 Eine Vielzahl von Veröffentlichungen polnischer Politiker und Militärs sprachen dieses Ziel auch immer offener aus,50 bis schließlich die Nationaldemokratie im Frühjahr 1939 öffentlich zur Eroberung Deutschlands bis zur Oder-Neisse-Linie aufrief.51 Deutsche Sorgen vor einer solchen Entwicklung sollten also laut Hitlers HoßbachVortrag nach einer Wiedervereinigung mit Österreich und der Übernahme der „Tschechei“ der Vergangenheit angehören. Diese Analyse bestimmte Hitlers Verhalten gegenüber Polen auch nach dem Münchener Abkommen. Polen sollte zu diesem Zeitpunkt als Verbündeter gewonnen werden, aber das Ausbleiben der vorhergesagten polnischen Kooperationsbereitschaft irritierte und überzeugte ihn ebenso wie Ribbentrop letzten Endes von der fortdauernden Gefährlichkeit des Landes. In jedem Fall gab er am 5. November 1937 nicht die Parole aus, Polen anzugreifen, er befürchtete einen polnischen Angriff.52 Trotz Fehlern bei der Einschätzung der Stärke Italiens und der Wahrscheinlichkeit eines Krieges im Mittelmeerraum hatte Hitler mit diesem Vortrag die Situation erfaßt, die nach München führte. „An sich glaube der Führer, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit England, voraussichtlich aber auch Frankreich, die Tschechei



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Ebd., S. 30. Zit. n. Burckhardt, Mission, S. 156 f. 50 Ein Buch des polnischen Generalstabsoffiziers Baginski von 1927, in dem solche Gedanken öffentlich vertreten wurden, erlebte beispielsweise mehrere Neuauflagen: Henryk Baginski: Zaganienie dostepu Polski do morza, Warszawa 1927. 51 So etwa in der Rede von Kazimierz Kowalski, dem Vorsitzenden des Hauptvorstandes der Nationalen Partei, gehalten während der Versammlung der politischen Parteifunktionäre der Nationalen Partei in Warschau am 30.4.1939. Vgl. Kowalski, Polska, Warszawa 1939. 52 Die zahllosen gegenteiligen Behauptungen können und müssen hier nicht aufgelistet werden. Ein nennenswertes Beispiel ist aber Richard Blanke, der in seiner detailreichen und ungewöhnlich objektiven Abhandlung über das Schicksal der Deutschen in der Republik Polen zwischen 1918 und 1939 auch nicht auskommt, ohne zu sagen, Hitler habe in der HoßbachBesprechung seine Pläne offengelegt, „das Problem des deutschen Lebensraums durch die Zerstörung Polens zu lösen“. Vgl. Blanke, Orphans, S. 215.

3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll

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bereits im Stillen abgeschrieben hätten.“53 Er betonte gegen Ende des Vortrags deshalb auch noch einmal „daß er von der Nichtbeteiligung Englands überzeugt sei und daher an eine kriegerische Aktion Frankreichs gegen Deutschland nicht glaube.“54 Insgesamt bietet die Hoßbach-Niederschrift das Bild eines Diktators, der auf eine Gelegenheit wartet, um die deutsche Position in Mitteleuropa so weit zu verbessern, daß militärische Drohungen und tatsächliche Angriffe der Nachbarn in Ost und West künftig ausgeschlossen waren. Diese Ziele wollte Hitler spätestens in den Jahren 1943–45 militärisch durch­ setzen. Krieg sollte wenn nötig gegen Österreich und die Tschechoslowakei geführt werden, nicht gegen die Westmächte. Damit wäre sein Testament erfüllt worden, „Großdeutschland“ etabliert und der weitere Weg zur Vormacht in Europa vorgezeichnet. In diesem Dokument findet sich kein Wort zu einem Angriff auf Rußland, und auch die Auseinandersetzung mit Frankreich soll hier nach Möglichkeit vermieden werden. Tatsächlich setzt das Szenario sogar einen Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien auf der einen und Italien auf der anderen Seite voraus, in dessen Windschatten Deutschland seine Ziele verfolgen kann, ohne in ihn einzugreifen. Die Gelegenheit soll aber genutzt werden, andernorts Tatsachen zu schaffen. Nimmt man Hitlers Aussagen an dieser Stelle ernst, läßt sich nur der Schluß ziehen, daß er sich 1937 in der Lage sah, einen großen europäischen Krieg zu seinen Lebzeiten zu vermeiden. Einen Monat später, am 13. Dezember 1937, billigte Hitler die auf dieser Grundlage formulierte Militärvorlage „Fall Grün„, die allerdings im Fall des Scheiterns dieser Pläne darauf abzielte, zur Not „einen Angriffskrieg gegen die Tschechoslowakei und damit die Lösung des deutschen Raumproblems auch dann zu einem siegreichen Ende zu führen, wenn die eine oder andere Großmacht gegen uns eingreift.“55 Hitlers Äußerungen an diesem Tag stützen die Theorie von seinen Lebensraumeroberungsabsichten im Osten nicht nur nicht, sondern widerlegen sie sogar. Vor diesem Hintergrund produzierten auch und vielleicht gerade die Standardwerke der bundesdeutschen Geschichtswissenschaft immer wieder direkte Unwahrheiten. Hans Adolf Jacobsen behauptete in seinem Standardwerk über die „Nationalsozialistische Außenpolitik“, Hitler habe Personen wie dem Außen­ minister Neurath am 5. November 1937 „zum erstenmal seine aggressiven Pläne zur Eroberung des Lebensraums im Osten anvertraut“.56 Auf Basis dieser unzutreffenden Behauptung attestiert er Neurath dann „Unkenntnis vom Wesen des Nationalsozialismus“.57 Nun ist das Wesen stets ein flüchtiger Begriff, insbesondere wenn seine Definition anhand von unzutreffenden Beobachtungen versucht

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Ebd., S. 30. Ebd., S. 32. 55 Zit. n. Messerschmidt, Lagebild, S. 146. Hervorhebung durch mich. 56 Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 33. 57 Neurath selbst sagte vor dem Nürnberger Tribunal aus, in Hitlers dreistündiger Rede seien damals aggressive Tendenzen, aber keine konkreten Inhalte erkennbar geworden. Vgl. IMT, XVI, S. 700.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

wird.58 Da diese falsche Behauptung, Hitler habe am 5. November 1937 von der Eroberung von „Lebensraum im Osten“ gesprochen, für Jacobsens Gedankengang ganz zentral ist, wiederholt er sie gleich an mehreren Stellen in seinem fast tausendseitigen Band.59 An einer Stelle bringt er dabei zusätzlich die „Denkschrift zum Vierjahresplan“ ins Spiel, die Hitler im Sommer 1936 verfasst hatte. Die dort ausgebreiteten Gedankengänge seien „auf ein zukünftiges Expansionsprogramm im Osten zugeschnitten“ gewesen:60 „Die endgültige Lösung des deutschen Problems sah der ‚Führer‘ in der Erweiterung des Lebensraumes bzw. der Rohstoff- und Ernährungsbasis. Die politische Führung mußte dazu die deutsche Wehrmacht in vier Jahren einsatzfähig und die Wirtschaft in der gleichen Zeit kriegsfähig machen.“61

Es würde Bände füllen, wollte man dokumentieren, in welchem Ausmaß diese phantasievoll konstruierten Zusammenhänge in Forschung und Bildung übernommen werden, von denen tatsächlich in der Denkschrift zum Vierjahresplan nichts steht. Zwar sollen die deutschen Streitkräfte laut Hitler in der Tat in vier Jahren kriegsbereit sein, aber nicht zur Eroberung von Lebensraum, sondern zur Abwehr eines möglichen sowjetischen Angriffs. Dieser Angriff geht von der Sowjetunion aus und ihm kann nicht ausgewichen werden. So erläuterte Hermann Göring in der Sitzung des Ministerrates am 4. September die Denkschrift, die er bei diesem Anlaß vollständig vorgelesen haben soll: „Sie geht von dem Grundgedanken aus, daß die Auseinandersetzung mit Rußland unvermeidbar ist. Was Russen im Aufbau geleistet haben, können wir auch leisten.“62 58 Walther Hofer bemüht ebenfalls diesen Begriff und behauptet, daß „der Historiker nur zur Verfälschung der geschichtlichen Wahrheit … beitragen würde, wenn er glaubte … das Wesen bzw. Unwesen des nationalsozialistischen Systems, und zwar außen- und innenpolitisch, mit traditionellen Kategorien und Begriffen der europäischen Geschichte wirklich erfassen zu können“. Vgl. Hofer, Entfesselung, S. 13. Daran ist zutreffend, daß neuartige historische Phänomene auch neue Begriffe zu ihrer Beschreibung notwendig werden lassen. Gerade das „­Wesen“ ist jedoch ein uralter und unscharfer Begriff und der Versuch, das Wesen des Nationalsozialismus unter Verzicht auf wahrheitsgemäße Wiedergabe des Inhalts zentraler Quellen zu be­ schreiben, hat vielfach nichts zur Wahrheitsfindung beigetragen. 59 Auf Seite 431 fügt er das im Original nicht vorhandene Stichwort „Lebensraum im Osten“ in Klammern in eine fast wörtliche Wiedergabe des Hoßbach-Textes ein. Auf Seite 435 behauptet er erneut, Hitler habe „die gewaltsame Eroberung von Lebensraum im Osten“ am 5.11.1937 als sein „weitgestecktes machtpolitisches Ziel enthüllt“. Schließlich kommt auch seine fast achtzig Druckseiten starke Chronik zur nationalsozialistischen Außenpolitik nicht ohne diese Falschbehauptung aus und verzeichnet für diesen Tag: „Geheimrede Hitlers vor dem Reichs­ außenminister und den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile über seine geplante Expan­ sionspolitik im Osten.“ Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 837, Hervorhebung im Original (sic!). 60 Vgl. Jacobsen, Außenpolitik, S. 433. 61 Zit. n. Jacobsen, Außenpolitik, S. 433. 62 Zit. n. IMT, XXXVI, Dok. 416-EC, S.  490. Anwesend bei der Sitzung: Ministerpräsident Göring, Reichskriegsminister Blomberg, Reichsbankpräsident Schacht, Finanzminister Krosigk, Finanzminister Popitz, Staatssekretär Körner, ‚Wirtschaftsbeauftragter des Führers‘ Keppler, Ministerialdirektor Neumann, ‚Stabsamtsführer des Reichsbauernführers‘ Dr. ­Reischle, Protokollführer Oberstleutnant Löb.

3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll

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Man könnte eine Diskussion über diesen Punkt eröffnen, etwa über die Frage, wie sich die deutsche Ost- und Besatzungspolitik der Jahre 1939–45 mit den Äußerungen der Denkschrift zum Vierjahresplan oder der Hoßbach-Niederschrift verträgt, insbesondere mit den Inhalten des von der SS in Auftrag gegebenen ‚Generalplan Ost‘. Es ließe sich spekulieren, Hitler habe seine Gedanken bei beiden Anlässen 1936 und 1937 nicht preisgegeben, sich innerlich aber sehr wohl die Realisierung einer Expansionspolitik vorbehalten, wie sie in „Mein Kampf“ einmal skizziert worden war. Jacobsen und ungezählte andere Autoren gehen diesen Weg nicht. Sie gehen den Weg über eine unzutreffende Darstellung des Inhalts der vorliegenden Quellen. Dies mag der Tatsache geschuldet sein, daß sich aus den tatsächlich in den Quellen erhaltenen Absichtserklärungen der Jahre 1936/37 und der deutschen Außenpolitik der Jahre 1938/39 ein stimmiges Bild ergibt. Es ist das Bild einer Politik mit dem Ziel einer großdeutschen Einheit in national­ sozialistischer Verfassung, nicht das Bild einer uferlosen Expansionspolitik Richtung ‚Osten‘.63 Rolf-Dieter Müller schließlich versuchte das gleiche Problem vor einiger Zeit durch Suggestion zu lösen. Auch dies ist erwähnenswert, da er als Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamts und Inhaber eines Professorentitels den Anspruch erhob, ein Standardwerk zu schreiben, über „Deutschlands letzten Krieg“. Er erwähnt darin im Rahmen einer Skizze von Hitlers Absichten ebenfalls zunächst die „Denkschrift zum Vierjahresplan“ von 1936, wo Hitler das Ziel ausgegeben habe, „die deutsche Wirtschaft innerhalb von vier Jahren kriegsbereit zu machen“. Müller verliert kein Wort darüber, daß dies laut eben dieser Denkschrift zur Abwehr eines sowjetischen Angriffs geschehen sollte. Statt dessen stellt er fest, Hitler habe „intern vage von ‚Lebensraum im Osten‘ gesprochen“. In der nächsten Zeile setzt Müller dann mit Blick auf das Hoßbach-Protokoll fort, Hitler habe bei dieser Rede „zum ersten Mal deutlich erkennen (lassen), daß er entschlossen war, den außenpolitischen Expansionskurs zu beschleunigen“. Auch wenn im Hoßbach-Protokoll ebenfalls kein Wort über ‚Lebensraum im Osten‘ steht, ist somit das Stichwort wenigstens phantasievoll untergebracht.64 Phantasie bewies Müller auch in einer weiteren Schrift über angebliche Hitlersche Überfallpläne auf die UdSSR aus dem Jahr 1939. Da solche Überfallpläne nirgends nachweisbar sind, steht Müller natürlich vor einem Problem. Das löst er dann so: Er spricht im Buchtitel eines Kapitels vom „Interventionskrieg gegen die Sowjetunion?“ und danach im Text vom deutschen „Interesse an der ‚Kornkammer‘ Ukraine, den Rohstoffen

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Klaus Hildebrand, der den Text inhaltlich einigermaßen korrekt wiedergibt, weist diese Schlußfolgerung dennoch mit dem Argument zurück, Hitlers Forderung nach „Zerschlagung“ der „gesamten Tschechoslowakei“ gehe über den „großdeutschen Nationalgedanken“ des 19. Jahrhunderts hinaus. Dies ist durchaus unzutreffend. Darüber, daß mindestens das ganze Territorium des damaligen Deutschen Bundes als Deutschland zu bezeichnen sei und in einen neu verfaßten deutschen Staatsverband integriert werden müßte, herrschte in der Pauls­kirche Konsens und dazu gehörte die „Tschechei“ von 1937 vollständig. Vgl. Hildebrand, Reich, S. 740. 64 Vgl. Müller, Krieg, S. 24.

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VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

des Donezbeckens und dem Erdöl des Kaukasus“ für die Lösung wirtschaftlicher Probleme. Dann fährt er fort: „Reichsaußenminister Konstantin Freiherr von Neurath versicherte dem amerikanischen Botschafter William C. Bullitt am 18. Mai 1936, daß aus Hitlers Sicht die Feindschaft zur UdSSR unüberwindbar sei und er nur so lange ruhig bleiben wolle, bis die Westbefestigungen fertiggestellt seien.“65

Als Quelle für diese Behauptung, wonach Hitler nach Bau des Westwalls gegen die UdSSR vorgehen wollte, gibt Autor Müller die Protokolle des Nürnberger Tribunals an, genaugenommen, eine englischsprachige Aufzeichnung Bullitts über das Gespräch mit von Neurath. Dort steht allerdings folgendes: „We discussed relations between Germany and the Soviet Government. Von Neurath said that he (Also nicht Hitler, sondern Neurath; S.Sch.) considered the hostility between Germany and the Soviet Union absolutely irremoveable. He asserted that the Soviet Union believed that Nazi Germany was the one obstacle to the conquest of Europe by Communism. There could be no end, therefore (sic), to the hostility between the two States.“66

In der Gesprächsaufzeichnung Bullitts steht mithin das exakte Gegenteil dessen, was Autor Müller behauptet. Die UdSSR wird als Aggressor und Ursprung der Feindschaft genannt, wie auch in den Äußerungen und Denkschriften Hitlers aus dieser Zeit, die Müller ebenfalls falsch wiedergibt. Auch die bei Müller genannte Passage mit der Fertigstellung der deutschen Westbefestigungen steht in keinerlei Zusammenhang mit der UdSSR, sondern bezieht sich auf eine politische Stärkung gegenüber italienischen Interventionsabsichten in Österreich, die sich Neurath (wieder nicht Hitler) von diesen Befestigungen verspricht.67 Um diese Passage über den direkt wahrheitswidrigen Inhalt einflußreicher Schriften der Zeitgeschichte abzuschließen: Das Thema der vorliegenden Studie wird schließlich von der Einlassung des Ribbentrop-Biographen Stephan Kley gestreift, der das Hoßbach-Protokoll ähnlich wie Churchill direkt mit Ausrottungsplänen in Verbindung bringt, im Zusammenhang mit einem Aufsatz über die Vorgeschichte des Holocaust und Hitlers „Prophezeiung“ vom Januar 1939. Kley schreibt, Hitler habe am 5. November 1937 „an seinen schon in den 20er Jahren fixierten Plänen festgehalten. Er wollte Lebensraum auf Kosten der Sowjetunion erobern, und da dieser Krieg spätestens 1943 stattfinden sollte, war bei der Durchführung der Vorbereitungskriege in Mittel- und Westeuropa eigentlich nicht mehr allzuviel Zeit zu verlieren.“68

Begnügen wir uns mit der Feststellung, daß auch hier im Rahmen einer Schilderung der von Hitler und Ribbentrop formulierten Außenpolitik nur ein altgedientes und haltloses Gerücht über den Inhalt der Hoßbach-Aufzeichnung verbreitet wird.

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Zit. n. Müller, Überfallpläne, S. 79. Zit. n. IMT Bd. 37, Dok. 150-L, S. 588–592, S. 590. 67 Vgl. ebd. S. 589. 68 Zit. n. Kley, Intention, S. 203.

3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll

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Wir schließen diesen Exkurs mit einem Blick auf einen weiteren Ribbentrop-Biographen ab, auf Michael Bloch, der darüber spekuliert, ob Ribbentrop von jenem Treffen am 5. November 1937 wußte,69 an dem Hitler laut Bloch den engeren Führungskreis darüber aufgeklärt habe, man müsse „aus ökonomischen und rassischen Gründen die Tschechoslowakei, Österreich, sowie ‚Lebensraum im Osten‘ annektieren.“70

Ob man es hier mit bewußter Fehlinformation zu tun hat, oder ob die Ver­ bindung des „Hossbach-Protokolls“ mit „Lebensraum im Osten“ einer jener Irr­ läufer ist, vor denen die selbstreflektierende Welt akademischer Pseudodebatten allein schon aus Gründen der Milieubildung nicht gefeit ist, das läßt sich schwer entscheiden. Ersteres ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, und dies allein bereits ist angesichts des erhobenen Anspruchs angeblich wissenschaftlich fundierter Deutungshoheiten ein Skandal. Hitlers Ausführungen an diesem Tag gaben ein komplettes Bild seiner damals aktuellen politischen Ziele. Tatsächlich sind hier alle wesentlichen Motive ent­ halten, die seine politischen Großtheorien bisher begleitet hatten. Das Stichwort „Lebensraum“ taucht ebenso auf, wie die Erschöpfung der Böden, der Druck durch das Wachstum der Bevölkerung und Notwendigkeit autarken Wirtschaftens. Das alles eingebettet in strategische Überlegungen zur ablenkenden Wirkung Italiens auf Frankreich, die so schon in „Mein Kampf“ standen. Auch die Befürchtungen eines möglichen sowjetischen Angriffs klingen an. Neben diesen Überlegungen bliebe auch die Merkwürdigkeit, warum ein Mann, der weitgehende Expansionspläne in Millionenauflage verbreiten ließ, ihre Einzelheiten ausgerechnet gegenüber der innersten militärischen Führung verschwiegen haben sollte. Es spricht daher wenig dagegen, Hitler beim Wort zu nehmen und in dieser Rede die aktualisierte Version seiner Expansionspläne zu sehen. Und diese Pläne waren auch in der neuen Fassung wahrlich umfangreich genug, um den Abschluß eines Lebenswerks zu markieren, wie es der Staats- und Parteichef eines europäischen Nationalstaats nur bei großer Risikobereitschaft ins Auge fassen konnte. Dagegen ist eingewendet worden, in einer Expansion in diesem Rahmen könne „wohl nur schlecht eine wirkliche Erweiterung des ‚Lebensraumes des deutschen Volkes‘ gesehen“ werden.71 Dieser Deutung liegt – davon abgesehen, daß auch sie den Quelleninhalt durch Spekulation über angeblich Verschwiegenes ersetzt – eine ahistorische Vorstellung über die Verhältnisse zugrunde, die dann auch unmittelbar danach in einen Widerspruch führt. Es ging Hitler nicht um „Revision“, führt Walther Hofer als weiteres Argument gegen eine Begrenzung von Hitlers Zielen im Sinn des Hoßbach-Textes an.72 In der Tat ging es aber auch laut diesem Dokument 69 Ribbentrop selbst hielt sich am 5./6. November 1937 zur Unterzeichnung des Antikom­ internpakts in Rom auf. 70 Zit. n. Bloch, Ribbentrop, S. 154. 71 Vgl. Hofer, Entfesselung, S. 14. 72 Vgl. Hofer, Entfesselung, S. 15.

162

VI. Endziel großdeutscher Nationalstaat

nicht um bloße Revision von Entscheidungen des Versailler Vertragswerks, sondern um die Schaffung von etwas noch nie Dagewesenem. Einen deutschen Staat innerhalb der ethnisch wie historisch begründeten Grenzen zwischen Maas und Memel, Etsch und Belt hatte es unter den Bedingungen des industriellen Zeit­alters noch nicht gegeben. Ihn unter den Vorzeichen der nationalsozialistischen Ideo­ logie gründen zu wollen, mit den notwendigen Folgen für die politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse in Zentraleuropa, stellte eine Herausforderung an die europäische Staatenwelt dar. Hitler beabsichtigte offenkundig dennoch, diesen Staat einzurichten, möglichst mit Billigung von Staaten wie Frankreich, Italien und England, notfalls auch ohne diese Billigung im Rahmen von geschaffenen Tatsachen. Dies stellte ein klares Konzept dar, mit dessen Durchführung in den Jahren 1938/39 er schließlich Joachim von Ribbentrop betraute. Es war ein Konzept, das den Rahmen für „Generationen“ setzen sollte, nicht für immer. Gegen diese Deutung sprechen deshalb auch nicht die später nach dem Kriegs­ ausbruch von 1939 entwickelten Siedlungs- und Umgestaltungspläne der SS für Osteuropa. Sie waren nicht der Ausdruck eines bereits feststehenden Programms, sondern der Versuch, die Möglichkeiten einer unerwarteten neuen Situation auszunutzen. Wirtschaftlich, militärisch und ideologisch ging das NS-Regime mit ungenügender Vorbereitung in den Krieg. Das bald entwickelte Propaganda­schlagwort vom „Großdeutschen Freiheitskampf“ drückte dies unfreiwillig aus. Das oberste Kriegsziel des Regimes bestand in seiner Selbstbehauptung in den Grenzen, die 1939 erreicht worden waren. Die Versuche, den Krieg darüber hinaus als einen „europäischen Freiheitskampf“ darzustellen oder ein „Großgermanisches Reich Deutscher Nation“ zu konstruieren, waren nachgeschoben und konstruiert. Vor allem aber entsprachen sie nicht der Gedankenwelt und den Plänen, die 1939 vorhanden gewesen waren. Dies war auch der Geschichtswissenschaft einmal im Ansatz bewußt, als die Suche nach den großen Eroberungsplänen der NS-Zeit hartnäckig erfolglos blieb: „Ich kann Ihnen freilich keine spektakulären Direktiven oder sehr detailliert ausgearbeiteten Pläne z. B. schicken – die ganzen Vorhaben und Absichten hinsichtlich der ‚raumpolitischen Neuordnung‘ im Südosten bewegen sich im Bereich oft recht vager, historisierender oder großartig in die Zukunft hinein projektierender Konstruktionen, Wunschträume, Denkschriften.“73

Das Regime brach den Krieg nicht als Expansionskrieg vom Zaun. Es fühlte sich durch die Politik der Gegner einer englisch-polnisch-französischen Koalition in den Krieg gezwungen. Die erzielten militärischen Erfolge schufen dann eine neue Situation, auch für die SS, wie etwa Peter Longerich in seiner Himmler-Biographie herausarbeitet, die in dieser Passage zugleich indirekt einräumt, daß der

73 Zit. n. BA-KO N 1213/3, Schreiben von Hans-Ulrich Wehler an Hans Rothfels vom 14. Dezember 1960. Aber auch Wehler meinte schon, aus diesen Phantasien auf „die prinzi­ pielle Maßlosigkeit der nationalsozialistischen Expansionspolitik“ schließen zu können.

3. Hitlers Endziele: Das Hoßbach-Protokoll

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Zeithorizont der NS-Politik keine großen Eroberungspläne für die Lebenszeit der aktuellen Führungsgruppe enthielt: „Die Weichenstellungen zwischen dem Frühjahr und dem Herbst 1942 verdeutlichen außerdem, daß sich Himmlers Perspektive auf den Aufbau dieser neuen Herrschaftsordnung dramatisch verschoben hatte: Hatte er Ende der dreißiger Jahre noch angenommen, das Reich werde erst in einigen Generationen (sic) in der Lage sein, den Status einer Weltmacht zu erringen, so schrumpfte dieser Zeitraum in seiner Wahrnehmung nun wie in einem Zeit­ raffer zusammen. Das gewaltige Reich wurde jetzt errichtet, und mußte jetzt zupacken, um sich selbst und seiner Schutzstaffel eine entscheidende Rolle zu sichern. Das Motiv der Beschleunigung bereits in Gang gekommener Entwicklungen war dabei ausschlaggebend, denn angesichts des bevorstehenden Sieges der Wehrmacht schien sich ein Zeitfenster zu öffnen, das die Verwirklichung bisher utopisch erscheinender Vorstellungen erlaubte.“74

Vor 1939, ganz besonders im Jahr 1937, als Hitler seine Expansionsziele formulierte, die Ribbentrop als Minister dann umsetzen sollte, war das Streben noch auf ganz andere Dinge gerichtet. Deutschland sollte ein nach nationalsozialistischen Rassentheorien geführter, staatssozialistisch wirtschaftender Staat mit nur geringen förderalen Elementen werden. Dieses von Hitler ins Auge gefaßte Deutschland sollte dabei in den Grenzen hergestellt werden, die das Alte Reich und den Deutschen Bund bis 1866 umfasst hatten.



74

Zit. n. Longerich, Himmler, S. 662, Hervorhebungen im Original.

VII. Außenminister für Abschreckung 1. Risikogedanken „Wichtigste Aufgabe unserer Politik und damit auch der hierfür in Frage kommenden ausländischen Missionen (bleibt) die bestehende allgemeine Abneigung gegen einen Angriff auf Deutschland durch geeignete Argumente zu vertiefen und auf etwaige Heißsporne in dem demokratischen Lager abkühlend, bezw. abschreckend zu wirken. Der klare Hinweis auf das gewaltige Risiko, dem sich solche Mächte ohne Bedrohung wirklicher eigener vitaler Interessen bei einem solchen Eingreifen in einen Konflikt, d. h. also durch die Entfesselung eines Weltkrieges, aussetzen würden, ist hier die beste Diplomatie.“ Runderlaß des Außenministers Ribbentrop vom 3. August 19381

In seinem Abschlußbericht als Botschafter hatte Ribbentrop die Möglichkeit skizziert, Großbritannien könnte zu einer gegen Deutschland gerichteten Politik und möglicherweise zu einem Angriff übergehen. Daraus leitete er in diesem Dokument und gesprächsweise bei anderen Gelegenheiten verschiedene politische Überlegungen ab, die von Historikern und Diplomaten häufig als „antibritisch“ skizziert worden sind, die sich aber aus seiner ausführlich begründeten Auffassung schlüssig ergeben. Wenn Großbritannien statt eines potentiellen Verbündeten trotz aller Bemühungen eine potentielle Bedrohung geworden war, mußte die deutsche Außenpolitik darauf reagieren. Dies konnte theoretisch bedeuten, sich den wahrscheinlichen britischen Wünschen zu beugen und sich künftig am territorialen Status des Jahres 1937 zu orientieren. Diese Möglichkeit bestand, hätte aber einen Verzicht auf Ansprüche bedeutet, über die bereits zu Weimarer Zeiten im deutschen diplomatischen Dienst ein Konsens bestand und damit eine erneuerte Anerkennung der Tatsache, daß die Siegermächte 1919 mitten durch Deutschland willkürlich Grenzen gezogen hatten. Dies entsprach nicht der Gedankenwelt der deutschen Führungsschicht auch außerhalb der Nationalsozialisten und schien nach den Ereignissen der Jahre 1933 bis 1937 auch nicht zwingend notwendig zu sein. Die Aufrüstung und die Alleingänge Deutschlands hatten die politische Situation in Europa verändert, aber sie waren letztlich geduldet worden. Krieg drohte einem deutschen Staat immer, wenn er sich nicht an den Wünschen und Befürchtungen in den europäischen Hauptstädten orientierte. Wenn die demographische und wirtschaftliche Entwicklung dieses deutschen Staates wieder eine Dynamik wie vor 1914 erreichen sollte, stellte er eine potentielle Bedrohung der internatio 1 Zit. n. ADAP, D, II, Dok. 332, S.  422, Hervorhebung im Original. Zitat ebenfalls bei S­ tefan Kley, dort die Passage „Entfesselung eines Weltkrieges“ gestrichen. Vgl. Kley, Entfesselung, S. 85.

1. Risikogedanken

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nalen Ordnung dar, die eventuell bekämpft werden würde, selbst wenn er wie das frühere deutsche Kaiserreich ausdrücklich auf territoriale Expansion in Europa verzichtete. Für sich persönlich zog Ribbentrop aus dieser Lage unter anderem die Schlußfolgerung, künftig die deutsche Stärke und Kriegsbereitschaft, sowie die katastrophalen Folgen eines allgemeinen Krieges stärker zum Ausdruck zu bringen. Dies war ein zutreffendes, aber zwiespältiges Argument. Zum einen stellte die deutsche Verteidigungsfähigkeit eine Tatsache dar, an der alle denkbaren Entwicklungen internationaler Beziehungskonstellationen nichts ändern konnten. Auch eine erfolgreiche Einkreisungspolitik der Kriegsgegner hatte vor und im Ersten Weltkrieg keinen innereuropäischen Sieg über Deutschland ermöglicht. Erst das Ein­ greifen der USA stellte ihn dann  – zu einem hohen Preis für Großbritannien  – sicher. Sollte diese Politik von London aus wiederholt werden, mußte sie erneut große Risiken eingehen und konnte selbst im Fall des militärischen Erfolgs ein politischer Verlust werden. Zum anderen aber konnte ein allzu häufiger Hinweis auf die eigene militärische Stärke auch als Ausdruck eines deutschen Erpressungsversuchs gedeutet werden und die Situation vergiften. Ribbentrop entschied sich also dafür, beides zu betonen, sowohl die deutsche Stärke wie die Bescheidenheit der Ziele. Großbritannien sollte mit dieser verbalen Doppelstrategie von einem Angriffskrieg „abgeschreckt“ werden. Der oben zitierte Runderlaß an alle Missionen hob diesen Begriff im Hochsommer 1938 gleich mehrfach hervor. Er betonte die deutsche militärische Stärke, betonte aber zugleich den Wunsch nach einer friedlichen Lösung der aktuellen Tschechoslowakeikrise. Er stellte noch einmal – zutreffend – fest, es hätte im Mai des Jahres keine deutsche Angriffsabsicht auf die Tschechoslowakei bestanden, wie die Prager Regierung behauptet hatte. Düster – aber ebenfalls zutreffend – prophezeite er, Deutschland würde, „wenn angegriffen … vor nichts zurückschrecken“ und optimistisch – aber unzutreffend – appellierte er an „das politische Dreieck Berlin-Rom-Tokio“.2 Eines der wichtigsten Instrumente im Zusammenhang mit der beabsichtigen Abschreckung mußte neben Rhetorik und Rüstung in der Tat der Gewinn von Verbündeten sein, die ein aktives Gegengewicht gegen eine feindliche britische Politik darstellen würden, oder die als deutsche „Verbündete“ wenigstens daran gehindert werden sollten, sich einer von London aus geführten antideutschen Politik anzuschließen. Unter diesem Aspekt sah das internationale Umfeld im Frühjahr 1938, als Ribbentrop das Außenamt übernahm, weiterhin wenig vielversprechend aus. Deutschland hatte keine Verbündeten, die sich zu irgend etwas verpflichtet hätten, was man in London hätte bedenklich finden können. Ribbentrop hatte in seiner Doppelfunktion als Botschafter und Berater des Staatschefs in Fragen der Außenpolitik erste Anläufe unternommen, um dies zu ändern, aber verbindliche Folgen waren nicht eingetreten. Die späteren Dreimächtepaktmitglieder beispielsweise stellten bisher lediglich in den Augen des amerikanischen Präsidenten eine

2

Vgl. ADAP, D, II, Dok. 332, S. 421, Hervorhebung im Original.

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VII. Außenminister für Abschreckung

gemeinsame Staatengruppe dar, die er nach dem Wortlaut einer seiner öffentlichen Ansprachen im Spätjahr 1937 unter „Quarantäne“ gestellt wissen wollte, ohne dabei allerdings ausdrücklich ihre Namen zu nennen. Diese Teildiskretion Franklin Delano Roosevelts entsprach den Verhältnissen zwischen Deutschland, Italien und Japan viel eher als seine parallel vorgetragenen Verschwörungsbilder oder als Ribbentrops „Dreieck“-Metapher. Insbesondere Japan hielt sich alle Optionen offen. Ebenso wie im Fall Großbritannien hatte Ribbentrop mit Japan persönlich ein Abkommen durchgesetzt, das zunächst prinzipiell die Erwartung auf intensivere Zusammenarbeit nährte. War es mit Großbritannien das Flottenabkommen von 1935, so lagen im Fall Japan die Hoffnungen auf dem Antikominternpakt von 1936, den Ribbentrop in seiner Doppeleigenschaft als Londoner Botschafter und außenpolitischer Chefberater unterzeichnet hatte. Auch die Entstehungsgeschichte dieses Vertrags reichte ins Jahr 1935 zurück, als die drohende Einbeziehung der Sowjetunion in die europäische Politik durch ihren im Mai des Jahres geschlossenen Pakt mit Frankreich und der Tschechoslowakei die Gewichte ganz neu zu verteilen drohte. Hitler hatte daraufhin öffentlich angekündigt, für den Fall der Ratifizierung dieses Pakts den Locarno-Vertrag nicht mehr respektieren zu wollen,3 so daß die Mitte der 1920er Jahre für Europa entwickelte Nachkriegsordnung, für die Briand und Stresemann damals den Friedensnobelpreis erhalten hatten, durch die neuen innereuropäischen Wechselwirkungen ihre Bedeutung verlor. Ribbentrop ließ in etwa zeitgleich mit diesen Entwicklungen über einen Mittelsmann beim damaligen japanischen Militärattaché und späteren Botschafter Oshima anfragen, ob es keine Möglichkeit gäbe, zwischen Deutschland und Japan einen Verteidigungspakt gegen die Sowjetunion zu schließen.4 Wenn Frankreich die UdSSR im ­Rücken Deutschlands positionieren wollte, sollte zum Ausgleich Japan den ­Rücken der UdSSR bedrohen, so der pragmatische Grundgedanke. Über diese rein mechanische Perspektive hinaus sah Ribbentrop in Japan jedoch ein Land in Einsamkeit, „für das doch heute theoretisch nur Deutschland als Partner in Frage

3 Der Ex-Kommunist Willi Schlamm behauptete in seiner 1937 erschienenen „­Abrechnung“, Hitler habe mit der UdSSR „im Mai 1935“ einen Freundschaftsvertrag abgeschlossen, in dem „eine stetige und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der deutschen Regierung und der Regierung der UdSSR“, „freundschaftliche Fühlung miteinander“, „politische und wirtschaftliche Verständigung“, „Neutralität bei Angriff seitens dritter Mächte“ und „keinerlei Teilnahme an einem wirtschaftlichen oder finanziellen Boykott einer der Vertragsparteien durch Dritte“ vereinbart worden sei. Das sei zu einem Zeitpunkt geschehen, als über den Vickers-Konflikt russisch-englische Spannungen geherrscht hätten. Vgl. Schlamm, Abrechnung., S.  138. Schlamm prophezeite weiter: „Es wird nicht lange dauern, und die Herren ‚Führer‘ werden sich auf einen ‚realistischen‘ Nichtangriffspakt (sic) geeinigt haben: Der eine wird Stalins russischen Nationalstaat garantieren, der andere wird Europa dem Hitlerschicksal überlassen und nebenbei die schon so erfolgreich begonnene Ausrottung der alten weltrevolutionären bolschewistischen Konzeption vollends zu Ende führen.“ Vgl. Schlamm, Abrechnung., S. 139. In der Tat versuchte Stalin damals stark die nationale Karte zu spielen, die KP Italiens warb sogar mit „Fascisten und Nichtfascisten – für den gemeinsamen Kampf gegen den wirklichen Feind der Nation: den Großkapitalismus.“ Vgl. Schlamm, Abrechnung., S. 140. 4 Vgl. die Nachkriegsaussage Oshimas in, Sommer, Pakte, S. 25.

1. Risikogedanken

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kommt“, wie er später im Jahr einem neuen Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop sagte, Hermann von Raumer.5 In der Tat hatte sich das traditionell kulturell isolierte Japan mit seinem 1932 militant gewordenen Expansionskurs auf dem asiatischen Festland und dem Verlassen des Völkerbunds in einen offenen Gegensatz zu den beiden europäischen Westmächten und den USA gesetzt. Mit seiner antikommunistischen Grundhaltung war es auch kein denkbarer Partner für die UdSSR. Die Liste der potentiellen japanischen Verbündeten von Rang fiel Mitte der dreißiger Jahre demnach recht kurz aus. Die ja­ panische Reaktion auf Ribbentrops Anregung war dennoch zögerlich und vage. Das lag einerseits an dem begrenzten Wert, den ein solcher Verteidigungspakt mit einem Land wie Deutschland überhaupt nur haben konnte, das anders als Japan über keine gemeinsame Grenze mit der Sowjetunion verfügte. Andererseits wurde diese Haltung von der prinzipiell unentschiedenen und undurchsichtigen Entscheidungsfindung der Tokioer Elite verursacht, die im folgenden Jahrzehnt ein steter Begleiter ihrer Politik sein sollte und sich an keinen Partner aus wirklicher Überzeugung band. Ende November 1935 fand der schließlich von Ribbentrop mit einem Entwurf in dieser Sache beauftragte Raumer die Lösung für dieses Problem. Es sollte ein Pakt geschlossen werden, der möglichst unverbindlich blieb und sich formal überhaupt gar nicht gegen die UdSSR richtete, sondern gegen eine Organisation, mit der die Sowjetunion offiziell gar nichts zu tun hatte: die Komintern. Am 25. November erhielt Ribbentrop von Raumer den entsprechenden Entwurf. Er ließ ihn sich von Hitler innerhalb einer Stunde genehmigen und die Verhandlungen auf dieser Basis starten, die sich zwar immer noch zählebig gestalteten, aber nach einem Jahr im November 1936 mit der Unterzeichnung dieses praktisch unveränderten Entwurfs endeten.6 5 Raumer hat dieses und andere Zitate in einem maschinenschriftlichen Manuskript von 106 Seiten zusammengefaßt, aus dem ältere Literatur wie Theo Sommers Studie über „Deutschland und Japan zwischen den Mächten“ noch zitiert hat, das aber offenbar nicht erhalten ist. Vgl. Sommer, Pakte, S. 27, bzw. Auskunft Theo Sommers gegenüber dem Verfasser. 6 Daß Ribbentrop diesen Pakt in Rom unterzeichnete, trug sicher dazu bei, daß Gerüchte über seine Versetzung von London nach Rom aufkamen, die in einem förmlichen Abschiedsartikel gipfelten, der am 6.  November 1937 im „News Chronicle“ erschien. Angeblich von „sehr zuverlässigen“ deutschen Quellen über die bereits vollzogene Ernennung unterrichtet, präsentierte der Journalist Vernon Bartlett den „Antikominternpakt“ als eigentlich anti-englischen Pakt, als dessen Unterzeichner Ribbentrop kaum als Botschafter an den Hof von St. James zurückkehren könnte. Ribbentrop habe als Botschafter trotz seiner vielen Freundschaften mit aristokratischen Engländern „mit sehr reaktionären Ansichten“ letztlich nichts erreicht. Schließlich forderte der Artikel, Ulrich von Hassell als Nachfolger in London zu berufen: „Keine andere Ernennung könnte geeigneter sein, die Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland zu verbessern.“ Trotz verschiedener Untersuchungen ließ sich die genaue Herkunft des Gerüchts im AA nicht ermitteln, die Art der Darstellung und die schließliche Forderung sprechen allerdings für den Kordt-Weizsäcker-Kreis als Urheber. Vgl. PA-AA R 27157, Akten Ribbentrop persönlich, Artikel aus dem News Chronicle vom 6.11.37 und mehrere Notizen für den Botschafter. Ein Jahr später brachte der Londoner „Star“ eine ähnliche Meldung und wollte Ribbentrop vom Außenminister zum Botschafter in Rom degradiert sehen, mit Neurath als Nachfolger, weil der sich in München so für „Mäßigung“ eingesetzt hätte. Vgl. PA AA, R 27157, Nicht unterzeichneter Bericht vom 5. Oktober 1938.

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VII. Außenminister für Abschreckung

Der Antikomintern-Pakt dieses Zuschnitts geriet zu einem so symbolischen Unternehmen, daß Ribbentrop sich bei den späteren Verhandlungen in Moskau gegenüber Stalin in scherzhaftem Ton die Bemerkung gestattete, eigentlich könne die Sowjetunion eines Tages auch selbst dem Antikomintern-Pakt beitreten. Ganz ohne Ernst wurde dieser Satz nicht ausgesprochen. Ribbentrop hielt die zu diesem Zeitpunkt bereits durch den Beitritt Italiens ergänzte Antikominternstruktur, die nur eine vage Bündniskonstellation andeutete, prinzipiell für flexibel genug, um unter den geänderten Verhältnissen – und anderem Namen – zu einem echten Kontinentalblock ergänzt zu werden. Wenn die Sowjets dies wollten, denen als „Herzland“ eines solchen Blocks die zentrale Rolle zukommen würde, dann konnte nach seiner Ansicht auf diese Weise eine langfristige Politik organisiert werden. So weit zu sehen ist, gab Ribbentrop diese Hoffnung auf einen echten Interessenausgleich mit der UdSSR nie wirklich auf, wenn auch der Nichtangriffspakt von 1939 in erster Linie aus Anlaß der damals aktuellen Abschreckungsstrategie gegenüber Großbritannien geschlossen wurde. Ribbentrop versuchte zu dieser Zeit um jeden Preis den Abschluß einer gegen Deutschland gerichteten Bündniskonstellation der Westmächte und der UdSSR zu verhindern, die zusammen mit dem im Frühjahr 1939 bereits geschlossenen Dreierpakt zwischen Frankreich, England und Polen die von ihm befürchtete Einkreisung vollendet hätte. So weit waren die Dinge im Jahr 1936 noch lange nicht, als Ribbentrop im November 1936 in Berlin den Antikominternpakt mit Japan unterzeichnete. Gerade erst vor wenigen Monaten hatte er seinen Posten als Botschafter in London angetreten, gleich bei der Ankunft die kommunistische Gefahr beschworen und arbeitete zunächst nicht ohne – zeitweise auch nicht unbegründeten – Optimismus auf das englisch-deutsche Bündnis zu, das nach seinen Absichten ebenfalls eine Antikomintern-Komponente enthalten sollte. Unter der allgemeinen Annahme Ribben­trops, daß Deutschland letztlich zwischen West und Ost „optieren“ müßte, erschien die westliche Option zu dieser Zeit die mit der größten Substanz und den besten Erfolgsaussichten zu sein. Alle Verhandlungen mit Japan sollten diese „englische Linie der deutschen Politik nicht stören“, wie Ribbentrop gegenüber Raumer feststellte, als ihm manche Vorschläge aus Tokio in dieser Hinsicht bedenklich erschienen.7 Das angestrebte deutsch-englische Bündnis hatte Vorrang, es hätte auch in der Form eines Konsultationspakts bereits die Wirkung gehabt, eine mögliche Aggression gegen Deutschland sehr viel weniger wahrscheinlich werden zu lassen. Die Londoner Presse nahm den Antikominternpakt teilweise negativ auf. Die regierungsnahe „Times“ legte den Finger in die Wunde und sprach unter dem Titel „Drei sind eine Gemeinschaft?“ die großen Unterschiede zwischen Ländern wie Italien und Deutschland einerseits und Japan andererseits an. Ironisch wurde gefragt, was der genaue Inhalt des Paktes sein sollte und ob in Tokio die Herrengeschäfte demnächst auch einfarbige Hemden „mit politischer Bedeutung“ ver

7

Raumer, MS, S. 17, hier zit. n. Sommer, Pakte, S. 44.

1. Risikogedanken

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kaufen würden: „Isolation mag kalt und unbehaglich sein, aber es ist besser, im eigenen Saft zu schmoren, als in anderer Leute kochendes Wasser zu geraten.“8 Letzteres war natürlich ein indirektes Eingeständnis, daß Japan nicht nur durch eigenes Verhalten, sondern auch die britische Politik isoliert worden war. Aber der Schluß des Artikels, wonach es „nicht Art der britischen Politik (sei), in Sachen der internationalen Politik Bindungen einzugehen, die die Anhängerschaft an irgend­ eine doktrinäre Gruppe einschließen“, richtete sich in diesem regierungs­nahen Blatt zugleich deutlich gegen Ribbentrops Bemühungen. Als Außenminister, der aufgrund seiner Londoner Beobachtungen von der akuten Gefahr eines englischen Angriffskriegs gegen Deutschland ausging, reichten Ribbentrop seit dem Frühjahr 1938 symbolische Vertragsabschlüsse nicht mehr aus. Nach den vergeblichen Bemühungen um Vertragsabschlüsse mit England oder Frankreich war es jetzt seine Aufgabe, verbindliche Partner zu gewinnen. Hier zeigten sich nun sowohl Italien wie Japan trotz der Vorbereitung der Antikominternvereinbarungen als widerwillige Ansprechpartner. Letztlich verband die drei Staaten nur wenig, auch wenn sie oberflächlich als „drei faszistische Mächte“ (Karl Haushofer) erscheinen mochten. Ihre Ziele, ihre politischen Traditionen, ihre aktuelle Ideologie, ihre machtpolitischen Möglichkeiten und ihre strategische Situation waren in Wahrheit sehr unterschiedlich. Das wurde bei den Verhandlungen über einen gemeinsamen Verteidigungspakt überaus deutlich, bei denen die Differenzen zwischen Japan und Italien einerseits und Deutschland andererseits zu erkennen waren. Die Verhandlungsinitiative kam stetig aus Berlin. Ribbentrop wollte mit Italien und Japan ein Abkommen erreichen, das im Verteidigungsfall wirksam wurde oder England gleich ganz von jener aggressiven Politik abhielt, die er der Londoner Regierung unterstellte. Die drei Staaten sollten sich dann im Bündnisfall gemeinsam militärisch zur Wehr setzen, dieses Ziel präsentierte die deutsche Verhandlungsstrategie trotz aller Rückschläge unverdrossen über die Jahre hinweg. Allerdings fühlten sich die beiden angesprochenen Partner Italien und Japan von England erstens gar nicht in der existentiellen Weise bedroht, wie man das in Berlin sah, und sie gingen zweitens nicht auf Grenzrevision im historischethnischen Rahmen aus, wie dies Ribbentrops weitere Aufgabe war. Italien und Japan waren längst und zu dieser Zeit mit Erfolg dabei, sich Imperien zu erobern, die sie in ihrer bisherigen Geschichte nie besessen hatten. Seit 1932 verfolgte Japan gegenüber China eine stete Eroberungspolitik, hatte bereits in der Mandschurei ein „Kaiserreich Mandschuko“ von China abgespalten und zielte seit 1937 auf weiteren Gebietsgewinn. Dabei ging man in Tokio von einer Phase der englischen Schwäche aus, die solche Eroberungen möglich machen und schließlich in deren legale Sicherung übergehen würde. Zwar wollte die Tokioer Elite einen Krieg mit England und den Vereinigten Staaten vermeiden, fürchtete ihn aber doch nicht so sehr, daß sie auf die laufende Eroberungspolitik verzichten wollte. Dieses Bewußt

8

Times vom 18.11.36, Artikel von Peter Fleming, hier zit. n. PA AA London, Bd. 1594.

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VII. Außenminister für Abschreckung

sein einer relativen Stärke stellte das einigende Element einer „Elite“ dar, deren politische Willensbildung ansonsten undurchschaubar blieb. Auch Italien hatte in den Jahren vor 1938 gerade die Eroberung eines „Kaiserreichs“ abgeschlossen, des ostafrikanischen Kaiserreichs Äthiopien. Ursprünglich deswegen von den Westmächten und dem von ihnen dominierten Völkerbund mit Sanktionen bestraft, gelang es Mussolini noch während Ribbentrops ersten Vertragsangeboten, von der englischen Regierung die völkerrechtliche Anerkennung dieser Eroberung zu erreichen. Diesen Schritt durfte man in Berlin als Teil der britischen Bemühungen interpretieren, den angebahnten deutsch-italienischen Beziehungen ihre Exklusivität zu nehmen. Ribbentrop persönlich konnte er als Teil der ihm gegenüber durch Churchill angekündigten allgemeinen Strategie erscheinen, deutsche Verbündete „umzudrehen“, zumal dies gleich zu seinen ersten Erfahrungen als Außenminister gehörte. Am 16. April 1938 wurde in Rom bereits ein italienisch-britisches Vertragswerk unterzeichnet, das im wesentlichen im Gegenzug für die Räumung Spaniens von italienischen Truppen, die dort während des Bürgerkriegs Partei ergriffen hatten, die Zusicherung der englischen Regierung enthielt, Italien die internationale Anerkennung der Eroberung Äthiopiens auch im Rahmen des Völkerbunds zu verschaffen. Dies bedeutete eine wesentliche und prinzipielle Änderung der britischen Position in Bezug auf die Anerkennung von mit Gewalt herbeigeführten Tatsachen in der internationalen Politik, eine Änderung, die sich auch auf die Verhältnisse in Ostasien und die japanischen Eroberungen auswirken könnte, wie eine Einschätzung des Auswärtigen Amts lautete.9 Großbritannien könnte die potentiellen deutschen Verbündeten „auskaufen“,10 noch bevor Ribbentrop sie gewinnen konnte. Noch vor und während der Münchener Konferenz versuchte Ribbentrop, aus dem bereits bestehenden Antikominternpakt einen echten Verteidigungspakt entstehen zu lassen, der Japan einschließen sollte. Er ließ Ciano schließlich am 29.  Sep­ tember 1938, am Rand der Münchener Konferenz einen Vertragsentwurf überreichen, von dem offenbar nur die italienischsprachige Fassung überliefert ist und der unter anderem „Beistand und Hilfe“ für „den Fall, daß einer der vertragsschließenden Staaten Gegenstand eines nichtprovozierten Angriffs von seiten eines oder mehrerer dritten Staaten“ werden sollte.11 Es ging ihm darum, möglichst schnell eine Abwehrkulisse bereitzustellen, und man wird Theo Sommer zustimmen müssen, daß der Abschluß und die Veröffentlichung eines solchen Abkommens für Ribbentrop zunächst einmal „eine möglichst imponierende Fassade“ herstel-

9 Vgl. ADAP, D, I, Dok. 755, S.  890, nicht unterzeichnete Aufzeichnung vom 27. April 1938 mit einer Zusammenfassung des Inhalts und politischer Bewertung aus einem Aktenband v. Weizsäckers. Genauer Text des Abkommens in „Documents on International Affairs“ 1938, II, London 1943, S. 141 ff. 10 So Ribbentrops Formulierung in den Schlußfolgerungen zu seinem Hauptbericht als Botschafter zum Jahreswechsel 1937/38. Vgl. Ribbentrop, Kriegsschuld, S. 77. 11 Vgl. Sommer, Mächte, S. 142.

1. Risikogedanken

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len sollte.12 Über Details von „Beistand und Hilfe“ würde in jedem Fall noch zu verhandeln sein und tatsächlich wurde zwischen Italien, Japan und Deutschland dann noch jahrelang verhandelt, ohne daß ein militärischer Beistandspakt je zustande kam. Mussolini dachte darüber hinaus an zusätzliche Expansion, ließ „Korsika, Nizza, Tunis“ in den Straßen skandieren und stellte keine „Revisions“-forderungen, sondern ging auf den Erwerb von neuem Land und Rechten aus, auch andernorts, etwa in Albanien. Demgegenüber fehlten Ribbentrops Anregungen über einen Verteidigungspakt gegen die Westmächte jene imperialistischen Kennzeichen, die Mussolini so gern gesehen hätte. Im Oktober 1938 kam es darüber zu einem regelrechten Zusammenstoß, als Ribbentrop kurze Zeit nach der Tschechoslowakeikrise und dem Münchener Abkommen einmal mehr in Rom eine defensive Allianz ins Gespräch brachte. Er tat dies mit der – zutreffenden – Begründung, daß auch Hitler die zunehmenden militärischen Vorbereitungen der Westmächte Sorge bereiten würden. Dies deckte sich mit dessen späteren Äußerungen, er habe in München erkannt, daß die Gegner im Westen „um jeden Preis unseren Kopf wollten“ und der Aufregung über die von Chamberlain nach dem Abkommen einseitig verkündete Aufrüstung. Ribbentrop wurde dennoch von Mussolini letztlich sehr undiplomatisch abgefertigt: „Wir dürfen keine rein defensive Allianz abschließen. Das brauchen wir auch nicht, denn niemand denkt daran, die totalitären Staaten anzugreifen. Wir wollen stattdessen eine Allianz abschließen, um die Weltkarte zu verändern. Dafür bedürfen wir einer Festsetzung der Ziele und der Eroberungen: wir für unser Teil wissen, wohin wir zu gehen haben.“13

Ribbentrop sei „wie vor den Kopf geschlagen“ gewesen, notierte Ciano nach diesem Auftritt. Notgedrungen stimmte er Mussolini vage zu und benannte das Mittelmeer als legitime italienische Einflußzone. Zuvor hatte er schon versichert, die Aussöhnung mit Polen auf der schon genannten Basis eines sicheren Zugangs Polens zum Meer weiterführen zu wollen. Damit waren die Gegensätze dennoch deutlich formuliert. In Berlin fühlte man sich bedroht und plante keinen Eroberungszug in Afrika oder anderswo, sondern suchte Schutz vor einem befürchteten Angriff auf seine großdeutschen Revisionsziele, einem Angriff auf die 1938 erreichte staatliche Existenz selbst. Dies hatte bereits am Vorabend dieses Zwischenfalls zu einem klassischen Mißverständnis geführt, da die italienischen Faschisten sich dies offenbar nicht vorstellen konnten und ausschließlich offensiv dachten. In Kombination mit ihrer germanophoben Vorstellungswelt führte das zu Spekula­ tionen über die deutschen Absichten. Ciano hatte abends im Hotel mit Ribbentrop gesprochen, der offenbar das Wort „Krieg“ in den Mund nahm. Italiens Außen­ minister notierte völlig unbefriedigt:



12



13

Vgl. Sommer, Mächte, S. 144. Zit. n. Ciano, Papers, S.  245, Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Mussolini, Ciano und Ribbentrop am 28. Oktober 1938 in Rom.

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VII. Außenminister für Abschreckung

„Er wiederholt seine Rede vom Mai; er hat sich die Idee des Krieges in den Kopf gesetzt, er will den Krieg, seinen Krieg. Er weiß nicht und sagt nicht, welches seine genaue Marsch­ richtung ist. Er stellt weder die Feinde fest, noch bezeichnet er die Ziele. Aber er will den Krieg in den nächsten drei oder vier Jahren.“14

Nun versuchte Ribbentrop auf dieser Reise, wie gesehen, Italien für ein Ver­ teidigungsbündnis in jenem Krieg zu gewinnen, den er im besonderen für möglich oder gar wahrscheinlich hielt, nämlich einen von Großbritannien begonnenen englisch-deutschen. Dieser Krieg sollte durch die Abschreckung vermieden werden, die von einem solchen Bündnis ausgehen würde, die Ribbentrop aber bereits jetzt rhetorisch mit Anspielungen auf deutsche Kriegsbereitschaft immer wieder zum Ausdruck brachte. Da es keine deutsche Gesprächsaufzeichnung und auch keine amtliche italienische gibt, läßt sich dieser Tagebucheintrag kaum anders interpretieren, als daß er Ciano zu diesem Zweck zunächst ganz pauschal an die Möglichkeit gewöhnen wollte, sich gemeinsam mit Deutschland militärisch verteidigen zu müssen, ohne bereits den möglichen Angreifer zu nennen und ohne „Ziele“ in Form von Gebietserwerb zu formulieren, die es in diesem Szenario gar nicht gab. Ciano begriff dies nicht, obwohl Ribbentrop ihn in einem Gespräch am nächsten Vormittag noch einmal ausdrücklich darauf hinwies, daß es ihm um „den Abschluß eines rein defensiven Bündnisses zwischen Italien, Deutschland und Japan“ gehe, das „gegen nicht provozierte Angriffe“ gerichtet sein sollte.15 Wie sein Außenminister, so wollte Mussolini am Nachmittag des gleichen Tages an einen möglichen Angriff der Westmächte ebenfalls demonstrativ nicht glauben. Das sollte sich erst einige Monate später ändern, unter dem Eindruck der Verschlechterung der französisch-italienischen Beziehungen Ende 1938.16 Immerhin hielt Mussolini nach seinen deftigen Äußerungen eine Versöhnungsgeste für nötig und beauftragte Ciano, Ribbentrop gegenüber eine weitere symbolische Übereinstimmung zur vorgeschlagenen Allianz auszusprechen.17 Zu Jahresbeginn 1939 schien Ribbentrop dann tatsächlich einem Bündnisabschluß mit Italien näher zu kommen, das sich seinen Initiativen bisher verweigert hatte. Botschafter Attolico überbrachte einen Brief Cianos an Ribbentrop, der einen Sinneswandel in dieser Frage ankündigte und dafür drei Gründe nannte: „1) Das Bestehen eines nunmehr nachgewiesenen Militärpaktes zwischen Frankreich und England; 2) das Überhandnehmen der Kriegsthesen in den verantwortlichen französischen Kreisen; 3) die militärischen Vorbereitungen in den Vereinigten Staaten, die die Versorgung der westlichen Demokratien im Fall der Notwendigkeit mit Menschen und hauptsächlich Material bezwecken.“18

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Zit. n. Ciano, Tagebücher, 28. Oktober 1938. Vgl. ADAP, D, IV, Dok. 400, Aufzeichnung Schmidts vom 28. Oktober 1938. 16 Zu den Ursachen der Spannungen zwischen beiden Staaten vgl. Newman, Guarantee, S. 73 f. 17 Vgl. Sommer, Pakte, S. 149. 18 Ciano an Ribbentrop, zit. n. ADAP, D, IV, Dok. 421, S. 475, 2. Januar 1939.

1. Risikogedanken

173

Der Ende 1938 vollzogene Schwenk der Washingtoner Politik auf eine Europapolitik, die eine mögliche kriegerische Auseinandersetzung der Westmächte mit den Achsenmächten mit in Betracht zog, war auch in Rom nicht unbemerkt geblieben. Von ideologischer Nähe zwischen Deutschland und Italien war in ­Cianos Schreiben nicht die Rede. Es fühlten sich die italienischen Faschisten jetzt offenbar selbst in erster Linie als Ziel einer vor allem von Frankreich ausgehenden und von den beiden angelsächsischen Mächten gestützten Bedrohung,19 so daß dieser Schritt jetzt weniger ein Beistandsangebot als ein Ersuchen um deutschen Beistand darstellte. Erst unter ähnlichen Bedingungen sollte sich auch Japan bereit zeigen, 1940 einen gemeinsamen Verteidigungspakt mit Deutschland und Italien zu schließen, so daß die vom amerikanischen Präsidenten forcierte QuarantänePolitik gegen diese drei Staaten dieses Bündnis voller Widersprüche erst ent­stehen ließ. Im Frühjahr 1939 verweigerte sich Japan ebenso wie Italien einem solchen Vertragsabschluß. Ribbentrop wollte ein volles Verteidigungsbündnis der drei Länder erreichen und wehrte sich gegen japanische Vorbehalte. In Tokio wollte man einen Vertragsabschluß nur im Zusammenhang mit einer Interpretationserklärung an die Westmächte vornehmen. Paris, London und Washington sollten ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß der Vertrag sie nicht betreffen würde, weder offensiv noch defensiv. Dies ließ aus Ribbentrops Sicht natürlich das ganze Projekt wertlos werden. Eine irgendwie geartete Stellungnahme an England, Frankreich oder die USA komme überhaupt nicht in Frage: „Die Interpretation des Paktes muß dahin gehen, daß er rein defensiv und daher gegen niemanden gerichtet ist, daß aber im Fall eines Angriffs seitens dritter Mächte der Vertrag gegen jedweden Angreifer Anwendung finde und dieser Angreifer damit zum Gegner aller drei Paktunterzeichner werde.“20

Um in Tokio einen entsprechenden Sinneswandel zu erreichen, drohte er am Rande der diplomatischen Empfänge zu Hitlers Geburtstag am 20. April gegenüber Oshima sogar erstmals mit einer möglichen deutsch-sowjetischen Verständigung, was für Japan, das einen deutsch-japanischen Vertrag in erster Linie wegen der sowjetischen Bedrohung abschließen wollte, eine recht massive Ankündigung darstellte. Dessen ungeachtet und zweifellos auch unter dem Eindruck der neuen britischen Politik, die im Juli 1939 in der faktischen Anerkennung der japanischen Eroberungen in China gipfelte, hielt das japanische Kabinett an seinen Vorbehalten fest. Es sollte 1939 keinen Verteidigungspakt zwischen Japan, Italien und Deutschland geben, was ohne jeden Zweifel einen großen Erfolg der britischen 19 Am 14. Januar notierte Ciano nach einem Agentenbericht aus Korsika, es gäbe unzweifelhaft echte, „genaue Angriffspläne Frankreichs“ für den Juni des Jahres, die ein regionaler korsischer Politaktivist namens Campinelli in einer Rede enthüllt habe. Vgl. Ciano, Tagebücher, S. 25, 14. Januar 1939. 20 Diese Stellungnahme Ribbentrops übermittelten die Botschafter Attolico am 4. April 1939 nach Rom, bzw. Oshima am 2. April nach Tokio. Hier zit. n. Sommer, Mächte, S. 198 f.

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Politik darstellte. Auch in diesem Fall erwiesen sich britische Versprechen auf das Land anderer Leute als adäquates diplomatisches Mittel, während die britischen Diplomaten in Tokio zugleich nach Kräften japanische Befürchtungen nährten, in einem Pakt mit Deutschland und Italien ohne echten eigenen Gewinn in europäische Angelegenheiten verwickelt zu werden.21 „Gewinn“ gab es scheinbar viel leichter durch britische Billigung zu erwerben,22 der allerdings seit dem Jahreswechsel 1938/39 immer der klare Kurs der amerikanischen Regierung gegenüberstand, die dieses Mittel nicht anerkannte. Letztlich konnte aber der Krieg gegen Deutschland durch Großbritannien am 3.  September 1939 erklärt werden, ohne daß ein anderer Staat sich verpflichtet sah, an der deutschen Seite in den Krieg zu ziehen. Der zuvor unter vielen Vorwänden von Italien immer wieder verweigerte Bündnisabschluß schien der Regierung in Rom dagegen unter den oben genannten Vorzeichen einer französischen Angriffsdrohung plötzlich dringend geworden zu sein. Botschafter Attolico fügte im Gespräch mit Ribbentrop im Januar 1939 offenbar aus eigenem Antrieb als eine Art Forderung den Wunsch nach wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Auswanderung der Südtiroler hinzu, womit er nach Cianos Ansicht bereits „zu weit“ ging.23 Scheinbar am Ziel, reagierte Ribbentrop damals dennoch weitgehend positiv. Er erklärte die Südtirolfrage und die Wanderungsbewegungen der dortigen Deutschen lediglich zu einer Sache der Freiwilligkeit und lud Ciano für den 28. Januar 1939 zur Unterzeichnung von Pakt und Militärabkommen nach Berlin ein.24 Aus diesem Besuch wurde jedoch nichts, da kurz danach wieder einmal gerade die Briten ihren nächsten Schachzug taten und Neville Chamberlain samt Delegation im Januar nach Italien reiste, um die versprochene Anerkennung des italienischen Kaiserreichs in Äthiopien zu vollziehen. Ein deutsch-italienischer Paktabschluß wirkte plötzlich inopportun, zumal Chamberlain in Italien reichlich militant auftrat und die französisch-englische Bereitschaft zur Kriegsführung gegen weitere Störer der internationalen Ordnung betonte.25 Das alles sei mehr oder weniger Gerede, genauso wie die zahlreichen Empfänge und Festessen, die von den Italienern zum Beeindrucken des Premiers

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So Außenminister Halifax am 27.  April zum Londoner Botschafter Shigemitsu. Vgl. DBFP, IX, Nr. 25. 22 Auch nach dem o.g. Abkommen über die indirekte Anerkennung der japanischen Herrschaft in China betonte die Londoner Politik gerne, man könne auch darüber noch hinaus­gehen, so etwa Halifax am 23. August 1939. Vgl. DBFP, IX, Doc. 574, Halifax an Craigie, hier n. Sommer, Mächte, S. 298. 23 Vgl. Ciano, Tagebücher, S. 20 f., 7. Januar 1939. 24 Vgl. ADAP, D, IV, Dok. 426, S. 480, Ribbentrop an Ciano am 9. Januar 1939. Der Entwurf von Pakt und geheimem Zusatzprotokoll sei Attolico sowie Oshima demnach schon übergeben worden, ist in den ADAP aber weder gedruckt noch weiter erwähnt. 25 Vgl. Graml vs. Hoggan, wonach Hoggan hier angeblich fälschlicherweise einen Sinneswandel seit München erkennen will, während Graml betont, die Gesprächsaufzeichnung Chamberlains hätte auch die in München schon bestehende Kriegsbereitschaft behauptet. Vgl. Spiegel-Artikel über Hoggan mit Interview und Gramls Kritik, in: Der Spiegel 20/1964.

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veranstaltet wurden, notierte Oliver Harvey, der Privatsekretär von Außen­minister Halifax schon im Vorfeld: „Die einzige Rechtfertigung für diesen Besuch ist die damit verbundene Stärkung der Wahrscheinlichkeit, daß die Italiener die Deutschen betrügen werden, falls es tatsächlich zum Krieg kommt.“26 England blieb ein zäher Gegner im diplomatischen Spiel, wie Ribbentrop erwartet hatte. Allerdings war der britische Spielraum gegenüber den italienischen Faschisten begrenzt, denn ein formelles Auskaufen einer möglichen italienisch-deutschen Allianz auf Kosten der von Rom gewünschten französischen Besitztümer stand unter den gegebenen Verhältnissen nicht zur Debatte, wie Harvey gleich dazusetzte. Dies sollte erst später unter dem Eindruck der französischen Niederlage im Mai 1940 kurzzeitig ein Thema werden. Das Monate nach Chamberlains Italienbesuch im Mai 1939 doch noch geschlossene und als „Stahlpakt“ bekannt gewordene Abkommen zwischen Italien und Deutschland kam daher schließlich erst unter dem Eindruck eines weiteren britischen Schachzugs zustande, des am Monatswechsel März/April vorausgegangenen Vertragsabschlusses zwischen Frankreich, Polen und England. Der Stahlpakt griff bis ins Detail dessen Formulierungen auf.27 Mussolini und Ciano drängten Ribbentrop bei seinem Aufenthalt in Mailand am 6./7. Mai 1939 einen solchen zweiseitigen Vertrag förmlich auf. Hitler und Ribbentrop nahmen die Formu­ lierung der Details in Berchtesgaden vor, wohin Ribbentrop direkt aus Mailand gefahren war. Dabei wurde der bisherige Vertragsentwurf für das Dreimächte-Verteidigungsabkommen völlig verändert. Heraus kam ein Pakt ohne jede Einschränkung, der wie das englisch-polnische Abkommen sowohl offensiv wie defensiv nutzbar sein sollte. Auch jetzt hatte Mussolini trotz aller dabei vorgetragenen und schriftlich erklärten deutschfreundlichen Vertragsrhetorik keineswegs die feste Absicht, an der Seite Deutschlands Krieg zu führen. Er weigerte sich aber zugleich, den Briten den ihnen mindestens indirekt versprochenen Preis für die Anerkennung des äthiopisch-italienischen Kaiserreichs zu zahlen und von Deutschland abzurücken. Der schrankenlose Machiavellismus des italienischen Regimes ließ es bei jeder passenden Gelegenheit die Seite wechseln, 1940 mit dem plötzlichen Kriegseintritt auf deutscher Seite und dem unprovozierten Überfall auf die Westmächte ebenso wie mit dem Seitenwechsel von 1943. Trotz noch geltender Bündnisverpflichtungen mit Deutschland sprach die italienische Regierung mit den Alliierten einen fliegenden Wechsel in ihr Lager ab und wollte ihre Soldaten zwingen, den deutschen Verbündeten aus den von deutschen Truppen eroberten und an Italien übergebenen Stellungen praktisch buchstäblich in den Rücken zu schießen. Dieser letzte Schwenk führte wegen der beinah flächendeckenden Weigerung des ita-



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Zit. n. Harvey, Diary I, S. 229. Dieser regelmäßig übersehene Zusammenhang ist ausführlich dargestellt in: Scheil, Vereinte Entfesselung, S. 94 ff.

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lienischen Militärs, sich auf diese Weise mißbrauchen zu lassen, zum endgültigen Sturz der monarchisch-faschistischen Regierung. Angesichts des letztlich eingetretenen Desasters der deutschen Politik stellt sich erneut die Frage nach den Ursachen, die es verursachten, also unter anderem die nach dem Verhältnis von Notwendigkeit und Willkür. Dem Versuch, den angeblich drohenden Angriffskrieg Englands mit einer Kombination aus vollendeten Tatsachen in den Angelegenheiten der Grenzrevision, sowie mit Drohung und Stärke abzuwenden, standen schließlich im Prinzip andere Möglichkeiten gegenüber. Die englischen Motive konnten auch bei tatsächlich vorhandenem Angriffswillen in England durch demonstrative Passivität, Akzeptanz des Status quo in Mitteleuropa und Annahme der englischen Kolonialpläne in Bezug auf den Kongo die Chance zur Entfaltung genommen werden. Flottenabkommen, Wiederbewaffnung des Heeres und Besetzung des Rheinlands hatten die militärische Lage besser werden lassen als 1933 und konnten eine solche Strategie möglich machen. Allerdings war auch ein solches Vorgehen nicht ohne Risiko für den deutschen Staat. Selbst wenn man die Sowjetunion aus der Betrachtung herausließ, konnte ein Konflikt um Österreich und vor allem die Tschechoslowakei ohne weiteres ausbrechen. Beide Staaten hatten als erzwungene Neugründungen der Pariser Nachkriegsverträge keine eigene stabile innere Existenzberechtigung. Ein Konflikt, wie er um wirtschaftspolitische Fragen oder solche der Gleichberechtigung der Deutschen in der Tschechoslowakei immer möglich war, würde Deutschland im Fall eines englisch-französischen Eingreifens in eine deutlich unterlegene Situation gebracht haben. Ging man von diesem Szenario aus, und Ribbentrop hatte dies in seinem Bericht so entworfen, dann hätte eine deutsche Politik der Passivität und der Annahme von Kolonialgeschenken allenfalls die Verantwortungsfrage für einen schließlich doch ausgebrochenen „heißen“ Konflikt vielleicht in einem anderen Licht erscheinen lassen, aber die Chancen für Deutschland deutlich vermindert, diesen Konflikt zu bestehen. Ging man wie Winston Churchill und manch anderer in den westlichen Ländern von einem permanenten Krieg aus, der um die Existenzberechtigung der staatlichen Existenz der deutschen Einheit geführt wurde, also von einem eigentlich nach 1918 nie beendeten Konflikt, für den Churchill selbst später die Formel vom „zweiten dreißigjährigen Krieg“ prägte, dann war eine neue Eskalation zum heißen Krieg immer möglich. Ribbentrop entschied sich – auch unter dem Eindruck solcher Churchillschen Erklärungen – für eine Diplomatie der Abschreckung. Um den englischen Angriffswillen zu überwinden, sollte durch eigene Rüstung, durch Verwirklichung der Revisionsziele, aber auch durch eine für Großbritannien unangenehme Bündniskonstellation durch deutsche Bündnisse mit Italien und Japan stetig die Kosten für einen englischen Krieg gegen Deutschland so weit gesteigert werden, daß er unattraktiv werden würde. Dies war ein nachvollziehbarer Gedanke, der aber ein Spiel mit hohem Einsatz bedeutete. England konnte im Fall eines Kriegs mit Deutschland vielleicht seine Existenz als Empire verlieren, Deutschland würde möglicherweise seine staatliche Existenz überhaupt einbüßen.

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Nimmt man nun Hitler und/oder das NS-Regime aus der Geschichte heraus und spekuliert über den Fortgang ohne ihn, dann ist es ohne weiteres vorstellbar, daß eine Regierungszusammensetzung Schleicher/Neurath/Weizsäcker bei der Verfolgung großdeutscher Revisionsziele in Österreich, Tschechoslowakei und Polen (in deren Berechtigung sich diese Kreise und weite Teile der deutschen Öffentlichkeit völlig einig waren) in einen europäischen Großkrieg mit ähnlichem Verlauf und Ausgang geraten wäre. Umgekehrt darf nicht vergessen werden, daß es für die polnische Regierung nicht unmöglich gewesen wäre, den nach München 1938 angebotenen endgültigen Ausgleich auf Basis der bestehenden Grenzen anzu­nehmen. Es ist keineswegs so gewesen, daß der deutsche Staatschef 1938/39 unbedingt auf einen deutsch-polnischen Krieg zusteuerte und seine Absichten eine notwendige Bedingung für den Ausbruch eines „Zweiten Weltkriegs“ gewesen wären. Die Entwicklung hätte auch mit ihm als Diktator ganz anders verlaufen können, oder ohne ihn als Diktator in ganz ähnlicher Weise. Der Friedenskrieg, mit dem Hitler/Ribbentrop in den Jahren 1938/39 die angestrebten Ziele erreichen wollten, zugleich aber die englische Politik von einem Angriff auf Deutschland abzuhalten versuchten, der mit jedem deutschen Zugewinn immer mehr Opfer fordern würde, erschütterte andererseits die Staatenwelt. Das Selbstverständnis der Zeit mit dem Anspruch auf die Führung „souveräner“ Machtpolitik der Staaten auf Basis gegenseitiger Bedrohung oder Koalition stand einem europäischen Frieden im Weg. Wer nationalsozialistisch-deutsche Verantwortung für den schließlich ausgebrochenen zweiten europäischen Großkrieg innerhalb von fünfundzwanzig Jahren skizziert, muß sie in diesem Rahmen skizzieren. Wie Ribbentrop es in seinem Abschlußbericht aus London angekündigt hatte, erging im Frühjahr 1938 tatsächlich eine Art Kolonial-Angebot, das Neville Chamberlain über seinen Berliner Botschafter Henderson an Hitler weitergeben ließ. Es ging dabei um ähnliche Dinge, wie sie der inzwischen – zeitlich fast parallel zu Ribbentrop – zum britischen Außenminister beförderte Halifax bereits im November 1937 angeregt hatte. Eine Änderung des Status quo in Mitteleuropa schloss der englische Vorschlag nicht prinzipiell aus, wollte aber „friedliche Mittel“ gewahrt wissen und blieb ansonsten vage. Dafür wurde Deutschland eine Mitarbeit bei der Verwaltung des zentralafrikanischen Kongo in Aussicht gestellt,28 ein Thema, auf das die Regierung Chamberlain auch im Sommer 1939 noch einmal zurückkommen sollte.29 Dies war nun insofern ein typisch englischer Vorschlag, als er ausschließlich zu Lasten Dritter ging. Von der Rückgabe ehemals deutscher Kolonien, die unter der Verwaltung durch Großbritannien oder einem seiner Dominien standen, also etwa von Ost- oder Südwestafrika, war keine Rede, woran Ribbentrop bei seinem

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Vgl. ADAP, D, I, Nr. 138, 3. März 1938, Unterredung Hitlers mit Henderson in Anwesenheit von Ribbentrop. 29 Zit. n. ADAP, D, VI, Dok. 716, S. 826, Bericht Wohlthats über seine Londoner Gespräche vom 24. Juli 1939.

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bald darauf folgenden Londonbesuch Halifax auch erinnerte.30 „Der Reichsaußen­ minister wies nochmals darauf hin, daß Deutschland keine Forderungen an Mächte gestellt habe, die Deutschland keine Kolonien weggenommen hätten. Deutschland fordere bekanntlich nur die Rückgabe seiner früheren Kolonien.“ Nach britischen Vorstellungen sollte belgisch kontrolliertes Territorium überwiegend der Gegenstand des Handels sein und noch dazu gedachte man in London, bei dieser Gelegenheit ebenfalls einen Gewinn zu machen. Der britische Imperialismus wollte noch einmal mit den gewohnten Methoden auf der Höhe der Zeit sein. Auch war mit diesem Vorschlag der erneute Anspruch verbunden, die Grenzen in Mitteleuropa seien nach englischen Wünschen zu ziehen. Für Hitler, der diese Grenzen mit Blick auf Österreich, Böhmen und Mähren ebenso wie Ribbentrop als willkürlich durch Deutschland gezogene Linien betrachtete, stellte dies ein Problem dar, das den Kern seiner politischen Ambitionen betraf. England konnte in seiner Vorstellung „die Welt behalten“,31 aber kein Vetorecht in Mitteleuropa. Der Staat, den er nach dem am 5. November 1937 skizzierten Programm schaffen wollte, hatte dort seine uneingeschränkten Interessen. Dieses britische Angebot bot daher keine Basis, um Hitlers wie Ribbentrops Mißtrauen zu überwinden. Das Kolonialgeschenk enthielt nicht das gewünschte englisch-deutsche Bündnis, was etwa Ribbentrops Warnungen vor einem lang­ fristig drohenden englischen Angriff hätte entkräften können. Statt dessen verlangte es praktisch, von dem nationalsozialistischen Kernprojekt einer großdeutschen Einheit Abschied zu nehmen und ließ den deutschen Staat weiter ohne Bündnispartner vor einem mutmaßlich drohenden Konflikt zurück, in den die Westmächte ebenso wie die Sowjetunion als deutsche Gegner eingreifen konnten und in dem Kolonialgebiete vollständig wertlos waren, wie der zurückliegende Weltkrieg zwischen 1914 und 1918 anschaulich bewiesen hatte. Das Mißtrauen gegenüber der englischen Politik konnte auf diese Weise nicht aus der Welt geschaffen werden. In einer fortdauernden imperialistischen Ära glaubten Hitler wie Ribbentrop, weiterhin langfristig einen englischen Angriff fürchten zu müssen, während aktuell, wie Hitler am 5. November des Vorjahrs gesagt hatte, Österreich und die Tschechoslowakei in London vielleicht schon „abgeschrieben“ waren.32 Wenn dies so war, dann galt es das zu nutzen. Hitler reagierte gegenüber ­Henderson entsprechend deutlich mit dem Hinweis, daß „Deutschland sich bei der Regelung seiner Beziehungen zu den stammesverwandten Ländern mit starken deutschen Bevölkerungsteilen von dritten Mächten nicht hineinreden lassen würde.“33

30 Vgl. ADAP, D, I, Dok. 145, S. 212, Aufzeichnung des Gesprächs Ribbentrop-Halifax vom 10. März 1938. 31 So wörtlich noch im Herbst 1941. Vgl. Hewel, Tagebuch, 8. September 1941. 32 Vgl. ADAP, D, Bd. I, Dok. 13, S. 30. 33 Vgl. ADAP, D, I, Nr. 138, 3. März 1938, Unterredung Hitlers mit Henderson im Beisein von Ribbentrop.

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An diesem Anspruch schieden sich die Geister. In den Augen vieler britischer Politiker war dies „Pangermanismus“ und damit genau das, wogegen man den Ersten Weltkrieg geführt hatte. Wickham Steed, Mitte der 1930er Jahre der agilste Akteur in Churchills Unterstützerkreis „Focus“ und schon vor 1914 als britischer Beauftragter zur Neugestaltung der Verhältnisse in Mitteleuropa unterwegs, hatte Churchill eigens an diese alten Linien erinnert. Einer von den einflußreichen britischen Journalisten, die Ribbentrops Ansatz für einen deutsch-britischen Ausgleich für realistisch hielten, würde genau diese Gefahr verkennen: „Mr. J. L. Garvin, der sich gelegentlich solch deutschen Vorstellungen widmet, empfiehlt die britische Hinnahme einer deutschen „Mittel-Europa“-Politik. Er erklärt: ‚Herr Hitlers wirkliches Ziel und Traum ist nicht die Eroberung Rußlands, sondern die Schaffung eines vereinten Mittel-Europa unter deutscher Führung.‘ Das ist der alte pan-germanische Traum, gegen dessen Erfüllung der Große Krieg in Wahrheit geführt wurde.“34

Unter diesem Blickwinkel trugen die Vorstellungen, die Hitler ebenso wie Ribbentrop wie auch manche Regimegegner bis hin zu den Attentätern des 20. Juli 1944 über den angemessenen Umfang eines deutschen Staates entwickelt hatten,35 den Konflikt mit Großbritannien in der Tat in sich. Ob Steeds Überlegungen historisch adäquat waren, spielte dabei für den Gang der britischen Innenpolitik nur eine nachgeordnete Rolle. Der Kriegspremier des „Großen Krieges“, David Lloyd George hatte solche Gedanken nicht mehr und sollte 1940 vom „dümmsten Krieg“ sprechen, den Großbritannien je geführt habe.36 Er meinte den Krieg, den man 1939 dem deutschen Reich erklärt hatte, um dessen privilgierte Stellung in Mitteleuropa zu zerstören. Aber als Lloyd George dies feststellte, hatte sich eine andere Linie bereits fast vollständig durchgesetzt, die den Krieg kompromißlos bis zum Ende durchführen wollte.



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Memorandum von Wickham Steed über allgemeine politische Fragen. Churchill am 17. März 1937 durch den Sekretär des Focus, A. H. Richards übersendet. Zit. n. CHAR 2/311 A, Bl. 41 f. 35 Der von Oberst Stauffenberg für den Erfolgsfall des Staatsstreichs aufgestellte territoriale Forderungskatalog umfasste die „Reichsgrenze von 1914 im Osten, Erhaltung Österreichs und der Sudeten beim Reich, Autonomie Elsaß-Lothringen, Gewinnung Tirols bis Bozen, Meran.“ Zit. n. Jabobsen, Opposition, S. 127. 36 So Lloyd George zum amerikanischen Unterstaatssekretär Sumner Welles. Vgl. FRUS I, S. 86.

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2. Prag und die Weltpolitik „Nicht, daß mir nicht jederzeit klar gewesen wäre, daß die komplette Unterwerfung (subservience) der Tschechen gegenüber Deutschland unvermeidlich war. Das war mir klar, und das ist der Grund, warum mich all das Gerede über Holland, die Schweiz und die Ukraine stets irritiert hat. Es lenkte die Aufmerksamkeit der Leute von den wirklichen Zielen ab und wurde, wie ich vermute, vor allem zu diesem Zweck von den extremen Nazis verbreitet.“ Nevile Henderson37

Nach der Wiedervereinigung Österreichs mit dem deutschen Staatsverband sollte es nicht lange dauern, bis auch das von Hitler gegenüber Henderson ange­ sprochene und international erwartete Thema Tschechoslowakei auf der Tagesordnung stand. Ribbentrop hatte in seinen Berichten an Hitler davor gewarnt, es könnte über dieser Frage ein europäischer Krieg ausbrechen. Tatsächlich sah es zunächst auch so aus, zumal sich die Tschechoslowakei aus der Sicht von Ribbentrops politischen Gegnern in England geradezu anbot, um England und Deutschland in einen Krieg zu ziehen. Allen vorweg ging wieder einmal Winston Churchill. Er forderte die tschechoslowakische Regierung im Frühjahr 1938 sogar direkt auf, selbst einen solchen Krieg zu provozieren. Die regelmäßige Kontaktfrau zwischen ihm und der Prager Regierung, Sheila Grant Duff, übermittelte dies unter dem Datum des 21. April 1938 in die tschechoslowakische Hauptstadt: „Er (d. h. Churchill, d. Verf.) würde 50:1 wetten, daß Deutschland in nächster Zeit die Tschechoslowakei nicht angreifen werde. Er sagte ausdrücklich, er würde es vorziehen, wenn die Tschechoslowakei einen Krieg hervorrufen würde.“38 Daran arbeiteten die Prager Führungskreise denn auch wenige Wochen später, im Mai 1938, als sie mit frei erfundenen Nachrichten über angebliche deutsche Truppenkonzentrationen an der deutsch-tschechoslowakischen Grenze die europäische Öffentlichkeit aufschreckten. Die vorausgegangenen ermutigenden Signale aus London und Paris spielten dabei eine wesentliche Rolle. In erster Linie hingen die militärischen Möglich­keiten der Tschechoslowakei von ihrer Stellung in der europäischen Politik ab, so sah dies jedenfalls die tschechische Führungsschicht. Sie hatte zwar mit einem umfassenden Aufrüstungs- und Befestigungsprogramm dafür gesorgt, daß die Tschechoslowakei ein verteidigungsfähiges Land war, aber sie beabsichtigte nicht, einen solchen Krieg unabhängig von internationaler Unterstützung zu führen. Solche Unterstützung mußte nach den geltenden Bündnisverträgen von Frankreich geleistet werden und seit 1935 auch von der Sowjetunion. Eben hier lagen für Deutschland die militärischen Risiken, denn beide Länder interpretierten die Tschechoslowakei als vorgeschobene Basis für Angriffe auf deutsche Ballungsräume und Industriezentren. Die Tschechoslowakei als „Flugzeugträger“ für andere Mächte stellte

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Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Appendix I, S. 595, Henderson an Halifax am 15. März 1939. Zit. n. Kral, Abkommen, S. 117, 21. April 1938.

2. Prag und die Weltpolitik

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damit nicht nur einen allgemeinen politischen Affront gegen das Selbstbestimmungsrecht von Teilen der dort wohnenden deutschen Bevölkerung dar, sondern eine reale militärische Bedrohung. Ein europäischer Krieg konnte über den politischen Konflikten mit Prag ausbrechen und von Böhmen und Mähren aus in der Luft offensiv geführt werden. Diese Aussicht stellte eine Option dar, auf die man in der tschechoslowakischen Regierung bewußt setzte. Präsident Benesch bekräftigte das im Frühjahr 1938 bei verschiedenen Gelegenheiten. In einem Gespräch mit dem englischen General E. L. Spears erklärte er etwa, von der Sowjetunion am 13. März 1938 das Versprechen eines absoluten Minimums von eintausend Militärflugzeugen erhalten zu haben. Flugplätze zur Aufnahme dieser Flugzeuge würden bereits vorbereitet.39 Die Zeitung der tschechischen Kommunisten prophezeite für den Kriegsfall gleich dreißigtausend sowjetische Bomber über Berlin und die tschechischen Sozialdemokraten hielten immerhin eintausendvierhundert sowjetische Flugzeuge für realistisch. Aus Paris erinnerte der stellvertretende Direktor der politischen Abteilung des Außenministeriums, René Massigli die englischen Kollegen im Sommer 1938 mehrfach daran, „daß der französische Generalstab das Territorium der Tschechoslowakei als mögliche Basis für französische Luftangriffe auf deutsche Ballungsräume betrachten“ würde.40 Wenn also Ribbentrop und Hitler mehrfach von der Tschechoslowakei als einer militärischen Bedrohung sprachen, entsprach das unter den gegebenen Umständen den Tatsachen. Auch aus anderen Richtungen gingen in diesen Tagen und Wochen in Berlin bedrohliche Nachrichten in Sachen Rüstungspolitik ein. In Washington unterzeichnete Präsident Roosevelt am 17. Mai 1938 die Naval Expansion Bill, die der amerikanischen Marine mit 1,15 Milliarden Dollar Umfang das größte Aufrüstungsprogramm aller Zeiten gestattete. In London wurde Ende April das neue Luftrüstungsprojekt Scheme L beschlossen, das den Bau von 12.000 Kampfflugzeugen innerhalb von zwei Jahren vorsah und in Paris kündigte die Regierung Daladier im Mai eine Verdoppelung des französischen Militärhaushalts an.41 Da nun die tschechische „Krieg in Sicht“-Krise gerade bewiesen hatte, wie ein euro­ päischer Krieg gegen Deutschland gegebenenfalls ohne aktives Zutun der Berliner Regierung ausbrechen könnte und sich die militärischen Verhältnisse unter solchen Vorzeichen schnell verschlechtern würden, sah sich das Haupt der Diktatur in der Hauptstadt zu Gegenzügen veranlaßt. Hitler ordnete am 24.  Mai den beschleunigten Bau der Befestigungen an der Westgrenze an; er befahl außerdem den zügigen Weiterbau der beiden Schlachtschiffe Bismarck und Tirpitz.42 Zudem dachte er über eine Expansion des U-Boot-Bauprogramms nach und ließ seine Generäle wissen, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit zerschlagen zu wollen.

39 Vgl. F. O. 371/21716, S. 324 f. bzw. FO 800/309, S. 133, Bericht über das Treffen SpearsBenesch bzw. Spears an Halifax vom 21.3.1938, sowie Franke, London, S. 232. 40 Vgl. F. O. 371/21728, S. 17, (R. I. Campbell an Strang, 13.7.1938); F. O. 317 21731, S. 42, (R. I. Cambell an Sargent, 13.8.1939), hier zit. n. Franke, London, S. 234. 41 Für alle drei Fälle vgl. Tooze, Ökonomie, S. 295. 42 Vgl. Tooze, Ökonomie, S. 296 f.

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Das Risiko für die Westmächte im Fall eines von ihnen beabsichtigten Krieges sollte möglichst hoch ausfallen. Ribbentrops Aufgabe wurde es in den folgenden Monaten, dieses Risiko zum Kern der außenpolitischen Rhetorik Deutschlands werden zu lassen. Die deutsch-tschechischen Krisen fanden nicht isoliert statt und berührten auch nicht nur die bekannten Vertragspartner und Großstaaten in Ost und West. Inzwischen hatte ein anderes Land bereits die drohende Krisenlage erkannt und wollte sie nutzen. Wer im Frühjahr 1938 statt der deutschen Streitkräfte tatsächlich an der tschechischen Grenze aufmarschierte, das war die polnische Armee.43 Der Amtsantritt Ribbentrops und das Ende der Eigenständigkeit der Republik Österreich hatte naturgemäß auch auf Polen seine Rückwirkungen. Solche Zeiten, in denen ganze Staaten verschwanden, boten aus Sicht anderer Staaten immer auch Gelegenheiten. Der Botschafter der polnischen Republik in Berlin, Josef Lipski ließ sich zwar nach der Ernennung Ribbentrops einige Tage Zeit. Er kam dann aber am 12. März 1938 via Staatssekretär Weizsäcker auf das deutsche Außenministerium zu, indem er einen ersten Besuch bei Ribbentrop ankündigte, bei dem er über die jüngsten polnisch-italienischen Kontakte bei Außenminister Becks Besuch in Rom Auskunft geben wollte. Er ließ Weizsäcker aber gleich wissen, was die wesentlichen Punkte gewesen seien und brachte dabei den wohl wichtigsten Aspekt unter, nämlich „die Notwendigkeit, Polen einzubeziehen, wenn ein neues trag­fähiges Arrangement in Europa geschaffen werden soll“.44 Damit waren zunächst die polnischen Ansprüche auf Mitgestaltung der Um­ gestaltung Ostmitteleuropas angemeldet, was sich neben der damals aktuellen Österreich-Krise auf den polnisch-litauischen Dauerkonflikt um Wilna bezog. Bereits am 18. März sprach Lipski dann bei Ribbentrop persönlich vor und legte ihm die polnische Note vor, die von Litauen ultimativ die Anerkennung der Abtretung Wilnas und die Wiederaufnahme von diplomatischen Beziehungen verlangte. Die Gelegenheit sollte genutzt werden, den seit den zwanziger Jahren schwelenden Dauerstreit um diese Stadt zu Gunsten Polens zu entscheiden. Ribbentrop billigte die Forderung. Er hatte den Litauern bzw. deren Botschafter vorher auch zur Annahme geraten und erinnerte Lipski lediglich daran, künftig vorher über weitere polnische Aktionen informiert werden zu wollen. Das hatte Lipski selbst bereits gegenüber Hermann Göring versprochen, der bereits in der Ära Neurath regel­ mäßig in den deutsch-polnischen Beziehungen agiert hatte und dies weiterhin beibehielt. Lipski sagte Informationen zu, „notfalls auch während der Nacht“.45 43 Vgl. PA AA R 28881, Bl.  78573, Aufzeichnung über eine Nachricht vom deutschen General­konsulat Kattowitz vom 23.4.1938. 44 Weitere Punkte seien gewesen: „Feststellung der Bedeutung der Achse Rom-Berlin für die europäische Politik; Feststellung der Bedeutung des deutsch-polnischen Abkommens vom Jahr 1934; … Ausbau der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Rom und Warschau“. Zit. n. PA AA R 28881, Bl. 78550, Aufzeichnung Weizsäcker vom 12.3.38. 45 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78552, Aufzeichnung Ribbentrops vom 18. März 1938. Vgl. auch ADAP, D, V, Dok. 334. Eine Woche später sprach Lipski dann bei Weizsäcker vor, lobte

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Eine deutsch-polnische Interessenidentität im Fall Litauen schien gegeben. Was Ribben­trop und Lipski darüber hinaus noch besprochen hatten oder besprochen haben könnten, beschäftigte die Gemüter. In Zusammenhang mit diesem Gespräch gab es ein Gerücht über einen polnisch-deutschen Totalausgleich. Der Presseattaché der schwedischen Gesandtschaft und schwedische Journalist Jäderlund kolportierte seinen Inhalt wie folgt: „Im ‚Büro Ribbentrop‘ sei eine bis in die kleinsten Details gehende neue Grenzziehung zwischen Deutschland und Polen hergestellt worden. Diese neue Grenzziehung hebe den Korridor auf, lasse aber Polen den Freihafen Gdingen und eine unter Ausschluß der deutschen Zollhoheit stehende Bahnlinie nach Gdingen. Dafür werde Polen freie Hand im Osten (für Gebietserweiterungen), d. h. gegenüber Rußland und Litauen zugesichert. (In Litauen sogar einschließlich des Memellandes!) Polen sei mit diesem Projekt einverstanden, dessen Durchführung bei passender Gelegenheit erfolge.“46

Ein Bericht der Dienststelle Ribbentrop registrierte dies, ohne sich zum Inhalt weiter zu äußern. An sich wäre ein solches Übereinkommen nach Ribbentrops wie üblich „säkularen“47 Maßstäben ohne weiteres möglich gewesen. Es ist auch gut möglich, daß dieser Vorschlag in der Dienststelle genau so skizziert wurde. Teile davon, wie der garantierte polnische Freihafen in Gdingen samt exterritorialer Bahnlinie dorthin, wurden später zum Inhalt der an Großbritannien und Polen vor Kriegsbeginn überreichten Vermittlungsvorschläge. Ribbentrop dachte aber bereits als frisch ernannter Minister über die Möglichkeiten für einen langfristigen deutsch-polnischen Ausgleich nach dem italienisch-deutschen Muster nach. In einer Aufzeichnung vom Vortag des Lipski-Gesprächs, dem 17.  März 1938, nannte er unter diesem Aspekt ausdrücklich „Litauen als Kompensationsobjekt für eine Rückgabe des Korridors an Deutschland“.48 Einen Versuch, den polnischen Landhunger in Richtung Osten abzulenken, unternahm er später zusätzlich noch einmal die eigene Regierung und sprach von „weiteren Fragen“, die Polen noch mit Litauen offen hätte. Auf die Nachfrage Weizsäckers, welche das seien, „blieb er die Antwort schuldig“. Statt dessen stellte er die alberne Behauptung auf, daß die Litauenfrage „die gegenwärtige Machtlosigkeit Moskaus geoffenbart habe“. Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78555, Vermerk von Weizsäckers vom 26. März 1938. 46 Vgl. PA-AA R 27090, Bl. 28919, Bericht der DR vom 21.3.38. Die weiterhin guten Informationen des langjährigen Berichterstatters Jäderlund führten im Februar 1945 dazu, daß Joseph Goebbels bei Hitler die Vorzensur sämtlicher ausländischer Berichterstattung durchsetzen konnte. Vgl. Schmidt, Tagebuch, Lebenslaufentwurf vom August 1947, S. 15. 47 Diesen Begriff hob JvR gelegentlich auch in den Verhandlungen mit Polen hervor. Vgl. Polnisches Weißbuch, Dok. 53, S.  74, Aufzeichnung des Grafen Szembek über Ribbentrops Warschauaufenthalt vom 1. Februar 1939. 48 Vgl. ADAP, D, V, Dok. 329, S. 362. Für den Fall einer polnischen Besetzung Litauens ohne Kompensationsverhandlungen sollten deutsche Truppen nach dieser Aufzeichnung JvRs wenigstens das Memelland sichern. Die Militärs schlugen ihm dann für diesen Fall die Besetzung Litauens bis zu einer deutsch-polnischen „Demarkationslinie“ vor, die über das Memel­ gebiet hinausreichte. Vgl. ADAP, D, V, Dok. 333, Keitel an Ribbentrop vom 18. März 1938. Das polnische Weißbuch zur Vorgeschichte des Krieges schweigt sich über diese Phase der deutsch-polnischen Beziehungen vollständig aus.

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in einem Gespräch mit Polens Außenminister Beck.49 In Bezug auf Litauen hätte ein so skizzierter Ausgleich sogar zu den Plänen gepaßt, die kurz nach dem Ersten Weltkrieg von den Westmächten verfolgt worden waren. Das Memelland als jahrhundertelanger Teil preußisch-deutschen Staatsgebiets war 1919 im Versailler Vertrag ohne besondere Begründung zur freien Verfügung der Mächte abgespalten worden und sollte eigentlich als östliche Flußmündung und Seezugang eines vereinten polnisch-litauischen Staates dienen.50 Erst die überraschende Konsolidierung der Republik Litauen als unabhängigem Staat hatte diese Entwicklung verhindert. Da Polen keine gemeinsame Grenze mit dem Memelland hatte und man sich in den westlichen Hauptstädten nicht einmal an dieser – aus Pariser und Londoner Blickwinkel eigentlich wenig interessanten – Stelle zu einer deutschfreundlichen Revision der Vertragsbestimmungen durchringen konnte, hatten die Alliierten schließlich die Besetzung und faktische Annexion des Gebietes durch Litauen zugelassen. Am Ende des Monats März 1938 kam Lipski wieder vorbei und beschwerte sich über das neue deutsche Volkszählungsgesetz vom 4. Oktober 1937 des Vorjahres, das als Erweiterung „für andere Zwecke“ nach der Volkszugehörigkeit fragte. Er deutete an, dies könnte gegen das am Tag der Hoßbach-Besprechung – in der Hitler der Republik Polen jederzeit umzusetzende Angriffsabsichten auf Deutschland unterstellt hatte  – unterzeichnete deutsch-polnische Minderheitenschutzabkommen verstoßen. Eine offene Angabe der Nationalität für den Einzelnen sei schwierig, meinte Lipski, auch weil „der menschliche Wille nicht über die Zugehörigkeit zu einem Volkstum bestimmen (kann), da hierüber nur Merkmale wie Abstammung, Blut und Muttersprache entscheiden.“51 Offenbar herrschten in Warschau Bedenken, die gern vorgebrachte Behauptung von der Existenz einer polnischen Minderheit in Deutschland könnte durch die geplante deutsche Volkszählung vom 15. Mai 1938 gegenstandslos werden. Weiter schlug Lipski eine Verlängerung des deutsch-polnischen Abkommens von 1934 vor. Das nahm Ribbentrop skeptisch auf und antwortete mit einer Einladung Polens zum Beitritt zum Antikomintern 49 „Ich könnte mir vorstellen, daß bei einer allgemeinen großzügigen Regelung aller Probleme zwischen Polen und uns wir durchaus dafür zu haben seien, die ukrainische Frage als ein Privilegium Polens zu betrachten.“ Vgl. ADAP, D, V, Dok. 120, S. 132 f., Aufzeichnung Ribbentrops über das Gespräch mit Beck vom 9. Januar 1939. Beck antwortete demnach „lachend“, daß natürlich polnische Aspirationen auf Kiew weiterhin vorhanden seien. Das polnische Weißbuch bringt nur einen „Auszug aus den Aufzeichnungen“ Becks über das Treffen, der diesen Punkt nicht erwähnt. Vgl. Polnisches Weißbuch, Dok. 49, S. 71 f. 50 Nach Artikel 99 des Versailler Vertrags wurde dieses Gebiet weder einem bestimmten Staat zugesprochen, noch war eine Volksabstimmung geplant, noch wurde den Menschen dort irgendeine From von Selbstverwaltung zugesichert. Es stand samt seiner Bewohner zur freien Verfügung der „alliierten und assoziierten Hauptmächte“, wobei sich Deutschland verpflichtete, jede weitere Entscheidung in Sachen Staatszugehörigkeit anzuerkennen. Vgl. Hohlfeld, Dokumente, Bd. 3, S.43. 51 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78559, Notiz in Zusammenhang mit der Unterredung LipskiRibbentrop.

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pakt, seiner heimlichen Abschreckungsfront gegen Großbritannien. Lipski sagte nicht ja, aber auch nicht nein.52 Während die tschechische Krise ihren ersten Höhepunkt erreicht hatte, tat die englische Regierung einen ersten bedeutenden Schritt mit dem Ziel, Polen als Bündnispartner zu gewinnen. Zu diesem Zweck unternahm der Erste Lord der Admi­ralität im Sommer 1938 eine ausgedehnte Ostseekreuzfahrt. Dabei traf Duff Cooper am 8. August in Gdingen mit Polens Außenminister Beck zusammen, wo man zwei Tage blieb.53 Es wurde eines jener Treffen, über die sich später merkwürdiges Schweigen ausbreitete, obwohl an der prinzipiellen Bedeutung kein Zweifel besteht. An diesen Tagen und in diesen Gesprächen begann die englisch-polnische Allianz Gestalt anzunehmen. Darauf wies der Londoner Botschafter der Republik Polen, Edward Raczynski nach dem Krieg hin und niemand anderer als der damalige englische Außenminister Halifax stimmte ihm im Vorwort zu. Dies ist insofern plausibel, als sich die dortigen Gespräche um die Frühform der Idee eines englisch-polnischen Kondominiums über den Ostseeraum darstellen, die später beim Vertragsabschluß beider Staaten im Jahr 1939 wieder aufgegriffen wurde, als eine ganze Reihe von Staaten unter die Garantie beider Staaten gestellt wurde. Diese Verhandlungen stellten den Ursprung der englisch-polnischen Allianz dar, die demnach nicht den Ereignissen von München, dem deutschen Drängen an die polnische Regierung vom Herbst 1938 oder gar der Besetzung Prags im Frühjahr 1939 geschuldet ist. Sie war eine von diesen Dingen beschleunigte, aber bereits angebahnte Tatsache. Joseph Beck, der Leiter der polnischen Außenpolitik, verfolgte den Plan, sich „innerhalb von 24 Stunden auf die Seite der Alliierten“ schlagen zu können.54 Er wurde bereits vor der Münchener Konferenz entworfen. Die Danziger Verhandlungen, bei denen offenkundig zum ersten Mal über einen Preis für diesen Seitenwechsel verhandelt wurde, fanden keine Berücksichtigung bei der offiziellen Selbstdarstellung der britischen Politik, den Documents on British Foreign Policy.55 Auch Edward Raczynski erwähnte in seinen fünfzehn Jahre später erschienenen Erinnerungen diesen Ursprung der englisch-polnischen Allianz nicht mehr.56

52



53

Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78556 ff. Aufzeichnung Ribbentrops vom 31. März 1938. Halifax sagte dem polnischen Charge d’Affaires Jazdzewski, er habe den Bericht über die Unterhaltung mit großen Interesse zur Kenntnis genommen. Vgl. Cooper, War, S. 271 und Colvin, Vansittart, S. 246. 54 Vgl. Roos, Polen, S. 347. 55 Beck gab laut Colvin gegenüber Mr. Clifford Norton, dem früheren Privatsekretär Vansittarts und jetzigen Counsellor in der englischen Botschaft in Warschau am 30. August eine kurze Zusammenfassung des Gesprächs. Vgl. Colvin, Vansittart, S. 247. 56 Vgl. Raczynski, London, S. 7. Obwohl er seinen Erinnerungen die Tagebuchform ge­geben hat, veröffentlichte er für die Zeit vom 2. Juni 1937 bis 19. Oktober 1938 nur einen einzigen Eintrag vom 25. Juli 1938, der allgemein über englisch-polnische Gespräche und ein Essen von Premier Chamberlain in der polnischen Botschaft am 14. Juni 1938 handelt. Die tschechoslowakische Krise handelte er dann in einer später geschriebenen Darstellung unter dem Datum des 20. Oktober 1938 ab, in dem über die englisch-polnischen Gespräche in Danzig ebenfalls nichts vermerkt ist.

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VII. Außenminister für Abschreckung

Es ist jedoch möglich, daß die in Warschau später erbeuteten diplomatischen Papiere die deutsche Regierung schließlich auf diese Zusammenhänge aufmerksam machten. Zu den langen Ausführungen, mit denen Ribbentrop beispielsweise seine türkischen Gesprächspartner im Sommer 1941 zu engerer Zusammenarbeit bewegen wollte, gehörte auch ein Rückblick in diese Zeit: „England jedoch hatte sich schon für den Krieg entschieden. Wir wüßten heute, daß die Entscheidung schon lange, schon vor der Münchener Zusammenkunft, gefallen sei. Später hätten die Engländer den Polen eine Garantie gegeben, und von diesem Augenblick an sei nichts mehr mit Polen anzufangen gewesen; sie bildeten sich ein, daß Deutschland isoliert dastände und daß sie, gedeckt durch die englische Garantie, jedes deutsche Verlangen ablehnen könnten.“57

Diese Rechtfertigungsäußerungen Ribbentrops, bei denen an dieser Stelle auch sein Hinweis nicht fehlte, er gelte zu Unrecht „in manchen Kreisen als der ‚böse Geist‘ des Führers im Hinblick auf die Außenpolitik“, gehörten immer wieder zu den Begleiterscheinungen seiner außenpolitischen Unterredungen. Die deutschtürkischen Beziehungen konnten dadurch nur indirekt beeinflußt werden. Immerhin verschaffen Ribbentrops Äußerungen einen Eindruck davon, wie intensiv in der außenpolitischen Führung Deutschlands darüber nachgedacht wurde, wie man eigentlich in diese Situation von 1941 geraten war. Auch Hitler diskutierte immer wieder in öffentlichen Reden über den Gang der Dinge und räsonnierte noch im Frühjahr 1945 in den „Bormann-Diktaten“ darüber auf eine Weise, wie sie etwa Carl J. Burckhardt als ganz typisch und als besonderen Beweis für die Echtheit der Aufzeichnung wertete.58 Ribbentrop selbst hatte zu Polen kein besonderes Verhältnis. Eine persönliche Reisediplomatie wie nach England oder Frankreich hatte er vor seiner Zeit als Außen­minister dorthin nie unternommen, auch private Kontakte oder nennenswerte Geschäfte mit polnischen Persönlichkeiten sind kaum überliefert.59 Allerdings hatte Ribbentrop am 3. Juli 1935 an einer Besprechung zwischen Beck und Lipski polnischerseits, Neurath als Minister, Göring als Ministerpräsident und



57

Zit. n. ADAP, D, XIII/2, Anhang I, S. 824, 13. Juli 1941. Unterredung Ribbentrops mit dem Gesandten im türkischen Außenministerium, Açikalin in Anwesenheit des türkischen Botschafters Gerede. 58 Wie so viele Schlüsseldokumente aus dem inneren Bereich des Nationalsozialismus sind auch die Bormann-Diktate nur als Kopie einer verlorenen Abschrift eines verlorengegangenen Originals und damit aus dritter Hand überliefert. 59 Das nach Kriegsausbruch veröffentlichte polnische „Weißbuch“ enthält eine auf den August 1936 datierte „Aufzeichnung des Grafen Szembek über seine Unterredung mit Außenminister (sic) Ribbentrop“. Ribbentrop, der damals noch eineinhalb Jahre entfernt vom Amt des Außenministers war, hätte demnach auf den gemeinsamen Antibolschewismus und die nötige deutsch-polnische Verständigung verwiesen. Vgl. Weißbuch, Dok 25, S. 42. Das polnische „Weißbuch“ enthält neben solchen offensichtlichen Fehldatierungen auch weitere „Aufzeichnungen“ Szembeks, die sich in seinem „Journal“ nicht finden, so etwa einzelne Absätze in den Dokumenten 22 und 29. 

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­ itler andererseits teilgenommen.60 Gesprächsinhalt war damals hauptsächlich der H von Frankreich vorgeschlagene Ostpakt gewesen, den beide Seiten ablehnten. Hitler brachte aber auch die steigenden Zahlen der sowjetischen Luftrüstung und deren Stationierungsmöglichkeiten in der Tschechei zur Sprache, während Ribbentrop sich in der langen Gesprächsrunde mit einem kurzen Einwurf zum steigenden sowjetischen Einfluß in Frankreich begnügte. Reisen nach Polen waren überwiegend eine Angelegenheit der Nebenaußenpolitik Hermann Görings. Ansonsten galt Polen nach dem Abschluß des Nicht­ angriffspakts von 1934 in Berlin als ein leidlich befreundeter Staat und potentieller Verbündeter, also als keine dringende Angelegenheit. Es war eine Angelegenheit weniger und in Deutschland durchgehend nicht einflußreicher Organisationen, das deutsch-polnische Verhältnis auch in seinen negativen Seiten zu dokumentieren. Ribbentrop wurde erst deutlich nach seinem Amtsantritt als Außenminister mit polnischen Angelegenheiten befaßt. Während die englisch-polnischen Kontakte im Sommer 1938 ihren Lauf nahmen, kam die englische Regierung mit einem Vorschlag auf das diplomatische Parkett, der Ribbentrop wieder daran erinnerte, wo die Probleme lagen. Um in der deutsch-tschechischen Krise das letzte Wort zu behalten, wollte London eine Mission in die Tschechoslowakei schicken, unter der Leitung eines Herrn ­Runciman. Am 25. Juli 1938 brachte Botschafter Henderson diese Absicht gegenüber Ernst von Weizsäcker erstmals zur Sprache.61 Runciman sollte als „unabhängiger Berater“ auftreten und im Konflikt vermitteln. Dies war nun ein typisch englischer Vorschlag, der in erster Linie auf eine Erinnerung der streitenden Parteien, ganz besonders der deutschen Regierung hinauslief, daß man in London das letzte Wort behalten wollte. Es ging darum, in Mitteleuropa wahrscheinlich neue Grenzen zu ziehen und wo diese Grenzen zu verlaufen hatten, sollte von England aus bestimmt werden. Konsequenterweise fehlte der Runciman-Mission selbst der leiseste Hauch eines völkerrechtlichen Standards. Versailler Vertrag? Bedenken wegen des völkerrechtlichen Status des Völkerbundmitglieds Tschechoslowakei? Nationale Selbstbestimmung der verschiedenen, in der Tschechoslowakei lebenden Volksgruppen? Volksabstimmungen? Nichts von alledem war in dem englischen Vorschlag gedanklich enthalten. Zwar wird er in der Literatur fast durchgängig als „Kompromißvorschlag“ und britisches Entspannungssignal gewertet, doch blieb diese Mission in einem entscheidenden Punkt vollkommen kompromißlos: Politische Probleme in Mitteleuropa sollten nicht anhand von geschriebenem Völkerrecht entschiedenen werden und auch nicht nach naturrechtlichen Vorstellungen, sondern nach machtpolitischen Erwägungen  – und die Macht für diese Erwägungen lag in London. Mehr noch: Zugespitzt gesagt, sollte ein durch keinerlei Amt oder Wissen qualifizierter englischer Gentleman nach einer Reise durch Zentral­europa den dortigen Eingeborenen mitteilen, wie zwischen ihnen gerechte

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61

Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78789–78805, Nicht unterzeichnete Aufzeichnung vom 3.7.35. Vgl. ADAP, D, II, Dok. 313, Gespräch Henderson-Weizsäcker.

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Grenzen zu ziehen seien. Er sollte durch das Territorium des Völkerbundmitglieds Tschechoslowakei reisen und nach Gutdünken darüber befinden, wie dort künftig die Verhältnisse zwischen Deutschen und Tschechen zu regeln seien. Lord Walter Runciman62 war bis dahin nicht als Experte mit vergleichbaren Aufgaben vertraut gewesen und konnte gewissermaßen unbelastet von jedweden Vorkenntnissen an seine Aufgabe gehen. Aus Ribbentrops Sicht hatte gerade die Beauftragung Runcimans noch eine besondere Note. In seinem „Hauptbericht“ hatte er Runciman im vorausgegangenen Dezember als denjenigen erwähnt, der Anfang 1937 mit einer Mission in den USA beaufragt worden war, um dort die Verhältnisse im britischen Sinn zu gestalten. Endziel sei „zweifellos, Amerika wieder zu einem Verbündeten im Falle eines europäischen Konfliktes zu gewinnen.“63 Dieser Mann nun reiste also jetzt in Sondermission durch Zentraleuropa. Der damit verbundene englische Anspruch bedeutete genau das, was Hitler wie Ribben­trop vermeiden wollten. Insbesondere für Hitler lief die deutsch-tschechische Grenze mitten durch das, was er als traditionelles Gebiet des Deutschen Reichs ansah und beanspruchte. Im Prinzip sollte kein anderer Staat bestimmen können, wie dort die staatlichen Verhältnisse zu gestalten waren. Diesen Anspruch wollte er durchsetzen. Hier trafen mit dem englischen und dem deutschen demnach zwei Machtansprüche unmittelbar aufeinander, denen die Rückbindung an völkerrechtliche Maßstäbe nationaler Selbstbestimmung im Jahr 1938 nur ein Mittel war, kein Zweck. Bevor die deutsch-tschechische Krise Ende September 1938 auf den Höhepunkt zusteuerte, fand in Nürnberg einmal mehr der nationalsozialistische Parteitag statt, auf dem Hitler eine aggressive Rede gegen den tschechoslowakischen Staatschef halten sollte. In einem Nürnberger Hotel residierte derweil ein mittlerweile alter Bekannter Ribbentrops, Ernest Tennant. Noch immer beobachtete er die deutsche Szene und berichtete an das englische Außenministerium und einzelnen Ministern. Inzwischen aber hatte er Gelegenheit, wenigstens indirekt auf ganz andere Weise in die innerdeutschen Abläufe einzugreifen. In seinen Nürnberger Hotelzimmern traf sich während des Parteitags der bekannte Verschwörerzirkel, der sich mit den Namen Halder, von Weizsäcker, Kleist-Schmenzin, Kordt und Goerdeler ver­bindet.64 Es war ein pikantes Detail, daß ausgerechnet Tennant, der Ribbentrop in der Frühphase der nationalsozialistischen Außenpolitik manche Tür geöffnet hatte und

62

Walter Runciman (1870–1949), Liberaler Unterhausabgeordneter seit 1899, seit 1914 mit Unterbrechungen President of the Board of Trade, nach Neville Chamberlains Regierungs­ antritt Rückzug von diesem Posten und der aktiven Politik und Erhebung zum Viscount Runciman of Doxford. 63 Vgl. Ribbentrops Hauptbericht in: PA-AA R 28895a, S. 4. 64 Tennant nennt als weitere Namen noch Hans Oster, Admiral Canaris, Graf Erich von Brockdorff-Ahlefeld, Oberst Bohm-Tettelbach, Hjalmar Schacht, denen als Kontaktpersonen auf englischer Seite Horace Wilson oder Julian Piggott gegenüber gestanden hätten, ohne im einzelnen die in Nürnberg Anwesenden zu nennen. Vgl. Tennant, Account, S. 198 ff.

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den Ribbentrop im Gegenzug nach 1936 sogar um Berichte aus Berlin nach London gebeten hatte, nun auch daran arbeitete, die deutsche Regierung zu stürzen. Es waren viele Mitglieder der Anglo-German Fellowship (AGF), die hier aktiv waren, während das deutsche Gegenüber, die Deutsch-Englische Gesellschaft (DEG), sich an weniger konspirativen Methoden versuchte und die AGF mit zahlreichen Einladungen und Angeboten zur Eröffnung lokaler Büros in Verlegenheit brachte. Die DEG hoffte dann ihrerseits darauf, Einladungen und Gründungsmöglich­keiten in England zu erhalten, was aber in dieser Form von Tennant und Co. offenbar nicht gewünscht wurde oder mit den gegebenen Mitteln nicht geleistet werden konnte. Der dafür zuständige British Council aber – seit Anfang 1938 unter der Leitung von Robert Vansittart – gab große Mengen an Geld in politisch wenig relevanten Ländern wie Griechenland, Österreich oder Balkanländern aus, aber wenig oder nichts in Deutschland.65 So blieben die deutsch-englischen Beziehungen auch auf diesem Feld stecken, obwohl die DEG, wie Tennant dem englischen Kabinett schrieb, ebenfalls auf subtilere Weise eine Möglichkeit zur Korrektur der deutschen Politik bot und nicht ohne Einfluß sei.66 In den Tagen zwischen Nürnberg und München ging es radikaler zu. Die innerdeutsche Konspiration plante unter Beteiligung der oben genannten Personen einen Staatsstreich in vollem Umfang, einschließlich Tötung oder Verhaftung des Staatschefs. Diese Perspektive stellte man der englischen Regierung wiederholt in Aussicht, was später nach der englischen Kriegserklärung ebenso ungebrochen wie erfolglos weitergeführt werden sollte. Ernest Tennant und der Journalist Ward Price diskutierten im Vorfeld von München dennoch beiläufig schon einmal darüber, wie man die Deutschen am besten behandeln sollte, nachdem sie im kommenden Krieg besiegt worden wären.67 Zum Aufkommen solcher Diskussionen trugen die deutschen Verschwörerzirkel zweifellos bei, wenn auch wider Willen. Sie verstanden sich als das andere Deutschland und boten sich den potentiellen Kriegsgegnern mit der gut gemeinten Botschaft an, ein konservatives, rechtsstaatliches Deutschland aufbauen zu wollen. Nach ihrer Ansicht sollte dies für die britische Politik dann akzeptabler sein als ein nationalsozialistisches Reich, auch wenn die Konspiration von den machtpolitischen Ambitionen auf ein Großdeutschland samt Kolonialreich keinen Abstand nahm. Im August 1938 hatte ein „Monsieur de K.“, vermutlich Kleist-Schmenzin, auf Churchills Privatsitz Chartwell vorgesprochen und dabei sowohl die Schaffung einer Monarchie in Deutschland angekündigt, was innerhalb von achtundvierzig Stunden durch einen Militärputsch möglich sei. Die Generäle einschließlich Reichenaus seien für Frieden. Zu Churchills bleibendem Erstaunen hatte er dann das von Churchill als mögliche Putsch-Beloh

65 Vgl. Tennant, Account, S. 200. Die deutsche Enttäuschung über die AGF führte zur Gründung einer neuen Organisation unter der Bezeichnung „The Link“, deren Mitglieder den Anliegen der DEG mehr entgegenkommen wollten, die aber in den Ruf gerieten, deutschfreundliche Agenten zu sein. Vgl. Tennant, Account, S. 204. 66 Vgl. Tennant, Account, S. 200 ff., Bericht vom Februar 1939. 67 Vgl. Tennant, Account, S. 206 f.

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nung angesprochene Kolonialthema nonchalant beiseite geschoben und statt dessen den polnischen Korridor verlangt. Dies schob Churchill mit dem Argument beiseite, es könne Polen an die Seite Hitlers treiben, der schließlich öffentlich auf den Korridor verzichtet habe.68 In der Tat zeigten sich 1938/39 gelegentlich Tendenzen konservativer Kreise im Auswärtigen Amt und dem Militär, die Politik Hitlers und Ribbentrops in Bezug auf Polen gewissermaßen rechts zu überholen. In der Praxis untergruben diese Oppositionskreise aber vor allem das wesentliche außenpolitische Argument, mit dem Ribbentrop in diesen Monaten arbeitete: die Abschreckung. Ein Staat, von dem die Londoner Regierung nicht nur sicher annehmen konnte, daß sein Kriegspotential wesentlich beschränkter sein würde als das eigene, sondern in dem auch noch höchste Kreise in Militär und Außenpolitik das Regime stürzen wollten, konnte kaum abschreckend wirken. Neville Chamberlain rechnete schließlich im Herbst 1939 mit einem „inneren Kollaps“ des NSRegimes und hatte vor diesem Hintergrund aus seiner Sicht gute Gründe dazu. Auch Josef Lipski, der am 31. August 1939 immer noch der polnische Botschafter in Berlin war, erklärte schließlich an diesem Vortag des Kriegsbeginns, daß die polnische Armee wegen Putsch und innerer Unruhen in Deutschland sicher nach wenigen Wochen in Berlin sein würde: „Er kenne die Lage in Deutschland nach seiner fünfeinhalbjährigen Tätigkeit als Botschaf­ ter gut und habe intime Verbindung mit Göring und anderen aus den maßgebenden Kreisen; er erklärte, davon überzeugt zu sein, daß im Fall eines Krieges Unruhen in diesem Land ausbrechen und die polnischen Truppen erfolgreich gegen Berlin marschieren würden.“69

Das Ribbentropsche Abschreckungsszenario hatte nicht verfangen. Der von ihm für diesen Fall angekündigte Krieg fand schließlich statt; der polnische Marsch auf Berlin blieb dagegen aus. Aber bis dahin war es aus Sicht des Sommers 1938 noch ein Weg mit vielen Unbekannten. Einstweilen hatte sich die allseitige Gereiztheit seit dem tschechischen Bluff mit der Mobilmachung gegen nichtvorhandene deutsche Truppenkonzentrationen am 21. Mai nicht gelegt. Hitler hatte intern wenige Tage später verkündet, die Tschechoslowakei jetzt unter allen Umständen in absehbarer Zeit zerschlagen zu wollen. Ein entsprechender Plan „Grün“ wurde ausgearbeitet. Vorläufig Unmittelbar nach der deutsch-tschechischen Maikrise berichtete der polnische Botschafter Lukasiewicz aus Paris darüber, wie sich dort in Folge der Ereignisse und aus verschiedenen anderen Gründen die Stimmung verändert hatte. Auf gar keinen Fall konnte die Krise demnach als ausgestanden gelten. Statt dessen war in Frankreich die Kriegsbereitschaft erheblich gewachsen und würde weiter wach 68 K. reagierte zerknirscht und drückte noch einmal den dringenden Wunsch der Militärs nach dem Korridor aus. Vgl. CHAR 2/340 B, Bl. 192–194, 19. August 1938, Note of Conversation at Chartwell House between Monsieur de K. and Mr. Winston Churchill. Die Aufzeichnung wurde auch an Anthony Eden weitergereicht. 69 Zit. n. Dahlerus, Versuch, S. 110.

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sen. Frankreich werde sich nicht aus den Affären in Mitteleuropa heraushalten und werde gegenüber Deutschland „fest auftreten“. Lukasiewicz berief sich auf Informationen des amerikanischen Kollegen Bullitt, der „zahlreiche und aktive Verbindungen mit französischen Kreisen“ habe und dessen Ratschläge an Roosevelt später zu Chamberlains Vorwürfen an die Adresse der USA und der „Weltjuden“ führen sollten. Lukasiewicz selbst sah die Ursachen ganz ähnlich, wie dies später im Jahr sein Washingtoner Kollege Potocki tun sollte: „Es ist schwierig zu benennen, welche die entscheidenden Gründe für diese Entwicklung sind. Die größte Rolle spielte wahrscheinlich die in großem Stil intensivierte Propaganda aus jüdischen und kommunistischen Kreisen. Sie sind zum Schluß gekommen, daß ein möglicher tschechisch-deutscher Konflikt eine gute Gelegenheit wäre, dem Hitlerismus den Krieg zu erklären, der von diesen Elementen verabscheut wird.“70

Damit hatte Lukasiewicz die Intentionen Churchills in jedem Fall gut wiedergegeben, doch hatte er keine Informationen  – oder teilte seinem Außenminister an dieser Stelle jedenfalls keine solchen Informationen mit – die eine direkte Mit­ wirkung englischer Kreise bewiesen hätten. Lukasiewicz war nicht der einzige, der den Wert eines deutsch-tschechischen Krieges für die prinzipiellen NS-Gegner erkannte. Ribbentrops Ministerkollege Schwerin-Krosigk berichtete in ganz ähn­ lichen Worten an den deutschen Staatschef: „Wir können also durch Warten nur gewinnen. Deshalb aber auch das fanatische Bestreben der Kommunisten, Juden, Tschechen, uns jetzt in einen Krieg zu hetzen. Denn sie sehen in der jetzigen Lage die letzte Möglichkeit, daß aus der Tschechenfrage ein Weltbrand und aus dem Weltbrand die Vernichtung des verhassten Dritten Reiches kommen könnte.“71

Andererseits bot Schwerin-Krosigks drängendes Schreiben auch Anlaß zu Bedenken und Beschleunigung. Er nannte Argumente, die Hitler in den Folgewochen auch nach dem Münchener Abkommen wieder aufgreifen sollte: „Selbst wenn Chamberlain und Halifax den Krieg nicht wollten, stehen hinter ihnen als Treiber und gegebenenfalls Nachfolger Churchill/Eden. Daß England mit seiner militärischen Rüstung nicht fertig ist, würde England vom Eintritt in den Krieg nicht abhalten.“72

Letzteres sei so, da man in England erstens die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands „nur zu gut“ kenne und zweitens sicher mit dem Kriegseintritt der USA mit ihrer „Kriegsindustrie von unvorstellbarer Leistungsfähigkeit“ rechnen könnte. Der würde von jüdischer Seite publizistisch vorbereitet und würde die USA außerdem aus der grassierenden Wirtschaftskrise führen. Wenn aber schon ein rüstungsschwaches England unter der Regierung des nicht recht durchschau­ baren, aber eher friedensgeneigten Chamberlain höchstwahrscheinlich in den

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71

Zit. n. Lukasiewicz, Diplomat, S. 99, Bericht von Lukasiewicz an Beck vom 28. Mai 1938. Aus einem Schreiben des Finanzministers Schwerin-Krosigk an Hitler vom 1. September 1938, zit. n. IMT, XXXVI, Dok. 419-EC, S. 497. 72 Aus einem Schreiben des Finanzministers Schwerin-Krosigk an Hitler vom 1. September 1938, zit. n. IMT, XXXVI, Dok. 419-EC, S. 496.

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Krieg eintreten würde, dann stand naturgemäß die Frage im Raum, was erst ein gerüstetes England unter einem Premier mit Namen Churchill oder Eden für eine kriegerische Politik treiben könnte. Schwerin-Krosigks Schreiben war dazu geeignet, Hitlers und Ribbentrops Befürchtungen wegen eines ohnehin schon beschlossenen englischen Kriegs gegen Deutschland zu verstärken. Unter dem Eindruck der späteren Ereignisse deutete Hitler dann Chamberlains Münchener Zugeständnisse, verbunden mit seinem unmittelbar anschließenden Aufruf zur verstärkten englischen Aufrüstung, als bloßes Täuschungsmanöver. Jahrelang hatte er über Ribbentrop in Paris und London anbieten lassen, sich an jedem Ort und ohne jede Vorbedingung mit einem westlichen Regierungschef zu treffen. Alle diese Versuche waren erfolglos geblieben, die Absagen kamen teilweise sehr plötzlich und unter fragwürdigen Vorwänden. Nun war mit Chamberlain tatsächlich ein englischer Premier ins Flugzeug gestiegen, um seinerseits Hitler zu treffen. Was mochte er wollen? Daß dies nur eine Friedensmission sein könnte, mochte man in Berchtesgaden nicht recht glauben und fühlte sich bald bestätigt. Über die Münchener Verhandlungen ist so viel geschrieben worden, daß sie hier nicht ausführlich dargestellt werden müssen. Beide Seiten gingen bis an die Schwelle des Krieges, den besonders in Großbritannien manche auch wollten. Das erfuhr unter den deutschen Emigranten in London unter anderem Heinrich Brüning. Obwohl der frühere deutsche Reichskanzler schon seit Jahren in England lebte und schon 1934 von Churchill mit den Worten traktiert worden war, „Deutschland muß wieder besiegt werden, und diesesmal endgültig“,73 hatte er den ganzen brutalen Ernst dieser Ankündigung nicht erkannt, jedenfalls nicht bis zu dem Moment, als er Churchill sagte, über Lord Lothian gewisse Kompromißvorschläge an Außenminister Halifax weitergeleitet zu haben. Sie liefen im wesentlichen darauf hinaus, die Prager Regierung an ihr in Versailles gegebenes Versprechen zur Einrichtung eines Kantonalsystems zu erinnern, in dem nationale Selbstbestimmung in einer Art „zweiten Schweiz“ möglich sein würde. Gebietsabtretungen an Deutschland sollte es nur im Notfall geben, und sie dürften laut Brüning keinesfalls die Verteidigungsfähigkeit der Tschechoslowakei beeinträchtigen: „Churchill regte sich gewaltig auf. Er führte mich in den Garten, wo er mich einen Feigling nannte und rief, er würde nie auch nur den kleinsten Kompromiß mit diesen Burschen schließen. Ich entgegnete, es sei nicht gerechtfertigt, mich, den der Nazipöbel verfolgt und mit dem Tode bedroht hatte, einen Feigling zu nennen, und es gehe in erster Linie um die Sicherheit des britischen Weltreichs. Churchill lenkte sofort ein, aber ich sprach weiter und sagte, er dürfe überzeugt sein, daß im Kriegsfall die anfänglichen Erfolge des deutschen Heeres erstaunlich wären, wenn ich auch nicht bezweifle, daß es in einem langen Krieg besiegt würde, da England Hilfe von den Vereinigten Staaten, wenigstens in Form von Nachschub erhalten würde und da die Nazis keine zureichende wirtschaftliche Basis hätten, um einen langen Krieg in Europa zu gewinnen. Er machte eine weitere scharfe Bemerkung:



73

Zit. n. Brüning, Briefe, I, S. 31.

2. Prag und die Weltpolitik

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‚Was wir wollen, ist, daß die deutsche Wirtschaft vollkommen zusammengeschlagen wird.‘ Ich erwiderte: ‚Das bedeutet, daß Sie nach einer gewissen Zeit das Land wieder aufbauen müssen zur Unterstützung gegen die Russen‘.“74

Aber Churchill und Co. konnten sich in London nicht gegen Neville Chamberlain durchsetzen, für den eine kriegerische Stützung der Tschechoslowakei angesichts des Rüstungsstands ausgeschlossen war. Dabei ging es nicht zentral um die Frage, ob die Tschechoslowakei praktisch zu verteidigen war, sondern um die militärische Handlungsfähigkeit der Westmächte in einer eventuell folgenden längeren Auseinandersetzung. Chamberlain war ein „39er“ und ein hart kalkulierender Politiker, der den Krieg – wenn er schon unvermeidlich werden sollte – keinen Tag früher wollte als es unvermeidlich war, dann möglichst verlustfrei und in jedem Fall keineswegs aus bloßem politischem Ehrgeiz. Ribbentrop hatte diese Verhältnisse in seinen Berichten so weit richtig gezeichnet. Das bedeutete allerdings auch eine gewisse Bestätigung der deutschen Befürchtungen. Man konnte von außen der Ansicht sein, Chamberlains Kompromißbereitschaft sei nur ein Manöver zum Zeitgewinn. Ein Brief Chamberlains an seine Schwester aus dem März 1938 stützt diese Deutung auch von innen. Er schrieb: „Wir können der Tschechoslowakei nicht helfen  – sie wäre einfach nur ein Vorwand für einen Krieg mit Deutschland. Daran ist gar nicht zu denken, es sei denn, wir hätten eine vernünftige Aussicht, es in vertretbarer Zeit auf die Knie zu zwingen, und dafür sehe ich kein Anzeichen.“75

So gesehen, konnte Chamberlains Münchener Auftritt als Versuch gedeutet werden, den „Vorwand“ Tschechoslowakei nicht ganz verschwinden zu lassen, um ihn für bessere Gelegenheiten noch verfügbar zu haben. Der nach München neu gesteigerte – und von Chamberlain laut verkündete – britische Aufrüstungseifer gab auch zeitnah ein stetes Thema in den deutsch-britischen Gesprächen auf allen Ebenen ab. Neville Chamberlain hatte sich mit der vieldeutigen Unterschrift unter das Münchener Abkommen innenpolitisch sehr stark exponiert. Im Gespräch mit Fritz Hesse deutete einer von Chamberlains Mitarbeitern, der langjährige Pressechef und Berater George S. Steward, vor diesem Hintergrund die jetzt gerade folgende Aufrüstungskampagne als innenpolitisches Manöver und brachte  – nach Hesses Deutung – den Gedanken einer Vier-Mächte-Erklärung über eine Begrenzung des Rüstungsstands auf dem aktuellen Niveau ins Gespräch. Dies würde „die deutschfreundliche Richtung in Großbritannien stabilisieren“.76 Allerdings blieb dies ein Gedanke, der auch nach Hesses Bericht allenfalls angedeutet worden war. Dem standen andere Punkte gegenüber, bei denen Steward ganz deutlich geworden war: „Der Gewährsmann (d. h. Steward, d. Verf.) wies mich ausdrücklich darauf hin, daß im gesamten Foreign Office eine äußerst bittere Stimmung gegen uns herrsche. Er glaube mir ver

74



75

Zit. n. Brüning, Briefe, I, S. 207. Chamberlain am 20. März 1938, hier zit. n. Kershaw, Freunde, S. 263, Hervorhebung von

mir.



76

Vgl. ADAP, D, IV, Dok. 251, S. 265 ff., Aufzeichnung Hesse vom 11. Oktober 1938.

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VII. Außenminister für Abschreckung

sichern zu können, daß man dort Deutschland und insbesondere von Ribbentrop ‚Rache‘ geschworen habe. Wir sollten uns hierdurch nicht beirren lassen, bei allen künftigen Aktionen käme es darauf an, daß alle großen Angelegenheiten direkt, unter Ausschaltung des Foreign Office und auch Sir Nevile Hendersons erfolgten, da sich leider herausgestellt habe, daß der letztere bei der Übermittlung von Mitteilungen nicht völlig zuverlässig sei. Außerdem würde über Henderson stets das Foreign Office mit eingeschaltet, wodurch man Gefahr liefe, alle Hemmungen zu verlieren (sic) und unerwünschte Publizität herbeizuführen.“77

Hendersons Berliner Botschaftertum, das wie gesehen auf die Anregungen von Chamberlains politischen Widersachern wie Eden und Vansittart zurückging, verursachte dem Premier demnach Probleme. Henderson hatte entweder zu wenig politisches Selbstvertrauen oder schätzte andere Verpflichtungen als die gegenüber dem Regierungschef höher, um in dessen Augen wirklich vertrauenswürdig zu sein. Wenn Chamberlain via Steward nun mit diesem Hinweis nun Wege für ein diskreteres Vorgehen in den deutsch-englischen Angelegenheiten aufzeigen wollte, so hatte er dafür nicht ganz den richtigen Weg gewählt. Obwohl die Aufzeichnung Hesses dem in London amtierenden Botschafter Dirksen als „besonders wichtig“ erschien und er sie einen Tag später als Beilage eines Briefs an Ribbentrop an das Auswärtige Amt schickte,78 mußte sie doch auf dem Weg zum Minister erst am Staatssekretär vorbei. Also war es an Ernst von Weizsäcker und an einem der Gebrüder Kordt, mithin an der Ribbentropkritischen Konspiration innerhalb des Auswärtigen Amts mit den Chamberlainkritischen Kreisen im Foreign Office, wie die Dinge weiterliefen. Da sich beide nicht ausgeschaltet wissen wollten, konnte das Ergebnis kaum anders ausfallen, als Weizsäcker es an Dirksen meldete: „Ich muß Ihnen gestehen, daß ich, auch ehe ich mit Dr. Kordt gesprochen hatte (sic), etwas zögerte, den Brief, so wie er ist, dem Herrn Reichsminister zu übermitteln. Legen Sie Wert darauf, so tue ich es selbstverständlich, andererseits frage ich mich, ob die Argumente von Dr. Hesse nicht allzu prononciert in einer Richtung gehen, welche nun mal nicht die hiesige ist.“79

Eine Antwort Dirksens ist nicht überliefert, und Ribbentrop erhielt Hesses Aufzeichnung über das Hintergrundgespräch mit Steward offenbar tatsächlich nicht. Das war insofern weniger wichtig, als er die grundsätzliche Botschaft, daß mit den Diplomatenkollegen des Foreign Office keine Politik zu machen sei, ohnehin verinnerlicht hatte. Immerhin wurde aber auf diese Weise ein ziemlich direkter Kontaktversuch Chamberlains durch das Auswärtige Amt förmlich sabotiert, der den bei Ribbentrop und Hitler herrschenden negativen Eindruck über die innerbritische Entwicklung hätte verbessern können. Folgt man dem alliierten Herausgebergremium der Akten zur deutschen Auswärtigen Politik, trat Ribbentrop in den Folgemonaten fast ganz aus der deutsch-britischen Politik zurück. Der Band über den Zeitraum von Oktober 1938 bis Februar 1939 enthält kaum ein Doku

77



78

Zit. n. ADAP, D, IV, Dok. 251, S. 266, Aufzeichnung Hesse vom 11. Oktober 1938. Vgl. ADAP, D, IV, Dok. 251, S. 265, Anlage I, Brief Dirksens an Ribbentrop vom 12. Oktober 1938. 79 Vgl. ADAP, D, IV, Dok. 254, S. 271, Brief Weizsäcker an Dirksen vom 17. Oktober 1938.

2. Prag und die Weltpolitik

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ment, in dem sich Ribbentrop im Rahmen des AA zu diesen Fragen geäußert oder schriftlich Stellung bezogen hätte. Erst im Februar kam es zu Gesprächskontakten Ribbentrops mit Botschafter Henderson und dem Direktor der Wirtschaftsabteilung im Foreign Office, Frank Ashton-Gwatkin, die dort belegt sind. Auf sie wird an anderer Stelle eingegangen. Hitler war mit seinem Chefdiplomaten nach dem Münchener Abkommen naheliegenderweise zufrieden. Die Verärgerung über die Nebenwirkungen der Münchener Ereignisse stellte sich ihm erst später ein. Unmittelbar nach der Konferenz lobte er Ribbentrop und überhaupt die „Diplomaten neuen Stils“: „Schon Bismarck habe den Kampf gegen die Bürokratie führen müssen, und auch heute noch müsse sich die nationalsozialistische Staatsführung gegen die Bürokratie durchsetzen. Am schlimmsten herrsche sie im Auswärtigen Amt. Die Diplomaten seien nicht die Ver­treter ihrer Länder, sondern vielmehr Angehörige einer internationalen Gesellschaftsklasse. Dieses Übel sei im Auswärtigen Amt nicht von heute auf morgen abzustellen, es würde vielmehr von 10 bis 15 Jahre dauern, bis der im Nationalsozialismus geschulte Nachwuchs für die Diplomatie herangereift sei. Der erste und bisher einzige diplomatische Vertreter des Dritten Reiches im Auslande, der es verstanden habe, im Ausland richtig aufzutreten und das neue Deutschland dort zu repräsentieren, sei Ribbentrop. Er sei das ideale Vorbild, das er, der Führer, sich von einem Diplomaten mache. Er habe in den zurückliegenden Monaten Energie, Härte, Mut, und Nerven gezeigt und dadurch dem deutschen Volke die innere Sicherheit in der Tschechenkrise beigebracht. Ribbentrop sei ein Diplomat neuen Stiles. Ein guter Vertreter seines Landes sei auch in London der ‚kleine Jean Masaric‘ (sic), der gleichfalls für sein Land gekämpft habe.“80

Nebenbei hatte er damit zutreffend die Isolation beschrieben, der JvR innerhalb des Auswärtigen Amts ausgesetzt war. Ernst von Weizsäcker und andere glaubten sich tatsächlich eher in einer eigenen Gesellschaftsklasse zu befinden. Soweit man dort die großdeutschen Expansionspläne teilte, hätte man sie doch lieber gegen Polen gerichtet gesehen als gegen die Tschechoslowakei. Weizsäcker bekam auch sehr schnell die Gelegenheit, in polnischen Angelegenheiten tätig zu werden, aber anders als gedacht zunächst einmal defensiv. Im Vorfeld des Münchener Abkommens hatte die Republik Polen sorgfältig darauf geachtet, sich und ihre Forderungen im Gespräch zu halten. Die Pilsudskisten in der polnischen Außenpolitik wußten sich weitgehend einig über ihre Ziele und Methoden. Am 15. September 1938 meldete sich der Berliner Botschafter Lipski telefonisch bei Weizsäcker in Berchtesgaden, um ihm im Auftrag Außenminister Becks zu sagen, daß Polen im Fall eines Plebiszits in der Sudetenfrage „ganz kategorisch eine entsprechende Behandlung des Teschener Gebiets fordere.“ Weizsäcker nahm nur Kenntnis von dieser Forderung und verwies darauf, die polnische Regierung möchte sich nach London wenden, was Lipski auch zusagte.81 Am 22.  September übergab die polnische Regierung schließlich in Prag eine entsprechende Note und veröffentlichte ein Kommuniqué, das vom „tschechi

80



81

Zit. n. PA AA R 27091, Bl. 29048. Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78584, Notiz Weizsäckers vom 17. September 1938.

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VII. Außenminister für Abschreckung

schen Überfall auf das polnische Gebiet in Schlesisch-Teschen“ sprach, der durch die Entscheidung der Botschafter-Konferenz vom 28.7.1920 legalisiert worden sei, sprach vom tschechischen Vertragsbruch, von der fehlenden Berücksichtigung der polnischen Rechte bei den englisch-französischen Verhandlungen vom 18.9.38 und davon, daß alle Staaten zusammenarbeiten sollten, „welche in diesem Teil Europas seit Jahrhunderten begründete Rechte und Aufgaben besitzen“.82 Im Zusammenhang mit dem Vormarsch in Teschen erreichte die polnische Regierung auch zum ersten Mal ein ganz eigenes Ziel. Der polnische Botschaftsrat Lubomirski sprach mit Woermann über die Grenzziehung, da es Widersprüche zwischen den deutschen und polnischen Auffassungen gab. Lubomirski erklärte schlankweg, „daß sachlich eine Meinungsverschiedenheit hierüber nicht bestehen könne, da ja die Oder die Grenze bilde, so daß alles was östlich der Oder liege, zur polnischen Sphäre gehöre.“83 Davon hatten weder Woermann noch andere deutsche Stellen je etwas gehört, und er nahm „sachlich keine Stellung“. Da war er nun laut formuliert, der polnische Anspruch auf die Odergrenze, der sich in den Folgemonaten bald laut und zügig den Fluß entlang Richtung Norden weiterent­wickeln sollte. Pläne für ethnische Säuberungen waren mit inbegriffen. Als zwei Tage später polnische Truppen im Teschener Gebiet ankamen, wurden als eine der ersten Maßnahmen die Gemeindeschulen mit deutscher Unterrichtssprache aufgelöst und sämtliche deutschen Aufschriften entfernt.84 Dies waren Vorzeichen eines grundsätzlichen Konflikts.85 Mit der Antwort tat sich das Auswärtige Amt schwer. Am 4. Oktober notierte Weizsäcker für Ribbentrop in dieser Sache, konkret dem Fall der Stadt Oderberg, daß „unsere Ansprüche noch heute bei den Polen geltend zu machen seien“. Es bestünden keine anderen Absprachen, auch mit Göring nicht, der ihm das bestätigt habe.86 Von Woermann am gleichen Tag auf diesen Umstand angesprochen, tat Lipski höchst erstaunt. Er berief sich dennoch faktenwidrig auf Göring und sogar auf Weizsäcker und kündigte an, den von Woermann erhobenen Protest nicht nach Warschau weiterleiten zu wollen, nicht einmal eine Nachricht über das Gespräch als solches.87 Ribbentrop wollte hier nichts entscheiden und entschied, die Angelegenheit Hitler selbst vorzulegen.88 Dieser ließ noch am

82



83

Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78602 ff. Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78618 f., Aufzeichnung Woermann vom 3.10.1038. 84 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78643, Mitteilung der Volksdeutschen Mittelstelle vom 5.10.38 bzw. PA AA R 28881, Bl.  78648, Gesprächsaufzeichnung der Mittelstelle vom 6.10.38 und Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78694–78699, detaillierter Brief der Volksdeutschen Mittelstelle an Ribbentrop, der dem Minister auch vorgelegen hat vom 5. November 1938. 85 Es folgten Entlassungen und Enteignungen, wie sie bereits seit zwanzig Jahren in den früher deutschen Gebieten der Republik Polen üblich waren. Der deutsche Konsul vor Ort berichtete im Sommer 1939, daß es in Teschen wohl bis zum Herbst überhaupt keine deutschen Beschäftigten mehr geben würde. Wer nach Deutschland ausreisen wollte, mußte schriftlich versprechen, nicht mehr zurückzukehren. Vgl. Blanke, Orphans, S. 217. 86 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78620, Aufzeichnung Weizsäcker vom 4.10.38. 87 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78635 ff., Aufzeichnung Woermann vom 4.10.38. 88 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78639.

3. Ribbentrops Berichterstattung über den drohenden Krieg

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gleichen Tag wissen, „er wolle mit den Polen nicht um jede einzelne Stadt feilschen, sondern ihnen gegenüber großzügig sein, die in ihren Forderungen bescheiden wären.“89 Damit setzte er sich auch über eine Anregung aus der englischen Botschaft vom 1. Oktober 1938 hinweg, die deutsche Regierung solle ihren Einfluß nutzen, um Polen von der angekündigten Invasion in die Tschechei abzuhalten. Ein solcher polnischer Schritt würde dem „spirit of the Agreement reached in Munich“ widersprechen – von dem Polen allerdings ausgeschlossen worden war.90 Es war noch nichts geregelt, in der Tschechoslowakei nicht, im deutsch-polnischen Verhältnis nicht und unter den großen Vier Europas auch nicht. Unmittelbar nach München schienen sich in der Rest-Tschechoslowakei die Dinge aus deutscher Sicht dennoch gut zu entwickeln. Ein Bericht der Dienststelle Ribbentrop (DR), den Ribbentrop Hitler zukommen ließ, sprach davon, daß sich die Tschechen überwiegend sowohl von den Westmächten als auch von der eigenen Regierung, aber auch von den Sowjets „verraten und verkauft“ fühlen würden. Selbst allslawische Anwandlungen würden von dem Hass auf die Polen gedämpft, die man als „Verräter und Aasgeier“ bezeichne und deshalb würden nun gerade die Deutschen wenigstens derzeit am allerwenigsten gehaßt. Weitere Entwicklungen seien aber naturgemäß nicht sicher vorherzusagen. Der Bericht schloß mit dem Hinweis auf den tschechisch-slowakischen Gegensatz. An sich sei man in Prag hinsichtlich des staatlichen Zusammenhalts optimistisch: „Aber man spricht in tschechischen Kreisen bereits von einem ‚Kirchenstaat‘, der sich in der Slowakei gebildet habe. Damit ist die starke klerikale Tendenz gemeint, die in Preßburg zum Durchbruch gekommen ist, während in Prag selbst, auch dem Vatikan gegenüber, dessen Haltung ebenfalls enttäuscht hat, antiklerikale Stimmungen überwiegen.“91 Dies war, wie sich bald zeigen sollte, für alle Beteiligten noch nicht das letzte Wort. 3. Ribbentrops Berichterstattung über den drohenden Krieg „Ich selbst habe vom 1.10.1938 an die Niederlage nicht mehr gewünscht und mich darin von meinen Freunden im Widerstand und einer großen Zahl von Redakteuren an der Frankfurter Zeitung unterschieden, obwohl ich natürlich auch einen Hitlersieg nicht wünschen konnte.“ Margret Boveri92

Angesichts des bisher Gesehenen ist es nicht überraschend, wenn Ribbentrop das von ihm skizzierte, gegenüber Großbritannien nötige Mißtrauen auch im Jahr

89



90

Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78645, Notiz Hewel für Kordt vom 5.10.38. Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78627, Nachricht der Botschaft vom 1.10.1938. 91 Vgl. PA AA R 27091, Bl. 29018–29021, Bericht der DR vom Oktober 1938. 92 Margret Boveri in einem Schreiben an Hans Rothfels, 26. November 1958, zit. n. BA-KO N 1213/1.

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VII. Außenminister für Abschreckung

1939 weiterhin pflegte. Er tat dies in etlichen Berichten an Hitler persönlich, wurde aber auch in dieser Frage von einer starken, obwohl für ihn unsichtbaren Opposition bekämpft. Die Gruppe um Ernst von Weizsäcker und Theodor Kordt streute bereits in der Vorkriegszeit das Gerücht, JvR sei für Hitlers Entschluß zum Krieg gegen Polen eigentlich verantwortlich. Er habe dem Diktator eingeredet, die Westmächte seien schwach, unentschlossen und würden keinen Krieg führen, weder um die Tschechoslowakei noch um Polen. Gleichzeitig wurde vielfach behauptet, Ribbentrop würde zum Krieg „hetzen“, habe also als Außenminister den Staatschef nicht nur falsch informiert, sondern auch noch zu aggressivem Handeln aufgestachelt. Die Forschungsliteratur hat diese Behauptung in erstaunlichem Ausmaß übernommen und die Memoiren zahlreicher Beteiligter haben diese Variante ebenfalls kolportiert, darunter – man ist versucht zu sagen: natürlich – auch solche von späteren Kriegsgegnern. Nevile Henderson, der Mann der plötzlichen diplomatischen Hörschwäche gegenüber Ribbentrop am Vortag des Kriegsbeginns von 1939, brachte diese Behauptung in seinen erst 1945 postum veröffentlichten Memoiren an der einzigen Stelle, an der er Ribbentrop erwähnt, auf den Punkt: „Trotzdem (gemeint ist die britisch-polnische Garantie, d.Verf.) hörte der Erzschurke und Kriegshetzer Ribbentrop niemals auf, seinem Herrn zu sagen, wir würden schließlich nicht kämpfen, wenn es Spitz auf Knopf stehen sollte.“93

Zusammen mit SS-Chef Heinrich Himmler sei Ribbentrop „ein wirklicher und leidenschaftlicher Kriegshetzer“ gewesen, der den zögernden Hitler über die Schwelle hin zum Krieg geschoben habe. Nun haben wir bereits oben im Rahmen der Analyse seines Abschlußberichts als Botschafter gesehen, daß Ribbentrop gegenüber Hitler die Westmächte in Wahrheit als durchaus machtbewußte, selbstsichere und prinzipiell kriegsbereite Gegner geschildert hat, ganz besonders England. Er hat darüber hinaus in krassem Gegensatz zu den kolportierten Behauptungen einen englischen Krieg gegen Deutschland nicht nur als mögliche Reaktion auf deutsche Politik, sondern als einen in London möglicherweise längst geplanten Angriffskrieg auf ein sich wie auch immer verhaltendes Deutschland dargestellt. Dies tat er darüber hinaus nicht nur prinzipiell in diesem einen Grundsatzbericht, sondern es läßt sich nachweisen, daß diese Linie seine Informationspolitik gegenüber dem Diktator wie gesagt auch während des Jahres 1939 ständig prägte.94 Dies geht aus den Unterlagen der „Dienststelle Ribbentrop“ hervor, die anders als die im Auswärtigen Amt überlieferten Berichte nicht nur in Durchschlägen, sondern im Original vorliegen. Es sind demnach jene Berichte, die Ribbentrop selbst gesehen und bearbeitet hat. Sie wurden von seinem Vertrauten Rudolf Likus zusammengestellt und enthielten unter anderem Prognosen über das mutmaßliche zukünftige Verhalten der Westmächte. Aus der Fülle des Materials mußte Ribbentrop auswählen, was er an den Diktator weiterleiten wollte. Solche Berichte kenn

93



94

Zit. n. Henderson, Water, S. 71. Für das Folgende vgl. auch Kley, Ribbentrop, S. 230 ff.

3. Ribbentrops Berichterstattung über den drohenden Krieg

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zeichnete er persönlich mit dem grünen Stift des Amtschefs mit einem „F“, was den Mitarbeitern signalisierte, dies an den Staats- und Parteichef weiterzuleiten, für den das F stand, den Führer eben. Ribbentrop entschied sich dafür, Hitler regelmäßig Berichte vorzulegen, in denen Fragen der englischen Kriegspolitik thematisiert wurden, darunter etliche, die für einen geplanten britischen Krieg zu argumentieren schienen und im Gesamtbild der Aktionen der britischen Botschaften und den Tendenzen der britischen Presse Anzeichen für eine subtile Kriegsvorbereitung sahen. Historiographische Dichtung und geschichtliche Wahrheit liegen hier also einmal mehr denkbar weit auseinander, wie im Fall Ribbentrop häufig zu beobachten.95 So leitete er dem Diktator Anfang Juli 1939 einen mehrseitigen Bericht von Graf Toggenburg aus London zu. Darin wurde gleich eingangs festgestellt, daß „die Vorbereitungen in England auf jedem Gebiet … im Augenblick so sind, als ob ein Krieg unmittelbar bevorstehe“.96 Die Kriegsbereitschaft der Bevölkerung sei nun so ausgeprägt, daß sie der Regierung ein weiteres Nachgeben gegenüber Deutschland unmöglich machen würde, selbst wenn diese einen solchen Schritt in Erwägung ziehen würde. Das Volk habe die Regierung in Sachen Kriegsbereitschaft längst überflügelt, ließ Ribbentrop seinen Staats- und Regierungschef wissen. Immer stärker würde sich das Gewicht der „maßgebenden Politiker“ durchsetzen, die die Auffassung vertreten, daß England einen Krieg gegen Deutschland führen müßte, wenn es sein Weltreich behalten wollte: „Die in Deutschland verbreitete Auffassung, daß England befürchten müßte, durch den Krieg sein Weltreich zu verlieren, wird hier nicht geteilt. Sowohl bei der Bevölkerung wie bei der Führung besteht die Auffassung, daß England sehr wohl einen Krieg gewinnen könnte, jedenfalls eine gute Chance bestehe, Deutschland langsam aufzureiben oder ohnmächtig zu machen. … Ich bin der Auffassung, die auch von urteilsfähigen politischen Beobachtern geteilt wird, die hier ansässig sind, daß England heute nicht bereit ist, auf die deutschen Bedingungen für eine Verständigung einzugehen und daß es England eher zum Kriege kommen lassen wird, als diesem deutschen Druck nachzugeben. Wer heute zu Informationszwecken aus dem Reiche herüberkommt, ist zumeist sehr erstaunt und tief beeindruckt von dem unmißverständ­ lichen Kriegswillen Englands, der ihm überall entgegentritt.“97

An dieser Stelle mochte Ribbentrop an seinen Botschafterbericht vom Jahres­ beginn 1938 gedacht haben, wo er wörtlich geschrieben hatte, daß es der engli

95

Ribbentrops Pressemitarbeiter Paul Schmidt sah in einer Nachkriegsaussage die Fehlinformationen für Hitler von Seiten des Propagandaministeriums kommen: „Hitler wollte die Welt antisemitisch – Goebbels brachte die Berichte, daß sie es sei. Hitler wollte die Welt degeneriert … – Goebbels brachte die Berichte, daß es so sei.“ Vgl. Schmidt, Tagebuch, Vernehmung vom 28.5.1946. 96 Vgl. PA AA, R 27 118/279 425 ff. (Vertrauliche Mitarbeiterberichte 1939) 4. Juli 1939. Weitere Berichte in diesem Sinn, die an Hitler gingen: R 27 092/29 369 ff., 28.4.1939. Vgl. auch ADAP, D, VI. Nr. 551 bzw. Nr. 118. 97 Zit. n. PA AA, R 27 118/279 426, Bericht vom 4. Juli 1939.

200

VII. Außenminister für Abschreckung

schen Führungsschicht nicht unmöglich sein würde, einen von ihr angestrebten Krieg gegenüber der Bevölkerung als Verteidigungskrieg hinzustellen. Das dauere zwar seine Zeit, sei aber durchaus erreichbar. Im Sommer 1939 schien die Stimmung jetzt in dieser erwarteten Richtung gekippt zu sein, schneller als gedacht. Dies ließ Ribbentrop seinen Staatschef wissen, was natürlich ambivalente Folgen haben konnte, aber in jedem Fall den Ernst der Lage völlig korrekt schilderte. „Die militärischen Vorbereitungen haben nach hiesiger Auffassung ein gewisses Höchstmaß erreicht, das bei der Gesamtkonstellation nicht ungünstig ist“, behauptete der Bericht weiter. Besonders auffällig sei der Optimismus, der im Volk zu spüren sei. „England kann den Krieg vielleicht nicht gewinnen, aber bestimmt auch nicht verlieren“, so lautete demnach der aktuelle Slogan. Das englische Kriegspotential lasse sich nach Kriegsbeginn noch deutlich ausbauen, das deutsche und italienische dagegen würde wegen der im Kriegsfall eingerichteten Handelsblockade bald schrumpfen. Die vorhandenen Streitkräfte konnte sich gegen englisch-französische Flotten, Luftwaffen und Maginot-Befestigungen totlaufen: „Man rechnet durchaus mit der weitgehenden Zerstörung von Städten und Industriezentren Englands durch Bombenflieger, sieht darin aber keinen entscheidenden Faktor, so lange es nicht gelingt, den Landkrieg nach England selbst zu tragen. Dies hält man für ausge­ schlossen.“98

Auch propagandistisch sei es die vorwiegende englische Ansicht, daß man italienische, deutsche oder japanische Politpropaganda blockieren könnte, eine Ansicht, die sich nach Kriegsausbruch auch schnell als gerechtfertigt herausstellen sollte. Zu diesem Zweck sei die Organisation der „Informationsabteilung“ im Foreign Office unter ihrem Leiter Lord Perth bereits erfolgt, während als oberster Koordinator weiterhin Robert Vansittart hinter diesen Dingen stehe. Der scheinbar in den Hintergrund getretene frühere permanente Unterstaatssekretär des Foreign Office hatte nur eine neue Rolle zugeteilt bekommen.99 Die Lage war demnach höchst gefährlich, England war kriegsentschlossen sowie kriegsfähig und Ribbentrop ließ Hitler dies wissen, wobei er offenbar zusätzlich die pointierten Berichte als Beleg auswählte. Eine Meinungsäußerung eines nicht namentlich genannten Londoner Mitarbeiters vom 28. August 1939, daß es zwar in jedem Fall eine englische Kriegserklärung geben würde, sollte Polen angegriffen werden, daß man sich in London die Ausführung des Krieges dann aber abgestuft vorzustellen versuche, „kaum“ als „Kampf um Leben und Tod“ zwischen Großmächten, schien ihm ein paar Tage vor Kriegsausbruch offenbar zu verharmlosend für die Situation zu sein.100



98



99

Zit. n. PA AA, R 27 118/279 428, Bericht vom 4. Juli 1939. Newsweek meldete am 28. November 1938, man höre so wenig von Vansittart, weil er so beschäftigt sei, eines der „delikatesten Probleme der Nation“ zu handhaben: Den Kampf ­gegen Nazi und Faschistische Propaganda im Ausland. Als Kopf des ‚British Council of Publicity Abroad‘ mache er rasche Fortschritte, wie „informierte Kreise“ mitteilten. Vgl. Newsweek, 28. November 1938, hier zit. n. Aigner, Chaff, Nc. 100 R 27 118/279 417, Bericht vom 28. August 1939.

3. Ribbentrops Berichterstattung über den drohenden Krieg

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Hitler sah diesen Bericht nicht.101 Auch ein Gerücht aus der britischen Botschaft blieb dem Staatschef erspart, wonach zufällig ein Privatbrief an Botschafter Henderson in den amtlichen Verteiler geraten wäre, ein Brief, in dem behauptet worden sei, daß: „führende englische Parlamentsangehörige immer deutlicher erklären, daß England unter keinen Umständen durch die polnisch-deutschen Differenzen in einen Krieg hineingezogen werden dürfe. Die englischen Interessen, so heißt es weiter, lägen auf anderem Gebiete, und England werde unter Umständen in einigen Wochen selbst die Hände voll zu tun haben, um seine eigenen Angelegenheiten zu regeln.“102

Dies war genau die Tonlage, von der später so oft behauptet wurde, Ribbentrop hätte Hitler in ihr beraten. Die Vermutung liegt deshalb nahe, daß diese Art Gerücht eine solche Stimmung bei ihm schaffen sollte, was allerdings nicht gelang. Ribben­trop ging nicht darauf ein und legte diesen Bericht nicht vor. Dagegen machte er regelmäßig auf die politische Spaltung in der englischen Führungsschicht aufmerksam, in eine Kriegspartei um Churchill und Co. und eine kompromißbereite Partei um Regierungschef Chamberlain und Außenminister Halifax. Ein Bericht vom 20. Juni 1939 sprach von einer Oppositionsbewegung gegen letztere, die demnächst eine Kabinettsumbildung und/oder eine Entscheidung für ein Bündnis mit der UdSSR erzwingen wolle. Die öffentliche Meinung würde einem Krieg gelassen entgegensehen, weil Propaganda und Presse das Vertrauen der Bevölkerung in die Macht und Kriegstüchtigkeit Englands wiederhergestellt hätte. „Die öffentliche Meinung sei im Grunde genommen in ihrer Haltung entschlossener als die Regierung selbst.“103 Dies wurde Hitler vorgelegt. Auch einen Bericht vom 13. Juni 1939, in dem von einer „privaten Veranstaltung von Mitgliedern des Diplomatischen Korps in Berlin“ die Rede war, an der „vor allem Vertreter der Westmächte, Nordamerikas und einer Reihe kleinerer west- und nordeuropäischer Staaten“ teilnahmen, und auf der „von einem Herrn der britischen Botschaft über die Bedeutung der letzten Unterhausreden Auskunft gegeben wurde“, ließ Ribbentrop Hitler vorlegen. Demnach hätte die Botschaft den Eindruck verbreiten wollen, daß „die deutsche Behauptung, England betreibe dem Reich gegenüber eine Einkreisungspolitik, absolut unbegründet sei. Nach wie vor bestehe in London Bereitwilligkeit, mit den Deutschen über die schwebenden Fragen der europäischen Politik zu einer Verständigung zu kommen.“104 So weit klang das gut, aber die Behauptung wurde von den Anwesenden doch als dick aufgetragen empfunden: „Ob das nur Taktik oder ernsthaft gemeint sei, könne man nicht sagen“, äußerte ein belgischer Diplomat danach. In Journalistenkreisen, etwa

101 PA AA, R 27 118/279 435 (Vertrauliche Mitarbeiterberichte 1939) 29.4.39, R 27 092/29 455 7.6.39; R 27 092/29 485, 21.8.1939; R 27 118/279 417, 28.8.39. 102 Vgl. PA AA 27092, Bl. 29491, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 27. Juni 1939. 103 Vgl. PA AA 27092, Bl. 29485, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 20. Juni 1939. 104 Vgl. PA AA 27092, Bl. 29468, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 13. Juni 1939.

202

VII. Außenminister für Abschreckung

in der Berliner Vertretung der „New York Times“, nahm man so etwas nicht ernst, wie ein Mitarbeiter dort verkündete: „Er selbst äußerte sich anderen Auslandskorrespondenten gegenüber in dem Sinne, daß das bei den Engländern nur Taktik sein könne, weshalb er selbst es auch abgelehnt habe, im Gegensatz zu anderen ausländischen Korrespondenten, solche optimistisch gefärbten Berichte über angebliche Verständigungsmöglichkeiten seinem Blatt weiterzusenden.“105

Damit endete der Bericht. In der Tat war es ein eigentlich recht durchsichtiges Verhalten, mit Hilfe eines demonstrativ vorgetragenen Optimismus der englischen Politik in der internationalen Öffentlichkeit den Eindruck erwecken zu wollen, ein schließliches Scheitern und ein Konflikt müßte ganz klar am deutschen Fehlverhalten gelegen haben.106 Die scharfe Stellungnahme der deutschen Presse gegen Polen, nachdem die polnische Regierung Anfang August jede weitere Meinungsäußerung der deutschen Regierung zu Danziger Fragen als Kriegsgrund bezeichnet hatte,107 versuchte diesem Eindruck entgegenzuwirken, trübte aber die optimistische Pressestimmung dann dort, wo sie vorhanden war, endgültig ein, worüber Ribbentrop Hitler ebenfalls einen Bericht vorlegen ließ.108 In der Praxis wirkten polnische Provokationen in der Danzigfrage und der britische Pseudooptimismus gleichzeitig darauf hin, jede aggressive Äußerung der deutschen Presse als Zeichen fehlender Kompromißbereitschaft erscheinen zu lassen. Am 1. August trafen gleich zwei Berichte der Dienststelle ein, die Hitler ebenfalls vorgelegt wurden. Einer meldete Äußerungen aus Pressekreisen, wonach man dort zunehmend sicher sei, daß die Deutschen zurückweichen müßten, „nachdem über die Haltung Englands und Frankreichs kein Zweifel mehr bestehen kann.“109 Dem würde allerdings der polnische Journalist Smogorzewski notorisch widersprechen, jeden Kompromiß in Danzig zurückweisen und die Warschauer Kriegsbereitschaft betonen.110 Ein weiterer Bericht vom 1. August 1939 wollte wissen, daß Anthony Eden gegenüber Neville Chamberlain einen von jenen befürchteten Kompromissvorschlägen entwickelt hätte, die als eine „für die Geschichte und für das ‚kommende 2.  Versailles‘ bereitgehaltene Rechtfertigung bzw. Kriegsschuldfestlegung“ dienen würden.111 Es würde aber auch ehrlichere Versuche 105

Vgl. PA AA 27092, Bl. 29469, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 13. Juni 1939. Die Mittel für „Propaganda im Auslande“, die solchen Eindrücken vielleicht entgegenwirken könnte, wurde im Monat Juni 1939 von Wirtschaftsminister Walther Funk von 265.000 RM auf 200.000 RM gekürzt. Vgl. PA AA 27092, Bl. 29501, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 29. Juni 1939. 107 „Die Polnische Regierung wird … jede künftige Einmischung der Deutschen Regierung zum Schaden dieser Rechte und Interessen (in Danzig, d. Verf.) als einen Angriffsakt betrachten.“ Zit. n. Weißbuch der polnischen Regierung, Dok. 86, 10. August 1939, S. 129. 108 Vgl. PA AA 27092, Bl. 29547 f., Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 9. August 1939. 109 Vgl. PA AA 27092, Bl. 29543, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 1. August 1939. 110 Smogorzewskis Aktivitäten wurden ständig beobachtet. Er publizierte 1938 das Buch „Friede oder Krieg?“, das von der Publikationsstelle Berlin-Dahlem dienstlich übersetzt wurde. 111 PA AA R 27 118/279 418, Bericht vom 1. August 1939. 106

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für einen Ausgleich geben. Halifax, Chamberlain und Simon hätten beschlossen, einen solchen Versuch zu wagen. Die Quelle berichtete, daß es um Konzessionen und Bedingungen gehen würde, wobei unter die Konzessionen eine Rückkehr Danzigs zu Deutschland zu verstehen sei, aber jede Stationierung deutscher Truppen ebendort weiterhin „als Angriff auf Polen zu betrachten“ sei, wie es die englisch-polnischen Abmachungen ja vorsahen. Außerdem denke man ernsthaft an „Rückgabe“ von deutschen Kolonien, ein Schritt, der bisher ja immer schon rein begrifflich verweigert worden war.112 Selbst ein „Pressefriede“ sei möglich. Zu den Bedingungen für diese Konzessionen gehörten der Abschluß eines Luftpakts und ein Beweis Deutschlands zur „Zusammenarbeit in der europäischen Familie“. Innenpolitisch dachte man an die Aufnahme Churchills ins Kabinett, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und den Schwenk nicht als „Kapitulation“ erscheinen zu lassen. Dem Botschafter in London lägen aus anderer Quelle die gleichen Informationen vor. Es bestand also die Möglichkeit zu einem Ausgleich, aber auch die Kriegs­ entschlossenheit weiter englischer Kreise war gegeben. Dies entsprach wie gesagt dem, was Ribbentrop in seinem Abschlußbericht als Botschafter in etwa vorhergesagt hatte. Im Licht dieser Informationen konnte England demnach in Hitlers Augen also sowohl der „Motor, der gegen Deutschland treibt“ sein,113 wie auch der immer noch gewünschte Vertrags- und Garantiepartner, wie es das Garantieangebot an den englischen Botschafter Henderson vom 25. August 1939 aussagte, das Hitler persönlich ausgesprochen hatte. Die letzten Jahre hatten allerdings immer wieder gezeigt, daß solchen Andeutungen aus London zunächst einmal nichts folgte, wenn von Berlin aus der Versuch gestartet wurde, sie irgendwie zu konkretisieren. So sollte auch diese Mitteilung an Henderson folgenlos bleiben. Das Gegenteil des Richtigen wurde auch sorgfältig in der Weltpresse verteilt, die schon bald nach Kriegsausbruch unisono wissen wollte, Ribbentrop hätte England als schwach und kriegsunfähig eingestuft, einer, der „immer die Meinung vertrat, England werde, was immer Deutschland auch im Osten unternehme, nie einen Krieg wagen.“ Ein ganzseitiger Beitrag in der Züricher Weltwoche vom 15. März 1940 enthielt eine komplette Zusammenstellung der unzutreffenden Behauptungen über die englischen Bekanntschaften Ribbentrops bis hin zu Nevile Henderson, die diesen falschen Eindruck angeblich erweckt haben sollten und phantasierte auf dieser Basis eine Kurzgeschichte der Jahre 1938/39 zusammen, in denen die Österreich-, Sudeten- und Protektoratskrisen als ein einziger Ribbentropscher Triumphzug gegen von ihm zu recht als schwach eingestufte Engländer präsentiert wurde, bis dann die Errichtung des Protektorats die bis dahin so gutwilligen Appeaser zum Aufwachen gebracht hätte und zu einer „Wendung“ ihrer 112

PA AA R 27 092/29 429, 25.5.39; R 27 092/29 468, 13.6.39; ADAP, D, VI, Nr. 564 Dirksen an AA 24.6.39. Dieser Bericht wurde von JvR zur Wiedervorlage verlangt, dto. Nr. 577; PA AA R 27 118/279 418 1. August 1939. 113 Rede vom 23.5.39 (Schmundt-Protokoll), vgl.: Hofer, Entfesslung, S. 104–113.

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Politik.114 Der deutsche Einmarsch in Prag sei einer jener überraschenden „Wochenendcoups“ gewesen, mit denen das nationalsozialistische Deutschland seine Glaubwürdigkeit als Vertragspartner untergraben hätte. Auch dies erweist sich allerdings als unzutreffend, in Bezug auf die englische Regierung gleich in mehrfacher Hinsicht. Hitlers Einzug in Prag kam weder überraschend, noch wurde er in London ursprünglich als Vertragsbruch aufgefaßt. Sicher ist, daß sowohl der tschechischen wie der britischen Regierung frühzeitig Nachrichten über die geplante Errichtung des Protektorats vorlagen, dies zum einen auf nachrichtendienstlichem Weg.115 Aber es gab auch ganz offizielle Signale. Ribbentrop selbst sprach gegenüber Frank Ashton-Gwatkin, dem Leiter der Wirtschaftsteilung des englischen Außenministeriums am 20. Februar von einer politisch-wirtschaftlichen Einflußzone, die von England zu respektieren sei. Damit war unter anderem die nach dem Münchener Abkommen noch bestehende TschechoSlowakei gemeint. Einen Monat vorher hatte die Dienststelle Ribbentrop einen Bericht aus Prag geliefert, der diese Fragen einer Einflußzone wieder ganz radikal in Frage stellte. Es waren unter anderem Ribbentrops geschworene Feinde aus England, die auch in Mähren wieder aktiv waren. Am 25. Januar 39 berichtete die DR: „Es hat sich gegen das Deutsche Reich eine neue internationale ‚Maffia‘ (sic) unter hauptsächlicher Mitarbeit Beneschs gebildet, an welcher vor allem militärische Kreise beteiligt sind. An der Spitze steht Duff Cooper, der ehemalige englische Kriegsminister. Als Mitglied wird in Prag auch Kerillis116 (Paris?) genannt. In Polen sollen zwei maßgebende Persönlichkeiten des nationalen Lagers beteiligt sein. Diese neue ‚Maffia‘ organisiert in der TschechoSlowakei alle Benesch-Leute. … Es würde eine Neuaufteilung verschiedener Gebiete zwischen England und Frankreich vorgenommen werden. … Polen sei bei der Aufteilung mit beteiligt. Der Tschecho-Slowakei fiele die Aufgabe zu, in den Minderheitengebieten Unruhe hervorzurufen und eventuell durch einen Aufstandsversuch die Sache vorzubereiten. … Als wahrscheinlicher Ausgangspunkt für den Aufstandsversuch wird das Gebiet von Mährisch-Ostrau bezeichnet.“117 114

PA AA, R 27157, Artikel von ‚K. S.‘: „Der Kopf der Woche – Ribbentrop, der Nationalsozialist, der den Papst besucht hat.“, Weltwoche vom 15. März 1940. Im gleichen Sinn auch die „Weltwoche“ vom 22. Dezember 1939. Vgl. PA AA, R 27157, Bericht der englischen Haus­ hälterin aus dem Haushalt Ribbentrop. Die Londoner „News Review“ erfand zu diesem Zweck sogar vor Kriegsausbruch eine Episode, nach der Ribbentrop bereits im Jahr 1914 auf einer Versammlung in Ottawa erklärt haben sollte, England würde niemals in einem europäischen Krieg mitmachen. Im gleichen Artikel wurde auch kolportiert, Botschafter Hoesch sei an einer Vergiftung gestorben. PA AA, R 27157, Bericht der Reichspressestelle der NSDAP vom 14. Juli 1939 über den Artikel „Without War“ im News Chronicle vom 6. Juli 1939. 115 Dem tschechischen Geheimdienst lagen Anfang März 1939 konkrete Informationen über einen deutschen Einmarsch am 15. März vor, die auch an die britische Regierung weitergegeben wurden. Vgl. Moravec, Spies, S. 150 f. 116 Wahrscheinlich Henri de Kérillis (1889–1958), französischer Journalist und Politiker, Parlamentsmitglied von 1936–1942, Angehöriger einer von Georges Mandel (1884–1944, ermordet) angeführten, scharf antinationalsozialistischen Parlamentariergruppe. 117 PA AA R 27091, Bl. 29119–29121 Nicht unterzeichneter und nicht paraphierter Bericht vom 25.1.39.

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Das war noch nicht alles. Auch die Reden und die Berichte über die im Januar vollzogene Wende der US-Außenpolitik hatte bei Ribbentrop Spuren hinterlassen, wie er gegenüber Ashton-Gwatkin erklärte: „Es gäbe viele Feinde Deutschlands – eine internationale Gang. Ihre Anführer wären jetzt aus Holland usw. in die Vereinigten Staaten geflohen, wo sie eine skrupellose Propaganda gegen Deutschland machen würden, in deren Dienst sich auch Präsident Roosevelt stelle. In Lima hätte er gerade die südamerikanischen Staaten davon überzeugen wollen, sie würden von Deutschland angegriffen werden. Könne es etwas unsinnigeres geben?“118

Ashton-Gwatkin merkte jedenfalls bei Ribbentrops Ankündigung in Sachen Tschecho-Slowakei auf und erkundigte sich bei einem von Hitler persönlich instruierten „deutschen Freund“ nach dem Hintergrund dieses Anspruchs. Dieser Freund, bei dem es sich um Prinz Max von Hohenlohe handelte,119 ließ ihn wissen, daß eine Ausweitung der deutschen Herrschaft über die Tschechoslowakei bevorstehen würde und nur dort, nicht über Ungarn oder Rumänien. Hitler habe ihm erläutert, daß „die Tschechen ihre Nationalität, die Pässe usw. behalten würden, aber ihre Außenpolitik von einem ‚German Resident‘ in Prag geleitet werden würde.“120 Diese offene Ankündigung der Errichtung des Protektorats, einen Monat bevor, sie verwirklicht wurde, meldete Ashton-Gwatkin umgehend nach London. Das geht aus einem Memorandum des FO vom 13. März hervor, in dem Ashton-Gwatkins Gespräch mit Ribbentrop und diese Information erwähnt werden.121 Dieses Memorandum nun diskutierte in aller Länge die juristische Situation, also die Frage, ob der angekündigte deutsche Schritt nach Prag einen Verstoß ge 118 Ribbentrop im Gespräch mit Ashton Gwatkin, 20. Februar 1939, zit. n. DBFP, III, 4, Appendix II, S.  602. Ribbentrop verwies ausdrücklich auf den „News Chronicle“, der in England bevorzugt solche Desinformationen verbreiten würde. Damit traf er präzise ins Schwarze, und es sollte exakt der Berliner News Chronicle Korrespondent Ian Colvin sein, der dann am 30. März 1939 im englischen Kabinett die Desinformation unterbringen konnte, es stünde ein deutscher Angriff auf Polen unmittelbar bevor. Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Doc. 566, S. 545, Anm. 1. Damit löste er den Blankoscheck letztlich aus, nachdem Chamberlain diese und andere phantastische Geschichten zunächst zu Recht nicht glauben wollte, dann aber zeitgleich das gleiche Gerücht aus der Warschauer Botschaft in die Sitzung kolportiert wurde. Vgl. Chamberlain, Diary Letters, S. 400, Chamberlain an seine Schwester Hilda, April 1939. Ein paar Tage später brachte der News Chronicle dann eine frei erfundene Geschichte über einen Briefwechsel zwischen Chamberlain und Mussolini, die Chamberlains Glaubwürdigkeit erschüttern sollte, wie er erkennbar indigniert an Schwester Hilda schrieb. Vgl. Chamberlain, Diary Letters, S. 407, 15. April 1939. 119 Dies geht aus einem in den DBFP nicht gedruckten Bericht Ashton-Gwatkins hervor. Vgl. Newman, Guarantee, S. 81. Wegen seiner persönlichen Bekanntschaft mit Personen wie ­Allen Dulles und Winston Churchill wurde Hohenlohe später nach Kriegsausbruch mit einer Gesprächsdiplomatie über deutsche Friedensangebote beauftragt, die auf britischer Seite den indirekten Kontakt zu Ribbentrops langjährigem Verbindungsmann Conwell-Evans fand. Vgl. Schlie, Friede, S. 102 ff. 120 Vgl. DBFP, III, 4, Appendix II, Aufzeichnung von Ashton Gwatkin über seinen Deutschlandaufenthalt, hier vom 20. Februar 1939. 121 Vgl. DBFP, III, 4, Doc. 230, S. 238, Memorandum von F. K. Roberts vom 13. März 1939.

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gen internationale Verträge bedeuten würde, insbesondere gegen das Münchener Abkommen oder den ebenfalls in München unterzeichneten englisch-deutschen Konsultationsvertrag. Das Memorandum kam in allen Fragen zu der Einschätzung, daß dies nicht der Fall wäre. Weder das Münchener Abkommen, noch der Konsultationsvertrag würden durch die beabsichtige Protektoratserrichtung verletzt werden. Mehr noch: F. K. Roberts stellte ausdrücklich fest, es gebe überhaupt keinen „locus standi“ für die britische Regierung, von dem aus sie gegen die Errichtung des Protektorats protestieren könnte. Damit bestand einige Tage vor der Reise des tschechischen Präsidenten Hacha nach Berlin in der englischen Regierung nicht nur Klarheit über den geplanten deutschen Schritt, sondern auch über dessen völkerrechtliche Zulässigkeit, jedenfalls mit Blick auf die englisch-deutschen Beziehungen. Was vor der Weltöffentlichkeit als Coup dargestellt wurde, war durch Ribbentrop selbst und das Auswärtige Amt einen Monat zuvor angekündigt worden. Entsprechend erklärte Premier Chamberlain auch am 15.März 1939 vor dem Unterhaus lapidar, es läge keine deutsche Aggression vor, die Tschechoslowakei sei ein Opfer von „internal disruption“ und es sei – wie F. K. Roberts ja festgestellt hatte – auch kein internationales Abkommen verletzt worden.122 Allerdings setzte er dazu: „Auch wenn dies mit der freien Zustimmung der tschechischen Regierung geschehen ist, kann ich nicht anerkennen, daß die Art und Weise mit dem Geist des Münchener Ab­ kommens übereinstimmt.“123

Die Geschichte des Protektorats wurde denn auch von letzterem bestimmt. Naturgemäß ergriffen die englischen Gegner von Chamberlains Kurs die Chance und nutzten die ganze Fragwürdigkeit des nationalsozialistischen Griffs über die ethnisch-deutschen Grenzen für das Erreichen ihrer Ziele aus. Chamberlain geriet schnell unter Druck und mußte den deutschen Schritt innerhalb von Tagen ausdrücklich verurteilen. Interessant bleibt die Frage, warum anders als bei den zahlreichen falschen Gerüchten über angeblich geplante deutsche Angriffe auf Holland oder England oder demnächst auf Rumänien, die damals die Weltpresse füllten, nun gerade dieser tatsächlich geplante und angekündigte Einmarsch nicht den Weg in die Zeitungen fand. Dietrich Aigner hat in diesem Zusammenhang von der „Prager Falle“ gesprochen und jenen Personen, die zu dieser Zeit die Presse sonst gerne mit Informationen versorgten, unterstellt, im Fall der Tschecho-Slowakei absichtlich geschwiegen und damit den deutschen „Coup“ als solchen Pressegerecht inszeniert zu haben.124 Mit Ian Colvin gab jedenfalls einer der üblicherweise für entsprechende Pressemeldungen Verantwortlichen zu, in diesem Fall bewußt darauf verzichtet zu haben, die ihm vorliegenden Informationen in die Presse zu geben. Er war nach eigenen Angaben von Unterstaatssekretär Cadogan am 11. März über den unmittelbar bevorstehenden deutschen Schritt informiert worden. Cadogan 122

Bloch, Das Dritte Reich, S. 254 und Feiling, Life, S. 399. Zit. n. Feiling, Life, S. 400. 124 Vgl. Aigner, Chaff, N5.

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versorgte auch Außenminister Halifax und den Premier noch einmal mit entsprechenden Informationen. Wie so häufig, erhielt Colvin gleichzeitig eine identische Nachricht aus regimekritischen deutschen Regierungskreisen, ebenfalls mit der ausdrücklichen Anweisung, sie nicht öffentlich zu verwenden, damit ein – nach Vorstellung des deutschen Informanten überraschter  – „Mr. Chamberlain lernen kann, was für eine Art Mensch Hitler ist.“125 Eine offizielle britische Intervention auf Ribbentrops Ankündigungen gegenüber Ashton-Gwatkin blieb vollständig aus. In den Tagen vor dem deutschen Einmarsch fanden innerhalb der Regierung zwar noch einmal lebhafte Debatten über mögliche vorherige Maßnahmen statt, an denen Chamberlain, Halifax, Vansittart, Cadogan, Oliver Stanley und Orme Sargent beteiligt waren. Sie endeten mit der lapidaren Entscheidung „nichts zu tun, um Deutschland zu stoppen.“126 Die britischen Motive für das grobe Mißverhältnis aus politischer Passivität plus rechtlicher Zustimmung vor der Errichtung des Protektorats und dessen umfassender Skandalisierung nach den Ereignissen vom 15. März waren nicht einheitlich. Einerseits wurden phantastische Vorschläge eingereicht, wie der von Ivone Kirkpatrick, damals First Secretary of the Central Department, der auf die symbo­ lische Vorweisung britischer Arroganz setzte und alle persönlichen Kontakte zwischen deutschen und britischen Militärs aufgrund von deutscher „Unwürdigkeit“ abgebrochen sehen wollte.127 Andererseits wurde die Sprachregelung ausgegeben, der Marsch nach Prag symbolisiere trotz der oben gesehenen eigenen Passivität den deutschen Griff nach „Weltherrschaft“. So beurteilte es Nevile Henderson in seinen Memoiren.128 Diese Einschätzung gab aber auch Halifax am Tag des Einmarschs gegenüber dem deutschen Botschafter zum besten.129 Schließlich sprach niemand anderer als Regierungschef Chamberlain am 20.  März vor dem Kabinett mit einer solchen Begründung von einem möglichen Angriff auf Deutschland: „Wenn Deutschland Anzeichen erkennen läßt, seinen Marsch zur Weltherrschaft fortzusetzen, dann müssen wir die nötigen Schritte unternehmen, es mit einem Zweifrontenangriff zu stoppen. Wir werden Deutschland nicht angreifen, um ein spezielles Opfer zu retten, sondern um den Tyrannen niederzuschlagen.“130

Damit hatte er formuliert, was später geschehen sollte. Die britische Politik vollzog – unter welcher Beteiligung Chamberlains ist nicht völlig klar – den Schwenk gegen Deutschland und erklärte Monate später den Zweifrontenkrieg nicht, um dessen vorgebliches Opfer Polen zu retten, sondern um den „Tyrannen“ trotz dessen Beschwichtigungsversuchen zu vernichten. Die Rolle Chamberlains ist insofern nicht ganz klar, als er sich zwar wiederholt über den Druck aus Innenpolitik 125

Vgl. Cadogan, Diaries, S. 155, 11. März 1939, bzw. Colvin, Vansittart, S. 290 f. Vgl. Cadogan, Diaries, S. 156, 14. März 1939. 127 Vgl. Newman, Guarantee, S. 106. 128 Vgl. Henderson, Fehlschlag, S. 250. 129 Vgl. DBFP, III, Bd. 7, S. 270–272. 130 Chamberlain am 20. März 1939, Cab Minutes 20 Mar. 1939 CAB 23/98, hier zit. n. Newman, Guarantee, S. 124. 126

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und Übersee beschwerte, der ihn zum Konflikt mit Deutschland zwingen würde. Leuten wie Churchill, die den Krieg am liebsten gleich haben wollten, müsse man Widerstand bis zum letzten leisten, schrieb er ein paar Wochen nach der oben zitierten Angriffsankündigung an eine seiner Schwestern.131 Es ist aber nicht eindeutig, ob dieser Ärger wirklich Ausdruck seiner prinzipiellen Kriegsscheu oder eher Ausdruck seiner Befürchtungen war, durch allzu öffentlich vorgetragene Chur­ chillsche Kriegslust könnte der politisch erwünschte Eindruck beschädigt werden, es handle sich statt eines Angriffs- um einen englischen Verteidigungskrieg. Wie wir gesehen haben, hatte Ribbentrop in seinem Abschlußbericht als Botschafter vermerkt, daß die britische Politik auf solche Argumentationsstränge wie nationale Selbstbestimmung letztlich nichts geben würde. Unter weicher Rhetorik dieser Art habe London selbst stets ganz andere Tatsachen und schließlich ein Weltreich geschaffen. Aus Anlaß der Prager Affären des Jahres 1939 traf diese Beobachtung auf die innerbritischen Debatten wohl zu. Am besten brachte dies Alexander Cadogan, der Amtschef des Außenministeriums in einem launigen Tage­bucheintrag am 20. März zum Ausdruck: „Ich habe es immer gesagt: So lange Hitler vortäuschen kann, er würde nur Deutsche ins Reich zurückholen, so lange können wir vortäuschen, er hätte ein Recht dazu. Wenn er anfängt, andere Nationen zu verschlingen, ist die Zeit gekommen, Halt! zu rufen.“132

„Prinzipien“ wie nationale Selbstbestimmung oder vertraglich gesichertes Völkerrecht bildeten in dieser Gedankenwelt nur ein Element des jeweils aktuellen Sprachgebrauchs. Wirkliche Substanz hatten sie nicht, wie Ribbentrop gesehen hatte. Der deutsche Schritt nach Prag zeigte aus dieser Sicht, daß man einen Gegner gefunden hatte, der nun mit neuen Schlagworten wie „Streben nach Weltherrschaft“ und „fehlende Glaubwürdigkeit“ bekämpft werden konnte, bei geringer Gefahr, daß die tatsächlich britische Weltherrschaft und die vielfach gebrochene Glaubwürdigkeit der britischen Politik im Gegenzug zum Thema werden würden. Ribbentrop und das Auswärtige Amt unternahmen 1939–41 vergeblich etliche Anstrengungen, dieses Thema aufzubringen. Allerdings schuf erst die erneut – wie im Mai 1938 im Fall der Tschechoslowakei – frei erfundene und diesmal mit allen Mitteln in die Druckmedien gedrückte Geschichte eines angeblich drohenden deutschen Einmarschs in Rumänien133 die 131 Vgl. Chamberlain, Diary Letters, S. 403, Chamberlain an seine Schwester Ida, 9. April 1939. 132 Zit. n. Cadogan, Diaries, S. 161, 20. März 1939. 133 Dies leistete die „Tilea-Affäre“, wenige Tage nach den Prager Ereignissen. Am 17. März 1939 erschien der rumänische Botschafter Virgil Tilea im englischen Außenministerium und teilte Minister Halifax mit, daß die deutsche Regierung ein Ultimatum an Rumänien gestellt habe, sich in wirtschaftliche Abhängigkeit von Deutschland zu begeben. Das führte zu großem Presseecho und trug zu den genannten Garantieerklärungen Großbritanniens und Frankreichs bei. Mit Robert Boothby übernahm später ein Mitglied des Churchillschen Focus-Netzwerks die Verantwortung für diese Operation. Vgl. Scheil, Gegner, Kapitel VII, D.

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Voraussetzung dafür, daß sich die britische Regierung eine vertragliche Möglichkeit sicherte, um den Krieg gegen Deutschland jederzeit als Zweifrontenkrieg eröffnen zu können. In der zweiten Märzhälfte des Jahres 1939 „garantierte“ die Londoner Regierung die Staaten Polen und Rumänien, begleitet von solchen falschen Gerüchten über deutsche Angriffe. Sie band Polen allerdings auch für den Fall einer offensiven Kriegseröffnung an ihre Seite – und umgekehrt. Der Hauptzweck dieser Unternehmung war die erfolgreiche Führung eines möglichen Krieges gegen Deutschland, für den man Polen brauche und notfalls durch einseitige Erklärung in Stellung bringen wolle, wie Außenminister Halifax einen Tag nach Chamberlains Angriffsdrohung seinem französischen Kollegen Bonnet erklärte.134 Wenn es letztlich eine politische „Prager Falle“ gegeben hatte, dann hatte Hitler sie sich mit seinen lärmenden Ankündigungen aus dem Vorjahr „gar keine Tschechen“ zu wollen, selbst gestellt. Zwar entsprach der Einmarsch in Prag dem Programm der Hoßbach-Konferenz und blieb im Rahmen der historischen Grenzen des deutschen Reichs und Bundes, zwar war er für informierte Regierungskreise in England kein „Coup“, sondern angekündigt und völkerrechtlich außerdem offenbar einwandfrei zustande gekommen. Aber er entsprach ganz zweifellos nicht dem, was in den Vorjahren an deutschen Zielen öffentlich verbreitet worden war. Deutschland hatte den – kalten – Krieg mit der geheimen Aufrüstung und seit 1935 mit der öffentlichen Proklamation der Wehrhoheit unter dem Motto ‚Befreiung der Deutschen von Versailles‘ geführt. Das Protektorat konnte dagegen als erste „Unterwerfung anderer Völker“ gelten.135 Es entwertete außerdem jede ethnische Argumentation in Bezug auf die strittigen Punkte mit der Republik Polen, etwa in Danzig und dem aktuell polnischen Gebiet in Westpreußen, dem vielbeschworenen „Korridor“. Dies wurde in den folgenden Wochen ein stetes Thema während der Verhandlungen. Wenn die deutsche Regierung zur Begründung des Prager Einmarschs „historisch“ argumentierte, konnte sie der polnischen Seite nicht verweigern, das gleiche in Sachen Danzig zu tun. Andererseits bedeutete die Herrschaft über Böhmen und Mähren für NS-Deutschland die endgültige Kontrolle über Mitteleuropa. So lange das Regime innerlich stabil blieb, würde es jetzt nur noch durch einen großen europäischen Krieg zu stürzen sein. Dieser Krieg würde nach aller Wahrscheinlichkeit dem großdeutschen Nationalstaat ein Ende bereiten, aber er würde auch für alle anderen Beteiligten katastrophale Folgen haben. Verbündete hatte Ribbentrop immer noch nicht gewinnen können, aber seine Abschreckungsstrategie gegen Großbritannien konnte sich in Zukunft auf eine beträchtlich erweiterte Substanz stützen.

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Vgl. DBFP, IV, Doc. 458, S. 427, bzw. Newman, Guarantee, S. 135 f. So Stalin rückblickend in seiner Rede vor sowjetischen Nachwuchsoffizieren am 5. Mai 1941. Vgl. Ueberschär, Angriff, S. 184.

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4. Programm erfüllt: Großdeutscher Nationalstaat für ein Jahr „Das deutsche Volk habe alle Kriege und alle Rückschläge überstanden. Es habe die Römerzeit überdauert, es habe das frühe und späte Mittelalter überstanden, es habe sogar den dreißigjährigen Krieg überlebt, es habe die napoleonischen Kriege und den Weltkrieg überlebt und – so fügte der Führer mit launigen Worten hinzu – es wird auch mich überleben.“ Bericht der Dienststelle Ribbentrop aus dem November 1938136

Es gab eine Zeit, da lag die heutige Vergangenheit einmal in der Zukunft. Für den Historiker folgt daraus die Notwendigkeit, sich in eine vergangene Situation als in eine damals offene Situation hineinzuversetzen und es möglichst zu vermeiden, den Ablauf der Dinge aus den späteren Ereignissen heraus als zwangsläufig zu interpretieren. Die Mehrheitsmeinung der Zeitgeschichte entgeht dieser Gefahr nicht und läuft darauf hinaus, in den Monaten nach dem Münchener Abkommen einen zielstrebigen Kurs der deutschen Politik sehen zu wollen. Er soll über das Münchener Abkommen hinaus auf die vollständige Eingliederung Böhmens und Mährens zugelaufen sein, zugleich auf den Abschluß eines deutschpolnischen Abkommens, das Polen zu einem deutschen Satelliten machen sollte, schließlich auf einen großen Krieg, wobei sich hier bezeichnenderweise die Meinungen teilen, ob es ein großer Krieg im Westen oder ein Krieg im Osten oder beides in Form eines Stufenprogramms habe werden sollen. Einen Beleg gibt es für das alles nicht. Mit dem Abschluß des Münchener Abkommens war das Programm der Hoßbach-Niederschrift im Herbst 1938 in bedeutenden Teilen erfüllt, mit Sicherheit schneller als sich das Ribbentrop oder Hitler beim Wechsel im Außenministerium im Frühjahr hatten vorstellen können. Österreich und die „Tschechei“ konnten als Probleme gelten, die aus Sicht deutscher Ansprüche bis ins Jahr 1938 hinein als unlösbar gewirkt hatten. Mit einer Mischung aus Überraschung und Kriegs­ drohung, jeweils beschleunigt durch halbherzige Provokationen sowohl der jeweiligen Machthaber in Wien und Prag als auch mancher Kreise in den Westmächten und der UdSSR, hatten acht Monate nach dem Amtsantritt Joachim von Ribbentrops genügt, um in beiden Fällen entscheidende Erfolge zu erzielen. Die von Hitler in seiner Rede vom Februar 1938 proklamierten „zehn Millionen Deutschen jenseits der Grenze“, deren Interessen das Deutsche Reich jetzt vertreten wollte, lebten jetzt überwiegend innerhalb der Grenzen dieses Reichs. Es blieben jene zwei Punkte zu lösen, die Ribbentrop bei seinem Amtsantritt genannt worden waren: Memel und Danzig. Sie galten beide aus guten Gründen als nachrangig, aber sie berührten beide das deutsch-polnische Verhältnis, das trotz aller öffentlich demonstrierten Interessenidentität grundsätzlich ungeklärt war.

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Zit n. PA AA R 27091, Bl. 29045, Bericht der DR, gezeichnet Likus.

4. Programm erfüllt: Großdeutscher Nationalstaat für ein Jahr 

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Hitler erhoffte sich, wie er schon in der Hoßbach-Besprechung gesagt hatte, nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei und dem Anschluß Österreichs ein größeres Wohlwollen Polens. Bei jedem Rückschlag in diesen Angelegenheiten hatte er  – offenkundig zu Recht  – zuvor mit einem polnischen Vorgehen gegen Deutschland gerechnet. Jetzt stellte die Republik Polen für ihn wie für Ribbentrop so etwas den Schlußstein dar, der unter den neuen Verhältnissen noch setzen war. Ribbentrop überzog die deutschen Nachbarn nach dem Münchener Abkommen förmlich mit einer Grenzanerkennungs- und Nichtangriffspaktwelle. Unter anderem fuhr er im Dezember 1938 zu diesem auch noch einmal nach Paris. Damit hatte nicht nur die in Versailles geradezu erpresste Weimarer Republik, sondern es hatte auch das nationalsozialistisch regierte Deutschland den endgültigen Verzicht auf Elsaß-Lothringen erklärt, „freiwillig und ohne daß es uns etwas kostete“, wie Frankreichs zuständiger Minister Bonnet in seinen Erinnerungen schreibt.137 Am letzten Punkt schieden sich etwas die Geister, denn Ribbentrop war seinerseits durchaus der Meinung, etwas erhalten zu haben: Einen grundsätzlichen französischen Verzicht auf die früher durchgeführte antideutsche Bündnispolitik mit den „cordon sanitaire“-Staaten Mitteleuropas. Darüber gab es keine schriftlichen Vereinbarungen, aber Bonnet hatte offenbar entsprechende Bemerkungen fallen lassen. Damit wurde ein Vorhaben begünstigt, das Ribbentrop damals seit einigen Wochen verfolgte, genau seit Oktober 1938. Die Republik Polen sollte ebenfalls Ruhe vor eventuellen deutschen Revisionsansprüchen bekommen. Wie gegenüber Italien im Fall Südtirol und gegenüber Frankreich im Fall Elsaß bedeutete dies gegenüber Polen den endgültigen Verzicht auf Westpreußen, das seit dem Versailler Vertrag von 1919 als „polnischer Korridor“ steter Gegenstand offener deutscher Ansprüche gewesen war. Das Auswärtige Amt hatte während der Weimarer Zeit jede Anerkennung dieser Grenzziehung verweigert und auch jetzt noch empfahl Staatssekretär Ernst von Weizsäcker zur Jahreswende 1938/39 die sofortige Rückgewinnung des Korridors und die Reduzierung Polens auf einen „Pufferstaat“, wenn man seinen Aufzeichnungen glauben will.138 Das war nicht das Ziel der Politik Ribbentrops, die er mit Rückdeckung Hitlers zu dieser Zeit durchführte. Er war allerdings der Ansicht, im Fall Polens wie im Fall Italiens für den Verzicht auf bis-

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Zit. n. Bonnet, Katastrophe, S.  137. Ribbentrop begründete diesen Schritt während der Verhandlungen freilich weniger freundschaftlich als pragmatisch: „Würden wir nach einem glücklichen Kriege Ihnen Elsaß-Lothringen wieder abnehmen, (würde) dieses Land eines Tages zur Ursache eines neuen Krieges zwischen Frankreich und Deutschland werden“. (Ebd., S.  136). In der Tat fühlte sich die NS-Regierung, ob aus solchen Überlegungen oder nicht, selbst nach der nächsten „glücklichen“ Auseinandersetzung an die so getroffenen Regelungen gebunden. Das deutsch-französische Waffenstillstandsabkommen vom 22. Juni 1940 erwähnte Elsaß-Lothringen gar nicht und ließ das französische Staatsgebiet völkerrechtlich ungeteilt. Vgl. Text des Abkommens in: Hohlfeld, Dokumente, Bd. V, S. 193–199. 138 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78787, Aufzeichnung Schliep, 30.12.38. Zu Weizsäckers Empfehlung vgl. Hill, Papiere, II, S. 150.

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her erhobene Ansprüche in der Tat etwas Handfestes verlangen zu können: die Freie Stadt Danzig. Darüber hinaus sollte Polen als Mitglied des Antikominternpakts gewonnen werden. Sollte es gar zu einem förmlichen Bündnis kommen, so stellte ein verbündetes Polen in der Tat gemeinsam mit Deutschland (und Ungarn) einen unmöglich schnell zu überrennenden Block dar und hätte die Verwirklichung von Hitlers in seinem „Zweiten Buch“ 1928 formulierter „Großraum“-Konzeption bereits recht nahe rücken lassen. Am 24. Oktober 1938 erging daher ein allerhöflichst formuliertes Angebot an die polnische Regierung, das deutsch – polnische Verhältnis auf eine neue Grundlage zu stellen. Es enthielt acht Punkte:139 –– Eingliederung Danzigs ins Deutsche Reich –– Einrichtung einer exterritorialen Straßen- und Eisenbahnverbindung zwischen Deutschland und Ostpreußen –– Einrichtung einer ebensolchen Verbindung und eines Freihafens für Polen im Danziger Gebiet –– Deutsche Absatzgarantie für polnische Waren im Danziger Gebiet –– Die beiden Nationen anerkennen ihre gemeinsamen Grenzen (Garantie)  oder die beiderseitigen Territorien –– Der deutsch-polnische Vertrag von 1934 wird auf 25 Jahre verlängert –– Polen tritt dem Antikomintern-Pakt bei –– Die beiden Staaten fügen ihrem Vertrag eine Konsultationsklausel bei Diese Punkte wurden Botschafter Josef Lipski von Ribbentrop präsentiert und später zusammen mit der Gesprächsaufzeichnung auch schriftlich überreicht. Die letzte Feststellung ist wichtig, denn genau dies stritt die polnische Regierung in den Folgemonaten gegenüber dem gesamten westlichen Ausland unverdrossen ab, selbst als Großbritannien schon seine Garantieversprechen abgegeben hatte. Es seien nie schriftliche deutsche Forderungen etwa nach einer Straße in Richtung Ostpreußen übergeben worden, erklärte Josef Beck noch am 4. April 1939 gegenüber Neville Chamberlain. Er könne sich allenfalls vorstellen, daß der Herr von Ribbentrop solche Ideen hätte, aber das wohl ohne Billigung seines Chefs, versicherte er treuherzig.140 Solche Formen der Desinformation gehörten zwar zum Bestand der politischen Auseinandersetzung, aber Beck wandte sie in so ungewöhn­ lichem Ausmaß an, daß am Ende niemand mehr mit ihm zusammenarbeiten wollte. 139 Zit. n. ADAP, Serie D, Bd. 5, Dok. 81, S. 87 f., Original in PA AA R 28881, Bl. 78675 ff., hier Bl. 78677 f. 140 Vgl. BDFA, II, F, Vol. 58, Doc. 94, S. 81, Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Beck, Raczynski und Joseph Potocki auf der polnischen und Chamberlain, Halifax, Cadogan und Strang auf der britischen Seite.

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Zurück in den Oktober 1938. Tatsächlich hatte Lipski damals um die Unter­ redung mit JvR gebeten, um den Besuch seines Ministers Beck vorzubereiten und eine deutsche Erklärung über die Erhaltung des territorialen Status quo in Danzig und dem Korridor vorzuschlagen. Die polnische Regierung sah sich wegen der guten Zusammenarbeit mit dem Reich bei der Aufteilung der Tschechoslowakei in der Rolle des Gläubigers. Schließlich hatten sich beide Seiten bereits am 28. September 1938, also vor Abschluß des Münchener Abkommens, über die gegenseitigen Interessen verständigt und sogar eine Abgrenzung der jeweiligen Interessensphären in der Tschechoslowakei war vorgenommen worden.141 Polen hatte also aus seiner Sicht Deutschland den Rücken freigehalten – am 20. September hatte Lipski Hitler eine ganze Liste der polnischen Verdienste überreicht – und für dieses Mal sein „Wohlwollen“ zu Protokoll gegeben. Was aber Hitler als erste Etappe einer längerfristigen Zusammenarbeit sah, war für die polnische Regierung nur ein äußerst begrenztes Geschäft gewesen, dessen Gewinn sie nun eintreiben wollte. Lipski reagierte denn auch gegenüber Ribbentrop auf dessen Vorschläge sofort mit der Abgabe einer, wahrscheinlich zu ganz anderen Zwecken vorbereiteten, längeren Erklärung zur symbolischen Rolle Danzigs für Polen. Polen erkenne den deutschen Charakter Danzigs an, mische sich nicht in innere Angelegenheiten der Stadt, lehne aber ihren Anschluß an das Reich ab, der auch innenpolitisch kaum durchsetzbar sei. Bei „genauerem Studium“ der Frage ließe sich „jegliche Reibungsfläche“ sicher ausscheiden.142 Ribbentrop versuchte seinerseits, Lipski von einer schnellen Festlegung abzuhalten, deutete aber an, daß auch in Deutschland innenpolitische Schwierigkeiten im Fall einer Anerkennung der polnischen Grenze zu erwarten seien. Vor diesem Hintergrund sei die Rückgliederung Danzigs die notwendige Kompensation zu einem deutschen Verzicht auf den Korridor. Mitten in diese beginnenden Verhandlungen platzten die Pogrome des 9./10. November 1938, für deren Bezeichnung sich bald der ironische, das Regime karikierende Begriff der „Reichskristallnacht“ einbürgerte. Sie waren ein Desaster auch für Ribbentrops Politik. Die Entwicklung kam völlig unerwartet, nachdem gerade wenige Wochen vorher mit dem Münchener Abkommen das deutsche Revisionsprogramm fast vollständig durchgesetzt worden war und die sofort danach angesetzten Versuche, auch den immer noch potentiellen Konfliktstoff mit Polen zu bereinigen, sich jedenfalls im Anfangsstadium noch nicht aussichtslos darstellten. In den neueren Forschungen wird regelmäßig Propagandachef Joseph ­Goebbels für die konkrete Anstiftung und landesweite Organisation der Ausschreitungen verantwortlich gemacht. Goebbels war es jedenfalls auch, der am Tag danach vor der internationalen Presse zu rechtfertigen versuchte, was nicht zu rechtfertigen war. Offenkundig beeindruckt von der völligen Ablehnung und dem angewiderten Schweigen der anwesenden Journalisten brach er die Pressekonferenz schließlich ab und verließ samt seiner Mitarbeiter zügig den Raum, ohne wie zugesagt Fra 141

Wojciechowski, An der Schwelle zum Krieg, S. 271 und Pagel, Polen, S. 146. ADAP, Serie D, Bd. 5, Dok. 81, S. 88.

142

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gen zu beantworten. Die Dienststelle Ribbentrop fertigte einen Bericht über diesen gescheiterten Rechtfertigungsversuch der Reichskristallnacht durch Goebbels an und versuchte, den Dingen mit Blick auf den Außenminister irgend etwas positives abzugewinnen: „Im gleichen Zusammenhange wird auf die erst 4 Tage zurückliegende Rede des Reichs­ außenministers bei dem Bankett der Auslandspresse im Hotel Esplanade hingewiesen, deren sympathische Wirkung noch immer von ausländischen Pressevertretern erwähnt wird. Sie zogen das Auftreten der beiden Minister in Vergleich miteinander und stellten dabei fest, daß das Fernbleiben des Reichsaußenministers von den antijüdischen Kundgebungen nur zu seinen Gunsten spreche, Auch der Wortlaut seiner in der Mordsache vom Rath versandten Telegramme wurde allgemein als maßvoll angesehen.“143

Die Unvereinbarkeit solcher brutalen Ausschreitungen mit dem angestrebten Selbstbild des Staates wurde hier deutlich angesprochen. Hinter den Ausschreitungen des 9. November 1938 verbarg sich zudem ein aktueller deutsch-polnischer Konflikt. Ihre unmittelbare Vorgeschichte hatte mit dem Versuch der polnischen Regierung begonnen, ihren in Deutschland lebenden Staatsbürgern jüdischer Herkunft die Pässe zu entziehen und sie staatenlos in Deutschland festzusetzen. Nach dem Scheitern einer diplomatischen Intervention wurden diese Menschen – darunter die Eltern des Rath-Attentäters Grynszpan – von deutschen Behörden an die deutsch-polnische Grenze deportiert. Dort saßen sie dann im Niemandsland fest, da die polnischen Stellen sie nicht ins Land ließen. Von diesem Flüchtlingselend im deutsch-polnischen Niemandsland, waren auch die Eltern von jenem Herschel Grynszpan betroffen, der aus Verzweiflung darüber einige Tage später ausgerechnet den deutschen Geschäftsträger in Paris ermordete und damit den Anlaß für die Reichskristallnacht lieferte.144 Die polnische Regierung ihrerseits konterte die deutschen Maßnahmen damit, daß in Polen lebende Deutsche ausgewiesen wurden – weshalb die deutsche Abschiebungsaktion sehr schnell eingestellt wurde.145 Noch saß niemand im Viehwagen.146 Aber diese Transporte mißliebiger Menschen,

143

PA AA R 27091, Bl. 29049 f., vertraulicher Bericht der DR vom 11.11.38. Ausführlicher Bericht über die Wirkung der Rede vom 7.11.38 durch die DR am 8.11.38: Ribbentrop habe Hitlers vorausgegangene Polemik gemildert und erläutert, staatsmännische Haltung erkennen lassen. „Nachdem der Reichsaussenminister den Saal verlassen hatte, gaben die Ausländer unter sich der Hoffnung Ausdruck, daß nach der nun verstandenen Rede des Führers die Achsen­ mächte zu einem guten Verhältnis mit den Westmächten kommen sollten.“ Vgl. R 27090, Bl. 28838, Bericht der DR vom 8.11.38. 144 Vgl. ADAP, D, V, Dok. 107, S. 115. 145 Zit. n. ADAP, D, V, Dok. 92, S. 100, Vermerk Woermann, Gespräch mit dem polnischen Geschäftsträger Scheliha. Man einigte sich darauf, daß die an der Grenze wartenden Juden nach Polen einreisen dürften, daß aber in Zukunft nur noch etwa einhundert im Monat folgen sollten. Am 3. Februar 1939 meldete Himmler dann, es würden ungefähr 7000–8000 polnische Juden in Deutschland bleiben, denen die Warschauer Regierung die Staatsbürgerschaft vor einer Ausreise aberkennen werde. Vgl. ADAP, D, V, Dok. 127, S. 141. 146 Wie der damals ebenfalls aus Deutschland nach Polen abgeschobene Marcel Reich-­ Ranicki in seiner Autobiographie betont.

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denen nicht mehr als ihre bloße Existenz zur Last gelegt werden konnte, ließen bereits das Gewaltpotential ahnen, das noch von internationaler Diplomatie verdeckt wurde. Die Pogrome vom 9. November 1938 waren ein politisches Desaster für Ribben­ trops Politik, führten aber nicht augenblicklich zu einer politischen Reaktion. Die Art, wie zu dieser Zeit der Antisemitismus international auf der Tagesordnung stand und daher selbst die groben antisemitischen Aktionen der polnischen oder der deutschen Regierung den Gang der Dinge an anderer Stelle nicht beeinflußten, wurde erneut im Rahmen von Ribbentrops Staatsbesuch in Paris nach dem Münchener Abkommen deutlich. Dort erkannte Ribbentrop wie gesagt noch einmal die bestehenden deutsch-französischen Grenzen vertraglich an, also den Verlust von Elsaß-Lothringen im Vertrag von Versailles. Dieser Bruch mit den Gewohnheiten der Weimarer Außenpolitik, keine Entscheidung von Versailles andernorts noch einmal zu bestätigen, wurde in Paris erfreut aufgenommen. Die Ereignisse der Kristallnacht änderten daran nichts, offenbar im Gegenteil. Als die offiziellen Gespräche beendet wurden, brachte Bonnet noch ein Anliegen vor, wie aus der Hitler vorgelegten Aufzeichnung Ribbentrops hervorgeht: „Die Judenfrage. Nachdem ich Herrn Bonnet erklärt hatte, daß ich mit ihm offiziell nicht über dieses Problem sprechen könnte, sagte er, er wolle mir nur privatim sagen, wie sehr man in Frankreich an einer Lösung des Judenproblems interessiert sei. Auf meine Frage, welches Interesse Frankreich denn habe, meinte Herr Bonnet, erstens wolle man keine Juden aus Deutschland mehr aufnehmen, und ob wir nicht irgendwelche Maßnahmen treffen könnten, damit sie nicht mehr nach Frankreich kämen, und zweitens müßte man in Frankreich zehntausend Juden loswerden. Man denke hierbei hauptsächlich an Madagaskar. Ich erwiderte Herrn Bonnet, daß wir alle unsere Juden loswerden wollten, daß die Schwierigkeit aber darin läge, daß kein Land sie aufnehmen wolle und ferner am Mangel an Devisen. Während ich immer abgelehnt hätte, und mich auch heute keinesfalls darauf einlassen wolle, mit irgendeinem fremdstaatlichen Komitee diese Frage zu behandeln, hätte ich, wie ich ihm vertraulich mitteilen wolle, mich damit einverstanden erklärt, daß ein in dem Judenproblem versierter Deutscher sich einmal mit einem Abgesandten eines internationalen Komitees in privater Eigenschaft träfe, um die Frage der Judenauswanderung aus Deutschland nach der praktischen Seite hin zu prüfen. Diese Zusammenkunft fände, so glaubte ich, gerade in diesen Tagen in der Schweiz statt.147 Im übrigen sagte ich noch dem französischen Außenminister, die Judenansiedlung sei deshalb besonders schwierig, weil die Juden keine Landarbeit machen wollten, und wenn man heute das schönste Siedlungsprojekt durchführe, fürchte ich nur, daß innerhalb kurzer Zeit von den Juden alles wieder verkauft werde, und dieselben sich wieder in der Hauptstadt des betreffenden Landes zum Handel ein­finden würden.“148

147 Ein Unterausschuß des „Zwischenstaatlichen Komitees für das Problem der deutschen Flüchtlinge“ tagte in London am 2. Dezember 1938. Mit dem Hinweis auf die Schweiz meinte Ribbentrop wahrscheinlich die Evian-Konferenz, die im Sommer im schweizerischen Evian stattgefunden hatte und auf die verschiedene Folgekonferenzen folgten. 148 Aufzeichnung Ribbentrops vom 9. Dezember 1938, hier zit. n. ADAP, D, IV, S. 420 f.

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Auch in diesem Fall ist es nicht der Minister Ribbentrop gewesen, der dieses Thema zur Sprache brachte. Er wollte es ausdrücklich vermeiden, zeigte dann aber mit der Bemerkung über den fehlenden jüdischen Landarbeitseifer eine An­ hänglichkeit an die antijüdischen Klischees der damaligen Zeit, die spätestens durch den laufenden Siedlungsbau in Palästina erkennbar obsolet geworden waren. Bonnet seinerseits handelte aus eigenem Antrieb, was insofern bemerkenswert ist, als das Gespräch eben wenige Wochen nach der Reichskristallnacht stattfand, die Deutschlands Beziehungen zum westlichen Ausland schwer belastet hatte. Das einzige westliche Land, das offiziell nicht reagierte, war Frankreich. Obwohl in diplomatischen Kreisen allgemein erwartet worden war, die geplante Reise Ribbentrops und die gemeinsame deutsch-französische Regierungserklärung würden als Folge des 9. November 1938 verschoben werden, unternahm man in Paris keinen solchen Schritt. Die Regierung dort deutete die Kristallnacht offenbar als Verschärfung eines internationalen Problems und dachte, wenn überhaupt an Maßnahmen in diesem Bereich, dann eher an solche, wie sie in Deutschland aktuell waren.149 Auf Anregung des französischen Ministers signalisierte Ribbentrop nun zwar Zustimmung zum Vorhandensein eines jüdischen Problems und schilderte dessen – angeblich – spezielle Eigenschaften, verwies die Sache dann aber an eine Kommission – und auf dem Weg dieser Aufzeichnung an Hitler.150 Daß die deutsch-polnischen Gespräche inzwischen auch unter diesen Vorzeichen nicht recht weiterkamen, sprach sich in Berlin in Diplomatenkreisen herum. Am 30. November lag Ribbentrop eine Gesprächsaufzeichnung Ernst ­Woermanns, dem Leiter der Politischen Abteilung des AA mit dem estnischen Gesandten vor, wonach im diplomatischen Corps allgemein von einer Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen gesprochen werde, dies insbesondere auch mit Blick auf die neue polnisch-sowjetische Erklärung.151 Das polnische Außenministerium war zwischenzeitlich nicht untätig gewesen und hatte den 1932 mit der UdSSR geschlossenen Nichtangriffspakt in dieser gemeinsamen Erklärung verlängert. Ribbentrop reagierte am 2.  Dezember mit einer gesprächsweisen Mahnung an Lipski, man sei von dieser Erklärung „überrascht“ gewesen. Polen habe vorher keine Mitteilung gemacht, „was nicht ganz zu den freundschaftlichen Beziehungen passe“. Er gab den umlaufenden Gerüchten also praktisch recht,152 legte aber in der Sache keinen Widerspruch ein. Einen Tag später lag ein BukarestBesuchsbericht eines Direktor Meuser153 der Kaolin-Werke im Büro des RAM, wonach „der polnische Außenminister Beck bei seinem Besuch in Bukarest erklärt haben soll, daß Polen nun definitiv seine deutschfreundliche Politik liquidieren

149 Zu diesem Schluß kommt auch Saul Friedländer, der weitere Äußerungen und Überlegungen französischer Politiker zu diesem Punkt anführt. Vgl. Friedländer, Verfolgung, S. 324. 150 Das Dokument trägt im Kopf die handschriftliche Anmerkung Ribbentrops: „Führer“. 151 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78756, Aufzeichnung Woermann vom 30.11.38. 152 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78758, Aufzeichnung Ribbentrop vom 2. Dezember 1938. 153 Nicht sicher ermittelbar.

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wird“.154 Diese Nachricht hat Ribbentrop offenbar nicht vorgelegen, wohl aber eine vom nächsten Tag mit allerhand freundlichen Grüßen Becks und beigegebenen Glückwünschen zur gerade in Paris abgeschlossenen französisch-deutschen Erklärung.155 Am 15. Dezember sprach Ribbentrop nach seiner Rückkehr aus Paris dann noch einmal mit Lipski, der ihm die Einladung nach Polen überbrachte. Er widersprach Ribbentrops Entgegnung nicht, daß eine solche Reise nur sinnvoll sei, wenn sie in Zusammenhang mit der „ins Auge gefaßten ‚großen Lösung‘ stehe“, sondern zeigte volles Verständnis, sagte allerdings zu dem von Ribbentrop ins Gespräch gebrachten Punkt Danzig nichts und ließ eine „ablehnende Haltung erkennen“.156 In einer Antwort ließ Beck an Moltke – den diplomatischen Vertreter Deutschlands in Warschau – am 20. Dezember mitteilen, die Feiertage in Monte Carlo verbringen zu wollen und auf der Rückreise zu einer „allgemeinen Aussprache“ bereit zu sein.157 Zehn Tage später erhielt Ernst v. Weizsäcker dann von einem nicht genannten, aber „absolut zuverlässigen Führer der deutschen Volksgruppe in Polen“ die Nachricht, daß Beck sich bei der von ihm angeregten Unterhaltung angeblich zu einem antisowjetischen Bündnis bereit erklären wolle, wenn die polnische Ukraine garantiert werde und die deutsch-polnischen Grenzen ebenso. Dafür würde man als Konzessionen polnisches Desinteresse an Memel und „gegebenenfalls sogar“ die „reine Rückgliederung Danzigs“ anbieten. Der Bericht warnte vor der Annahme eines solchen Angebots und verlangte „wenigstens die Korridorfrage im deutschen Sinne zu lösen“. Dies könnte der Anlaß für Ernst von Weizsäckers Anmerkungen darstellen, er habe Ribbentrop zur Jahreswende 38/39 die Reduzierung Polens auf einen Pufferstatus und den sofortigen Erwerb des Korridors empfohlen.158 Es zeigte in jedem Fall den Druck der Gerüchte über mögliche Varianten, Zugeständnisse und Bündniswechsel, unter dem die Politiker aller Seiten ihre Gespräche führten. Eine Entscheidung in dieser Frage wurde nicht gefällt. Josef Becks Gespräche mit Hitler und Ribbentrop in Berchtesgaden in den ersten Januartagen und Ribbentrops Gegenbesuch in Warschau Ende Januar 1939 verliefen ohne solche Angebote von polnischer Seite. Beck stimmte den Ausführungen der beiden Deutschen über einen Ausgleich und mögliche Zusammenarbeit lediglich vage und unverbindlich zu, auch als Ribbentrop in der Tat die Anerkennung einer exklusiven Beziehung Polens zur Ukraine in Aussicht stellte. Als die britische Botschaft in Warschau einige Tage später bei Beck Näheres über den Inhalt der Gespräche mit Ribbentrop erfahren wollte, wich Beck allerdings auch weitgehend aus, erklärte aber deutlich, 154

Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78760, Aufzeichnung Keppler, 4.12.38. Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78761, Aufzeichnung Woermann, 5.12.38. 156 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78776 ff., 15.12.38. 157 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78780 ff., Nachricht von Moltke, 20.12.38. 158 Vgl. PA AA R 28881, Bl. 78787, Aufzeichnung Schliep, 30.12.38. Zu Weizsäckers Empfehlung vgl. Hill, Papiere, II, S. 150. 155

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nicht dem Anti-Komintern-Pakt beitreten zu wollen.159 Dies war für London eine gute Nachricht. Ribbentrops antibritischer Konstruktion fehlte es aus polnischer Sicht an Attraktivität. Die mittlerweile weiter entwickelten polnisch-britischen Kontakte und möglicherweise auch ein Schwenk der französischen Politik, die von der gegenüber Ribbentrop erst im Dezember bekundeten Zurückhaltung in Ostmitteleuropa abrückte,160 spielten dabei sicher eine Rolle. Aus Washington schickte aber auch der dortige polnische Botschafter Potocki zum Jahresanfang 1939 jene später so berüchtigten Berichte nach Hause, wonach das Judentum in den USA den Krieg gegen Deutschland längst beschlossen habe und durchsetzen würde: „In Unterhaltungen mit jüdischen Pressevertretern stieß ich wiederholt auf den unerbittlich und mit Entschlossenheit vertretenen Standpunkt, daß der Krieg unvermeidlich ist. In der Propaganda bedient sich dieses internationale Judentum aller Mittel, indem es alles ausschlachtet, was gegen die Tendenz zu irgendwelcher Konsolidierung und Verständigung zwischen den Staaten ist. Auf diese Weise wächst auf dem hiesigen Boden inmitten der öffentlichen Meinung beständig, aber sicher die Überzeugung, daß die Deutschen und Ihre Satelliten in Gestalt des Faschismus Feinde sind, welche die ‚demokratische Welt‘ be­ zwingen muß.“161

Angesichts dieses und der vorausgegangenen Berichte dürfte bei Polens Außen­ minister Beck kaum die Neigung gewachsen sein, sich politisch in die Nähe Deutschlands zu begeben und damit in den Ruf des „Satelliten“ zu geraten. Die Konfliktlinien festigten sich daher trotz Ribbentrops Aktivitäten. Das war von außen nicht immer gleich zu sehen. Seine Warschaureise im Januar etwa, „ließ einen leider nicht unbeträchtlichen Teil  der damaligen westlichen Meinung befürchten, es könnte doch noch eine Einigung über Danzig und das Korridorproblem zustandekommen,“ notierte der Völkerbundkommissar Burckhardt später.162 Diplomatischer Druck aus dem Westen und Aussichten auf Belohnung für einen neuen polnischen Kurs gegen Deutschland waren die doppelte Belastung für eine solche Einigung. Schließlich aber hatte der polnische Anspruch auf ungehinderten Zugang zur Ostsee aber auch selbst einen festen Platz in der polnischen Außenpolitik und dem Nationalbewußtsein. Daß man gleichzeitig die Weichsel- und die Memelmündung freiwillig an Deutschland fallen lassen würde, konnte eigentlich ohnehin nur ein Gerücht sein. Der endgültige Anschluß der polnischen Politik an den Westen deutete sich früh an. Am 25. März 1939 erhielt die Dienststelle Ribbentrop schließlich den Bericht eines Schweizer Gewährsmanns aus der polnischen Botschaft, wonach die Stimmung dort schlecht und negativ sei. Man spreche darüber, die bisherige Gleich­ 159

Vgl. BDFA, II, F. Vol. 58, Doc. 7, Bericht von Botschafter Kennard an John Simon vom 11. Januar 1939. 160 So jedenfalls die Vermutung von Paul Schmidt, in seiner Aufzeichnung über Ribbentrops Aufenthalt in Warschau (Kopie im Besitz des Verfassers). 161 Zit. n. AA, Roosevelts Weg, S. 40, Bericht Potockis vom 9. Februar 1938. Anführungszeichen im Original. 162 Zit. n. Burckhardt, Mission, S. 326.

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gewichtspolitik jetzt ganz aufzugeben und auf der bevorstehenden Reise Becks nach London vor allem auf Druck der polnischen Armee eine Westbindung einzugehen, aber nur wenn „ganz bestimmte und feste Garantien von England und Frankreich zu erhalten seien. Offenbar ist an Garantien militärischer Art gedacht.“163 Offenbar waren diese Garantien aber auch solche des materiellen Erwerbs. Dies meinte schließlich Heinrich Brüning in Erfahrung gebracht zu haben, der frühere deutsche Reichskanzler, der die Jahre 1938/39 im britisch-amerikanischen Exil zubrachte und dabei die britisch-polnische Kontaktaufnahme miterlebte. Den eigenen Kontakt zu Winston Churchill hatte er im Frühjahr 1939 schließlich abgebrochen, denn „aus seinen Reden und aus allem, was ich nach meiner Rückkehr gehört hatte, erkannte ich, daß ich die Admiralität und die Gruppe um Churchill nicht daran hindern konnte, den Krieg um jeden Preis zu befürworten“.164 Dies hing offenkundig auch mit einer Information über britische „Garantien“ zusammen, die er zu dieser Zeit bekam und die den englischen „Blankoscheck“ für einen polnischen Angriff auf Deutschland in einem neuen Licht erscheinen läßt. Erst gegen Kriegsende gab Brüning sie in mehreren Privatbriefen preis, so etwa in einem Schreiben an Jakob Goldschmidt vom 7. März 1945: „Zusätzlich erfuhr ich vor dem Kriegsausbruch von einem Abkommen zwischen der britischen und der polnischen Regierung über die Abtrennung Ostpreußens und anderer Teile Ostdeutschlands; und ich machte es völlig klar, daß dies jede Aktivität von meiner Seite ausschließen würde und ich nicht bereit wäre, irgendeinen Friedensvertrag mit diesen Bedingungen zu unterschreiben.“165

In gleichem Sinn schrieb er später auch resigniert an Arnold Brecht: „Glauben Sie, irgend jemand von uns hätte nach dem Sommer 1940 etwas an der Tatsache ändern können, daß Polen den Krieg wegen des im Frühjahr 1939 gegebenen Versprechens der englischen Regierung riskiert hatte, nicht nur Ostpreußen, sondern auch Oberschlesien zu erhalten?“166

Ob Neville Chamberlain ein solches Abkommen selbst unterzeichnet hat, oder ob es sich bei den von Brüning angesprochenen Regierungskreisen um Churchill 163

Vgl. PA AA R 27902, Bl. 29285, nicht unterzeichneter Bericht vom 25.3.39. Notiz Brünings über ‚Eindrücke in England‘, März 1939, zit. n. Brüning, Briefe, I, S. 233. Ähnlich lautete zu dieser Zeit auch die persönliche Bilanz des deutschen Botschafters Dirksen über die politischen Verhältnisse in London. Er registrierte eine Bevölkerung, die eigentlich nur noch ein Ende der ewigen Aufregungen wolle, eine kompromißbereite Gruppe um Chamberlain, umgeben „von einer breiteren Schicht von entschlossenen und zum Krieg treibenden Deutschfeinden, bestehend aus dem Kreis um Churchill-Eden-Amery-Cooper mit ihrem Anhang, links liberal eingestellten, ultra-pazifistischen Elementen, der Zeitungsgruppe um DailyChronicle, Yorkshire Post, Manchester Guardian, den einflußreichen jüdischen Gruppen, den Emigranten, amerikanischen Einwirkungen usw.“. Zit. n. Dokumente und Materialien, S. 185, Notiz Dirksen vom September 1939. 165 Brüning an Goldschmidt, 7. März 1945, Privatbesitz Nix, hier zit. n. Volkmann, Brüning, S. 339. 166 HUG FP 93.10, Box 4, File: Arnold, Clara Brecht. Brüning an A. Brecht, 2. September 1946, S. 1, hier zit. n. Volkmann, Brüning, S. 339. 164

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und die Admiralität handelte, denen er attestierte, den Krieg um jeden Preis zu wollen, läßt sich bisher nicht feststellen. Vor allem die erste Möglichkeit erscheint zudem recht unwahrscheinlich zu sein. Tatsächlich könnten solche Gerüchte auch gestreut worden sein, um die in Deutschland selbst innerhalb der politischen Führung präsenten Teilungsängste zu nutzen.167 Daß die polnische Regierung den Krieg von 1939 aktiv anstrebte und sich davon einen Gewinn in Form von Land und Rechten in Ostdeutschland versprach, ist durch Äußerungen polnischer Politiker, die enge Zusammenarbeit des Londoner Botschafters Raczynski mit der Churchill-Gruppe, die Ablehnung der mehrfach angebotenen Verhandlungen auf Basis einer deutschen Garantie der bestehenden Grenzen und die entsprechende Propaganda in Polen selbst hinreichend belegt. Ebenso erwog die britische Seite von Anfang an ein polnisches-britisches Geheimabkommen, als Josef Beck im Frühjahr 1939 seine Reise nach London zu planen begann. Der britische Vertreter in Warschau, Botschafter Kennard, hielt die Nicht-Veröffentlichung irgendwelcher Abmachungen sogar geradezu für deren Voraussetzung: „Polen würde es mit großer Sicherheit vorziehen, seine bestehenden Verträge mit Frankreich, Rumänien oder sogar der UdSSR zu verstärken, als Deutschland mit der Unterzeichnung und Veröffentlichung einer neuen, gegen Deutschland gerichteten Allianz zu pro­ vozieren.“168

Dies unterschätzte die polnische Entschlossenheit, den Krieg mit Deutschland gegebenenfalls schon im März zu führen, als man mehrere hunderttausend Mann bereitgestellt hatte.169 Es traf sich aber mit Josef Becks später in London geäußerter Meinung, „es gebe einen wesentlichen Unterschied zwischen dem, was öffentlich gesagt werden kann und den wirklichen Absichten der polnischen Regierung“.170 Schließlich kam bei den Verhandlungen sowohl ein öffentlich-provozierendes britisch-polnisches Offensivbündnis heraus, als auch ein erst 1945 veröffentlichtes Geheimabkommen, das Deutschland als einzigen Gegner dieses Bündnisses festlegte. Ein zweites Geheimabkommen, das den Preis für dieses Bündnis in Form von deutschem Land festlegte, wäre naheliegend gewesen. Beck wollte in London 167 Die aktuellen polnischen Teilungspläne in Bezug auf Deutschland seien „nur als Ausdruck krankhafter Entartung der Vernunft“ zu betrachten, äußerte Hitler am 8. August 1939 gegenüber dem ungarischen Außenminister Csaky. Auch planten die Westmächte laut Hitler für die Zeit nach dem Krieg eine neue und vergrößerte Tschechoslowakei, die unter anderem „Ober­ österreich, das Regensburger Gebiet und Teile Schlesiens“ umfassen sollte. Vgl. ADAP, D, VI, Dok. 784, S. 918. Vansittart habe ihm vor vier Tagen ausrichten lassen, Ungarn werde ggf. das Schicksal Deutschlands teilen, entgegnete Csaky. 168 Vgl. BDFA, II, F, Vol. 58, Doc. 7, Bericht von Botschafter Kennard an Halifax vom 21. März 1939. 169 „Glauben Sie mir bitte, daß die Mobilisierung nicht nur eine Demonstration war. Wir waren damals zum Kriege bereit, wenn das notwendig gewesen wäre.“ Marschall Rydz-Śmigly in einem Interview mit dem „News Chronicle“ vom 19. Juli 1939, zit. n. AA, Vorgeschichte, S. 400. 170 Vgl. BDFA, II, F, Vol. 58, Doc. 94, S. 84, Beck im Gespräch mit Premier Chamberlain am 4. April 1939.

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Forderungen in Bezug auf „Kolonien, Juden und Danzig“ stellen.171 Halifax wies die beiden ersten Themen bereits im Vorfeld praktisch zurück, besonders die Kolo­ nialfrage,172 was Beck zur erstaunten Gegenfrage veranlasste, worüber man überhaupt reden wolle.173 Worüber schließlich geredet wurde, darüber geben die offiziellen Aufzeichnungen natürlich nur begrenzt Auskunft. Edward Raczynski, der die Geschäfte der Republik Polen in London zu vertreten hatte, hatte jedenfalls sicher einen guten Grund für seine Erleichterung, als 1940 das erste deutsche Weißbuch mit „polnischen Dokumenten zur Vorgeschichte des Krieges“ veröffentlicht wurde. Die Dokumente seien unzweifelhaft echt, und er habe sie „mit einigen Befürchtungen gelesen, aber sie enthielten nichts, was mich oder die Botschaft kompromittieren“ könnte, notierte er in seinem Tagebuch.174 Die „Aktion Künsberg, mit der das Auswärtige Amt den Dingen in Warschau und anderswo nachspürte, hatte nur einen Bruchteil der Dokumente zur polnischen Außenpolitik sicherstellen können. Sie erbrachten allerdings den beachtenswerten Nachweis, daß amerikanische Regierungsvertreter gegenüber polnischen Kollegen einen Kriegskurs gegen Deutschland bis hin zum eigenen Kriegseintritt überdeutlich angekündigt hatten. Wie peinlich es den polnischen Verhandlungsführern war, einen Grund für die Ablehnung von Ribbentrops Vorschlägen zu finden, läßt sich auch der Tatsache entnehmen, daß die Existenz dieser Vorschläge und ihr Inhalt vom Warschauer Außenministerium glatt abgeleugnet wurden, als Hitler sie im April 1939 öffentlich gemacht hatte: „Im Auswärtigen Amt wird behauptet, die Deutsche Regierung habe im Gegensatz zu den Erklärungen des Reichskanzlers, Polen weder eine Verlängerung des Nichtangriffspaktes, noch eine Garantie der slowakischen Selbständigkeit durch Deutschland, Polen und Ungarn vorgeschlagen.“

Diese Unwahrheit meldete Leon Noël am 29. April 1939 aus Warschau.175 Es wurde gegenüber den französischen Diplomaten in der deutschen und der polnischen Hauptstadt zu dieser Zeit so vieles behauptet, was nicht stimmte, aus du­ biosen Quellen kam und dennoch in den Berichten nach Paris auftauchte. Die Nachrichten von Noëls Berliner Kollegen Coulondre sind voll Hinweisen auf Gespräche mit Herrn „X“ und Informationen aus ungenannter „sicherer Quelle“ aus dem deutschen Außenministerium. Beide Botschafter sind als dankbare Empfänger solcher Gerüchte aufgetreten, insbesondere Noël gab in langen Memoranden an den eigenen Außenminister die polnischen Informationen ganz unkritisch wieder. 171 Vgl. DBFP, III. Series, Vol. IV, Doc. 175, S. 181, 4. März 1939, Telegramm Kennard an Halifax. 172 Zit. n. DBFP, III. Series, Vol. IV, Doc. 189, S. 205, 8. März 1939. Halifax an Kennard. 173 Vgl. BDFA, II, F, Vol. 58, Doc. 7, Bericht von Botschafter Kennard an Halifax vom 10. März 1939. 174 Zit. n. Raczynski, London, S. 51, Eintrag vom 20. Juni 1940. 175 Zit. n. Gelbbuch, Dok. 111, S. 144, Meldung Noëls an Bonnet aus Warschau vom 29. April 1939.

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Aber auch Coulondre vertraute stark auf Informationen, die er vor allem von Ernst von Weizsäcker bekommen haben muß und die nachweislich unzutreffend waren, insbesondere was die Einschätzung von Stimmung und Absichten des deutschen Außenministers anging. Auch wo die Informationen zutreffend waren, zeigte sich Coulondre regelmäßig nicht in der Lage, die weitergehenden Beweggründe der Ribbentropschen Außenpolitik richtig einzuschätzen, also die von ihm erkannte Gefährdung Deutschlands durch eine von England ausgehende Politik. Typisch ist die Zusammenfassung der mutmaßlichen Ribbentropschen Politik nach einer ebenfalls „verdeckt ermittelten“ Information vom Juni 1939: „Bevor Herr von Ribbentrop sich endgültig auf eine bestimmte Richtung festlegt, wartet er den Ausgang der Besprechungen zwischen den Westmächten und Rußland ab. Was ihn anbelangt, so steht die ganze polnische Frage auf dem Spiel. Dieses Problem könnte folgendermaßen gelöst werden: Entweder auf dem Weg über eine Verständigung mit England und Frankreich, wie dies bei der Tschechoslowakei der Fall gewesen ist. Oder auf dem Weg über eine Verständigung mit Polen selbst. Oder auf dem Weg über eine Verständigung mit Rußland. Die erste Lösung ist durch die Haltung, die Paris und London seit dem 15. März eingenommen haben, ausgeschlossen. Die zweite stößt sich an der polnischen, durch die britische Garantie verstärkten Unnachgiebigkeit; es besteht also keine große Hoffnung mehr, daß sie sich verwirklicht. … Es bleibt also die dritte Lösung, das heißt die Zerstörung des polnischen Staates durch eine Teilung zwischen dem Reich und Rußland, Herr von Ribbentrop hat immer noch nicht auf diese Idee verzichtet.“176

Diese Äußerungen seien ihm „von einer Persönlichkeit aus der unmittelbaren Umgebung Herrn von Ribbentrops“ aus dem deutschen Außenministerium überbracht worden, so Coulondre. Er ging davon aus, dies sei ohne dessen Wissen geschehen, vermutete also Verrat. Ob man auch hier die Wirkung Ernst von Weiz­ säckers und seiner Mitstreiter erkennen muß, läßt sich nicht sagen.177 Es bestand ein gewisser Widerspruch zwischen den beiden Informationen, Ribbentrop halte sowohl eine deutsch-polnische Verständigung weiter für möglich und wünschenswert, strebe aber gleichzeitig eine förmliche „Zerstörung“ des polnischen Staates auf dem Weg seiner Teilung an. Coulondre nahm gerade dies als Beleg für die Echtheit der Information, die nur die Wirkung haben könnte, die Westmächte dazu zu bringen, „die Verhandlungen (mit Moskau, d. Verf.), deren Abschluß man offensichtlich in Berlin fürchtet, zu beschleunigen“.178 Immerhin kam hier richti 176

Zit. n. Gelbbuch, Dok. 135, S.  190, Meldung Coulondres an Bonnet aus Berlin vom 13. Juni 1939. 177 Coulondre spricht an vielen Stellen ausdrücklich vom „Staatssekretär“ als Quelle seiner Nachrichten. Vgl. etwa Gelbbuch, Dok. 148, S. 208 bzw. Gelbbuch, Dok. 145, S. 203. 178 Zit. n. Gelbbuch, Dok. 135, S. 191, Kommentar Coulondres an Bonnet über die Echtheit der Information.

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5. Das Scheitern der Abschreckung

gerweise die aktuelle Tendenz der deutschen Politik im August 1939 zum Ausdruck, für Absprachen und Bündnisse in alle Richtungen offen zu sein, wenn nur die große kriegerische Auseinandersetzung vermieden werden konnte. Tatsächlich strebte Ribbentrop an, sowohl die Westmächte als auch Polen über eine Verständigung mit Rußland zu einer Konferenz und einer gemeinsamen Garantie des Konferenzergebnisses in Bezug auf Polen zu zwingen, zugleich aber auf diesem Weg eine Abgrenzung der deutsch-sowjetischen Absichten in weiteren osteuro­päischen Fragen zu erreichen. Dies mußte weder in einen kleinen noch einen großen Krieg noch in eine polnische Teilung münden, sondern sollte die 1938/39 erreichte deutsche Position in Mitteleuropa dauerhaft vor Angriffen sichern. Aus dieser Erkenntnis heraus hätte sich für die Verhandlungsführung der Westmächte gegenüber Moskau entweder wirklich eine Beschleunigung oder auch eine substantielle Vertiefung ergeben können. In Moskau wurde von Seiten der Westmächte eine Bündniskonstellation gegen Deutschland verhandelt, auch über weitreichende politischmilitärische Fragen im Ostseeraum, die deutsche Interessen unmittelbar betrafen. Sollten der Frieden und der Erhalt des territorialen Status quo der Republik Polen die vorrangigen und dauerhaften Ziele der Westmächte sein, bot sich eine poli­ tische Einbeziehung Deutschlands in die Gespräche ab einem bestimmten Punkt eigentlich an. Wenden wir uns aber zunächst den näheren Umständen der britischen Garantie Polens zu. 5. Das Scheitern der Abschreckung „Ich weiß, daß es eine Menge waghalsige Leute gibt, die uns augenblicklich in den Krieg stürzen wollen, aber man muß ihnen widerstehen, bis es wirklich unvermeidlich ist.“ Neville Chamberlain179 „Alle Feinde sind ein Witz, denn mit uns ist Śmigly-Rydz.“ Aus einem populären polnischen Schlager des Sommers 1939180

Die Nachricht von der Auflösung der Tschechoslowakei traf die britisch-polnischen Beziehungen im März 1939 in einer Phase positiver Entwicklung. Seit Außen­minister Beck und Duff Cooper im vergangenen Sommer die ersten Schritte für eine gemeinsame Bündnispolitik eingeleitet hatten, war der Kontakt nie abgerissen. Er hatte aber durch die innenpolitische Niederlage der Cooper-ChurchillFraktion im Streit über das Münchener Abkommen gelitten. Die in München nicht eingeladene Republik Polen trat daher nicht, wie in Warschau für den Fall einer Zuspitzung der Situation geplant, auf westlicher Seite in einen Krieg gegen Deutsch 179

Vgl. Chamberlain, Diary Letters, S. 403, Chamberlain an seine Schwester Ida, 9. April 1939. Der schlimmste von allen Waghalsigen sei Churchill. 180 Das Lied mit diesem Text wurde den Sommer über und auch nach Kriegsausbruch noch häufig im Radio gespielt. Vgl. Lubienski, Polen, S. 109 f.

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VII. Außenminister für Abschreckung

land ein. Sie sicherte sich statt dessen, wie gesehen, ihren eigenen Gewinnanteil an der Tschechoslowakei. Polnische Behörden gingen zu Vertreibungen und Enteignungen unter der deutschstämmigen Bevölkerung vor Ort über und setzten dabei die deutsch-polnischen Beziehungen unter eine Spannung, die sich mit dem Streit über die Aberkennung der polnischen Staatsangehörigkeit für mehrere zehntausend in Deutschland lebende Juden durch die Warschauer Regierung Ende Oktober 1938 weiter erhöhte.181 Die innenpolitische Entwicklung in Polen gestaltete sich zunehmend antisemitisch und antideutsch.182 Dennoch führte Ribbentrop fast parallel dazu mit der Warschauer Regierung Verhandlungen über Danzig, die wechselseitige Anerkennung der Grenzen und einen Beitritt zum Antikominternpakt. Die Aussicht auf einen polnischen Beitritt zum Antikominternpakt, Ribbentrops Abschreckungskonstruktion gegen Großbritannien, mußte aber naturgemäß die Aktivität der britischen Außenpolitik auf den Plan rufen. Botschafter Kennard berichtete aus Warschau nicht ohne Befriedigung über die antideutsche Stimmung in Polen, die sich nach der Jahreswende 1938/39 stetig steigerte.183 Einen besonderen Grund vor Ort gab es nicht. Die Stimmung hatte sich durch jahrelange Agitation gegen den angeblich ewigen deutschen Land­ räuber gesteigert. Jetzt reichten bereits geringe Anlässe für polnische Ausschreitungen gegen die deutschstämmige Zivilbevölkerung. In dieser Atmosphäre wurde viel über die angeblich gefährdete Stellung von Joseph Beck spekuliert, der sich einen deutschfreundlichen Ruf erarbeitet hatte, mit dem zu Jahresanfang 1939 in Polen schlecht Politik zu machen war. Beck hatte seine tatsächlich „rein polnischen“ Absichten konsequent für sich behalten. Er war weder deutschfreundlich noch überzeugter Parteigänger des Westens, sondern allein der Expansion der polnischen Republik verpflichtet, auch ihrer weiteren Ausdehnung nach Westen, auf Kosten Deutschlands. Ende Februar ließ er schließlich gegenüber Botschafter Kennard erklären, die „britischen und die polnischen Ziele in Nordeuropa seien 181 Die polnische Regierung veröffentlichte am 15. Oktober 1938 eine Verordnung, die polnischen Staatsbürgern ab dem 29. Oktober die Rückkehr nach Polen unter bestimmten Umständen verweigerte. Gemeint waren in erster Linie die siebzigtausend in Deutschland lebenden Juden, wie das deutsche Außenministerium vermutete und wie die polnische Regierung auf Anfrage bestätigte. Vgl. ADAP, D, V, Dok. 84, S. 93. Auf den deutschen Versuch, die Betroffenen vor Ablauf der Frist zur Ausreise nach Polen zu zwingen, reagierte Polen mit der Verweigerung von deren Grenzübertritt. 182 Im nachhinein wurde dies von Zeitzeugen mit als Grund für die Niederlage gedeutet: „Die Judenfrage entzweite die Volksgemeinschaft und nahm sie so weitgehend in Anspruch, daß sie nicht imstande war, sich dem Regime der Offiziers- und Bürokratenklüngel zu widersetzen, die unter Rydz und Moscicki zur absoluten Vorherrschaft gelangten. Sie verfolgten alle, selbst Pilsudski-Anhänger (Slawek), ja sogar frühere Stützen des Regimes (Mackiewicz!), die Volksgemeinschaft aber zankte sich wegen der Juden, was diesen übrigens keinen Schaden zufügte, sondern nur zu einer noch nicht dagewesenen Verhetzung führte.“ Zit. n. Nienaski, Mackiewicz, S. 9 f., geschrieben im Mai 1941. Um den antisemitischen polnischen Druck etwas zu mindern, schlossen sich die jüdischen Organisationen in Polen samt ihrer Presse im Frühjahr 1939 der antideutschen Kampagne an. Vgl. Marcus, History, S. 424. 183 Vgl. Newman, Guarantee, S. 168 f.

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mehr oder weniger deckungsgleich“.184 Das hätten übliche Diplomatenfloskeln sein können, aber es war unter den gegebenen Umständen ein bedeutendes Signal. Eben diese Floskel war damals beim Treffen zwischen Beck und Duff Cooper im Sommer 1938 vereinbart worden. Nun näherte man sich in diesem Sinn wieder schnell an. Beck vereinbarte eine Reise nach London, bei der die Formalitäten geklärt werden sollten. Sie sollte am 3. April 1939 stattfinden.185 Ende März/Anfang April trat damit die britische Politik auf den Plan und stellte der polnischen Politik schließlich den berühmten „Blankoscheck“ für ihre Politik gegen Deutschland aus. Treibende Kraft waren die üblichen Verdächtigen der ­Focus-Verbindung, die Regierungschef Neville Chamberlain dazu brachten, solche Bedingungen zu akzeptieren. Massive Pressegerüchte über den unmittelbar bevorstehenden Anschluß Danzigs an Deutschland förderten die dafür benötigte Atmosphäre der Bedrohung.186 Daran beteiligte sich auch die Warschauer USBotschaft, aus der von Botschafter Biddle unter anderem das altbekannte Gerücht verbreitet wurde, es sei Ribbentrop, der den zögernden Hitler zu einer sofortigen Aktion gegen Polen drängen würde. Er tue dies mit dem Argument, eine solche Aktion würde ohne Folgen seitens der Westmächte bleiben und dadurch eine Entfremdung zwischen London und Paris einerseits und Washington andererseits eintreten würde.187 Diese Einschätzung konnte kaum weiter von der realen Position Ribbentrops entfernt sein. Der deutsche Außenminister befürchtete im Gegenteil, daß Polen nun das Land sein könne, mit dessen Hilfe Großbritannien die deutsche Einkreisung ein erhebliches Stück vorantreiben und damit den wohl beabsichtigten Konflikt in Gang setzen könnte. Es bestand auch innerhalb der britischen Diplomatie Klärungsbedarf, was man eigentlich genau erreichen wollte. Halifax erläuterte seinem diplomatischen Vertreter in Warschau die britische Haltung gegenüber Polen. Technisch gesehen, handelte es sich in jedem Fall um einen Blankoscheck, der Polen auch das Recht zusprach, nach eigener Entscheidung zuerst zu den Waffen zu greifen. Obwohl er die polnische Regierung dazu ermahnte, keine kompromißlose oder provokante Haltung gegenüber Deutschland einzunehmen, räumte Halifax ihr gegenüber Kennard gleichzeitig das Recht auf letzteres ein, wenn auch vordergründig nur zur Verteidigung: „Ich habe den Eindruck, daß die deutschen Aggressionen so variabel und hinterhältig sind, daß Polen unter gewissen Umständen zum Zweck der Selbstverteidigung technisch gesehen einen Akt der Provokation begehen könnte.“188 184

Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Doc. 148, 25. Februar 1939, vgl. auch Newman, Guarantee, S. 168. Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Doc. 175, 4. März 1939, vgl. auch Newman, Guarantee, S. 168. 186 Vgl. auch Newman, Guarantee, S. 174. 187 Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Doc. 547. Halifax an Kennard und Ogilvie-Forbes am 30. März 1939 mit der Nachricht, daß Kennedy ihm von einem solchen Gerücht aus Warschau erzählt habe. 188 Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Doc. 584, S. 554, Halifax an Kennard am 31. März 1939. In den Bereich der Quellenverfälschungen muß man wohl David Hoggans Wiedergabe von Halifax Äußerungen rechnen: „Er wünsche nicht, daß Großbritannien neutral bleibe, wenn die Polen Deutschland zum Kriege zwängen.“ Vgl. Hoggan, Ursachen, S. 451. 185

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Dies ist insofern bemerkenswert, als Kennard ihm am Vortag ausdrücklich vorgeschlagen hatte, die britischen Zusicherungen auf den Fall eines „unprovozierten“ deutschen Angriffs zu beschränken.189 An polnischen Provokationen herrschte in der Folgezeit tatsächlich kein Mangel. Noch bemerkenswerter ist jedoch die Begründung, mit der Halifax wenige Tage vorher, am 27.  März gegenüber dem Foreign Policy Committee den geplanten Schritt erläutert hatte. Das britische Prestige sei durch die lange Kette deutscher Erfolge angeschlagen, hatte er verlauten lassen. Jetzt nichts zu tun, würde dem britischen Ansehen in Europa und den USA erheblich schaden und den deutschen Einfluß weiter stärken. Er sei dafür, die einzige Alternative zu wählen, die sich ihm zu dieser Entwicklung zu bieten schien: „Ziehen wir in den Krieg.“190 Ziemlich genau ein Jahr, nachdem Inskip und Halifax gegenüber Ribbentrop für den Fall eines deutschen Alleingangs in der Österreichfrage zum ersten Mal offen mit einem europäischen Krieg gedroht hatten, war damit ein entscheidender Schritt in diese Richtung getan. Er wurde bewußt getan und aus freiem Entschluß. Der immer noch zögernde Neville Chamberlain war sich der Dimensionen bewußt. Er hatte am 20. März vor dem Kabinett erklärt, man werde nicht Krieg führen, um ein einzelnes Land zu retten, sondern um den Tyrannen niederzuschlagen. Halifax leitete eine Woche später die konkreten Vorbereitungen dafür ein. Aus britischer Sicht stellte Polens Souveränität und ihre angebliche Bedrohung einen passenden möglichen Kriegsgrund für eine Abrechnung mit Deutschland dar, keinen Wert an sich. In die Reihen derjenigen, die den Krieg am liebsten sofort haben wollten, hatte sich mittlerweile auch der britische Militärattaché in Berlin, Mason-McFarlane mit besonderem Eifer eingereiht. Einen Tag nach Halifax Ankündigung, in den Krieg ziehen zu wollen, verkündete er in einem Memorandum, den Krieg beginne man am besten gleich nächsten Monat. Wie das britische Kabinett überhaupt ging auch er von der inneren Schwäche Deutschlands aus. Er glaubte Ribbentrops Abschreckungsszenario nicht und hielt die deutsche Armee für schwach. Das beste Mittel um einen Aufstand in Deutschland anzustacheln, sah er in nichts anderem als einem Angriffskrieg, den er Ende März 1939 empfahl: „Krieg, und zwar ein Krieg jetzt, mit einer „nahen“ Front im Osten, wird sie (d. h. die deutsche Bevölkerung, d. Verf.) schnell und hart treffen und dürfte die erwünschten Resultate erzielen. Ohne Krieg und bei steigender Versorgung durch Deutschlands östlichen Nachbarn, lassen sich diese Ergebnisse niemals erreichen.“191

Aber trotzdem war das letzte Wort über Krieg und Frieden aus der Sicht von Chamberlain und Halifax noch nicht gesprochen, denn vielleicht ließ sich das britische Prestige ja auch über einen inneren Zusammenbruch des Nationalsozialis 189

Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Doc. 573, S. 548, Kennard an Halifax am 30. März 1939. Zit. n. Newman, Guarantee, S. 204. 191 Zit. n. DBFP, IV, Appendix V, S. 627, Memorandum von Mason-McFarlane vom 28. März 1939. 190

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mus wieder herstellen. Eine Revision der im letzten Jahr eingetretenen territorialen Veränderungen würde folgen. Wie Mason-McFarlane sah auch die britische Regierungsspitze einen Zusammenhang von Krise und Krieg. Sie sah aber zugleich die damit verbundenen Gefahren. Anders sah dies aus Warschauer Perspektive aus. Die britische Garantie in der oben erwähnten Formulierung, die Halifax schließlich durchsetzte, galt dort als jener Blankoscheck für eine Abrechnung mit Deutschland, auf den das Warschauer Regime seit Jahren wartete. Großbritanniens Premier und sein Außenminister würden ihn einlösen müssen, dafür würden auch die radikaleren Kräfte sorgen, die in London in Zusammenarbeit mit der polnischen Botschaft die Kriegspartei stellten. Ribbentrop versuchte einstweilen in seinen ersten Reaktionen, die deutsche Außenpolitik möglichst unbeeindruckt aussehen zu lassen. Er erließ einen ent­ sprechenden Runderlaß: „Im übrigen bitte ich, die ganze Angelegenheit in Gesprächen mit großer Gelassenheit zu behandeln und die nervöse Geschäftigkeit, mit der die Engländer andere Staaten für ihre Zwecke einzuspannen versuchen, ins Lächerliche zu ziehen.“192

Anfang Mai fuhr er jedoch erneut nach Rom. Es ging darum, dem neuen englisch-polnisch-französischen Bündnis etwas entgegenzusetzen und da bot es sich an, jetzt dem deutsch-italienischen Verhältnis den formalen Status eines Bündnisses zu geben. Will man seinem dortigen Verhandlungspartner Cianos bzw. dessen Aufzeichnungen glauben, wirkte Ribbentrop trotz der Situation „entspannt“ und beeindruckte sowohl persönlich wie durch seine Delegation, die „nicht die üblichen deutschen Knoten (sind), die meist abstoßend wirken, sondern sym­pathische Jünglinge, welche fremde Sprachen gut sprechen und gelernt haben, eine Dame im Salon höflich zu behandeln, anstatt mit den Absätzen zu knallen.“193 Tatsächlich zeigte sich Mussolini jetzt nicht mehr abgeneigt, den Paktabschluß der Westmächte mit einem eigenen deutsch-italienischen Pakt zu beantworten. Der schließlich geschlossene Vertrag ließ sich als Spiegelbild der zwischen Warschau und London gewählten Formulierungen lesen. Er ging als deutsch-italienischer „Stahlpakt“ in die Geschichte ein, eine Bezeichnung, die er zu Unrecht trug. Letztlich stellten sich beide Vereinbarungen im September 1939 als wertlos heraus, die westlichen mit Polen ebenso wie die deutsch-italienischen. Weder erhielt Polen die vertraglich zugesagte Unterstützung der Westmächte, noch trat Italien auf deutscher Seite in den Krieg ein. Wieder zurück in Berlin, war Ribbentrop erneut der täglichen zweideutigen Informationsflut ausgesetzt. Kurz nach Abschluß des Stahlpakts schien tatsächlich ein Entspannungssignal aus London zu kommen, wenn auch auf wenig offizieller 192

PA AA R 29999, Bl. 408786, Telegramm vom 12. April 1939. Telegramm Ribbentrops an die europäischen Botschaften in den kleineren Ländern (mit Ausnahme der iberischen Halb­ insel). Bittet, von Aktivitäten gegen die laufenden englischen Einkreisungsversuche abzusehen. 193 Vgl. Ciano, Tagebücher, S. 86 f., 6. und 7. Mai 1939.

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Ebene. Die Dienststelle Ribbentrop berichtete dem Minister darüber. Ein Mr. Holborne, nach Einschätzung der Dienststelle „bedeutendster englischer Journalist Berlins“, sei aus London zurückgekehrt und hätte einem befreundeten Amerikaner mitgeteilt, daß Neville Chamberlain die inzwischen zusätzlich zum polnisch-französisch-britischen Bündnis angebahnten Verhandlungen mit der Sowjetunion nur „widerstrebend“ führen würde, „um Deutschland wieder mehr verhandlungswillig mit den Westmächten zu machen. Chamberlain versichere seiner Umgebung, daß der kommende Sowjetpakt dem Frieden und nicht dem Krieg dienen werde. Immer noch habe er begründete Hoffnung, eines Tages mit Herrn Hitler zu einer Fühlungnahme zu kommen.“ Der letzte Satz wurde von Ribbentrop grün markiert und der Bericht zur Vorlage an Hitler bestimmt.194 Die nächste Meldung über Holborne besagte allerdings, daß er nach Moskau strafversetzt und durch einen aggressiveren „Herrn Buttler“ ersetzt werden würde.195 Die negativen Eindrücke häuften sich. Am 13. Juni 1939 sprach Ribbentrops Staatssekretär Weizsäcker in einem Gespräch mit Botschafter Henderson direkt die Grundzüge der aktuellen britische Politik an, die durch den bereits geschlossenen Vertrag mit Polen, „den Polen erlaube, mit dem britischen Schicksal zu spielen“. Großbritannien sei auch durch die laufenden Verhandlungen mit der UdSSR immer stärker auf dem Kontinent engagiert: „Wenn überhaupt eine, dann könne ich in der britischen Politik nur die Logik erkennen, daß England zu einem Präventivkrieg entschlossen sei und auf diesen hinarbeite.“196

Auf diese Bemerkung reagierte Henderson zwar „empfindlich“, bestritt pflichtgemäß englische Angriffsabsichten und beklagte lediglich „gewisse Labour-Einflüsse“. Er wußte jedoch um den Eindruck, den die britische Politik tatsächlich erwecken mußte und der vielleicht sogar zurecht als Kriegswille „um jeden Preis“ gedeutet wurde, wie er seinem eigenen Außenminister Wochen später schrieb.197 In der Tat hatte es Halifax wie gesehen ja auch selbst vorgezogen, „in den Krieg zu ziehen“. Ribbentrop reagierte auf diese weiteren Entwicklungen und Nachrichten mit eigenen Signalen nach London und hatte Gelegenheit, dafür auf seinen alten Kontaktmann Earnest Tennant zurückzugreifen. Am 31. Juli schickte Tennant 194

PA AA 27092, Bl. 29429, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 25. Mai 39. PA AA 27092, Bl. 29441, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 1. Juni 39. 196 Vgl. ADAP, D, VI, Dok. 521, 13. Juni 1939. 197 Henderson an Halifax, 18. Juli 1939, zit. n. DBFP, Third Series, Bd. VI, Dok. 347, S. 385. Otto Strasser legte in seinen Memoiren später Wert darauf, den Hitlerschen Nationalsozialismus vom Ausland aus politisch bekämpft zu haben, aber gegen einen Krieg gewesen zu sein. Allerdings griff auch er wie gesehen in die tschechoslowakische Krise mit ein, indem er gegenüber Benesch die Chancen eines harten Kurses betonen ließ. Vgl. Strasser, Exil, S. 98. Kurz nach der Münchener Konferenz schilderte er den tschechoslowakischen Staatsgründer Masaryk in einem eigens verfassten Buch als intellektuelle national-sozialistische Alternative zu Hitler, dem er Weltbeherrschungsabsichten pangermanisch-preußischer Art unterstellte. Vgl. Strasser, Europa, S. 191 f. Zur Zeit von Hendersons Brief versuchte Strasser, von Zürich und Paris aus einen „Deutschen Nationalrat“ zu etablieren, dem führende Köpfe der Emigration angehören sollten. Vgl. Volkmann, Brüning, S. 344. 195

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an Neville Chamberlain den Bericht über ein vierstündiges Gespräch, das er am 26. Juli mit Ribbentrop auf Burg Fuschl geführt hatte. Tennant hatte am 10. Juli schriftlich um das Gespräch gebeten und am 22. Juli eine positive Antwort für die folgende Woche erhalten. Zuvor hatte er bei Neville Chamberlain angefragt, inwieweit eine Initiative von ihm als „altem Freund“ des deutschen Außenministers sinnvoll wäre. Der Premier hielt dies für eine Möglichkeit, hatte ihn nach seiner Darstellung aber um eine verborgene Reise ohne offiziellen Auftrag und auf eigene Kosten gebeten. In einem Brief an Sir Horace Wilson, Chamberlains persönlichen Berater, schlug Tennant eine mögliche finanzielle Unterstützung für Deutschland als Gesprächsthema vor, um die Situation zu entspannen. Es waren diese Themen, die zu gleicher Zeit von Wilson auch über die sogenannten Hudson-Wohlthat-Gespräche auf die Tagesordnung gesetzt worden waren.198 Das Gespräch zwischen Tennant und JvR selbst verlief einseitig, wenn man Tennants Aufzeichnung glauben will. Ribbentrop sprach weniger über Geld und Wirtschaftsbeziehungen als erwartet, sondern gab eine generelle und anklagende Schilderung der englischen Politik. Sie sei seit Jahren darum bemüht, den elementaren Interessen Deutschlands entgegenzutreten. In Fällen wie Österreich, der Tschechoslowakei und jetzt Polen habe man die Gegner der deutschen Politik mit später nicht eingehaltenen Versprechungen ermutigt. Das sei nicht konstruktiv, zumal außerdem jeder Versuch der deutschen Seite zurückgewiesen worden sei, zu einer grundsätzlichen Einigung mit Großbritannien zu kommen. Der Außen­ minister bezeichnete die englische Propaganda als unwirksam, so weit sie auf eine innere Spaltung Deutschlands zielen würde. Das wußte Tennant aus seinen Kontakten zu den möglichen deutschen Putschisten bekanntlich besser. Es gab die innerdeutsche Spaltung tatsächlich bis in hohe Regierungskreise und Funktionsträger, nur blieb die Frage noch zu beantworten, ob sie politisch wirksam werden würde. Ribbentrops weiteres Argument war wie stets die Abschreckung. Er verwies auf den Rüstungsstand, die neuen Befestigungen im Westen und die wirtschaft­lichen Vorbereitungen Deutschlands, die einen Krieg für England zu einer kostspieligen Angelegenheit machen würden. Die Beziehungen zu Frankreich seien recht gut und als einziger deutscher Feind auf dem Kontinent sei demnach Polen übrig geblieben. Polen müsse einsehen, daß es für diese Rolle zu schwach sei und seine lauten 198 Vgl. Tennant, Account, S.  215 ff. Robert Hudson, parlamentarischer Staatssekretär im Außen­handelsministerium und Helmut Wohlthat, ein Mitarbeiter von Görings Vierjahresplanbehörde, sprachen über eine mögliche umfassende Zusammenarbeit beider Staaten. Dazu gehörte eine gegenseitige Respektierung noch genauer zu definierender Interessensphären des britischen wie des deutschen Reiches, Abkommen über Land-, Luft- und Seestreitkräfte, sowie auf wirtschaftlicher Ebene „eine gemeinsame Politik in der Versorgung beider Länder mit Rohstoffen und Lebensmitteln“. Auch Welthandelsfragen sollten geregelt werden, desgleichen die Verbindung der europäischen Kapitalmärkte, Währungsfragen und anderes mehr. Vgl. ADAP, D, VI, Dok. 716, S. 826, Bericht Wohlthats vom 24. Juli 1939. Die meisten Deutungen gehen davon aus, dies sei ein Versuch Neville Chamberlains gewesen, unter Umgehung des öffent­ lichen Drucks eine überraschende Lösung der Spannungen herbeizuführen. Indiskretionen und Presseberichte beendeten jedenfalls die Gespräche.

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Forderungen nach der Odergrenze oder der Eroberung Ostpreußens einstellen.199 Wenn Großbritannien den Krieg dennoch wolle, Deutschland sei bereit.200 Um Krieg zu vermeiden, seien allerdings lediglich drei Punkte nötig, so Ribbentrop: 1. Polen müsse alle Beleidigungen gegenüber Deutschland und Danzig stoppen, sowohl in der Presse wie auch in den Reden der führenden Politiker und Militärs. 2. Es müsse etwas gegen die in England laufende Pressekampagne getan werden, die auf einen Krieg abzielen würde. 3. Polen müsse begreifen, daß ein Krieg gegen Deutschland einem Selbstmord gleichkäme. Dies waren die drei einzigen Punkte, die Ribbentrop nach dieser Aufzeichnung nannte, einer Aufzeichnung, die Tennant drei Tage später dem englischen Regierungschef überreichte. Keiner dieser Punkte – man muß es wohl erwähnen – zielte darauf, einen Krieg zu provozieren oder zu erzwingen. Die englische Regierung sollte ihren Einfluß auf die eigene Presse und die Führung der Republik Polen geltend machen, um deren Provokationen zu stoppen. Deren belastende Wirkung fürchtete auch Botschafter Nevile Henderson seit längerer Zeit, trotz Sympathie für ihre Urheber: „Ich würde zuversichtlich sein, wenn nicht die britische Presse wäre oder jedenfalls der Teil von ihr, der entweder von einer Intelligenzja angetrieben wird, die Hitler und die Nazis haßt und ohne Beachtung von Fakten in jedem Fall rot sieht, oder von Berufspessimisten und Juden. Wenn ich ein Jude wäre, würde ich ohne Rücksicht auf die Konsequenzen Himmel und Erde in Bewegung setzen, um Deutschland jederzeit und überall anzugreifen. Obwohl ich mit dieser Haltung sympathisiere, kann dies nicht die Grundlage englischer Politik werden.“201

Hendersons zwiespältiges Verhältnis zu seinem Berliner Posten kommt hier gut zum Ausdruck. Er forderte zwar regelmäßig so etwas wie eine unsentimentale „Realpolitik“, die auch einen Kompromiß mit dem NS-Staat nicht ausschloß. Aber in seinen Berichten kam immer deutlicher der Wunsch zum Ausdruck, diese Aufgabe so oder so hinter sich zu haben. Die britische Pressekampagne setzte ihm jedenfalls nervlich ebenso zu wie Ribbentrop. Immerhin: Forderungen nach Danzig oder gar polnischem Territorium oder anderen Dingen wurden von JvR gegenüber Tennant nicht gestellt. Es ging Ribbentrop mit seinen Äußerungen um die Entschärfung der Situation. Letzten Endes sei alles eine Vertrauensfrage, auf diesen Punkt zog sich Tennant jetzt entsprechend zurück. Der Stand der deutschen Rüstungen lege den Verdacht nahe, Hitler wolle „world domination“. Eine bedeutende Denkschule in England sei dieser Ansicht. Dies hätte die Gegenfrage 199

Vgl. Tennant, Account, S. 218 ff. Vgl. Tennant, Account, S. 219. 201 Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Appendix I, S. 593, Henderson an Halifax am 22. Februar 1939. In ähnlichem Sinn schrieb Henderson einen Tag später an Chamberlain von den Gefahren der britischen Pressekampagne. Vgl. DBFP, III, Bd. 4, Appendix I, S. 593. 200

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nach dem Rüstungsstand Englands aufgeworfen, der sich gerade zu neuen Höhen aufschwang und zusammen mit den Verbündeten in Frankreich und Polen einen bedeutenden Rüstungsvorsprung gegenüber Deutschland ergab. Aber Ribbentrop war dieser Debatten offenbar überdrüssig. Er verwies auf die deutsche Politik und Hitlers vielfach dokumentierte grundlegende Ansichten über England. Man ging auseinander und Tennant traf im Hinausgehen noch Friedrich Berber, der ihm ebenfalls nahelegte, unter Beibehaltung der englischen Garantie auf ein schnelles deutsch-polnisches Abkommen zu drängen, sogar wenn das die Rückkehr Danzigs zu Deutschland bedeuten würde.202 Auch weitere Gespräche Tennants mit Ribbentrops Verbindungsmann zu Hitler, Walter Hewel ergaben in dieser Hinsicht wenig neues. Hewel, den Tennant im Bericht an Chamberlain als Alten Kämpfer und engen Freund Hitlers porträtierte, meldete, der deutsche Staats- und Parteichef sei empört über die polnischen Erklärungen, auf Berlin marschieren zu wollen. Er sei der Überzeugung, nicht er mit dem Einmarsch in Prag, sondern Chamberlain mit der nach München öffentlich forcierten Rüstungspolitik hätte den Geist des Münchener Abkommens und des deutsch-englischen Konsultationsabkommens verletzt: „Hitler ist zur Überzeugung gekommen, daß Britannien den Krieg will. (Dies wurde mir bei verschiedenen Gelegenheiten von Ribbentrop, Berber und Hewel berichtet.)“203

Es gab, wie wir gesehen haben, nachvollziehbare Gründe für diese Überzeugung. Das sah man mindestens teilweise auch in britischen Kreisen so. In ähnlicher Weise berichtete deshalb wie gesagt auch Botschafter Henderson zu dieser Zeit aus Berlin. Er wies auf den Eindruck hin, den die aktuellen englischen Manöver in Berlin hinterlassen mußten. Dazu gehörten nicht nur die Schlagzeilen in der Presse: „Hitler mag bereits den Eindruck haben, daß Britannien den Krieg gegen Deutschland um jeden Preis will. Wenn er ihn noch nicht hat, wird nicht mehr viel fehlen. Er hat den Vorteil, jederzeit die Initiative ergreifen zu können, und er weiß das. Es ist, ehrlich gesagt, weder politisch oder auch nur fair, die Polen unangemessen zu stimulieren.204

Was die Verhandlungen im weiteren erschwerte, aber meist unausgesprochen geblieben war, fügte Hewel gegenüber Tennant in diesem Zusammenhang noch dazu. Es schloß sich an seine früheren Beobachtungen an: 202

Vgl. Tennant, Account, S. 223. Zit. n. Tennant, Account, S. 225, Hervorhebung im Original. Von den zahlreichen Äußerungen in diesem Sinn sei hier noch Hitlers Schreiben an Mussolini vom 8. März 1940 angeführt: „Seit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in England war es ganz klar, daß der Entschluß zum nächsten Krieg gegen die totalitären Staaten in den maßgebenden britischen Regierungskreisen bereits gefaßt worden war.“ Zit. n. ADAP, D, VIII, Dok. 663, S. 687. Symptomatisch für den Zustand der historischen Forschung ist in diesem Zusammenhang das Plädoyer von Adam Tooze, der für zur Einstufung solcher Rechtfertigungsversuche wie diesem einerseits den „gebührenden historischen Ernst“ einfordert, sich dann aber nicht einmal zur Fragestellung durchringen kann, ob Hitler Gründe hatte, sich bedroht zu fühlen. 204 Henderson an Halifax, 18. Juli 1939, zit. n. DBFP, Third Series, Bd. VI, Dok. 347, S. 385. 203

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VII. Außenminister für Abschreckung

„Hitler ist zur Überzeugung gekommen, die Juden hätten so viel Einfluß auf die englische Regierung, um die Schlußfolgerung ziehen zu müssen, daß wahrscheinlich nichts anderes getan werden kann, als dies auszukämpfen, da der jüdische Einfluß eine Verständigung und „eventual co-operation“ zwischen beiden Ländern unmöglich machen würde.“205

Dies traf sich mit Chamberlains angeblicher späterer Behauptung, in den Krieg gezwungen worden zu sein. Solche Vorstellungswelten über „jüdischen Einfluß“ hatten unter den politisch verantwortlichen Personen der 1930er Jahre einen beachtlichen Stellenwert. In der kategorisch antisemitischen Ideologie des in Deutschland regierenden Nationalsozialismus nahmen sie allerdings eine eigene Bedeutung ein. Diese Überzeugungen Hitlers gaben dem militärischen Krieg aus seiner Sicht seine besondere Dimension, obwohl eindeutig war, daß das NS-Regime einen Krieg gegen das deutsche Judentum 1933 selbst begonnen hatte. Ribbentrops Sache waren solche ideologischen Kategorien trotz seiner Loyalität zu Regime und Diktator nicht. Einstweilen appellierte er gegenüber Tennant an die letzten Verhandlungsmöglichkeiten. So schloß Tennant seinen Bericht mit weiteren Schilderungen Hewels, Hitler wolle nichts anderes als ein deutsch-englisches Bündnis und mit Ribbentrops Abschiedsworten: „Goodbye, and let us remember your English proverb: It is never too late to mind.“206

Dennoch mußten unter dem Eindruck dieser Verhältnisse die weiteren Vermittlungsversuche verschiedenster Informationsträger einen schweren Stand haben.207 Neben Tennant reiste auch Corder Catchpool im August 1939 nach Deutschland und Polen und dann zurück nach Salzburg, wo sich Fritz Berber in angeblich re­ signierter Stimmung zur Verfügung des Außenministers bereit hielt.208 Man sprach mit Professor Unruh aus Ribbentrops Stab über politische Möglichkeiten.209 Da aus England außer Provokationen und unverbindlichen utopischen Verhandlungs­ angeboten über das Land anderer Leute nur drohendes Schweigen zu hören war, 205

Zit. n. Tennant, Account, S. 225. Zit. n. Tennant, Account, S. 226. 207 Zu den trotz solcher Verhandlungssignale aufrechterhaltenen Stereotypen der britischen Seite gehörte die Agiation gegen JvR. Prinz Philipp von Hessen traf im Juli 1939 bei einer Privatveranstaltung den Herzog von Kent, der die Ablösung Ribbentrops als Vorbedingung für jeden englisch-deutschen Kompromiß bezeichnete. Vgl. Schmidt, Tagebuch, 17. September 1946. 208 Vgl. Hughes, Friend, S. 161, bzw. Berber, Gewissen, S. 93 f. Berber betont in seinen Memoiren sowohl seine Sorge vor den möglichen Folgen deutscher Gewaltanwendung, aber an anderer Stelle auch die mehrfachen Hinweise Ribbentrops ihm gegenüber in jenen Monaten des Jahres 1939, es „komme alles darauf an, mit England friedliche Beziehungen aufrechtzuerhalten und sein Einverständnis für die Neuregelung der mitteleuropäischen Verhältnisse zu er­ reichen“. Zit. n. Berber, Gewissen, S. 102. 209 Catchpool hatte Ende Juni 1939 bereits mit SS-Gruppenführer Wolff gesprochen, zusammen mit einem anderen Quäker namens Buxton, der ein „politisches“ Gespräch führen wollte. Beide hätten sich bereit erklärt, nach einem Zwischenaufenthalt in Polen Mitte Juli wieder in Berlin zu sein und für „inoffizielle Verhandlungen“ zur Verfügung zu stehen, wie Wolff dann Ribbentrop über die Dienststelle Ribbentrop mitteilte. Vgl. PA AA 27092, Bl. 29487, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 27. Juni 1939. 206

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stellte sich Ribbentrop zu dieser Zeit auf den anscheinend unvermeidlichen Krieg ein, ohne die Hoffnungen an anderer Stelle aufzugeben. Da seiner Überzeugung nach nur Stärke einen englischen Angriff verhindern konnte, beschäftigte er sich in diesen Tagen mit dem möglichen deutsch-sowjetischen Ausgleich als einer entscheidenden Option im diplomatischen Spiel, um die englische Position zu schwächen. Einen anderen potentiellen Verbündeten hatten die Briten im Sommer 1939 scheinbar erfolgreich „ausgekauft“ – Japan. Zu den Problemen, die Ribbentrop bei seinem Amtsantritt als Minister vorfand, hatte der Streit um die deutschen Beziehungen zu den Staaten in Ostasien gehört, insbesondere zu Japan und China. Beide Länder führten zu dieser Zeit bereits seit längerem Krieg gegeneinander. In diesem Streit nahm die deutsche Politik bis zu diesem Zeitpunkt eine weitgehend neutrale Position ein, wobei die Beziehungen zur nationalchinesischen Regierung Chiang Kai-sheks eher etwas besser waren als diejenigen zu Japan. Japan hatte sich mit seinem Vorgehen in China, mit der Besetzung der chinesischen Mandschurei und deren Abspaltung als eigenem „Kaiserreich“ seit 1932 international isoliert. Für sein Verhalten war das Land durch den Völkerbund verurteilt worden und hatte ihn danach verlassen. Obwohl Deutschland den Völkerbund nach dem erneuten Scheitern der laufenden Abrüstungsverhandlungen ein Jahr später ebenfalls verließ, sprach auch bei Ribbentrops Amtsantritt als Minister noch wenig für die spätere Entwicklung Japans zum deutschen Bündnispartner. Die Mehrheitsmeinung im Auswärtigen Amt und der in China tätigen Militärmission setzte auf die guten Beziehungen zum Reich der Mitte. Ribbentrop setzte in kurzer Frist das Gegenteil durch. Der Grund für diesen Schritt läßt sich aus dem „Hauptbericht“ leicht erschließen, bleibt ohne dessen Kenntnis aber unverständlich.210 Tatsächlich wurde diese Entscheidung nach Ribbentrops Übernahme des Ministerpostens wie fast alle anderen auch von seiner Überzeugung eines geplanten englischen Krieges gegen Deutschland verursacht, der durch Stärke abgewendet werden sollte. Hier stellte Japan eine potentielle militärische Bedrohung für den Kolonialbesitz des englischen Imperiums dar und lag mit diesem bereits indirekt in Streit, China aber nicht. Das führte unter Ribbentrops Prämissen in Ostasien zu einem außenpolitischen Zick-Zack-Kurs, der zunächst im Rahmen einer Annäherung an Japan unter antikommunistischen Vorzeichen die chinesischen Positionen opferte. Schließlich warf er für den Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts  – der nun seinerseits einen Angriff auf Deutschland verhindern sollte, wie JvR seine Delegation wissen ließ – im Jahr 1939 die guten Beziehungen zu Japan wieder über Bord,211 um dann als Reaktion 210

Ein gutes Beispiel dafür ist Michael Bloch, der Ribbentrops Japanpolitik unter Berufung auf Gerald Weinberg als „Katastrophe“ bezeichnet, ohne deren Abschreckungszielsetzung gegenüber Großbritannien zu erfassen, da er den Hauptbericht nicht erwähnt und offenkundig nicht kennt. Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 194. 211 Der Abschluß des Nichtangriffspakts stellte wahrscheinlich einen Bruch des Geheimabkommens zum Antikomintern-Pakt dar, dessen Artikel II bestimmte, daß die vertragschließenden Staaten während der Dauer des Abkommens „ohne gegenseitige Zustimmung mit der

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VII. Außenminister für Abschreckung

auf den dennoch ausgebrochenen Krieg und das seit dem Sommer 1940 absehbare Eingreifen der Vereinigten Staaten wieder in der schließlich im Herbst 1940 vertraglich abgeschlossenen italienisch-deutsch-japanischen Bündniskonstellation gegen Großbritannien und die USA zu enden, dem sogenannten Dreimächtepakt. Die Unterzeichnung des Nichtangriffspakts mit der Sowjetunion führte 1939 zum Rücktritt des Berliner Botschafters des Kaiserreichs Japan, Oshima, schließlich sogar der ganzen japanischen Regierung. In Japan konnte man fürchten, daß der deutsche Schwenk in Richtung Moskau unmittelbar nach der schweren militärischen Niederlage japanischer Truppen gegen die sowjetische Rote Armee in einer Schlacht in der Mandschurei (Chalchin-Gol) nun den Sowjets den Rücken frei machte, für einen Marsch in Richtung China und vielleicht auch Japan. Formal war dies nicht unmöglich, obwohl zwischen Japan und der UdSSR ein Waffenstillstand unterzeichnet worden war. In jedem Fall stellten diese drastischen innenpolitischen Rückwirkungen in Japan ein Indiz dafür dar, daß die Berliner Regierung im Sommer 1939 noch mehrere Optionen besessen hätte. Wie Stalin zwischen einem Pakt mit den Westmächten oder Deutschland wählen konnte, hatte Deutschland zumindest theoretisch die Wahl zwischen Japan oder UdSSR. Statt die UdSSR direkt neutral zu halten und dafür den Preis ihres Vormarschs nach Westen in Kauf zu nehmen, hätte sich auch die Möglichkeit eröffnet, einen antisowjetischen Pakt mit Japan zu schließen, der Japan dazu verpflichtet hätte, in einem deutsch-sowjetischen Konflikt auf deutscher Seite einzutreten. Diese Drohung eines Zweifrontenkriegs mußte Stalin ebenso wie der britischen Regierung unangenehm sein. Tatsächlich gab Stalin erst Grünes Licht für die Verhandlungen Ribbentrops in Moskau, nachdem das sowjetisch-japanische Abkommen für den Waffenstillstand unter Dach und Fach war. Nun hatte gerade JvR in den vergangenen Jahren intensiv für den Abschluß eines deutsch-japanischen Bündnisses geworben. Dafür waren wie gesagt die bis dahin guten deutsch-chinesischen Beziehungen aufgegeben worden, ohne daß über den Abschluß des unverbindlichen Antikominternpakts mit Japan hinaus viel herausgesprungen war. Ein engeres Bündnis wollte die japanische Regierung nicht schließen, so lange sie sich gegenüber der UdSSR in einer Position der Stärke glaubte. Dies mochte im August 1939 anders geworden sein. Unter dem Eindruck der Ereignisse wäre Japan möglicherweise jetzt vertragsbereit gewesen. Andererseits blieb natürlich auch hier die britische Regierung nicht untätig. Im Auskaufen potentieller deutscher Verbündeter glaubte sich nicht nur Winston Churchill jeder deutschen Strategie überlegen, wie er einmal gegenüber Ribbentrop gesagt hatte. Neville Chamberlain versuchte ebenfalls nicht nur Italien mit der Anerkennung der äthiopischen Eroberungen von einem Zusammengehen mit Deutschland abzuhalten und die Republik Polen mit Garantien zu überzeugen, UdSSR keinerlei politische Verträge schließen, die mit dem Geist dieses Abkommens nicht übereinstimmen.“ Vgl. ADAP, C, VI/I, Dok. 58, S. 116, 25. November 1936, Geheimes Zusatz­ abkommen zum Abkommen gegen die kommunistische Internationale.

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die sich als Blankoschecks für eine antideutsche Haltung lesen ließen. Er tat ähnliches auch gegenüber Japan, was durch den dringenden Rat der britischen Botschaft in Tokio tatkräftig unterstützt wurde. Botschafter Robert Craigie, dessen Wechsel nach Japan Ribbentrop in seinem Abschlußbericht als Botschafter richtig als bedeutendes Signal interpretiert hatte, hatte im Dezember 1938 angemahnt, daß „eine Trennung Japans von seinen jetzigen ‚Verbündeten‘ noch zu erreichen wäre. Der Preis dafür mußte seiner Meinung nach bei aller Höhe nicht auf die politische Unterjochung Chinas durch Japan hinauslaufen“.212 Ob das wünschenswert sei, müsse die Londoner Zentrale beurteilen, allerdings würde die Zeit drängen, da sonst vielleicht China und Japan beide verloren gehen würden. Der von Craigie angemahnte Politikwechsel führte am 24.  Juli 1939, mitten in der Hitze des europäischen Sommers voller möglicher kriegerischer Entwicklungen, zu einem englisch-japanischen Abkommen. Darin erkannte das Kabinett Chamberlain die „besonderen Erfordernisse“ der japanischen Armee für die Aufrechterhaltung der eigenen Sicherheit während ihres Krieges in China an. Das bedeutete unzweifelhaft, daß England das Recht Japans anerkannte, Teile Chinas – oder nach japanischer Lesart ganz China  – zu besetzen und jeden Widerstand dagegen zu unterdrücken. Chamberlain behauptete vor dem Parlament zwar, das Abkommen sei keine „de facto Anerkennung der japanischen Oberhoheit in den besetzten Gebieten Chinas“.213 Selbst wenn dies stimmte, war es aber in jedem Fall eine erhebliche Vorleistung und wie in der britischen Außenpolitik üblich – und wohl gerade mit Polen und Italien geschehen – ein Handel mit Rechten Dritter. Über den Umfang einer japanischen Gegenleistung, die wohl in der Erklärung allgemeinen japanischen Desinteresses für den Fall eines Krieges in Europa zu bestehen hätte, wurde in Berlin sofort spekuliert, zumal in der internationalen Presse in diesem Sinn berichtet wurde.214 Die japanische Botschaft bestritt energisch, daß ein solcher Handel abgeschlossen worden sei, aber dennoch schien Ribbentrop dem Frieden nicht zu trauen.215 In der Tat gab es auch keine wirkliche Möglichkeit, dies zu tun, da in Tokio derart viele verschwiegene, gegeneinander abgeschottete Machtgruppierungen mit-, gegen- und durcheinander Außenpolitik machten. Selbst der aktuelle Berliner Botschafter Oshima würde wahrscheinlich kaum alles wissen, was mit London vereinbart worden war. Diese spärliche Informationspolitik sollte auch den Krieg über der japanische Standard bleiben. Schließlich brachte es die japanische Marine bekanntlich so weit, den geplanten Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbour selbst dem eigenen Kabinett zu verschweigen. 212 Craigie an Halifax, 2.  Dezember 1938, DBFP, VIII, Nr.  308, hier n. Sommer, Mächte, S. 159. 213 Vgl. Parl. Deb., 5.  Serie, H.  of C., Bd.  350, Spalte 993, hier zit. n. Sommer, Mächte, S. 262. 214 Vgl. ADAP, D, VI, Dok. 713. 215 Vgl. Sommer, Mächte, S. 263 f.

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VII. Außenminister für Abschreckung

Was dem britischen Versuch eines „asiatischen München“ mit Japan im Jahr 1939 letztlich einen Teil  der Wirkung nahm, war dagegen wohl vor allem die schnelle Reaktion der USA. Zwei Tage nach dem englisch-japanischen Abkommen kündigte Washington am 26. Juli 1939 den seit 1911 bestehenden amerikanisch-japanischen Handelsvertrag. Das war ein schwerer Schlag für die japanische Wirtschaft, wie sich in den Folgejahren schnell zeigen sollte. Verantwortlich war der US-Präsident persönlich, der sich offenbar innerhalb von Stunden entschieden hatte, „damit die Diktatoren nicht den Eindruck gewinnen, sie kämen damit durch.“216 Chamberlain hatte dennoch erreicht, daß Japan vorerst neutra­ lisiert war. Es schloß keinen Vertrag mit Deutschland und trat in den Folgejahren nicht gegen England auf. Es war in der Tat erst der japanisch-amerikanische Konflikt, der den japanisch-englischen schließlich im Jahr 1941 nach sich zog. Für 1939 blieb Italien als letzter potentieller und sogar vertraglich gebundener Partner Ribbentropscher Außenpolitik übrig. Es war allerdings ein Partner, der für jeden denkbaren Bündnisfall eine Akte im Schrank hatte, vielleicht sogar eine eigens bestellte, wie die Dienststelle Ribbentrop im August aus Warschau zu berichten wußte: „Hier behauptet man, daß die Italiener vor Salzburg bei Polen eine Denkschrift bestellt hätten, um Material dafür in der Hand zu haben, daß der Danziger Konflikt einen allgemeinen Krieg heraufbeschwören würde. Um Danzigs Willen möchten sich die Italiener aber nicht exponieren.“217

Der Begriff Salzburg stand hier für die deutsch-italienischen Gespräche ebendort, die bald nach Kriegsende im Prozeß gegen Ribbentrop so umstritten sein sollten. Am 11. August 1939 traf Italiens Leiter der außenpolitischen Geschäfte, Graf Ciano mit Ribbentrop auf dem Schloß des Auswärtigen Amts in Fuschl zusammen und am 12. und 13. August begegnete er dann Hitler auf dem Berghof. Seine Aufzeichnungen über diese Begegnungen gehören zu den vielzitierten Quellen über diese Tage. Sie wurden Ribbentrop bereits im Nürnberger Prozeß vorgehalten, weil sie angeblich sowohl seine Entschlossenheit zu einem Krieg mit Polen beweisen, als auch seine angebliche Überzeugung, weder Frankreich noch England würden wegen eines deutschen Angriffs auf Polen einen Krieg gegen Deutschland beginnen. Die spätere Forschung hat sie wie so vieles andere meist kritiklos übernommen,218 obwohl Ribbentrop, wie wir ausführlich gesehen haben, zu diesem Zeitpunkt seit eineinhalb Jahren nichts anderes tat, als Hitler vor einer englischen Angriffsdrohung zu warnen. Wie auch immer diese Aufzeichnung zustande gekommen ist, ob Ciano etwa einen Eindruck wiedergegeben hat, den er fälschlich hatte, oder ob sich Ribbentrop und Hitler ihm gegenüber bewußt in dieser Form

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Vgl. DBFP, IX, Nr. 431, Telegramm Lindsay an Halifax vom 31. Juli 1939, hier zit. n. Sommer, Mächte, S. 264. 217 Zit. n. PA AA, R 27 118/279 657, Bericht vom 18. August 1939. 218 Vgl. etwa Schmidt, Außenpolitik, S. 332, der diese Angaben zudem aus der Sekundärliteratur übernimmt.

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gegeben haben, die nicht ihren wirklichen Ansichten entsprach, sie gibt jedenfalls nicht das wieder, was in Berlin tatsächlich gedacht wurde.219 Ribbentrop bezeichnete das Ciano-Tagebuch in der ihm vorgelegten Form in seinen Erinnerungen als Fälschung.220 Immerhin ist es auch möglich und sogar wahrscheinlich, daß Ciano selbst diese Art der Aufzeichnung der Salzburger Begegnung bewußt vorgenommen hat, um einen von ihm gewünschten Effekt zu erreichen. Er unternahm zu dieser Zeit den Versuch, Italien aus den Verpflichtungen des deutsch-italienischen Pakts vom Mai 1939 zu lösen, sogar mit Blick auf einen möglichen Krieg gegen Deutschland. Insofern konnte ein entsprechender Bericht über Salzburg jene politische Munition liefern, die das in Warschau in Auftrag gegebene Material für einen Bündnisbruch hinreichend ergänzte.221 Genau dieses Ergebnis sollte jedenfalls nach Meinung Cianos durch seine Berichte aus Salzburg eingetreten sein: „Ich kehre nach Rom zurück, angeekelt von Deutschland, von seinen Führern, von ihrer Handlungsweise. Sie haben uns betrogen und belogen. … Das italienische Volk wird schaudern vor Schrecken, wenn es von dem Angriff auf Polen erfährt, und unter Umständen wird es sogar die Waffen gegen die Deutschen ergreifen wollen. Ich weiß nicht, ob ich Italien einen Sieg oder eine Niederlage Deutschlands wünschen soll, in Anbetracht des deutschen Verhaltens bin ich der Ansicht, daß wir die Hände frei haben, und ich schlage vor, ent­ sprechend zu handeln und zu erklären, daß wir nicht die Absicht haben, uns an einem Krieg zu beteiligen, den wir weder gewollt noch heraufbeschworen haben.“222

In der Tat bereitete sich die italienische Führung nach Kriegsausbruch auf einen möglichen Kriegseintritt auf beiden Seiten vor, je nach Kriegsverlauf. Das italienische Volk allerdings hatte keine Ambitionen, „die Waffen zu ergreifen“, weder gegen Deutschland noch gegen die Westmächte. Es mußte schon die italienische Führung selbst sein, die das Volk in eine dieser Auseinandersetzungen hineinzwang. Die später so frivole Art der Konfliktausbeutung und eigene Handlungen Cianos wie die unprovozierte Kriegserklärung an Frankreich im Sommer 1940 sowie der bedenkenlose Angriff auf Griechenland im Herbst des gleichen Jahres lassen den moralisierenden „Schauder“ der Aufzeichnung als bloße Pose erkennen. Die Tatsache, daß Cianos Äußerungen in eindeutigem Widerspruch zu belegten 219 Hermann Graml verglich jüngst das Motiv für den von Hitler und Ribbentrop gegenüber Italien vorgeschobenen Optimismus über eine Passivität der Westmächte mit ähnlichen Äußerungen gegenüber der Wehrmachtsführung und deutete ihn in beiden Fällen als Beruhigungsversuch. Vgl. Graml, England, S. 114 f. 220 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 289. 221 Die Ciano-Tagebücher waren bereits bei ihrer Anfertigung als Politikum gedacht, wie Ciano selbst schreibt. Mussolini hätte ihn aufgefordert, darin zu schreiben, daß eine Krise mit den Deutschen unvermeidlich sei. Vgl. Ciano, Tagebücher, S. 341, 6. Juli 1941. Ihre Beschaffung für Kriegszwecke wurde Anfang 1945 zum Gegenstand einer amerikanischen Geheimdienstoperation. Vgl. die detaillierte Schilderung durch Howard McGaw Smyth in: https:// www.cia.gov/library/center-for-the-study-of-intelligence/kent-csi/vol13no2/html/v13i2a16p_ 0001.htm. 222 Zit. n. Ciano, Tagebücher, S. 123.

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VII. Außenminister für Abschreckung

Äußerungen Ribbentrops wie Hitlers stehen und auch in Widerspruch zu deren Verhandlungsmanövern vor dem 1. September 1939, läßt kein abschließendes Urteil über den Gang der Salzburger Verhandlungen zu. Es ist ebenso möglich, daß die deutsche Führung sich tatsächlich betont aggressiv und arrogant gab, wie nicht auszuschließen ist, daß Ciano sie aus politischer Opportunität nur so darstellte. Ciano stand jedenfalls ebenso wie Mussolini dem Gedanken an einen Seitenwechsel und an einen Krieg mit Deutschland keineswegs fern. Letztlich hing die Antwort auf die Frage, auf welcher Seite Italien in den Krieg eintreten würde, vom Ausgang der deutschen Offensive gegen Frankreich ab. Wäre der deutsche Angriff gescheitert, hätten die italienischen Truppen für einen Krieg gegen den Stahlpaktverbündeten bereitgestanden und dies keineswegs „paradoxerweise“, wie gelegentlich geschrieben wurde, sondern als angemessener Ausdruck italienischfaschistischer Art, Politik zu treiben.223 Auf Italien war kein Verlaß, aber es gab noch einen weiteren bedeutenden Staat, der sich bisher für keine Seite entschieden hatte. 6. Ribbentrops sowjetische Karte „Bestimmt haben Sie von gewissen, im Gange befindlichen Unterhandlungen und von der Reise des russischen Botschafters und Militärattachés nach Moskau ebenfalls Wind bekommen. Am Tag vor ihrer Abreise wurden der Botschafter von Herrn von Ribbentrop und der Militärattaché vom Oberkommando der Wehrmacht empfangen und bei dieser Gelegenheit eingehendst über die Absichten der Reichsregierung unterrichtet. Mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, aber Sie werden ja eines Tages erfahren, daß im Osten etwas im Gange ist.“ Bericht Coulondre über ein Gespräch mit „X“224 „Die Russen verhalten sich freundlich und machen Gesten, die nichts kosten. Bei Beginn der Verhandlungen, am 11.8., erschien der hiesige Botschafter Szaronov bei Beck, um ihm offiziell mitzuteilen, daß die russischen Garnisonen, die bisher an der Westgrenze standen, größtenteils zurückgezogen seien.“ Bericht der Dienststelle Ribbentrop aus Warschau225

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt ist in Westeuropa vorwiegend als Hitler-Stalin-Pakt, in Osteuropa dagegen als Ribbentrop-Molotov-Pakt bekannt. Letzteres trifft die Verhältnisse insofern besser, als Ribbentrop und Molotov den Pakt in Moskau tatsächlich unterzeichnet haben, aber auch, weil der Vertrag in Deutschland, also bei Hitler, ohne Ribbentrops Einfluss kaum durchsetzbar ge­ 223 „Paradoxerweise waren auch am Vorabend des Krieges gegen Frankreich im Juni 1940 die meisten italienischen Divisionen an der Ostgrenze, sozusagen gegen Deutschland aufgestellt.“ Zit.n. Diskussion über Ara, Österreichpolitik, in: Stourzh, Mächte, S. 175. 224 Bericht von Botschafter Coulondre über ein Gespräch mit einem Herrn „X“, angeblich aus der Umgebung Hitlers, 7. Mai 1939, zit. n. Gelbbuch, Dok. 123, S. 161. 225 Zit. n. PA AA, R 27 118/279 656, Bericht vom 18. August 1939.

6. Ribbentrops sowjetische Karte

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wesen wäre. Er entsprach Ribbentrops Überzeugung, daß Deutschland in seiner militärischen, wirtschaftlichen und politischen Lage entweder für Ost oder West optieren müsse, sich aber mindestens beide Optionen unter allen Umständen offen halten müsse. Er selbst hielt diesen Pakt für seine größte Leistung als Außenminister, baute seine Politik zwischen September 1939 und Frühjahr 1941 vorwiegend auf der dauerhaften Gültigkeit der getroffenen Abmachungen auf und setzte sich später aktiv gegen die Planungen für einen deutschen Angriff auf die Sowjetunion ein. Bis ins Jahr 1945 hinein läßt sich bei Ribbentrop die Bereitschaft nachweisen, notfalls mit der UdSSR zu einer Vereinbarung zu kommen, wenn der Westen bei der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation Deutschlands blieb. Das wäre im Erfolgsfall in gewisser Weise eine Wiederholung der Konstellation von 1939 gewesen. Für JvR war das eine Frage der Pragmatik und der Grundannahme, man könne mit den Sowjets vertragliche Abmachungen eingehen, an die diese sich halten würden. Viele westlich-angelsächsische Darstellungen gehen von einer Mitverantwortung Stalins für den Ausbruch des Weltkrieges deshalb aus, weil es erst der Vertragsabschluß für Hitler möglich gemacht hätte, einen ohnehin geplanten Krieg gegen Polen zu führen. Manche Äußerungen Stalins kurz nach Vertragsabschluß deuten in diese Richtung, da aus ihnen seine von vornherein gehegte Absicht hervorgeht, den Pakt als Katalysator der Rivalitäten unter den imperialistischen Mächten zu nutzen, also eben den erwarteten Krieg unter ihnen zu starten und anzuheizen. In diesem Sinn erläuterte auch eine Anweisung des Moskauer Außen­ ministeriums später den eigenen Botschaften den Sinn des Unternehmens: „Dik­tiert von dem Bedürfnis nach Krieg in Europa“ habe man den Vertrag mit Deutschland geschlossen.226 Die hier vertretene Ansicht geht in eine ähnliche Richtung, wie sie manche Trends der Forschung aufweisen. Sie weist aber den beachtlichen Unterschied auf, daß Stalin als Basis dieser Gedanken von einem notwendigen Gegensatz zwischen den Imperialisten ausging und in Hitler und den Nationalsozialisten als einem Teil der imperialistischen Konkurrenz zwar ein manipulierbares Instrument zur Förderung solcher Gegensätze sah, aber keineswegs deren alleinige Ursache. Gegenüber der Komintern-Führung gab Stalin in diesem Sinn den Überlegenen: „Ohne es zu wissen und zu wollen, untergräbt Hitler das kapitalistische System“, attestierte er dem deutschen Diktator am 7. September,227 wobei letzteres sicher zutraf, ersteres aber nicht. Die deutsche Abschreckungsstrategie gegenüber dem westlichen Kriegskurs baute nicht zuletzt auf der bewußten Ansicht auf, daß ein Krieg gegen Deutschland für diese kapitalistischen Westmächte zu teuer sein würde. Diese Mächte sollten entsprechend handeln und würden idealerweise aus Eigeninteresse von einer Kriegserklärung absehen. Auf dieser Basis sollte, wie wir 226

Vgl. Hildebrand, Reich, S. 805 f. Diese Äußerungen notierte der Generalsekretär der Komintern, Georgij Dimitrov in sein Tagebuch. Hier zit. n. Bonwetsch, Politik, S. 146. 227

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VII. Außenminister für Abschreckung

sehen werden, die Sowjetunion mit ins europäische Mächtesystem geholt werden. Weder Hitler noch sein Außenminister hatten die feste Absicht, einen Krieg gegen Polen oder gar einen Konflikt größeren Ausmaßes vom Zaun zu brechen. Der Ribbentrop-Molotov-Pakt mochte aus Stalins Sicht ein Instrument zu Destabilisierung der internationalen Lage sein. Für Ribbentrop war er die vorläufig letzte Karte bei dem Versuch, eben diese Lage aus der Krise des Jahres 1939 heraus zu stabilisieren und England davon abzuhalten, den von ihm vor eineinhalb Jahren vorausgesagten Konflikt zu beginnen. Daß dies möglich sei, dafür sprachen Signale aus Moskau. wie die bekannte Parteitagsrede Stalins im März, auf der er erklärte, sich nicht von westlicher Seite in den Krieg hetzen lassen zu wollen. Auch andere hohe sowjetische Repräsentanten machten Annäherungsversuche, wußte die Dienststelle Ribbentrop zu berichten: „Der sowjetrussische Kriegskommissar Woroschilow äußerte sich kürzlich auf einer gesellschaftlichen Veranstaltung in Moskau zur Gattin des deutschen Botschafters (sic) abfällig über die Politik der Westmächte und meinte, daß wohl noch einmal das Verhältnis zwischen Deutschland und Sowjetrußland auf eine andere Grundlage gestellt werden könnte.“228

Das Spiel konnte aber nach beiden Seiten gespielt werden. Zwei Wochen später, am 17. April übermittelte Stalin an Frankreich und Großbritannien trotz aller öffentlichen Distanzsignale ein umfangreiches Angebot zu einem dreiseitigen Bündnis, einem ergänzenden Militärabkommen und einer Garantie für alle Länder zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Allerdings machte der neue Außen­ minister Molotov  – der sicher auch als Signal an Deutschland229 im Frühjahr 1939 die Nachfolge des jüdischstämmigen Vorgängers Litvinov angetreten hatte – klar,230 daß eine sowjetische Garantie der westlichen Nachbarn nicht ohne Einbußen an deren Unabhängigkeit zu haben sei. Eine Vertragsklausel sah für den Fall einer deutschen Aggression gegen diese Länder, die auch ohne deutsche Gewaltanwendung, und daher praktisch nach russischem Belieben, gegeben sein konnte, nicht näher definierte „Zugeständnisse“ an die UdSSR vor. De facto und de jure hätte die Rote Armee künftig jederzeit in jedes Land Osteuropas einmarschieren können, wenn sie dies für erforderlich hielt. Wahrscheinlich verbarg sich hinter den „Zugeständnissen“ nichts anderes als der Plan einer allmählichen 228 Vertraulicher Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 1. April 1939, hier zit. n. PA AA 27092, Bl. 29313. 229 Laut Nachum Goldmann, dem langjährigen Vorsitzenden des jüdischen Weltkongresses, hatte Litvinov diesen Zweck vorher ausdrücklich angekündigt: „Wenn Sie von meiner Demission erfahren, werden sie daraus entnehmen, daß der deutsch-sowjetische Pakt zustande gekommen ist. Das bedeutet, daß es dann einige Wochen später Krieg geben wird, weil Hitler sich im Osten gesichert fühlt.“ Zit. n. Goldmann, Paradox, S. 47. 230 Fast gleichzeitig kam das Gerücht auf, auch Georgij Dimitrov, der Generalsekretär der Komintern, sei seines Postens enthoben worden, weil der „fanatisch ‚antifaschistische‘ Kurs Dimitrovs in den Augen Stalins seit geraumer Zeit Mißfallen erregt habe“ und weil die Kominternpolitik russifiziert werden sollte. Diese Information der Dienststelle Ribbentrop kam am 3. Mai 1939 aus Moskau und wurde von Ribbentrop zur Vorlage bei Hitler bestimmt. Zit. n. PA AA, R 27 118/279 725, Bericht aus Moskau vom 3. Mai 1939.

6. Ribbentrops sowjetische Karte

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Sowjetisierung Osteuropas, den Stalin dann unter besseren Bedingungen nach 1945 ungehindert durchführen ließ. Als Hitler daher in seiner Rede vor der Wehrmachtsführung vom 23.  Mai 1939 Besorgnis vor dem sowjetischen Einfluß in diesem Bereich äußerte, hatte diese Aussicht bereits begonnen, konkrete Gestalt anzunehmen. Im Zentrum der Rede stand allerdings nicht die UdSSR. Hitler wiederholte statt dessen noch einmal die wesentlichen Sorgen und Feststellungen in Sachen Polen und England. Beide Staaten gingen demnach aus jeweils ganz eigenen Motiven auf grundsätzlichen Konfrontationskurs zu Deutschland. Polen sei „kein zusätzlicher Feind. Polen wird immer auf der Seite unserer Gegner stehen. Trotz Freundschafts­abkommen hat in Polen immer die innere Absicht bestanden, jede Gelegenheit gegen uns auszunutzen.“231 Den Fall England beurteilte Hitler ganz im Stil des Hauptberichts des an diesem Tag nicht anwesenden Ribbentrop: „Der Führer zweifelt an der Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung mit England. Es ist notwendig, sich auf die Auseinandersetzung vorzubereiten. England sieht in unserer Entwicklung die Fundierung einer Hegemonie, die England entkräften würde. England ist daher unser Feind und die Auseinandersetzung geht auf Leben und Tod. … England ist der Motor, der gegen Deutschland treibt. Seine Stärke liegt in folgendem 1.) Der Brite ist stolz, tapfer, zäh, widerstandsfähig und organisatorisch begabt. 2.) Es ist eine Weltmacht an sich. Seit 300 Jahren konstant. Vergrößert durch Verbündete. Die Macht ist nicht nur real sondern auch als psychologisch erdumspannende zu betrachten. Dazu kommt der unermeßbare Reichtum mit der damit verbundenen Kreditwürdigkeit. 3. Die geopolitische Sicherung und Beschirmung durch eine starke Seemacht und eine tapfere Luftwaffe.“232

Angesichts dieser Liste klang ein Widerstand gegen diese Macht eher aussichtslos. Hitler soll nach Erinnerung des anwesenden Generaloberst von Brauchitsch auch dazugesetzt haben: „Ich müßte ein Idiot sein, wenn ich wegen Polen in einen Krieg schlittern würde wie die Unfähigen vom Jahre 1914.“233 Andererseits hatte er eben den Eindruck gewonnen, um den Krieg nicht herumzukommen, den er hier 231

Der Inhalt dieser Rede ist lediglich im sogenannten Schmundt-Protokoll überliefert, das der anwesende Oberstleutnant d. G. Rudolf Schmundt nach handschriftlichen Aufzeichnungen angefertigt haben soll. Zit. n. Hofer, Entfesselung, S. 105. Die Aufzeichnung selbst enthält starke und nicht auflösbare innere Widersprüche. Vgl. Scheil, Vereinte Entfesselung, Kapitel D, III/2. Die Echtheit der Aufzeichnung ist auch deshalb nicht ganz unumstritten, zumal zu dieser Zeit im westlichen Ausland Fälschungen anderer Reden angefertigt wurden, darunter eine fingierte Ansprache des Generalstabschefs Halder. Vgl. Scheil, Gegner, Kap. VIII, B. Schmundt selbst starb an den Folgen des Attentats vom 20. Juli 1944 und konnte daher zum Protokoll nicht befragt werden. Der ebenfalls anwesende Adjutant Nicolaus von Below bestätigte später immerhin, daß Schmundt sich tatsächlich Notizen machte: „Im übrigen entsprach der Inhalt der Niederschrift Hitlers Gedanken aus jener Zeit, wie ich sie nicht nur aus der Besprechung vom 23. Mai her kannte, sondern auch aus einzelnen anderen Gesprächen Hitlers im Kreise der Militärs.“ Vgl. Below, Adjutant, S. 164 f. 232 Zit. n. Hofer, Entfesselung, S. 105. 233 Hitler am 23. Mai 1939 vor der Wehrmachtsführung, zit. n. Aussage Generalfeldmarschall v. Brauchitschs im Nürnberger Prozeß. Vgl. IMT, XX, S. 623.

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VII. Außenminister für Abschreckung

ebenfalls zu Protokoll gab. Der „Beweis“ für eine Verschwörung zum Angriffskrieg, als den ihn die Anklagebehörde des Nürnberger Tribunals 1945 vorlegte,234 ist diese Rede sicher nicht. Aber sie ist ein deutlicher Hinweis, wie nachhaltig der deutsche Staats- und Parteichef vom Eintreffen der Prognosen Ribbentrops über die britische Aggressivität beeindruckt war. Nun arbeitete die britische Politik offenbar daran, auch die UdSSR gegen Deutschland in Stellung zu bringen, während man gleichzeitig von der sowje­ tischen Hauptstadt aus dezent die allgemeinen Gegensätze der europäischen Nationalstaaten förderte. Die Gerüchte über das Ausmaß der politischen Anarchie in der europäischen Politik erreichten folgerichtig einen Höhepunkt. Die mög­ lichen positiven politischen Folgen der westlich-sowjetischen Gespräche gehörten in der internationalen Presse zum Tagesgespräch, aber auch die Schwierigkeiten. Ein Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop berichtete im Juni 1939 aus Holland über einen Kommentar aus der „antideutschen Hetz-Monatsschrift ‚Cultur‘ vom 15. Juni“, der auch die spätere Entwicklung schon andeutete: „Mit dem russischen Bundesgenossen will es übrigens nicht gut weitergehen, der Kreml ist hartnäckig; er hat wenig Vertrauen in Chamberlains Sympathien und nicht zu Unrecht. Der britische Minister hat allzu oft bewiesen, daß er auf einen Konflikt zwischen Deutschland und Rußland spekuliert; dafür ist der Kreml allerdings nicht zu haben; im Gegenteil, der droht mit einer Annäherung an Deutschland.“235

Immerhin bot ein Vertrag dieser Art den Westmächten den Vorteil einer schnellen und endgültigen Einkreisung Deutschlands durch eine zahlenmäßig vielfach überlegene Militärmacht und damit die Chance, entweder den Status quo einstweilen zu erhalten oder aber das deutsche Problem, wie von Ribbentrop befürchtet, offensiv zu lösen. Damit waren die diplomatischen Möglichkeiten im Osten Europas jedoch keineswegs ausgeschöpft. Stalin blieb dabei, Verhandlungsbereitschaft nach allen Seiten zu signalisieren. Einige Bemerkungen von Karl Schnurre236 zu politischen Themen nahm der sowjetische Parteichef zum Anlaß, über seinen Außen­minister nachzufragen, was Deutschland konkret anbieten wolle. Ribbentrop registrierte solche Signale bereits im Frühsommer 1939. Er war bereit, auf sie einzugehen, und versuchte, dafür die Billigung des Staatschefs zu gewinnen. Anfang Mai lud er Gustav Hilger, den Botschaftsrat an der deutschen Botschaft in Moskau für einen Vortrag zu Hitler in Berchtesgaden ein. Hilger äußerte sich dort beeindruckt über die Fortschritte der sowjetischen Industrie und Stalins „neuen Patriotismus“, was ganz in Ribbentrops Sinn die ideologische Feindschaft beider Staaten etwas in den Hintergrund schob.237 234

Als Dokument L-79 in der Nachmittagssitzung des 26.  November 1945 verlesen. Eine Auskunft über die Herkunft des Papiers gab die Anklagebehörde nicht. Vgl. IMT, II, S. 312 ff. 235 Zit. n. PA AA, R 27 118/279 534, Bericht vom 29. Juni 1939. 236 Leiter der deutschen Delegation bei den Verhandlungen über ein neues Handelsabkommen zwischen Deutschland und der Sowjetunion. 237 Vgl. Hilger, Kreml, S. 277 ff.

6. Ribbentrops sowjetische Karte

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Mitte August legte der neue sowjetische Außenkommissar Molotov dem deutschen Botschafter direkte Fragen zur deutschen Haltung im Baltikum, gegenüber Polen, im japanisch-sowjetischen Konflikt und zum deutsch-sowjetischen Verhältnis vor. Auch das Wort vom Nichtangriffspakt stand bereits im Raum. Gleich­zeitig berichtete aber die Dienststelle Ribbentrop aus Warschau darüber, daß die polnisch-sowjetischen Kontakte von Moskau aus intensiviert worden seien und hatte korrekt die sowjetischen Wünsche ermittelt, sich formal mit Durchmarschrechten der Roten Armee in Richtung Ostpreußen und Slowakei zufriedenzugeben.238 Marschall Woroschilow hatte den Westmächten für diesen Fall versprochen, das „Ende Deutschlands“ herbeizuführen.239 Die Existenz solcher launigen Sätze war Ribbentrop nicht bekannt. An der deutschen Zwangslage hätte diese Kenntnis aber auch wenig geändert. Die Sowjets konnten wählen. Alle anderen Beteiligten standen als Folge der Ereignisse der letzten eineinhalb Jahre und der eigenen Machtansprüche unter Zugzwang. Stalin konnte zurecht zur Kenntnis nehmen, daß das deutsche Problem eine „Mine unter Europa“ darstellte, wie er vor langer Zeit prophezeit hatte. Um diesen Konflikt zu bewältigen, hatte die polnische Armee sämtliche Sicherungskräfte von der eigenen Ostgrenze abgezogen, weil sie gar keinen anderen Ausweg hatte, als den sowjetischen Zusicherungen zu vertrauen. Nun sah auch die deutsche Außenpolitik bald keinen anderen Ausweg mehr, als den Sowjets notgedrungen zu vertrauen. Entsprechende Eindrücke wurden von Moskau aus befördert, indem der neu ernannte Außenminister Molotov und Moskauer „politische Kreise“ darauf hinwiesen, daß weltanschauliche Verschiedenheiten einen geordneten Wirtschaftsverkehr und auch sonstige korrekte Beziehungen nicht zu stören bräuchten.240 Dies galt allerdings in beide möglichen Richtungen und derselbe Bericht der Dienststelle Ribbentrop, der dies meldete, hielt auch fest, daß die „indirekte Hetze gegen Deutschland“ unverdrossen weitergeführt werden würde. Am 18. August konnte Ribbentrop einen weiteren Bericht seiner Dienststelle an Hitler übermitteln. Es ging um ein vertrauliches amerikanisch-russisches Gespräch zwischen einem Moskauer Korrespondenten der New York Times auf Durchreise und einem Botschaftsangehörigen. Nach Auskunft des Russen versuche man in der russischen Berliner Botschaft allgemein ein besseres Verhältnis zu Deutschland herzustellen. Die Lage in Moskau beurteilte der Amerikaner demnach als nicht eindeutig. Es gebe auch prowestliche Strömungen, auch in der Armee, wobei der Name Woroschilow fiel. Was Stalin wolle, wisse niemand: „Stalin selbst liebe es, als Sphinx zu erscheinen, der das, was er will, methodisch selbst vor seinen Mitarbeitern zu verbergen wisse.“241 Diese Sphinx hatte Ende August 1939 die Genug-

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Zit. n. PA AA, R 27 118/279 663, Bericht vom 10. August 1939. Zit. n. Hofer, Entfesselung, S. 213. 240 Zit. n. PA AA, R 27 118/279 720, Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 13. Juni 1939. Molotov hatte am 31. Mai eine entsprechende Rede gehalten. 241 PA AA 27092, Bl. 29569, Bericht vom 18. August 1939. 239

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tuung, daß die deutsche Seite die Verhandlungen auf die höchste politische Ebene hob, wo die Westmächte in Monaten nicht einmal einen Minister nach Moskau geschickt hatten. Am zwanzigsten August schrieb Hitler persönlich an „Herrn Stalin, Moskau“, bot die Entsendung eines „verantwortlichen deutschen Staatsmanns“ an und versprach „in kürzester Zeit“ die „substantielle Klärung des von der Regierung der Sowjetunion gewünschten Zusatzprotokolls“ über die exakte Definition der beiderseitigen Einflußzonen.242 Kaum einen Tag später telegraphierte Stalin, der offiziell kein Staatsamt ausübte und damit als „Herr Stalin in Moskau“ zutreffend beschrieben worden war, an Hitler persönlich und erklärte in privater Bescheidenheit: „Die Sowjetregierung hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß sie ganz einverstanden ist mit dem Eintreffen des Herrn von Ribbentrop in Moskau am 23. August.“243 Ribbentrop nahm diese Einladung an. Es folgte ein harmonischer Abend in Moskau und in den frühen Morgenstunden des 24. August 1939 waren der deutsch-sowjetische Nicht­angriffspakt sowie das geheime Zusatzprotokoll dann abgeschlossen. Auch in dieser Angelegenheit erwies sich das deutsche Auswärtige Amt als zuverlässig undichte Stelle. Wenige Stunden später verriet Hans von Herwarth, ein Mitarbeiter der deutschen Botschaft, den Inhalt an die Moskauer US-Botschaft.244 Diese meldete dies augenblicklich an die Regierung in Washington weiter,245 ohne dort besondere Reaktionen zu verursachen. Viele Versuche, dieses Abkommen historisch einzuordnen, haben eines ge­ meinsam: Sie begreifen den Vertrag als direktes Vorspiel zum Krieg, ja eigentlich schon als Teil des Krieges. Dies ist allerdings eine überzogene Interpretation, die aus dem späteren Gang der Ereignisse auf angeblich vorhandene Absichten schließt. Die Einbeziehung der UdSSR in das europäische Mächtesystem machte den Krieg trotz der Moskauer Hintergedanken nicht notwendig, sie konnte ihn durchaus auch verhindern. Welcher Fall eintrat, hing vom weiteren Verhalten der Westmächte, Polens und Deutschlands ab. Die Verhinderung eines großen Konflikts sollte dabei aus deutscher Sicht der eigentliche Zweck des Abkommens sein. Ribbentrop selbst gab sich deshalb nach der Unterzeichnung ausdrücklich zu­ versichtlich, einen Angriff auf Deutschland durch dieses Abkommen verhindert zu haben. Eineinhalb Jahre hatte er als Minister versucht, etwas gegen die vermuteten britischen Angriffsabsichten zu unternehmen, jetzt schienen mit Italien und 242

ADAP, D, Bd. VI, Dok. 142. ADAP, D, Bd. VI, Dok. 159. 244 Aus seinen Memoiren geht nicht hervor, daß er sich etwas bestimmtes dabei gedacht hätte. Er verfolgte nach eigenen Angaben „kein besonderes Ziel“ und handelte offenbar aus allgemeiner Abneigung gegen das Regime, ohne aus seinem von ihm erwähnten „nichtarischen“ Hintergrund eine besondere Motivation abzuleiten. Vgl. Herwarth, Zeitgeschichte, S. 188 f. Zuvor hatte Herwarth bereits Informationen über die laufenden Vorgespräche für den Pakt an die italienische Botschaft weitergegeben. Vgl. Weber, Entstehungsgeschichte, S. 280. 245 Das Telegramm, das der amerikanische Außenminister Stunden später in der Hand hielt, ist abgedruckt in: Schickel, Spiegel, S. 85. 243

6. Ribbentrops sowjetische Karte

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der UdSSR tatsächlich zwei wichtige Staaten entweder als Verbündete gewonnen oder neutralisiert zu sein. Deutschland blieb allerdings weiterhin zwischen den wechselseitigen Garantiemächten Frankreich, Großbritannien und Polen eingekreist und mußte davon ausgehen, im Konfliktfall sowohl im Westen als auch im Osten kämpfen zu müssen. Die neue deutsch-russische Vertragskoalition änderte daran „nichts“, wie Polens Außenminister Beck noch am Abend des 23. August ganz richtig feststellte.246 Daß dies später so nicht stattfand, lag ausschließlich an der Untätigkeit der Westmächte, die sich nicht an ihr im Sommer gegebenes Beistandsversprechen gegenüber Polen hielten, sich in keinem Fall daran halten wollten. Die UdSSR war bereit, in einen europäischen Krieg einzugreifen und den Sozialismus bis an den Atlantik zu tragen. Sie konnte diesen Konflikt fördern, aber nicht selbst erzeugen und war bereit, auf die günstige Gelegenheit zu warten, die 1939 gekommen schien. Während der Moskauer Verhandlungen Ribbentrops brachte Stalin trotz der guten Stimmung an mehreren Stellen die machtpolitischen Verhältnisse zum Ausdruck, wie er sie zwischen der UdSSR und dem nationalsozialistischen Deutschland gegeben sah. „Ich werde niemals dulden, daß Deutschland schwach wird“, erklärte er Ribbentrop.247 Darin konnte sich, so sinnierte Ribbentrop später, die Ansicht ausdrücken, es würde doch zu einem großen europäischen Krieg kommen, in den die UdSSR dann „stützend“ auf deutscher Seite eingreifen würde.248 Wahrscheinlich wandelte Stalin an dieser Stelle ein altes Leninzitat ab, das für den Fall des unvermeidlichen nächsten imperialistischen Krieges eine Parole ausgegeben hatte, die jetzt bald nach Kriegsausbruch auch wieder von der Kommunistischen Internationale erneuert wurde: „Deutschland kann diesen Krieg nicht gewinnen! England darf diesen Krieg nicht gewinnen!“249 Auch wenn man den beachtlichen Teil an beliebigen Deutungsmöglichkeiten Leninscher Aussprüche berücksichtigt, ergab sich daraus eine grundsätzlich zweitrangige Rolle Deutschlands auf der internationalen Szene, die in Moskau wohl wirklich so ge­ sehen wurde. Zum Zweck des kommunistischen Endsiegs mußte Deutschland eine Zeitlang für einen Krieg gegen den kapitalistischen Westen gestützt werden, bis die Zeit für ein Eingreifen der Roten Armee reif war.250 In jedem Fall sprach daraus das Bewußtsein politischer Überlegenheit. Ribbentrop registrierte dies und attestierte Stalin, mit dem gerade geschlossenen Vertrag ein „gutes Geschäft“ abgeschlossen zu haben. Eine Herzensangelegenheit war der Nichtangriffspakt trotz 246

Pagel, Polen, S. 271. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 206. 248 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 208. 249 Das Reichssicherheitshauptamt ermittelte verschiedene Deutungsangebote der ­Komintern, die diesen Grundsatz erläuterten. Vgl. Fabry, Beziehungen, S. 419. 250 Dafür spricht beispielsweise die etwas abweichende Erinnerung Paul Schmidts an Stalins Äußerung, die demnach lautete: „Ich werde nienmals zulassen, daß Deutschland von den kapitalistischen Westmächten besiegt wird. Der Sieg über den westlichen Kapitalismus ist ein elementares Interesse der Sowjetunion.“ Zit. n. Schmidt, Tagebuch, 1. April 1947. 247

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der gegenseitigen Glückwünsche, der vielen Trinksprüche und der freundlichen Atmosphäre sicher zu keinem Zeitpunkt.251 Der Molotov-Ribbentrop-Pakt bestimmte die Verhältnisse in Osteuropa ­zunächst auf der Basis eines machiavellistischen Interessenausgleichs zwischen den beiden bedeutendsten Staaten in dieser Region. Dabei wurde auf das Selbstbestimmungsrecht der kleineren Nationen keine Rücksicht genommen, wohl aber auf die Verminderung der Spannungen zwischen Rußland und Deutschland geachtet und damit stand dieser Vertrag in einer diplomatischen Tradition. Die vorbeugende Abgrenzung von Einflußsphären zwischen Großmächten und die Liquidation von Kleinstaaten, die sich ihrer Zuordnung widersetzten, gehörte zum gewöhnlichen Geschäft des imperialistischen Zeitalters und war nichts weniger als einzigartig. Solche Praktiken waren auch in den Entscheidungszentren Westeuropas weiterhin akzeptiert, wie Winston Churchills Versuch vom Oktober 1944, während eines Moskaubesuchs den Balkan zwischen Großbritannien und der UdSSR in Prozentzahlen pro Land aufzuteilen, Jahre später anschaulich beweisen sollte.252 In Wahrheit war der deutsch-sowjetische Pakt daher zunächst kaum etwas anderes als ein zweites „München“ unter veränderten Vorzeichen. Wo vor einem Jahr noch die Sowjetunion vor verschlossenen Türen gesessen hatte, während die Westmächte und Italien sich noch einmal in der Tradition von Versailles als Herren über die Grenzen Zentraleuropas aufführten, blieben nun diese Mächte ausgeschlossen, während in Moskau die Machtverhältnisse in Osteuropa neu definiert wurden. Das deutsch-sowjetische Abkommen beschloß jedoch keineswegs die Vernichtung Polens oder irgendeines anderen Landes. Es hielt statt dessen ausdrücklich fest, „die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht sein lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, … erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung“ zu klären. Überhaupt wurden Grenzfragen ausgeklammert. Wohl legte der Text fest, wo sich „im 251 Wie üblich sind die Überlieferungen über solche Äußerungen widersprüchlich. Der ge­ legentlich (so auch von Joachim Fest, vgl. Fest, Hitler, S. 810) Ribbentrop zugeschriebene Ausspruch, er habe sich in Moskau „wie unter alten Parteigenossen“ gefühlt, stammt offenbar vom Danziger Gauleiter Forster, wie Ribbentrop selbst eher beiläufig erwähnt. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 209. Bekanntermaßen stand Ribbentrop den „alten Parteigenossen“ eher distanziert gegenüber, ob sie nun aus München oder aus Moskau stammten. Ob er den Ausdruck gegenüber Hitler tatsächlich als eigenen übernommen hat, scheint zumindest fraglich. Alfred Rosenberg notierte im Tagebuch, die Gleichsetzung sei „so ziemlich die frechste Beleidigung, die dem Nationalsozialismus zugefügt werden kann.“ Vgl. Rosenberg, Tagebuch, S. 82. Ribbentrops Bemerkung gegenüber Stalin, die UdSSR könne ja schließlich vielleicht einmal selbst dem Antikominernpakt beitreten, steht in Molotovs Erinnerung Stalins Trinkspruch gegenüber: „Laß uns auf den neuen Anti-Kommunisten anstoßen – Stalin!“ Vgl. Molotov, Politics, S. 12, Interview vom 10. April 1972. 252 Stalin und Churchill vereinbarten im Oktober 1944 persönlich, daß Ungarn und Jugos­ lawien 50:50 zu teilen waren, während die UdSSR 90 % Einfluß in Rumänien und 75 % in Bulgarien bekommen sollte und Großbritannien 90 % Einfluß in Griechenland erhalten sollte. Vgl. Calic, Jugoslawien, S. 175.

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Fall einer territorial politischen Umgestaltung“ in Osteuropa die Grenze der Interessensphären beider Staaten befinden würde. Über die Art der Machtausübung in diesen Sphären schwieg sich das Papier aber aus, was sich aufgrund der totalitären Interpretation ihrer Interessensphäre durch die Sowjetunion als Raum einer absoluten Herrschaft des sowjetischen Systems als eine der Unzulänglichkeiten des Abkommens erwies. Für das Hauptproblem seiner Außenministertätigkeit stellte der Pakt in Ribbentrops Augen aber nicht nur die letzte Karte, sondern auch einen entscheidenden Erfolg dar. Das ließ der entspannte Minister seine Mitarbeiter auf dem Rückflug wissen. Den englischen und französischen Delegationen, die in Moskau versucht hatten, die UdSSR in eine mögliche deutsche Kriegsfront mit einzubeziehen, war dieses Mittel aus der Hand geschlagen worden. Jetzt konnte Ribbentrop wenigstens intern auch zugeben, daß hinter seiner kraftstrotzenden Rhetorik der letzten eineinhalb Jahre die Befürchtung vor einem möglichen Angriff gestanden hatte: „Das Verblüffendste aber an dieser nächtlichen Erzählung war die Sicherheit Ribbentrops, und nach seiner Darstellung auch Hitlers, daß durch diesen Pakt nicht nur ein Zwei-Fronten-Krieg vermieden, sondern ein Angriff auf Deutschland überhaupt unmöglich geworden sei.“253

Jetzt würde auch die „polnische Krankheit“ bekämpft werden können, ohne daß England und Frankreich einen deutsch-polnischen Konflikt in ihrer gegenwärtigen Verfassung zu einem solchen Angriff auf Deutschland nutzen könnten. Dies sollte durch einen „chirurgischen Eingriff“ geschehen, wie er seinem Mitarbeiter Kleist nach dessen Angaben schilderte.254 Darunter konnte, mußte aber kein Militärschlag verstanden werden. Es konnte sich ebenso um eine weitere Konferenzlösung Münchener Art handeln. Der Molotov-Ribbentrop-Pakt gab theoretisch Rückendeckung für beides. Eine Einbeziehung der UdSSR in entsprechende Verhandlungen war gesichert, wenn sie zustande kommen sollten. In Moskau machte man sich allerdings wie gesagt Hoffnungen, es könne anders kommen. Der sowjetische Botschafter in London, Ivan Maiskij erklärte dies kurz vor der Unterzeichnung gegenüber Eduard Benesch, dem ehemaligen Präsidenten der Tschechos­lowakei der sich mittlerweile im Londoner Exil befand, noch einmal offen. Benesch notierte: „Die Sowjets sind überzeugt davon, daß die Zeit für einen Endkampf zwischen Kapitalismus, Faschismus und Nazismus gekommen ist und daß es eine Weltrevolution geben wird, die sie im geeigneten Moment auslösen werden, wenn andere durch Krieg erschöpft sind.“

Von Benesch darauf hingewiesen, daß die am nächsten Tag bevorstehende Unterzeichnung des deutsch-russischen Nichtangriffspakts „übermorgen“ einen deutschen Krieg gegen Polen bedeute, setzte Maiskij hinzu: „Ganz so schnell wird’s nicht gehen. Vielleicht in zwei Wochen. Ich fragte ihn, was sie denn tun werden. Er sagte zu mir: ‚Natürlich werden wir nicht beiseite stehen‘ … Mein generel 253

Zit.n. Kleist, Tragödie, S. 46. Ebd. Kleist, Tragödie, S. 46.

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248

VII. Außenminister für Abschreckung

ler Eindruck: Die Sowjets wollen Krieg, sie haben sich darauf gewissenhaft vorbereitet und sie sind der Auffassung, daß weder Polen noch Deutschland oder England zurück­weichen können, daß der Krieg stattfinden wird – und daß sie sich selbst Handlungsfreiheit bewahrt haben.“255

Die Sowjets berechneten demnach das innereuropäische Konfliktpotential realistisch. Aus deutscher Sicht dagegen sollte der Nichtangriffspakt dazu dienen, die Krise von 1938/39 mit einer internationalen Konferenz zu beenden, auf der idealer­weise auch noch die deutschen Ambitionen mit Blick auf Danzig und möglichst den Korridor in Westpreußen erfüllt werden konnten. Damit wäre auch dem von Ribbentrop skizzierten prinzipiellen britischen Kriegswillen gegen das deutsche Revisionsprogramm die Dynamik genommen und wären zugleich die britischen Kriegsdrohungen kaum noch zu verwirklichen gewesen. Diese Aussicht war allerdings höchst hypothetisch, denn die Führung in Warschau dachte nicht daran, sich auf eine solche Konferenz einzulassen. Sie hatte in den bedingungslosen französisch-englischen Beistandszusagen auch das Mittel, sie zu verhindern. Dazu kamen die äußerst negativen Erfahrungen der Ver­gangenheit. Daß eine internationale Konferenz anderer Großmächte über polnische Grenzen befinden könnte, gehörte seit den polnischen Teilungen des 18. Jahrhunderts zu den traumatischen Erfahrungen des polnischen Nationalbewußtseins. Auch hatte die letzte Konferenz dieser Art in Versailles keineswegs die polnischen Ambitionen befriedigt. Das Polen von 1939 konnte und wollte sich weder politisch noch völkerrechtlich auf die dort gezogenen Grenzen berufen. Wesentliche Teile Ostpolens waren erst später im polnisch-sowjetischen Krieg erobert worden, während die Regelungen im Westen und Norden den Vorstellungen der Pilsudskistischen Führung nicht entsprachen. Wenn der Warschauer Führung zudem im Rahmen der englisch-polnischen Abmachungen im Frühjahr 1939 bereits Teile Deutschlands zugesagt worden waren, dann gab es einen weiteren guten Grund, sich auf keine Konferenz einzulassen, die zu einem gegenteiligen Ende führen mußte. Die Möglichkeiten einer weiteren Konferenz über Osteuropa unter Beteiligung der Westmächte blieben jedenfalls auch nach Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts weiterhin erhalten. Die folgenden Tage nach dem Abschluß des Pakts lassen sich von hier aus gut interpretieren: Sie sind ausgefüllt mit taktischen Zügen um die beste Ausgangsposition für diese Konferenz, die aus Ribbentrops Sicht eine Art „Super-München“ unter Einbeziehung der UdSSR werden sollte. Ein anderer potentieller Partner reagierte extrem negativ auf den RibbentropMolotov-Pakt. An sich hatte Japan trotz des Antikominternpakts wenig Grund, den deutschen Kurswechsel als Wortbruch zu betrachten. Schließlich war Ribbentrop mit seinen Versuchen zu verbindlicheren deutsch-japanischen Abkommen trotz erheblicher Vorleistungen wie dem Abbruch der Beziehungen zu China seit einein 255 Vgl. MHA-B, Der Zweite Weltkrieg, Schachtel 61, in Beneschs Privatarchiv erhaltene Aufzeichnung, hier zit. n. Lukes, Benesch, S. 352. Diese Informationen fanden auch Eingang in Beneschs Memoiren, wie Peter Kleist anmerkt. Vgl. Kleist, Tragödie, S. 96.

6. Ribbentrops sowjetische Karte

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halb Jahren hingehalten worden. Japan hatte sich statt dessen im Sommer 1939 Großbritannien angenähert und sich nach der Niederlage im Grenz­konflikt mit der UdSSR im August 1939 Moskau gegenüber ebenfalls zurückgezogen. Dennoch kam der deutsch-sowjetische Pakt für die deutschfreundliche Fraktion in Japan unerwartet und brachte bald nach Ausbruch des Konflikts einen Personalwechsel. Den entsprechenden Bericht der Dienststelle Ribbentrop vom 7. Oktober über die japanischen Reaktionen auf den neuen Pakt ließ JvR dann Hitler vorlegen, mit der grünen Randbemerkung „Oshima geht nach Japan zurück“. Der Bericht selbst zeichnete ein realistisches Bild der Entwicklung in Japan. In Wirtschaftskreisen hoffe man auf einen zweiten Weltkrieg, aber nicht um daran teilzunehmen, sondern um daran zu verdienen. Deutschland gelte jetzt wegen des Pakts mit der UdSSR bei gleichzeitigem Antikominternpakt mit Japan als „treulos“, obwohl man in Japan früher selbst viel Wert auf den Unterschied zwischen dem Staat UdSSR und der Komintern gelegt habe: „Die wirklich deutschfreundliche Schicht, die das Wollen und das Können Deutschlands und seines Führers anerkannt und bewundert, ist zwar sehr dünn, aber die Sympathien für Deutschland sind doch immerhin größer, als die erste heftige Reaktion auf den deutsch-russischen Pakt vermuten läßt.“256 Das wirkliche Verhältnis, so schloß der Bericht in einer wohl realistischen Grundannahme, wird von den deutschen Erfolgen abhängen. Als dies geschrieben wurde, mußten solche Erfolge im Rahmen des inzwischen ausgebrochenen Krieges erst noch erzielt werden. Aber nach Ribbentrops Rückkehr aus Moskau gab es zunächst neue Runden – Diplomatie.

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Zit. n. PA AA R 27114, Bl. 37632, Bericht der DR vom 7.10.39.

VIII. Diplomatie für’s Alibi 1. Konferenz oder Krieg „Die Verwirrung vergrößerte sich nur noch, als David Hoggan, ein amerikanischer Faschist pure et simple, mit einer offenen Apologie Hitlers herauskam und sich den wahrhaft schwachen Punkt der antihitlerischen Geschichtsschreibung zunutze machte, indem er völlig zu Recht nachwies, daß Hitler den Zweiten Weltkrieg nicht wollte; aber seine ideologische Voreingenommenheit hinderte ihn daran zu erkennen, daß Hitler den Zweiten Weltkrieg tatsächlich überwiegend verursachte. In der Tat, ein Zweiter Weltkrieg wäre wirklich das letzte gewesen, was sich ­Hitler zur Erfüllung seiner ehrgeizigen Weltpolitik hätte wünschen können, und er versuchte, den Weltkrieg zu vermeiden.“ Immanuel Geiss1

Mit der Rückkehr Ribbentrops aus Moskau begann die letzte Phase der diplomatischen, politischen und militärischen Schachzüge, die schließlich mit der englischen Kriegserklärung am 3. September 1939 endeten. „Ich brauchte ein Alibi, vor allem dem deutschen Volk gegenüber, um ihm zu zeigen, daß ich alles getan hatte, den Frieden zu erhalten.“ So wird Hitler aus den Tagen um den 1. September 1939 zitiert,2 um die es im folgenden gehen wird. In dieser Phase kulminierten die Versuche der Beteiligten, sich an der unmittelbaren Schwelle zum Krieg gegenseitig die Verantwortung für die kommende große Auseinandersetzung zuzuweisen, oder ihre Ziele doch noch mit einem begrenzten Schlagabtausch oder gar auf vertraglichem Weg zu erreichen. Nachdem Ribbentrop seit seiner Ernennung zum Minister vor eineinhalb Jahren daran gearbeitet hatte, sowohl Hitlers großdeutsche Revisionismuspläne umzusetzen, als auch gleichzeitig die von ihm erkannte Gefahr einer englischen Einkreisungs- und Kriegspolitik zu bannen, spitzten sich beide Fragen jetzt zu. Welche Interpretation der Kriegsursachen sich in Zukunft durchsetzen würde, wurde nun mit entschieden. Wenn die englisch-französischpolnische Dreierkoalition den Krieg wollte, dann sollte dies aus der Art und Weise der letzten Verhandlungen erkennbar werden, dies war sowohl Ribben­trops wie Hitlers Minimalziel. Die englische Methode, frühzeitig Punkte zum Nachweis der eigenen Unschuld zu sammeln, die Ribbentrop in seinem Abschlußbericht als Botschafter angesprochen hatte, durfte nicht zum Erfolg führen. Mit Blick auf das 1 Immanuel Geiss: Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, hier zit n. Geiss, Geschichts­ wissenschaft, S. 35. 2 Überliefert ist dieses Zitat von Dolmetscher Paul Schmidt. Vgl. Schmidt, Statist, S. 460.

1. Konferenz oder Krieg

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Hitlersche Alibi-Zitat wird daher häufig auf die Künstlichkeit der Verhandlungen in dieser Zeit hingewiesen, die nicht ernstgemeint gewesen seien. Das trifft insofern zu, als in diesen Verhandlungen oft nicht ausgesprochen wurde, um was es ging, sondern was der Öffentlichkeit im nachhinein von allen Seiten zitierfähig in Blau-, Gelb- und Weißbüchern präsentiert werden konnte, übersetzt in die wichtigen Weltsprachen. Dies war eine Konsequenz aus den Erfahrungen mit dem Ersten Weltkrieg und dessen Nachkriegszeit. Damals stellte die Schuldklausel des Versailler Vertrags nach 1919 ein politisches Dauerthema erster Ordnung dar. Millionen Tote eines industriellen Weltkriegs hoben die Frage nach der Verantwortung für diesen Krieg auf eine ganz andere Ebene, nachdem Kriegsschuldfragen in der europäischen Diplomatie bis dahin nicht im Vordergrund gestanden hatten. Man führte Krieg, schloß Frieden und begann die Politik von vorn, bezeichnenderweise regelmäßig unter Einstellung der Strafverfolgung der vor dem Friedensschluß begangenen Kriegsverbrechen. Die deutsche Regierung, gestützt durch eigene Veröffentlichungen und dem in Moskau von den Sowjets publizierten Archivmaterial des zaristischen Imperialismus und seiner westlichen Mitstreiter, konnte nach 1918 in großem Umfang politisches Kapital aus einer Rolle als Opfer falscher Anschuldigungen durch den Versailler Vertrag schlagen. Dieses Muster sollte nach dem Willen beider Seiten 1939 wiederholt werden. Der „erzwungene Krieg“ stand auf der einen, der „unpro­ vozierte Überfall“ auf der anderen Seite. Schuld sollten jeweils die Gegner sein. Der Begriff des „Alibis“ selbst steht dabei keineswegs für die Absicht, eine eigentlich verfolgte Absicht hinter erfundenen Verhandlungsangeboten zu verstecken. Das war notwendigerweise ein Mißverständnis, oder besser: eine Verkürzung, der unter anderem Paul Schmidt aufgesessen ist, der das „Alibi-Zitat“ überliefert hat. Ein Alibi ist im allgemeinen Sprachgebrauch der eindeutige Nachweis, daß eine Person eine bestimmte Tat nicht begangen haben kann. Wer dieses Alibi wollte, mußte nachprüfbar kompromißbereit sein, entsprechende Angebote unterbreiten und damit rechnen (oder es fürchten), daß die Gegenseite den Kompromiß annahm. Dabei kam es, wie Golo Mann vergleichend behauptet hat, in den Regierungszentralen im Jahr 1939 nicht wie 1914 zu nervösen und panikartigen Ver­ suchen, eine Eskalation zu verhindern. Er schloß daraus, die eine Seite, nämlich die englische, habe ein gutes Gewissen gehabt und die andere gar keins.3 Nun liegt diesem Bild sowohl ein romantisches Bild von den Vorgängen von 1914 wie eine einseitige Deutung des Jahres 1939 zugrunde, die auch bei Mann dazu dient, sich der Schilderung der eigentlichen Vorgänge völlig zu entziehen. Bei ihm führt sie zur kühnen Behauptung, es gäbe für 1939 keine „Kriegsschuldfrage“. Schließlich gipfelt sie in der frei erfundenen Behauptung, Hitler habe seine Alleinverantwortung „im vertrauten Kreise gern und stolz“ bestätigt.4 Dies tat er gerade nicht, wie wir gesehen haben und noch weiter sehen werden. Ganz im Gegenteil, auch als der

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Vgl. Mann, Geschichte, S. 912. Vgl. Mann, Geschichte, S. 897.

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VIII. Diplomatie für’s Alibi

Krieg noch erfolgreich zu verlaufen schien, spöttelte er im „vertrauten Kreise“ allenfalls gelegentlich über die Verantwortlichen in England, die den Krieg zu einem für sie selbst falschen Zeitpunkt angezettelt hätten.5 Um zu Golo Manns Vergleich zurückzukehren: Es gibt auch durchaus Anzeichen dafür, daß etwa die englische Führungsschicht den eigenen Kriegseintritt im Jahr 1914 kühl geplant hatte und daher Winston Churchills überlieferte Zufriedenheit,6 nachdem der Schritt endlich vollzogen war, keine Ausnahme darstellte, sondern ein Symptom. Andererseits waren die Augusttage von 1939 durchaus lebhaft, emotional, gelegentlich hysterisch. Wenn trotzdem der Eindruck von Ruhe entstehen konnte, dann lag das an den fehlenden Nachfragen der Historiker, der in einem Vierteljahrhundert gewachsenen Routine des diplomatischen Verkehrs und an der sich lange abzeichnenden Kriegskrise. Man wußte in Großbritannien, was man tat, wie man auch in Berlin und Warschau die Dinge kommen sah. Wie im Herbst 1938 während der Tschechoslowakei-Krise traten auch im August 1939 deutsche Oppositionskreise auf den Plan, die Kontakt zur englischen Regierung aufnahmen. Ähnlich wie im Vorjahr gehörte es auch diesesmal zu ihrem Anliegen, der englischen Führung einen festen antideutschen Kurs anzu­raten. Angesichts der nicht nur aus Berliner Sicht ohnehin geradezu provokant auf einen Konflikt hin orientierten englischen Politik, die zudem noch von Washington aus in diese Richtung gedrängt wurde, stellte dies einen politisch merkwürdig des­ orientierten Wunsch dar. Man konnte in London daraus immerhin soviel entnehmen, daß es in der deutschen Führung weiterhin Risse, Uneinigkeit und Staatsstreichgedanken bis in die höchste Führungsebene gab, besonders im Außenministerium und sogar im engeren Mitarbeiterkreis Ribbentrops. In die Winkelzüge um die gewünschte englische Drohkulisse war auch dessen enger Mitarbeiter Reinhard Spitzy verwickelt. Zwar war er seit April 1939 kein Diplomat mehr und konnte in Zeiten der Devisen- und Reisebeschränkung eigentlich das Land nicht verlassen. Er wurde aber von Nevile Henderson, also dem englischen Botschafter, nach Verlust dieser Reisemöglichkeit mit „mehrjährigem Spezialvisum“ für England ausgestattet. Henderson mochte sich etwas gedacht haben, ein solches, für damalige Zeiten ganz außergewöhnliches Privileg zu vergeben.7 Jedenfalls machte es dies 5 So etwa am 16. August 1942: „Churchill und Genossen haben in ein paar Schlössern einige Jahre vor 1939 den Krieg gegen uns beschlossen! Meine Quelle: die Lady Mitford. … In dem Moment, wo England die allgemeine Wehrpflicht einführte, (d. h. im Frühjahr 1939, d. Verf.) waren die Würfel gegen uns gefallen! Dann haben nur die Kerle nicht warten können! Wenn die Geschichte noch drei oder vier Jahre gedauert hätte, würden sie eine Armee von 25 bis 40 Divisionen gehabt haben.“ Zit. n. Jochmann, Tischgespräche, S. 342 f. 6 Churchills Lächeln nach der Kriegserklärung zog weite Kreise. Peter de Mendelssohn machte in seiner Churchill-Biographie einen halbherzigen Versuch, den Fakt zu bestreiten: „Aber er lächelte – wenn er wirklich lächelte –, weil er genug Phantasie besaß, sich die kommenden Tränen vorzustellen“. Vgl. Mendelssohn, Churchill, S. 379. 7 Vgl. Spitzy, Bekenntnisse, S. 361. An anderer Stelle spricht Spitzy offen von Konspiration in Zusammenhang mit der englischen Regierung und von der bedenklichen Offenheit, mit der „der sehr nette Privatsekretär von Henderson“ ihm zum Abschied nach dem 3.9.39 noch „eine

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möglich, daß Spitzy im August 1939 auf Anweisung von Kordt ohne weiteres Aufsehen zu dessen Bruder Theodor Kordt nach London an die Botschaft fliegen konnte. Nach seinen Angaben hatte er den Auftrag, Kordt auszurichten, er solle den Engländern zum Aufbau einer Drohkulisse raten. Kordt sei daraufhin sofort mit dieser Nachricht zu Robert Vansittart gefahren.8 Nach Spitzys Rückkehr nach Berlin soll Henderson ihn nach seinen Angaben beschworen haben, sich weiter dafür einzusetzen, daß sich in Berlin die Erkenntnis von der englischen Kriegsbereitschaft verbreiten würde.9 Nun war diese damals offenbar mehrfach verbreitete Botschaft zweierlei ­Inhalts: Erstens: Die englische Regierung ist kriegsbereit, und Zweitens: Die deutsche Regierung, namentlich der Außenminister, wissen dies nicht oder wollen es leichtfertig nicht glauben. Wie wir gesehen haben, ist der zweite Punkt vollkommen unzutreffend. Ribbentrop und mit ihm Hitler glaubten im Gegenteil an einen englischen Kriegskurs und hielten ihn für geradezu unbeirrbar. Sie steuerten von einer Mischung aus – teilweise berechtigter – Angst und eigenen Ambitionen mehr gezogen als aus eigenem Wunsch auf eine Krisensituation zu. Sie sollte England zur Aufhebung der polnisch-französisch-englischen Dreierkoalition im Rahmen einer Konferenzlösung über die strittigen Fragen zwingen. Ein Mann wie Robert Vansittart, der frühere permanente Unterstaatssekretär im Foreign Office und jetzige Leiter der britischen Öffentlichkeitsarbeit zur Kriegsvorbereitung, den Kordt wie Spitzy als Gesprächspartner suchten, war nun gerade der Allerletzte, der vor einer solchen Krisensituation zurückgeschreckt wäre. Er verband mit diesem Szenario im Gegenteil die Chance zur Beseitigung des NS-Regimes durch dessen konservative Widersacher und die Revision der Territorialentscheidungen von 1938/39. Das bedeutete die Aussicht auf einen umfassenden Umsturz in Deutschland, dem aus seiner Sicht idealerweise eine Rückkehr zu den Verhältnissen aus der Zeit vor 1871 oder 1866 folgen sollte. Diese Radikalität in Teilen der englischen Führung scheint der innerdeutschen Opposition verborgen geblieben zu sein. Sie reihte sich damit in eine Tradition ein, die Winston Churchill bereits seit fast dreißig Jahren kannte. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er als damals Erster Lord der Admiralität die Berichte des langjährigen sozialdemokratischen Parteichefs August Bebel lesen können. Bebel versuchte die britische Führung in diesen Jahren mit Geheim­ informationen über die deutsche Rüstung und Finanzlage zu einem Wettrüsten zu motivieren, das nach seiner Ansicht nur Großbritannien gewinnen konnte. Der tiefere Grund für diesen Geheimnis- und Landesverrat lag in seiner Ablehnung des preußischen Staates, den er gegenüber seinen englischen Kontaktleuten für schrecklich und unreformierbar erklärte. Das Bessere, ja das Demokratische sah er Visitenkarte mit ppc und Abschiedsgruß“ gesandt habe, was wohl auch der Gestapo nicht entgangen sei. Vgl. Spitzy, Bekenntnisse, S. 379 f. 8 Vgl. Spitzy, Bekenntnisse, S. 362. Solche konspirativen Aufträge Kordts seien dann während des Krieges zur Regel geworden, berichtet Spitzy, allerdings intern für Verbindungen Kordt-Canaris oder Kordt-Weizsäcker. Vgl. Spitzy, S. 374 ff. 9 Vgl. Spitzy, Bekenntnisse, S. 364.

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im britischen Imperialismus verkörpert. Obwohl die regimekritischen Reisenden der Jahre 1938 und 1939 aus etwas anderen Motiven nach London kamen, mußten ihre Aktivitäten und insbesondere ihre Wirkung nach außen Bebels Vorgehen objektiv ähnlich sehen. Das nationalsozialistische Deutschland schaffte es so wenig wie das kaiserliche Reich, eine geschlossene Führungselite zu bilden. Landesverrat auch hoher Funktionäre war die Folge, was nicht nur deutsche Einzelinteressen bewußt schädigte, wie etwa die erfolgreichen Anstrengungen durch Ernst von Weizsäcker und Abwehrchef Canaris zeigten, den späteren Kriegseintritt Spaniens auf deutscher Seite zu verhindern. Auch ganz grundsätzlich mußte ein Staat, dessen politische Funktionseliten sich derart wenig mit ihm identifizierten, nach außen hin als schwach gelten. Es wäre in Großbritannien niemand auf die Idee gekommen, politische Differenzen auf Staatssekretärsebene oder als Oppositionsführer durch Landesverrat zum Ausdruck zu bringen. Verräter gab es auch dort, vorzugsweise Zuträger für die Sowjetunion, wie sich später herausstellte. Aber sie saßen doch einige Ebenen tiefer. Wer an entscheidender Stelle in London politisch in welchem Sinn dachte, das konnte man vielleicht in Hintergrundgesprächen ermitteln, wie Ribbentrop es nicht ohne Erfolg versucht hatte. Wer die Gegner waren und wie sie arbeiteten, hatte er berichtet, nicht ohne die Einschränkung zu machen, daß manche vielleicht nur zugeteilte Rollen spielten. Dieses Mißtrauen hatte weiterhin seine Ursachen. Vansittart wie Churchill wollten die Dinge bewußt auf die Spitze treiben, während Chamberlain und seine Umgebung noch immer einen Kompromiß mit dem Nationalsozialismus nicht ausschlossen, beispielsweise im Rahmen einer Konferenz. Ribbentrop seinerseits hatte mit dem Abschluß des Moskauer Vertrags die Rückendeckung der Sowjetunion für eine solche Konferenz gewonnen, an der neben den vier bekannten Münchener Mächten und Polen auch Stalin oder eine sowjetische Delegation teilnehmen konnte. Es blieb die Frage, ob das Abschreckungsszenario eines ansonsten drohenden Krieges eine solche Konferenz trotz der allseitigen Verpflichtungen zulassen würde. Tatsächlich hatte Großbritanniens Regierungschef Chamberlain in einem Schreiben an Hitler vom 22. August ein Treffen der Mächte nicht ausgeschlossen,10 allerdings mit zwei wesentlichen Änderungen gegenüber München: die Konferenz sollte direkte Verhandlungen zwischen Polen und Deutschland bringen, in denen andere Mächte nur als Vermittler fungierten und es müßte „jedes Abkommen bei seinem Abschluß von anderen Mächten garantiert werden.“11 Also sollte es keine zweideutigen Bestimmungen über den Kopf anderer hinweg geben, wie es noch in München der Fall gewesen war, sondern präzise Abmachungen zwischen den Beteiligten. Chamberlain wußte wohl, daß die Schwäche seiner eigenen Stellung in Großbritannien ein zweites „München“ im Alleingang nicht mehr zuließ. Einen Tag später hatte Hitler geantwortet und nach einem langen Lamento über die deut

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Vgl. Blaubuch, Dok. 56. Vgl. Blaubuch, Dok. 56.

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sche Verhandlungsbereitschaft, die englische Sturheit und die polnische Grausamkeit seine Verhandlungsbereitschaft unter diesen Bedingungen zu erkennen gegeben. Allerdings solle Chamberlain sehen, wie er Polen an den Verhandlungstisch bringe, denn „die Frage der Behandlung der europäischen Probleme im fried­lichen Sinn kann nicht von Deutschland entschieden werden, sondern in erster Linie von jenen, die sich seit dem Verbrechen des Versailler Diktats jeder friedlichen Revision beharrlich und konsequent widersetzt haben.“12 Damit war unter anderem Polen angesprochen, aber auch England selbst. Hitler wiederholte diesen Gedanken, er sei zu den bisherigen einseitigen Revisionsschritten nur durch die Verhandlungsverweigerung der Gegenseite gezwungen gewesen, auch in anderen Schreiben, etwa an Frankreichs Regierungschef Daladier. Auf britischer Seite gab es kein Mittel, Polen zur Teilnahme an einer solchen Konferenz zu zwingen. Ein solcher Zwang wäre aber wohl nötig gewesen, denn in Warschau ließ man seit dem Monatswechsel von März/April den radikalen Elementen freien Lauf und steigerte die polnische Öffentlichkeit immer mehr in eine Kriegsstimmung hinein. Der neue Vorsitzende der Nationaldemokraten, Kazimierz Kowalski forderte Ende April 1939 in einer später vielzitierten Rede bereits die Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze nach dem nächsten Krieg.13 Diese radikale Wortwahl war auch keineswegs durch die damals allerneueste Entwicklung verursacht, nämlich der Feststellung des deutschen Staatschefs, daß Polen uind England mit ihrem Offensivbündnis gegen Deutschland die bestehenden Nichtangriffs- bzw. Flottenabkommen verletzt und nichtig gemacht hätten. Zwei Wochen vorher hatte Kowalski ganz ähnlich gesprochen14 und das erste Mal bereits Anfang des Monats in Lodz.15 Sein Parteifreund Jedrzej Giertych griff dies auf und veröffentlichte während des Sommers eine Artikelserie unter dem Titel „Polnische Gebiete unter Deutscher Herrschaft“ in der er unter anderem forderte: „Nach dem bevorstehenden Krieg, …, sollte Polen Danzig, Ostpreußen, Oberund Zentral – Schlesien einschließlich Breslau und Zentral – Pommern einschließlich Kolberg annektieren; Polen sollte außerdem eine Reihe von Pufferstaaten unter seiner Protektion und Herrschaft entlang von Oder und Neiße gründen.“16 Ribbentrop konnte der polnischen Presse noch weitergehende Forderungen entnehmen. Radikale Verfechter des polnischen Westgedankens vertraten schon seit längerem die Ansicht, in der Antike seien die Römer am Rhein nicht auf germanische Stämme getroffen, sondern auf die slawischen Vorfahren Polens. Folgerichtig

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ADAP, Serie D, Bd. VII, Dok. 201. Vgl. Kowalski, Polska, passim. 14 Vgl. „Wszechpolak“ Nr.  12 vom 9./16.4.1939, sowie Kotowski, Nationaldemokratie, S. 179, mit archivalischen Angaben für den Fundort des Artikels. 15 Dies wurde von der deutschen Presse damals sofort aufgegriffen, während die britische Botschaft wie üblich versuchte, diese Rede als unwichtig herunterzuspielen. Vgl. BDFA, II, F, Vol. 58, S. 102, Bericht von Kennard an Halifax vom 8. April 1939. 16 Dokumentiert von Giertych, J.: Pol wieku polskiej polityki, (1947), S.  180/181, zit. n. Terry, Polands Place, S. 32.

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wurde in der Stimmung des Sommers 1939 in der Presse nicht nur Berlin, sondern auch Köln zur polnischen Stadt erklärt, wie JvR dem Danziger Völkerbundkommissar Burckhardt aufgebracht vorhielt.17 Das streifte zwar die Lächerlichkeit nicht nur, aber es war auch Ausdruck eines radikalen politischen Willens, der jetzt seine Chance suchte.18 Der englischen Politik dagegen waren durch die eigene förmliche Garantie Polens, den bewußt einen militärischen Schlagabtausch einkalkulierenden Kriegskurs der Warschauer Führung, aber auch durch die gewachsene Entschlossenheit der öffentlichen Meinung in England die Hände gebunden. Winston Churchill, Wickham Steed und die Öffentlichkeitsarbeit des „Focus“-Netzwerks hatten in den vergangenen drei Jahren große Erfolge erzielen können. In dieser Lage verfiel Premier Chamberlain auf den Ausweg, die USA ins Spiel zu bringen. Am 23. August traf sich Sir Horace Wilson auf seine Veranlassung hin mit dem amerikanischen Botschafter Joseph Kennedy. Kennedy meldete den britischen Plan unverzüglich telefonisch nach Washington: „Die Briten erwarten von uns dies und nur dies, nämlich daß wir Druck auf die Polen ausüben. Sie spüren, daß sie dank ihrer Verpflichtungen nichts derartiges tun können, aber wir könnten es.“19 Das war nun wirklich das Gegenteil von dem, was Präsident Roosevelt zur offiziellen Politik der USA erklärt hatte, als er im Januar des Jahres die „Unabhängigkeit einer großen Zahl von Staaten“ in Osteuropa zum vitalen Interesse der Vereinigten Staaten zählte. Der Präsident hatte wenig Neigung dazu, Deutschland durch weitere Erfolge zu stärken und schon gar kein Verlangen danach, zu diesem Zweck Druck auf Polen auszuüben, da die amerikanische Politik die polnische Regierung seit dem Frühjahr 1939 zu einer gegen Deutschland gerichteten Politik ermutigte. Unmittelbar nach der Unterzeichnung des sowjetisch-deutschen Geheimabkommens über die Abgrenzung der Interessensphären war dessen Inhalt wie gesagt durch Verrat aus der deutschen Botschaft bekannt geworden. In Wash­ ington kannte man also dessen Bestimmungen und war selbstredend nicht der Ansicht, daß es zu den Aufgaben des amerikanischen Präsidenten gehöre, diese deutsch-russischen Verabredungen durch amerikanischen Druck auf Polen politische Wirklichkeit werden zu lassen. Chamberlains Plan wurde abgewiesen. Wenn man Kennedys Bericht glauben kann, wußte der Premier schon jetzt, was die Konsequenz sein würde: „Er sagt, daß es die Nutzlosigkeit aller Bemühungen wäre, die so schrecklich sei; sie können die Polen schließlich nicht retten, sie können nur einen Vergeltungskrieg durchführen, der die Zerstörung ganz Europas zur Folge



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Vgl. Burckhardt, Mission, S. 294. Ein Beispiel ist die 1938/39 publizierte, reich bebilderte und illustrierte Polemik Josef ­Kisielewskis, die weite Teile Deutschlands als historisch polnisch reklamiert und in der Einführung ebenfalls den Rhein als verlorenes Gebiet aufführt. Vgl. Kisielewski, Ziemia gromadzi prochy, S. 12. 19 Moffat, Papers 1919–43, 1956, S. 253; Cordell Hull, Memoirs, Bd. 1, S. 662; zit. n. ­Taylor, Ursprünge, S. 312.

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haben wird.“20 In dieser Stimmung bot Chamberlain am 24. August 1939, einen Tag nach Kennedys Stimmungsbericht, seinen Rücktritt an.21 Von seiten des Königshauses wurde diese Entscheidung aber nicht akzeptiert. Chamberlain hatte kein Interesse, als Regierungschef diesen Krieg zu führen, den er nicht, oder jedenfalls nicht unter diesen Umständen angestrebt hatte und von dem er annahm, daß ihn auch sein deutscher Widerpart nicht wollte. Wenn dieser Krieg aber noch zu verhindern war, dann in erster Linie durch ein vertrauensbildendes internationales Abkommen, für dessen Abschluß aber gerade Chamberlain innenpolitisch nicht mehr den nötigen Rückhalt hatte. In gewisser Weise stellte die Denunzierung seiner Politik als schwaches „Appeasement“ jetzt das Kapital dar, mit dem die englische Kriegspartei eine englische Kriegserklärung durchsetzen konnte und Großbritannien doch gewissermaßen als die angegriffene Nation dastehen würde. Ein Rücktritt hätte dieses Kapital gefährdet. Chamberlain mußte bleiben. Einstweilen ließ sich die britische Regierung solche Ereignisse hinter den Ku­ lissen nicht anmerken. Nach Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts hatte sich die britische Position offiziell nicht geändert, wie Chamberlain seinen Staatssekretär des Auswärtigen im Oberhaus erklären ließ.22 Es wurden direkte deutsch-polnische Verhandlungen gefordert, eventuell unter britischer Beteiligung und nachfolgender internationaler Garantie des Ergebnisses. Allerdings ergänzte die englische Regierung das wechselseitige Garantieversprechen mit der Republik Polen nun am 25. August um einen förmlichen Bündnisvertrag, der ebenfalls ein Geheimabkommen enthielt. Als möglicher Feind wurde im Geheimabkommen ausschließlich Deutschland genannt.23 Dies stellte eine Einschränkung des bishe 20 Kennedy an Hull, 23. August 1939 in: „Papers relating to the Foreign Relations of the United States“ 1939, Bd. 1. 21 Vgl. Nicolson, Tagebücher, S. 339, 24. August 1939. 22 Vgl. Blaubuch, Dok. 65. 23 Vgl. Hofer, Entfesselung, Dok. 31 und Dok. 32, S.  196 ff. Dort der Text des Bündnis­ vertrags und des Geheimabkommens. Interessanterweise sind die Meldungen der deutschen Botschaft in London über den Abschluß des Bündnisabkommens von den alliierten Heraus­ gebern der ADAP trotz Vorliegens dort nicht abgedruckt worden. Statt dessen verweisen die Herausgeber auf die nationalsozialistische Publikation ‚Dokumente der Deutschen Politik‘, die aus naheliegenden Gründen nur den offiziellen Bündnistext enthält, nicht das Geheimabkommen. Vgl. ADAP, D, VII, S. 253, Anmerkung der Herausgeber, bzw. DDP 7/1, Nr 23b, S. 120, Anm. 3. Der britisch-polnische Pakt sollte ab dem Tag der Unterzeichnung für fünf Jahre gelten. Er wurde 1944 von der britischen Regierung nicht verlängert. Vgl. Jędrzejewicz, Parliament, II, S. 418, Erklärung von Außenminister Eden auf eine Anfrage des konservativen Abgeordneten Bullock am 9. März 1944. Diese Erklärung fehlt in der von Stephen King-Hall 1945 herausgebrachten Sammlung von Äußerungen des britischen Parlaments zu polnischen Themen, obwohl der Herausgeber ausdrücklich einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Vgl. King-Hall, Parliament, Preface. Das immer noch verschwiegene Geheimabkommen stellte nach der Nichtverlängerung des Paktes weiterhin ein politisches Problem dar. In der Sitzung des Kriegskabinetts vom 22. März 1945 sprach Eden dann von „Briefen, die in den vergangenen Jahren gewechselt worden sind und die peinliche Erklärungsnöte hervorrufen würden, wenn die Polen sie veröffentlichen sollten“. Vgl. http://www.nationalarchives.gov.uk/documents/ cab_195_3_transcript.pdf, zuletzt eingesehen am 5.5.2012.

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rigen Garantieversprechens vom März 1939 dar, das im Prinzip auch für einen sowjetischen Angriff auf Polen gegolten hätte. Gewissermaßen zum Ausgleich behielt das neue Abkommen samt seinem geheimen Zusatz eine weiter sorgfältig formulierte Lizenz für eine mögliche polnische Offensive gegen Deutschland. Zwar galt es offiziell nur für den Fall eines Angriffs „einer europäischen Macht“ auf einen der Vertragspartner, doch wurde unter „Angriff“ nicht weniger als „irgend­eine Aktion (sic) einer europäischen Macht“ verstanden, die „direkt oder indirekt (sic) die Unabhängigkeit einer der Vertragsparteien bedroht und so geartet ist, daß die betreffende Partei den bewaffneten Widerstand als von lebenswichtiger Bedeutung erachtet.“24 Unter diesem Punkt sollte ausdrücklich der „Fall“ Danzig verstanden werden, wie das Geheimabkommen festlegte. An anderer Stelle dehnte es diese Bestimmung auf dritte Länder und Gebiete aus, deren „Unabhängigkeit und Neutralität“ gefährdet werden könnte und nannte ausdrücklich Belgien, Holland und Litauen als mögliche „Fälle“. Um noch einmal sicherzustellen, daß kein militärischer deutscher Angriff nötig war, um den casus belli herzustellen, sprach ein Artikel noch die Gefährdung der Unabhängigkeit einer der Vertragsparteien durch den Versuch einer „wirtschaftlichen Durchdringung“ oder „auf irgendeine andere Weise“ (sic) als Kriegsgrund an.25 „Irgendein“ Kriegsgrund würde sich bei Bedarf auf dieser Liste immer finden lassen. Ganz besonders der nur insgeheim eingeschlossene „Fall Danzig“ mit seiner rein nationalsozialistischen Regierung und dem steten Streit um dort stattfindende wirkliche oder angebliche Schikanen zwischen Polen und Deutschen ließ den Krieg jederzeit möglich werden. Dieser Punkt war von besonderer Brisanz. Wenn diese geheime Absprache irgendeinen Sinn haben sollte, dann konnte es nur der sein, jede Beschränkung polnischer und/oder Erweiterung deutscher Rechte in Danzig als Kriegsgrund anzusehen. Eben dies aber wurde von der eng­ lischen Regierung in den folgenden Tagen gegenüber der deutschen Regierung immer wieder bestritten. Danzig wurde als mögliches Verhandlungsobjekt angesehen und schließlich der Gegenstand der von Ribbentrop am 31. August vorgetragenen Verhandlungsvorschläge. Dieses doppelte Spiel, Danzig offiziös zum Verhandlungsobjekt werden zu lassen, während insgeheim eine absolute Garantie der polnischen Interessen in Danzig abgegeben worden war, konnte die Krise in keinem Fall entschärfen, sondern verstärkte notwendig den bestehenden deutsch-polnischen Gegensatz. Wenn diese Krise entschärft werden sollte, hätte eine Äußerung Eden sprach sich an gleicher Stelle für eine Veröffentlichung des Geheimprotokolls aus, was im Jahr 1945 unter der Herausgeberschaft des Foreign Office als Cmd. 6616 geschah, als „Agreement between the Government of the United Kingdom and the Polish Government regarding Mutual Assistance, (with Protocol)“. Bei der Erstveröffentlichung im Jahr 1939 (Cmd. 6144) war das Geheimprotokoll weggelassen worden. Erstmals abgedruckt wurde das Geheimprotokoll schließlich in dem Arnold Toynbee herausgegebenen Band „Documents on International Affairs“, London 1951, S. 469 f. 24 Zit. n. Hofer, Entfesselung, S. 197. 25 Vgl. Hofer, Entfesselung, S. 197.

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aus London etwa lauten können, daß man angesichts der Aufregungen der letzten zwei Jahre keine weiteren Änderungen des Status quo wolle und als Signatar­macht des Versailler Vertrags und damit Wahrer der Freien Stadt Danzig die gegenwärtigen Verhältnisse im internationalen Interesse nicht ändern wollte, bis sich die Lage beruhigt habe. Alles in allem zeigte der neue englisch-polnische Vertrag, daß Ribbentrops Moskauer Auftritt in London anscheinend wenig Eindruck hinterlassen hatte. Immerhin stand offiziell ein gewisses englisches Verhandlungsangebot im Raum, dessen Gehalt erst noch zu prüfen war. Angesichts des Inhalts des polnischenglischen Geheimabkommens gab es allerdings faktisch keinerlei Verhandlungsmöglichkeit mehr. Dies verdient jedoch zunächst festgehalten zu werden, um die folgenden Tage richtig einordnen zu können. Am Morgen des 25. August gab es in Anwesenheit Ribbentrops eine Erklärung Hitlers gegenüber dem britischen Botschafter Henderson. Hitler wiederholte darin noch einmal mehrfach den „Risikogedanken“ und die notwendige Schwächung Englands für den Fall eines wie auch immer verlaufenden britisch-deutschen Krieges, die durch den neuen deutsch-russischen Vertrag noch größer ausfallen würde als vorher. Zum Abschluß schlug er nichts anderes als eine deutsch-britische Variante des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts vor. Er „wolle heute England gegenüber einen Schritt unternehmen, der genau so entscheidend sei wie der Schritt Rußland gegenüber, der zu der kürzlichen Vereinbarung geführt habe.“26 Damit Henderson den gedanklichen Hintergrund des Angebots begriff, verwies Hitler auf die globalen Größenverhältnisse: „Die Behauptung, daß Deutschland die Welt erobern wolle, ist lächerlich. Das Britische Imperium umfaßt 40 Millionen qkm, Rußland 19 Millionen qkm, Amerika 9 1/2 Millionen qkm., während Deutschland noch nicht 600000 qkm umfaßt. Wer also die Welt erobern will, ist klar.“27

Die Botschaft war ebenfalls klar: Deutschland ist klein und will und wird es bleiben. Das weltweite Gleichgewicht der Kräfte oder das britische Empire wird nicht von ihm bedroht. Im Gegenteil ist Deutschland andererseits bereit und in der Lage, Großbritannien Hilfe zuzusichern „ganz gleich, wo immer eine derartige Hilfe erforderlich sein sollte.“28 Als Gegenleistung erwartete Hitler das englische Zugeständnis zu seiner Auffassung, das „Problem Danzig und Korridor“ müßte gelöst werden, ohne direkt zu sagen, wie es aus seiner Sicht gelöst werden sollte. Henderson registrierte dies nur eingeschränkt. Sein Gesprächsbericht, den er am gleichen Tag nach London schickte, zusammen mit einer schriftlichen Fassung von Hitlers mündlicher Mitteilung, die Ribbentrop ihm später in die Botschaft nachgeschickt hatte,29 erwähnte jedenfalls Hitlers Vergleich des sowjetisch-deut

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Vgl. ADAP, D, VII, Dok. 265, S. 234. Ebd., ADAP, D, VII, Dok. 265, S. 234. 28 Vgl. ADAP, D, VII, Dok. 265, S. 235. 29 Vgl. Blaubuch, Dok. 69.

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schen Pakts mit dem möglichen britisch-deutschen Abkommen ebensowenig wie dessen „persönliche Garantie“ des britischen Empire. Henderson konzentrierte sich ausschließlich auf die deutsch-polnischen Probleme. Hitler, der „mit größtem Ernst und augenscheinlicher Aufrichtigkeit“ gesprochen habe, „habe nicht den Wunsch, in irgendeiner Abmachung mit Polen engherzig zu sein“, und „alles was er zu einem Abkommen mit Polen brauche, sei eine Geste Großbritanniens, die zeige, daß es nicht unvernünftig sein werde“.30 Auch sonst hatte Hitler den Briten zu überzeugen versucht, daß der Impuls für eine Regelung mit Polen von England ausgehen müsse. Direkte deutsch-polnische Verhandlungen, wie Henderson sie ins Spiel brachte, lehnte er nicht ab, erklärte sie aber für sinnlos: „Er anerkannte die guten Absichten von Herrn Beck und Herrn Lipski, sagte aber, daß sie keinen Einfluß hätten auf das, was in Polen geschehe.“31 Tatsächlich läßt sich wie gesagt kaum vorstellen, worüber zu diesem Zeitpunkt zwischen Deutschland und Polen hätte verhandelt werden sollen. Hitler deutete hier gegenüber Henderson an, Danzig fordern zu wollen, was die englische Regierung der polnischen Regierung an eben diesem Tag schriftlich als einen möglichen Kriegsgrund gegen Deutschland zugesichert hatte. Henderson wußte dies vielleicht nicht, er sagte es jedenfalls nicht. Josef Beck, der Lenker der außenpolitischen Geschäfte in Warschau, war entschlossen, von Deutschland weder Angebote noch Ultimaten noch sonst irgendwelche Papiere entgegenzunehmen und instruierte Botschafter Lipski entsprechend. Diese Linie hielt er bis zum Kriegsausbruch durch, ohne daß in London ihre innere Logik von allen begriffen worden wäre. Noch am 1.  September, kurz nach Mitternacht, telegrafierte Außenminister ­Halifax nach Warschau, er „sehe nicht ein, warum die polnische Regierung es schwierig finden sollte, den Polnischen Botschafter zu ermächtigen, ein Dokument von der deutschen Regierung anzunehmen.“32 Der Kontrast zwischen dem Selbstbewußtsein Polens und der Abhängigkeit der Tschechoslowakei von westlichem Zuspruch war in der Tat groß. Josef Beck war angesichts der Situation optimistisch. Die politischen Manöver des Reichskanzlers zeigten nur „wie verzweifelt die Situation Hitlers“ sei, ließ er verlauten.33 Wie zutreffend diese Beobachtung war, zeigte sich am Spätnachmittag des 27. August, als Hitler bei einem Treffen der inzwischen für den Ernstfall versammelten Reichstagsabgeordneten über den „Ernst der Situation“ sprach. Im weiteren erklärte er, sich nur mit Danzig und Korridor als „Mindestforderung“ zufrieden geben zu wollen und andernfalls Krieg führen zu wollen. Dieser Krieg, so ließ er die schockierten Abgeordneten dann wissen, „würde schwer, vielleicht sogar aussichtslos (sic), dann sei Untergang in Ehren der Kapitulation



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Ebd., Dok. 69. Ebd., Dok. 69. 32 Vgl. Blaubuch, Dok. 100. 33 Zit. n. Fest, Hitler, S. 808.

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vorzuziehen.“34 Deutschlands Staats- und Parteichef hatte sich in die Ausweglosigkeit der Situation angesichts der von ihm vermuteten englisch-polnischen Angriffsdrohung so weit hineingesteigert, daß er den versammelten Deutschen Reichstag schließlich fast unverblümt um den eigenen Tod bat: „So lange ich lebe, wird von Kapitulation nicht gesprochen. Wenn einer von Ihnen glaubt, daß ich nicht nur aus Liebe zu Deutschland handle, so gebe ich ihm das Recht, mich nieder­ zuschießen.“35

Bemerkenswerterweise fand sich unter all den zahlreichen Attentätern auf ­ itler, seien sie politische Oppositionelle aller Richtungen oder Putschisten aus H den Reihen der Streitkräfte gewesen, nie jemand, der einfach eine Waffe in die Hand genommen und geschossen hätte. Es existierten Entwürfe zu Bombenattentaten und mehrere wurden auch ausgeführt. Pläne für Giftgasattacken wurden geschmiedet, aber kein Schütze irgendeiner politischen Provenienz schoß bei den zahllosen Gelegenheiten, wenn Hitler etwa im offenen Wagen durch große Menschenmengen fuhr. Kein Offizier oder Parteimitglied hob die Pistole, die er mühe­ los zu einem Empfang hätte mitbringen können, wie auch der Bombenattentäter Stauffenberg seine Bombe mehrmals ins Hauptquartier mit- und wegen der für ein Attentat unbefriedigenden Zusammensetzung der Anwesenden auch wieder herausbrachte. Hitler, der in den späteren Kriegsjahren offenbar zunehmend verwundert war, überhaupt noch am Leben zu sein,36 kam nach dem schließlich gescheiterten Bombenattentat vom 20. Juli 1944 ziemlich wörtlich auf seine Erschießungsbitte von 1939 zurück: „Sie haben nichts von Revolutionären, diese Verschwörer, sie sind nicht einmal Rebellen. Wenn Stauffenberg eine Pistole gezogen und mich niedergeschossen hätte, dann wäre er noch ein Mann gewesen. Was er getan hat, war feige.“37

„Hat man denn keinen Hauptmann mit einer Pistole gehabt?“, soll Erwin Rommel nach dem 20. Juli ebenfalls gefragt haben. In der Tat hatte „man“ keinen und scheute kollektiv die offene Tat. Auch der Reichstag ließ am 27. August 1939 seine Waffen, so weit mitgebracht und vorhanden, in der Tasche. Die Abgeordneten kommentierten den Auftritt des Staatschefs, der zugleich den Nichtangriffspakt mit der UdSSR als Ausdruck der verzweifelten Situation und als „Pakt mit dem Satan, um den Teufel auszutreiben“ rechtfertigte, mit lediglich „schwachem, pflichtschuldigem Applaus.“38

34 Zit. n. Groscurth, Tagebuch, S. 190. Der bei der Rede nicht anwesende Groscurth beruft sich für die Zitate auf zwei nicht genannte „Gewährsleute“. 35 Zit. n. Groscurth, Tagebuch, S. 190, 27. August 1939. 36 Die Rundfunkrede nach dem 20. Juli eröffnete er mit den Worten: „Ich weiß nicht, zum wievielten Male nunmehr ein Attentat auf mich geplant und zur Ausführung gekommen ist.“ Zit. n. Domarus, Hitler II, S. 2127. 37 Überliefert von seinem Diener Linge, hier zit. n. Domarus, Hitler, II, S. 2126. 38 Zit. n. Groscurth, Tagebuch, S. 190, 27. August 1939.

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Politisch gesehen, gingen Hitler und Ribbentrop in diesen Tagen daran, den angeblichen Hauptmangel der deutsch-britischen Gespräche zu beseitigen, das Fehlen von konkreten Vorschlägen. Da Henderson am Morgen des 26.  August nach London geflogen war, um an einer britischen Antwort auf Hitlers münd­ liche Mitteilung vom Vortag mitzuarbeiten, schaltete man den eben von dort zurückgekehrten schwedischen Kontaktmann Birger Dahlerus ein. Dahlerus, der als schwedischer Unternehmer über die Bekanntschaft mit Hermann Göring und seine geschäftlichen Kontakte nach Großbritannien in die Rolle eines neutralen Vermittler hineingewachsen war, wurden schon am Abend des gleichen Tages von Hitler persönlich sechs konkrete Vorschläge für einen kombinierten deutsch-englischen und deutsch-polnischen Ausgleich vorgestellt. Punkt eins wiederholte noch einmal das Angebot Deutschlands zu einem umfassenden Bündnis, Punkt zwei forderte Danzig und den Korridor für Deutschland, während Gdingen polnisch bleiben sollte, seinerseits einen Korridor erhalten würde und in Danzig ein polnischer Freihafen einzurichten sei, Punkt drei bot die Garantie der neuen polnischen Grenzen an, Punkt vier wiederholte die gegenüber Henderson am Vortag angedeuteten Kolonialforderungen, Punkt 5 forderte Garantien für die in Polen verbleibenden deutschen Minderheiten, Punkt 6 schließlich wiederholte die Erklärung, Deutschland verpflichte sich, das Empire mit der Wehrmacht zu schützen.39 Schon am Mittag des 27. August legte Dahlerus diese Vorschläge in London vor. Chamberlain, Halifax und der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Sir Alexander Cadogan empfingen ihn und waren über den Inhalt seiner Botschaft einigermaßen irritiert, bezweifelten anfangs sogar die Echtheit des Textes. Nachdem Dahlerus die Briten von dem Gehalt seiner Nachricht überzeugt hatte, entschloß man sich, zunächst ihn mit einer Stellungnahme nach Berlin zu schicken, um die Stimmung zu testen. Erst später sollte Botschafter Henderson die offizielle Antwort nachliefern. Was Dahlerus nun am Abend des 27. August 1939 aus London mitbrachte, schien vordergründig die Krise zu entspannen. Die britische Regierung akzeptierte den Wunsch nach einem allgemeinen Abkommen mit Deutschland (Punkt 1) und wies lediglich die deutsche Garantie für das Empire (Punkt 6) höflich, aber bestimmt zurück. Sie sei nicht mit dem Ansehen und dem Interesse des britischen Reiches vereinbar, hieß es. Wie sich dies dazu verhielt, daß Polen gerade offiziell als Garantiemacht der britischen Souveränität anerkannt worden war, blieb ungesagt. Ein deutscher Anspruch auf Kolonien sei nicht gegeben, aber man könne darüber verhandeln, wenn sich die Lage entspannt habe (Punkt 4). Eine deutsche Garantie der neuen (sic) polnischen Grenzen sei nicht ausreichend und durch eine internationale Garantie (Großbritannien, Frankreich, Italien, Sowjetunion, Deutschland) zu ersetzen (Punkt 3). Die genauen Regelungen über die Danzig/Korridor Frage und die Minderheiten (Punkte 2 und 5) seien zwischen Polen und Deutschland auszuhandeln.



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Vgl. Dahlerus, Versuch, S. 69 ff.

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Hitler nahm dieses Angebot sofort an, nicht „überraschenderweise“, wie ge­ legentlich geschrieben wurde,40 sondern unter diesen Umständen völlig logisch und in Linie mit seiner Politik der letzten Monate. Auch kam er dem angeblich dringendsten britischen Wunsch entgegen und erklärte sich zu direkten polnischdeutschen Verhandlungen bereit. In den nächsten Tagen mußte sich zeigen, an wem eine Verhandlungslösung scheitern würde. An ihm sollte sie jedenfalls möglichst demonstrativ nicht scheitern. Vorläufig übermittelte Dahlerus die deutsche Zustimmung nach London und gab damit grünes Licht für Henderson, eine gleichlautende offizielle Antwort der britischen Regierung zu überbringen. Damit lag der Schwarze Peter in London. Am 28. August, um 14.00 Uhr, forderte Halifax den britischen Botschafter in Warschau Sir Howard Kennard daher auf, eine entsprechende Erklärung Polens beizubringen. Tatsächlich stimmte Außenminister Beck danach zwar zu, „daß die Reichsregierung benachrichtigt werde, Polen sei zu Verhandlungen bereit“.41 Er behielt sich aber sicherheitshalber vor Beginn solcher Verhandlungen die Klärung der Frage vor, was denn unter dem Ausdruck „internationale Garantie“ zu verstehen sei. So war etwas Zeit gewonnen. Henderson konnte also am Abend des 28. August die offizielle Antwort Englands und die formal vorhandene polnische Verhandlungsbereitschaft übermitteln. Hitler und Ribbentrop empfingen ihn um 22 Uhr 30. An dieser Antwort war manches merkwürdig. Der Text begann schon mit einem leichten Affront, indem er Hitlers Vorstellungen ignorierte, die Dahlerus am Tag zuvor in London vorgetragen hatte. Statt dessen betitelte er sich selbst als: „Antwort der Regierung Seiner Majestät vom 28. August auf die Mitteilungen des Deutschen Kanzlers vom 23. und 25. August 1939“.42 Im weiteren bog die Mitteilung sorgfältig um jeden greifbaren Inhalt herum. Es müsse „im voraus“ feststehen, daß „ein erzieltes Abkommen von anderen Mächten garantiert werden würde.“ Kein Wort darüber, wer solche Mächte sein könnten, außer daß England seine Teilnahme zusicherte, oder wie die Garantie aussehen sollte. Die Sicherstellung der „unentbehrlichen Interessen Polens“ sei eine weitere Grundlage der Verhandlungen, aber es fiel kein Wort über den Umfang dieser Interessen, obwohl doch die britische Regierung den Umfang dieser Interessen drei Tage vorher im Geheimabkommen genau beschrieben hatte. Und so ging es weiter: kein Wort zu Hitlers Forderungen nach Kolonien, kein Wort zu seiner „­Garantie“ des Empire, nur eine vage Zusage zu deutsch-britischen Gesprächen – so bald wie möglich – und eine ebenso vage Aussage über deren möglichen Inhalt: erfordert eine genauere Umschreibung. Das war offenkundig dürftig, und Henderson mußte dies selbst bemerkt haben, denn er schob eilig „gewisse Bemerkungen“ nach, wie er es selbst in seinem Bericht nach London nannte, oder „erläuterte die einzelnen Punkte noch einmal

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Vgl. Hofer, Entfesselung, S. 313. Weißbuch der Polnischen Regierung, Dok. 96. 42 Blaubuch der britischen Regierung, Dok. 64.

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mündlich, ohne dem Inhalt wesentlich Neues hinzuzufügen“, wie es der deutsche Gesprächsbericht vermerkt.43 Jedenfalls versickerte der Dialog in Disputen über die Rolle Blüchers bei Waterloo, die „Treue“ Englands, die politische Stärke Chamberlains, Hendersons Privatmeinung über die Ursache der seit 1919 entstandenen polnischen Bevölkerungsmehrheit im Korridor und weiteres mehr. Der über diesen Auftritt einmal mehr über die britische Politik ernüchterte Hitler betonte wohl deshalb „daß er nicht bluffe“, wie Henderson nach London meldete. Als Antwort fiel ihm nichts anderes ein als die Versicherung, „daß wir auch keine Komödie spielten.“44 Es mochte diese Stelle gewesen sein, an der Ribbentrop beruhigend eingreifen mußte, da Henderson ganz undiplomatisch mit der Hand auf den Tisch schlug und Hitler ihn deshalb hinauswerfen wollte.45 Nachdem Hitler gegen Ende noch einmal den Versuch machte, konkret zu werden und Henderson direkt auf ein deutsch-britisches Bündnis ansprach, ohne Neues zu erfahren („nicht ausgeschlossen“46) und mit dem gleichen Ergebnis die Kolonialfrage ins Spiel brachte („Konzessionen lassen sich in einer guten Atmosphäre leichter machen als in einer schlechten“47), wich er weiteren Fragen Hendersons aus und versprach seinerseits eine formelle Antwort, unter anderem auf die Frage nach deutschpolnischen Verhandlungen für den nächsten Tag. Der Nervenkrieg ging in die nächste Runde. Konkrete Forderungen Deutschlands in Bezug auf Danzig und die Regelung der Korridorfrage mußten nun so gestaltet werden, daß die internationale Öffentlichkeit in sie nicht den Versuch hineindeuten konnte, einen Krieg zu erzwingen. Zugleich mußte eine allgemeine Komponente enthalten sein, aus der das weiterhin erwünschte gute Verhältnis zum britischen Emipre und die internationale Situation hervorging. Den beiden Staaten, denen Hitler und Ribbentrop die Absicht unterstellten, Deutschland anzugreifen, sollte der Vorwand genommen werden, aber auch die Gelegenheit. In Abwehroffizier Helmuth Groscurths Tagebuch findet sich eine aus dritter Hand überlieferte und von den Herausgebern mit diesen Überlegungen in Verbindung gebrachte Äußerungen Hitlers: Er werde sich für die Polen etwas ausdenken, an dem sie krepieren würden. So sollte es ein Angebot werden, das offiziell nicht abgelehnt werden konnte. Nach einem einzigen, allgemein gehaltenen Satz zum deutsch-englischen Verhältnis folgte im schließlich an Henderson übergebenen Text ein kurzer Überblick über die deutschen Verhandlungsbemühungen mit Polen seit dem Herbst 1938, begleitet von einem allgemein gehaltenen Lamento über die „unerträglichen Zustände“ an der deutsch-polnischen Grenze und die Ungerechtigkeit von Versailles. Hitler und Ribbentrop akzeptierten gleichzeitig die britische Forderung nach einer internationalen Garantie der polnischen Grenze, brachten aber nachdrücklich die Sowjetunion ins Spiel, da die Reichsregierung „im Falle einer Neugestal

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ADAP, Serie D, Bd. VII, Dok. 384. Blaubuch, Dok. 76. 45 So Ribbentrop in einer Nachkriegsaufzeichnung, hier n. Krywalski, Niederschriften, S. 737. 46 Vgl. Blaubuch, Dok. 75. 47 Vgl. Blaubuch, Dok. 76.

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tung der territorialen Verhältnisse in Polen nicht mehr in der Lage wäre, ohne Hinzuziehung der Sowjetunion sich zu Garantien zu verpflichten oder an Garantien teilzunehmen.“48 Nun konnte er sich denken, an welche Grenzen Stalin dabei denken würde. So liest sich dieser Hinweis als erneuter Versuch, nach dem absehbaren Scheitern der polnisch-deutschen Verhandlungen am polnischen Widerstand eine internationale Konferenz über Polen zustande zu bringen, deren Ergebnisse durch das Geheimprotokoll des sowjetisch-deutschen Nichtangriffspakts schon präjudiziert waren. Mitten in diesen englisch-deutschen Verhandlungsumtrieben hatte Ribbentrop am 29.8. den russischen Geschäftsträger Ivanov empfangen und ihm die deutsche Verhandlungsbereitschaft mit Polen erklärt. Er überbrachte zusätzlich eine Botschaft Hitlers, „Nie mehr Konflikt mit Rußland. Bedingungslos, radikal, endgültig auf lange Zeit Pakt mit Rußland. Deutschland ginge auf keine internationale Konferenz ohne Rußland.“49

Gegenüber der britischen Regierung erklärte sich „die Deutsche Reichsregierung unter diesen Umständen daher damit einverstanden, die vorgeschlagene Vermittlung der Königlich Britischen Regierung zur Entsendung einer mit allen Vollmachten versehenen polnischen Persönlichkeit nach Berlin anzunehmen. Sie rechnet mit dem Eintreffen dieser Persönlichkeit für Mittwoch, den 30. August 1939.“50 Als Henderson auf die Idee kam, „daß dieser Satz nach einem Ultimatum aussehe“,51 „versicherten mir nach einigen hitzigen Bemerkungen Herr Hitler und Herr von Ribbentrop beide, daß damit bloß bezweckt sei, die Dringlichkeit des Augenblicks zu betonen.“52 Nun hatte die britische Regierung also erreicht, was sie nach eigener Aussage angestrebt hatte: Direkte deutsch-polnische Verhandlungen waren von deutscher Seite verbindlich (inklusive Termin, Ort und Verhandlungsgegenstand) zugesagt. und konnten eine Entspannung der Lage bringen. Überraschend schnell sollte sich allerdings zeigen, daß Henderson mit Zitronen gehandelt hatte: Da die polnische Regierung sie nicht wollte und das mit England unterzeichnete Geheimabkommen diesen Verhandlungen den Boden entzogen hatte, würde es diese Verhandlungen nicht geben. Die Londoner Regierung leistete zusätzlich einen eigenen Beitrag dafür, daß es keine Verhandlungen geben würde, denn Außenminister Halifax entschied, daß die deutsche Forderung nach Gesprächen mit einem polnischen Bevollmächtigten gar nicht nach Warschau übermittelt wurde. Nevile Henderson war dieser Alibidiplomatie offenkundig selbst überdrüssig und leistete sich bei diesem Treffen am 29. August, seiner letzten Begegnung mit Hitler, eine merkwürdige Provokation: Er brüllte den Tyrannen nach einem vor dem Gespräch bereits gefaßten Entschluß bei einer scheinbar passenden Gelegenheit nieder – der

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Vgl. ADAP, D, VII, Dok. 421, S. 346. Zit. n. Groscurth, Tagebuch, S. 192, 29. August 1939. 50 Vgl. ADAP, D, VII, Dok. 421, S. 347. 51 Vgl. Blaubuch, Dok. 79. 52 Vgl. Blaubuch, Dok. 79.

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gewählte Anlaß war Hitlers Klage über mangelndes britisches Mitgefühl für in Polen erschlagene Deutsche – und wollte nach eigener Aussage dann gehen. Halifax schrieb er: „Ich befriedigte nicht nur einen lang gehegten Wunsch, sondern ich tat es nach der sorgfältigen, vorherigen Überlegung, daß es gut sein werde. Ich muß hinzufügen, daß ich nach dem Ärgsten aufstand, um zu gehen, aber er (Hitler) regte sich nicht.“53

Ribbentrop nahm später für sich in Anspruch, die Situation erneut mit einigen ablenkenden Worten gerettet zu haben, da Hitler den Briten sonst endgültig hinausgeworfen hätte, ohne sein Gehen abzuwarten.54 Zwar wurde diese Szene nie so berühmt wie Hendersons und Lipskis angebliche Hörschwächen und ihre schlagartig fehlenden Deutschkenntnisse kaum vierundzwanzig Stunden später, aber sie gehört in dieselbe Kategorie. Liest man Hendersons Erklärung, dann war es bereits vor dem Gespräch seine Absicht, es zu einem finalen Eklat kommen zu lassen, nach dem keine weiteren Debatten mehr möglich sein würden. Einen Botschafter, der den Staatschef des ihm zugeteilten Landes niederschrie, dann ging und wiederkam, hatte es nie gegeben. Eine Rückkehr dieses Botschafters war für diesen Fall ausgeschlossen. Statt der Legende von den unverständlichen 16-Punkten des Schnellredners Ribbentrop hätte Henderson dann eine phantasievolle Darstellung von Hitlers Verhalten geben müssen, die einen der Würde des britischen Empire verpflichteten Diplomaten wie ihn zum Verlassen des Raums und zum Abbruch der Verhandlungen gezwungen hätte. In „Failure of  a Mission“ wird diese Option tatsächlich dort angedeutet, wo Henderson seine „hitzige Antwort“ erwähnt, da Hitler mit der Bemerkung über die getöteten Deutschen einen „unverdienten Angriff auf die Menschlichkeit der englischen Regierung“ gestartet hätte.55 Daß diese hitzige Antwort eine geplante und gezielte Antwort war, die lediglich ihren Vorwand gesucht hatte, blieb dem internationalen Lesepublikum vorenthalten. Ribbentrop hatte für diesesmal den Abbruch verhindert. Der Nervenkrieg um das „Alibi“, an dem Henderson nach Beobachtung einiger Zeugen in diesen Tagen schwer trug, ging jedoch durch Ribbentrops Intervention in alter Besetzung weiter. Es gab ja auch noch eine dritte Partei. Unabhängig von den Querelen meldete Henderson am Abend des 29. August das deutsche Angebot zu direkten Verhandlungen nicht nur nach London, sondern auch seinem polnischen Kollegen Lipski.56 Polen solle laut Henderson schnellstens einen Bevollmächtigten ernennen. Außenminister Beck seinerseits war keineswegs gesinnt, dies zu tun. Da war es nur gut, daß die polnische Regierung offiziell von der deutschen Verhandlungsbereitschaft noch nichts wissen mußte, denn natürlich war dazu eine offizielle Mitteilung aus London erforderlich, kein Privatgespräch zwischen Botschaftern. Da diese Mitteilung ausblieb, hatte man in Warschau Zeit. Wenn aus London Verbind

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DBFP, VII, Nr. 565, Henderson an Halifax vom 30. August 1939. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 191. 55 Vgl. Henderson, Fehlschlag, S. 306. 56 Hofer, Entfesselung, S. 335; DBFP, VII, Nr. 510, 537; Henderson, Failure, S. 267.

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liches vorlag, konnte man immer noch reagieren. Aber aus London kam nichts. Es wurden einige Telegramme zwischen der Regierung und den britischen Botschaften in Warschau und Berlin gewechselt, aber von der deutschen Antwort und deren Inhalt, der so dringlich war, daß man ihn in London später zum verkappten Ultimatum hochstilisierte, erfuhr die polnische Regierung offiziell erst am 31. August, „um es deutlich zu sagen, 25 Minuten, nachdem das deutsche Ultimatum, wenn es eines war, abgelaufen war.“57 Henderson wurde etwa zu dieser Zeit ausgeschickt, den Deutschen die schlechte Nachricht zu überbringen, daß an diesem Tag kein polnischer Bevollmächtigter mehr kommen würde. Als er kurz nach Mitternacht mit Ribbentrop zusammentraf, wußte die polnische Regierung offiziell noch immer nichts von diesem Angebot. Außenminister Halifax hatte es abgelehnt, diese Information über den deutschen Kontaktwunsch überhaupt nach Warschau zu übermitteln und sich dahingehend geäußert, daß die Deutschen für Verhandlungszwecke schließlich in Berlin einen polnischen Botschafter zur Verfügung hätten.58 Er hatte es aber auch abgelehnt, diesem Botschafter diese Nachricht zukommen zu lassen, und er hatte es schließlich ebenfalls abgelehnt, seine prinzipielle Ablehnung der deutschen Regierung mitzuteilen. Statt dessen verbreitete Henderson in Berlin eine groteske Geschichte über angebliche technische Schwierigkeiten, die der Ankunft eines polnischen Botschafters im Weg stehen würden. Niemand konnte sie glauben, sie schien eher geeignet das Mißtrauen Ribbentrops gegenüber den englischen Motiven und Äußerungen zu verstärken. Die Stimmung war entsprechend gereizt, und wir kommen nun zu jener bereits angesprochenen Szene, die Ernst von Weizsäcker in seinen Papieren auf seine Weise dargestellt hat. Das Ausbleiben einer zügigen Reaktion auf die deutsche Note vom Vortag hatte in Ribbentrop alle seine Vermutungen über die wahren Hintergründe der englischen Politik wach werden lassen. Als Henderson nun begann, die schwammigen Formulierungen der englischen Antwort zu verlesen, ging es mit ihm durch. Henderson hatte Mühe, seinen Text herunterzulesen, der tatsächlich nichts Neues enthielt. Die nun schon mehrfach durch Hitler und Dahlerus vorgetragenen konkreten deutschen Forderungen wollte man dagegen nicht gehört haben: Die Britische Regierung „glaubt zu verstehen, daß die Deutsche Regierung zur Zeit Vorschläge für eine Lösung ausarbeitet. Zweifelsohne werden diese Vorschläge während des Meinungsaustausches sorgfältigst geprüft werden. Es kann dann entschieden werden, wie weit sie mit den wesentlichen Bedingungen vereinbar sind, die die Regierung Seiner Majestät bekanntgegeben hat und die im Prinzip anzunehmen die Deutsche Regierung ihre Bereitwilligkeit zum Ausdruck gebracht hat.“59



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Vgl. Taylor, Ursprünge, S. 313. Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 277, bzw. DBFP 3/VII, Doc. 538. 59 Vgl. Blaubuch, Dok. 89.

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Dann zog sich Großbritannien aus seiner Vermittlerrolle ein Stück zurück und mahnte den direkten deutsch-polnischen Kontakt an: „Die Art der Fühlungnahme und die Vorbereitungen für einen Meinungsaustausch müssen offensichtlich in aller Eile zwischen der Deutschen und der Britischen Regierung vereinbart werden.“

Die heiklen und entscheidenden Fragen nach Zeit, Ort und Inhalt solcher Verhandlungen, über denen man in London den ganzen Tag gebrütet hatte, waren damit unbeantwortet geblieben, aber man schob wenigstens eine halbherzige Bemerkung dazu nach, warum dieser Tag ereignislos verstrichen war: „ Die Regierung Seiner Majestät ist jedoch der Ansicht, daß es untunlich wäre, diese Fühlungnahme schon heute (gemeint ist wohl der 30. August, d. Verf.) herzustellen.“60

Die britische Antwort war mit Blick auf Polen formuliert worden, und fast zeitgleich mit Hendersons Besuch bei Ribbentrop leitete Kennard in Warschau daher einen identischen Text an die polnische Regierung weiter, dem außerdem die deutsche Note vom 29. August beigelegt wurde. Am 31. August, um 0.25 Uhr morgens, wußte man in Warschau nun offiziell, daß man gestern einen Bevollmächtigten nach Berlin hätte schicken sollen. Henderson erklärte später, daß ihm diese geringe, aber deutliche Verzögerung bewußt gewesen ist und sah einen Teil von Ribben­trops Aufregung dadurch verursacht.61 Die Britische Regierung bat nicht um Verständnis für die Verzögerung und verwies als Erklärung lediglich auf den „Vorbehalt“ gegen die Forderung nach sofortigen direkten Verhandlungen, den man in Berlin bekannt gemacht habe. Einen weiteren Grund für mögliche Aufregungen legte Henderson schließlich noch mündlich nach. Er behauptete, die britische Regierung hätte Beweise für deutsche Sabotageakte in Polen, und Ribbentrop platzte tatsächlich der Kragen. Man schrie sich gegenseitig an. „Das Mindeste, was jetzt passiert, dachte ich bei mir, ist, daß der Reichsaußenminister den Botschafter Seiner britischen Majestät zur Tür hinauswirft“, erinnerte sich Dol­metscher Schmidt später.62 Aber Ribbentrop behielt letztlich auch diesmal die Nerven. Er hatte noch eine Trumpfkarte auszuspielen, auf die sein britischer Widerpart und die gesamte Gegenpartei nur noch mit Schweigen und Leugnen reagieren konnten, wie sich herausstellte. Henderson mußte noch bleiben.



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Zit. n. Blaubuch, Dok. 89. Vgl. Henderson, Mission, S. 312 f. 62 Vgl. Schmidt, Statist, S. 458.

2. Diplomatische Hörschwächen

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2. Diplomatische Hörschwächen „Die Rolle Becks war eine zweitrangige. Er zog zurecht die Schlußfolgerung, daß in London und nicht in Paris die Politik gemacht werde und legte sich daher bis zur Entscheidung in London nicht auf eine deutschfeindliche Richtung fest. … Was aber hat Beck, wenn man das Fazit zieht, getan? Er hat die polnische Politik an England verkauft. Aus der Lektüre des polnischen und englischen Weiß- bzw. Blaubuchs geht doch unzweideutig hervor, daß die Engländer und nicht Beck unser ganzes Endspiel mit Hitler im Sommer 1939 leiteten. Was konnte man anderes tun? Mit Hitler gegen Rußland gehen? Das war nur mit dem englisch-französischen Segen möglich, andernfalls hätte sich das polnische Volk niemals damit einverstanden erklärt, und die Ereignisse in Jugoslawien bestätigen nochmals, welches Schicksal Beck erwartet hätte.“ Krzysztof Nienaski63

Ribbentrop zog jetzt – so behauptete Henderson später – „ein längeres Dokument hervorzog, das er in deutscher Sprache laut mit höchster Geschwindigkeit vorlas.“64 Es handelte sich um eine Variante der deutschen Vorschläge, die Dahlerus vor kaum vierzehn Stunden in London vorgetragen hatte. Sie waren jetzt in 16 Punkte gegliedert und enthielten in Bezug auf den Korridor lediglich genauere Einzelheiten zu den Modalitäten der geforderten Abstimmung. Der Grundgedanke (Danzig zu Deutschland, Gdingen zu Polen und „Korridor durch den Korridor für den Unterlegenen“) hatte sich nicht verändert. Ein Telegramm an den Geschäftsträger der deutschen Botschaft in London hatte die sechzehn Vorschläge bereits am 28. August (!) nach England übermittelt, als „streng geheimzuhalten und niemandem weiterzugeben.“65 Die Abstimmung sollte nicht vor Ablauf eines Jahres stattfinden (Punkt 5) und die Durchführung einer internationalen Kommission überlassen werden, die von Frankreich, Italien, England und der UdSSR zu bilden sei (Punkt 3). Sie würde für diese Zeit alle Hoheitsrechte ausüben, die Abstimmung vorbereiten und zu diesem Zweck die Räumung des genannten Gebiets von polnischen Behörden und Militär veranlassen. Beiderseitige Entschädigungsleistungen für Enteignungen und „sonstige Schädigungen der beiderseitigen Minderheiten“ seit 1918 waren vor­ gesehen (Punkt 13). Damit waren die deutsche Vorschläge bereits drei Tage formuliert, bevor sie Henderson am frühen Morgen des 31. August verlesen wurden. Als am 29. August die offizielle Nachricht nach London ging, daß die deutsche Regierung Vorschläge ausarbeite und einem polnischen Bevollmächtigten präsentieren wollte, der am 30. August eintreffen sollte, lagen diese Vorschläge bereits 63 Zit. n. Nienaski, Mackiewicz, S. 11. Mit den „Ereignissen in Jugoslawien“ spielt der Autor auf den Staatsstreich in Belgrad kurz nach Unterzeichnung des deutsch-jugoslawischen Vertrags an, der beim Abfassen seines Anfang Mai 1941 erschienen Beitrags erst wenige Wochen zurücklag. 64 Vgl. Blaubuch, Dok. 92 sowie Henderson, Mission, S. 312. 65 Vgl. PA AA R 28882, Bl. 78808–78813.

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VIII. Diplomatie für’s Alibi

im Entwurf vor. Auch die Nachricht vom 29.8. erwähnte „pflichtgemäß“, daß die Reichsregierung „im Falle einer Neugestaltung der territorialen Verhältnisse in Polen nicht mehr in der Lage wäre, ohne Hinzuziehung der Sowjet-Union sich zu Garantien zu verpflichten oder an Garantien teilzunehmen.“66

Damit war ziemlich direkt zugegeben, daß sich Deutschland der UdSSR verpflichtet und ebenso ziemlich direkt, daß sich auch die UdSSR verpflichtet haben mußte. Ribbentrops Vortrag leitete, kaum mehr als 24 Stunden vor dem Beginn der Kämpfe, die letzte Phase der politischen Manöver vor dem Kriegsausbruch ein. Die Bereitschaft zu Verhandlungen war erklärt, die deutschen Wünsche lagen nun wirklich präzise formuliert auf dem Tisch, und damit fehlte im Prinzip nur noch der polnische Bevollmächtigte, der sie zunächst entgegennahm. Ribbentrop deutete an, dem polnischen Botschafter das Papier zu übergeben, wenn Lipski vorsprechen sollte. Er weigerte sich aber, es an Henderson weiterzureichen oder den polnischen Botschafter selbst zu rufen.67 Die englische Regierung hatte zugesagt, einen polnischen Verhandlungspartner zu holen, nun sollte sie es in Ribbentrops Augen auch tun. Henderson erklärte sich tatsächlich bereit, Lipski entsprechend anzurufen und tat dies wenig später in den frühen Morgenstunden auch, ohne bei Lipski etwas auszurichten. Während Henderson eben noch in der englischen Antwortnote verkündet hatte, es sei technisch unmöglich gewesen, innerhalb von vierundzwanzig Stunden am 30. August einen polnischen Bevollmächtigen zur Annahme von Verhandlungsvorschlägen ins deutsche Außenministerium zu bringen, stellte das jetzt plötzlich kein Problem mehr dar. Es sollte neunzig Minuten nach dem Gespräch mit Ribbentrop möglich sein. Tatsächlich hätte ein Telefonanruf bei der polnischen Botschaft oder ein Telegramm aus Warschau die Ermächtigung Lipskis zur Annahme von Vorschlägen ohne weiteres herstellen können. Daß niemand ins deutsche Außenministerium kam, hatte den schlichten Grund, daß niemand kommen wollte. Die 16-Punkte hatten jetzt ihre Wirkung getan. Die Ver­ weigerung von Verhandlungen auf dieser Basis klärte die Kriegsschuldfrage für den kommenden Konflikt zugunsten der deutschen Regierung – wenn die Öffentlichkeit davon erfahren würde. Wie sich jedoch zeigte, gelang es der englischen Regierung, die Veröffentlichung im Westen im wesentlichen zu verhindern, oder sie als Scheinangebot darzustellen. Als Mittel dazu diente neben dem Beschweigen dieses Punkts ein Manöver der besonderen Art. Henderson betonte schon am Morgen danach, er hätte den Inhalt von Ribbentrops Vortrag angeblich nicht verstanden. Er begründete damit eine der verbreiteten Legenden im Zusammenhang mit den Vorgängen kurz vor Kriegsausbruch. Ribbentrop hätte den 16-Punkte-Plan zu schnell vorgelesen, als daß Henderson ihn

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Vgl. PA AA R 28882, Bl. 78849, S. 9 des Schreibens an die brit. Regierung vom 29.8. Vgl. Blaubuch, Dok. 92.

2. Diplomatische Hörschwächen

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hätte verstehen können. Diese Behauptung wurde von weiten Teilen der Historiographie übernommen. Sie ist aus dem genannten Grund offensichtlich unzutreffend: Henderson gab den Plan kaum eine Stunde später korrekt weiter, wie es aus dem englischen Blaubuch selbst hervorgeht.68 Er hatte außerdem in der Nacht über diese Punkte eine mehr als einstündige Unterhaltung mit seinem polnischen Botschafterkollegen Lipski, wie sich der Erste Botschaftssekretär Henryk Malhomme später erinnerte.69 Der polnische Botschafter gab den Plan dann in den vier Kernpunkten am späten Morgen nach Warschau weiter.70 Der anwesende Dolmetscher Schmidt schreibt in seinen Erinnerungen also korrekt, Ribbentrop habe gegenüber Henderson in normalem Tempo gelesen und sogar „zu einigen Punkten Erläuterungen gegeben“.71 Auch Ribbentrop selbst betonte das noch einmal, als Henderson am 2. September mit der Aufforderung zum Rückzug der deutschen Truppen aus Polen vorsprach und gleich mehrfach behauptete, nichts verstanden zu haben: „Der RAM wies darauf hin, daß er das Dokument langsam und deutlich vorgelesen habe und daß er sogar zu den Hauptpunkten (Danzig, Abstimmung im Korridor, Minderheitenschutz) mündliche Erklärungen abgegeben habe. Er sei nicht ermächtigt gewesen, ihm das Dokument auszuhändigen und habe es daher vorgelesen in der Hoffnung, daß wenigstens am nächsten Tage noch von polnischer Seite darauf eingegangen würde.“72

Tatsächlich mußte die deutsche Regierung damit rechnen, daß ein polnischer Bevollmächtigter ins Außenministerium kam und die Vorschläge entgegennahm, die auf eine Wahrung des Besitzstands des gegenwärtigen polnischen Staates hinausliefen. Wenn dies ein Versuch sein sollte, einen Krieg zur Eroberung Polens vom Zaun zu brechen, dann war es ein absolut ungeeigneter, falls Polen diesen Krieg nicht ebenfalls wollte. Inzwischen begann Henderson trotz seines Telefonats mit Lipski und des Berichts nach London die Version zu verbreiten, er hätte Ribbentrop nicht verstanden. Auf diese Sprachregelung hatte man sich in der britischen Botschaft wohl nach Lipskis abweisender Reaktion geeinigt. Das war ein Problem, das mit einem Telefongespräch gelöst wurde, bei dem der schwedische Unterhändler Dahlerus die sechzehn Punkte nun per Telefon noch einmal zu den

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Vgl. Henderson, Mission, S. 272 f., Blaubuch, Dok. 92, Dahlerus, Versuch, S. 115, und meine Darstellung des Vorgangs, in: Scheil, Logik, S. 212 ff. 69 Vgl. Lipski, Diplomat, S. 569. Henderson rief Lipski gegen zwei Uhr an, der in die eng­ lische Botschaft fuhr und erst gegen vier Uhr zurückkehrte. Lipski erwähnt den Vorgang in einer eigenen längeren Darstellung, die erstmals 1947 erschien. Nach der Ablehnung der deutschen Vorschläge durch Lipski ließ der englische Botschafter den Sekretär Malhomme, den er seit Jahren kannte, am Morgen des 31.8.1939 zu sich kommen und beschwor ihn, er sei Polen nicht „unfreundlich“ gesonnen, nur weil er den deutsch-polnischen Konflikt gewaltfrei lösen wolle. Vgl. Lipski, Diplomat, S. 606. 70 Er bekam ihn außerdem am gleichen Morgen noch einmal schriftlich in allen 16 Punkten in die Botschaft gebracht. Vgl. Lipski, Diplomat, S. 571 u. Scheil, Logik, S. 212 ff. Die vier Kernpunkte waren: Danzig zu Deutschland, Gdingen zu Polen, Volksabstimmung im Korridor, internationale Überwachung der Abstimmung durch England, Frankreich, Italien und Rußland. 71 Vgl. Schmidt, Statist, S. 459 f. 72 Zit. n. ADAP, D, VII, Dok. 513, S. 411, Unterredung Ribbentrop-Henderson um 9 Uhr abends am 2. September 1939.

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VIII. Diplomatie für’s Alibi

Briten übermittelte. Nun war plötzlich George Ogilvie-Forbes an der Reihe, an seinen Deutschkenntnissen zu zweifeln: „Zwar beherrschte Forbes deutsch gut, er bat mich aber doch, langsamer zu lesen“, wunderte sich Dahlerus. Am nächsten Morgen schließlich wurde Dahlerus von Hermann Göring aufgefordert, in die britische Botschaft zu fahren, um sich zu überzeugen, daß die 16 Punkte dort auch richtig angekommen waren. Er gab sie ihm noch einmal schriftlich mit. Um 10 Uhr des 31. August 1939 traf Dahlerus mit Henderson zusammen, der ihm noch einmal erzählte, „daß er nur drei Worte verstanden habe“. und dann das von Dahlerus mitgebrachte Papier mit den Notizen von Forbes aus der letzten Nacht verglich. Sie stimmten einigermaßen überein und tatsächlich hatte Henderson auch schon um 9.30 Uhr eine ziemlich exakte Zusammenfassung nach London geschickt (und zwar eine, die ausdrücklich seine Erinnerung an Ribbentrops Rede wiedergab und auf Dahlerus Anruf keinen Bezug nahm). Nun traf Dahlerus ihn in trüber Stimmung an, und auch die Ankunft der angeblich so sehnlich erwarteten schriftlichen Version der 16 Punkte konnte seine Stimmung nicht bessern. Henderson lehnte den Vorschlag von Dahlerus ab, das Papier mit den 16 Punkten gemeinsam zur polnischen Botschaft zu bringen. Dahlerus solle allein fahren, meinte er und war auch nicht umzustimmen, als der Schwede ihn darauf hinwies, noch nie mit Lipski zusammengetroffen und daher denkbar ungeeignet zu sein, derart vertrauliche und dringende Verhandlungen mit Polen zu führen. Henderson telefonierte lediglich mit der polnischen Botschaft, kündigte Dahlerus an und gab ihm zur Verstärkung noch Forbes mit. Um 11 Uhr trafen die beiden dort ein und fanden die Botschaft bereits in Auflösung. Selbst in Lipskis Konferenzraum, wo der Botschafter sie erwartete, fehlte schon ein Teil der Möbel. Dahlerus fing an, die deutsche Note an Polen zu ver­ lesen, aber nun war es an Lipski, plötzlich kein Deutsch mehr zu verstehen. Er „erklärte bald, daß er den Inhalt nicht verstehen könne.“73 Ogilvie-Forbes versuchte es anders, „notierte hierauf eigenhändig die Hauptpunkte und übergab die Aufzeichnungen Lipski, der das Papier mit zitternden Händen nahm und eine Weile betrachtete, dann aber erklärte, daß er nicht deuten könne, was dort stehe.“74 So ging es also auch nicht. Wohl um die Farce zu einem Ende zu bringen, schlug ­Dahlerus vor, „die Note sofort seiner (Lipskis, d. Verf.) Sekretärin zu diktieren“. Er ging mit ihr in ein angrenzendes Zimmer und diktierte dort direkt in die Maschine. „Mit der Niederschrift kehrte ich zurück und übergab sie Lipski, worauf Forbes und ich nach dem Wechsel einiger höflicher Redensarten Abschied nahmen.“75 Während des Diktats hatte Forbes mit Lipski geredet und mehr über den Hintergrund von dessen plötzlichen Sprachschwierigkeiten erfahren. Lipski habe gesagt, so Forbes, „daß er in keiner Weise Anlaß habe, sich für Noten oder Angebote von deutscher Seite zu interessieren. Er kenne die Lage in Deutschland nach seiner

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Dahlerus, Versuch, 1948, S. 110. Ebd., S. 110. 75 Ebd., S. 110.

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fünfeinhalbjährigen Tätigkeit als Botschafter gut und habe intime Verbindung mit Göring und anderen aus den maßgebenden Kreisen; er erklärte, davon überzeugt zu sein, daß im Fall eines Krieges Unruhen in diesem Land ausbrechen und die polnischen Truppen erfolgreich gegen Berlin marschieren würden.“76 Polen wollte es also auf einen militärischen Schlagabtausch ankommen lassen, gestützt nicht zuletzt auf irreführende Annahmen über die innere Schwäche des NS-Regimes, wie sie von der innerdeutschen Konspiration gefördert wurden. Lipskis Vorstellung beschäftigen den deutschen Staatschef noch zwei Jahre später: „Im allgemeinen war doch die Auffassung, daß Deutschland sofort zusammenbrechen werde. Der polnische Botschafter Lipski schreibt in einem Bericht, er wisse aus amtlicher Quelle, bei der er verkehrt, innerhalb von acht Tagen werde Deutschland zusammenbrechen.“77

Es war nur folgerichtig, wenn die deutsche Aufklärung ein paar Stunden später ein Telegramm aus Warschau entschlüsselte, das Lipski noch einmal in diesem Sinn instruierte: „Lassen Sie sich unter keinen Umständen in sachliche Diskussionen ein; wenn die Reichsregierung schriftliche Vorschläge macht, müssen Sie erklären, daß Sie keinerlei Vollmacht haben, solche Vorschläge entgegenzunehmen oder zu diskutieren, und daß Sie ausschließlich obige Mitteilung Ihrer Regierung zu übermitteln und erst weitere Instruktionen einzuholen haben.“78

Diese Passage wäre nach dem Krieg möglicherweise verschollen geblieben, wenn nicht Göring persönlich den Text abgeschrieben und augenblicklich Dahlerus in die Hand gedrückt hätte. Im Grunde war das aber nichts anderes, als Lipski schon Forbes unter vier Augen erklärt hatte. Es ging aus polnischer Sicht nicht um Verhandlungen mit dem Zweck der Entspannung der Situation. Noch jetzt hätte Lipski sein Gerede von der Hörschwäche einstellen und im deutschen Außen­ ministerium vorsprechen können, um sich die sechzehn Punkte noch einmal offiziell überreichen zu lassen. Nichts daran war unmöglich oder unvereinbar mit vitalen polnischen Interessen, jedenfalls mit jenen, die öffentlich kommuniziert wurden. Lipski hatte den ganzen 31. August 1939 Zeit, sich den Vorschlag anzusehen. Aber als er am frühen Abend tatsächlich mit Ribbentrop zusammentraf, da tat er wie instruiert und erklärte lapidar, keine Vollmacht zur Entgegennahme von Vorschlägen zu haben.79 Das war nicht das, was man polnischerseits der britischen Diplomatie versprochen hatte. Sicherheitshalber griff Außenminister Beck deshalb persönlich zum Telefon und log Botschafter Kennard mit der Behauptung an, Lipski hätte Ribbentrop die polnische Bereitschaft zu direkten Verhandlungen zugesichert.80 Das war konsequent. Beck hatte Garantiemächte für eine polnische

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Ebd., S. 110. Hitler in einem seiner Tischgespräche, zit. n. Jochmann, Monologe, S. 253, Eintrag vom 2. Januar 1942. 78 Dahlerus, Versuch, S. 113. 79 Vgl. ADAP, D, VII, Dok. 476, S. 386. 80 Vgl. BDFA, II, F, Vol. 58, Doc. 329, S. 320, Kennard an Halifax am 1. September 1939.

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VIII. Diplomatie für’s Alibi

Politik besorgt, die auf eine offensive Bereinigung des angeblich unvermeidlichen deutsch-polnischen Konflikts zielte, im Rücken geschützt durch den polnischen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion und im Westen unterstützt durch das Offensivbündnis mit England und Frankreich. In Warschau dachte man gar nicht daran, sich diese einzigartig günstige Situation, auf die Beck seit Ende 1932 hingearbeitet hatte, durch Verhandlungen verderben zu lassen oder den noch zögerlichen Teilen der britischen Diplomatie die Gelegenheit zum Absprung zu geben. Die weniger Zögerlichen in London verbreiteten inzwischen in der Öffentlichkeit mit Eifer die Legende, Ribbentrops langsam vorgetragene sechzehn Punkte seien akustisch nicht zu verstehen gewesen und hätten der polnischen Regierung nie vorgelegen. Duff Cooper und Winston Churchill riefen persönlich in den Redaktionen großer englischer Zeitungen an,81 um eine entsprechende Berichterstattung zu diesen Punkten anzumahnen oder eine Darstellung der deutschen Position gleich ganz zu verhindern. Das Focus-Netzwerk in Gestalt von Kingsley Martins Magazin ‚New Statesman and Nation‘ verbreitete die Legende vom Schnellredner Ribbentrop in der Ausgabe vom 9. September 1939. Statt wahrheitsgemäß zu berichten, dem polnischen Botschafter seien die 16-Punkte am 31. August morgens in die eigene Botschaft nachgetragen worden, hieß es dort, er habe zu dieser Zeit vergeblich versucht, sie im deutschen Außenministerium abzuholen.82 Die BBC brachte entsprechendes bereits am 1. September, die erste große Kriegslüge der Alliierten war geboren.83 Zu ihren Opfern zählte Bert Brecht: „schon am abend wird im englischen rundfunk die kriegsschuldfrage angeschnitten. die deutschen hören eben noch (vor (sic) der eiserne vorhang niedergehen wird), daß die ‚überraschend großzügigen vorschläge‘ hitlers überhaupt nicht überreicht wurden.“84

Aber noch herrschte juristisch gesehen kein Kriegszustand. Hitler hatte den Angriff für den ersten September 1939 befohlen, ohne ihn als Krieg zu erklären, denn die Kampfhandlungen sollten zunächst den Rahmen für weitere politische Manö­ver gegenüber Großbritannien liefern. Ribbentrop versuchte am 2. September 1939 einen weiteren Schwenk in diese Richtung. An diesem Tag telefonierte JvR auf Hitlers Anweisung um 20.00 Uhr mit der Londoner Botschaft.85 Ribbentrop beauftragte mit Fritz Hesse einen persönlichen Bekannten, den Pressebeirat der Botschaft, mit dem dringenden Auftrag, Sir Horace Wilson, den britischen Sonderminister im deutsch-tschechischen Konflikt im Jahr zuvor und engsten Be

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Vgl. Cooper, Diaries, 1. September 1939. Vgl. New Statesman and Nation, Vol. XVIII, No. 446, S. 362 f., bzw. CHAR 2/389 B. 83 Das Focus-Netzwerk in Gestalt von Kingsley Martins Magazin ‚New Statesman and Nation‘ verbreitete sie in der Ausgabe vom 9. September 1939. Statt wahrheitsgemäß zu berichten, dem polnischen Botschafter seien die 16-Punkte am 31. August morgens in die eigene Botschaft nachgetragen worden, hieß es dort, er habe zu dieser Zeit vergeblich versucht, sie im deutschen Außenministerium abzuholen. Vgl. New Statesman and Nation, Vol. XVIII, No. 446, S. 362 f., bzw. CHAR 2/389 B. 84 Zit n. Brecht, Arbeitsjorunal, I, S. 59, 1. September 1939. 85 Vgl. Martin, Friedensinitiativen, S. 45.

2. Diplomatische Hörschwächen

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rater Neville Chamberlains, aufzusuchen,86 um der britischen Regierung ein Ent­ gegenkommen zu signalisieren. Auch vor einem Jahr hatten Hesse und Wilson während der Sudetenkrise mehrfach miteinander über Lösungsansätze und mögliche Mißverständnisse bei Wilsons Treffen mit Hitler gesprochen.87 Solche informellen Klärungen fielen auch in anderen Fällen regelmäßig in Wilsons Aufgabenbereich, der „sein Büro in einem kleinen Vorzimmer des Premierministers (hatte), und alle Besucher des Premiers mußten an Sir Horace vorbei und sich kurz mit ihm unterhalten.“88 Das hatte sich im Vorjahr als effektiv erwiesen, und wie Hesse im Anschluß an die Sudetenkrise am 11. Oktober 1938 notierte, waren auch seine englischen Gesprächspartner der Meinung, in einem neuen Krisenfall müsse unbedingt ein direkter Kontakt von der deutschen Führung zu Chamberlain hergestellt werden, während das Foreign Office zu umgehen sei.89 Jetzt, im September 1939 suchte Hesse erneut über Wilson den Zugang zu Chamberlain. Ribbentrop hatte ihn beauftragt, einen deutschen Truppenabzug aus Polen in Aussicht stellen und sein Gegenüber zur Aufnahme von Detailverhandlungen nach Berlin einzuladen. „Gehen Sie sofort zu ihrem Vertrauensmann …….. und erklären Sie ihm folgendes: Der Führer ist bereit, aus Polen wieder herauszugehen und Schadensersatz für den bereits angerichteten Schaden anzubieten unter der Voraussetzung, daß wir Danzig und die Straße durch den Korridor erhalten, wenn England im deutsch-polnischen Konflikt die Vermittlung übernimmt. Sie sind vom Führer ermächtigt, diesen Vorschlag dem englischen Kabinett zu unterbreiten und sofort Verhandlungen hierüber aufzunehmen. …. Betonen Sie noch einmal, daß Sie im ausdrücklichen Auftrag Hitlers handeln und daß dies nicht etwa eine Privataktion von mir ist, damit es kein Mißverständnis in der Angelegenheit gibt.“90

Ribbentrops und Hitlers von Hesse überbrachter Vorschlag nahm eine englische Forderung vom 1. September 1939 auf. Die britische Regierung drohte, „ihre Verpflichtungen gegenüber Polen ohne Zögern (zu) erfüllen, wenn ihr nicht befriedigende Zusicherungen von Seiten der deutschen Regierung vorliegen würden, wonach die deutsche Regierung alle aggressiven Aktionen gegen Polen einstellen würde und bereit sei, ihre Streitkräfte augenblicklich vom polnischen Territorium zurückzuziehen.“91 Danzig wurde dabei mit keinem Wort erwähnt, auch nicht indirekt, denn es gehörte nicht zu polnischem Territorium. Am 2. September gab

86

R. A. Butler, Staatssekretär im Außenministerium, bezeichnete Wilson in einem Privatbrief gar als heimlichen Herrscher Englands. Vgl. Lukacs, Tage, S. 61. 87 Vgl. die Gesprächsaufzeichnungen Hesses in: BA-KO NL Hesse, Kle 276–1, S. 223 ff. vom 5. u. 6. Oktober 1938. 88 So Kenneth Clark, ein mit Chamberlain befreundeter Schriftsteller, in der Erinnerung. Zit. n. Lukacs, Tage, S. 61. 89 Vgl. BA-KO, NL Hesse, Kle 276–1, S. 237 f., 11. Oktober 1938, Gesprächsaufzeichnung Hesses vom Kontakt mit einem nicht näher bezeichneten „Vertrauten“ von Chamberlain, wahrscheinlich George Steward, wie Botschafter Dirksen am 12. Oktober aus London berichtete. Vgl. ADAP, IV, Dok. 251, S. 265. 90 Hesse, Spiel, S. 210 f. 91 Zit. n. ADAP, VII, Dok. 560, S.  441, Ultimatum vom 3.9.1939. Die Formulierung mit Blick auf den Rückzug aus Polen ist identisch mit der englischen Note vom 1.9.39. Vgl. ADAP, D, VII, Dok. 513, S. 410, 1.9.1939.

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VIII. Diplomatie für’s Alibi

es zusätzlich eine Erklärung Neville Chamberlains vor dem Parlament. Wenn die deutschen Streitkräfte aus dem polnischen Gebiet zurückgezogen werden würden, würde die englische Regierung „die Situation als die gleiche wie vor dem Überschreiten der Grenze ansehen“.92 Als Ribbentrop in Hitlers Auftrag daraufhin Hesse beauftragt hatte, in London den sofortigen Rückzug aus polnischem Territorium anzubieten, Danzig aber für Deutschland reklamierte, folgte das inhaltlich dieser wiederholten Aufforderung aus London. Die Hesse dort gegebene Antwort war aber grundsätzlich negativ ausgefallen. Hesse blieb im Vorzimmer des Premiers hängen, wo ihm Wilson erklärte, die britische Kriegserklärung sei nicht mehr zu vermeiden. Die britische Regierung wollte – ganz nach dem Muster der 16-Punkte – von Hesses Versuch schon am nächsten Tag gar nichts mehr „gehört“ haben. Das Ultimatum an Deutschland vom 3. September behauptete, man habe seit dem 1. September „keine Antwort registriert.“93 Das Rückzugsangebot eines offiziellen deutschen Verhandlungsbevollmächtigten in den Zimmern des englischen Regierungschefs war eine Antwort, eine unüberhörbare. Wenn ihre bloße Existenz nun abgestritten wurde, hatten weitere Kontakte kaum noch einen Sinn, zumal Wilson gegenüber Hesse den englischen Kriegseintritt eine beschlossene Sache aus grundsätzlichen Erwägungen genannt hatte. Mit den Gesprächen in der Nacht vom 2. auf den 3. September endete deshalb vorerst der direkte Kontakt zwischen den vier europäischen Großmächten mit dem Ziel eines Konferenzausgleichs vor einem offiziellen Kriegszustand, denn der bewaffnete Kampf war nun schon zwei Tage alt und ließ sich nicht mehr länger ignorieren. Die politischen Auseinandersetzungen wurden zwar bald wieder aufgenommen, aber zu anderen Bedingungen, über die bald zu reden sein wird. 3. Das Alibi – eine Bilanz „Man hat uns gelassen, man hat uns durch die Risikozone ungehindert durch­ gehen lassen, und wir konnten alle gefährlichen Klippen umschiffen, und als wir fertig waren, gut gerüstet, besser als sie, fingen sie den Krieg an.“ Joseph Goebbels94

Am Morgen nach dem Auftritt Hesses in London sagte sich in Berlin der englische Botschafter an. Henderson hatte nun endlich den ersehnten letzten Auftritt und übergab das oben angesprochene Ultimatum seiner Regierung. Sie forderte nun in zwei Stunden den gestern Abend angebotenen völligen Rückzug der deutschen Truppen aus Polen noch einmal ultimativ. Angesichts der geschilderten Er

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93

Vgl. Henderson, Mission, S. 326. Zit. n. ADAP, VII, Dok. 560, S. 441, Ultimatum vom 3.9.1939. Gleichlautend auch Henderson: „Die deutsche Regierung blieb stumm“. Vgl. Henderson, Mission, S. 326. 94 Goebbels in einer Ansprache vor deutschen Pressevertretern am 5. April 1940. Zit. n. Hillgruber, Strategie, S. 14.

3. Das Alibi – eine Bilanz

277

eignisse um Hesses Londoner Auftritt stellte sie eigentlich bereits eine Kriegs­ erklärung dar. Der Krieg war beschlossene Sache, wie Wilson am Abend vorher gegenüber Hesse betont hatte. Das „Ultimatum“ stellte deshalb keine umsetzbare Forderung dar, sondern diente als ein weiteres Alibi gegenüber der britischen Öffentlichkeit, der damit eine uneinsichtige und kompromißlose deutsche Regierung präsentiert wurde. Die Reaktionen von Hitler und besonders von Ribbentrop auf die Über­reichung des Ultimatums haben in der Memoirenliteratur breite Spuren hinterlassen. Zahlreiche anwesende Personen, wie etwa Staatssekretär Weizsäcker, Dolmetscher Schmidt oder Franz von Sonnleithner wollen eine „Überraschung“ über diesen englischen Schritt beobachtet haben, sowohl bei Hitler wie bei Ribbentrop und zusätzlich eine Verlegenheit Ribbentrops wegen dessen angeblicher Fehlprognose einer englischen Passivität. Sonnleithner verlegt diesen Eindruck wie gesagt auf den „1. oder 2. September“, als er dem zufällig beisammen stehenden Trio ­Hitler, Göring, Ribbentrop eine Nachricht aus England über die dort laufende, sichere Entwicklung hin zum Krieg überbracht hätte.95 Auch diese Interpretation kann in den Bereich der Legenden und Fehlinterpretationen verwiesen werden, wie sie entstehen, wenn Zeitzeugen und Historiker in fremden Gesichtern nur eine Bestätigung eigener Mutmaßungen suchen. Wie oben ausführlich dargelegt, erwartete Ribbentrop einen möglichen englischen Krieg gegen Deutschland seit mehr als eineinhalb Jahren und versuchte ihn durch eine Abschreckungspolitik zu verhindern. Als er nun tatsächlich die englische Kriegs­erklärung in den Händen hielt, war dies eine langerwartete und befürchtete schlechte Nachricht, die er aus nachvollziehbaren Gründen mit Betroffenheit aufgenommen hat. Es stellte ein Scheitern der Politik der Jahre 1938/39 dar, die auch Hitler zu verhalten wütenden Reaktionen bewegt haben kann, so wie Dolmetscher Schmidt die Szene schildert, nicht ohne sie seinerseits mit Spekulationen über das Vorausgegangene zu verknüpfen: „Ich … übersetzte ihm (d. h. Hitler, d. Verf.) dann langsam das Ultimatum der britischen Regierung. Als ich geendet hatte, herrschte völlig Stille, genau so wie nach dem Paukenschlag in der Nacht von Godesberg. Wie versteinert saß Hitler da und blickte vor sich hin. Er war nicht fassungslos, wie später behauptet wurde, er tobte auch nicht, wie andere wissen wollten. Er saß völlig still und regungslos an seinem Platz. Nach einer Weile, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, wandte er sich Ribbentrop zu, der wie erstarrt am Fenster stehen geblieben war. „Was nun?“ fragte Hitler seinen Außenminister mit einem wütenden Blick in den Augen, als wolle er zum Ausdruck bringen, daß ihn Ribbentrop über die Reaktion der Engländer falsch informiert habe.“96

Dies wollte Hitler sicher nicht zum Ausdruck bringen, waren doch Ribbentrops Prognosen mit dem Ultimatum durchaus erfüllt worden, wie wir gesehen haben. Insofern mögen die Beobachtungen äußerlich sogar stimmen, sie verkennen je

95



96

Vgl. Sonnleithner, Diplomat, S. 13 f. Zit. n. Schmidt, Statist, S. 464.

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VIII. Diplomatie für’s Alibi

doch den Hintergrund des Geschehens. Was heutzutage „fast in jedem Schulbuch zu finden ist“,97 ist ein Beleg dafür, daß der Kriegsausbruch, nachdem er mit Manövern wie dem deutsch-russischen Nichtangriffspakt und dem am Vorabend, dem 2. September 1939, in London gemachten Rückzugsangebot aus Polen verhindert werden sollte, in Berlin als schließlich dennoch eingetroffenes Verhängnis gesehen wurde. „Was nun?“ war insofern eine berechtigte Frage, denn die außenpolitischen Möglichkeiten Deutschlands waren am 3. September 1939 weitgehend ausgeschöpft, die militärischen und wehrwirtschaftlichen Potentiale im Vergleich zu den Kriegsgegnern zum mindesten als fragwürdig einzustufen. Auch weitere Verhandlungs- oder Kompromißangebote, die in den nächsten eineinhalb Jahren an die großen, einflußreichen Staaten der europäischen Politik gemacht werden sollten, sollten an diesen Umständen scheitern. Wer aber hatte denn nun letztlich „gewonnen“, bei dieser fintenreichen Aus­ einandersetzung der künftigen Kriegsparteien darüber, wem die Öffentlichkeit und die Geschichtsschreibung letzten Endes die Kriegsschuld geben würden? Albert Speer behauptet in seinen Erinnerungen, Hitler habe ihm im August 1939 gesagt, er würde die Dokumente für die letzten Verhandlungen dieses Mal selbst verfassen, damit der richtige Eindruck entstehen würde: „Dieses Mal wird der Fehler von 1914 vermieden werden. Es kommt nun alles darauf an, der Gegenseite die Schuld zuzuschieben. 1914 wurde das stümperhaft angestellt. Auch jetzt wieder sind die Entwürfe des Auswärtigen Amtes einfach unbrauchbar. Die Noten verfasse ich am besten selbst.“98

Speer will vom Ergebnis dieser Bemühungen dennoch nicht beeindruckt ge­ wesen sein, das er nach seinen Angaben erst in der Nürnberger Haft begutachtet hat. Andere waren unfreiwillig sehr beeindruckt. Dazu gehörte Winston Churchill, der zusammen mit Duff Cooper eigens bei den wichtigen britischen Zeitungen anrief, um eine Veröffentlichung der Hitlerschen Noten zu verhindern oder wenigstens für eine entschieden negative Kommentierung zu sorgen. Dies hatte gute Gründe. Jedem britischen Zeitungsleser mußte bei einer unkommentierten und objektiven Berichterstattung eigentlich unmittelbar einleuchten, daß die Formulierungen aus der deutschen Entscheidungsebene nicht dazu geeignet waren, einen Krieg zu erzwingen. Was Ribbentrop beispielsweise gegenüber Henderson als Sechzehn-Punkteplan langsam und deutlich vorgelesen hatte, war von ihm und Hitler zusammen ausgearbeitet worden und konnte als Basis für weitere Verhandlungen gelten, wie der Botschafter selbst genau wußte.99 Eine darüber informierte Weltöffentlichkeit würde sich gefragt haben, ob es unter diesen Umständen denn

97



98

Vgl. Schmidt, Außenpolitik, S. 359. Zit. n. Speer, Erinnerungen, S. 179. 99 Die Herausgeber des Groscurth-Tagebuchs vermuten bezeichnenderweise, mit der von Groscurth überlieferten Äußerung Hitlers, er werde sich etwas ausdenken, an dem „die Polen ersticken“ würden, sei dieser 16-Punkte-Verhandlungsplan gemeint gewesen. Vgl. Groscurth, Tagebücher, 27. August 1939.

3. Das Alibi – eine Bilanz

279

wirklich nötig war, einen Krieg zur Verhinderung einer international überwachten Volksabstimmung im „Korridor“ zu führen oder „für Danzig“ zu sterben. Auf der anderen Seite gab es einige Gründe, warum auch diese Verhandlungsvorschläge hätten öffentlich zurückgewiesen werden können. Auch „gemäßigte Forderungen“ waren immer noch Forderungen, Forderungen nach dem Besitz oder den bisher gewahrten Interessen der Republik Polen. Ob es „letzte Forderungen“ waren, was faktisch als einzige Gegenleistung angeboten wurde, mußte niemand mehr glauben, dazu waren nach den laut proklamierten „letzten Forderungen“ im Sudetenland und anderswo zu oft noch neue Forderungen nachgeschoben worden. Die ethnische Begründung, warum das fast ausschließlich von Deutschen bewohnte Danzig Teil  des deutschen Staates werden müßte, war seit der Besetzung Prags kein starkes Argument mehr. „Wenn Herr Hitler nach Danzig hinein will, muß er aus Prag wieder hinausgehen“, wurde zu den geflügelten Worten des Spätsommers 1939.100 Insofern belastete diese Verhandlungsposition die deutsche Seite; sie war es, die den Status quo mit Argumenten in Frage stellte, die sie kurz vorher selbst nicht anerkannt hatte. Winston Churchill gab sich dennoch alle Mühe, der Weltöffentlichkeit diese Fragestellung zu ersparen und war ohnehin der Meinung, die Geschichte nicht nur politisch machen, sondern auch gleich selbst schreiben zu müssen. Er hatte nach Kriegsende ausführlich Zeit und einen großen Mitarbeiterstab, um dieses Vor­ haben umzusetzen. Zweifellos schreiben die Sieger ihre Version der Geschichte zusätzlich mit dem moralischen Rückhalt des eigenen Erfolgs und dem materiellen Übergewicht des Siegers über den Besiegten und daher mit größeren Aussichten auf Gehör als die Verlierer, zumal wenn es sich um so umfassend Besiegte handelt, wie das nach 1945 für die Akteure auf der deutschen Seite galt. Wirft man einen überschlägigen Blick auf die Forschungsliteratur über den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, dann stellt sich dennoch der Eindruck ein, daß die deutsche Seite diesen Teil der Auseinandersetzung in der Sache wirklich erfolgreich bestritten hat. Dieser Eindruck entsteht, weil die Details dieser Schachzüge unmittelbar vor Kriegsausbruch in der Forschung entweder ignoriert oder unzutreffend dargestellt werden. Selbst neuere Literatur zum Thema, die mit dem Anspruch auf grundsätzliche Bewertung der deutschen Außenpolitik und der Rolle des Auswärtigen Amts darin auftritt, verzichtet regelmäßig auf die Berücksichtigung der Dokumentationen des Auswärtigen Amts zum Kriegsausbruch oder auf eine genauere Darstellung der unmittelbaren Vorkriegsdiplomatie beider Seiten. Das gilt zum Beispiel für die schlagzeilenträchtige Publikation „Das Amt“, dem Abschlußbericht einer vom damaligen bundesdeutschen Außenminister Josef Fischer eingesetzten Historikerkommission über die Geschichte deutscher Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, der im Oktober 2010 erschien 100 Carl Burckhardt will beispielsweise gegenüber Hitler in diesem Sinn argumentiert haben. Vgl. Burckhardt, Mission, S. 343.

280

VIII. Diplomatie für’s Alibi

und bundesweit wie international für große Aufmerksamkeit sorgte. Obwohl dort ein eigenes Kapitel über das „Sonderkommando Künsberg“ des Auswärtigen Amts enthalten ist,101 das die Behörden und Ministerien in den durch deutsche Truppen besetzten Hauptstädten auf der Suche nach belastendem Material durchstreifte und vielfach fündig wurde, wird diese Aufgabe im Bericht kaum erwähnt. Weder ein einziges beschlagnahmtes Dokument wird angeführt, noch werden die Akten­ publikationen des Auswärtigen Amts verwendet oder wenigstens in der Bibliographie erwähnt. Über die unmittelbare Vorgeschichte des Krieges führt der Kommissionsbericht überhaupt nichts aus. Zur erweiterten diplomatischen Vorgeschichte in den Vormonaten des September 1939 äußert er sich nur sehr spärlich an einigen, auf wenige Seiten verteilten Stellen des fast neunhundertseitigen Werks. Dort sind dann frei erfundene Behauptungen zu lesen, wie etwa die, Hitler habe „eine Woche nach dem Einmarsch in Prag von Polen die Rückgabe Danzigs und des Korridors verlangt“102 Das tat er natürlich nicht. Ganz abgesehen davon, daß Danzig nicht zu Polen gehörte und daher schwerlich „zurückgegeben“ werden konnte, stellte die Anerkennung der bestehenden Grenzen stets die Basis für den erwünschten deutsch-polnischen Ausgleich dar. Solche Auslassungen, Ungenauigkeiten und unzutreffenden Behauptungen sind kein Einzelphänomen, sondern ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Forschungsliteratur zum Thema. Das kann in gewisser Weise kaum anders sein, denn jeder, der die gesamten vorliegenden Dokumente berücksichtigt, muß zum Ergebnis kommen, daß der europäische Krieg von 1939 weder als unprovozierter deutscher Überfall auf Polen begann, noch von deutscher Seite unbedingt provoziert werden sollte. Unter diesem Aspekt hatte die deutsche Seite und mit ihr Joachim von Ribbentrop das Tauziehen um die Darstellung von Kriegsverantwortung erfolgreich gestaltet. Das änderte allerdings nichts daran, daß die Ribbentropsche Abschreckungspolitik in der Sache gescheitert war. Es herrschte seit dem 3. September 1939 der Kriegszustand zwischen den Westmächten und Deutschland, der eigentlich vermieden werden sollte.

101

Vgl. Conze, Diplomaten, S. 214 ff. Vgl. Conze, Diplomaten, S. 135.

102

IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs 1. Ribbentrop vs. Chamberlain – Schlagabtausch über Schuld und Vertrauen „Am Abend des gleichen Tages ging ich mit Nils Ehrenström, dem schwedischen Kollegen Schönfelds in der Genfer Forschungsabteilung, in eines der großen Kinos in der Londoner City. Es gab einen richtigen Reißer: ‚Confessions of a Nazi Spy‘. Er paßte zu den Bildern des Tages und zu der Stimmung ringsrum. Ehrenström, der vorzüglich deutsch spricht, raunte mir beim Verlassen des Kinos zu: ‚Lassen Sie uns englisch sprechen‘. Mir wurde klar, daß der kommende Krieg keineswegs nur gegen Hitler und seinen Anhang geführt werden würde, sondern gegen Deutschland mit allem was es sei und habe. Nur die höchst mangelhafte Weltkenntnis der braven und tumben Binnendeutschen unter den Kritikern Hitlers konnte zu der oft noch während des ganzen Krieges gepflegten Illusion führen, daß die Welt im Krieg säuberlich zwischen Deutschland und seinen Beherrschern unterscheiden werde.“ Eugen Gerstenmaier1

Seit dem 3. September 1939 herrschte formal Kriegszustand zwischen der Dreierkoalition aus Polen, England und Frankreich und dem Deutschen Reich. Daß dieser Krieg nicht nur im Rahmen der gewöhnlichen Kampfhandlungen stattfinden würde und von vornherein auch kein Streit um deutsch-polnische Grenzziehungen war, wie sie in den letzten Verhandlungen Ende August geführt worden waren, zeigte sich bald. Ersteres konnte man bereits bei den Massentötungen an der deutschstämmigen Zivilbevölkerung in der Republik Polen feststellen, denen in den wenigen Kriegstagen über fünftausend ethnisch-deutsche Zivilisten polnischer Staatsangehörigkeit zum Opfer fielen. Von polnischer Seite war der Krieg unter dem Vorzeichen einer totalen ethnischen Säuberung des Landes von vermuteten gefährlichen deutschen Einflüssen begonnen worden. Zu diesem Zweck hatte man seit dem Frühjahr Lager eingerichtet, in denen diese Personen zu versammeln waren. Auf den Deportationsmärschen dorthin und durch Willkür vor Ort war die Zahl der Todesopfer entsprechend groß. Ein zwar verschwiegenes, aber mindestens ebenso finsteres Vorzeichen setzte Hitler mit seinem am ersten Kriegs 1 Zit n. Gerstenmaier, Lebensbericht, S. 94. Originellerweise schildert Gerstenmaier diese Stimmung und eine ihm gegenüber gefallene Äußerung von Bischof William Temple über die Kriegsstimmung im englischen Parlament als eine Information über die englische Kriegspolitik, die dem deutschen Außenminister entgangen sei. Tatsächlich hat er Ribbentrop nie getroffen und sich über dessen Befürchtungen hinsichtlich eines englischen Angriffs offenbar zeit­ lebens die eigene Unwissenheit bewahrt.

282

IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

tag unterzeichneten Erlaß über die Tötung von Geisteskranken in deutschen Heilanstalten. Auf außenpolitischer Ebene stand der Krieg von vornherein unter dem Eindruck der Jahre zwischen 1933 und 1938/39. Es waren die unter den gegebenen Umständen politisch denkbaren Kombinationen in Europa in dieser Zeit eigentlich bereits alle durchgespielt worden. Für das Deutschland von 1939, dem nun gerade der Krieg erklärt worden war, ging es um nicht weniger als seine Existenz. Dies war keine bloß ideologische Frage in Zusammenhang mit dem NS-Staat, sondern eine grundsätzliche der deutschen Nation und ihrer außenpolitischen Umgebung. Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Führungspersonen in Deutschland, auch die nicht-nationalsozialistischen, betrachteten diese Existenz in – mindestens  – den Grenzen von 1939 überwiegend als wünschenswert. Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Führungspersonen in den Reihen der Kriegsgegner betrachteten diese Existenz in zunehmender Zahl als unvereinbar mit den eigenen Interessen. Das galt insbesondere für die Kriegsentschlossenen in London. Da der Krieg nach seiner juristischen Eröffnung durch die Westmächte zunächst militärisch nicht von ihnen geführt wurde und die Kampfhandlungen in Polen Ende September zu Ende gingen, ergab sich die Gelegenheit eines erneuten öffentlichen Schlagabtauschs zwischen den Kriegsparteien. Hatten Duff Cooper und Winston Churchill mit allem Einsatz bereits am 1.  September den Abdruck des deutschen 16-Punkte-Verhandlungspapiers in der britischen Presse verhindert, so durfte nun auch jedes weitere deutsche Angebot vergleichbarer Art in der Öffentlichkeit nur entweder inhaltlich verzerrt oder besser gar nicht zur Sprache kommen. Dieser Position hatte sich inzwischen wohl oder übel auch Neville Chamberlain angeschlossen, der ein mögliches deutsches Friedensangebot in dieser Phase regelrecht fürchtete, obwohl er andererseits von einem bedingungslosen Kriegskurs nichts hielt. Am 24. August hatte er noch seinen Rücktritt angeboten, als es nach dem deutsch-russischen Nichtangriffspakt wahrscheinlich geworden war, daß die britische Politik den an Polen ausgestellten Freibrief vielleicht zu ungünstigen Bedingungen würde einlösen müssen. Von seiten des Königshauses wurde diese Entscheidung aber nicht akzeptiert.2 Chamberlains tadelloses Friedens­image wurde noch gebraucht, und die Auseinandersetzung über die Kriegsschuld ging weiter. Zudem mußte dem internationalen Publikum nach Ende des Polenfeldzugs neu erklärt werden, warum die Kriegsparteien weder aufeinander schossen noch miteinander verhandelten. Am 3. Oktober eröffnete Chamberlain deshalb die Auseinandersetzung mit einer Erklärung vor dem Unterhaus, daß „wir nicht bereit (sind), von der gegenwärtigen deutschen Regierung auch nur die kleinste Zusicherung entgegenzunehmen.“3 Als

2



3

Vgl. Nicolson, Tagebücher, S. 339. Vgl. Dahlerus, Hitler, S. 1377.

1. Ribbentrop vs. Chamberlain

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Begründung standen angeblich gebrochene frühere Zusagen im Raum, etwa in Bezug auf das Münchener Abkommen. Dafür hatte zwar das seinerzeit erstellte Gutachten der Juristen im Foreign Office nicht die nötigen Anhaltspunkte geliefert, aber wer wußte dies schon. Auf dieser Vorwürfe Chamberlains antwortete zunächst Hitler am 6. Oktober mit einem grundsätzlichen Rückblick auf die in den letzten zwei Jahren gegenüber allen deutschen Nachbarstaaten gegebenen Grenzgarantien und Nichtangriffspakte und mit einer Erklärung, warum es die Schuld der polnischen Regierung gewesen sei, trotz einer auch dorthin ergangenen Grenzgarantie den Krieg gesucht zu haben. Außer einigen Spitzen gegen namentlich genannte „Herostraten der menschlichen Gesellschaft“, mit denen vor allem Churchill gemeint war,4 enthielt er sich jedes direkten Angriffs auf die englische Regierung oder deren Premier. Es folgte das Angebot, einen polnischen Staat wiederherzustellen, während sich die deutsche Grenze an „den historischen, ethnographischen und wirtschaftlichen Bedingungen“ orientieren sollte.5 Die Voraussetzungen dafür, daß ein solcher polnischer Staat in direkten deutschen Verhandlungen mit den Westmächten entstehen könnte, hatte Ribbentrop vor dieser Kontroverse durch den deutsch-sowjetischen Freundschaftsvertrag Ende September 1939 hergestellt. Der Text änderte den Ende August in Moskau abgesprochen Verlauf der gegenseitigen Interessensphären so, daß alle überwiegend polnisch besiedelten Gebiete jetzt zur von Deutschland besetzten Zone gehörten. Das schuf in Ribbentrops Augen „die Möglichkeit, nationalpolnisches Problem nach deutschem Gutdünken zu gestalten“.6 Damit war theoretisch die Möglichkeit geschaffen, einen polnischen Staat zu gestalten, mit dem sich der polnische Nationalismus vielleicht „abfinden“ würde,7 vielleicht auch die Westmächte. Der britische Premier hatte dazu keine Neigungen erkennen lassen. Auf die Situation, die von den beiden deutsch-russischen Verträgen neu geschaffen worden war, ging Chamberlain einfach nicht näher ein. Seine Unterhausrede schien auch in Rom diesen Eindruck hinterlassen zu haben. Dies durfte Ribbentrop einem Bericht der Dienststelle Ribbentrop entnehmen, den er am 19. Oktober persönlich zur Kenntnis nahm, wie offenbar alle aus dieser Richtung stammenden Nachrichten. Er schilderte die angeblich vorherrschende Meinung. Chamberlain und mit ihm England hatte nicht präzisiert, welche Garantien es wolle: „Warum? Weil es damit nur den seit langem vorbereiteten englischen Entschluß Krieg zu führen, aufgedeckt hätte. Zweitens, weil es sich damit offen (besonders in der Frage Polen!)

4

Am 30. Januar 1942 nannte er Churchill namentlich „eine der erbärmlichsten Herostratennaturen der Weltgeschichte“. Vgl. Dahlerus, Hitler II, S. 1827. Der Begriff geht auf den Griechen Herostrat (Herostratos) zurück, der 356 v. Chr. den Artemistempel in Ephesos in Brand steckte, nur um berühmt zu werden. 5 Vgl. Dahlerus, Hitler, S. 1391. 6 Vgl. ADAP, D, VIII, Dok. 152, S. 125, 28. September, Telegramm Ribbentrops an das AA nach der ersten Verhandlungsrunde mit Stalin und Molotov. 7 So der Vorkriegsbotschafter in Warschau, Moltke in einer Aufzeichnung vom 25. September 1939. Vgl. ADAP, D, VIII, Dok. 137, S. 108.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

auch zu Rußland in Kontrast gestellt hätte und drittens, weil es ihm mit den Andeutungen über eventuelle Verhandlungen gar nicht ernst war.“8

Nach manchem Eindruck habe Chamberlain „eine Rede gelesen, die nicht die seine war. Um so ernster ist sie zu nehmen.“9 Zusammengefaßt: „England will den Krieg“, daher würde es keine italienische Friedensvermittlung mehr geben. Ribbentrop ging am 24.  Oktober in Danzig dennoch noch einmal auf die Umstände des Kriegsausbruchs ein.10 Er griff auch Chamberlain direkt als denjenigen an, der zuerst Drohungen ausgesprochen hätte und nach dem Münchener Abkommen sofort wieder auf Kriegskurs gegangen sei. Das Haupthema war wieder einmal die Glaubwürdigkeit. Chamberlain hatte sie der deutschen Regierung abgesprochen, Ribbentrop konterte entsprechend mit dem Verweis auf die Motive hinter der Reise des britischen Regierungschefs nach München: „Warum tat er das? Die Antwort gab uns die erste Rede, die Herr Chamberlain nach seiner Rückkehr nach London hielt und in der er in der einen Hand den Ölzweig des Friedens heimbrachte, in der anderen aber dem englischen Volk ein gigantisches Aufrüstungsprogramm präsentierte. Das heißt also, Herr Chamberlain, der gehofft hatte, Deutschland mit Kriegsdrohungen von seinen berechtigten Forderungen zur Befreiung seiner Sudetendeutschen abzubringen, hat die Drohung lediglich deshalb nicht ausgeführt, weil England rüstungs­mäßig nicht fertig war. Chamberlain war also nicht nach München gekommen, um den Krieg zu verhindern, sondern um den von der britischen Regierung beschlossenen Krieg nur zu verschieben.“11

Dies war das, was man in Berlin wirklich dachte, was der Tenor von Ribbentrops Amtszeit als Minister gewesen war und was Hitler wie oben bereits erwähnt noch im Frühjahr 1945 Martin Bormann in die Feder diktierte „Als der plutokratische Bourgeois Chamberlain mit dem friedlichen und trügerischen Regenschirm sich dazu herabließ, auf den Berghof zu fliegen, um mit einem Emporkömmling namens Hitler zu konferieren, da wußte er bereits, daß England uns einmal den Kampf bis aufs Messer ansagen würde. Er war bereit, mir das Blaue vom Himmel herunter zu ver­ sprechen, um mich einzuschläfern. Es ging ihm mit seiner plötzlichen Reiselust einzig und allein um Zeitgewinn.“12

Chamberlains Intentionen mochten damals andere gewesen sein, denn er gehörte nicht zu jenen, die den Krieg um jeden Preis wollten. Letztlich hatte sein Münchener Verfahren jedoch genau diesen Effekt des Zeitgewinns für Rüstungszwecke, ein Effekt, der sich in den Monaten nach dem September 1939 noch verstärkte, da die britische Rüstung weiterhin auf Hochtouren lief und die deutsche Industrie hier unter den Bedingungen der Blockade nur deswegen halbwegs mit

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9

Zit. n. PA AA, R 27 118/279 566, Bericht vom 18. Oktober 1939. Zit. n. PA AA, R 27 118/279 566, Bericht vom 18. Oktober 1939. 10 Eine Tonaufnahme der Rede bietet youtube: http://www.youtube.com/watch?v=2m0dABon CkQ, zuletzt eingesehen am 12.6.2012. 11 Ribbentrop am 24. Oktober 1939 in Danzig, zit. n. DDP, 7/1, S. 372 f. 12 Zit. n. Trevor-Roper, Diktate, S. 99, Hitlers Äußerung vom 21. Februar 1945.

1. Ribbentrop vs. Chamberlain

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halten konnte, weil die Lieferungen aus der UdSSR für einen gewissen Ausgleich sorgten. Hier fügte sich aus Ribbentrops Sicht auch der als „Garantie“ nur unzureichend bezeichnete britische Blankoscheck für Polens Krieg gegen Deutschland ins Bild, zumal sich die britische Regierung ein paar Tage vor seiner Rede ge­nötigt sah, öffentlich zuzugeben, daß dieser Scheck nur für einen deutsch-polnischen Krieg ausgestellt worden war, nicht für andere mögliche polnische Unternehmungen oder Bedrohungen Polens.13 Diesen Vertrag hatte Großbritannien im September gebrochen. Polen war militärisch nicht unterstützt worden. Es mußte vor diesem Hintergrund in der Tat merkwürdig wirken, wenn der persönlich vertragsbrüchige britische Premier sich jetzt nur Tage später vor das internationale Publikum stellte und ausgerechnet das Thema „Glaubwürdigkeit“ zur rhetorischen Zentralfigur seiner Äußerungen werden ließ.14 Eine Entgegnung zu diesem Punkt war einfach. Die Geschichte des britischen Empire ließ sich mühelos als Abfolge von Vertragsbruch und Angriffskrieg darstellen. Zur Abrundung seiner oben erwähnten Danziger Rede über die britische Glaubwürdigkeit hielt Ribbentrop der britischen Politik deshalb unter anderem ihre zahlreichen Wortbrüche gegenüber den Verbündeten im Ersten Weltkrieg vor. Weder hatten die Araber den ihnen damals versprochenen Staat erhalten, noch Indien seine Unabhängigkeit oder Italien die ihm zugesagten Territorien. Ja, Ribbentrop griff sogar das unmögliche englische Doppelversprechen der Übergabe Palästinas zunächst an Araber und später an Juden als Wortbruch auf, um schließlich bei dem deutschenglischen Konsultationsabkommen zu enden und der darin enthaltenen gegenseitigen Bekräftigung, nicht mehr Krieg gegeneinander zu führen. Dieses Abkommen hatte Chamberlain nach seiner Auffassung nie halten wollen und jetzt gebrochen. Chamberlains vorausgegangenen Äußerungen über die deutsche Glaubwürdig­ keit fehlten wie gesagt die Schlußfolgerungen. Prinzipiell gab es nichts, was Chamberlain daran hindern mußte, mit Forderungen wie etwa dem Rückzug deutscher Truppen aus den nichtdeutschen Gebieten Tschechiens und Polens das NSRegime bei seinem früheren Wort zu nehmen, oder etwa die von Berlin vor Wochen aufgebrachte Frage einer sowjetischen Beteiligung an einer Friedensregelung seinerseits neu aufzunehmen. Statt dessen tat der englische Premier ebenso wie später sein Nachfolger alles, um jede konkrete Forderung an Deutschland vermeiden zu können. Ein einziges Mal zwischen dem 1. September 1939 und dem 8. Mai 1945 wurde gesagt, was Deutschland tun sollte, um wenigstens den Krieg mit England zu verhindern: Das war am 3. September 1939 um 9 Uhr morgens, als es im englischen Ultimatum hieß, die deutschen Truppen hätten polnisches Gebiet 13 Ribbentrop am 24. Oktober 1939 in Danzig, zit. n. DDP, 7/1, S. 373. Dort der Verweis auf die entsprechende Erklärung des Unterstaatssekretärs Butler vom 19. Oktober 1939 im britischen Unterhaus. 14 In Polen selbst verarbeitete die deutsche Verwaltung das Thema mit einem Plakat. Es trug den Titel „England, dein Werk“, zeigte einen verletzten polnischen Soldaten, Minen und im Hintergrund die Silhouette Chamberlains. Angeblich gehörte es zu den wenigen Erfolgen der deutschen Propaganda in Polen. Vgl. Lubienski, Polen, S. 96.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

bedingungslos zu verlassen.15 Niemals wieder wurden an Deutschland präzise Forderungen gestellt, ob öffentlich oder geheim. Eine Zeitlang war aus London als Appell an die innerdeutsche Opposition noch zu hören, nur „die deutsche Regierung, und sie allein“ stände dem Frieden im Weg. Sie sollte bitte beseitigt werden. Ribbentrops langjähriger Kontaktmann ConwellEvans verhandelte darüber unmittelbar nach dem Chamberlain-Ribbentropschen Redeschlagabtausch mit Theodor Kordt. Man traf sich in Bern, wo Conwell-Evans seinem Gegenüber das britische Wohlwollen für den Fall eines Staatsstreich ankündigte und befriedigend zur Kenntnis nehmen konnte, daß Kordt ihm die von Staatssekretär Weizsäcker sanktionierte Ermordung des deutschen Staatschefs für den November 1939 in Aussicht stellte.16 Dies blieb folgenlos, da Hitler das einzige, tatsächlich anfang des Monats von einem Einzeltäter ausgeführte Attentat im Münchener Bürgerbräukeller zufällig überstand, während die innerdeutsche Opposition trotz ihrer Appelle an das Militär in Gestalt des Generalstabschefs Halder selbst nicht handelte. Bald nach diesen folgenlosen Episoden gab es aus Großbritannien nur noch Churchills Alternative „Sieg oder Tod“ zu hören, und nicht sehr viel später nur noch den „Sieg“ in Form von „unconditional surrender“. Kom­promiß- oder „Kaufmannspolitik“ etwa Ribbentropscher Art konnte angesichts dessen nicht greifen. Dies galt nicht nur für das deutsch-britische Verhältnis, sondern ebenso für den eben gerade geschlossenen sowjetisch-nationalsozialistischen Ausgleich. Wie sich herausstellen sollte, galt es auch für den dritten jener „Großen Drei“, deren Politik sich 1945 in Deutschland kreuzen sollte, für die Vereinigten Staaten. 2. Amerikanische Verhältnisse „Weder die Franzosen noch die Briten hätten Polen zum Kriegsgrund gemacht, wären nicht die konstanten Nadelstiche aus Washington gewesen. Bullitt erzählte Roosevelt ständig, die Deutschen würden nicht kämpfen. Kennedy entgegnete, sie würden sehr wohl, und sie würden Europa überrennen.“ James Forrestal17

In den Jahren 1938 und 1939 blieb die Washingtoner Politik der Regierung Roose­velt noch weniger eindeutig, als dies im nachhinein den Anschein haben konnte. Die amerikanische Öffentlichkeit wurde seit Jahren auf kultureller und publizistischer Ebene auf einen drohenden europäischen Krieg eingestellt, an dem Deutschland schuld sein sollte. Sie glaubte nun 1939, dieses Ereignis erlebt zu ha

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Vgl. AA, Vorgeschichte, Dok. 477, S. 454. Vgl. Schlie, Friede, S. 136. 17 Zit. n. Forrestal, Diaries, S. 121 f. Aufzeichnung Forrestals über ein Gespräch mit ­Joseph Kennedy beim Golfen am 27. Dezember 1945. Forrestal war zu dieser Zeit Marineminister. William C. Bullitt war früherer amerikanischer Botschafter in Moskau, danach gelegentlich Sonderbeauftragter Roosevelts in den heiklen diplomatischen Angelegenheiten Europas und 1939 der oberste Diplomat der USA in Paris.

2. Amerikanische Verhältnisse

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ben.18 Weniger eindeutig präsentierte sich das politische Washington, in dem jede direkte und öffentliche Einmischung in die europäische Kriegspolitik noch immer offiziell tabu war. Tatsächlich hatte eine solche Einmischung stattgefunden. Manche Dokumente des polnischen Außenministeriums, die das Auswärtige Amt im Rahmen der Aktion Künsberg in Warschau erbeutete, deuteten auf eine aktive amerikanische Kriegspolitik hin, die wesentliches zum Ausbruch des Konflikts von 1939 beigetragen hatte. Eine deutsche Aktenpublikation aus dem Jahr 1940 dokumentierte das. Dort wurden „Polnische Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges“ in Faksimile der Weltöffentlichkeit zur Kenntnis gegeben. Ribbentrop ließ die Dokumente unkommentiert erscheinen. Sie würden „für sich selbst sprechen“, hieß es in einer knappen Vorbemerkung.19 Als kleine Drohung für später nannte der sich der Band „Erste Folge“. In den Texten wurde die amerikanische Außenpolitik seit der Jahreswende 1938/39 als Kriegspolitik erkennbar oder zumindest als eine Politik, die den Krieg mit ins Kalkül zog. Vor allem der Pariser Botschafter William C. Bullitt hatte demnach in Gesprächen mit polnischen Kollegen einen intensiven amerikanischen Druck auf die Westmächte angekündigt, um jedes weitere Zugeständnis an Deutschland und Italien auszuschließen. Sollte es darüber zum Krieg kommen, würden die USA ihn schließlich entscheiden. Jerzy Potocki, der polnische Vertreter in Washington, hielt den amerikanischen Krieg gegen Deutschland auch aus anderen Gründen bereits für eine sichere Entwicklung. Das wurde im Januar 1939 bereits zum Tagesgespräch in Warschauer Diplomatenkreisen und stand nach der Eroberung Warschaus dem deutschen Auswärtigen Amt in schriftlich belegter Form zur Verfügung. Die offiziöse US-amerikanische Geschichtsschreibung bestätigte die Brisanz des Vorgangs nach 1945 indirekt, in dem sie diese Dokumente für Fälschungen erklärte: „Diese Dokumente erwecken den Eindruck, daß Männer wie Botschafter Bullitt Kriegshetzer gewesen wären und eine schwere Verantwortung für die Entwicklung der europäischen Krise trügen. Die Echtheit dieser Papiere wurde von Mr. Bullitt und Außenminister Hull augenblicklich bestritten und auch von anderen Amerikanern und ausländischen Offiziellen ernsthaft in Frage gestellt. Man kann daher nur zum Schluß kommen, daß diese Dokumente Fälschungen sind und nur in der Hoffnung publiziert wurden, die amerikanische Administration zu diskreditieren und eine isolationistische Stimmung zu schüren.“20 18 „Die Sympathie der überwältigenden Mehrheit des amerikanischen Volks gehört unseren Gegnern, und Amerika ist von der deutschen Kriegsschuld überzeugt“, berichtete Geschäfts­ träger Hans Thomsen am 18. September 1939. Vgl. ADAP, D, VIII, Dok. 88, S. 89. 19 Vgl. Polnische Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Berlin 1940. 20 Zit. n. Langer, Challenge, S. 426. Die Verfasser dieser Zeilen, William Langer und Everett Gleason, waren während des Krieges und danach für US-amerikanische Geheimdienststellen tätig. Langer beispielsweise amtierte als hochrangiger Mitarbeiter des US-Kriegsgeheimdiensts OSS und Leiter von dessen „Gehirn“, der Research and Analysis Branch (R&A). Vgl. Doerries, Nachrichtendienste, S. 123 f. Ihre Darstellung der Vorgeschichte und der frühen Kriegsjahre wurde vom „Council on Foreign Relations“ gefördert, der von der RockefellerStiftung eine substantielle Summe für eine auf vier Jahre Dauer angesetzte historische Recherche erhalten hatte, deren Inhalt dann vor der Publikation sicherheitshalber vom US-Außen­ ministerium durchgesehen wurde.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

Nun waren die Dokumente tatsächlich echt.21 Sie bewiesen, daß man in Wa­ shington zur Jahreswende 1938/39 politisch wie publizistisch auf verschärften Konfrontationskurs zum Deutschen Reich gegangen war. Das bedeutete allerdings nicht zwangsläufig „Kriegshetze“ durch die Roosevelt-Administration, wohl aber brachte es die Unterstützung des in England vorhandenen innenpolitischen Drucks auf die Appeaser um Neville Chamberlain durch die Washingtoner Regierung mit sich, eine Unterstützung, von der Chamberlain behauptet haben soll, sie habe ihn zum Krieg gezwungen.22 Von Deutschland aus konnte man wenig zur Beeinflussung der inneramerikanischen Entwicklung tun. Die Beziehungen beider Staaten waren seit 1933 angespannt. Das hing mit dem neuen deutschen Regime zusammen, aber nicht nur. Auch das kaiserliche Deutschland hatte 1917 bereits einen quasi religiösen Ausbruch amerikanischer Feindschaft erlebt, wie er für die erkannten Feinde amerikanischer Interessen stets zur Verfügung stand. Trotz seiner ganz persönlichen transatlantischen Erfahrungen vor 1914 standen die USA für Ribbentrop zwischen 1933 und 1939 dennoch nie im Zentrum seiner außenpolitischen Überlegungen. Die Washingtoner Entscheidungsfindung war von Berlin aus unter keinen ideologischen Vorzeichen nennenswert zu beeinflussen.23 Der amerikanische Isolationismus, der Mitte der dreißiger Jahre in entsprechenden Neutralitätsgesetzen seinen Höhepunkt erreichte, schien eine Wiederholung der amerikanischen Kriegserklärung von 1917 zudem vorerst wenig wahrscheinlich werden zu lassen. Staatssekretär Bülow war in seiner Denkschrift von 1933 lapidar von der Annahme eines andauernden Desinteresses der amerikanischen Politik an den europäischen Angelegenheiten ausgegangen. Ein Untersuchungsausschuß des amerikanischen Kongresses, das Nye-Committee, hatte im Jahr 1935 schließlich den Kriegseintritt von 1917 im wesentlichen auf undemokratische Machenschaften der Rüstungs­ industrie zurückgeführt. Insgesamt stellten die USA aus Ribbentrops Sicht keinen für Deutschland unmittelbar existentiellen Faktor dar, wie dies eben für Frankreich, England oder auch die Sowjetunion galt. Wenn es gelang, die Westmächte vor einem Konflikt mit Deutschland abzuschrecken, würden ihn die Vereinigten

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Dies bestätigte unter anderem Edward Raczynski, der polnische Botschafter in London in seinen Tagebüchern. Die Echtheit wurde auch durch Untersuchungen des Hoover-Instituts bestätigt, das in den Besitz der Dokumente gelangte. Vgl. Hoover, Betrayed, S. 593 f. 22 Vgl. Forrestal, Diaries, S.  121 f. US-Botschafter Kennedy gab diesen Zusammenhang mehreren Personen gegenüber zu Protokoll. Er schilderte den Druck, den er und Bullitt als Botschafter in Europa ausgeübt hatten, so auch bei Ex-Präsident Herbert Hoover, dem er Chamberlains Äußerungen nach dem polnisch-britischen Abkommen wie folgt berichtete: „Chamberlain told him (Kennedy) that he hoped the Americans and the Jews would now be satisfied but that he (Chamberlain) felt that he had signed the doom of civilization.“ Zit. n. Hoover, Betrayed, S. 828. 23 Laut Paul Schmidt begrenzte Ribbentrop deshalb die amerikanische Landschaftspflege des Auswärtigen Amts auf drei Felder: 1. Rundfunk, 2. Weißbücher und Dokumentenaus­gaben, 3.  Flüsterpropaganda. Besonders die Weißbücher seien ein gewisser Erfolg gewesen. Vgl. Schmidt, Tagebuch, Vernehmung vom 28.5.1946.

2. Amerikanische Verhältnisse

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Staaten ganz sicher nicht alleine beginnen. Es bedurfte einer umfassenden und noch im nachhinein erstaunlichen Desinformationskampagne der amerikanischen Öffentlichkeit, bis Franklin Delano Roosevelt trotz der gegenteiligen Versprechungen, die er noch im Wahlkampf 1940 gegeben hatte, die USA in den Krieg führen konnte.24 So war die Europareise des stellvertretenden US-Außenministers Sumner Welles im Frühjahr 1940 die erste – und letzte – Gelegenheit für Ribbentrop, einem Repräsentanten des unmittelbaren Führungszirkels der Roosevelt-Administration zu begegnen. Die Welles-Reise gehörte mit zu einer ganzen Reihe von Maßnahmen der US-Regierung, um sich nach Kriegsbeginn den Kriegsparteien nachdrücklich in Erinnerung zu bringen. Washington sollte eines der Zentren der Weltpolitik werden, keine Friedensregelung des europäischen Konflikts sollte an den dort formulierten Grundsätzen vorbeigehen können. Zu diesem Zweck veranstaltete man Konferenzen der neutralen Staaten und diese Botschaft brachte Sumner Welles in die Hauptstädte der Kriegsparteien. Dabei entwickelte er beiläufig den Ehrgeiz, den Krieg vielleicht vor seiner heißen Phase in Richtung jener Grundsätze eindämmen zu können. Ribbentrop bestand auch gegenüber Sumner Welles darauf, daß wesentliche politische Fragen innerhalb der deutschen Hauptstadt mit ihm nicht in der Sprache der Kriegsgegner zu verhandeln seien. Den Versuch von Welles, einen englischsprachigen Dialog zu beginnen, quittierte er mit Schweigen, ließ Dolmetscher Schmidt übersetzen und antwortete dann auf deutsch, was Welles dann seinerseits mit der ironischen Aussage quittierte, leider habe er seine Fähigkeit ver­ loren, deutsch zu sprechen.25 Auch sonst verlief das Gespräch äußerst distanziert. Ribben­trop gab zunächst in einem langen Monolog einen Überblick über die deutsche und europäische Außenpolitik der letzten Jahre, wie er sie sah. Darin enthalten war eine Begründung der wesentlichen deutschen außenpolitischen Schritte, also der Rheinlandbesetzung, der Wiedervereinigung mit Österreich als althergebrachtem Teil des Reichs, der Sudetenkrise und dem Münchener Abkommen, das die Briten dann nur Wochen später mit der Ausrufung des größten Aufrüstungsprogramms aller Zeiten beantwortet hätten. Es seien auch die Briten gewesen, die dann eine deutsch-polnische Einigung verhindert hätten und schließlich Polen zu einem Krieg gegen Deutschland ermutigt hätten, wofür man  – und hier blickte Ribbentrop seinen amerikanischen Gesprächspartner bedeutungsvoll an  – jetzt auch weitere Beweise in polnischen Archiven gefunden hätte. Welles sah darin wohl zurecht eine Anspielung darauf, daß in diesen Archiven auch die polnischen Berichte über die inhaltlich gleich ausgerichteten Tätigkeiten amerikanischer Di 24 Die Auseinandersetzung über den verdeckten Kriegskurs wurde jüngst noch einmal gut und umfangreich aus Sicht des politischen Gegners dargestellt, des republikanischen Exprä­ sidenten Herbert Hoover. Vgl. Hoover, Betrayed, passim. 25 FRUS, 1940, I, S. 34, Welles Report. Ribbentrops Weigerung, bei dieser Gelegenheit englisch zu sprechen, wurde noch 1945 zum Thema eines Informationsberichts für den amerika­ nischen Ankläger Robert H. Jackson. Vgl. Overy, Verhöre, 312 f.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

plomaten gefunden worden seien, insbesondere Informationen über den Pariser Botschafter William C. Bullitt.26 Obwohl man aus den Washingtoner Berichten des Grafen Potocki aber den Eindruck hätte gewinnen können, als hätte die Washingtoner Politik nicht weniger auf Krieg abgezielt als die britische, verzichteten sowohl Ribbentrop wie alle anderen deutschen Gesprächspartner von Welles auf jeden Hinweis in diese Richtung. Neville Chamberlain soll gar geklagt haben, von den USA aus zum Krieg gegen Deutschland gezwungen worden zu sein.27 Diese Ansicht wurde in Berlin zweifellos von manchen geteilt, aber dennoch wurde Welles in der deutschen Hauptstadt als Vermittler eines neutralen Landes aufgenommen und behandelt. Zum Gesprächsthema wurde die englische Kriegslust, nicht die amerikanische. Mit Bezug auf das deutsch-amerikanische Verhältnis gab Ribbentrop lediglich deutlich zu verstehen, daß es zwischen den USA und Deutschland keine Interessengegensätze geben würde. Deutschland müsse auf dem Des­ interesse der USA, Frankreichs und Englands in osteuropäischen Angelegenheiten bestehen, die man künftig in Zusammenarbeit mit der UdSSR zu regeln gedenke. Das sei in etwa dies, was die USA im Rahmen der Monroe-Doktrin für den gesamten amerikanischen Doppelkontinent beanspruchen würden.28 Welles erklärte dies für ein Mißverständnis der Monroe-Doktrin, die sich inzwischen zu einem eher partnerschaftlichen Miteinander entwickelt hätte. In der Tat reiste er ja auch durch Europa, um den führenden Staaten dort – allen führenden Staaten – den amerikanischen Wunsch zu verdeutlichen, den alten europäischen Stil von Machtpolitik und Einflußzonen zu beseitigen. Dies richtete sich ebenfalls gegen die britischen oder französischen Kriegsziele, wie sich bereits im Lauf des nächsten Jahres herausstellen sollte. Zu den Realitäten der internationalen Politik in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zählte eben der amerikanische Wunsch, das eigene Politikverständnis als alleinigen Maßstab in Europa zu etablieren. Entsprechend dem eben dargelegten Gang der Dinge sei es zu einem Krieg gekommen, den die Briten gesucht und begonnen hätten, nicht Deutschland, fuhr Ribbentrop fort. Das grundsätzliche Ziel britischer Politik, meinte er, bestehe offenkundig in der Vernichtung Deutschlands. Frieden in Europa könne es nur geben, wenn man in London von diesem Ziel endgültig Abstand nehmen würde.29 Dies entsprach wie gesehen dem, was Ribbentrop nach seinen Londoner Erfahrungen tatsächlich dachte und seit der Jahreswende 1937/38 befürchtet hatte. Es wurde Welles außerdem von Göring wie von Hess sowie schließlich auch von Hitler wiederholt gesagt. Das hinterließ Spuren. In London angekommen, erkundigte sich Welles bei Chamberlain, wie es damit stehe: „Ich war sehr beeindruckt davon, daß mir jedes Mitglied der deutschen Regierung, mit dem ich in Berlin gesprochen habe, erklärt hat, Deutschland würde einen Krieg zur Selbstvertei

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FRUS, 1940, I, S. 39, Welles Report. „Amerika und die Weltjuden haben England in den Krieg gezwungen“, so soll der Wortlaut geklungen haben. Zit. n. Forrestal, Diaries, S. 121 f. 28 FRUS, 1940, I, S. 39, Welles Report. 29 FRUS, 1940, I, S. 39, Welles Report.

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digung führen. England sei entschlossen, das Deutsche Reich zu zerstören, die Einheit des deutschen Volkes unmöglich zu machen, Deutschland als solches zu vernichten und das gegenwärtige Regime zu stürzen. Mir wurde gesagt, daß Deutschland letztlich zum Krieg gezwungen wurde, um seine Integrität zu schützen.“30

Chamberlain stritt diese deutsche Version zwar ab und verwies auf verschiedene beruhigende Erklärungen, die er bezüglich Deutschlands Recht auf Einheit und Selbstbestimmung abgegeben haben wollte. Der weitere Aufenthalt in London belehrte Welles allerdings bald darüber, daß in den Fluren und Zimmern der britischen Politik von hochrangigen Personen in der Tat ganz offen über die Vernichtung des deutschen Reichs und der deutschen Einheit gesprochen wurde. Man wünschte, den Deutschen eine Lektion zu erteilen, ihr Land zu verwüsten und es jahrzehntelang besetzt zu halten. Man hätte Berlin schon 1918 bis auf die Grundmauern zerstören sollen, hörte er vom Ersten Seelord Dudley Pound.31 Eine Lehre müsse man den Deutschen durch Zerstörung und Besatzung ihres Landes erteilen, ergänzte Kriegsminister Oliver Stanley.32 Man müsse die Deutschen besiegen und ihnen eine andere Regierung aufzwingen, forderte Anthony Eden, derzeit Minister für die Dominions.33 Ähnliches bekam Welles auch von Winston Churchill zu hören, der in erster Linie Österreich wieder abspalten sowie Polen und die Tschechoslowakei wiederherstellen wollte und über von Welles nicht näher beschriebene Maßnahmen phantasierte, die eine deutsche Hegemonie über Mitteleuropa künftig unmöglich machen sollten.34 Das kannte Welles alles schon und Churchill hatte ja auch vor dem Krieg aus seinen Vernichtungsabsichten und der gewünschten „Zerschlagung der deutschen Wirtschaft“ keinen Hehl gemacht.35 Obwohl es auch andere Stimmen gab,36 führte dies insgesamt dazu, daß Roosevelt nach Welles Rückkehr und seinem Bericht tatsächlich eine diplomatische Initiative ergriff, die als erstes eine öffentliche Erklärung der beiden Westmächte vorsah, Deutschland nicht vernichten zu wollen.37 Diese Erklärung wurde nie abgegeben. Frankreich und Großbritannien zogen es nach langen Diskussionen über mögliche neue Kriegsschauplätze auf dem Balkan oder im Süden der Sowjetunion vor, den Krieg zunächst einmal nach Skandinavien zu tragen.



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FRUS, 1940, I, S. 75, Welles Report. FRUS, 1940, I, S. 79, Welles Report. 32 FRUS, 1940, I, S. 80, Welles Report. 33 Vgl. FRUS, 1940, I, S. 83, Welles Report. 34 Vgl. FRUS, 1940, I, S. 84, Welles Report. 35 So Churchill im Herbst 1938 im Gespräch mit Heinrich Brüning: „Was wir wollen, ist, daß die deutsche Wirtschaft vollkommen zusammengeschlagen wird.“ Zit. n. Brüning, Briefe, I, S. 207. 36 Insbesondere die bereits erwähnte Äußerung des früheren Premiers Lloyd George, das sei der dümmste und unnötigste Krieg, den Großbritannien je geführt habe. Vgl. FRUS I, S. 86. 37 Demnach sollten die beiden Staaten als ihr Kriegsziel die Etablierung einer innereuropä­ ischen Struktur nennen, die unter anderem „security for national unity and existence to all nations both large and small including Germany“ beinhalten sollte. Zit. n. Dokumente, I/1, S. 153.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

Da diese Absicht in Berlin zeitig erkannt wurde, gelang es den deutschen Streitkräften, der britisch-französischen Invasion militärisch zuvorzukommen und dabei auch belastende alliierte Dokumente zu erbeuten. Sie erlaubten es Ribbentrop, auf Pressekonferenzen und in weiteren Veröffentlichungen des Auswärtigen Amts über die alliierte Kriegsausweitungspolitik klarzustellen, wer diese Eskalation betrieben hatte. Dies wiederholte sich, als während des Frankreichfeldzugs im Juni 1940 auch in Paris Dokumente sichergestellt werden konnten, mit denen sich die alliierten Pläne für die oben erwähnten Überfälle auf dem Balkan und die UdSSR anschaulich beweisen ließen, sowie belgisch-französische Militärabsprachen, die sich mit der belgischen Neutralität schwer vereinbaren ließen. Zusammen mit den in Warschau 1939 sichergestellten Akten über die polnisch-amerikanische Vorkriegspolitik besaßen das Auswärtige Amt und sein Minister damit aussagekräftige Darstellungen über den Punkt „Kriegsschuld“, so weit es den unmittelbaren Ausbruch und die Eskalation des Krieges bis zum Sommer 1940 betraf. Allerdings stand Ribbentrop trotz dieser Informationslage weiterhin vor der ungelösten zentralen Aufgabe, mit Großbritannien einen Frieden zu schließen. Das belegbare Wissen darüber, wie die Gegner statt dessen die Eskalation vorantreiben wollten, beeinflusste die Chance zur Lösung dieser Aufgabe erst einmal nur wenig. In London amtierte seit dem 10. Mai 1940 nun ausgerechnet jener Mann als Regierungschef, der als prominentestes Mitglied der Kriegspartei den englischdeutschen Krieg „um jeden Preis“ gewollt hatte und ihn jetzt bis zum Sieg führen wollte, nicht bis zum Kompromiß. Dies machte die Aufgabe für Ribbentrop unlösbar, wenn Churchill nicht umgangen werden konnte oder seinen Posten wieder verlor. Zudem stellte ein Vorgang in Osteuropa einen von Ribbentrops größten Erfolgen in Frage. Der Nichtangriffspakt mit der UdSSR hatte nicht, wie von ihm erhofft, eine britische Kriegserklärung verhindern können, aber er hatte wenigstens die Neutralisierung der Sowjetunion für längere Zeit scheinbar sichergestellt. Ein wesentliches Element stellte in diesem Zusammenhang das Abkommen über die gegenseitige Abgrenzung der Interessensphären dar. Nun wurde auch dies auf die Probe gestellt und von der Sowjetunion erstmals gebrochen, gerade im Augenblick des deutschen Militärerfolgs in Frankreich. Am 23. Juni 1940 kündigte die Sowjetunion der deutschen Regierung an, die Lösung der Bessarabienfrage mit Rumänien dulde keinen Aufschub mehr und werde gelöst werden, notfalls mit Gewalt.38 Seit Monaten habe Rumänien nichts unternommen, um eine „Lösung herbeizuführen“, worunter Außenminister ­Molotov zum Leidwesen der rumänischen Regierung nichts anderes als die Übergabe des Gebiets an die UdSSR verstand. An Bessarabien hatte sich Ribbentrop in Moskau ausdrücklich „desinteressiert“ gezeigt. Beiläufig sagte Molotov bei dieser Ge­ legenheit aber auch zum deutschen Botschafter Schulenburg, der sowjetische Anspruch erstrecke sich ebenfalls auf die Bukowina. Damit war ein kleines Gebiet mit überwiegend ukrainischer Bevölkerung angesprochen, das derzeit zu Rumä

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Vgl. Erklärung Molotovs zu Schulenburg, in: ADAP, D, X, Dok. 4, S. 3, 23. Juni 1940.

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nien gehörte, früher einmal Territorium der KuK-Monarchie gewesen war, aber jedenfalls nie, auch zu Zarenzeiten nicht, zu Rußland gezählt worden war. Dies war also etwas vollkommen neues. Es bestanden keine Vereinbarungen zwischen Deutschland und der UdSSR über dieses Gebiet, denn die UdSSR hatte 1939 bei den Absprachen über die Einflußzonen ausdrücklich nur Bessarabien für sich geltend gemacht, die Bukowina aber nicht. Mehr noch: Auch in der Erklärung vor dem Obersten Sowjet am 29. März 1940, auf die sich Molotov mit seinen Vorwürfen an Rumänien bezog, war nicht von der Bukowina die Rede gewesen.39 Auch daraus konnten die Sowjets also keinen Anspruch ableiten. Der Vorgang schlug in Berlin ein wie die sprichwörtliche Bombe. Wenn das größte Land der Welt diesen vergleichsweise kleinen Flecken derart provokativ für sich reklamierte, stand der „Ausgleich der Interessensphären“ deutlich auf der Probe. Das führte zunächst dazu, daß Hitler sich von Ribbentrop noch einmal vorlegen und interpretieren ließ, was er 1939 eigentlich unterschrieben hatte. „Soweit ihm erinnerlich“ teilte Ribbentrop mit, habe er weisungsgemäß das politische Desinteresse Deutschlands an diesen Gebieten erklärt, das wirtschaftliche Interesse aber betont. Die UdSSR habe sich, wie schriftlich festgehalten, ausdrücklich nur für Bessarabien interessiert.40 Das sei so allgemein wie möglich formuliert worden, um auch diesen Anspruch „nicht ausdrücklich schriftlich festzulegen.“ Von der Bukowina sei nicht gesprochen worden. In jedem Fall blieb der deutschen Regierung zu dieser Zeit nichts anderes übrig, als den russischen Forderungen nachzugeben. Das deutsche Hauptinteresse, so Ribbentrop zu Hitler, sei es schließlich, daß es in der dortigen Region auf keinen Fall zu Kampfhandlungen kommen dürfte. Am gleichen Tag notierte Staatssekretär v. Weizsäcker eine erste Anweisung in diesem Sinn. Sie enthielt wenige Vorbehalte und nur ein einziges Anliegen, daß es eben nicht zum Kampf kommen solle.41 Das Hauptthema der letztlich gescheiterten deutschen Balkanpolitik im kommenden Jahr war damit angesprochen.



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Vgl. Molotov, Außenpolitik, S. 21 f. u. ADAP, D, X, S. 3. Vgl. Notiz Ribbentrop für Hitler, in: ADAP, D, X, Dok. 10, S. 9, 24. Juni 1940. 41 Vgl. ADAP, D, X, Dok. 8, S. 6, 24. Juni 1940. Gleichzeitig ging ein Schreiben an die rumänische Regierung, der geraten wurde, sofort in allen Fragen nachzugeben und nicht auf deutsche Hilfe zu hoffen.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

3. Ribbentrop, das Amt und der Kompromißfrieden „Ich fürchte ein deutsches Friedensangebot mehr als einen Luftangriff.“ Neville Chamberlain42

Nach dem Waffenstillstand mit Frankreich hatte Hitler mehrere Papiere erarbei­ ten lassen, in denen mögliche Ziele eines dauerhaften Friedens fixiert wurden: eines vom Auswärtigen Amt, von einer Kommission, die neben dem bald darauf zum Botschafter in Frankreich ernannten Otto Abetz aus den Mitgliedern Friedrich Gaus, Fritz Berber, Fritz Hesse und Minister Ribbentrop selbst bestanden haben soll. Ein anderer Auftrag ging an das Innenministerium, genauer gesagt an Staatssekretär Stuckart. Stuckart sollte ein Gutachten unter dem Aspekt erarbeiten, wie das „Unrecht von 1648“ wiedergutzumachen sei.43 Der Westfälische Friede dieses Jahres galt dem deutschen Staats- und Parteichef als schriftliche Bestätigung einer nationalen Katastrophe, in die das Reich deutscher Nation nicht zuletzt durch französische Machtpolitik gestürzt worden war. Ansonsten entsprach das Zweitgutachten seiner regelmäßigen Praxis, den gleichen Auftrag mehrfach zu vergeben und auch dieses Mal kam es zu den üblichen Kompetenzstreitigkeiten. Wegen seiner Herkunft aus dem Innenministerium war Stuckart für Auswärtige Angelegenheiten unzuständig, berief sich aber auf Hitlers direkten Befehl und konnte jeden Versuch des Auswärtigen Amts abbiegen, ihn bei der Arbeit an seiner Denkschrift zu beeinflussen.44 Ribbentrop gelang es in diesem Fall einmal mehr nicht, gegenüber dem Diktator der alleinige Leiter der Auswärtigen Angelegenheiten zu bleiben. Anfang Juli 1940 lag dann ein ganzes Bündel von Vorschlägen, Gutachten und Denkschriften aus Partei, Militär, Wirtschaft und Regierung auf Hitlers Tisch. Es war allein seine Angelegenheit, welchen Vorschlag er aufgreifen würde, aber offenbar gelang es Ribbentrop, seine Version letztlich durchzusetzen. Chefdolmetscher Schmidt berichtet in seinen Memoiren darüber folgendes: „Der Führer will England ein sehr großzügiges Friedensangebot machen“, sagte einige Tage später45 Ribbentrop in Berlin zu mir. „Wenn Lloyd George das hört, wird er uns wahr 42 In einem Brief an seine Schwester Ida vom 8.  Oktober 1939. Zit. n. Cowling, Impact, S. 355. Die Äußerung zeugt von der in London verbreiteten Befürchtung, Hitler könne sein Angebot vom 6. Oktober weiter konkretisieren. Selbstverständlich vermied die britische Regierung auch jede Sondierung in diese Richtung. 43 Vgl. Böhme, Waffenstillstand, S. 250 u. Jäckel, Frankreich, S. 47. Der Auftrag soll laut Aussage des Ministerialrats Adolf Klas Anfang Juni 1940 ergangen sein (vgl. IMT, Nürnberger Dokument NG-3572). Stuckarts Denkschrift ist im Zusammenhang mit der später eingerichteten Sicherungslinie in Frankreich gelegentlich als Vorspiel zu einer deutsch-französischen Grenzziehung wie im späten Mittelalter gesehen worden. Belege gibt es dafür nicht. Die Militär­verwaltungen in Frankreich agierten im traditionellen Rahmen und auch Hitlers Befehle für die bevorzugte Behandlung der Flamen gegenüber den Wallonen in Belgien zeigen deutlich, wie wenig er sich von politischen Aktivitäten in romanisch besiedelten Gebieten versprach. 44 Vgl. Böhme, Waffenstillstand, S. 251. Außenminister Ribbentrop erhielt trotz seiner Anfragen offenbar kein Exemplar von Stuckarts Denkschrift. Vgl. Jäckel, Frankreich, S. 47. 45 Nach Schmidts Angaben heißt das, einige Tage nach dem 10. Juli 1940.

3. Ribbentrop, das Amt und der Kompromißfrieden

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scheinlich um den Hals fallen wollen“, fügte er hinzu. Er mußte irgendwie mit Hitler sehr lange und eingehend über dieses Angebot gesprochen haben und schien sich der Wirkung auf die Engländer recht sicher zu sein. „Ich würde mich nicht wundern“, sagte er abschließend, „wenn wir bald alle auf einer Friedenskonferenz säßen.“ Ich erinnerte mich an das, was Hitler im Juni in München zu Mussolini gesagt hatte, wie er gerade jetzt wieder auf die übertriebenen Forderungen Italiens überhaupt nicht reagiert hatte, und begann leise zu hoffen, daß er sich in dieser Stunde vielleicht doch als einer der Staatsmänner erweisen würde, die durch Gewährung großzügiger Bedingungen an die Besiegten einen dauerhaften Frieden herbeigeführt haben.“46

Schmidt kann keine weiteren Einzelheiten berichten, aber Fritz Hesse beschreibt diesen Vorgang ebenfalls und nennt Details einer Diskussion mit Ribbentrop über die Elemente, die ein aussichtsreiches Kompromißpapier enthalten mußte: „Daraufhin wollte Ribbentrop wissen, was für Punkte dies seien. Da ich mir diese Frage schon öfter gestellt hatte, blieb ich ihm die Antwort nicht schuldig und erwiderte ihm: 1. dürfte meines Erachtens ein Frieden für die Engländer nur dann möglich sein, wenn Deutschland ausdrücklich auf territoriale Änderungen im Westen, d. h. also ausdrücklich auch noch einmal auf Elsaß-Lothringen, verzichte; 2. wenn wir keinerlei Kriegsentschädigung von England, Frankreich, Belgien, Holland und Norwegen verlangten; 3. wenn wir eine Friedensgarantie gäben in der Form, daß wir entweder uns bereit erklärten, wieder in den Völkerbund einzutreten oder ein Friedensersatzsystem auf Grund eines Ausbaus des Kellogg-Paktes anzunehmen (was ihm sofort den Einwurf entlockte: So etwas akzep­tiert der Führer nie!); 4. wenn wir unsere territorialen Erwerbungen im Osten auf Wiederherstellung der Grenzen von 1914 beschränkten; 5. wenn wir zusagten, die Unabhängigkeit Polens und der Tschechoslowakei unter internationaler Garantie wiederherzustellen. Dagegen könnten wir, so meinte ich, andererseits verlangen, daß wir unsere Kolonien wieder erhielten und daß England einen Nichtangriffspakt mit uns abschließe, vielleicht in der Form, daß aus der englisch-französischen Entente eine deutsch-englisch-französische würde. Das letztere würde selbstverständlich bedingen, daß wir auf unsere Bindungen an Rußland verzichteten.“

Auch Fritz Berber bestätigt den Vorgang in seinen Memoiren, legt den Beginn aber bereits auf Ende Mai, als sich die militärische Niederlage der Westmächte bereits abzeichnete. Er sei zu Ribbentrop gerufen worden, sollte Friedensbedingungen skizzieren, die für England akzeptabel seien und habe als mögliche Basis vorgeschlagen, die territoriale Integrität der von Deutschland besetzten Gebiete

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Zit. n. Schmidt, Statist, S. 492 f. Schmidt war einer der Kritiker des NS-Regimes und belastete später die Angeklagten des Nürnberger Prozesses mit seiner Aussage schwer. Insofern gibt es keinen Grund anzunehmen, er würde mit den hier zitierten Passagen die NS-Führung nur in besserem Licht darstellen wollen.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

zu garantieren.47 Gemessen am Rahmen der Europaphantasien in Teilen der Wirtschaft oder der NSDAP waren diese Überlegungen äußerst konservativ, ansonsten aber nicht sonderlich originell, sondern ungefähr das, was auch die konserva­ tiven Widerstandskreise um Hassell und Goerdeler forderten. Die besetzten und eroberten Länder waren wieder zu räumen. Das bedeutete im Kern eine Absage an die Hegemonie über den Kontinent zugunsten einer Stabilisierung „Großdeutschlands“ in der Form des oben skizzierten Hitler-Ribbentrop-Programms. Unter diesem Blickwinkel ist es nicht überraschend, daß sich „Hitler … bemerkens­ werterweise im wesentlichen mit den von mir vorgetragenen Gedankengängen voll einverstanden erklärte,“ wie Hesse nicht ohne Eitelkeit bemerkte.48 Am Ende seien auf dieser Basis laut Hesse von der eigens zu diesem Zweck gegründeten Kommission, an der auch unter anderem Otto Abetz, der künftige Botschafter in Paris, Friedrich Gaus und Fritz Berber beteiligt gewesen sein sollen, achtzehn Seiten Text ausgearbeitet worden, die Hitler vorgelegt wurden. Der habe beim Anblick des Inhalts zunächst seinen Außenminister angebrüllt, was das solle, man habe schließlich „den Krieg gewonnen und nicht verloren“.49 In der Tat war es in der europäischen Geschichte noch nicht vorgekommen, daß ein militärischer Sieger sich aus gerade eroberten Gebieten vergleichsweise bereitwillig wieder zurückzog, und das sollte es auch diesmal nicht geben. Allerdings lag dies offenbar nicht an Deutschland, denn Hitler beruhigte sich wieder und fügte den Text des Auswärtigen Amts nach Auskunft von Walter Hewel, dem ständigen Vertreter des Außenministeriums bei Hitler, in das Redemanuskript für den 19. Juli ein.50

47 Vgl. Berber, Macht, S. 104. Berbers Aussagen stehen in gewissem Gegensatz zu Hesses: Nach ihm soll Ribbentrop diese Äußerung ungnädig aufgenommen haben und Berber erwähnt keine Kommission. Er ist aber so bemüht, seine Beziehungen zum Auswärtigen Amt generell herunterzuspielen und betont bei jeder Gelegenheit, seine Empfehlungen seien von Ribbentrop immer abgelehnt worden, daß es schon sehr merkwürdig ist, warum Ribbentrop dann gerade ihn unbedingt zu Mitarbeit „gezwungen“ haben soll, ihm auch während des Krieges die Publikation etlicher Dokumenteneditionen anvertraute, ihn nach möglichen Friedensbedingungen ausfragte, offenbar jederzeit für ihn zu sprechen war und ihn schließlich 1944 zu Verhandlungen nach Genf schickte. Es ist daher nicht sehr wahrscheinlich, daß Ribbentrop die Ratschläge Berbers pauschal abgelehnt hat. 48 Hesse, Spiel, S. 251. Diese Eitelkeit und die Neigung, Ereignisse aus dritter Hand zu erzählen und dabei offensichtlich zu dramatisieren, sind der Haupteinwand gegen die Seriosität von Hesses Memoiren. Es ist ein starker Einwand, aber er reicht nicht dazu aus, diesen Bericht insgesamt für erfunden zu erklären, zumal Hesse sich nicht scheute, sein Sendungsbewußtsein nachgewiesenermaßen auch gegenüber Hitler oder Ribbentrop zur Sprache zu bringen. In einem Gutachten für Ribbentrop von 1945, in dem er über mögliche Friedensansätze nachdenkt, findet sich die Behauptung, die Sudetenkrise „habe ich persönlich nur dadurch zu einem friedlichen Ausgang bringen (können), daß es mir gelang, Chamberlain zu überzeugen, daß nach dieser Aktion Deutschlands Aspirationen in Europa im wesentlichen erfüllt sein würden“. Ribbentrop staunte, unterstrich die Worte „ich persönlich“ und malte zwei große grüne Fragezeichen an den Rand.“ Vgl. BA NL 322, Kle-2, S. 99. Auch entspricht vieles an Hesses Aus­ sagen, wie gezeigt, anderen Berichten und Hitlers sonstigen Ansichten. 49 Zit. n. Hesse, Spiel, S. 252. 50 Ebd., Hesse, Spiel, S. 256.

3. Ribbentrop, das Amt und der Kompromißfrieden

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Wenn die deutsche Führung der Lloyd-George-Fraktion in England ein Angebot machen wollte, wie Ribbentrop zu Schmidt gesagt hatte, dann war Lord Lothian in er Tat die allererste Adresse, gerade aus Ribbentrops Sicht. Als Botschafter in Wa­ shington hatte Lothian den wichtigsten Posten bekommen, den die englische Diplomatie 1939 zu vergeben hatte, was sein aktuelles Ansehen innerhalb der Regierung verdeutlichte. Er war aber auch Lloyd Georges ehemaliger Privatsekretär aus dessen Zeiten als englischer Regierungschef, und er hatte sich intensiv mit den mitteleuropäischen Fragen beschäftigt. Dabei hatte sich Lothian durchaus als deutschfreundlich zu erkennen gegeben. Zudem gehörte der persönliche Kontakt zwischen Hitler und Lothian zu den ersten großen Erfolgen von Ribbentrops früher Reisediplomatie.51 Dies war demnach ein erstrangiger Kontakt zur englischen Regierung. Ribbentrop stimmte also dem Treffen Lothians mit dem deutschen Geschäftsträger in Washington, Thomsen zu.52 So konnte Thomsen bereits vor dem 21. Juli 1940 einen Gesprächsbericht nach Berlin schicken, der Lothians Äußerungen so wiedergab: „Englischer Botschafter (Lothian): England hat Krieg verloren. Es soll zahlen. Aber nichts gegen seine Ehre tun. Möglichkeiten eines Kabinetts Lloyd George, Chamberlain, Halifax.“53

Aus diesen wenigen Stichworten läßt sich das Gespräch Lothian-Thomsen nur ansatzweise rekonstruieren. Immerhin passen diese wenigen Worte exakt zu den Eintragungen in den Tagebüchern Harold Nicolsons und Ernst v. Weizsäckers. Das Tagebuch von Nicolson ist deutlich: „Philip Lothian ruft am Abend aus Washington an, um Halifax zu bitten, heute Abend im Radio nichts zu sagen, was die Tür zum Frieden zuschlagen würde. Er sagt, er kenne die deutschen Friedensbedingungen und sie seien überaus befriedigend. .“54

Aber in London hatte sich Churchill mit seiner Forderung durchgesetzt, keine Gespräche irgendwelcher Art mit der deutschen Regierung zuzulassen. Der Krieg ging weiter. Hitler faßte die politischen Optionen, die sich daraus ergaben, in der Besprechung vom 21. Juli 1940 zusammen. Die Probleme wie die Lösungen waren bekannt, ihr Zentrum war in London zu finden: „Wenn England weiter Krieg führen will, dann wird versucht werden, alles politisch gegen England einzuspannen: Spanien, Italien, Rußland.“55

Damit ist beschrieben, was in den nächsten Monaten auch von Ribbentrop versucht wurde. In Berlin plante man keine weiteren Eroberungen, etwa von „Lebensraum im Osten“. Man wollte den Krieg beenden. Zunächst führte der Versuch, zu

51 So etwa am 29.  Januar 1935 und am 4.  Mai 1937, vgl. Butler, Lothian, S.  330 ff. Am 4. Mai 1937 hatte Lothian auch Göring getroffen, und einen Tag später Hjalmar Schacht. 52 Vgl. Weizsäcker, Papiere, S. 215, 23. Juli 1940 und Weizsäcker, Erinnerungen, S. 294. 53 So lautet der Bericht von Brauchitsch an Halder über diese Besprechung. Zit. n. Halder, KTB, II, S. 31, 22. Juli 1940. 54 Zit. n. Nicolson, Diary, S. 104. 55 Zit. n. Halder, KTB, II, S. 31.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

diesem Zweck eine anti-englische Koalition aufzubauen, Ribbentrop zu den Anfängen seiner außenpolitischen Versuche zurück. Denn eine Schlüsselrolle spielte im Jahr 1940 der „französische Staat“, dem 1933/34 seine erste Aufmerksamkeit gegolten hatte. Machiavelli bemerkte einmal, man müsse sich nach der Eroberung einer Burg mit den Besiegten verbünden, weil die eigenen Bundesgenossen sowieso nicht zufrieden zu stellen wären. Solche Erfahrungen machte die deutsche Führung in der Tat gerade mit den italienischen Verbündeten. Hitler hatte offenbar seinen Machiavelli gelesen und sprach ganz in diesem Sinn in einer Weisung davon, „mit diesem Land in einer für die zukünftige Kriegsführung gegen England möglichst wirkungsvollen Weise zusammenarbeiten“ zu wollen, damit sich später eine volle Teilnahme Frankreichs am Krieg entwickeln könne.56 Dies war das erste einer ganzen Reihe von exzentrischen Vorhaben im Zusammenhang mit dem Versuch, Großbritannien zum Frieden zu bewegen. Zwar hatten die militärischen Erfolge von 1940 West- und Nordeuropa unter die Kontrolle der deutschen Streitkräfte fallen lassen. Zum attraktiven Vertragspartner wurde Deutschland dabei aber dennoch nicht. Frankreichs neuer Staatschef Pétain hatte den Waffenstillstand unterschrieben und mit Pierre Laval einen scheinbar deutschfreundlichen Regierungschef eingesetzt, aber er wünschte einen englischen Sieg.57 Alles andere war Maskerade, durfte Churchills Sekretär Colville notieren: „Vordergründig sollen wir den Anschein tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten aufrechterhalten, um Laval und die Deutschen zu täuschen. Hinter diesem Schleier können aber Geheimverhandlungen stattfinden.“58

Im Herbst 1940 fanden denn auch bereits Verhandlungen statt, in deren Rahmen die englische Politik einen möglichen deutsch-französischen Ausgleich zu verhindern versuchte.59 England zeigte sich auch unter den Bedingungen des Sommers 1940 als der zähe Gegner im diplomatischen Spiel, den Ribbentrop Ende 1937 in ihm gesehen hatte. Die deutschen Kriegsziele in Frankreich gehörten schon deshalb ohnehin zur Verhandlungsmasse: „Die Forderungen Deutschlands an Frankreich sind keineswegs feststehend: Anscheinend wird mit Elsaß-Lothringen und Teilen von Burgund gerechnet. Die Frage der Nord-Departements scheint innerlich keineswegs endgültig beantwortet zu sein. Man will aber die NO-Linie im Bewußtsein des Franzosen so einprägen, daß er schließlich froh ist, wenn er hier mit heiler Haut davonkommt.“60



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So die Weisung Nr. 18 vom 12. November 1940, vgl. BA-MA N 431/262, Bl. 9. So der Bericht des kanadischen Gesandten Dupuy über einen Besuch in Vichy, zit. n. Colville, Tagebücher, S. 242, 20. Januar 1941. 58 Zit. n. Colville, Tagebücher, S. 242, 20. Januar 1941. 59 Vgl. Launay, Geheimdiplomatie, S. 55 ff. und die Darstellung des Unterhändlers Rougier. L. Rougier: Les accords secrets franco-britanniques de l’automne 1940, Paris 1954. 60 Zit. n. Halder, KTB, II, S. 119, 30. September 1940. Über den Zweck der „Nord-Linie“ wurde zu dieser Zeit viel spekuliert. Sie folgte mehr oder weniger der deutschen Reichsgrenze

3. Ribbentrop, das Amt und der Kompromißfrieden

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Die hier als sichere deutsche Ziele genannten Regionen Elsaß-Lothringen und Luxemburg standen gleichfalls noch zur Diskussion. Für einen Abbruch des Krieges wollte die NS-Regierung weiterhin einen hohen Preis zahlen. Neben der Bildung einer antienglischen Koalition bombardierte die deutsche Außenpolitik auch den Kriegsgegner weiterhin mit Kompromißandeutungen. In London gingen Verhandlungssignale ein, wobei ein umfassender deutscher Rückzug aus den bisher besetzten Ländern angeboten wurde, inklusive der Wiederherstellung eines polnischen Staates. Alle übrigen europäischen Staaten, in denen derzeit wegen der Kriegssituation deutsche Truppen stünden, würden geräumt und wieder her­gestellt werden.61 Standen Ribbentrops Kontakte mit Frankreich von Anfang unter negativen Vorzeichen, so schien Spaniens Kriegsteilnahme wegen der strategischen Umstände und wegen der ideologischen Nähe des Spanischen Regimes, das seine Existenz einem erst im Vorjahr mit deutscher Hilfe gewonnenen Bürgerkrieg verdankte, eigentlich wahrscheinlicher zu sein. Hier kam es immerhin zu Verhandlungen. Ribbentrop empfing seinen spanischen Kollegen auf spektakuläre Weise: „Deutlich steht mir noch eine bemerkenswerte Szene in Ribbentrops Arbeitszimmer vor Augen. Auf einem Ständer am Fenster, das nach dem alten Park hinter der Wilhelmstraße hinausging, war eine Karte des französischen Kolonialreiches in Afrika aufgehängt. Davor standen Suňer und Ribbentrop. „Bitte bedienen sie sich“, hätte die sinngemäß verkürzte Übersetzung der hochklingenden Worte Ribbentrops heißen müssen. Und der Spanier bediente sich! Von Algerien nahm er Oran, Marokko wollte er ganz haben und große Stücke der Sahara und Französisch-Westafrikas benötigte er zur ‚Abrundung‘ der westafrikanischen Kolonie Rio d Oro. Ribbentrop verkaufte bereitwilligst die Ware, die ihm gar nicht gehörte. Für Spaniens Mitarbeit war ihm anscheinend kein Preis zu hoch.“62

Die englische Regierung bot in Spanien in bewährter Manier allerdings gleichfalls an, was ihr nicht gehörte, ebenfalls französisches Territorium.63 Auf der anderen Seite arbeitete die englische Diplomatie unentwegt weiter daran, den Krieg zu eskalieren und weitere Partner zu suchen. Ein Partner stand auf jeden Fall bereit. Franklin Roosevelt hatte nach der Welles-Reise erwogen, den Krieg in seiner damaligen Frühphase zu seinen Bedingungen zu deeskalieren. Aber es kam für ihn nicht in Frage, daß eine deutsche Vorherrschaft über den europäischen Kon­tinent dauerhaft errichtet wurde, wie sie im Sommer 1940 entstanden war. Theoretisch wäre die Washingtoner Regierung jetzt die Adresse gewesen, wo die weitreichenden deutschen Kompromißangebote hätten plaziert werden können, die eben dies zumindest ansatzweise sicherstellten. Es gibt nur vage Hinweise, daß Ribbentrop auch diesen Weg ging und ein solches Angebot dorthin übermitteln ließ. Sie hatten

vor 1648. Eine Rückkehr französischer Flüchtlinge in das Gebiet östlich dieser Linie war lange Zeit verboten. 61 Vgl. Gellermann, Wege, S. 39. 62 Zit. n. Schmidt, Statist, S. 497. 63 Vgl. Schmidt, Statist, S. 497.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

Moskau erreicht und finden sich beispielsweise in Stalins handschriftlichen Anweisungen für den Hitler-Ribbentrop-Molotov-Gipfel vom November 1940: „Sagen, daß man uns von den über Roosevelt gemachten Friedensvorschlägen Deutschlands an England berichtet hat. Entspricht das der Wirklichkeit und wie ist die Antwort?“64

Die Antwort Großbritanniens auf solche Schritte war stets negativ, beziehungsweise bestand sie in den Folgemonaten aus „Stille“. Auch der spektakulärste und ohne Wissen Ribbentrops unternommene Versuch, der England-Flug von Rudolf Hess sollte ergebnislos bleiben. Kurz danach, Ende Mai 1941 ging einer von Ribbentrops engsten Mitarbeitern, Gesandtschaftsrat Gardemann über einen spanischen Mittelsmann auf die britische Botschaft in Madrid zu, ob nicht unter Einschaltung des früheren spanischen Außenministers Beigbeder ein Kontakt hergestellt werden könne. Botschafter Hoare meldete das nach London. Eine Antwort gab es einmal mehr nicht.65 Erst unter dem Eindruck der deutschen Anfangserfolge im Rußlandfeldzug gab es einmal Hinweise auf eine mögliche Kompromißbereitschaft. Ein Bericht aus London wollte unter dem Datum des 16. Juli 1941 eine britische Bereitschaft für einen Kompromißfrieden festgestellt haben. Er wurde Staatssekretär Weizsäcker zwei Tage später vorgelegt. Es würden demnach in konservativen Kreisen Londons Diskussionen stattfinden, wie ein solcher Kompromiß aussehen könnte. Allerdings müßte eine Bedingung erfüllt sein: „Friedensgespräche mit England werden nur dann sinnvoll sein, wenn Sowjetrußland in zwei Monaten in Europa erledigt ist und England innerhalb der nächsten drei Monate vor der Drohung mit dem Ende mit Schrecken steht. Der ganze Komplex müßte also bis September/Oktober ins Rollen gebracht sein. Die größere Hilfe der USA und die daraus erwachsende Rückenstärkung für die englischen Kriegsparteien erwartet man nicht vor November/ Dezember 1941 bzw. vor Februar/März 1942.“66

Der Druck auf Außenminister Eden und Premier Churchill sei inzwischen so groß, daß intern „sogar Eden“ zugesichert hätte, zwar nicht mit Hitler, aber doch mit dem deutschen Volk und einem Repräsentanten wie Göring verhandeln zu können. Innerhalb der friedensgeneigten Fraktion in England würde besondere Furcht vor einem möglichen europäischen Staatenbund bestehen, der England vollkommen aus Europa ausschalten würde. Ob Weizsäcker den Bericht an Ribbentrop weitergeleitet hat, ist nicht überliefert, jedoch decken sich dessen außenpolitische Aktivitäten in den folgenden zwei Jahren mit diesen Überlegungen und Empfehlungen. Er machte tatsächlich den Versuch, Hitler mit Hinweis auf die kommende Stärke der USA zu einer Friedensinitiative zu überreden und er schlug vor, Großbritannien und die anderen Kriegsgegner mit der Drohung und den Fakten eines

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Vgl. Bezymenskij, Besuch, S. 114 f. Vgl. Schlie, Friede, S. 330. Schlie bezieht sich auf eine Aufzeichnung aus dem PRO: FO 371/26542/C 6735, vom 31. Mai 1941. 66 PA AA, Büro STS England, Bd. 4, Aufzeichnung vom 18. Juli 1941, hier n. Hildebrand, Weltreich, S. 924 f.

3. Ribbentrop, das Amt und der Kompromißfrieden

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neugegründeten Staatenbunds zum Frieden zu zwingen. Es wurde der erste von vielen vergeblichen Versuchen, wie Goebbels später notierte: „Hewel berichtet mir, daß Ribbentrop im Jahre 1941/42 dem Führer verschiedentlich vorgetragen habe, Frieden mit Moskau zu schließen, da in spätestens Jahresfrist das amerikanische Rüstungspotential auf dem Kriegsschauplatz erscheinen werde. Der Führer habe das abgelehnt.“67

Amerikas Präsident Roosevelt selbst ließ im Herbst 1940 durch seinen Sondergesandten und späteren OSS-Chef William Donovan ausführlich die britische Verteidigungsfähigkeit testen, da ein deutscher Sieg auch über Großbritannien natürlich gänzlich unerwünscht war. Danach schien ihm eine Fortsetzung des Krieges durch zunehmende Unterstützung Großbritanniens attraktiver zu sein. Sie brachte die schließliche Übernahme britischer Besitzungen in Amerika durch die USA mit sich, eine zunehmende Verschuldung Großbritanniens und schließlich im Rahmen der Atlantik-Charta Erklärung im Sommer 1941 auch das Ende der britischen Schutzzollsystems von Ottawa. Dies waren langgehegte Ziele der US-Außenpolitik. Der Präsident schützte nach eigenem Verständnis die „westliche Hemisphäre“, dehnte aber stetig und gewissenhaft in Richtung Europa aus, was darunter zu verstehen sei. Die konkrete Situation des Jahres 1940 sorgte im Herbst dafür, daß die deutschen Aktivitäten in Richtung auf eine Bündniskonstellation der Kontinentalmächte erheblich verstärkt werden mußten, wenn der Krieg wie gewünscht eingeschränkt und beendet werden sollte. Anfang September hatte die englische Regierung erneut ein weitreichendes Entgegenkommen Deutschlands zurückgewiesen, daß Weißauer im Namen Ribbentrops an Churchill selbst übermittelt hatte. Damit war dieser Weg in Richtung deutsch-englische Verständigung derzeit nicht mehr gangbar, wenigstens so lange nicht, wie die Regierung Churchill selbst stabil stand und an ihrer Einstellung festhielt. Da andere politische Wege demnach dringend gesucht werden mußten, erhielt Ribbentrops Vision vom eurasischen Kontinentalblock neue Aktualität, zumal das als Bündnispartner ins Auge gefaßte Japan neuem Druck von Seiten der USA ausgeliefert war und Unterstützung benötigen konnte.68 Wenige Tage nach dem britischen Nein reiste der deutsche Außen­ minister daher nach Rom, um zur Überraschung69 der dortigen Regierung einen Militärpakt zwischen Deutschland, Italien und Japan vorzuschlagen. Nach kurzer Verhandlungszeit konnte ein Abkommen zwischen den drei Ländern unterzeichnet werden, das gegenseitigen Beistand zwischen ihnen versprach, falls ein Partner von einer Macht angegriffen werden sollte, „die gegenwärtig nicht in den europäischen Krieg oder in den chinesisch-japanischen Konflikt verwickelt ist“. Damit konnten vorwiegend die USA gemeint sein und waren es wohl

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Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 15, S. 426, Eintrag vom 5. März 1945. Am 26. Juli hatte Roosevelt den Export von Schrott und Flugzeugbenzin nach Japan eingeschränkt, drei Tage vor Unterzeichnung des Dreimächtepakts folgte dann ein völliger Lieferstop, als japanische Truppen in Nordindochina einmarschierten. Vgl. Rahn, Pazifik, S. 204 f. 69 Vgl. Schreiber, Südosteuropa, S. 368.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

auch, aber die UdSSR erfüllte diese Kriterien durchaus ebenfalls. Viel Gewinn ergab sich aus dieser japanischen Karte jedoch nicht, die Ribbentrop hier ausgespielt hatte. Konnte Deutschland also im Fall eines sowjetischen oder amerikanischen Angriffs eventuell auf japanische Hilfe hoffen, so stellte dies den einzigen theoretischen Gewinn dar, den Berlin hier eventuell im Kriegsfall machen konnte. Eine Bündnisautomatik gab es nicht, Besprechungen waren vorgeschaltet. Keine Vertragspartei war zwingend verpflichtet, der anderen zu Hilfe zu kommen. Als einziges Land sicherte Deutschland einseitig Japan in einem geheimen Zusatz­ abkommen militärische Unterstützung für den Fall eines amerikanischen oder englischen Angriffs zu.70 Da diese Bestimmungen insgesamt sehr undeutlich und interpretierbar blieben, entwickelte sich schließlich auch der Dreimächtepakt zu einem jener etwas kurzatmigen Produkte, die den tagesaktuellen Zweck zu sehr in sich trugen, um eine langfristige Perspektive entwickeln zu können. Mehr als den zwiespältigen öffentlichen Erfolg, ein Abkommen weltpolitischer Dimension abgeschlossen zu haben, leistete der Dreimächtepakt in dieser Form nicht. Ihn mit Leben zu erfüllen, mußte noch geleistet werden.71 Dies geschah später in unerwarteter Weise, als nach dem Berliner Hitler-Molotov-Gipfel in rasantem Tempo eine größere Zahl europäischer Staaten mit ihrem Beitritt eine für Deutschland wohlwollende Neutralität im englisch-deutschen Krieg signalisierten. Hier erhielt der Dreimächtepakt eine weitere tagesaktuelle Funktion, die ihm ursprünglich gar nicht zugedacht worden war. Ribbentrop nahm in gepflegtem, feierlichem Rahmen Verbündete auf, die den Frieden nicht näher brachten. Der hing nun zunehmend davon ab, ob sich wenigstens Moskau „gegen England einspannen“ ließ. 4. Säkulare Verhandlungen mit der Weltrevolution „Einfach ausgedrückt: Was bedeutete Hitlers Aggression? War das nicht Klassenkampf? Ja, es war Klassenkampf. Und wenn ein Atomkrieg ausbrechen sollte, wäre das nicht auch Klassenkampf? Es gibt keine Alternative zum Klassenkampf. Das ist eine ernste Frage. Die friedliche Koexistenz ist nicht der allgemeine Endzustand.“ Vjatscheslav Molotov72

Deutschland konnte den 1940 erreichten Status quo in Europa nicht allein sichern und befand sich strategisch in zunehmender Defensive, auch wegen der erkennbar wachsenden US-amerikanischen Feindschaft. Hier gab es nach Ribben 70 Die Einhaltung stieß bald auf Schwierigkeiten, denn die UdSSR ließ den Transport von deutschem Kriegsgerät nach Japan nicht zu und blockierte gar den Transfer von Werkzeug­ maschinen. Vgl. BA-MA RW 19/164, Bl. 167, 18. Februar 1941, Vortrag Major Radtke. 71 Das Auswärtige Amt versuchte dies auf kultureller Ebene durch die Herausgabe aufwendig gestalteter und teilweise dreisprachiger Illustrierter über „Rom-Berlin-Tokio“ zu leisten. 72 Zit. n. Molotov, Politics, S. 20, Interview vom 7. Juli 1976.

4. Säkulare Verhandlungen mit der Weltrevolution

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trops Ansicht einen Ausweg, der das sowjetische Gewicht für Deutschland nutzbar machte, aber eine echte Verbindung eigentlich vermied. „Säkulare Maßstäbe“ sollten dabei nach seiner Sicht angewandt werden. Das steuerte auf einen ideologiefrei strukturierten Imperialismus zu, auf direkte oder indirekte Herrschaft über Einflußgebiete, Rohstoffe und Menschen. Aus Ribbentrops Sicht konnten die Sowjets eventuell für ein solches Abkommen gewonnen werden, das den 1939 geschlossenen Interessenausgleich in großem Stil erweiterte, nicht zuletzt auf Kosten Großbritanniens. Territorial gesehen, hätte dabei die UdSSR den größeren Gewinn gemacht. Ribbentrop skizzierte Molotov die Situation und sein Angebot so: „Der Reichsaußenminister (gab)  Herrn Molotov den Inhalt des von ihm skizzierten Ab­ kommens bekannt: … In dem Dreimächtepakt vom 27.9.1940 haben Deutschland Italien und Japan vereinbart, der Ausdehnung des Krieges … entgegenzutreten. Die Sowjetunion erklärt sich mit dieser Zielsetzung solidarisch und ist ihrerseits entschlossen, mit den drei Mächten auf dieser Linie zusammenzuarbeiten. … Das Abkommen selbst würde der Öffentlichkeit bekanntgegeben werden. Darüber hinaus könnte … eine vertrauliche (geheime)  Abmachung … über die Festlegung der Schwerpunkte der territorialen Aspirationen der vier Staaten getroffen werden. Was Deutschland betreffe, so läge, abgesehen von den beim Friedensschluß durchzuführenden europäischen territorialen Revisionen, der Schwerpunkt seiner territorialen Aspirationen im mittelafrikanischen Raum. Der Schwerpunkt der territorialen Aspirationen Italiens liege, abgesehen von den beim Friedensschluß durchzuführenden europäischen territorialen Revisionen, in Nord- und Nordostafrika. Die Aspirationen Japans müßten noch diplomatisch geklärt werden. Der Schwerpunkt der territorialen Aspirationen der Sowjetunion würde vermutlich im Süden des Staatsgebietes der Sowjetunion in Richtung des indischen Ozeans liegen.“73

Dazu bot Ribbentrop noch freie Durchfahrt durch die türkischen Meerengen, exklusiv für sowjetische Schiffe, also etwas, was Großbritannien noch nie zu­ gestanden hatte und eine Art Kondominium der drei europäischen Mächte über die Türkei. Er warb noch einmal ausdrücklich für einen japanisch-russischen Nichtangriffspakt, er sprach sogar die umstrittenen japanischen Kohlenkonzessionen auf der Halbinsel Sachalin an und wollte sie nach den bekannten russischen Wünschen geändert sehen. Also Mittelafrika für Deutschland, Nordafrika für Italien, Status quo für den europäischen Raum nach dem bereits erzielten Ausgleich der Interessensphären und eine privilegierte russische Position gegenüber der Türkei, der Nahe Osten dagegen ganz für die UdSSR, so stellte sich der deutsche Außenminister die Zukunft vor. Aber Molotov griff Ribbentrops Angebot nicht auf und beantwortete den Vor

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Zit. n. ADAP, D, XI/1, Dok. 329, S. 473 f.

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trag des deutschen Außenministers statt dessen mit einem erneuten Schwall von Fragen zu ganz anderen Themen. Er ließ keinen Zweifel daran, daß die Deutschen ihren gesamten Einfluß in Europa preiszugeben hatten und kündigte das erst vor einem Jahr mit Ribbentrop geschlossene Abkommen über die beiderseitigen Interessensphären. Nach Stalins Wunsch sollten jetzt Finnland, die Donau, Rumänien, Ungarn, Bulgarien (Hauptfrage der Verhandlungen), Türkei, Iran, Griechenland, Jugoslawien, der große und kleine Belt, Öresund, Kattegat und Skagerrak74 und Spitzbergen der sowjetischen Zone zufallen. Dies kam für Ribbentrop wie ein Schock. Es überzeugte ihn allerdings anders als Hitler nicht davon, daß die UdSSR versuchen würde, diesen Anspruch mit einem militärischen Angriff auf Deutschland zu untermauern. Unmittelbar nach dem Berliner Gipfelgespräch setzte Molotov gegenüber der japanischen Regierung noch einmal nach. In Berlin war von den japanischen Ölkonzessionen im Norden der Insel Sachalin die Rede gewesen, also auf sowjetischem Territorium. Die UdSSR wollte diese Rechte zurückhaben, das war eine ihrer Bedingungen für den Beitritt zum geplante Kontinentalblock. Ganz im schroffen Stil seines Berliner Auftritts ließ Molotov den japanischen Botschafter in Moskau nun kurze Zeit danach auch noch wissen, daß es keinen formellen japanisch-sowjetischen Nichtangriffspakt geben würde, weil die UdSSR vorher noch den Süden Sachalins und außerdem Teile der Kurilen zurückhaben wolle, die im russisch-japanischen Krieg 1904/05 verloren worden waren. Man beanspruchte also Teile Japans für sich, und zwar laut Molotov im Rahmen einer „Gesamt­politik, die auf Wiedergewinnung der verlorenen Gebiete gerichtet sei“. Das konnte Ribbentrop am 19. November 1940, wenige Tage nach Molotovs Abreise einem Bericht der deutschen Botschaft in Tokio entnehmen.75 Die UdSSR verfolgte also gegenüber Japan Ziele, zu deren Durchsetzung sie sich die Option zur Führung eines Angriffskriegs ausdrücklich offenhalten wollte. Noch deutlicher konnten die Sowjets die Kontinentalblockpolitik kaum zurückweisen. Wenn dies außerdem der Ausdruck einer „Gesamtpolitik“ sein sollte, dann erhielten zudem Molotovs Ausführungen über Polen oder Finnland, die er gegenüber Ribbentrop zum Ausdruck gebracht hatte, einen eindeutigen Sinn. Diese Länder hatten ebenfalls einmal zum zaristischen Rußland gehört. Entweder war dieser Ausspruch Molotovs ein diplomatischer Bluff, oder er kündigte, wie bereits in Berlin, einen direkten Anspruch auf zentrale Sicherheitsinteressen des deutschen Staates an. Für Ribbentrops Bündnispolitik konnten beide Möglichkeiten das Aus bedeuten. Andererseits waren auch diese Forderungen immer noch „säkular“ deutbar. Wenn die UdSSR eine Politik des zaristischen Revisionismus betreiben sollte, bedrohte das zwar in traditioneller Weise die deutsche Stellung in Mitteleuropa. Es hätte aber implizit den Verzicht auf die umfassende europäische Revolution bedeutet und die Möglichkeit eröffnet,

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Dabei zog Molotov einen Vergleich der Ostseeausgänge mit den Ausgängen des Schwarzen Meeres, wie Ribbentrop dem schwedischen Legationsrat Erik v. Post etwa ein Jahr später schilderte. Vgl. ADAP, D, XIII, II, Dok. 364, Aufzeichnung vom 28. September 1941. 75 Vgl. ADAP, D, XI/2, Dok. 371.

4. Säkulare Verhandlungen mit der Weltrevolution

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die UdSSR auf einige der alten Ziele des Zarenreichs abzulenken. Dazu gehörte etwa Istanbul/Konstantinopel oder das englisch-russische „Great Game“ des neunzehnten Jahrhunderts um Zentralasien und den Orient. Eine Woche nachdem Molotov in Moskau den Anspruch auf Sachalin angemeldet hatte, traf am 26. November 1940 in Berlin die offizielle sowjetische Antwort auf das deutsche Angebot ein. Die Sowjetunion zeigte sich erstaunlicherweise jetzt bereit, Ribbentrops Entwurf eines Viermächtepakts unter gewissen Bedingungen anzunehmen: 1. Die deutschen Truppen müßten aus Finnland zurückgezogen werden, das schließlich nach dem Interessensphärenabkommen vom Vorjahr den Sowjets gehören würde. Dabei verpflichtete sich die UdSSR, die deutschen wirtschaftlichen Interessen in Finnland zu respektieren und „friedliche Beziehungen zu Finnland sicherzustellen“. 2. Es müsse in den nächsten Monaten ein Beistandspakt zwischen der UdSSR und Bulgarien abgeschlossen, das schließlich zur „Sicherheitszone“ der UdSSR gehöre. Außerdem müßte die UdSSR die Kontrolle über die türkischen Meerengen bekommen, gesichert durch Stützpunkte und eine langfristige Pacht. 3. Als Schwerpunkt der künftigen sowjetischen Aspirationen sollte „der Raum südlich von Baku in allgemeiner Richtung auf den Persischen Golf hin anerkannt“ werden. 4. Japan sollte auf seine Konzessionsrechte in Nordsachalin verzichten. In Geheimprotokollen war außerdem festzulegen, daß die Unterzeichner im Fall einer türkischen Weigerung die genannten Ziele gemeinsam militärisch durchsetzen würden, und daß Bulgarien zwar einen Beistandspakt abschließen mußte, aber seine Souveränität und sein „inneres Regime“ nicht beeinträchtigt werden würden. An den vorausgegangenen Ereignissen gemessen, war diese Antwort erstaunlich gemäßigt ausgefallen. Man konnte beispielsweise die Äußerungen über Finnland und Bulgarien so deuten, als hätte sich die UdSSR die deutsche Lesart zu eigen gemacht, was es für ein Land bedeute, Teil  einer sowjetischen „Interessensphäre“ zu sein. Für Ribbentrop war damit von vornherein eine Art politischmilitärische Oberhoheit gemeint gewesen, kein Recht auf Annektion und Sowjetisierung. Dies stellten die Sowjets für Bulgarien und Finnland jetzt in Aussicht, allerdings nur für Bulgarien ausdrücklich, für Finnland nicht. Den „Raum Baku mit allgemeiner Richtung zum Persischen Golf“ hatte Ribbentrop in Berlin gegenüber Molotov fast wörtlich selbst als Expansionsrichtung angeboten und konnte die jetzigen Äußerungen voll befriedigend finden. Störend mußten dagegen natürlich die Punkte wirken, über die in der sowjetischen Antwort nichts stand. Dazu gehörte Rumänien und dessen Öl, sowie die zahlreichen anderen Punkte, über die in Berlin gesprochen worden war, die Ostseeausgänge und Polen zum Beispiel, das Molo­tovs „wieder zu gewinnenden Gebieten“ zuzurechnen wäre. Hier würde

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

demnächst wieder neu verhandelt werden müssen, das war abzusehen. Erstaunlich wirkte die Aufforderung zu einer gemeinsamen Militäraktion gegen die Türkei. In Moskau wollte man den neuen Viermächtepakt gewissermaßen mit gemeinsam vergossenem Blut besiegeln. Das hätte ein drastisches Signal in Richtung der Vereinigten Staaten und Großbritannien bedeutet. Ribbentrop konnte in dieser sowjetischen Antwort immerhin ansatzweise eine Chance auf Verwirklichung seiner Konzeption sehen. Für den Moment sah es so aus, als würden die Sowjets auf die weitere Expansion in Richtung Mitteleuropa verzichten. Vielleicht konnten die Unterzeichnung des Viererpakts und die gemeinsame Militäraktion gegen die Türkei die britische Regierung dazu bewegen, jetzt den Krieg abzubrechen. Damit hätte die sowjetisch-deutsche Annäherung mit Verspätung den Zweck erfüllt, mit dem er sie 1939 begonnen hatte. Auf der anderen Seite standen natürlich „Kosten“ und Gefahren. Neben den bereits erwähnten Problemen in Rumänien, an dessen für die deutsche Wirtschaft existentiell wichtige Ölquellen eine in Bulgarien stationierte Rote Armee sehr nah heranrücken würde, konnte eine gemeinsame deutsch-sowjetisch-italienische Aktion in dieser Region dazu führen, daß sich die in ihren Interessen bedrohten Staaten wie Bulgarien und die Türkei zusammen mit Griechenland und Jugoslawien tatsächlich erst einmal zusammen mit Großbritannien zu einem vereinten militärischen Wider­stand zusammenfinden würden. Das würde genau jenen allgemeinen Balkan-Krieg bedeuten, den die Vereinigten Staaten und Großbritannien anstrebten – und schließlich erreichten – und den man in Berlin vermieden sehen wollte. Immerhin würde dieser ohnehin ins Haus stehende Krieg nach Abschluß des Viermächtepakts vorläufig mit der Rückendeckung und der direkten militärischen Unterstützung der UdSSR zu führen sein. Ribbentrop war dementsprechend bereit, das sowjetische Angebot anzunehmen. Bei seinen Versuchen, diesen Schritt in Bulgarien der dortigen Führung zu vermitteln, stieß er natürlich auf Ablehnung. Niemand wollte in Sofia einen Beistandspakt mit der UdSSR und damit sowjetische Truppen im Land haben. Auch die in Rom regierenden Faschisten lehnten eine sowjetische Kontrolle der türkischen Meerengen kategorisch ab. Damit blieb Berlin die Entscheidung überlassen, ob man sich über die bulgarischen und italienischen Vorstellungen hinwegsetzen wollte. In den dortigen Parteikreisen war der Vertrag mit der UdSSR immer von vielen abgelehnt worden. Ribbentrop hatte sich so oft anhören müssen, er würde nationalsozialistische „Grundsätze“ verletzen, daß er das Wort nicht mehr hören konnte.76 Eine Entscheidung, ob das sowjetische Angebot trotz dieser Widerstände angenommen werden sollte, konnte nur der Staatschef und Diktator treffen, und der lehnte schließlich ebenfalls ab. Molotovs Auftritt in Berlin hatte Hitler davon überzeugt, daß die UdSSR die deutsche Niederlage wollte und jede Gelegenheit 76 So Ribbentrop im Verhör mit politischen Offizieren der SHAEF im Juni 1945. Vgl. Overy, Verhöre, S. 313.

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ausnutzen würde, um sie militärisch zu besiegeln. Gegenüber Mussolini hatte er einige Monate vorher den sowjetisch-deutschen Nichtangriffspakt von 1939 noch damit gerechtfertigt, er hätte hier  – wie gegenüber Italien im Fall der Brennergrenze – „eine klare Abgrenzung der Interessenzone vorgenommen; an der wird sich auch niemals mehr etwas ändern“.77 Jetzt hatte Molotov unmißverständlich gefordert, daß sich über das bestehende, nach seinen Worten „erschöpfte“ Abkommen hinaus eben doch etwas ändern müsse. Es gab also objektiv keine Möglichkeit, mit der UdSSR einen endgültigen Ausgleich der Interessenzone vorzunehmen. Statt dessen würden immer neue Forderungen folgen. Einen Tag vor der Übergabe der sowjetischen Paktvorschläge hatte die kommunistische Internationale durch ­Molotov weiter grünes Licht für die Agitation im deutschen Machtbereich bekommen.78 Auch der kommunistische Umbau Deutschlands selbst wurde von der Berliner Sowjetbotschaft bereits vorangetrieben.79 Das blieb nicht unbemerkt. Bald ließ Hitler seinen Außenminister zu sich kommen und teilte JvR aufgeregt mit, daß „der sowjetischen Handelsdelegation in der Kurfürstenstraße 960 Russen unterstellt seien und Gruppen von fünf oder zehn russischen Funktionären schon den Kommunismus in der Fabriken organisierten“.80 Solche Informationen erinnerten an 1918, als das deutsche Kaiserreich sich ­ enig darum gekümmert hatte, wer denn aus der damals frisch gegründeten Sow wjetunion so alles durch Deutschland reiste und zu welchem Zweck. Die Folgen waren bekannt, und der Schock der auch dadurch verursachten deutschen Novemberrevolution gehörte zu den zentralen politischen Motiven, die zur Gründung des Nationalsozialismus geführt hatten. Der zweite große imperialistische Krieg, den man in Moskau erwartet hatte und den man seit dem japanisch-chinesischen Konflikt von 1937 in seiner heißen Phase wähnte, sollte die Revolution entscheidend vorantreiben. Der Schlüssel dafür lag aus sowjetischer Sicht erneut, oder besser gesagt, immer noch in Berlin. Daran würde auch ein weiterer zwischenzeitlicher Pakt nichts ändern. Ribbentrop wurden weitere Kontakte mit der UdSSR zwar nicht ganz verboten, aber auf die sowjetische Antwort vom 26. November 1940 durfte er nicht positiv reagieren und reagierte also besser gar nicht. Er verlegte sich statt dessen auf eine Intensivierung der deutsch-sowjetischen Wirtschaftsverhandlungen, die im Januar 1941 zum positiven Abschluß kamen. Der Berliner Gipfel und seine Nachverhandlungen wurden eines der bedeutenden Ereignisse nicht nur der deutschen Nationalgeschichte, sondern mindestens

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Vgl. ADAP, D, VIII, Dok. 663, Schreiben Hitler an Mussolini vom 8. März 1940. „Wir wären keine Kommunisten, wenn wir diesen Kurs nicht einhalten würden. Nur muß es lautlos geschehen“, meinte Molotov zu Generalsekretär Dimitrov. Unterredung DimitrovMolotov am 25. November 1940, zit. n. Dimitrov, Tagebücher, S. 320. 79 Mit daran beteiligt war der spätere langjährige Botschafter in Bonn, Vladimir Semjonov: „Wenn die Sowjetarmee einmal nach Deutschland käme, müßten wir doch wissen, wie hier eine Bodenreform unter Berücksichtigung der Bodenverhältnisse in den verschiedenen Gebieten durchzuführen sei.“ Zit. n. Semjonov, Mission, S. 84. 80 Vgl. Overy, Verhöre, S. 314 f.

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der europäischen Geschichte. Hätte sich die UdSSR entschlossen, tatsächlich zu den genannten Bedingungen dem Dreimächtepakt beizutreten, wäre die Geschichte Deutschlands, Europas und vermutlich der Welt anders verlaufen. Sie wäre  – unabhängig von der weiteren ideologischen und innenpolitischen Entwicklung der Unterzeichnerstaaten  – wahrscheinlich früher auf eine multi­polar entwickelte Weltordnung herausgelaufen, wie sie sich schließlich zu Beginn des 21.  Jahrhunderts in Umrissen zu entwickeln begann. Einer der opferreichsten Kriege der Weltgeschichte, der deutsch-sowjetische Konflikt zwischen 1941 und 1945, wird aus der Perspektive dieser Verhandlungen als ein Krieg erkennbar, der sich aus der andauernden englisch-deutschen Konfrontation entwickelte. Diese Auseinandersetzung wollte die UdSSR nicht beenden, sondern übertrumpfen, mit dem Einzug in Paris, wie Stalin später sagte. Daß dies mit offensichtlichen Parallelen zu den napoleonischen Kriegen geschah, warf gleichzeitig einmal mehr die Frage auf, ob die Zwänge internationaler Politik und militärischer Bedrohungsszenarien nicht die Pläne und Hintergedanken ihrer Akteure überlagerten. Für Ribbentrop persönlich war dieser November 1940 in gewisser Weise der Abschluß seiner acht Jahre vorher begonnen Tour in den Höhen der europäischen Politik. Noch wußte er es nicht, aber trotz aller weiteren Anstrengungen sollte Molotov der letzte nichtdeutsche Politiker sein, den er im Rahmen von existentiell wichtigen Verhandlungen treffen sollte. Hitler hatte aus den Berliner Verhandlungen und aus zahlreichen anderen Indizien wie gesagt die Schlußfolgerung gezogen, daß die Sowjets früher oder später auf britischer Seite in den Krieg eintreten würden. Zwar versuchte er weiterhin, den Krieg vorher zu beenden, was Anfang Mai 1941 dann zum Englandflug von Rudolf Hess führte, den er vor Ribbentrop geheimhielt. Aber Deutschlands Tyrann war zugleich entschlossen, einen sowjetischen Angriff, über dessen Wahrscheinlichkeit im Frühjahr 1941 immer dringendere Meldungen eintrafen, nicht abzuwarten. Seine militärischen Berater erklärten ihm zudem einheitlich, bei einem von der Wehrmacht selbst eröffneten Angriff könnte die UdSSR mit Sicherheit im Jahr 1941 entscheidend geschlagen werden. Ribbentrop glaubte nicht an den unvermeidlichen deutsch-sowjetischen Gegensatz. Noch in den Nachkriegsniederschriften hielt er daran fest, „daß es hätte gelingen können  – allerdings durch Konzessionen unsererseits  – die Auseinandersetzung mit Rußland zu vermeiden“.81 Für ihn war die entscheidende Frage an diesem Punkt, wer mehr zu bieten hatte, Deutschland oder die angelsächsischen Mächte. Dies war offenbar eine Fehleinschätzung des sowjetischen Deutschlandbilds, in dem eine eigenständige Rolle Deutschlands als weitere imperialistische Großmacht grundsätzlich nicht vorgesehen war. Deutschland sollte gestützt werden, wie Stalin angekündigt hatte, aber nicht bis zu seiner Selbstbehauptung oder Konsolidierung unter den Verhältnissen von 1939/40, sondern bis zu seiner umfangreichen Sowjetisierung bei entsprechender Gelegenheit. Die prinzipielle

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Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 240.

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Kompromißfähigkeit der UdSSR, über die bis zu ihrem Ende noch jahrzehntelang spekuliert werden sollte, war unter den Verhältnissen des stalinschen Kriegskommunismus von 1940 gegenüber Deutschland nicht gegeben. Ribbentrops Moskauer Diplomaten, die für diese Angelegenheiten zuständig waren, teilten in dieser Frage jedoch seine gegenteiligen Ansichten. Er bemühte sich jedenfalls vor diesem Hintergrund, bei Hitler den Standpunkt der deutschen Botschaft in Moskau zum Ausdruck zu bringen. Dort glaubte man ebenfalls nicht an einen sowjetischen Angriff und rechnete auf die sowjetische Vertragstreue sowohl in Sachen Nichtangriffspakt wie bei der inzwischen ausgehandelten umfassenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Bei einem offenbar von Ribbentrop arrangierten Zusammen­ treffen trug Botschafter Schulenburg in diesem Sinn vor, ohne Hitler überzeugen zu können. Zu viel sprach dagegen. Walter Hewel, Verbindungsmann zwischen Ribbentrop und Hitler, notierte schließlich Anfang Juni dessen Argumente: „… ‚Schweres Entschließen‘, aber vertraue auf die Wehrmacht. Luftflotte: Jäger und Bomber zahlenmäßig überlegen. Etwas Angst für Berlin und Wien. Besetzungsgebiet nicht mehr wie von Dänemark bis Bordeaux. Haben ihre ganze Kraft an der Westgrenze. Größter Aufmarsch der Geschichte. Wenn es schief geht, ist sowieso alles verloren. Sobald es erledigt ist, erledigt sich auch Irak und Syrien von selbst. Dann bin ich so frei, daß ich schließlich auch durch die Türkei hindurchstoßen kann. Wenn die Franzosen Syrien verlieren – und ich bin überzeugt, daß Syrien verloren ist, besteht nur die eine Gefahr, daß sie auch Algerien verlieren. Dann stoße ich sofort durch Spanien durch und riegle den Engländern das Mittelmeer ab. Es ist nur die elende Zeit des Wartens, die einen so nervös macht.“82

Angesichts der Verhältnisse war der Angriff die einzige und letzte Chance, wie man heute weiß. Der sowjetische Aufmarsch, für ihn nach den vorliegenden Informationen bereits der „größte Aufmarsch der Geschichte“, war weitaus umfangreicher als Hitler zu diesem Zeitpunkt ahnte. Die Rote Armee verfügte über ein Vielfaches mehr an Material und Panzern, als dies in Deutschland bekannt war. Der ganze europäische Teil der UdSSR war ein einziges Aufmarschgebiet, in dem sich Truppenteile stetig nach Westen bewegten. Befehle der Roten Armee für den Übergang zum Angriff waren bereits gegeben.83 Dennoch war Ribbentrop schließlich überaus nervös, als er in Berlin den sowjetischen Botschafter erwartete. Wie auch immer es im einzelnen motiviert sein mochte: Was er Dekanozov zu übergeben hatte, bedeutete nicht nur den Krieg, sondern darüber hinaus den endgültigen Bankrott der von ihm persönlich vertretenen Politik des Kontinentalblocks aus Deutschland, Italien, Japan und UdSSR. Das zentrale Element würde diesem Block in wenigen Minuten fehlen, die derzeit bestehende Landbrücke nach Japan selbst im Fall des militärischen Erfolgs und des Erreichens der Linie von ‚Astrachan bis Archangelsk‘ auf unabsehbare Zeit verloren sein. Eine Besetzung Sibiriens und Zentralasiens lag außerhalb der politischen Planungen wie der militärischen Möglichkeiten Deutschlands. So schloß der in wenigen Minuten beginnende Angriff das Tor nach Ostasien, das vom Auswärtigen Amt in mühseligen Verhand

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Zit. n. Hewel, Tagebuch, 8. Juni 1941. Vgl. Ueberschär, Angriff, S. 191.

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lungen geöffnet worden war. Nichtangriffspakt und deutsch-russischer Freundschaftsvertrag, die mit dem Namen Ribbentrop besonders verbundenen Abkommen, würden Geschichte sein. Paul Schmidt war beeindruckt: „Noch nie hatte ich Ribbentrop so aufgeregt gesehen wie während der fünf Minuten vor der Ankunft Dekanozovs. Mit großen Schritten lief er wie ein gefangenes Tier in seinem Zimmer auf und ab. ‚Der Führer hat absolut recht, wenn er jetzt Rußland angreift‘, sagte er mehr zu sich selbst als zu mir, immer und immer wieder, als wolle er sich mit diesen Worten irgendwie beruhigen. ‚Die Russen würden uns bestimmt ihrerseits angreifen, wenn wir es jetzt nicht täten.‘ Noch mehrmals lief er in dem großen Raum hin und her, in äußerster Aufregung, mit flackernden Augen, und wiederholte diese Worte.“84

Dieser Auftritt ließ einmal mehr keinen Zweifel daran, daß der Präventivkrieg auch gegenüber seinem Außenminister Hitlers ein zentrales Argument für den Angriff auf Rußland gewesen war. Alle anderslautenden Darstellungen, dies sei nur eine nach außen vorgetragene oder gar erst nach der Niederlage entwickelte Propagandathese gewesen, treffen nicht zu. Das ist an dieser Stelle noch einmal anzumerken, denn gerade Dolmetscher Schmidt bewies als Zeuge im Nürnberger Prozeß und späterer Memoirenschreiber, daß er hinsichtlich einer besonderen Sympathie für seinen früheren Chef als unverdächtig gelten konnte. Nachdem er sich wieder konzentriert hatte, empfing Ribbentrop gegen vier Uhr morgens Dekanozov und dessen Dolmetscher Bereschkov.85 Es wurde eine sowohl nüchterne wie für die russische Seite ernüchternde Begegnung. Dekanozov hatte den Abend über versucht, Ribbentrop zu sprechen, um Beschwerden über deutsche Verletzungen des sowjetischen Luftraums vorzubringen. Wie die Tage zuvor, ließ der Außenminister sich entschuldigen. Nun sprach zunächst er und wiederholte gegenüber Dekanozov, was er auch Schmidt zuvor gesagt hatte: „Die seit längerer Zeit zunehmende deutschfeindliche Haltung der Sowjetunion und die Bedrohung Deutschlands, die sich im Aufmarsch sowjetrussischer Truppen an der deutschen Ostgrenze zeigt, hat die Reichsregierung veranlaßt, militärische Gegenmaßnahmen zu ergreifen. In dem Memorandum, das er dem sowjet-russischen Botschafter überreiche, sind die Gründe, die die Reichsregierung zu diesen Gegenmaßnahmen gezwungen haben, enthalten.“86



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Zit. n. Schmidt, Statist, S. 539. Bereschkov veröffentlichte später seine Erinnerungen und eine blumige Schilderung des ganzen Vorgangs. Zur Unterhaltung des Publikums waren einige erfundene Ausschmückungen beigegeben, wie sie beim Thema „Drittes Reich“ eben nicht selten zu finden sind. 1939 hatte der englische Botschafter die Mär in die Welt gesetzt, Ribbentrop habe am Vorabend des Krieges beim entscheidenden Treffen zu schnell gesprochen, um verstanden zu werden. Bereschkov fand es für 1941 angemessen zu behaupten, Ribbentrop hätte nach dem Gespräch flüsternd sein Bedauern ausgedrückt und sei überhaupt angetrunken gewesen. Er übersah dabei, daß es weitere Augenzeugen gab, die dies richtig stellen konnten. Vgl. Christ und Welt, 1. Oktober 1965: „Ein Russe in der Reichskanzlei“, sowie die handschriftliche Gesprächsaufzeichnung des deutschen Dolmetschers Roland von zur Mühlen. Zit. n. BA-MA MSg 2/2099. 86 Zit. n. Roland von zur Mühlen, BA-MA MSg 2/2099.

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Weitere Erläuterungen wollte Ribbentrop auf die entsprechende Gegenfrage Dekanozovs nicht geben, betonte dann aber noch einmal besonders das Verhalten der UdSSR in der Jugoslawienkrise und dessen Unterstützung durch die Sowjetunion, „als es Deutschland in den Rücken fallen wollte“.87 Er sagte noch einmal nachdrücklich, daß Deutschland an dieser Entwicklung keine Schuld hätte. Dekanozov nahm die Mitteilung entgegen und bezeichnete die deutschen Gründe als „klar bezeichnet“. Er hielt es nicht für nötig, den Inhalt des deutschen Memorandums nach Moskau weiterzugeben.88 Man reichte sich die Hand und Ribbentrop ging dazu über, die Vertreter des restlichen diplomatischen Corps zu empfangen, die bereits vor der Tür warteten. Damit waren die Optionen eines deutschen Außenministers einmal mehr geschrumpft, da sich der deutsche Staat nun mit den Großmächten der Welt bereits weitgehend vollständig im Krieg befand. Allerdings hatte Ribbentrop die für Deutschland existentielle Wichtigkeit eines Erfolgs über die UdSSR begriffen und zweifelte ihn gleichzeitig an. Daher ließ er sich auch von den militärischen Anfangserfolgen nicht blenden und unternahm ohne die Bil­ ligung und das Wissen Hitlers den Versuch, Japan trotz des japanisch-sowjetischen Nichtangriffspakts ebenfalls zum Angriff auf die UdSSR zu bewegen.89 Sein dortiger Amtskollege Matsuoka reagierte auch positiv auf Ribbentrops Argument, Japan würde nach der endgültigen Zerschlagung der Sowjetunion nicht mehr mit einem Krieg gegen die USA rechnen müssen. Er empfahl Regierung und Kaiser, die Vorbereitungen für die „Südexpansion“ in Richtung Indonesien einzustellen und sich auf die UdSSR zu konzentrieren. Am 2. Juli 1941 fiel in Anwesenheit des Kaisers die endgültige Entscheidung, dies nicht zu tun. Ausschlaggebend dafür war in zeittypischer Manier nicht etwa der Respekt vor der eigenen Unterschrift unter den den japanisch-sowjetischen Pakt, auf dem die Tinte noch kaum trocken war. Man entschied sich sehr wohl, Truppen zum Einmarsch in Sibirien bereit­zustellen. Marschieren sollten sie aber erst, wenn die UdSSR kein ernsthafter militärischer Faktor mehr sein würde.90 Ribbentrop konnte das nur mit Bedauern zur Kenntnis nehmen. Die abschreckende Wirkung auf die USA, jene weitere Supermacht, die seit Monaten Anstrengungen unternahm, um baldmöglichst in den heißen Krieg gegen Deutschland eingreifen zu können, hatte mit zu den wichtigen Motiven für seine Initiative in Tokio gehört. Die Politik der Vereinigten Staaten konnte Ribbentrop sonst kaum beeinflussen. Die Verlegung von Hitlers ständigem Aufenthalt in Quartiere außerhalb Berlins brachte es nach dem Kriegsbeginn mit der UdSSR zudem mit sich, daß Ribbentrop diese Bewegungen mitmachte und daher als Amtschef in Berlin vorerst kaum noch präsent war.91 Sein außenpolitischer Spielraum schrumpfte auf allen Ebenen.

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Zit. n. BA-MA MSg 2/2099. Vgl. Schramm, OKW, II, S. 409. 89 Vgl. Telegramm Ribbentrop an Ott vom 28.6.1941, hier nach Hillgruber, Strategie, S. 485. 90 Vgl. Hillgruber, Strategie, S. 487. 91 „Seit dreieinhalb Monaten hat Herr von Ribbentrop sich mit Ausnahme von 48 Stunden fern von Berlin aufhalten müssen,“ ließ Weizsäcker den Botschafter Stohrer am 6.  Oktober 1941 wissen. Vgl. ADAP, D, XIII, II, Dok. 383, S. 504. Allerdings mied Ribbentrop dauerhaft

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

Neben der List der Besiegten hatte Ribbentrop nach der Eroberung Westeuropas durch die deutschen Streitkräfte auch eine Reihe außenpolitischer Probleme zu bewältigen, die sich aus den Verhältnissen in den Kolonien der besiegten bzw. besetzten Länder ergaben. Während die französischen Besitzungen in Afrika und dem Nahen Osten laut Waffenstillstandsvertrag unter Kontrolle der französischen Regierung bleiben sollten und diese Regierung auch über die nötigen militärischen Mittel und den Willen verfügte, diese Vereinbarungen dort durchzusetzen, lag der französische Besitz in Südostasien und besonders der ebenfalls dort gelegene üppige niederländische Kolonialbesitz im heutigen Indonesien in einem Interessengebiet, das eigentlich Japan gerne für sich beansprucht hätte. Militärisch gesehen konnten weder Frankreich noch die Niederlande etwas wesentliches gegen eine japanische Besetzung unternehmen. Was einen solchen Schritt der Tokioer Politik einstweilen noch verhinderte, war deshalb in erster Linie der dann drohende Konflikt mit den angelsächsischen Ländern. Andererseits hätte die deutsche Regierung nach der Kapitulation der niederländischen Streitkräfte theoretisch irgendwelche Ansprüche auf eigene Aktivitäten in Indonesien erheben können. Jedenfalls fürchtete man in Japan eine solche Absicht tatsächlich,92 was Ribbentrop die Gelegenheit zu einer weiteren nonchalanten Erklärung deutschen Desinteresses gab. Er handelte entgegen dem Vorschlag von Weizsäcker, der diesen Punkt mit einer allgemeinen Erklärung abhandeln wollte, wonach Deutschland „den gegenwärtigen Zustand in Niederländisch-Ostindien“ angesichts drohender Aktionen anderer, nämlich der Alliierten und der USA aufrecht zu erhalten wünsche, der aber nichts über das grundsätzliche Interesse Deutschlands sagen wollte. Ribbentrop dagegen ließ die Tokioer Botschaft am 20. Mai zu der Erklärung anweisen: „Deutschland habe keinerlei Interesse, sich mit solchen Überseefragen zu beschäftigen, an denen es sich nach wie vor als desinteressiert betrachtet.“93 Er ließ weiter erklären, nichts gegen eine Veröffentlichung dieses deutschen Standpunkts durch die japanische Regierung einzuwenden zu haben. Dies war demnach ein Signal in viele Richtungen. Einmal ein Signal an Japan, das hier geradezu einen deutschen „Blankoscheck“ für seine Aktionen in Südost­ asien ausgestellt bekam.94 Zum anderen aber ein Signal auch und gerade an die deutschen Kriegsgegner in Paris und London. Das Deutsche Reich kämpfte weiterhin einen europäischen Krieg zur Durchsetzung seiner mittelosteuropäischen Machtposition. Die beiden Westmächte sollten dies jetzt anerkennen und den Rest der Welt behalten. Ansonsten würden sie ihn allein verteidigen müssen, im Gegensatz zu dem mehrfach wiederholten Angebot einer deutschen Verteidigungsgarantie der europäischen Imperien, besonders des britischen Imperiums. Noch war dadie „Bunkeratmosphäre“ in Hitlers Hauptquartieren. Er achtete zwar darauf, in der Nähe des Staatschefs zu sein, nahm aber seinen ständigen Aufenthalt außerhalb, in Ostpreußen etwa auf Schloß Steinort, dem Sitz der Familie Lehndorff. Vgl. Vollmer, Doppelleben, passim. 92 Vgl. Sommer, Mächte, S. 334 f. 93 Ribbentrop an Ott, 20. Mai 1940, hier zit. n. Sommer, Mächte, S. 333. 94 So der Begriff von Thilo Sommer, vgl. Sommer, Mächte, S. 335.

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für Zeit, aber nicht mehr lange, lautete die implizite Botschaft, die von Berlin über verschiedene Kanäle auch explizit an die Kriegsgegner übermittelt wurde. Man schrieb bei Ribbentrops Blankoscheckerklärung an Japan den 20. Mai 1940 und das alliierte Desaster in Frankreich zeichnete sich zwar bereits deutlich ab, war aber noch keine vollzogene Tatsache. Drei Tage vorher hatte im Auftrag Görings und offenbar auch Hitlers schon der schwedische Generalkonsul in Paris, Raoul Nordling, mit dem dortigen Regierungschef Reynaud gesprochen. Nordling hatte gerade auf der Rückreise von Stockholm nach Paris eine Zwischenstation in Berlin eingelegt und war von Göring mit der Nachricht weitergeschickt worden: „Herr Reynaud soll uns sofort Waffenstillstandsvorschläge machen. Wir sind bereit, Frankreich vernünftige Bedingungen zu bewilligen. Wenn er die Besetzung und Zerstörung seines Landes verhüten will, möge er sich beeilen. In ein paar Wochen wird es zu spät sein. Das Angebot, das ich ihm heute zu machen ermächtigt bin, wird nicht erneuert werden. Je länger Frankreich zögert, die offenbaren Tatsachen anzuerkennen, desto härter werden unsere Bedingungen sein.“95

Reynaud hörte Nordling an, zeigte sich aber nicht zu irgendwelchen Reaktionen bereit. Wie sich im weiteren zeigen sollte, hatte Ribbentrops erklärtes Des­interesse an Überseefragen daher lediglich den Nebeneffekt, den Gegensatz zwischen den Westmächten und den USA einerseits und Japan andererseits zu vertiefen. Es half, den Abschluß des vier Monate später am 27.  September unterzeichneten Dreimächtepakts mit vorzubereiten, jenem „präventiven Defensivbündnis“96 für dessen zusätzliche Förderung im Sommer 1940 auch der spätere Botschafter Stahmer als Sondergesandter nach Tokio geschickt wurde.97 Er traf dort am 7. September 1940 ein und wurde vielbeachtet, da Stahmer als besonders enger Vertrauter Ribbentrops galt. Die entscheidenden japanischen Minister registrierten dies auf einer Konferenz im Vorfeld mit Befriedigung.98 Während der Verhandlungen erwies sich Stahmer zusammen mit Botschafter Ott aus Ribbentrops Sicht allerdings als wenig vertrauenswürdig. Beide trafen ohne Wissen oder Zustimmung des Ministers, teilweise sogar gegen dessen ausdrückliche Anordnung, verschiedene Absprachen mit der japanischen Regierung. Diese Abmachungen brachten nicht weniger mit sich als „eine Verwässerung der veröffentlichten Bündnisverpflichtungen durch Aufweichung der Vertragsautomatik, die Ausdehnung des Bündnisfalls auf eine kriegerische Verwicklung Japans mit Großbritannien und eine qualifizierte Verzichtsleistung auf die einstigen pazifischen Besitzungen des Deutschen Reichs zu Japans Gunsten“.99 Mit dem Ausdruck „Kompetenzüberschreitung“ ist dieser Vorgang eher unzureichend beschrieben. Der Ehrgeiz von Ott und Stahmer, einen deutsch-japanischen Vertrag jetzt endlich zustande zu bringen, ließ offenbar jede Hemmung fallen. Stahmer traute sich dementsprechend selbst nach seiner Rück

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Zit. n. Benoist-Mechin, Himmel, S. 122. Vgl. Hillgruber, Strategie, S. 204. 97 Vgl. Martin, Deutschland, S. 19. 98 Vgl. Sommer, Mächte, S. 387. 99 Vgl. Sommer, Mächte, S. 437.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

kehr nach Berlin nicht, den Außenminister von dem entsprechenden Notenaustausch zu unterrichten, so daß die deutsche Staatsführung mitten im Weltkrieg nicht wußte, was sie dem einzigen Vertragspartner von nennenswerter militärischer Potenz eigentlich versprochen hatte. Das führte zu grotesken Szenen beim Besuch des japanischen Außenministers Matsuoka im Frühjahr 1941, als im Auswärtigen Amt durch Weizsäcker und Woermann vertragswidrige Unterlagen für die kommenden Gespräche vorbereitet wurden. Der in die Vorbereitungen erneut einbezogene Stahmer hatte auch jetzt nicht den Mut, auf die eigentlich bestehenden Abmachungen hinzuweisen, sondern erreichte die Ausklammerung der entsprechenden Punkte aus den Gesprächen.100 Zweifellos verbrachte Stahmer dennoch eine unruhige Zeit und dürfte froh gewesen sein, als Matsuoka schließlich wieder abreiste. Ribbentrop hatte einmal mehr wenig Glück mit einer Personalentscheidung gehabt. 5. Der zweite amerikanisch-deutsche Krieg „Wir haben alles nur Erdenkbare getan, um Deutschland zu besiegen, und sagten das auch in aller Öffentlichkeit. … Ich erörtere nicht, ob das recht und notwendig war. Aber wenn Deutschland sich zuletzt auf uns stürzte und seinem angriffslustigsten Feind auf der Erde den Krieg erklärte, dann ist es kein Beitrag zur ‚historischen Wahrheit‘ (um es milde zu formulieren), zu behaupten, daß uns dieser Krieg aufgezwungen worden wäre.“ Senator Arthur H. Vandenberg101 „Als der Angriff auf Moskau gescheitert war, beschlossen die Nazis, Chicago zu erobern.“ Äußerung eines Museumsführers im Berliner Bendlerblock102

In der Literatur über den Zweiten Weltkrieg ist in der Regel zu lesen, der deutsche Staats- und Parteichef habe am 11. Dezember 1941 den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt. Das sei auch für seine nähere Umgebung überraschend gekommen. Beides ist nur eingeschränkt richtig. In den Verhören des Jahres 1945 machte JvR gelegentlich den Versuch, den Ablauf dieser Dinge richtigzustellen.103 Völkerrechtlich gesehen gibt es mehrere Wege, auf denen Staaten sich wechsel­seitig den Krieg erklären können. Wer den Krieg erklären will, kann dies zum einen dem kommenden Gegner vor dem Beginn von „Feindseligkeiten“ mitteilen, so 100

Vgl. Sommer, Mächte, S. 438. In seinen Memoiren fühlte sich Stahmer genötigt, seine Verzichtserklärung auf den früheren deutschen Besitz als „unverbindliche persönliche Stellungnahme“ herunterzuspielen. Vgl. Stahmer, Sieg, S. 31. 101 Zitiert nach dem Vorwort von Michael Freund in: Taylor, Ursprünge, S. 10. 102 So getätigt zur Erklärung des Geschehens, offenbar ironiefrei, im Rahmen einer offiziellen Führung in Anwesenheit des Autors dieser Zeilen. 103 Vgl. Overy, Verhöre, S. 616, Anm. 15.

5. Der zweite amerikanisch-deutsche Krieg

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bestimmt es die Haager Konvention des Jahres 1907.104 Darüber, was Feindseligkeiten im einzelnen genau sind und was eine angemessene Frist ist, die „vor“ ihrem Beginn einzuhalten ist, gibt die Konvention keine Auskunft. Auch unter Juristen besteht darüber keine einheitliche Meinung. Die britische Regierung, um ein Beispiel zu nennen, fand am 3. September 1939 eine Frist von zwei Stunden zwischen Übergabe der Kriegsankündigung in Berlin um Neun Uhr morgens und dem Kriegsbeginn mit dem Deutschen Reich um Elf Uhr morgens für angemessen. Eine kurze Frist hindert den angegriffenen Staat daran, Maßnahmen zur Verteidigung zu ergreifen – oder zur Rettung von Schiffen und Personen, die sich im Ausland befinden. Auch deshalb trug das zwanzigste Jahrhundert eine stete Tendenz in sich, diese Frist zu verkürzen, so weit der Krieg überhaupt noch formell erklärt wurde. Das 19. Jahrhundert, das noch keine geschriebenen Konventionen dieser Art kannte, sich aber dafür häufiger an ungeschriebene Regeln hielt, erlebte teilweise lange Übergangsfristen. Man vertraute der Konvention. Auch als im Sommer 1865 zum ersten Mal ein preußisch-österreichischer Krieg drohte, hielten sich der preußische König und sein leitender Minister Bismarck in Bad Gastein zur Kur auf, also auf dem Territorium des möglichen Kriegsgegners.105 Es galt als ausgeschlossen, daß dies mit der Festsetzung der preußischen Staatsspitze enden könnte. Die Haager Konvention berücksichtigt jedoch ebenfalls die Möglichkeit, daß zwischen zwei Staaten ohne vorausgegangene Kriegserklärung militärische Auseinandersetzungen ausbrechen können. Das kam in der internationalen Politik des zwanzigsten Jahrhunderts vielfach vor, so etwa 1962 zwischen Indien und China oder 1969 zwischen China und der UdSSR. In diesem Fall gilt der Kriegszustand dann als hergestellt, wenn die beiden Kriegsparteien nach dem Ausbruch der Kämpfe die beiderseitigen diplomatischen Beziehungen formell abbrechen. Ein solcher Fall lag beim deutschen Angriff auf Polen im Jahr 1939 vor, der von deutscher Seite bewußt nicht als Krieg bezeichnet wurde, um trotz der Kämpfe die Chancen auf eine Verhandlungslösung mit den Westmächten und eben Polen nicht zu verbauen. Dann brachen Polen und Deutschland jedoch ihre diplomatischen Beziehungen ab, das gesamte diplomatische Corps beider Länder konnte das Territorium des Kriegsgegners jeweils ungehindert verlassen,106 und es galt formal der Kriegszustand. Was nun die deutsch-amerikanischen Beziehungen anging, so befanden sie sich bereits seit geraumer Zeit im Stadium eines unerklärten Krieges. Roosevelt hatte bereits in seiner Neujahrsbotschaft vom 4.  Januar 1939 von „methods short of war“ gesprochen, die ein amerikanisches Eingreifen an den Brennpunkten der Welt möglich machen würden. Diese Formulierung war der Mitte der 1930er 104 Vgl. Artikel Eins des Textes der Vereinbarung von 1907 in: http://www.admin.ch/ch/d/ sr/0_515_10/a1.html. 105 Vgl. Willms, Nation, S. 374. 106 Was ein in der Geschichtsschreibung vergleichsweise wenig bekannter Vorgang ist. Die Vertretung polnischer Angelegenheiten in Deutschland übernahm als Schutzmacht Schweden. Polens Botschafter Lipski trat in die polnische Armee ein. Vgl. Lipski, Diplomat, S. VIII.

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

Jahre verabschiedeten amerikanischen Neutralitätsgesetzgebung geschuldet, die dem Präsidenten offene militärische Handlungen fast unmöglich machte. Völkerrechtlich kamen Roosevelts Methoden einem Kriegsakt jedoch stetig näher. Während der Verhandlungen zu dem gegen den amerikanischen Kriegseintritt gerichteten Dreimächtepakt hatte Ribbentrop im September 1940 deshalb den Begriff des „verschleierten Angriffs“ in den Vertragstext einfügen lassen wollen.107 Aber wirklich verschleiert war dieser Angriff spätestens nach Roosevelts Wiederwahl im November 1940 kaum noch. Gegenüber Japan führten die USA bis dahin bereits einen Wirtschaftskrieg, der stetig auf einen bewaffneten Konflikt zusteuerte. Auch darüber wurde so offen geredet und gehandelt, daß interessierte Beobachter von der späteren Entwicklung kaum überrascht sein konnten.108 Die einseitigen Waffenlieferungen und Kredite für die deutschen Kriegsgegner, die Hilfsdienste bei der praktischen Kriegsführung im Nordatlantik und schließlich der Schießbefehl auf deutsche Schiffe waren offene Kriegshandlungen. Der amerikanische Präsident hatte sich entschlossen, den nach Sommer 1940 und der Niederlage Frankreichs entstandenen Status quo nicht hinzunehmen. Während Ribbentrop um die Jahreswende 1940/41 noch politische und wirtschaftliche Verhandlungen mit der Sowjetunion führte, deren wirtschaftlicher Teil im Januar 1941 erfolgreich abgeschlossen wurden, hatten in eben diesem Januar in Washington bereits englisch-amerikanische Stabsbesprechungen begonnen. Die beiden Staaten planten die gemeinsame Führung eines Weltkriegs. Er sollte vorrangig gegen Deutschland geführt werden.109 Am 29. März 1941 wurden die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen. Der Sieg galt als sicher. Die UdSSR spielte in den Planungen weder als Verbündeter noch als Gegner eine Rolle. Zwei Tage vorher, am 27. März, hatte in Jugoslawien der gegen Deutschland gerichtete Militärputsch stattgefunden, den die britische wie die amerikanische Regierung gefördert hatten. Die für den Anfang verabredete Mittelmeerstrategie beider Staaten konnte ihren Lauf nehmen. Aber auch in den Vereinigten Staaten selbst blieb Raum für kriegerische Maßnahmen „short of war“. Einen Tag nach dem Verhandlungsabschluß der Generalstäbe ließ der Präsident alle in amerikanischen Häfen vorhandenen deutschen, italienischen und dänischen Schiffe beschlagnahmen. Sie wurden in amerikanisches „Eigentum“ umgewandelt und Großbritannien übergeben.110 Über den Sommer 1941 verhielten sich die Vereinigten Staaten gegenüber Deutschland bereits faktisch wie eine kriegsführende Macht. Am 14. Juni etwa wurden die ita 107 Die japanischen Diplomaten lehnten diesen Begriff als zu unklar ab. Vgl. Sommer, Mächte, S. 401. 108 Fast ein Jahr vor Beginn des heißen Krieges erschien im Januar 1941 beispielsweise in Oldenburg das unglaublich hellsichtige Buch von Peter Riebe über den „Weltkrieg im Pazifik“. Riebe wies auf die entscheidende Bedeutung der Verlegung der US-Flotte nach Pearl Harbour für den Ausbruch dieses Krieges hin und darauf, daß für die dort lebenden Japaner schon seit 1939 die Konzentrationslager zu ihrer Internierung vorbereitet worden seien. Vgl. Riebe, Pa­ zifik, S. 69. f. 109 Vgl. Hillgruber, Strategie, S. 405 ff. 110 Vgl. Hillgruber, Strategie, S. 401 f.

5. Der zweite amerikanisch-deutsche Krieg

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lienischen und deutschen Guthaben in den USA beschlagnahmt. Es folgte die Schließung von Konsulaten. Am 15. September erklärte Marineminister Knox die USA für den Folgetag, den 16. September 1941 bereits faktisch zur kriegsführenden Partei: „Die USA-Flotte habe Befehl, alle Handesstörer der Achsenmächte, gleichviel ob Überoder Unterwasserpiraten ihr in den Weg kämen, mit allen verfügbaren Mitteln aufzubringen oder zu zerstören. … Amerika müsse nicht nur den Schild, sondern auch das Schwert anbieten, um den Sieg zu erringen. Er sprach dann den Russen seine Anerkennung für ihren Wider­stand aus und erklärte, daß alles geschehen werde, um auch weiterhin Kriegsmaterial für dieses Land bereitzustellen. Ebenso müßten China und Polen für seine (sic) Armeen in Kanada, Griechenland, Jugoslawien und Norwegen für ihre emigrierten Streitkräfte das erforderliche Kriegsmaterial erhalten.“111

Ribbentrop trug die neue Lage mit den Admiralen Dönitz und Raeder bei Hitler vor. Noch glaubte man, mit einer veränderten U-Bootkriegsführung reagieren zu können.112 Ende Oktober 1941 erhielt JvR dann einen der zahlreichen Berichte der Washingtoner Botschaft, in denen über neueste Entwicklungen zur Aufhebung der Neutralitätsgesetze Nachricht gegeben wurde. Roosevelt wollte demnach deren umfassende Aufhebung und konnte dabei parteiübergreifend auf die Hilfe der „Willkie-Republikaner“ unter seinem letztjährigen Gegenkandidaten bei der Präsidentenwahl zählen.113 Roosevelts Aussichten standen gut. Der Aufhebung der Gesetze würden militärische Zwischenfälle folgen, den Zwischenfällen schließlich der Krieg. So lange aber Zwischenfälle nicht stattfanden, wurde die deutsche Bedrohung eben frei erfunden. Die Tinte unter Geschäftsträger Dieckhoffs Bericht über die innenpolitischen Verhältnisse in den USA war praktisch noch nicht trocken, als der US-Präsident vor der amerikanischen Presse mit neuen gefälschten Dokumenten auftrat. In diesem Fall war es eine Landkarte mit deutschen Aufteilungsabsichten in Südamerika und außerdem noch dem angeblichen Hitlerschen Plan, „alle bestehenden Religionen in der Welt zu beseitigen“ und „an Stelle der Bibel … Worte aus Mein Kampf gesetzt“ sehen zu wollen. Ribbentrop ließ diese Fälschungen – und dies waren sie in der Tat – in einem Runderlaß als solche bezeichnen.114 Tatsächlich hatte der britische Geheimdienst hier zur Feder gegriffen und die US-Regierung mit Fälschungen versorgt. Einen Tag später folgte ein weiterer Runderlaß JvRs, der nun bereits die Sprachregelung festlegte, der in der Rooseveltschen Rede am Navy Day, dem 27. Oktober 1941, erhobene Vorwurf an die Adresse Deutschlands, es sei der Angreifer, sei zurückzuweisen. Eine amtliche deutsche Verlautbarung stellte fest, „daß vielmehr die Vereinigten Staaten das Feuer eröffnet und Deutschland angegriffen haben.“115 111

Zit. n. KTB SKL, A, Bd. 25, S. 255, 15. September 1941. Vgl. KTB SKL, A, Bd. 25, S. 273, 17. September 1941. 113 Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 427, Bericht von Botschafter Dieckhoff vom 27.  Oktober 1941. 114 Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 439, Runderlaß Ribbentrop vom 1. November 1941. 115 Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 441, Runderlaß Ribbentrop vom 2. November 1941. 112

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IX. Im Zentrum des Vernichtungskriegs

Noch wollte man daraus keine Konsequenzen ziehen, obwohl der Fakt als solcher unbestreitbar war und von der Zeitgeschichtsforschung – mit positiver Akzentuierung für Roosevelt – in der Sache nach 1945 auch umfassend bestätigt wurde. Eine Anfang Dezember 1941 eingetroffene – zutreffende – Pressemeldung von über ein von Washington geplantes US-Heer von bis zu fünf Millionen Mann, die im Sommer 1943 gegen Deutschland in den Krieg ziehen sollten,116 gab dann offenbar den Ausschlag für die formale deutsche Kriegserklärung. Selbst einen deutschen Sieg über die UdSSR hatten die Washingtoner Planer mittlerweile mit ins Kalkül gezogen. Er würde die britisch-amerikanische Invasion nicht verhindern können, so die Einschätzung. Ribbentrop gibt an, Hitler von der formalen Verkündung des Kriegszustands abgeraten zu haben.117 Der Diktator verkündete trotzdem, nach einer langen und insgesamt zutreffenden öffentlichen Auflistung aller amerikanischen Offensivschritte, den längst laufenden Krieg der Vereinigten Staaten „auch von unserer Seite“ offen feststellen zu können.118 Die USA hatten diesen Krieg in der Tat begonnen. Es war der zweite gegen den deutschen Staat innerhalb von fünfundzwanzig Jahren, und es war der zweite, der ohne Bedrohung durch deutsche Streitkräfte erklärt wurde, aus freien Stücken und eigenem amerikanischem Interesse. Formal überreichte Ribbentrop dem amerikanischen Geschäftsträger Morris am 11. Dezember um 14.18 Uhr die deutsche Kriegserklärung.119

116

Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 541, Bericht Thomsen vom 4. Dezember 1941 über die entsprechenden Berichte der Chicago Tribune und des Washingtoner Times Herald. Reinhard Gehlen datiert die Erkenntnis der US-Aufrüstungspläne aufgrund der Presseberichte rück­ blickend falsch ins Frühjahr 1942. Er vermutet als Quelle eine undichte Stelle in unmittel­ barer Präsidentennähe, die nach Auskunft von US-General Wedemeyer auch durch interne USErmittlungen nicht aufgedeckt worden sei. Vgl. Gehlen, Erinnerungen, S. 22. Vgl. dazu auch ­Doenecke, Danger, S. 45. 117 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, 118 Vgl. Domarus, Hitler, II, S. 1808. 119 Vgl. Martin, Deutschland, S. 45. Den deutschen Geschäftsträger in Washington, Thomsen, hatte Ribbentrop telegraphisch angewiesen, den gleichen Schritt um 15.30 Uhr in Washington vorzunehmen. Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 572, Telegramm Ribbentrop an Thomsen. Das deutsche Original dieses Telegramms ist, wie Bernd Martin vermerkt, an der in den ADAP ange­ gebenen Stelle nicht auffindbar. Vgl. Martin, Deutschland, S. 44.

X. Zwischenbetrachtung: Das Auswärtige Amt, der Minister und der Holocaust Es ist geschehen. Zusätzlich zu vielen anderen unzutreffenden Anschuldigungen und unbelegten Behauptungen über Joachim von Ribbentrop wurde nun auch noch die Geschichte in die Welt gesetzt, auf seine Initiative würde der Mord an den europäischen Juden zurückgehen. Verbreitet wurde dies von der Historikerkommission, die im Auftrag des früheren bundesdeutschen Außenministers Josef Fischer die Vergangenheit des Auswärtigen Amts in der nationalsozialistischen Ära untersuchen sollte und ihren Bericht Ende 2010 vorlegte. Dort findet sich auf Seite Einhunderfünfundachtzig der Satz: „Das Schicksal der deutschen Juden wurde am 17. September 1941 besiegelt: An diesem Tag fand ein Treffen Hitlers mit Ribbentrop statt. Dem Treffen unmittelbar voraus (sic) ging Hitlers Anordnung, die soeben (sic) durch den Judenstern gekennzeichneten deutschen Juden in den Osten zu deportieren.“1

Ungeachtet der aus dieser Formulierung selbst hervorgehenden zeitlichen Reihenfolge behaupten die Autoren, damit habe das Auswärtige Amt „die Initiative zur Lösung der ‚Judenfrage‘ auf europäischer Ebene“ ergriffen. Einen Beleg für diese Aussage gibt es nicht, insbesondere nicht für die hier behauptete Rolle des Außenministers. Über das, was an diesem Tag zwischen Hitler und Ribbentrop besprochen wurde, wissen die Autoren des „Amts“ offenbar nichts und machen nicht einmal einen Belegversuch für ihre Unterstellung. Daß es um die Deportation des deutschen Judentums in Richtung Osten gegangen sei, also in eine Region, in der das Außenministerium keinen Einfluß besaß, ist demnach eine reine Phantasiegeschichte. Sie dient den Autoren der Studie dazu, dem Auswärtigen Amt eine entscheidend wichtige Rolle bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung und -tötung zuzuweisen, die es nicht hatte. Ein Blick in die Editionen des Bundesarchivs hätte genügt, um diese Spekulationen zunichte zu machen. Ribbentrop betrieb an diesem Tag einmal mehr das in diesen Monaten übliche außenpolitische Geschäft, wie auf die steigende amerikanische Aggressivität zu reagieren sei. Wir sind eben bereits kurz darauf eingegangen: „Am 17.9.41 war der Reichsaußenminister mit Großadmiral Raeder und dem Chef der U-Bootwaffe Dönitz beim Führer, um die durch die amerikanische Erklärung über den bewaffneten Geleitschutz nach Island entstandene Lage und sich daraus ergebenden Folgen für den Krieg im Atlantik zu besprechen.“2

1



2

Zit. n. Conze, Diplomaten, S. 185. Bericht von Werner Koeppen an Alfred Rosenberg vom 18. September 1941, hier zit. n. Vogt, Berichte, S. 20.

320

X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

Für irgendeinen andereren Gesprächsinhalt gibt es keine Anzeichen und keinen Anlaß, schließlich hatte US-Marineminister Knox dem deutschen Reich zwei Tage vorher praktisch den Krieg erklärt.3 Auf Kritik an dieser Passage verteidigten sich die beteiligten Historiker mit einem weitschweifigen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem sie die Gründe für ihre Position darlegten, letztlich aber nur bestätigten, daß sie für ihre Be­hauptungen keine Gründe hatten, denen jenseits von ihren eigenen Vorurteilen eine besondere Bedeutung zukommen würde. Sie zitieren zu diesem Zweck die Empfehlung eines Sachbearbeiters aus der Vertretung des Auswärtigen Amts in Frankreich namens Carltheo Zeitschel, der dem dortigen Botschafter Abetz als Reaktion auf die Ausrottungsdrohung des jüdischen Publizisten Kaufman gegen das deutsche Volk („Germany must perish“) empfohlen haben soll, statt dessen das europäische Judentum auszurotten. Dies, so die Historiker Conze und Frei – erneut ohne Beleg – könnte Abetz bei Treffen mit Ribbentrop oder Hitler vorgetragen haben.4 Einen Blick auf den Mindeststandard an Primärquellen, der für Ver­ öffentlichungen über die Politik des NS-Staats berücksichtigt werden sollte, haben sie versäumt. Das in den ADAP abgedruckte Gesprächsprotokoll zwischen Hitler und Abetz, in dem von Judenverfolgung kein Wort steht, kennen sie ausdrücklich nicht.5 Tatsächlich brauchte Hitler jedoch außerdem keine Sachbearbeiter des AA, um auf das Buch Kaufmans hingewiesen zu werden. Er kannte es und hatte zusammen mit Joseph Goebbels bereits sechs Wochen vorher eine Broschüre besprochen, die in großer Auflage unter der deutschen Bevölkerung verbreitet wurde.6 Schließlich nahmen die Historiker Conze und Frei ihre Behauptungen denn auch zunächst in großen Umfang zurück, um sich dann in eine Gleichsetzung von Deportation und Mord zu flüchten: „Es war vorauszusehen, daß die Mehrzahl der deportierten Juden sehr wahrscheinlich zu Tode kommen würde, auch wenn noch keine Entscheidung über die totale Vernichtung der Juden vorlag. Die Deportation und die später praktizierte Massenvernichtung, sie waren beide gleichermaßen verbrecherisch.“7 3 Präsident Roosevelt ergänzte dies in allgemeiner Form, die USA würden den gegen Deutschland kriegführenden Staaten „nicht nur das Schild, sondern auch das Schwert anbieten, um den Sieg zu erringen.“ Vgl. KTB SKL, A, Bd. 25, S. 255, 15. September 1941. Als Folge davon der Beschluß vom 17. September für „Vorschläge, die Chef SKL in heutigem Vortrag beim Führer in Anwesenheit des B.d.U. vortragen wird“. Ebd. KTB SKL, A, Bd. 25, S. 273, 17. September 1941. 4 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 10. Dezember 2010: „Unser Buch hat einen Nerv getroffen“. 5 Es seien „keine Protokolle dieser Unterredungen überliefert“, behaupten die Autoren ausdrücklich im Vorwort zur 2012 erschienenen Taschenbuchauflage des „Amts“. Vgl. http:// www.randomhouse.de/content/edition/excerpts/304631.pdf, S. XVIII. 6 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II/1, S. 271, 19. August 1941. Zu den näheren Umständen der Gesamtrezeption des Kaufman-Buchs in der NS-Führung und den vergleichbaren Gedankengängen im Dialog zwischen Robert Vansittart und Winston Churchill, vgl. Scheil, Eskalation, S. 337 ff., Kapitel „Ausrottungsphantasien“. 7 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 10. Dezember 2010: „Unser Buch hat einen Nerv getroffen“.

X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

321

Diese Gleichsetzung von Deportation – wobei ein angeblich entscheidender Anteil des AA weiterhin belegfrei unterstellt wird – mit Vernichtung dient den Autoren wie gesagt zu bloßen Anklagezwecken. Aus historischer Perspektive ist diese Gleichsetzung abstrus. Es war statt dessen recht exakt genau die Differenz zwischen Deportation und Tod, auf die sich das NS-Regime wohlweislich stützte, weil sich die entscheidenden Personen vollkommen darüber im Klaren waren, daß weder die deutsche Bevölkerung noch die Streitkräfte oder auch nur die NSDAP-Mitglieder eine Deportation aller Juden mit dem erklärten Ziel ihres Todes akzeptiert hätten. Als dieses Ziel wurde öffentlich „Arbeit“ angegeben. Auch Ribbentrop war bereit, die rechtliche Isolierung der deutschen Juden und ihre schließliche Deportation unter entsprechendem Druck mitzutragen. Sie war jedoch weder sein Anliegen noch seine Angelegenheit, sondern etwas, was es aus seiner Sicht im Rahmen historischer Analogie in den drei westeuropäischen Großstaaten Spanien, Frankreich und England zu Zeiten, teilweise jahrhundertelang auch einmal gegeben hatte und was in keinem Fall den Rang einer politischen Schlüsselhandlung haben konnte. Der laufende Krieg war für ihn keine „jüdisch-bolschewistische“ Unternehmung, wie es sich der innere Kreis der ideologisch gefestigten Nationalsozialisten zunehmend einredete. Ribbentrop hatte sich gegen diese Entwicklung gestellt, auch wenn er sich regimeintern damit einmal mehr unbeliebt machte. Bei seinen Aufenthalten in Moskau sprach er eigens mit dem in nationalsozialistischen Kreisen geheimnisumwitterten Lasar Kaganovitsch, damals sowjetischer Transportminister, der in Deutschland einen fragwürdigen Ruf als einflußreichster jüdischer Kopf in der sowjetischen Führung genoß.8 Ribbentrop gewann dabei einen persönlichen Eindruck, der durch weitere von ihm angeordnete Recherchen bestätigt wurde. Eine „ernstlich vom internationalen Judentum zwischen Moskau, Paris, London und New York gesteuerte Aktion (hat) es nicht gegeben. … Über die Kominternzentrale mögen Fäden zwischen diesen Städten und Ländern gelaufen sein und sicher saßen in ihr auch Juden. Daß aber planmäßig von einer internationalen jüdischen Zentrale aus an der Bolschewisierung der Welt gearbeitet wurde – diese These ist meiner Meinung nach unhaltbar.“9 Nun stand gerade dieser Eindruck in verschiedenen Ausprägungen immer mehr im Zentrum der Gedankenwelt des deutschen Staats- und Parteichefs, der das Judentum als „Prinzip“ und treibende Kraft sowohl in Moskau wie auch in Washington vermutete. Ribbentrop hielt das für unpolitisch und falsch. Er widersprach auch deutlich und seine Aussage nach Kriegsende, er habe die Auffassung Hitlers von einer weltweiten jüdischen Verschwörung nicht teilen können, ist daher nicht als bloßer, nachgereichter Verteidigungsversuch zu werten.10 Der Krieg war für ihn

8 Ribbentrop saß bei seinem Aufenthalt in Moskau direkt neben Kaganovitsch, auf den S­ talin bei dieser Gelegenheit eigens einen Toast als „unseren verantwortlichen Kommissar für das Eisenbahnwesen“ ausbrachte, wie sich Vjatscheslav Molotov noch Jahrzehnte später er­ innerte. Vgl. Molotov, Politics, S. 12 f., Interview mit Molotov vom 3. Dezember 1982. 9 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 210 f. 10 In diesem Sinn auch Peter Longerich. Vgl. Longerich, Propagandisten, S. 41.

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X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

eine machtpolitische Auseinandersetzung, in der auch das Judentum als ethnischreligiöse Gruppe eine politische Rolle spielte. Diese Rolle hatte in seinen Augen aber weder einen notwendigen noch einen entscheidenden Charakter und schon gar keinen, der eine kollektive Verfolgung hätte begründen können. Vor diesem Hintergrund sind auch Ribbentrops Versuche zu sehen, die „Dienststelle Ribbentrop“ ohne Berücksichtigung der NS-Klischees und ihren Regeln über „Nichtariertum“ oder „jüdische Versippung“ aufzubauen.11 Dieser Abschnitt nun will das Verhältnis ergründen, das der deutsche Außenmi­ nister tatsächlich zur nationalsozialistischen Judenpolitik hatte, besonders zwischen 1938 und 1945. Er wurde bereits vor dem Erscheinen des „Amts“ geschrieben, wurde aber durch diese Debatte noch notwendiger. Es geht dabei um Ribbentrops grundsätzliche Einstellung zur Politik gegenüber dem Judentum, um seine Reaktionen auf die ihm bekanntgewordenen Maßnahmen gegen die europäischen Juden und seine Mitwirkung an diesen Maßnahmen im Rahmen seiner Amtsführung als Minister. Dies schließt die Frage nach den unter dem Stichwort Holocaust bekanntgewordenen Massentötungen von Juden ein. In der einschlägigen Holocaust-Literatur wird Joachim v. Ribbentrop in der Regel keine Billigung und keine Initiative bei der Entrechtung oder Verfolgung von Juden durch das nationalsozialistische Regime unterstellt.12 Dieser Aspekt des Nationalsozialismus blieb ihm nach Lage der Dinge fremd. Sein Mitwissen über die Existenz von Vernichtungslagern wird von verschiedenen Historikern zwar offenkundig stillschweigend angenommen, ist jedoch nirgendwo belegt. Dies gilt sowohl für Allgemeindarstellungen13 wie für Spezialuntersuchungen zu einzelnen Aspekten und Gebieten.14 Ribbentrop selbst verwies in seinen Erinnerungen darauf, zwar Probleme mit den Juden in Deutschland gesehen zu haben, sich aber allein schon wegen der außenpolitischen Rückwirkungen gegen die spezifisch antijüdische Gesetzgebung etwa der Nürnberger Gesetze ausgesprochen und 11 Es gelang ihm bis etwa 1937, diese Mitarbeiter „zu halten“, als dies Gegenstand einer von Reinhard Heydrich initiierten Untersuchung wurde. Vgl. Ray, Abetz, S. 218 ff. 12 In diesem Sinn hat auch Richard Evans auf die Darstellung des „Amts“ reagiert. Vgl. den Besprechungsaufsatz von Evans in: Neue Politische Literatur, Jg. 59, Heft 1, 2011 sowie den entsprechenden Kommentar von Patrick Bahners in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 8.6.2011, S. N3. 13 Eine Ausnahme ist Christopher Browning, der dem Auswärtigen Amt und dem Minister attestiert, in Dingen wie dem Madagaskar-Plan aktiv agiert zu haben. Aber auch er bringt Joachim von Ribbentrop nicht mit der schließlichen Entscheidung zum Genozid oder dessen Ausführung in Verbindung. Ein Teil der Arbeiten zum Thema kommt jedoch aus, ohne den Namen Ribbentrop überhaupt zu erwähnen, so etwa Rainer Baums Studie über „The Holocaust and the German Elite“ oder auch der in aller Breite argumentierende Daniel Jonah Goldhagen in „Hitlers willige Vollstrecker“. 14 Um ein Beispiel zu nennen: So kommt der Name Ribbentrop etwa in Robert Seidels 2006 erschienener Dissertation über „Deutsche Besatzungspolitik in Polen“, die sich unter anderem ausführlich mit der Vorgeschichte und den einzelnen Phasen von Judentötungen beschäftigt, nicht vor. Vgl. Seidel, Besatzungspolitik, passim.

X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

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statt dessen allgemein auf eine „evolutionäre Entwicklung in der Judenfrage“ gedrängt zu haben.15 Mit seinen Ansichten zu einer evolutionären Entwicklung sei er jedoch bei Hitler zu keinem Zeitpunkt entscheidend und im Lauf des Krieges dann zunehmend weniger durchgedrungen. Hitler sei immer stärker der Ansicht gewesen, daß im wesentlichen die englischen und die amerikanischen Juden als treibende Kraft hinter dem Krieg gegen Deutschland anzusehen seien. In dieser Ansicht war Hitler bereits im Vorfeld des Krieges unter anderem durch die Ausführungen des englischen Botschafters Henderson bestärkt worden, der Hitlers Kritik an der englischen Regierungspolitik kurz vor dem Kriegsausbruch mit dem Verweis auf Dritte zu entkräften suchte: „Die Einstellung gegen Deutschland sei nicht der Wille des englischen Volkes. Sie sei zurückzuführen auf Juden und Nazi-Feinde.“16

Man wird vor diesem Hintergrund die Ansichten Joachim v. Ribbentrops über das „jüdische Problem“ stets vor dem zeittypischen Hintergrund sehen müssen, in dem – wie wir gesehen haben und noch sehen werden – Politiker in allen Ländern von der Existenz eines Judentums als politisch einflußreicher Größe ausgingen. Für ähnliche Einstellungen wie die von Henderson lassen sich weitere Beispiele anführen. So berichtete der dortige polnische Botschafter Potocki im Januar 1939 aus Washington, der Krieg gegen Deutschland sei in der amerikanischen Hauptstadt praktisch beschlossene Sache und diese Sache werde vor allem von den jüdischen Kreisen der amerikanischen Ostküste vorangetrieben. Diese Berichte gelangten bereits im Januar 1939 als diplomatisches Gerücht nach Berlin. Sie wurden später in Warschau als Original erbeutet und 1940 unter der Verant­ wortung von Joachim von Ribbentrop herausgegeben.17 Zurück zu den oben erwähnten Diskussionen zwischen Ribbentrop und dem deutschen Staatschef über die Rolle des Judentums in der internationalen Politik und den Folgen des deutschen Antisemitismus. Nach seiner Darstellung verwies er in den Diskussionen mit Hitler wiederholt auf Beispiele historischer Art, etwa den kompromißlosen Krieg Englands gegen Napoleon oder Wilhelm II., die beide entweder vor der Zeit nachweisbaren jüdischen Einflusses lagen (Napoleon) oder sich gegen eine ausgesprochen judenfreundliche Politik wie die Wilhelms II. richteten. Ein jüdischer Einfluß, selbst wenn er sich gegen Deutschland und dessen aktuell antisemitisch ausgerichtete Politik bemerkbar machen würde, sei also etwas sekundäres, keine „primäre Kriegsursache“.18 Damit lag er ohne Zweifel richtig, was immer auch in der englischen Führungsspitze anderweitig gesagt worden

15



16

Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 271. Zit. n. ADAP, D, VII, Dok. 200, S. 179, Gespräch Hitler-Henderson vom 24. August 1939. Henderson erwähnt diese Äußerung in seinen Erinnerungen nicht, gibt das Gespräch aber ansonsten inhaltlich in etwa gleich wieder, wenn auch nur in einem Bruchteil der Länge der ADAP-Aufzeichnung. Vgl. Henderson, Failure, S. 256 f. 17 Auswärtiges Amt (Hrsg.): Polnische Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Berlin 1940. 18 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 274.

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X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

war. Es gab zahlreiche weitere Gründe und Konstellationen, die zum Krieg von 1939 und zu seiner Eskalation geführt hatten. Eine Alleinschuld gab es weder in Deutschland noch an anderen Orten zu finden. In Zusammenhang mit diesen Diskussionen und der nationalsozialistischen Judenpolitik ist im weiteren bemerkenswert, daß hier nach dem Kriegsausbruch eine Radikalisierung stattfand. Wenn Ribbentrop von „circulus vitiosus“ spricht,19 also einem Teufelskreis wechselseitiger Radikalisierung durch den nationalsozialistischen Antisemitismus und die antinationalsozialistischen Aktionen des Auslands, dann entspricht dies dem, was in der Forschungsliteratur meist vertreten wird. ­Ribbentrop versuchte, diesen Zirkel zu durchbrechen und wurde innerhalb der SS als eine Person wahrgenommen, die sich den Deportationsmaßnahmen widersetzte. Adolf Eichmann erinnerte sich später entsprechend: „Handelte es sich um grundsätzliche Dinge, so z. B. das Fehlen der gesetzlichen Untermauerung für einen Befehl an die Sicherheitsbehörde zur Konzentrierung der Juden und deren Übergabe an die deutschen Behörden, dann mußte ein ganz anderer Weg eingeschlagen werden. Nach einer diesbezüglichen Arbeitskonferenz richtete der Legationsrat an seinen Vorgesetzen und über letzteres einen Bericht. Dieser wurde nach Rücksprache mit dem Reichsaußenminister entweder verworfen oder anerkannt. Drohte eine ablehnende Entscheidung des Ministers, so war es meine Aufgabe, den Chef der Sipo und des SD über Gruppenführer Müller zu informieren. Dann wurden entsprechende Schreiben an den Reichsaußenminister vorbereitet; waren die Schwierigkeiten sehr groß, dann schrieb sogar der Reichsführer selbst. In diesen Briefen wurde dem Außenminister die Sachlage mitgeteilt, so daß er gar nicht anders entscheiden konnte als im Sinne des Reichsführers. Denn der Reichsführer berief sich in solchen Fällen auf Führeranordnungen, denen sich auch von Ribbentrop nicht entziehen konnte.“20

Demnach war das Außenministerium des Deutschen Reichs unvermeidlich und gegen den Willen des Ministers an einzelnen Teilen der Vorgänge beteiligt. Dazu gehörte die Mitwirkung des Auswärtigen Amts bei der Deportation der euro­ päischen Juden in Lager und Ghettos im „Osten“, die vor den Augen der euro­ päischen Öffentlichkeit und der Weltöffentlicheit stattfand. Sie wurde offiziell als kriegsnotwendige Maßnahme dargestellt und nicht als Vorbereitung zu einer Tötung, sondern zur Umsiedlung an einen noch zu bestimmenden Ort. Christopher Browning nennt in seiner Studie über die „Entfesselung der Endlösung“ Franz Rade­macher und Martin Luther als treibende Kräfte im Auswärtigen Amt in dieser Angelegenheit.21 Dies drückte sich im Fall Luthers beispielsweise darin aus, daß er es nicht für nötig hielt, den Minister über die Wannsee-Konferenz zu informieren,

19



20

Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 272. Zit. n. Aschenauer, Eichmann, S. 236 f. Diesen Zusammenhang gibt auch Robert ­Kempner so wieder. Einen Anruf Ribbentrops bei Unterstaatssekretär Luther, in dem der Minister um Vorsprache bei der dänischen, ungarischen und bulgarischen Regierung in Sachen „Juden­ evakuierung“ ersuchte, sei von „Eichmann auf dem Wege über Himmler“ initiiert gewesen. Vgl. Kempner, Eichmann, S. 236. 21 Vgl. Browning, Entfesselung, S. 131 ff.

X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

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die im Januar 1942 stattfand. Erst auf ausdrückliche Aufforderung Ribbentrops, den im Sommer 1942 offenbar Nachrichten über die antisemitische Politik beunruhigten, die in seinem Amtsbereich stattfand, verfasste Luther einen zwölfseitigen Gesamtbericht über die nationalsozialistische Judenpolitik, in dem er die Konferenz als zu unwichtig schilderte, um den Minister zu informieren. Er habe allerdings Staatssekretär Weizsäcker ins Bild gesetzt.22 Rudolf von Ribbentrop schreibt in seinen Erinnerungen, sein Vater habe ihm im Sommer 1944 Presseausschnitte aus der Auslandspresse gezeigt, in denen nach der Einnahme des Konzentrationslagers von Majdanek durch die Rote Armee davon die Rede war, dort sei eine große Zahl von Menschen ermordet worden und habe ihn dann gefragt, ob er dies für möglich halte.23 Er habe geantwortet, dies sei doch wohl nur eine Propaganda-Geschichte wie die angeblich abgehackten Kinderhände in Belgien während des Ersten Weltkriegs. In der Tat gab es aus der Perspektive des deutschen Frontsoldaten keinen Anlaß, derartige Geschichten zu kennen oder gar aus eigener Erfahrung bestätigen zu können. Wie der israelische Histo­ riker Mark Bryan Rigg nachgewiesen hat, galt dies selbst für „Hitlers jüdische Soldaten“, also Angehörige der deutschen Streitkräfte, die nach den Nürnberger Rassegesetzen eigentlich als Juden oder jüdische Mischlinge zu gelten hatten, aber aus verschiedenen Gründen dennoch Dienst taten. Auch sie, von denen der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt wohl den prominentesten Namen trug, wußten nichts von einer allgemeinen Tötung von Juden, wie Rigg als Bilanz von mehreren hundert Interviews mit ihnen feststellte.24 Was den Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Existenz des Lagers von Majdanek durch den deutschen Außenminister betrifft, so gab er auch gegenüber den amerikanischen Ermittlungsbeamten nach dem Krieg eben diesen Zeitpunkt an: Frage: Wie viele Juden wurden Ihrer Schätzung nach vernichtet? Antwort: Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich habe nur davon gehört, das erste Mal in Majdanek, und dann nach dem Zusammenbruch im Radio, als ich noch … bevor ich verhaftet wurde. Frage: Haben Sie irgendeine Idee, ob es sich um eine große Zahl oder eine kleine Zahl ­handelt? Antwort: Ich weiß gar nichts darüber. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich habe nicht die geringste Ahnung. Frage: Würde es Sie überraschen, zu erfahren, daß mehr als viereinhalb Millionen Juden vernichtet wurden? Antwort: Das ist nicht möglich.

22

Bericht von Luther an den Gesandten v. Rintelen vom August 1942, gedruckt in Kempner, Eichmann, S. 224–235, hier S. 227. Rintelen trug Ribbentrop den Inhalt vor. 23 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 428 f. 24 Vgl. Rigg, Soldaten, S. 309 ff.

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X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

Frage: Warum ist es nicht möglich? Antwort: Das ist nicht möglich. Frage: Warum sagen Sie, daß das nicht möglich sei? Antwort: Das muß Propaganda gewesen sein. Das steht völlig außer Frage.“25

An diesem Punkt blieb das Verhör stecken. Tatsächlich galt die heute bekannte und überwiegend akzeptierte Zahl an Todesopfern den Zeitgenossen damals als im Wortsinn „unfassbar“. Dies ist unter anderem auch an dem geringen Widerhall zu erkennen, den entsprechende Veröffentlichungen während des Krieges in den USA fanden, aber auch an der hier dokumentierten Reaktion des Außenministers. Insgesamt sind die Erklärungen Joachim von Ribbentrops über den Zeitpunkt, an dem er zum ersten Mal von Massentötungen an Juden in Form von alliierten Pressemeldungen gehört habe, durchaus stimmig. Zusätzlich bestätigt werden seine Angaben durch die Mitarbeiter des Auswärtigen Amts. Sebastian Weitkamp spricht wegen der großen Häufung ähnlicher Angaben von einem „MajdanekErlebnis“ des AA.26 Viele Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes erfuhren damals erstmals von den Informationen, die durch die alliierten Stellen künftig verbreitet wurden. Als die Berichte der Presse über Majdanek erschienen, erging laut Auskunft Emil von Rintelens an den Referatsleiter von Thadden der Auftrag, sich bei der SS-Führung über den Wahrheitsgehalt der Presseberichte kundig zu machen. Der Auftrag sei Thadden durch Staatssekretär Gustav Adolf von Steengracht gegeben worden, der Ernst v. Weizsäcker am 31. März 1943 in dieser Position abgelöst hatte. Steengracht habe sich in dieser Angelegenheit nach Eindruck von Rintelens mit von Ribbentrop abgesprochen, der dann nach dem bedeutungsvollen Schweigen der SS-Führung zu den Vorwürfen entschieden haben soll, nicht weiter zu insistieren.27 Obwohl von Rintelen über diese Entscheidung selbst nur indirekt berichten kann, scheint seine Schilderung aufgrund der sonstigen Angaben zutreffend zu sein. In den offiziellen Sprachregelungen galt die Konzentration der jüdischen Bevölkerung wie gesagt als Vorbereitung für eine Zwangsauswanderung. Am 26. November 1941 empfing Ribbentrop den bulgarischen Außenminister Ivan Popov und sagte ihm unter anderem, daß „am Ende des Krieges sämtliche Juden Europa würden verlassen müssen. Dies sei ein un­ abänderliche Entschluß des Führers.“28

25 Vernehmung von Joachim von Ribbentrop durch Justice Jackson am 5. Oktober 1945, im Beisein von Colonel John H. Amen und Colonel Howard A. Brundage. Gespräch im Original auf Englisch, hier zit. Overy, Verhöre S. 527 f. 26 Vgl. Weitkamp, Diplomaten, S. 442. 27 Vgl. Döscher, Diplomatie, S.  292. Döscher stützt sich auf mehrfache persönliche Auskünfte von Rintelens ihm gegenüber. 28 Zit. n. Hilberg, Vernichtung, S.  510, Gespräch Ribbentrop-Popov, vom 26.  November 1941 (NG-3367).

X. Zwischenbetrachtung X. Zwischenbetrachtung

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Raul Hilberg nennt dies die „Aussiedlungslegende in ihrer entwickelsten Form“.29 Doch spricht im Prinzip nichts dagegen und auch Hilberg kann nichts weiter als Begründung anführen, warum der Außenminister dies nicht nur gesagt, sondern auch gemeint haben könne. Unterstaatssekretär Luther erwähnt die gleiche Äußerung Ribbentrops gegenüber Popov in einem zwölfseitigen Bericht, den Luther dem Außenminister im August 1942 zugeschickt hat, und der einen Gesamtüberblick über die deutsche Judenpolitik seit der Machtübernahme von 1933 bis zum Sommer 1942 enthielt.30 Ribbentrop wurde hier über geplante Deportationen der europäische Juden in Lager und die geplante Zwangsauswanderung nach Kriegsende informiert, von Tötung war nicht die Rede.



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30

Vgl. Hilberg, Vernichtung, S. 510. Vgl. Kempner, Eichmann, S. 222 ff.

XI. Politik in Zeiten des Krieges 1. Fluchtpunkt Europa Staatenbund oder Beseitigung von Staatsgerümpel – Ribbentrop vs. Hitler Während sich in Rußland und in Nordafrika die Kriegslage für die deutschen Streitkräfte erkennbar verschlechterte, stand Ribbentrop zu Beginn des Jahres 1943 vor der Frage, ob und wie er mit den Mitteln der Außenpolitik dazu beitragen konnte, den Krieg zu beenden. Im Vordergrund stand dabei weiterhin die Abschreckung. Deutschland konnte den Krieg nicht offensiv militärisch gewinnen. Die dazu notwendige Besetzung des Staatsgebiets von einem oder mehreren der Hauptgegner hatte sich als unmöglich herausgestellt. Übrig blieb lediglich die andere Option, den Gegnern den Sieg ihrerseits so teuer werden zu lassen, daß sie einen Kompromiß vorziehen würden. Dazu mußte die Außenpolitik einerseits die militärische Situation verbessern, ohne andererseits die Aussichten auf eben diesen Kompromiß weiter zu verschlechtern. Jede tragfähige Friedensregelung mußte dabei eine Antwort auf das in allen Staaten gewachsene Europabewußtsein finden und aus seiner Sicht die seit 1939 von Deutschland geschaffenen Tatsachen als akzeptabel erscheinen lassen, zunächst bei den Verbündeten und Neutralen, langfristig möglichst auch bei den Kriegsgegnern. Dies erforderte eine erkennbare Europapolitik, die über den aktuellen Zustand von deutschen Besatzungsregimen hinausging. Im Prinzip blieb natürlich alles davon abhängig, wie der Ausgang der militärischen Auseinandersetzung lauten würde. Was seit 1941 an Europapolitik geleistet werden konnte, stand daher unter dem unmittelbaren Eindruck dieses Konflikts. Auch Ribbentrop wußte dies und versuchte dennoch, in gewissem Umfang Tatsachen zu schaffen, die auch für einen militärischen Sieg der deutschen Sache nützlich sein konnten. Dazu gehörte für ihn die Etablierung eines Staatenbunds, der den besetzten und unbesetzten Ländern eine gewisse Sicherheit im Hinblick auf ihre Zukunft geben sollte und im Idealfall aus besetzten Ländern deutsche Vertrags- und Bündnispartner machen würde. Die Stimmung zwischen Minister und Staatschef war seit den ideologischen Entwicklungen in den ersten Wochen des Rußlandfeldzugs gereizt. In seinen Er­ innerungen berichtete JvR von einem Zusammenstoß, den er mit Hitler hatte und in dem es erneut um die zunehmend ideologiegeprägte Politikführung gegangen sei. Aus einer Debatte über Zuständigkeitsfragen sei Stück für Stück ein lauter Streit über die Judenpolitik und Weltanschauungsfragen entstanden, bei dem man sich schließlich lauthals anschrie: „Ich bat erregt um meinen Abschied und erhielt

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ihn bewilligt“, schrieb Ribbentrop.1 Nähere Angaben über die Streitpunkte machte er nicht. In seinen Memoiren gab er das Frühjahr 1942 als Zeitpunkt des Streits an. Hitler habe unter dem Eindruck der Rückschläge in Rußland gestanden und immer noch unter den Nachwirkungen des Hess-Flugs gelitten. Andere Angaben verlegen das Datum ins Jahr 1941 oder sogar konkret auf den 28. Juli 1941.2 Wahrscheinlich vermischen die Angaben mehrere Ereignisse. Kurz nach Beginn des Rußlandfeldzugs hatte Ribbentrop in aller Ruhe seinen Rücktritt angeboten, wie es eigentlich den Gepflogenheiten entsprach. Er war als Minister verantwortlich für die Politik des deutsch-sowjetischen Ausgleichs sowie des Nichtangriffspakts gewesen und hatte sich gegen den Angriff auf die UdSSR ausgesprochen. Es war international üblich, den verantwortlichen Außenminister, wie den Minister jedes anderen Ressorts auch, nach dem Scheitern einer mit seinem Namen so stark verknüpften politischen Zielsetzung zu wechseln. Dieses Rücktrittsangebot vom Sommer 1941 lehnte Hitler offenbar ebenso in aller Ruhe ab.3 Im Frühjahr 1942 kam es dann zum erwähnten Streit, dem weitere folgten.4 Inzwischen hatten sich die „alten Nationalsozialisten“ unter dem Eindruck verschiedener Ereignisse stark radikalisiert. Eine wichtige Rolle spielte bei den innernationalsozialistischen Debatten dabei das Buch „Germany must perish“, das seit dem Sommer 1941 sowohl von Hitler wie von Goebbels zur Kenntnis genommen wurde. Der Autor, ein Theodore Kaufman, forderte darin die physische Ausrottung des deutschen Volkes. In der NS-Führungsspitze siedelte man Kaufman in der Umgebung des amerikanischen Präsidenten an und nahm ihn ernst. Goebbels machte Pläne für einen öffentlichkeitswirksamen Gegenschlag, die er sich auch von ­Hitler genehmigen ließ. Unter dem Datum des 26. Juli 1941 trug Goebbels dann in sein Tagebuch ein: „Das Volk muß wissen, daß Deutschland jetzt um seine nackte Existenz kämpft und daß wir zu wählen haben zwischen einer absoluten Liquidierung der deutschen Nation und der Weltherrschaft.“5

Später sollte Hitler in seiner Rede zur Erklärung des Kriegszustands mit den USA und bei anderen Gelegenheiten zur Jahreswende 1941/42 gleich mehrfach öffentlich die Ausrottung des europäischen Judentums ankündigen. Das mußte als eine drastische Ankündigung gewertet werden, auch wenn der Begriff „Aus­ rottung“ zu dieser Zeit nicht einmal von den Betroffenen zum tödlichen Nennwert

1



2

Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 256. Dieses Datum gibt Michael Bloch an, unter Berufung auf eine entsprechende Aussage Adolf von Steengrachts. Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 368 f. 3 In diesem Sinn auch die Auskunft Rudolf v. Ribbentrops an den Verfasser vom Juli 2012. 4 Paul Schmidt berichtete von mehreren Zusammenstößen, die Hitler mit Ribbentrop gehabt hatte, der sich dann statt mit weiterer Außenpolitik als „Propagandist zu rehabilitieren“ versucht habe. Vgl. Schmidt, Tagebuch, Aussage vom 28.5.1946. Schmidt schrieb die Konflikte Hitlers hysterischer Veranlagung zu. Vgl. Schmidt, Tagebuch, 12. März 1947. 5 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II/1, S. 118, 26. Juli 1941. Zu Hitlers Billigung und damit seiner Kenntnis des Kaufman-Buchs vgl. Goebbels, Tagebücher, II/1, S. 271, 19. August 1941.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

genommen wurde und dies auch ebensowenig wie im Sommer 1941 die Beschlußlage darstellte. Aber die Entwicklung war auf dem Weg, spätestens seitdem der Völkische Beobachter im Oktober 1941 auf Seite Eins das Ende des Judentums angekündigt hatte: „Sie gruben sich ihr eigenes Grab!“ titelte das Blatt und nannte unter anderem Theodore N. Kaufman als Ursache für die kommende und sich bereits vollziehende Massentötung.6 Hitler zeigte sich in den Wochen nach Beginn des Rußlandfeldzugs jedoch auch in anderen Fragen immer radikaler. Er nahm Abstand von den Plänen, auf rus­ sischem Territorium unabhängige Staaten zu gründen und schaltete Ribbentrops Ministerium trotz dessen Widerstand immer weiter aus den russischen Angelegenheiten aus. Das hinderte JvR allerdings nicht daran, die ursprünglichen Pläne gelegentlich wieder zur Sprache zu bringen, wie wir noch sehen werden. Ribbentrops zunehmende Distanz zu den Gedankengängen, die der Staats- und Parteichef in immer größerer Radikalisierung entwickelte, läßt sich anhand von etlichen Details nachweisen. Mit der wachsenden „Entscheidungskampf“-Deutung der Ereignisse in der Regierungszentrale mußte aus seiner Sicht jede – naturgemäß ambivalente – Außenpolitik schwer behindert werden. Die Dimensionen, in die zunächst die politische Auseinandersetzung und dann dieser Krieg hinein eskalierten, kamen für Ribbentrop ohnehin zweifellos unerwartet. Dafür hatte er sich 1932 nicht zur Verfügung gestellt. Es gelang ihm dennoch nicht, sich aus dem Amt zu lösen. Den im Streit bereits bewilligten Abschied nahm er schließlich jedenfalls auch nicht, sondern ließ sich im Gegenteil von Hitler das Versprechen auf den Verzicht weiterer Rücktrittsdrohungen abnehmen. Zu den außenpolitischen Projekten, die auch unter der Kriegskonstellation unter argwöhnischer Beobachtung des Diktators noch weitergeführt werden konnten, gehörte die Schaffung eines Europabewußtseins durch entsprechende Veröffent­ lichungen. Im Februar 1943 versammelte Ribbentrop zu diesem Zweck als Schirmherr eines vom Deutschen Institut für Außenpolitische Forschung herausgegebenen „Handbuch Europa“ sechsundzwanzig Autoren. Es waren Personen, denen eine sehr unterschiedliche Zukunft bevorstand. Unter ihnen befand sich ebenso der im Folgejahr wegen Beteiligung am Putschversuch des 20. Juli 1944 hin­gerichtete Botschafter z.V. Ulrich von Hassell, wie der ihn als Präsident des Volksgerichtshofs zum Tod verurteilende Roland Freisler, der selbst bald darauf bei einem Luftangriff ums Leben kommen sollte. Auch der spätere langjährige Präsident des bundesdeutschen Sportbundes, Carl Diem („Der europäische Sport“) und Erfolgsautoren der Nachkriegszeit wie der Gesandte Paul Schmidt alias Paul Carell („Die Achse als Grundlage des neue Europa“) oder Jacques Benoist-Mechin („Frankreich im neuen Europa“) gehörten dazu. Wirtschaftsminister Funk handelte den „wirtschaftlichen Aufbau Europas“ ab, durch Abdruck einer im Oktober 1941 in 6 „Der USA-Jude Nathan Kaufman, den enge Beziehungen mit dem Präsidenten Roosevelt verbinden, war so offenherzig, als Lieblingswunsch des Weltjudentums die völlige Ausrottung des deutschen Volkes zu verkünden.“ Zit. n. Völkischer Beobachter, 27. Oktober 1941.

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Rom gehaltenen Rede. Ulrich von Hassell ließ in seinem Beitrag deutliche Kritik an den derzeit herrschenden Verhältnissen einfließen, die vom Unglauben an die Macht der Idee in der Politik geprägt seien, mit einer Ausnahme: an die Idee der Macht werde geglaubt.7 Er plädierte für eine Definition des Begriffs Lebensraum als Friedensbegriff, der im Gegensatz zu Imperialismus allen seinen Teilhabern „wirtschaftliches Gedeihen, … vor allem aber auch die freie Entfaltung ihrer geistigen, völkischen Eigenart“ ermöglichen sollte.8 Ribbentrop selbst steuerte ein Geleitwort bei, das England noch einmal die Verantwortung für den Krieg zuwies, der begonnen worden sei, um die Doktrin vom Gleichgewicht der Kräfte einmal mehr durchzusetzen. Dafür auch die UdSSR gegen Deutschland in Stellung zu bringen, sei ein großer Fehler gewesen, der das englische Empire selbst im Erfolgsfall um seine Existenz bringen würde, einen Erfolgsfall, den Deutschland und seine Verbündeten selbstredend verhindern würden.9 Daran war so viel richtig, daß der englische Imperialismus bereits als einer der Verlierer dieses Krieges feststand, auch wenn der regierende Premier Winston Churchill keineswegs bereit war, Indien oder andere Teile des Empire in die Un­ abhängigkeit zu entlassen. Churchill ging weiterhin davon aus, das englische Kolonialreich auch nach dem Krieg erhalten zu können, wenn nur das Haupthindernis beseitigt sein würde, das in seinen Augen eine aktive englische Überseepolitik verhinderte, das in unmittelbarer Nähe Englands liegende Deutsche Reich. Ribbentrop ging es seinerseits im Frühjahr 1943 darum, England endgültig aus den europäischen Angelegenheiten auszuschließen. Im März 1943 trug er schließlich einen Plan eines europäischen Staatenbunds vor, der unter anderem diesen Zweck haben sollte.10 Er sollte noch während des Krieges proklamiert werden, „sobald wir einen bedeutenden militärischen Erfolg zu verzeichnen haben“ und er sollte den kleineren europäischen Staaten die Sicherheit geben, „daß nicht sofort nach Kriegsende ein Gauleiter bei ihnen eingesetzt wird“.11 Nach Ribbentrops Vorstellungen kamen eine ganze Anzahl an Staaten als Mitglieder für einen solchen Bund in Frage, sowohl Verbündete wie besetzte Länder oder auch freundlich neutrale. Neben Deutschland und Italien dachte er an Frankreich, Dänemark, Norwegen, Finnland, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Kroatien, Serbien und Spanien.12 Dazu konnten noch weitere, „mehr oder weniger selbständige“ Staaten kommen, die in den deutsch besetzten Teilen Europas noch zu schaffen waren. Präzisierungen nahm Ribbentrop bei die

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8

Vgl. Hassell, Lebensraum, S. 27. Vgl. Hassell, Lebensraum, S. 33. 9 Vgl. Ribbentrop, Europa, S. VII. 10 In seinen Erinnerungen gibt Ribbentrop irrtümlich den Winter 1941/42 als den Zeitpunkt an, an dem er „mit einer großen Denkschrift“ versucht hätte, Hitler für eine europäische Konferenz zu gewinnen, in der die Selbständigkeit und Integrität der europäischen Staaten fest­gelegt und garantiert werden sollte. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 257. 11 Vgl. ADAP, E, V, Dok. 229, 21. März 1943. 12 Spanien war mit Fragezeichen versehen.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

sem Punkt nicht vor. Gemeint sein konnten angesichts der vorherigen Liste eigentlich nur die besetzten Gebiete Polens und der Sowjetunion.13 Der beigegebene Entwurf der Gründungsakte des Bundes nannte dann ausdrücklich Estland, Lettland und Litauen als Gründungsmitglieder. Er erteilte damit den an manchen Stellen in der NSDAP durchaus vorhandenen Annexionsabsichten in Bezug auf diese Länder eine Absage und fand statt dessen den Anschluß an die Rechtsauffassung der Vereinigten Staaten. Die US-Regierung erkannte die Eingliederung der drei baltischen Staaten in die Sowjetunion im Jahr 1940 bis zu deren erneuter Unabhängigkeit in den 1990er Jahren zu keinem Zeitpunkt an. Ribbentrop riskierte mit diesem Entwurf einen regimeinternen Konflikt. Seine Absichten konnten sich dennoch auf politische Praxis in den dortigen Gebieten und auf Erklärungen Hitlers stützen. Hitler selbst hatte als politisches Ziel des Feldzugs in Osteuropa vor dem Unternehmen Barbarossa die Gründung von Staaten angegeben: „Unsere Aufgabe ist es, mit einem Minimum an militärischen Kräften sozialistische Staatsgebilde aufzubauen, die von uns abhängen.“14

Dies blieb in verschiedenen Varianten, von denen wir eine der radikal abweichenden gleich kennenlernen werden, der Grundtenor in Hitlers Äußerungen zu diesem Thema. Da der Krieg in Osteuropa aufgrund der sowjetischen Angriffsdrohung und der Erpressungsmanöver der sowjetischen Außenpolitik trotz aller Ribbentropschen Versuche eines „säkularen Ausgleichs“ nicht vermieden werden konnte, wollte Hitler die Sowjetunion militärisch besiegen und im Erfolgsfall in ihrem europäischen Teil in national zu organisierende Teile auflösen. Dies stellte eine Option der deutschen Politik gegenüber der Sowjetunion dar, die allerdings nie widerspruchsfrei formuliert wurde.15 Dennoch wurde sie weiterverfolgt. Ein halbes Jahr nach Ribbentrops Europaplan nahm zum Jahreswechsel 1943/44, in Weißrußland wirklich eine Regierung mit dem Namen „Weißruthenischer Zentralrat“ die Arbeit auf.16 Zuvor hatte man 1941 mit der Gründung einer weißrus­sischen

13

In seinen Erinnerungen gibt Ribbentrop an, auch die Wiederherstellung Polens bei dieser Gelegenheit vorgeschlagen zu haben. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 257. 14 So Jodls Zusammenfassung von Hitlers Äußerungen vom 3. März 1941, hier zit. n. Betz, Landkriegsvölkerrecht, S. 109. 15 Ein Erlass Hitlers vom Juli 1942 sprach von „Gebieten der Sowjetunion, deren Unterstellung unter deutsche Verwaltung oder deutsche Oberhoheit geplant sei“ und ordnete allgemein die Einstellung der Tätigkeiten des AA im „europäischen Teil der Sowjetunion“ zugunsten des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete unter der Leitung von Rosenberg an. Vgl. Stuby, Gaus, S. 411. Im Oktober 1941 hatte er Rosenberg seine Zustimmung gegeben, daß Bezeichnungen wie Livland, Litauen oder Lettland als „geographische Bezeichnungen“ bestehen bleiben sollten. Bei gleicher Gelegenheit stellte er eine unabhängige Ukraine nach Ablauf einer Protektoratszeit von 25 Jahren in Aussicht. Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 372, Aufzeichnung von Lammers über das Gespräch Hitler-Rosenberg. 16 Dafür und für das folgende vgl. Chiari, Alltag, 98 ff. Seit dem Frühjahr 1943 verlangten sowohl Ribbentrop als auch Goebbels in diesem Zusammenhang eine deutsche Propaganda in Osteuropa, die den Freiheits- und Arbeitswillen der dortigen Bevölkerung betonen und jede

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Nationalkirche begonnen, ein Auftrag, den der Metropolit im Oktober 1941 erhielt.17 Als später in den Vororten von Minsk schon wieder die Rote Armee stand, da wurden immer noch Seminare zur Bildung einer weißrussischen Elite abgehalten. Insofern konnte Ribbentrop im Frühjahr 1943 davon ausgehen, Hitler würde dem Plan einer Gründung von sozialistischen Staaten auf sowjetischem Boden nicht prinzipiell abgeneigt gegenüberstehen. Doch gibt es zu diesem Punkt Aussagen des Diktators, die sich in krasser Form widersprechen, wir kommen darauf zurück. Die Vorteile eines Staatenbunds sah Ribbentrop vorwiegend in einer Beruhigung der Lage, einer Rückkehr auf die Ebene politischer Verhandlungsfähigkeit auf allen Seiten. Neben der Angst der Verbündeten vor künftigen Gauleitern sollte der Bund die neutralen Länder wie Schweden, die Türkei und Portugal wegen deutscher Annektionsabsichten beruhigen und sie davon abhalten, „sich zu eng mit England und Amerika einzulassen“. Die Bevölkerung in den Ländern der neugegründeten Staaten würde sich beruhigen und Italien könnte sich seiner andauernd wichtigen Rolle versichern. Auf die Sowjets würde der Bund nach Ribbentrops Meinung eine abschreckende Wirkung haben, ebenso auf die englische und amerikanische Regierung. Zugleich sollte die Öffentlichkeit in beiden Ländern beeinflußt werden. Als Kernpunkt aber stellte Ribbentrop die neue Rolle Frankreichs heraus. Ein europäischer Staatenbund in der skizzierten Form würde ein deutsch-italienischfranzösisches Unternehmen werden. Das führte Ribbentrop in die Frühzeit seiner außenpolitischen Aktivitäten zurück, als er 1933/34 ebenfalls in Frankreich einen Schwerpunkt setzte. Eine solche Konstellation hatte Vorteile, die er detailliert „schon mit Himmler besprochen“ habe, führte er aus und ließ damit zugleich wissen, daß er hier keine isolierte Meinung vertrat, sondern Verbündete hatte. So würde die Arbeitskraft französischer Zivilisten steigen und es seien „ein paar erstklassige SS-Divisionen“ zu rekrutieren, was der ganz unmittelbare und greifbare Vorteil war, den er in dem Projekt sah. Diesen Köder einer möglichen militärischen Zusammenarbeit, die auch schon von der SS-Führung gebilligt sei, ergänzte Ribben­trop noch durch den Verweis auf die aktuelle militärische Lage in Nordafrika, wo „nach der Gründung eines Staatenbundes, bei dem auch Marschall ­Pétain anwesend ist, General Giraud nur sehr schwer noch Franzosen zum Kampf gegen uns bewegen kann.“ Dies alles zusammen konnte den Krieg nach Ribbentrops Vorstellung einem politischen Ende zuführen: „Ich glaube, daß die Gründung dieses Bundes im geeigneten Augenblick so nachhaltig wirken wird, daß damit tatsächlich praktisch die Gegner für die Zukunft ihren wichtigsten für Herabsetzung vermeiden sollte. Ribbentrop hob eigens den stets zu beachtenden Zusammenhang mit dem Neuen Europa hervor, das den europäischen Völkern als Institution Freiheit ohne Bevormundung bringen werde, wollte aber keine öffentlichen Spekulationen über Grenz­ ziehungen. Vgl. Kühnl, Faschismus, S. 334 ff. 17 Vgl. ebd. Chiari, Alltag, S. 104.

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die Propaganda geeigneten Kriegsgrund verlieren. Ich glaube auch, daß die Feindkoalition bei den großen Divergenzen, die sich heute schon zwischen England, Amerika und Rußland zeigen, und die eines Tages sich enorm steigern werden, gegenüber einem solch einigen Europa schließlich einfach zerbrechen wird.“18

Diese Pläne zogen die Schlußfolgerung aus einer Lage, die sich nach vier Konfliktjahren sehr weit von der Ausgangssituation des Jahres 1939 entfernt hatte. Der Krieg hatte als deutsch-polnische Auseinandersetzung um vergleichsweise bescheidene Grenzfragen begonnen. Er hatte sich seitdem durch die Kriegsausweitungspolitik der deutschen Kriegsgegner und die deutschen Offensiven stetig ausgedehnt, bis er eigentlich bereits mit dem Sommer 1940 und dem Sieg über Frankreich einen Großteil Europas in deutsche Hand brachte und nach der erneuten Ablehnung jedweder Verhandlungen durch die englische Regierung die Frage aufwarf, wie ein solches Europa im weiteren politisch zu gestalten wäre. Ribbentrop hatte daraufhin in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1940 seine Konzeption des Kontinentalblocks entworfen und gemeinsam mit Hitler versucht, Frankreich und Spanien im Rahmen von persönlichen Treffen mit Pétain und Franco als Verbündete zu gewinnen. Dies war gescheitert, und ob die Bedingungen dafür in den vergangenen zweieinhalb Jahren bis zum Frühjahr 1943 besser geworden waren, mußte mindestens bezweifelt werden. Im Spätsommer 1940 standen Deutschland und Italien lediglich dem britischen Empire gegenüber, das für allein genommen allerdings bereits einen erheblichen Teil des Planeten zur Kriegsführung für sich nutzen konnte, auch wenn es sich propagandistisch zuschrieb, den Nationalsozialismus „allein“ aufzuhalten. Unter anderem wegen dieses britischen Kampfgeists hatten sowohl Franco wie Pétain es damals abgelehnt, sich als Teil eines Kontinentalblocks eingliedern zu lassen. Der Krieg war 1940 keineswegs zu Gunsten Deutschlands entschieden, wie sie richtig erkannten. Seitdem waren mit der UdSSR und den Vereinigten Staaten zwei weitere Weltmächte zu Kriegsgegnern Deutschlands geworden und spätestens der Winter 1942/43 hatte erhebliche militärische Schwächen Deutschlands offensichtlich werden lassen. Immerhin blieb aus der Perspektive des März 1943 noch weiterhin unklar, ob sich diese Schwächen bis zu einer deutschen Niederlage fortsetzen würden. Aus dieser Unklarheit konnte eventuell politisches Kapital geschlagen werden, wenn etwa Frankreich, Dänemark oder Norwegen durch den Beitritt zu einem Staatenbund die staatliche Souveränität oder ihre territoriale Integrität in einer Art Rückversicherung für den zunehmend unwahrscheinlicher werdenden Fall eines deutschen Sieges sicherstellen konnten. Die Motivation dazu mochte von Land zu Land unterschiedlich ausfallen. Ein Marshall Pétain würde kaum einen Vertrag unterschreiben, der für Frankreich nicht auch in territorialer Hinsicht erhebliche, wenn nicht sogar vollständige Garantien enthalten würde.19 Eine Verbalnote der französischen Re

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Zit. n. ADAP, E, V, Dok. 229, 21. März 1943. Hitler hatte gelegentlich bekräftigt, von Frankreich außer Elsaß-Lothringen nichts Territoriales fordern zu wollen, auch keine Rohstoffgebiete. Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 327, Gespräch Hitler-Abetz am 16. September 1941.

19

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gierung hatte Hitler Ende 1941 auch bereits an seine frühere Ankündigung erinnert, „Frankreich einen ehrbaren Platz im europäischen Staatenbund zu geben“.20 Man ließ gleichzeitig freundlich von der französischen Absicht wissen, „die Souveränität seiner Regierung für die gesamte Ausdehnung seines Gebiets zu behaupten“.21 Das galt für andere Länder ebenso. Obendrein hatte das Beispiel Polens im Ersten Weltkrieg gezeigt, daß die Proklamation von Staaten eine politische Belastung sein konnte, wenn sie Hoffnungen weckte und Forderungen nach sich zog. Am 5. November 1916 riefen die Mittelmächte ein Königreich Polen ohne Staatsoberhaupt, ohne feste Grenzen, ohne unabhängige Armee und ohne eigene Verwaltung aus, das „im Anschluß“ an Deutschland und Österreich „seine freien Kräfte ent­falten“ sollte.22 Die polnische Nationalbewegung quittierte dies unter anderem mit Forderungen nach eigener Verwaltung, Waffen und Wahlen, während gleichzeitig die ukrainische Nationalbewegung bereits diese symbolische polnische Bevorzugung ablehnte und es zu erheblichen polnisch-jüdischen Differenzen über die Frage der Rolle der polnischen Juden im künftigen Königreich kam. Das Ergebnis bestand in einem politischen Interessenknoten, der durch die deutsche Politik zwischen 1916 und 1918 nicht gelöst werden konnte. Ribbentrop mochte dies wissen. Ohne präzise Zusagen würde sich kaum eine Regierung der eigentlich prestigeträchtigen Staatenbundmitglieder aus West- und Nordeuropa zu einer Unterschrift bewegen lassen, die offenkundig nur dem nationalsozialistischen Deutschen Reich nutzte. Auch mit präzisen Zusagen würden sich die Effekte nicht so auswirken, daß Gegner oder besetzte Gebiete in volle Verbündete verwandelt werden würden. Der europäische Staatenbund konnte im besten Fall indirekt die skizzierten politischen Wirkungen entfalten und vielleicht die von Himmler erwarteten „paar ­SS-Divisionen“ bringen. In seinen Memoiren erklärte Ribbentrop darüber hinausgehende Spekulationen für unrealistisch: „Die heute oft geäußerte Behauptung, es wäre möglich gewesen, Staaten wie Frankreich, Holland, Belgien, Dänemark, Norwegen, Serbien, Griechenland, Polen und die besetzten russischen Gebiete zu politischen Faktoren in unserer Kriegführung oder gar zu kämpfenden Bundesgenossen zu machen, ist Utopie. Die nationale Dynamik dieser Staaten war viel zu stark und zu sehr traditionsgemäß bedingt und auch der Glaube an einen deutschen Sieg von Anfang an viel zu gering.“23

Allerdings meinte der Außenminister, seinem Staatschef diese Einsichten im Jahr 1943 nicht zumuten zu können. Er versuchte mit schroffem innernational­

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Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 531, S. 756 ff., Verbalnote der französischen Regierung vom 1. Dezember 1941. 21 Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 531, S. 758. 22 Vgl. Strazhas, Ostpolitik, S. 135. 23 Zit. n. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 258 f. Dies war ein Gedanke, den Ribbentrop auch im Gespräch mit Antonescu schon geäußert hatte. Vgl. Gesprächsaufzeichnung Ribbentrop-­ Antonescu vom 7. August 1944, ADAP, E, VIII, Dok. 149, S. 286 f. Als Beispiel nannte er eine Eingabe französischer „Kollaborationisten“, die im Jahr 1942, als Deutschland an der Wolga gestanden habe, gegen die Eingliederung Elsaß-Lothingens protestiert hätten.

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sozialistischen Jargon Eindruck zu machen: „Die Frage der territorialen Abgrenzung der verschiedenen Staaten dürfte bei dem Gründungsakt nicht behandelt werden“, meinte er und sprach von den „richtigen harten Leuten“, die in „etwaigen Staatsgebilden“ – also wohl in den avisierten osteuropäischen Territorien – einzusetzen seien: „Dann (ist) die Gründung des Großgermanischen Reichs am Ende des Krieges eine Selbstverständlichkeit“. Mit einem Appell an die von Hitler oft selbst beschworene Formulierung, durch ein solches Projekt lasse sich „viel deutsches Blut sparen“, schloß Ribbentrop ab. Der beigegebene Entwurf einer Gründungsakte umfasste acht Punkte. Darunter befand sich immerhin die wechselseitige Garantie der „Freiheit und politischen Unabhängigkeit“ durch die als „souverän“ definierten Unterzeichnerstaaten, zudem die Absichtserklärung, ein gemeinsames Defensivbündnis abzuschließen, dessen Einzelheiten noch festzulegen seien und eine Erklärung über den Wegfall der Zollschranken. Ein weiterer Punkt sprach den für den schon in England kulturpolitisch aktiven Ribbentrop typischen kulturellen Austausch bei Wahrung der „völkischen Eigenart“ an. Alle Einzelheiten sollten in einer Bundesakte festgelegt werden, die erst nach dem Krieg durch „Bevollmächtigte aller beteiligten Regierungen“ auszuhandeln war. Zur Vorbereitung solcher Verhandlungen setzte Ribbentrop am 5. April 1943 einen „Europa-Ausschuss“ ein, der auf vertrauliche Weise und ohne Kenntnis der Dinge durch andere Reichsbehörden arbeiten sollte. Aufgeteilt war er in drei Gruppen der Fachbereiche: europäische Propaganda (Leiter: Schmidt „Presse“, der spätere „Paul Carrell“), europäisches Recht (Leiter: v. Rintelen) und Geschichte, Geographie sowie Statistik früherer europäischer Zusammenschlüsse und aktueller Bedingungen unter der Leitung von Fritz Berber. Die allgemeinen Anweisungen Ribbentrops betonten noch einmal die Vorläufigkeit der Dinge und die Notwendigkeit zur Differenzierung. Es sollte im Auswärtigen Amt ausdrücklich kein Plan ausgearbeitet werden, der für alle europäischen Länder angewendet werden konnte. Aus dem „Großgermanischen“ Reich, dessen Gründung er Hitler nach dem Krieg in Aussicht gestellt hatte, ließ Ribbentrop in der Anweisung für den Ausschuß „Groß-Deutschland“ werden, was offenbar kein Zufall war, sondern auf eine politische Differenz hindeutete.24 Dieses Deutschland sollte nach dem Krieg zwar eine „Vorherrschaft“ in Europa haben, aber eine Herrschaft mit Grenzen: „Es muß davon ausgegangen werden, daß in Zukunft die Beziehungen von Groß-Deutschland zu einzelnen europäischen Ländern entweder eng oder lose sind und nicht nach einem gleichbleibenden Schema festgelegt werden können. Bei jedem Land und Volk muß jeweils

24 In seinen Erinnerungen gab er an, in Pläne Hitlers für ein „Großgermanisches Reich“ nur vom „Hörensagen“ eingeweiht gewesen zu sein, also nicht durch Hitler selbst. Wie ernst solche Pläne gewesen seien, sei nicht sicher zu erkennen gewesen. Hitler habe seine Absichten zur Begrenzung der (groß)deutschen Aspirationen in Europa gekannt und vielleicht auch deshalb von bestimmten Planungen ferngehalten. „An den Empfängen gewisser ‚germanischer‘ Persönlichkeiten nahm nur Himmler teil“. Zit. n. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 258.

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eine Sonderentscheidung getroffen werden. … Außerdem gestattet die verwickelte Lage und die nationale Struktur Europas nicht, hierzu einheitliche Bestimmungen für alle Länder aufzustellen.“25

Nach diesen Richtlinien sollte das Auswärtige Amt nach Ribbentrops Vorstellungen in aller Diskretion bestimmte Planungen ausarbeiten, die im Fall günstiger militärischer Entwicklungen zu präsentieren waren. Einstweilen waren sowohl die Behörde als auch der Minister innerhalb des Regimes zu isoliert, um offen agieren zu können. Der Ausschuß sollte deshalb vertraulich tagen. Ob dafür vielleicht eine Billigung Hitlers vorlag, um sich mögliche Optionen vorzubehalten, ist nicht klar. Wenige Tage nachdem er Ribbentrops Europadenkschrift zur Kenntnis genommen hatte, ließ er seinem Außenminister zum Stichtag 30. April 1943 zum zweiten Mal seit 1939 eine steuerfreie Dotation von einer halben Million Reichsmark zukommen. Das stand allerdings weniger in politischen Zusammenhängen, sondern hatte Ribbentrops fünfzigsten Geburtstag zum Anlaß. Die Erklärungen, die Hitler zu dieser Zeit selbst gegenüber der Parteiführung in Sachen Europapolitik abgab, klangen ganz anders als von Ribbentrop vorgeschlagen. Die Niederlagen in Stalingrad und die drohende Niederlage in Nordafrika führte er darin auf das Versagen der Verbündeten zurück. Vom Gedanken an Staatenbünde hatte er sich entweder deshalb weit entfernt, oder er hielt den Gedanken für so defätistisch, daß er ihn gegenüber den führenden Nationalsozialisten nicht äußern konnte. Am 8. Mai 1943, fünf Wochen nach Ribbentrops Europaplan und exakt zwei Jahre vor der Kapitulation der deutschen Streitkräfte, wurden die Reichs- und Gauleiter der NSDAP in Berlin auf einer Versammlung durch Hitler auf das Gegenteil dessen eingeschworen, was Ribbentrop entworfen hatte. Hitler sparte nicht mit historischen Analogien, um dem Auditorium nahezulegen, daß er neben einem „großgermanischen Reich“ kein weiteres europäisches „Staatsgerümpel“ bestehen lassen wollte. Als Hauptmotiv gab er den Schutz Europas und seines „Kerns“ vor weiteren Kriegen an: „Können keinen Krieg im Kern führen. Ziel Ural für Rußland. Karl der Große hat nichts anderes getan, Ostmark gegründet, um … zu schützen. Organisation des Abendlandes, unsere historische Aufgabe, primitive Völker als Glacis vor uns zu organisieren. Denn Europa lockt den Osten. Bekenntnis zu dieser Aufgabe. Judentum muß in Europa ausgerottet werden. Was sich dem entgegenstellt, muß fallen. Kompromisslösung 1932 angeboten, abgelehnt. War wichtig. Kampf muß durchgekämpft werden. Ungarn Klassenkluft unüberbrückbar. Unglück Duce. Keine ähnlichen Verbände wie SS (­M-Verbände falsch Jäger). Jetzt niemals wieder Verb (gemeint wohl „Verbände“, d. Verf.) im Osten, ein Europa kann nur geschützt werden durch großgermanischen Staat.26



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26

Erlass Ribbentrops vom 5. April 1943. BA N 1075/5, Handschriftliche Aufzeichnung des anwesenden Staatssekretärs Backe auf dem Reiseprogramm seiner eigenen Italienreise vom 3. bis 7. Mai 1943.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

An dieser Stelle hatte die Kontrolle über Osteuropa in Hitlers Gedankenwelt zunächst vorwiegend eine strategische Bedeutung. Die Staatenbildung in Osteuropa, wie Ribbentrop in seinem Europaplan sie ja ebenfalls ins Gespräch gebracht hatte, diente demnach der Verteidigung. Daß es sich dabei in Hitlers Gedankenwelt um „primitive Völker“ handelte, schloß aus, sie als Verbündete zu gewinnen. Gedacht war an einen deutschen Imperialismus, in dem Osteuropa eine Rolle als militärisches Puffergebiet und wirtschaftliche Einflußsphäre einnehmen sollte. Andererseits teilten die Osteuropäer an diesem Tag diese abschätzige Einstufung mit den tatsächlich aktiven deutschen Verbündeten des Jahres 1943. Hitler distanzierte sich von rationaler Außenpolitik und wollte die NSDAP zugleich zu einem radikal antisemitischen Kurs führen: „Grundsätzlich: Wir müssen zu alten antisemitischen Parolen. Der ganze Krieg ist ein antisemitischer Krieg. In Deutschland muß jüdische Frage ganz klar, nur dann keine Revolutionen, diese Gefahr in Ungarn, Italien, Rumänien angefacht. Staatsgerümpel muß beseitigt werden. Einzige Hand, dies zu organisieren, Deutschland, Schwerthand. … Auf die Dauer Wehrstand nur Deutscher.“27

Der eine oder andere Anwesende dürfte sich aus der Lektüre von „Mein Kampf“ erinnert haben, daß Hitler dort bereits die Verbündeten des wilhelminischen Kaiserreichs als zum „Untergang bestimmtes Gerümpel“ bezeichnet hatte.28 Auch dürften die Reichs- und Gauleiter nach diesen und den weiteren vorherigen Worten über die Ausrottung des Judentums zumindest geahnt haben, welches Schicksal den nach Osteuropa deportierten Juden bevorstand oder welches sie schon erlitten hatten. Hitler appellierte an die Geschichte, die solche Methoden angeblich zulassen würde: Ob Kurfürst usw. sich bewußt waren der Bedeutung ihrer Schöpfung? Man darf nicht über Methoden dann schimpfen. Karl der Große. Ahnte nicht, daß Bra (sic – Brandenburg?) wird. Aber Basis für Bildung Reichs. Methoden? Auch Hitler entschlossen, Heimat zu befreien. So Österreichschlächter, wenn zu Kampf gekommen wäre. Gedanken und Methoden. Sie müssen zum Ziele führen. K.d.Gr. auch nur getan, was wir heute tun müssen: Osten schützen. Neue Riesen-Ostmar (sic, gemeint wohl Ostmark, d. Verf.) wie alle vor Magyaren. Um Kern zu schützen.“29

Es war ein weiter Weg von den außenpolitischen Anfängen des Jahres 1933 bis zu dieser Stelle im Mai 1943. In gewisser Hinsicht war es ein Kreis, der sich schloß. Der Staatschef Hitler hatte an vielen Stellen und durchaus glaubwürdig den in seinen frühen Programmschriften vor der Regierungsübernahme entwickelten Lebensraumimperialismus gedanklich und politisch überwunden, zu dem er an diesem Tag zurückkehrte. Er hatte diese Linie auch vor und während des be 27 BA N 1075/5, Handschriftliche Aufzeichnung Backes auf dem Reiseprogramm der Ita­ lienreise 3. bis 7. Mai 1943. 28 Zit. n. Hitler, Mein Kampf, S. 745. 29 BA N 1075/5, Handschriftliche Aufzeichnung Herbert Backes auf dem Reiseprogramm der Italienreise 3. bis 7. Mai 1943.

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ginnenden Weltkriegs eingehalten, gegenüber der UdSSR mindestens bis zum gescheiterten Gipfelgespräch mit deren Außenminister Molotov im November 1940. Das Unternehmen Barbarossa fand wegen der aggressiven Drohung der sowjetischen Außen- und Militärpolitik statt, die Molotov bei dieser Gelegenheit in Berlin erkennen ließ, nicht wegen publizistischer Vorgaben Hitlers aus den 1920er Jahren. Joachim von Ribbentrop, den er zum Leiter seiner Außenpolitik gemacht hatte, hatte folgerichtig mit der Billigung Hitlers bei zahlreichen Gelegenheiten versucht, das Dritte Reich in einen für die übrige Staatenwelt akzeptablen Zustand gegenüber seiner außenpolitischen Umgebung zu versetzen. Auch sein Europaplan trug noch diese Handschrift, während Hitler jetzt in drastischer Wortwahl gegenüber den Reichs- und Gauleitern völlig anders formulierte: „Aber feindliche Welt muß zerstört werden. Unempfindlich gegen Gefühle für Juden. Gegner deutschen Blutes usw. Bei Judentum aber kein Mitleid. Antisemitische Bewegungen in anderen Ländern. Nicht entschuldigen, die sich gegen Juden nicht verteidigen, Leben ist grausam, Wildern. (sic)  Wir sind nicht Erfinder, sondern Opfer dieser Welt. Gegner, der nicht beherrscht werden kann, muß vernichtet werden. Deutschland wird einmal ganz Europa beherrschen, wer das beherrscht, einmal die ganze die Welt. Nicht um auszunutzen, sondern um kulturelle Werte zu schaffen.“30

Aus einer Rolle als „Opfer dieser Welt“ die Lizenz zur schrankenlosen Um­ setzung von Grausamkeiten abzuleiten, bedeutete eine kategorische Absage an jede Moral, da jede Art von Moral den Unterschied zwischen Sein und Sollen kennt und auf dieser Kenntnis aufbaut. Das muß nicht eigens betont oder weiter ausgeführt werden. Es gibt weitere Äußerungen Hitlers in diesem Sinn, aber auch solche, die weiterhin Anschluß an seine in den Jahren 1936–39 geäußerten Absichten hielten. Letztlich stand der Weg zu dieser Form der Radikalität ja auch deshalb offen, weil die Hauptgegner der Kriegskoalition seit 1939 jede Verhandlung ablehnten und schließlich selbst jeder Außenpolitik eine öffentliche Absage erteilt hatten. Ihre Forderung nach „Bedingungsloser Kapitulation“ war laut ­Winston Churchill eine Forderung nach freier Verfügung über Land, Leute und Leben31 und damit die Forderung nach einer Ermächtigung zu Dingen, die man ebenfalls ohne weiteres als mitleidlose Massenverbrechen bezeichnen kann. Für die deutsche Außenpolitik und für Ribbentrop hatte solche beiderseitige Radikalität jedenfalls zur Folge, daß Hitler sich seinerseits in einen Gegensatz zu jedem politischen Kompromißkurs setzte. Daran änderte auch eine Intervention des Außenministers zur Kirchen- und Judenpolitik und „eine verhältnismäßig ruhige Aussprache“ darüber nichts, von der Ribbentrop berichtet: „Ich brachte trotzdem alle Argumente vor, die dartun konnten, wie sehr unsere Lage in dem inzwischen so viel schwerer gewordenen Krieg durch einen Frieden auf weltanschaulichem Gebiet erleichtert werden könnte. Hitlers Antwort lautete: ‚Das ist eine völlige Ver-

30 BA N 1075/5, Handschriftliche Aufzeichnung Backes auf einer Menükarte seiner Italienreise vom 5. Mai 1943, hier zit. n. Abschrift BA. 31 Vgl. Kettenacker, Friedenssicherung, S.496.

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kennung des Problems und eine naive Auffassung. Dieser Krieg ist ein Weltanschauungskrieg zwischen der jüdisch-bolschewistischen und der nationalen Welt, und dieser Kampf kann nicht mit außenpolitischen Mitteln gewonnen werden, sondern hier müssen die Waffen entscheiden‘.“32

Damit waren Außen- und Europapolitik eigentlich unmöglich geworden. Allerdings gingen öffentlich die Dinge meistens immer noch einen anderen Weg. Zeitgleich mit Hitlers Ansprache vor den Reichs- und Gauleitern hatte Goebbels in der Wochenzeitung „Das Reich“ einen Artikel unter dem Titel „Der Krieg und die Juden“ veröffentlicht, der eine ähnlich grobe antisemitische Tendenz wie Hitlers Rede aufwies. Goebbels nannte darin den Krieg einen jüdischen Krieg, behauptete die Existenz von jüdischen Ausrottungsplänen gegen Deutschland und deutete die reale nationalsozialistische Vernichtungspolitik gegenüber dem Judentum recht deutlich an. Mitleid sei fehl am Platz. Hitler hatte sich mit seinen Äußerungen vor den Propagandaminister gestellt. Dies blieb eine Ausnahme. Die Jahresausgabe des „Reich“ geriet insgesamt erstaunlich unaufgeregt, griff allerdings Ereignisse wie englische Hungerpolitik in Indien auf, der Millionen zum Opfer fielen und bereitete mit solchen Berichten natürlich absichtlich oder unabsichtlich den weiteren Boden für moralische Abstumpfung. Ganz im Sinn Ribbentrops erläuterte jedoch Kurt von Raumer33 in der gleichen Zeitung unter dem Titel „Stufen der Einheit – Deutsche und europäische Kernbildung“, die Umrisse der Einzelheiten. Raumer griff einen der Kerngedanken Ribbentrops auf, Europa mußte an die Existenz Deutschlands „gewöhnt“ werden. Was Bismarck 1871 getan habe, als niemand es erwartete, Deutschland als saturierten Staat zu betrachten und auf weitere Expansion zu verzichten, müßte nun im erweiterten „großdeutschen“ Sinn auch durch das aktuelle Deutschland bewältigt werden. Raumers Artikel erhob Anspruch auf die deutsche Führung in einem Europa mit einem gemeinsamen „europäischen Bewußtsein“, aber er forderte erkennbar den Verzicht auf die gewaltsame Okkupation eines solchen Führungsanspruchs: „Wir wissen, daß eine solche Entwicklung (genau wie die Einheitsentwicklung eines Volkes) nicht ‚gemacht‘ werden, daß sie vielmehr nur wachsen kann aus der Reife einer geschicht­ lichen Stunde und aus einer Freiwilligkeit, die sie erkennt und ihren Auftrag vollstreckt. Wir wissen aber auch, daß wir durch diesen Auftrag mit einer besonderen Verantwortung aus­ gestattet sind und daß das europäische und deutsche Schicksal, dem wir uns dienend hinzugeben haben, heute wie je eine unlösbare Einheit darstellt.“34

Raumer beschwor die Kontinuität der Geschichte auf ganz andere Art und Weise. Der Weg zu einer Rückkehr zur Politik stand immer noch offen, wenigstens in der Publizistik.



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Zit. n. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 275. Kurt von Raumer (1900–1982), dt. Historiker, 1919 Freikorpsmitglied, 1928 habilitiert, erhielt 1939 den früheren Königsberger Lehrstuhl von Hans Rothfels, für dessen Verbleib im Amt sich Ribbentrop 1934 eingesetzt hatte. 34 Raumer in „Das Reich“ 27/1943, 4. Juli 1943.

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Auch dieses Feld ließ Ribbentrop nicht unbeackert, wobei er schon im August 1939 einen Versuch gemacht hatte, die intellektuellen Köpfe in Deutschland zu einer Denkfabrik zusammenzufassen. Mit diesem Mittel sollte schließlich eine verbesserte deutsche Europapolitik ermöglicht werden, damals noch in der Aussicht, dies unter Friedensbedingungen und als Gegenmaßnahme gegen die laufende publizistische Kriegsvorbereitung der Gegenseite tun zu können. Unter anderem Friedrich Sieburg, Carl-Erdmann Graf von Pückler-Branitz, Giselher Wirsing, Max Gross und Ernst Jünger wurden nach Schloß Fuschl eingeflogen, wo Ribbentrop persönlich einen Vortrag über die kritische außenpolitische Lage hielt.35 Im Gespräch war unter anderem, daß die Eingeladenen sich einen Korrespondentenposten nach Wahl aussuchen konnten und zum Bericht über ihre Erfahrungen und Anregungen dort bevorzugt mit dem Auswärtigen Amt telefonieren sollten,36 was wohl darauf hinauslief, den Minister auch selbst sprechen zu können. Viele sagten zu, insbesondere Gross, Wirsing und Sieburg erhielten auch tatsächlich entsprechende Stellungen und publizierten in den Kriegsjahren etliches, das in weiten Teilen subtile und bedenkenswerte Gedanken und Beobachtungen zu den Zeit­läuften enthielt.37 Ernst Jünger dagegen hielt, wie seit 1933, jedoch auch weiterhin seinen distanzierten, aber nicht schroff opponierenden Kurs zum Regime und lehnte das Angebot ab. Immerhin hatte er gerade Wochen zuvor seinen fantastischen Roman „Auf den Marmorklippen“ abgeschlossen, der von manchen als die offenste Abrechnung mit dem Regime eingestuft wurde, die in der Zeit der NS-Regierung in Deutschland gedruckt wurde. Jünger selbst hielt von solchen einfachen Beurteilungen seiner schritftstellerischen Absichten nichts und er hielt daran auch nach dem Krieg fest. Für ihn waren die „Marmorklippen“ Kunst mit zeitloser Substanz und allenfalls unbewußt politisch geworden, notierte er im Rückblick auf den Besuch bei Ribbentrop: „Ich kehrte mit einer gewissen Beruhigung nach Kirchhorst zurück in der Meinung, daß eine Pokerpartie gespielt würde. So war es wohl auch beabsichtigt. Daß ich es im Grunde besser wußte, beweist mir der Text von ‚Auf den Marmorklippen‘, der mich damals unter Zwang beschäftigte. Diese Erzählung gehört weniger in den Bereich der Literatur als in den der Vi-



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Vgl. Jünger, Annäherungen, S. 394. Dies laut einem Brief Jüngers an Rudolf v. Ribbentrop. Vgl. Ribbentrop, Erlebnisse, S.  55 f. In seinem Brief erwähnt Jünger auch den französischen Intellektuellen Drieu La Rochelle, der 1928 mit dem Buch ‚Geneve ou Moscou‘ für ein föderales Europa plädiert hatte und sich auch während des Krieges für Europapläne Ribbentropscher Art betätigte. Vgl. Ray, Abetz, S. 81. 37 Sieburg hatte bereits den „Röhm-Putsch“ in bemerkenswerter Weise verarbeitet, in dem er 1935 eine Biographie des französischen Revolutionärs Robbespierre verfasste. Sie konnte – streckenweise kaum verblümt  – als Darstellung des NS-Regimes und des deutschen Regierungschefs gelesen werden, den die eigenen Grundsätze und persönliche Anspruchslosigkeit bei gleichzeitigem Fehlen menschlicher Bindungen und Maße in immer neue Radikalisierungen trieben: „Der Tod ist zunächst eine Strafe, bald wird er ein politisches Mittel. Erst soll er die Brecher des Gesetzes züchtigen, aber die Zeit ist nahe, wo er alle diejenigen ausrotten soll, die nicht zum Volke gehören.“ Vgl. Sieburg, Robbespierre, S. 146.

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sionen – als Beispiel für das, was man in Westfalen und auch bei uns in Niedersachsen den ‚Vorbrand‘ nennt.“38

Die Welt der „Marmorklippen“ geht schließlich in Krieg und Zerstörung unter, woran Pläne und Kalkulationen, Attentate und individuelle Tapferkeit nichts ändern können. Das entsprach Jüngers Sicht auf die geschichtliche Entwicklung, die er im Ersten Weltkrieg entwickelt und in der Tagebuchpublikation „In Stahlgewittern“ verarbeitet hatte. Der Krieg hatte darin keine politische Funktion. Er war ein Naturereignis, das keine eigentlich politischen Ursachen hatte, jeden Sinn aufzehrte, „mit dem man einmal ausgezogen war“ und das nicht im Rahmen von „Pokerspielen“ zu bändigen war. Dies war eine Betrachtungsweise jenseits der Deutungen der Weltkriegsära als Weltbürgerkrieg der Ideologien, Zeitalter der kämpfenden Staaten, als Endphase des imperialistischen Zeitalters oder gewöhnlichem, wenn auch außergewöhnlich umfangreichem Zufallskrieg. Sie beinhaltete die zutreffende Beobachtung, daß die Akteure des diplomatischen Spiels bei aller Raffinesse letztlich nicht wissen konnten, in welchem historischem Rahmen sie agierten. Im Rahmen von Ribbentrops Korrespondentenprojekt hätte Jünger sicher einiges beigetragen, das sich jeder politischen Deutung entzogen hätte. 2. Stockholmer Friedenskontakte Die Gerüchte über Friedenskontakte zwischen der UdSSR und dem Deutschen Reich im Jahr 1943 wurden nach 1945 vielfach untersucht. Grundsätzlich hatte Stalin mit England vereinbart, keinen Sonderfrieden oder Waffenstillstand abzuschließen, er war in dieser Hinsicht vertraglich gebunden. Nun waren die langen Jahre, in denen Stalin die sowjetische Außenpolitik diktierte, auch von einer langen Kette gebrochener Verträge gekennzeichnet. Einen endgültig bindenden Wert hatten zwischenstaatliche Verträge für Stalin nicht, dies gilt es festzuhalten. Einen Waffenstillstand mit Deutschland abzuschließen, war für ihn eine Frage der politischen Opportunität. Es mochte die Zeit gekommen sein, in der Deutschland schwach zu werden drohte, und er hatte Ribbentrop ja schließlich 1939 wörtlich und etwas von oben herab gesprochen zu verstehen gegeben, dies nicht dulden zu wollen.39 Vielleicht erinnerte er sich auch daran, daß er ursprünglich eigentlich nicht die Kastanien für die Westmächte aus dem Feuer holen wollte. In diesem Zusammenhang bildete die Drohung mit einem deutsch-russischen Sonderfrieden geradezu die natürliche Antwort auf die alliierte Unwilligkeit, eine im Vergleich zur UdSSR nennenswerte Zahl von Truppen selbst an irgendeiner Front zum Einsatz zu bringen. Ribbentrop erhielt im Sommer 1942 mehrere Meldungen deutscher Botschaften, die diesen Zusammenhang herstellten und sogar behaupteten, Molotov hätte mit der Annahme eines „bestimmten deutschen Angebots“

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Zit. n. Jünger, Annäherungen, S. 394 f. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 206.

2. Stockholmer Friedenskontakte

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gedroht.40 Eine Woche später stellte auch Ribbentrop gegenüber dem japanischen Botschafter diesen Zusammenhang her und sprach von stalinscher Sonderfriedenspropaganda, um Druck auf die Alliierten auszuüben. Andererseits bat er ­Oshima aber gleichzeitig um die Übermittlung der Nachricht nach Tokio, daß für Deutschland ein Sonderfrieden mit der UdSSR unmöglich wäre, weil Stalin die deutschen Bedingungen nicht annehmen könnte.41 Dies ließ sich nun kaum anders als ein deutliches und via Tokio an Moskau weiterzuleitendes Signal zur Friedensbereitschaft interpretieren, wenn nur die Bedingungen stimmten. Als das Jahr 1942 zu Ende ging, kontaktierten die Sowjets den deutschen Diplomaten und Mitarbeiter der Dienststelle Ribbentrop, Peter Kleist. Kleist erhielt bei einem Gespräch in Stockholm das Angebot von einem Herrn Edgar Clauß: „Ich garantiere Ihnen, wenn Deutschland auf die Grenzen von 1939 eingeht, so können Sie in acht Tagen Frieden haben.“42

Als Begründung für dieses Angebot gab Clauß die fehlende zweite Front der Alliierten an und zudem die Optionen der UdSSR in Asien, denen man sich von Moskau aus nach Abwicklung des deutsch-sowjetischen Kriegs angeblich widmen. wollte. Dies war natürlich ein Angebot, das dem aus der Rückschau der Nachkriegszeit schreibenden Kleist später als große verpaßte Chance erschien. Zeitlich lag es noch vor der deutschen Niederlage in Stalingrad, die sich zwar abzeichnete, aber noch keine klar erkennbare Entwicklung war. Die deutschen Streitkräfte hatten noch keine entscheidende Niederlage erlitten und sollten nach diesen Vor­ stellungen dennoch das gesamte bisher in der UdSSR eroberte Gebiet räumen, als sei seit dem 22. Juni 1941 nichts gewesen. Das konnte dem Inhalt nach nur eine erste provokative Verhandlungsforderung sein,43 die als Signal immerhin die prinzipielle Möglichkeit einer Art Waffenstillstand zwischen beiden Staaten andeutete, zumal Clauß sich auf Nachfrage als detailliert über Kreml-Interna und 40 PA AA, Handakten Ritter betr. Rußland, Telegramm aus Santiago vom 22. August 1942, hier n. Fleischhauer, Gespräche, S. 92. 41 Vgl. ADAP, E, III, Dok. 255, S. 435. 42 Zit. n. Kleist, Tragödie, 183. Das Gespräch fand laut Kleist am 14. Dezember 1942 statt. Der Historiker ist auch im Jahr 2011 im wesentlichen noch auf diese Darstellungen aus den Memoiren angewiesen, da die russischen Archive weiter unzugänglich sind. Dies gilt selbst für die Arbeit an offiziösen Aktenpublikationen wie etwa der dreibändigen Edition „Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948“, die Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der russischen Föderation versammelt. Auch hier wurde den deutschen Bearbeitern nicht einmal das Findbuch zugänglich gemacht, was ein Teil  des alltäglichen Skandals der Geschichtsschreibung über den Zweiten Weltkrieg ist. Vgl. Laufer, Dokumente, S. IX. Dieser Befund wird dadurch ergänzt, daß die Behinderung freier Forschung keineswegs starke Urteile verhindert. So konnten die Herausgeber nichts über das Treffen Kleists ermitteln, stellen es aber schließlich in den Anmerkungen ohne Begründung oder Bezug auf Kleist oder Ribbentrops oder Semjonovs Darstellungen sogar als „wenig wahrscheinlich“ in Frage. Vgl. Laufer, Dokumente, S. 646 f. 43 Auch das Washingtoner Office of Strategic Services erhielt eine Meldung, Molotov habe im November 1942 per Sonderbotschafter Frieden gegen den deutschen Rückzug aus der Ukraine, Weißrußland und dem Baltikum angeboten. Vgl. Fleischhauer, Gespräche, S. 303.

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die von Ribbentrop 1939 geleiteten deutsch-sowjetischen Verhandlungen informiert zeigte. Folgt man der Darstellung von Kleist, dann hat er Ribbentrop über diesen ersten russischen Kontaktversuch sofort informiert, sowie außerdem Graf Schulenburg, den früheren Botschafter in Moskau und Adam von Trott zu Solz ins Vertrauen gezogen.44 Alle fanden diese Nachricht demnach vielversprechend und Ribbentrop machte einen Versuch, Hitler zu Verhandlungen zu bewegen. Wenige Wochen zuvor hatte zudem die Landung der Alliierten in Nordafrika stattgefunden. Ribbentrop bat vor diesem Hintergrund „um sofortige Vollmacht für eine Verbindungsaufnahme mit Stalin über die sowjetische Botschafterin in Stockholm Madame Kollontay wegen eines Friedensschlusses – und zwar, wenn es sein müßte, unter Aufgabe der größten Teile des im Osten eroberten Gebietes“.45 Damit erreichte er bei Deutschlands Tyrannen nicht mehr als einen unmittelbaren Wutausbruch, der sich erst Monate später nach der Niederlage in Stalingrad so weit gelegt hatte, daß Hitler sich nicht mehr grundsätzlich abgeneigt zeigte, unter bestimmten Bedingungen einem Kompromiß mit der UdSSR zuzustimmen.46 Über diese Haltung sollte er allerdings in den nächsten zwei Jahren nicht hinauskommen. Erst im Juni 1943 reiste Kleist wieder nach Schweden, traf Clauß erneut und bekam von ihm diesmal einen konkreten und bald wahrzunehmenden Gesprächs­ termin mit einem ihm bekannten sowjetischen Diplomaten angeboten, einem Herrn Alexandrov. Als Grund für den grundsätzlichen Kontaktwunsch der Sowjets gab Clauß auf Nachfrage die langfristigen Ziele der UdSSR in Asien an, besonders in China, die sich nach einer langen Auseinandersetzung mit Deutschland schwer erreichen ließen. Ob Kleist diesesmal den Kontaktwunsch zu Ribbentrop übermittelt hätte, läßt er in seiner Darstellung offen, was aber ohnehin nicht mehr in seiner Hand lag, da er nach seiner Rückkehr in Berlin verhaftet wurde. Der Sicherheitsdienst der SS hatte Nachricht von den Gesprächen erhalten und sein Chef Kaltenbrunner führte das Verhör mit Kleist persönlich durch. Auch Kaltenbrunner hielt es danach nicht für angezeigt, den Außenminister sofort durch Kleist von der Sachlage informieren zu lassen, sondern stellte Kleist unter Hausarrest, was beiläufig die innenpolitischen Verhältnisse zeigt, unter denen Ribbentrop im Jahr 1943 agieren mußte. Kaltenbrunner sagte aber zu, die Information selbst weiterzugeben und wiederum zwei Monate später schaffte es Ribbentrop dann unter konspirativen Umständen, Kleist in seinen Amtssitz in Ostpreußen einzuladen, persönlich sprechen zu können und sich vier Stunden lang informieren zu lassen. Ribbentrop reagierte nun sofort und trug die Angelegenheit noch am gleichen Tag Hitler vor, dem die beiden Kontakte Clauß und Alexandrow von SS-Seite als „Juden“47 gemeldet

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Vgl. Kleist, Tragödie, S. 184. Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 262. 46 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 264. 47 Dies behauptet Semjonov in Bezug auf Clauß ebenfalls. Vgl. Semjonov, Mission, S. 138. Tatsächlich war Clauß ein 1879 in Riga geborener und deutsch sozialisierter Protestant jüdischer Abstammung. Er hatte sein Vermögen nach der ersten russischen Revolution 1905 in Im-

2. Stockholmer Friedenskontakte

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worden waren, die in Stockholm „Ultimaten“ stellen würden. Heraus kam dabei immerhin der Auftrag an Kleist, sich um die Wiederaufnahme des Kontakts und den inzwischen längst verstrichenen Gesprächstermin zu kümmern. Das gelang tatsächlich im September 1943, wenn man Kleist glauben will. Ribbentrops Memoiren schildern diese Episode etwas anders. So schreibt Ribbentrop, er hätte „durch meinen Verbindungsmann Kleist“ Verbindung zu Botschafterin Kollontay in Stockholm aufgenommen und läßt damit die Initiative von Deutschland und ihm persönlich ausgehen.48 Dies wird durch die Darstellung Vladimir Semjonovs bestätigt, der nach seinen oben erwähnten Berliner Vorbereitungen „für den Fall, daß die Rote Armee einmal nach Deutschland kommt“, inzwischen an der Stockholmer Sowjetbotschaft Dienst tat und die kränkliche Altrevolutionärin Kollontay in dieser Angelegenheit vertrat.49 Clauß sei demnach ein deutsch-sowje­tischer Doppelagent gewesen und hätte Kleist in der Tat am 6. Dezember 1942 gesprochen. Ribbentrop bestätigt auch einen „neuen, sehr energischen Vorstoß“ im September 1943, den er bei Hitler unternommen hätte, der daraufhin tatsächlich auf der Karte eine Demarkationslinie gezeigt hätte, auf die er sich mit den Sowjets einigen könnte.50 Kleist jedenfalls gibt an, in diesem September 1943 in Stockholm erneut Kontakt bekommen zu haben und auch dies bestätigt Semjonov.51 Ribbentrop versuchte, mit den Sowjets zu einem Arrangement zu kommen. Zwischenzeitlich hatten sich die Bedingungen für Deutschland verschlechtert. Man verlangte sowjetischerseits als Verhandlungseinstieg jetzt nicht mehr die Grenzen von 1939, sondern die von 1914, also ganz Polen. Dazu kamen noch „ganz Asien“, also die Kündigung deutscher Unterstützung für Japan und außerdem die „Meerengen“, d. h. jene Stützpunkte in Dänemark und der Türkei, die Molotov schon im November 1940 in Berlin gefordert hatte, als Deutschland sich nah am Höhepunkt seiner Kriegserfolge befand.52 Das gab natürlich einen Vorgeschmack darauf ab, welche Forderungen erst gestellt werden würden, wenn die Rote Armee, sofern diese Dinge zugestanden wurden, erst einmal wenige hundert Kilometer vor Berlin stand. Deutschland würde dann in einem höchstwahrscheinlich andauernden Krieg mit den Westmächten in alter – d. h. vor dem Juni 1941 mobilienspekulation mit dem damals in großem Stil notverkauften deutschbaltischen Landbesitz erworben, war während des Krieges als potentieller deutscher Kollaborateur ins Innere Rußlands deportiert worden und tauchte seit dieser Zeit in verschiedenen Staatsangehörigkeiten und Funktionen in internationalen Affären auf. Vgl. Fleischhauer, Gespräche, S. 30 ff. 48 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 264. 49 Vgl. Semjonov, Mission, S. 137 ff. Semjonovs Behauptung, Kleist hätte im Dezember 1942 von sich aus sogar die Grenzen von 1937 ins Gespräch gebracht, darf man wohl der Atmosphäre der Nachkriegszeit zurechnen, als Semjonov sowohl in der BRD als auch der DDR jahrzehntelang eine führende Rolle in der sowjetischen Deutschlandpolitik spielte und die – völkerrechtlich streng genommen nichtexistenten – „Grenzen von 1937“ ein beliebtes Schlagwort in der Deutschlandpolitik darstellten. 50 Vgl. Ribbentrop, Erinnerungen, S. 264. 51 Vgl. Semjonov, Mission, S. 141. 52 Vgl. Kleist, Tragödie, S. 199.

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bestehender  – Weise auf sowjetische Lieferungen angewiesen und sowjetischen Militärdrohungen erneut ausgeliefert sein. Für die alliierte Kriegswirtschaft arbeitete mittlerweile praktisch die Ökonomie der ganzen Welt. Das betraf Rohstoffe ebenso wie Fertigprodukte und Arbeitskraft. Auch die immer neuen Truppeneinheiten, die von der UdSSR ins Feld geführt wurden, konnten nur wegen der großen Anzahl fremdländischer „Freiwilliger“ aufgestellt werden, die ihren Arbeitsplatz in sowjetischen Fabriken einnahm. Am 3. Oktober 1943 überreichte Ribbentrop dem japanischen Botschafter Oshima einen vertraulichen Abwehrbericht, nach dem die Sowjets eine Million Mann aus dem Fernen Osten abgezogen hätten, während die asiatischen Teile der UdSSR jetzt von Fremdarbeitern aus Persien, Indien und China „überschwemmt“ seien.53 Immer neue, stets steigende sowjetische Forderungen würden nach aller bisherigen Erfahrung daher die Folge eines deutsch-sowjetischen Waffenstillstands sein. Schon jetzt kamen entsprechende Nachrichten aus verschiedenen Quellen. So sollte Franz von Papen als Botschafter in Ankara ein sowjetischer Forderungskatalog überreicht worden sein, der zwar Polen nach den Grenzen von 1939 teilte, dafür aber die ganze Schwarzmeerküste, Teile Nordgriechenlands einschließlich Saloniki und einen Hafen an der Adria für die UdSSR forderte, also den ganzen Balkan und damit auch das rumänische Öl.54 Paul Schmidt, den Ribbentrop ebenfalls in Mission nach Stockholm geschickt hatte, berichtete bereits von russischen Forderungen nach Ostpreußen und Oberschlesien, um die Verluste Polens zu „kompensieren“. Außerdem nannte auch er die „freie Hand auf dem Balkan“ als sowjetische Bedingung, die Abtretung von Teilen Italiens wie Triest und Fiume und eine panslawische Konföderation einschließlich einer erneuerten Tschechos­lowakei.55 Dieser Katalog führte zum Kern, also der Frage zurück, warum es den deutschsowjetischen Krieg überhaupt gab. Nach ihrem Verhalten zwischen 1939 und 1941 konnten die Sowjets keinerlei glaubwürdige Garantie dafür geben, daß sie ihre gegen Deutschland gerichtete Politik nicht bei erster passender Gelegenheit in vollem Umfang mit dem alten Ziel der Sowjetisierung Deutschlands wieder aufnehmen würden. Ihre Ziele, ihre Forderungen, ihre Vertragsbrüche, ihre Erpressungs­ manöver und schließlich ihr drohender militärischer Angriff hatten diesen Krieg unvermeidlich werden lassen. Wenn sich an der dahinterstehenden Absicht nichts änderte, würde jedes neue Abkommen nur ein – wahrscheinlich kurzer – Waffenstillstand sein können. Es war jedoch offenkundig sinnlos, der Roten Armee mehrere Hunderttausend Quadratkilometer Land zu übergeben und sich ihr dann an der neuen Grenze wieder gegenüberzusehen. Unter diesen Umständen hätte die einzige Chance auf ein für Deutschland nützliches Abkommen in einer umfassenden Demilitarisierung der geräumten Gebiete für die Zeit der Kriegsdauer und deren

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Vgl. Martin, Deutschland, S. 186, Martin bezieht sich auf PA AA Handakten Schmidt, Aufzeichnung über die Besprechung RAM-Oshima am 3.10.1943 in Steinort. 54 Vgl. Fleischhauer, Gespräche, S. 116. 55 Vgl. Fleischhauer, Gespräche, S. 159.

2. Stockholmer Friedenskontakte

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weitere ungehinderte wirtschaftliche Nutzung bestehen können. Diesen Gedanken entwickelte offenbar nur eine einzige Information, die aus der italienischen Botschaft in Helsinki am 1. August 1942 im Auswärtigen Amt eintraf. Sie behauptete, Stalin würde augenblicklich Frieden schließen, wenn sich die deutschen Truppen auf die Grenze von 1939 zurückziehen würden und für diesen Fall seinerseits seine Truppen hinter die Wolga zurückziehen.56 Obwohl weder Peter Kleist noch Ribbentrop in ihren Aufzeichnungen etwas darüber erwähnen, gibt es unabhängig von ihren Berichten mehrere andere Überlieferungen über Gespräche zwischen Ribbentrop und der sowjetischen Führung im Jahr 1943. Ribbentrop soll sich nach Angaben beteiligter deutscher Offiziere im Juni 1943 persönlich an der deutsch-sowjetischen Frontlinie in Kirowograd mit Vjatscheslav Molotov getroffen haben und dabei im Auftrag Hitlers den Rückzug der deutschen Truppen auf eine Linie am Dnjepr angeboten haben. Molotov hätte aber, und dies würde den Angaben von Kleist entsprechen, auf einem Rückzug auf die Grenze von 1939 bestanden.57 Daran seien die Gespräche gescheitert. Friedrich von Schlabrendorff berichtete dagegen von einem Zusammentreffen Ribbentrop-Molotov im März 1943 in Molodetschno, wo Ribbentrop die Linie WilnaOdessa als neue Demarkationslinie vorgeschlagen haben soll, was einem Rückzug auf die Grenze von 1939 schon sehr nah gekommen wäre, was aber dennoch abgelehnt worden sei.58 Der Ursprung all dieser Gerüchte ist kaum nachzuvoll­ziehen.59 Ribbentrop hätte ein solches Treffen mit Sicherheit in der Nachkriegszeit erwähnt oder in seinen Erinnerungen überliefert, wenn es stattgefunden hätte. Er schreibt statt dessen, daß beim schließlich einzig mit Kleist vereinbarten Treffen im Jahr 1944 kein sowjetischer Unterhändler erschienen sei, was sich auf den Sommer 1944 beziehen kann. Genau am 22. Juni traf nach manchen Informationen mög­ licherweise Kleist im Auftrag von Ribbentrop mit Vertretern der sowjetischen Botschaft in Stockholm zusammen, diesmal mit Vladimir Semjonov selbst und einem Herrn Nikituschev.60 Dies nun streitet Semjonov allerdings in seinen Erinnerungen ab. Er erwähnt jedoch eine Rückfrage des sowjetischen Außenministeriums, ob man entsprechende Meldungen der Stockholmer Botschaft richtig verstanden habe und Semjonov wirklich keine persönlichen Kontakte zu Kleist gehabt habe.61 Man hielt dies in Moskau also sehr wohl für denkbar. Semjonovs ursprünglicher Auftrag hatte es demnach wohl nicht ausgeschlossen.

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PA AA Notiz von Woermann vom 1. August 1942, hier n. Fleischhauer, Gespräche, S. 141. Vgl. Liddell Hart, Weltkrieg, S. 610. 58 F. v. Schlabrendorff in: Kettenacker, Deutschland, S.  95, hier n. Michalka, Ribbentrop, S. 292. 59 Albert Speer kolportierte im Nürnberger Prozeß aus Dritter Hand, Walter Hewel hätte Gerüchte über Verhandlungen „ab Sommer 1944“ im Auftrag Hitlers gestreut, unter anderem das über die Anwesenheit eines früher in Berlin tätigen sowjetischen Diplomaten in Stockholm. Er bediente damit das sowjetische Bedürfnis, diese Kontakte im nachhinein zu dementieren. Vgl. IMT, XVI, S. 553. 60 Vgl. Fleischhauer, Sonderfrieden, S. 244. Vgl. Semjonov, Mission, S. 146 f. 61 Vgl. Semjonov, Mission, S. 147.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

Wahrscheinlich sind viele dieser zeitgenössischen Gerüchte von mehreren Seiten gezielt in Umlauf gebracht worden, und sei es nur, um die Phantasie der jeweiligen Bevölkerung mit der Aussicht auf Frieden zu weiterem Durchhalten zu motivieren. Es gab sie auch in Bezug auf Verhandlungen Ribbentrops mit den Westmächten. So brachte die Prawda im Januar 1944 eine Meldung, wonach Ribben­ trop in einem ungenannten Ort auf der spanischen Halbinsel mit den Westmächten über einen Separatfrieden verhandeln würde.62 Auch daran stimmte nichts. Es handelte sich aber um einen bewußten Moskauer „Schachzug“, mit dem man auf die deutschen Kontaktwünsche reagierte, weil man sie nicht zu Unrecht für zentral gelenkt hielt.63 Was man mit dieser Reaktion anderes erreichen sollte als eine Intensivierung der Kontakte, wird nicht ganz klar. Insgesamt konnten aber Kontaktversuche zwischen den Kriegsparteien an den grundsätzlichen politischen Gegensätzen nichts ändern, die durch die Dynamik des Krieges noch erheblich gesteigert worden waren. Vor dem 1. September 1939 und vor dem 22. Juni 1941 waren alle Kombinationen, die 1943/44 im Raum standen, schon einmal durchgespielt worden und bereits damals gescheitert. Es war Ribbentrop nicht gelungen, die Westmächte von der von ihm befürchteten Kriegserklärung abzuschrecken, und es war den Nationalsozialisten insgesamt auch nicht gelungen, die UdSSR dauerhaft zu neutralisieren oder sie gar als Verbündeten zu gewinnen. Die militärische Lage hatte sich seitdem deutlich verschlechtert und den politischen Spielraum für einen deutschen Nationalstaat auf einer Ebene mit den Großmächten auf der Gegenseite immer geringer werden lassen. Immerhin ließ Stalin es an Zwischentönen nicht fehlen. Wenn er sich also in einem Tagesbefehl am 1. Mai 1943 der auf der Konferenz von Casablanca proklamierten Formel von der „Bedingungslosen Kapitulation“ Deutschlands formell angeschlossen hatte, plädierte er auf der Konferenz von Teheran auch dafür, den Deutschen konkrete Bedingungen zu stellen, also gerade das, was Churchill und Roosevelt durch ihre Formel vermeiden wollten.64 Die diplomatischen Gerüchte über deutsch-russische Gespräche im Jahr 1943 drehten weite Kreise. Von Antonescu mußte sich Ribbentrop noch ein Jahr später deutliche Vorwürfe anhören: „Er müsse dem Herrn RAM sagen, daß sie Informationen bekommen hätten, wonach Deutschland voriges Jahr über Japan mit Rußland verhandelt habe, auch lägen ihm Meldungen vor, wonach sich der Herr RAM in Helsinki mit den Russen getroffen habe. Auch wisse man, daß Herr Kleist in Stockholm auf der russischen Gesandtschaft verkehre und daß dort bereits über die Dobrudscha und Bessarabien gesprochen worden sei.“65



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Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 11, S. 110 f., Eintrag vom 18. Januar 1944. Vgl. Semjonov, Mission, S. 144 f. 64 Vgl. Hansen, Ende, S. 23. 65 Gesprächsaufzeichnung Ribbentrop-Antonescu vom 7. August 1944, zit. n. ADAP, E, VIII, Dok. 149, S. 279 f.

2. Stockholmer Friedenskontakte

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Wie alle kleineren Staaten dieser Ära fürchtete der rumänische Diktator nicht zu Unrecht, daß sein Land zum Gegenstand eines machtpolitischen Geschäfts werden könnte, was ja durch Ribbentrop selbst sowohl im deutsch-sowjetischen Interessenabkommen von 1939 als auch im Wiener Schiedsspruch schon geschehen war. Andererseits genoß gerade Rumänien aber aus deutscher Sicht schon aus eigenem Interesse einen umfassenden Bestandsschutz gegen weitergehende russische Ansprüche. Neue Nahrung hatten die Friedensgerüchte bzw. die Hintergrundgespräche über einen möglichen Frieden natürlich durch den Wechsel Italiens auf die gegnerische Seite. Im Umfeld dieses Schritts sollen, so Bernd Martin, Goebbels und Ribbentrop, einen Ausgleich mit der UdSSR erwogen haben, und zwar in Gesprächen, die in Goebbels Tagebüchern am 10. September 1943 und 23. September 1943 dokumentiert sein sollen. Hitler habe angeblich Verhandlungen abgelehnt und auf die Annektierung von Korsika und Sardinien durch England spekuliert, wozu die Briten im Besitz dieser Beute vielleicht eher bereit wären.66 Hintergrund dieser anachronistischen Äußerungen waren offenbar internationale Pressegerüchte über solche Eroberungsabsichten die Anthony Eden ein paar Tage später sogar vor dem Parlament dementierte.67 Immerhin wurde die Frage eines Sonderfriedens mit Stalin in Gesprächen zwischen Japan und Deutschland immer wieder angesprochen. Gegenüber dem japanischen Botschafter Oshima schloß Hitler auch ein Jahr später immerhin eine solche Möglichkeit von seiner Seite nicht aus, als Oshima entsprechend anfragte. Allerdings bestand naheliegenderweise keine besondere Hoffnung auf einen solchen Frieden. Ribbentrop, der beim Gespräch mit Oshima ebenfalls anwesend war, faßte Hitlers Auffassung in einer Notiz für die deutsche Botschaft in Japan zusammen: „a)  Wir hätten keinerlei Indikationen dafür, daß die Sowjetregierung etwa zu einer Ver­ ständigung mit Deutschland bereit sei. Stalin werde nach unserer Auffassung erst dann versuchen, zu einer Verständigung mit Deutschland zu kommen, wenn er sich davon überzeugt habe, daß er nicht mehr erfolgreich kämpfen könne oder daß seine Kräfte jedenfalls nicht ausreichten, um Deutschland zu schlagen. b) Wenn diese Voraussetzungen bei Stalin einträten, werde sich das zeigen, dann sei eine neue politische Situation gegeben, und dann werde man ja sehen, was zu tun sei. c) Wir bäten deshalb die japanische Regierung, in dieser Beziehung von Schritten irgendwelcher Art bei der Sowjetregierung nach wie vor abzusehen.“68

Dies folgte inhaltlich in etwa der von Ribbentrop selbst überlieferten Äußerung Hitlers ihm gegenüber, man müsse keinen rotglühenden Ofen anfassen, um

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Vgl. Martin, Deutschland, S. 184. Vgl. Goebbels, Tagebücher, II/9, S. 559, 23.September 1943. 68 Ribbentrop an die Botschaft in Tokio, 6. September 1944, zit. n. ADAP, E, VIII, Dok. 223, S. 429.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

festzustellen, daß er heiß sei. Die UdSSR stand auf dem Höhepunkt ihrer Kriegs­ bereitschaft. Die großen Verluste des Jahres 1941 waren mehr als ausgeglichen worden, aus eigener Rüstungsproduktion und zunehmend auch durch die Lieferungen aus den USA. Wie sehr dies die Kräfteverhältnisse auf dem Schlachtfeld mittlerweile zu ungunsten der deutschen Seite verschoben hatte, hatte gerade die wenige Wochen vor dieser Nachricht gescheiterte deutsche Sommeroffensive des Jahres 1943 gezeigt, das ‚Unternehmen Zitadelle‘. Ribbentrop konnte dies aus innerfamiliärer Anschauung erfahren. Sein ältester Sohn Rudolf geriet dabei am 12. Juli 1943 als Kommandeur einer kleinen Panzergruppe von sieben Wagen bei dem Ort Prochorovka in ein Gefecht mit über einhundert sowjetischen Panzern, die tatsächlich bei nur zwei eigenen Verlusten alle zerstört werden konnten. So etwas war natürlich nicht ständig wiederholbar, zudem selbst dieser Erfolg und auch die großen sowjetischen Verluste an anderer Stelle nichts daran änderten, daß die Auseinandersetzungen letztlich insgesamt mit einer deutschen Niederlage und einem Rückzug endeten. Stalin konnte im Sommer und Herbst 1943 davon ausgehen, die deutschen Streitkräfte letztlich besiegen zu können, wenn die Verhältnisse in etwa so blieben, also die Sowjetunion innenpolitisch unerschüttert und auf dem Rüstungssektor zunehmend im Vorteil sein würde. Dies hatte außenpolitische Folgen für die deutsche Verhandlungsfähigkeit, die dadurch noch mehr eingeschränkt war als ohnehin schon. Die klassischen Aufgabenbereiche des Außenministers lagen still. 3. Goebbels vs. Ribbentrop Das Jahr 1944 brachte auch eine deutlich erkennbare Annäherung, oder besser gesagt, eine wechselseitige Beschäftigung zwischen Ribbentrop und Joseph Goeb­ bels, die sich zuvor jahrelang im Streit um Politik und Kompetenzen bewegt hatten und wenig positive Berührungspunkte aufwiesen. Diese Form des Dauerstreits konnte geradezu als Modellfall für den Kleinkrieg gelten, den die Ministerien untereinander führten und den Ribbentrop mit energischem, aber nicht immer zielführendem Einsatz betrieb, wie Paul Schmidt Carrell schildert: „Meistens war er sachlich im Recht, aber er verdarb fast ständig die Position durch seine Rechthaberei im Kleinen und durch seine unpersönliche verletzende Methode. Die Hauptstreitquelle war Goebbels und sein Ministerium. Hier wurden Noten gewechselt wie zwischen feindlichen Staaten, Briefe geschrieben von raffinierter Beleidigungssucht. Es wurden Verträge geschlossen und wieder von beiden Seiten gebrochen, und es gehörte zum Unterhaltungsstoff der Beamten, sich über den Stand des Kompetenzkampfes zu unter­ richten.“69

Die teilweise Annäherung des Jahres 1944 schlug sich in zahlreichen Eintragungen in den Goebbelsschen Tagebüchern nieder, in denen Ribbentrop trotz oder

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Zit. Schmidt, Tagebuch, Lebenslaufentwurf vom August 1947, S. 19.

3. Goebbels vs. Ribbentrop

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wegen des Dauerstreits in den Vorjahren phasenweise kaum vorgekommen war.70 Mittlerweile standen Regime und Nation mit dem Rücken zur Wand. Goebbels hatte in Artikeln der Wochenzeitung „Das Reich“ das Unsagbare bereits öffentlich gemacht und die Westalliierten an die Folgen einer „Niederlage des Reiches dem Bolschewismus gegenüber“ erinnert.71 Ribbentrop hielt dies für ein zu nachteiliges Schwächezeichen angesichts der rasch vordringenden Roten Armee, deren damaliges Tempo in der Tat eine Besetzung Deutschlands im Herbst 1944 wahrscheinlich erscheinen ließ. Will man dem entsprechenden Eintrag in Goebbels Tagebuch glauben, hoffte Ribbentrop noch auf Stalin als einem „nüchternen Realisten“, der, „wenn es für ihn keine andere Möglichkeit gibt, mit den Engländern und Amerikanern fertig zu werden, …, zweifellos auch mit uns zusammenzugehen bereit sein“ würde, dies aber ausschließlich bei stehender Frontlinie.72 Hier klang noch einmal Ribbentrops Erinnerung an Stalins Äußerung ihm gegenüber bei dem Vertragsabschluß im Jahr 1939 an: Er werde nicht dulden, daß Deutschland zu schwach würde. Damals hatte der Kremlchef die aktuellen Machtverhältnisse bewußt oder unbewußt eindeutig klargestellt, indirekt auch seine wirkliche Ansicht bekundet, Deutschland würde in einem Konflikt mit den Westmächten irgendwann in Abhängigkeit solchen sowjetischen Wohlwollens geraten. Aus der Perspektive des Sommers des Jahres 1944 kristallisierte sich anhand solcher Einschätzungen langsam aber sicher das letzte außenpolitische Pfund heraus, mit dem das Deutsche Reich vielleicht noch wuchern konnte: Es hatte noch die relativ freie Entscheidung, ob es dem Osten oder dem Westen zur Beute fallen wollte. Mit der Vision einer eigenständigen Großmachtrolle würde es in beiden Fällen ein Ende haben, allenfalls der Schaden an der nationalen Substanz war auf diese Weise eventuell zu begrenzen. Noch lagen die Teilungs-, Vertreibungs-, Vernichtungs- und Umerziehungspläne der verschiedenen Planungsstellen in den Siegerstaaten in der Schublade. Welche Seite man in Deutschland dabei im Extremfall wählen könnte, das war aus damaliger Sicht durchaus offener, als sich dies in der Rückschau darstellt. Der Westen, dem schließlich der größere und wirtschaftlich bedeutendere Teil des deutschen Staatsgebiets zufallen sollte, hatte während des Krieges umfassende Massentötungen der deutschen Bevölkerung öffentlich propagiert und auch praktiziert. Hunderttausende deutsche Zivilisten waren dem westlichen Bombenkrieg zum Opfer gefallen, der im Frühjahr 1945 seinen Höhepunkt erreichte und mit dem Nachlassen der deutschen Verteidigungsfähigkeit bei gleichzeitiger Steigerung der britisch-amerikanischen Angriffsfähigkeiten immer blutiger wurde. Jedes deutsche Zivilfahrzeug mußte damit rechnen, von Fliegern 70 Was natürlich keineswegs bedeutete, daß diese Einträge durchweg positiv ausgefallen wären. Am 3. August bezeichnete Goebbels den Außenpolitiker Ribbentrop als „Versager“ und zusammen mit Göring als „Bremsklotz der nationalsozialistischen Entwicklung des Krieges“, wobei Letzeres sicher auch unter manchen Aspekten zutrifft. Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 13, S. 208, Eintrag vom 3. August 1944. 71 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 13, S. 143, Eintrag vom 23. Juli 1944. 72 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 13, S. 143, Eintrag vom 23. Juli 1944.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

unter Beschuß genommen zu werden, auch wenn es klar als solches erkennbar war. Ein militärisches Ziel verfolgten die Großangriffe wie der auf Dresden überhaupt nicht mehr, wo gerade die industriellen und militärischen Einrichtungen von Zerstörungen verschont blieben. Da man sich kaum noch verteidigen oder durch Gegenangriffe reagieren konnte, brachte Goebbels bei Hitler nach dem Dresdner Angriff die Idee ins Spiel, zur Vergeltung für die Verbrechen des Luftkriegs proportional einen Teil der in deutscher Hand befindlichen westlichen Kriegsgefangenen erschießen zu lassen, je einen für zehn tote Deutsche. Es gelang Ribbentrop persönlich, Hitler diesen Schritt wieder auszureden, was im Nürnberger Prozeß auch zur Sprache kam.73 Mit dem absehbaren Ende der Kampfhandlungen mußte kein Ende der Tötungen verbunden sein. Präsidentenberater Samuel Rosenman nannte im Frühjahr 1945 in London eine Zahl von zwanzig Millionen zu tötenden Deutschen.74 Die ersten Richtlinien der amerikanischen Besatzungspolitik, insbesondere die grotesk niedrige Nahrungsmittelzuteilung von weit unter tausend Kalorien, sollten noch deutlich erkennbare Spuren solcher Pläne enthalten. Dies berücksichtigend, konnte eine kontrollliert zugelassene Sowjetisierung Deutschlands geradezu als angenehme Perspektive erscheinen. Ribbentrop selbst sollte noch vor dem Kriegsende Schritte einleiten, um der UdSSR für eine Kapitulation wenigstens Bedingungen abzugewinnen, die „dem deutsche Volk das Äußerste“ ersparen würden. Die Westalliierten hatten seit Jahren jeden Kontakt abgelehnt und forderten mit der Bedingungslosen Kapitulation die „freie Verfügung über Land, Freiheit und Leben“, wie sich Churchill ausdrückte.75 Dazu gehörte der Anspruch und die Absicht, in Deutschland in umfassender Weise das zu begehen, was wenige Jahre später als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ins internationale Recht auf­genommen wurde, was aber auch zuvor schon ein Kriegsverbrechen darstellte. Es machte die Sache nicht besser, wenn man in London in kluger Doppelmoral darauf baute, daß diese Verbrechen vorzugsweise von den Sowjets vorgenommen werden würden. Churchill sympathisiere mit der Idee, in der eigenen Besatzungszone eine indirekte Herrschaft einzurichten, während die Russen „im Osten genau tun könnten,

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Vgl. Bloch, Ribbentrop, S. 461. Ribbentrop billigte und forderte die Bestrafung alliierter Piloten, die sich nachweislich an Verbrechen im Rahmen des Luftkriegs beteiligt hatten. Über die Modalitäten hatten im Sommer 1944 einige Konferenzen stattgefunden, ohne daß zwischen den Streitkräften und dem Auswärtigen Amt letztlich eine Einigung erzielt werden konnte. Obwohl der strategische Bombenkrieg gegen Deutschland nach Anlage und Zielsetzung auch nach damaligem Völkerrecht insgesamt ein Kriegsverbrechen war, blieb der Nachweis individueller Verantwortlichkeit einzelner Flieger ein Problem. 74 Carl Burckhardt überlieferte diese Zahl in einem Privatbrief: „Colonel Rosenthau, (Von Burckhardt aus Versehen zusammgezogene Namenskombination der beiden amerikanischen Regierungsmitglieder Rosenman und Morgenthau, d. Verf.) einer der amerikanischen Bonzen des Nürnberger Prozesses, hat einer schweizerischen Parteigröße in London in Gegenwart ­Laskis gesagt: ‚20 Millionen Deutsche müssen sterben‘.“ Carl Burckhardt an Heinrich Rothmund, Brief vom 23.1.1946, hier zit. n. Stauffer, Jahre, S. 355. 75 Vgl. Kettenacker, Friedenssicherung, S. 496.

3. Goebbels vs. Ribbentrop

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was sie möchten, d. h. die Bevölkerung zu deportieren, ihr den Hals umzudrehen oder sie auszubeuten“, hieß es im britischen Außenministerium schon im September 1943.76 Die hohen Beamten machten sich dies zu eigen. Daß zum Erreichen der britischen Kriegsziele Massenverbrechen und Völkermord begangen werden mußten, wollte man zuverlässig den Sowjets in die Schuhe schieben: „Ich denke, daß diese ganzen Bevölkerungstransfers nur durchführbar sein werden, wenn sie 1) von den Russen durchgeführt werden, die bereit sein werden skrupellos (ruthless) zu handeln und sich nicht an irgendwelche vereinbarten Regeln oder Normen halten werden; und 2) wenn die Deutschen nach Sibirien geschafft werden, wo sie vergessen sein werden, und nicht in ein bereits übervölkertes Deutschland gesteckt werden, wo sie eine konstante Agitation für die Rückkehr in ihre Heimat entfachen können.“77

Zwar blieb den Ostdeutschen der Transport nach Sibirien erspart, aber letztlich sollte es tatsächlich gelingen, die Vertreibungsverbrechen hauptsächlich der UdSSR anzulasten. Dies waren jedenfalls die Gedanken, die man sich in den Reihen der westlichen Kriegsgegner über die deutsche Zukunft machte. Zwischen der Verwirklichung solcher Pläne stand nur noch die nachlassende Schlagkraft der deutschen Streitkräfte – oder eben doch noch die deutsche Außenpolitik. Mit ­Stalin hatte Ribbentrop einmal erfolgreich verhandelt und hielt es angesichts des drohenden Szenarios für möglich oder sogar geboten, dies noch einmal zu tun. Für manche Angehörige des Widerstands in Militär und Auswärtigem Amt galt allerdings das Gegenteil. Einige Militärs spielten mit dem Gedanken, die Grenzen und Fronten im Westen zu räumen und sich nur noch gegenüber der UdSSR zu verteidigen, ohne die politischen Konsequenzen einer solchen Haltung ganz zu durchdenken. Andere aus dem Auswärtigen Amt, wie Hellmuth James v. Moltke, dachten bereits vor der alliierten Landung in Frankreich bewußt daran, Deutschland ohne Widerstand und militärische Hintergedanken von Westen her überrollen zu lassen und alles weitere den Entscheidungen der Westmächte zu überlassen. Hitler selbst sinnierte im Frühsommer 1944 entweder noch immer oder mit erneuter Intensität darüber, wie alles so hatte kommen können. Er hatte weder diesen Krieg noch einen anderen großeuropäischen Krieg angestrebt, zu dem er Ende August 1939 ja bereits gesagt hatte, daß er „schwer, vielleicht aussichtslos“ ausfallen würde. Einige Tage, nachdem Orme Sargent – der wie gesehen im Jahr 1939 an der Entscheidung beteiligt gewesen war, nichts gegen den drohenden deutschen Einzug in Prag zu unternehmen – die Deutschen nach Sibirien verschicken wollte, präsentierte Hitler Anfang Juni 1944 Goebbels die letzte Bilanz seiner Ursachenforschung. Sie klang auch nach den neuen Nachforschungen sehr bekannt: „Er (d. h. Hitler, d. Verf.) hat jetzt Materialstudien anstellen lassen, aus denen hervorgeht, daß die englische Plutokratie seit 1936 gegen Deutschland den Krieg vorbereitet hat, und

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Vgl. FO 371/34460/C10982, hier zit. n. Kettenacker, Friedenssicherung, S. 281. Vermerk von Sir Orme Sargent vom 30.  Mai 1944 in FO 371/39092/C6391, hier nach Ketten­acker, Friedenssicherung, S. 456.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

zwar die maßgebende und führende Plutokratie. Er versteht darunter vor allem die Churchill, Eden und Vansittart, die niemals ernsthaft mit dem Gedanken auch nur gespielt haben, mit dem Reich einen Friedenszustand herbeizuführen. Ich halte diese Gedankengänge des Führers zwar au fond für richtig, sie sind aber sehr stark von Ribbentrop beeinflußt.“78

Welche Materialstudien dies genau gewesen sein könnten, blieb im Dunkeln. Allein die Tatsache, daß sie in Auftrag gegeben wurden, belegt jedoch einmal mehr die Unsicherheit innerhalb der NS-Führung hinsichtlich der politischen Vorgänge in der Innenpolitik anderer Staaten und ihre Ratlosigkeit bezüglich der Ursachen des andauernden Krieges, von dem sie überzeugt waren, ihn nicht selbst verschuldet zu haben. Über mögliche Kriegsursachen und den Minister Ribbentrop diskutierten dann Staatschef und Propagandaminister offenbar eine ganze Weile lang, wobei Hitler angeblich etwas Distanz zu Ribbentrop erkennen ließ, sogar behauptete, an seine Entlassung gedacht zu haben, ihn dann aber als „eiskalten Taktiker und intelligenten Disponenten“ bezeichnet haben soll, für den ein Nachfolger nicht in Sicht sei.79 Überhaupt erhielt das Jahr 1936 auch aus anderen Nachrichten des Jahres 1944 eine Art Schlüsselcharakter. Hermann Noé, ein Bekannter von Carl Burckhardt, überbrachte Goebbels eine Nachricht des schweizerischen Hochkommissars: „Churchill habe ihm bei einer Unterredung im Jahre 1936 die bisher eingetretene Entwicklung des Krieges genau vorausgesagt, auch daß die deutschen Städte im Laufe eines neuen Krieges von der englisch-amerikanischen Luftwaffe völlig vernichtet würden. Auch der Eintritt Amerikas in den Krieg nach zwei Jahren sei von Churchill vorausgesehen worden. Noé betont dabei, daß alle maßgebenden Männer in England sich darüber einig gewesen seien, daß Ribbentrops Tätigkeit in England auf die Dauer zum Kriege führen müsse.“80

Wie Ribbentrop berichtet, hatte Churchill ja auch ihm gegenüber die Vernichtung Deutschlands zu dieser Zeit bereits angekündigt, wenn Deutschland zu stark werden würde. Tatsächlich lassen sich erste Äußerungen Churchills, den Nationalsozialismus als Gelegenheit zur Vernichtung Deutschlands zu nutzen, allerdings bereits 1934 nachweisen.81 Erste Äußerungen Churchills, wonach die bloße

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Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 12, S. 410, Eintrag vom 6. Juni 1944. Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 12, S. 411, Eintrag vom 6. Juni 1944. Eine ähnliche Diskussion zwischen Goebbels und Hitler fand dann noch einmal im Januar 1945 statt, wobei Hitler erneut Churchill und seiner „Tory-Opposition“ die Verantwortung für das Scheitern von Ribbentrops Londoner Mission gab, was Goebbels erneut anzweifelte, um dann einzuräumen, daß Churchill schon vor dem Krieg „zum Ausdruck gebracht hat, daß er keinerlei Haß gegen das deutsche Volk hege“, dieses Volk aber eine „tödliche Konkurrenz“ sei und „deshalb vernichtet werden müsse“. Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 15, S. 254, Eintrag vom 28. Januar 1945. 80 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 14, S. 131, Eintrag vom 1. November 1944. Möglicherweise eine Verwechslung mit Ludwig Noé, dem Generaldirektor der Danziger Werft, der 1937/38 mehrfach nach England reiste, unter anderem mit dem Danziger Gauleiter Forster und dabei auch mit Churchill in politischen Angelegenheiten sprach. Vgl. CHAR 2/340 B, Bl. 140, Schreiben Noé an Churchill vom 21. Juli 1938. Zu Noés biographischem Hintergrund und diesen Reisen vgl. auch Burckhardt, Mission, S. 170 f. 81 „Er habe Hitler begrüßt“, ließ Churchill den ehemaligen Reichskanzler Brüning bei einem seiner Gesprächsabende 1934 wissen. Dies nicht aus Sympathie natürlich, sondern weil „Hitler die ganze Welt gegen Deutschland aufgebracht“ habe. Vgl. Brüning, Briefe, I, S. 31.

3. Goebbels vs. Ribbentrop

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­ xistenz Deutschlands als Deutsches Reich ein Problem sei, datieren sogar aus E der Zeit vor 1914. Das Problem mit Deutschland bestand in jenen Teilen der eng­ lischen Führungsschicht, für deren politische Tradition Churchill stand oder zu stehen glaubte, in dem angeblichen Widerspruch der bloßen Existenz des 1871 gegründeten Reichs zu hergebrachten Gleichgewichtsvorstellungen. Das Jahr 1936 war in der Tat das Jahr, in dem durch diese Kreise die Vorbereitung eines mög­ lichen englischen Krieges auf politischer und publizistischer Ebene begann, wie es Ribbentrop ja auch in seinem Abschlußbericht als Botschafter richtig beschrieben hatte. Inzwischen breitete sich in England vielleicht „Kriegsmüdigkeit“ aus, wie Burckhardt via Noé berichtete. Vielleicht stellte dieser Kontaktversuch aber auch einen Anlauf dar, das inzwischen sehr angeschlagene Deutsche Reich – bei Ausschaltung der Reizfigur Ribbentrop, wie Burckhardt verlangte – ohne weitere britische Verluste zur Selbstaufgabe zu bewegen. Mit der Drohung, gegenüber der einen Feindseite eine Politik der Andeutungen zu machen, man könne sich notfalls von der anderen überrollen lassen, bedeutete einen Balanceakt. Ribbentrop schickte als Vertreter des Auswärtigen Amtes erneut Kleist zum Gespräch mit den Sowjets nach Stockholm, um Stalin im oben genannten Sinn an die für ihn unangenehmen Folgen eines englisch-amerikanischen Sieges zu erinnern, wie Goebbels notierte.82 Über den Umfang mög­licher Kontrollmöglichkeiten einer einseitig erklärten Niederlage machte sich Goebbels erkennbar Illusionen und ließ seinen Ärger über die fehlende Resonanz auf Ribbentrops letzte Versuche in den mehrfach notierten Wunsch fließen, Ribbentrop durch sich selbst zu ersetzen. Das wollten offenbar auch Himmler, Bormann und ­Guderian erreichen. Goebbels attestierte sich selbst freimütig „Eleganz, Tatkraft und die nötige Elastizität“, was dann eine „intelligentere Kriegführung auf politischem Gebiet“ ermöglichen würde.83 Irgend eine konkrete Idee, was das bedeuten sollte, hatte er nicht, jedenfalls verschwieg er sie seinen Notizen und damit der Nachwelt. Eine wenige Tage später datierte Denkschrift von Goebbels an Hitler, in der Ribbentrops Ablösung gefordert und der Friedensschluß mit der UdSSR propagiert wurde, nannte keinerlei Details und wies eine erstaunliche Unfähigkeit auf, sich in Stalins Perspektive zu versetzen.84 Im Januar 1945 wurde wieder einmal ein Anlauf Ribbentrops, mit der britischen Seite in Kontakt zu treten, von Hitler unterbunden.85 Vorausgegangen war die Formulierung einer umfangreichen Sprachregelung, die Ribbentrop nach der Konferenz von Jalta an die deutschen Auslandsvertretungen schicken ließ, begleitet von einer Reise des Vortragenden Legationsrats v. Schmieden zu amerikanischen Stellen in die Schweiz und den Konsul v. Moellhausen zur britischen Botschaft nach 82 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 13, S. 419, Eintrag vom 6. September 1944. Im gleichen Sinn der Eintrag vom 12. September, Ribbentrop sei jetzt „fieberhaft“ dabei, über die japanische und spanische Botschaft sowjetische Kontakte zu knüpfen. Ebd. S. 461. 83 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 13, S. 512 f., Eintrag vom 18. September 1944. 84 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 13, S. 536–542, Eintrag vom 21. September 1944. 85 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 15, S. 199, Eintrag vom 23. Januar 1945.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

Spanien.86 Die vierzehnseitige Sprachregelung versuchte den Westmächten eindringlich die Konsequenzen von weiteren russischen Militärerfolgen vor Augen zu führen, zumal wenn sie gleichzeitig ihre angekündigte Ausrottungs- und Vernichtungspolitik gegen das deutsche Volk, dessen Industrie und seine aktuelle Ideologie umsetzen sollten: „Mit einer biologischen Schwächung des deutschen Volkes würde in Europa der einzige biologische Faktor zerstört, der, wie dieser Krieg zur Evidenz erwiesen hat, überhaupt noch ein Gegengewicht gegen die gewaltige bolschewistische Slawenmasse im Osten bilden kann. … Durch die beabsichtigte Vernichtung der deutschen Industrie würde der Faktor beseitigt, der materialmäßig vor allem in der Lage ist, gegenüber dem gewaltigen Wirtschafts- und Rüstungspotential des Sowjetblocks zumindest noch ein gewisses Gegengewicht darzustellen. Durch die Beseitigung des Nationalsozialismus und seiner Weltauffassung würde der einzige Faktor beseitigt, der … rassenmäßig (sic) ein Gegengewicht gegen das starke Slawentum und politisch gegenüber der Weiterverbreitung des Kommunismus und Bolschewismus nach Westen darstellt.“87

Damit waren einmal mehr die Themen angesprochen, die bald nach 1945 für Jahrzehnte die Weltpolitik bestimmen sollten. Ohne Mitarbeit der Deutschen war Europa weder militärisch noch wirtschaftlich gegen die UdSSR zu verteidigen. Dies sahen auch die Westmächte nach wenigen Jahren ein, ließen das von ihnen kontrollierte Westdeutschland aufrüsten, gestatteten ihm Wirtschaftswunder und Babyboom. Aber diese Entwicklung fand eben erst nach Jahren statt und unter anderen ideologischen Vorzeichen. Manche Adressaten von Ribbentrops Denkschrift in westlichen diplomatischen Kreisen hielten wahrscheinlich sogar seine Behauptung für zutreffend, wonach „die nationalen Kräfte in Deutschland auf längste Sicht nur durch Nationalsozialisten repräsentiert werden … können“.88 Aber auch die Wohlwollenderen unter ihnen zogen daraus im Frühjahr 1945 nicht den Schluß einer notwendigen Zusammenarbeit, sondern den einer notwendigen jahrelangen Entmachtung und Umerziehung aller Deutschen. Die weniger wohlwollenden, zu denen auch die Umgebung Franklin D. Roosevelts gehörte, erwogen darüber hinaus buchstäblich eine Politik der Massentötung und Deindustrialisierung. Ribbentrop hielt es im weiteren für angemessen, einmal mehr daran zu erinnern, daß irgendwelche deutschen Weltherrschaftsbestrebungen nur „Feindpropaganda“ seien. Deutschland wünsche nichts anderes, als in seinen ethnischen Grenzen ver 86 So Reimer Hansen unter Berufung auf Fritz Hesse, dem er wegen des Inhalts dieser Sprachregelung falsche Angaben nachweist. Vgl. Hansen, Friedensfühler, S. 719. 87 Vollständiger Text der „Sprachregelung“, die als Anlage eines nicht abgeschickten Briefs von Ribbentrop an Dönitz vom 2. Mai 1945 überliefert ist, in: Hansen, Friedensfühler, S. ­725–730. 88 Vgl. Hansen, Friedensfühler, S. 729. Es ist nicht ganz klar, inwiefern dies eine Fortdauer des Regimes bedeuten sollte. Für die Details der „innerpolitischen und wirtschaftlichen Fragen in Deutschland“ verweist Ribbentrops Aufzeichnung auf eine weitere eigene „Sprachregelung“ zu diesem Thema, die nicht überliefert ist. Dies bedeutet zum mindesten, daß nach seinen Vorstellungen mit den Westmächten auch über Fragen der deutschen Innenpolitik gesprochen werden sollte, was in jedem Fall eine Änderung der Verhältnisse im NS-Staat verursacht hätte.

4. Unter jedem Stein nachsehen

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eint zu sein. Jeder weitere Tag Kriegsführung würde vor allem England schwächer und die UdSSR stärker werden lassen. Auf der Basis ethnischer Grenzen sei sofort ein Arrangement möglich. Wenn nichts derartiges zustande käme, würde in Europa eben der Stärkste siegen und das sei die UdSSR. Am Ende des Krieges tauchte mit Fritz Hesse auch wieder ein Name auf, der 1939 mit dem Versuch der Verhinderung seines Ausbruchs zu tun gehabt hatte. Ribbentrop schickte auch ihn nach Stockholm, um Kontakte nach Westen zu knüpfen.89 Hesse war nicht der einzige, der in solchen Angelegenheiten beauftragt wurde. 4. Unter jedem Stein nachsehen Friedrich Berber gibt an, Ribbentrop habe ihn am 28. November 1943 zu sich gerufen, um ihn mit einem Auftrag in die Schweiz zu schicken. Carl J. Burckhardt hätte Berber als Unterstützung angefragt, damit für den Fall englischer Kontaktwünsche eine direkte Kommunikation zwischen der deutschen und englischen Regierung hergestellt werden konnte. Ribbentrop war bereit, diese erneute Chance zu nutzen, falls die englische Regierung tatsächlich „kriegsmüde“ sei. Informationen dieser Art hatte der Minister demnach von Burckhardt erhalten.90 Berber seinerseits hielt von diesen Gerüchten zwar wenig, aber nicht gar nichts: „Die Hoffnungen Ribbentrops auf Kontakte mit den Westmächten mußten zwar als weit­ gehend illusionär, aber keineswegs als schlechthin utopisch erscheinen; in der Geschichte der Außenpolitik haben sich immer wieder unwahrscheinlichste Entwicklungen und Wandlungen in der Wirklichkeit durchgesetzt.“91

In der Tat war die Kette der Niederlagen Deutschlands im Jahr 1943 lang ge­ wesen. Sie reichte von Stalingrad über Nordafrika nach Kursk und umfasste außerdem noch den Abfall des italienischen Verbündeten und die alliierte Landung in Italien. Dies konnte andererseits wenigstens theoretisch auch bedeuten, daß die Westmächte aus der jetzt erreichten Position militärischer Stärke eine Möglichkeit sondieren würden, den Balkan, Italien, ganz Westeuropa und Skandinavien sofort und ohne weitere Kampfhandlungen zurückzugewinnen. Dies würde sich öffentlich als Siegfrieden darstellen lassen, zumal wenn es sich um eine Wiederherstellung von unabhängigen staatlichen Strukturen in Polen und Tschechien ergänzen ließ. Vielleicht mochte die westliche Öffentlichkeit kriegsmüde genug zur Akzeptanz solcher Bedingungen sein, zumal die teilweise hohen Verluste während der Landung in Italien und die dort seit Monaten stockenden Fortschritte den Westen daran erinnerten, daß zur Rückgewinnung Westeuropas entweder eine Verhandlungseinigung mit Deutschland nötig war, oder aber eine vielleicht noch weit ver

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Das fand ein großes Presseecho. Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 15, S. 525, Eintrag vom 17. März 1945. 90 Vgl. Berber, Gewissen, S. 118. 91 Zit. n. Berber, Gewissen, S. 118 f.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

lustreichere Invasion in Frankreich. Andernfalls drohte entweder der Status quo oder die Eroberung des Kontinents durch sowjetische Streitkräfte. Berbers Kontakte zu Burckhardt, in Regierungskreise des westlichen Auslands und letztlich auch zu Ribbentrop selbst, basierten auf seiner Arbeit für eine frühzeitig gegründete informelle Gruppe. Schon zu Ostern 1933 hatte Berber in England entsprechende Kontakte geknüpft und zum Jahreswechsel eine Gruppe formiert, der mehrere „Quäker und ihnen Nahestehende“ angehörten, darunter Horace Alexander und zwei Mitglieder des englischen Oberhauses, Lord ­Buxton und Lord Allen of Hurtwood, der als Vertrauter des damaligen Premiers ­Ramsay Macdonald gelten konnte. Als Zweck der Gruppe gibt Berber in seinen Memoiren antinationalsozialistische Aufklärungsarbeit an. Horace Alexander und er wollten demnach von England aus über die Gefahren des Nationalsozialismus aufklären, die nach seinen Angaben einen Krieg zwischen England und Deutschland wahrscheinlich werden ließen. Es ging um die Judenverfolgung und allgemein die errichteten Konzentrationslager. Die nötigen finanziellen Mittel wurden bereitgestellt, die Gruppe gegründet, doch fand zum Jahreswechsel 1933/34 eine Änderung der Pläne statt, denn Berber durfte nicht in England bleiben, sondern wurde nach Deutschland zurückgeschickt: „Ich sollte nach Berlin zurückkehren und von dort aus meinen Teil der Arbeit leisten, ins­ besondere zunächst versuchen, einen Kontakt zu Hitler herzustellen, damit die Gruppe auf ihn Einfluß gewinnen könnte.“92

Diese nicht leichte Aufgabe ging Berber offensiv an. Er begab sich in Berlin zu Kanzleichef Lammers und erzählte ihm von der neuen Gruppe. Daraufhin sah er sich an das Auswärtige Amt weitergeleitet, wo er den damaligen Ministerial­ dirigenten und späteren Gesandten in Washington, Dieckhoff traf, der das AA mit dem Verweis auf die Konzentrationslager als „innere Angelegenheiten“93 für unzuständig erklärte und Berber zu Rudolf Hess als „Stellvertreter des Führers“ schickte. Hess schließlich wies Berber an seinen Englandreferenten weiter, einen damals zum Jahresanfang 1934 in der Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannten Mann, der noch mit seiner Sekretärin das Arbeitszimmer teilen mußte – Joachim von Ribbentrop. „Ribbentrop hörte sich meinen Bericht über unsere Gruppe an und forderte mich auf, in Zukunft in allen die Gruppe betreffenden Fragen mit ihm Kontakt zu halten, nicht mit dem Auswärtigen Amt.“94

So hatte der künftige Außenminister einen weiteren jener informellen Kontakte gewonnen, die ihm für die politische Arbeit in England wichtig erscheinen konn

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Zit. n. Berber, Gewissen, S. 67. Eine Vorsprache Berbers beim britischen Kabinettsmitglied Malcolm Macdonald ergab die gleiche Auskunft, die englische Regierung erklärte dies zur inneren Angelegenheit und wollte sich nicht öffentlich äußern. Vgl. Berber, Gewissen, S. 81. 94 Zit. n. Berber, Gewissen, S. 68.

4. Unter jedem Stein nachsehen

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ten und auf den er jetzt mitten im Krieg erneut zurückzugreifen versuchte.95 Bereits in seinem Abschlußbericht als Botschafter hatte er die „Berber-Group“ wie gesehen als politisch wertvoll erwähnt, nicht unter diesem Namen, aber unter Angabe der führenden Personen aus dem englischen Oberhaus. Ein Treffen zwischen Hitler und Lord Allen of Hurtwood hatte er selbst arrangiert und dabei übersetzt.96 Berber selbst gibt an, er habe keine politischen Hintergrundgespräche mit Ribbentrop geführt, der ihn allerdings häufig in verschiedenen Angelegenheiten angerufen habe. Deshalb wohl hätte damals verbreitet der gegenteilige Eindruck eines Vertrauensverhältnisses zu Ribbentrop bestanden, dem er aus Nützlichkeitserwägungen nicht widersprochen habe. Immerhin gibt es von Ribbentrop etliche positive Äußerungen über Berber, auch finden wir Berber bis zu seiner Ausreise in die Schweiz immer wieder in Zusammenhang mit Initiativen des Außenministers. Sogar sein ursprünglich angestrebtes Treffen mit Hitler kam auf Vermittlung der Dienststelle Ribbentrop schließlich zustande, namentlich durch Graf Dürckheim, wenn auch nur indirekt als Begleitung seines englischen Freundes Arnold ­Toynbee, der damals als weltbekannter Geschichtsphilosoph galt und im März 1936 eine Vortragsreise nach Deutschland unternommen hatte.97 Die Motive von Berber wie auch seinen englischen Kontaktpersonen scheinen in der Tat im humanitär-religiösen Bereich angesiedelt gewesen zu sein. Zu ihnen zählte neben Horace Alexander als bekannter Pazifist auch Corder Catchpool, der während des Ersten Weltkriegs wegen Totalverweigerung des Kriegsdienstes zwei Jahre in englischen Gefängnissen verbracht hatte und sich in den dreißiger Jahren in Deutschland für allerhand humanitäre Anliegen einsetzte. Dabei glaubte Catchpool, zu dem Berber regelmäßigen Kontakt hielt, an die Möglichkeit der Korrektur von Auswüchsen des nationalsozialistischen Regimes, ohne unbedingt auf seinen Umsturz zuzuarbeiten. Er versuchte statt dessen die Motive der Nationalsozialisten zu verstehen, nahm sich also nicht nur politischer Häftlinge wie etwa des einsitzenden Carl von Ossietzky an, sondern versuchte bis hinauf zu Hitler persönlich die Gründe für den Gang der Dinge zu ermitteln, wurde dort allerdings nicht vorgelassen. Der bloße Versuch brachte ihm 1935 dennoch einen Platz in der vom englischen Journalisten Robert Dell verfaßten Kampfschrift „Germany ­Unmasked“ ein. Dort wurden ehemalige Gegner des Nationalsozialismus vor­ gestellt, die angeblich zu Überläufern geworden waren oder zumindest indirekt Hitler unterstützen würden. Dell schrieb:

95

Wir haben oben gesehen, daß Berber auch im Sommer 1940 an der Ausarbeitung von Friedensvorschlägen an die englische Regierung beteiligt war. 96 Vgl. Berber, Gewissen, S. 80. 97 Auch Toynbee sprach gegenüber Hitler die Konzentrationslager an und erhielt die – eingehaltene  – Zusage, in der „Führermaschine“ zu einem Besuch ins Lager Dachau geflogen zu werden. Die Zustände dort seien nach einer jüngst durchgeführten Reform „gut“, lautete ­Toynbees Eindruck. Vgl. Berber, Gewissen, S. 83. Die Gesamtzahl der zu dieser Zeit in Lagern in Deutschland inhaftierten Personen betrug laut Götz Aly 4761, „einschließlich der Alkoholkranken und Kriminellen“. Vgl. Aly, Volksstaat, S. 27.

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

„Ein typischer Fall hierfür ist Mr. Corder Catchpool, der in Berlin lebt und zum Hitlerismus konvertiert ist, nachdem er von den Nazis verhaftet und eingesperrt wurde. Er hielt dann Veranstaltungen an vielen Orten in England ab, in denen er den Grund für seinen Wandel erklärte. Der Hauptgrund schien seine Entdeckung zu sein, daß Nazis Ideale haben. … Die Mitglieder der Gesellschaft der Freunde und viele andere religiöse Menschen sind vom Glauben daran beeinflußt, es sei in jedem Menschen etwas Gutes, was wahrscheinlich auch richtig ist. Sie sagen, wir sollen eher versuchen herauszufinden, was an den Nazis gut ist, als das, was schlecht ist.“98

Genaugenommen hatte Catchpool nach seiner Verhaftung im April 193399 allerdings lediglich erkannt, daß er in Deutschland nichts bewegen konnte, wenn er wie zuvor den Kontakt zur regierenden Partei und den Funktionären ganz vermied. Seither suchte er das Gespräch mit Hitler persönlich, aber auch mit Hess, Göring und Himmler, obwohl er über deren jeweilige Sekretariate nicht hinauskam. Als Ergebnis dieser Bemühungen konnte er jedoch Kontakte zu Hans Thomsen knüpfen, damals in der Reichskanzlei tätig und später der deutsche Botschafter in Washington bis zum Kriegsausbruch.100 Dieser Kontakt sollte sich ebenso wie der zu Baron Friedrich von der Ropp geknüpfte101 im Rahmen der Friedensbemühungen des Jahres 1940 als politisch bedeutend erweisen, denn über die Quäkerszene in Washington entstand zwischen Thomsen und dem englischen Botschafter Lord Lothian jener Kontakt, auf dem das im deutschen Außenministerium entworfene Friedensangebot der englischen Regierung überreicht werden konnte. Unter anderem Berber hatte es im Auftrag Ribbentrops und mit Billigung der Inhalte durch Hitler entworfen. Wir werden darauf zurückkommen. In der Tat hatte die Gruppe um Berber und Catchpool mit diesen Überzeugungen beim deutschen Außenminister den Eindruck erweckt, jenseits von ­politischen Winkelzügen wenigstens einen Ansatz zu einer grundsätzlichen Verständigung zwischen England und Deutschland auch unter dem nationalsozialistischen Regime zu bieten und zudem auch noch über ansehnliche Kontakte in das englische Establishment zu verfügen. Es mochte also einen Versuch wert sein, Berber 1943 in die neutrale Schweiz zu schicken, um diese Kontakte zu beleben. Berber selbst betont – wohl zu Recht – er habe das Vorhaben angesichts der politischen Lage vorwiegend als humanitäre Mission aufgefaßt. Friedenskontakte blieben in der Tat aus. Berber versuchte daher in Genf – vergeblich – die Einrichtung international anerkannter, bombardierungsfreier Schutzzonen für deutsche Zivilisten auf deutschem Boden durchzusetzen. Die Alliierten stellten sich auf den Standpunkt, es gäbe keine Bombardierungen von Zivilisten. Umgekehrt drängte er Ribbentrop von der Schweiz aus zu Evakuierungsmaßnahmen der ungarischen Juden auf ein internationales Gebiet, etwa per Schiff, was

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Zit. n. Dell, Germany, S. 17 f. Unmittelbarer Anlaß war sein demonstrativer Besuch jüdischer Läden und Einrichtungen am Tag des Boykotts dieser Läden am 1. April 1933. Vgl. Hughes, Friend, S. 84 f. 100 Vgl. Hughes, Friend, S. 100 f. 101 Vgl. Hughes, Friend, S. 115 f.

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Ribbentrop bei Hitler auch vorschlug, was dieser aber aus technischen Gründen abgelehnt haben soll: „Wie stellen Sie sich das überhaupt vor? Glauben Sie, daß das möglich ist? Die nimmt doch kein Mensch. Außerdem ist es technisch gar nicht durchführbar.“102

In humanitären Angelegenheiten sprach auch Graf Folke Bernadotte bei Ribben­ trop vor, der Mann, dem Ribbentrop wie bereits erwähnt seine Brieftasche nachtragen ließ. Da Ribbentrop dank Bernadotte die seltene Gelegenheit hatte, mit einem Mann zu sprechen, der bekanntermaßen in den höchsten alliierten Entscheidungszentren verkehrte und nun gerade aus dem Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa kam, nutzte er die Chance, dem Schweden die Dinge aus seiner Sicht zu schildern. In einer tour d’horizon vom August 1939 über den November 1940 und den Sommer 1941 stellte er dar, wie die jetzige Situation aus seiner Sicht entstanden war. Dann breitete er vor Bernadotte die Gefahren einer Sowjetisierung Deutschlands aus, um ihm schließlich unverblümt zu sagen, wenn die Westmächte kein Einsehen hätten, könnte Deutschland diese Möglichkeit auch bewußt ins Kalkül ziehen.103 Dies folgte der in den letzten Monaten aufgebauten Drohkulisse und wurde von Bernadotte offenbar als ernstgemeint registriert. Ribbentrop wiederholte diese Drohung noch einmal bei einem zweiten Gespräch mit Bernadotte am 21. Februar 1945, wie dieser überliefert. Bernadotte reagierte auch diesesmal nur abweisend und offenbar ironisch auf die Ankündigung einer möglichen Sowjetisierung Deutschlands und Europas. „Die Schweden seien so verblendet, daß sie den Russen noch Beifall klatschen würden, wenn sie Bomben auf Stockholm würfen“, kommentiert Ribbentrop diese Haltung auf einem Diplomaten­empfang einige Tage später.104 Die angekündigten Bemühungen um einen deutsch-sowjetischen Ausgleich stellten keine völlig leere Drohung dar, da es Ribbentrop in den folgenden Wochen offenbar gelang, Hitler zum ersten Mal seit Jahren die Zustimmung zu einem außenpolitischen Konzept abzuringen, das sich tatsächlich mit der UdSSR verband, sich allerdings auf längst unrealistisch gewordene Annahmen der eigenen militärischen Möglichkeiten stützte und immer noch auf Frieden hoffte, wenn man der UdSSR bis auf Teile Polens, Ungarn und Kroatien den Rest Osteuropas zu­ 102

Vgl. Berber, Gewissen, S. 127; Gespräch Hitler-Ribbentrop vgl. IMT, XV, S. 464. Bekanntlich wurde den Alliierten dann über Adolf Eichmann dennoch der Abtransport der ungarischen und anderer Juden in Zahl von einer Million Menschen ins westliche Ausland angeboten, im Gegenzug für die Lieferung von zehntausend Lastwagen. Die Alliierten lehnten ab. 103 Vgl. Bernadotte, Das Ende, S. 25 ff. 104 Vgl. Studnitz, Diarium, S. 262, Eintrag vom 8. März 1945. „Blindheit“ hatte JvR Schweden bereits im September 1941 vorgeworfen. Damals hatte er dem schwedischen Geschäftsträger Erik v. Post von den Forderungen auf die Ostseeausgänge an der schwedischen Küste berichtet, die Molotov 1940 in Berlin präsentiert hatte. Mit dem Verweis auf die deutsche Haltung, die allein eine Entwicklung in diese Richtung verhindern würde, ließ sich eine Änderung der schwedischen Neutralitätspolitik auch damals nicht erreichen. Vgl. ADAP, D, XIII/2, Dok. 364, Gespräch Post-Ribbentrop vom 28. September 1941.

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gestand. Mit der „Rückendeckung des Ostens“ sollten dann die „Anglo-Amerikaner“ zurückgeworfen werden.105 In den Äußerungen, die Hitler in diesen Tagen Bormann diktierte, finden sich Spuren dieser Debatten. So begründete er am 26. Februar 1945 noch einmal den Angriff auf Rußland im Jahr 1941 mit den sowjetischen Angriffsabsichten, so daß es „für mich keinen anderen Ausweg (gab), als den Bolschewismus mit Waffengewalt auszurotten“.106 Zugleich erntete Stalin aber Anerkennung („ist zweifellos ein Realist“). Als „Eckpfeiler einer dauernden Verständigung“ mit der UdSSR nannte Hitler dann „die peinlich genaue Abgrenzung und Beachtung der Interessensphären“, die in der Praxis allerdings in jedem Fall eher einem Kalten Krieg ähnlich sehen würde: „Eine Verständigung in dauernder Bereitschaft und den Finger am Abzug.“107 Dies war sechs Wochen vor Kriegsende ein reines Phantasiegebilde, aber es gelang Ribbentrop immerhin offenbar, die UdSSR wenigstens für Gespräche zu interessieren. Schließlich konnte aus Moskauer Sicht gerade jetzt in Mitteleuropa entscheidender Geländegewinn gemacht werden, wenn es gelingen könnte, die Deutschen mit irgendwelchen Zusagen oder Hoffnungen zu verstärkter Verteidigung im Westen zu motivieren. So wie sich die militärische Lage in diesen Tagen entwickelte, würden die Westmächte dagegen ohne weiteres Berlin einnehmen und bis an die Oder-Neisse-Linie vordringen können, wenn sie dies wünschten. Am 21. März verbot Hitler dann allerdings doch wieder, zu einem in Stockholm wartenden Vertreter der Sowjets den Kontakt aufzunehmen.108 Angeblich hatte er sich mit dem Genuß von Wagnerplatten in eine gepflegte Untergangsstimmung versetzt und wollte seinen erwarteten Nachruhm nicht durch Zeichen von Schwäche im letzten Augenblick gefährden, so berichtete Walter Hewel den Ablauf.109 Ribbentrop war nun endgültig bedient und wollte aufgeben: „Ich versichere Ihnen, es ist die tiefste Enttäuschung meines Lebens. Was für einen Sinn hat es noch, daß ich weiter Außenminister spiele! Seit 1941 hat man mir jedes Gespräch mit dem Ausland verboten, und jetzt, wo alles zu Ende ist, wo sich noch einmal eine unerwartete Chance bietet, dem deutschen Volk wenigstens das Letzte zu ersparen, wird es einfach ab­ gelehnt. Ich werde mich an die Front melden, da ich zu nichts mehr nütze bin.“110

In der Tat suchte Ribbentrop in den folgenden Tagen den Weg an die Front, ohne daß eine förmliche Versetzung erfolgt wäre. Unabhängig von solchen politischen Winkelzügen wurden die deutschen Linien weiterhin im Osten stärker verteidigt als im Westen. Eine Woche nach diesen Ereignissen befreite aller­dings der amerikanische Oberkommandierende Eisenhower die russische Führung von einigen 105

Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 15, S. 485 f., Eintrag vom 12. März 1945. Vgl. Trevor-Roper, Diktate, S. 115. 107 Vgl. Trevor-Roper, Diktate, S. 116. 108 Vgl. Goebbels, Tagebücher, II, Bd. 15, S. 566, Eintrag vom 21. März 1945. 109 Die von Hewel berichtete Anweisung Hitlers überliefert Fritz Hesse. „Es hat alles keinen Sinn. Wer jetzt noch mit dem Feind spricht, ist ein Verräter an der Idee. Wir fallen im Kampf gegen den Bolschewismus, aber wir verhandeln nicht mit ihm.“ Vgl. Hesse, Vorspiel, S. 338. 110 Zit. n. Hesse, Vorspiel, S. 337. 106

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Sorgen in dieser Sache. Er schrieb am 28. März persönlich an Stalin, Berlin nicht angreifen zu wollen. Stalin, „zweifellos erstaunt, daß ein General sich, noch dazu in einer so wichtigen Frage, an ein Staatsoberhaupt wandte“, kündigte gegenüber Eisenhower an, dies vor Ende Mai auch nicht zu tun – und beauftragte augenblicklich seine obersten Militärs, den Angriff für Mitte April anzusetzen.111 Sicherheitshalber schrieb er außerdem noch einen Tag später am 29. März einen Beschwerdebrief an Roosevelt und mahnte Bündnissolidarität an, da die Deutschen mit ihren Teilkapitulationsverhandlungen gegenüber den Westmächten die Chance suchen würden, Truppen nach Osten abzuziehen, womit sie schleichend die Alliierten spalten und Ziele verfolgen würden, „die das Schicksal Deutschlands berühren“.112 Darin äußerte sich weiterhin recht deutlich die – in diesem Fall grundlose – Sorge, daß die Westmächte Deutschland besetzen und dauerhaft kontrollieren würden, eine Option, die von den Sowjets im umgekehrten Fall wohl gezogen worden wäre. Das Gespräch Ribbentrop-Bernadotte brachte außer in humanitären Fragen wenig Fortschritt. So weit es im alliierten Hauptquartier politische Instruktionen für Bernadotte gegeben hatte, zielten sie offenkundig darauf ab, das bisherige außenpolitische Entscheidungszentrum Deutschlands, also Ribbentrop und Hitler, zu ignorieren und zu umgehen. Als wenigstens theoretisch einzig möglichen Ansprechpartner für die Abwicklung einer kontrollierten Machtübergabe in Deutschland hatte man statt dessen die SS-Führung ausgemacht. Daran war so viel richtig, daß Himmler und Co. tatsächlich die einzige Institution darstellten, die einen mit ihr abgesprochenen Plan in Deutschland auch würde durchsetzen können. Für manche Informationen Ribbentrops war der Schwede offenkundig zu wenig vor­ informiert, wobei sich interessanterweise schon das künftige Geschichtsbild andeutet, das die Alliierten auch im Rahmen der Nachkriegsprozesse gegen die deutsche Führungsschicht implementierten. Ribbentrops sachlich völlig zutreffenden Hinweis darauf, daß Schweden im Jahr 1940 nur wegen der deutschen Landung nicht zum Kriegsgebiet geworden war, wie es die englische Regierung eigentlich geplant hatte,113 tat er in seinen Erinnerungen lediglich ironisch als „originellen Gesichtspunkt“ ab. Nach fünf Jahren Krieg wollten der Westen und offenbar auch das neutrale Ausland nicht mehr genau wissen, wie dieser Krieg eigentlich begonnen hatte und durch wen er auf neutrale Länder ausgeweitet worden war. Ribben­ 111

Vgl. Kissinger, Vernunft, S. 444 f. Vgl. Laufer, Dokumente, S. 557. Am 3. und 7. April ließ Stalin weitere Briefe ähnlichen Inhalts an Roosevelt folgen. Ebd. Laufer, Dokumente, S. 557 ff. 113 Die erbeuteten und in den deutschen Weißbüchern dokumentierten Befehle für die zur Landung eingesetzten britischen Streitkräfte sahen den Durchmarsch nach Schweden vor. Dies notierte auch Unterstaatssekretär Alexander Cadogan nach einer Kabinettssitzung: „I attended Cabinett at 11 for discussion of question of our intervention in Scandinavia. Agreed to make representations, as suggested by French, to Norway and Sweden, but decided we might go further and ‚switch the war into Skandinavia‘, i. e. offer to assist in protecting the Swedish iron-mines – which would mean ‚protecting‘ them also against Germany.“ Zit. n. Cadogan, Diaries, S. 239, 22. Dezember 1939. 112

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XI. Politik in Zeiten des Krieges

trop hatte daran erinnert, um seine Bereitschaft zum Dialog zu betonen. Da es nicht allein Deutschland war, das willkürlich den Krieg ausgeweitet hatte, sollte leichter eine Gesprächsebene zu finden sein. Darauf blieb Bernadotte eine Antwort schuldig, auf die er auch keineswegs vorbereitet war. Von Ribbentrop schließlich befragt, ob er „konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Lage zu machen hätte“, verwies er nur auf sein kommendes Gespräch mit Himmler114 und verschwieg seine konkreten Absichten zu Verhandlungen über die Evakuierung skandinavischer und alliierter Insassen deutscher Lager.

114 Nach eigener Darstellung ließ Bernadotte dann Himmler über Schellenberg tatsächlich die Bereitschaft der Alliierten zu einer Art Übergangsabkommen ausrichten, wenn Himmler öffentlich die Nachfolge Hitlers antreten, sofort die NSDAP aufgelöst und dann dem weiteren Vormarsch der Westmächte kein Widerstand mehr entgegengesetzt werden würde. Vgl. Bernadotte, Das Ende, S. 70 f.

XII. Fiasko Am 22. April 1945 sprach Ribbentrop zum letzten Mal bei Hitler vor. Neben dem Auftrag, irgendwie außerhalb Berlins wieder den Kontakt zu den deutschen Auslandsstationen herzustellen, gab Hitler ihm noch ein paar Anweisungen mit. Es war das alte Thema, denn sie waren für den Fall deutsch-englischer Verhandlungen gedacht. Ribbentrop gab den Inhalt später auftragsgemäß an Churchill und Eden weiter, erhielt naturgemäß keine Antwort und überlieferte die Nachricht dann wenigstens im Rahmen des Nürnberger Tribunals der Nachwelt.1 Die Anweisungen waren in vier Punkte gegliedert, die denen ähnelten, die Hitler auch Martin Bormann diktiert hatte. Eine gewisse Erholung konnte es in Deutschland nur geben, wenn die Entscheider in den westlichen Hauptstädten den Nutzen erkannten: „1. Dringendste Notwendigkeit der Erhaltung der deutschen Einheit, auch im englischen Interesse, da ein europäisches Gleichgewicht überhaupt nie mehr herzustellen, wenn Deutschland zerstückelt oder gar etwa östliche Hälfte oder mehr von Sowjetunion beherrscht wird. 2. Erhaltung der Nationalstaaten in Europa überhaupt und deren eventuelle teilweise gemeinsame Garantie durch die Großmächte. 3. Im Rahmen dessen die Herstellung einer engsten deutsch-englischen Zusammenarbeit, die eventuell bis zur engsten Union mit dem britischen Imperium gehen kann und muß, wobei die Zentrale London sein könnte. Welche Form hierfür gefunden würde, sei gleichgültig. 4. Erhaltung auch der nationalen Elemente in Deutschland, da es diese hauptsächlich sind, auf die auch England und auch USA sich bei Erhaltung des europäischen Gleichgewichts stützen müssen.“2

Hier zeichnete sich bereits ein Stück Nachkriegsordnung ab, dessen Entwicklung von Berlin oder überhaupt von Deutschland kaum noch beeinflußt werden konnte. Das galt für die aktuelle Staatsführung, aber auch für jede Opposition oder die Emigrantenkreise, so weit sie zu den Alliierten irgendeine Distanz bewahrt hatten. Statt dessen setzten insbesondere die Vereinigten Staaten auf eine Stunde Null in Deutschland, die unter anderem einen totalen Bruch mit allen politischen deutschen Traditionen bringen sollte. Für den deutschen Neuaufbau war bereits die Prägung einer neuen Elite in den Kriegsgefangenenlagern begonnen worden. Für

1

Vgl. Nachlaß der Verteidigung im Staatsarchiv Nürnberg, Rep. 502 AXA 122, „Vorschlag Ribbentrops wegen eines Schrittes bei Sir David Maxwell-Fyfe“, dem britischen Anklage­ vertreter. Hier n. Krywalski, Niederschriften, S. 744. 2 Zit. n. Krywalski, Niederschriften, S. 744.

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die bisherigen deutschen Eliten wurden Strafen diskutiert, die über Enteignung, Haft und Berufsverbot bis zur sofortigen Erschießung nach Feststellung der Identität reichten. Für die bekannteren Namen sollte ein Prozeß stattfinden und nicht nur für bekannte Nationalsozialisten. Joachim von Ribbentrop stand als derjenige, über dessen angebliche Kriegslust seit Jahren umfassende Desinformationen verbreitet wurden, mit auf der Liste der Angeklagten. Ribbentrop machte im Nürnberger Prozeß einen eigentümlichen Eindruck. Äußer­lich wirkte er stark gealtert und wie eine gebrochene Person, so lautete das allgemeine Fazit der Beobachter. Seine Verteidigung fiel aus Sicht mancher Prozeßberichterstatter relativ schwach aus, und er ließ sich von den Anklägern deren gezielte Herabsetzungen manchmal widerstandslos und mit dem Hinweis auf seine angeschlagene Gesundheit gefallen. Der Prozeß hatte weniger eine juristische als eine politische Funktion. Dazu gehörte die persönliche Diskreditierung der Angeklagten durch psychoanalytische Diagnose – als sei ihr Handeln vorzugsweise in Krankheitskriterien zu werten – und im Fall Ribbentrop durch seine Diskreditierung als „Yes-Man“ und korrumpierten Geschäftsmann. Aus dem Außenpolitiker mit einer eigenen Konzeption, der bei seinem Amtsantritt auf ein Gehalt verzichtet hatte, wurde eine Person, die im Gericht gewissenhaft und systematisch wie ein Schuljunge nur als „Ribbentrop“ angesprochen wurde, nicht mit Adelsprädikat, nicht als „Minister“, ja nicht einmal als „Herr“. Man kann sagen, daß Ribbentrop wie so oft nach seinem Eintritt in die große Politik auch hier zwischen den verschiedenen Stühlen saß, zwischen den alten Nationalsozialisten, den Generalen und den bürgerlichen Funktionsträgern des nationalsozialistischen Staatsgefüges. Letzteren gelang es teilweise, sich als machtlos, unwissend oder reuig darzustellen und mit Freispruch oder vergleichsweise milden Strafen aus dem Gericht zu gehen, wie etwa Franz von Papen, Hjalmar Schacht oder auch Albert Speer. Hermann Göring, aber auch Wilhelm Keitel oder Alfred Jodl kämpften dagegen jeder auf seine Weise gar nicht um ihren Kopf, wohl aber um ihr Gesicht, wie Keitel einmal meinte. Ihre Todesurteile standen bereits fest. Ribbentrop mochte dies für seinen Fall ähnlich sehen, aber er sprach doch wie jemand, der sich noch Hoffnungen auf ein Leben nach dem Prozeß machte, aber auch als der Außenminister, der seine frühere Politik unter diesen mehr als nur ungünstigen Bedingungen verteidigte. Andererseits war die totale Diskreditierung der früheren deutschen Außenpolitik als einer Verschwörung zum Angriffskrieg ein zentrales Ziel der alliierten Prozeßführung. Die im Gerichtssaal anwesenden Juristen der Siegermächte fungierten als Gesetzgeber, Ankläger und Richter in Personalunion, um dieses Ziel zu erreichen und zogen auch sonst alle Register, um einen fairen Prozeß zu verhindern. Einige wichtige Punkte neben dem eben erwähnten der Personalunion seien hier genannt: –– Anwendung eines Gesetzes, das zur Tatzeit nicht galt; –– Beschränkung der Gültigkeit des neu erlassenen Gesetzes auf eine einzelne Personengruppe, d. h. ausschließlich auf deutsche Vergehen;

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–– Vorlegen von Beweismaterial unter falschen Angaben über dessen Herkunft; –– Anklage von Personen wider besseres Wissen; –– Behinderung der Verteidigung durch Anwendung abgesprochener Verfahrens­ regeln und Verweigerung von Akteneinsicht; –– Ablehnung von vorgelegtem Entlastungsmaterial nach einem vor Prozeßbeginn besprochenen Plan; –– Einschüchterung von Zeugen; –– Verhinderung von Zeugenaussagen durch Verweigerung von Angaben über den Aufenthalt des Zeugen. Inwieweit dieses Fehlverhalten unvermeidlich, beabsichtigt oder eine Folge der schlechten Prozeßvorbereitung und der Aussetzung aller Schutzmaßnahmen durch die ständige Konfrontation zwischen angelsächsischem und deutschem Recht war, darüber wurde auch in Emigrantenkreisen diskutiert.3 Angesichts des Gesamtpanoramas und der Vorgeschichte des Prozesses, in der alle diese Dinge abgesprochen wurden, muß wohl von Absicht ausgegangen werden. Im Rahmen der Nürnberger Prozeßführung wurde Ribbentrops Verteidigung auf umfassende Art behindert. Dennoch verteidigte er seine Politik ohne Einschränkung, sobald sich die Gelegenheit ergab, etwa gegenüber dem sowjetischen Anklagevertreter General Rudenko.4 Dort gab er in kompromierter Form eine Zusammenfassung der Motivlage deutscher Außenpolitik bzw. Kriegspolitik, die durch die Tatsachen im wesentlichen gedeckt wurde, wie wir gesehen haben. In der Tat betrieben die Westmächte und auch die UdSSR eine Machtpolitik, die den Krieg mit verursachte und seit dem Herbst 1939 eine Kriegsverlängerungspolitik, die selbst weder Kompromisse vorlegte, noch deutsche Kompromissvorschläge zur Kenntnis nahm. Dazu gesellte sich eine Kriegsausweitungspolitik der gleichen Staaten, die die deutschen Streitkräfte und ihren Oberbefehlshaber lediglich vor die Wahl stellte, ob sie den Zugriff der militärischen Gegenpartei abwarten und dann reagieren sollten, oder ob sie als erstes in Aktion treten sollten. Es bleibt Spekulation, ob der politische Nutzen im ersteren Fall den militärischen Schaden aufgewogen hätte. Daß die Nürnberger Anklage versuchte, diese gesamte Kausalkette auf dieser Ebene umzukehren und aus erzwungenen deutschen Gegenzügen – deren Erzwingung von führenden Politikern der Westmächte seinerzeit teilweise öffentlich gefeiert worden war5  – unprovozierte Aggressionen machen

3



4

Vgl. Stiefel, Juristen, S. 187. Vgl. IMT, X, S. 479 ff., Sitzung vom 2. April 1946. 5 So etwa durch den englischen Botschafter in Washington und früheren Außenminister Hali­fax der Balkankrieg: „Im Fall Griechenland waren wir uns sehr wohl bewußt, den tapferen Griechen keine Kräfte als Hilfe zur Verfügung stellen zu können, die mit der Stärke vergleichbar sein würde, die von den Deutschen gegen uns eingesetzt werden würde. Aber dieser Krieg wird noch lange andauern … und daher gab es vernünftige militärische Gründe für un-

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wollte, war ihrem politischen Zweck geschuldet. Juristisch gesehen war dieses Vorgehen wertlos und schuf auch keinen Präzedenzfall, da die großen Staaten danach weiterhin keine internationale Rechtsprechung über ihre Angelegenheiten anerkannten. Anderes gilt für die historische Forschung, die den Nürnberger Prozeß als Ausdruck von Machtverhältnissen analysieren und als Steinbruch für historische Details nutzen kann. In Bezug auf Deutschland ging es in diesem Krieg zentral um die Frage, ob die europäischen Nachbarstaaten bereit waren, die Existenz eines Deutschland in den Grenzen von 1939 mit dem Anspruch auf eigene Interessensphären in Ostmitteleuropa zu dulden oder nicht. Der „Angeklagte Ribbentrop“ hatte diesen Punkt beiläufig angesprochen mit seinem Hinweis auf die Unklarheit des Aggressions­ begriffs. Er hatte in seinem Abschlußbericht als Botschafter Ende 1937 gewarnt, es würde sich eine englische Aggression gegen Deutschland anbahnen. Dafür gab es in der Tat Indizien, wie wir gesehen haben. Daß die daraufhin eingeschlagene deutsche Politik des schnellen Nutzens von Revisionsgelegenheiten in Österreich und der Tschechoslowakei zum Zweck der Abschreckung eines englischen Angriffs ihrerseits in einem erweiterten Begriff auch als „Aggression“ gedeutet werden konnte, war offensichtlich. Der Umbau der europäischen Grenzen und das Verschwinden ganzer Länder mußte andere Territorialambitionen wie diejenigen Polens oder Italiens verstärken. Das war eine Nebenwirkung der deutschen Politik, wie die deutsche Politik ihrerseits durch die Erfahrungen mit den Alliierten nach 1919 und allgemeines Mißtrauen mit geprägt war. Das ganze Szenario der Jahre 1938 und 1939 war schließlich dazu geeignet, sowjetische Hoffnungen auf den weiteren Ausbau der Revolution zu nähren und in den Vereinigten Staaten die Überzeugung wachsen zu lassen, eine amerikanische Weltpolitik müßte auch in Europa die Maßstäbe vorgeben. Aggression dürfte wohl allgemein als Politik mit dem Ziel der Umgestaltung der politischen Ordnung zum Nachteil eines anderen Landes definierbar sein. In diesem Sinn gibt es Abstufungen an Aggressionsgraden bis hin zur bewaffneten Aggression. Vor dem Nürnberger Gericht war der Weg zu einer Analyse solcher Zusammenhänge versperrt. Es hätte das ganze Unternehmen eine innovative Angelegenheit in Völkerrecht werden können, hätte ein unabhängiges Gericht seine Statuten auf alle Staaten und Politiker angewandt. Dies war zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt und wäre auch unrealistisch in einer Welt, die keine allgemeine und unabhängige völkerrechtliche Justiz kennt. Insofern geriet der Nürnberger Gesere Intervention. Wir wußten, daß Hitler bemüht war, Kämpfe auf dem Balkan zu vermeiden, um den stetigen Strom an Gütern aus diesen Ländern nicht zu unterbrechen, die so wichtig für ihn sind. Die Tatsache, daß ein Feind eine bestimmte Aktion vermeiden will, ist allgemein ein guter Grund dafür, ihn zu dieser Aktion zu zwingen.“ Halifax am 25. April vor der Atlanta Bar Association in Atlanta, Georgia, hier zit. n. ADAP, D, XII/2, Dok. 419, S. 638. Hitler griff dies in seiner Rede vom 4. Mai 1941 prompt auf: „Es ist richtig, wenn Minister Halifax heute erklärt, daß es nicht die deutsche Absicht gewesen war, auf dem Balkan einen Krieg herbeizuführen.“ Zit. n. Domarus, Reden, II, S. 1701.

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richtshof zu einer Lektion. Die Motive und Taten der deutschen Kriegsgegner blieben unerwähnt. Joachim von Ribbentrop hatte Ende 1937 vor einem möglichen englischen Angriffskrieg gegen Deutschland gewarnt, der vor der britischen und internationalen Öffentlichkeit als Verteidigungskrieg hingestellt werden könnte. In gewisser Weise stellte der Nürnberger Prozeß den Vollzug dieser Prognose dar. Nun wurde Ribbentrop selbst als verschworener Aggressor zum Tode verurteilt und wie alle anderen im Nürnberger Hauptprozeß verurteilten Todeskandidaten am Galgen erwürgt. Für die Verlockung, einen Aufbruch der deutschen Nation an entscheidender Stelle mitprägen zu können, hat er – wie Deutschland insgesamt für diese Verlockung – schwer gezahlt.

Auswahlbibliographie 1. Eigene Schriften, Geleitworte und Reden von Joachim von Ribbentrop Ribbentrop, Joachim v.: Fritz Berber (Hrsg.): Locarno, Eine Dokumentensammlung, Berlin 1936, Vorwort von Joachim von Ribbentrop Vierjahresplan und Welthandel – Rede am 1. März 1937 auf der Frühjahrstagung der Kommission für Wirtschaftspolitik der NSDAP (Schriften des Deutschen Instituts für Außen­ politische Forschung), Berlin 1937 (zit. „Welthandel“) Germany Speaks – by 21 Leading Members of Party and State, Preface by Joachim von Ribbentrop, London 1938 (zit. „Germany“) Der Marsch ins Großdeutsche Reich – mit einem Geleitw. des Reichsministers des Auswärtigen Joachim von Ribbentrop, von Alfred-Ingemar Berndt, München, 1939 Die Danziger Rede des Reichsaußenministers v. Ribbentrop am 24.  Oktober 1939, Berlin (Terra­mare Office) 1939 Erklärung des Reichsaußenministers von Ribbentrop über Englands Verbrechen an Norwegen, Lübeck (Nordische Ges.) 1940 Rede des Reichsministers des Auswärtigen v. Ribbentrop am 26. Nov. 1941 in Berlin über den Freiheitskampf Europas, Berlin 1941 (29 S.) Die Zeit arbeitet für die Ordnungsmächte des Dreierpaktes, Berlin (Dt. Informationsstelle) 1942 Ansprache des Reichsministers des Auswärtigen v. Ribbentrop am 27. September 1942 in Berlin zum 2. Jahrestage der Unterzeichnung des Dreimächtepaktes, Berlin 1942 (15 S.) Europa – Handbuch der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung des neuen Europa, Mit einem Geleitwort von Joachim von Ribbentrop, Leipzig 1943 (zit. „Europa“) Zwischen London und Moskau, Leoni 1961 (zit. „Erinnerungen“)

2. Unveröffentlichte Quellen Politisches Archiv des AA Büro Reichsminister (Büro RM) – Tschechoslowakei (Bd. 3) – Reden über die Auswärtige Politik (Bd. 7, 8) – Italien (Bd. 10) – England (Bd. 12) – PA AA R 28881 Polen (Zeitraum 1936–1938, mit eingebunden etliche Aufzeichnungen seit 1933) – PA AA R 28882 Polen (Zeitraum 22.8.39–3.9.1939)

2. Unveröffentlichte Quellen Büro Staatssekretär (Büro St.S.) – Schriftwechsel in politischen Angelegenheiten Bd. 1–9 – Aufzeichnungen über interne Dienstanweisungen – Aufzeichnungen über Dipolmatenbesuche Bd. 1–5 – Politische Beziehungen Englands zu Deutschland, Bd. 1–9 – England, Bd. 1–4 (1937–1941) – Besuch des Reichsministers in London – Politische Beziehungen Frankreichs zu Deutschland, Bd. 1–8 – Akten betr.: Polen – Halifax-Besuch und seine Folgen – Rußland, Bd. 1–4 – Der Krieg Bd. 3–5 Büro Unterstaatssekretär (Büro U.St.S.) – Akten betr.: Reden und Noten – Besuch RAM in Warschau (1939) – Besuch Halifax – Französisch-englische Verständigung – Friedensbemühungen – Dokumente Kriegsausbruch – Sumner Welles – Äquatorial-Afrika 1940–41 – Nichtangriffsverträge Politische Abteilung III, Pol. II – Akten betr.: England: allgemeine auswärtige Politik, Bd. 1–7 – Politische Beziehungen Englands zu Deutschland, Bd. 1–11 – Englischer Versuch der Bildung einer antideutschen Mächtegruppe, Bd. 1–9 – Friends of Europe – Deutsch-englische Klubs – Politische Abteilung Pol I Völkerbund – Akten betr.: Beziehungen zwischen England und Deutschland, Bd. 1–2 – Geheimakten: – Betr.: England, Allgemeine Auswärtige Politik – Presseabteilung: – Reichskanzler – Maßnahmen zur Hebung des deutschen Ansehens in England – Presseübersichten: England – Allgemeines: England – Beeinflussung der Presse, Propaganda in Allgemeinen Angelegenheiten: England Handakten – Handakten Schmidt (Presse): – Privatakten (1939–1941) – Vom RAM inspirierte Artikel (1938/39) – Notizen RAM (1938–1941) – Aufzeichnungen für RAM (1941–1942) – Handakten Paul Otto Schmidt (Dolmetscher) – Aufzeichnungen (1938–1944), Bde. 1–11

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372 – – – –

Auswahlbibliographie Auswahlbibliographie

Politisches 1–4 Handakten Hewel Privates Betr.: Deutschland

Dienststelle Ribbentrop (DR) – R 27114 Mitarbeiterberichte 1938/39 – R 27090 Vertrauliche Berichte Ribbentrop persönlich – R 29999 Einkreisung I März 39-Mai 39 Dominions, Polen – R 30000 Einkreisung II Mai 39-Aug. 39 Berichte über Verhandlungen der Westmächte mit UdSSR, Türkei, Rumänien, Ungarn etc. – R 119028 Polen Angelegenheiten der Konsulate in Deutschland – R 61150 Politische Lage in Polen Mai 1936-Jan 1942 Interessantes zur unmittelbaren Vorkriegszeit, Gesprächsaufzeichnung Weizsäcker/Lipski, Dt.-franz. Gespräche, auch Berichte aus Moskau – Vertrauliche Berichte, Bde. 1–4 – Mitarbeiterberichte – Vertrauliche Mitarbeiterberichte – Ribbentrop persönlich – Vertrauliche Berichte über Rußland – Auswärtige Amtsangelegenheiten – Auslandspresse Botschaft London: – 1256 Gespräch Simon-Hitler am 25.3.1935 – 1586 Zeitungsausschnitte Polen 1935–1939 (Sammlung von deutschen Zeitungsausschnitten zum Thema Polen) – 1587 Zeitungsausschnitte Minderheiten, politische Flüchtlinge (knappe Sammlung, dabei etwa 15–20 Artikel zu Evian) – 1594 Zeitungsausschnitte englische politische Artikel – 1674 Sammlung politischer Aufzeichnungen und Zeitungsmeldungen (unter besonderer Berücksichtigung des jüdischen Einflusses) – 1683–1697 Schriftwechsel mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung un Propaganda 1933–1939 – 1710 Besuch Lord Halifax in Berlin: Vergleich mit dem Besuch Lord Haldanes im Jahr 1912 – 1717–1722 Schriftwechsel des Presseattachés FitzRandolph – 1708 Runderlaß des Auswärtigen Amts (P 9622) – Berichterstattung über politische Hetze gegen Deutschland vom 27.10.1938 – 1709 Aufzeichnung über die Organisation der englischen Presse (Undatierte und un­signierte englischsprachige Aufzeichnung von 32 Schreibmaschinenseiten, hält die politische Bedeutung der Presse für überschätzt (gemeint wohl von deutscher Seite, ist aber nicht sicher, weil ganze Provenienz unklar). Gibt als Beispiel an, daß 70–80 Prozent der englischen Presse konservativ ausgerichtet seien und doch von 1924–1931 eine Labour-Regierungsperiode gewesen sei. (S.  10) Glaubt an die Unabhängigkeit der Presse und ihrer Macher (S. 13 ff.), hält direkte politische Einflußnahme von Amtsträgern bis hin zum Regierungschef für „schon mal vorgekommen“ (Curzon, MacDonald, Austen Chamberlain), aber nicht für gängige Praxis (S. 16). Außenpolitische Hintergrundartikel mit bewußter politischer Linie gebe es noch in der „Times“, der „Morning Post“ und dem „Manchester Garden“. Der Rest der Presse jage vorwiegend einfachen Nachrichten nach und bringe sie dann, aus eige-

3. Zeitschriften







– – – – –

373

nem Entschluß durch die Londoner Redaktion mit Tendenz versehen oder „biased“, oder auch durch eine Art Selbstzensur der Auslandskorrespondenten beeinflußt, „to comply the understood wishes of the Foreign Office or of the local Embassy“. (S. 20) Verwendet den Begriff „Nazi Germany“ (S. 28 und S. 29), findet die Haltung der britische Presse gegenüber Deutschland „peculiar, indeed, unique in many aspects“ (S.  20). Skizziert politische und politisch-kulturelle Gründe für diese Haltung, geht von einem gezielt religiösen Konflikt aus der dazu beitrage. In Reihenfolge der Wichtigkeit die „Established Church and Non-Evangelical Konformists, that of the Roman Catholic Church and that of the Jewish Community“ (S. 29), hält Garvin im Observer für einen „Rufer in der Wüste“ (S. 32) Dazu 10-Seitiger Anhang mit Angaben zu einzelnen Zeitungen und Herausgebern und ein Artikel aus der Yorckshire Post vom 21.7.37 über das Verhältnis Presse und Öffentlichkeit J. J. Astor als President of the Emipre Press Union hätte Fehler angeprangert und die Provinzpresse als besser gelobt. London 1717 Korrespondenz Presseattaché Darin: Schreiben vom 24.5.39 Anti-KominternGesamtverband an Botschaft (Randolph): Ex-Kaiser Wilhelm hat Bücher „Juden hinter Stalin“ nach England schicken lassen, Verfasser des englischsprachigen Buchs ein Dr. Kommoss von Antikomintern Rußland Dienststellen AA R 27558 Propagandistische Vorbereitungen der UdSSR für den Krieg gegen Deutschland 1939 R 101387 Berichte RAM R 27575 Sonderaufträge Künsbergs in Polen und Norwegen R 27577 Sonderaufträge in Holland, Belgien und Frankreich R 27578

Bundesarchiv Koblenz-Berlin Nachlässe: – Herbert Backe – Fritz Hesse – Robert Kempner – Joachim von Ribbentrop – Winston Churchill Archive Trust – Chartwell Papers (CHAR) Tagebücher in Privatbesitz: Walter Hewel Paul (Schmidt)Carrell

3. Zeitschriften Das Reich Völkischer Beobachter

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Auswahlbibliographie Auswahlbibliographie

4. Gedruckte Quellen, Dokumenteneditionen und Lexika Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945, Serien B, C u. D, Baden Baden, bzw. Frankfurt 1950 f. (zit. „ADAP“) Auswärtiges Amt (Hrsg.): Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Berlin 1939 (zit. „Vorgeschichte“) – Polnische Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges, Berlin 1940 (zit. „Dokumente“) – Weitere Dokumente zur Kriegsausweitungspolitik der Westmächte, Berlin 1940 (zit. „Weitere Dokumente“) – Die Geheimakten des französischen Generalstabes, Berlin 1941 (zit. „Geheimakten“) Baldwin, Stanley: The Baldwin Papers, hrsg. v. Philip Williamson und Edward Balwin, Cambridge 2004 (zit. „Papers“) Berber, Fritz: Locarno, Eine Dokumentensammlung, Berlin 1936 Bismarck, Otto v.: Reden 1847–1869, hrsg. v. Wilhelm Schüßler, Berlin 1928 Blaubuch der Britischen Regierung über die deutsch-polnischen Beziehungen und den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Großbritannien und Deutschland am 3.  September 1939, Basel 1939 (zit. „Blaubuch“) Blauweissbuch der Finnischen Regierung, Dokumente über die Entwicklung des finnischrussischen Konflikts und den Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Finnland und der Sowjet-Union am 30. November 1939, Basel 1940 (zit. „Blauweissbuch“) British Documents on Foreign Affairs – reports and papers from the Foreign Office confidential print, Part II, From the First to the Second World War, Series F, Europe 1919–1939, University Publications of America 1996 (zit. „BDFA“) Chamberlain, Neville: The Neville Chamberlain Diary Letters, hrsg. v. Robert Self, Burlington 2005 Ciano, Galeazzo: Die Stellung Italiens zum Internationalen Konflikt, Rede vom 16. Dezember 1939, mit Dokumenten im Anhang, Basel 1940 (zit. „Konflikt“) Cianos Diplomatic Papers, hrsg. v. Malcolm Muggeridge, London 1948 (zit. „Papers“) Die deutsche Seekriegsleitung 1933–1945, hrsg. v. Michael Salewski, 3 Bd., Frankfurt 1970– 1973 (zit. „SKL“) Documents diplomatiques francais, Paris 1964–1984 (zit. „DDF“) Documents on British Foreign Policy 1919–1939, London 1947–1955 (zit. „DBFP“) Doeneke, Justus D. (Hrsg.): In Danger Undaunted  – The Anti-Interventionist Movement of 1940–1941 as Reavealed in the Papers of the America First Committee, Stanford 1990 (zit. „Danger“) Dokumente der deutschen Politik, Berlin 1938–1943 (zit. „DDP“) Dokumente und Materialien aus der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges, Hrsg. v. Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, 2 Bd., Moskau 1948/49 (zit. „Dokumente u. Materialien“)

4. Gedruckte Quellen, Dokumenteneditionen und Lexika

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Dokumente zur Deutschlandpolitik, 1. Reihe, Bd. 1, Britische Deutschlandpolitik von September 1939 – Dezember 1941, bearb. v. Rainer Blasius, Frankfurt 1984 (zit. „Dokumente“) Dokumenty vneshnei politiki, Moscow 1958– (zit „DVP“) Domarus, Max (Hrsg.): Hitler, Reden und Proklamationen, 2 Bd., Würzburg 1963 (zit. „Hitler“) FRUS (Foreign Relations of the United States), fortlaufende Aktenedition, Washington 1956 ff. (zit. „FRUS“) Gantenbein, James, W. (Edit.): Documentary Background of World War II, 1931 to 1941, New York 1948 (Zit. „Background“) Gassert, Philipp/Mattern, Daniel (Hrsg.): The Hitler Library, London 2001 Gelbbuch der Französischen Regierung, Diplomatische Urkunden 1938–1939, Basel 1940 (zit. „Gelbbuch“) General Sikorski Historical Institute (Hrsg.): Documents on Polish-Soviet Relations, 2 Bd., London 1961 und 1967 Hillgruber, Andreas (Hrsg.): Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler 1939–1944, 2 Bd., Frankfurt 1967–1970 (zit. „Diplomaten“) Hitler, Reden – Schriften – Anordnungen, Februar 1925 bis Januar 1933, 7 Bd., München 1995 f. (zit. „Schriften“) Hohlfeld, Johannes (Hrsg.): Dokumente der Deutschen Politik und Geschichte von 1848 bis zur Gegenwart, Sonderausgabe für die Staats- und Kommunalbehörden, 6 Bd., Berlin 1951 (zit. „Dokumente“) IMT (Internationaler Militärgerichtshof): Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher, 42 Bde. Nürnberg 1949 (zit. „IMT“) Jackson, Robert H. (Hrsg.): International Conference on Military Trials, A documentary record of negotiations, Washington 1949 (zit. „Conference“) Jacobson, Hans-Adolf (Hrsg.): Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich vom 20.  Juli 1944, 2 Bd., Stuttgart 1989 (zit. „Opposition“) Jędrzejewicz, Wacław (Hrsg.): Poland in the British Parliament 1939–1945, 3 Vol., New York 1946–1962 (zit. „Parliament“) Jochmann, Werner (Hrsg.): Adolf Hitlers Monologe im Führerhauptquartier, München 2000 (zit „Monologe“) Kimball, Warren F. (Hrsg.): Churchill and Roosevelt, The complete Correspondence 1933– 1945, Princeton 1984 (zit. „Correspondence“) Kriegstagebuch der Seekriegsleitung (1939–1945), hrsg. v. Werner Rahn und Gerhard Schreiber, 68 Bd., Bonn 1988–1997 (zit. „KTB SKL“) Kriegstagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht (1940–1945), hrsg. v. Percy E. Schramm, 8 Bd., München 1982 (zit. „KTB OKW“) Kühnl, Reinhard: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1975 (zit. „­Faschismus“)

376

Auswahlbibliographie Auswahlbibliographie

Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, hrsg. v. Heinz Boberach, 17 Bd., Herrsching 1984/1985 (zit. „Lageberichte“) Lagevorträge des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine vor Hitler 1939–1945, hrsg. v. Gerhard Wagner im Auftrag d. Arbeitskreises für Wehrforschung, München 1972 (zit. „Lagevorträge“) Laufer, Jochen Paul/Kynin, Georgij Pavlovič (Hrsg.): Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948, 3 Bd. Berlin 2004 (zit. „Dokumente“) Lieber, H.-J./Ruffmann, K.-H. (Hrsg.): Der Sowjetkommunismus, Dokumente, Köln – Berlin 1963 (zit. „Dokumente“) Loewenheim-Langley, Jonas: Roosevelt and Churchill, Their secret Wartime Correspondence, London 1975 Moll, Martin: „Führer-Erlasse“ 1939–1945, Stuttgart 1997 (zit. „Erlasse“) Nixon, Edgar Burkhardt (Hrsg.): Franklin D. Roosevelt and foreign affairs, Cambridge, Mass. 1969 Overy, Richard (Hrsg.): Verhöre, Berlin 2005 (zit. „Verhöre“) Picker, Henry (Hrsg.): Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Berlin 1997 (zit. „Tischgespräche“) Präg, Werner/Jacobmeyer, Wolfgang (Hrsg.): Das Diensttagebuch des deutschen General­ gouverneurs in Polen, Stuttgart 1975 (zit. „Diensttagebuch“) Procope, Hjalmar J.: Sowjetjustiz über Finnland, Prozeßakten aus dem Verfahren gegen die Kriegsverantwortlichen in Finnland, Zürich 1947 (zit. „Justiz“) Roosevelt, Elliott (Hrsg): Franklin D. Roosevelt: The Roosevelt Letters, 1928–1945, 3  Bd., London 1949, New York 1950 (zit. „Letters“) – The public Papers and Adresses of Franklin Delano Roosevelt 1933–1940, With a special Introduction and explanatory notes by President Roosevelt, hrsg. v. Samuel Irving Rosenman, 2 Bd. New York 1938–1941 – Links von der Mitte, Briefe – Reden – Konferenzen, ausgewählt und zusammengestellt von Donald Day, Frankfurt 1951 (zit. „Links“) Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SOPADE): Deutschland-Berichte 1934–1940, Frankfurt 1989 (zit. „Berichte“) Trevor-Roper, Hugh R. (Hrsg.): Hitlers politisches Testament, Die Bormann-Diktate vom Februar und April 1945, Hamburg 1981 (zit. „Diktate“) Vereinigte Staaten, Regierung d. (Hrsg.): Amerika und Deutschland 1936–1945, Auszüge aus Reden u. Dokumenten, o. O. 1946 Vogt, Martin (Hrsg.): Herbst 1941 im ‚Führerhauptquartier‘ – Berichte Werner Koeppens an seinen Minister Alfred Rosenberg (Materialien aus dem Bundesarchiv, 10), Koblenz 2002 (zit. „Berichte“) Voigt, Klaus: Friedenssicherung und europäische Einigung, Ideen des deutschen Exils 1939– 1945, Frankfurt 1988 (zit. „Friedenssicherung“)

5. Memoiren, Erinnerungsliteratur und Tagebücher

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Weißbuch der polnischen Regierung über die polnisch-deutschen und die polnisch-sowjetrussischen Beziehungen im Zeitraum von 1933 bis 1939, Basel 1940 (zit. „Weißbuch“) Wieniawa, Dlugoszowski: Z raportow ambasadorskich Wieniawy Dlugoszowkiego (Aus den Berichten des Botschafters Wieniawa Dlugoszowski, hrsg. v. Chudek, J., Warschau 1957 (zit. „Berichte“) Wilhelmstraßenprozeß: Das Urteil im Wilhelmstraßenprozeß, Amtlicher Wortlaut der Entscheidung, mit Einführungen von Robert W. Kempner und Carl Hanesel, München 1950 (zit. „Wilhelmstraßenprozeß“)

5. Memoiren, Erinnerungsliteratur und Tagebücher Alfieri, Dino: Dictators Face to Face, Westport 1978 (zit. „Dictators“) Amery, Leopold Stanley: The Empire at Bay – The Leo Amery Diaries 1929–1945, hrsg. v. John Barnes und David Nicholson, London 1988 (zit. „Diaries“) Beck, Josef: Final Report, New York 1957 (zit. „Report“) Below, Nicolaus v.: Als Hitlers Adjutant 1937–45, Selent 1999 (zit. „Adjutant“) Berber, Friedrich: Zwischen Macht und Gewissen, München 1986 (zit. „Gewissen“) Bernadotte, Graf Folke: Das Ende – Meine Verhandlungen in Deutschland im Frühjahr 1945, Zürich 1945 Biddle, A. J. Drexel: Poland and the coming of the Second World War, The Diplomatic Papers of A. J. Drexel Biddle Jr., hrsg. v. Ph. V. Cannistraro, E. D. Wynot u. Th. P. Kovaleff, Columbus 1976 (zit. „Biddle, Papers“) Bloch, Marc: Die seltsame Niederlage: Frankreich 1940, der Historiker als Zeuge, Frankfurt 1992 (zit. „Niederlage“) Bonnet, Georges: Vor der Katastrophe, Köln 1951 (zit. „Katastrophe“) Brüning, Heinrich: Memoiren 1918–1934, Stuttgart 1970 Bryant, Arthur: Kriegswende, Aus den Kriegstagebüchern des Feldmarschalls Lord Alanbroke, Chef des Empire-Generalstabs, Düsseldorf 1957 Burckhardt, Carl J.: Meine Danziger Mission, München 1960 Cadogan, Alexander: The diaries of Sir Alexander Cadogan, hrsg. v. David Dilks, London 1971 (zit. „Cadogan, Diaries“) Channon, Henry: Chipps – The Diaries of Sir Henry Channon, hrsg. v. Robert Rhodes James, London 1967 (zit. „Diaries“) Churchill, Winston Spencer: Der Zweite Weltkrieg, 6 Bde. (12 Teile), Bern 1948–54 (zit. „Weltkrieg“) Ciano, Galeazzo: Tagebücher 1939–1943, Bern 1946 (zit. „Tagebücher“) Colville, John: Downing Street Tagebücher, Berlin 1988 (zit. „Tagebücher“)

378

Auswahlbibliographie Auswahlbibliographie

Curtius, Julius: Sechs Jahre Minister der Deutschen Republik, Heidelberg 1948 (zit. „Minister“) Dahlerus, Birger: Der letzte Versuch, München 1948 (zit. „Versuch“) Davies, Josef E.: Als USA-Botschafter in Moskau, Zürich 1943 (zit. „Botschafter“) Dietrich, Otto: Zwölf Jahre mit Hitler, München 1955 Djilas, Milovan: Gespräche mit Stalin, Frankfurt 1962 Dodd, William E.: Ambassador Dodds Diary, hrsg. v. William E. Dodd Jr. u. Martha Dodd, New York 1941 (zit. „Diary“) – Diplomat auf heißem Boden, Berlin 1961 (zit. „Diplomat“) Dönitz, Karl: Zehn Jahre und zwanzig Tage, Bonn 1964 Eden, Anthony: Facing the Dictators, London 1962 (zit. „Dictators“) Eichmann, Adolf: Ich, Adolf Eichmann, hrsg. v. Rudolf Aschenauer, Leoni 1980 FitzRandolph, Sigismund-Sizzo: Der Frühstücks-Attaché aus London, Stuttgart 1954 (zit. „London“) Flexner, Abraham: I Remember – the Autobiography of Abraham Flexner, New York 1940 Forrestal, James: The Forrestal Diaries, hrsg. v. Walter Millis, New York 1951 (zit. „Diaries“) François-Poncet, André: Zu Deutschen gesprochen, München 1958 – Botschafter in Berlin 1931–1938, Mainz 1962 (zit. „In Berlin“) – Botschafter in Rom 1938–1940, Mainz 1962 (zit. „In Rom“) – Auf dem Wege nach Europa, Politisches Tagebuch 1942–1962, Mainz 1964 Gafencu, Grigore: Europas letzte Tage, Zürich 1946 (zit. „Tage“) – Vorspiel zum Krieg im Osten, Zürich 1944 (zit. „Vorspiel“) De Gaulle, Charles: Memoiren 1940–1942, Berlin/Frankfurt 1955 Gehlen, Reinhard: Der Dienst – Erinnerungen 1942–1971, Wiesbaden 1971 (zit. „Erinnerungen“) Gerstenmaier, Eugen: Streit und Friede hat seine Zeit – Ein Lebensbericht, Frankfurt 1981 (zit. „Lebensbericht“) Gisevius, Hans Bernd: Bis zum bitteren Ende, Zürich 1954 Goebbels, Josef: Die Tagebücher von Josef Goebbels, hrsg. v. Elke Fröhlich, München 1987 f. (zit. „Tagebücher“) Goldmann, Nachum: Staatsmann ohne Staat, London 1970 (zit „Staatsmann“) – Das jüdische Paradox, Köln 1978 (zit. „Paradox“) – Mein Leben als deutscher Jude, München 1980 (zit. „Leben“) Halder, Franz: Gespräche mit Halder, bearb. v. Peter Bor, Wiesbaden 1950 (zit. Bor, Gespräche) – Kriegstagebuch, 3 Bd., bearb. von H.-A. Jacobsen, Stuttgart 1962–1964 (zit. „Kriegstagebuch“)

5. Memoiren, Erinnerungsliteratur und Tagebücher

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Harvey, Oliver: The Diplomatic Diaries of Oliver Harvey, hrsg. v. John Harvey, London 1970 (zit. „Diaries I“) – The War Diaries of Oliver Harvey 1941–1945, hrsg. v. John Harvey, London 1978 (zit. „Diaries II“) Hassell, Ulrich v.: Vom Andern Deutschland, Zürich 1946 (zit. „Deutschland“) – Römische Tagebücher und Briefe, 1932–1938, München 2004 (zit. „Tagebücher“) Hedin, Sven: Ohne Auftrag in Berlin, Stuttgart 1950 (zit. „Auftrag“) Henderson, Nevile: Failure of a Mission, London 1940 (zit. „Failure“) – Fehlschlag einer Mission, Zürich o. J. (zit. „Mission“) – Water under the Bridges, London 1945 (zit. „Water“) Herwarth, Hans v.: Zwischen Hitler und Stalin – Erlebte Zeitgeschichte 1931–1945, Frankfurt 1985 Hesse, Fritz: Spiel um Deutschland, München 1953 (zit. „Spiel“) – Das Vorspiel zum Kriege  – Englandberichte und Erlebnisse eines Tatzeugen 1935–1945, Leoni 1979 (zit. „Englandberichte“) Hilger, Gustav: Wir und der Kreml, Frankfurt 1956 Hoare, Sir Samuel (Viscount Templewood): Gesandter in besonderer Mission, Hamburg 1949 – Neun bewegte Jahre, Düsseldorf 1955 Hoßbach, Friedrich: Zwischen Wehrmacht und Hitler 1934–1938, Göttingen 1965 Hull, Cordell: The Memoirs of Cordell Hull, 2 Bd., New York 1948 (zit. „Memoirs“) Jones, Thomas: A Diary with letters, London 1969 (zit. „Diary“) Jünger, Ernst: Annäherungen – Drogen und Rausch, Stuttgart 1978 Keitel, Wilhelm: Erinnerungen, Briefe, Dokumente, hrsg. von Walter Görlitz, Göttingen 1961 (zit. „Erinnerungen“) Kleist, Peter: Zwischen Hitler und Stalin, Bonn 1950 – Die europäische Tragödie, Preußisch Oldendorf 1971 (zit. „Tragödie“) Kordt, Erich: Nicht aus den Akten, Stuttgart 1950 (zit. „Akten“) Liddell Hart, Basil H.: Lebenserinnerungen, Düsseldorf 1966 Lukasiewicz, Juliusz: Diplomat in Paris, 1936–1939, Papers and Memoirs of Juliusz Luka­ siewicz, Ambassador of Poland, hrsg. v. Waclaw Jedrzejewicz, New York 1970 Maurois, André: Die Tragödie Frankreichs, Zürich 1941 (zit., „Tragödie“) Meissner, Otto: Ebert – Hindenburg – Hitler, Erinnerungen eines Staatssekretärs, München 1991 (zit. „Staatssekretär“) Molotov, Vjačeslav Michailovič: Molotov Remembers, Inside Kremlin Politics, Conversations with Felix Chuev, hrsg. v. Albert Resis, Chicago 1993 (zit. „Politics“)

380

Auswahlbibliographie Auswahlbibliographie

v. Moltke, Helmuth James: Briefe an Freya 1939–1945, hrsg. v. Beate Ruhm von Oppen, München 1988 Mooney, James D.: Memoirs, Including Appendices and Memoranda, Manuskript im Besitz der „State Historical Society of Wisconsin“ (hier zit. n. Martin, Friedensinitiativen) Moravec, Frantisek: Master of Spies – Memoirs, London 1975 (zit. „Spies“) Nicolson, Harold: Harold Nicolsons Diaries and Letters, 2 Bd., London 1966 (zit. „Diaries“) – Tagebücher und Briefe, Frankfurt 1969 (zit. „Briefe“) Paget, Reginald T.: Manstein, Seine Feldzüge und sein Prozeß, Wiesbaden 1952 (zit. „Manstein“) Papen, Franz v.: Der Wahrheit eine Gasse, München 1952 (zit. „Gasse“) Pilsudski, Josef: Gesetz und Ehre, Jena 1935 Putlitz, Wolfgang zu: Unterwegs nach Deutschland, Berlin (Ost) 1967 – The Putlitz Dossier, London 1957 (zit. „Dossier“) – Laaske, London und Haiti – Zeitgeschichtliche Miniaturen, Berlin (Ost) 1965 Raczynski, Edward: In Allied London, London 1962 Raeder, Erich: Mein Leben, 2 Bde., Tübingen 1956/57 (zit. „Mein Leben“) Ribbentrop, Joachim v.: Zwischen London und Moskau – Erinnerungen und letzte Aufzeichnungen, Leoni 1954 (zit. „Erinnerungen“) Ribbentrop, Rudolf v.: Mein Vater Joachim von Ribbentrop  – Erlebnisse und Erinnerungen, Graz 2008 (zit. „Erlebnisse“) Rosenberg, Alfred: Das politische Tagebuch, Göttingen 1956 (zit. „Tagebuch“) Sartre, Jean-Paul: „Les carnets de la drole de guerre“, November 1939 – März 1940, Reinbek 1984 (zit. „carnets“) Schacht, Hjalmar: 76 Jahre meines Lebens, Bad Wörrishofen 1953 Schellenberg, Walter: Memoiren, Köln 1956 Schmidt, Paul: Statist auf diplomatischer Bühne, Frankfurt 1961 (zit. „Statist“) – Der Statist auf der Galerie, Bonn 1951 (zit. „Galerie“) Schweppenburg, Frhr. Geyr von: Erinnerungen eines Militärattachés  – London 1933–1937, Stuttgart 1949 (zit. „Erinnerungen“) – Leopold von Hoesch – Botschafter für den Frieden, Würzburg 1984 (zit. „Hoesch“) Selby, Walford: Diplomatic Twilight, London 1953 (zit. „Twilight“) Semjonov, Vladimir: Von Stalin bis Gorbatschow, Ein halbes Jahrhundert in diplomatischer Mission, Berlin 1995 (zit. „Mission“) Sieburg, Friedrich: Die Lust am Untergang – Selbstgespräche auf Bundesebene, Hamburg 1954 (zit. „Untergang“)

6. Zeitgenössische politische und historische Schriften

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Simoni, Leonardo: Ambassade d’Italie, Paris 1947 Sonnleithner, Franz v.: Als Diplomat im ‚Führerhauptquartier‘, München 1989 (zit. „Diplomat“) Speer, Albert: Erinnerungen, Frankfurt 1969 Spitzy, Reinhard: So haben wir das Reich verspielt – Bekenntnisse eines Illegalen, München 1986 (zit. „Bekenntnisse“) Stahmer, Heinrich G.: Japans Niederlage – Asiens Sieg, Bielefeld 1952 (zit. „Sieg“) Stern, Fritz: Fünf Deutschland und ein Leben, München 2009 (zit. „Deutschland“) Stresemann, Wolfgang: Zeiten und Klänge – Ein Leben zwischen Musik und Politik, Berlin 1997 (zit. „Zeiten“) Studnitz, Hans-Georg v.: Als Berlin brannte – Diarium der Jahre 1943–1945, Stuttgart 1963 (zit. „Diarium“) Sylvester, A. J.: Life with Lloyd George, London 1975 (zit. „Life“) Szembek, Jean: Journal 1933–1939, Paris 1952 Tennant, Ernest W. D.: True account, London 1975 (zit. „account“) Trotzki, Leo: Stalins Verbrechen, Zürich 1937 Vansittart, Lord: The Mist Procession, London 1958 (zit. „Procession“) Weizsäcker, Ernst v.: Erinnerungen, hrsg. v. Richard v. Weizsäcker, München 1950 (zit. „­Erinnerungen“) – Die Weizsäcker-Papiere 1933–1950, hrsg. v. Leonidas Hill, 2 Bd., Frankfurt 1974 (zit. „­Papiere“) Welles, Sumner: The Time for Decision, Cleveland/New York 1944 (zit. „Decision“) Westphal, Siegfried: Heer in Fesseln, Aus den Papieren des Stabschefs von Rommel, Kesselring und Rundstedt, Bonn 1950 Young, A. P.: The ‚X‘ Documents, hrsg. v. Sidney Aster, London 1974 (zit. „Documents“) Ziegler, Wilhelm: Wie kam es zum Kriege 1939, Leipzig 1939

6. Zeitgenössische politische und historische Schriften Atholl, Duchess of: Germany’s Foreign Policy as stated in Mein Kampf by Hitler, with a Fore­ wod by the Duchess of Atholl, London (Friends of Europe) 1936 (zit. „Mein Kampf“) Baginski, Henryk: Zagadnienia dostępu Polski do morza, Warszawa 1927 – Poland’s Freedom of the Sea, Kirkcaldy 1942 (zit. „Freedom“) – Poland and the Baltic, London 1942 (zit. „Poland“) Beard, Charles A.: American Foreign Policy in the Making 1932–1940 – A Study in Responsibilities, New Haven 1946

382

Auswahlbibliographie Auswahlbibliographie

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Auswahlbibliographie Auswahlbibliographie

Wolff, Hans-Jürgen: Kriegserklärung und Kriegszustand nach klassischem Völkerrecht, Berlin 1990 Wollstein, Günter: Eine Denkschrift des Staatssekretärs Bernhard von Bülow vom März 1933, Wilhelminische Konzeption der Außenpolitik zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, in: MGM 1/1973, S. 77–94 (zit. „Denkschrift“) – Das Großdeutsche Reich als Demokratie: Ordnungsmodell ohne Chance, in: Dülffer, Deutschland, S. 229–249 Woodward, Sir Llewellyn: British Foreign Policy in the Second World War, 5 Bd., London 1970 (zit. „Policy“)

Personenindex1 Abetz, Otto  90, 101, 294, 296, 320 Açikalin – türk. Gesandter  66 Adenauer, Konrad  18 Aigner, Dietrich  206 Alexander, Horace  358, 359 Alexander, König von Jugoslawien  61 Alexandrov – sowjet. Diplomat  344 Amen, John H.  122, 326 Amery, Leopold  72 Angell, Norman  88 Ashton-Gwatkin, Frank  195, 204, 205, 207 Astor, Lord  78 Attlee, Clement  88 Attolico, Bernardo  99, 172, 173, 174 Bach-Zelewski, Erich  129 Baginski, Henryk  156 Bahners, Patrick  322 Baldwin, Stanley  38, 70, 71, 72, 74, 75, 76, 77, 104, 105 Barthou, Louis  55, 56, 57, 59, 60, 61 Bartlett, Vernon  167 Baruch, Bernard  78 Baum, Rainer  322 Beatty – Earl  66 Beaverbrook, Lord (= William Maxwell Aitken)  70, 86 Bebel, August  253, 254 Beck, Josef  31, 42, 182, 185, 186, 195, 216, 217, 218, 219, 223, 224, 225, 238, 245, 260, 266, 273, 274 Beck, Ludwig  155 Below, Nicolaus v.  153, 241 Bene, Otto – NSDAP-Funktionär  91 Benesch, Eduard 73, 181, 204, 228, 247, 248 Benoist-Mechin, Jacques  330

Berber, Fritz  87, 109, 110, 124, 125, 149, 150, 231, 232, 294, 295, 296, 336, 357, 358, 359, 360 Bereschkov, Valentin  310 Bernadotte, Graf Folke  23, 25, 361, 363, 364 Biddle, Anthony Drexel  225 Bird, Dennis  24 Bismarck, Otto v.  104, 105, 106, 117, 121, 124, 152, 155, 195, 315, 340 Blasius, Rainer  126, 137, 138 Bloch, Michael  16, 20, 21, 71, 108, 161 Blomberg, Werner v.  55, 94, 158 Blood-Ryan, H.W.  16 Bohm-Tettelbach – Oberst  188 Bonar Law, Andrew  70, 72 Bonnet, Georges  209, 211, 215, 216, 221, 222 Boothby, Robert  102, 208 Bormann, Martin  79, 148, 186, 284, 355, 362, 365 Boveri, Margret  197 Brauchitsch, Walther v.  241 Brecht, Arnold  219 Brecht, Bertolt  274 Breitman, Richard  130 Briand, Aristide  166 Brinon, Fernand de  54 British Council of Publicity Abroad  200 Brockdorff-Ahlefeld, Erich v.  188 Brockhausen, Ralf – NSDAP-Funktionär  50 Browning, Christopher  322, 324 Brundage, Howard A.  326 Brüning, Heinrich  44, 56, 192, 219, 291, 354 Budjonny, Semjon  142 Bullitt, William C.  74, 160, 191, 286, 287, 290

1



1

Nicht mit in den Index aufgenommen wurden die Personen Hitler und Ribbentrop.

404

Personenindex

Bülow, Bernhard v.  32, 59, 83, 116, 121, 142, 144, 288 Burckhardt, Carl J.  99, 186, 352, 354, 355, 357 Buxton – Lord  149, 358 Cadogan, Alexander  108, 117, 130, 206, 207, 208, 363 Canaris, Wilhelm  253, 254 Carell, Paul  330 Castellane, Jean Graf  56 Catchpool, Corder  232, 359, 360 Cavour, Camillo di  25, 26 Cecil, Robert  88 Chamberlain, Austen  74, 88, 372 Chamberlain, Joseph  152 Chamberlain, Neville  18, 19, 38, 43, 74, 75, 106, 107, 109, 110, 114, 136, 148, 149, 151, 152, 171, 174, 175, 177, 185, 188, 190, 191, 192, 193, 194, 201, 202, 203, 205, 206, 207, 208, 219, 223, 225, 226, 228, 229, 230, 231, 232, 234, 235, 236, 242, 254, 255, 256, 257, 262, 264, 275, 276, 282, 283, 284, 285, 286, 288, 290, 291, 294, 296, 297 Channon, Henry  24 Chiang Kai-shek  233 Churchill, Winston  14, 38, 43, 53, 74, 76, 85, 86, 88, 99, 100, 101, 112, 135, 150, 151, 153, 160, 170, 176, 191, 192, 193, 201, 203, 205, 208, 219, 223, 234, 246, 252, 254, 256, 278, 279, 282, 283, 286, 291, 297, 298, 300, 301, 320, 331, 339, 348, 352, 354, 355, 365 Ciano di Cortellazzo, Galeazzo  120, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 227, 236, 237, 238 Clark, Kenneth  275 Clauß, Edgar  343, 344, 345 Colvin, Ian  112, 185, 205, 206 Conwell-Evans, Thomas P.  50, 62, 77, 205, 286 Cooper, Duff  71, 85, 86, 96, 97, 103, 185, 204, 223, 278, 282 Coulondre, Robert  221, 222, 238 Craigie, Robert  174, 235 Cranborne, Viscount = Robert Arthur James Gascoyne-Cecil  81 Cromwell, Oliver  36, 46

Crowe, Eyre  89 Csáky, István  220 Dahlerus, Birger  262, 263, 267, 269, 271, 272, 273 Daladier, Edouard  114, 181, 255 Davignon, Vicomte Jacques  114 Dekanozov, Vladimir  309, 310, 311 Dell, Robert  359 Delmer, Sefton  18 Deutsch, Otto Erich  16 Dieckhoff, Hans Heinrich  123, 317 Diem, Carl  330 Dimitrov, Georgij  240, 307 Dimitrov-Kerin, Velitschko  61 Dirksen, Herbert v.  194, 203, 219, 275 Disraeli, Benjamin  35 Dodd, William  58, 59, 104, 106 Dollfuss, Engelbert  31 Dönitz, Karl  317, 319 Donovan, William  141, 301 Dornbusch, Guido  97 Dugdale, Blanche  76 Dulles, Allen  205 Dupuy, Pierre  298 Dürckheim, Karlfried Graf  70, 71, 359 Dutch, Oswald  16, 382 Eden, Anthony  40, 55, 58, 61, 62, 64, 68, 76, 82, 83, 94, 105, 106, 107, 114, 192, 194, 202, 291, 300, 349, 354, 365 Edgar Voncent = Viscount D’Abernon  73 Edward I.  36 Edward VIII.  20, 81, 82, 97, 103, 104 Ehrenström, Nils  281 Eichelberger, Clark M.  78 Eichmann, Adolf  324 Einstein, Albert  74 Eisenhower, Dwight D.  362, 363 Eisenlohr, Ernst  135 Elisabeth I.  36 Evans, Richard  322 Fest, Joachim  67, 154 Finlay, John  78 Fischer, Josef  279, 319 FitzRandolph, Sigismund Sizzo  40, 90, 97, 99, 100

Personenindex Fleming, Peter  169 Flexner, Abraham  73, 77 Fontane, Theodor  97 Forrestal, James  286 Förster, Jürgen  17 Franco Bahmonde, Francisco  334 François-Poncet , André  55, 58, 59, 116 Franz I.  30 Freisler, Roland  330 Friedländer, Saul  216 Funk, Walther  202 Gallacher, William  81 Gans Edler Herr zu Putlitz, Wolfgang  18, 19 Garbo, Greta  80 Gardemann – Botschaftsrat  300 Garvin, J. L.  110, 179, 373 Gaulle, Charles de  94 Gaus, Friedrich  139, 140, 141, 294, 296 Georg V.  70, 86 Georg VI.  102, 103 Gerede, Hüsrev  66 Gerstenmaier, Eugen  137, 281 Gilbert; Gustave  46 Giraud, Henri  333 Gleason, Everett  287 Glen, Douglas  15, 16, 382 Goebbels, Joseph  69, 90, 99, 116, 121, 183, 213, 214, 276, 301, 320, 332, 340, 349, 350, 351, 352, 353, 354, 355 Goerdeler, Carl Friedrich  112, 188, 296 Goethe, Johann Wolfgang v.  49 Goldmann, Nachum  240 Goldschmidt, Jakob  219 Göring, Hermann  19, 25, 28, 44, 47, 117, 126, 127, 130, 135, 152, 158, 182, 186, 187, 196, 229, 262, 273, 277, 290, 300, 313, 351, 360, 366 Gower, Patrick  88 Graml, Hermann  57, 174, 237 Granborne – Viscount  40 Groscurth, Helmuth  264 Gross, Max  341 Grynszpan, Herschel  214 Gunther, Gerhard v.  16 Haldane, Richard  110

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Halder, Franz  129, 188, 241, 286 Halifax, Viscount (= Edward Wood)  40, 73, 103, 107, 108, 109, 113, 117, 148, 174, 175, 177, 178, 180, 181, 185, 191, 192, 201, 203, 208, 225, 226, 227, 230, 235, 236, 260, 262, 263, 266, 267, 297, 367 Hammerstein, Helga v.  47 Hammerstein-Equord, Kurt v.  47 Harvey, Oliver  42, 82, 175 Hassell, Ulrich v.  58, 119, 120, 126, 127, 130, 131, 167, 296, 330, 331 Haushofer, Karl  169 Heinrich VIII.  36 Henderson, Nevile  68, 73, 83, 100, 104, 105, 106, 107, 110, 126, 127, 132, 133, 177, 178, 180, 187, 194, 195, 198, 201, 203, 207, 228, 230, 231, 252, 253, 259, 260, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 276, 278, 323 Herriot, Edouard  30 Herwarth, Hans v.  244 Hess, Rudolf  62, 117, 290, 300, 308 Hesse, Fritz  84, 85, 193, 194, 274, 275, 276, 294, 295, 357 Hessen, Prinz Philipp v.  232 Heuss, Theodor  125 Hewel, Walter  130, 197, 231, 232, 296, 301, 309, 347, 362 Heydrich, Reinhard  52, 322 Hilberg, Raul  327 Hildebrand, Klaus  159 Hilger, Gustav  242 Hill, Leonidas  126, 127, 128, 129, 130, 131 Hillgruber, Andreas  17 Himmler, Heinrich  28, 51, 52, 135, 162, 163, 198, 333, 335, 355, 360, 363, 364 Himmler, Margarete  52 Hindenburg, Paul v.  47, 56, 57 Hoare, Samuel  114 Hoek, Kees van  102 Hoesch, Leopold v.  57, 62, 75, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 91, 98, 204 Hofer, Walther  17, 33, 158, 161 Hoggan, David  17, 225, 250 Hohenlohe, Prinz Max v.  205 Holborne – engl. Journalist  228

406

Personenindex

Horne, Robert  74 Hoßbach, Friedrich  122, 153, 155 Hoßbach-Protokoll  112, 142, 154, 155, 157, 159, 160, 161, 210, 211 Howard, Roy  78 Hudson, Robert  229 Hull, Cordell  78, 105, 287 Inskip, Thomas  75, 108, 226 Ivanov, V.  265 Jackson, Robert  141, 326 Jacobsen, Hans-Adolf 17, 27, 157, 158, 159 Jäderlund, Christer – schwed. Journalist  183 James, Edwin  78 Jazdzewski – poln. Geschäftsträger  185 Jodl, Alfred  332, 366 Jones, Thomas  70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 94, 105, 106 Jünger, Ernst  341, 342 Kaganovitsch, Lasar  321 Karl der Große  337 Karl V.  30 Kaufman, Theodore N.  320, 329, 330 Keitel, Wilhelm  366 Kellerhoff, Sven Felix  153 Kempner, Robert  324 Kennard, Howard  224, 225, 226, 268 Kennedy, Joseph  225, 286 Kent, Herzog v.  232 Keppler, Wilhelm  158 Kérillis, Henri de  204 Kiesinger, Kurt Georg  18 Kirkpatrick, Ivone  207 Kissinger, Henry  154 Klas, Adolf – deut. Ministerialrat  294 Kleist, Peter  23, 25, 247, 248, 343, 344, 345, 347, 348, 355 Kleist-Schmenzin, Ewald v.  188 Kley, Stefan  20, 21, 160 Knox, Frank  317, 320 Kogon, Eugen  138 Kordt, Erich  137, 138, 167, 188, 194, 253 Kordt, Theodor  15, 167, 188, 198, 253, 286 Körner, Paul  158 Köster, Roland  56, 57, 59, 116 Kowalski, Kazimierz  156

Krock, Arthur  78 Krofta, Kamil  135 Kujau, Konrad  129 Kütemeyer, Wilhelm  34 Lammers, Heinrich  79 Langer, William  287 La Rochelle, Drieu  341 Laski, Harold  352 Laval, Pierre  298 Layton, Walter  88 Léger, Alexis  60 Lehnkering, Eugen  36 Lenin, Vladimir Iljitsch  43, 45 Ley, Robert  117 Likus, Rudolf  198 Linge, Heinz  261 Lipski, Josef  54, 133, 182, 184, 185, 186, 190, 195, 196, 213, 216, 217, 260, 266, 270, 271, 272, 273, 315 Litvinov, Maxim  81 Lloyd George, David  35, 60, 62, 70, 77, 294, 297 Löb, Fritz  158 Londonderry, Lord (= Charles Vane-TempestStewart)  37, 38, 96 Longerich, Peter  162 Lord Allen of Hurtwood (= Clifford Allen)  39, 149, 358, 359 Lothian, Lord (= Philip Kerr)  62, 63, 75, 149, 150, 192, 297, 360 Low, David  102 Lubbe, Marinus van der  49 Lubienski, Michal  42 Lubitsch, Ernst  80 Lubomirksi, Fürst Stephan  196 Lukasiewicz, Juliusz  190, 191 Luther, Martin  124, 324, 327 MacDonald, Ramsay  65, 70, 358, 372 Machiavelli  298 Macmillan, Harold  89 Majskij, Ivan  81, 86, 247 Malhomme, Henryk  271 Mandel, George = Louis Georges Rothschild  204 Mann, Golo  251 Martin, Kingsley  76, 274

Personenindex Marx, Karl  145, 146 Masaryk, Jan  195 Masaryk, Thomas  228 Mason-McFarlane, F. N.  226, 227 Massigli, René  181 Maurois, André  96 Mellenthin, Horst v.  47 Mendelssohn, Peter de  252 Mendl, Charles  101 Meuser – Direktor  216 Michalka, Wolfgang  19, 21, 22, 27, 71 Mikoajczyk, Stanisaw  118 Mitford, Unity  90, 252 Molodjakov, Vasilij  21 Molotov, Vjatscheslav  292, 293, 302, 321, 347 Moltke, Hellmuth James v.  353 Morgenthau, Henry  352 Moscicki, Ignacy  224 Mühlen, Roland von zur  310 Müller, Heinrich  324 Müller, Rolf-Dieter  159, 160 Mussolini, Benito  227, 295 Napoleon I.  24, 46, 323 Nebe, Arthur  28 Neumann, Erich  158 Neumann, John v.  74, 77 Neurath, Konstantin v.  49, 54, 55, 56, 57, 62, 63, 68, 83, 88, 104, 117, 119, 120, 121, 123, 135, 142, 143, 144, 152, 157, 160, 167, 177, 186 Nicolson, Harold  130, 151, 297 Nienaski, Krzysztof  269 Nietzsche, Friedrich  155 Nikituschev – sowjet. Diplomat  347 Noé, Hermann  354 Noël, Leon  221 Nordling, Raoul  313 Norton, Clifford  185 Ogilvie-Forbes, George  225, 272, 273 Oshima, Hiroshi  166, 173, 174, 234, 235, 249, 343, 346, 349 Ossietzky, Carl v.  359 Oster, Hans  188 Panofsky, Erwin  74 Papen, Franz v.  23, 47, 346, 366

407

Perth – Lord = James Eric Drummond  200 Pétain, Philippe  54, 298, 333, 334 Philipp von Mazedonien  100 Phipps, Eric  55, 62, 63, 71, 73, 106 Piggott, Julian  188 Pilsudski, Josef  30, 31, 54 Popitz, Johannes  158 Popov, Ivan  326, 327 Post, Erik v.  304 Potocki, Jerzy  191, 287, 290 Pound, Dudley  291 Price, Ward  189 Pückler-Branitz, Carl-Erdmann Graf v.  341 Raczynski, Edward  185, 220, 221 Radek, Karl  45 Rademacher, Franz  324 Radtke – deut. Offizier  302 Raeder, Erich  68, 152, 317, 319 Rath, Ernst vom  214 Raumer, Hermann v.  167, 168 Raumer, Kurt v.  340 Rauschning, Hermann  148 Ray, Roland  90 Reichenaus, Walter v.  189 Reich-Ranicki, Marcel  214 Reischle, Hermann  158 Renner, Karl  34 Reynaud, Paul  313 Ribbentrop, Annelies v.  21 Ribbentrop, Friedrich v.  53 Ribbentrop, Friedrich Wilhelm Christian Johann  53 Ribbentrop, Rudolf v.  22, 53, 325, 329, 341, 350 Richards, A. H.  88 Rigg, Mark Bryan  325 Rintelen, Emil v.  326 Robbespierre, Maximilien de  341 Roberts, F. K.  206 Robertson, E. M.  17 Rogers, Lindsay  75 Röhm, Ernst  48, 49 Rommel, Erwin  261 Roosevelt, Franklin Delano  66, 75, 92, 105, 166, 181, 191, 205, 286, 288, 289, 291, 299, 300, 301, 315, 316, 317, 318, 330, 348, 356, 363

408

Personenindex

Ropp, Friedrich von der  360 Rosenberg, Alfred  48 Rosenman, Samuel  352 Rothermere – Lord  54 Rothfels, Hans  49, 50, 51, 62, 162 Rothmund, Heinrich  352 Rougemont, Dennis de  5, 101 Rougier, Louis  298 Rudenko – General  367 Runciman, Walter  187, 188 Salter, Arthur  88 Sandys, Duncan  151 Sargent, Orme Garton  207, 353 Schacht, Hjalmar  19, 158, 188, 297, 366 Scharnhorst, Gerhard v.  53 Schill, Ferdinand v.  53 Schlabrendorff, Friedrich v.  347 Schlamm, Willi  166 Schleicher, Kurt  47, 49, 177 Schmidt, Helmut  325 Schmidt, Paul  72, 120, 271, 277, 289, 294, 295, 297, 310 Schmidt, Paul (Carrell)  79, 199, 245, 288, 350 Schmundt, Rudolf  241 Schönfeld, Hans  281 Schulenburg, Graf Friedrich Werner von der  292 Schuschnigg, Kurt  107, 108 Schwarz, Paul  15, 16 Schweppenburg, Geyr v.  67, 85, 86, 91, 94, 98 Schwerin-Krosigk, Lutz v.  97, 124, 158, 191, 192 Scurla, Herbert  125 Seeberg, Axel  125 Seeckt, Hans v.  118, 119 Seidel, Robert  322 Selby, Walford  105 Semjonov, Vladimir  307, 343, 344, 345, 347 Shigemitsu – jap. Botschafter  174 Sieburg, Friedrich  341 Simon, John  58, 61, 62, 63, 64, 65, 68, 83, 98, 203 Sinclair, Archibald  85, 99 Śmigly-Rydz, Edward  220, 223, 224 Smogorzewski, Kazimierz  202

Snyder, Timothy  80 Sommer, Theo  138, 167 Sonnleithner, Franz v.  277 Spears, E.L.  181 Speer, Albert  49, 82, 121, 278, 366 Spengler, Oswald  31, 49 Spitzy, Reinhard  100, 101, 102, 252, 253 Stahmer, Heinrich  313, 314 Stalin, Josef  18, 45, 65, 118, 168, 234, 239, 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 254, 265, 300, 304, 308, 342, 343, 344, 347, 348, 349, 350, 351, 353, 355, 362 Stanley, Oliver  207, 291 Stauffenberg, Claus v.  179, 261 Steed, Wickham  76, 78, 85, 88, 99, 102, 104, 149, 256 Steengracht, Gustav Adolf v.  326, 329 Steward, George S.  193, 194, 275 Strakosch, Henry  76 Strang, William  55 Strasser, Otto  228 Strauch, Rudi  105 Stresemann, Gustav  48, 119, 166 Stresemann, Wolfgang  16 Stuby, Gerhard  139, 144 Stuckart, Wilhelm  294 Stumm, Baron v.  87 Suer, Serrano  299 Sulzberger, Arthur Hays  78 Suvich, Fulvio  58 Szaronov, Nikoaj  238 Szembek, Jean  186 Talleyrand, Charles de  131 Taylor, A. J. P.  17 Temple, William  281 Tennant, Ernest  35, 36, 37, 91, 102, 111, 188, 189, 228, 229, 230, 231, 232 Thadden, Eberhard v.  326 Thierack, Otto Georg  97 Thomsen, Hans  287, 297, 318, 360 Thyssen, Fritz  36 Tilea, Viorel  208 Tirpitz, Alfred v.  99 Toggenburg, Graf  199 Tooze, Adam  231 Toynbee, Arnold  359 Trotzki, Leo  114

Personenindex Tuchatschevskij, Michail  86 Tuchman, Barbara  87 Ustinow, Jona v.  18 Vandenberg, Arthur H.  314 Vansittart, Robert  18, 30, 58, 63, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 105, 106, 109, 114, 138, 185, 189, 194, 200, 207, 253, 254, 320, 354 Viereck, Sylvester  92 Vogt, Carl  145, 146 Vollmer, Antje  25 Wagner, Richard  56 Warburg, Felix  78 Ward Price, George  54 Weber, Max  5 Wehler, Hans-Ulrich  162 Weißauer, Ludwig  301 Weitkamp, Sebastian  326 Weitz, John  20 Weizmann, Chaim  76 Weizsäcker, Carl Friedrich v.  34 Weizsäcker, Ernst v.  15, 19, 51, 52, 124, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133,

409

134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 144, 167, 170, 177, 182, 183, 187, 188, 194, 195, 196, 198, 217, 222, 228, 253, 254, 267, 277, 293, 297, 300, 311, 312, 314, 326 Welles, Sumner  105, 289, 290, 291 Wheeler, John Neville  78 Wiedemann, Fritz  117 Wilhelm I.  315 Wilhelm II.  27, 323 Wilson, Horace  76, 188, 229, 274, 275, 276, 277 Winkler, Heinrich August  51 Winterton, Earl  74 Wirsing, Giselher  341 Wise, Stephen  78 Wittfogel, Karl August  45 Woermann, Ernst  51, 103, 196, 216, 314 Wohlthat, Helmut  229 Wolf, Lucien  36 Wolff, Karl  232 Wollstein, Günther  34 Woroschilow, Kliment  240, 243 Zeitschel, Carltheo  320 Zimmermann, Arthur  87